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German Pages 488 [492] Year 1994
THOMAS CHRISTUS
GRAUMANN INTERPRES
w DE
G
P A T R I S T I S C H E T E X T E UND S T U D I E N IM A U F T R A G DER
PATRISTISCHEN
KOMMISSION
DER A K A D E M I E N DER W I S S E N S C H A F T E N IN DER B U N D E S R E P U B L I K D E U T S C H L A N D
HERAUSGEGEBEN
VON
K . A L A N D UND E. M Ü H L E N B E R G
BAND 41
WALTER DE G R U Y T E R · BERLIN · NEW YORK 1994
CHRISTUS INTERPRES DIE E I N H E I T V O N A U S L E G U N G UND V E R K Ü N D I G U N G IN DER L U K A S E R K L Ä R U N G DES A M B R O S I U S V O N M A I L A N D
VON
THOMAS GRAUMANN
WALTER DE G R U Y T E R · BERLIN · NEW Y O R K 1994
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek —
CIP-Hinheitsaufnahme
Graumann, Thomas: Christus interpres : die Einheit von Auslegung und Verkündigung in der Lukaserklärung des Ambrosius von Mailand / von Thomas Graumann. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1994 (Patristische Texte und Studien ; Bd. 41) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1992 ISBN 3-11-014423-9 NR: G T
ISSN 0553-4003 © Copyright 1994 by Walter de Gruyter & Co., 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Z u s t i m m u n g des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, Berlin
VORWORT Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1992 von der EvangelischTheologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster als Dissertation angenommen. Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Frau Prof. Dr. Barbara Aland, die das Entstehen der Arbeit betreut und in vielfältiger Weise gefördert hat. Herzlich danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Dietmar Wyrwa für wertvolle Hinweise und Anregungen, sowie der Studienstiftung des deutschen Volkes, die die Arbeit mit einem Promotionsstipendium finanziell unterstützt hat. Nicht zuletzt gilt mein Dank der Patristischen Kommission der Akademie der Wissenschaften für die Aufnahme in die Reihe „Patristische Texte und Studien", insbesondere Herrn Prof. Dr. Ekkehard Mühlenberg, der mir zugleich hilfreiche Hinweise für die Drucklegung gegeben hat.
Münster, im August 1994
Thomas Graumann
INHALT
Vorwort
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Einführung 1. Die Ambrosianische Schriftauslegung in der Forschung 2. Die Problemstellung einer hermeneutischen Grundlegung der Exegese 3. Die Expositio Evangelii secundum Lucani. Form und literarischer Charakter
1 1
I. Grundlagen der Evangeliumsauslegung 1. Das Lukasevangelium als exegetische Aufgabe. Das Ambrosianische Proömium 2. Wahrheit und Wesen des Evangeliums. Der lukanische Prolog (1,1-14) 2.1. Die Lukas-Honiilien des Orígenes als Vorlage 2.2. Das wahre und die falschen Evangelien (I, 1-4) 2.2.1. Die „Vielheit" häretischer Evangelien (I, 1-2) 2.2.2. Die „Versuche" der Häretiker und die infusio des Geistes (Ί, 2.3. Die Erkenntnis des „Wortes" und das eigene Handeln (I, 5-9) 2.3.1. Die Erkenntnis Christi (1,5-7) 2.3.2. Inlentio und actio (1,8-9) Exkurs 1: Die Ethik des Hörens. Maria und Martha (VII, 85f.) 2.4. Das Wollen des Evangelisten und die Wirkung der göttlichen Gnade α , 10-11) 2.5. Das Verhältnis des Adressaten zum Evangelium (I, 1214) Zwischenzusammenfassung II. Anwendung und Ausgestaltung der Auslegungsgrundsätze in der lukanischen V orgeschichte 1. Die Ankündigung des Täufers als Begegnung mit der Christusbotschaft
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Inhalt
1.1. Die Riickbindung der Christusbotschaft an das Alte Testament durch Johannes den Täufer (I, 15-21) 1.2. Die Erscheinung des Engels als Paradigma der gnadenhaften Zuwendung Gottes (I, 22-28) 1.3. Gnadenfülle und Klarheit der Engelbotschaft (1,29-38) 1.4. Zacharias' Bestrafung: Glauben und Reden als geforderte Antwort (1,39-42) 1.5. Elisabet als ethisches Beispiel und Vorbild im Glauben (1,43-46) 2. Marias Begegnung mit der Christusbotschaft 2.1. Jungfräulichkeit und Verlöbnis Marias in heilsgeschichtlicher Erklärungsperspektive 2.2. Maria als Modell für Glauben und Gehorsam gegenüber der Christusbotschaft 2.2.1. Die Christusbotschaft des Engels (II, 10-13) 2.2.2. Marias Reaktion (II. 14-18) 2.3. Die Wirkungen des ankommenden Christus (II, 19-35) 3. Zeugen und Zeugnisse für die Glaubwürdigkeit der Inkarnation: fidem adstruere (II, 36-66) III. Zusammenfassung und Ausblick 1. Die thematischen und methodischen Schwerpunkte in Ambrosius' Exegese der lukanischen Vorgeschichte 2. Ambrosius als Bearbeiter der Lukas-Homilien des Orígenes 3. Ausblick und weitere Aufgabenstellung IV. Christus interpres. Die gedankliche Mitte und das strukturgebende Prinzip der Exegese 1. Die Abgrenzung von den Prinzipien häretischen Denkens: Füchse und Wölfe (VII, 22-66) 1.1. Struktur und ursprüngliche Adressaten der Textstelle 1.2. Simplicitas mentis: Geistiger Gehorsam als Forderung an den Menschen (VII, 22-28) 1.3. Die falsche Geistesverfassung des Häretikers (VII, 28-43) 1.4. Das verfehlte Reden der Häretiker (VII, 44-53) 1.4.1. Demaskierung und Vernichtung häretischen Denkens und Sprechens: „scripturae verus interpres Christus" 1.4.2. Häretisches Reden als Ausdruck von „Wort"Losigkeit
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195 203
Inhalt
1.4.3. Die Disputatio als Musterbeispiel verfehlter häretischer Rede 1.5. Erste Hinweise zur kirchlichen Predigt Exkurs 2: Sprache als Konstituens des humanum im rhetorischen Bildungsideal 2. Christus-Bindung als Kriterium und Form kirchlicher Verkündigung 2.1. Einzug in Jerusalem und Tempelreinigung (IX, 1-22) 2.2. Die Brotvermehning (VI, 63-92) 3. „Christliche Beredsamkeit": Das Selbstverständnis der Ambrosianischen Exegese 3.1. Tractatus als Sprach- und Denkform der Exegese 3.2. Der rhetorische ductus der Ambrosianischen Exegese (III, 50) Exkurs 3: Lehren aus dem Hören. Der Bischof als Exeget und Prediger (Off. 1, 1-22) Exkurs 4: Ambrosius als Mystagoge?
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206 211 214 217 217 222 224 224 230 237 244
V. Die Christus-Hermeneutik: „Christus" als Prinzip wahrer Exegese 1. „Christus" als inhaltliche Nonn der Auslegung 2. Auslegung als Grundform theologischen Erkennens 3. Die gnadenhafte Wirksamkeit des Wortes im Verstehen 4. Autorität und Gehorsam 5. Die Predigt als Weitergabe der Christusbotschaft 6. Christus interpres als methodische Anleitung zur Auslegung 7. Christus interpres als theologische Entscheidung
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VI. Die geschichtliche Entfaltung der Wahrheit Christi im Konzept der Verkündigung: Das Petrusbekenntnis (VI, 93-109) 1. Der Ort des Petrusbekenntnisses in der Lukaserklärung 2. Die Inhalte des Christusbekenntnisses 3. Die Bedingungen der Christus-Predigt 4. Das Kreuz als Schlüssel der Christusverkündigung
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VII. Christi Wirken: Die christologische Fundierung der Exegese und die exegetische Erkenntnis Christi 1. Christi Versuchung: Der heilsgeschichtliche Deutungshorizont für Christi Wirken 1.1. Das Proömium: Der Weg der Kommentierung (IV, 1-3) 1.2. Die Verfallenheit des Menschen und der Rückweg in Christus α ν , 4-14)
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X
Inhalt
1.3. Die Versuchung: „Anfang" des Heilshandelns Christi und Paradigma christlicher Existenz (IV, 15-42) 2. Der alttestamentliche Riickbezug des Heilshandelns: Jesu Predigt in Nazareth (IV, 43-56) 3. Universalität und innere Ordnung des Heilshandelns: Erste Heilungen (IV, 57-67) 4. Die kirchliche Fortführung des Heilshandelns: Der Fischfang des Petrus (IV, 68-79) 5. Heil als Heilung: Exemplarische Auslegungsmuster (V,l- VI, 64*) 6. Zusammenfassung VIII. Christi Gleichnisrede: Die bildhafte Darstellung und Deutung des Heilswirkens 1. Das Gleichnis als Darstellung der Heilsgeschichte: Der barmherzige Samariter 1.1. Traditionelle Auslegungen 1.2. Ambrosius' Auslegung (VII, 69-84) 1.2.1. Die Rahmung des Gleichnisses 1.2.2. Der alttestamentliche Hintergrund des Gleichnisses 1.2.3. Die Einzelauslegung des Handlungsablaufs 2. Kirche und Syngoge: Das Gleichnis vom Feigenbaum (VII, 160-72)' 2.1. Der Feigenbaum als heilsgeschichtliche Chiffre 2.2. Christi Kommen zum Feigenbaum 2.3. Diskussion abweichender Auslegungen 2.4. Die wechselseitige Interpretation von Gleichnis und Sabbatheilung 3. Christus und der Glaube: Das Gleichnis vom Senfkorn (VII, 176-86) 4. Die verwandelnde Wirkung Christi am Gläubigen: Das Gleichnis vom Sauerteig (VII, 187-194) 4.1. Der Ansatz der Erklärung bei Christus 4.2. Grundsätze der exegetischen Sinnfindung: Der Turmbau 4.3. Ambrosius' Auslegung der Durchsäuerung 5. Die Widerspiegelung der Heilsgeschichte im Bußgeschehen: Der verlorene Sohn (VII, 207-43) 5.1. Der innere Zusammenhang der Gleichnisse vom verlorenen Schaf, Drachme und Sohn 5.2. Die Einzelauslegung des Gleichnisses vom verlorenen Sohn 5.2.1. Das Fortgehen als Verlust der Christusförmigkeit
307 315 321 326 330 343
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Inhalt
5.2.2. Die Rückkehr zur Wiedererlangung der Christusförmigkeit 5.2.3. Der ältere Bnider 6. Zusammenfassung: Charakteristika der Gleichnisauslegung
XI
402 406 408
IX. Die Ambrosianische Predigt als auslegende Nachgestaltung des Evangeliums
417
Rückblick und Ausblick
427
Literatur- und Abkürzungsverzeichnis 1. Ambrosius 2. Sekundärliteratur 3. Hilfsmittel Register
439 439 441 449 451
EINFÜHRUNG
1. D I E AMBROSIANISCHE SCHRIFTAUSLEGUNG IN DER FORSCHUNG
In der modernen Ambrosius-Forschung herrscht im 19. Jahrhundert weitgehend eine Sichtweise vor, die in Ambrosius vorrangig den Moralprediger und praktischen Kirchenmann erkennt und die sich oft mit einer gewissen theologischen Geringschätzung verbindet.1 Noch wesentlich geprägt von diesem Hintergrund stellen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts die Arbeiten von H. v. Campenhausen (1929) 2 und J.R. Palanque (1933) 3 den „Kirchenpolitiker" Ambrosius vor, der in den gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen seiner Zeit einflußreich wirkt und als selbstbewußter Interessenvertreter der Kirche sowohl gegenüber den Herrschern als auch gegenüber den Vertretern eines paganen Römertums auftritt. Diese Sichtweise hat einen besonders nachhaltigen Einfluß ausgeübt.4 Allerdings hat sich das damit umschriebene relativ einseitige Ambrosius-Bild durch eine Fülle neuerer Untersuchungen seither vielfältig modifiziert.5 Unabhängig von den unterschiedlichen thematischen Fragestellungen nach den theologischen Themen und Positionen des Bischofs 6 - darunter nicht zuletzt nach
1
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Exemplarisch dafür etwa A. v. Harnack: Lehrbuch der Dogmengeschichte. Bd. III. ND. der 4. vermehrten Aufl. 1909. Tübingen 1990, 31. Für die älteren Forschungspositionen vgl. ferner A. Jülicher: Art.: Ambrosius (7). PW 1 (1894) 1812-1814; T. Förster: Ambrosius Bischof von Mailand. Eine Darstellung seines Lebens und Wirkens. Halle 1884. Dem älteren Ambrosius-Bild zuzurechnen ist im Grunde auch noch W. Wilbrand: Art.: Ambrosius. RAC 1 (1950) 365-73. H. v. Campenhausen: Ambrosius von Mailand als Kirchenpolitiker. Berlin, Leipzig 1929. J.R. Palanque: Saint Ambroise et Γ empire Romain. Contribution à Γ Histoire des Rapports de 1' Eglise et de Γ État à la fin du quatrième siècle. Paris 1933. Vgl. Wilbrand 368ff.; E. Dassmann: Art.: Ambrosius von Mailand (339-397), T R E 2 (1978) 362-86, dort 364ff. Vgl. G. Piccolo: Saggio di bibliographia ambrosiana: ambiente, fonti, esegesi e spiritualita (1930-1970). ScC 7 8 (1970) Suppl. 3, 187-207; sowie die Literatur bei Dassmann, Ambrosius 384ff. Eine erste Zusammenschau, die sich noch im wesentlichen im Rahmen der älteren Anschauungen bewegt, bietet F. H. Dudden: The Life and Times of St. Ambrose. 2 Bde. Oxford 1935. Das gegenwärtige Bild des Theologen Ambrosius ist demgegenüber nuancenreicher und vielschichtiger; die breite Spanne der Themen (vgl. die in Anm. 5 genannten Literaturübersichten bei Dassmann und Piccolo) wird aber häufig nach einer den Ambrosianischen Werken äußerlichen Systematik behandelt, die z.T. auch deutliche konfessionelle Vorprägungen erkennen läßt. Unter den jeweiligen thematischen Gesichtspunkten vgl. ferner für Soteriologie und Ekklesiologie das Forschungsreferat bei A L. Fenger: Aspekte der Soteriologie und Ekklesiologie bei Ambrosius von Mailand. Frankfurt/M., Bern 1981, 11-13.
2
Einführung
seiner Trinitätstheologie 7 - steht vielfach der Versuch im Vordergrund, zu einer genaueren Erfassung der Quellen seines Denkens und seiner Werke zu gelangen. Ambrosius greift dabei besonders griechische Vorbilder (Philo, Orígenes, Basilius, um nur die wichtigsten zu nennen) auf. Dies hat zugleich zu einer relativen Wertschätzung seiner Person als Vermittler griechischer Theologie und griechischen Denkens an den Westen geführt. 8 Aus der Beschäftigung mit den Quellen des Ambrosius hebt sich ein weiterer wichtiger Zweig der Forschung heraus, der vor allem von P. Courcelle 9 initiiert worden ist. Von ihm sind die Bedeutung neuplatonischen Denkens in einem Mailänder Kreis um Ambrosius und die Verwendung neuplatonischer Schriften in seinen Werken nachgewiesen worden. Diese Forschungsrichtung hat somit das Wissen sowohl um die Quellen seiner Werke als auch um den geistigen Horizont seines Denkens deutlich erweitert. Die Beziehungen der Werke des Ambrosius zu unterschiedlichen Quellenvorbildera werden allerdings vielfach noch in jüngerer Zeit aus einer kritischen Perspektive behandelt, die eine eigenständige gedankliche Durchdringung und Verarbeitung des aufgenommenen Materials grundsätzlich in Frage stellt und statt dessen die jeweilige Quelle zum bestimmenden Faktor der Gedankenführung und Darlegung erhebt. 10 Diese Sichtweise geht letztlich bereits auf Hieronymus zurück, der die Art und Weise der Ambrosianischen Quellenbenutzung 7
Der Trinitätstheologie gilt ein großer Teil der Aufmerksamkeit in der Forschung; vgl. R. Cantalamessa: Sant' Ambrogio di fronte ai grandi dibattiti teologici del suo seculo. In: Ambrosius Episcopus... I 483-539; C. Moreschino: Ambrosius von Mailand. In; Gestalten der Kirchengeschichte. Bd. 2: Alte Kirche II. Hg. v. M. Greschat. Stuttgart u.a. 1984, 101-123; dort 104111.
8
Vgl. z.B. Dassmann, Ambrosius 374; Moreschino 105f. 108, der aber nur sehr zurückhaltend das Eigene des Ambrosius anspricht und weit stärker eine denkerische Unselbständigkeit als Kennzeichen dieser Vermittlung betont. 9 P. Courcelle: Recherches sur les Confessions de Saint Augustin. 2. Aufl. Paris 1968, 93-138 (dt. auch: Die Entdeckung des christlichen Neuplatonismus. In: Zum Augustin-Gespräch der Gegenwart. Bd. 1. Hg. v. C. Andresen. [WdF 5] Darmstadt 1962, 125-81); ferner ders.: Plotin et Saint Ambroise. RPh 76 (1950) 29-56; ders.: Nouveaux aspects du Platonisme chez Saint Ambroise. REL 34 (1956) 220-39. Vgl. die ausführliche Diskussion der neben Courcelle für die Frage nach den philosophischen Quellen entwickelten Forschungsbeiträge und -positionen bei Madec (s. Anm. 28) 11-17. 10 Vgl. beispielhaft B. Altaner, A. Stuiber: Patrologie. Leben, Schriften und Lehre der Kirchenväter. 9. durchges. u. erw. Aufl. Freiburg, Basel, Wien 1980, 380f. In die gleiche Richtung geht das Urteil von O. Bardenhewer: Geschichte der altkirchlichen Literatur. 5 Bde. ND der 2. Aufl. (Freiburg 1913-32) Darmstadt 1962. Er beurteilt Ambrosius als wenig selbständig und konstatiert, daß mit der jeweiligen Vorlage auch die Hermeneutik der Ambrosianischen Auslegung wechselt (III 526f.); lediglich eine geschickte Anpassung der Entlehnungen an die Bedürfnisse der eigenen Zeit gesteht Bardenhewer zu (III 502). Das Bild des Plagiators zeichnet besonders kraß H. Hagendahl: Latin Fathers and the Classics. A Study on the Apologists, Jerome and other Christian Writers. Göteborg 1958, bes. 347-81. Er kommt mit Blick auf De officiti und ihre Ciceronische Vorlage zu dem Urteil: „As a writer he (sc. Ambrosius) proves to be an unscrupulous plagiarist: there is no other Christian author who exploits a pagan author in such a way, as we can learn from the numerous parallels which I have brought together" (372). Für den Vergleich zwischen Philo und Ambrosius in der gleichen Blickrichtung zuletzt noch E. Lucchesi: L' usage de Philon dans Γ oeuvre exégétique des Saint Ambroise. Leiden 1977. Vgl. dazu aber die Kritik von H. Savon: Saint Ambroise et saint Jérôme, lecteurs de Philon. In: ANRW 21,1: Religion (Hellenistisches Judentum in römischer Zeit: Philon und Josephus). Hg. v. W. Haase. Berlin, New York 1984, 732-59, bes. 732-35.
Die Problemstellung einer herraeneutischen Grundlegung der Exegese
3
als Plagiat verurteilte.11 Ein solches Urteil wird in neueren Arbeiten vor allem durch die spezifische Perspektive und Methode der Quellenstudie erzeugt, die die Übereinstimmungen mit der Vorlage betont, ihre gedankliche Einbettung in einen größeren Kontext zumeist aber vernachlässigt. Nach diesem Ansatz erscheint daher die Ambrosianische Rezeption und Vermittlung griechischer Theologie oder Philosophie nahezu zwangsläufig als ein eher passiver Vorgang der Beeinflussung durch die jeweiligen Quellen. So prägt die Vorstellung und Terminologie der „Abhängigkeit" das Verständnis der Traditions- und Quellenbeziehung noch in der jüngsten zusammenfassenden Darstellung bei C. Moreschino von Grund auf. 12 Ein eigenes geistiges Profil des Ambrosius, das die Quellenverarbeitung und die theologischen Einzelthemen zu integrieren vermag, sucht demgegenüber E. Dassmann. 13 Er setzt die oft vorgetragene Beobachtung um, daß Ambrosius nicht als Systematiker arbeitet, und wendet sich von einer (nachträglich) systematisierenden Arbeitsweise an Einzelthemen ab. Statt dessen sucht er die innere Einheit und Eigentümlichkeit des Ambrosianischen Werkes in seiner Genese zu erfassen. Er begreift diese Einheit und Eigenart aber letztlich in den Kategorien von „Frömmigkeit", d.h. in einer sehr persönlichen inneren Bewegtheit durch den Glauben, weniger als eine im theologischen Denken selbständig verarbeitete Neuorientierung gegenüber den Quellen und Vorbildern (so im wesentlichen unverändert noch in seinem Ambrosius-Artikel14). Dassmann betont infolgedessen Ambrosius' Wirken als Seelsorger, der bei seiner Gemeinde auf eine umfassend religiöse Durchdringung und Formung der Lebensgestaltung aus der Beziehung zu Christus hinwirkt. In dieser von Dassmann und bedingt auch von Courcelle ausgehenden Neubewertung von Person und Wirken des Ambrosius spielte die Frage nach seiner Schriftauslegung jedoch lange nur eine untergeordnete Rolle. Zwar behandelt J.B. Kellner schon 1893 „Ambrosius als Erklärer des Alten Testaments" 15 , doch bleibt dies für lange Zeit die einzige monographische Beschäftigung mit diesem Gebiet des Ambrosianischen Arbeitens. 16 Kellners Gesamtsicht macht 11 Vgl. z.B. Hier. Prologus zu Didym. Spir. (PL 23, 108A); Praefatio zu Orig. LcHom. ( G C S 49, 1); dazu ausführlich u. 37, mit Anm. 93. 12 Moreschino passim. 13 E. Dassmann: D i e Frömmigkeit des Kirchenvaters Ambrosius von Mailand. Quellen und Entfaltung. ( M B T h 29) Münster 1965. 1 4 S.o. Anm. 4. 15 J.B. Kellner: Der heilige Ambrosius, Bischof von Mailand, als Erklärer des Alten Testaments. Ein Beitrag zur Geschichte der biblischen Exegese. Regensburg 1893. 16 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellt R. Molitor ( D e s hl. Ambrosius Gedanken über die hl. Schrift. Münsterisches Pastoral-Blatt 53 [ 1 9 1 5 ] 17-21, 4 7 - 5 2 , 7 6 - 7 8 ) A m b r o s i a n i s c h e Grundaussagen zur Bedeutung und Autorität der Schrift als Grundlage für Lehre und Lebensführung zusammen. R.H. Maiden (Saint Ambrose as Interpreter of Holy Scripture. JThSt 16 [ 1 9 1 5 ] 5 0 9 - 2 2 ) beschäftigt sich mit der Übernahme der allegorischen A u s l e g u n g aus alexandrinischer Tradition und zeigt eine Reihe von Parallelen zur Erklärung des Sechstagewerkes und der Psalmen aus Basilius auf, notiert aber auch deutliche Modifizierungen bei Ambrosius. Beide Arbeiten lassen sich in den Rahmen der von Kellner vorgestellten Sichtweise einordnen.
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Einführung
allerdings im wesentlichen die vorherrschende Anschauung des späten 19. Jahrhunderts über Ambrosius geltend; er betont die pastoralen Zielsetzungen einer primär sittlichen Unterweisung der Gemeinde. 17 Kellners Behandlung verdeutlicht zugleich denjenigen Maßstab, nach dem die Ambrosianische Aus legung in der Regel betrachtet wird. Er stellt nämlich als deren Wesenszug die Verwendung der Allegorese heraus und ordnet sie nach dem Raster der sog. „alexandrinischen" und „antiochenisehen" Auslegungsschule ein. 18 Aus dieser Blickrichtung stellt er an seiner alttestamentlichen Auslegung lediglich als positiv heraus, daß eine Abmilderung und dogmatische Korrektur der allegorischen Willkür eines Orígenes und eines Philo sowie eine allmähliche Annäherung an eine eher buchstäbliche, „antiochenische" Auslegung, die in der Hinwendung zu Basilius deutlich werde, zu erkennen seien. 19 Die Leitlinien der späteren Diskussion werden darin sowohl für die Frage nach dem Recht oder Unrecht der Allegorese als auch nach dem Verhältnis zu den Quellen seiner Werke vorgezeichnet. Demgemäß erfährt Ambrosius in der Folgezeit zum einen Ablehnung oder Desinteresse. Dies steht in Verbindung mit einer allgemeineren Kritik an der patristischen Exegese - zumindest soweit sie sich in den „allegorisierenden" Bahnen des Orígenes bewegt - , die diese Form der Auslegung allenfalls zum polemischen Bezugspunkt in der exegetischen Methodendiskussion zu Anfang des Jahrhunderts werden läßt. 20 Im besonderen steht aber das Fehlen einer intensiveren Beschäftigung mit seiner Schriftauslegung in der älteren Diskussion in einem direkten Zusammenhang mit den (Vorab-) Urteilen über die denkerische Eigenständigkeit oder Abhängigkeit des Ambrosius. Denn es erscheint beinahe zwangsläufig so, daß die ältere Vorstellung seiner geradezu sklavischen Abhängigkeit von der momentanen Lektüre die Analyse „seiner" Exegese nicht als lohnend erscheinen lassen kann. 21 Gleichfalls die weitreichende Verwendung der Allegorese zeigt P. de Labriolle: Saint Ambroise et l ' e x é g è s e allégorique. APhC 155 (1908) 591-603. 17 Kellner 11. 183. 18 Kellner 4ff. 19 Kellner 184ff. 2 0 Besonders deutlich, gleichwohl repräsentativ dafür Jülicher 1813: „Seine exegetischen Arbeiten sind trotz des darauf verwandten Fleißes keine angenehme Lektüre, breit, schwülstig und in der Allegoristik ungeheuer ausschweifend, am peinlichsten die Expositio evangelii s e c u n d u m Lucam...". Ein entsprechendes Urteil begegnet bei Wilbrand 3 6 9 und Bardenhewer; für letzteren stellt die Allegorese ein „regelloses Spiel" dar (III 527). Aber selbst noch für die jüngste Gesamtcharakterisierung bei Moreschino spielt die Auslegung faktisch kaum eine Rolle; er führt nicht über Inhaltsreferate einzelner Traktate und die Nennung der Vorbilder hinaus. Kennzeichnend ist vielmehr das gerade für die Lukaserklärung deutlich negative Urteil: „Die Weitschweifigkeit des Werkes jedoch, zusammen mit seinem Kanzelrednerton, machen einen uneinheitlichen, zuweilen sogar oberflächlichen Eindruck. Es versteht sich, daß auch ihm die Kritik des Hieronymus nicht erspart blieb..." (119). 21 Zumeist erscheint Ambrosius lediglich in auslegungsgeschichtlichen Längsschnitten, die über die Einzelstellen hinaus kaum einen wirklichen Zugang zu seiner Exegese ermöglichen. Daneben wird zwar die Schrift vielfach als Grundlage des Ambrosianischen Denkens und Argumentierens herausgestellt, doch führt dies kaum zu einer eigenständigen Beschäftigung mit seiner Auslegung, die über die jeweilige thematische Perspektive hinausgreift; s o etwa bei Dudden II, 558-60, L. Herrmann: Ambrosius von Mailand als Trinitätstheologe. ZKG 6 9 ( 1 9 5 8 ) 197-218, Hahn (s. A n m . 3 8 ) 508-11. D i e Ambrosianischen Grundüberzeugungen Uber das W e s e n der
Die Ambrosianische Schriftauslegung in der Forschung
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Dementsprechend herrscht in den wenigen Arbeiten, die sich der Ambrosianischen Exegese unmittelbar und nicht nur unter einer theologisch-thematischen Perspektive widmen, die Frage nach den Quellen bei weitem vor. G. Lazzati (1960) verbleibt ganz in der Perspektive einer Quellenstudie und hebt lediglich die kunstvolle sprachliche Verarbeitung der Vorlagen durch Ambrosius besonders hervor. 22 Die gleiche Blickrichtung herrscht zunächst noch bei L.F. Pizzolato (1965) vor, der die Entstehung des Corpus der Ambrosianischen Psalmenauslegung (Expositio Psalmorum XII) und ihre Quellen untersucht.23 Ebenfalls der Auslegungen der Psalmen widmet sich H.J. auf der Maur (1977), der eine minutiöse Sammlung der Einzelbemerkungen für einen jeden ausgelegten Psalmvers vorstellt und kaum weniger ausführlich die Übereinstimmungen mit der Vorlage der Psalmkommentierung des Orígenes dokumentiert.24 Auf der Maur greift aber kaum über die Sichtung des Materials hinaus. Allerdings erkennt er neben der deutlichen und ausgiebigen Benutzung des Orígenes doch auch eine Eigenart und Selbständigkeit der Ambrosianischen Kommentierung in vielen Einzelheiten. Als keimzeichnend stellt er dabei vor allem eine „Christologisierung" der Psalmen heraus. Entsprechend der engen Verknüpfung der Untersuchung der Ambrosianischen Auslegung mit der Frage nach den Quellen und der Eigenständigkeit sei nes Denkens findet eine grundlegende Neuorientierung, die für die Bewertung des Bischofs insgesamt und besonders für die Ambrosianische Schriftauslegung entscheidende Bedeutung hat, in einer Arbeit von H. Savon (1977) 2 5 statt, die sich eine Revision seines Umgangs mit Philo als einer grundlegenden Quelle für seine alttestamentlichen Traktate zur Aufgabe macht. Savon führt vor allem methodisch über die Blickrichtung und Arbeitsweise der QuellenStudie hinaus. Er kritisiert deren Verfahren, Übereinstimmungen zwischen Vorlage und Bearbeitung auf der Ebene von Einzelsätzen oder Satzbruchstücken
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Schrift sind dargestellt bei J. Huhn: Bewertung und Gebrauch der Heiligen Schrift durch den Kirchenvater Ambrosius. HJ 77 ( 1 9 5 8 ) 387-96. G. Lazzati: II valore letterario della esegesi ambrosiana. (ArAmb 9 ) Mailand 1960.
L.F. Pizzolato: La „Explanatio ftalmorum XII". Studio letterario sulla esegesi di Sant' Ambrogio. (ArAmb 17) Mailand 1965. Für die gewählte Perspektive besonders aufschlußreich ist die Synopse von Partien aus Ambrosius und Orígenes 76-84. Dieser Blickrichtung entsprechend wird Ambrosius eine teilweise Eigenständigkeit vornehmlich in der literarischen Umsetzung, also auf der Ebene der sprachlichen Formgebung, deren poetischer Charakter nachdrücklich hervorgehoben ist, zugestanden (43-52; 112-19). Diese Arbeit kann zugleich als Vorarbeit für seine spätere umfassende Darstellung der Ambrosianischen „dottrina esegetica" gelten, die dann ausdrücklich eine gedankliche Selbständigkeit des Bischofs voraussetzt; s.u. Anm. 29. 2 4 H.J. auf der Maur : Das Psalmverständnis des Ambrosius von Mailand. Ein Beitrag zum Deu tungshintergrund der Psalmenverwendung im Gottesdienst der alten Kirche. Leiden 1977. Einen spezifischen Akzent setzt die Arbeit durch ihr ausgesprochen liturgiewissenschaftliches Interesse, das die auslegungsgeschichtliche Fragestellung z.T. überlagert. H. Savon: Saint Ambroise devant Γ exégèse de Philon le Juif. (Études Augustiniennes) 2 Bde. Paris 1977. W. Steidle kommt unter vergleichbaren methodischen Prämissen für das Verhältnis zu Cicero zu einem entsprechenden Ergebnis; s. W. Steidle: Beobachtungen zu des Ambrosius Schrift De officiis. V i g C h r 3 8 ( 1 9 8 4 ) 18-66; ders.: Beobachtungen zum Gedankengang im 2. Buch von Ambrosius, De officiis. VigChr 3 9 (1985) 250-298.
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Einführung
aufzuweisen. Dagegen wird die Notwendigkeit geltend gemacht, größere Kontexte in ihrem argumentativen Gefalle interpretierend zu erfassen, um die spezifische Gesamtaussage, zu der das aufgegriffene Einzelmaterial herangezogen wird, im Unterschied zur Vorlage herauszuschälen. Damit einher geht eine detaillierte Einzelanalyse, die zugleich hinter die sprachlichen Übereinstimmungen mit der „Quelle" zurückgreift und die tiefere konzeptionelle Veränderung vor Augen führt. So gelingt es ihm eindrücklich, die gedankliche Eigenständigkeit des Ambrosius gegenüber Philo nachzuweisen. Savon konstatiert eine methodisch strikt durchgehaltene kritische Rezension Philos, für die besonders die Ausgrenzung und Korrektur philosophisch-kosmologischer Themen und Denkmodelle kennzeichnend ist. Grundlegend wird vielmehr die Frage nach dem in Christus begegnenden Heil. 26 In der spezifischen Blickrichtung der Untersuchung wird diese Umprägung und Bearbeitung der Philonischen Gedanken naturgemäß in erster Linie durch die konstante Spiegelung der alttestamentlichen Texte am Neuen Testament erkennbar. Indirekt, nämlich über den Vergleich mit Philo, kommt damit auch die Exegese als die primäre Arbeitsweise des Ambrosius in den Blick. In der von Savon gewählten Vorgehensweise werden die untersuchten Ambrosianischen Traktate zugleich als Darlegungen erkennbar, deren Komposition über die Betrachtung der Schriftauslegung, die ihren gedanklichen Leitfaden bildet, nachvollzogen werden kann. Die Beobachtung seines redaktionellen Arbeitens mit Quellen und eine genauere Erfassung der komposi tori sehen Durcharbeitung seiner Werke, für die die Auslegung von biblischen Texten die Grundlage liefert, münden so ein in die Notwendigkeit, Ambrosius als Ausleger der Schrift zu begreifen, will man den inneren Antrieb seines Wirkens erfassen. Aus anderer Warte führt auch eine vorläufige Gesamtwürdigung der Ambrosianischen Beschäftigung mit philosophischen Denkmodellen durch G. Madec (1974) 27 kennzeichnenderweise zu der Einsicht, daß die Philosophie nicht als Bezugspunkt von eigenem Recht für das Denken des Ambrosius gelten darf, daß dieses vielmehr eine ausschließlich biblische Orientierung sucht. Die Bibel gilt ihm als einzige gültige Grundlage und Quelle allen Wissens. So bedient er sich lediglich philosophischer Konzeptionen aus verschiedenen Schulen, vor allem aber ihrer Begrifflichkeit und Metaphorik, um die biblische Wahrheit deutlich zu machen. Dabei vermag er bei einer intensiven Nutzung philosophischer Konzeptionen eine (relative) Selbständigkeit zu wahren. Die Ausrichtung an der Schrift erweist sich als Grundlage für einen klar abgegrenzten eigenen Savon, Exégèse passim, bes. I 378ff. G. Madec: Saint Ambroise et la Philosophie. (Études Augustiniennes) Paris 1974. Problematisch erscheint allerdings die Vorstellung einer Dissoziierung von verba und res, die eine Entlehnung (emprunt) philosophischen Guts erlaube (343f.). Für die theoretische Begründung eines solchen Umgangs mit auBerchristlichen Kultur- und Geistestatsachen, der sie von einem übergeordneten Standpunkt christlicher Wahrheit aus in Dienst nimmt, vgl. grundsätzlich C. Gnilka: ΧΡΗΣΙΣ. Die Methode der Kirchenväter im Umgang mit der antiken Kultur. Bd. I: Der Begriff des „rechten Gebrauchs". Basel, Stuttgart 1984.
Die Ambrosianische Schriftauslegung in der Forschung
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Standpunkt gegenüber der Philosophie. 28 Die Beschäftigung mit der philosophischen Bildung und Interessenlage des Bischofs weist so genauso zurück auf seinen Umgang mit der Schrift, wie die von Savon eröffnete Sicht auf den kritischen Bearbeiter seiner Quellenvorbilder. Von dieser Mitte aus werden darüber hinaus auch die von Dassmann beschriebene Eigentümlichkeit seiner persönlichen Spiritualität und seines seelsorgerischen Wirkens beleuchtet. Die somit deutlicher beobachtete Eigenständigkeit des Ambrosianischen Denkens in der Auseinandersetzung mit Quellenvorbildem bildet die Grundlage für den Versuch von L.F. Pizzolato (1978) 29 , aus den Ambrosianischen Äußerungen über die Schrift und ihre einzelnen Bücher sowie über Grundsätze und Modi für deren Auslegung - wobei bildhafte Darlegungen einbezogen werden - seine „Lehre von der Auslegung" (dottrina esegetica) zu rekonstruieren, die die Leitlinien und Grundlagen seines Vorgehens offenlegt. In der Beschreibung der wesentlichen Verfahrensweisen der Auslegung und mit der ordnenden Zusammenstellung der Grundüberzeugungen des Bischofs über das Wesen der Schrift ist eine sichere Grundlage für die weitere Beschäftigung mit der Ambrosianischen Schriftauslegung gelegt. 30 An ihr werden zugleich die verbleibenden Problemstellungen einer hermeneutisehen Erschließung der Auslegung ablesbar.
2. DIE PROBLEMSTELLUNG EINER HERMENEUTISCHEN GRUNDLEGUNG DER EXEGESE
Die Frage nach dem inneren Antrieb und dem eigentlichen Ziel der Ambrosianischen Auslegung wirft noch immer Probleme auf, die an der Studie von Pizzolato exemplarisch deutlich werden. Pizzolato stellt die expliziten Bemerkungen über exegetische Fragestellungen im Ambrosianischen Werk zusammen und systematisiert sie zu einer „Auslegungslehre" (dottrina esegetica). Dieses Verfahren beinhaltet zunächst das Grundproblem jedes systematischen Zugangs zum Werk des Bischofs, der seine Themen gerade nicht in lehrhafter 28 Madec 339-47. L.F. Pizzolato: La dottrina esegetica di sant' Ambrogio. (SPMed 9) Mailand 1978. Die Problematik der Ambrosianischen Eigenständigkeit, die die Voraussetzung für die Möglichkeit einer Rekonstruktion seiner exegetischen Leitlinien bildet, erörtert Pizzolato, Dottrina 4ff. Als Vorarbeiten für diese Studie können die im folgenden genannten Arbeiten des Verfassers angesehen werden: La „Explanado Psalmorum XII". (s.o. Anm. 23); Ders.: La Sacra Scrittura fondamento del metodo esegetico di sant' Ambrogio. In: Ambrosius Episcopus ... 1393-426. Im wesentlichen bewegen sich die Beiträge zu Ambrosius in neueren auslegungsgeschichtlichen Sammelwerken und Einführungen im Rahmen seiner Ergebnisse. Vgl. B. de Margerie : Introduction à Γ histoire de Γ exégèse. Bd. II: Les premiers grands exégètes Latins. Paris 1983, 99143; G. Nauroy: L' Ecriture dans la pastorale d'Ambroise de Milan. In: La Bible de tous les temps. Bd. 2: Le monde latin antique et la Bible. Hg. v. J. Fontaine u. C. Pietri. Paris 1985, 371408; ferner sehr knapp und allein mit Blick auf das Einzelproblem der geistigen Deutung M. Simonetti: Lettera e/o Allegoria. Un contributo alla storia dell' esegesi patristica. Rom 1985, 271-80.
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Argumentation zusammenhängend entfaltet. Das analytisch-systematische Verfahren erfaßt darum nur sehr bedingt das Wesensmerkmal seines Arbeitens. Denn wie Savon deutlich gezeigt hat, eröffnen sich die leitenden Gesichtspunkte seines Vorgehens erst auf dem Wege der nachzeichnend interpretierenden Beobachtung über längere zusammenhängende Texteinheiten hinweg. Daher weist nicht nur Pizzolatos ausdrücklicher Verzicht auf eine Beschäftigung mit der Auslegungspraxis 31 auf das bleibende Desiderat einer solchen Untersuchung hin. Vielmehr muß die notwendige Untersuchung des Vorgangs und der Praxis der Auslegung prinzipiell zu einem wichtigen Korrektiv für die Beurteilung der Auslegungs/eAre avancieren. Denn erst auf der Grundlage einer Beschreibung seines exegetischen Arbeitens, die dessen innere Logik und Leitlinien aufzudecken sucht, kann im Vergleich mit den Einsichten der exegetischen ,.Lehre" deren Wert und Tragfähigkeit beurteilt werden. Erst damit erschließt sich auch der Grad der hermeneu tischen Bewußtheit seiner exegetischen Praxis. Im Versuch, das Regelwerk der Auslegung nach bestimmten begrifflichen Schemata zu erfassen, wie es bei Pizzolato geschieht, besteht zusätzlich die Gefahr, daß künstlich getrennt wird, was sich in der Darstellung des Ambrosius als organisches Ganzes ausnimmt, und daß es zugleich aus seinem gedanklichen Kontext gelöst wird. 32 Ambrosius nutzt nämlich gerade die semantische Vielschichtigkeit von Begriffen dazu, sie in unterschiedliche Assoziationsreihen und gedankliche Kontexte einzuordnen, woraus sich ihm die Möglichkeit erschließt, die tiefere Einheit sowie die Querverbindungen und Wechselwirkungen zwischen Themen und Problemstellungen aufzuzeigen, die andernfalls als abgegrenzt erscheinen könnten; dies wird die Untersuchung an vielen Stellen erweisen. Zudem werden bestimmte Zusammenhänge und Konzepte in ihrer Bedeutung für die Ausrichtung und Grundlegung der Exegese überhaupt erst dann erkennbar, wenn sie in der Interpretation in ihrem Kontextgefüge eingebettet bleiben. 33 Demi es muß beachtet werden, daß sich mit der Frage nach der Auslegung und ihrer henneneutisehen Anleitung grundsätzlich immer zugleich auch das Problem stellt, was die Wahrheit des Christlichen inhaltlich ausmacht, und wie
31 Pizzolato, Dottrina 4. 32 Besonders deutlich wird diese Gefahr in der Interpretation des Ambrosianischen Proömiums der Lukaserklärung: Pizzolato unterscheidet zwischen einer Zuordnung des Evangeliums nach sog. „literarischen Genera" einerseits (Dottrina 136ff.) und nach Themengebieten der Darstellung andererseits (179ff), ohne daß nach einer möglichen inneren Verbindung deutlich gefragt würde; s. dazu u. 30f. mit Anm. 56. In entsprechender Weise begegnen die zum Vergleich für Lukas herangezogenen zentralen Ordnungsbegriffe moralis und mysticus einerseits (zusammen mit naturalis) in der Bestimmung biblischer Themenfelder im Vergleich zur Philosophie (Dottrina 159ff.) und bilden andererseits (zusammen mit littera, historia) die Grundlage für die Beschreibung verschiedener Sinnschichten des biblischen Textes und der korrelierenden Ebenen der geistigen Auslegung (Dottrina 244ff.). 33 Beispiele solcher entscheidender Texte, die bei Pizzolato bezeichnenderweise sämtlich unberücksichtigt bleiben, in Kap. IV, 175ff.
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sich dazu die menschlichen Verstehensmöglichkeiten verhalten. Epistemologie und Theologie im engeren Sinne dürfen daher in der Beurteilung der Auslegung nicht ausgeblendet werden. Gerade darum muß vor allem die Tatsache klarer herausgehoben und bewertet werden, daß Ambrosius seine Einsichten und Überlegungen über das Wesen der Exegese selbst wiederum (zum größeren Teil) in der Form des exegetischen Traktats darbietet, die vorgeblich „theoretische" Reflexion also ihrerseits bereits Teil der „Praxis" der Auslegung ist. Denn damit wird die Grundsatzfrage nach der Bedeutung und Leistungsfähigkeit der Exegese für das theologische Erkemien und Arbeiten noch einmal neu gestellt und in ihrem Sachzusammenhang mit dem Kern der theologischen Orientierung des Ambrosius in gänzlich anderem Umfang beantwortbar. Bei Pizzolato wird nämlich die unerläßliche Einbettung der Leitlinien und Prinzipien der Auslegung in das theologische Gedankengebäude insgesamt vernachlässigt. Seine ausschließliche Konzentration auf die expliziten Bemerkungen des Ambrosius zum auslegerischen Vorgehen läßt die theologischen Voraussetzungen der Auslegung nicht deutlich werden. So können weder mögliche Wechselbeziehungen zu den vorherrschenden theologischen Streitfragen, noch die Stellung und Begründung der Schrifthermeneutik im Kontext der soteriologischen und christologischen Einsichten in den Blick geraten. (Diese beiden Gebiete bilden, so wird sich zeigen, die vorrangigen Bezugspunkte, die entsprechenden Überlegungen gelten aber prinzipiell in gleicher Weise auch für Ekklesiologie oder Pneumatologie usw.) Ein weiteres grundsätzliches Defizit muß noch angesprochen werden. Nur selten macht Ambrosius die Relation seines Auslegens zu seinem Publikum in einer theoretischen Überlegung deutlich, so daß diese Fragestellung bei Pizzolato eine untergeordnete Rolle spielt und letztlich als Sonderproblem der Vortragsweise und der homiletischen Anwendung von Auslegung betrachtet wird. 34 Demgegenüber gilt es aber, die Frage nach den Zielsetzungen der Auslegung an zentraler Stelle zum Thema zu machen, wodurch notwendigerweise der Wirk- und der Publikumsaspekt, d.h. die innere Beziehung von Auslegung und Verkündigung, verstärkte Bedeutung erhält. Denn beide Bezugsgrößen sind für den rhetorisch Gebildeten der Antike selbstverständliche Orientierungspunkte, ohne daß man erwarten dürfte, daß dies gegenüber dem Publikum jeweils eigens offengelegt werden müßte. In diesem Bezugsrahmen ist damit gleichzeitig noch einmal die Frage gestellt, ob und in welcher Form es zu einer theologischen Begründung der eigenen Zielsetzungen und Verfahrensweisen im Hinblick auf das Publikum und auf die Wirkabsicht des exegetischen Arbei tens kommt. In allen genannten Momenten, nämlich der schematischen begrifflichen Separierung, der fehlenden Verknüpfung mit der dogmatischen Diskussion und der Vernachlässigimg der Wirkabsichten der Auslegung, kommt also letztlich 3 4 Vgl. die Abschnitte
esegeta e il pubblico", 305-08, und „II momento espressivo", 308-13.
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zum Ausdruck, daß die Beziehung der Schrifthermeneutik zur Theologie grundsätzlicher beachtet werden muß. Mit der Frage nach der Schrift ist immer auch schon die Frage nach der göttlichen Wahrheit schlechthin und nach den Erkenntnismöglichkeiten des Menschen gestellt. Darin wird die biblische Hermeneutik in den Kontext einer theologisch fundierten Epistemologie eingeordnet und zu einer inhaltlichen Rechenschaft über den Wesenskern des Glaubens in Beziehung gesetzt. So bleibt die in der Praxis der Auslegung wirksame und darum vorrangig dort zu beobachtende theologische Grundlegung der Schrifthermeneutik eine Aufgabe der Analyse und Interpretation, die das Wesen von Schrifthermeneutik als eine Aufgabe und Disziplin der Theologie deutlich macht. Erst von dort aus kann die Schrifthermeneutik auch als Instrumentarium für die technische Erschließung der Schrift vorgestellt werden. Für diese Aufgabe soll der Untersuchung die einzige ausführliche Auslegung einer neutestamentlichen Texteinheit, nämlich die Lukaserklärung des Bischofs {Expositio Evangelii secundum Lucani) zugrunde gelegt werden. 3 5 Mit der Wahl dieser Textgrundlage verbindet sich eine weitere grundsätzliche Erwägung der Defizite in den bisherigen Deutungen der Ambrosianischen Exegese. Die wenigen bisherigen Arbeiten, die sich seiner Auslegung im Einzelnen zuwenden, nehmen nämlich ausnahmslos ihren Ausgangspunkt bei der Analyse alttestamentlicher Auslegungen; darin geht schon Kellner (1893) voran. Dieser Zugang dürfte durch die größere Zahl der Ambrosianischen Traktate zu alttestamentlichen Texten bedingt sein. Dagegen ist die Lukaserklärung selbst, das einzige Beispiel einer dezidiert neutestamentlichen Exegese, noch nicht Gegenstand einer eingehenden Analyse gewesen. 36 Die vorherrschende Konzentration auf die Auslegungen alttestamentlicher Bücher erscheint jedoch aus verschiedenen, nicht zuletzt theologischen Erwägungen als unzureichend. 37 Beinahe unausweichlich schiebt sich nämlich mit 35 Ihre Veröffentlichung erfolgte wahrscheinlich im Jahre 391. Zu dieser Datierung führt eine neuere Untersuchung der Apol. Dav. II, deren sermones auf der Mailänder Synode von 390 gehalten wurden, während die Apol. Dav. I als deren Überarbeitung zum Ende des selben Jahres entstand; s. F. Claus: La datation de Γ Apologia prophetae David et Γ Apologia David altera. Deux oeuvres authentiques de saint Ambroise. In: Ambrosius Episcopus ... II 168-193, bes. 185ff. Diese Datierung muß als neuer Terminus post quem für die Schlußbearbeitung der Expositio gelten, da in III, 38 (666f.) auf die Apol. Dav. I hingewiesen wird; s. Claus 178f. mit Anm. 22. Die älteren Untersuchungen datieren sämtlich früher: Dudden II, 687, Palanque 529f. auf das Jahr 390; M. Ihm: Studia Ambrosiana. Commentatio ex supplements annalium philologicorum seorsum expressa. Leipzig 1889, 25, nach 387; Campenhausen 184f. auf 387; Schenkl (CSEL 32/4), Praefatio Xlllf. auf 386; und Kellner 131 auf 385. Nach ihrer Schlußbearbeitung gehört die Expositio damit zu den späteren Werken, greift aber mit den ihr zugrundeliegenden Einzelauslegungen, die zu den unterschiedlichen Datierungen Anlaß gegeben haben, zugleich Uber einen längeren Zeitraum der Ambrosianischen Schriftauslegung zurück. Mit dieser chronologischen „Mittelstellung" erfaßt die Lukasauslegung so zugleich einen relativ breiten Querschnitt des Wirkens und der theologischen Themen des Bischofs. 36 Das konventionell - von Jülicher (1894) bis Moreschino (1984); s.o. Anm. 20 - besonders negative Urteil zur Lukaserklärung spiegelt sich in dieser Vernachlässigung deutlich wieder. 37 Die besondere theologische Notwendigkeit einer ausführlichen Erklärung des Alten Testaments ist für die Zeit des Ambrosius gleichwohl evident, und soll hier nicht bestritten werden. Bei-
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dem gewählten Standpunkt beim Alten Testament die Perspektive einer Überschreitung des Alten in Richtung auf das Neue Testament als primäre Denkbewegung der Exegese in den Vordergrund. Damit wird die Notwendigkeit zur Geltung gebracht, das Alte vom Neuen Testament aus zu erschließen, durch das es erst seinen eigentlichen Simi erhält und als „christliches" Buch erwiesen und zum Sprechen gebracht wird; diese Grundüberzeugung teilt Ambrosius mit der gesamten Alten Kirche und verteidigt sie in der Abwehr markionitischer und gnostisch-manichäischer Modelle. 38 Ohne daß dies in der Interpretation kritisch reflektiert würde, ist damit aber letztlich ein Sonderproblem, nämlich modern gesprochen - die Frage nach der alttestamentlichen Hermeneutik ins Zentrum der Analyse und Deutung der exegetischen Denkbewegung gerückt. Daß die damit weitgehend vorherrschende Perspektive zu Verschiebungen der Gewichte führt, läßt sich wiederum beispielhaft daran ablesen, welche Schwierigkeiten bei Pizzolato in der Beschreibung der hermeneutischen Grundsätze für eine exegetische Erschließung des Neuen Testaments auftreten. Nach seiner Klassifizierung und Beschreibung verschiedener Schriftsinne fällt die fundamentale exegetische und hermeneutische Entscheidung in der Erschließung des tieferen, geistigen Sinns der Schrift, d.h. zuletzt und vor allem in der Frage nach dem sog. „mystischen" Schriftsinn. Für Pizzolato ist der zentrale Vorgang der ,.mystischen" Interpretation die Überschreitung des Alten in Richtung auf das Neue Testament. Die spirituelle Exegese erfordert die Ausrichtung auf das Christus-Mysterium, das sich im Neuen Testament, genauer in den Evangelien, dargestellt findet. Grundlegend sind darum für ihn die Verweisschemata von Prophetie und Typologie. Im Gefolge dieser Sichtweise birgt die Ambrosianische Forderung einer „mystischen" Interpretation in der Anwendung auf das Neue Testament große Schwierigkeiten, da hier das Ziel der Auslegung, nämlich Christus, direkt als Auslegungsgegenstand begegnet. Demgemäß sieht Pizzolato eine „mystische" Interpretation des Neuen Testaments als scheinbare Tautologie: Sie erzeugt für ihn eine Lektüre des Christusgeschehens, die schon aus der Perspektive des Christusgeschehens vorgenommen wird und in die gleiche Zielrichtung zurückmündet. 39 Pizzolato löst diese Tautologie dahingehend auf, daß die „mysti-
spielhaft verdeutlicht Augustin, der wohl bekannteste Hörer der Ambrosianischen Predigten, wie sehr die Anstößigkeit der anthropomorphischen Sprache der Erklärung bedurfte, und wie weit verbreitet Tendenzen zu einem manichäischen Dualismus noch waren (Aug. conf. V-Vl passim.). Dieser Notwendigkeit stellen sich die zahlreichen Traktate zu alttestamentlichen Texten. D e n vielschichtigen Zusammenhang beider Testamente auf dem Hintergrund einer heilsgeschichtlichen Theologie des Ambrosius erweist V. Hahn: Das wahre Gesetz. Eine Untersuchung der Auffassung des Ambrosius von Mailand vom Verhältnis der beiden Testamente. (MBTh 33) Münster 1969. Hahn behandelt jedoch vornehmlich die durch beide Testamente gekennzeichneten heilsgeschichtlichen Epochen und ihrer Zuordnung in der Theologie des Ambrosius (3). Im engeren hermeneutischen Sinne vgl. Pizzolato, Dottrina 43-87, bes. 44. 3 9 Pizzolato, Dottrina 252-61. Vgl. bes. 256: „Pariare ... di letteratura mistica del NT parebbe una tautologia, dato che Christo agisce in prima persona in questo ambito scritturistico."
