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German Pages 316 Year 2014
Thomas Lackner Computerspiel und Lebenswelt
Edition Kulturwissenschaft | Band 53
2014-07-29 10-38-45 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03c0373039357990|(S.
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4) TIT2881.p 373039357998
Thomas Lackner (Dr. phil.) hat Volkskunde und Kulturanthropologie in Graz studiert. Seine Forschungsschwerpunkte sind Medien und Cultural Studies.
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Thomas Lackner
Computerspiel und Lebenswelt Kulturanthropologische Perspektiven
2014-07-29 10-38-45 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03c0373039357990|(S.
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Gedruckt mit Unterstützung der Universität Graz, der Landesregierung Steiermark (Abteilung Wissenschaft und Forschung) und der Stadt Graz (Kulturamt/Wissenschaft).
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Vorwort | 7 Einleitung | 9 Forschungsdesign | 19
Forschungsgegenstand und Forschungsmethode | 19 Methodologie | 27 Computer und Computerspiele in der Gesellschaft | 37
Mensch und Spiel | 37 Zur Kulturgeschichte der Technik und Medien | 44 Das Computerspiel | 57 Computerspielgattungen | 79 Computer und Computerspiele als kultureller Ausdruck | 93
Simulation, Cyberspace und virtuelle Realität | 93 Computerspiele und neoliberale Gesellschaft | 102 Computerspiele und Postmoderne | 111 Computerspiele im gesellschaftlichen und medialen Diskurs | 124 Empirische Befunde und Diskurse | 157
Krieg, Kampf, Gewalt und Spiel | 157 Mythen und Märchen | 170 HeldInnen | 193 Der Dualismus von Gut und Böse | 203 Virtueller und realer Körper | 209
Geschlechterrollen | 219 Aneignung von Computerspielen | 238 Verhältnis Virtueller Raum der Computerspiele zum Realen Raum | 244 Identität | 265 Virtuelle und reale Gemeinschaften | 271 Jugend | 281 Schlussbemerkungen | 289 Literaturnachweis | 299
Vorwort
Das vorliegende Buch ist das Ergebnis einer mehrjährigen kulturanthropologischen Forschungstätigkeit über das Spielen von Computerspielen. Ein großes Anliegen war mir, dass neben einer theoretischen, medienphilosophischen Analyse auch die SpielerInnen in Form einer empirischen Feldforschung zu Wort kamen, um somit Theorie und alltägliche Handlungspraxis sinnvoll miteinander verknüpfen zu können. Große Unterstützung, vor allem auf dem Gebiet der empirischen Feldforschung mit Hilfe des „Verstehens-Konzepts“ nach Pierre Bourdieu,1 erhielt ich im Rahmen der Dissertationsseminare von meiner betreuenden Professorin Dr. Elisabeth Katschnig-Fasch und insbesondere durch die Hilfe der fruchtbaren Diskussionen innerhalb der Dissertationsgruppe. Mein Dank gilt meiner leider viel zu früh verstorbenen Betreuerin Dr. Elisabeth Katschnig-Fasch, die mich ständig zum Weitermachen motivierte, leider aber die Fertigstellung dieser Arbeit nicht mehr erleben konnte. Nach ihrem Tod übernahm Dr. Helmut Eberhart meine Betreuung. Ich möchte mich bei ihm ganz besonders dafür bedanken, meine Arbeit zur Begutachtung übernommen zu haben und dass er mir wertvolle Ideen und Verbesserungsvorschläge für die vorliegende Endfassung mit auf den Weg gab. Bedanken möchte ich mich bei meiner Frau Sabine Knaus, die neben ihrer Hilfe bei den Korrekturen, mir die nötige Zeit und den nötigen Raum zur Verfügung stellte, diese Arbeit vollenden zu können. Ebenso bedanke ich mich bei meiner Familie für die permanente Unterstützung. Bei Diana Reiners möchte ich mich für ihre intensive Hilfe in der Endphase der Arbeit bedanken, genauso wie auch bei Gilles Reckinger, der immer Zeit für anregende Diskussionen aufbrachte. Abschließend, aber nicht zuletzt, gilt mein Dank den von mir befragten ComputerspielerInnen, die sich die Zeit nahmen, mir Einblicke in ihre Lebenswelten zu verschaffen und mir stets freundschaftlich und offen vieles aus ihrem Leben erzählten und damit wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beitrugen.
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Siehe Bourdieu, P., Das Elend der Welt, 1997.
Einleitung
Medien sind zentraler Bestandteil unserer Kommunikation und damit unserer Kultur. Nach Neil Postman sind sie unsere Sprache, wie wir Dinge darstellen und benennen können. Sie schaffen Metaphern und definieren dadurch den Inhalt der Kultur.1 Somit werden Medien für alle Kulturwissenschaften zu einem zentralen Forschungsgebiet, um durch sie Ideologien, Machtkonstellationen und Denk- bzw. Handlungsweisen offen zu legen. Wesentlich dabei sind die Fragen, durch welche kulturellen Formen die heutigen Medien gekennzeichnet sind bzw. welche Rückschlüsse eine Analyse der Medientexte auf die gegenwärtigen kulturellen Entwicklungen zulassen. Dabei sehen wir Medientexte als Materialien, in denen stets unterschiedliche soziokulturelle Kontexte eingeschrieben sind und die in ständig verändernden Beziehungen zu anderen Texten stehen.2 Ein Teil meiner Forschung beschäftigt sich mit eingängigen Medientheorien, die als Ausgangspunkt für eine Einbettung der empirischen Untersuchung der Aneignungsvorgänge von Computerspielen in die medientheoretischen Diskurse dienen. Obwohl sich viele klassischen Theorien dabei nicht explizit auf Computerspiele beziehen, sondern hauptsächlich das Medium Fernsehen im Fokus haben, stellen sie eine wertvolle Basis meiner Forschung dar.3 Die Erforschung der Konsumtion von Computerspielen4 und ihre prägenden Einflüsse auf die spielenden Menschen, sind ohne die Grundlagentheorien der
1
Vgl. Postman, N., Wir amüsieren uns zu Tode, S. 25.
2
Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 122-133.
3
Besonders hervorzuheben sind dabei Pierre Bourdieus Analyse „Über das Fernsehen“, (Bourdieu, P., Über das Fernsehen, 1998), Neil Postmans kritischer Blick auf die Unterhaltungsindustrie in „Wir amüsieren uns zu Tode“ (Postman, N., Wir amüsieren uns zu Tode, 2003) und Vilem Flussers konstruktivistischer Ansatz einer Medienkulturtheorie in seinem Werk „Medienkultur“. (Flusser, V., Medienkultur, 2002).
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Wir finden in der Praxis und Literatur sowohl die Bezeichnung Computerspiel als auch Videospiel. Beide Begriffe haben ihre Legitimation, wobei sich der Begriff der Video-
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Cultural Studies kaum möglich. Für Lawrence Grossberg, einen Vertreter der gegenwärtigen Cultural Studies, ist die Analyse der Populärkultur und ihrer Träger, zu denen die Medien zu zählen sind, auf Grund ihrer gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Macht sowie ihrer Allgegenwart unumgänglich. Die Populärkultur ist für ihn ein Faktor für Erziehung und Sozialisation der Menschen und beeinflusst maßgeblich, wie Menschen sich selbst und ihr Leben verstehen und der Welt einen Sinn geben.5 Damit konstituieren Medien seit jeher die kulturellen Identitäten mit.6 Die Cultural Studies prägten einen neuen Kulturbegriff. Kultur wurde nach Raymond Williams als „whole way of life“7 interpretiert und somit als Alltagskultur gesehen, die sich aus den Praxen und Lebensweisen und den Beziehungen zwischen den Menschen im Alltag herstellt. Da ein Hauptinteresse der Cultural Studies in der Erforschung von Medienkultur und insbesondere der Aneignung bzw. Konsumtion liegt, dienen mir die zentralen Forschungsergebnisse dieser Studien als Ausgangspunkt und theoretischer Rahmen meiner Forschung. Dabei handelt es sich um Stuart Halls Modell des „Encoding/Decoding“, das einen aufschlussreichen Blick auf die Vorgänge während der Medienproduktion, -verteilung und -konsumtion richtet,8 sowie John Fiskes Konzept der differenten Lesarten von Medienprodukten, dem „Machtblock“ und die These, KonsumentInnen auch als aktive AkteurInnen im Medientransferprozess zu sehen, die sich neue Bedeutungen und Vergnügen aus der Konsumtion erarbeiten.9 Erweitert und ausgebaut wurden diese Studien von Ien Ang, der die Möglichkeiten der Einflussnahme des Publikums und damit die
spiele auf die visuelle Ebene bezieht, da sämtliche elektronische Spiele sogenannte Bildschirmspiele sind, d.h. ein Display zur Darstellung benötigen. Ebenso benötigen elektronische Spiele elektronische Bauteile, in erster Linie Mikroprozessoren, die die Basis jedes Computers darstellen. Die Begriffe Computerspiele und Videospiele können demnach völlig austauschbar verwendet werden, wobei zu beachten gilt, dass Videospiele in der Praxis und in der Umgangssprache häufig jene Spiele beschreiben, die als technologische Basis Spielkonsolen verwenden, während Spiele auf einem PC als PC-Spiele beschrieben werden. Daher scheint mir der Begriff der Computerspiele als Überbegriff anwendbarer und wird in der Arbeit als Überbegriff sämtlicher elektronischer Bildschirmspiele verwendet. Natürlich sind auch andere Definitionen möglich, wie z.B. bei Britta Neitzl, die den Fokus auf die visuelle Ebene der Spiele lenkt (Vgl. dazu Neitzl, B., Gespielte Geschichten, S. 165). 5
Vgl. Grossberg, L., Zur Verortung der Populärkultur, S. 215.
6
Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 221.
7
Vgl. Williams, R., Culture and Society, S. 16-17.
8
Vgl. Hall, S., Kodieren/Dekodieren, S. 92-112.
9
Siehe Fiske, J., Reading Television, 1989 u. Fiske, J., Television Culture, 2009.
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Machtverhältnisse zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen kritisch hinterfragt,10 David Morley, der darstellt, wie Ideologien in Medienprodukten verankert werden, und dass die soziokulturelle Position der Menschen in jedem Medientransferprozess entscheidend ist11 und Dorethy Hobson, die u.a. feststellte, dass der Konsum der Medienprodukte kein reiner Eskapismus ist.12 Die Ergebnisse dieser Studien, die sich vorwiegend mit dem Fernsehkonsum beschäftigen, setze ich nun im Zuge der Arbeit mit dem Prozess des Computerspielens in Verbindung. Computerspielen ist ein zentrales Phänomen der Jugendkultur, auch wenn immer mehr Erwachsene dieses Hobby betreiben.13 Da sich die Cultural Studies neben der Medienerforschung auch intensiv mit Jugendstudien beschäftigten, gelten diese Forschungen als weiterer theoretischer Ausgangspunkt meiner Studie. Hier möchte ich auf Dick Hebdiges grundlegende Studien über Jugendstile hinweisen,14 aber gleichzeitig die Problematiken eines geschlossenen Subkulturkonzepts in Zeiten der Individualisierung und Kommerzialisierung jugendlicher Stile hervorheben, die zurecht von Rolf Lindner,15 Paul Willis und Simon Jones16 angesprochen wurden. Als weitere Grundlagen der Jugendkulturforschung dienen mir die gesammelten Studien der Kulturanthropologischen Jugendforschung von Johannes Moser in Frankfurt, deren Untersuchungen der städtischen Jugendkultur bzw. der Rave- und Technokultur17 interessante Anknüpfungspunkte für die Erforschung der Jugendkultur der ComputerspielerInnen bietet. Jugendliche werden in dieser Arbeit nicht in einer unverrückbar determinierten, strukturellen Abhängigkeit begriffen, sondern als handelnde AkteurInnen, die selbst durch ihr Handeln an der Produktion von Strukturen mitwirken können, ganz im Sinne John Fiskes und Stuart Halls Aneig-
10 Vgl. Ang, I., Kultur und Kommunikation, S.317-340 und Ang, I., Das Gefühl Dallas, S. 53-70. 11 Vgl. Morley, D., Television, Audience and Cultural Studies, S.68ff. 12 Vgl. Hobson, D., Crossroads, S. 124ff. 13 Laut dem deutschen Bund Interaktiver Unterhaltungssoftware liegt das durchschnittliche Alter aller SpielerInnen bei 32 Jahren. (http://www.biu-online.de/de/fakten/gamerstatistiken/altersverteilung.html, 22.10.2012.) 14 Siehe Hebdige, D., Subculture, 2005. 15 Vgl. Lindner, R., Apropos Stil, S. 207ff. u. Lindner, R., Subkultur, S. 7ff. 16 Vgl. Willis, P. u. S. Jones, Jugendstile, S. 20-40. 17 Siehe dazu Moser, J., Jugendkulturen, 2000.
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nungstheorien18 von medialen Produkten und der praxeologischen Theorie des Handelns von Pierre Bourdieu.19 Zentral für meine Studie ist die empirische Erforschung der gelebten Erfahrungen und der daraus resultierenden Alltagspraxen der Jugendlichen bei ihrer Aneignung der Computerspiele, die ich mit Hilfe qualitativer Interviews und teilnehmender Beobachtung untersuche. Dabei stütze ich mich auf das „Verstehens-Konzept“ Pierre Bourdieus,20 mit dessen Hilfe die individuellen, subjektiven Handlungsweisen der spielenden Menschen in einem gesellschaftlichen Kontext eingebettet, in Erfahrung gebracht werden und damit gleichzeitig objektive soziale Strukturen und Kräfte offen gelegt werden können. Mithilfe der Kombination einer objektiven Medienanalyse mit einer empirischen Feldforschung können die Aneignungsweisen der Computerspiele und die daraus resultierenden Handlungsweisen der spielenden Menschen verstanden werden. Meine empirische Forschung anhand von Interviews, Gesprächen und teilnehmender Beobachtung sehe ich in der Tradition von Bourdieus Studien aus seinem Werk „Das Elend der Welt“ und Elisabeth KatschnigFaschs Forschungsarbeit „Das ganz alltägliche Elend“.21 Es geht darum, den interviewten Personen einen Raum zu geben, ihre Erfahrungen auszudrücken und sie selbst sprechen zu lassen. Um den befragten Menschen den entsprechenden Raum zu geben, ihre gelebten Erfahrungen mitteilen zu können, muss eine Einschränkung der Gewährspersonen erfolgen. Ich wählte für meine Studie vier jugendliche Computerspieler, die ich mit Hilfe von Tiefeninterviews über einen längeren Zeitraum (ca. ein Jahr) mehrmals befragt habe. Ich führte zudem bei unseren gemeinsamen Treffen teilnehmende Beobachtungen durch. Aufgrund folgender Voraussetzungen, entschied ich mich für diese Gruppe: Ich wollte für mein Forschungssample keine herausragenden, schillernden Spielerpersönlichkeiten, sondern typische, unauffällige Konsumenten heranziehen. Die Spieler repräsentieren in der Altersstruktur die am stärksten ver-
18 Siehe Fiske, J., Reading Television, 1989 , Fiske, J., Television Culture, 2009 und Hall, S., Kodieren/Dekodieren, S. 92-112. 19 Siehe Bourdieu, P., Entwurf einer Theorie der Praxis, 2009 und Bourdieu, P., Praktische Vernunft, 1998. 20 Siehe Bourdieu, P., Das Elend der Welt, 1997. 21 Siehe Katschnig-Fasch, E., Das ganz alltägliche Elend, 2003 und Bourdieu, P., Das Elend der Welt, 1997. Weiteres möchte ich exemplarisch folgende Arbeiten anführen, die nach den ähnlichen Prämissen arbeiten: Reckinger, G., Perspektive Prekarität, 2010, Reiners, D., Verinnerlichte Prekarität, 2010, Schultheis, F., Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 2005, Malli, G., Sie müssen nur wollen, 2010.
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tretene Gruppe, sind männlich und sie nutzen das am weiteste verbreitete OnlineComputerrollenspiel als Grundlage ihres Computerspielkonsums.22 Bezugnehmend auf den Grundlagen der „Grounded Theory“ nach Anselm Strauss und Juliet Corbin, die eine Auswahl der Gewährspersonen nach der Repräsentanz für die Forschungsfrage vorschlagen, erwies sich meine Auswahl im Sinne eines „Theoretical Sampling“ als zielführend.23 Obwohl prinzipiell offen und flexibel gestaltet, bestätigte sich mir im Laufe der Tiefeninterviews und der teilnehmenden Beobachtung die theoretische Relevanz für meine Forschungsfrage bis zur „Theoretischen Sättigung“. Dieser Begriff der „Grounded Theorie“ setzt voraus, dass die Ergebnisse der empirischen Feldforschung gegen Ende des Forschungsprozesses als ausreichend dicht und gefestigt sein müssen, um mit sozialen Strukturen und Mediendiskursen in Beziehung gesetzt werden zu können.24 Ein weiterer Vorteil meiner vorgenommen Auswahl der Gesprächspartner liegt in ihrer vollzogenen Gruppenbildung (Peer Group), die zu einem zentralen Bezugspunkt in ihrem Leben wurde und mir zeigte, wie Computerspiele das Entstehen solcher Gemeinschaften begünstigen können bzw. wie sich diese Peer Groups über Medien definieren. Zudem erwies sich auch das Alter der Gruppenmitglieder als ideal für meine Studie, da die ausklingende Adoleszenz einen wichtigen Faktor in der Aneignung der Computerspiele darstellt und sie wesentlich beeinflusst. Außerhalb der Spielergruppe führte ich noch ergänzende Gespräche mit einer begeisterten Computerspielerin, welche ich schon seit meiner Diplomarbeit kannte und die mir dort schon hilfreiche Informationen aus der Welt der Computerspielerinnen geben konnte. Computerspiele gehören zu den mittlerweile nicht mehr so „Neuen Medien“. In den letzten Jahrzehnten führte die Digitalisierung der Haushalte zu einer enormen Verbreitung dieser Spiele. Mit Hilfe der technologischen Plattform des Computers können künstliche virtuelle Spielwelten vermittelt werden. Die Besonderheit dieser Vermittlung liegt im Kommunikationsprozess zwischen Computerspiel und den SpielerInnen: Die spielenden Menschen können aktiv mit dem Spielgeschehen interagieren, sie werden AkteurInnen in einer künstlichen Welt. Es entsteht ein Medientransferprozess, der sich gänzlich von der herkömmlichen Medienaneignung unterscheidet. Dadurch verändern sich, wie bereits Florian Rötzer festgestellt hat,
22 Wie im Kapitel Sampling ausführlich beschrieben sind die Spieler zwischen 18-22 Jahre alt, also laut Statistik des BIU im SpielerInnen-stärksten Segment (http://www.biuonline.de/de/fakten/gamer-statistiken/altersverteilung.html, 22.10.2012). Das erwähnte, erfolgreiche Online-Rollenspiel ist „World of Warcraft“, kurz „WOW“. (Vgl. dazu: Gamestar 1/2010, S.122ff). 23 Vgl. Strauss, A. u. J. Corbin, S. 148-165. 24 Vgl. Ebda., S. 158-159.
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die Wahrnehmung der Welt und die Erwartungen an die Lebenswelt bei SpielerInnen.25 Virtuelle Spielwelten ziehen die Menschen in ihren Bann, sie koppeln vom realen Empfinden und der realen Welt ab und bieten virtuelle Alternativangebote an. Dies verursacht ein verständliches Unbehagen der Institutionen und zum Teil auch der Politik gegenüber Computerspielen in den öffentlichen Diskussionen rund um die Themen Pädagogik und Jugendschutz. Diese Diskurse nähren sich häufig durch medial weltweit beobachtbare Gewaltausbrüche und Amokläufe Jugendlicher, die regelmäßig mit dem Spielen von gewaltbezogenen Computerspielen in Verbindung gebracht werden. Die Ergebnisse dieser Diskurse sind diskrepant und unbefriedigend. Je nach Standpunkt der in Auftrag gegebenen Studie schwankt die Bewertung der Verantwortlichkeit der Computerspiele an Gewaltausbrüchen zwischen evidentem Nachweis und unzusammenhängenden Faktoren.26
25 Vgl. Rötzer, F., Virtuelle Welten- Reale Gewalt, S. 9. 26 Die Wissenschaft ist sich derzeit über den Grad des Ausmaßes der Wirkungsweisen von Computerspielen uneinig. Studien, die keine unmittelbaren monokausalen Zusammenhänge zwischen realen Gewaltausbrüchen und dem Spielen von Computerspielen nachgewiesen haben bzw. eine differenziertere Betrachtung der Wirkungszusammenhänge prologieren, finden sich u.a. von: Manuel Ladas: Eine Befragung von 2141 Computerspielern zu Wirkung und Nutzung von Gewalt, in: Rötzer, F., Virtuelle Welten – reale Gewalt. S. 26-35; Kuncik, Michael u. A. Zipfel: Medien und Gewalt (http://www.europeanmediaculture.org/fileadmin/bibliothek/deutsch/kunczikgewalttaetig/ kunczik_gewalttaetig.pdf), 1.10.2011; Köhler, Esther: Computerspiele und Gewalt. Eine psychologische Entwarnung, Spektrum VLG, 2008; Fromm, Rainer: Digital Spielen – real morden?, Marburg: Schüren, 2002; Stefan Wink und Katharina Lindner: Kids und Computerspiele, Mainz: Logophon, 2002, Christoph Klimmt und Sabine Trepte: Theoretisch-methodische Desiderata der medienpsychologischen Forschung über die aggressionsfördernde Wirkung gewalthaltiger Computer- und Videospiele in: Zeitschrift für Medienpsychologie, 15 (N.F.3) 4, 114-121, Göttingen: Hogrefe-Verlag 2003; Hartmann, Tilo: Erleben und Wirkung von gewalthaltigen Spielen, in: Cyberspace und Schule im Kinderzimmer, 3. Symposium an der Pädagogische Hochschule der Diözese Linz, 31.10.2008.(http://forschung.wi.unipassau.de/disk/sites/default/files/pdf/Dokumentation3. pdf), 10.10.2010. Ebenso gehen zahlreiche Studien von einem monokausalen Zusammenhang zwischen gewaltintensiven Medieninhalten und Gewaltausbrüchen in der Realität aus. Einige Beispiele dazu: Weiß, Rudolf H.: Gewalt, Medien und Aggressivität bei Schülern. Göttingen/Bern/Toronto/Seattle 2000. S. 1-7, 22-23, 205-214.(http://www.mediaculture-online. de/fileadmin/bibliothek/weiss_gewalt_medien/weiss_gewalt_medien.pdf,
10.10.2010),
Manfred Spitzer: Vorsicht Bildschirm! Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Ge-
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Computerspiele werden in ihrer Erforschung zumeist der trivialen Unterhaltung zugeordnet, wodurch es Claus Pias zufolge zu einem schlechten Start einer theoretischen Erforschung der Computerspiele kam.27 In seinem Werk „Computerspielwelten“ vollzieht er eine umfassende „Archäologie“ der Computerspiele, die versucht, diesen Mangel an theoretischer Forschung auszugleichen.28 Seine Studien dienten mir neben Mark J.P. Wolf und Bernhard Perron,29 beide Vorreiter in der amerikanischen Computerspielforschung, und den Arbeiten der Computerspielexperten Konrad Lischke,30 Peter Kathe31 und Hartmut Gieselmann als Ausgangspunkt zur theoretischen Annäherung an das Thema Computerspiel. Gieselmann lieferte mir dabei wichtige Impulse für die Themen Krieg und Gewalt in Computerspielen.32 Als zentrale pädagogisch orientierte Studien über Computerspiele flossen in meine Arbeit u.a. Aspekte von Johannes Fromme und Norbert Meder33 sowie Stefan Wink und Katharina Lindner34 und, bedeutend für das Thema Gewalt, von Rainer Fromm35 mit ein. Neben der Pädagogik sind Computerspiele mittlerweile auch verstärkt zum Gegenstand der Medienanalyse und Medienphilosophie geworden, da sie zusammen mit dem Internet die aktuellsten Entwicklungen einer vernetzten Informationsgesellschaft widerspiegeln. Die medienphilosophischen Arbeiten von Florian Rötzer, der sich neben den etablierten Medien schon früh explizit mit Computerspielen beschäftigte, dienten mir dabei als wichtige Ansatzpunkte für meine Forschung.36 Die allgemeine Zuwendung zum Themenkomplex Computerspiel ist allerdings auch bei den Medienwissenschaften relativ neu, wenn man bedenkt, dass die ersten Spiele bereits Mitte der 1970er Jahre in größerem kommerziellen Ausmaß auftauch-
sundheit und Gesellschaft, München, 2006; Clemens Trudewind & Rita Steckel: Effekte gewaltorientierter Computerspiele bei Kindern: Wirkmechanismen, Moderatoren und Entwicklungsfolgen, in: Zeitschrift für Familienforschung, 15. Jahrg., Heft 3/2003, S. 238-271 239 usw. 27 Vgl. Pias, C., Wirklich Problematisch. Lernen von frivolen Gegenständen, S. 268. 28 Siehe Pias, C., Computerspielwelten, 2002. 29 Siehe Wolf, M., J.P., The Medium of the Video-Game, 2001 und Wolf, M., J.P. & B. Perron, The Video-Game Theorie Reader, 2003. 30 Siehe Lischke, K., Spielplatz Computer, 2002. 31 Siehe Kathe, P., Struktur und Funktion von Fantasy-Rollenspielen, 1986. 32 Siehe Gieselmann, H., Der virtuelle Krieg, 2002. 33 Siehe Fromme, J. & Meder, N., Bildung und Computerspiele, 2001. 34 Siehe Wink, St. & Linder, K., Kids & Computerspiele, 2002. 35 Siehe Fromm, R., Digital Spielen – real Morden?, 2002. 36 Siehe Rötzer, F., Digitale Weltentwürfe, 1998, sowie Rötzer, F., Interaktion, 1996, und Rötzer, F., Virtuelle Welten – reale Gewalt, 2003.
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ten. Mark J. P. Wolf, amerikanischer Pionier der Computerspielforschung, meint, dass der Status des Computerspieles als „Spielobjekt“ lange Zeit die ernsthafte Erforschung der Computerspiele im Gegensatz zu den traditionellen Medien wie Buch, Film, Radio und Fernsehen in den Medienwissenschaften erschwert hat. Zudem waren die ersten Spiele sowohl in der grafischen Darstellung, als auch in der Erzähldramaturgie sehr bescheiden konzipiert. Die „Text“-zentrierten, strukturalistischen Medienwissenschaften, im speziellen auch die Cultural Studies, taten sich ungleich schwerer, die Textbausteine der Computerspiele im Vergleich zu denen der traditionellen Medien zu analysieren. Die interaktiven, vielschichtigen Erfahrungsmöglichkeiten, die Computerspiele den SpielerInnen boten, und die unzähligen möglichen Spielweisen der AnwenderInnen erschwerten laut Wolf die Forschung für die Wissenschaften.37 Eine Annäherung der akademischen Medienwissenschaften an die Erforschung der Computerspiele folgte dann zunehmend aufgrund der massiven Verbreitung der Computerspiele bzw. wegen der ständigen Verbesserung der darstellerischen und inhaltlichen Präsentationsmöglichkeiten der Spiele. Infolge der Etablierung des Internet und der damit einhergehenden Möglichkeit, online mit tausenden Menschen weltweit spielen und kommunizieren zu können, wurden die Spiele auch zum Gegenstand der Sozialwissenschaften. Besonders die sich neu herauskristallisierenden Online-Communities standen im Zentrum des sozialwissenschaftlichen Interesses.38 Die Kulturwissenschaften beschäftigten sich bis dato allerdings nur in eingeschränktem Maße mit Computerspielen.39 Bei vielen Studien fehlt der Blick auf die AkteurInnen und ihren tatsächlichen Umgang mit den Spielen, die Aneignungsvorgänge und das daraus resultierende Handeln und Denken sowie die konkreten Kulturtechniken, die durch das Spielen entstehen. Mein Ziel ist, durch die empirische Feldforschung diesen Blick zu stärken und die Aneignung der Medienbilder durch
37 Vgl. Wolf, M., The Medium of the Video Game, S. 6-7. 38 In diesem Zusammenhang sind die Studien über Online-Communities von Sherry Turkle (Turkle, S., Leben im Netz, 1999) und Anke Bahl (Bahl, A., Zwischen On- & Offline, 1997) richtungsweisend und ein guter Ausgangspunkt für meine Arbeit. 39 Ausnahmen und für meine Forschungsarbeit interessante Ausgangspunkte sind die kulturwissenschaftliche Analyse der virtuellen Spielfiguren von Natascha Adamowsky (Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welten, 2000), ein Versuch der theoretischen Verortung des Themenkomplexes Computerspiele für die Kulturwissenschaften von Evelyne Keitel, Randi Gunzenhäuser, Günter Süß und Angela Hahn (Keitel, E., Süß, G., Gunzenhäuser, R., Hahn, A., Computerspiele. Eine Provokation für die Geisteswissenschaften, 2003), sowie die grundlegenden Studien über Gender und Computerspiele von Birgit Richard (Richard, B., Sheroes, 2004) und Astrid Deuber-Mankowsky (DeuberMankowsky, A., Lara Croft, 2001).
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die SpielerInnen zu beobachten, um darüber hinaus Rückschlüsse auf die Wirkungsweisen von Computerspielen zu erhalten. Es ist entscheidend, den Einfluss der Medien auf die Menschen zu betrachten, aber ebenso wichtig ist eine Erforschung des Umgangs der Menschen mit Computerspielen und deren Aneignung dieses Mediums. Die Kulturanthropologie bietet die Möglichkeit, die Verbindung zwischen Medien- bzw. Sozialtheorien und den Handlungspraxen und Denkweisen der spielenden Menschen herzustellen. Computerspiele prägen als selbstverständliches Alltagskulturgut das Denken und Handeln der Menschen und beeinflussen ihre Lebenswelten. Sie sind für viele Menschen ein wichtiger Bestandteil des Alltags geworden.40 Ziel der vorliegenden Forschung ist es, die komplexen Aneignungsprozesse sowie die Auswirkungen der gespielten virtuellen Welten auf die Menschen zu erfassen und den wechselseitigen Transfer zwischen der virtuellen Realität der Online-Welt und dem realen Alltagsleben zu untersuchen. Computerspiele dürfen dazu nicht unabhängig vom sozialen Leben gedacht und analysiert werden, sondern in der Verschränkung mit der jeweiligen konkreten Lebenswelt der/des SpielerIn: Im Sinne Lawrence Grossbergs sind Computerspiele als kulturelle Formation zu betrachten, als ein Netz, das kulturelle Praktiken, ihre Auswirkungen und soziale Gruppen miteinander verbindet. Die kulturelle Formation artikuliert sich laut ihm in verschiedenen Alltagskontexten und funktioniert innerhalb dieser.41 Ebenso gilt es, die herrschenden Diskurse rund um Computerspiele offen zu legen und zu zeigen, welche Interessen und Machtpositionen hinter den gesellschaftlichen Standpunkten und Meinungen stehen. Medientexte stellen, wie Andreas Hepp in Anlehnung an John Fiske bemerkt, Manifestationen von spezifischen Diskursen und Produktionen von Formen des Wissens dar. Wissen ist dabei nicht als objektiv zu betrachten, sondern bezieht sich auf soziokulturelle Auseinandersetzungen.42 Der Einfluss dieses diskursiv produzierten Wissens in der soziokulturellen Auseinandersetzung auf das Aneignungsverhalten und das Denkmuster der SpielerInnen ist evident und bestimmt ihre Handlungspraktiken mit. Genauso wie Erfahrung, Biografie, demografisches und soziokulturelles Umfeld der SpielerInnen sind Spielinhalte, Bilder und Ideologien der Computerspiele ebenfalls entscheidende Faktoren, um die Wirkungsweisen von Computerspielen verstehen zu können. Im Rahmen dieser Arbeit wird zudem deutlich, dass die Spiele als Teil der Populärkultur eine starke zeitspezifische Funktion aufweisen und vom kulturellen Wandel und Umbrüchen mitgetragen werden. Die Diskurse und Bilder über Computerspiele ändern sich, aber auch die Spiele selbst sind abhängig von ihrer spezifischen Ent-
40 Vgl. dazu auch Lackner, T., Flucht in digitale Scheinwelten, S. 37. 41 Vgl. Grossberg, L., Zur Verortung der Populärkultur, S. 217-219. 42 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 151-154.
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stehungsphase und dem kulturellen Kontext. Neben den Cultural Studies, den (medien)philosophischen Zugängen, pädagogischer und kulturwissenschaftlicher Spielforschung sind für meine Studien auch die Diskurse um Cyberspace, virtuelle Realität und Moderne/Postmoderne-Diskussionen zentral, da Computer und Computerspiele wesentliche Elemente dieser Diskurse sind und in ihnen zu verorten sind.43 Um die HeldInnenkonstruktionen und Mythendarstellungen in den Spielen erklären zu können, greife ich auf Carl Gustav Jungs Theorien über Archetypen und Mythen44 unter Zuhilfenahme von Levi-Strauss,45 Roland Barthes46 und Rebecca Tews47 zurück. Die Darstellungen der mythischen Bilder und HeldInnenfiguren sind ein zentraler Teil meiner Arbeit, ebenso die Frage nach der Ursache für die Wichtigkeit des Magischen und Mystischen und der verklärten, mittelalterlichen Elemente in Computerspielen. Hier lieferten mir Ina-Maria Greverus,48 Clifford Geertz49 und Peter Mortenböck50 eine wichtige Ausgangsbasis für meine Forschungen. Zudem müssen Computerspiele nicht nur als Medium gedacht werden, sondern auch als Spiel. Dazu nehme ich auf die klassischen Theorien der Spielforschung von Johan Huizinga,51 Roger Caillois52 und Brain Sutton-Smith53 Bezug und überprüfe ihre Anwendbarkeit bei Computerspielen.
43 Grundlegend für die Diskussionen rund um die Moderne/Postmoderne sind für meine Studie dabei die Arbeiten von Wolfang Welsch (Welsch, W., Unsere Postmoderne Moderne, 1997 und Welsch, W., Wege aus der Moderne, S.1994), Peter Weibel (Weibel, P., Identität-Differenz,1992), Jean-Francois Lyotard (Lyotard, J., Das postmoderne Wissen, 1999), Jürgen Habermas (Habermas, J., Der philosophische Diskurs der Moderne, 1988), während Benjamin Woolley (Woolley, B., Die Wirklichkeit virtueller Welten, 1994), Jean Baudrillard (Baudrillard, J., Der Xerox und das Unendliche, 1993, Baudrillard, J., Die Simulation, 1994 und Baudrilliard, J., Das perfekte Verbrechen, 1996) und der bereits erwähnte Florian Rötzer (Rötzer, F., Digitale Weltentwürfe, 1998) ausführliche Einblicke in die Begriffswelt des Cyberspace und der virtuellen Realität bieten. 44 Siehe Jung, C.G., Gesammelte Werke, 1998. 45 Siehe Levi-Strauss, C., Das Wilde Denken, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2010 und LeviStrauss, C., Mythlogica I, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2009. 46 Siehe Barthes, R.: Die Lust am Text, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2009 und Barthes, R.: Die Mythen des Alltags, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2011. 47 Siehe Tews, R., Archetypes on Acid, 2003. 48 Siehe Greverus, I.M., Neues Zeitalter oder Verkehrte Welt, 1990. 49 Siehe Geertz, C., Dichte Beschreibung, 1988. 50 Siehe Mortenböck, P., Die virtuelle Dimension, 2001. 51 Siehe Huizinga, J., Homo-Ludens, 2001. 52 Siehe Caillois, R., Man, Play and Games, 2001. 53 Sutton-Smith, B., Toys as Culture, 1986.
Forschungsdesign
F ORSCHUNGSGEGENSTAND UND F ORSCHUNGSMETHODE Um der Komplexität des Themas gerecht zu werden, muss der Forschungszugang interdisziplinären Charakter aufweisen. Computerspiele und ihr Konsum stehen im Schnittpunkt einer medienorientierten Forschungsfrage über ihre Eigenschaften und Funktionsweisen in unserer Informationsgesellschaft. Der Fokus der Fragestellung ist auf die Aneignung von medialen Inhalten und die daraus resultierenden Handlungspraktiken gerichtet. Die Handlungsweisen, die aufgrund unterschiedlicher Bedingungen entstehen, stellen die soziale Ebene komplementär zu medientheoretischen Betrachtungen dar, die vielfach im wissenschaftlichen Diskurs ausgeblendet werden. Für diese Forschungsfrage bieten sich u.a. die interdisziplinären Forschungen der Cultural Studies1 an, deren medientheoretisches Interesse genau in jenen Aneignungsweisen der Menschen liegt. Neben dem Fokus auf die menschlichen Praxen, sind Analysen der historischen Dimension der Entstehung der Computertechnologie und die Entwicklung von Computerspielen sowie die mit ihnen einhergehenden enormen gesellschaftlichen Veränderungen unabdingbar. Die Geschichte der Technik und Medien ist dabei immer als eine Kulturgeschichte rund um den Umgang der Menschen mit ihnen zu verstehen.2 Dadurch lassen sich die Dimensionen des Wandels und der Transformationen unter Rücksichtnahme auf die Veränderungen in den Aneignungsweisen der
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In diesem Zusammenhang möchte ich auf die grundlegenden Arbeiten von Rolf Lindner (Die Stunde der Cultural Studies, 2000), Stuart Hall (Kodieren /Dekodieren, 1999 u. Cultural Studies, 2000), John Fiske (Reading Television, 1989 u. Television Culture, 2009), Ien Ang (Das Gefühl Dallas, 1986 u. Kultur und Kommunikation, 1999), David Morley (Television, Audiences and Cultural Studies, 2005 u. Populism, Revisionism and New Audience Research, 1996), Lawrence Grossberg (Zur Verortung der Populärkultur, 1999) und Williams Raymond (Culture and Society, 1960) hinweisen.
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Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 157.
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Menschen verstehen. Edward M. Bruner meint im Zuge des Forschungszuganges der „Anthropology of Experience“ dazu: „[…] the anthropology of experience sees people as active agents in the historical process who construct their own world. “3
Kultureller Wandel bzw. kulturelle Konflikte sind nach Clifford Geertz dort zu erforschen, wo sie stattfinden: im gesellschaftlichen (Zusammen-)Leben und in den Erfahrungen der Individuen, Gruppen und Gemeinschaften, die in diesem Umfeld denken, handeln und empfinden.4 Umbrüche, Wandel und kulturelle Konflikte sind dem zur Folge auch in Computerspielen präsent und sichtbar. Die Technologie eines Mediums bestimmt den Umgang mit ihm und damit auch die Art und Weise, wie wir mit ihm interagieren und wie wir über Technik denken. Es ist daher notwendig, die Entwicklungsgeschichte der Computerspiele zu untersuchen, um die dahinterstehenden Ideen und Visionen zu verstehen. Der historisch gewachsene Technologiezweig rund um den Computer vermittelt eine spezifische Art vom Verständnis darüber, wie wir uns Computerspiele und Technik vorstellen. Denkmuster, Philosophien und Visionen aus den Anfängen der Computerentwicklung prägen und beeinflussen die Menschen unserer postmodernen Gesellschaft auch heute noch. Ein Teil dieser Forschungsarbeit wird sich diesen historisch gewachsenen Zusammenhängen widmen. Es gibt zahllose Theorien von MedientheoretikerInnen, die im Zusammenhang mit dem Thema Computer und Computerspiel stehen. Die Bandbreite dieser Theorien setzt sich teils euphorisch positivistisch mit der Computertechnologie auseinander, oder sie sehen in der zunehmenden Technisierung eine Bürokratisierung und Entmenschlichung bzw. Entmündigung durch die technologischen Abhängigkeiten.5 Alle Theorien sehen jedoch im Medium Computer und seinen vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten einen enormen technologisch-gesellschaftlichen Um-
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Bruner, E., Experience and its Expressions, S. 12.
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Vgl. Geertz, C., Dichte Beschreibung, S. 193.
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Exemplarisch verweisen möchte ich dabei auf die positivistischen Arbeiten von Sherry Turkle (Leben im Netz, 1999), Florian Rötzer (Digitale Weltentwürfe, 1998), Norbert Meder und Johannes Fromme (Computerspiele und Bildung, 2001), Astrid DeuberMankowsky (Lara Croft, 2001) und Anke Bahl (Zwischen On- & Offline, 1997). Der Computertechnologie und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen kritisch gegenüber stehen u.a. Jean Baudrilliard (Das perfekte Verbrechen, 1996 u. Die Simulation, 1994), Vilem Flusser (Medienkultur, 2002), Ina-Maria Greverus (Neues Zeitalter oder Verkehrte Welt, 1990), Neil Postman (Wir amüsieren uns zu Tode, 2003) und Noam Chomsky (Globalisierung & Cyberspace, 1999).
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bruch. Die Computertechnologie hat die moderne Industriegesellschaft in eine postmoderne Informationsgesellschaft transformiert. Da Computerspiele eine zunehmend verbreitete Freizeitbeschäftigung vieler Menschen darstellen, steigt auch die Zahl derer, die sich mit dem Thema beschäftigen. Spiele rücken ins öffentliche Interesse, wenn auch zum Teil äußerst negativ behaftet, etwa durch Gewaltausbrüche von Jugendlichen. Es häufen sich Berichte über SpielerInnen in den herkömmlichen Medien abseits der fachspezifischen Literatur.6 Vielen sind die grundlegenden Funktionsweisen der Computerspiele bereits bekannt. Deshalb fällt eine Beschreibung der unterschiedlichen Spiele und ihren Spielmechanismen entsprechend knapp aus. Es soll in dieser Arbeit nicht um eine Bestandsaufnahme und Erörterung aktueller Computerspiele und ihrer Spielweisen gehen, sondern um ihre Wirkung auf die Menschen und ihre Aneignung durch SpielerInnen. Es wird daher notwendigerweise von den LeserInnen ein entsprechendes Grundwissen über Computerspiele vorausgesetzt. Dennoch beschäftigt sich ein Teil dieser Arbeit mit der Beschreibung des derzeitigen Computerspielmarktes und den unterschiedlichen Spielvarianten, um die Interaktionsmechanismen der Computerspiele mit dem Menschen verständlich darstellen zu können. Die grundlegenden Spielprinzipien sind in der Regel für die meisten Computerspiele sehr ähnlich, auch die dargestellten Szenarien in denen die Handlungen spielen. Die Interaktionsmuster zwischen SpielerInnen und dem Spielgerät teilen sich auf spezifische Computerspielgattungen auf, die idealtypische Handlungsweisen festschreiben. Diese Gattungen werden im Zuge der Arbeit vorgestellt, um einen Eindruck der unterschiedlichen Wirkungsmöglichkeiten der Spiele zu erhalten. Die Darstellung der Spielwelten und Genres wird im Rahmen dieser Arbeit idealtypisch erfolgen, da der heutige Trend in Richtung Vermischung und Überschneidung der
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Im Zuge des Gewaltausbruches vom Tim K., der in seiner Schule in Winnenden im März 2009 fünfzehn Menschen und sich selbst erschoss, flammte die Debatte um das Verbot von gewalttätigen Computerspielen wieder auf. So forderte der Kriminologe Hans-Dieter Schwind ein völliges Verbot sogenannter Killerspiele. (http://www.kleinezeitung.at/ nachrichten/chronik/1842713/index.do), 10.10.2012. Christian Pfeiffer, der Leiter des kriminologischen Forschungsinstituts in Niedersachsen, sieht anhand durchgeführter Studien an deutschen Jugendlichen im Jahr 2010 einen Zusammenhang zwischen Lernschwäche, Konzentrationsschwächen, erhöhte Gewaltbereitschaft und Vereinsamungstendenzen bei männlichen Jugendlichen durch das Spielen von gewalttätigen Computerspielen. (http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/chronik/24548 27/gewaltig-schlechte-noten-computerspiele.story), 10.10.2012. In diesem Zusammenhang siehe auch: Spiegel-Online: http://www.spiegel.de/spiegel/ print/d-64628265.html, 1.3.2011 und Presse-Online: http://diepresse.com/home/spectrum/ spielundmehr/688628/Geliebt-gehasst-geballert?from=suche.intern.portal, 10.10.2012.
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Computerspielgenres geht. Zu beachten ist, dass eine Untersuchung von Medieninhalten letztendlich eine zeitspezifische Dimension aufweist. Die Computerspielbranche gehört zurzeit zu den am schnellsten wachsenden Wirtschaftszweigen,7 auch wenn die Folgen der aktuellen Wirtschaftskrisen ebenso spürbar waren. Die Diskurse über Spiele und ihr gesellschaftlicher Stellenwert sind im ständigen Wandel, ebenso die Darstellungs- und Präsentationsmöglichkeiten von digitalen Medien. Somit kann eine kulturwissenschaftliche Arbeit nur den gegenwärtigen Blick auf die Spiele einfangen bzw. historische Entwicklungen und Sichtweisen nachzeichnen. Doch meine ich, dass sich die grundlegenden Funktionsweisen der Spiele kaum ändern werden, jedoch wird durch die rasche Verbreitung der Spiele die gesellschaftliche Relevanz wachsen. VertreterInnen der Computerspielindustrie und der Fachpresse sehen die Zukunft in Spielen, die intensivere Geschichten entwickeln und vielschichtige Charaktere darstellen und die damit Filmproduktionen ähneln. Durch dramatische, ausgereifte und „erwachsenengerechte“ Geschichten soll die Akzeptanz der Spiele im gesellschaftlichen Umfeld gehoben und der Beigeschmack des pubertären Kinderspielzeuges vermieden werden. Ob dies gelingt, werden die nächsten Jahre zeigen, Ansätze dafür gibt es bereits.8 Aus heutiger Sicht werden Computerspiele vorwiegend als Jugendbeschäftigung mit entsprechendem Gefahrenpotential in den gesellschaftlichen Diskursen eingeordnet. Als Träger einer Populärkultur sind Computerspiele einer abwertenden Haltung bürgerlicher Meinungsbildung ausgesetzt. Hier treten Abwehrmechanismen in Gange, die Bourdieu als bürgerliche „Distinktion“ beschreibt. Diese sind als Versuch der Eliten zu bewerten, durch die Zurschaustellung eines von der breiten Bevölkerung unterschiedenen, als kultivierter bewerteten Geschmacks ihre gesellschaftliche Vormachtstellung zu legitimieren.9 Diese Distinktionsvorgänge gilt es bei einer Analyse der gesellschaftlichen Diskurse über Computerspiele mitzudenken. Besonders WissenschaftlerInnen, die sich zum größten Teil aus einer akademisch geprägten, bürgerlichen Schicht rekrutieren, laufen Gefahr, diese Abgrenzungstendenzen unbewusst als „blinden Fleck“ weiter zu tragen und ebenfalls eine Affinität zur Hochkultur als Abgrenzung zur Populärkultur zu entwickeln.10 Dieser
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Quelle: ISFE-Homepage: The Industry. The Economic of Gaming (http://www.isfe.eu/
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Ein Computerspiel mit anspruchsvoller Handlung und ausdifferenzierten Charakteren ist
industry-facts/statistics), 22.10.2011. z.B. das von Kritikern gelobte Abenteuerspiel „Fahrenheit“. Man schlüpft nicht in die Rolle eines strahlenden Helden, sondern in die eines zerrissenen, verstörten Charakters. Aber auch moderne Rollenspiele setzen vermehrt Schwerpunkte auf Charaktere und intensive Geschichten (z.B. „Dragon Age“, „Mass Effect“, etc.) 9
Siehe dazu: Bourdieu, P., Die feinen Unterschiede, S. 442ff.
10 Vgl. Frith, S., Das Gute, das Schlechte und das Mittelmäßige, S. 210.
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Umstand äußert sich beispielsweise im Mangel eines breiten akademischen Interesses für die Erforschung von Computerspielen. Die Teilnahme an verschiedenen Formen der Populärkultur nimmt einen Großteil der Freizeitbeschäftigung ein. Sie dient dem Vergnügen, der Unterhaltung und dem Konsum und weckt zugleich, wie an Fankulturen oder der Gemeinschaftsstiftung von virtuellen Spielformen deutlich wird, Begeisterung und Leidenschaft. Gerade deshalb ist die Populärkultur laut Lawrence Grossberg im Vergleich zur Hochkultur keineswegs trivial, wie gerne angenommen wird, sondern ein wichtiger Ort von Bedeutungen, der zentrale Auswirkungen auf den Alltag der Menschen hat. Ein entscheidender Effekt der Populärkultur ist laut ihm, dass sie zahlreichen Menschen unterschiedlicher Herkunftsmilieus, Herkunftsorte, beruflicher und Bildungshintergründe viel bedeutet.11 Dieser Aspekt verdient gerade für die Untersuchung von Computerspielen eine hohe Aufmerksamkeit. Auch hier stellen sich dem/der ForscherIn eine Vielzahl unterschiedlicher NutzerInnen bzw. SpielerInnengruppen und Gemeinschaften quer durch alle sozialen Schichten und Zugehörigkeiten dar, deren wenige Gemeinsamkeiten zunächst in den Spielgewohnheiten zu finden sind. Postmoderne- und Medientheorien haben sich eingehend mit dem Verhältnis zwischen Gesellschaft, Medien und Computerspielen auf der Makroebene auseinandergesetzt. In der Arbeit geht es darum, die gesellschaftlichen und politischen Diskurse rund um Medien und Computerspiele zu beleuchten und damit eine „sinnvolle“ erkenntnistheoretische Einbettung der individuellen Spielerfahrungen der SpielerInnen auf der Mikroebene ermöglichen zu können. Nach David Morley ist eine sinnvolle Einbettung nur dann möglich, wenn man auf der Mikroebene darstellen kann, wie Ideologie und Machtverhältnisse in den Medientexten wirken und arbeiten und diese dann von den KonsumentInnen interpretiert werden.12 Methodisch zur Hilfe genommen werden dabei Diskurs- und Medienanalysen nach dem Vorbild der Cultural Studies, die in ihrer Tradition der Fokussierung der Populärkultur als geeignete Forschungszugänge erscheinen. Mit Hilfe der Cultural Studies lassen sich Computerspiele auf mehreren Ebenen gleichzeitig analysieren. Zunächst werden die kulturspezifischen Produktionsfaktoren, welche die Entwicklung, Vermarktung und Verbreitung von Computerspielen bestimmen, untersucht. Dabei muss sowohl die wirtschaftliche Bedeutung, als auch die politische Instrumentalisierung des Mediums Computerspiel in Betracht gezogen werden. Weiteres sind die Spiele als Medientext einer Textanalyse zu unterziehen, welche die Codes und Konventionen, Bedeutungsgehalte und Beziehungen zwischen dem Spiel, der Gesellschaft und schließlich den AnwenderInnen aufdeckt.13
11 Vgl. Grossberg, L., Zur Verortung der Populärkultur, S. 221-228. 12 Vgl. Morley, D., Populism, Revisionism,…, S. 280ff. 13 Vgl. Johnson, R., Was sind eigentlich Cultural Studies? S. 180-183.
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Mit Hilfe der Aneignungsforschung der Cultural Studies ist eine Darstellung der Medientransfermechanismen zwischen ProduktherstellerInnen und den KonsumentInnen möglich. Sie binden gleichzeitig die herrschenden Diskurse und Machtverhältnisse mit ein. In Bezug auf die Analyse der Machtverhältnisse bieten sich für diese Arbeit neben dem theoretischen Horizont der Cultural Studies die Theoriemodelle der Herrschafts- und Machtstrukturen von Pierre Bourdieu an. Sein Konzept der Praxeologie eignet sich in weiterer Folge, um von den empirischen Forschungsergebnissen auf der Mikroebene auf die gesellschaftliche Struktur der Makroebene und die Analyse der gegenseitigen Wechselwirkungen zu schließen, da die individuellen Erfahrungen in die gesellschaftlichen Strukturen eingebettet und durch sie strukturiert sind. Somit wird es möglich, vom spezifischen Einzelfall auf die dahinterliegenden Strukturen zu schließen. Dabei geht es nicht darum, das „Besondere“, „Exotische“ zu suchen und hervorzuheben, sondern Blicke in die alltäglichen Sinnzusammenhänge und Kulturtechniken zu gewährleisten.14 Neben medienphilosophischen und kulturtheoretischen Zugängen bedarf es einer weiteren Forschungstradition, um sich dem Phänomen der Computerspiele wissenschaftlich nähern zu können. Es geht dabei um die Spielforschung und Spielanalyse. Trotz der entscheidenden Bedeutung des medientheoretischen Forschungszuganges darf eine Grundfunktion aller Computerspiele nicht vergessen werden: Computerspiele sind in erster Linie ein Spielphänomen. Für eine kulturwissenschaftliche Analyse der Computerspiele ist daher eine Einbindung der Spieltheorien etwa von Johan Huizinga, Roger Caillois bis hin zu Brian Sutton Smith unumgänglich.15 Erst die Verknüpfung der Betrachtung der Computerspiele als digitales Medienprodukt und Spielprodukt lässt Rückschlüsse auf die Wirkungsweisen und die Faszinationskraft der Computerspiele zu. Obwohl Computerspiele längst kein ausschließliches Phänomen der Jugendkulturen mehr sind, sondern demographisch wesentlich breitere Bevölkerungsschichten erreichen, entfaltet sich das Diskussionspotential rund um die Spiele vor allem in ihrer Konsumtion durch Kinder und Jugendliche.16 Dies geschieht nicht zuletzt wegen der Frage nach der Bedeutung der Einflussnahme von Medien auf die Entwicklung der jungen Menschen in ihrer adoleszenten Phase. In Diskursen, geprägt von aktuellen Schulmassakern und Amokläufen, werden die Gefahrenpotentiale
14 Vgl. Bourdieu, P., Praktische Vernunft, S. 14 u. 15. 15 Zu den Klassikern der Spieltheorien gehören u.a. Johan Huizingas (Homo Ludens, 2001), Roger Caillois (Man, Play and Games, 2001), sowie Brian Sutton-Smith (Die Dialektik des Spieles, 1978). 16 Marktzahlen des Bundesverbandes Interaktive Unterhaltungssoftware e.V. (BIU e.V.) aus dem Jahr 2012 sprechen für Bundesdeutschland von einem Altersdurchschnitt der SpielerInnen von 32 Jahre.
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und Gewinnmöglichkeiten der Computerspiele in ihrer Wirkungsweise auf die Jugendlichen und Kinder erörtert. Mit diesen Diskursen setzt sich die Arbeit ebenfalls auseinander, sind sie doch wesentlich für das gesellschaftspolitische Bild der Computerspiele. Um aber die Beziehungen zwischen Computerspielen und den einzelnen Menschen selbst zu erforschen, ist es von zentraler Bedeutung, die Menschen zu Wort kommen zu lassen.17 Nur durch die Kombination der Forschungsergebnisse der gesellschaftlichen Diskursanalysen mit einer Mikroanalyse der spielenden Menschen selbst, können die Medientransferprozesse, ihre Wirkungsweisen und ihre Aneignungen analysiert werden. Bereits David Morley, ein führender Experte der Medien- und Publikumsforschung, befindet die Methode des qualitativen Interviews und der teilnehmenden Beobachtung als zielführendste Methode für die Analyse des Medienkonsums, im Vergleich zu distanzierten, quantitativen Forschungspraktiken.18 Durch die Kombination verschiedenster Zugänge und Fachdisziplinen können wir uns dem Phänomen Computerspiele nähern. Die Konzentration auf eine theoretische Disziplin wäre unzureichend, um mit Hilfe der Aneignungsvorgänge von Computerspielen allgemeine Strukturen und Tendenzen in der Gesellschaft auszumachen bzw. umgekehrt, Formationen der Makrostruktur auf die individuelle Aneignung der Spiele rückzuführen. Die Phänomene im Bereich der Computerspiele gilt es mit den Zeitbefindlichkeiten der Postmoderne in Beziehung zu setzen und umgekehrt. Forschungsmethode Zur Erforschung der Mikrostrukturen wählte ich die Methode des qualitativen Interviews. Diese Form des Gesprächs verlegt den Forschungsschwerpunkt auf eine begrenzte Zahl von Gewährspersonen, die dafür umso intensiver befragt werden. Während der Einzelgespräche, für die ich eine möglichst offene Form des Interviews wählte, wurde parallel gespielt. Dabei wurde, um dem Zeitrahmen, den die SpielerInnen für das Spielen verwenden, gerecht zu werden, bewusst auf ein zeitliches Limit verzichtet. Durch die Teilnahme an ihrem Spiel bekam ich einen Eindruck von ihren Ansichten, Erfahrungen und Erlebnissen im virtuellen Raum. Dies ermöglichte interessante Einblicke in die Mechanismen der Spiele und ihre Wirkungsweisen auf die SpielerInnen, die die Zeitstrukturen des Alltagslebens auflösen.
17 Siehe dazu auch: Bourdieu, P., Das Elend der Welt, S. 779 ff. bzw. Katschnig-Fasch, E., Das ganz alltägliche Elend, S. 359ff. 18 Vgl. Morley, D., Bemerkungen zur Ethnografie des Fernsehpublikums, S. 292.
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Eine quantitative Befragung, etwa in Form von Fragebögen, kam für die Forschungsfragestellung nicht in Frage, da dort ein exaktes Nachfragen und „Nachhaken“ bei strittigen Punkten nicht mehr möglich ist. Quantitative Befragungsmodelle sind ein beliebtes Mittel für allgemeine statistische Erhebungen, auch für das Thema Computerspiele.19 Sie sind für meine Forschungsfrage allerdings begrenzt einsetzbar, da sie durch ihre allgemeinen Fragestellungen die Makroebene repräsentieren. Trotzdem wird in dieser Arbeit auf die Ergebnisse unterschiedlicher quantitativer Studien in Form von Sekundäranalysen zurückgegriffen und mit den Fragestellungen verglichen. Eine gleichfalls wichtige Quelle dieser Forschung sind themenrelevante Artikel im Internet und in Fachzeitschriften. Vor allem letztere geben einen Hinweis auf die Intentionen der Computerspielindustrie und ihre Werbemechanismen. Sie sind nicht zuletzt durch ihre Technikberichte ein wichtiger Faktor für die Steigerung der Verkaufszahlen der Computerhardwarekomponenten. Unter dieser Perspektive ist demnach auch die Berichterstattung diskurskritisch zu analysieren.
19 Das BIU (Bundeverband Interaktive Unterhaltungssoftware e.V.) veröffentlicht jährlich relevante Kenndaten für die Verbreitung von Computerspielen und führt statistische Erhebungen zur Computerspielnutzung durch. (http://www.biu-online.de/fakten/marktzah len), 22.12.2011. Ebenso betreiben die ISFE (The Industry. The Economic of Gaming) (http://www.isfe-eu.org/index.php), 10. 10. 2012 mit dem ausführlichen statistischen „Nielson Report: Computer und Videospieler in Europa“ (http://www.biuonline.de/ file admin/user/dateien/ Zusammenschau_Nielsenreport_Europa_2008.pdf), 10.10.2012 und die ESA (Entertainment Software Association) für die USA (http://www.theesa.com/facts /pdfs/VideoGames21stCentury_2010.pdf), 10.10.2012 quantitative Studien zur Compu terspielnutzung. In diesem Zusammenhang ist auch die KIM-Studie vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest von Interesse. Sie erstellt im Sinne einer langfristigen Studie seit 1999 regelmäßige schriftliche und mündliche Befragungsbögen und Interviewleitfäden mit 1200 Kindern und deren Müttern bezüglich Mediennutzung, insbesondere über Computerspiele. (http://www.mpfs.de/ index.php?id=462), 10.10.2012. Ebenso beschäftigt sich das KFN (Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen) mit statistischen Studien zum Thema Computerspiele, vorwiegend mit den Gewaltaspekten: Rehbein, F., Kleimann, M. & Mössle, T.: Computerspielabhängigkeit im Kindesund Jugendalter ,2009 (http://www.kfn.de/Publikationen/KFN-Forschungsberichte.htm), 10.10.2012, und Baier, D., Pfeiffer, C., Rabold, S., Simonson, J. & Kappes, C.: Kinder und Jugendliche in Deutschland : Gewalterfahrungen, Integration, Medienkonsum, 2010 (http://www.kfn.de/Publikationen/KFN-Forschungsberichte.htm), 10.10.2012.
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M ETHODOLOGIE Das Setting der Feldforschung ist selbst ein Raum, in dem Kultur sich verdichtet und in der Interaktion hergestellt wird. Die Erzählungen und Handlungen können demnach nicht isoliert betrachtet werden, sondern sind abhängig von vielschichtigen Diskursen. Dies beginnt mit der Fragestellung und Fokussierung meiner Forschungsidee, den Prämissen des Theoriekonzeptes, sowie mit den Vorannahmen und Erwartungen an das Forschungsfeld bzw. der Gesprächssituation und umspannt einen weiten Bogen bis hin zu den gesellschaftlichen, soziokulturellen, biografischen und demografischen Einflussfaktoren auf die/den ForscherIn und die Erforschten. Dadurch ist die/der ForscherIn mit dem Forschungsobjekt untrennbar verbunden.20 Vor allem dann, wenn, wie für die vorliegende Arbeit gilt, dass sowohl Forscher als auch die Erforschten objektiv gesehen, die ähnlichen medialen Aneignungsweisen durchlaufen. Es werden dieselben Zeichen und Dominanten und auch die historischen Zusammenhänge unserer Kultur geteilt. Wir gehen dadurch für den eigenen Kulturkreis davon aus, dass unser Gegenüber ähnlich denkt und handelt, wie die ForscherInnen selbst. Doch müssen wir uns im Klaren sein, dass die Erzählungen der Menschen immer von ihrem Standpunkt innerhalb der Kultur abhängig sind. Wir als KulturwissenschaftlerInnen können nicht die gleichen Erfahrungen des anderen ungefiltert teilen, sondern nur seine Erzählung über die Erfahrungen.21 Methodologisch stellt sich zudem, wie Bourdieu in seinem Konzept des verstehenden Interviews darlegt, in qualitativen Interviewsituationen das Problem der unterschiedlichen Positionen, die ForscherIn und Befragte/r im sozialen Raum einnehmen und deren Effekte es zu kontrollieren gilt.22 Durch die Anwendung wissenschaftlicher Praxen, Theorien und Methoden trägt man akademische Machtstrukturen mit.23 Deshalb ist die Reflexion sowohl der Machtbeziehungen als auch die der möglichen Objektivierung der GesprächspartnerInnen von zentraler Bedeutung. Ausgehend vom Forschungsparadigma der Cultural Studies war es mir wichtig, die GesprächspartnerInnen als handelnde Subjekte und KulturproduzentInnen zu verstehen. Ich achtete bei meinen Gesprächen mit ComputerspielerInnen darauf, nicht als Wissenschaftler aufzutreten, sondern als gleichgestellter, interessierter Zuhörer. Dies erhob meine GesprächspartnerInnen auf den Rang von SpielexpertInnen, den sie auch gerne einnahmen. Der Aufbau einer hierarchiefreien Gesprächsbeziehung wurde dadurch erleichtert, dass ich selbst seit vielen Jahren
20 Vgl. Bruner, E.M., Ethnography as Narrative, S. 146-149. 21 Vgl. Kapferer, B., Performance and Structuring of Meaning and Experience, S. 188-190. 22 Vgl. Bourdieu, P., Das Elend der Welt, S. 781ff. 23 Vgl. Ebda., S. 782.
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Computerspiele spiele und so von den InterviewpartnerInnen als „peer“, wahrgenommen wurde, weil ich über das „Insider“-wissen verfügte und so als Mitglied einer geteilten Jugend- und Populärkultur und weniger als Forschender angesehen wurde. Spielerfahrung und Selbstreflexion Viele spielspezifische Wirkungen auf die SpielerInnen, wie das Eintauchen in die Spielwelten, die Glücksgefühle bei Erfolgen, Macht- und Kontrollerlebnisse, sind durch reine Beobachtung nicht erfahrbar. Die Forschenden müssen teilnehmen, um das Flow-Prinzip und die totale Immersion in die Spiele zu erleben.24 Methodisches Problem der Computerspielforschung ist es, dass insbesondere pädagogische Studien Spielverhalten und die Auswirkungen von Computerspielen beschreiben, ohne dass die ForscherInnen selbst daran teilnehmen und in die Spielwelten eintauchen. Die Spiele werden nur ansatzweise beobachtet. Dies führt zu einem fehlenden Verständnis gegenüber den Spielweisen der ComputerspielerInnen und den Wirkungsweisen der Spiele. So bleiben die Spiele auf dem Niveau des Unbekannten, der Verständnisprozess verharrt im Ansatz. Aus der Außenperspektive werden die Spiele zu unbekannten und fremden, oft gefährlichen Phänomenen erklärt, die eine ständige Bedrohung auf die SpielerInnen ausüben.25 Diese eindimensionale Sichtweise wird jedoch auch aus pädagogischer Sicht kritisiert und die Notwendigkeit des Sich-Einlassens betont. Kai Müller bringt dies auf den Punkt: „Darüber hinaus ist es natürlich wesentlich für die Authentizität pädagogischer Intentionen, dass der da vorne weiß, wovon er redet. Besteht keine Bereitschaft sich auf eigene Spielerfahrungen einzulassen, wird es nicht gelingen, die Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen
24 Immersion bedeutet das totale Aufgehen im Computerspiel; die völlige Konzentration auf das Spielgeschehen und damit das gleichzeitige Vergessen des Alltages. Das FlowPrinzip beinhaltet eine permanente Immersion, d.h. die SpielerInnen werden über einen langen Zeitraum ans Spiel gefesselt, die Zeit verrinnt dabei unbemerkt. Vergleiche dazu auch die Ausführungen von Florian Rötzer (Rötzer, F., Interaktion, S.76.) und Mike Sandbothe (Sandbothe, M., Interaktivität-Hypertextualität, S. 65). 25 Siehe dazu: Spitzer, Manfred: Vorsicht Bildschirm! Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit und Gesellschaft, München, 2006; Trudewind, Clemens & Rita Steckel: Effekte gewaltorientierter Computerspiele bei Kindern: Wirkmechanismen, Moderatoren und Entwicklungsfolgen, in: Zeitschrift für Familienforschung, 15. Jahrg., Heft 3/2003, S. 238-271 oder Weiß, Rudolf.: Gewalt, Medien und Aggressivität bei Schülern. Göttingen/Bern/Toronto/Seattle 2000. S. 1-7, 22-23, 205-214. (http://www.mediacultureonline.de), 17.10.2011.
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mit Computerspielen in einer Weise zu thematisieren, die ihre Spielvorlieben als Ausdruck des Lebenshintergrundes ernst nimmt: Ein Zugang zu Spielerfahrungen anderer knüpft an die eigenen Spielerfahrungen an.“26
Für den/die unbeteiligte/n BeobachterIn kann sich ein Gefühl des Unverständnisses und der Befremdung gegenüber dem Anreiz Computerspiele zu spielen ergeben. Die Faszination der Spiele kann als unbeteiligte/r ZuseherIn nicht vollständig nachvollzogen werden. Wir verstehen die Anderen und ihren Ausdruck nur auf Basis der eigener Erfahrungen.27 Deshalb müssen wir bei einer Medienanalyse die Spielerfahrungen unserer GesprächspartnerInnen bis zu einem gewissen Grad teilen können. Wir können nur durch diese gemeinsam gelebte Erfahrung und dem damit einhergehenden gemeinsamen Vokabular in der Benennung der Dinge und Vorgänge rund um die Spielwelten die daraus resultierenden Aneignungsvorgänge untersuchen. Das Eintauchen der ForscherInnen in die Spielwelten schafft eine andere Dimension des Verständnisses, allerdings auch eine permanente Notwendigkeit zur Selbstreflexion. Die Nähe zu den Gefühlswelten der ComputerspielerInnen birgt die Gefahr des Verlustes einer kritischen Distanz. Dieser Faktor muss während der Forschungstätigkeit ständig bedacht werden. Es steht außer Frage, dass die Spielprodukte während ihrer Untersuchung ihren Reiz auf die „spielenden“ ForscherInnen ausüben. Als WissenschaftlerIn und insbesondere als ForscherIn, der/die selbst spielt, gerät man in die Gefahr, die eigene Erfahrung als typische allgemeingültige Spielerfahrung zu werten. Im Zuge einer kritischen Selbstreflexion müssen die individuellen Aneignungsprozesse der Beforschten immer aufs Neue in Erinnerung gerufen werden , 28 um keine blinde Flecken in der Analyse entstehen zu lassen. Neben der Analyse der subjektiven Erfahrungen müssen in jeder ethnologischen Forschung auch die Differenzen zwischen ForscherIn und Beforschte/n, sowie die Effekte von Machtverhältnissen mitgedacht werden. Die Ergebnisse sind nicht als absolutes Wissen, sondern als relativ zu betrachten, da sie Interpretationen aus einer gewissen Position darstellen. Wird die Positionierung der ForscherInnen mitgedacht, kann eine Dekonstruierung der Forschungsergebnisse und der eingebetteten Ideologien erfolgen.29 In der kulturanthropologischen Forschung muss man davon ausgehen, dass wir von unseren GesprächspartnerInnen vorinterpretierte Erzählungen erfahren, die wir selbst entsprechend unseres Wissens und Erfahrungen umdeuten. Edward Bruner drückt dies folgend aus:
26 Müller, K., Computerspiele reflektieren, S. 48. 27 Vgl. Bruner M. E., Experience and Its Expressions, S. 6ff. 28 Vgl. Abrahams, R.D., Ordinary and Extraordinary Experience, S. 48. 29 Vgl. Morley, D., Bemerkungen zur Ethnografie des Fernsehpublikums, S. 304.
30 | C OMPUTERSPIEL UND L EBENSWELT „The interpretive process, however, always opeates [sic] on two distinct levels: the people we study interpret their own experiences in expressive forms, and we, in turn, through our fieldwork, interpret these expressions for a home audience of other anthropologist“.30
Wenn der/die ForscherIn selbst spielt, ähneln sich die Spielerfahrungen mit denen der befragten Personen, auch wenn sie niemals auf gleiche Weise interpretiert werden. Da wir unsere interpretativen Fähigkeiten auf Grund unserer Erfahrungen aufbauen, werden sich konsequenterweise die Analysen von ForscherInnen, die selbst spielen und jenen, die stattdessen ausschließlich beobachten, unterscheiden. Aus diesem Grunde liegt mir daran, im Sinne einer Nachvollziehbarkeit meiner Interpretationen zu betonen, dass ich selbst Computerspieler bin. Dies führt zu einer verbesserten Möglichkeit der Interpretation des Ausdrucks von Handlungen und Denkweisen von SpielerInnen. Nach Victor W. Turner sind alle Handlungen mit kultureller Bedeutung erfüllt. Dementsprechend schwer sind viele Handlungen messbar, da sie oft flüchtig, versteckt und schwierig wahrnehmbar sind.31 Grundsätzlich ist jedoch gerade dieses alltägliche Handeln mit (unbewussten) kulturell geprägten Symboliken aufgeladen: menschliches Handeln muss nach Clifford Geertz als symbolisches Handeln begriffen werden.32 Auch wenn der/die ForscherIn die gleichen Computerspiele gebraucht wie die GesprächspartnerInnen, geschieht die eigene Wahrnehmung von einer ganz spezifischen Position aus, die sich von der Position der Erforschten immer unterscheidet. Clifford Geertz meint dazu: „We cannot live other people’ s live, and it is a piece of bad faith to try. We can but listen to what, in words, in images, in actions, they say about their lives. […] Whatever sense we have of how things stand with someone else’ s inner life, we gain it through their expressions, not through some magical intrusion into their consciousness. It’s all a matter of scratching surfaces.“33
Ebenso ist, wie Geertz in seinem Werk „Dichte Beschreibung“ herausarbeitete, jede ethnologisch, kulturanthropologische Arbeit eine Interpretation. Seiner Meinung nach sind diese Arbeiten Fiktionen, etwas Gemachtes und Hergestelltes, in denen die ForscherInnen imaginative Leistungen vollbringen, mit dem Ziel, die ethnografische Arbeit so nahe wie möglich an das Leben der Erforschten zu bringen. Für Geertz sind jene ethnologischen Interpretationen gelungen, die mitten ins Leben der Erforschten führen und nicht von ihnen abgetrennt werden. Eine solche Abtrennung
30 Bruner M. E., Experience and Its Expressions, S. 10. 31 Vgl. Turner, V., Dewey, Dilthey and Drama, S. 33. 32 Vgl. Geertz, C., Dichte Beschreibung, S. 16ff. 33 Geertz, C., Making Experiences, Authoring Selves, S. 373.
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bedeutet für ihn Sinnentleerung der wissenschaftlichen Interpretation.34 Die Einblicke in die reale soziale Welt der ComputerspielerInnen helfen, die Medienaneignung aus der Praxis zu verstehen und die daraus resultierenden individuellen Handlungsweisen mit den Theoriekonstruktionen vergleichen zu können. Sampling Gerade das breite Feld der KonsumentInnen von Computerspielen macht die Auswahl der GesprächspartnerInnen schwierig. Außer dem soziokulturellen Hintergrund der Zielgruppe stellt sich die Frage, ob man sich vorwiegend auf die VielspielerInnen konzentriert, deren Lebensmittelpunkt und Hauptinteresse Computerspiele darstellen, oder GelegenheitsspielerInnen untersucht, die die Spiele als kurzen Zeitvertreib ansehen. Ein grundsätzliches Problem der Anthropologie und qualitativen Feldforschung spricht u.a. Roger D. Abrahams an: die Suche nach interessanten, aus der Masse hervorstechenden Personen bzw. Gruppen, die sogenannten „Shiny-People“. Insbesondere die Cultural Studies verstanden darunter „die Punks“, „die Rocker“ oder die „Outlaws“ bzw. „Mods“ in Großbritannien.35 Im Sinne Clifford Geertzs’ ist es allerdings notwendig, die Normalität einer Kultur zu enthüllen, ohne dass das Außergewöhnliche und Besondere zu kurz käme.36 Die Aufmerksamkeit muss auch auf die scheinbar kleinen und unwichtigen Formen des menschlichen Ausdrucks während der Beobachtung gelegt werden. Für meine Forschungsfragestellung ist eine Untersuchung von intensiv spielenden Personen die ergiebigere Möglichkeit, da sie besonders eindringlich die Wirkungsweise der virtuellen Spielwelten auf die Menschen offen legt. Weil Computerspielen keine im öffentlichen Raum sichtbare Praxis ist, sondern sich in Privaträumen abspielt, werden auch VielspielerInnen nicht als auffällige Subkultur wahrgenommen. Allerdings stellt dieses Segment der ComputerspielerInnen einen kleinen Ausschnitt möglicher Aneignungsweisen dar, während ein Großteil der ComputerspielerInnen GelegenheitsspielerInnen sind. VielspielerInnen unterscheiden sich von den GelegenheitsspielerInnen jedoch nicht durch die Aneignungsformen, sondern lediglich durch die Quantität ihrer Beschäftigung mit den Spielen. In der Literatur wird hingegen auf die Bedeutung der Bildungsabschlüsse und auf den sozialen Hintergrund der ComputerspielerInnen verwiesen, vor allem, wenn zum Spielen auch das Internet verwendet wird.37 Überrepräsentiert sind ComputerspielerInnen bei GymnasiastInnen/MaturantInnen und Jugendlichen mit technischer
34 Vgl. Geertz, C., Dichte Beschreibung, S. 22-26. 35 Vgl. Abrahams, D.R., Ordinary and Extraordinary Experience, S. 66. 36 Vgl. Geertz, C., Dichte Beschreibung, S. 21. 37 Vgl. Dittler, U., Computerspiele und Jugendschutz, S. 153-154.
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Berufsausbildung, nicht zuletzt wegen des frühen Kontaktes zum Computer und zum Internet, auf Grund der Notwendigkeit des Bildungsweges bzw. der Förderung durch das Elternhaus und der beruflichen Anforderungen. Meistens verfügen SchülerInnen und StudentInnen über mehr Freizeit im Vergleich zu Lehrlingen und Berufstätigen, die sie für die Beschäftigung mit dem PC verwenden können. Allgemein lässt sich feststellen, dass das Phänomen Computerspiel vermehrt breitere Gesellschaftsschichten anspricht, sowohl was die Altersstruktur betrifft, als auch die Bildungs- und Einkommensverteilung. Durch den allgemeinen Verfall der Preise im Elektronikbereich sind auch die Endgeräte günstig zu erwerben, bzw. auf dem Gebrauchtmarkt zu finden. Die Möglichkeiten der finanziellen Kaufkraft beschränken allerdings die Leistungsstärke der Computergeräte und die Möglichkeiten einer Internetanbindung. Hier herrschen sehr wohl einkommensspezifische Unterschiede. Trotz der zunehmenden Verbreitung der Computerspiele nutzen tendenziell Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen eher Computerspiele.38 Forschungssample Meine Gruppe von Gesprächspartnern war eine „WOW“-Spielergruppe39 von vier jungen Männern, die sich gemeinsam in einer Wohngemeinschaft trafen und regelmäßig spielten. Ich kannte Timo40 durch eine Freundin und erlangte durch ihn Zugang zur restlichen Spielergruppe. Die ausgewählten Gesprächspartner entsprechen sowohl in Hinsicht auf den Bildungshintergrund, sowie früh einsetzender Affinität zur Technik durch ihre „Sozialisation“ in der Computertechnik, als auch in der Genderspezifik technischer Ausbildungsgänge (HTL, EDV-Lehre etc.) dem statistischen Profil der ComputerspielerInnen, das in der Literatur zitiert wird. Timo, zum Zeitpunkt der Forschung 21 Jahre alt, hatte nach der Matura ein Fachhochschulstudium in Bauplanung und -management begonnen. Er stammt aus einer südsteirischen Gemeinde, wo sein Vater ein Handwerk führt. Die Eltern zeig-
38 Dazu eine Studie des Bundesverbandes Interaktive Unterhaltungssoftware e.V. (BIU e.V.) aus dem 1. Halbjahr 2010: 81% der ComputerSpielerInnen in Deutschland setzen sich Menschen mit Hochschulreife, Allgemeinbildende Schule, Studium und Berufsfachschule zusammen, während dagegen 19% Hauptschulabschlüsse aufweisen können. (http://www.biu-online.de/fakten/marktzahlen/ ), 22.12.2011. 39 „WOW“ ist die bekannte Abkürzung für „World of Warcraft“, dem erfolgreichsten und meist gespielten Online-Rollenspiel. Die Interviewgruppe der vier jungen Männer traf sich vorwiegend dazu, dieses Spiel gemeinsam zu spielen. Obwohl die gemeinsame physische Anwesenheit im Grunde bei einem Online-Rollenspiel nicht von Nöten ist, nutzten die Freunde dennoch das Medium, um sich auch real treffen zu können. 40 Sämtliche Vornamen der untersuchten Personen sind anonymisiert.
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ten kein Interesse gegenüber Computer und Computerspielen. Im Gegensatz zu den Anderen hatte er erst im Alter von 16 Jahren begonnen regelmäßig Computer zu spielen. Christian, ebenfalls Mitglied der Gruppe, hatte ihn damit bekannt gemacht. Beide wohnen als Wohngemeinschaft in Graz zusammen. Intensives Spielen entstand dann erst in weiterer Folge mit den Freunden aus der Interviewgruppe. Christian, 22 Jahre alt, hatte nach dem Hauptschulabschluss eine Lehre als EDV-Techniker bei der Informatikfirma I-Tec41 gemacht und wurde nach dem Abschluss übernommen. Er hatte schon mit neun Jahren angefangen gemeinsam mit seinem Vater Computerrollenspiele zu spielen. (Wizardry 7, Bard´s Tale, Eye oft the Beholder) Sein Vater, 48 Jahre, war ein Computerbegeisterter der ersten Stunde und erlebte den Computerboom der 1980er Jahre intensiv mit. Er spielt heute noch Rollenspiele, auch wenn der Sohn inzwischen technisch versierter ist. Computer sind aus dem Leben von Christian nicht wegzudenken und seine Berufswahl, er ist EDV-Techniker, ist die logische Folge daraus. Dementsprechend blieb das Hobby Computerspiel eine feste Konstante in seinem Leben. Martin, 21 Jahre alt, aus Voitsberg stammend, arbeitet wie Christian als EDVTechniker bei I-Tec, wo er auch die Lehre abgeschlossen hat. Er hatte nach der Mittelschule zunächst in die HTL gewechselt, aber dann festgestellt, dass die Schule „nichts für mich ist“. Martin: „Dann bin ich halt für ein Jahr irgendwohin gegangen, also in die HAK [...]. Mir war das eigentlich wurscht“42.
Über das BFI43 erlangte er einen Lehrplatz bei der Firma I-Tec, wo er auch Christian und Alex kennenlernte. Mittlerweile ist er als EDV-Techniker bei der gleichen Firma tätig. Er hatte auch von Kindheit an Interesse und Zugang zu Computerspielen, da er von seinem Onkel einen PC geschenkt bekommen hatte. Martin wohnt allein in einer Garçonniere in der Grazer Innenstadt. Alex, 18 Jahre alt, ist als Lehrling für EDV-Technik im letzten Lehrjahr ebenfalls bei I-Tec. Alex hatte seinen ersten PC mit 8 Jahren und hat schon als Schüler intensiv Computer gespielt. Ab 14 Jahren nahm er wettbewerbsmäßig an LANTurnieren teil. Weil seine Freizeitbeschäftigung immer mehr Raum einnahm, begann er in der 5. Klasse des Gymnasiums zu schwänzen und brach schließlich in der 6. Klasse, gegen den Widerstand der Eltern, die Schule ab. Die jungen Erwachsenen reagierten auf die Idee, aus ihrem Hobby eine Forschungsfragestellung zu machen, begeistert und aufgeschlossen. Sie erzählten be-
41 Firmenname wurde anonymisiert. 42 Umgangssprachlich für egal. 43 Abkürzung für Berufsförderungsinstitut.
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reitwillig Geschichten und Episoden aus ihrem Leben als Computerspieler und boten mir auch Gelegenheit ihr Spielverhalten teilnehmend zu beobachten. Trotz unterschiedlicher biografischer Zugänge zum Computer, spielen die jungen Menschen nun im ähnlichen Ausmaß Computerspiele. Das heißt nicht, dass dies für die Zukunft so bleiben muss, aber aus der momentanen sozialen und ökonomischen Position überschneiden sich ihre Interessen. Selbst eine technische Affinität ist kein Muss, um Computerspiele zu spielen, obwohl sie den Einstieg sicher erleichtert. Die Wohnung, in der sich die jungen Männer zum Spielen trafen, und ich die Gespräche führte, stellte in den Augen der Besitzer und Spieler nur den nötigen Raum für das Ausleben ihres Hobbies dar. Es wurde kein Wert auf Ordnung bzw. Sauberkeit gelegt, Pizzakartons mit Essensresten stapelten sich in der Wohnung. Gegessen und Getrunken wurde während des Spielens, vorwiegend bestellte Fertiggerichte, Bier und Cola. Die virtuelle Spielwelt wurde zum Primärraum, teilweise wurden die Gespräche während des Spielens parallel geführt, damit die Spieler keine Zeit im Spiel verlieren konnten. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, führte ich zusätzliche, ergänzende Gespräche mit Karin, die außerhalb der untersuchten Spielergruppe stand. Karin war schon für meine Diplomarbeit44 eine wertvolle Gesprächspartnerin und stellte sich auch für weiterführende Gespräche während des Forschungsprozesses für diese Arbeit zur Verfügung, um mir wertvolle Perspektiven aus der Sicht spielender Frauen zu ermöglichen. Zum Zeitpunkt der weiterführenden Gespräche war Karin 30 Jahre alt und arbeitete nach dem abgeschlossenen Studium als Lektorin in einem Grazer Verlag. Die Begeisterung für Computerspiele blieb nach ihrem Studium erhalten, auch wenn sich der Spielkonsum einschränkte. Ihre Lieblingsspiele sind Rollenspiele, die sie auch gemeinsam mit ihrem Lebenspartner spielt. Die Meinungen der befragten Personen über Computerspiele und ihr Spielverhalten sind individuell verschieden und vielfältig und entsprechen der vielschichtigen Bandbreite von KonsumentInnen von Computerspielen. Durch sie lassen sich aber unabhängig aller individuellen Differenzen Wirkungsweisen von Computerspielen und mögliche Handlungsweisen der SpielerInnen und deren Alltagspraxen darstellen. Dabei ist grundsätzlich bei allen InterviewpartnerInnen festzuhalten, dass es sich bei der Frage der Intensität des Vielspielens immer um eine Momentaufnahme handelt. Auch wenn man das Verhalten einiger der befragten Personen zu Beginn der Forschung kritisch als Spielsucht bezeichnen kann, zeigte sich, dass manche am Ende des Forschungszeitraums noch immer viel spielen, andere aber bereits weniger bis gar nicht mehr. Die Perspektive auf den Prozess des Computerspielens führt in weiterer Folge zu einem komplexeren Bild über Computerspiele und ihre Aneignung, abseits pauschalierter Kausalzusammenhänge, wie sie gerne in
44 Siehe dazu Lackner, T., Computerrollenspiele, 2003.
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den Medien im Zusammenhang mit dem Themenkomplex Sucht und Gewalt präsentiert werden. Die Hauptkonzentration auf vier spielende Jugendliche als Gewährspersonen erlaubte mir die Funktionsweisen der Computerspiele intensiv auf ihre konkrete Lebenswelt zu beobachten. Da Computerspiele, trotz ihrer möglichen Breite, ähnliche und typische Funktionsweisen auf die spielenden Menschen ausüben, die im Zuge der Arbeit noch ausführlich dargestellt werden, ist meiner Meinung nach der Fokus auf eine beschränkte Anzahl von GesprächspartnerInnen zielführender, da dadurch die Aneignungsweisen vertiefend herausgearbeitet werden können.
Computer und Computerspiele in der Gesellschaft
M ENSCH
UND
S PIEL
Spielen ist eine Grundkonstante der menschlichen Verhaltensweisen. Spielerisch lernt der Mensch sich von klein auf in der Umwelt zu Recht zu finden und zu überleben. Der hohe Stellenwert des Spiels bzw. des Spielens ist spätestens seit den Ausführungen Huizingas in seinem zu den Klassikern der Spielerforschung gehörenden Werk „Homo Ludens“ unbestritten. Für ihn beginnt die Kultur des Menschen im Spiel und entfaltet sich in ihm. Sie baut auf Funktionen des Spiels auf, die wesentlich älter sind als die menschliche Kultur selbst, und ihren Ursprung in der Frühphase der Entstehung der Gattung Mensch haben. Dabei geht Huizinga in seinen Anschauungen über die üblichen standardisierten Funktionen eines Spieles (Entspannung, Entlasten, Aggressionsabbau, Wetteifer, etc.) hinaus und belegt, wie Elemente des Spieles in der Gesellschaft, in den sozialen Strukturen und Institutionen nachzuweisen sind.1 Genauso wie sich Spielformen in der Kultur wieder finden, beeinflussen kulturelle Befindlichkeiten und Zeit(geist)strömungen die Spiele und die Art zu spielen in einem sich ständig ändernden Beziehungsgeflecht. Menschenbilder, Wert- und Moralvorstellungen, Machtpositionen, gesellschaftliche Verteilungsstrukturen, der Blick auf das Andere, das Fremde, Abgrenzungen und Distinktionen, Heldenmut und Ehre usw. spiegeln sich im Spiel wider. Bereits im 18. Jahrhundert wurde Spielforschung betrieben, allerdings im Sinne einer bürgerlichen Pädagogik, die das Spielen als eine zu rechtfertigende Tätigkeit gegenüber einer ernsthaften Beschäftigung, wie der Arbeit sah. Das Spiel wird mit Imaginärem, Traum, Schein und Fantasie gleichgesetzt oder dient zur „Triebbefriedigung“.2 Wobei anzumerken ist, dass erst ab dem 18. Jahrhundert eine Trennung zwischen Arbeit und Freizeit, Alltag und Vergnügen denkbar wurde und Freizeit 1
Vgl. Huizinga, J., Homo Ludens, S. 82ff.
2
Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welten, S. 26ff.
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bzw. Spiel als solches als pädagogisches Thema relevant wurde, wenn auch beschränkt auf adelige und bürgerliche Kreise. Für den Großteil der Bevölkerung entwickelte sich die Freizeitkultur erst viel später ab Mitte des 20. Jahrhunderts. Spiele werden als Gegensatz zum Alltag als eine abgeschlossene, geschützte Sphäre gedacht. Der Zugang zum Spiel erfolgt im Normalfall freiwillig. Im Spielraum können Aktionen durchgeführt werden, die reversibel sind und beliebig oft wiederholt werden können, ohne dass die SpielerInnen Gefahr laufen, ernsthafte Konsequenzen daraus zu erlangen. Spiele, insbesondere Computerspiele zeichnen sich durch diese Wiederholbarkeit aus. Dies nimmt ihnen auch einen Teil ihrer Ernsthaftigkeit.3 Die Spielwelt erhält eigene Regeln, an denen sich die Spielenden zu halten haben. Um die Sphäre des Spieles aufrecht zu erhalten, müssen die Regeln befolgt werden, sonst scheitert das Spiel und die RegelbrecherInnen werden zu „SpielverderberInnen“. In die Gestaltung der Spielwelten wird viel Fantasie und Kreativität gelegt, wie bereits bei Spielen von Kindern zu beobachten ist. Hier werden aus den vielfältigen kulturellen Erleben und Erfahrungen der Kinder verschiedenste Spielszenarien (re)kombiniert und ganze Spielwelten neu erschaffen. Spiele bereiten zudem die jungen Menschen darauf vor, in der Gesellschaft ihre entsprechende Rolle spielen zu können, bzw. mit unterschiedlichen Masken und Identitäten zu experimentieren.4 Die Spielwelten verlieren aber für die Erwachsenen nicht ihren Reiz, der Zugang zum Spiel ändert sich aber. Tendenziell wird das Spiel reglementierter und ernster gegenüber dem Kinderspiel. Es wird im Spiel vermehrt darauf Wert gelegt, die Spielwelten in einer geschlossenen Sphäre einzusperren. Auf der anderen Seite lebt die Medien- und Spielindustrie vom Verkauf vorgefertigter Spielwelten. Es lassen sich bei weitem nicht alle Spielwelten problemlos in einem Raum bzw. einer Sphäre abschließen und getrennt von der realen Alltagswelt denken. Spätestens, wenn aus dem Spiel Ernst wird, holt uns der Alltag wieder ein. So würde ein wichtiges Tennisspiel, wo es um Millionen Euro geht, wohl kaum mehr als abgeschlossene Spielsphäre zu sehen sein, in denen ein Spiel als Ablenkung und Entspannung vom Alltag gewertet wird. Ganze Wirtschaftsindustrien sind dabei vom Spielergebnis abhängig, angefangen von den Sponsoren bis hin zu Marketing bzw. Merchandising und den Wettbüros. Speziell beim Sport wird das Spiel vom Kapital geprägt, das beliebige und konsequenzlose Ausprobieren fällt gänzlich weg. Heute gehen die meisten Spieltheorien davon aus, dass ein abgeschlossenes Denken der Spielwelten nicht möglich ist und dass das Spiel nicht als funktionalistischer Gegensatz zum „Nicht-Spielen“, zum „Ernst des Lebens“ zu beschreiben ist.5
3
Vgl. Grodal, T., Stories for Eye, Ear, and Muscles, S. 140-141.
4
Siehe dazu Goffman, E., Wir alle spielen Theater, S. 19ff.
5
Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welten, S. 26.
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Als konkretes Beispiel möchte ich die Erwerbsarbeit anführen. Diese wird im Normalfall nicht mit etwas Spielerischem in Verbindung gebracht, sondern als Gegensatz zur Freizeit bzw. zu einer virtuellen Spielwelt gedacht. Hier diagnostizieren neuere Studien einen Trend zur Verschmelzung der Arbeitsumgebung mit einer spielerischen Umgebung, zumindest dort, wo am Computer gearbeitet wird. Die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit, Ernst und Spiel wird zum Teil aufgehoben, an ein und demselben Gerät kann zugleich gespielt und gearbeitet werden. Softwareprogrammoberflächen sind spielerisch gestaltet, Lerneinführungen für Software haben zum Teil spielerischen Charakter. Hier können selbst Erwachsene wieder spielen. Fehler in der Eingabe können korrigiert bzw. gelöscht werden, ähnlich den Grundsätzen eines Spieles.6 Bei Computerspielen könnte man auch auf den ersten Blick annehmen, dass die Abgeschlossenheit des virtuellen Spielraumes, der räumlich auf dem Bildschirm begrenzt ist, eine völlig eigenständige Spielsphäre erzeugen kann. Jedoch weiten sich die virtuellen Spielräume aus und beeinflussen das Handeln und Denken im Alltagsraum. In der Spielerforschung ist es üblich geworden, ein jedes Spiel in seine Grundfunktionen und Elemente zu zerlegen, um seine Wirkung auf die spielenden Menschen beschreiben zu können. Für Roger Caillois, ähnlich wie Huizinga ein Pionier der Spielerforschung, gehört die Kategorie des Wettkampfes neben Glücksspiel, Verstellung bzw. Verkleidung und letztendlich Rausch (z.B. Geschwindigkeitsrausch in der Achterbahn) zu den Grundelementen des Spieles. Durch sie lassen sich Spiele beschreiben und klassifizieren:7 Der Wettkampfgedanke ist eine kulturelle Grundfunktion, der tief in der Gesellschaft verankert ist.8 Das Wettkampfschema ist in einer Vielzahl vergangener bzw. vormoderner Kulturen9 zu finden, aber auch in unseren derzeitigen kapitalistischen Wirtschafts- und Sozialsystemen. Das Bild der SiegerInnen fließt in aktuelle Ethikund Moralvorstellungen ein. In zunehmendem Maße werden Gewinne mittels „Ellbogen-Einsatz“ erreicht, der gewünschte Erfolg rechtfertigt den Einsatz auch unfairer Mittel. Während in den Spielwelten Vergehen mit Abbruch bzw. Ausschluss der betreffenden SpielerInnen bestraft werden, oder das Spiel wiederholt werden muss, findet dies in der realen Welt nicht unbedingt statt. Wettkämpfe brauchen klare
6 7
Vgl. Leithäuser, T., Ordnendes Denken, S. 69-70. Vgl. Caillois, R., Man, Play and Games, S.11 ff. und Lackner, T., Flucht in digitale Scheinwelten, S. 38.
8
Siehe dazu auch Clifford Geertz´s Analyse des balinesischen Hahnenkampf (Geertz, C., Dichte Beschreibung, S. 202ff).
9
Man denke dabei u.a. an die Ritterturniere, die Olympischen Spiele in Griechenland oder etwa den Vogelmann- Kult auf den Osterinseln.
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Regeln, die die Spiele bieten können, während in der Gesellschaft Regeln und Orientierungsmöglichkeiten abhandenkommen. Wettkämpfe spielen in vielen Computerspielen eine tragende Rolle, sei es im Wettstreit gegen eine/n imaginäre/n GegnerIn, oder im Turnier gegen menschliche MitspielerInnen im Internet. Zwar fließt in den meisten Fällen kein reales Kapital, das Gefühl des Sieges bzw. ein Platz in einer virtuellen Rangliste genügen als Befriedigung. Allerdings treten vermehrt entsprechend dotierte Computerspielturniere auf, die einem Sportwettkampf ähneln. Sehr gute SpielerInnen können durch Erfolge Preisgelder erlangen und damit einen Teil ihres Lebensunterhalts bestreiten. Wettkampf- und Konfliktsituationen und im Besonderen ihre Bewältigung führen zu Glücksmomenten und Glückserlebnissen, die die SpielerInnen motivieren, das Spiel laufend fortzusetzen. Dadurch werden die Menschen an das Spiel gebunden. Spiele und besonders Computerspiele sprechen die SpielerInnen emotional an. Sie vermitteln Erfolgserlebnisse, bieten neue Herausforderungen und belohnen die Erfüllung von gestellten Aufgaben. Spiele simulieren Konflikte, die von SpielerInnen bewältigt werden können. 10 Im Glückspiel fließt ein schicksalhaftes, unkontrollierbares Moment ein, der Reiz liegt in der Unvorhersehbarkeit und dem damit verbundenen Risiko.11 In vielen Spielen übernimmt ein Würfel die Rolle des Schicksals. Entscheidend ist bei diesen Spielen der Einsatz. Wird aus einem Spielkapital ein reales ökonomisches Kapital, kann das Risiko für die SpielerInnen unter Umständen existenzbedrohend werden. Die Spielsphäre überlagert das alltägliche Leben der Menschen und mündet allzu oft in der Spielsucht, die von den Automaten der boomenden Glückspielindustrie ausgelöst wird. Bei Computerspielen findet im Gegensatz dazu in der Regel ein realer Kapitaleinsatz nicht statt. Sie können aber, wie später noch aufgezeigt wird, durchaus Formen von Spielabhängigkeiten bis hin zu Suchterscheinungen durch andere Elemente erzeugen. Verkleiden und Maskieren bereitet uns nicht nur, wie schon Goffman festgestellt hat, auf unser späteres Rollenverhalten in der Gesellschaft vor, es schafft auch eine spürbare Entlastung durch das Annehmen ausverhandelter Rollen.12 Wie wichtig es ist, eine entsprechende, von anderen Menschen erwartete und auch geforderte Rolle, vor allem im Berufs- und Karriereleben zu spielen, zeigen die vielfach abgehaltenen Rollenspiele in Accessmentcenter und Managementkursen. Diese Rollenangebote bieten den Menschen aber kaum Möglichkeiten für die Verwirklichung eigener Wünsche, das Ausleben verborgener Sehnsüchte oder gesellschaftlich sank-
10 Vgl. Dittler, U., Computerspiele und Jugendschutz, S. 38ff. u. auch Lackner, T., Flucht in digitale Scheinwelten, S. 37. 11 Vgl. Caillois, R., Man, Play and Games, S. 17ff. 12 Vgl. Goffman, E., Wir alle spielen Theater, S. 19-29.
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tionierte Rollentausche an. Wo Kinder noch Maskierungen und Rollen ausleben können, bleibt den meisten Erwachsenen oft nur die bewusste Maskierung während eines Karnevals. Der Karneval wird dabei als eine vorübergehend erlaubte Umkehrung der Ordnung gesehen. Durch das „Lächerlich-machen“ der herrschenden Ordnung wird aber auch ein Blick auf die tiefgreifenden Mechanismen der Macht, auf Machtpositionen innerhalb des gesellschaftlichen Systems und auf Funktionen des Einschlusses bzw. Ausschlusses möglich.13 Wenn Spiele bzw. Computerspiele in diesem Sinne als „bunte Jahrmarktsfeste“ gesehen werden können, lassen sich durch ihre entsprechende Analyse wertvolle Blicke ins Machtgefüge unseres Gesellschaftssystems werfen. Ein langfristiger realer Rollentausch oder eine Maskierung ist mit enormen Risiken verbunden und kann mit gesellschaftlichem Ausschluss sanktioniert werden. Hier bieten Computerspiele, besonders in Form von Computerrollenspielen, interessante Alternativen an, wie im Kapitel Computerspielgattungen ausführlicher behandelt wird. Der „Spielrausch“ bleibt nicht auf eine Fahrt mit der Achterbahn beschränkt, sondern manifestiert sich in vielen Spielelementen.14 Das Rasen auf einer virtuellen Autobahn kann gleichermaßen Nervenkitzel und „Geschwindigkeits-Hochgefühle“ erzeugen, allerdings mit dem Bewusstsein einer Sicherheit, dass eigentlich kein Risiko für die Gesundheit der/des SpielerIn besteht. Natürlich wird die Qualität des Erlebten und Erfahrenen mit einer realen körperlichen Konfrontation eines Geschwindigkeitsrausches nicht vergleichbar sein, doch können die Spielerfahrungen eben reversibel oft und beliebig ausgelebt werden. Es kann mit der Lust auf Angst, Gefahr und Risiko experimentiert werden, ohne sich vor den Folgen fürchten zu müssen. In der Populärkultur stehen häufig das Groteske, das „Über-SichHinauswachsen“ und das Besondere im Vordergrund. Dies sieht man am sogenannten Thrill, den Horrorfilm-Fans beim Genuss solcher Filme verspüren15 genauso, wie viele ComputerspielerInnen eine „Angstlust“ beim Spielen von Horror- oder Gruselspielen verspüren. Die in den Spielen ausgeführten Aktionen können gesellschaftliche Konventionen und Tabus brechen und faszinieren deshalb umso mehr. Doch kann die Suche nach solchen Befriedigungen in den Spielen dazu führen, dass SpielerInnen die erlebten „Thrills“ und Rauschzustände immer häufiger genießen wollen und die Verwirklichung und Erzeugung von Hochgefühlen vermehrt in den Spielwelten abseits des realen Lebens suchen. Dies geschieht vor allem dann, wenn das reale Leben die notwendigen Abwechslungen und Abenteuer nicht mehr bieten
13 Vgl. Hall, S.: Metaphern der Transformation, S. 119-121. 14 Vgl. Caillois, R., Man, Play and Games, S. 23-27. 15 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies u. Medienanalyse, S. 75.
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kann, während Computerspiele virtuelle, spannungsgeladene Abenteuerwelten präsentieren. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Phänomen Spielen aus heutiger Sicht tief in unserer Kultur verwurzelt ist. Während frühere pädagogische Ansätze das Spielen vor allem als Abschnittsphänomen des Kindeszeitalters sahen und funktionalistische Erklärungsmuster bereithielten (Spiel als notwendiges Lernen fürs Leben, Spiel als Triebabbau, etc.), beschreiben Autoren wie Huizinga und Caillois Spielen aus phänomenologischer Sichtweise.16 Eine Untersuchung des Phänomens Spiel bedarf unterschiedlichster Annäherungsweisen und Erklärungsmuster. Ein Modell für sich alleine genommen wird der dem Spiel innewohnenden Komplexität nicht gerecht. Es sind nicht alle kulturellen Vorgänge in einer Gesellschaft auf das Spiel rückzuführen, wie Huizinga darzustellen versucht.17 Genauso wenig ist das Spiel ein abgeschlossenes System, das unabhängig der Arbeits- und Alltagswelt funktioniert. Dies würde zwar die Erklärungsmodelle einzelner Spielkomponenten vereinfachen, allerdings fehlt dann die Verbindung zwischen der Mikroansicht innerhalb der Spielsphäre und der kulturellen und sozialen Makroebene. Genau diese Beziehungen sind aber für die Kulturanthropologie am interessantesten. Sybille Krämer sieht daher Spiele als eine Sonderform von Bewegung und Tätigkeit. Um der Vielfältigkeit der Spielformen und Möglichkeiten der kulturellen Verflechtungen und Praxen gerecht zu werden, schlägt sie vor, das Spiel als eine Perspektive zu sehen, in deren Blickwinkel alle möglichen Formen und Variationen betrachtet werden können.18 Roger D. Abrahams meint passend dazu: „No concept […] allows us to understand fully enough the role of play, of having fun and making fun; nor can we comprehend the process of celibration with sufficient fullness and clarity“.19
Spiele sind aber auch ein Spiegel der Gesellschaft. In ihnen werden daher nicht nur die positiven Aspekte der realen Welt transformiert, sondern auch die negativen, wie Krieg, Angst, Horror und Terror. Spiele können nicht unabhängig von der Gesellschaft erklärt werden in der sie stattfinden, sondern sie sind ein Raum zur Verarbeitung realer gesellschaftspolitischer Problematiken. Sie sind deshalb weder
16 Nachzulesen in Huizinga, J., Homo Ludens, 1996 und Caillois, R., Men Play and Games, 2001. 17 Siehe dazu Huizinga, J., Homo Ludens, S. 211ff. 18 Vgl. Krämer, S., Die Welt, ein Spiel?, S. 16-17. 19 Abrahams, D.R., Ordinary and Extraordinary Experience, S. 68.
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schlechter noch besser als das reale Umfeld in dem gespielt wird.20 In diesem Zusammenhang müssen wir in weiterer Folge die große Anzahl an Kriegs- und Shooter-Spielen betrachten. Die Pädagogen und Computerspielexperten Norbert Meder und Johannes Fromme betrachten die Spielwelten zunächst aus der Entwicklung des Kinderspieles heraus. Spielwelten sind Zwischenwelten, sie stehen in einem Spannungsverhältnis zwischen der gegenständlichen und der psychischen Welt. Im Spiel von Kindern werden laut ihnen vorwiegend jene Tätigkeiten verarbeitet, welche die Kinder bei den Erwachsenen sehen und die sie gerne auch machen würden, aber selbst noch nicht durchführen können. Um Autofahren zu können, muss nach Meder und Fromme die Fantasie gegebenenfalls unterstützt mit einem Spielzeugauto ein entsprechendes Spiel konstruieren. Spielzeug hilft den spielenden Menschen das Spiel sinnlich erfahrbarer zu machen. Somit haben Spiele nach Meder und Fromme immer den Grundzug einer Simulation.21 Dies trifft in diesem Sinne auch für die Computerspiele zu. Jedoch vermittelt und simuliert der Computer eine gesamte Spielwelt, während z.B. das oben angesprochene Spiel mit dem Spielzeugauto auf einen weit höheren Teil an Imaginationskraft der spielenden Menschen aufbaut. Computerspiele erzeugen nicht nur eine medial vermittelte Welt im Sinne einer Sinneswahrnehmung, sondern integrieren und simulieren auch die Handlungen der SpielerInnen in diese Welt. Das gegenständliche Spielzeug wird ersetzt durch simulierte Objekte wie Flugzeuge, Autos, oder der/die SpielerIn wird selbst als virtuelle Stellvertreterfigur in der Spielwelt simuliert. Entscheidend ist für Meder und Fromme das veränderte Verhältnis von SpielerInnen zu Spielzeug und Spielwelt. Computerspielwelten sind nicht mehr, wie im herkömmlichen Spiel, als Zwischenräume und Überbrückungsbereiche zwischen gegenständlicher Welt und psychischer Welt zu denken, sondern als medial vermittelte Simulationen des Spielraumes.22 Ein weiterer wichtiger Aspekt, der Computerspiele auszeichnet, ist die „Zwecklosigkeit“ des Spieles. Damit unterscheiden sich Computerspiele auch sehr konkret vom Glücksspiel z.B. auf Spielautomaten. Beim Glücksspiel geht es um Geld und dem Traum, mit Hilfe des Spieles das reale Einkommen zu verbessern. Computerspiele verfolgen diesen Zweck nicht, sondern liefern Befriedigungen aus dem Spiel selbst heraus: Entscheidend ist die Dynamik der Herausforderung und Überwindung der gestellten Aufgaben, die letztendlich die Spannung garantieren.23
20 Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welten, S. 23. 21 Vgl. Meder, N. und J. Fromme, Computerspiele u. Bildung. Zur theoretischen Einführung, S. 19-20. 22 Vgl. Ebda, S. 20-21. 23 Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welten, S. 24.
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Laut Brian Sutton-Smith transformieren Spiele die alltägliche Umwelt: Sie übernehmen Ordnungs- und Unordnungsstreben ihrer gesellschaftlichen Umgebung und wandeln diese in unterschiedlichsten Weisen um. Sie sind ebenso Ausdruck von Machtstrukturen und ökonomischen Faktoren und festigen und stabilisieren die Stellung der Ordnung und Macht. Sie können aber auch Ausdruck der Unordnung, Unsicherheit und dem Wunsch nach Wandel sein.24 Spiele bewegen sich somit laut Adamowsky zwischen einem Geflecht aus Ernsthaftigkeit, Übung, Lehrhaftem, Geduld auf der einen Seite und auf der anderen Seite beinhalten sie Elemente der Anarchie, der Improvisation, des Impulsiven. Zwischen beiden Polen bilden sich Erfahrungsmuster, die zwischen Alltagswelt und Spielwelt interferieren.25 Der Technikphilosoph Vilem Flusser beobachtete die Entwicklungen rund um die neuen Medien mit kritischem Blick. Der aktuelle Umgang mit Computer und Computerspielen veranlassen ihn, ein neues Menschenbild für die Zukunft der Informationsgesellschaft zu zeichnen. Für ihn entwickelt sich der Mensch mit Hilfe der elektronischen Apparate zum Homo Ludens, einem Wesen, das sich durch elektronische Geräte definiert, in digitalen Simulationen verhaftet ist und für den das Spiel und der Genuss an erster Stelle stehen.26 Dieser Homo Ludens hat wohl wenig mit dem Bild von spielenden Menschen eines Huizinga bzw. Caillois gemein und zielt auf eine Vision einer möglichen Zukunft, in der unsere Leben noch intensiver mit der Informationstechnologie verschmilzt. Allerdings berücksichtigen diese Visionen nicht die Ungleichheiten der Menschen, die es leider auch in Zukunft geben wird. Eine digitale, spielerische Verschmelzung mit der Informationstechnologie wird es, sollte es tatsächlich so weit kommen, wohl nicht für alle Bevölkerungsschichten geben.
Z UR K ULTURGESCHICHTE
DER
T ECHNIK UND M EDIEN
Zur Kulturgeschichte der Technik Die Entwicklung der modernen Gesellschaft ist eng mit der Geschichte der Technisierung verbunden. Ab dem 18. Jahrhundert steigt die Entwicklung der technischen Hilfsmittel im Zuge der Industrialisierung rapide an. Es folgte eine Mechanisierung und Rationalisierung der Arbeits- und Lebenswelten, der Fortschrittsglaube der Aufklärung wurde zur treibenden Kraft im Denken der Eliten. Im Zentrum standen
24 Vgl. Sutton-Smith, B., Dialektik des Spieles, S. 82ff. 25 Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welten, S. 31-33. 26 Vgl. Flusser, V., Medienkultur, S. 188.
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die Warenproduktion und der Kapitalkreislauf.27 Erste Gegenbewegungen zur rasenden Mechanisierung und damit einhergehenden Bürokratisierung mündeten in der Romantik und einer Idealisierung der Natur, wie man sie u.a. bei Rousseau oder Herder findet.28 Aber bereits David Hume, einer der bedeutendsten Philosophen der Aufklärung, kritisierte die rasante wirtschaftliche und naturwissenschaftliche Entwicklung mit ihren Geistesströmungen seiner Zeit.29 Bis vor dem 1. Weltkrieg stand die Maschine als Metapher für das mechanisierte Denken in der industriellen Gesellschaft. Sie diente zur funktionalistischen Beschreibung von Naturprozessen und menschlichem Verhalten. Das Maschinenmodell wurde in der tayloristischen30 Arbeitsorganisation der modernen Industrie am wirksamsten umgesetzt. Arbeit muss nach einem strikt festgelegten Plan und Takt funktionieren, der Mensch wurde dabei zum untergeordneten Teil der Maschine. Mit Hilfe der rationalisierten Bewegungsabläufe im Fabrikationsbereich, die durch den Taylorismus entstanden sind, wurde im Folgenden die körperliche Arbeit nach und nach durch Maschinen ersetzt und die Produktion mittels Fließbänder seit Henry Ford31 rationalisiert.32
27 Vgl. Giedion, S., Herrschaft der Mechanisierung, S. 50-51. 28 Siehe dazu u.a. Rousseau, Jean Jaques: Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen, Frankfurt: Reclam 1998 und Herder, Johann Gottfried: Ideen zur Philosphie der Geschichte der Menschheit, München: 2002 (Werke Band III). 29 David Hume übte Kritik am traditionellen Verständnis der Naturgesetze und am Merkantilismus seiner Zeit. Er analysierte das Zustandekommen von Erkenntnis aus Erfahrung. Naturgesetze leiten sich laut ihm aus gewohnheitsmäßigen Verknüpfungen von Ursachen ab, eine sogenannte „Unvollständige Induktion“. Die Rechtfertigung dieser Gesetze hat nur eine gewohnheitsmäßige Rechtfertigung, keine logische. Damit kritisierte er schon früh das Zustandekommen von Gesetzmäßigkeiten. Bezüglich der Ökonomie sollte das wirtschaftspolitische Ziel nicht der Reichtum des Staates sein, sondern der BürgerInnen. (Vgl. Brockhaus: Die Enzyklopädie in 24. Bänden, HERR-ISS, Bd. 10, S. 318). 30 Der sogenannte Taylorismus leitet sich vom Nachnamen Frederick Winslow Taylors ab, einem amerikanischen Ingenieur und Betriebswirt, der eine nach ihm benannte Betriebsführung entwickelte, in der sämtliche Arbeitsverfahren und Abläufe möglichst rationell und zeitsparend durchzuführen sind. Arbeiter wurden in ihren Bewegungsabläufen wie Maschinen gemessen, sämtliche Handgriffe durchrationalisiert. Im Taylorismus offenbart sich der Höhepunkt der Idee einer Mechanisierung der menschlichen Arbeitskraft zwecks Gewinnmaximierung. Siehe dazu auch Pias, C., Computerspielwelten, S. 29-40. 31 Henry Ford führte kurz nach der Jahrhundertwende die Fließbandarbeit in seinen Fabriken ein, durch die er sein ersten Auto, den Ford T, günstig und für die breiten Bevölkerungsschichten leistbar produzieren konnte. Es war das erste Automobil für die Massen-
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Bis in die 1950er Jahre des 20. Jahrhunderts bestimmten die maschinelle Produktion und arbeitsteilige Vorstellungen von Rationalität und Effektivität den Alltag der Menschen. Die elektronischen und chemischen Technologien waren der Fortschrittsmotor. Die rasante Verbreitung der Telekommunikationsmedien (TV, Radio) führte zu einer steigenden Bedeutung der Unterhaltungsindustrie. Die Maschine, die vormals mit der industriellen Fließbandproduktion und steigenden Bürokratisierung assoziiert wurde und als ein funktionierendes technisches und organisatorisches Herrschafts- und Ordnungsprinzip gesehen wurde, erhielt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts neue Assoziationen: Sie wurde auch zur Metapher und Motor für Zerstörung und Unterwerfung.33 Die Weltkriege führten den Menschen die möglichen Auswirkungen der Technik auf schreckliche Weise vor. Insbesondere die Vernichtungsindustrie der Nationalsozialisten in den deutschen Konzentrationslagern und nicht zuletzt die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zeigten das Vernichtungspotential der Technisierung auf. Das Töten und Morden wurde mit Hilfe der Maschinen rationalisiert. Theodor Adorno und Max Horkheimer beschrieben in ihrem Werk „Die Dialektik der Aufklärung“, wie die Totalisierung der aufklärerischen Rationalität und die absolute Beherrschung der Natur zu einer Logik der Beherrschung und Unterdrückung der Menschen führte und in der mechanisierten Vernichtungsmaschinerie der Nazis gipfelte.34 Ulrich Beck bezeichnete schließlich in seinem Buch „Die Risikogesellschaft“ unsere Gesellschaft als eine Gesellschaft auf dem „zivilisatorischen Vulkan“. Eine unsichere, durch Natur- und Technikkatastrophen gefährdete Gesellschaft, die sogar in der Lage ist, sich selbst zu vernichten.35 Die Technik wird dabei nicht mehr als Mittel zur emanzipatorischen Verwirklichung einer humanistischen Gesellschaft gesehen, sondern als unkalkulierbares Risikopotential. Trotz der kurzzeitigen Neo-Technikbegeisterung und des durch den enormen wirtschaftlichen Aufschwung unterstützten Fortschrittsglauben der Nachkriegszeit sind die technophilen, positivistischen Zukunftsvisionen spätestens nach den kulturellen und gesellschaftlichen Umbrüchen in den 1960er und 1970er von aufkom-
produktion. Die menschliche Arbeit wurde dadurch aber in viele einzelne Produktionsschritte zerlegt, die auch ungelernte Arbeitskräfte beherrschen konnten. Nur noch wenige Facharbeiter waren notwendig. Es folgte somit eine Entwertung der Arbeitsleistung und des Lohnniveaus, neben einer zusätzlichen Rationalisierung des Fabrikbetriebes im Personalbereich. 32 Vgl. Schelhowe, H., Von der abstrakten Maschine, S. 17-19. 33 Vgl. Faßler, M., Mensch, Macht, Maschine, S. 22 u.23. 34 Siehe dazu: Adorno, T. u. Horkheimer, M., Die Dialektik der Aufklärung, 2011. 35 Vgl. Beck, U., Risikogesellschaft, S. 29-30.
