Carl Zeiss in Jena 1945-1990 (German Edition) [Aufl. ed.] 3412111961, 9783412111960


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Carl Zeiss in Jena 1945-1990 (German Edition) [Aufl. ed.]
 3412111961, 9783412111960

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Wolfgang Mühlfriedel / Edith Hellmuth

Carl Zeiss in Jena 1945-1990

Carl Zeiss Die Geschichte eines Unternehmens herausgegeben von Wolfgang Mühlfriedel und Rolf Walter Band 3 Carl Zeiss in Jena 1945-1990

Wolfgang Mühlfriedel Edith Hellmuth

Carl Zeiss in Jena 1945-1990

§ 2004 BÜHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Thüringer Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Blick vom Hochhaus der Friedrich-Schiller-Universität auf den Gebäudekomplex des „Hauptwerkes" der VEB Carl Zeiss JENA, Ende der 1980er Jahre © 2004 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Ursulaplatz 1, D-50668 Köln Tel. (0221) 913 90-0, Fax (0221) 915 90-11 [email protected] Alle Rechte vorbehalten Satz: Punkt für Punkt GmbH, Düsseldorf Druck und Bindung: MVR Druck GmbH, Brühl Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 3-412-11196-1

Inhalt Vorbemerkungen 1945-1948 Carl Zeiss Jena

IX l

ERSTES K A P I T E L

D a s Zeiss-Werk unter amerikanischer Rontrolle Das Ende der NS-Herrschaft in Jena Das erste Ronversionsprogramm Die „Carl-Zeiss-Werk-Mission" Neue Direktiven der Amerikaner Die Berufung der neuen Geschäftsleiter

5 3 6 8 13 20

ZWEITES KAPITEL

D i e Sowjetische Verwaltung des Zeiss-Werkes

24

Der Neuanfang Der Plan des Volkskommissars für Bewaffnung Die Reparationslieferungen 1945 und 1946 Deportation, Demontage und Widerstand Der Demontageverlauf Über den Nutzen der Zeiss-Ausrüstung und der Deportierten für die sowjetische feinmechanisch-optische Industrie Der Demontageschaden für das Zeiss-Werk

24 26 30 35 38 43 52

DRITTES K A P I T E L

D e r W i e d e r a u f b a u des Zeiss-Werkes in Jena u n d die H e r a u s b i l d u n g der Z E I S S - O P T O N G m b H in Oberkochen

54

Der beginnende Wiederaufbau in Jena Die Abwehr des ersten Verstaatlichungsversuches Der Verstaatlichungsprozeß Das Zeiss-Werk - Zentrum der W B OPTIK Der Erhalt der Carl Zeiss-Stiftung Die Aktivitäten der Zeiss-Gruppe in Heidenheim Die Vollmachten für die Geschäftsleiter in Heidenheim Die Gründung der OPTON GmbH in Oberkochen Die Haltung in Jena zum neuen Zeiss-Unternehmen

54 60 64 66 69 72 74 78 83

1949-1964 V E Β Carl Zeiss J E N A

87

VIERTES K A P I T E L

D i e Integration des Zeiss-Werkes in das staatssozialistische System

89

VI

Inhalt

Die Anfange der Integration Die Auswirkungen der SED-Strukturpolitik auf das Zeiss-Werk Die Konflikte mit dem Ministerium und Veränderung in der Werkleitung Die neue Sicht der SED-Führung auf den optischen Präzisionsgerätebau Die Vervollständigung der Produktionsbasis Die Konsolidierung der Stammbelegschaft Zur sozialen Lage der Belegschaft Die Rückkehr auf die internationalen Märkte Die wirtschaftlichen Resultate 1949-1964

89 91 94 98 104 107 124 130 136

FÜNFTES KAPITEL

Die ersten Erneuerungen des Geräteprogramms

141

Zur Forschungs- und Entwicklungsleitung Verstärkte Hinwendung zum optischen Präzisionsgerätebau Kontakte zu wissenschaftlichen Einrichtungen in der UdSSR Neue Erzeugnisse Technologische Verfahren Die Laserentwicklung in Jena und erste Laseranwendungen im Zeiss-Werk Die Optische Rechenmaschine OPREMA und der Zeiss-RechenAutomat ZRA 1 Die Qualitätsbewertung der Zeiss-Erzeugnisse

141 143 147 149 169

1965-1975 VE Β Carl Zeiss JENA mit unterstellten Betrieben

172 175 177

181

SECHSTES K A P I T E L

Das Zeiss-Werk im NÖSPL

183

Ein neues Kapitel in der Zeiss-Geschichte Der Umbau der Werksstruktur Die betriebswirtschaftlichen Veränderungen Die Entscheidung des Volkswirtschaftsrates vom 30. Dezember 1964 Das Perspektivprogramm vom Februar 1965 Das Ende der Ära Schrade

183 184 186 189 195 198

SIEBENTES KAPITEL

Die Politbüro- und Ministerratsbeschlüsse von 1967 und 1968 und die Schwierigkeiten bei ihrer Realisierung

203

Die Politbüro- und Ministerratsbeschlüsse von 1967 und 1968 Vorbehalte im Präsidium des Ministerrates Die Liquiditätskrise Die Abberufung von Ernst Gallerach

203 206 211 215

Inhalt

Die Aufgaben des neuen Generaldirektors Die Gründung des Betriebes für Export und Import Die Realisierung der Investitionsvorhaben Zur quantitativen und qualitativen Entwicklung der Belegschaft Widerspruchsvoller Verlauf des Ronsolidierungsprozesses

VII

217 219 221 227 231

ACHTES KAPITEL

Der Aufbau des Forschungszentrums ausgewählte wissenschaftlich-technische Resultate Der Aufbau des Forschungszentrums Die Zusammenarbeit mit akademischen Institutionen und Betrieben in der UdSSR und in anderen RGW-Staaten Ausgewählte wissenschaftlich-technische Leistungen

235 233 237 241

NEUNTES KAPITEL

Die Auseinandersetzungen um den Namen Carl Zeiss und die gewerblichen Alt-Schutzrechte zwischen Heidenheim/Oberkochen und Jena

257

Erste Meinungsverschiedenheiten Die Reaktivierung der Stiftungsorgane in Jena Konflikt mit dem Deutschen Patentamt in München Die Prozesse um den Namen Carl Zeiss und die gewerblichen Alt-Schutzrechte in den beiden deutschen Staaten Meinungsverschiedenheiten zwischen Berlin und Jena Der Londoner Prozeß und der Kompromiß

257 261 264

1976-1990 Kombinat VEB Carl Zeiss Jena

281

268 272 276

ZEHNTES KAPITEL

Der Wandel im Kombinat VEB Carl Zeiss JENA

283

Der neue Generaldirektor Die drei Etappen der Kombinatsreorganisation Die Veränderungen im Kombinatsprofil Das Investitionsgeschehen Die Entwicklung der Belegschaft bis zum Ausgang der achtziger Jahre . . . . Die Bildung und Arbeitsweise des Außenhandelsbetriebes

283 286 290 296 300 306

ELFTES KAPITEL

Veränderte Prioritäten im Forschungsund Entwicklungsprozeß Zum Stand des Jenaer Präzisionsgerätebaus Mitte der siebziger Jahre Spezielle Schaltkreise für den Gerätebau und Technische Spezialausrüstungen für die mikroelektronische Industrie Fortschritte im traditionellen Präzisionsgerätebau

315 315 319 322

VIII

Inhalt

Geräte zur Fernerkundung der Erde Optische Militärgeräte

332 337

ZWÖLFTES KAPITEL

Die Umwandlung des VEB Carl Zeiss JENA in die Carl Zeiss JENA GmbH Der unfreiwillige Rücktritt des Generaldirektors Das widerspruchsvolle Urteil über Wolfgang Biermann Die beginnende Transformation im VEB Carl Zeiss JENA

339 339 342 344

Anhang

349

Tabellenverzeichnis Tabellen Quellennachweis für die Abbildungen Namensregister

351 354 379 380

Vorbemerkungen Im vorliegenden Band wird der Werdegang des feinmechanisch-optischen Unternehmens in Jena fortgeschrieben. Er knüpft an die beiden Bände an, die die Zeiss-Geschichte von der Gründung des Ateliers für Mechanik durch Carl Zeiß im November 1846 bis zum Frühjahr 1945 behandeln. 1 Gegenstand dieses dritten Bandes ist die historische Entwicklung des Jenaer Zeiss-Werkes von 1945 bis 1990. Über diesen Zeitraum liegt noch keine geschlossene Darstellung vor. Die Verfasser unternehmen den Versuch einer ersten Gesamtschau über den genannten Zeitraum, bei der sie besonderen Wert darauf legen, das Wechselverhältnis zwischen den inneren Vorgängen in der Firma Carl Zeiss Jena, im VEB Carl Zeiss JENA und im Kombinat VEB Carl Zeiss JENA und dem allgemeinen Geschichtsverlauf darzustellen und dabei möglichst alle Seiten des betrieblichen Lebens und deren Korrespondenz zu erfassen. Dazu zeichnen sie die Strategie der Unternehmensleitungen ebenso nach wie das wissenschaftlich-technische Innovationsgeschehen, die Veränderungen in den technisch-technologischen Grundlagen der Produktion, die sozialen Prozesse in der Belegschaft und die ökonomischen Resultate. Es kommt ihnen vor allem darauf an, auch die außerordentlichen Schwierigkeiten zu schildern, die von den Belegschaftsangehörigen nach der Demontage durch die UdSSR und unter den staatssozialistischen Bedingungen zu bewältigen waren. Bei den Quellenstudien und der Niederschrift zeigte sich, daß es notwendig ist, über einen jeden dieser Aspekte eine eigene historische Darstellung abzufassen. Das gilt insbesondere für die interessante Geschichte der Erzeugnisgruppen, die in diesem Band nur in Grundzügen skizziert werden konnte, so daß mancher, der zu diesem Buch greift, nicht das Erwartete vorfindet Gleiches gilt für die Beschreibung der Betriebe, Abteilungen und Werkstätten. Das sehr enge Wechselverhältnis von Werksgeschichte und allgemeiner Geschichte bestimmt maßgeblich den Aufbau der Darstellung. Die vier Teile des Bandes, in denen jeweils eine Periode der Jenaer ZeissGeschichte behandelt wird, werden weitgehend von prägenden Zäsuren im Geschichtsverlauf in Ostdeutschland bestimmt. Der erste Teil umfaßt den Zeitraum von der Besetzung Jenas durch die US-amerikanischen Truppen am 13. April 1945 bis zur Enteignung des industriellen Vermögens der Carl-ZeissStiftung durch die Regierung des Landes Thüringen am 1. Juni 1948. Im zweiten Teil wird die Integration des Zeiss-Werkes in das staatssozialistische System nachgezeichnet, das seit Ende der vierziger Jahre in der Deutschen Demokratischen Republik entstand. Der Übergang in die folgende Periode der historischen Entwicklung des Zeiss-Werkes in Jena vollzog sich mit der Einführung des Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft in 1

Carl Zeiss. Die Geschichte eines Unternehmens hrsg. von Wolfgang Mühlfriedel und Rolf Walter, Köln Weimar Wien, Bd. 1: Edith Hellmuth/Wolfgang Mühlfriedel: Carl Zeiss. Vom Atelier für Mechanik zum führenden Unternehmen des optischen Gerätebaus, 1996; Bd. 2: Rolf Walter: Zeiss 1905-1945, Köln Weimar Wien 2000.

χ

Vorbemerkungen

der DDR und den ersten Schritten auf dem Weg zum Zeiss-Rombinat in der Mitte der sechziger Jahre. In dieser Periode, die bis 1975 währte und Inhalt des dritten Teils ist, erhielt das Zeiss-Werk die gesellschaftliche Beachtung, die der Bedeutung des optischen Präzisionsgerätebau in einer modernen Volkswirtschaft zukam. Im vierten Teil, der den Zeitraum von 1975 bis 1990 behandelt, wird dargestellt, wie das Zeiss-Werk zum Zentrum eines Industriekombinates umgestaltet wurde, das den Vorstellungen der SED-Führung von einem modernen Wirtschaftsunternehmen staatssozialistischer Prägung entsprach. Es umfaßte gegen Ende der achtziger Jahre den optischen Präzisionsgerätebau und die Photo- und Kinoindustrie ebenso wie entscheidende Teile der mikroelektronischen Industrie und deren technologische Grundlagen. Die Darstellung endet mit der Privatisierung des VEB Carl Zeiss JENA durch die Treuhandanstalt der DDR am 29. Juni 1990. Der Verlauf der deutschen Nachkriegsgeschichte hatte es mit sich gebracht, daß neben der Carl-Zeiss-Stiftung und dem Zeiss-Werk in Jena die Carl-ZeissStiftung in Heidenheim an der Brenz und die Firma Carl Zeiss, Oberkochen, entstanden, deren historischer Werdegang von Armin Hermann in mehreren Publikationen behandelt wird. 2 Wir gehen auf die Unterstützung, die das Zeiss-Werk und die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena bei der Gründung des Oberkochener ZeissUnternehmens leistete, und auf die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Zeiss-Unternehmen und Stiftungen um den Namen Carl Zeiss und die gewerblichen Alt-Schutzrechte in den frühen fünfziger Jahren bis 1971 ein. Bei ihrer Arbeit konnten sich die Verfasser auf ein Schrifttum stützen, das einzelne Zeiträume und Problemfelder zum Gegenstand hat. Eine chronologische Zusammenstellung, deren erster Teil die Ereignisse aus den Jahren 1948 bis 1970 enthält, ist 1988 erschienen. 3 Der zweite Teil mit den Daten aus den Jahren 1971 bis 1988 wurde 1989 gedruckt, aber aus politischen Gründen nicht mehr ausgeliefert.4 Davon befindet sich im Archiv der Carl Zeiss Jena GmbH ein Typoskript. Ausführlich wird die Geschichte des Zeiss-Werkes von der Mitte der vierziger bis zum Anfang der sechziger Jahre in dem von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Wolfgang Schumann verfaßten Werk „Carl Zeiss. Einst und Jetzt" behandelt. 5 Zu besonderen gesellschaftspolitischen Anlässen gaben die Leitung des Zeiss-Werkes und die Generaldirektion des Zeiss-Rombinates Schriften her-

2

3

4

5

Zur Geschichte der Firma Carl Zeiss, Oberkochen: Armin Hermann: Nur der Name war geblieben. Die abenteuerliche Geschichte der Firma Carl Zeiss, Stuttgart 1989; ders.: Carl Zeiss - Die abenteuerliche Geschichte einer deutschen Firma, München 1992; ders.: Und trotzdem Brüder. Die deutsch-deutsche Geschichte der Firma Carl Zeiss, München Zürich 2002. 40 Jahre in Volkes Hand. Entwicklung des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA zum Zentrum der Hochtechnologien. Aus der Chronik des Kombinates. Teil 1: 1948 bis 1970, Hrsg: CarlZeiss-Stiftung Jena, Jena 1988. 40 Jahre in Volkes Hand. Entwicklung des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA zum Zentrum der Hoch- und Schlüsseltechnologie. Aus der Chronik des Kombinates. Teil 2: 1971 bis 1988 (Typoskript). Carl Zeiss Jena. Einst und Jetzt. Von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Wolfgang Schumann, Berlin 1962.

Vorbemerkungen

XI

aus, die auch die jüngere Geschichte der Unternehmung thematisieren. Dazu gehören die Festschrift „Zehn Jahre Deutsche Demokratische Republik. Zehn Jahre neues Leben im VEB Carl Zeiss Jena" aus dem Jahre 1959®, „VEB Carl Zeiss JENA im Dienste des Fortschritts" von Paul Esche und Horst Fiedler sowie die Publikation „Carl Zeiss JENA. Fortschritt, Technik, Tradition" aus dem Jahre 1975.7 Aussagen zur Geschichte des Zeiss-Kombinates enthalten Vorträge, die Generaldirektor Wolfgang Biermann 1985 an der Friedrich-Schiller-Universität gehalten hat.8 Roland Kowalski veröffentlichte 1991 einen Aufsatz zur Geschichte des Zeiss-Werkes in den sechziger Jahren und 1996 eine Fallstudie über die Integration der Elektronik in den wissenschaftlichen Gerätebau. Dabei unternahm er den Versuch eines Vergleiches zwischen den Zeiss-Werken in Jena und Oberkochen.9 Reinhard Buthmann widmet sich in seiner 1997 erschienenen Arbeit einem besonderen Problem in der Kombinatsgeschichte, in dem er den Einfluß des Ministeriums für Staatssicherheit auf das Jenaer Unternehmen, insbesondere auf die Personalpolitik, herausarbeitet und im Anhang eine Reihe aufschlußreicher Dokumente wiedergibt.10 Im Zusammenhang mit dem 150-jährigen Jubiläum der Firma Carl Zeiss entstand die von Frank Markowski herausgegebene Publikation „Der letzte Schliff" mit Beiträgen zur Nachkriegsgeschichte des Zeiss-Werkes bzw. des Zeiss-Kombinates.11 Die Autoren des vorliegenden Bandes editierten Teile des von Otto Marquardt von 1945 bis 1948 geführten Tagebuchs des Zeiss-Betriebsrats12 und veröffentlichten im vierten Band der Bausteine zur Jenaer Stadtgeschichte, den Rüdiger Stutz im Jahre 2000 unter

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7 8

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12

Zehn Jahre Deutsche Demokratische Republik. Zehn Jahre neues Leben im VEB Carl Zeiss Jena. Festschrift Hrsg. von der Werkleitung des VEB Carl Zeiss Jena, Jena 1959. Carl Zeiss JENA. Fortschritt, Technik, Tradition. Hrsg. VEB Carl Zeiss JENA, Jena 1975. Wolfgang Biermann: Das Kombinat VEB Carl Zeiss JENA in den 80er Jahren. Vortragsreihe an der Friedrich-Schiller-Universität Jena mit 4 Vorträgen. Friedrich-Schiller-Universität Jena 1985. Roland Kowalski: Der Wissenschaftliche Gerätebau der DDR in den 60er Jahren - dargestellt am Beispiel des Carl Zeiss-Unternehmens in Jena. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1991, Teil 4, Berlin 1991, S. 59-78; ders.: Die Integration der Elektronik in den Wissenschaftlichen Gerätebau - eine Fallstudie, dargestellt in einer vergleichenden Betrachtung von Carl Zeiss Jena und Carl Zeiss Oberkochen während der sechziger Jahre. In: Johannes Bähr/ Dietmar Petzina (Hrsg.): Innovationsverhalten und Entscheidungsstrukturen, Berlin 1996, S. 191-214. Reinhard Buthmann: Kadersicherung im Kombinat VEB Carl Zeiss Jena. Staatssicherheit und das Scheitern des Mikroelektronikprogramms. Mit einem Vorwort von Walter Süß. Analysen und Dokumente. Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Sicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Hrsg. von der Abteilung Bildung und Forschung, Berlin 1997. Der Letzte Schliff. 150 Jahre Arbeit und Alltag bei Carl Zeiss, hrsg. von Frank Markowski, Berlin o. J.: Jens Fügener: Von Alliierten und anderen Widrigkeiten. Carl Zeiss Jena zwischen Kriegsende und Verstaatlichung, S. 148-169; Birgit Kasten: Krisen, Kinder, Wirtschaftsmacht Carl Zeiss Jena in der DDR, S. 171-189; Sonnwill Zscheckel: Eine Stadt platzt aus den Nähten. Der VEB Carl Zeiss und die Stadt 1949-1989, S. 190-210; Klaus-Jürgen Becker: „Sie sind unser Schicksal". Wirtschaftswunder und Krisen bei Carl Zeiss und in Oberkochen 19461996, S. 243-265. Wolfgang Mühlfriedel/Edith Hellmuth: Das Tagebuch des Betriebsrates der Firma Carl Zeiss in Jena. In: Jahrbuch für Historische Forschung 1994, Berlin 1994, S. 189-206.