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sehe" Interpretation des Neuen Testaments Christi Auftreten in Person in den globalen heilsgeschichtlichen Zusammenhang seines Wirkens zwischen Präexi Stenz und Eschaton einordnet. 40 Weniger in der angedeuteten Lösung als in der Fragestellung deutet sich an, daß es einer klareren Erfassung der m.E. richtig gesehenen Ausrichtung auf das Christusgeschehen für die Exegese bedarf, will man Ambrosius nicht eine grundsätzlich andere Hermeneutik für das Neue als für das Alte Testament unterstellen, wovon er nichts zu erkennen gibt. Es zeigt sich, daß mit der vorherrschenden einseitigen Blickrichtung vom Alten zum Neuen Testament bestimmte Probleme verdeckt werden, die nicht befriedigend erklärt sind und die im folgenden skizziert werden sollen. 41 Die Ambrosianische Hermeneutik, oder richtiger, deren Interpretation, muß sich also darin als tragfähig erweisen, daß sie gerade die Auslegung des Neuen Testaments sinnvoll auf zuschließen und anzuleiten vermag. Diese Notwendigkeit wird eigentlich bereits durch die bei Pizzolato vorgestellte Auslegungsbewegung eines Voranschrei tens vom Alten zum Neuen Testament analog zur Heilsgeschichte selbst gefordert und ist zugleich theologisch begründet. Liegt nämlich der Schlüssel für die Interpretation des Alten Testaments im neutestamentlich bezeugten Heilsgeschehen, so
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Eine analoge Schwierigkeit in der Bewertung der neutestamentlichen Exegese läßt sich bei der Frage nach der Beziehung beider Testamente erkennen. Pizzolato, Dottrina 43ff. erhebt einerseits aus den Texten des Ambrosius klar die Notwendigkeit, das Alte Testament in einer gleichsam heilsgeschichtlich begründeten Lektüre in Richtung auf das Neue Testament zu Uberschreiten (vgl. bes. 53). Umgekehrt wird dagegen die Leistungsfähigkeit des Alten Testaments für die Erkenntnis dieses Mysteriums im Neuen Testament, oder technisch gesprochen, seine Erkenntnisfunktion für die Interpretation des Neuen Testaments nicht erkennbar. Die größere Klarheit des Neuen Testaments in der direkten Darstellung des mysterium beinhaltet nämlich faktisch dessen Suffizienz in der Erkenntnis und veranlaßt Pizzolato zu einer Verlegenheitsauskunft, wonach das Alte Testament als „nicht-notwendige Hilfe" für das Neue fungiere: „... il NT ha in sé, nella sua forma testuale, la pienezza delle significazioni dei mysteria, senza bisogno di estrarla necessariamente tramite Γ AT, il quale quindi si pone nei suoi confronti come aiuto non necessario. Mentre invece all' AT è necessario il soccorso del NT per superare la semi-pienezza della sua lettera e per chiarificare le sue oscurità" (Dottrina 50). Pizzolato, Dottrina 258f. Mit eigentümlicher Akzentsetzung folgt einem analogen Schema de Margerie, der die Stufungen geistiger Deutung mit dem heilsgeschichtlichen Schema von umbra - imago - Veritas verknüpft und so die geistige Lektüre des Neuen Testaments für die ausstehende Vollendung des Erkennens im Eschaton offen halten will (II 118ff.). Nicht recht einsichtig wird damit aber, inwiefern dies durch die von ihm ausgewählten Beispiele getragen wird. Er bietet dazu solche Auslegungen auf, die den Charakter der Sakramente besprechen (vgl. bes. II 127); sie zeigen aber lediglich das aktualisierende Überschreiten der neutestamentlichen Wirklichkeit in der Auslegung mit dem Ziel der Deutung und Begründung der Gegenwärtigkeit des Heils. Aus anderer Warte beschreibt C. Jacob: ,Arkandisziplin", Allegorese, Mystagogie. Ein neuer Zugang zur Theologie des Ambrosius von Mailand. (Theoph. 32) Frankfurt/M. 1990, 150-79; 187-92 die Defizite und inneren Unausgeglichenheiten einer Analyse patristischer Exegese, die sich vorrangig von der Blickrichtung auf die Verweisbeziehungen zwischen Altem und Neuem Testament bestimmen läßt, und zeigt, wie diese verengte Sichtweise mit der Methodendiskussion in den exegetischen Disziplinen verwoben ist. Er erkennt demgegenüber (wie de Margerie II, 125) den Gegenwartsbezug als Grundmoment auslegerischer Zielsetzung. Zur Auseinandersetzung mit seinem Lösungsansatz, der aus diesem Gedanken heraus die Ambrosianische Auslegung als wesenhaft sakramental begründete „Mystagogie" versteht, s. ausführlich u. den Exkurs: Ambrosius als Mystagoge? (244ff).
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müssen hier die eigentlichen exegetischen Entscheidungen von theologischer Tragweite fallen. 42 Indirekt bestätigt sogar die Beobachtung, daß unter den Werken des Ambrosius die Auslegung des Alten Testaments den breiteren Raum einnimmt, die Schlüsselfunktion der neutestamentlichen Exegese für die Interpretation der Ambrosianischen Hermeneutik. Pizzolato erkennt hierin in paradoxer Weise die Folge der Einschätzung, daß im Neuen Testament das Christusereignis direkt vor Augen steht, und daß ihm damit die größere Klarheit eignet. 43 Gerade damit wird aber deutlich, daß der Exeget hier zu den Entscheidungen kommen muß, die ihn in den anderen Teilen der Schrift anleiten. Die „Vorliebe" für das Alte Testament wird umgekehrt von Lazzati als Indiz dafür gewertet, daß Ambrosius im Neuen Testament besondere Schwierigkeiten empfunden haben müsse. 4 4 Hinter dieser Beurteilung steht zugleich der Versuch, die größere Zahl seiner Werke zum Alten Testament dadurch zu motivieren, daß Ambrosius dort durch Philo und Orígenes umfangreiche Quellen zur Verfügung standen, während ihm für das Neue Testament vergleichbare Vorlagen fehlten. 45 Das darin eingeschlossene Urteil über die Unselbständigkeit des Ambrosius bedarf keiner abermaligen Wertung. Der Hinweis auf die Quellen Vorbilder sollte vielmehr darauf aufmerksam machen, daß sich für Ambrosius augenscheinlich die kritische Abgrenzung von den Positionen seiner Vorgänger wirklich in der Einschätzung des Neuen Testaments vollzogen hat. Demi ausdrücklich bewertet er den Orígenes als mögliches Modell für die neutestamentliche Auslegung differenziert und bisweilen kritisch 46 , worin sich das Bewußtsein ausspricht, daß in der Beschäftigung mit dem Neuen Testament das Entscheidende des Chris tus glaubens hervortreten müsse, und daß demzufolge die Notwendigkeit besteht, hier zu einer begründeten eigenen Position zu gelangen. Die Erschließung eines geistigen Sinns der Schrift verlangt also über die Techniken der Auslegung hinaus eine theologische Bestimmung und Begründung desjenigen Sinnzentrums, das aller Exegese eine Zielrichtung und einen Maßstab vorgibt. Inwiefern das Christusgeschehen bei Ambrosius - auf das die „alttestamentliche" Hermeneutik unter ihrer besonderen Fragestellung als Ziel42
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Dies bemerkt im Grunde richtig Fenger, Soteriologieló. Sie leitet von dort aus aber die Frage nach dem Auswahlprinzip der Heranziehungen alttestamentlicher Texte ab. Die intensive Beschäftigung mit dem Alten Testament ist danach vor allem vor dem Hintergrund des Neuplatonismus gefordert, weil es die Vorwürfe einer scheinbaren heilsgeschichtlichen Selbstkorrektur Gottes in der Erlösung zu widerlegen galt. (16-20). Pizzolato, Dottrina 45f.58. Lazzati 47. Etwas vorsichtiger und mit dem besonderen Augenmerk auf die nur zurückhaltenden Ambrosianischen Interpretationsversuche der Paulusbriefe ferner M.G. Mara: L'interpretazione ambrosiana di Rom 1, 20. In: Paradoxos Politela. FS. G. Lazzati. Hg. v. R. Cantalamessa u. L.F. Pizzolato. (SPMed 10) Mailand 1979, 419-35, 420. Lazzati 47. So schon Kellner 72. Ebenso Huhn 388, der aber zugleich die sachliche Notwendigkeit der theologischen Auseinandersetzung mit den Manichäern hervorhebt. Ep. 65,1 (CSEL 82/2, 156): Etsi sciam, quod nihil difficilius sit quam de apostoli lectione disserere, cum ipse Orígenes longe minor sit in novo quam in veteri testamento... Zum Urteil Uber Orígenes vgl. Pizzolato, Dottrina 304f.
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punkt der Auslegungsbewegung hinweist - die geforderte theologische Mitte darstellen kann, ist darum an der Evangeliumsauslegung zu klären. Denn der bloße Hinweis auf „Christus" genügt hier, wo dieser „Christus" unmittelbar vor Augen gestellt ist, nicht mehr als Zielangabe der Auslegungsbewegung. Vielmehr bedarf es einer genaueren Klärung, was mit diesem Hinweis inhaltlich gemeint ist und inwiefern von dort aus die Struktur der Exegese bestimmt wird. 47 Auch aus diesem Grund wird also die Aufgabe einer vertieften theologischen Interpretation der Christozentrik der Auslegung deutlich. 48 Die Aufgabe der Untersuchung der Lukaserklärung wird es darum in erster Linie sein, der theologischen Struktur des exegetischen Arbeitens bei Ambrosius nachzugehen. Aus ihr wird sich zeigen lassen, daß Ambrosius erstens die Notwendigkeit der Exegese - als einzig möglicher Form theologischen Erkennens und als Grundaufgabe kirchlicher, zumal bischöflicher Tätigkeit - aus dem Sein und Wirken Christi begründet, und daß er zweitens die notwendigen Maßstäbe und Voraussetzungen für eine „richtige" Exegese von eben diesem Zentrum direkt herleitet. Er verankert die Auslegung in einem epistemologischen und hermeneutischen Konzept, das die gnadenhafte Verwirklichung des Heilshandelns Christi einzufangen und widerzuspiegeln sucht. Aus dem Wesen des Wortes als Gnadenbotschaft, Evangelium, folgt für ihn zugleich notwendig ein Verständnis von Auslegung als Verkündigung. Aus der skizzierten Aufgabe, den inneren Antrieb der Exegese aus der Ambrosianischen Praxis der Evangeliumsauslegung zu erheben, ergibt sich methodisch die Notwendigkeit, sich die Themen und Schwerpunkte der Untersuchung von den Ambrosianischen Texten selbst vorgeben zu lassen. Damit wird nicht nur vermieden, daß erneut eine thematisch begrenzte Perspektive an den Text herangetragen wird, sondern ist es vor allem auch möglich, in der notwendigen Auswahl der Interpretation gleichwohl eine für die Lukaserklärung in ihrer Gesamtheit repräsentative Erfassung der Anliegen und Schwerpunkte der Auslegungsbemühungen des Ambrosius vorzustellen. Die Untersuchung nimmt daher ihren Ausgangspunkt beim Ambrosianischen Proömium zur Lukaserklärung, das als Reflexion über den Charakter dieses Evangeliums selbst schon erste Richtlinien seiner Auslegung freilegt, die Ambrosius in der anschließenden Auslegung des lukanischen Prologs (Lk 1,1-4) Das Erfordernis einer solchen theologischen Begründung des kritischen Maßstabs, an dem sich die Berechtigung einer Auslegung erweist, gilt in verstärktem Maße gegenüber dem Versuch, die Überschreitung der Wirklichkeit des Neuen Testaments (vor dem Hintergrund der Fortführung der Heilsgeschichte) mit dem Ziel der Vergegenwärtigung als Strukturmoment der Exegese festzuschreiben wie bei de Margene (s. Anm. 30) und Jacob (s. Anm. 41). Es wäre vor allem zu fragen, inwiefern diese „Gegenwart" - die als Zielvorgabe zum Orientierungspunkt der Auslegung würde - auf der Grundlage der Schriftauslegung und durch die Schriftauslegung für eine theologische Bewertung erst transparent gemacht wird. Auf diese Notwendigkeit weist - mit Blick auf die griechischen Kirchenväter - jüngst J. Panagopoulos hin: Christologie und Schriftauslegung bei den griechischen Kirchenvätern. ZThK 89 (1992)41-58.
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fortschreibt und präzisiert (Kap. I). In einer ersten breiteren Annäherung an die Auslegungspraxis wird sodann Ambrosius' Auslegung der lukanischen Vorgeschichte analysiert, die die Überlegungen seines eigenen Proömiums weiter ausgestaltet und für die Einzelauslegung fruchtbar macht (Kap. II). In diesen Abschnitten, die auch sachlich eine weiterreichende Bedeutung gewinnen, weil in ihnen die Begegnung des Menschen mit der Christus-Botschaft paradigmatisch zum Thema wird, werden die Schwerpunkte seiner Interessen noch einmal profilierter erkennbar; dazu trägt nicht zuletzt der Vergleich mit der ihm vorliegenden Quelle, nämlich mit den Lukashomilien des Orígenes, bei. Gerade der ausführliche Vergleich mit einer solchen Hauptquelle kann die Formen und Themenschwerpunkte des exegetischen Arbeitens gegenüber ihrer „theoretischen" Erfassung in der dottrina esegetica noch einmal kritisch abheben. Von den in diesen Abschnitten ermittelten Hauptpunkten des Auslegungsinteresses werden die weiteren Fragestellungen der Analyse vorgezeichnet. Ambrosius zeigt die Notwendigkeit einer antihäretisch profilierten theologischen Begründung und Zielrichtung der Auslegung (Kap. IV und V) und macht von dort aus zum Thema, wie aus dem Wesen der Wahrheit selbst der Weg ihrer Erschließung und Vermittlung herzuleiten ist (Kap. VI). Diese Einsichten leiten seine Kommentierung des Wirkens und Redens Christi an und werden aus dieser Kommentierung wiederum bestätigt (Kap. VII und VIII). Die damit beschriebene „zirkuläre" 49 Bewegung der exegetischen Erschließung erweist sich als Kennzeichen einer echten Hermeneutik, die das Denken in der beständigen Vermittlung zwischen der Betrachtung des Einzelnen und dem Vorentwurf einer Gesamtdeutung immer neu in Bewegung setzt. Bei all dem erweist sich aus der Sicht des Ambrosius die Notwendigkeit der Vermittlung exegetischer Einsichten, d.h. die Predigt, als konstitutiv für das Wesen der Schriftaus legung. Die theologische Durchdringung der Gestaltung des Redens wird darum an Beispielen abschließend gezeigt (Kap. IX).
4 9 Vgl. für diesen Grundvorgang hermeneutischer Sinnerschließung, besonders für die Vorstellung des sog. hermeneutischen Zirkels H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik (Ges. Werke 1). 5. durchges. u. erw. Aufl. Tübingen 1986, bes. 281ff. Gadamer ( 2 8 5 ) macht vor allem darauf aufmerksam, daß die Anerkennung von Autorität als Grundlage im Verstehensprozeß nicht mit widervemünftiger Setzung verwechselt werden darf. Dies muß beachtet werden, wenn die zirkuläre Beziehung zwischen einem normativen Auslegungsmaßstab und der Einzelauslegung beschrieben wird. Denn es ist für das Ambrosianische Denken von entscheidender Bedeutung, daß es von vornherein als religiöses verstanden werden will, d.h. als ein Denken, das sich an bestimmte Grundlagen gebunden weiß und die vorgebliche Freiheit der Diskursivität zurückweist.
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Einführung 3. DIE EXPOSITIO EVANGELII SECUNDUM FORM U N D LITERARISCHER
LUCAM.
CHARAKTER
In der vorliegenden Endgestalt ist die Ambrosianische Lukaserklärung (Expositio Evangelii secundum Lucam) ein komplexes Gewebe unterschiedlicher Textsorten, die auf verschiedene Arbeitsweisen und Bearbeitungsgänge hinweisen. Die Expositio kann weder einheitlich als Sammlung von Homilien, noch als durchgängig wissenschaftlicher Kommentar beschrieben werden. Sie stellt vielmehr das Produkt einer redaktionellen Endbearbeitung dar, in der Ambrosius unterschiedliche Vorstufen für die Veröffentlichung zu einer Einheit zusammengefügt und, wie gezeigt werden soll, vor allem auch überarbeitet hat. Auch der Titel des Werkes, den bereits Augustin bezeugt 50 , und der darum wohl ursprünglich sein dürfte, legt die Art der Erklärung nicht auf eine bestimmte literarische Gattung fest. Die Begriffe exponere und expositio werden vielmehr sowohl bei kirchlichen Schriftstellern als auch in der spätantiken Kommentarliteratur in einem allgemeinen Sinne für das Interpretieren bzw. Erklären von Texten verwendet. 51 Die Verwendung des Terminus in der rhetorischen Fachsprache, die semantisch der Bedeutung „Erklären" benachbart ist 5 2 , bezeichnet eine zusammenhängende Darlegung und argumentative Entfaltung eines (strittigen) Zusammenhangs in der Form der narratio 5 3 Interessant ist vor allem, daß Quintilian diese Form der Darstellung auch als Merkmal des historischen Genus, der historia, kennzeichnet. 54 Denn Ambrosius charakterisiert die Darstellungsweise des Lukasevangeliums als stilus historicus und umschreibt sie annähernd synonym mit narratio.55 Insofern scheint
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Aug. Grat. Chr. 44,48 (CSEL 42,160). Weitere Bezeugungen und die Tituli der Codices bei Adriaen (CCL 14) 1. In der spätantiken Literatur gebraucht beispielsweise Serv. ecl. 7,6; Aen. 4,656 den Begriff exponere für die Texterklärung. Unter den christlichen Schriftstellern ist er weitgehend synonym mit interpretari und explicare von Hier. ep. 22,29,2; 52,8,2 (u.ö.) und Aug. civ. 20,22 gebraucht; vgl. zahlreiche weitere Stellen ThLL 5,2 (1931-53) s.v. expono IIB2a. Das Nomen expositio wird in der gleichen Bedeutungsspanne benutzt, so z.B. bereits von Tert. pud. 9; adv. Prax. 14; (s. ThLL 5,2 [1931-53] s.v. expositio II A2) und begegnet als Titelbezeichnung in einem Horazscholion (Schol. Hor.ht cod. A) ebenso wie bei Aug. retract. 2,32; vgl. ThLL ebd. Bei Ambrosius selbst ist Expositio als Titel auch in einer Reihe von Codices der Erklärung des 118. Psalms (Expos.Ps. 118 [CSEL 62]) vorangestellt; s. Petschenig, Praefatio VI, Vllf. 52 S. ThLL 5,2 (1931-53) s.v. expono II Β 1. 53 Quint. Inst. IV 2,1-132. In dieser Bedeutung benutzt z.B. Hil. coli, antiar. ser. Β 1,5 (lOlf.) den Begriff exponere für die Darstellung der Ereignisse auf der Synode von Beziers (356); dazu ausführlich J. Doignon: Hilaire de Poitiers avant Γ exil. Recherches sur la naissance, Γ enseignement et Γ épreuve d'une foi épiscopale en Gaule au milieu du IV e siècle. Paris 1971, 468ff. •54 Quin. Inst II 4,2: ... historiam, in qua est rei gesta expositio... ; vgl. IV 2,2: . .. expositionem ... personae ... loci ... temporis ... causarían, quibus historici frequentissime utuntur, cum exponunt... \ vgl. ferner VI 3,44; X 1,32. 55 Prol 1 (1-4); 7 (109-15); s. ausführlich u. 29ff.
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möglicherweise bereits im Titel eine gewisse Entsprechung zwischen dem Charakter des Evangeliums und der Form seiner Interpretation angedeutet. 56 Die Frage nach der Form der Erklärung ist keineswegs sekundär für die Analyse der Ambrosianischen Lukasauslegung, da sich mit ihr bestimmte Vorstel lungen von der Arbeitsweise des Bischofs verbinden, die - bei den Interpreten oft unausgesprochen - Rückwirkungen für die Bewertung seiner Ausführungen und nicht zuletzt für das methodische Vorgehen ihrer Analyse haben. Darum ist vorab zumindest eine ansatzweise Orientierung über den Textcharakter der Expositio erforderlich, soweit dies vor einer Einzelanalyse von Textgruppen schon geschehen kann. Denn eine nähere Formbestimmung ist gerade wegen der Bearbeitung unterschiedlicher Vorlagen für die Veröffentlichung nur schwer und erst in einer intensiven Einzelanalyse des jeweiligen Textbereiches möglich. Die Fragestellung wird darum die Interpretation der Ambrosianischen Auslegung insgesamt begleiten müssen. In älteren Darstellungen wird in aller Regel vorausgesetzt, daß für die Veröffentlichung lediglich ältere Predigttexte zusammengestellt wurden 57 ; sogar eine kontinuierliche Reihenpredigt über das Lukasevangelium wird dazu als Grundlage angenommen. 58 Diese Einschätzung hat sich im Laufe der weiteren Beschäftigung mit der Expositio in der Forschung zunehmend differenziert. Im Kern faßt noch H. Schenkl 59 die Expositio ebenso auf, auch wemi er die Vorstellung einer kontinuierlichen Predigt des Evangeliums begründet zurückweist. 6 0 Schenkl aber macht zugleich darauf aufmerksam, daß mit Buch III und Teilen aus Buch X zwei große Textbereiche von vornherein schriftlich abgefaßt sind. 61 Den Versuch einer genaueren Unterscheidung und Gruppierung (ursprünglich) homiletischer und von vornherein schriftlich niedergelegter Aus -
Die terminologische Entsprechung allein rechtfertigt diese Deutung noch nicht - dies zeigen allein schon die Praescriptiones der Expos. Ps. 118 und die breitgestreuten Verwendungen in der Kommentarliteratur (s.o. Anm. 51) - doch wird sich zeigen, daß Ambrosius aus dem Charakter des Evangeliums die Notwendigkeit zu einer korrespondierenden Form der Auslegung ableitet; s.u. 34f. 71ff. Die Verknüpfung von historia und ihrer Erklärung in Form der expositio deutet wiederum Quintilian an, der dies als Aufgabe des Grammatikus beschreibt; Quint. Inst. I 2,14: grammaticus ... historias exportât... 57 Noch J.P. Migne stellt dies in der Maurineredition von 1886 (PL 15, 1603) als unstreitige communis opinio dar. 58 Einen Zeitraum von zwei Jahren nimmt dazu Migne PL 15, 1605 an. An nur ein Jahr denkt M. Ihm: Studia Ambrosiana. Commentano ex supplements annalium philologicorum seorsum expressa. Leipzig 1889, 24. 59 Expositio evangelii secundum Lucan. Ree. C. Schenkl. Opus auctoris morte interruptum absol uit H. Schenkl. (CSEL 32/4) Prag, Wien, Leipzig 1902, Praefatio I. Seiner Einschätzung folgen Bardenhewer 519f. und Schanz 337f. Schenkl, Praefatio Ilf. Zusätzlich lassen die Ambrosianischen Hinweise auf gottesdienstliche Lesungen, auch wenn sie sich nur in seltenen Fällen relativ sicher bestimmten Daten zuweisen lassen, klar erkennen, daß lukanische Perikopen zu verschiedenen Zeiten des Jahres und keineswegs entsprechend ihrer Abfolge im Evangelium zur Lesung anstanden; s. J. Schmitz:: Gottesdienst im altchristlichen Mailand. Eine liturgiewissenschaftliche Untersuchung über Initiation und Meßfeier während des Jahres zur Zeit des Bischofs Ambrosius (f397). (Theoph. 25) Köln, Bonn 1975, 324ff. 61 Schenkl, Praefatio V.
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Einführung
führungen hat J.-R. Palanque unternommen62 und dabei gleichzeitig auf wei tere Abschnitte, die der redaktionellen Verknüpfung dienen, hingewiesen. 63 Doch bleiben seine Einordnungen absichtsvoll grobflächig und eingestandenermaßen hypothetisch.64 Die mit diesem Befund gestellte Frage nach der ursprünglichen Mündlichkeit oder Schriftlichkeit ist zugleich mehr oder weniger direkt verwoben mit dem Problem der Ambrosianischen Quellenbenutzung. Er nutzt zwar im ganzen Werk exegetisches Wissen von Vorgängern, doch lassen sich im Besonderen für das I. und die erste Hälfte des II. Buches die Lukas-Homilien des Orígenes sowie für das III. und den Schluß des X. Buches die Quaestiones Evangelícete des Euseb 65 als Quellen nachweisen, die durchgängig und im Zusammenhang verarbeitet werden. In beiden Fragen, sowohl der nach dem schriftlichen und dem ursprünglich mündlichen Anteil als auch der nach seiner Quellenbearbeitung, hebt sich das III. Buch heraus. Es behandelt auf der Grundlage Eusebs und in sich abgeschlossen die Vereinbarkeit der Genealogien von Matthäus und Lukas und ähnelt in der Form einem exegetischen Essay, vergleichbar den Briefen an Bischofskollegen.66 Sogar eine Widmung an einen solchen, namentlich nicht genannten Amtsbruder ist erhalten geblieben.67 Ebenfalls schriftlich verfaßt ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der Schluß des X. Buches (sicher mit Beginn der Euseb-Benutzung ab Χ, 147 68 , höchstwahrscheinlich jedoch schon früher einsetzend 69 ) sowie mit Sicherheit das eigene, der Erklärung vorangestellte 62 63
64 65 66 67 6 8 69
Palanque: 449ff.465.466. Dazu zählt Palanque 450 neben den von Schenkl (s. Anm. 61) herausgehobenen Abschnitten das Proömium, die Einleitung zu Buch IV (IV, 1-6), den Abschluß des VI. Buches (VI, 93-109), ferner VII, 195 und den Abschluß der Expositio (X, 128-84). Zudem verweist er auf eine Reihe kurzer Bemerkungen, in denen Ambrosius ausdrücklich von seiner schriftstellerischen Arbeit redet (prol 1; IV, 48.50; X, 6.131); vgl. die schematische Gesamtubersicht 451. Palanque 451f. Nur als Epitome überliefert in PG 22, 879-936; 937-53. Bemerkt von Schenkl, Praefatio V; Palanque 250. III, 50 (899). Zur Analyse der Stelle s.u. 230ff. Schenkl, Praefatio V. Palanque 450 (unkommentiert übernommen von G. Tissot in der Einleitung zu seiner Ausgabe: Ambroise de Milan. Traite sur L' Evangile de S. Luc. Introduction, traduction et notes de G. Tissot. (Sources Chrétiennes 45.52) 2 Bde. Paris 1956/58, Bd. 1, 13) läßt den schriftlich verfaßten Schlußteil mit X, 128 beginnen. Ein besonderer Gliederungseinschnitt an dieser Stelle ist aber nicht erkennbar. Vielmehr erscheint es notwendig, die Grenzziehung bereits an erheblich früherer Stelle anzusetzen (spätestens X, 97), wenn nicht gar das X. Buch insgesamt schriftlich verfaßt ist. Denn es ist als ganzes durch eine gegenüber den vorangehenden Büchern deutlich veränderte Vorgehens weise charakterisiert. Nach einer kurzen trinitätstheologischen Einführung arbeitet Ambrosius, beginnend mit der Endzeitrede Lk 21,5ff. parr. nicht länger primär auf der Grundlage des Lukasevangeliums, sondern legt erkennbar eine Harmonisierung der verschiedenen Passionserzählungen zugrunde und schöpft deren unterschiedliche Motive für ein möglichst umfassendes Bild des Passionsgeschehens aus. Nachdem die lukanische Endzeitrede zunächst unausgesprochen um Elemente, die hauptsächlich aus Matthäus genommen sind, ergänzt wird, deckt Ambrosius dieses Verfahren schon in X, 3 7 mit einem ausdrücklichen Hinweis auf Matthäus auf, und stellt von dort an durchgängig immer wieder die Texte der verschiedenen Versionen offen gegenüber, fügt sogar ganze Erzählzusammenhänge, wie etwa den Tod des Judas (Mt 27,3-10, behandelt X, 93-%), in den lukanischen Ablauf ein. Fraglich könnte
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Proömium.70 Im Falle der Verarbeitung von Euseb fallen somit die ausführliche Quellenbenutzung und die schriftliche Abfassung der Darlegung zusammen. Eine solche Koinzidenz ist jedoch nicht mit gleicher Sicherheit für die Orígenes-Verarbeitung in den Büchern I und II festzustellen, wo sich vielmehr im Gegenteil offenkundige homiletische Elemente finden.71 Hier und vor allem in den übrigen Textbereichen, in denen nicht eine Quellenvorlage im Zusammenhang ausgewertet wird, stellt sich die Situation mithin weitaus schwieriger dar. Anerkanntermaßen liegen diesen Abschnitten zu einem nicht geringen Anteil Homilien zugrunde. Dafür sind einzelne verbliebene Anredeformen72 und einige wenige direkte Rückgriffe auf den liturgischen Kontext, speziell die Lesung73, nicht zuletzt auch ein Hinweis auf das ei gene Priestequbiläum74 sichere Anzeichen. Damit ist jedoch weder erklärt, inwieweit solche Homilien als konsistente Ganzheit aufgenommen oder wie stark sie bearbeitet sind, noch ist auch nur ihre Abgrenzung gegeneinander annähernd beschreibbar. Palanque hat zwar mit aller Vorsicht ca. 25 großflächige Textbereiche als Homilien zu umgrenzen versucht.75 Diese großen Blöcke sind jedoch oftmals in sich keineswegs geschlossen und bilden kaum eine wirkliche Einheit. Genauere Abgrenzungen sind aber nie unternommen worden; sie sind in jedem Einzelfall extrem schwierig und müssen wohl Hypothese bleiben. Die genannten sicheren Indizien lassen nämlich nur zu, ihren unmittelbaren Kontext, also wenige Sätze oder Abschnitte, als Teil einer Predigt aufzufassen.76 Sehr fraglich erscheint es dagegen, das applikative Moment der Exegese grundsätzlich für den Predigtcharakter des Textes in Anspruch zu nehmen. Der Stellenwert solcher Hinwendungen zum Adressaten für die Ambrosianische allenfalls sein, ob die groß angelegte Verteidigungsrede für Petrus (X, 72-92) wegen ihrer stark rhetorischen Durchformung und mehrfacher Apostrophen von Adressaten als Predigt aufgefaßt werden muß. Vorstellbar wäre aber durchaus auch eine fingierte Rede nach dem Muster der rhetorischen Progymnasmata; Berührungen zu den Argumentationsformen solcher Übungen sind von G. Tissot (SC 52, 182 Anm. 2) bemerkt worden. Aber auch im Falle einer wirklichen Predigt ist damit nicht ausgeschlossen, daß die umgebenden Abschnitte schriftlich verfaßt sind und eine weitgehend intakte Predigt eingearbeitet wurde. Der unmittelbar anschließende Erzählzusammenhang (ab X,97) reicht aber ohne feststellbare Brüche bis hinein in den von Palanque ausgegrenzten Textbereich und muß als mit diesem ursprünglich zusammengehörig gelten. Palanque 450. Als ebenfalls redaktionell muß das Binnenproömium zum IV. Buch gelten; vgl. ebd. 71 Vgl. I, 24-28.32 u.ö. Beispiele bei Schenkl, Praefatio I; Palanque 449. Einen Sonderfall stellt die Anrede fratres dar, die der näheren Erörterung bedarf; s.u. 177f. 73 Z.B. VII, 73.202. Vgl. Schenkl, Praefatio ebd.; Palanque ebd. 74 VII, 73; bemerkt von Schenkl, Praefatio II. 75 Palanque 451f. 76 Daraus resultiert zugleich die grundsätzliche Problematik, bestimmte Abschnitte der Expositio als „Homilien" zu datieren, wie es Palanque 529-36 versucht. Derartige Datierungsversuche beruhen auf einer z.T. recht kurzschlüssigen Identifizierung politischer Situationen und setzen das einseitige Bild des „Kirchenpolitikers" voraus, dessen Predigten von politisch-taktischen Motiven geleitet werden. Als besonders krasses Beispiel dieses Denkens führt schon G. Tissot (SC 45) 19 die Erklärung des Abschnitts VIII, 83-85 an, der nach Palanque 143f. allein dazu dient, politische Gefolgschaft in verschiedenen sozialen Schichten zu erwerben.
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Einführung
Auslegung wird in der Analyse noch darzustellen sein. Es wird sich zeigen, daß sie ein integrales Moment der exegetischen Denkbewegung selbst ist, und nicht erst einen sekundären Arbeitsschritt darstellt, in dem die in der Auslegung gewonnene Erkenntnis zur Predigt verarbeitet würde, und der darum sicher mit dem Predigtvortrag in Verbindung gebracht werden könnte. 77 Da Predigtanfänge und -schlüsse, deren rhetorische Durchbildung im Exameron beobachtet werden kann78, augenscheinlich (fast) ausnahmslos der Bearbeitung zum Opfer gefallen sind, ist auch eine Grenzziehung nach den Merkmalen rhetorischer Anfangs- oder Schlußtopik nicht möglich. Die von Palanque aus Mangel an formalen Anhaltspunkten darum vornehmlich nach inneren, thematischen Gesichtspunkten79 abgegrenzten sog. „Homi lien" sind z.T. aber auch in sich selbst wiederum disparat. Grundsätzlich heben sich nämlich Passagen von intensiver geistiger Durchdringung und Kohärenz, ausführlicher Erörterung und Argumentation sowie hohem sprachlichem Formwillen von solchen ab, die nur skizzenhaft Perikopen- oder Versfolgen nachzeichnen, Inhalt, Thema oder Zielrichtung der Texte summarisch festhalten oder in aller Kürze bestimmte Einzelprobleme beleuchten. Aber nur in einem Fall ist dies von Palanque als Zeichen redaktioneller Arbeit herausgestellt. 8 0
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Schon hier ist darauf hinzuweisen, daß die Adhortatio und Applicatio des Adressaten nicht weniger häufig und mit gleicher rhetorischer Intensität auch in Traktaten, die nachweislich schriftlich verfaßt sind, wie De Cain et Abel oder De Noe und De Abraham II (zu deren Schriftlichkeit vgl. Savon, Exégèse I 15f. mit ausführlicher Diskussion der älteren Forschungspositionen, sowie Palanque 466) begegnen, so daß kein Zusammenhang zwischen diesen Redeformen und einer originär mündlichen Vortragsweise behauptet werden kann. 78 Vgl. dazu unten 331ff. 7 9 Palanque 451: „... fondée sur les vraisemblances internes". Eine gewisse Künstlichkeit drückt sich aber in Überschriften wie „enseignements divers" für VII, 87-108; VII, 109-59; Vili, 1-56; Vili, 57-96 aus. 80 Palanque 450 beurteilt VII, 195 als Beispiel redaktioneller „soudures", ohne daß er deren Merkmale herausarbeitet. Ambrosius stellt hier die Verbindung zwischen den Gleichnissen vom Sauerteig (Lk 13,20f.) und vom großen Festmahl (Lk 14,15-24) her. Er blendet zunächst die Abschnitte von der verschlossenen Tür (Lk 13,22-27) und vom Abschied aus Galiläa (Lk 13,31 35) ganz aus. Die nachfolgenden Stücke werden nur aufzählend (195: primo [2180] ... deinde [2183] ... huiccopulatw [2187]) erwähnt. Dabei wird die zuerst folgende Heilung des Wassersüchtigen (Lk 14,1-6) nur in einem Satz gestreift und auf die Motive des Sauerteiggleichnisses zurückbezogen. Die Situationsbestimmung des Lukas und demzufolge auch die darin beinhaltete Sabbatproblematik wird ausgeblendet; die Worte Jesu sind nicht einmal angedeutet. Für den zweiten Komplex (Lk 14,7-11) wird nur als Stichwort festgehalten, daß Jesus humilitas lehre, und daß dies clementer geschehe (2183-87). Lk 14,12-14 ist als damit zusammengehörig beurteilt und wird unter das Stichwort humanitas gestellt, die Armen und Schwachen zu erweisen sei (2187f ). Als Abschluß dieser LehiTeihe (postremum ; 196 [2190f.]) fungiert das Gleichnis vom großen Festmahl (Lk 14,15-24), das dann wieder breite Aufmerksamkeit erfährt (VII, 196-206). Vergleichbare Erscheinungen finden sich jedoch ebenso in den von Palanque als „Homilien" gewerteten Stücken. Die verbliebenen Lücken und die Form der Reihung deuten zugleich schon an, daß hier nicht einfach eine Lücke zwischen zwei „Predigten" geschlossen, sondern ein sachlicher Zusammenhang stichwortartig hergestellt werden soll. Beispiele redaktioneller Bearbeitung sind ferner VIII, 30-32: Hic igitur locus hortatorius adfidem (30 [339f.]) ... Sequitur ut nemo in operibus glorietur(31 [343]) ... Posthac reprekenduntur ingrati ... (32 [361]). Weiterhin VIII, 91-96, vgl. G. Tissot (SC 52) 140, Anm. 1.
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Palanque bewertet beispielsweise VII, 44-86 als eine durchgängige Homilie 8 1 , die unter anderem die Jüngeraussendung (Lk 10,1-16) und das Gleichnis vom Samariter mit seinem Rahmen (Lk 10,25-29.30-37) umfaßt. Die Abgrenzung ist so nicht zu halten. 82 Es genügt hier, den Abschluß der Jüngeraussendung und die Hinführung zum Samaritergleichnis kurz zu betrachten, da dort Erscheinungen auftreten, die denen der „Redaktion" von VII, 195 entsprechen. Die argumentative Kohärenz und rhetorisch eindringliche Kommentierung reicht eigenüich nur bis zu Lk 10,3 (VII, 53). Schon mit der Besprechung der Ausstattung der Jünger (Lk 10,4ff. ) wechseln Ton und Zielrichtung der Erklärung. An die Stelle scharfer antihäretischer Polemik, in der zugleich grundsätzlich über die Fehler häretischen Denkens geurteilt wird, treten mehr und mehr punktuelle Hinweise zu Einzelproblemen; zugleich rücken ethische Fragen in den Vordergrund, die j e für sich betrachtet werden (vgl. 64 [655]: ιam illud alia uirtus ...; 65 [664]: Docet etiam ...; [671]: postremo aperuit ...). Gänzlich ausgelassen werden Lk 10,16 und 17-20. Der Abschluß dieser Einzelhinweise schlägt dann (redaktionell!) geschickt den Bogen zurück zum Anfang, indem er noch einmal relativ ausführlich das Stichwort parvulus (aus Lk 10,21) aufgreift, nachdem anfänglich ein puer (aus Lk 9,48) im Mittelpunkt stand (vgl. VII, 23f. und 66). Danach wird nur noch Lk 10,22 angesprochen, als locus de fide (67 [689]) charakterisiert und auf die Auslegung des Verses in De fide (vgl. fid. 4,16) verwiesen. Unter Auslassung von Lk 10,23 schließt Ambrosius direkt (69 [701f.]: adhaeret his lectio) eine kurze Betrachtung zur Frage des Gesetzeslehrers nach dem „Nächsten" (Lk 10,25-29) an, die als eine erste Einleitung - eine zweite erfolgt in VII, 71-73 - zum Samaritergleichnis fungiert. Diese extrem verdichtete und komplexe Übersicht über die vorgestellten lukanischen Textbereiche ist als Predigtabschnitt undenkbar. Derartige Abschnitte sind im Rahmen einer Predigt nicht vorstellbar. Sie wi dersprächen in krasser Weise dem Urteil Augustine über die hohe rhetorische Predigtqualität des Bischofs 8 3 und müßten beim Hörer den Eindruck einer inhomogenen Ansammlung von gelehrten Anmerkungen hinterlassen. Daß gleichwohl auch in solchen Abschnitten adhortative und appellative Elemente begegnen, mahnt noch einmal zur Vorsicht in der Behauptung eines „Predigtcharakters" von Texten. An der Bewertung solcher Abschnitte bricht das eigentliche Problem für die Analyse der Exegese auf. Vergleichbare Beobachtungen haben G. Tissot 8 4 im Anscliluß an P. de Labriolle 85 zu der Hypothese geführt, daß sie als persönliche Notizen des Autors anzusehen seien, die, im Laufe der Lektüre entstanden, ein Palanque 451. 8 2 Für die Abgrenzung zum vorderen Kontext und Einzelheiten vgl. die Analyse u. 176f. 187. 193f. 8 3 Aug. conf. 5 , 2 4 ( C C L 27, 71). 8 4 G. Tissot ( S C 4 5 ) 13f. 8 5 P. de Labriolle: Saint Ambroise. Paris 1908, lOf.
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Einführung
Summarium des Textes festhalten und nur bei wenigen Einzelheiten länger verharren, die für Ambrosius von besonderem Interesse seien. Diese Notizen bildeten die zweite Grundlage der redaktionellen Zusammenstellung. Damit soll zugleich erklärt werden, daß sie nur rasch aufs Papier geworfen und darum gedanklich überstürzt seien. 86 Im Gefolge dieser Anschauung können solche Textabschnitte dann allzu leicht - da ja gedanklich überstürzt - für die Analyse entweder ganz außer Acht gelassen werden, oder es kann ohne Berücksichtigung eines möglichen Zusammenhangs allein eine am „Ergebnis" der Aus legung interessierte Auskunft zu einzelnen Versen oder Perikopen gesucht werden. 87 G. Tissot deutet die mögliche Funktion und den „Sitz im Leben" solcher Papiere nur an, wenn er sie „mit Blick auf die Predigt" erstellt sieht und ihre Aufgabe darin erkennt, „dem Redner bei anderen Autoren gefundene oder von ihm selbst in früheren Werken vorgelegte Ausarbeitungen in Erinnerung zu rufen" 88 . Ihre ursprüngliche Funktion wäre demnach die einer gedanklichen Stütze und eines Dispositionsschemas für die anstehende Predigt. Für die Bewertung der Abschnitte ist eine kritische Überprüfung dieser Hypothese erforderlich. Sie wird allerdings dadurch erschwert, daß G. Tissot lediglich ein Bei spiel anführt. Dieses einzige von G. Tissot für die Existenz von Notizen vorgestellte Beispiel vermag aber die Beweislast gerade nicht zu tragen. Er verweist auf X, 131, wo die Vergebung, die der Schächer am Kreuz zugesprochen erhält, zuerst erscheine in rneis scriptis.89 Dieser Passus ist gänzlich mißverstanden. Ambrosius schreibt: Nec praeposterum iudicetur quod prius latronis absolutionem quam tnalris appelationem scripsi; qui enim ,uenerat saluos facere peccatores' (Mt 7,48) non absurdum si prius in meis scriptis susceptum munus in redimendo salute peccatoris impleuil.90 Ambrosius erläutert hier seine Disposition in den Abschnitten X, 121-35. Nachdem er in X, 127 den Tod Christi berichtet hat, greift er mit X, 129ff. noch einmal zurück auf die Frauen unter dem Kreuz und widmet sich ausführlich den bei Johannes festgehaltenen Worten an Maria. Nach der lukanischen Abfolge hatte er dagegen die Worte an den Schächer am Kreuz bereits in X, 121 kommentiert. Die vorauszusetzende relative Zeitgleichheit beider Begebenheiten mindestens insofern, als sie selbstverständlich Christi Tod vorangehen, macht für ihn eine Erklärung der Anordnung und Begründung der Rückblende erforderlich; dies
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89 90
G. Tissot (SC 45) 14. Exemplarisch dafür Y. Tissot: Allégories de la parabole lucanienne des deux fils (Luc 15,1132). In: Exegesis. Problèmes de méthode et exercices de lecture (Genèse 22 et Luc 15). Hg. v. F. Bovon, G. Rouiller. Neuchâtel, Paris 1975, 243-272. G. Tissot (SC 45) 12f.: „... des notes personelles, à de simples sommaires ... suffisants pour évoquer à l'esprit de l'orateur des développements rencontrés chez d'autres auteurs ou déjà donnés par lui-même en des ouvrages précédents. ... Ambroise ayant sous les yeux ... les notes prises en vue de la prédication." G. Tissot (SC 45) 13, Anni 1. Χ, 131 (1423-27).