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menden Zweifeln gegenüber dem technisierten Umfeld in Frage gestellt worden. Verstärkt wurde diese Entwicklung durch die ökologischen Krisen und das Entstehen der grünen Bewegung in den 1980er Jahren. Dieses Unbehagen rührte einerseits von einem Gefühl, gegenüber dem technologischen und bürokratischen System ausgeliefert zu sein und andererseits von dem Unvermögen, die komplexen Vorgänge hinter der technischen Kulisse zu entschlüsseln. Kritik an Fortschritt und Technisierung äußert sich nicht zuletzt an einer Kritik der Moderne. Ina Maria Greverus beschreibt in ihrem Buch „Neues Zeitalter oder verkehrte Welten“ die Symptome eines „Molochs“ Moderne und seine Auswirkungen auf die Menschen. Der Mensch entfremdet sich immer weiter von der Natur. Die Gesellschaft übernimmt die Kontrolle in sämtlichen Bereichen des Lebens und lässt kaum Eigenverantwortung für die Menschen zu. Eingebettet in ein bürokratisches System, dessen Logik er nicht versteht und dessen Wirkungen auf die Menschen nicht mehr kausal erklärbar sind, verliert der Mensch die Sinnzusammenhänge in seinem Leben. Es kommt zu einer Unterproduktion von Sinn.36 Gründe für Kündigungen und Betriebsschließungen können zum Beispiel den MitarbeiterInnen nicht mehr plausibel dargestellt werden, da sie weder aus Fehlleistungen der ArbeitnehmerInnen oder nachvollziehbaren notwendigen finanziellen Gründen durchgeführt werden. Alleiniger Grund ist oft das Auf und Ab am Kapital- und Aktienmarkt, dessen Ursachen im undurchsichtigen Bereich der Finanz-Spekulation zu suchen sind.37 Für Fredric Jameson ist Technik und Technologisierung eine Kraft wider die Natur, eine entfremdende Macht, die die Menschen aus ihren alltäglichen Lebens- und Sinnzusammenhängen reißt.38 Die Wissenschaft selbst, anfänglich ein Symbol für die Aufklärung und Vernunft, büßt nun diese Rolle ein. Zu viele Katastrophen haben sich im Namen von Fortschritt und Wissenschaft im vergangenen Jahrhundert ereignet. An ein Einlösen des Versprechens und der Utopie einer perfekten Gesellschaft durch Fortschritt und Technologie glauben immer weniger Menschen. Das ExpertInnen- und SpezialistInnentum in einer bis zum Übermaß arbeitsteiligen Gesellschaft führt dazu, dass die Menschen nur innerhalb ihres engen Arbeitsbereiches ExpertInnen sind, andere Bereiche aber unhinterfragt akzeptieren müssen.39 Kaum jemand kann durch die rasante technische Entwicklung die Arbeitsweisen der alltäglichen Geräte und Maschinen begreifen und erklären, man verlässt sich auf das Funktionieren derselben. Man könnte dabei durchwegs meinen, dass Maschinen und Technik als Magie angesehen werden; als etwas, das nicht verstanden wird, aber an das zu
36 Vgl. Greverus, I.M., Neues Zeitalter oder verkehrte Welt, S 62-90. 37 Vgl. Beck, U., Risikogesellschaft, S.139-159. 38 Vgl. Jameson, F., Postmoderne. Zur Logik der Kultur des Spätkapitalismus, S. 78. 39 Vgl. Giddens, A., Jenseits von Links und Rechts, S. 120ff.
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glauben ist.40 Der Medienphilosoph Vilém Flusser sieht in der westlichen Kultur das Universum der Naturwissenschaften als wesentliches Programm für die Orientierung der Menschen. Wird nun dieses Universum als obsolet und spekulativ betrachtet, muss das Programm zurückgenommen werden. Da sich die westliche Kultur darin erschöpft, bedeutet dies eine Glaubenskrise für die Menschen. Diese Sinnkrise ist ein Ausdruck der Kulturkrise, die Flusser heute diagnostiziert.41 Die Hightech- und Informationstechnologien bestimmen heute das wirtschaftliche Wachstum. Die seit der Erfindung des Computers in den 1950er Jahren immer ausgereifteren Informations- und Kommunikationssysteme sind die technische Basis dieser Entwicklung. Begleitet wird dieser Vorgang von einem Niedergang der alten, auf Maschinen basierenden Produktion, von Flexibilisierung und Arbeitsteilung sowie von der Auslagerung der Produktion und den entsprechenden Konsequenzen (Arbeitslosigkeit, Lohndumping, etc.) für die betroffenen ArbeiterInnen in der Produktion. Der Konsum wird die beherrschende Wirtschaftskraft und dementsprechend wichtig sind Produktverpackungen und Produktmarketing. Die Wirtschaft wird von wenigen multinationalen Konzernen dominiert, die nationale staatliche Kontrolle dieser Konzerne versagt.42 Im Gegensatz dazu agiert die Politik
40 Selbst jene Wissenschaftsbereiche, die sich rühmen, streng nach den Kriterien einer Falsifizierung zu arbeiten (wie z.B. die Physik), müssen zugeben, ihre Grundlagen auf Annahmen und Modellkonstruktionen nach Wahrscheinlichkeiten aufzubauen. Dies gilt in erster Linie für die Teilchen- bzw. Quantenphysik. Benjamin Woolley arbeitet in seinem Buch „Die Wirklichkeit der virtuellen Welten“ diese Problematik auf. Lichtteile müssen gleichzeitig als Teile und als Wellen gedacht werden, um ihrer atomaren Modellbeschreibung gerecht zu werden. Die Position jedes subatomaren Teilchens kann nur durch Wahrscheinlichkeiten beschrieben werden. Der Wechsel der Position kann nicht nachvollzogen werden, ein sogenannter Quantensprung findet nach einer gewissen Wahrscheinlichkeit statt, oder eben nicht (Heisenbergs Unschärfe Relation). In einer wissenschaftlichen Versuchsanordnung kann nur das Ergebnis des Sprunges beobachtet werden, nicht aber der Sprung selbst. Dies impliziert, dass das Ergebnis abhängig von/m der BeobachterIn ist, und sich die Welt nur durch die Wahrnehmung erschließt (siehe dazu: Woolley, B., Die Wirklichkeit virtueller Welten, S. 230-233). Damit droht, dass die Wissenschaft ins Spekulative gedrängt wird. Trotz massiver Angriffe auf die Quantentheorie, etwa seitens Albert Einstein, der sich um die Einheit der Wissenschaft und den Realitätsbegriff sorgte, bleibt die Quantentheorie eine bis heute angewandte Theorie, um atomare Vorgänge erklären zu können (siehe dazu: Woolley, B., Die Wirklichkeit virtueller Welten, S. 234ff). Sie dient auch als Ausgangspunkt der philosophischen Diskurse des Konstruktivismus. 41 Vgl. Flusser, V., Medienkultur, S. 39. 42 Vgl. Hall, S., Die Bedeutung neuer Zeiten, S. 79-80.
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vermehrt im Interesse der Großkonzerne, deren Fokus auf Gewinnmaximierung liegt.43 Die Idee eines sozialen Wohlfahrtstaates verschwindet hinter den Paradigma der kapitalistischen Marktwirtschaft.44 Entscheidend für eine Betrachtung der Technikentwicklung ist der enorme Einfluss, den die Technologien auf das menschliche Dasein und das Denken ausüben. Laut Neil Postman müssen wir Technik und Technologisierung als machtvolle Ideologie begreifen, die uns prägt und verändert. Sie bringt sozialen Wandel mit sich, schafft Umbrüche und Transformationen. Dabei dürfen wir sie niemals als neutral betrachten und in ihr im Sinne einer blinden Fortschrittsgläubigkeit eine treibende Kraft für die Lösung aller Probleme sehen.45 Vielmehr gilt es, die Risiken einer ungebremsten Technologisierung für Gesellschaft, Kultur und Natur zu erkennen. Zur Kulturgeschichte der Medien Die Entwicklung der Medien geht Hand in Hand mit dem technologischen Fortschritt. Die Verbreitung von Büchern und Zeitungen als Massenmedium wäre ohne die Erfindung des Buchdrucks von Gutenberg nicht möglich gewesen. Gleiches gilt für Radio, Fernseher und letztendlich den Computer. Kommunikation und Information sind die zentralen kulturellen und gesellschaftlichen Elemente der heutigen Mediengesellschaft. Eliten und MachthaberInnen nutzten schon immer die Möglichkeiten der Medien für die Verbreitung gewünschter Informationen bzw. Desinformation. Als der Buchdruck schließlich die Zeitungen hervorbrachte, war das erste Massenmedium geschaffen, das die Möglichkeit bot, unzählige Menschen anzusprechen und mit Ideologien zu versorgen. Sobald neue Kommunikationsträger erfunden wurden, geschah diese Einvernahme durch die MachthaberInnen auf ähnlich rasche Weise. Höhepunkt dieser Entwicklung war die „Gleichschaltung aller Medien“ zur Zeit der Nationalsozialisten. Geschickt nutzten sie die Breitenwirkung und Faszination des neuen Mediums Radio und des Kinos aus, um zensurierte Informationen und Propaganda zu verbreiten, und damit letztendlich die Kontrolle in ihrem Terrorregime zu erhalten. Hier offenbarte sich die Einseitigkeit der Kommunikationskanäle, indem die EmpfängerInnen wenig Einfluss auf die Produktion des Programms hatten und keine Möglichkeit besaßen, diese Kanäle ihrerseits zu nutzen. Schon Bertolt Brecht bezeichnete 1932 den Rundfunk als reinen Distributionsapparat, der in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln wäre, um einen Austausch zwi-
43 Vgl. Chomsky, N., Profit over People, S. 22. 44 Vgl. Chomsky, N., Globalisierung im Cyberspace, S. 66-67. 45 Vgl. Postman, N., Wir amüsieren uns zu Tode, S. 191-192.
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schen Sender und Empfänger zu gewährleisten. Ziel wäre eine Demokratisierung der breiten Masse und Möglichkeiten zur politischen Mitbestimmung. Ähnliche Ansprüche wurden Jahrzehnte später an das Internet gestellt und blieben im selben Maße beinahe unerfüllt.46 Durch die Schrecken des 2. Weltkrieges und der Propagandamaschinerie der Nationalsozialisten, sowie den Vormarsch des Fernsehers in die amerikanischen Haushalte und die Alltagskultur der Menschen in den darauf folgenden 1950er Jahren, wurden die kulturkritischen und kulturpessimistischen Analysen der Frankfurter Schule rund um Adorno und Horkheimer geprägt. Für Theodor Adorno waren die Medien und dahingehend besonders das Fernsehen mit den Filmen aus Hollywood und das Radio ein Ausdruck einer Kulturindustrie, die die Menschen manipuliert und von ihr abhängig macht. Medien bieten laut Adorno eine Ersatzbefriedigung und lenken von der Realität ab. Die Menschen werden durch sie zu einer unmündigen Masse. Adorno geht sogar soweit, dass er durch den Medienkonsum das Niveau der Erwachsenen sinken sieht und mit der Entwicklungsstufe von Kindern vergleicht.47 Ähnliche Kritiken betreffen heute auch die Computerspiele. Ihr Gebrauch wird oft ebenfalls mit kindischem bzw. pubertärem Verhalten gleichgesetzt. Ausgehend für Theodor Adornos Medienkritik war seine kritische Betrachtung der Kulturindustrie, die den wahren Wert der Kunst durch die Möglichkeit der industriellen Reproduktion und Vervielfältigung zerstört. Die Kulturindustrie strebt laut ihm nur noch Profitmaximierung an, die Autonomie der Kunstwerke wird beseitigt, sie sind nur noch bezugslose Waren für die Masse.48 Was einerseits eine berechtigte Kritik am industrialisierten Kulturbetrieb und seine ökonomischen Auswüchse darstellt, offenbart andererseits ein elitäres Denken über Kunstverständnis, das einen beschränkten Zugang zur Kunst und Hochkultur impliziert und eine tiefe Abneigung gegenüber Populärkultur. Auch Computerspiele wären im Sinne Adornos als Massenprodukte dieser von ihm kritisierten Kulturindustrie zu begreifen. Aus den Methoden der Literaturanalyse entwickelte sich in den späten 1950er Jahren ein neues Bild von Kultur und Medien, deren vielschichtige Forschungszugänge heute unter dem Begriff der Cultural Studies weit verbreitet sind. Fokus der Analyse war nicht mehr die Hochkultur der Eliten, sondern die von der damaligen Kulturwissenschaft gemiedene und kritisierte Populär- und Massenkultur. Die ge-
46 Vgl. Brecht, B., Der Rundfunk als Kommunikationsapparat, S. 259 und Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 47. 47 Vgl. Adorno, T., Resümee über Kulturindustrie, S. 208. u. siehe in diesem Zusammenhang auch: Lackner, T., Flucht in digitale Scheinwelten, S. 36. 48 Vgl. Adorno, T., Resümee über Kulturindustrie, S. 203-204.
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lebte Erfahrung der Menschen („lived experiences“)49 und die Gestaltung des Alltags, sowie Lebens-, Freizeit- und Arbeitsrituale wurden Ausgangspunkt wissenschaftlicher Analyse. Kultur wurde als „whole way of life“ begriffen.50 Im Gegensatz zur Frankfurter Schule wurde die Massenkulturproduktion der Kulturindustrie nicht prinzipiell negativ gedacht. Den KonsumentInnen der Medienproduktion wurde ein kritisches Potential zugestanden, sie wurden nicht mehr als passive, manipulierte EmpfängerInnen von medialen Botschaften gesehen. Ein methodischer Zugang der Cultural Studies war im Strukturalismus zu finden, der ausgehend von Claude Levi-Strauss51 und Roland Barthes52 als eine Analyse auf alle Aspekte der menschlichen Kultur angewendet wurde. Man ging davon aus, dass kulturelle Systeme aus Zeichen, Formen und Symbolen bestehen, die durch ForscherInnen entschlüsselt und gelesen werden können und dadurch Rückschlüsse auf das Funktionieren der Gesellschaft und ihrer Struktur ermöglichen. Als Grundlage des linguistischen Strukturalismus dienten die Arbeiten von Saussure,53 der schon in den 1910er Jahren die Sprache als symbolische Ordnung auffasste und sie System von Zeichen beschrieb.54 Stuart Hall bezeichnet als das Ausschlaggebende an diesem Schritt die Entdeckung der Diskursivität und der Textualität für die Kulturwissenschaften. Die Sprache als Träger der Symbole und Zeichen wird zu einer entscheidenden Größe für die Beschreibung einer Kultur, ebenso der Text und die Textualität als Quelle von Bedeutungen, die im ständigen Kampf um Anerkennung im kulturellen System stehen. Die Vielfalt der möglichen Bedeutungen kultureller Texte wird laut ihm betont, ebenso die herrschenden kulturellen Machtverhältnisse, welche die Bedeutungen zu dominieren versuchen.55 Als kulturelle Texte kann man sämtliche Äuße-
49 Richard Hoggart prägte den Zugang der “Lived Experience” für die Cultural Studies. Die gelebte Erfahrung der englischen Arbeiterkultur zwischen 1900 und 1950 diente als authentische Quelle für sein Grundlagenwerk „The Uses of Literacy. Aspects of the Working Class Life“. Siehe dazu: Hoggart, R., The Uses of Literacy, S. 85ff. 50 Dieser Begriff wurde von Raymond Williams geprägt. Sein Werk „Culture and Society 1780-1950” gilt neben Richard Hoggart´s „Uses of Literacy” als Grundlagenwerk der Cultural Studies. Kultur als umfassende Lebensweise aufzufassen ist bis heute eine Prämisse der Cultural Studies. Siehe dazu: Williams, R., Culture and Society, S. 16-17. 51 Siehe dazu Levi-Strauss, C., Das Wilde Denken, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2010 und Levi-Strauss, C., Mythlogica I, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2009. 52 Siehe dazu Barthes, R.: Die Lust am Text, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2009 und Barthes, R.: Die Mythen des Alltags, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2011. 53 Siehe dazu Saussure, F., Grundfragen der Allgemeinen Sprachwissenschaft., S. 76ff. 54 Vgl. Lutter, C., Cultural Studies, S. 65-66. 55 Vgl. Hall, S., Das theoretische Vermächtnis der Cultural Studies, S. 45.
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rungen einer Kultur bezeichnen, so auch die Medien und letztendlich die Computerspiele. Der Blick auf die Populärkultur führte zu einem vermehrten Interesse für die Analyse von Medienprodukten und deren Rezeption. Die Untersuchungen wurden nach dem „bottom up“ Prinzip durchgeführt, d.h. die kulturwissenschaftliche Forschung begann direkt in der zu untersuchenden Gesellschaftsschicht mit Hilfe von Feldforschung, Interviews und teilnehmender Beobachtung.56 Mit Hilfe der mit diesen Methoden ermittelten Forschungsergebnisse wurde dann ein Theoriekonzept erstellt. Ab den 1970er Jahren rückte die Aneignung der Medienprodukte in das Interesse der Kulturwissenschaft. Im Zuge der Erforschung der Jugendkulturen konnten die Studien der Cultural Studies kreative Aneignungsvorgänge der medialen Produkte feststellen. Durch Neuordnung und Retextualisierung der medialen Elemente erwiesen sich die KonsumentInnen als aktive GestalterInnen.57 Nach Andreas Hepp stellt diese „Bricolage“58 der medialen Produkte eine Ausdrucksmöglichkeit dar. Es kann damit aber auch eine Form des Widerstands gegenüber den hegemonialen Diskursen ausgedrückt werden. Mediale Texte beinhalten unzählige Bedeutungsmöglichkeiten, die erst im Zuge der Aneignung durch die KonsumentInnen ihre spezifische Wirkung erfahren. Dadurch sind mediale Texte offen und nicht abgeschlossen. Medien sind laut ihm ein wesentlicher Baustein der Populärkultur. Sie beeinflussen die Menschen in der Bildung ihrer Identitäten und wie sie diese ausdrücken. Genauso definieren die Menschen auch über die Medien ihre Beziehungen zu anderen und ihre Position in der Gesellschaft.59 Ein wichtiges Erklärungsmodell für den Kommunikationsprozess zwischen den Medien und den Menschen war das 1973 entwickelte „Encoding/Decoding-Modell“ von Stuart Hall, welches nachfolgend immer wieder adaptiert und verbessert wurde. Hier wurden erstmals die „Behavorismen“-Modelle kritisiert und abgelehnt, die von einem kausalen und vorhersehbaren Einfluss im Sinne einer „Stimulus-Response“Erklärung zwischen Medienprodukt und RezipientInnen ausgingen. Medienkommunikation wird im Sinne Halls stets als Prozess zwischen Sender und Empfänger gedacht. Die institutionelle Struktur der Sender wird mitberücksichtigt, genauso wie Produktions- und Organisationsstrukturen, Berufsideologien, Annahmen über Pub-
56 Vgl. Lindner, R., Die Stunde der Cultural Studies, S. 60-61. 57 Vgl. Ebda., S. 63-64. 58 Bricolage ist ein Begriff, der von Claude Levi-Strauss in die Kulturwissenschaft eingeführt wurde und bezeichnet das flexible Kombinieren von Versatzstücken einer oder mehrerer Kulturen zur Erzeugung eines spezifischen Lebensstiles. (siehe dazu: LeviStrauss, C., Das Wilde Denken, S. 30ff.) 59 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 11 u. siehe dazu auch Lackner, T., Flucht in digitale Scheinwelten, S. 37.
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likumsinteressen, etc. Erst beim „Decoding“ des Empfängers wird laut Hall dem medialen Diskurs eine spezifische Bedeutung zugeführt.60 Im medialen Diskurs finden sich unterschiedliche Möglichkeiten der Lesarten für die Menschen. Es gibt die dominant-hegemoniale Position, die gewünschte Lesart des Senders und der GeldgeberInnen im Hintergrund, die aber im Medienprozess abgewandelt wird und somit zu einer ausverhandelten Lesart umstrukturiert werden kann. Möglich sind auch völlig konträre Lesarten durch die EmpfängerInnen. Für die Analyse eines Medientextes muss daher der gesamte soziokulturelle Rahmen einbezogen werden, in dem er lokalisiert ist.61 Neben der Medienanalyse der Cultural Studies, auf die im Analyseteil dieser Arbeit noch genauer eingegangen wird, gibt es aktuell unzählige medienphilosophische Ansätze, die einen Blick auf unsere mediatisierte Gesellschaft werfen. Ich möchte in weiterer Folge exemplarisch die zentralen medienkritischen Ansätze von Vilem Flusser, Jean Baudrillard, Pierre Bourdieu und Neil Postman aufgreifen: Vilem Flusser bezeichnet unsere heutige wahrnehmbare Umgebung als „Bilderwelt“. Die menschliche Wahrnehmung und das historische Bewusstsein sind aber noch auf die Schrift und das Alphabet codiert.62 Jahrhunderte lang, seit der Erfindung des Buchdrucks und der massenhaften Verbreitung von Büchern, wurde laut ihm die Vorherrschaft der Texte gegenüber den Bildern als ein Sieg der Wissenschaft über die Magie gefeiert. Nun kehrt durch die Technobilderwelten im Fernsehen und am Computer die Macht der Bilder wieder zurück. Der Mensch begegnet ihnen aber laut Flusser mit den unzureichenden Mitteln einer alphabethischen Codierung, was zu einer kulturellen Krise der Werte führt.63 Für Vilem Flusser besteht die Gefahr darin, dass die Menschen die Bilder als objektiv richtig und wahr einstufen. Die heutige inflationäre Bilderflut, sowie die Schnelligkeit der Bilder, schließt von der Seite des Senders her eine kritische Einstufung durch die EmpfängerInnen aus. Die FernsehzuschauerInnen beispielsweise vergessen laut Flusser die Kette von ProduzentInnen, die hinter den Programmen stehen und die gewünschten Botschaften, die verbreitet werden. Sie glauben an eine direkte, objektive Vermittlung des Geschehens, ohne die Intentionen der Produktionsfirmen zu berücksichtigen.64 Medien werden laut ihm politisch genutzt, sie erhalten eine ungeheure Macht. Ereignisse finden nur deshalb statt, um in den Medien zu erscheinen (Mondlandung, Terroranschläge). Flusser spricht dabei vom „Anfang vom
60 Vgl. Hall, S., Kodieren/Dekodieren, S. 92-100. 61 Vgl. Ebda., S. 103-110. 62 Vgl. Flusser, V., Medienkultur, S. 26. 63 Vgl. Ebda., S. 27-28. 64 Vgl. Ebda., S. 76-108.
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Ende der Geschichte“, die keinen linearen Ablauf mehr hat, sondern nur als Input für die Bildproduktion dient.65 Die Gesellschaft stellt sich laut Flusser als ein Informationen speicherndes und Informationen erzeugendes Gewebe dar. Dieses Gewebe besteht aus Fäden, über die Informationen strömen. Man nennt diese Fäden Kanäle oder Medien. Menschen sind in diesem Gewebe Knotenpunkte, die radikal gedacht nur ein Ausdruck von Informationsverhältnissen sind.66 Mit diesem Menschenbild argumentiert Flusser ganz im Sinne des Konstruktivismus, für den die Wirklichkeit nur eine Frage der Informationsmöglichkeit darstellt. Damit wird der Mensch aber in den Hintergrund gerückt, fassbar sind nur die Informationsflüsse, also die Medien. Für eine Kulturanthropologie, die den Menschen als Zentrum ihres Forschungsgegenstandes sieht, bedeutet diese Art der Medientheorien einen problematischen Zugang, da die sozialen Ebenen völlig ausgeblendet werden. Der Konstruktivismus geht davon aus, dass die Menschen seit jeher gezwungen sind, ihre Umwelt zu interpretieren. Eine objektive, allgemein gültige Wahrheit kann der Mensch niemals erfassen. Er sieht nach Sigfried Steurer nur ein Abbild dieser Wirklichkeit, welches abhängig von den Interpretationen ist. Medien sind die Vermittler von Wirklichkeiten, sie können aber keine objektive Realität zeigen. Für Steurer ist bereits die Realität, die ein/e direkte/r BeobachterIn eines Geschehens wahrnimmt, nicht die tatsächliche, wahrhafte und objektive Realität, da sie bereits interpretiert wurde. Medien schaffen aber laut ihm eine darüber hinausgehende manipulierte Realität, die aber von den KonsumentInnen als Wahrheit angenommen wird.67 Die HyperrealistInnen, allen voran Jean Baudrillard, gehen davon aus, dass durch die Informationstechnologie die Lebenswelten und unsere Realitäten bereits in eine elektronische Simulation transformiert wurden, die als „hyperrealistisch“ zu bezeichnen ist.68 Gemeint sind dabei die enormen Abhängigkeiten unseres Lebens von den elektronischen Medien, aber auch ein kritischer Blick auf ihren Einfluss auf unsere Wahrnehmung und damit verbunden auf unsere Bewusstseinsbildung, den die Medien ausüben. Wenn wir Realität nur mehr elektronisch vermittelt begreifen, dann befinden wir uns in einem elektronisch simulierten Kosmos. Dies würde z.B. passieren, wenn wir Computerspielen als real empfinden würden und unser Denken, Handeln und Fühlen nach den Besuchen in virtuellen Welten ausrichten. Oder aber auch, wenn medial vermittelt Bilder aus Fernsehen oder Internet
65 Vgl. Ebda., S. 139. 66 Vgl. Ebda., S. 29-31. 67 Vgl. Steurer S., Schöne neue Wirklichkeiten, S. 91-95 und auch Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 24. 68 Vgl. Baudrillard, J., Die Simulation S. 159.
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unser tägliches Leben dermaßen beeinflussen, dass das Handeln und Denken von ihnen bestimmt werden. Medien haben laut Baudrillard die Aufgabe, Realität zu verschleiern bzw. in unserer heutigen Zeit die Abwesenheit von Realität zu verbergen.69 Die Macht der Bilderflut beherrscht uns. Wir sind dermaßen von den vermittelten Bildern abhängig, dass ein Ereignis, das nicht in den Medien auftaucht, als solches nicht wahrgenommen wird, also für uns nicht existent ist. Umgekehrt machen Medien erst Ereignisse, bzw. finden diese statt, damit sie von den Fernsehanstalten übertragen werden. Damit sind aber nicht nur Sportereignisse gemeint, sondern u.a. auch Terroranschläge, die dort stattfinden, wo die Medien möglichst ausführlich davon berichten können.70 Zwar mögen die radikalen Positionen des Konstruktivismus und der HyperrealistInnen an den realen alltäglichen Lebenswelten der Menschen vorbei gehen und jeden wissenschaftlichen Diskurs als per se obsolet, weil interpretativ und subjektiv, betrachten, sie bieten dennoch Möglichkeiten einen kritischen Blick auf die Medienproduktion zu werfen. Dies ist besonders für das „Simulationsgerät“ Computer und seinen Medienprodukten, also vor allem die Computerspiele von Interesse. Die Funktion einer Simulationsmaschine ist ein entscheidender Faktor, der Computer und Computerspiele von den herkömmlichen Medien abhebt. Während traditionelle Medien wie Film, Zeitung, Fernsehen, etc. rein narrativ funktionieren, beherrscht der Computer neben den narrativen Funktionen die Möglichkeit der Simulation. Gonzalo Frasca beschreibt dies in seinem Aufsatz „Simulation versus Narrative“ treffend: „Traditional media are representational, not simulational.[…] A photograph of a plane will tell us about its shape and color, but it will not fly or crash when manipulated. A flight simulator or a simple toy plane are not only signs, but machines that generate signs according to rules that model some of the behaviors of a real plane. A film about a plane landing is a narrative: an observer could interpret it in different ways, but she cannot manipulate it and influence how the plane will land since film sequences are fixed and unalterable.”71
ComputerspielerInnen können hingegen das Verhalten der Bildschirmfiguren, seien es nun virtuelle Flugzeuge oder menschliche Charaktere als virtuelle Stellvertreterfiguren steuern und das Geschehen beeinflussen. Wesentlich konkreter am menschlichen Dasein und an der sozialen Ebene orientiert sich Pierre Bourdieus kritische Analyse des Fernsehens. Für ihn hat das Fern-
69 Vgl. Baudrillard, J., Das perfekte Verbrechen, S. 17. 70 Vgl. Baudrillard, J. Das perfekte Verbrechen, S. 15 u. 110. und siehe auch Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 24-25. 71 Frasca, G., Simulation versus Narrative, S. 229-235.
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sehen sehr viel Macht, die zur symbolischen Unterdrückung eingesetzt wird, um die herrschenden Machtverhältnisse zu zementieren.72 Es werden nach Bourdieu unwichtige und überflüssige Nachrichten statt wirklich fundierter Information verbreitet. Im heutigen Nachrichtenprinzip bleibt kaum Zeit für die wirklich wichtigen Informationen. Entscheidend ist das Erreichen von Aufmerksamkeit durch Berichte über Gewalt und Katastrophen.73 Für die Investoren der Fernsehanstalten zählt nur die Einschaltquote. Das vermittelte Programm erzeugt laut Bourdieu Bilder bei den Menschen, die vom Fremdenhass und von Ängsten geprägt sind und erschafft damit Wirklichkeit. Das Fernsehen verbreitet die Meinungen der hegemonialen Gesellschaftsschicht, während die sozial Schwachen keine Möglichkeit bekommen, sich zu äußern. Bourdieu meint, dass die Fernsehproduktionen und die journalistische Tätigkeiten dem kommerziellen Druck seitens der Investoren unterliegen.74 Man kann bei Computerspielen von ähnlichen ökonomischen Zwängen und Abhängigkeiten ausgehen und auch inhaltlich eine von den Finanziers gewünschte Ideologie annehmen. Ähnlich wie Vilem Flusser sieht Neil Postman in unserer heutigen medialen Welt die schriftliche Kultur hinter den Bildern der Medien, allen voran des Fernsehens, verschwinden. Für ihn werden die Ideen und Informationen nicht mehr vorwiegend vom gedruckten Wort, sondern vom Fernsehen geformt. So wie Pierre Bourdieu sieht Neil Postman die Nachrichten und Informationen aus den Medien größtenteils bedeutungslos und inhaltsleer und für die Menschen nicht praktisch anwendbar bzw. verwertbar. Trotzdem prägen die ständig präsenten Katastrophen, Unglücke und Gewalttaten unser Denken.75 Nachrichten, auch wenn sie Themen wie Gewalt, Tod, Krieg und Mord beinhalten, werden wie Fernsehshows präsentiert. Oberste Prämisse der ProduzentInnen ist die Unterhaltung, die ZuschauerInnen sollen sich amüsieren. Dadurch lenken die Medien die Menschen von wirklich wichtigen Dingen ab, da sich diese auf die Trivialitäten konzentrieren.76 Das Absterben der Kultur wird für Postman zur realen Bedrohung.77 Ähnliches war bereits bei Theodor Adorno zu lesen.78
72 Vgl. Bourdieu, P., Über das Fernsehen, S. 13ff. 73 Vgl. Ebda., S. 21ff. 74 Vgl. Ebda., S. 37-53 und siehe dazu auch Lackner, T., Flucht in digitale Scheinwelten, S. 36. 75 Vgl. Postman, N., Wir amüsieren uns zu Tode. S. 41 u. 88. 76 Vgl. Lackner, T., Flucht in digitale Scheinwelten, S. 36. 77 Vgl. Postman, N., Wir amüsieren uns zu Tode, S. 130 und S. 190. 78 Vgl. Adorno, T., Resümee über Kulturindustrie, S. 203-204.
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Zusammenfassung In diesem Kapitel wurden relevante Medientheorien vorgestellt. Diese bezogen sich hauptsächlich auf das Medium Fernsehen und die Macht der vermittelten Bilder. Die Macht der Medienbilder wird im Analyseteil der Arbeit speziell für die Computerspiele eine zentrale Rolle einnehmen, deshalb diente dieses Kapitel als Ausgangspunkt der weiteren Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Mensch, Computer und Spiel. Der Computer und letztendlich die Computerspiele wurden bisher noch nicht in die Mediendiskussionen eingebracht, obwohl sie mittlerweile einen zentralen Stellenwert innerhalb des Diskurses haben. Dies wird nach der folgenden Darstellung des Entwicklungsstranges des Computer und der Computerspiele, der unterschiedlichen Spielgattungen und einer Auseinandersetzung mit den in der Computermedienforschung zentralen Begriffen der Simulation, Virtualität und des Cyberspace stattfinden.
D AS C OMPUTERSPIEL Entwicklungsgeschichte des Computers Von den Anfängen Bevor ich mich mit der Entwicklungsgeschichte der Computerspiele beschäftige, sollte ein Blick auf die technologische Plattform jedes Computerspieles geworfen werden: Den Computer. Der Begriff des Computer stammt aus dem Englischen: „to compute“, also „berechnen.“ Und dies waren auch die frühesten Ideen und Konzepte, die hinter diesem Gerät standen. Der Computer sollte an erster Stelle eine Maschine zur Berechnung von mathematischen Zahlensystemen sein. Diese Idee hatte ihren Ursprung im Mittelalter und führte in der frühen Neuzeit zur Erfindung der Rechenschieber, die den Menschen die Rechenarbeit erleichtern sollten. Mitte des 17. Jahrhunderts arbeitete Pascal79 an der Konstruktion einer Rechenmaschine.
79 Blaise Pascal (1623-1662) war französischer Mathematiker, Physiker und Religionsphilosoph. Neben der Konstruktion seiner Rechenmaschine wurde er durch zahlreiche Erfindungen und Entdeckungen berühmt. Die Luftdruckmessung mittels Barometer und wichtige Impulse für Differential- und Integralrechnung gehen auf ihn zurück. Er gilt aber ebenso als wichtigster zeitgenössischer religiöser Denker (Vgl. Brockhaus: Die Enzyklopädie in 24. Bänden, NORE-PERT, Bd. 16, S. 613-614).
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Unabhängig davon präsentierte Leibnitz80 im Jahre 1675 seine Rechenmaschine in Paris. Er führte das Prinzip der Staffelwalzen ein, die das mathematische Denken mit rein mechanischen Mitteln nachzubilden versuchte. Sie arbeiteten additiv und zählten Zahlenreihen zusammen, indem jede Zahl durch ebenso viele Kurbeldrehungen in ein mechanisches Zählwerk gekurbelt wurde.81 Die zunehmende Mechanisierung und technologische Weiterentwicklung im 19. und frühen 20. Jahrhundert führte zu immer komplexeren mechanischen Rechenmaschinen, wie die Differenzmaschine von Babbage 1833.82 Mittlerweilen drangen die Maschinen selbst in den Alltag und die Lebenswelten der Menschen ein. Der Umgang mit Maschinen war durch die bereits erwähnte „Taylorische Arbeitswissenschaft“ geprägt und vollzog sich in einer Anpassung an die Maschine, bzw. geradezu einer Unterwerfung des Menschen.83 Einprägsamster künstlerischer Ausdruck dieser Beziehung ist wohl Charlie Chaplins 1936 erschienener Film „Modern Times“, der die Unterwerfung des Menschen durch die Technik und ihre entmenschlichende Wirkung thematisierte.84 Der Mensch hatte sich der Funktionalität der Maschine zu beugen, um mit ihr gemeinsam „funktionieren“ zu können. Er musste sich für die Interaktion mit der Maschine den Schnittstellen der Geräte anpassen. Diese Vorgabe galt bis in die 1960er Jahre für die Entwicklung der Computer. Erst später im Zuge einer neuen Sichtweise auf die Maschinen änderte sich dies, und die TechnikerInnen machten sich Gedanken über die Möglichkeiten einer verbesserten Anpassung der Kommunikationsschnittstelle Mensch-Computer. Neben der klassischen Mechanisierung hatte das Entdecken der Elektrizität und ihre technische Anwendbarkeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts enormen Einfluss auf die industrialisierte Welt und brachte Veränderungen in die Kultur, die in ihrem Ausmaß erst ab den 1950er Jahren des 20. Jahrhunderts fassbar wurden. Durch die Erfindung der Telegrafie 1837 und in weiterer Folge des Radios, Fernsehens usw. wurde über 100 Jahre später die Transformation einer Industriegesellschaft zu einer
80 Leibniz Gottfried Wilhelm (1646-1716) war Mathematiker und Philosoph. 1675 führte er in Paris seine von ihm erfundene Rechenmaschine der Académie des Sciences vor, wurde aber dennoch nicht aufgenommen. Bekannt wurde Leibniz für seine metaphysische Philosophie der „Monadenlehre“ und seinen eng mit dieser Philosophie verbundenen mathematischen Entdeckungen. (Vgl. Brockhaus: Die Enzyklopädie in 24 Bänden, LAGIMAD, Bd. 13., S. 244-145). 81 Vgl. Bense M., Zeit der Kybernetik, S. 478. 82 Charles Babbage (1792-1871) forschte als Professor in Cambridge an der Entwicklung großer Rechenautomaten zur Erstellung von Funktionstabellen. (Vgl. Brockhaus: Die Enzyklopädie in 24 Bänden, AQ- BEC, Bd. 2., S. 464-465). 83 Vgl. dazu auch Pias, C., Computer Spiel Welten, S. 55- 56. 84 Vgl. Woolley, B., Wirklichkeit virtueller Welten, S. 75.
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Informationsgesellschaft eingeleitet.85 Der Einsatz elektromechanischer Bauteile führte zu einer neuen Generation von Analogrechnern, die mit der Entwicklung des „Differential Analyzers“ von Vannevar Bush86 um 1930 ihren Höhepunkt und Abschluss fand. Durch die zunehmende Elektrifizierung und ausgebaute Kommunikation benötigten die TechnikerInnen dieser Zeit Berechnungen für die Übertragungsleitungen der Elektrizitäts- und Kommunikationsnetzwerke. Dies war nur mit umfangreichen, zeitaufwendigen und fehlerbehafteten manuellen Integralrechnungen möglich. In einer komplexen Anordnung von Getrieben, Gestängen und elektromechanischen Bauteilen konnten die Differential- und Integralrechnungen nun mechanisch durchgeführt werden. Das Besondere am Differenzialanalysator war, dass er ein mechanisches Modell der Differentialrechnung darstellte, und damit der Rechenvorgang auf visueller, mechanischer Ebene nachvollzogen werden konnte.87 Mit der Ablöse dieses letzten Analog-Rechners in den 1940er und 1950er Jahren vollzog sich ein gänzlich anderes Verständnis des Begriffs Computer: Aus der (nachvollziehbaren) analogen Rechenmaschine entstand das Bild der vielseitigen digitalen Simulationsmaschine, deren Funktionsweisen in den Strömen von „bits“ und „bytes“ verborgen bleiben und als Vorläufer der heutigen Computer gilt. Der Computer als Idee Für die Entwicklung des neuen Computerbegriffs standen unterschiedliche WissenschaftlerInnen im Mittelpunkt, die in Deutschland, Großbritannien und den USA in den 1930er und 1940er Jahren des 20. Jahrhunderts entscheidende Theorien ausarbeiteten. Alan Turing88 gilt als geistiger Vater der Idee des Computers als Universalmaschine. Seine Vorstellungen sind richtungsweisend für die weiteren Entwicklungen, obwohl er sich zunächst nicht mit der technischen Realisierung beschäftigte. Als Mathematiker glaubte er an die Unfehlbarkeit und innere Logik der Mathematik, als Ursprung und Ausdruck reiner Wahrheit. Er entwickelte Verhaltenstabellen und Algorithmen, mit denen der Computer jedes mögliche mathematische Problem lösen sollte.89 Zwar gab es schon Rechenmaschinen, wie den bereits angeführ-
85 Vgl. Faßler, M., Mensch Macht Maschine, S. 22. 86 Vannevar Bush (1890-1974) war amerikanischer Elektroingenieur und Professor am MIT (Massachusetts Institute of Technology), dem weltweit führenden Forschungsinstitut im Technologiebereich. Er entwickelte Analogrechner; 1927 noch mechanisch und 1942 den ersten elektronischen Differenzialanalysator und auch die Datenspeicherung auf Mikrofilm. (Vgl. Brockhaus: Die Enzyklopädie in 24 Bänden, BRON- CRN, Bd. 4., S. 220. 87 Vlg. Pias, C., Computerspielwelten, S. 57-61. 88 Vgl. Brockhaus: Die Enzyklopädie in 24 Bänden, THEM- VALK, Bd. 22., S. 435. 89 Vgl. Woolley, B., Die Wirklichkeit virtueller Welten, S. 75-77.
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ten „Differential Analyser“ zum Lösen komplexer mathematischer Berechnungen, jedoch wurde eine Maschine für ausschließlich eine Berechnungsart entwickelt. Revolutionär an Turings Idee war die universelle Einsetzbarkeit seiner fiktiven Maschine. Turings Maschine konnte sich im Grunde in unterschiedliche Maschinen verwandeln, um Berechnungen durchzuführen. Er setzte gleichzeitig die philosophischen Grenzen einer künstlichen Intelligenz: Alles, was prinzipiell berechenbar ist, kann ein Computer berechnen.90 Somit leitete er nicht nur das entscheidende Programm der Simulierbarkeit und der virtuellen Realität ein, sondern führte auch direkt zu einem neuen Bild der Maschine: Der Computer mechanisierte die geistige Anstrengung der Menschen, ähnlich der Maschinen in der „Tayloranischen Fabrik“, welche die körperlichen Funktionen des Menschen übernahmen. Konrad Zuse91 arbeitete unabhängig von Turing in Deutschland an Rechencomputern. Er entwickelte zwischen 1934 und 1938 die erste mechanische, programmgesteuerte Rechenanlage auf Basis des binären Zahlensystems und 1941 die erste elektronische, auf Relaistechnik basierende Rechenanlage. Ähnlich wie Turing verfolgte Zuse zunächst die Idee, die geistigen Operationen des Rechnens auf rein mechanische Operationen zu reduzieren und sie einer physikalischen Maschine zu übergeben. Für ihn war die Idee der Rationalisierung entscheidend, also routinemäßige, langwierige statistische Berechnungen zu automatisieren und somit dem Menschen Arbeit abzunehmen. Gleichsam Alan Turing, dessen Modell von der universellen Möglichkeit der Berechenbarkeit als mathematisches Modell für eine intelligente Maschine ausging, stützte sich auch Zuse auf die Mathematik. Selbst der Kosmos galt für Zuse als gigantische Rechenmaschine. Für ihn müsste ein Computer eine autonome Maschine sein, die dem menschlichen Gehirn ähnelte. Er versuchte eine universelle Sprache zu erfinden, um mit der Maschine, dem künstlichen Gehirn zu kommunizieren und wurde damit zum Vorreiter der Computerprogrammierung.92 John von Neumann entwickelte in den 1940er Jahren die Idee eines programmgesteuerten elektronischen Rechners, der als „Von-Neumann-Rechner“ bekannt wurde.93 Diese Idee gilt als Prototyp für alle nachfolgenden Computer bis in unsere heutige Zeit. Er bereitete das Prinzip der Trennung von Hardware und Software theoretisch und praktisch vor. Während das technische Grundgerüst (Hardware) gleich bleibt, kann der Computer mittels jeweilig entsprechend programmierter Programme (Software) unterschiedliche Funktionen ausführen. Erst durch diese Trennung entwickelte sich der Computer in Richtung Universalmaschine, wie Tu-
90 Vgl. Ebda., S. 78. 91 Vgl. Brockhaus: Die Enzyklopädie in 24 Bänden, WELI- ZZ, Bd. 24., S. 665. 92 Vgl. Schelhowe, H., Von der Abstrakten Maschine, S.19. 93 Vgl. Brockhaus: Die Enzyklopädie in 24 Bänden, MOC- NORD, Bd. 15., S. 539.
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ring sie sich vorstellte. Die Möglichkeit der beliebigen Simulation durch Programmierung war nun zumindest theoretisch gegeben, der Computer konnte somit ein Rechen-, Arbeits-, oder eben auch ein Spielgerät sein. Zu dieser Zeit wurde allerdings weniger an beliebig einsetzbare Computer gedacht, sondern an konkrete Geräte für Berechnungen zu Kriegszwecken. Die durch den Weltkrieg entfachte Rüstungsspirale stellte enorme Mittel für die Entwicklung von Computern zur Verfügung. Vor allem für zwei Zwecke wurden Computer „benötigt“: Einerseits wollte man die ballistischen Flugbahnen von Raketen und Bomben im Vorfeld berechnen können, andererseits schwebte den Militärs ein Flugsimulator vor, mit dem die Piloten gefahrlos am Boden ausgebildet werden konnten. Die Entwicklung von Flugsimulatoren blieb im analogen Bereich stecken (man konstruierte Mitte der 1940er Jahre riesige Vehikel mit Klavierseiten als Steuerung) und erst viel später ab den 1980er Jahren durch die beginnenden Möglichkeiten der graphischen Visualisierung entstanden entsprechende digitale Simulationen.94 Die Berechenbarkeit von Flugbahnen für Bomben und Raketen wurde mit dem ersten „Supercomputer“ ENIAC 1944 realisiert. Die riesige Maschine wurde für die US-Armee entwickelt und umfasste mehrere Räume, um die Flugkurven für die neuen Massenvernichtungswaffen voraus berechnen zu können. An der Programmierung war John von Neumann wesentlich beteiligt. ENIAC war der erste vollelektronische Computer, sogenannte Vakuumröhren ermöglichten digitale Schaltungen, die wesentlich schneller und störungsfreier umschalten konnten als die bisherigen mechanischen Relais. Mit Hilfe dieser Röhren konnte die Maschine mit dem binären System rechnen.95 Dieser Computer und die folgenden Stockwerk großen Systeme der 1950er Jahre waren streng nach Bedarf konstruiert, also weit weg von den Visionen Turings oder Zuses. Der Mensch musste sich der Maschine anpassen, nur hoch qualifizierte WissenschaftlerInnen konnten die Geräte bedienen. Dazu mussten sich die SpezialistInnen in die binäre Logik des Gerätes hineinversetzen. Erst als sich in den folgenden Jahren die Trennung zwischen Hard- und Software durchzusetzen begann, änderten sich die Beziehungen und Schnittstellen zwischen Mensch und Computer. Die BenutzerInnen begannen schließlich den Computer neu zu „entwerfen“. Den Anfang dieser Entwicklung stellte die „Zweckentfremdung“ der Geräte dar, d.h. es wurden von den BenutzerInnen Programme geschrieben, die mit dem ursprünglichen Zweck und Einsatzbereiches des Computers wenig zu tun hatten. Dies war aber nur mit Geräten möglich, die durch Programmierung steuerbar waren und wäre mit herkömmlichen Maschinen undenkbar gewesen. So wurden die Rechenmaschinen in den Forschungslabors durch WissenschaftlerInnen sowie TechnikerInnen für Versuchs- und Demonstrationszwecke
94 Vgl. Woolley, B., Die Wirklichkeit der Virtuellen Welten, S. 49-59. 95 Vgl. Ebda., S. 60.
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umprogrammiert.96 Dadurch entstanden unter anderem die ersten Computerspiele, als Nebenprodukt dieser Entwicklungen. Durch diese Experimente und „Spielereien“ begannen sich die Computer den theoretischen Konzepten von Turing anzunähern. 1951 wurde im MIT (Massachusetts Institute of Technology)97 der erste universelle Flugsimulator mit Digitaltechnik entwickelt, der zur Berechnung von Flugzeugbewegungen und Aerodynamik diente. Der Computer wurde unter dem Namen „Whirlwind“ für die US-Navy entwickelt und war der erste seiner Art mit einer Eingabe- und Ausgabeeinheit. Die Eingabe erfolgte mit einem Lichtstift, die Ausgabe über die Kathodenstrahlröhre eines Oszilloskops. Das Gerät wurde in weiterer Folge zur Flugsicherung eingesetzt. Die Darstellungsmöglichkeit elektronischer Signale über das Oszilloskop wurde in der Testphase zufällig entdeckt und war ursprünglich nicht eingeplant. Mit Hilfe reiner Mathematik konnten nun Lichtspuren auf dem Monitor des Oszilloskops erzeugt und durch Änderung der Eingangsvariablen gesteuert werden. Dies war der erste Schritt einer interaktiven MenschMaschine-Steuerung mit Hilfe eines Anzeigegerätes. In spielerischen Versuchen gelang es Bildschirmpunkte wie einen Ball zu bewegen, dies wurde zu einer Urvariante des Computerspieles.98 Wenn auch zu dieser Zeit niemand an eine entsprechende Nutzung dieser Entdeckung gedacht hatte, bedeutete sie doch zwei richtungweisende Wendepunkte in der Geschichte des Computers: Erstens wurde die Mathematik zur Simulation realer Bewegung verwendet und zweitens konnten nun Menschen mit der Simulation interagieren. Beide Punkte markieren die Grundlage der Computersimulation und der virtuellen Realität, die im Zentrum eines jeden Computerspieles stehen. Mit der Erfindung der Transistor-Schalttechnik Ende der 1950er Jahre, die die großen Vakuumröhren ablöste, wurden die Computer schließlich kleiner und für den kommerziellen Gebrauch abseits von Wissenschaft und Rüstung interessant. Die Trennung von Hard- und Software differenzierte sich aus, neue Programmiersprachen ebneten den Weg für komplexere Programmabläufe. Die ersten kommer-
96 Vgl. Pias, C., Computer Spiel Welten, S. 80. 97 Das MIT ist bis heute die Elite-Forschungseinrichtung im technologischen Bereich, insbesondere der Computerentwicklung in den Vereinigten Staaten. In der Geschichte der Computerforschung, des Cyberspace und vor allem des Internet stößt man immer wieder auf namhafte ForscherInnen mit ihren Entwicklungen von dieser Einrichtung (siehe dazu: http://web.mit.edu/newsoffice/2012/qs-rankings-names-mit-number-one-0911.html, 10.10.2012). 98 Vgl. Woolley, B., Die Wirklichkeit der Virtuellen Welten, S. 61-62.
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ziellen Rechner wurden für Firmen entwickelt, jedoch war an einen privaten Gebrauch der Computer aufgrund der enormen Kosten kaum zu denken.99 Cyberspace und virtuelle Realität als Motor der Computerentwicklung Der Geist der 1960er erfasste die Computerbranche und führte zu Visionen einer Demokratisierung des Zugangs zur Technik. Philosophien einer virtuellen Realität und des Cyberspace sowie einer Verschmelzung von Mensch und Maschine wurden entwickelt. Jede dieser Ideen hatte reale technische Weiterentwicklungen zur Folge. Der Begriff des Virtuellen wurde zuerst 1972 von der Firma IBM auf dem Gebiet der Speicherung von Daten angewendet. Der virtuelle Speicher ist ein Speicherbereich, der im Gegensatz zum realen Speicher nicht tatsächlich physikalisch im Hauptspeicher vorhanden ist, sondern nur bei Bedarf aktiviert und von der Festplatte „geliehen“ wird. Somit kann ein Computer mehr Informationen verarbeiten, als eigentlich im Hauptspeicher Platz wäre, für die ComputerbenutzerInnen entsteht kein Unterschied. Die Möglichkeit, mit Virtuellem zu arbeiten, ist eine Grundvorrausetzung für Alan Turings Idee des Computers als Universalmaschine.100 Der Begriff bedeutet und impliziert aber weit mehr als seine recht einfache Umsetzung bei der Speicherverwaltung. Er steht im Zentrum einer Idee des Cyberspace und der Möglichkeit der beliebigen Simulation und der Konstruktion von virtuellen, simulierten Alternativwelten. Zu Beginn der 1970er Jahre schaffte es die Firma INTEL, die auch heute noch Weltmarktführer im Mikroprozessoren-Bereich ist, die wesentlichen Funktionen eines Computers in einem einzelnen Mikrochip zu integrieren. Der programmierbare Chip und seine Nachfolgerversionen wurden als Bastelbausatz kommerziell vermarktet und engagierte HobbyprogrammiererInnen wurden PionierInnen der ersten PC-Generation, dem Personal Computer. Diese Kommerzialisierung bedeutete einen wesentlich erweiterten Zugang für die neue Technik, abseits der Wissenschaft und Rüstungsindustrie. Parallel dazu entwickelten sich Programmiersprachen, die sich dem menschlichen Verständnis anpassten und sich nicht mehr ausschließlich an ExpertInnen richteten. Diese neuen Programmiersprachen mussten dann allerdings wieder umgewandelt werden, damit sie vom Computer verstanden werden konnten. Somit verbreitete sich der PC ab Mitte der 1970er Jahre rapide innerhalb der amerikanischen Mittelschicht, da die finanziellen Anschaffungskosten und technischen Hürden immer weiter sanken. Diese Generation von Computern war nun endlich in der Lage Turings Programm der Universalität zu erfüllen. Sie wurden nicht nur für eine Aufgabe konstruiert, sondern erledigten eine Vielzahl
99
Vgl. Wurster, C., Die Kunst der Mensch-Maschine-Schnittstelle, S. 338ff.
100 Vgl. Woolley, B., Die Wirklichkeit der Virtuellen Welten, S. 69-70.
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möglicher Funktionen. Mittels verständlicheren Programmiersprachen, wie „Basic“ oder „Pascal“, programmierten sich die BenutzerInnen kleinere Softwareprogramme, wie Lohnverrechnungsprogramme, Datenbanken oder eben auch Computerspiele bzw. kauften sich die Software.101 Die späten 1970er und folgenden 1980er Jahre waren geprägt von einer hobby- und heimzentrierten ComputerprogrammierInnenszene, die sich als Wegbereiter einer neuen Ära begriff. Für die ProgrammiererInnen bedeutete dies am Puls der Zeit zu sein, an etwas Neuem, Großartigem teilzuhaben. Fortschritt wurde erstmals nicht nur in den teuren Toplabors eines MIT erzielt, sondern nach Meinung vieler ComputerenthusiastInnen in den Wohnzimmern der technikbegeisterten UserInnen. Eine Vision der Demokratisierung und Teilhabe an der Technikentwicklung schien wahr zu werden, wurde aber im Folgenden durch das wachsende Interesse der Industrie und die darauf folgende Kommerzialisierung im Keim erstickt. Es entstanden professionelle Anwendungsprogramme, wie Textverarbeitungsoder Tabellenkalkulationsprogramme, sowie standardisierte Betriebssysteme, allen voran Microsofts „MS-Dos“ und die späteren „Windows“-Versionen. Die Programme ermöglichten zwar eine einfache und standardisierte Bedienung des Computers, ließen die BenutzerInnen aber über ihre Funktionsweisen bewusst im Unklaren. Es war nicht erwünscht, dass HobbyprogrammiererInnen am Programmiercode selbst Eingriffe vornehmen konnten. Somit wurde der Zugang zu Computern vor allem durch die grafischen Benutzeroberflächen mit Icons und Maussteuerung wesentlich vereinfacht, gleichzeitig wurden die UserInnen abhängig von Softwarefirmen mit ihren Betriebssystemen und Anwendungsprogrammen.102 Der Traum von einer Demokratisierung mittels eines uneingeschränkten Technologieerwerbs wurde von einer intensiven Kommerzialisierung und restriktiven Patenthandhabung weniger Großkonzerne zerstört. Trotzdem entwickelte sich parallel zur Kommerzialisierung eine kreative Gegenbewegung gegenüber monopolisierenden Firmen. Gemeint sind damit unter anderem die alternativen Softwareprodukte wie „Linux“, „Open Office“, „Mozilla“ oder „Thunderbird“ und nicht zuletzt „Wikipedia“, die auf die aktive Mitarbeit der BenutzerInnen setzen. Diese Produkte legen ihren Programmcode frei, weltweit arbeiten unzählige ComputerbenutzerInnen unbezahlt und freiwillig an Verbesserungen und Weiterentwicklungen der Programme. Lohn der Arbeit ist die Genugtuung, ein Stück Technologiefortschritt entwickelt zu haben, sich mit der Community auszutauschen und irgendwo als AutorIn bzw. als EntwicklerIn verewigt zu sein. Möglich werden diese gemeinsamen Anstrengungen durch das Internet, dessen Ursprung im Jahr 1969 im „ARPA-NET“ des amerikanischen Verteidigungsminis-
101 Vgl. Wurster, C., Die Kunst der Mensch-Maschine-Schnittstelle S. 339. 102 Vgl. Ebda., S. 340-341.
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teriums liegt. Das „ARPA-NET“ stellte damals eine Vernetzung von wissenschaftlichen und militärischen Computern dar, die im Falle eines Atomkrieges die Informationen möglichst dezentral verbreiten und damit schützen sollten. Später entwickelte sich das Netz bis Ende der 1980er Jahre als reines Universitäts- und Forschungsnetzwerk weiter und wurde ab den 1990er Jahren unter dem Begriff Internet im kommerziellen und schließlich privaten Bereich eingeführt.103 Ähnlich dem Computer selbst erhöhte sich der Verbreitungs- bzw. Vernetzungsgrad in der westlich technisierten Gesellschaft rapide und heute sind PC und Internet in fast jedem Haushalt anzutreffen. Die wachsende Verbreitung machte das Netz für die Kommerzialisierung interessant und mittlerweile werden BenutzerInnen von Werbeeinschaltungen diverser Firmen überschwemmt. Dem ursprünglichen Zweck des barrierefreien Informationsaustausches stehen heute die Probleme der Informationsselektion gegenüber. Die Demokratisierungstendenzen eines frei zugänglichen Netzes werden durch die wachsende Kontrolle des Staates oder besser gesagt des kapitalistischen Marktes zurückgedrängt, ohne damit den berechtigten Schutz der Minderjährigen gegenüber Internetpornographie, Rassismus und Gewalt kritisieren zu wollen. Das Internet ist heute der Eckpfeiler der globalisierten Informationsgesellschaft, eine Plattform vielschichtiger computerunterstützter Kommunikation. Es entstehen durch das Netz besondere Formen von Gemeinschaft und Kommunikation, die im Zusammenhang mit den Internet-Computerspielen später noch ausführlich behandelt werden. Zusammenfassung Kein anderes technisches Gerät spiegelt die technologische Entwicklung und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Wandel so unmittelbar wider, wie der Computer. Er steht im Zentrum der Transformationsprozesse und gesellschaftlichen Diskurse. Er veränderte das Denken der Menschen und wurde Ausdruck neuer gesellschaftlicher Sichtweisen und Kulturbegriffe. Die Betrachtung des Computers mit Hilfe der Maschinenmetapher wurde ab den 1960er Jahren sukzessive durch andere Vorstellungen abgelöst, die mit der gesellschaftlichen Umgestaltung einhergingen. Der Computer wandelte sich von der Rechenmaschine zur universalen Simulationsmaschine, die auch eine Spielmaschine implizierte. Der Computer ist das Symbol der Medien- und Kommunikationsgesellschaft. Sein tatsächliches Funktionieren interessiert die BenutzerInnen nicht mehr, wichtig ist der einfache Umgang mit dem System. Dafür sorgen speziell an den UserInnen angepasste
103 Vgl. Brockhaus: Die Enzyklopädie in 24 Bänden, HERR- ISS, Bd. 10., S. 617.
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Schnittstellen. Anstelle der Maschinenmetapher treten Kommunikation und Netzwerke sowie organische Systembegriffe.104 Die Bedienung der Computer verwendet oft einen spielerischen Zugang für die BenutzerInnen. Befehlsstrukturen werden umkehrbar aufgebaut, also widerrufbar bzw. beliebig wiederholbar, ähnlich den Spielen in einer geschützten Spielsphäre, wie sie Huizinga beschrieb.105 Somit wurde das „Trial and Error“-Prinzip der Spiele ebenfalls in die Computerarbeit integriert.106 Dies gilt umso mehr für die Spiele am Computer. Schon bei der massiven Verbreitung der Heimcomputer im privaten Bereich während der 1980er und 1990er Jahre spielten Computerspiele eine tragende Rolle. Die Lust am Experimentieren mit der neuen Technik wurde nur von der Lust am Spielen von Computerspielen übertroffen. Über die Computerspiele etablierte sich die Technik zunächst in den Kinderzimmern der vorwiegend männlichen Kinder und Jugendlichen und in den Arbeitszimmern der technikbegeisterten Väter. Computerspiele sind für das Denken und den Umgang mit dem Computer bestimmend. Jugendliche wuchsen mit den sich weiter entwickelten virtuellen Welten der Computerspiele auf. Es wird deshalb Zeit, einen Blick auf die Entstehungsgeschichte der Computerspiele zu werfen, die synchron mit der Weiterentwicklung der Computer stattfand, und auch heute noch ein Motor für den technischen Fortschritt der Geräte ist. Entwicklungsgeschichte der Computerspiele Der Beginn Computerspiele entstanden durch Zufälle bzw. als Abfallprodukt militärischer Computerforschung. Um überhaupt von einem Spiel im Sinne einer Interaktion mit dem Gerät sprechen zu können, musste zunächst eine gesteuerte Visualisierung auf einem Anzeigegerät erfolgen. Dies erreichte man, wie bereits ausgeführt, mit dem Militärcomputer „Whirlwind“ auf einem Oszilloskop zu Beginn der 1950er Jahre.107 Allerdings kam es dabei wohl niemandem in den Sinn, die steuerbaren Lichtpunkte für ein Computerspiel zu „missbrauchen“. Als eine „Vaterfigur“ der Computerspiele ging Higinbotham in die Geschichte ein. Er war ein Forscher am MIT (Massachusetts Institute of Technology), der ursprünglich am „Manhattan-Project“, also an der Entwicklung der Atombombe mitarbeitete. Später befasste er sich am MIT mit der Entwicklung von Messgeräten und bediente sich der damaligen Computertech-
104 Vgl. Schelhowe, H., Von der Abstrakten Maschine, S. 20. 105 Vgl. Huizinga, J., Homo Ludens, S. 15-27. 106 Vgl. Leithäuser, T., Ordnendes Denken, S. 69-82. 107 Siehe S. 62ff.
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nik.108 1958 beschloss er für einen Tag der offenen Tür am Institut eine für die BesucherInnen sichtbare Anwendung seiner Messgeräte als Versuchsaufbau zu präsentieren. Er ließ einen Ball am Bildschirm (Oszilloskop) hin und her hüpfen, den die BenutzerInnen mittels eines verschiebbaren Balkens zurückwerfen konnten. Es war damals nicht möglich, eine künstliche Intelligenz zu programmieren, die den Ball den SpielerInnen wieder zurückwarf, mit ihnen praktisch virtuell Tennis spielte. Als Lösung des Problems spielten einfach zwei menschliche SpielerInnen gegeneinander, der Computer übernahm nur die Berechnungen für den Flug des Balles und der Position der Balken. Das Spiel wurde bei der Präsentation ein voller Erfolg und von Higinbotham noch einmal verbessert. Allerdings sah niemand in diesem ersten Computerspiel „Tennis for Two“ das Potential dieser Idee, auch Higinbotham selbst nicht.109 Es blieb eine Spielerei für eine Versuchsanordnung, mehr nicht. Dennoch wurden Computergeräte für etwas völlig anderes eingesetzt, als für ihren ursprünglichen Verwendungszweck. Dies war zu diesem Zeitpunkt revolutionär. Es begann damit eine Entwicklung, mit der in weiterer Folge der Computer nicht mehr als Werkzeug gesehen wurde, sondern als Kulturgut, oder, wie Sherry Turkle meint, der Start einer Entwicklung von einer Kultur der Berechnung zu einer Kultur der Simulation.110 Zu Beginn der 1960er Jahre begannen die Computer stetig kleiner und gleichzeitig leistungsstärker zu werden. Im universitären Forschungsbereich waren es vorwiegend StudentInnen, die die Universitätscomputer umprogrammierten, um neue Aufgaben mit ihnen durchzuführen. Sie wurden als die ersten „Hacker“ bezeichnet.111 Durch sie war die Bestimmung des Computers nicht mehr fest vorgegeben, erst durch ihre Programmierung führten die Geräte unterschiedlichste Funktionen aus. 1962 entwickelten StudentInnen am MIT ein Programm, um die Leistungsfähigkeiten der neuesten Rechnergeneration zu demonstrieren. Das Spiel stellte zwei von SpielerInnen gesteuerte „Raumschiffe“ dar, die sich gegenseitig abschießen konnten.112 Es wurde ähnlich dem Computerspiel „Tennis for Two“ nicht als
108 Vgl. Lischka, K., Spielplatz Computer, S. 19-20. 109 Vgl. Ebda., S. 20-21. 110 Vgl. Turkle, S., Leben im Netz, S. 26-32. 111 Der heute negativ besetzte Begriff des „Hackers“ hat mit den damaligen „Hacks“ in das Computersystem nichts zu tun. Wo heute Hacker in Computersysteme eindringen um Daten zu stehlen oder zu manipulieren, bzw. das gesamte System schädigen wollen, haben die Hacker von damals die Programmcodes umgeformt, um neue Funktionen ausführen zu können. Ziel dieses Vorgangs war keine finanzielle Bereicherung oder Schädigung eines Unternehmens oder etwa Industriespionage, sondern eine Weiterentwicklung der Computersysteme. 112 Vgl. Pias, C., Computer Spiel Welten, S. 84-88.
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Spiel an sich für kommerzielle Zwecke programmiert, sondern wurde frei unter den StudentInnen ausgetauscht und im universitären Umfeld weiter entwickelt. Computerfirmen verwendeten es, um ihre Geräte auf Leistung und Sicherheit zu überprüfen. Auch heute noch dienen Computerspiele zum Teil dazu, um an die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Geräte zu gehen und die Hardwareentwicklung voran zu treiben. Besonders grafisch anspruchsvolle Spielinhalte werden als Leistungsmesser und Vergleichsmöglichkeit für die unterschiedlichen Hardware-Komponenten herangezogen. Der Spieltitel „Space Wars“ passte zur damaligen Science-Fiction Hysterie des Kalten Krieges. Die Aufrüstung der Militär- und Raumfahrtindustrie durch den Wettlauf um die Eroberung des Weltalls war im vollen Gange, die Computertechnologie und -forschung erhielten enorme Zuschüsse durch Militär und Rüstung, ähnlich wie während des 2. Weltkrieges.113 „Space War“ konnte schließlich durch die Weiterentwicklungen auch als Single-Player-Spiel gespielt werden, jedoch in Zeiten, in denen ein Rechner mehr als 100.000 Dollar kostete, war an eine Verbreitung im Sinne der heutigen Computerspiele nicht zu denken. Den Zugang zu Computerspielen hatten damals nur wenige Angestellte und StudentInnen an den technischen Elite-Universitäten Amerikas. Die Rechenzeit war teuer und der Zugang beschränkt. Knapp zehn Jahre später wurde in einem Café in der Nähe der StanfordUniversity ein Computer mit einem Monitor in ein Gehäuse mit Münzeinwurf gebaut: Der erste computergesteuerte Spielautomat entstand, der Prototyp für die spätere Generation der Spielhallencomputer.114 Wie bereits erwähnt, trug die Entwicklung des Mikroprozessors zur enormen Verkleinerung bei gleichzeitiger Leistungssteigerung der Computer bei und führte letztendlich zu einem Preisverfall. Seit Mitte der 1960er war es möglich, Fernsehgeräte mit dem Computer zu koppeln, doch fehlten die Ideen zur Entwicklung von Computerspielen. Bis 1966 Ralph Baer die Idee von William Higinbothams „Tennis for Two“ aufgriff und es schaffte, gesteuerte Punkte statt auf dem Oszilloskop über einen Fernsehbildschirm laufen zu lassen. Mittels Rüstungsgelder entwickelte er den ersten Spielcomputer für zuhause, die erste sogenannte Spielkonsole.115 Da die Grafikmöglichkeiten des Gerätes auf ähnlichem Niveau eines „Tennis for Two“ lagen, also im Grunde nur einfarbige Punkte und Linien dargestellt werden konnten, benutzten die EntwicklerInnen Folien, die man auf ein mitgeliefertes Fernsehgerät klebte, um unterschiedliche „Spielwelten“ zu erhalten. Durch die Manipulation der Ballbewegungsmuster mittels „Umverdrahtung“ der Schaltkreise und den Folien als Orientierung für die SpielerInnen, konnten mit dem „Odyssey Spielgerät“ elf ver-
113 Vgl. Lischka, K., Spielplatz Computer, S. 24-25. 114 Vgl. Ebda., S. 26. 115 Vgl. Ebda., S. 27-28.
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schiedene Spiele gespielt werden.116 Kommerziell wurde das Gerät kein Erfolg, dazu war einerseits laut Claus Pias die Vermarktungsschiene gemeinsam mit den benötigten Fernsehgeräten ein Hindernis, andererseits schienen die BenutzerInnen die Universalität der Möglichkeit, elf unterschiedliche Spiele mit einem Gerät zu verbinden, nicht zu schätzen. Trotzdem gilt dieser Computer als erster Spielcomputer und brachte der Firma durch spätere Patentrechte große Gewinne ein.117 Während an Universitäten und Forschungsinstitutionen Programme abgewandelt wurden, um Spiele zu erzeugen, wurde der tatsächliche Durchbruch der Computerspiele in einem anderen Bereich erzielt: In den Spielhallen und Kneipen und später zuhause in Form von Videospielgeräten, deren Vorläufer der OdysseySpielcomputer war. Dafür mussten die Computer stark vereinfacht und verbilligt werden, denn kaum jemand konnte sich einen Rechner leisten, wie er den Forschungs- und Rüstungsbetrieben sowie den großen Konzernen zu Verfügung stand. Die angestrebte Universalität der Computer wurde wieder auf einen Anwendungsbereich reduziert, in den Spielhallen sogar auf nur ein Spiel. Nur so war die neue Technik zu kommerzialisieren und für die neu entstandenen Computerspielfirmen zu finanzieren. Somit trennten sich die Computerspiele zunächst von ihrer universellen Plattform und entwickelten sich als sogenannte Videospiele bzw. Automatenspiele weiter, bis in den 1980er Jahren mit der Entwicklung der Heimcomputer Computer- und Videospiel wieder zusammengeführt wurden. Von den Spielhallen zur Videospielkonsole Während der Spielkonsole „Odessey“ kein durchschlagender Erfolg vergönnt war, entwickelte Nolan Bushnell 1971 parallel dazu die ersten Spielhallencomputer. Dazu verwendete er die nicht patentierten Spiele „Tennis for Two“ und „Space Wars“ und entwickelte mit der mittlerweile durch die Mikroprozessortechnik verbilligten Computertechnik die Spielautomaten „PONG!“ und „Computerspace“.118 Mittels eines Münzeinwurfes wurden die Computerspiele profitabel und reihten sich in die lange Entwicklung der Spielhallengeräte ein, die es bereits seit 1880 gab. Die frühen Automaten faszinierten durch ihre verborgene, magisch anmutende Technik, die die BesucherInnen zum Staunen bringen sollte. Sie erfüllten sonst keinen rationalen Zweck, außer besagter Funktion. Mittels Münzeinwurf wurden Töne, Bilder und unterschiedlichste Mechanismen in Gang gesetzt. Der/die KonsumentIn bekam durch das Auslösen der Funktion des Automaten ein Gefühl der
116 Vgl. Pias, C., Computer Spiel Welten, S. 105-109. 117 Vgl. Ebda., S. 109-110. 118 Vgl. Lischka, K., Spielplatz Computer, S. 41-46.
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Teilhabe und Kontrolle über das „magische“ Gerät.119 Die Bedienung der Spielautomaten war einfach, meist nur das Betätigen eines Hebels. Ein simpler Arbeitsablauf, der aus den Fabriken bekannt war und somit eine Zerstreuung für die FabrikarbeiterInnen bot, deren beruflicher Handlungsablauf weitgehend der Bedienung des Automaten entsprach. Die einfache Bedienung war eine Grundvoraussetzung für Spielhallenautomaten, die von einer möglichst großen Anzahl von Personen bedient werden sollten. Vor allem, wenn die Geräte in Bars und Kneipen platziert wurden, sollten selbst angetrunkene Menschen diesen Automaten bedienen können.120 Die Spielautomaten unterstützten das kapitalistische System und boten, passend zum mechanisierten Berufsalltag, Formen einer mechanisierten Freizeit an. Auf gleicher Weise führten sie aber auch zu einer Verlängerung des Arbeitsalltages, da ihre Funktion auf den Bewegungsablauf in den Fabriken abgestimmt war. Auch heute sind Computerspiele immer Teil eines kapitalistischen Marktsystems und dürfen nicht als unschuldiges Werkzeug für eine Entlastung von den Alltagssorgen der Menschen verstanden werden. Sie werden produziert, damit die HerstellerInnen Geld verdienen. Die Spielautomaten mit Münzeinwurf tauchten vermehrt in den 1930er und 1940er Jahren in Kneipen und Einkaufzentren vorwiegend in den Vereinigten Staaten auf. In dieser Zeit wurden die Geräte elektrifiziert und übten durch ihre Geräusche, Töne und Blinken eine nahezu suggestive Faszination auf die spielenden Menschen aus. Spätestens seit der Erfindung der Flipper-Spielautomaten, die nach dem 2. Weltkrieg bis Ende der 1950er Jahre ihre Hochkonjunktur hatten, konnte man von einer „Spielhallenkultur“ sprechen.121 Der Ort wurde Ausdruck einer ganzen Generation, vorwiegend jugendlicher Männer aus der Arbeiterklasse, der Widerstandspotential gegenüber einer rationalen, zielgerichteten Gesellschaft des Wiederaufbaus nach dem 2. Weltkrieg aufwies. Spielen als sinnfreie Beschäftigung wurde als Protest gegen das Arbeitsethos gesehen, die besten SpielerInnen wurden zu „KönigInnen der Flipper“ um die sich Trauben von ZuseherInnen bildeten. Frauen waren in dieser Männerwelt der Spielhallen kaum anzutreffen. Zudem war das Spielen in der Spielhalle eine Möglichkeit eines finanzierbaren Vergnügens, um vor den Depressionen der Nachkriegsjahre zu flüchten.122 Die Einfachheit der Bedienungsmöglichkeiten eines Spielautomaten wurde vom Computerspielpionier Nolan Bushnell auch als Devise für Computerspiele definiert, die bis heute nachwirkt. Computerspiele sollten so weit wie möglich einfach konzipiert und von jedem/er zu verstehen bzw. zu spielen sein. Niemand will nach Bush-
119 Vgl. Huhtamo, E., Neues Spiel, neues Glück, S. 24-28. 120 Vgl. Ebda., S. 31-34. 121 Vgl. Wolf, M.J.P., The Video Game as a Medium, S. 29-31. 122 Vgl. Huhtamo, E., Neues Spiel, Neues Glück, S. 36-41.
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nell Anleitungen lesen, bevor das eigentliche Spiel beginnt. In Kneipen und Spielhallen sollten alle SpielerInnen fähig sein, Spiele zu spielen und die Automaten mit Geld zu versorgen.123 Dieser Zwang zur Einfachheit und der Wunsch der Spielindustrie, dass möglichst alle Zielgruppen, besonders Kinder und Jugendliche, aber auch die ungebildeteren Bevölkerungsschichten, möglichst viel Geld beim Konsumieren der Spiele in den Spielhallen ausgeben, prägt die Spieldesigns auch heute noch und trägt viel zum schlechten Ruf der Computerspiele bei. Spiele werden dadurch als populärer und trivialer Schund eingestuft, als Droge für sozial benachteiligte bzw. ungebildete Schichten in der Bevölkerung, deren Hauptzweck dazu dient, von den tristen Lebensverhältnissen abzulenken. Ebenso werden Spiele damit automatisch mit Kinderspielzeug assoziiert und dementsprechend eingestuft. Ausgehend von Bushnells ersten Computerspielautomaten gelang der allgemeine Durchbruch der Computerspielautomaten in den Spielhallen zwischen 1975 und 1985. Dabei waren ähnliche Phänomene zu beobachten, wie bei den herkömmlichen Flipperautomaten der Nachkriegszeit. Auch hier eigneten sich vorwiegend junge Männer die Spielhallen als ihr Terrain an, als einen Ort abseits der Alltagsund Beschäftigungskrisen dieser Jahre. Belohnt wurden die Leistungen der SpielerInnen am Computerautomaten mit einem Eintrag in eine für alle sichtbare Bestenliste, dem sogenannten „Highscore“124 Die „Erfindung“ dieser elektronischen Bestenliste war ein entscheidender Punkt für die Verbreitung der Computerspiele. Die SpielerInnen konnten nun ihre Namen oder zumindest die Initialen in eine Punkteliste eintragen, und damit ihre Erfolge „verewigen“. Der Eintrag lief allerdings ständiger Gefahr durch bessere Spielereinträge aus der Liste verdrängt zu werden. Dadurch entstand ein Wettkampf gegen den Computer, aber auch und vor allem zwischen den SpielerInnen in den Spielhallen. Es war nicht mehr entscheidend, dass das Spiel gewonnen wurde, ausschlaggebend war die Punktezahl, um vor den anderen MitspielerInnen zu liegen. Genau dieser Wettkampf trug und trägt auch heute immer noch wesentlich zur Faszination der Spiele bei. Er verleiht den Spielen eine zusätzliche Facette, die den Ehrgeiz und das Konkurrenzdenken der Menschen anspricht und zum Weiterspielen animiert und auch heute eine Grundlage von z.B. Online-Spielen darstellt. Das kontinuierliche Weiterspielen der SpielerInnen war und ist für die ProduzentInnen der Spiele der entscheidende Faktor, mussten sich doch die teuren Spielautomaten durch die eingeworfenen Münzen finanzieren. Da in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren die Computertechnik sehr teuer war, wurden die Computerspielautomaten möglichst billig produziert. Die Spielgrafiken waren dementsprechend beschränkt und setzten von den SpielerInnen ein hohes Abstraktionsvermö-
123 Vgl. Pias, C., Computerspielwelten, S. 112-113. 124 Vgl. Huhtamo, E., Neues Spiel, Neues Glück, S. 40-41.
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gen voraus. Die Grafik war nicht der entscheidende Punkt, um die SpielerInnen zum Weiterspielen zu bewegen, ganz im Gegensatz als heute, wo auf die optische Darstellung der computergenerierten Welt sehr viel Wert gelegt wird. Es war der Ort, der Wettkampf, der Austausch zwischen den SpielerInnen untereinander und die Faszination etwas Neues zu erleben, die vor allem die Jugendlichen in die Spielhallen trieb. Die Spielhalle war ein Ort der Revolution gegenüber den Erwachsenen, praktisch eine erwachsenenfreie Zone, in der die Jugendlichen oft ihr letztes Erspartes in die Münzschächte der Geräte warfen. Die frühen Automatenspiele waren mehr oder weniger Variationen von „Tennis for Two“ bzw. „Pong!“, oder Abschussspiele im Stile von „Space Wars“. Die Spielzeiten wurden kurz gehalten, die SpielerInnen sollten ja möglichst viel Geld in kurzer Zeit ausgeben. Durch die ständig ähnlichen Spiele stellten die EntwicklerInnen sicher, dass jedes neue Spiel möglichst einfach und schnell erlernt werden konnte. Die Spiele durften nicht zu kompliziert sein, denn sonst lief man Gefahr, dass der Spielautomat ignoriert wurde.125 Als Schnittstelle zu den SpielerInnen etablierte sich der sogenannte „Joystick“, um die virtuellen Figuren zu lenken und Knöpfe bzw. Tasten, um Aktionen, wie z.B. das Abschießen des/der GegnerIn, auszulösen. Die Koordination dieser Bewegungen ging durch die immer gleichen Bewegungsmuster und deren vielfache Wiederholung schließlich in das Standardrepertoire der SpielerInnen über und musste nicht mehr für jedes neue Spiel erläutert werden. Die Bedienung der Computerspielautomaten war ganz ähnlich den einfachen Arbeitsabläufen der Fließbandarbeit in den Fabriken, wie man bereits bei den Spielautomaten der 1930er Jahre und 1940er Jahre feststellen konnte. Um trotz der abstrakten Grafik den SpielerInnen ein Gefühl über den Inhalt des Spieles zu geben, mussten die Spielautomaten entsprechend gestaltet bzw. bemalt werden. Damit versuchte man das Abstraktionsvermögen zu unterstützen.126 Die Gestaltungsprinzipien für Spielhallencomputerspiele veränderten sich bis heute nicht, auch wenn es im Bereich der Grafik große Fortschritte gab, bleiben die Steuerung und das eher kurze und einfache Spielvergnügen erhalten. Allerdings verlor die Spielhalle ihre revolutionäre Rolle für junge Männer und wurde ab den 1990er Jahren von immer jüngeren Jugendlichen aufgesucht, während sich die jungen Erwachsenen eher Kneipen, Billardcafés oder den vermehrt auftretenden Wettcafés zuwandten. Die SpielerInnen wuchsen mit der Spielentwicklung auf, die Faszination des Neuen und Unbekannten blieb in den Spielhallen aber aus und die einfachen Spielabläufe und das niedrige Niveau konnten die älteren SpielerInnen nicht mehr zum Weiterspielen animieren. Für die Jüngeren bleiben die Spielhallen aber bis heute noch eine wunderbare Welt der blinkenden Lichter und faszinierenden Ton-
125 Vgl. Lischka, K., Spielplatz Computer, S. 41-46. 126 Vgl. Wolf, M.J.P., Abstraction in the Video Game, S. 48-54.
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folgen, die sich vor allem in Urlaubsorten und Vergnügungsparks manifestieren und den Eltern eine willkommene „Aufsicht“ für ihre Kinder bescheren. Die Computerspiele konnten durch den Einsatz in den Spielhallen ihren kommerziellen Sinn rechtfertigen und junge amerikanische und vor allem auch japanische Firmen konnten sich durch diese finanziellen Erfolge konsolidieren. Mit Hilfe der Heimvideospielkonsolen wurde in weiterer Folge der Erfolg der Spielautomaten in die privaten Haushalte und Wohnzimmer getragen und wiederholt. 1977 brachte die von Bushnell 1972 gegründete und 1976 wieder verkaufte Firma Atari seine erste Heimspielkonsole heraus. Sie wurde VCS (Video Computer System) genannt und war eine kostengünstig konstruierte Mikroprozessorkonsole. Es wurden sogenannte „Cartridges“ verwendet. Module, auf denen ein Spiel gespeichert werden konnte. Es war somit möglich, mit der Videoheimkonsole im Gegensatz zu den Spielautomaten, unterschiedliche Spielecatridges zu verwenden, um verschiedene Spiele zu spielen.127 Spiele konnten nun einzeln für ein System gekauft werden, allerdings waren die unterschiedlichen Videokonsolensysteme zueinander inkompatibel. Es konnten nur jene Spiele gespielt werden, die für das jeweilige System programmiert wurden. Eine Einschränkung, welche die Videospielkonsolen bis heute betrifft. Für die Spielfirmen bedeutet dies aber KundInnenabhängigkeit und die Möglichkeit, exklusive und von der Konkurrenz unabhängige Spiele zu entwickeln. Zusätzlich musste man sich weniger Sorgen um raubkopierte Produkte machen, ein Problem, das vor allem die Spiele für die späteren Heimcomputer und den PC betraf. Inhaltlich bediente man sich der bereits etablierten Spiele aus den Spielhallen, als Bildschirme wurden Fernseher verwendet. Als Steuerung dienten ähnlich den Geräten aus der Spielhalle Joysticks, oder so genannte „Game-Pads“,128 mit denen auch mehrere SpielerInnen gemeinsam mitoder gegeneinander spielen konnten. 1985 trat mit Nintendos „NES“ (Nintendo Entertainment System) die japanische Spielherstellerkonkurrenz massiv auf den mittlerweile umkämpften Computerbzw. Videospielmarkt. Die japanischen Spiele- und Computerfirmen stürzten die amerikanische Computerspielindustrie Mitte der 1980er Jahre in eine Krise, vor allem die Heimvideokonsolen und den Bereich der Spielautomaten. Der bislang erfolgreiche amerikanische Spielproduzent Atari entwickelte die Spiele für seine Konsole weder optisch noch inhaltlich weiter, man glaubte, mit den inzwischen 20
127 Vgl. Kent, L.S., Super Mario Nation, S. 42-46. 128 „Gamepads“ sind für Spielkonsolen etablierte Steuerungseinheiten, die Schalttasten und Wipp-Drehkreuze für Steuerungszwecke bereitstellen. Die Pads sind mit einem langen Kabel bzw. über Funk mit der Konsole verbunden und ermöglichen bequemes Spielen von der Fernsehcouch aus.
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Jahre alten Spielkonzepten weiterhin Erfolg zu haben.129 Die japanischen Firmen setzten neben anspruchsvollerer Grafik und Musikuntermalung erstmals auch auf Spielcharaktere und eine über den Computerspielbereich hinausgehende gezielte Vermarktung derselben. 1980 wurde von der japanischen Firma Namco „Pac-Man“ als erste Computerspielfigur entworfen, die ein Kult- Objekt wurde. Die Figur wurde 1982 zum ersten virtuellen Popstar: Es gab „Pac-Man“ MerchandisingProdukte in Cornflakes-Verpackungen, eigene „Pac-Man“ Musikbands und deren Produktionen, Fan-Magazine etc. Im Gegensatz zu den üblichen Computerspielstrukturen stellte „Pac-Man“ eine Figur dar, die von Geistern verfolgt in einem Labyrinth versuchen musste, so schnell wie möglich „Esspakete“ zu fressen. Fressen wurde das Ziel des Spieles. Laut Konrad Lischka Eine ironische Metapher auf die moderne Konsumgesellschaft, die von den SpielerInnen begeistert aufgenommen wurde.130 Ähnlich erfolgreiche Videospielfiguren wurden der Installateur „Mario“ mit der Spielreihe „Super Mario Bros.“ und der Affe in der Serie „Donkey Kong“. Die Spielfiguren wurden von Nintendo sehr kindlich mit großen Augen im japanischen Anime-Stil gestaltet. Gewaltdarstellung kam in den comichaften Spielen nicht vor, bzw. wurde streng zensuriert. Zwar konnten sich durchaus auch erwachsene SpielerInnen an den familiengerechten Spielen erfreuen, doch führte die Computerspielproduktionen von Nintendo dazu, dass sich die Videospielkonsolen vorwiegend unter Kindern und Jugendlichen verbreiteten, was für längere Zeit zu einer Trennung von Konsolenvideospiel für Kinder und Heimcomputerspiel für Erwachsene führte.131 Die Spiele von Nintendo und ihr Figurendesign fanden in einem gewaltfreien Raum, jenseits der Realität, statt. Die Feindfiguren waren niedliche Käfer, kleine Drachen, Bienen, etc. Zwar stellten die Computerspiele für die Heimcomputer und späteren Personal-Computer im folgenden andere Spielwelten dar, doch erst ab Mitte der 1990er Jahre begann sich durch die ebenfalls japanische Computerspielfirma Sega der Konsolenmarkt auch an älteren Jugendlichen bzw. Erwachsenen zu orientieren. Es entstanden vermehrt Kampf- und Prügelspiele.132 Ab diesem Zeitpunkt beginnt sich die Trennung der Spielprodukte nach Altersschichten und Zielgruppen zwischen Konsolen- und Heimcomputerbereich aufzulösen und verschwindet heute in Zeiten einer „Sony Play-Station“ oder „X-Box“ nahezu völlig. Andererseits werden auch Spielinhalte transportiert, die für Kinder und Jugendliche ungeeignet erscheinen und trotzdem dieses Publikum erreicht und fasziniert. Es
129 Vgl. Lischka, K., Spielplatz Computer, S. 51-54. 130 Vgl. Ebda., S. 51-58. 131 Vgl. Ebda., S. 59. 132 Vgl. Ebda., S. 60-62.
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stellte sich eine enorme Problematik von Gewaltdiskussionen und Jugendschutz ein, die an späterer Stelle noch behandelt wird. Zunächst gilt es noch die Parallelentwicklung zur Videospielkonsole aufzuzeigen: Die Entwicklung der Heimcomputerspiele hin zu den heutigen PC-Spielen. Vom Heimcomputerspiel zum PC-Spiel Während sich die Computerspielfirmen zwischen 1975 und 1985 eher dem Konsolenbereich zuwandten, entstanden für den Computerbereich kleinere Firmen und Hobbyprojekte, die Spiele für die ungleich teureren Computer entwarfen. Die simplen Ablegerspiele von „Space Wars“ und „Pong!“ konnten die SpielerInnen nicht länger überzeugen und waren, wie bereits besprochen, den Konkurrenzprodukten aus Japan technisch und inhaltlich unterlegen. Von den SpielerInnen gefordert wurden Charaktere, Erzählungen und vor allem eine verbesserte Grafik, letztere war auf Grund des hohen Preises von grafikverbesserten Computer noch nicht für den Massenverkauf möglich. Die Erzählung floss in die Computerspiele durch die beliebten Brettspiele und „Pen&Paper“-Rollenspiele der 1970er Jahre ein. Diese Spiele wurden mit mehreren SpielerInnen entweder direkt an einem Spielbrett gespielt, bzw. auch über längere Zeiträume mittels Postweg. Mit Hilfe eines/r SpielleiterIn, der/die in der Regel auch als ErzählerIn fungiert, beschreiten die Mitglieder eines solchen Spieles eine interaktive Geschichte in einer fantasievollen (imaginären) Umgebung, die durch die Fantasie des/der ErzählerIn und den beteiligten SpielerInnen Gestalt annimmt. Als Verbündete in einer Gruppe oder auch als GegnerInnen durchleben die Beteiligten eine Abenteuergeschichte, ähnlich dem Lesen eines Abenteuerbuches, allerdings mit variablem Erzählfortgang. In den Geschichten, die durch die damalige FantasyLiteratur geprägt sind, kommt es immer wieder zu Konfrontationen zwischen den SpielerInnen, oder den von den SpielleiterInnen vorgetragenen GegnerInnen bzw. Gefahren. Diese Begegnungen werden durch einen Würfelvorgang als Zufallselement entschieden, der das Schicksal symbolisiert. Durch geschicktes Spielen, also den Ausbau und die Weiterentwicklung der Spielfiguren, sowie das Zusammenspiel in der Gruppe, können die Risiken des Schicksals minimiert, jedoch nie völlig ausgeschlossen werden. Um solche Spiele ausführen zu können, benötigt es verbindliche Regeln und Gesetzmäßigkeiten, die über die SpielleiterInnen kommuniziert werden. Sie sind entsprechend verantwortlich für die Einhaltung dieser Regeln und deren Rahmenbedingungen. Die Regeln und Gesetze wurden in Regelbüchern zusammengefasst, ein weit verbreitetes Regelwerk ist z.B. das „Advanced Dungeons and Dragons (AD&D)“ Regelwerk. Es definiert die Eigenschaften der Figuren und Wesen im Spiel, die Hintergrundgeschichten und Spielbedingungen,
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die für die SpielerInnen verbindlich sind.133 Das Regelwerk wurde Anfang der 1970er Jahre im Zuge des zunehmenden Interesses an Fantasy-Literatur, allen voran des „Herrn der Ringe“-Epos von Tolkien134 erstveröffentlicht.135 Es ist auch heute noch aktuell und wird permanent überarbeitet und erneuert. Ähnlich bekannt, vorwiegend für den deutschsprachigen Raum, ist das „Schwarze Auge“-Regelwerk. Die strukturierten Fantasiewelten eigneten sich hervorragend für die Umsetzung als Computerspiel und wurden die Basis für die Computerspielgattung der Rollenspiele. Der Wissenschaftler William Growther war Mitglied der „Internet Message Processing Group“, die Mitte der 1970er Jahre an der Entwicklung des Internet arbeitete und Entwürfe für den Verbindungsaufbau und die Kommunikationsstruktur des Netzes entwickelte. Zusätzlich kartographierte er in seiner Freizeit das Höhlensystem der „Mammoth Cave“ in den Vereinigten Staaten, dem weltweit größtem Höhlensystems von über 350 Meilen. Schließlich war er noch begeisterter „Pen&Paper“-Rollenspieler der „Advanced Dungeon&Dragons“-Serie. Er war von den Forschungen in den Höhlen derart fasziniert, dass er seine Ausflüge auf dem Computer simulieren wollte und schrieb ein Programm dafür. Finstere Höhlen mit Drachen und Schätzen sind beliebte Orte in der Fantasy-Literatur, allen voran in Tolkiens Fantasy-Welt. Growther baute sie in seinem Programm ein und machte daraus 1976 das erste Textabenteuer mit dem Namen „Adventure“. Den technischen Hintergrund für die Programmstruktur lieferte seine Entwicklungsarbeit beim „ARPA-Net“, dem militärischen Vorläufer des Internet.136 Das Besondere an den Spielwelten liegt in ihrem Anspruch an den imaginativen Fähigkeiten der SpielerInnen, da das Spiel ja nur aus geschriebenem Text besteht. Die SpielerInnen mussten sich ihre Wege im virtuellen Raum erahnen, keine Grafik stellte das Geschehen dar. Es wurde für die SpielerInnen oftmals notwendig Skizzen mit zu zeichnen, um die Abzweigungen und beschriebenen Wege im Gedächtnis zu behalten und die Orientierung nicht zu verlieren. Im Grunde glich das Spiel dem Lesen eines Abenteuerromans, nur dass der Ablauf der Handlung in gewissem Rahmen von den SpielerInnen mitgestaltet wurde. Natürlich ist dies nur soweit möglich, inwieweit
133 Vgl. dazu auch: Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 41. 134 John Ronald Reuel Tolkien (1892-1973) war englischer Schriftsteller und Philologe. Sein Interesse galt den altnordischen und keltischen Dichtungen. Sie dienten als Grundlage seines fantastischen Erzählwerks „Der kleine Hobbit“ (1937) und „Der Herr der Ringe“ (1954-1955). In den Büchern geht es um große mythologische Themen und den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse. Erfolgreich wurden die Bücher erst in den späten 1960er Jahren. Sie gelten als Grundlage der Fantasy-Literatur (Vgl. Brockhaus: Die Enzyklopädie in 24 Bänden, THEM- VALK, Bd. 22., S. 162). 135 Vgl. Lischka, K., Spielplatz Computer, S. 86-89. 136 Vgl. Pias, C., Computer Spiel Welten, S. 119-127.
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die Entscheidungsmöglichkeiten und damit verbundenen Handlungsvarianten von den ProgrammiererInnen vorbereitet und ins Programm implementiert wurden. In diesen Programmen finden sich die Idee der interaktiven Romane und die Theorie der Hypertextualität wieder. Mit Hilfe des Computers und des Internet konnten nun alle LeserInnen zumindest theoretisch zu AutorInnen werden, unabhängig davon, ob die Werke tatsächlich gelesen wurden.137 Wesentlich war aber die Vorstellung, Geschichten und Romane zu entwickeln, die den KonsumentInnen Möglichkeiten der Mitbestimmung boten. Laut Benjamin Woolley war es das Ziel, die natürliche und traditionelle Abfolge der Romane zu brechen und neue Muster des Schreibens und Lesens zu erfinden.138 Die textbasierten Computerspiele erfüllten zum Teil diese Vorstellung der Mitgestaltung der SpielerInnen und der Interaktion mit der Geschichte. Diese Spiele verbreiteten sich zunächst an den Universitäten und sprachen in erster Linie die älteren ComputerspielerInnen an, die sich auch einen Computer leisten konnten bzw. an den Universitäten Zugang zu einem Computer und Internet erlangen konnten. Die bekannteste Reihe wurden die „ZorkTextadventures“ der Firma Infocom. Die Spiele produzierten nicht nur detaillierte Geschichten, sondern auch Spielcharaktere, die wesentlich intensiver beschrieben wurden, als die Hauptfiguren eines „Super Mario“- oder „Donkey Kong“-Spieles von Nintendo. Allerdings blieben Charaktere und die Umwelt der Erzählung unsichtbar, die Computer dieser Zeit waren nicht in der Lage komplexe Figuren und Welten grafisch zu erzeugen. Die Spiele wurden von den Unternehmen zum Teil als Hochkultur positioniert.139 In Zeiten, wo die Computerspiele einen hohen Abstraktionsgrad von den SpielerInnen erforderten, konnte auf die Präsentation verzichtet werden. Außerdem waren die Videospielkonsolen mit ihrem Zielpublikum, das auf Kinder und Jugendliche zwischen 7 und 14 Jahren ausgerichtet war, trotz besserer Grafik keine direkte Konkurrenz. Als aber Mitte der 1980er Jahre die Firma Commodore und Atari die ersten Heimcomputer auf dem Markt brachten, bedeutete dies das Ende der Textabenteuer. Erstmals gab es Computer, die für die damaligen Verhältnisse bemerkenswerte grafische Fähigkeiten aufwiesen und trotzdem im klassischen Sinn als universaler Computer einsetzbar waren. Obwohl die Grafikfähigkeiten denen der damaligen Konsolen entsprachen und diese zum Teil übertrafen, konnten die Geräte auch mit einer Programmiersprache programmiert werden. Dies machte diese Generation von Computern auch für NichtspielerInnen interessant und ermöglichte ein breiteres Zielpublikum. Es entstanden unzählige Spiele und Anwendungsprogramme für diese Geräte, die erstmals sowohl als Arbeits- und Spielgerät in einem genutzt
137 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 41-42. 138 Vgl. Woolley, B., Die Wirklichkeit der virtuellen Welten, S. 166-167. 139 Vgl. Lischka K., Spielplatz Computer, S. 73-74.
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werden konnten, ähnlich wie wir es heute mit dem PC erleben. Die SpielerInnen wollten aber die grafischen Möglichkeiten der Geräte austesten, Textadventures waren dazu aber nicht in der Lage.140 Durch sinkende Produktionskosten und damit einhergehende Preissenkungen verbreiteten sich die Heimcomputer ab 1984 rapide und stellten die ersten vielseitigen „Familien“-Computer dar. Parallel dazu entwickelte IBM das Konzept des Personalcomputers, kurz PC. Die Anwendungsprogramme, Spiele und Software für die Heimcomputer waren von der jeweiligen Hardwareplattform abhängig und konnten nicht beliebig auf verschiedenen Heimcomputersystemen verwendet werden, ähnlich der Spielkonsolen. Genauso wenig war es für die BenutzerInnen möglich, an den Hardwarekomponenten Änderungen vorzunehmen. Dieser Umstand führte dazu, dass sich das prinzipiell offene Konzept des PC zunächst im Arbeitsbereich und schließlich auch bei den Computerspielen durchsetzte. Microsofts „MSDos“ wurde das erste universelle Betriebssystem und war der frühe Vorläufer der heutigen „Windows“-Betriebssysteme, mit denen ihr ursprünglicher Erfinder und Firmengründer Bill Gates zum Multimillionär wurde.141 Anfang der 1990er Jahre wurden schließlich die Heimcomputer für die ComputerspielerInnen endgültig uninteressant, als die Herstellerfirmen der Computerkomponenten begannen, die PCs speziell für SpielerInnen weiter zu entwickeln. Waren die PC-Spiele anfangs noch vor allem in der grafischen Präsentation den Heimcomputern und auch den Videospielkonsolen unterlegen, konnten im folgenden die SpielerInnen durch gezielte Investitionen in verbesserte PC-Komponenten die Leistungen ihrer PCs erhöhen und damit auch die Präsentationsfähigkeiten des PCs für die Spiele entsprechend steigern. Bis heute ist diese Möglichkeit der individuellen Hardwareausstattung für die PC gegeben und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Hardwareindustrie. Dies bedeutet aber auch, dass der Besitz eines PCs nicht automatisch die Möglichkeit zum Spielen eines Computerspieles bereithält. Tatsächlich benötigen die SpielerInnen ein gewisses Maß an technischer Mindestausstattung, um bestimmte Spiele überhaupt spielen zu können. Je moderner und grafisch anspruchsvoller ein Computerspiel ist, desto mehr Geld müssen die BenutzerInnen in die Hardwarebestandteile ihres Computers investieren. Somit sind die Computerspiele gleichzeitig auch ein Anstoß für den Kauf eines neuen Computers, bzw. verbesserter Ausstattung und damit ein entscheidender Wirtschaftsfaktor und Motor für die Weiterentwicklung der PCs. SpielerInnen müssen demnach mit hohen Anschaffungskosten rechnen, wenn sie mit der technischen Entwicklung Schritt halten wollen. Industrie und Handel suggerieren mit entsprechender Werbung die Notwendigkeit dieser Kaufspirale und die jeweiligen Computer- und Spielfachzeit-
140 Vgl. Ebda., S. 74-77. 141 Vgl. Wurster, C., Die Kunst der Mensch-Maschine-Schnittstelle, S. 339-341.
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schriften überzeugen mit Leistungstests die SpielerInnen ihre Systeme teuer zu erweitern. Vor allem für Jugendliche und sozial benachteiligte Menschen übersteigt der Kaufdruck die finanziellen Möglichkeiten, kosten High-End Computersysteme derzeit an die 2000 Euro oder mehr. Somit können Computer auch ein Statussymbol werden, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß anerkannt und symbolisch in der Gesellschaft etabliert wie etwa das Auto. In der Regel werden erst durch die erhöhten Anforderungen der Spiele die PCs für den Privatbereich sehr teuer, während z.B. für eine Textverarbeitung mit „Word“ keine dementsprechend hohen Investitionen nötig sind. Wie bereits erwähnt, ist es heute üblich, ein Spiel sowohl für den PC als auch zugleich für eine Konsole zu entwickeln. Trotz Internetfunktionen oder der Möglichkeit zur Verwendung der Konsole als DVD-Player sind die Videospielkonsolen noch immer nicht so vielseitig wie der PC, während aber die Trennung zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. Jugendlichen in der Nutzung der Geräte nicht mehr stattfindet. Ähnlich verhält es sich mit den Computerspielarten und -gattungen. Wo früher am PC eher anspruchsvollere Programme wie Wirtschaftssimulationen, Flugsimulatoren, Strategie- oder Abenteurerspiele und auf den Videospielkonsolen eher Kinder- und Jugendgerechte einfachere Actionspiele zu finden waren, können heute solche Trennungen nicht mehr vorgenommen werden. Ähnlich schwer lassen sich unter der Vielzahl der erscheinenden Spiele feste Genregrenzen ausmachen, um die Spiele untereinender einzuteilen und abzugrenzen. Zu sehr überschneiden sich die Spielformen innerhalb eines Spieles. Trotzdem möchte ich nachfolgend einen Umriss der Spielarten bzw. Spielgattungen geben, um darzustellen welchen unterschiedlichen Spielfunktionen sich ein Computerspiel bedient.
C OMPUTERSPIELGATTUNGEN Actionspiele Ausgehend von den ersten Computerspielen „Pong!“ und „Space Wars“ kann man Actionspiele als jene Computerspielform begreifen, in der in der Regel schnelle Reaktionen der SpielerInnen das Bildschirmleben der gesteuerten virtuellen Figur beeinflussen. Ob diese Figur nun eine Person, ein Auto, oder ein Raumschiff darstellt, ist nebensächlich. Der Computer stellt die SpielerInnen vor immer schwieriger werdenden Aufgaben, die durch exaktes Reagieren auf die computergesteuerten Situationen zu lösen sind. SpielerInnen lernen mit zunehmender Spieldauer durch ähnliche bzw. vorhersehbare Aktionen des Computerspieles die Spielmechanik kennen und „erspielen“ sich somit den Fortgang des Programms. Ausgehend vom Entstehen der Spiele im Spielhallenbereich war die Lernkurve bei den frühen Com-
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puterspielen sehr hoch. Es war seitens der Spielhallenbetreiber nicht erwünscht, dass mit dem eingeworfenen Geld sehr lange gespielt werden konnte, und nur sehr versierte SpielerInnen kamen in die Endlevels eines Computerspieles. Dies erforderte sehr viel Übung und nicht zuletzt beträchtlichem Einsatz von Münzgeld. Lohn der Mühe war die Aufnahme in eine Bestenliste, dem „Highscore“ und die damit verbundene Präsentation der eigenen Leistung für die anderen SpielerInnen. Es ging dabei weniger um die Identifikation mit den noch sehr abstrakten Spielfiguren, sondern eher um die Bestätigung der eigenen Leistung durch das Computerspiel. Genauso sekundär war in dieser Hinsicht die Spielgeschichte, die kaum vorhanden war. Den SpielerInnen waren die vermittelten Erfolgserlebnisse und deren Kommunikation innerhalb der SpielerInnen-Community wichtiger. Als die Computerspiele in Form der Videospiele für Konsolen die Wohnzimmer der SpielerInnen erreichten, trat der Leistungsvergleich vielfach in den Hintergrund. Dort, wo man gegeneinander bzw. im Freundeskreis spielen konnte, waren die Kommunikation und der Wettbewerb untereinander noch gegeben, jedoch bedeutete die Privatisierung der Spiele einen anderen Anspruch an die Computerspiele. Im Vordergrund trat die Beschäftigung des/der Einzelnen mit dem Computerspiel. Die Kommunikation des „Highscores“ war nicht mehr gegeben und das Eintragen in eine Bestenliste stellte nur noch bedingt eine Befriedigung für die SpielerInnen dar. Heute wird bei vielen Actionspielen ein „Highscore“ gar nicht, oder nur mehr rudimentär verwendet. Ausnahmen bilden die Sportspiele und die Actionspiele im Internet, wo ein Leistungsvergleich zwischen den SpielerInnen wieder relevant wird. Um die SpielerInnen langfristig an Computerspiele zu binden, wurde neben einer erzählten Geschichte, einer charismatischen Spielfigur mit dargestellten Charaktereigenschaften, auch eine entsprechende Präsentation benötigt. Ab den frühen 1980er Jahren wurden die Actionspiele in bunte Schachteln verpackt und eine Hintergrundgeschichte erfunden, die man dem Spiel beilegte. Diese Geschichten waren kurz und teilweise abstrus, aber sie sollten den SpielerInnen den Einstieg ins Spiel erleichtern und eine Identifikation mit der Spielfigur ermöglichen.142 Mit der technischen Weiterentwicklung wurden Darstellungsmöglichkeiten verbessert, und die ComputerspielerInnen konnten tiefer ins Spielgeschehen eintauchen. Allerdings wurden die Erzählstrukturen bei Actionspielen vernachlässigt. Vielfach ging es ausschließlich darum, als Raumpilot feindliche Aliens abzuschießen oder als (guter) Soldat (böse) feindliche Soldaten oder Monster zu eliminieren. Durch die Möglichkeiten der dreidimensionalen Spielwelten ab den frühen 1990er Jahren konnte nun erstmals in simulierter, dreidimensionaler Sicht im Spiel agiert werden. Eines der ersten Spiele dieser Art war „Doom“, das den SpielerInnen ein Erlebnis „mitten“ im Spiel zu sein, simulierte. Mit der Waffe im Anschlag wur-
142 Vgl. Lischka, K., Spielplatz Computer, S. 73-77.
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de das Geschehen in der „Ich“-Perspektive dargestellt, eine intensive Form des virtuellen „Tötungsaktes“, der bis heute diskutiert wird. „Doom“ kam schon damals in Deutschland auf den Index für gewaltverherrlichende Spiele. Im Kapitel Krieg, Kampf, Gewalt und Spiel wird dieser Problematik noch ausführlicher Raum gewidmet. Durch diese Spielentwicklung waren aber die Zeiten der zweidimensionalen Actionspiele vorbei, in denen die Sicht von oben eine gewisse Distanz zum Geschehen einräumte. Trotz der realistischen Umgebung in einem virtuellen dreidimensionalen Raum zählt noch immer die schnelle und richtige Reaktion auf das Bildschirmgeschehen als entscheidender Faktor um das Spiel zu bestehen. Die dreidimensionale oder „Ich“-Perspektive führte aber dazu, dass sich SpielerInnen wesentlich intensiver mit der Spielfigur identifizierten und sich leichter in das Spielgeschehen hineinversetzen konnten. Antrieb und Motivation zum Weiterspielen waren nun das Erkunden der neuen virtuellen Welten, deren Präsentationsqualität und Spielanspruch sich im Laufe des Spieles steigerte. Durch die realistische Darstellung erhöht sich der Spannungsgrad bei den SpielerInnen. Das Überleben der eigenen Figur, die ähnlich den im Folgenden zu behandelnden Rollenspielen zur virtuellen Stellvertreterfigur wird, stellt eine nervenaufreibende Herausforderung dar. Die Actionspiele, in denen es vorwiegend darum geht, feindliche Figuren oder Fahrzeuge aus einer dreidimensionalen Perspektive heraus abzuschießen, wurden in weiterer Folge auch Shooter, also Schießspiele genannt. Fast alle modernen Actionspiele bieten einen Erzählhintergrund im Stile eines Actionfilms, die SpielerInnen erspielen sich den Fortgang der Geschichte. Somit belohnt sie das Programm mit neuen Levels und dem Weitererzählen der Spielgeschichte, deren Ausgang das Spiel beendet. Als Auftakt zum Spiel startet häufig ein sogenanntes „Intro“, ein kurzer, meist grafisch besonders aufwendig präsentierter Story-Einstieg. Im Spiel tauchen in weiterer Folge immer wieder Erzählsequenzen auf, die die Handlung weiterführen, da während des Spielens wenig Zeit zum Verfolgen der erzählten Handlung bleibt. Am Schluss des Spieles erzählt eine Endsequenz den Ausgang der Geschichte, Punktestände werden meist nur peripher angezeigt. Eine mitreißende und spannungsgeladene Erzählung ist mittlerweile ein ausschlaggebender Punkt in der Bewertung eines Computerspieles. Dahingehend werden für moderne Actionspiele, ähnlich dem Kino, Drehbücher geschrieben, angepasst an den Rhythmus eines Computerspieles. Eine neuere Form der Actionspiele entwickelte sich durch das Internet, die sogenannten Internet-Shooter. Ähnlich den herkömmlichen Shooter-Spielen bieten auch diese denselben Spielhintergrund in einem virtuellen dreidimensionalen Raum. Allerdings spielt dabei die Hintergrundgeschichte weniger eine Rolle und die feindlichen Figuren werden von ComputerspielerInnen gesteuert. Es geht im Wesentlichen wieder darum, gegnerische virtuelle Figuren zu eliminieren und möglichst lange das Spiel zu überleben. Den Spielhintergrund liefern dabei oftmals reale kriegerische Schauplätze, wie etwa der 2. Weltkrieg, oder jüngere kriegerische
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Auseinandersetzung. Aber auch Science-Fiction- bzw. Fantasieszenarien werden als Spielort präsentiert. Prototyp und Auslöser für den Boom der Internet-Shooter war das Computerspiel „Counterstrike“, das erstmals eine riesige Anzahl von SpielerInnen vernetzt erreichte. Bei aktuellen Shootern, egal ob einzeln, oder über das Internet gespielt, wird Gewalt und Krieg derart explizit und realistisch dargestellt, dass in vielen Ländern der Jugendschutz aktiv wurde und etliche dieser Spiele indiziert wurden. Spiele, die sich auf diesem Index befinden, dürfen Jugendlichen unter 18 Jahre nicht mehr zugänglich gemacht werden. Das heißt, sie dürfen weder verkauft noch beworben werden. Es hat sich allerdings herausgestellt, dass gerade die Indizierung das Spiel für viele Jugendliche erst interessant macht.143 Die zunehmenden Gewalttaten und Amokläufe an den Schulen rücken die Shooter immer wieder in den Fokus der Diskussionen über mediale Gewalt und Kriegsverherrlichung. Diskutiert werden dabei die Auswirkungen von Gewaltdarstellung auf die spielenden Menschen, allen voran den Jugendlichen. Der entscheidende Unterschied der Internet-Shooter zum Solo-Shooter ist die Wettkampfsituation, die sich durch den direkten Vergleich mit menschlichen MitspielerInnen ergibt. Das heißt, man tötet nicht mehr die virtuelle Figur, die von der künstlichen Intelligenz des Computers gesteuert wird, sondern von menschlichen GegnerInnen gesteuerte Figuren. Diese Figuren verhalten sich wesentlich anders, als die programmierten ComputergegnerInnen, d.h. in erster Linie viel unberechenbarer. ComputerspielerInnen bezeichnen dieses Verhalten als „realistischer“ gegenüber künstlich gesteuerten Figuren. Es werden im Internet Ranglisten geführt, wo angegeben wird, wer wie viele GegnerInnen getötet hat. Die besten ShooterSpielerInnen sind in der virtuellen Szene des Internet anerkannt. Es schließen sich auch SpielerInnen zu Gruppen zusammen und bekämpfen sich gegenseitig, wobei ein geplantes, gemeinsam abgestimmtes Vorgehen für das virtuelle Überleben wichtig ist. Es entstehen somit weltweit über das Internet verteilt ganze Ligen, in denen sich Gruppen messen. Zudem werden lokale Turniere veranstaltet, wo Gewinne auf die SiegerInnen warten. Diese Turniere sind große Veranstaltungen, sogenannte LAN-Partys, in denen sich hunderte SpielerInnen in einer gemieteten Halle treffen, ihren eigenen Computer mitbringen, vernetzen und dann dort zwei bis drei Tage gegeneinander spielen. Die Turniere werden oftmals von großen Firmen der IT-Branche veranstaltet bzw. gesponsert, dadurch ergeben sich auch entsprechende Preisgelder für die besten Platzierungen.144 Bei diesen Wettkämpfen und
143 Vgl. Fromm, R., Digital Spielen – real morden?, S.83ff. 144 Als Beispiel möchte ich auf die Homepage des größten „Lan“-Party Veranstalters Deutschlands verweisen. Die aktuellen Preisgelder liegen dort im Bereich um 10005000 Euro und bis zu 4000 TeilnehmerInnen besuchen die Veranstaltung. (http://www.northcon.de/esportarena/esport.htm, 30.11.2012) Die weltweit aktuell
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Turnierveranstaltungen werden die besten virtuellen KämpferInnen ermitteln, die Veranstaltung gleicht einem Sport-Event. Die virtuellen Zusammentreffen der SpielerInnen im Netz bzw. ihr reales Zusammentreffen auf den LAN-Partys sind eine neue Form der Gemeinschaftsbildung und Kommunikation rund um ein elektronisches Medium. Sie sind zentral für die Analyse und werden an späterer Stelle noch eingehend behandelt. Vorweg lassen sich in der Entwicklung rund um die Internet-Shooter interessante Parallelen zu den „goldenen“ Zeiten der Spielhallenkultur ziehen. Ganz ähnlich, wie in den Spielhallen, wird der „Highscore“ wieder wichtig und ein Ausdruck für die Fähigkeiten der einzelnen SpielerInnen. Der Vergleich der individuellen Leistungen und der daraus resultierende Wettkampf nehmen eine sportliche Dimension an, unabhängig von der Präsentation des Computerspieles bzw. seines Spielinhaltes. Spielerfolg schafft Befriedigung und eine gewisse Form der Identitätsstiftung, die Kommunikation lässt Gruppen und Spielgemeinschaften bilden. Anders als am lokalen Ort der Spielhalle findet der reale körperliche Face-to-Face Kontakt entweder gar nicht, oder nur bei den mehrmals jährlich veranstalteten LAN- Partys statt. Simulationsspiele Während der späten 1980er und bis Mitte der 1990er Jahre waren Simulationsspiele vor allem für den PC sehr beliebt. Sie profitierten von den neuen Möglichkeiten der dreidimensionalen Raumdarstellung der Heimcomputer und späteren PC, auch wenn anfangs die Räume nur äußerst abstrakt dargestellt werden konnten. Für diese Art der Computerspiele galt die Prämisse, einen realen Vorgang möglichst exakt und detailgenau simulieren zu können. Als Vorbild bot sich die Steuerung von Flugzeugen an, da bereits im militärischen Bereich seit dem 2. Weltkrieg versucht wurde, adäquate Simulationen für die Ausbildung von PilotInnen am Boden zu ermöglichen. Diese Bestrebungen in der zivilen und militärischen Luftfahrt, sowie die Forschungsergebnisse bei der Entwicklung der Grafikdarstellung im Zuge der Experimente im Bereich der virtuellen Realität, waren die Grundlagen für die ersten kommerziellen Flugsimulatorenspiele in den 1980er Jahren. Diese Flugsimulationen waren zum großen Teil militärischer Natur, es wurden Kampfjets, Kampfhubschrauber, Panzer oder ähnliches gesteuert. Die Steuerung war möglichst vorbildgetreu, ein intensives Auseinandersetzen mit der Bedienungsanleitung war notwendig, um das Spiel überhaupt spielen zu können. Diese Spiele sprachen die Technikbegeisterung der vorwiegend erwachsenen Männer an und kooperierten in der Ent-
größte „LAN“-Party findet in Schweden statt und nennt sich „Dreamhack“. Hier findet man Siegprämien im Bereich der 10.000 Euro und 10.000 Teilnehmer werden erwartet (http://www.dreamhack.se/dhw12/about/, 30.11.2012).