XII

Vorbemerkungen

dem Titel „Macht und Milieu" herausgegeben hat, einen Beitrag über den widerspruchsvollen Weg des Zeiss-Werkes in die Planwirtschaft. In diesem Band geht Andrew I. Port auf Konflikte im Saalfelder Zeiss-Betrieb in den fünfziger Jahren ein, und Jürgen Steiner untersucht die Folgen des Krieges für das Jenaer Glaswerk.13 Wolfgang Wimmer behandelt, wie sich unter der Leitung von Werner Bischoff in den ersten Nachkriegs jähren aus den Konstruktionsbüros die Erzeugnishauptleitung herausbildete.14 Seit Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts fanden sich Interessierte zusammen, um die unterschiedlichen Problemfelder der Nachkriegsgeschichte des Zeiss-Werkes zu erörtern. Die Diskussionsresultate wurden von Katharina Schreiner in drei Bänden publiziert. Sie handeln von der Anwendung des Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft im Zeiss-Werk in den sechziger Jahren und von der Hinwendung zur Mikroelektronik in dem Jenaer Unternehmen.13 Hansjürgen Pröger legte die Erinnerungen an sein Arbeitsleben bei Zeiss schriftlich nieder. Darin gibt er sowohl über seine fachliche Tätigkeit als auch über die Verhältnisse im ZeissWerk Auskunft.16 Katharina Schreiner veröffentlichte 2001 „Das Zeiss-Kombinat 1975/1989. Ein fragmentarisches Zeitzeugnis".17 2002 und 2003 brachte Hans G. Beck eine umfangreiche Sammlung von Episoden und Anekdoten heraus, an die sich Zeissianer erinnerten und die ein Bild vom sozialen Klima im Zeiss-Werk und den Beziehungen der Kollegen im Arbeitsalltag zeichnen.18

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18

Rüdiger Stutz (Hrsg.): Macht und Milieu. Jena zwischen Kriegsende und Mauerbau. Bausteine zur Jenaer Stadtgeschichte Bd. 4. Verein für Jenaer Stadt- und Universitätsgeschichte e.V. Jena, Rudolstadt und Jena 2000: Edith Hellmuth/Wolfgang Mühlfriedel: Carl Zeiss Jena widerspruchsvoller Weg in die Planwirtschaft, S. 527-570; Andrew I. Port: Ringen um die Macht - Konflikte an der Basis der frühen DDR. Die Zeiss-Fertigungsstätte Saalfeld in den fünfziger Jahren, S. 507-526; Jürgen Steiner: Das Jenaer Glaswerk und die Folgen des Zweiten Weltkrieges (1945-1952), S. 205-250. Wolfgang Wimmer: Von den Konstruktionsbüros zur Erzeugnishauptleitung: Die Ära Bischoff in der Geschichte der Entwicklungsabteilungen von Zeiss (1945-1955). In: Vom Arbeitsblatt zum virtuellen Prototyp - 50 Jahre Konstruktionssystematik. Berichte aus dem Institut für Maschinenelemente und Konstruktion der Technischen Universität Imenau Nr. 8, Ilmenau 2002, S. 7-16. Katharina Schreiner (Hrsg.): Erinnerung an die Zukunft. Jenas Aufbruch in die Moderne. Anspruch und Scheitern eines komplexen Reformversuchs am Ende des NÖS. Schriften des Thüringischen Forums für Bildung und Wissenschaft e.V., Bd I, Jena 2001; Katharina Schreiner (Hrsg.): Politkrimi oder Zukunftsmodell? Das „Neue Ökonomische System" im VEB Carl Zeiss Jena. Schriften des Thüringischen Forums für Wissenschaft und Bildung, Bd. II, Jena 2002; Katharina Schreiner (Hrsg.): Schalt-Kreise. Die Anfänge der Mikroelektronik im VEB Carl Zeiss Jena. Schriften des Thüringischen Forums für Wissenschaft und Bildung, Bd. IV, Jena 2004. Hansjürgen Pröger: Mikrostrukturen. Erinnerungen an ein Arbeitsleben bei Carl Zeiss Jena. Schriften des Thüringischen Forums für Wissenschaft und Bildung, Bd. III, Jena 2005. Katharina Schreiner: Das Zeiss-Kombinat 1975/1989. Ein fragmentarisches Zeitzeugnis. Jenaer Forum für Bildung und Wissenschaft, Jena 1999. Hans G. Beck (Hrsg.): Wer waren Sie? Menschen bei Zeiss und Schott. Kennst Du sie? Sammlung des Seniorenklubs Schott Zeiss Jena e.V., Jena 2002; ders.: Zeiss-Geschichten. Folgeband. Menschen bei Zeiss und Schott, Jena 2005.

Vorbemerkungen

XIII

Der Verein für Technik-Geschichte in Jena e.V., in dem sich vornehmlich Wissenschaftler und Ingenieure des Zeiss-Werkes zusammengefunden haben, publiziert seit 1999 die Jenaer Jahrbücher für Technik- und Industriegeschichte. Sie enthalten eine Vielzahl von Beiträgen zur Entwicklung optischer Präzisionsgeräte und technologischer Verfahren sowie über Persönlichkeiten, die sich seit 1945 um das Zeiss-Werk besonders verdient gemacht haben. 19 Anläßlich des einhunderj ährigen Bestehens des Volkshauses Jena gaben Birgit Liebold und Margret Franz im Auftrag der Stadt Jena eine Chronik heraus, in der auch die besonderen kulturellen Ereignisse im Leben der Zeiss-Belegschaft und der städtischen Bevölkerung zwischen 1945 und 1990 festgehalten wurden. 20 In den vergangenen Jahrzehnten haben sich Studenten und Doktoranden verschiedener Fachrichtungen aus unterschiedlichen Perspektiven mit der Nachkriegsgeschichte des Jenaer Zeiss-Werkes befaßt und ihre Untersuchungsresultate in akademischen Schriften, die in der Regel nicht publiziert wurden, niedergelegt. Eine besonders informative Quelle für die Erzeugnis- und Verfahrensinnovationen im Zeiss-Werk sind die Jahrgänge der Jenaer Rundschau, deren Hefte nicht nur über technische Neuerungen unterrichten, sondern auch Auskunft über das Wirken des Jenaer Unternehmens auf den internationalen Märkten geben.21 Die wesentlichste Quellengrundlage des vorliegenden Bandes bilden die umfangreichen und wohlgeordneten Aktenbestände im Carl Zeiss Archiv, die es den Autoren ermöglichten, die Geschichte des Zeiss-Werkes bzw. des Zeiss-Kombinates nahezu vollständig aus den Archivalien heraus zu schreiben. 22 Es ist nicht das Anliegen der Verfasser, die Geschichte der gesellschaftlichen Organisationen, also der SED-Betriebsparteiorganisation, der Betriebsgewerkschaftsorganisation, der FDJ-Betriebsgruppe usw., die in dem betrachteten Zeitraum in der Belegschaft wirkten, zu beschreiben. Dazu bedarf es einer gesonderten Untersuchung, um die Ausbildung und Wirkung des politischen Systems in der Belegschaft des Zeiss-Werk nachzuzeichnen. Im vorliegenden Band wird der Einfluß, den die SED auf das Geschehen im Zeiss-Werk ausübte, vor allem im Zusammenhang mit der Wirtschaftspolitik der SED-Führung dargestellt, die seit Ende der vierziger Jahre die Entwicklung des Zeiss-Werkes direkt und indirekt

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Jenaer Jahrbuch zur Technik- und Industriegeschichte 1999, 2000, 2001, 2002, 2003. Verein für Technik-Geschichte in Jena e.V. Birgit Liebold/Margret Franz (Hrsg.): Volkshaus Jena. Versuch einer Chronik. Jena Quedlinburg 2003. Jenaer Rundschau. Mitteilung aus dem VEB Carl Zeiss JENA. Hrsg.: Werkleitung des VEB Carl Zeiss JENA bzw. Kombinat VEB Carl Zeiss JENA, 1. Jahrgang (1956) - 34. Jahrgang (1989). Im Carl Zeiss Archiv folgende Bestände benutzt: Betriebsarchiv Carl Zeiss (BACZ), Verwaltungsarchiv der Kombinatsleitung (VA), Betriebsarchive des Forschungszentrums W (WB) und des Betriebes für optischen Präzisionsgerätebau (GB), Traditionskabinett (Tk), Nachlaß (NL), Personalakten (PA), VA Statistische Jahrbücher des VEB Carl Zeiss Jena 1965 und 1972 sowie andere Materialien (B-B). Die Schreibweise der Geräte und Fachbegriffe war im ZeissWerk nicht immer einheitlich.

XIV

Vorbemerkungen

mit bestimmte. Das geschah sowohl durch SED-Beschlüsse, die sich ausdrücklich auf das Zeiss-Werk bezogen, als auch durch die allgemeinen wirtschaftsund sozialpolitischen Entscheidungen der DDR-Regierung. Die SED-Mitglieder in der Leitungshierarchie des Zeiss-Werkes haben es immer wieder verstanden, ihre fachlich fundierten Vorstellungen von der Entwicklung des Zeiss-Werkes gegenüber den Führungsgremien der SED so zu vertreten, daß sie den Inhalt der Beschlüsse mit bestimmten. Das traf auch auf das Agieren der SED-Parteiorganisation im Zeiss-Werk zu, deren hauptamtliche Funktionäre sich auf die Aussagen der fachlich kompetenten Parteimitglieder in den betrieblichen Führungspositionen stützen mußten, wenn sie versuchten, die wissenschaftlich-technische und ökonomische Entwicklung des Werkes vorzugeben. Denn nur so konnten sie gegenüber dem Parteiapparat nachweisen, daß die SED-Parteiorganisation im Zeiss-Werk die „führende Rolle" wahrnahm. Diese Feststellungen lassen nicht darüber hinwegsehen, daß SED-Funktionäre im Zeiss-Werk daraufhinwirkten, daß die Funktionen in den gesellschaftlichen Organisationen und in der Leitungshierarchie des Betriebes - soweit das ihnen möglich war - von SED-Mitgliedern und Mitarbeitern besetzt wurden, die im Sinne des herrschenden politischen Systems als zuverlässig galten. Die vorliegende Arbeit hätte ohne die Unterstützung der Firmen Carl Zeiss, Oberkochen, und Carl Zeiss Jena GmbH nicht entstehen können. Deshalb gilt unser erster Dank den Geschäftsleitungen der beiden Unternehmen. Besonderen Dank sagen wir Dr. Wolfgang Wimmer, dem Leiter des Carl Zeiss Archivs, der den Autoren bei den umfangreichen Recherchen immer bereitwillig und zuvorkommend zur Seite stand. Sehr herzlich bedanken wir uns bei vielen Zeissianern, die uns mit ihren profundenen Kenntnissen über die Vorgänge im Werk und in den einzelnen Erzeugnisgruppen geholfen haben, Zusammenhänge zu erkennen und zu klären. Dank ist dem Thüringer Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst zu sagen, das das Projekt förderte und die Drucklegung des dritten Bandes ermöglichte.

ERSTES KAPITEL

Das Zeiss-Werk unter amerikanischer Rontrolle Das Ende der NS-Herrschaft in Jena Am 11. April 1945, einem Mittwoch, gaben die Sirenen auf den Dächern der Stadt Jena jenen gleichbleibenden Ton, der den Offizieren und Soldaten der Jenaer Garnison, den NSDAP-Amtsträgern und den Einwohnern anzeigte, daß sich die Kampffront der Stadt nähert. Der nationalsozialistische Oberbürgermeister übergab dem Leiter des städtischen Ernährungs- und Wirtschaflsamts die Amtsgeschäfte und bemerkte dazu: „Ich bin politisch so exponiert, daß ich den Befehl erhalten habe, mich mit dem Volkssturm abzusetzen, sobald Feindalarm ausgelöst wird. Nun ist es soweit".1 Die Wehrmachtsoffiziere bezogen mit ihren Männern das Ostufer der Saale, um die Verteidigungslinie gegen die amerikanischen Truppen zu errichten. Pioniere bereiteten die Sprengung von kommunalen Versorgungseinrichtungen und der Saalebrücken vor. Dr. Heinrich Küppenbender, der Betriebsführer und Geschäftsleiter der Firma Carl Zeiss, unternahm alles noch in seiner Kraft stehende, um Wehrmachtseinheiten davon abzuhalten, auf dem Werksgelände Widerstandsnester einzurichten und Gebäude zu sprengen. Er hatte in den letzten Wochen seine guten Beziehungen zum Minister für Rüstung und Kriegsproduktion, Albert Speer, genutzt, um zu verhindern, daß der Befehl „Verbrannte Erde", den Adolf Hitler am 19. März 1945 erlassen hatte 2 , in Jena vollzogen wird. Gleichzeitig versicherte sich Heinrich Küppenbender der Unterstützung innerhalb der Belegschaft. Daran erinnerte sich der Werkmeister in der Justiererei, Ernst Hädrich, nach dem Krieg: „In der letzten Woche vor dem Einmarsch der Amerikaner suchte er (Heinrich Küppenbender d. V.) mich zweimal auf. Ich spürte, daß er innerlich außerordentlich bewegt war. Er sagte mir, die Partei (NSDAP d. V.) wolle Jena verteidigen. Ob die Gefolgschaft mitmache? Ich antwortete ihm, daß alle Männer und Frauen meiner Abteilung dies für einen Wahnwitz halten und nicht mitmachen würden. Herr Dr. Küppenbender sagte darauf, das sei noch nicht alles. Die Kerle wollten das Zeiss- und das Schott-Werk, ebenso die Saalebrücken in die Luft jagen. Ich war über diese Nachricht empört und sagte, das ist ja nicht zu glauben. Herr Dr. Küppenbender fragte darauf, ob die Gefolgschaft hinter ihm stehen würde, wenn er die Sprengung gegen den Willen der Partei und der Wehrmacht verhindere. Als ich dies ihm auf der Stelle bejahte sagte er, er sei entschlossen, das zu vereiteln, auch wenn es ihm den Kopf kosten würde. Einen solchen Wahnwitz mache

1

2

Zitiert in: Wißt ihr noch vor zwanzig Jahren. Herausgegeben zum 20. Jahrestag der Gründung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes vom FDGB-Kreisvorstand Jena, Jena 1965, S. 8. Das III. Reich 1939-1945. Eine Tageschronik der Politik, Wirtschaft, Kultur, Augsburg 1991, S. 592.

