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German Pages 388 [400] Year 1980
FREIES DEUTSCHES HOCHSTIFT REIHE DER S C H R I F T E N Begründet von Ernst Beutler Herausgegeben von Detlev Lüders Band 24
CLEMENS BRENTANO BEITRÄGE DES KOLLOQUIUMS IM FREIEN DEUTSCHEN HOCHSTIFT 1978 H E R A U S G E G E B E N VON DETLEV LUDERS
MAX N I E M E Y E R VERLAG T Ü B I N G E N
Freies Deutsches Hochstift Reihe der Vorträge und Schriften 1939-1958 Fortgeführt als Reihe der Schriften seit 1966 Redaktion: Hartwig Schultz Freies Deutsches Hochstift 6 Frankfurt am Main Großer Hirschgraben 23-25
Mit 22 Abbildungen auf Tafeln
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Clemens Brentano : Beitr. d. Kolloquiums im Freien Dt. Hochstift / hrsg. von Detlev Lüders. - Tübingen : Niemeyer, 1980. (Reihe der Schriften / Freies Deutsches Hochstift ; Bd. 24) ISBN 5-484-10369-8 N E : Lüders, Detlev [Hrsg.] ; Freies Deutsches Hochstift (Frankfurt, M a i n )
ISBN 3-484-10369-8
ISSN 0344-6786
© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1980 Alle Rechte vorbehalten · Printed in Germany Satx und Druck: Allgäuer Zeitungsverlag GmbH, Kempten Einband von Heinr. Koch, Tübingen
INHALT
Vorwort Brentanos Lore Lay-Ballade und der antike Echo-Mythos H A N S - G E O R G D E W I T Z , » . . . traue den süßen Tönen des Sirenenliedes nicht ...«. Zur Rolle von Brentanos Briefen in der Forschung ROBERTO FERTONANI, Z U einem Gedicht in italienischer Sprache in Clemens Brentanos »Godwi« J O H N F. F E T Z E R , Nachklänge Brentanoscher Musik in Thomas Manns »Doktor Faustus« W O L F G A N G F R Ü H W A L D , Das Wissen und die Poesie. Anmerkungen zu Leben und Werk Clemens Brentanos . . . H E I N R I C H H E N E L , Clemens Brentanos erstarrte Musik . . G E R H A R D K L U G E , Clemens Brentanos Erzählungen aus den Jahren 1810-1818. Beobachtungen zu ihrer Struktur und Thematik D E T L E V L Ü D E R S , Clemens Brentano: »Alles ist ewig im Innern verwandt«. Die Dichtung verändert das Weltverständnis JÜRG M A T H E S , Brentanos Vorlagen zum »Lebensumriß der Erzählerin« A. K. Emmerick INGRID M I T T E N Z W E I , Kunst als Thema des frühen Brentano RENATE M O E R I N G , Französische Quellen zu Brentanos »Barmherzigen Schwestern« W A L T E R M Ü L L E R - S E I D E L , Brentanos späte Lyrik - Kontinuität und Stilwandel H E I N Z RÖLLEKE, Anmerkungen zu »Des Knaben Wunderhorn« H A R T W I G SCHULTZ, Brentanos »Gustav Wasa« und seine versteckte Schöpfungsgeschichte der romantischen Poesie
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INHALT
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Eine unbekannte Selbstanzeige Brentanos zum »Gustav Wasa« PETER-KLAUS SCHUSTER, Bildzitate bei Brentano (mit 2 2 Abb.) OSKAR SEIDLIN, Brentanos Heraldik ELISABETH STOPP, Die Kunstform der Tollheit. Zu Clemens Brentanos und Joseph Görres' »BOGS der Uhrmacher« Teilnehmer des Brentano-Kolloquiums (6.-8. September 1978) Alphabetisches Verzeichnis der behandelten Werke Brentanos
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VORWORT
