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German Pages [143] Year 2022
Schriften zum Internationalen Privatrecht und zur Rechtsvergleichung
Band 53
Herausgegeben im European Legal Studies Institute / Institut für Europäische Rechtswissenschaft / Institut pour le droit en Europe der Universität Osnabrück von Professor Dr. Dr. h. c. mult. Christian von Bar, FBA, MAE, Professor Dr. Christoph Busch, Professor Dr. Hans Schulte-Nölke, MAE, und Professor Dr. Dr. h. c. Fryderyk Zoll
Simon Schmollmann
Chancen und Grenzen der quantitativen Rechtsvergleichung
V&R unipress Universitätsverlag Osnabrück
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Veröffentlichungen des Universitätsverlags Osnabrück erscheinen bei V&R unipress. © 2022 Brill | V&R unipress, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-7041 ISBN 978-3-7370-1414-4
Inhalt
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil 1: Einführung in die »Legal Origins«-Forschung und die statistische Auswertung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Statistische Methoden in der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . B. Die Wiege der statistischen Auswertung des Rechts: Die »Law and Finance«-Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. »Law and Finance« von 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangspunkt und konzeptionelle Beschränkungen der »Law and Finance«-Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Dichotomie zwischen Common Law und Civil Law als Prämisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Konzeptionelle Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . (1) Auswahl der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Beschränkungen bei der Betrachtung des Rechts . . . . . b) Der »Anti Director Rights«-Index von 1998 . . . . . . . . aa) Proxy by mail allowed (Briefwahl) . . . . . . . . . . . . . bb) Shares not blocked before meeting . . . . . . . . . . . . cc) Cumulative voting or proportional representation . . . . (1) Das einfache Stimmrecht (straight voting) . . . . . . . . (2) Kumulatives Stimmrecht (cumulative voting) . . . . . . . dd) Oppressed minority (Unterdrückte Minderheit) . . . . . . (1) Gerichtliche Maßnahmen gegen Entscheidungen . . . . . (2) Abfindungsanspruch (right of appraisal) . . . . . . . . . ee) Preemptive rights (Vorzugsrechte) . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
ff)
Mindestkapital zur Einberufung einer außerordentlichen Aktionärsversammlung (percentage of share capital to call an extraordinary general meeting) . . . . . . . . . . gg) »One share – one vote« und »mandatory dividend« . . . hh) Zusammenfassung der Variablenkomposition des ADRI . c) Der ökonometrische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ökonometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Übertragung auf die Studie »Law and Finance« . . . . . cc) Das Ergebnis der Regressionsanalyse . . . . . . . . . . . (1) Erster Regressionslauf (basic regression) . . . . . . . . . (2) Zweiter Regressionslauf unter Einbeziehung weiterer Variablen (shareholder and creditor rights) . . . . . . . . 2. Zusammenfassung der Studie »Law and Finance« . . . . . . . II. »The Law and Economics of Self-Dealing« von 2008 . . . . . . . 1. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangspunkte der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das wirtschaftliche Modell hinter der empirischen Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die rechtlichen Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Der fiktive »Self-Dealing«-Fall . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Kategorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Der revidierte ADRI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Dichotomie zwischen Common Law und Civil Law . b) Die ökonometrische Auswertung . . . . . . . . . . . . . aa) Einzelindikatoren der Kapitalmarktentwicklung . . . . . bb) Auswertung der Stellvertreter-Variablen anhand der Indizes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Korrelation mit dem »Ex Ante Private Control«-Index . . (2) Korrelation mit dem »Ex Post Private Control«-Index . . (3) Korrelation mit dem »Self-Dealing«-Index . . . . . . . . cc) Untersuchung des statistischen Zusammenhangs zu den Rechtsfamilien und Rechtstraditionen . . . . . . . . . . . c) DLLS-Folgerungen aus der Studie . . . . . . . . . . . . . aa) Methoden zur »Bemessung« des Aktionärsschutzes . . . bb) Implikationen für die Interpretation der »Legal Origin« . cc) Folgerungen für gesetzgeberische Strategien . . . . . . . 2. Zusammenfassung der Studie »The Law and Economics of Self-Dealing« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Evolution und Dimension der »Legal Origins«-Theorie . . . . .
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Inhalt
Teil 2: Die statistische Auswertung des Rechts, zugleich eine Kritik an »Law and Finance« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Methode der Quantifizierung des Rechts . . . . . . . . . . . I. Phase 1: Die Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes . 1. Das Problem der Inkommensurabilität der Probleme . . . a) Prinzipal-Agent-Probleme in einem börsennotierten Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zielkonflikt zwischen Unternehmensführung und Aktionären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zielkonflikt zwischen Minderheiten- und Mehrheitsaktionären . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Übrige Zielkonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Der durch LLSV adressierte Zielkonflikt: Unternehmensführung / (Minderheiten-)Aktionär . . b) Zwischenergebnis zur Inkommensurabilität der Zielkonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Lösung über die Bildung von Subindizes . . . . . . . bb) Der verbindende Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswahl der Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsquellen und Rechtswirklichkeit . . . . . . . . . aa) Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtswirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auswahl der Rechtsquellen im Fall der »Rechtszersplitterung« . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung zur Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Phase 2: Erstellung der Variablen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Definition der Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Anzahl der Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundregeln der Definition der Variablen . . . . . . aa) Mehrdeutigkeit vermeiden . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Variable »proxy by mail allowed« . . . . . . . . . (2) Die Variable »shares not blocked before meeting« . . bb) Das Problem der Voreingenommenheit (home bias) . (1) Die Meta-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) »Law and Finance« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Entscheidungsgewalt oder decision-making powers . (bb) Macht über die Festlegung der Tagesordnung oder Agenda-setting powers . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(b) »The Law and Economics of Self-Dealing« . . . . . . . . (2) Die Mikro-Ebene der Variablen-Definition . . . . . . . . (3) Zusammenfassung des Problems der Voreingenommenheit (home bias) . . . . . . . . . . . . . (4) Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Äquivalenzprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das »Unterschiedliche Regeln«-Problem . . . . . . . . . (2) Das »Identische Regeln«-Problem . . . . . . . . . . . . . (3) Lösung der Äquivalenzprobleme . . . . . . . . . . . . . . dd) Das Komplexitäts-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Variable »oppressed minority« . . . . . . . . . . . . (2) Die Variable »proxy by mail allowed« . . . . . . . . . . . c) Disponibilität des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Dispositives Recht und zwingendes Recht . . . . . . . . . (1) Default rules und zwingendes Recht . . . . . . . . . . . . (2) Differenzierung innerhalb des dispositiven Rechts . . . . (a) Generelle und spezielle Disponibilität . . . . . . . . . . . (b) Stellungnahme zum Grad der Disponibilität . . . . . . . bb) Zusammenfassung der Probleme zur Wahl der Disponibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zusammenfassung der Grundsätze der Variablen-Definition . III. Phase 3: Die Kodierung der Variablen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kodierungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewichtung der Variablen und ihrer Komponenten . . . . . . a) Grundsätze der Gewichtung . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Qualitative Gewichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Quantitative Gewichtung mit Hilfe einer Bezugsgröße . . (1) Externe Bezugsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Interne Bezugsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Stellungnahme zu den Grundsätzen der Gewichtung der Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gewichtung der Variablen im Gesamt- bzw. Subindex . . c) Gewichtung im Fall der ungeklärten bzw. unklärbaren Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung zu der Gewichtung der Variablen . . 3. Erstellung des Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Darstellung des Index in absoluten oder Dezimalwerten . b) Aggregation oder Trennung der Subindizes . . . . . . . . aa) Echte Inkommensurabilität . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unechte Inkommensurabilität . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
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Teil 3: Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Der Fluch der Quantifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Segen der Quantifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monographien und Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen aus dem Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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cc) Partielle Inkommensurabilität . . . . . . . . . dd) Ergebnis zur Darstellung der Indizes . . . . . 4. Zusammenfassung zu der Kodierung der Variablen B. Die Legal Origin als Instrument-Variable . . . . . . . . .
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Danksagung
Die vorliegende Arbeit geht auf die Initiative meines geschätzten Doktorvaters Prof. Dr. Hans Schulte-Nölke zurück. Das Thema hat sich in mehreren Gesprächen herauskristallisiert, in denen Prof. Dr. Hans Schulte-Nölke unter anderem von seiner Beobachtung berichtete, dass die »Doing Business«-Reporte der Weltbank vor allem im französischen Schrifttum heftige ablehnende Reaktionen hervorgerufen hatten, während sie von dem deutschen Schrifttum nahezu unbeachtet geblieben waren. Seiner Initiative und seinem Vertrauen habe ich es zu verdanken, dass ich überhaupt den Entschluss gefasst habe, mit diesem Promotionsvorhaben zu beginnen. Ich danke Prof. Dr. Hans Schulte-Nölke herzlich für die Gelegenheit, die er mir mit der Promotion gegeben hat als auch seine geduldige Unterstützung. Ein weiterer Dank geht an Prof. Dr. Markus Artz, der sich nicht nur bereit erklärt hat, das Zweitgutachten anzufertigen, sondern der mir vor allem mit einer Tätigkeit an seinem Lehrstuhl über viele Monate überhaupt erst den finanziellen Spielraum eröffnete, der mir seinerzeit die Arbeit an dem Promotionsvorhaben ermöglichte. Auch ohne ihn wäre dieses Promotionsvorhaben so nicht möglich gewesen – auch dafür bedanke ich mich herzlich. Auf meinem langen Weg der Promotion haben mich viele Menschen begleitet und auf die eine oder andere Art und Weise unterstützt. Es sind leider zu viele, um allen in diesem Rahmen danken zu können. Besonders danken möchte ich aber meinen Kolleginnen und Kollegen bei BRANDI Rechtsanwälte, die mich in diesem Vorhaben stets unterstützt haben. Es wäre mir nicht möglich gewesen, die Promotion während meiner Vollzeittätigkeit bei BRANDI Rechtsanwälte erfolgreich durchzuführen, wenn mir meine Kolleginnen und Kollegen nicht den dafür erforderlichen Freiraum verschafft hätten. Schließlich möchte ich meiner lieben Frau Natalie danken, die mir vor allem in den schwierigen Phasen der Promotion immer wieder die Kraft gab, die erforderlich war um das Ziel zu erreichen.
Einleitung
Ugo Mattei forderte 1998 in einem Artikel, dass die US-amerikanische Rechtsvergleichung sich stärker um ihr eigenes Bewusstsein und um Interdisziplinarität bemühen müsse. Ende des 20. Jahrhunderts ließ er die Antwort auf die Frage, ob dieses Bewusstsein und damit das Überleben der Rechtsvergleichung nur durch einen »Comparative Law and …«-Ansatz sichergestellt werden oder aus sich heraus erfolgen könne, offen.1 Elf Jahre später stellt Ralf Michaels fest, dass die traditionelle Rechtsvergleichung Entwicklungen verschlafen oder schlicht ignoriert habe.2 Die Rede ist von der sog. »Legal Origins«-Forschung3, die von (Finanz-)Ökonomen betrieben wird, obgleich es sich um Rechtsvergleichung handelt. Hier hat sich eine eigene Disziplin entwickelt, teilweise unbemerkt von der klassischen Rechtsvergleichung und vor allem ohne Einfluss ihrer Methodenlehre. Die »Legal Origins«-Forschung ist ein Abkömmling der sog. »Law and Finance«-Forschung, die sich aus dem 1998 erschienenen Artikel »Law and Finance«4 des Forscherquartetts Rafael La Porta, Florencio Lopez-de-Silanes, Andrei Shleifer und Robert Vishny (LLSV) entwickelt hat. Obwohl die Forschung nicht von Rechtswissenschaftlern und erst recht nicht von Rechtsvergleichern begründet worden ist – oder gerade deswegen –, liegt in dieser Forschung ein erhebliches Potenzial für die Rechtsvergleichung. Denn diese fristet – abgesehen von Randgebieten – in dem Kanon rechtswissenschaftlicher Forschungen eine Art Nischen-Dasein. Aus diesem Grunde ist es ein erstrebenswertes Ziel – neben der wissenschaftlichen Auseinandersetzung als solcher –, die Grundlagen und Methoden der »Legal Origins«-Forschung aufzuarbeiten und der Rechtsvergleichung zugänglich zu machen. Die vorliegende Arbeit ist dem Ziel gewidmet, die »Legal Orgins«-Forschung unter Berücksichtigung rechtswissenschaftlicher 1 Mattei, An Opportunity Not to Be Missed, in: Am. J. Comp. L. 1998, S. 709–718 (S. 718). 2 Michaels, Comparative Law by Numbers?, in: Am. J. Comp. L. 2009, S. 765–796. 3 Vgl. La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, The Economic Consequences of Legal Origins, in: J. Econ. Lit. 2008, S. 285–332. 4 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155.
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Einleitung
und rechtvergleichender Methoden ansatzweise aufzuarbeiten. Bemerkenswerterweise ist es – wie schon Ugo Mattei anklingen ließ – ein »Law and«-Ansatz, der neue Betätigungsfelder für die Rechtsvergleichung eröffnet. Die Arbeit wird der folgenden Struktur folgen: Der erste Teil dient der Einführung in die sog. »Legal Origins«-Forschung und ihre hauptsächliche Methode: Der statistischen Auswertung des Rechts. Die Funktionsweise der statistischen Auswertung des Rechts soll anhand der Studien »Law and Finance« aus dem Jahre 1998 und »The Law and Economics of SelfDealing«5 von Simeon Djankov, Rafael La Porta, Florencio Lopez-de-Silanes und Andrei Shleifer (DLLS) aus dem Jahre 2008 dargestellt und erläutert werden. Grundlage einer statistischen Auswertung ist die Darstellung des zu untersuchenden Sachverhalts in Zahlen. Die beiden Studien zeigen exemplarisch, wie mit Hilfe der Quantifizierung des Rechts aus etwas Qualitativem quantifizierbare Elemente wurden. Diese Quantifizierung des Rechts ist die Basis sämtlicher statistischer und ökonometrischer Verfahren, die von den Finanzökonomen angewendet worden sind. Um die Studien zu verstehen, bedarf es außerdem einer kurzen Einführung in die Ökonometrie bzw. statistischer Methoden in der Ökonomie. Der zweite Teil wird sich mit der Methode der Quantifizierung des Rechts unter Berücksichtigung rechtsvergleichender Methoden und Grundsätze befassen. Der Prozess der Quantifizierung lässt sich dabei gedanklich und methodisch in die folgenden Phasen aufspalten: – Phase 1: Die Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes – Phase 2: Die Definition der Variablen – Phase 3: Die Kodierung des Rechts Alle drei Phasen haben aus rechtsvergleichender Sicht ihre ganz eigenen Probleme. Die Arbeit wird daher im zweiten Teil die Probleme der Quantifizierung des Rechts darstellen und Lösungsmöglichkeiten herausarbeiten. Der zweite Teil der Arbeit wird zugleich die wesentliche Kritik an der statistischen Auswertung des Rechts aufgreifen. Die Kritik lässt sich dabei im Wesentlichen in zwei Strömungen differenzieren: Zum einen wird eine Art Fundamentalkritik an der statistischen Auswertung des Rechts und seiner Schlussfolgerungen (insbesondere der sog. »Legal Origins«-Theorie) geübt. Zum anderen wird auch die Methode der Quantifizierung des Rechts als solche kritisch zu würdigen sein. Im dritten Teil werden die Chancen und Risiken der Quantifizierung des Rechts bewertet werden. Obgleich der Erkenntnisgewinn begrenzt ist, zeigen sich verschiedene Möglichkeiten für eine Anwendung der Quantifizierung des Rechts. 5 Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Self-Dealing, in: J. Finan. Econ. 2008, S. 430– 465.
Einleitung
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Es wird sich jedoch auch zeigen, dass die Quantifizierung des Rechts letztlich nicht mehr als ein Hilfsmittel der qualitativen Rechtsvergleichung sein kann.
Teil 1: Einführung in die »Legal Origins«-Forschung und die statistische Auswertung des Rechts
Statistische Methoden wurden schon seit Längerem auch in der Rechtswissenschaft angewendet. Doch erstmals mit der Studie »Law and Finance« durch LLSV wurde die Qualität des Rechts quantifiziert und mit Hilfe statistischer Methoden auf Wirkungszusammenhänge mit ökonomischen Kennzahlen untersucht.
A.
Statistische Methoden in der Rechtswissenschaft
Die Anwendung statistischer Methoden ist in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften lange anerkannt. In der empirischen Rechtssoziologie6 findet Statistik ebenfalls Anwendung,7 etwa wenn die Auswirkungen von Verunsicherungen im Alltag auf das Sicherheitsgefühl der Bürger beurteilt werden sollen.8 Ein Novum stellte jedoch die statistische Auswertung von Rechtsordnungen dar, wie sie von den US-amerikanischen Finanzökonomen betrieben wurde und wird. William Carney untersuchte 1997 in einer der ersten rechtswissenschaftlichen Studien mit quantitativen Elementen die Einflüsse von Interessengruppen auf acht gesellschaftsrechtliche Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft. Hierzu unterteilte er die Richtlinien in 131 Regelungen und untersuchte die Gesetze der US-amerikanischen Bundesstaaten auf die Existenz dieser 131 Regelungen.9 Dabei fand er heraus, dass 95 Regelungen in keinem US-Bundesstaat, 14 Regelungen in jedem Bundesstaat und 22 Regelungen zufällig auftraten. Weil der überwiegende Teil der nicht-adaptierten Regelungen den Investoren-, Arbeitnehmer- und Managerschutz betraf, schloss Carney, dass der Markt für den Wettbewerb um Inkorporationen von Unternehmen in Europa weniger ausge6 Vgl. zu dem Unterschied zwischen theoretischer und empirischer Rechtssoziologie Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 6. 7 Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, S. 6; Rehbinder, Rechtssoziologie, Fn. 54; Röhl, Rechtssoziologie, S. 117f. 8 Hammerschick/Karazman-Morawetz/Stangl (Hrsg.), Verunsicherungen des Alltags. 9 Carney, Competition for Corporate Charters, in: J. Legal Stud. 1997, S. 303–329 (S. 319).
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Teil 1: Einführung in die »Legal Origins«-Forschung
prägt sein müsse, und dass Interessengruppen hier einen höheren Einfluss hätten als in den USA.10 Einen Schritt weiter gehen die kontrovers diskutierten Studien der Finanzökonomen um LLSV. Das Wissenschaftlerquartett führte mit wechselnder Besetzung sowie unterstützt und nachgeahmt von vielen anderen Ökonomen zahlreiche Studien durch, mit denen statistische Zusammenhänge zwischen dem Recht und der wirtschaftlichen Entwicklung entlarvt werden sollten. In einer 1996 durchgeführten und später, in leicht abgewandelter Form, unter dem Titel »Law and Finance« veröffentlichten Studie11 beabsichtigten die Ökonomen, die Unterschiede in der Eigentümerstruktur börsennotierter Kapitalgesellschaften zu erklären.12 Dabei gingen sie von der Hypothese aus, dass die Unterschiede der einzelnen Rechtsordnungen für die Zusammensetzung der Eigentümerstruktur verantwortlich seien.13 Mit dieser bahnbrechenden14 Studie betraten die Finanzökonomen Neuland und entwickelten einen sog. »Anti Director Rights Index« (ADRI) für 49 Länder. Aus der Auswertung der einzelnen Rechtsordnungen wurde ein Index entwickelt, der Aufschluss darüber geben sollte, wie stark oder schwach der Schutz für Aktionärsminderheiten ausgeprägt war. Nach »Law and Finance« wurden zahlreiche Untersuchungen durchgeführt, die teilweise neue Indizes mit Hilfe der Quantifizierung des Rechts schufen. Beispielhaft seien hier genannt die Indizes zur Messung des Schutzniveaus des Individualarbeitsrechts15, des Kollektivarbeitsrechts16 sowie des Sozialrechts17, der Index zum Formalismus im Zivilprozess18, ferner der Index zu wertpapierrechtlichen Offenlegungsvorschriften (Disclosure Requirements Index)19, der Index zur Haftung im Wertpapierrecht (Liability Standards Index)20 und letztlich der Index zum »Self-Dealing«21. Auch andere Wissenschaftler haben sich der Quantifizierung des Rechts angenommen. In diesem Zusammenhang sind die weiterführenden Arbeiten von Simon Deakin, John Armour, Ajat Singh, Mathias 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
A. a. O., S. 327. La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155. A. a. O., S. 1114. A. a. O., S. 1114f. Vagts, Comparative company law, S. 604. Botero/Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Labour, in: QJE 2004, S. 1339–1382 (S. 1348, 1353ff.). A. a. O., S. 1349, 1355f. A. a. O., S. 1349, 1356. Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Courts, in: QJE 2003, S. 453–517 (S. 462ff.); hierzu eingehend Kern, Justice. La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, What Works in Securities Laws?, in: J. Finance 2006, S. 1–32 (S. 6, 10f.). A. a. O., S. 7, 11. Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Self-Dealing, in: J. Finan. Econ. 2008, S. 430– 465.
Die Wiege der statistischen Auswertung des Rechts
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Siems und Priya Lele zu nennen, die mit anderen im Cambridge Centre for Business Research umfangreiche Indizes u. a. zum Gläubigerschutz22, zum Aktionärsschutz23 und zum Arbeitsrecht24 erstellt haben.25 An dieser Stelle könnten viele weitere Arbeiten aufgezählt werden, worauf aber verzichtet wird.26
B.
Die Wiege der statistischen Auswertung des Rechts: Die »Law and Finance«-Forschung
Ursprung der statistischen Auswertung des qualitativen Rechts ist die »Law and Finance«-Forschung, initiiert durch die gleichnamige Studie durch LLSV im Jahre 199627 bzw. 1998. Diese ergründete die Kausalitätszusammenhänge zwischen dem Recht und der Finanzwirtschaft, insbesondere der Finanzierungsstruktur börsennotierter Unternehmen. Seit jeher versuchen die Finanzwissenschaften Modelle zu entwickeln, die unter unsicheren Rahmenbedingungen die optimale Finanzierungsstruktur darstellen können. Dabei wird im Wesentlichen unterschieden zwischen »debt« und »equity«, d. h. Schuldverschreibungen bzw. Darlehen auf der einen Seite (zusammen auch als »Fremdfinanzierung« bezeichnet) und Anteilseigentum auf der anderen Seite (auch »Eigenkapital« genannt). Beide Arten der Finanzierung beruhen auf dem Prinzip, dass der Kapitalgeber Sicherheiten erhält, das eingesetzte Kapital zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückzuerlangen. Diese »securities« bzw. die diesen innewohnenden Rechte waren lange Zeit nicht Gegenstand der finanzwissenschaftlichen Theorien. Das allein determinierende Element für die Zusammensetzung der Finanzierungsstruktur wurde vielmehr allein in dem »cash flow« gesucht.28 Der ursprüngliche Ansatz der Finanzwissenschaften wurde allerdings durch die Erkenntnis durchbrochen, dass nicht der cash flow allein entscheidend sei, sondern die den Sicherheiten inhärenten Rechte des Gläubigers. Der Darlehensgeber sei zur Finanzierung eines Unternehmens nur deswegen bereit, weil er 22 Armour/Mollica/Siems/Lele/Zhou/Hirooka/Klauberg/Heidenhain/Cankar/Hamilton/Akman, CBR Creditor Protection Index (siehe Internet-/Intranetverzeichnis). 23 Siems/Lele/Iglesias-Rodriguez/Mollica/Klauberg/Heidenhain/Cankar/Hamilton/Schnyder/ Akman, CBR Ex-tended Shareholder Protection Index (siehe Internet-/Intranetverzeichnis). 24 Deakin/Lele/Siems, CBR Labour Regulation Index (siehe Internet-/Intranetverzeichnis). 25 Für weitere Ergebnisse des Centre for Business Research siehe http://www.cbr.cam.ac.uk/rese arch/projects/project2-20output.htm, zuletzt aufgerufen am 01. 12. 2012. 26 Eine Aufzählung einschlägiger Arbeiten bieten Armour/Deakin/Lele/Siems, How Do Legal Rules Evolve?, in: Am. J. Comp. L. 2009, S. 579–630 (S. 582–585). 27 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance Working Paper (siehe Internet-/Intranetverzeichnis). 28 Modigliani/Miller, The Cost of Capital, in: Amer. Econ. Rev. 1958, S. 261–297 (S. 288ff.).
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Teil 1: Einführung in die »Legal Origins«-Forschung
im Gegenzug Zinsen erhalte und für den Fall, dass der Zinszahlungs- oder Rückzahlungsanspruch nicht erfüllt werde, auf das Vermögen des Unternehmens beispielsweise durch Pfändung zurückgreifen könne. Demgegenüber waren Anteilseigentümer oder Aktionäre nur bereit, dem Unternehmen Kapital zu geben, weil ihnen damit Kontroll- und Stimmrechte eingeräumt wurden, die eine Einflussnahme auf die Geschicke des Unternehmens sicherten.29 Eine besondere Bedeutung sollten diese Rechte der Gläubiger erlangen, wenn die Unternehmensführung nicht mehr im Interesse der Unternehmung handelt, sondern allein im eigenen Interesse. In einem solchen Fall gewähre das Recht den Gläubigern grundsätzlich die Möglichkeit, ihre Investitionen zurückzuverlangen. Aktionäre erhielten demgemäß eine Dividende von dem finanzierten Unternehmen, weil sie die Macht haben, die Unternehmensführung auszutauschen; Darlehensgebern wurden Zinsen nur gezahlt, weil sie die Macht haben, andernfalls das Vermögen des Unternehmens in Besitz zu nehmen.30 Nach LLSV sei jedoch auch die grundlegende Erkenntnis, dass den Sicherheiten der Gläubiger bestimmte Rechte inhärent seien, ebenfalls (noch) unvollständig. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Gläubigerrechte maßgeblich durch die jeweilige Rechtsordnung beeinflusst bzw. determiniert würden. Hieraus zogen LLSV den Schluss, dass die Unterschiede der Rechtsordnungen zwangsläufig auch eine Auswirkung auf die Ausgestaltung und Ausprägung der Gläubigerrechte und im Weiteren vor allem auf die Finanzierungsstruktur von Publikumsgesellschaften in den nationalen Rechtsordnungen haben müssten.31 LLSV nahmen daher an, dass die Unterschiede der Rechtsordnungen eine Erklärung der unterschiedlichen Strukturen der nationalen Kapitalmärkte darstellen könnten.32 Anlass hierzu gaben u. a. folgende wirtschaftliche Fragestellungen, die sich aus dem Befund verschiedener Untersuchungen ergaben: Warum gingen italienische Unternehmen so selten an die Börse? Warum ist der Aktienmarkt in Deutschland verhältnismäßig klein, die Banken hingegen sehr groß und finanzstark? Warum ist der Preis für Aktien mit großem Stimmrecht im Verhältnis zu solchen mit geringem Stimmrecht in Schweden und den USA so gering und in Italien und Israel weit höher? Warum ist die Eigentümerstruktur großer US-amerikanischer und britischer Unternehmen so stark zerstreut?33 29 Hart, Firms, Contracts and Financial Structure. 30 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1114). 31 A. a. O., S. 1114. 32 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 ebd. 33 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1114f.) mit weiteren Verweisen auf die Untersuchungen.
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Der von LLSV aufgestellte Erklärungsansatz lässt sich in der These »Legal origin matters.« zusammenfassen. Die »Legal Origins«-Theorie erschöpft sich allerdings nicht in dieser verhältnismäßig wenig überraschenden These. Denn es handelt sich hierbei lediglich um den Kern. Tatsächlich lautet die These vollständig »Legal origin matters for social and economic outcome.«. Diese – deutlich provokantere – These versuchten LLSV mit ihren Studien nachzuweisen. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den Studien zum sog. »Anti Director Rights«-Index34 und zum sog. »Self-Dealing«-Index35. In beiden Indizes sehen LLSV bzw. Djankov, La Porta, Lopez-de-Silanes und Shleifer (DLLS) Wirkungsvariablen zur Vorhersage von gestreutem Aktienbesitz (»dispersed ownership«) oder von konzentriertem Aktienbesitz (»concentrated ownership«) bzw. eines prosperierenden Kapitalmarkts. Dabei ergab sich aus den Untersuchungen, dass Länder, deren Rechtsordnung dem Common Law zuzuordnen ist, einen auffällig hohen Index-Wert erreichten, verbunden mit einem hohen Anteil an gestreutem Aktienbesitz und weit entwickelten Kapitalmärkten. Daraus folgerten die Autoren, dass die Rechtstradition eines Landes unmittelbaren Einfluss auf die finanzwirtschaftliche Entwicklung und das Wachstum der Finanzwirtschaft habe – »law matters«. Damit begründeten die Autoren eine neue Methode der Rechtsvergleichung, die teilweise als »statistische Rechtsvergleichung«36 oder »Numerical Comparative Law«37 bezeichnet wird. Die Methode dieser Rechtsvergleichung bedient sich der Quantifizierung des Rechts. Denn das qualitative Recht wird in Quantitäten – zählbaren Werten – dargestellt; man könnte diese Art der Rechtsvergleichung daher auch als »quantitative Rechtsvergleichung«38 bezeichnen, in Abgrenzung zur klassischen qualitativen Rechtsvergleichung.
34 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155. 35 Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Self-Dealing, in: J. Finan. Econ. 2008, S. 430– 465. 36 Siems, Statistische Rechtsvergleichung, in: RabelsZ 2008, S. 354–390. 37 Siems, Numerical Comparative Law, in: Cardozo J. of Int’l & Comp. Law 2005, S. 521–540; den Begriff aufgreifend Kern, Justice, S. 123. 38 Als Begriff erstmals von Köndgen verwendet, allerdings in einem anderen Zusammenhang Köndgen, Haftpflichtfunktionen und Immaterialschaden am Beispiel von Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung.
22 I.
Teil 1: Einführung in die »Legal Origins«-Forschung
»Law and Finance« von 1998
In der Studie »Law and Finance« von 199639 und 199840 nahmen sich die Forscher des Minderheitenaktionärsschutzes an. Ihre Hypothese war, dass in den Unterschieden des Minderheitenaktionärsschutzes der Schlüssel zu einer Reihe finanzwissenschaftlicher Fragen liege. Die hierbei wichtigste Frage, die es nach Ansicht der Forscher zu klären galt, war diejenige nach der Struktur des Anteilseigentums an börsennotierten Unternehmen. In den Wirtschaftswissenschaften sei nämlich zuvor beobachtet worden, dass die Struktur des Anteilseigentums in den einzelnen Rechtsordnungen stark variiere.41 Dabei ergab sich, dass Kapitalgesellschaften aus den Ländern des Common Law weit überwiegend durch einen gestreuten Aktienbesitz geprägt waren; die Anteile des Unternehmens sind demnach auf eine Vielzahl von kleinen Aktionären und Kleinstaktionären verteilt und in der Regel gibt es keinen kontrollierenden (Haupt-)Aktionär.42 Anders sei dies in den Ländern des Civil Law – wie LLSV die Einordnung vornehmen. Hier sei zu beobachten, dass die Anteilseigentumsstruktur in aller Regel kontrollierende (Haupt-)Aktionäre aufweise.43 Nach Auffassung der Autoren der Studien war der Schutz der Aktionäre vor Benachteiligung durch die Unternehmensführung als mögliche Ursache für die Struktur des Anteilseigentums zu untersuchen. Die Hypothese lautete daher, dass eine konzentrierte Eigentümerstruktur das Resultat schwachen Aktionärsschutzes sei, mögliche Probleme der externen Finanzierung eines Unternehmens auslöse44 und Kosten verursache45. Um diese Hypothese empirisch zu belegen, untersuchten LLSV den Schutz von Aktionären in 49 Ländern.
39 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance Working Paper (siehe Internet-/Intranetverzeichnis). 40 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155. 41 Vgl. die Studien von Demsetz/Lehn, Corporate Ownership, in: J. Polit. Economy 1985, S. 1155–1177; für einen internationalen Vergleich vgl. La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Corporate Ownership, in: J. Finance 1999, S. 471–517; mit anderen Ergebnissen aber Holderness, Ownership Concentration (siehe Internet-/Intranetverzeichnis). 42 So nach La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Corporate Ownership, in: J. Finance 1999, S. 471–517 (S. 511) für die USA. 43 Vgl. a. a. O., S. 511; La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1147f.). 44 Vgl. LaPorta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1151). 45 Shleifer/Vishny, A Survey of Corporate Governance, in: J. Finance 1997, S. 737–783 (S. 758ff.).
Die Wiege der statistischen Auswertung des Rechts
1.
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Gang der Darstellung
Im ersten Abschnitt werden die rechtlichen Prämissen und die konzeptionellen Beschränkungen der Studie dargestellt. Die Untersuchung von LLSV geht in rechtlicher Hinsicht davon aus, dass es eine grundsätzliche Dichotomie zwischen dem Common Law und dem Civil Law gibt. Außerdem unterlag die Untersuchung einigen Beschränkungen mit Blick auf die Auswahl der untersuchten Länder und des untersuchten Rechts. Im zweiten Abschnitt werden die einzelnen Komponenten der Studie komprimiert dargestellt. Diese besteht aus mehreren verschiedenen Indizes und Datensätzen, nämlich dem sog. »Anti Director Rights Index« (ADRI), dem »Creditor Rights Index«, dem Index für die Rechtsdurchsetzung (»enforcement«) und letztlich den Daten zur Eigentümerstruktur (»ownership structure«). Allerdings sollen der »Creditor Rights Index« und der Index für die Rechtsdurchsetzung bei der weiteren Betrachtung ausgeklammert werden. Obwohl auch diese Indizes und ihre Erstellung eine tiefergehende Erörterung verdienen, waren sie nach den Erkenntnissen von LLSV (statistisch) nicht relevant und sollen daher auch hier ausgespart werden.46 Die Erstellung jener Indizes unterscheidet sich methodisch außerdem nicht von der Erstellung des ADRI. Im dritten und letzten Abschnitt sollen in aller Kürze die Grundlagen der Ökonometrie dargestellt und auf die Untersuchung von LLSV übertragen werden. Das Verständnis der Grundlagen der Ökonometrie ist unabdingbar, wenn man die Kritik an den von LLSV – und auch den übrigen »Legal Origins«-Forschern – verfassten Studien nachvollziehen will. Der Vollständigkeit halber werden anschließend die Ergebnisse der ökonometrischen Auswertung dargestellt. a)
Ausgangspunkt und konzeptionelle Beschränkungen der »Law and Finance«-Studie Die Untersuchung von LLSV legt bestimmte Annahmen zugrunde – diese Grundannahmen hängen eng mit den Grundannahmen der Regressionsanalyse zusammen –, und sie unterliegt gewissen konzeptionellen Beschränkungen. Es wird sich zeigen, dass diese Beschränkungen und Grundannahmen vielfach Auslöser für Schwachpunkte in der Methode von LLSV darstellen. aa) Die Dichotomie zwischen Common Law und Civil Law als Prämisse Der übergeordnete rechtliche Ausgangspunkt besteht in der Dichotomie zwischen Civil Law und Common Law. 46 Vgl. La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113– 1155 (S. 1149f.).
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In rechtlicher Hinsicht gehen LLSV davon aus, dass es zwei klar voneinander trennbare Rechtstraditionen gibt: Das Common Law und das Civil Law. Diese globale Feststellung gelte gleichermaßen für das Unternehmens- sowie für das Kapitalmarktrecht in einer Rechtsordnung. Innerhalb der vorgenannten Rechtstraditionen ließen sich ferner – jedenfalls im Civil Law – Rechtsfamilien unterscheiden (das Common Law bildet ebenfalls nach LLSV eine Rechtsfamilie). So sei zwischen den Rechtsfamilien French Civil Law, German Civil Law und Scandinavian Civil Law zu differenzieren. LLSV gehen davon aus, dass die Zuordnung der einzelnen nationalen Rechtsordnung zu einer der vorgenannten Rechtsfamilien und auch die Zuordnung zu einer der übergeordneten Rechtstraditionen im Wesentlichen keine Probleme bereite.47 Die von LLSV gewählte Zuordnung ergibt sich aus der nachfolgenden Tabelle: Common Law
Australia, Canada, Hong Kong, India, Ireland, Israel, Kenya, Malaysia, New Zealand, Nigeria, Pakistan, Singapore, South Africa, Sri Lanka, Thailand, United Kingdom, United States, Zimbabwe French Civil Law Argentina, Belgium, Brazil, Chile, Colombia, Ecuador, Egypt, France, Greece, Indonesia, Italy, Jordan, Mexico, Netherlands, Peru, Philippines, Portugal, Spain, Turkey, Uruguay, Venezuela German Civil Law Austria, Germany, Japan, South Korea, Switzerland, Taiwan Scandinavian Denmark, Finland, Norway, Sweden Civil Law
Tabelle 1: Einteilung in Rechtsfamilien nach LLSV48
Die Frage, welcher Rechtsfamilie ein Land angehöre, ist nach Auffassung von LLSV nicht endogen, sondern sei die Folge einer Mischung aus Eroberung, Imperialismus, offener Rezeption und schleichender Nachahmung.49 Die Zugehörigkeit eines Landes zu einer bestimmten Rechtsfamilie sei daher nicht selbstbestimmt, sondern richte sich nach bestimmten exogenen Faktoren. LLSV halten dem gegenläufigen Argument der Endogenität rechtlicher Regelungen entgegen, dass Länder ihr Rechtssystem in der Regel unfreiwillig erhalten hätten, und – selbst wenn sie es freiwillig adaptiert hätten – so sei (wie im Fall ehemaliger spanischer Kolonien) die Sprache und das politische Grundverständnis von Recht für die konkrete Wahl entscheidend gewesen. Die Transplantation der Rechtsordnungen und die Zuordnung der nationalen Rechtsordnungen zum Common Law oder dem Civil Law seien danach allein exogen bestimmt.50
47 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1119). 48 Vgl. La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113– 1155 (S. 1130f.). 49 A. a. O., S. 1117ff. 50 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1126).
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In rechtlicher Hinsicht unterstellen LLSV also zum einen, dass es eine klare Dichotomie zwischen zwei Rechtstraditionen Common Law und Civil Law gebe –, und dass diese Dichotomie zu grundlegenden Unterschieden führe –, und zum anderen, dass die vorgenannten Rechtstraditionen im Fall des Civil Law – bezogen auf die untersuchten Länder – in drei Rechtsfamilien untergliedert werden können. Die Zuordnung zu einer der beiden Rechtstraditionen solle auf exogenen Faktoren beruhen. bb) Konzeptionelle Beschränkungen Neben den rechtlichen Grundannahmen unterlag die Studie verschiedenen konzeptionellen Beschränkungen. Das betraf zum einen die Auswahl der untersuchten Länder. Hier ließen sich LLSV von ganz bestimmten Kriterien leiten. Zum anderen – dies ist angesichts des Umfangs der Untersuchung kaum verwunderlich – unterlag auch die Betrachtung des (materiellen) Rechts bestimmten Beschränkungen. (1) Auswahl der Länder LLSV wählten die untersuchten 49 Länder unter Berücksichtigung bestimmter Kriterien. Das jeweilige Land musste mindestens fünf heimische, nicht auf dem Finanzsektor tätige – also nicht im Bank-, Anlage- oder Versicherungswesen tätige – börsennotierte Unternehmen aufweisen, an denen der Staat im Jahre 1993 keine Anteile hielt. Hierzu stützten sich LLSV auf den sog. WorldScope und die Liste von Moody’s International.51 Daraus ergaben sich die letztlich in die Untersuchung aufgenommenen 49 Länder. (2) Beschränkungen bei der Betrachtung des Rechts Bei der Untersuchung des Rechts fokussierten die Autoren den Blick auf die Normen des Gesellschaftsrechts (Company Law / Commercial Law) sowie des Insolvenzrechts (Insolvency Law); ausgeklammert wurde hingegen das Recht der Übernahmen (mergers). Damit ist der Blick auf die jeweilige Rechtsordnung notwendigerweise eingeschränkt. Ferner klammerten die Wissenschaftler auch die Regelungen der Börsen aus. Auch ein hieraus etwaig resultierender Schutz der Aktionäre musste daher in der Studie zwangsläufig unberücksichtigt bleiben. Mit Blick auf die jeweilige gesetzliche Regelung lassen sich außerdem grundsätzlich dispositive und (halb-)zwingende Regelungen unterscheiden. Im Rahmen der dispositiven Regelungen kommen opt-in-Regelungen und opt-outRegelungen in Betracht. LLSV erkennen zwar, dass manche gesetzliche Regelung dispositiv ist, gehen aber davon aus, dass eine Abwahl dieser Regelungen (opt 51 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1117).
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out) für Unternehmen kostspielig und risikoreich sei. Kostspielig, weil Investoren nicht ohne Weiteres einverstanden sein könnten, zu vom Standard abweichenden Bedingungen zu kontrahieren, und risikoreich, weil Gerichte die abweichenden Vereinbarungen nicht verstehen oder für nicht anwendbar halten könnten.52 LLSV ziehen daraus den Schluss, dass restriktivere bzw. zwingende Regelungen, die wenig bis keinen Gestaltungsspielraum zulassen, flexiblen Regelungen, die einen größeren Gestaltungsspielraum zulassen, grundsätzlich überlegen seien. Lediglich in einer Welt optimaler Rechtsdurchsetzung könne – so LLSV – die Flexibilität das Risiko aufwiegen, welches dadurch entsteht, dass Unternehmen ihre Investoren durch vom Standard abweichende Satzungen übervorteilen könnten, denn dann könnten sich die Investoren vor Gericht gegen eine unvorhergesehene Schlechterstellung wehren.53 Daraus folgt für LLSV und ihre Untersuchung, dass zwingenden Regelungen bei der Auswertung ein höheres Schutzniveau zugebilligt wurde. b) Der »Anti Director Rights«-Index von 1998 Der »Anti Director Rights«-Index (ADRI) resultiert aus dem Versuch, einen Index für Musterregelungen und Prinzipien des Aktionärsschutzes zu entwickeln, insbesondere bezüglich des Minderheitenaktionärsschutzes. Die Studie von LLSV bedient sich hierbei im Wesentlichen sechs verschiedenen Regelungen bzw. Prinzipien, die als besonders relevant für den Minderheitenaktionärsschutz eingestuft werden:54 1. proxy by mail allowed, 2. shares not blocked before meeting, 3. cumulative voting or proportional representation, 4. oppressed minorities mechanism, 5. preemptive rights und 6. percentage of share capital to call an extraordinary shareholders’ meeting. LLSV entwickelten für jede der oben genannten Variablen jeweils eine Definition, die ihnen eine Aussage über das Bestehen oder Fehlen der jeweiligen Regelung in der untersuchten Rechtsordnung erlaubte. Der Aussage wurde sodann ein numerischer Wert beigelegt, was wiederum die Quantifizierung des Rechts erst ermöglichte. Dabei gingen LLSV – überwiegend – nach einem binären System vor und quantifizierten das Recht eines Landes entweder mit dem Wert »1« oder »0«; je nachdem, ob die untersuchte Rechtsordnung eine korrespondierende Rege52 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1121). 53 A. a. O., S. 1121, 1126. 54 A. a. O., S. 1126ff.