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umso mehr als Maria als Mutter ein besonderes Vorrecht zu gebühren scheint, wie er im Vorsatz ausdrücklich zugesteht. (Nam si religiosum est quod latroni uenia datur a domino, multo religiosius quod mater honoratur a filio. Nec praeposterum iudicetur quod prius latronis absolutionem quam matris appelationem scripsi 91 ). Auf diese zuvor verfaßten Abschnitte bezieht sich die Wendung in meis scriptis, nicht auf vorgefertigte Notizen. Ambrosius weiß bei aller Hochschätzung für Maria seine Disposition im Einklang mit dem wesentlichen Anliegen der ganzen Sendung Christi. Dessen vorrangiges Ziel ist nämlich die Rettung der Sünder, so daß es gut begründet erscheint, daß auch in Ambrosius' eigenen Ausführungen, d.h. in ihrer vorliegenden Schlußgestaltung (in meis scriptis), die Rettung des Sünders der Ehrung der Mutter vorangeht. Die schriftlich kommentierende Nachgestaltung des Bischofs bildet in ihrer Disposition den Gang des Geschehens im Evangelium ab - hier möglicherweise nicht in zeitlicher, wohl aber in sachlicher Hinsicht - und erweist sich als dessen Nachvollzug. Richtig ist aber sicher, daß Ambrosius angesichts seiner vielfältigen Belastungen kaum die Gelegenheit hatte, seine Predigten vorab bis ins einzelne auszugestalten, so daß ein „Stichwortzettel" darum als die gegebene Vorbereitung angesehen werden könnte. Die praktische Verwendbarkeit solcher Notizen erscheint zwar angesichts der liturgischen und rituellen Rahmung der Predigt nur schwer vorstellbar. Von grundsätzlicherem Gewicht ist aber, daß die Hypothese der Predigtnotizen mit einer Reihe von Problemen belastet ist. 9 2 Das skizzierte Bild des mit Notizen ausgestatteten Predigers widerspricht vor allem gänzlich dem antiken Ideal des Redners, dessen Ausbildung, wie sie auch Ambrosius durchlaufen hat, die Fähigkeit zur freien Rede zum Ziel hatte, und für die darum die Schulung der memoria einen integralen Bestandteil darstellte. 93
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1 X, 130f. (1421-24). 92 Ein gedanklicher Bruch innerhalb der Hypothese, der hinter den verschiedenen Richtungen der Argumentation nur oberflächlich verdeckt wird, ist in der Beurteilung der Gedächtnisleistung des Predigers erkennbar. Denn die Hypothese rechnet einerseits mit dem Bedürfnis einer schriftlich niedergelegten gedanklichen Stütze für die Predigt, die ein inhaltliches Summarium bereitstellt und damit die Disposition erleichtert. Auf der anderen Seite sollen nach G. Tissot die in diesen Notizen festgehaltenen, ausdrücklich als nur knappe Andeutungen aufgefaßten Sätze ausreichen, um nicht nur eigene, sondern auch die Texte fremder Autoren in Erinnerung zu rufen. Die Form der Einbeziehung fremder Autoren anhand von Stichwortzetteln in der ausgeführten Predigt ist naturgemäß nicht mehr nachvollziehbar, da Notiz und Predigt nicht nebeneinander betrachtet werden können. Als Beispiel von „Predigten", die sich auf fremde Autoren stützen, könnten im Sinne der Hypothese allenfalls die Texte des I. und II. Buches gewertet werden, in denen Ambrosius sich auf Orígenes bezieht. Die Aufnahme fremder Texte müßte dann allgemein in einer ähnlichen Weise vorgestellt werden, wie sie dort beobachtet werden kann. Zwar ist die Nähe zum Text des Orígenes sehr unterschiedlich, doch kann sie bis hin zur wörtlichen Übertragung gehen. Dies setzt aber, nicht zuletzt da es sich um einen fremdsprachigen Text handelt, eine solch hohe Gedächtnisleistung voraus, daß die Notwendigkeit von Summarien und Dispositionsschemata nur schwer einleuchten will. 93 Cie. de or. 2,85-88; Quint. Inst. XI 2,1-51 ; vgl. X 7,1 ; Mart. Cap. 5,538f. Weiteres bei Lausberg, Handbuch §§ 1083-90; besonders von Interesse ist, daß sich der Redner auch auf das Auswen-
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Genauere Vorstellungen von der Gedächtnisleistung ausgebildeter Redner sind zwar nur schwer zu gewinnen. Es darf aber wohl nicht allein als Verwunderung über den menschlichen Denkapparat schlechthin gelten, sondern durchaus konkret als Erstaunen vor der Leistungsfähigkeit des eigenen Gedächtnisses gewertet werden, wenn Augustin als ehemaliger Rhetorikprofessor nicht nur die Weite und den Umfang, sondern auch die Geordnetheit und den ständig verfügbaren Zugriff auf die eigene memoria feststellt. 94 Die dabei unterlegte räumliche Vorstellung von Hallen, Kammern und Gängen verweist zudem auf die Vorgehensweise antiker Mnemotechnik, sachliche Gehalte transformiert in Merkbilder in ein ideal typisches Gebäude einzustellen und über die architektonische Zuordnung in der gewünschten Folge zu erinnern. 95 Das Zusammentreffen von mnemotechnischer Verbildlichung mit dem allgemein beobachteten poetisch-bildhaften Charakter der Ambrosianischen Sprache 96 und nicht zuletzt mit zahlreichen der zugrundegelegten biblischen Texte selbst dürfte den Gedanken an die Notwendigkeit einer schriftlichen Gedankenstütze erübrigen. Für die Fähigkeit zur Disposition und zur inhaltlichen Ausgefülltheit der Predigt bietet somit das rhetorische Gedächtnistraining einen wichtigen Pfeiler, den anderen wird man im gottesdienstlichen Kontext selbst zu suchen haben. Für die inhaltliche ebenso wie für die formale Gestaltung der Predigt empfiehlt Ambrosius nämlich dem Klerikernachwuchs eine Anbindung an die gottesdienstliche Lesung als allein sachgemäße Vorgehensweise. 97 Ausdrückliche Hinweise auf die Lesung finden sich auch in der Expositio 98 Inhalt und ein durch die Versfolge grob vorgezeichnetes Ablaufschema und Dispositionsgerüst stehen mithin dem Prediger bereits durch die gottesdienstliche Textlesung unmittelbar vor Augen, so daß ein inhaltliches Summarium und
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diglernen der Gedanken beschränken und die sprachliche Ausgestaltung ad hoc vornehmen kann (§ 1084). Aug. conf. 10,12ff.; bes. 12.16; vgl. femer 10,26; trin. 11,12; 11,10; 11,11. Zur Diskussion s. die folgende Anm. Vgl. F. A. Yates: The Art of Memory. London 1966 und H. Blum: Die antike Mnemotechnik. (Spudasmata 15). Hildesheim, New York 1969, bes. 6-8; 12-19. Ob Augustin mnemotechnisch arbeitete, kann aus den genannten Stellen allerdings nicht mit letzter Sicherheit hergeleitet werden. Positiv darüber urteilt Yates 46-49; vgl. aber zur Kritik an dieser Auffassung Blum 136ff. Unstrittige Beispiele spätantiker Kenntnis der Mnemotechnik sind der Rhetor C. Chirius Fortunantianus (4. Jhdt.) und vor allem Martianus Capella (Ende 4. Jhdt.); s. Blum 141f. Vgl. z.B. J. Fontaine: Prose et poésie: L'interférance des genres et des styles dans la création littéraire d'Ambroise de Milan. In: Ambrosius Episcopus ... I, 129-170. Off. 1,101 (Testard 145): Tractatus... ut se dederit lectio nobis et adripiendus est et prout pos sumusprosequendus. Der Text der Schrift ist als in der Lesung aktiv wirksam vorgestellt und wird so zum vorgegebenen Prinzip für die Predigt. Da Ambrosius keine ausgeführte Predigttheorie vorlegt, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden, ob in dieser Vorstellung zugleich der Unmittelbarkeit der Geistwirkung in der Predigt Raum gegeben werden soll, so daß eine allzu straffe Festlegung in der Vorbereitung geradezu als Fehler erscheinen müßte. Ambrosius kennzeichnet jedenfalls die Predigt als ein Reden aus dem Geist (VII, 78) und rechnet grundsätzlich mit dem Wirksamwerden von Christus und Geist in der religiösen Rede und im Verstehensprozeß. Dies ist eine Grundeinsicht seiner Schrifthermeneutik; dazu ausführlich Kap. IV passim ; ferner u. 262ff. S.o. Anm. 73.
Die Expositio Evangelii secundum Lucam. Form und literarischer Charakter
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ein schriftliches Dispositionsschema in Form von Notizen auch von dieser Seite überflüssig erscheint. Der Text der Lesung und möglicherweise mnemotechnisch unterstütztes Memorieren dürften die wesentlichen Pfeiler der Predigtstrukturierung darstellen. Dies um so mehr, als neben dem aktuellen Predigttext die Verknüpfung mit anderen Bibeltexten ein wesentliches Gerüst des gedanklichen Fortschritts darstellt. Ihre Verknüpfung erfolgt zumeist über Stichwortverbindungen, die ebenfalls einen ausreichenden Anhalt für das Gedächtnis zu liefern vermögen. Daß sich Stichwortverbindungen für das Gedächtnis besonders eignen, bezeugt auf ihre Weise etwa die Cento-Technik der Bibeldichtung. 99 Daß Ambrosius aber die Schrift weitestgehend auswendig kannte, darf angesichts seiner wiederhol ten Appelle zur täglichen und intensiv meditativen Schriftlektüre wohl voraus gesetzt werden, zumal wenn man bedenkt, daß er etwa Vergil jederzeit in Versen, Versteilen und Verskombinationen aus dem gesamten Werk zu zitieren vermag. 100 Die Hypothese von Notizen, die zur Predigtvorbereitung dienten, dürfte damit nicht aufrechtzuerhalten sein. Somit stellt sich aber erneut die Frage nach dem Charakter und der möglichen Entstehung der summarischen „Zwischenstücke" und ihrem Wert für Analyse und Erschließung der Ambrosianischen Auslegung. Es ist keinesfalls sinnvoll, diese Textbereiche als kaum verständlich in der Interpretation weitgehend zu vernachlässigen, da sie gedanklich und sprachlich extrem verkürzt seien, wie es die durch Hypothese hingeworfener Notizen erklärt werden soll. Demgegenüber erscheint es angebracht, ihre Entstehung im Zusammenhang mit der redaktionellen Endbearbeitung des Werkes zu sehen, die als Arbeitsphase für die Expositio zweifelsfrei feststeht. Ambrosius hätte dann solche kurzen Zwischenstücke erst für die Endgestalt der Expositio verfaßt. Anders als bei einer bloßen Einfügung separater Notizen dienten diese dann nicht nur dem Versuch, den Eindruck relativer Vollständigkeit der Auslegung zu erwecken. Vielmehr müßten sie als Ausdruck des Bemühens verstanden werden, zwischen den größeren Predigtblöcken wirkliche Verbindungen herzustellen und in ihnen die inneren Zusammenhänge zwischen den lukanischen Texten aufzuweisen, so daß sie für den Aussagewillen der Expositio ernst zu nehmen sind. Im Rahinen der weiteren Interpretation wird sich diese Sichtweise zu bewähren haben. Über die Problematik der Zwischenstücke hinaus besteht ferner keine zurei chende Vorstellung von Umfang und Intensität der inneren Eingriffe der von Ambrosius vorgenommen Redaktion in die zum Kommentar verarbeiteten Homilien. In der Regel wird neben den eher technisch zu nennenden weitgehen99
100
Vgl. R. Herzog: Die Bibelepik der lateinischen Spätantike. Formgeschichte einer erbaulichen Gattung. Bd. 1. (Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste. Texte und Abhandlungen. 37) München 1975, 40. S. dazu die Verweisstellen in den Testimonienapparaten der Ausgaben. Dies würdigt auch G. Tissot 17.
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Einführung
den Streichungen der Besonderheiten mündlicher Vortragsweise, erkennbar am Fehlen von Predigtanfängen und -schlüssen sowie den - beispielsweise im Unterschied zu Augustin - relativ späilichen Apostrophen und Situationsbezügen, lediglich eine Gruppierung nach der Reihenfolge des lukanischen Textes sowie die Abfassung einiger weniger Nahtstellen und Überbrückungen angenommen. 101 Die vorgestellte Hypothese setzt dagegen voraus, daß die redaktionelle Endbearbeitung nicht nur lose Bestandteile unterschiedlicher Vorlagen in die lukanische Reihenfolge ordnet, wie zumeist angenommen, sondern tiefgreifender wirkt. Dies kann im einzelnen erst die Analyse der jeweiligen Texte aufweisen, doch seien vorab einige Indizien angeführt. Sicher kann kein Zweifel daran bestehen, daß sowohl das Proömium des Gesamtwerkes als auch das des IV. Buches Teil der Endbearbeitung sind. Erkennbare Fortführungen der im Proömium vorgezeichneten gedanklichen Linien im anschließenden I. Buch, die aufzuzeigen sein werden, können mithin als erstes Indiz einer weiter gehenden Überarbeitung dienen. Bezeichnenderweise ergeben sich von dort aus wiederum Querverbindungen zum Schluß des X. Buches 102 , auf dessen schriftliche Ausarbeitung hingewiesen wurde. Es wird damit wahrscheinlich, daß auch diese Abschnitte in einem zusammenhängenden Arbeitsgang entstanden sein könnten. Nicht minder deutlich ist der Konnex zwischen Binnenproömium und den nachfolgenden Auslegungen des IV. Buches, die zusätzlich auch sprachlich eng miteinander verknüpft sind. 103 Deutliche Anzeichen einer inneren Bearbeitung, die im Rahmen der Endredaktion stattgefunden hat, sind darüber hinaus vor allem Querverweise, die das gesamte Opus übergreifen oder auf andere Werke des Bischofs verweisen. 104 Auch das Referat der exegetischen Meinungen fremder Autoren (in der Form sunt qui putant o.ä.), das von G. Tissot mindestens indirekt für Predigtnotizen in Anspruch genommen wird, ist weit eher als redaktionelle Arbeitsform erklärlich, die vorliegendes Material ergänzt und dem Genus des Kommentars annähert. 1 0 5 Daß solche Verweise auch in die stärker durchstrukturierten „Homi lien" eingeschoben sind, kann als weiteres Indiz für eine intensivere Schlußbearbeitung gelten, als zumeist angenommen. Deutlich wirken nicht zuletzt innerhalb homiletischer Kontexte wiederholt vereinzelte Bemerkungen als nachge-
102 103
Als exemplarisch kann auch hierin Palanque 466 gelten: „... le Commentaire sur saint Luc soit être considéré comme une 'rapsodie' de morceaux prêchés ou écrits à moments différents et artificiellement groupés en dix livres par Γ auteur." Vgl. G. Tissot lOf. S.u. 88f.91 mit Anm. 265. Dazu ausführlich unten 295ff. Die Beispiele sind gesammelt bei Schenkl, Praefatio I1II; vgl. ferner Testimonienapparat und Register der Edition von Adriaen (CCL 14) 435. Hieronymus beschreibt es geradezu als vorrangige Aufgabe und unterscheidendes Spezifikum der Kommentarform, unterschiedliche exegetische Meinungen aus der Tradition zusammenzustellen und zu referieren. Er steht dabei in der Tradition der paganen Dichtererklärung der Grammatiker, die auch Ambrosius aus seiner schulischen Ausbildung bekannt war. Vgl. P. Jay: L' Exégèse de Saint Jérôme d' apres son "Commentaire sur Isaïe". (Études Augustiniennes) Paris 1985, 72f. Die zentralen Texte sind Hier. Ep. 112,5; in Hier. 22; Ep. 20,2; Ap. Ruf. 1,22; in Jr. prol. (s. ebd.).
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schobene Hinweise auf Spezialfragen oder benachbarte Probleme; dazu zählen vor allem die Seitenblicke auf die synoptischen Parallelüberlieferungen mit Hinweisen auf deren besondere inhaltliche Akzentsetzung oder mit Lösungsansätzen für eine Harmonisierung. 106 Daß dabei innerhalb der bisher als zusammenhängende „Homilien" verstandenen Abschnitte keine gravierenden stilistischen Brüche auftreten, spricht nicht gegen diese Beurteilung, sondern für das Geschick der redaktionellen Bearbeitung - wie es in vergleichbarer Weise für die Philo-Bearbeitung des Bischofs ebenfalls festgestellt worden ist. 107 Vor allem aber wird immer wieder erkennbar werden, daß Ambrosius über größere Strecken der Auslegung bis hin zu ganzen Büchern nachvollziehbar kompositorisch arbeitet. Dabei wird durchaus nicht nur die lukanische Abfolge hergestellt, sondern vorliegendes Material und aktuelle Veränderungen oder Ergänzungen nach inneren Kriterien und einem erkennbaren Aussagewillen miteinander eng zu einem wirklichen „Text" verwoben. Ein klareres Bild kann zwar erst die Analyse des Einzelnen zeichnen, doch erscheint die Vorstellung einer nicht nur technischen, sondern auch gedanklich wirksamen Endbearbeitung als tragfähige Arbeitshypothese und weitaus weniger problembelastet als die Behauptung von Predigtnotizen. Dies bedeutet aber, daß auch die Überbrückungen zwischen einzelnen Blöcken nicht als bloße Lückenfüller gelten und als „hingeworfen" abgetan werden dürfen, sondern für den Aussagewillen des Autors ernst genommen werden müssen. Vor allem verbietet sich eine vorschnelle Separierung bestimmter Abschnitte nach den Grenzen eines gegenwärtig geübten Perikopenschnitts dort, wo Ambrosius mittels solcher redaktioneller Abschnitte einen bestimmten Zusammenhang von Perikopen herstellt und keine bloße Abfolge konstatiert, sondern einen sachlich-thematischen Kontext beschreibt. Gerade dort, wo nicht die exakte Abfolge des lukanischen Evangeliums hergestellt ist, muß man damit rechnen, daß Ambrosius begründet komponiert und RestrukUirierungen und Akzentsetzungen von argumentativer Valenz vornimmt. Es wird sich zeigen, daß gerade solche Verknüpfungen in einer einheitlichen gedankli chen Linie mit den „Predigt"stücken liegen und z.T. deren Gedankengang deutlich vorprägen. Aufgabe der Analyse muß es darum sein, wo immer dies möglich ist, Kontexte so abzugrenzen, wie es der vorliegende Ambrosianische Text wahrscheinlich macht und diese Ausschnitte auf der Ebene der Synchronie zunächst als Einheit in den Blick zu nehmen.
106 j m einzelnen aufgezeigt wird dies beispielhaft anhand von VII, 28-30, s.u. 187. Vgl. ferner VII, 34-42, s.u. 193f. Savon, Exégèse passim.
I.
GRUNDLAGEN
1. D A S
DER
EVANGELIUMS AUSLEGUNG
LUKASEVANGELIUM DAS
ALS
EXEGETISCHE
AMBROSIANISŒE
AUFGABE.
PROÖMIUM
Ambrosius eröffnet nach antikem Brauch seine Lukaserklärung mit einem Proömium, in dem er das zur Kommentierung vorliegende Werk charakterisiert. Das Spezifische des Lukasevangeliums erschließt sich ihm aus der darin feststellbaren besonderen Zuordnung von Form und Inhalt, die durch den stilus historicus (prol 1 [3f.]; 7 [109]) hergestellt wird. Er entfaltet diese Verknüpfung in Anlehnung an rhetorische Konzeptionen und vor dem Hintergrund der Einleitungsfragen einer sich verfestigenden Topik für Kommentarprologe.1 Ausgangspunkt ist eine Charakterisierung der lukanischen Darstellungsform, des stilus historicus, die stilistisch variiert zweimal wiederholt wird: Scripturi in euangelii librum, quem Lucas sanctus pleniore quodam modo rerum dominicarum distinctione digessit, stilum ipsum prius exponendum putamus; est enim historicus. 2 Historico stilo diximus hunc euangelii librum esse digestum. Denique describendis magis rebus quam exprimendis praeceptis Studium uberius conparatione aliorum uidemus inpensum. Et ipse euangelista historico more a narrati one sumsit exordium. 'Fuit' inquit 'in diebus Herodis regis Iudae sacerdos quidam nomine Zaccharias' (Lk 1,5) eamque historiam plena digestione persequitur. 3 Die herausgehobenen Merkmale der Darstellung sind nach den zitierten Abschnitten aus der Relation von Form und Inhalt erhoben, deren wesenhafte Entsprechung zu den Grundanforderungen rhetorischer Stil- und Gattungskonzeption gehört. 4 Den Gegenstand des Lukasevangeliums gibt Ambrosius zunächst mit res dominicae und an anderer Stelle mit gestorum domini miracula5 an. Die Darbietung von res wird schließlich ein weiteres Mal von einem besonderen Inter1 2 3
4 5
Dieser Deutungshintergrund ist in den bisherigen Analysen des Passus durch Savon, Exégèse I 66-77 und Pizzolato, Dottrina 136-44 nicht berücksichtigt. Prol 1 (1-4). Prol 7 (109-15). Für die Bedeutungsgehalte der lukanischen historia ist ferner zu vergleichen prol 4 (49-53): At uero sanctus Lucas uelut quendam historicwn ordinem tenuit et plura nobis gestorum domini miracula reuelauit, ita tarnen ut omnis sapientiae uirtutes euangelii istius conplecteretur historia. Vgl. Lausberg, Handbuch §§ 1056.1078-82. Prol 4 (50); s. Anm. 3.
30
Grundlagen der Evangeliumsauslegung
esse an praecepta abgehoben. Seinem Gegenstand gegenüber verhält sich Lukas rein „deskriptiv" (describendis rebus), dadurch entsteht die Form der narratio. Diese ist geprägt von einer den Verlauf des Geschehens in chronologischer und sachlicher Folge nachzeichnenden Geordnetheit (sumsit exordium ... persequitur; historicum ordinem tenuit ) und zeichnet sich darüber hinaus durch Detailgenauigkeit und Ausführlichkeit (pleniore modo\ plena digestatione) aus.6 Demnach ist die von Ambrosius als „historisch" gekennzeichnete Darstellungsweise im Zentrum einerseits durch eine fortlaufende Erzählweise (narrare), die der durch die Ereignisse vorgegebenen chronologischen und sachlichen Ordnung folgt, und andererseits durch die Darbietung von Fakten (res gesta) charakterisiert. Dabei liegt, entsprechend konventioneller Einschätzungen von historia, ein starker Akzent auf der Faktizität der berichteten Ereignisse.7 Ambrosius bestimmt nämlich in den vorgestellten Abschnitten die Charakteristika der lukanischen Darstellung in Anklängen an die Terminologie und nach den Konzeptionen antiker Historiographie.8 Für das Verständnis der Ambrosianischen Kennzeichnung des Lukasevangeliums ist aber vor allem von Bedeutung, daß er sich weit stärker noch als an dem eigenen - oft moralisierend-didaktisch überformten - Selbstverständnis der Geschichtsschreibung9 an 6 7
Diese Faktoren sind richtig gesehen bei Pizzolato, Dottrina 137ff. Die selbstverständliche Verknüpfung von historia mit dem Gedanken der Wahrheit illustriert beispielhaft Serv. Aen. 1,168 (Thilo-Hagen 167): Verum dicit et est historia. Aen. 1,156 (ThiloHagen I 162): Nam historiae non habet Veritas. Nicht ganz so deutlich Aen. 9,742 (Thilo-Hagen II 376). Für das Wahrheitsgebot im Selbstverständnis der Historiographie vgl. ferner u. Anm. 22. 8 Der Ambrosianischen Beschreibung der Merkmale des stilus historicus kommt Macr. sat. 5,14,11 (Willis 304) besonders nahe, der ihn gegen die freie poetische Kompositionsweise abgrenzt: ... divinus ille vates ¡Homer] res vel paulo vel multo ante transactas opportune ad nar rationis Seriem revocai ut et historicum stilum vitet, non per ordinem digerendo quae gesta sunt... Serv. Aen. 8,493 (Thilo-Hagen II 271) benutzt den Terminus historicus stilus in einem engeren Sinne für bestimmte Merkmale des Sprachgebrauchs (z.B. für die Verwendung des Infinitivs anstelle der flektierten Form; vgl. Aen. 2,132). Neben Macrobius wird die Bedeutung der Kategorie des ordo für die Darstellungsweise des Historikers ferner bei Plin. ep. 1,1,1 hervorgehoben: collegi non servato temporis ordine (ñeque enim historiam conponebam). Damit eng zusammenhängend gehört auch der Begriff digerere (prol 1[2]; 7 [110] der technischen Sprache der Historiographie an; vgl. zu den genannten zusätzlich Liv. 2,21,4; ergänzend reiches Material ThLL V, 1119f. Ambrosius selbst kennzeichnet mit der gleichen Kombination von stilus historicus und digerere — anstelle des ordo erscheint series — seine eigene paraphrasierende Nachzeichnung der Samson-Geschichte, und apostrophiert dies als narrare; Ep. 62, 8 (CSEL 82/2, 125): Cuius [Samson] generationis et vitae totius Seriem historico digestam stilo enarrabimus secundum sacri libri continentiam... Als Beispiel des stilus historicus erscheint weiterhin die Apostelgeschichte des Lukas Ep. extra Coli. 14, 21 (CSEL 82/3, 247): ... dicente Luca in Actibus apostolorum, qui eum librum historico stilo scripsit... Historia begegnet in der Schrift darüber hinaus im Buch Tobias (Tob. 1 [CSEL 32/2, 519]) und in den alttestamentlichen Patriarchenerzählungen (vgl. Pizzolato, Dottrina 136f ). 9 So z. B. Lukian, hist.scrib., passim; ferner z.B. Liv. praef. 10; Sali. lug. 4,5f.9. Der moralische Impuls der Geschichtsbetrachtung läßt sich bis zu Isokrates (or. 9,77) zurückverfolgen. Bei Cicero (de or. 2,36) gilt Geschichte grundsätzlich als magistra vitae. Vgl. zum ganzen G. Avenarius: Lukians Schrift zur Geschichtsschreibung. Meisenheim 1956, bes. 22ff. Femer zu den genannten römischen Autoren A.D. Leemann: Orationis ratio. The Stylistic Theories and Practice of the Roman Orators Historians and Philosophers. 2 Bde. Amsterdam 1963, bes. I, 194.
Das Lukasevangelium als exegetische Aufgabe
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dem Raster der rhetorischen Erörterung dieses Genres orientiert. 10 Für die Verwertung der rhetorischen Einschätzungen, die Ambrosius durch seine Ausbil dung vertraut waren, gilt es dabei zu beachten, daß die Grenzen zwischen der Erörterung von „Historiographie" als fester Literaturform (literarischem Genus) und der Auswertung ihrer Darstellungsfunktionen in anderen sprachpragmatischen Kontexten in der rhetorischen Diskussion verschwimmen. Quintilian beispielsweise bestimmt die historia neben fabula vmâ argumentum als eine der drei Grundtypen des Erzählens überhaupt11; im Unterschied zu den genannten zeichnet sie sich durch die Darbietung geschichtlicher Realität
(res gesta -, vgl. bei Ambrosius res dominicae [1,2] und gesta domini [7, 50]) und darum durch „Wahrheit" aus. 12 Ihre zentrale sprachpragmatische Funktion, das narrare, kehrt - durch die spezifischen Ziele des genus iudiciale gebrochen - in einem Teil der Gerichtsrede, der narratio, wieder. 13 Ihre Aufgabenstellungen und Gestaltungsprinzipien erhellen die bei Ambrosius angesprochenen Merkmale der lukanischen narratio weiter. Dem Gesichtspunkt der Realitätstreue entspricht dort die Aufgabenstellung, über alle wesentlichen, zur anstehenden Sache gehörigen Fakten zu unterrichten ( d o c e r e ) . 1 4 Sie gelangt zur vollkommenen Verwirklichung durch Klarheit (perspicuitas) und Wahrscheinlichkeit bzw. Glaubwürdigkeit ( p r o veri simili probabiletn credibilemve dicamus).15 Zur Klarheit gehört neben entsprechender Wortwahl, daß sie „Sachen, Personen, Zeitumstände, Örtlichkeiten und Gründe klar erkennen läßt" 1 6 ; sie ist also nicht nur als sprachlogische, sondern immer auch als inhaltliche Klarheit zu begreifen. Darüber hinaus gewinnt das Dargestellte eine besondere Prägekraft für den Darstellungsmodus; dies gilt zunächst für dessen gedanklichen Bau: In der narratio macht sich die Tatsächlichkeit des sachlichen Ablaufs (ordo rei) struktu-
Ό Die rhetorischen Hintergründe sind von Pizzolato, Dottrina 137-44 nicht gesehen. 11 Die Überschneidung mit der Historiographie als Literaturform kommt in umgekehrter Blickrichtung darin zur Geltung, daß Geschichtsschreibung für ihn im bloßen „Erzählen" zum Ziel kommt (scribitur ad narrandion ); Quint. Inst. X 1,31. 12 Quint. Inst. II 4,2: ...fabidam, quae versatur in tragoediis atque carminibus non a veritate modo, sed etiam a forma veritatis remota, argumentum, quod falsum, sed vero simile comoediae fingunt, historiam, in qua est rei gestae expositio... Die Unterscheidung geht zurück auf Arist. poet. 9. Das unbedingte Wahrheitsgebot der Historiographie - im Gegensatz zu Enkomion und Mythos - unterstreicht Lukian, Hist, conscrib. 7; ebenso schon Polyb. 10,21,8; 12,15,11; Cie. or. 2,62; leg. 1,5; adAtt. 1,19,10. Tac. Ann. 1,1,2f. Liv. praef. 5; Plin. ep. 7,33,10 u.ö. Vgl. Avenarius 13ff. 16ff. mit weiteren Belegstellen sowie Leemann 172f. 194. 343-47. ' 3 Vgl. die Definition bei Cie. inv. 1,19,27: narratio est rerum gestarum autut gestarum expositio; ferner Quint. Inst. IV 2,31: narratio est reifactae aut utfactae utilis adpersuadendum expositio. In der charakteristischen Zufügung utilis ad persuadendum wird die gerichtsrhetorische Durchbrechung der Aufgabenstellung der Historiographie angezeigt, so daß sie dem Rhetor nur bedingt als Modell dient. Für die Bewertung des lukanischen narrare ist aber allein sein Verhältnis zu den Inhalten (facta bzw. gesta) von Bedeutung. 14 Quint. Inst. IV 2,31. 1 5 Quint. Inst. IV 2,31. 1 6 Quint. Inst. IV 2,37.
32
Grundlagen der Evangeliumsauslegung
rierend geltend. 17 Die sprachliche Umsetzung der Sachordnung wird gemäß der primär belehrenden Funktion der narratio (docere: IV 2 3 1 s.o.) am ehesten durch das genus subtile erreicht18, das auf sprachlichen Schmuck weitgehend verzichtet. 19 Das besondere der historischen „Form" ist es demnach gerade, daß künstlerischer Formwille gegenüber dem Inhalt zurücktritt und kein Eigenrecht behauptet.20 Die narratio des Lukas nimmt sich also in der beschreibenden Darstellung absichtsvoll zugunsten ihres Gehaltes zurück. Vor diesem Hintergrund erweist sich sein stilus hisloricus als Modell einer allein sachorientierten, der Tatsächlichkeit des Ablaufs nach-folgenden und nach-sprechenden Darstellungsweise, in der der unbedingte Vorrang des Inhaltlichen seine sprachlich adäquate Umsetzung findet. 21 Der stilus historicus stellt folglich keine rein formale Einordnung her, sondern verweist den Interpreten auf die Notwendigkeit, zu einer inhaltlichen Charakterisierung des Lukasevangeliums zu gelangen. 22 Ambrosius entfaltet das damit gestellte Sachproblem in zwei argumentativen Durchgängen (prol 1-6 23 und 7f ), die von den eingangs zitierten Sätzen untergliedernd eingeleitet werden. Dabei setzt er das Evangelium einerseits mit den Typen einer dreigegliederten sapientia und andererseits mit den übrigen Evangelien ins Verhältnis. In seine Problemstellung fließt folglich die ältere Diskussion des Evangelienkanons ein. Der besondere Ansatz der Ambrosianischen Ausführungen liegt darin, daß beide Fragestellungen miteinander derart verwoben sind, daß die Frage nach dem Verhältnis zu den anderen Evangelien durch die nach den genera der Weisheit (vgl. prol 3 [34]) interpretiert wird. 1 7 Quint. Inst. XI 1,53. Dies führt in besonderem Maße in der Stegreifrede zu einer gleichsam selbstverständlichen Sachordnung; X 7,6. Unter den verschiedenen Stilstufen wird das genus subtile traditionell der Wirkabsicht des docere zugewiesen und formal durch Schlichtheit und fehlenden sprachlichen Schmuck gekennzeichnet; vgl. Cie. or. 23,76-26,90. Grundsätzlich unterliegt allerdings die narratio wie die Rede insgesamt dem allgemeinen Grundsatz stilistischer Variation; Quint.Inst. XII 10,71. 19 Quint. Inst. XII 10,58f.; vgl. Cie. or. 23,76-26,90. Vgl. Lukian, Hist.conscrib. 44f. Von Interesse ist vor allem die von Lukian vorgestellte Erhebung der Sprache durch die Größe ihres Gegenstandes: ή XéÇiç τ φ μέν κάλλει και τ φ μεγέθει τ ώ ν λ ε γ ο μ έ ν ω ν συυεπαιρουμένη και ώ $ évi μάλιστα όμοιουμένη (ebd.). 2 ' Er wird darin zum Gegenmodell der Anmaßungen der Weltweisheit; s.u. 30f. 22 Aus dieser Anforderung einer inhaltlichen Zuordnung des Evangeliums, die aus der Darstellungsform selbst erwächst, erklärt sich die argumentative Hinwendung zu den Typen dreierge nera sapientiae unmittelbar im Anschluß an die Bestimmung des stilus historicus (vgl. prol 1 [1-3 und 4ff.]). Dieser Wechsel von den Bestimmungen der historia zur sapientia zu Beginn stellt darum keinesfalls eine Kategorienkonfusion dar (so Pizzolato, Dottrina 138). Diese Fehleinschätzung resultiert aus einer unangemessenen Antithese von Form und Inhalt, nach der Pizzolato, Dottrina 137f. historia als allein literarische („generi letterari"), die Dreiteilung der sapientia dagegen nach philosophischer Tradition als inhaltliche Kategorisierang („forme di sapientia") versteht. Der argumentative Wechsel kann darum nicht sachlich motiviert werden, sondern stellt für ihn ausschließlich eine rhetorische Auxesis dar, die die Uberragende Qualität des Lukas herausheben solle (138). Der Hinweis auf eine nur rhetorische Aufhäufung macht die Interpretation als Verlegenheitsauskunft kenntlich. Damit aber zerfällt die gedankliche Konsistenz des gesamten Proömiums. Denn aufgrund der Opposition von Form und Inhalt gelingt es nicht, die Art der (postulierten) Qualität des Lukasevangeliums herauszuarbeiten. 23 Dabei stellt prol 6 bereits die Konsequenzen aus den vorangehenden Erörterungen für den Exegeten dar; s.u. 34f.
Das Lukasevangelium als exegetische Aufgabe
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Die Verknüpfung bzw. die von Ambrosius damit zum Ausdruck gebrachte tiefere sachliche Einheit der Problemstellungen erhält zusätzliche Plausibilität vor dem Hintergrund einer sich verfestigenden Prologtopik für kommentierende Arbeiten zu Werken aus Philosophie, Dichtung und Rhetorik, die die mögliche Bandbreite der in solchen Fällen zu behandelnden Einleitungsfragen vorgibt. 24 Diese Topik kann für die Zeit des Ambrosius in paganen Kommentarwerken nachgewiesen werden25 und begegnet in wesentlichen Elementen bei seinem direkten exegetischen Vorbild, Orígenes.26Man wird darum damit rechnen dürfen, daß Ambrosius mit diesem Fragenkatalog der Prologtopik vertraut gewesen ist, sei es durch seine schulische Ausbildung, da eine derartige Verfahrensweise in paganen Lehr- und Handbüchern angenommen werden muß, sei es durch Orígenes. 27 Die topischen Einleitungsfragen umschreiben folglich denjenigen Fragehorizont, in den die Ausführungen des Lukasprologs eingeordnet werden können.
24 Ein nahezu vollständiges, schon stark verfestigtes Schema mit den Hauptpunkten πρόθεσις. τάξις, α!τ(α τηξ έττιγραφήξ, γνήσιον. εις τ ά κεφάλεια διαίρεσις zeigt erst der griechische Aristoteleskommentar des Neuplatonikers Ammonios (in Int. [= Comm. in Arist. Graeca 4,5. Ed. A. Busse. Berlin 1897] in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts. Vgl. B. Neuschäfer: Orígenes als Philologe (Schweizerische Beiträge zur Altertumswissenschaft 18/1-2) 2 Bde. Basel 1987; I 57-67, bes. 58f. In der christlichen Kommentarliteratur sind die wesentlichen Elemente der Prologtopik zuerst bei Theodoret bemerkt worden, der als relativ später Vertreter der sog. „antiochenischen Schule" seinen Prolog zum Psalmenkommentar unzweifelhaft nach der vorgestellten Topik gestaltet. Dazu C. Schäublin: Untersuchungen zu Methode und Herkunft der antiochenischen Exegese (Theoph. 23) Köln, Bonn 1974, 66ff. 25 Im lateinischen Sprachraum finden sich Ansätze für eine Prologtopik in den Vergilkommentaren von Servius (Serv. Aen. 1,1; Thilo-Hagen 1) und Donat (Donat. Vit.Verg.; Brummer 11) gegen Ende bzw. zur Mitte des 4. Jhdt.; vgl. Schäublin, Herkunft 67; Neuschäfer I 58. Frühformen vergleichbarer Schemata oder deren Einzelelemente lassen sich darüber hinaus schon in der Scholienliteratur griechischer und lateinischer Dichtererklärungen sowie in Fragmenten rhetorischer und philosophischer Kommentarwerke aufzeigen. Dazu Neuschäfer I 62f.; Schäublin, Herkunft 67. 26 Neuschäfer I 67ff. hat sie in den in Katenenfragmenten Uberlieferten Resten der Psalmenkommentare (ed. G. Rietz: De Origenis prologis in Psalterium quaestiones selectae, Diss. Jena 1914) herausgearbeitet sowie in dem in lateinischer Übersetzung vorliegenden Hoheliedkommentar (GCS 33); Neuschäfer I 77ff. 27 Sicheres Indiz seiner Kenntnis und Verwendung der Prologtopik ist der Prolog zur Expositio Ρsalmi CXVIII (Expos. Ps. 118, prol 1-3 [CSEL 62, 3-5]), in dem Ambrosius den titulus des Psalmes und seine innere Gliederung nach dem hebräischen Alphabet (quem per singulas Hebraeorum digessit litteras) erörtert sowie die spezifische Redeweise des Psalmes im Vergleich zu den übrigen Formen der moralischen Unterweisung - womit eine Zuordnung zum Gebiet der Ethik einhergeht - und im Unterschied zur Prophetie zu beschreiben sucht. Damit sind die Einleitungsfragen nach Werktitel, Aufbau und Gliederung sowie Zuordnung zu einer Literarturgattung bzw. einem der Gebiete des Wissens aufgenommen. Ferner ist der nicht als Prolog gekennzeichnete Beginn der Explanatio Psalmorum XII, die Hinführung zur Auslegung des 1. Psalms (Expl. ft. 1,1-12 ([CSEL 64, 3-10]), in verwandter Weise einer grundsätzlichen Bestimmung des Wesens eines Psalmes gewidmet. Er wird dabei einerseits von Prophetie, Gesetz und historia (!) unterschieden, andererseits mit den Formen moralischer Unterweisung verglichen. Ambrosius unternimmt darin wiederum eine Genusbestimmung nach inhaltlichen ebenso wie nach formalen Gesichtspunkten.
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Grundlagen der Evangeliumsauslegung
Ambrosius beschäftigt sich in der aufgezeigten Form ausführlich lediglich mit der Erörterung der Darstellungsweise des Lukasevangelium. 28 Nach den vorgestellten rhetorisch-historiographischen Konzeptionen wird durch den spezifischen Charakter dieses Darstellungsmodus aber gleichzeitig eine Orientierung über den Aufbau und die gedankliche Gliederung (ordo ) des Werkes 29 gewonnen. In verkürzter Form beinhalten die vorgestellten Bemerkungen zum lukanischen Stil (prol 1. 7) darüber hinaus Informationen zu weiteren Einleitungsfragen, auch wenn diese nicht selbständig erörtert werden. 30 Mit dem Begriff evangelii librum (1 [1]) scheint sich der Titel des Werkes 31 mindestens In unterschiedlicher Terminologie je nach Gegenstand der Untersuchung als qualitas carminis (= ποιότης proleg. D der Theokrit-Scholien; Neuschäfer II 357, Anm. 34) im Sinne der rhetorischen Gattungsbestimmung (genus orationis) (vgl. H. Lausberg, Handbuch § 291) bei Serv. Aen. 1,1 (Neuschäfer I 62) und vor dem Hintergrund des Verhältnisses von Inhalt und Gattungswahl als causa bei Donat (s. vorige Anm.; Neuschäfer ebd.). In philosophischen Kommentaren reicht die Frage - als τ ρ ό π ο ς της διδασκαλίας (noch außerhalb des Prologs bei Ammon. in Porphyr. 23 [Comm. in Arist. Graeca 4,3]) - zugleich hinein in die nach einer Zuordnung zu den Teilen oder Disziplinen der Philosophie - ύττό ποίον μέρος φ (Neuschäfer I 63-65 mit II 357-59, Anm. 36-52). Bei Orígenes erscheint das Problem der Gattungsbestimmung wiederum in eins mit der Titeldiskussion (so im Psalmenkommentar; s. Neuschäfer I 7375) und zusätzlich in Verbindung mit der Skopos-Frage (im Hoheliedkommentar; s. Neuschäfer 179f.). In den Dichterkommentaren von Servius (Aen. 1,1) für die Aeneis als numerus libromm behandelt, während Donat (Vit. Verg.; Brummer 18) die Frage nach der Reihenfolge der Eklogen stellt. - Eine solche Einteilung nach verschiedenen Büchern erscheint für Ambrosius durch das Material allerdings überflüssig. - Demgegenüber orientieren sich die philosophischen Kommentare in der Darlegung der τάξις (= ordo) am Gesamtkorpus der philosophischen Schriften (des Aristoteles) und des darin umschriebenen Gedankengebäudes der Philosophie (Ammon. in Int. 4,17; Neuschäfer I 61f. mit weiteren Beispielen) oder mit einer gleichfalls verstärkt inhaltlichen Orientierung an den Hauptpunkten der Darlegung (vgl. die Diskussion des Begriffs κεφάλειον κτλ. bei Neuschäfer II 359, Anm. 54) mit Blick auf das anstehende Einzelwerk als εις τ& κεφάλεια διαίρεσις (Ammon. in Int. 7,15; vgl. Neuschäfer I 61). Das Problem der Diairesis begegnet bei Orígenes PsFrgm. PG 12, 1056A (s. Neuschäfer II 69), die τάξις der Einzelpsalmen ferner PG 12, 1072 D (Neuschäfer I 75f). Im Hoheliedkommentar (CantCom. Prol. [GCS 33, 62f.; 75f.]) wird der ordo librorum dagegen nach dem Muster philosophischer Kommentare in engem Zusammenhang mit dem Versuch einer inhaltlichen Zuordnung zu den Teilgebieten der Philosophie behandelt; Neuschäfer I 80ff. Eine entsprechende Form der Erörterung kehrt bei Ambrosius in der Verbindung von historia - entsprechend ihren rhetorischen Kategorien, die einen bestimmten ordo implizieren - mit der Diskussion der genera sapientiae wieder. 30 Ambrosius gibt diese Auskünfte in den eingangs herausgestellten Sätzen nur andeutungsweise und ohne ein fixiertes technisches Vokabular zu verwenden. Genausowenig trennt er die Einzelpunkte in einer stringenten Gliederung voneinander ab. Dies ist jedoch nicht ungewöhnlich. Denn vor der relativ späten Verfestigung des Schemas bei Ammonios verbleibt eine erhebliche Varianz in der Behandlung der einzelnen Einleitungsfragen, und die technische Begrifflichkeit ist nicht in allen Fällen gleich ausgebildet. Auch werden die einzelnen Punkte der Erörterung bei den Autoren in verschiedener Weise miteinander verknüpft und keineswegs stets als selbständige Einzelpunkte gliedernd unterschieden (vgl. die Beispiele in den folgenden Anm.). Ein ähnliches Ineinander der einzelnen Darstellungspunkte wie bei Ambrosius läßt sich beispielsweise auch bei Orígenes beobachten; CantCom. Prol. (GCS 33, 62f.). S. Anm. 42. 3 1 Der Titel des Werkes ( ε π ι γ ρ α φ ή = titulus) wird neben Ammonios [o. Anm. 24] bei Serv. Aen. 1,1 (Thilo-Hagen 1); Donat. Vit.Verg. (Brummer 11) erörtert. Eine Titeldiskussion begegnet bei Orígenes im Canticumprolog (GCS 33, 79: Post haec exigit nos consequentia sermonis dicere etiam de superscriptione ipsa Cantici Canticorum; vgl. 63: ... etiam de attitulatione libelli ipsius, cur Canticum Canticorum superscriptus sit ... \ dazu Neuschäfer I 79f.) sowie in den Psalmkommentar fragmenten — soweit Uberliefert mit Blick auf den jeweiligen einzelnen Psalm - ; sie ist dort unauflöslich verwoben mit Fragen der Echtheitskritik (Diskussion der Fragmente bei Neuschäfer 170-72 mit II 362-64, Anm. 77-93).
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anzudeuten, der jedoch für Ambrosius augenscheinlich ebensowenig einer Diskussion bedarf wie die Frage nach seiner Echtheit im Sinne der Verfasserfrage 32 . Die Diskussion der Verfasserschaft der Evangelien, die im Zuge der Kanonbildung von großer Bedeutung war, ist - wie sich im folgenden bestätigen wird - nicht mehr seine Problemstellung im 4. Jahrhundert. Zusätzlich ist die zentrale Thematik 33 des Evangeliums komprimiert mit res dominicae wenigstens in aller Kürze umrissen. Im Horizont der Einleitungsfragen der Prologtopik gewinnt das weitere Vorgehen des Ambrosius klarere Konturen. Denn an die erste Kurzcharakteristik des stilus historicus in seiner Eingangsbemerkung schließt er direkt eine ausführliche Diskussion der sapietüia an, zu der das Lukasevangelium nunmehr in inhaltlicher Hinsicht vergleichend in Beziehung gesetzt wird. 34 In der Form seiner Fragestellung knüpft Ambrosius damit an die in philosophischen Kommentarprologen gestellte Frage nach der Zugehörigkeit des zu Interpretierenden zu einem der Teilgebiete des Wissens an (ΰττό π ο ί ο ν μέρος 3 5 ). Wie sich zeigen wird, ist sie aber im Rahmen einer Erörterung der geistlichen Weisheit wesentlich vertieft und erlangt grundsätzliche Bedeutung für die Auffassung des Lukasevangeliums und darüber hinaus für die Exegese schlechthin. Kritischer Anknüpfungspunkt einer inhaltlichen Zuordnung des Lukasevangeliums ist zunächst die Philosophie mit ihrer Einteilung in drei Disziplinen und der darin repräsentierten Systematisierung und Aufteilung möglicher Gebiete der Erkenntnis. Hier begegnet sapientia als „Weltweisheit" in der konventionellen Unterscheidung von Natur, Ethik und Logik. 36 Allerdings erfolgt die 32 Die Echtheit eines Werkes wird - als Verfasserfrage - ( γ ν ή σ ι ο ν ) bei Donat (cuius sit; ebd.) thematisiert. Zu Orígenes, der den technischen Begriff nicht benutzt, s. vorige Anm. 33 Unter den Stichworten πρόθεσίζ und σκοπός (= intentio bei Servius und Donat) erläutert Ammonios den zentralen Lehrgegenstand; Neuschäfer I 60f. - In den beiden genannten Dichterkommentaren gewinnt die Beschäftigung mit der intentio zusätzlich Relevanz für die ästhetische Zweckbestimmung des Werkes. Vergleichbar ist in ihrer vornehmlich inhaltlichen Akzentuierung Donats Frage nach der causa des Werkes als Bestimmung der voluntas scribentis die sich dann auch mit der Gattungsfrage verbindet - Vit. Verg. (Brummer 12); Neuschäfer I 63. Gleichfalls unter vorrangig inhaltlichen Gesichtspunkten behandelt Orígenes das Wesen des amor, der die causa praecipua des Canticum darstellt (GCS 33, 62f.), und löst von dort aus die Frage der Gattungswahl (GCS 33, 63: Apitd Graecos quidem plurimi ...de amoris natura multa ac diversa etiam dialogicorum stilo scripta proüderunt... Vgl. GCS 33, 61: ... dramatis in modum mihi videtur a Salomone conscriptus... Drama enim dicitur, ut in scaenis agi fabula solet, ubi diversae personae introducuntur... ); Neuschäfer I 79f. 34 Prol 2f. (7-49). 35 Diese Fragestellung findet in Dichterkommentaren ihr Äquivalent in der Zuordnung des Werkes zu einer literarischen Gattung (qualitas carminis) bzw. zu einer Stilebene der Rhetorik. Allein schon von dieser Seite aus wird der Zusammenhang zur Gattungsfrage ersichtlich, der bei Donat aber auch im Canticumprolog des Orígenes unmittelbar deutlich wird (s. Anm. 33). Bemerkenswert ist, daß von Ambrosius im Prolog zum Kommentar des 118. Psalms und der Einleitung zur Auslegung von Psalm 1 (s.o. Anm. 27) in verwandter Weise derartige Zuordnungen zu verschiedenen Gattungen und Wissensgebieten unternommen werden. Gerade dieses Thema kehrt damit regelmäßig in den Prologen des Ambrosius wieder und zeigt sich als eines seiner vorrangigen Interessen. 36 Zum philosophischen Hintergrund der Einteilung nach moralia - naturalia - rationalia bzw. mystica vgl. Madec, Philosophie 193-99, sowie Savon, Exégèse I 66Γ; II 39, Anm. 64-66. Der Rekurs auf die philosophischen Disziplinen dürfte durch Orígenes inspiriert sein, der sie
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Bezugnahme auf ein dreigliedriges Schema der Philosophie in der Form kriti scher Umwertung durch die Argumentationsfigur des Altersbeweises, womit Ambrosius die zeitliche Priorität seiner biblischen Formulierung postuliert und zugleich seinen sachlichen Gehalt als genuin biblisch reklamiert, den sich die „Weltweisheit" nur fälschlich angemaßt hat.37 Ambrosius setzt sich damit sogleich auch grundsätzlich kritisch von der „Weltweisheit" ab und stellt ihr die wahre Weisheit gegenüber, die in der Schrift begegnet. Demgemäß insistiert er vor allem auf deren grundsätzlich geistlichen Charakter (sapientia spiritalis)38 und unterstreicht in den angeführten Beispielen die Wirksamkeit des Geistes und die Eingießung dieser Wahrheit, d.h. ihren Offenbarungscharakter.39 In der prinzipiellen Distanzierung von der Weltweisheit durch den Altersbeweis wird eine Dreiteilung nach moralis (bzw. ethicus) - naturalis - rationalist, wie sie in der Einteilung der philosophischen Disziplinen begegnet, gleichwohl zur tragfähigen Grundlage der Darlegung über das Wesen der sapi entia. Denn so vermag Ambrosius in dieser Zuordnung ein originär biblisches Modell (prol lf.) zu erkennen. Bereits im Alten Testament symbolisieren nämlich die drei Brunnen Jakobs (Gen 26)41 eine vergleichbare triadische Struktur, die zudem im Corpus der drei Bücher Salomos 42 wiederkehrt. Eine entspreCantCom. Prol. [GCS 33, 75f.] in ähnlicher Form vorstellt; vgl. unten Anm. 42; Madec, Philosophie 195f. 37 Prol lf. (4-11): Nam licet scriptura dinitia mundanae euacuet sapientiae disciplinant, quod maiore fucata uerboruni ambita quam rerum ratione subnixa sit, tarnen si quis in scripturis diuinis etiam ilia quae miranda illi putant quaerit, inueniet. Tria sunt enim quae philosophi mundi istiuspraecellentissimaputauerunt, triplicem scilicet esse sapientiam, quod aut naturalis sit aut moralis aut rationals. Haec tria iam et in ueteri testamentopotuimus aduertere. Vgl. prol 5 (67Γ): Ergo omnem quem mundana sibi prudentia falso uindicat principatum sapientia uere possidet spiritalis... Das Moment der Anmaßung wird bezeichnenderweise von Ambrosius zuerst in einer Gestaltungsweise erkannt, die auf sprachliche Ausschmückung abzielt, anstatt sich auf den sachli chen Kern zu stützen; dazu s.u. 31 und in Auseinandersetzung mit der Häresie 163ff. 38 Prol 5 (68). 39 Prol 5 (74f.) wird das Wirken des Geistes mit Blick auf die Vermittlung rechter Gottesverehrung und Lebensführung als infundere beschrieben; prol 2 (30-32) erscheint - anläßlich der Charakterisierung des Canticum - die Liebe zum verbum dei als Wirkung eines infundere und wird die Übermittlung göttlicher mysteria als revelare apostrophiert. Neben dem Lukasproömium vgl. ferner Isaac 2f. (CSEL 32/1, 656f.): moralis - naturalis - mastica [disciplina]. Detaillierte Synopse beider Partien bei Savon, Exégèse I 72. Wie hier kann an die Stelle von rationalis verschiedentlich der Begriff mysticus treten. Die Dreiteilung kehrt in beiden Versionen wieder: Expl. Ps. 36,1 (CSEL 64, 70): Omnis scriptura diuina uel naturalis, uel mystica uel moralis est.·, Expos. Ps. 118, 1,3 (CSEL 62, 6): ... Salomon librum de Prouerbiis scripsit, quo moralem locum uberius expressit, naturalem in Ecclesiaste, mysticum in Canticis canticorum: Expos. Ps. 118, 2,32 (CSEL 62, 39): [disciplinam] θεωρητικήυ, πρακτικήν, λ ο γ ι κ ή ν Verwandte, nicht ganz so klare Einteilungen ferner III, 35 (607-09); Isaac 14 (CSEL 32/1, 652). Savon, Exégèse I 75f. macht zugleich deutlich, daß sich mit der Variation in der inneren Reihenfolge der Dreiteilung das Bedeutungsspektrum verschiebt. 41 Prol 2 (11-13). 42 Prol 2 (23-33). Bezeichnenderweise begegnet eine Erörterung des unterschiedlichen Charakters der drei Bücher des salomonischen Schriftenkorpus im Canticumprolog des Orígenes (CantCom. Prol. [GCS 33, 75ff.]) mit einem ergänzenden Hinweis auf die Brunnen Isaaks (78f.). Dort versucht Orígenes Uber die traditionelle Dreiteilung der Philosophie den ordo der drei Bücher zu erklären. Zugleich unternimmt er eine sachliche Zuordnung zu den Gebieten des philosophischen Lehrsystems, ohne daß dies als eigener Diskussionspunkt unterschieden wird. S. Neuschäfer I 80ff.