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wicklung und Vermarktung mit den Militärs. Die technophilen männlichen Leser von Flugzeug- und Militärzeitschriften, die eine gute Ausbildung hatten und zusätzlich im technischen Umfeld beruflich tätig waren, wurden zur Zielgruppe dieser Spielproduktionen.145 Mittlerweilen glich sich die reale Kriegsführung (zumindest für die Piloten in den modernen Kampfbombern) den simulierten Einsätzen in den Computerspielen an und umgekehrt. Kommerzielle Spiele wurden von MilitärexpertInnen produziert und gleichfalls für Flugtrainings eingesetzt. Die Bildschirme für die Piloten in den Flugzeugen zeigen die ähnlichen Bilder wie die Simulationen. Der Krieg wird distanziert und klinisch rein, ohne seine blutige Seite dargestellt. Man tötet nicht die Menschen, die in den Gebäuden und gegnerischen Maschinen sitzen, sondern nur die technische Hülle. Keines dieser militärischen Simulationsspiele zeigte die Gräuel eines Krieges, oder hinterfragte die Kampfsituationen im Spiel. Der so simulierte Krieg wurde bereits von Baudrillard als Zeichen einer Gesellschaft gesehen, die sich in einer stetigen Simulation abseits der Realität befindet.146 Die Medien zeigen über das Fernsehen hochtechnische, ja ästhetische Bilder von Bombenabwürfen, die Militärs sprechen von präzisen und chirurgischen Eingriffen mit einem Minimum an Collateralschäden. Das Elend und Leid hinter den Bildern wird von den vom Militär ausgewählten JournalistInnen nicht gezeigt. Ganz ähnlich blenden auch Computerspiele Leid, Tod und Elend aus. Die PilotInnen der Bomber agieren wie in einem Computerspiel abseits der Realität, die Hemmschwelle zum Waffeneinsatz sinkt. Für Baudrillard sind spätestens seit dem ersten Irak-Krieg die heutigen Kriege Medienerzeugnisse und provokant fragt er, ob ein Krieg ohne Medien überhaupt stattfindet.147 Eine Position, die zwar unsere Medienproduktion und die damit eingehende Manipulationsmöglichkeiten der Bilder und letztendlich der RezipientInnen zu Recht in Frage stellt, jedoch die realen Opfer hinter den Ereignissen verschwinden lässt. Die Bedeutung der militärischen Simulationen am Spielemarkt ging ab Ende der 1990er Jahre zurück. Immer mehr Action-, Sport- und schließlich auch Adventure- und Rollenspiele übernahmen diese Art der grafischen Präsentation, allerdings ohne dass die SpielerInnen langwierige Fluganleitungen lernen mussten. Die heute seltenen Flugsimulatoren gleichen eher Actionspielen, eine Ausnahme stellt die Microsoft „Flight Simulator“-Reihe dar, die als nahezu einziges Programm zivile, aber auch militärische Luftfahrt adäquat simuliert.148 Die Inszenie-
145 Vgl. Gieselmann, H., Der virtuelle Krieg, S. 116ff. 146 Vgl. Baudrillard, J., Die Simulation, S. 159. 147 Vgl. Baudrillard, J., Das perfekte Verbrechen S. 15-17 u. 110, sowie Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 24-25. 148 Dieses Programm simuliert moderne Flugzeuge derart exakt, dass es durchaus für realistische Flugtrainings verwendet werden kann. Vermutlich haben die Terroristen
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rung von Krieg wurde in den Actionspielen, bzw. Shootern fortgesetzt, zum Teil ähnlich steril wie die Flugsimulatoren, zum anderen, weitaus größeren Teil gewaltintensiver bis hin zur Gewaltverherrlichung. Die Militärs investieren heute vor allem in Kriegs-Shooter, die aktuelle Konflikte darstellen und in denen die SpielerInnen einen einfachen Soldaten spielen, der auf das Böse in der Welt losgelassen wird und für sein Vaterland klischeeübliche Feinde tötet. Sportspiele werden in den Spielefachzeitschriften größtenteils als eigenes Genre behandelt. Ich möchte sie aber unter dem Begriff der Simulationsspiele zusammenfassen, da unterschiedliche Sportarten realistisch simuliert und dargestellt werden. Natürlich könnte man Sportspiele genauso als Actionspiele begreifen, da sehr oft schnelle Reaktionsfähigkeit der SpielerInnen über Sieg oder Niederlage entscheidet. Inhaltlich stehen der Wettbewerb und das Leistungsdenken im Vordergrund, ähnlich dem realen Sport. Simuliert werden von Autorennen, Skifahren, Skispringen, Fußball bis hin zum Golf sämtliche Sportvarianten. Vor sportlichen Großereignissen entsteht immer wieder eine beachtliche Anzahl von Sportspielen zum jeweiligen Thema, die intensiv vermarktet und beworben werden. Sportspiele erzählen weniger eine Geschichte, sondern simulieren einen kurzweiligen Wettbewerb, der auch über das Internet zwischen SpielerInnen ausgetragen werden kann. Diese Art der Spiele wird im gesellschaftlichen Diskurs völlig unproblematisch gesehen, da schädliche Einflüsse auf Kinder und Jugendliche kaum zu erkennen sind. Abgesehen davon, dass das Spielen vor dem Computer generell mit einer eingeschränkten körperlichen Haltung verbunden ist und von gesünderen, bewegungsintensiveren Freizeitbeschäftigungen abhält. Dasselbe gilt auch für die kindergerechten Hüpfund Geschicklichkeitsspiele, wie z.B. „Super Mario Bros“. usw., die vor allem auf den Konsolen zu finden sind. Strategie-, Taktik- und Denkspiele Sind bei Actionspielen vor allem schnelle Reaktionen und das perfekte Agieren mit den Eingabegeräten gefragt, um computergesteuerte oder menschliche MitspielerInnen zu besiegen, benötigen diese Spiele den Einsatz von Taktik und Strategie, um sie beherrschen zu können. Strategie- und Taktikspiele haben ihre Ursprünge im militärischen Bereich. Bereits im 18. und 19. Jahrhundert beschäftigten sich die Militärstrategen intensiv damit, Kriege und Schlachten zu simulieren und ihre möglichen Ausgänge vorhersehen zu können. Bereits 1812 entwickelte Reiswitz taktische Kriegsspiele, die vom preußischen Militär zur Schulung der Offiziersanwärter
vom 11. September 2001 ihre Terrorangriffsflüge mit dieser Simulation üben können (http://www.focus.de/magazin/archiv/flug-simulation-boeing-als-bombe_aid_191616. html, 12.03.2012).
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verwendet wurden. Als Reaktion auf Napoleons taktisches Gespür für das Ausnutzen von Geländeformationen für seine Schlachtpläne, berücksichtigten diese Kriegsspiele neben den eigentlichen Truppenverbänden auch geographische Geländestrukturen.149 Fortan wurden für die folgenden Kriege Planspiele entwickelt, deren Ergebnisse kriegsentscheidende Bedeutungen erlangten. Seit Reiswitz Kriegspiel versuchen die SpielentwicklerInnen für sämtliche mögliche Einflussfaktoren Regeln zu erstellen, die den Kriegsablauf vorhersehbar machen können. Die Computertechnik nach dem 2. Weltkrieg bot sich für diese Automatisierungsprozesse an, und die Kriegsspiele fanden ihren Weg zum Computer.150 Es entstanden Kriegssimulationen mit riesigen Mengen an Eingangsvariablen. Gestützt auf die Rechentheorien eines Neumann und Shannon151 wuchsen die Möglichkeiten der berechnenden Simulation über die Kriegsspiele hinaus und erfassten die Simulationen ganzer Wirtschaftssysteme. Computerprogramme berechnen heute selbstlernend und automatisiert Wirtschafts- und Aktienmärkte.152 Durch die Kriegssimulationen fanden die Kriegsspiele ihre Kommerzialisierung im privaten Bereich. Brettspiele, wie z.B. „Risiko“, haben ihre frühen Vorläufer in vereinfachten Varianten von Reiswitz´ Kriegsspiel, während auf den Computern ab den 1980er Jahren Kriegs- und Wirtschaftssimulationen entstanden. Diese Spiele sprechen die Allmachtvorstellungen und Kontrollfantasien der SpielerInnen an und verlangen vorwiegend überlegtes methodisches Vorgehen. Die Entwicklungslinie und Spielinhalte wurden direkt von den strategischen Brettspielen übernommen. Schon der Name Kriegsspiel stellt einen widersprüchlichen Begriff dar, denn es stellt sich die Frage,
149 Vgl. Hilgers, v. P., S. 112-115. 150 Vgl. Pias, C., Computer Spiel Welten, S. 191ff. 151 Neben dem schon angesprochenen John v. Neumann, gilt Claus E. Shannon als zentrale Figur in der Entwicklung von Computeralgorithmen. Er gilt als Begründer der digitalen Informationstheorie (Vgl. Brockhaus: Die Enzyklopädie in 24 Bänden, SEIF- STAL, Bd. 20., S. 135). 152 Selbst kleinste Kursschwankungen an den Börsen werden von den sensiblen und weltweit vernetzten Computerprogrammen wahrgenommen und weiter verarbeitet. Dies führte auch zum Börsencrash im Jahre 1987, wo selbst agierende Programme auf Verluste reagierten und automatisiert Aktien verkauften, die wiederum weitere Computerprogramme veranlasste, Verkäufe zu tätigen. Durch diese Kettenreaktion fielen die Kurse ins Bodenlose, ohne realen Bezug zum Wirtschaftsgeschehen. Schlimmer wurden die folgenden Börsenstürze, wie etwa im Jahr 1989. Ohne ersichtlichen Grund fielen die Kurse, obwohl die selbstverkaufenden Programme Sicherheitssysteme erhielten. Im Grunde zeigte sich, dass die ohnehin labilen Aktienkurse durch die globalisierte Vernetzung nicht mehr nachvollziehbar sind bzw. sich nicht mehr unter menschlicher Kontrolle befinden (Woolley, B., Die Wirklichkeit der Virtuellen Welten, S. 144-148).
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was der Krieg mit den geläufigen Sinninhalten des Spieles zu tun hat? Jedoch wurde der Name seit Reiswitz für diese Art der Spiele weiterverwendet und auch heutige Spiele sämtlicher Gattungen setzen sich in irgendeiner Form nahezu selbstverständlich mit kriegerischen Inhalten auseinander.153 Traditionell befinden sich die SpielerInnen in Strategiespielen in einer Art Überblicksposition zum Spielgeschehen, die eine gewisse Distanz zum Spiel schafft. Diese Distanz wird aber in aktuellen Spielen immer mehr aufgehoben, eine dreidimensionale Sichtweise, die mitten im Spielgeschehen angesiedelt ist, nimmt den Platz der distanzierten Betrachtung ein. Der Krieg wird nun auch in Strategiespielen aufwendig inszeniert, der Umgang mit dem Spiel verlangt ebenso eine gute Reaktion und Schnelligkeit, wie taktisches Vorgehen. Selbstverständlich gibt es noch viele andere abstraktere Strategie- und Denkspiele wie den Klassiker „Tetris“,154 abseits von der kriegerischen Grundthematik, jedoch schwindet diese Zahl im Vergleich zu den Kriegstiteln. Waren frühere Strategiespiele vorwiegend rundenbasierend aufgebaut, ähnlich den Brettspielen, werden aktuell bis auf wenige Ausnahmen sogenannte Echtzeitstrategiespiele entwickelt, die ein schnelles, zeitkritisches Vorgehen erfordern. Rundenbasierende Strategiespiele konnten häufig mit mehreren menschlichen MitspielerInnen hintereinander abwechselnd auf einem Computer gespielt werden, während die Echtzeitstrategiespiele simultanes Spielen voraussetzt. Ähnlich den schon angeführten Internet-Shootern werden solche Spiele mit Hilfe des Internet gegen menschliche MitspielerInnen gespielt.155 Den ProgrammiererInnen von Strategie- und Sportspielen war von jeher die Möglichkeit für die SpielerInnen gegen menschliche GegnerInnen anzutreten zu können wichtig. Die Spiele sind in der Regel auch alleine gegen die künstliche Intelligenz des Computers spielbar, für viele SpielerInnen entfaltet sich der Reiz des Spieles aber erst im Kampf gegen die menschlichen MitspielerInnen. Ein Umstand, der für die gesamte Internet-Spielszene immanent ist.
153 Vgl. Hilgers, v. P., S. 112-115. 154 „Tetris“ war ein Denkspiel, dass vom Russen Alexej Patschinow 1985 für einen Programmierwettbewerb programmiert wurde. Nintendo gelangte zu den Rechten des Spieles, welches maßgeblich zur Verbreitung des „Gameboys“ beitrug, der ersten kommerziell überaus erfolgreichen mobilen Konsole (Vgl. Lischka, K., Spielplatz Computer, S.15). 155 Das Echtzeitstrategiespiele „Starcraft“, 1998 entwickelt, avancierte vor allem im asiatischen Raum zu einem bis heute sehr beliebten Wettbewerbsspiel. „Starcraft“-Turniere in Südkorea sind Großereignisse, die auf Videowalls in Stadien für tausende ZuseherInnen live übertragen werden bzw. auch im Fernsehen zu sehen sind (Vgl. Burtchen, C., So spielt die Welt, S.111).
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Rollen- und Abenteuerspiele Rollenspiele In Rollenspielen übernehmen die SpielerInnen die Rolle einer Figur, die sie mittels eines/r virtuellen Stellvertreter/s ausüben. Diese Stellvertreterfigur kann meistens von den SpielerInnen erschaffen werden und mit ihr können dann Abenteuer in einer meist märchenhaften, epischen Fantasiespielwelt bestritten werden. Im Zuge der Erschaffung der Spielfiguren können dem Spielcharakter verschiedene Eigenschaften zugeschrieben werden. Deshalb werden die Spielfiguren auch Charaktere genannt. Die Fantasiewelten erinnern sehr oft an ein fiktives Mittelalter. Allerdings findet man in ihnen zahllose Fantasiewesen und Märchenfiguren. Den erzählerischen Hintergrund bildet die Sagenwelt der Elfen, Zauberer, Zwerge, wie sie zum Beispiel im „Herr der Ringe“-Epos von Tolkien geschildert wird.156 Auch Inhalte keltischer, griechischer und germanischer Sagenwelten werden für die Spiele verschmolzen. Ebenso werden aber auch andere Szenarien gewählt, wie etwa ScienceFiction-Welten oder die Horrorszenarien. Für die SpielerInnen von Rollenspielen ist die Möglichkeit der Erschaffung eines eigenen Spielcharakters ein wichtiger Faktor. Je nach Wünschen und Neigungen werden der Figur „körperliche“ und „geistige“ Fähigkeiten zugewiesen. Dadurch wird ihnen eine Persönlichkeit verliehen. Man wählt unter vorgegebenen Charaktereigenschaften (z.B. Stärke, Geschick, Intelligenz, Ausdauer,...) die passenden aus und gestaltet die Figur nach eigenen Präferenzen. Es bleibt den SpielerInnen meist überlassen, ob sie als Mann oder Frau spielen wollen. Die Spielwelt und auch der Spielablauf richten sich nach dem Verhalten der SpielerInnen. Die Spiele bieten oft die Möglichkeit, Situationen auf gute oder auch böse Weise zu lösen. Manchmal können Kämpfe durch geschicktes Handeln der Figur vermieden werden. Gelöste Aufgaben und Rätsel, sowie die virtuellen Kämpfe steigern die Erfahrung der Spielfiguren. Der virtuelle Charakter der SpielerInnen kann sich durch Erfahrungsansammlung in einer fiktiven Rangliste der Welt immer weiter entwickeln und rangmäßig aufsteigen. Dieses Sammeln von Erfahrungen wird durch Erfahrungspunkte ausgedrückt, welche sich im Spielverlauf stetig erhöhen. Die Fähigkeiten der Figur werden durch das Einlösen der Erfahrungspunkte stufenweise verbessert. Diese werden auch benötigt, um die immer schwieriger werdenden Kämpfe und Rätsel zu bestehen. Am Ende eines Rollenspieles haben die SpielerInnen das Gefühl, sich ein Buch oder einen Film selbst „erspielt“ und die Geschichte erfolgreich beendet zu haben. Dies, mit einer nach eigenen Wünschen selbst geschaffenen Figur vollbracht zu haben, macht einen nicht unwesentlichen
156 Vgl. Lackner, T., Spiel ist nicht gleich Spiel, S. 22.
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Aspekt des Reizes solcher Spiele aus.157 Durch die Gestaltung der Spielfigur steigt die Identifikation mit ihr, die Erfolge im Spiel werden als persönlicher Erfolg gewertet, mehr noch als bei erfolgreich beendeten Computerspielen anderer Gattung, wie z.B. Shootern. Die Spielfigur wird zum/zur StellvertreterIn des eigenen Ichs im virtuellen Raum. Noch entscheidender wird diese Funktion im Internet, wo im Zuge der aktuell sehr erfolgreichen Online-Rollenspiele die Charaktere zur Repräsentation und Projektionsfläche der Darstellung des Schauspieles der SpielerInnen dienen. Online-Rollenspiele Die ersten Online-Rollenspiele stammen aus den späten 1970er und frühen 1980er Jahren. Sie ermöglichten erstmals mehreren SpielerInnen gleichzeitig und gemeinsam im Internet zu spielen. Sie waren rein textorientierte Programme und kamen ohne grafische Benutzeroberfläche aus, deren Darstellung damals auch nicht möglich war. Die Interaktion vollzog sich durch Texteingabe. Diese Programme wurden „MUD“ (Multi User Dungeon) genannt, deren Ursprung im bereits angeführten Höhlenabenteurerspiel „Adventure“ zu finden ist. In ihrem Aufbau glichen die Online-Rollenspiele den Single-Player Rollenspielen. Allerdings konnte nun eine große Anzahl von SpielerInnen in der virtuellen Welt gleichzeitig agieren. Es bildeten sich Rollenspielgemeinschaften über das Internet, die gemeinsam Geschichten und Abenteurer erfanden und auch technisch für andere MitspielerInnen umsetzten. Versierte RollenspielerInnen fungierten als SpielleiterInnen, die aus der Ära der Brettspiele bekannt waren. Sie definierten die Regeln und Gesetze der virtuellen Spielwelten. Das Programmieren und Spielen der ersten „MUD“ war nur an entsprechenden Großrechnern möglich, wie sie die Universitäten bereitstellten und die SpielerInnen waren über lokale Netzwerke miteinander verbunden.158 Erst später verbreiteten sich die Programme über das Internet und erreichten dadurch wesentlich mehr SpielerInnen. Da die visuelle, grafische Orientierung innerhalb der textbasierenden „MUD“ nicht möglich war, mussten die virtuellen Orte wie in einem Roman beschrieben werden. Diese Beschreibung sollte detailreich und genau sein, damit sich die SpielerInnen darin zurechtfinden können. Räumlichen Vorgaben und Regeln wurden von den „MUD-ProgrammiererInnen“, also den SpielleiterInnen vorgegeben. Die SpielerInnen selbst eignen sich nun kreativ und spielerisch die virtuellen Räume an und „erspielen sich“ die Geschichten im Spiel, grob geleitet und instruiert von den SpielleiterInnen. In diese virtuellen Spielwelten können die SpielerInnen mit ihren selbstkreierten Charakteren eintauchen und damit verschiedene Identitäten ausleben. Natürlich haben die künstlichen Wunschidentitäten oft
157 Vgl. Lackner, T., Scheinbar, S. 33. 158 Vgl. Lischka, K., Spielplatz Computer, S. 107ff.
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wenig mit der Realität gemeinsam, was ein wesentliches Kriterium der virtuellen Spielwelten ist und ihre besondere Faszination erklärt.159 Das wesentliche Interesse innerhalb der „MUD“ ist weniger ein vordefiniertes Spiel mit fixierten Aufgaben und Zielen, sondern vielmehr die Schaffung eines Raumes, in dem man mit Identitäten experimentieren und mit anderen SpielerInnen kommunizieren kann. Intensive Gespräche stehen dabei häufig im Vordergrund. Die klassischen „MUD“ sind in diesem Sinne anders gestaltet als moderne Online-Computerrollenspiele, wie z.B. „World of Warcraft“. Letztere sind strukturierter und haben klare Aufgaben und Ziele für die SpielerInnen und auch die Kommunikation steht nicht an oberster Stelle des Spielkonzeptes. Dennoch entstehen auch bei modernen OnlineRollenspielen, ähnlich wie bei den „MUD“, Gruppen und Gemeinschaften, die neue Kommunikationsformen und Gemeinschaftsstrukturen entwickeln.160 Mittlerweilen vollführten auch die „MUD“ den Sprung auf eine grafische Darstellung, der „MUD“ „Second Life“161 ist die aktuell bekannteste und meist verbreiteteste Form dieser Art der Spiele. Diese Spiele sind weniger ein Spiel im Sinne eines klassischen Computerspiels, sondern bieten die Möglichkeit einer alternativen virtuellen Lebenssimulation. Durch die aktuellen Möglichkeiten der grafischen Präsentationen, spielt die optische Repräsentanz der Spielfiguren eine vermehrte Rolle, während die beschreibenden Textelemente im gleichen Maße zurückgehen, bzw. obsolet werden. Damit sinkt auch der imaginative Anspruch an die SpielerInnen, da die Online-Welten vieles darstellen können. Auf der Ebene der EinzelspielerInnen wurde das Computerspiel „Die Sims“ eines der erfolgreichsten Computerspiele, welches erstmals im großen Maße auch Frauen und Mädchen ansprach.162 Ähnlich vielen „MUD“ simuliert das Spiel das alltägliche Leben im
159 Vgl Turkle, S., Leben im Netz, S. 13-14. 160 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 44-45. 161 „Second Life“ wurde 1999 gegründet und zählte im Jahr 2007 drei Millionen registrierte MitspielerInnen. Das Spiel bietet Erlebnis-, Party-, Shoppingwelten, usw. zum Kennenlernen zwischen den MitspielerInnen untereinander an. In dieser virtuellen Welt stehen den Spielfiguren alle Möglichkeiten zur Interaktion offen, mit Hilfe realer Währung lässt sich die Traumwelt exklusiver gestalten. Reale Firmen nutzen die digitale Welt für die Vermarktung ihrer Produkte und platzieren ihre virtuellen Pedants ebenfalls in der virtuellen Welt. (Vgl. Spiegel Online 8/2007: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d50578155.html, 10.10.2012) 2009 findet man 16 Millionen registrierte BenutzerInnen, pro Monat loggt sich 1 Million Menschen davon ein (Vgl. Spiegel Online 19.10.2009: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,655952,00.html, 10.10.2012). 162 Der erste Teil der „Sims“ entstand im Jahr 2000, es folgten zwei weitere Teile und viele Add-Ons. Bisher wurden 125 Mio. Stück dieses Spieles verkauft, es gilt damit als eine der am meisten verkauften Computerspielserien. Das Spiel stellt keine Aufgaben, Rätsel
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virtuellen Raum des PCs, ohne aber zwingend im Internet spielen zu müssen. „Die Sims“ kommt ohne Kampf und Krieg aus, stellt aber im Bereich der Computerspiele eher die Ausnahme dar. Die erfolgreichsten und weit verbreitetesten Online-Rollenspiele stellen jedoch die Fantasy-Rollenspiele dar. Aufgrund ihrer Abstammung von Brettspielen bzw. Single-Player-Rollenspielen geht es in Online-Rollenspielen um Kämpfe und Kriege, im weitesten Sinne um den Kampf von Gut gegen Böse. Ein zentraler Aspekt der Spiele ist, wie für jedes Rollenspiel, die eigene generierte Spielfigur. Bei diesen Spielen tritt allerdings die Gruppe als Zentrum des Handelns in den Vordergrund. Die Gruppenmitglieder werden nun nicht mehr selbst bzw. vom Computer gesteuert, sondern von anderen menschlichen MitspielerInnen gespielt. Es entsteht eine Dynamik der Kommunikation wie bei den Brettspielen, die SpielerInnen werden in die virtuelle Spielgemeinschaft eingebunden. Die Spiele selbst sind dahingehend so gestaltet, dass die Lösung der Aufgaben und das erfolgreiche Bestreiten der Kämpfe in erster Linie nur mittels Gruppenbildungen möglich sind. Das weltweit erfolgreichste Fantasy-Online-Rollenspiel stellt „World of Warcraft“163 dar. Das Spiel bietet ähnlich anderer Computerrollenspiele dieser Art weltweit zehntausenden SpielerInnen rund um die Uhr ein gemeinsames virtuelles Spielfeld. Durch die Wahl von Fantasy-Volk und Beruf erhalten die SpielerInnen vorgegebene FeindInnen aus der jeweilig anderen Fraktion. Somit können die Spiele miteinander als befreundete Gruppe bzw. gegeneinander als GegnerIn bestritten werden. Die Aufgaben und Kämpfe sind nur durch den gemeinsamen, koordinierten Einsatz der Fähigkeiten der Gruppenmitglieder lösbar. Die Gruppe kann somit nicht auf die Fähigkeiten der einzelnen Mitglieder verzichten. Das perfekte Zusammenspiel und der Nutzen der individuellen Fähigkeiten schweißt die Gruppenmitglieder zusammen und liefern Gesprächsstoff weit in den realen sozialen Raum hinein. Gemeinsam bestrittene Kämpfe und errungene Siege bieten Erfolgserlebnisse und Glücksmomente für die spielenden Menschen.164 Allerdings fordert die Gruppe auch dementsprechend den Beitrag der Mitglieder, die sich die nötige Zeit für das gemeinsame Abenteuer nehmen müssen.
oder kreiert Geschichten und Handlungen. Untypischerweise wird der einfache Alltag nachgespielt: Essen, Arbeiten, Wohnen, Ausgehen, Shoppen, etc. (Vgl. Spiegel Online, 3.2.2010: http://www.spiegel.de/netzwelt/games/0,1518,675266,00.html, 22.10.2012). 163 „World of Warcraft“ ist das mit Abstand erfolgreichste Online-Rollenspiel. Ca. 11,5 Millionen SpielerInnen spielen derzeit weltweit in dieser virtuellen Fantasiewelt. Das Spiel kam 2005 auf den Markt und wird vom Entwicklerteam ständig betreut und erweitert (Vgl. dazu: Gamestar 1/2010, S. 122ff). 164 Vgl. dazu auch Lackner, T., Flucht in digitale Scheinwelten, S. 38.
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Das Abenteuerspiel bzw. Adventure Abenteuerspiele werden bei Unterteilungen in Computerspielgenres häufig mit den Rollenspielen zusammengelegt, da bei beiden Spielformen der Aspekt des Bestreitens eines Abenteuers zentral ist. Während Rollenspiele den Fokus eher auf die Gefahren des Abenteuers, sprich die Kämpfe und Auseinandersetzungen richten, steht in den klassischen Abenteuerspielen das Lösen von Rätseln im Mittelpunkt. Ausgehend von den schon behandelten Text-Abenteuerspielen steht den SpielerInnen typischerweise genügend Zeit zur Verfügung, um die Aufgaben, die vom Programm gestellt werden, durch Logik, Kombinationsgabe und Lernerfahrung im Zuge des Spieles zu lösen, während Kämpfe nur sporadisch vorkommen. Aufgrund der langen Phasen der „Denkzeiten“, die von den SpielerInnen eingefordert werden, um die Aufgaben zu lösen, eignen sich diese Art der Spiele eher für EinzelspielerInnen. Die Abenteuerspiele waren vor allem in jener Zeit sehr populär, als die grafischen Fähigkeiten des Computers noch bescheiden waren. Durch den höheren Anspruch an die optische Präsentation der Spiele verschwanden, wie schon erwähnt, die Textabenteuerspiele, feierten aber mittels der „Grafikadventures“ ab den 1990er Jahren ihr Comeback. Spiele wie „Maniac Mansion“ bzw. „Zak McKraken“ und schließlich „Curse of the Monkey Island“ bezeichneten die Blütezeit der Grafikadventure und gelten auch heute noch als Meilensteine des Genres. Intelligente Rätsel, feinsinniger Humor mit parodistischen Anspielungen auf die Realität, gepaart mit Wortspielen, zeichneten diese Spiele aus. 1993 erschien mit „Myst“ das erste Abenteuerspiel, welches sich die immer besseren grafischen Fähigkeiten des Computers nutzbar machte und fantastische, mystische Weltenpräsentierte.165
165 Die „Myst“- Reihe gehört zu den erfolgreichsten Grafik- Adventures. Von 1993 bis 2005 erschienen fünf Teile, die sich zusammen 14 Millionen Mal verkauften (siehe auch: Spiegel Online: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,376845,00.html, 16.03.2011).
Computer und Computerspiele als kultureller Ausdruck
S IMULATION , C YBERSPACE
UND VIRTUELLE
R EALITÄT
Die Begriffe Simulation, Cyberspace und virtuelle Realität inspirierten seit den frühen 1970er Jahren die Vorstellungen der Menschen und sind im Bereich der Computerspiele permanent anzutreffen. Die Computerisierung der Technik und Umwelt und letztendlich unseres Alltags ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts führte dazu, dass die Begriffe zu Schlagwörtern und Synonymen dieser Entwicklung wurden. Computerspiele sind auf Grund ihrer Beschaffenheit stärkster Ausdruck dieser Begrifflichkeiten: Sie simulieren virtuelle Welten und schaffen einen virtuellen Raum, der vorzugsweise mit Hilfe des Internet Millionen Menschen miteinander verbindet. Dieser vernetzte Raum des Internet wird oftmals als Cyberspace bezeichnet. Der Begriff stammte ursprünglich von William Gibson aus seinen berühmt gewordenen „Neuromancer“ Romanen des Jahres 1984.1 Über seine Romane gelang der Begriff an die breite Öffentlichkeit und beeinflusste DenkerInnen und PhilosophInnen. Der Cyberspace stellt sich dabei als virtuelle künstliche Welt dar. Die Menschen kommunizieren darin nach Gibsons Vorstellungen mit Hilfe von Schnittstellen, die direkt mit dem Gehirn verbunden sind.2 Jedoch hat das heutige Internet wenig mit diesen Science-Fiction Visionen zu tun, obwohl der virtuelle Raum des Netzes gerne als Cyberspace bezeichnet wird. Die heutige Kommunikation und Interaktion im virtuellen Cyberspace geschieht „klassisch“ anmutend, mit herkömmlichen Eingabegeräten, wie Maus und Tastatur und einem Monitor zur
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William Ford Gibson (1948 geboren) wurde durch seinen Roman „Neuromancer“ 1984 weltberühmt. Seine Science-Fiction Literatur prägte entscheidende Begriffe für die Postmoderne, u.a erstmals den Begriff Cyberspace (Vgl. Brockhaus: Die Enzyklopädie in 24 Bänden, FRIT- GOTI, Bd. 8., S. 543-544).
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Siehe dazu Gibson, W., Neuromancer, 2000.
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Visualisierung. Mittels dieser Eingabegeräte haben sich neue Kulturtechniken der Kommunikation gebildet. Der Zwang zur Kommunikation per Tastatur und die damit verbundenen Einschränkungen durch fehlende Schnelligkeit wurde mittels Kurzschreibweisen und Spezialabkürzungen bzw. ExpertInnenausdrücke kompensiert. Ein „Internet-Jargon“ entsteht, der nur für Insider verständlich ist und somit distinktiven Charakter aufweist, da er für Menschen außerhalb der Internet Community unverständlich bleibt. Noch intensiver stellt sich dieser „Dialekt“ im Bereich der Computerspielszene im Internet dar, deren Begriffe im Vergleich zum gängigen „Internet-Jargon“ eine nochmalige Spezialisierung und damit einhergehende Einschränkung auf einen exklusiven Kreis involvierter SpielerInnen aufweist. Die Wortkürzel und -kreationen variieren für die unterschiedlichen Computerspielarten. Interessanterweise werden die ursprünglich am Keyboard eingegeben Begriffe, die dazu dienten den Schreibaufwand zu reduzieren, in Face-to-Face Kontakten bzw. über Headsets auch mündlich im Gespräch wiedergegeben. Aktuelle Entwicklungen gehen dahin, dass die Tastatur als Kommunikationsmittel (nicht als Spieleingabegerät) insbesondere im Shooter-Bereich durch „Headsets“, also Lautsprecher-Mikrophon-Kombinationen abgelöst wird. Dadurch sind Gespräche und Kommunikation auf akustischem Wege während des Spielens möglich. Für die CyberspacevisionärInnen sind die heutigen medialen Kommunikationsformen im Internet unzureichend. Schon vor William Gibson wurde die Vision eines digitalen, vom Computer generierten virtuellen Raumes zu einer populären Idee und beeinflusst TechnikerInnen und PhilosophInnen gleichermaßen bis heute. Ihr Ursprung ist Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre im Umfeld der radikalen und unkonventionellen Theorien der Hippie- und New-Age-Bewegungen zu finden. In dieser Bewegung verschmolz technische Computerentwicklung mit künstlerischen Medienvisionen.3 Es herrschte eine Aufbruchsstimmung, der Computer und der Cyberspace wurde als Zeichen für eine neue Evolutionsstufe in der menschlichen Entwicklung gesehen und als Beginn eines neuen Zeitalters gefeiert.4 Waren die 1950er und 1960er Jahre noch geprägt von einem Bild, das den Computer als Rechenmaschine darstellte, begann Anfang der 70er Jahre die Kommunikation Mensch- Computer in den Vordergrund zu rücken. Der Computer sollte nicht nur funktionierendes Werkzeug des Menschen sein, sondern auch möglichst perfekt mit ihm interagieren können. Dazu mussten die Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine optimiert werden. Es wurde versucht, den Menschen mit möglichst vielen „Sinnen“ an das Computersystem zu koppeln. Diese momentan mögliche intensivste Form der Kommunikation des Menschen mit der künstlichen Welt gelingt mit Hilfe eines Datenanzuges. Durch eine Datenbrille werden die Augen der
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Vgl. Lackner, T., Scheinbar, S. 32.
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Vgl. Woolley, B., Die Wirklichkeit der virtuellen Welten, S. 30-35.
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BenutzerInnen abgedeckt, Sensoren nehmen die Bewegungen der Augen auf und steuern somit die Blickrichtung im virtuellen Raum. Das gleiche geschieht mit Kopfbewegungen und mit Sensoren an den Händen (Datenhandschuh) und Füßen. Der Mensch bewegt sich mit Hilfe dieser Sensoren in einer technisch erzeugten Umgebung. Technische Mängel in Bezug auf die Darstellungsmöglichkeiten und die mangelnde Realisierbarkeit, sämtliche Sinne wirklich real in die simulierte Welt zu integrieren, beschränken die Möglichkeiten der Erfahrungen in der virtuellen Computerwelt. In den Cyberspacevisionen sollten nun die Menschen mit solchen Datenanzügen in den virtuellen Raum eintauchen und damit den Geist vom realen Körper lösen. Widersprüchlicher Weise wird dabei von einem transzendalen Lösen des Geistes vom Körper gesprochen, andererseits wird mit Hilfe komplizierter Datenanzügen alles dahingehend unternommen, um den menschlichen Körper auf elektronischen Wegen zum Stimulus zu verhelfen. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen von Peter Mörtenböck, der in seinem Buch „Die virtuelle Dimension“ auf eine Verbindung zwischen dem Cyberspace, Computerkultur und Mittelalter hinweist: Er meint, „[...], dass sich die heutige Faszination des Cyberspace oft in einem besonderen Naheverhältnis zu dem im Mittelalter formulierten Charakter von Realität bewegt.“5
Bis ins 19. Jahrhundert wurde auch die Wissenschaft nicht nur materiell, sondern auch immateriell begriffen. Das Sichtbare, Materielle und die begreifbare Realität wurden immer im Zusammenhang mit einer spirituellen und immateriellen Realität gesehen, die ebenso als existierend angenommen wurde. Die moderne Wissenschaft blendete die immaterielle, „geistige Realität“ und ihre wissenschaftliche Erforschung immer mehr aus und bezeichnete sie abwertend als Frage des Glaubens. In der Aufklärung wurde mit allen Mittel versucht die „geistige Realität“ als falsch und unwissenschaftlich zu deklarieren, was für die Menschen zu Unsicherheiten und zu einem Gefühl des Verlustes führte. Es folgte ein Verlangen nach „Geistlichkeit“ bzw. Spiritualität, denn die beschleunigte Modernisierung und Rationalisierung, in Begleitung ungeheurer Transformationsprozesse und gesellschaftlicher Umbrüche, ließen viele Menschen zurück. Dies führte zur Gegenbewegung der Romantik.6 Johann Gottfried Herder, ein Hauptvertreter der deutschen Romantik, beschrieb eine geistige Kraft, die die Welt umfasst und alle Lebewesen und Dinge umgibt. Sein Weltgeist lenkt die Schöpfung als Ganzes.7 Diese Ideen ähneln stark den heutigen postmodernen Cyberspacevisionen. Man glaubt mit Hilfe der Technik
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Mörtenböck, P., Die virtuelle Dimension, S. 39.
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Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 63.
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Vgl. Herder, G., Ideen zu einer Philosophie der Menschheit, S. 237-258.
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in Form des Computers, also einem Produkt der Moderne, wieder geistige Realität zu erlangen. Der Cyberspace ist demnach eine Vision einer neuen geistigen immateriellen Realität, mit der das Unbehagen und die Seelenlosigkeit des Materiellen überwunden werden kann. Ein Vorhaben, das zum Scheitern verurteilt ist, aber die Verbindung zwischen New-Age- Religionen und -Philosophien, neuer Spiritualität und der Techno-Euphorie im Zusammenhang mit der virtuellen Realität und des Cyberspace darlegt.8 Eine der Hauptvisionen der Cyberspace-IdeologInnen ist der Wunsch nach Körperlosigkeit. Maschinen sollten die Funktionen des Körpers übernehmen, der menschliche Körper gilt als unnötiger Ballast, den es zu überwinden gilt.9 Heutige technische Geräte übernehmen immer mehr Funktionen des menschlichen Körpers. Prothesen können das Leben von körperlich behinderten Menschen wesentlich verbessern. Die Zukunft wird in diesem Bereich noch viele Verbesserungen für kranke und beeinträchtigte Menschen bieten. Allerdings werden sich nur Menschen in den reichen Industrieländern solche medizinischen Behandlungen leisten können. Zudem sind die Forschungen im Bereich der Gentechnik und Biotechnologie nicht ohne gewisse Risiken. Genetische Forschungen sind ethisch bedenklich, da mit Leben experimentiert wird. Nach den Ideen der CyberspacevisionärInnen soll durch die Überwindung der Abhängigkeit der Menschen vom Körper mittels technischer Hilfsmittel Krankheit, Behinderung und vielleicht irgendwann der Tod verhindert werden.10 Wie in der Vormoderne wird der menschliche Körper mit dem Vergänglichen assoziiert. Der Geist ist das Transzendale, Reine und Göttliche, unbeeinflusst vom „verdorbenen“ Fleisch des Körpers. Diese Visionen ähneln der einer christlichen Mystik, in der der Körper als Hort der Sünde und des Bösen gesehen wird und im Geist die Erlösung zu finden ist. In einer Gesellschaft, die den Tod und das Vergängliche so weit wie irgend möglich verdrängt und tabuisiert, unterstützt die Technik diesen Prozess und letztendlich vermitteln auch Computerspiele durch die stets siegreichen Spielfiguren einen Hauch von Unsterblichkeit. Im Gegensatz dazu kann man in der heutigen postmodernen Gesellschaft kaum Hinweise dafür finden, dass der Körper unwichtig geworden sei. Im Internet, der real existierende Ausdruck des Cyberspace, herrschen der gleiche Körperkult und dieselben Schönheitsideale, wie in der Realität. Dies sieht man besonders deutlich anhand der idealisierten Körper von HeldInnen in Computerspielen. In den makellosen virtuellen Körpern sind Krankheit, Tod, Verfall und Alter nicht eingeschrieben. Die Luxuskörper entsprechen einer Idealvorstellung von Schönheit und Jugend und unterstützen dabei insgeheim die Tabuisierung des alternden Körpers und letztendlich des To-
8
Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 63-64.
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Vgl. Borsook, P., Schöne neue Cyberwelt, S. 46-47.
10 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 119-120.
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des. Von einem verschwinden des Körpers kann keine Rede sein.11 Der virtuelle Raum des Internet und der Computerspiele wird von den Vorstellungen und Bedingungen des realen Raumes geprägt, da der Mensch seine virtuellen Fantasien nur auf bereits Erfahrenes weiter aufbauen kann. Gesellschaftliche Körperbilder und Schönheitsideale werden durch die Medien geprägt und vermittelt und sind abhängig von Modeerscheinungen, dem Zeitraum und der Kultur. Diese Bilder werden in den virtuellen Raum transferiert, wo den Körpern ähnliche zentrale Bedeutungen zugeschrieben werden, wie in der Realität.12 Die Menschen sind aber von ihren realen, sozialen Körpern abhängig und eng mit ihnen verbunden. Der Mensch definiert sich wesentlich über den Körper, und damit wird auch die Kultur über den Körper mitgeprägt und umgekehrt. Dies wird genauso in den virtuellen Raum transferiert. Keine Kultur und keine Gesellschaft können ohne ihren Körperbezug existieren. Der Körper steht heute im Mittelpunkt des Interesses. Wir versuchen unsere realen Körper den medialen Kunstkörpern und Schönheitsidealen anzugleichen. Wenn Sport- und Fitnessprogramme nicht helfen und der Körper dem Alter nicht mehr trotzen kann, greifen viele Menschen sogar zur plastischen Chirurgie um den Idealkörper zu erlangen. Die medial inszenierten Kunstkörper üben einen hohen Druck auf die Menschen aus, die verzweifelt versuchen, den eigenen unzulänglichen Körper dem virtuellen Idealkörper anzupassen.13 Nach Christa von Braun ist seit der Erfindung der Fotografie ein starkes Bedürfnis der Menschen zu beobachten, den vorgegebenen medialen Bildern zu entsprechen. Diese medialen Bilder werden als real und vorbildwirkend angesehen. Nicht umsonst tauchten laut Braun in den Industrieländern ab dem späten 19. Jh. die ersten Fälle von weiblichen Essstörungen auf. Die Zahl dieser Erkrankungen steigt bis heute im gleichen Ausmaß, wie die visuellen Medien immer wichtiger wurden.14 Frauen fühlen sich als „Objekte“, die (von Männern) betrachtet werden und sie versuchen den vermittelten medialen Schönheitsidealen zu entsprechen. Durch die Geschlechtersozialisation und symbolische Herrschaft des Mannes15 sind die Frauen vom Druck der Körperbilder besonders stark betroffen, vor allem junge Mädchen lassen sich von den Schönheitsnormen der Gesellschaft leicht beeinflussen. Aber auch immer mehr Männer versuchen die medialen Kunstkörper nachzuahmen. Im Internet wird über Web-Cams der reale Körper wieder visuell auf den Bildschirm zurück geholt. Laut Richard Shusterman geht es in den Visionen eines
11 Vgl. Bahl, A., Zwischen On- und Offline, S. 107 und Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 120. 12 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S.120-121. 13 Vgl. Ebda., S. 121. 14 Vgl. Braun, Chr. v., Die Visualisierung des unsichtbaren Geschlechts, S. 18. 15 Siehe S. 228ff.
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William Gibsons aber gar nicht um die völlige Körperlosigkeit. Ziel ist viel mehr, sämtliche Sinnesorgane des Körpers mit mechanischen Prothesen zu versehen und den realen Körper in den Cyberspace einzubinden. Die neuen Technologien rund um die virtuelle Realität und dem Cyberspace wollen den Körper nicht ersetzen, sondern sind Schnittstellen für die Verschmelzung mit dem virtuellen Raum. Der Wunsch, Unsterblichkeit durch die Trennung von Geist und Körper zu erlangen, ist irrational.16 Das menschliche Sein ist durch die Verbindung von Geist und Körper definiert, wie auch die Philosophin Elisabeth List treffend feststellt: „Dort, wo es keine Krankheit, keinen Tod mehr gibt, gibt es auch kein Spüren mehr. Wo kein Schmerz ist, ist auch keine Lust, in einem Wort: kein Leben. Ende.“17
Ähnlich dem Phänomen der Körperlosigkeit, ist der Begriff des Ortes bzw. der Ortlosigkeit eine grundlegende Metapher für die Beschreibung des virtuellen Raumes und des Cyberspace. Durch die globale Vernetzung schwinden die Distanzen, wir wähnen uns in einem „Global Village“. Das Internet verspricht eine weltweite schrankenlose Kommunikation, Kulturen scheinen unabhängig vom Ort im Cyberspace zu existieren. Das Fremde und Andere befindet sich in unseren Wohnzimmern im virtuellen Raum des Computers. Der reale Ort scheint zu im Rückzug begriffen zu sein. Die Menschen im Internet sollen überall auf der Welt zuhause sein.18 Wir dürfen aber laut Florian Rötzer nicht vergessen, dass wir einen realen Ort benötigen, um die virtuelle Welt betreten zu können. Die zahllosen OnlineDienste benötigen reale Transportwege. Der virtuelle Ort ist kein von der Realität abgekoppelter Raum. So wie der Körper des Menschen in der realen Welt verankert ist, sind nach Florian Rötzer die Gesetze und Strukturen der realen Welt im Cyberspace verankert.19 Zudem nivellieren soziale und ökonomische Schranken die Zugangsberechtigung zur Cyber-Welt. 20 Die bisherige Erforschung der Netzkultur und des Cyberspace erfolgte laut Steven G. Jones in großen Maßen aus einer Perspektive, die vorwiegend die ökonomischen Einsatzmöglichkeiten des Internet historisch beleuchteten, während soziokulturelle Fragestellungen in den Hintergrund traten. Um den Begriff der Netzkultur erfassen zu können, wird in der Forschung der Terminus der virtuellen Kultur ver-
16 Vgl. Shusterman, R., Soma und Medien, S.123-125 und Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 122. 17 List, E., Leib, Schrift, Maschine, S. 10. 18 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 17. 19 Vgl. Rötzer, F., Digitalisierte Weltentwürfe, S. 227. 20 Vgl. Maresch, R., Öffentlichkeit im Netz, S. 210.
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wendet.21 Ähnlich der virtuellen Realität muss festgehalten werden, dass es sich dabei keineswegs um einen „scheinbaren“ Kulturbegriff handelt, der im Gegensatz zum herkömmlichen Kulturbegriff steht. Er ist laut Jones Ausdruck einer sich durch und über die technischen Hilfsmittel des Internet und des Computers, und in diesem Sinne auch der Computerspiele, manifestierenden Form menschlicher Praxen. Der Begriff des Virtuellen beschreibt in diesem Sinne eher die besonderen Umstände, durch die sich die Kulturpraktiken ausdrücken. Der virtuelle Raum ist ein Ort, der sich den traditionellen Ortsbegriffen und seinen kulturwissenschaftlichen Beschreibungen entzieht.22 Dennoch bleibt der virtuelle Ort nicht weniger als ein realer Spielraum menschlicher und gesellschaftlicher Umgangsformen, geprägt allerdings durch die spezielle Beschaffenheit des Cyberspace. Durch den Cyberkult der 1970er und 1980er Jahre mit den schon behandelten utopischen Vorstellungen einer besseren Welt durch die Technisierung und die eines globalen, demokratischen Dorfes im neoromantischen Sinne, rücken die Betrachtungen des virtuellen Raumes in die Nähe des Visionären und Hypothetischen, bis hin zur schlichten ScienceFiction. Dabei vernachlässigen sie die realen sozialen Umstände und Strukturierungen im Cyberspace. Die virtuellen Gemeinschaften, sei es die Chat-RoomCommunity, Web-BloggerInnen oder schließlich die SpielerInnen von OnlineComputerspielen stehen in einem Spannungsverhältnis zwischen dem lokalen Raum ihrer sozialen Umgebung und dem globalen computergenerierten und translokalen virtuellen Raum im Internet. Dadurch bleibt laut Andreas Hepp für die InternetCommunity der lokale Kontext bestehen, in der sich der Cyberspace entfaltet, und umgekehrt. Die computervermittelte Kommunikation ist kein vom Alltagsleben losgelöstes Global Village, sondern nur in sozikulturellen Kontexten begreifbar.23 Der virtuelle Raum ist demnach kultureller Raum, mit seinen ihm speziell innewohnenden Eigenschaften, wie Anonymität, Maskerade, Spiel und Simulation, Translokalität und Globalsierung, Entlastung usw., aber auf keinen Fall ein Ort jenseits des Realen, wie bereits Florian Rötzer dargestellt hat.24 Die rasche Verbreitung der virtuellen digitalen Räume führt aber nicht nur zu euphorischen Utopien einer besseren Zukunft. Genauso intensiv werden virtuelle Realitäten in den Kulturwissenschaften als gefährlich und irreal betrachtet. Dies kommt unter anderem in den bereits behandelten Medientheorien von Vilem Flusser und Jean Baudrilliard zum Ausdruck.25 Dabei geht es vor allem um die Frage der Wirklichkeit in diesen realen Welten und des Scheins. Derartige Medien-
21 Vgl. Jones, G. St., Virtuel Culture, S. 1-7. 22 Vgl. Ebda., S. 7ff. 23 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 237-242. 24 Vgl. Rötzer, F., Digitalisierte Weltentwürfe, S. 227. 25 Siehe S. 53ff.
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theorien sind geprägt vom Konstruktivismus und definieren unsere Wirklichkeit über die vom Menschen erfahrbare Kommunikation. Durch die verzerrte Darstellung von Wirklichkeiten produzieren die Medien und letztendlich der Cyberspace deformierte Wahrheiten bzw. Unwahrheiten, die aber als real angenommen werden. Eine Problematik, die z.B. Pierre Bourdieu, aber auch Noah Chomsky speziell für jene Medieninhalte anführen, die angeben, die Realität wahrheitsgetreu darzustellen, allen voran die Nachrichtensendungen.26 Im Gegensatz dazu erheben die Fantasiewelten der Computerspiele keinen Wahrheitsanspruch. Bei Computerspielen werden Illusionen als solche dargestellt. Sie sind bewusst zur Faszination der SpielerInnen eingebaut und verstecken sich nicht. Die Settings der Spielwelten, bei denen es sich meist um Fantasiekonstruktionen handelt, heben diese vom Alltag ab. Zudem kann die computergenerierte Darstellung noch keinen Fotorealismus, also eine absolut reale Darstellung, bieten. Das Spiel bleibt als Spiel am Computer erkennbar und trennt sich von der Wirklichkeit.27 Dennoch unterscheiden sich die Computerspiele nicht von den anderen Medien, wenn es darum geht, die RezipientInnen zu manipulieren, sei es in ihrem Kaufverhalten durch mehr oder weniger versteckte Werbung, oder durch transportierte Wert- und Moralvorstellungen sowie Feindbilder. Die Faszination für die Idee des Cyberspace entspricht einem Grundbedürfnis des Menschen, virtuelle Welten auszuleben und ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen. Es geht darum, dass Situationen, Begegnungen und Bilder jenseits des Alltäglichen erfahrbar werden. Virtualität und Cyberspace sind aber keine spontane Erfindung der 1970er Jahre, sondern Konstanten im menschlichen Dasein.28 Die deutsche Kulturanthropologin Ute Süßbrich formuliert dies folgendermaßen: „Die grundlegende Bedeutung der virtuellen Realität entspringt dem unstillbaren Bedürfnis des Menschen, andere Wirklichkeiten für sich zu finden.“
29
Laut Süßbrich versucht der Mensch seit jeher in der Kunst und Kultur Bilder zu projizieren, die im Kontrast zum Alltag stehen. Der Mensch hat das Verlangen nach Illusionen. Dies findet man laut ihr bereits bei den Höhlenmalereien der Steinzeitmenschen und setzt sich fort bis hin zum Theater, der Literatur, dem Film und zur heutigen Multimedia.30 Der Cyberspace ist eine aktuelle Form, in der Menschen versuchen, ihren Fantasien Gestalt zu verleihen.31 Die Möglichkeit der aktiven
26 Siehe S. 53ff. 27 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 107. 28 Vgl. Ebda., S. 11. 29 Süßbrich, U., Virtuelle Realität, S. 23. 30 Vgl. Ebda., S. 4-10, u. siehe auch Lackner, T., Flucht in digitale Scheinwelten, S. 36. 31 Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welt, S. 173ff.
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Mitgestaltung des Cyberspace ist ein wesentliches Novum der neuen Technik und stellt einen entscheidenden Unterschied zu den herkömmlichen Medien dar. Durch die Partizipation mit und innerhalb des Cyberspace erfolgt ein Eintauchen in das Medium, das weit über ein passives Konsumieren hinaus geht. Nicht nur bei Computerspielen entsteht eine Entwicklung, in der das Visuelle durch immer qualitativ höherwertigere technische Darstellungsmöglichkeiten in den Vordergrund gerückt wird. Dadurch entsteht eine Dominanz der Bilder, wie Flusser oder Baudrillard32 kritisieren, jedoch ist unser Verhältnis zu Bildern ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen Daseins. Die Bilder repräsentieren nach Peter Mörtenböck unsere Wirklichkeit, aber auch menschliche Wunschvorstellungen, Ideale und Werte.33 Speziell die Computerspiele arbeiten mit einer ausgeprägten Bildsprache, die an anderer Stelle noch ausführlich im Zusammenhang mit der Rezeption durch die SpielerInnen dargestellt wird. Die Begeisterung hinsichtlich des Cyberspace und des virtuellen Raumes lässt sich auch mit der scheinbaren Grenzenlosigkeit und Andersartigkeit des Mediums erklären. Laut Florian Rötzer interessierten sich schon immer die Menschen für neue Räume, wenn ihnen der angestammte Raum zu eng wurde. Er vergleicht diese Begeisterung für etwas „Neues“ mit der Kolonisationseuphorie, oder den Griff nach den Sternen in der Raumfahrt. Der virtuelle Raum und Cyberspace kann somit zum Zufluchtsort vor Umweltzerstörung und Überbevölkerung werden, aber auch als Projektionsfläche von Wünschen und Sehnsüchten bzw. als Ausflug vom Alltag dienen. Der Cyberspace bietet eine Plattform sowohl für technophile, als auch esoterische Aneignungsfantasien.34 Die Flüchtigkeit des Cyberspace entspricht der labilen Umbruchphase der Postmoderne, in der wir uns zurzeit befinden. Für Natascha Adamowsky bedeutet die virtuelle Öffentlichkeit des Cyberspace eine Öffentlichkeit parallel zur realen Öffentlichkeit, die nicht als Alternative dazu gedacht werden kann. Die virtuelle Öffentlichkeit ist laut ihr durch spezifische Ausprägungen der elektronischen Kommunikation, der Schnelligkeit, Ortsunabhängigkeit, aber auch der Schnelllebigkeit strukturiert. Für Adamowsky stellt ein besonderes Merkmal des Cyberspace sein ludisches Potential dar, in dem sich die Kreativität der Internet-UserInnen ausdrückt. Der Computer dient dabei laut ihr als magisches Fenster, das Blicke auf andere Welten freigibt.35 Hauptaugenmerk für eine Untersuchung des ludischen Potentials innerhalb des Cyberspace werden in weiterer Folge die Online-Spiele sein. Tatsächlich hatte William Gibson, der Autor des Kultromanes „Neuromancer“ nicht das Internet
32 Siehe dazu S. 53ff. 33 Vgl. Mörtenböck, P., Die virtuelle Dimension, S. 9. 34 Vgl. Rötzer, Digitale Weltentwürfe, S. 50-81 & Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 16. 35 Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welt, S. 188-190.
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selbst als Vorlage des von ihm erfundenen Begriffs des Cyberspace im Auge, sondern Computer spielende Jugendliche in den Spielhallen der 1980er Jahre, die gebannt und fasziniert die Bewegungen auf den Bildschirmen beobachteten. Scheinbar die reale Welt vergessend, mit totaler Konzentration auf die Computerspiele, die perfekte Koordination mit der Schnittstelle ausübend, sah Gibson in diesen Jugendlichen seine Visionen von der Verschmelzung Mensch und Maschine bestätigt. Diese Bilder prägten seine Ideen des Cyberspace.36
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UND NEOLIBERALE
G ESELLSCHAFT
Der virtuelle Raum speist sich aus Erfahrungen der Alltagskultur und führt seinerseits einen Kulturtransfer zurück in den realen sozialen Raum. Nachdem schon festgestellt wurde, dass virtuelle Räume für Menschen keine Realitäten niederer Ordnungen darstellen, sondern tatsächlich erfahrbar sind, geht es nachfolgend um eine Darstellung des sozialökonomischen und kulturellen Umfeldes, in denen sich der Cyberspace in den elektronischen Netzwerken konstituiert. Da virtuelle Räume aus bereits prinzipiell erfahrbaren Elementen unserer soziokulturellen Wirklichkeiten aufgebaut werden, sind zum hinreichenden Verständnis des Cyberspace, sei es nun der Raum in einem Computerspiel oder ein Chatroom, die Bedeutungstransfers zwischen realen und virtuellen Räumen zu erfassen. Wir befinden uns in einer Zeit mit sozialen Umbrüchen und weitreichenden Transformationsprozessen. Wie bereits erwähnt, bereitet uns die Technologisierung im großen Maße Sorgen und Unbehagen.37 Technisierung und Bürokratisierung schränken die Entscheidungsfähigkeiten der Menschen ein. Ihre Einflussnahme auf die meisten Vorgänge im unmittelbaren Lebensbereich ist enorm. Die totale Globalisierung und Ökonomisierung führen zu weitreichenden Veränderungen im regionalen und lokalen Bereich, die für die Betroffenen schwer fassbar sind.38 Allerdings sind Globalisierungsprozesse keine homogenen Prozesse, sondern fragmentiert und widersprüchlich. Sie erfassen laut Andreas Hepp nicht eine globale Kultur, sondern stellen ein
36 Vgl. Lahti, M., As We Become Machines, S. 157ff. 37 Siehe S. 46ff. 38 In diesem Zusammenhang verweise ich exemplarisch auf folgende Studien aus der Kulturantrhopologie und Soziologie zur neoliberalen Gesellschaft: Katschnig-Fasch, E., Das ganz alltägliche Elend, 2003, Katschnig-Fasch, E., Möblierter Sinn, 1998, Bourdieu, P., Das Elend der Welt, 2002, Bourdieu P., Die verborgenen Mechanismen der Macht, 2004, Schultheis, F., Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 2005, Reiners, D., Verinnerlichte Prekarität, 2010, Reckinger, G., Perspektive Prekarität, 2010, Malli, G., Sie müssen nur wollen, 2010, Sennet, R., Der flexible Mensch, 2000.
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globalisiertes Feld von Kulturen dar, in dem Differenzen, Kämpfe und Wettbewerbe ausgetragen werden. Die globale Translokalität stellt ein Hauptmerkmal der Postmoderne dar.39 Der rasante technologische Wandel, nicht zuletzt von der Informationsindustrie mittels Computer und Internet getragen, führt zu einer Beschleunigung der Umbruchprozesse und schließlich dazu, dass viele Menschen mit dem vorgegeben Tempo nicht mithalten können. Für diese Menschen ist in der neoliberalen Marktlogik kein Platz mehr, sie passen nicht mehr in ein System des ungebremsten Kapitalismus. Johannes Moser fasst die Auswirkungen dieses Systems folgend zusammen: Einzelstaaten sind von internationalen Vernetzungen abhängig und in ihren wirtschaftspolitischen Entscheidungsmöglichkeiten eingeschränkt. Es folgt ein beträchtlicher Machtzuwachs des Kapitals gegenüber den AnbieterInnen von Arbeitskraft und eine zunehmende Individualisierung und Diversifizierung der Arbeitsbeziehungen.40 Der Staat interveniert, um die Märkte selektiv zu regulieren und betreibt einen Abbau des Wohlfahrtsstaates. Die Entschlackung der Betriebe, was eigentlich tausende Kündigungen bedeutet, wird zum positiv besetzten Modewort.41 Menschen müssen, so Johannes Moser, mit mehreren Teilzeitjobs ihr Einkommen bestreiten und erreichen trotzdem kein ausreichendes Lohnniveau. Teilbereiche in den Betrieben werden ausgelagert und vielerorts an Firmen mit Leiharbeitskräften übergehen, die ihrerseits ihre DienstnehmerInnen nur kurzfristig und mit niedrigem Lohnniveau anstellen.42 Noam Chomsky sieht als Folgen des Neoliberalismus eine Zunahme von Armut, während für die wenigen wohlhabenden Menschen noch mehr Kapital zur Verfügung steht. Die gewaltigen Profite der Konzerne werden nicht mit den ArbeitnehmerInnen geteilt, stattdessen sinkt ungerechterweise das Lohnniveau.43 Das neue Menschenbild ist laut Chomsky der „Homo Öconomicus“: Der Tauschwert ist das höchste Gut, der globale Mensch des 21. Jahrhunderts muss ein/e profiterzeugende/r ArbeiterIn und KonsumentIn sein, dessen/deren geistige/r Horizont die Unmittelbarkeit des Daseins nicht überschreitet.44 Ähnliches liest man bei Pierre Bourdieu: Weltweit kommt es zu sozialen Rückschritten, wobei die Einschnitte im Sozialsystem die Ärmsten der Armen am meisten treffen. Der Rückzug des Staates aus dem Sozialbereich, dem Wohnbau, der Förderungen, etc. lässt die Menschen verzweifeln und führt dazu, dass der Staat zum Feindbild mutiert. Die Schuld am
39 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 246ff. 40 Vgl. Moser, J., Kultur der Arbeit. Kultur der neuen Ökonomie, S. 89-102. 41 Vgl. auch Bourdieu, P., Gegenfeuer, S. 40-41. 42 Vgl. Moser, J., Kultur der Arbeit, Kultur der neuen Ökonomie, S. 90ff. 43 Vgl. Chomsky, N., Profit over People, S. 8-33. 44 Vgl. Chomsky, N., Globalisierung im Cyberspace, S. 160-161.
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sozialen Abstieg wird dem Individuum selbst angelastet, welches aber einer Rationalisierungspolitik der Unternehmen hilflos ausgeliefert ist.45 Durch den gesättigten Arbeitsmarkt wird die Arbeit laut Bourdieu ein knappes Gut. Die Solidarität unter den ArbeitnehmerInnen sinkt, eine gemeinsame Mobilisierung gegen diese Entwicklung ist schwer möglich, da die Gewerkschaften immer schwächer werden.46 Ulrich Beck bezeichnet die Gesellschaft nicht nur, wie bereits im Kapitel Zur Kulturgeschichte der Technik und Medien angesprochen, wegen ihres Selbstzerstörungspotentials als Risikogesellschaft, sondern gerade auch wegen der Risiken für die einzelnen Menschen. Soziale Netze lösen sich auf, traditionelle Bänder wie Familie und Gewerkschaft reißen. Durch das hohe Maß an Individualität trägt jeder Mensch das Risiko selbst, bei Kündigungen, Unfällen, etc. ohne soziales Netz in den gesellschaftlichen Abgrund zu fallen.47 Anthony Giddens spricht von einer Kultur des Risikos. Wir müssen seiner Meinung nach unser Handeln an ein unvollständiges Wissen binden und ExpertInnen vertrauen. Zu fragmentiert und selektiv ist unser Lebensbereich, um ohne fremde Hilfe die abstrakten Systemzusammenhänge zu begreifen. Die Menschen müssen laut ihm ein aktives Risikomanagement für ihre Entscheidungen bereitstellen, die Entscheidungslasten steigen.48 Nicht jeder Mensch ist diesen Anforderungen gewachsen, vor allem dann nicht, wenn vertraute traditionelle Sicherheiten entwertet werden. Die Computerindustrie stellt ein Paradebeispiel für neoliberale Moral- und Ethikvorstellungen dar. Unsere heutige Informationstechnologie führt nicht zu einer Verbesserung der Arbeitsqualität, wie oft propagiert wird, sondern zur weltweiten Arbeitsteilung und Dequalifizierung der Arbeit im Rahmen der Globalisierung. Große Firmen profitieren von der Auslagerung unqualifizierter, schlecht bezahlter Arbeit in Billiglohnländern.49 Die euphorischen Zukunftsvisionen der ComputerenthusiastInnen, die mit Hilfe der Technologie eine Verbesserung der Welt erkennen möchten, sind von einer Blindheit gegenüber der sozialen Realität geprägt. Menschen ohne ökonomische Voraussetzungen sind kein Teil der viel gepriesenen elektronischen Gemeinschaft. Sie werden in den Diskursen nicht erwähnt.50 Die wichtigsten amerikanischen Firmen der Computerbranche hatten ihre geistigen Ursprünge in der Gegenbewegung und Gegenkultur in Kalifornien in den 1960er und 1970er Jahren. Mit steigenden Marktanteilen wurden aber aus den kleinen Kellerfirmen kapitalistische Konzerne, denen der Absatz ihrer Produkte
45 Vgl. Bourdieu, P., Gegenfeuer, S. 8-18. 46 Vgl. Ebda., S. 99-113. 47 Vgl. Beck, U., Risikogesellschaft, S. 29-30. 48 Vgl. Giddens, A., Jenseits von Links und Rechts, S. 117-135. 49 Vgl. List, E., Leib, Schrift, Maschine, S. 9. 50 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 27.
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wichtiger war und ist, als die Visionen einer Selbstverwirklichung der Menschen.51 Das berühmte „Silicon Valley“ entstand, es ist bis heute ein Zentrum der Computerindustrie und Forschung. Die Journalistin Paulina Borsook hielt sich jahrelang selbst im Umfeld der Hightech-InformatikerInnen in Kalifornien auf. Auf Grund von Beobachtungen und Interviews stellt sie eine fehlende Sozialkompetenz der in der Computerindustrie arbeitenden Menschen mit gut bezahlen Jobs und der Hightech-Firmen fest. Angehörige der Technikeliten sehen sich laut ihr gerne als Wegbereiter eines neuen Zeitalters. Sie besitzen sehr oft eine neoliberale, kapitalistische Einstellung. Eine reglementierende, ordnende Regierung wird als Feindbild gesehen. Laut den technophilen Ideen der Technikeliten wird die Gesellschaft als sich selbst regelnder Organismus gesehen und mit der natürlichen Evolution verglichen. Ähnlich dem Sozialdarwinismus gilt nach Borsook das Recht des Stärkeren, die Schwächeren haben ihren Zustand selbst verschuldet und bleiben zurück. Die Biologie wird zur Sprache der Computerindustrie. Nur die Technikeliten haben somit den Zugang zur weltweiten Vernetzung. Die soziale Realität des Großteils unserer Weltbevölkerung interessiert nicht. 52 Wir sehen also die Computerindustrie als Branche, die an vorderster Stelle einer neoliberalen Marktlogik zu finden ist. Visionen der weltweiten Vernetzung und der Gleichheit der Menschen mit Hilfe des Fortschritts und der Technologie weichen dem oben angesprochenen neoliberalen Weltbild. Individualismus und Gewinnmaximierung stehen an vorderster Stelle, persönlicher Erfolg, notwendigerweise auch mit Ellbogeneinsatz, wird zur Lebensprämisse. Natürlich ziehen sich die neoliberalen Wirtschaftslogiken quer durch alle Branchen, doch die Computerindustrie gilt als Speerspitze dieser Ideen, die mittlerweile sämtliche Lebensbereiche unserer Kultur prägen. Das Internet ist weit davon entfernt, allen Menschen den gleichen Zugang zu ermöglichen. Einkommen und Bildung bestimmen den privilegierten Zugang zum Netzwerk. Der Technoliberalismus interessiert sich nicht für soziale Ungleichheiten, für ihn sind sie gewissermaßen natürlich gegeben und die ökonomische Verteilung ist für die Eliten nach eigner Sichtweise verdient zugeordnet. An erster Stelle soll die Freiheit des Individuums stehen. Dies entlässt aber die Menschen aus der sozialen Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen. Technoliberalismus und Cyberspacevisionen sprechen zwar von einer Befreiung des Individuums und den Verheißungen der Technik, in ihnen enthalten sind leider allzu oft soziale Intoleranz, Egoismus und ungebremster Kapitalismus.53 Die Computerspielindustrie ist längst ein wichtiger Industriezweig geworden. Die Zeiten der Hobby-
51 Vgl. Woolley, B., Die Wirklichkeit der virtuellen Welten, S. 18-42 und Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 27ff. 52 Vgl. Borsook, P., Schöne neue Cyberwelt, S. 28, 74, 109 u. S. 207. 53 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 26-27.
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programmiererInnen sind vorbei, ehemalige unabhängige kleinere Entwicklerstudios sind innerhalb großer Softwareunternehmen zusammengefasst. Spiele werden an ihrem kommerziellen Erfolg gemessen, das heißt in der Regel werden marktkonforme, zielgruppengerechte Produkte finanziert und innovative, neue Konzepte selten realisiert.54 Dadurch entsteht bei Computerspielen ein inhaltlicher Stillstand. Story, Gestaltung und Gameplay orientieren sich nach den erfolgreichen Vorgängern. Spiele sollen eine möglichst breite Zielgruppe ansprechen, um entsprechende Absatzzahlen zu erreichen. Sie werden programmiert, um den amerikanischen und europäischen Markt, aber auch den asiatischen Raum gleichzeitig zu bedienen. Dadurch findet man wenig kulturelle Spezifizierungen innerhalb der Spiele. Das Gameplay und die Präsentation entsprechen den Erwartungen der in den letzten Jahrzehnten entstandenen Computerspielkultur. Größtes Zielpublikum sind männliche Jugendliche und Spieler im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. In den letzten Jahren wird seitens der Industrie versucht, mit alternativen Spielkonzepten weitere Bevölkerungskreise anzusprechen und besonders mehr Mädchen und Frauen zu erreichen.55 Die Kommerzialisierung der Spiele schreitet ähnlich rapide voran, wie die des Internet. Werbeeinschaltungen werden verdeckt oder auch offen in die Spiele bzw. die Spielvorspänne bzw. „Intros“ integriert, die EntwicklerInnern suchen Sponsoring-Alternativen und PartnerInnen jenseits der Computerspielbranche. Sie finden diese unter anderem bereitwillig bei Rüstung und Militär, die sich durch die Vermarktung positive Resonanzen erhoffen. Im Gegenzug wird eine entsprechend gewünschte Präsentation der GeldgeberInnen in der Handlung innerhalb der Spielwelt vorausgesetzt. Aber auch zivile Firmen nutzen den hohen Verbreitungsgrad
54 Der Erfolgszwang bei der Spielproduktion ist derart groß geworden, dass die Studios kaum wagen, innovative Ideen zu verwirklichen. Lieber werden etablierte Serien fortgesetzt, die sichere Gewinne versprechen. Mittlerweile sind die Produktionskosten der Spiele zum Teil auf dem Niveau von Hollywood Blockbuster. Verkaufsmisserfolge bedeuten dabei nicht selten das Ende eines Entwicklerstudios. Trotzdem beweisen auch innovative Spielkonzepte abseits des Mainstream, dass sie überaus erfolgreich sein können. Ich möchte als Beispiel nur die Spiele „The Sims“, „Sim City“ oder „Spore“ von Will Wright nennen (Siehe auch: Spiegel Online 5.9.2008, http://www.spiegel.de/netzwelt/spielzeug/ 0,1518,576363,00.html, 13.8.2012). 55 Laut der Computerspielzeitschrift Gamestar (Quelle BIU) betrug die Quote der spielenden Frauen 2008 in Deutschland 33%. Die Tendenz ist steigend. Grund dafür ist, dass immer mehr Spiele auch weibliche Hauptfiguren anbieten. „The Sims“ gilt als typisches „Frauenspiel“, aber auch abseits dieses Genres bieten neue Spielkonzepte und bessere Dramaturgien mehr Angebote für spielende Frauen (Vgl. Fränkel, H., Was Frauen wollen, S. 114-117).
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der Spiele, um mittels Werbemaßnahmen neue KundInnen zu erreichen. Im Folgenden stelle ich Marktzahlen der Computerspielindustrie vor, die belegen sollen, welche Ausmaße die Branche mittlerweilen erreicht hat und wie verbreitet Computerspiele in der Gesellschaft sind. In Deutschland wurden im Jahr 2009 57,7 Millionen Computerspiele (alle Spielplattformen) verkauft, die einen Umsatz von über 1,563 Milliarden Euro erzielten. Im Vergleich dazu wurden im Jahr 2000 33,6 Millionen Spiele verkauft und 874 Millionen Euro umgesetzt. Dies zeigt ein deutliches Wachstum für den wichtigen deutschsprachigen Raum.56 Das ISFE (Interactive Software Federation of Europe) gibt einen gesamteuropäischen Umsatz von Computerspielen im Jahr 2007 von 7,3 Milliarden Euro an, der damit in etwa dem Umsatz des Europäischen Videomarktes entspricht.57 Zwischen 2001 und 2009 hat sich der Umsatz des gesamteuropäische Computerspielmarktes nahezu verdreifacht (von ca. 4,8 Milliarden auf 14,5 Milliarden US Dollar) und gleicht nunmehr dem amerikanischen Markt.58 Zwar fällt das aktuelle Wachstum geringer aus, verglichen mit anderen Branchen ist es jedoch beachtlich. Für die USA weist eine Studie der ESA (Entertainment Software Association) im Untersuchungszeitraum von 2005 bis 2009 ein Marktwachstum der Computerspielbranche von 10,6% aus. Im Vergleich dazu wuchsen die restlichen Wirtschaftssektoren in den Vereinigten Staaten im Schnitt um 1,4%. Hier beschäftigte die Branche im Jahr 2009 ca. 120.000 direkte und indirekte ArbeitnehmerInnen.59 Die Umsatzergebnisse erfolgreicher Computerspiele gleichen denen von bekannten Filmen auf DVD oder im Kino. Die relativ junge Computerspielbranche hat sich erfolgreich am Markt etabliert und stellt einen wichtigen Industriefaktor dar. Die Entwicklungsstudios befinden sich vor allem in den Vereinigten Staaten, Kanada, Japan und Großbritannien. Die Produktionskosten für erfolgreiche Computerspiele sind mittlerweilen enorm hoch. Innovative Experimente sind dementsprechend risikoreich und daher selten. Zusätzlich verlieren die Entwicklerstudios Millionen Euro an die Softwarepiraterie, die traditionell in der Branche stark vertreten ist. Mittels Internet und Breitbandverbindung ist nahezu jedes Computer-
56 Quelle: BIU (Bundeverband Interaktive Unterhaltungssoftware e.V.): http://www.biuonline.de/fakten/marktzahlen/, 22.12.2010. u. http://www.gamestar.de/news/branche/146 8338/spielemarkt_in_deutschland_2006.html, 22.12.2010. 57 Quelle: Computer und Videospieler in Europa–Nielson Report 2008 im Auftrag des ISFE (http://www.biuonline.de/fileadmin/user/dateien/Zusammenschau_Nielsenreport_Europa _2008.pdf), 22.12.2010. 58 Quelle: ISFE-Homepage: The Industry. The Economic of Gaming (http://www.isfe.eu/ industry-facts/statistics), 22.12.2011. 59 Quelle: ESA-Homapage: Economic Data (http://www.theesa.com/facts/pdfs/VideoGames 21stCentury_2010.pdf), 22.12.2011.
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spiel illegal zu erwerben. Trotz hoher Strafen seitens der Industrie werden Spiele häufig noch vor der Veröffentlichung raubkopiert und in Tauschbörsen zum „freien Download“ gestellt. Das Unrechtsverständnis ist dabei wenig ausgeprägt und Softwarepiraterie wird gerne als Kavaliersdelikt angesehen. Computerspiele als kommerzielle Produkte sind in ihrer Entwicklung und Vermarktung im großen Ausmaß der neoliberalen Marktwirtschaft angeglichen. Die SpielerInnen passen sich den Strukturen der freien Marktwirtschaft auch im Netz an. Vor allem im Bereich der Online-Rollenspiele oder in der Parallelwelt eines „Second Life“ versuchen SpielerInnen mitunter aus ihrem Hobby Profit zu erlangen. Computerrollenspiele basieren zum großen Teil darauf, dass die SpielerInnen sehr viel Zeit investieren, um die Werte der Spielfiguren zu verbessern, was wiederum höheres Ansehen im Spiel, neue Spielgebiete und Spielaufgaben mit sich bringt. Der Aufbau der Figur und der damit direkt ablesbare Erfolg motiviert zum Weiterspielen, bzw. dazu sehr viel Online-Zeit in das Spielgeschehen zu investieren. Nun möchten bzw. können viele SpielerInnen nicht in jenem Ausmaß Zeit in die Spiele investieren, um möglichst rasch die eigene Spielfigur weiter zu entwickeln. Es ist möglich, von anderen SpielerInnen eine gut ausgebildete virtuelle Figur zu kaufen. Dies geschieht häufig über Online-Börsen. Es werden hohe Summen für hochstufige, gut ausgebildete Charaktere geboten. Ähnlich floriert der Handel mit den so genannten Items, dass sind für das Spielgeschehen wertvolle Gegenstände. Im Bereich der Computerrollenspiele ist derzeit das erfolgreichste Online-Rollenspiel „World of Warcraft“ ein lukrativer Umschlagplatz solcher Geschäfte. Im Jahr 2006 betrug das Volumen des Handels mit Gegenständen und Charakteren in diesem Spiel bereits 1 Milliarde US Dollar und wächst im Jahr 2009 auf sieben Milliarden US Dollar weltweit an. Zwar mag der Online-Handel in der Community auf Ablehnung stoßen, doch viele SpielerInnen setzen ihr vorhandenes Zeitpotential ein, um sich ein zusätzliches Einkommen zu schaffen und nutzen dazu geschickt die Vertriebswege des Internet. Dieser Handel ist von den Spielfirmen unerwünscht, weniger wegen ethischer Bedenken, sondern wegen der Tatsache, dass hier ein hohes Kapitalvolumen an ihnen vorbeigeschleust wird. Deshalb nutzen weltweit immer mehr Publisher von Online-Spielen die Möglichkeiten, an diesem Markt zu partizipieren.60 KritikerInnen dieser Entwicklung sehen darin den vollkommenen Einbruch des kapitalistischen Wertesystems in die Spielwelten, in denen sich wohlhabende ComputerspielerInnen virtuelles Prestige und Ansehen erkaufen können, ganz wie im realen Leben. Andererseits besteht dadurch die Möglichkeit für viele vorwiegend jugendliche SpielerInnen ihr Hobby zu finanzieren, bzw. Zusatzeinkünfte zu erzielen. Durch die Kommerzialisierung des Spielverhaltens der SpielerInnen rücken die Computerspiele von der klassi-
60 Vgl. Holowaty, C., Viel Geld für nichts, S. 32ff.
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schen Definition einer Spielsphäre weiter ab und können eher mit Sportereignissen verglichen werden. Die Lebenssimulation „Second Life“ wurde schon in ihrer Entstehung von der Spielfirma „Linden Labs“ kommerziell ausgerichtet. Die im Spiel verwendete Spielwährung „Linden Dollar“ kann mit der realen Währung über eine implementierte Kreditkartenfunktion verbunden werden. Virtuelle Grundstücke und Immobilien bzw. Kreationen der SpielerInnen, wie DesignerInnenmode, Spiele innerhalb der Simulation, Fahrzeuge, etc. können im Umtausch Linden- zu Realdollars zwischen den SpielerInnen gehandelt werden und unterliegen ähnlich dem realen Markt entsprechenden Schwankungen.61 Natürlich nutzen auch Firmen den virtuellen Markt und bieten besondere Items in der Spielwelt an, bzw. betreiben Werbung. Zu Beginn dieses Kapitels wurde aufgezeigt, mit welchen Problematiken der Siegeszug des Kapitalismus bzw. Neoliberalismus für die Menschen verbunden ist und wie die Kommerzialisierung alle Lebensbereiche erfasst. Die hoch gelobte Globalisierung, ermöglicht durch die weltweite Vernetzung via Internet, wirft enorme Schattenseiten auf das soziale Dasein des/der Einzelnen, da durch global motivierte Entscheidungen unabsehbare regionale Konsequenzen drohen, die von den Menschen nicht mehr beeinflussbar sind. Die Computerindustrie ist Vorreiterin und Trägerin der Informationsgesellschaft und weltweiten Globalisierung. Computerspiele sind bis auf wenige Ausnahmen kommerzielle Produkte, hinter denen eine boomende Branche steht. Die Kommerzialisierung erfasst aber nicht nur den realen Vertrieb der Spiele, sondern greift immer tiefer in die virtuellen Spielwelten ein. Es gibt aber durchaus Gegenbewegungen, die sich über das Internet organisieren. Ich habe bereits die Community rund um „Linux“, „Wikipedia“ und ähnlichen Produkten erwähnt. Dabei werden die Programmiercodes jeden/jeder AnwenderIn zur Verfügung gestellt bzw. offen gelegt. Die BenutzerInnen werden eingeladen, durch ihre Beiträge die Programme zu verbessern, oder Fehler zu entdecken. Für diese Arbeit gibt es keinen finanziellen Lohn, sondern nur die Anerkennung in der Community, den Gedankenaustausch im Netz und das Bewusstsein an etwas Größerem Teil zu haben bzw. sich im globalen Netz zu verewigen. Die Softwarepakete sind in der Regel frei verfügbar und finanzieren sich durch Werbung und Spendengelder. Für viele ist die aktive Teilnahme an dieser Art der Programmentwicklung ein Protest gegen die wachsende Kommerzialisierung und erinnert an die HobbyProgrammierInnenbewegung der 1980er und frühen 1990er Jahre. Die OnlineEnzyklopädie „Wikipedia“ funktioniert nach ähnlichen Kriterien. Die vor allem von StudentInnen im großen Maße genutzte Freeware-Enzyklopädie wächst durch unzählige Beiträge, die unentgeltlich von interessierten Personen in die Enzyklopädie eingefügt werden. Diese Beiträge können in weiterer Folge von der Community
61 Vgl. Trier, M., Echtes Geld aus virtuellen Welten, S. 180-183.
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bearbeitet und korrigiert werden. Wenn auch die Inhalte nicht fraglos übernommen werden können und nicht die Qualität einer käuflichen Enzyklopädie erreichen, so ist der Umfang dieses Online-Lexikon doch beachtlich. Ähnliches kann man in der Community der ComputerspielerInnen beobachten. Beispielgebend dafür ist die „Mod“- bzw. „Modder“-Szene. Für eine nicht geringe Anzahl von Computerspielen werden von den Spielfirmen Programmcodes freigegeben und Hilfsprogramme zur Verfügung gestellt, die HobbyprogrammiererInnen erlauben, die gekauften Computerspiele zu bearbeiten bzw. völlig neue Spielinhalte zu entwickeln. Mit Hilfe dieser Programme können aus einem vorgefertigten Spiel im Rahmen des technischen Grundgerüstetes unter Umständen ganz neue Spiele entstehen. Diese Abwandlungen funktionieren in der Regel nur zusammen mit dem Originalspiel und können als Freewareprogramme über das Internet erworben werden. Die SpielerInnen, die in dieser Weise die Programme bearbeiten, verwenden sehr viel kreatives Potential für das Design neuer Spielideen und erlangen dadurch nicht zuletzt technische Versiertheit durch den Umgang mit den Programmen. Der Lohn ist neben der kreativen Betätigung und dem Gefühl etwas Eigenes kreiert zu haben, die Bestätigung in der Community, welche die erstellten „Mods“ bewertet und weiterempfiehlt. Eine weitere Aussicht, die zwar nur für einen geringen Prozentsatz der Hobby-SpieldesignerInnen zutrifft, ist die Hoffnung, dass Computerspielfirmen auf die eigenen Leistungen aufmerksam werden und entsprechende Jobs anbieten. Für die SpielproduzentInnen bieten sich die Vorteile, dass durch diese Modifikationen ihre Produkte lange im Umlauf bleiben und sich eine große Fangemeinde von SpielerInnen bildet. Dies fördert zudem den Absatz von zukünftigen Produkten. Zusätzlich erhalten die Spielfirmen von den „Modder“Communities Rückmeldung über die Qualität der Software und Verbesserungsvorschläge. Vor allem für große Online-Spiele ist es üblich, schon während der Produktionsphase die Spiele mit Hilfe der Community auszutesten. Dabei arbeiten Spielfirmen und die „Modder“-Community eng zusammen.62 Ein aktuelles Konzept
62 Diese Entwicklungsphase wird in der Branche auch „Betatest“ genannt. Um OnlineSpiele für tausende zugleich spielende ComputerspielerInnen testen zu können, müssen die Firmen praktisch auf den Kreis der Spielefans zurückgreifen. Aber auch umfangreiche Solo-Rollenspiele werden oft von der Community im Vorfeld getestet. In der Regel bekommen die freiwilligen TesterInnen kein Geld für ihre Arbeit von den Herstellern, sondern nur das Wissen, vor allen anderen und exklusiv das Spiel bereits gespielt zu haben. Siehe: http://www.gamestar.de/spiele/sins-of-a-solar-empirerebellion/news/ sins_ of_a_solar_empire_rebellion,46768,2565399.html, 10.10.2012, http://www.gamestar. de/ spiele/anno-online/news/anno_online,48727,3005661.html,14.10.2012, http://eu.battle.net /wow/de/blog/3887974/Mists_ of_Pandaria_-_ Betatest-Anmeldung_ und_FAQ_ -21_ 03_ 2012, 5.10.2012.
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stellt das „Crowd Funding“ dar. Dabei beteiligen sich SpielerInnen finanziell am Entwicklungsprozess der Spiele. Dafür können sie an der Entstehung teilnehmen und demokratisch Designentscheidungen mitbestimmen. Durch Spenden helfen sie Spielprojekte mitzufinanzieren und ermöglichen vor allem kleineren Entwicklerstudios ihre „Wunschspiele“ zu erschaffen.
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Der Computer als technologischer Träger und Hauptimpuls des Wandels der Industriegesellschaft in eine Informationsgesellschaft ist Kernstück der postmodernen Kultur und gleichzeitig Metapher für sie. Die Computertechnologie transformiert unsere Gesellschaft.63 Unser Denken wird durch die Technologie mitbestimmt, wir drücken uns bereits durch computersprachliche Metaphern und Synonyme aus.64 Die Diskurse rund um Virtualität, Realität und Simulation sind bestimmend für unsere gegenwärtige Gesellschaft. Sie prägen Wissenschaft, Philosophie und Gegenwarts- bzw. Zukunftsvisionen. Computerspiele und ihre Nutzung sind ein Abbild des postmodernen, fragmentierten Selbst. Sie versinnbildlichen Modernes und Vormodernes, stellen Gleichzeitigkeiten von eigentlichen Ungleichzeitigkeiten her. Dadurch spiegelt sich in ihnen unsere Kultur und Lebensweise mit allen Brüchen und ständigen Transformationsprozessen wider. Eine Erforschung von Computerspielen ist letztendlich eine Analyse unserer postmodernen Lebensweise und Kultur und ein wichtiges Forschungsgebiet für eine Medienanalyse mit kulturanthropologischem Ansatz. Computerspiele sind einem gesellschaftlichen Zeitphänomen zuzuordnen. Im gleichen Ausmaß wie der Computer selbst, stehen sie für eine Zeitbefindlichkeit, in der sie sich entfalten und manifestieren, die sie prägt und durch die sie gestaltet werden. Nichts würde das Phänomen der Computerspiele passender beschreiben, als die vielen, sich zum Teil widersprechenden Strömungen der Postmoderne. Somit sind die Spiele ein Ausdruck und Katalysator der heutigen Gesellschaft. Spielen ist eine anthropologische Grundkonstante und so alt wie die Menschheit. Mit Hilfe der digitalen Technik und der Computerspiele entstehen nun Momente des Austestens, der Simulation, des Bastelns im Sinne einer Bricolage, des Rollen- und Identitätstausches usw. Begriffe, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der postmodernen Befindlichkeit stehen und sich mit der philosophischen Theoriebildung der
63 Vgl. dazu auch Filiciak, M., Hyperidentities, S. 87. 64 Alleine der Sprachgebrauch passt sich Computermetaphern an. Wir merken uns heute Dinge nicht mehr, sondern speichern sie ab. Menschen müssen sich neu Aufladen oder Rebooten, usw.
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Postmoderne auch in Alltagsgebrauch der Computerspiele überschneiden.65 Wenn man sie beschreiben und analysieren will, wird es zunächst wichtig sein, eine Standortbestimmung der postmodernen Gesellschaft durchzuführen und ihre Anachronismen aufzuzeigen. Nur dadurch lassen sich die Widersprüchlichkeiten der modernen, postmodernen, romantischen und neoromantischen sowie archaischen Bilder innerhalb der Spiele erklären, und die Beziehungen, Transfers und Überschneidungen zwischen virtueller Spielwelt und dem Alltag darstellen. Erstmalige Bedeutung erlangte der Begriff Postmoderne bzw. Postmodernismus aus der Literaturkritik der 1950er Jahre durch die amerikanischen Literaturkritiker Irving Howe und Harry Levin. Sie bezeichneten die Literatur ihrer Zeit mit diesem Begriff, der zu Beginn negativ behaftet war und sie im Gegensatz zu den Meisterwerken der Moderne sah. Positiv aufgewertet wurde der Begriff ab den späten 1960er Jahre als er für Kunstwerke und künstlerische Strömungen eingesetzt wurde, die sich gegen eine „verkrustete“ Kunst der Moderne stellten. Ebenfalls maßgebliche Bedeutung erlangte der Begriff der Postmoderne in der Architektur in den frühen 1960er Jahren, wo er zur Beschreibung einer Architektur- und Kunstepoche diente. Die folgende Architekturdiskussion durchdrang bald alle anderen Künste und führte zur Einführung des Begriffes in die kritische Kulturanalyse ab den 1970er und 1980er Jahre, in der er bis jetzt von entscheidender Bedeutung ist.66 Damit wurden die Begriffe Postmoderne aber auch Nachmoderne zur Beschreibung gewärtiger Kultur- und Gesellschaftsphänomene gebraucht. Die Begriffe deuten allerdings an, dass die Moderne abgelöst wurde und nicht mehr als Beschreibungskategorie für unsere Umwelt zu verwenden sei. Wie wir folgend noch sehen werden, kann von einer Ablöse in vielerlei Hinsicht kaum gesprochen werden, dennoch weist die heutige Gesellschaft Formen auf, die sich von der Moderne stark unterscheiden. Es stellt sich laut Elisabeth Katschnig-Fasch die Frage, ob der oftmals verschwommene Diskurs um die Kategorie der Postmoderne bzw. der Moderne eine intellektuelle Sinnkrise ist, oder auch als Bruch in alltagskulturellen Bereichen wahrzunehmen ist.67 Betrachtet man die Postmoderne als Erscheinungsbild der veränderten gesellschaftlichen Bedingungen, wie z.B. die bereits angesprochenen wirtschaftlichen Ausbeutungssysteme des Neoliberalismus und Kapitalismus, dann kann man von einem direkten Einfluss auf die Betroffenen im alltäglichen Lebens- und Erwerbsbereich ausgehen. Diese Wirtschaftsysteme prägen nicht nur den ökonomischen Bereich der Menschen und ihren Haushalt, sondern auch ihr Denken und Fühlen. Wettbewerbsdenken, mangelnde Solidarität, aber auch das Gefühl, nicht am geforderten und erwarteten Erfolg teilhaben zu können, mit den
65 Vgl. Keitel, E., Zum Genre Computerspiel, S. 19. 66 Vgl. Brockhaus: Die Enzyklopädie in 24. Bänden, PERU-RAG, Bd. 17, S. 403-404. 67 Vgl. Katschnig-Fasch, Möblierter Sinn, S. 12.
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damit verbundenen eigenen Schuldzuweisungen, sind nur einige Ausdrücke der heutigen Zeitbefindlichkeit. Die Postmoderne stellt aber auch eine neue Art des Denkens über Kunst und Kultur und letztendlich über die Medien dar. Die klassische Trennung zwischen Hochkultur und populärer Kultur verschwindet, postmoderne DenkerInnen betonen den Stellenwert der populären Kultur. Wie Frederic Jameson feststellt, faszinieren „Ramsch und Kitsch“ auch in wissenschaftlichen Kreisen. Serien, Filme, Romane, Liebesgeschichten, Science-Fiction, Fantasy u.v.m. rücken ins Zentrum des Interesses und werden als „Grundsubstanz“ der Postmoderne erachtet.68 Durch die Hinwendung zur Populärkultur rücken die alltäglichen kulturellen Beschäftigungen ins Interesse. Medien und in weiterer Folge Computerspiele sind tragende Faktoren der populären Kultur und stehen damit im Mittelpunkt postmoderner Betrachtungsweisen. Postmoderne als Zeitdiagnose begriffen, bewertet laut Katschnig-Fasch zunächst die technologischen Neuerungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vor allem auf dem Medien- und Kommunikationssektor, der die soziokulturellen alltäglichen Lebenswelten der Menschen beeinflusst.69 Die heutige weltweite Kommunikationsstruktur mittels Computer und Internet verändert den Umgang der Menschen miteinander, aber auch unsere Sicht der Dinge allgemein. Der Computer als Träger dieser Informations- und Mediengesellschaft wird deshalb als postmodernes Instrument bezeichnet. Er gilt als die technisch realisierte Machbarkeit der postmodernen Lebensweisen, da er als universale Simulationsmaschine definiert ist. Andererseits ermöglicht er den Menschen mit Hilfe von Computerspielen oder Lebenssimulationen wie „Second Life“, unterschiedliche postmoderne Identitäten und Lebensentwürfe zu simulieren. Trotz dieser postmodernen Fähigkeiten bzw. Zuschreibungen entstammt die technologische Entwicklung der modernen Nachkriegsforschung und ihrem Know-How. Ebenso sind die Medien und mit ihnen die Computerspiele in erster Linie ein Wirtschaftsfaktor im kapitalistischen Wertesystem, trotz der ihnen innewohnenden vielseitigen Aneignungsmöglichkeiten seitens der BenutzerInnen. Die Kommunikationsstrukturen, sowie Methoden der Informationsgewinnung und des Informationsaustausches werden durch die vernetzte Form des Internet bestimmt. Email- Kommunikation im Businessbereich ist geprägt durch Kürze und Prägnanz, anderseits werden rund um den Erdball Millionen von Spaßemails, Werbeemails, Spams usw. versendet, welche die Effizienz der Firmenkommunikation (und damit der Arbeitsleistung) beeinträchtigen. Ähnlich schwierig gestaltet sich der Zugriff auf das im Cyberspace gespeicherte Wissen. Durch die Flut von Informationen wird die Selektion wichtig, die „richtiges“ von „falschem“ bzw. „unnöti-
68 Vgl. Jameson, F., Postmoderne. Zur Logik der Kultur des Spätkapitalismus, S. 46-47. 69 Vgl. Katschnig-Fasch, Möblierter Sinn, S. 12-13.
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gem“ Wissen trennt. Doch wer führt diese Selektion der Information durch und bestimmt den Grad der Aufmerksamkeit, die wir den einen oder den anderen Informationen geben sollen? Die Mechanismen, die hinter diesen Prozessen stehen, beinhalten ein hohes Maß an Machtpotential. Trotz aller Euphorie über die scheinbar schrankenlosen Kommunikationsmöglichkeiten, die mittels Computer und Internet den Erdball überziehen, muss auf die rasant steigende Kommerzialisierung des Netzes hingewiesen werden. Diese hat hauptsächlich erweiterte Vertriebsmöglichkeiten zum Ziel und weniger BenutzerInnen vor Augen, die konsequent und selbstbewusst für sie wichtiges Wissen und Informationen unabhängig und autonom aus dem Internet gewinnen. Auch wenn sich die Utopie eines vollständigen Zugangs zur globalen Kommunikation für alle Menschen jemals erfüllen sollte, so stellt sich durchaus die Frage, welche Informationen überhaupt gewonnen werden können und wie sie für uns von Nutzen sein können. Die Informationsgesellschaft als Zeichen einer postmodernen Gesellschaftsform wirft somit neben der Frage des selektiven Wissenszugangs auch die Frage der „Wissensaufmerksamkeit“ auf.70 Die Fülle an Informationen, die über die Medien verbreitet werden, ist für die einzelnen Individuen kaum erfassbar und noch weniger vernünftig anwendbar. Zwar können sehr viele Menschen in der westlichen Welt am globalen Informationsfluss teilhaben, doch werden ihnen keine geeigneten Mittel zu Wissensselektion geboten. Im Gegenteil, gezielte Werbung und Marketing dienen dazu, den Menschen von den ProduzentInnen „gewünschte“ Informationen zu bieten und sie damit von einem „freien und demokratischen Informationserwerb“, fernzuhalten. Auch Ulrich Beck sieht unsere Gesellschaft in erster Linie als Medien-, Informations- und Wissensgesellschaft. Die Bedeutung des Wissens wächst, genauso wie die Macht der Medien wächst. Es stellt sich laut ihm aber die Frage, wer die Kontrolle über die Medien und die Wissensvermittlung hat. Diese Macht bestimmt die Diskurse in den Medien und die Selektion des zu verbreitenden Wissens. Informationen gewinnen an Bedeutung, genauso der Zugang zu den Informationen.71 Pierre Bourdieu bezeichnet die Vorgänge rund um den Zugang zum Wissen und die daraus resultierende Definitionsmacht über die herrschenden Diskurse als die „Verborgenen Mechanismen der Macht“.72 Das Aushandeln der Machtpositionen in den Diskursen beschreibt Bourdieu als Spannungsfeld der Machtverhältnisse in der Gesellschaft. Medien schreiben, neben den etablierten Institutionen, die Machtverhältnisse in der Gesellschaft fest. Es geht dabei vor allem um die Festigung und Bestätigung der „Symbolischen Macht“, einer legiti-
70 Vgl. Rötzer Florian, Digitale Weltenentwürfe, S. 61-100. 71 Vgl. Beck, U., Die Risikogesellschaft, S. 60-62. 72 Vgl. Bourdieu, P., Die verborgenen Mechanismen der Macht, S. 81-86. u. Bourdieu, P., Über das Fernsehen, S. 95-131.
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men, von fast allen Menschen anerkannten Macht, die als „Common Sense“ im Unterbewusstsein der Menschen unhinterfragt etabliert ist und als „natürlich“ wahrgenommen wird. Die anerkannten Machtverhältnisse werden durch alltägliche Distinktionsvorgänge (Abgrenzung durch Geschmack, Stil, etc.) durchgesetzt und über die Medien gefestigt.73 Diese Distinktionsvorgänge sind dementsprechend auch in Computerspielen zu beobachten. Viele Rollenspiele weisen z.B. inhaltlich neoromantische, feudale Strukturen auf, die einfachere Distinktionsmöglichkeiten für die SpielerInnen bieten, als die immer komplexer werdenden realen sozialen Strukturen. Ebenso wird in den Spielen meistens mit klaren Abgrenzungen zwischen gut und böse, schwarz und weiß operiert, die vereinfachte Orientierungsmöglichkeiten in den Spielwelten bieten. Es herrscht ein reger Bedeutungstransfer zwischen realer Welt und Spielwelt, der unter anderem an Hand des Distinktionsverhaltens beschrieben werden kann. Dies wird in der Analyse noch genauer ausgeführt. Zusätzlich muss bedacht werden, dass die Begriffe einer Informations- und Wissensgesellschaft für den US-amerikanischen und europäischen Rahmen gelten, während viele Teile der Welt nicht wirklich in die Ära des Modernismus eingetreten sind.74 Der Begriff „Postmoderne“ wurde in den letzten Jahren häufig zur Beschreibung gesellschaftlicher und kultureller Phänomene herangezogen. BefürworterInnen des Begriffs sehen einen radikalen Bruch mit der Moderne mit tief greifenden soziokulturellen Veränderungen, während GegnerInnen von einer veränderten Moderne sprechen, die immer noch andauert. Als Zeitspanne gelten die späten 1950er Jahre bis heute, also genau die Zeit, in der sich der Computer verbreitete und schließlich zum Alltagsgebrauchsgegenstand wurde. Euphorisch stand die Bewegung den neuen Technologien gegenüber, mit deren Hilfe sie die Visionen einer postindustriellen Gesellschaft verwirklichen wollte.75 Die Technologiebegeisterung und Fortschrittsgläubigkeit der 1960er Jahre wich in den 1970er Jahren einer kritischen und zum Teil depressiven Betrachtung der technologischen Entwicklung, deren Ursache in düsteren Zukunftsprognosen und realen ökologischen Katastrophen lag. In Europa wurde die Postmoderne in den 1970er zunächst als Sammelbegriff für die Neuerungen in der Kunst gesehen. Bis schließlich in den Diskurs die inzwischen weit verbreitete Wissenschaftsskepsis eindrang und sich gegen den wissenschaftlichen Rationalismus richtete.76 Medienexperte Peter Weibel fasst die Differenzen in den Diskursen zwischen Postmoderne und Moderne folgend zusammen: Der Postmodernismus versuchte im Zuge der technischen und sozialen
73 Vgl. Bourdieu, P., Die Feinen Unterschiede, S. 355-399. 74 Vgl. Hall, St., Cultural Studies, S. 56. 75 Vgl. Katschnig-Fasch, Möblierter Sinn, S. 25-27. 76 Vgl. Ebda., S. 27-29.
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Veränderungen in der Kommunikation und Lebensweisen der Menschen das Projekt der Moderne zu überdenken. Es galt die Konstrukte der „ewigen Wahrheiten“ rund um die Konstanz des Fortschritts und das alleingültige Wissen zu durchbrechen. Der Universalismus und Totalitarismus der Moderne musste dem Pluralismus der Postmoderne und dem Glauben an Heterogenität und Differenz weichen. Gegen den linearen Fortschrittsglauben der Moderne mit seinem Anspruch auf absolute Wahrheiten, setzte die Postmoderne auf Diskontinuität, und den Rückgriff auf bereits bewährte Strukturen.77 Dies führte aber wiederum zu berechtigten Kritiken auf retrospektive, rückwärtsgerichtete und antiprogressive Einstellungen in postmodernen Weltbildern. Weltbilder, die wir in den Medien und explizit in Computerspielen, Film und Fernsehen vorfinden. Nach Peter Weibel sind die Krisen der Linearität bzw. Kontinuität evident. Sie sind Ausdruck und Folge einer realen Raum-Zeitkompression, die durch die Veränderung der Kommunikationstechnologien, des öffentlichen Lebens und der sozialen Folgen der Technotransformation der Welt entsteht.78 Der virtuelle Raum der Computerspiele, die virtuellen Handelsspekulationen an den Börsen und der weltweite Informationsfluss über das Internet, der die Faktoren Zeit und Raum gegen Null schrumpfen lässt, sind nur einige Beispiele für die Folgen dieser Transformationen. Diese Entwicklungen und Umbrüche führen zu Unsicherheiten und es wird schwierig die komplexen Systeme innerhalb einer postmodernen Gesellschaft zu erklären. Darum besteht stets die Gefahr, dass die Menschen wieder auf einfache, leicht verständliche Erklärungsmuster und Modelle zurückgreifen. Ein Vorgang, der im aktuellen politischen Geschehen sehr leicht zu beobachten ist: einfache Schuldzuweisungen und simple Erklärungsmuster scheinen für viele die geeignete Antwort auf die komplexen gesellschaftlichen Probleme zu sein. Ähnliche einfache Problemlösungsstrategien zeigen aber auch Computerspiele und andere Medien auf, realer und virtueller Raum gleichen sich an und beeinflussen sich gegenseitig. Für Peter Weibel besteht eine mögliche Gefahr des Postmodernismus folgendermaßen: „[…] indem alle Standards von Wahrheiten und Recht, von Bedeutung und Kommunikation als Meta-Erzählungen aufgelöst werden, wird der Boden bereitet für das Wiederauftauchen von jener Hyänen der Geschichte, die anstelle von Konzepten Charisma, an die Stelle von Vernunft unbegründbare Irrationalität setzen.“79
Ähnliches geschah bereits mit der Moderne, deren Logik der instrumentalisierten Vernunft und des totalen Fortschritts, der absoluten Beherrschung aller Bereiche
77 Vgl. Weibel, P., Probleme der Neomoderne, S. 13ff. 78 Vgl. Ebda. S.14. 79 Ebda., S. 14.
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des menschlichen Daseins und der Natur folgte und schließlich in die Irrationalität techno-faschistischer Regime, wie das dritte Reich der Nationalsozialisten, mündete. Weder Postmoderne noch Moderne sind ideologiefrei. Während die Moderne laut Peter Weibel im Anspruch absoluter Wahrheit, Vernunft und Rationalität ihre dahinterstehenden Ideologien ausblendete und damit in der Irrationalität des Totalitarismus endete, droht auch der Postmoderne in ihrer Suche nach ideologiefreien, reinen Texten eine ähnliche Entwicklung durch ihre Rückgriffe auf irrationale Mythen und vormoderne Romantik.80 In diesem Sinne gilt es gerade bei der Untersuchung von Medienprodukten wie Computerspielen, die dahinterstehenden Ideologiekonzepte zu beleuchten. Als zentral für die Diskussionen rund um die Postmoderne/Moderne erwies sich die Positionen von Jürgen Habermas als Kritiker und Jean-Francois Lyotard als Verfechter der Postmoderne. Für den französischen Poststrukturalisten Lyotard ist das Projekt der Aufklärung zu Ende, die großen Erzählungen der Moderne sind vorbei.81 Im Fortschritt kann nicht mehr das Heil für unsere Zukunft liegen, wie die verheerenden Kriege und die Umweltzerstörungen beweisen. Der Mythos der Moderne und des Fortschrittglaubens, aber auch der Wissenschaft ist laut ihm endgültig entzaubert.82 Nach Lyotard versuchen die Aufklärung und die Moderne die Einheit des Wissens und der Ordnung mit Gewalt wieder herzustellen. Dieser Wunsch nach Ordnung führte im 19. und 20. Jahrhundert zum Terror totalitärer Regime. Diese Regime versuchten die illusionistische Einheit des Wissens und der Ordnung mit Gewalt herzustellen. Solche Vorgänge darf es nach Lyotard nicht mehr geben. Die Menschen müssen sich gegen den Totalitätsanspruch des Ganzen und der herrschenden Ideologien stellen.83 Baudrillard, von dem bereits im Zusammenhang mit dem Konstruktivismus die Rede war, spricht von einem Abhandenkommen der Wirklichkeit durch die moderne Kommunikationsgesellschaft. Für ihn ist dies ein wesentliches Zeichen einer postmodernen Gesellschaft. Durch den (notwendigen) Verlust der Objektivität der Wissenschaft wird sie endgültig von der reellen Welt und ihrer Zweckbestimmung entfernt. Das technische Umfeld der Kommunikationsmedien verbirgt die Wirklichkeit und lässt die Menschen in einer hyperrealen Simulation leben.84 Von besonderer Bedeutung wird diese Theorie, wenn man die virtuellen Cyberwelten der ComputerspielerInnen betrachtet. Auch
80 Vgl. Weibel, P., Probleme der Neomoderne, S. 12-16. 81 Vgl. Lyotard, J., Das postmoderne Wissen, S. 112. 82 Vgl. Lyotard, J., Die Moderne redigieren, S. 213. 83 Vgl. Lyotard, J., Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?, S. 195-203 und siehe auch Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 22-23. 84 Vgl. Baudrillard, J., Der Xerox und das Unendliche, S. 274ff und Baudrillard, J., Die Simulation, S. 143ff, sowie Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 22-25.