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lung aufwies, die der Definition entsprach – dann wurde ihr im Grundsatz der Wert »1« für die untersuchte Variable zugeordnet –, oder ob eine solche Regelung (teilweise) fehlte – dann wurde ein Wert zwischen »0« und »1« vergeben. Die kumulierten Einzelwerte der untersuchten Variablen bildeten sodann den ADRI des jeweiligen Landes.55 Neben den oben genannten Variablen untersuchten LLSV ferner, ob die Rechtsordnung eines untersuchten Landes dem Prinzip »one share – one vote« folgte und zwingende Regelungen zur Ausschüttung von Dividenden enthielt.56 Auch diese Variablen wurden auf statistische Zusammenhänge überprüft, sind allerdings nicht Teil des ADRI geworden. Auf diese Variablen soll daher im Folgenden nur am Rande eingegangen werden. Grundlage für die Zusammenstellung der oben genannten Variablen des ADRI war die (rechtswissenschaftliche) Erkenntnis, dass die Stimmrechte und der Umfang ihrer Wahrnehmung bei der Bewertung des Aktionärsschutzes entscheidend sein sollten. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass fundamentale Unternehmensentscheidungen von den Aktionären ausgingen und dass die Zusammensetzung der Unternehmensführung von den stimmberechtigten Aktionären bestimmt werde.57Die Frage des Minderheitenaktionärsschutzes wird daher nach LLSV (überwiegend) an den Abstimmungsverfahren (Variablen 1. bis 3.), an der Möglichkeit, gegen Entscheidungen der Unternehmensführung bzw. der Aktionärsversammlung vorzugehen (Variable 4.), an Bezugsrechten (Variable 5.), und letztlich an den Modalitäten zur Einberufung der Aktionärsversammlung (Variable 6.) festgemacht. aa) Proxy by mail allowed (Briefwahl) Das erste »Aktionärsrecht« ist das Recht, per Brief bei einer Jahreshauptversammlung der Aktionäre abzustimmen. LLSV halten diese Form der Abstimmung für schutzerhöhend, weil der (Minderheiten-)Aktionär nicht körperlich bei einer Jahreshauptversammlung anwesend sein müsse und weil umgekehrt dessen körperliche Abwesenheit somit kein Hindernis bei der Abstimmung darstellen könne.58 Die Variable wird von LLSV daher wie folgt definiert: »Equals one if the company law or commercial code allows shareholders to mail their proxy vote to the firm, and zero otherwise.«59 55 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1123). 56 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1126f., 1149f.). 57 A. a. O., S. 1126f. 58 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1127). 59 A. a. O., S. 1122.
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bb) Shares not blocked before meeting Nach LLSV sei es außerdem in manchen Ländern erforderlich, dass der Aktionär seine Aktien einige Tage vor einer Jahreshauptversammlung bei der Gesellschaft, an der er beteiligt ist, oder bei einem Finanzvermittler hinterlegt. Damit seien die Aktien für diese Zeit unveräußerlich (blocked) und Aktionäre müssten diese Unannehmlichkeit auf sich nehmen, um ihr Stimmrecht überhaupt ausüben zu können.60 Die Definition für die Variable bei LLSV lautet daher wie folgt: »Equals one if the company law or commercial code does not allow firms to require that shareholders deposit their shares prior to a general shareholders meeting, thus preventing them from selling those shares for a number of days, and zero otherwise.«61
cc) Cumulative voting or proportional representation Ein besonders gewichtiges Recht der Aktionäre bestehe in der Wahl der Unternehmensführung (board of directors). Aus diesem Grunde knüpfen LLSV an das Wahlrecht der Aktionäre an und definieren eine Variable, die sicherstellen soll, dass die Minderheitenaktionärsinteressen angemessen in der Geschäftsführung repräsentiert sind. Dies geschieht nach LLSV dadurch, dass verhindert wird, alle Positionen der Geschäftsführung durch den Mehrheitseigentümer besetzen zu lassen. Die Definition lautet wie folgt: »Equals one if the company law or commercial code allows shareholders to cast all their votes for one candidate standing for election to the board of directors (cumulative voting) or if the company law or commercial code allows a mechanism of proportional representation in the board by which minority interests may name a proportional number of directors to the board, and zero otherwise.«62
Um den Hintergrund dieser Variable zu verstehen, bedarf es eines kurzen Exkurses in das im US-amerikanischen Recht vorherrschende Prinzip des cumulative voting. Grundsätzlich wird im US-amerikanischen Recht nämlich zwischen dem einfachen Stimmrecht und dem kumulativen Stimmrecht unterschieden. Beide zeitigen unterschiedliche Folgen: (1) Das einfache Stimmrecht (straight voting) Beim einfachen Stimmrecht wird für jeden Kandidaten einmal mit dem gesamten stimmberechtigten Anteil gewählt, wobei die Mehrheit der Stimmen schließlich entscheidet. Als Beispiel mag folgende Wahl dreier Kandidaten für das board of directors dienen: Aktionär A hält 51 % der stimmberechtigten 60 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1122). 61 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1122). 62 Vgl. a. a. O., S. 1122.
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Anteile und Aktionär B hält 49 %. Aktionär A wählt mit seinen 51 % die Kandidaten A1, A2 und A3. Aktionär B hingegen wählt B1, B2 und B3. A1 setzt sich damit gegen B1, A2 gegen B2 und A3 gegen B3 durch, weil Aktionär A seine Kandidaten jeweils mit der einfachen Mehrheit wählt. Damit bestimmt A die komplette Unternehmensführung, während B, der immerhin 49 % am Unternehmen hält, faktisch keine Macht hat.63 Das einfache Stimmrecht kann daher zu einem Kontrollverlust bei dem Minderheitenaktionär führen. (2) Kumulatives Stimmrecht (cumulative voting) Diesem Kontrollverlust des Minderheitenaktionärs beugt das cumulative voting vor. Wie bereits der Name impliziert, ist es bei der Kumulation der Stimmen möglich, alle Stimmen an einen einzigen Kandidaten zu vergeben, wobei die Zahl der Stimmen mit der Zahl der zu wählenden Posten zu multiplizieren ist. Zur Verdeutlichung sei auf das oben genannte Beispiel zurückgegriffen: Im oben genannten Fall hätte B damit 3 x 49 Stimmen, also insgesamt 147 Stimmen. Demgegenüber hätte A lediglich 153 Stimmen. A ist es aber kaum möglich, seine Stimmen insgesamt so zu verteilen, dass er allen drei von ihm bevorzugten Kandidaten die Mehrheit verschafft, sofern B seine Stimmen kumuliert – für einen einzigen Kandidaten – abgibt. A könnte nämlich jedem Kandidaten 51 Stimmen geben, während B einem seiner Kandidaten alle Stimmen geben könnte. Dann könnte A zwar seinem ersten Kandidaten A1 148 Stimmen geben, um diesen sicher zu wählen; er liefe dann aber Gefahr, die beiden anderen Wahlen zu verlieren, weil nur noch fünf Stimmen übrigblieben. Es ist damit zwar rechnerisch64 möglich, aber höchst unwahrscheinlich, dass A alle seine drei Kandidaten durchsetzt. dd) Oppressed minority (Unterdrückte Minderheit) Minderheitenaktionäre haben oft nicht das Stimmgewicht, Entscheidungen der Geschäftsführung oder der Aktionärsversammlung zu ändern, und können daher »unterdrückt« werden. Hiergegen können Rechte der Minderheitenaktionäre Abhilfe schaffen. Das können gerichtliche Maßnahmen gegen Entscheidungen der Geschäftsführung oder die Aktionärsversammlung sein oder Abfindungsansprüche, die das Unternehmen zum Rückkauf der Aktien zwingen, wenn ein (Minderheiten-)Aktionär mit fundamentalen Änderungen wie z. B. Fusionen, erheblichen Vermögensdispositionen und Änderungen der Gesellschaftsstatuten nicht einverstanden ist. Das Kriterium oppressed minority war daher nach LLSV erfüllt, wenn der Minderheitenaktionär entweder die Möglichkeit hat, gerichtlichen Schutz gegen die Entscheidungen der Geschäftsfüh63 Beispiel nach Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Fn. 576f. 64 Die Wahl rechnerisch für unmöglich halten hingegen Merkt/Göthel, a. a. O., S. 315.
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rung oder Aktionärsversammlung zu suchen, oder wenn einem Minderheitenaktionär ein Abfindungsanspruch gegen das Unternehmen zusteht. LLSV definieren die Variable wie folgt: »Equals one if the company law or commercial code grants minority shareholders either a judicial venue to challenge the decisions of management or the assembly or the right to step out of the company by requiring the company to purchase their shares when they object to certain fundamental changes, such as mergers, asset dispositions, and changes in the articles of incorporation. The variable equals zero otherwise. Minority shareholders are defined as those shareholders who own 10 percent of share capital or less.«65
Im Folgenden sollen kurz die beiden Teile erläutert werden, aus denen sich die Variable rekrutiert. (1) Gerichtliche Maßnahmen gegen Entscheidungen Bei einer Kontrolle von Entscheidungen durch ein förmliches gerichtliches Verfahren lassen sich grundsätzlich zwei verschiedene Grundmodelle oder Klagerechte unterscheiden. Denkbar ist sowohl eine abgeleitete Klage im Namen der Gesellschaft (derivative suit) – auch als »Aktionärsklage« bezeichnet – und – in Abgrenzung zur abgeleiteten Klage – eine (direkte) Klage durch den individuellen Aktionär oder eine Gruppe von Aktionären im eigenen Namen wegen Verletzung seiner oder ihrer Rechte (direct suit).66 In diesem Kontext ist auch die sog. class action zu nennen: Eine Sammelklage, die von einem Aktionär eingeleitet wird, und der sich die Personen, die der jeweiligen »Klasse« der Aktionäre angehören, anschließen können.67 Eine class action ist in beiden Varianten denkbar, nämlich als abgeleitete und direkte class action. (2) Abfindungsanspruch (right of appraisal) Die zweite Komponente der Variable oppressed minority ist das im US-amerikanischen Recht bekannte right of appraisal bzw. appraisal remedy. Dabei handelt es sich um eine Art Abfindungsrecht eines dissentierenden Aktionärs, das ihm die Möglichkeit gibt, seine Investition zu einem angemessenen Kurs wieder rückgängig zu machen.68 Das appraisal right ist das Recht, den Wert des Anteils gerichtlich schätzen zu lassen und für den Fall eines Ausstiegs aus der Gesellschaft einen Anspruch auf Auszahlung einer Abfindung in dieser Höhe geltend zu machen.69 Das Recht auf Abfindung besteht im US-amerikanischen
65 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1122). 66 Braendle, Shareholder Protection, in: G.L.J. 2006, S. 257–278 (S. 272). 67 Cools, The Real Difference, in: Del. J. Corp. L. 2005, S. 697–766 (S. 721f.). 68 Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1208. 69 A. a. O., Rn. 1208, Fn. 121.
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Recht grundsätzlich bei allen (struktur-)ändernden Einwirkungen auf die Gesellschaft. Beispiele hierfür sind Fusionen, Übernahmen, Veräußerungen nahezu des gesamten Gesellschaftsvermögens und bestimmte Änderungen der Gesellschaftsstatuten. Üblicherweise wird die Liquidation der Gesellschaft ausgenommen.70 Das Abfindungsrecht unterliegt im US-amerikanischen Recht einer ganzen Reihe von Einschränkungen. Die Staaten Delaware und Kalifornien – der wichtigsten Bundesstaaten mit Blick auf den Anteil inkorporierter Unternehmungen – haben ein zwingendes appraisal right ausschließlich für folgende Vorgänge: mergers, consolidation, conversion und reorganization.71 Andere fundamentale Einwirkungen wie die Veräußerung nahezu des gesamten Gesellschaftsvermögens und Änderungen der Gesellschaftsstatuten können ein appraisal right nach dem Recht Delawares auslösen, wenn die Statuten der Gesellschaft dies vorsehen.72 Dem appraisal right steht jedoch eine wichtige Einschränkung gegenüber, nämlich die sog. market-out rule.73 Danach hat ein dissentierender Aktionär dann kein Abfindungsrecht, wenn er an der Börse gelistete Aktien hält und wenn er diese entsprechend auf dem freien Markt veräußern könnte74, oder wenn die betreffenden Anteile von mehr als 2.000 Aktionären gehalten werden75. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass der Aktionär eine angemessene Abfindung dann über eine Veräußerung auf dem freien Markt erhalten könnte.76 ee) Preemptive rights (Vorzugsrechte) Die letzte Variable zur Beurteilung des Minderheitenaktionärsschutzes bei börsennotierten Gesellschaften ist das Vorzugsrecht. Darunter versteht man das Vorkaufsrecht zu Gunsten der Bestandsaktionäre für neu auszugebende Aktien. Nach LLSV lautet die Definition der Variable wie folgt: »Equals one when the company law or commercial code grants shareholders the first opportunity to buy new issues of stock, and the right can be waived only by a shareholders’ vote; equals zero otherwise.«77
70 Henn/Alexander, Laws of Corporations, S. 997. 71 Für Delaware: DGCL § 262 (a); für Kalifornien vgl. Corporations Code § 1300 (a) in Verbindung mit § 1201. 72 DGCL § 262 (c). 73 Cools, The Real Difference, in: Del. J. Corp. L. 2005, S. 697–766 (S. 726). 74 So nach DGCL § 262 (b) (1) und Cal. Corp. Code § 1300 (b) (1). 75 DGCL § 262 (b) (1). 76 Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1212. 77 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1123).
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Das Vorzugsrecht oder Optionsrecht für neu ausgegebene Aktien soll sicherstellen, dass die Anteile der Aktionäre im Fall der Kapitalerhöhung nicht verwässert werden können. Diese Gefahr droht nämlich, wenn ein Aktionär beispielsweise 10 % Kapitalanteil von 1.000.000,00 EUR des Grundkapitals hielte und wenn die Gesellschaft nun das Kapital um 500.000,00 EUR erhöhen würde. In der Folge wäre der Aktionär nicht mehr mit 10 % beteiligt, sondern lediglich noch mit ca. 6,67 %. In der ursprünglichen Studie hatten LLSV die preemptive rights nicht aufgenommen.78 Das Kriterium schien seinerzeit nicht entscheidend zu sein.79 Auf den Druck europäischer Rechtsgelehrter hin wurde das Kriterium dann letztlich nachträglich in die veröffentlichte Studie doch aufgenommen. LLSV betonen aber, dass sie sich zunächst geweigert hatten, das Kriterium aufzunehmen, weil es die Civil Law-Rechtsordnungen begünstige. Nach näherem Hinsehen meinten LLSV aber erkannt zu haben, dass 56 % der von ihnen untersuchten Rechtsordnungen des Common Law »preemptive rights« ebenfalls kennen.80 In der veröffentlichten Studie wurden preemptive rights schließlich in acht von 18 Common Law-Ländern identifiziert. ff )
Mindestkapital zur Einberufung einer außerordentlichen Aktionärsversammlung (percentage of share capital to call an extraordinary general meeting) Diese Variable ist selbsterklärend. Es handelt sich um den Kapitalanteil, der erforderlich ist, um eine außerordentliche Hauptversammlung einberufen zu können. Die Definition hierzu lautet wie folgt: »The minimum percentage of ownership of share capital that entitles a shareholder to call for an extraordinary shareholders’ meeting; it ranges from 1 to 33 percent.«81
Nach LLSV sollen Regelungen, die ein Minimum von 10 % oder weniger des Kapitalanteils voraussetzen, den Minderheitenaktionärsschutz fördern; den entsprechenden Ländern wurde daher der Wert »1« zugeteilt. Länder mit einem erforderlichen Mindestkapitalanteil von mehr als 10 % erhielten hingegen den Wert »0« im ADRI.
78 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance Working Paper, S. 21, Fn. 5 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis). 79 A. a. O., S. 21, Fn. 5. 80 A. a. O., S. 21, Fn. 5. 81 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1123).
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gg) »One share – one vote« und »mandatory dividend« Zusätzlich zu den oben genannten sechs Indikatoren haben LLSV die Rechtsordnungen auch daraufhin untersucht, ob sog. Mehrstimmrechtsaktien oder andere Mechanismen, die von dem Prinzip »one share – one vote« abweichen, von der Rechtsordnung zugelassen werden. Eine Rechtsordnung, die ausschließlich »one share – one vote« zuließ, erhielt den Wert »1«; andernfalls wurde der Wert »0« vergeben.82 Allerdings war die Variable weder statistisch relevant83 noch war sie Teil des ADRI. Die Variable wird daher aus der weiteren Betrachtung ausgeklammert. Gleiches gilt für die Frage, ob die betreffende Rechtsordnung eine zwingende Regelung zur Ausschüttung von Dividenden enthielt (mandatory dividend). hh) Zusammenfassung der Variablenkomposition des ADRI Die vorgenannten Variablen – mit Ausnahme der Prinzipien »one share – one vote« und »mandatory dividend« – bilden den ADRI. Der ADRI spiegele nach LLSV als kumulierter Wert aller Einzelvariablen das rechnerische Schutzniveau der jeweiligen Rechtsordnung in Bezug auf den Minderheitenaktionärsschutz wider. Aus der Studie geht weiter hervor, dass sämtliche Länder, die LLSV der Rechtstradition des Civil Law zuordneten, im Vergleich mit den Common LawLändern einen deutlich geringeren ADRI-Wert erreichten. Während der durchschnittliche Wert für »english-origin countries« bei 4,00 lag, rangierte der Wert der »Civil Law«-Länder im Schnitt lediglich bei 2,42; für die »French Civil Law«- und die »German Civil Law«-Länder lag der erreichte Wert jeweils bei 2,33, die »Scandinavian Civil Law«-Länder erreichten einen Wert von 3,00. c) Der ökonometrische Ansatz Wie bereits eingangs angedeutet, ist die Untersuchung von LLSV im Wesentlichen eine ökonometrische Arbeit – Gegenstand war der stochastische Beweis der These »law matters«, und zwar dergestalt, dass das Common Law als dem Civil Law überlegen angesehen werden kann. Die Autoren versuchen mit Hilfe statistischer Methoden nachzuweisen, dass die Legal Origin über das Entwicklungspotenzial des Kapitalmarkts bestimmt. Der folgende Abschnitt soll eine kurze Einführung in das System ökonometrischer Auswertung und statistischer Methoden in der Ökonometrie (insbesondere die Regressionsanalyse) geben.84
82 A. a. O., S. 1122. 83 A. a. O., S. 1150. 84 Vertiefend Hemmer/Lorenz, Grundlagen der Wachstumsempirie.
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aa) Ökonometrie Die Ökonometrie wird – obwohl eine genaue Definition bislang fehlt85 – als Methode zur Untersuchung von statistisch relevanten Zusammenhängen zwischen theoretischen ökonomischen Modellen und der Beobachtung realer wirtschaftlicher Fakten herangezogen. Sie verbindet den wirtschaftstheoretischen Ansatz mit dem empirischen Ansatz, ist essentiell für die Diagnose und Prognose der wirtschaftlichen Lage als Teil wirtschaftspolitischer Aufgaben und hilft bei der Weiterentwicklung ökonomischer Theorien.86 Die Ökonometrie ist damit eine Methode, die – im Sinne des kritischen Rationalismus Karl Poppers – eine Falsifizierung von Theorien ermöglicht. Allgemein lassen sich die folgenden Schritte bei der Aufstellung, Quantifizierung und Auswertung eines ökonometrischen Modells beschreiben:87 1. Spezifikation des Modells, 2. Schätzung der Parameter, 3. Überprüfung der Schätzung mit Hilfe statistischer Analyse und 4. Bewertung und Interpretation der Ergebnisse. Das wirtschaftstheoretische Modell beschreibt zunächst auf einer theoretischen Ebene die möglichen Wirkungszusammenhänge zwischen der zu erklärenden Größe (genannt »abhängige Variable«), also z. B. der Eigentümerstruktur börsennotierter Unternehmen, und den erklärenden Faktoren (den »unabhängigen Variablen«). Zur Verdeutlichung sei folgender Beispielsfall88 herangezogen: »Die Gäste eines Restaurants hinterlassen dem Kellner mehr oder weniger hohe Trinkgeldbeträge. Da der Kellner zu allen Gästen gleichbleibend freundlich ist, kann er sich die Unterschiede in den Trinkgeldbeträgen nicht erklären. […]«
Das wirtschaftstheoretische Beispiel-Modell geht nun davon aus, dass die Höhe der Trinkgeldbeträge von der Höhe der Rechnungen abhängt. Es gilt also, diese These mit Hilfe statistischer Methoden zu beweisen. Von dem ökonomischen Modell ausgehend findet die Spezifikation der Variablen statt. In dem o. g. Beispielsfall würde sich Folgendes ergeben: Die Höhe der Rechnung ist die zur Erklärung herangezogene sog. unabhängige Variable; die Höhe des Trinkgeldes bildet die zu erklärende sog. abhängige Variable. Da die Ökonometrie Wirkungszusammenhänge in der realen Wirklichkeit nachzuweisen versucht, muss dabei auch berücksichtigt werden, dass die Wirtschaftssubjekte nicht immer rein rationale Entscheidungen treffen, sondern dass auch 85 Vgl. von Auer, Ökonometrie, S. 3; vgl. auch die Definitionen bei Baltagi, Econometrics, S. 3f. 86 Vgl. hierzu Winker, Empirische Wirtschaftsforschung, S. 125. 87 A. a. O., S. 125. 88 Entnommen aus von Auer, Ökonometrie, S. 4.
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Zufallsfaktoren eine Rolle spielen. Zumeist handelt es sich um Faktoren, die nicht oder nicht mit vertretbarem Aufwand beobachtet werden können. In dem Beispielsfall hängt die Höhe des Trinkgeldes beispielsweise auch von der Stimmung und der Zufriedenheit des zahlenden Gastes ab. In der Ökonometrie werden diese unsystematischen Einflüsse und Faktoren als »Störgröße« oder »Störterm« bezeichnet und als gesonderte Variable berücksichtigt. Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung, dass alle Störgrößen – seien sie negativ oder positiv – gemäß der sog. Gaußschen Normalverteilung gleichmäßig um den Wert »0« herum verteilt sind.89 Im nächsten Schritt erfolgt die Schätzung der Parameter. Mit Hilfe der Schätzung werden den Variablen des theoretischen Modells numerische Werte zugewiesen.90 Für das oben genannte Beispiel lassen sich pro Gast zwei Beobachtungen durchführen, nämlich die Höhe der Rechnung und der gezahlte Trinkgeldbetrag. Daraus ließe sich der wahre Zusammenhang zwischen Höhe der Rechnung und gezahltem Trinkgeld schätzen.91 Die Schätzung wird durch verschiedene statistische Verfahren schließlich überprüft, u. a. durch die sog. Regressionsanalyse. Die Regressionsanalyse unter Anwendung des sog. KleinsteQuadrate-Prinzips (Ordinary Least Squares – OLS) lag auch der Untersuchung von LLSV zugrunde92. Die Regressionsanalyse hat einige mathematische Prämissen. Sind diese Prämissen verletzt, kann das dazu führen, dass die Regressionsanalyse verzerrte Ergebnisse liefert – jedenfalls müssen in diesen Fällen Anpassungen der statistischen Methoden erfolgen, wenn man das Ergebnis nicht kompromittieren will. In der klassischen Regressionsanalyse werde vorausgesetzt, dass ein Modell formuliert werden kann, in dem Ursache und Wirkung exakt voneinander getrennt sind. Es gebe danach eine oder mehrere außerhalb des Modells liegende, (exogene) unabhängige Variablen, die auf eine in dem Modell liegende (endogene) abhängige Variable wirken. Entscheidend sei, dass die Wirkung nur in eine Richtung erfolge.93 Wirkt die abhängige Variable auch auf die unabhängige Variable, besteht also eine Interdependenz, so spricht man in der Ökonometrie von der Endogenität der unabhängigen Variable im engeren Sinne94 – mit anderen Worten: Die als unabhängig angenommene Variable ist in Wirklichkeit gar nicht unabhängig.
89 90 91 92
A. a. O., S. 5. Winker, Empirische Wirtschaftsforschung, S. 129. Vgl. hierzu von Auer, Ökonometrie, S. 6ff. Vgl. hierzu die Tabelle 8 bei La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1149). 93 Proppe, Methodik der empirischen Forschung, S. 243. 94 A. a. O., S. 243f.
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Ist die vorgenannte Annahme erfüllt, bezeichnet man die unabhängige Variable in der Stochastik als (streng) exogen.95 Wird diese Annahme nicht erfüllt, so führt das zu einem verzerrten Ergebnis und man spricht von dem sog. Endogenitätsproblem.96 Das Endogenitätsproblem kann durch Korrekturen am ökonometrischen Modell, der Verwendung von Proxy-Variablen oder der Schätzung mit Instrument-Variablen gelöst werden.97 Bei der Schätzung mit Hilfe von Instrument-Variablen – das gilt auch für den Einsatz von Proxy-Variablen – wird die endogene unabhängige Variable durch eine andere Variable ersetzt. Für diese Instrument- oder Proxy-Variablen müssen allerdings die für unabhängige Variablen geltenden Prämissen erfüllt sein, d. h. die Variable muss insbesondere (streng) exogen sein.98 Ferner muss die Instrument- oder Proxy-Variable mit der ursprünglichen unabhängigen Variablen hoch korreliert sein, diese also approximieren.99 bb) Übertragung auf die Studie »Law and Finance« In der Studie »Law and Finance« stellten die Autoren die These auf, dass die den Aktionären zustehenden Rechte gegen Ausbeutung durch das Management (Investorenschutz) die Entwicklung und das Wachstum der nationalen Kapitalmärkte beeinflussten, insbesondere die Eigentümerstruktur börsennotierter Publikumsgesellschaften. Dabei nehmen LLSV an, dass gestreuter Aktienbesitz, also eine Eigentümerstruktur mit vielen kleinen Aktionären, eine Auswirkung hohen Investorenschutzes ist, und dass vice versa eine hohe Konzentration des Anteilseigentums Folge schwächeren Investorenschutzes sei.100 Aus diesen Annahmen leiteten LLSV das wirtschaftstheoretische Modell ab, welches es zu untersuchen galt. Daraus ergab sich die Spezifikation der Variablen. Die Eigentümerstruktur war die abhängige – zu erklärende – Variable des Modells, das Niveau des Investorenschutzes wurde als unabhängige – also erklärende – Variable herangezogen. Das Modell setzt allerdings voraus, dass zwischen der Eigentümerstruktur und dem Niveau des Investorenschutzes keine Interdependenzen bestehen. Die Eigentümerstruktur eines Kapitalmarkts darf also keine Einflüsse auf das Niveau des Investorenschutzes haben. Es kann dahingestellt bleiben, ob das eine zu95 96 97 98
Hackl, Ökonometrie, S. 63f. Proppe, Methodik der empirischen Forschung, S. 247. A. a. O., S. 247ff. Winker, Empirische Wirtschaftsforschung, S. 176f.; dies erkennen auch DLLS in Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Self-Dealing, in: J. Finan. Econ. 2008, S. 430– 465. 99 Winker, Empirische Wirtschaftsforschung, S. 176. 100 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1151).
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treffende Annahme ist. Denn LLSV räumen in der Untersuchung selbst ein, dass der Großteil der Variablen des ADRI endogen war, und dass somit eine Instrument-Variable heranzuziehen war. Hierzu führten LLSV wie folgt aus: »More generally, the only truly exogenous variable in these regressions is the legal origin, and hence the result that is most plausibly interpreted as causal is the positive effect of French origin on ownership concentration.«
Da nach den Ergebnissen der Autoren eine hohe Korrelation zwischen dem Niveau des Investorenschutzes (ADRI) und der Legal Origin bestand, die Legal Origin ihrerseits aber nicht durch die Eigentümerstruktur oder die Entwicklung der Kapitalmärkte beeinflusst sein konnte, war es LLSV möglich, Legal Origin als Instrument-Variable zu nutzen, um dem Endogenitätsproblem zu entgehen. Hierzu schrieben Rafael La Porta, Florencio Lopez-de-Silanes und Andrei Shleifer in einer zusammenfassenden Bestandsaufnahme mit dem Titel »The Economic Consequences of Legal Origin« im Jahre 2008: »[…]. If instrumental variable techniques were appropriate in this context, a two stage procedure, in which in the first stage the rules are instrumented by legal origins, would address this objection. LLSV (1997, 1998) pursue this strategy. But even if instrumental variable techniques are inappropriate because legal origin influences finance through channels other than rules protecting investors, legal origins are still exogenous, and to the extent that they shape legal rules protecting investors, these rules cannot be just responding to market development. […]«101
cc) Das Ergebnis der Regressionsanalyse Aus der Tabelle 8 in »Law and Finance«102 ergibt sich aus der statistischen Auswertung mit Hilfe der Regressionsanalyse folgendes Bild: Dependent Variable: Mean Ownership Basic Regression Shareholder and Creditor Rights Log of GNP per capita .0077 0.397 (.0097) (.0242) Log of GNP -.0442** -.0428* (.0119) (.0118) Gini coefficient .0024*** .0027 (.0014) (.0023) Rule of law -.0143 (.0115) Independent Variable
101 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, The Economic Consequences of Legal Origins, in: J. Econ. Lit. 2008, S. 285–332 (S. 298). 102 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1149).
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(Fortsetzung) Dependent Variable: Mean Ownership -.0029*** (.0016) French origin .1296* .0733 (.0261) (.0802) German origin -.0113 -.0025 (.0666) (.0728) Scandinavian origin -.0496 -.0430 (.0371 (.0473) Anti-director rights -.0315** (.0150) One share – one vote -.0497 (.0406) Mandatory dividend .2197*** (.1113) Creditor rights -.0128 (.0171) Legal reserve required -.2237** (.0766) Intercept .7785* .8686* (.1505) (.2952) Number of observations 45 39 Adjusted R2 .5582 .7348 Accounting
Note – Robust standard errors are in parentheses. * Significant at the 1 percent level. ** Significant at the 5 percent level. *** Significant at the 10 percent level Tabelle 2: Tabelle 8103: Dependent Variable: Mean Ownership
Die abhängige erklärte Variable ist die mean ownership, also der Mittelwert der Eigentümerkonzentration, wie er sich aus den Berechnungen von LLSV ergab.104 Die unabhängigen erklärenden Variablen befinden sich – zusammen mit den sog. Kontrollvariablen – in der ersten Spalte der Tabelle. Kontrollvariablen werden eingesetzt, um zu testen, ob die anderen unabhängigen erklärenden Variablen überhaupt Erklärungswert haben. LLSV greifen auf drei gängige Kontrollvariablen zurück: Den Logarithmus des Bruttosozialprodukts pro Kopf (Log of GNP per capita), weil es – nach Auffassung von LLSV – nicht ausgeschlossen erscheint, dass reichere Länder andere Eigentümerstrukturen haben könnten. Des Weiteren greifen sie auf den Logarithmus des Bruttosozialprodukts (Log of GNP) zurück, weil größere Volks-
103 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1149). 104 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1147).
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wirtschaften größere Unternehmen haben und wiederum geringere Eigentümerkonzentrationen aufweisen könnten. Komplettiert werden die Kontrollvariablen schließlich durch den sog. Gini-Koeffizienten – das statistische Maß, um die Ungleichverteilung des Einkommens in einem Land darzustellen105 – mit der Begründung, dass die ungleiche Verteilung des Einkommens einen Einfluss auf die Streuung von Aktien haben könnte. Mit diesen Variablen führen LLSV zwei unterschiedliche Regressionsläufe durch: (1) Erster Regressionslauf (basic regression) Im ersten Regressionslauf wurden lediglich die Kontrollvariablen und die sog. Dummy-Variablen für die Rechtstraditionen des Civil Law (French, German und Scandinavian Civil Law) herangezogen.106 Eine solche Dummy-Variable zeichnet sich dadurch aus, dass sie nur zwei Zustände haben kann, nämlich »1« und »0«.107 In der Studie von LLSV wurde die Dummy-Variable »Civil Law Origin« so definiert, dass alle Rechtsordnungen, die der betreffenden Rechtsfamilie des French, German oder Scandinavian Civil Law zuzuordnen waren, den Wert »1« erhielten, während der Rechtsfamilie des Common Law »0« zugeordnet wurde.108 Um die statistischen Ergebnisse zu verstehen und in ihrer Bedeutung einschätzen zu können, muss man Folgendes beachten: Ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der unabhängigen erklärenden und der abhängigen erklärten Variable bestand laut LLSV lediglich dann, wenn diese mit einem oder mehreren Sternchen (*) versehen worden waren. Die Anzahl der Sternchen trifft hierbei eine Aussage über die Irrtumswahrscheinlichkeit. Als Irrtumswahrscheinlichkeit bezeichnet man die Anzahl an Fällen, in denen man die sog. Null-Hypothese zu akzeptieren gewillt ist. Die NullHypothese geht davon aus, dass keine statistisch relevante Korrelation besteht. In der vorliegenden Auswertung bedeutet dies, dass bei einem Sternchen eine Irrtumswahrscheinlichkeit von 1 % gegeben war, die statistische Relevanz also in 99 % der Fälle bestand, bei zwei Sternchen lag die Irrtumswahrscheinlichkeit bei 5 %, und bei drei Sternchen musste man davon ausgehen, dass die Irrtumswahrscheinlichkeit bei 10 % lag. Sämtliche Variablen, die nicht mit einem Sternchen gekennzeichnet worden waren, wiesen nach LLSV keine statistische
105 Instruktiv hierzu Winker, Empirische Wirtschaftsforschung, S. 87ff. 106 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1148). 107 Vgl. zum Umgang mit Dummy-Variablen Winker, Empirische Wirtschaftsforschung, S. 191ff. 108 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1144).
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Signifikanz auf und haben daher – jedenfalls statistisch – zunächst keinen Erklärungswert für die abhängige erklärte Variable mean ownership. Die sich daraus ergebenden Werte gaben LLSV in der Tabelle 8 als Bruchteile von 1 an. Multipliziert man die Werte mit 100, so ergibt sich daraus der entsprechende Prozentwert der Korrelation. Die Relevanz des Zusammenhangs, mit anderen Worten die Stärke des Einflusses der unabhängigen erklärenden Variable auf die mean ownership, ließ sich an dem jeweils ermittelten Wert ablesen. Ein positiver Wert drückte einen positiven Zusammenhang aus, ein Wert mit negativem Vorzeichen hingegen einen negativen Zusammenhang. Zwischen der Größe einer Wirtschaft (Log of GNP – Logarithmus des Bruttosozialprodukts) und der Eigentümerstruktur bestand z. B. ein negativer Zusammenhang; je größer eine Wirtschaft, desto geringer war nach LLSV die Eigentümerkonzentration. Die Relevanz lag allerdings lediglich bei ca. 4,42 % (-.0442 x 100). In der letzten Zeile der Tabelle 8 befindet sich die Angabe über den sog. Determinationskoeffizienten »R2«, der die Güte des Modells insgesamt beschreibt und Auskunft über die Verlässlichkeit des Modells gibt.109 Der Determinationskoeffizient weist dabei aus, welcher Anteil der mean ownership mit Hilfe der statistisch relevanten unabhängigen erklärenden Variablen des Modells erklärt werden konnte; der fehlende Anteil hatte seine Ursachen also in jedem Fall in Umständen, die außerhalb des Modells lagen. Konkret ließen sich nach LLSV aus dem ersten Regressionslauf folgende Schlussfolgerungen ziehen: Ein statistischer Zusammenhang zu der mean ownership bestand danach lediglich zu den Kontrollvariablen »Log of GNP« mit einer sehr geringen negativen Korrelation von -4,42 % ( je größer das Bruttosozialprodukt, desto geringer der Wert für mean ownership) und dem Gini-Koeffizienten mit einer noch geringeren, diesmal aber positiven Korrelation von lediglich 0,24 % ( je größer die Ungleichverteilung des Einkommens, desto höher der Wert der mean ownership). Außerdem ergab sich ein geringer statistischer Zusammenhang mit der Dummy-Variable »French Origin« mit 12,96 %. Der Determinationskoeffizient von 0,5582 am Ende der Auswertung gibt Auskunft darüber, dass das Modell geeignet ist, 55,82 % der Variable »mean ownership« über die vorgenannten unabhängigen Variablen zu erklären. Das heißt nichts Anderes, als dass statistisch mindestens 44,18 % der mean ownership von anderen (unbekannten) Faktoren erklärt werden müssen; das Modell ist daher eher ungenau.
109 Winker, Empirische Wirtschaftsforschung, S. 150f.
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(2)
Zweiter Regressionslauf unter Einbeziehung weiterer Variablen (shareholder and creditor rights) In dem zweiten Regressionslauf (shareholder and creditor rights) haben die Ökonomen weitere Variablen einbezogen; dies waren konkret die »rule of law« als Maßstab für die Rechtsdurchsetzung, die Variable »accounting« als Maßstab für die Qualität der Buchführungs- und Bilanzierungsregelungen, der ADRI als Maßstab des Investorenschutzes, das Prinzip »one share – one vote«, die Variable »mandatory dividend«, der – hier nicht weiter erläuterte – Index für die creditor rights, und letztlich eine Variable für die gesetzliche Rücklagepflicht110 (»legal reserve requirement«).111 Statistisch relevante Zusammenhänge ergaben sich danach – teilweise abweichend vom ersten Regressionslauf – lediglich noch für die Kontrollvariable »Log of GNP« mit -4,28 %, die Variable des »accounting« mit einer Signifikanz von -0,29 %, dem ADRI mit 3,15 %, der »mandatory dividend« mit 21,97 % und der gesetzlichen Rücklagepflicht (legal reserve requirement) mit -22,37 %. Für die »French Origin«-Variable ergab sich – ebenso wie für den Gini-Koeffizienten – keine statistische Relevanz mehr. Der Determinationskoeffizient steigerte sich durch die Einbeziehung der weiteren Variablen auf 0,7348 bzw. 73,48 %. Das heißt, dass statistisch noch 26,52 % der Erklärung der mean ownership auf außerhalb des Modells beruhenden Umständen basierte. Aus der statistischen Relevanz des ADRI zogen LLSV den Schluss, dass eine hohe Konzentration des Anteilseigentums ein Resultat schwachen Investorenschutzes sein müsse oder aber ein Substitut für Investorenschutz.112 2.
Zusammenfassung der Studie »Law and Finance«
Um die statistischen Zusammenhänge zwischen der Entwicklung der Finanzmärkte, insbesondere der Konzentration des Anteilseigentums börsennotierter Publikumsgesellschaften, und dem (Kapitalmarkt-)Recht zu ergründen, entwickelten LLSV eine Methode, um aus den qualitativen Regelungen der Rechtsordnungen quantifizierbare Elemente zu machen. Hierzu entwickelten die Finanzökonomen zunächst einen rechtlichen Musterindex zur Bemessung des Minderheitenaktionärsschutzes, den »Anti Director Rights Index«, kurz: ADRI. Auf diese Weise gelang es den Finanzökonomen, qualitatives Recht zum Schutz der Minderheitenaktionäre in quantifizierbaren Elementen darzustellen. Damit 110 Im deutschen Recht für die Aktiengesellschaft in § 150 AktG geregelt. 111 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1149). 112 A. a. O., S. 1151.
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wurde das (Kapitalmarkt-)Recht zum Schutz von Minderheitenaktionären als Variable in der Anwendung statistischer Methoden operabel, insbesondere in der Regressionsanalyse. In einem weiteren Schritt wollten LLSV untersuchen, welchen Einfluss die dem jeweiligen nationalen ADRI zugrundeliegende Rechtstradition (Common Law oder Civil Law) hatte und ob sich diesbezüglich eine statistische Relevanz nachweisen ließ. Aus diesem Grunde ordneten die Finanzökonomen die 49 untersuchten Rechtsordnungen insgesamt den folgenden vier Rechtsfamilien zu: Common Law, French Civil Law, German Civil Law sowie Scandinavian Civil Law. Im Anschluss an diese Zuordnung teilten LLSV die Rechtsfamilien den beiden übergeordneten Rechtstraditionen Common Law und Civil Law zu. Die Ergebnisse der statistischen Auswertung der Wirkungszusammenhänge legten – nach LLSV – den Schluss nahe, dass das Ausmaß der Konzentration des Anteileigentums, welches in Ländern der französischen Rechtstradition besonders hoch war113, durch den Minderheitenaktionärsschutz (mit-)bestimmt werde.
II.
»The Law and Economics of Self-Dealing« von 2008
Mit der im Jahre 2008 veröffentlichten Studie »The Law and Economics of SelfDealing«114 beschritten die Autoren Simeon Djankov, Rafael La Porta, Florencio Lopez-de-Silanes und Andrei Shleifer (fortan DLLS) einen etwas anderen Weg als mit »Law and Finance«. Gegenstand der Studie war die Gefahr der Aktionäre vor Self-Dealing, also dem Fall, in dem die Kontrollinhaber einer Gesellschaft – sei es die Unternehmensführung oder der beherrschende Aktionär – das Vermögen der Gesellschaft durch Transaktionen mit verbundenen Parteien (»related party transactions«) an sich umleiten.115 Die Finanzwissenschaft erörtert derartige Transaktionen zur Umlenkung von Vermögenswerten unter dem Oberbegriff »private benefits of control«116. Während die Finanzwissenschaft dabei überwiegend von den Stimmrechten ausgeht und diese Kontrollvorteile im Wesentlichen im Zusammenhang mit (feindlichen) Übernahmen diskutiert wurden, fokussierten DLLS den Blick auf die staatliche oder private Regulierung des Self-
113 A. a. O., S. 1147f. 114 Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Self-Dealing, in: J. Finan. Econ. 2008, S. 430– 465. 115 A. a. O., S. 431. 116 Zingales, The Value of the Voting Right, in: Rev. Financ. Stud. 1994, S. 125–148 (S. 126ff.); Dyck/Zingales, Private Benefits of Control, in: J. Finance 2004, S. 537–599; Albuquerque/Schroth, Quantifying private benefits of control, in: J. Finan. Econ. 2010, S. 33–55.
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Dealing zum Schutz der Minderheitenaktionäre. Diese Art der Benachteiligung von Minderheitenaktionären kann auf verschiedene Arten reguliert werden.117 Auch in diesem Fall haben die Finanzökonomen einen Index erstellt, den sog. »Self-Dealing«-Index. Außerdem haben DLLS den ADRI von 1998 teilweise revidiert und auch in dieser Studie erneut im Rahmen der statistischen Auswertung verwendet. 1.
Gang der Darstellung
Im Folgenden soll die Studie dargestellt werden. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem von der »Law and Finance«-Studie abweichenden methodischen Ansatz. Im ersten Abschnitt werden die Ausgangspunkte der Studie dargestellt. Dabei werden die Grundlagen des »Self-Dealing«-Index kurz dargestellt. Nur am Rande wird in diesem Rahmen auch der revidierte ADRI von 2008 gestriffen. Die Darstellung kann indes kurz gehalten werden, weil die Änderungen zum ursprünglichen ADRI im Wesentlichen in Konkretisierungen, Präzisierungen und der Ausweitung um 23 Länder auf insgesamt 72 Länder118 bestehen. Im zweiten Abschnitt werden die Ergebnisse der ökonometrischen Auswertung zusammengefasst. Im dritten Abschnitt werden die Schlussfolgerungen der Autoren aufgezeigt, die sich auf mehrere Bereiche erstrecken. a) Ausgangspunkte der Studie Wie bereits eingangs ausgeführt, diente die Studie der empirischen Untersuchung des rechtlichen Rahmens gegen das Self-Dealing. Der Ausgangspunkt von DLLS ist hierbei klar und knüpft an die stark kritisierte Studie »Law and Finance« an: Es ging darum, empirisch zu belegen, dass die These »law matters« auch – neben dem Schutz von Minderheitenaktionären gegen die Unternehmensführung – für den Bereich des Self-Dealing gilt und spezifische ökonomische Auswirkungen hat. Das wirtschaftstheoretische Modell von DLLS geht davon aus, dass die Umleitung von Vermögen durch den Mehrheitseigner oder die Unternehmensführung zum Nachteil der Minderheitenaktionäre einen (negativen) Einfluss auf die Entwicklung des jeweiligen nationalen Kapitalmarkts hat. Diesen Einfluss wollten DLLS mit der Studie empirisch untersuchen. 117 Für einen Überblick über die verschiedenen Systeme vgl. Enriques, The Law on SelfDealing, in: ICCLJ 2000, S. 297–333 (S. 302ff.). 118 Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Self-Dealing, in: J. Finan. Econ. 2008, S. 430– 465 (S. 431f.).