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chende Repräsentation der Dreigestalt der Weisheit sieht Ambrosius in den Evangelien durch Matthäus, Markus und Johannes verwirklicht 43 : Johannes repräsentiert primär das Feld der (Meta-) Physik, Matthäus das der Ethik und Markus das des Verstehens, der ratio.44 Ihre letzte Analogie - Ambrosius ist sich der Gewagtheit dieses Hinweises bewußt - und tiefere Grundlegung findet die Dreigestalt der sapientia schließlich in der Trinität selbst. 45 Denn auch in deren Wirken lassen sich verschiedene Wirkungs"felder" den einzelnen trinitarischen Personen vorrangig zuweisen, die jedoch zuletzt von der Einheit ihres Wirkens und ihres Seins zusammengehalten werden. Mit diesem Bezugspunkt des Gliederungssystems bahnt Ambrosius zugleich schon dessen tiefgreifende Umformung an, für die der Einheitsgedanke zum vorrangigen Wesensmerkmal avanciert. Der vorgestellte Rekurs auf das Alte Testament sichert zunächst die Anwendbarkeit des entsprechenden Schemas im Umkreis biblischer Weisheit und begründet die Sinnhaftigkeit der darin aufgegriffenen Fragestellung. Im Alten wie im Neuen Testament muß die skizzierte Dreigestalt der Weisheit demnach wie in der Philosophie als thematische Orientierung gewertet werden. 46 In ihrer richtigen, d.h. biblisch geprägten Form, gibt diese Themenkons teil ation Ambrosius - in Entsprechung zu den philosophischen Aufgliederungen der „Weltweisheit" - auch für die geistliche Weisheit ein dreigliedriges Ordnungssystem des christlichen Lehrgebäudes vor. Denn erst angesichts einer solchen umfassend gültigen Geordnetheit der sapientia in einem Schema dreier Komponenten, die im Neuen Testament durch die Evangelien des Markus, Matthäus und Johannes abgedeckt wird, kann sich die Existenz eines vierten Evangeliums als Problem darstellen und wird die tiefere Problemstellung hinter dem Versuch einer Zuordnung des Lukas verständlich. Das Lukasevangelium muß
Prol 3 (33-35): Euangelistis quoque quam putas defuisse sapientiam, quorum alii cum uariis generibus sint referti, singuli tarnen diuerso genere praestant? 4 4 Prol 3 (35-49). 4 5 Prol 5 (68-70):.. .praesertim cum. audacias ut aliquid usurpemus, ipsa fides nostra, ipsum mysterium trinitatis sine hac triplici sapientia esse non possit... Die durchweg themenorientierte Prägung der Ausführungen läßt erkennen, daß die Dreiteilung naturalis - moralis - rationalis bzw. mysticus trotz terminologischer Überschneidungen nicht in Verbindung zu der klassischen Unterscheidung dreier Sinnebenen des biblischen Textes steht (der sog. „dreifache" bzw. „vierfache Schriftsinn"; vgl. H. de Lubac: Exégèse médiéval. Les quattre sens de Γ Écriture. Bd. 1. Paris 1959), die dann als Modi höheren Verständnisses gegen eine literale Ebene der historia abzugrenzen wären; so in Auseinandersetzung mit den von Lubac erhobenen Kategorien richtig auch Savon, Exégèse I 63ff. Demgemäß muß auch die Bewertung der historia des Evangeliums bei Ambrosius von der des Orígenes deutlich unterschieden werden, der den Begriff historia gleichwertig mit littera für die Sprachgestalt der Schrift verwendet, die es interpretierend zu übersteigen gilt (Schlüsseltext für dieses Modell ist Princ. IV 2,6-8; zum Problem R.P.C. Hanson: Allegory and Event. A Study in the Sources and Significance of Origen's Interpretation of Scripture. London 1959, 265ff. 248f. mit zahlreichen Beispielen; ergänzend Harl, L' Herméneutique 80f.). Diesen Aspekt fängt Pizzolato mit der Unterscheidung zwischen dem literarischen Genus (Dottrina 136-44) einerseits und der Zuordnung von historia zu littera für den unmittelbar vor Augen stehenden buchstäblichen Sinn (Dottrina 233-36) andererseits ein. 43
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nämlich von diesen Voraussetzungen aus gegenüber einem solchen Dreiersystem als vierte und darum erklärungsbedürftige Komponente erscheinen. 47 In der Zuordnung des Lukasevangeliums wird zugleich die ältere Problemstellung der Begründung des Viererkanons der Evangelien wieder aufgenommen. Die dafür seit Irenaus 4 ® angebotenen Lösungen suchten vorwiegend mittels zahlensymbolischer Deutungen die kirchliche Fixierung des Viererkanons mit den umfassenden Ordnungsprinzipien des Kosmos in Verbindung zu setzen und so den Anschein willkürlicher Setzung fernzuhalten. 4 9 Demgegenüber fragt Ambrosius nach den Spezifika des Lukasevangeliums nicht länger mit Blick auf seine Kanonizität. Seine Stellung im Kanon und sein Verhältnis zu den übrigen Evangelien erscheint vielmehr nur als die Außenansicht der damit gestellten tieferen Sachproblematik, die die Pluralität der Evangelien beinhaltet, nämlich der Frage nach der Wahrheit des Evangeliums. Ambrosius interpretiert insofern die Lösungsansätze der Kanonsdiskussion fort. Das Besondere des Lukasevangeliums, die historia, wird in erster Linie dahingehend zu bestimmen versucht, wie es sich zum Wesen der geistlichen Weisheit selbst verhält, die in ihren verschiedenen biblischen Verwirklichungen jeweils eine dreigliedrige Strukturiertheit für die geistige Erfassung von Wirklichkeit und ihre gedankliche Durchdringung vor Augen führt.
Nachdem Ambrosius an den drei übrigen Evangelien anhand von Beispielen das Dreiersystem auch für das Neue Testament nachgewiesen hat, hebt er denn auch scharf adversativ (at ) die Sonderstellung des lukanischen Modells hervor, das durch die Form der historia beschrieben ist: At uero sanctus Lucas uelut quendam historicum ordinem tenuit et plura nobis gestorum domini miracula reuelauit, ita tarnen ut omnis sapientiae uirtutes euangelii istius conplecteretur historia. Können also nach philosophischer Einteilung alle Erfahrungen, die der Mensch mit der „Welt" und mit sich als denkendem und handelnden Subjekt macht, den Bereichen der Naturphilosophie, Ethik oder Logik zugeordnet werden, und bestätigt sich eine entsprechende Ordnung auch nach dem Verständnis geistlicher Weisheit, wie sie im Alten und Neuen Testament vorliegt, dann wird die historia zum Problem und stellt sich die Frage nach ihrer Funktion und spezifischen Leistungsfähigkeit, d.h. der Bedeutung des conplecti.
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Daß die von Ambrosius aufgeworfene Problemstellung durch das Grundverhältnis 3+1 gekennzeichnet ist, erkennt richtig auch Savon, Exégèse I 73f.; zur Diskussion seiner Auffassung vgl. aber u. Anm. 56. 4 8 Vgl. Adv. haer. 3 , l l , 8 f . (SC 211, 160-70). 4 9 Dazu H. Merkel: Widersprüche zwischen den Evangelien. Ihre polemische und apologetische Behandlung in der Alten Kirche bis zu Augustin (WUNT 13) Tübingen 1971, 54f. In der Nachfolge des Irenaus verweisen Orig. JohCom. 1,6 (GCS 10, 7) auf die vier Elemente, Hipp. DanCom. 1,17 (GCS 1, 29); Cyp. ep. 7 3 , 1 0 ( C S E L 3 / 2 , 785) und Victor. Poetav. in Apoc. 4,3f. (PLS 1, 121-24) auf die vier Paradiesströme; s. Zusammenstellung der wichtigsten Texte bei T. Zahn: Forschungen zur Geschichte des neutestamentlichen Kanons. 2 Bde. Erlangen 1888. 1892, II 257ff. und H. Merkel: Die Pluralität der Evangelien als theologisches und exegetisches Problem in der alten Kirche. (TC 3 ) Bern, Frankfurt 1978. 50 Prol 4 (49-52).
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Dafür ist zunächst von Bedeutung, daß die historische Darstellung des Lukasevangeliums bei aller Besonderheit auch Berührungen und Überschneidungen mit den beschriebenen drei Gebieten zeigt. Ambrosius vermag nämlich für naturalia, moralia und rationalia jeweils beispielhafte Aussagen des Lukasevangeliums aufzuführen. Naturalia erkennt er in der Darstellung der schöpferischen Wirksamkeit des Geistes in Christi Menschwerdung 51 , moralia in den Anweisungen der Feldrede 52 , rationalia - nach ihrer logischen Akzentuierung - in dem gleichsam proverbialen Spruch Lk 16,10. 5 3 Historia beschreibt demgegenüber also kein viertes Gebiet, läßt sich aber auch nicht ohne weiteres ei nem Raster dreier Gebiete des Denkens einfügen. In ihr ist vielmehr die Dreigestalt der Weisheit als ganze repräsentiert. Wie die übrigen Evangelien zusammen die dreifache Weisheit umfassend darstellen, so geschieht dies noch einmal im Lukasevangelium auf dem Wege der historischen Darstellung, d.h. in der Abbildung der tatsächlichen Einheit der Weisheit in Christus, so daß sich im Evangelium die geistliche Weisheit sowohl inhaltlich als auch formal vollständig ausprägt. Seine Sonderstellung konkretisiert sich somit sachlich dahingehend, daß seine spezifische Darstellungsform zugleich einen besonderen denkerischen Zugriff auf die Weisheit selber verdeutlicht, der sich von einer trennenden Einteilung des ontisehen und noetischen Kosmos in drei abgegrenzte Felder unterscheidet. Lukas repräsentiert alle drei Arten der Weisheit und ihre Einheit gleichermaßen. Das unauflösliche Ineinander von Form und Inhalt der lukanischen Darstellungsweise wird aus umgekehrtem Blickwinkel noch einmal augenfällig. Die Beurteilung der lukanischen historia entscheidet sich nämlich nicht zuletzt am Verständnis der drei genannten Gebiete, zu der diese Kategorie ins Verhältnis gesetzt wird. Dabei ist es von Bedeutung, daß sich Ambrosius insgesamt kri tisch gegen die terminologisch aufgenommene Einteilungen der Philosophie absetzt, so daß deren Kategorisierungen nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden dürfen. Mit der Umdeutung des Wesens von Wahrheit und Weisheit aus ihrer biblischen, geoffenbarten Erscheinung als geistlich geht eine inhaltliche Neuorientierung 54 und - wie gezeigt werden soll - zugleich eine Neuinterpretation des Modus ihrer Aufteilung in die genannten genera einher. 55
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Prol 4 (53-56). Die Dimension reiner Naturerkenntnis wird zusätzlich noch einmal eigens angesichts der Beschreibung der Verdunkelung der Sonne bei Christi Kreuzigung hervorgehoben (64-66). Prol 4 (56-62). Prol 4 (62f.). Von ihren biblischen Verwirklichungen ausgehend, nimmt Ambrosius eine inhaltliche Neubestimmung der angesprochenen Gebiete vor. In der Fragestellung nach der richtigen Lebensführung ist die philosophische Umgrenzung der Ethik für ihn augenscheinlich nicht problematisch, da er auf sie nicht näher eingeht. Sein Verständnis der sapientia naturalis dagegen löst sich von der Betrachtung der Naturphänomene (dieser Aspekt prol 4 [64-66]). Die Physik stellt kein Gebiet autonomer Naturbetrachtung dar, sondern verweist beständig auf deren Schöpfer (vgl. prol 4 [52-56]). Doch wird damit nicht allein der Gegenstandsbereich der Naturphilosophie in die Metaphysik - wie schon bei Aristoteles - verlängert (so prol 2 [20f.]: ... sapientiae naturalis [sc. puteus], quae ea quae supra naturam uel naturae sunt conprehendat ). Natur wird vielmehr
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Die in der Argumentationsfigur des Altersbeweises insgesamt wirksame Entgegensetzung muß darum gegenüber einem philosophischen Verständnis auch für die Bewertung der Dreigestalt der Weisheit in Anschlag gebracht werden. Das Eigentümliche der lukanischen historia wird daher nicht erfaßt, wenn sie zu moralia - naturalia— rationalia I mystica in einer Weise ins Verhältnis gesetzt wird, die diese Trias als in sich abgeschlossene Gebiete denkerischer Ori entierung - wie in den Disziplinen der Philosophie - begreift. 56 Denn so bleibt es bei einer Denkweise, die historia als eine bloße Formkategorie auffaßt, die dem Sinngehalt äußerlich bleibt. Derartige auf der Opposition von Form und Inhalt beharrende Betrachtungsweisen vermögen aber das Argumentationsziel des Lukasprologs nicht ausreichend zu erfassen. Die Gedankenführung der untersuchten Abschnitte löst sich vielmehr nur dann befriedigend, wenn man um-
vornehmlich negativ zum Anknüpfungspunkt insofern, als sie ausgehend von Pred. 1,2 (prol 2 [26-29]) unter das Vorzeichen der vanitas gestellt wird und so zur Ubersteigenden Loslösung (transcendere) auffordert (vgl. Prol 3 [37-40]). Die sapientia rationalis schließlich wird nicht auf die Frage nach den Mechanismen logischer Operationen - im Sinne der traditionellen Dialektik - beschränkt (so prol 4, 62f.), sondern nach zwei Richtungen erweitert: Einerseits stellt sie Ambrosius dem moralischen und mystischen Erkennen voran und betont in ihr die theologisches Erkennen vorbereitende Kathartik des menschliches Geistes (prol 2 [14f.]). An anderen Stellen verwendet Ambrosius den Begriff in der Reihung naturalis - moralis rationalis praktisch austauschbar mit dem Begriff mysticus, womit er die unifikative Dimension des Denkens mit dem Logos-Verbum unterstreicht (dazu Savon, Exégèse I 75). Auf der Grundlage einer Synopse von weiteren Stellen, an denen Ambrosius verschiedene Arten von sapientia unterscheidet (s.o. Anm. 40), kommt Savon, Exégèse I 67ff. zu gleichen Ergebnissen. Ambrosius vertritt also eine weitgehend konstante Vorstellung von den Gegenstandsbereichen der sapientia nach einem aus der Bibel neu bestimmten Verständnis. 55 Einen ersten Hinweis gibt möglicherweise die Benennung virtutes sapientiae im Zusammenhang des Vergleichs zwischen Lukas und den übrigen Evangelien (prol 4 [51]; ebenso 8 [137]) - ähnlich bei den Patriarchen (prol 1 [14]) - , während nur einmal von genera sapientiae (ebenfalls mit Blick auf die Evangelien: prol 3 [34]) die Rede ist. Ansonsten bedient sich Ambrosius der Formulierung triplex sapientia (prol 1 [9]; 5 [70]). 56 Savon erarbeitet seine Deutung der Trias nicht aus dem Argumentationsgefälle des Prologs (dies ist nicht seine Themenstellung), sondern durch den Versuch einer Synopse und Systematisierung der parallelen Verwendungen. Demgemäß versteht er sie als drei in sich abgeschlossene Themenbereiche, die den biblischen Stoff strukturieren. Dieses Urteil geht erkennbar von einer Bestimmung des Dreierschemas nach dem philosophischen Modell aus, das in sich relativ abgeschlossene Themenfelder unterscheidet. So Findet die historia als zusätzliches Moment keinen Raum und wird zur bloßen Hilfsfunktion, die für die narrative Einkleidung und Verknüpfung dieser Themen sorgt, herabgestuft. Sie „umgreift" die genannten Bereiche für ihn nicht inhaltlich, sondern „beinhaltet" sie lediglich wie ein Gefäß: "Ainsi 1' 'historia', loin de s' ajouter comme un quatrième terme aux groups des trois sagesses ou de s' identifier à Γ une d'entre elles, leur sert de commun support ou, pour prendre Γ image même d'Ambroise, de contenant. ... La narration apparaît comme ce qui renferme des enseignements physiques, éthiques, rationelles." (Exégèse I 71). - Das complectere aus der zugrundeliegende Stelle des Prologs (4 [51f.]) ist damit rein formalistisch interpretiert. Die gleiche Entgegensetzung von Form und Inhalt und das Vorverständnis in sich geschlossener philosophischer Themengebiete liegt der Interpretation von Pizzolato, Dottrina 137ff. zugrunde. Auch für ihn „berührt" nämlich Lukas lediglich auf dem Wege der narratio alle „Formen der sapientia" (138: "Il genere letterario scelto di Luca ... per sua stessa natura... è atto quant' altri mai a visitarli tutti, grazie al lungo itinerario del suo percorso narrativa, che frequenta tutte le forme di sapienzia."). Aus dieser Sichtweise resultiert eine gravierende Fehleinschätzung der besonderen Leistungsfähigkeit der lukanischen Darstellungsform. Deren „Qualität" liegt für ihn darin, daß sie dem exegetischen Zugriff die Freiheil für eine eigene thematische Koordinierung des Stoffes schaffe (139). - Wir werden sehen, daß dies für Ambrosius gerade nicht die Aufgabe des Exegeten ist.
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gekehrt die dem stilus historiáis des Lukasevangeliums beigelegten Bestimmungen zum kritischen Bezugspunkt der Dreigliederung werden läßt. Die Entgegensetzung von Form und Inhalt unterschätzt zugleich die in der Begrifflichkeit der Ambrosianischen Bestimmungen für die historia implizierten rhetorischen Konzeptionen. Denn es ist die gemäß rhetorisch-historiographischem Verständnis durch ihre res direkt geprägte historia, d.h. eine Kategorie, deren Form gerade durch ihren Gehalt besonders unmittelbar bestimmt wird, die nach Ambrosius alle drei „Gebiete" der sapientia wirklich umgreift (conplecti). Dieser Zusammenhang läßt eine Deutung nicht zu, die sie nur als narrative Einkleidung, und darin ein der Sache letztlich äußerlich bleibendes Transportieren von Themen verstehen will. Vielmehr erweist sich die von der Faktizität des Geschehens bestimmte Darstellungsweise als jedem engeren thematischen Zugriff vorgeordnet, dies umso mehr da es sich um die res dominicae handelt. Denn das „Ereignis" Jesus Christus selber, seine „Geschichte" ist in ihr das Prinzip übergreifender Einheit, dem sich die Darstellung fügt; es ist nicht Substrat lehrhafter Aufgliederung, sondern stellt die geschichtlich real verwirklichte, umfassende Synthese des nur denkend Unterschiedenen dar. So deutet sich hier eine direkte Anbindung der christlichen sapientia spiritalis an Christus als die sapientia dei in Person an, die bei Ambrosius große Bedeutung gewinnt. 57 Gerade im Christusereignis und in seiner Person ist die Dreigliederung demnach nicht eine der Wirklichkeit selber, sondern nur noch eine des Aspekts ihrer Betrachtung. Ambrosius legt denn auch Wert darauf festzuhalten, daß auch in den drei übrigen Evangelien jeweils das Ganze des Geschehens und die vollständige geistliche Wahrheit wiedergegeben ist. 58 Sie akzentuieren dabei lediglich bestimmte Aspekte der Gesamtwirklichkeit des Christusgeschehens aus je besonderer Perspektive. Demgebenüber bildet die historische Darstellungsform des Lukas die faktische Synthese der Weisheit in seinem Gegenstand Christus direkt ab. Ambrosius' Interesse an der letztlich vollständigen Aufnahme der Weisheit in allen Evangelien macht aber klar, daß er seine Darstellung keinesfalls gegen die der anderen Evangelien ausspielen will. Wohl aber stellt das Lukasevangelium in seiner Form und Denkbewegung ein Gegenmodell gegen die „Weltweisheit" dar. Diese sieht Ambrosius nämlich vorrangig durch eine - falsche - Hochschätzung des sprachlichen Schmucks charakterisiert, die Indiz ihrer inhaltlichen Defizite ist. 59 Daß sich Lukas gegenüber seinem Gegenstand demütig zurücknimmt, wird dagegen zuerst im Zurücktreten des formalen Aspekts sichtbar, durch das nach rhetorischem Verständnis das narrare geprägt ist. Eine deutliche Verschiebung der Akzente ist 57
Diese an sich traditionelle Gleichsetzung wird in ihrer spezifischen Ausgestaltung durch Ambrosius zum Schlüssel des hermeneutischen Konzeptes; vgl. im folgenden bes. 65. 68ff. 186ff. 255ff. 58 Prol 8 s.u. 44f. 59 Prol 1 (5f.): ... quod maiore fucata uerborum ambitu quam rerum ratione subnixa sit...
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ferner gegenüber der Einteilung der „Weltweisheit" in gegen einander relativ abgeschlossene Disziplinen der Erkenntnis erkennbar. Zwar begegnet gelegentlich schon in stoischen Texten der Gedanke, daß diese unterschiedenen Diszi plinen und Wissensgebiete sich zu einer organischen Einheit zusammenfügen. 6 0 Gerade dieser Einheitsgedanke rückt jedoch ins Zentrum der Überlegungen bei Ambrosius und führt über die Vorstellungen einer nur organischen Zusammenfügung, die zugleich eine Hierarchisierung erlaubt 61 , hinaus. In dieser Hinsicht gewinnt es besondere Bedeutung, daß die dreigestaltige sapientia spiritalis für Ambrosius ihre letzte Analogie in der Trinität selbst findet. 62 Denn von dort aus wird jeder Gedanke an eine trennend-stufende Unterschei dung nachdrücklich abgewehrt. Alle drei Dimensionen des Handelns der trini tarischen Personen sind vielmehr ebenso wie diese Personen selbst zusammengehalten von einer tieferen Einheit ihrer Macht und ihres Wirkens (potestas und virtus), die eine wesenhafte Einheit ist. 63 Ambrosius insistiert auf der trinitarischen Einheit sicher nicht zuletzt in antihäretischer Perspektive. Doch prägt für ihn der Einheitsgedanke zugleich zentral die Formierung des neutestamentlichen Lehrgebäudes. Wie in der vorgängigen Wirklichkeit des Christusereignisses bilden die „Themen" von Natur, Ethik und Denken im Modell der Evangelien nicht mehr - wie in der Philosophie - in sich geschlossene „Gebiete", sondern stellen Modi und Perspektiven eines thematischen Zugriffs auf die Wirklichkeit dar. Die Einheit der drei Betrachtungsweisen von Natur, Ethik und Denken sowie ihrer zugehörigen Lehrgebäude bilden in der Form christli eher, d.h. geistlicher Weisheit analogisch die trinitarische Einheit Gottes selbst ab. Aus dieser wesenhaften Einheit der christlichen sapientia resultiert die von Ambrosius vorgenommene Umdeutung der philosophischen Zerteilung des Wissens nach abgeschlossenen Gebieten und Disziplinen zugunsten eines Modells, in dem eine Orientierung an bestimmten Themenfeldern nur mehr die Perspektive der Darbietung und die Warte der Erkenntnisbemühung bestimmt. Die Darstellung des Lukas ihrerseits enthält sich jeder einseitigen perspektivi -
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Sext. Emp. adv. math. 1,17-19 referiert als Meinung des Poseidonios, daß die Philosophie einen Organismus ( ζ φ ο ν ) darstelle; vgl. ferner Diog. Laert. 7,40. Euseb, Praep. 11,2,2 berichtet das gleiche über Piaton. Poseidonios (im Referat des Sextus Empiricus; s. vorige Anm.) vergleicht die Ethik mit dem Eidotter, die Physik mit dem Eiweiß als dessen Nahrung und die Logik mit der Schale, nach einem anderen Schema die Physik mit Fleisch und Blut des Körpers, die Logik mit Knochen und Nerven sowie die Ethik mit der Seele. Eine dritte Bildreihe vergleicht die Philosophie mit einem Weinberg und setzt die Logik mit dessen Ummauerung gleich, den Weinberg selbst mit der Physik und die Früchte mit der Ethik. Interessanterweise wird diese Bildlichkeit und Terminologie von Orig. MtCom. 17,7f. ( G C S 40, 597ff.) aufgegriffen, der mit ihrer Hilfe die verschiedenen Ebenen der Schrift und ihrer entsprechenden Lektüre unterscheidet; auch er betont aber die tiefere Einheit der Schrift, die alles Wissen beinhaltet. Vgl. Harl, L' Herméneutique 110-16.
62 Prol 5 (68-70): ... praesertim cion, audacius ut aliquid usurpemos, ipsa fides nostra, ipsuni mysterium trinitatis sine hac triplici sapientia esse non possit... 63 Prol 5 (71-86).
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sehen Festlegung. Sie bietet unmittelbar die Sache selbst und darin die geschichtlich-reale Synthese aller drei Aspekte dar. Theologisches Denken nach der Analogie trinitarisclier Einheit und nach dem Modell der lukanischen Darstellungsweise wäre demnach in dem Bemühen, diese abzubilden, als synthetisch, zusammenschauend, zur letzten Einheit drängend zu begreifen. 64 In einem kurzen abschließenden Durchgang charakterisiert Ambrosius noch einmal die Darstellung des Lukas und demonstriert sie als „historisch" anhand des Beginns seiner narratio (Lk 1,5). 65 Dieser Vers liefert ihm mit der Nennung des Priesters Zacharias zugleich das Stichwort für die Erörterung der vier apokalyptischen Bilder (Apk 4,7) von homo, leo, aquila und vitulus als Evangeliensymbole. 66 Die Zuordnung des Lukasevangeliums zum vitulus, das seinen priesterlichen Charakter verbildlicht, ist für Ambrosius durch den zuvor zitierten Anfang der lukanischen narratio (Lk 1,5) in seiner Stimmigkeit offenkundig. Demi mit einem Priester eröffnet es und mit demjenigen vitulus, der Priester und Opfertier zugleich ist und für die ganze Welt geopfert wird, kommt es zu seinem Ziel. 67 In antitypischer Korrespondenz und Überbietung ist damit gleich zu Anfang der narratio des Evangeliums der Priester Christus in dem Geschehen um den Priester Zacharias gegenwärtig. 68 Die symbolische Gestalt des Lukasevangeliums ist mithin die seines inhaltlichen Kerns und Gegenstandes, nämlich die Christi selber als Priester und Opfertier. Die res der Darstellung konkretisiert sich über dieses Beispiel zugleich spezifisch auf das Opfer und die Passion Christi, die ein zweites Mal wenig später als sein besonderes Interesse hervorgehoben wird. 69 Damit fällt ein klareres Licht auf den Zusammenhang zwischen der inhaltlichen Prägung und der Form der lukani sehen Darstellung. Ist der zentrale Gehalt und die spezifische Wahrheit des Lukasevangeliuins Christus in der Geschichte seiner Kenose bis hin zur Passion, so wird in der Tat verständlicher, daß der Evangelist - und der Exeget in analoger Weise - diese Wahrheit nicht in abstrakter Erörterung und aufgliedernder Analyse nach philosophischer Manier erfassen, sondern nur der Lebensbewe-
64 Die Ambrosianischen Ausführungen an dieser Stelle erlauben erst eine hypothetische Skizze der vorgestellten Zusammenhänge; doch äußert sich Ambrosius in der Auseinandersetzung mit den Fehlern häretischen Denkens insgesamt kritisch gegenüber einer auf Unterscheidung und Differenzierung drängenden Denkweise; s.u. 60f. sowie insgesamt Kap. IV, 175ff. 65 Darin scheint er zunächst formal auf die Datierung der berichteten Ereignisse durch die Nennung des Hertschers (in diebus Herodis regis Israel) und die Vorstellung des Zacharias abzuheben. Vgl. dazu die Kommentierung der lukanischen „Datierung" der Geburt Christi II, 36, s.u. 153f. 66 Die Deutung der vier Wesen aus Apk 4,6ff. und Ez 1,4ff. 10,8ff. als Symbole für die Evangelien begegnet zuerst bei Iren. Adv. haer. 3,1 l,8f. (SC 211, 160-70). Vgl. noch Hier, in Ezech. 1,6-8 (CCL 75, 11); Aug. JohTract. 36,5 (CCL 36, 327); Cons. evang. 4,11 (CSEL 43, 406f.). Abweichende Deutungen s.u. Anm. 71. 67 Prol 7 (113-125). 68 Dies legt Ambrosius ausführlich I, 22f. 28 dar. S.u. 104ff. 69 Prol 8 (141f.): ... tertins sacrificium sacerdotalepraemisit et ipsani uituli imniolationem stilo quodam pleniore diffudit...
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giing Christi direkt abschauen kann, indem er ihr nachgeht und sie in seiner historia nachzeichnet. Beispielhaft führt Ambrosius die Stimmigkeit der Charakterisierungen in den apokalyptischen Bildern zusätzlich daran vor, daß das Matthäusevangelium den „Menschen" aufgrund seines ethischen Grundcharakters als Symbol zugesprochen erhält, demi Ethik ist ein spezifisch den Menschen kennzeichnendes Phänomen. 70 Maßgeblich für die Symbolgestalt ist also bei Matthäus die spezifische Akzentuierung seiner Lehre und die darin erkennbare Zugangsweise zum Christusgeschehen. Im Vergleich beider Zuordnungen wird somit derselbe Unterschied deutlich, den Ambrosius zwischen den perspektivischen Einteilungen nach der Trias von Natur, Ethik und Verstehen auf der einen Seite und der di rekten Abbildung des Gegenstandes in der historia bei Lukas auf der anderen beschreibt. Auch in dieser Besonderheit des Lukasevangeliums hat demnach Ambrosius eine Widerspiegelung seiner Bestimmtheit durch die res erblickt. Das abschließende Referat einer verbreiteten (plerique putant) - für Ambrosius ebenfalls passenden - alternativen Deutung der vier Gestalten setzt die Akzente noch einmal anders. Nach der referierten Meinung symbolisieren sie jeweils Christus selbst: Christus erscheint demzufolge in den Evangelien als wahrer Mensch (homo), als der „Stärkere" ( leo), als das Opfer (vitulus) und als die Auferstehung (aquila).11 Ambrosius schränkt aber eine mögliche Geltung einer solchen Unterscheidung für den gesamten Ablauf (series) der jeweiligen Evangelien deutlich ein. Er findet nämlich die genannten Hinsichten in allen Evangelien, und möchte in jedem einzelnen nur seinen jeweiligen Aspekt in besonderer Fülle (plenitudo) verwirklicht sehen. 72 So enthüllt sich ihm das Spezifische eines jeden Evangeliums zum einen von seinem Anfang her und zum anderen durch die besondere Ausführlichkeit (vgl. uberius ; stilo pleniore ·, copiosius), in der ein bestimmter Akzent in den Mittelpunkt der Darstellung rückt. 73 In der deutlichen Relativierung, daß die Evangelien unter der ihnen zugeordneten symbolischen Gestalt nicht thematisch strikt zu subsummieren und als durchgängig von ihr charakterisiert zu sehen sind, bringt Ambrosius folglich noch einmal das herausgearbeitete Verständnis der Dreiteilungen als nur aspektbetonter Akzentuierung zum Tragen. Daß Ambrosius die direkte Identi fizienmg der Symbole mit Christus gleichwohl zustimmend aufnehmen kann, 70
Prol 7 (125-28). 71 Prol 8 (128-32): Plerique tarnen putant, ipsutn dominum nostrum in quattuor euangetii libris quatuuor formas animalium figurari, quod idem homo, idem leo, idem uitulus, idem aquila ... Die von Ambrosius referierte Deutung der vier Gestalten als Symbole für Christus vertritt Victorin. Poetav. in Apoc. 4,3f. (PLS 1, 121-24). 72 Prol 8 (132-37): Atque ita in singulis libris forma animalium figuratur, ut unuscuiusque libri series propositorum uideatur animalium aut naturae aut uirtuti aut gratiae aut miraculo con uenire. Quae licet omnia in omnibus sint, tarnen plenitudo quaedam in singulis uirtutum est singularum. 73 Prol 8 (137-44).
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verdeutlicht aber auf der anderen Seite, wie sehr Christus für ihn nicht nur bei Lukas Prinzip und Verkörperung der Einheit der Wahrheit ist. Grundlage und Prinzip aller Einheit für das neutestamentliche Lehrgebäude und seine Grundschriften, die Evangelien, lassen sich für ihn mit dem einen Namen Jesus Christus umschreiben; er verkörpert sie im Vollsinne des Wortes. Ambrosius schlußfolgert nämlich mit Kol 3,11 als Resümee seines Referates, daß Christus als geschichtliche Person die Einheit aller Evangelien darstellt; er ist der immer gleiche und der darin wahre: 'Vnus' igitur 'omnia et unus in omnibus' [sc. Christus] (Kol 3,11), sicut lectum est, non dissimilis in singulis, sed uerus in cunctis. 74 Mit der Wiederholung des Zitats von Kol 3,11, das Ambrosius bereits ein erstes Mal im Rahmen seiner trinitätstheologischen Betrachtung der Einheit verwendet hatte 75 , stellt er zugleich - vorerst eher sprachlich-suggestiv - die Verbindung zur trinitarischen Argumentation her und deutet so eine Einbindung der von ihm vorgestellten Sacheinheit der Evangelien, die die Einheit ihres Gegenstandes Christus ist, in eine nochmals tiefere, trinitarische Einheit an. Für die historische Darstellung des Lukasevangeliums kann als Konsequenz der Erörteningen in Anspruch genommen werden, daß sie durch ihre auch formal zum Tragen kommende Sachnähe von ihrer Wahrheit Christus in besonderer Direktheit geprägt ist, ohne daß es darin gegen die anderen Evangelien gestellt würde. Noch im Proömium selbst deutet Ambrosius in einem bisher zurückgestellten Abschnitt an, daß aus diesem Zusammenhang Konsequenzen für den Vorgang und die Denkbewegung der Exegese zu ziehen sind. Haec igitur diligenter, cum legimus, consideremus, ut in ipsis locis nobis possint melius elucere. 'Qui enim quaerit inuenit et qui pulsat aperietur ei' (Mt 7,8). Aperit sibi diligentia ianuam ueritatis et ideo praeceptis caelestibus pareamus. 7 ° Ambrosius fordert, das unmittelbar zuvor behandelte Prinzip trinitarischer Einheit in der exegetischen Auswertung der Einzelstellen jeweils für ein besseres Verständnis zur hermeneutisehen Richtschnur zu machen. Darin deutet sich eine wesentliche dogmatische Vorgabe für die Interpretationsbewegung an. Für die grundsätzliche Orientierung, die der Prolog für die Exegese des Lukasevangeliums zu gewinnen sucht, ist aber in erster Linie von Bedeutung, daß Ambrosius die sorgfältige (diligentia I diligenter77) Exegese hier als Akt des
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Prol8(144f.). Prol 5 (82f.). Prol6(87-90). 77 Diligentia ist der Leitbegriff für das methodisch kontrollierte Vorgehen der Auslegung. Er umschreibt komprimiert ihr gesamtes technisches Instrumentarium; s. Pizzolato, Dottrina 269-301. 75 76
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Gehorsams (pareamus) gegenüber Gottes Gebot darstellt. 78 Der Vollzug der Exegese spiegelt als Gehorsam folglich die spezifische, dem ordo rei strikt nach-folgende Denkbewegung der Darstellungsweise im Evangelium wider. Das Proömium gibt also bereits einen ersten Hinweis, daß die Merkmale des lukanischen Denkens, die in der historia des Evangeliums aufscheinen, vorbildhaften Charakter für den Exegeten gewinnen. Wie der Evangelist Christi Leben, das die Wahrheit ist, nachzeichnet, so muß ihm der Exeget nachgehen, d.h. ähnlich wie der „Historiker" Lukas angestrengt hinblicken, und in Demut, ohne sich selbst herauszustellen, zu verstehen und zu predigen suchen. Der lukanische Denk-Stil, der sich selbst ganz zurücknimmt, ist die Verkörperimg der geforderten Demut - die hier exemplarisch im Auftreten des Täufers (nach dem Markusevangelium) und dabei nicht zuletzt in seiner Predigt (nuntius) erkannt wird 7 9 - im Denken par excellence. Die Mühe der Auslegung und theologischen Argumentation gehört vor diesem Hintergrund für Ambrosius unter dem Vorzeichen des Gehorsams zentral zum geistlichen Wettkampf, der unter der Verheißung der „Tugendkrone" (vgl. 2 Tim 4,8) und des ewigen Lebens steht. 80 Der geistliche Charakter der Erkenntnisbemühung 81 korrespondiert dabei dem Wesen der Wahrheit als sapientia spiritalis. Daß Ambrosius das Lukasevangelium für seinen einzigen dezidiert neutestamentlichen Kommentar zu Grunde legt, wird man vor diesem Hintergrund zu bedenken haben. Schon im Proömium stellt er die Frage nach dem Wesen der Wahrheit in der Offenbarung und den daraus abzuleitenden Konsequenzen ihrer gedanklichen Erschließung in der Exegese. Dabei gibt die Charakterisierung des Lukasevangeliums zusätzlich einen anfänglichen Hinweis darauf, daß das in ihm repräsentiert gesehene Denken als Modell theologischer Denkform und die vom Respekt vor der Sache geprägte Darstellung als Muster adäquaten theologischen Redens insgesamt gelten können.
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Er gilt nicht nur dem zitierten Einzelgebot von Mt 7,8, sondern läßt die angestrengte geistige Tätigkeit in der Exegese als Ausdruck des vom Menschen generell geforderten labor (vgl. Gen 3,19) begreifen; der Terminus fällt im Zusammenhang dreimal (Prol 6 [95.100.101]). Ambrosius verbindet darin die aus Gen 3,19 gewonnene Vorstellung mit einer zutiefst römisch empfundenen Einschätzung der Aufgabe menschlicher Existenz, die von Vergil - ätiologisch auf Juppiter selbst zurückgeführt (Georg. 1,121 ff.) - in exemplarischer Weise formuliert wird: labor omnia uicit/ improbus etduris urgens in rebus egestas(Georg. l,145f.). Vgl. D. Lau: Der lateinische Begriff labor. (Münchner Universitäts-Schriften. Reihe der Philosophischen Fakultät 14) München 1975. Zeichnet den Menschen seine Vernunft unterscheidend aus, so hat er seinem Wesen gerade in ihrer Ausübung, und d.h. für Ambrosius unter dem Aspekt des labor, gerecht zu werden. Prol 6 (90-95): Neque enim otiose diction est homini quod nulli aliorum animantium: 'in sudore uultus tui manducabispanem tuwn' (Gen 3,19)... soli autem homini, ut rationale quod accepit exerceat, uitae cursus in labore praescribitur. Pro) 3 (45-48): ... ut et admirationem moueret [sc. Marcus] et doceret humilitate hominem at que abstinentia et fide piacere debere, sicut ille sanctus Iohannes Baptista his ad inmortalitatem gradibus ascendit, uestimento cibo nuntio. Prol 6 (96-108). Prol 6 (103-05): ... nudus malitiae athletapietatis oleo spiritale uelui quaedam animae membra perfusus suscipiat certamina ueritatis ...
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2. WAHRHEIT UND WESEN DES EVANGELIUMS. DER LUKANISCHE PROLOG (I, 1-14) Die Exegese des lukanischen Prologs, mit der die Auslegung einsetzt 8 2 , schließt thematisch eng an die henneneutischen Anfaugsfragen des eigenen Proömiums an. Die Auslegung kann damit als eine erste exegetische Ausgestaltung der dort gestellten Grundfragen angesehen werden. Ambrosius faßt diesen Textbereich nach den Erwartungen antiker Lesegewohnheit als lukanisches Programm auf, d.h. als Bestimmung über Ziel und Charakter seines Evangeliums. So findet er hier grundsätzlich geklärt, was ein wirkliches „Evangelium" ausmacht, worin seine Wahrheit besteht, wie es zustande kommt und was dies für den Adressaten bedeutet, an den es sich richtet. Für seine eigene Auslegung gewinnen diese Beobachtungen darin ihre Bedeutung, daß sich aus ihnen Konsequenzen für einen angemessenen Umgang mit dem Evangelium ableiten. Insoweit orientiert dieser Passus zugleich über die Grundvoraussetzungen der Evangeliumsexegese. 2.1. Die Lukas-Homilien des Orígenes als Vorlage Mit der Frage nach Themaük, Disposition und Denkbewegung des Ambrosius ist in den anfangs zu behandelnden Passagen stets auch die nach der gedanklichen und formalen Benutzung von Quellen verwoben. Denn erkennbar ist Ambrosius in einer Fülle von Fragestellungen und exegetischen Detailbeobachtungen durch das gesamte I. und II. Buch hindurch von den Lukas-Homilien des Orígenes angeregt. Die Verbindungen, Übereinstimmungen und Unterschiede im verwendeten Material und in der Aussagerichtung zu diesem Vorbild aufzuzeigen, kann entscheidend dazu beitragen, seine besonderen Interessen und Vorstellungen schärfer zu profilieren, und ermöglicht einen klareren Blick auf seine Arbeitsweise. Die von Ambrosius benutzte Vorlage, die Lukas-Homilien des Orígenes, sind im griechischen Text nur noch durch eine Reihe von Fragmenten aus der Katenenüberlieferung erhalten. 83 Einen zusammenhängenden Text bietet allein die lateinische Übertragung des Hieronymus. Hieronymus übersetzt eine Sammlung von 39 Homilien, die mit wenigen Lücken den Anfang des Evangeliums
Ambrosius folgt im I. Buch seiner Lukasauslegung im wesentlichen dem Verlauf der lukanischen Darstellung und behandelt in zwei großen Blöcken zunächst in I, 1-14 dessen Prolog (Lk 1,1-4) sowie anschließend die Verheißung der Geburt des Täufers ( L k 1,5-25) bis zur B e schreibung der Schwangerschaft Elisabets (nach Lk l,24f.) in I, 15-46. 8 3 Zur Überlieferungsproblematik vgl. M. Rauer: Die Homilien zu Lukas in der Übersetzung des Hieronymus und die griechischen Reste der Homilien und des Lukaskommentar. Hg. und in 2. Aufl. neu bearb. v. Max Rauer. ( G C S 4 9 ) Berlin 1959, VH-XVIII und ergänzend die Bemerkungen von F. Fournier in der Einleitung zur französichen Ausgabe ( S C 87), bes. 85ff. 89f.
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bis zu Kapitel 4 kommentieren sowie ausgewählte Einzeltexte der nachfolgenden Kapitel besprechen; weitere scheinen ihm nicht bekannt gewesen zu sein. Ambrosius dürfte eine Sammlung vergleichbaren Umfangs vorgelegen haben. 8 4 Diese Wiedergabe kann, soweit ein Vergleich mit den Fragmenten möglich ist, für den Gedankengang des Orígenes im wesentlichen als zuverlässig gelten. 85 Nur mit äußerster Zurückhaltung können daneben zusätzliche von Rauer gesammelte Fragmente, die in zweiter Auflage seiner Edition zahlenmäßig bereits deutlich reduziert sind, für die Rekonstruktion der Lukas-Homilien dienen. Sie bieten Auslegungen, die von Orígenes stammen können, ansonsten aber im ori geneischen Geist und an ihn anknüpfend verfaßt sind. Ob sie in den Homilien ihren Platz hatten, muß häufig offen bleiben. 86 Ambrosianische Anklänge an solche Fragmente zeigen somit in erster Linie seine Anknüpfung an Origenei sches Denken und Auslegungswissen, aber nicht notwendigerweise eine direkte Übernahme aus den Homilien als Quelle. Im Vergleich mit Orígenes stellt sich somit gleichzeitig erneut an einem entscheidenden Punkt die grundsätzliche Frage nach dem Maß denkerischer Ei genständigkeit des Ambrosius. Dies gilt besonders angesichts des Plagiatvorwurfs des Hieronymus, dessen Übersetzung faktisch der Absicht dient, Ambrosius als „Plagiator" zu enttarnen.87 Stellt man dies in Rechnung und weiß man um die Animosität, die er Ambrosius gegenüber allgemein hegte 88 , so ist der Zeugnis wert seiner Übersetzung für die Bewertung der Ambrosianischen Ab84 Die ältere von Rauer vorgetragene Hypothese einer längeren Fassung der Homilien, die Ambrosius besessen habe (Form und Überlieferung der Lukas-Homilien des Orígenes. |TU 47,3] Leipzig 1932, bes. 32-40), ist dagegen unwahrscheinlich und wurde von ihm selbst in der zweiten Auflage (GCS 49 [1959] XVI-XVIII) mit guten Gründen fallengelassen; s. zuletzt auch Sieben, Einleitung zu: Orígenes. Homilien zum Lukasevangelium. Übers, u. eingel. v. H.J. Sieben (Fontes Christiani 4/1-2) 2 Bde. Freiburg u.a. 1991 u. 1992, I 40ff. Sie wird gleichwohl in der Literatur weiter fortgeschrieben; so z.B. Fournier (SC 87) 85. 89. 85 Zusammenfassende Erörterung der wesentlichen Argumente bei Sieben, Einleitung 37ff.; zu beachten sind aber die im folgenden aufgeführten Einschränkungen. Vgl. die Diskussion von Beispielen bei Foumier (SC 87) 461 ff. 87 Hieronymus, Praef. (GCS 49, 1) kennzeichnet sein Werk mit Nachdruck als Übersetzung und stellt dem die Arbeit eines namentlich Ungenannten gegenüber, der sich als häßlicher Rabe mit fremden Federn schmückt; damit ist unstreitig Ambrosius gemeint (anders zwar Schenkl XVI; vgl. dagegen z.B. Sieben, Einleitung 36). Diese eigentliche Absicht der Übersetzung wird von Hieronymus durch den Hinweis auf eine an ihn herangetragene Bitte nur oberflächlich verdeckt; vgl. Sieben, Einleitung 34ff. Vgl. etwa die ironischen Nennungen des Ambrosius im Schriftstellerkatalog vir. ill. 124 (TU 14/1, 53). Auch die Einreihung des Ambrosius unter die Übersetzer (Ap. Ruf. 1,2 [CCL 79, 2f.]) sowie die abfälligen Äußerungen Uber De spiritu sancto in der Praefatio zu Didym. spir. (PL 23, 108A) dienen der persönlichen Herabminderung. Darüber hinaus scheint es gleichfalls Ambrosius zu sein, der mit ep. 106,57 (CSEL 55, 277) angegriffen wird (s. H. Marti: Übersetzer der Augustin-Zeit. Interpretation von Selbstzeugnissen (Studia et Testimonia antiqua 14) München 1974, 291). Weitere Textbeispiele sind gesammelt bei A. Paredi: S. Gerolamo e S. Ambrogio. In: Mélanges Eugène Tisserant. Bd. V,2: Archives Vaticanes. Histoire Ecclésiastique. Rom 1964, 183-98. Für das perönliche Verhältnis beider zuletzt M. Testard: Jérôme et Ambroise. Sur un "aveu" du De officiis de Γ évêque de Milan. In: Jérôme entre Γ Occident et l'Orient. ... 227-254; ihm liegt allerdings erkennbar daran, Verständnis für die Haltung des Hieronymus zu entwickeln und das Ausbleiben einer Verständigung auf das Schweigen des Ambrosius zurückzuführen (vgl. bes. 253f.).