Aus Anlaß des 200. Geburtstags von Clemens Brentano fand vom 6. bis zum 8. September 1978 ein Internationales Brentano-Kolloquium im Freien Deutschen Hochstift statt. 30 Forscher aus dem In- und Ausland nahmen daran teil. Der vorliegende Band vereinigt 18 Aufsätze, die für das Kolloquium ausgearbeitet wurden. Im Hochstift liegt ein Hauptteil des handschriftlichen Nachlasses von Brentano; und dieser Umstand bildet eine der Voraussetzungen dafür, daß das Hochstift seit den 60er Jahren die Historisch-kritische Ausgabe Sämtlicher Werke und Briefe Brentanos veranstaltet, deren erster Band 1975 erschien. Diese neue Edition und die Vorarbeiten für sie haben in mancher Hinsicht befruchtend auf die Brentano-Forschung im ganzen gewirkt. Das zeigt sich auch in einigen der hier gesammelten Beiträge. Darüber hinaus spiegelt der Band die vielfältigen und vielgesichtigen Versuche der heutigen Germanistik, ein neues, umfassendes und zutreffendes Bild Brentanos zu gewinnen. Auf eine Zusammenfassimg der Gespräche, die dem Vortrag der einzelnen Ausarbeitungen folgten, wurde verzichtet; ein bloßes Referat könnte Rede und Gegenrede nicht angemessen wiedergeben. Besonderer Dank gebührt den Herren Jürgen Behrens, Wolfgang Frühwald und Hartwig Schultz, die sich gemeinsam mit dem Unterzeichnenden der Vorbereitung und Durchführung des Kolloquiums angenommen haben. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat das Brentano-Kolloquium mit namhaften Zuwendungen unterstützt und ermöglicht. Ihr sei auch an dieser Stelle aufrichtig gedankt. D.L.
WERNER B E L L M A N N BRENTANOS LORE LAY-BALLADE UND DER ANTIKE E C H O - M Y T H O S
Die von Johann Friedrich Böhmer überlieferte Äußerung Brentanos, er habe »die Lorelei auf keiner anderen Grundlage als den Namen Lurlei erfunden«, 1 konnte bislang trotz intensiver Forschungen nicht überzeugend widerlegt werden. Wichtiger als der hinsichtlich Herkunft und Bedeutung umstrittene Name* dürfte für die >Erfìndung< indes gewesen sein, daß der Felsen bei Bacharach seit Jahrhunderten als Echofels berühmt war. So schreibt Martin Zeiller 1645 in der »Topographia Palatinatus Rheni et Vicinarum Regionum« 8 : Es ziehet sich das Gebuxg zu beyden Seiten deß Rheins / bey Bingen hinab / nach / und unter Bacharach / so von den Alten der Lurleberg ist genennet worden / in welchem Gebürg auch ein sonderbar lustig Echo, oder Widerschall / sich befindet; Item an einem Orth ein Zwirbel im Rhein / von welchen beeden vielleicht dieser Widerschall herrühret / als wann daselbst der Rhein heimliche Gäng unter der Erden hätte. (S. 13) Marq. Freherus ... auch saget / daß der alte Lurlaberg / umb die Zeit Käysers Fiiderici II. in den Teutschen Gesängen Marner genant 1
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Joh. Friedrich Böhmer's Leben, Briefe und kleinere Schriften. Durch Johannes Janssen, Freiburg i. Br. 1868, Bd. 3, S. 379. Vgl. Karl Hessel, Die Echtheit der Loreleisage, Zs. f. d. deutschen Unterricht, Jg. 19, 1905, 481-492; Wilhelm Hertz, Über den Namen Lorelei, Gesammelte Abhandlungen von W. H., Stuttgart 1905, S. 456-490; Willy Krogmann, Lorelei. Geburt einer Sage, Rhein.-westf. Zs. f. Volkskunde, Jg. 3,1956, S. 170-196. An Tag gegeben Vnd Verlegt durch Mattheum Merian, [Frankfurt a. M.] 1645. - Vgl. die Anspielung in der »Scene aus meinen Kinderjahren«: » . . . ja selbst der Buchersaal, / Mit Sandrat, Merian, den Bilderbüchern, / Die ich kaum heben konnte, war verachtet, / Ich hatte sie zum Ekel ausbetrachtet.« (Frankfurter Brentano-Ausgabe [FBA], Bd. 16, S. 167 f.).