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DLLS gingen hinsichtlich des rechtlichen Ausgangspunkts erneut davon aus, dass die untersuchten Rechtsordnungen unterschiedlichen Rechtsfamilien zugeordnet werden können. Ferner gingen DLLS davon aus, dass die Rechtsfamilien entweder dem Common Law oder dem Civil Law zugehörig sind – die bereits in »Law and Finance« herangezogene Dichotomie war auch hier die maßgebliche Prämisse der Finanzökonomen. DLLS verzichteten allerdings auf eine gesonderte Darstellung der Kategorisierung der Rechtsordnungen im Einzelnen und nahmen im Wesentlichen auf die in dem vorangegangenen Arbeitspapier »The Law and Economics of Self-Dealing« erarbeitete Kategorisierung der Rechtsordnungen Bezug.119 Die Kategorisierung der Rechtsordnungen entsprach dabei im Wesentlichen derjenigen in »Law and Finance«. Es sind allerdings weitere Länder in die Betrachtung aufgenommen worden. Methodisch beschritten DLLS einen anderen Weg als die Autoren von »Law and Finance«. Die Ökonomen ließen einen fiktiven Sachverhalt von kooperierenden Rechtsanwälten des jeweiligen untersuchten Landes gutachterlich lösen.120 Die qualitativen Lösungen wurden in verschiedene Kategorien und Teilstücke untergliedert, um anschließend durch die Entwicklung eines »Self-Dealing«-Index einer Quantifizierung zugänglich zu sein. aa) Das wirtschaftliche Modell hinter der empirischen Fragestellung Die Kontrollvorteile der Unternehmensführung oder der kontrollierenden Mehrheits- oder Großaktionäre stellen ein vieldiskutiertes Problem der Corporate Governance dar. Seit der – teilweise angegriffenen bzw. relativierten – These von Adolf A. Berle und Gardiner C. Means, Eigentum und Unternehmenskontrolle seien getrennt, ist man sich einig, dass bei einer Publikumsgesellschaft die Gefahr der eigennützigen »Unternehmensausbeutung« zum Nachteil der Aktionäre durch die Kontrollinhaber besteht. Dahinter steckt nichts anderes als ein Prinzipal-Agent-Problem. Der Prinzipal (Aktionär) ist auf die Hilfe eines Agenten (Unternehmensführung) angewiesen, weil er selbst nicht über das Wissen oder die Erfahrung bei der Unternehmensleitung verfügt. Aufgrund seines Wissensvorsprungs und seiner Einflussmöglichkeiten kann der Agent dies zu seinem persönlichen Vorteil nutzen und sich selbst bereichern. Dieser Interessenskonflikt ist allen Prinzipal-Agent-Verhältnissen immanent. Das Problem des Machtmissbrauchs zum eigenen Vorteil im Kapitalmarktrecht tritt grundsätzlich in zwei verschiedenen Ausprägungen auf und hängt von dem gesellschaftsrechtlichen Grundverständnis von Kapitalgesellschaften auf der einen 119 Vgl. hierzu »Tabelle 2« im Anhang zu Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, SelfDealing Working Paper, S. Table 2 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis). 120 Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Self-Dealing, in: J. Finan. Econ. 2008, S. 430– 465 (S. 431).
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und der Eigentümerstruktur der Kapitalgesellschaft auf der anderen Seite ab. Während die angelsächsischen Rechts- und Wirtschaftsordnungen das Prinzipal-Agent-Problem – aufgrund der strukturell starken Unternehmensführung – im Verhältnis zwischen Unternehmensführung und Aktionären zu regeln suchen,121 ist in der kontinentaleuropäischen Wirtschaftsrealität mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Mehrheitsaktionär122 oder ein beherrschendes Unternehmen anzutreffen, sodass hier vor allem ein Machtmissbrauch durch den Mehrheitseigner auftreten kann.123 Nach Ansicht von La Porta, Lopez-de-Silanes und Shleifer sei durch einen Mehrheitseigner zwar eine ideale Überwachung der Unternehmensführung gewährleistet, zugleich habe der Mehrheitseigner aber in der Regel die Macht und auch das Ziel, die Minderheitenaktionäre auszubeuten. Ferner sei die Regelung des Interessenkonflikts zwischen Mehrheits- und Minderheitenaktionär eine entscheidende Frage für die Reduzierung der daraus resultierenden PrinzipalAgent-Probleme.124 Ganz im Geiste von »Law and Finance« verbinden die Finanzökonomen einen höheren Minderheitenschutz – diesmal vor dem Mehrheitseigner – mit besser entwickelten Finanzmärkten. Damit wird die wirtschaftliche Grundüberlegung hinter der Studie klar: Wenn der Machtmissbrauch durch Mehrheitseigner zu einem Problem werden kann und der Schutz von Minderheiten im Allgemeinen die Entwicklung der Kapitalmärkte fördert, dann dürfte das auch für den Schutz vor dem Self-Dealing durch Mehrheitsaktionäre oder die Unternehmensführung gelten. Diese wirtschaftstheoretische Hypothese bildete den Ausgangspunkt von DLLS. bb) Die rechtlichen Ausgangspunkte Eine Darstellung der rechtlichen Ausgangspunkte erfordert zunächst eine kurze Einführung in die Methode von DLLS. Aus diesem Grunde werden die nachfolgenden Ausführungen zunächst die Methode aufzeigen und dann (davon ausgehend) die einzelnen rechtlichen Grundüberlegungen in den Blick nehmen. 121 Vgl. hierzu Kraakman/Davies/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock, The Anatomy of Corporate Law, S. 101ff. 122 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Corporate Ownership, in: J. Finance 1999, S. 471–517 (S. 505); Denis/McConnell, International Corporate Governance, in: JFQA 2003, S. 1– 36 (S. 18f.); Franks/Mayer/Rossi, Ownership: Evolution and Regulation, in: Rev. Financ. Stud. 2009, S. 4009–4056 (S. 4009); anderer Ansicht im Hinblick auf die USA aber Holderness, The Myth of Diffuse Ownership in the United States, in: Rev. Financ. Stud. 2009, S. 1377–1408. 123 Kraakman/Davies/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock, The Anatomy of Corporate Law, S. 68. 124 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Corporate Ownership, in: J. Finance 1999, S. 471–517 (S. 511f.).
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Teil 1: Einführung in die »Legal Origins«-Forschung
(1) Die Methode Anders als zuvor ließen DLLS einen fiktiven Fall des Self-Dealing juristisch begutachten und entwickelten ihre Kategorien in enger Abstimmung mit den Juristen im Rahmen einer Fallstudie (case study). Die enge Abstimmung sollte die Vergleichbarkeit der Rechtsordnungen sicherstellen, womit DLLS der harschen Kritik an der zehn Jahre vorher veröffentlichten Studie »Law and Finance« Rechnung tragen wollten.125 Der fiktive Fall und die sich daraus ergebenden Kategorisierungen stellen sich wie folgt dar: (a)
Der fiktive »Self-Dealing«-Fall
»Buyer Co. (»Buyer«) is a food manufacturer. It is a publicly traded firm listed on the country’s largest stock exchange. Buyer manufactures and distributes all of its products itself. Mr. James is Buyer’s controlling shareholder and a member of Buyer’s board of directors. He owns 60 % of Buyer, and elected two directors to Buyer’s five-member board of directors (in addition to himself). Buyer’s CEO is the son of Mr. James. Mr. James also owns 90 % of Seller Co., which operates a chain of retail hardware stores. Seller recently shut down a large number of its stores. As a result, its fleet of trucks is not being utilized. Mr. James proposes that Buyer purchase Seller’s unused fleet of trucks to expand Buyer’s distribution of its food products. The final terms of the transaction require Buyer to pay to Seller in cash an amount equal to 10 % of Buyer’s assets in exchange for the trucks. The transaction is part of Buyer’s ordinary course of business and is not ultra vires. Buyer enters into the transaction. All required approvals are obtained and all the required disclosures made. The transaction might be unfair to Buyer. Shareholders sue the interested parties and the approving body.«126
Übersetzung: Fa. Käufer (»Käufer«) ist ein Lebensmittelproduzent. Es handelt sich um eine Publikumsgesellschaft, deren Aktien an der größten nationalen Börse gehandelt werden. Käufer stellt all seine Produkte selbst her und vertreibt sie auch selbst. Mr. James ist Käufers Mehrheitsaktionär und Mitglied des Vorstands. Er besitzt 60 % der Fa. Käufer und hat 2 Vorstandsmitglieder in den 5-köpfigen Vorstand gewählt (zusätzlich zu ihm selbst). Käufers Vorstandsvorsitzender ist Mr. James Sohn. Mr. James besitzt außerdem 90 % der Fa. Verkäufer, die eine Kette von Einzelhandelsgeschäften für Haushaltswaren betreibt. Verkäufer hat kürzlich eine erhebliche Zahl seiner Filialen geschlossen. Aus diesem Grunde wird ein Großteil der Fahrzeugflotte nicht mehr benötigt. Mr. James schlägt vor, dass Käufer die ungenutzte Fahrzeugflotte kauft, um seinen Lebensmittelvertrieb auszuweiten. Nach den vertraglichen Vereinbarungen muss Käufer einen Kaufpreis bezahlen, der 10 % von Käufers Aktiva beträgt. 125 Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Self-Dealing, in: J. Finan. Econ. 2008, S. 430– 465 (S. 432f.). 126 A. a. O., S. 433.
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Die Transaktion gehört zu Käufers Unternehmensgegenstand und stellt keinen Fall von ultra vires dar. Käufer stimmt der Transaktion zu. Alle erforderlichen Zustimmungen werden erteilt und alle erforderlichen Offenlegungen erfolgen. Die Transaktion könnte zu Lasten von Käufer unfair sein. Aus diesem Grunde verklagen die Aktionäre die beteiligten Parteien und die zustimmenden Organe der Gesellschaften.
Die fiktive Transaktion involviert zunächst zwei Kapitalgesellschaften. Mr. James ist aber nicht nur der Mehrheitseigner bei Buyer, sondern zugleich auch Teil der aus fünf Personen bestehenden Unternehmensführung. Damit bildet der Fall gleichzeitig zwei Interessenskonflikte ab, die zu regulieren sind, nämlich auf der einen Seite den Konflikt zwischen den Aktionären und der Unternehmensführung, und auf der anderen Seite den Konflikt zwischen dem Mehrheitsaktionär und den Minderheitsaktionären. Der Hintergrund ist relativ offensichtlich, denn auch DLLS war klar, dass die zu regelnden Prinzipal-Agent-Probleme zwischen den kontinentaleuropäischen und den »Common Law«-Ländern unterschiedlich sind. Der Fall deckt daher – prima facie – beide Konflikte ab und stellt so eine Vergleichbarkeit sicher. Darüber hinaus legten DLLS fest, dass der Sohn von Mr. James der Vorstandsvorsitzende (Chief Executive Officer – CEO) und damit der verantwortliche Entscheidungsträger über das Tagesgeschäft ist. Diese Annahme mag auf den ersten Blick wenig Bedeutung haben. Wie aber noch zu zeigen sein wird, ist diese Annahme im Rahmen der Schlussfolgerungen von DLLS von erheblicher Bedeutung. (b) Die Kategorisierung Da die ökonometrischen Berechnungen quantifizierbare Elemente voraussetzten, war eine Kodierung der bei der Fallstudie zur Lösung relevanten Regelungskomplexe – wie schon bei der Vorgängerstudie – erforderlich. Anders als noch in »Law and Finance« greifen DLLS dabei auch die Möglichkeit auf, die Variablen differenziert darzustellen, nämlich durch die Darstellung als Bruchzahlen127. Die hierdurch mögliche Differenzierung behebt einige Unschärfen, die im Rahmen der Studie »Law and Finance« aufgrund einer pauschalen binären Kodierung immanent waren. Um die Quantifizierbarkeit zu erreichen, haben DLLS im Wesentlichen zwei Indizes entwickelt: Den »Ex Ante Private Control«-Index und den »Ex Post Private Control«-Index.128 Der »Self-Dealing«-Index setzt sich schließlich aus dem Durchschnittswert der beiden Indizes zusammen.
127 So z. B. bei der Variable »Disclosure by Buyer«, a. a. O., S. 434. 128 A. a. O., S. 434.
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Der »Ex Ante Private Control«-Index bildet dabei die vorgreifliche, nichtstaatliche, also privatrechtliche Kontrolle einer Self-Dealing-Transaktion ab, und zwar zu einem Zeitpunkt, bevor diese Transaktion stattfinden kann. DLLS richteten ihr Augenmerk dabei auf folgende Regelungsmaterien: – Die Zustimmung durch uneigennützige Aktionäre, also solche, die nicht Nutznießer der Transaktion sind; – die Offenlegung durch die maßgeblich beteiligten Personen (disclosure); – und eine unabhängige Begutachtung durch einen Auditor (independent review). Diese Komponenten bilden danach den »Ex Ante Private Control«-Index. Im Weiteren untersuchten DLLS die rechtlichen Rahmenbedingungen der »ex post«-Kontrolle bzw. des »private enforcement« im Nachgang einer unfairen SelfDealing-Transaktion. Die hierbei erheblichen Regelungskomplexe identifizieren DLLS wie folgt129: – Offenlegung sämtlicher direkter und indirekter Beteiligungsverhältnisse zwischen den Gesellschaften und Mr. James sowie aller materieller Fakten der Transaktion (Beschreibung des Vermögens; Natur und Summe der consideration; Erklärungen des Preises); – die Möglichkeit für Aktionäre mit mindestens 10 % Anteil, Mr. James oder die zustimmenden Organe zu verklagen; – erforderliche Voraussetzungen, um Mr. James persönlich für den Schaden haftbar zu machen; – erforderliche Voraussetzungen, die zustimmenden Organe haftbar zu machen; – den Zugang zum Beweismaterial. Die vorangegangene Darstellung lässt bereits erkennen, wo die Schwerpunkte nach Ansicht von DLLS liegen. In erster Linie geht es um die private Rechtsdurchsetzung durch die Funktionsweise der Publizität, die von Louis Brandeis mit der Äußerung »Publicity is justly commended as a remedy for social and industrial diseases. Sunlight is said to be the best of disinfectants; electric light the most efficient policeman.«130
pointiert dargestellt wurde und auf die sich auch DLLS sinngemäß berufen.131 Neben dem »Self-Dealing«-Index, der den Fokus ausschließlich auf nichtstaatliche, private Kontrollmechanismen legt, spielen auch Regelungen des 129 A. a. O., S. 434. 130 Brandeis, Other People’s Money, S. 62. 131 Vgl. hierzu das (ungenaue) Zitat in Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, SelfDealing, in: J. Finan. Econ. 2008, S. 430–465 (S. 436).
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»public enforcement« eine Rolle, also die Kontrolle durch Prävention mit Hilfe von strafrechtlichen Sanktionen (Geld- oder Freiheitsstrafen).132 Der »Self-Dealing«-Index setzt sich gleichwohl ausschließlich aus Komponenten der privaten Kontrolle zusammen, und DLLS klammern den Bereich des »public enforcement« ohne weitere Erklärungen aus. (c) Der revidierte ADRI Im Übrigen haben DLLS den ursprünglichen ADRI in einigen kritisierten Punkten einer Revision unterzogen und die Variablen teilweise neu definiert und präzisiert. Der revidierte ADRI besteht weiterhin aus sechs Variablen, die für Regelungen zum Ausgleich des Konflikts zwischen Minderheitenaktionären und der Unternehmensführung stehen. Die grundlegenden Annahmen wurden aber teilweise korrigiert. DLLS differenzieren nunmehr zwischen »opt in«-Regelungen (Regelungen, die dem Rechtssubjekt die Anwendung freistellen), den sog. default rules (Regelungen, die eine abweichende Gestaltung erfordern, falls die Regelung keine Anwendung finden soll), und den zwingenden Regelungen (»mandatory rules«), die anders als die beiden anderen Kategorien nicht dispositiv sind.133 Nach den neuen Variablen ist es für eine Wertung im Sinne des ADRI allerdings erforderlich, dass die untersuchte Rechtsordnung eine zwingende oder zumindest eine default rule ist.134 Die teilweise neu definierten Variablen des revidierten ADRI sollen an dieser Stelle nicht im Einzelnen dargestellt werden. (2) Die Dichotomie zwischen Common Law und Civil Law DLLS gehen erneut von der Dichotomie zwischen dem Common Law und dem Civil Law aus. Dabei greifen sie ohne weitere Erklärung die Einordnung der Rechtsordnungen aus der bzw. den vorangegangenen Studien (insbesondere »Law and Finance«) auf und übernehmen diese. Nach DLLS gehören von den 72 untersuchten Ländern 21 dem Common Law, 32 dem French Civil Law, 14 dem German Civil Law und schlussendlich fünf dem Scandinavian Civil Law an. Dies ergibt sich allerdings nicht aus dem veröffentlichten Artikel, sondern nur aus den von DLLS zur Verfügung gestellten zusätzlichen Materialien.135 Konsequenter-
132 133 134 135
A. a. O., S. 435, 437. Vgl. die Erläuterungen der Änderungen bei a. a. O., S. 454. A. a. O., S. 455. Vgl. hierzu Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Dataset (siehe Internet-/Intranetverzeichnis); auch Tabelle 2 im Anhang zu Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Self-Dealing Working Paper (siehe Internet-/Intranetverzeichnis).
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weise nimmt auch die statistische Darstellung und Auswertung die v. g. Dichotomie als gegeben an.136 b) Die ökonometrische Auswertung Gegenstand der ökonometrischen Untersuchung durch DLLS war der Zusammenhang zwischen dem »Self-Dealing«-Index und der Kapitalmarktentwicklung. Die Kapitalmarktentwicklung war in diesem Fall die abhängige erklärte Variable – vergleichbar mit der mean ownership in »Law and Finance«. Um die Kapitalmarktentwicklung als abhängige erklärte Variable darzustellen, verwendeten DLLS die folgenden fünf Einzelindikatoren für die Kapitalmarktentwicklung insgesamt. aa) Einzelindikatoren der Kapitalmarktentwicklung Da die Kapitalmarktentwicklung für sich genommen nicht anhand eines allgemeingültigen Wertes quantifizierbar war, mussten DLLS die nachgenannten Stellvertreter-Variablen heranziehen. Der erste Indikator betraf das Verhältnis zwischen der Börsenkapitalisierung und dem Bruttoinlandsprodukt, bei DLLS »average ratio of stock market capitalization to GDP« genannt; der Indikator wurde verwendet, weil DLLS davon ausgingen, dass Unternehmen größer, wertvoller und zahlreicher sind in Ländern mit einem hohem Niveau des Aktionärsschutzes.137 Der zweite Indikator bestand aus der Höhe des Aufschlages, der für die Erlangung der Kontrolle über ein Unternehmen gezahlt werden muss (control premium). DLLS zogen diesen Wert als Indikator heran, weil verschiedene theoretische Modelle davon ausgingen, dass sich darin eine Maßeinheit für die sog. »private benefits of control« ausdrückte und dieser Aufschlag – so die Theorie – in Ländern mit geringerem Schutzniveau für Aktionäre höher sein müsste.138 Als dritten Indikator für die Entwicklung des Kapitalmarkts zogen DLLS das Verhältnis zwischen der Anzahl an öffentlich gehandelten Unternehmen (publicly-traded firms) und den Einwohnern des betreffenden Landes heran. Der vierte Indikator war der Durchschnitt des Wertes eines Börsengangs im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt.139 Letztlich zogen DLLS als fünften Indikator die Stellvertretervariable für die Eigentümerkonzentration (ownership concentration) heran, weil sie – unter Berücksichtigung der Theorie sowie ihren vorangegangenen Untersuchungen – 136 Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Self-Dealing, in: J. Finan. Econ. 2008, S. 430– 465 (S. 438ff., 441ff., 462f.). 137 A. a. O., S. 443f. 138 A. a. O., S. 444. 139 A. a. O., S. 444.
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davon ausgingen, dass diese in Ländern mit stärker entwickeltem Aktionärsschutz geringer sei.140 bb) Auswertung der Stellvertreter-Variablen anhand der Indizes Die Stellvertreter-Variablen wurden mit einer Vielzahl von unabhängigen Variablen und Kontrollvariablen (insbesondere dem »Self-Dealing«-Index und dem ADRI) in Zusammenhang gebracht und statistischen Methoden unterworfen. Das Ergebnis der Auswertungen zu den beiden »Ex Ante«- und »Ex Post«Indizes sowie dem aggregierten »Self-Dealing«-Index lässt sich wie folgt zusammenfassen: (1) Korrelation mit dem »Ex Ante Private Control«-Index Der »Ex Ante Private Control«-Index ist korreliert mit der Variable der Börsenkapitalisierung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (average ratio of stock market capitalization to GDP) in Höhe von 43,64 % und – allerdings mit negativem Vorzeichen – dem Kontrollaufschlag (»control premium«) mit lediglich -0,14 %. Das bedeutet, je höher der »Ex Ante Private Control«-Index, desto größer das Verhältnis zwischen Börsenkapitalisierung und Bruttoinlandsprodukt. Hinsichtlich des Kontrollaufschlages verhält es sich umgekehrt: Je höher der »Ex Ante Private Control«-Index, desto geringer der Kontrollaufschlag. Ein Zusammenhang zwischen dem »Ex Ante Private Control«-Index und der Konzentration des Anteilseigentums (ownership concentration) konnten DLLS hingegen nicht finden.141 Um diese Ergebnisse in einer kurzen und prägnanten Aussage zu konzentrieren, ließe sich sagen, dass der »Ex Ante Private Control«Index statistisch relevant ist für ⅖ der Indikatoren der Kapitalmarktentwicklung. Die Kapitalmarktentwicklung ließ sich rein statistisch im Ergebnis zu unterschiedlichen Anteilen durch die einzelnen Stellvertreter-Variablen erklären. Die erste Variable (stock market capitalization to GDP) wird lediglich zu 42 % durch den »Ex Ante Private Control«-Index erklärt, der Kontrollaufschlag zu 28 % und die letzte Variable, namentlich das Verhältnis von Börsengängen zu Einwohnern, zu lediglich 35 %. Damit beruht der jeweilige Indikator, der seinerseits eine Vorstellung von der Kapitalmarktentwicklung vermittelt, teilweise bis zu fast ⅔ auf außerhalb des »Ex Ante Private Control«-Index liegenden Umständen. Der Erklärungswert des »Ex Ante Private Control«-Index ist folglich überschaubar.
140 A. a. O., S. 444. 141 Vgl. Tabelle 6 a. a. O., S. 448.
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(2) Korrelation mit dem »Ex Post Private Control«-Index Hinsichtlich der Korrelation mit dem »Ex Post Private Control«-Index ändert sich das Ergebnis lediglich in zwei Punkten: DLLS stellten neben den o. g. Stellvertreter-Variablen ferner einen statistischen Zusammenhang zum »Logarithmus Unternehmen / Bruttoinlandsprodukt« sowie zur Eigentümerkonzentration fest und damit letztlich zu allen fünf Indikatoren der Kapitalmarktentwicklung. Der Erklärungswert der Variablen bewegt sich dabei in dem oben bereits genannten Spektrum. Für die durch den »Ex Ante Private Control«-Index gar nicht erklärten Variablen gilt, dass 51 % der statistischen Erklärung der Variable »Logarithmus Unternehmen / Bruttoinlandsprodukt« und 64 % der Variable »Eigentümerkonzentration« auf anderen Umständen beruht.142 (3) Korrelation mit dem »Self-Dealing«-Index Für den »Self-Dealing«-Index (bestehend aus den beiden vorgenannten Indizes) ergab die Auswertung eine statistische Signifikanz für alle abhängigen Variablen mit Ausnahme der Eigentümerkonzentration. Der Erklärungswert bewegt sich dabei in dem bereits genannten Spektrum und überschreitet 50 % in keinem Fall, erklärt die Variablen statistisch also höchstens zur Hälfte.143 cc)
Untersuchung des statistischen Zusammenhangs zu den Rechtsfamilien und Rechtstraditionen Letztlich identifizieren DLLS signifikante Unterschiede hinsichtlich des »SelfDealing«-Index für die verschiedenen Rechtsfamilien bzw. Rechtstraditionen. Während die Länder des Common Law einen durchschnittlichen »Self-Dealing«Indexwert von 0,67 erreichen, schneiden die Länder der »Civil Law«-Rechtstradition deutlich schwächer ab. Sowohl die »German Civil Law«-Länder als auch die Länder des Scandinavian Civil Law erreichen lediglich einen Wert von 0,39. Die Länder des French Civil Law erreichten hingegen lediglich einen Wert von 0,35. Nach DLLS sind die »Common Law«-Länder den »Civil Law«-Ländern sowohl hinsichtlich der Einzelindizes »Ex Ante Private Control« und »Ex Post Private Control« als auch hinsichtlich des Gesamtindexes deutlich überlegen. c) DLLS-Folgerungen aus der Studie Die Berechnungen deuten – auf den ersten Blick – einen wie auch immer gearteten Zusammenhang zwischen dem Niveau des »Self-Dealing«-Index und der Kapitalmarktentwicklung an. Nach DLLS lassen sich die Schlussfolgerungen in drei Kategorien unterteilen. Erstens resümieren DLLS, welche der bisher angewandten Methoden zur »Bemessung« des Aktionärsschutzes vorzugswürdig 142 A. a. O., S. 448. 143 A. a. O., S. 448.
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sind. Zweitens bewerten sie die aus der Studie resultierenden Implikationen für die Interpretation der Legal Origins und ihrer Auswirkungen auf den Minderheitenaktionärsschutz und die ökonomische Entwicklung. Drittens ziehen DLLS Schlussfolgerungen hinsichtlich gesetzgeberischer Strategien zur Regelung des Self-Dealing. aa) Methoden zur »Bemessung« des Aktionärsschutzes DLLS messen sowohl dem neu entwickelten »Self-Dealing«-Index als auch dem revidierten ADRI grundsätzlich einen hohen Vorhersagewert für die Kapitalmarktentwicklung bei – die anderen Indizes seien hingegen weniger aussagekräftig. Für länderübergreifende Studien geben DLLS allerdings dem »SelfDealing«-Index als Gradmesser für den Aktionärsschutz den Vorzug vor dem revidierten ADRI. Begründet wird dies damit, dass Self-Dealing eines der zentralen Probleme der Corporate Governance überhaupt sei und dass der »SelfDealing«-Index einem klareren Konzept folge als der ADRI sowie die weiteren Indizes.144 bb) Implikationen für die Interpretation der »Legal Origin« Hinsichtlich der Implikationen für die Interpretation der »Legal Origin« und ihrer Auswirkungen auf das Recht meinen DLLS zu erkennen, dass eine klare Trennlinie zwischen dem Common Law auf der einen Seite und dem Civil Law im Allgemeinen sowie dem French Civil Law im Besonderen auf der anderen Seite existiere. Das Common Law sei danach argwöhnischer hinsichtlich des Konfliktpotenzials, das von »Self-Dealing«-Transaktionen ausgehe, und statuiere daher umfangreichere Offenlegungspflichten sowie Genehmigungserfordernisse der Aktionäre unter Wettbewerbsbedingungen. Die Unterschiede in den Ansätzen des Common Law und des Civil Law leiteten sich aus althergebrachten Rechtsprinzipien ab, wie z. B. den fiduciary duties, die sukzessive Teil des geschriebenen Rechts im Common Law geworden seien. In Übereinstimmung mit früheren Arbeiten schließen DLLS daraus, dass das Common Law dem Privatrecht die Lösung von Marktversagen übertrage und nicht dem Staat; demgegenüber suche das Civil Law die Lösung in staatlicher Kontrolle und Lenkung. Die Regelungen des Self-Dealing seien nach DLLS ein klarer Beleg für diese unterschiedlichen Ansätze der Rechtstraditionen.145
144 A. a. O., S. 461f. 145 A. a. O., S. 463.
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cc) Folgerungen für gesetzgeberische Strategien Erstens folgern DLLS für die gesetzgeberischen Strategien, dass ein Laissez-faireAnsatz des Staates die Entwicklung der Kapitalmärkte jedenfalls nicht fördere. Der Staat müsse die Regeln vorgeben, welche dann wiederum mit privatrechtlichen Mitteln durchgesetzt werden müssten. Länder mit entwickelten Kapitalmärkten würden dafür sorgen, dass der Aktionär die Informationen und Mittel erhalte, die er benötige, um – mit Hilfe von Stimmrechten und privatrechtlichen Rechtsmitteln – aufgrund dieser Informationen zu handeln. Konkret bedeutet dies nach Ansicht von DLLS, dass vollumfängliche Offenlegung und das Erfordernis der Genehmigung durch unvoreingenommene Aktionäre die Schlüssel zur effektiven Regelung des Self-Dealing seien.146 In diesem Zusammenhang attestierten DLLS konzerninternen Transaktionen ein besonders hohes Konfliktpotenzial. Dies nicht zuletzt deswegen, weil die Aktionäre damit auf der Ebene des operativen Geschäfts involviert würden und damit in einem Bereich, für den die Unternehmensleitung prädestiniert ist. Gerade konzerninterne »Self-Dealing«-Sachverhalte seien dabei in solchen Ländern problematisch, in denen Konzernstrukturen in hohem Maße anzutreffen seien. Denn diese Konzernstrukturen beförderten das »Self-Dealing« systembedingt. Eine Gesetzgebung, die diese Transaktionen der öffentlichen Transparenz und Aktionärsgenehmigung unterwürfe, sei daher trotz dessen – oder vielleicht gerade deswegen – wünschenswert, weil sie solche Finanzierungstrukturen impraktikabel macht.147 Zweitens folgerten DLLS aus den Ergebnissen, dass permanente Offenlegung in jedem Stadium der Transaktion im Zusammenhang mit verhältnismäßig leicht zu erhebenden Privatklagen zwar die Kapitalmarktentwicklung fördere, die Reform in diesem Bereich aber wesentlich schwieriger sei, weil sie die grundlegenden Strukturen einer Rechtsordnung berühre. Nichtsdestotrotz werde die potenzielle Benachteiligung der Aktionäre durch die Möglichkeit der Aktionäre, Privatklagen zu erheben, Zugang zu Informationen zu erhalten, um Self-Dealing zu untersuchen, und eine geringere Beweislast begrenzt.148 Drittens – so die Finanzökonomen – führe die Androhung von Sanktionen mit Hilfe des Strafrechts kaum zu einer Förderung der Kapitalmärkte. Dies gelte jedoch nur eingeschränkt, weil DLLS keine Daten zur Durchsetzung strafrechtlicher Sanktionen vorlagen.149
146 147 148 149
A. a. O., S. 463. A. a. O., S. 463. A. a. O., S. 463. A. a. O., S. 463.
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Zusammenfassung der Studie »The Law and Economics of Self-Dealing«
DLLS entwickelten einen neuen Index, um den Schutz von Minderheitenaktionären zu bemessen. Der neu entwickelte »Self-Dealing«-Index stellte nach Auffassung der Finanzökonomen einen verlässlichen Schätzer für die Entwicklung des Kapitalmarkts eines Landes dar – je höher der erreichte Wert auf dem »SelfDealing«-Index, umso stärker war der betreffende Kapitalmarkt entwickelt. Der »Self-Dealing«-Index darf als Reaktion auf die vielfältige Kritik an dem ADRI verstanden werden. Da die Methode der Indexerstellung im Fall der »Law and Finance«-Studie schwerwiegende Mängel aufwies, entschieden sich DLLS für einen grundlegend abweichenden Ansatz mit–vermeintlich – größerer Überzeugungskraft. Der neue Index basierte dabei auf den unterschiedlichen Lösungen eines fiktiven Falles des »Self-Dealing«, der von in den untersuchten Länder tätigen Juristen gutachterlich rechtlich gewürdigt wurde. Aus diesen Lösungen entwickelten DLLS zwei verschiedene Indizes, nämlich den »Ex Ante Private Control«-Index und den »Ex Post Private Control«-Index. Beide Indizes zusammen bildeten den neuen »Self-Dealing«-Index. Der »Ex Ante Private Control«-Index bemisst im Wesentlichen die Offenlegungs- und Genehmigungserfordernisse im Vorfeld einer »Self-Dealing«-Transaktion, der »Ex Post Private Control«-Index beschäftigt sich hingegen mit den rechtlichen Reaktionsmöglichkeiten der Aktionäre nach einer »Self-Dealing«-Transaktion. Beiden Indizes ist gemein, dass allein privatrechtliche Lösungsansätze im Rahmen der Indexauswertungen berücksichtigt wurden; all die anderen denkbaren Lösungen wurden hingegen ausgeblendet. Hinsichtlich der Kapitalmarktentwicklung stellten DLLS einen statistischen Zusammenhang mit dem »Self-Dealing«-Index fest. Dies bestätigte die Hypothese der Finanzökonomen, dass der Schutz von Minderheitenaktionären für die Entwicklung des Kapitalmarkts relevant ist. Der Minderheitenschutz – in Gestalt des »Self-Dealing«-Index – ließ sich anders als der ADRI hingegen mit der mean ownership statistisch nicht in Verbindung bringen. Die Auswertung des »Self-Dealing«-Index unter Berücksichtigung der – auch hier vorausgesetzten – Dichotomie zwischen Common Law und Civil Law zeigte nach Auffassung von DLLS die grundlegend unterschiedlichen Ansätze der beiden Rechtstraditionen. Der »Self-Dealing«-Index sei in den »Common Law«Ländern – und zwar sowohl hinsichtlich der Einzelindizes als auch bezüglich des Gesamtindexes – durchschnittlich höher ausgeprägt als in den »Civil Law«Ländern. Daraus lasse sich entnehmen, dass das Common Law argwöhnischer mit »Self-Dealing«-Sachverhalten umgehe als das Civil Law und die Lösung – nach Auffassung von DLLS vorzugswürdiger Weise – im Wesentlichen in Offenlegungs- und Genehmigungserfordernissen suche.
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Aus dem statistischen Zusammenhang zwischen dem Wert des »Self-Dealing«-Index und der Kapitalmarktentwicklung und unter Berücksichtigung des Umstands, dass DLLS eine strukturelle Unterlegenheit der untersuchten »Civil Law«-Länder beim »Self-Dealing«-Index im Vergleich zu den »Common Law«Ländern nachwiesen, ergab sich notwendigerweise, dass der vom Common Law verfolgte Ansatz der Offenlegung und Genehmigung von »Self-Dealing«-Transaktionen überlegen sein müsste. Diesen Schluss ziehen DLLS jedenfalls implizit, indem sie im Rahmen ihrer Empfehlungen zum gesetzgeberischen Umgang mit »Self-Dealing«-Transaktionen dazu raten, die privatrechtlichen Informations-, Kontroll- und Durchsetzungsmöglichkeiten für Aktionäre zu stärken – entsprechend dem vom Common Law verfolgten Ansatz. In rechtlicher Hinsicht bleiben DLLS der bereits dargestellten Dichotomie zwischen Common Law und Civil Law treu und führen die entwickelte Kategorisierung aus den Jahren 1996 und 1998 fort. Auf dieser Grundlage fand schließlich die Quantifizierung des Rechts statt. Die Fallstudie deckt dabei im Wesentlichen zwei Fallkonstellationen zugleich ab, nämlich zum einen das Self-Dealing durch ein Mitglied der Unternehmensführung und zum anderen das Self-Dealing durch den beherrschenden Aktionär. Die zentralen Grundlinien des Index sind dabei in der umfänglichen Offenlegung potenziell konfligierender Transaktionen und der Genehmigung durch die Aktionäre zu erblicken. Die Zusammensetzung des Index fokussiert sich auf diese Bereiche, ohne dabei alternative Möglichkeiten ernsthaft in Betracht zu ziehen. Im Ergebnis lässt die Untersuchung erkennen, dass Länder des Common Law einen höheren Wert auf dem Self-Dealing-Index erreichen als die Länder des Civil Law, insbesondere die Länder des French Civil Law. Die statistische Auswertung des Self-Dealing-Index lässt einen Zusammenhang zwischen der Güte des Schutzes vor Self-Dealing und der Entwicklung von Kapitalmärkten vermuten. DLLS zogen daraus den Schluss, dass der Schutz vor dem Self-Dealing die Entwicklung des Kapitalmarkts positiv beeinflusse. Die Studie endet mit relativ handfesten Forderungen nach Gesetzesreformen, um dem »Self-Dealing« Herr zu werden und die Kapitalmarktentwicklung in unterentwickelten Ländern zu fördern.
C.
Die Evolution und Dimension der »Legal Origins«-Theorie
Mit der Initialstudie »Law and Finance« begann die »Legal Origins«-Theorie. Im Jahre 1998150 noch als provokante These in den Raum gestellt, wurde aus der »Legal Origins«-Hypothese schnell ein ausgewachsenes wirtschaftstheoretisches 150 Die erste Studie »Law and Finance« entstand schon 1996 und wurde 1998 leicht abgewandelt
Die Evolution und Dimension der »Legal Origins«-Theorie
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Modell. Grund dafür waren die vielen Folgestudien, die alle darauf hindeuteten, dass ein statistisch relevanter Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung und der Legal Origin bestehen müsste. Die wichtigsten dieser Studien und ihr Untersuchungsgegenstand seien im Folgenden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – kurz dargestellt. Im Jahre 1999 erschien im Journal of Law, Economics, & Organization eine Untersuchung von LLSV mit dem Titel »The Quality of Government«.151 Untersuchungsgegenstand waren »Staatsintervention«, »Effizienz des Staates«, »Steigerung des Wohlstands« und andere abhängige Variablen für bis zu 152 Länder.152 Auch hier hielten die Autoren an der Dichotomie von Common Law und Civil Law fest. Nach LLSV zeichnen sich die Länder des »French Civil Law« im Verhältnis zu den Ländern des Common Law durch höhere Staatsintervention, eine geringere Effizienz des Staates und geringeren Wohlstand aus.153 Drei Jahre später veröffentlichten Djankov, La Porta, Lopez-de-Silanes und Shleifer eine empirische Untersuchung zu den rechtlichen Rahmenbedingungen der Unternehmensgründung in 85 Ländern unter dem Titel »The Regulation of Entry«.154 Darin wurde die »Entry Regulation« durch die folgenden Variablen »gemessen«: 1. die Anzahl der erforderlichen Prozeduren, um ein Unternehmen zu gründen, 2. die dafür erforderliche Zeit und 3. die Kosten der Gründung. Das Ergebnis der Studie war u. a., dass Länder des Civil Law hinsichtlich der Neugründung von Unternehmen einen höheren Grad der Regulierung aufwiesen.155 Höhere Regulierung sei nach den Finanzökonomen aber mit höherer Korruption und einer größeren Schattenwirtschaft verbunden.156 Mit dem 2003 veröffentlichten Arbeitspapier »Judicial Checks and Balances« untersuchten La Porta, Lopez-de-Silanes, Pop-Eleches und Shleifer die Ausprägungen der ökonomischen sowie der politischen Freiheit anhand mehrerer – teils selbst entwickelter – Kriterien in 71 Ländern.157 Durch statistische Methoden wiesen sie nach, dass die ökonomische Freiheit mit dem Common Law positiv und mit dem Civil Law (insbesondere dem French Civil Law) negativ verknüpft
151 152 153 154 155 156 157
veröffentlicht, vgl. La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance Working Paper (siehe Internet-/Intranetverzeichnis). La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, The Quality of Government, in: J. Law., Econ., & Organ. 1999, S. 222–279. Vgl. hierzu a. a. O., S. 234. A. a. O., S. 261. Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Entry, in: QJE 2002, S. 1–37. A. a. O., S. 34. A. a. O., S. 35. La Porta/Lopez-de-Silanes/Pop-Eleches/Shleifer, Judicial Checks and Balances, S. 7 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis).
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Teil 1: Einführung in die »Legal Origins«-Forschung
sein sollte. Die ökonomische Freiheit sei danach in den »Common Law«-Ländern deutlich höher als in den Ländern des French Civil Law.158 Ein weiteres Jahr später veröffentlichten Botero, Djankov, La Porta, Lopez-deSilanes und Shleifer unter dem Titel »The Regulation of Labor« eine Studie zu den rechtlichen Rahmenbedingungen der Arbeitsmärkte in 85 Ländern.159 Gegenstand der Untersuchung war die empirische Überprüfung dreier Theorien: 1. der sog. »Efficiency Theory«, 2. der »Political Theory« und 3. der »Legal (Origins) Theory«. Nach den Finanzökonomen sei die Art und Weise der Regulierung des Arbeitsmarktes zu einem großen Teil von dem »rechtlichen Stil« der Länder abhängig, der wiederum von der grundlegenden Rechtstradition (Legal Origin) bestimmt werde. Damit sei ein starker Beweis gefunden worden, dass die Legal Origin eine wichtige Determinante des gesetzgeberischen Ansatzes zur Regulierung des Arbeitsmarktes und auch in anderen Bereichen sei.160 Die größte Herausforderung bei der Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen dem Recht und der Entwicklung der Kapitalmärkte oder generell der Volkswirtschaften war die Frage der Kausalitätsrichtung. Ein statistischer Zusammenhang indiziert in der Regel nicht die Richtung der Kausalität. So stellt sich auch in Bezug auf die »Legal Origins«-Forschung die Frage, ob zuerst das »kapitalmarktfreundliche« Recht geschaffen wurde, und ob sich daraus ein starker Kapitalmarkt entwickelte, oder ob ein starker Kapitalmarkt »kapitalmarktfreundliches« Recht fördert. Zum Teil wurde in Studien gezeigt, dass die Entwicklung des Rechts typischerweise der Entwicklung der Kapitalmärkte »hinterher hinkt«.161 Das ließ den Schluss zu, dass die Kausalität anders herum verläuft als von den Vertretern der »Legal Origins«-Theorie behauptet und dass starke Kapitalmärkte Recht hervorrufen, welches die Entwicklung der Kapitalmärkte fördert. Starke Kapitalmärkte sollen danach effektives Recht verursachen. Diesem offenkundigen Einwand begegneten die Vertreter der »Legal Origins«-Theorie allerdings von vornherein dadurch, dass sie in der Legal Origin und ihren Implikationen einen Umstand sahen, der von den modernen Kapitalmärkten nicht beeinflusst worden war, sondern auf exogenen Umständen beruhte. Da – nach den Finanzökonomen – die Legal Origin als determinierendes Element für die Art und Weise der Regulierung eines Kapitalmarktes angesehen wurde, konnte auf diese Weise das Problem der ungewissen Kausalität überwunden bzw. entschärft werden. Das zeigt, dass die grundlegende Prämisse der Exogenität der Legal Origin nicht nur entscheidende Bedeutung für die handwerkliche Güte der statistischen Aus158 159 160 161
Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Entry, in: QJE 2002, S. 1–37 (S. 35). Botero/Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Labour, in: QJE 2004, S. 1339–1382. A. a. O., S. 1371f., S. 1378f. Pistor/Keinan/Kleinheisterkamp/West, The Evolution of Corporate Law, in: U. Pa. J. Int’l Econ. L. 2002, S. 791–872.