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hängigkeit von Orígenes mit Vorsicht zu betrachten. 89 Denn nicht nur im Rahmen übersetzerischer Freiheit 90 , sondern auch vor dem Hintergrund dieser Intention müssen eine Reihe nachweisbarer Veränderungen gegenüber der Vorlage des Orígenes betrachtet werden. Schon Rufin wirft ihm dogmatisch begründete Eingriffe in den Text des Orígenes vor, wenn er auch deren Umfang zu übertreiben scheint. 91 Kürzungen92, tiefgreifende Umgestaltungen im Einzelfall 93 , vor allem aber eine nicht geringe Zahl von Abweichungen in Einzelpunkten, in der Spannweite von tendenziösen stilistischen Modifikationen bis hin zu klaren sachlichen Korrekturen, sind in der modernen Forschung heraus gearbeitet worden. 94 Aufgrund derartiger Beobachtungen ist folglich immer dann, wenn sich Ansatzpunkte für Ambrosianische Ausführungen allein in der lateinischen Fassung der Homilien finden, besondere Vorsicht angebracht. 95 Demi auch nur geringfügige Nuancierungen und paraphrastische Erweiterungen genügen zumeist schon für eine Sinnverschiebung. Dabei wird sich nicht immer entscheiden lassen, ob nicht Hieronymus den Orígenes nur im gleichen Sinne verstandeil hat wie Ambrosius und dessen Schlußfolgerungen oder Weiterführungen als im Text des Orígenes potentiell angelegt „aufdecken" wollte. Demi tendenziös interpretierende Ausgestaltungen des griechischen Textes durch Hieronymus, die in die gleiche Richtung wie die Ausführungen des Ambrosius zielen und damit indirekt die Basis für seinen Plagiatvorwurf erweitern, sind - wie gezeigt werden soll - nachweisbar. Persönliche Invektive ist ein wesentliches Interesse und Merkmal antiker Plagiatsvorwürfe überhaupt, die aber weder mit der gängigen literarischen Praxis zur Deckung kommen, noch sich mit ihrem Selbstverständnis vereinbaren lassen; s. E. Stemplinger: Das Plagiat in der griechischen Literatur, Leipzig, Berlin 1912 passim, bes. 12ff. 209ff., der den Zusammenhang für den griechischen Sprachraum exemplarisch darstellt. V gl. zur Übersetzungstheorie F. Winkelmann : Einige Bemerkungen zu den Aussagen des Rufinus von Aquileia und des Hieronymus über ihre Übersetzungstheorie und -methode. In: K Y R I A K O N . F S J. Quasten. Hg. v. P. Granfield, J.A. Jungmann. 2 Bde. Münster 1970, II 5 3 2 47. Die Grenzziehungen zwischen Übersetzung, Paraphrase und ämulativer Mimesis sind in der antiken Literatur insgesamt eher fließend (vgl. schon Stemplinger 209ff. 125ff.) und lassen besonders in der Einschätzung der Bibelkommentare, die auf kompilatorische Verfahrensweisen zurückgreifen, unterschiedliche Wertungen zu. Vgl. die Diskussion von Beispielen bei Marti 94ff. Rufin. Apol. 2,27 ( C C L 20, 106). Die Tragweite der von ihm festgestellten Abweichungen ist umstritten (vgl. Sieben, Einleitung 38ff., dagegen aber die Kritik der Forschungspositionen bei Marti 233f.), belegt aber unzweideutig die Tatsache einer im einzelnen veränderten Wiedergabe als solche; s. die eingehende Interpretation der Stelle bei Marti 233f. 9 2 Vgl. die Synopse der Hieronymus-Übersetzung mit griechischen Fragmenten und Abschnitten aus Ambrosius bei Rauer ( G C S 4 9 ) XVIIf. 9 3 T. Zahn: Die Predigten des Orígenes über das Evangelium des Lukas. Ν KZ 22 ( 1 9 1 1 ) 253-68, bes. 2 6 2 f f , weist solche Eingriffe exemplarisch für die 7. Homilie nach. 9 4 Vgl. für eine Fülle von Einzelstellen die Anmerkungen der Ausgabe von Crouzel ( S C 87), z.B. 106, Anm. 2; 114, Anm. 2; 120, Anm. 1; 131, Anm. 2; 132, Anm. 1; 167, Anm. 2; 168, Anm. 3; u.ö. Signifikante und aus der theologischen Diskussion zu begründende Veränderungen bei den Christus-Titeln notiert ferner B. Studer: A propos des traductions d' Origène par Jérôme et Rufin. VetChr 5 ( 1 9 6 8 ) 137-55, für die Lukas-Homilien bes. 140 mit Anm. 17. Weitere Unterschiede der Prologauslegung, die eine Einzeluntersuchung von G. Nazzaro (s.u. Anm. 113) hervorhebt, werden im folgenden näher besprochen. 9 5 W o der Text der Homilie nur lateinisch erhalten ist, oder erkennbar von den griechischen Fragmenten abweicht, wird er daher durch die Zufügung des Siglums „[Hier]" zitiert. 8 9
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Sowohl die polemischen Motive des Hieronymus als auch das andersartige Bewußtsein antiken Literaturschaffens vom geistigen Eigentum müssen aber noch in anderer Weise grundsätzlich bedacht werden. Denn die Perspektive der Ambrosius-Interpretation darf sich nicht durch die Anwürfe des Hieronymus in den Standpunkt der Apologetik drängen lassen, beständig die Originalität ihres Gegenstandes erweisen zu müssen. 96 Das Ziel der Interpretation ist darum nicht in erster Linie, seine Eigenständigkeit gegenüber Orígenes aufzuzeigen. Vielmehr muß es darum gehen, die exegetische und hermeneutische Position des Ambrosius möglichst klar zu beschreiben. Dabei wird sich dann allerdings auch erweisen, daß er die vorgegebene Exegese des Orígenes in seine Gedankenführung sinnvoll zu integrieren oder auch nach eigenen Schwerpunkten und Zielsetzungen kritisch umzuformen vermag. Seine eigene Position entwickelt sich so durch Übernahme und Abgrenzung gleichermaßen. Da die Beschäftigung mit Orígenes nicht wie bei Philo oder Cicero, die aufgrund ihrer jüdischen bzw. heidnischen Prägung aus ihren Systembindungen heraus für Ambrosius unmittelbar als problematisch erkennbar sind, durch eine vorgegebene Ablehnung von Person oder Hintergrund vorgeprägt ist, liefert sie aber einen umso deutlicheren Beweis für ein wirklich eigenständiges theologisches Reflexionsvermögen und exegetisches Urteil. Mit den angedeuteten überlieferungsbedingten Einschränkungen läßt sich ein Bild von der Arbeitsweise des Orígenes in den Lukas-Homilien gewinnen, von der Ambrosius abzuheben sein wird. Sie läßt den Versuch erkennen, das Einzelne möglichst auszuschöpfen und den universalen Sinngehalt (Logos) in umfassender Weise zur Geltung zu bringen. Strukturell ruht dies auf einem festen Grundmuster, das die Origeneische Exegese insgesamt prägt. Danach folgt auf den Text des Verses eine Sacherklärung, die den jeweiligen Gehalt aus seiner spezifischen historischen und sprachlichen Fixierung zu lösen und grundsätzlich als Lehre zu formulieren sucht, bevor sie ihn den Hörern appliziert. 97 Entscheidend ist, daß die jeweilige kleinste Sinneinheit, nämlich Vers oder Versteil, zuweilen das einzelne Wort, die Basis dieses Vorgehens darstellt. Hieronymus hat diese Verfahrensweise des Orígenes als „commaticum", also nach Kommata untergliedert und von Komma zu Komma fortschreitend, beschrieben. Seine entsprechenden Notizen zeigen, daß er damit eine bestimmte Zugangsweise zum Text beschreibt, ohne daß damit die Form der Erklärung 96 Dies gilt umso mehr, als die in der älteren Forschung lange Zeit wiederholte Behauptung „sklavischer" Abhängigkeit von den jeweiligen Vorlagen für das Verhältnis zu Philo (s. Savon, Exégèse passim) und zu Cicero (s. Steidle, Schrift und ders., Gedankengang passim) als endgültig widerlegt gelten kann. Gleiches gilt für eine Vielzahl weiterer Themenstellungen und die dabei herangezogenen Vorlagen; vgl. z.B. Y.-M. Duval: L' originalité du De uirginibus dans le mouvement ascétique occidental. Ambroise, Cyprien, Athanase. In: Ambroise de Milan... 9-66. 97
Vgl. Κ. J. Torjesen: Hermeneutical Procedure and Theological Method in Origen's Exegesis. (PTS 28) Berlin, New York 1986, 49-69, speziell zu den Lukas-Homilien 63f. und Appendix F, 166ff.
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auf eine bestimmte Gattung - Kommentar oder Scholion - eingegrenzt würde. 9 8 Diese Art der Erklärung hat ihre Wurzel in der Dichtererklärung der paganen Grammatik (dem έξεγετικόν im engeren Sinne). 99 Entsprechend dieser Vorgehens weise überwiegt bei Orígenes auch in den Homilien zunächst das Interesse am Einzelnen und dem darin für ihn erkennbaren Konzept. Von den eng in den Blick gefaßten Sinnelementen ausgehend, weiß Orígenes dann einen weiten gedanklichen Horizont zu eröffnen. Erst diese Aufhebung des Einzelnen in die Sinntotalität des Logos ermöglicht ihm das intensive Verharrren bei jedem Detail. 1 0 0 Gerade die Mannigfaltigkeit der daraus erwachsenden Einsichten macht die intensive geistige Durchdringung des Orígenes aus. Der Ausrichtung am Einzelelement steht darum nicht entgegen, daß Wortund Versfolge (ordo I τάξις) nach rhetorischem Muster zur Sinnerschließung herangezogen werden - dies ist die Aufgabe des τεχυικόυ 1 0 1 - , noch daß Orígenes im Ablauf biblischer Bücher eine analoge fortschreitend-aufsteigende Bewegung erkennt, wie im Schritt vom Buchstaben zum Logos, und das Feld der jeweiligen Bewegung durch eine Festlegung des Genus des biblischen Buches festzustellen weiß. 1 0 2 Denn hier prägt vorrangig der Blick auf das Einzelne, d.h. auf den Begriff oder Satz in seiner Tiefendimension, den gedanklichen Zugang; der weitere Zusammenhang stellt sich innerhalb der Pädagogik des Logos an der Seele des Hörers ein. Umgekehrt ist aber darum ein umgreifender thematischer Zusammenhang kaum j e ausdrücklich entwickelt. Dies verdeutlicht bereits die Auslegung des lukanischen Prologs in der ersten Homilie, die auch in griechischen Fragmenten besonders gut überliefert ist und darum ein klares Bild ermöglicht. 103 OriHier, in Mt. Prol. (CCL 77, 4f.): ... uiginti quinqué uolionina et totidem eius [Orígenes] homilías commaticumque interpretationisgenus... Vgl. In Gal. Prol. (PL 26, 308B-309A): Scripsit [Orígenes]... quinqué propria uolumina et decinumi Stromatum suorum librum commatico super explanatione eius sermone complétât, tractatus quoque uarios et excerpta.
Das Nebeneinander der verschiedenen Formen von Homilie (tractatus) und Scholien (excerpta) im letztgenannten Beispiel läßt deutlich werden, daß mit commatico sermone keine spezifische Gattung angesprochen ist, sondern eine Komma für Komma voranschreitende Vorgehensweise im allgemeinen. Dieses Verständnis bestätigt sich vor allem mit Blick auf diejenigen eigenen Arbeiten des Hieronymus deutlich, deren Kommentarform er als commaticus I commatice kennzeichnet. Vgl. Hier, in Eccl. 3,18-21 (CCL 72, 281); in Mt. 13,44 (CCL 77, 113); 25,13 (CCL 77, 239); ferner Uber Theotimus vir. ill. 131 (TU 14/1, 54). S. dazu Jay 77fr. 9 9 Vgl. Jay 76f. Das entsprechende Vorgehen kann bei Servius und Donat beispielhaft beobachtet werden (s. zum Vorgehen des grammatwus in der Spätantike H.I. Marrou: Augustinus und das Ende der antiken Bildung.[dt. Übers, d. 4. Aufl. Paris 1958] Paderborn 1982, 20ff.). Das έξεγετικόν umfaßt vor allem Worterklärung und Sacherklärung, die aus dem gesamten Wissenshorizont der εγκύκλιος παιδεία schöpft, daneben aber auch rhetorische Sprachgestaltung und (besonders für die Dichtung) Stilkritik; s. Neuschäfer I 139ff. Die Überzeugung von der bis ins Kleinste reichenden völligen Durchdringung der Schrift mit göttlichem Sinn bedingt so die Genauigkeit im Vorgehen (ακριβής / άκρίβεια), die für Orígenes kennzeichnend ist; vgl. Harl, L' Herméneutique 132f. 1 0 1 Vgl. Neuschäfer I 239. 1 0 2 T o r j e s e n 133f. LcHom. 1 (GCS 49, 3-11 [im folgenden ohne Angabe der Ausgabe zitiert]). Zu deren Aufbau Torjesen 63f. und Appendix F, 167f.
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genes behandelt das Thema der apokryphen Evangelien, bietet eine Unterscheidung theoretischer und praktischer Wissenschaften, eine weitere von sinnlichen und intelligiblen Phänomenen (αισθητά und ν ο η τ ά ) und deren zugehörigen Wahrnehmungs weisen und stellt die Verläßlichkeit der Vernunfter kenntnis im Gegensatz zur sinnlichen Wahrnehmung heraus. Diese Themenstellungen sind relativ eigenständig nebeneinander entwickelt und lassen sich nur in einem losen Zusammenhang um das Zentralthema von Glauben und Verstehen (πίστις und y v ô x i i ç ) gruppieren. 104 Noch weiter laufen - wie sich zeigen wird - die Gehalte der Auslegung zu den folgenden lukanischen Kapiteln in ein breites Spektrum von Themen und Interessen auseinander. 105 Ungleich schwieriger als eine methodische ist darum eine thematische Charakterisierung seiner Lukas-Homilien; der Versuch, eine Gesamtidee der Lukaserklärung festzustellen, will kaum gelingen. Dies ist nur z.T. als Folge ihres Überlieferungszustandes zu verstehen, sondern ergibt sich wesentlich aus der Origeneischen Arbeitsweise selbst. Immerhin dürfte aber auch das sammeltechnische Verfahren, das der überlieferten Auswahl zugrunde liegt, mit dazu beitragen, daß in den Homilien manches notizartig unausgeführt und somit in gewisser Weise vorläufig wirkt. Dieser Mangel muß für die Vorlage des Ambrosius vorausgesetzt werden. Wenn also im folgenden eine klarere themati sehe Koordinierung und gedankliche Strukturierung der Ambrosianischen Lukaserklärung herausgestellt wird, so beinhaltet dies weniger ein Urteil über die Auslegung des Orígenes als über die Ambrosianische Fähigkeit, aus Einzelvorgaben ein sümmiges und durchdachtes Ganzes zu machen.
2.2. Das wahre und die falschen 2.2.1.
Evangelien
(I,1-4)
Die „Vielheit" häretischer Evangelien
(1, 1-2)
Orígenes behandelt zu Lk 1,1a die Stichwörter πολλοί (multi) und έπεχείρησαυ (conati sunt), mit deren Hilfe er Lukas gegen häretische Evangelien abgrenzt. Seine Kriterien sind dazu die Vielheit der häretischen Unternehmungen, denen der fest umgrenzte Viererkanon der kirchlich rezipierten Evangelien gegenübersteht, sowie ihr bloßes Versuchen, aus dem er den Vorwurf herausliest, daß sie χωρ\$ χαρίσματος 1 0 6 zu Werke gegangen seien. Die kirch-
104 Vgl. A.V. Nazzaro: Il prologo del Vangelo di Luca nell' interpretatione di Origene. Origeniana secunda (Quaderni di Vetera Christianorum 15) Rom 1980, 231-244; zum nur geringen inneren Zusammenhang der Themen bes. 244; G. Lomiento: L'esegesi origeniana del Vangelo di Luca (Quaderni di Vetera Christianorum 1) Bari 1966, 39ff. 105 Einen ersten Eindruck von der Mannigfaltigkeit der Themenstellungen vermitteln die (sekundären) Überschriften in der Ausgabe der SC 87 sowie Lomiento passim. 1 0 6
LcHom. 1 (4,5f.).
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liehen Evangelien sind demgegenüber durch die Wirkung des Geistes bestimmt (εγραψεν ά π ό ά γ ί ο υ πνεύματος). 1 0 7 Ambrosius folgt seinem Vorbild in der Kommentierung dieses Verses in Gedankenführung und Untergliederung besonders eng und entnimmt ihm gelegentlich bis in die Formulierung genau wesentliche Elemente. In den anfänglich nur geringfügigen Erweiterungen ist aber bereits eine von einem einheitli chen Aussagewillen getragene Umprägung des Origeneischen Materials erkennbar, so daß Ambrosius mit nahezu exakt gleichen Einzelbeobachtungen doch deutlich unterschiedene Themen behandeln und auf veränderte Problemstellungen antworten kann. Hinzu kommen eine Reihe von Klarstellungen, die in den Ausführungen des Orígenes allenfalls angedeutete, meist jedoch nur implizierte Zusammenhänge herausarbeiten und in ihrer Bedeutung für das Verständnis stärker gewichten. Wie Orígenes kommentiert Ambrosius in der Auslegung des 1. Verses zunächst nacheinander dessen beiden ersten sinn tragenden Elemente: „multi" und „conati sunt" ; beide werden als Bestimmungen von häretischen, nur fälschlich so genannten „Evangelien" verstanden, denen das lukanische echte Evangelium gegenübersteht. Das Phänomen „vieler" (multi) sog. Evangelien nötigt zu einer Klärung, was ein wirkliches Evangelium ausmacht. Sachlich verfolgt Ambrosius damit die Fragestellung seines Proömiums weiter und nimmt die dort zunächst zurückgestellte Behandlung der Echtheitskritik in theologisch vertiefter Weise auf. Denn er versucht nicht die Echtheit des Lukasevangeliums im Sinne der Verfasserfrage wie in der Prologtopik zu klären, sondern eine grundsätzliche Abgrenzung von „Evangelium" als legitimer Rede von Christus vorzunehmen. Diese Themenstellung prägt das Interesse an der Kanonisiening bei Orígenes um. Die Notwendigkeit einer unterscheidenden Prüfung leitet er wiederum wie Orígenes von einem Beispiel aus dem Alten Testament, dem Auftreten sog. „Pseudoprophetie" her. 108 Orígenes setzt in dieser Vorgehensweise implizit die Vergleichbarkeit des geschichtlichen Auftretens von Falschprophetie und von häretischen Evangelien voraus. Ambrosius stellt den gleichen Einzelbeobachtungen einen knappen Satz voran, der diese Vergleichbarkeit von alttestamentlich-jüdischem und neutestamentlich-kirchlichem Geschehen explizit formuliert. So legt er vor Beginn der Einzelauslegung gleich zu Anfang ein erstes Mal Rechenschaft darüber ab, auf welchen Grundsätzen die Erklärung beruht. Denn nach seiner Einschätzung gleichen Ereignisse und Erscheinungen in der Geschichte des Christentums (nostrorum) solchen aus der Geschichte des Judentums sowohl in ihren ursächlichen Zusammenhängen als auch in ihrem Ab-
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LcHom. 1 (3-5), das Zitat (4,8f.). I, 1 (2-16); vgl. LcHom. 1 (3,4-17).
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lauf oftmals bis in die Einzelheiten hinein. 109 Demzufolge vermag die Betrachtung der Geschichte des Judentums - oder richtiger: deren Überlieferung im Alten Testament - Kriterien zur Deutung und Beurteilung aktueller Problemstellungen der Kirche zu liefern. 110 Der streng korrelierende Vergleich (nam sicut - ito 1 1 1 ) jüdischen und christlichen Geschehens rückt das unter dem Stichwort multi zu verhandelnde Phänomen bereits vorab auf die Stufe der alttestamentlichen Pseudoprophetie, wie umgekehrt deren Charakterisierung auf die pseudo-christlichen Häresien und deren Evangelien zugeschnitten wird. Demi das Keimzeichen der alttestamentlichen Pseudoprophetie sieht Ambrosius darin, daß sie zwar (eigentliche) Prophétie verspricht, letztlich aber Lüge liefert. Der wahre Prophet redet demgegenüber aufgrund von Inspiration durch den heiligen Geist, und das Volk als Adressat der Botschaft vermochte aufgrund einer besonderen Gabe {gratia), die Geister beider zu unterscheiden (vgl. 1 Kor 12,10). 1 1 2 In gleicher Weise ist auch in den Zeugnissen des „neuen Bundes" (novum testamentum) das Phänomen der Verfälschung anzutreffen und bedarf es der Prüfung. 113 Insoweit folgt Ambrosius auch sprachlich eng seiner Vorlage und hebt lediglich den Charakter der Falschprophetie als Lüge stärker hervor. Den Vorgang der Prüfung veranschaulicht Ambrosius mit dem Bild vom „guten Geldwechsler", das er gleichfalls seiner Vorlage entnimmt 114 . Während
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ι (2-5): Pleraque nostrorum quemadmodum ueterum tudeorum paribus et generibiis for mantur et causis atque exemplorum similium pari usu exituque conueniunt principioque rerum et fine concordant. 110 Pizzolato, Dottrina 46 wertet diese Stelle für eine grundsätzliche Übereinstimmung zwischen Altem und Neuem Testament aus. Dies ist jedoch nicht gemeint. Ambrosius gewinnt vielmehr aus den alttestamentlich berichteten Geschehnissen einen interpretativen Hintergrund und Maßstab für die Bewertung einer Problematik aus dem Raum der Kirche. Die unterstellte strukturelle Analogie herrscht hier nicht zwischen den beiden Testamenten, sondern übergreift die neutestamentliche Wirklichkeit und stellt sich zwischen der Lebenswirklichkeit unter den Bedingungen des Alten und denen des Neuen Bundes ein. U l i , 1 (5.12). Ebenso Orígenes: "Ωσπερ - ο ϋ τ ω (3,4.14). 1 2 ' I, 1 (5-11 ): Nam sicut rtudti in ilio populo diuino infusi spiritu prophetarunt, alii autem prophetare se pollicebantur et professionem destituebant mendacio - erant enim pseudoprophetae magis quam prophetae, sicut Anaanias filius Azot, erat autem populi gratia discernere spiritus, ut cognosceret quos referre deberet in numerum prophetarum, quos autem quasi bonus num mularius inprobare... Der Verweis auf die Pseudoprophetie ist wie das Agraphon von den „guten Geldwechslern" und die Paulus-Reminiszenz beinahe wörtlich aus Orígenes (LcHom. 1 [3,4 -18]) entnommen; Ananias als Beispiel für Pseudoprophetie findet sich als parenthetischer Einschub bei Hieronymus ebd. 3 (7f.). 113 I, 1 (13-15):... sie et nunc in nono testamento multi euangelia scribere conati sunt, quae boni nummularii non probarunt... Ambrosius benutzt den Begriff des novum testamentum hier deutlich nicht im Sinne des Kanons neutestamentlicher Schriften - auch hierin übereinstimmend mit Orígenes' Verwendung des καινή διαθήκη (3,14) -, denn daß die im folgenden genannten Evangelien „falsch", häretisch sind und eben nicht kanonische Gültigkeit beanspruchen können, soll ja gerade nachgewiesen werden. Vielmehr bezeichnet er so im Kontrast zum Judentum die Epoche und Lebenswelt des neuen, christlichen Typus der Gottesverehrung, den „neuen Bund". ' 14 LcHom. 1 (3,16). Vgl. A. Resch (Hg.): Agrapha. Außercanonische Schriftfragmente. 2. Aufl. Leipzig 1906 (TU 15,3/4), 112-28. Zahlreiche Stellen bei Crouzel (SC 87, 99f. Anm. 2 z. St.). Das Bild findet zudem breite Verwendung für die kritische Prüfung außerchristlichen Materials
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es aber bei Orígenes nicht näher ausgeführt ist, gibt Ambrosius in seiner Ausgestaltung die Kriterien der Prüfung an. 115 Mit dieser Ergänzung geht die entscheidende sachliche Wendung seiner Argumentation einher. Der Wechsler weist nämlich aufgrund seiner Prüfung der Münzen diejenigen zurück, „in denen mehr die verdorbene materia schmutzig strotzt, als der Glanz des wahren Lichts widerscheint"116. So bleibt Ambrosius in der Benennung der Prüfkriterien ganz im Bereich des Bildes der Münzprüfung, für die die Reinheit des Metalls, die an seinem Glanz ablesbar wird, zum Maßstab wird.117 Doch wird das Bild durch kaum merkliche interpretierende Zufügungen für einen geistigen Prüfungsvorgang transparent gemacht: So ist der Metallglanz durch den Begriff des „wahren Lichts" näher bestimmt; demgegenüber steht materia für den Anteil minderwertiger Beimischung in der Legierung. Beiden Vorstellungen unterliegen deutlich wertende Konnotationen, durch die die Antithetik von Lichthaftigkeit und Materialität evoziert wird. Indem so die Kriterien der Prüfung in den Vordergnind gerückt werden, tritt zugleich die prüfende Instanz zurück. Orígenes dagegen beruft sich gegen die Vielheit der häretischen Evangelien explizit auf die Kirche als Trägerin der Kanonsentscheidung zugunsten von vier Evangelien und ihrer weiteren Überlieferung. 1 1 8 Er betrachtet damit die Problematik apokrypher Evangelien ganz aus der Perspektive der Kanonsentscheidung. Ambrosius spitzt diesen Gedanken sachlich entschieden zu: Billigung von Seiten der „Wechsler" findet nur das eine Evangelium, das in vier Büchern dargestellt ist 119 , das also eine sich in vier Schriften entfaltende Einheit bildet. Demgemäß bezeichnet hier der Begriff „Evangelium" nicht die literarische Gattung, sondern die eine Botschaft von Jesus Christus. Damit bewegt sich Ambrosius zwar im Rahmen des allgemeinen frühchristlichen Sprachgevor allem im Verhältnis zu den Vorstellungen und Einrichtungen der antiken Kultur; s. Gnilka, XRHSIS 16f. 1 D i e Erweiterungen bemerkt Nazzaro 235f. Anm. 21, wertet sie allerdings nicht für Ambrosius aus. 116 I, 1 (11-13): ... quos autein bonus munmularius inprobare [deberet], in quibus materia magis corrupta sorderet quam ucri splendor luminis resultaret... 117 Für die Münzprüfung, die vorrangige Aufgabe im Bankgeschäft, ist ursprünglich das Münzgewicht von ausschlaggebender Bedeutung (F. de Martino: Wirtschaftsgeschichte des alten Rom (= Storia economica di Roma antica. Übers, ν. Β. Galsterer) München 1985, 174Γ; R. Herzog: Art.: Nummularius. PW 17,2 [1937] 1415-55, zu Kriterien und Technik bes. 1418Γ). Im Zuge der Münzverschlechterung durch Wirtschaftskrise und Inflation in der Spätantike bestimmen aber daneben vornehmlich Metallwert und Reinheit der Legierung den Münzwert (Martino 385.427ff.432ff.). H 8 L c H o m . 1 (5,16Γ):...τά δέ τέσσαρα μόνα προκρίνει ή του θεού εκκλησία. Vgl. (ebd. = 5,14-17 [Hier]): Sed in his omnibus nihil aliud probamus nisi quod ecclesia, id est quattuor tantum evangelio recipienda. (3,19-21 [Hier]): ... e quibus haec, quae habemus, electa sunt et tradita ecclesiis. (4,16f. [Hier]): Ecclesia quattuor habet evangelio, haeresis plurima ... Für die Betonung der Kirchlichkeit in Abgrenzung von den Apokryphen vgl. nur noch Princ. praef. 8 (Karpp 94). - Bei Ambrosius tritt die Kirche erst in Erscheinung, als es um die Wirksamkeit des Evangeliums in der Mission geht; I, 2 (24f.). H 9 l , 1 (15f): ... unum autem tantummodo in quattuor librum digestion ex omnibus arbitrati sunt eligendum.
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brauchs, doch ist die betont singularische Formulierung, die er hier aus der Antithese zu den multi des lukanischen Prologs gewinnt und die sich in der ganzen Auslegung des Prologs durchhält120, ersichtlich durch die theologische Aussageabsicht motiviert. Gerade in dieser Zuspitzung auf die Einheit des Evangeliums hebt er sich deutlich von Orígenes ab.121 Damit eröffnet er zugleich den Blick für die mit der Pluralität von vier Evan gehen sachlich gestellte Aufgabe. Seine Argumentation setzt die schon anläßlich des Proömiums bemerkte Linie fort, die die Viergestalt der Evangelien nicht (mehr) als Kanonsproblem auffaßt, sondern in theologisch vertiefter Be trachtung die Problematik ihrer Wahrheit bzw. ihres Verhältnisses zu der einen Wahrheit herausarbeitet.122 Indem er den Origeneischen Gedankens der Kanonsentscheidung auf die Antinomie von Einheit und Vielheit zuspitzt, greift Ambrosius einen traditionellen platonisch-neuplatonischen Argumentationstypus auf.123 Er bedient sich dieses im Piatonismus grundlegenden seinsmetaphysischen Gegensatzes und exemplifiziert ihn gleichfalls in Analogie zur traditionellen Metaphorik mit Hilfe von 120
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Einzige Ausnahme ist I, 10 (178f.), s.u. 86 mit Anm. 244. In gleicher Weise wurde schon im Proömium von dem in vier Bücher aufgeteilten einen Evangelium (quattuor evangelii libri) gesprochen; prol 8(129); vgl. die genitivischen Verbindungen evangelii librum bzw. libri : prol 1 (1); 3(34); 7 (110.117.119.125f ). In seiner Erklärung des 40. Psalms (Expl. Ps 40,38 [CSEL 64, 255Γ.]) kommt Ambrosius bei seiner Erläuterung der 5 Bücher des Psalters in ihrer Einheit und Untergliederung auf die Beurteilung der 4 Evangelien als einer in 4 Büchern ausgebreiteten Einheit zurück. Er verweist dort ausdrücklich auf die vorliegende Passage der Lukaserklärung als bereits ausreichend beweiskräftig (255): sed etiam euangelium unum est et quattuor libros esse negare non possumus. unum autem euangelium esse et alibi, nisifallor, intimauimus et, si iterum exigitur, facile possumus edocere ... Lediglich zur „philologischen" Untermauerung werden im folgenden noch die Zitate von Mt 26,13 und Gal l,6f. angeführt. In ihnen findet Ambrosius den Begriff des Evangeliums im Singular als summarische Bezeichnung für die Christus-Botschaft verwendet, wobei Gal 1,7 besonders deutlich die Existenz eines „anderen" Evangeliums ausdrücklich ausschließt. Damit sucht er dieses Evangeliumsverständnis als schriftgemäß zu verankern, und es ist durchaus vorstellbar, daß er es auch hier gezielt an diesen paulinischen Sprachgebrauch anlehnt. Der Begriff der π ο λ λ ο ί (LcHom. 1 [3,4.15]) trägt für Orígenes prinzipiell ebenfalls negative Wertungen, steht aber in Opposition zu den „wenigen", deren Reden (als Propheten oder Evangelisten) aus dem Logos kommt. Vgl. Lominento 40 mit weiteren Belegen aus Orígenes; Lominento hebt zudem die Nähe zur Argumentation antiker Protreptik hervor. Allerdings ist dieses Konzept hier nicht selbständig ausgeführt, sondern schwingt allenfalls in der Bewertung des „Versuchens" ( επεχείρησαν) mit; so richtig Nazzaro 233f. Die betonte Herausstellung der Einheit als charakteristisch für die inspirierten Schriften bemerkt Pizzolato, Dottrina 95. Er übersieht aber die damit einhergehende gewichtige Verschiebung der Fragestellung nach der Echtheit und Wahrheit eines Evangeliums. Denn eher zu Orígenes als zu Ambrosius passend sieht er in diesem Abschnitt die kirchliche Kanonsentscheidung thematisiert; 13.94f. Es ist nicht erforderlich, an dieser Stelle genauere Schuldifferenzierungen innerhalb des Platonismus für die Denkform des Ambrosius vorzunehmen. Ihre hauptsächlich neuplatonische Formierung ist verschiedentlich aufgezeigt worden (vgl. Courcelle, Recherches 93ff.; Madec, Philosophie 61-71; 166-71). Ambrosius liegt aber nichts an einer schulphilosophisch präzisen Sprechweise, er sucht vielmehr allein hilfreiche Denkmodelle für die eigene Argumentation (Madec, Philosophie 175). So ist die hier herangezogene Antinomie ein seit Piaton in allen Schulrichtungen verbreiteter Topos (vgl. E. Heintel: Art.: Eine (das), Einheit. HWP 2 [1972] 361-84). Gesteigerte Bedeutung gewinnt der Einheitsbegriff dann besonders in der neuplatonischen Metaphysik.
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Licht und Materie. Dabei stehen Lichthaftigkeit als Bild für Geistigkeit und Einheit des wahren Seins auf der einen Seite der Vielheit, die allem materialen Sein zukommt, auf der anderen entgegen. Der Einheit wird dabei nicht nur ein ontologisch höherer Status zugesprochen als der Vielheit, sondern entsprechend auch ein höherer noetisch-epistemologischer Wert beigemessen. 124 Diesen Zusammenhang macht sich Ambrosius in der Bildhaftigkeit des Ausdrucks zunutze, um mit Hilfe seinsmetaphysischer Metaphorik (materia, lumen) in übertragender Weise Erkenntniszusammenhänge anzusprechen. Das Kriterium für die Beurteilung der zu verwerfenden „falschen Münzen" ist ihr Anteil an Materie, während sich das „Echte" am Glanz erweist, sich also mit der gängigen (neu)platonischen Metapher des Lichts verbindet. 125 Das echte Evangelium erweist sich darin als wesenhaft geistig und korrespondiert als Einheit der Einheit des Wahren. Trotz der im Bild verwendeten komparativi sehen Redeweise (magis) zielt Ambrosius nicht auf eine abgestufte Unterscheidung, sondern im Grundsatz auf diese Entgegensetzung von Wahrheit und Falschheit durch die Antinomie von Einheit und Vielheit sowie Geistigkeit und Materialität. Ohne den Bereich des Bildes zu verlassen, gelingt es ihm somit schon hier, Vorstellungen der philosophischen Hauptströmung seiner Zeit in christlichem Gewand anklingen zu lassen. Mit ihrer Hilfe gestaltet er das Bild über die Vorlage hinausgehend aus und etabliert eine vor den anerkannten Erkenntnisvoraussetzungen seiner Zeit reflektierte Unterscheidungsmöglichkeit legitimer christlicher Rede, während er auf der anderen Seite durch die bloße Terminologie bereits wertende Untertöne einführt, die alles Häretische mit der Sphäre des Falschen verbinden. Ist damit das Ergebnis des Prüfungsvorgangs schon vorweggenommen, so dient die sich anschließende Liste „anderer" Evangelien nur mehr der Illustration des Gegensatzes von Einheit und Vielheit. Diese Liste im wesentlichen gnostischer Evangelien, die das Evangelium der Zwölf sowie das des Basilides, des
124 u i e umfangreichste Belegsammlung zur antiken Lichtmetaphysik bietet noch immer C. Baeumker: Witelo. Ein Philosoph und Naturforscher des XIII. Jahrhunderts. (BGPhMA 3,2) Münster 1908, 357-514. Vgl. ferner W. Beierwaltes: Lux intelligibilis. Untersuchungen zur Lichtmetaphysik der Griechen. München 1957; ders.: Art.: Licht. I. Antike, Mittelalter und Renaissance. HWP 5 (1980) 282-89. 125 D e r (neu)platonische Hintergrund der Lichtmetaphorik dürfte sich hier zugleich mit johanneischer Bildhaftigkeit verbinden. Wenn schon Joh 1,4 den Logos als Licht der Welt beschreibt und die gleiche Identifizierung von Licht und Christus in Joh 8,12 als Ich-bin-Wort aufgenommen ist (vgl. ferner 9,5), so liegt eine Deutung des hier genannten „wahren Lichts" auf Christus mindestens auf der Linie der Ambrosianischen Ausführungen; ihre Bildhaftigkeit und Knappheit läßt allerdings kein letztgültiges Urteil zu. Ausdrücklich als Licht apostrophiert wird Christus z.B. VII, 98 (1020f): uerbum enim dei fides nostra est, uerbum lux est... Zur Lichtmetaphorik bei Ambrosius vgl. R. Morgan: Light in the Theology of Saint Ambrose. (Exc. ex Diss.Vat.) Rom 1963; ferner mit Schwerpunkt bei der Athanasianischen Verwendung J. Pelikan: The Light of the World. A Basic Image in Early Christian Thought. New York 1962, für seine Anwendung auf Christus bes. 55ff.
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Thomas und des Matthias umfaßt, stimmt mit der entsprechenden Aufzählung des Orígenes auch in ihrer Reihenfolge exakt überein. 126 Da die Verwerfung dieser Schriften im Bild bereits vorab ausgesprochen ist, stellt sich für Ambrosius - darin wiederum Orígenes folgend - zunächst die Frage, inwieweit sie überhaupt noch Gegenstand der Lektüre sein können. Orígenes sieht das Ziel einer Lektüre dieser Evangelien mit deutlichem Seitenhieb auf die Selbstbezeichnung der „Gnosis" darin, selbst nicht „ohne Kenntnis" dazustehen. 1 2 7 Ambrosius dagegen erwähnt zwar ebenfalls - an unbetonter zweiter Stelle! - diesen Aspekt, rahmt ihn aber durch zwei neue, gewichtigere Aussagen: Ihm geht es bei deren Lektüre vorrangig darum, geradezu zu verhindern, daß sie gelesen werden, sowie ihren Charakter zu entlarven und sie zurückzuweisen. 128 Als Bischof nimmt er so in gleichsam stellvertretender Lektüre die Aufgabe wahr, argumentativ die Auseinandersetzung und Abweisung dieser Evangelien zu vollziehen. Darum versucht er über Orígenes hinaus ihre häretischen Merkmale unterscheidend in den Blick zu heben: „... in ihnen stellen jene Prahler (magnifici) ihr eigenes Ich (cor) groß heraus"129. Im Begriff cor bündeln sich die unterschiedlichen Dimensionen der geistigseelischen Existenz; es kennzeichnet die personale Mitte des Menschen und stellt besonders seine Verstandeskraft heraus. 130 Ambrosius wirft den Verfas126
I, 2 (16-21); vgl. Orig. LcHom. 1 (4,17-5,11). Orígenes nennt lediglich zusätzlich an erster Stelle das Agypterevangelium. Es läge darum der Verdacht bloßer literarischer Übernahme nahe, wenn Ambrosius nicht einige durchaus konkrete Vorstellungen mit diesen Evangelien zu verbinden vermöchte, die er nicht Orígenes entnommen haben kann; s.u. 45. 127 LcHom. 1 ([Hier] 5,11-14): ... rte quid ignoremus videremurpropter eos, qui seputant aliquid scire, si ista cognoverint. 128 J 2 (21-23): Leginuis aliqua, ne legantw, legùnus, ne ignoremus, legimus, non ut teneanms, sed ut repudiemus et ut sciamus qualia sint in quibus magnifici isti cor exaltant suuni. 129 J 2 (23): ... in quibus magnifici isti cor exaltant suurn. 130 Schon nach altlateinischer Vorstellung gilt cor als Träger rationaler Vorgänge (s. H. Reis: Die Vorstellung von den geistig-seelischen Vorgängen und ihrer körperlichen Lokalisation im Altlatein. 2 Bde. München 1962; I 126ff. 133ff). In diesem Sinne macht Ambrosius das Herz im weiteren Kontext (I, 27 [418-21]) als Organ der Erkenntnis namhaft. Es kann aber auch umfassend für Gesinnung, Meinung und Charakter stehen (Reis I 142f.; vgl. ferner J.B. Bauer, A. Fei ber: Art.: Herz. RAC 14 [1988 1093-1131, für die lateinische Tradition bes. 1102f.; ThLL 4 [1906-09] 929-41). Nach stoischer Vorstellung hat das Hegemonikon seinen Sitz im Herzen (so Poseidonios nach Diog. Laert. 7,139; vgl. M. Pohlenz: Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung. Bd. 1. Göttingen 1948, 227) und wird mit der Sonne als dem Zentralorgan im Kosmos verglichen (Kleantes Frgm. 499. 502-04; vgl. Pohlenz 83.162). Diese zentrale Stellung des Herzens für die Personalität und das Wesen des Menschen wird bei nahezu allen Kirchenvätern aufgegriffen (vgl. H. Rahner: Die Gottesgeburt. In: Symbole der Kirche. Die Ekklesiologie der Väter. Salzburg 1964, 14f. mit zahlreichen Belegen). Bei Ambrosius begegnet sie beispielsweise Parad. 74(CSEL32/1, 333); Abr. 2,78 (CSEL32/1, 630). Grundsätzlich ist für die Bedeutungsentwicklung des Begriffes bei den Vätern mit dem Weiterleben hebräischer Elemente (Uber den Umweg der LXX und des NT) aufgrund der Bibelsprache zu rechnen. So stellt leb im Hebräischen das Zentrum geistig-seelischen Lebens, besonders auch den Sitz von Gedanken, Vorstellungen und Verstand dar (Bauer, Felber 1097; vgl. auch das Zitat von Rom 1,21 bei Ambrosius in I, 6 [90f.]: 'obcaecatum' enim' erat 'insipiens 'cor eorum'). Besondere Beachtung verdient, daß Ez 28,5f. ein elevatum ... cor (Vulg.) zur Bezeichnung des Hochmuts, ja des Versuchs, sich an Gottes Stelle zu setzten, dient. Ambrosius' Wendung cor exaltant suuni dürfte dem nicht allzu fern stehen. Zur Kennzeichnung des grundsätzlichen Gegensatzes zu Christus, dessen gesamtes Heilshandeln auf der Entäußerung und hwnilitas beruht, verwendet Ambrosius die gleiche Wendung Expos. PS. 118, 14,46 (CSEL 62, 329).
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sern solcher „Evangelien" also primär Selbstüberhebung vor, die konkret in der Herausstellung des eigenen Verstandes bzw. der eigenen Meinung auftritt. 1 3 1 Auch der Begriff magnifici trägt den ironisch-sarkastischen Unterton, daß sie sich durchaus f ü r wirkliche magnifici - im (positiven) Sinne ihrer „Großartig keit" - gehalten haben. Primäres Kennzeichen des Häretischen ist demzufolge f ü r Ambrosius ein überheblicher, großtuerischer Selbstbezug; erst danach k o m m e n auch inhaltliche Unterscheidungsmerkmale zum Tragen. Der Häretiker steht in seinem Selbstbezug im Gegensatz zur gerade durch ihre Abhängigkeit autorisierten Rede des wahren Evangelisten aus dem heiligen Geist, dessen Wirkungsweise Ambrosius in der Auslegung der zweiten Vershälfte (s.u.) erörtert. Ein weiteres Charakteristikum der häretischen Evangelien sieht Ambrosius in der Verfahrensweise, Stoff aus dem kirchlichen Evangelienkorpus, soweit er der eigenen Aussageabsicht zu entsprechen scheint, zu einem Werk „aufzuhäufen" (irefercire). 1 3 2 Er wirft damit der häretischen Literaturproduktion zum einen ihre stoffliche Abhängigkeit von der originären christlichen Verkündi gung v o r . 1 3 3 Weiterhin werfen sie für ihn die Inhalte des echten Evangelienkorpus zu einein ungeordneten Konglomerat zusammen (refercire), das sich nicht „Evangelium" nennen darf. 1 3 4 Vor allem aber dokumentiert auch hier die Unterordnung des Darzustellenden unter eine eigene Aussageabsicht häretische Eigenmächtigkeit. Die Beobachtung stofflicher Übereinstimmungen findet sich nicht in der Vorlage bei Orígenes und macht es wahrscheinlich, daß sich Ambrosius bei aller literarischer Abhängigkeit in diesem Punkt doch auch aus eigener A n schauung über häretische Evangelien zu äußern vermochte. 1 3 5 Aus der Antithese von Einheit und Vielheit beschreibt Ambrosius ferner die geradezu paradoxe Umkehrung in der Wirkungsmächtigkeit, die von den so zustandegekommenen Evangelien bei den Häresien (auch hier der abwertende
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Hierin läge dann ebenfalls eine Spitze gegen gnostisches Selbstverständnis. I, 2 (27-29): Plerique etiam ex quatüwr evangelii libris in unum ea quae
uenenatis putauerunt
adsertionibus conuenientia referserunt. 133 £)¡ e Argumentation ist in der Tendenz der des „Altersbeweises" gegenüber der Philosophie vergleichbar; in beiden Fällen wird die Beobachtung von Übereinstimmungen durch die Theorie der Abhängigkeit zu erklären gesucht. 134 Durch die Synkope vermeidet Ambrosius den Begriff „Evangelium" für diese Schriften gezielt. 135 v o n d e n genannten Evangelien ist zwar kaum etwas Uberliefert; an der erhaltenen koptischen Version des Thomasevangeliums (W. Schneemelcher [Hg.]: Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Bd. 1: Evangelien. 5. Aufl. Tübingen 1987, 98-113) ist aber für eine relativ hohe Zahl von Sprüchen die Parallelität zu synoptischem Gut nachweisbar (Schneemelcher 96). Gerade dieses Evangelium ist auch in manichäischen Kreisen weiter verwendet worden (Schneemelcher 95), die zu Ambrosius' Zeiten in Italien noch verbreitet waren. Wenn Ambrosius zudem einschränkend formuliert, er habe „einige" ( a l i q u a ) gelesen (I, 2 [21]), wird man nicht ohne weiteres eine bloße Übernahme aus Orígenes unterstellen dürfen, vielmehr mag man in dieser Formulierung ein Indiz für eine realen Kern dieser Aussage sehen, so daß eine mindestens teilweise Kenntnis gnostischer Evangelien vorstellbar erscheint. Allerdings sollte man aus dem Fehlen des Ägypterevangeliums in der Aufzählung keine weitreichenden Schlüsse dahingehend ziehen, daß er etwa nur dieses nicht gekannt habe.
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Plural: also Vielheit!) und der Einheit des kirchlichen Evangeliums ausgeht. Denn während das eine Evangelium eine Überfülle ( r e d u n d a t 1 3 6 ) von „Evangelisten", wahren Verkündigern, hat, bringen es die Vielen nicht einmal zu einem. Ihr Bemühen ist nämlich durch Gottes Einwirkung zum Scheitern gebracht (destituere) worden. 1 3 7 Wenn auch erneut vor dem (neu)platonisehen Hintergrund der notwendigen Entsprechung zwischen der Einheit des Wahren und der Einheit seiner verschiedenen Zeugnisse, faßt Ambrosius die Bedeutung des Einheitsarguments noch einmal schärfer und in einer inhaltlich klar christlich fundierten Form: Das eine Evangelium lehrt den einen Gott, die häretischen Schriften dagegen lehren, wie es der Vielheit ihrer Evangelien entspricht, auch mehrere (plures ) Götter, da sie einen Gott des Alten und einen des Neuen Testaments unterscheiden. 1 3 8 S o ist die Vielheit ihrer Evangelien Indiz für die grundlegende Verfehlung der Wahrheit Gottes durch ein dualistisches Denken, das in der Nachfolge der gnostischen Systeme, deren Schriften angeführt waren, zu A m brosius' Zeit vor allem im Manichäismus präsent ist. Der Gedanke der Einheit, der durch philosophische Erkenntniszusammenhänge schon mehrfach angesprochen war, ruht also letztlich, wie sich hier zeigt, auf dem Gedanken der unbedingten Einheit und Selbigkeit Gottes, die in den verschiedenen Phasen sei nes Heilshandelns mit dem Menschen und ihren zugehörigen Offenbarungsäußerungen stets gewahrt bleibt. 1 3 9 Im Proömium wurde erkennbar, daß Ambrosius in ganz entsprechender Weise eine ebensolche Einheit und Harmonie der Evangelien herausarbeitet, die in ihrem gemeinsamen Gegenstand und Subjekt „Christus" ihren Grund hat und über den Gedanken der Trinität in die Einheit Gottes aufgehoben ist. Somit wird ein weiteres Mal der enge gedankliche Konnex zwischen Proömium und Prologauslegung offenkundig. Daß Ambrosius in den dargestellten eigenen Zusätzen zum Gedankengang der Origenes-Homilie exakt auf der Linie seines Proömiums argumentiert und konzentriert dessen Fragestellung weiterentwickelt, zeigt bereits hier seine denkerische Eigenständigkeit und wirft zudem die Frage nach einem möglichen Zusammenhang zwischen der Prologabfassung und der Erstellung oder B e a r beitung dieser Abschnitte auf. Sachlich neu gegenüber Orígenes ist vor allem das verstärkte Interesse an der Entlarvung der häretischen Geisteshaltung, die 136 Hier wird der Gedanke der „Fülle" angedeutet, der als Gegenbegriff zum „Versuchen" den zweiten Argumentationsgang (I, 3f.) bestimmt. I, 2 (23-27). ' 3 8 [ 2 (29-32): Ita ecclesia quae unum euangelium habet unum deum docet; illi autem qui alium deum ueteris testamenti, alium noui adserunt, ex nudtis euangeliis non unum deum, sed plures fecerunt. 139 indirekt ist damit zugleich noch einmal die tiefere Begründung für die Vergleichbarkeit alttestamentlicher und neutestamentlicher Offenbarungszeugnisse angedeutet, bei der Ambrosius ansetzte. Die Einheit von Altem und Neuem Testament ist entscheidend durch den Gottesbegriff, die Selbigkeit Gottes in seinem Wirken über die gesamte Heilsgeschichte hinweg, vermittelt. Dazu grundsätzlich Pizzolato, Dottrina 43-87; Hahn, Gesetz passim. 137
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für die Unterscheidung eines echten Evangeliums von zentraler Bedeutung ist. Ambrosius thematisiert die Frage nach der Wahrheit des Evangeliums, nicht wie Orígenes die Abgrenzung des kirchlichen Evangelienkanons. Die Abgrenzung häretischen Schrifttums von der wahren Lehre, dem echten Evangelium, ist argumentativ zuerst aus der den Einheitsbegriff christlich interpretierenden Ineinssetzung von Gott - Einheit - Wahrheit hergestellt; diesen Zusammenhang verfehlt der häretische Schriftsteller primär durch die Selbstbezogenheit seines Geistes, die die Verbindung mit dem „Wahren" verhindert. Ambrosius' weitere Interpretation des Verses wird im Rückblick dieses hier erstmals hervorgetretene fundamentale Merkmal häretischen Denkens weiter bekräftigen. Dazu präzisiert er in der Reflexion auf das zweite sinntragende Element des Verses: „conati sunt", Art und Wirkungsweise der notwendigen Verbindung zum „Wahren". 2.2.2. Die „Versuche" der Häretiker und die infusio des Geistes (1,3-4) Das abermalige Zitat der ersten Vershälfte (Lk 1,1a) markiert den Übergang zur Erklärung des „conati sunt", die Ambrosius der lukanischen Wortfolge gemäß anschließt. Orígenes leitet an der entsprechenden Stelle nur noch zur Interpretation von Lk 1,1b (unter dem Stichwort Τ Γ Ε π λ η ρ ο φ ο ρ η ε υ ο υ ) über, nachdem er bereits zu Anfang der Homilie knapp festgestellt hatte, daß das Wort conari den verborgenen Vorwurf enthalte, daß diese Autoren ohne den Hl. Geist ( χ ω ρ ί ς χ α ρ ί σ μ α τ ο ς ) ans Werk gegangen seien. 140 Ambrosius nun begreift dieses conari von vornherein aus dem Gegensatz zum compiere aus L k l . l b (quae in nobis completae sunt), das er zunächst synonymisch mit implere wiedergibt, und gewinnt so dessen negative Konnotation: Daß die Kategorie des „Versuchs" bereits das Scheitern impliziert 141 , liegt für ihn in der Tatsache begründet, daß ein solcher Versuch sich allein auf die Anstrengung des Ausführenden (suo labore) stützen kann. 142 In der betonten Herausstellung der eigenen Anstrengung setzt Ambrosius die Auseinandersetzung mit der Selbstmächtigkeit fort, die zuvor als grundsätzliches Keimzeichen des Häretischen angedeutet war (vgl. I, 2). Ihm stellt er die fördernde
LcHom. 1 (4,4-7): Τ ά χ α δέ καΊ t ò επεχείρησαν λεληθυίαν έχει κ α τ η γ ο ρ ί α ν τ ώ ν χωρ'ις χ α ρ ί σ μ α τ ο ς έ λ θ ό ν τ ω ν έπ( τ ή ν ά υ α γ ρ α φ ή ν τ ώ ν ε υ α γ γ ε λ ί ω ν . In der Wiedergabe des Hieronymus ist ihr Tun durch das tendenziöse „prosiluerunt" als ein „rasches Hervorstürzen" noch stärker negativ gefärbt; ebd. ([Hier] 4,5-8): ... qui absque gratia Spiritus sancii ad seribenda evangelio prosiluerunt. Allerdings wertet auch Orígenes selbst im Falle des BasilidesEvangeliums die Abfassung als „gewagt" (έτόλμησε; LcHom. 1 [5,2]). Conatus steht in begrifflicher Opposition zu perfectio, effectus u.ä; s. ThLL 4 (1906-09) Sp. 2. s.v. conatus. 142 ι 3 (36f.): Qui enim conatus est ordinare suo labore conatus est nec impleuit.