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hier könnte man die Frage stellen, ob der Mensch bereits in einer Simulation des Spieles gefangen ist und in dessen der Realität lebt. Wie schon bei Peter Weibel ersichtlich wurde, schwingen in der Postmoderne viele neokonservative und vormoderne Elemente mit, die teilweise schon als längst überwunden galten. Neben einer berechtigten Fortschritts- und Zivilisationskritik tauchen auch New-AgePhilosophien auf der Suche nach neuer Spiritualität und romantische „Zurück zur Natur“-Strömungen auf. Ina Maria Greverus beschreibt den Zustrom für die neuen spirituellen New-Age-Bewegungen und die Faszination für alles Magische als Ausdruck der zerstörten Sinnproduktion der „Mensch-Welt-Beziehung“ durch die Moderne, die durch die totale Bürokratisierung, Spezialisierung, Technisierung und Entfremdung der Menschen von ihrer Arbeits- und Lebenswelt entstanden ist.85 Anthony Giddens hingegen sieht das Entflammen neuer Fundamentalismen, welches prägend für unsere Zeit ist, als Auswirkung einer posttraditionellen Gesellschaft. Laut ihm werden durch die Moderne und mit der ihr einhergehenden Globalisierung lokale Sinnzusammenhänge und Traditionen im großen Maße obsolet. Trotz Sinnentleerung werden Traditionen weitergeführt, allerdings müssen sich diese in einem Universum von konkurrierenden Werten verteidigen und rechtfertigen. Erfolgt diese Rechtfertigung bzw. Verteidigung der Traditionen nicht auf diskursivem Wege, sondern wird als formelhafte Wahrheiten nötigenfalls auch mit Gewalt verbreitet, werden aus den Traditionen Fundamentalismen. Das Ergebnis dieser Fundamentalismen ist laut Giddens ein Rückfall in einen konservativen Totalitarismus. 86 Die zu beobachtenden neokonservativen und vormodernen Strömungen veranlassten den deutschen Philosophen Jürgen Habermas dazu, die Theoriekonzepte der französischen Poststrukturalisten heftig zu kritisieren. Habermas bleibt dem Konzept der Moderne im Sinne der Aufklärung treu. Für ihn ist die Postmoderne eine antimoderne, neoromantische Bewegung, die gegen die Aufklärung gerichtet ist. Laut ihm sind die postmodernen Sichtweisen neokonservative Einstellungen, welche die Schattenseiten der Modernisierung und des Fortschritts der kulturellen Moderne anlasten.87 Das Aufklärungsprojekt Moderne darf laut ihm nicht beendet werden, wie es z.B. Lyotard fordert. Es geht vielmehr darum, die negativen Effekte der Moderne und Aufklärung zu diskutieren. Nach Habermas muss man aus den Fehlern der Moderne lernen, die Grundidee einer Aufklärung steht aber außer Frage.88 Zwischen diesen beiden Positionen schwanken die Definitionen über unsere gegenwärtige Gesellschaft. Ob man die Zeitbefindlichkeiten nun
85 Vgl. Greverus, I. M., Neues Zeitalter oder Verkehrte Welt, S. 70ff. 86 Vgl. Giddens, A., Leben in einer posttraditionalen Gesellschaft, S. 169-183. 87 Vgl. Habermas, Die Moderne, ein unvollendetes Projekt, S. 177-178. 88 Vgl. Habermas, J., Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 361.
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als Moderne bzw. Postmoderne bezeichnet, oder einen völligen Bruch mit der Moderne diagnostiziert, hängt vom jeweiligen Standpunkt der BetrachterInnen ab.89 Nach Elisabeth Katschnig-Fasch ist die Debatte um die Postmoderne längst keine Frage eines neuen Kunststils, sondern bezieht kulturelle, politische und gesamtgesellschaftliche Phänomene mit ein. Es geht dabei um die Phänomene der Pluralität, um neue Raum- und Zeitbefindlichkeiten, um individuelle Krisen und Krisen der kollektiven Identität, womit das Phänomen Postmoderne gesellschaftliche und kulturelle Realität in den Lebenswelten der Menschen geworden ist.90 Wolfgang Welsch bezeichnet die Postmoderne als Spielart der Moderne und nicht als Nachfolger. Für ihn ist sie schon immer in der Moderne enthalten gewesen und verwirklicht die pluralistischen Ansätze der Moderne auf radikale Weise.91 Damit stellt er sich vermittelnd zwischen die Positionen im Diskurs um die Moderne/Postmoderne. Die Pluralität der Moderne wird erstmals in der Geschichte real und anerkannt. Für Welsch bedeutet dies nicht die bloße Auflösung, Oberflächigkeit und Beliebigkeit, wie sie z.B. Baudrillard92 beschreibt, sondern eine positive Vision einer wirklichen Demokratisierung.93 Pluralität schafft aber auch Unsicherheit und Verlust von Werten und Normen und kann zu den derzeit beobachteten Identitäts- und Sinnkrisen führen. Der postmoderne Mensch verliert die überlieferten Identitäten und Eindeutigkeiten, die durch Familie, Stand, Klasse, Arbeit, etc. vorgegeben wurden und muss in einer entraditionalisierten, pluralistischen Gesellschaft „PatchworkIdentitäten“ kreieren. Computerspiele helfen den Menschen, diese Identitäten in einem virtuellen Raum zu kreieren und mit ihnen zu experimentieren. Dies mag zwar positiv als Befreiung des Individuums gedeutet werden, führt aber zum Verlust von vertrauten Normen, Werten und Orientierungspunkten, wie bereits Ulrich Beck94 festgestellt hat. Ein weiterer zentraler Aspekt in der Betrachtung der Postmoderne ist der Begriff der Reflexivität. Anlehnend an Scott Lash stellt die Reflexivität eine Denkweise über Kunst, Literatur, Wissenschaft, etc. dar, die mit Mitteln der Reflexion angeeignet wird. Diese Denkweise hinterfragt sich selbst, d.h. sie reflektiert sich. Das Einbinden und Hinterfragen der eigenen Position und des eigenen Antriebs wird für viele von Bedeutung. Immer mehr Menschen verfügen über die Ressourcen, über
89 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 22-23. 90 Vgl. Katschnig- Fasch, E., Möblierter Sinn, S. 29. 91 Vgl. Welsch, W., Unsere Postmoderne Moderne, S. 83. 92 Siehe dazu S. 54ff. 93 Vgl. Welsch, W., Unsere Postmoderne Moderne, S.5 und . Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 21. 94 Siehe S. 104ff.
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Strukturen und Regeln der Gesellschaft nachzudenken.95 Ermöglicht wird dieses Reflektieren durch den erweiterten Zugang zu Informations- und Kommunikationsstrukturen, der immer mehr Menschen offen steht. Ebenso verweist Scott Lash auch auf die VerliererInnen der Kommunikationsgesellschaft, also jene, die keinen Zugang zu den Informationskanälen und somit zur Reflexion haben, bzw. sich durch ihr soziales Umfeld und ihre Lebensbedingungen den Luxus einer Reflexion nicht leisten können.96 Anthony Giddens misst der Reflexion ebenso eine große Bedeutung bei, weist aber gleichzeitig auf die Schwierigkeiten einer Notwendigkeit und Zwanges zur dauernden Reflexion hin. Die Menschen müssen seiner Meinung nach in allen Lebensbereichen ihren Lebensstil und ihre Gewohnheiten aktiv überdenken.97 Für Stuart Hall besteht der Modernismus aus vielen Projekten, die nicht alle integrierbar und homogen sind. Die Verteidigung des Aufklärungsprojektes Moderne durch Habermas bezeichnet er zwar als anerkennenswert, er stellt sich aber zu wenig den widersprüchlichen Tendenzen der modernen Kultur, während er die Positionen einiger PostmodernistInnen als „eurozentrische Lobpreisung des postmodernen Zusammenbruchs“ sieht. Die Veränderungen konstituieren nach Hall für viele neue Subjektpositionen und soziale Identitäten, aber keinen einheitlichen „postmodernen Zustand“. Für Hall ist der Begriff der Postmoderne der aktuelle Name für jene Unsicherheiten, in die sich die alten Sicherheiten seit 1900 verwandelt haben. Die Postmoderne bedeutet eine Weiterentwicklung von Prozessen wie, Fragmentierung und Diversifizierung, die durch die Technisierung und Globalisierung rapide voranschreiten.98 Der Identitätsbegriff steht im Zentrum der postmodernen Diskussionen. An ihm sind die Umbrüche und Transformationen deutlich auszumachen. Man spricht von einer Fragmentisierung des eigenen Selbst bzw. von einer Aufteilung der eigenen Identitäten. Die Kulturwissenschaftlerin Anke Bahl erforschte virtuelle Spielgemeinschaften und untersuchte dabei die Identitätskonstruktionen innerhalb dieser Communities. Laut ihr spricht man derzeit von pluralisierten Lebenswelten der Menschen, die durch die virtuellen Spielwelten der Computerspiele zusätzlich pluralisiert und fragmentisiert werden.99 Im alltäglichen Leben müssen die Menschen bereits dazu fähig sein, verschiedene Rollen im Sinne Erving Goffmans zu spielen und dazu unterschiedlichste Identitäten annehmen. Dieses Rollenspiel läuft
95 Vgl. Lash, S., Reflexivität und ihre Doppelungen, S. 204ff. 96 Vgl. Ebda., S. 204-212 und Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 20-21. 97 Vgl. Giddens, A., Jenseits von Links und Rechts, S. 117-135. 98 Vgl. Hall, St., Postmoderne und Artikulation, S. 52-56. 99 Vgl. Bahl, A., Zwischen On- und Offline, S. 10.
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allerdings auf unbewusster Ebene ab.100 Die virtuellen Charaktere in Computerspielen und Lebenssimulationen können aber von den SpielerInnen bewusst gespielt werden. Es wird damit ein unbewusstes, permanentes Bedürfnis der Menschen befriedigt, verschiedene Identitäten anzunehmen und in andere Rollen zu schlüpfen.101 Da in der Postmoderne der Zwang zum multiplen Rollenspiel immer stärker wird, um die gesellschaftlichen Anforderungen erfolgreich zu meistern, können Computerspiele in dieser Hinsicht ein virtuelles Experimentierfeld zur Identitätskonstruktion und zum Rollenspiel bieten. Die überlieferten Identitäten und Eindeutigkeiten, die durch Familie, Arbeit, Klasse, Stand, etc. dem Menschen Orientierungsmöglichkeiten gaben, haben ihre Gültigkeit in einer enttraditionalisierten, pluralistischen Gesellschaft eingebüßt. Die Postmoderne verlangt multiple Identitätskonstruktionen. Der postmoderne Mensch verliert demnach die eindeutige Zuschreibung zu Stand und Klasse, was nicht nur als Befreiung des Individuums gedeutet werden kann, sondern auch einen Verlust von vertrauten Werten und Normen bewirkt, wie bereits bei Ulrich Beck und Anthony Giddens angesprochen wurde.102 Das kann wiederum zu einer Orientierungslosigkeit und zwanghaften Suche nach diesen verlorenen Werten führen. Die traditionellen Identifikationsangebote bedeuteten zwar weniger Wahlmöglichkeiten, dafür boten sie Sicherheit und Ordnung und damit auch Orientierung. In der Postmoderne beginnen sich diese wesentlichen Stützen des Menschseins aufzulösen.103 Die Identität der Menschen ist laut Ina-Maria Greverus definiert durch Eigenund Fremdzuschreibung. Sie bezeichnet dies als eine Dialektik von „Sich-Erkennen und Erkannt-Werden“.104 Heute erfolgt die Eigen- und Fremdzuschreibung vielfach über die Medien, weil sich die klassischen Zuschreibungen und Identifikationsmöglichkeiten immer mehr auflösen. Wir sprechen heute von schnelllebigen Modeerscheinungen, Trend- und Stilkonstruktionen, Statussymbolen und oft medial definierten Gruppenzugehörigkeiten, die die Identität der Menschen bestimmen. Medien definieren auch die Meinung, was das Eigene und was das Andere, Fremde ist. Im virtuellen Raum der Computerspiele sind die Zugehörigkeitskonstruktionen flexibel und fluktuierend. Es ist aber zu hinterfragen, inwiefern eine freie, unabhängige und demokratische Auswahl für Identitätskonstruktionen möglich ist. Medien, Werbung, Wirtschaft, Konsum, etc. beeinflussen die Menschen und zwingen ihnen Kaufentscheidungen und Stilvariationen auf, die ihrerseits wieder Druck auf die
100 Vgl. Goffman, E., Wir alle spielen Theater, S. 19ff. 101 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 88-89. 102 Siehe S. 104ff und 118ff. 103 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 89. 104 Vgl. Greverus, I.M., Kultur und Alltagswelt, S. 227-229.
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Konsumentinnen ausüben können.105 Diese meist unbewussten Vorgänge werden von den KonsumentInnen kaum wahrgenommen, bestimmen aber dennoch unsere kreierte Identität. Trends und Hypes werden künstlich erzeugt und entsprechend gepusht, um gewünschtes Konsumverhalten zu erzeugen. Somit wird die Identitätskonstruktion von kommerziellen und politischen Interessen gelenkt und beeinflusst. Um den gewünschten unterschiedlichen Stilen und Gruppenerwartungen gerecht zu werden, erfordert die Nachmoderne von den Menschen eine flexible Wahl der gesellschaftlichen Rolle. Auf die Individuen lastet ein gesellschaftlicher Druck, den zugeschriebenen Erwartungen zu entsprechen. Für viele Menschen ist es schwer, die Rollenerwartung zu erfüllen, sie sehnen sich nach Möglichkeiten andere Rollen zu spielen. Computerspiele bieten nun für die SpielerInnen eine Möglichkeit, andere Rollenbilder anzunehmen und mit ihnen zu experimentieren. Die Anonymität im Internet schützt die Menschen, sie brauchen ihre realen gesellschaftlichen Rollen nicht preisgeben.106 Es können somit Eigenschaften und Charakterzüge entwickelt und ausgetestet werden, die konträr zum realen Leben stehen, und dort niemals zu Einsatz kommen würden.107 Dennoch sind Spiele, wie alle Medien, Spiegel der Gesellschaft und eine Möglichkeit, gewünschte Werte oder Identitätsangebote zu vermitteln. Und wie bei allen anderen Medien auch, kommt es auf die Aneignungsmechaniken der SpielerInnen an, welche Positionen sie durch den Umgang mit dem Medium einnehmen und wie die Medien letztendlich die Lebensweise und Lebensgestaltung der Menschen beeinflussen. In ihrer Medienaneignung sind die Menschen weder autonom noch völlig von den ProduzentInnen sowie und Mächtigen beeinflussbar. Es wurden bisher unterschiedliche Positionen vorgestellt, die unsere heutige Zeit aus verschiedensten Blickwinkeln zu beschreiben versuchen. Ob man nun eher die sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Transformationsprozesse in den Vordergrund stellt, oder sich mit den philosophisch-theoretischen Diskursen rund um die Moderne/Postmoderne beschäftigt, ein Faktor ist entscheidend: Sämtliche besprochene Effekte und Diagnosen haben unmittelbare Auswirkungen auf unser menschliches Dasein, auf die Art, wie wir denken und leben, wie wir unseren Alltag bestreiten, welchen Zwängen wir ausgeliefert sind, wie wir unser Einkommen bestreiten und wie wir unsere Beziehungssysteme aufbauen. Die Umbrüche im Sozialbereich, der Vormarsch des Neoliberalismus, der Rückzug des Staates; dies alles betrifft uns direkt. Die Sicherheit des Wohlfahrtsstaates verschwindet, er wird als Fehlentwicklung bezeichnet, kontinuierlicher Aufstieg in der Berufslaufbahn und ein sicherer Arbeitsplatz werden immer seltener. Der Mittelstand ist gefährdet,
105 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 90. 106 Vgl. Turkle, S. , Leben im Netz, S. 297ff. 107 Vgl. Lackner, T., Flucht in digitale Scheinwelten, S. 38.
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die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer. Lokale Kulturen verlieren ihre Identität, soziale Rechte werden der Ökonomie unterworfen.108 Die fortschreitende Individualisierung wird mit einer Sehnsucht nach Gemeinschaft begleitet, die viele mittels elektronischer Medien zu erfüllen versuchen. Unsere Zeit ist geprägt von gleichzeitigen Erscheinungen eigentlich ungleichzeitiger Phänomene. Dies ist ein typisches Zeitphänomen der Postmoderne oder Nachmoderne. Während sich die Menschen individualisieren, wächst die Sehnsucht nach Gemeinschaft, und sei sie nur flüchtig im Internet. Die hochgradige Technisierung lässt romantische Natursehnsüchte aufleben und vormoderne Wunschvorstellungen aufflammen. Elisabeth Katschnig-Fasch spricht von einer auffallenden Begeisterung für Nostalgie auf allen Gebieten, wie Film, Mode, etc. Ein Merkmal, dass bereits die romantische Gesellschaft im 19. Jahrhundert prägte.109 Ich werde später noch auf die Dialektik näher eingehen, wie der Computer als rationales technisches Gerät, vormoderne, konservative Welten projiziert. Für Elisabeth Katschnig-Fasch stellt sich die Frage, ob die gesamte postmoderne Kultur nicht insgesamt eine Transformationskultur als Reaktion auf die stetige Umweltbedrohung, Entfremdungstendenzen, globale Vernetzung und die Auflösung traditioneller soziokultureller Identitäten darstellt.110 In diesem Zusammenhang müssen wir auch die Computerspiele denken, da sie in unmittelbarer Beziehung zur Technisierung und Globalisierung stehen. Nach Andreas Hepp schafft Globalisierung keine einheitliche globale Kultur, sondern ein globalisiertes Feld von Kulturen, das Schauplatz umfassender Kämpfe um neue Ressourcen und Herrschaftsgebiete ist, während die kulturelle Fragmentierung zunimmt.111 Trotz Globalisierung wird von der Abkapselung der Individuen gesprochen, vom Rückzug ins Private. Beobachten können wir dies auch an Hand der ComputerspielerInnen, deren reale Kontakte unter dem privaten Rückzugsgebiet der virtuellen Spielräume zu leiden haben. Dennoch kehren wir in Talk- und Reality Shows unser Innerstes nach außen. Ebenso versuchen sich ComputerspielerInnen über das Internet auszutauschen und geben intimste Geheimnisse preis. Man spricht von der Auflösung der Traditionen, andererseits tauchen sie vermehrt als transformierte Fundamentalismen auf. Die neuen Formen der Pluralität, die als Befreiung und Form der Demokratisierung gedacht werden können, führen auf der anderen Seite zum Zwang der Entscheidung, zum Verlust von Orientierung, oder, wie Gerhard Schulze es in seinem Buch „Die Erlebnisgesellschaft“ beschreibt, zum Druck, nichts zu versäumen, das Erlebnis zu erleben, dabei zu sein.112 Viel intensi-
108 Vgl. Katschnig-Fasch, E., Das alltägliche Elend, S. 9. 109 Vgl. Katschnig-Fasch, E., Möblierter Sinn, S. 34-35. 110 Vgl. Ebda., S. 36. 111 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 247-248. 112 Vgl. Schulze, G., Die Erlebnisgesellschaft, S. 33ff.
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ver und tragischer wird dieser Druck für jene Menschen, die die glitzernde Konsumwelt in ihrer Umwelt sehen, von ihr aber aus ökonomischen Gründen ausgeschlossen sind. Durch die Vernetzung in der globalisierten Kommunikationsgesellschaft haben wir das Gefühl, überall dabei zu sein. Doch reflektieren wir wirklich darüber oder werden wir von einer Bilder- und Informationsflut förmlich erschlagen? Leben wir in einer Simulation, wie Baudrillard meint und gibt es keine Realität mehr? Wenn die Medien einen großen Teil unserer Wirklichkeit konstruieren, leben wir dann in einer medial-konstruierten und strukturierten Welt? Medien nehmen einen großen Stellenwert in unserem Leben ein. Die Frage, der noch nachgegangen wird, ist, wie groß dieser Stellenwert tatsächlich ist, und wie sehr wir unser reales Leben hinter dem simulierten „Medien-Leben“ verschwinden lassen. Um die Wirkungen von Medien bzw. in weiterer Folge der Computerspiele auf uns Menschen erfassen zu können, ist es entscheidend, die Zeitbefindlichkeiten und die sozialökonomische Situation darzustellen, indem die Kommunikation zwischen den MedienproduzentInnen, dem Medium und den RezipientInnen stattfindet. Die Diskurse rund um die Postmoderne und unsere gegenwärtige globalisierte Informationsgesellschaft bilden hier einen Ausgangspunkt, der an späterer Stelle noch fortzuführen und zu intensivieren ist. Die Realisierung der Idee des Computers beginnt in den späten 1950er Jahren und bestimmt die technologische Entwicklung bis heute. Genauso beeinflussen das Arbeiten, sowie das Spielen als Freizeitbeschäftigung, als auch der generelle Umgang mit dem Computer unser menschliches Dasein. Der Computer steht im Zentrum der Entwicklung zu einer Wissens- und Informationsgesellschaft, wie wir sie heute vorfinden. Computer und Computerspiele sind aus unserem Alltagsleben nicht wegzudenken und prägen uns entsprechend. Sie sind ein Synonym für eine veränderte Moderne, Transformationsprozesse und Umbrüche. Deshalb breiten sich zentrale öffentliche Diskurse rund um das Thema der Computerspiele aus, die ich im folgenden Kapitel anführen möchte.
C OMPUTERSPIELE IM GESELLSCHAFTLICHEN UND MEDIALEN D ISKURS Pädagogische Diskurse und Jugendschutz In den medialen Diskursen rund um Computerspiele formen sich mehrere Hauptargumentationslinien bezüglich des gesellschaftlichen Nutzens und des Einflusses der Computerspiele auf die spielenden Menschen heraus. Während der Computer unhinterfragt als Zeichen des Fortschritts und als Notwendigkeit zum Bestreiten des menschlichen Alltags gesehen wird, ist die Betrachtungsweise auf die Computerspiele differenzierter. Wie jedem Spiel, haftet dem Computerspiel die in Fragestel-
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lung der Daseinsberechtigung und Sinnhaftigkeit ihrer Existenz an. Als Gegensatz zu einer ernsthaften Beschäftigung stellen Spiele in den Augen vieler eine Verschwendung von Ressourcen dar. Vergessen wird dabei, wie wichtig spielerisches Verhalten für das menschliche Dasein ist und das Spielen an sich einen Ausgleich zum ernsten Alltag schafft. Ich habe bereits erwähnt, wie unsere Gesellschaft durch Formen des Spieles definiert wird und von spielerischen Elementen durchzogen ist. Besonders Huizinga ging in seinem Klassiker „Homo Ludens“ dazu über, kulturelle Ausdrücke und Befindlichkeiten als Ursache des Spielhaften zu beschreiben und sieht das Spiel bzw. das Spielen als Grundlage jeder Kultur.113 Tatsächlich fällt uns spielerisches Verhalten in der Regel leichter als ernsthafte Arbeit. Der Computer als Universalgerät, welches sowohl nützliche Arbeit als auch Spielen bereitstellen kann, verbindet in gewisser Weise erstmals Spielerisches und Ernstes. Wie ich schon ausgeführt habe, sind viele Anwendungsprogramme nach spielerischen Kriterien aufgebaut und bevorzugen das „Try and Error“-Prinzip.114 Es gilt bei den meisten Anwendungsprogrammen die Maxime der Reversibilität. Falsch getätigte Eingaben können rückgängig gemacht werden. Ein Vorgang, der den Spielen in ihrer Konsequenzenlosigkeit ähnelt. Die Übereinstimmung zwischen Spiel und Arbeit im Bereich der Computerkultur ist ein Punkt, der im öffentlichen Diskurs als positiver Aspekt des Computers und der Computerspiele angesehen wird. In der Pädagogik spricht man vom „spielenden Lernen“ und weist auf die Lernerfolge hin, die mittels Computerspiele für Jugendliche zu erreichen sind. Lernprogramme am Computer, die spielerischen Charakter aufweisen, motivieren Kinder und Jugendliche zusätzlich zum Lernen. Durch den Umgang mit dem PC, der notwendig ist, um solche Programme zu bedienen bzw. Computerspiele zu spielen, lernen Kinder schon früh den Computer richtig zu bedienen und seine grundlegenden Arbeitsweisen zu verstehen. Kinder und Jugendlichen wachsen heute mit der Computertechnik auf. Dies kann man durchaus als Vorteil für die spätere Arbeitswelt sehen, wo ein selbstverständlicher Umgang mit dem Computer Grundvorrausetzung von immer mehr Berufen wird. Nicht zuletzt verschafft gerade der PC den SpielerInnen einen Einblick in die technischen Grundprinzipien und Funktionsweisen der Computertechnik, der für viele Jugendliche einen erleichterten Einstieg in technische Berufe bietet. Versierte ComputerspielerInnen bauen sich ihre Spielcomputer mit gewünschten Komponenten individuell zusammen, was einen Einblick in die Funktionsabläufe der Hardware bietet. Laut Ulrich Dittler werden positive Wirkungen von Computerspielen dem sensomotorischem Bereich zugeschrieben. Durch die Navigation mittels Maus, Tastatur und Joystick verbessert sich die Koordination zwi-
113 Vgl. Huizinga, J., Homo Ludens, S. 82ff. 114 Siehe S. 38ff.
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schen Auge uns Hand. Allerdings gelten starke Anspannung und verkrampfte Körperhaltung, sowie die Erschöpfung durch langes Spielen als negative physische Aspekte.115 Die Pädagogen Norbert Meder und Johannes Fromme fassen zentrale Aspekte der Computerspiele zusammen und bewerten diese als Chance bzw. Gefahr für die Entwicklung junger Menschen: Computerspiele schaffen ihrer Meinung nach Möglichkeiten von pluralen Spielwelten und Alternativen. Andererseits könnte die reale Welt nur mehr als Darstellung einer Alternative gesehen werden, die weniger wichtig genommen wird, als die virtuellen Spielwelten. Durch die Spiele werden laut ihnen die Möglichkeiten sozialer Interaktion erhöht, die virtuellen Interaktionen gestalten sich aber häufig als beliebig und fluktuierend. Schließlich können diverse Fähigkeiten der spielenden Menschen in den Spielwelten getestet und verfeinert werden, jedoch können durch einseitige, monotone Spieltätigkeiten andere Fähigkeiten wieder eingeschränkt werden.116 Medien werden in den Diskussionen laut dem Pädagogen Kai Müller sehr oft als die heimlichen Erzieher von Kindern und Jugendlichen bezeichnet. Für junge Menschen muss besonders der Aspekt der Vorbildwirkung von Medien allgemein und im Speziellen der Computerspiele mit bedacht werden. Dies gilt vor allem für jene Spiele, in der eine Rolle übernommen wird, d.h. die Spielfigur eine/n virtuelle/n StellvertreterIn des spielenden Menschen darstellt. Medien vermitteln nach Müller Normen, Werte und Moralvorstellungen. Dies gilt auch für die Vorgänge in Computerspielen.117 Die Gefahr besteht in der möglichen unreflektierten Aneignung der gezeigten Bilder in den Computerspielen, die vor allem bei Jugendlichen und Minderjährigen ausschlaggebend sein kann. Es wird laut Kai Müller in den pädagogischen Diskursen, die sich ernsthaft mit Computerspielen beschäftigen nicht angenommen, dass Computerspiele eindimensional nach einem „Reiz-Stimulus“ Prinzip auf Kinder und Jugendliche wirken. Trotzdem gibt es laut ihm Beziehungen und Transfers zwischen den virtuellen Spielwelten und der physischen Disposition der ComputerspielerInnen durch ihre Sozialisation sowie dem biographischen Lebenshintergrund, die als Grundlage für Handlungsmodelle verwendet werden können.118 Da ein hoher Prozentsatz der Computerspiele gewaltintensive Inhalte vermittelt, herrscht die Angst vor, Kinder und Jugendliche könnten aus den Medieninhalten gewaltintensive Handlungsmodelle kopieren und in die Realität transferieren.119
115 Vgl. Dittler, U., Computerspiele und Jugendschutz, S. 38-39. 116 Vgl. Meder, N. u. Fromme, J., Computerspiele und Bildung, S. 25-26. 117 Vgl. Müller, K., Computerspiele reflektieren, S. 45-46. 118 Vgl. Ebda., S. 45. 119 Siehe dazu Rehbein, F., Kleimann, M. & Mössle, T.: Computerspielabhängigkeit im Kindes- und Jugendalter, 2009 (http://www.kfn.de/Publikationen/KFN-Forschungs
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Und tatsächlich scheinen die Täter bei den tragischen Schulmassakern von Erfurt, Emsdetten, Littleton oder den jüngsten Ereignissen in Winnenden, Modelle und Motive aus Spielen und Filmen zum Vorbild zu nehmen.120 KritikerInnen und GegnerInnen von Computerspielen gehen laut den PädagogInnen Stefan Wink und Katharina Lindner davon aus, dass es möglich sei, dass Kinder und Jugendliche die virtuelle Welt des Spieles mit der Realität verwechseln.121 Zusätzlich würden laut ihnen, wenn man dieser Sichtweise folgt, Computerspiele Stress, Anspannung und Aggressionen erhöhen und auch dazu führen, dass Kinder und Jugendliche vor dem Spielgerät vereinsamen und in die Isolation gedrängt werden. Dies könnte wiederum zu einem Kreativitätsmangel führen. Um solche Thesen zu unterstützen, müsste nach Wink und Lindner davon ausgegangen werden, dass sich die Spielinhalte und die Bilder der Computerspiele intensiv in den Köpfen der SpielerInnen festsetzen, um dann in der Realität zu gewalttätigen Verhalten zu führen.122 Allerdings sind Gewaltausbrüche und Isolation bei jungen Menschen laut dem Pädagogen Rainer Fromm vorwiegend auf das soziale Nahumfeld und die Biografie zurückzuführen. Wenn diese von Gewalt bestimmt sind, können ihm zur Folge Medien zusätzliche Impulse für eine Gewalttat liefern. Der Zugang zu Waffen könnte dann zu Katastrophen führen. Amokläufe müssen laut Fromm im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen System und dem sozialen Nahbereich betrach-
berichte.htm), 10.10.2012 und Maier, D., Pfeiffer, C., Rabold, S., Simonson, J. & Kappes, C.: Kinder und Jugendliche in Deutschland: Gewalterfahrungen, Integration, Medienkonsum,
2010
(http://www.kfn.de/Publikationen/KFN-Forschungsberichte.htm),
10.10.2012. 120 Am 20. April 1999 erschießen an der Columbine-Schule in Littleton im US-Bundesstaat Colorado zwei schwarz gekleidete und vermummte Jugendliche zwölf MitschülerInnen und einen Lehrer. Danach begehen sie Selbstmord. Am 26. April 2002 dringt der 19jährige Robert Steinhäuser in das Gutenberg-Gymnasium in Erfurt ein, erschießt 16 Menschen und tötet sich schließlich selbst. Die meisten der Opfer sind LehrerInnen. Am 20. November 2006 schießt ein 18-jähriger ehemaliger Schüler an einer Realschule in Emsdetten im Münsterland um sich und verletzt 37 Menschen, bevor er sich selbst eine Kugel in den Kopf jagt. Der Täter verfasste einen Abschiedsbrief im Internet. Am 11. März 2009 tötete Tim K. bei einem Amoklauf in Winnenden 15 Menschen und sich selbst. (Spiegel Online: Winnenden, 14.9.2009 http://www.spiegel.de/spiegel/print/ d-66886582.html, 30.11.2012, Spiegel Online: Amokläufe in Schulen, 23.09.2008 (http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,579908,00.html), 30.11.2012. Diese Liste an Amokläufen ist nicht vollständig. 121 Vgl. Lindner, K. u. Wink, St., Kids und Computerspiele, S. 79. 122 Vgl. Ebda., S. 80.
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tet werden.123 Es herrscht Sprachlosigkeit gegenüber der jungen Generation, niemand redet mit ihnen, oder hört ihnen ernsthaft zu. Den Erwachsenen fehlen die Zeit und die Geduld, oft auch die Kompetenz für die Kommunikation mit den Jugendlichen. Zukunftsperspektiven und Hoffnungen sind oft nicht vorhanden, es herrscht aber auch ein Mangel an vermittelten Werten. Die Medien werden zum Ersatz für die Kommunikation und bieten für die jungen Menschen eine fragwürdige Vorbildfunktion an. Sie zeigen Problemlösungen auf einfachster, reduzierterer Form, vielfach mit der Waffe. Die mediale Beeinflussung kann aber nur im Zusammenhang mit den sozialen Umständen, Bildung, Freundeskreis, Fähigkeiten usw. des einzelnen Individuums betrachtet werden, und niemals isoliert im Hinblick auf ein Medium.124 Ähnliches kann man laut Stefan Wink und Katharina Lindner von den proklamierten Isolationserscheinungen behaupten. Wenn Kinder und Jugendliche gestörte Verhältnisse zu ihren Bezugspersonen haben, kann eine Flucht vor der Wirklichkeit mit Hilfe des Mediums Computerspiel erfolgen. Dabei ist allerdings nicht das Spiel selbst die Ursache, sondern die problematischen sozialen Verhältnisse, die in vielen Familien zum Vorschein treten.125 Für die Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen bedeuten Computerspiele laut Wink und Lindner jedoch eine Abwechslung vom Alltag, welchen sie ohne Probleme von der virtuellen Welt trennen können. Anhand entsprechender Studien gehen die beiden davon aus, dass für die meisten jugendlichen ComputerspielerInnen der reale Freundeskreis, die Familie und das soziale Umfeld wichtiger sind, als die virtuelle Welt. Computerspiele können dabei sogar die soziale Integration verbessern, da sie Themen und Gesprächsstoffe bieten und somit Gruppenbildungen und neue Freundschaften erleichtern.126 Es gibt zahlreiche Grundhypothesen innerhalb des pädagogischen Diskurses, die die Wirkungen von medialer Gewaltdarstellung auf den Menschen zu beschreiben versuchen. Jede These spiegelt allerdings nur einen kleinen Teil des Medienaneignungsprozesses wider. Katharina Lindner und Stefan Wink geben einen guten Einblick in gängige Theoriemodelle: Die sogenannte „Katharsis Hypothese“ geht davon aus, dass der Gewaltkonsum als ein Ventil für die eigenen Aggressionen verwendet werden kann und diese somit abnehmen. Massenmedien dienen in diesem Zusammenhang zum Abbau individueller Aggressionen. Eine Theorie, welche laut Wink und Lindner empirisch nicht beweisbar ist. Die Lerntheorie hingegen besagt, dass häufiger Konsum von medialer Gewalt einen Lerneffekt beinhaltet und somit zur Nachahmung medialer Gewalt führt. Diese Theorie vernachlässigt aber
123 Vgl. Fromm, R., Digital spielen – real morden?, S. 116ff. 124 Vgl. Ebda., S. 116 und Lackner, T., Spiel ist nicht gleich Spiel, S. 23-24. 125 Vgl. Lindner, K. u. Wink, St., Kids und Computerspiele, S. 81. 126 Vgl. Ebda., S. 82.
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laut Wink und Lindner die komplexen sozialen und psychologischen Bedingungen, die zum Ausbruch von Aggressionen und Gewalt führen und nicht zuletzt auch die individuellen biographischen Hintergründe der handelnden Personen.127 Insgesamt können die zahlreichen Studien nach Lindner und Wink nur einen schwachen Zusammenhang von Gewalt in den Medien und Aggressionssteigerung erfassen, jedoch kann beobachtet werden, dass aggressive Menschen eher zu gewalttätigen Medieninhalten neigen.128 In weiterer Folge beschreibt die Habitualisierungsthese laut Wink und Lindner den Gewöhnungseffekt an die medialen Gewaltdarstellungen, der durch häufigen Konsum auftritt. Dies führe zur Abstumpfung gegenüber der Gewalt in den Medien und zu einer Abnahme der allgemeinen Empathiefähigkeit. Zusätzlich wird Gewalt in einer angenehmen Umgebung konsumiert, also zuhause vor dem Computer oder im Wohnzimmer. Durch unbewusste Konditionierung mittels Medienkonsum und den darin vorgestellten Rollenbildern und Problemlösungsvorschlägen, die auf Gewalt basieren, könnten dieser Theorie zur Folge Handlungsstrategien in das reale Leben übertragen werden. Ähnlich dazu geht laut den beiden PädagogInnen die Stimulationsthese davon aus, dass emotional erregte und frustrierte Menschen durch gewaltintensiven Medienkonsum Aggressionen real ausleben, womit für viele PolitikerInnen, PädagogInnen sowie JournalistInnen die Gewaltausbruche von Jugendlichen und Kindern zu erklären sind. Der Grad der Wirklichkeitsdarstellung in den Medien gilt für die TheoretikerInnen ebenfalls als entscheidender Faktor. So könnten laut Wink und Lindner gewaltfreie Filme, wenn sie sehr realitätsnah sind, mehr Aggressionen erregen, als ein gewalttätiger, wirklichkeitsfremder Film.129 Da Computerspiele im Vergleich zu Film und Fernsehen wirklichkeitsferner dargestellt werden, könnte man davon ausgehen, dass diese weniger emotionalisieren. Doch darf in diesem Zusammenhang nicht die aktive Rolle der ComputerspielerInnen im virtuellen Zerstörungs- und Tötungsakt vernachlässigt werden. Zudem wird die grafische Darstellung in Computerspielen, allen voran in Kriegsspielen immer realitätsnaher. Kaum jemand geht von einem völlig wirkungslosen Medienkonsum für die RezipientInnen aus. Schon allein die Wichtigkeit der Medien für die Absatz-, Marketing- und Werbeindustrie sowie Meinungsbildung spricht dagegen. Jedoch konnte keine der vorgestellten Thesen als allgemein gültig verifiziert bzw. falsifiziert werden.130 Zu individuell und vielschichtig ist der Mensch in seinem Rezeptionsverhalten und zu different sind soziale Umgebungsvariablen und Biografien. Jedoch gibt es genügend Beispiele, bei denen einzelne Aspekte dieser Theo-
127 Vgl. Ebda., S. 88-89. 128 Vgl. Ebda., S. 89. 129 Vgl. Ebda., S. 89-91. 130 Vgl. Ebda., S. 91-93.
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rien für menschliches Verhalten zutreffen, bzw. Reaktionen und Verhaltensweisen eine Beeinflussung durch Medien vermuten lassen. Der Fehler in der Beurteilung dieser Vorgänge liegt aber, wie bereits angedeutet, in der Pauschalisierung der Medien als Haupttäter und als Ursache in der Gewaltproblematik. Ein bequemer Weg, sich ein Feindbild zu erschaffen, und ein Nachdenken über tiefere soziale Risse und mögliche Herde von gesellschaftlichen Aggressionspotentialen zu vermeiden.131 In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass der Schutz von Kindern und Jugendlichen im medialen Bereich äußerst wichtig ist und von Computerspielen bei weitem nicht die höchsten Gefährdungspotentiale ausgehen. Ich denke dabei vor allem an die nahezu unbeschränkten Möglichkeiten von Jugendlichen über das Internet Seiten mit pornografischen bzw. rechtsextremen Inhalten aufzurufen. Hier scheitert es oft an der elterlichen Aufsichtspflicht bzw. schlichtem Unwissen mit dem Themenbereich Computer und Internet. Da in vielen Fällen Kinder und Jugendliche mit der Technik wesentlich leichter umzugehen verstehen als deren Eltern, können gut gemeinte Verbote und Vorsichtsmaßnahen leicht umgangen werden. Dies sollten Erziehungsberechtigte beachten, und vor allem auch jenen Umstand, dass Verbotenes für Jugendliche erst recht interessant wird. Helfen können hier nur ein offener und ehrlicher Diskurs zwischen Eltern und Kindern und die nötige Zeit, die ein solcher benötigt. Zeit, die viele Erwachsene auf Grund beruflicher Situationen nicht mehr aufbringen können, oder auch nicht mehr wollen. Aufgrund gesetzlicher Vorgaben versuchen Jugendschutzinstitutionen schädliche mediale Einflüsse zu reduzieren. Es gibt die unterschiedlichen Altersfreigaben für Filme, Musik und Computerspiele, die freiwillig von den Herstellern angegeben werden und vom Handel zu überwachen sind. Zusätzlich werden diese Freigaben bei Spielen von wirtschaftsunabhängigen Institutionen überprüft. Wenn sich die Einstufungen als für Jugendliche ungeeignet erweisen sollten, werden sie gegebenenfalls revidiert. Die Bundesrepublik Deutschland hat in Europa momentan das strengste Jugendschutzprogramm und die Politik strebt in Anbetracht der vermehrten Gewaltausbrüche von Jugendlichen zusätzlichen Verschärfungen an. Dies führte dazu, dass in den letzten Jahren eine Reihe von Computerspielen indiziert wurden, das heißt, sie dürfen in Deutschland nicht mehr frei beworben und verkauft werden. Eine Berichterstattung in Zeitschriften ist in diesen Fällen ebenfalls verboten. Ein Verkauf ist nur in Bereichen möglich, wo Menschen unter 18 Jahren keinen Zutritt haben, bzw. eine Ausweiskontrolle verlangt wird. Eine positive Entwicklung dieser Zensur im Sinne des Jugendschutzes ist ein besseres Zusammenarbeiten zwischen den Herstellern und der Jugendschutzbehörde für den deutschsprachigen Markt. Um möglichst hohe Produktabsatzzahlen auf diesem wichtigen Markt zu gewährleisten, gehen viele Herstellerfirmen für die deutschsprachigen Versionen von Computer-
131 Siehe dazu auch Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 37-38.
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spielen dazu über, bereits während der Produktion eine Freigabe durch die Jugendschutzbehörde zu erwirken und damit in den Spielen, falls nötig, gewaltintensive Szenen zu eliminieren. Allerdings gilt diese Zensur nur für den deutschsprachigen Raum, streng genommen nur für Deutschland. Die SpielerInnen in Österreich und in der Schweiz erhalten zwar dadurch die Vorzensierungen der Spiele in der deutschsprachigen Fassung durch diese Herstellerübereinkünfte mit dem deutschen Jugendschutz, es können aber genauso die nicht zensurierten Originalfassungen gekauft werden. Diese Form der Zensur, wie sie gegenwärtig betrieben wird, weist allerdings gravierende Schwachpunkte auf. Zunächst ist die Auswahl der Spiele, die indiziert werden und welche nicht, ein diskussionswürdiger Prozess und objektiv schwer messbar.132 Die Zensur ist zudem eine ungewollte Werbung für gewisse Spiele. Diese werden für Jugendliche dadurch erst interessant. Teilweise bewerben sogar die Herstellerfirmen mit einer erfolgten Zensur ihr Produkt als besonders hart und brutal. Die Kontrolle im Handel ist nicht lückenlos, es werden immer wieder Spiele ab 18 Jahren an Minderjährige verkauft. Genauso finden Jugendliche Wege, ältere Geschwister oder Freunde, vielleicht sogar unwissende Eltern und Verwandte Spiele für sich kaufen zu lassen. Ein großes Problem für den Jugendschutz ist gleichzeitig auch das Hauptproblem der Softwareindustrie: Die Softwarepiraterie. Eine ungeheure Anzahl von Computerspielen gelangt ohne Einbeziehung des Handels mittels Raubkopien an die SpielerInnen. Dadurch wird Jugendschutz mit Hilfe des Handels praktisch unmöglich. Im deutschsprachigen Raum werden zwischen 25 bis 30 Prozent der Software illegal erworben, in Frankreich und Spanien fast 50 Prozent und in Italien und Polen annähernd 70 Prozent.133 Neben dem enormen wirtschaftlichen Schaden versagt dabei zwangläufig die Überprüfung der Software. Viele Softwareprodukte im Internet, vor allem im pornografischen und rechtsextremen Bereich, sind grundsätzlich illegal und jugendgefährdend und entziehen sich dadurch jeder Kontrolle des Jugendschutzes.
132 Schon früh wurden Spiele indiziert, auch in Zeiten wo die grafischen Fähigkeiten der Spiele nur abstrakte „Strichmännchen“ als gegnerische Figuren darstellen konnten und von einer realistischen dreidimensionalen Umgebung keine Rede sein konnte. Als Beispiel möchte ich „Space Invasion“ oder „Battle Island“ aus den späten 80er Jahren anführen. Seltsam erscheint auch die Indizierungen von „Unreal Tournament“ oder „Quake 3“, deren Szenarien in Science-Fiction Welten spielen und die Gegner oftmals Phantasiegebilde darstellen. Im Gegensatz dazu erscheinen realistische Kriegsspiele, wie die „Call of Duty“-Reihe (geschnittenen Fassungen) oder die „Battlefield“-Reihe keine Probleme für die Zensur darzustellen (Siehe dazu auch: Gieselmann, H., Aktion Sauberer Bildschirm, S. 55-56). 133 Siehe BSA Business Software Alliance (http://portal.bsa.org/globalpiracy2011/press_ releases.html, 1.2.2011).
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Diskurse rund um die virtuelle Gemeinschaft und Identität Auch wenn der pädagogische Diskurs und der Jugendschutzdiskurs im Sinne der möglichen Lerneffekte in positiver Weise, bzw. verstärkt in negativer Form im Sinne von Aggressionen und Gewaltausbrüchen bei Kindern und Jugendlichen durch mediale Beeinflussung momentan als der auffälligste erscheint, so werden Computerspiele durchaus auch aus anderen Perspektiven betrachtet. Die virtuelle Vernetzung und globale Kommunikation sind weitere Diskurse, die sowohl die Medien als auch die Wissenschaft anregen. Dabei geht es um die Frage, ob mit Hilfe von Computerspielen bzw. Spielsimulationen, wie „Second Life“, alternative Gemeinschaften entstehen können, bzw. wie sich diese von der realen sozialen Umwelt der ComputerbenutzerInnen abheben. Die Möglichkeit der translokalen Kommunikation ist eine wesentliche Erweiterung des Spielkonzepts der Computerspiele und führt die elektronische Spielwelt beinahe wieder auf die Ebene der klassischen Spiele, die mindestens zu zweit oder in der Gruppe stattfanden. Der Computer als simulierter Spielpartner tritt in den Hintergrund, die virtuellen Stellvertreterfiguren werden durch reale SpielpartnerInnen gesteuert. Die Spiele schaffen eine neue Form einer Community mit virtuellen Bekanntschaften und Freundschaften im Netz. Die Kommunikation ist ein wichtiges Merkmal für die Bildung von Identität und Gemeinschaft. Sie verleiht den erstellten Spielfiguren letztendlich ein erhöhtes Identifikationspotential.134 Virtuelle Spielcharaktere besitzen rudimentäre, idealtypische Charaktereigenschaften, die die vielschichtigen Charakterzüge eines realen Menschen niemals vollständig erfassen können. Durch die Kommunikation können sich die Menschen in den Spielen besser beschreiben und darstellen. Sie ermöglicht es Gemeinschaften zu bilden und auch Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen und Gemeinschaften durchzuführen.135 Das Erleben von unterschiedlichen Identitäten wird durch die Kommunikation erst wirklich intensiv möglich. Single-Player-Computerspiele können hier wesentlich weniger Identifikationsmöglichkeiten bereitstellen, als Spiele, die sich der weltweiten Kommunikation des Internet bedienen. Die Kommunikation erfolgt innerhalb der digitalen Spielwelten, es entstehen gruppendynamische und gruppenabgrenzende Sprachkonstruktionen. Die Sprache wird somit zu einem wesentlichen gemeinsamen und identitätsstiftenden Merkmal für eine Gruppe bzw. eine Community, wie bereits Anke Bahl feststellte. Sie übt eine gruppenkonstituierende Funktion aus, da durch die Anonymität im Netz kör-
134 Vgl. Turkle, S., Leben im Netz, S.297 und Vgl. Bahl, A., Zwischen On- und Offline, S. 125ff. 135 Vgl. Moser, J., Kulturanthropologische Jugendforschung, S. 38-39.
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perliche und stilistische Gruppenmerkmale fehlen.136 Trotz der Möglichkeiten der Web-Kameras wird vor allem innerhalb der Computerspiele die Kommunikation ohne eine visuelle Darstellung der SpielerInnen durchgeführt. Die KommunikationspartnerInnen müssen sich auf die Charakterisierung der Spielfiguren und die gemeinsame Sprache verlassen. Dies fördert die Anonymität, die es den Menschen ermöglicht, frei und ungezwungen zu kommunizieren und Experimente mit der eigenen virtuellen Identität durchzuführen, nährt aber die Spekulationen über die wahren Identitäten anderer NetzbenutzerInnen. Die Menschen können selbst bestimmen, wie viel sie von ihrer eigenen Identität verraten wollen und welche Rolle sie spielen.137 Dies kann neben einer individuellen Befreiung auch zu einer schrankenlosen Kommunikationsmöglichkeit führen, wo die Anonymität für verbale Angriffe und Beleidigungen missbraucht werden kann. Der Umgangston im Netz kann mitunter sehr rauh werden, geprägt auch von einer direkten, oft angreifenden Sprache, wie man sie aus den Cliquen und Gruppen der Jugendlichen kennt.138 Reale Rollen, die für die Menschen oft eine Belastung sein können, müssen im Internet nicht mehr vorgespielt werden. Da in der Realität das Rollenspiel meist unbewusst stattfindet und damit der gesellschaftliche Druck für viele nicht bewusst zuordenbar wird, können sich im Gegensatz dazu die Menschen im Internet bewusst unterschiedliche Rollen und Identitäten aneignen. Die Gefahr demaskiert zu werden, oder dass die gespielte Rolle durchschaut bzw. in Zweifel gezogen wird, und dass Fehler auf der Bühne passieren, ist im virtuellen Raum ungleich kleiner bzw. wesentlich konsequenzenloser. Durch die Möglichkeit einer bewussten Selbstdefinition können Zweifel am eigenen Ich überspielt werden.139 Laut Anke Bahl können etwaige körperliche Defizite ausgeklammert bzw. verschleiert werden und positive Eigenschaften können bewusst hervorgehoben werden. Im Internet entfallen laut Bahl traditionelle Identifizierungsmerkmale wie Aussehen, Alter, Geschlecht, Körpersprache, Habitus, etc. Sie werden durch andere Merkmale ersetzt, die von Menschen selbst bestimmt werden können.140 Beispiele für diese Merkmale sind Namensgebung, Eigenbeschreibung und Figurenkreation und besonders die Gruppenkommunikation. Durch das Fehlen der visuellen Merkmale des realen Körpers, aber auch der Gestik und Mimik, erfolgt die Konzentration auf den kommunizierten Text und auf die geschaffenen virtuellen Figuren. Dadurch wird der reale Körper, das Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit, etc. im Internet und im Computerspiel
136 Vgl. Bahl, A., Zwischen On- und Offline, S. 81. 137 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 94. 138 Vgl. Binder, J., Ich leb’ mit ’nem Skateboard in der Hand, S. 105-110. 139 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 94 u. Lackner, T., Flucht in digitale Scheinwelten, S. 38. 140 Vgl. Bahl, A., Zwischen On- und Offline, S. 129.
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vorerst unwichtig.141 Wobei Schreibstile, Wissens- und Sprachkompetenzen wiederum Fremdzuschreibungen und einhergehende Abgrenzungsmechanismen möglich werden lassen. Virtuelle Gemeinschaften schaffen sich ganz ähnlich den realen Gemeinschaften Grenzen gegenüber anderen Gruppen und Nichtmitgliedern. Die exklusive Gruppensprache ist nur ein Abgrenzungsmerkmal. Die Spielleistungen der SpielerInnen und die Zeit für Aufgaben innerhalb der Community zur Verfügung zu stehen, sind andere Faktoren. Die virtuellen Spielgemeinschaften spiegeln die Normen und Werte realer Gemeinschaften wider. Nach Anke Bahl sind die OnlineUmgebungen aus diesem Grund nicht norm- und wertfrei. Sie erlauben allerdings einen spielerischen Umgang mit ihnen.142 Computerspiele sind die Basis zur Bildung virtueller Gemeinschaften und damit auch Identitäten. Laut Sherry Turkle erfolgt dies wegen dem spielerischen Zugang, den Computerspiele aufweisen. Sie vergleicht diesen Zugang mit dem ludischen Vorgang innerhalb Kinderspiele, bei denen Kinder mit Identitäten und Gemeinschaften experimentieren und diese auch neu erfinden. Spiele sind ihrer Meinung nach Räume, in denen mit Identitätskonstruktion experimentiert werden kann. Computerspiele, mit ihrem spielerischen Zugang, sind eine aktuelle Form und Möglichkeit zur Gemeinschaftbildung und zur Bildung von Identitäten, sowohl für Jugendliche als auch Erwachsene.143 Diskurse rund um Isolation und Vereinsamung durch Computerspiele Ein weiterer wichtiger Diskurs beinhaltet die Frage, ob das Internet bzw. Onlinecomputerspiele eine Bereicherung für das Gemeinschaftsleben der Menschen sind, oder ob durch sie die Menschen isoliert werden. Abhängig der Akzeptanz gegenüber den Computerspielen und der spielenden Menschen werden den Spielen sowohl gemeinschaftsfördernde, als auch gemeinschaftshemmende Wirkungen zugeschrieben. Wie Almut Sülzle treffend feststellt, ist ein typischer Stereotyp für negative Sichtweisen auf Computerspiele der pubertierende männliche Jugendliche, der alleine und zurückgezogen vor dem Computer sitzt und seine realen sozialen Kontakte völlig vernachlässigt und damit in die Isolation gedrängt wird.144 Es zeigt sich aber, dass sich diese Bilder kaum verifizieren lassen, da Computerspiele weder
141 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 94. 142 Vgl. Bahl, A., Zwischen On- und Offline, S. 130-131. 143 Vgl. Turkle, S., Leben im Netz, S. 297 und Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 9495. 144 Vgl. Sülzle, A., Einsame neue Welt?, S. 11.
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automatisch Isolation und Vereinsamung verursachen, noch problemlos fehlende reale Gemeinschaft und soziale Nähe durch virtuelle Kontakte ersetzen können. Computerspiele weisen einen sogenannten „Zeitsog“ auf, d.h. für die SpielerInnen vergeht die Zeit während des Spielens subjektiv viel langsamer. Sehr lange Spielzeiten werden gar nicht als solche wahrgenommen.145 Nach Mike Sandbothe weisen Computerspiele die Eigenschaft einer transformierten Zeiterfahrung auf. Für die Menschen in den künstlichen Welten herrscht immer Tag. Es sind laut ihm immer irgendwo auf der Welt Menschen wach, die durch das weltweite Netz streifen und auf der Suche nach Kontakten sind. Dadurch verlieren die Menschen online sehr schnell das Gefühl für die chronologische Zeit.146 Durch diesen „Zeitsog“ kann es unter Umständen zu einer Abkapselung von der realen sozialen Welt kommen, die hinter die virtuelle Welt der Computerspiele tritt. Falls sich die Menschen hinter den Spielen zurückziehen, ist die Schuldfrage nicht vorweg beim Computerspiel zu suchen, wie gerne dargestellt wird. Ähnlich der Gewaltfrage werden bei den Untersuchungen dieser Problematiken das reale soziale Umfeld und die Biografien der SpielerInnen vernachlässigt, was die Vorbedingung für einen derartigen Prozess darstellt. Ursachen für eine Entwicklung in Richtung Abkapselung und Vereinsamung sowie auch einer Computersucht müssen dort gefunden werden, die Spiele können diese Prozesse „nur“ verstärken.147 Computerspiele besitzen ähnliche gemeinschaftsstiftende Funktionen, wie herkömmliche traditionelle Spiele oder sportliche Aktivitäten. Nach Henry Steinhau übernehmen sie im Online-Bereich immer mehr Funktionen von Vereinen und Stammtischen.148 Die Spiele können bis zu einem gewissen Grad die Bedürfnisse der Menschen nach Gemeinschaft erfüllen. Trotz der virtuellen Kontakte bleiben reale Sozialkontakte immer bedeutend. Die SpielerInnen spüren die fehlenden Qualitäten der virtuellen Kontakte und treffen sich gerne an authentischen realen Orten, wie etwa bei sich zu Hause oder bei „LAN“-Partys, um gemeinsame Spielabende zu verbringen. Die Beliebigkeit, Kurzlebigkeit und fehlende Authentizität der Internetkontakte und virtuellen Beziehungen schaffen wieder ein Verlangen nach realen sozialen Kontakten an realen Orten. Laut Henry Steinhau scheinen die tatsächliche Begegnung und das Erleben am realen Ort wieder wichtig für die SpielerInnen zu werden.149 Nach Sherry Turkle ist in der Virtualität des Internet und des Cyberspace ein Unbehagen zu spüren. Dieses Unbehagen entsteht durch die Entgrenzung des Rau-
145 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 96. 146 Vgl. Sandbothe, M., Interaktivität- Hypertextualität-Transversalität, S. 65. 147 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 96-97. 148 Vgl. Steinhau, H., Du hier und nicht im Internet, S. 114-115. 149 Vgl. Ebda., S. 116 und Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 98.
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mes und der damit verbundenen Orientierungslosigkeit.150 Die Menschen spüren, dass der virtuelle Ort kein vollwertiger Raum ist. Durch das Zurücklassen des Körpers im realen Raum, kann der virtuelle Raum niemals vollständig sein. Durch die sinnliche Wahrnehmung, beschränkt auf das Sehorgan, empfinden wir bei den anderen, unbenutzten Sinnesorganen einen Mangel. Menschen wollen Begegnungen aber mit allen Sinnen erfassen. Große Events sind ein Zeichen dieser Entwicklung. Popkonzerte entfalten nur live ihr ganzes Potential, wenn der Mensch mit seinem ganzen Körper und allen Sinnen eingebunden ist.151 Auch die „LAN“-Partys und die großen Online-Sportveranstaltungen leben von ihrem Live-Charakter. Die Menschen müssen die Vernetzung der tausenden Computer in einer Halle mit allen Sinnen spüren, das Knistern der Elektronik der unzähligen Rechner hautnah miterleben und mit Gleichgesinnten einen Raum teilen. Hier ist festzustellen, dass der virtuelle Raum trotz seiner gemeinschaftbildenden Struktur keine Garantie für die Befriedigung der Sehnsüchte nach Gemeinschaft sein kann. Computerspiele im Film & Mediendiskurs In der Medienanalyse wurden bis jetzt die Computerspiele häufig im Vergleich zum Film und Fernsehen betrachtet, bzw. werden vorwiegend die Methoden der Filmanalyse angewandt.152 Computerspiele bedienen sich in ihrer Produktion und Darstellungsweise der etablierten Verfahrenstechniken der Filmkunst. So starten die Spiele fast ausnahmslos mit einer Einleitung, dem sogenannten „Intro“. Dieses gibt einen ersten Überblick über das Setting des Spielinhaltes und dient zur groben Orientierung für die SpielerInnen. Mit Hilfe der Methoden der Filmproduktion, also Kameraführung, Schnitt, On- und Off-Kommentaren, Perspektivenwechsel und Design vermitteln solche „Intros“ den SpielerInnen die Ausgangssituationen in der Spielwelt, bzw. werden mit den sogenannten Zwischensequenzen die Handlung und die Geschichte des Spieles fortgesetzt. Diese Handlungssequenzen können am leichtesten mit dem Film verglichen werden, da die SpielerInnen darin nicht eingreifen und es zu keiner Interaktion mit dem Spiel kommt. Somit lässt sich die Hollywood erprobte Filmdramaturgie am ehesten auf die Spiele anwenden. Schwieriger wird das Arbeiten mit diesen Methoden beim Spielen selbst, wie Gunter Süß zu Recht bemerkt, da hier der Faktor der Interaktion und Immersion entscheidend ist.153 Der unter anderen von Florian Rötzer verwendete Begriff der Immersion
150 Vgl. Turkle, S., Leben im Netz, S. 379-387. 151 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 97-98. 152 Siehe dazu Neitzel, B., Gespielte Geschichten, 2000 und Süß, G., Filmstudien und Computerspielanalyse, 2003. 153 Vgl. Süß, G., Filmstudien und Computerspielanalyse, S. 38-40.
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bezeichnet das absolute Eintauchen der SpielerInnen in das Computerspiel, was dazu führt, dass die Umwelt und die technische Schnittstelle des Computers hinter das Spiel zurücktreten und vergessen werden.154 Nach Florian Rötzer animieren interaktive Medien die Menschen zum Spielen und fordern sie heraus. In diesem Sinne wirken alle interaktiven Medien „verführend“ auf die spielenden Menschen. Laut ihm kann man bei spielenden Menschen eine derartige Konzentration und Immersion mit der Spielwelt beobachten, die durch passives Fernsehen niemals zu erreichen sind.155 Alison McMahan streicht drei Zustände heraus, die zu einer Immersion mit dem Computerspiel führen können: „the user’s ’ expectations of the game environment must match the environment’s conventions fairly closely; the user’s actions must have a non-trivial impact on the environment; and the conventions of the world must be consistent, […]“ 156
Es kommt also auf das Design der Spielwelt an, und wie sich diese in den Erfahrungshorizont und die Erwartungshaltung der SpielerInnen einbindet. Nicht zu vergessen ist, dass die SpielerInnen mit ihren Interaktionen mit dem Medium Einfluss üben wollen. Somit differieren die Wirkungsweisen von Film und Computerspiel wesentlich im Bezug auf die Immersion mit dem Medium. Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist der Faktor der Wiederholbarkeit eines Computerspieles. Die Spielszenen werden in der Regel so lange wiederholt, bis sie erfolgreich abgeschlossen werden. Das Spiel kann an verschiedenen Punkten gespeichert und zu einem anderen Zeitpunkt fortgeführt werden. Verliert die Spielfigur ihr virtuelles Leben, wird an einer gespeicherten Stelle von Neuem begonnen. Der Spielablauf wird somit in zeitlicher Abfolge von den SpielerInnen selbst bestimmt. Das heißt, wenn die SpielerInnen die Spielfigur nicht mehr weiter bewegen, schreitet auch das Spiel nicht voran. Ein Eingriff, den man sich bei einem Film nicht vorstellen könnte. Laut Gunter Süß ist demnach das Computerspiel im Gegensatz zum Film in erster Linie räumlich strukturiert, während der Film zeitlich prozessual abläuft. Wobei während des Computerspieles auch der Faktor Zeit entscheidend werden kann, wenn zum Beispiel gewisse Aufgaben innerhalb eines Zeitlimits gelöst werden müssen.157
154 Siehe Rötzer, F., Interaktion, S.76 und Sandbothe, M., Interaktivität-Hypertextualität, S. 65. 155 Vgl. Rötzer, F., Interaktion, S. 60-76 u. Lackner, T., Flucht in digitale Scheinwelten, S. 37. 156 McMahan, A., Immersion, Engagement, and Presence, S. 68-69. 157 Vgl. Süß, G., Filmstudien und Computerspielanalyse, S. 42-47.
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Für Spiele mit menschlichen MitspielerInnen, z.B. via Internet, können die Methoden für eine Filmanalyse schwer angewandt werden, da diese Art von Spielen auf die Interaktion mit menschlichen SpielpartnerInnen ausgelegt sind und sich den Zeitstrukturen der SpielerInnen anpassen. Auf passives Beobachten eines längeren „Intros“ wird dabei meistens verzichtet, was zählt ist das Spiel mit dem menschlichen Gegenüber. Man findet filmische Erzählweisen und Strukturen daher eher im Bereich der Single-Player-Spiele und nicht bei vernetzten Spielen. Die Filmsequenzen spielen dabei keine tragende Rolle, sondern dienen der Intensivierung der Atmosphäre innerhalb des Spieles. Versuche, die Medien Film und Computerspiel zusammen zu führen, gab es vor allem in den frühen 1990er Jahren, in denen die interaktiven „Filmspiele“ sehr beliebt waren. Dabei lief das Spiel ähnlich wie ein Film ab, die Charaktere wurden von echten SchauspielerInnen gespielt und an gewissen Stellen im Film/Spiel konnten die SpielerInnen durch entsprechenden Tastendruck den Filmverlauf bzw. Spielverlauf ändern. Die Einflussnahme war äußerst marginal und beschränkte sich im Wesentlichen auf ein verzögertes Abspielen eines Filmes und Erleben von alternativen Handlungssträngen und -enden. Warum diese Spiele für einen gewissen Zeitraum trotzdem erfolgreich waren, erklärt sich durch die damals spektakulären Grafikdarstellungen und zum Teil durch die Mithilfe bekannter SchauspielerInnen. Möglich wurde dies durch die Einführung der CD-Rom als Speichermedium, die als technische Grundlage diesen Boom auslöste. Die Idee des interaktiven Films wurde Ende der 1990er Jahre endgültig fallen gelassen und wich geschickt platzierten Filmszenen innerhalb des Spieles. Trotzdem bedient sich das heutige Spieldesign den Elementen der Filmproduktion. Es werden auf ähnliche Weise strukturierte Geschichten am Storyboard entwickelt, Settings gezeichnet und digitalisiert, sowie Bewegungen von SchauspielerInnen mittels „Motion Capturing“158 aufgenommen. Die Digitaltechnik hielt in die Filmbranche Einzug und kaum ein Film oder eine Fernsehproduktion werden heute ohne digitale Überarbeitung erstellt. Viele Computerspiele („Tomb Raider“, „Super Mario Bros.“, „Resident Evil“ etc.) werden verfilmt, umgekehrt findet fast jeder erfolgreiche Film sein Pedant als Computerspiel („James Bond“, „Harry Potter“, „Herr der Ringe“, „Matrix“, etc.). Gerade bei den Transfers zwischen einem Film und einem Computerspiel gleichen sich Film und Spiel im Erzähldesign, da die DesignerInnen die Schlüsselszenen eines Spieles bzw. eines Filmes in das jeweilig andere Medium übertragen möchten. Man will damit den Bekanntheitsgrad bei den
158 „Motion Capturing“ bezeichnet eine in der Film- und Spielproduktion weit verbreitete Methode, menschliche Bewegungsabläufe zu digitalisieren. Dies geschieht mit Hilfe von Bewegungssensoren an den Gelenken von realen DarstellerInnen, deren Bewegungen auf eine künstliche, virtuelle Figur übertragen werden.
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jeweiligen KonsumentInnen nutzen und dadurch die Verkaufszahlen für das transferierte Medium erhöhen. Neuere Entwicklungen in der Filmbranche weisen darauf hin, dass versucht wird, gänzlich computeranimierte Figuren darzustellen. SchauspielerInnen kommen nur noch retuschiert, bzw. digital überarbeitet vor, das Filmdesign gleicht sich ästhetisch dem Computerspiel an. Als Beispiel möchte ich den Film „Beowolf“ anführen. Wo bisher die Digitaleffekte eingesetzt wurden, um Kosten zu sparen bzw. sonst nicht darstellbare Effekte und Szenarios zu präsentieren, werden bei diesem Film bewusst die SchauspielerInnen verfremdet, um ein computerspielähnliches Gesamtbild zu erlangen. Die Reaktionen auf diese Versuche sind zwiespältig. Selbst wenn ein Film von der ästhetischen Präsentation einem Computerspiel gleicht, fehlen ihm die entscheidenden Spielelemente. Der Film bleibt ein Film und wird wegen des Designs kein Computerspiel. Die Experimente der FilmemacherInnen in diese Richtung sind nachvollziehbar. Anhand der enormen Verbreitung der Spiele und des Wachstums der Computerspielbranche gehen die ProduzentInnen davon aus, dass die spezielle Computerspielästhetik zu einem verbreiteten Kulturgut wird und vorwiegend bei den jüngeren Menschen entsprechende neue Erwartungen an andere Medien stellt. Diese spezielle Ästhetik äußert sich zunächst als Mangelerscheinung. Aufgrund grafischer Beschränkungen können z.B. menschliche Gesichter bei kommerziellen Spielproduktionen nicht absolut fotorealistisch dargestellt werden. Die digitalisierten Gesichter und Figuren in Spielen sind idealisiert, dass heißt sie sollen auch für die Charakterzüge der Spielfigur stehen. In vielen Filmen werden die DarstellerInnen auf ganz ähnliche Weise ihren Rollen zugeordnet, in Spielen geschieht dies aber direkter. Der strahlende Held wird sofort erkannt, gleich wie die makellos hübsche Heldin bzw. Begleiterin des Helden. Körper und Gesicht der virtuellen Figuren sind ideale Schönheitstypen und entsprechen den erwarteten Klischees. Das technische Problem, das menschliche Gesicht bzw. den Körper nicht völlig realistisch darstellen zu können, führte zu einer „Barbie Puppen“-Ästhetik, die typisch für Computerspiele ist. Die Spielfiguren strahlen eine ganz eigene Art von Künstlichkeit aus, die sofort mit Computerspielen in Verbindung gebracht werden kann. In gewisser Weise werden auch in Film und Fernsehen Idealkörper und -figuren präsentiert, jedoch mit der Intention Makel zu verschleiern und perfekte Figuren darzustellen. Die Spiele hingegen schaffen eine bewusst künstliche und klischeehafte Spielfigur, schon aus der technischen Notwendigkeit heraus. Sind die Spiele deshalb ehrlicher, da sie gar nicht den Anspruch auf Realität und Fotorealismus erheben (können)? In den Erzählstrategien und der Figurencharakteristik sicher nicht, jedoch gibt es zwischen Film, TV und Computerspiel einen wesentlichen ästhetischen Unterschied, der mir entscheidend erscheint: Während Film und TV
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(und vor allem die Nachrichten) den RezipientInnen zu vermitteln versuchen, dass die gezeigten Bilder der Wahrheit entsprechen,159 bleibt das Spiel im künstlichen Bereich und stellt in der Regel klar, dass sich die SpielerInnen in einem virtuellen Raum und in einer Fantasiewelt befinden. Aus dieser Sichtweise heraus könnte man Computerspiele als eine Art Befreiung von der Illusion einer als tatsächlich real (im Sinne von richtig) wahrgenommen vermittelten „Realität“ sehen, da sich die Spiele als per se künstlich definieren, während TV und Film, wie Siegfried Steurer richtig bemerkt, prinzipiell nicht auf retuschierte Bilder und Manipulationen hinweisen.160 Trotzdem werden in den Erzählstrategien von Computerspielen Feindbilder und Machtverhältnisse auf ähnlicher Weise vermittelt, wie im Film und Fernsehen. Die grafischen Möglichkeiten der Computerspiele wachsen beständig an und für die Zukunft sind nahezu fotorealistische virtuelle Welten absehbar. In den immer perfekter werdenden simulierten Computerwelten liegen aber auch Gefahren verborgen. Laut Siegfried Steurer wäre ein Verlust der eigenen Kreativität und Fantasie möglich, da sich die Fantasiewelten immer mehr der Realität angleichen. Es könnte laut ihm aber auch in der Zukunft passieren, dass die Menschen die künstlichen Welten nicht mehr verlassen wollen, weil die Computerspiele perfekte Welten simulieren können. Damit würde aber die reale Welt, Umweltproblematiken, Politik und soziale Problematiken hinter einer simulierten, perfekten Computerwelt verschwinden, die ausschließlich spannenden Abenteuer für die SpielerInnen erfindet. Argumentationen, die die möglichen Gefahren eines intensiven Eintauchens in eine virtuelle Spielwelt herausstreichen, und die Gefahren einer perfekt inszenierten simulierten Scheinwelt für die Zukunft aufzeigen.161 Wenn man sich die heutigen Möglichkeiten und die Faszinationskraft der digitalen Spielwelten anschaut und erkennt, wie intensiv SpielerInnen in diese eintauchen, sind die Ängste vor zukünftigen Entwicklungen durchaus nachvollziehbar. Computerspiele erzählen Geschichten. Der große Unterschied zum Medium Film liegt darin, dass diese Geschichten nicht passiv von den KonsumentInnen rezipiert werden. Ohne aktive Beteiligung der SpielerInnen können die erzählten Geschichten nicht fortgesetzt oder gar beendet werden. Die Geschichte entfaltet sich somit erst mit dem Spielen selbst, die Geschwindigkeit der Erzählung hängt von den einzelnen SpielerInnen ab. Dies bedeutet nicht, dass die Geschichten beliebig erzählt bzw. rezipiert werden können, sind doch die Erzählrichtung und die möglichen Wendungen der Geschichte von den ProgrammiererInnen bereits festgelegt. Es besteht daher keine absolute Freiheit für die SpielerInnen, wie sie das Spiel
159 Siehe S. 99ff. 160 Vgl. Steurer, S. Schöne neue Wirklichkeiten, S. 7-23. 161 Vgl. Ebda., S. 64-65 und Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 19.
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spielen können, sondern nur eine gewisse Zahl von Möglichkeiten. Dies ist allerdings bei weitem mehr, als die Rezeptionsvarianten der herkömmlichen Medien bieten können. Im traditionellen Sinn ist ein Roman nur chronologisch lesbar. Man könnte das Buch in der Mitte oder am Ende anfangen zu lesen, was aber nicht den Vermittlungsintentionen der AutorInnen entsprechen würde. Ähnliches gilt für Film und Fernsehen, wobei zu beobachten ist, dass vorgegebene Konsumptionsvorschriften durchaus für die herkömmlichen Medien brüchig werden können. Im Fernsehen spricht man zum Beispiel vom „Zappen“, einem raschen Durchschalten durch die Kanäle, ohne auf die jeweiligen Programme einzugehen. Das „Surfen“ durch das Internet weist ähnliche Strukturen auf: Flüchtige Informationsgewinnung ohne Konstanz. Gleichen sich hierbei die Rezeptionsstrukturen von Fernsehen und Internetsurfen den Spielen von Computerspielen an? Ähneln „Zappen“ und die gleichzeitige Konsumption von unzähligen Fernsehkanälen einer Computerspielsitzung? Eine schwer zu beantwortende Frage, da allein im Bereich der Computerspiele unzählige Möglichkeiten bestehen, wie Spiele in ihrer Erzählstruktur entworfen werden. Es gibt tatsächlich genug Computerspiele, die sich zur „Entspannung“ für zwischendurch eignen und die SpielerInnen für maximal eine halbe Stunde beschäftigen. Jedoch sind erzählintensivere Spiele, wie zum Beispiel Rollenspiele und Abenteuerspiele auf viele Stunden Spielzeit ausgerichtet und konzipiert. Die Reihenfolge der zu spielenden Geschichten wird in der Regel vorgegeben, gewisse Bereiche im Spiel sind z.B. am Anfang versperrt. Doch lassen die ProgrammiererInnen den SpielerInnen häufig sehr offen gestaltete Variationen zur Auswahl, ihr Spiel zu bestreiten. Um dem Erzählfluss folgen zu können, bzw. das Spiel abzuschließen, müssen sich die SpielerInnen dennoch dem Spieldesign beugen. Für Britta Neitzl stellt das Computerspiel deshalb einen Übergang zwischen einer Kulturtechnik des Erzählens und einer neuen Form einer Kulturtechnik des Spielens dar.162 Selbst einfachste Computerspielformen lassen wesentlich mehr Interaktionsmöglichkeiten zu, als die herkömmlichen Medien. Die Struktur des Spieles und damit die Anzahl der Variationsmöglichkeiten sind in der Programmiersprache verankert, wie es Britta Neitzel ausdrückt. Dies unterscheidet sich also nicht vom konzeptionellen Rahmen von Film und Fernsehen. Das Spiel selbst stellt aber laut Neitzel nicht die Geschichte dar, sondern liefert die Bedingungen, wie die Geschichte zu erspielen ist. Spiele haben laut ihr Geschichten als Sinnhorizont und Ordnungsmodell, bedienen sich aber unterschiedlicher Darstellungsformen im Vergleich zum Film oder einer Erzählung, da der konkrete Handlungsablauf an die SpielerInnen gebunden ist. Somit ist laut Neitzel das Spiel
162 Vgl. Neitzel, B., Gespielte Geschichten, S. 19.
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im Sinne der programmierten Software eine Vorerzählung, die durch das Spielen erst zur Erzählung wird.163 Im Sinne einer medientheoretischen Betrachtung kann man darauf hinweisen, dass jedes Medienprodukt erst durch die Konsumption zu einer vollständigen Erzählung wird. Hauptmerkmal bleibt beim Spiel daher der Zwang zur Interaktion, ohne die sich das Spiel nicht entfalten würde, und die Vorgabe an die SpielerInnen dem System Inputs zuzuführen, die nicht mit der Betätigung einer Fernbedienung zu vergleichen sind. Nach Britta Neitzel haben die Spiele zwar eine potentiell narrative Struktur, wenn man sie mit den narrativen Medien Film, Fernsehen oder Buch vergleicht. Sie beschreiben aber laut ihr in der Regel nicht, was passiert ist, sondern nur was geschehen kann. Die Erzählung entfaltet sich beim Spielen, deren Anordnung und Geschwindigkeit von den SpielerInnen beeinflusst werden können. Daher wird dem Spiel nach Neitzel eine AutorInnenschaft von SpielerInnen impliziert. Ähnlich wie den RezipientInnen beim Lesen eines Buches oder dem Genuss eines Filmes eine prinzipielle Mitgliedschaft am Medientransferprozess zugestanden wird, ist diese AutorInnenschaft aber beschränkt. Sie bringt nach Neitzel im Normalfall nichts völlig Neues hervor, sondern variiert die vorgesehenen Handlungsabläufe der AutorInnen, also der SpielentwicklerInnen.164 Jedoch gibt es Spiele, die dermaßen viele Handlungsvarianten für die SpielerInnen bereit stellen, dass die Entscheidungsmöglichkeiten der RezipientInnen so vielseitig sind, dass die Spiele auf den ersten Blick offen und vielschichtig wirken. Wenn man Computerspiele als Außenstehende/r betrachtet, also beobachtet, wie SpielerInnen spielen, drängt sich die Ähnlichkeit zum Medium Film auf und man fühlt sich als BeobachterIn einer fix vorgegebenen Geschichte. Viele Menschen sind daher der Meinung, Computerspiele seien nicht viel mehr als ein interaktiver Film und gleichen dem narrativen Aufbau herkömmlicher elektronischer Medien. Nur wer aktiv spielt, weiß um den Unterschied zwischen selbst spielen, oder eine Spielhandlung passiv zu verfolgen. Das interaktive, simulative Moment des eigenen, eingebundenen Seins ins Spielgeschehen darf nicht außer Acht gelassen werden. Auch wenn Filmszenen und Spielszenen unter Umständen sehr ähnlich sein können, das äußere Erscheinungsbild der Zeichenketten lässt keinen direkten Rückschluss auf ihre Bedeutung zu. Für Gonzalo Frasca sind Computerspiele ein großer Schritt in der Entwicklung der Medienlandschaft und Rezeption, da sie das erste massentaugliche, komplexe und simulative Medium sind. Da seiner Meinung nach die Menschen narrativ geprägt sind, wird es unter Umständen noch Jahrzehnte
163 Vgl. Neitzel, B., Gespielte Geschichten, S. 106-108 u. S. 130. 164 Vgl. Ebda., S. 131-134ff.
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dauern, ehe die Möglichkeiten eines solchen simulativen Mediums vollständig erfassbar werden.165 Das Verhältnis von ProduzentInnen und KonsumentInnen ist in der Fernseh-, Film- und Medientheorie ein entscheidender Faktor. Geht es doch dabei um die Vorstellung, RezipientInnen am Vermittlungsprozess aktiv zu beteiligen. Abgesehen von den unterschiedlichen Möglichkeiten der Aneignungsmodelle und den ihnen innewohnenden unterschiedlichen Varianten der Lesarten eines Medienproduktes, bleibt den KonsumentInnen aber ein beschränkter Rezeptionsspielraum. Bei einem Film besteht für die KonsumentInnen in der Regel kaum ein Feedbackprozess direkt hin zu den ProduzentInnen. Kommunikation ist abseits von Foren und eventuellen LeserInnenbriefen selten möglich. Ähnlich verhält es sich mit kommerziellen Computerspielen. Auch hier findet kaum ein Kontakt mit den ProduzentInnen statt. Im Allgemeinen werden Spiele von Programmierteams entwickelt, in denen die einzelnen Namen der MitarbeiterInnen hinter dem Label der Produktionsfirma zurücktreten. Ausnahme stellen die wenigen „StarprogrammiererInnen“ dar, die mit ihrem Namen für die Qualität der Produkte bürgen. Man kann also trotz einer erhöhten Freiheit in der Art der Spielkonsumtion nicht von einem erhöhten Beteiligungsgrad der BenutzerInnen am Medientransferprozess oder gar an der Spielproduktion ausgehen. Ausnahmen ermöglichen dabei die Einbeziehung des Internet in den Medientransferprozess. Im Netz kann prinzipiell jeder/jede NutzerIn zum/zur AutorIn werden. Die Web-Blogs oder die privaten Filme in „YouTube“ stellen einen beachtlichen Beweis für diese Entwicklung dar. Wie schon erwähnt, partizipieren die SpielerInnen mit Hilfe der „Mods“ am Spiel mit und laut neueren Entwicklungen nimmt die Web-Community auch häufiger Einfluss auf das Spieldesign der ProduzentInnen. Dies ist nicht die Verwirklichung des Traumes eines demokratischen Austauschprozesses zwischen ProduzentInnen und RezipientInnen, also SpielerzeugerInnen und der Spiel-Community, jedoch der Beginn neuer Dimensionen des Beteiligungsprozesses seitens der KonsumentInnen. Ein wichtiger Punkt ist die Analyse der Rolle und des Standpunktes der BetrachterInnen und ZuschauerInnen. Die Rolle der SpielerInnen unterscheidet sich von der traditionellen Rolle der ZuseherInnen. Im Spiel wird eine Stellvertreterfigur gesteuert, die SpielerInnen identifizieren sich mit dieser Figur und führen Handlungen aus. Allerdings bleiben die SpielerInnen physisch von der Handlung abgetrennt, da diese nur virtuell auf den Bildschirmen dargestellt wird. Gleichzeitig fungieren die SpielerInnen auch als BeobachterInnen des Geschehens. Britta Neitzel sieht darin die Auflösung der klassischen Trennung zwischen ZuschauerInnen und Handelnden(SchauspielerInnen), wie man sie aus den Theaterwissenschaften kennt. Die
165 Vgl. Frasca, G., Simulation versus Narrative, S. 224.
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Handlungen, die die SpielerInnen unternehmen, sind nach Neitzel nicht mit denen von SchauspielerInnen zu vergleichen, werden doch bei Computerspielen vorwiegend Handbewegungen zwecks Steuerung der Spielfiguren mittels Tastatur, Gamepad oder Maus in die elektronische Simulation transferiert.166 Durch die simultane Abfrage der Bewegungsaktionen der SpielerInnen wird jede Aktion am Bildschirm sofort dargestellt und kann dementsprechend beobachtet werden. Für Neitzel ist dies ein besonderes Merkmal der Computerspiele: Es herrscht eine Zeitparallelität zwischen der Handlung der SpielerInnen vor dem Monitor und der Stellvertreterfigur im Spiel. Das heißt, die Produktion durch die SpielerInnen mittels der Eingabegeräte, sowie die Rezeption durch die SpielerInnen und das generierte Spielgeschehen selbst laufen gleichzeitig ab.167 Spielen am Computer ist somit ein komplexer zeitgleicher Prozess der ständigen Rückkopplung mit dem Spielprodukt. Um nun das Spiel mit einem Theaterstück zu vergleichen, streicht Neitzel die räumliche Trennung zwischen Computerspiel und ComputerspielerIn hervor. Produktion durch das Spiel und Rezeption durch die SpielerInnen laufen räumlich getrennt ab. Während laut Neitzel das Spiel in seiner Produktion (Spielablauf) von der Eingabe der SpielerInnen abhängig und im Computer berechnet wird, ist die Rezeption, Interpretation und Reaktion auf den computergenerierten Spielverlauf an den SpielerInnen gebunden. Der Darstellungsraum dieses „Schauspiels“ ist nun die Monitoroberfläche. In diesem Raum sind aber laut ihr ganz im Gegensatz zum Theaterstück die SpielerInnen als Handelnde aber auch als ZuseherInnen nicht physisch präsent.168 In diesem Zusammenhang interessant ist die Perspektive, aus der die Stellvertreterfigur dargestellt wird. Wie ich anhand der Entwicklungsgeschichte der Computerspiele bereits erörtert habe, dominierten lange Zeit „außenbezogene“ Blickwinkel die Darstellung des Spielgeschehens. Das heißt, die SpielerInnen blicken von außen auf eine Spielfigur und nehmen somit die Figur als Ganzes im Spielfeld wahr. Die Darstellungsvarianten beschränkten sich bis in die frühen 1990er Jahre vorwiegend auf zweidimensionale Darstellungen. Ab 1993 änderte sich die Art der räumlichen Darstellung durch den raschen Erfolg der Ego-Shooter, der von „Doom“ eingeleitet wurde.169 Zwar gab es bereits zuvor dreidimensionale Darstel-
166 Vgl. Neitzel, B., Gespielte Geschichten, S. 156. 167 Vgl. Ebda., S. 157. 168 Vgl. Ebda., S. 157ff. 169 „Doom“ ist ein Spiel, das für kontroverse Diskussionen sorgte. Von der Spielfigur waren nur die Hände und in weiterer Folge Waffen zu sehen, ganz als würde man mit den eigenen Augen auf die Hände blicken. Durch diese Waffenhaltung und das Töten zahlreicher Aliens war das Spiel schnell ein Fall für den Jugendschutz, insbesondere wenn man an die für damals spektakuläre Grafikdarstellung denkt. Weiteres war
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lungen in Computerspielen (vor allem bei Flugsimulatoren), doch die Ego-Shooter stellten eine völlig neue Form des Spielerlebens dar. Die SpielerInnen nehmen dabei den Blickwinkel der virtuellen Spielfigur ein. Von dieser ist außer den Händen mit der Waffe nichts wahrnehmbar. Der Blickwinkel gleicht der „Steadycam“, der Schulterkamera, die in der Filmgestaltung den Blickwinkel der AkteurInnen simulieren soll. Diese Perspektive soll für die ZuseherInnen das Filmerlebnis intensivieren und wird bei Actionfilmen eingesetzt, um z.B. die Rasanz einer Verfolgungsjagd oder die Spannung bzw. Angst der AkteurInnen darzustellen. Der Blickwinkel zeichnet sich durch schnelle, unruhige Kameraführung, gepaart mit abrupten Schnittfolgen aus und wird bei neueren Filmproduktionen vermehrt eingesetzt. Filme ähneln somit häufig der ästhetischen Darstellung von Videoclips, und diese sind eindeutig von Computerspielen inspiriert. Allerdings können solche Perspektiven kaum durchgehend für den gesamten Film verwendet werden, weil durch sie die Übersicht für die ZuseherInnen stark eingeschränkt wird, und die Erzähldramaturgie nur bedingt vermittelt werden kann. Ego-Shooter und mittlerweile der Großteil der Computerspiele nutzen diese Perspektive, um den SpielerInnen eine subjektive Darstellung des Geschehens zu vermitteln. Die SpielerInnen blicken durch die Augen der Spielfiguren, was ein Eintauchen in die Spielwelt fördert. Im Gegensatz zum Film kann nun der Blick, gleich im realen Leben, durch die Verwendung der Maus variiert werden. Das heißt, die SpielerInnen bestimmen selbst, welche Umgebung sie betrachten, den Vorgaben des Spieles folgend, aber mit ungleich mehr Freiheiten und Möglichkeiten im Vergleich zum Film. Sogenannte Zwischensequenzen schaffen zusätzlich Anhaltspunkte und führen die Erzählung fort. Die freie Wahl der Kameraperspektive trägt im Vergleich zum Film ebenso zur Orientierung bei. Bob Rehak spricht in seinem Aufsatz „Playing at Being“ vom allgemeinem Trend in der Computerspielindustrie, die Perspektive des Geschehens von der zweidimensionalen „God´s Eye Perspective“170 auf eine dreidimensionale „IchPerspektive“ zu lenken. Dadurch erfolgt eine erhöhte Subjektivierung der SpielerInnen mit dem Spielgeschehen, die Spielfigur, der Avatar verschmilzt mit ihnen.171 Die physische Steuerung und Koordination der Spielfigur mittels Maus und Tastatur wird für die SpielerInnen selbstverständlich, die Bewegung im virtuellen Raum, die Kameraschwenks und die weitreichenden Steuerungsmöglichkeiten werden als natürlich empfunden. Maus und Tastatur werden zu elektronischen Prothesen des
„Doom“ der Prototyp für die Netzwerk-Shooter und verbreitete sich an Universitäten und Institutionen mit lokalen Netzwerken sehr rasch. 170 Die klassische Perspektive von „oben“ auf das Spielgeschehen ermöglicht einen distanzierten Blick, der Kontrolle über das Spielgeschehen suggeriert. 171 Vgl. Rehak, B., Playing at Beeing, S. 108-111.
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Körpers. Gleichzeitig können die SpielerInnen, wie bereits angedeutet, die Auswirkungen ihrer Eingabe reflexiv und unmittelbar am Bildschirm erleben. Es entsteht ein simultaner Dualismus zwischen Handlung und Beobachtung. Jeder Mensch konstruiert sein Ich aus distanzierter Beobachtung seines Daseins, aber auch aus unmittelbarer, eingebundener Handlung als AkteurIn der Gesellschaft. In Computerspielen können die SpielerInnen diese Zustände wechseln und mit ihnen experimentieren. Computerspiele stellen ein Spielzeug der Subjektivität und des menschlichen Seins dar. Während die dreidimensionale Perspektive in Film und Fernsehen als alleinige Form der Kameraeinstellung nur im experimentellen Rahmen verwendet wird, funktioniert diese bei Computerspielen ohne Probleme, eben auf Grund der Interaktionsmöglichkeiten und Bestimmung der Bildposition durch die SpielerInnen. Eine subjektive Spielperspektive kann nur dann zur Erhöhung der Subjektivität optimal eingesetzt werden, wenn sie von den BetrachterInnen aktiv gesteuert werden kann. Ein Vorgang, der bei Computerspielen perfekt umgesetzt wird.172 Computerspiele im Spiel-Diskurs Computerspiele sind in vielfacher Hinsicht als Spiele zu begreifen und zu analysieren und nicht ausschließlich als Medienphänomen zu betrachten. Ich werde sie daher im Folgenden anhand der gängigen Spieldiskurse analysieren. Als interaktives Medium können Computerspiele nicht einer bestimmten Art von Spiel zugeordnet werden, sie stellen vielmehr einen Komplex von unterschiedlichen Spielstrukturen und Spielfunktionen dar. In der Spielforschung wird daher versucht, die unterschiedlichen Spielelemente den entsprechenden Kategorien unterzuordnen, um sie zu beschreiben. Grundlegender und wesentlich schwieriger zu beantworten sind die Fragestellungen nach dem Wesen des Spieles und die Abgrenzung der Forschungsbereiche, die sich innerhalb der Spieldiskurse auftun. Wie bereits erwähnt, betrachten einige TheoretikerInnen die Gesellschaft und das menschliche Zusammenleben als großes Spiel und sämtliche Kulturen als vom Spiel durchdrungen.173 Somit sind die Spiele ein Ausdruck und Spiegel des gesellschaftlichen Umfeldes. Es kann hiermit nachvollzogen werden, dass Spiele alle Facetten des gesellschaftlichen Lebens und der Kultur beinhalten, auch die negativen, wie Krieg, Angst und Tod. Wobei es in den Spielen meistens um die Überwindung dieser jeweiligen negativen Aspekte geht. Die eigentliche Befriedigung des Spielens liegt aber laut Huizinga im Spiel selbst. Das Grundlegende am Spielen ist das Gelingen.174 Dadurch vermitteln sie jene Erfolgserlebnisse, die einen wesentli-
172 Vgl. Ebda., S. 119-124. 173 Siehe dazu S. 37 u. Vgl. Huizinga, J., Homo Ludens, S. 82ff. 174 Vgl. Huizinga, J., Homo Ludens, S. 61.
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chen Anteil am Reiz des Spieles haben. Natascha Adamowsky beschreibt Spiel und Spielorte als virtuelle und prekäre Räume „dazwischen“, die virtuell und in ständigen Übergängen begriffen sind. Im Spiel entstehen laut ihr Sinnkonstruktionen unterschiedlicher Welten, egal ob aus dem realen Leben oder aus der Welt der Mythen und Märchen. Hier können die SpielerInnen nach Adamowsky ihre Sinne an Extrempositionen schärfen und ihre Identitäten variieren. Adamowsky meint, dass Spielfiguren aus diesem Grunde oft „Extremfiguren“ aus der mythischen und archaischen Erfahrungswelt, wie Engel, Drachen und Fabelwesen sind.175 Ein weiterer Aspekt des Spielphänomens wurde bereits mit dem Begriff der „Immersion“ angedeutet, der völligen Konzentration auf das Spielgeschehen bzw. der Verschmelzung mit dem Spiel. Also jener Zustand der computerspielenden Jugendlichen, der bereits Gibson für seine Visionen des Cyberspace inspiriert hat.176 In der Spielforschung wurde dieses Phänomen als ein dem Spiel inhärentes Charakteristikum beschrieben. Natasha Adamowsky verwendet in Anlehnung an Csikszentmihalyis den Begriff „Flow“, der ähnliches zum Ausdruck bringt, wie die Immersion in der virtuellen Welt des Cyberspace. Dabei geht es laut Adamowsky um ein Eintauchen in die Spielwelten, wobei der Mensch sein Tun und Handeln vergisst und völlig darin aufgeht. Die Spielregeln und Handlungsräume werden laut ihr eins mit dem Spielersubjekt, die Umgebung und der Raum abseits der Spielwelt dringt nicht mehr ins Bewusstsein der SpielerInnen. Dieses Eintauchen in die Spielwelt, der „Flow“, gleicht einem Selbstverlust des eigenen Subjektes im Spiel.177 Gleichzeitig weist Adamowsky aber auch darauf hin, dass diesem Selbstverlust parallel die Möglichkeit gegeben wird, die Rolle eines anderen zu spielen. Dies ermöglicht im Spielraum ständig neue Interpretationen für die SpielerInnen und erschafft somit jenen offenen Spielraum, der wesentlich für das Erleben des Spieles ist, und als Ausgangspunkt für die Faszination und Magie des Spieles zu begreifen ist.178 Im Sinne von Irving Goffman179 können somit, ähnlich dem Alltagsverhalten der Menschen, unterschiedliche Rollen gespielt werden, allerdings für die SpielerInnen wesentlich befreiter, da der „Flow“ das Aufgehen des Subjekts im Spiel bzw. in der Spielwelt unterstützt. Dies lässt die Grenzen zwischen Subjekt und Spielwelt verschwimmen und trägt dazu bei, dass wesentlich leichter in die Rolle anderer geschlüpft werden kann. Wie schon Kapitel Mensch und Spiel beschrieben, zählt Roger Caillois zu den Klassikern der Spielforschung. Spiel ist für ihn eine triebgesteuerte menschliche
175 Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welten, S. 40-43 u. S. 68. 176 Siehe S. 101. 177 Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welten, S. 50-51. 178 Vgl. Ebda., S. 51-53. 179 Siehe S. 38ff.
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Tätigkeit. Sein Konzept, Spiele im Sinne von Wettkampf (Agon), Glücksspiel (Alea), Verstellung/Verkleidung (Mimicry) und Rausch (Ilinx) zu kategorisieren, gilt auch heute noch als Ausgangspunkt vieler Auseinandersetzungen mit dem Thema Spiel und in weiterer Folge mit dem Computerspiel.180 Je nach Computerspiel lassen sich die unterschiedlichen Spielgattungen den jeweiligen Kategorien zuordnen bzw. tendieren unterschiedlich stark in die eine oder andere Richtung. So spiegeln sich zum Beispiel in einem Online-Rollenspiel parallel die Elemente von Wettkampf (im Kampf gegen menschliche MitspielerInnen) und Verkleidung (im Sinne eines erschaffenen Avatars) wider. Genauso enthalten viele Rollenspiele eingebaute Mini-Glücksspiele, wie z.B. Würfelspiele oder Poker, um das virtuelle Geld der Figur zu erhöhen. Eindrucksvolle und spannend inszenierte Kämpfe in der Spielwelt können wiederum zu einem Rauschzustand der SpielerInnen führen (wobei Caillois diese Zustände Spielen mit körperlichen Aktivitäten wie Tanz, Ringelspiel, Hochschaubahn, etc. zugeschrieben hat).181 Eine weitere zentrale Unterscheidung bei Caillois ist die Differenz von „Paidia“ und „Ludus“. „Paidia“ stellt den ursprünglichen Spieltrieb, die Freude am Spiel dar und ist spontan und ungeregelt. Jedes Spiel beinhaltet zunächst diesen Antrieb. „Ludus“ ist eine reglementierende Kraft, die den Spieltrieb kulturell nutzbar macht. Richtungsloses Spiel bekommt durch Ludus eine Ordnung und Richtung.182 In diesem Sinne wären Computerspiele am ehesten der ludischen Kraft zuzuordnen. Gonzalo Frasca beschreibt in seinem Aufsatz „Simulation versus Narratives“ die Kategorisierung der Computerspiele innerhalb der vier Hauptkategorien (Agon, Alea, Mimicry und Ilinx) als schwierig und wenig zielführend, da sich die Kategorien bei nahezu jedem komplexeren Spiel überschneiden und nur als „archetypische Prototypen“ zu verwenden sind. Interessanter ist für ihn die Unterscheidung in „paidia“, dem Spieltrieb, der als „play“ bezeichnet wird und dem strukturierten Spiel „ludus“, dem „game“.183 In diesem Sinne ist „play/paidia“ laut ihm auch als kindliches Spielen zu bewerten, während dem „ludus“ bzw. „game“ zum Beispiel das Schachspiel zuzuordnen wäre. Jedoch findet sich laut Frasca selbst im Kinderspiel strukturiertes Spiel, deshalb schlägt er für die Unterscheidung zwischen „play“ und „game“ die Zielrichtung des Spieles vor und ob es beim Spiel GewinnerInnen oder VerliererInnen gibt. „Game“ und „ludus“ folgen laut Frasca einem dreistufigen, klassischen Erzählakt. Im ersten Teil werden die Regeln näher gebracht, im zweiten Teil erfolgt das Spiel und im letzten Akt werden die Gewin-
180 Siehe dazu auch Lackner, T., Flucht in digitale Scheinwelten, S. 38. 181 Vgl. Caillois, R., Man, Play and Games, S. 23ff. 182 Vgl. Ebda., S. 11-36. 183 Vgl. Frasca, G., Simulation versus Narrative, S. 229.
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nerInnen und VerliererInnen des Spieles ermittelt.184 Diese Art der Spiele folgt einer Erzählstruktur, wie die klassischen Dramen, während Spiele mit „paidia“Elementen eher offene Enden aufweisen. „Ludische“ Spiele sind uns durch ihre klassische Strukturierung bekannt und populär, ihr Ende entspricht einer definierten Gewinner/Verlierer-Konstellation, wie sie laut Frasca auch aus dem Schluss von Kinoproduktionen aus Hollywood bekannt sind. Frasca weist weiters auf die simple binäre Struktur des Gewinnens oder Verlierens hin, die Computerspiele als ludische Spiele kennzeichnen. Durch diese Strukturierung bleiben seiner Meinung nach dermaßen viele Spiele in Fantasy- und Science-Fiction-Welten verhaftet, da die Figuren in solchen Szenarien binäre Züge aufweisen und eindeutig als gut/böse, schwarz/weiß definiert werden können.185 Klassische Ziele in ludischen Erzählungen sind demnach das Retten der Prinzessin, oder das Vernichten des Bösen. HeldInnen- und Schurkenbilder sind genau definiert. Sämtliche Kriegsspiele sind in diesem Sinne ludischer Struktur, da sie mit binären Bildern arbeiten. Nur wenige Computerspiele entsprechen laut Frascas Definitionsmodell Spielen mit „paidiaschen“ Elementen. Simulationen können z.B. aus dem ludischen Erzählkonzept ausbrechen. Die wohl erfolgreichsten und bekanntesten Beispiele dafür sind „The Sims“, „Sim City“, aber auch die aktuellen Lebenssimulationen in Online-Welten, wie „Second Life“. Dies sind in der Regel sehr offen gestaltete Spiele, in denen genaue Zielvorgaben und Spielaufgaben nicht entscheidend sind, sondern im Spielverlauf vielfach frei experimentiert werden kann. Bei der Anwendung von Konzepten der klassischen Spieltheorie muss darauf geachtet werden, dass vor allem die grundlegenden Werke von Huizinga bzw. Caillois das Spiel als umfassende zentrale kulturell treibende und gestaltende Kraft begriffen haben und dabei weit über das Spiel als solches hinaus dachten.186 Caillois sieht den Spieltrieb als gefährlich an, wenn er nicht durch Regeln geordnet und institutionalisiert wird. Der Prozess der Ordnung bzw. der Institutionalisierung des Spieles bzw. des Spieltriebes ist für ihn der eine Prozess der Zivilisation schlecht hin. Rausch, ungebändigte Glückseligkeit, vollkommener Realitätsverlust werden in der zivilisierten Gesellschaft nur mehr in Form von festen Ritualen zugelassen.187 Diese Rituale bändigen den Drang nach Verstellung, Maskerade und Rauschzuständen und werden nur zu gewisse Zeiten, wie etwa im Karneval erlaubt. Caillois
184 Vgl. Ebda., S. 230. 185 Vgl. Ebda., S. 230-232. 186 Siehe dazu Kapitel Mensch und Spiel. 187 Vgl. Caillois, R., Man, Play and Games, S. 71-99.
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unterscheidet Gesellschaftsformen auf Grund ihrer Spielpraxen, Spiel konstituiert seiner Meinung nach die Gesellschaftsstruktur.188 Inwieweit in einer globalisierten, in Bezug auf (Medien)Konsum vereinheitlichten Gesellschaft überhaupt noch zivilisationstheoretische Unterscheidungsstrukturen zielführend sind, sei dahingestellt. Die klassischen Spieltheorien stützen sich entsprechend ihrer Entstehungszeit nach dem zweiten Weltkrieg sehr stark auf die ethnologischen Erforschungen von Bräuchen, Mythen und Ritualen im eurozentrischen Blick auf die „primitiven“ Gesellschaften und ihren Strukturen in Übersee. Aus dem Vergleich der beobachteten Rituale der exotischen Gesellschaften mit der westlich zivilisierten Gesellschaftsstruktur versuchte man allgemein gültige Grundstrukturen und Zivilisationsmodelle zu entwickeln. Dies muss bei Anwendung dieser Spielkonzepte für moderne Spielformen wie die der Computerspiele berücksichtigt werden. Dennoch lassen sich, wie von Frasca weiter oben erörtert, Elemente der Spieltheorien auf interessante Weise mit den Phänomenen der Wirkungsweise von Computerspielen verknüpfen. Computerspiele können z.B. sehr gut die Bedürfnisse nach Verstellung, Maskerade, Rausch, Erleben, Wettkampf und Triumph, etc. erfüllen. In der Spielforschung taucht immer wieder der Begriff des „Karnevalesken“ auf, geprägt u.a. durch die Ausführungen Bachtins189 und dessen Einfluss auf die Cultural Studies. Wie Stuart Hall mit Hilfe Bachtins Überlegungen ausführt, ist der Karneval der Inbegriff für das Überschreiten bzw. das vorübergehende Außerkraftsetzen der gewohnten Ordnung bzw. deren Umkehrung. Jedoch wird die Ordnung laut ihm nicht nur rein dualistisch umgekehrt, sondern es vermischen sich triviale mit elitären Formen, Symbolen und Praxen, und es entsteht die ambivalente durchmischte Natur des kulturellen Lebens.190 Das Karnevaleske in der Populärkultur kann als „reines Vergnügen“ begriffen werden, als groteskes Gegenbild zur Zivilisation, aber auch als Quelle von Widerstand gegenüber vorgegeben Strukturen und möglichen Identifikationsvarianten für die Menschen, wie es vor allem die Cultural Studies sehen. Auch Natasha Adamowsky greift Bachtins Idee des Karnevals für ihre Analyse der Chatrooms und Meeting Points im Cyberspace auf. Das Internet stellt sich ihrer Meinung nach als bunter Jahrmarkt dar, der eine Karnevalsatmosphäre versprüht. Es gibt im Netz die unterschiedlichstem Spielfiguren: hässlich, schön, grotesk, animalische, etc. Der Cyberspace wird laut ihr als ein rauschhafter, ausschweifender, überflüssiger, verfremdeter, schauriger usw. Ort dargestellt. Ein Ort, wo über-
188 Vgl. Ebda., S. 129-142. 189 Siehe dazu: Bachtin, Michail: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Karneval, Frankfurt a. M.: Fischer TBV, 2000. 190 Vgl. Hall, St., Metaphern der Transformation, S. 118-119.
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trieben werden kann, wo man sich selbst darstellen und präsentieren kann, wo Konventionen überschritten werden können. Laut Adamowsky erfindet man sich im Cyberspace neu, es zählt Imagination, Phantasie und Ironie. Zentral ist nach Adamowsky die „Performance“ der SpielerInnen am „Jahrmarktsstand“ des Cyberspace, es zählt nicht die Glaubwürdigkeit und Authentizität der SchauspielerInnen, sondern nur die Qualität der „Performance“.191 Computerspiele sind ein Teil dieses virtuellen Jahrmarktes. Außergewöhnliches, Groteskes, Horrorvisionen usw. sind auch bei ihnen zentrale Elemente. Das Gewöhnliche ist im virtuellen Raum des Spieles nicht gefragt; das Außergewöhnliche und Übersteigerte macht den Reiz des Spieluniversums aus. Selbstdarstellung und Verfremdung, Fragmentierung und Vervielfältigung der Persönlichkeit bei SpielerInnen lassen einen breiten Raum für die Anwendung des karnevalesken Modells einer Populärkultur. Jedes Spiel bereitet auch Formen des Vergnügens, die den individuellen psychologischen Aneignungsmustern unterworfen sind. Menschen würden kaum einer spielerischen Beschäftigung nachgehen, wenn diese nicht in irgendeiner Form Vergnügen bereiten würde. Während die klassischen Diskurse rund um das Thema Vergnügen in der Populärkultur im Sinne des marxistischen Diskurses (als notwendige Kompensation), oder anhand der kulturpessimistischen Theorien der Frankfurter Schule das Vergnügen am populärem Medium als Hingabe und schließlich Kapitulation hinsichtlich einer massenhaften Kulturindustrie auffassten, gehen die Cultural Studies, wie Andreas Hepp ausführt, andere Wege.192 Roland Barthes hebt in seinem Buch „Die Lust am Text“ die Eigenleistung der RezipientInnen bei der Medienaneignung hervor. Ein/e AutorIn, die/der einen Text schreibt, der für sie/ihn vergnüglich wirkt, kann nicht davon ausgehen, dass der Text bei allen LeserInnen die gleichen Formen des Vergnügens auslöst. Die LeserInnen, genauso wie alle RezipientInnen der Populärkultur, schaffen sich erst den Raum für eine lustvolle Medienaneignung. Spielen bzw. das Vergnügen am Medienkonsum können laut Barthes zwei Hauptausformungen annehmen: Es gibt seiner Meinung nach das behagliche Vergnügen am Medienkonsum, das mit der Kultur einhergeht und nicht mit ihr bricht. Dieser Konsum ist etwa die Rezeption eines literarischen Textes, der durch seine Pluralität und Offenheit eine besondere Form eines intellektuellen Vergnügens bereitet.193 Dazu müssen die RezipientInnen mit den kulturellen Mustern vertraut sein, ihr Wiederentdecken im Medienprodukt bereitet Vergnügen. Dies bedeutet aber laut Barthes nicht, dass der Text mit der kulturellen Hegemonie absolut im Einklang stehen muss. Er kann durchaus offen und durchbrochen sein, baut aber auf bekannten vorhandenen kulturellen Strukturen
191 Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welten, S. 203-225. 192 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 73. 193 Vgl. Barthes, R., Die Lust am Text, S. 18ff.
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auf. Diese Form des Vergnügens bezeichnet Barthes als „Plaisir“.194 Im Gegensatz dazu sieht er die „Jouissance“, das Erleben von völlig Neuem, was das Bewusstsein erschüttert und verunsichert. „Jouissance“ ist das körperliche Vergnügen, ihm fehlt die Sprache. Er sieht darin das Wilde und Exzentrische, durch den menschlichen Körper definiert, nicht durch die Kultur. Als Beispiel ist die Lust am Empfinden von Schmerz, Horror, Ekel oder Angst zu nennen.195 Computerspiele bieten beide Arten dieser Vergnügen an: Sie bauen auf wohl bekannten Elementen auf, schockieren aber durchaus durch Horror- und Ekel- Elemente. Diese grundlegenden Unterscheidungen von Vergnügen durch Barthes dienen als Ausgangspunkt der Medienaneignungsforschung der Cultural Studies. „Jouissance“ wird im Zuge der Cultural Studies auch als „Evasises Vergnügen“ bezeichnet, dem laut Andreas Hepp, auch ein widerständiger Zug zuzuordnen ist, da es wider die disziplinären Diskurse der modernen industrialisierten Gesellschaften läuft. Der Zivilisationsprozess versucht nach ihm Formen des „Evasivem Vergnügens“ zu institutionalisieren und zu ordnen, wie bereits bei Caillois festgestellt wurde. Als Beispiel gelten laut Hepp Fußball, Sport, etc., wodurch exzessives Vergnügen gemildert wird, aber auch die „Bachtinischen“ Überformungen des exzessiven Vergnügens als das Karnevaleske etwa bei Rock-Konzerten, Raves, Wrestling, Horror- und Splatterfilmen, oder auch in Computerspielen.196 Für Andreas Hepp geht es in den Cultural Studies und hier allen voran für John Fiske allerdings nicht so sehr darum, den vorhandenen Widerstand im „Evasivem Vergnügen“ zu erfassen, sondern die möglichen Lesarten, Aneignungsformen und Umdeutungsvariationen eines „bedeutungsstiftenden Vergnügens“ zu analysieren. Also jenem Vergnügen, welches nicht radikal gegen gesellschaftliche Diskurse auftritt, sondern im Rahmen des kulturellen Transferprozesses eingebunden wird. Ähnlich wie bei Barthes heißt diese Form des Vergnügens durch Aneignung von Medienprodukten nicht, dass es sich dabei um einen ausschließlich fremdgesteuerten, unhinterfragten und manipulierenden Aneignungsprozess seitens der Medienhersteller handelt.197 Für Hepp geht es bei der Analyse des „bedeutungsstiftenden Vergnügens“ nicht darum, das vorhandene hegemoniale politisch-kulturelle Machtverbreitungssystem auf der Makro-Ebene in Frage zu stellen, sondern den alltäglichen Kontext der Bedeutungen und Lesarten für die KonsumentInnen bei der Medienaneignung zu erfassen. Es stellt sich für Andreas Hepp die Frage, inwiefern diese Bedeutungen für das soziale Leben der Menschen relevant sind und in welchen Bezug sie mit den alltäglichen Erfahrungswelten der Menschen stehen. Es geht laut ihm um die Mög-
194 Vgl. Ebda., S. 20-26. 195 Vgl. Ebda., S. 42-98. 196 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 74. 197 Vgl. Ebda., S. 75ff.