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1945-1948 Carl Zeiss Jena

er nicht mit, wenn er in diesem Kampf gegen die Partei unterliegen sollte, so möchte ich, bat er, allen Arbeitskameraden sagen, daß er als anständiger Mensch für das Werk auf der Strecke geblieben sei."3 Bei den Hitlergegnern in der Bevölkerung mischte sich die Hoffnung auf die Befreiung vom Nationalsozialismus mit der Sorge, daß die zu erwartenden Kampfhandlungen in letzter Minute die Stadt weiter zerstören und Opfer unter der Zivilbevölkerung kosten könnten. Die Stimmung der überwiegenden Mehrheit der Einwohner war von der Erwartung, daß der Krieg endlich vorbei ist, der Furcht vor bevorstehenden Kampfhandlungen und der Ungewißheit über das Verhalten der Amerikaner gegenüber den Deutschen geprägt. Die ausländischen Arbeitskräfte und Kriegsgefangenen erwarteten sehnsüchtig den Einmarsch der Amerikaner und ihre Rückkehr in die Heimat. Am 13. April 1945 rückten die Soldaten der 4. Panzer- und der 80. InfantrieDivision, durch das Mühltal kommend, in die Innenstadt vor. Um den Amerikanern den Übergang über die Saale zu erschweren, hatten Wehrmachtspioniere am 12. April 1945 die Saalebrücken gesprengt. Davon ließen sich die Amerikaner nicht aufhalten. Sie setzten über die Saale und drängten die Wehrmachtsverbände weiter nach Osten. In Jena zerfielen innerhalb weniger Stunden die nationalsozialistischen Herrschaftsstrukturen. Noch bevor die amerikanischen Truppen die Jenaer Innenstadt vollständig besetzt hatten, erschien ein amerikanisches Vorauskommando im Zeiss-Hauptwerk und suchte den Kontakt zu Heinrich Küppenbender. 4 Als die amerikanischen Militärs das Zeiss-Werk besetzten, befand sich das Jenaer Unternehmen in einer existenzbedrohenden Krise. Seine Integration in das NS-Regime und insbesondere die zunehmende Ausrichtung der Forschung, Entwicklung und Fertigung auf die Rüstungsbelange sowie die Schwächung des innovativen Potenzials durch den Abzug von Fachkräften für den Kriegsdienst hatten dazu geführt, daß das Zeiss-Werk auf wichtigen Gebieten des optischen Präzisionsgerätebaus den Vorsprung vor internationalen Konkurrenten verloren hatte. Hinzu kamen die erheblichen Verluste an Vermögenswerten aus der Vorkriegszeit in den Ländern, gegen die das Dritte Reich Krieg geführt hatte oder die von deutschen Truppen besetzt worden waren, und durch die Luftangriffe auf die Werksanlagen in Jena. 5 Der Höhepunkt dieser Krise war zweifellos die nahezu komplette Demontage des Werkes durch die UdSSR Ende 1946/Anfang 1947. Die amerikanischen Militärs übernahmen unmittelbar nach ihrem Einrücken in Jena die Kontrolle über das Zeiss-Werk. Die Geschäftsleiter mußten alle wesentlichen Entscheidungen von den Offizieren der Militärkommission genehmigen lassen. Die Geschäftsleiter verstanden es, die Beziehungen zu den Besatzungsoffizieren sachlich und bisweilen vertrauensvoll zu gestalten. Der Geschäftsleiter Paul Henrichs berichtete am 14. Juni 1945 dem Bankier Joseph 3 4 5

BACZ Nr. 15139 (Erinnerungen von Werkmeister Ernst Hädrich). Hermann: Nur der Name war geblieben. S. 10-12. Walter: Zeiss 1905-1945, S. 165-262, insbesondere S. 239-262.

Das Zeiss-Werk unter amerikanischer Kontrolle

Abb. 1 Hauptwerk 1945, Bombenschäden am Bau 13 und 15

Abs von einem amerikanischen Offizier „unter dessen Rontrolle wir arbeiten und der uns andererseits besonders in den ersten Wochen guten Schutz gewährt hat".6 Kennzeichnend für das Ende der NS-Herrschalt war auch, daß sich Mitglieder des Betriebsrates, die bis zum Frühjahr 1933 die Interessen der Belegschaft gegenüber der Geschäftsleitung im Zeiss-Werk wahrgenommen hatten und von den Nationalsozialisten aus ihren Funktionen entfernt worden waren, nach der Besetzung der Stadt durch amerikanische Truppen wieder zusammenfanden. Die Initiative dazu ging von Otto Marquardt aus, der von 1930 bis 1933 den Vorsitz des Betriebsrates inne hatte. Der Optiker war am 15. April 1945 an seinen Arbeitsplatz in der Optik-Justiererei II zurückgekehrt und hatte Kontakt zu seinen ehemaligen Betriebsratskollegen aufgenommen, um mit ihnen gemeinsam die demokratische Belegschaftsvertretung wieder zu begründen. Mit einigen Kollegen suchte er am 21. April 1945 den Leiter der Planungsstelle, Dr. Hugo Schrade, auf, um mit ihm dieses Vorhaben zu erörtern. Hugo Schrade hatte Anfang der dreißiger Jahre in der Personalhauptleitung eine maßgebliche Rolle gespielt und war ebenso wie Otto Marquardt von den Nationalsozialisten verfolgt worden. Er war für Otto Marquardt eine Vertrauensperson, mit der er den Auibau der Belegschaftsvertretung besprechen konnte. Da nicht bekannt war, ob die ameri6

BACZ Nr. 22825 (alt) (Schreiben Paul Henrichs an Joseph Abs vom 14. Juni 1945); Schumann: Carl Zeiss. Einst und Jetzt, S. 595.

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kanische Militärregierung Betriebsräte zulassen würde, wählte Otto Marquardt für die Belegschaftsvertretung die Bezeichnung Arbeiter- und AngestelltenAusschuß. Ein solches Gremium war im Statut der Carl-Zeiss-Stiftung verankert. 7 Diesem Ausschuß wollte Otto Marquardt die Rechte und Pflichten eines Betriebsrates sichern. Mit Hugo Schrade erörterte Otto Marquardt inhaltliche Probleme, die umgehend gelöst werden mußten. Das betraf in erster Linie die Tilgung aller Bestimmungen, die auf Druck der Nationalsozialisten in das Stiftungsstatut eingefügt worden waren und dem Abbeschen Geist widersprachen, sowie die weitere Gültigkeit des Statuts. Sodann ging es um die Aufhebung der Maßregelungen, die von der Geschäftsleitung aufgrund der nationalsozialistischen Gesetzgebung gegen Belegschaftsmitglieder ausgesprochen worden waren. Zwei Tage später trafen sich die Initiatoren des Arbeiter- und AngestelltenAusschusses mit Heinrich Rüppenbender, um aktuelle und prinzipielle Probleme zu besprechen. 8 Nach den Wahlen der Ausschußmitglieder, Abteilungsvertreter und Rommissionsmitglieder zwischen dem 27. April und dem 6. Mai 1945 trafen sich am 7. Mai 1945 die Belegschaftsvertreter zur konstituierenden Sitzung des Arbeiterund Angestellten-Ausschusses und beschlossen, auf der Grundlage des Stiftungsstatuts von 1933, des Arbeitsvertrags von 1928, des Pensionsstatuts vom 1. Januar 1939 und der Satzungen der Betriebskrankenkasse vom 1. März 1930 zu arbeiten. 9 Die Ausschuß-Mitglieder konzentrierten sich in den ersten Monaten ihrer Tätigkeit auf die Säuberung des Zeiss-Unternehmens von den Hinterlassenschaften des NS-Regimes.

Das erste Ronversionsprogramm Wenige Tage nach der militärischen Besetzung des Zeiss-Werkes entwarf Heinrich Rüppenbender ein Ronversionsprogramm, das die Maßnahmen für die unmittelbaren Nachkriegsmonate enthielt. Dazu gehörte das am 19. April 1945 verfaßte Fertigungsprogramm und die weitreichenden Veränderungen in der Belegschaft. Bei der Planung der Fertigung ging der Geschäftsleiter von dem absehbaren Bedarf an Zeiss-Erzeugnissen in der ersten Nachkriegszeit aus. Er stellte die Fertigung von Brillengläsern, Photo-Objektiven und ausgewählten optischen Präzisionsgeräten in den Mittelpunkt des zu produzierenden Sortiments. Das lassen die Zahlen über die Verteilung der Arbeitskräfte auf die Betriebs- bzw. Fertigungsabteilungen und die Aufteilung der vorgesehenen Fertigungsstunden erkennen. Danach sollten von der künftigen Gesamtbelegschaft 25,5 bzw. 28,5 Prozent in den Laboratorien, Ronstruktionsbüros sowie in der Verwaltung und 74,5 bzw. 71,5 Prozent in den Betriebsabteilungen beschäftigt 7 8 9

Hellmuth/Mühlfriedel: Die Firma Carl Zeiss Jena 1953-1939, S. 250-258. Mühlfriedel/ Hellmuth: Das Tagebuch des Betriebsrates, S. 194. Mühlfriedel/Hellmuth: Das Tagebuch des Betriebsrates, S. 195.

Das Zeiss-Werk unter amerikanischer Kontrolle

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werden. 10 Die Tabelle 1 im Tabellenanhang gibt einen Einblick in den Küppenbender-Plan. Ausgehend von diesem Plan begann am 18. Mai 1945 Karl Müller in der Planungsstelle mit der Ausarbeitung des Fertigungsprogramms für Brillengläser. Dieses Programm, das am 13. Juni 1945 vorlag, sollte bis zum Oktober 1945 abgearbeitet sein. Es wies neben Anzahl und Art der Gläser auch aus, welche Stückzahlen pro Monat zu fertigen waren. 11 Als Heinrich Rüppenbender am 19. April 1945 einem Major der amerikanischen Militärkommission die Maßnahmen vortrug, die für die Aufnahme der Fertigung unerläßlich waren, erfuhr er, daß die amerikanischen und britischen Streitkräfte verschiedene Anforderungen an das Zeiss-Werk richten werden, die im Zusammenhang mit den Kampfhandlungen in Ostasien standen. Die amerikanischen Offiziere bestellten 4.105 Feldstecher, 1.200 Zielfernrohre für Gewehre, die bis Herbst 1945, und 5.000 Zielfernrohre, die im kommenden Jahr zu liefern waren. Darüber hinaus erteilten die Amerikaner Aufträge für Entfernungsmesser verschiedener Bauweisen. 12 Wenig später kamen weitere Aufträge für optische Militärerzeugnisse hinzu. Im Laufe des Monats Mai 1945 unterbreitete die Geschäftsleitung der amerikanischen Militärkommission die entsprechenden Angebote. Seit dem 8. Mai 1945 berichtete die Geschäftsleitung dem amerikanischen Hauskommandanten regelmäßig über die laufende Produktion. 13 Die amerikanischen Aufträge veranlaßten Heinrich Rüppenbender am 14. Juni 1945 Joseph Abs mitzuteilen: „Wir haben alsbald mit Zustimmung der Besatzungsmacht die Fabrikation wieder aufgenommen." 14 Das betraf aber nur wenige Werkstätten und war auch der Grund, weshalb ein zeitgenössischer Bericht festhält: „In der Zeit der amerikanischen Besatzung ruhte praktisch die Produktionstätigkeit. Ausnahme: Rleine Romplettierungsarbeiten an angefangenen Geräten, die nach der Fertigstellung von Amerikanern bis zum 30. Juni übernommen wurden." 15 Die Arbeiter und Angestellten, die sich nach und nach wieder an ihren Arbeitsplätzen einfanden, führten hauptsächlich Aufräumungsarbeiten in den Laboratorien, Ronstruktionsbüros, Werkstätten und auf dem Werksgelände aus. 16 Ein größerer Teil der Zeiss-Arbeiter beteiligte sich an Instandsetzungsarbeiten in der Stadt In den ersten Nachkriegswochen veränderte sich die Zusammensetzung der Belegschaft Auf Anordnung der amerikanischen Militärregierung schieden zum 10

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Zusammengestellt und errechnet nach BACZ Nr. 26785 (alt) (Jahresberichte der Abteilungen 1945). BACZ Nr. S 95 (Bericht des Technischen Direktors); Nr. 8000 (Fertigungsprogramme in der amerikanischen Besatzungszeit). BACZ Nr. 26785 (alt) (Jahresberichte der Abteilungen 1945). BACZ Nr. 4882 (Militärische Abteilung. USA. Allgemeiner Band I); Nr. 6146 (Namentliche Aufstellung der amerikanischen Militärkommission). Archiv Mühlfriedel (Schreiben von Heinrich Küppenbender an Joseph Abs vom 14. Juni 1945). (Zeitzeugenbericht). BACZ Nr. 26785 (alt) (Jahresberichte der Abteilungen 1945).

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20. April 1945 die ausländischen Arbeitskräfte aus dem Zeiss-Werk aus. Das waren nach dem Stand vom 31. März 1945 29,8 Prozent aller Beschäftigten. 17 Zwischen April und Juni 1945 erhielten 71,2 Prozent der deutschen Arbeitskräfte, die während des Krieges ins Werk gekommen waren und in der Belegschaftsstatistik als „Kriegseingestellte" geführt wurden, die Entlassungspapiere. Ein kleiner Teil von ihnen wurde in die reguläre Zeiss-Belegschaft übernommen. Bis Juni 1945 trennte sich das Zeiss-Werk auch von 75,4 Prozent der Arbeitskräfte, die in den letzten Kriegsjahren dienstverpflichtet worden waren. Diese beiden Beschäftigtengruppen machten im März 1945 18,8 bzw. 3,5 Prozent der gesamten Belegschaft aus. Die Zeiss-Stammbelegschaft bestand zu diesem Zeitpunkt lediglich aus 41,1 Prozent der Beschäftigten. Des Weiteren pensionierte die Geschäftsleitung in diesen Wochen 337 Arbeiter und Angestellte, die 60 Jahre und älter waren. Durch diese Entlassungen veränderte sich zwischen März und Juni 1945 die Belegschaftsstruktur. Der Arbeiteranteil an den Beschäftigten verringerte sich von 74,2 auf 55,4 Prozent, und der Anteil der weiblichen Arbeitskräfte sank von 37,2 auf 18,7 Prozent.18 In den letzten Kriegswochen waren Mitarbeiter aus den verschiedenen Zeiss-Unternehmen außerhalb Deutschlands nach Jena zurückgekehrt. In der Personalhauptleitung meldeten sich auch die Belegschaftsmitglieder, die von alliierten Streitkräften aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern und Zuchthäusern befreit worden waren. Nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht kamen die ersten Zeissianer aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Zugleich mußten immer wieder Werksangehörige aus den Personallisten gestrichen werden, von denen bekannt wurde, daß sie noch kurz vor Kriegsende an der Front oder durch Luftangriffe ums Leben gekommen waren.

Die „Carl-Zeiss-Werk-Mission" Während Heinrich Küppenbender das erste Konversionsprogramm erarbeitete und die Wiederaufnahme der Fertigung vorbereiten ließ, informierten sich seit Ende April 1945 amerikanische Offiziere eingehend über die Gerätefertigung während des Zweiten Weltkrieges, die Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, den Maschinenpark, die Elektroenergieversorgung, die Beschäftigten, die Zulieferfirmen, den Rohstoff- und Materialbedarf, die Absatzgebiete, die Kapitalbeteiligungen usw. Ihr besonderes Interesse galt den geschäftlichen Beziehungen des Zeiss-Konzerns zu den Japanern. Vor allem untersuchten sie, welche optischen Militärgeräte in das Kaiserreich geliefert worden waren.

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BACZ Nr. 27981 (Zivilausländer nach Nationalitäten. Stand: 31. März 1945). Danach beschäftigte das Zeiss-Werk insgesamt 3.899 Zivilausländer aus 22 Nationen. Darunter befanden sich 26,7 Prozent Russen, 23,5 Prozent Belgler, 8,8 Prozent Italiener, 7,8 Prozent Holländer und 4,7 Prozent Tschechoslowaken. Von den Zivilausländern waren 28 Prozent weiblichen Geschlechts. Zusammengestellt und errechnet nach BACZ Nr. 11141 (Personalübersicht. März 1945).

Das Zeiss-Werk unter amerikanischer Rontrolle

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Als sich Ende Mai 1945 immer deutlicher abzeichnete, daß die US-Administration die in Jalta zwischen den drei alliierten Regierungschefs getroffene Vereinbarung über die Aufteilung Deutschlands und die damit verbundenen Demarkationslinien zwischen den Besatzungszonen respektieren wird, veränderte sich für die Stiftungsunternehmen die politische Situation. Jetzt war der Rückzug der amerikanischen Truppen aus Jena und die Besetzung der Stadt durch die Rote Armee nicht mehr auszuschließen. Es bestand die reale Gefahr, daß die Zentrale des Zeiss-Ronzerns mit seinem Forschungs- und Entwicklungspotenzial, den hauptsächlichen Fertigungsstätten und dem Jenaer Glaswerk Schott & Gen., in dem die optischen Spezialgläser für den gesamten Ronzern erzeugt wurden, von den Firmen in den westlichen Besatzungszonen getrennt wird, an denen die Carl-Zeiss-Stiftung und das Zeiss-Unternehmen beteiligt waren. Damit waren auch die arbeitsteiligen Beziehungen innerhalb des ZeissRonzerns gefährdet Dieser Sachverhalt hatte für die amerikanischen Militärs zwei Aspekte. Ihnen verblieb keine Zeit, die Erzeugnisse, die sie in Auftrag gegeben hatten, noch im vollen Umfang zu erhalten und gegebenenfalls im Rrieg gegen das japanische Raiserreich einzusetzen. Sie mußten zugleich hinnehmen, daß die sowjetischen Streitkräfte die Verfügung über das Jenaer Unternehmen bekommen. Da die Amerikaner aber eine militärische Ronfrontation mit der UdSSR nicht ausschlossen, waren sie nicht daran interessiert, die militärisch nutzbaren Erkenntnisse, Erzeugnisse und Verfahren der sowjetischen Rüstungsindustrie zu überlassen. Auch Unternehmen der feinmechanisch-optischen Industrie in den USA und in Großbritannien befürchteten, daß ihnen künftig sowjetische Unternehmen mit den in Jena vorgefundenen Innovationen auf dem internationalen Markt Ronkurrenz machen könnten. Daß dies nicht unbegründet war, wird im folgenden Rapitel deutlich. Die im Zeiss-Werk und im Jenaer Glaswerk agierenden amerikanischen und britischen Teams erkundeten darum nicht nur das militärisch Relevante, sondern erschlossen auch, was im optischen Präzisionsgerätebau und der PhotoOptik überhaupt von besonderem Wert war. So beschlagnahmten die Amerikaner die Objektiv-Sammlung des Zeiss-Werkes und verbrachten sie in die USA. Die 2.000 Stücke umfassende Sammlung enthielt sowohl die ältesten Zeiss-Objektive als auch die neuesten Belegstücke. Ferner wurden 20 Ronstruktionsbücher mit je 100 optischen Skizzen der gängigsten Objektive und die dazu gehörigen Fertigungsvorschriften weggebracht. Der Schätzwert der Ronstruktionsbücher lag bei vier Millionen RM.19 Der Leiter der photographischen Abteilung der amerikanischen Armee-Nachrichten-Agentur, Edward R. Raprelain, bewertete im Februar 1948 die nach Astoria, Long Island, gebrachte Objektiv-Sammlung wie folgt: „Das Studium der Jenaer Linsen und Pläne bedeutet auf dem Gebiet der Entdeckung

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BACZ Nr. 18187 (Liste der von den Amerikanern beschlagnahmten Objektivsammlung); Schumann: Carl Zeiss. Einst und Jetzt S. 592-593.