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Wirkung des Hl. Geistes entgegen, für die gerade im Gegensatz zur Kategorie des „Versuchs" das Moment der „Fülle" und „Erfüllung" kennzeichnend ist. 1 4 3 Damit löst sich Ambrosius für eine eigene breit angelegte Reflexion auf die Wirkungen des Geistes von seiner Vorlage. 1 4 4 Die Wirkungsweise des Geistes wird - abermals bildhaft - als ein Bewässern vorgestellt, das die natürliche Geistesfähigkeit (ingenium) des biblischen Schriftstellers zur Überfülle befruchtet. 1 4 5 In einer mit viermaligem Parallelismus rhetorisch stark hervorgehobenen Weise wird der „Versuchscharakter" für jeden einzelnen der vier Evangelisten abgewehrt, denn da ihnen „der göttliche Geist die .Fülle' aller Worte und Taten (sc. Jesu) darreichte, brachten sie ohne jede Anstrengung das Unternommene zur .Erfüllung'." 1 4 6 Das Gesagte zusammenfassend und zugleich weiterführend wird noch einmal der Vers Lk 1,1 - diesmal vollständig - zitiert und in seiner zweiten Hälfte paraphrasierend so erweitert, daß Fülle und Erfüllung als praktisch austauschbare Begriffe in einen engen Zusammenhang gerückt werden: „...'quae in nobis conpletae sunt' uel quae in nobis redundant,"147 Vollendung und Fülle begründen nämlich sowohl die umfassende Geltung als auch die Glaubwürdigkeit (fides) des Dargestellten, ja das (positive) Ergebnis ( e f f e c t u s , exitus) der Darstellung läßt ihre Glaubwürdigkeit offen zutage treten. So wirkt das Evangelium universell und „bewässert" (rigai) die mentes der Gläubigen - genauso wie der Hl. Geist das ingenium des biblischen Schriftstellers „bewässert" (vgl. 3 [38f.]) - und „festigt" (confirmât) seinen Sinn: Quod enim redundat nulli deficit et de conpleto nemo dubitat, cum fidem effectus adstruat, exitus prodat. Itaque euangelium conpletum est et redundat omnibus per uniuersum orbem fidelibus et mentes omnium rigat animumque confirmât. 1 4 8 Der Verfasser seinerseits erscheint als fest gegründet „auf dem Felsen" und schöpft die . f ü l l e " (plenitudo) des Glaubens aus. 1 4 9 An die mitgeteilte Fülle des Geistes sind so Glaubwürdigkeit und universale Wirksamkeit des Evange143
I, 3 (33-37). I 4 4 1 , 3 (36) - 4 (49); Orig. LcHom. 1 ([Hier] 5,17-24) stellt unmittelbar conari und conplere einander gegenüber und leitet zum Thema der Festigkeit und Erkenntnissicherheit des Glaubens Uber (5,25-6,13). 3 (37-39): Sine conatu sunt enim donationes et gratia dei, quae, ubi se infitderit, rigare consueuit, ut non egeat, sed redundet scriptoris ingenium. 146 ι, 3 (41-43): ... sed diuino spiritu ubertatem dictorum rerumque omnium ministrante sine ulto motimine coepta implerunt [se. euangelistae]. 147 J 3 (44f.). Das Moment der Fülle spielt bei Orígenes keine vergleichbare Rolle. Auch Hieronymus übersetzt π ε π λ η ρ ο φ ο ρ η μ ί ν ο υ variierend mit confirmatae (5,19), compertae (5,24) oder ostensae sunt (6,1 ), konzentriert sich also auf des Aspekt der Festigkeit und Klarheit. 148 1,4(45-49). 149 J 4 (59f.). Vgl. LcHom 1 ([Hier] 6,18) In der Formulierung des Hieronymus spielt die Aussage der festen Gründung auf den „Felsen" eindeutig auf Lk 6,48 par. an; der enge Zusammenhang, in den Ambrosius dieses Wort mit dem verbum als unterscheidendes Wahrheitskriterium bringt, könnte auch auf einen Anklang an die paulinische Allegorie des Felsens in der Wüste: „... der Fels aber war Christus" (1 Kor 10,4) hindeuten.
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liums gebunden, und in der Wirkungsweise des Geistes gründet auch die feste Erkenntnissicherheit. Erst mit dem Aspekt der Festigkeit, der nun in den Vordergrund der Erklärung tritt, lenkt Ambrosius zurück in die Bahnen der Origeneischen Vorlage, die er für seine Ausgestaltung der Wirkungsweise des Geistes verlassen hatte. Ist es für Orígenes vornehmliches Kennzeichen der Festigkeit des Lukas, daß er nicht hinsichtlich der Richtigkeit seiner Aussagen schwankt 1 5 0 , so kann dies für i lui nur auf dem Grundsatz beruhen, daß über wahr und falsch nur mittels des Logos, nicht dagegen anhand von sinnlich wahrnehmbaren Phänomenen, wie sie σημεία und τ έ ρ α τ α (bzw. signa und pórtenla) darstellen, geurteilt werden kann. 1 5 1 Mit dieser Gegenüberstellung von Sinneswahrnehmung und geistiger (Glaubens-) Erkenntnis für die Unterscheidung der Wahrheit bezieht er sich letztlich auf das platonische Konzept, wonach gültige Erkenntnis nur im Bereich des Intelligiblen möglich i s t . 1 5 2 Hieronymus teilt in seiner Übersetzungsparaphrase diese beiden möglichen Versuche, Erkenntnissicherheit zu etablieren, auf zwei Gruppen von Menschen auf, indem er das Vertrauen auf die Sinneswahrnehmung den infideles unterstellt. 153 Ambrosius bleibt zunächst insofern näher bei seiner Vorlage als jener, als er für den Evangelisten in Anspruch nimmt, daß er nicht signis et prodigiis, sondern verbo wahr und falsch unterscheidet. Er setzt den Gedanken dann aber im Hinblick auf die Leser des Evangeliums fort, denn dieses Kriterium gilt für den, der die Heilstaten Christi beschreibt, in gleicher Weise wie für den, der sie als Leser oder Hörer rezipiert (qui animum intendimi).154 Schon zuvor bemerkte Ambrosius, daß der Geist beim Evangelisten, dessen Verstand er „bewässert", eine vergleichbare Wirkungsweise entfaltet wie der biblische Text am gläubigen Leser. Genauso wird auch in der liier gestellten Frage nach der kritischen Unterscheidung des Wahren deutlich, daß sich beide, Evangelist und Leser, im Gegenüber zu Gottes Wort in einer letztlich durch gleiche Bedingungen geprägten Situation befinden. Auch Ambrosius hat - wie Hieronymus 155 - dabei augenscheinlich an dieser Stelle in der Doppeldeutigkeit des Origeneischen Logos-Begriffs die AnspieLcHom. 1 (6,2-13). Dies ist zugleich für Orígenes der wesentliche Gehalt des Begriffs πράγμα im Gegensatz zu den φαυτασίαι der Häretiker; LcFrgm. lc (227). Kennzeichen des πληροφορέω ist die Sachentsprechung zur Wirklichkeit des Gegenstandes; Nazzaro 236f. (unter Berufung auf Dial. 10, vgl. ebd. Anm. 23). LcHom. 1 (6,19-27): Ουδέν γάρ ούτως πληροφορεί ώς νους κα\ λόγος· όψις γαρ où πληροφορεί, έπε\ ουκ άπό σημείων και τεράτων ο ρ α τ ώ ν κρίνεται τά πράγματα, άλλά λόγω κρίνεται, ποία τά άληθη κάι ποία τά ψευδή. 152 Vgl. Lomiento41; Nazzaro 236. 153 LcHom. 1 ([Hier] 6,23-29); Infideles quippe credant signis atque portentis, quae humana acies contuetur. Fidelis vero etprudens atque robustus rationem sequatur et verbum et sie diiudicet, quid verum quidve falsum sit. Die Doppelung verbum und ratio versucht gleichzeitig die Bedeutungsnuancen des griechischen Logos-Begriffs einzufangen. 154 [ 3 (52-54):... non signis et prodigiis, sed uerbo uera et falsa discriminant qui salutarla domini gesta describunt uel qui anmutm mirabilibus eius intendimi. 1 5 5 S.o. Anm. 155. 1 5 0
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lung auf das göttliche verbum mitgehört, auf das er nun weit stärker den Akzent legt. Denn in Anwendimg des Gesagten stellt er in der Form einer rhetorischen Frage heraus, daß nichts so Logos-gemäß (rationabile 156 ) sein kann, wie eine rechte Einschätzung der Taten des Verbum-Logos nach dem Schema der ZweiNaturen-Lehre. Quid enim tam rationabile quam ut credas, cum legis ea gesta quae supra hominem sunt, potions esse naturae, at uero cum legis ea quae sunt mortalia, suscepti credas esse corporis passiones? 157 So kommt Ambrosius zu einer für seine Evangelieninterpretation entschei denden Füllung des Erkenntnisgrundsatzes „geistiger" Unterscheidung von wahr und falsch: Es gilt im Kern, Christi zwei Naturen zu erkennen und sie zinn Schlüssel der Auslegung zu machen, indem einzelne Aussagen des Evangeliums je unterschiedlich auf eine der beiden Dimensionen vornehmlich bezogen werden. Was über menschliches Maß hinausgeht, ist Indiz seiner überlegenen, d.h. göttlichen Natur, was dagegen an Dingen aus dem sterblichen Bereich Cmortalia) geschieht, ist als ein Erleiden (passio) seiner angenommenen Körperlichkeit zu verstehen, und so Zeichen seiner Menschennatur. Ambrosius bestimmt damit zwar zunächst Christi Menschsein durch dessen allgemeine Kennzeichen, nämlich durch seine Zugehörigkeit zum Bereich des Sterblichen und seine Zugänglichkeit für das Affektische, evoziert aber vor allem durch die Polysemie des Begriffes passio (zumal in der Zusammenstellung mit mortalia) zugleich die konkrete Vorstellung seines Leidens und Sterbens, der Passion. Während die kritische Einzelvernunft bei Orígenes dadurch zur Unterschei dung befähigt wird, daß sie am überzeitlichen Logos teilhat, wird bei Ambrosius mit dieser Präzisierung „Christus" in seiner konkreten geschichtlichen Personalität zum Kriterium des geistigen Urteils; am richtigen Verständnis seiner Person entscheidet sich die Sinnhaftigkeit theologischen Redens und Verstehens. Das „Wort", Christus, steht, soviel ist bereits hier deutlich, im Zentrum seines hermeneu ti sehen Konzeptes. 158 Dieses Prinzip einer dogmatisch-christologisch fundierten Auslegung, das sich hier erstmals zeigt, wird unmittelbar im Anschluß bei der Auslegung des Verses Lk 1,2 weiter präzisiert.
157
Rationabilis ist die Wiedergabe von λ ο γ ι κ ό ς ; s. C. Mohrmann: Rationabi]is-λογικός. In: Études sur le Latin des Chrétiens. Bd.l. Rom 1958, 179-187. 1,4(54-57). Dies wird sich vornehmlich in der weiteren, beständig wiederkehrenden Auseinandersetzung mit häretischen Auslegungsfehlern erweisen; s.u. Kap. IV passim. Ambrosius bewegt sich dabei innerhalb eines hermeneutischen Zirkels, denn die Behauptung zweier gleichwertiger Naturen Christi ist ihrerseits auf die Beobachtung gegründet, daß sich die biblischen Texte nur bruchlos verstehen lassen, wenn man die Verschiedenheit von menschlicher Schwäche und wundersamer Macht nicht gegeneinander ausspielt.
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In den beiden gerade referierten und analysierten Abschnitten knüpft Ambrosius um die verschiedenen Begriffe von „Fülle" und „Erfüllung" ein Geflecht sprachlicher Anklänge und gedanklicher Assoziationen, dem es noch einmal detaillierter nachzugehen lohnt, um die innere Kohärenz der angeführten hermeneutischen Eckpunkte für die Unterscheidung legitimer christlicher Verkündigung und deren adäquates Verstehen aus dem Zusammenhang mit dem Geist und in ihrer Zentrierung um die Person Christi herauszuarbeiten. Der Geist bewässert das ingetiium des Evangelisten, das Evangelium die mentes der Gläubigen. In dieser vordergründig landwirtschaftlichen Metaphorik ist die Entstehung eines Evangeliums an die Beteiligung des Geistes in einer Weise gebunden, die dessen Wirkungsweise als befruchtende Förderung begreift und so Geist und biblischen Schriftsteller in ein Verhältnis setzt, das den Autor nicht zum bloßen Instrument - oder, um in der Metaphorik zu bleiben: zum „Leitungsrohr" - des Geistes macht und damit dessen Beteiligung ausblendet, sondern die den Evangelisten erreichende, fördernd-„befruchtende" Wirkung des Geistes in den Mittelpunkt stellt. 159 Diese Befruchtung liegt in der Übermittlung der den Geist zentral charakterisierenden Kategorie der „Fülle", die zum redundare des schriftstellerischen ingenium führt und sich in der „Erfüllung", dem erfolgreichen Zu-Ende-Kommen (conpletum, exitus) sei ner schriftstellerischen Tätigkeit, auswirkt. Ambrosius kennzeichnet die Übermittlung der dem Geist eignenden Fülle (überlas) an den Evangelisten aber durch einen spezifischen Inhalt: Sie ist die Fülle der gesta und dicta Christi, d.h. sie ist inhaltlich identisch mit einer im Evangelium darzustellenden vollständigen „Historie" Christi. Der erfolgreiche Ausgang des schriftstellerischen Unternehmens des Evangelisten liegt demnach in der Darbietung des faktischen Geschehens über die gesamte Erstreckung der gesta Christi bis hin zu Kreuz und Auferstehung; der exitus des Evangeliums ist nicht einfach mit dessen formalem Abschluß - das man ja auch den häretischen Schriften nicht gut würde bestreiten können - schon hinreichend beschrieben, sondern durchaus inhaltlich gemeint: er umschließt den exitus Christi im prägnanten Wortsinne, hat in dessen Kreuz ein unverzichtbares Kriterium seiner „Erfüllung". Nicht anders wird man im ef/ectus, der parallelen Formulierung für den Erfolg des Evangeliums, wiederum über die formale Bestimmung hinaus zugleich einen Hinweis auf dessen „Effektivität", d.h. den auf das Evangelium gründenden missionarischen Erfolg der christlichen Kirche erblicken dürfen 160 ; nicht umsonst stellt Ambrosius die universale Wirkung des Evangeliums und seine befruchtende Wirksamkeit am Gläubigen heraus. In der inhaltlichen Erfüllung des 159 Vgl. Pizzolato, Dottrina 92. Diese Fassung der Inspirationsvorstellung steht sachlich der des Orígenes nahe, der - andere als etwa Philo - ebenfalls damit rechnet, daß der persönliche Charakter des biblischen Schriftstellers erkennbar bleibt; vgl. Hanson, Allegory 195f. 160 Auf die Bedeutung des Missionserfolgs hat Ambrosius schon angesichts der „Fülle" der kirchlichen Verkündiger des Evangeliums aufmerksam gemacht (I, 2[25]). Die Argumentation mit dem Missionserfolg der Kirche ist eine alter apologetischer Topos; vgl. z.B. Orig. Princ. IV 1,1 f. (Karpp 670-76), c. Cels. 6,2-5 (GCS 3, 71-75).
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Evangeliums durch die Fülle des Christusgeschehens schwingt zugleich etwas davon mit, daß es sich um „gefülltes", bedeutungsschweres Geschehen handelt, und wohl auch davon, daß es seinerseits die Erfüllung des göttlichen Heilsplanes darstellt, auch wenn Ambrosius das assoziativische Geflecht um die Vorstellungen von Fülle und Erfüllung in diese Richtung hier nicht weiterführt. In der inhaltlichen Übereinkunft des Evangeliums mit den gesta Christi ist „Evangelium" als Summe der Frohbotschaft kondensiert in dem Namen und der geschichtlichen Person Christi; er ist sein alleiniger Inhalt und als VerbumLogos das unterscheidende Kriterium seiner Beurteilung. So ist exegetisches und theologisches Urteil zwar „vernünftig", doch steht nunmehr an der Stelle des Logos als eines philosophisch abstrakt gedachten Vernunftprinzips das personhaft gedachte Verbum, der inkarnierte Christus, so daß ihm eine eigene buchstäblich „christliche" Rationalität eignet. Darum kann in der von Ambrosius vorgestellten christologischen Präzisierung des Zusammenhangs allein ein angemessenes Verständnis der in der Inkarnation gebildeten Verbindung von wahrer Gottheit und wahrer Menschheit den Maßstab rechter Verkündigung und rechten Verstehens bilden; hermeneutisch bedeutet dies für Ambrosius zunächst vorrangig, die strikte Unterscheidung der göttlichen und der menschlichen Verhaltensweisen und Eigenschaften Christi herauszuarbeiten, um so jeden (arianischen) Angriff auf die Gottheit Christi von seiner Menschheit aus zu verhindern. Daß Ambrosius die Wirkungsweise des Geistes nicht in der gängigen Weise als in-spiratio, sondern mit dem Bild der Bewässerung (rigare) darstellt, also auf den Vorstellungshorizont der Eingießung (in-fiisio) zurückgreift, verdient noch einmal besondere Beachtung. Verbildlicht nämlich die Vorstellung einer infusio das Ankommen des Geistes beim Menschen, so klingt damit eine reiche alttestamentlich vorgeprägte Bildwelt von quellenden Wassern an, die die überströmende Fülle und den Reichtum der Gnade verbildlichen und beispiels weise Jes 44,3 die Ausgießung des Geistes veranschaulichen. 161 Indirekt mag damit zugleich der in der patristischen Exegese von Joh 7,37f. ausgehende, weit verbreitete Motivkreis der ,flumina de ventre Christi" mitschwingen, in dem Christus selbst zur wasserspendenden Quelle wird, aus der der Geist und alle Erkenntnis hervorströmen. 162 Der epistemologische Zusammenhang, in dem gerade an der vorhegenden Stelle die Bewässerungsmetaphorik begegnet, läßt aber auch platonische Bildlichkeit mitklingen. So kann die Quellmetaphorik vor allem in neuplatonischen Texten die Entfaltung des obersten Einen 161
Vgl. ferner z.B. Jer 2,13; 17,13: Gott als heilbringende, lebendige Quelle; Ez 47,1-12: Tempelquelle als eschatologisches Lebenssymbol; ebenso Joel 3,18 u.ö. Das Bild von der „Quelle der Weisheit" begegnet Spr 18,4. 162 Vgl. H. Rahner: Flumina de ventre Christi. Die patristische Auslegung von Joh 7, 37. 38. Biblia 22 (1941) 269-302; 367-403, zu Ambrosius bes. 288ff. Für Ambrosius ist Christus beispielsweise bewässernde ( inrigare) Quelle des Paradieses d.h. der Seele, Parad. 13 (CSEL 32/1, 272): eratfons qui inrigaretparadiswn. quifons nisi Dominus ¡esus Christus, fons uitae aeternae sicut Pater?
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als einen Prozeß des Herausfließens veranschaulichen, der für die Ontologie und für die Erkenntnis gleichermaßen konstitutiv ist. 163 Die Parallelität, die Ambrosius für die Wirkung des Geistes am Evangelisten und die des Evangeliums am Gläubigen herstellt, erzeugt die Vorstellung eines Stromes des Geistes, in dem Evangelist und Glaubender gleichermaßen stehen. Über diesen Strom des sie treffenden Geistes stehen beide in Verbindung mit Christus, der Verkörperung des „Wahren", der so Urgrund und Zentrum christlichen Redens und Verstehens ist. Denn im Namen „Jesus Christus" ist zugleich komprimiert all das enthalten, was der Geist mitteilt. Verständlich wird daraus zugleich das Scheitern der Häretiker. Ist für ihre Geistigkeit der Selbstbezug konstitutiv, so reißt der notwendige Kontakt mit dem Wahren ab, denn ihre Gefangenschaft in der Ichbezogenheit des Denkens verschließt sie für den Strom des Wahren und schneidet sie so von der Quelle der Wahrheit ab. Diese stellt nach neuplatonischem Denken zugleich jene letzte Einheit dar, in der Erkennen und Ethik gründen und auf die beide hinzielen. Ein Indiz für das Scheitern der Häretiker ist darum bereits das Verfehlen der Einheit in der falschen Unterscheidung mehrerer Götter. Daß der Häretiker nicht mehr im Strom des Wahren steht, kann aber vor allem dadurch entlarvt werden, daß er zu keinem angemessenen Christusverständnis gelangt. Denn die Wirkung des geistigen Stromes kann nicht von seinem Ursprung und seinem durch den Geist übermittelten Inhalt, nämlich Christus, getrennt werden. Das Unterscheidungskriterium für die Wahrheit und damit auch für alle Auslegungsversuche kann so dogmatisch durch die richtige Christologie - in ihrem unauflöslichen Zusammenhang mit der Trinitätslehre - konkretisiert werden.
2.3. Die Erkenntnis des „Wortes" (1, 5-9)
und das eigene Handeln
Nachdem die vorangehenden Erläuterungen festgestellt hatten, daß ein wahres Evangelium eine Einheit darstellt, die mit Jesus Christus, dem Prinzip dieser Einheit, der „Verkörperung" des Guten und Wahren in Kontakt steht, von dem her es seine Fülle und Glaubwürdigkeit empfängt, beschreibt der folgende Vers des lukanischen Prologs für Ambrosius die (doppelte) Weise, in der sich 163 V g l . z.B. Plotin, En. 3,2,2 für das Hervorfließen ( ρ έ ω ) des Rationalen ( L o g o s ) aus dem Nous; ferner in ontologischer Perspektive En. 5,1,3; 5,1,6; 5,3,12 u.ö.; s. auch Lexicon Plotinianum s.v. ρεΤυ; ά π ο ρ ρ ε ϊ ν ; α π ό ρ ρ ο ι α ; vgl. τ τ η γ ή . Zu diesem Vorstellungskreis insgesamt H. Dörrie: Emanation. Ein unphilosophisches Wort im spätantiken Denken. In: Platonica Minora (Studia et testimonia antiqua 8 ) München 1976, 70-88, zum Bild der Quelle bes. 72. Daß Ambrosius den Vorgang nicht von der Seite des Herausflie&ens, sondern von der des Empfangens aus in den Blick nimmt, und demgemäß philosophische B e g r i f f e vermeiden und statt dessen von infusio sprechen kann, könnte als Versuch gedeutet werden, die Konsequenz einer gleichsam naturalisierten allwirksamen Durchtränkung des Seins, respektive der natürlichen Vernunftfähigkeit zu vermeiden und die Exklusivität der Offenbarung zu wahren. Dies erscheint um so wahrscheinlicher, als die Kennzeichnung des Einheitsgrundes christlichen Denkens von ihm nicht in der Abstraktion eines Logos-Prinzips gesucht wird, sondern die Person Jesus Christus ins Zentrum stellt.
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dieser Kontakt, diese Verbindung darstellt. Demgemäß unternimmt er in der Auslegung von Lk 1,2 „Sicut tradiderunt... nobis qui ab initio ipsi uiderunt et ministri fuerunt uerbi"164 vor allem eine Verhältnisbestimmung von videre und minister esse und versucht vorab zu klären, auf welches verbum beide bezogen sind. Die avisierte Thematik ist demnach zunächst die Präzisierung der zum vorherigen Vers aufgeworfenen Fragestellung, woran sich rechte Erkenntnis Christi, und d.h. für Ambrosius zugleich: rechte Gotteserkenntnis, ausweist. Danach steht im Zentrum, wie sich von ihr aus der Schritt zu eigenem Handeln vollzieht. 165 Der ganze Passus ruht dabei auf der Gegenüberstellung der beiden genannten Elemente, die Ambrosius später (I, 8f.) als intentio und actio benennt. Mit Hilfe dieser Begriffe entwirft er eine Art von Handlungs theorie, um zu klären, wie sich eigenes Handeln und Anstoß von „außen" zueinander verhalten. Seine eigentliche Brisanz gewinnt das Problem mit Blick auf den folgenden Vers (Lk 13), wo vom „Wollen" (mihi videtur) des Lukas, ein Evangelium zu schreiben, die Rede ist. Denn das Zustandekommen dieses Wollens muß sich von der Eigenmächtigkeit der Häretiker klar abgrenzen las sen; es gilt zu klären, wie es sich zum „Erfüllung" schenkenden Geist verhält und in welcher Weise die ¿«yusio-Vorstellung einer Beteiligung des biblischen Autors Raum läßt. Hierzu soll die „Handlungstheorie" beitragen. Mit dieser gesamten Fragestellung hebt sich Ambrosius nunmehr in der Grundtendenz deutlich von Orígenes ab und nimmt nur noch einzelne Elemente seiner Aus führungen auf.
2.3.1. Die Erkenntnis Christi (1, 5-7) Zunächst beleuchtet Ambrosius die Bemerkung „qui ... uiderunt", die er aufgrund der zweiten Vershälfte auf ein Objekt verbum bezogen sieht. Das „Wort", um das es in diesem Vers wie im ganzen bisherigen Zusammenhang eigentlich geht, dies ist Ambrosius längst keiner besonderen Begründung mehr bedürftig, ist nicht irgendein vorgetragenes (prolativum)166, gewöhnliches
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Zitiert: I, 5 (59f.). 165 Wegen dieses Zusammenhangs wehrt Ambrosius vorab ein mögliches ethisches MißVerständnis des Verses mit einer knappen Bemerkung grundsätzlich ab: Aus ihm dürfe keinesfalls geschlossen werden, daß der Dienst am Wort höher zu bewerten sei als ein - bloßes - Hören des Wortes; I, 5 (60f.): Non congruit ista elocutio, ut magis ministerium uerbi quam auditum esse credamus. Das Pronomen der 2. Person ista [sc. elocutio], dessen Funktion sich beinahe der des Possessivums tuus, -a nähen kann (Kühner-Stegmann 1621, Anm. 5) zeigt, daß nicht dem lukanischen Text ein erklärungsbedürftiger Mangel an Kongruenz (non congruit ) angelastet wird, sondern daß eine abweichende Deutung - deren Herkunft nicht zu klären ist - als unpassend abgelehnt wird. Erst an späterer Stelle kommt er auf die richtige Verhältnisbestimmung beider Dimensionen in dem schon angesprochenen Versuch einer,.Handlungstheorie" zurück. 166 ¡ m Hintergrund steht die stoische Unterscheidung von λ ό γ ο ς π ρ ο φ ο ρ ι κ ό ς und λ ό γ ο ς ένδιάθετοξ; vgl. Fid. 4,72 (CSEL 72, 181f.)
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(vulgare), sondern das wesensmäßige Wort, der himmlische Verbum-Logos (substantielle verbum), das als inkarniertes unter uns wohnte (Joh 1,14). 167 Die Wahrnehmung dieses substantiellen Wortes erscheint somit an seine Inkarnation gebunden, auf die Ambrosius mit Joh 1,14 hinweist. Primär darum erscheint demgegenüber die alttestamentliche Redeweise von der vox domini, die das Volk gesehen habe (Ex 20,18), problemhaltig, so daß Ambrosius diese Beobachtung mit „Et tarnen..." anschließt. Zugleich allerdings ist sie in sich paradox, denn vox bezeichnet ein Klangphänomen, das durch seinen zugehörigen spezifischen Sinn und dessen Organe, die Ohren, aufgenommen wird. 168 Orígenes zitiert den gleichen alttestamentlichen Vers unmittelbar im Anschluß an das auszulegende Lemma, um aus dem beschriebenen Paradox einen Hinweis auf die indirekte Redeweise der so bezeichneten Wahrnehmung zu gewinnen169, die sich aus eigener Freiheit schenkt. 170 Ambrosius nimmt diesen Hinweis auf und führt i lui weiter, wenn er feststellt, daß Mose die vox dei bezeichnen wolle, die überhaupt nicht mit den körperlichen Sinnesorganen, sondern mit denen des Geistes, des inneren Menschen, wahrgenommen wird. 171 Ebenso wie Orígenes flicht er in einem Nebengedanken ein, daß die Wahl des Begriffes vox zugleich auf einen gravierenden Unterschied zwischen Altem und Neuein Testament hindeutet: Denn im Evangelium wird nicht die geringer zu bewertende Stimme (vox), sondern das Wort (verbum) gesehen. 172 Im Unterschied zu Orígenes unterstreicht und begründet Ambrosius diesen Gedanken durch ein ausführliches Zitat von 1 Joh l,lf., wo für ihn der Evangelist Johannes Zeugnis für ein Sehen und Hören dieses Wortes ablegt und zugleich auf seine Inkarnation und göttliche Herkunft als die beiden Pole hindeutet, die ein wirkliches „Sehen" umspannen muß. So sehen die Apostel Jesus (!) eben nicht nur secundum corpus, als Menschen, sondern auch secundum 167 ι 5 (61-65): Sed quia non prolatiuum uerbuin, sed substantiate Signatur uerbuni illud, quod 'caro factum est et habitauit in nobis' (Joh 1,14), non uidgare uerbum, sed illud caeleste intellegamus, cui apostoli ministrarunt. 168 I, 5(65-68). 169 Derartige pardoxale Redeweisen gelten für Orígenes grundsatzlich als ein heuristisches Signal, das auf die Notwendigkeit der tieferen Deutung aufmerksam macht. Vgl. J. Pépin: A propos de Γ histoire de Γ exégèse allégorique: Γ absurdité, signe de Γ allégorie. StPatr 1 (= TU 63). Berlin 1957, 395-413; Harl, L' Herméneutique 96ff. Ambrosius übernimmt hier diese Folgerung. 170 LcHom. 1 (7,4-11):... ή τ ο υ θεοΟ φ ω ν ή β λ έ π ε τ α ι oîs βλέπεται. Orígenes scheint damit andeuten zu wollen, daß sich die Wahrnehmung der Stimme Gottes aus eigener Freiheit mitteilt. Schon mit veränderter Akzentuierung dagegen Hieronymus ([Hier] 7,3-10):... Hi ostenderetur nobis, aliis ocutis 'videre vocem Dei', quibus itti adspiciunt, qui merentur. Er verlegt den Unterschied in die Andersartigkeit der wahrnehmenden Augen, die solches Sehen „verdienen". Diesen Unterschied bemerkt auch Nazzaro 237. In ähnliche Richtung, aber einen deutlichen Schritt weiter geht Ambrosius' Hinweis auf die Augen des „inneren Menschen". 171 I, 5, (68f.). Zum „inneren Menschen" und seinen Organen vgl. G. Madec: V homme intérieur selon saint Ambroise. In: Ambroise de Milan ... 283-308. 172 ι 5 (70f.); vgl. LcHom. 1 (7,11-13). Die wertende Unterscheidung von verbum und vox ( λ ό γ ο ς und φ ω ν ή ) ist ein philosophischer Topos (vgl. W. Ax: Laut, Stimme und Sprache. Studien zu drei Grundbegriffen der antiken Sprachtheorie. [Hyp. 84] Göttingen 1986), der bei Orígenes mehrfach wiederkehrt. Nicht zuletzt nutzt er sie zur Rangabstufung zwischen Johannes und Jesus (LcHom. 21 [128-39]); vgl. Crouzel (SC 87) 105. Anm. 2 z.St. mit weiteren Belegen sowie Nazzaro 237.
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verbum, in seiner Eigenschaft als göttlicher Logos. Nur wer wie in der Verklärung auf dem Berge (Lk 9,28-36 parr. 1 7 3 ) die gloria des Wortes sieht, sieht wirklich. Denn wirkliches Sehen ist, so wiederholt Ambrosius, nur mit geistigem Auge möglich. 174 Während Orígenes primär fordert, nicht nur Jesus κ α τ ά σ ώ μ α , sondern den göttlichen Logos zu erkennen und auf diesem Wege zuletzt zur Erkenntnis des Vaters, der ihn gesandt hat (Joh 14,9), zu gelangen 175 , legt Ambrosius darüber hinaus einen verstärkten Akzent auf die Inkarnation Christi als Bedingung rechter Erkenntnis, so daß zugleich ein „Sehen" im Alten Testament wie in Ex 20,18 erklärungsbedürftig wird. Die Betonung des geistlichen Charakters der Wahrnehmung löst für ihn aber beide Probleme. Dies macht besonders eindringlich die Weiterführung des Gedankens klar. Auf der negativen Seite dokumentieren nämlich Pilatus und die Juden, daß das spirituelle Sehen von der sinnlichen Wahrnehmung zu trennen ist. Denn obwohl sie den Menschen Jesus sehen konnten, erkennen sie ihn doch nicht. 176 Mit den Beispielen von Pilatus und der Menge, die Christi Kreuzigung fordert, macht schon Orígenes klar, daß ein bloßes Sehen Christi im Körper, also durch sinnliches Wahrnehmungsvermögen, noch nicht ein Sehen Christi im Vollsinne bedeuten kann, sonst müßte man auch den Genannten ein Sehen des verbum zugestehen. 177 Mit seiner verallgemeinernden Nennung der Juden schafft sich Ambrosius die Möglichkeit, die Beispiele argumentativ durch neutestamentli che Zitate zu untermauern, die diesen Gruppen ein Sehen explizit bestreiten und darum als Beweis für das Ausgeführte gelten können. 1 7 8 Wirklich neu und gedanklich weiterführend ist demgegenüber das positive Gegenbild, das Abraham und Jesaja für die Möglichkeit rechter Erkenntnis des verbum auch außerhalb seiner Lebenszeit und Köperlichkeit bieten, die paradoxerweise ein Sehen in corpore einschließt. Denn sowohl Abraham als auch vor allem Jesaja sehen Christus, da sie ihn spirituell sehen, wirklich, und das heißt für Ambrosius auch vor der Inkarnation in corpore. Darum kann Jesaja sogar von seiner Gestalt (species ) reden. 179 Es ist bemerkenswert, wie Ambrosius ge173
Vgl. VII, 1-21. 1 , 5(71-82). LcHom. 1 (7,16-19; 8,3-7). Nazzaro 238f. bemerkt richtig, daß Hieronymus' schlichte Antithese: non quia adspexerant corpus Domini Salvatoris, sed quia Verbion viderant [sc. apostoli] ([Hier] 7,17-19) den Origeneischen Gedanken hier erkennbar verkürzt. 176 I, 6 (82f. 89-95). 77 ' LcHom. 1 (7,20-8,3); er nennt als weiteres Beispiel Judas. Hieronymus' Übersetzung (8,3-5) erläutert deren Zurückweisung als εκείνοι dahingehend, daß ein incredulus ihn nicht zu sehen vermag, macht also den Glauben zur Voraussetzung der Erkenntnis. 178 I, 6 (82f.), begründet mit Mk 6,52 und Mt 23,23 in I, 6 (89-93). Der Versuch, die Auslegungsergebnisse durch zusätzliche biblische Zitate abzusichern und zu begründen, zeigt einmal mehr die besondere Sorgfalt, die Ambrosius darauf verwendet, explizit mit Hilfe der Schrift zu argumentieren. Die Vermehrung biblischer Belege ist ein kennzeichnender Unterschied gegenüber der Vorlage des Orígenes. I, 6 (84-89): ... Vidit ergo eum Abraham, qui dominum utique in corpore non uidebat, sed qui uidit in spiritu uidit in corpore; qui autem uidit in corpore et non uidit in spiritu nec in ipso 174
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rade in umgekehrter Blickrichtung das spirituelle Sehen schon bei den alttestamentlichen Gestalten auf den inkarnierten Christus - nicht etwa eine denkbare Wahrnehmungsweise des ewigen Logos - festlegt. 180 Damit geht er an dieser Stelle wesentlich über Orígenes hinaus, der weder auf Jesaja noch auf Abraham hinweist, und macht die Menschwerdung Christi zur Bedingung jeglicher Gotteserkenntnis. Abraham und Jesaja sind echte Zeugen des Christentums, insofern sie dessen Zentrum, den Inkarnierten, sahen. Dieses richtige Sehen ist in seinen beiden inhaltlichen Polen bereits in Christi Namen „Emanuel", Gottmit-uns (Mt 1,23), umschlossen. In dessen Wortbedeutung konzentriert sich für Ambrosius der wesentliche Gehalt der Erkenntnis Gottes (!). Im richtigen Sehen muß es nämlich darum gehen, beide Elemente, Inkarnation und himmli sehe Abkunft des Wortes, zu erkennen. Anders denn als Inkamierter, als Emanuel, ist Christus gar nicht erkennbar. Zugleich aber wird unmittelbar auch nach der anderen Seite erläutert, daß nur wer den Gott in Christus sieht, auch den von der Jungfrau Geborenen, den Menschen Jesus Christus, zu sehen vermag. 181 Für das richtige Verständnis eines solchen Sehens, als dessen Gegenstand und Ziel unvermittelt „Gott" benannt wird - diese plötzliche Gleichsetzung zwischen der Erkenntnis Gottes und der Erkenntnis Christi bewirkt eine für die weitere Argumentation gewichtige Verschiebung - , zitiert Ambrosius anschließend wie Orígenes Joh 14,9 182 , zusätzlich aber noch Vers 10, der eine trinitätstheologische Klärung herausfordert. 183 Aufgrund dieser Fortführung des Schriftzitats wird es für Ambrosius möglich und notwendig, über Orígenes hinausgehend die Konsequenzen zu beleuchten, die sich aus dem zitierten Text für ein angemessenes Verständnis der Gottesund Christuserkenntnis grundsätzlich ergeben: Ambrosius setzt axiomatisch voraus, daß eine selbständige Existenz in ihrer Eigentümlichkeit durch eine anuidit corpore quod uidebat. Vidit eum Esaias et, quia uidit in spiritu uidit et in corpore. Deni que 'non habebat' inquit 'speciem suam ñeque decorem' (Jes 53,2). 180 Hier wirkt sicher die Diskussion um die alttestamentlichen Theophanien nach, die als Erscheinungen Christi gedeutet wurden (so auch I, 24, s.u. 107ff.), und die für Ambrosius darum besonders in der photinianischen Kontroverse Anlaß zu dogmatischer Klarstellung ihrer christologischen Implikationen geben. Vgl. R.P.C. Hanson: The Search for the Christian Doctrine of God. The Arian Controversy 318-381. Edinburgh 1988, 237f.; B. Studer: Zur TheophanieExegese Augustins. Untersuchungen zu einem Ambrosius-Zitat in der Schrift 'De videndo Deo' (ep. 147). (StAns 59) Rom 1971; Studer nennt weitere Ambrosius-Texte zu den alttestamentlichen Theophanien 39f. 181 I, 6 (95-99): Qui ergo deum [!] uidit uidit Emnuinuhel, hoc est: uidit nobisciwi deum; qui autem deum nobiscum non uidit non potuit uidere quem uirgo peperit. Denique qui non credi derunt deifiiium nec filium uirginis crediderunt. 182 Orig. LcHom. 1 (8,3-7). Er erläutert das Zitat nicht, gleichwohl wird deutlich, daß er die Erkenntnis der Gottheit Christi (des Logos) in den Mittelpunkt stellt. Vgl. Nazzaro 238. 183 I, 7 (99-103): Quid est ergo deum uidere? Nolo nie interroges: euangelium interroga, ipsutn dominum interroga, immo dicentem audi: [folgt Zitat Joh 14,9f.]. Interessant ist die formale Gestaltung dieses Hinweises. Der direkt angesprochene Zuhörer oder Leser (2.sgl.) soll nicht den Prediger fragen, sondern das Evangelium, ja den Herrn selbst, aus dessen Mund dann der Johannesvers klingt. Er wird so direkt an die höchstmögliche Autorität verwiesen, für die der Prediger nur vermittelnd redet, der er nur seine Stimme leiht.
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dere im körperlichen ebenso wie im geistigen Bereich nicht vertreten werden kann. Die Möglichkeit, Christus im Vater und diesen in ihm zu sehen, ist also ein Sonderfall (solus); er zwingt darum nach seiner Meinung zu der Aussage, daß das Johanneszitat: „qui me uidit uidit et patrem ... non creáis quia ego in patre et pater in me es/" 1 8 4 , die wesensmäßige Einheit von Vater und Sohn impliziert. 185 Die Erkenntnis der Gottheit Christi als Prüfstein für wirkliches Erkennen und zugleich als deren Voraussetzung ist so indirekt noch einmal biblisch bestätigt. Im eigentlichen geht es Ambrosius in dieser trinitätstheologischen Klarstel lung aber schon um ein weiteres: Denn daß er so betont die Einheit von Vater und Sohn gerade im Hinblick auf ihr Wirken (operibus) herausstellt, und diesen Aspekt auch noch durch ein weiteres Zitat (Joh 5,19) unterstreicht, hat eine bedeutende Funktion für den folgenden Passus: „In seinen Werken wird Jesus gesehen und in den Werken des Sohnes auch der Vater erblickt." 186 Ambrosius deutet so einen Weg der Gotteserkenntnis über das Wirken Christi an, der im folgenden in einer Aufzählung sich steigernder exemplarischer Machterweise näher skizziert wird. Primär an seinem Handeln wird die Gottheit Christi für Ambrosius ablesbar. So zeigt das Weinwunder zu Kana, in dem die Elemente verwandelt werden, Jesu Macht über die Bausteine der Schöpfung; in seiner Heilung eines Blinden, dem er das Augenlicht zurückgibt, indem er dessen Augen mit Lehm bestreicht, läßt er wiederum das Handeln des Schöpfers durchscheinen, der den Menschen aus Lehm bildet und ihm das Lebenslicht eingibt; und darin daß er Sünden vergibt, demonstriert er eine Macht, die nur der Gottheit zukommt. Schließlich weist Ambrosius in letzter Überbietung noch auf die Auferweckung des Lazarus hin, die er ohne Erklärung für sich selbst sprechen läßt. 187 In den angesprochenen Taten Jesu ist demnach seine Gottheit vor allem aufgrund von Entsprechungen zum Schöpfungshandeln und in der Macht über die Schöpfung - die Wandlung der Elemente, die Ambrosius im Gegensatz zur in der antiken Philosophie weitgehend übernommenen Aristotelischen Auffassung hier als unwandelbare Grundstoffe beschreibt188 - zu erkennen. Diese Beispiele für die Erkenntnis Gottes im Handeln Jesu erfahren nun aber eine interessante Ergänzung, die sich mit den Beziehungen zwischen Erlösungs- und Schöpfungshandeln schon angedeutet hatte. Denn - so Ambrosius 184
Zitiert I, 7(102f.). I, 7 (103-07): Vtique non corpus uidetur in corpore nec spiritus uidetur in spiritu, sed solus ille pater uidetur in filio aut iste filius uidetur in patre; non enim dissimiles in dissimilibus uiden tur, sed ubi unitas operationis est atque uirtutis, et filius in patre et pater uidetur in filio. ' 8 6 ι 7 (I08f.): In operibus lesus uidetur, in operibus filii et pater cernitur. 187 I, 7 (109-16). In komprimierter Form werden hier die hauptsächlichen Erschließungswege der Gottheit Christi angesprochen, die in der Einzelauslegung seines Wirkens zur Anwendung gebracht werden; s. u. Kap. VII, 293ff. 188 Vgl. G.A. Seeck: Über die Elemente in der Kosmologie des Aristoteles. Untersuchungen zu 'De generatione et corruptione' und 'De caelo'. (Zetemata 34) München 1964, bes. 15ff. 185
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Jesus und in ihm den Vater erkennt man auch durch die Betrachtung von Himmel, Meer und Erde. Mit dem Zitat von Rom 1,20, das Ambrosius hier auf Jesus (!) und den Vater gleichermaßen bezieht, wird so die Betrachtung der Schöpfung als ein zweiter legitimer Weg der Gotteserkenntnis gewiesen, die wiederum zuerst Erkenntnis der Gottheit Christi ist. 189 Die Schöpfung verweist auf ihren Schöpfer, d.h. für Ambrosius auf Christus als den ewigen schöpferischen Logos. Sein Schöpfungshandeln wird damit in einer doppelten Weise zum Anknüpfungspunkt für die Auslegung seines Wirkens als Inkarnierter, nämlich durch den Verweischarakter des Geschaffenen selbst 190 und durch die kreatorische Wirksamkeit seines Handelns im Wunder, das den Naturzusammenhang überschreitet. Blicken wir unter methodischen Gesichtspunkten noch einmal zurück auf diesen Passus, und betrachten die Ambrosianische Verfahrensweise und seine Verwertung biblischer Zitate. Ambrosius unterscheidet sich hier unmittelbar ersichtlich von Orígenes durch die Menge der für die Erklärung herangezogenen Stellen. 191 Wichtig für die Frage nach dem Umgang mit der Vorlage des Orígenes ist femer die Beobachtung, daß sich alle Übereinstimmungen mit ihm auf die Verwendung gleicher Bibelzitate zurückbeziehen lassen. Es ist demnach also keineswegs so, als folge Ambrosius unkritisch den Gedanken des Orígenes, vielmehr entsteht der Eindruck, als sei es letztlich die Autorität der biblischen Zitate, der er sich anschließt. Denn wenn es richtig ist, diese Zitate auf das im auszulegenden Vers Gemeinte zu beziehen, so ergeben sich die Schlußfolgerungen daraus beinahe mit selbstverständlicher Notwendigkeit. Ambrosius zeigt demnach zuerst ein grundsätzliches methodisches Einverständnis mit der Vorgehensweise des Orígenes, ein Geflecht biblischer Zitate zur Erklärung eines Einzelverses herzustellen, und hält die von Orígenes dazu gemachten Verknüpfungen im einzelnen offenbar für richtig. Auf der anderen Seite ist aber auch alles überschießende Ambrosianische Material, das die Diskussion verändert oder weiterführt, ebenfalls primär durch zusätzliche Belegstellen und deren Auslegung gekennzeichnet. Was Ambrosius an Eigenem bie-
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J 7 (116-19): Video Iesum, uideo etiam patrem, quando oculos ad caelum erigo, ad maria cornier to, ad terram retorqueo; 'inuisibilia' etiim 'eius per ea quae facta sunt intellecta conspiciuntur' (Rom 1,20). Dieser Hinweis ist als eigenständige Ergänzung gegenüber der Vorlage des Orígenes von Mara 425 erkannt. Die gleichsam kosmologische Seite der Christuserkenntnis aufgrund der Schöpfung nach Rom 1,20 ist bei Ambrosius vor allem in der Auslegung des Exameron präsent; vgl. z.B. Exam 1, 15f. (CSEL 32/1, 13f.), ferner Expl. Ps. 47,6 (CSEL 64, 351); s. dazu Mara 423f. Ambrosius nutzt den Vers aber besonders für seine trinitätstheologischen Argumentationen zugunsten der Gottheit Christi (sempiterna virtus)·, Mara 429ff. Die Verknüpfung mit der trinitätstheologischen Argumentation und in diesem Kontext vor allem die zuvor geäußerte unbedingte Bindung der Gotteserkenntnis an den Inkarnierten läßt jedoch fraglich erscheinen, ob Ambrosius mit einer solchen Erkenntnis aus der Natur wirklich vornehmlich eine „natürliche" Gotteserkenntnis ansprechen will. Diese Fragestellung wird klarer in der Interpretation seiner Gleichnisauslegung hervortreten (s.u. Kap. VIII, 349ff), in der Ambrosius die Verwendung von Bildern aus der Natur für die Darstellung heilsgeschichtlicher Zusammenhänge nutzt. Bemerkt auch bei Nazzaro 240.
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tet, ist demnach zurückzuführen auf einen gegenüber Orígenes ausgeweiteten biblischen Horizont, in den er den behandelten Vers einordnet; dies setzt nicht nur eine umfassende biblische Belesenheit voraus, sondern auch ein detailgenaues Beobachten des biblischen Wortlautes, das es Ambrosius oft erst erlaubt, scheinbar überraschende Beziehungen zwischen zwei Texten aufzudecken. Als ein wichtiges Kennzeichen Ambrosianischen Exegesierens kann darum bereits hier die Weite des biblischen Panoramas und die Fülle der um den eigentlichen Text herumgruppierten Illustrationen, Begründungen und Belege aus anderen biblischen Kontexten festgehalten werden. Beispielsweise markierte das Zitat von Ex 20,18 den Startpunkt der Auslegung, indem es auf den übertragenen Gebrauch des Verbs videre aufmerksam machte. Damit stellte sich die Notwendigkeit, ein adäquates Verständnis dieses Sehens zu eröffnen. Weiterhin dienten die Anspielungen auf das Geschehen der Passion sowie die Beteiligung des Pilatus und der Juden zur Illustration der aufgestellten Grundsätze über den Charakter geistlichen Sehens anhand konkreter geschichtlicher Ereignisse. Daß diese Beispeile die Notwendigkeit geistlichen Sehens zu veranschaulichen vermögen, wurde wiederum durch zwei Zitate gestützt, die ein explizites Urteil über beide Gruppen und deren mangelndes „Sehen" enthalten; erst damit ist die Beweiskraft der Beispiele sichergestellt. So ergibt sich ein komplexes Gefüge der Argumentation, in der jeweils der Erkenntnisfortschritt dadurch erreicht wird, daß neues biblisches Material herangezogen wird und dies weitere Aspekte und verborgene Sachbeziehungen ans Licht bringt. Diese Vorgehensweise prägt von Grund auf die folgende Erklärung, in der Ambrosius allein aus der Spiegelung biblischer Zusammenhänge den interpretatorischen Schlüssel für den lukanischen Prolog gewinnt.
2.3.2. Intentio und actio (1, 8-9)
Wie die rhetorische Emphase der letzten Sätze mit dein Zitat von Röin 1,20 den Abschluß des voranstehenden Gedankenkomplexes markiert, so eröffnet das erneute vollständige Zitat des Verses Lk 1,2 einen neuen Gang der Überlegungen. Nach dem Versuch, über die Bedingungen und Wege der Gotteserkenntnis zu orientieren, geht es nun um deren Umsetzen in eigenes Handeln. Aus dem Nebeneinander von „viderunt' und „ministri fuerunt" im biblischen Text entwickelt Ambrosius eine Verhältnisbestimmung beider Vorstellungen anhand der Stichworte intentio und actio, die er in einer Art von „Handlungs theorie" miteinander verknüpft. 1 9 2 Er nimmt also hier die anfangs angesprochene Frage nach dem Wert dieser beiden Bestandteile wieder auf.