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worden / und daß mitten dieser Berge / zur Rechten / ein wenig unter Oberwesel / Widerhall seyen / da ein Echo, so seines gleichen nicht habe / der Lurley genant / anzutreffen / welcher allerley Thon / Stimm / und Wort / nicht allein hell und klar / sondern auch unterschiedlich vermehrter / wieder gebe / und zu ruck schicke; und dahero die Schiffleuth / und fürüber Reysende / ihr Kurtzweil da zu haben / und zu schreyen pflegen; wie dessen Conractus Celtes Amor. 3. eleg. 13. Bernardus Molleras, in Beschreibung des Rheins / lib. 3. p. 146. bey ihme Frehero, part. 2. Origin, c. 18. fol. 89. gedencken. (S. 35) Ähnliche, offensichtlich weitgehend vom zweiten Teil dieser Schilderung abhängige Darstellungen finden sich in jüngeren topographischen Werken u n d Reiseführern, so etwa in Johann-Just Winkelmanns »Gründlicher U n d W a r h a f t e r Beschreibung Der Fürstenthümer Hessen u n d Hersfeld« (Bremen 1697), J o h a n n Gottfried Gregorius' »Curieuse Orographia« (Frankfurt/Leipzig 1715) u n d Joseph Gregor Langs »Reise auf dem Rhein« (Koblenz 1789). Das i h m bekannte Echospiel des Rheinfelsens bei Bacharach d ü r f t e Brentanos Aufmerksamkeit auf den antiken Mythos von der Nymphe Echo gelenkt haben, den Ovid in seinen »Metamorphosen« (3,356-401) überliefert u n d auf den im »Godwi« bereits zuvor angespielt wird. 4 Echo wird aus G r a m über ihre verschmähte Liebe zu Narcissus zu Stein (Fels), aus dem ihre Stimm e als Widerhall ertönt. Die entsprechenden Verse lauten in einer Ovid-Paraphrase aus dem J a h r 1631, die Brentano besessen und f ü r zwei Verseinlagen des zweiten »Godwi«-Bandes nachweisbar als Quelle benutzt h a t :
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FBA 16, S. 302: »Nimmer auch hönt' ich / Echo die Jungfrau, / Die mit euch wohnet, / Theilt ihr vertraulich / Liebe und Schmerz.« - In dem in A. Klingemanns »Memnon« (ersch. Juli 1800) veröffentlichten Gedicht »Phantasie« hat Brentano bereits dezidiert auf den Narziß-Echo-Mythos angespielt (Werke I, S. 28; vgl. ebd. S. 984 das Bild eines versteinerten Narziß).
L O R E LAY-BALLADE UND ANTIKER ECHO-MYTHOS
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Echo sein gar bald sichtig ward / Zu stund sie jhr Gmiit zu jhm kart / Mit Liebes Flam was sie vmbhagt / In Liebes Fewr erbrann die Magd / Den Jüngling sahs innbrünstig an / So mehrs jhn sah sie fester bran / Der Jüngling kam deß gar in Noht / Vnd sagt / mich muß viel ehe der Todt Gäntzlich hinnehmen von der Erden / Ehe dann ich dir zu theil wil werden / Ehe dann ich dir zu theile werd / Sagt Echo / damit von jhm kehrt Hin in den Wald ins Gebierg wider / Darinnen steckt sie je sider (a) In einem harten holen Stein / Darzu sie Vnmut bracht allein / Daß sie Narcissus hat verschmecht / Doch blieb jhr Lieb an jhm gerecht / Sein Gestalt was stäts in jhrm Gsicht / Zu keiner stund vergaß sie nicht Narcissi Schöne vnd Gestalt / Hat sie bezwungen mit Gewalt / Doch ward sie bedencken bin vnd har / Daß er sie hat ver acht so gar / Dardurch kam sie in solche Schwer / Daß ein jhr nichts thet bleiben mehr / Dann nur der Ruff vnd Stim allein / Sonst ward sie gar zu einem Stein / Die Stim wehrt noch zu vnser Zeit / Wie sie noch offt hören die Leut.5
(a) Echo / als sie Narcissum nit zu jhrer Lieb bewegen mochte / fleugt sie von jm in ein holen Stein / darauß sie noch den ruffenden antwort gibt.