Die Evolution und Dimension der »Legal Origins«-Theorie
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wertungen hat, sondern auch – und vor allem – benötigt wird, um Zweifel hinsichtlich der Kausalitätsrichtung zu zerstreuen. Nach der Auffassung der Vertreter der »Legal Origins«-Theorie lassen sich die Ergebnisse der Forschung wie folgt zusammenfassen: »The economic consequences of legal origins are pervasive. Compared to French civil law, common law is associated with (a) better investor protection, which in turn is associated with improved financial development, better access to finance, and higher ownership dispersion, (b) lighter government ownership and regulation, which are in turn associated with less corruption, better functioning labor markets, and smaller unofficial economies, and (c) less formalized and more independent judicial systems, which are in turn associated with more secure property rights and better contract enforcement.«162
Bemerkenswerterweise hat sich das Verständnis von LLSV bezüglich der Legal Origin entscheidend geändert. Während in der ursprünglichen Studie »Law and Finance« unter »legal families« die rein formale Unterscheidung eines Teils der Literatur aufgegriffen und herangezogen wurde, lässt sich zehn Jahre später, nämlich im Jahre 2008, ein anderes Verständnis der »Legal Origin« ausmachen. LLSV verstehen Legal Origin nunmehr wie folgt: »In this paper, we adopt a broad conception of legal origin as a style of social control of economic life (and maybe of other aspects of life as well)«163
Nach LLSV sollen sich diese Stile sozialer Kontrolle der Wirtschaft darin unterscheiden, dass Länder des Common Law eine Strategie verfolgten, die das Ergebnis des privaten Kapitalmarktes förderten (»[…] support private market outcomes […]«)164, während die Länder des Civil Law dieses Ergebnis durch staatlich koordinierte Allokation ersetzten (»[…] whereas civil law seeks to replace such outcomes with state-desired allocations.«)165. Diese Abkehr von der rein formellen und exogenen Variable »Legal Origin« hin zu einem breiten Verständnis, welches letztlich die einzelnen Unterscheidungskriterien aufgreift, die zu der Klassifizierung der Rechtssysteme herangezogen werden, kann dem Endogenitäts-Problem nicht entkommen. Denn damit herrscht abermals Unsicherheit über die Kausalitätsrichtung. Während die Klassifizierung »Legal Origin« nicht durch die Kapitalmärkte beeinflusst worden sein kann, gilt das nicht automatisch für ein System sozialer Kontrolle über die Wirtschaft. Es ist kein empirischer Beweis möglich, dass die Existenz oder das Auftreten einer liberalen marktorientierten Strategie bzw. einer koordinierten 162 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, The Economic Consequences of Legal Origins, in: J. Econ. Lit. 2008, S. 285–332 (S. 298). 163 A. a. O., S. 286. 164 A. a. O., S. 286. 165 A. a. O., S. 286.
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Teil 1: Einführung in die »Legal Origins«-Forschung
marktorientierten Strategie nicht durch die Kapitalmärkte beeinflusst worden ist.
Teil 2: Die statistische Auswertung des Rechts, zugleich eine Kritik an »Law and Finance«
Die Anhänger der »Legal Origins«-Theorie veröffentlichten fortwährend neue Studien, die den empirischen Beleg für die Kausalbeziehungen zwischen »Legal Origin« und »economic outcome« erbringen sollten.166 Kritiker der Theorie von LLSV wurden nicht müde, die statistische Auswertung der »Legal Origins«-Forschung zu kritisieren sowie die Schwächen der Methode der Quantifizierung des Rechts aufzudecken. Die Kritik an der »Legal Origins«-Theorie ist vielfältig und lässt sich im Wesentlichen in zwei Komplexe unterteilen: Zum einen lässt sich eine methodologische Kritik ausmachen. Die »Legal Origins«-Theorie bedient sich statistischer oder ökonometrischer Methoden für die Beweisführung, beruht also auf Empirie. Wie jede empirische Forschung setzt auch die »Legal Origins«-Forschung reale Beobachtungen voraus, aus denen wiederum Schlüsse abgeleitet werden können. Mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand »Niveau des Investorenschutzes in einer Vielzahl von Ländern« stößt der Beobachter jedoch schnell an Grenzen. Denn dieser Untersuchungsgegenstand kann – anders als die Zahlung eines bestimmten Trinkgeldbetrages – nicht objektiv beobachtet werden, sondern muss zunächst »beobachtbar« gemacht werden. Derartige Methoden setzen voraus, dass die Parameter der wirtschaftstheoretischen Modelle mit »numerischem Leben« gefüllt werden können. Dies wiederum kann nur mit Hilfe von anderen Methoden erfolgen, wobei sowohl das Grundkonzept der Methode als auch ihre Anwendung bzw. Durchführung Fehlerquellen beinhalten können. Die von den Vertretern der »Legal Origins«-Theorie angewandte Methode der Quantifizierung des Rechts, also die Darstellung des Rechts in numerischen Werten, war dabei – soweit ersichtlich – besonders häufig Gegenstand von Kritik. 166 Vgl. nur La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, What Works in Securities Laws?, in: J. Finance 2006, S. 1–32; Djankov/McLiesh/Shleifer, Private Credit, in: J. Finan. Econ. 2007, S. 299–329; Djankov/Hart/McLiesh/Shleifer, Debt Enforcement, in: J. Polit. Economy 2008, S. 1105–1149; Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Self-Dealing, in: J. Finan. Econ. 2008, S. 430–465.
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Teil 2: Die statistische Auswertung des Rechts, zugleich eine Kritik
Zum anderen setzt die »Legal Origins«-Forschung voraus, dass die Legal Origin als valide Instrument-Variable herangezogen werden kann. Davon könnte nur dann ausgegangen werden, wenn die Legal Origin (streng) exogen und darüber hinaus mit dem Niveau des Investorenschutzes hoch korreliert wäre. Bereits die Exogenität der Legal Origin wird von einigen bezweifelt. Im Übrigen ließe sich auch bezweifeln, dass zwischen der Legal Origin und dem Niveau des Investorenschutzes eine hohe Korrelation – oder überhaupt eine Korrelation – besteht.
A.
Die Methode der Quantifizierung des Rechts
Die Methode der Quantifizierung des Rechts war Gegenstand der Kritik, zumeist von rechtsvergleichend arbeitenden Autoren. Es wurden dabei Fehler, Ungenauigkeiten und willkürliches Vorgehen in den Untersuchungen der »Legal Origins«-Forschung nachgewiesen. Die weitaus meisten Autoren kritisierten die Studien im Einzelnen,167 bezogen auf die konkreten Variablen der Indizes, überwiegend jedoch nicht die Methode an sich. Von einem methodologischen Standpunkt aus näherten sich im Wesentlichen Mathias Siems168, Holger Spamann169 und Christoph Kern170. Christoph Kern ging im Grundsatz davon aus, dass die Anwendung statistischer Methoden und damit auch die Quantifizierung des Rechts möglich sei. Zwar sei eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Anwendung quantitativer Methoden erforderlich. Kern plädierte jedoch im Ergebnis dafür, den eingeschlagenen Weg weiter zu beschreiten.171 Nachfolgend soll die Methode zur Quantifizierung des Rechts unter Berücksichtigung rechtsvergleichender Grundprinzipien aufgearbeitet werden. Dabei wird exemplarisch aufgezeigt, welche Gesetzmäßigkeiten der Rechtsvergleichung
167 Cools, The Real Difference, in: Del. J. Corp. L. 2005, S. 697–766, die den ADRI kritisch würdigt; ähnlich auch Braendle, Shareholder Protection, in: G.L.J. 2006, S. 257–278 für die Auswertung des deutschen Rechts; die ökonomische Theorie von »Corporate Governance«-Systemen erforscht Berndt, Global Differences und entwickelte einen alternativen ADRI. 168 Siems, Numerical Comparative Law, in: Cardozo J. of Int’l & Comp. Law 2005, S. 521– 540; Siems, Legal Originality, in: Ox. J. Legal Stud. 2008, S. 147–164; Siems, Statistische Rechtsvergleichung, in: RabelsZ 2008b, S. 354–390. 169 Spamann, Insignificance (siehe Internet-/Intranetverzeichnis); Spamann, Large-Sample, Quantitative Research (siehe Internet-/Intranetverzeichnis); Spamann, The »Antidirector Rights Index« Revisited, in: Rev. Financ. Stud. 2010, S. 467–486. 170 Kern, Justice. 171 Vgl. Kern, Justice, S. 123f.; Kern, Doing-Business-Reports, in: JZ 2009, S. 498–504 (S. 503f.).
Die Methode der Quantifizierung des Rechts
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von den Autoren der »Legal Origins«-Theorie missachtet wurden und wie diese Defizite beseitigt werden können. Der Fokus dieser Arbeit liegt – darauf sei an dieser Stelle ausdrücklich hingewiesen – auf der Methode der Quantifizierung des Rechts zum Zwecke der länderübergreifenden (Rechts-)Vergleichung. Eine Quantifizierung des Rechts auf rein nationaler Ebene bzw. auf lediglich eine (Teil-)Rechtsordnung bezogen erforderte naturgemäß einen geringeren Aufwand und könnte die Grundregeln der Rechtsvergleichung unberücksichtigt lassen. Der Prozess der Quantifizierung lässt sich gedanklich und methodisch in die folgenden Phasen einteilen: – Phase 1: Die Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes – Phase 2: Die Definition der Variablen – Phase 3: Die Kodierung der Variablen In der ersten Phase muss bestimmt werden, welches Marktversagen Gegenstand der Untersuchung sein soll. Außerdem muss sich der Anwender fragen, welche Rechtsquellen er zur Untersuchung heranziehen soll. In der zweiten Phase beginnt die Kernarbeit der Quantifizierung des Rechts. Es gilt, die zur vollständigen Erfassung des Marktversagens bzw. seiner Lösung zu berücksichtigenden Komponenten der jeweiligen Rechtsordnung zu identifizieren und die Variablen für einen validen Index zu definieren. Das Variablenset muss dabei einen vollständigen Lösungsansatz gewährleisten. Der Anwender muss sich also auf der Ebene des qualitativen Rechts einen umfassenden Überblick über die – ggf. mehrfachen oder unterschiedlichen – Lösungsansätze für das spezifische Marktversagen in den zu untersuchenden Staaten verschaffen. In der dritten Phase gilt es, die gefundenen Variablen schlussendlich mit konkreten numerischen Werten zu verbinden, sie also zu kodieren. Dabei ist darauf zu achten, dass unterschiedliche Differenzierungsgrade der qualitativen Regelungen auch bei der numerischen Darstellung abgebildet werden.
I.
Phase 1: Die Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes
Am Beginn jeder Untersuchung steht die Auswahl des Marktversagens, dessen Regelung oder Lösung quantifiziert werden soll. Hier sind weitreichend Parallelen zur klassischen Rechtsvergleichung möglich: Auch der Rechtsvergleicher hat sich in der Regel zunächst zu fragen, welche Lebenssachverhalte er überhaupt miteinander vergleichen will. Selbstverständlich kann zunächst das zweckfreie Durchforschen fremder Rechtsordnungen oder auch der eigenen Rechtsordnung
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Teil 2: Die statistische Auswertung des Rechts, zugleich eine Kritik
wichtige Impulse liefern, die den Rechtsvergleicher auf den entsprechenden Untersuchungsgegenstand aufmerksam machen.172 Der Untersuchungsgegenstand setzt sich zusammen aus einem beobachteten Problem und seiner rechtlichen Lösung. Das setzt demnach voraus, dass ein spezifisches Problem gleichermaßen in den zu untersuchenden Staaten gegeben ist, das von den Institutionen dieser Staaten – seien es Gerichte, der Gesetzgeber oder Dritte – mit Hilfe rechtlicher Mittel beseitigt werden soll. Hier ist von besonderer Bedeutung, dass das zu untersuchende Problem nicht inkommensurabel sein darf. Zu der Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes gehört nicht zuletzt auch die Auswahl der Erkenntnisquellen. Der Anwender muss sich darüber im Klaren sein, welche Rechtsquellen er auswerten will. Dabei sind insbesondere bei der Quantifizierung des Rechts Besonderheiten zu beachten, wenn man diese als Datengrundlage für anschließende ökonometrische Berechnungen verwenden möchte. Bei der klassischen Rechtsvergleichung kommt es darauf an, ob der Rechtsvergleicher beispielsweise nur das sog. »law on the books« miteinander vergleichen will, was zu dem Befund führen kann, dass eine Rechtsordnung ein geschriebenes Gesetz enthält, während es bei der anderen Rechtsordnung kein geschriebenes Recht hierzu gibt, sondern die Lösung z. B. durch die Rechtsprechung entwickelt wurde. Bei der Quantifizierung als Grundlage der ökonometrischen Betrachtung gilt diese Freiheit nicht, weil die Daten möglichst präzise und vollständig die rechtlichen Rahmenbedingungen erfassen müssen und weil daher alle nur denkbaren Rechtsquellen auszuwerten sind. Der Untersuchungsgegenstand der in Teil 2 dargestellten Studien von LLSV und DLLS bestand zum einen in der Frage des Schutzes von Minderheitenaktionären in einem börsennotierten Unternehmen vor der Ausbeutung durch das Management und zum anderen in dem Schutz der Aktionäre in Bezug auf Transaktionen mit verbundenen Unternehmen zum Nachteil der Aktionäre. Um einen Untersuchungsgegenstand für die Quantifizierung des Rechts überhaupt zugänglich machen zu können, müssen die Kernelemente des Untersuchungsgegenstandes erarbeitet werden. Ein weiteres Problem bereitet die Einordnung der föderalistischen Rechtsordnungen, die letztlich aus mehreren Rechtsordnungen bestehen. In den USA ist das Gesellschaftsrecht den einzelnen Gliedstaaten zugewiesen, weil der Bund nur für ausdrücklich genannte Regelungsgebiete zuständig ist und das Gesellschaftsrecht nicht dazu gehört.173 Hier stellt sich für den Rechtsvergleicher das Problem, dass er sich entscheiden muss, welchem der Staatenrechte er den 172 Hierzu Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 33. 173 Zu den Regelungsgebieten, die dem Bund zugewiesen sind, und zu der sukzessiven Zuständigkeits-erweiterung durch den Supreme Court vgl. a.a.O., S. 244f.
Die Methode der Quantifizierung des Rechts
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Vorzug geben will. Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die – wohl noch – primäre Rechtsquelle des Common Law die Rechtsprechung ist, lässt sich nicht immer eine Konvergenz feststellen. Vielmehr entwickeln sich Rechtssätze, die eine gemeinsame Doktrin als Fundament haben, möglicherweise unabhängig voneinander und beginnen auseinanderzulaufen.174 1.
Das Problem der Inkommensurabilität der Probleme
Die Aussage »Unvergleichbares kann man nicht sinnvoll vergleichen, und vergleichbar ist im Recht nur, was dieselbe Funktion erfüllt«175 trifft im Kern zwar zu, lässt aber eine dieser Aussage zugrunde liegende Voraussetzung unerwähnt. Die Grundvoraussetzung für eine funktionale Vergleichung und Gleichwertigkeit beispielsweise eines Rechtsinstituts ist nur dann gegeben, wenn die funktional vergleichbaren Institute auf ein identisch vorhandenes Problem reagieren.176 Diese Grundvoraussetzung wird von Konrad Zweigert und Hein Kötz als Annahme zugrunde gelegt, wenn sie konstatieren, dass jede Gesellschaft dieselben Probleme habe und auf unterschiedlichen Wegen zu einer zumindest ähnlichen Lösung käme.177 Diese »praesumptio similitudinis« – wie sie Zweigert nannte – beanspruche keine Geltung für die rechtlichen Bereiche, die von politischen und moralischen Wertvorstellungen derart geprägt seien, dass sie nur als bloße Tatsache und als unvergleichbar hingenommen werden könnten.178 Das Problem muss also in gleicher Form in allen zu vergleichenden Rechtsordnungen auftreten. In dem Fall ergeben sich keine Inkommensurabilitätsprobleme. Aus der oft großen Bandbreite der Länder, die eine derartige Untersuchung abzudecken versucht (im Fall von LLSV 49 Länder179, bei DLLS sogar 72 Länder180), folgt aber eine ebenso große Bandbreite von unterschiedlichsten wirtschaftlichen und sozio-kulturellen Systemen. Diese Unterschiede können zu dem Problem der Unvergleichbarkeit (Inkommensurabilität) führen, insbesondere dann, wenn nicht alle Staaten bzw. deren Rechtsordnungen von dem gleichen Problem betroffen sind. 174 A.a.O., S. 245; zur unterschiedlichen Entwicklung der Economic Loss Rule in den USA vgl. auch Niblett/Posner/Shleifer, The Evolution of a Legal Rule, in: J. Legal Stud. 2010, S. 325–358 (S. 354). 175 Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 33. 176 Vgl. Vogenauer, Sources of Law, S. 370. 177 Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 33. 178 Zweigert, Die »praesumptio similitudinis«, S. 756. 179 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1117). 180 Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Self-Dealing, in: J. Finan. Econ. 2008, S. 430– 465 (S. 432).
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Teil 2: Die statistische Auswertung des Rechts, zugleich eine Kritik
Immer dann, wenn ein bestimmtes Problem nicht identisch in der weiteren Rechtsordnung vorhanden ist, wird eine (sinnvolle) Vergleichung zweier Rechtsordnungen nicht ohne Weiteres möglich sein. Dabei lassen sich zwei Unterscheidungen treffen: Ist das Problem insgesamt nicht vorhanden, so scheidet eine Vergleichung – jedenfalls mit dem Ziel statistischer Betrachtung – aus. In einem Staat, in dem sich kein (nennenswerter) Kapitalmarkt entwickelt hat, wird es kein (nennenswertes) Bedürfnis nach dem Schutz eines (Minderheiten-)Aktionärs vor der Unternehmensführung oder einem beherrschenden Aktionär geben.181 Ist das Problem zwar vorhanden, aber weniger ausgeprägt oder lediglich im Detail abweichend, kann die Inkommensurabilität unter Umständen überwunden werden, mit der Folge, dass beide – eigentlich unvergleichbaren – Probleme gleichwohl vergleichbar werden. Das Problem der Inkommensurabilität wird im Folgenden zunächst an der Studie von LLSV anschaulich dargestellt, um zu zeigen, wie hoch der Aufwand ist, dieses überhaupt erst zu erkennen. Im Anschluss soll ein Lösungsansatz dargestellt werden. a) Prinzipal-Agent-Probleme in einem börsennotierten Unternehmen Die Regelungen zum Schutz von Aktionären – seien es Minderheiten- oder sonstige Aktionäre – vor der Unternehmensführung und Regelungen zum Schutz der Minderheitenaktionäre vor den Mehrheitsaktionären gehen im Wesentlichen auf Prinzipal-Agent-Probleme und die daraus resultierenden Zielkonflikte zurück. Als Prinzipal-Agent-Problem bezeichnet man generell einen Interessenskonflikt, der immer dann entstehen kann, wenn die ökonomische Wohlfahrt einer Partei (dem Prinzipal) von den Handlungen einer anderen Partei (dem Agenten) abhängig ist, beispielweise weil dieser über das notwendige Know-How verfügt, der Prinzipal aber nicht. Aufgrund des Informationsvorsprungs des Agenten vor dem Prinzipal ist es Letzterem nicht möglich, ohne zusätzliche Kosten zu prüfen, ob der Agent in seinem Interesse gehandelt hat.182 Dies kann den Agenten motivieren, seine eigenen Interessen auf Kosten des Prinzipals zu verfolgen, indem er nachlässig handelt oder zu seinem eigenen wirtschaftlichen Vorteil handelt und Vermögen an sich umleitet.183 Nach dieser – auch »AgencyTheory« genannten – Theorie ist davon auszugehen, dass die Unternehmensführung ihren eigenen Nutzen maximieren wird und nicht zwingend den Nutzen der Aktionäre; die Kosten, die durch diese divergierenden Interessen zu Lasten 181 Beispiel entlehnt bei Vogenauer, Sources of Law, S. 368. 182 Vgl. auch die Definition bei Jensen/Meckling, Theory of the Firm, in: J. Finan. Econ. 1976, S. 305–360 (S. 308). 183 Kraakman/Davies/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock, The Anatomy of Corporate Law, S. 21.
Die Methode der Quantifizierung des Rechts
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der Aktionäre entstehen, lassen sich nach Michael Jensen und William Meckling in drei Kategorien einteilen: 1. Monitoring Expenditures des Prinzipals, 2. Bonding Expenditure des Agenten und 3. Residual Loss als Kosten der verbleibenden Interessendivergenz.184 Wird das Prinzipal-Agent-Problem bzw. das daraus resultierende Marktversagen wirksam vom Recht beseitigt, so steigert dies die Wohlfahrt der Aktionäre. Darin drückt sich zugleich ein Zielkonflikt aus, weil das Ziel des Agenten nur dann optimal erreicht werden kann, wenn die Ziele des Prinzipals hinter das optimale Ergebnis zurückfallen. Zahlt sich die Unternehmensführung überhöhte Jahresboni, dann wird damit das Vermögen des Unternehmens zum Nachteil der Aktionäre an die Agenten umgeleitet. Bei einem börsennotierten Unternehmen kann man zwischen Corporate Insidern, wie der Unternehmensführung und dem beherrschenden Aktionär, und Corporate Outsidern, wie Minderheitenaktionären, Kreditgebern oder Arbeitnehmern, differenzieren.185 Daher sind derartige Zielkonflikte aufgrund der Prinzipal-Agent-Beziehungen in börsennotierten Unternehmen in mehreren Ausprägungen denkbar186: aa) Zielkonflikt zwischen Unternehmensführung und Aktionären Die Unternehmensführung kann als Agent ihre eigenen Interessen verfolgen, so z. B. im Fall überhöhter Jahresboni. Es gibt eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten für die Unternehmensführung, ihren privaten Nutzen zu Ungunsten der Aktionäre zu mehren.187 Die Unternehmensführung hat aufgrund ihrer Stellung innerhalb dieser Unternehmen nämlich die Macht, ihre ursprünglich abgegebenen Leistungsversprechen nachträglich zu ihren Gunsten zu ändern.188 Für eine Eigentümerstruktur mit gestreutem Aktienbesitz und ohne kontrollierenden (Mehrheits-)Aktionär dürfte der wichtigste Zielkonflikt zwischen der Unternehmensführung und dem (Minderheiten-)Aktionär bestehen. Denn die Informationsasymmetrien, die fehlende Motivation, die Unternehmensführung zu überwachen, und die geringen finanziellen Möglichkeiten führen bei dem (Minderheiten-)Aktionär dazu, dass er die Unternehmensführung regelmäßig nicht effektiv kontrollieren kann. 184 Jensen/Meckling, Theory of the Firm, in: J. Finan. Econ. 1976, S. 305–360 (S. 308). 185 Kraakman/Davies/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock, The Anatomy of Corporate Law, S. 21. 186 Vgl. zu den Agency-Problemen Kraakman/Davies/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock, The Anatomy of Corporate Law, S. S. 22; zu dem »conflict of interest«-Problem auch Eisenberg, The Structure of the Corporation, S. 30ff. 187 Für eine Übersicht m. w. N. vgl. Berrar, Entwicklung, S. 31. 188 Behrens, Corporate governance, S. 495; hierzu auch schon Berle/Means, The Modern Corporation and Private Property, S. 293.
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Teil 2: Die statistische Auswertung des Rechts, zugleich eine Kritik
Anders ist dies im Fall von Mehrheitsaktionären, die sowohl die Motivation als auch die finanziellen Mittel haben, die Unternehmensführung effektiv zu überwachen. Der Zielkonflikt zwischen Aktionären und Unternehmensführung erscheint daher besonders bedeutsam bei Eigentümerstrukturen mit gestreutem Aktienbesitz. Dieser Komplex von Zielkonflikten bildet den klassischen Problembereich der Corporate Governance und betrifft die Mechanismen zur Kontrolle des Managements.189 Es verwundert daher nicht, warum Rechtsordnungen, in denen die Unternehmen überwiegend gestreut gehalten werden, den Konflikt zwischen Management und (Minderheiten-)Aktionär zu lösen suchen; das gilt insbesondere für die USA.190 bb) Zielkonflikt zwischen Minderheiten- und Mehrheitsaktionären Bei einer Struktur mit einem oder mehreren Groß- oder Mehrheitsaktionär(en) bestehe hingegen die Gefahr, dass dieser / diese – aufgrund seiner / ihrer Stimmmacht – seinen / ihren Nutzen zu Lasten der Minderheitenaktionäre maximiere. Der Mehrheitsaktionär sei beispielsweise in der Lage, seinen beherrschenden Anteil mit einem Aufschlag zu veräußern und somit Vorteile zu ziehen, die nicht allen Aktionären gleichermaßen zuteilwürden.191 Darüber hinaus sei auch ein Erwerb von Unternehmensanteilen unter Marktwert oder die Einbringung unterbewerteter Einlagen denkbar.192 Auch darin besteht eine Prinzipal-Agent-Beziehung zwischen dem Minderheitenaktionär als Prinzipal und dem Mehrheits- oder kontrollierenden Aktionär als Agent; daraus folgen demnach auch die entsprechenden Zielkonflikte.193 Dieses Problemfeld ist allerdings von dem Zielkonflikt zwischen Unternehmensführung und (Minderheiten-)Aktionär klar zu unterscheiden. Anders als beim Zielkonflikt zwischen Unternehmensführung und den (Minderheiten-)
189 Berrar, Entwicklung, S. 31. 190 Vgl. hierzu Kraakman/Davies/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock, The Anatomy of Corporate Law, S. 53; Hopt, American Corporate Governance Indices, in: U. Pa. L. Rev. 2009, S. 27–38 (S. 30). 191 Diese »private benefits of control« sind Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. DeAngelo/ DeAngelo, Managerial ownership of voting rights, in: J. Finan. Econ. 1985, S. 33–69; Zingales, The Value of the Voting Right, in: Rev. Financ. Stud. 1994, S. 125–148; Zingales, What Determines the Value of Corporate Votes, in: QJE 1995, S. 1047– 1073; Dyck/Zingales, Private Benefits of Control, in: J. Finance 2004, S. 537–599; den statistischen Zusammenhang zwischen »private benefits of control« und der Entscheidung, zusätzlich an einer US-Börse gelistet zu sein, untersuchen Doidge/Karolyi/Lins/Miller/Stulz, Cross-listing Decisions, in: J. Finance 2009, S. 425–466. 192 So Berrar, Entwicklung, S. 32. 193 A.a.O., S. 33; Kraakman/Davies/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock, The Anatomy of Corporate Law, S. 22, 54.
Die Methode der Quantifizierung des Rechts
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Aktionären wird dieser Zielkonflikt immer dann relevant, wenn die Eigentümerstruktur eine hohe Konzentration von Anteilseigentum aufweist.194 cc) Übrige Zielkonflikte Letztlich bestehen weitere potenzielle Zielkonflikte innerhalb des Unternehmens, also sowohl der Unternehmensführung als auch den Aktionären auf der einen Seite und den sonstigen Corporate Outsidern wie Kreditgebern oder Arbeitnehmern auf der anderen Seite.195 Anders als die beiden anderen Zielkonflikte sind diese nicht – oder im Fall der Kreditgeber nur mittelbar – von der Eigentümerstruktur beeinflusst. Dieses mögliche Corporate Governance-Problem lag »Law and Finance« nicht zugrunde und soll daher hier nicht weiter berücksichtigt werden.196 dd)
Der durch LLSV adressierte Zielkonflikt: Unternehmensführung / (Minderheiten-)Aktionär Der Untersuchung »Law and Finance« lag der Zielkonflikt zwischen den Aktionären und der Unternehmensführung zugrunde. LLSV nahmen nämlich an, dass die Rechte des Aktionärs immer dann relevant würden, wenn die Unternehmensführung ihre eigenen Interessen verfolge.197 Das lässt sich auch der Zusammensetzung des ADRI ohne Weiteres entnehmen: Von den sechs Variablen des ADRI betreffen vier – im Wesentlichen – die Machtverteilung zwischen der Unternehmensführung und dem (Minderheiten-) Aktionär. Die Variablen »proxy by mail allowed«, »shares not blocked before meeting«, »oppressed minority« und »percentage of share capital to call an extraordinary meeting« zielen klar darauf ab, wie die Kontrolle in einem börsennotierten Unternehmen gegenüber der Unternehmensführung ausgeübt werden kann. Lediglich eine Variable (nämlich »cumulative voting«) könnte auch im Kontext der Zielkonflikte zwischen Mehrheits- oder kontrollierenden Aktionären und Minderheitenaktionären verstanden werden. Bei der Möglichkeit, die Stimmrechte auf der Jahreshauptversammlung per Briefwahl ausüben zu können (»proxy per mail allowed«), soll der (Minderhei194 Zu den verschiedenen Prinzipal-Agent-Problemen vgl. auch Bebchuk/Hamdani, The Elusive Quest, in: U. Pa. L. Rev. 2009, S. 1263–1317 (S. 1281f.). 195 Kraakman/Davies/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock, The Anatomy of Corporate Law, S. 22; Berrar, Entwicklung, S. 33. 196 Das Prinzipal-Agent-Problem zwischen »shareholder« und »non-shareholder« hebt hervor Hopt, American Corporate Governance Indices, in: U. Pa. L. Rev. 2009, S. 27–38 (S. 31ff.). 197 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1114).
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ten-)Aktionär vor Alleingängen der Unternehmensführung geschützt werden, weil er seine Stimmrechte nicht ausüben kann. Denn es ist üblicherweise der »kleine Aktionär«, der die Kosten und Mühen scheuen wird, körperlich auf einer Jahreshauptversammlung anwesend zu sein. In der Folge könnte er seine Kontroll- und Mitbestimmungsrechte nicht effektiv ausüben. Auch die Freiheit, Aktien nicht vor der Jahreshauptversammlung hinterlegen zu müssen (»shares not blocked before meeting«), soll in erster Linie dafür sorgen, dass die Unternehmensführung effektiv kontrolliert wird, und dass der Aktionär seine Mitbestimmungsrechte wirksam ohne Restriktionen ausüben kann. LLSV nehmen an, dass das share blocking dafür sorgt, dass Aktionäre ihre Aktien nicht unmittelbar vor oder nach einer Jahreshauptversammlung veräußern können, und dass Aktionäre, die sich dieser Prozedur nicht unterziehen (wollen), von der Stimmrechtsabgabe ausgeschlossen werden. LLSV gingen ferner davon aus, dass ein weiteres fundamentales Recht des (Minderheiten-)Aktionärs darin bestand, die Entscheidungen der Unternehmensführung oder der Hauptversammlung der Aktionäre vor Gericht anzugreifen oder das Unternehmen zwingen zu können, die Aktien zurückzukaufen, wenn bestimmte fundamentale Entscheidungen seitens des (Minderheiten-) Aktionärs abgelehnt werden, so wie z. B. Fusionen oder Veräußerungen des Unternehmensvermögens.198 Da es sich um ein Recht des (Minderheiten-)Aktionärs gegenüber der Unternehmensführung und Beschlüssen der Hauptversammlung der Aktionäre handeln soll, bestünde eine Relevanz auch für die Lösung des Zielkonflikts zwischen dem Minderheitenaktionär und Mehrheitsoder kontrollierendem Aktionär. LLSV verstehen die Variable aber in erster Linie als rechtliches Instrument der Aktionäre zur Beschränkung der Macht der Unternehmensführung. Auch die Variable »percentage of share capital needed to call an extraordinary meeting« betrifft in erster Linie den Zielkonflikt zwischen der Unternehmensführung und den Aktionären. Denn das Machtgefüge zwischen Majorität und Minorität wird durch eine Regelung zur Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung nicht beeinflusst.199 b) Zwischenergebnis zur Inkommensurabilität der Zielkonflikte Der ADRI bildet in erster Linie Regelungen ab, die zur Lösung der Zielkonflikte zwischen Unternehmensführung und Aktionären herangezogen werden. Es finden sich hingegen nur geringe Bezüge zu den möglichen Zielkonflikten zwischen Minderheitenaktionären und Mehrheits- oder kontrollierenden Aktio198 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1128). 199 Bebchuk/Hamdani, The Elusive Quest, in: U. Pa. L. Rev. 2009, S. 1263–1317 (S. 1297).
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nären. Wenn es zutrifft, wie LLSV behaupteten, dass die von LLSV dem Civil Law zugeordneten Länder durch eine strukturell höhere Konzentration des Aktienbesitzes geprägt sind, dann müsste das dort vorherrschende Prinzipal-AgentProblem im Bereich zwischen Minderheitenaktionären und Mehrheits- bzw. kontrollierendem Aktionär zu finden sein. Regelungen, die den Kontrollwettbewerb zwischen Aktionären und der Unternehmensführung regulieren sollen – so wie die vom ADRI abgebildeten Regelungen – dürften überwiegend ohne nennenswerten Einfluss in Strukturen mit konzentriertem Aktienbesitz sein.200 Damit verkörperte der ADRI eine Lösung für den Zielkonflikt zwischen Unternehmensführung und den (Minderheiten-)Aktionären. Der Zielkonflikt zwischen den Aktionären wurde hingegen nicht vom ADRI erfasst. Darin zeigt sich das Problem der Inkommensurabilität. Denn LLSV griffen einen zu vergleichenden Lebenssachverhalt aus dem Portfolio der Corporate Governance, ohne zu fragen, ob dieser Lebenssachverhalt in allen zu vergleichenden Rechtsordnungen gleichermaßen vorhanden ist. c)
Lösung
aa) Lösung über die Bildung von Subindizes Das Problem der Inkommensurabilität lässt sich durch die Definition von mehreren Indizes, sog. Subindizes, lösen. Dabei werden zunächst die Probleme innerhalb eines Untersuchungsgegenstandes für die zu untersuchenden Rechtsordnungen identifiziert. Für den Untersuchungsgegenstand »Aktionärsschutz« bedeutet dies also, die unterschiedlichen Prinzipal-Agent-Probleme zu benennen und jeweils einem bestimmten Subindex zuzuordnen. In dem Untersuchungsgegenstand »Aktionärsschutz« würde sich der Subindex A beispielsweise ausschließlich mit dem Zielkonflikt zwischen Unternehmensführung und (Minderheiten-)Aktionär befassen; Subindex B bildet hingegen alle Regelungen zur Lösung des Zielkonflikts unter den Aktionären ab. Der Rechtsvergleicher würde damit zunächst zwei Indizes erhalten. Diese Indizes wären in sich, also innerhalb der eigenen Gruppe eines Problems, ohne Weiteres vergleichbar.201
200 Vgl. a.a.O., S. 1287f.; mit Bezug auf die konzentrierte Eigentümerstruktur in Frankreich kommen zu demselben Schluss Kraakman/Davies/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock, The Anatomy of Corporate Law, S. 53; teilweise abweichend aber Hopt, American Corporate Governance Indices, in: U. Pa. L. Rev. 2009, S. 27–38 (S. 34f.). 201 In diese Richtung auch Bebchuk/Hamdani, The Elusive Quest, in: U. Pa. L. Rev. 2009, S. 1263–1317 (S. 1314).
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bb) Der verbindende Ansatz Auch im Fall des verbindenden Ansatzes müssen zunächst Subindizes gebildet und die Rechtsordnungen unter Berücksichtigung dieser Subindizes ausgewertet werden. Als Besipiel könnte angenommen werden, dass der Subindex A aus acht Variablen besteht und der Subindex B aus vier Variablen. Da beide Probleme oder Zielkonflikte in allen untersuchten Rechtsordnungen auftreten, sind dementsprechend die Rechtsordnungen auch in Bezug auf die gebildeten Subindizes auszuwerten. Im nächsten Schritt wären die beiden Subindizes zu verbinden. Nach dem o. g. Beispiel würde also ein Gesamtindex aus 12 Variablen entstehen (acht aus dem Subindex A; vier aus dem Subindex B). Wenn unterstellt werden kann, dass das betreffende Problem oder der untersuchte Zielkonflikt in den verglichenen Rechtsordnungen gleichermaßen »gravierend« ist, so würden beide Subindizes mit jeweils 100 % in die Berechnung eingehen und dann durch 2 geteilt werden, bei drei Subindizes durch 3 usw. Bei vier bejahten Variablen in Subindex A und vier bejahten Variablen in Subindex B ergäbe sich ein rechnerisches Niveau des Gesamtindexes von 75 %. Auf diese Weise wäre eine gewisse Vergleichbarkeit der Rechtsordnungen gegeben, wenn die Rechtsordnung eine Schnittmenge von mit Subindex A und B erfassten Problemen enthält. Zugleich könnte der Rechtsvergleicher die jeweiligen Lösungen der Zielkonflikte in den Rechtsordnungen auch getrennt betrachten und auswerten.202 2.
Auswahl der Rechtsquellen
Bei der Festlegung des Untersuchungsgegenstandes ist die Auswahl der Rechtsquellen von besonderer Bedeutung. Zum einen müssen alle relevanten Rechtsquellen vollständig ermittelt werden, um ein vollständiges Bild zu erhalten. Zum anderen muss der Rechtsvergleicher Entscheidungen über die Auswahl der Rechtsquellen in Rechtsordnungen mit mehreren unabhängig nebeneinanderstehenden Teilrechtsordnungen treffen. a) Rechtsquellen und Rechtswirklichkeit Rechtsquellen lassen sich in vielen Rechtsordnungen in unterschiedlicher Weise finden. Als Rechtsquelle im Sinne der Rechtsvergleichung gilt alles, was das (Wirtschafts-)Leben in dem Untersuchungsfeld (Land o. Ä.) gestaltet oder mitgestaltet, und was als Nachrichtenquelle für Recht angenommen werden kann. Es gibt auf der einen Seite – im Civil Law nach wie vor vorherrschend – das sog. »law on the books«, also geschriebene Gesetze. Auf der anderen Seite bildet – vornehmlich im Common Law aber auch im Civil Law – die Rechtsprechung eines 202 Mit Anwendungsbeispielen hierfür a.a.O., S. 1314.
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Landes eine Rechtsquelle. Neben den allgemeinen Rechtsquellen kann jedoch ein Abgleich mit der Wirklichkeit erforderlich sein. Es versteht sich von selbst, dass der Rechtsvergleicher die Rechtslage in den untersuchten Ländern zutreffend erfassen muss. Hierzu gehört auch festzustellen, wie die Rechtslage in Ermangelung von (gesetzlichen) Regelungen oder Richtersprüchen wäre, wenn die betreffende Rechtsfrage aufkommen würde. Es mag nämlich sein, dass eine Rechtsfrage in einem untersuchten Land noch gar nicht aufgetaucht ist und somit auch noch keiner Entscheidung zugeführt wurde. Ein solches Problem ergibt sich beim »share blocking« in den USA. Das Recht Delawares habe nämlich keine Entscheidung dazu getroffen, ob das »share blocking« zulässig war, weil für dieses Instrument kein Bedürfnis bestanden habe. Demgemäß hätten sich die Rechtswissenschaftler, Gerichte und Praktiker in den USA nicht mit dem »share blocking« auseinandersetzen müssen. Holger Spamann geht aus diesem Grund davon aus, dass »share blocking« – entgegen der Beurteilung von LLSV –203 nach US-amerikanischem Recht (Delaware) nicht illegal gewesen wäre.204 aa) Rechtsquellen Quellen für das Recht können aber in unterschiedlichster Weise bestehen und es gilt, die Rechtsquellen möglichst lückenlos zu ermitteln. Zu denken ist neben Gesetzes- auch an Gewohnheitsrecht, an Typenverträge und Allgemeine Geschäftsbedingungen, an freiwillige Kodizes in bestimmten Wirtschaftskreisen, an Handelsbräuche und Sitten.205 Dabei darf es gemäß dem funktionalen Ansatz auch keine Eingrenzung hinsichtlich des Rechtsgebietes geben. Das proxy voting folgt im US-amerikanischen Recht aus dem Kapitalmarktrecht, während die meisten anderen Länder derartige Fragen dem Gesellschaftsrecht unterwerfen.206 LLSV klammerten in »Law and Finance« bewusst Börsenregelungen aus.207 Das wiederum hätte dazu führen müssen, dass dem Vereinigten Königreich für die Variable »proxy by mail allowed« der Wert »0« hätte zugeordnet werden müssen. Denn im Recht des Vereinigten Königreichs gab es 1996 – zum Zeitpunkt der Erstellung der Datengrundlage von »Law and Finance« – keine außerhalb der Börsenregelungen vorhandene Regelung, nach der proxy voting erlaubt war; einzig die Listing Rules der London Stock Exchange, also der Londoner Börse, sahen mit den Regelungen Nr. 9.26, Nr. 13.18 und Nr. 13.29 ein proxy voting 203 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1130). 204 Spamann, Insignificance, S. 31 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis). 205 Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 34. 206 So auch Siems/Lele, Der Schutz von Aktionären, in: ZHR 2009, S. 119–141 (S. 126). 207 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1120).
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vor.208 Hätten LLSV die Rechtsordnung zutreffend unter Beachtung der eigenen Prämissen ausgewertet, wären sie zu einem unzutreffenden Ergebnis gelangt. Das zeigt die Wichtigkeit der vollständigen Auswahl der (relevanten) Rechtsquellen. Auch das sog. »soft law«209 sollte bei der Variablen-Definition nicht ausgeblendet werden. Als solches soft law gilt z. B. der Deutsche Corporate Governance Kodex210 oder die Tabelle A des Gesellschaftsrechts von Indien und dem Vereinigten Königreich.211 Aus der empirischen Forschung ergebe sich, dass diesen Kodizes und Modellrechtsregeln oft gefolgt werde.212 Man könnte diese Modellrechtsregeln also als »sekundäre Rechtsquelle« einstufen und dementsprechend als dispositives Recht einordnen. bb) Rechtswirklichkeit Bei der Auswertung der Rechtsquellen kann es erforderlich sein, dass der Rechtsvergleicher beurteilt, ob das sich aus den Rechtsquellen ergebende Recht mit der Rechtswirklichkeit übereinstimmt. Das jedenfalls dann, wenn die Quantifizierung des Rechts ein Abbild der Rechtswirklichkeit sein soll. Andernfalls wird ein verzerrtes Bild gezeichnet. Ob die Rechtswirklichkeit bei der Quantifizierung des Rechts zu berücksichtigen ist, hängt maßgeblich von dem Ziel der Quantifizierung ab. Die Frage der Rechtswirklichkeit stellt sich in der klassischen Rechtsvergleichung ebenso wie bei der Quantifizierung des Rechts. Es ist daher wenig erstaunlich, dass sich die Antwort nach denselben Grundsätzen richtet. Hat die Rechtsvergleichung (oder Quantifizierung des Rechts) eine rein epistemologische Funktion, so rechtfertigt sich die Erforschung des »theoretischen« Rechts unter Ausblendung der Rechtswirklichkeit ohne Zweifel.213 Anders ist das allerdings dann, wenn die Rechtsvergleichung oder Quantifizierung des Rechts die Wirklichkeit (in welchem Detailgrad auch immer) abbilden soll. Denn ein Abbild der Wirklichkeit erfordert in der klassischen Rechtsvergleichung sowie in der Quantifizierung des 208 Seit dem Financial Services and Market Act 2000 (FSMA) liegt die Regelungskompetenz bei der Financial Services Authority (S. 73 (2) FSMA). Diese sah in den Listing Rules 9.26, 13.28 und 13.29 bis zum Jahre 2004 Regelungen zum Proxy Voting vor. Mit dem Companies Act 2006 (CA 2006) sind diese Regelungen überwiegend durch Sect. 324ff. CA 2006 abgelöst worden. 209 Zur dogmatischen Einordnung von »soft law« in der Rechtsquellenlehre vgl. Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law. 210 Vgl. a.a.O., S. 63f. 211 Lele/Siems, Leximetric I, in: J. Corp. L. Stud. 2007, S. 17–50 (S. 27); Siems/Lele, Der Schutz von Aktionären, in: ZHR 2009, S. 119–141 (S. 126). 212 Hierzu m. w. N. Lele/Siems, Leximetric I, in: J. Corp. L. Stud. 2007, S. 17–50 (S. 27); skeptischer für den DCGK aufgrund der begrenzten Aussagekraft der Entsprechenserklärungen aber von Werder, Zur Signalstärke der Entsprechenserklärung, S. 1485 m. w. N. 213 Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 14; Örücü, Developing Comparative Law, S. 53f.