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und Entwicklung von Linsen für die Vereinigten Staaten einen Fortschritt von Jahren." 20 Lieutnant W. Brayer, ein Fachmann für Luftbildphotographie, der seit April 1945 der amerikanischen Militärkommission angehörte 21 , hatte die Geschäftsleitung zunächst mündlich und später auch schriftlich beauftragt, 3.400 hochwertige Spezialobjektive für Fliegerkameras herzustellen. Als Brayer bekannt wurde, daß sich die amerikanischen Truppen aus Thüringen zurückziehen werden, noch ehe die in Auftrag gegebenen Objektive fertiggestellt sein können, faßte er Ende Mai 1945 den Plan, diesen Auftrag zu stornieren und die gesamte Fertigung der Bildmeßobjektive in das amerikanische Besatzungsgebiet zu verlagern. Das teilte er Ende Mai oder Anfang Juni 1945 der Geschäftsleitung mit.22 Um einen geeigneten Fertigungsstandort in der amerikanischen Besatzungszone zu erkunden, flog Colonel Goddhardt, von Heinrich Rüppenbender, Geschäftsleiter Paul Henrichs und Ernst Opitz, dem Leiter sämtlicher Werksanlagen, begleitet, nach München. Dort prüften sie zunächst, ob die Firma Deckel geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung stellen kann. Da sich die besichtigten Objekte nicht eigneten, reiste Lieutnant David Ginsberg mit Heinrich Rüppenbender am 5. Juni 1945 nach Stuttgart in das Contessa-Werk, das zur Zeiss Ikon AG gehörte. Die Nutzung dieser Fertigungsstätte scheiterte am Widerstand der französischen Besatzungsbehörden. Da Brayer offensichtlich nicht kompetent war, das Verlagerungsunternehmen in die Wege zu leiten, suchte er die Unterstützung seiner vorgesetzten Dienststelle, die am 7. Juni 1945 Colonel Hubert Zempke und Colonel J. J. Stone nach Jena entsandte. Colonel Hubert Zempke führte im Auftrag des Hauptquartiers des Obersten Befehlshabers der Interventionsstreitkräfte Sonderaufgaben aus, und Colonel Stone gehörte dem technischen Geheimdienst der US-Luftstreitkräfte an. 23 Die beiden Luftwaffenoffiziere organisierten nun im Auftrag des Hauptquartiers der Strategischen Luftwaffe der USA die „Carl-Zeiss-Werk-Mission", deren Ziel Colonel Stone am 20. Juli 1945 in einem geheimen Bericht an seine vorgesetzte Dienststelle so beschreibt: „Die Mission war geplant, um bestimmtes Schlüsselpersonal, wichtige Forschungsarbeiten und Produktionsgerätschaften des Carl-Zeiss-Werkes in Jena, Deutschland, in ein von der Armee der Vereinigten Staaten kontrolliertes Gebiet zu bringen". 24

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Zitiert in Schumann: Carl Zeiss. Einst und Jetzt, S. 593. BACZ Nr. 9291 (Auskünfte, Militärische Besatzung, u. a. April 1945 - Januar 1946). BACZ Nr. 19159 (Heinrich Rüppenbender: Notiz betr. Verpacken von Vorrichtungen und Werksanlagen vom 20. April 1946). Jürgen Steiner: Das Jenaer Glaswerk , S. 204-205. B-B Nr. 89 Geheimer Bericht über die Carl-Zeiss-Werk-Mission an das Hauptquartier der Vereinigten Strategischen Luftwaffe der Vereinigten Staaten in Europa - Büro des stellvertretenden Stabschefs, A-2 vom 20. Juli 1945, verfaßt von J. J. Stone, Colonel, A. G.; Executive. Archiv der US Air Force. Maxwell Air Force Base Montgomery, Alabama.

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Die Geschäftsleiter der Stiftungsunternehmen zogen aus den verschiedenen Informationen, die sie von den Offizieren der amerikanischen Militärkommission und aus anderen Quellen erhielten, den Schluß, daß der Rückzug der Amerikaner aus Thüringen in absehbarer Zeit bevorstehen kann. Sie nutzten die von den Amerikanern vorbereitete Mission, um selbst den Aufbau neuer Fertigungsstätten in der amerikanischen Besatzungszone so zu planen, daß sie die Aufgaben der Jenaer Stiftungsunternehmen im Gesamtkonzern übernehmen können. Sie mußten damit rechnen, daß, nachdem das nationalsozialistische Deutschland niedergerungen war, die latenten Spannungen zwischen der UdSSR und ihren westlichen Verbündeten zunehmen und die westlichen Besatzungszonen von der Ostzone abgeschüttet werden. In einem solchen Falle würden die Unternehmen des Zeiss-Ronzerns in den westlichen Besatzungszonen weder mit optischem Spezialglas noch mit optischen Systemen beliefert. Das könnte - so befürchteten sie - Zeiss-Ronkurrenten ermöglichen, zunächst den Markt in den westlichen Besatzungszonen und zu gegebener Zeit auch den Außenmarkt zu beherrschen. Unmittelbar nach seiner Stuttgart-Reise ordnete Heinrich Rüppenbender an, die Verlagerung von Personal, Material und Ausrüstungen in das amerikanische Besatzungsgebiet vorzubereiten. Er forderte vom Leiter der Optik-Betriebsleitung und von der Planungsstelle, Richtzahlen für die einzelnen Maschinenarten festzulegen, die verlagert werden sollen. Am 9. Juni 1945 besprach er mit Ernst Opitz und Hugo Schrade das Resultat der Vorarbeiten. Und noch am gleichen Tag diktierte Heinrich Rüppenbender die Notiz „Betr.: Errichtung einer Zweigfertigungsstelle des Zeisswerkes". Die entscheidende Passage in der Notiz lautet: „Um die Fertigung des Zeisswerkes auch mit Sicherheit in dem von den Vereinigten Staaten besetzten Gebiet durchführen zu können, ist neben der Umsetzung der notwendigen Spezial- und Fachkräfte die Verlagerung eines Teils der in Jena und in den von der Firma Carl Zeiss gesteuerten Außenwerken ... befindlichen Werkzeugmaschinen sowie der Einrichtungen für Werkstätten, Ronstruktionsbüros, Laboratorien und Verwaltungen mit den dazu gehörigen Unterlagen erforderlich ... Die Zusammensetzung des neuen Werkes soll so gewählt werden, daß ein geschlossenes, leistungsfähiges feinmechanisch-optisches Unternehmen gegeben ist, d. h., daß neben den Fachkräften und Spezialisten des Betriebes auch Spezialkräfte der Ronstruktionsbüros, der Laboratorien mit verlagert werden."25 Heinrich Rüppenbender ging von 2.000 Jenaer Mitarbeitern aus, darunter 1.000 produktiv Beschäftigten, die in das amerikanische Besatzungsgebiet umgesiedelt werden sollten. Für die gesamte Fertigungsstätte hatte der Geschäftsleiter eine Nutzfläche von 25.000 m 2 vorgesehen, auf der 2.456 Maschinen aufgestellt werden können. Für den Abtransport der Maschinen, Einrichtungen, Unterlagen usw. waren insgesamt 600 Eisenbahnwaggons oder 350 Lastzüge vorgesehen, wenn ein 14 Tage währender Straßentransport notwendig werden sollte. Der Abtransport der 2.000 Belegschaftsmitglieder und deren ca. 4.000 Familienan-

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BACZ Nr. 19159 (Heinrich Rüppenbender: Notiz betr. Verpacken von Vorrichtungen und Werksanlagen vom 20. April 1946).

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gehörigen würde sechs Tranportzüge zu je 100 Achsen beanspruchen. In der Planung von Rüppenbender spielte die Unterbringung der insgesamt 6.000 Menschen - Zeiss-Mitarbeiter und ihre Familienangehörigen - am neuen Bestimmungsort keine Rolle.26 Als Heinrich Rüppenbender den Amerikanern den Wagenbedarf für den Abtransport der zu verlagernden Güter vorlegte, wurde ihm bedeutet, daß eine derartige Anzahl von Waggons infolge der voraussichtlich nur noch kurzen Zeit, die zur Verfügung steht, nicht gestellt werden kann. Aus diesem Grunde sollte der Plan noch einmal für insgesamt 1.000 Personen aufgestellt werden. 27 Colonel Stone hielt in seinem Geheimen Bericht fest, daß die Geschäftsleiter die Offiziere um ein Treffen ersucht hatten, um ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten, den die amerikanische Seite berücksichtigen solle. Nach Stones Bericht verwiesen die Geschäftsleiter bei diesem Treffen zunächst darauf, daß nach ihrer Renntnis Jena und das umliegende Gebiet unter russische Rontrolle kommen. Da sie aber weder für die Russen noch mit ihnen arbeiten wollten, möchten sie aus dem Zeiss-Werk „bestimmte wichtige Teile der Forschung, Produktionsgeräte und Schlüsselpersonal evakuieren". Als neue Standorte wurden Tochterunternehmen in München oder Stuttgart genannt. Ihr Evakuierungsplan sah auch verschiedene Produktionen und Rontrollgeräte vor, die benötigt werden, um den zu erwartenden US-Befehl zu erfüllen. Dabei ging es um die Objektive für die Bildmeßgeräte. Colonel Warner, G-4 Offizier der 9. US-Armee, hörte sich an, was die Geschäftsleiter vortrugen und ließ sie wissen, daß er sich zu den Plänen der sowjetischen Seite nicht äußern werde. Aber im Hinblick darauf, daß die USArmee den Befehl erteilt habe, das Zeiss-Werk im Rrieg gegen Japan zu nutzen, würde das Vorhaben der Geschäftsleitung „in Erwägung gezogen". Dazu verlangte der Colonel von den Geschäftsleitern in den nächsten 24 Stunden Unterlagen und Aufstellungen über das Personal, Material und Ausrüstungen. Die Geschäftsleiter machten Colonel Warner und die anderen Offiziere darauf aufmerksam, daß auch das Jenaer Glaswerk Schott & Gen. verlagert werden müßte, weil zur Ausführung des Befehls optische Spezialgläser erforderlich sind. „Darauihin" - so vermerkt Stone in seinem Bericht - „wurde Dr. Schott von den Schott-Glaswerken der Befehl gegeben, eine Auflistung von Geräten und Personal zu erstellen, die denen, die durch das Zeiss-Werk anzufertigen sind, entsprechen." Material, Maschinen und Personal aus dem Jenaer Glaswerk sollte in das Tochterunternehmen in Zwiesel gebracht werden, das nach Auskunft von Erich Schott zu 75 Prozent auf den Produktionsbeginn vorbereitet war. Am folgenden Tag legten die Geschäftsleiter den für die Mission zuständigen Offizieren die gewünschten Listen vor, bei deren Zusammenstellung sich die damit befaßten Zeiss-Mitarbeiter offensichtlich größte Zurückhaltung auferlegt hatten, denn die Amerikaner waren mit der Ausführung ihrer Anweisung höchst unzufrieden. Deshalb verlangten sie eine Nachbesserung. Gleichzeitig erhielten 26 27

BACZ Nr. 19159 (Notiz: Btr.: Errichtung einer Zweigfertigungsstelle des Zeisswerkes). BACZ Nr. 19159 (Heinrich Rüppenbender: Notiz betr. Verpacken von Vorrichtungen und Werksanlagen vom 20. April 1946).

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die Geschäftsleiter den nachdrücklichen Befehl, die auf den Listen vermerkten Unterlagen und Gegenstände für den Abtransport bereitzustellen. Daraufhin wies Heinrich Rüppenbender am 14. Juni 1945 an, alle Befehle der amerikanischen Militärs strikt zu befolgen.28 Die Geschäftsleiter warben zwischen dem 11. und 16. Juni 1945 unter den Wissenschaftlern und Konstrukteuren für eine freiwillige Übersiedlung in die amerikanische Zone. Wilhelm Trostmann äußerte sich später über diese Aktion der Geschäftsleitung: „Gemäß Aussagen von Dr. Hansen hat dann Prof. Joos29 wiederholt versucht, einzelne diese Forderung (freiwilliges Verlassen Jenas d. V.) mit größter Entschiedenheit ablehnende Herren durch Besuch in deren Wohnung und persönliche Überredung umzustimmen und sich freiwillig mit ihrer Verlagerung in amerikanisches Gebiet einverstanden zu erklären."30 In den Werbegesprächen wurde deutlich, daß die Angesprochenen nur eine geringe Bereitschaft zeigten, Jena zu verlassen, denn noch schien der Abzug der Amerikaner nicht ausgemacht. Und obendrein waren die mit einem Weggang verbundenen Unwägbarkeiten außerordentlich groß. Etwas anders verhielt es sich bei Heinrich Rüppenbender und einigen anderen Führungskräften, die auch ein persönliches Interesse daran hatten, den sowjetischen Militärs nicht zu begegnen, denn sie waren, auch wenn sie keine herausragende Funktion in der NSDAP innehatten, aufgrund ihrer Stellung in der Rüstungsindustrie in das nationalsozialistische Herrschaftssystem integriert. Sie mußten befürchten, daß man sie dafür zur Rechenschaft ziehen werde. Am 10. Juni 1945 begann der Abtransport der wissenschaftlich-technischen Unterlagen und der speziellen Ausrüstungsgegenstände aus den Laboratorien und Werkstätten. Sie wurden zur 45. Air Depot Group gebracht

Neue Direktiven der Amerikaner Abtransport ausgewählter Fachkräfte - Verzicht auf Industrieausrüstungen Während das Verpacken von Einrichtungsgegenständen und Unterlagen in Jena in vollem Gange war, erfuhr Colonel Hubert Zempke von seinen Vorgesetzten - er war am 11. Juni 1945 ins Hauptquartier nach Paris gereist, um dort sein weitreichendes Programm zur Evakuierung von Personal und Sachgütern vorzutragen -, daß man sich an die alliierte Festlegung hält und beim Rückzug der Truppen aus anderen Besatzungszonen die Industrieanlagen unangetastet läßt. Danach ließ sich die „Carl-Zeiss-Werk-Mission" nicht mehr im vollen Umfang realisieren.

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BACZ Nr. 27200 Tagebuch des Arbeiter- und Angestellten-Ausschusses (Eintragung vom 14. Juni 1945). Prof. Dr. Georg Joos, Ordinarius für Theoretische Physik an der Jenaer Universität, war seit 1941 Mitglied der Zeiss-Geschäftsleitung. Er leitete die Laboratorien des Unternehmens. BACZ Nr. 19159 (Mitteilung von Wilhelm Trostmann).

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Da auch das 8. Korps der US-Armee, dem die Rontrolle Jenas oblag, diesen Befehl kannte, verweigerten seine Offiziere den Abtransport von industriellen Sachgütern aus Jena. Colonel Zempke, der am 17. Juni 1945 wieder in Jena eingetroffen war, drängte gemeinsam mit Colonel Stone beim 8. Korps auf die Freigabe des Requirierten. Sie vermochten aber vorerst nichts zu erreichen. Das 8. Korps hatte in den Stiftungsunternehmen sogar Wachen aufziehen lassen, die den Befehl hatten, den Abtransport von Material und Maschinen zu verhindern. Die Bemühungen der mit der „Carl-Zeiss-Werk-Mission" Beauftragten, beim Hauptquartier der Luftstreitkräfte einen schriftlichen Befehl für die Ausführung ihres Vorhabens zu erwirken, blieben erfolglos. Schließlich ging ein Funkspruch ein, der das 8. Korps anwies, Stone und Zempke bei der Evakuierung von Daten und Personen zu unterstützen. Material und Ausrüstungsgegenstände waren in dem Funkspruch nicht erwähnt, so daß sich das 8. Korps auch nicht veranlaßt sah, den Abtransport von Material und Ausrüstungsgegenständen zu erlauben. Danach wurden das Rohglas und die Einrichtungsgegenstände des Glaswerkes, beides war bereits in 19 Eisenbahnwaggons verladen, wieder ins Glaswerk zurückgebracht. Ebenso blieb das Verpackte im Zeiss-Werk an Ort und Stelle. Die mit der Mission beauftragten Offiziere kamen nun auch der Bitte Küppenbenders nicht mehr nach, die Rechtmäßigkeit der Verlagerungsaktion durch einen schriftlichen Befehl zu bestätigen. Um einen derartigen Befehl zu erwirken, hatte der Geschäftsleiter sogar ein entsprechendes Memorandum abfassen lassen, das von den Offizieren unterzeichnet werden sollte. Heinrich Küppenbender berichtete später darüber: „Wir bereiteten zusammen ein Memorandum vor, in welchem klar zum Ausdruck kam, daß es sich um einen Befehl handele. Ich erinnere mich noch, daß die amerikanischen Offiziere das Memorandum korrigierten ... Wir kamen über ein, daß uns eine Reinschrift ... übergeben werden sollte. Das wurde nicht getan."31 Nachdem der amerikanische Präsident Mitte Juni 1945 Churchill und Stalin telegraphisch mitgeteilt hatte, daß er die amerikanischen Truppen aus dem Gebiet abziehen werde, das der UdSSR zugesprochen worden war, erließ das Alliierte Oberkommando in Abstimmung mit der militärischen Führung am 18. und 19. Juni 1945 den geheimen Befehl, beim Rückzug der amerikanischen Verbände aus Sachsen, der Provinz Sachsen und Thüringen alle Wissenschaftler und Techniker zu evakuieren, die den USA und Großbritannien nützlich sein können. 32 Diesen Befehl brachte eine Gruppe von Offizieren aus dem Hauptquartier am Nachmittag des 18. Juni 1945 nach Jena. Daraufhin wurden die Geschäftsleiter der Stiftungsunternehmen für den späten Abend des 18. Juni 1945 im Verwaltungshochhaus zusammengerufen. In Anwesenheit mehrerer amerikanischer Offiziere eröffneten Colonel Zempke und Colonel Stone den Geschäftsleitern, daß, wie Heinrich Küppenbender später notierte, „keine Zeit mehr zur Durch31 32

Hermann: Nur der Name ist geblieben, S. 15. Klaus-Dietmar Henke: Die amerikanische Besetzung Deutschlands, München 1995.