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lichkeit der konstituierenden Bedeutung von Medienprodukten für die Sinnkonstruktion der Menschen und wie sie deren Handlungen beeinflussen können.198 Dieser Zugang der Cultural Studies zur Analyse von Medienprodukten erscheint mir auch für die Auseinandersetzung mit Computerspielen sinnvoll. Auch wenn, wie bei Adamowsky, der Cyberspace und das Internet eher mit dem „Bachtinischen Karneval“ verglichen wurde, scheinen die Computerspiele selbst kein widerständiges, exzessives Gegenprodukt zum kulturellen Mainstream zu sein. Die Medienaneignung erfolgt im Gleichgewicht des kulturellen Kontextes, jedoch wie in der Analyse noch aufgezeigt wird, mit den unterschiedlichsten Möglichkeiten für die RezipientInnen Lesarten und Sinnkonstruktionen zu entwickeln. Wie Britta Neitzel in ihrem Buch „Gespielte Geschichten“ beschreibt, gehen neuere Spieltheorien andere Wege als die Arbeiten von Huizinga und Caillois, die die Spiele als grundsätzliche Erklärungsmuster für alle sozialen und kulturellen Prozesse darstellen. Die „Conflict Enculturations Theory“ von Brian Sutton-Smith geht z.B. davon aus, dass Spiele auf gesellschaftlich relevanten Konflikten beruhen.199 Reale Konflikte werden demnach in Spielräume transferiert und in der Spielsphäre verarbeitet. Laut Sutton-Smith´s Theorie sind Computerspiele demnach Konfliktauseinandersetzungen mit der Technik.200 Es geht darum, den Umgang mit der Maschine selbst zu meistern. Gesellschaftliche Probleme gründen heute häufig auf der Computertechnologie. Sie wird, wie bereits im Kapitel über Technik und Postmoderne angeführt, als Ursache für Katastrophen und Umweltproblematiken ausgemacht. Die Menschen sind der Computertechnologie ausgeliefert, sie steht auch für die „totale Überwachung“ und die Vision des gläsernen Menschen in einer absoluten Technokratie, die die Menschen auf dem Niveau unmündiger BürgerInnen fesselt.201 Für Britta Neitzel stellt bei Computerspielen der Computer die Technologie dar, die durch den Sieg im Spiel überwunden werden kann. Der Computer als Symbol des Technischen wird somit als Gegner bezwingbar und symbolisiert den Sieg über die Technik im Allgemeinen. Diese Siege vermitteln laut Neitzel Erfolgserlebnisse gegenüber dem technischen Umfeld und die Möglichkeit sich mit ihm konkret auseinanderzusetzen und schließlich zu bewältigen. Dadurch werden ihrer Meinung nach Angstpotentiale abgebaut. Durch die Wiederholbarkeit der Spiele ist es den SpielerInnen prinzipiell möglich, das Spiel irgendwann zu beenden und das System zu besiegen.202 So interessant diese Theorie für den Umgang der Menschen mit dem technischen Medium auch ist und die enorme Begeisterung für
198 Vgl. Ebda., S. 75-76. 199 Vgl. Sutton-Smith, B., Toys as Culture, S. 63. 200 Vgl. Neitzel, B., Gespielte Geschichten, S. 31. 201 Siehe dazu S. 49ff u. S. 118ff. 202 Vgl. Neitzel, B., Gespielte Geschichten, S. 32-35.
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Computerspiele als Folge des Sieges über die Technik zu erklären versucht, so bleibt allerdings die Frage offen, warum gerade bei Online-Spielen die wesentliche Faszination eher im Wettkampf mit den menschlichen GegnerInnen bzw. in der Gruppendynamik zu finden ist. Hier scheint die soziokulturelle Funktion des Wettbewerbes als gesellschaftliche Grundkomponente, wie sie Caillois und Huizinga anführen, ebenso gut ein Erklärungsmuster für die Spielbegeisterung zu liefern, bzw. sind die Wünsche der SpielerInnen nach Gruppen- und Gemeinschaftserlebnissen mit zu berücksichtigen. Man kann annehmen, dass Computerspiele ihre Faszinationskraft aus der Summe der besprochenen Elemente beziehen und einzelne Phänomene nicht isoliert betrachtet werden können. Weiters gilt es noch einen Blick auf Caillois´ Spielaspekt der „Mimicry“ zu werfen, also dem Verkleiden bzw. dem Rollenspiel, was ebenso ein zentrales Element der Computerspiele ist. Wie bereits angeführt, spielen die Menschen in ihrem Leben die unterschiedlichsten (von ihnen erwarteten) Rollen. Dem Rollenbild zu entsprechen, führt mitunter zu einem gewaltigen Druck auf die „SchauspielerInnen“, die auf der Bühne des sozialen Daseins ihre Rollen darbieten. Die Rollendarstellung vollzieht sich nach Goffman vor allem im unbewussten Bereich.203 Spiele hingingen können die Rollenauswahl und Zuordnung aktiv und freiwillig gestalten. Dies stellt eine Besonderheit des Spieles dar, und ist deshalb ein entscheidender Faktor zur Beschreibung eines jeden Spieles. Bei Computerrollenspielen z.B. geht die Rollenwahl bewusst und intensiv vor sich, allerdings bleibt die Rolle auf die Spielwelt beschränkt, da man im Hinterkopf doch stets weiß, dass man eben nur eine Figur spielt. Goffman spricht u.a. davon, dass viele Rollen eine Fassade, ein Bühnenbild benötigen.204 Während in der realen Welt das soziokulturelle Umfeld die Bühne darstellt, ist dies in der virtuellen Welt der Bildschirm, bzw. allgemein für Spiele gesprochen, die Spielsphäre. Wenn dieser abgeschaltet bzw. die Spielsphäre aufgegeben wird, wird auch die Fassade zerstört und die Darstellung abgebrochen. Dies kann auch als Entlastung der Menschen gesehen werden, denn das Beenden bzw. Aussteigen aus seiner Rolle ist im realen Leben nur sehr schwer möglich, bzw. fordert drastische Schritte von den SchauspielerInnen. Der Ausstieg aus der vorgegebenen Rolle wird in der Regel sozial geahndet und entsprechend sanktioniert. Rollen, die von der Norm, bzw. von der Erwartungshaltung des Publikums abweichen, werden durch soziale Verachtung gestraft. Zwar können die SpielerInnen ihre Rollen bewusst wählen, doch müssen auch diese den Spielregeln unterworfen werden, sonst drohen ebenfalls Sanktionen von den MitspielerInnen.
203 Vgl. Goffman, E., Wir alle spielen Theater, S. 19ff. 204 Vgl. Ebda., S. 2 ff.
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Die völlige Entlastung eines unreglementierten Spieles ist deshalb kaum möglich, sehr wohl aber eine partielle Entlastung vom gängigen Rollenschema.205 Nach Goffman benötigen Menschen zur Darstellung ihrer Rolle neben der Bühne auch ein Publikum.206 Dieses fehlt auf den ersten Blick beim Computerspiel. Dennoch ist das Spiel ein imaginativer Akt, in dem der virtuelle Raum das Rollenspiel ermöglicht. Auch wenn keine realen ZuseherInnen anwesend sind, verhalten sich die SpielerInnen in der Spielwelt gemäß ihren vorgegeben Rollen und nach den erforderlichen Regeln. Es wird auch innerhalb Single-Player-Computerspielen so gespielt, als ob ein Publikum anwesend wäre. Ausgeprägter wird das Rollenspiel jedoch im Internet, wo durch die globale Vernetzung die menschlichen RollenmitspielerInnen wieder involviert werden und virtuelle Spielräume tausenden SchauspielerInnen die Möglichkeiten bieten, die digitale Bühne zu betreten.207 Diese virtuellen Bühnen sind jedoch keinesfalls abgeschlossene, von der Realität abgekapselte Freiräume; es finden zahllose Bedeutungstransfers zwischen den realen Bühnen im soziokulturellen Leben und den virtuellen Bühnen statt. Abschließend möchte ich noch auf Gerhard Schulze und seinen Klassiker „Die Erlebnisgesellschaft“ eingehen. Da unsere Gesellschaft seiner Meinung nach durch den Hunger auf das Erleben definiert wird, könnte man das Spielen selbst ebenso auf das Spielerlebnis und Vergnügen reduzieren. Spiele wären, so Schulze, in erster Linie Erlebniszweck und würden ähnlich dem gesamten Konsum die Menschen von einem erfüllten Leben ablenken. Die Erlebnissuche ist die unmittelbare Form der Suche nach dem Glück, welchem die Gesellschaft hinterherläuft. Diese Suche birgt aber laut Schulze die Gefahr der Enttäuschung, bzw. werden die Glücksmomente durch die immer schneller und häufiger konsumierten Erlebnisse kürzer und vergänglicher. Die Suche nach dem Erlebnis wird somit zum Zwang.208 Die heutige Gesellschaft zeichnet sich laut Schulze durch eine Innenorientierung aus, da die Zwänge von außen abnehmen und neue Wahlfreiheiten möglich werden. Die Wahlmöglichkeiten bedeuten aber auch Entscheidungszwänge. Ähnliches hat bereits Giddens festgestellt.209 Schulze argumentiert, basierend auf Huizinga, mit einer „innenorientierten Gesellschaft“, die er mit einer „ludischen Gesellschaft“ gleichsetzt, da die Menschen durch die abnehmenden Zwänge ihren spielerischen Bedürfnissen leichter nachgehen können, bzw. ihren Erlebnishunger durch das Spiel zumindest vorübergehend stillen können.210
205 Siehe dazu auch Lackner, T., Flucht in digitale Scheinwelten, S. 38. 206 Vgl. Goffman, E., Wir alle spielen Theater, S. 187ff. 207 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 91. 208 Vgl. Schulze, G., Die Erlebnisgesellschaft S. 13-15. 209 Siehe dazu S. 120ff. 210 Vgl. Schulze, G., Die Erlebnisgesellschaft, S. 100-103.
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Zusammenfassung Anhand der gängigen pädagogischen Diskurse beschäftigte ich mich zu Beginn dieses Kapitels vorwiegend mit dem Themenkomplex Jugendschutz und die aktuelle Frage nach der Gewalt in Computerspielen und möglichen Transferprozessen. Weiteres behandelt wurde die Frage nach den gemeinschaftsbildenden Funktionen der immer weiter verbreiteten Online-Computerspiele, sowie ihren identitätsstiftenden Charakter. In diesem Zusammenhang erschien es mir wesentlich, die Diskussionen über Isolation, Sucht und Vereinsamung durch übermäßiges Spielen von Computerspielen anzusprechen. Die Diskurse über eine Analyse von Computerspielen mit Hilfe der Filmtheorien und der Vergleich zwischen Film und Computerspiel war das nächste Thema und abschließend wurden schließlich die Spieldiskurse, ausgehend von Caillois und Huizinga dargestellt, in denen es darum ging, Computerspiele als Spiel zu betrachten. Weiterführend wurden die Definitionen des Spielvergnügens und Erlebens in ihrer soziokulturellen Dimension mit Hilfe der Cultural Studies, deren Ausgangspunkt Bachtin ist, skizziert. Der Fokus wandert innerhalb dieser Entwicklung vom Spiel als kulturelle Grundfunktion, aus dem jede Kultur entsteht, zu einer Betrachtung des konkreten Transferprozesses, der bei der Medienaneignung im Zuge des Spielens zwischen ProduzentInnen und RezipientInnen stattfindet. Besonders hervorgehoben wurde die Spielform des Rollenspieles, die Erving Goffman als zentrale Funktion im gesellschaftlichen Zusammenleben ausmacht und daher auch wesentlich für das Spielen selbst ist. Schulze sieht in der heutigen Gesellschaft ein vermehrtes Freizeitangebot und einen gestiegenen Erlebnishunger der Menschen, die ihre freie Zeit mit zunehmendem Zwang auszufüllen versuchen. Es kann darüber diskutiert werden, ob aus Gründen der vermehrten Freizeit die heutige Gesellschaft als eine „verspielte“ Gesellschaft zu bezeichnen ist. Ebenso gut könnte behauptet werden, dass in früheren, ritualisierten Gesellschaften das Spiel grundlegender im soziokulturellen Kontext verwoben war, und deshalb als Spiel an sich nicht in diesem Maße erkennbar war. Außer Frage steht aber, dass eine Komponente, die Computerspiele so erfolgreich macht, der Wunsch der Menschen nach dem Erleben bzw. dem Vergnügen ist. Jedoch sollte sich eine Analyse der Computerspiele nicht auf den Bereich des Vergnügens und Erlebens beschränken, auch wenn sie auf dem ersten Blick scheinbar genau diese Bedürfnisse befriedigen. Die Komplexität des Konsums von Computerspielen beinhaltet wesentlich mehr Komponenten und übersteigt ein „Evasises Vergnügen“, wie es bereits von den Cultural Studies bekannt ist. Diese Vielschichtigkeit der Rezeptionsmöglichkeiten von Computerspielen und ihre Auswirkungen auf das soziokulturelle Zusammenleben der Menschen möchte ich in der nachfolgenden Analyse näher bringen.
Empirische Befunde und Diskurse
K RIEG , K AMPF , G EWALT
UND
S PIEL
Kämpfe, Kriege und Gewaltanwendungen werden in den meisten Computerspielen dargestellt. Ich habe im Zuge des Kapitels über die Entwicklungsgeschichte der Computerspiele aufgezeigt, wie der Krieg als Kriegsspiel den Weg in die Computerspielproduktion fand, und wie eng das Produkt Computerspiel mit der Kriegsindustrie verwoben ist. Die Interessen der Rüstungsindustrie, ihre Zusammenarbeit mit der Softwareindustrie und nicht zuletzt der politische Einfluss auf die Darstellung von Kriegen, insbesondere der Feindbilder, üben einen massiven Einfluss auf die Gestaltung der Computerspiele aus. Doch stellt sich letztendlich die Frage, wie dieser Einfluss und die dahingehenden Gestaltungskriterien die Rezeptionsweisen und Aneignungen der SpielerInnen mitbestimmen. Werden durch sie entsprechende Bilder bei den SpielerInnen verankert und prägen sie damit ihr Denken und die Gefühlswelt? Oder beeinflusst die mediale Überpräsentation von Krieg und Gewalt das reale soziale Zusammenleben? Computerspiele sind ein Ausdruck der Gegenwartskultur, und ein Zeichen für den kulturellen Wandel mit seinen beschleunigten Lebenswelten. Umso mehr scheint es wichtiger, die Bildsprache der Spiele zu analysieren, insbesondere dann, wenn Gewalt und Krieg zentrale Themen darstellen. Computerspiele stellen häufig Kriegsszenarien dar. Man kann sie daher auch als Kriegsspielzeug auffassen. Hartmut Gieselmann zeichnet den direkten Zusammenhang des vermehrten Verkaufs von Kriegsspielzeug bei realen Konfliktsituationen nach: Seit den 19. Jahrhundert verbreitete sich das Kriegsspielzeug, etwa in Form von Zinnsoldaten rapide. Nach dem ersten Weltkrieg wurde laut ihm in Deutschland im Zuge des Versailler Vertrages das Kriegsspielzeug verboten und erreichte dann später unter dem Naziregime eine nie gekannte Verbreitung. In den Vereinigten Staaten war zu Beginn der 1960er Jahre der Vietnam Krieg populär, dementsprechend verbreitet waren dort Kriegsspielzeuge. Als die Friedensbewegung ver-
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stärkt wahrgenommen wurde, brach laut Gieselmann der Verkauf dieser Spielzeuge ein.1 Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich heute in Anbetracht der jüngeren Kriegsauseinandersetzungen ab. Im Zuge der beiden Golfkriege und der ständigen Bedrohung durch Terroranschläge stiegen in der Film- und Computerspielbranche die Anzahl der Medienprodukte, die Bezug auf diese Krisen nahmen, stark an. Neue Feindbilder in Form des islamischen Terroristen übernahmen die klassischen Klischees der Bedrohung durch die ehemalige Sowjetunion. In der Rolle des amerikanischen Elitesoldaten wird in Film und Computerspiel die Welt von der Gefahr des globalen Terrorismus beschützt. In Kriegssimulationen wird der Nahe Osten als Schauplatz etabliert. Besonders Computerspiele geben für die SpielerInnen einfache und klar definierte Feindbilder vor. Die Trennung zwischen Gut und Böse, Schwarz und Weiß geht in den meisten Spielen eindeutig hervor, insbesondere in jenen, die reale militärische Kriegsschauplätze simulieren. Für die SpielerInnen soll kein Zweifel aufkommen, dass der Abschuss eines simulierten feindlichen Panzers, Flugzeuges oder letztendlich Soldaten moralisch gerechtfertigt ist. Die Kriegscomputerspiele repräsentieren eine militärische Ideologie und Ordnung und zielen auf ein vorwiegend männliches Publikum.2 Für Gieselmann sind Kriegsspielzeuge daher industriell erzeugte Rüstungskultur, die insbesondere durch Computerspiele militärische Weltbilder und Ideologien in die Zivilgesellschaft transferieren. Sie zeichnen sich durch Technikfaszination, den Transport von Männlichkeitsidealen und einem entpolitisierten Geschichtsverständnis aus.3 Gieselmann unterscheidet aber den Diskurs über Kriegsspiele klar vom Diskurs über Gewalt in den Computerspielen. Für ihn stellen die von Regierungen und Militärs unterstützten Kriegsspielproduktionen höhere Gefahrenpotentiale dar, als gewaltintensive Horror- oder Science-Fiction-Shooter, die mit „Splattereffekten“ 4 arbeiten. Während in Shootern, deren Inhalt auf das Töten von Aliens und Monstern abzielt, die Realität klar für die SpielerInnen abgrenzbar ist, vermischen sich für Gieselmann bei den militärischen Simulationen Fiktion und Realität, bzw. wird von Seiten der SimulationsherstellerInnen der hohe Realitäts-
1
Vgl. Gieselmann, H., Der virtuelle Krieg, S. 18-19.
2
Vgl. Ebda., S. 126ff.
3
Vgl. Ebda., S. 16-19.
4
„Splattereffekte“ sind jene „Special Effects“ mit denen die Filmbranche und auch die Spielbranche Horrorszenarien realisieren. „Splattereffekte“ zeigen zerstörte Körper und unappetitliche Monstrositäten, nehmen sich aber selbst nicht allzu ernst. Sie leben von der Übertreibung und vom Ekel, den man empfindet, wenn man sie betrachtet. Siehe dazu: Willmann, T., Death´s Game, S. 133-135.
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grad der Simulationen beworben.5 Kriegsspiele stellen laut Gieselmann einen sauberen Krieg ohne Opfer dar. Sie bedienen dabei sich der Technikbegeisterung der vorwiegend männlichen Spieler. Die Kriegsgeräte werden exakt dargestellt und im Spiel möglichst realistisch eingesetzt. Die Opfer werden dabei laut Gieselmann nicht erwähnt, es fließt kein Blut, kein Leid wird transportiert, der Tod wird ausgeblendet.6 Die SpielerInnen sollen kein Mitleid mit dem klar definierten Feindbild haben. Hier stößt man auf das Paradoxon des virtualisierten Krieges, welches schon bei Baudrillard7 erwähnt wurde. Dabei geht es um die mediale Darstellung des Krieges, der die Opfer gänzlich ausblendet. Der Krieg wird zu einer virtuellen Simulation, man nimmt ihm den Schrecken, den Realitätsbezug.8 Während man sich in den Computerspielen bemüht, das Kriegsgerät möglichst realistisch und detailgenau darzustellen, versucht die militärische Zensur die realen Auswirkungen des Krieges auf die Bevölkerung zu verschleiern und zu verharmlosen. Dies geschieht in der medialen Kriegsberichterstattung genauso wie in den Kriegscomputerspielen. Kriegsspiele werden von den Militärs für ihre Kriegspropaganda eingesetzt. Genau hier setzt Gieselmann seine Kritik an Kriegscomputerspielen und Simulationen und ihre Behandlung durch die Medien und dem Jugendschutz an: Kriegsspiele werden von einer Zensur in der Regel ausgenommen, sobald das Pixelblut entfernt wird und Todesdarstellungen entschärft werden. Der Krieg scheint dann keine problematischen Auswirkungen auf die SpielerInnen zu haben. Inhaltliche Aspekte der Kriegsdarstellung werden nicht behandelt. Die Konsequenz daraus wäre laut Gieselmann, dass ein Krieg, der moralisch gerechtfertigt ist und das Sterben und den Tod ausblendet, für die KonsumentInnen unhinterfragt aufgenommen werden kann.9 Die Konfliktlösungsansätze, die die Militärsimulationen darstellen, sind dementsprechend einfach strukturiert. Dort, wo die Demokratie versagt, wird das Militär als einzig machtvolle Ordnungsinstanz dargestellt. Es wird ein Feindbild erstellt, welches die Rechtfertigung bietet, Gewalt anzuwenden, die Welt wird in Schwarz und Weiß geteilt. Problematisch wird diese Situation, wenn in der Realpolitik ebenfalls so verfahren wird. Somit rücken virtuelle Kriegssimulation und Realität näher zusammen. Passende Feindbilder legimitieren kriegerische Auseinandersetzungen, bei denen es in erster Linie um Ressourcen und Macht geht. Der Krieg verspricht Ordnung zu schaffen und gibt dem Bösen ein Gesicht, welches dadurch bekämpfbar und besiegbar wird. Durch das Ausblenden der Opfer beschränkt sich die Darstel-
5
Vgl. Gieselmann, H., Der virtuelle Krieg, S. 161-165.
6
Vgl. Ebda., S. 119-126.
7
Siehe S. 84ff.
8
Vgl. Gieselmann, H., Der virtuelle Krieg, S. 8-16.
9
Vgl. Ebda., S. 20-21.
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lung des Krieges auf das machtvolle Funktionieren der Kriegstechnik. Ebenso verleugnen Kriegsspiele am Computer die Opfer der virtuellen Kriege. Dies würde die Spielbegeisterung der meisten SpielerInnen stark mindern und ihnen die Lust am Spiel nehmen. Ich habe mich mit ComputerspielerInnen über die Kriegsdarstellungen in den Spielen unterhalten. Entsprechend der Präsentation der Spielwelt, wird nicht an die möglichen Opfer der virtuellen Kriegshandlungen gedacht: „[...] du kannst dich in eine ganz andere Welt hineinversetzen, das ist fast der größte Reiz. Es gibt soviel Möglichkeiten, fast wie im normalen Leben. Aber oft auch das, was du im normalen Leben nicht machen kannst, so wie bei „GTA“,10 zu einem „Kieberer“ [Polizist] hingehen und abdrücken, der ist dann weg [...]“ (Christian)
Die SpielerInnen passen sich der dargebotenen Spielwelt an, ohne sie kritisch zu hinterfragen, dies wäre dem Spielvergnügen abträglich. Wenn man beginnt, ein Spiel ernsthaft zu hinterfragen bzw. in Frage zu stellen, verliert es schnell seine schützende Sphäre des Spielhaften und damit die Abgrenzung zur Realität. Auch wenn die von mir befragten SpielerInnen in den dargestellten Spielwelten Propagandadarstellungen des Militärs erkennen können und diese auch kritisieren, sehen sie diese eher als vernachlässigbare Störungen der Spielwelt an. Wichtiger ist für sie ein gut präsentierter und spannender Kampf, der sie fordert, als mögliche Bedenken gegenüber einer kriegsverherrlichenden Darstellung. Die SpielerInnen meinen aber das virtuelle Spiel von der Realität unterscheiden zu können. Meine GesprächspartnerInnen befürworten daher keine realen Kriege und stehen der medialen Inszenierungen und Darstellungen von Kriegen kritisch gegenüber, sehen sich aber in ihrer Beschäftigung mit Kriegsspielen keiner wesentlichen medialen Beeinflussung ausgesetzt oder meinen diese beherrschen zu können. Für sie bleibt ein Spiel ein Spiel, auch wenn es kriegsverherrlichende Darstellungen enthält. T.L.: „Glaubst du, dass Computerspiele die Gewalt verharmlosen?“ Christian: „Auf jeden Fall,... ich weiß nicht, das ist Auslegungssache, kommt immer auf die Person drauf an, wie sie das verarbeitet. Wenn du das normal verarbeitest, solltest du eigentlich kein Problem mit den Spielen haben. [...] Du hörst schon viel von Leuten, die wegen irgendeinem Spiel auszucken. Leute, die dann wirklich jemanden umbringen. Bei gewissen Menschen wäre es dann besser, wenn sie keine Spiele spielen würden. [...] Es gibt schon viele Leute, viele arge Geschichten, das sind dann aber die falschen Leute, oder das falsche Spiel.“
10 „GTA (Grand Theft Auto)“ ist ein kontrovers diskutiertes Spiel, in dem SpielerInnen die Rolle von Gangstern übernehmen und gewissenlos Verbrechen begehen können.
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Es stellt sich aber die Frage, wie lange ein Spiel als solches erkennbar und ausgewiesen bleibt, streben doch viele EntwicklerInnen eine Art Fotorealismus bei Computerspielen an. Das heißt, die Spiele sollen möglichst echt wirken und kaum von der Realität zu unterscheiden sein. Damit suggerieren sie den Menschen aber dasselbe, was bereits in Nachrichtensendungen immer wieder betont wird: Es würde die Realität dargestellt werden. Dies ist eine höchst subjektiv gestaltete Realität, beeinflusst von den GeldgeberInnen und Machtpositionen, von denen die ProgrammgestalterInnen abhängig sind. Kriegssimulationen weisen sich immer weniger als Spiel und mehr als simulierte Realität aus. Wenn nun die SpielerInnen zum Schluss kommen, Spiele stellen die Realität im ähnlichen Maß wahrheitsgetreu dar, wie etablierte Nachrichtensendungen, dann könnten auch die Feindbilder und Moralvorstellungen der Spielwelten ungefiltert in die Realität transferiert werden. Für Hartmut Gieselmann ist dies ein Vorgang, der auf zumindest umgekehrtem Weg längst stattfindet. Populistische PolitikerInnen bedienen sich laut ihm der etablierten Hollywood-Rhetorik und klischeehaften Feindbildern und vermitteln scheinbar klare Lösungsstrategien, wie mit ihnen umzugehen ist. Ähnlich, wie in einem Computerspiel soll die Feinde sauber eliminiert werden. Probleme werden laut Gieselmann mit Waffengewalt gelöst, seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wird der Einsatz von Waffen als angemessenes Mittel zur Verteidigung der Zivilgesellschaft gesehen.11 Laut Gieselmann darf man sich nicht wundern, wenn dadurch der Eindruck für die Menschen entsteht, Probleme mit Waffengewalt lösen zu können. Kriege werden über die Medien wie ein Computerspiel präsentiert, es besteht die Möglichkeit, dass der reale Krieg assoziativ mit einem virtuellen Computerspiel gleichgesetzt wird. Computerkriegsspiele fordern von SpielerInnen kein empathisches Empfinden, dem virtuellen Krieg wird gleichgültig gegenüber gestanden. Die Gefahr besteht, dass dies auch dem realen Krieg gegenüber geschieht.12 Kriegsspiele tauschen laut Florian Rötzer fiktive Monster oder Aliens als dargestellte Feindbilder gegen reale politische Feindbilder aus und schaffen somit einen neuen Wirklichkeitsbezug. Florian Rötzer spricht von einer Politisierung des Computerspieles, welche die Tradition fortsetzt, Bilder und Symbole des Gegners zu zerstören. Besonders für jene Menschen, die in einer Konfliktregion leben und sich mit den dargestellten Feindbildern real identifizieren können, bzw. ihre eigene Bevölkerungsgruppe als Repräsentant im Spiel wiederfinden, werden diese Kriegsspiele kaum mehr als Spiel mit entsprechendem Spaß empfinden können.13 Vielmehr stellen die Kriegsspiele eine Provokation dar und schüren den Hass auf die
11 Vgl. Gieselmann, H., Der virtuelle Krieg, S. 162-164. 12 Vgl. Ebda., S. 164-165. 13 Vgl. Rötzer, F., Angst vor dem Neuen Medium, S. 17.
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Angehörigen jener Gesellschaft, aus der die Spielproduktion stammt. Diese Problematiken werden aber kaum in den Computerspielmagazinen erwähnt, geschweige denn sind sie ein Thema in der Politik, da sie institutioneller Natur sind und die herrschenden Diskurse vertreten. Kritik an Computerspielen konzentriert sich auf die äußere Darstellung von Gewalt, nicht auf die Bedenklichkeit der transportierten ideologischen Botschaften. Provozierend formuliert sind die Botschaften sehr oft im Sinne der politischen Macht und bedürfen keiner Korrektur bzw. Zensur. Krieg und Gewalt sind leider aktuelle Themen mit denen wir konfrontiert werden und wir uns auseinander setzen müssen. Ähnlich wie der Tod sind sie in der westlichen Welt aber auch Tabuthemen, vor denen wir uns schützen wollen. Der Humanmediziner El-Faddagh meint, dass gerade weil die Gewalt in der Öffentlichkeit ein Tabuthema ist, wird sie im Konkurrenzkampf um unsere Aufmerksamkeit eine entscheidende Ressource.14 Es ist für den Erfolg kommerzieller Produkte entscheidend, Aufmerksamkeit zu erregen. Nur dadurch können sie sich im dichten Angebot des Medienalltages durchsetzen und Verkaufserfolge erzielen. Mit Tabuthemen lassen sich besonders gute Erlöse erzielen, sie üben auf die konsumierenden Menschen eine eigenartige Mischung aus Reiz und Abscheu aus. Mit Hilfe der Medien können wir uns laut El-Faddagh ungehindert der Einfachheit des Gewaltaktes hingeben, ohne real involviert zu sein. Wir beobachten voyeuristisch gespannt und vor allem geschützt den Skandal, der durch einen Gewaltakt hervorgerufen wurde.15 Es herrscht offensichtlich eine Nachfrage nach gewaltintensiven Medieninhalten, nicht umsonst sind diese Themen in den Medien und allen voran den Computerspielen omnipräsent. Vor allem für Kinder und Jugendliche wird diese Präsenz zunehmend als Gefahr begriffen und oftmals als Auslöser für reale Gewaltausbrüche ausgemacht. Viele fordern daher ein Verbot von Gewalt- und Kriegsspielen bzw. Filmen, vergessen aber dabei, dass die Medien letztendlich nur unsere Realität widerspiegeln. Jens Wiemkens meint daher, dass es kaum möglich ist, die Gewalt und den Krieg von Kindern und Jugendlichen fern zu halten. Wenn Medien als Ursache für die gestiegene Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft verantwortlich gemacht werden, zieht er den umgekehrten Schluss: Aggression, Konkurrenz, Egoismus, Gewalt in der Familie, etc. sind Formen von realer Gewalt, welche Jugendliche und Kinder alltäglich erleben; Gewaltspiele sind seiner Meinung nach ein Symptom dieser Gewalt, ein Ausdruck reale Gewalt zu verarbeiten. Sie sind nicht die eigentliche Ursache, die zur Gewalt führt.16 Spiele sind demnach eine Möglichkeit Realität zu verarbeiten. Wie ich schon dargestellt habe, passt sich der Absatz-
14 Vgl. El-Faddagh, M., Gewalt ist eine Lösung – leider, S. 44. 15 Vgl. Ebda., S. 44. 16 Vgl. Wiemken, J., Hardliner. Zeit für Helden?, S. 62.
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markt für Kriegsspielzeuge und damit auch der Computerspiele mit kriegerischen Inhalten dem realen Zeitgeschehen an. In einer Zeit, in der uns tagtäglich Gewalt und Kriege einer globalisierten Welt ins Wohnzimmer geliefert werden, darf man sich über ihre Omnipräsenz in Computerspielen nicht wundern. Laut Pierre Bourdieu zeigen uns die Bilder im Fernsehen eine Katastrophe nach der anderen. Tragödien tauchen ohne Zusammenhang auf und werden ebenso schnell von anderen Unglücken verdrängt. Die Welt ist aus der Sicht der TVKonsumentInnen ein gefährlicher Ort voller Katastrophen. Dies schürt laut Bourdieu die Xenonphobien der Menschen und stärkt die Angst vor dem Fremden und dem Anderen. Die Welt ist laut ihm derart unbegreiflich und angsteinflößend geworden, dass nur mehr ein Rückzug in die Privatsphäre als Ausweg wahrgenommen wird.17 Wenn unsere Nachrichtensendungen in Hinblick auf den Sensationsjournalismus das Weltbild dermaßen vermitteln, ist die Beliebtheit von gewaltintensiven Spielen leicht zu verstehen. In den Spielen bekommt die/der FeindIn ein Gesicht, die xenophoben Ängste werden visualisiert und damit bekämpfbar gemacht. Das Böse, das Fremde und der/die Andere können besiegt werden. Damit werden die eigenen Ängste besiegt, dies schafft ein Gefühl der Befriedigung. Es geht also nicht nur darum, zu triumphieren und virtuelle GegnerInnen zu töten, vielmehr wird laut El-Faddagh auch die Angst verarbeitet, selbst getötet zu werden.18 Das Ausmaß dieser Ängste ist durch die ständigen Bedrohungen, die uns medial vermittelt werden, nicht zu unterschätzen. Der Pädagoge Jens Wiemken fasst den Reiz, den gewaltintensive Spiele auf Kinder und Jugendliche ausüben, zusammen: Dadurch, dass Computerspiele klar nach dem Schema Schwarz/Weiß; Gut und Böse aufgebaut sind, schaffen sie eine eindeutig definierte Welt. Für Wiemken sind dies Eindeutigkeiten, die im Leben der Jugendlichen nicht so einfach herzustellen sind. Bei den meisten Spielen wird der/die HeldIn angegriffen, der/die SpielerIn muss sich verteidigen, um überleben zu können. Damit ist moralisch das virtuelle Töten bereits als notwendig und richtig im Sinne einer Selbstverteidigung vorbestimmt und die SpielerInnen müssen ihr Tun nicht mehr hinterfragen.19 Kriege, die überall auf der Welt stattfinden, werden über Medien ins Wohnzimmer übermittelt. Dadurch wird der Krieg laut Wiemken zu etwas Alltäglichem, fast Normalem.20 Ähnlich den Computerspielen bleibt der Krieg aber auf den Fernseher beschränkt und gleicht damit der Erfahrung durch die Videospiele. Es wird den Kriegsopfern entsprechend wenig Mitleid und Empathie entgegen gebracht. Die Katastrophen verschwinden schnell aus dem Bewusstsein
17 Vgl. Bourdieu, P., Über das Fernsehen S. 138-139. 18 Vgl. El-Faddagh, M., Gewalt ist eine Lösung – leider, S. 48. 19 Vgl. Wiemken, J., Hardliner. Zeit für Helden?, S. 72-73. 20 Vgl. Ebda., S. 73.
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der Menschen. Laut Wiemken sind aber Kriege nicht nur über die Bildschirme allgegenwärtig und präsent, unsere ganze Gesellschaft ist von Kriegssymboliken geprägt. Kinder und Jugendliche sehen die Gewalt und die Kriege im Fernsehen, sie begreifen aber laut Wiemken auch die Fassungslosigkeit der Erwachsenen. Gewalt und Krieg werden in der Erziehung als Tabuthema behandelt, die Erziehungsberechtigten möchten auf die schwierigen Fragen der Jugendlichen keine Antwort geben. Somit bleibt laut Wiemken für viele Kinder und Jugendliche nur das Computerspiel, um sich mit Krieg und Gewalt auseinander zu setzen.21 Die Spiele vermitteln aber verzerrten Bilder des Krieges, in denen Opfer und Leid ausgeblendet werden. Ohne Kommunikation mit Eltern und Erziehungsberechtigten werden den jungen Menschen völlig falsche Bilder des Krieges geliefert und Gewalt als Lösungsansatz präsentiert. Spiele experimentieren mit gesellschaftlichen Tabuthemen, um real Undenkbares auszuprobieren. In der Fantasie gesellschaftlich Verbotenes ausleben zu können, ist ein wichtiger Bestandteil unseres menschlichen Daseins. Ein Vorgang, der seit jeher dem Spiel bzw. auch dem Schauspiel innewohnt. Nach Thomas Willmann löst das fiktive Töten einer virtuellen Figur in den SpielerInnen schon deshalb keine Empathie aus, da der Spielrahmen als abgeschlossene Einheit gewahrt bleibt. Für die SpielerInnen bleibt es grundsätzlich undenkbar, in der Realität jemanden zu töten.22 Computerspiele ermöglichen das Erleben von Gefahr, Gewalt, Krieg, Tod und Wiederauferstehung ohne real gefährdet zu sein. Das virtuelle Ausleben der Gewalt stellt einen Bruch mit gesellschaftlichen Konventionen dar und übt somit einen Reiz des Verbotenen auf die SpielerInnen aus. Durch eine Vielzahl von Versuchen kann der virtuelle Tod immer wieder besiegt und das Gefühl des „Überlebens“ bzw. „Wiederauferstehens“ beliebig oft ausgekostet werden. Natascha Adamowsky fasst die Faszination der besonders blutrünstigen Shooter „Doom“ und „Quake“ folgendermaßen zusammen: „Der besondere Reiz, der von ihnen [den Computerspielen] ausgeht, ist vielmehr universell und besteht in der simulierten Gefahr: Angst zu haben ist menschlich, Angst zu suchen aufregend, am Schönsten aber ist, die Angst zu überleben.“23
Deshalb tauchen in Computerspielen nach Adamowsky alle Arten von Monstern, Untoten, Bestien und dunklen Kreaturen auf. Durch ihren virtuellen Tod besiegen wir unsere inneren Ängste jedes Mal aufs Neue.24 Computerspiele sind ein kulturel-
21 Vgl. Ebda., S. 73-74. 22 Vgl. Willman, T., Death´s a Game, S. 136-142. 23 Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welten, S. 211. 24 Vgl. Ebda., S. 211.
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ler Ausdruck und damit abhängig von ihrer Zeit und Gesellschaft. Somit hat jede Zeit ihre ganz bestimmte Art von Computerspielen. War in den 1970er Jahren die ständige nukleare Bedrohung Hintergrund für viele Computerspielproduktionen, wird in den heutigen Spielen die Angst vor dem Terrorismus verarbeitet.25 Postapokalyptische Computerspiele, also Spiele deren Szenarien in einer Welt nach dem Atomkrieg oder einer biologischen Katastrophe spielen, setzen sich konkret mit den Zukunftsängsten der spielenden Menschen auseinander.26 Der/die gespielte HeldIn trotzt dem Chaos und dem Tod nach einer globalen Katastrophe, somit schaffen die Spiele auch für die Realität ein Bewusstsein, dass Menschen den nuklearen Fallout überleben können. Trotz allen Schreckens und Terrors gewinnen doch letztendlich die SpielerInnen. Eine Botschaft, die gerne von den Menschen aufgenommen wird. Aus diesem Aspekt heraus gesehen spielen SpielerInnen gewaltintensive Spiele nicht, weil sie sich an der dargestellten Gewalt erfreuen, bzw. diese real erleben oder selbst ausüben wollen, sondern weil die Spiele eine Form von Verarbeitungsmöglichkeiten bieten. Menschliche Urängste werden visualisiert und bekämpfbar gemacht. Ähnlich wie in den Mythen wird eine Möglichkeit gezeigt, wie das Schicksal überwunden werden kann, wie der Mensch Gewalt und Tod trotzt. Die Antwort auf die Gewalt, die einer Spielfigur droht, ist in den meisten Fällen allerdings Gegengewalt. Zwar wird in den Design-Settings fast immer die Spielfigur in Situationen gebracht, in denen nur mehr eine Gewaltlösung hilft und somit moralische Bedenken nicht zum Zuge kommen, doch bleibt diese Antwort vor allem in den Kriegsspielen und Shootern immer gleich. Diese Lösungsansätze sollten den SpielerInnen aber nicht als Vorbild für die reale Lebensführung dienen. Im Normalfall kennen die SpielerInnen nach Rainer Fromm die Grenze zwischen virtuellem Spiel und der Realität. Dies geschieht durch die unterschiedlichen Sinnzusammenhänge von Computerspiel und Realität. Allerdings können diese Grenzen durchlässig werden. Dann vor allem, wenn nach Fromm das reale soziale Zusam-
25 Vgl. Slovin, R. Hot Circuits, S. 138ff. 26 René, ein Gesprächspartner in Rahmen meiner Diplomarbeit, spielte leidenschaftlich gerne postapokalyptische Spiele, d.h. Spiele, in denen eine Umgebung nach einem nuklearen Weltkrieg simuliert wird. Er fürchtete sich schon in der Kindheit vor der Möglichkeit der totalen Zerstörung der Zivilisation durch einen Atomkrieg. Tief geprägt hat ihn der Film „Der Tag danach…“, der eindringlich die Auswirkungen einer nuklearen Katastrophe aufzeigt und ein ganz neues Bewusstsein für die reale Bedrohung schuf. Die Katastrophe von Tschernobyl verfestigte seine Ängste. Durch diese Art von Computerspielen konnte er sich diesen Ängsten stellen. Natürlich würde René niemals real eine nukleare Katastrophe erleben wollen, obwohl er sich in der virtuellen Welt begeistert mit ihr auseinander setzt und letztendlich im Spiel überwindet (Siehe dazu Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 56ff).
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menleben von Gewalt geprägt ist, wie bereits im Kapitel Computerspiele im gesellschaftlichen & medialen Diskurs über Gewaltdiskurse angeführt wurde. Für Rainer Fromm sind deshalb psychische Labilität, politischer Extremismus und realer Waffenbesitz sowie Gewalt im sozialen Nahbereich Hauptauslöser für Gewalttaten, weniger die Computerspiele selbst, auch wenn sie gewaltintensive Inhalte aufweisen.27 Der Spielforscher Jürgen Fritz geht davon aus, dass der Umgang mit einer realen Waffe, wie z.B. Sportschützen sie verwenden, weit prägender ist, als die virtuelle Steuerung eines Shooters. Es ist seiner Meinung nach kaum möglich sämtliche Computerspiele zu verbieten, die Gewaltaspekte beinhalten. Die Gewalt in den Spielen dient nach Jürgen Fritz im Normalfall als Immersionsfaktor und soll die Spannung steigern. Ein Spiel macht dadurch eine/n SpielerIn nicht automatisch zu einer/m gewalttätigen AmokläuferIn. Die entscheidende Frage ist aber für Jürgen Fritz, wie gespielt wird. Ist das Spiel ein sportlicher Wettbewerb, wie das bei den weltweiten digitalen Turnierveranstaltungen der Internet-Clan-Turniere der Fall ist, oder werden mit Hilfe des Spieles mögliche krankhafte Gewaltfantasien ausgelebt bzw. intensiviert.28 Sollte dies jedoch zutreffen, dann können Medien sehr wohl zum Auslöser von Katastrophen und Amokläufen werden. Es ist der gesellschaftliche Druck, die Ideologien und Erwartungen an die Menschen, sowie die konkreten sozialen Probleme, die Gewalttaten auslösen können. Dabei sind die sozialen Problematiken nicht milieuspezifisch zu denken, denn Gewaltausbrüche finden quer durch alle sozialen Bildungs- und Einkommensschichten statt, wie die Profile der Täter beweisen.29 Vielmehr geht es laut Hartmut Gieselmann um Kommunikationsprobleme und Strukturproblematiken im Gesellschaftssystem. Elternhäuser bieten laut ihm keine Rückzugsorte für Kinder und Jugendliche an, wo über Probleme reflektiert werden kann. In der Schule herrscht enormer Leistungsdruck, schnell wird jemand zum/r AußenseiterIn wenn er/sie die erwartete Leistung nicht erbringen kann. Das Scheitern wird in unserer Leistungsgesellschaft zu einer traumatischen Erfahrung. Nicht jeder Mensch kann die hohen Erwartungen an Flexibilität und Leistung erbringen, und selten gibt einem die Gesellschaft eine zweite Chance, ähnlich wie sie Computerspiele gewähren. Die Spiele können aber laut Gieselmann keine soziale Kompetenz vermitteln, da diese nur im Umgang mit realen Menschen zu erlernen ist.30 Die virtuelle Kommunikation ist für junge Menschen auf Dauer unzureichend, da sie zu beliebig und zu flüchtig ist. Zudem häufen sich vermehrt
27 Vgl. Fromm, R., Digital spielen- real morden?, S. 16. 28 Vgl. Krempl, St., Mord ist Sport im Spiel, S. 107-110. 29 2009 tötete Tim K. bei einem Amoklauf in Winnenden 15 Menschen und sich selbst. Er stammte aus gut situierten sozialen Verhältnissen. 30 Vgl. Gieselmann, H., Aktion Sauberer Bildschirm, S. 51-52.
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Beobachtungen, wo sich der reale soziale Druck im Internet fortpflanzt. Mittlerweile gehört speziell bei Jugendlichen Cyber-Mobbing zu Alltag. Dank „Facebook“ und „You Tube“ ist es ein leichtes, Menschen zu verunglimpfen, immer mehr Jugendliche sehen sich diesem „Terror der Öffentlichkeit“ ausgesetzt. Ist die Kommunikation mit den Eltern, LehrerInnen, MitschülerInnen usw. bereits gestört, kann der Computer zwar zu einem letzten Rückzugsgebiet für die SpielerInnen werden, ohne aber die realen Probleme wirklich lösen zu können. Gewalt- und kriegsverherrlichende Computerspiele können kaum von Jugendlichen ferngehalten werden. Umso wichtiger ist dabei der Dialog zwischen Eltern und Kindern, welcher die fragwürdigen Inhalte ansprechen sollte. Genauso muss über die Problematiken des Internet gesprochen werden und auf die Gefahren dieser neuen Öffentlichkeit hingewiesen werden. Wie ich aus meinen Gesprächen erfuhr, kümmerten sich die Eltern allerdings kaum um das Freizeitverhalten ihrer Kinder. Timo: „Meine Eltern haben zwar nachgefragt, was ich spiele, aber im Grunde war es ihnen egal. Sie haben zwar ihre Meinung geäußert, dass ihnen gewisse Spiele nicht gefallen, aber im Endeffekt haben sie nichts dagegen gesagt.“
Der Computer wird ähnlich dem Fernseher oft als Babysitter verwendet, die Erziehungsberechtigten sind froh, wenn ihre Kinder beschäftigt sind. Finanzieller Druck oder Karrierewünsche reduzieren die Zeit für die Kinderbetreuung enorm. Gespräche mit den Kindern sind zeitaufwendig und können nicht zwischen Tür und Angel stattfinden. Wie im Kapitel Computerspiele im gesellschaftlichen & medialen Diskurs bereits besprochen, werden Computerspiele innerhalb der Pädagogik nicht selten als heimliche Erzieher deklariert. Auch LehrerInnen an den Schulen haben kaum die Möglichkeit sich im notwendigen Ausmaß mit den SchülerInnen zu beschäftigen. Deshalb werden Alarmzeichen häufig zu spät erkannt oder ignoriert, was zu sozialen Katastrophen führen kann. Zudem entwickelt sich die Computerspieltechnik rasend schnell, viele Eltern können diese Entwicklung kaum nachvollziehen. Spielgeräte werden zwar als Geschenk gekauft, die gespielten Spiele jedoch nicht mehr kontrolliert. Natürlich sind die Eltern geschockt, wenn sie die aggressiven Spielinhalte bei den Computerspielen ihrer Kinder entdecken. Die Reaktionen sind dann meist Verbote der gewaltintensiven Spiele, eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema gemeinsam mit den Jugendlichen findet allerdings kaum statt. Der gewaltbetonende und kriegsverherrlichende Aspekt bei Computerspielen ist nicht zu vernachlässigen. Vorwiegend bei Ego-Shootern, Kriegssimulationen und strategiespielen zu erkennen, findet man ihn auch phasenweise bei herkömmlichen Computerspielen, wie Rollenspielen oder Abenteuerspielen. Ohne eine einseitige Stimulus-Reiz-These vertreten zu wollen, muss man dennoch die Bedeutungstransfers zwischen Medienbildern und Realität und umgekehrt berücksichtigen. Spiele sind Simulationen eines gefahrvollen, (anderen) Lebens ohne selbst Risiken einge-
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hen zu müssen. Es geht daher um gefahrvolle Spielsituationen, die wir in der Realität vermeiden würden. Die wenigsten würden in der Realität in die Haut eines mutigen, selbstlosen Soldaten oder eines unerschrockenen Rennfahrers schlüpfen wollen. Es genügt, die Lust auf Gefahr und Nervenkitzel virtuell erleben zu können. Dies erklärt auch die Faszination von Horror- oder Katastrophenfilmen. Es können Bedrohungen und Gefahren erlebt werden, mit dem Wissen, niemals wirklich davon betroffen zu sein. Gewissermaßen können sich die Menschen virtuell ihren Ängsten stellen. Andererseits bieten Spiele auch Abwechslung von einem langweiligen und möglicherweise frustrationsreichen Alltag. Bedenklich ist, wenn die gezeigten Medienbilder besonders von Kindern und Jugendlichen dahingehend rezipiert werden, um alltägliche Probleme zu kompensieren und zu vergessen. Die reizüberflutenden Bilder von Gefahr, Krieg und Action sind als Vorbildfunktion für die Lebensführung im Alltag kaum zu gebrauchen. Sie zeigen keine Lösungsmöglichkeiten für die Alltagsproblematiken auf. Diese werden dann verdrängt und in der Realität nicht mehr zur Sprache gebracht. Zudem repräsentieren gerade Kriegsspiele und auch Kriegsfilme als geförderte Produkte von Politik und Militär pseudomoralische Werte von Kampf und Ehre, die speziell von jungen Menschen unhinterfragt übernommen werden könnten.31 Laut Andreas Hepp verarbeiten Medien im Sinne der Cultural Studies Mythen und präsentieren binäre, oppositionelle Weltbilder. Die dargestellten Geschichten in Film, Fernsehen und Computerspielen stellen eine Welt dar, die aus dem Gleichgewicht geraten ist. Es obliegt nun der HeldInnen dieses Gleichgewicht wieder herzustellen. Die Geschichten sind laut Andreas Hepp aber nicht vom lebensweltlichen Alltag der Menschen losgekoppelt, sondern werden in der alltäglichen Lebenspraxis als Mythologien eingebaut und prägen somit alltägliches Denken, Handeln und Fühlen. Sie lösen seiner Meinung nach die tagtäglichen lebenspraktischen Widersprüchlichkeiten auf und geben durch ihre eindeutig definierten Welten von Gut und Böse sowie Schwarz und Weiß auf symbolische Art Erklärungen für das alltäglich Unerklärbare.32 Somit setzen sich die indoktrinierten Bilder dieses logischen dualen Schemas einer geteilten Welt im Denken der KonsumentInnen fest, da sie eine Vorbildwirkung für Handlungen und vereinfachte Lösungsmöglichkeiten für einen komplexen Alltag bieten. Es wird dadurch auch deutlich, wie manipulativ Medien angelegt werden können, um das Programm der Mächtigen transportieren zu können. Durch die Funktion der Mythen als Richtlinie in unsicheren Zeiten wird schnell deutlich, warum sich RealpolitikerInnen der einfachen Weltbilder und Dualismen bedienen: Man kann davon ausgehen, durch sie am schnellsten die gewünschte Ideologie zu verbreiten. Kriegscomputerspiele sind ein hervorragendes
31 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 132-133. 32 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies u. Medienanalyse, S. 131.
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Medium für den Transport dieser Botschaften, ähnlich der Filme bzw. unseren täglichen Nachrichten. Es muss aber hervorgehoben werden, dass die kommunizierten Inhalte von den RezipientInnen nach ihrer individuellen Lesart angeeignet werden. Dies bedeutet ein nicht zwingend vorhersehbares Ausverhandeln der Medieninhalten, die von den Menschen im Sinne ihres lokalen Alltagkontextes verstehend integriert werden. Die Medientexte können wie bereits angesprochen, durchaus Bedeutungspotentiale erschließen, die konträr der ursprünglichen Intention verlaufen. Laut Andreas Hepp müssen sie somit nicht zu einer determinierenden Alltagsideologie werden. Dies gibt für ihn berechtigte Hoffnung, dass die Menschen nicht unweigerlich einer Medienideologie ausgeliefert sind.33 Zusammenfassung In den Ergebnissen meiner empirischen Studien über spielende Menschen spiegeln sich zum Teil die Ergebnisse vorhergehender Forschungen in Bezug auf die Medienwirkung gewaltintensiver Spielinhalte wider. Wie bereits Gieselmann34 das Ausblenden der Opfer bei virtuellen Kriegsdarstellungen aufzeigte, reflektieren auch meine Gesprächspartner nicht kritisch auf die verharmlosten Darstellungen von Gewalt an virtuellen Spielfiguren. Für sie ist es selbstverständlich, die virtuellen, als Feinde definierten GegnerInnen unhinterfragt zu töten. Ein klar positioniertes Feindbild,35 wie Gieselman darstellt, legitimiert auch für die befragten Spieler den Krieg und Gewalt gegen die virtuelle Figur. Entgegen den Studien des KFN (Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen)36 sehe ich bei meinen untersuchten Personen keine direkten Einwirkungen der medialen Gewalt im Sinne einer Aggressionssteigerung. Die von mir befragten Spieler können zwischen Realität und virtueller Gewalt unterscheiden. Wichtig erscheint mir aber dabei, dass die befragten Personen im realen sozialen Umfeld keine Gewalt ausüben und auch keiner Gewalt ausgesetzt sind. So wie Wiemken im Interview mit Rainer Fromm darstellt, bestätigt es auch meine Untersuchung: Gewaltintensive Spiele sind nicht die Ursache für Gewalt, sondern als Medium Ausdruck und Spiegel für die reale Gewalt in der Gesellschaft. Zudem beschäftigte sich keine der befragten Personen
33 Vgl. Ebda., S. 132. 34 Vgl. Gieselmann, H., Der virtuelle Krieg, S. 8-24. 35 Vgl. Ebda., S. 16ff. 36 Siehe dazu Rehbein, F., Kleimann, M. & Mössle, T.: Computerspielabhängigkeit im Kindes- und Jugendalter, 2009 (http://www.kfn.de/Publikationen/KFN-Forschungsberichte.htm), 10.10.2012 und Baier, D., Pfeiffer, C., Rabold, S., Simonson, J. & Kappes, C.: Kinder und Jugendliche in Deutschland: Gewalterfahrungen, Integration, Medienkonsum, 2010 (http://www.kfn.de/Publikationen/KFN-Forschungsberichte.htm, 10.10.2012).
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im herkömmlichen Alltag mit echten Waffen oder war Schütze in einem Sportverein. Bisherige Studien über Gewalttaten verwiesen im Bezug dazu auf einen expliziten Zusammenhang zwischen der Affinität zum realen Waffenbesitz bzw. den Zugang zu Waffen und den Ausbruch von Gewalttaten.37 So wie Jürgen Fritz im Interview mit Stefan Krempl zurecht beschreibt, ist es eine Frage, wie gespielt wird.38 Für Alex, der früher begeistert und intensiv Clan-Turniere bestritt, sind Shooter-Spiele ein Mittel zur sportlichen Auseinandersetzung und des Wettkampfes mit anderen SpielerInnen. Dabei geht es nicht um das Ausleben von Gewaltfantasien. Wie meine Forschung bestätigt, sind gewaltintensive Computerspiele auch eine Möglichkeit zur Verarbeitung von Ängsten und geben den SpielerInnen die Möglichkeit, ungefährdet Gefahren zu trotzen.39 Genau diese Möglichkeit nutzte z.B. René aus und stellt sich seinen Ängsten vor einer nuklearen Katastrophe. Spiele eröffnen aber auch die Möglichkeit mit gesellschaftlichen Konventionen zu brechen und üben Reize des Verbotenen aus.40 So wie Christian ein Spiel beschreibt, wo er einen Polizisten erschießt, bestätigt er den Reiz, in Spielen Verbotenes, Gefährliches oder auch Verrücktes unternehmen zu können. Meine Ergebnisse stellen allerdings klar, dass dies nicht bedeutet, dass solche virtuellen Gewaltakte bzw. der Wunsch ihrer Ausführung in die Realität der untersuchten Spieler transferiert werden.
M YTHEN UND M ÄRCHEN Film, Fernsehen und schließlich Computerspiele haben gegenüber gedruckten Medientexten oder dem Radio einen entscheidenden Vorteil: Sie vermitteln über ihre Visualisierung eine neue Form der Unmittelbarkeit, ein Gefühl des „Dabei Seins“ und letztendlich einen gesteigerten Grad scheinbarer Authentizität. Wir glauben den Bildern, die uns präsentiert werden. Der Sehsinn dominiert heute gegenüber den anderen Wahrnehmungsweisen. Mit der Erfindung des Gutenbergschen Buchdrucks schienen zunächst die magischen und mythischen Bilderwelten ausgedient zu haben und einer rationalen Informationsvermittlung zu weichen. Wie ich aber bereits an Hand der Ausführungen von Vilem Flusser41 dargestellt habe, strebt unsere Kultur
37 Vgl. Fromm, R., Digital spielen – real morden?, S. 16. 38 Vgl. Krempl, St., Mord ist Sport im Spiel, S. 107. 39 Siehe dazu: Wiemken, J., Hardliner. Zeit für Helden? S. 72-74, Willman, T., Death´s a Game, S. 136-142, und Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welten, S. 211. 40 Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welten, S. 211. 41 Siehe S. 53ff.
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mit Hilfe der Digitalisierung der magischen Bilderwelten nun wieder in Richtung einer visuellen Wahrnehmungsdominanz. Die Bilderflut wird jedoch nicht kritisch hinterfragt, sondern bereitwillig aufgenommen. Sie bedient unsere Bedürfnisse nach dem Magischen. Wie Christa von Braun ausführt, heißt dies nicht, dass das gedruckte Wort verschwindet. Jahr für Jahr steigt Zahl der publizierten Artikel und gedruckten Bücher. Allerdings ortet sie eine Transformierung der Medientexte, eine magische Aufladung der Informationen, dem Sehsinn gerecht visuell aufbereitet. Die heutige Schrift ist verbildlicht, technische Bilder sind visuell gewordene Schriftzeichen. Während die herkömmliche Schrift mit ihrem Alphabet laut Braun eine Abstraktion vom Sichtbaren voraussetzt, wird durch die modernen digitalen Medien als Bildträger diese Abstraktion wieder aufgehoben. Seit der Erfindung der Fotografie sind somit die technischen Bilder als Bild gewordene Schrift zu begreifen, die Dominanz des Sehens nimmt nach Christa v. Braun zu.42 Medienbilder beeinflussen die Menschen und manifestieren sich durch die Rezeption und Reproduktion der KonsumentInnen im Denken und Handeln. Dadurch wohnt ihnen eine ungeheure gesellschaftliche Macht inne. Außerdem können sie Ideale und Diskurse der gesellschaftlich dominanten Kräfte verbreiten. Dies gilt, wie schon bei Bourdieu und Postman erörtert,43 für Nachrichten und Dokumentationen, welche die „Realität“ widerspiegeln wollen, als auch für fiktionale Medienprodukte, wie Computerspiele. Diese nutzen die Sehdominanz der KonsumentInnen aus und verweben in ihren Darstellungsformen Mythen und Magie zu einem visuellen Medienkomplex, der tiefe und oft verborgene Wünsche und Sehnsüchte bei SpielerInnen anspricht. Die Spiele arbeiten mit archetypischen Heldenbilder und Figuren, die aus einem kollektiven gesellschaftlichen Gedächtnis transformiert werden. Sie bedienen sich der bekannten Epen, Märchen und Sagen der Welt und bauen auf die großen Mythen der Menschheit auf. Computerspiele stellen virtuelle Scheinwelten dar, die von der gewohnten Alltagsumgebung gänzlich verschieden sind. In Computerspielwelten gibt es Magie und Abenteuer, sie werden von seltsamen Kreaturen, edlen Geschöpfen und auch Menschen bevölkert. Die Hintergrundgeschichten stammen aus Film und Literaturvorlagen, oder werden von den SpielentwicklerInnen neu geschaffen. Viele Computerrollenspiele verwenden die im Kapitel Computerspielgattungen bereits vorgestellte Vorlagen aus der „Forgotten Realms“-Welt mit dem „AD&D-Regelwerk“. Diese Welten sind meist genau beschrieben und festgelegt, die AbenteurerInnen müssen sich in ihnen zurechtfinden können und wissen, nach welchen Regeln sich die Geschöpfe in der Welt verhalten. Die „Vergessenen Reiche“ sind eine der beliebtesten und weit verbreitetesten Fantasy-Welten in diesem Bereich. Bücher,
42 Vgl. Braun, Ch., Die Visualisierung des Unsichtbaren Geschlechts, S. 12-14. 43 Siehe S. 55ff.
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Brettspiele, „Pen&Paper“-Rollenspiele, Comics, Filme etc. und nicht zuletzt Computerrollenspiele verwenden diese Welt als Hintergrund. Millionen Menschen beschäftigen sich weltweit mit solchen oder ähnlichen Fantasiewelten, die alle gemeinsame Züge zeigen und meistens eine deutliche Ähnlichkeit zu Tolkiens´ Mittelerde44 aufweisen. Martin: „ Bei „WOW“ ist es toll, wieviel verschiedene Gebiete es gibt. Da gibt’s die verdorrten Lande, mit allem was dazu gehört, ein Wüstengebiet. Aber auch Dschungel und Urwald. Hügelgebiete und große Gebirge. Schneegebiete, es kommt wirklich alles drinnen vor. Das ist ein Wahnsinn.“
Ähnlich der „AD&D“-Reihe beruht auch die ebenfalls weit verbreitete „Warhammer Serie“ ursprünglich auf einem „Tabletop“ Brettspiel.45 Auch diese Serie existiert mittlerweile als Online-Rollenspiel im Stile von „World of Warcraft“. Gemeinsam sind diesen großen Spielreihen umfassende, detailliert ausgeführte Spielszenarien, die weit über das Computerspiel selbst hinausgehen. Neben den Fanprodukten gibt es zahlreiche Begleitromane und Internetportale, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Meine GesprächspartnerInnen wiesen ausdrücklich darauf hin, wie wichtig ihnen das gesamte Spielumfeld ist. Sehr beliebt waren z.B. die Romane über die HeldInnenfiguren aus der „AD&D“Spielwelt, die Abenteuer erzählen, die zwar in den Spielen nicht vorkommen, aber dennoch an die Spielwelt andocken. T.L.: „Was gefällt dir bei „WOW“ so gut?“ Alex: „Die Zeit, die Fantasy-Welt. Ich lese gerne und viele Fantasy-Bücher. Wenn ich Zeit hätte, würde ich mehrere Bücher pro Tag lesen. Ich lese gerne Bücher, die als Hintergrundgeschichten zu den Spielen dienen, wie zum Beispiel die „AD&D“-Bücher. Die Autoren nehmen die Spielfiguren her und schreiben spannende Geschichten über die Figuren. Die Geschichten und die Zeit, über die geschrieben wird, sind faszinierend, und der Hauptgrund, weshalb mir das gefällt.“
44 Der „Herr der Ringe“-Roman von Tolkien spielt in dieser Fantasiewelt. 45 Auf „Tabletop“-Brettspielen können Fantasieschlachten mit Figuren und Fahrzeugbausätzen ausgetragen werden. „Warhammer“ ist bekannt für seine Vielzahl von Merchandising-Produkten. Die Figuren und Fahrzeuge dieser fiktiven Welten gelten als Sammlerobjekte und werden mit Hilfe von Modellbausätzen gefertigt und in liebevoller Arbeit bemalt. Natürlich fand das „Warhammer“-Universum schon längst seinen Weg in die Computerspiele.
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Jede simulierte Computerspielwelt, die Geschichten erzählen will, bzw. bei der SpielerInnen aufgefordert werden, selbst Teil der Geschichte zu werden bzw. sie zu schreiben, verarbeitet alte und moderne Mythen. Neben den bekannten Märchen, Epen und Sagen, die in Fantasy-Spielen auftauchen, spiegeln auch andere Spielesettings diese in versteckter moderner Form wider. Kriegsspiele z.B. leben vom Heldenmythos; Spiele, die im zweiten Weltkrieg angesiedelt sind, machen das absolut Böse in Form der Nazis bekämpfbar, ähnlich den heutigen Kriegsspielen, die den Kampf gegen den Terrorismus darstellen. Horrorspiele bedienen sich unserer Furcht, während Spiele, die in der Zukunft angesiedelt sind, die Magie der Technik zelebrieren. Zentraler Punkt für diese Betrachtung der computergenerierten Welten bleibt aber der Faktor der Erzählung, auch wenn sie nur peripher angedeutet wird, wie etwa in einem Action-Shooter. Abstrakte Denk-, Logik- und Strategiespiele, wie etwa „Tetris“ oder ein Schachspiel sind nicht geeignet Mythen zu transportieren. Ähnlich verhält es sich mit dem Großteil der Sportspiele, wobei hier der Mythos des Gewinners dennoch erhalten bleibt. Mittelalterlich inspirierte Spielwelten stellen Räume dar, in der es keine Technik gibt und auch keine Annehmlichkeiten, die die Technik mitbringt. Eine Welt, in der wir heute kaum überleben könnten. Sie spiegeln durchaus veraltete und konservative Wertvorstellungen wider. Wir nutzen den Computer als absolut konträres, hochtechnisches Medium dazu, diese archaischen Welten zu betreten. Computerspiele sind eine moderne, aktuelle Form erzählter Märchen und Mythen. Es tauchen die ähnlichen Figuren und Geschichten von Drachen, Hexen, Elfen und mutigen HeldInnen auf. Die Spiele beinhalten den überlieferten Märchenschatz, der sich schon von Kindheit an bei uns eingeprägt hat.46 Alte, allgemeingültige und bekannte Mythen werden immer wieder neu verarbeitet und über die Populärkultur verbreitet. Der Philosoph Harald Friedl bestätigt dies folgenderweise: „Ein traditionsreiches Mythenrepertoire überlebt die sich wandelnden ökonomischen Bedingungen“.47
Oder, wie Wolfgang Schindler formuliert: „Computerspiele haben eine mythische Dimension, d.h. sie verdichten Erfahrungen, heben sie aus der alltäglichen Welt und siedeln sie in einem zeitlosen, allgemein menschlichen Raum an. Das haben sie mit Märchen gemeinsam […]. Mythen erklären die Welt, und zwar nicht aus einer rationalistischen Perspektive, sondern aus einer symbolischen.“48
46 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 59-60. 47 Friedl, H., Die zahme Anarchie des Abenteu(r)er’s, S. 11. 48 Schindler, W., Doomes Zeug. Fragwürdige Computerspiele, S. 36.
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Tolkien verwendete z.B. als Vorlage für sein Monumental-Epos „Der Herr der Ringe“ alte englische und keltische Sagen und Erzählvorlagen. Moderne Computer Fantasy-Spiele benutzen nun vermehrt seine Interpretationen für die Darstellung mystischer Figuren und Szenarien oder greifen auf ältere Variationen germanischen bzw. auch antiken Sagengutes zurück. ComputerspielprogrammiererInnen können davon ausgehen, dass die mythischen Figuren und Welten im Erfahrungsschatz ihrer Zielgruppen verankert sind. 49 Heike Jestram meint ähnliches über den Film: „Filme entstehen nicht aus dem Nichts, sondern sie sind vom Wissen und den Erfahrungen, aber auch den Phantasien und Ängsten derjenigen geprägt, die sie machen.“50
Dies gilt selbstverständlich auch für die EntwicklerInnen der Computerspiele und ihre RezipientInnen. Viele fiktive Fantasiewelten gleichen dem historischen Mittelalter. Diese Zeitepoche wird heute ebenso verklärt, wie die Fantasiegeschichten aus Märchen und Sagen. Das Mittelalter ist für uns fremd und mythisch aufgeladen. Deshalb fügen sich die Fantasiefiguren perfekt in unserer Vorstellung einer mittelalterlichen Welt mit Burgen und Schlössern, Rittern und Helden ein. Das Bild unserer realen vergangenen Welt vermischt sich somit mit den Mythenbildern aus der Märchen- und Sagenwelt. Als ich mit einem meiner Gesprächspartner über Mittelalter und Vergangenheit sprach, drang die Vorstellung durch, dass die Spiele wohl tatsächlich Vergangenes simulieren, bzw. eine Welt darstellen, wie sie früher einmal existiert haben mag: T.L: „Hast du eine Beziehung zu den Symbolen, die in den Spielen vorkommen, die Zaubersprüche, das Magische? Timo: „Zu den Symbolen selbst nicht.[...] Ich weiss aber wie gut die Zwerge beim Kämpfen sind, auf was es bei der Auswahl er einzelnen Charaktere ankommt [...] ob die eher naturnahe sind, Druiden oder so Sachen. [...] So wie die Mönche, die sind eher Faustkämpfer, gibst du ihnen Waffen, dann verlieren sie alle ihre Angriffswerte, da sie mit den Waffen nicht umgehen können. Es gibt sicher Parallelen zur Vergangenheit in der realen Welt, zum Beispiel zu den Druiden, aber ob das dann wirklich so war...?“
Diese Vermischung von Realität und Fiktion verwundert umso weniger, da das Geschichtsbild wesentlich stärker von fiktionalen Filmen und nun auch Computerspielen verbreitet und geprägt wird, als durch Wissensvermittlung. Dadurch wird eine ganz neue Form vermeintlicher Wahrheit transportiert, die wohl recht wenig mit den tatsächlichen historischen Gegebenheiten zu tun hat. Mystische Bilder
49 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 60. 50 Jestram, H., Mythen, Monster und Maschinen, S. 8.
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wecken eine romantische, verklärte Sehnsucht für Gegenden und Landschaften, die sich in der hochtechnisierten Gesellschaft kaum noch finden und ein Gegenbild zur realen Alltagsumgebung darstellen. Martin: „Ich mag die mittelalterlichen Landschaften. Die faszinieren mich einfach. Ganz anders als der Alltag. Du bist in einer Gilde, kannst gemeinsam alles machen. Es gibt so viele Zaubersprüche, die du erlernen kannst. Du kämpfst mit speziellen verzauberten Waffen gegen Drachen und erforscht mit deinen Freunden die Gegend.“
Eine große Rolle in mittelalterlich inspirierten Fantasiewelten spielt die Magie. Für Fans dieser Spielwelten ist das Fehlen der Technik ein wichtiger Faktor dieser Szenarien. Allerdings wird das Technische durch das Magische ersetzt, eine Reversion zum alltäglichen Leben. Deshalb faszinieren im ähnlichen Ausmaße durchaus auch Science-Fiction und Zukunftsszenarien, welche die Magie in den ungeahnten technischen Möglichkeiten verbergen und somit z.B. Reisen zu den Sternen oder auch Cyberspace-Visionen ermöglichen. Auch für unsere gegenwärtige Gesellschaft gibt es genügend Anhaltspunkte, dass wir verloren geglaubte Magie durch Technikenthusiasmus und Fortschrittsglauben kompensieren versuchen. Hier findet man eines jener postmodernen Paradoxon wieder: Man benötigt moderne technische Maschinen, um die mystische Welten betreten zu können. Die Menschen fühlen sich in der hochtechnisierten, bürokratisierten gegenwärtigen Gesellschaft nicht wohl. Nun benötigen wir aber genau jene Geräte, die für unseren gegenwärtigen Zustand verantwortlich sind, um diesem Unbehagen mit Hilfe der Computerspiele temporär zu entfliehen.51 Wie bereits erwähnt, verschwindet das Technische allerdings nicht in der Fantasy-Welt. Es taucht in Form des Magischen und Mystischen wieder auf, die Magie wird Ersatz und Stellvertreter für die Technik. Umgekehrt wird die Technik in unserer hochtechnisierten, aufgeklärten und säkularisierten Gesellschaft wieder zur Magie. Denn für uns sind heute viele technische Vorgänge unverständlich, sie werden aber nicht mehr hinterfragt. Wir glauben an ihr Funktionieren und vertrauen der Technik, die uns allerdings fremd und unverständlich erscheint. Wir bewundern moderne Maschinen und Geräte, als seien sie künstliche, magische Artefakte. Umgekehrt wird die Magie im Computerspiel gezielt und berechenbar eingesetzt. Ähnlich den technischen Geräten in der realen Welt, wird Magie zur Fortbewegung, Heilung, zum Kampf, etc. im Spiel verwendet. Das Magische trägt damit rationale Züge und ersetzt oft nur gewohnte technische Hilfsmittel. Im Alltag wiederum, wie bereits weiter oben angeführt, verstehen wir unsere technische Umwelt nicht mehr und die rationale Technik wird als irrational und magisch empfunden. Man findet in
51 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 61.
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der Postmoderne somit die Gleichzeitigkeit von eigentlich Gegensätzlichem, also Ungleichzeitigem, von Magie und Technik, wie wir u.a. anhand der Computerspiele beobachten können.52 Die Spiele unterwerfen sich, egal wie magisch, verklärt und vormodern ihre Darstellungsweisen inhaltlich auch seien mögen, den Regeln und Gesetzmäßigkeiten der gegenwärtigen realen Welt. Der Rollenspielautor Peter Kathe meint dazu: „Auch Fantasiewelten benötigen Naturgesetze. Und zwar als feste Planungsgrundlage für das Verhalten von Spielfiguren. [...] Die Naturgesetze einer Spielwelt sind größtenteils ähnlich denen, die in der Wirklichkeit gelten. Sie dürfen auch nicht allzu verschieden sein, um den realen Erfahrungshorizont der Teilnehmer einzubeziehen und ein flüssiges Spiel zu gewährleisten.“53
Ein Element, das die Computerspielwelten mit der realen Welt verbindet, sind die exakten Regeln und Gesetze, die aufgestellt werden, um eine Spielwelt für alle SpielerInnen verbindlich zu gestalten. Die Fantasiewelten brauchen immer einen Bezug zu jenen Welten, die die SpielerInnen bereits erfahren haben und bedienen sich deshalb des real vorhandenen Erfahrungsgutes der Populärkultur. Spielwelt und Handlungen der Spielcharaktere sind genauen Gesetzmäßigkeiten unterworfen und müssen von den SpielerInnen verstanden und akzeptiert werden. Peter Kathe sieht in Computerspielen ein typisches Beispiel für eine mechanistische Weltsicht. Sämtliche Eigenschaften der Charaktere und beinahe die gesamte Spielwelt kann in Zahlen ausgedrückt werden. Die Welt wird dadurch für die SpielerInnen beherrschbar und berechenbar, Zufälle werden ausgeschlossen, bzw. mit Hilfe einer statistischen Quote simuliert.54 Der Computer berechnet die Abläufe im Spielverlauf, z.B. die stattfindenden Kämpfe zwischen den Spielfiguren. Er vergleicht die Charaktereigenschaften der Spielerfiguren und ihre Stärke mit den gegnerischen Figuren und ermittelt dadurch die Ergebnisse der Konfrontationen. Letztendlich ist das Gelingen in einem Computerspiel kein zufälliger Akt, sondern ein genau simulierter Rechenvorgang, der mit Hilfe unterschiedlicher Variablen entsprechende Ergebnisse liefert.55 Somit stehen die Spiele als hochtechnisches Produkt im paradoxen Kontrast zu den Wünschen und Bedürfnissen der SpielerInnen. Erfolgreiche Spiele schaffen es aber, den SpielerInnen ihre wahre technische Natur zu verschleiern. Auf der anderen Seite ermöglicht die Berechenbarkeit der simulierten Spielwelt auch eine gewis-
52 Vgl. Ebda., S. 61. 53 Kathe, P., Struktur und Funktion von Fantasy-Rollenspielen, S.138. 54 Vgl. Ebda., S. 138. 55 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 62-63.
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se Entlastung für die SpielerInnen. Sie schafft Ordnung in einer Spielwelt, in der die SpielerInnen den Überblick und vor allem die Kontrolle haben. Handlungen und ihre Konsequenzen werden voraussehbar und können aber auch rückgängig gemacht werden. Dies gibt den SpielerInnen ein Gefühl der Macht gegenüber der Ohnmacht des Alltags. Dadurch bedienen Computerspiele auch die Grundbedürfnisse nach Macht, Ordnung, Sicherheit und Kontrolle und stellen die SpielerInnen in diesem Zusammenhang als aktive Subjekte dar.56 Selbst in mystischen FantasyComputerspielen finden sich Strukturen der gegenwärtigen postmodernen Gesellschaft. Fantasy, Science-Fiction und magische Welten (als Beispiel verweise ich auf den Erfolg der Verfilmungen von „Der Herr der Ringe“ oder der „Harry Potter“Romane und die darauf folgende Flut an Fantasy-Filmen, Spielen und Literatur) entspricht einer postmodernen Sehnsucht nach Romantik, Gemeinschaft und Heimat. Dieses Verlangen nach anderen Welten und mythischen Geschichten haben die ProduzentInnen von medialen Fantasy-Produktionen erkannt und geschickt ausgenutzt. Die epischen Geschichten werden vermarktet und für den Massenmarkt tauglich produziert. Sie binden große und immer aktuelle Themen der Menschheit ein, die unser Mythenrepertoire prägen. In unserer technischen Umwelt fehlt es an Magie, Gemeinschaft und auch an einer gewissen Form von Spiritualität, wie die unzähligen esoterischen Bewegungen beweisen.57 Wie bereits im Kapitel Computer und Computerspiele als kultureller Ausdruck die Rede war, lassen die Visionen des Cyberspace eine Suche nach Spiritualität und Magie erkennen. Der von Mörtenböck gelieferte Hinweis auf die Ähnlichkeiten der Weltsicht von Cyberspace und Mittelalter ist in diesem Zusammenhang ein interessantes Phänomen, welches das Spielen von fantastischen und mystischen Computerspielen in einem neuen Licht erscheinen lässt.58 Computerspielgenerierte Fantasiewelten sind durchwegs mit spirituellen und religiösen Symbolen ausgestattet, die einerseits erfunden sind, oder aus realen Religionen übernommen wurden. Es finden sich hier keltische Kreuze, ägyptische Ankhs, Druidenfüße, Pentagramme, usw. wieder. Gewisse Spiele weisen ganze Götterwelten auf, ähnlich wie bereits Tolkien sein Werk mit einer umfassenden Metamythologie ausgestattet hat.59 Die religiösen Symbole sind Versatzstücke mythischer Überlieferung und intensivieren das Spielerleben.
56 Vgl. Lackner, T., Scheinbar: Virtualität und Computerspiele, S. 34. 57 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 63. 58 Siehe S. 95ff. 59 Tolkien hat für seinen „Herr der Ringe“-Epos eine komplexe Schöpfungsgeschichte und Göttermythologie entwickelt. Ähnliches gibt es auch im Regelwerk der „AD&D“-Serie oder in der Welt des „Schwarzen Auges“.
178 | C OMPUTERSPIEL UND L EBENSWELT Christian: „Mir taugen die Fantasiewelten. Da ist alles stimmig, mit den Symbolen und der Magie, da passt alles zusammen. Wenn ich will kann ich im Spiel die ganze Religion nachlesen, muss aber nicht. Ich spiele gern einen Paladin, einen magischen göttlichen Krieger. Für das Spiel finde ich das super, sonst hab ich eigentlich mit irgendwelchen Religions-Sachen nix zu tun.“
Jedoch können Fantasy-Computerspiele kaum religiöse Impulse in die Realität transferieren. Dazu sind die religiösen Versatzstücke zu beliebig aneinandergereiht, keine reale religiöse Ideologie steht hinter dem virtuellen Spielprodukt. Religion bzw. Religiosität kann nicht mit Hilfe eines Computerspieles betrieben werden. Anders würde es sich verhalten, wenn reale Religionsgemeinschaften bzw. Sekten mit Hilfe der Spielebranche versuchen würden, religiöse Vorstellungen und gewünschte Bilder durch Computerspiele zu vermitteln. Sie könnten das Medium Computerspiel ähnlich benutzen, wie im anglo-amerikanischen Raum das Fernsehen als Möglichkeit der TV-Missionierung verwendet wird. Die erfunden Mythen und Religionen in den Spielen steigern das Spielerlebnis und die Atmosphäre. Es geht von der virtuellen Mystik eine nicht unerhebliche Faszinationskraft aus, ohne dass an die virtuelle Götterwelt wirklich geglaubt wird. Die SpielerInnen wissen um den fiktiven Charakter der Mythologien Bescheid. Der Theologe Tilman Knopf meint in diesem Zusammenhang: „Offenbar haben gerade Jugendliche religiöse Bedürfnisse, die weder durch die säkularisierte Gesellschaft noch durch eine weitgehend „entmythologisierte“ christliche Religion gedeckt werden. Hier bieten Fantasy-Rollenspiele eine Art Ersatzbefriedigungsmöglichkeit.“60
Computerspiele bieten dafür ein virtuell angedeutetes mythisches Erleben und Erfahren. Das Bedürfnis nach Mythen und Mystik ist evident und den Menschen meist nicht bewusst. Die christliche Kirche kann diese Bedürfnisse kaum mehr erfüllen, dazu ist sie bereits zu sehr entmythologisiert. Die Spiele können zumindest andeutungsweise mythologische Erwartungen virtuell erfüllen, ohne dass die SpielerInnen bewusst religiöse Handlungen vornehmen oder ihre Lebensweise dahingehend verändern müssen. Mit der Ausübung einer Religion, oder der Gefahr einem Sektenwesen zu erliegen, kann Computerspielen nicht in Beziehung gesetzt werden, obwohl ja genau dies ein häufiger Vorwurf vor allen von christlicher Seite gegenüber Computerspielen ist. Dazu sind die religiösen Elemente zu beliebig und nur als Begleitelement zur Unterstützung der Spieltiefe ausgewählt. Jedoch erkennen die Entwicklerfirmen diese unerfüllten Bedürfnisse im spirituellen und religiösen Be-
60 Knopf, T., Fantasy-Rollenspiele, Kap. 5, S. 12.
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reich und nutzen sie für die Gestaltung der Spiele.61 Die spirituellen und mystischen Elemente der Computerspiele reichen aber nicht für einen tiefgreifenden Wandel der inneren Spiritualität. Dazu müssen die Menschen in realen religiösen Verbänden eingebunden werden. Auch Florian Rötzer sieht in der Religiosität ein Gesamtkunstwerk, in dem Körper und Geist der Menschen verflochten sind und mit dem die virtuellen Welten kaum konkurrieren können.62 Heute können mit Hilfe der modernen Computertechnologie beeindruckende visuelle Bilder der virtuellen Fantasiewelten dargestellt werden. Trotzdem bieten allen voran Rollenspiele und Abenteuerspiele noch viele Möglichkeiten, sich die Spielwelten und Handlungsgeschichten zu „erlesen“. Für meine Interviewpartner ist eine möglichst glaubwürdige Darstellung der Spielwelt ein wichtiger Aspekt. Vor allem in klassischen Adventure- und Rollenspielen besteht für die SpielerInnen noch immer diese Möglichkeit mittels im Spiel integrierter Texte tiefer in die Geschichte einzutauchen. Dies wird von meinen GesprächspartnerInnen auch durchaus genutzt, die integrierten Textpassagen werden dabei als ein Beitrag gelungener Fantasy-Literatur bezeichnet. Alex: „Die Texte in den Spielen taugen mir total. Ich kann mich dann mit den Figuren besser auseinander setzen. Ich lese zusätzlich auch Bücher über die Hauptfiguren der Spiele. Wenn ich Geld hätte würde ich mir sofort mehr Bücher kaufen. Sobald ich ein neues Buch erscheint lese ich es wahrscheinlich in 3 Tagen durch. Im Spiel lese ich mir auch alles ganz genau durch, es ist ja bei jedem Spiel was anderes. Das Grundschema ist zwar ähnlich, aber es gibt überall Feinheiten. Deshalb lese ich mir die Erklärungen der Eigenschaften der Figuren und der Hintergrundgeschichte genau durch. Die Geschichten sind mir total wichtig“
Obwohl die Texte im Spiel eigentlich nur als Beiwerk zu verstehen sind, wird durch sie ein Denken über das Spiel hinaus ermöglicht. Neben der Präsentation gilt für meine Interviewpartner die Qualität der Geschichte als wichtiger Faktor für ein gelungenes Spiel. die SpielerInnen müssen darin etwas Großes erleben, und ein entscheidender Teil der Handlung sein. Die Spielfigur entwickelt sich dabei von einem „einfachen“ Menschen zu einer/m HeldIn. Die Entwicklungsprozesse der Spielfiguren führen zu einem hohen Identifizierungsgrad mit der Spielfigur. Das Spiel involviert die Figuren der SpielerInnen in eine große Abenteuergeschichte und lässt das Abenteuer um die Spielfiguren kreisen, die immer in seinem Mittelpunkt stehen. Dies hebt sich entscheidend von der Alltagsrealität der SpielerInnen ab, wo der Mensch kaum im Mittelpunkt epischer Geschichten steht.63 SpielerInnen
61 Vgl. Ebda., S. 13ff u. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 65-66. 62 Vgl. Rötzer, F., Angst vor dem Neuen Medium, S. 15. 63 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 66-67.
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spinnen eigene Handlungsmöglichkeiten im Geiste weiter, die das Spielerleben steigern können. Somit wird das Computerspiel umfassender und einprägsamer erlebt. Situationen werden durchgedacht und Alternativgeschichten erfunden, es bildet sich ein Meta-Denken über das Spiel, welches abseits von der Spielhandlung stattfinden kann. Die SpielerInnen können somit in einem Computerspiel aktiv das Geschehen steuern und gleichzeitig über ihr Tun reflektieren. Wie ich bereits dargestellt habe, handelt es sich dabei um eine Parallelität, die dieses Medium von den herkömmlichen Medien massiv unterscheidet.64 In Computerspielen sind die dargestellten Landschaften und Szenarien von besonderer Bedeutung. Sie sollen im Vergleich zum Alltag etwas Außergewöhnliches darstellen. Sie können einerseits wildromantischen Charakter haben, ähnlich den Landschaften, die wir im bebauten städtischen Umfeld nicht mehr erfahren können, die wir aber aus unserem Erfahrungsschatz an Märchen und Mythen kennen. In Schottland oder Irland befinden sich beispielsweise in Europa noch Vorbilder dieser archaischen Landschaften und inspirieren die SpieldesignerInnen. Computerrollenspiele benötigen diese Darstellungen, um ihr mystisches Potential zu transportieren. Aber auch Zukunftswelten im Science-Fiction-Bereich oder postapokalyptische Szenarien nehmen ihre Faszination von der Andersartigkeit und Fremdheit der dargestellten Welt. Wenn nun die Spielhandlung in realistischen Welten und Szenarien stattfindet, sind es die außergewöhnlichen Ereignisse, die über die SpielerInnen hereinbrechen und die die Spannung beim Spielen ausmachen. Die Darstellung der Spielwelten ist jedenfalls für meine Interviewpartner ein entscheidender Punkt. So werden von den SpielerInnen auch digitale Orte bereist, um einfach nur die Schönheit zu genießen, ohne dass deren Besuch für das Spielgeschehen entscheidend wäre. Alex: „Die Grafiken der Spielwelten sind mittlerweile wahnsinnig detailreich. Wenn du z.B. durch eine Graslandschaft gehst, siehst du die Halme hin und her schwanken, das sieht schon super aus.“ Christian: „Die Landschaften haben einen mystischen Style, der taugt mir einfach. Die Drachen und Elfen darin, das hat einfach was. Du kannst dich in diese Welt voll hinein versetzen. Manchmal bleibst du stehen und schaust dir einfach die tolle Landschaft an.“
Nach Harald Friedl dringen Abenteurer in archaische exterritoriale Regionen vor. Er meint exterritorial bezüglich der eigenen Zivilisation, archaisch bezüglich der auf dem Rückzug befindlichen Natur- und Geisterwelten.65 Entscheidend ist die
64 Siehe S. 143ff. 65 Vgl. Friedl, H., Die zahme Anarchie des Abenteu(r)er’s, S. 12.
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Andersartigkeit der simulierten Umwelt. Die Lust und der Nervenkitzel des/der AbenteurerIn, wenn er/sie exterritoriale Regionen betritt, wird auch in futuristischen Spielwelten erlebt. Fremde Planeten, der Weltall und die Begegnung mit außerirdischen Wesen vermitteln ähnliche Reize. Auch gewohnte Alltagswelten, die durch plötzliche Katastrophen ihre Vertrautheit verlieren, werden zu exterritorialen Gebieten, wie wir sie in apokalyptischen Spielwelten und Horrorszenarien finden. Es steht fest, dass in unserer postmodernen Zeit, die durch Technik und Fortschritt geprägt ist, ein offensichtliches Bedürfnis nach magischen, vormodernen und naturnahen Zuständen herrscht. Diese Sehnsüchte nach Magie und Mythen und nach anderen Alternativwelten sind zu einem Ausdruck postmoderner Befindlichkeiten geworden.66 Computerspiele sind ein Zeichen dieser Befindlichkeiten, und verleihen den Wünschen und Sehnsüchten einen medialen Ausdruck. Wie lässt sich nun die Diskrepanz zwischen den vormodernen und archaischen Szenarien der Computerspiele und einem modernen aufgeklärten Weltbild in der Postmoderne erklären? Laut Wolfgang Welsch wurde bereits in der Romantik das Mittelalter als Gegenbild zur Neuzeit aufgebaut. Und auch hier gab es schon Sehnsüchte nach einer längst vergangenen Epoche.67 Auch die Postmoderne scheint diese Tendenzen aufzuweisen, sie distanziert sich von der Moderne und beruft sich auf frühere Epochen, ähnlich der Romantik. Ein neues Naturbewusstsein kann als Gegenbild zu einer modernen technokratischen Gesellschaft gesehen werden, oder aber auch als neue, ganzheitliche Bewegung empfunden werden, wie wir sie in der New-AgeBewegung erleben. Diese Sichtweisen wertet Welsch als Versuch, die Moderne zu korrigieren und die Postmoderne mit naturbezogenen und romantischen Idealbildern zu füllen. Nach Welsch werden Lebensweisen der Vergangenheit gesucht, mittels derer der Mensch in unserer Zeit besser leben kann.68 Er kritisiert aber die Entwicklungen in der Postmoderne, alte Modelle und Vorstellungen in die gegenwärtige Zeit zu transferieren, und diese Modelle dann als postmodern zu bezeichnen: „Auch ist die Inspiration solcher Versuche erkennbar eher prämodernen als postmodernen Geistes. Sie greifen auf Modelle der Antike, des Mittelalters, der Renaissance zurück.“69
Diese Rückgriffe sind Versuche, die zum Scheitern verurteilt sind. Das Bild vom Mittelalter und Vormodernen ist heute, ähnlich wie in der Romantik, geprägt von jeweiligen Idealvorstellungen und vom herrschenden Zeitgeist und keinesfalls mit
66 Siehe S.118ff. 67 Vgl. Welsch, W., Unsere Postmoderne Moderne, S. 58ff. 68 Vgl. Ebda., S. 58-59. 69 Welsch, W., Wege aus der Moderne, S. 18.
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dem tatsächlich vergangenen Zeitalter vergleichbar. Wir sehen vergangene Welten immer aus unserer Perspektive, die gebunden an die jeweilige Zeit, verfälschte und subjektive Vorstellungen vermittelt. Wie bereits am Beispiel Jürgen Habermas dargestellt, rufen die Ideen einer romantischen Gegenbewegung zur Moderne auch KritikerInnen postmoderner Vorstellungen herauf, die befürchten, dass die Errungenschaften der Aufklärung durch romantische, verklärte bzw. konservative Vorstellungen verloren gehen.70 Die virtuellen Welten in Computerspielen repräsentieren häufig neoromantische, also wie Habermas meint, neokonservative Werte. Sie sind oft nach aristokratischen Herrschaftssystemen aufgebaut und von Magie und Mystik geprägt. Aufklärung und Rationalität scheinen durch sie nicht vermittelt zu werden.71 In Computerspielen, besonders in den Kriegsspielen, werden konservative Werte wie Heimattreue, Heldenmut und Vaterlandsliebe propagiert. In Strategiespielen geht es unter anderem darum, die Welt zu erobern und die eigene Macht zu mehren. Viele Spiele handeln von Krieg, Kämpfen und Schlachten. In diesem Sinne spiegeln die Computerspiele ein konservatives und vormodernes Weltbild wider. Allerdings ändern sich diese Weltanschauungen auch im Zuge der Moderne und der Aufklärung kaum; im Gegenteil fanden doch die größten Katastrophen in der sogenannten Moderne und im Zeichen der Aufklärung statt. 72 Dennoch erscheint uns die Postmoderne in diesem Zusammenhang durch ihre neokonservativen und neoromantischen Prägungen nach dem Philosophen Heinrich Klotz als eine Prä-Moderne, also als ein Zurück in den Zustand vor der großen Aufklärung. Damit wirkt die Postmoderne als Rückschritt und nicht als Weiterentwicklung der Moderne.73 Philosophen wie Lyotard haben aber aufgezeigt, dass die Thesen der Aufklärung, wie z.B. die Emanzipation der Menschheit und individuelle Freiheit durch den Fortschritt und Technik, eine große Erzählung der Wissenschaft sind, und die historische Entwicklung und Gegenwart das Gegenteil beweisen.74 Die Wissenschaft hat ihren Anspruch auf allgemeine Gültigkeit selbst widerlegt, und die Geschichte lehrt uns, in welche Katastrophen sogenannte Rationalität und Fortschritt führen können.75 Die Übertechnisierung und Überbürokratisierung der Gesellschaftet übt Druck auf die Menschen aus. Sie fühlen sich von wichtigen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen, was auch der Realität entspricht. Durch Arbeitsteilung und Spezialisierung nehmen das gegenseitige Verständnis und die Solidarität zwischen
70 Siehe S. 118ff. 71 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 70. 72 Siehe S. 49ff. 73 Vgl. Klotz, H., Moderne und Postmoderne, S. 99. 74 Vgl. Lyotard, J., Das postmoderne Wissen, S. 175. 75 Siehe S. 116ff.
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den Menschen ab.76 Computerspielwelten sind im Vergleich dazu klar strukturiert und unbürokratisch aufgebaut. Die klaren Weltbilder mit einfachen Gesetzen und Normen, sowie die idealtypischen Figurenkonstellationen schaffen Vertrautheit, Sicherheit und ein Gefühl der Kontrolle über das Bildschirmleben. Ein anderes Bild ursprünglicher, mythenhafter Natur wird gezeichnet. Zwar mögen diese computergenerierten vormodernen Welten oberflächlich, unschuldig und romantisch verklärt wirken. Sie beinhalten aber auch die immer gültigen und gefährlichen Themen des Machtausbaus, die Ideologie des Stärkeren, letztendlich des Krieges und der Zerstörung. Diese Themen sind omnipräsent, egal ob wir von Vormoderne, Postmoderne oder Nachmoderne sprechen. Aufklärung, Rationalismus und Vernunft vermögen bis heute nicht diese Schattenseiten der Kulturen zu überwinden, im Gegenteil, oftmals offenbaren sich in ihren Namen die schrecklichsten Verbrechen der Geschichte. Natürlich wäre eine reale Rückkehr in vormoderne Zeiten nicht möglich und auch sicher von den SpielerInnen nicht angedacht. Zu bequem und verlockend sind die Versprechungen der Technik, des Konsums und des Fortschritts. Die Menschen wären ohne ihre technisierte Umwelt heute kaum lebensfähig. Die Wünsche und Sehnsüchte der Menschen werden von der Industrie erkannt und den Menschen wird vorgegaukelt, diese durch Konsum befriedigen zu können. Wir leben in der westlich zivilisierten Welt im Überfluss, durch die allgemeine Sättigung muss die Wirtschaft Nachfrage und Wünsche künstlich erzeugen. Computerspiele sind technisch erzeugte Instrumente, um Wünsche und Sehnsüchte zu erzeugen, um dann die geweckten Bedürfnisse der Menschen zum Teil zu erfüllen.77 Gleichzeitig werden aber auch gewünschte Botschaften und Ideologien transportiert und nicht zuletzt sollen mit den Spielen wirtschaftliche Erfolge erzielt werden. Die Suche nach Mystik, Spiritualität und Technologieferne wird mit Hilfe der New-Age- und Esoterik- Konzepte in ein kapitalistisches Konsumsystem integriert und als virtuelle Traumwelten vermarktet. Der kapitalistische Markt „kühlt“ dadurch diese Sehnsüchte ab, die ja aus der Unzufriedenheit mit dem eigenen System entstanden sind und profitiert gleichzeitig ökonomisch von der (eingeschränkten) virtuellen Erfüllung dieser Wünsche. Vormoderne Gesellschaftstrukturen und mythologische Szenarien sind nur ein Beispiel, mit denen Computerspiele versuchen, Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Das verloren geglaubte Bild einer heilen Familie und einer Community, die sich austauscht und gegenseitig unterstützt, wird mit Hilfe der Internet-Spiele wieder aufgenommen. Auch hier beherrscht der Verlust der Gemeinschaft durch Individualisierung und Separatismus die Gefühlslage und Befindlichkeiten der Menschen. Die vormoderne Großfamilie wird zur Idylle verklärt. Internet-Spiele bieten einen Weg, verloren geglaubtes Gemeinschaftsleben
76 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 70. 77 Vgl. Ebda., S. 71.
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wieder erfahren zu können, doch dazu mehr im Kapitel Virtuelle und reale Gemeinschaften. Ina-Maria Greverus hat diese Entwicklungen bereits bei ihren Untersuchungen der New-Age-Bewegungen wahrgenommen und meint folgendes: „Heutige Zivilisationskritik teilt diese Fortschrittshoffnung weitgehend nicht mehr, [...] sucht die Aufhebung der Entfremdung in einer spirituellen Evolution. [...] In diesem Protest zeichnen sich vorrangig drei Richtungen ab, der Protest gegen die materielle Zerstörung der Mensch-Welt-Beziehung, der Protest gegen die soziokulturelle Zerstörung der Mensch-WeltBeziehung, der Protest gegen die spirituelle Zerstörung der Mensch-Welt-Beziehung“78
Sie stellt fest, dass die Sehnsüchte, die hier zum Ausdruck kommen, vorwiegend romantischer Natur sind. Es sind die Sehnsüchte nach Heimat, aber auch nach der Fremde, dem Anderen, Unbekannten, die ineinander verschmelzen.79 Genau diese Sehnsüchte spiegeln sich in den Fantasiewelten der Computerspiele wider. Der Wunsch nach Heimat wird durch die Spiel-Communities erfüllt, die Sehnsucht nach der Fremde durch die andersartigen virtuellen Spielwelten. Geschickt kombinieren die Spiele beide Wünsche und Sehnsüchte der SpielerInnen. Historisch gesehen entstammen New-Age-Bewegungen mit ihrer Suche nach neuer Spiritualität und die entstehenden Fantasy-Computerspiele bzw. RollenspielCommunities derselben bürgerlichen und akademischen Bildungsschicht. Es ist bezeichnend, dass Tolkiens „Herr der Ringe“-Epos, das schon während des Zweiten Weltkrieges geschrieben wurde, ausgerechnet in der Hippie- und New-Age-Ära der 1960er und 1970er Jahre berühmt wurde. Die Fantasy-Literatur rund um Tolkien und ähnliche AutorInnen bildeten, die Grundlage der Abenteuer- und Rollenspiele am Computer, die bis heute die Motive aus diesen Romanen verwenden.80 Es werden dieselben romantischen, mystischen und magischen Themen transportiert. Magie, Natur und Spiritualität stehen im Mittelpunkt von Esoterik und New-Age. Technik und Bürokratie werden abgelehnt. Diese Elemente und Motive greifen aber auf die Romantik im 19. Jahrhundert zurück. Demnach wurden sie nicht von der New-Age-Ära neu erfunden, und auch die Computerspiele beinhalten dahingehend keine neuen Motive.81 Der Ursprung der postmodernen Neoromantik ist in der traditionellen Romantik zu suchen und bedeutet eine Wiederbelebung klassischer Ideen. Nach Greverus sehnen sich die RomantikerInnen nach Alternativwelten und vormodernen Zeiten. Für sie ist die Gegenwart zerrissen, genauso fragmentiert ist das eigene Ich. Ihre Spurensuche führt laut ihr in die Vergangenheit einer mysti-
78 Greverus, I. M., Neues Zeitalter oder Verkehrte Welt?, S. 71. 79 Vgl. Ebda., S. 90. 80 Siehe S. 75ff. 81 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 72.
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schen Religiosität des Mittelalters und zu indischen Philosophien.82 Computerspiele sind mit ihren vormodernen, mystischen und archaischen Versatzstücken ebenso fragmentiert und fügen sich somit bestens in ein postmodernes Zeitempfinden ein. ComputerspielerInnen können ihre Bedürfnisse nach Alternativwelten mit Hilfe der Technik schnell befriedigen. Sie brauchen die reale Lebensweise nicht zu ändern oder sich äußerlich verwandeln, wenn sie dem Alltag entfliehen wollen. Es ist keine Protestbewegung notwendig, um in die virtuellen Welten einzutauchen. Im Spiel können laut Natasha Adamowsky die Haltungen gegenüber der Außenwelt umgekehrt werden, der Bezug zu den Dingen bezieht sich auf ein Leben, wie es sein könnte.83 Die Spiele können kurzfristig eine Heimat bieten, in der sich die SpielerInnen zuhause fühlen, simulieren aber auch eine spannende Anderswelt. Die Mythen, magischen Geschichten und auch die dargestellte Spiritualität haben aber kaum realen Einfluss auf die SpielerInnen. Sie sprechen nur unbewusste Sehnsüchte an und ihre Verwirklichung bleibt auf der virtuellen Welt des Computerspieles beschränkt. Wir stoßen in den Spielen zwar auf genügend Elemente von New-Ageund Esoterik-Bewegungen, es findet aber keine konkrete Sinnsuche in den virtuellen Welten statt. Alle Elemente sind einer ludischen Spielsphäre untergeordnet und sind nicht für eine konkrete und reale Sinnerfüllung zu gebrauchen. Von Claude Levi-Strauss sind grundlegende Überlegungen zur Erklärung der Mythen bekannt. Für ihn ist die Vereinbarkeit der bestehenden lebenspraktischen Widersprüche die Hauptfunktion der Mythen. Sie erklären das Unerklärbare und rechtfertigen das Unvermeidliche und lösen damit Widersprüche und Ungerechtigkeiten auf symbolische Art und Weise.84 Genau die gleichen Funktionen übernehmen Fantasy-Computerspiele mit ihren dargestellten Mythen. Ungerechtigkeiten werden am Ende beseitigt, das Gute siegt. Entbehrung und Tod bekommen im Zusammenhang mit der mythischen Geschichte einen Sinn. Leid ist notwendig und führt letztendlich zur Erlösung. Es geht um die großen Fragen der Menschheit, die im Mythos gestellt und auch beantwortet werden, während die alltäglichen Unzulänglichkeiten während des Spieles ausgeblendet werden. Dem Tod und dem Leid im Alltag können die wenigsten einen Sinn geben, beides passt nicht in eine rationale „heile Welt“, genauso schwer fällt es vielen Menschen in der Gesellschaft einen Platz zu finden, der sinnstiftend wirkt. Spiele verbinden gleich dem Mythos Unvereinbares und Gegensätzliches. Für Natascha Adamowsky bauen sie Brücken zwischen Liebe, Tod, Krieg, Sieg und Niederlage,85 während Brian Sutton Smith
82 Vgl. Greverus, I. M., Neues Zeitalter oder Verkehrte Welt?, S. 91. 83 Vgl. Adamosky, N., Spielfiguren in virtuelle Welten, S. 91 u. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 72-73. 84 Vgl. Levi-Strauss, C., Mythologica I, S. 105-130. 85 Vgl. Adamosky, N., Spielfiguren in virtuelle Welten, S. 31.
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diese Beziehung als grundlegende Dialektik eines Spieles bezeichnet. Spiele transzendieren laut ihm die gewöhnlichen unlösbaren Gegensätze des alltäglichen Lebens auf eine neue Ebene und bieten Lösungsvarianten an, die in der Spielwelt ihre Bestätigung erfahren, in der Realität aber nicht anzuwenden sind.86 In einer individualisierten und säkularen Gesellschaft, die zudem durch übersteigertes ExpertInnentum das Trennende eher betont als das Gemeinsame, haben die Menschen ein Bedürfnis nach erklärenden Mythen, die mögliche Lösungen vorzeigen. Sie versuchen auf unterschiedlichste Weise aus den nahezu unendlich vielen Medienangeboten Sinnkonstruktionen zu erstellen. In einer vernetzten Informationsgesellschaft wird der Großteil der Mythen über die Medien verbreitet. Im Hintergrund jeder Produktion steht der marktwirtschaftliche Erfolg, darum werden meist erprobte Motive vermittelt. Viele Mythen stellen daher verkürzte Vorlagen dar, wie etwa das Motiv des einsamen Rächers, der das Gesetz selbst in die Hand nimmt. Deshalb eignen sich die meisten Mythen nicht als brauchbare Vorlage für das reale Leben, sondern würden, im Gegenteil, zu einer Katastrophe führen. Im Normalfall erkennen die Menschen das Symbolhafte der Mythen und ihrer Handlungen und transferieren die Bilder nicht direkt in den Alltag. Eine Gefahr besteht aber, wie schon im Kapitel Krieg, Kampf, Gewalt und Spiel erläutert, wenn sich die Realpolitik dem Mythos bedient und die Menschen nicht mehr zwischen den Geschichten der Medien und dem realen Leben unterscheiden können oder wollen. Es ist zu beobachten, wie in unserer westlichen Gesellschaft immer mehr PolitikerInnen Mythen als Vorlage für reale Lösungswege verkaufen. Kriege werden als Rachefeldzüge legitimisiert, die Profitmaximierung und Sicherung des Erdöls wird als Selbstverteidigung inszeniert und erhält dadurch ihre moralische Berechtigung. Die Realität wird somit selbst zum Mythos, der moralisch gerechtfertigt wird, ähnlich wie es in Film, Fernsehen und Literatur, oder in Computerspielen vorgezeigt wird. Für John Fiske und John Hartley wurde das Fernsehen das kommunikative Zentrum unserer Kultur, es interpretiert das soziokulturelle Geschehen und sammelt die grundlegenden Mythen der Gesellschaft und kombiniert bzw. rekombiniert diese zu weiteren Mythologien. Es vermittelt laut ihnen Ideologien und kulturelle Zugehörigkeit, genauso wie kulturelle Abgrenzung.87 Ähnlich können auch Computerspiele Ideologien vermitteln und genauso Bilder von Menschen erzeugen, von denen wir uns abgrenzen sollen. Sie sind in ihrer Produktion ähnlichen Machtstrukturen unterworfen wie Film und Fernsehen, ihre Inhalte korrespondieren mit den Intentionen der GeldgeberInnen. Während Film und Fernsehen sowohl die Alltagsgeschichten der Menschen als auch völlig fiktionale Geschichten auf symbolische
86 Vgl. Sutton-Smith, B., Die Dialektik des Spieles, S. 89. 87 Vgl. Fiske, J. u. J. Hartley, Reading Television, S. 80ff.
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Weise ausverhandeln und damit nicht ausschließlich vom Alltag losgelöst zu betrachten sind, vermitteln Computerspiele permanent Ausnahmesituationen und epische Handlungen in Fantasiewelten, die nicht mit dem persönlichen, alltäglichen Handeln und Denken der Menschen übereinstimmen. Doch dringen die Erzählungen und Mythen in den Computerspielen, ähnlich wie die großen Märchen und Epen, in unser Unterbewusstsein ein und konstruieren damit unsere Bedeutungswahrnehmungen im Alltag mit.88 Natasha Adamowsky bezeichnet die Mythenwelten in den Computerspielen als eine bunte Mischung aus archaischen Mythen, Hightech und Trash. Darin eingewoben ist der/die zerrissene HeldIn als archetypische Spielfigur.89 Computerspiele scheuen sich nicht, jede nur erdenkliche Kombination von Mythenkonstruktionen darzustellen. Sie vermischen Zeiträume und Orte, die eigentlich nicht zusammenpassen zu einem Potpourri verschiedenster Erzählungen. Sie müssen sich nicht an historische Fakten halten, sondern können Fantastisches und Fiktives ungehindert darstellen. Dennoch verwenden sie archetypische und idealtypische Spielfiguren. Laut Carl Gustav Jung sind Archetypen Inhalte vorbewusst vorhandener Muster des kollektiven Unterbewusstseins und damit Strukturdominanten der menschlichen Psyche.90 Archetypen sind demnach, vereinfacht ausgedrückt, urtümliche Bilder, die in allen Kulturen immer wieder auftauchen: In Kunstwerken, Visionen, religiösen Ideen, Bildern, Vorstellungen, Mythologien, Märchen usw. Die Art der menschlichen Weltbilder ist trotz aller Unterschiedlichkeit im Detail nach archetypischen Vorgaben geprägt. Die Sprache des Unterbewusstseins ist laut Jung eine Sprache der Bilder, wir leben als Menschen unmittelbar in einer Bilderwelt.91 In der heutigen Medienwelt dominieren visuelle Erfahrungen, weil sie direkt an unser kollektives, von Archetypen geprägtes Unterbewusstsein anknüpfen. Die Macht der Bilder steht über dem Text. Wenn nun Filme und Spiele mit diesen urtümlichen Bildern experimentieren, erreichen uns ihre Botschaften zusätzlich auf unbewusster Ebene und sprechen Emotionen an. Rebecca R. Tews meint dazu: „[...] our legends, myths, fairy-tales and even modern stories work because they connect with our own experiences in the real world. Video games may have such a powerful influence, because they connect on many levels with these same primitive symbols”.92
88 Vgl. dazu auch Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 132. 89 Vgl. Adamosky, N. Spielfiguren in virtuelle Welten, S. 232. 90 Vgl. Jung, C.G., Symbolik des Geistes, S. 374. 91 Vgl. Jung, C.G., Seelenprobleme der Gegenwart, S. 383. 92 Tews, R., Archetypes on Acid, S. 174-175.
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Laut Tews werden in der modernen Gesellschaft wenige Geschichten erzählt. Die neuen HeldInnen werden uns über das Fernsehen präsentiert, bzw. wir können mit Hilfe der Computerspiele selbst in ihre Rolle schlüpfen. Anhand unserer Spielerfahrung schreiben wir selbst den Fortgang der Geschichte. Wir haben laut Tews die Möglichkeit das Böse zu besiegen und die Schwachen zu beschützen, und wir selbst als Spielfigur steigern unser Können durch Erfahrung. Das Spiel wird laut ihr zur Symbolik unseres eigenen Daseins: Eine Suche nach sich selbst und ein Versuch, ein besserer Mensch zu werden.93 Wenn man Computerspielfiguren näher betrachtet, so entsprechen sie erstaunlich genau den Archetypen, die C.G. Jung beschreibt. Die Spiele sind bevölkert von mythologischen Figuren und Mischwesen wie Feen, Hexen, Vampiren, Nymphen, Sukkuben usw. Für Jung sind diese Figuren unbewusste Projektionen der unbekannten Frau, die sich als Archetypus im kollektiven Bewusstsein festsetzen.94 Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese mythologischen Frauenfiguren gerade Männer ansprechen und unterschiedlichste Fantasien wecken können. Nicht zu vernachlässigen ist in diesem Zusammenhang der große Anteil an Männern unter den Computerspielern. Doch möchte ich die Verteilung der Geschlechter und ihre Beziehung zu Computerspielen in einem eigenen Kapitel erörtern und zurück zum nächsten Archetypus Jungs kommen: Der Schatten. Darin ist die Dualität des Menschen zu verstehen. Jeder Charakter hat auch seine Schattenseiten. Jung sieht darin das verdrängte Tierische im Unterbewusstsein, welches der Mensch nicht wahrhaben will.95 Computerspiele benutzen sehr stark diese Dualismen. Entweder wird der Schatten durch etwas absolut Böses dargestellt, das der/die HeldIn bekämpft, oder er/sie selbst ist stetig moralischen Entscheidungen unterworfen, die ihn in Richtung Gut oder Böse dirigieren. Besonders Rollenspiele praktizieren diesen Dualismus: Schon bei der Erstellung der Spielfigur kann häufig Gut und Böse mit Hilfe einer moralischen Grundeinstellung vordefiniert werden. Während des Spielens stellen Aufträge und Ereignisse SpielerInnen vor die Wahl einer moralischen Entscheidung mit entsprechenden Konsequenzen. Wenn man davon ausgeht, dass wir unsere Schattenseiten in der Realität unterdrücken bzw. vielleicht auch gar nicht wahrnehmen, kann ein virtuelles Ausleben im Computerspiel nachvollziehbare Reize bieten. Während meiner Interviews haben einige meiner Gesprächspartner bewusst eine dunkle Figur gewählt und genießen es, im Spiel böse zu sein. Das OnlineRollenspiel „World of Warcraft“ ist ein Beispiel für eine konsequente Aufteilung
93 Vgl. Ebda. S. 176. 94 Vgl. Jung, C. G., Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewussten, S. 70ff. 95 Vgl. Jung, C. G., Gesammelte Werke 11, S. 80ff.
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der Spielwelt in Licht und Schatten, wobei sich die SpielerInnen die jeweilige Seite bewusst aussuchen können. Alex: „Ja, das Böse fasziniert im Spiel schon. Die Leute fürchten sich vor einem, man wird respektiert. In „WOW“ haben die Bösen, wie z.B. die Orks auch Recht auf ihr eigenes Land, das sie eigentlich nur verteidigen wollen. Sie können ja nix dafür, dass sie von Natur aus böse sind. Oftmals sind die Bösen ja eigentlich gar nicht so böse, sondern wollen nur eigenständig leben.“
Es gibt noch weitere Beispiele für Archetypen, wie der Held, die Wiedergeburt, die Grenze, die Erlösung, der Heilbringer, die Überquerung des Hades, die große Mutter, etc. Letztere bezeichnet Jung als Motiv der „Alten Weisen“, als Symbol der Ganzheit. Für ihn bedeutet dies eine „Mana“-Persönlichkeit; „Mana“ als außerordentlich wirkungsvolle, übernatürliche und zauberische Macht, die in Bildern und Symbolen des kollektiven Unterbewusstseins vorkommt.96 Nicht umsonst wird dieses ursprünglich polynesische Wort für übernatürliche Kraft auch bei nahezu jedem Computerrollen- bzw. Fantasy-Spiel verwendet. „Mana“ stellt in Computerspielen jene mystische Energie dar, die benötigt wird, um zaubern zu können. Sie ist eine Substanz, die den magischen Wesen innewohnt. Rebecca R. Tews folgert zusammenfassend: „[…] the symbols [of archetypes] exists in all cultures through history. All stories created by humans contain elements of these images. Western thought and Christianity have modified the way our society perceives these images, but they have no left us. They are alive and well in the video game world.”97
Mystische Themen sind in den Medien also mehr denn je aktuell. Sie geben in unsicheren Umbruchzeiten durch ihre archetypischen Inhalte vertraute Erklärungen und damit Sicherheit. Zudem erklärt sich die Aktualität mystischer Themen durch ein „Versagen“ der rationalen Wissenschaft, die die Menschen mit immer unglaublicheren Geschichten konfrontiert.98 Viele heutige wissenschaftliche Erkenntnisse beruhen nur mehr auf abstrakten Annahmen. Man sieht zwar das Funktionieren der Theorien, versteht sie aber nicht mehr. Die heutige Technologie macht sich vom Verstehen unabhängig und ist für die meisten undurchschaubar. Zudem verselbständigt sich die Technologie und wird mitunter zur Gefahr für ihre BenutzerInnen, wie die Atomenergie und die wachsende Umweltzerstörung durch Industrieabfälle
96 Vgl. Jung, C. G., Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewussten, S. 112ff. 97 Tews, R., Archetypes on Acid, S. 176. 98 Rötzer, F., Digitale Weltenentwürfe, S. 15-16.