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Rechts eine Berücksichtigung der gelebten Praxis. Eine in der Theorie bestehende Regelung »A«, die in praxi generell abbedungen und durch die Vereinbarung »B« ersetzt wird, kann faktisch keinen (statistischen) Einfluss haben. Es ist also unzutreffend, die Regelung »A« als Wirklichkeit zu betrachten. Das ist zwar selbstverständlich, die Berücksichtigung dieses Grundsatzes war indes bei den bisherigen Versuchen der Quantifizierung keineswegs selbstverständlich. Dies soll nachfolgend an der Variable »cumulative voting« des ADRI dargestellt werden. LLSV nahmen an, dass das cumulative voting den Schutz der Aktionäre erhöhte. Dementsprechend wurde die Variable »cumulative voting« dahingehend definiert, dass die Kodierung »1« zu vergeben war, wenn die betreffende Rechtsordnung ein cumulative voting zuließ – unabhängig von der rechtlichen Wirklichkeit. Dementsprechend wurde das Recht der USA (Delaware) mit »1« kodiert, weil § 214 DGCL (Delaware General Corporation Law) das cumulative voting erlaubte. Es zeigt sich allerdings, dass diese Kodierung die Wirklichkeit nicht widerspiegelte. Die Risk Metric Group stellte in einem Background-Report aus dem Jahre 2008 nämlich fest, dass das cumulative voting 1996 in 14,4 % der bedeutendsten 1.500 US-Unternehmen erlaubt gewesen sein soll, und dass dieser Anteil für 2.000 beobachtete US-Unternehmen 2006 auf lediglich noch 8,1 % sank.214 Das cumulative voting stellte also keinesfalls den Regelfall in börsennotierten US-amerikanischen Gesellschaften dar. Dabei muss insbesondere berücksichtigt werden, dass in diesen 14,4 % auch Inkorporationen in anderen Bundesstaaten – in denen das cumulative voting zwingend war – erfasst wurden. Der Anteil des cumulative voting für in Delaware (dem bedeutendsten Bundesstaat für Inkorporationen) inkorporierte Publikumsgesellschaften dürfte daher sogar geringer sein als 14,4 %. Auch wenn es sich nur um einen Ausschnitt der tatsächlichen Praxis handelte, ließe sich daraus möglicherweise der Schluss ziehen, dass cumulative voting zwar theoretisch wünschenswert war, in der Praxis aber lediglich geringe Bedeutung hatte. Vor diesem Hintergrund mutet es seltsam an, dass das US-amerikanische Gesellschaftsrecht mit dem Wert »1« kodiert wurde, weil theoretische Rechtslage und Rechtspraxis möglicherweise nicht miteinander übereinstimmten. An dieser Stelle zeigt sich die mögliche Diskrepanz zwischen theoretischer Rechtslage und Rechtswirklichkeit: Klaffen beide (mehr oder weniger stark) auseinander, wird
214 RiskMetrics Group (Hrsg.), Background Report, S. 13 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis); für 395 im Jahre 1992 untersuchte US-amerikanische Unternehmen des »Fortune 500«Index wurde eine Quote von 14 % festgestellt, vgl. Gordon, Cumulative Voting, in: Colum. L. Rev. 1994, S. 124–192 (S. 160).
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man aus dem Ergebnis der Quantifizierung keine Rückschlüsse auf das (Wirtschafts-)Leben ziehen können. b) Auswahl der Rechtsquellen im Fall der »Rechtszersplitterung« Ein weiteres Problem bereitet die Einordnung der föderalistischen Rechtsordnungen, die letztlich aus mehreren Rechtsordnungen bestehen. In den USA ist z. B. das Gesellschaftsrecht – mit Ausnahme des auf die interstate commerce clause gestützten Kapital- und Finanzmarktrechts –215 den einzelnen Bundesstaaten zugewiesen, weil der Bund nur für ausdrücklich genannte Regelungsgebiete zuständig ist und das Gesellschaftsrecht nicht dazu gehört.216 Es bestehen also mehr als 50 Rechtsordnungen nebeneinander, die zum Teil unterschiedlich sind. Hier stellt sich für den Rechtsvergleicher das Problem, dass er sich entscheiden muss, welchem der Staatenrechte er den Vorzug geben will. Theoretisch ließe sich einwenden, dass in Ländern, deren primäre Rechtsquelle die Rechtsprechung ist, eine konvergente Entwicklung zu erwarten wäre, die Unterschiede zwischen den Teilrechtsordnungen verwischen sollte. Dem ließe sich allerdings entgegenhalten, dass selbst Rechtssätze, die eine gemeinsame Grundlage haben, wie z. B. die sog. »economic loss rule«, sich unabhängig voneinander entwickeln und auseinanderlaufen können.217 Jedenfalls gibt es keinen empirischen Nachweis, dass eine Konvergenz zwingend wäre. Die Festlegung auf lediglich einen bestimmten Bundesstaat, beispielsweise das Recht von Delaware – wie LLSV in ihrer Untersuchung »Law and Finance« festlegen218 – im Gesellschaftsrecht der USA ist keineswegs zwingend. Vielmehr könnte der Rechtsvergleicher auch jede einzelne Rechtsordnung auf Staatenebene einbeziehen. Das ist aber einerseits sehr aufwendig und steht möglicherweise nicht im Verhältnis zu dem dadurch gewonnenen Mehrwert. Andererseits sorgt das dafür, dass die länderübergreifende Untersuchung die Übersichtlichkeit und praktische Handhabbarkeit verliert, jedenfalls dann, wenn das Ergebnis der Auswertung aller Teilrechtsordnungen nicht auf einen Durchschnittswert reduziert wird. Allerdings ließe sich die Verengung des Blicks auf das Recht Delawares mit der relativ hohen Bedeutung für die Mehrzahl der US-amerikanischen börsenno215 Vgl. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Fn. 29f.; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 248. 216 Zu den Regelungsgebieten, die dem Bund zugewiesen sind, und den sukzessiven Zuständigkeitserweiterungen durch den Supreme Court vgl. Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 244f. 217 A.a.O., S. 245; zur unterschiedlichen Entwicklung der Economic Loss Rule in den USA vgl. auch Niblett/Posner/Shleifer, The Evolution of a Legal Rule, in: J. Legal Stud. 2010, S. 325–358 (S. 354). 218 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1119).
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tierten Gesellschaften vertretbar begründen. Es gibt Staaten wie Connecticut, die ein verhältnismäßig streng reguliertes Gesellschaftsrecht haben, deren Bedeutung aber auch dementsprechend gering ist, während andere Staaten wie Pennsylvania oder Delaware eine größere Rolle spielen und ein liberaleres Gesellschaftsrecht haben.219 Im Jahre 1992 waren von den »Fortune-500-Unternehmen« in den USA mehr als 50 % und von den an der New Yorker Börse (NYSE) gehandelten Unternehmen knapp 40 % in Delaware inkorporiert.220 Im Jahre 2012 waren sogar 63 % der »Fortune-500-Unternehmen« und mehr als 50 % aller börsennotierten Unternehmen in Delaware rechtlich beheimatet.221 Ein erheblicher Teil der börsennotierten Unternehmen und folglich ein erheblicher Teil des US-amerikanischen Kapitalmarkts war damit von »Law and Finance« streng genommen nicht erfasst. In dieser Schwerpunktbildung dürfte ein vertretbarer Ansatz liegen, den Blick auf die Teilrechtsordnung von Delaware als Repräsentant der Gesamtrechtsordnung des US-amerikanischen Gesellschaftsrechts zu verengen. Dennoch muss man auch hierbei im Blick behalten, dass die Volkswirtschaft und der Kapitalmarkt der USA als untersuchtem Staat nur zu einem Teil von den Unternehmen repräsentiert werden, die unter der Fahne Delawares segeln. Notwendigerweise wird damit auch die Relevanz der Teilrechtsordnung im Gesamtgefüge der untersuchten Rechtsordnung verwässert; es erscheint fraglich, ob diese Befunde dann noch zulässigerweise mit den Gesamtwirtschaftsdaten eines Landes in Verbindung gebracht werden können. Für die Zwecke der reinen Rechtsvergleichung im klassischen Sinne, also gerade nicht in Verbindung mit ökonometrischen Methoden, wäre eine solche Begrenzung auf nur eine Teilrechtsordnung der USA unproblematisch. Bei der Verbindung mit ökonometrischen Auswertungsmethoden (um die Zusammenhänge zwischen Recht und Wirtschaft und die genauen Wirkungen zu erforschen) erscheint eine solche Begrenzung wenig sinnvoll, schwächt zumindest jedoch die Aussagekraft einer solchen Untersuchung. Ein weiteres Problem stellt sich im Rahmen der listing rules. Das können Regelungen sein, die eine Börse trifft, und die nur für die an der jeweiligen Börse gehandelten Unternehmen verpflichtend sind. Auch hier kann eine Zersplitte-
219 Lediglich 23 % der 87 mit Sitz in Connecticut tätigen Corporations waren auch dort inkorporiert. Demgegenüber waren 1985 von 100 in Pennsylvania sitzenden Corporations 62 % davon auch in diesem Staat inkorporiert, vgl. hierzu die Tabelle bei Baysinger/Butler, Race for the Bottom, in: J. Corp. Law 1985, S. 432–462 (S. 458). 220 Bebchuk, Federalism and the Corporation, in: Harv. L. Rev. 1992, S. 1435–1510 (S. 1443). 221 Http://corp.delaware.gov (siehe Internet-/Intranetverzeichnis).
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rung stattfinden, wenn beispielsweise mehr als eine Börse vorhanden ist.222 Hier empfiehlt es sich wie bei den Teilrechtsordnungen vorzugehen und möglichst einen Schwerpunkt zu ermitteln, und zwar anhand der Bedeutung der jeweiligen Börsen.223 Insgesamt muss eine mögliche Zersplitterung des Rechts im Rahmen der Festlegung des Untersuchungsgegenstandes jedenfalls berücksichtigt werden. 3.
Zusammenfassung zur Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes
Bei der Festlegung des Untersuchungsgegenstandes sollte der Rechtsvergleicher darauf achten, dass die Vergleichbarkeit gewährleistet ist. Dies gilt in der Quantifizierung des Rechts ebenso wie in der klassischen Rechtsvergleichung und kann daher als Grundprinzip der rechtsvergleichenden bzw. vergleichenden Methode allgemein aufgefasst werden. Die Strukturunterschiede in den wirtschaftlichen Realitäten können von entscheidender Bedeutung bei der Festlegung des Untersuchungsgegenstandes sein. Der Rechtsvergleicher muss sich fragen, ob es das von ihm untersuchte Problem des (Wirtschafts-)Lebens in identischer Form in allen Rechtsordnungen gibt, ob es mehrere zusammengehörende Probleme in allen Rechtsordnungen oder nur in einigen gibt, und er muss dementsprechend reagieren und ggf. mit Hilfe von Subindizes versuchen, alle Probleme und Zielkonflikte der untersuchten Rechtsordnungen einzufangen. Anders als bei der qualitativen Rechtsvergleichung hat die Quantifizierung das Ziel der länderübergreifenden Vergleichbarkeit und erfolgt – oftmals – in Verbindung mit wirtschaftlichen Kennzahlen. Die Quantifizierung ist daher nicht Zweck der Rechtsvergleichung, sondern bloßes Mittel der statistischen Auswertung des Rechts. Ein valides Mittel kann die Quantifizierung indes nur dann sein, wenn sie das Problem der Inkommensurabilität der Zielkonflikte vermeidet. Die Bestimmung der Rechtsquellen ist in der klassischen Rechtsvergleichung und in der Quantifizierung des Rechts in gleichem Maße schwierig oder einfach. Während in der klassischen Rechtsvergleichung indes der Ausschluss von Rechtsquellen sinnvoll sein kann, beispielsweise um zu zeigen, welche Rechtsordnungen eine bestimmte Rechtsprechung in ein Gesetz gegossen hat oder nicht, erscheint ein Ausschluss von Rechtsquellen – so wie LLSV dies mit den Börsenregelungen getan haben – wenig sinnvoll. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Quantifizierung der statistischen Auswertung des Rechts dienen und valide 222 In den USA gibt es beispielsweise die beiden Wertpapierhandelsbörsen NASDAQ OMX (National Association of Securities Dealers Automated Quotations) und die NYSE Euronext (New York Stock Exchange). 223 Vgl. hierzu auch Lele/Siems, Leximetric I, in: J. Corp. L. Stud. 2007, S. 17–50 (S. 28).
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Ergebnisse zeitigen soll. Selbst der Negativbefund, also die Erkenntnis, dass eine Rechtsordnung ein Problem nicht reguliert, setzt zwingend voraus, alle Rechtsquellen zuvor ausgewertet zu haben. Die bewusste Beschränkung der Rechtsquellen erfordert zumindest einen ausdrücklichen Hinweis auf die Beschränkungen. Mit der Zersplitterung des Rechts im Fall von gleichwertigen Teilrechtsordnungen muss in der klassischen Rechtsvergleichung ebenso umgegangen werden wie in der Methode der Quantifizierung des Rechts. An dieser Stelle ist die Erfahrung des Rechtsvergleichers gefragt, der nach möglichst sachnahen Erwägungen einen Schwerpunkt zu Gunsten einer Teilrechtsordnung wird bilden müssen. Es erscheint naheliegend, den Fokus auf die – im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand – objektiv wichtigste Teilrechtsordnung zu legen. Diese im Einzelfall zu bestimmen, verlangt dem Rechtsvergleicher ein gewisses Fingerspitzengefühl ab.
II.
Phase 2: Erstellung der Variablen
Die Quantifizierung des Rechts besteht im Kernbereich aus der Erstellung der Variablen. Im folgenden Teil sollen die dabei erforderlichen Arbeitsschritte analysiert werden, und es soll aufgezeigt werden, welche Probleme sich dabei ergeben können. Dabei wird sich zeigen, dass viele Probleme, die LLSV nicht bewusst waren, mit den Methoden der klassischen Rechtsvergleichung zu bewältigen sind. 1.
Definition der Variablen
Die Definition der Variablen ist eine mühsame Aufgabe, die große Rechtskenntnis voraussetzt, weil letztlich die unterschiedlichsten Systeme auf eine Art kleinsten gemeinsamen Nenner heruntergebrochen werden müssen. Wie bereits gezeigt, haben die Rechtsordnungen zwar im Kern die gleichen – oder zumindest ähnlichen – Probleme zu lösen, wenn es um das (Wirtschafts-)Leben geht. Die Details der Zielkonflikte können jedoch variieren und somit auch unterschiedliche Lösungen des Rechts erforderlich machen. Bezogen auf den Aktionärsschutz bedeutet dies, dass der Aktionär als Investor in allen Strukturen grundsätzlich geschützt werden muss. In Strukturen mit einem hohen Anteil gestreuten Aktienbesitzes wird dem (Minderheiten-)Aktionär grundsätzlich eine starke Unternehmensführung gegenüberstehen, während der (Minderheiten-) Aktionär in Strukturen mit einem Mehrheits- oder kontrollierenden Aktionär – mindestens zusätzlich – des Schutzes gegenüber dem Mehrheits- oder kontrollierenden Aktionär bedarf. In Strukturen mit einem Mehrheits- oder kon-
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trollierenden Aktionär wird man sagen können, dass die tragenden Entscheidungen des Unternehmens durch diesen Aktionär oder diese Aktionäre – und damit durch wenige mit großer Macht – getroffen werden. Es erscheint daher naheliegend, dass nicht primär die – vom Mehrheits- oder kontrollierenden Aktionär abhängige – Unternehmensführung die (Minderheiten-)Aktionäre ausbeuten wird, sondern eben diese Mehrheits- oder kontrollierenden Aktionäre. Die Variablen-Definition ist vergleichbar mit der Definition juristischer Begriffe, um diese mit Leben zu füllen und handhabbar zu machen. Um ein juristisches Tatbestandsmerkmal anwenden zu können, muss zunächst auf abstrakter Ebene beschrieben werden, welche tatsächlichen Umstände erfüllt sein müssen. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) sieht nur körperliche Gegenstände als »Sachen« im Sinne des Gesetzes an (§ 90 BGB). Das Gesetz selbst definiert damit die »Sache« als körperlichen Gegenstand, sodass unkörperliche »Gegenstände« wie Gas grundsätzlich nicht als »Sache« aufzufassen sind. Anhand dieser Definition kann der Rechtsanwender – mit Ausnahme bestimmter Einzelfälle – die (wirtschaftliche) Realität rechtlich erfassen. Die Definition der Variablen im Rahmen der Quantifizierung des Rechts erfordert eine möglichst präzise Umschreibung der hinreichenden Voraussetzungen, um eine Variable als »erfüllt« oder »nicht erfüllt« anzusehen. Die Definition der Variablen ließe sich in die folgenden Arbeitsschritte gliedern: – Festlegung der Anzahl der Variablen und – Definition der Variablen im engeren Sinne unter Beachtung der Grundprinzipien.
a) Die Anzahl der Variablen Die Aussagekraft einer empirischen Untersuchung steht und fällt mit ihrer Datengrundlage. Eine unvollständige Datengrundlage setzt sich auch in den Ergebnissen fort, sodass die Anzahl der zu definierenden Variablen maßgeblich von der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes abhängt. Je komplexer der zu untersuchende Gegenstand des (Wirtschafts-)Lebens ist, desto größer und differenzierter wird sich auch das Variablenset darstellen. Das gilt jedenfalls dann, wenn eine möglichst hohe Übereinstimmung mit der Realität erzielt werden soll. In »Law and Finance« verwenden die Ökonomen sechs Variablen, um den Schutz von Minderheitenaktionären in 49 verschiedenen Ländern zu erfassen. Das erscheint angesichts der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes unzureichend und wurde in der Literatur kritisiert. Insofern machte John Coffee, Jr. darauf aufmerksam, dass die Rechte der durch LLSV definierten Variablen nur
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partiellen Schutz böten, die teilweise einfach auszuhebeln seien.224 Auch Udo Braendle bezweifelt, dass sieben225 Kriterien ausreichend sind, um den Aktionärsschutz valide zu beurteilen.226 Die Variablen erfassten zwar beispielsweise einen Teil der Regelungen zur Wahl der Unternehmensführung, nicht aber, wie leicht oder schwer es für die Aktionäre sei, diese Unternehmensführung zu ersetzen.227 Je begrenzter die Auswahl der Variablen, desto größer sei das Risiko, die der jeweiligen Rechtsordnung zugrunde liegenden Grundprinzipien nicht mit den angenommenen Variablen erfassen zu können.228 Darüber hinaus ermöglicht eine hohe Anzahl an Variablen auch ein differenzierteres Bild der jeweiligen untersuchten Rechtsordnung. Denn umgekehrt wird das Bewertungsraster umso grobmaschiger – und damit aussageschwächer –, desto geringer das Variablenset ist; werden bloß vier Variablen zugrunde gelegt, so wird die Abstufung notwendigerweise nur folgende Stufen zur Bewertung eines Gesamtindexes zulassen: 0 %, 25 %, 50 %, 75 % und 100 %. Das führt insbesondere dann zu Verzerrungen, wenn Subindizes herangezogen werden müssen, denn dann setzt sich das etwaig grobe Raster des Subindex A in dem Gesamtindex in gewissem Ausmaß fort. Der Rechtsvergleicher muss sich hier also um besondere Sorgfalt bemühen und die Anzahl der Variablen so wählen, dass ein aussagekräftiges Bild des Untersuchungsgegenstandes entstehen kann.229 b) Grundregeln der Definition der Variablen Bei der Definition der Variablen zur Verwendung im Rahmen statistischer Untersuchungen sind einige Grundregeln zu beachten. Diese Grundregeln stellen ein Mindestmaß an Aussagekraft und Nachvollziehbarkeit der Quantifizierung des Rechts sicher.
224 Coffee Jr., The Rise of Dispersed Ownership, in: Yale L. J. 2001, S. 1-82 (S. 4, Fn. 6). 225 Die Variable »one share – one vote« behandelt Braendle als zusätzliche Variable, obwohl diese nicht Teil des ADRI war, vgl. Braendle, Shareholder Protection, in: G.L.J. 2006, S. 257–278 (S. 261). 226 A.a.O., S. 264. 227 Die Auslassung des »Abwahl«-Regimes halten Priya Lele und Mathias Siems für einen Beleg der Voreingenommenheit in Bezug auf das diesbezüglich kontrovers diskutierte Recht der USA , Leximetric I, in: J. Corp. L. Stud. 2007, S. 17–50 (S. 20). 228 Armour/Deakin/Lele/Siems, How Do Legal Rules Evolve?, in: Am. J. Comp. L. 2009, S. 579–630 (S. 586). 229 Insgesamt 60 Subvariablen verwenden bei ihrem Index Priya Lele und Mathias Siems, Leximetric I, in: J. Corp. L. Stud. 2007, S. 17–50 (S. 23).
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aa) Mehrdeutigkeit vermeiden Die Variablen dürfen nicht mehrdeutig sein. Es kommt darauf an, die Variable in möglichst eindeutiger Form zu definieren, weil andernfalls die Nachvollziehbarkeit leidet. Eine quantifizierte Rechtsordnung bzw. ein Teilbereich, deren Quantifizierungsprozess nicht mehr nachvollzogen und ggf. zu Verifikationszwecken wiederholt werden kann, ist wenig brauchbar. Während in der klassischen Rechtsvergleichung das Darstellungsmittel »Sprache« ist und Widersprüche und logische Brüche sich in der Semantik erkennen lassen, steht am Ende der Quantifizierung lediglich ein numerischer Wert, dem man nicht ansieht, wie er zustande gekommen ist. Diese Mehrdeutigkeit und Ambivalenz der Variablen lässt sich am Beispiel von LLSV verdeutlichen. Mindestens zwei Variablen können in verschiedener Weise interpretiert werden, und die Untersuchung von Holger Spamann hat nachgewiesen, dass keine der zugrunde gelegten möglichen Interpretationen geeignet ist, die Ergebnisse von LLSV zu reproduzieren.230 (1) Die Variable »proxy by mail allowed« Holger Spamann ist der Ansicht, dass die Variable von LLSV auf mehrere Arten interpretiert werden könne. Die Variable wurde von LLSV wie folgt definiert: »Equals one if the company law or commercial code allows shareholders to mail their proxy vote to the firm, and zero otherwise.«231
Bei wörtlichem Verständnis sei die Variable bereits dann erfüllt, wenn die Rechtsordnung es dem Aktionär nicht verbiete, seine Vollmacht zur Stimmabgabe der corporation zu übersenden. Das hält Spamann allerdings für wenig zielführend, weil tatsächlich keine der untersuchten Rechtsordnungen ein solches Verhalten untersage. Bei vernünftigem Verständnis sei daher davon auszugehen, dass die Variable erst dann erfüllt sei, wenn die corporation gesetzlich verpflichtet ist, per Post erhaltene Stimmen auch entsprechend zu zählen oder danach abzustimmen. Ein derartiges Verständnis führe bei einer Überprüfung der Rechtsordnungen indes lediglich zu einer Übereinstimmung von 55 % mit den von LLSV ermittelten Werten für diese Variable.232 Spamann entwickelte zwar noch weitere Interpretationsformen, es gelang ihm dennoch nicht, die Er-
230 Spamann, The »Antidirector Rights Index« Revisited, in: Rev. Financ. Stud. 2010, S. 467–486 (S. 474); vgl. insbesondere die Übereinstimmung von nur 55 % bei dem weitreichendsten Verständnis für »proxy by mail allowed« bei Spamann, Appendix, S. 7 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis). 231 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1122). 232 Spamann, Appendix, S. 7 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis).
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gebnisse von LLSV zu reproduzieren.233 Ein derart schwierig zu reproduzierendes Ergebnis steht schnell im Verdacht, schlicht falsch zu sein. (2) Die Variable »shares not blocked before meeting« Die Definition ist ebenfalls mehrdeutig. Denn LLSV definieren die Variable wie folgt: »Equals one if the company law or commercial code does not allow firms to require that shareholders deposit their shares prior to a general shareholders meeting, thus preventing them from selling those shares for a number of days, and zero otherwise.«234
Diese Definition kann in zweierlei Hinsicht interpretiert werden. Bei näherer Betrachtung der Formulierung »[…] does not allow firms to require […].« ergeben sich mindestens zwei Möglichkeiten des Verständnisses. Einerseits könne dies bedeuten, dass die Unternehmensführung als »firm« gesetzlich gehindert ist, das Erfordernis der Deponierung von Aktien zu verlangen, andererseits könne es auch dahingehend gedeutet werden, dass auch die Gründungsbestimmungen oder die Satzung der Gesellschaft kein solches Erfordernis aufstellen dürfen – was nicht notwendigerweise mit der Unternehmensführung zu tun hätte.235 Welche der beiden Interpretationsmöglichkeiten in Law and Finance für die Auswertung zugrunde gelegt wurde, ist nicht ersichtlich. Auch hier gelingt es Spamann lediglich teilweise, die Ergebnisse von LLSV zu reproduzieren, weil die Auswertung zum Teil fehlerhaft sei, und weil zum Teil nicht ganz klar sei, welches Verständnis zugrunde zu legen ist. Spamann selbst ist jedenfalls der Ansicht, dass nur die default rules relevant sein dürften, die es der Unternehmensführung verböten, die Deponierung zu verlangen, nicht jedoch die Verwendung derartiger Restriktionen in der Gründungsurkunde oder in der Satzung.236 Die beiden vorstehenden Beispiele belegen, dass die Definition der Variable möglichst frei von Interpretationsspielräumen sein sollte, auch wenn das nicht immer möglich sein mag. Die Untersuchung büßt aber bei zu viel Mehrdeutigkeit und Interpretationsspielraum an Überzeugungskraft ein, weil die Ergebnisse nicht überprüfbar sind und damit unter Umständen auch willkürlich sein könnten. Diesem Vorwurf sollte eine ernstgemeinte Untersuchung aber wirksam begegnen können, indem die Ergebnisse zumindest nachvollziehbar entwickelt werden.
233 A.a.O., S. 7ff. 234 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1122). 235 So auch Spamann, The »Antidirector Rights Index« Revisited, in: Rev. Financ. Stud. 2010, S. 467–486 (S. 473); Spamann, Appendix, S. 10 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis). 236 Spamann, Appendix, S. 10 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis).
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bb) Das Problem der Voreingenommenheit (home bias) In der Rechtsvergleichung ist die Voreingenommenheit mit Blick auf die eigene Rechtsordnung ein Anfängerproblem. Rechtsvergleichend arbeitende Juristen gehen häufig mit der Brille der eigenen Rechtsordnung und des eigenen Rechtsdenkens an eine fremde Rechtsordnung heran (»home bias«).237 Die Lösung dieses klassischen Problems der Rechtsvergleichung verlangt von dem Rechtsvergleicher, zu jeder Zeit außerhalb seiner eigenen Systemkategorien zu denken – eine Aufgabe, die angesichts der tiefen Verwurzelung durch Studium, Ausbildung und Praxis im Denken des Juristen schwer ist. Schon die Sprache ist ein Bollwerk der Voreingenommenheit und Juristen laufen Gefahr, ihre Voreingenommenheit nicht zu bemerken.238 Bei der Definition der Variablen ist dieses Problem besonders augenfällig, weil der Rechtsvergleicher eine abstrakte Definition für ein Rechtsinstitut im funktionalen Sinne oder ein Problem im Sinne des soziologischen Ansatzes formulieren muss, die von vornherein jeglichen Systembezug zum eigenen Recht – oder einem anderen Recht – vermeidet. Im Folgenden soll das Problem des »home bias« an den Untersuchungen »Law and Finance« und »The Law and Economics of Self-Dealing« verdeutlicht werden. Dabei tritt das Problem in zwei Ausprägungen auf: Zum einen bereits auf der Ebene des Grundverständnisses des Aktionärsschutzes – sozusagen auf der Meta-Ebene. Zum anderen schlägt sich das Problem auch in der einzelnen Definition der Variablen des Index nieder – gleichsam auf der Mikro-Ebene. (1)
Die Meta-Ebene
(a) »Law and Finance« Auf der Meta-Ebene lässt sich feststellen, dass bereits das Verständnis des Aktionärsschutzes von einem erheblichen »home bias« getragen wurde. Denn LLSV legten von Beginn an den Fokus auf den Zielkonflikt zwischen der Unternehmensführung und den Aktionären, blendeten die übrigen Zielkonflikte allerdings schon im Grundansatz aus. In dem der veröffentlichten Studie vorausgehenden Arbeitspapier führten LLSV hierzu wie folgt aus: »We begin by considering shareholder rights from company law. Because shareholders exercise their power by voting for directors, experts focus on voting procedures in evaluating shareholder rights. […] 237 Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 33f. 238 Vor dieser Voreingenommenheit, ausgelöst durch das Sprachverständnis warnt Großfeld, Kernfagen der Rechtsvergleichung, S. 106f.
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The next five rights are much more straightforward, and essentially describe how easy it is for shareholders to exercise their voting rights. Because these rights measure how strongly the legal system favors shareholders (against managers) in the voting process, we refer to them as anti-director rights.«239
LLSV hielten den Zielkonflikt zwischen Unternehmensführung und Aktionär also ursprünglich für den einzig relevanten Zielkonflikt, als sie den ADRI entwickelten. Der Zielkonflikt zwischen (Minderheiten-)Aktionären und Mehrheits- oder beherrschenden Aktionären wurde hingegen von vornherein ausgeblendet. Interessanterweise änderte sich das Verständnis der »Anti Director Rights« nachfolgend zwar erheblich und zielte nunmehr auch auf den Zielkonflikt zwischen dem Minderheitenaktionär und dem Mehrheits- oder beherrschenden Aktionär ab. Die Zusammensetzung des ADRI (nach wie vor als »Anti Director Rights«-Index bezeichnet) änderte sich hingegen lediglich marginal. In der veröffentlichten Studie führten LLSV hierzu Folgendes aus: »The next six rights, which we refer to as anti director rights, measure how strongly the legal system favors minority shareholders against managers or dominant shareholders in the corporate decision-making process, including the voting process.«240
Die von LLSV herausgearbeiteten Aktionärsrechte sollten nun zwar nicht mehr nur die Macht der Unternehmensführung beschränken, sondern darüber hinaus auch die Macht der Mehrheits- oder kontrollierenden Aktionäre (»dominant shareholders«). Die erhebliche Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes hinsichtlich der Zielkonflikte schlug sich in dem ADRI selbst allerdings gerade nicht nieder. Tatsächlich wurde dem ADRI lediglich die Variable »preemptive rights« hinzugefügt – ein Recht, das sowohl den Minderheiten-Aktionären als auch den beherrschenden Aktionären zustünde und daher mit der Machtverteilung kaum in einem Zusammenhang stehen dürfte. LLSV verkannten, dass bei der Ausübung von Stimmrechten bzw. bei der Ausübung von Macht in einem Unternehmen zu differenzieren ist, und zwar zwischen der Entscheidungsgewalt (decision-making powers) und der Macht über die Festlegung der Tagesordnung (agenda-setting powers), also letztlich die Bestimmung dessen, über das entschieden werden soll. Diese grundsätzliche Machtverteilung unterscheidet sich zwischen den verschiedenen Rechtsord-
239 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance Working Paper, S. 16 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis). 240 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1127).
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nungen, insbesondere den anglo-amerikanischen und den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen.241 (aa) Entscheidungsgewalt oder decision-making powers In einem anglo-amerikanischen Unternehmen liegt die Macht, Entscheidungen zu treffen, grundsätzlich bei der Unternehmensführung. Dieses Grundprinzip des Common Law242 ist für das Recht Delawares im Delaware General Corporation Law (DGCL) fest verankert und ergibt sich insbesondere aus § 141 (a) DGCL. Danach werden das Geschäft und die Angelegenheiten der Gesellschaft von der Unternehmensleitung geführt, wenn die Gründungsurkunde nichts Anderes statuiert. Eine gänzlich andere Grundentscheidung treffen hingegen die (meisten) Rechtsordnungen der Länder Kontinentaleuropas (mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs). In einigen Rechtsordnungen liegt die Macht bei der Unternehmensführung,243 während in den anderen Ländern die Aktionäre bzw. die Hauptversammlung die Macht habe(n), solange diese nicht auf die Unternehmensführung übertragen wurde.244 Ein US-amerikanischer Aktionär sei daher im Wesentlichen darauf beschränkt, seine »economic rights«, also das Recht, seine Aktien zu verkaufen,245 bestimmte »control rights«246 (namentlich die Wahl der Unternehmensführung und bezüglich fundamentaler Angelegenheiten wie »asset sales«, »mergers« und »charter / bylaw amendments«)247 und »information rights« auszuüben – wobei diese wiederum durch rechtliche Regeln – wie der »burden of demonstrating proper purpose«248 – eingeschränkt würden. Letztlich stünden ihm »litigation rights« zu, wie die Aktionärsklage, die wiederum viele rechtliche Hindernisse habe und selten zum Erfolg führe249. Abgesehen von der Wahl der Unternehmensführung und der Änderung der Satzung (»charter / bylaw amendments«) sei für alle anderen Entscheidungen die Zustimmung der Unternehmensführung, des »board of directors«, erforderlich,250 was diese Rechte weiteren Einschränkungen unterwerfe und sie damit weitgehend illusorisch mache.251 Darüber 241 Zu diesem Punkt insbesondere Cools, The Real Difference, in: Del. J. Corp. L. 2005, S. 697–766 (S. 738ff.). 242 So a.a.O., S. 739 unter Bezugnahme auf Automatic Self-Cleansing Filter Syndicate Co Ltd v. Cuninghame, Court of Appeal, 1906, 2 Ch 34hen Court of Appeal von 1906. 243 Dies gelte für Italien, Irland, Luxemburg und Belgien, vgl. a.a.O., S. 739. 244 A.a.O., S. 739. 245 Vgl. Velasco, Fundamental Rights, in: U.C. Davis L. Rev. 2006, S. 407–468 (S. 413ff.). 246 A.a.O., S. 416ff. 247 So Bainbridge, Director v. Shareholder Primacy, in: Transnat’l Law. 2002, S. 45–62 (S. 48). 248 Velasco, Fundamental Rights, in: U.C. Davis L. Rev. 2006, S. 407–468 (S. 420). 249 A.a.O., S. 422. 250 Cools, The Real Difference, in: Del. J. Corp. L. 2005, S. 697–766 (S. 744). 251 Velasco, Fundamental Rights, in: U.C. Davis L. Rev. 2006, S. 407–468 (S. 424ff.).
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hinaus könne die Unternehmensführung die durch die Aktionäre geänderten bylaws gem. Delaware Code Annotated Title 8, § 109 (a) selbst ändern oder aufheben, wenn die »articles of incorporation«, also die Satzung der Gesellschaft, diese Befugnis erteile, was wiederum dem Regelfall entspreche.252 Etwas anderes gelte nur dann, wenn die vorangegangenen Änderungen bestimmte Einzelheiten des Wahlrechts für die Wahl der Unternehmensführung beträfen.253 Nach dem Gesetz sind Änderungen durch die Unternehmensführung an den geänderten bylaws in diesem Fall nicht mehr möglich. Auch wenn die Aktionäre weitgehende Kompetenzen hinsichtlich der bylaws haben, so hindern die »collective action«Probleme sie an einer effektiven Wahrnehmung ihrer Kompetenzen.254 Aktionäre in einer Publikumsgesellschaft finden sich in der Regel in einer zerstreuten Eigentümerstruktur ohne Großaktionäre wieder. Daher ist für die Änderungen der bylaws ein Zusammenwirken der Aktionäre erforderlich, was angesichts der eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den Aktionären auf natürliche Hürden trifft. In einem Teil des kontinentaleuropäischen Gesellschaftsrechts müsse hingegen jede Änderung der charter und der bylaws durch die Aktionäre angenommen werden, und die Zustimmung der Unternehmensführung sei nicht erforderlich. Die Aktionäre auf dem europäischen Kontinent hätten auch mehr Entscheidungsmacht hinsichtlich der verschiedenen Angelegenheiten des Unternehmens.255 Hinsichtlich der decision-making powers ist die Einflussmöglichkeit des USamerikanischen Aktionärs also schon einmal begrenzter, und der kontinentaleuropäische Aktionär erscheint im Vergleich zur Unternehmensführung stärker. Der ADRI bildet diese Unterscheidungen nicht ab. (bb) Macht über die Festlegung der Tagesordnung oder Agenda-setting powers Die Reichweite von Entscheidungsmacht in einem Unternehmen hängt außerdem in hohem Maße davon ab, ob der Entscheidungsträger selbst bestimmen kann, worüber entschieden werden soll, er also die Agenda bestimmen kann (agenda-setting powers). Ein Aktionär, der keine Alternativen vorschlagen oder eigene Vorschläge einbringen kann, hat keine echte Entscheidungsmacht. Dies gilt insbesondere dann, wenn die von der Unternehmensführung vorgeschlagene Entscheidung – gerade mangels Alternativen – im wahrsten Sinne des Wortes alternativlos ist. Denn dann kann der Aktionär lediglich dem Vorschlag folgen oder – mit evtl. nachteiligen Folgen – den Vorschlag ablehnen. Daher sind die 252 253 254 255
Cools, The Real Difference, in: Del. J. Corp. L. 2005, S. 697–766 (S. 740). Vgl. Delaware Code Annotated, Title 8, § 216. Cools, The Real Difference, in: Del. J. Corp. L. 2005, S. 697–766 (S. 740). A.a.O., S. 741; für Deutschland vgl. die Aufzählung in § 119 AktG.
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agenda-setting powers von entscheidender Bedeutung für den Schutz eines (Minderheiten-)Aktionärs. Die agenda-setting powers sind durch die rechtlichen Regelungen und die tatsächlichen Umstände im US-amerikanischen Gesellschaftsrecht und den meisten kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen grundlegend unterschiedlich verteilt. In den USA ist das sog. »proxy voting« weit verbreitet. Danach kann ein Aktionär seine Stimme ohne Teilnahme an der Hauptversammlung abgeben, indem er einen Stimmzettel (»proxy form«) ausfüllt und zu den einzelnen Tagesordnungspunkten seine Stimme entsprechend abgibt. Da die hohe Akzeptanz und Verbreitung des proxy voting dazu führt, dass ein erheblicher Teil der Stimmen bereits vor der Durchführung der Hauptversammlung der Aktionäre abgegeben worden ist, haben alternative Vorschläge in der Praxis nur geringe Chancen. Chancen haben daher nur solche Alternativ-Vorschläge, die bereits Gegenstand des proxy form sind, also zusammen mit den Stimmzetteln an die Aktionäre versendet werden. Denn andernfalls besteht jedenfalls ein hohes Risiko, dass ein in der Hauptversammlung geäußerter Vorschlag nicht mehr die erforderliche Stimmenmehrheit finden kann. Ein Unternehmen soll nach dem US-amerikanischen Recht auch grundsätzlich unter der sog. »town meeting rule« verpflichtet sein, den Vorschlag des Aktionärs dem proxy form beizufügen, wenn der vorschlagende Aktionär mindestens Aktien mit einem Marktwert von 2.000,00 US$ oder 1 % der Unternehmensaktien bereits länger als ein Jahr hält, gerechnet bis zu dem Datum des Vorschlages.256 Von dieser Regelung könne das Management aber aus einer Vielzahl von Gründen abweichen und die Vorschläge aus dem »proxy material« heraushalten.257 In diesem Fall bleibe dem Aktionär oder der Aktionärsgruppe nur noch der sog. »proxy contest«. Ein solcher proxy contest ist vergleichbar mit einem Wahlkampf.258 Die »contestants« – zumeist die Unternehmensführung auf der einen und die opponierenden Aktionäre auf der anderen Seite – verschicken das proxy material und gehen auf »Stimmenfang«. Proxy contests seien allerdings sehr kostspielig259 und die Unternehmensführung behalte in der Regel die Oberhand.260 Die Unternehmensführung habe eine Aktionärsliste, die opponierende Aktionäre unter Umständen erst einklagen müssten; sie könne ihren »Wahlkampf« 256 257 258 259
A.a.O., S. 742. A.a.O., S. 742. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Fn. 810. Cools, The Real Difference, in: Del. J. Corp. L. 2005, S. 697–766 (S. 742); zu den finanziellen Folgen eines proxy contest und der Kostenübernahme vgl. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Fn. 816ff. 260 Hamilton, The Law of Corporations, S. 429.
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durch das Unternehmen finanzieren lassen, während die Aktionäre die Finanzierung selbst stemmen müssten; letztlich habe der Aktionär überwiegend ein ökonomisches Interesse und beschreite daher den einfacheren Weg des Aktienverkaufs261 statt des proxy contest.262 In einer kontinentaleuropäischen Publikumsgesellschaft ist es für die Aktionäre verhältnismäßig einfacher, die Tagesordnung einer Hauptversammlung der Aktionäre zu bestimmen und zu beeinflussen. In Deutschland richtet sich dies nach § 122 Abs. 2 AktG. Danach kann eine Aktionärsminderheit oder ein Minderheitenaktionär mit einem Anteil von mindestens 5 % des Grundkapitals oder Anteilen im Wert von 500.000,00 EUR verlangen, dass ihre / seine Gegenstände auf die Tagesordnung gesetzt und bekannt gemacht werden. In Frankreich sei es für die Aktionäre seinerzeit noch einfacher gewesen. Danach könne ein Minderheitenaktionär oder eine Aktionärsgruppe, die einen Anteil von 0,5 % bis 5 % halte – die genaue Anteilsgröße hänge von dem Kapital des Unternehmens ab –, verlangen, dass Beschlussentwürfe in die Tagesordnung aufgenommen werden. Der Ablauf einer Hauptversammlung gestalte sich so, dass es den Aktionären möglich sei, nach der »notice of meeting«, also der Einladung, ihre eigenen Vorschläge einzubringen, die dann Teil der – den Aktionären übersendeten – »notice of call« würden, welche die Agenda enthalte.263 In Belgien stellte sich die Situation ein wenig anders dar, denn ein Minderheitenaktionär brauchte einen 20-%-Anteil am Unternehmenskapital, um die Tagesordnung beeinflussen zu können. Dieser Anteil wurde freilich mit der Umsetzung der Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften auf einen 3-%-Anteil am Grundkapital abgesenkt;264 damit geht Belgien über die Anforderungen der EU-Richtlinie hinaus, denn die Richtlinie statuiert in Art. 6 Abs. 2 RL 2007/36/EG einen Anteil von nicht mehr als 5 % des Aktienkapitals. Im Gesellschaftsrecht des Vereinigten Königreichs liegen die Dinge – aufgrund der EU-Harmonisierung – ganz ähnlich, weshalb England hier ausgeklammert werden sollte. Man darf gespannt sein, ob der »Brexit« – also der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU – zu einer Rückkehr zur Doktrin des Common Law führt.
261 A.a.O., S. 395. 262 A.a.O., S. 429f.; zum Zugang des Aktionärs zur proxy machinery vgl. Eisenberg, The Structure of the Corporation, S. 95ff. 263 Vgl. Cools, The Real Difference, in: Del. J. Corp. L. 2005, S. 697–766 (S. 743). 264 Vgl. Code des societes Art. 533 § 1 al. 1.
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(b) »The Law and Economics of Self-Dealing« Der »Anti Self-Dealing«-Index, der nach DLLS präzisere Voraussagen über die Entwicklung des Kapitalmarkts erlauben sollte als der ADRI, legte den Fokus klar auf disclosure, also auf Offenlegung. Offenlegung setzt als Instrument des Aktionärsschutzes einen funktionierenden Markt für Kontrolle voraus.265 Das folge daraus, dass die Offenlegung dazu führe, Fehlverhalten und mögliches Missmanagement oder allgemein opportunistisches Verhalten der Unternehmensführung gegenüber den Aktionären zu offenbaren. Die Aktionäre könnten darauf am einfachsten reagieren, indem sie den zukünftigen cash flow an die Gesellschaft durch den Verkauf von Aktien regulierten. Der Aktienkurs würde dementsprechend sinken und die Gesellschaft würde somit zu einem potenziellen Übernahmeziel für Dritte. Das wiederum wisse die Unternehmensführung und versuche, dies zu verhindern.266 Aus diesem Grunde geht auch Julian Velasco davon aus, dass die wichtigsten Rechte des Aktionärs im US-amerikanischen Gesellschaftsrecht in dem Recht zur Veräußerung der Anteile und dem Recht zur Wahl der Unternehmensführung lägen.267 Dieser Markt für Kontrolle, der neben der Offenlegung auch durch proxy contests sichergestellt werde,268 ist in besonderem Maße in einer Struktur mit gestreutem Aktienbesitz gegeben. Denn der Aktienkurs mag zwar auch in einer Gesellschaft mit einem beherrschenden Aktionär sinken, die Gesellschaft ist aber weniger gefährdet, (feindlich) übernommen zu werden, weil der beherrschende Aktionär gleichwohl die Mehrheit der Anteile hält und damit die Kontrolle über die Gesellschaft ausübt.269 Eine Studie, deren Kernbereich auf der mandatorischen Offenlegung aufbaut, missachtet damit, dass diese Offenlegung zwar in Outsider-Systemen sehr wünschenswert sein mag,270 in einem Insider-System aber nicht gleichermaßen effektiv ist. Die Annahme, dass eine Offenlegung per se ein wirksamer Schutz vor dem Self-Dealing sei, lässt sich daher ohne Weiteres auf die Voreingenommenheit der Autoren zurückführen, die Outsider-Systeme gewöhnt waren, und denen die Besonderheiten der Insider-Systeme so nicht bewusst gewesen sein mögen.