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führung der früher geplanten Verlagerung zur Verfügung stehe. Man müsse sich deshalb auf die wichtigsten Menschen, Geräte und Maschinen beschränken. Col. Zempke brauchte hierbei den mir in Erinnerung gebliebenen Satz: ,We take the brain'". Colonel Zempke gab ferner bekannt, daß die Geschäftsleiter auf einer Sonderliste des alliierten Hauptquartiers stehen und als erste abtransportiert werden. Obwohl Walther Bauersfeld nicht erwähnt worden war, stand er am folgenden Tag auf der Liste der Geschäftsleiter. Von den Geschäftsleitern wurde verlangt, daß sie aus ihren Verantwortungsbereichen die wichtigsten Mitarbeiter auflisten. Prof. Dr. Georg Joos sollte 30 bis 35 Wissenschaftler und Prof. Dr. Walther Bauersfeld 20 Konstrukteure nennen. Die Personallisten von Joos und Bauersfeld erhielten die Amerikaner am 19. Juni 1945. Heinrich Rüppenbender und Paul Henrichs unterließen die Abgabe ihrer Listen. Die in der Nachtsitzung von den amerikanischen Offizieren vorgetragenen Namen entsprachen allerdings nicht dem aktuellen Personalstand. „In der erwähnten Nachtsitzung führte Bfd (Betriebsinternes Kürzel für Bauersfeld d. V.) in eindrucksvollen Darlegungen aus, die von den Amerikanern befohlenen Maßnahmen kämen einer Trennung des Kopfes vom Rumpf gleich. Sie führten zu einer Zerschlagung des Zeiss-Werkes und damit zu einer Vernichtung des Werkes unseres Stifters Abbe". 33 Über diese Zusammenkunft vermerkt Colonel Stone in seinem Geheimen Bericht: „Es wurde ein Treffen der Direktoren des Carl-Zeiss-Werkes einberufen und der mündliche Auftrag erteilt, mit dem Zusammenstellen und Verpacken der Geräte auf den Listen zu beginnen, die mit den Originalplänen eingereicht worden waren. Den Direktoren wurde gesagt, daß das keine Bitte, sondern ein Befehl ist. Und wenn kein Fortschritt beim Zusammenstellen und Verpacken innerhalb von 24 Stunden sichtbar wird, würden amerikanische Truppen ins Werk gebracht, um die Arbeiten abzuschließen. Des Weiteren wurden die Direktoren darüber informiert, daß, wenn kein sichtbarer Erfolg innerhalb von 24 Stunden zu sehen ist, sie den örtlichen Militärbehörden wegen Befehlsverweigerung übergeben werden. Diese Aktion zeigte Wirkung, so daß das Zusammenstellen und Packen der Schlüsselgeräte begann." 34 Des Weiteren stellt Stone fest, daß man als „Richtlinie für die Auswahl des zu evakuierenden Personals" die „Liste des Forschungspersonals, so wie sie von den Direktoren des Carl-Zeiss-Werkes bzw. der Schott-Glaswerke eingereicht worden waren," genutzt habe. 33 Am Vormittag des 19. Juni 1945 traf sich Heinrich Küppenbender mit Mitgliedern des Arbeiter- und Angestellten-Ausschusses. Er machte sie mit den bisherigen Aufträgen zur Verlagerung von Teilen des Zeiss-Werkes bekannt und schilderte dann, was sich in der vergangenen Nacht zugetragen hatte. Heinrich

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BACZ Nr. 19159 (Heinrich Rüppenbender: Notiz betr. Verpacken von Vorrichtungen und Werkzeugen am 20. Juni 1945 vom 16. April 1946). B-B Nr. 89 Stone: Geheimer Bericht B-B Nr. 89 Stone: Geheimer Bericht.

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Küppenbender hob vor allem hervor, daß die amerikanische Besatzungsbehörde auf Befehl des Alliierten Hauptquartiers angeordnet habe, „die Vorbereitungen zu einer Verlagerung nunmehr in die Tat umzusetzen, die Verpackung der Geräte und Maschinen beschleunigt durchzuführen und diese zur Weiterbeförderung den Amerikanern zu übergeben. Die Forderung der Verlagerung wurde noch dahin gedeutet, daß sie der Ergänzung der im amerikanischen Gebiete (eventl. auch englischen) liegenden zum Zeiss-Ronzern gehörenden Fertigungsbetriebe dienen sollte. (Wertvoll für Contessa 36 ) Zur Rechtfertigung der Geschäftsleitung führte er noch an: „Die Geschäftsleitung hat bei dieser Gelegenheit erneut mit aller Deutlichkeit auf die Folgen einer solchen Aktion hingewiesen sowohl für die zu verlagernden Menschen, wie auch für die zurückbleibende Belegschaft; sie hat klar zum Ausdruck gebracht, daß die Firma nur als geschlossenes Ganzes ihren traditionsgebundenen Aufgaben gerecht werden könne, daß der von den Amerikanern geforderte Schritt, wenn er durchgeführt würde, fast einer Trennung des Kopfes vom Rumpf gleichkomme und eine überaus schwere Beunruhigung im Betriebe hervorrufen werde."37 Um die Ausschußmitglieder aber zu beruhigen, führte er noch aus: „Der Abtransport der Laboratoriumsgeräte und Maschinen, der zur Zeit im Fluß ist, geschieht, ohne daß hierdurch eine Beeinträchtigung der entsprechenden Einrichtungen im Hause erfolgt. Die Maschinen, welche für die Fertigung des erwähnten Auftrags auf Photolinsen erforderlich sind und abtransportiert werden, können einem sehr reichlichen Vorrat entnommen werden." Am Morgen des 20. Juni 1945 wurde Heinrich Küppenbender zu Lieutnant Brayer bestellt. Er machte dem Geschäftsleiter heftige Vorwürfe, weil ihm das Verpacken der Laborgeräte, Zeichnungen usw. für die Wissenschaftler und Konstrukteure zu langsam erfolgte und drohte schärfere Maßnahmen an, wenn das Tempo nicht sofort gesteigert wird. Sodann befahl Brayer „sofort mit dem verstärkten Einpacken von Werkzeugen und Vorrichtungen zu beginnen, um die Fertigung im amerikanischen Sektor, gestützt auf den Maschinenpark von Amberg und Ebrach, in kurzer Zeit zum Anlaufen zu bringen. Hierbei sollten die Vorrichtungen und notwendigen Spezialmaschinen für die Herstellung der großen Fliegerobjektive vollständig mitgenommen werden." Für Heinrich Küppenbender war die Forderung Brayers neu, „daß nun doch die Vorrichtungen für eine größere Fertigungskapazität abtransportiert werden sollten, nachdem in der Nachtbesprechung mit Col. Zempke und der GL (Geschäftsleitungen d. V.) der Plan der Fertigungsverlagerung aus Zeitmangel als undurchführbar bezeichnet wurde". Neu war für Heinrich Küppenbender auch,

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Das zu Zeiss Ikon gehörende Contessa-Werk in Stuttgart bezog Photoobjektive aus dem ZeissWerk. Die folgenden Ausführungen stützen sich auf BACZ Nr. 19159 (Heinrich Küppenbender: Notiz betr. Verpacken von Vorrichtungen und Werkzeugen am 20. Juni 1945 vom 16. April 1946); Nr. 27200 Tagebuch des Arbeiter- und Angestellten-Ausschusses (Eintragung vom 19. Juni 1945).

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„daß nunmehr wieder die gesamte Fertigungseinrichtung für die Herstellung der Fliegerobjektive, also Spezialmaschinen, Meßeinrichtungen und Vorrichtungen verlagert werden sollten". Der Geschäftsleiter unterrichtete umgehend die Mitarbeiter, die mit der Verpackungsaktion befaßt waren, über die von Brayer erhaltene Anweisung. Er wies Erich Schreiber und Walter Traut an, die „Vorrichtungen für die allgemeine Zeiss-Fertigung und für die Fertigung der Fliegerobjektive" verpacken zu lassen und darüber die Betriebsleiter zu informieren. Die Frage von Walter Traut „Also auch die Unikate?" bejahte Heinrich Küppenbender in der Annahme, sie beziehe sich auf die Vorrichtungen für die Fliegerobjektive. Als Traut daraufhin feststellte: „Das bedeutet aber eine Stillegung der Fertigung", erklärte Rüppenbender, wiederum nur an die Fertigung der Fliegerobjektive denkend, „Ich kann es nicht ändern". In der Zusammenkunft der Betriebsleiter wurde von Traut weitergegeben: „Sämtliche Werkzeuge und Vorrichtungen für die zivile Fertigung, auch wenn sie nur in einer Ausführung vorhanden sind, sind sofort in 24-stündiger Schichtarbeit einzupacken." Obwohl diese Information in den Betriebsabteilungen Unverständnis und Widerspruch auslöste, begann man in verschiedenen Abteilungen mit dem Abbau von Vorrichtungen. Als die Mitglieder des Arbeiterund Angestellten-Ausschusses vom Betriebsleiter Maschinenbau und Hilfsbetriebe, Wilhelm Trostmann, über diese Anordnung unterrichtet wurden, legten sie dagegen scharfen Protest ein. Am Nachmittag des 20. Juni 1945 stellte Otto Marquardt Heinrich Rüppenbender zur Rede.38 Der Geschäftsleiter erwiderte, man müsse ihn falsch verstanden haben und machte am späten Nachmittag die inzwischen angelaufene Aktion rückgängig. Otto Marquardt notiert unter dem 20. Juni 1945 im Ausschuß-Tagebuch: ,,a.) Die Firma Zeiss verlagert auf Befehl der Amerikaner die Produktionsmittel, die für die Anfertigung eines größeren Photoauftrages im amerikanischem Gebiet notwendig sind; b.) Die GL beschließt einstimmig u. teilt es durch Bfd den Amerikanern mit: ,Wir werden freiwillig Jena u. das Zeiss-Werk nicht verlassen'; c.) Für die Friedensproduktion bleiben genügend Prod.-Mittel, um bei äußerster Anspannung eine Produktion aufzubauen; d.) Irrtümlich veranlaßte Vorbereitung für Verlagerungen werden rückgängig gemacht ...". Die Eintragung schließt: „11 Uhr. Etwa 120 leitende Gesch. Angehör., darunter die 4 Herren der G. L., bekommen den Befehl vom Amerikaner, sich zum Abtransport bereit zu halten."39 Den amerikanischen Offizieren, die mit der „Carl-Zeiss-Werk-Mission" beauftragt waren und am 20. Juni 1945 erneut versuchten, eine umfangreiche Verlagerung durchzusetzen, blieb letztlich der Erfolg versagt. Der amerikanische Verzicht auf das Requirieren von Maschinen und Einrichtungen durchkreuzte auch die Pläne der Geschäftsleiter, mit diesen Ausrüstungen außerhalb des sowjetischen Besatzungsgebietes eine neue Fertigungsstätte zu errichten. Es muß dahin gestellt bleiben, ob die Anweisung von Heinrich Rüppenbender am Vor38

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BACZ Nr. 27200 Tagebuch des Arbeiter- und Angestellten-Ausschusses (Eintragung vom 19. April 1945). Mühlfriedel/Hellmuth: Das Betriebsrats-Tagebuch, S. 196.

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mittag des 20. Juni 1945 der Versuch war, aus allen Betriebsabteilungen die Vorrichtungen wegzubringen, die für die Einrichtung einer kompletten Fertigungsstätte im amerikanischen Besatzungsgebiet notwendig waren. Am 21. Juni 1945 erhielt der Kommandierende General der 12. Panzer-Division der US-Streitkräfte aus dem Hauptquartier des 6. Armeekorps den Befehl, einen Platz für eine Gruppe von Wissenschaftlern und deren Familien, ca. 1.500 Personen, einzurichten, die überprüft und interniert werden soll. Er wurde auch angewiesen, Personen sofort festzusetzen, die ein Sicherheitsrisiko für die USA darstellen. Für die Unterbringung der Avisierten bestimmte der General Heidenheim an der Brenz.40 Die amerikanischen Offiziere wählten aus dem Zeiss-Werk 81 Mitarbeiter 41 und aus dem Jenaer Glaswerk 41 Beschäftigte42 aus, die mit ihren Familien vom 23. bis 25. Juni 1945 in das amerikanische Besatzungsgebiet gebracht wurden. Gleichzeitig wurden Professoren, Dozenten und Mitarbeiter der Jenaer Universität samt Familien abtransportiert.43 Colonel Stone teilte mit, daß der Abtransport der 500 Personen durch die amerikanische Armee schnell und effizient erfolgte. Die Armee hatte jeder Familie einen Lastwagen zugewiesen. 44 In seinem Geheimbericht über die „Carl-Zeiss-Werk-Mission" gibt J. J. Stone Empfehlungen für die Verwendung der deportierten Fachkräfte und bewertet ihren Nutzen für die USA wie folgt: „Offensichtlich kontrollierte das Carl-ZeissWerk zu einem großen Teil das hochqualifizierte Forschungspotential der deutschen optischen Industrie. Die evakuierten Wissenschaftler waren die ,Creme' des deutschen Forschungspersonals und sind von enormer Bedeutung für die zukünftige optische Entwicklung." Er rät seinen Vorgesetzten, diese Fachleute nach genauen und gut koordinierten Plänen zu verteilen, weil er befürchtete, daß „diese Top-Leute sich eventuell grüppchenweise ins Zeiss-Werk zurückschleichen". 45 Der Colonel regt an, die Wissenschaftler von einem Komitee amerikanischer Wissenschaftler und Untersuchungsbeauftragter hinsichtlich ihres Wertes und ihrer politischen Ambitionen gründlich überprüfen zu lassen. Danach könnten möglicherweise zehn Prozent der Wissenschaftler für eine industrielle oder universitäre Beschäftigung in den USA ausgewählt werden. Die anderen sollten auf die verschiedenen feinmechanisch-optischen Unternehmen in der amerikanischen Besatzungszone verteilt werden. Der Bericht zeigt, daß das Ziel der „Carl-Zeiss-Werk-Mission", ausgewählte Fertigungskapazitäten in die amerikanische Besatzungszone zu verbringen und den Deportierten die unverzügliche Wiederaufnahme ihrer Arbeitstätigkeit in Aussicht zu stellen, überhaupt nicht oder nur für eine kurze Zeit beabsichtigt

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Carl Zeiss - geteiltes Deutschland. Die deutsche Frage im Unterricht. Reihe für Politik, Geschichte, Deutsch. (Hrsg.) Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Heft 9 (Juli 1986), S. 23. B-B Nr. 89 Stone: Geheimer Bericht, Anhang: Liste der evakuierten Zeiss-Mitarbeiter Steiner: Das Glaswerk, S. 212. Geschichte der Universität Jena 1548/58-1958. Band I., Jena 1958, S. 687 B-B Nr. 89 Stone: Geheimer Bericht. B-B Nr. 89 Stone: Geheimer Bericht.