192 Das Stichwort„Handlungstheorie" sucht einzufangen, daß Ambrosius sich die Frage nach den einzelnen Komponenten stellt, die bei der Initiierung menschlichen Handelns eine Rolle spielen, und ihre Funktions- und Wirkzusammenhänge aufschlüsselt. Dies geschieht jedoch weder in der begrifflich-diskursiven Form der Theorie, noch wird damit das Moment des Handelns
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Ambrosius entfernt sich damit weit von Orígenes, der sich zwar die Frage stellt, wie beide Teilaussagen des Verses aufeinander zu beziehen seien, in Lukas' Worten aber hauptsächlich einen indirekten Hinweis auf verschiedene Wissenschafts typen erblickt. Darum unterscheidet Orígenes einerseits rein „theoretisch" und andererseits primär „praktisch" orientierte Wissenschaften; der Dienst am und die Beschäftigung mit dem Wort gehört für ihn - wie die Medizin - in den Rahmen der zur Praxis drängenden „Lehren". 193 Der lukanische Satz macht folglich für die Apostel die Einheit von Denken und Handeln geltend. 194 Es ist gut vorstellbar, daß Ambrosius' Ausführungen über intentio und actio durch die bei Orígenes zugrundeliegende Gegenüberstellung von θεωρία und π ρ α ξ ι ς angeregt sind. Mit der Wahl des Begriffes intentio allerdings gibt er der Erörterung bereits eine andere Wendung, da intentio nicht zu den Begriffen gehört, mit denen üblicherweise die (philosophische) „Schau" bezeichnet wird. Hierfür stehen dem Lateinischen Begriffe wie contemplari I contemplano, videre / vis io, intueri I intuitio, zur Verfügung. 195 Schon terminologisch kommt somit die Gegenüberstellung nicht mit der des Orígenes zur Deckung 1 9 6 , demi das Begriffspaar gibt nicht die philosophische Vorstellung von „Theorie" und ,»Praxis" wieder. Dennoch steht intentio als Ausdruck geistiger Betätigung auch bei Ambrosius in einer grundlegenden Antithese zu einem Bereich des Handelns, der mit actio umschrieben ist. Sie drückt folglich zuerst das Moment angespannter geistiger Betätigung aus. 1 9 7 Im Begriff ist dabei aber nicht nur das
auf die einzelne Tat verkürzt, vielmehr umgreift es durchaus einen weiteren Lebenszusammenhang, wie die zu kommentierenden Beispiele aufzeigen werden. LcHom. 1 (8,11-15). Nazzarro 239. 244 stellt richtig heraus, daß es Orígenes in erster Linie um die Distinktion dieser beiden Typen geht. 194 LcHom. 1 (9,6-10). Damit ist auf das Ideal einer Vollkommenheit angespielt, die sich in beiden Bereichen bewährt; vgl. W. Völker: Das Vollkommenheitsideal bei Orígenes. Eine Untersuchung zur Geschichte der Frömmigkeit und zu den Anfängen christlicher Mystik. (BHTh 7) Tübingen 1931, 76; Lomiento42. Diese Terminologie {videre 13mal, intueri dreimal, aspicere und speclare je einmal) verwendet Ambrosius in einem deutlich neuplatonisch eingefärbten Passus über die Erkenntnis des höchsten Gutes in Isaac 78f. (CSEL 32/1, 698Γ). Vgl. dazu P. Hadot: Platon et Plotin dans trois sermons de Saint Ambroise. REL 34 (1956) 202-220, 203f.; S. Sagot: La triple sagesse dans le De Isaac uel anima. Essai sur les procédés de composition de saint Ambroise. In: Ambroise de Milan ... 67-144, bes. 88, Anm. 99. Ferner steht intuetidi vivadlas für die Fähigkeit des Menschen zu geistiger Erkenntnis Exam. 6, 48 (CSEL 32/1, 237); vgl. W. Seibel: Fleisch und Geist beim heiligen Ambrosius. (MThS.S 14) München 1958, 21 f. Locus classicus für diese Terminologie ist Ciceros Referat der Erklärung des Pythagoras über Ziel und Lebenshaltung des Philosophen (Tusc. 5,9): ... raros esse quosdam, qui ceteris omnibus pro nihilo habitis rerum naturam studiose intuerentur; hos se appellare sapientiae studiosos — id est enim philosophes -; et ut illic liberalissimum esset spectare nihil sibi adquiren tem, sic in vita longe omnibus studiis contemplationem rerum cognitionem que praestare. Im Kontext fallen zusätzlich die Begriffe visere und perspicere. Seneca stellt zumeist actio und contemplano gegenüber; Dial. 8,5,1.; Ep. 94,45 u.ö. Vgl. ThLL 1 (1900) 438-44, s.v. actio. Diesem Sprachgebrauch folgen Tertullian und Lactanz; vgl. Stellenangaben ThLL 438, Z. 59ff. 196 Einen zusätzlichen Hinweis bietet die Wiedergabe des Hieronymus LcHom. 1 (8,13 f. 17f.), der θεωρία mit doctrina bzw. scientia übersetzt. Vgl. auch die bei Sieben, Voces 104f. s.v. θεωρία ; 395 s.v. scientia angeführte Literatur. 197 Dies ist die primäre Bedeutung; vgl. ThLL 7,1 (1964) 2120-22, s.v. intentio 1.
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Denken avisiert, sondern gleichzeitig eine Verbindung mit dem Wollen und seinen Zielsetzungen hergestellt. 198 Die folgenden Ausführungen des Ambrosius entwickeln Schritt für Schritt die näheren Implikationen dieses Begriffs, wobei sie ihn nicht definitorisch festzulegen versuchen, sondern anhand von neutestamentlichen Erzählungen in bildlicher Form seine verschiedenen Bedeutungsschichten freilegen. 199 Gerade in diesem Verfahren bleibt so eine Polysemie gewahrt, die für die Komplexität der Zusammenhänge von Gotteserkenntnis und Dienst erhellend ist. Daß es sich um eine gewollte Verschiebung gegenüber der Begrifflichkeit des Orígenes handelt, die in klaren theologischen Akzentuierungen begründet ist, bestätigt die Tatsache, daß Ambrosius auch in der Zielrichtung seiner Exegese des Verses insgesamt andere Wege geht als Orígenes: Denn erst gegen Schluß seiner Darlegung nimmt er auf die Unterscheidung von Wissenschaftstypen Bezug, ohne daß ihm an einer Wissenschaftssystematik als solcher gelegen wäre. Vorab bietet Ambrosius eine ausführliche Erörterung, die keine Entsprechung bei Orígenes findet. Hierin geht es ihm zunächst darum, verständlich zu machen, daß intentio und actio zwei in einem „perfekten" Menschen anzutreffende Fähigkeiten (gemina virtus20°) bezeichnen; danach bestimmt er, wie sich beide zueinander verhalten. Auf das Lukaszitat angewendet heißt dies für Ambrosius, daß der Evangelist den Aposteln im „videre" die intentio, im „ministri esse" die actio in gleicher Weise zuschreibt. In dieser verallgemeinernden Zuordnung von visio zur intentio und ministerium zur actio ist die Grundlage einer Schematisierung gelegt, die nun allgemein die Komponenten beim Zustandekommen einer Handlung bezeichnet. Grundsätzlich sind darin beide Vermögen aufeinander bezogen, zielt intentio auf actio und findet actio ihren Anfangspunkt in der intentio 2 0 1 Dies entspricht somit einem zunächst grob
198 ThLL ebd. s.v. intentio 2. In dieser Hinsicht kann intentio sogar umfassend auf die Teleologie religiöser Existenz verweisen; vgl. P. Engelhardt: Art.: Intentio. HWP 4 (1976) 466-74; 466. 199 Nazzaro 240 bemerkt die Erweiterung und Vertiefung gegenüber Orígenes in der Verfahrensweise, ein Konzept beider Begriffe und Vorstellungen aus biblischen Zusammenhängen zu gewinnen. Die inhaltliche Veränderung aber erkennt er allein darin, daß Ambrosius die Interdependenz beider Begriffe besondere herausarbeitet. 200 D¡ e unmittelbare Korrelation und wechselseitige Verknüpfung beider verbietet an dieser Stelle, virtus als Tugendform in der Unterscheidung von Aktivität und Kontemplativität aufzufassen. So auch Nazzaro 240. Vgl. dazu die Parallelstelle VII, 85f., s.u. Exkurs 1, 82ff. 201 I, 8 (121-26): Gemina uirtus est in homine perfecto, ut et intentio sit et actio. Vtramque igitur uirtutem sanctus euangelista apostolis deferì; non solum enim 'uiderunt' inquit, sed etiam 'ministri uerbi fuerunt'. Intentio uisionis actionis est ministerium, finis autem intentionis est actio, principiwn actionis intentio. In dieser Verknüpfung von intentio und visio besteht die Brücke zur Origeneischen Unterscheidung von Erkennen und Handeln. Der umgebende Kontext verknüpft das Thema der Erkenntnis aber unmittelbar mit der Frage nach ihrer Fähigkeit, Handeln zu initiieren; deutlich ist, daß für Ambrosius - wie seit Piaton traditionell - das Handeln in der Erkenntnis gründet.
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umrissenen Handlungsschema, das zwischen Antrieb und Ausführung unterscheidet. 202 Ambrosius verdeutlicht den Zusammenhang beider anhand biblischer Beispiele, die eine jeweils neue Dimension im Hinblick auf die Bedeutung der intentio aufscheinen lassen; die actio erscheint demgegenüber in ihrer Bedeutung als wenig problematisch. So wird zuerst in der Jüngerberufung als intentio bezeichnet, daß Petrus und Andreas auf Jesu Wort hin sofort ihr Boot verlassen und ihm folgen (vgl. Mt 4,18-20). 203 Dies ist umso erstaunlicher, als man gerade hierin eine augenblicklich erfolgende actio sehen könnte. Ambrosius will aber offenbar betont das Angesprochen-Sein von Jesus trotz der unmittelbar darauf folgenden Tat als intentio verstanden wissen. 2 0 4 Schon darin also oszilliert der Begriff zwischen der Bezeichnung für die das Handeln „antreibende Kraft" und für die „Bereitschaft", sich ansprechen zu lassen. Ein weiteres Beispiel verdeutlicht nun aber, daß intentio und actio nicht unmittelbar ineinander liegen 205 , wie man aus dem Vorigen entnehmen möchte, sondern durchaus auch zeitlich voneinander weit getrennt sein können. So wird Petri Wort (Joh 13,37), das seine intentio, seine Bereitschaft", für Jesus zu sterben, ausdrückt, erst sehr viel später in seinem Martyrium zur actio. In beiden bisher angesprochenen Fällen aber ist die actio ein verbum sequi206. Bei Petrus wird zudem das aktivische Moment des Begriffes gänzlich vom Charakter der Passion verdeckt.207 Eingeschoben in diese Spanne zwischen beide an sich zusammengehörige Pole ist gleichwohl - wie Ambrosius in einem interessanten Nebengedanken einflicht - eine Form vorwegnehmender actio in Fasten, Nachtwachen und 202 Ambrosius bedient sich im Kontext nicht einer vorgeprägten Terminologie aus einer der philosophischen Konzeptionen für das menschliche Handeln. Sachlich allerdings kommt seine Unterscheidung der verschiedenen Momente, die bei der Initiierung des Handelns zusammenwirken, den Konzeptionen der stoischen Psychologie und Erkenntnislehre relativ am nächsten. Die Stoa unterscheidet prinzipiell zwischen den Seelenvermögen von Vorstellung, Trieb und Urteil. Das Handeln geht danach von einer Vorstellung ( φ α ν τ α σ ί α ) aus, die einen Antriebsimpuls (όρμή= impetus) freisetzt, Uber den abschließend das Wollen - als Funktion des Logos - zu einem Urteil gelangt ( σ υ γ κ α τ ά θ ε σ η ), und damit seine Ausführung oder deren Ausbleiben steuert (vgl. Pohlenz 54-63, ergänzend M. Forschner. Die stoische Ethik. Über den Zusammenhang von Natur-, Sprach- und Moralphilosophie im altstoischen System. Stuttgart 1981, 134ff.). Von besonderem Interesse für die Analyse der Ambrosianischen Vorstellungen ist dabei die in der Trieb- und in der Erkenntnislehre vollzogene Anerkenntnis eines von außen einwirkenden (Sinnes-) Eindrucks und die Betonung des Willens als des entscheidenden Moments sowohl in der Erkenntnis als auch in der Handlungsinitiiening. Dies macht sich besonders deutlich bei Seneca geltend; vgl. Sen. ep. 113,18 (dazu Pohlenz 91f.) Vgl. zur stoischen Handlungslehre ferner M. Η ossenfelder: Die Philosophie der Antike 3. Stoa, Epikureismus und Skepsis. (=Geschichte der Philosophie. Hg. v. W. Röd III), München 1985, bes. 47f. 203
I, 8 (126-29). 204 Die damit beschriebene Umkehrung der Richtung von intentio ist am ehesten der Wendung vergleichbar, mit der Paulus das Erkennen des Göttlichen vom eigenen Erkanntwerden her versteht (vgl. 1 Kor 13,12). 205 J 8 (129f.): Sed non statim in intentione actio. 206 J 8 (129): ... uerbum secuti sunt [sc. Petrus et Andreas] ; (139f): ... secutus estuerbum [sc. Petrus], 207 I, 8(130-140).
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Verachtung körperlicher Lüste, die als fortschreitende Abtötung des Körpers auf die letzte, eigentliche actio, das Sterben, bezogen bleiben. Sie sind darin das Muster einer actio, die nicht sich selbst meint, sondern auf eine andersartige intentio bezogen ist. 208 Nach diesen beiden Beispielen nuanciert das Verständnis von intentio zwi sehen Antrieb und Absicht; doch kommt hierin jeweils die intentio zuletzt mit der actio zur Deckung, so daß Ambrosius für die Apostel die aequalitas zwischen beiden konstatieren kann. Gerade dies kennzeichnet sie im übrigen rückerinnernd als perfecti.209 Anders verhält es sich im Vergleich der Maria mit ihrer Schwester Martha (Lk 10,40-42J 210 ; liier ist eine unterschiedliche Gewichtung beider Pole feststellbar. Martha, die eifrige, ist Vertreterin der actio, Maria dagegen, die für ihr Verhalten sogar ausdrücklich gelobt wird, Vertreterin eines Übergewichts der intentio.211 In dieser Gegenüberstellung werden merkliche Berührungen mit den zwei traditionell unterschiedenen Typen der Lebensführung, nämlich der vita contemplativa und der vita activa, erkennbar. 212 Daß damit jedoch lediglich eine besondere Betonung eines der beiden Pole gemeint sein kann, erklärt sich aus der anfänglichen handlungstheoretischen Grundlegung, wonach jede actio eine entsprechende intentio voraussetzt; demgemäß setzt für Ambrosius auch Marthas Dienstbeflissenheit ein „Hören" (audire) auf das verbum voraus. Umgekehrt muß zwar nicht jede intentio zwangsläufig zur actio kommen, doch kann von Maria eine solche berichtet werden, salbt sie doch Jesu Füße und trocknet sie mit ihren Haaren (Joh 123)· Es kommt so schließlich auch bei ihr zur Übereinstimmung beider Komponenten, zur Vollkommenheit (per/ectio). 2 1 3 Von besonderer Wichtigkeit an diesem Beispiel ist nun aber, daß Marias Hören auf Jesu Wort, daß schon im Sitzen zu seinen Füßen einen gestischen Aus druck findet, von Ambrosius betont als intentio aufgefaßt wird. Wir finden hier also eine Bedeutungsnuance „gespannter Aufmerksamkeit" in einer auch äußerlich erkennbaren rezeptiven Haltung gegenüber Jesu Wort, die im Beispiel 208 Ebd. 209 I, 8 (140-42); vgl. 8(121). 210 Vgl. die Auslegung VII, 85f. S. Exkurs 1. 211 1,9 (142-50): .. .est autem nonnumquam plus in intentione quam in actione aut plus in actione quam in intentione. ut in euangelio cernimus inter sanetam Mariam et Martham fuisse distantiam. Alia enim uerbum audiebat, alia festinabat circa ministerium. ... Ergo in altero intentionis Studium, in altera actionis ministerium redundabat... 212 Vgl. P.T. Camelot: Action et contemplation dans la tradition chrétienne: VS 78 (1948) 272301. D.A. Csanyi: Optima pars. Eine Auslegungsgeschichte von Lk 10,38-42 bei den Kirchenvätern der ersten vier Jahrhunderte. StMon 2 (1960) 5-78. 213 I, 9 (150-55). Nazzaro 241 erkennt hierin einen Anklang an die Ausführungen des Orígenes zu Lk 10,38-42; LcFrgm. 171 (298). Demzufolge ist für ihn das Ambrosianische Interpretationsziel auch hier allein die notwendige Korrelation beider Größen. Damit ist jedoch allenfalls das Orígenes-Fragment richtig beschrieben und kommt ein Aspekt zum Ausdruck, den auch Ambrosius in der Einzelerklärung zur Stelle (VII, 85f.) geltend macht (s.u. 82ff.); die spezifische Funktion für die Begriffsbestimmung im Rahmen der Prologauslegung ist aber nicht erfaßt.
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der Jüngerberufung noch nicht mit gleicher Klarheit hervorgetreten war, da dort die actio unmittelbar auf die intentio folgte und diese zu verdecken drohte. An dieser Stelle (1,9) nun wendet sich Ambrosius einem der Beispiele zu, die Orígenes verwendet hatte, der Medizin. Nach dem Gesagten kann es jetzt aber nur noch darum gehen, in ihr einen Aspekt der aufgestellten allgemeineren Handlungstheorie auszumachen. Sie dient darum als Beispiel aus dem profanen Alltagsbereich für die Möglichkeit, daß intentio und actio als die beiden Pole einer Handlung nicht zur Deckung kommen können und so beides zunichte wird. Dies geschieht dann, wenn man bei der bloßen Kenntnis medizinischer Vorschriften stehen bleibt und die Medizin nicht auch in der Praxis ausgeübt wird; so wird das rezeptive Aufnehmen medizinischer Lehren (intentio) aufgrund fehlender Ausübung (actio) selbst wertlos. 214 Es geht Ambrosius dabei augenfällig um keinerlei Wissenschaftssystematik im Sinne des Orígenes, die zwei an sich gleichberechtigte Typen theoretischer und praxisbezogener Art unterscheidet, demi intentio und actio waren ja als aufeinander bezogene Elemente jedweder Handlung definiert. Ein Verfehlen dieses konstitutiven Zusammenhangs kann an einer ihrem Wesen nach praxisbezogenen Profanwissenschaft darum deutlich demonstriert werden; bei den biblischen Beispielen hingegen war das unmöglich, zeichnete es die biblischen Gestalten doch gerade als vollkommen aus, daß letztlich beides zur Wirkung kommt. Ist schon zu Begimi des Passus intentio mit dem Angesprochen-Werden durch Christus verknüpft, so umschreibt sie Ambrosius am Beispiel von Maria und Martha gleich zweimal praktisch synonym mit audire.215 Die bildhafte Veranschaulichung ist damit gegenüber der Betonung des Sehens für das Erkenntnisstreben bei Orígenes signifikant verschoben: Im Hören enthüllt sich die intentio als primär rezeptives Geschehen. Ausschließlich rezeptiv gestaltet sich auch das Erlernen medizinischer Vorschriften (praecepta)\ es wird jedoch negativ durch fehlendes Handeln nutzlos. Aus genau entgegengesetzter Richtung zeigt dagegen ein weiteres, nun den kirchlichen Lebensraum unmittelbar betreffendes Beispiel, wie gefährlich es werden kann, wenn der genannte Zusammenhang nicht gewahrt bleibt: Selbst die Frucht der Taufe kann umgekehrt durch Sorglosigkeit in der intentio, im nachlässigen Bemühen um ein cognoscere der Tugendnonnen ( virtutum praecepta) verloren gehen. 216 Dabei ordnet sich in überraschender Weise die Taufe unter die Beispiele der actio ein 2 1 7 und kehrt sich die Reihenfolge von actio 214 I, 9 (155-59): Est etiam nonnumquam maxima intentio, cassa actio, ut si medicinae animimi aliquis intendat et, cum omnia medendipraecepta cognouerit, non exsequatur officia, atque ita fit ut quia cassa actio, cassa etiam intentio sit. 21 5 I, 9 (145): Alia ... uerbiimaudiebat... (152):... nisiaudisset. uerbum ... Vgl. 1,5(61). J 9 (159-63): Est etiam in nonmätis uberior aliquando actio, exilior intentio, ut si aliquis baptismi salutaris sacramenta percipiat et cognoscendis uariarum uirtutum praeceptis animum nolit intendere, fit plerumque ut per intentionis incuriam fructum actionis amittat. 217 Dies erkennt auch Nazzaro 240, Anm. 41. Ambrosius reflektiert hier weder darauf, welche intentio im Sinne der Theorie dieser actio wiederum vorausgehen müßte, noch werden tauftheo-
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und intentio scheinbar um. Intentio wirkt folglich nicht nur ursächlich auf eine anstehende Handlung voraus, sondern in diesem Fall sogar auf eine vorangegangene Handlung zurück. - Die Taufe muß als actio im Sinne der Theorie ihrerseits Ergebnis voraufgegangener intentio sein. Die Identität der nachfolgenden mit der für die Taufe maßgeblichen intentio ist vorausgesetzt; sie wird in der Konkretion greifbar, daß die Tugendlehren zu rezipieren seien, wie es auch als Antrieb zur Taufe unterstellt werden kann. - Intentio kommt also mit der Handlung nicht zum Abschluß, sondern umgreift sie als fortdauernde Grundlage und Ursache. Damit gewinnt die intentio den Rang einer fundamentalen Hinordnung des Denkens auf Gott in der Empfangsbereitschaft gegenüber seinem Wort, die die ganze Existenz wesenhaft bestimmt, wie es in der Jüngernachfolge und bei Maria ansatzweise sichtbar wurde. Bricht sie darum nach der Taufe ab, d.h. hört die fortdauernde Bereitschaft, sich auf das Wort - konkreti siert hier in der Tugendpredigt - empfangend hinzuordnen, auf, so wird sogar eine vorherige (christliche) Handlung vom Rang der Taufe zunichte gemacht. Gleichzeitig wird damit das Verständnis von actio über den Rahmen einzelnen Handelns ausgeweitet. Taufe als actio bringt die praktische Realisierung der Ausrichtung auf Gott in einem umfassenderen Simie in den Blick, wie es durch die actio -Vorstellungen anläßlich der Passion des Petrus vorbereitet ist. In den beiden abschließenden Beispielen bindet Ambrosius das Handeln somit zwar wieder an das Erkennen, doch bleibt Erkenntnis nach dem Gesagten unauflöslich an das „Hören" geknüpft. Demi auch das auf die Taufe folgende intendere wird man ganz konkret als Hörbereitschaft - angesichts der Predigt - , in jedem Fall aber als weitere rezipierende Erkenntnisbemühung der christli chen Botschaft deuten müssen. Ambrosius fordert nicht primär die weitere ethische Lebensführung nach der Taufe, sondern zuerst eine intentio, das Hören auf Gottes Wort, das dann allerdings im,.Befolgen" wiederum seine praktische Umsetzung findet. Für das Handeln ergibt sich damit im Resultat eine Struktur, die es in einem Antriebsmoment (intentio als Willensimpuls) gründen läßt, das sich seinerseits als rezeptiv formierte Erkenntnis (intentio als Hören) darstellt. Im Glauben handelt der Mensch auf der Grundlage und angetrieben durch seine Erkenntnis des verbum. Dieses aber spricht ihn an, teilt sich ihm mit, während der Mensch sich hörend, d.h. rezeptiv, zu ihm verhält. Daß diese intentio nach allem bisher zum verbum Bemerkten letztlich ein videre, die Gotteserkenntnis, zum Ziel hat und erst aus dieser jegliche Praxis folgt, kann Ambrosius nach der dargestellten
logische Überlegungen angestellt, inwiefern hier vom Menschen „agiert" wird. Gerade dieses Beispiel verdeutlich vielmehr, daß Ambrosius auch in der actio nicht die Eigenaktivität des Menschen betonen will, sondern die gelebte Realisierung des Erkannten und Gewollten (intentio) ausdrückt. In sachlich vergleichbarer Weise galt ihm auch schon das passionati subire als actio (8, [140]).
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Klärung ihres Zusammenhangs noch einmal als exegetischen Ertrag zu diesem Vers summierend festhalten. 2 1 8 Ambrosius erreicht in diesem Abschnitt allein aufgrund der Beleuchtung der intentio in verschiedenen biblischen Kontexten, die sie nicht begrifflich eindeutig festlegen, sondern ihre verschiedenen Dimensionen und Nuancen zum Klingen bringen, eine wichtige Einschätzung darüber, wie menschliches Handeln gerade im Kontext des Glaubens zustande kommt. Intentio stellt die doppelte Verbindung zwischen der Erkenntnis (die Thema der ersten Vershälfte war) und dem Handeln (das Thema des folgenden Verses ist) dar, die durch die Doppelgesichtigkeit des Begriffes möglich wird. In der Hinordnung der menschlichen Geistigkeit auf die Wahrheit verdeutlicht er die aktive Beteiligung des Geistes an der Erkenntnis und stellt dar, wie diese sich als Antrieb zur praktischen Verwirklichung geltend macht. Gleichzeitig enthüllt er die empfangende Aufnahme des Wahren im Hören als Grundmoment im Erkennen und im (willenüichen) Handlungsimpuls. Intentio richtet den Geist auf das Wahre aus und schafft damit die Möglichkeit, daß dieses aktiv auf ihn zurückwirkt, ihn erreichen kann und durch ihn hindurch das Handeln antreibt. Das treibende Moment im Handeln aus dem Glauben kann darum durch die aufgeführten Beispiele näher bestimmt werden als eine rezeptive Haltung gegenüber Christi Wort, als ein Angesprochen-Werden von Christus. Es ist also modern formuliert keineswegs an den autonomen Willen des Subjekts gebunden, sondern erfährt Entscheidendes von „außen", ist immer schon auf ein Gegenüber gerichtet, das sich selbst im Handlungsimpuls aktiv zur Geltung bringt. Der verbum -Charakter der Wahrheit macht das Hören als ein rezeptives Vermögen par excellence zur Grundform geistlichen Erkennens. Bei Augustin macht der Begriff der intentio, der annähernd synonym mit conversio verwendet wird, im Rahmen des Erkenntnis Vorgangs auf die Tatsache aufmerksam, daß Erkenntnis willensgeleitet ist, und läßt die ErkenntnisProblematik in die Willensproblematik münden. 2 1 9 Ohne daß Ambrosius die beschriebene Formung der intentio auch terminologisch ausdrücklich mit dem menschlichen Wollen in Verbindung bringt - dies geschieht im folgenden Abschnitt - steht er damit schon einem Konzept Augustinischer Prägung, das den Willen als zutiefst rezeptives Vermögen versteht, sehr nahe. Inhaltlich geschieht bei Ambrosius über die Abfolge der Erläuterung nämlich Entsprechendes: Der sachliche Zusammenhang zur Willensproblematik und der Ertrag dieser Bestimmung für das Argumentationsgefälle der Prologerklärung zeigt sich bereits im folgenden Abschnitt, in dem Ambrosius angesichts des Verses Lk 1,3 genötigt ist, sich ausdrücklich mit dem eigenen Wollen des Evangelisten zu beschäftigen.
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I, 9 (166-68): ... per id quod uideriint [sc. apostoli] diuinae cognitionis intellegatur per id quod ministrifiierunt eorion actio declaretur. R. Lorenz: Gnade und Erkenntnis bei Augustinus. ZKG 75 (1964) 21-78, bes. 52f.
intentio,
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Exkurs 1: Die Ethik des Hörens: Maria und Martha (VII, 85/.) Zur weiter abrundenden Klärung der hermeneutisehen Bedeutung des inten tio -actio -Konzeptes kann die Exegese der Maria-Martha-Perikope (Lk 1 0 3 8 42), auf die schon mehrfach hingewiesen wurde, an ihrem entsprechenden Platz im Ablauf des Evangeliums (VII, 85f.) beitragen. Auch hier sind Übereinstimmungen in den Strukturmerkmalen der Vorstellung und Differenzen in der argumentativen Zielrichtung für die Textstelle zu beachten. Ambrosius sucht in der Heranziehung der Stelle unter dem Vorzeichen des lukanischen Prologs eine Auswertung ihrer Implikationen für eine Theorie der Handlungsinitiierung aus einer dem Wort Gottes gegenüber rezeptiven Formierung des Wollens. Demgegenüber ist die Thematik der Einzelauslegung - in kontrastierender Anknüpfung an die Forderung tätiger Barmherzigkeit im voranstehenden Gleichnis vom „Samariter" (Lk 10.25-37) 220 - in Marias intentio die kontemplative Lebensführung als eine Form von „Tugend" und das Erkenntnisstreben als berechtigte Ausdrucksform gläubigen Lebens zu erweisen. 221 Intentio steht damit von vornherein eindeutiger als in der Prologauslegung umfassend für das menschliche Erkenntnisstreben. 222 Die paränetische Prägung des Abschnittes setzt dabei einen neuen Akzent, der auf die im Zusammenhang mit der Erkenntnis anstehenden etili sehen Probleme aufmerksam zu machen vermag. Vor dem Hintergrund dieser veränderten Abzweckung genügt es für den hier zu behandelnden Zusammenhang, diejenigen Motive aufzuzeigen, in denen die unterschiedlichen thematischen Auslegungen ihre gemeinsamen Ansatzpunkte finden, um so die Strukturmomente der intentio, die einen Schlüssel für die Verbindung von menschlicher Verstandestätigkeit und menschlichem Wollen mit dem Göttlich-Wahren darstellt, noch einmal zu beleuchten. Das Moment der actio aus der Prologauslegung (I, 8f.) findet seine Wiederaufnahme in der „actuosa devotio" der Martha; ihr gegenüber steht bei Maria die „religiosa mentis intentio dei uerbo",223 Diese näheren Kennzeichnungen der intentio lassen auch hier eine innere Gerichtetheit des Denkens als konstitutiv hervortreten, deren Gegenstand und Ziel explizit durch das göttliche verbum vorgegeben ist. 224
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0 Diese Sichtweise dominiert in der moralischen Anwendung am Schluß der Gleichnisauslegung; zu dessen weiterer Auslegung s.u. 357ff. 221 VII, 85 (830Γ): Dictum est igitur de misericordia, sed non una est forma uirtutis. Subicitur Marthae exemple et Mariae... Für die Exegese der selbständigen Perikope wird so die kontextuelle Abfolge (subicitur) des Evangeliums zum eigentlichen Schlüssel. Es handelt sich darum bei den Abweichungen im einzelnen keinesfalls um konkurrierende Auslegungen, sondern um die Durchleuchtung des Sachverhalts nach seinen verschiedenen Gesichtspunkten. 222 Das als intentio vorgestellte Bemühen wird im Kontext als desiderami sapientiae (85 [839]) und studere sapientiae (85 [841Γ]) sowie als cognitio verbi caelestis (85 [840]) umschrieben. 223 VII, 85 (832f.). 224 Der Ausdruck bleibt vor dem Hintergrund der lukanischen Geschichte in der Schwebe zwischen der Umschreibung Christi in Person und der allgemeineren Kennzeichnung von Schrift und Verkündigung.
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Die Ausrichtung auf das verbum wird im Kontext in zweifacher Hinsicht präzisiert. Zum einen wird sie als „ religiosa " gekennzeichnet, worauf noch zurückzukommen sein wird, zum anderen knüpft Ambrosius den Primat der geistigen Tätigkeit gegenüber den „Werken" an eine einzige aber entscheidende Bedingung: „...quae [sc. intenlio] si cum fide congruat, eliam ipsis operibus antefertur ..." 2 . Ausrichtung auf das verbum und Bindung an die fides sind demzufolge in ihrer orientierenden und normierenden Funktion annähernd aus tauschbar. Ambrosius läßt darin dem Erkenntnisstreben einen inhaltlich bestimmten Wahrheitskanon vorgegeben sein, der entweder durch die fides als Summe fixierter Glaubenswahrheiten oder direkt durch das verbum dei umschrieben werden kann. In ihrem Gehalt fallen somit beide Größen faktisch zusammen. Darin deutet sich zugleich eine christozentrische Engführung der Glaubensinhalte an, die bereits in der Charakterisierung der geistlichen Weisheit im Proömium (prol 1-8) angelegt war, und die sich in weiteren Kontexten bestätigen wird. 226 Mit der Beschreibung der intentio als „religiosa" rückt gleichzeitig das Interesse an einer den Erkenntniszielen korrespondierenden Haltung in den Vordergrund. 2 2 7 Hier gewinnt vor allem die Frage nach der inneren Einstellung zum Erkenntnisgegenstand und nach ihrer ethischen Bewertung Bedeutung. Demi die paränetische Einfärbung des Abschnitts 228 läßt die vom Menschen geforderte Aktivität im Erkenntnisvorgang in den Vordergrund treten. Studeamus igitur et nos habere quod nemo nobis possit nos auferre, non ut perfunctoria, sed diligens audientia deferatur; soient enim etiam ipsius semina uerbi caelestis auferri, si secus uiam sint seminata. 229 Die geforderte Sorgfalt (diligens) unterstreicht die notwendige Intensität des geistigen Tuns.f 3 0 Dabei gewinnt das menschliche Verhalten mindestens negativ insofern Bedeutung für das Ankommen des Wortes, als fehlende diligentia beim Adressaten nachhaltig behindern kann, daß die Wahrheit bei ihm zu voller Wirksamkeit gelangt. 231 Als religiosa intentio kann die Bemühung um Erkenntnis folglich nur dann gewertet werden, wenn sie sich dem in der Anrede durch das Wort beinhalteten Anspruch stellt.
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VII, 85 (833f.). 6 Ausdrücklich gleichgesetzt werden fides und verbum VII, 98 (1020f.). ^ Schon der zugrundeliegende Begriff religio lenkt die Aufmerksamkeit auf die fromme Gestimmtheit des Denkens und der Gesinnung; vgl. OLD 1605, s.v. religio 6. Damit schneidet Ambrosius zugleich ein Grundthema an, daß seine vorrangige Bedeutung in der Abgrenzung von häretischem Denken gewinnt; s.u. 186ff.233f. 228 Ambrosius wendet sich VII, 85 (836f.) mit einem Adhortativ den Adressaten zu, um zur angemessenen Würdigung der intentio aufzufordern und sie dem Bemühen der Adressaten zu empfehlen. 229 VII, 85 (835-38). 2 30 j ) a s Element der Anspannung im Tun ist mit der Etymologie von intentio, das sich von tendere herleitet, vorgegeben; s. Walde-Hofmann s.v. tendo. Zur ethischen Dimension des Erkenntnisbemühens gehört darum ein charakteristisches Antriebsmoment: Agat te sicut Mariani desiderium sapientiae-, VII, 85 (838f.). 23 1 VII, 85 (837f.). Das Scheitern wird veranschaulicht durch das Bild des auf den Weg gefallenen Samens aus dem Sämanngleichnis (Lk 8,5-12), der weggetragen werden kann. 22
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Interessanterweise tritt die Kombination der Schlüsselbegriffe intent io, diligentia und religiosus vorrangig in solchen Abschnitten hervor, die besonders die Exegese als Form tätigen Sich-Verhaltens zur christlichen Botschaft herausstellen. Der Passus greift damit zum einen sachlich und terminologisch die im Proömium (prol 6) aufgestellte Forderung auf, der Wahrheit im Gehorsam durch diligentia beim Lesen und Forschen zu begegnen. Dort steht die Erkenntnisbemühung zudem ausdrücklich unter dem Vorzeichen des gottgewoll ten labor, in dem der Mensch seiner Bestimmung gerecht wird, und gilt als Teil des „geistlichen Kampfes" (Eph 6) des Christen.232 Zum anderen weist er auf wesentliche Aspekte des Selbstverständnisses der Ambrosianischen Exegese voraus, für das der Begriff religiosus unterscheidende Bedeutung gewinnt. 233 Intentio religiosa wird noch innnerhalb der Prologauslegung (I, 14) in einem Zusammenhang wieder begegnen, in dem Ambrosius die Trägheit des Geistes und die Verhaftung des Denkens im Welthaften als Gefahren für das anvertraute Gut des Evangeliums darstellt und demgegenüber die Notwendigkeit intensiver geistiger Beschäftigung als „Pflege" des Evangeliums beschreibt. 234 Im Gefälle der Darlegung wird, wie angedeutet, das aktive Moment der intensiven Erkenntnisbemühung ausdrücklich hervorgehoben.235 Um so bedeutsamer bleibt, daß intentio im Kontext beinahe synonym auch als audientia wiedergegeben werden kann. 236 Zeigt sich das Streben nach Erkenntnis des ver bum vorrangig im Hören, so wird damit - wie schon in der Prologauslegung (vgl. I, 5 [61]; 9 [145]) - sein eigentliches Wesen als Empfangsbereitschaft und Rezeptivität gegenüber der Wahrheit noch einmal deutlich. 23 ' Auf der anderen
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S.o. 45Γ. Besonders III, 50; s.u. 233f. 234 S.u. 90.. 235 VII, 85 (839-42): ... hoc enim mains, hoc perfectius opus nee ministerii cura cognitionem uerbi caelestis aiiertat nec arguas eos et otiosos indices, quos uideas stadere sapientiae.... Der Wertung des Erkenntnisstrebens als „Arbeit" liegt zwar einerseits das gleiche Wertverständnis von Tätigkeit zugrunde, wie es in der kritisch beleuchteten Gegenposition zum Ausdruck kommt, doch setzt Ambrosius darin zugleich einen starken Kontrapunkt zu einer solchen nicht nur im römischen Denken tief verwurzelten, sondern auch in einer stark asketisch-werkhaft ausgerichteten Frömmigkeit seiner Zeit vorherrschenden Denkungsart. So sehr die tätige Dimension des Christlichen ebenso wie die Aufforderung zur Askese in seiner Paränese stets präsent sind, so kommt doch an solchen und ähnlichen Stellen immer wieder zum Ausdruck, daß für ihn darin eben nicht das Eigentliche des christlichen Glaubens zu suchen ist. In der bildlichen Zuordnung von beiden Dimensionen der christlichen Existenz zu Auge und Hand mit Hilfe von Sap 9,10; Spr 8,12 und der Paulinischen Vorstellung von den verschiedenen Gliedern am Leib der Kirche Christi kann Ambrosius sowohl die Vorrangstellung des Erkenntnisstrebens als auch die gegenseitige Bezogenheit und wechselseitige Angewiesenheit von Erkennen und Tun aufeinander herausstellen; VII, 86 (851-58). Dem entspricht es zugleich, wenn er schon in der Urkirche die genannten Aufgabenstellungen in die Funktionen der Kirche geteilt findet (Apg 6), ohne daß damit das eine vom anderen geschieden wäre: Auch Stephanus nämlich ist für ihnplenus sapientiae minister electus (VII, 86 [849]) und Martha, die Tätige, wird nach seiner Exegese hier keineswegs getadelt, sondern ihr Tun lediglich ins rechte Verhältnis zur intentio gerückt: Das wichtige (principale) ist und bleibt die Beschäftigung mit dem verbum dei·, VII, 86 (843-56). 236 VII, 85 (836Γ). Als Hören umschrieben erschien intentio in den analysierten Abschnitten I, 5 (61); 9 (145). Vgl. ferner Expl. PS 48,7 (CSEL 64, 365): sapiens auditor intendit atque inclinât a»r em suam ... 237 Zugleich findet das Streben nach Erkenntnis des verbum im Unterschied zu einer eher von der visio geprägten Vorstellung, wie sie beispielsweise bei Orígenes erkennbar war, einen Aus233
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Seite macht die enge, fast synonymische Verknüpfung von intentio und audi entia darauf aufmerksam, daß ein solches Hören auf das Wort als höchste Form von geistiger Aktivität und Anspannung und damit als Tugend bewertet werden kann. Das Bemühen um Erkenntnis ist so für Ambrosius die von der Sache selbst geforderte Reaktion auf die sich offenbarende Wahrheit; sie ist als solche von ethischem Wert. Sie gründet in der Rezeptivität des Denkens, dem Hören, das sich jedoch zugleich als höchste Form der Tätigkeit darstellt, perfeclius opus (VII, 85) ist. Solches Hören gelingt nämlich nur in der Spannung des Geistes und der Angestrengtheit und Sorgfalt des Denkens, nicht in Indifferenz oder Nachlässigkeit. Ambrosius kennt somit eine Ethik des christlichen Nachdenkens und theologischen Erkennens, in der sich bereits - nicht erst in den Werken - die Begegnung mit dem Wort existentiell bewähren muß. 238
2.4. Das Wollen des Evangelisten und die Wirkung der göttlichen Gnade (1,10-11) Die anhand des vorigen Verses gewonnenen Bestimmungen eines Zusammenhangs zwischen menschlicher Antriebskraft und einer rezeptiven Haltung seines Geistes finden ihre Fortsetzung in der Erklärung von Lk 1,3 : „visum est mihi", das einer präzisen Erläuterung unter diesem Gesichtspunkt bedarf. Der gesamte Abschnitt stellt eine genuine Erweiterung des Ambrosius gegenüber Orígenes dar. 239 Hier wird die Frage nach der voluntas hominum (I, 10) als das tiefere Problem der Ambrosianischen Überlegungen erkennbar und explizit herausgestellt. Denn das liier sich ausdrückende Wollen des Lukas könnte den Anschein eigenmächtigen Gutdünkens des Evangelisten erwecken, wie es Ambrosius für das Scheitern häretischer Versuche, ein Evangelium zu schreiben, verantwortlich gemacht hatte. Nach der zuvor erörterten rezeptiven Struktur der intentio, die den Kontakt des Wollens zum verbum gewährleistet, ist dieser Verdacht für Ambrosius nun allerdings leicht zu entkräften. „Denn nicht nur dem menschlichen Wollen schien es gut, sondern ebenso dem, ,der', wie es heißt, ,in mir spricht, Christus' (2 Kor 13,3), der bewirkt, daß das, was gut ist, auch als gut erscheinen kann; wessen er sich nämlich erbarmt, den beruft er auch". 240 druck, der den Sprachcharakter der christlichen Botschaft, der intentio - audientia begegnen, besonders kräftig zur Geltung bringt. 238 D a ß mangelndes Verstehen in einem existentiellen Fehlverhalten gegenüber dem verbum gründet und so das verkehrte Wesen des Menschen offenbart, wird wenig später (I, 39ff., s.u. 123f. 129f.) am Scheitern des Zacharias deutlich und kommt in einer Reihe antihäretischer Abschnitte verschiedentlich detaillierter zur Sprache. S.u.l86f. 190f.220f. 239 Dies bemerkt auch Nazzaro 243, die gedankliche Entwicklung zwischen der Bestimmung von intentio und der Diskussion des lukanischen Wollens ist aber nicht erkannt. 240 I, 10 (169-73): Potest non soli uisum esse quod uisum sibi declarat. Non enim uoluntate tantum humana uisum est, sed sicutplacuit ei 'qui in me' inquit 'loquitur Christus', qui ut id quod bonum est nobis quoque bonum uideripossit operatur; quem enim miseratur et uocat.
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Das Urteil des menschlichen Wollens erfährt so eine innere Gerichtetheit auf das objektiv Gute hin, die von Christus bewirkt wird und die konkret als Erbarmen und Berufung auf den Menschen zukommt. So ist es gerade die Frage nach dem Christ-Sein, dem Glauben, der Prüfstein für ein rechtes Verständnis des menschlichen Wollens: Der Glaubende kann guten Gewissens sein ChristSein als Ausdruck einer eigenen Willensentscheidung darstellen, ohne daß damit Gottes „Für-Gut-Halten" negiert würde, denn das menschliche Wollen ist mit Spr 8,35 als „von Gott vorbereitet" zu begreifen. Darum kann Ambrosius pointiert sagen: „Denn daß Gott von einem Heiligen (^Christen) geehrt wird, ist Gottes Gnade". 241 Ambrosius bringt demnach bereits einen Zusammenhang zum Ausdruck, der die vocatio dem menschlichen Wollen vorausgehen läßt, und Glauben-Können als Gnade versteht. Dabei liefert das Proverbienzitat den biblischen Beweis für diese These. Das menschliche Wollen als solches, seine Beteiligung als aktives Subjekt am Vorgang des Glaubenserwerbs wird dabei durchaus aufrechterhalten. In diesem Falle wirken menschliches Vermögen und göttliche Gnade in ei ner der Beteiligung des Geistes an der Entstehung der biblischen Schriften analogen Weise zusammen. Man wird aufgrund einer solchen inneren Kohärenz im Grundsatz diese Ambrosianischen Äußerungen nicht als bloße Produkte des Augenblicks und letztlich nicht durchdacht abwerten dürfen, auch wenn es ihm noch nicht gelingt, den Gedanken zu systematischer Klärung zu fuhren und im Grundsatz zu formulieren, sondern beim Verweis auf ein biblisches Zitat stehen bleibt. Ambrosius erweist sich an diesem sachlich gewichtigen Punkt in nicht zu erwartendender Weise als wirklicher Lehrer Augustins, der diesen Abschnitt mehrfach zum Beleg seiner Ausführungen zitiert. 2 4 2 Es erscheint jedoch auch aus dem Duktus der Ambrosianischen Äußerungen selbst, nicht erst aus der rückschauenden Perspektive und dem an Pelagius geschärften Problembewußtsein Augustine berechtigt, hierin eine gleichsam vorweggenommene „antipelagianische" Position zu erkennen.
Vor dem Hintergrund dieser Formierung des Wollens stellt Ambrosius noch einmal den Evangeliums versuchen der „Vielen" die akzeptierten vier Evangelien gegenüber. 243 In Anwendung des zum Wollen des Lukas Gesagten stellt er dazu heraus, daß diese Evangelien sich durch göttliche gratia auszeichnen. Ihr besonderer Charakter, der sie der Rezeption würdig macht, ist somit jene Ein241
242 243
I, 10 (173-77): Et ideo qui Christum sequiturpotest interrogatus cur esse uoluerit Christianus respondere: 'uisuni est mihi'. Quod cum dicit non negat deo uisum; 'a deo' enim 'praeparatur uoluntas homiman' (Spr 8,35). Vt enim deus honoreficetur a sancto, dei gratia est. Vgl. Aug. nat. et grat. 63,75 (CSEL 60, 289Γ); persev. 19,49 (PL45, 993ff). I, 10 ( 177-79): Denique plurimi uoluerunt scribere euangelium, sed quattuor tantummodo qui diuinam meruerunt gratiam sunt recepii. Hier, wo es um die (kirchliche?) Rezeption der Evangelien geht, ist interessanterweise wie bei Orígenes durchgängig pluralisch von der Vierzahl von „Evangelien" (quattuor ... sunt recepii) die Rede! Dies bekräftigt zugleich noch einmal den programmatischen Weit der singularischen Formulierung in der Diskussion um das Wesen eines Evangeliums.
Das Lukasevangelium als exegetische Aufgabe
87
Wirkung Gottes, die das Wollen der Evangelisten in Konformität mit dem Wollen Gottes bringt. Auch aufgrund dieses sachlichen Konnex erlaubt der Satz: „qui diuinam meruerunt gratiam ", hier zugleich ein passivisches Verständnis von gratia als „angenehm-sein" 2 4 4 bei Gott, so daß die Würdigung des Evangeliums als Akzeptanz bei Gott gedeutet werden könnte. 245 Das Zusammenspiel von eigenem Wollen des Lukas und der wirkenden Gnade, die es mit dem Willen Gottes in Übereinstimmung bringt, konkretisiert sich für das Evangelium in der stofflichen Auswahl der Darbietung, die Ambrosius schließlich vom folgenden Versteil aus („... mihi adsecuto a principio omnia diligenter ex ordine"·, Lk 13 2 4 6 ) noch einmal zum Thema macht und mit der der übrigen Evangelien vergleicht. 247 Bereits der erste Augenschein macht den größeren Umfang des Lukasevangeliums, auf den dieses omnia hindeutet, im Vergleich zu allen anderen evident. 248 In überraschender kausaler Verknüpfung (ideo), die einen Zusammenhang von Ausführlichkeit und Wahrheit suggeriert, der noch einmal auf die Vorstellung geistgewirkter Fülle anzuspielen scheint, stellt Ambrosius fest, daß Lukas damit zugleich das Wahre, nicht das Falsche für sich beansprucht habe. 2 4 9 Ob seiner Sorgfalt (diligentia) wird er von Paulus - Ambrosius zitiert 2 Kor 8,13 - denn auch ausdrücklich gelobt. 250 Trotz seiner größeren Fülle hat Lukas ersichtlich nicht „alles" berichtet - dies wäre gar nicht möglich, wie Joh 21,25 verdeutlicht - , sondern nur eine Auswahl (ex omnibus) dargestellt. 251 So kommt es zustande, daß Lukas manches absichtlich übergeht, was die anderen Evangelien bieten. Diese Form der „Arbeitsteilimg", oder besser der Aufteilung des Materials zwischen den Evangelisten, läßt so jedes einzelne Buch in einer je besonderen gratia leuchten und aufgrund j e eigenen Stoffes an Geheimnissen und Taten sich herausheben. 252 244 vgl. ThLL 6,2 (1925-34) 2210, s.v. gratia I Β la. 245 Es ist nicht mit letzter Sicherheit zu klären, ob nicht im Kontext Gott als das logische Subjekt der passivischen Formulierung recepii sunt aufzufassen ist, so daß nicht wie bei Orígenes vorrangig auf die Kirche als Trägerin der Kanonsentscheidung abgehoben wäre; der nachfolgende Zusammenhang legt ein solches Verständnis nahe. 246 Zitiert I, 11 (180f.). 247 Im Unterschied zum Proömium geht es dabei hier nicht um die prägende Perspektive, aus der das jeweilige Evangelium das Christusereignis betrachtet, sondern um die Auswahl aus der Fülle an Einzelbegebenheiten, die das Geschehen für die Darstellung bereithält. 248 I, 11 (181f.): Prolixiorem hunc euangelii tibrum quam ceteros esse nemo dubitauerit. Hier kehrt Ambrosius konsequenterweise zu der singularischen Formulierung für das Evangelium zurück. 249 I, 11 (182f.): Et ideo non ea quae falsa sunt, sed quae liera sibi uindicat. 250 I, 11 (183-86). Den gleichen Paulus-Vers zieht Orig. LcHom. 1 (9,11-17) heran; für ihn gründet dieses Lob aber in der Tatsache, daß Lukas sich nicht auf mündlich Tradiertes verlassen, sondern von Grund auf alles überprüft und recherchiert habe. Vgl. Lomiento43; Nazzaro 241 f. 251 I, 11 (186-90). 252 I, 11 (192-94): ...ut diuersa in euangetio gratia refulgeret et propriis quibusdam singuli libri mysteriorum gestorumque miraculis eminerent. In der gratia, die ein jedes Evangelium leuchten läßt, schwingt zugleich die ästhetische Komponente des Begriffes mit (ThLL 6,2 [1925-34] 2212, s.v. gratia I Β 2a; im rhetorischen Sinne 2214 s.v. gratia I Β 2bß.). Vgl. die Gegenüberstellung von rhetorisch-technischer Schreib-
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Grundlagen der Evangeliumsauslegung
In der Wiederaufnahme des Begriffes gratia (vgl. 10 [177]) deutet Ambrosius noch einmal den Zusammenklang zwischen dem schriftstellerischen Eigenwollen des Evangelisten und Gottes ursächlicher, gnadenhafter Einwirkimg bei der Erstellung des Evangeliums an, die als Thema den ganzen Prolog durchzieht Die Besonderheiten eines jeden Evangeliums in der Auswahl des Stoffes erscheint darin zwar als Resultat der gewollten Auswahl des Evangelisten, kommt aber mit der göttlich intendierten Zuweisung an einen jeden Evangeli sten überein. Denn begründet und biblisch dargestellt sieht Ambrosius die Eigentümlichkeit der Evangelien im Aufteilen der Kleider Jesu unter dem Kreuz (Lk 2 3 3 4 par.), auf deren Erklärung im X. Buch er verweist. 253 Dort wird der hier angedeutete Zusammenhang klarer expliziert. Ambrosius hebt hervor, daß die Aufteilung des Evangelienstoffes ursächlich auf die Wirkung des Hl. Geistes zurückgeht 254 , der einem jeden Evangelisten sein „Kleid" zuteil werden läßt und damit den Charakter des Evangeliums bestimmt. 255 Während in der knappen Bemerkung an der vorliegenden Stelle die unbedingte sachlich-theologische Einheit der Evangelien nicht noch einmal eigens hervorgehoben werden muß, unterstreicht Ambrosius in der Einzelauslegung gerade diese Tatsache nachdrücklich anhand des johanneischen Bildes vom ungenähten Rock Christi, der nicht geteilt wird (Joh 19,23f.). 256 In ihr begegnen somit die gleiweise (ars) und einer in der Inspiration gründenden Sprachästhetik der Schrift: Ep. 55, 1 (CSEL 82/2, 77): Negant plerique nostros secundum artem scripsisse. Nec nos obnitimur; non enim secundum artem scripserunt, sed secundum gratiam quae super omnem artem est. Scrip serunt enim quae spiritus his loqui dabat. 253 I, 11 (194f.). 254 Das Losen als Modus der Verteilung stellt für Ambrosius sicher, daß der Vorgang rationaler Bemächtigung und willentlicher Einflußnahme durch den Menschen entzogen bleibt. Es bringt die Aufteilung der Kleider gleichzeitig mit der Verteilung der verschiedenen Geistesgaben und damit indirekt mit der Wirkung des Geistes in Verbindung. X, 115 (1078-80): Diuiduntur uestimenta, olii aliud sorte defertur; dei enim spiritus non humana opinione conprehenditur, sed quasi quodam euentu inopinatu inlabitur. 116 (1091-94): Non possunt singidi habere omnia et ideo super tunicam sors agitatur, quia non pro hominis uoluntate diuisio fit spiritus sancii; di uisiones' enim 'gratiarum sunt, sed operatus est spiritus, diuidens singulisprout uult.' (1 Kor 12,6.11). 255 χ ι i7f (1094-1113). Dieser erneute Versuch einer Charakterisierung der Evangelien durch die Gewandsymbolik kommt mit den bereits analysierten Unterscheidungen nach den apokalyptischen Tiergestalten und nach den prägenden Faktoren ihrer thematischen Perspektiven und Darstellung im Proomium nicht völlig zur Deckung. Eine systematisierende Kombination der Stellen erscheint nicht ohne innere Brüche möglich und träfe wohl auch nicht die Absichten des Autors. Ambrosius bemüht sich vielmehr, die Tatsache unterschiedlicher Stoffe und Aussageabsichten der Evangelien im Grundsatz als sinnvolle, ja sogar durch den Geist gewollte Aufteilung vor Augen zu führen, die darum zuletzt in ihrer theologischen Grundaussage völlig kongruent bleibt. Die Anhaltspunkte für eine Beschreibung der Merkmale der einzelnen Evangelien und ihres Verhältnisses zueinander gewinnt Ambrosius aus einer nach der jeweilig zugrundegelegten Bibelstelle durchaus unterschiedlichen Symbolik. 2 5 6 χ 119(1113-16): Ergo uestimenta diuisa sunt Christi uel gesta uel gratia, quia tunica non potuit diuidi, fides scüicet, quoniam non pro portione singidorum, sed pro iure conmunis est omnium; quod enim non diuiditur singulis manet integrum. Diese Auslegung des ungenähten Rocks mit Blick auf die Einheit der Evangelien ist in der patristischen Exegese ungewöhnlich. Sie findet ihre Vorläufer und gedankliche Ansatzpunkte in vereinzelten Bemerkungen bei Clemens Alexandrinus, Didymus und Hieronymus, die den „ungenähten Rock" (auch) als Symbol für die Einheit der Schrift ansprechen. Zumeist steht jedoch die Einheit der Kirche und die ihres Glaubens im Mittelpunkt. S. M. Aubineau: La
Das Lukasevangelium als exegetische Aufgabe
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chen Ambrosianischen Grundeinschätzungen wie in Proömium und Prologauslegung. Dieser Verweis ist ein wichtiges Indiz für eine redaktionelle Bearbeitung oder schriftliche Abfassung dieser Passage oder mindestens dieser Bemerkung, denn in einer Predigt wäre er ganz undenkbar. Der Passus greift nämlich nicht nur um wenige Abschnitte, sondern fast bis ans Ende des Gesamtwerkes voraus. Dies ist nur erklärlich, wenn er in einem redaktionellen Durchgang entstanden ist, nachdem die ausführlichere Erklärung der Stelle bereits vorlag, oder wenn er von vornherein schriftlich konzipiert ist; daraus müßte man dann schließen, daß der gesamte Komplex der Auslegung des lukanischen Prologs erst gegen Schluß des Gesamtwerkes, jedenfalls nach X, 115ff., entstanden ist. Der enge gedankliche Zusammenhang mit dem eigenen Proömium, das sicher erst in der Schlußbearbeitung entstanden ist, könnte diese Auffassung zusätzlich nahelegen. Im anderen Fall kann Ambrosius bei der Abfassung dieses Teils auf eine mindestens im groben feststehende Disposition des Ganzen und eine umfangreiche Materialsammlung (etwa in Form von Mitschriften gehaltener Predigten) zurückgreifen. Eine zusätzliche redaktionelle Bearbeitung, die den Zusammenhang der verschiedenen Evangelienabschnitte auch gedanklich durchdringt, ist aber in beiden Fällen offenkundig.