265 266 267 268
Berndt, Global Differences, S. 34f. A.a.O., S. 34f. Velasco, Fundamental Rights, in: U.C. Davis L. Rev. 2006, S. 407–468 (S. 425). Vgl. Bebchuk/Hamdani, The Elusive Quest, in: U. Pa. L. Rev. 2009, S. 1263–1317 (S. 1285ff.). 269 So auch Berndt, Global Differences, S. 35. 270 Hierzu für die USA, allerdings ohne Bezug zu den verschiedenen Systemen Easterbrook/ Fischel, The economic structure of corporate law, S. 286ff.; für eine Intervention des Bundesgesetzgebers in den USA in bestimmten Bereichen, u. a. »disclosure« vgl. Bebchuk, Federalism and the Corporation, in: Harv. L. Rev. 1992, S. 1435–1510 (S. 1490f., 1510).
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(2) Die Mikro-Ebene der Variablen-Definition Ein weiterer Hinweis bezüglich eines möglichen »home bias« ließe sich auch auf der Mikro-Ebene der Variablen-Definition bei LLSV nachweisen, namentlich bei der Variable »cumulative voting«. Die Variable »cumulative voting« kann nämlich lediglich in einem System Relevanz haben, in dem die Unternehmensführung aus einem eingliedrigen Gremium besteht und direkt gewählt wird (sog. »one-tier boards«). Denn zweigliedrige Systeme (sog. »boards«) sind gerade dadurch geprägt, dass die Unternehmensführung aus zwei Gremien besteht, dem »board of directors« (in Deutschland der Vorstand, vgl. §§ 76ff. AktG), der die Geschäfte der Gesellschaft führt, und dem »supervisory board« (in Deutschland der Aufsichtsrat, §§ 111ff. AktG) als Überwachungsorgan. In solchen Systemen wird der board of directors üblicherweise durch das supervisory board bestimmt, es gibt also keine Direktwahlmöglichkeit der directors. Problematisch ist – und einen »home bias« belegt – der Umstand, dass die durch die Variable bevorzugten one-tier boards überwiegend in den Ländern des Common Law, insbesondere den USA, bekannt und vorherrschend sind.271 Demgegenüber ist das kontinentaleuropäische Gesellschaftsrecht traditionell dem two-tier boards verhaftet.272 Das zweistufige System sei zwingend in Dänemark, Finnland, Deutschland, Schweden, Österreich und für große niederländische Gesellschaften, während in Frankreich273, Portugal, der Schweiz und in Spanien ein optionales Modell bestehe, nach dem die Gesellschaft wählen könne.274 Wenn die Mitglieder der Geschäftsleitung gar nicht direkt gewählt werden können, sondern lediglich über den supervisory board, darf bezweifelt werden, dass das kumulative Stimmrecht noch eine gravierende Relevanz hat. Das schlägt sich auch in den Entscheidungen der Rechtsordnungen nieder, in denen one-tier boards grundsätzlich bekannt sind, z. B. in Spanien, das nach LLSV ein cumulative voting habe.275 Demgegenüber kennt keines der o. g. Länder, in denen das two-tier boards mandatorisch ist – nach LLSV –, das cumulative voting.276 Der starke Bezug zu dem Recht der USA und der dadurch dokumentierte »home bias« wird auch dadurch deutlich, dass viele der von LLSV untersuchten 271 Berrar, Entwicklung, S. 37. 272 Braendle/Noll, Monitoring, in: G.L.J. 2004, S. 1349–1371 (S. 1353). 273 In Frankreich ist mit der Einführung des Loi Nouvelles Régulations Économiques ein drittes Modell zwischen die beiden ursprünglichen Modellen getreten, vgl. hierzu Hopt/Leyens, Board Models, in: ECFR 2004, S. 135–168 (S. 156f.). 274 Berrar, Entwicklung, S. 37. 275 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1131). 276 A.a.O., S. 1131.
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»Common Law«-Länder kein cumulative voting kennen, u. a. – und das ist schon erstaunlich – das Mutterland des Common Law England. Tatsächlich wird im Vereinigten Königreich um das cumulative voting auch kein großes Aufheben gemacht.277 (3) Zusammenfassung des Problems der Voreingenommenheit (home bias) Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Definitionen des ADRI und des »Self-Dealing«-Index zu einem erheblichen Teil auf einem »home bias« der Autoren beruhten, weil weder das Grundverständnis zum Aktionärsschutz noch die Variablen-Definitionen die Unterschiede der Zielkonflikte bzw. Eigentümerstrukturen berücksichtigten. Auf der Meta-Ebene haben LLSV die unterschiedliche Gewichtung der decision-making powers und der agenda-setting powers in den verschiedenen Ländern missachtet und legten ihrem ADRI überwiegend Aktionärsrechte zur Ausübung von Stimmrechten zugrunde, ohne dabei zu berücksichtigen, dass es sich hierbei um besonders gewichtige Rechte in Eigentümerstrukturen mit gestreutem Aktienbesitz – wie in den USA – handelte. Auf der Mikro-Ebene zeigt sich der »home bias« bei der Variable »cumulative voting«. Da das cumulative voting besonders in den USA – nicht jedoch gleichermaßen in anderen »Common Law«-Ländern, insbesondere nicht im Vereinigten Königreich – vertreten war, lässt sich schließen, dass LLSV die Aktionärsrechte allein aus der nationalen Sicht gewählt zu haben scheinen. Darüber hinaus lässt sich gerade beim cumulative voting erkennen, dass die im Common Law verbreiteteren one-tier boards von der Variable adressiert werden sollten. Für die in den kontinentaleuropäischen Ländern vorherrschenden two-tier boards ist ein kumulatives Stimmrecht nämlich von deutlich geringerer Relevanz für die Machtverteilung zwischen Aktionär und Unternehmensführung. Diese Befunde belegen einen »home bias« bei LLSV. Daraus folgt zwar nicht, dass die von LLSV definierten Variablen samt und sonders unerheblich für den Aktionärsschutz sind. Sie zeigen aber allenfalls einen (kleinen) Teil des Gesamtbildes. Welche Auswirkungen ein derartiger »home bias« haben kann, machte Markus Berndt deutlich. Er erstellte einen alternativen Index, in dem zwei der Variablen von LLSV (»shares not blocked before meeting« und »oppressed minority«) ausgetauscht wurden durch drei Variablen, die gerade in Insider-Systemen besonders relevant seien. So ersetzte er die beiden vorgenannten Variablen durch die folgenden Variablen: 1. Minderheitenschutz hinsichtlich des Aktienvorkaufs bei Neuausgabe von Aktien, 2. Schutz bei der Erhöhung des Grundkapitals (vgl. 277 Vgl. hierzu die knappen Ausführungen bei Davies, Gower’s Company Law, S. 181; keine Erwähnung findet das »cumulative voting« in Pennington, Company Law.
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für Deutschland §§ 182ff. AktG), und 3. Schutz beim Rückkauf von Aktien durch die Gesellschaft.278 Im Ergebnis ergebe sich ein deutliches Übergewicht zu Gunsten der Rechtsordnungen, in denen Insider-Systeme vorherrschend seien, sodass Frankreich den höchsten und das Vereinigte Königreich den niedrigsten Indexwert erreichte. (4) Lösungsansatz Dem »home bias«-Problem ist nicht einfach beizukommen. Vor allem ist das Erkennen des »home bias« die maßgebliche Schwierigkeit. Ein Rechtsvergleicher, der die Denkstrukturen des eigenen Rechts bei der Definition der Variable nicht verlassen kann, wird noch weniger in der Lage sein, seinen Fehler überhaupt zu erkennen. Es stellt sich daher die Frage, wie man ein derartiges Problem möglichst vermeidet. Eine Lösung könnte in der Erarbeitung von Fallstudien liegen.279 Dies erfordert allerdings zunächst von einem soziologischen Ansatz kommend eine Zusammenschau aller den Untersuchungsgegenstand prägenden Probleme bzw. Zielkonflikte.280 Eine Fallstudie zum Schutz der (Minderheiten-)Aktionäre sollte daher sowohl dem Zielkonflikt zwischen den Aktionären und der Unternehmensführung als auch dem Zielkonflikt der Aktionäre untereinander Rechnung tragen. Problematisch erscheint vor dem Hintergrund eines »home bias« die Selektion bestimmter Teiluntersuchungsgegenstände, wie beispielsweise die Ausübung des Rechts der Aktionäre zur Wahl der Unternehmensführung bzw. die Ausübung der Stimmrechte allgemein ohne Berücksichtigung der Verteilung der decisionmaking powers und der agenda-setting powers, wie in »Law and Finance«. Mögen diese Stimmrechte auch im US-amerikanischen Recht von erheblicher Bedeutung sein, hängt die Effektivität der Stimmrechte des Aktionärs nicht zuletzt von der Macht ab, den Abstimmungsgegenstand selbst zu bestimmen oder zumindest mitzubestimmen. Daher sollte eine Fallstudie zum Aktionärsschutz grundsätzlich alle Teilbereiche eines Problems erfassen. Denkbar wäre – wie DLLS dies in der Studie »The Law and Economics of Self-Dealing« praktizierten –, eine vollständige Transaktion vom Beginn bis zur Durchführung und etwaigen nachgelagerten Rechtschutzmöglichkeiten durch Juristen begutachten zu lassen. Mit Blick auf das Problem der Inkommensurabilität der Zielkonflikte in verschiedenen Rechtsordnungen erscheint ein rein funktionsäquivalent-vergleichender Ansatz der Lösungen verfehlt. Denn fehlt ein Problem in einer 278 Hierzu Berndt, Global Differences, S. 12ff., 18. 279 So auch Armour/Deakin/Mollica/Siems, Law and Financial Development, in: BYU L. Rev. 2009, S. 1435–1500 (S. 1454f.). 280 Ähnlich differenzieren auch Armour/Deakin/Lele/Siems, How Do Legal Rules Evolve?, in: Am. J. Comp. L. 2009, S. 579–630 (S. 603).
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Rechtsordnung oder einem Land, so dürfte sich ein funktionsäquivalenter Lösungsansatz aus der Rechtsordnung naturgemäß nicht ermitteln lassen.281 cc) Äquivalenzprobleme Äquivalenzprobleme treten auf, wenn der Rechtsvergleicher funktionsäquivalente Wirkungen in anderen Rechtsordnungen übersieht (»Unterschiedliche Regeln«-Problem), oder wenn er vermeintlich identische Regelungen irrigerweise für funktionsäquivalent hält (»Identische Regeln«-Problem). (1) Das »Unterschiedliche Regeln«-Problem Ein »Unterschiedliche Regeln«-Problem tritt dann auf, wenn tatsächlich unterschiedliche Regelungen die gleiche Funktion erfüllen oder die gleiche Wirkung haben, diese funktionale Äquivalenz der Regelungen von dem Rechtsvergleicher aber verkannt wird. In der Studie von LLSV fragen die Autoren mit der Variable »proxy by mail allowed« nach der Möglichkeit der Stimmabgabe ohne physische Präsenz auf der Hauptversammlung. Die damit von LLSV verbundene Funktion bezieht sich auf die Ersparnis von Zeit, Geld und Aufwand für den Aktionär. Für dieses Kriterium erhielt Deutschland den Wert »0«, obwohl § 135 i. V. m. § 128 Abs. 2, 3 AktG282 eine Stimmrechtsübertragung an die depotführende Bank (die gebräuchlichste Form des Aktienbesitzes und der Aktienverwaltung in Deutschland) ermöglicht. Udo Braendle ist daher der Ansicht, dass es sich dabei um ein vollständiges Funktionsäquivalent handelte, gemessen an den Funktionen »Ersparnis von Zeit, Geld und Aufwand«, und dass Deutschland somit ebenfalls für die Variable »proxy by mail allowed« der Wert »1« zugeordnet werden sollte.283 Gegen die Annahme der vollständigen Funktionsäquivalenz ließe sich zwar einwenden, dass nur eine weisungsgebundene Vollmacht den Aktionär vollständig schütze, weil die Bank andernfalls von der Stimmrechtsvollmacht in ihrem Interesse Gebrauch machen könnte. Allerdings stelle sich die Rechtslage beim US-amerikanischen proxy voting nicht anders dar: Fehlen Weisungen, sei der proxy – genau wie (in Grenzen) die Bank – berechtigt, das Stimmrecht nach seinen Vorstellungen auszuüben. Sowohl bei der Stimmrechtsübertragung auf die Bank als auch beim US-amerikanischen proxy voting könnten daher Interessenskonflikte auftreten.284
281 282 283 284
Ähnlich auch Örücü, Developing Comparative Law, S. 52. In der Fassung bis 1. September 2009. Braendle, Shareholder Protection, in: G.L.J. 2006, S. 257–278 (S. 268). A.a.O., S. 268.
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Wenn für einen bestimmten Sachverhalt beide Lösungen der Rechtsordnungen denselben Einschränkungen unterliegen, dann erscheint eine Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt. Die Übertragung des Stimmausübungsrechts auf die Bank bzw. die Bevollmächtigung der Bank nach dem deutschen Aktienrecht konnte jedoch zum Zeitpunkt der Studie »Law and Finance« nicht als gleichwertig mit dem proxy voting angesehen werden. Denn es gab keine generelle Verpflichtung der depotführenden Bank, die von dem Aktionär erteilte Untervollmacht auch in jedem Fall auszuüben bzw. den Aktionär auf der Hauptversammlung zu vertreten – der Kontrahierungszwang hing von einigen Voraussetzungen ab.285 Diese Einschränkungen sprächen dagegen, in der Möglichkeit, der depotführenden Bank eine Untervollmacht zur Stimmrechtsausübung zu erteilen, ein vollständiges Funktionsäquivalent zum proxy voting zu sehen. (2) Das »Identische Regeln«-Problem Das »Identische Regeln«-Problem beschreibt die trügerische Annahme des Rechtsvergleichers, wenn er eine vermeintlich identische Regelung in einer anderen Rechtsordnung findet, die aber tatsächlich – aus welchen Gründen auch immer – nicht identisch wirkt und somit nicht als funktionsäquivalent angesehen werden kann. Das kann auf Unterschiede in der praktischen Durchsetzung zurückzuführen sein oder auf unterschiedlichen Voraussetzungen im Detail beruhen.286 Es handelt sich also um den umgekehrten Fall des »Unterschiedliche Regeln«-Problems. (3) Lösung der Äquivalenzprobleme Im Fall vermeintlich unterschiedlicher Regelungen dürfen funktionsäquivalente Regelungen nicht übersehen werden; der Rechtsvergleicher muss daher prüfen, ob vermeintlich identische Regelungen tatsächlich funktionsäquivalent sind. In beiden Fällen hilft eine Mischung aus einem soziologischen und einem funktionalen Ansatz. Auf der soziologischen Ebene wird der Untersuchungsgegenstand festgelegt. In dem Fall des proxy voting geht es also um die Frage, ob der Aktionär seine Stimmrechte auch ausüben kann, ohne auf der Hauptversammlung körperlich anwesend sein zu müssen. Dieses soziologische Problem wird dann hinsichtlich seiner Funktion betrachtet, in diesem Fall der Ersparnis von Zeit, Aufwand und Geld für den Aktionär287. Dementsprechend wird letztlich nach den funktions285 Dies ergibt sich aus § 135 Abs. 10 AktG i. d. F. vom 1. Januar 1966, erstmals geändert mit Art. 1 Nr. 14 Buchst. e des Gesetzes vom 18. Januar 2001. 286 Vgl. hierzu Siems, What Does Not Work, S. 5f. (siehe Internet-/Intranetverzeichnis). 287 Braendle, Shareholder Protection, in: G.L.J. 2006, S. 257–278 (S. 267f.).
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äquivalenten rechtlichen Möglichkeiten gesucht, also den Regelungen, die in der anderen Rechtsordnung die gleichen Funktionen erfüllen oder Wirkungen haben – in diesem Fall die Bevollmächtigung der depotführenden Bank zur Stimmrechtsabgabe nach § 135 AktG. Sollten identische Regelungen festgestellt werden, ist die Lösung einfacher: Denn dann muss der Rechtsvergleicher lediglich prüfen, ob die identische Regelung mit Blick auf die gewünschte Funktion auf der soziologischen Ebene äquivalent ist. Die Mischung aus soziologischem und funktionalem Ansatz erleichtert die Vermeidung von Äquivalenzproblemen. Die Frage nach der funktionalen Äquivalenz stellt sich – wenig überraschend – gleichermaßen in der klassischen Rechtsvergleichung.288 dd) Das Komplexitäts-Problem Unter dem Komplexitäts-Problem ließe sich die Bestrebung des Rechtsvergleichers verstehen, komplexe Rechtsmaterien auf wenige Oberbegriffe »herunterzubrechen«. Das kann im Wesentlichen zwei Folgen haben: Zum einen wird der Aufwand, der zur Reproduktion der Quantifizierung nötig ist, erhöht. Zum anderen leidet die Aussagekraft der Variablen und damit des gesamten Index, wenn komplexe Rechtsfragen auf inhaltsleere Oberbegriffe und Schlagworte heruntergebrochen werden. Die vorgenannten Probleme sollen nachfolgend an den Variablen »oppressed minority« und »proxy voting allowed« verdeutlicht werden. (1) Die Variable »oppressed minority« Nach LLSV wurde die Variable – verkürzt gesagt – erfüllt, wenn (a) gerichtlicher Rechtsschutz gegen die Entscheidungen der Unternehmensführung oder gegen die Entscheidungen der Hauptversammlung möglich war, oder wenn (b) dem dissentierenden Minderheitenaktionär bei bestimmten fundamentalen Änderungen wie Fusionen, Dispositionen über das Vermögen der Gesellschaft oder der Änderung der Gründungsurkunde ein Austrittsrecht und Abfindungsanspruch zustand. Als Minderheitenaktionäre galten alle Aktionäre mit einem Anteil von 10 % oder weniger. Damit erfasste die Variable sowohl prozessuale Fragen, nämlich die nach dem Bestehen gerichtlicher Rechtsschutzmöglichkeiten gegen bestimmte Entscheidungen, und die – nach deutschem Rechtsverständnis – materiell-rechtliche Frage des Bestehens eines Abfindungsanspruchs bei Ablehnung fundamentaler Änderungen der Gesellschaft. Mit dieser Variable definierten LLSV zwei unterschiedliche Fragen, die einer getrennten Aufarbeitung würdig waren. Die Zu288 Zweigert, Die »praesumptio similitudinis«, S. 739f.; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 33ff.; De Cruz, Comparative Law in a Changing World, S. 236ff.
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sammenfassung der beiden komplexen Fragen führt zu einer sehr abstrakten Variable, die nur noch schwer reproduziert werden kann. Diese beiden Fragen sollten getrennt betrachtet werden. Denn die Quantifizierung muss in sich als Prozess nachvollziehbar und reproduzierbar sein. Je schwerer die Reproduktion der Quantifizierung fällt, desto eher wird das Ergebnis als »nicht verifizierbar« und damit als willkürlich »abgestempelt« werden. Die Reproduzierbarkeit der Quantifizierung wird erschwert bzw. der hierzu erforderliche Aufwand wird stark erhöht, wenn nicht klar und deutlich mitgeteilt wird, welche konkreten Anforderungen die Variable stellt. Im Fall der hier in Rede stehenden Variable »oppressed minority« könnte sich nämlich ein deutscher Jurist fragen, warum Deutschland für diese Variable mit »0« bewertet worden ist, obwohl Minderheitenaktionäre (oder Aktionärsgruppen) mit einem Anteil von mindestens 10 % des Grundkapitals gem. § 147 AktG berechtigt sein können, die der Gesellschaft gegen die Unternehmensführung (Aufsichtsrat und Vorstand) zustehenden Ansprüche geltend zu machen. Möglicherweise wurde die Regelung übersehen, möglicherweise haben LLSV die Regelung nicht als die Definition erfüllend angesehen – um diese Unklarheiten zu vermeiden, sollte eine der Komplexität der Fragestellung angemessene Definition, ggf. mit Subvariablen, gewählt werden. In die gleiche Kerbe schlägt der Vorwurf, dass LLSV hinsichtlich der o. g. Variable offenbar das Recht des Aktionärs (und zwar unabhängig von seinem Anteil, § 245 AktG), Beschlüsse der Hauptversammlung der Aktionäre bei wichtigen Gründen gem. §§ 246, 243 AktG anzufechten, also gerichtlich überprüfen zu lassen, unberücksichtigt gelassen haben. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum Deutschland lediglich den Wert »0« erhalten hat. Im Fall der Anfechtungsklage dürfte es sich allerdings nicht um ein mögliches Definitionsproblem handeln, sondern LLSV werden diesen Umstand schlicht übersehen haben. (2) Die Variable »proxy by mail allowed« Die Variable »proxy by mail allowed« stand bei LLSV für die Möglichkeit des Aktionärs, seine Stimmrechte effektiv wahrnehmen zu können, ohne auf der Hauptversammlung der Aktionäre körperlich anwesend zu sein. Zwar mag dies auf den ersten Blick Zeit, Geld und Aufwand bei dem betroffenen Aktionär einsparen. Die Variable sagt aber nichts darüber aus, ob dieses Recht im Sinne des Aktionärsschutzes auch effektiv ist. Es wird lediglich ein Schlagwort genannt, ohne den Kern dieses proxy voting zu betrachten. Es wurde bereits dargestellt, dass das proxy voting beispielsweise im USamerikanischen Recht stark eingeschränkt wird, weil dem Aktionär oft nichts Anderes übrigbleibt, als seine Zustimmung zu geben oder sich zu enthalten. Andernfalls wäre er gezwungen, einen kostspieligen proxy contest durchzufüh-
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ren. Die Variable lasse unberücksichtigt, ob die Unternehmen das proxy voting fördern müssten, wer die Kosten eines proxy contest zu tragen habe, und ob die Regelungen die Kommunikation der Aktionäre untereinander beeinflussten.289 Darüber hinaus sei es auch von entscheidender Bedeutung, ob ein Aktionär lediglich für einen Vorschlag stimmen kann, oder ob auch seine Gegenstimme Gewicht habe und nicht lediglich als Enthaltung zu werten sei.290 Aus diesem Grunde halten Lele und Siems es für wahrscheinlich, dass jedes Land eine Art des proxy voting aufweise.291 Die fehlende Aussagekraft einer solchen Variablen kann durch die Bildung von Subvariablen kompensiert werden, bei denen der Rechtsvergleicher ein gesundes Gleichgewicht zwischen Handhabung der Variablen und Aussagekraft finden muss. Einerseits können nicht alle bedeutenden Regelungen in eine Variable aufgenommen werden, andererseits muss die Variable – ggf. mit ihren Subvariablen – einen zuverlässigen Rückschluss auf den Untersuchungsgegenstand ermöglichen. Diesen Weg gingen auch Lele und Siems, die in ihrem »Shareholder Protection Index« die Variable »proxy voting« auf zwei Variablen mit entsprechenden Subvariablen aufgeteilt haben.292 c) Disponibilität des Rechts Im Rahmen der Variablen-Definition muss sich der Rechtsvergleicher damit auseinandersetzen, welchen Grad der Disponibilität das von ihm untersuchte Recht aufweisen muss oder aufweisen darf. Denn das Recht ist mitunter hinsichtlich seiner Wirkungen unterschiedlich ausgestaltet. Es lassen sich dispositives und zwingendes Recht unterscheiden und innerhalb dieser Kategorien weitere Differenzierungen vornehmen, die dem Rechtsvergleicher bei der Definition der Variablen bewusst sein müssen. Die nachfolgenden Ausführungen werden zeigen, dass auch hier regelmäßig der soziologische Ansatz von dem zu lösenden Problem kommend Anwendung finden sollte. Denn die Wahl der Variablen-Definition hängt maßgeblich von dem Untersuchungsgegenstand ab, nämlich dem zugrundeliegenden Problem. aa) Dispositives Recht und zwingendes Recht Zunächst gilt es die Grundentscheidung zu treffen zwischen dispositivem Recht und zwingendem Recht. Dispositives Recht unterliegt im weitesten Sinne dem Willen der Rechtssubjekte und tritt in mehreren Ausprägungen auf. Es gibt »default rules«, die als 289 290 291 292
Lele/Siems, Leximetric I, in: J. Corp. L. Stud. 2007, S. 17–50 (S. 23). Cools, The Real Difference, in: Del. J. Corp. L. 2005, S. 697–766 (S. 709). Lele/Siems, Leximetric I, in: J. Corp. L. Stud. 2007, S. 17–50 (S. 21). A.a.O., S. 23, 46.
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Grundregel verstanden werden, und von denen einseitig oder durch Vereinbarung – zumeist durch opt-out – abgewichen werden darf. In diesem Kontext werden default rules ausschließlich als dispositives Recht verstanden, obwohl streng genommen alle zwingenden Regelungen ebenfalls default rules sein werden (von denen eben nicht abgewichen werden kann). Darüber hinaus gibt es optionales Recht, das – einseitig oder durch Vereinbarung – zur Anwendung gebracht werden muss – also durch einen sog. opt-in. Zwingendes oder mandatorisches Recht unterliegt hingegen nicht dem Willen der Rechtssubjekte, sondern kommt grundsätzlich in seinem Anwendungsbereich immer zur Anwendung. Auch zwingendes Recht tritt in zwei Ausprägungen auf, nämlich als (subjektiv) allseitig zwingendes und als halb-zwingendes Recht. Im ersten Fall sind alle Parteien eines Rechtsverhältnisses an das Recht gebunden und im zweiten Fall wirkt die Bindung lediglich in einem bestimmten Rahmen, sei es in zeitlicher Hinsicht (z. B. gem. § 202 Abs. 1 BGB hinsichtlich der Vereinbarung über die Verjährung im Fall des Vorsatzes), in Bezug auf einen bestimmten unabdingbaren Kernbestand einer Norm (z. B. gem. § 444 BGB hinsichtlich der Haftung im Fall des arglistigen Verschweigens von Mängeln bei einem Kaufvertrag), oder bezüglich der Unabdingbarkeit zu Lasten einer Partei (z. B. gem. § 536 Abs. 4 BGB hinsichtlich des Minderungsrechts des Mieters gegenüber dem Vermieter) – im letzteren Fall könnte man auch von einseitig zwingendem Recht sprechen, weil lediglich Abweichungen zu Lasten einer Partei verboten sind.293 Im Rahmen der Variablen-Definition muss sich der Rechtsvergleicher fragen, welchen Grad der Disponibilität das Recht aufweisen muss oder aufweisen darf, um die zu definierende Funktion (noch) erfüllen zu können. Das hängt maßgeblich von dem Untersuchungsgegenstand ab. Dazu muss man sich zunächst die Unterscheidung zwischen dispositivem und zwingendem Recht und dann die möglichen Differenzierungen im dispositiven Recht bewusst machen. (1) Default rules und zwingendes Recht Default rules könnte man als typisierte Betrachtung von Gerechtigkeit ansehen, wonach eine bestimmte Regelung regelmäßig einen gerechten Interessenausgleich gewährleisten soll, sei es hinsichtlich der Risikozuweisung, Güterzuordnung oder bezgl. des Schutzes vor Benachteiligung. Da default rules lediglich dann keine Anwendung finden, wenn die Parteien von ihnen abweichen, hängt die Nichtanwendung der default rule daher maßgeblich davon ab, ob diejenige Partei, zu deren Vorteil die Abweichung wirken würde, in der Lage ist, diese
293 Vgl. Neuner/Wolf/Larenz, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Kap. 1, § 3, Rn. 19.
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Abweichung durchzusetzen – sei es durch die Inanspruchnahme einseitiger Gestaltungsmacht, sei es im Wege der Vereinbarung. Hier könnten auch die sekundären Rechtsquellen des soft law, wie z. B. anerkannte Modellrechtsregeln (z. B. Deutscher Corporate Governance Kodex) eingruppiert werden. Denn es handelt sich um optionale Regelungen, deren Anwendung der Gesetzgeber zur Disposition stellt, und die Empirie zeige, dass diesen Regelungen in der Praxis oft gefolgt werde, sodass diese Regelungen als default rules betrachtet werden könnten.294 Im Einzelfall muss sich der Rechtsvergleicher allerdings fragen, ob es sich lediglich um »Branchenempfehlungen« handelt oder um anerkannte und ausreichend verbreitete allgemeingültige Regelungen mit quasi-rechtlichem Anwendungsanspruch.295 Zwingendes Recht kommt hingegen in jedem Fall zur Anwendung und lässt in der Regel auch keine Abweichungen zu – weder im Wege einseitiger Gestaltungsmacht noch im Wege der Vereinbarung. Lele und Siems vertreten, dass default rules und zwingendes Recht im Rahmen der Variablen-Definition äquivalent sein können. Dabei soll maßgeblich sein, welcher Prinzipal-Agent-Konflikt den Regelungen jeweils zugrunde liegt. Im Rahmen des Prinzipal-Agent-Konflikts zwischen Aktionären und der Unternehmensführung sollen default rules weitgehend äquivalent sein mit zwingenden Regelungen.296 Begründet wird das damit, dass die Aktionäre als Gruppe Abweichungen zu ihren Lasten regelmäßig werden verhindern können. Es wird also angenommen, dass eine Abweichung von der default rule im Regelfall nicht erfolge.297 Umgekehrt nehmen Lele und Siems an, dass der Prinzipal-Agent-Konflikt zwischen Minderheiten- und Mehrheits- bzw. kontrollierendem Aktionär in der Regel einer zwingenden Regelung bedürfte und dass default rules nicht automatisch äquivalent seien.298 Die Annahme, dass default rules und zwingendes Recht in bestimmten Bereichen äquivalent sein können, ist zwar zutreffend. Allerdings hängt das weniger von dem zugrunde liegenden Prinzipal-Agent-Konflikt ab, sondern eher von der Frage, ob die Abweichung von der default rule im Rahmen der Inanspruchnahme einseitiger Gestaltungsmacht erfolgt oder einer Vereinbarung zwischen gleichwertigen Parteien bedarf.
294 In diesem Sinne auch Lele/Siems, Leximetric I, in: J. Corp. L. Stud. 2007, S. 17–50 (S. 27). 295 So z. B. für den Ansatz des »comply or explain«-Ansatz des Deutschen Corporate Governance Kodex (DGCK) gem. § 161 AktG. Danach muss die Gesellschaft Abweichungen vom DCGK erklären und die Erklärung für die Öffentlichkeit zugänglich halten. 296 Lele/Siems, Leximetric I, in: J. Corp. L. Stud. 2007, S. 17–50 (S. 26). 297 A.a.O., S. 26f. 298 A.a.O., S. 27.
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Im Fall der Inanspruchnahme einseitiger Gestaltungsmacht, um Abweichungen von der default rule zu erreichen, sind die Transaktionskosten für die begünstigte Partei denkbar gering. Die Abweichung durchzusetzen erfordert dann nämlich auf der einen Seite lediglich geringen Aufwand, verbessert auf der anderen Seite aber die Vermögenslage derjenigen Partei (spürbar). Es erscheint daher bei einer generellen Betrachtung wahrscheinlich, dass von einer default rule abgewichen werden wird, wenn das einseitig möglich ist. Die default rule würde in diesem Fall also weniger Wirkung als eine zwingende Regelung entfalten. Demgegenüber wird eine default rule mit einer zwingenden Regelung dann äquivalent sein, wenn die Abweichung einer Vereinbarung zwischen gleichwertigen Parteien bedarf. Jedenfalls kann dann – unter idealen Bedingungen – die Annahme gelten, dass beide Parteien im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihre Interessen bestmöglich vertreten werden. Freilich setzt das voraus, dass keine der beiden Parteien einseitige – und wenn auch nur faktische – Gestaltungsmacht in Anspruch nehmen kann. Gestaltungsmacht kann aus jedem Übergewicht einer Vertragspartei erwachsen, ganz gleich, ob es sich um einen Informationsvorsprung, Verhandlungsgeschick, Durchsetzungsstärke, Entscheidungsmacht oder andere Faktoren handelt, die zum Abschluss einer Vereinbarung führen können. Die Aktionäre werden unter idealen Bedingungen also alles daran setzen, Vereinbarungen, die negativ von den default rules abweichen, zu verhindern. Die von Lele und Siems zugrunde gelegten Prinzipal-Agent-Konflikte beruhen – zufällig – im Wesentlichen auf der oben genannten Unterscheidung zwischen einseitiger Gestaltungsmacht und konsensualer Gestaltungs(ohn)macht. Da die Unternehmensführung in der Regel – jedenfalls bei erheblichen Abweichungen von default rules zum Nachteil der Aktionäre – auf die Zustimmung der Hauptversammlung der Aktionäre angewiesen ist, also in der Regel gerade keine einseitige Gestaltungsmacht in Anspruch wird nehmen können, wären default rules zur Erreichung des Schutzes der Aktionäre grundsätzlich ausreichend. Bei der Gruppe der Aktionäre ließe sich unterstellen, dass sie im Wesentlichen der Unternehmensführung ebenbürtig ist. Umgekehrt ist gerade der Mehrheits- bzw. kontrollierende Aktionär in der Regel in der Lage, kraft seiner Entscheidungsmacht Abweichungen von einer default rule zum Nachteil einiger (Minderheiten-)Aktionäre durchzusetzen, also einseitige Gestaltungsmacht in Anspruch zu nehmen; mag diese Gestaltungsmacht auch weniger auf den rechtlichen denn auf den tatsächlichen Gegebenheiten beruhen, insbesondere Informationsvorsprüngen und dem faktischen Einfluss im Rahmen der Stimmverteilung. In diesen Fällen ist eine default rule also (deutlich) weniger wirkungsvoll als eine zwingende Regelung, und es erscheint angemessen, bei der Variablen-Definition im Rahmen der Quantifizierung des Rechts – spätestens bei der Kodierung – zu differenzieren.
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Bei einer generalisierenden Betrachtung erscheint die Differenzierung zwischen den im Unternehmen herrschenden Prinzipal-Agent-Konflikten als tauglicher Anknüpfungspunkt für die Entscheidung zwischen default rules und zwingenden Regelungen. Dabei beschränkt sich dieser Anknüpfungspunkt aber auf den Aktionärs- oder Investorenschutz. Eine Differenzierung zwischen halb-zwingenden Regelungen und (allseitig) zwingenden Regelungen erscheint wenig sinnvoll, weil – bei generalisierender Betrachtung – angenommen werden kann, dass der Agent den Nutzen des Prinzipals nicht bei Verringerung des eigenen Nutzens erhöhen wird. Die über die halb-zwingende (oder einseitig zwingende) Regelung gebundene Partei wird sich nicht ohne Weiteres darüberhinausgehenden Einschränkungen unterwerfen. Eine Unterscheidung zwischen halb-zwingenden und zwingenden Regelungen dürfte daher keine praktische Relevanz haben. (2) Differenzierung innerhalb des dispositiven Rechts Die Disponibilität des Rechts hängt von der jeweiligen Ermächtigung ab, die hinter dieser Disponibilität steht und sie »anordnet«. Hierbei lassen sich zwei Grundmodelle unterscheiden, die generelle Disponibilität und die spezielle Disponibilität. Während einige Rechtsordnungen bestimmte Rechtsmaterien grundsätzlich der Parteidisposition überlassen und vom Gesetz abweichende Vereinbarungen nur dann unzulässig sind, wenn das Recht das explizit vorsieht (generelle Disponibilität), halten andere Rechtsordnungen Abweichungen für grundsätzlich unzulässig, sofern und soweit diese Abweichungen nicht explizit erlaubt werden (spezielle Disponibilität). (a) Generelle und spezielle Disponibilität Nach dem generell-dispositiven Recht werden alle Vereinbarungen (auch Abweichungen) für zulässig erklärt, sofern und soweit sie nicht im Einzelfall untersagt werden. Damit stünde das dispositive Recht unter einer generellen Erlaubnis mit individuellem Verbotsvorbehalt. Ein Beispiel für diese Herangehensweise wäre das Gesellschaftsrecht von Delaware. Die Regelung in § 102 (b) DGCL lautet wie folgt: »(b) In addition to the matters required to be set forth in the certificate of incorporation by subsection (a) of this section, the certificate of incorporation may also contain any or all of the following matters: (1) Any provision for the management of the business and for the conduct of the affairs of the corporation, and any provision creating, defining, limiting and regulating the powers of the corporation, the directors, and the stockholders, or any class of the
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stockholders, or the governing body, members, or any class or group of members of a nonstock corporation; if such provisions are not contrary to the laws of this State.«
Es sind also alle Regelungen in der Satzung erlaubt, solange das Recht des Bundesstaates Delaware nichts Abweichendes bestimmt. Im Gegensatz dazu würde das Recht bei der speziellen Disponibilität zunächst alle Vereinbarungen und Abweichungen für unzulässig erklären, es sei denn, die Abweichung ist im Einzelfall zulässig. Danach herrscht ein generelles Verbot mit einem individuellen Erlaubnisvorbehalt. Diesen Ansatz verfolgt das deutsche Recht im Aktienrecht. Nach § 23 Abs. 5 AktG darf bzw. kann die Satzung nämlich von den Vorschriften des Aktiengesetzes nur dann abweichen, wenn das ausdrücklich zugelassen ist.299 Innerhalb der speziellen Disponibilität ließen sich (theoretisch) weitere Kategorien bilden. So könnte die spezielle Disponibilität ihrerseits wiederum generell oder spezifisch ausgestaltet sein. Als Beispiel für eine spezifische spezielle Disponibilität könnte § 120 Abs. 1 und Abs. 2 Danish Companies Act (in der Fassung vom 12. Juni 2009) herangezogen werden. Die Regelung lautet wie folgt: »(1) In public limited companies, the majority of the members of the board of directors or the supervisory board must be elected by the general meeting. (2) The articles of association may provide public authorities or other parties with the right to appoint one or more members of the board of directors or the supervisory board.«
Es gibt also für die Satzungsgestaltung eine konkrete Abweichungsmöglichkeit hinsichtlich der Wahl der Unternehmensführung. Diese Regelung bezieht sich ausschließlich auf die Wahl der Unternehmensführung, lässt generelle Abweichungen aber nicht zu. Auch sind generell-spezielle Ermächtigungen denkbar. Also Ermächtigungen, die bezgl. eines bestimmten (weiter gefassten) Regelungsgegenstandes Abweichungen generell für zulässig erklären. Der Grad der Disponibilität innerhalb der Ermächtigungsnormen kann als fließend angesehen werden und die Bestimmung des Grades der Disponibilität steht immer in Relation zu dem Regelungsgegenstand. Auf der Grundlage der Differenzierung zwischen genereller und spezieller Disponibilität könnte man unterstellen, dass die Vertrags- oder Transaktionskosten geringer seien, wenn die Parteien sicher wüssten, dass ihre vom Gesetz abweichenden Vereinbarungen wirksam wären.300 Wäre diese Annahme zutreffend, ließe sich daraus folgern, dass Abweichungen – aufgrund der geringeren 299 Anders ist das wiederum im dt. Mietrecht, dort sind Abweichungen generell zulässig, solange das Gesetz nichts anderes bestimmt, vgl. z. B. § 536 Abs. 4 BGB. 300 So Spamann, Insignificance, S. 16 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis).
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Transaktionskosten – häufiger im Fall von Regelungen mit speziell-dispositivem Inhalt auftreten – generell-dispositives Recht also »abweichungsfester« sein müsste. Das könnte es rechtfertigen, die beiden unterschiedlichen Ansätze auch im Rahmen der Quantifizierung des Rechts zu berücksichtigen. Diesen Weg sind DLLS in »The Law and Economics of Self-Dealing« gegangen, und zwar im Rahmen der Neuauflage des ADRI. DLLS haben die Variable »shares not deposited« (bei LLSV im ursprünglichen ADRI als »shares not blocked before meeting« bezeichnet) wie folgt definiert: »Equals 1 if the law does not require, nor explicitly permits companies to require, shareholders to deposit with the company or another firm any of their shares prior to a general shareholders meeting.«301
Damit differenzierten DLLS zwischen speziell-dispositiven Ermächtigungsnormen auf der einen Seite und generell-dispositivem Recht auf der anderen Seite. Das führte dazu, dass das US-amerikanische Recht (Delaware) entsprechend mit dem Wert »1« bezeichnet werden konnte. Denn weder der DGCL noch andere Rechtsquellen schrieben »share blocking« vor noch wurde das share blocking explizit erlaubt – unberücksichtigt blieb, dass das Recht von Delaware generell disponibel und share blocking demnach möglicherweise trotzdem zulässig war. Holger Spamann ist der Auffassung, dass diese Differenzierung zwischen generell-dispositiven und speziell-dispositiven Ermächtigungsnormen im Rahmen der Quantifizierung des Rechts nicht berücksichtigt werden sollte. Zum einen sei der Unterschied in den Transaktionskosten – ungeachtet der unternehmerischen Praxis – möglicherweise nicht wesentlich.302 Die Unterschiede der Transaktionskosten könnten also unter Umständen keine praktischen Auswirkungen haben. Zum anderen sei die Unterscheidung möglicherweise illusorisch, weil unter den speziell-dispositiven Ermächtigungen wiederum in spezifische und generelle speziell-dispositive Ermächtigungen unterschieden werden müsse. Spezifischspeziell-dispositive und generell-speziell-dispositive Regelungen seien bloß die zwei Enden eines Spektrums. Als Beispiel verweist Spamann auf das Recht des cumulative voting; während das US-amerikanische Recht das cumulative voting explizit adressiere, lasse das Recht einiger skandinavischer Rechtsordnungen explizit abweichende Regelungen zur Wahl der Unternehmensführung zu. Daraus folge zwar möglicherweise eine – im Vergleich zum Recht von Delaware – etwas größere Unsicherheit hinsichtlich Satzungsregelungen, die cumulative voting in diesen skandinavischen Rechtsordnungen vorsähen, weil nicht sicher
301 Vgl. Tabelle XI des Anhangs bei Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Self-Dealing Working Paper (siehe Internet-/Intranetverzeichnis). 302 Spamann, Insignificance, S. 16f. (siehe Internet-/Intranetverzeichnis).