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war. Als Stone seinen Bericht verfaßte, befanden sich die USA noch im Krieg mit Japan, das erst nach dem Einsatz der Atombombe durch die amerikanischen Luftstreitkräfte am 14. August 1945 kapitulierte. Die wissenschaftlich-technischen Unterlagen und die Ausrüstungen aus dem Zeiss-Werk wurden in die USA gebracht, sie standen für die Zeiss-Gruppe in Heidenheim nicht zur Verfügung. Die amerikanischen Requisitionen Die amerikanische Militärkommission stellte für die Leistungen, die das ZeissWerk für die amerikanischen Streitkräfte von Mitte April bis Ende Juni 1945 erbracht hatte, und für einen Teil der abtransportierten Unterlagen, Materialien und Ausrüstungsgegenstände Requisitionsscheine aus. Schon beim Verpacken der beschlagnahmten Unterlagen und Gegenstände fertigten die betroffenen Abteilungen Verzeichnisse über das Entnommene an. Am 4. Oktober 1945 wurde eine Übersicht über die Verluste, die dem Zeiss-Werk durch das amerikanische und britische Militär entstanden waren, zusammengestellt. Danach gingen Dokumente, Material und Ausrüstungen im Wert von 14,1 Millionen RM verloren. Hinzu kamen die Erzeugnisse aus der Zeiss-Aerotopograph GmbH, Jena, im Wert von 1,4 Millionen RM. Die Summe von 14,1 Millionen RM setzte sich zu 81,2 Prozent aus beschlagnahmten Erzeugnissen zusammen, darunter befanden sich sowohl solche, die bei Kriegsende bereits fertiggestellt waren, als auch die neu gefertigten, die man im alliierten Auftrag zwischen April und Juni 1945 produziert hatte. 6,5 Prozent des ermittelten Wertes entfielen auf Maschinen und Einrichtungen und 12,6 Prozent auf Originalzeichnungen und Zeichnungspausen. Die Analyse der requirierten Erzeugnisse ergibt, daß davon 50,5 Prozent optische Militärinstrumente waren, vornehmlich Bildmeßgeräte, Zielgeräte, Feldstecher, Zubehör und Einzelteile. Dazu kamen noch 7,7 Prozent aus der Bildmeßabteilung, die keine militärischen Erzeugnisse herstellte. 32 Prozent der requirierten Erzeugnisse wurden aus der Photo-Abteilung entnommen und 9,8 Prozent entfielen auf andere Abteilungen. Die Tabelle 2 im Tabellenanhang gibt näheren Aufschluß über die Verluste der Betriebsabteilungen. Bei den Zeichnungen und Stücklisten lag das Schwergewicht auf Unterlagen von Maschinen und Vorrichtungen. Sie machten allein 32,7 Prozent der Originalzeichnungen und 32 Prozent der Stücklisten aus. Des Weiteren interessierten sich die amerikanischen Militärs für Bild- und Feinmeßgeräte sowie für geodätische Instrumente. Von den beschlagnahmten Originalzeichnungen entfielen 11,8 Prozent auf Feinmeßgeräte, 10,6 Prozent auf Bildmeßgeräte und 9,3 Prozent auf geodätische Instrumente. 46

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Errechnet nach BACZ Nr. 4884 (Bewertung der amerikanischen Requisitionen vom 4. Oktober 1945).

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Die Berufung der neuen Geschäftsleiter Am 20. Juni 1945 informierten die Offiziere der amerikanischen Militärkommission die Geschäftsleiter über ihren unmittelbar bevorstehenden Abtransport. Das zwang sie, eine Entscheidung über die Leitung der Jenaer Unternehmen für die Zeit zu treffen, in der sie nicht in Jena sein werden. Sie mußten die Personen auswählen, die während ihrer Abwesenheit ihre Aufgaben wahrnehmen und hatten sich darüber zu verständigen, welche Kompetenzen die neuen Unternehmensleitungen haben sollen. Über den auszuwählenden Personenkreis waren sich die Geschäftsleiter rasch einig, denn es kamen nur Persönlichkeiten in Frage, die über die nötige Autorität in der Belegschaft verfügten, fachlich versiert und vor allem aber gegenüber den scheidenden Geschäftsleitern loyal waren. Sie mußten ferner in politischer Hinsicht von den sowjetischen Besatzungsbehörden und den Deutschen, die künftig in Jena und in Thüringen Spitzenpositionen einnehmen, akzeptiert werden. Die Wahl fiel auf Dr. Friedrich Schomerus, Dr.-Ing. Hugo Schrade und Victor Sandmann. Friedrich Schomerus hatte bis 1933 die Personalhauptleitung geführt und war von den Nationalsozialisten aus dieser Funktion gedrängt worden. Er war ein exzellenter Renner aller Angelegenheiten, die die Carl-Zeiss-Stiftung betrafen. 47 Hugo Schrade, seit 1929 im Zeiss-Werk, hatte bis 1942 eine führende Position in der Personalhauptleitung und war dann als Leiter der Planungsstelle tätig. Weil er mit einer Jüdin verheiratet war, wurde er von den Nationalsozialisten verfolgt.48 Victor Sandmann, seit 1934 im Zeiss-Werk, leitete die kaufmännische Abteilung. 1918 gehörte er einem Arbeiter- und Soldaten-Rat an und war zu einer Festungshaft verurteilt worden. In den zwanziger Jahren war er zunächst Mitglied der USPD und dann bis 1928 der SPD.49 Ein besonderes Problem war es für die Geschäftsleiter, die Zuständigkeiten ihrer Nachfolger festzulegen. Die Geschäftsleiter waren, so sah es das Statut der Carl-Zeiss-Stiftung vor, auf Lebenszeit berufen. Das war ein Privileg, auf das sie nicht ohne weiteres verzichten mochten. Gleichzeitig verlangten aber die unsicheren politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse, daß ihre Vertreter für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben hinreichend legitimiert waren. Nach dem Stiftungsstatut durften die Geschäftsleiter ohne Zustimmung der Stiftungsverwaltung und des Stiftungskommissars keine neuen Geschäftsleiter ernennen. Zunächst wollte man Friedrich Schomerus und Hugo Schrade nur Prokura erteilen. Deshalb unterzeichnete Paul Henrichs am 21. Juni 1945 einen entsprechenden Antrag an das Amtsgericht, sandte ihn aber nicht ab. Am 22. Juni 1945 stellte Paul Henrichs für die drei ausgewählten Angestellten eine Vollmacht aus, die sie ermächtigte, „die Geschäfte der Geschäftsleitung einstweilen, solange sich die Mitglieder der Geschäftsleitung nicht in Jena befinden, wahrzunehmen". Am

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Wolfgang Mühlfriedel/Edith Hellmuth: Die Firma Carl Zeiss Jena 1955-1939. In: Detlev Heiden/Gunther Mai (Hrg.): Nationalsozialismus in Thüringen, Weimar Köln Wien 1995, S. 251. PA Nr. 94 (Lebenslauf von Hugo Schrade). BACZ Nr. 8095 (Personalakte von Victor Sandmann).

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gleichen Tag teilte Paul Henrichs Hugo Schrade mit, daß man die Stellung eines Prokuristen als nicht geeignet ansieht, um die Aufgaben eines Geschäftsleiters wahrzunehmen. Deshalb hätten sich die Geschäftsleiter, insbesondere auf Vorschlag von Dr. Erich Schott, entschlossen, aus leitenden Angestellten, die in Jena verbleiben, eine neue Geschäftsleitung zu bilden. Paul Henrichs unterrichtete Hugo Schrade von der Absicht, der Stiftungsverwaltung vorzuschlagen, Victor Sandmann, Friedrich Schomerus und Hugo Schrade zu Geschäftsleitern der Firma Carl Zeiss sowie Hugo Schrade zum Geschäftsleiter in der Firma Schott & Gen. zu ernennen. 50 Da die Mitglieder des Arbeiter- und Angestellten-Ausschusses der beiden Stiftungsunternehmen aber darauf bestanden, daß die mit der Leitung der Unternehmen Beauftragten über die gleichen Befugnisse verfügen, wie die auf Lebenszeit berufenen Geschäftsleiter, wandten sie sich noch am 22. Juni 1945 an das Landesamt für Volksbildung, der Stiftungsverwaltung, in Weimar. In dem Gespräch, das sie mit dem Ministerialrat Curt Böhme und Heinrich Hoffmann darüber führten, erfuhren sie, daß Dr. Arno Barth, Gerichtspräsident in Gera, vom Landesamt bereits zum neuen Stiftungskommissar berufen worden war.51 Um keine Zeit zu verlieren, überbrachten die Ausschußmitglieder Arno Barth noch am gleichen Tag die Ernennungsurkunde. Sie unterrichteten Arno Barth über die in Jena entstandene Lage und die entsprechenden Paragraphen des Stiftungsstatuts. Arno Barth sicherte seinen Besuchern zu, am 23. Juni 1945 nach Jena zu kommen. Am Morgen des 23. Juni 1945 kam der Stiftungskommissar nach Jena, um die personellen Angelegenheiten an der Spitze des Zeiss-Unternehmens zu klären. Um 9.30 Uhr trafen sich die Geschäftsleiter Walther Bauersfeld, Paul Henrichs und Georg Joos, die leitenden Angestellten Victor Sandmann, Friedrich Schomerus, Hugo Schrade und die beiden Mitglieder des Arbeiter- und AngestelltenAusschusses, Otto Marquardt und Ernst Lötsch, mit dem Stiftungskommissar. Arno Barth kennzeichnete eingangs die Situation und verwies auf die Vorschriften des Statuts der Carl-Zeiss-Stiftung. In dem Vermerk, den Arno Barth darüber am 25. Juni 1945 anfertigte, heißt es: „Als dringlichste Frage ergab sich, daß eine neue Geschäftsleitung bestellt werden muß. Die bisherige Geschäftsleitung hatte insofern schon Vorsorge getroffen, als sie neue Prokuristen bestellt hatte bzw. einem Gremium von drei Herren die künftige Geschäftsleitung übertragen hatte, ohne diese Herren aber formell zu Geschäftsleitern machen zu können. Meine Ansicht, daß sowohl der Belegschaft gegenüber wie nach außen hin die formelle Bestallung neuer Geschäftsleiter notwendig ist, wenn die bisherige Geschäftsleitung abtrans-

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BACZ Nr. 26830 (alt) (Warenzeichenverfahren. Memorandum vom 9. August 1963). Prof. Dr. Esau, der bisherige Stiftungskommissar, war wegen seiner Verbindung zum nationalsozialistischen System abberufen worden. Dieter Hoffmann/Rüdiger Stutz: Grenzgänger der Wissenschaft: Abraham Esau als Industriephysiker und Forschungsmanager. In: Kämpferische Wissenschaft. Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus (Hrg.: Uwe HoOfeld u. a.), Köln Weimar Wien 2003, S. 137-179.

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portiert wird, setzte sich schließlich bei allen Beteiligten durch ...." Der Stiftungskommissar fügte hinzu, daß Hugo Schrade, Victor Sandmann und Friedrich Schomerus „im vollen Einverständnis mit allen Beteiligten ... als neue Geschäftsleitung in Aussicht" genommen wurden. 52 Die amtierenden Geschäftsleiter äußerten zunächst noch Vorbehalte gegen die uneingeschränkte Übertragung der im Stiftungsstatut festgeschriebenen Rechte und Pflichten für Geschäftsleiter an die vorgesehenen Angestellten. Sie wollten das Behelfsmäßige dieses Wechsels in der Geschäftsleitung stärker betont wissen. Otto Marquardt, der am 23. Juni 1945 den Verlauf dieser Zusammenkunft im Tagebuch des Arbeiter- und Angestellten-Ausschusses festhielt, notiert dazu: „Die alte G. L. hätte es lieber gesehen, wenn das Provisorische mehr betont wird. Dem treten Scho (Friedrich Schomerus d. V.) und auch ich entgegen."53 Was die amtierenden Geschäftsleiter zögern ließ, kann nur vermutet werden. Zunächst ist anzunehmen, daß es ihnen darum ging, bei einer möglichen Rückkehr nach Jena wieder in ihre vollen Rechte als Geschäftsleiter einzutreten. Das wurde ihnen vom Stiftungskommissar auch ohne weiteres zugestanden. In dem bereits zitierten Barth-Vermerk steht dazu: „Allerdings ist die bisherige Geschäftsleitung, wie es der Satzung entspricht, auf Lebenszeit bestellt. Sollte sie zurückkehren, so hat sie Anspruch darauf, das alte Amt wieder zu übernehmen. Aus diesem Grunde ist eine befristete Bestellung der neuen Geschäftsleiter vorgesehen, wie es auch die Satzung zuläßt." Paul Henrichs hatte dafür die Frist von einem Jahr vorgesehen. 54 Es ist aber auch durchaus denkbar, daß die scheidenden Geschäftsleiter erwogen, in der kompletten Zeiss-Fertigungsstätte, deren Errichtung sie in der amerikanischen Besatzungszone planten, als berufene Geschäftsleiter zu agieren. Wahrscheinlich gingen die Geschäftsleiter auch davon aus, daß sie, wenn Thüringen längere Zeit von sowjetischen Truppen besetzt bleibt, in der Lage sein werden, als zweite Geschäftsleitung die Verantwortung für das Stiftungs- und Firmenvermögen in den westlichen Besatzungszonen zu übernehmen. Am 23. Juni 1945 wurden die neuen Geschäftsleiter eingesetzt. Das geht aus dem Vermerk von Arno Barth ebenso hervor wie aus der Aufzeichnung von Otto Marquardt, der unter dem 23. Juni 1945 festhält: „Die alte G. L. schlägt die neue G. L. vor. Ich erkläre, daß wir in der glücklichen Lage sind, uns voll auf den Boden der Vorschläge der G. L. stellen zu können. Bei der Bekanntgabe der neuen G. L. soll nach Dr. Barth in Erscheinung treten, daß eine mit allen Vollmachten ausgestattete G. L. besteht, die allerdings zurücktritt, wenn etwa die alte G. L. zurückkommt... so wird unter allseitigem Einverständnis am Ende formuliert: Es wird eine neue G. L. eingesetzt. Sie besteht aus den Herren Dr. Schrade,

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Archiv Mühlfriedel (Vermerk von Arno Barth über die Zusammenkunft am 23. Juni 1945). BACZ Nr. 27200 Tagebuch des Arbeiter- und Angestellten-Ausschusses (Eintragung vom 23. Juni 1945). Archiv Mühlfriedel (Vermerk von Arno Barth über die Zusammenkunft am 23. Juni 1945). BACZ Nr. 27200 Tagebuch des Arbeiter- und Angestellten-Ausschusses (Eintragung vom 23. Juni 1945).

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Dr. Schomerus und Prok. (Prokurist d. V.) Sandmann. Die G. L. amtiert bis zur Rückkehr der alten Leitung."55 Diesen Vorgang bestätigten Walther Bauersfeld, Paul Henrichs und Richard Hirsch am 28. Januar 1946 in einem Brief zur „Rechtsstellung der Jenaer Geschäftsleitungen", in dem sie an „die Herren Mitglieder der Geschäftsleitung im Hause Carl Zeiss und Jenaer Glaswerk Schott & Gen. z.Hd. des Herrn Geschäftsleiters Victor Sandmann" schreiben: „Wir stimmen voll mit Ihnen in der Auffassung überein, daß es aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nur eine allein verantwortliche Geschäftsleitung mit dem Sitz in Jena geben kann ... Um Ihnen den Weg statutengemässer Bestellung zu ordentlichen Geschäftsleitern zu eröffnen, haben wir deshalb Ende Juni v. J. dem Herrn Stiftungskommissar Sie als unsere Nachfolger vorgeschlagen und Ihnen die Geschäfte übergeben. Wir wünschen, Ihnen klar und zweifelsfrei zu bestätigen, daß wir Sie seit unserem Abtransport aus Jena als die nunmehr allein und voll verantwortlichen Geschäftsleitungen der Stiftungsbetriebe nach innen und nach außen betrachtet haben und weiter betrachten."56 Eine Abschrift dieses Briefes erhielt auch der Stiftungskommissar. In der Zusammenkunft mit Arno Barth am 23. Juni 1945 wurden auch die Zuständigkeiten der neuen Geschäftsleitungsmitglieder festgelegt. Hugo Schrade war für den Betrieb und die Fertigung verantwortlich, Victor Sandmann für die innere Verwaltung und die Finanzen und Friedrich Schomerus für Personalfragen, für Sozialpolitik und für Angelegenheiten der Carl-Zeiss-Stiftung. Am 27. Juni 1945 stellte der Stiftungskommissar dem amerikanischen Stadtkommandanten die neue Geschäftsleitung auf dessen Wunsch hin vor. Am gleichen Tag unterzeichnete der Stiftungskommissar die Verträge mit den von ihm berufenen Geschäftsleitern. Dem Amtsgericht meldete er, daß die Bestellung von Walther Bauersfeld und Paul Henrichs zu Beauftragten der Carl-Zeiss-Stiftung erloschen ist. Gleichzeitig teilte der Stiftungskommissar mit, daß die Mitglieder der Geschäftsleitung, Friedrich Schomerus und Victor Sandmann, zu Bevollmächtigten der Carl-Zeiss-Stiftung in Angelegenheiten der Firma Carl Zeiss neu bestellt worden sind.37 Darüber unterrichtete der Stiftungskommissar am 29. Juni 1945 die Stiftungsverwaltung in Weimar. Ministerialdirektor Friedrich Stier vom Landesamt für Volksbildung hatte die Veränderungen an der Spitze der Jenaer Unternehmen bereits mündlich gebilligt. Eine entsprechende schriftliche Erklärung mußte Arno Barth allerdings anmahnen. 58

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BACZ Nr. 16530 (Schreiben von Waither Bauersfeld, Paul Henrichs und Richard Hirsch an die Mitglieder der Geschäftsleitungen von Carl Zeiss und Jenaer Glaswerk Schott & Gen. vom 28. Januar 1946). BACZ Nr. 26787 (Arno Barth: Mitteilung an das Amtsgericht vom 27. Juni 1945). TR Nr. 007 (Schreiben von Arno Barth an das Landesamt für Volksbildung vom 9. November 1945).