Auch Brentanos Lore Lay verzehrt sich in leidenschaftlicher Liebe, nachdem sie von ihrem Schatz verlassen worden ist; das Erleben und Erleiden der (unerwiderten) Liebe als Fluch, als verzehrende Flamme< führt hier wie dort zur Selbstzerstörung. Durch den 5
P. Ovidii Metamorphosis, Oder: Wunderbarliche vnd seltzame Beschreibung von der Menschen / Thieren / vnd anderer Creaturen Veränderung. In Franckfurt am Mayn durch Gottfried Tampach / Truckts Caspar Rötel. M. DC. XXXI., S. 106 f. Vgl. F B A 16, S. 721 f. und 766-768.
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echoartigen dreifachen Ruf »Lore Lay« und die Fußnote (»Bei Bacharach steht dieser Felsen...«) wird am Schluß der Ballade die Verbindung zur Wirklichkeit des Echofelsens, »Lore Lay genannt«, hergestellt. Was Brentano nur andeutet und wohl bewußt im Halbdunkel belassen hat, wird 1811 von Niklas Vogt explizite ausgeführt und bildet das Kernstück einer ausgeformten aitiologischen Lokalsage: »Dieser Lurelei, oder vielmehr sein Echo, soll die Stimme eines Weibes seyn, welche durch ihre außerordentliche Schönheit alle Männer bezaubert hat, nur den nicht, welchen sie selbst liebte.«® Brentano notierte in einer bereits vor 1811 entstandenen ersten Inhaltsskizze zu den »Rheinmärchen«: »die Nymphe stürzt sich in den Rhein« und »baut sich den Lureley Tempel«. In der Druckfassung, in der bezeichnenderweise Echo und Lureley zu Schwestern werden, erzählt letztere: »Ich baute mir damals ein Schloß und wohnte zugleich mit Frau Echo darin, es ist der Lureleyfelsen bei St. Goar.«7 Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, daß schon in der auf Marquard Frehers »Origines Palatinae« (1613) basierenden Schilderung Zeillers (s. o.) von einem Echo die Rede ist, das hurley genannt worden sei. Als Hinweis darauf, daß Brentano, möglicherweise durch die aktualisierenden, in die (Leser-)Gegenwart überleitenden Schlußverse der Ovid-Paraphrase inspiriert, in seiner Lore Lay-Ballade den antiken Mythos — durch die Reinkaination Echos — wiederbelebt und mit der Kraft der eignen Phantasie frei ausgestaltet hat, kann wohl auch die Erzählung des Wassermanns über die >Zeugung< der Frau Lureley in den »Rheinmärchen« gewertet werden; sie wirkt vor dem Hintergrund des bisher Dargelegten wie eine Poetisierung der Balladen-Entstehung: Frau Lureley ist eine Tochter der Phantasie, welches eine berühmte Eigenschaft ist, die bei der Erschaffung der Welt mitarbeitete und das allerbeste dabei tat; als sie unter der Arbeit ein schönes Lied sang, hörte sie es immer wiederholen und fand endlich den Widerhall, ® Rhein. Archiv f. Geschidbite und Litteratur, hg. v. N. Vogt u. J. Weitzel, Bd. 5, H. 5-8, Mainz 1811, S. 69; in einer Fußnote verweist Vogt auf Brentanos Ballade. 7 Werke III, S. 228 und 1072. - Den Abschluß des »Märchens von dem Rhein und dem Müller Radlauf« meldet Brentano den Brüdern Grimm am 10. Januar 1811.