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ist, ob die Gerichte das cumulative voting für zulässig erachten. Es sei jedoch unvernünftig, aufgrund dieser Unterscheidung den Schluss ziehen zu wollen, dass das Recht Delawares für die Aktionäre schützender sei.303 Darüber hinaus steigere die gesonderte Berücksichtigung von speziell-dispositiven Ermächtigungsnormen die Bedenken hinsichtlich der Kausalitätsrichtung. Denn man könne annehmen, dass spezifische speziell-dispositive Regelungen das Produkt des wirtschaftlichen Umfelds seien und nicht umgekehrt. Beispielsweise erfolgte die erste gesetzliche Beschränkung der Verwendungen von Satzungsklauseln zum »share deposit« 1884 erst, nachdem diese Praxis unter deutschen Publikumsgesellschaften weit verbreitet war, also bevor die gesetzliche Regelung das Problem überhaupt adressierte. Obwohl diese Regelungen des deutschen Aktienrechts (teilweise) als Ermächtigungsnormen bezeichnet würden, sei die Beschränkung der Verwendung derartiger Klauseln der wichtigere Teil der Regelung. Diese Erkenntnisse implizierten für Spamann zweierlei: Erstens sei die Vorherrschaft von Satzungsbestimmungen zum »share deposit« eher die Ursache der gesetzlichen Beschränkungen denn ihre Wirkung gewesen – die Kausalitätsrichtung verlief also vom (Wirtschafts-)Leben zu der gesetzlichen Regelung. Zweitens sei anzunehmen, dass die Regelungen zum »share deposit« in Ländern mit Ermächtigungsnormen strenger seien, wenn und weil diese Regelungen auch Grenzen für die Praxis enthielten, die in den Ländern fehlten, deren Regelungen diese Praxis überhaupt nicht speziell adressierten.304 Neben diesen Gründen sprach für Spamann gegen eine Berücksichtigung der Differenzierung, dass dies die Kodierung des Rechts deutlich komplexer mache, weil zwei weitere Varianten der Variablen zu definieren und zu kodieren gewesen wären.305 (b) Stellungnahme zum Grad der Disponibilität Für die Bestimmung des Detaillierungsgrades der Variablen-Definition und damit auch für die Frage, ob zwischen generell-dispositiven und speziell-dispositiven Regelungen unterschieden werden sollte, kommt es in erster Linie auf den Untersuchungsgegenstand an. Eine Entscheidung für oder gegen die Definition von Variablen unter Einschluss oder Ausschluss von (spezifisch oder generell) speziell-dispositivem Recht lässt sich pauschal nicht treffen. Die von Spamann (allerdings ausschließlich bezgl. des Aktionärsschutzes) vorgebrachten Argumente überzeugen nur teilweise, sprechen aber jedenfalls nicht per se gegen eine Berücksichtigung der Differenzierung im Rahmen der Quantifizierung des Rechts. 303 Vgl. a.a.O., S. 17f. 304 So a.a.O., S. 17. 305 A.a.O., S. 18.
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Zunächst ist es eine Frage der Empirie, ob die Unterschiede in den Transaktionskosten unwesentlich sind und sich in der Praxis nicht auswirken (könnten). Die Entscheidung gegen eine Differenzierung würde damit auf Spekulation beruhen und wäre deshalb wenig nachvollziehbar. Selbst wenn unterstellt werden könnte, dass die Transaktionskostenunterschiede nur gering wären, könnte sich eine unterschiedliche Behandlung aus dem Grund rechtfertigen, dass die Wirksamkeit dieser Regelungen im Fall der gerichtlichen Kontrolle differenziert betrachtet werden könnte. Denn es erscheint nicht ausgeschlossen, dass die Gerichte im Rahmen einer generell-dispositiven Regelung einen größeren Beurteilungsspielraum haben als im Rahmen einer speziell-dispositiven Regelung. Denn während der Gesetzgeber bei speziell-dispositiven Ermächtigungen bereits eine sich auf die konkreten Abweichungen beziehende Entscheidung getroffen hat, wird man das bei einer generell-dispositiven Regelung nicht ohne Weiteres unterstellen können – die in Rede stehende (unerwünschte) Abweichung mag schlicht übersehen worden sein bei der Ausgestaltung der Regelung. Es mag damit unsicherer sein, von einer generell-dispositiven Regelung abzuweichen, sodass die Ausschöpfung speziell-dispositiver Ermächtigungen wahrscheinlicher sein könnte. Wenig überzeugend ist das Argument Spamanns, dass die Differenzierung illusorisch sei, weil auch unter den enabling rules bzw. den speziell-dispositiven Regelungen in spezifische und generelle Regelungen unterschieden werden müsse. Diese Erkenntnis ist zwar zutreffend. Sie ändert gleichwohl nichts daran, dass spezifische speziell-dispositive Ermächtigungen das eine Ende der Skala und generell-dispositive Ermächtigungen das andere Ende der Skala der Disponibilität bilden – innerhalb des speziell-dispositiven Rechts weiter zu differenzieren dürfte allerdings in der Tat wenig zielführend sein. Das Argument spricht jedenfalls nicht gegen die Berücksichtigung der beiden vorgenannten Extreme des dispositiven Rechts. Soweit Spamann die Komplexität der Variablen-Definition und Kodierung als Argument gegen eine Berücksichtigung der Differenzierung ins Feld führt, hängt es wohl von dem Untersuchungsgegenstand ab, ob eine komplexe Untersuchung vor dem Hintergrund des Zieles gerechtfertigt ist. Will man im Rahmen der Quantifizierung ein möglichst »realitätsnahes« Ergebnis erreichen, wird sich eine Differenzierung kaum vermeiden lassen. Soll die Quantifizierung hingegen bloß einem groben Vergleich dienen oder (oberflächliche) Konvergenzen bzw. Divergenzen über beispielsweise einen bestimmten Zeitraum darstellen, wird man auf die Differenzierung verzichten können. Aber auch das hängt wiederum von dem Umfang des Untersuchungsgegenstands ab – geht es dem Rechtsvergleicher um einen Vergleich der rechtlichen Regelungen zum »share deposit« und ihrem Umgang damit, wird man aufgrund des begrenzten Untersuchungsgegenstandes auch diese Differenzierung und evtl. sogar die Differenzierung zwischen gene-
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rellem speziell-dispositivem und spezifischem speziell-dispositiven Recht zu berücksichtigen haben. Auch das Kausalitätsargument spricht nicht gegen die Berücksichtigung der Differenzierung im Rahmen der Quantifizierung des Rechts. Zwar ist es zutreffend, dass mindestens eine gewisse Endogenität der rechtlichen Regelungen – und damit eine Interdependenz – zwischen speziell-dispositiven Regelungen und der tatsächlichen Entwicklung des (Wirtschafts-)Lebens bestehen kann – dies zeigt Spamanns Beispiel zum deutschen Aktienrecht. Dies gilt aber – anerkanntermaßen –306 für sämtliche anderen rechtlichen Regelungen ebenfalls. Auch die Entscheidung eines Gesetzgebers, eine generell-dispositive oder eine speziell-dispositive Regelung zu schaffen, kann von der tatsächlichen Entwicklung des (Wirtschafts-)Lebens beeinflusst sein, man denke nur an den Einfluss von Interessengruppen auf den modernen Gesetzgeber. Das Argument spricht auch nicht gegen eine Differenzierung im Rahmen der Methode der Quantifizierung des Rechts, sondern wendet sich gegen die Verwendung der Quantifizierung des Rechts im Rahmen ökonometrischer Methoden. Denn nur in diesem Rahmen trägt das Kausalitätsargument. Andere Nutzungen eines quantifizierten Rechts, beispielsweise die Überprüfung von Konvergenz- oder Divergenzentwicklungen, werden durch das Kausalitätsargument nicht berührt. Damit ist das Kausalitätsargument letztlich keines im Rahmen der Methode als solcher, sondern adressiert die Aussagekraft des Ergebnisses. bb) Zusammenfassung der Probleme zur Wahl der Disponibilität Die Komposition von Variablen setzt eine Entscheidung über die Disponibilität des Rechts voraus. Der Rechtsvergleicher muss beurteilen, welche Disponibilität das Recht aufweisen muss, um Eingang in die Beurteilung finden zu können. Dabei mag die Entscheidung zwischen disponiblem Recht und zwingendem Recht nicht allzu schwierig wirken. Doch schon der nähere Blick auf die ähnliche Wirkung von default rules und zwingendem Recht zeigt, dass die Entscheidung für oder gegen das eine oder das andere eine komplexe Beurteilung erfordert. Denn default rules können in einer Umgebung, in der gleichwertige Parteien eine abweichende Vereinbarung erst aushandeln müssten, die gleiche Wirkung haben wie zwingendes Recht – das gilt immer dann, wenn keine der Parteien einseitige Gestaltungsmacht in welcher Form auch immer innehat. Die Entscheidung bestimmt sich also nach dem Untersuchungsgegenstand und der ihn beschreibenden Probleme. 306 Auch die Vertreter der »Legal Origins«-Theorie verschließen davor nicht die Augen, vgl. La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, The Economic Consequences of Legal Origins, in: J. Econ. Lit. 2008, S. 285–332 (S. 298); ähnlich auch Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/ Shleifer, Self-Dealing, in: J. Finan. Econ. 2008, S. 430–465 (S. 449).
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Teil 2: Die statistische Auswertung des Rechts, zugleich eine Kritik
Ungleich komplexer werden die zu beantwortenden Fragen, wenn eine Entscheidung über die Differenzierung von generell-dispositiven und speziell-dispositiven Regelungen getroffen werden soll oder muss. Auch in diesem Fall müssen der Untersuchungsgegenstand und die ihn beschreibenden Probleme bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden. Die Frage, ob beispielsweise hinsichtlich des Aktionärsschutzes eine generell-dispositive Regelung generell schützender ist und speziell-dispositive Ermächtigungsnormen »schwächer« einzustufen sind, hängt maßgeblich von dem Problem ab. In einer Rechtsordnung mit einer generell-dispositiven Herangehensweise mag es vorkommen, dass eine bestimmte – unerwünschte – Praxis nicht explizit geregelt ist. Auch mag es vorkommen, dass sich in einem solchen Fall die Zulässigkeit der abweichenden Vereinbarungen nach einer (uneinheitlichen) Rechtsprechung richtet. In beiden Fällen ist eine speziell-dispositive Ermächtigungsnorm – obgleich sie das unerwünschte Verhalten sanktioniert – verlässlicher und effektiver, wenn sie das unerwünschte Verhalten zugleich Beschränkungen unterwirft. Diese Ausführungen zeigen, dass eine pauschale Entscheidung für die eine oder andere Variante kaum möglich bzw. vernünftig ist. Im Ergebnis sollte zur Bestimmung des Disponibilitätsgrades der Untersuchungsgegenstand herangezogen werden und es sollte berücksichtigt werden, welche Ziele der Rechtsvergleicher mit der Quantifizierung verfolgt. Dabei können bloße Praktikabilitätserwägungen oder Kosten-Nutzen-Betrachtungen für oder gegen eine Detaillierung der Disponibilität sprechen. Für die Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Methode ist entscheidend, dass der Rechtsvergleicher die Details der Variablen-Definition und den zugrunde gelegten Detaillierungsgrad mitteilt.307 Dazu zählt auch die Entscheidung, dass bestimmte Differenzierungen nicht berücksichtigt wurden. 2.
Zusammenfassung der Grundsätze der Variablen-Definition
Die Anforderungen an die zu beachtenden Grundsätze bei der Definition der Variablen sind vielfältig und bestimmen sich maßgeblich durch das von dem Rechtsvergleicher verfolgte Ziel der Quantifizierung. Sollen beispielsweise Konvergenz- oder Divergenzentwicklungen in der Gesetzgebung mehrerer Länder dargestellt werden, dann ergibt sich aus dem Untersuchungsgegenstand bereits zwingend, dass die Rechtswirklichkeit unberücksichtigt bleiben kann bzw. muss. Anders verhält es sich dann, wenn das Ziel der Untersuchung ist, ein möglichst genaues Abbild der (Rechts-)Wirklichkeit zu 307 Die Nichtbeachtung dieses Grundsatzes wird an dem ADRI kritisiert von Spamann, Insignificance, S. 16 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis); so auch Spamann, The »Antidirector Rights Index« Revisited, in: Rev. Financ. Stud. 2010b, S. 467–486 (S. 471).
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schaffen – dann ist zwingend die theoretische Rechtslage mit der Rechtswirklichkeit abzugleichen. Oberstes Gebot des Rechtsvergleichers sollte die transparente und nachvollziehbare Anwendung der Methode der Quantifizierung des Rechts sein. Das setzt nicht nur voraus, dass die Variablen möglichst präzise definiert werden, sondern vor allem, dass der Rechtsvergleicher herausstellt, welche »rechtlichen Zustände« die Variablen-Definition nicht erfüllen. Andernfalls besteht ein nicht unerhebliches Risiko, dass es einem anderen Rechtsvergleicher nicht möglich sein wird, die gefundenen Ergebnisse zu bestätigen oder klar zu widerlegen – damit wäre die derart kompromittierte Untersuchung dem Vorwurf der Intransparenz ausgesetzt. Die aufgezeigten Grundprinzipien zeigen, dass die Methode der Quantifizierung des Rechts sich aus dem bereits vorhandenen Fundus rechtvergleichender Methoden schöpfen lässt – viele, wenn nicht alle Grundprinzipien finden sich so oder so ähnlich auch in der klassischen Rechtsvergleichung. Außerdem zeigen die Ausführungen, dass die Variablen-Definition eine komplexe, aber mögliche Aufgabe ist.
III.
Phase 3: Die Kodierung der Variablen
Die Kodierung ist der letzte Schritt auf dem Weg zu einem quantifizierten Recht und greift viele Fragestellungen und Probleme der vorangegangenen Phasen auf. Ziel der Kodierung ist es, das qualitative Recht in einem numerischen Wert darzustellen. Die Kodierung ist der Schlüssel zu einem möglichst genauen Abbild der Rechtswirklichkeit – die Definition der Variablen wäre vergleichbar mit dem Aufstellen einer Staffelei durch den Maler, die Kodierung ist der Pinselstrich des Malers. Im Rahmen der Kodierung bietet sich dem Rechtsvergleicher die (einzige) Möglichkeit, die Differenzen in den Rechtsordnungen darzustellen, denn die Variablen-Definition soll Unterschiede gleichsam nach dem Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners geradezu einebnen. Mit Blick auf das Ziel, eine möglichst wirklichkeitsnahe Darstellung zu erhalten, sind auch in dieser Phase einige Grundprinzipien zu bedenken. Die Kodierung ist grundsätzlich mit der Rechtsfolgenanordnung einer Rechtsnorm vergleichbar und kann als »Wenn, dann«-Satz begriffen werden. Wird der Tatbestand der Variable erfüllt, dann ergibt sich daraus eine bestimmte Folge; wenn die untersuchte Rechtsordnung die Voraussetzung X1 erfüllt, dann wird ihr der Wert Y1 zugeordnet; erfüllt sie X2, dann erhält sie Y2 usw. Die Definition der Variablen und ihre Kodierung sind interdependent, die Variablen-Definition wirkt sich auf die Kodierung aus, und die Kodierungsmöglichkeiten sollten bei der Variablen-Definition berücksichtigt werden. Während die
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Teil 2: Die statistische Auswertung des Rechts, zugleich eine Kritik
Definition der Variablen lediglich nach den hinreichenden Bedingungen des »Wenn, dann«-Satzes fragt, sorgt die Kodierung dafür, dass der »Dann«-Satz anwendbar und zutreffend angewendet wird. Man könnte die Kodierung daher in zwei Schritte unterteilen: Die Erstellung der Kodierungsregeln und die nachfolgende Anwendung der Kodierungsregeln. Die Erstellung der Kodierungsregeln setzt sich zusammen aus einer Entscheidung über die Kodierungsmöglichkeiten und eine anschließende Beurteilung oder Gewichtung der Variablen. 1.
Kodierungsmöglichkeiten
Zunächst muss der Rechtsvergleicher über den Referenzwert entscheiden. Jede Variable weist einen Referenzwert auf, der das Maximum des Möglichen für die jeweils untersuchte Rechtsordnung darstellt. Es richtet sich nach dem Untersuchungsgegenstand, auf welchem Ende der Skala dieses Maximum liegt, oben oder unten. Soll beispielsweise das Niveau des Aktionärsschutzes untersucht werden, dann ließe sich das in zwei Richtungen fragen: Welches Land bietet den effektivsten / besten / höchsten Aktionärsschutz oder welches Land bietet den ineffektivsten / schlechtesten / geringsten Aktionärsschutz? Von diesen Fragen hängt der Referenzwert ab. Im ersten Fall würde ein effektiver / guter / hoher Aktionärsschutz sinnvollerweise mit einem hohen Referenzwert auf einer Kodierungs-Skala beispielsweise von »0« bis »1« belegt, dementsprechend wären Variablen zu Gunsten der Aktionäre mit hohen und Variablen zu Ungunsten der Aktionäre mit geringen Kodierungswerten zu belegen und vice versa. Das ist bei der »Richtung der Kodierung« zu berücksichtigen. Die Kodierung des Rechts kann auf unterschiedliche Arten erfolgen. Es können – wie in »Law and Finance« – binäre Kodierungen (»1« und »0«) verwendet werden oder – wie z. B. in der Untersuchung von Lele/Siems – Bruchzahlen bzw. Dezimalwerte. Damit erschöpft sich die Bandbreite der Kodierungsmöglichkeiten im Wesentlichen bereits. Die Darstellung in binärer Form lässt lediglich zwei Aussagen zu, nämlich »1« und »0«, »ja« und »nein« oder »an« und »aus« – differenzierte Aussagen über die Variablen, beispielsweise eine teilweise Übereinstimmung mit der VariablenDefinition, sind hingegen in der binären Darstellungsform nicht möglich. Es handelt sich daher um eine stark vereinfachte Darstellung, die der Komplexität des Rechts nicht gerecht werden kann. Soll ein aussagefähiges und differenziertes Ergebnis produziert werden, und würde die Verwendung einer binären Darstellung dem nicht gerecht werden, beispielsweise, weil die Variablen aus mehreren Komponenten bestehen oder teilweise erfüllt sind, verbietet sich die Verwendung einer (rein) binären Darstellung.
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Der Vorteil der nicht-binären Darstellung ist zugleich ihr größter Nachteil: Der Rechtsvergleicher muss im Rahmen einer subjektiven Wertung festlegen, wie die Komponenten einer Variable zu gewichten sind oder wie sich die teilweise Erfüllung der Variablen-Definition im Verhältnis zu der Gesamtvariable auswirkt. Diese Beurteilung gerät schnell in den Verdacht, willkürlich zu sein und bietet damit Angriffsmöglichkeiten,308 denn zwei Rechtsvergleicher werden kaum jemals zu einer übereinstimmenden Beurteilung kommen. Allerdings ist die Gewichtung durchaus anhand objektiver funktionsorientierter Rechtsvergleichung begründbar, mögen die Details auch erst im Rahmen eines wissenschaftlichen Diskurses geklärt werden. Es darf nicht vergessen werden, dass auch die binäre Kodierung – in Grenzfällen – zwangsläufig willkürlich ist. Wird eine Variable teilweise erfüllt, muss der Rechtsvergleicher nämlich zwangsläufig beurteilen, ob die erfüllten Kriterien eher die Beurteilung mit »1« oder eher mit »0« rechtfertigen. Der Umstand, dass Werturteile in die Kodierung einfließen (müssen), spricht daher nicht per se gegen die Methode der Quantifizierung; man darf dabei nicht vergessen, dass auch die klassische Rechtsvergleichung immer wieder Beurteilungen erfordert. Außerdem ist schon die Definition der Variablen von verschiedenen Beurteilungvorgängen begleitet. Es kann daher konstatiert werden, dass subjektive Einflüsse aus der Methode der Quantifizierung des Rechts ohnehin nicht herausgehalten werden können. Dieses – aussichtslose – Bestreben kann daher auch kein überzeugendes Argument gegen die nicht-binäre Kodierung sein. 2.
Gewichtung der Variablen und ihrer Komponenten
a) Grundsätze der Gewichtung Das Kernstück der Kodierung ist die Gewichtung der Variablen und ihrer Komponenten. Die Gewichtung ist erforderlich, um die Bedeutung einer Variablen im Kontext des Gesamtindex oder einzelner Komponenten im Verhältnis zu der Gesamtvariablen zu bestimmen. Ferner kann eine Gewichtung erforderlich sein, wenn die Variable lediglich teilweise erfüllt wird. Denn wenn ein möglichst genaues Abbild der Rechtswirklichkeit entstehen soll, dann müssen auch diese Umstände berücksichtigt werden. Grundsätzlich lassen sich bei der Gewichtung von Variablen und ihrer Komponenten zwei Ansätze unterscheiden: Zum einen kann die Gewichtung nach objektiven Bezugsgrößen, gleichsam mathematisch, erfolgen – diesen Ansatz könnte man als »quantitative Gewichtung« bezeichnen, weil zählbare Grö308 So auch Siems, What Does Not Work, S. 10 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis); Lele/ Siems, Leximetric I, in: J. Corp. L. Stud. 2007, S. 17–50 (S. 29); ähnlich Baums/Scott, Taking Shareholder Protection Seriously?, in: Am. J. Comp. L. 2005, S. 31–76 (S. 68f.).
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ßen herangezogen werden. Zum anderen wäre eine Gewichtung anhand einer (rein subjektiven) Beurteilung denkbar – dieses Vorgehen könnte man als »qualitative Gewichtung« bezeichnen, weil der Rechtsvergleicher lediglich qualitative Umstände zur Gewichtung heranzieht. Bei der Gewichtung sind verschiedene Sachverhalte auseinanderzuhalten. Auf der einen Seite sind auf der Mikro-Ebene die einzelnen Komponenten einer Variablen zu gewichten. Werden diese »Teilbedingungen« erfüllt, bedarf es einer Beurteilung, welchen numerischen Wert die Erfüllung der Teilbedingungen rechtfertigt. Gleiches gilt, wenn eine Variable oder eine ihrer Komponenten auf der Mikro-Ebene teilweise erfüllt ist. Auf der anderen Seite setzt sich die Gewichtung grundsätzlich auf der Makro-Ebene des Gesamtindex fort – es mag erforderlich sein, die Variablen, aus denen sich der Gesamtindex rekrutiert, ebenfalls untereinander zu gewichten. aa) Qualitative Gewichtung Die qualitative Gewichtung verlangt von dem Rechtsvergleicher Beurteilungen über die Bedeutung einer Variablenkomponente im Verhältnis zu der Gesamtvariablen, über die Bedeutung einer teilweise erfüllten Variable, über die Bedeutung der Variablen im Verhältnis zum Gesamtindex, bei unklarer Rechtslage etc. Es bedarf kaum einer Erklärung, dass diese qualitativen Beurteilungen in vielen Fällen nicht unangefochten bleiben werden, sei es, weil sie nicht schlüssig, nicht überzeugend oder schlicht willkürlich sind. Dagegen hilft lediglich, die Begründung der Beurteilung möglichst umfassend und transparent darzustellen. Daraus folgt, dass eine transparente Quantifizierung des Rechts auf Grundlage qualitativer Gewichtung mit einem erheblichen Aufwand verbunden ist. Denn ohne eine entsprechende Begründung ließe sich der Beurteilungsprozess nicht nachvollziehen – der Vorwurf der Willkür liegt dann besonders nahe. Lele und Siems definierten in ihrem »Shareholder Protection«-Index beispielsweise eine Variable für die Informationslage im Vorfeld einer Hauptversammlung (»Information in the run-up of the general meeting«), und in dieser eine Subvariable zu beabsichtigten Satzungsänderungen (»amendments of the articles of association«); die Variablen-Definition lautete wie folgt: »Amendments of the articles of association: Equals 1 if the exact wording has to be sent in advance (›push-system‹); equals 0.5 if the shareholders have to request it (›pullsystem‹); equals 0 otherwise.«309
In der Gewichtung gingen Lele und Siems davon aus, dass ein »Pull«-System, also ein System, nach dem ein (interessierter) Aktionär sich die Informationen über die genaue Formulierung der geplanten Satzungsänderung selbst bei der Ge309 Lele/Siems, CBR Shareholder Protection Index, S. 2.
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sellschaft einholen muss, exakt den halben Wert verdient wie ein »Push«-System, also ein System, in dem die Gesellschaft die genaue Formulierung an den Aktionär übermitteln muss. Hierzu schrieben Lele und Siems: »Here might be objected that there is no reason why a »pull-system« should be exactly half as good as a »pull-system«. This is indeed a fair point, and it is undeniable that nonbinary coding is to some extent a matter of judgement. However, law is complex and we believe that a faithful coding should also reflect this very feature of law.«310
Es findet sich allerdings keine Erklärung für die konkrete Beurteilung, und es ist nicht ersichtlich, ob Lele und Siems nach qualitativen oder quantitativen Gesichtspunkten gewichtet haben. Der Begründungsaufwand einer qualitativen Gewichtung wäre allerdings unverhältnismäßig. Denn ob die Kodierung mit »0,5« richtig ist, könnte z. B. schon davon abhängen, ob man es in der Betrachtung (überwiegend) mit einem interessierten oder desinteressierten Aktionär zu tun hat. Der interessierte Aktionär wird möglicherweise daran gewöhnt sein, dass er die erforderlichen Informationen selbst einzuholen hat, sodass auch ein Wert von »0,7« gerechtfertigt sein könnte, während ein überwiegend desinteressierter Aktionär ggf. keine Informationen im Vorfeld einholt und somit – zu seinem Nachteil – »uninformiert« abstimmen muss, das »Pull«-System also lediglich mit »0,3« zu bewerten sein könnte. Unabhängig davon, dass die o. g. Werte bis zu einem bestimmten Punkt willkürlich sein müssen, zeigt diese einfache Überlegung, dass eine qualitative Gewichtung angreifbar sein wird. Diesem Einwand kann der Rechtsvergleicher allenfalls mit einer argumentativ überzeugenden Begründung entgegentreten. bb) Quantitative Gewichtung mit Hilfe einer Bezugsgröße Jede Gewichtung setzt eine qualitative Beurteilung voraus, welche der Komponenten oder Variablen näher an den Referenzwert herankommt. Die Tendenz der Gewichtung bedarf zunächst einer qualitativen Einschätzung des Rechtsvergleichers – die qualitative Gewichtung ist daher nicht vollkommen frei von subjektiven Einflüssen. Im Rahmen der quantitativen Gewichtung ergibt sich die Gewichtung aus externen (außerhalb der Variablen liegenden) oder internen (innerhalb der Variablen liegenden), objektiv beobachtbaren, quantitativen Elementen, die man auch als »Bezugsgröße« bezeichnen könnte. Die Auswahl dieser Bezugsgrößen unterliegt also ebenfalls der Beurteilung des Rechtsvergleichers, sodass auch hier subjektive Einflüsse nicht ausbleiben. Im Übrigen bestimmt jedoch die Bezugsgröße selbst über den Maßstab oder das Verhältnis der Gewichtung. Die Bezugsgrößen können vielfältig sein. Als 310 Lele/Siems, Leximetric I, in: J. Corp. L. Stud. 2007, S. 17–50 (S. 30).
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Beispiel soll dies nachfolgend an der Variable »proxy by mail allowed« dargestellt werden. Die Variable »proxy by mail allowed« fragte die Rechtsordnung danach ab, ob das Recht die Stimmabgabe per Post ausdrücklich erlaubte. Die Variable wurde bei LLSV (und auch bei DLLS) für Japan mit »0« kodiert;311 eine solche Regelung zum proxy voting sollte also im japanischen Recht nicht vorhanden sein. Tatsächlich lagen die Dinge im japanischen Aktienrecht viel komplizierter. Im japanischen Recht hing die Möglichkeit, die Stimme per Brief in einer Publikumsgesellschaft (kabushiki kaisha) auszuüben, nämlich grundsätzlich von einem Beschluss der Unternehmensführung ab. Das galt indes lediglich für eine kabushiki kaisha, die nicht die Voraussetzungen einer großen kabushiki kaisha – mit entsprechendem Kapital oder entsprechender Ertragslage – erfüllte; für Letztere war die Abstimmung per Brief vielmehr mandatorisch.312 Die Beurteilung, Japan mit dem Wert »0« zu kodieren, war also mindestens erklärungsbedürftig – eine Erklärung, die auch bei dem revidierten ADRI fehlte. Das Recht Japans erfüllt die Variablen-Definition also zumindest teilweise mit Blick auf eine Teilmenge aller Sachverhalte, nämlich für die Teilmenge »große« kabushiki kaisha. Es sollte daher – um diesem Umstand ggf. Rechnung tragen zu können – eine Gewichtung dieser Teilerfüllung stattfinden. Bei der quantitativen Gewichtung sind externe und interne Bezugsgrößen denkbar. Externe Bezugsgrößen sind solche, die sich aus Sachverhalten außerhalb der Variablen-Definition ergeben – zumeist wird es sich hierbei um empirische Daten handeln, die einen Bezug zu der Variablen-Definition aufweisen werden. Interne Bezugsgrößen sind hingegen solche, die sich aus der VariablenDefinition oder ihrer Anwendung bereits ergeben. (1) Externe Bezugsgrößen Im Fall der o. g. Variable »proxy by mail allowed« wäre hinsichtlich des japanischen Rechts z. B. denkbar, das Verhältnis »großer« kabushiki kaisha zu »normaler« kabushiki kaisha auszuwerten, sei es hinsichtlich der zahlenmäßigen Verhältnisse der Aktionäre, hinsichtlich der Anteile am Kapitalmarkt oder hinsichtlich anderer beobachtbarer (relevanter) Kriterien. Wären nach den empirischen Daten beispielsweise jeweils ca. 50 % aller Aktionäre an großen und »normalen« kabushiki kaisha beteiligt, könnte man annehmen, dass die Hälfte der Aktionäre in den Genuss des proxy voting kommen würde. In diesem Sinne 311 Vgl. La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113– 1155 (S. 1143); Vgl. Tabelle XII Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Self-Dealing Working Paper (siehe Internet-/Intranetverzeichnis). 312 Spamann, Appendix, S. 99 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis); seit dem Companies Act (Act No. 86 of 2005) ergibt sich das aus Art. 298 (1) (iii), (2) Companies Act i. V. m. Art. 2 (16) Financial Instruments and Exchange Act (Act No. 25 of 1948).
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hätte sich die Variable für Japan mit guten Gründen unter Berücksichtigung des untersuchten Aktionärsschutzes mit »0,5« kodieren lassen. Darüber hinaus ist eine Vielzahl weiterer externer Bezugsgrößen denkbar, manche sind aussagekräftiger und mit der Variablen korreliert, manche sind weniger aussagekräftig bzw. in geringerem Umfang mit der Variablen korreliert. (2) Interne Bezugsgrößen In dem Beispiel der Variable »proxy by mail allowed« könnten auch interne Bezugsgrößen Anwendung finden. Eine solche interne Bezugsgröße ergäbe sich aus dem Umstand, dass das japanische Recht den mit der Variablen erfassten Sachverhalt des (Wirtschafts-) Lebens in zwei Sachverhalte untergliederte. Damit waren auf der Ebene der Rechtsordnung zwei Elemente gegeben und in einer Variablen erfasst – eine hälftige Teilung wäre damit als interne Bezugsgröße denkbar. Daraus hätte sich für das japanische Recht hinsichtlich des proxy voting der Wert »0,5« ergeben. Nach diesem Vorgehen ließe sich eine vergleichbare Gewichtung auch für die von Lele und Siems definierte Variable »amendments of the articles of association« erstellen. Denn die Variable sieht zwei Sachverhalte vor: Rechtsordnungen mit einem »Push«-System und solche mit einem »Pull«-System. In diesem Fall ist es allerdings die Variable selbst, die zwei Sachverhalte vorgibt und das (Wirtschafts-)Leben diesen Sachverhalten unterwirft, daraus ergäbe sich eine Zweiteilung und damit der Wert »0,5« – das entspricht der Kodierung bei Lele und Siems313. Das gleiche Prinzip ließe sich auch auf die in dem »Shareholder Protection«Index von Lele und Siems verwendete Variable zur Macht der Aktionäre, die Tagesordnung zu bestimmen (agenda-setting powers), bzw. die Subvariable »general topics« übertragen. Diese wurde wie folgt definiert: »Equals 1 if shareholders who hold 1 % or less of the capital can put an item on the agenda; equals 0,5 if there is a hurdle of more than 1 % but less than 10 %; equals 0 otherwise.«314
In dieser Variablen ließe sich die definierte Bezugsgröße des maximal erforderlichen Kapitalanteils von 10 % heranziehen. Denn die Variablen-Definition teilt das (Wirtschafts-)Leben in eine Vielzahl von Sachverhalten zwischen 0 % und 10 % ein. Da kaum Rechtsordnungen bekannt sind, die ungerade Kapitalanteile voraussetzen,315 wäre eine nachvollziehbare Aufteilung des maximalen Kapitalanteils von 10 % die in 10er-Schritten. Sieht eine Rechtsordnung ein 313 Lele/Siems, Leximetric I, in: J. Corp. L. Stud. 2007, S. 17–50 (S. 30); Lele/Siems, CBR Shareholder Protection Index, S. 2. 314 Entnommen aus Lele/Siems, CBR Shareholder Protection Index, S. 1. 315 Anders aber Frankreich mit 0,5 % bis 1 %, vgl. a.a.O., S. 6, 12, Fn. 9.
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Minimum bis einschließlich 1 % vor, würde also mit »1« kodiert, eine Rechtsordnung mit einem Minimum an Kapital bis einschließlich 2 % erhielte »0,9«, eine Rechtsordnung mit einem erforderlichen Kapitalanteil bis einschließlich 5 % müsste mit »0,6« kodiert werden.316 Diese Art der Kodierung wäre nachvollziehbar, verifizierbar und mit einem verhältnismäßig geringen Aufwand verbunden. Im Ergebnis haben auch Lele und Siems so kodiert, wobei alle Rechtsordnungen allerdings entweder 1 %, 5 % oder mehr als 10 % Mindestkapitalanteil forderten, sodass die Variable mit demselben Ergebnis auch wie folgt hätte definiert werden können:317 Equals 1 if shareholders who hold 1 % or less of the capital can put an item on the agenda; equals 0,5 if there is a hurdle of 5 %; equals 0 if the hurdle is higher than 10 %.
In beiden Fällen der o. g. Variablen handelt es sich um interne Bezugsgrößen, die sich bereits aus der Definition der Variablen oder ihrer Auswertung in Bezug auf die jeweilige Rechtsordnung ergeben. cc) Stellungnahme zu den Grundsätzen der Gewichtung der Variablen Unter der Prämisse, dass das Ziel der Quantifizierung darin besteht, ein möglichst genaues Abbild der Rechtswirklichkeit zu erhalten, liegt es nahe, subjektive bzw. willkürliche Einflüsse nach Möglichkeit zu minimieren. Die rein qualitative Gewichtung erscheint daher am wenigsten geeignet, diese Anforderungen zu erfüllen. Bei der quantitativen Gewichtung wird hingegen der Maßstab der Gewichtung von außen diktiert, und der subjektive Einfluss des Rechtsvergleichers beschränkt sich auf die Auswahl der (externen oder internen) Bezugsgröße. Das spräche für die Wahl einer quantitativen Gewichtung. Die quantitative Gewichtung wäre außerdem weit weniger aufwendig, wenn die Bezugsgrößen leicht zu ermitteln sind. Denn anders als bei der qualitativen Gewichtung wird eine umfassende Begründung im Regelfall entbehrlich sein, ohne die Nachvollziehbarkeit der Quantifizierung zu gefährden. Im Rahmen einer quantitativen Gewichtung wird sich der Rechtsvergleicher sinnvollerweise zunächst fragen, ob konkrete interne Bezugsgrößen verfügbar sind, wie im Fall der Variablen »agenda-setting powers« bei Lele und Siems. Gibt die Variablen-Definition einen konkreten Maßstab her, dann spricht nichts dagegen, diesen anzuwenden. Fehlen solche internen Bezugsgrößen, dann wird der nächste Schritt sein, nach empirischen Daten zu suchen, aus denen sich eine entsprechende sinnvolle Bezugsgröße ergeben kann. Erst wenn auch das erfolglos ist, kann die anteilige Gewichtung anhand der vorhandenen Fallgruppen 316 In der Tat verfolgen Lele und Siems diesen Ansatz ganz ähnlich, vgl. Fußnote 1 bei a.a.O., S. 1. 317 In der 2. Aufl. des Shareholder Protection Index geht Siems allerdings einen anderen Weg und kodiert die Spanne von 5 % bis 10 % pauschal mit 0,25, vgl. Siems, CBR Extended Shareholder Protection Index, S. 6 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis).
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– sei es auf Ebene der Variablen-Definition, sei es auf der Ebene der Rechtsordnungen – vertretbar erscheinen. Mit Hilfe dieses Schemas lassen sich alle problematischen Fälle der Gewichtung in den Griff bekommen, sei es bezüglich der Gewichtung von einzelnen Variablen im Rahmen eines Gesamtindex, der Komponenten oder Subvariablen im Rahmen einer Variablen oder der Teilerfüllung von Variablen und ihrer Komponenten. b) Gewichtung der Variablen im Gesamt- bzw. Subindex Bei der Erstellung eines Gesamt- oder Subindex sind mehrere Variablen erforderlich. Diese können unter Umständen innerhalb des Gesamt- bzw. Subindex – ebenso wie die Subvariablen innerhalb einer Variablen – in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand von unterschiedlichem Gewicht sein. Es stellt sich dann die Frage, ob die Variablen innerhalb des Gesamt- bzw. Subindexes zu gewichten sind. Die fehlende Gewichtung in den Untersuchungen der »Legal Origins«-Forschung war immer wieder Gegenstand von Kritik. Mathias Siems kritisierte die fehlende Gewichtung der Kodierung zu dem von La Porta, Lopez-de-Silanes und Shleifer in »What Works in Securities Laws?«318 erstellten Index zur Ausgabe von Wertpapieren.319 Ähnlich argumentierten auch Zoe Adams, Louise Bishop und Simon Deakin in ihrem »CBR Labour Regulation«-Index320. Allerdings akzeptierten die oben genannten Vertreter den generalisierenden Ansatz, dass alle Variablen innerhalb der erstellten Gesamt- oder Subindizes grundsätzlich äquivalent behandelt werden sollten, dass also keine Gewichtung stattfinden sollte. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass andernfalls eine hohe Subjektivität in den Index einfließen würde.321 Dies deckt sich mit dem oben skizzierten Vorgehen bei der Gewichtung der Variablenkomponenten. Vorzugswürdig wäre nach den oben entwickelten Grundsätzen eine quantitative Gewichtung, möglichst anhand interner Bezugsgrößen, hilfsweise anhand externer Bezugsgrößen. Ein Gesamt- oder Subindex wird in der Regel keine internen konkreten Bezugsgrößen aufweisen können, weil diese bloße Zusammenfassungen von einzelnen Variablen sind und keine 318 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, What Works in Securities Laws?, in: J. Finance 2006, S. 1-32. 319 Siems, What Does Not Work, S. 10 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis); vgl. auch Siems, CBR Extended Shareholder Protection Index, S. 4 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis). 320 Adams/Bishop/Deakin, CBR Labour Regulation Index, S. 5 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis). 321 Lele/Siems, Leximetric I, in: J. Corp. L. Stud. 2007, S. 17–50 (S. 29); im Ergebnis auch Adams/Bishop/Deakin, CBR Labour Regulation Index, S. 5 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis).
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eigene Definition haben, aus der sich ein konkreter Gewichtungsmaßstab ergeben könnte. Auch externe Bezugsgrößen hinsichtlich der Gesamt- oder Subindizes werden kaum jemals ersichtlich sein. Denn der Gesamt- oder Subindex bildet einen gesamten (Teil-)Untersuchungsgegenstand ab, der durch eine Vielzahl von Variablen dargestellt wird – die Komplexität dürfte dem Auffinden einer alles umfassenden und sinnvollen Bezugsgröße entgegenstehen. Damit bliebe lediglich die Anknüpfung an die Anzahl der Sachverhalte, hier also die Anzahl der definierten Variablen. Daraus ergibt sich im Ergebnis die Erkenntnis, dass keine Gewichtung der einzelnen Variablen stattfinden sollte. Eine anderweitige Gewichtung könnte wohl lediglich auf qualitativer Ebene stattfinden, wäre aber mit einem erheblichen subjektiven Einfluss verbunden und würde voraussetzen, dass die Gewichtung der Variablen für jedes untersuchte Land erneut auf die Probe gestellt würde. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Unterschiede in den untersuchten Ländern bestehen, die der Variable »A« in einem Fall ein höheres Gewicht verleihen können. c) Gewichtung im Fall der ungeklärten bzw. unklärbaren Rechtslage Die Rechtsvergleichung kann grundsätzlich nur drei Ergebnisse haben. Der Rechtsvergleicher kann erstens ein – zumindest teilweise – funktional-äquivalentes Recht oder Rechtsinstitut in zwei oder mehr Rechtsordnungen finden oder zweitens feststellen, dass es ein solches Recht oder Rechtsinstitut nicht gibt – das könnte man als positiven und negativen Befund bezeichnen. Außerdem ist es drittens möglich, dass der Rechtsvergleicher nicht in der Lage ist, einen positiven oder negativen Befund zu stellen, weil die Rechtslage ungeklärt ist – das könnte man als Nicht-Befund bezeichnen. Unklar ist die Rechtslage immer dann, wenn Rechtsfragen überhaupt noch nicht entschieden bzw. gestellt worden sind, oder wenn die Rechtsfragen streitig sind. Relevant sind Streitigkeiten über die Theorien im Rahmen der Quantifizierung des Rechts allerdings ausschließlich dann, wenn auch keine (einheitliche) Rechtsprechung bestünde. Denn Literaturmeinungen haben dann keinen (unmittelbaren) Einfluss auf die – zum Zeitpunkt der Untersuchung gegebene – Rechtswirklichkeit, auch wenn es nicht ausgeschlossen ist, dass sich diese Rechtswirklichkeit zukünftig ändert. Unklar ist die aufgefundene Rechtslage daher immer dann, wenn der Rechtsvergleicher nicht entscheiden kann, ob der Befund negativ oder (teilweise) positiv ist. Mit dieser unklaren Rechtslage kann der Rechtsvergleicher auf zwei Arten umgehen: Er kann die Variable mit »0« kodieren und damit einen negativen Befund »fingieren«, oder er kann eine Gewichtung vornehmen. Die Lösung ergibt sich dann aus dem zuvor dargestellten Schema der quantitativen bzw. qualitativen Gewichtung.