ZWEITES KAPITEL

Die Sowjetische Verwaltung des Zeiss-Werkes Der Neuanfang Am späten Nachmittag des 1. Juli 1945 läutete in der Wohnung von Hugo Schrade das Telefon. Am Apparat war der Pförtner im Zeiss-Hochhaus und teilte dem Geschäftsleiter mit, daß ihn zwei Offiziere der Roten Armee zu sprechen wünschen. Als Hugo Schrade kurze Zeit später im Werk eintraf, stellte sich ihm Major Scharow vor, der, ebenso wie sein Begleiter, einem topographischen Truppenteil angehörte. Der Major beauftragte Hugo Schrade, das Werk wie bisher zu leiten und stellte ihm die entsprechenden Vollmachten der Besatzungsmacht aus. Noch am gleichen Tag übernahm Kapitän Grigorjew das Kommando über das Zeiss-Werk. Davon setzte Hugo Schrade am 2. Juli 1945 die Betriebsleiter in Kenntnis. 1 Den Wechsel der Besatzungstruppen nutzend, versammelte Otto Marquardt am gleichen Tag die Mitglieder des Arbeiter- und Angestellten-Ausschusses, um den Ausschuß in einen Betriebsrat umzubilden und personell zu erweitern. 2 Am folgenden Tag kamen die Geschäftsleiter mit Mitgliedern des Betriebsrates zusammen. Sie erörterten die künftige Stellung der Belegschaftsvertretung und berieten, was zu tun war, um aktive Verfechter des Nationalsozialismus im Werk aus Abb. 2 Geschäftsleiter Dr. Hugo Schrade

führenden Positionen zu entfernen. Die Betriebsräte forderten die Geschäftsleitung auf, dafür zu sorgen, daß aus dem Statut der Carl-Zeiss-Stiftung alles entfernt wird, was die Nationalsozialisten 1935 in ihrem Sinne verändert hatten. 3 Die Geschäftsleiter, die ebenfalls an der

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BACZ Nr. 15139 (Protokoll der Betriebsleiterbesprechung vom 2. Juli 1945); Nr. 23407 (Information über den Truppenteil der Roten Armee mit der Feldpostnummer 94982). Mühlfriedel/Hellmuth: Betriabsratstagebuch, S. 193, 197. BACZ Nr. 12660 (Protokoll der ersten gemeinsamen Sitzung von Geschäftsleitung und Betriebsrat vom 3. Juli 1945).

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Wiederherstellung der ursprünglichen Fassung des Statuts interessiert waren, beantragten am 16. Juli 1945 beim Regierungspräsidenten in Weimar, die vom nationalsozialistischen Geist geprägten Passagen aus dem Statut zu entfernen und den von Ernst Abbe verfaßten Text wieder herzustellen. Dem wurde am 15. November 1945 auch entsprochen. 4 Am 7. Juli 1945 waren die Geschäftsleiter zu einem Informationsgespräch beim sowjetischen Stadtkommandanten, der sie wissen ließ, daß die Besatzungsmacht an einer zügigen Wiederaufnahme der Produktion interessiert sei.5 Das erklärte Interesse der Besatzungsoffiziere an einer zügigen Wiederaufnahme der Produktion bestärkte die Geschäftsleiter und den Betriebsrat in ihrer Absicht, dafür die Voraussetzungen unverzüglich zu schaffen. Dazu gehörten in erster Linie das Beheben von Kriegsschäden, die konsequente Fortsetzung des Ronversionsprozesses und die Aufstellung eines Produktionsprogramms für die kommenden Monate. Das erörterten Hugo Schrade und Victor Sandmann mit den Betriebs- und Vertriebsleitern. 6 Victor Sandmann legte am 10. Juli 1945 das Produktionsprogramm des Zeiss-Werkes für die kommenden Monate vor, das er den Leitungskräften am folgenden Tag erläuterte. 7 Die Notwendigkeit, alsbald mit der Produktion zu beginnen, ergab sich vor allem aus der finanziellen Situation des Werkes. Die sowjetischen Besatzungsbehörden hatten die Firmenkonten bei den Finanzinstituten gesperrt, so daß man in absehbarer Zeit nicht auf die Firmenguthaben bei den Banken in Jena und Berlin zurückgreifen konnte. Von den Finanzmitteln in Höhe von 19,2 Millionen RM, über die das Zeiss-Unternehmen in der sowjetischen Besatzungszone verfügte, befanden sich lediglich 2,6 Prozent in der Firmenkasse. 8 Aus dem gleichen Grund konnten Außenstände bei Firmen im sowjetischen Besatzungsgebiet nicht eingezogen werden, und die Geschäftsverbindungen zu den Runden in den westlichen Besatzungszonen waren unterbrochen. Um die laufenden Rosten zu decken, vor allem um Löhne und Gehälter auszahlen zu können, mußten Bestände und neu produzierte Erzeugnisse verkauft werden. Über die geschäftlichen Absichten des Stiftungsunternehmens unterrichtete die Vertriebsabteilung die Rundschaft in einem Schreiben vom 30. Juli 1945: „Rurz nach der Besetzung der Stadt Jena durch die amerikanischen Truppen hat das Zeiss-Werk seine Tätigkeit wieder aufgenommen, und auch unter der russischen Besatzung wird die Arbeit in unseren Werkstätten fortgesetzt. Nach 4

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Chronik des Zeiss-Werkes, verfaßt von Fritz Ortlepp, (Typoskript), S. 648. Die endgültige Bestätigung des Statuts der Carl-Zeiss-Stiftung erfolgte erst am 11. Juni 1947. Ortlepp: Chronik des Zeiss-Werkes, S. 659. BACZ Nr. 6471 (Niederschrift über die Besprechung der Geschäftsleiter beim Stadtkommandanten am 7. Juli 1945. BACZ Nr. 15159 (Protokoll der Betriebsleiterbesprechung vom 2. Juli 1945); Nr. 8233 (Protokoll der Betriebsleiterbesprechung vom 11. Juli 1945). BACZ Nr. 8233 (Protokoll der Betriebsleiterbesprechung vom 11. Juli 1945). BACZ Nr. 19389 (Bilanz der Fa. Carl Zeiss Jena für das Geschäftsjahr 1944/45). Für das Wertausgleichskonto wurde am 16. Juli 1948 angegeben, daß zum 30. September 1947 Guthaben im Wert von 17,7 Millionen RM von den sowjetischen Behörden gesperrt worden waren. BACZ. Nr. 15704 (Wertausgleich).

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Wegfall der Herstellung von militärischen Geräten haben wir unseren Betrieb vollständig auf die Fertigung der Ihnen bekannten Erzeugnisse für zivilen Bedarf umgestellt und sind somit in der Lage, Aufträge auf diese Geräte wieder entgegenzunehmen und auszuführen. Zur Zeit besteht allerdings die Beschränkung, daß Lieferungen nur in das russische Besatzungsgebiet erfolgen dürfen, die jeweils der Genehmigung des hiesigen russischen Werkskommandanten bedürfen. Die Genehmigung wird erteilt, wenn nicht russische Interessen durch diese Lieferungen beeinträchtigt werden."9

Der Plan des Volkskommissars für Bewaffnung Diese Kundeninformation sollte sich als zu optimistisch erweisen, denn während die Geschäftsleiter, die Betriebs- und Vertriebsleiter, die Betriebsräte, von Teilen der Belegschaft unterstützt, alles unternahmen, um im Zeiss-Werk wieder friedensgemäße Verhältnisse zu schaffen, verfolgten die Offiziere aus dem Volkskommissariat für Bewaffnung der UdSSR, die am 11. Juli 1945 in Jena eintrafen, einen ganz anderen Plan. Der Volkskommissar für Bewaffnung der UdSSR Dimitri F. Ustinow, dem die gesamte feinmechanisch-optische Industrie in der Sowjetunion unterstand, hatte im Frühjahr 1945 Anspruch auf die Überführung der beiden Stiftungsunternehmen Zeiss und Schott einschließlich eines großen Teils der Belegschaften in die UdSSR angemeldet. Dem hatte man auch stattgegeben, so daß es dem Volkskommissariat nach der Besetzung Thüringens durch die Rote Armee vor allem darauf ankam, ein Bild vom Zeiss-Potenzial zu gewinnen und Unterlagen, Ausrüstungen, Fertigerzeugnisse usw. sicherzustellen. Welche Pläne der Volkskommissar hinsichtlich der feinmechanisch-optischen Industrie in Thüringen hegte, wird im Herbst 1945 deutlich. Am 12. Oktober 1945 legte Ustinow in einer „Beschlußvorlage für Verfügung des Rats der Volkskommissariate" die Einzelheiten über den Abbau der Stiftungsunternehmen und die Deportation der Fachkräfte fest. Danach wollte er mit den Ausrüstungen 2.000 deutsche Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker in die UdSSR verbringen, die den ordnungsgemäßen Aufbau des Demontagegutes vornehmen sollten. In einem Schreiben an den Leiter des sowjetischen Geheimdienstes, Lawrenti P. Berija, vom 12. Oktober 1945 wies Ustinow daraufhin, daß durch die Überführung der Ausrüstungen der beiden Jenaer Unternehmen die Optik-Fertigung in der UdSSR um mehr als das Zweifache angehoben werden kann. Gleichzeitig werde die steigende Produktion den Export feinmechanisch-optischer Erzeugnisse erlauben. Das begründete der Volkskommissar damit, daß es in den Balkanstaaten überhaupt keine derartige Industrie gibt, und sie in den europäischen Staaten nicht ausreichend entwickelt ist. Dieser Export werde für die UdSSR dringend benötigte Devisen bringen. Selbstverständlich spielte bei den Überlegungen des Volkskommissars auch eine Rolle, daß durch die Demontage der

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BACZ Nr. 19223 (Schreiben der Abteilung Disp. Raul Leonhardt vom 30. Juli 1945).

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Stiftungsunternehmen den Deutschen die Möglichkeit, künftig optische Militärgeräte zu produzieren, entzogen, zumindest erschwert wird. Mit der Verfügung des Ministerrates der UdSSR Nr. 1559-686 vom 9. Juli 1946 bestimmte J. W. Stalin, daß die Demontage der Stiftungsunternehmen am 22. Oktober 1946 zu beginnen hat. Um dieses Vorhaben zu realisieren, mußte der Abbau der Forschungs- Entwicklungs- und Fertigungskapazitäten vorbereitet und ausgeführt werden. Zugleich galt es, in der UdSSR die Voraussetzungen für den Aufbau der Ausrüstungen und für die Unterbringung des deutschen Fachpersonals zu schaffen.10 Doch zurück zu den Vorgängen in Jena im Juli 1945. Am 11. Juli 1945 kam eine Inspektionsgruppe des Volkskommissariats für Bewaffnung nach Jena, der Oberstleutnant Skopinzew von der Artillerie-Verwaltung und die IngenieurMajore Turügin und Winogradow angehörten. Skopinzew hatte vor dem Zweiten Weltkrieg die Zeiss-Lieferungen in die UdSSR abgenommen und die Verbindung zu den sowjetischen Handelsunternehmen in Berlin gehalten. 11 Die Inspekteure nahmen die Laboratorien, Konstruktionsbüros und Werkstätten in Augenschein und zeigten besonderes Interesse für die optischen Militärgeräte. Schließlich erörterten sie mit der Geschäftsleitung, welche Militärgeräte das Werk für die Rote Armee fertigen könnte. Ernst Fischer, der für die Militärgerätefertigung zuständig war, gewann aus einem Gespräch, das er am 17. Juli 1945 mit Turügin geführt hatte, den „Eindruck, daß der Bericht dieser Dreier-Kommission maßgebend sein wird für die seitens des zuständigen Volkskommissariats in Moskau zu fassenden Beschlüsse" über die beste und zweckmäßigste Verwertungsmöglichkeit der Jenaer Potenziale.12 Am 19. Juli 1945 beendeten die drei Abgesandten des Volkskommissariats ihre Inspektion. Wahrend der Oberst nach Moskau zurückkehrte, blieben die Ingenieur-Majore in Jena. In ihrem Inspektionsbericht, der am 18. August 1945 in Moskau vorlag, wurde empfohlen, in den nächsten Monaten einen größeren Kreis von Fachleuten zur Informationsgewinnung nach Jena zu entsenden, den Rüstungsbereich zu demontieren, den „zivilen Teil des Anlagenbaus (gemeint ist der Gerätebau d. V.) im Zentralwerk Zeiss und die Produktion von optischen Gläsern hierfür im Werk Schott" vorerst zu belassen und vollständig wiederherzustellen. Ferner wurde vorgeschlagen, in Jena einen sowjetischen Direktor und einen Hauptingenieur mit dem Auftrag einzusetzen, Planungsdaten für den Wiederaufbau der demontierten Produktionsanlagen in der Sowjetunion zu erarbeiten. 13 Das Volkskommissariat setzte am 28. Juli 1945 eine Technische Kommission im Zeiss-Werk ein, die zunächst von Turügin und Winogradow geleitet wurde.

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Matthias Uhl: Das Ministerium für Bewaffnung der UdSSR und die Demontage der Carl Zeiss Werke in Jena - eine Fallstudie. In: Sowjetische Demontagen in Deutschland 1944-1949. Hintergründe, Ziele und Wirkungen. Hrsg. von Rainer Karlsch/Jochen Laufer unter Mitarbeit von Friederike Sattler. Zeitgeschichtliche Forschungen Band 17, Berlin 2002, S. 119-123. BACZ Nr. 6471 (Aktenvermerk über laufende Besprechungen mit Oberstleutnant Skopinzew am 16. Juli 1945). BACZ Nr. 6471 (Aktenvermerk Ernst Fischer über Besprechung mit Major Turügin vom 17. Juli 1945). Uhl: Das Ministerium für Bewaffnung der UdSSR, S. 118.

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Kurze Zeit später übernahm Generalmajor Nikolajew die Leitung der Rommission. Diese Rommission, die werksintern als sowjetische oder russische Werkskommission bezeichnet wurde, ging, nachdem die Stiftungsunternehmen am 31. Dezember 1945 vom Chef der SMA in Thüringen, Rolesnitschenko, unter Sequester gestellt worden waren, in die Sowjetische Verwaltung der Werke Zeiss und Schott ein. 14 Sie wurde seit Ende 1945/Anfang 1946 vom Chef der 2. Hauptverwaltung im Volkskommissariat für Bewaffnung, Generalmajor Α. E. Dobrowolski, geleitet. Die Hauptverwaltung war für die gesamte feinmechanisch-optische Industrie in der UdSSR verantwortlich. Generalmajor Nikolajew fungierte nun in dieser Verwaltung als Chefkonstrukteur. Die anderen Mitarbeiter der Werkskommission waren weiterhin für die verschiedenen Fachgebiete zuständig. Die Offiziere der sowjetischen Werkskommission hatten zwischen Sommer 1945 und Herbst 1946 ein breites Spektrum von Aufgaben zu bewältigen. Die Hauptaufgabe bestand in der Vorbereitung der vollständigen Demontage der Unternehmen der Carl-Zeiss-Stiftung und der feinmechanisch-optischen Werke in Saalfeld und Gera. Sodann ging es um die systematische Erschließung des Entwicklungsstandes auf dem Gebiet des optischen Militärgerätebaus. Dabei kam es der Werkskommission besonders auf die Weiterführung von ausgewählten Entwicklungsthemen an. Dazu übergab Nikolajew am 7. September 1945 Hugo Schrade eine Liste mit 40 Geräten, deren Entwicklung während des Krieges nicht abgeschlossen werden konnte und an denen das Volkskommissariat ein besonderes Interesse hatte. Er ließ den Geschäftsleiter ferner wissen, daß im Zuge des Ronversionsprozesses nichts zerstört werden dürfe, denn „die reichen Erfahrungen von CZ sollen Rußland zugute kommen". Ob die Fertigung dieser Geräte in Rußland erfolgen werde, sei noch nicht klar. 15 Hugo Schrade, der daran interessiert war, die Entwicklung und Fertigung von Militärgeräten innerhalb des Werkes zu separieren, schlug vor, die Arbeiten an den 40 Mustergeräten in einer besonderen Abteilung auszuführen. In dieser Abteilung mit der späteren Bezeichnung Ronstruktionsbüro Versuchsgeräte (RoV) arbeiteten Ende März 1946 150 Personen unter besonderen Sicherheitsvorschriften. 16 Die Verantwortung für den Bau der Mustergeräte wurde Hans Bachmann und für andere Militärgeräte Georg Rresse übertragen. Am 26. November 1945 erhielt Hugo Schrade von Generalmajor Nikolajew eine Aufstellung der „wichtigsten wissenschaftlich-technischen Aufgaben, welche von der Firma Carl Zeiss selbständig und in Zusammenarbeit mit der Firma Schott durchgeführt werden müssen". Sie enthielt zwölf wissenschaftlich-tech-

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Garde-Generalmajor Rolesnitschenko hatte mit seinem Befehl Nr. 156 vom 31. Dezember 1945 auf „die Fa. Karl Zeiss u. ihre Filialen: Optische Fabrik in Saalfeld, Apparatebau in Saalfeld, Technisches Werk in Gera im Gesamtwert von RM. 93.586.152. - lt. Bilanz" ein „Sequester gelegt" BACZ Nr. 15132. BACZ Nr. 6257 (Vereinbarung über bestellte Entwicklungsarbeiten mit Nikolajew vom 7. September 1945). BACZ Nr. 6359 (Niederschrift über eine Besprechung mit Nikolajew vom 7. September 1945); (Sondergenehmigung zum Betreten der Abt. KoV vom 16. November 1945); BACZ Nr. 9793 (Protokoll der Betriebsleiterbesprechung vom 1. April 1946).