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beweisen. Wissenschaft nimmt somit den Status des Mythischen an, sie wird zu einer Erzählung, die nicht beweisbar ist, an die man aber glauben muss.99 Es verschwimmen die Grenzlinien zwischen den althergebrachten Mythen, den neuen Mythen der Wissenschaft und einer scheinbaren Rationalität. Diese Ambivalenz von Mythos und Wissenschaft ist ein typisches Symptom der Postmoderne. Technologie wird nicht mehr als positives Element des Fortschritts betrachtet, sondern gilt oft als Bedrohung.100 Wenn die Wissenschaft zum Mythos wird, können wir sie nicht mehr mit rationalen Mitteln erfassen, sondern müssen dem Mythos vertrauen. Die Mythen faszinieren durch ihre einfachen, klaren Aussagen und den vorhandenen Orientierungsmöglichkeiten. Computerspiele sind nach diesen Kriterien aufgebaut, in ihnen leben die alten Mythen weiter, so wie in allen Medien. Die Welt wird in Gut und Böse geteilt, die SpielerInnen erhalten Aufgaben und Belohnungen. Sie haben Macht und Kontrolle über ihr virtuelles Dasein. Im Alltag fehlen diese klaren Strukturen oft. Die Gesellschaft ist durch ihre Bürokratisierung und Technologisierung undurchschaubar geworden. Belohnungen können nicht mehr als selbstverständlich angenommen und durch klar erkennbare Aufgaben erhalten werden. Die Menschen verlieren die Ziele aus den Augen, auf die sie hinarbeiten wollen. Im Gegensatz dazu bieten Spiele immer klar erkennbare Ziele an. Bereits die Grundbegriffe der Computertechnik sind von Mythologien durchdrungen.101 Der/die HeldIn wird in einem Computerspiel nicht selten als Avatar bezeichnet, eine Anlehnung an die indische Mythologie, die darin den sterblichen Körper der Götter bezeichnet, den sie benutzen, um auf die Erde zu reisen.102 Beim Computerspiel wird die virtuelle Spielfigur zum Körper der SpielerInnen. Die Spielfiguren sind unsterblich, bzw. ihr Tod ist nicht endgültig. Die SpielerInnen fühlen sich dadurch selbst unsterblich und unzerstörbar. Zudem liegt alle Macht und Kontrolle in ihren Händen. Für die meisten Spiele gilt der Dualismus zwischen Tod und Wiederauferstehung des Avatars als zentraler Aspekt. ComputerspielerInnen experimentieren dabei mit der Konzeption des Todes, vor allem aber, wie bereits angesprochen, mit der Überwindung des Todes.103 Menschen brauchen Märchen und Mythen. Sie zeigen, dass schreckliche Dinge im Leben veränderbar sind, und zerbrochene Welten auch wieder heilen können. Mythen bilden die Grundlage für unsere Hoffnung. Die HeldInnen in den Spielen müssen nicht unfehlbar und unbesiegbar sein, doch geben sie niemals auf und reifen durch ihr Schicksal, wie ihre mythischen Vorbilder. Märchen wurden früher mündlich weitergegeben und sind
99
Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 73-74.
100 Siehe S. 115ff. 101 Siehe S. 93ff. 102 Vgl. Adamosky, N., Spielfiguren in virtuelle Welten, S. 204. 103 Vgl. Rehak, B., Playing at Being, S.114-115.
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Geschichten, die von allgemeinmenschlichen, also archetypischen Notlagen bzw. deren Überwindung durch HeldInnen erzählen. Mythen und Märchen bieten märchenhafte, zum Teil schöpferische Lösungen von Problemen an und schaffen damit einen Beitrag zur Entlastung von Alltagsproblematiken. Durch die Identifikation mit der HeldInnenfigur können wir zumindest während des Spieles hoffen, dass auch unsere Probleme lösbar werden. Computerspiele, allen voran FantasyRollenspiele oder Adventures, sind laut Susanne Kirk eine moderne Form erzählter Märchen und Mythen, wobei die Spiele eine ganz neue Form des Erlebens der Erzählung vermitteln können. Sie vermitteln laut ihr die Metapher der Erlösung und Heilung und können auch als eine Form der postmodernen Märchenerzählung interpretiert werden.104 In diesem Sinne verhalten sich Computerspiele wie alle Mythen und Kunstformen: Sie machen gewöhnliche Alltagerfahrungen verständlich. Laut Clifford Geertz werden durch sie Handlungen und Gegenstände dargestellt und deren praktische Konsequenzen aufgehoben. Dadurch werden ihre Bedeutungen stärker und deutlicher artikuliert. Ähnlich seinem bekannten Modell des Hahnenkampfes werden immer gültige Themen wie Tod, Wut, Stolz, Gnade, Glück, Verlust, usw. aufgegriffen und als Metapher dargestellt.105 Zusammenfassung Während meiner Forschungen konnte ich feststellen, wie stark sich Mythen und Märchenbilder im Denken der SpielerInnen manifestieren. Wie Harald Friedl bereits feststellte, überleben traditionsreiche Mythen die wandelnden ökomischen Bedingungen,106 während Wolfgang Schindler die mythischen Dimensionen in Computerspielen hervorhob, die die Spielwelten vom Alltag abheben und symbolische Erklärungsmodelle für zeitlose Wahrheiten liefern.107 Alex versank in der Fantasiewelt der Computerspiele. Die erzählten Mythen faszinierten ihn so sehr, dass er über die Computerspiele hinaus in anderen Medien nach ähnlichen Fantasiegeschichten suchte. Meine Untersuchungen zeigten mir, wie tief das vorhandene Mythenrepertoire in den Spielen verankert ist und wie sehr die SpielerInnen von archaischen Figuren und mittelalterlichen Fantasiewelten geprägt werden. Fasziniert erzählten sie mir von Druiden, Magiern, Elfen, Drachen und Rittern, ebenso wie von mystischen Landschaften und Regionen, ganz im Sinne der Sehnsucht nach exterritorialen und archaischen Landschaften, die Friedl bereits darstellte.108 Be-
104 Vgl. Kirk, S., Aus der virtuellen Welt in die Surplus Reality, S. 102-103. 105 Vgl. Geertz, C., Dichte Beschreibung, S. 246. 106 Vgl. Friedl, H., Die zahme Anarchie des Abenteu(r)er’s, S. 11. 107 Vgl. Schindler, W., Doomes Zeug. Fragwürdige Computerspiele, S. 36. 108 Vgl. Friedl, H., Die zahme Anarchie des Abenteu(r)er’s, S. 12.
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zeichnend erscheint mir, dass die jungen Männer alle in der Technologiebranche tätig waren und sich mittels der Computerspiele eine „Anderswelt“ realisierten. Aus der alltäglichen Arbeit mit der Computertechnologie erfuhr die Spielergruppe die Gesetzmäßigkeiten und Regelmäßigkeiten im täglichen Umgang mit dem Computer. Dass Computerspiele Regeln und Gesetze des (technologischen) Alltags in ihre Fantasiewelten als Naturgesetze integrieren, erscheint mir ein wichtiger Ansatz von Peter Kathe109. Damit kann erklärt werden, wie schnell sich die untersuchten Spieler die Zahlen- und Wertesysteme der Computerspielwelt aneignen und die virtuellen Gesetzmäßigkeiten in „Fleisch und Blut“ übergehen. Ganz im Sinne Kathes schaffen diese Gesetzmäßigkeiten Ordnung, Überblick und Kontrolle über das Spielgeschehen und damit Machtgefühle bei den SpielerInnen.110 Ich konnte die Befriedigung meiner Gesprächspartner beobachten, wie sie in der virtuellen Welt kämpften und durch ihre Siege die Fantasiewelt unter Kontrolle brachten. Gleichzeitig scheint mir aber der stark technologisch geprägter Alltag der Spielergruppe auch ein Grund dafür zu sein, warum meine Gesprächspartner die virtuellen, magischen Welten als Gegenkonzept zur Alltagswelt so intensiv aufsuchen. Ina-Maria Greverus´ Beschreibung der Sehnsüchte nach Magiewelten und Technologieferne in unserer bürokratisierten und technisierten Lebenswelt111 ist für die befragten Spieler entscheidend. Die Spiele erfüllen zumindest ansatzweise Bedürfnisse nach Traumwelten, Magie und Antitechnik, obwohl, wie bereits festgestellt, der Computer selbst dazu paradoxerweise ein Synonym für Technik und Fortschritt darstellt. Für meine Gesprächspartner bot sich die mythische Computerspielwelt als eine neue, spannende Heimat, abseits der Alltagswelt an, die sie aber mit der Sicherheit und Vertrautheit des EDV-Technikers betreten konnten. Die befragten Spieler befanden sich durchgehend im Stadium des Erwachsen-Werdens. Einige hatten in der Adoleszenzphase bereits mit den Unzulänglichkeiten und Orientierungslosigkeiten des Lebens zu kämpfen. Alex hatte, bevor er zu einer EDV Firma kam, große schulische Probleme und wusste nicht, wie er seine Zukunft gestalten sollte. Die mythischen Erzählungen in den Computerspielen lenkten ihn von den Alltagsproblematiken ab, da sie, wie Adamowsky112 und Sutton-Smith113 beschreiben, große Themen behandeln und die Alltagsunzulänglichkeiten ausblenden. Allerdings trugen sie nicht zur Lösung der Probleme bei, sondern verdrängten diese.
109 Vgl. Kathe, P., Struktur und Funktion von Fantasy-Rollenspielen, S. 14. 110 Vgl. Ebda., S. 28. 111 Vgl. Greverus, I. M., Neues Zeitalter oder Verkehrte Welt?, S. 71ff. 112 Vgl. Adamosky, N., Spielfiguren in virtuelle Welten, S. 31. 113 Vgl. Sutton-Smith, B., Die Dialektik des Spieles, S. 89.
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H ELD I NNEN Spannende Geschichten, Herausforderungen, ein mythisches Szenario und eine Gegenwelt zum Alltag sind eine Erklärung für die Faszinationskraft der Computerspiele. Eine weitere zentrale Funktion übt das Erstellen einer HeldInnenfigur, dem sogenannten virtuellen Charakter aus, bzw. das Hineinschlüpfen in eine vorgefertigte HeldInnenrolle. Die Charaktererstellung selbst gilt in erster Linie zwar für Computerrollenspiele, HeldInnen als Repräsentation der SpielerInnen in der virtuellen Spielwelt kommen aber in so gut wie jedem Spiel vor, in dem eine Spielfigur gesteuert werden kann. Dies gilt auch für die weniger erzählorientierten Spiele, wie z.B. Action-Shooter. Anstatt einer Verbesserung der Charakterwerte erhält die Spielfigur dann meist laufend bessere Waffen, was den Fortschritt und Erfolg in der Spielwelt symbolisieren soll. Auch die Lerneffekte bei den SpielerInnen steigern den Anspruch des Spieles und simulieren somit einen Erfahrungsweg der Spielfigur. Für Rollenspiele, sowohl im Single-Player-Bereich, als auch im OnlineBereich gilt, dass die Kreation der virtuellen Figur einen entscheidenden Bestandteil des Spieles darstellt. Dies bestätigt auch meine Forschung. Die Spielfiguren werden nach persönlichen Vorlieben gestaltet. Während für die einen SpielerInnen die moralischen Werte im realen Leben auf die virtuelle Figur übertragen werden, wählen andere SpielerInnen genau das Gegenteil, also moralisch eher böse ausgelegte Charaktere. Alex: „Ich spiele in „WOW“ jetzt zum Beispiel gerne die Untoten. Die taugen mir vom Aussehen her. Als Figur taugt mir der Schurke, der passt zu mir. Die sind intelligent und hinterlistig. “
Andererseits kann man in die Rolle des edlen Ritters schlüpfen, der für die Rechte der Schwachen und Armen eintritt. Christian: „Beim Rollenspiel ist es so, dass man sich in die Welt hineinleben kann. Aber auch der Hero sein, der die Welt rettet. Du rettest die ganzen Leute und kannst dich einfach in eine ganz andere Welt hineinversetzen.“
Im Spiel selbst können die SpielerInnen moralisch gut handeln, das heißt, den Schwachen zu helfen und keine Unschuldigen zu verletzen, sowie das Gute zu verteidigen. Rollenspiele stellen die SpielerInnen sehr oft vor die Wahl einen guten, rechtschaffenen Weg zu wählen oder einen bösen Weg einzuschlagen. Letztendlich sind aber viele Spiele darauf ausgelegt, dass die SpielerInnen in der Mehrheit den guten Weg wählen, denn ausschließlich böses Spielverhalten würde nicht zur Lösung des Spieles führen. Dennoch werden immer wieder Entscheidungen von den
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SpielerInnen verlangt, die das Gewissen einschalten und entsprechende Auswirkungen auf den weiteren Spielverlauf haben. Diese relative Entscheidungsfreiheit für unterschiedliche Spielweisen mit guter bzw. böser Orientierung ist ein typisches Merkmal von Computerrollenspielen. In Action-Shootern oder Kriegsspielen ist diese Entscheidung nicht möglich. Die Spiele versetzen ComputerspielerInnen vorweg in die Rolle eines/einer HeldIn, der/die auf Seiten des Rechts steht und ein klar definiertes Feindbild bekämpft. Moralische Gewissensfragen sollen in dieser Art der Spiele nicht entstehen. Die HeldInnenfiguren sind aber nicht nur menschlich. In den Fantasiewelten gibt es Elfen, Zwerge, Gnome, böse Orks, Vampire und viele andere Arten von Figuren. Es werden oft edle und strahlende Figuren als Charaktere gewählt, aber auch dunkle Gestalten üben einen Reiz auf die SpielerInnen aus. Es muss nicht immer der/die edle menschliche HeldIn sein, auch in die Rolle eines blutrünstigen Vampirs schlüpfen die SpielerInnen gerne. Vor allem in den boomenden Multiplayer Online-Rollenspielen hat die dunkle Seite mit ihren Orks, Untoten, etc. eine wichtige Bedeutung: In diesen Spielen ist es möglich, dass große Spielergruppen gegeneinander antreten können, es wird ein ewiger Kampf zwischen Licht und Schatten simuliert. HeldInnen erleben fantastische, aber auch gefährliche Abenteuer. Die Hintergrundgeschichten entstammen der Fantasy- und Abenteuerliteratur, oder sind von den klassischen Epen der Antike bzw. der germanischen Sagenwelt inspiriert. Die Grundstrukturen der Spielgeschichten sind einander ähnlich: Es geht um eine Suche, die in den Spielen auch häufig als „Quest“ bezeichnet wird. Die Suche entwickelt sich zum Abenteuer und es kommt zu einer Konfrontation mit dem Bösen. Dieses Böse bricht wie etwas Fremdes über die vertraute Welt herein. Die HeldInnen stellen sich dem Kampf und am Ende wird das Gute siegen. Im Zuge dieser Entwicklung wächst die Persönlichkeit der HeldInnen, durch Entbehrungen und Prüfungen entwickelt sich die Figur erst wirklich zum/zur unbesiegbaren HeldIn. Diese Grundkonstellation ist typisch und prägend für Computerspiele, auch Shooter und andere Spielformen bedienen sich dieser Dramaturgie.114 Die Ethnologin Elke Mader meint zu den HeldInnengeschichten und Abenteuern folgendes: „Eine gut erzählte Geschichte ist ein Genuss, sie bringt Gefühle in uns zum Klingen, führt unsere Seele auf Reisen, zeigt uns Möglichkeiten von Sein und Handeln. [...] Die Lust der Menschen Geschichten zu hören, macht das Erzählen auch zu einer Vermittlungsinstanz für gesellschaftliche Werte und Normen: So bringen die Erzähltraditionen aller Zeiten und Kulturen – von Homer bis Hollywood-Bewertungen bestimmter Eigenschaften, Ereignisse und Handlungen zum Ausdruck.“115
114 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 81. 115 Mader, E., Mythische Erzählungen und Alltagswelt, S. 35.
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Solche Erzählungen bewegen die Menschen und stehen für archetypische, immerwährende Wahrheiten. Durch die bekannten Mythen im menschlichen Erfahrungsschatz können die Geschichten an der realen Gesellschaft anknüpfen und werden von allen Menschen verstanden. Die Heldenmythen können somit in das Bild der realen Gesellschaft transferiert werden. Der Mythos gibt Möglichkeiten des Handelns als Reaktion auf Unvorhergesehenes vor. Dass die Reaktionen und Antworten auf Bedrohungen (zum Glück) nicht einfach ins reale Leben zu übertragen sind, macht den Mythos nicht weniger glaubhaft. Nach Elke Mader zeigen die Mythen Möglichkeiten des Seins und Handelns auf. Sie repräsentieren die unlösbaren Konflikte eines kulturellen Systems.116 Mythen erzählen von einfachen Lösungen der Probleme, ähnlich, wie Computerspiele diese darstellen. Der Alltag bietet im Gegensatz dazu kaum einfache Lösungen an. Die Frage nach dem Sinn und dem Ziel stellt sich in mythischen Geschichten und damit auch in Computerspielen nicht. Beides wird den Menschen meist schon am Beginn des Spieles vermittelt. Ein willkommener Unterschied zum Alltag der von Sinnkrisen und Ängsten geprägt wird. Computerspiele kombinieren Sehnsüchte und Bedürfnisse der Menschen nach Mystik mit klar definierten, lösbaren Aufgaben, eingeschlossen in epischen Rahmenhandlungen. Die Erzählungen und Lösungsstrategien werden nicht gleichwertig in den Alltag transferiert, die Menschen erfahren aber eine unterbewusste und emotionale Befriedigung ihrer latenten und versteckten Bedürfnisse und Sehnsüchte.117 Die gestellten Aufgaben, die sogenannten „Quests“, und die Auflösung der vorgegebenen Rätsel, ist für meine GesprächspartnerInnen ein entscheidendes Kriterium für die Qualität eines Computerspieles. Timo: „Die Geschichten und Aufgaben in den Spielen sind mir sehr wichtig. Die sollen im Vordergrund stehen, nur kämpfen ist auf die Dauer zu eintönig. Ich versuche im Spiel möglichst alle „Quests“ zu erfüllen und mit jeder Figur zu sprechen, um neue Aufgaben zu bekommen. Die Gespräche sind unterschiedlich, je nach dem welchem Charakter du spielst und wie intelligent er ist. Man kann die Rätsel oft nur über die Gespräche lösen. Das taugt mir, zieht mich in die Welt hinein.“ Christian: „Sicher ist das Fighten im Spiel geil. Aber durch die Gespräche und Rätsel kannst du so viele unterschiedliche Dinge machen, ein Wahnsinn! So vergeht in den Dörfern und Städten unglaublich schnell die Zeit. Du schaust, redest mit den Menschen und kriegst Aufträge, gehst weiter oder kaufst dir neue Ausrüstungen. Im Rollenspiel hast du so viel Abwechslung, da geht es nicht nur ums kämpfen.“
116 Vgl. Ebda., S. 36. 117 Vgl. dazu Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 82.
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Die virtuellen HeldInnen können die Charaktereigenschaften, die beim Design der Spielfiguren erzeugt wurden, für die spezifischen Aufgaben in den Spielen einsetzen. Die Entscheidungen der SpielerInnen werden vom Spielgeschehen berücksichtigt, und die Auswirkungen direkt erfahrbar. Dies lädt zum Experimentieren ein und führt zu einer neuen Qualität von Erfolgserlebnissen: Spielerfolge werden durch die Entscheidungsmöglichkeiten zu persönlichen Erfolgen und schaffen somit Momente des Glücks und der Befriedigung. Die Aufgaben, die den SpielerInnen gestellt werden, sind zum Teil anspruchsvoll und nur mit einem großem Maß an Kreativität zu lösen. Besonders die ausgeklügelten Rätsel in Abenteuerspielen benötigen viel Ausdauer, steigern aber bei Erfolg umso mehr die Glücksgefühle. Natürlich führen die gestellten Aufgaben auch dazu, SpielerInnen am Bildschirm zu fesseln. Meine GesprächspartnerInnen berichteten von ihrem Ehrgeiz, gestellte Aufgaben auch tatsächlich zu Ende zu bringen, egal wie viel Zeit es kostet. Dieser Zwang mündet dann in entsprechend langen Spielzeiten. Timo: „Wenn ich mir ein Ziel für das Spiel gesetzt habe und ich eine Aufgabe erledigen will, kann ich sehr konsequent sein. Da versetz ich mich intensiv in das Spiel hinein. Ich möchte das dann einfach schaffen.“ Alex: „Wenn ich eine Aufgabe im Spiel zu lösen habe, denke ich während der Arbeit schon nach, wie es im Spiel weiter gehen sollte. Ich freu mich dann aufs Spielen zuhause.“
Die Faszination der Computerspiele besteht nicht nur aus den Elementen der Mystik und des Anderseins. Die gelösten Aufgaben stärken den virtuellen Charakter, wie im realen Leben wird mit der Figur ein Karriereweg beschritten. Nach Peter Kathe entsprechen die Erfolgserlebnisse in der virtuellen Spielwelt den Erfolgserlebnissen in einer realen Welt mit einer kapitalistischen Gesellschaftsstruktur. Spiele bieten aber nur Höhepunkte bzw. Tiefpunkte an, keine langweilige Mittelmäßigkeit. Die Erfolge in den Spielen bieten laut ihm einen Ausgleich zu den Frustrationen des Alltags.118 Höhe- und Tiefpunkte sind klassische Beispiele jeder spannungsreichen Erzählung. Auch Computerspiele nutzen dieses wichtige Erzählelement. Durch die virtuelle Karriere überschneidet sich die reale kapitalistische Gesellschaftsform mit der vormodernen Mythenwelt. Es können im Virtuellen Karrierewünsche eingelöst werden, die in der Realität nicht erreichbar sind. Die virtuelle Spielwelt wird somit, wie in der Realität, vom Kapital geprägt. Dieses Kapital wird durch intensives Spielen vermehrt. Es kann unterschiedlich in der virtuellen Spielwelt in Erscheinung treten. Die digitalen Spielwelten sind meist so programmiert, dass die Geschichte selbst auf die immer erfahreneren Figuren eingeht und im Spiel
118 Vgl. Kathe, P., Struktur und Funktion von Fantasy-Rollenspielen, S. 47-48.
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Erfolg und Macht durch das Fortschreiten des Spieles erlangt werden kann und dies auch vermittelt wird. SpielerInnen können die Steigerung der Charaktereigenschaften der Figur als virtuelles geistiges Kapital annehmen, das durch Zahlen ausgedrückt und verglichen werden kann. Auch diese Werte sind ein Zeichen für einen erfolgreichen Karriereweg, genauso wie das Erlangen virtuellen Reichtums im Spiel, der in bessere Waffen, Rüstungen und Ausrüstungsgegenstände investiert werden kann.119 Vor allem im Bereich der Online-Spiele fällt der Präsentation der erreichten virtuellen Karriere eine höhere Bedeutung zu. Nun haben die SpielerInnen ein Publikum, denen sie ihren erfolgreichen Charakter präsentieren können, ausgedrückt durch Werte, Zahlen und Statistiken und wertvollen Ausrüstungsgegenständen. Die Möglichkeit, den erreichten Erfolg vermitteln zu können, steigert die Faszinationskraft der Online-Spiele. Der reale Kapitalismus verlangt von den Menschen Erfolgsdenken und Ellbogeneinsatz. Computerspiele integrieren diese Anforderung der realen Welt in die virtuelle Welt. Kapitalistische Wertvorstellungen verschmelzen mit vormodernen und mythischen Moral- und Wertvorstellungen. Ähnliche Züge tragen Spiele in einem futuristischen Setting, denn auch hier beherrscht das Kapital das Geschehen.120 Diese kapitalistisch geprägten Spielkonzepte zeichnen sich in den meisten Computerspielen ab. In einem Shooter wird erfolgreiches Spielen durch ein immer besseres Waffenarsenal belohnt, in Strategiespielen durch besseres Kampfgerät und Wirtschaftssimulationen basieren auf der Idee der Kapitalvermehrung. HeldInnen machen sich auf eine Reise ins Ungewisse, um eine aus den Fugen geratene Welt zu erlösen. Sie sind laut Jung archetypische Figuren und gehören in den Bereich des kollektiven Unterbewusstseins. Sie sind der Archetypus des mächtigen Mannes, des Zauberers, Häuptlings, Heiligen und Freundes der Götter. HeldIn sein bedeutet laut Jung für den Mann eine Emanzipation vom Vater, für die Frau das erstmalige Empfinden der eigenen einmaligen Individualität. Dies geschieht durch eine lange, gefahrvolle Reise: der Hadesfahrt, den Kampf mit den Drachen, etc., an deren Ende die Erlösung bzw. die Wiedergeburt steht.121 Dies sind Bilder und Mythen, die sich im kollektiven Unterbewusstsein festgesetzt haben und einen Reifungsprozess des Selbst symbolisieren. Doch sind die HeldInnenbilder bis zu einem gewissen Grad neben den unterbewussten konstanten Bildern auch zeitspezifisch. Vor allem in den neuen Medien beziehen sich HeldInnenkonstruktionen stark auf die jeweiligen zeitspezifischen Gegebenheiten. Andreas Hepp bringt diesen Umstand anhand einer Studie von Bennet u. Woollacott über den zeitspezifischen Wandel der Darstellung der Heldenfigur James Bond näher. Diese wandelte sich
119 Vgl. dazu Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 83. 120 Vgl. Ebda., S. 83-84. 121 Vgl. Jung, C. G., Gesammelte Werke 7, S. 245ff.
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vom politischen Helden der gehoben Mittelklasse der 1950er Jahre zur Zeit des kalten Krieges in den 1960er zu einen draufgängerischen Helden, der auch die befreite Sexualität symbolisierte. Ab den 1980er Jahren bekam die Figur parodistische Elemente, während er aktuell sich zum harten, kompromisslosen Einzelkämpfer wandelt. Somit stellt die Kunstfigur James Bond seit dem Ende des 2. Weltkrieges ein symbolisches Zeichen dar, das durch eine Vielzahl von Texten konstituiert wird und in dem ein soziokultureller Wandel eingeschrieben wird.122 Die HeldInnen in Computerspielen machen ebenfalls zeitspezifische Wandel durch. Sie wurden in früheren Spielen abstrakt und stereotypisch dargestellt, oder wie Mark J. P. Wolf ausführt, in dem er ComputerspielheldInnen mit FilmheldInnen vergleicht: „[…] video games’ heroes are certainly more static than film heroes, and plots are often even more predictable.“123
Neuere Spiele präsentieren zum Teil durchaus vielschichtigere Figuren oder auch „Anti- HeldInnen“ und Menschen, die auch innere Zweifel haben dürfen. Die neuen HeldInnen sind zerrissene Figuren, eine Collage aus archaischen Mythen und moderner Hightech-Fantasien. Die virtuellen Spielwelten reflektieren die zeitspezifischen Einflüsse von Trash und Pop und verbinden die archaischen Mythen zu Trivialmythen, wie Natasha Adamowsky sie bezeichnet.124 Dabei verbinden sich abendländische mit asiatischen oder afrikanischen Mythenvorstellungen zu einem Konglomerat aus Fantasiefiguren, ohne kulturelle Traditionen. Bei meinen Gesprächen mit SpielerInnen fiel mir auf, dass die virtuellen HeldInnenfiguren und ihre Präsentationen nicht bezüglich ihres realen Ursprungs hinterfragt werden. Sie müssen keiner kulturellen Logik entsprechen, der asiatische Drache kann neben europäischen Elfen oder Feen koexistieren. Zeitalter oder Historie spielen im ludischen virtuellen Raum eine ebenfalls untergeordnete Rolle, Ausnahmen stellen dabei z.B. historische Kriegs- oder Strategiespiele dar.125 Den klassischen Weg des/der HeldIn, seine bzw. ihre Reise, sein und ihr Leiden und seine bzw. ihre Selbstfindung bis hin zur Erlösung, repräsentieren dagegen fast alle Formen moderner Computerspiele. Florian Rötzer vergleicht deshalb die Figuren und Geschichten in Computerspielen mit den klassischen griechischen Tragödien. Diese sind eine Kunstform, die paradoxe Vergnügen wie Jammer, Schauder oder Furcht bei den ZuseherInnen erzeugt und sie dadurch in eine derartige Aufre-
122 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 133-135. 123 Wolf, J.P.M., Genre and the Video Game, S. 114. 124 Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuelle Welten, S. 232. 125 Vgl. dazu auch Ebda., S. 232ff.
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gung versetzt, dass sie die Handlung und Identifikation mit den HeldInnenfiguren emotional tiefer nachzuvollziehen.126 Von den SpielerInnen erzeugte HeldInnenfiguren, wie sie vor allem in Rollenspielen zu finden sind, bieten viel Platz für die Repräsentation der SpielerInnen mit Hilfe ihrer Figuren. Dementsprechend stereotypisch, in diesem Zusammenhang kann man sie auch archetypisch nennen, sind die Figurendarstellungen. Die SpielerInnen sollen durch ihre Art zu spielen ihren Figuren Vielfalt und Charakter verleihen. Somit wird diese virtuelle Spielweise der Menschen zu einem Indiz und Ausdruck für die Lebensweisen in einer postmodernen Gesellschaft. Allerdings haftet dem Heldenmythos immer die verführerische und machtmissbrauchende Diktion der Diktaturen und Regime, allen voran dem Naziregime, an. Literatur, Heldenmythen und Sagen wurden im Nationalsozialismus für politische Zwecke und Parteiinteressen missbraucht. Sabine Fuchs beschäftigte sich in ihren Aufsatz „Wir packen jedes Ding gemeinsam an“ mit der deutsch-österreichischen Kinder- und Jugendliteratur während der NS Zeit. Deutsche Heldensagen und -lieder wurden als nationales hochwertiges Bildungsgut gesehen, genauso wie die Kriegsliteratur aus der wilhelminischen Epoche. Kinder und Jugendliche sollten laut ihr durch ausgewählte Literatur ein lebendiges Staatsgefühl erlernen, die Heimat lieben und Stolz auf die deutsche Nation entwickeln.127 Abenteuerliteratur wurde nach Sabine Fuchs anerkannt, wenn sie sich auf die Opferbereitschaft des einzelnen für die Gemeinschaft bezog. Heimatliteratur dann, wenn sie der Ideologie der Bewahrung des alten Erbes entsprach, wie z.B. Peter Roseggers Waldheimat. Die Heimat wird glorifiziert und verehrt und in die Blut und Boden-Ideologie der Nationalsozialisten eines verklärten intakten ländlichen Raumes integriert. Kinder und Jugendliche sollten sich laut Fuchs mit den Taten der deutschen Helden identifizieren. Der Dienst an der Volksgemeinschaft wird als höchstes Ziel gesehen; Dienen, Gehorsam und Zucht als Lebenserfüllung stilisiert.128 Gemeinschaftstreue, Aufopferung des und der einzelnen für das Ganze, Mut, Ehre, Heimattreue, etc. sind Elemente, die in fast jedem Abenteuerbuch, Film oder eben Computerspiel zu finden sind. Mystische Landschaften und Orte, mittelalterliche Szenarien und Fabelfiguren bevölkern Computerspiele, ähnlich den deutschen Märchen und Heldenepen. Die geliebte Heimat bzw. das geliebte eigene Volk muss in den meisten Spielen verteidigt werden. HeldInnen sind, wie bereits beschrieben, ein zentrales Element vieler Spiele. Doch existieren diese Motive, welche Computerspielen und zugleich allen Medien, die Abenteuergeschichten erzählen, innewohnen, unabhängig ihrer Verwendung durch die MachthaberInnen. In heutigen Spie-
126 Vgl. Rötzer, F., Angst vor dem neuen Medium, S. 13-14. 127 Vgl. Fuchs, S., Wir packen jedes Ding gemeinsam an!, S. 274-285. 128 Vgl. Ebda., S. 274-289.
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len stellen die Nationalsozialisten zumeist ein dämonisches Feindbild dar, das es zu bekämpfen gilt. Dennoch muss auch heute klar sein, dass Computerspiele, so wie alle anderen elektronischen Medien auch, sehr leicht manipulierbar und für Propagandazwecke einsetzbar sind. HeldInnen sind großen Gefahren ausgesetzt, wenn sie sich auf ihre abenteuerliche Reise begeben. Sie müssen alle Fähigkeiten einsetzen, um ihr Abenteuer zu bestehen. Die Abenteuer in den Spielen sind nur durch den durchdachten Einsatz der Fähigkeiten der Spielfiguren zu bestehen. In Online-Spielen, in denen SpielerInnengruppen gemeinsam antreten, müssen die unterschiedlichen Fähigkeiten der Gruppenmitglieder kombiniert werden. Darum ist auch die bereits besprochene Charaktererstellung von entscheidender Bedeutung, da hier die Fähigkeiten erstellt und weiterentwickelt werden. Laut meinen InterviewpartnerInnen weiß man mit der Zeit die Eigenschaften und Fähigkeiten der Spielfiguren zu schätzen. Die Figuren werden liebevoll mit Ausrüstungsgegenständen versehen, die die virtuellen StreiterInnen mächtiger machen. Dieses Sammeln von Ausrüstungsvariationen ist für meine GesprächspartnerInnen ein wichtiger Faktor für die Spielfaszination und motiviert zum Weiterspielen. Das Einsetzen und Ausbauen der Charakterfähigkeiten stellt also einen wichtigen Spielanreiz dar. T.L.: „Wenn du eine Spielfigur erstellst, nimmst du dir viel Zeit dafür? Christian: „Ja, das muss man so machen. Es kann viel schiefgehen, wenn man die falschen Werte nimmt. Man muss da sehr genau aufpassen, dass man z.B. eine Figur mit Diplomatie nimmt, sie sollte dann auch eine hohe Intelligenz haben, um Gespräche erfolgreich zu meistern. Da muss man dann auch aufpassen, wem man die Gruppenführung gibt.“ Timo: „Das Charaktere zusammenstellen, die große Auswahl an Eigenschaften und Talente, die man vergeben kann. Das nimmt viel Zeit in Anspruch, bis man sich überall hinein gelesen und hineingedacht hat. Bis man weiß, welche Vorteile die jeweiligen Eigenschaften haben, was passiert, wenn man dies oder jenes auswählt. Mir taugen diese Details, damit kann ich mich ins Spiel hinein versetzen. Das Auswählen der Bilder für die Charaktere und deren Gestaltung ist einfach genial.“ Karin: „Man weiß mit der Zeit die Eigenschaften und Fähigkeiten der Spielfiguren zu schätzen und verliert sie nur ungern. Das ist irgendwie wie mit einer multiplen Persönlichkeit. Man rechnet mit den Figuren, man weiß, was sie können und wie die nächsten Aufgaben zu lösen sind. Fehlt eine Figur, kann man gewisse Dinge eben nicht mehr machen, das geht dann schon irgendwie ab.“129
129 Interview mit Karin in Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 85.
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Das Zusammenwirken der Gruppen und der Fähigkeiten ihrer Mitglieder wird ein bestimmender Faktor in den Online-Spielen und festigt die Position des/der Einzelnen in einer virtuellen Gemeinschaft. Jede Figur wird somit innerhalb der Gruppe wichtig und einzigartig. Das Gefühl ein/e HeldIn zu sein und Abenteuer in einer virtuellen Gegenwelt zu erleben, ist für meine InterviewpartnerInnen entscheidend. Sie meinen aber auch, dass dieses besondere Gefühl des „HeldInnen-Seins“ für NichtspielerInnen schwer vermittelbar und erklärbar ist. Alex: „Ich glaub erklären kann man das niemandem. Entweder es taugt einem, oder nicht. Wenn jemand von vorn herein gegen Computerspiele ist, wirst du ihn nie dazu bringen zu spielen. Mich faszinieren die Zeit in der die Spiele spielen und die Charaktere, die dahinter stehen. Mit Magiern und Schamanen ein Held in dieser Welt sein, das taugt mir. Und die Geschichte dahinter. Du kannst jemanden erzählen was du willst, wie toll die Grafik ist, oder so. Aber verstehen tut das niemand, der nicht selbst spielt.“
Virtuelle HeldInnen stellen eine Mischung an Machtansprüchen, Kontrollfantasien und Ausleben von Sehnsüchten nach Fantasie und Mystik dar. Die Kulturwissenschaftlerin Roberta Schaller-Steidl meint dazu: „Wir verlangen nach einem Kontrast zu unserem Leben, der ein gedachter, ein gewünschter ist. Leben und Abenteuer ergeben ein gedachtes Spannungsverhältnis, das nicht dazu da ist, um aufgelöst zu werden. […] Der Mythos des Abenteuer kann deshalb aufrechterhalten werden, weil wir dem Leben scheinbar nichts Abenteuerliches abgewinnen können.“130
Zu reglementiert und strukturiert ist unser Alltag, zu sehr fühlen wir uns als kleines Rädchen in einem undurchschaubaren bürokratischen System. Gelingt ein „Ausbruch“ bzw. eine alternative Lebensform im realen Leben nicht, so können Computerspiele temporäre virtuelle Ausflüchte im imaginären Raum des Cyberspace anbieten. HeldInnen sind das Gegenbild zum Alltag, in dem sich die meisten Menschen kaum als solche fühlen. Im Computerspiel kann das Leben eines/r HeldIn aktiv nachempfunden werden. Das Besondere an Computerspielen ist das Einweben der Spielfigur in die gesamte Spielhandlung, die sich rund um den virtuellen Charakter entfaltet und durch unterschiedliches Spielverhalten verändert werden kann. Dies ist mittels herkömmlicher Medien nicht möglich. In Online-Computerspielen ergeben sich aktive virtuelle Communities, die eine Beteiligung aller SpielerInnen einfordern.131
130 Schaller- Steidl, R., Abenteuerlich, über Abenteuer zu schreiben…, S. 8. 131 Vgl. dazu auch Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 85-86.
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Zusammenfassung Wie Elke Mader bereits festgestellt hat, sind gut erzählte Geschichten der Kern von HeldInnenabenteuern.132 Für Christian und Timo sind sie zentral, bestimmen das Spiel und tragen damit wesentlich zur Atmosphäre des Spieles bei. Ausgehend von Peter Kathe, der die Wichtigkeit der Aufgabenstellung, ihre Erfüllung und die einhergehenden Erfolgserlebnisse in Rollenspielen beschreibt,133 überprüfte ich seine Theorie auch für meine InterviewpartnerInnen. Es stellte sich heraus, dass die Aufgabenstellung neben der erzählten Geschichte, tatsächlich eine entscheidende Rolle für die SpielerInnen einnahm. Die Lösung der Probleme spornte sie an, sie wollten die gesteckten Ziele erreichen, egal, wie viel Zeit sie dafür aufwenden mussten. Die Aufgaben mussten gelöst werden, die Problemstellungen beschäftigten die Gruppenmitglieder auch während der Arbeit. Die Spielwelten reichten damit weit in den Alltag hinein. Als wesentlich erschien mir auch, Carl Gustav Jungs Theorien134 über Archetypen, Heldenbilder und Heldenreisen auf die virtuellen Spielgeschichten anzuwenden, ähnlich wie es bereits Rebecca Tews135 versucht hatte. Es ist bemerkenswert, wie stark die Medien und insbesondere die untersuchten Computerspiele von archetypischen Bilderkonstruktionen geprägt sind. Das Bild vom Helden, der nach langen Entbehrungen am Ende seiner Reise „Großes“ vollbracht hat und das hereingebrochene Chaos besiegt bzw. die Ordnung wieder herstellt, konnte ich in fast jedem Abenteurercomputerspiel finden. Das Schlüpfen in diese Heldenfigur stellte für meine GesprächspartnerInnen eine große Befriedigung dar und spornte zum Spielen an. Wie wichtig diese HeldInnenfiguren sind, zeigte sich auch am liebevollen Erstellen des eigenen virtuellen Charakters und die Zeit, die sich Gruppenmitglieder für diesen Vorgang nahmen. So wie Anke Bahl die Suche nach neuen Identifikationsangeboten als typisch für unsere Zeit bezeichnet,136 sehe ich in der Möglichkeit des Erstellens von virtuellen Alternativcharakteren in Computerspielen eine Chance, mit variablen Identitäten zu experimentieren. Diese Möglichkeit nahmen die SpielerInnen auch an und erstellten archaische Heldenfiguren mit faszinierenden magischen Möglichkeiten, die einen für die Spieler entlastenden Kontrast zum Alltag boten. Die Wichtigkeit dieses Kontrastes zum alltäglichen Leben betonte
132 Vgl. Mader, E., Mythische Erzählungen und Alltagswelt, S. 35. 133 Vgl. Kathe, P., Struktur und Funktion von Fantasy-Rollenspielen, S. 47-48. 134 Vgl. Jung, C. G., Gesammelte Werke 7, S. 245ff. 135 Vgl. Tews, R., Archetypes on Acid, S. 174-176. 136 Vgl. Bahl, A., Zwischen On- Offline, S. 33ff.
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bereits Roberta Schaller-Steidel.137 Die Spielwelten der Computerspiele, ihr faszinierendes Erfahren und Erleben durch die Gruppenmitglieder bestätigen dies.
D ER D UALISMUS
VON
G UT
UND
B ÖSE
Ähnlich dem Heldenbild oder dem Mythos der Reise und der Erlösung, ist auch der Dualismus von Gut und Böse ein Archetypus, der an Jungs Gegenüberstellung von „Anima/Animus“ erinnert. „Anima“ und „Animus“ sind laut ihm die Gegenpole der menschlichen Psyche und repräsentieren das jeweils weibliche bzw. männliche Unbekannte der Seele. „Anima“ und „Animus“ können sowohl gute, wie auch schlechte Eigenschaften darstellen. Darin spiegeln sich nach Jung die guten und bösen Seiten des Menschseins wider. Das Gute ist im ständigen Kampf mit dem Bösen, welches von Jung auch als der Schatten bezeichnet wurde.138 Menschen sind grundlegend auf duale Prinzipien fixiert: Die/der HeldIn braucht die/den FeindIn oder die Natur und Chaos als Gegenpol, die Ordnung besiegt das Chaos, die Wiedergeburt bzw. das ewige Leben den Tod usw. Es ist daher naheliegend, dass Medienprodukte, die diese Archetypen reproduzieren, tiefste Bedürfnisse, Wünsche und Sehnsüchte ansprechen. Rebecca R. Tews meint dazu: „Games have also explored both the positive and negative aspects of the animus. […] Win or lose, in these games the hero succeeds in achieving a legendary status that overcomes the negative aspects of the animus. The conflict between positive and negative animus aspects is the subject of most hand-to-hand combat games [...]. The games emphasize the destruction of the antisocial and evil animus forms by the positive animus in hero form.”139
Die einseitigen und klaren Weltbilder der Computerspiele stellen daher eine wesentliche Vereinfachung für die Orientierung der SpielerInnen dar. Virtuelle Lebewesen bekommen in der Spielwelt eine moralische Definition, das heißt, die SpielerInnen wissen sofort, mit welchen virtuellen Figuren sie zu tun haben, ob sie ihnen freundlich, neutral, oder feindlich gegenüber stehen. Diese Zuschreibung wird von den SpielerInnen nicht hinterfragt, sondern fügt sich der Logik der Spielwelten. In diesem Sinne sind virtuelle Computerspielwelten, in denen Feindbilder erzeugt und bekämpft werden, prinzipiell als Distinktion aufgebaut. Das Fremde wird zum Bösen, ganze Fantasy-Völker, wie Orks, Gobline, Werwölfe, etc. werden als Feinde
137 Vgl. Schaller- Steidl, R., Abenteuerlich, über Abenteuer zu schreiben…, S. 8. 138 Vgl. Jung, C. G., Gesammelte Werke 11, S. 83ff. 139 Tews, R., Architypes on Acid, S. 179.
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definiert. Doch wird nicht auch in der Realität allzu schnell das Fremde und Unbekannte als Böses deklariert? In Computerspielen wird das virtuelle Töten Angehöriger böser, unerwünschter Völker belohnt. Auch in der Realität werden Feindbilder erzeugt und mit zweifelhafter moralischer Legitimation gegen die Menschen dahinter vorgegangen. In Computerspielen erkennt man, dass unsere Gesellschaft sich zwar zivilisiert und aufgeklärt bezeichnet, dennoch im Virtuellem und Realem Feindbilder durch unterdrückte Aggressionen und Ängsten von Fremden und Anderen entstehen lassen.140 Wie Klaus Theweleit in seiner umfassenden Analyse der Soldatenromane rund um den Ersten und Zweiten Weltkrieg herausstrich, haben die Abenteuerromane eine ihrer Wurzeln in der rechtsorientierten Soldatenliteratur der Zwischenkriegszeit. Computerspiele lehnen sich vielfach an das Skript dieser Romanvorlagen an. Es könnte sein, dass die Fantasy-Literatur, die ja als Vorlage für viele Computerspiele dient, über ihre Wurzeln im Abenteuerroman rassistische Elemente neu belebt.141 Dies konnte ich anhand meiner empirischen Forschungen bei den Mitgliedern der Spielergruppe zwar nicht bestätigen, dennoch möchte ich nicht ausschließen, dass überall dort, wo Rassismus und Intoleranz in den Köpfen der SpielerInnen durch ihr soziokulturelles Leben und Umfeld verankert sind, die rassistischen und ausgrenzenden Elemente der Computerspiele auf fruchtbaren Boden fallen. Möglicherweise wird dabei der/die virtuelle GegnerIn mit einem realen Feindbild verschmolzen. Ich meine, dass Computerspiele kaum dazu beitragen können Aufklärung zu betreiben und rassistische Tendenzen abbauen. Auch wenn sie nicht absichtlich Rassismus und Intoleranz fördern wollen, stellen Medienbilder dennoch Vorlagen für diese Strömungen dar, die bei entsprechendem Bedarf der KonsumentInnen abgerufen werden können. Medien sind in diesem Sinne nicht unschuldig, und die ProduzentInnen sollten sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Natürlich kann man Computerspielen zugutehalten, dass sie den gemeinschaftlichen Aspekt des Spielens z.B. über das Internet fördern und weltweit Menschen unterschiedlichster Kulturen zusammen bringen. Dabei werden Grenzen abgebaut, und die SpielerInnen erkennen ihre Gemeinsamkeiten, obwohl sie selbst unterschiedlichsten Kulturkreisen angehören. Es darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass Medien und Computerspiele teils bewusst und vorwiegend illegal für Propagandazwecke mit rassistischem Gedankengut missbraucht werden können. HeldInnen haben für ihre Taten die moralische Rechtfertigung, genauso wie in der Realität die SoldatInnen das moralische Recht zu töten, von der Gesellschaft erhalten. Wird das Fremde zum Bösen, kann es unhinterfragt vernichtet werden.
140 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 78. 141 Vgl. Theweleit, K., Männerphantasien Bd. 1, S. 25ff und Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 78.
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Computerspiele, vor allem wenn es sich um „realitätsnahe“ Simulationen und Kriegsshooter handelt, unterstützen gewollt oder auch ohne Absicht den Prozess der Erstellung von Feindbildern und damit auch ihre Zuweisung zu Feindbildern in der Realität. Wenn z.B. in den Medien und insbesondere in den Kriegsspielen permanent Menschen aus dem islamischen Kulturkreis als Feinde dargestellt werden, werden die KonsumentInnen irgendwann diese mediale Darstellung verinnerlicht haben. Damit kommt es zu Bedeutungstransferprozessen zwischen virtuellem Spiel und der Realität. Der überwiegende Anteil an (schein)moralisch gerechtfertigten HeldInnentypen entspricht einer guten Gesinnung. HeldInnen und ihre Taten sind prinzipiell vorwiegend als positive Taten mit einer guten Gesinnung definiert. Karin meint dazu: „Die Spiele geben meistens den Anreiz, einen guten Weg einzuschlagen. Der Böse Weg ist schwieriger zu spielen. Es ist zwar möglich böse zu sein, aber einfacher und befriedigender ist es gut zu sein. Außerdem müssen ja Heldentaten gut sein, oder? Es gibt ja keine bösen Heldentaten, das widerspricht sich doch. Ein Held muss einfach irgendwie gut sein.“142
Ebenso deutlich werden die als böse definierten Charaktere (Orks, Vampire, Monster, etc...) im Spiel ohne moralische Hemmungen eliminiert. Schurken, Monster, Dämonen sind böse konnotiert, potentielle Hemmungen seitens der SpielerInnen werden laut Birgit Richard dadurch ausgeschaltet.143 Das Töten der bösen Figuren steigert für die HeldInnen ihre Erfahrungswerte und damit ihre Eigenschaften. Dies lässt die Spielgeschichte voranschreiten. Das Ansehen in der virtuellen Spielwelt steigt. Die Vernichtung des Bösen und das Beschützen des Guten vermitteln Erfolgserlebnisse für die SpielerInnen. Durch die Benennung der virtuellen Feinde als das Böse, wird das Töten im Spiel moralisch gerechtfertigt. Ein Vorgang, den wir leider auch in der Realität beobachten können und der vielfach die Legitimation für Angriffe auf andere Menschen bietet, wie bereits im Kapitel Krieg, Kampf, Gewalt und Spiel festgestellt wurde. Die Vernichtung des Bösen bedeutet aber nicht nur den Triumph des Guten, sondern auch eine Konfrontation mit den inneren Ängsten. Die SpielerInnen stellen sich dem Bösen und der Gefahr und meistern sie letztendlich. Stirbt die Spielfigur, wird sie sofort für einen neuen Versuch wieder belebt, bis das Böse besiegt wird. In Horror-Spielen begegnen die SpielerInnen unterschiedlichsten Urängsten und können diese symbolisch bearbeiten. Wolfgang Schindler meint dazu, dass unser tägliches Leben von Ängsten geprägt wird, sei es die ständige Gefahr vor Atomkriegen, Terrorismus oder die totale Abhängigkeit von Technik und Medizin. Diese realen
142 Interview mit Karin, vgl. mit Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 80. 143 Vgl. Richard, B., Sheroes, S. 13.
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Ängste berühren uns unterbewusst.144 Medien wie Film und Fernsehen, aber allen voran die Computerspiele bearbeiten diese Ängste und zeigen auf, dass die Gefahr überwunden und letztendlich das Böse besiegt werden kann. Auch wenn dies nur symbolisch auf virtueller Ebene passiert, kann dies zu einer Entlastung bei SpielerInnen führen. Doch führt nicht nur das Besiegen des Bösen zu einer solchen Entlastung, auch das Schlüpfen in die Rolle einer bösen Figur kann zu Kompensations- und Entlastungsvorgängen führen. Im virtuellen Bereich können sich die SpielerInnen dem Dunklen und Bösem stellen, indem sie selbst diese Rolle annehmen. Vor dem Bösen fürchten sich die Menschen, es bedeutet Machtbefriedung, wenn nun die SpielerInnen selbst das Böse verkörpern können. Kontroll- und Machtfantasien können dadurch spielerisch ausgelebt werden. Wie im letzten Kapitel angesprochen, schlüpfen einige meiner Gesprächspartner aus diesem Grund bewusst in die Rolle des Schurken, obwohl sie in der realen Welt ihre Handlungen in den Spielen niemals moralisch rechtfertigen könnten. In den Spielen können die SpielerInnen böse sein, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Sie setzen sich damit mit ihren dunklen Seiten und auch verborgenen Ängsten auseinander. Durch das Schlüpfen in die Rolle des virtuellen Bösen wird unbewusst die Angst vor genau diesem gemildert. Die Computerspiele schöpfen ihr Potential aus der facettenreichen Darstellung des Bösen und Alptraumhaften. Damit gehen sie einher mit den verwandten Medien Film und Fernsehen. Katastrophen und Morde erhöhen die Einschaltquoten der Nachrichten, Filme beschäftigen sich in der Regel wesentlich häufiger mit der dunklen Seite der Menschen, als mit der guten Seite. Das Böse scheint die Menschen mehr zu faszinieren, als das Gute. Dieser Umstand ist aber kein Phänomen der neuen Medien. Hans Holländer analysiert die detaillierten Darstellungen der Hölle und des Bösen in der Kunst u.a. bei Hieronymus Bosch. Das Paradies und das Heilige faszinieren seiner Meinung nach nicht, sondern die Hölle. Nach der Erlösung können sich die Menschen das Paradies nicht mehr vorstellen, während die Hölle in unterschiedlichsten Facetten dargestellt wird. In ihr „leben“ laut Holländer zahlreiche Kreaturen und Fantasieausgeburten. Die Künstler konnten bei der Darstellung der Hölle ihren Fantasien freien Lauf lassen und mussten sich nicht um ästhetische Vorgaben und Proportionsregeln kümmern.145 Die Hölle als Ort des Bösen symbolisiert demnach das Chaos und das Treiben der Ausgeburten der Hölle mit ihren Absonderlichkeiten. Das Abnorme und die Zurschaustellung dieser Absonderlichkeiten wurden schon beim „Bachtinischen karnevalesken Jahrmarktstrei-
144 Vgl. Schindler, W., Doomes Zeug. Fragwürdige Computerspiele, S. 35. 145 Vgl. Holländer, H., Diabolus in Artibus, S. 10.
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ben“146 beobachtet. Computerspiele verwenden diese Metaphern, es geht also nicht nur darum, das Böse zu überwinden, sondern eine Neugier erfasst die SpielerInnen, wenn sie mit Monstern, Werwölfen, Dämonen, etc. konfrontiert werden. SpielerInnen von Horrorspielen genießen den Nervenkitzel, wenn hinter der nächsten dunklen Ecke ein neues Grauen auftaucht und das Spielerleben bedroht. Bernd Ternes macht deutlich, dass die Omnipräsenz des Bösen in Zusammenhang mit der Entwicklung der säkularisierten Gesellschaft steht. Seit der Aufklärung wurde laut ihm versucht, das Böse als Irrationales, Unerklärliches und Unberechenbares zu definieren und durch den Rationalismus zu eliminieren. Die Entdämonisierung des Bösen führte aber nicht zu seinem Verschwinden, sondern zu einem immanenten Auftreten in der säkularisierten Welt.147 Während laut Ternes die Religionen das Böse benennen und temporär erscheinen lassen, stellen sie einen Sieg über das Böse in Aussicht. Indem aber das Böse mit Katastrophen, Amokläufen, Chaos, Umweltzerstörung usw. gleichgesetzt wird und diese über die Medien in alle Bereiche der Gesellschaft transportiert werden, haftet laut ihm der Postmoderne das Böse ständig an, während das Gute nur noch als temporäre Reaktion auf das Böse wahrgenommen wird.148 In der Realität wird es schwierig das Böse zu benennen. Zu undurchsichtig werden die gesellschaftlichen Zusammenhänge, um Schuldige hinter negativen Ereignissen auszumachen. Abhilfe schaffen die medial geschaffenen Feindbilder: Das Böse verbirgt sich hinter dem Fremden, den AusländerInnen, im Nahen Osten, in der unberechenbaren Natur, in der Unordnung, etc. Somit finden wir das Böse überall um uns herum, aber keine Strategie, um real dagegen anzutreten. Nur virtuell mittels der Medien können wir das Böse bekämpfen bzw. werden wir selbst eine Figur des Bösen. Theresia Heimerl stellt fest, dass durch die Kirche das Böse als Kontrast zum Geistlichen im Leib und schließlich in der Sexualität gesehen wurde. Der religiöse Wahn führte laut ihr im Spätmittelalter zur Hexenverfolgung und in der christlichen Tradition wurden die Sünde und das Böse mit der Frau assoziiert.149 Das Böse war im Mittelalter demnach allgegenwärtig, aber es gab auch Lösungsstrategien, welche die Kirche anbot, um dem Bösen zu entfliehen. Im Spätmittelalter und in der Neuzeit wurde laut Heimerl das Böse überpräsent und in einer unglaublichen Paranoia real in allen Bereichen des Lebens entdeckt. Dies war die Zeit der Hexenverfolgung. Für Theresa Heimerl wurde damit das Böse zu dieser Zeit mächtiger als das Gute.150 Wissenschaft und Aufklärung konnten zwar die Gesell-
146 Siehe S. 150ff. 147 Vgl. Ternes, B., Das Böse als Effekt der Substantivierung…, S. 15. 148 Vgl. Ebda., S. 15-16. 149 Vgl. Heimerl, Th., Das Böse im Mittelalter, S. 50ff. 150 Vgl. Ebda., S. 50-53.
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schaft rationalisieren und säkularisieren, das Böse blieb aber bis in die heutige Zeit im Unterbewussten und in den Medien allzeit präsent. Religionen bieten kaum noch adäquate Lösungsstrategien zur Bekämpfung des verborgenen Bösen an. Dies übernehmen nun scheinbar die Medien. Vor allem Computerspiele können durch das aktive Ausleben der Konfrontationen mit dem Bösen, bzw. das Schlüpfen in die Rolle des Bösen, Entlastungen für die Menschen schaffen. Jedoch bleiben diese Vorgänge meistens auf die virtuelle Welt des Computerspieles beschränkt. Anzumerken bleibt allerdings, dass Menschen, die in ihrer sozialen Umwelt von Hass und Ängsten geprägt werden und vom Bösen fasziniert sind, auch in der Medienwahl vermehrt zu Produkten greifen, in der man in die Rolle des Bösen schlüpfen kann, bzw. den Fokus auf das Böse richtet. Hierbei könnten soziale Umweltvariablen und einschlägiger Medienkonsum eine Steigerung von Ängsten und Aggressionen bewirken. Zusammenfassung Mit Hilfe von Carl Gustav Jungs Theorien lassen sich die dualen Bilderkonstruktionen in Computerspielen sehr gut erklären. Der ewige Kampf Gut gegen Böse ist prägend für die Spiele und basiert auf Jungs Archetypen „Anima/Animus“ als Gegenpole der menschlichen Psyche.151 Vielmehr noch sind unsere gesamte Kultur und unser Denken nach dualistischen Prinzipien aufgebaut, die Konflikte zwischen Gut und Böse, Licht und Schatten sind prägend für Computerspiele.152 Dies ist auch die Konfrontation, die den meisten Spielen einen tieferen Sinn gibt und Konflikte moralisch legitimisiert. Das Böse zu besiegen stellt für viele SpielerInnen einen nicht unerheblichen Antrieb dar, die von mir befragten InterviewpartnerInnen sprachen von einer enormen Befriedigung, die ein Sieg über das Böse bietet. Wie bereits Birgit Richard feststellte, vollzieht sich in Computerspielen eine möglichst simple und eindeutige Definition, wer oder was als Böse zu bezeichnen ist und wer die Guten sind.153 Daraus abgeleitet konnte ich bei meinen GesprächspartnerInnen eine fast durchgehende Präferenz für das Spielen guter Charaktere feststellen. Dies geschieht vermutlich auch deshalb, da die Spiele durch die dualistische Darstellung von Gut und Böse die SpielerInnen in diese Richtung lenken. Online-Rollenspiele, wie z.B. „World of Warcraft“, die auf eine Konfrontation unterschiedlicher SpielerInnengruppen ausgelegt sind, lassen die festen Grenzen zwischen Gut und Böse verschwinden, damit sich die SpielerInnen auch der bösen Seite zuwenden können. Dies garantiert ausgewogene Gefechte zwischen den Frak-
151 Vgl. Jung, C.G., Gesammelte Werke, 11, S. 83ff. 152 Vgl. Tews, R., Architypes on Acid, S. 179. 153 Vgl. Richard, B., Sheroes, S. 13.
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tionen und führte auch dazu, dass einige Gruppenmitglieder diese böse Seite wählten. Interessanterweise verteidigte z.B. Alex seine Wahl als böser Charakter, indem er den traditionellen virtuellen Repräsentanten des Bösen (Orcs, Vampire, Untote, Werwölfe, Trolle, Dunkelelfen etc.) auch einen Lebensraum zugestehen möchte und meinte, dass eigentlich die bösen Figuren gar nicht so böse seien, sondern sich nur verteidigen möchten. Hier zeigt sich, dass Spiele den Grad der Darstellung von bösen Charakteren ändern können, falls es notwendig erscheint bzw. dass das Böse, wie bereits Hans Holländer ausführte, seinen Reiz auf spielende Menschen ausüben kann.154 In die Rolle des Bösen zu schlüpfen bedeutet für die SpielerInnen auch eine Befriedigung von Machtbedürfnissen, in der Meinung, mit Hilfe der Verkörperung böser Figuren, Charaktere darzustellen, vor denen sich andere fürchten. Dies bestätigte mir Alex mit seiner Figurenauswahl eines mächtigen, dunklen und gefürchteten Schamanen. Würde die Darstellung des Bösen im Spiel aber dahingehend gestaltet sein, dass diese bösen Figuren wahllos und brutal Unschuldige ermorden, würde sich wohl kaum ein/e SpielerIn mit diesen Figuren identifizieren können und wollen.
V IRTUELLER UND REALER K ÖRPER Der Computer und seine Benutzung fordern geistige Konzentration. Der Körper hält sich dabei im Hintergrund, sein Nutzen beschränkt sich auf die Eingabe von Kontrollbefehlen.155 Der menschliche Realkörper wird dabei kaum gefordert und auch im Internet hat der physische Körper wenig Bedeutung, da er ausgeblendet wird. Das Körperlose scheint zu überwiegen, jedoch prägen Körperbilder massiv den virtuellen Raum mit, wie bereits behandelt wurde.156 Die Faszinationskraft des Cyberspace und der virtuellen Realität liegt im Verlassen des Körpers, der als biologisches Gefängnis gesehen wird. Der Geist, als unsterbliche Existenz gesehen, ist eine religiöse und philosophische Grundannahme, die viel älter als alle Cyberspacevisionen ist. Die Visionen der CyberspaceideologInnen, und die damit einhergehenden technischen Experimente führen im Gegensatz zu ihren Proklamationen nicht zu einer Trennung bzw. Abschottung von Geist und Körper. Sie haben
154 Vgl. Holländer, H., Diabolus in Artibus, S.10. 155 Ausnahmen aus dem Bereich der Computerspielbranche stellen die bewegungsintensiven Spielkonsolen „WII“ von Nintendo und die „X-Box Kinnect“ dar. Beide Geräte binden die Bewegungen des gesamten Körpers in die Spielwelt ein. Besonders die „WII“ ist ein weit verbreitetes Spielgerät, dessen Augenmerk auf Sport- und Geschicklichkeitsspielen liegt. 156 Siehe S. 96ff.
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laut Natasha Adamowsky ein gegenteiliges Ziel: Der Körper wird nicht ausgelöscht, er gehört zum kognitiven Empfinden der gesamten Persönlichkeit des Menschen. Es geht also darum, den Körper in den Cyberspace einzubinden und nicht vom Geist abzutrennen. Das Virtuelle braucht nach Adamowsky immer einen Körper, der über eine Schnittstelle mit dem Cyberspace verbunden ist, damit alle Körpersinne das Virtuelle erfühlen können.157 Entscheidend ist dabei, wie die Schnittstelle wahrgenommen wird. Selbst ohne einen Datenanzug, einer Datenbrille mit Bewegungssensoren und Körperspannungsmesser, können SpielerInnen in die virtuelle Scheinwelt eintauchen und vergessen dabei die Schnittstelle zwischen Mensch und Computer. Dies ist das eigentlich Beachtliche in der Betrachtung der Möglichkeiten des virtuellen Raumes. Computerspiele besitzen Funktionen, die dieses Eintauchen und Vergessen ermöglichen. Zudem sind Computerspiele laut Torben Grodal jene Medien, die am meisten die realen Körper in den medialen Transferprozess integrieren, da Maus- und Tastatursteuerung entsprechend zeitkritische und reaktionsschnelle Körperbewegungen verlangen.158 Für Martti Lahti sind die Cyberspacevisionen und die Mythen der Körperlosigkeit unzureichend: „But the body, too, is a site where sensory stimuli are registered. […] If something is left behind when we play, it is not the body.”159
Der Körper nimmt demnach in unserer Zeit eine zentrale Stellung ein, von einem Verschwinden kann daher kaum die Rede sein, wie bereits im Kapitel Simulation, Cyberspace & virtuelle Realität besprochen wurde. Natascha Adamowsky hebt diesen Umstand mit Hilfe des Begriffs Surfen hervor. Die Navigation im virtuellen Raum wird landläufig mit Surfen im Internet bezeichnet. Surfen ist laut ihr ein Begriff, der mit einer starken Körperbetonung zu tun hat. Mit ihm wird Bewegung, Sonne, Naturgewalten, schöne Körper, Energie und vieles mehr assoziiert. Laut Adamowsky lenken diese Methapern von einem Grundproblem der Netzaktivität bzw. dem Arbeiten und Spielen mit dem Computer ab: Der Mensch sitzt mehr oder weniger unbeweglich davor.160 Mit realem Surfen können die Bewegungen der Maus und die Tastaturanschläge nicht verglichen werden. Der Ausdruck spiegelt die Sehnsucht wider, mehr vom eigenen Körper in die virtuelle Fantasiewelt übertragen zu können. Körperideale, Schönheit und Jugend sind in der medialen Welt präsenter denn je. Und auch in der virtuellen Welt der Spiele werden die Figuren makellos dargestellt. Für Miroslaw Filiciak sind die virtuellen Kunstkörper ein
157 Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuelle Welten, S. 174-175. 158 Vgl. Grodal, T., Stories for Eye, Ear and Muscles, S. 133ff. 159 Lahti, M., As We Become Machines, S. 164ff. 160 Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuelle Welten, S.184.
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idealtypischer Zustand der realen Situation des postmodernen Menschen, in denen die SpielerInnen ihre Wunschkörper nach Belieben variieren können: „A huge role is played here by the ability to choose appearance, which has become an obsession in the postindustrial societies. There is no doubt that physical attractiveness is great importance in our interpersonal relations – more than one Internet friendship was killed by photo exchanges, and research has shown that taller and more beautiful people earn more money and are more pleased with their own life.”161
Die erschaffenen Figuren entsprechen daher den Schönheitsidealen der Realität und den mythischen Bildern von strahlenden HeldInnen. Christian: „Ich wähle als Helden meist einen Paladin. Er vertritt das Gute und ist mächtig. Orks oder Goblins gefallen mir als Spielfigur nicht so sehr. Allein schon wegen des Äußeren.“
Die Bilder des Körpers werden durch die Medien geprägt und vermittelt, je nach Kulturraum, Zeit und Mode. Diese Bilder projizieren ComputerspielerInnen und Internet-NutzerInnen in den virtuellen Raum, der Körper somit auch im virtuellen Raum von entscheidender Bedeutung. Der reale Körper ist mit Unzulänglichkeiten behaftet und weit von den medial erzeugten Idealkörperbildern entfernt. Der Körper steht aber auch für Tod und Verfall, in der christlichen Tradition wurde er zum Synonym für Sünde und der Last des Lebens. Die Wissenschaft veränderte dieses Bild kaum, sondern stellte der Rationalität des Geistes und der Vernunft die Irrationalität des Körpers mit seinen Trieben und sexuellen Verlangen gegenüber. Wir leben in einer Tradition, in der der Körper Jahrhundertelang als Makel empfunden wurde, umso mehr sehnen wir uns nach einer perfekten Hülle für unseren Geist. Die Möglichkeiten der plastischen Chirurgie mögen uns für eine beschränkte Zeit dem Traumkörper real näher bringen, doch am Ende wird jeder Körper Zeichen des Verfalls. Die virtuellen Körper der HeldInnenfiguren in Computerspielen sind diesem Verfall nicht ausgesetzt, doch bleiben ihre Auswirkungen auf das reale Leben beschränkt. Nur während des Spieles können die SpielerInnen die Unzulänglichkeiten ihres eigenen Körpers ignorieren, endet das Spiel, wird ein Transfer des virtuellen Idealkörpers in die Realität unmöglich. Es ist, als würde man von einer Reise zurückkehren und seinen Alltag unverändert vorfinden. Es mag für viele ComputerspielerInnen eine temporäre Entlastung von ihrer körperlichen Eingeschränktheit stattfinden, doch endet diese spätestens nach dem Ausschalten des Computers. Da Computerspiele die zentrale Bedeutung von medial verbreiteten
161 Filiciak, M., Hyperidentities, S. 90.
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Idealkörpern nicht in Frage stellen, können sie auch den gesellschaftlichen Druck, der auf den Menschen im realen Leben lastet, nicht dauerhaft lindern, sondern nur zu einem virtuellen Verdrängen führen. Virtuelles Verdrängen kann unter Umständen auch zum Wunsch ständigem bzw. übermäßigem Verweilen im virtuellen Raum führen, in dem die SpielerInnen mit Hilfe eines Idealkörpers repräsentiert werden. Der reale Körper bzw. die Körpersprache spielen bei Gruppenbildungen und Gemeinschaften eine zentrale Rolle. Die Kulturanthropologin Jana Binder untersuchte u.a. die Körpererfahrungen der Skateboard-Jugendkulturen in Frankfurt am Main. Hier spielen Körper und Kleidung eine wesentliche Rolle, sie dienen zur Präsentation des eigenen Ichs in einer Gruppe. Sie drücken Zugehörigkeit und Abgrenzung zu Gruppen und Gemeinschaften der Szene aus. Körpersprache, Blickverhalten, Kleidung, etc. werden laut Jana Binder gezielt zur Kommunikation eingesetzt, um ein gewünschtes Bild der eigenen Persönlichkeit zu vermitteln.162 Nun spielt der reale Körper bei Gruppendefinitionen und Repräsentationen im virtuellen Raum keine Rolle, er kann daher nicht zur Repräsentation der eigenen Persönlichkeit herangezogen werden. Umso wichtiger wird die „Zurschaustellung“ der virtuellen Figur. In Online-Rollenspielen und Lebenssimulationen werden die eigenen Charaktere, wie auch meine GesprächspartnerInnen beschrieben, sorgfältig und liebevoll entwickelt und Gegenstände, Kleidungen und Accessoires schmücken die virtuelle Figur. Die Accessoires haben eine Doppelfunktion: Einerseits drücken sie den virtuelle Status der Spielfigur aus, denn nur sehr erfahrene und erfolgreiche Figuren können besondere Gegenstände besitzen. Andererseits verweisen Kleidung und Accessoires auch auf den Geschmack der SpielerInnen, die hinter der Figur stehen. T.L.: „Wie wichtig ist dir die Erstellung der Figur? Schaust du auch aufs Optische?“ Martin: „Ja, die Gestaltung ist mir wichtig. Aber auch ein geiles Item, was du findest, schaut dann schon gut aus. [...] Ob ein Gürtel oder ein Ring. Das mit den Items haben sie super gemacht. Die kriegst du zwar nicht leicht, sondern nur in speziellen „Dungeons“,163 mit schweren Elitegegnern, dafür sind die Gegenstände echt klass. Die kannst du nur als Gruppe besiegen. Wirklich gute Gegenstände erhältst du nur als schon hochgelevelte Gruppe.“
Somit wird der virtuelle Charakter zu einer Repräsentationsoberfläche für die SpielerInnen, allerdings mit der Möglichkeit, sehr leicht differente Botschaften zu senden, die kaum auf die reale Repräsentation schließen lassen. Der virtuelle Körper hat den Vorteil des Spielerischen, Wandelbaren und Flüchtigen, allerdings auch den
162 Vgl. Binder, J., Ich leb´ mit ´nem Skateboard in der Hand, S. 113-115. 163 Verließ, Höhle; Orte in denen die Abenteuer eines Computerspieles stattfinden können.
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großen Nachteil einer nicht vorhandenen Authentizität und einer starken Beliebigkeit. Die Möglichkeiten zur Veränderung des virtuellen Körpers werden in erster Linie von den SpieleprogrammiererInnen festgelegt. Spiele, wie z.B. „The Sims“, stellen die Repräsentationsvarianten der virtuellen Charaktere als entscheidendes Spielmerkmal an vorderste Stelle. Ein Großteil des Spielablaufes besteht darin, die virtuellen Figuren samt ihrer Umgebung mit Hilfe unzähliger vorgegebener Kleidungstücke und Accessoires bis hin zu Wohnungseinrichtungen zu gestalten. Hier wird somit ein ganzer virtueller Lebensraum nach eigenen Vorlieben und als Ausdruck des eigenen (Wunsch)-Lebensstils errichtet. In „Second Life“ z.B. bewegt sich die virtuelle Figur in einem digitalen Paralleluniversum mit vielen anderen Charakteren. Entscheidend bleibt die Präsentation der Figuren: In der virtuellen Welt gibt es keine Dickleibigkeit, keine Verletzungen oder Missbildungen. Vielen SpielerInnen scheinen aber die vorgefertigten Gestaltungsmöglichkeiten des virtuellen Körpers nicht zu reichen. Mit Hilfe der von den Spielfirmen zur Verfügung gestellten Werkzeuge,164 gestalten ambitionierte SpielerInnen selbst das Aussehen und die Accessoires der virtuellen Figuren. Dabei werden neue Kleidungstücke entworfen, neue Frisuren, Tätowierungen, Piercings etc., um den virtuellen Traumkörper zu modifizieren. Laut Birgit Richard bleibt der virtuelle Körper dabei die Oberfläche, um darauf verschiedene „Skins“165 zu projizieren. Mit den „Skins“ schaffen sich die SpielerInnen eine zweite Identität, mit der sie ihre Subjektivität im intersubjektiven Raum der Online-Spiele repräsentieren.166 Die Erschaffung dieser zweiten Haut, der „Skins“ für die virtuellen Charaktere, stellt ein großes kreatives Potential für SpielerInnen dar. In Foren und auf Fan-Sites werden die neu geschaffenen Kreationen häufig für die Game-Community zur Verfügung gestellt und mittels gemeinsamer Anstrengungen stetig verbessert. Die Variationsmöglichkeiten bei der Gestaltung des virtuellen Körpers können von den ursprünglichen SpielentwicklerInnen nicht mehr vorausgesehen werden, bzw. in gewünschte Bahnen gelenkt werden. So finden sich in den neu gestaltetet Outfits durchaus auch (halb) entblößte Figuren mit Anleihen aus der „Gothic“- oder „SM“-Szene. Es handelt sich dabei um „Figurenskins“, die wohl kaum im Sinne der ursprünglichen DesignerInnen hergestellt wurden. Allerdings finden die SpielerInnen bei der Gestaltung ihrer Figuren eine unmittelbare Möglichkeit der Eigenproduktion, das heißt auch, dass die technische und kulturelle Kompetenz in diesen Fällen bei den BenutzerInnen liegt.167 Im Sinne der Cultural Studies können wir hier durchaus von einer
164 Unter Werkzeuge versteht man Programmiereditoren, mit denen sich die FanCommunity eigenständig virtuelle Accessoires für das jeweilige Spiel erstellen kann. 165 „Skin“ wird hier als zweite Haut gedacht, mit der sich die virtuelle Figur kleidet. 166 Vgl. Richard, B., Sheroes, S.70. 167 Vgl. Ebda., S. 70.
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selbstbewussten Umdeutung der hegemonialen Lesarten im Aneignungsprozess durch die SpielerInnen sprechen. Der Mangel an Authentizität im virtuellen Raum, den ich weiter oben angesprochen habe, wird von den SpielerInnen in ihrer kreativen Neudefinition der virtuellen Körper nicht mehr wahrgenommen. Birgit Richard dazu: „Die Identitätskonstruktionen von GamerInnen im Internet fußen nicht mehr auf Authentizitätsansprüchen, sondern lassen verschiedene Realitätsebenen nebeneinander gelten. Die Skins bieten UserInnen die Möglichkeit zur kreativen Entfaltung von Identitätsanteilen.“168
Der virtuelle Körper altert nicht und wenn er stirbt, verschwindet er nur temporär. Er kann jederzeit wieder belebt werden. Somit werden Tod und Verfall virtuell überwunden. Computerspiele erfüllen ein winziges Stück vom Traum nach Unsterblichkeit. Ein Traum, der hinter den Visionen des Cyberspace steht. Doch bleiben uns diese Sehnsüchte im realen Leben erhalten. Die perfekten virtuellen Körper sind in ihrer Darstellung von männlichen und weiblichen Figuren erotisch aufgeladen. Es kommt laut Birgit Richard zu einer Fetischierung des weiblichen bzw. männlichen Körpers, einer Überformung der körperlichen Schlüsselreize. Dies bedeutet laut ihr für weibliche Figuren Überformung des Busens, Wespentaille und lange Beine, während Männer muskelbepackt in „Bodybuildermaßen“ dargestellt werden. Die Kleidungsstücke der virtuellen Figuren lassen viel Raum, um nackte, virtuelle Haut zu zeigen.169 Die virtuellen Körper sind sexuell aufgeladen, allerdings sehr oft in überzeichneter und teilweise comicähnlicher Weise. Die virtuelle Kunstund Kultfigur „Lara Croft“170 ist ein Beispiel für diese Art der überspitzten Darstellung. Ihr makelloser Traumkörper, gepaart mit einer Überformung sexueller Reize, stellt den Prototyp virtueller Frauenkörper dar und lässt Raum für männliche Erotik- und Fetischfantasien. HeldInnen der Fantasy-Rollenspiele weisen ähnliche Attribute auf. Der Körper dieser Figuren wird kaum durch Rüstungen geschützt, was eigentlich absurd ist. Trotzdem stellt er eine tödliche Waffe gegenüber seine/n
168 Ebda., S. 79. 169 Vgl. Ebda., S. 91. 170 Die virtuelle Heldin „Lara Croft“ tauchte erstmals 1996 in einem Computerspiel auf und repräsentiert seither den Idealtypus des Heldinnen-Bildes in Computerspielen. Ein makelloser, unzerstörbarer, sexuell aufgeladener Körper und grenzenloser Mut waren in den letzten 15 Jahren das Vorbild für Computerspielheldinnen. Nun scheint sich auch dieses Bild langsam zu ändern. Für die neuen Spielproduktionen soll die Figur „Lara Croft“ erwachsener, natürlicher und verletzlicher dargestellt werden. Die sexuellen Überpropationen der Figur gehen zurück, die Spiele sollen ernster werden (siehe dazu: Schmitz, P., Tomb Raider, S. 28ff.).
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FeindInnen dar und ist nicht verletzbar. Birgit Richard sieht besonders in der Darstellung der digitalen Computerheldinnen wie „Lara Croft“ eine Verschmelzung von Körper, Waffe und Begehren. „Lara Croft“ stellt laut ihr den Prototyp einer virtuellen Spielfigur dar, die sowohl weiblich als auch männlich konnotiert ist. Sie besitzt ein umfassendes Waffenarsenal, welches sie mit Mut und Körperkraft gewissenlos einsetzt; andererseits ist sie charmant, kultiviert und eine Erotik signalisierende Schönheit.171 Sie schwankt laut Birgit Richard zwischen männlichem Begehren nach ihrem perfekten Körper und der Symbolisierung weiblicher Potenz. Der Körperdiskurs ist entscheidend für die Beliebtheit dieser virtuellen Figur, sowohl bei männlichen als auch weiblichen Spielern. Sie wird laut Richard eine Identifikationsfigur, die Schutz, Kraft und Selbstsicherheit demonstriert, ihre körperliche Perfektion macht sie aber unerreichbar für jede Nachahmungsversuche. Ihr virtueller Körper vereint die ewigen Verheißungen von Schönheit, Erfolg und Abenteurer.172 Die Kunstfigur „Lara Croft“ ist eine Stellvertreter-Ikone für eine Vielzahl weiblicher Heldinnenfiguren und deshalb für die Analyse der Körperbilder in Computerspielen hervorragend geeignet. Ich werde mich daher auch im Kapitel Geschlechterrollen noch eingehend mit ihr beschäftigen. Computerspiele präsentieren den ausschließlich schönen und makellosen Körper vor allem dann, wenn es um die Darstellung der eigenen Spielfigur als HeldIn geht. Den anderen gegnerischen virtuellen Wesen werden, allen voran in den Horror-Shootern, der Fantasie von deformierten, monströsen Körpern keine Grenzen gesetzt. Diese werden in ihrer Abstrusität und Fremdartigkeit zur Schau gestellt, die Vernichtung dieser Figuren mit Dramatik, viel virtuellem Blut und Ekel nahezu lustvoll zelebriert. Der Monsterkörper wird zerstört und zerstückelt, was visuell drastisch vermittelt wird. Menschliche „Heldenkörper“ würden niemals in einer solchen Weise virtuell zerstört werden, dies würde in der Spieldramaturgie unerwünschtes Mitleid mit dem Opfer bei den SpielerInnen auslösen. Das Fremde, Böse, das in einem monströsen Körper steckt, darf und wird hingegen in grausamer Weise virtuell vernichtet. Die Zerstörung des Körpers des Bösen gilt den SpielerInnen gleichfalls als Erlösung. Thomas Willmann untersucht in seinem Aufsatz „Death´s a Game“ die Entwicklung der Horror- und Splatterfilme bis hin zu den Computerspielen. Er ortet eine lange abendländische Tradition der deutlichen Zurschaustellung der Verletzung und Zerstörung von Körpern, nicht zuletzt in der Ikonographie der katholischen Kirche und sieht Anknüpfungspunkte in den entsprechend gewalthaltigen Darstellungen in Horror- und Splatterfilmen und den jeweiligen Horrorcomputerspielen. Ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre geschah
171 Vgl. Richard, B., Sheroes, S. 12. 172 Vgl. Ebda., S. 14-16 u. S. 107.
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laut Willmann das Sterben auf der Leinwand nicht mehr sauber und klinisch.173 (Auch wenn uns die heutige Kriegsberichterstattung ein anderes Bild präsentiert, wie bereits angesprochen.174 Hier ist allerdings explizit von Horrorfilmen und spielen die Rede) Körper explodierten nun, mit Zeitlupe wurde die Zerstörung und Zerstückelung des Körpers dargestellt. Dies konnte laut Willmann als eine Metapher der Apokalypse gesehen werden, zu vergleichen mit den Werken eines Hieronymus Bosch in der klassischen Kunst.175 Bilder vom zerfetzten Körper sind aber laut Willmann ebenso eine Metapher für politische, gesellschaftliche und psychische Kräfte, die unterbewusst wirken und sich über die Verletzung an der Oberfläche zeigen. Laut Willmann ist die virtuelle Darstellung der Gewalteinwirkung auf den Körper speziell für Jugendliche reizvoll. In ihrem Lebensabschnitt wandelt sich die eigene Körperwahrnehmung und die Körpererfahrung nimmt beunruhigende Züge an. Auch die Erfahrung von Vergänglichkeit bekommt eine neue Tiefe. Für Willmann sind die drastischen virtuellen Bilder von Tod und Verletzung ein Ausdruck für die machtvolle Verdrängung derselben. Sie finden ihren Weg über die Medien in unser Bewusstsein zurück. 176 In unserer Gesellschaft wird Leid, Tod, Krankheit, Alter und Verletzung verdrängt. Die Medien samt Werbung präsentieren den schönen, unsterblichen Körper, die glückliche Familie in der idealen Gesellschaft. Wir lernen nicht mit dem Tod und dem Elend umzugehen, sondern wie man sie verdrängt. Laut Willmann soll die Vergänglichkeit und Verletzlichkeit abgeschafft werden, doch bedeutet das Menschsein, sich mit diesen unerwünschten Facetten des Lebens auseinandersetzen zu müssen. Die Verdrängung der Vergänglichkeit des Körpers und der Gewalt rund um uns herum entladet sich laut ihm als kulturelle Präsenz u.a. im Splatter-Kino oder Horrorcomputerspielen. Menschen benötigen diese kulturellen Ventile offensichtlich. Für Willmann ist es bezeichnend, dass die totalitärsten Regime und grausamsten Diktaturen, die saubersten und am intensivsten zensurierten Medienlandschaften aufweisen.177 Hier wird also die gesellschaftliche Gewalt, die die Diktaturen auf die Menschen ausüben, nicht nur mittels herkömmlicher Medien vertuscht. Selbst die unterbewusste Verarbeitung von Gewalt mittels Horrorfilmen oder Computerspielen über die Medien scheint hier unmöglich. Für Thomas Willmann sind Computerspiele abseits narrativer Erzählungen in erster Linie Spiele, und damit integraler Bestandteil unserer Kultur; ganz im Sinne der Ideen von Huizinga.178
173 Vgl. Willmann, T., Death´s a Game, S. 132. 174 Siehe S. 84ff. 175 Siehe dazu S. 206ff. 176 Vgl. Willmann, T., Death´s a Game, S. 133ff. 177 Vgl. Ebda., S. 134. 178 Siehe S. 37ff.
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Spiele sind demnach schon immer virtuelle Räume gewesen, in denen sich Gesellschaften auf symbolische Weise mit Dingen auseinander setzten, die sie in der realen Welt beschäftigten.179 In diesen Räumen können laut Willmann Fantasien von Grenzübertritten ungehindert auf kontrollierte, virtuelle und abgesicherte Weise ausgelebt werden. Dabei geht es auch um Fantasien vom Bruch der Gesetze, vom Bösen und Verbotenen, vom Körper und vom Tod. Es tauchen deshalb laut ihm in Produktionen unseres Geistes Fantasien von Gewalt und Tod auf. In den virtuellen Spielräumen der Medien kann mit gesellschaftlich sanktionierten, aber dennoch vorhandenen Gewaltmomenten und Aggressionspotentialen experimentiert werden.180 Damit unterscheiden sich Computerspiele in ihrer Anlage nicht wesentlich vom Schauspiel, von Geschichten und großen Erzählungen, die ebenfalls die großen Fragen der Menschheit, die Mythen und Tragödien von Tod und Auferstehung, der Unsterblichkeit des Körpers in unterschiedlichsten Variationen behandeln. Willmann geht aber von einer vorhandenen Lesekompetenz der spielenden Menschen aus. Der virtuelle Horror und die virtuelle Gewalt werden von den SpielerInnen klar von der Realität getrennt. Es würde den durchschnittlichen SpielerInnen in diesem Sinne kaum Spaß machen, ein Spiel zu spielen, in dem sie ihre virtuellen Opfer leiden sehen.181 Bei den meisten Computerspielen sind deshalb die gegnerischen, zerstörten und blutigen Körper vorwiegend fiktional und monströs, während in Kriegssimulationen der feindliche menschliche Körper virtuell getötet wird, ohne Schmerzen und Leid darzustellen. Das würde das Spielen ad absurdum führen. Natürlich gibt es verschiedene Spiele, oftmals auch im illegalen Grenzbereich, die genau jene Art von Gewalt an wehrlosen Opfern vorexerzieren. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das indizierte und sogar verfilmte Spiel „Postal“. Hier richten sich die Gewaltattacken an wehrlose Mitmenschen, jedoch ist das Spiel als Persiflage und Satire gestaltet. (Wenn auch der Eindruck entsteht, dass hier die Gewalt als Nimbus des Verbotenen und Aktionen wider aller gesellschaftlichen Konventionen als Mittel der Verkaufsförderung in den Vordergrund rückt und weniger das Augenmerk auf eine intelligente Satire gelegt wird.) Im Normalfall können die spielenden Menschen auch bei solchen Machwerken eine klare Unterscheidung zwischen Realität und virtuellem Spiel treffen und dadurch im Spiel ethische Bedenken ausblenden. Ein anderes, gefährlicheres Beispiel sind umprogrammierte, illegale Shooter der Neonazi-Szene, die das Töten an Juden und Fremden in aller Grausamkeit mit ihrer ideologischen Botschaft darstellen und Monster und Außerirdische mit ihren existierenden realen Feindbildern austauschen. In dieser Verwendung, in der die Trennlinie zwischen Realität und Virtualität bewusst
179 Vgl. Willmann, T., Death´s a Game, S. 138-141. 180 Vgl. Ebda., S. 141-142. 181 Vgl. Ebda., S. 136-137.
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aufgehoben wird, zeigen Computerspiele die größte Gefahr, nämlich ihre Eignung zum Transport menschenverachtender Ideologien. Zusammenfassung Nach Miroslaw Filiciak sind die virtuellen Körper der Spielcharaktere Idealbildern angepasst, die kaum der Realität entsprechen, aber für das Auftreten im Cyberspace entscheidend sind.182 Diesen Umstand möchte ich durch die Figurenauswahl der befragten SpielerInnen bestätigen. Für Christian war ein strahlender Held als Figur wichtig. Er repräsentiert alleine durch sein Auftreten Macht und Gerechtigkeit. Zudem wird auf die optische Darstellung des virtuellen Körpers viel Wert gelegt, wie bei Martin ersichtlich wurde. Dazu gehören glänzende Rüstungen, Körperschmuck und beeindruckende Kriegswaffen. Die Erfahrung und Macht der Spielfigur soll anhand des virtuellen Körpers dargestellt werden, besonders dann, wenn von Online-Spielen die Rede ist und der Kontakt mit anderen MitspielerInnen entscheidend wird. Ähnlich funktioniert die Körperwahrnehmung als Bild der Persönlichkeit auch im realen sozialen Raum, wie bereits Jana Binder im Zuge ihrer Untersuchung von Jugendgruppen in Frankfurt festgestellt hat.183 Ich möchte diese Ergebnisse auch auf virtuelle Körper anwenden, doch den entscheidenden Unterschied betonen, dass im virtuellen Raum nur ein künstlicher Idealkörper als Repräsentationsmodell vorgeschoben wird, der beliebig manipulierbar ist und dadurch an Authentizität einbüßt. An dieser Stelle soll noch Birgit Richards Begriff der „Skins“ aufgegriffen werden. Sie verwendet ihn dazu, um zu beschreiben, wie verschiedene Oberflächen auf den virtuellen Spielkörper von den SpielerInnen projiziert werden.184 Auch meine befragten Personen legten unterschiedliche „Skins“ über ihre Spielfiguren. Neue „Outfits“ waren wichtig und wurden im virtuellen Raum präsentiert. Das Erobern oder Kaufen neuer Rüstungsteile und Schmuckstücke für die virtuelle Figur stellte einen besonderen Anreiz im Spiel dar. Die optische Aufwertung der Figur ist auch der einzige sichtbare Weg die Figurenentwicklung im Internet darstellen zu können. Aber auch die persönliche Vorlieben sollen visuell ausdrückt und mit den MitspielerInnen geteilt werden.
182 Vgl. Filiciak, M., Hyperidentities, S. 90. 183 Vgl. Binder, J., Ich leb’ mit ’nem Skateboard in der Hand, S. 113-115. 184 Vgl. Richard, B., Sheroes, S. 70.
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G ESCHLECHTERROLLEN Wie bereits behandelt, weisen Computerspiele oft vormoderne und konservative Bilder einer imaginären mittelalterlichen Welt auf. Dies finden wir besonders häufig bei Computerrollenspielen, aber auch bei jenen Spielen, die aktuelle Szenarien darstellen, wird meistens der männliche Held herausgestrichen, während Frauenfiguren nur Statistenrollen zugewiesen bekommen. Nach Siegfried J. Schmidt sind die Medien Instrumente der Sozialisation und sind bedeutend für die Inszenierung und Kommunikation von Gefühlen.185 Da die Medienbilder der Computerspiele vorwiegend konservativ und vormodern aufgebaut sind, nehmen auch die Frauenbilder Anleihen an diesen Elementen. Sie erinnern nicht selten an die früheren Darstellungen der Frau in den Hollywoodfilmen der 1940er bis 1960er Jahre. Da Männer und Jugendliche lange Zeit als Hauptzielgruppe von Computerspielen gesehen wurden, richteten sich auch die Spielproduktionen nach vermeintlich männlichen Anknüpfungspunkten und sprachen daher diese Zielgruppe besonders an. Viele Spiele werden daher von männlich dominierten Bildern geprägt.186 Katharina Lindner und Stefan Wink zur Folge gelten Männer in den Spielen als unabhängige, starke, aktive und rationale Charaktere. Frauen werden eher als passiv, zurückhaltend, abhängig und beeinflussbar dargestellt. Viele, besonders ältere Computerspiele verwenden diese Art der Geschlechterstereotypisierungen.187 Typische Computerspielinhalte beinhalten laut Jens Wiemken zudem das Thema der Vaterlosigkeit. Es muss der tote Vater gerächt oder ein gefangener Vater befreit werden. Durch die Rettung von Königen oder Staatsoberhäuptern wird diese Vaterfigur ebenfalls symbolisch dargestellt. Nach Jens Wiemken ist dies ein Ausdruck einer vaterlosen Zeit.188 Viele Väter haben durch den Leistungsdruck in der Arbeitswelt kaum noch Zeit für ihre Familien, bzw. müssen sehr viele Frauen ihre Kinder alleine erziehen. Der eigene Vater ist für die jungen Männer nicht mehr greifbar und kann nicht als Vorbild fungieren, eine lebendige Männlichkeit ist für sie nicht erfahrbar. Kriegshelden und Superhelden dienen laut Wiemken als Ersatzväter und Computerspiele stellen diese in großem Ausmaß zur Verfügung. Die starken Helden und Vaterfiguren spiegeln ein Bild des herrschenden Patriarchats unserer Gesellschaft wider und tragen zur Geschlechterrollenidentität der Jugendlichen bei. Durch Medien und insbesondere der Computerspiele können Jugendliche somit doppelt indoktriniert werden: Einerseits mit dem Mythos des Helden und andererseits mit den Zwang, sich den herrschenden patriarchalen Machtverhältnis-
185 Vgl. Schmidt, S., Modernisierung, Kontingenz, Medien S. J., S. 173. 186 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 111. 187 Vgl. Wink, S. und Lindner, K., Kids und Computerspiele, S. 73-74. 188 Vgl. Wiemken, J., Hardliner. Zeit für Helden?, S. 84.
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sen anzupassen. Allerdings ist laut Wiemken diese vermittelte, tradierte Männlichkeit, die durch Institutionen wie Familie, Kirche, Militär, Schule, Medien, etc. wirkt, schon brüchig und führt zum Teil zu großen Konflikten mit neueren gesellschaftlichen Erfordernissen, wie Intuition, Flexibilität, Kommunikation usw. Auf diese Probleme und Konflikte reagieren männliche Jugendliche laut ihm dann sehr oft mit Bewältigungsformen wie Stummheit, Alleinsein, Körperferne, Rationalität, Kontrolle und auch Gewalt. In Computerspielen sind die Jugendlichen aber Helden und stets Herr der Lage und können durch den Sieg im Spiel ihre Männlichkeit beweisen.189 Die mediale Aneignung prägt die Geschlechterrollen im täglichen Leben mit, sie bleibt nicht sekundär und virtuell, sondern hat reale Auswirkungen auf das Sozialisationsumfeld von Männern und Frauen. Mittlerweile rücken die Mädchen und Frauen vermehrt als Konsumentinnen von Computerspielen ins Blickfeld der Spielindustrie. Immer mehr Heldinnen tauchen in den Spielgeschehen auf, die Spielhandlung selbst ist davon aber meist nicht betroffen. Allerdings ist die Perspektive der Heldin ausschließlich ein männlicher Blickwinkel, der von den spielenden Frauen verwendet werden muss. Heldinnen werden somit männlich konnotiert dargestellt. Die Heldinnenfigur entspricht dem Mythos und der Vorstellungen des männlichen Heldenbildes. Dieses Bild ist ein Idealbild von Kraft, Schönheit und Intelligenz.190 Ute Bechdolf analysiert die Frauenbilder in Film und Fernsehen: Frauen müssen laut ihr jung und schön sein und den jeweiligen zeitspezifischen Schönheitsidealen entsprechen. Es sind die Bilder von den HeldInnen, die die Menschen durch den Film führen, Emotionen wecken und letztendlich das Sehvergnügen bereiten.191 Es sind dieselben Frauenbilder, welche die Computerspiele aus Film und Fernsehen nachahmen. Sie sind bereits in den Vorstellungen unserer Gesellschaft integriert. Wie ich bereits im Kapitel Mythen und Märchen dargelegt habe, stehen Computerspiele in ihren Erzählungsweisen sehr stark mit Mythen in Verbindung. Mythen sind einfache und allgemein verständliche Bilder von Gut und Böse, Männern und Frauen und großen Erzählungen. Mythische Bilder können auch in gegenwärtige, „rationale“ Gesellschaftsbilder einfließen. Elke Mader meint dazu: „Jede Mythe vermittelt eine Lehre, stellt einen Parameter für das Handeln in der Gegenwart auf. Die mythischen Charakter dienen als gute oder abschreckende Beispiele, bestimmte mythische Figuren haben Vorbildcharakter, sie verkörpern jene Eigenschaften, die in der
189 Vgl. Ebda., S. 85ff. 190 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 111-112. 191 Vgl. Bechdolf, U., Heldinnen im Abenteurerfilm, S. 19.
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Gegenwart hoch bewertet werden: so konstruieren die Mythen auch Idealbilder von Mann und Frau und ihren geschlechtsspezifischen Aufgaben und Rollen in der Gesellschaft.“192
Wird die Frau nicht als männlicher Held dargestellt, tritt sie in der Präsentation hinter dem Mann zurück und spiegelt ein konservatives, patriarchales Frauenbild wider. Sie dient passiv zur Unterstützung der männlichen Helden und zur optischen „Ausstaffierung“ des Computerspieles.193 In Action-Shootern oder Kriegsspielen ist die Rolle des Mannes klar definiert: Er stellt sich einer feindlichen Übermacht und löst Probleme mit Gewalt. Laut Jens Wiemken sind männliche Jugendliche viel eher bereit mediale Gewalt zu konsumieren, sprich entsprechende Filme bzw. Serien zu betrachten oder auch gewaltintensive Computerspiele zu spielen. Mädchen sind gegenüber medialer Gewalt distanzierter und spielen entsprechende Spiele seltener. Jugendliche Spieler haben laut Wiemken das Bild des einsamen Helden, der in die Welt hinaus geht und sich verteidigen muss, bereits verinnerlicht.194 Zu sehr sind männliche Jugendliche von solchen Bildern über die Medien, aber auch der Propagandamechanismen der politisch Verantwortlichen sozialisiert worden, um ihrer Faszinationskraft zu entgehen. Aber genauso wirkt die unbewusste Sozialisation auf das weibliche Geschlecht, welches die Rolle der passiven Frau zugeschrieben wird, die im Hintergrund bleibt und sich vom starken Mann verteidigen lässt. Wird die Frau aber als Heldin dargestellt, bricht trotz des männlichen Blickwinkels das Bild der Heldin in Computerspielen aus den traditionellen Rollenklischees aus, da Frauen nicht nur passiv dargestellt werden, sondern auch aktive Handlungen zugewiesen bekommen, bzw. sie im Mittelpunkt des Geschehens stehen. Rollen von Heldinnen machen das Computerspiel für Frauen interessanter und stellen neue, eigentlich männlich konnotierte Identifikationsmöglichkeiten zur Verfügung. Karin: „Ich kann selbst entscheiden, ob ich als Mann oder Frau spiele. Da ist alles gleichberechtigt. Ich erstelle gerne eine weibliche Kämpferin oder Magierin. Oder ich bastle mir einen männlichen Helden. Ich kann mich in diese Figuren gut hineinversetzen.“
Doch sei nochmals darauf hingewiesen, dass die weiblichen Heldenbilder für die Spiele nicht neu entwickelt werden, sondern eine kopierte Form ihrer männlichen Pendants sind. Meist gilt diese Form der (eingeschränkten) Wahlfreiheit für Rollenspiele bzw. Abenteuerspiele und auch für Lebenssimulationen, während Shooter meist männliche Heldenfiguren anbieten. Ausnahmen sind die „Lara Croft“-Reihe
192 Mader, E., Mythische Erzählungen und Alltagswelt, S. 36. 193 Siehe dazu auch Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 112. 194 Vgl. Wiemken, J., Hardliner. Zeit für Helden?, S. 83.
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oder die „No One Lives Forever“-Serie und diverse neuere Spiele. Auch wenn grundsätzlich eine Gleichberechtigung bei der Auswahl des Geschlechts der Spielfigur herrscht, müssen der Spielhintergrund und das Setting mit bedacht werden. Die Vorstellungen von starken, kriegerischen Frauen als Heldinnen stammen größtenteils von männlichen Programmierern. Diese übernehmen Vorlagen aus der Abenteuer- und Fantasy-Literatur und auch von entsprechenden Filmen aus Hollywood. In den Designstudios arbeiten vorwiegend Männer, die ein ganz bestimmtes Bild einer Heldin in das Design der Spiele projizieren. Dadurch pflanzen sich männlich dominierte Sichtweisen über die Medien fort und festigen die gesellschaftliche Definition von Mann und Frau. Computerspiele legen kaum Wert auf die Darstellung tiefer Charaktere. Genauso wenig Wert wird daher auf eine eindringliche, charakterliche Beschreibung der Heldinnen gelegt. Heldinnen zeigen, wie das Idealbild des starken Mannes, kaum Empfindungen, spüren keine Schmerzen und sind letztendlich unzerstörbar. Sie sind vom Charakter her Männer in Frauenkörpern.195 Dennoch führt die Entwicklung von Computerspielen mit einer immer größer werdenden Zahl Heldinnenfiguren dazu, dass sich Frauen vermehrt mit den Spielen identifizieren können, da ihnen zumindest eine aktive Rolle zugeschrieben wird. Computerspielerinnen scheinen sich mit der ihnen zugedachten Rolle der Heldin identifizieren zu können, trotz aller männlichen Konnotationen, wie ich bei Karin feststellen konnte. Um Computerspiele noch besser verkaufen, bzw. die weibliche Zielgruppe vermehrt ansprechen zu können, konzentrieren sich etliche Spielfirmen zusätzlich auf Spiele, die „typisch“ für Mädchen geeignet sein sollen, die sogenannten „PinkGames“. Laut Birgit Richard sind Spielerinnen gegen diese Versuche der Industrie, Spiele unterschiedlich für Mädchen und Buben zu produzieren und weisen diese Produktionen als repressiv zurück.196 Dies gilt in diesem Zusammenhang auch für Karin: „Mich stört es nicht, Abenteuerspiele zu spielen. Typische Mädchenspiele hab ich eigentlich nie gespielt, bei mir gings gleich mit Rollenspielen los. Mich würden typische Mädchenspiele nicht interessieren, ich glaub auch als Kind nicht.“
Genau genommen werden durch diese Art der Spielproduktion die Schemata der Produktion des sozialen Geschlechts aus Erziehung und gesellschaftlichem soziokulturellem Umfeld fortgeschrieben und die Geschlechtszuschreibung zwischen Mann und Frau weiter konstituiert. Der Computerspielexperte Konrad Lischka meint auch, dass die Versuche typische Spiele für Mädchen, wie etwa die Fashion-
195 Siehe dazu auch Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 113. 196 Vgl. Richard, B., Sheroes, S. 76.
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und Barbiepuppenspiele von Mattel, zu entwickeln, genauso als Versuche gewertet werden könnten, konservative und reaktionäre Rollenbilder zu erhalten und zu bestätigen. Ursache dieser Entwicklung sind laut ihm die dichotomen Annahmen von Gender in unserer Gesellschaft: Buben spielen Kriegsspiele, Shooter oder militärische Simulationen, während sich Mädchen auf virtuelles Ponyreiten, Friseursalons usw. verlegen sollten.197 Trotz aller Kritik an virtuellen Frauenheldinnen wie „Lara Croft“, schaffen diese Figuren dennoch Identifikationspotentiale für Frauen und Mädchen, abseits der typischen Mädchenspiele. Sie brechen, obwohl mit männlicher Spielperspektive ausgestattet, gewohnte Genderschemata auf. Moderne Rollenspiele wie „World of Warcraft“, „Lord of the Rings“ usw. beweisen ebenfalls, dass diese Spiele für beide Geschlechter Identifikationsmöglichkeiten bieten, besitzen die Spiele doch einen statistischen Frauenanteil von über 40%.198 Auch Abenteuerspiele wie „The Longest Journey“ oder „Die Akte Tunguska“ bieten Unterhaltung jenseits starrer Gender-Zuordnungen, während „The Sims“ und viele Online-Lebenssimulationen („Second Life“) seit jeher stark Gender-übergreifend entwickelt wurden. Noch sind solche Spiele auf dem Markt geringer vertreten, die Tendenz ist aber stark steigend. Aus welchem Grund gibt es aber immer noch sehr viele Spiele, die mit einfachen, stereotypen Geschlechterbildern arbeiten? Wenn man die Rolle der Frau in Computerspielen analysiert, fallen zwei Positionen besonders auf: Einerseits werden Bilder der passiven, zu rettenden Frau produziert und andererseits wird die starke, selbstbewusste, erotisch aufgeladene Heldin gezeigt. Für Rebecca R. Tews sind diese Positionen Sinnbild des Begriffs des weiblichen Archetypus der „Anima“ von C.G. Jung: „This pattern is consistent with our understanding of the anima as having both positive and negative aspects. These characters representing the age-old conflict typically experienced by men trying to individuate from nurturing protective mother and become connected on an adult level to a female sexual partner. At once protective and resentful of the female, men expressing this conflict often create the image of woman as a helpless creature in need of rescue who is ultimately under their control.”199
197 Vgl. Lischka, K., Spielplatz Computer, S. 125-130. 198 Eine Studie der amerikanischen ESA (Entertainment Software Association) für den amerikanischen Spielemarkt spricht von einem Frauenanteil bei Online-Spielen von 44% für das Jahr 2008 (http://www .theesa.com/facts/pdfs/ESA_EF_2008.pdf, 12.3. 2012). 199 Tews, R., Archetypes on Acid, S. 178.
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Somit schaffen sich Männer laut Tews Bilder von hilflosen, schwachen Frauen, die zu beschützen sind und sichern sich dadurch entsprechende Kontrolle über das andere Geschlecht. Rebecca Tews bezieht sich weiter auf Jung, der meint, dass der Typus der schwachen Frauen dahingehend produziert wurde, um Männer vor ihrer tiefsten Furcht zu schützen: Die Kontrolle über die weibliche Präsenz zu verlieren. Diese Furcht wird nach Jung als „Dunkle Anima“ bezeichnet, eine Bedrohung des männlichen Selbstverständnisses.200 Jung bezeichnet den Archetypus der „Anima“ zudem als die Figur der unbekannten Frau, eine Personifikation des Unbewussten, der verdrängten Weiblichkeit im Mann.201 Symbolisch werden deshalb starke Frauenfiguren als Gefahr verstanden und entsprechend dargestellt. Man braucht nur an das Bild der bösen Königin, Magierin oder Hexe denken, bzw. auf die Frauendarstellungen in der Soldatenliteratur hinweisen, wie bereits bei Klaus Theweleit ersichtlich.202 Neben der unheilvollen, bösen und mächtigen Frauenfigur existieren aber auch Bilder von anderen archetypischen, imaginären Frauenfiguren: z.B. das Bild der „Großen Mutter“, als weibliches Gegenstück zum „Alten Weisen“, die alles Weibliche und Mütterliche verkörpert.203 Computerspiele bedienen sich solcher archetypischen Bilder, vor allem, wenn die dargestellten Charaktere möglichst klar definiert und mythisch aufgeladen präsentiert werden sollen. Der Typus der Hexe, aber auch der Typus der „Weisen Mutter“ taucht besonders häufig in FantasyRollenspielen auf und verhilft den SpielerInnen zu Figuren- und Handlungskonstellationen, die schnell verstanden werden und ihnen vertraut sind. Wichtig ist aber, dass besonders junge Menschen die Figurendarstellungen nicht als reale Vorbilder auf ihr alltägliches Leben projizieren, denn dazu sind diese mythisch aufgeladenen Schemata völlig ungeeignet. Die bereits erwähnte Spielfigur „Lara Croft“ gilt im Bereich der Computerspiele als bekannteste Figur einer weiblichen Heldin. Sie symbolisiert laut Rebecca Tews eine starke, unabhängige Frau. Für männliche Spieler bedeutet die Figur die idealisierte Form des weiblichen „Anima“. Der stark sexualisierte Körper zieht Männer an, ihre Kraft und Stärke bieten Schutz, wie die Figur der Mutter.204 Allerdings ist diese Spielfigur gerade auch bei Frauen und Mädchen sehr beliebt. Interessant ist die Frage, warum Frauen ein Frauenbild in den Spielen übernehmen, das von männlichen Phantasien geprägt ist? Für Hartmut Gieselmann ist die Figur der „Lara Croft“ nichts weiter als eine Möglichkeit für Männer Kontrolle und Macht über eine
200 Vgl. Ebda., S. 179. 201 Vgl. Jung, C. G., Die Beziehungen zwischen dem Ich u. dem Unbewusstem, S. 74ff. 202 Vgl. Theweleit, K., Männerphantasien, Bd. 1, S. 71ff. 203 Vgl. Jung, C. G., Archetypen, S. 80ff. 204 Vgl. Tews, R., Archetypes on Acid, S. 179.
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weibliche Figur zu erlangen. Sie bedeutet für ihn keine emanzipierte, dem Mann gleichgestellte Kunstfigur, sondern ist eine Marionette in der Hand der zum größten Teil männlichen Computerspieler. Ähnliches gilt für ihn für die meisten weiblichen Computerspielheldinnen.205 Andere KulturwissenschaftlerInnen sehen in der Figur der weiblichen Heldin dennoch Identifikationspotentiale für Computerspielerinnen. Astrid Deuber-Makowsky meint, dass aufgrund der Schönheit, Macht und des makellosen, unsterblichen Körpers von „Lara Croft“ auch Frauen sich mit ihr identifizieren können. Sie stellt daher auch Raum für weibliche Ermächtigungsfantasien zur Verfügung. Frauen können somit die männliche Position des Helden einnehmen, dazu muss man nicht zwangsläufig ein Mann sein. Eine Figur wie „Lara Croft“ kann laut Deuber-Makowsky Identifikationspotentiale sowohl für Männer, als auch Frauen bereitstellen.206 Vor allem im Bereich der Rollenspiele und Lebenssimulationen mit ihrer freien Figurenerstellung können die generierten HeldInnenfiguren sowohl Männern als auch Frauen diese Identifikationspotentiale liefern.207 Laut Birgit Richard wird die Kunstfigur „Lara Croft“ in der feministischen Wissenschaft heftig diskutiert: Für viele Feministinnen bedeuten die hyperfemininen sexuellen Körpermerkmale eine Befriedigung männlicher Spieler und einen Verrat an der Emanzipation. „Lara Croft“ stehe ihrer Meinung nach in der Tradition der Comic-Heldinnen, wie „Barbarella“, „Batgirl“, „Xena“, etc. und bediene ausschließlich Männerfantasien.208 Ähnliches war bereits weiter oben bei Gieselmann zu lesen. Andere sehen, wie Richard weiterführt, die Figur wiederum als zeitgenössische weibliche Ikone, die Macht und Durchsetzungsvermögen für Frauen symbolisiert. Sie wechselt in ihrer Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern. Für Richard erhält die „Über-Weiblichkeit“ der animierten virtuellen Figur aber den Nimbus der Unerreichbarkeit und Künstlichkeit, wie sie Computerspiele grundsätzlich repräsentieren. Wie die meisten Computerspielfiguren ist ihr Charakter schwach ausgeprägt, sie weist keine spezifische Persönlichkeit auf, was somit Raum für Projektionen aller Art ermöglicht.209 Eine zusätzliche Funktion bieten virtuelle Heldinnen besonders den männlichen Computerspielern an: Mit Hilfe der weiblichen Figur ist ein „Gender-Switching“ möglich, d.h. männliche Spieler können sich in eine virtuelle Frauenfigur hineindenken und mit unterschiedlichen Genderrollen experimentieren.210 Gerade in Rollenspielen werden diese Möglichkeiten von Männern gerne wahrgenommen, hinter
205 Vgl. Gieselmann, H., Der virtuelle Krieg, S. 57. 206 Vgl. Deuber-Mankowsky, A., Lara Croft. Modell, Medium, Cyberheldin, S. 61. 207 Siehe dazu auch Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 114. 208 Vgl. Richard, B., Sheroes, S. 7ff. 209 Vgl. Ebda., S. 10ff. 210 Vgl. Ebda., S. 77.