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In einem ersten Schritt wäre also danach zu fragen, ob eine quantitative Gewichtung möglich ist. Da sich bei einer streitigen Rechtsfrage aus der Variablen selbst keine konkreten Bezugsgrößen ergeben werden, bliebe zunächst lediglich der Blick auf die externen Bezugsgrößen. Eine externe Bezugsgröße könnte dabei der Umfang des Streits sein bzw. die Anzahl der zu der betreffenden Rechtsfrage vertretenen Meinungen. Bestehen z. B. drei Meinungen und würde eine Meinung zu einem positiven und zwei Meinungen zu einem negativen Befund führen, wäre es denkbar, die Rechtsordnung mit »1/3« für die betreffende Rechtsfrage zu kodieren. Dagegen spräche, dass es sich um eine weitgehend spekulative Kodierung handeln würde. Denn mit dem bloßen Vorhandensein von drei Meinungen wäre noch nicht gesagt, dass alle Meinungsvertreter gleichgewichtig sein müssen – jenes unterstellt der so gewählte quantitative Ansatz allerdings. Das ist nicht einmal sehr wahrscheinlich, weil es immerhin zwei weitere ablehnende Meinungen gäbe. Möglicherweise wird man aber im Rahmen einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung generalisierend annehmen können, dass alle drei Meinungen zu einer Rechtsfrage die gleichen Chancen haben, sich letztlich durchzusetzen. Dann wäre eine Kodierung mit »1/3« in dem konkreten Fall wohl zumindest vertretbar. Wäre man der Auffassung, dass dies nicht vertretbar ist, bliebe lediglich die qualitative Gewichtung, wobei man den gesamten Meinungsstand würde aufarbeiten und darstellen müssen. Mit diesem Ansatz ist auch das Problem lösbar, wenn die drei Meinungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Das soll exemplarisch an der Variable »general topics« bei Lele/Siems gezeigt werden. Angenommen, die Auswertung der Variable »general topics«322 führte zu dem Ergebnis, dass drei unterschiedliche Meinungen bestehen: Eine Meinung wäre dabei der Auffassung, dass der Mindestanteil 20 % des Kapitals betragen müsste, würde also einen negativen Befund liefern. Zwei weitere Meinungen würden 5 % und 1 % Mindestkapital voraussetzen, also beide einen (teilweise) positiven Befund liefern. Dann wäre zunächst nach dem quantitativen Ansatz eine Gewichtung bezüglich des vollständig positiven Befundes durchzuführen, der zu einer Gewichtung von 1/3 käme, weil eine der Ansichten ein Mindestkapital von 1 % der Anteile voraussetzt. Im Übrigen wäre dann der teilweise positive Befund zu gewichten. Da die zugrundeliegende Meinung ebenfalls 1/3 aller Meinungen ausmacht, aber lediglich die Variable mit Einschränkungen erfüllen würde, müsste man einen quantitativen Ansatz »1/3 von 0,5«, mithin also ⅙ annehmen und damit kodieren. Insgesamt
322 Vgl. die Variable »agenda-setting powers« bei Lele/Siems, CBR Shareholder Protection Index, S. 1.
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Teil 2: Die statistische Auswertung des Rechts, zugleich eine Kritik
ergäbe sich hieraus für die gesamte Variable »general topics« ein rechnerischer Wert von ½. Rechnerisch wäre dieses Ergebnis durchaus nachvollziehbar. Dieser Ansatz sollte jedenfalls dann verfolgt werden, wenn das Ziel des Rechtsvergleichers darin besteht, ein möglichst genaues Bild der Rechtswirklichkeit zu erhalten. Es ist kein Grund ersichtlich, warum umstrittene Rechtsfragen in einem Land reflexartig mit »0« kodiert werden sollten. Das würde möglicherweise gerade »Civil Law«Systeme benachteiligen, in denen der Einfluss der Rechtsgelehrten groß ist, wenn angenommen werden kann, dass sich gerade in diesen Systemen eine größere Zahl Rechtsgelehrter mit der Entwicklung und Fortbildung des Rechts beschäftigt haben wird. In der Konsequenz werden in diesen Systemen Rechtsfragen möglicherweise kontroverser diskutiert. d) Zusammenfassung zu der Gewichtung der Variablen Die Gewichtung ist das zentrale Problem der Kodierung. Sie dient dazu, den Unterschieden in den verschiedenen Rechtsordnungen Rechnung zu tragen und diesen Unterschied sichtbar zu machen. Bei der Kodierung sollten möglichst objektive Bezugsgrößen herangezogen werden, um die subjektiven Einflüsse des Rechtsvergleichers (»home bias«) zu minimieren. Es bietet sich hierbei an, die Gewichtung mit Hilfe eines quantitativen Ansatzes durchzuführen. Dabei werden in der Variablen-Definition verankerte oder extern vorhandene quantitative Daten verwendet, um die Variable oder ihre Komponenten zu gewichten. 3.
Erstellung des Index
Bei der Erstellung des Index stellt sich die Frage, ob der Rechtsvergleicher absolute Werte bei der Indexerstellung verwendet, also aggregierte Indizes (wie der ADRI bei LLSV), oder gemittelte Indizes mit Dezimalzahlen (wie DLLS bezüglich des »Self-Dealing«-Index). Außerdem kann man sich die Frage stellen, ob die Subindizes in einem Gesamtindex zusammengeführt oder getrennt betrachtet werden sollten. a) Darstellung des Index in absoluten oder Dezimalwerten Im Fall der Inkommensurabilität der Probleme müssen unter Umständen verschiedene Indizes entwickelt werden, deren Variablen unterschiedliche Prinzipal-Agent-Probleme (im Fall der Corporate Governance) oder sonstige Probleme behandeln. Mitunter entstehen dadurch Indizes, die unterschiedliche Referenzwerte aufweisen, wenn man ihnen absolute Werte zuordnet. Ein fiktiver Index aus acht Variablen für Japan wäre bei vier erfüllten Variablen größer als ein Index für Indien mit lediglich drei von vier erfüllten Variablen. Auf den ersten Blick würde der Index für Japan »4« und für Indien »3« auswerfen. Es liegt auf der
Die Methode der Quantifizierung des Rechts
121
Hand, dass damit Birnen und Äpfel verglichen werden würden, und dass diese Werte nicht die Relationen widerspiegelten. Selbst wenn man kein Leistungsranking aufstellen kann oder will, wäre die Darstellung mit absoluten Werten nur in solchen Indizes sinnvoll, in denen es a) keine unterschiedlichen Subindizes gibt oder b) in dem seltenen Fall, in dem alle Subindizes die gleiche Anzahl an Variablen aufweisen – in allen vorgenannten Fällen bliebe die unmittelbare Vergleichbarkeit der Indizes gewahrt. Daraus folgt, dass die Indexdarstellung im Regelfall auf Dezimalzahlen basieren sollte. Im o. g. Beispiel wäre also »½« bzw. »0,5« für Japan und »¾« bzw. »0,75« für Indien anzunehmen. b) Aggregation oder Trennung der Subindizes Die Inkommensurabilität der Probleme wirft ein weiteres Darstellungsproblem auf. Ziel der Quantifizierung kann es sein, einen Gesamtindex zu erstellen, sei es, um statistische Methoden anzuwenden oder um Konvergenz- bzw. Divergenzentwicklungen zu beobachten. Es stellt sich nun die Frage, wie sich dieser Gesamtindex zusammenzusetzen hat. Zum einen könnten die unterschiedlichen Subindizes gegenübergestellt und miteinander verglichen werden. Denkbar wäre zum anderen aber auch eine Aggregation aller Subindizes, um einen zusammenfassenden Wert zu erhalten. Die richtige Vorgehensweise dürfte maßgeblich von dem Untersuchungsgegenstand bzw. dem untersuchten Land abhängen, denn es können im Wesentlichen drei Situationen entstehen: Die verglichenen Länder haben (im Wesentlichen) vollkommen unterschiedliche Probleme (echte Inkommensurabilität); die verglichenen Länder haben zwar die gleichen Probleme, aber in unterschiedlicher Ausprägung (unechte Inkommensurabilität); die verglichenen Länder haben teilweise die gleichen Probleme (partielle Inkommensurabilität). In allen Situationen muss der Rechtsvergleicher entscheiden, wie er den Gesamtindex aufbaut. aa) Echte Inkommensurabilität Der Fall der echten Inkommensurabilität ist dadurch geprägt, dass ein Problem »A« nur in einem Land bzw. in einer Gruppe von Ländern »X« auftritt und ein Problem »B« ausschließlich in einem anderen Land bzw. in einer Gruppe von Ländern »Y«. Es gibt also zwischen den Ländern bzw. Ländergruppen »X« und »Y« keine Schnittmengen. In diesem Fall sind die Probleme also gruppenübergreifend inkommensurabel. In einem solchen Fall wird man lediglich vergleichen können, wie die Länder der Ländergruppe »X« mit dem Problem »A« umgehen und wie die Länder der Ländergruppe »Y« mit dem Problem »B« umgehen – daraus folgt, dass im Fall der echten Inkommensurabilität beide Subindizes der Ländergruppen »X« und »Y«
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Teil 2: Die statistische Auswertung des Rechts, zugleich eine Kritik
grundsätzlich aggregiert werden könnten, denn jede Ländergruppe wird die Variablen für das jeweils nicht auftretende Problem gleichermaßen nicht erfüllen. Davon abweichend könnten die (Sub-)Indizes auch getrennt dargestellt und miteinander verglichen werden. Im Fall der echten Inkommensurabilität drängt sich also weder die eine noch die andere Darstellungsform auf. Der Rechtsvergleicher kann in diesem Fall also grundsätzlich wählen. Allerdings wird sich zeigen, dass die getrennte Darstellung vorzugswürdig ist. bb) Unechte Inkommensurabilität Im Fall der unechten Inkommensurabilität wären die untersuchten Probleme »A« und »B« grundsätzlich in allen Ländern vorhanden. Allerdings wäre die Ausprägung der Probleme unterschiedlich groß. Während die Länder der Ländergruppe »X« in größerem Maße systembedingt vom Problem »A« betroffen wären, litten die Länder der Ländergruppe »Y« in größerem Maße unter dem Problem »B«. Um in diesem Fall die Vergleichbarkeit zu gewährleisten, drängt sich die Aggregation der Subindizes auf, jedenfalls dann, wenn man einen sinnvollen Gesamtindex erstellen möchte. Bei der Aggregation ist allerdings darauf zu achten, dass die Subindizes nicht lediglich addiert werden, weil das die Ergebnisse verfälschen würde, wenn diese eine unterschiedliche Anzahl Variablen aufweisen. Das soll folgendes Beispiel eines Index einmal verdeutlichen: Subindex Problem »A« Problem »B«
Anzahl der Variablen 8 3
Subindexwert ⅜ oder 0,375 ⅔ oder 0,666
Würde man die Variablen der beiden Subindizes schlicht addieren, so ergäbe sich daraus ein Gesamtindex von elf Variablen, von denen fünf erfüllt wären. Daraus ergäbe sich ein aggregierter Indexwert von 5/11 bzw. 0,454. Tatsächlich läge der rechnerisch korrekte Indexwert bei 0,521 (0,375 + 0,666 / 2). Es muss also mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner (hier 24) bzw. den Dezimalzahlen gerechnet werden. Die Aggregation bildet beide Probleme entsprechend ab und berücksichtigt, dass die Probleme in unterschiedlichen Ausmaßen vorhanden sind. cc) Partielle Inkommensurabilität Wenn die Probleme »A« und »B« in den Ländern der Ländergruppe »X« auftreten, in den Ländern der Ländergruppe »Y« aber lediglich das Problem »A« – ohne Problem »B« – besteht, dann decken sich die Probleme lediglich teilweise.
Die Methode der Quantifizierung des Rechts
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Es besteht dann hinsichtlich des Problems »B« ein Fall der echten Inkommensurabilität, im Übrigen besteht Kommensurabilität, sodass man die gesamte Fallgruppe als Fall der partiellen Inkommensurabilität bezeichnen könnte. Nun könnte man dem Gedanken verfallen, dass die Lösung wie im Fall der echten Inkommensurabilität erfolgen könnte, der Rechtsvergleicher sich also die eine oder andere Darstellungsform aussuchen könnte. Das ist allerdings nicht der Fall, weil die Aggregation beider Subindizes den Index für die Länder »Y« verfälschen würde. Denn da in diesen Ländern das Problem »B« nicht auftritt, wäre der Subindex für das Problem »B« in diesen Ländern immer mit »0« zu kodieren, gleichwohl müsste der Gesamtwert bei der Aggregation der Subindizes durch »2« geteilt werden. Daraus folgt, dass die partielle Inkommensurabilität für die Länder, in denen ein Problem gar nicht existiert, ebenfalls in einer getrennten Darstellung erfolgen sollte. dd) Ergebnis zur Darstellung der Indizes Die Herausforderung der Inkommensurabilität der Probleme bedingt Folgeprobleme bei der Darstellung des Ergebnisses der Quantifizierung des Rechts. Da die wichtigsten Fallgruppen die der unechten und der partiellen Inkommensurabilität sein werden, und da beide Fallgruppen eine unterschiedliche Herangehensweise fordern, wird man beide Ansätze – getrennte und aggregierte Darstellung – kombinieren müssen. Die Fallgruppe der echten Inkommensurabilität birgt keine Besonderheiten, und es kann in aggregierter und getrennter Form dargestellt werden. Allerdings bietet sich die getrennte Darstellung allein schon deswegen an, weil damit weniger Fehlerquellen in der Indexerstellung entstehen. Denn bei der Darstellung in aggregierter Form besteht die Besonderheit, dass der Wert für die jeweiligen Indizes geringer wäre als in getrennter Form – das Ergebnis im letzten Fall muss nämlich nicht noch durch »2« geteilt werden muss. Werden dann in dieser Betrachtung auch Länder mit unechter bzw. partieller Inkommensurabilität einbezogen, so wäre der Index verfälscht, weil er zu niedrig bzw. zu hoch wäre – je nach Untersuchungsgegenstand. Lucian Bebchuk und Assaf Hamdani sprachen sich per se gegen eine Aggregation aus und plädierten für eine getrennte Darstellung der Indexwerte.323 Sie begründeten dies mit der oben dargestellten Problematik der Inkommensurabilität, ließen aber die partielle Inkommensurabilität außer Betracht. Sie gingen vielmehr davon aus, dass allein die getrennte Darstellung es dem Rechtsvergleicher ermögliche, die jeweils dominierenden Probleme in den Systemen der Länder, nämlich »Non-Controlling Shareholders«-Systeme (NCS) und »Con323 Bebchuk/Hamdani, The Elusive Quest, in: U. Pa. L. Rev. 2009, S. 1263–1317 (S. 1314f.).
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Teil 2: Die statistische Auswertung des Rechts, zugleich eine Kritik
trolling Shareholders«-Systeme (CS), miteinander zu vergleichen.324 Das trifft zwar zu, versagen dürfte diese Darstellung aber in den Fällen, in denen beide Systeme (und damit auch die Zielkonflikte) gleichermaßen vorhanden sind, eine Dominanz des einen oder anderen Systems jedenfalls nicht klar auszumachen ist. Das Gleiche gilt für ganz andere Untersuchungsgegenstände und Länder, in denen ein Fokus auf das eine oder das andere Problem kein vollständiges Bild ermöglichen würde. Im Übrigen begründeten Bebchuk und Hamdani ihre Auffassung damit, dass im Fall einer getrennten Darstellung ein Rechtvergleicher oder Investor in der Lage wäre, sich jeweils ein System in den Ländern anzusehen, beispielsweise weil er an Unternehmen mit einer bestimmten Struktur interessiert sei.325 Außerdem sei der Blick auf den einen oder anderen Subindex auch für politische Entscheidungsträger wichtig, die das eine oder andere Problem schwerpunktmäßig »behandeln« wollten. Auch dieses Argument spricht nicht gegen eine Aggregation im Rahmen eines Gesamtindex, sondern vielmehr dafür, dass der Rechtsvergleicher bei der Erstellung des Gesamtindex auch die »Rohdaten« mitliefern sollte und damit selbstverständlich auch die Ergebnisse der Subindizes im Einzelnen – eine Forderung, die sich von allein versteht, schon um die Ergebnisse der Quantifizierung und Kodierung dem wissenschaftlichen Diskurs zugänglich zu machen. Diese Detailprüfung der Subindizes sollte dem Rechtsvergleicher oder Investor also ohne Weiteres auch im Fall einer aggregierten Darstellung möglich sein. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die aggregierte Darstellung bei der Erstellung eines Gesamtindex zwingend erforderlich sein dürfte, jedenfalls dann, wenn – was häufig der Fall sein wird – eine bloß unechte Inkommensurabilität herrscht. 4.
Zusammenfassung zu der Kodierung der Variablen
Die Kodierung ist ein notwendiger und fehleranfälliger Schritt bei der Quantifizierung des Rechts. Die Wahl der Kodierungsmöglichkeit wird bereits dadurch bestimmt, dass »Recht« nicht als Schwarz-Weiß-Schema begriffen werden kann, sondern Differenzierungen erforderlich macht – eine rein binäre Kodierung kann dieser Erkenntnis keine Rechnung tragen und ist daher ungeeignet. Kernstück der Kodierung ist die Gewichtung in problematischen Fällen, sei es, weil eine Variable aus mehreren Komponenten besteht, weil die Variable lediglich teilweise erfüllt ist, oder weil die Rechtslage in dem untersuchten Land unklar ist. Die Ausführungen haben gezeigt, dass der Rechtsvergleicher sich bei der 324 A.a.O., S. 1314f. 325 A.a.O., S. 1314f.
Die Legal Origin als Instrument-Variable
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Gewichtung an quantitativen Kriterien orientieren sollte, um subjektive Einflüsse zu minimieren und um ein verifizierbares Ergebnis zu produzieren – jeder subjektive Einfluss erfordert zusätzlichen Erklärungsaufwand, wenn der Vorwurf der Willkür vermieden werden soll. Die Gewichtung ist ein besonderer Schritt, weil sie einen unmittelbaren Einfluss auf die spätere Darstellung bzw. den Wert des Gesamtindex hat. In dieser Gewichtung besteht die einzige Möglichkeit, die zwischen den untersuchten Ländern oder Rechtsordnungen gegebenen Unterschiede herauszuarbeiten. Zwar könnte den Unterschieden in den textlichen Erläuterungen Rechnung getragen werden. Allerdings besteht das Ergebnis der Quantifizierung des Rechts in der Darstellung einer Zahl oder mehrerer Zahlen – es dürfte daher weit mehr Beachtung finden als die textlichen Erläuterungen, jedenfalls, wenn sich der Leser nicht mit den Einzelheiten beschäftigen will, z. B., weil er die Quantifizierung im Rahmen statistischer Methoden anwenden will. Darüber hinaus kann die textliche Erläuterung die Gewichtung auch nicht ersetzen, sondern sie bliebe dann jedem Leser selbst überlassen. Das zeigt, dass die Gewichtung mit großer Sorgfalt erfolgen sollte – oberstes Gebot ist dabei die Transparenz. Der Rechtsvergleicher sollte also im Einzelnen mitteilen, welche Art der Gewichtung er gewählt hat.
B.
Die Legal Origin als Instrument-Variable
Die Legal Origin – das legt schon der Name nahe – ist der zentrale Dreh- und Angelpunkt der »Legal Origins«-Theorie. Ohne ein bestimmtes Verständnis der Legal Origin hätte die gleichnamige Theorie wohl nie das Licht der wissenschaftlichen Welt erblickt. Das beruht auf dem Umstand, dass die Legal Origin durch LLSV in »Law and Finance« (erstmals) als Instrument-Variable »entdeckt« und bislang nicht wieder aufgegeben wurde. Dabei geht die »Legal Origins«-Theorie von einigen Prämissen aus, die in der wissenschaftlichen Literatur in großem Umfang kritisiert worden sind. Das betrifft bereits die Grundannahme, dass es eine Dichotomie zwischen Common Law und Civil Law gebe, die fundamentale, ja geradezu unüberwindliche Systemunterschiede bedinge. Ganz unabhängig davon, dass die in der Rechtsvergleichung vorherrschende Unterteilung zwischen dem Common Law und dem Civil Law im Wesentlichen auf didaktischen Gründen beruht, wird die Dichotomie vereinzelt insgesamt in Zweifel gezogen326 oder zumindest mit Blick 326 Vogenauer, An Empire of Light?, in: Cambridge L.J. 2005, S. 481–500; Zimmermann, Der europäische Charakter des englischen Rechts, in: ZEuP 1993; Zimmermann, Savignys Vermächtnis, in: Juristische Blätter 1998, S. 273–293.
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Teil 2: Die statistische Auswertung des Rechts, zugleich eine Kritik
auf den Untersuchungsgegenstand des Gesellschaftsrechts327. Die Versuche, Rechtsfamilien oder Rechtssysteme zu klassifizieren, sind vielfältig: Angefangen mit der Einteilung der rechtlichen Welt in vier große Rechtskreise durch René David328 über die ähnliche Einteilung durch Konrad Zweigert und Hein Kötz329, und letztlich die weiteren zahllosen Versuche einer Klassifizierung, beispielsweise durch Ugo Mattei330. Bis heute hat die Rechtsvergleichung keine Kategorisierung oder auch nur unumstrittene Kriterien gefunden, die als gesicherte Erkenntnis gelten könnten, obgleich zahlreiche Versuche unternommen worden sind.331 Einigkeit bestand und besteht jedoch darüber, dass die Lehre von den Rechtsfamilien oder Rechtssystemen nur einen beschränkten Aussagewert hat. Sie erfüllt lediglich eine didaktische Funktion332 oder stellt ein Hilfsmittel dar, das »dem Anfänger brauchbare Dienste leistet, indem es die zunächst verwirrende Vielfalt der Rechtsordnungen der Welt in eine lockere Ordnung bringt«333. Es handelt sich bei der Rechtsfamilienlehre lediglich um einen Anfang, um dem Rechtsvergleicher die ersten Schritte zu ermöglichen, das fremde Recht zu entdecken und zu untersuchen.334 Einigkeit besteht darüber hinaus auch dahingehend, dass die Kategorisierung ein dynamisches System ist. Ein Land könne danach seine Zugehörigkeit zu einer Rechtsfamilie (oder einem Rechtskreis) durchaus allmählich ändern.335 Neumayer weist zutreffend darauf hin, dass das Common Law mit dem kontinentaleuropäischen Recht in einem ständigen Austausch stand, und dass zunehmend auch klassisches Statute Law – als Gegenteil des für das Common Law als prägend betrachteten Case Law – Eingang gefunden hat, sei es hinsichtlich einer Kodifizierung des englischen Rechts oder in Form der den Rechtsstoff ordnenden Restatements sowie des Uniform Commercial Code (UCC) der Vereinigten Staaten von Amerika.336 Keineswegs sollte die Unterscheidung zwischen dem Common Law und dem Civil Law als feststehende Kategorisierung verstanden
327 328 329 330 331 332 333 334 335 336
Vagts, Comparative company law; Siems, Convergence in Shareholder Law, S. 18f. David/Brierley, Major Legal Systems in The World Today. Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung. Mattei, Three Patterns of Law, in: Am. J. Comp. L. 1997, S. 5–44. Für einen umfassenden Überblick vgl. Constantinesco, Rechtsvergleichung, S. 83ff.; Pargendler, The Rise and Decline of Legal Families, in: Am. J. Comp. L. 2012, S. 1043– 1074 (S. 1056ff.). David/Brierley, Major Legal Systems in The World Today, S. 21. Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 72. De Cruz, Comparative Law in a Changing World, S. 35. Grasmann, Rechtssysteme, S. 49. Neumayer, Rechtssysteme, S. 62.
Die Legal Origin als Instrument-Variable
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werden.337 Die Einteilung anhand der verschiedenen, von der Rechtsvergleichung vorgeschlagenen Kriterien unterliege ohnehin einer zeitlichen Relativität.338 Selbst wenn man die Dichotomie zwischen Common Law und Civil Law als Ausgangspunkt akzeptieren wolle, so sei das Recht seit Ende des 20. Jahrhunderts zunehmend internationaler, transnationaler oder globaler geworden, sodass die Idee der strikten Trennung zwischen Common Law und Civil Law keinen Bestand haben könne. Es sei vielmehr im Einzelfall nur schwer möglich, die Länder überhaupt einer bestimmten Legal Origin zuzuordnen.339 Weitere Prämisse der »Legal Origins«-Theorie ist die Exogenität der Legal Origin. Diese Prämisse ist für zweierlei von entscheidender Bedeutung: Zum einen ist die Exogenität eine Grundvoraussetzung, um Legal Origin als Instrument-Variable heranzuziehen, zum anderen kann nur so das Kausalitätsproblem gelöst werden. Es wurde bereits ausgeführt, dass ökonometrische Berechnungsmodelle grundsätzlich davon ausgehen, dass die unabhängige Variable (im Fall der »Legal Origins«-Theorie das Recht) streng exogen ist. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, weil nicht auszuschließen ist, dass die unabhängige Variable mit dem Störterm korreliert sein kann oder dass zwischen der unabhängigen Variablen und der abhängigen Variablen eine Interdependenz bestehen kann, bedarf es entsprechender Anpassungen des ökonometrischen Modells, weil andernfalls verzerrte Ergebnisse produziert würden. Eine Möglichkeit, mit diesem sog. Endogenitätsproblem umzugehen, ist die Verwendung einer sog. Instrument-Variablen.340 Eine solche Instrument-Variable muss allerdings in gleichem Umfang die Annahmen für eine unabhängige Variable erfüllen, also ihrerseits streng exogen sein. Darüber hinaus muss sie mit der ursprünglichen (endogenen) unabhängigen Variablen hoch korreliert sein, diese also approximieren können. Ist eine der beiden Annahmen nicht erfüllt, so kann die entsprechende Variable (hier Legal Origin) kein valides Instrument abgeben. Mit der vermeintlichen Exogenität der Legal Origin steht und fällt auch die Kausalitätsfrage. Wenn die unabhängige Instrument-Variable streng exogen ist, dann wird sie durch die abhängige Variable oder den Störterm nicht beeinflusst. Damit kann die Kausalität ebenfalls nur von der unabhängigen InstrumentVariablen in Richtung abhängige Variable verlaufen – die Legal Origin ist also 337 Husa, Classification of Legal Families Today, in: Rev. int. dr. comp. 2004, S. 11–38 (S. 14). 338 Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 66; Neumayer, Rechtssysteme, S. 49. 339 Mit Verweis auf weitere Literatur Armour/Deakin/Mollica/Siems, Law and Financial Development, in: BYU L. Rev. 2009, S. 1435–1500 (S. 1445ff.). 340 Die Vertreter der »Legal Origins«-Theorie verwendeten diesen Lösungsansatz, vgl. La Porta/ Lopez-de-Silanes/Shleifer, The Economic Consequences of Legal Origins, in: J. Econ. Lit. 2008, S. 285–332 (S. 298).
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Teil 2: Die statistische Auswertung des Rechts, zugleich eine Kritik
kausal für die Entwicklung der Wirtschaft, nicht aber umgekehrt. Wenn die vermeintlich exogene Instrument-Variable allerdings nicht streng exogen wäre, dann ließe sich nicht ausschließen, dass die Kausalität in beide Richtungen verliefe, also die Wirtschaft auch die Legal Origin beeinflussen könnte.341 Bereits diese Kritikpunkte an den Prämissen der »Legal Origins«-Theorie füllen seitenweise Literatur und können hier nur angerissen werden. Soweit ersichtlich ist, wurde der zweiten Annahme zur Validität einer Instrument-Variablen bislang keine Aufmerksamkeit geschenkt: Der hohen Korrelation zwischen Instrument-Variablen und der ursprünglichen unabhängigen Variablen, im Fall von »Law and Finance« also zwischen dem ADRI und der Legal Origin und bei DLLS zwischen dem »Anti Self-Dealing«-Index und der Legal Origin. In der Studie von LLSV bestand eine statistisch relevante Korrelation zwischen einem hohen ADRI und dem Common Law342 und bei DLLS eine statistisch relevante Korrelation zwischen dem »Anti Self-Dealing«-Index und dem Common Law343. Die Ausführungen zu der Methode der Quantifizierung des Rechts lassen deutlich erkennen, welche Fehler letztlich dafür gesorgt haben, dass zwischen dem Common Law und den erstellten Indizes eine (hohe) Korrelation bestand. Die Indizes bevorzugen in hohem Maße entweder die in »Common Law«-Ländern vorherrschenden Zielkonflikte oder Eigentümerstrukturen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass zwischen beiden Variablen ein statistisch relevanter Zusammenhang besteht. Mathias Siems hat hingegen mit dem »Shareholder Protection«-Index nachgewiesen, dass ein statistisch relevanter Zusammenhang zwischen Legal Origin und einem hohen Schutzniveau der Aktionäre unwahrscheinlich ist. Aus seiner Auswertung ergab sich, dass die fünf Länder mit dem höchsten Aktionärsschutz Japan, Frankreich, Kanada, das Vereinigte Königreich und die USA waren – mithin zwei vermeintliche »Civil Law«-Länder (Japan und Frankreich) und drei »Common Law«-Länder. Die Verwendung der Legal Origin als Instrument-Variable ist im Ergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit wenig sinnvoll.
341 Diesen Ansatz der Interdependenz oder »coevolution« von Recht und (wirtschaftlicher) Entwicklung vertreten Armour/Deakin/Mollica/Siems, Law and Financial Development, in: BYU L. Rev. 2009, S. 1435–1500 (S. 1448ff.). 342 So La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, in: JPE 1998, S. 1113–1155 (S. 1129ff.). 343 Vgl. Tabelle 13 bei Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Self-Dealing, in: J. Finan. Econ. 2008, S. 430–465 (S. 460).
Teil 3: Fazit
Die Quantifizierung des Rechts ist eine handwerklich anspruchsvolle, aber machbare Aufgabe. Die Aufarbeitung hat gezeigt, dass Grundlage der Quantifizierung des Rechts die klassische Rechtsvergleichung sein muss. Daher ist es auch nicht erstaunlich, dass die erarbeiteten Grundprinzipien der Quantifizierung des Rechts immer wieder auf die Grundprinzipien der klassischen Rechtsvergleichung zurückzuführen sind. Der sichere Umgang mit den Methoden und Werkzeugen der klassischen Rechtsvergleichung ist daher die Grundvoraussetzung für eine methodisch korrekte Quantifizierung des Rechts. Zusammenfassend kann man die Quantifizierung des Rechts zugleich als Fluch und als Segen begreifen; Fluch, weil methodisch unkorrekte Quantifizierungen nicht immer auf den ersten Blick erkennbar sind, aber einen großen Einfluss auf die möglichen Schlussfolgerungen haben können; Segen, weil sich mit der Darstellungsform in Zahlen interessante neue Tätigkeitsfelder für die Rechtsvergleichung eröffnen.
A.
Der Fluch der Quantifizierung
Die Ergebnisse der Quantifizierung des Rechts, also die letztendlichen Werte – seien sie hoch oder niedrig – haben eine weit größere Überzeugungskraft als klassisch-rechtsvergleichende Untersuchungen. Die Überzeugungskraft ergibt sich aus der vermeintlichen Simplizität, mit der das Recht dargestellt werden kann. Jeder Leser, ob rechtlich gebildet oder nicht, kann nämlich den Bedeutungsgehalt des quantifizierten Rechts grundsätzlich verstehen, und zwar ohne sich mit den Grundlagen der Quantifizierung auseinandersetzen zu müssen. Wer das Ergebnis einer klassisch-rechtsvergleichenden Studie nachvollziehen will, der muss sich mit deren Inhalt in der Regel eingehend auseinandersetzen und wird oftmals – ohne entsprechende Vorkenntnisse – kaum Zugang zu dem Ge-
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Teil 3: Fazit
biet finden. Die Breitenwirkung einer quantitativen Untersuchung dürfte daher deutlich größer sein als die einer klassisch-rechtsvergleichenden Studie344. Den schlagenden Beweis hierfür bieten die »Doing Business«-Reporte der Weltbank bzw. einer ihrer Untergliederungen, der International Finance Corporation (IFC), die mittlerweile einen erheblichen Bekanntheitsgrad erlangt haben. In einem Beitrag vom 29. 10. 2014 fasste die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter dem Titel »Wo Unternehmer am besten das Weite suchen« die Ergebnisse des »Doing Business«-Reports 2014 zusammen. Die »Doing Business«-Reporte werden seit 2004 jährlich in Zusammenarbeit mit der IFC von der Weltbank herausgegeben. Gegenstand dieser Reporte ist die Darstellung der Regulierung wirtschaftsrelevanter Aspekte im Lebenszyklus eines Unternehmens. Der erste »Doing Business«-Report verhielt sich 2004 zu den folgenden Aspekten der Geschäftstätigkeit: Die Gründung eines Unternehmens und der Geschäftsaufnahme (»starting a business«), das Arbeitsrecht (»hiring and firing workers«), die Durchsetzung von Verträgen (»enforcing contracts«), die Beschaffung von Kapital (»getting credit«) und die Beendigung des Unternehmens durch Insolvenz (»closing a business«). Der von LLSV in »Law and Finance« entwickelte »Creditor Rights Index« fand ebenfalls Eingang in den »Doing Business«-Report 2004.345 An zahlreichen Stellen finden sich in den Reporten immer wieder Verweise auf die von Andrei Shleifer erstellten Hintergrundstudien und die Methodologie von LLSV und ihren zahlreichen Co-Autoren.346 Der »Doing Business«-Report 2005 (»Removing obstacles to growth«) nahm zur Beurteilung des Schutzes von Investoren (teilweise) auf den von LLSV entwickelten ADRI Bezug347, zugleich aber auch (teilweise) auf die von DLLS entwickelten Offenlegungsregeln beim »Anti Self-Dealing«-Index348. Noch in dem »Doing Business«-Report 2012 (»Doing business in a more transparent world«) ging die case study zum Self-Dealing stillschweigend davon aus, dass es nur one-
344 Die Vertreter der »Legal Origins«-Theorie heben diese Funktion eines simplen Index mit Bezug auf die »ease of doing business indicators« hervor Morck/Chenxing Shou, On the Integrity of the »Ease of Doing Business« Indicators, S. 4 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis). 345 Weltbank/International Finance Corporation (Hrsg), Doing business in 2004, S. 7, 111f. und 127ff. 346 Vgl. nur World Bank/International Finance Corporation (Hrsg.), Doing business in 2004, S. vii, 3 und 6; Weltbank/International Finance Corporation (Hrsg.), Doing Business 2007 – How to reform, S. 70 mit Verweis auf den »Self-Dealing«-Fall bei DLLS; ebenso auch Weltbank/International Finance Corporation (Hrsg.), Doing Business 2011 – Making a difference for entrepreneurs, S. 122. 347 Mit Verweis auf vier relevante Rechte der Aktionäre, Weltbank/International Finance Corporation (Hrsg), Doing Business 2005 – Removing obstacles to growth, S. 54. 348 A.a.O., S. 85.
Der Fluch der Quantifizierung
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tier boards gebe349; erst in dem »Doing Business«-Report 2013 (»Smarter regulations for small and medium-size enterprises«) wird angenommen, dass es ein supervisory board gibt350. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Untertitel des Reports, der offenbar auf kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) abzielt, wohingegen in der case study aber vorausgesetzt wird, dass es sich bei der in Rede stehenden Gesellschaft um eine börsennotierte Gesellschaft an der wichtigsten Börse des Landes – oder eine große, nicht-börsennotierte Gesellschaft mit zahlreichen Gesellschaftern – handeln müsse.351 Seit dem »Doing Business«-Report 2006 (»Creating Jobs«) enthält der jährliche Report auch ein Ranking, das aussagen soll, wie wirtschaftsfreundlich die Regulierung eines Landes insgesamt sein soll (»ease of doing business ranking«).352 Hierbei dürfte es sich um das Kernstück der Reporte handeln, nämlich um jährlich aktualisierte aggregierte Indizes, die auf einen Blick verraten, wo nur in geringem Umfang reguliert wird und welche Länder sich in diesem Ranking verbessert haben. Auch in den nach 2004 folgenden Reporten fanden sich zahlreiche Verweise auf die Arbeiten von LLSV und DLLS sowie ihrer Mitstreiter.353 Von 2006 bis 2014 nutzte die Weltbank in den »Doing Business«-Reporten u. a. den von DLLS entwickelten Fall zum »Anti Self-Dealing«-Index, um den Schutz von Investoren beurteilen zu lassen und im Rahmen des Rankings zu berücksichtigen.354 Zwar 349 Vgl. Weltbank/International Finance Corporation (Hrsg.), Doing Business 2012 – Doing business in a more transparent world, S. 50f. 350 Vgl. hierzu Weltbank/International Finance Corporation (Hrsg.), Doing business 2013, S. 117f. 351 A.a.O., S. 117f. 352 Weltbank/International Finance Corporation (Hrsg.), Doing Business 2006 – Creating jobs, S. 91; Weltbank/International Finance Corporation (Hrsg.), Doing Business 2007 – How to reform, S. 6; Weltbank/International Finance Corporation (Hrsg.), Doing Business 2008, S. 6; Weltbank/International Finance Corporation (Hrsg.), Doing Business 2009, S. 6; Weltbank/International Finance Corporation (Hrsg.), Doing Business 2010, S. 4; Weltbank/International Finance Corporation (Hrsg.), Doing Business 2011 – Making a difference for entrepreneurs, S. 4; Weltbank/International Finance Corporation (Hrsg.), Doing Business 2012 – Doing business in a more transparent world, S. 6; Weltbank/International Finance Corporation (Hrsg.), Doing business 2013, S. 3; Weltbank/ International Finance Corporation (Hrsg.), Understanding regulations for small and medium-size enterprises, S. 3; Weltbank (Hrsg.), Doing business 2015, S. 4; Weltbank (Hrsg.), Doing business 2016, S. 5; Weltbank (Hrsg.), Equal opportunity for all, S. 7; Weltbank, Doing Business 2018 – Reforming to create jobs, S. 4. 353 Der von DLLS entwickelte »Self-Dealing«-Fall und der daraus entwickelte Index finden sich ebenfalls in den »Doing Business«-Reporten, vgl. Doing Business 2006, S. 39 (siehe Internet-/Intranetverzeichnis) allerdings zu dem Zeitpunkt noch als Working Paper von Djankov, La Porta und Shleifer. 354 Vgl. z. B. Weltbank/International Finance Corporation (Hrsg.), Doing Business 2008, S. 75f.; auch Weltbank/International Finance Corporation (Hrsg.), Doing Business 2011 –
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Teil 3: Fazit
änderte sich die Methodologie der Rankings ab 2015, weil nicht mehr aggregierte Indizes verwendet wurden, sondern eine »distance to frontier«-Methode – diese nimmt den besten erreichten Wert als Zielmarke und misst, wie weit die anderen Länder dahinter zurückfallen. Eines aber ist gleichgeblieben: Die »Doing Business«-Reporte vertrauen weiterhin auf die Quantifizierung des Rechts. Diese Methode scheint ein »Lieblingskind«355 der Weltbank zu sein. Die »Doing Business«-Reporte erfreuen sich nicht nur großer Beliebtheit bei der Weltbank, sondern haben darüber hinaus auch einen großen (rechts-)politischen Einfluss. Denn die Länder, die von den Finanzierungshilfen der Weltbank abhängig sind, werden dazu angehalten, die von der Weltbank vorgeschlagenen Reformen umzusetzen. Das ergibt sich unmittelbar aus den von der Weltbank festgelegten Kreditvergabekriterien der International Bank for Reconstruction and Development (IBRD) und der International Development Association (beide zur Weltbank-Gruppe gehörend). In Abschnitt III Ziffer 7 der Development Policy Financing wird Folgendes bestimmt: »7. Financing Criteria and Selectivity: The Bank’s decision to extend a DPF is based on an assessment of the Member Country’s policy and institutional framework – including its economic situation, governance, environmental/natural resource management, and poverty and social aspects. The Bank considers the strength of the program proposed for support and the Member Country’s commitment to, and ownership of, the program against its track record. It also assesses the Member Country’s institutional capacity and ability to effectively implement the program to be supported and describes the country’s capacity- building efforts.«
Die IBRD ist die Weltbank im engeren Sinne und maßgeblich für die Vergabe von Kreditmitteln zum Wiederaufbau und zur Entwicklung der Länder.356 Sie ist also letztlich ein Instrument für Entwicklungspolitik. Es kann also für die von den Finanzhilfen der IBRD abhängigen (Entwicklungs- und Schwellen-)Länder wichtig sein, den Empfehlungen der Weltbank zu folgen.357 Man kann das Vorgehen der Weltbank ohne Weiteres als eine rechtspolitische Einmischung in die Belange der Länder bezeichnen. Das wäre nicht weiter problematisch, wenn die Satzung der Weltbank nicht in Abschnitt IV § 10 folgende Regelung enthielte: »The Bank and its officers shall not interfere in the political affairs of any member; nor shall they be influenced in their decisions by the political character of the member or Making a difference for entrepreneurs, S. 120; und Weltbank/International Finance Corporation (Hrsg.), Doing business 2013, S. 142f. 355 Kern, Doing-Business-Reports, in: JZ 2009, S. 498–504 (S. 498). 356 Vgl. Art. I der Articles of Agreement der IBRD, https://policies.worldbank.org/sites/ppf3/P PFDocuments/Forms/DispPage.aspx?docid=1898, zuletzt abgerufen am 30. 08. 2018. 357 So auch Kern, Doing-Business-Reports, in: JZ 2009, S. 498–504 (S. 499); ähnlich auch Siems, Statistische Rechtsvergleichung, in: RabelsZ 2008, S. 354–390 (S. 368).
Segen der Quantifizierung
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members concerned. Only economic considerations shall be relevant to their decisions, and these considerations shall be weighed impartially in order to achieve the purposes stated in Article I.«
Die nach der Satzung verbotene (rechts-)politische Einmischung wird gerechtfertigt durch die statistischen Zusammenhänge zwischen der Ausgestaltung rechtlicher Rahmenbedingungen und der Entwicklung der Kapitalmärkte. Vor dem Hintergrund der zweifelhaften statistischen Zusammenhänge ist das Vorgehen der Weltbank fraglich. Diese Art der Entwicklungspolitik wird demgemäß auch kritisiert.358
B.
Segen der Quantifizierung
Die Quantifizierung des Rechts eröffnet aber auch neue Anwendungsgebiete. Ein solches Anwendungsgebiet der Quantifizierung des Rechts können Zeitreihenuntersuchungen sein, die die Entwicklung des Rechts verschiedener Länder in einem bestimmten Bereich in Beziehung zueinander und zur wirtschaftlichen Entwicklung setzen. Diese Untersuchungen helfen dabei, die Evolution des Rechts, eingebettet in den ökonomischen Kontext, besser zu verstehen. Konvergenz- oder Divergenzentwicklungen können mit einfachen Funktionsgraphen dargestellt werden, wo klassische Arbeiten seitenweise Papier und viel Studienzeit des Lesers benötigen würden. In diesen Zeitreihenuntersuchungen lag auch eines der Anwendungsgebiete der Quantifizierung des Rechts bei Mathias Siems und dem Centre for Business Research an der University of Cambridge.359 Ein weiteres Anwendungsgebiet liegt darin, Reformbedarf zu identifizieren. Obgleich die Quantifizierung des Rechts nur einen Ausschnitt des Rechts abbildet und damit eine begrenzte Perspektive ermöglicht, mag ein methodisch korrekt erstellter Index ohne Weiteres Anhaltspunkte liefern, wo das untersuchte Recht »gut funktioniert« und wo – im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen – Defizite liegen könnten. Der sorgfältig erstellte Index sollte einem (rechtsvergleichenden) Wissenschaftler oder politischen Entscheidungsträger Orientierungshilfen dazu geben können, wo sich Reformbedarf ergeben könnte, beispielsweise, weil in einem Bereich systematische Defizite erkennbar werden. Das wiederum kann Anlass sein, weitergehende Untersuchungen durchzuführen. 358 Eingehend dazu Trubek/Santos (Hrsg.), The New Law And Economic Development – A Critical Appraisal. 359 Lele/Siems, Leximetric I, in: J. Corp. L. Stud. 2007, S. 17–50; Siems, Shareholder protection around the world (Leximetric II), in: Del. J. Corp. L. 2008, S. 111–147; Armour/ Deakin/Mollica/Siems, Law and Financial Development, in: BYU L. Rev. 2009, S. 1435– 1500; Armour/Deakin/Lele/Siems, How Do Legal Rules Evolve?, in: Am. J. Comp. L. 2009b, S. 579–630.
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Teil 3: Fazit
Allerdings darf dabei nie vergessen werden, dass die Quantifizierung des Rechts die klassische Rechtsvergleichung lediglich ergänzen kann – es handelt sich um eine Methode und keine selbstständige wissenschaftliche Disziplin. Umso mehr erstaunt es, dass sich diese Methode – einst entwickelt von Finanzwissenschaftlern – jahrelang nahezu ohne Einfluss der rechtsvergleichenden Literatur entwickeln konnte. Schlussendlich bewahrheitete sich, was Ugo Mattei 1998 anklingen ließ. Der Rechtsvergleichung wurde durch einen »Law and«-Ansatz ein neues Betätigungsfeld eröffnet. Die Studien von LLSV zwangen die Rechtsvergleichung zu einer stärkeren Interdisziplinarität, weil eine Auseinandersetzung mit den Studien sonst nicht möglich gewesen wäre. Die Arbeiten von LLSV haben ein breites Echo in der Rechtsvergleichung ausgelöst und gehören wohl zu den am kontroversesten diskutierten wissenschaftlichen Arbeiten überhaupt. Der durch die Studien aufgezeigte Zusammenhang zwischen Recht und ökonomischer Entwicklung gibt der Rechtsvergleichung einen ganz anderen Stellenwert. Es geht nicht mehr um das bloße Erforschen fremder Rechte um der Erkenntnis Willen, sondern um die Bereitstellung eines Fundaments, um verifizierbare (Wirk-) Zusammenhänge zwischen dem Recht und der Ökonomie herzustellen.
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