2.5. Das Verhältnis
des Adressaten (1,12-14)
zum
Evangelium
Zu Orígenes zurückkehrend, erläutert Ambrosius abschließend die Widmung des Evangeliums an „Theophilus" (Lk 1,4). Damit gerät der Adressat des Evangeliums und die von ihm geforderte Reaktion in den Blick. Die Übersetzung des Namens: „quem deus diligit", läßt für Ambrosius die intendierte Universalität der Adresse erkennen. Er dreht aber die Aussagerichtung der Namensübersetzung um und erklärt denjenigen zum Adressaten des Werkes, „der Gott liebt". 257 Der unmittelbare Zusammenhang zwischen der Erstellung eines Evangeliums und seiner Auslegung, der immer wieder auftauchte, tritt mit der universalistischen Deutung der Adresse des Lukasevangeliums in den Mittelpunkt der Überlegung. Gleichzeitig wechselt Ambrosius nämlich von der erklärenden Redeweise in der 3. Person hinüber zu einer direkten Anrede an den einzelnen Adressaten in der 2. Person (sing.). In zwei konditionalen Verkeilungen steuert er auf sein Hauptanliegen zu: „Wenn du Gott liebst, ist das Evangelium an dich gerichtet, wenn an dich gerichtet, dann nimm das Geschenk (munus) des Evangelisten an." 258 Das Evangelium muß ange-
257
258
tunique sans couture du Christ. Exégèse patristique de Jean 19, 23-24. In: KYRIAKON. FS. J. Quasten. Hg. v. P. Granfield u. J.A. Jungmann, 2 Bde. Münster 1970. I 100-27, für die Genannten bes. 120f. I, 12 (196f.). Orig. LcHom. 1 (10,1-5) erklärt den Namen Theophilus von der Etymologie ausgehend ( έ ά ν τοιούτοι φ μ ε ν ώ ς άγαττασθαι Οπό τ ο ϋ θεοϋ κα'ι φίλεϊσθαι, θεοφίλοί έσμεν) und läßt an dieser Stelle die applicatio des Lesers folgen; Torjesen 167.64. I, 12 (197f ): Si deum diligis, ad te scriptum est, si ad te scriptum est, suscipe munus euangelistae.
90
Grundlagen der Evangeliumsauslegung
nommen werden wie ein kostbares anvertrautes Pfand ( p i g n u s bzw. depositimi) und tief im Innern bewahrt werden. 2 5 9 Als erstes verlangt das Evangelium darum wie ein Pfand im Rechtsleben ein festes Treueverhältnis des Depositärs (fides)260, das als Vertrauen in seine Glaubwürdigkeit (fides) verstanden werden kann, sodann einen sorgfältigen Umgang, damit es nicht Schaden leidet. Angesichts möglicher Schädigungen und Gefährdungen ist das Evangelium keine unveränderliche Größe, die nur zu hinterlegen wäre, sondern ein anvertrautes Gut - als Unterpfand (pignus) mit dem gleichen Begriff belegt wie sonst häufig der Hl. Geist! 261 - , das im Denken des Adressaten der Pflege bedarf. 262 Zur Aufgabe der Pflege, vor die die Übergabe als Unterpfand stellt, gehört, daß es häufig angeschaut (inspicere), häufig erörtert (discutere) werden soll. 2 6 3 Ambrosius verlangt darin eine geistige Beschäftigung mit dem Evangelium, zu der man vor allem die Exegese wird rechnen müssen. Die benutzten Verben (inspicere, discutere) lassen dafür einerseits an einen eher anschauend-meditativen Umgang mit dem Evangelium, andererseits an eine eher kognitiv-erörternde Verfahrenweise denken. Ambrosius verbildlicht die Schädigungsmöglichkeiten mit der Anspielung Mt 6,19f., die den gesamten nachfolgenden Passus gliedert, durch „Motte oder Rost". Wie ein kostbarer Stoff wird das Evangelium „verzehrt", wenn der Lektüre kein entprechender Glaube geschenkt wird 264 , wenn also anstelle unbedingten Vertrauens in die Richtigkeit des Gesagten klügelnder Zweifel tritt, der sich selbst zum Maßstab erhebt. Gefährdet ist das Evangelium darum zuerst durch die Motte der , die seine Einheit in Textinterpolationen und -fälschungen, vor allem aber durch gezielte inhaltliche Manipulationen zerstören will. Die matthäische Vorstellung von der Motte trifft sich hier im Bild mit der wenig zuvor geäußerten Vorstellung des Evangeliums als eines Kleides (ausgehend von Lk 23,34 par.). Schon im ganzen Abschnitt changierte der Evangeliums-Begriff zwischen der Bezeichnung für den literarischen Text und für die Summe der christlichen Botschaft, hier nun tritt angeregt von der Szene der Soldaten unter dem Kreuz, auf die Ambrosius unmittelbar zuvor zur Aufteilung des Evangeliumstoffes angespielt hatte, der Gedanke der Einheit der Evangeli 259 ι 12 (198-200): Pignus amici in penetrabilibus animi diligenter adserua, 'bonum depositum custodi per spiritum sanami, qui datus est nobis' (2 Tim 1,14)... 260 Im juristischen Kontext verpflichtet der Charakter eines depositum zur jederzeitigen Herausgabe in unversehrtem Zustand. Dieses Treueverhältnis wird als fides bezeichnet. Vgl. J. Ranft: Art.: Depositum. RAC 3 (1957) 778-784, bes. 780. Ambrosius spielt also mit der begrifflichen Ambivalenz von fides und macht durch die rechtlichen Anklänge den verpflichtenden Charakter des Evangeliums für den Adressaten deutlich. 261 Vgl. 2 Kor 1,22. Bei Ambrosius z.B. VII, 232 (2549f.); X, 126 (1173f.) u.ö. 262 I, 12f. (201-05): Fides pignori prima debetur, fidem sequitur diligentia, ne conmissa tibi pig nora tinea aut aerugo consumât; quod enim tibi conmissum est consumi potest. Euangelium bonum pignus est, sed uide ne uel in animo tuo illud aut tinea aut aerugo consumât. 263 I, 12(200f): ... frequenter inspice, saepius discute. 264 [ 13 (205f ): Consumit tinea, si quod bene legeris male credos.
Das Lukasevangelium als exegetische Aufgabe
91
umsbotschaft wieder zentral in den Vordergrund. Die Soldaten, die für die Evangelisten stehen, hatten sich diese Kleider per Losentscheid „geteilt" {dividere), „zerschneiden" (scindere) dagegen wollten sie nach der johanneischen Version dieser Szene (Joh 19,23f.), auf die sich Ambrosius hier und an der entsprechenden Stelle der Einzelauslegung bezieht, den einen Rock ausdrücklich nicht. 265 Genau diesen Begriff aber verwendet Ambrosius für das zerstörende Tun der Häretiker: Sie zerschneiden das Evangelium, indem sie das Verbum von Gott trennen. Photinus tut dies nach Ambrosius durch eine gezielte Textfälschung, eine Kürzung im Johannesprolog (Joh 1,1), also ein Abschneiden! 2 6 6 Konkret ist das Zerschneiden des Evangeliums demnach zunächst ein Herausschneiden eines Textstückes, ein Vergehen gegen die textliche Integrität des Evangeliums. Darin offenbart sich aber die grundlegende interpretatorische Fehlentscheidung der Häretiker durch die Bestreitung der Gottheit Christi. Photinus repräsentiert so die eine behauptete Möglichkeit, das Evangelium aufgrund falscher Interpretation wertlos zu machen. 267 Die zweite inhaltliche Möglichkeit der Fehlinterpretation liegt darin, das sacramentum corporis, die wahre Menschheit Christi zu verneinen.268 Hier nun fällt der N a m e des S a b e l l i u s 2 6 9 ; allerdings liegt Ambrosius ersichtlich nichts daran, die verschiedenartigen trinitarischen Häresien und ihre Vertreter deutlich voneinander abzugrenzen, lediglich durch die rhetorische Parallelisierung der inhaltlichen Auss a g e und der namentlichen Kennzeichnung häretischer „ M o t t e n " wird angedeutet, daß Arius die zuerst genannte Häresie vertritt, Sabellius letztere. T r o t z der Nennung des Sabellius steht also die F r a g e nach der wahren Gottheit Christi weiter im Mittelpunkt. Die Aktualität der ariani sehen Auseinandersetzung bestimmt so ganz das Bild; folglich wird denn auch in der terminologischen Fachsprache die Einführung zweier unterschiedener „Substanzen" k r i t i s i e r t . 2 7 0
Ambrosius kommt nun durch das Stichwort dividere dazu - die Unterscheidung von dividere und descindere ist nicht länger durchgehalten - die Häretiker durch dieses Verhalten als mit dem Teufel zusammengehörig zu kennzeichnen. 2 6 5 J J ) ( i 9 4 f ) ; V gl. dazu die Auslegung der Stelle X, 115-20, auf die Ambrosius hier vorausweist. Dort unterscheidet Ambrosius dezidiert zwischen der Aufteilung (dividere ) der Kleider (dreimal) und bringt sie mit der Verteilung der Geistesgaben (1 Kor 12,6.11) in Verbindung und dem fälschlichen und verwerflichen Zerteilen (scindere; aber auch einmal dividere) des Rockes, der mit der fides gleichgesetzt wird. I, 13 (207-11): Scindit uestimentum qui separat a deo uerbum. Scindit ueslimentum Fotimis, cum legil: 'in principio erat uerbum et uerbum erat aput deum et deus erat'; integrum enim uestimentum est, si legas: 'et deus erat uerbum' (Joh 1,1). Mit häretischen Textfälschungen rechnet Ambrosius auch konkret in den Codices der lateinischen Schrifttlbersetzungen. Spir. 2,46 ( C S E L 74, 103f.): Quod si quisde latinorum codicum varietate contendit, quorum aliquosperfidifalsaverunt, graecos inspiciat codices ... Der gleiche Vorwurf an die Arianer ferner Spir. 3,59f. ( C S E L 74, 174f.); Fid. 5,193 ( C S E L 72, 289: Interpolation). 2 6 7 I, 13 (208-16). Spir. 1,164. ( C S E L 74, 84) wirft Ambrosius Arius und Photin als häretischen „Motten" gleichfalls das Zerschneiden des ecclesiae vestimentum und des fidei velamen vor. 2 6 8 ι i 3 (216f.): Tinea est Christum cognoscere sine diuinitatis fide aut corporis sacramento. 2 6 9 I, 13 (218). 2 7 0 ι, 13 (218-22). 2 6 6
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Grundlagen der Evangeliumsauslegung
Denn was geteilt werden kann, kann nicht ewig sein und gehört zum Reich des Satans (Mt 12,25). 271 In extremer Zuspitzung kann darum der Häretiker mit dem Antichristen identifiziert werden. 272 Der entscheidende Prüfstein rechten Verständnisses ist somit die trinitarisch und christologisch angemessene Auslegung des Wirkens Jesu, die seine Gottheit wie seine Menschheit gleichgewichtig zur Geltung bringen muß, denn er ist die sachliche Mitte des Evangeliums und die „Verkörperung" des Prinzips der Einheit christlichen Denkens. Der auflösende, zerteilende Charakter der Häresie kennzeichnet sie daher nicht nur im Sinne solchermaßen christlich reinterpretierter Einheitsmetaphysik als inferior und dem Bereich des Göttli chen, Wahren nicht zugehörig, sondern in aller Schärfe als satanisch, widerchristlich. Nach dem Bildfeld vom Stoff, das vom Stichwort „Motte" evoziert war, wendet sich Ambrosius dem zweiten Bildbereich von Mt 6, 19f. zu und beschreibt die Wirkungen von „Rost" an einem Schwert. Acies steht dabei der Ambivalenz des Wortes entsprechend für die Schärfe des Schwertes und für die der geistigen Sehkraft (religiosae acies intentici nis 2 7 3 ) zugleich. In nur partiell entschlüsselter allegorischer Nachzeichnung des Bildes verdeutlicht Ambrosius, daß die zweite Gefährdung des Evangeliums von der Schwächung der eigenen Erkenntnisfähigkeit ausgeht, von geistiger Nachlässigkeit und der Einspannung in die Beanspruchungen, Verlockungen und Wertvorstellungen dieser Welt. Ihnen gegenüber gilt es wach und kampfbereit zu bleiben. 274 Darin wird die geistige Beschäftigung mit dem Evangelium, die sich um Erkenntnis bemüht, als eine ethisch geforderte Antwort auf die Zusage des Evangeliums und als Ausdruck des schon im Proömium angemahnten Gehorsams (prol 6) erkennbar.
27
' I, 13 (226f): Omne enim quod inter se diuiditw sicut Satanae regnimi non potest esse perpetuimi. Die Inferiorität und Trennung von der Wahrheit wird hier über die Polarität von Ewigkeit und Zeitlichkeit herausgestellt; argumentativ ist sie vor neuplatonischem Hintergrund der zuvor benutzten Entgegensetzung von Einheit und Vielheit äquivalent. Die gleiche Antithetik von Einheit und Ewigkeit auf der einen Seite und der Zerteilung auf der anderen (dividere) bringt Ambrosius in der Auslegung von Lk 11,17 (VII, 91-94) zum Ausdruck. Diese Einheit zeigt sich in der Trinität (VII, 92f.) und wird in der Einheit der Kirche widergespiegelt (VII, 96). Vgl. ferner Expl. Ps. 43,66 (CSEL 64, 308): ... [Pharisei] qui a iieritatis unitale diuisi sunt;phares enim interpretatur 'diuisio'. 2 2 ^ I, 13 (222-24): Patitur hanc tineam spiritus qui Iesum Christum in carne uenisse non credit et ipse tinea est; ipse est enim, inquit, antichristus (vgl. 1 Joh 4,2f.). 27 ^ I, 13 (228). Das Stichwort intentio wird also wieder aufgenommen. Es bezeichnet hier in aller Prägnanz die aufmerksame, , .scharf'- blickende Hinwendung zum Göttlichen; vgl.: ...ad diurna conitersi acuamus ingenium (232f.). I, 14 (227-39). Ambrosius verbildlicht diese Gefährdungen für die Erkenntnisfähigkeit im gleichen Bild und mit den gleichen Leitbegriffen Spir. 1, 164 (CSEL 74, 84).
Zwischenzusammenfassung
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ZWISCHENZUSAMMENFASSUNG
Ambrosius zeigt in der Auslegung des Lukas-Prologs das Bemühen um eine genaue Abwägung der einzelnen Wendungen dieses kurzen Evangelientextes. Damit kommt er der kleinschrittigen Vorgehensweise relativ nahe, die sich in der Kommentierung des Lukasprologs bei Orígenes zeigt, und die als charakteristisch für dessen Auslegen gelten kann. Der Grund für die detailgenaue Beobachtung gerade dieses Textes liegt für Ambrosius ersichtlich darin, daß er genauso wie Orígenes und entsprechend konventioneller antiker Erwartung damit rechnet, im Prolog des Werkes in besonderer Dichte über zentrale Grundsätze des Evangeliums unterrichtet zu werden. Trotz dieser Übereinstimmung ist aber schon hier zugleich auch die gedankliche Umformung erkennbar, durch die Ambrosius seine Vorlage für eine eigenständige Problemstellung verarbeitet. Denn über den ganzen Prolog hinweg stellt er sich mit beachtlicher konzeptioneller Geschlossenheit zwei eng miteinander verknüpften hermeneutisehen Fragestellungen; er behandelt, was ein „Evangelium" wesenhaft ausmacht und welche Zugangsweise und geistige Haltung aufgrunddessen für die Auslegung gefordert werden muß. Er führt damit gleichzeitig die einleitenden Überlegungen des Proömiums fort, die den spezifischen Denk- und Darstellungsmodus des Lukas zu beschreiben versuchten. Beide Abschnitte beleuchten somit die gleiche Grundfrage nach dem Wesen von Wahrheit und nach der Art und Weise, wie Wahrheit erlangt bzw. aufgenommen wird. Deshalb kreist die Interpretation um das göttliche verbum, Christus, der als Inkarnierter die christliche Wahrheit in seiner Person umschließt. Diese einheitliche Thematik leitet die Auswahl und Gewichtung der von Orígenes angeregten exegetischen Einzelbeobachtungen. Daß Ambrosius so nachdrücklich auf die geschichtliche Wirklichkeit des Inkarnierten als den Ort der christlichen Wahrheit hinweist, setzt zugleich auch sachlich einen veränderten Akzent gegenüber Orígenes, für den eine höhere Erkenntnis des Logos, die das Geschichtliche gerade überwindet, das Ziel ist. Daraus ergibt sich dann auch eine veränderte Gewichtung der von Orígenes angeregten Einzelbeobachtungen. Aus diesem Grund blendet er die bei Orígenes behandelten allgemeinen Erkenntnisfragen, beispielsweise die prinzipielle Unterscheidung von aistheta und noeta mit all ihren möglichen Erscheinungs formen, aus und prägt dessen Unterscheidung von Theorie und Praxis, die an verschiedenen Typen von Wissenschaften expliziert war, um. Dabei beschränkt er sich allein auf das engere Thema der Christuserkenntnis, um hier zu klären, worin der eigendiche Grund des Erkennens liegt, und wie wahres Erkennen zur Ursache eines entsprechenden Handelns werden kann. Die tiefere Zielrichtung, die Ambrosius mit dieser Frage verfolgt, zeigt sich im weiteren gedanklichen Gefälle des Abschnitts. Denn er widmet sich im Kern der Problemstellung, wie es im Falle des Lukas aus dem Zusammenwirken zwischen der befruchtenden
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Grundlagen der Evangeliumsauslegung
Einwirkung des Hl. Geistes und dem schriftstellerischen Tun des Evangelisten zur Erstellung eines „wahren" Evangeliums kommt. Allein aus dieser Perspektive werden Modus und Maßstab für eine gültige Christuserkenntnis und für deren Umsetzung in eigenes Tun zum Thema. Ambrosius liegt folglich daran, das Lukasevangelium als „echtes" Evangelium nicht mehr allein dadurch zu erweisen, daß er auf seine Kanonisierung hinweist. Vielmehr versucht er anhand seines Charakters abzulesen, welches die sachlichen Merkmale seiner Echtheit im Unterschied zu den falschen Evangelien der Häretiker sind, und nach welchen Kriterien damit über die „Wahrheit" der Verkündigung Christi in den Evangelien zu urteilen ist. Ambrosius sucht daher in diesem Abschnitt eine gegenüber Orígenes gänzlich eigenständige Lösung. Er entwickelt mit der Blickrichtung auf das „Wollen" des Evangelisten (Lk 1 3 ) die Einsicht, daß das Erkennen des Menschen als ein Empfangen verstanden und insofern als notwendig rezeptiv geformt begriffen werden muß. Er verweist darauf, daß Erkennen wesenhaft Hören bedeutet und darum vom Menschen allein die Bereitschaft verlangt, sich ansprechen zu lassen. Erst ein solches Erkennen vermag zum Antrieb rechten Tuns zu werden. Das schriftstellerische Wollen des Lukas erweist sich aufgrund dieser Rezeptivität als durch das göttliche Wollen geleitet und getragen. Die darin vorgestellte Spannungseinheit von angestrengter aber dabei gänzlich rezeptiver Erkenntnisbemühung erwächst aus der Einsicht in die sich frei schenkende Offenbarung des verbum und prägt das Ambrosianische Erkenntniskonzept durchweg. Ambrosius faßt diesen Gedanken in den Begriff der intentio. Daß Lukas durch eine solche intentio geprägt ist, erklärt, daß sein Wollen, ein Evangelium zu schreiben, einen Zuspruch von außen aufnimmt und weiterträgt, also nicht eigenmächtig ist. Diese spezifische Formierung der menschlichen Geistigkeit in der intentio beschreibt also den empfangenden Kontakt mit dem Wahren, der als unterscheidender Maßstab für die wahre Evangelienproduktion im Gegensatz zu den Bemühungen der Häretiker fungiert und der in gleicher Weise über eine angemessene und tragfähige Rezeption des Evangeliums in der Auslegung entscheidet. In seiner Hörbereitschaft öffnet sich der Evangelist dafür, daß sich ihm die Wahrheit aus eigener Wirksamkeit aktiv mitteilt. Ambrosius verbildlicht dies als befruchtenden Strom des Geistes, der den Evangelisten erreicht. 2 7 5 Daß ein Evangelium wahr ist, ist nur dadurch möglich, daß sein
Das Bild und die Vorstellung des geistigen Stroms begegnet bei Ambrosius wiederholt. So erscheint der Paradiesstrom als verbum dei, das die Seele des Menschen „bewässert", Expl. I^s. 45,12 (CSEL 64, 337): Est et fluuius qui de Eden exit et circuit uniuersam terram, uerbum dei quoparadisus intellegibilis inrigatur et omnis anima uocatur ad gratiam Christi... Die Metaphorik der Bewässerung mit den Motiven von Tau, Regen, Quelle und Wasser im allgemeinen prägt beispielhaft die Vorstellung von der Wirkung Christi durch sein Wort, besonders durch die Schrift Spir. 1,6-9 (CSEL 79, 18f.). Der Tau, der das Vlies des Gideon (Ri 6,36ff.) benetzt, wird ferner als Wort Gottes gedeutet Vid. 17-19 (PL 16, 253A-C). Weitere Verbildlichungen der Schrift als Wasser sind gesammelt bei Pizzolato, Dottrina 36-39.
Zwischenzusammenfassung
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Autor von der Wirksamkeit des Geistes getragen wird, der ihm die gesta und dicta Christi übermittelt, der also dem Evangelium die Gegenwart Christi - und in ihm die Wahrheit selber - zueignet. Da die Wahrheit des Evangeliums also geistlicher Art ist, muß dessen Auslegung gleichfalls stets geistlich sein. Denn nicht anders als den Evangelisten muß auch dessen Adressaten der gleiche geistige Strom erreichen, wenn seine Erkenntnis tragfähig sein soll. In einer Weise, die der Gabe der Wahrheit Christi an den Evangelisten entspricht, ist auch das Evangelium zuerst ein Geschenk an die Adressaten, das nur angenommen werden muß. Die auslegerische Beschäftigung mit dem Evangelium erwächst aber zugleich als notwendige Aufgabe daraus, daß es dem Adressaten anvertraut ist und analog depositarischer Verwahrung den Anspruch in sich trägt, vor Schädigung geschützt zu werden. Das Proömium zur Expositio (prol 6) formuliert diesen Anspruch prägnant als Notwendigkeit zu einer Exegese aus dem Gehorsam. Dieser Gehorsam prägt sich vorbildhaft in der demütigen Darstellungsweise des Lukas aus, der nur Christus abbilden will, ohne Eigenes heranzutragen. Sie ist das Vorbild für das Denken des Auslegers. Darin ist zugleich eine wesentliche Kennzeichnung der Rolle des Auslegers mitgesetzt. Demi die universale Zielrichtung des Evangeliums und der weiterreichende Strom des Geistes lassen deuüich werden, daß der Ausleger selbst ein besonderer, gleichsam stellvertretender Adressat des Evangeliums ist - ebenso wie Ambrosius die Lektüre und geistige Auseinandersetzung mit den „falschen Evangelien" gleichfalls stellvertretend als seine Aufgabe wahrnimmt (vgl. 1 , 2 ) - , dem für das Weiterwirken des Evangeliums auf die übrigen Adressaten, also auf die Gemeinde, die wichtige Brückenfunktion eines Vermittlers zuwächst. Seine Aufgabe und seine Verantwortung ist es, den geistigen Strom nicht abreißen zu lassen. Schon das Bild vom geistigen Strom deutet somit auf die sachlich notwendige Verknüpfung von Auslegung und Verkündigung hin. 276 Um so mehr bedarf es einerseits seines Gehorsams gegenüber dem Text 276 £)je hier erkennbare Vorstellung eines durch die Schrift weiter wirkenden und weiter führenden geistigen Stromes, der den Ausleger - und in seiner Verkündigung auch dessen Adressaten befruchtet, formuliert Ambrosius ausdrücklich in Ep. 36. Der Brief stellt eine grundlegenden Instruktion Uber Auslegung und Verkündigung für den jüngst in sein Amt eingeführten Bischofskollegen Constantius dar (s. Zelzer, Apparat z. St.) und hat damit programmatischen Charakter. Ambrosius beschreibt hier den Zusammenhang von Schriftlektüre, Auslegung und Verkündigung durchgehend in der Metaphorik der geistigen Bewässerung (irrigare). Vgl. bes. Ep. 36,2-4 (CSEL 82/2, 3-5): Sunt enim 'flumina' quae 'de ventre eius fluent', qui potum a Christo acceperitet 'de spiritu' dei sumpserit (vgl. Joh 7,38f.). Haec ergo 'flumina' cum redundant spiritali gratia elevant 'vocem suam' (vgl. Ps 92,3) ... Ex huiusfluminisplenitudine quicumque acceperit, sicut lohannes evangelista, sicut Petrus, Paulus, elevat 'vocem suam', et sicut apostoli evangelicae praedicationis vocem 'usque in' totes 'fines orbis terrarum' (Rom 10,18) canoro diffuderuntpraeconio, ita et iste incipit evangelizare 'dominum lesum' (Apg 11,10). Accipe ergo a Christo, ut tous sonus exeat. ... Sunt ergo et fluvii dulces atque perspicui, sunt et fontes nivei, qui 'saliant in vitam aeternam' (Joh 4,14). Sunt et 'sermones boni sicut favi mellis' (Spr 16,24) et gratae sententiae, quae ánimos audientium spiritali quodam poto irrigem ... Collige aquam Christi illam quae 'laudai dominum' (Ps 148,4). ... Quicumque colligit de montibus aquam atque ad se trahit vel haurit e fontibus, et ipse rorat sicut niîbes. Imple ergo gremium mentis tuae, ut terra tua humescat et domesticis irrigetur fontibus. Ergo qui nudta legit et intellegit impletur, qui fuerit impletos alios rigat.
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Grundlagen der Evangeliumsauslegung
und der Botschaft des Evangeliums und andererseits der Klarstellung der Kriterien für den Umgang mit der Schrift, um sie der Gemeinde nachvollziehbar vorzustellen. Mit dem einleitenden Proömium der Expositio und der Auslegung des LukasPrologs ist damit gleichzeitig das exegetische Programm des Bischofs in seinen Grundzügen umrissen. Ambrosius vermag über die Vorstellung eines geistigen Stromes, der das Denken befruchtend erreicht, die Notwendigkeit eines spezifisch exegetischen Denkens - mindestens im Ansatz - zu begründen, das sich dem Zuspruch und Anspruch der Wahrheit öffnet und im Gehorsam begegnet. Wie der Evangelist, so wird auch der Ausleger sich gespannt-rezeptiv seiner Aufgabe widmen müssen, d.h. sich für Christus, der ihm als Wahrheit im Evangelium begegnet, öffnen und sich i lim gehorsam unterstellen müssen. Wahrheit ist durch die Person „Christus" vorgegeben. Darum wird sie von Ambrosius von vornherein durch eine erste dogmatische Festlegung näher bestimmt, die sich gegen die Häresie abgrenzt: Christus steht als Inkarnierter in der personhaften Zusammenfügung von Gott und Mensch vor Augen. Dementsprechend ist die Unterscheidung zweier Naturen Christi ein erstes inhaltlichdogmatisches Korrektiv aller Schriftauslegung (vgl. 1,4).
II. ANWENDUNG UND AUSGESTALTUNG DER AUSLEGUNGSGRUNDSÄTZE IN DER LUKANISCHEN VORGESCHICHTE
An die Auslegung des lukanischen Prologs schließt mit 1,15ff. die eines ersten erzählerischen Komplexes, der Ankündigung der Geburt des Täufers, an (Lk 1,5-23.39-44), die das gesamte I. Buch übergreift. Durch einen abschließenden Vorgriff auf Elisabets Begegnung mit Maria (Lk 1,42.44) am Schluß des Buches (1,46), der in kontrastierender Gegenüberstellung beider Frauen die Bedeutung ihrer Schwangerschaft mit Johannes aufscheinen läßt, erreicht Ambrosius in der gedanklichen Komposition eine Abrundung der Ereignisse um die Ankündigung des Täufers. Er markiert so einen gliederungstechnischen Einschnitt gegenüber der im II. Buch folgenden Auslegung der Ankündigung der Geburt Jesu. Darin gliedert er beide in der lukanischen Vorgeschichte verwobenen Ankündigungen auf. In vielen Einzelheiten sind aber schon beziehungsreiche Vorausverweise auf die folgende Ankündigung Christi hergestellt. Die Verheißung des Täufers ist sogar über ganze Abschnitte hinweg als deren interpretatorische Folie gestaltet, so daß die abschließende Begegnung der beiden Mütter gleichsam einen Doppelpunkt vor diese Geschehnisse setzt. Ambrosius greift folglich die kompositorischen Linien des Lukasevangeliums auf. Dementsprechend weist das I. Buch eine großräumigere Disposition auf, deren gedanklicher Zusammenhang bis in das II. Buch hineinreicht, wo mit Christi Geburt (Lk 2) der Zielpunkt der Auslegung, von dem aus ihre Blickrichtung bestimmt ist, erreicht wird. Darum lohnt es, nachdem zunächst versucht wird, das I. Buch als in sich geschlossene und verständliche Einheit zu begreifen, in einem zweiten Schritt den weiterführenden Verbindungslinien, Spiegelungen und Korrespondenzen innerhalb des II. Buches nachzugehen. Der Vergleich mit Orígenes muß - wenn auch nicht mehr in gleicher Ausführlichkeit - die Analyse der Ambrosianischen Auslegungen weiter begleiten.
1. EHE ANKÜNDIGUNG DES TÄUFERS ALS BEGEGNUNG MIT DER CHRISTUSBOTSCHAFT
In der Auslegung der Vorgeschichte des Täufers werden die anläßlich des Prologs gewonnenen Grundbestimmungen exegetischer Denkweise zur Anwendung gebracht und zugleich durch die Motive der Erzählung weiter konkretisiert und ausgestaltet. Anlaß dazu bietet für Ambrosius vor allen Dingen, daß in der
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Anwendung und Ausgestaltung der Auslegungsgrundsätze
Engel Verkündigung an Zacharias die Begegnung mit der Christusbotschaft in exemplarischer Weise ein erstes Mal dargestellt ist. Zudem setzen die mit diesem Geschehen verbundenen Motive von Schweigen und Sprechen erneut seine Überlegungen zu den Kennzeichen und Grundanforderungen religiösen Redens frei.
1.1. Die Rückbindung der Christusbotschaft an das Alte durch Johannes den Täufer (1,15-21)
Testament
Der Neuansatz der Kommentierung beim Anfang der lukanischen Erzählung (Lk l,5f.) wird durch einen thetischen Vorsatz eingeleitet, der die intendierte Hauptrichtung der folgenden Einzelauslegung vorgibt. Mit ihm eröffnet Ambrosius von vornherein eine über den Einzelvers hinausreichende Perspektive der exegetischen Betrachtung: Docet nos scriptura diuina non solum mores in his qui praedicabiles sunt, sed etiam parentes oportere laudari, ut ueluti transmissa immaculatae puritatis haereditas in Iiis quos uoluinus laudare praecellat. Quae enim alia intentio hoc loco sancti euangelistae nisi ut sanctus Iohannes Baptista nobilitetur parentibus miraculis moribus muñere passione?1 Diese grundsätzliche Vorüberlegung, die die anstehenden Verse in einen weiter gefaßten Kontext einordnet, ist ohne Parallele bei Orígenes. Während sich Orígenes für die Eltern selbst interessiert und seine 2. Lukas-Homilie 2 sich ganz allein ihnen widmet, dient die Betrachtung der Eltern bei Ambrosius letztendlich der Charakterisierung des Täufers. Seine Auslegung ordnet die lukanischen Verse gedanklich in eine großräumigere exegetische Betrachtungsweise und Darstellungskonzeption ein. Die Beschäftigung mit den Eltern entfaltet nämlich das erste Element einer fünfgliedrigen Laudatio des Johannes, die daneben erstaunliche Taten, Lebenswandel, Amt sowie Leiden und Sterben umfaßt.3 Als selbstverständlich unterstellt Ambrosius darin Lukas ein rhetorisches Gliederungsschema, wie es sich aus den möglichen Elementen des Lobs ergibt, die Quintilian im 3. Buch seiner Institutio Oratoria für die epideiktische Rede anführt.4 So zeichnen Priester'
I, 15 (244-49). Der Begriff intentio ist hier im technischen Sinne als Äquivalent des Griechischen σ κ ο π ό ς gebraucht.
2
G C S 49, 12-18. Die Homilie setzt erst mit der Auslegung des Verses L k 1,6 ein und behält die enge, allein auf den Einzelvers gerichtete Perspektive bei, so daß sich wiederum die einleitenden allgemein gehaltenen Reflexionen des Ambrosius, die den Vers in einen größeren Zusammenhang stellen und sich abermals der hermeneutischen Fragestellung besonders widmen, als sein spezifisches Gedankengut erweisen.
3
Die einzelnen hier angesprochenen geliendarstellung an verschiedenen A l l e wesentlichen Elemente werden Person und sein Wirken vorstellt, von
4
V g l . Quint. Inst. III 7,10-18. Quintilian unterlegt für die Lobrede eine zeitliche Grundgliederung und führt zuerst „Vaterland, Eltern und Vorfahren" (III 7,10) als wichtigen Hintergrund und Gegenstand persönlichen Ruhms an. A l s zweites werden im Zusammenhang mit der Geburt Ruhm verheißende Orakelworte oder Vogelzeichen genannt ( I I I 7,11). A m j e w e i l i g e n Menschen selber können dann Geist, Körper, Glücksgaben, edle Taten, Bewährung auch in
Momente werden entsprechend dem A b l a u f der EvanPunkten wieder aufgegriffen ( v g l . II, 67-75; V, 93f ). jedoch schon anläßlich der Engelbotschaft, die seine Ambrosius behandelt.
Die Ankündigung des Täufers als Begegnung mit der Christusbotschaft
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schaft und Herkunft des Vaters Zacharias zwar auch ihn selbst, damit aber vor allem Johannes als nobilis aus, und die Abstammung der Elisabeth von Aaron läßt dessen nobilitas auf eine noch längere Ahnenreihe zurückblicken; wie bei Quintilian als beispielhaft angegeben, sind so parentes und maiores zu seiner Ehrung aufgeboten.5 Die besondere Form der nobilitas des Johannes besteht allerdings nicht - nach rhetorischer Topik - in weltlicher Macht- und Ehrenstellung, sondern in der Nachfolge der Frömmigkeit (successio religionis).6 Damit beschreibt Ambrosius eine zunächst in der Person des Johannes faßbare Kontinuität zum alttestamentlichen Heilsgeschehen7, die in ihrer Formulierung an die paulinische Vorstellung einer Nachkommenschaft im Glauben (vgl. Rom 4,1 Iff.; Gal 3,6) anklingt.8 Die Ahnenreihe legitimiert so zuerst den Prediger Johannes und trägt damit zur Glaubwürdigkeit seiner Verkündigung bei. Sie dient nämlich nach Ambrosius dazu, seine Predigt von Christi Ankunft nicht als einen kürzlich gewonnenen, sondern als schon von den Vorfahren übernommenen Glauben auszuweisen. 9 Ambrosius nutzt also die Information über Johannes' Eltern für eine Reflexion, die die Glaubwürdigkeit des Redenden für die Verkündigung des Neuen als rhetorisches argumentum a persona dienstbar macht.10 Die von Ambrosius hervorgehobene Verwurzelung der Christuspredigt im alttestamentlichen Glauben, die in der Person des Johannes sichtbar wird, bereitet die nachfolgenden Auslegungen vor. In ihnen wird nämlich die Rückbindung der Christusbotschaft an das Alte Testament konstitutiv werden für die MögGlück und Reichtum, in der Nutzung von Macht und Einfluß, und schließlich die Tugenden, geordnet nach ihren Erscheinungsformen usw., Gegenstand des Lobes sein (III 7,13ff ). Bei all dem steht je nach dem jeweilig besonderen Fall eine große Breite und Flexibilität zur Verfügung. Eine entsprechende Schematisierung bleibt in der Spätantike in Gebrauch, wie beispielhaft der Panegyrikus des Symmachus auf Kaiser Valentinian I (Sym. or. 1,1-3 [Pabst 48-50]) zeigt. Ambrosius kann darum die Vertrautheit seines Publikums mit einem solchen Schema voraussetzen. 5 Die Behandlung der Heimat und der Eltern stellt Ambrosius als konventionelle Themen der Laudatio ferner Virgb. 1,20 (Cazzaniga 10) dar: In laudationibus solet patria praedicari et parentes, ut commemoratione auctoris dignitas successionis exaggeretur... ; vgl. auch Serv. Aen 1,1 (Thilo-Hagen 4): intentici Vergilii haec est, ... Augustwn laudare aparentibus. Ambrosius vermag zudem für die rhetorische Praxis einer mit den Eltern beginnenden Laudatio das Lob Samuels und Isaaks als biblische Beispiele anzuführen (I, 15 [249-51]). ® I, 16 (253-56). Ähnlich spricht Ambrosius beim Beispiel Isaaks von dessen nobilitas pietatis ; I, 15 (251 f.). η In diese Richtung weist ferner die typologische Identifizierung des Johannes mit dem Gesetz in II, 68 und V, 94 sowie seine Einreihung unter die Propheten II, 69; vgl. V. Hahn, Gesetz o 23-30. Diese Form der Nachkommenschaft ist für Ambrosius Gegenstand der Täuferpredigt in II, 75. 9 1,16 (257-59): Tales enim maiores habere debuit praenuntius Christi, ut non repente conceptam, sed a maioribus acceptant et ipso infusant iure naturae praedicare fidem dominici uideretur aduentus. Diese zweigestufte Funktionalisierung der Beschäftigung mit den Eltern zunächst für eine laus Iohannis, die sodann ihrerseits als rhetorisches Argument a persona benutzt wird, ist nicht erkannt von Pizzolato, Dottrina 141. Für ihn unterlegt Ambrosius ein biographisches Schema, das das Bemühen des Lukas um eine möglichst vollständige Information (diligentia) zeige und seiner historiographischen Vorgehensweise entspreche. Damit ist aber nicht getroffen, daß Ambrosius die Aussageabsicht des Evangelisten ausdrücklich als laus Iohannis apostrophiert.
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Anwendung und Ausgestaltung der Auslegungsgrundsätze
lichkeit, die Eingelbotschaft an Zacharias und später an Maria angemessen zu verstehen. Das Alte Testament erweist sich dort als entscheidender Interpretationshintergrund für das Neue. 11 Daß sich die Christusverkündigung für Ambrosius von Anfang an in der Person des Johannes der Anknüpfung an anerkannt gültige Traditionen bedient, um Glaubwürdigkeit erzielen und überzeugend wirken zu können, richtet das Augenmerk auf die Wirkungsmöglichkeiten der Verkündigung bei den Adressaten und weist auf die Bedingungen hin, unter denen Verkündigung diese zu erreichen vermag. Ambrosius greift die rhetorische Einsicht auf, daß eine überzeugende Rede der Anknüpfung an das Selbstund Weltverständnis der Adressaten bedarf, also ihre Rezeptionsvoraussetzungen berücksichtigen muß.12 Insofern erlangt, was durch Johannes historisch gegenüber den Israeliten geschieht, Modellcharakter für die Verkündigung und Predigt insgesamt. Bereits an diesen ersten Sätzen, die der an Orígenes angelehnten Detailbetrachtung vorangehen, wird der eingangs skizzierte exegetische Zugriff auf die lukanische Vorgeschichte genauer erkennbar. Noch vor dem Einstieg in die Einzelerklärung spannt Ambrosius mit der Zuordnung des Verses Lk 1,5 zur Laudatio des Johannes den Horizont der Auslegung weit aus. Er strukturiert die Auslegung der anstehenden Verse zu einem ansteigenden, mehrgipfligen Panorama, als dessen Klimax und Fluchtpunkt schon liier die Inkarnation Christi, die im II. Buch besprochen wird, erkennbar ist. Erster Gipfelpunkt der Erklärung ist nämlich der Inhaltskern der Engelbotschaft an Zacharias: Johannes. Dieser wiederum ist schon hier allein in seiner Funktion als praenwitius gesehen und gewinnt Bedeutung ausschließlich durch den Inhalt seiner Verkündigung: Christus. Die successio religionis des Johannes konkretisiert sich in der nachfolgend ausgelegten Heiligkeit seiner Eltern (Lk 1,6). Mit der Überleitung zur Einzelerklärung greift Ambrosius an dieser Stelle (I, 17) wieder auf Orígenes zurück. Orígenes wirft in der Frage der Gerechtigkeit der Eltern das Problem möglicher Sündlosigkeit auf, der Hiob 14,4f.: „Niemand ist rein von Makel..." entgegengehalten wird. 13 Dagegen belegt ihm Eph 5,25.27, die,.Kirche ohne Makel und Runzeln", grundsätzlich die Möglichkeit zur Sündlosigkeit. Er löst die Schwierigkeit durch die Status-Frage, ob Sündlosigkeit als qualilas absoluta oder assumptiva verstanden werden muß. 14 Demi daß jeder „einmal" sündigt, hält er für kaum zu bestreiten, stellt dem aber ein Verständnis entgegen, daß die Sündlosigkeit als ein ,Aufhören-zu-Sündigen' begreift. 15 Zacharias und Elisabet stehen paradigmatisch für dieses Bemühen.16
11 12
13 14 15 16
Vgl. I, 39 (s.u. 123); II, 15-18 (s.u. 142Γ). Lausberg, Handbuch §§326f.367 β . δ . Ambrosius widmet sich diesem Zusammenhang ausführlich VI, 93-109, s.u. Kap. V, 277ff. I, 17(260-65). Vgl. LcHom. 2 (12,5-10). Lomiento 45f. LcHom. 2 (12,18-13,2). Vgl. Lomiento 46. LcHom. 2 (13,5-11.24-29). Zum Problem vgl. Völker 162ÍT.
Die Ankündigung des Täufers als Begegnung mit der Christusbotschaft
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Ambrosius übernimmt die Fragestellung und den Lösungsansatz bei Eph 5,25. Besonders nachdrücklich kritisiert er aber prinzipiell und vor einer Einzelerörterung Form und Ziel der abzuweisenden Argumentation mit Hi ob 14,4. Denn er erkennt in diesem Einwand nichts anderes als den Versuch, mittels einer allgemeinen exegetischen Bestreitung der Möglichkeit von Sündlosigkeit eigenes Fehlverhalten zu decken 17 , unterstellt also eine unlautere exegetische Absicht und sachfremde Motivation. Die kritisierte Art der Argumentation scheint in seiner Sicht eine exegetische Verfahrensweise zu implizieren, die zwei biblische Aussagen des Alten und Neuen Testaments ausschließlich in der Absicht gegenüberstellt, ihren inneren Widerspruch aufzudecken und demzufolge eine der beiden Aussagen als unrichtig auszuscheiden. 18 In Ambrosius' eigener Methode der Kombination von unterschiedlichen Bibelstellen (gleichfalls aus beiden Testamenten) ist demgegenüber schon in den wenigen analysierten Abschnitten deutlich geworden, daß er im Hinblick auf die Einheit der Wahrheit und ihrer Offenbarungsäußerungen (vgl. prol 2-5; I, 2) mit einer langen Tradition die prinzipielle Widerspruchsfreiheit der Schrift voraussetzt. 19 Sein Vorgehen ruht darum auf dem erkennbaren Willen, stets beide Aussagen gelten zu lassen. Wie Orígenes verlangt Ambrosius eine genaue Klärung des Begriffs der Sündlosigkeit. 20 Er will sie - zunächst zeitlich näher bestimmt - als Wirkung eines fundamentalen Wechsels der Lebenssituation von den vilia zur virtus verstanden wissen. 21 Gedanklich von Eph 5,25 ausgehend, erläutert Ambrosius Sündlosigkeit an der Kirche als kollektiver Größe. Er weicht damit angesichts der im Anschluß erörterten prinzipiellen Anfälligkeit menschlichen Urteils über einen Mitmenschen (I, 18) von einer psychologisierenden Betrachtung der Entwicklung eines Einzelnen und den damit verbundenen grundsätzlichen Problemen für die Anthropologie auf das Feld der Heilsgeschichte aus. Als Heidenkirche per definitionem aus Sündern hervorgegangen, liefert ihm die Kirche historisch verbürgt und nachprüfbar den Beleg für einen solchen Wechsel. Über sie steht ihm zugleich mit der genanten Epheserbrief-Stelle ein gültiges Urteil aus dem Munde des Paulus als exegetische Absichening zur Verfügung. Mit der ekklesiologischen Argumentation verlagern sich auch die inhaltlichen Schwerpunkte gegenüber Orígenes. Im Zentrum steht nunmehr Gottes Gnade, 17
1 , 17 (262): peccatissuis solatiapraeferentes ... 1o Es ist dies die Methode der Antithesenliteratur, wie sie Marcion oder Apelles übten; vgl. A. v. Harnack: Sieben neue Bruchstücke der Syllogismen des Apelles. (TU 6,3) Leipzig 1890, 111120. Mit letztgenanntem setzt sich Ambrosius noch in der Auslegung der Paradiesgeschichte auseinander; vgl. Savon, Exégèse I 32-35. Hier jedoch liegt das strittige Problem nicht eigentlich in der grundsätzlichen Übereinstimmung von Altem und Neuem Testament, sondern stellt sich durch die Form, wie biblische Stellen Uberhaupt gegeneinander ausgespielt werden und welche Absicht darin erkennbar wird. 19 Die Vorstellung der Irrtumslosigkeit und Widerspruchslosigkeit der Schrift gründet im Inspirationsgedanken. Ambrosius teilt diese Einschätzung mit seinem Vorbild Orígenes; vgl. Hanson, Allegory 191 ff.; R. Gögler: Zur Theologie des biblischen Wortes bei Orígenes. Düsseldorf 1963, 295ff.; H. de Lubac: Geist aus der Geschichte. Das Schriftverstandnis des Orígenes. Einsiedeln 1968, 347ff., bes. 364ff. 20 I, 17 (265-273). 21 I, 17 (272-75).
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Anwendung und Ausgestaltung der Auslegungsgrundsätze
die sich konkret in der Taufgnade realisiert, als Ermöglichungsgrund und Ursache kirchlicher Sündlosigkeit. Sie ist keine Möglichkeit der menschlichen Natur als solcher, vielmehr wird in der Taufe eine qualitas non peccandi als Möglichkeit, nicht mehr zu sündigen, zugeeignet. 22 Erst im Riickschluß von der Kirche als korporativer Größe auf das Einzelgeschehen an jedem ihrer Mitglieder kann das Beweisziel, nämlich die Möglichkeit zu einem fundamentalen Wechsel der Lebenssituation hin zu einem Zustand der Sündlosigkeit, erreicht werden. Durch das erneute Zitat des Verses untergliedernd eingeleitet, gilt der anschließende Auslegungsdurchgang der Näherbestimmung der Gerechtigkeit der Eltern „antedeum". In dieser Zufügung erkennt Ambrosius eine wichtige Präzisierung (non otiose, et bene) des Gerechtigkeitsbegriffs, denn Gottes Urteil unterscheidet sich von dem der Menschen dadurch, daß er ins Herz, nicht nur auf das Gesicht blickt. 23 Menschliches Urteil bleibt dagegen immer anfällig für die Täuschung, kann doch eine nach außen gezeigte Güte sehr wohl gekünstelt (