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einer großen Anzahl von virtuellen Heldinnen stecken männliche Spieler. Der Reiz der anonymen Maskerade lässt viele Männer gerne mit Genderrollen experimentieren. Die im Internet dargestellten Geschlechter haben keinen Anspruch auf Authentizität, sondern sind eine Spielwiese unterschiedlicher Geschlechterkonstruktionen. Wie weiter oben bereits angesprochen, bedienen sich Abenteuerfilme und -literatur häufig ganz bestimmter stereotyper Klischeerollenbilder von Mann und Frau. Ute Bechdolf meint dazu: „So unterschiedlich die Orte, Zeiten und Welten, in die uns diese Filme entführen auch sein mögen, gemeinsam ist all diesen Filmen der männliche Held, der das Geschehen beherrscht. [...] Die Interpretation liegt nahe, dass Abenteuer nichts für Frauen sind, der Abenteuerfilm wie auch sein Vorgänger, der Abenteuerroman, eigentlich ein reines Männergenre ist.“211
Da Computerspiele ihre Vorlagen ebenfalls aus den Abenteuerromanen und Abenteuerfilmen beziehen, gilt diese Feststellung auch für sie. Klaus Theweleits Analyse der Abenteuer- und Soldatenromane der Zwischenkriegszeit unterstreicht dieses Bild der Frau. In diesen Romanen müssen sich Frauen den Männern unterordnen und passiv verhalten. Auf aktive, selbstbestimmte Frauen wartet Theweleit zur Folge der Tod. Sie werden als fremd und unnatürlich bewertet und als eine Gefahr gesehen.212 Laut Theweleit empfinden Männer der selbstbewussten Frau gegenüber Angst, die unterdrückt werden muss. Die Ursprünge dieses Verhaltensmusters sind laut ihm auf das preußische Erziehungssystem Ende des 19. Jahrhunderts zurückzuführen. Die Kinder wurden zu Soldaten erzogen, und das Idealbild der patriarchalen Kleinfamilie war verinnerlicht. Körperlichkeit, Empfinden und Sexualität wurden verdrängt und mit der Frau assoziiert.213 Laut Theweleit galt die Frau als gefährliches, fremdes Wesen. Männer verstehen Frauen nicht, sie werden zu Unbekannten. Das Fremde, also die Frau, die auch die unterdrückte und verleugnete Körperlichkeit repräsentiert, ist Inbegriff der Unordnung und des Chaos gegenüber einer soldatischen Ordnung. Es ist daher im Sinne der Ordnung, das Fremde so weit wie möglich zu bekämpfen und zu unterdrücken, also insbesondere die Frau.214 Es handelt sich dabei um einen Vorgang, in dem sich diese Vorstellungen in die Realität verwandelt haben, wie wir aus der Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts wissen. Elemente dieser Bilder von Frauen und Männern wirken bis in die heutige Zeit auf die Abenteuerliteratur und den Abenteurerfilm und beeinflussen damit auch die Computerspiele. Ab den 1950er Jahren dringen neue Strömungen in die Aben-
211 Bechdolf, U., Heldinnen im Abenteuerfilm, S. 17-18. 212 Vgl. Theweleit, K., Männerphantasien, Bd. 1, S. 37ff. 213 Vgl. Ebda., S. 46ff. 214 Vgl. Ebda., S. 37-86.
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teuerliteratur ein. Im Weltbild des einflussreichen „Herr der Ringe“-Epos von Tolkien tauchen starke Frauen nur vereinzelt auf, Hauptrollen übernehmen oft noch die Männerfiguren. Die bedeutende Fantasy-Autorin Marion Zimmer-Bradley integrierte erstmals glaubwürdige Frauenrollen in die Abenteuerliteratur und gilt als Vorreiterin dieser Entwicklung. Ihre Neu-Interpretation der „Artus-Sage“, die „Nebel von Avignon“-Romane und die folgenden Fantasiegeschichten, beeinflussten die Abenteuerliteratur nachhaltig und gaben erstmals Frauen aktive Rollen und ausgeprägte Charaktere.215 Somit stellen neuere Abenteuergeschichten eine Collage konservativer, antimoderner Frauenbilder und emanzipierter Heldinnenfiguren, aufgeladen mit körperlicher Sexualität, dar. Die Geschlechterbilder, die über die Medien vermittelt werden, beeinflussen unser Denken und führen zu einer Festigung der Geschlechterrollenverteilung. Zudem eröffnet der Umgang mit dem Computer bzw. die unterschiedliche Techniksozialistation zwischen Mann und Frau differente Aneignungsmuster innerhalb der Computernutzung und damit auch unterschiedliche Zugänge zum Computerspiel. Sabine Collmer streicht die Unterschiede in der Technikaneignung zwischen Männern und Frauen hervor: Männer stehen der Technologie und vor allem Computerspielen offener gegenüber, während Frauen dem Medium mit kritischer Distanz gegenüber treten. Für Collmer sind die Gründe für diese unterschiedliche Aneignung bereits in der Erziehung zu suchen.216 Aufgrund der jahrelangen Förderung von männlichen Jugendlichen im technischen Bereich kommt es zu einem vertrauten, spielerischen Umgang mit dem Computer und somit mit den Computerspielen. Ein Zugang, den sich in diesem Bereich die weniger geförderten Mädchen erst wesentlich später aneignen konnten. Da aber Spiele und teilweise sogar Softwareprogramme den spielerischen „Try and Error“-Zugang bevorzugen, sind sie den männlichen Jugendlichen vertrauter.217 Dieser Umstand ändert sich, je mehr sich die Techniksozialisation von Mann und Frau angleichen, wie es heute zum Teil der Fall ist. Die historische Entwicklung der Computerspiele und des Computers tragen ebenso zu unterschiedlichen Zugängen bei Männern und Frauen bei. Wie ich bereits ausgeführt habe, liegt eine Wurzel der Computerspiele in der SpielhallenJugendkultur der 1980er Jahre.218 Der lärmende, ständige Wettkampf in den Jugendcliquen war eine Männerdomäne, in der Frauen schwer Fuß fassten. Diese Spielhallenkultur war vom Verhalten pubertierender männlicher Jugendlicher geprägt, Mädchen spielten zu dieser Zeit eher zu Hause im Wohnzimmer.219 Der für
215 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 114-115. 216 Vgl. Collmer, S., Computerkultur und Geschlecht, S. 157-159. 217 Vgl. Dittler, U., Computerspiele und Jugendschutz, S. 55. 218 Siehe S. 70ff. 219 Vgl. Tews, R., Archetypes on Acid, S. 174-175.
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viele männliche Jugendliche alles entscheidende Wettkampf hatte für die Mädchen nicht denselben Stellenwert. Spiele wurden aber auf Grund der Erfolge in den Spielhallen zunächst auch für die Heimcomputer entsprechend auf Kampf und Wettbewerb hin entwickelt, also klar für eine männliche Zielgruppe programmiert. Ein Faktor, der bis in die heutige Spielentwicklung hinein wirkt und die männliche Dominanz im Computerspielbereich mit erklärt. Zudem gilt der Computer selbst als technisches Medium. Der Umgang mit ihm wurde, wie bereits von Collmer erörtert, in unserem Erziehungssystem eher den Buben, als den Mädchen zugestanden. Es waren meistens Buben, die technisches Spielzeug, wie Modellautos, Eisenbahn, Flugzeuge, etc. und den ersten Kindercomputer bekamen. Auch wenn sich die Erziehungsmethoden ändern, und nun auch Mädchen früher mit Technik in Berührung kommen, wirkt die unterschiedliche Techniksozialisation durch die Erziehung bis heute nach.220 In der Zwischenzeit hat sich der Zugang zu einem Computersystem sowohl für Mädchen als auch Buben weitgehend angeglichen, die Nutzung bleibt dennoch unterschiedlich. Der Computer nimmt für Mädchen nach statistischen Studien einen weit geringeren Stellenwert im Freizeitverhalten ein, während er von Buben zeitlich wesentlich intensiver genutzt wird. Auch wenn Computerspiele sich grundsätzlich in ihrer Verbreitung zwischen Männern und Frauen annähern (ca. 60% zu 40%),221 verbringen doch Männer und Buben wesentlich mehr Zeit mit den Spielen.222 Laut Pierre Bourdieu ist unsere gesamte Sozialisation geschlechtsspezifisch strukturiert. Es existiert eine symbolische männliche Herrschaft. Unsere Denkweise ist demnach nach einer männlichen Herrschaft geschlechtsstrukturiert ausgerichtet und geprägt.223 Die unterschiedliche Ausbildung von Frauen und Männern und die historische Entwicklung der Computerspiele sind nur ein untergeordneter Faktor für die Unterschiede bei der Computernutzung. Sie sind im Sinne Bourdieus ein Ausdruck der geschlechtsbezogenen Unterschiede und nicht ihre Ursache. Diese ist in der symbolischen Herrschaft der Männer zu suchen, die nach Bourdieu strukturell in der Gesellschaft symbolisch verankert ist.224 Gerade in der Erziehung äußert sich die männliche Dominanz stark, die zu den typischen geschlechtsspezifischen Sozia-
220 Siehe dazu auch Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 115-117. 221 Diese Zahlen beziehen sich auf den US- Amerikanischen Spielemarkt im Jahr 2008 (http://www.theesa.com/facts/pdfs/ESA_EF_2008.pdf, 5.6.2012). In Deutschland ist der Anteil spielender Mädchen und Frauen noch geringer: Der BIU gibt für das Jahr 2009 eine Verhältnis zwischen Männern und Frauen von 69% zu 31% an (http://www.biuonline.de/, 1.6.2012). 222 Vgl. Wink, St. und K. Lindner, Kids und Computerspiele, S. 72-73. 223 Vgl. Bourdieu, P., Eine sanfte Gewalt, S. 219-221. 224 Vgl. Ebda. S. 219ff.
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lisationsunterschieden bei Männern und Frauen führen. Für Sabine Collmer ist die Erziehung Ursache dafür, dass ein gesellschaftliches Bild vorherrscht, indem Technikkompetenz zuerst dem Mann konstatiert wird. Frauen müssen, obwohl hoch qualifiziert, ihr Können und Wissen ständig unter Beweis stellen, da es permanent von den Männern hinterfragt wird.225 Dies passiert überall dort, wo Frauen in „Männerdomänen“ eindringen. Ähnliches geschieht demnach auch bei computerspielenden Frauen. Auch hier werden ihre Leistungen und Fähigkeiten permanent von einer männlichen Community in Frage gestellt. Frauen müssen sich zuerst als Frau „rechtfertigen“ und ihr Können „beweisen“, um im männlichen Umfeld wahrgenommen zu werden. Trotz höchster Leistungen stehen Frauen aber immer unter der symbolischen Herrschaft der Männer. Das bedeutet, sie werden geschlechtsspezifisch bewertet.226 Nach Bourdieu ist die Sozialisation einer sozialen Position immer mit der grundlegenden Geschlechtssozialisation der Frau verwoben.227 Solange diese Geschlechtersozialisation greift, kann von einer Gleichstellung zwischen Mann und Frau keine Rede sein und sie sind nur ein Lippenbekenntnis der Politik. Die meisten Spiele konnten lange Zeit nur aus einer „Männerperspektive“ gespielt werden, mit vielfach frauendiskriminierenden Inhalten. Die männlichen Programmierer in den Studios setzten die Vorlagen aus den Abenteuerfilmen und der Abenteuerliteratur, gepaart mit eigener Technikaffinität und dementsprechend geprägter konservativer Frauenbilder um.228 Paulina Borsook, Journalistin und selbst in der Softwarebranche tätig, bestätigt in der von Männern dominierten Elite der Informationstechniker im Silicon Valley, dieses konservative Frauenbild. Die Techniker in dieser Hightech-Industrie sehen sich laut ihr selbst als CyberspaceVisionäre und als Eliten der Nation. Frauen sind diesen Denkweisen minderwertige und fremde Wesen. Sie sind technikfremd und sollen ihre Aufgaben im Haushalt erfüllen. In diesen Denkweisen obliegt es nach Borsook ausschließlich den Männern, Politik zu machen und die Nation zu lenken.229 Hier sei nochmals auf die Sichtweisen der Soldatenliteratur verwiesen, die ich vorher bereits besprochen
225 Vgl. Collmer, S., Computerkultur und Geschlecht , S. 160-162. 226 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 116. 227 Vgl. Bourdieu, P., Eine sanfte Gewalt, S. 222. 228 Dies betrifft vor allem Spiele mit der Darstellung des männlichen Heldenmythos. Es gab auch schon früh vereinzelte Programmierinnen und Designerinnen in der Branche, die neue Impulse innerhalb des Spieldesigns lieferten. Bekanntester Name ist dabei wohl Roberta Williams, die eine erfolgreiche Reihe von Abenteuerspielen kreierte. Heute sind immer mehr Frauen in den Schlüsselpositionen der Spielhersteller vertreten, dennoch überwiegt der Anteil männlicher Programmierer bei weitem (Vgl. dazu: Frankel, H., Was Frauen wollen, S. 117). 229 Vgl. Borsook, P., Schöne neue Cyberwelt, S. 27-28.
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habe. Die Parallelen im Bild der Frau sind nicht zu übersehen. Wenn man nun davon ausgeht, dass ein Großteil der produzierten Spiele aus dieser Hightech Industrie stammt, verwundern die konservativen, klischeehaften Frauenbilder nicht, die immer noch in zahlreichen Spielen, aber auch anderen Unterhaltungsmedien zu finden sind.230 Dabei greifen die Frauen- bzw. Genderbilder, ähnlich der Mythen, auf alte Dualismen von Mann und Frau als Gegensatzpaar bzw. Genderopposition zurück. Andreas Hepp geht davon aus, dass in den meisten westlichen Medientexten eine binäre Opposition von weiblich und männlich konstituiert wird. Beide schließen sie sich zwar aus, bilden aber eine strukturelle Einheit. Es entsteht laut Hepp ein scheinbar kohärentes mythologisches Feld der Begriffe rund um männlich und weiblich. Für Frauen gelten laut Andreas Hepp Attribute wie emotional, intim, privat, während der männliche Gegenpart gleichsam mit kontrolliert, öffentlich bzw. distanziert gewertet wird. Diese Dualität schafft laut ihm bedeutungskonstituierende Stabilität, schließt aber gleichzeitig ein, bzw. grenzt unerwünschte Positionen abseits des Dualismus aus.231 So archetypisch und überaltert diese Begrifflichkeiten auch wirken mögen, bei der Analyse von Medieninhalten kann man erkennen, dass diese vereinfachten Dualismen in unserer Gesellschaft immer wieder Anwendung finden, insbesondere auch in der Präsentation der Computerspiele. Für Andreas Hepp sind Frauen- und Männerbilder abhängig von der diskursiven Definition in soziokulturell relevanten Kategorien der jeweiligen Gesellschaft, bzw. der ideologischen Macht, die hinter den Diskursen steht. Wird demnach die Frau als fürsorgliche Mutter oder als verführerische Geliebte dargestellt, hängt von der gesellschaftlichen Auseinandersetzung ab, welche Position gestärkt werden soll.232 Frauenfiguren in Computerspielen sind auf jeden Fall stark archetypisch ausgeprägt: Sie nehmen, wenn sie aktiv von SpielerInnen gesteuert werden können, die Position des männlichen Heldentypus ein. Passiv sind sie als fürsorgliche Mutter bzw. weise Frau gestaltet, die es zu beschützen gilt, oder auch als hilflose Frau, die zu retten ist. Oder sie wird als böse Hexe dargestellt, als das Fremde, welches gegen Ende des Spieles zu vernichten ist. Nur wenige Computerspiele schaffen es, aus diesem Muster auszubrechen. Mit steigender Anzahl computerspielender Frauen und Mädchen wird sich auch die Qualität der Spielgeschichten erhöhen. Schon jetzt kann man eine Zunahme durchdachter und qualitativer Hintergrundgeschichten mit entsprechenden tiefschich tigeren Charakteren beobachten. Rollenspiele sind z.B. ein Genre, welches generell eine hohe Frauenquote aufweisen kann. Genau diese Spiele sind durch
230 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 117. 231 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 59-60. 232 Vgl. Ebda., S. 64.
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die weltweite Vernetzung des Internet momentan sehr beliebt und verbreitet. Ähnlich verhält es sich mit den beliebten Lebenssimulationen „The Sims“ oder „Second Life“. Ein weiterer Spielebereich, in dem Frauen mittlerweile verstärkt vertreten sind, sind die sogenannten „Casual“-Spiele und „Browser Games“. Das sind Kurzspiele, die „nebenbei“ über das Internet mittels eines Browsers gespielt werden können und zur kurzfristigen Ablenkung dienen.233 Zusammenfassend muss aber festgestellt werden, dass das Abenteuer- und Actiongenre nach Hollywoodvorbild männlich dominiert ist. Hier ist die symbolische Herrschaft der Männer in der Gesellschaft deutlich zu spüren und sehr ausgeprägt. Solange die geschlechtsspezifische Sozialisation der Frau unter der symbolischen männlichen Herrschaft steht, werden die Heldinnen in den Computerspielen von den Frauen nur nach dem Muster der männlichen Helden gespielt werden können. Der männliche Blick als Subjektposition muss zwar, wie Andreas Hepp meint, nicht zwangsläufig eingenommen werden, aufgrund diskursiver Mechanismen sind die Spiele aber eben genau für diese Position gemacht.234 Allerdings kann im Sinne der Cultural Studies nicht davon ausgegangen werden, dass sich Frauen, die sich in den Spielen mit der Subjektpositionierung im Sinne einer männlichen Perspektive vollständig identifizieren können, auch außerhalb der Medienaneignung diese Perspektive weiter verwenden. Geschlechterrollen sind in ihrer medialen Vermittlung häufig nur für bestimmte (Spiele-) Situationen relevant. Hepp spricht daher von Gender als Artikulation: Dazu müssen Genderdarstellungen in den Medien (im Computerspiel), gesellschaftliche Genderdiskurse und die Rolle von Gender bei der Medienaneignung im konkreten Zusammenspiel bestimmter Situationen gemeinsam aufgefasst betrachtet werden.235 Da sich das Medium Computerspiel über Jahrzehnte der männlichen Perspektive verschrieb, wird für Mädchen und Frauen der Zugang zum Spielen erschwert. Ähnliches geschieht auch bei den Online-Communities der Internet-Spiele. Spielende Frauen werden von männlichen Spielern oftmals abfällig bewertet, es wird ihnen Kompetenz und Ausdauervermögen abgesprochen. Als Beispiel wurden von meinen Gesprächspartnern Shooter-Clans genannt, deren Mitglieder sich vorwiegend aus Mädchen und Frauen zusammensetzen. Diese könnten sich auf lange Sicht, laut meinen Interviewpartnern, gegen die männliche Konkurrenz nicht durchsetzen. So stellten meine Gesprächspartner mehrfach fest, dass Frauen wesentlich schlechtere Spieler seien und sie an der Spielweise sofort erkennen würden, wenn eine Frau spielt:
233 Voneinander unabhängige Studien der „Casual Games“-Produzenten RealNetworks und PopCap Games sprechen von einem Frauenanteil von 70% im Jahr 2006 (http://www.gamestar.de/index.cfm?pid=5&pk=1465056, 20.10.2012). 234 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 37. 235 Vgl. Ebda., S. 65-66.
232 | C OMPUTERSPIEL UND L EBENSWELT Alex: „Wir haben mal gegen Mädels gespielt, das war einfach (bricht in Gelächter aus). Die haben überhaupt nicht taktisch spielen können, obwohl es eigentlich ein einfaches Spiel war. Wir haben uns köstlich amüsiert und die sind einfach wie blind durch die Gegend gerannt. Es hat zwar Mädels-Clans gegeben, die waren bei den Besten dabei, aber wenn du gegen sie 1:1 gespielt hast, haben die Burschen immer gewonnen. Ich weiß nicht warum, ich glaub einfach dass die Mädels nicht so viel Zeit ins Spiel investieren.“
Die Kompetenzen der Frauen werden teils unterschätzt und dabei reproduzieren die Spieler klassische dualistische Weltbilder der Geschlechterhierarchie: Christian: „Wenn’s d’ wirklich viel spielst, bzw. intensiv spielst, musst’ dich auch mit dem Computer richtig gut auskennen und auf jeden Fall viel beschäftigen. Ich glaube, die meisten Frauen entweder scheren sich nicht, oder das logische Denken, würde ich mal sagen, fehlt ihnen. Oder den meisten auf jeden Fall. Beim Computer, wenn du dich mehr damit beschäftigen willst, brauchst du ein gutes logisches Denken. [...] Ich sehe es ja in der Firma, wir haben da 2 Frauen in der EDV, denen fehlt komplett das logische Denken. Die installieren einen Server nach dem Schema F, und wenn der Server nicht nach dem Schema F lauft, dann ist es aus.“
Vermutlich spielt dabei eine gewisse „Revierverteidigung“ der männlichen Spieler eine Rolle, die fürchten, ihr angestammtes Terrain zu verlieren. Andererseits geben meine Gesprächspartner aber auch an, dass Frauen dem Spielgeschehen einen „zusätzlichen Reiz“ geben und die Online-Communities bereichern. Frauen und Mädchen müssen in der Online-Welt neben dem Absprechen von Kompetenz auch sexuelle Anspielungen und abfällige Bemerkungen erdulden, da die Anonymität von einigen Spielern dahingehend ausgenutzt wird. Während meiner Untersuchun-gen konnte ich beobachten, wie einer meiner Gesprächspartner versuchte, einer Gildenkollegin dahingehend Avancen zu machen. Da Computerspiele und hier besonders ausgeprägt auch Action-Shooter für junge Männer in der Adoleszenz phase ein Mittel zum Ausdruck von Männlichkeit sind, haben es Frauen in den vir tuellen Ligen und Clans besonders schwer. Hartmut Gieselmann hat bei einer Analyse der Web-Foren des Internet-Shooters „Counterstrike“ festgestellt, dass Computerspieler als Folge der Männlichkeitsvorstellungen sämtliche feminine Ausdrucksweisen zu vermeiden versuchen. Weiblichkeit wird als Synonym für Schwäche gewertet, schlechte Leistungen im Spiel werden mit abfälligen Kommentaren über Weiblichkeit oder Homosexualität bewertet. Frauen geben sich laut Gieselmann in den Web-Foren oft gar nicht als Frau zu erkennen, da sie befürchten, offenen Anfeindungen ausgesetzt zu werden.236
236 Vgl. Gieselmann, H., Der virtuelle Krieg, S. 85-87.
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Diese Verhaltensweisen gelten, wie bereits festgestellt, in erster Linie für adoleszente Jugendliche, mit zunehmender Reife ändern sich die Umgangsformen. Zusätzlich sind verbale Attacken auch Ausdruck der Aggressivität im virtuellen Spielgeschehen und daher in Kampf- und Kriegsspielen dementsprechend häufig. In Lebenssimulationen wie „The Sims“, „Second Life“ oder „Spore“ sind solche Verhaltensweisen kaum zu finden. Medien transportieren seit jeher Gender-Rollenbilder, bzw. die gewünschte und erwartete Teilung des sozialen Zusammenlebens von Mann und Frau in der Gesellschaft. Andreas Hepp skizziert die Ergebnisse der bekannten Studie im Sinne der Cultural Studies von Brunsdon & D. Morley. Dabei wurde die Magazin-Sendung „Nationwide“ der BBC, die erstmals 1966 ausgestrahlt wurde, nach ihren ideologischen und gesellschaftspolitischen Inhalten analysiert. Besonders interessant sind dabei laut Hepp die Genderkonstruktionen einer dualen Arbeitswelt: Männer verrichten die Arbeit im öffentlichen Leben, während Frauen in die private Sphäre des Haushalts zurückgedrängt werden. Häuslichkeit wird laut Andreas Hepp mit der Freizeit für den Mann verbunden, der nach getaner Arbeit das Recht auf Ruhe und Erholung hat, während die Arbeit der Frau im Haushalt und in der Kindererziehung völlig ausgeblendet wird. Der Blick in dieser überaus erfolgreichen britischen Magazinreihe war durchwegs aus der Perspektive der männlichen Arbeitnehmer, als ein Ausdruck eines Bildes vom „Zuhause“, konstruiert nach männlicher Hegemonie.237 Diese Studie gilt als Ausgangspunkt vieler Projekte, deren Anspruch war, die Machtverhältnisse innerhalb der Medienprodukte zu benennen. Diese Machtverhältnisse lassen sich in einer Vielzahl von Medienprodukten nachweisen, wie zum Beispiel in Serien, Magazinreihen oder Nachrichtensendungen. Sie sind zeitspezifisch und ein Ausdruck der gesellschaftlichen Machtverhältnisse und Ideologien bzw. der Ideologien der MedienmacherInnen und ihrer GeldgeberInnen. In diesem Sinne repräsentieren Computerspiele, wie alle anderen Medien auch, Ideologien, meist geprägt durch eine äußerst dominante Darstellung männlichen Hegemonieanspruches. Durch eine männlich dominierte Entwicklerszene und der Technologiebranche allgemein, wird die männliche Dominanz und Hegemonie in der Computerspielbranche entsprechend verstärkt. Diese Ideologien werden vom vorwiegend männlichen Publikum, besonders in der Adoleszenzphase gerne angenommen. Natürlich verbreitet nicht jeder Film und jedes Computerspiel dieses ideologische Gedankengut und die entsprechenden Rollenbilder, doch spiegeln gewisse Formen von Medieninhalten, besonders kriegsverherrlichende Computerspiele oder Ego-Shooter, solche Strömungen in unserer Gesellschaft wider. Und nicht umsonst verschwinden Frauen dort hinter einer männlichen Dominanz: Es sind dieselben Strömungen, eine Ideologie des starken, weißen Mannes, die Frauen
237 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 120-121.
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sehr gerne aus dem öffentlichen Blickfeld verschwinden lassen. Scheinbar gelten für gewisse ideologische Kreise Frauen noch immer als Fremdkörper, als Gefahr und als große Unbekannte, ähnlich wie Theweleit bereits in seiner Analyse der Soldatenromane gezeigt hat.238 Beziehungen und Sexualverhalten werden in den Medien häufig entsprechend der Norm, des „Common Sense“ dargestellt. Das heißt, Heterosexualität und idealisierte Mann und Frau Beziehungen werden in Computerspielen favorisiert, während Verhalten abseits der Norm negative Konsequenzen zu erfahren haben, sofern diese Themen überhaupt angesprochen werden.239 Tatsächlich stellen Computerspiele Romanzen und Liebesbeziehungen äußerst selten und wenn, dann sehr idealisierend dar. Im Gegensatz zu Film und Fernsehen wird kaum nackte Haut und Erotik geboten. Besonders in den Vereinigten Staaten werden angedeutete Sexualszenen sofort indiziert, während die amerikanische Zensur mit dargestellter Bildschirmgewalt scheinbar deutlich weniger Probleme hat. Zurückzuführen sind diese Zensuren der dargestellten Sexualität auf die Traditionen der christlichen Ethik mit ihrer Verdrängung der Sexualität im abendländischen Kulturbereich. Laut Ochi Kazuhiro wurden in den letzten 200 Jahren besonders die weibliche Sexualität und der Status der Frau in der technologisierten Moderne unterdrückt und männliches Denkverhalten und Handlungsmuster als alleiniges Vorbild übernommen. Sexualität wurde auf Fortpflanzung reduziert, Genuss war moralisch bedenklich und die Lust als Sünde gesehen. Für Ochi führte die männliche Denkweise zudem dazu, dass das weibliche Geschlecht gefürchtet, und als das unverstandene, irrationale Andere begriffen wurde. Dieses „gefährliche Andere“ galt es zu beherrschen und in den Haushalt einzusperren. Frauen wurden nur noch Auslöser männlichen Begehrens und dessen Empfänger, eigene Sexualität wurde ihnen abgesprochen.240 Auch Anneliese Felber geht davon aus, dass die Verortung und Darstellung des Weiblichen in der abendländischen Kultur von den Denkstrukturen der Antike und der christliche Tradition abhängig ist und bis heute unseren Alltag prägt. Vorherrschend ist laut ihr ein Denken in Gegensätzen als grundlegende Form der Wirklichkeitserfassung: Licht-Schatten, Gut-Böse, Geist-Leib, Mann-Frau.241 Der Dualismus bedeutet aber gleichzeitig eine Bewertung und Hierarchisierung der Gegensatzpaare. Die christliche Religion setzt laut Felber mit biblischer Untermauerung die Frau einem Sündenfall gleich und sieht sie als Gefährdung des Mannes. Die Verführerin zum Sündenfall wird dämonisiert und als Böses identifiziert. Gott als Schöpfer wird
238 Vgl. Theweleit, K., Männerphantasien, Bd. 1, S. 37-86. 239 Vgl. Consalvo, M., Hot Dates and Fairy-Tale Romances, S. 171ff. 240 Vgl. Ochi, K., Die wunderbare Welt der weiblichen Pornographie, S. 54ff. 241 Vgl. Felber, A., Vernichtung „Evas“ als des Bösen, S. 25.
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laut Felber als Mann repräsentiert, während die Frau einen mangelhaften Mann darstellt und hierarchisch untergeordnet wird.242 Nun repräsentieren moderne Computerspiele mit ihren dargestellten Bildern zum Teil diese alten Ideologien und Vorstellungen, ähnlich wie die Schwestermedien Film und Fernsehen. Das männliche Denkverhalten ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt und tritt im medialen Bereich besonders dort massiv zum Vorschein, wo Männer, größtenteils auch unbewusst, Medienprogramme ohne weibliche Kompetenz produzieren. Oder aber auch bewusst, wenn ideologisch konservative Kreise versuchen, ihre gesellschaftspolitischen Visionen und Ideologien medial zu verbreiten um alte Machtverhältnisse zu festigen. Beziehungen in Computerspielen gleichen somit eher klassischen Märchengeschichten zwischen Helden und Prinzessinnen und entsprechen einer männlichen Logik. Es herrscht in vielen Spielen ein Mangel an emotionaler Tiefe. Scheinbar sind die meisten Spielentwicklerstudios der Meinung, dass Emotionen und Gefühle in Computerspielen nicht notwendig sind. Es soll in Computerspielen eher um den Reiz des Wettkampfes, des Gewinnes und des Bestehens von Herausforderungen und trotzen der Gefahren gehen. Umso mehr sind jene Spiele erfolgreich, die wenigstens ansatzweise versuchen Romantik und Liebe darzustellen. Dies erfolgt vorwiegend in einigen Rollen- und Abenteuerspielen und auch in Lebenssimulationen, wie „The Sims“ oder „Second Life“. Natürlich zeigen diese Darstellungen fast ausschließlich den „Common Sense“, sexuelle Emanzipation und Freiheit sucht man in Computerspielen vergebens. Ein Grund dafür ist auch die Zielgruppenorientierung: Um möglichst viele Spiele zu verkaufen, muss ein Publisher eine breite Käuferschicht ansprechen. Da Jugendliche eine bevorzugte Zielgruppe der Computerspiele sind, möchte man nicht eine mögliche Zensur riskieren und bleibt bei einer dementsprechenden abstrakten und konservativen Darstellung von Romantik und Gefühlen. Nicht zu vergessen ist, dass Computerspielfiguren starke Projektionsträger sind, d.h. die SpielerInnen identifizieren sich bei längeren intensiven Spielen mit ihren virtuellen StellvertreterInnen. Würden dabei Positionen und Situationen abseits der gesellschaftlichen Norm dargestellt werden, könnten viele SpielerInnen in ihrer Identifikation gestört werden, was dem Verkaufserfolg eines Computerspieles schaden würde. Theoretisch sollte die Computerspielfigur, die die SpielerInnen übernehmen, nicht zu stark ausgeprägt sein, um Raum für eigene Projektionen zu schaffen. Der virtuelle Avatar gilt dabei als ein leeres Gefäß, das mit den Entscheidungen und Vorlieben der SpielerInnen gefüllt wird. Den ComputerspielerInnen sollte aber auch Gelegenheit gegeben werden, ihre Charaktere zu schärfen, bzw. Entscheidungen zu treffen, in welche Richtung sich der virtuelle Avatar weiterent-
242 Vgl. Ebda., S. 25.
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wickelt. Dazu würden auch Möglichkeiten einer freien sexuellen Orientierung und Romanzen mit anderen virtuellen Spielfiguren gehören. Kaum ein Computerspielhersteller ging bisher das Risiko ein, Spiele abseits des Massenmarktes und des „Common Sense“ zu produzieren, während Film und Fernsehen durchaus Produktionen abseits des Mainstreams erlauben, wenn auch in sehr sporadischer Form. Zusammenfassung Ausgehend von den Betrachtungen von Katharina Lindner und Stefan Wink243 möchte auch ich vielen Computerspielen, die ich im Zuge meiner Forschungstätigkeit kennenlernte, gleichfalls eine stereotypische Geschlechterrollenaufteilung zuschreiben.244 Die Spiele prägen durch ihre traditionellen, konservativen Rollenbilder und Klischees von Frauen und Männern auch die Wertvorstellungen der SpielerInnen mit, wie ich anhand der von mir befragten spielenden Gruppe feststellen konnte. Die Leistungen der spielenden Frauen werden z.B. von Alex und Christian nicht anerkannt, beide gehen davon aus, dass spielende Männer die wesentlich besseren Computerspieler sind. Frauen wird von ihnen die fehlende Bereitschaft unterstellt, die nötige Zeit in Computerspiele zu investieren. Zudem scheint sich Bourdieus Theorie der Geschlechtersozialisation, die eine symbolische Herrschaft der Männer bzw. männliche Dominanz im gesellschaftlichen Hierarchiesystem feststellt,245 durch die Meinungen der befragten Spieler zu bestätigen. Besonders das reale soziale technische Lebensumfeld der Spielergruppe trägt vorgefertigte Meinungen über die Technik- bzw. Computerspielkompetenz von Mädchen und Frauen weiter, ebenso wie die Darstellung der Frauenbilder in den Medien und Computerspielen und, nach Bourdieu, die grundlegende Geschlechtersozialisation der Gesellschaft.246 Bereits Sabine Collmer wies auf die Schwierigkeit hin, wenn Frauen technische Berufe ergreifen. Ihre Kompetenz wird stets in Frage gestellt, ihr Können und Wissen müssen sie ständig bestätigen.247 So wie meine Gespräche zeigten, wird das Eindringen in „Männerdomänen“, wie Computerspiele zum Teil noch begriffen werden, offenbar von männlichen Spielern nicht einfach hingenommen. Zudem lassen sich bei meinen Gesprächspartnern auch
243 Vgl. Wink, S. und Lindner, K., Kids und Computerspiele, S. 73-74. 244 Spiele, die denen der Mann als einsamen Rächer und Held dargestellt wird, und in denen Frauen praktisch nicht wahrgenommen werden bzw. präsent sind, sind weit verbreitet.
Als
Beispiele
gelten
„Call
of
Duty“,
„Doom“,
„Wolfenstein“, „Half Life“, „Unreal“, etc. 245 Vgl. Bourdieu, P., Eine sanfte Gewalt, S. 222. 246 Vgl. Ebda., S. 219-222. 247 Vgl. Collmer, S., Computerkultur und Geschlecht , S. 160-162.
„C&C-Renegade“,
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Elemente jener konservativen Frauenbilder wiederfinden, die Paulina Borsook in ihrer Analyse der Kultur innerhalb der Hightech-Industrie von Silicon Valley herausstreicht.248 Das Bild der passiven, technikfernen Frau hat sich wohl auch bei Christian gefestigt, der seinen Arbeitskolleginnen in der Firma logisches Denken und damit jede Technikkompetenz in Abrede stellt. Wie Gieselmann Hartmut bereits festgestellt hat, müssen sich Frauen auch im Internet gegen die männliche Dominanz behaupten bzw. sind sogar Opfer sexueller Anspielungen und Belästigungen. Diese Beobachtungen konnte ich bei Alex ebenfalls feststellen, der versuchte, mit einer Gildenkollegin zu flirten und dann zur Belustigung seiner Freunde abgewiesen wurde. Seinen Ärger machte er damit Luft, dass er die Gildenkollegin verbal belästigte und ihr gegenüber sexuelle Anspielungen machte. Die Darstellung der weiblichen Heldin gleicht dem männlichen Held. Die Perspektive der Heldin ist ein männlicher Blickwinkel, den die spielenden Frauen einnehmen müssen.249 Heldinnen verkörpern die Idealbilder des männlichen Helden: Sie haben kaum Empfindungen, einen starken Körper, empfinden keinen Schmerz und sind unbesiegbar. Die virtuelle Heldin „Lara Croft“ sorgt für Kontroversen innerhalb der Computerspielforschung, wenn es darum geht, ob die Darstellungen der weiblichen Heldinnen für Frauen und Mädchen Identifikationspotentiale bieten können, oder als reine Befriedung männlicher Ermächtigungsfantasien zu bewerten sind.250 In meinen Untersuchungen konnte ich feststellen, dass virtuelle Heldinnen trotz ihrer eingeschränkten Darstellung auch Identifikationsräume für Frauen bieten können. Anhand von Gesprächen mit Karin kristallisierte sich ein ähnlicher Bezug zur HeldInnenfigur heraus, den auch männliche Computerspieler aufwiesen. Für sie gelten männliche und weibliche HeldenInnenfiguren als gleichberechtigt, und sie kann sich mit beiden identifizieren. Sie wählte auch unterschiedliche Geschlechter bei der Figurenerstellung. Wichtig ist die liebevolle Kreation der Spielfigur. Somit ist meiner Meinung nach eine weibliche Identifikation mit den Heldinnen möglich, ganz im Sinne vom Astrid Deuber-Mankowsky und Birgit
248 Vgl. Borsook, P., Schöne neue Cyberwelt, S. 27-28. 249 Vgl. Bechdolf, U., Heldinnen im Abenteurerfilm, S. 19. 250 Für Hartmunt Gieselmann sind weibliche Heldinnen, insbesondere „Lara Croft“ stark sexualisierte Frauenfiguren, die männlichen Spielern die Möglichkeit bieten, Kontrolle und Macht über weibliche Figuren auszuüben (Vgl. Gieselmann, H., Der virtuelle Krieg, S. 57). Während die Kulturwissenschaftlerinnen Astrid Deuber-Makowsky und auch Birgit Richard davon ausgehen, dass weibliche Heldinnen sowohl für Männer, als auch für Frauen Indentifikationsmöglichkeiten bieten können (Vgl. DeuberMankowsky, A., Lara Croft. Modell, Medium, Cyberheldin, S.61 und Richard, B., Sheroes, S.10-27).
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Richard,251 allerdings mit dem Umstand, dass die weiblichen Spielfiguren trotzdem nach männlichen Heldenmustern konnotiert sind.
ANEIGNUNG
VON
C OMPUTERSPIELEN
In diesem Kapitel soll die Aneignung der Computerspiele durch die SpielerInnen analysiert werden. Aneignung bedeutet im Sinne der Cultural Studies die Analyse der Rezeptionsweisen, die SpielerInnen hervorbringen, wenn sie mediale Produkte konsumieren. Die Aneignung erfolgt in einem fließenden, wechselseitigen Prozess zwischen Medienproduktion und Konsumtion und nimmt in unterschiedlichster Weise Einfluss auf die Handels- und Denkstrukturen der SpielerInnen. Innerhalb eines Kommunikationsprozesses zwischen MedienproduzentInnen und VerbraucherInnen spiegeln sich die Macht- und Ideologieverhältnisse unserer Gesellschaft wider. Kulturobjekte wie Computerspiele können laut Andreas Hepp nur im Spannungsfeld zwischen Produktions- und Konsumtionspraktiken erfasst werden, das heißt, es erfolgt eine gleichzeitige Analyse der Kontexte und Praktiken der Produktion und Konsumtion.252 Jedoch wird jede Konsumtion vom realen soziokulturellen Nahbereich der SpielerInnen mit beeinflusst, ebenso wie vom individuellen Erfahrungshorizont, der Erziehung, LebenspartnerInnen usw. Somit können industriell erzeugte Medien, wie Computerspiele, als Populärkulturgut (Alltagskulturgut) und nicht als ausschließlicher passiver Konsum einer vorgefertigten Ware betrachtet werden. Wie alle kulturellen Phänomene wird laut Andreas Hepp auch die Populärkultur in einem aktiven Prozess der Erzeugung und Zirkulation von Bedeutung innerhalb des Alltagslebens der KonsumentInnen konstituiert. Der im Alltagsleben rezipierende Mensch wird laut ihm selbst zum/zur aktiven ProduzentIn, wenn er/sie mediale Texte dazu verwendet, eigene Bedeutungen und Vergnügen zu entwickeln. Konsum ist demnach aktives Erzeugen von Bedeutungen.253 Tatsächlich ist dieser Vorgang gerade bei Computerspielen häufig. Das Spielen schafft Vergnügen, in Internet-Gemeinschaften generieren die SpielerInnen mit Hilfe des Computerspieles Gruppen und Communities. Spielen dient damit als Basis der Kommunikation. Im Vergleich mit den Medien Fernsehen und Radio verlangen Computerspiele von den SpielerInnen eine aktive Auseinandersetzung. Während TV-Serien und Radioprogramme oft „nebenbei“ konsumiert werden, fordern Spiele die ganze Aufmerksamkeit der KonsumentInnen. Radioprogramme
251 Vgl. Deuber-Mankowsky, A., Lara Croft. Modell, Medium, Cyberheldin, S.61 und Richard, B., Sheroes, S. 10-27. 252 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 46. 253 Vgl. Ebda., S. 67-70.
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und Fernsehspots werden zerstückelt zwischen Werbesendungen platziert, ein Einstieg ins Programm ist jederzeit möglich, während Computerspiele durch ihre Struktur ein anderes Konsumverhalten erfordern.254 Eine Ausnahme stellen neuere Entwicklungen dar: Die bereits erwähnten „Casual-“ und „Browser-Games“, die sich immer größerer Beliebtheit erfreuen.255 Diese Spiele werden nebenbei und kurzeitig gespielt, z.B. zur Entspannung im Büroalltag. Sie gleichen eher einem passiven Konsum von Fernsehserien, als einem Computerspiel, das höchste Konzentration von den SpielerInnen erfordert. Trotzdem muss man aktiv ins Spielgeschehen eingreifen, um Fortschritte zu erzielen. Das Eintauchen in die virtuelle Sphäre des Spieles ist allerdings nur kurzfristig und sekundär und wird meist nicht vollständig vollzogen, da die Spiele parallel zu anderen Arbeiten am Computer gespielt werden. Meine Betrachtungen beziehen sich deshalb vorwiegend auf herkömmliche Spiele, die die Menschen über einen längeren Zeitraum in ihrer virtuellen Welt fesseln. Das Spiel als populärer Text ist im hohen Maße offen und kann eine Vielzahl von Lesarten zulassen, die im alltäglichen kulturellen Kontext produktiv angeeignet werden. Dadurch erreichen populäre Texte wie Computerspiele eine breite RezipientInnenbasis, die sich die Spiele unterschiedlich aneignen. Durch die offene Form wird der Verwendungszweck der Spiele aber weniger kontrollierbar. Es entstehen neue Lesarten, bzw. abweichende Formen, die den intendierten Meinungen der ProduzentInnen und GeldgeberInnen u.U. entgegenstehen können.256 In ihrer Struktur sind Computerspiele mediale Texte, die nach John Fiske sowohl die Lesenden provozieren, Bedeutungen und Vergnügen zu produzieren, als auch den textuellen Raum für diese Bedeutungen und Vergnügen zur Verfügung stellen, die dann mit den sozialen Interessen der Lesenden artikulieren. Bedeutungen können laut Fiske von den Lesenden aber nur dann produziert werden, wenn diese Artikulation mit den Interessen der Menschen stattfindet.257 SpielerInnen müssen demnach durch ihre Sozialisation und Biografie bereits mit dem Komplex Computer vertraut sein, bzw. ein Interesse aufbauen, um die Texte der Computerspiele überhaupt lesen zu wollen und zu können. Dies geschieht durch Spielinhalte, die an bekannten Mythologien anknüpfen und dadurch genug Interessenspunkte für die SpielerInnen bieten.258 Ein weiterer wichtiger Begriff innerhalb der Cultural Studies ist der von John Fiske verwendete Begriff des „Machtblockes“. Innerhalb des „Machtblockes“ sind
254 Vgl. Fiske, J., Augenblicke des Fernsehens, S. 242. 255 Siehe S. 231. 256 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 72. 257 Vgl. Fiske, J., Television Culture, S. 65-86. 258 Siehe dazu auch Lackner, T., Flucht in digitale Scheinwelten, S. 39.
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laut ihm Interessensgruppen zu finden, die durch ihren Status, ihr Alter und ihre Ethnie, etc. privilegierten Zugang zur ökonomischen Macht besitzen und diesen auch zur Durchsetzung ihrer Interessen nutzen, während der Großteil der KonsumentInnen ein Defizit an ökonomischen und sozialen Ressourcen aufweist. Die Macht liegt laut Fiske bei den ProduzentInnen, doch sind auch die KonsumentInnen diesem „Machtblock“ nicht völlig hilflos ausgeliefert.259 Es bestehen für John Fiske situative Handlungsmöglichkeiten und eigenes Handlungspotential innerhalb der Machtstrukturen. Die Kulturindustrie stellt aus ökonomischen Interessen Kulturwaren her, die die KonsumentInnen aber zur Produktion einer eigenen Populärkultur verwenden können. Obwohl die ProduzentInnen laut Fiske versuchen, Bedeutungen zu definieren, nutzen die KonsumentInnen diese Bedeutungen gemäß ihrer Interessen. Sie weisen laut Fiske Medienprodukten in ihren Alltagsleben lokalisierte Bedeutungen zu und konstruieren ihr eigenes Vergnügen. Dies bezeichnet Fiske als eigenen Machtbereich der Populärkultur.260 Eine Macht, Bedeutungen, Vergnügen und soziale Identitäten zu konstruieren, die von denen abweichen, die die hegemonialen Strukturen der Mächtigen vorsehen. Im Medienaneignungsprozess der Computerspiele können Communities durch bewusste Kaufverweigerung die ProduzentInnen zwingen, ihre Marktstrategien zu ändern. Dies geschieht zum Beispiel, wenn Spielfirmen ihre Spiele zu früh und mit technischen Problemen behaftet, auf den Markt bringen. Die Zurückhaltung der KundInnen zwingt die ProduzentInnen dazu, so schnell wie möglich Verbesserungen vorzunehmen. Laut Andreas Hepp darf nicht jede Aneignungsform der RezipientInnen als Widerstandspotential ausgelegt werden, genauso wenig wie es sich um einen ausschließlich passiven hegemonial unterdrückten Aneignungsvorgang handelt. Die Bedeutungen können nach Hepp nicht autonom und beliebig aus den Medientexten konstruiert werden und die KonsumentInnen haben nicht die Freiheit, mit den Texten zu tun was sie wollen. Laut Hepp bewegen sie sich meistens im „Common Sense“ eines gesellschaftlich erwünschten Aneignungsprozesses, der als Handlungsrahmen gilt.261 Der Kulturwissenschaftler Ian Ang meint zudem, dass auch wenn KonsumentInnen bei der Aneignung und Interpretation der Medien aktiv sind, dies nicht bedeutet, dass sie dadurch auf struktureller bzw. institutioneller Ebene automatisch aktiv im Sinne von „mächtig“ sind und die „Kontrolle besitzen“ würden. Der Machtzuwachs im Alltag ist laut ihm durch die interpretative Aneignung der Medien für die KonsumentInnen eine marginale Macht und stößt an die Grenzen, die durch die strukturelle, institutionelle Macht definiert wird.262 Diese
259 Vgl. Fiske, J., Understanding Popular Culture, S. 19ff. 260 Vgl. Ebda., S. 22-40. 261 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 76. 262 Vgl. Ang, I., Kultur und Kommunikation, S. 326-327.
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Hegemonien, die die strukturellen Mächte ausüben, müssen in der Aneignungsforschung, trotz Betonung der aktiven Aneignungsvorgänge seitens der KonsumentInnen, laut Ian Ang stets hervor gestrichen werden. Zudem bedeutet aktive Aneignung der Medieninhalte nicht automatisch Vergnügen. Sie kann laut ihm auch ein Ausdruck von Frustration, Wut, Verzweiflung, etc. sein.263 Dies kann man vor allem dann beobachten, wenn gewaltintensive Medien konsumiert werden, um innere Aggressionen zu bedienen, oder der Medienkonsum nur mehr als Ausgleich zu einem bedeutungslos gewordenen Alltag praktiziert wird. In der Erzeugung eines Medienproduktes wird die Konsumtion immer mitgedacht. Nur weitverbreitete, erfolgreiche Spielprodukte sichern den Entwicklungsfirmen finanzielles Einkommen. Da in die Spielproduktion große Summen investiert werden, die schon im Rahmen von Hollywood-Filmen anzusiedeln sind, können sich viele Studios Misserfolge nicht leisten.264 KundInnenorientierung und das Ansprechen einer möglichst breiten KäuferInnenschicht sind entscheidende Faktoren, denn viele, vor allem kleinere Firmen, sind schon auf Grund einiger weniger schlecht verkaufter Produkte in wirtschaftliche Notlagen geraten.265 Somit fließen Kaufverhalten und Rezeptionsweisen ständig in den Produktionsprozess ein und beeinflussen diesen, wie es Stuart Hall in seinem bekannten „Encoding/Decoding“Modell darstellt.266 Die mediale Produktion bekommt im medialen Diskurs erst in der Rezeption eine spezifische Bedeutung zugewiesen. Nach Hall gibt es drei Idealpositionen, wie mediale Texte von den KonsumentInnen rezipiert werden: Im Sinne der hegemonialen Position nehmen die KonsumentInnen den von den ProduzentInnen favorisierten Standpunkt ein und bezeichnet sich demnach als favorisierende Lesart. Weiteres verwendet er den Begriff der ausgehandelten Lesart und den der oppositionellen Lesart. Innerhalb der ausgehandelten Lesart werden laut Hall die Medientexte in ihrer spezifischen Bedeutung dem eigenen soziokulturellen Umfeld
263 Vgl. Ebda., S. 327-328. 264 So kostet der Titel „Call of Duty-Modern Warfare 2“ laut Gamestar in der Produktion 40 bis 50 Millionen Dollar. Mit allen Nebenkosten (Marketing, Vertrieb und Werbung) soll das Gesamtbudget 200 Millionen Dollar betragen. Das sind Budgetrahmen von Hollywoodblockbustern
(http://www.gamestar.de/spiele/call-of-duty-modern-warfare-
2/news/call_of_duty_modern_warfare_2,44634,2310679.html, 22.2.2011). 265 Die Computerspielbranche ist schnelllebig. Firmen werden gegründet und verschwinden auch schnell wieder. Der Anteil jener Firmen, die Konkurs anmelden mussten, bzw. von größeren Publishern übernommen wurden, ist hoch. Bekannte Beispiele sind: Jowood, Ascaron, Interplay, Sierra, Westwood, etc… 266 Siehe dazu S. 52ff.
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der RezipientInnen anpasst, während die oppositionelle Lesart völlig konträr zum Medientext steht.267 Auf Ebene der Computerspiele kann man die SpielerInnen, die Spielprodukte im Sinne der HerstellerInnen verwenden und kaufen und sich mit deren Inhalten völlig identifizieren, als KonsumentInnen mit einer favorisierenden Lesart bezeichnen. SpielerInnen mit ausgehandelten Lesarten formen die Produkte nach ihren Bedürfnissen um, d.h. sie kreieren „Mods“ und Erweiterungen für Spiele, nutzen Internetforen und setzen sich auch durchaus kritisch mit dem Produkt Computerspiel auseinander. Sie beziehen ihr Spielvergnügen nicht nur aus der Konsumtion, sondern vielmehr aus der individuell angepassten Aneignung. Spiele werden von ihnen verwendet, um Communities zu bilden und eigene Ideen und kreative Leistungen zu verbreiten. Kaum ein mediales Produkt erfährt eine ähnlich aktive Aneignung, wie Computerspiele es tun. Die oppositionelle Lesart verschließt sich letztendlich entweder gänzlich dem Medium Computerspiel, oder es werden Spiele zu völlig anderen Produkten umgeformt, wie ich schon am Beispiel der Produktionen innerhalb der Neonaziszene und anderen radikalen Extremisten angeführt habe, die die Idee eines Spieles ad Absurdum führen.268 Diese Aneignungsmuster sind, wie weiter oben bereits dargestellt wurde, idealtypisch, und die Positionen können sich auch vermischen; entscheidend bleibt bei jedem medialen Aneignungsprozess die soziale und kulturelle Position der KonsumentInnen, die mit der Lesart in enger Beziehung steht.269 Nach Andreas Hepp ist die Aneignung von Medieninhalten ein Vermittlungsprozess zwischen den in spezifischen Diskursen lokalisierten Medieninhalten und den ebenfalls diskursiv vermittelten alltäglichen Lebenszusammenhängen der SpielerInnen. Es ist ein Vorgang des „Sich-zu-Eigenmachens“ der Medieninhalte.270 In der Fernsehanalysenstudie „Everyday Television. Nationwide“ versucht David Morley darzulegen, wie Ideologien innerhalb der Medientexte in die alltägliche Sinnwelt der Rezipierenden eingebaut werden. Dabei wehrt er sich gegen einen monokausalen Zugang der Medienaneignung innerhalb eines einzigen Prozesses, der die soziokulturelle Situation der KonsumentInnen nicht berücksichtigt.271 Ein Vorgang, der leider viel zu oft im Bezug auf die Medienaneignung vorgenommen wird. Besonders wenn es darum geht, Gewaltdarstellungen in den Medien kausal auf Handlung und Psyche der KonsumentInnen zu übertragen, ohne die sozialökonomischen und kulturellen Positionierungen zu analysieren. Laut Morley sind die
267 Vgl. Hall, S., Kodieren/Dekodieren, S. 92-113. 268 Siehe S. 217ff. 269 Vgl. Hall, S., Kodieren/Dekodieren, 103ff. 270 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 164. 271 Vgl. Morley, D., Television , Audience and Cultural Studies, S. 68ff.
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KonsumentInnen keine Masse von unabhängigen Einzelwesen, sondern eine Reihe „Subkultureller Formationen“. Diese Formationen teilen sich laut ihm kulturelle Orientierungen zur Dekodierung von Medienprodukten. Für Morley sind sie ein Cluster sozial situierter individueller Rezipierender, ihre Lesarten werden durch die gemeinsam geteilten kulturellen Formationen und Praktiken gerahmt. Kein Medienprodukt hat ein einheitliches Publikum, sondern verschiedene Gruppierungen von KonsumentInnen.272 Zusammenfassung Computerspiele können, bezugnehmend auf John Fiskes Theorien über die verschiedenen möglichen Lesarten innerhalb der Populärkultur, unterschiedliche Aneignungsvorgänge hervorrufen. Die Aneignung medialer Produkte kann laut Fiske Räume für neue Bedeutungen und Vergnügen für die RezipientInnen zur Verfügung stellen und mit den sozialen Interessen der Lesenden artikulieren.273 Ich möchte Fiskes Theorie auch auf die Aneignungsvorgänge bei Computerspielen übertragen. Die befragte Spielergruppe dockt mit ihrem biografischen und alltagsweltlichen Lebensumfeld an die medialen Computerspielprodukte perfekt an. Das technische Umfeld korrespondiert im realen Arbeitsbereich mit der Spieltechnik und weckt gemeinsame Interessen. Trotz virtueller Gegenwelten kann wegen der technischen Vertrautheit mit den Spielprodukten durchaus von einer Verlängerung des Alltags gesprochen werden. Dadurch schaffen es die Computerspiele im konkreten Fall sehr leicht Vergnügen für die Spieler hervorzurufen und zu einer kreativen Aneignung zu führen. Kreativ in dem Sinne, dass die Spielergruppe die Medien dazu nutzt, ihre Gruppe zu definieren, Freundschaften zu festigen und ihr Freizeitleben durch Computerspiele zu gestalten. Stuart Halls ’ Modell des „Encoding/Decoding“ beschreibt den Produktions- und Konsumtionsprozess innerhalb der Medienaneignung mittels drei idealtypischer Aneignungsvorgänge: Entweder die KonsumentInnen nehmen den favorisierten Standpunkt der ProduzentInnen völlig ein, oder sie formen die Bedeutungen entsprechend ihres eigenen soziokulturellen Umfeldes um, bzw. sie stehen völlig konträr zum Medientext.274 Wenn Stuart Halls ’ Theorie auf die untersuchte Spielergruppe angewendet wird, erscheint mir eine Mischung aus favorisiertem Standpunkt, nach Hall eine hegemoniale Position und umgeformte Lesart (ausgehandelte Position) zutreffend. Die Spielergruppe übernimmt einerseits die Intentionen der ProduzentInnen, sie identifiziert sich mit den HeldInnen, Feindbildern sowie mit der
272 Vgl. Ebda. S. 80ff. u. Hepp, A., Cultural Studies u. Medienanalyse, S. 165-172. 273 Vgl. Fiske, J. Television Culture, S. 65-86. 274 Vgl. Hall, S., Kodieren/Dekodieren, S. 92-113.
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Hintergrundgeschichte und Spielhandlung. Allerdings trifft dies nur auf jene Spiele zu (im konkreten Fall auf „World of Warcraft“), die die Neigungen der Spielergruppe erfüllen. Andere Produktionen werden gemieden, d.h. die Intentionen der SpielproduzentInnen werden nicht übernommen bzw. treffen nicht den Geschmack der spielenden Menschen.275 Zudem betätigten sich die von mir interviewten SpielerInnen zum Teil auch als „Modder“, d.h. als Personen, die das vorgefertigte Medienprodukt verändern.276
V ERHÄLTNIS V IRTUELLER ZUM R EALEN R AUM
R AUM
DER
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Die Trennung von virtuell und real erscheint problematisch. Erfahrungen sind für uns Menschen immer konstitutiv, egal, ob sie in einem virtuellen Raum oder in einem realen Raum stattfinden. Die Erfahrung ist ein zentrales Konzept bei Victor Turner und Eward M. Bruner, die, angelehnt an Dilthey, davon ausgehen, dass unsere Realität als Interpretation unserer Erfahrungen zu verstehen ist.277 So gesehen spielt es keine Rolle, ob unsere Erfahrungen im realen Alltagsleben oder im virtuellen Umfeld der Computerspiele stattfinden. Auch wenn sich dort die Spielhandlung in einem virtuellen Raum vollzieht, werden die SpielerInnen während des Spiels so handeln, als wäre es für sie eine reale Handlung. Trotzdem behalten sie stets im Hinterkopf, dass sie sich in einem Spiel befinden. Dies wird aber erst bei einem Wechsel in die Realität wieder vollkommen bewusst. Der virtuelle Ort des Cyberspace ist ein Raum, den sich die ComputerspielerInnen aneignen und durch Umdeutungen die vorhandenen Gegebenheiten nach ihren eigenen Bedürfnissen anpassen. Dieser Raum wird mit Identitäten, Geschichten und Beziehungen gefüllt, wie Silke Andres dies für die Jugendkultur der Sprayer in städtischen Rand- und Transitbereichen festgestellt hat. Zuzustimmen ist ihr auch, dass Marc Augé´s Konzept der „Orte und Nicht-Orte“278 nicht für ihre Untersuchung der Sprayer-Kultur
275 Andere Online-Rollenspiele wie „Warhammer“, „Age of Conan“, „Dark Age of Camelot“, „Final Fantasy“, „Everquest“, etc. gefielen der Spielergruppe nicht. Genauso wenig wie die Lebenssimulation „The Sims“, oder die „Social Life“ Simulation „Second Life“. 276 Siehe auch S. 109ff. 277 Vgl. Bruner, E., Experience and its Expressions, S. 4ff. 278 Marc Auge´s Konzept geht davon aus, dass die Spätmoderne vermehrt „Nicht-Orte” produziert. Das sind Räume, die keine Identität, Geschichte und Relationen besitzen. Sie sind in einer vernetzten, globalisierten Welt Durchgangsorte und Bezugspunkte.
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anzuwenden ist, da diese ihre Orte aktiv wahrnehmen und mit Bedeutungen ausfüllen.279 Ähnliches möchte ich für die virtuellen Räume der Computerspiele behaupten. Auch sie sind keine „Nicht-Orte“, da in ihnen in großem Maße Bedeutungen erstellt und Bedürfnisse befriedigt werden, sowie Identitätskonstruktionen stattfinden. Der virtuelle Ort wird somit zu einer Bühne der „Performance“ für die ComputerspielerInnen.280 Allerdings wird diese „Performance“ nicht direkt, sondern mit virtuellen Stellvertreterfiguren durchgeführt. Bilder, Geschichten und Handlungen der Spielwelten bleiben den SpielerInnen auch nach Beendigung des Spieles im Gedächtnis: Martin: „Während der Arbeit denk ich oft daran, dass es jetzt nicht schlecht wär im Spiel weiter zu kommen. Aber da es nicht geht, spiele ich dann zuhause eben weiter.“ Timo: „Ich denke schon noch nach dem Spiel darüber nach. Das geht automatisch, dass kriegt man nicht aus den Kopf.“ Christian: „Du denkst natürlich schon oft über das Spiel nach. Oder ich freue mich schon wieder auf das Spiel. Oder denkst schon voraus, dass du dieses und jenes machen könntest, neue Taktiken vorausplanen usw. Da beschäftigst du dich schon sehr damit. Die Gedanken drehen sich dann um den Computer.“ Karin: „Wenn ich Rätsel nicht lösen kann oder beim Kämpfen scheitere, geht das nicht so leicht aus dem Kopf heraus. Beim Einschlafen denk ich dann daran, wie ich es am nächsten Tag besser machen kann.“
In realen Freundeskreisen oder in der Schule wird über die Spiele gesprochen. Es bilden sich auch reale Communities, die Computerspiele als verbindendes Element aufweisen. Nicht zuletzt ist das Geschäft mit virtuellen Welten eine große Branche, die Arbeitsplätze schafft. Der Einfluss der sogenannten virtuellen Welten auf unser reales soziales Leben ist daher enorm und bei weitem nicht weniger real, auch wenn gerne der Begriff virtuell verwendet wird. Im Sinne des Konstruktivismus ist eine Unterscheidung irrelevant, da Wirklichkeit erst durch die Wahrnehmung der Menschen individuell erzeugt wird. Die Unterscheidung zwischen virtueller und realer Realität ist somit obsolet. Jedoch weisen virtuelle und reale Welten unterschiedliche
Siehe dazu: Auge, Marc: Nicht Orte, org. 1994 Orte und Nichtorte, München: Beck, 2010 (Becksche Reihe 1960). 279 Vgl. Andris, S., Painting One´s Own Personality, S. 79-80. 280 Siehe S. 154ff.
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Erfahrungsqualitäten auf. Der Begriff Virtuell ist ein Modewort und entspricht dem Zeitgeist der Postmoderne. Laut Almut Sülzle führt der Begriff Virtuell dazu, dass Medien und Vorgänge, die als solches bezeichnet werden, als weniger echt und real angenommen werden. Seiner Meinung nach wird dieses Begriffspaar im Alltag und gängigen Diskursen als Gegensatzpaar verwendet. Um die Qualitäten des virtuellen Raumes und die Erfahrungsmöglichkeiten, die er bietet, begreifen zu können, muss man im Sinne Sülzles diese Dichotomie auflösen, denn nur so ist eine Analyse der gegenseitigen Transferprozesse möglich.281 Man darf den virtuellen Raum nicht weniger real denken, sonst bleiben viele soziale Beeinflussungen der virtuellen Spielwelten auf die computerspielenden Menschen verborgen. Entscheidend bleibt nach Florian Rötzer die Erfahrbarkeit der virtuellen Welten, denn sie können genauso erfahren werden, wie die realen Welten.282 Virtualität bedeutet in diesem Sinne nicht weniger real, sondern prägt den Menschen ähnlich wie die reale Welt.283 Ebenso wie die Erfahrbarkeit des virtuellen Raumes unbestritten ist, sind die unterschiedlichen Erfahrungsqualitäten zwischen realer und virtueller Sphäre zu berücksichtigen. Wir können die Raumwahrnehmungen und Interpretationsmuster von Medieninhalten nicht mit der soziokulturellen Erfahrung im Alltag gleichsetzen. Die Unterscheidbarkeit zwischen den Räumen bleibt für die SpielerInnen fassbar, zumindest was die herkömmlichen Computerspiele betrifft. Medien, die gesellschaftspolitische Botschaften und Informationen verbreiten, weisen diese Unterscheidbarkeit weniger auf, das Virtuelle wird leichter als real angenommen. Computerspiele weisen meist keine solche direkte Verbindung zur realen Alltagswelt auf. Das virtuelle Spielgeschehen wird nicht als realer Akt begriffen, jedoch beeinflussen sie Denken und Verhalten der SpielerInnen auf anderen Ebenen. Ausnahmen stellen hier „realistische und historisch korrekte“ Militär- und Wirtschaftssimulationen dar, die beanspruchen, die Realität darzustellen. Die Spielmuster der Computerspiele basieren auf realen gesellschaftlichen Verhaltensweisen. In vielen Spielen geht es um ökonomischen Gewinn und Machtaufbau. Die Entwicklung der eigenen Spielfigur, das sogenannte „Up-Leveln“, kann leicht mit dem Karriereweg im realen gesellschaftlichen Leben verglichen werden. Auf dieser Ebene finden die Bedeutungstransfers zwischen virtuellem und realem Raum statt.284
281 Vgl. Sülzle, A., Einsame neue Welt?, S. 3. 282 Vgl. Rötzer, F., Digitale Weltentwürfe, S. 29. 283 Vgl. Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 101-102. 284 Vgl. Wiemken, J., Hardliners. Zeit für Helden!?, S. 89ff.
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Medienkompetenz Medien und damit auch Computerspiele, sind zu einem zentralen Bezugspunkt für die heutige Jugend geworden. Sie prägen den Alltag der jungen Menschen wesentlich mehr, als das Leben der Generationen vor ihnen. Durch den spielerischen Zugang, dem Aufwachsen mit der digitalen Technologie und den damit einhergehenden vereinfachten Aneignungsmechanismen, entwickeln die Jugendlichen eine Kompetenz im Umgang mit den neuen Medien, die oft weit über den Möglichkeiten der älteren Generationen steht. Dieser Umstand führt aber auch zu Verständigungsproblematiken in Bezug auf den Umgang mit Medien zwischen jungen Menschen und deren Erwachsenenumfeld. Grundlegend in diesem Zusammenhang ist David Buckinghams Studie „Public Secrets: EastEnders and It´s Audience“ Ende der 1980er Jahre, die sich mit der Medienaneignung von Kindern und Jugendlichen an Hand der Serie „East-Enders“ befasste. Hier stellte Buckingham eine große Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen fest, die die Serie sahen. Sie wurden nicht ausschließlich von den MedienproduzentInnen manipuliert, sondern zeigten eine besondere Fähigkeit, die Medientexte zu lesen und nahmen aktive Rollen als ProduzentInnen von Bedeutungen ein.285 Die Serie bot den Kindern und Jugendlichen laut Buckingham einen Zugang zu Tabuthemen wie Sexualität, Verbrechen und Gewalt. Mit Hilfe des Mediums konnten sie auch untereinander über diese Tabuthemen diskutieren und damit eigene Moralvorstellungen entwickeln. Bei dieser Analyse wurde laut Buckingham auch deutlich, dass Jugendliche durchaus von den Intentionen der HerstellerInnen differente Lesarten entwickelten. Als Beispiel wurde das konservative Frauenbild in der Serie angeführt, das die jungen Mädchen deutlich verweigerten. Kinder und Jugendliche verfügen laut dieser Studie über eine kritische Distanz zu einem Medienprodukt und haben dennoch Vergnügen daran. Die Annahme, Fernsehen übe eine ausschließlich einschläfernde und manipulative Wirkung auf Kinder und Jugendliche aus, kann laut David Buckingham nicht belegt werden.286 Auf ähnliche Weise sind Computerspiele zu betrachten. Auch hier übernehmen Jugendliche nicht unhinterfragt vorgegebene Werte, sondern können sehr reflexiv mit den Themen umgehen. Mittels realer Freundeskreise in der Schule und zu Hause oder aber auch mit Hilfe des Internet, können die präsentierten Bilder in Computerspielen diskutiert werden. Die Problematiken beginnen allerdings, wie bereits im Kapitel über Krieg, Kampf, Gewalt und Spiel angesprochen, wenn über die medialen Bilder nicht mehr diskutiert wird. Jugendliche müssen in der Medienaneignung,
285 Vgl. Buckingham, D., Public Secrets: East Enders and it´s Audience, S. 150ff und Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 179-185. 286 Vgl. Ebda., S. 192ff.
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vor allem wenn es um Computerspiele geht, unterstützt werden. Weder Verbote noch uneingeschränkter Computerspielkonsum sind die Lösung, sondern nur eine aktive Auseinandersetzung aller Beteiligten mit der medialen Wirklichkeit. Es gibt ohne Zweifel genug Computerspiele, die nicht in die Hände von Jugendlichen gehören. Es muss aber aktiv kommuniziert werden, warum dies so ist, denn unbegründete Verbote machen diverse Spiele für die Jugendlichen erst recht interessant und über den Schwarzmarkt ist leider fast jedes verbotene Spiel zu erwerben. Wird jedoch eine Medienkompetenz durch Kommunikation und Verantwortung erlangt, entscheiden die Jugendlichen selbst, dass gewisse Spiele für sie nicht mehr annehmbar sind. Man darf die Fähigkeiten der Jugendlichen und ihre Sensibilität für eine kritische Medienauswahl nicht von vornhinein in Abrede stellen, wie Buckinghams Studie bewiesen hat.287 Erfahrung, Biografie und Persönlichkeitsstruktur, im Zusammenhang mit der Medienaneignung, führen zur Medienkompetenz gegenüber den Produkten. Fernsehserien, wie die weiter oben angesprochene Serie „Public Secrets: EastEnders and It´s Audience“, ermöglichen den RezipientInnen die erworbene Medienkompetenz als kritisches Wissen bezüglich der Medien auch alltäglich anzuwenden. Das Wissen mündet laut Dorothey Hobson in eine Alltagkompetenz und in ein spezifisches kulturelles Kapital, welches notwendig ist, um die Medien „sich-eigen-zu-machen“. Für Hobson, die konkret die Aneignung von Fernsehserien288 im Umfeld von Hausfrauen untersuchte, stellt der Konsum von Medien keinen reinen Eskapismus dar, sondern sie weist nach, dass die Serien durchaus Probleme des Alltags ansprechen und Lösungsansätze bereitstellen können. Diese vorgeschlagenen Lösungen werden aber kritisch diskutiert und hinterfragt, natürlich immer im Zusammenhang mit dem soziokulturellen Hintergrund der KonsumentInnen.289 Diese Art der Fernsehserien, mit der sich die ForscherInnen innerhalb der Cultural Studies beschäftigten, ist sehr alltagsnah aufgebaut. Computerspiele haben im Gegensatz dazu wenig offensichtliche Anknüpfungspunkte zum alltäglichen Leben der SpielerInnen. Es ist deshalb leichter von einer Eskapismus-These, also von einer abgekapselten Flucht vom Alltag, auszugehen, doch greift diese These meiner Meinung nach zu kurz. Natürlich bleibt zu hoffen, dass keine gewaltintensiven Problemlösungsansätze der Computerspiele für den Alltag übernommen werden. Ein Transfer in dieser Weise müsste fatale Folgen haben. Im Normalfall erkennen ComputerspielerInnen die Grenzen des Virtuellen und Realen. Jedoch erfolgt eine
287 Vgl. Buckingham, D., Public Secrets: East Enders and it´s Audience, S. 150-210 und Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 179-185. 288 Dabei handelte es sich um die britische Serie „Crossroads“ zu Beginn der 1980er Jahre. 289 Vgl. Hobson, D., Crossroads, S. 124ff und Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 173.
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ähnlich kreative Aneignung durch die SpielerInnen, wie bereits Hobson bei ihrer Studie entdeckt hat.290 Die SpielerInnen eignen sich Wissen über Computerspiele an und nutzen dieses kreativ. Sie formen Spiele um und debattieren in Communities über die Spielszenen. Sie nutzen Spiele als Ausgangspunkt der Kommunikation zur Bildung von Gruppen und Freundschaften im Netz und im realen Leben und sie werden zu SpezialistInnen innerhalb ihrer besonderen aktiven Medienaneignung. Gegen eine einseitige Eskapismus-These für Computerspiele sprechen die ständigen Verbindungen zum Alltag, die zwar nicht offensichtlich im Spielgeschehen zu finden sind, aber in den unterbewussten Zusammenhängen und Bedeutungstransfers auftauchen: Viele im Alltag unterdrückten Wünsche und nicht erfüllbare Sehnsüchte können in virtuellen Spielen ausgelebt und realisiert werden. Ich spreche dabei noch einmal die Bedürfnisse nach Erfolgserlebnissen, die Befriedigung von Machtund Kontrollbedürfnissen, das Gender-Switching, der Identitätentausch und die dahinterliegenden Anonymitätsexperimente, usw. an. Ähnliches liest man in einer grundlegenden Studie von Ian Ang über die Rezeption der Fernsehserie „Dallas“. Auch hier geht es nicht um die Serienhandlung im Detail, die in ihrer glamourösen und stereotypischen Welt mit dem Alltag wenig zu tun hat. Es sind laut Ian Ang die verhandelten Konflikte und Gefühle als symbolische Darstellung allgemeiner Lebenserfahrung. Die ZuseherInnen flüchten nicht vor ihren Problemen im Alltag, sondern versetzen sich in eine fiktionale Fantasiewelt, in der sie auf spielerische Weise die Probleme aus ihrer eigenen Lebenswirklichkeit verhandeln.291 Genauso werden in Computerspielen Mythen und Archetypen verwendet und entsprechend mit der Lebenserfahrung des einzelnen Menschen in Beziehung gesetzt. Bei Computerspielen muss die Intensität dieses Vorganges mit berücksichtigt werden, ebenso die Zeit, die dafür verwendet wird. Durch den häufig sehr großen Zeitaufwand scheint die Metapher der Flucht verständlich, die viele ForscherInnen bezüglich der Computerspiele anwenden. Berücksichtigt werden muss aber, dass dem Aufenthalt in den virtuellen Welten meist keine völlige Abkapselung oder totale Isolation vom Alltag zu Grunde liegt, sondern im Falle der Online-Spiele der Aufenthalt im Cyberspace zu Gruppen- und Community-Bildungsprozessen führen kann. Medienwirksamkeit In den Medien ist die Kritik hauptsächlich gegenüber den scheinbaren Kausalzusammenhang zwischen Computerspielen und Amokläufen gerichtet. Viele Medien sind an einer reißerischen Berichterstattung interessiert, weniger an sachlicher Dar-
290 Vgl. Ebda., S. 124ff. 291 Vgl. Ang, I., Das Gefühl Dallas, S. 53-70. u. Hepp, A., Cultural Studies u. Medienanalyse, S. 174-179.
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stellung, da sie ebenfalls unter Auflagendruck stehen. ComputerspielerInnen, wie meine InterviewpartnerInnen, ignorieren vorwiegend solche medialen Attacken. Sie sind auf ihrem Gebiet SpezialistInnen und können über die undifferenzierten Berichterstattungen mit Hilfe ihrer eigenen Erfahrungen entsprechend kritisch reflektieren. Jedoch schüren mediale Angriffe Berührungsängste der Menschen gegenüber Computerspielen, die noch keinen Kontakt mit dem Medium hergestellt haben. Es verwundert nicht, dass in der breiten Bevölkerung eine ablehnende Haltung gegenüber den Spielen vorherrscht, hervorgerufen durch entsprechende mediale Informationen und der eigenen Unkenntnis, die Distanz gegenüber dem Unbekannten, dem Fremden schafft. Während die etablierte Presse Computerspiele als gut verwertbares Produkt zur Auflagensteigerung mittels entsprechender negativer Berichterstattung entdeckt hat, geht die computerspielspezifische Fachpresse den entgegengesetzten Weg. Hier werden Spiele gegenüber Angriffen von Politik und fachfremden Medien verteidigt und mediale Attacken zurückgewiesen.292 Dementsprechend hochstilisiert werden Aktionen, die die Zeitschriften unternehmen, um die Spiele zu verteidigen.293 Die Angriffe fachfremder Medien und der Politik auf Computerspiele deutet die Fachpresse als Angriff auf die SpielerInnen selbst und auf die Freiheit des Spielens und der Presse. Durch diese Berichterstattung erreicht die Fachpresse eine Solidarisierung mit ihrem Lesepublikum gegenüber einem gemeinsamen Feindbild, der Politik und Boulevardpresse und damit einhergehend auch Sympathie und erhöhte Absatzzahlen der Magazine. Somit scheinen die medialen Diskurse rund um Computerspiele und Gewalt den Absatzmärkten aller Seiten zu helfen. Die Fachpresse ist abhängig von Sponsoren, GeldgeberInnen und letztendlich massiv von der Computerindustrie selbst. Diese finanzieren durch Werbeeinschaltungen, Sponsoring, LeserInnenpreise, etc. einen beträchtlichen Teil des Magazinbudgets. Somit sind grundlegende Abhängigkeitsverhältnisse immanent, auch wenn die Magazine gerne ihre Unabhängigkeit betonen. Auch wenn auf starke Gewaltdarstellungen bei Computerspieltests hingewiesen wird und ein KäuferInnenkreis ab 18 Jahren empfohlen wird, sind Kampf und Krieg im Computerspiel selten Kritikpunkte. Die vermittelten Bilder von Gewalt und Tod werden nicht hinterfragt, genauso wenig die Darstellung von Frauenklischees und Heldenbildern. Auch wird bei hochbewerteten Militär-Shootern, wie die „Call of
292 Siehe dazu: http://www.gamestar.de/spiele/counter-strike-source/news/killerspiele_ debat te,33671,1945303.html, 25.02.2011 und http://www.gamestar.de/kolumnen/ 2316509/ beate_und_der_schellenbaer.html, 25.02.2011 und http://www.gamestar.de/ index.cfm ?pid=86&pk=1956782, 25.02.2011. 293 Siehe dazu: http://www.gamestar.de/index.cfm?pid=824&pk=1954698, 25.02. 2011 und http://www.gamestar.de/index.cfm?pid=824&pk=2309912, 25.02.2011.
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Duty“-Reihe oder die „Battlefield“-Serie, der Einfluss der Regierungen und Militärs auf die ComputerspielentwicklerInnen kaum angesprochen. Etwaige Kritikpunkte an diesen Spielinhalten gibt es höchstens in sporadisch auftretenden Kolumnen und in verkürzter allgemeiner Form.294 Spielmagazine wollen ihr Fachgebiet so positiv wie möglich vertreten, durch Bewertungen und Ranglisten werden Spiele als Kunstwerke und Kultobjekte behandelt. Innerhalb des Aneignungsprozesses des Mediums Computerspiel spielt die Fachpresse eine entscheidende Rolle. Sie übt einen gravierenden Machteinfluss über den Bewertungsprozess der Computerspiele aus. Sie bestimmt, welche Spiele für gut befunden werden und welche nicht. Eine ähnliche Definitionsmacht übernimmt die Presse auch für die Hardwarekomponenten, die zum Spielen notwendig sind. Dadurch schafft sie sich eine Vormachtstellung innerhalb des Wissensdiskurses von Computerspielen und verbreitet ihre Macht als Expertentum. Die Presse schafft somit Kultspiele und bestimmt den Hype für die von ihnen ausgewählten Produkte. Diese große Definitionsmacht kann von den SpielproduzentInnen nicht ignoriert werden. Eine gute Zusammenarbeit mit der Fachpresse ist unumgänglich. Während des Entwicklungsprozesses wird die Fachpresse häufig eingeladen und mit Informationen versorgt, die wieder an die KonsumentInnen weitergegeben werden. Dadurch verkürzt sich bei den Fans die Wartezeit auf ein angekündigtes Top-Produkt. Durch diese Berichterstattung baut sich eine Erwartungshaltung bei LeserInnen auf, die dann im Idealfall durch ein Ausnahmeprodukt befriedigt wird. Die Berichterstattung über außergewöhnliche Spiele hilft somit den Produktionsfirmen und der Fachpresse in ihren Absatzmärkten und erfüllt auch aufgebaute Erwartungen bei den KonsumentInnen. Dementsprechend oft werden dadurch hoch- und „über“-bewertete Kultspiele produziert. Trotz hoher Definitionsmacht können Fachpresse und ProduzentInnen nicht beliebig oft den Produkten Kultstatus und besondere Qualität bescheinigen. KonsumentInnen besitzen im Aneignungsprozess alleine durch ihr Kaufverhalten Mitbestimmungspotential. Es gibt zahlreiche Beispiele von großvermarkteten und hochbewerteten Spielprodukten, die von den SpielerInnen trotzdem nicht gekauft wurden. Wenn die vorgegebenen Geschmacksdefinitionen seitens der Presse und der Herstellerfirmen nicht funktionieren, reagieren ihre VertreterInnen ratlos, bisweilen wird dem Publikum auch ein fehlender Geschmack konstatiert.295 Neben fehlender
294 Siehe dazu: http://www.gamestar.de/spiele/call-of-duty-modern-warfare-2/test/call_of_ duty_modern_warfare_2,44634,2310440.html, 25.02.2011 und http://www.game-star.de /spiele/battlefield-bad-company-2-vietnam/test/battlefieldbadcompany _ _ 2_ _ vietnam,462 11,2319962.html, 25.02.2011. 295 Siehe dazu: http://www. pcgames.de/Spielemarkt-Thema-117280/Specials/Grosses- Up date-Die-schlimmsten-kommerziellen-Flops-der-Spielegeschichte-774065/, 25.02.2011.
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Kaufbereitschaft können KonsumentInnen ihre Meinung über Produkte über FanSites, LeserInnenbriefe bzw. E-Mails kundtun. Es gibt Fälle, in denen durch massive Kritik seitens der Community Magazine ihre eigenen Bewertungen revidierten.296 Die Definitionsmacht der Spielfirmen und der Fachpresse ist also nicht absolut, sondern steht im Zusammenhang mit den Lesarten der KonsumentInnen. Diese können durchaus in einem vorgegebenen Rahmen im Aneignungsprozess aktive Elemente beitragen. Ihre Macht besteht darin, dass sowohl Spielfirmen, als auch die Fachpresse stets abhängig von den Absatzzahlen sind. Die Macht der grundlegenden Definition und Bewertungskriterien, was Kult ist und was nicht, bleibt aber in den Händen der Spielentwicklerstudios und der Fachpresse, auch wenn diese Macht durch mögliche „Fehlentscheidungen“ im Kaufverhalten der KonsumentInnen begrenzt scheint. Spielperspektiven Wie ich bereits im Kapitel über Computerspiele im Film & Mediendiskurs anhand der Ausführungen von Britta Neitzel aufgezeigt habe, verbindet alle Computerspiele eine Gleichzeitigkeit von Erzählung und Handlung.297 Die Erzählung muss erspielt werden und tritt dann im selben Augenblick in Kraft. Dieser Umstand ist auch für die Aneignung von Computerspielen zu berücksichtigen und erklärt einen Teil ihrer Faszinationskraft. Er stellt einen wesentlichen Unterschied zu vergleichbaren Medien dar. Laut Britta Neitzel sind in jedem Computerspiel die SpielerInnen sowohl Subjekte, denn sie treffen Entscheidungen und führen Handlungen aus, als auch Objekte, denn sie werden von den Spielvorgaben determiniert und in vorgeschriebene Handlungen gedrängt. Das Besondere ist laut Neitzel allerdings, dass der Computer selbst nicht als Spielobjekt wahrgenommen wird, sondern das von ihm visualisierte Computerspiel.298 Das Computerspiel ist in seiner Visualisierung abhängig von den Vorstellungen der SpieldesignerInnen. Dies ist nach Neitzel eine Ebene zwischen den SpielerInnen und ihrer Imagination. Sie stellt fest, dass Sehen und Handeln im Computer getrennt und ständig neu berechnet werden: Wenn die SpielerInnen handeln, lagert der Computer die räumlich-materiellen Handlungseffekte der Maus und Tastatur in den virtuellen Spielraum aus und interpretiert die Handlungen, die wiederum neue Handlungsfolgen hervorrufen. Neitzel bezeichnet Computerspiele somit auch als Selbstbeobachtung mit einer ständigen Rückkopp-
296 Als Beispiel gilt das Anfangs hoch bewertete „Gothic 3“, welches nach LeserInnenkritiken auf Grund technischer Mängel im Nachhinein abgewertet wurde (http://www. gamestar.de/spiele/gothic-3/test/gothic_3,34846,1465380.html, 25.02.2011). 297 Siehe S. 143ff. 298 Vgl. Neitzel, B., Gespielte Geschichten, S. 53-54.
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lung, in der die Positionen der SpielerInnen verdoppelt werden. Handlungsperspektive und Beobachtungsperspektive nehmen geteilte Positionen ein und interagieren miteinander.299 Somit haben ComputerspielerInnen die Möglichkeit, ständig ihr virtuelles Ich zu kontrollieren und zu beobachten und gleichzeitig auf digital erzeugte Handlungsabläufe zu reagieren. Es handelt sich dabei Britta Neitzel zur Folge um einen ständigen rückgekoppelten Kreislauf, der SpielerInnen ins Geschehen eintauchen lässt und zudem Macht- und Kontrollbedürfnisse befriedigt. Zudem ermöglicht diese Beziehung laut ihr einen ständigen Wechsel der Subjekt/ObjektPositionierung zwischen virtueller Spielfigur und den ComputerspielerInnen, die diese Figuren steuern.300 Durch die Verlagerung des SpielerInnensubjekts auf die virtuelle Figur wird ein Blick von „außen auf sich selbst“ erzeugt und eine Möglichkeit geboten, sich selbst in einem virtuellen Raum zu kontrollieren bzw. die Handlungsvorgaben des Spiels gleichzeitig involviert und trotzdem distanziert zu erleben. Diese paradoxen Ungleichzeitigkeiten und die Aufsplitterung des Subjekts sind Erscheinungen einer postmodernen Zeit, die exakt in Computerspielen simuliert werden und damit von SpielerInnen virtuell vorgelebt werden können. Wie Britta Neitzl schon betont hat, haben Computerspiele und der Prozess des Spielens einen Übergangscharakter. Dies geschieht durch einen ständigen Übergang zwischen Erleben und Handeln. Laut ihr erfolgt die Beteiligung am Spiel für die SpielerInnen durch einen externen Beobachtungsstandpunkt und einen internen Handlungsstandpunkt. Die Handlungen, die vom Spiel erzählt werden, werden von den RezipientInnen miterlebt und ihnen selbst zugeschrieben. Für Neitzel steht das Computerspiel in seiner Narration zwischen einer Erzählung, die von abgeschlossenen Handlungen erzählt und den Handlungen, von denen erst erzählt werden kann, wenn sie abgeschlossen sind.301 Eine Position, die für die SpielerInnen große Spannungsmomente hervorrufen kann. Dennoch ist die Gefahr der Vermischung zwischen der virtuellen Spielhandlung und realem Handeln entschärft, weil sie in ihrer Präsentation artifiziell ist und eine typische „Computerästhetik“ der Künstlichkeit aufweist. Dies nimmt den Spielen den direkten Bezug zu herkömmlichen Medienbildern und macht Manipulationsversuche schwieriger. Durch ihre Künstlichkeit wird ihnen schon in der Gestaltung ihr authentischer Charakter genommen. Je realistischer Computergrafiken allerdings werden, desto eher können die virtuellen Bilder als wahr angenommen werden. Der Trend zum so genannten Fotorealismus, dem viele Spiele folgen, würde ganz neue Aspekte bei der Analyse im Bezug auf die Bilderaneignung und Manipu-
299 Vgl. Ebda., S. 54-56. 300 Vgl. Ebda., S. 56. 301 Vgl. Ebda.,, S. 248-251.
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lation hervorbringen. Solange Spiele als Spiele erkennbar bleiben, fehlen ihnen die Attribute der (scheinbaren) Authentizität, die zum Beispiel Nachrichtensendungen und Dokumentationen aufweisen. Jedoch werden genauso Werte, Moralvorstellungen und Ideologien über die Spielhandlung und Darstellung des Eigenen und Fremden vermittelt, trotz der künstlichen Bilder. Militärsimulationen z.B. versuchen die politisch korrekte und sanktionierte militärische Wirklichkeit darzustellen. Hier kommt die Vermittlung gewünschter Ideologien am stärksten zu tragen, wie bereits im Kapitel Krieg, Kampf, Gewalt und Spiel dargestellt wurde. Neue Medien werden von der Industrie dazu benutzt, Plattform für gewünschte Ideologietransfers zu werden, um neue Absatzmärkte zu erreichen. Dies ist anhand des Internet besonders deutlich festzustellen. Die anfängliche Idee eines demokratischen freien Netzes ist einer hoch technisierten Vermarktungs- und Verkaufsmaschinerie gewichen. Die Surf- und Nutzungsgewohnheiten der Internet-UserInnen werden aufgezeichnet und protokolliert, sensible private Daten von Konzernen und Agenturen verwaltet und weiter verkauft. Die Vision des gläsernen Menschen ist im Internet längst Realität geworden. Via „Facebook“, „Twitter“ und „YouTube“ teilen die Menschen mit Freuden ihre persönlichsten Geheimnisse und tragen freiwillig zur Totalüberwachung bei. Im selben Maße geschieht dies auch mit Computerspielen. Je populärer sie werden und je besser die Präsentationsmöglichkeiten auf Grund des technologischen Fortschrittes werden, desto intensiver werden Spiele dazu verwendet, gewünschte Botschaften zu transportieren. Die Industrie hat längst den enormen Markt erkannt, den Werbebotschaften in Computerspielen erreichen können. Durch den mittlerweilen üblichen Zwang zur Registrierung und OnlineAktivierung von Computerspielen, werden persönliche Daten und Spielgewohnheiten registriert und verfolgt.302 Ähnlich wie in Filmen nutzt die Werbebranche Computerspiele, um (versteckte) Werbebotschaften transportieren zu können. Zudem beschaffen sich Marketing- und Werbeagenturen die gespeicherten Daten der SpielerInnen, um gezielt Produkte vermarkten zu können. Den Einfluss, den Militär und Politik auf die Spielproduktionen nehmen, habe ich bereits an anderer Stelle deutlich gemacht.303 Meine GesprächspartnerInnen waren sich zum Teil der offensicht-
302 Viele aktuelle Spiele müssen heute über Internet registriert und frei geschalten werden, um sie überhaupt benutzen zu können. Dieser Vorgang schafft mehrere Vorteile für die Spielfirmen: Sensible KundInnendaten können registriert werden, die OnlineFreischaltung ermöglicht einen sicheren Kopierschutz und die Spiele können nicht mehr gebraucht weiterverkauft werden. Trotz zahlreicher Proteste seitens der SpielerInnen, Datenschützer und der Fachpresse, sowie vieler Aufrufe zum Boykott dieser Spiele, ist die Kontobindung mittlerweile üblich geworden (siehe dazu: http://www.gamestar.de/ specials/reports/1953021/kopierschutz_oder_tod.html, 22.11.2012). 303 Siehe dazu Kapitel Krieg, Kampf, Gewalt und Spiel.
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lichen Klischees vor allem bei militärischen Simulationen bewusst und nahmen für sich in Anspruch, solche versteckten „Armee-Werbungen“ im Film und Computerspiel identifizieren zu können und sich dadurch nicht entsprechend beeinflussen zu lassen: Alex: „Ja, es gibt solche Spiele, die extra für die Armee gemacht werden. Da machst du die Ausbildung der Armee durch. Aber ich glaub, dass die Spieler sehr gut unterscheiden können. Außer jemand ist charakterlich nicht fest. Wenn man aber alt genug ist, ab 15 oder 16, weiß man schon woran man glaubt im Leben, dann meine ich, wird es ziemlich wurscht304 sein, was im Spiel vorkommt.“ Karin: „Für Rollenspiele sehe ich kaum eine Gefahr irgendwelcher Beeinflussungen von Politik oder gar Militär. Bei Kriegs-Shootern schon eher, aber da müssen die Spieler wohl eine Veranlagung dafür haben. Mit diesen Spielen kann man vermutlich schon eher Menschen beeinflussen.“
Allerdings muss von einer überdurchschnittlichen Reflexionsfähigkeit meiner GesprächspartnerInnen ausgegangen werden, die auf Grund ihrer Bildung und ihres soziokulturellen Umfeldes zu erwarten ist. Nicht jede/r ComputerspielerIn wird auf Grund der Werbemaßnahmen, die z.B. das Militär in Computerspiele investiert, der Armee beitreten und jegliche militärische Aktionen gutheißen, doch beweisen die teils großen Summen, die die Militärs in die Förderung von Computerspielen investieren, dass sich die Armee einen entsprechenden Nutzen davon verspricht. Nicht zuletzt in den Vereinigten Staaten betreibt das Militär eine forcierte Rekrutierungspolitik mit entsprechenden Werbeaktionen, vor allem bei gesellschaftlich und ökonomisch benachteiligten Menschen in unteren Einkommensschichten. Militärisch co-finanzierte und unterstützte Computerspiele werden günstiger oder gratis vertrieben. Letztendlich können die positiven Darstellungen von Vaterland, Ehre, der Schutz der eigenen Gesellschaft und der Familie, Heldentum, usw., neben wirtschaftlichen Zwängen dazu führen, dass Menschen eine militärische Rekrutierungseinrichtung aufsuchen. Diese konkreten Maßnahmen in der Kooperation von Spielfirmen und Militär sind augenscheinliche, zweckgebundene Manipulationsstrategien, die aber durchaus ihre Ziele erreichen können. Zu beobachten sind diese Manipulationsvorgänge nicht nur beim Militär in den Vereinigten Staaten, auch wenn sie dort in der westlichen Welt am meisten ausgeprägt sind. Auch in deutschen Computerspielzeitschriften häufen sich die Werbeeinschaltungen für die Bundeswehr, die dort Ausbildungswege in ihrer Organisation präsentiert. Offenbar findet sich im meist technisch versierten Feld der ComputerspielerInnen, gepaart mit einer
304 Umgangssprachlich für egal.
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Affinität für Kriegs-Shooter, ein nicht zu vernachlässigendes Rekrutierungspotential für Militärorganisationen. In Computerspielen wird abseits des Drucks der GeldgeberInnen auf die ProduzentInnen auch im großen Maße ein „Common Sense“ verbreitet, also Bilder, die wie selbstverständlich Machthierarchien und Strukturen unserer Gesellschaft festigen. Hier übt der gesellschaftliche Druck laut Edward Bruner seine größte Macht aus: Die Menschen sind dahingehend konditioniert, dass sie alles akzeptieren, was ihnen die Gesellschaft als legitim vorschreibt.305 Solche Bilder werden von ComputerspielerInnen kaum bewusst wahrgenommen. Es sind ideologische Positionen von Mann und Frau, vom Schutz der Heimat und Familie, vom Feind von außen, vom Chaos wider der ersehnten Ordnung. Es werden gesellschaftliche Hierarchien als notwendig und vorbildhaft vermittelt, besonders Rollenspiele greifen gerne Themen von weisen Regenten (der unterbewussten Figur des Vaters) auf, die durch die HeldInnen geschützt bzw. gerächt werden. Mut, Tapferkeit, Treue und Aufopferung sind Themen und Werte, die nahezu jedes Computerspiel verkörpert. Natürlich wird auf den ersten Blick keine direkte Verbindung zu einer gegenwärtigen Gesellschaft hergestellt, doch die Grundmotive sind dieselben. Jene Werte, die Menschen zu guten BürgerInnen machen, vertreten auch Computerspiele, egal ob sie in einer fiktionalen Vergangenheit oder in Parallelwelten, bzw. in der Zukunft spielen. Es geht meist um den Schutz einer gefährdeten Gesellschaft, durch die individuelle Opferbereitschaft der/des Einzelnen. Überlagerung des realen Raumes durch den virtuellen Spielraum Wie bereits zu Beginn des Kapitels angesprochen, sind virtuelle Welten für SpielerInnen in vielerlei Hinsicht genauso wirklich wie reale Welten. Es stellt sich aber die Frage nach den Wertigkeiten der unterschiedlichen Welten, die die SpielerInnen der jeweiligen Welt beimessen. Es ist zu klären, was geschieht, wenn die virtuellen Welten bei den SpielerInnen einen höheren Stellenwert einnehmen als die reale Welt. Eine Verschiebung der Präferenzen konnte ich während meiner Beobachtungen durchaus feststellen. Wie ich schon bei der Beschreibung der Gesprächssituation der „WOW“-Spielergruppe dargestellt habe, trat der reale Umgebungsraumes (in diesem Fall die als Spielraum genutzte Wohnung von Timo und Christian) in ihrer Priorität völlig hinter dem virtuellen Spielraum zurück.306 Die Raumpflege wurde außer Acht gelassen, Essen und Trinken nur während des Spielens konsumiert. Die Spielzeit war kostbar, durch den Beruf von jeher eingeschränkt und sollte zumindest in der Freizeit nicht unnötig reduziert werden. Vor allem Online-Spiele schei-
305 Vgl. Bruner, M.E., Experience and It’s Expressions, S. 19. 306 Siehe S. 34.
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nen die Gefahr zu bergen, dass sie ComputerspielerInnen sehr viel reale Zeit kosten. Meine InterviewpartnerInnen waren sich bewusst, dass es diese Gefahr gibt: Timo: „Ich glaube schon, dass Spiele ein Problem werden können, wenn man nur noch das Computerspielen im Kopf hat. Ich glaub, bei mir ist das noch nicht der Fall…oder nicht der Fall. Aber wenn´s eine Sucht ist, dann kriegst das eh nicht mit. Vielleicht hab ich schon eine Sucht, ich weiß nicht. Ja, ich sage immer, die Menge ist das Gift. Wenn es zu viel wird, zu intensiv, dann ist immer eine Gefahr! Ich kann aber nur von mir sprechen, von meiner Seite aus ist das kein Problem. Hoff ich halt.“ Alex: „Meine Freundin fragt mich, warum ich in der Nacht noch eine Stunde spielen gehen muss. Sie versteht das nicht. Wenn ich aber eine Stunde Spiele und dann zusammen mit 60 Spielern in eine Stadt einfalle und die erobere, gemeinsam Taktiken abspreche, das ist für mich nah am Leben. Es ist imposant, wenn wir alle gemeinsam in die Schlacht ziehen.“ Karin: „Für mich und meinen Freund trifft das sicher nicht zu. Wir spielen maximal am Wochenende, wenn wir Zeit haben. Unsere realen Freunde sind uns immer wichtiger, wenn es darum geht Fortzugehen, oder jemanden zu treffen. Aber prinzipiell glaub ich schon, dass vor allem Online-Spiele, mit dem ganzen Chatten rund herum gefährlich werden können.“
Möglicherweise werden die virtuellen Welten und die Gespräche mit den OnlineFreundInnen wichtiger als die realen Mitmenschen. Dadurch sind auch real-soziale Vereinsamungstendenzen möglich, während der virtuelle Freundeskreis unüberschaubar groß sein kann. Allerdings kann der Freundeskreis im Internet keine realen Face-to-Face Kontakte ersetzen und ein völliger Rückzug vom realen Sozialleben hat auf die Dauer erhebliche negative Folgen, wie die Vernachlässigung der Schulbildung oder Karriere, die sich negativ auf die Zukunftsperspektiven auswirken, wie am Ende dieses Kapitels noch gezeigt wird. Wir können die virtuellen Kontakte und Communities als Möglichkeit betrachten, den Freundeskreis zu erweitern, jedoch können reale Sozialkontakte nicht ersetzt werden, bzw. vorhandene Defizite ausgeglichen werden. Sollte realer sozialer Kontaktmangel der Grund für die Suche nach virtueller Gemeinschaft sein, können die Aufenthalte in der virtuellen Welt überhand nehmen und zu Suchterscheinungen führen. Durch die Bevorzugung der virtuellen Kommunikation werden etwaige Probleme in der realen Kommunikation kaum gelöst, sondern nur verdrängt. Die rein virtuellen Netzfreundschaften führen nicht dazu, dass die SpielerInnen ihre enorm langen Spielzeiten reflektieren können, die Gefahr, sich im Netz zu verlieren, ist dementsprechend höher. Jeder Freundschaftskontakt läuft dann über den PC, eine Isolation im realen sozialen Leben kann folgen, obwohl oder gerade weil die SpielerInnen in eine intensive Community im Netz eingebunden sind. Es kann aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass Computerspiele automatisch zur
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Isolation, bzw. Abkapselung führen. Trotz dieser Gefahren sind Spiele nicht als reine Flucht vor dem Alltag zu begreifen, sondern, laut Natasha Adamowsky, als ein essentieller Bestandteil unserer kulturellen Lebensgestaltung.307 Wie nun die Menschen mit diesem parallelen virtuellen Raum umgehen und die Erfahrungen mit dem realen Umfeld in Beziehung setzen, hängt nicht zuletzt vom biografischen und persönlichen soziokulturellen Lebenszusammenhang der einzelnen Personen ab. Entscheidend scheint mir dabei die gemeinsame Nutzung der Spiele im realen Freundeskreis, oder wie ich bei Karin feststellen konnte, gemeinsam innerhalb einer Partnerschaft. Die realen sozialen Kontakte helfen, die virtuellen Erfahrungen in angemessene Relationen zu setzen und vom Alltag zu trennen. Der virtuelle Raum der Computerspielwelten nimmt dann im Normalfall keinen übermächtigen Stellenwert ein. Wenn sich aber Gruppen und Beziehungen ausschließlich durch das gemeinsame Spielen definieren, kann sich das Verhältnis der Präsenz vom Spielraum zur sozialen Alltagsrealität trotz realer Freundschaftskontakte sehr schnell in Richtung virtuelle Spielwelt verschieben. Dies konnte ich bei der untersuchten „WOW“-Spielergruppe zum Teil feststellen, wo die Beschäftigung mit dem Spiel durchaus ein Übermaß annahm. Suchtpotenzial Das Thema Spielsucht wird in den Medien mit der raschen Verbreitung der Computerspiele immer präsenter. Ähnlich dem Thema Gewalt und Computerspiel, sind sich die WissenschaftlerInnen nicht einig, inwiefern Computerspiele diese Sucht verursachen und wie viele Menschen davon betroffen sind. Zudem wird Computerspielsucht medizinisch nicht als Sucht anerkannt. Aktuelle Studien über Computerspielsucht in Deutschland widersprechen sich und gehen von sehr unterschiedlichen Zahlen von süchtigen Jugendlichen aus. Aus dem Jahr 2009 gibt es eine Studie vom KFN (Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen) die besagt, dass bereits 3% der männlichen computerspielenden Jugendlichen vom Spielen abhängig und gefährdet sind. Zudem werden Online-Rollenspiele wie „WOW“ als suchtgefährdendste Spiele ausgemacht.308 Eine Studie aus dem Jahr 2011, die von ForscherInnen des Hamburger Hans-Bredow-Institutes und von der Fachhochschule Köln durchgeführt wurde, relativiert diese Ergebnisse. Sie geht von einer Gefährdung von 0,5% bei männlichen Jugendlichen aus.309
307 Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welten, S. 245. 308 Siehe Spiegel-Online: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-64628265.html, 1.3.2011. 309 Siehe Spiegel-Online: http://www.spiegel.de/ netzwelt/games/0,1518, 745907,00.html, 1.3.2011.
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Computerspiele weisen verschiedene Faktoren auf, die dazu führen, SpielerInnen an das Spiel zu binden. Ich fasse die wichtigsten, schon besprochenen Faktoren, an dieser Stelle noch einmal zusammen: Spiele bieten Aufgaben und Belohnungen bei Erfüllung derselben. Durch die Wiederholbarkeit ist das Scheitern ein reversibles Element, durch entsprechende Übung kann jede Schwierigkeit gemeistert werden.310 Die Spielwelten belohnen die SpielerInnen mit Anerkennung, sowie besonderen Fähigkeiten und Gegenständen für die virtuelle Spielfigur. Spiele vermitteln das Gefühl von Macht und Kontrolle über das Spielgeschehen und damit Erfolgserlebnisse.311 Neben Machterlebnissen bieten sie aber auch Sicherheit und Vertrautes an, ohne störende, unvorhergesehene Einflüsse von außen und ohne große Enttäuschungen. Sie bieten Gelegenheit, um gefährliche Situationen gefahrlos, abseits des Alltags zu erleben. Sie schaffen Formen von Communities und Gemeinschaften im Internet und bieten Fluchtstrategien vom Alltag an. Die jugendlichen Gruppen im Internet können sich bis zu einem gewissen Grad unabhängig der sozialen Lage bilden und die Erfahrung von Anerkennung jenseits erfahrener Abwertung und Ausgrenzung im sozialen Umfeld bieten. Ein Medium, das derart viele Möglichkeiten besitzt, Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, entfaltet auch suchtgefährdendes Potenzial. Jedes Medium bietet den BenutzerInnen eine Plattform, um dem Alltag zu entfliehen, jedoch keines mit den Interaktionsmöglichkeiten und der totalen Immersion der Computerspiele. Spielfirmen, aber auch die RedakteurInnen von Computerspielzeitschriften, bezeichnen jene Spiele als besonders gelungen, die die SpielerInnen in ihren Bann ziehen und sozusagen „süchtig machen“.312 Tatsächlich können Spiele ihre BenutzerInnen intensiv fesseln und unter Berücksichtigung individueller biografischer und soziokultureller Faktoren vereinzelt zu einer Computerspielsucht führen. Für Florian Rötzer ist das Erzeugen von Aufmerksamkeit eine entscheidende Eigenschaft von Computerspielen. Die Bindung der Aufmerksamkeit geschieht, wie auch bei anderen interaktiven Medien, durch die interaktiven Entscheidungen und durch die Schnelligkeit der geforderten Reaktionen. Beide Faktoren ziehen die SpielerInnen laut Rötzer in die virtuelle Welt hinein.313 Computerspiele haben in diesem Sinne eine „verführende“ Wirkung auf die spielenden Menschen. Das ist eine typische und entscheidende Eigenschaft eines jeden Spieles. Diese möglichen Gefahren des intensiven Spielens werden aber kaum in den einschlägigen Compu-
310 Vgl. Rötzer, F., Interaktion, S. 76. 311 Vgl. Kathe, P., Struktur und Funktion von Fantasy-Rollenspielen, S. 28. 312 Siehe als Beispiel der Testbericht vom Strategiespiel „Heros of the Might and Magic V“ auf Gamestar Online: http://www.gamestar.de/spiele/heroes-of-might-magic-5/test/ heroes_of_might_magic_5,34633,1461918.html, 20.01.2011. 313 Vgl. Rötzer, F., Digitale Weltentwürfe, S. 95.
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terspielfachmedien diskutiert und die ProgrammiererInnen der Spiele versuchen entsprechend der kommerziellen Vorgaben, genau jene Spielfunktionen auszubauen, die SpielerInnen am Spielen festhalten. Die Immersion, also das Eintauchen in die virtuelle Spielwelt, kann somit durchaus unerwünschte Folgen aufweisen und sollte nicht im Sinne einer kritiklosen Faszination der technischen Möglichkeiten einer „Verschmelzung“ von SpielerInnen mit dem Spielcomputer betrachtet werden.314 Meine Gesprächspartner aus der Spielergruppe sind sich dieser Funktionen der Computerspiele bewusst. Sie wissen ob des hohen Zeitaufwandes ihres Hobbys Bescheid und erkennen bei sich selbst schon erste Zeichen einer möglichen OnlineSucht, die sie als solche aber für sich als harmlos deklarieren: Martin: „WOW spiele ich jetzt seit 2 ½ Monate und davon hab ich 28 Tage reine Spielzeit. Das ist reine Online-Zeit und ist nicht wenig. Aber da hab ich echt viel gespielt. Bin nach dem hackeln315 heimgekommen und hab gleich bis 4 Uhr in der Früh gespielt. Das war in den letzten 2 ½ Monaten, da habens wir wirklich ein bisschen übertrieben.“ T.L.: „Glaubst du, dass Spiele süchtig machen können?“ Martin: „Ich glaube schon, ich würde nicht nein sagen. „WOW“ kann auf jeden Fall eine Gefahr werden. Es ist halt so, dass du zahlen musst, aber wenn das Ganze gratis wäre, dann würde ich mir sehr schwer tun da weg zu kommen. Aber ich würde nicht sagen, dass ich süchtig bin (lacht). Weil wenns irgendwie nur vor dem Computer hockst, dann geht das restliche Leben an dir schon vorbei. Da musst du aufpassen. Solange alles im Rahmen bleibt ist es ok.“
Wenn die Spannungskurve in den Spielen steigt, wird auch das „Suchtverhalten“ der SpielerInnen höher, wobei der Begriff Sucht hier nicht im Sinne einer klassischen Definition von körperlicher Abhängigkeit zu denken ist. Zu bedenken ist aber, dass ein Spiel nicht automatisch suchtgefährdend ist, wie etwa Alkohol, Zigaretten oder Drogen. Erst die unterschiedliche Anwendung im Einzelfall kann dazu führen, dass die dem Spiel permanent innewohnenden Faktoren, die eine Sucht erzeugen können, auch im speziellen subjektiven Aneignungsvorgang aktiviert werden. Jeder Ausstieg aus der virtuellen Spielwelt schmerzt bei intensiven Spielen, die SpielerInnen brauchen Zeit, um sich in der Realität wieder einzufinden. Werden große Abenteuer bestritten und erfolgreich abgeschlossen, mischt sich neben der Freude und des Stolzes über den Erfolg auch leichte Trauer, die Spielwelt nun
314 Siehe dazu auch: Lackner, T., Flucht in digitale Scheinwelten, S. 37. 315 Umgangssprachlich für arbeiten.
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endgültig verlassen zu müssen. Die Vorfreude auf die nächste Spielwelt lindert diesen „Trennungsschmerz“. Große Online-Rollenspiele zum Beispiel, beinhalten sehr lange Spielzeiten, die Spiele sind kaum abzuschließen, da die Entwicklerfirmen ständig neue Aufgaben innerhalb der Spielwelt bereitstellen. Zusätzlich verhindert die Gruppendynamik der Online-Spiele einen vorzeitigen Ausstieg aus dem Spiel. Da viele Aufgaben nur gemeinsam zu lösen sind und die Fähigkeiten aller Gruppenmitglieder benötigt werden, ist es für die einzelnen SpielerInnen schwer möglich auszusteigen und damit die Gruppe im „Stich“ zu lassen. Dies würde zu einem schlechten Gewissen bei den Gruppenmitgliedern führen und übt somit einen nicht unerheblichen Zwang zum Weiterspielen aus. Für die gesamte „WOW“Gruppe ist es wichtig, stets online im Spiel zu sein, da sich die virtuelle Welt permanent weiter entwickelt. Im Wettkampf mit anderen SpielerInnengruppen bedeuten lange Ausstiegszeiten eindeutige Nachteile. Zudem verpassen die SpielerInnen die neuesten Geschehnisse in der eigenen Gilde und Community. Ähnliches galt auch für Alex, als er noch bei Clan-Turnieren in der Online-Shooterszene teilnahm. Die hohe Leistung, die Spitzenplätze in den Ranglisten solcher Turniere erfordern, setzt intensives Üben der Spiele voraus. Ein Ausstieg aus dem Spiel würde schnell zum Absturz in der virtuellen Rangliste führen. Wenn SpielerInnen solche Spiele wirklich beenden wollen, ist häufig zu beobachten, dass sie dies nur durch einen völligen Ausstieg aus der Spielszene durchführen können. Die langen durchspielten Nächte, neben dem Beruf oder der Schule fordern ihren Tribut, die virtuellen Welten können die Sehnsüchte nicht mehr erfüllen. Wenn das Angebot für die spielenden Menschen ihren Reiz verliert, fallen sie in eine Leere, die durch Alternativaktivitäten und neue Beziehungen gefüllt werden muss. Gelingt dies nicht, besteht die Gefahr, dass die Menschen unter Umständen in Depression, Isolation und Einsamkeit fallen können. Die befragten Mitglieder der Spielergruppe waren davon überzeugt, jederzeit aus dem Spiel aussteigen zu können, wenn sie es nur wollten. In den Gesprächen hatte ich jedoch den Eindruck, dass trotzdem gewisse Zweifel und eine leichte Unsicherheit über die Möglichkeit eines schnellen Ausstieges aus dem Spieluniversum herrschten: Christian: „Wenn ich wirklich müsste, könnt ich immer aufhören zu spielen. Aber ich muss ja nicht. Momentan könnte ich wohl nicht so leicht aufhören.“
Alex, Martin, Christian und Timo reduzierten über einen Zeitraum von fast zwei Jahren sämtliche anderen sozialen Beziehungen, sowohl zum spielexternen Freundeskreis, als auch zu den Eltern und Bekannten. Für eine Partnerschaft blieb den jungen Männern bis auf Alex kaum Zeit.