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einen schönen Jüngling, in einem Felsen sitzen, mit dem sie sich verheiratete und mit ihm die Frau Lureley zeugte.8 Daß sich Brentano zur Entstehungszeit des zweiten »Godwi«Bandes auch theoretisch mit dem Mythologie-Problem auseinandergesetzt hat, zeigt - neben Briefäußerungen® - ein in den Roman eingefügter Exkurs, der sich — im Sinne einer Widerlegung - auf Friedrich Schlegels »Rede über die Mythologie« bezieht. Bei Schlegel heißt es: Wir haben keine Mythologie. Aber setze ich hinzu, wir sind nahe daran eine zu erhalten, oder vielmehr es wird Zeit, daß wir ernsthaft dazu mitwirken sollen, eine hervorzubringen. . . . Ich bitte Euch, nur dem Unglauben ein die Möglichkeit einer neuen Mythologie nicht Raum zu geben.10 Dem setzt der fiktive Autor Maria entgegen: Eine neue Mythologie ist ohnmöglich, so ohnmöglich, wie eine alte, denn jede Mythologie ist ewig; wo mein sie alt nennt, sind die Menschen gering geworden, und die, welche von einer sogenannten neuen hervorzuführenden sprechen, prophezeien eine Bildimg, die wir nicht erleben.11 Die Lebendigkeit der >alten< antiken Mythen und damit die Richtigkeit von Marias These — »jede Mythologie ist ewig« — erweisen neben zahlreichen Einzelanspielungen (u. a. auf Atalante, Daphne, Diana, Ceres, Phöbe, Helios, Aktäon, Prometheus und Werke III, S. 94. • Seiner Schwester Bettine sendet Brentano im April 1801 Karl Philipp Moritz' »Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten« (Berlin 1791) mit folgendem Kommentar: »Du mußt nidit drinn hemmhüpfen und ein Anekdotenbuch draus machen, denn diese Götterlehre ist eine solche andre Welt, die sich das gebildetste Volk, die Griechen, erschaffen hatten, und kann Dir selbst und Deinem Geiste nur wohlthätig werden, wenn sie in Dir, in ihrer großen edlen Folge, gleichsam während dem Lesen entsteht. Du sollst besonders suchen den Gesichtspunkt für die mythologischen Dichtungen zu begreifen, das wird Dich aus Deinem Emigrantenverhängniß hoffentlich ein bischen ablösen.« (Frühlingskranz, Charlottenburg 1844, S. 38). 10 Athenaeum III/l, S. 95-97 ( e r s i . April 1800). » FBA 16, S. 380. β
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eben auch »Echo die Jungfrau«) mehrere Verseinlagen im zweiten »Godwi«-Band, in denen Brentano antike Mythen aufgreift und teils phantasievoll ausgestaltet (»Hiazynth«, Wechselgesang zwischen Cyparissus und Phöbus), teils ins Grotesk-Komische abwandelt (»Vertumnus und Pomona«). Zu den auf diese Weise funktional in den Romankontext integrierten lyrischen Einlagen wird man nunmehr auch das Lore Lay-Gedicht zählen dürfen. Aber die Ballade ist noch auf einer anderen Ebene und viel direkter an den Erzählkontext gebunden. Sie ist als Lied Violette in den Mund gelegt und weist auf deren Schicksal voraus. Die zwischen »Frömmigkeit und Sinnlichkeit« schwankende Tochter eines Grafen sinkt, von Godwi verschmäht und verlassen, zum Freudenmädchen herab und verfällt schließlich in den Zustand einer »schrecklichen Zerrüttung«. Nachdem sie — wie Lore Lay — vergeblich darum gebeten hat, ihrem Leben ein Ende zu setzen, verdämmert sie in einem Liebes- und Todessehnsucht vereinigenden, ihre Lebenskraft verzehrenden Wahnsinn. In dem an ihrem Todesort errichteten >Denkmal< aber bleibt sie gegenwärtig: in Marmor gebannt, zu Stein erstarrt wie Echo und Lore Lay. 18 Damit ergibt sich f ü r den häufig als dunkel und rätselhaft empfundenen Schluß der auch durch das Motiv der Kahnfahrt mit der umgebenden Prosa verzahnten Ballade eine völlig neue Deutungsperspektive. 13 Nicht nur die Geschichte Lore Lays ist p o e tischer Widerhall· des antiken Echo-Mythos, sondern die Nachahmimg des Echos, das dreimalige »Lore Lay«, versinnbildlicht 18
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Zu dem in Brentanos Frühwerk häufig begegnenden Motiv der »Versteinerung eines einstmals Lebendigen« und insbesondere dem im Sinnzentrum des ersten » Godwi «-Bandes stehenden >steinernen Bild der Mutter« (Marie Wellner mit dem Knaben Godwi) vgl. Horst Meimer, Denkstein und Bildersaal in C. B.s »Godwi«, Jb. d. deutschen Schillergesellschaft, Jg. 11,1967, S. 435-468, bes. S. 448 f. Hessel bezeichnet den Schluß als »völlig unklar« (a. a. O., S. 482), und Emil Staiger schreibt in einem Gedenkartikel zum 100. Todestag des Dichters: »Wer sagt hier >meiner