262 | C OMPUTERSPIEL UND L EBENSWELT Martin: „Ich hab keine Zeit für eine Freundin. Zurzeit nicht. Die würde sich nur aufregen, wenn ich spielen will, das brauch ich momentan nicht. Aber es wird schon wieder eine andere Zeit kommen, wo ich dann für eine Freundin Zeit habe.“
Sofort nach der Arbeit bzw. Schule trafen sich die Freunde zum gemeinsamen Spielen. Nächte wurden durchgespielt, Schlafzeiten so weit wie möglich reduziert. Arbeit wurde nur als Mittel zur Finanzierung des Hobbys gesehen, Freundinnen als Störfaktor. Wenn mehrere Nächte durchgespielt werden, geben auch die befragten Gruppenmitglieder zu, dass die Arbeit am nächsten Tag schwer fällt und oft wie in Trance geschieht. Bei längerer Dauer dieses Verhaltens können durchaus Probleme mit dem/der ArbeitgeberIn folgen. Problematisch wird es bei Jugendlichen in der Ausbildung, die auf Grund fehlender Kontrolle und Aufklärung durch die Eltern, intensiv in die virtuelle Welt abtauchen und dadurch ihre schulischen Aufgaben vernachlässigen können, ohne dass Notiz von diesem Verhalten genommen wird. Trotz Mahnungen und Vorwürfe durch die Eltern brach Alex in der 5. Klasse das Gymnasium ab. Er begann zu schwänzen, da die Computerspielturniere innerhalb seines Clans zu viel Zeit in Anspruch nahmen. Jugendliche in der Adoleszenzphase sind demnach besonders gefährdet, zu viel Zeit mit Computerspielen zu verbringen und Anzeichen einer Spielsucht zu entwickeln. Allerdings konnte im Zuge eines späteren Treffens festgestellt werden, dass sich die jugendliche Spielergruppe auflöste und die intensiven Spielphasen vorüber gingen. Alle verführerischen Elemente der Computerspiele sind für sich alleine genommen keine Gefahr, wenn Spielen nur als temporärer Ausgleich zum Alltag, bzw. als Vergnügen und Hobby aufgefasst wird. Pauschalisierte Kritiken, dass Computerspiele zur Sucht oder Vereinsamung führen, müssen in dieser Hinsicht von der Hand gewiesen werden. Erst, wenn Defizite im realen sozialen Zusammenleben und erhebliche Brüche in der Biografie stattfinden und die Suche nach Anerkennung, Gemeinschaft und Freiheit in der Realität für die Menschen sinnlos erscheint, können Computerspiele unter Umständen als vermeintliche Lösung realer sozialer Problematiken herangezogen werden. Dann aber entfalten sie auch ihr mögliches Suchtpotential. Computerspielsucht ist eine ernstzunehmende Entwicklung und tritt vermehrt mit der Verbreitung der Computerspiele auf. Sie ist allerdings nicht mit einer Spielsucht im Sinne von Wettspielen, Pokerspielen, Automatenspielen, etc. gleichzusetzen. Bei Glückspielen mit monetärem Einsatz besteht die trügerische Hoffnung auf einen Gewinn, der die Lebenssituation verbessert. Computerspiele bieten die Erfüllung dieser Hoffnung nicht an, sondern die SpielerInnen wollen die Realität vergessen. Die Spielsucht taucht allerdings nicht von selbst aus dem Cyberspace auf, sondern knüpft an einen realen sozialen Beziehungsmangel an. Ähnliches gilt für die Isolation, die auch nicht durch das Spiel selbst hervorgerufen wird, sondern bereits auf realer sozialer Isolation beruht. Allerdings können Computerspiele eine
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Sucht oder Isolation bzw. Vereinsamung verstärken, da sie Möglichkeiten bieten, reale Probleme zu verdrängen. Reale soziale Isolation können die virtuellen Kontakte nicht beheben, genauso wenig wie das Unverständnis und die Sprachlosigkeit innerhalb der Gesellschaft, die vielen jungen Menschen heute entgegentritt und zur Resignation bzw. Vereinsamung führt. Dem enormen Leistungsdruck im realen Leben kann im virtuellen Raum entgegen gewirkt werden, er wird damit aber in der Realität nicht schwächer, sondern im Gegenteil stärker. Erst wenn die realen psychischen und sozialen Probleme benannt werden können, ist ein Verständnis für die Ursache der Sucht und eine entsprechende Behandlung möglich. Zusammenfassung Laut Victor Turner und Edward M. Bruner ist unsere Realität die Interpretation unserer gelebten Erfahrungen.316 Daran anschließend wird meiner Meinung nach die gelebte Erfahrung in Computerspielen ebenfalls zu einer realen Erfahrung für die SpielerInnen und darf nicht als virtuelle, im Sinne einer nicht realen Erfahrung, gewertet werden. Damit ist, wie bereits Almut Sülzle bemerkte, der virtuelle Raum der Spielwelt kein untergeordneter Raum im Sinne eines irrelevanten Raumes und darf nicht anhand der Dichotomie virtuell/real beschrieben werden.317 Meine empirischen Forschungsergebnisse weisen ebenfalls auf die zentrale Bedeutung der gelebten Raumerfahrung in der Computerspielwelt hin. In der realen Welt wird intensiv über die Spielwelten nachgedacht. Die Mitglieder der von mir untersuchten Spielergruppe freuten sich bereits auf die nächsten Aufgaben im Spiel, die ihr Denken auch in der Offline-Welt mitbestimmten. Auch wenn der Cyberspace gerne als virtueller Ort bezeichnet wird, ist er kein Nicht-Ort, da in ihm Bedeutungen erstellt und Bedürfnisse befriedigt werden, so wie Silke Andris dies für die Raumaneignung städtischer Jugendkultur in peripheren Gebieten beschreibt.318 Ich möchte ihr zustimmen und den Wert des virtuellen Spielraumes für die SpielerInnen betonen und seinen Einfluss auf Denken und Handeln herausstreichen. Dies lässt sich nicht zuletzt an den intensiven Spielzeiten ablesen, die die Spieler der von mir untersuchten Gruppe in die Computerspiele investierten. Wichtig erscheint den VertreterInnen der Cultural Studies der Umstand, dass Medien kreativ konsumiert werden können und nicht vorweg von einer kritiklosen Konsumtion seitens der KonsumentInnen auszugehen ist.319 Die aktive Auseinan-
316 Vgl. Bruner, E., Experience and its Expressions, S. 4ff. 317 Vgl. Sülzle, A., Einsame neue Welt?, S. 3. 318 Vgl. Andris, S., Painting One´s Own Personality, S. 79-80. 319 Siehe dazu u.a.: Hobson, D., Crossroads, S. 110ff und Fiske, J., Television Culture, S. 65-86.
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dersetzung der beobachteten Spielergruppe mit dem Medium Computerspiel, das Spiel als zentraler Kommunikationsmittelpunkt und Themenlieferant für gruppeninterne Gespräche und Diskussionen ermöglichten es mir, diese Ergebnisse der Cultural Studies auch für die Aneignung der Computerspiele geltend zu machen. Meiner Meinung nach weisen Computerspiele wegen ihrer aktiven Konsumtion ein erhöhtes kreatives Aneignungspotential gegenüber herkömmlichen Medien auf. Die Gruppenmitglieder wurden zu Spezialisten für ihr Hobby und teilten ihr Wissen sowohl innerhalb der eigenen Gruppe, als auch mit der Web-Community. Die Gruppenmitglieder waren im Spiel sehr erfolgreich. Dies erreichten sie durch das gemeinsame Spielen nicht nur über das Internet, sondern am lokalen Ort, wo Taktiken und Strategien sofort besprochen werden konnten. Der Erfolg und die Lust am Spielen führten aber dazu, dass der Gruppe die virtuellen Erfolgserlebnisse wichtiger wurden, als reale. Die Erlebnisse und Erfahrungen innerhalb des virtuellen Raumes begannen die realen Erfahrungen zu überlagern, die zunehmend im Vergleich zur Strahlkraft virtueller Siege und Erfolge verblassten. Der Alltag wurde grau im Vergleich zur bunten Spielwelt. Den Gruppenmitgliedern war diese Entwicklung bewusst, doch meinten sie, jederzeit mit dem Spielen aufhören zu können. Ganz sicher waren sie sich dabei aber nicht. Suchtgefährdend wirken Computerspiele vor allem dann, wenn sämtliche Kontakte nur mehr im virtuellen Netz stattfinden und reale soziale Kontakte vernachlässigt werden. Zwar hatten die Gruppenmitglieder untereinander reale soziale Kontakte, da sie sich regelmäßig zum Spielen trafen, doch stand bei diesen Treffen immer das Spiel im Mittelpunkt. Dadurch wurden Kontakte zu Personen außerhalb der Spiel-Community eingeschränkt. Computerspiele können nicht pauschal als suchtgefährdend definiert werden, wie einige Studien dies vorzeigen.320 Jedoch beinhalten sie Funktionen die unter Umständen dazu führen können, dass Menschen der virtuellen Welt gegenüber der realen Welt den Vorzug geben.321 Dies hängt aber vorwiegend vom sozialen Nahumfeld und dem biografischen Werdegang, samt psychischer Disposition der SpielerInnen ab. Nur wenn man das Spiel gemeinsam mit diesen Faktoren untersucht, kann man das tatsächliche Gefährdungspotential der Spiele feststellen. Zwar investierten die Gruppenmitglieder sehr viel Zeit in die Spiele, mit teilweise negativen Auswirkungen auf die Schul- und Karrierelaufbahn, jedoch beendeten sie zwei Jahre nach der Untersuchung ihre virtuelle Karriere in „WOW“. Entscheidend erscheint mir, dass sich die Spieler der Gruppe stets des übermäßigen Spielkonsums bewusst waren und damit auch Grenzen ausloten woll-
320 Siehe Spiegel- Online: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-64628265.html,1.3.2011. 321 Es ist Florian Rötzer zuzustimmen, der die wesentliche Funktion der Computerspiele dahingehend sieht, dass sie die Aufmerksamkeit der SpielerInnen an sich binden und damit zum Spielen verführen (Vgl. Rötzer, F., Digitale Weltentwürfe, S. 95).
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ten. So konnten sie für sich selbst entscheiden, wann der Zeitpunkt gekommen ist, die virtuelle Welt zu verlassen.
I DENTITÄT Die Identität der Menschen konstruiert sich aus Erfahrungen und Kommunikationsmechanismen mit ihrem soziokulturellen Umfeld. Der Standpunkt des Eigenen im Gegensatz zum Fremden schafft Identität und positioniert den Menschen im gesellschaftlichen Raum. Laut Stuart Hall ist Identität eine strukturierte Artikulation, die in Abhängigkeit von und in Abgrenzung zum Bild des Anderen konstruiert wird. Kulturelle Identität ist laut ihm von ständigen diskursiven Neupositionierungen abhängig, die in Abgrenzung zu anderen Identitäten geschieht und damit kontextuell stets vorläufig ist. Identität ist laut Stuart Hall also ein niemals abgeschlossener Prozess der Identifikation.322 Medien tragen zur Positionierung bei, ihre Bewertungen und Interpretationen bilden Meinungen und Ansichten, was ein wichtiger Faktor für die Konstruktion der eigenen Identität ist. Entscheidend für die Identität und Orientierung ist aber auch eine Distinktion gegenüber Elementen, die man ablehnt.323 Bei Bourdieu ist der zentrale Gedanke, dass in einem Raum zu existieren, also ein Individuum zu sein, nur dadurch möglich ist, weil man sich von anderen Individuen unterscheidet.324 Deshalb tragen Computerspiele immer einen gewissen Teil zur eigenen Identitätsbildung bei, da sie Unterscheidungen und Distinktionsmechanismen in Gang setzen. Lawrence Grossberg stellt fest, dass Menschen versuchen mit Hilfe der Populärkultur Momente stabiler Identität und Orte zu schaffen, in denen sie sich zumindest vorübergehend geborgen fühlen und sich mit Dingen umgeben können, die ihnen am Herzen liegen. In den Industriegesellschaften sind diese Orte seiner Meinung nach die einzigen Räume, die für die Konstruktion der eigenen Identität zur Verfügung stehen und in denen Bedeutungszuordnungen vorgenommen werden können. Die Populärkultur vermittelt laut Grossberg den Menschen den Eindruck, eine gewisse Kontrolle über ihr Leben auszuüben und verleiht ein Gefühl von Lebendigkeit und auch der Bedeutsamkeit des eigenen Lebens. Laut ihm eröffnen populäre Praktiken den Menschen Strategien, neue Formen des Vergnügens und der Identität zu entwickeln und damit wiederum Formen der Langeweile, Schmerz, Entfremdung, Frustration, etc. entgegen zu wirken.325 Identitätskonstruktionen sind
322 Vgl. Hall, St., Rassismus und kulturelle Identität, S. 44-80. 323 Vgl. Schulze, G., Die Erlebnisgesellschaft, S. 111. 324 Vgl. Bourdieu, P., Praktische Vernunft, S. 22. 325 Vgl. Grossberg, L., Zur Verortung der Populärkultur, S. 233-235.
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von entscheidender Bedeutung, wenn Spiele gespielt werden, in denen man in den Körper anderer Charaktere und Identitäten schlüpfen kann. Da der Prozess der Identifikation niemals abgeschlossen ist, vermitteln Computerspiele ständig neue Positionen, mit denen sich die SpielerInnen identifizieren können, oder die als Abgrenzung dienen. Im Produktions- und Gestaltungsprozess liegt es den Spielfirmen immer daran, entsprechende Positionen zu definieren und die SpielerInnen in gewünschte Identifikationsbahnen zu lenken. Hier liegt die Hegemonie im Produktions- und Konsumptionsprozess, doch können sich die EntwicklerInnen niemals vollständig sicher sein, dass die vorgegeben Identifikationsrichtungen auch auf gewünschte Weise rezipiert werden.326 Erfolgreich können Computerspiele nur sein, wenn die intendierten Identitätskonstruktionen angenommen werden, d.h. dass die KonsumentInnen ihre Identitätsposition im Medieninhalt wiederfinden und im diskursiven Prozess eine (vorläufige) virtuelle Identität aufbauen. ProgrammiererInnen verwenden, wie in den vorhergehenden Kapiteln bereits festgestellt, einfache, archetypische Bilder und Positionen von Mythen, die Konstruktionen vom Guten und Bösen, von HeldInnen, vom Eigenen und Fremden usw. herstellen und dadurch breite Identifikationsmöglichkeiten bieten. Die Identitätsbildung bei den KonsumentInnen wird durch die klaren dualistischen Bilder vereinfacht, man bezieht dafür oder dagegen Stellung. Laut Miroslaw Filiciak können in Computerspielen SpielerInnen ihren Bezug zur Welt transzendieren und auch umkehren. Während des Spielens tritt die „RealLife“-Identität hinter die Identität der Spielfigur zurück.327 Seinen Avatar im Internet zu präsentieren, bedeutet gesehen und wahrgenommen zu werden. Dies ist für viele Menschen eine Möglichkeit, sich selbst zu präsentieren und die eigene Wunsch-Identität innerhalb einer Gemeinschaft darstellen zu können. Wahrgenommen zu werden und sich austauschen zu können, ist schlussendlich auch ein Ausdruck der Existenz und eine Grundbedingung jeder menschlichen Gemeinschaft. Die virtuellen Charaktere drücken einen Teil des eigenen Selbst aus und präsentieren ihn im weltweiten Netz. Somit beschreiben laut Filiciak Computerspiele als digitales Medium am besten die Metapher für die Identitätskonstruktionen des postmodernen Ichs.328 SpielerInnen können in der Spielwelt die herkömmlichen Mechanismen sozialer Kontrolle umkehren und Chancen erhalten, die im realen Leben nicht möglich sind. Haltungen und Handlungen sind in der Spielwelt zum großen Teil reversibel und die SpielerInnen können mit ruhigem Gewissen ihrem Vergnügen nachgehen, da sie
326 Siehe S. 238ff. 327 Vgl. Filiciak, M., Hyperidentities, S. 100. 328 Vgl. Ebda., S. 100-101.
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wissen, das Spiel jederzeit beenden zu können.329 Die Spielfigur gewinnt im Zuge des Spieles an Bedeutung, ebenso die Figuren in einer gemeinsamen virtuellen Gruppe. Spielfiguren sollen stark, mächtig und schön, oder auch finster und Furcht einflößend sein, bzw. dies im Laufe des Spieles werden. Die erschaffenen HeldInnenfiguren heben sich vom durchschnittlichen Alltagscharakter der SpielerInnen ab: Alex: „Meine Figur ist stark und mächtig, aber auch Intelligent und weise. Das braucht man zum Zaubern und um Gespräche zu führen. Im Alltag fühl ich mich natürlich nicht so. Bin eher ein durchschnittlicher Typ. Ich nehm mir lange Zeit um eine Figur zu erschaffen. Die Ausrüstung ist mir auch wichtig. Wenn mein Held eine glänzende Rüstung trägt, sehen die Leute dann, dass man schon sehr erfahren ist und viel im Spiel erlebt hat.“
Die SpielerInnen leiden mit den virtuellen Charakteren mit, sie wachsen ihnen ans Herz. Es wird mit der virtuellen Geschichte mitgefiebert, Siege und Niederlagen persönlich genommen und entsprechend bewertet. Wie es bei Spielen üblich ist, wird auch geflucht und geschrien, wenn sich das Spiel nicht nach den eigenen Wünschen entwickelt. Die Identifikation der ComputerspielerInnen mit ihrer Spielfigur weist allerdings unterschiedliche Intensitäten auf. Prinzipiell identifizieren sich die Menschen mit Figuren aus der Medienwelt. Dies gilt neben Computerspielen auch für Filme und Bücher. Ohne das Mitleiden mit den BildschirmheldInnen würde ein wesentliches Spannungsmerkmal aller Unterhaltungsmedien verloren gehen. Wir müssen dazu fähig sein, uns bis zu einem gewissen Grad in die Medienfiguren hineindenken zu können und Überlegungen anzustellen, wie wir uns selbst in entsprechenden Situationen verhalten würden. Obwohl wir die HeldInnen in Film und Fernsehen, sowie Büchern nicht steuern können, herrscht bereits eine gewisse Identifikation mit den Handlungsfiguren. Durch die mögliche Interaktion und die Beeinflussung der Spielwelt bzw. Einbindung in eine Handlung, verstärken Computerspiele dieses Identifikationspotential enorm. Dadurch werden die Geschichten in den Spielen lebendig, die SpielerInnen haben das Gefühl, dass sich die Erzählungen um sie drehen. Dennoch können die virtuellen Rollen die realen sozialen Rollen, die vor allem unbewusst von Kindheit an durch die Sozialisation eingeprägt sind, nicht ersetzen. In den Spielen suchen sich die Menschen die Rollen bewusst aus, es sind aber die unbewussten, die Erving Goffman zu Folge am besten gespielt werden, also vorwiegend jene Rollen in der Realität.330 Die Identifikation mit den Spielfiguren ist auch innerhalb der Computerspiele different. Besonders die Online-Spiele weisen gegenüber Single-Player-Computerspielen ein gesteigertes Identifikationspotential auf. Laut Britta Neitzel reagiert der
329 Vgl. Sutton-Smith, B.: Die Dialektik des Spieles, S. 54-58. 330 Vgl. Goffman, E., Wir alle spielen Theater, S. 19ff.
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Computer als virtuelles Gegenüber nur nach seiner vordefinierten bzw. programmierten Rolle, er kann nicht spontan und flexibel mit dem Menschen interagieren. Im Vergleich zum Single-Player-Computerspiel sehen reales Interagieren und Kommunizieren laut Neitzel anders aus: Körperhaltung, Gesten, emotionale Stimmungen, usw. bestimmen die gesellschaftliche Kommunikation und damit die Rolle und Identität mit.331 Für Britta Neitzel ist die Mensch-Computer-Interaktion streng reglementiert. Handlungen, die außerhalb der Programmierung liegen, werden vom Spiel nicht als solche wahrgenommen. Dahingehend sieht Britta Neitzel die virtuelle Welt der Computerspiele im Grunde reglementierter als die reale Welt und die Möglichkeiten des Rollenspiels wesentlich eingeschränkter.332 Dennoch bieten Computerspiele ergänzende Räume zur Bildung von Identitäten und das Ausleben von Rollen und trotz aller Einschränkungen erfüllen sie die Bedürfnisse der Menschen nach erweiterten Spielräumen. Denn auch das reale gesellschaftliche Zusammenleben errichtet schnell Grenzen und beinahe unüberwindbare Barrieren für diejenigen, die aus dem gesellschaftlich anerkannten Rollenspiel fallen. Online-Spiele mit ihren Internet-Communities bieten aber menschliche MitspielerInnen, die auch spontan und unvorhergesehen reagieren können. Die Gemeinschaft ist gleichzeitig eine Bühne für das Schauspiel der eigenen Figur. Das Präsentieren der Netzidentitäten wird vom Wunsch geleitet, eine möglichst unverwechselbare, anerkannte Persönlichkeit darzustellen. Die eigene Figur tritt in den Mittelpunkt, sie ist zugleich die Botschaft der SpielerInnen. Trotz aller Unzulänglichkeiten des Cyberspace, seiner Beschränktheit und Reglementiertheit, wie Neitzel es ausdrückt,333 erscheinen mir Online-Spiele als jene Spielform, die die vielversprechendsten und ausgereiftesten Möglichkeiten für das Schlüpfen in andere Rollen und die Identifikation mit ihnen anbieten können. Wo die Figur die Oberfläche eines ganzen Charakters vermitteln muss, wird auch die Namensgebung des virtuellen Alter Egos für die SpielerInnen von Bedeutung. In der Wahl des Namens für die Spielfiguren unterscheiden sich die von mir befragten SpielerInnen: Für die einen ist ein zum Spiel passender Name und letztendlich das Auftreten im Spiel entscheidend, während andere die Namenswahl nicht als entscheidenden Faktor ansehen. Zum Spiel passende Namen werden aus dem Erfahrungsschatz der SpielerInnen gewählt. Dies kann aus ähnlichen Spielen erfolgen, aber auch aus der Literatur, wie der Artus-Sage, griechischen Heldensagen oder der passenden Fantasy-Literatur rund um Tolkiens „Herr der Ringe“. Dabei scheint es bei den Namen auch eine Zensur durch die BetreiberInnen der
331 Vgl. Neitzel, B., Gespielte Geschichten, S. 36ff. 332 Vgl. Ebda., S. 36-38. 333 Vgl. Ebda., S. 38.
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Spiele zu geben, in der sich die Ambivalenz zwischen Gewalt im Spiel und der Außenwahrnehmung spiegelt: Alex: „Bei den Clan-Spielen, bei den Shootern habe ich mich „Tödlich“ genannt. Ich finde das passt einfach zu diesem Spiel. Doch das wurde nicht erlaubt, da man sich nicht wie eine Gewalthandlung nennen darf. Obwohl tödlich ja eigentlich eine Eigenschaft ist. Da haben sie mir einen Tag Zeit gegeben, den Namen zu ändern. Dann wollte ich mich „Zorn“ nennen, auch das war nicht möglich. Den haben sie mir gestrichen. So blieb dann „Escobar“ als Name übrig. Für die Rollenspiele schaue ich schon, dass der Name in die Welt passt. So heißt mein Magier im Spiel „Aschad“. Das passt zu Magier, die haben eh eher so komische Namen. Sonst nehme ich auch gerne die Namen aus Büchern, wie z.B. „Drizzt“, der Dunkelelf.“
Andererseits wählte ein anderer Gesprächspartner aus der Gruppe seine Namen für die Heldenfiguren nach unterschiedlichen Hanfsorten aus, was bei der jugendlichen Spiel-Community als „Coolness“ ausgelegt wird. Wichtig ist für alle ein „würdiges“ Auftreten im Internet-Spiel, wenn es darum geht, eine glaubwürdige Fantasiewelt zu erhalten. Hier werden SpielerInnen, die sich nicht daran halten, entsprechend sanktioniert. Da das Äußere der Spielfigur und dessen Name das erste Erscheinungsbild eines Charakters auf der Spielebene darstellt, wird eine entsprechende Gestaltung der Figur wichtiger, als bei Solo-Computerspielen. Viele OnlineKontakte würden durch ein unpassendes Charakterdesign gar nicht stattfinden. Virtuelle Charaktere wurden in jedem Fall von meinen GesprächspartnerInnen sorgfältig und mit viel Geduld ausgewählt. Diese Auswahl ist nicht beliebig, sondern richtet sich nach Einstellungen, Anschauungen und Beziehungen in der realen Welt, bzw. möchte ein Gegenteil dazu darstellen. Es ist für viele SpielerInnen ebenso reizvoll, genau jene Werte zu vertreten, die in der Realität nicht gewünscht sind, bzw. sanktioniert werden. Im Spiel findet sich dann eine bunte Mischung, eine Collage von verschiedenen Heldennamen, Figuren und Typen, die ihre Anleihen aus der realen Welt und des überlieferten mythologischen Erfahrungsschatzes genommen haben. In Internet-Rollenspielen tauchen neben Namen aus der FantasySpielszene bzw. aus Film und Literatur, auch Namen aus Märchen, Sagen und Epen auf. Somit sagt der Name schon viel über die Literaturinteressen der betreffenden Person, die hinter der Figur steht, aus und bietet Anknüpfungspunkte für Net-Chats. Das Äußere der Figur spiegelt die Präferenzen der Person hinter der Figur wider, bzw. wie sich die SpielerInnen gerne darstellen würden. Die Charakterwerte und Attribute der Figuren lassen ebenfalls Rückschlüsse auf die Vorlieben oder Abneigungen der SpielerInnen zu. Die virtuellen Figuren in ihren differenzierten Ausprägungen haben demnach den Großteil der Identifikationspotentiale zwischen den NetzwerkspielerInnen zu tragen. Diese virtuellen Identitätskonstruktionen sind mit ähnlichen Mängeln konfrontiert, wie ich sie schon anhand der SoloComputerspiele festgehalten habe. Sämtliche körperliche Einflussfaktoren fallen
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weg, die oft entscheidende Rolle der Gestik und Mimik kann zur Bewertung der eigenen und fremden Identität nicht herangezogen werden. Authentizitäten können schwerer, oder gar nicht festgestellt bzw. bestätigt werden. Doch genau diese Unsicherheiten und Mangelerscheinungen der virtuellen Identität erleichtern ihre Konstruktion und das Experimentieren und letztendlich das Spielen mit den dazugehörigen Masken und Rollen. Zusammenfassung Laut Pierre Bourdieu und Gerhard Schulze entsteht Identität durch Abgrenzung von anderen Individuen und auch durch Distinktion gegenüber Elementen die man ablehnt.334 Dies lässt sich empirisch anhand der von mir untersuchten Spielergruppe nachweisen. Die Gruppe wurde zu einer eingeschworenen Community, die ihren Mitgliedern zu Identitätskonstruktionen verhalf. Distinktion erfolgte gegenüber jenen, die keine Ahnung von Computerspielen hatten bzw. außerhalb der „WOW“Community standen. Dies konnte ich auch als Forscher spüren, der zwar akzeptiert wurde, da ich mich im Bereich der Computerspiele entsprechend gut auskannte, aber doch kein „WOW“-Spieler war. Die gemeinsame Gilde, die die Spielergruppe im Internet bildete, grenzte die eigene Identität zusätzlich im virtuellen Raum ab. Zudem bildete sich eine Gruppenidentität und -zugehörigkeit auch als Abgrenzung gegenüber jenen Personen und Medien, die als „GegnerInnen“ des Hobbys Computerspiel zu bezeichnen sind: Eltern und LehrerInnen, die wegen des hohen Zeitaufwandes besorgt waren und Medien (Presse, TV-Berichte), die negativ über Computerspiele berichteten. Computerspieler zu sein, wird von den Gruppenmitgliedern als etwas Elitäres aufgefasst, man ist am Puls der Zeit, technisch versiert (zusätzlich zum Beruf) und betreibt ein Hobby, das für viele Menschen nicht begreifbar ist. Dies schafft für die jungen Männer auch Identifikationsmöglichkeiten abseits des virtuellen Raumes. Lawrence Grossbergs Feststellung, dass mit Hilfe der Populärkultur Momente stabiler Identität und Orte geschaffen werden, die Räume zur Konstruktion eigener Identitäten zur Verfügung stellen, lässt sich auch für Computerspiele bestätigen.335 Computerspiele bieten, durch die Möglichkeit in die Rolle virtueller Avatare zu schlüpfen, die Gelegenheit für die SpielerInnen, ein Wunschbild des eigenen Ichs im weltweiten Netz zu präsentieren.336 Diese Möglichkeit nahmen die befragten SpielerInnen gerne wahr. Es wurden mächtige Figuren erschaffen, die Idealbilder
334 Vgl. Bourdieu, P., Praktische Vernunft, S.22. und Schulze, G., Die Erlebnisgesellschaft, S. 111. 335 Vgl. Grossberg, L., Zur Verortung der Populärkultur, S. 233-235. 336 Vgl. Filiciak, M., Hyperidentities, S. 100-101.
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von weisen Magiern und furchtlosen starken Kriegern widerspiegelten. Die Charaktere sollten sich vom durchschnittlichen Alltagsmenschen abheben. Die SpielerInnen identifizierten sich während des Spielens völlig mit ihrer Spielfigur, sie lebten mit ihren Spielcharakteren mit. Dieses Rollenspiel blieb allerdings auf den virtuellen Raum beschränkt und wurde nicht in die Realität transferiert. Es ist aber Sherry Turkle zuzustimmen, dass durch die Maskerade und dem anonymen Austesten virtueller Identitäten den SpielerInnen Entlastungsmomente vom alltäglichen sozialem Rollenspiel in der Realität geboten werden können.337 Mit den realen sozialen Rollen ist es kaum möglich zu experimentieren, ohne gesellschaftliche Sanktionen befürchten zu müssen.
V IRTUELLE
UND REALE
G EMEINSCHAFTEN
Die Teilnahme am kulturellen Phänomen des Computerspielens prägt die Identität der SpielerInnen und schafft Gruppen und Zugehörigkeitsgefühle. Innerhalb einer Spielgemeinschaft führen die Entscheidungen, welche Spiele gerne gespielt werden zu eigenen Identitätskonstruktionen und Unterscheidungen gegenüber anderen SpielerInnen. Ein/e SpielerIn, der/die komplexe Simulationsspiele oder Flugsimulatoren bevorzugt, kann einem Action-Shooter durchaus ablehnend gegenüberstehen und ihn als simples Spielvergnügen abtun. In gewisser Weise definieren sie dadurch eben auch ihre Position gegenüber den SpielerInnen jener Spiele. Ähnliches Distinktionsverhalten spüren auch sogenannte „Newbies“, also SpielerInnen, die sich gerade neu an Spielgemeinschaften anschließen und dementsprechend aus der Sicht der „Profis“ schlechte Spielleistungen vollbringen. Durch die Schmähung der Leistung der anderen SpielerInnen wird die eigene Position und Identität gestärkt, was besonders in wettbewerbsorientierten Spielen, wie z.B. in den Clan-Turnieren, zutrifft und den Gruppenzusammenhalt der etablierten SpielerInnen betont. Identitätskonstruktionen finden auch durch den immanenten Wettkampf statt, der typisch für Computerspiele ist. Durch die Wettkampfsituation gehen die SpielerInnen permanent als SiegerInnen hervor, auch wenn dies dementsprechende Spielzeiten erfordert. Dabei wird ein Verlangen nach Anerkennung erfüllt. Dies geschieht durch Siege in Solo-Computerspielen, aber vielmehr in InternetComputerspielen durch Wettkämpfe gegen die menschliche Konkurrenz. Diese stimulieren die SpielerInnen zu besseren Leistungen, um die KonkurrentInnen übertreffen zu können.338 In der Community werden die getätigten Kämpfe analysiert und den KämpferInnen symbolisches Statuskapital zugeschrieben. Die Siege-
337 Vgl. Turkle, S., Leben im Netz, S. 297ff. 338 Vgl. Andris, S., Painting One´s Own Personality, S. 72-73.
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rInnen der Duelle werden in repräsentativen SiegerInnenlisten aufgeführt, die wiederum das gewählte Pseudonym der SpielerInnen wiedergeben und damit auf die Wichtigkeit der Namensgebung hinweisen. Ein Interviewpartner aus der „WOW“Spielergruppe war vorher selbst aktiver Clan-Turnierspieler und auf nationaler Ebene erfolgreich. Er schilderte das enorme Prestige, das erfolgreiche Turnierteilnahmen einbringt und das Bestreben, den Ruf des eigenen Clans damit zu verbessern: Alex: „Als ich zu Spielen begonnen habe, habe ich zunächst ein halbes Jahr nur gegen Österreicher gespielt und ich war in der Rangliste weit vorne. Dass wurde mir dann zu langweilig und wir haben im Clan dann gemeinsam gegen die Schweden gespielt, die waren die Besten neben den Amerikanern. In Österreich gehörte unser Clan zu den Besten und wir konnten gegen jeden gewinnen und hatten einen guten Ruf. Aber von den Amerikanern konntest du noch so viel lernen, die waren unglaublich schnell.“
Die Leistungen der SpielerInnen in den Gruppen und Clans bedeuten Ansehen innerhalb und außerhalb der Communities. Die Wettkämpfe dienen aber auch zur eigenen Selbstbehauptung innerhalb der Gruppe und spiegeln den Werdegang in der Community wider. Sie grenzen die eigene Position und den Handlungsspielraum ab. Sherry Turkle, Vorreiterin in der Erforschung virtueller Gemeinschaften, sieht die postmoderne Identität und das postmoderne Selbst als zersplittert, fragmentiert und dezentriert. Die Folge seien Identitätskrisen und Ängste. Computerspiele und das Internet helfen laut ihr, diesen Ängsten entgegen zu steuern und sie zu verarbeiten, weil die Objekte der PC-Kultur den Menschen die Möglichkeit geben, konkret über eigene Identitäten nachzudenken. In Computersimulationen können sich laut ihr Identitäten auflösen, vermischen und zersplittern. Sherry Turkle sieht diese aktive Auseinandersetzung mit verschiedenen Identitäten in „MUDs“ und entsprechenden Chatformen im Internet gegeben.339 Ich möchte diese Überlegungen von Turkle ebenso auf die modernen Internet-Rollenspiele wie „WOW“, „Herr der Ringe“, aber auch auf die Lebenssimulationen wie „Second Life“ oder die „Sims“ ausdehnen. Diese Spiele besitzen viele Funktionen, die Turkle bereits in ihrer Untersuchung der „MUDs“ feststellte und auch hier ist die Kommunikation mit menschlichen MitspielerInnen ein wesentlicher Faktor.340 Kommunikation ermöglicht das Differenzieren des selbst gewählten Charakters, Gemeinschaft und Abgrenzung von anderen Gruppen, sowie das Erleben von unterschiedlichen Identitäten.
339 Vgl. Turkle, S., Leben im Netz, S. 70ff. 340 Vgl. dazu auch Lackner, T., Computerrollenspiele, S. 92.
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In Online-Spielen wird aus dem virtuellen Spielraum beinahe eine soziale Realität, die eine neue Art der Faszinationskraft auf die SpielerInnen ausübt. Gemeinsames Spielen und die daraus resultierende Kommunikation schafft ein intensives Spielerlebnis. Die Computerspiele und deren Inhalte können wie selbstverständlich angesprochen werden, sie stehen ja im Mittelpunkt des gemeinsamen Interesses, während sich außerhalb der Gruppe im realen Leben wenige Menschen für dieses Thema interessieren. Communities bieten somit einen Raum gemeinsamen Erlebens, Handelns und des gegenseitigen Austausches und damit eine Form von Zufluchtsraum und Zuhause. Sie sind Räume, in denen ein gemeinsamer Lebensstil geteilt werden kann. Diese Communities im Sinne Victor Turners Konzept der „Communitas“ sind aber nicht sozial fest strukturiert, sondern spontan und unmittelbar. Die Menschen entscheiden sich freiwillig für die Zugehörigkeit zur Gruppe, die vorhandene Milieuzugehörigkeit tritt in den Hintergrund. Die Gruppenzugehörigkeit ist hier schnelllebiger und fluktuierender, als bei sozial konstruierte Gruppen. Nach Turner „[…] gehört die Communitas dem Hier und Jetzt an; während Struktur aufgrund der Sprache, dem Gesetz und Brauch in der Vergangenheit wurzelt und in die Zukunft reicht.“341
Für die SpielerInnen ist die virtuelle Gemeinschaft kein Ausdruck des Protests gegenüber der Alltagswelt. Der Beruf, die Schule funktionieren parallel zur virtuellen Community und dienen als Grundlage zur Erhaltung und Finanzierung der Freizeitwelt. Die virtuellen Gemeinschaften können demnach auch nicht als Gegenbewegung zur realen sozialen Struktur verstanden werden, sie stehen aber mit Aspekten der sozialen Struktur in Gegenüberstellung oder Verbindung.342 In einer Studie über die Techno- und Ravekultur begriffen Banu Karaca und Yasemin Yüksel Techno als eine Praxis, die den Alltag stabilisiert und auch zur allgemeinen Orientierungsstütze wird. Techno und Rave kehren laut den AutorInnen der Studie den Alltag nicht um. Es gibt keine Anzeichen von Wut und Rebellion gegenüber der Alltagsgesellschaft, die Technokultur unterstützt sie, da sie Frustrationen auffängt und berauschende Erlebnisse vermittelt.343 Ähnliches möchte ich auch von den virtuellen Communities der Computerspiele behaupten. Auch sie tragen dazu bei, dass Menschen innerhalb einer Gemeinschaft ihre Sehnsüchte und Bedürfnisse erfüllen können. Auch können Computerspielgemeinschaften durchaus stabilisierende Funktionen gegenüber der Alltagswelt aufweisen. Diese Funktion ist der
341 Turner, V., Das Ritual, S. 111. 342 Vgl. Ebda., S. 124. 343 Vgl. Karaca, B. u. Yüksel Y., Egal wie alles läuft, bin ich und bleibe ich an Techno gebunden, S. 186-187.
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Freizeitgestaltung und ihren Aktivitäten generell zuzuweisen. Freizeit und Hobbys dienen als Ausgleich und Katalysator gegenüber den Problematiken des Alltags. Dahingehend sind diese Eigenschaften der Freizeitbeschäftigung gesellschaftlich wichtig und sind von gesellschaftlich dominanten Kräften durchaus erwünscht und werden demnach auch von ihnen gefördert. Die Freizeitgestaltung und die Communities stabilisieren ihre Mitglieder, binden sie aber zugleich auch an das gesellschaftliche System und die hierarchische Ordnung. Zusätzlich werden dadurch neue Investitionen für die Industrie geschaffen und der Konsum angekurbelt. Kritische Stimmen sehen in der Medienaneignung und den entstandenen Communities Funktionen, die revolutionäre Kräfte assimilieren und Widerstand damit im Keim zu ersticken. Vor allem VertreterInnen der Cultural Studies zeigen die stabilisierenden Funktionen der beherrschenden Diskurse auf, orten aber dennoch Widerstandspotentiale in Gruppen, Fankulturen und virtuellen Communities. Außer Zweifel steht, dass hinter dem Medium Computerspiel eine riesige Industrie mit Machtinteressen steht, der eine Bildung von Communities und Fangemeinschaften durchaus wichtig ist. Diese Interessen fördern den Konsum der Produkte und damit auch die Gewinne für die Unternehmen und AktionärInnen. Auch sind Computerspiele Teil einer Freizeitkultur, die im Sinne der herrschenden Klassen genau die oben genannten Katalysatorfunktionen erfüllt. Jedoch können die Menschen, trotz allem berechtigten Populärkulturpessimismus, die medialen Vergnügungen ihren Interessen unterordnen und daraus Vergnügen, bzw. Versatzstücke und Bausteine für die Gestaltung des Alltagslebens, beziehen. Eine Fähigkeit, die durchaus kreative Züge aufweist und Sinnproduktionen liefern kann. Gemeinsame Sprache Die Communities zu den einzelnen Spielen können rasch sehr eingeschworen und exklusiv werden. Sprachlich beinhaltet dies Fachausdrücke und Abkürzungen, Kunstwörter und Redewendungen, die nur Gruppenmitglieder kennen. Um die Sprache verstehen zu können, muss jemand sowohl mit der Computerfachsprache vertraut sein, als auch mit der gruppeninternen Sprachkonstruktion. Dies stärkt die Gruppenzugehörigkeit und das Gemeinschaftsgefühl und grenzt die Community nach außen ab. Somit ist es für Neuzugänge nicht einfach, sich in die Gruppe zu integrieren. Die Sprache wird zu einem wesentlichen gemeinsamen Merkmal für eine Gruppe und eine Community. Diese „Computerspielsprache“ ist Merkmal der einzelnen Gruppe, verschiedene Gruppen entwickeln unterschiedliche gruppeninterne Begriffe. Die Sprachen sind experimentell und schöpferisch abgewandelt und finden vor allem bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen regen Gebrauch, wie meine Beobachtungen zeigen. Es kommt, wie in anderen Jugendkulturen, zu Umbildungen und Umdeutungen, sowie Neubildungen von Wörtern, sprachliche Konventionen werden gebrochen. Bedeutungen sind oft nur in der Situation er-
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kennbar und ergeben abseits davon keinen Sinn. Außenstehende erschließen sich die Wortwahl und die Begriffe kaum, was ein wichtiges Distinktionsmerkmal darstellt.344 Die Sprechweise der Jugendlichen ist geprägt von Sticheleien und gegenseitigen wohl akzeptierten und auch erwarteten Angriffen. Die Mitglieder der Gruppe haben das Anrecht solche Sprecharten gegenseitig zu verwenden, für Außenstehende ist diese Wortwahl tabu. Im Zusammenhang mit den Spielen geben die Leistungen innerhalb der Spielgemeinschaft regelmäßig Anlässe für Diskussionen, die eben von den erwähnten Sticheleien geprägt sind. Beispielsweise wurden in meiner untersuchten Gruppe die Versuche ins Lächerliche gezogen, mit Computerspielerinnen im Internet zu flirten.345 Johannes Moser meint ausgehend von den Ideen der VertreterInnen der Cultural Studies, dass diese Gespräche unter Jugendlichen eine „komplizenhafte“ Kommunikation darstellt, bei der das Einverständnis nicht über den Austausch von Information hergestellt wird, sondern über eine interaktiv inszenierte Darbietung, in der die Handelnden ihr eigenes Publikum sind. Sie geben aber laut Moser auch Auskunft über die Stellung und Position der Gruppenmitglieder innerhalb der Gemeinschaft. Dies geschieht laut ihm durch den Rückgriff auf die vorhandenen kulturellen Ressourcen der hegemonialen Kultur und eigenen Kreationen, deren Basis auch die Computerspiele sind.346 Die Gruppen und Communities grenzen sich durch eigene Begriffe und Sprachkonstruktionen voneinander ab, was die Gruppenidentität stärkt. Gemeinschaft Laut Natasha Adamowsky bleibt in einer zunehmend individualisierten Welt die Begegnung mit den Anderen in den Internet-Communities entscheidend. Sie ist laut ihr eine Kompensation von gemeinsam gelebten Einsamkeiten der Jugendlichen in ihren sozialen Netzen und der Versuch mittels des Cyberspace eine Art soziales Band zu schaffen.347 Allerdings sind diese Bänder, wie bereits angedeutet, keine dauerhafte soziale Form, doch können Netzgemeinschaften und -solidaritäten über sich hinauswachsen und Gemeinschaftsgefühle stiften. Laut Adamowsky ist demnach der Wunsch nach Kontakt prägend, nicht seine grundsätzliche Erfüllung. Deshalb ist oft der Mangel an Gemeinschaft bestimmend, der die Suche nach Netz-
344 Vgl. Moser, J., Kulturanthropologische Jugendforschung, S. 38-39. 345 Als während meiner teilnehmenden Beobachtung Alex versuchte mit einer Gildenkollegin zu flirten, zogen dies seine Kumpels ins Lächerliche und amüsierten sich darüber. Dementsprechend verärgert darüber war Alex, vor allem auch deshalb, da der Flirt misslang. 346 Vgl. Moser, J., Kulturanthropologische Jugendforschung, S. 39. 347 Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welten, S. 227.
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werk-Communities begleitet.348 Die Suche nach Gemeinschaft und Geborgenheit ist eine Reaktionsbewegung auf gesellschaftliche Individualisierungstendenzen mit einer einhergehenden Vereinsamung der Individuen. Die durch diese Entwicklung im realen Leben erschwerte Kommunikation wird in den virtuellen Raum verlagert, was aber wiederum dazu führen kann, dass reale soziale Kommunikation noch seltener stattfindet. Der Kommunikationsaufbau im Internet ist über eine Spielcommunity wesentlich einfacher, da der gemeinsame Anknüpfungspunkt und das gemeinsame Interesse am Spiel bereits gegeben sind. Die Suche nach neuen Gemeinschaften im Netz entsteht aus dem Wunsch bzw. der Notwendigkeit, verlorenes Gemeinschaftsgefühl wiederzufinden. Ihr liegt, wie Adamowsky aufzeigt, ein Mangel zugrunde.349 Somit ist diese Suche nicht eine freiwillige Suche nach Vergnügen in der abgetrennten Sphäre eines Spieles, sondern eine alle Lebensbereiche durchziehende Notwendigkeit, Gemeinschaftsbedürfnisse zu befriedigen. Trotz des gemeinschaftsbildenden Charakters der Internet-Communities bleibt eine Distanz zwischen den Menschen bestehen. Während dies auf der einen Seite einen Mangel an echter sozialer Nähe und Beziehungen bedeutet, kann diese Distanz auch entlastend wirken. Fan-Kultur Eine besondere Form der Medienaneignung stellt die Fan-Kultur dar. Vor allem bei Jugendlichen sind Fans weit verbreitet. Die HerstellerInnen der Computerspiele berücksichtigen bei ihren Produktionen die Möglichkeit zur Abschöpfung des Fanpotentials und Steigerung der Produktbindung. Fans unterscheiden sich von herkömmlichen KonsumentInnen durch ihre hohe Produktivität bei der Aneignung der Medienprodukte. Sie haben einen intensiven Bezug zum medialen Produkt. Sie beobachten und bewerten die Entstehung und vertreten ihre Meinung sowohl gegenüber den HerstellerInnen, als auch innerhalb der Fan-Community. John Fiske meint, dass Fans nicht nur einfache WarenkonsumentInnen sind, sondern beim Kauf der Produkte aus dem Merchandising Sektor, aktiv zur sozialen Zirkulation ihrer Bedeutungen beitragen. Und zwar jene Bedeutungen, die die KonsumentInnen dem Produkt beimessen. So wird John Fiske zur Folge zum Beispiel die/der TrägerIn eines Fan-T-Shirts eines Computerrollenspiels ihre/seine Haltung und die Bedeutung von Computerspielen für sie/ihn im Umlauf bringen.350 Computerspielfans treffen sich regelmäßig auf Messen und Fachausstellungen und nutzen intensiv die Fan-Sites und Fan-Foren im Internet. Sie melden sich bei
348 Vgl. Ebda., S. 227. 349 Vgl. Ebda., S. 226-228. 350 Vgl. Fiske, J., Politik. Die Linke und der Populismus, S. 256.
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Vorab-Tests von Computerspielen an und helfen den EntwicklerInnen damit Fehler in ihren Produkten zu erkennen und zu beseitigen. Sie sind sich ihres überdurchschnittlichen Wissens über das mediale Produkt bewusst und stolz darauf. Sie investieren viel Geld und Zeit, um ihren Status als Fan erhalten zu können. Speziell bei Computerspielen findet man sogenannte Fan-Editionen, die erweiterte Spielinhalte und großzügige Packungsbeilagen, wie Karten, Bücher, Figuren, etc. beim Computerspiel aufweisen. Diese Spezial-Editionen sind erheblich teurer als das Standardspiel und in der Regel in der Auflagenzahl limitiert. Sie umgeben das Produkt nach Gerhard Schulze mit einer Aura des Besonderen und Einzigartigen. Trotz der Massenproduktion der Ware gelingt es Marketing und Werbung, dieses eine Computerspiel als individuelles Produkt hervorzuheben.351 Nur ein „echter Fan“ soll die Möglichkeit haben diese scheinbar knappe Ressource zu erwerben und sich damit von der Masse der herkömmlichen KonsumentInnen abzuheben. Andreas Hepp schreibt dem „Fantum“ eine hohe Selbstreflexivität zu. Fans richten laut ihm ein hohes Maß ihrer Aufmerksamkeit auf die Prozesse der eigenen kulturellen Aneignung, die sie aus ihrer Perspektive reflektieren und in denen sie sich selbst gezielt positionieren.352 ComputerspielerInnen, die sich bewusst als Fan deklarieren, schaffen sich abseits der Arbeitswelt eine alternative Kultur. Fans organisieren sich über Zeitschriften und Internet, dadurch bilden sich dementsprechend Fangruppen und Communities. Sie sind auf ihrem Gebiet Profis, dadurch wird die Gruppenbildung als Differenz zu den herkömmlichen KonsumentInnen gefördert. Der Fan ist sich seiner Expertenposition bewusst und vertritt diese auch. Im Bereich der Computerspiele ist vor allem die bereits erwähnte „Modder-Szene“ ein typisches Beispiel der Fankultur.353 Kennzeichen Medienvermittelter Communities Wie Richard Sennetts in seinem Klassiker „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens–Die Tyrannei der Intimität“ ausführlich erörtert, drängt es die Menschen heute nach Gemeinschaft und Intimität, während Anonymität als Makel empfunden wird. Das Private wird Sennett zufolge in die Öffentlichkeit getragen, um damit Nähe und Intimität zu erlangen.354 Ein Blick in die unzähligen Fernsehshows, in denen Menschen ihre intimsten Geheimnisse und Wünsche vor einem voyeuristischen, sensationslüsternen Publikum preisgeben, bestätigt diese Entwicklung. Die Menschen tragen laut ihm ihren intimen Privatraum in die Öffentlichkeit, in der Hoffnung ihre
351 Vgl. Schulze, G., Die Erlebnisgesellschaft S. 119. 352 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 229ff. 353 Siehe S. 109ff. 354 Vgl. Sennet, R., Verfall und Ende des öffentlichen Lebens, S. 424ff.
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Sehnsucht nach Wärme durch eine distanzlose Nähe in einer Gemeinschaft zu erfüllen. Dies geschieht Sennet zur Folge im Irrglauben, dass das totale Preisgeben der eigenen Persönlichkeit zur sozialen Nähe führt.355 Konrad Lischka sieht, auf Sennett bezugnehmend, in den Internet-Communities der Computerspiele eine entgegengesetzte Entwicklung dieses Trends zur Nähe. Für ihn bedeutet die soziale Distanz, welche die Online-Community aufweist, eine Entlastung von Sennetts „Terror der Intimität“. Die SpielerInnen üben laut Lischka Kontrolle über ihr Alter-Ego aus und können sich jederzeit aus dem Spielgeschehen zurückziehen. Wenn sie einen neuen Avatar kreieren bzw. die Spielwelten wechseln, erlangen sie wieder ihre Anonymität zurück.356 Intimitäten müssen nicht preisgegeben werden, das Private kann auch privat bleiben bzw. kann hinter einer Maske der Inszenierung verschwinden. Die Anonymität ist gewährleistet und lädt zu Identitätsexperimenten ein. Computerspielgemeinschaften können demnach keine vollständigen sozialen Gemeinschaften simulieren, laufen aber durch den Vorteil ihrer Distanz und Anonymität nicht Gefahr in eine „Tyrannei der Intimitäten“ zu verfallen, wie man sie in den Medien laufend beobachten kann. Sie erheben auch nicht den Anspruch auf Wahrheit und Realität, wie etwa die medial übermittelten Nachrichten von Gewalt und Terror und schüren deshalb die Ängste des Individuums nicht. Da die Spiele in einem fiktionalen Raum mit fiktionaler Handlung stattfinden, findet auch eine individuelle Betroffenheit bzw. Verantwortung kaum statt, d.h. der Schutz ähnlich eines öffentlichen Raumes müsste bei Computerspielen durch Distanz, Fiktionalität und Anonymität vorhanden sein. Wie gefährdet die Privatheit im virtuellen Raum aber dennoch werden kann, zeigen die zunehmenden Problematiken mit dem offenen und unreflektierten Umgang vor allem junger Menschen mit den derzeit boomenden virtuellen sozialen Netzwerken, allen voran „Facebook“. Das unbedachte Äußern privater Meinungen und Vorlieben und die voreilige Zurschaustellung intimer privater Fotos lassen viele Menschen unter öffentlichen Druck geraten, der besonders für junge Menschen bedrohliche Dimensionen annehmen kann.357 Theoretisch sind somit die Mangelerscheinungen der virtuellen Gemeinschaften auch ein Vorteil, da ihre Distanz den früheren öffentlichen Räumen gleicht. In der Praxis jedoch üben die virtuellen Gemeinschaften trotzdem zum Teil enormen Druck auf die SpielerInnen aus, vor allem wenn Gruppenmitglieder verpflichtet werden, zu bestimmten Zeiten online verfügbar zu sein, um der Gemeinschaft Fort-
355 Vgl. Ebda., S. 424-429. 356 Vgl. Lischka, K., Spielplatz Computer, S. 118-119. 357 Die Fälle vom sogenannten „Cybermobbing“ häufen sich. Unter diesem Begriff sind Anfeindungen, Verleumdungen bis hin zu Fällen von Erpressung im Internet zu verstehen
(http://www.kleinezeitung.at/allgemein/multimedia/3146659/wenn-internet-zur-
mobbingfalle.story, 01.11.2012).
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schritte im Spiel zu ermöglichen. Die Suche nach virtueller Gemeinschaft ist ein Indiz für die zunehmende Individualisierung und die damit einhergehenden Einsamkeiten. Internet-Communities bieten lange Zeit die Befriedigung von Sehnsüchten in einem wechselhaften Spiel von Wunsch und Erfüllung. Adamowsky meint jedoch, dass irgendwann der Thrill und die Abwechslung, die magischen Bilder und Visionen, die Erwartungen der Individuen nicht mehr erfüllen können. Es bleibt ihrer Meinung nach ein Gefühl der Verausgabung und des AusgebranntSeins übrig.358 Der reale Körper des Menschen, der nicht ins Netz eingebunden wird, wird sich irgendwann mit seiner Ausgeschlossenheit nicht mehr abfinden können. Das Internet, die Cyber-Communities und letztendlich auch die Spielgemeinschaften können laut Adamowsky nach Jahren des Spielens ihren Glanz und ihre Magie verlieren. Die virtuelle Welt ist kein dauerhafter Heimatort für Menschen. Die Befriedigungen, die im Grunde nach jedem Ausstieg aus der virtuellen Welt dem Alltagstrott weichen müssen, reichen irgendwann nicht mehr aus, um reale Mangelerscheinungen zu überdecken.359 Zusammenfassung Die Identitätskonstruktionen erfolgen innerhalb einer Gruppe auch durch Wettkampfsituationen.360 Dies konnte ich ebenso anhand der „WOW“- Spielergruppe feststellen. Die SpielerInnen messen sich ständig mit anderen Gruppen um die Vorherrschaft in der virtuellen Spielwelt. Dies schweißt die eigene Gruppe zusammen und schafft ein Zugehörigkeitsgefühl und grenzt gleichzeitig gegenüber anderen Gruppen ab. Die Leistungen und Erfolge der eigenen Gruppe werden mittels Statistiken und Bestenlisten der gesamten Spiel-Community präsentiert, oder lassen sich anhand der Erfahrungswerte und Ausrüstungsgegenstände der Spielcharaktere der Gruppenmitglieder ablesen. Aufbauend auf Victor Turners Konzept der „Communitas“ bieten die virtuellen Internet-Gemeinschaften und realen SpielerInnengruppen Räume für gemeinsames Erleben und Handeln und eine Form von Zufluchtsraum und Zuhause.361 Die Mitglieder der von mir untersuchten Gruppe nutzten die Gelegenheit mit Gleichgesinnten diesen Raum als neue Heimat abseits des Alltags einzunehmen und klammerten damit die alltäglichen Probleme aus. Wie Turner darstellt, funktioniert dieser Raum parallel zur Alltagswelt.362 Er war für meine befragte Spielergruppe kein Ort des
358 Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welten, S. 228. 359 Vgl. Ebda., S. 228-230. 360 Vgl. Andris, S., Painting One’s Own Personality, S. 72-73. 361 Vgl. Turner, V., Das Ritual, S. 111. 362 Vgl. Ebda., S. 114.
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Protestes gegenüber der Gesellschaft, deren Erwerbsstrukturen als Basis zur Finanzierung ihres Hobbys gesehen wurden. Ähnlich wie Karaca und Yüksel in ihrer Untersuchung der Technokultur feststellten, fand sich auch bei den Gruppenmitgliedern keine Wut oder Rebellion gegenüber der Alltagsgesellschaft.363 Freizeit und Hobby dienten der Spielergruppe als Ausgleich und Katalysator gegenüber den Problematiken des Alltags. Als kennzeichnend für Gruppenbildungen, vor allem bei Jugendlichen, stellte sich während meiner Untersuchung die Sprache heraus, wie sie bereits Johannes Moser als „komplizenhafte Kommunikation“ darstellte.364 Die Gruppenmitglieder stichelten sich gegenseitig wegen schlechter Leistungen im Spiel an und entwickelten ganz eigene Begriffe und Wortkreationen, die von Außenstehenden nicht verstanden werden. Dies schafft zusätzliche Gruppenidentität und Gemeinschaftsgefühle. Wie Natasha Adamowsky, sehe auch ich durch wachsende Individualisierungstendenzen einen Mangel an Gemeinschaft, der die spielenden Menschen dazu bewegt, diese Gemeinschaften im virtuellen Raum zu suchen.365 Das Besondere an der untersuchten „WOW“-Spielergruppe ist allerdings, dass sie diese Gemeinschaft sowohl virtuell innerhalb der Gilde im Netz herstellten, als auch durch ihre direkten Treffen für Spielabende in der Wohnung. So stellte sich bei ihnen ein doppeltes Erleben eines Heimatgefühles ein. Die Distanz, die virtuelle Gemeinschaften gegenüber realen sozialen Kontakten aufweisen, wurde durch die realen Treffen der Gruppenmitglieder reduziert und neben virtuellen Freundschaften konnten so auch reale Freundschaften entstehen. Allerdings stand bei den Treffen stets das Computerspiel im Vordergrund und so wie Adamowsky bereits feststellte, verlor auch diese Spielgemeinschaft im Laufe der Jahre ihren Glanz und konnte die Suche nach Gemeinschaft nicht langfristig erfüllen.366 Somit löste sich nach dem Ausstieg aus der Spielwelt auch der intensive reale Freundschaftsverbund auf, das gemeinsame Interesse, das bereits zum Lebensmittelpunkt geworden war, ging verloren.
363 Vgl. Karaca, B. u. Yüksel Y., Egal wie alles läuft, bin ich und bleibe ich an Techno gebunden, S. 186-187. 364 Vgl. Moser, J., Kulturanthropologische Jugendforschung, S. 38-39. 365 Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welten, S. 226-229. 366 Vgl. Ebda., S. 228-230.
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J UGEND Medienprodukte werden von Jugendlichen als symbolische Ressourcen verwendet, die es ihnen ermöglichen, eigene Erfahrungen in medienbezogenen Jugendkulturen auszudrücken. Diese Jugendkulturen sind im Alltag der Jugendlichen lokalisiert, der häufig auch von sozialen Problemen und Ausgrenzungen gekennzeichnet ist.367 Es ist jedoch schwer, ComputerspielerInnen als einheitliche Jugendsubkultur aufzufassen. Zu different sind die einzelnen Nutzungs- und Ausdrucksvarianten mit Hilfe des Mediums Computerspiel. Die SpielerInnen unterscheiden sich massiv voneinander, sowohl vom biografischen Werdegang, bis hin zum soziokulturellen Lebenszusammenhang. Computerspiele werden von den Jugendlichen quer durch alle Gesellschaftsschichten genutzt. Natürlich kann beobachtet werden, dass ökonomisch besser gestellte Jugendliche teurere Computeranlagen besitzen und Computerspiele sofort nach ihrem Erscheinen am Markt, wenn sie noch sehr teuer sind, erwerben können. Finanziell benachteiligte Jugendliche müssen sich eher auf gebrauchte Computeranlagen oder ältere und billigere Videospielkonsolen verlegen. Doch ist die gesellschaftliche Bandbreite der Möglichkeit Computerspiele in irgendeiner Form zu konsumieren relativ groß. Zudem variieren die Intensitäten der Spielzeiten der ComputerspielerInnen. Eine Community-Bildung kann sich nur bei jenen Jugendlichen bemerkbar machen, die spürbar Zeit in ihr Hobby investieren. Die große Zahl an GelegenheitsspielerInnen ist dabei auszunehmen, weil diese das Medium mehr konsumieren als gestalten. Jene, die das Medium intensiv nutzen, eignen sich auch bestimmte eigene kulturelle Stile mit Hilfe des Mediums Computerspiel an. Sie formieren sich entweder in kleinere SpielerInnengemeinschaften, wie ich anhand der von mir interviewten Gruppe gesehen habe, oder zu größeren Computerspiel-Cliquen und Communities im realen, oder mehr noch im virtuellen Bereich über das Internet. Die entstehenden Gruppen und Gemeinschaften, in der virtuellen Welt häufig als Clans und Gilden bezeichnet, nehmen dann Formen eines subkulturellen Charakters an. Es entstehen Stile, die für die jeweiligen Gruppenmitglieder kennzeichnend werden. Diese Stile werden laut Andreas Hepp durch eine Bricolage der Computerspielelemente re-kontextualisiert und von den Jugendlichen angeeignet. Sie dienen vornehmlich der Abgrenzung zu anderen Gruppen und zur kulturell dominierenden Gesellschaftsform.368 Seit Computerspiele verstärkt von sozial hegemonialen Gruppen kritisiert werden, fühlen sich ComputerspielerInnen vermehrt als Gruppe und Gemeinschaft zusammengehörend, die zunehmend subkulturelle Züge aufweist. In Deutschland formieren sich bereits Bewegungen und Vereinigungen von SpielerInnen, um ihren
367 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 186. 368 Vgl. Ebda., S. 188-190.
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Anliegen Gehör zu verschaffen, nicht als ComputerspielerIn diskriminiert zu werden.369 Zunehmende Kritik von außen erhöht die Wahrscheinlichkeit zur Bildung von Gemeinschaften subkulturellen Charakters. Dabei steht auch die Abgrenzung gegenüber den Eltern im Zentrum adoleszenter Identitätsentwicklung. Die Eltern stehen den Computerspielen zumeist negativ gegenüber, teils aus berechtigter Sorge gegenüber dem hohen Zeitkonsum, den die Kinder für das Spielen aufwenden. Die Werte der kulturell hegemonialen Schicht, zumeist des Bürgertums, zu denen vielfach auch die Eltern und Erziehungsberechtigten der Jugendlichen zählen, werden als Bedrohung für die eigene gewählte Gruppenzugehörigkeit verstanden. Der nicht zugehörigen restlichen Gesellschaft wird Unverständnis gegenüber der eigenen kulturellen Form attestiert, ComputerspielerInnen fühlen sich selbst gegenüber Gruppenfremden technologisch überlegen. In der Gruppe finden nun die Jugendlichen Menschen mit ähnlichen Erfahrungen, eine wichtige Voraussetzung zur Bildung von Jugendkulturen. Die gesellschaftliche Ablehnung gegenüber Computerspiele, die auf Grund der medial vermittelten Zusammenhänge zwischen Schulmassakern und psychischen Störungsbildern der Jugendlichen entsteht, schweißt die SpielerInnen zusammen. Jugendkulturen bewegen sich immer innerhalb eines Spannungsfeldes zwischen der Kultur der Eltern und deren Stile und dem Bedürfnis mit den vorgegebenen Konventionen zu brechen, andererseits aber auch die elterlichen Erwartungen und Identifikationsmodelle zu erfüllen.370 Diese Distinktionsvorgänge schaffen die Voraussetzungen für den Erhalt subkultureller Gruppen. Somit festigen Angriffe von „Außen“ den Gruppenzusammenhalt und führen zu einer Verbreitung der kritisierten medialen Produkte. ComputerspielerInnen bekennen sich aktiv zu ihrem Hobby und wehren sich gegenüber medialen Vorwürfen. Andererseits üben Medien, die in der öffentlichen Kritik stehen, auch eine gewisse Anziehungskraft des Verbotenen auf die jungen Menschen aus. Wenn Jugendliche in ihrem realen sozialen Umfeld selbst an den Rand gedrängt werden, können Sympathien für gesellschaftlich ebenso kritisierte Medienprodukte entstehen, die damit ein Band von Solidarität knüpfen. Mitdenken muss man im Zusammenhang von Computerspielen und Jugendkulturen jedoch eine ständige Kommerzialisierung der Jugendstile rund um die dynamischen Gruppenbildungen seitens der Industrie. Große Spielgemeinschaften und deren Stile, wie die Communities rund um „WOW“, werden von den Spielfirmen industriell vermarktet und sprechen damit möglichst breite KonsumentInnenschichten an. Dies führt wieder zu einer Auflösung des subkulturellen Charakters der Jugend-Computerspielkulturen, doch können sich trotzdem stetig neue Stilpro-
369 Vgl. Schmidt, C., Wir sind Gamer, S. 120. 370 Vgl. Hebdige, D., Subculture, S. 77.
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duktionen mit unterschiedlichen Bedeutungspotenzialen für diverse große und kleine Gruppen bilden.371 Für den bekannten Jugendkulturforscher Dick Hebdige sind Medien grundlegende Kristallisationspunkte heutiger Jugendkulturen: „Now, media play a crucial role in defining our experience for us. They provide us with the most available categories for classifying out the social world.“372
Diese Rolle können auch Computerspiele einnehmen, jedoch darf der Druck des Marktes auf die KonsumentInnen nicht vernachlässigt werden. Bereits Rolf Lindner wies auf diesen Schwachpunkt innerhalb der Jugendkulturanalyse der Cultural Studies hin. Werbeagenturen greifen die Stile der Jugendlichen auf und vermarkten diese zu ihren eigenen Produkten. Dies erhöht laut Lindner den Druck auf die Jugendlichen stilgerecht aufzutreten, um einer Gruppe zugehören zu können. Somit können die subkulturellen Gruppen nicht nur Ausdrucks- und Entfaltungsmöglichkeiten bieten, sondern auch Zwänge der Zugehörigkeit.373 Heute ist jedoch das Subkultur-Konzept der Cultural Studies immer schwieriger anzuwenden, da es sich laut Rolf Lindner auf Klassenstrukturen bezieht und von einem Hierarchiegefälle zwischen dominanter und dominierter Klasse ausgeht.374 Und tatsächlich befassen sich die klassischen Subkulturstudien vorwiegend mit gesellschaftlichen Randgruppen, wie Punks, Künstlerkommunen, Jugendbanden, etc. Es herrscht in der Jugendkulturforschung eine Vorliebe, das Besondere, die AußenseiterInnen mit alternativen Lebenswelten zu untersuchen.375 Allerdings hat der Begriff der Subkultur laut Rolf Lindner auch einen entscheidenden Vorteil: Er erinnert immer an den Bezug zur vorherrschenden Kultur und den gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen Hauptkultur und Subkultur. Subkulturen sind laut ihm keine autonomen Gebilde, sondern durch die dominante Kultur und ihre spezifische Herkunftskultur mitgeprägt. In den Gegenentwürfen enthalten die Subkulturen das Erbe ihrer Herkunftskultur.376 Da die Kultur des Computerspielens in allen Gesellschaftsschichten zu finden ist, schließt sie die dominante Kultur, wie auch außenstehende Randkulturen, gleichermaßen mit ein. Sie ist kein Ausdruck einer stigmatisierten Minderheit, auch wenn dem Spielen selbst ein über die herrschende Kultur vermittelter Argwohn und
371 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 190-191. 372 Hebdige, D., Subculture, S. 84-85. 373 Vgl. Lindner, R., Apropos Stil, S. 207ff. 374 Vgl. Lindner, R., Subkultur, S. 7ff. 375 Siehe dazu den bereits erörterten Begriff der „Shiny People“, als eine Grundproblematik in der ethnografischen Forschung, S. 31. 376 Vgl. Lindner, R., Subkultur, S. 7-10.
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eine Skepsis gegenüber stehen. Durch die Fragmentierung der Lebenswelten und die Wahlmöglichkeiten der Jugendlichen lassen sich schwer homogene Gruppenbildungen nachweisen und Rückbindungen auf ein soziales Milieu werden kaum möglich. Dies bedeutet allerdings nicht, dass wir uns in einer klassenlosen, homogenen Gesellschaft befinden, denn nach Bourdieu bedeutet es Klassen zu leugnen, auch die Unterschiede und Unterscheidungsprinzipien zu ignorieren. Es existieren nach ihm soziale Räume von Unterschieden, in denen Klassen virtuell existieren, unterschwellig als herzustellende Form.377 Unterscheidungs-, Ungerechtigkeitsbzw. Ungleichheitsmechanismen sind in der Gesellschaft präsent und weit verbreitet, sei es nun offensichtlich, oder in tieferen Schichten eines „Common Sense“ verborgen. Der „Common Sense“ wird dabei von Bourdieu auch als symbolische Gewalt bezeichnet, die sich auf kollektive Erwartungen stützt und die durch einen sozial begründeten und verinnerlichten Glauben als Gewalt gar nicht mehr wahrgenommen wird.378 Diese Mechanismen liegen im Interesse der herrschenden Machtstrukturen, da sie Macht erhaltend und stabilisierend wirken und werden deshalb dementsprechend gefördert. Laut Johannes Moser löst die Individualisierung die jungen Menschen immer mehr aus Gruppenbindungen heraus und das Subjekt gewinnt an Bedeutung. Die Individuen selbst werden entscheidend für die Lebensgestaltung. Die Bedeutung von Klasse und Milieu, sowie die Einbettung des/der Einzelnen darin sinken laut Moser.379 Dies bedeutet für die Menschen mehr Wahloptionen, aber auch den Umstand, dass gesellschaftliche strukturelle Risiken direkt das Individuum betreffen. Das moderne Selbst soll laut Johannes Moser offen, reflexiv, differenziert, flexibel sein; Gruppenbildungen verlaufen daher unter anderen Vorzeichen als bei früheren Generationen. Die Jugendlichen bewegen sich laut ihm in einem Netzwerk unterschiedlicher Interessensverbindungen, je nach Bedürfnisse und Notwendigkeiten. Dementsprechend fluktuieren diese Gemeinschaften und sind schwer festzuschreiben.380 Nach Paul Willis und Simon Jones sind heutige Lebensstile nicht mehr primär Ausdruck einer subkulturellen Jugendkultur, sondern zentrale Aspekte der eigenen Identität, die vorwiegend außerhalb der Arbeitswelt bzw. Schule inszeniert werden. Jugendliche und Erwachsene mit jugendnahen Lebensstilen entwickeln einen privaten Lebensstil, der im Leben einen zentralen Stellenwert einnimmt. Diesen Vorgang nennen Willis und Jones symbolische Arbeit. Die Welt der Freizeit erhält eine entscheidende Bedeutung, Arbeit und Beruf wird nur mehr als Mittel zur Freizeit-
377 Vgl. Bourdieu, P., Praktische Vernunft, S. 25-26. 378 Vgl. Ebda., S. 174. 379 Vgl. Moser, J., Kulturanthropologische Jugendforschung, S. 34. 380 Vgl. Ebda., S. 34ff.
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gestaltung gesehen und trägt nicht mehr zur Identifikation innerhalb des soziokulturellen Umfeldes bei.381 Somit lässt sich auch die große Popularität der Computerspiele erklären. Sie bieten Möglichkeiten der Gruppenbildung, aber auch vor allem eine Möglichkeit der Entwicklung eines privaten Stiles und Freizeitverhaltens abseits der Arbeitswelt oder des Schulalltages. Mit Hilfe des oben genannten Begriffes der symbolischen Arbeit formen und verarbeiten ComputerspielerInnen die medialen Ressourcen um, damit sie sich eine eigene kulturelle Identität konstruieren können. Aus dieser Umformung beziehen die KonsumentInnen ihr Vergnügen. Medien und damit auch die Computerspiele werden in die Lebensumwelt integriert, die jungen Menschen eignen sich Wissen für den Medienumgang an. Dadurch werden Medien zu einem zentralen Bezugspunkt in der Jugendkultur. Dieser Vorgang ist aktiv und nicht per se manipulierend. Allerdings dürfen bei der Betrachtung dieser kreativen Aneignung nicht die Problematiken des Alltags und Berufsleben der Jugendlichen übersehen werden, die allzu oft von Gewalt, Ängsten, Frustrationen, Arbeitslosigkeit und Orientierungslosigkeit geprägt sind.382 Computerspiele sind Teil der Populärkultur und vermarkten sich gemeinsam mit ihrem Schwestermedium Film und Fernsehen. Computerspiele sind „Pop“ und nützen werbewirksame Auftritte im TV.383 Die schnell geschnitten Werbespots sprechen Jugendliche der „MTV“- Kultur an und reihen sich nahtlos in den Hochglanz- Musikvideos, Serien, und Reportagen ein. Sie bilden einen Teil des Konglomerats von Werbeproduktionen, die auf die Zielgruppe der Jugendlichen zugeschnitten sind. Die Spiele nutzen die Perspektiven und Schnittfolgen der Video- und Filmindustrie und schaffen damit für die jugendlichen SpielerInnen vertraute Bilder und Anknüpfungspunkte. So gesehen gleichen heutige Medienprodukte immer mehr Cross Over-Produktionen, mit einer speziell auf die Jugend und jungen Erwachsenen abgezielten Ästhetik. Ein weiterer Punkt, warum Computer, Internet und schließlich Computerspiele gerade für Jugendliche eine entscheidende Bedeutung haben, ist die Bereitstellung eines Ortes. Im öffentlichen Raum werden verfügbare Plätze für Jugendliche immer seltener. Durch verdichtete Bebauung und Massenmotorisierung, vor allem im städtischen Bereich, nehmen die möglichen Spielorte im sozialen Umfeld massiv ab. Die Spielräume der Jugendlichen verlagern sich vom öffentlichen Raum in geschlossene und geschützte Räume, wie das Zuhause. Dort bieten digitale Medien entsprechende Ersatzräume und Erweiterungen zum realen Raum an. In diesen Räumen können nun Kompensationsmechanismen stattfinden, die den verlorenen städtischen Raum durch weite, virtuelle Fantasieräume erweitern, in denen die
381 Vgl. Willis, P. u. S. Jones, Jugendstile, S. 20-40. 382 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 201-203. 383 Vgl. Lischka, K., Spielplatz Computer, S. 60-61.
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Jugendlichen Abenteuer erleben können.384 Räume, die dazu geeignet sind aus der strengen Reglementierung und Bürokratisierung der Alltagsräume zu entfliehen. Jugendliche müssen sich Räume aneignen, um gegenüber der Erwachsenenwelt eine gewisse Autonomie als Form des Widerstandes aufweisen zu können. Nach Johannes Moser sind diese Räume Interaktions- und Kommunikationspunkte und besitzen einen symbolischen Wert, als dass sie Jugendlichen das Gefühl vermitteln, hier ihre Umwelt ohne Einfluss der Erwachsenen kontrollieren zu können. Die öffentliche Raumaneignung der Jugendlichen an Hand des Beispiels Frankfurt lag laut Moser bei 80-85% männlicher Jugendlicher. Hier scheinen die männlichen Jugendlichen in der Regel durch ihre Erziehung in ihrer Autonomie wesentlich mehr gefördert zu werden.385 Ähnliches scheint nun auch bei der Aneignung des virtuellen Raumes der Computerspiele zu zutreffen. Auch hier eignen sich aus Gründen der Erziehung und der Geschlechtersozialisation männliche Jugendliche schneller und intensiver diese virtuellen Räume an. Allerdings ist dieser Punkt nur in Verbindung mit den bereits dargestellten Faktoren der historischen Entwicklung der Spiele und unserer patriarchalen Gesellschaftsstruktur zu begreifen.386 Fest steht, dass sich Jugendliche virtuelle Orte offenbar in ähnlicher Weise aneignen, wie den immer mehr im Verschwinden befindlichen öffentlichen Raum. Virtuelle Räume werden somit kontrollierte Rückzugsgebiete von der dominanten Erwachsenenwelt. Ähnlich der realen Räume, die in Jana Binders Untersuchung über die städtische Skateboard-Jugendkultur beschrieben wurden, sind sie Räume, die den Wunsch nach einer Loslösung vom Elternhaus verstärken und in denen sehr viel Zeit verbracht wird. In den Gemeinschaften fühlen sich die Jugendlichen verstanden und unter Gleichgesinnten. Die Entscheidung für den Spielraum nehmen die Jugendlichen laut Binder aktiv und selbstbestimmt wahr.387 Die untersuchte Spielergruppe hat sich einen Raum geschaffen, der Sicherheit und Schutz als Rückzugsgebiet bietet. In diesem Raum üben sie die Kontrolle aus, hier sprechen sie ihre gemeinsame Sprache. In dieser Sphäre funktioniert die Distinktion gegenüber „den Anderen draußen“ perfekt. Mit Hilfe dieses Raumes können sie auch dem beengten Alltagsraum entfliehen. Sie weichen temporär dem Druck aus, der auf ihnen in der Schule und im Beruf lastet. Zugleich emanzipieren sie sich durch ihren eigenen geschaffenen Raum von der Kultur der Eltern, aber grenzen sich auch von der hegemonialen Kultur ab. Nach Natascha Adamowsky gestaltet sich der Cyberspace als potentieller intermediärer Raum, der von Adoleszenzerscheinungen bestimmt wird. Ein Ort, wo laut ihr das Erkunden selbst
384 Vgl. Wink, St. u. Lindner K., Kids & Computerspiele S. 50. 385 Vgl. Moser, J., Kulturanthropologische Jugendforschung, S. 42-43. 386 Siehe Kapitel Geschlechterrollen. 387 Vgl. Binder, J., Ich leb mit dem Skateboard in der Hand, S. 101-102.
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neu entdeckt werden kann, das „Mit-Anderen-Sein“ für sich neu erfunden wird. Für Adamowsky geht es dabei um das Erwachsenwerden in einer technologischen Kultur in Zeiten von individuellen und soziokulturellen Krisen und der entsprechende Umgang mit ihnen.388 Computerspiele, Cyberspace, Chats und Internet begleiten die jungen Menschen beim Erwachsenwerden, während traditionelle Adoleszenz- und Übergangsriten im Verschwinden begriffen sind, bzw. nur mehr inhaltslose Hüllen anbieten können. Mit Hilfe ihres ludischen Potentiales bieten diese Räume den Menschen Spielplätze des Experimentierens und Erfahrens an, die im realen Leben, wo es in erster Linie um das Funktionieren im Gesellschaftsverbund geht, kaum mehr zu finden sind. Spiele und auch der Cyberspace beziehen ihre Faszination durch die Antworten auf die Frage „was wäre wenn“ und das beliebige Ausprobieren. Sie können allerdings auf Dauer keine adäquaten und befriedigenden Antworten auf die Problematiken des realen sozialen Alltags liefern, sondern nur temporäre Entlastungen anbieten. Die reale Welt bietet den Menschen kaum zweite Chancen und verzeiht keine Fehler; es können keine Speicherpunkte und Spielstände abgelegt werden, um Lebenssituationen neu zu meistern, genauso wenig kann der Schwierigkeitsgrad des realen Lebens verringert werden. Schnell werden viele ComputerspielerInnen aus der virtuellen Welt der Spiele im realen sozialen Leben wieder auf den Boden der Realität gebracht. Zusammenfassung Es ist schwer, bei der von mir untersuchten Spielergruppe von einer einheitlichen Subkultur im Sinne der Jugendkulturanalysen der Cultural Studies389 zu sprechen. Zu Recht weist Andreas Hepp auf die zunehmende Kommerzialisierung der Jugendstile hin, die ihren subkulturellen Charakter auflöst.390 Dies sieht auch Rolf Lindner, der auf das Produktmarketing großer Konzerne hinweist, das die Stile der Jugendlichen aufgreift und mit eigenen Produkten vermarktet.391 Die untersuchte Spielergruppe richtete ihr Freizeitleben auf das Spielen der Computerspiele aus und schuf sich einen subkulturähnlichen Raum parallel zur Hauptkultur. Im realen öffentlichen Raum traten die Gruppenmitglieder aber nie als „Computerspieler“ mit eigenem Stil erkennbar auf, sondern beschränkten das Ausleben ihres Hobbys auf den privaten Bereich. Im Netz aber schlossen sie sich der inhomogenen Kultur der Online-SpielerInnen an und nutzten dadurch die kommerziellen Produkte der SpielproduzentInnen, die ihre Spiele durch gezieltes Marketing den Wünschen der Ju-
388 Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welten, S. 230. 389 Siehe dazu Hebdige, D., Subculture, S. 77ff. 390 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies und Medienanalyse, S. 190-191. 391 Vgl. Lindner, R., Apropos Stil, S.2 07ff.
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gendlichen anpassen bzw. die Bedürfnisse der KonsumentInnen in gewünschte Richtungen lenken. Dieser Kultur der ComputerspielerInnen beizutreten fällt im Normalfall sehr leicht: Nur der Avatar der SpielerInnen bewegt sich im Netz, die SpielerInnen selbst bleiben anonym hinter dem Bildschirm. Trotzdem konnte die Spielergruppe mit Hilfe der Spielfiguren selbst kreierte Stile virtuell ausleben, wenn auch stark beeinflusst von den Vorgaben der ProduzentInnen. Sie schaffte sich ihren temporären subkulturellen Raum durch gemeinsame Kommunikation, spezielle Spielweisen und kreative Aneignung des Medienproduktes Computerspiel. Dabei geht es nicht darum, sich gegen eine Hauptkultur zu stellen, sondern vielmehr einen geschützten Spielraum parallel zum realen sozialen Raum zu errichten. Ein Vorgang, den bereits Jana Binder anhand städtischer Jugendkulturen aufzeigte.392 Diese Räume sind Rückzugsorte gegenüber der hegemonialen Kultur der dominanten Erwachsenenwelt, Räume in den sich die jungen Menschen verstanden fühlen, da sie unter Gleichgesinnten sind. Dieser Vorgang basiert auf Willis und Jones Begriff der „Symbolischen Arbeit“, anhand dessen sie den Vorgang beschreiben, wie Jugendliche private Lebensstile mit Hilfe der Aneignung von Medien, in meinem Fall der Computerspiele, kreieren.393 Arbeit und Beruf wird, wie auch meine Untersuchung zeigt, für die Gruppenmitglieder nur mehr als Gelderwerb und damit als Mittel für die Freizeitgestaltung gesehen, die den zentralen Stellenwert im Leben der jungen Menschen einnimmt.
392 Vgl. Binder, J., Ich leb mit dem Skateboard in der Hand, S. 101-102. 393 Vgl. Willis, P. u. S. Jones, Jugendstile, S. 20-40.
Schlussbemerkungen
Ziel dieses Buches war es, die vielfältigen Möglichkeiten einer kulturanthropologischen Analyse der Wirkungsweisen von Computerspielen auf die SpielerInnen und die Gesellschaft aufzuzeigen. Mit Hilfe einer Betrachtung von medientheoretischen Diskursen, der Analyse von Spielproduktion und Konsumtion wurde ein dichtes Bild des komplexen Phänomens Computerspiel nachgezeichnet und die Spiele im Alltagsleben der spielenden Menschen verortet. Computerspiele prägen die Menschen im Denken und Handeln und hinterlassen Spuren nicht nur in der virtuellen Spielwelt, sondern auch im alltäglichen Leben. Ich konzentrierte mich bei meiner empirischen Forschung auf die teilnehmende Beobachtung und Befragung von spielenden Jugendlichen als Gewährspersonen, die eine Spiel-Community sowohl im virtuellen Cyberspace, als auch am realen, lokalen Ort einer Wohngemeinschaft bildeten. Diese Fokussierung erlaubte es mir, die Funktionsweisen der Computerspiele und ihren besonderen Aneignungsvorgang intensiver und vertiefend, vor allem im Bezug auf die konkrete Lebenswelt der Spielergruppe herauszuarbeiten. Computerspiele weisen, trotz ihrer möglichen Breite, ähnliche und typische Funktionsweisen auf, die die spielenden Menschen beeinflussen können. Zusätzlich führte ich noch weiterführende Gespräche mit einer Computerspielerin, um mir Einblicke in die Welt spielender Frauen zu verschaffen. Ein besonderer Vorteil für die qualitative Erforschung erwies sich die Einführung in die Gruppe durch eine Freundin. Dies schaffte, im Sinne Bourdieus, Nähe und Vertrautheit als Bedingung einer barrierefreien Kommunikation, die durch das Teilen einer gemeinsamen kulturellen Lesart, dem Computerspielen, noch verstärkt wurde und entscheidend für die Informationsgewinnung war.1 Die Fokussierung auf eine beschränkte Auswahl an Gewährspersonen ermöglichte die entsprechende Tiefe der Kommunikation, die aus einer sozialen Nähe zu den befragten Personen zusätzlich gespeist wurde. Ich konnte den jungen Menschen somit die Möglichkeit und den Raum bieten, selbst zu sprechen und ihre Erfahrungen mitzuteilen. Dies führte, wie auch Elisabeth
1
Vgl. Bourdieu, P., Das Elend der Welt, S. 781-785.
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Katschnig-Fasch in ihrem Buch „Das ganz alltägliche Elend“ feststellte, zu einer strukturellen Ähnlichkeit mit den befragten Personen, die ein besseres „Hineindenken“ und „Hineinfühlen“2 in die Lebenswelt der untersuchten Menschen ermöglichte und so ein Verstehen im Sinne Bourdieus herausbildete.3 Als Grundlage der medientheoretischen Diskurse verwendete ich die Studien der Cultural Studies. Dafür erweiterte ich das „Encoding/Decoding“-Modell Stuart Halls4 hin zur Anwendung für eine Medientransferanalyse von Computerspielen und untersuchte die Computerspiele in ihrer Produktion und vor allen in der Aneignung durch die SpielerInnen. Dabei stellte ich Halls idealtypische Positionen der möglichen Lesarten mit den empirisch erfassten realen Positionen im Bezug zum Medientext der Spielergruppe gegenüber. Durch die empirische Forschung konnte ich diesen Aneignungsvorgang nicht nur theoretisch, sondern direkt beobachtbar an den SpielerInnen analysieren und feststellen, inwieweit Theorie und Praxis übereinstimmen oder wo Differenzen auftreten. Dieser Zugang hat den wesentlichen Vorteil, dass er Theoriekonzepte permanent auf ihre Gültigkeit und Anwendbarkeit überprüft. Vorteil gegenüber rein theoretischen Abhandlungen über Computerspiele und Medientheorien ist das Erfassen einer lebensnahen Aneignung der Computerspiele und der tatsächlichen Auswirkungen des Computerspielens auf die SpielerInnen. Dennoch erlaubte es mir dieser empirische Zugang, die gängigen Medientheorien und Forschungsergebnisse über Computerspiele mit meiner empirischen Forschung in Verbindung zu setzen. Neben Stuart Halls Konzept des „Encoding/Decoding“ griff ich auch auf John Fiskes Theorien über die Möglichkeit eines kreativen Aneignungsprozesses von Medienprodukten zurück und wie die Menschen daraus Vergnügen erzeugen können.5 Mit Hilfe dieser theoretischen Grundlage konnte ich in der Praxis aufzeigen, wie ComputerspielerInnen aus ihrer Spielaneignung heraus neue, für sie wichtige Bedeutungen und Spielräume herstellen und dafür das Medienprodukt Computerspiel kreativ verwenden. Computerspiele sind ein kommerzielles Konsumprodukt. Sie führen aber zur Aneignung und Herausbildung einer zuerst vordefinierten Jugendkultur, die sich die Jugendlichen in einem kreativen Prozess zu „Eigen“ machen. Als Ausgangslage dienten mir dabei die Jugendkulturforschungen der Cultural Studies, allen voran die Studien von Dick Hebdige,6 Paul Willis & Simon Jones7 sowie Rolf Lindner. Wie Lindner die Problematik der Kommerzialisierung von Jugendstilen und damit das
2
Vgl. Katschnig-Fasch, E., Das ganz alltägliche Elend, S. 359-361.
3
Vgl. Bourdieu, P., Das Elend der Welt, S. 779-782.
4
Vgl. Hall, S., Kodieren/Dekodieren, S. 92-113.
5
Vgl. Fiske, J. Television Culture, S. 65-86.
6
Vgl. Hebdige, D., Subculture, S. 77ff.
7
Vgl. Willis, P. u. S. Jones, Jugendstile, S. 20-40.
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Herauslösen aus einem Subkulturkonzept beschrieb,8 konnte ich anhand der Computerspielproduktion und Vermarktung nachvollziehen. Es zeigte mir aber auch, dass man bei Computerspiel- Communities nicht mehr vom klassischen Konzept einer Subkultur sprechen kann, die widerständig und oppositionell zur Hauptkultur steht. Im Sinne von Paul Willis und Simon Jones stellen die Gemeinschaften Räume für die jungen Menschen zur Verfügung, in denen sie sich geschützt vor der Hauptkultur der Erwachsenen emanzipieren und entfalten können und dazu mittels „Symbolischer Arbeit“ Bedeutungen aus dem Medienprodukt Computerspiel herstellen.9 Die SpielerInnen schaffen durch die Identifikation mit den Spielcharakteren und der kulturellen Reproduktion während des Spielens sowohl die subjektiven Identitäten zu stabilisieren bzw. auch Gruppenbildungen in Form von realen Peer Groups, deren gemeinsames Interessensgebiet und verbindender Punkt das Computerspielen ist. Die realen Peer Groups können sich auch abseits der virtuellen Welt festigen und sich zu längerfristigen Freundschaften entwickeln, wie ich anhand der empirischen Forschung feststellen konnte. Parallel dazu entstehen Gruppenbildungen in Form von virtuellen Communities, wo komplementär zur realen Welt, Anerkennung für die erreichten Erfolge möglich ist. Diese virtuellen Communities können mit Victor Turners Konzept der „Communitas“ verglichen werden. Sowohl die virtuellen Internet-Gemeinschaften, als auch, wie ich feststellen konnte, die realen lokalen Gemeinschaften generieren Räume für gemeinsames Erleben und Handeln und eine Form von Zufluchtsraum und Zuhause.10 Der virtuelle Ort wird für die SpielerInnen zur Heimat, sie eignen sich ihn an, gleich der realen Orte. Er wird zum Ausdruck und zur Spielwiese der eigenen Identität und Erfahrung, auch wenn es sich nur um einen elektronisch erstellten Raum handelt. Die virtuellen Orte sind keine „Nicht-Orte“, da in ihnen in großem Maße Bedeutungen erstellt und Bedürfnisse befriedigt werden, sowie Identitätskonstruktionen stattfinden. Dies kristallisierte sich anhand meiner teilnehmenden Beobachtung und der Gespräche mit SpielerInnen klar heraus. Ich möchte diese Forschungsergebnisse mit den Beobachtungen von Silke Andris für die reale Raumaneignung junger Menschen im städtischen Bereich vergleichen, die sich ebenfalls sogenannte „Nicht-Orte“ an der städtischen Peripherie nutzbar machen11 und damit auch die Wichtigkeit eines virtuellen Raumen betonen, der in diesem Sinne nicht weniger real und wirklich ist, wie der reale, soziale Ort.12 Laut Victor Turner und Edward
8
Vgl. Lindner, R., Apropos Stil, S. 207ff.
9
Vgl. Willis, P. u. S. Jones, Jugendstile, S. 20-40.
10 Vgl. Turner, V., Das Ritual, S. 111. 11 Vgl. Andris, S., Painting One´s Own Personality, S. 79-80. 12 Vgl. Sülzle, A., Einsame neue Welt?, S. 3.
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M. Bruner ist unsere Realität eine Interpretation unserer gelebten Erfahrungen,13 deshalb wird die gelebte Erfahrung in Computerspielen ebenfalls zu einer realen Erfahrung für die SpielerInnen. Meine empirischen Forschungsergebnisse weisen deutlich auf die zentrale Bedeutung der gelebten Raumerfahrung in der Computerspielwelt hin und zeigen, wie sehr die virtuelle Spielwelt im Alltagsdenken der SpielerInnen verankert ist. Der virtuelle Ort wird ganz im Sinne Erving Goffmans, dessen Studien über das Rollenverhalten der Menschen14 als Ausgangslage für meine Untersuchungen über das Rollenspielverhalten der computerspielenden Menschen dienen, zu einer Bühne der „Performance“ für ComputerspielerInnen. Allerdings wird diese „Performance“ nicht direkt, sondern mit virtuellen Stellvertreterfiguren durchgeführt. Der virtuelle Raum ist dermaßen konkret, dass sich darin Gemeinschaften und Freundschaften bilden, die in den realen Raum hineinreichen können. Er beeinflusst das Denken, Handeln und Fühlen der Menschen. Das Spielen von Computerspielen ist deshalb kein reiner Eskapismus, wie Dorothey Hobson bereits anhand ihrer Untersuchung der Rezeptionsweisen von Fernsehserien feststellte,15 sondern die Aneignung eines virtuellen Ortes, in dem Problematiken des Alltags auf differente Weise verhandelt werden können. Der Spielraum diente den befragten Gruppenmitgliedern als Erlebnis- und Diskussionsraum, in dem neben den virtuellen Spielhandlungen durchaus auch Alltägliches aufgearbeitet wurde. Spielen bedeutet für die SpielerInnen auch mit der Spielhandlung oder der Spielfigur zu experimentieren, Nervenkitzel und Gefahr zu erleben, ohne wirklich gefährdet zu sein. Die ständige Wiederholbarkeit verzeiht Fehler und schafft Anreize, die virtuellen Problemstellungen zu lösen. Die virtuellen Communities bieten einen Raum gemeinsamen Erlebens und Handelns und damit eine Form von Heimat. Sie sind Räume, in denen ein gemeinsamer Lebensstil geteilt werden kann. Man spricht die gleiche Sprache und hat die gleichen Erfahrungen. Die Sprache der Jugendlichen stellte sich während meiner Untersuchung als kennzeichnend für Gruppenbildungen heraus, wie sie bereits Johannes Moser als „komplizenhafte Kommunikation“ darstellte.16 Die Gruppenmitglieder ärgerten sich gegenseitig wegen schlechter Leistungen im Spiel und entwickelten ganz eigene Begriffe und Wortkreationen, die von außenstehenden Menschen nicht verstanden werden. Die virtuellen Gemeinschaften sind aber nicht sozial fest strukturiert, wie traditionelle Gemeinschaften, sondern spontaner und unmittelbarer. Die Gruppenzugehörigkeit ist schnelllebiger und fluktuierender, als sozial konstruierte Gruppen. Sie funktionieren parallel zur Gesellschaft und entfal-
13 Vgl. Bruner, E., Experience and its Expressions, S. 4ff. 14 Vgl. Goffman, E., Wir alle spielen Theater, S. 23 ff. 15 Vgl. Hobson, D., Crossroads, S. 124ff. 16 Vgl. Moser, J., Kulturanthropologische Jugendforschung, S. 38-39.
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ten sich vornehmend in der Freizeitgestaltung, wie Turner für die „Communitas“ bereits dargelegt hat.17 Die Spielgemeinschaft war für die Gruppenmitglieder kein Raum des Protestes gegenüber der Gesellschaft, deren Erwerbsstrukturen als Basis zur Finanzierung ihres Hobbys gesehen wurde.18 Freizeit und Hobby dienten der Spielergruppe als Ausgleich und Katalysator gegenüber den Problematiken des Alltags. Damit üben Computerspielgemeinschaften eine stabilisierende Funktion gegenüber der Alltagswelt aus. Wie die meisten Freizeitbeschäftigungen dienen sie dadurch auch als Ausgleichsfunktion und Katalysator. Die Internet-Communities weisen einen flüchtigen Charakter und fehlende Authentizität auf. Wirkliche Nähe auf Dauer schaffen nach wie vor nur die Beziehungen im realen Dasein. Dennoch können virtuelle Beziehungen und Gemeinschaften bereichernd sein, ersetzen können sie reale Beziehungen und Freundeskreise jedoch nie. Eine Besonderheit stellte die untersuchte Gruppe gegenüber virtuellen Gemeinschaften dar: Sie spielte sowohl innerhalb der virtuellen Netzgemeinschaft, als auch gemeinsam in einem lokalen Wohnraum, wo sie sich regelmäßig trafen. Dadurch konnten sich Freundschaften und soziale Kontaktbeziehungen zwischen den Gruppenmitgliedern stärker vertiefen, als dies ausschließlich im virtuellen Raum möglich gewesen wäre. Kontakte außerhalb der Gruppe wurden dennoch reduziert. Das Virtuelle und das Reale auseinanderhalten: das birgt einerseits die Problematik von der Diskrepanz realer Durchschnittlichkeit („Durchschnittscharakter“) und virtuellem Heldentum, bzw. realer (schulischer und beruflicher) Alltagsnormalität und virtueller Erfolgsgarantie, die die Spiele den SpielerInnen vermitteln. Als Ausgangspunkt meiner Untersuchungen der HeldInnenbilder wählte ich Carl Gustav Jungs Theorien19 über Archetypen, Heldenbilder und Heldenreisen und wendete sie auf die virtuellen Spielgeschichten der Computerspiele an, ähnlich wie es bereits Rebecca Tews20 versucht hatte. Es wird dadurch deutlich, wie stark die Computerspiele von archetypischen Bildern geprägt sind. Das Bild vom Helden, der nach langen Entbehrungen am Ende seiner Reise „Großes“ vollbracht hat, über sich hinausgewachsen ist und das hereingebrochene Chaos besiegt, bzw. die Ordnung wieder herstellt, ist in nahezu jedem Abenteuercomputerspiel finden. In die Rolle des/der HeldIn zu Schlüpfen motiviert die SpielerInnen und schafft die Befriedigung große Aufgaben zu lösen und erfolgreich zu sein. HeldInnen sind die zentralen Identifikationsfiguren für die SpielerInnen und ihre Erscheinung ist dement-
17 Vgl. Turner, V., Das Ritual, S. 114. 18 Siehe dazu auch Karaca, B. u. Yüksel Y., Egal wie alles läuft, bin ich und bleibe ich an Techno gebunden, S. 186-187. 19 Vgl. Jung, C. G., Gesammelte Werke 7, S. 245ff. 20 Vgl. Tews, R., Archetypes on Acid, S. 174-176.
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sprechend entscheidend für sie. Sie repräsentieren all jene Vorzüge, die die Menschen im Alltag gerne ihr eigen nennen würden. Die virtuelle Stellvertreterfigur ist unsterblich, besitzt einen makellosen Körper und kennt keine Angst und Furcht. Deshalb ist die Erstellung bzw. Erschaffung dieser Figuren für die SpielerInnen sehr wichtig und ein bedeutender Bestandteil des Spieles, in das sie viel Zeit investieren. Letztendlich präsentieren die Spiele, wie C.G. Jung bereits mit Hilfe der Archetypen21 beschrieb, eine Reise der HeldInnen, die sich am Ende dieser Reise durch Lebenserfahrung zu perfektionierten Charakteren entwickeln. Mit dem selbst erstellten Charakter Prüfungen zu bestehen, bietet den SpielerInnen ein großes Maß an Erfolgserlebnissen, die sie in der Realität oftmals vermissen. Das zentrale Element von Computerspielen, insbesondere Rollenspielen, liegt in der virtuellen Aufgabenstellung bzw. ihrer Erfüllung und den einhergehenden Erfolgserlebnissen, wie ich anhand des Spielverhaltens der von mir beobachteten SpielerInnen ablesen konnte. Wie bereits Peter Kathe22 festgestellt hat, ist es den SpielerInnen möglich, eine „virtuelle Karriere“ aufzubauen, ihre Figur weiterzuentwickeln und in der Spielwelt Macht und Einfluss zu erlangen. Der Karriereweg der Spielfigur ist ein wesentliches Charakteristikum des Spiels, in dem die Mythenwelt mit der realen Gesellschaft eng verwoben ist und bei dem reale, kapitalistische Gesellschaftsvorstellungen in die Spiele eingebaut werden. Dies schafft für die spielenden Menschen Vertrautheit mit der virtuellen Welt, da sie diese Vorgänge aus der realen Welt bereits kennen, allerdings mit dem großen Unterschied, dass der Karriereweg nun virtuell mit Gewissheit zu bewältigen ist. Allerdings benötigen die Spiele auch einen Kontrast zum Alltag: Eine mythische und magische Gegenwelt, die die SpielerInnen fasziniert und in ihren Bann zieht. Die erstellten archaischen HeldInnenfiguren mit ihren magischen Möglichkeiten und die mystischen Spielwelten mit wildromantischen Landschaften und exterritorialen Gebieten, bieten diesen Unterschied zum Alltag. Die Wichtigkeit dieses Kontrastes zum alltäglichen Leben betonte bereits Roberta Schaller-Steidel.23 Die Spielwelten der Computerspiele, ihr faszinierendes Erfahren und Erleben durch die SpielerInnen bestätigen dies. Die virtuellen Spielwelten reflektieren die zeitspezifischen Einflüsse der Populärkultur und verbinden die archaischen Mythen zu Trivialmythen.24 Die SpielerInnen vermischen die HeldInnendarstellungen, welche keiner kulturellen Logik entsprechen müssen und kulturspezifische Grenzen sprengen. Zeitalter oder Historie spielen im spielerischen virtuellen Raum eine untergeordnete Rolle, Mythen vermischen sich mit Wahrheiten und Halbwahrheiten, die vor allem für jüngere Spiel-
21 Vgl. Jung, C. G., Gesammelte Werke 7, S. 245ff. 22 Vgl. Kathe, P., Struktur und Funktion von Fantasy-Rollenspielen, S. 47-48. 23 Vgl. Schaller- Steidl, R., Abenteuerlich, über Abenteuer zu schreiben…, S. 8. 24 Vgl. Adamosky, N. Spielfiguren in virtuelle Welten, S. 232.
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erInnen schwer auseinander zu halten sind. Für die Mitglieder der Spielergruppe schien die bunte Mischung aus Fantasy-Figuren ein wesentlicher Reiz der Spielwelt zu sein. Besonders mittelalterlich gestaltete Spielumgebungen erweckten für einige Mitglieder der Spielergruppe den Anschein, als ob etwas tatsächlich reales Vergangenes in den Spielen dargestellt werden würde. Mythen und Märchenbilder manifestieren sich im Denken der SpielerInnen. Traditionsreiche Mythen überleben die wandelnden ökomischen Bedingungen25 und liefern symbolische Erklärungsmodelle für zeitlose Wahrheiten, die die Spielwelten vom Alltag abheben.26 Mythen lassen somit für die SpielerInnen übergeordnete Wahrheiten entstehen, die zwar nicht beweisbar sind, aber den Eindruck immerwährender Gültigkeit hervorrufen. Für die Gruppenmitglieder schien es z.T. so, dass es in archaischen Zeiten tatsächlich Magie und Zauber gegeben habe könnte, was wiederum entscheidend für die Konsumtion der Spiele ist und ihnen eine gewisse Form von mythischer Authentizität verleiht. Wie Andreas Hepp ausgeführt hat, lösen Mythen Widersprüche und Ungerechtigkeiten auf symbolische Art und Weise auf. Sie machen letztendlich die lebenspraktischen Widersprüchlichkeiten durch eine höhere Sinngebung mit dem alltäglichen Leben der Menschen wieder vereinbar.27 In meiner Untersuchung konnte ich diese Funktion der Mythen in den Computerspielen feststellen. Die Spiele gaben den SpielerInnen immer einen „höheren Sinn“ und ein Ziel, das es zu erreichen galt. Dies schaffte Ordnung und Orientierung und ließ die alltäglichen Unsicherheiten temporär verschwinden. In diesem Sinne vermitteln Computerspiele durch das Bestehen und Meistern von Gefahren und die Überwindung des Todes symbolische und vorbildliche Handlungsmöglichkeiten. Sie zeigen auf, dass Verlust, Tod, Trauer und Schmerz zum Dasein gehören und am Ende die Erlösung folgt.28 Dadurch geben Mythen über die Medien Hoffnung. Unsere gesamte Kultur und unser Denken sind nach dualistischen Prinzipien aufgebaut, wie bereits bei Carl Gustav Jung zu lesen ist.29 Archetypen sind stark dualistisch geprägt, das Böse ist als Gegenpart zum Guten immer präsent und kann bekämpft werden. Wie Rebecca Tews sehe auch ich die Konflikte zwischen Gut und Böse, Licht und Schatten als prägend für Computerspiele.30 Sie geben den meisten Computerspielen einen nachvollziehbaren Sinn und die Notwendigkeit der Konflikte wird erklärt. Die SpielerInnen sprachen von einer enormen Befriedigung, die ein Sieg über das Böse bietet. Ähnlich dualistisch ist das Bild von Mann und
25 Vgl. Friedl, H., Die zahme Anarchie des Abenteu(r)er’s, S. 11. 26 Vgl. Schindler, W., Doomes Zeug – Fragwürdige Computerspiele, S. 36. 27 Vgl. Hepp, A., Cultural Studies u. Medienanalyse, S. 131. 28 Vgl. Rehak, B., Playing at Being, S. 114-115. 29 Vgl. Jung, C.G., Gesammelte Werke, 11, S. 83ff. 30 Vgl. Tews, R., Architypes on Acid, S. 179.
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Frau im Archetypus geprägt und die Rollen werden klar definiert. Eigenschaften und Handlungsweisen werden im Mythos jedem Geschlecht archetypisch zugeschrieben. Abweichungen von den vorgegebenen Idealvorstellungen bestraft die Erzählung, wie bereits bei Theweleits Analyse der Soldatenromane zu beobachten ist.31 Dadurch festigen Mythen und Archetypen die Bilder und Rollenverteilung von Mann und Frau in der Gesellschaft; die Medien dienen als Mittler dieser Definitionen. Computerspiele sind geprägt durch eine stereotypische Geschlechterrollenaufteilung. Sie beinhalten traditionelle, konservative Rollenbilder von Frauen und Männern und bestimmen dadurch auch die Wertvorstellungen der SpielerInnen mit, wie ich anhand der von mir untersuchten Gruppe feststellen konnte. Die Leistungen der spielenden Frauen wurden nicht anerkannt und spielende Männer als die wesentlich besseren Computerspieler gesehen. Frauen wird dabei die fehlende Bereitschaft unterstellt, die nötige Zeit in Computerspiele zu investieren bzw. Technikkompetenz in Abrede gestellt. Damit wird Bourdieus Theorie der Geschlechtersozialisation, die eine symbolische Herrschaft der Männer bzw. die männliche Dominanz im gesellschaftlichen Hierarchiesystem feststellt,32 bestätigt. Sabine Collmer wies in diesem Zusammenhang auf die Problematiken für Frauen hin, die technische Berufe ergreifen. Ihre Kompetenz wird in Frage gestellt, ihr Können und Wissen müssen sie ständig bestätigen.33 Dies drückt sich auch in den Meinungen und Aussagen der befragten Gruppenmitglieder aus. Offenbar wird das Eindringen in „Männerdomänen“, wie Computerspiele zum Teil noch zu begreifen sind, von den männlichen Spielern nicht toleriert. Gewaltintensive Medienprodukte wie Computerspiele führen nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Gewalt in der Realität, wie meine Forschung zeigte. Sie spiegeln aber das tatsächliche Gewaltpotential in der realen Gesellschaft wider.34 Die Medienflut und auch die Nachrichten schüren xenophobe Ängste, wie schon Bourdieu feststellte.35 Wie meine Untersuchungen bestätigten, sind Computerspiele eine Möglichkeit sich den Ängsten zu stellen und das Böse bekämpfbar zu machen. Sie ermöglichen das Erleben von Gefahr, Gewalt, Krieg, Tod und Wiederauferstehung, ohne real gefährdet zu sein. Der virtuelle Körper ist nicht zerstörbar und wenn doch, kann er unendlich oft digital wiedergeboren werden. Die SpielerInnen
31 Vgl. Theweleit, K., Männerphantasien – Bd. 1, S. 37-86 und S. 345ff. 32 Vgl. Bourdieu, P., Eine sanfte Gewalt, S. 222. 33 Vgl. Collmer, S., Computerkultur und Geschlecht, S. 160-162. 34 Vgl. Wiemken, J., Hardliner Zeit für Helden?, S. 62. 35 Vgl. Bourdieu, P., Über das Fernsehen S. 138-139.
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werden mit ihren Ängsten konfrontiert und können diese letztendlich besiegen.36 Ähnlich den Mythen wird eine Möglichkeit gezeigt, wie das Schicksal überwunden werden kann und wie der Mensch Gewalt und Tod trotzt. Das Töten einer virtuellen Figur wird dabei nicht in die Realität transferiert. Die SpielerInnen wissen, dass sie sich in einem Spiel befinden und können zwischen Realität und Fiktion unterscheiden. Wichtig erscheint mir aber, dass die SpielerInnen, wie dies bei meiner Untersuchung der Fall war, im sozialen Nahumfeld keiner Gewalt ausgesetzt sind. Es gibt jedoch ein reales Problem, das mit dem extremen Zeitaufwand zusammen hängt, den Computerspiele beanspruchen: Um die Anerkennung der virtuellen Community und in meinem Fall auch in der realen Gruppe zu erhalten, die über Statussymbole durch Kämpfe mit virtuellen GegnerInnen zementiert wird, muss sehr viel Zeit aufgewendet werden. Dadurch können die realen Kontakte in den Hintergrund treten und zum Teil die Bedingungen für realen langfristigen Erfolg (Schulbildung, Karriere etc.) vernachlässigt werden, was ich anhand der Biografie eines Mitglieds der Gruppe bestätigen konnte. Das ist den spielenden Jugendlichen aber meist nicht bewusst, weil sie in der Peer Group und in der Internet-Community mit Gleichgesinnten zu tun haben. Dabei entsteht durch den intensiven Kontakt und die Anreize weiter zu spielen auch ein Suchtpotential. Das Phänomen einer Immersion lässt die SpielerInnen in die virtuelle Welt eintauchen und verweilen. Die aktive Beteiligung und Kontrolle über das Geschehen lassen die Menschen mit der virtuellen Welt verschmelzen und es entsteht eine besondere Form der Teilhabe. Die Spiele weisen ungleich mehr Variationen der Interaktionsmöglichkeiten auf, als alle anderen herkömmlichen Medien, wie bereits Florian Rötzer festgestellt hat.37 Jedoch taucht Spielsucht nicht von selbst aus dem Cyberspace auf, sondern knüpft an einem realen sozialen Beziehungsmangel an. Es können Computerspiele daher nicht pauschal als suchtgefährdend definiert werden.38 Sie sind aber so gestaltet, dass sie permanente Aufmerksamkeit und Interaktion von den SpielerInnen fordern und dafür Erfolgserlebnisse durch Aufgaben und Belohnungen vermitteln.39 Dies kann dazu führen, dass unter Umständen der virtuellen Welt gegenüber der realen Welt der Vorzug gegeben wird, was aber vorwiegend vom sozialen Nahumfeld und dem biografischen Werdegang, samt psychischer Disposition der SpielerInnen abhängt. Nur wenn man das Spiel gemeinsam mit diesen Faktoren untersucht, kann man das tatsächliche Gefährdungspotential der Spiele feststellen.
36 Siehe dazu: Wiemken, J., Hardliner Zeit für Helden? S. 72-74, Willman, T., Death’s a Game, S. 136-142, und Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welten, S. 211. 37 Vgl. Rötzer, F., Interaktion, S.76. 38 Siehe dazu Spiegel Online: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-64628265.html, 1.3.2011. 39 Vgl. Rötzer, F., Digitale Weltentwürfe, S. 95.
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Eine weitere Erkenntnis aus dieser Forschung ist, dass das intensive Spielen und die teilweise Isolation aus dem Realleben in Form einer Online-Community eine vorübergehende Phase der adoleszenten Entwicklung ist, ähnlich anderen Jugendkulturphänomenen und sich im Zeitraum von wenigen Jahren die Spielintensität wieder verringert. Laut Adamowsky nutzen sich die Spannungsmomente und Gemeinschaftsgefühle in der virtuellen Spielwelt ab.40 Wie auch meine Untersuchung bestätigte, konnten die Spielwelten keine dauerhaften Lösungen für die Problematiken des realen sozialen Alltags anbieten und nur temporär entlasten. Da die untersuchte „WOW“-Spielergruppe sowohl eine virtuelle, als auch eine lokale Community bildete, wurden Gemeinschaftsgefühle nochmals verstärkt und der Zusammenhalt der virtuellen Kontakte durch die realen sozialen Kontakte verdoppelt. Die entstandenen realen Freundschaften konnten zum Teil die Mängel der virtuellen Kontakte kompensieren. Allerdings stand bei den Treffen stets das Computerspiel im Vordergrund. Nach dem endgültigen Beenden und dem völligen Ausstieg aus der Spielwelt löste sich auch der intensive reale Freundschaftsverbund auf. Das gemeinsame Interesse des Computerspielens, das bereits zum Lebensmittelpunkt wurde, ging verloren und damit auch die über die Spiele definierte Community.
40 Vgl. Adamowsky, N., Spielfiguren in virtuellen Welten, S. 228-230.
Literaturnachweis
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Rainer Guldin Politische Landschaften Zum Verhältnis von Raum und nationaler Identität Oktober 2014, ca. 310 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2818-0
Thomas Kirchhoff (Hg.) Konkurrenz Historische, strukturelle und normative Perspektiven Januar 2015, ca. 360 Seiten, kart., ca. 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2589-9
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Edition Kulturwissenschaft Inga Klein, Sonja Windmüller (Hg.) Kultur der Ökonomie Zur Materialität und Performanz des Wirtschaftlichen September 2014, 308 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2460-1
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Edition Kulturwissenschaft Lydia Maria Arantes, Elisa Rieger (Hg.) Ethnographien der Sinne Wahrnehmung und Methode in empirisch-kulturwissenschaftlichen Forschungen
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