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nische Komplexe auf militärtechnischem Gebiet.17 In einem Schreiben an Hugo Schrade benannte Nikolajew diese Komplexe und die Art der erwarteten Ergebnisse. Die zwölf Komplexe sind in der Tabelle 3 im Tabellenanhang aufgeführt. Für Nikolajew hatten die Arbeiten über das Q i i a r z s c h m e l z e n u n d die ultrarotempfindlichen Zellen Vorrang. Die Werkskommission finanzierte die Bearbeitungskosten aus ihrem eigenen Haushalt. 18 Die Geschäftsleitung setzte für die einzelnen Komplexe Fachleute als verantwortliche Leiter ein.19 Zur sachgerechten Bearbeitung der „Ultrarot-Thematik" wurden Dr. Paul Görlich, Dr. Paul Gänswein, Dr. Alfred Krohs und Ingenieur Werner Haunstein von Zeiss-Ikon Dresden nach Jena geholt.20 Im März 1946 machte Nikolajew sehr detaillierte Vorgaben für die Organisation dieser Arbeiten. Obgleich die Laufzeit verschiedener Themen bis Ende 1946 ausgelegt war, drängte die Werkskommission auf den Abschluß der Arbeiten.21 Die zweite Aufgabe für die Mitarbeiter der sowjetischen Werkskommission bestand darin, dafür zu sorgen, daß Jenaer Techniker und Facharbeiter eine Fertigungsstätte für den Photoapparat Contax in der UdSSR vorbereiten. Zunächst hatte das Zeiss-Werk seit August 1945 Photo-Objektive an Zeiss Ikon in Dresden zu liefern. Im September forderte die Technische Kommission die Fertigung der kompletten Kamera im Zeiss-Werk. Am 17. Oktober 1945 wurde die Geschäftsleitung schließlich angewiesen, für eine Kamera-Fertigung in Kiew bis zum 1. März 1946 die technischen Grundlagen zu schaffen. 22 Dazu gehörten Zeichnungen für alle Einzelteile, Baugruppen, Werkzeuge und Vorrichtungen, die Beschreibung aller Arbeitsgänge, Spezial- und Montagevorschriften usw. sowie Bau und Erprobung von Werkzeugen, Vorrichtungen, Lehren und Spezialmaschinen. Dieser Auftrag konnte erst im September 1947 abgeschlossen werden. 23 Im Februar 1946 erhielt die Geschäftsleitung den Auftrag, eine Optik-Fabrik für die UdSSR zu entwerfen. Der dazu gebildete Optikplanstab aus Ingenieuren, Technikern und Meistern schuf eine umfassende Dokumentation über die Optikfertigung. Erstmals wurde in 18 Bänden der technologische Prozeß zur Herstellung von optischen Elementen und -systemen aus einer modernen ingenieurtechnischen Sicht beschrieben. 24 17

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BACZ Nr. 13449 (Niederschrift über eine Besprechung mit der sowjetischen Werkskommission am 26. November 1945). BACZ Nr. 4900 (Technisch-wissenschaftliche Entwicklungs-Aufgaben - Generalmajor Nikolajew vom 26. November 1945). BACZ Nr. 4900 (Bearbeiter der Technisch-wissenschaftlichen Entwicklungs-Aufgaben). Information von Werner Haunstein. BACZ Nr. 4900 (Die wichtigsten wissenschaftlich-technischen Aufgaben, welche von der Carl Zeiss selbständig und in Zusammenarbeit mit der Firma Schott durchgeführt werden müssen (Bestellung der Kommission NKW) vom 26. November 1945). BACZ Nr. 15127 (Besprechung zwischen Turügin, Schrade und v. Hohlbeck am 17. Oktober 1945); BACZ Nr. 647 (Contax-Objektive und von Carl Zeiss gefertigtes Zubehör. 11. September 45). BACZ Nr. 4718 (Befehl von Major Selenin vom 12. September 1947). Edith Hellmuth: Die Entwicklung des VE Β Carl Zeiss JENA 1945-1954 als Bestandteil der Wirtschaftsentwicklung und Wirtschaftsstruktur der sowjetischen Besatzungszone und der DDR. Abschlußarbeit Humboldt-Universität Berlin 1989, S. 20.

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Die Mitglieder der Werkskommission kontrollierten schließlich, daß der Auftrag der Versorgungsabteilung der Hauptpolitverwaltung der Roten Armee vom Frühherbst 1945, 5.000 Filmvorführgeräte nach einem sowjetischen Modell zu fertigen, ausgeführt wurde. 25 Im Dezember 1945 begann die Fertigung des Tonkinokoffers Κ 25 und im Frühjahr 1946 des verbesserten Κ 101.26 Von beiden Modellen wurden insgesamt 3.500 Stück an die Rote Armee ausgeliefert. 27 Dabei waren außerordentliche Schwierigkeiten zu bewältigen, die vor allem aus dem desolaten Zustand der Zulieferindustrie resultierten. Darüber hinaus forderte Generalmajor Nikolajew die Konstruktion Abb. 3 Betriebsleiter Rudolf Müller und eines vollkommen neuen Apparates. Major Lebedew am Tonkinokoffer R 25. 1. März 1946 Unter der Bezeichnung D 15 entstand ein Gerät, das seit 1947 in der Optischen Anstalt Saalfeld in einer größeren Stückzahl produziert wurde und einen breiten Abnehmerkreis fand. 28

Die Reparationslieferungen 1945 und 1946 Die sowjetischen Vorgaben für 1946 Ab Herbst 1945 trat die dritte Aufgabe der Werkskommission in den Vordergrund. Sie hatte dafür Sorge zu tragen, daß die verschiedenen sowjetischen Dienststellen mit Zeiss-Erzeugnissen aus der laufenden Produktion versorgt wurden. Empfanger waren wissenschaftliche Einrichtungen, staatliche Handelsorganisationen, die die Rote Armee und die Zivilbevölkerung in der UdSSR mit Konsumgütern belieferten, sowie sowjetische Außenhandelsunternehmen. Nachdem die 25

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Iwan Sosonowitsch Kolesnitschenko: Im gemeinsamen Kampf für das neue antifaschistischdemokratische Deutschland entwickelte und festigte sich unsere unverbrüchliche Freundschaft. Beiträge zur Geschichte Thüringens (Hrsg. SED Bezirksleitung Erfurt, Bezirkskommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung), Erfurt 1985, S. 53-34. BACZ Nr. S 95 (WL. Bericht der Technischen Direktion über das Zeiss-Werk). BACZ Nr. 15834 (Entwurf eines Schreibens von Carl Zeiss Jena an die Finanzabteilung der SMATh vom 11. August 1947). BACZ Nr. 13449 (Niederschrift über eine Besprechung mit der sowjetischen Werkskommission vom 26. November 1945); BACZ Nr. S 95 (Bericht der Technischen Direktion über das Zeiss-Werk).

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SMAD im Oktober 1945 die Organisation und Finanzierung der Reparationslieferungen aus der laufenden Produktion ostdeutscher Betriebe neu geregelt hatte, verlangte die Werkskommission Anfang November 1945 von der Geschäftsleitung die Vorlage eines Produktionsplans für das Jahr 1946. Damit wurde das Stiftungsunternehmen vom sowjetischen Planungssystem erfaßt, denn nun bestimmte nicht mehr die Geschäftsleitung den Umfang und die inhaltliche Ausrichtung des Produktionsprogramms, sondern die 2. Hauptverwaltung des Volkskommissariats für Bewaffnung bzw. die Abteilung für Reparationen und Lieferungen bei der SMAD. Die Geschäftsleitung hatte aufgrund der gegebenen Bedingungen für 1946 ein mögliches Produktionsvolumen von 83,2 Millionen RM errechnet und angegeben. Damit zeigte sich die sowjetische Seite nicht zufrieden. In einer Besprechung, die der Leiter der Abteilung für Reparationen und Lieferungen, Generalmajor Sorin, am 17. November 1945 mit den ZeissGeschäflsleitern in Berlin-Karlshorst führte, ging es vor allem um die Reparationsleistungen, die vom Zeiss-Werk erwartet wurden. Der Generalmajor erklärte den Geschäftsleitern: „Die Firma ist verpflichtet, in erster Linie ihre gesamte (oder fast gesamte) Produktion für die Aufträge der ARL (Abteilung für Reparationen und Lieferungen d. V.) zu reservieren. Die Produktion CZ wird durch die ARL blockiert. Direkte Belieferung an russische Bedarfsträger ohne Bestellungsverfügung der ARL ist nicht mehr gestattet, ausgenommen die bei Photo und Telez29 laufenden alten Aufträge". 30 Sorin hielt das von der Geschäftsleitung für 1946 vorgesehene Produktionsvolumen für zu gering und verwies auf den Umsatz im Jahre 1944, der zwischen 215 und 240 Millionen RM betragen habe. Hugo Schrade machte den Generalmajor darauf aufmerksam, daß die Umsatzzahlen der Kriegsjahre nicht nur die Leistungen des Zeiss-Werkes enthalten, sondern auch die der Zulieferfirmen. Ohne diese Zulieferungen habe sich der ZeissUmsatz lediglich auf 87 Millionen RM belaufen. Hugo Schrade äußerte gegenüber dem Generalmajor noch die Bitte, die Ernährung der Belegschaft sicherzustellen. Tatsächlich wurde Jena zum 1. November 1945 als Industriestadt eingestuft, worauf sich die Lebensmittelversorgung in Jena etwas verbesserte. 31 Die Geschäftsleitung erhöhte das für 1946 geplante Produktionsvolumen auf 116 Millionen RM.32 Major Selenin, in der Werkskommission für die Produktionsplanung zuständig, überarbeitete die Proportionen zwischen den Warengruppen nochmals. So reduzierte er die vorgesehenen Fertigungsstunden für die Warengruppen Mikroskope, Medizinische Geräte, Vermessungsgeräte, Feinmeßgeräte sowie für Feldstecher und erhöhte sie bei Analysenmeßgeräten. 33 Diese Vorgaben

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Betriebsinternes Kürzel für die Warengruppe Fernrohre (Feldstecher, Zielfernrohre). BACZ Nr. 15293 (alt) (Besprechung bei der Abteilung für Reparationen und Lieferungen bei der SMAD vom 17. November 1945). BACZ Nr. 26785 (alt) (Lebensmittelversorgung 1945). BACZ Nr. 6497 (Übersicht über den Produktionsplan und dessen Erfüllung in den Quartalen I.-IV. 1946). BACZ Nr. 15293 (alt) (Besprechung mit Major Selenin über Produktionsplan für 1946 am 26.27. Dezember 1945); Nr. 8043 (Übersicht über die von Major Selenin vorgenommene Programmänderung); Nr. 8233 (Protokoll der Betriebsleiterbesprechung vom 4. Januar 1946).

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erwiesen sich 1946 ohnehin nur als vorläufig, denn die konkrete Auftragslage änderte sich ständig. Die Probleme bei der Planerfüllung Da die Geschäftsleitung den auf Druck von Generalmajor Sorin und der Werkskommission neu zusammengestellten Produktionsplan für das Jahr 1946 als unrealistisch ansah, entschloß sie sich am 26. Dezember 1945, der Werkskommission für das I. Quartal 1946 einen Plan in zwei Varianten einzureichen. Die erste Variante enthielt das auferlegte Produktionssoll und die zweite den vermutlich erreichbaren Produktionsumfang. Die Geschäftsleitung wählte diesen Weg, um sich gegen eine Konventionalstrafe abzusichern, die in dem Falle drohte, daß die vorgeschriebenen Lieferungen an die UdSSR nicht termingemäß erfolgten. Die zweite Variante wurde wie folgt begründet: „Zweck dieser Liste ist nicht nur unsere Sicherung gegenüber den Russen hinsichtlich der Konventionalstrafe, sondern auch, um zusammen mit den Russen zu versuchen, die eingetretenen Schwierigkeiten zu beheben."34 Tatsächlich zeigte sich schon nach wenigen Wochen, daß die sowjetischen Vorstellungen von der Leistungsfähigkeit des Jenaer Unternehmens in diesen Zeiten unrealistisch waren, denn der für das I. Quartal 1946 vorgeschriebene Umsatz ließ sich nicht erreichen. So verhielt es sich auch in den folgenden Quartalen, so daß sich die Werkskommission ungeachtet aller Drohungen gegenüber der Geschäftsleitung genötigt sah, die Produktionsauflagen zu reduzieren. 35 Dafür gab es mehrere Ursachen. Das Zeiss-Werk erhielt nicht mehr die nötigen Zulieferungen. Die Gußlieferungen aus Sachsen und Thüringen waren nahezu vollständig ausgefallen, denn die Gießereien verfügten weder über Roheisen noch über geeignete Brennstoffe. Es mangelte an Elektroerzeugnissen für die Geräte, die man bis Kriegsende vornehmlich aus Süd- und Westdeutschland bezogen hatte. Ebenso verhielt es sich mit schwarzmetallurgischen Halbzeugen, speziellen Chemikalien, Diamanten, Spiegelglas, Werkzeugen usw., die bis Kriegsende ebenfalls aus Westdeutschland geliefert wurden. Die Versuche, in der Ostzone Ersatz zu schaffen, hatten nur geringen Erfolg, weil den einschlägigen Unternehmen selbst Roh- und Brennstoffe fehlten. Viele Firmen waren wegen Bombenschäden und Demontage lieferunfahig. Im Zeiss-Werk selbst bestanden betriebliche Engpässe. Die Teilerei war der geforderten Produktionssteigerung kapazitiv nicht gewachsen. So fehlten vier automatische Kreisteilmaschinen und zwei bis drei Maschinen zur Herstellung der linearen Teilung, um den Anforderungen zu genügen. Der Mangel an Gußteilen

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BACZ Nr. 4902 (Erstellung von zwei Listen für Fertigung und Lieferungen vom 26. Dezember 1945). BACZ Nr. 6497 (Übersicht über den Produktionsplan und dessen Erfüllung in den Quartalen I-IV. 1946 vom 19. Juni 1946).

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ließ die Eigenanfertigung dieser Maschinen nicht zu. Die Tischlerei und die Mikroskopfasserei waren durch Bombenschäden nicht voll arbeitsfähig. Obendrein war die Tischlerei durch die vielen Einzelanfertigungen für die Besatzungstruppen über Gebühr beansprucht. Ein Umzug der Fertigungsstätten in geeignete Räumlichkeiten ließ sich wegen fehlender Transportmittel nicht bewerkstelligen. In den betrachteten Wochen und Monaten gelang es nicht, die im Zeiss-Werk üblichen Arbeitsleistungen zu erbringen. Es fehlte an eingearbeiteten Arbeitskräften. Ein großer Teil der qualifizierten Arbeiter befand sich noch in Kriegsgefangenschaft. Neu eingestellte Arbeitskräfte mußten erst eingearbeitet werden. Die Übersiedlung von Fachkräften in die amerikanische Zone hatte eine empfindliche Lücke gerissen. Eine nennenswerte Anzahl fachlich versierter Belegschaftsmitglieder war von sowjetischen Dienststellen aus unterschiedlichen Gründen festgenommen worden. Das Mehrschichtsystem konnte nicht ohne weiteres wieder eingeführt werden, weil die Arbeitswege in den Abend- und Nachtstunden unsicher und die Verkehrsverbindungen höchst unstet waren. All das führte dazu, daß das Werk nur 70 Prozent der Friedensleistung erbrachte. 36 Der zwischen November 1945 und Dezember 1946 erzielte Umsatz sowie der Teil, der von den sowjetischen Besatzungsbehörden davon in Anspruch genommen wurde, ist in der Tabelle 4 im Tabellenanhang aufgeführt. Um die Produktion wieder in Gang zu setzen und die sowjetischen Aufträge auszuführen, war die Geschäftsleitung genötigt, bei der Landesbank Thüringen erhebliche Kredite aufzunehmen. In einem Briefentwurf an das Landesamt für Finanzen beschreibt Dr. Friedrich Wonne die Situation Ende 1946 so: „Wir haben nach der Besetzung Thüringens durch die Russen am 1.7.1945 auf russischen Befehl unsere Fabrikation in großem Umfang ausbauen müssen, um den Forderungen der Russen auf Lieferungen von Geräten für Reparationen nachkommen zu können. Diese Vergrößerung ist gegen unseren Willen erfolgt, denn wir hätten von uns aus die Werke höchstens bis zu einer Belegschaft von 7-8.000 Personen ausgebaut. Da die Anlagen und Vorräte für Reparationslieferungen von uns angeschafft wurden, erscheint es recht und billig, daß sie auch seitens der Russen als Reparationslieferungen und nicht als Kriegsbeute behandelt werden, zumal die Reparationslieferungen ausschließlich aus Zivilgeräten bestanden."37 Die Firma Carl Zeiss nahm im zweiten Halbjahr 1945 drei Kredite von insgesamt 10.496.000 RM auf, von Februar bis Ende November 1946 kamen weitere Kredite in Höhe von 142.960.000 RM hinzu. Davon machten die Reparationskredite 49,8 Prozent aus. Diesen Verbindlichkeiten standen Forderungen an die sowjetischen Auftraggeber in Höhe von 38,2 Millionen RM gegenüber. Hinzu kam die Erwartung, daß der Antrag vom 14. April 1946 auf Preiserhöhung für die Zeiss-Erzeugnisse eine Nachzahlung von zehn Millionen RM erbringt. Diesen

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BACZ Nr. 8043 (Schreiben von Hugo Schrade an die sowjetische Werkskommission vom 21. Dezember 1945). BACZ Nr. 19667 (Briefentwurf an das Landesamt für Finanzen vom 21. November 1946).

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Antrag hatte man damit begründet, daß die Stopp-Preise von 1944 die tatsächlich entstandenen Rosten nicht decken. Bis Ende Oktober 1946 war die geforderte Preiserhöhung noch nicht genehmigt worden. 38 Nachdem die Offiziere des Volkskommissariats bzw. Ministeriums für Bewaffnung 39 die inhaltliche Ausrichtung der Forschung, Entwicklung und Fertigung übernommen hatten, blieb der Geschäftsleitung kein Spielraum mehr, um ihre strategischen Intensionen vom Juli 1945 zu realisieren. Der Ronversionsprozeß wurde durch die Entwicklungsaufträge für optische Militärgeräte unterbrochen. Es mußten profilfremde Aufträge ausgeführt werden. Dazu gehörte die Konstruktion des neuen Tonkinokoffers und dessen Fertigung in großen Stückzahlen sowie die Entwicklung und der Bau von Ausrüstungen für eine Fabrikationsstätte für Photoapparate. Diese Aufträge erlaubten auch nicht, sich von der Geraer Technischen Werkstätte GmbH und der Saalfelder Apparatebau-Gesellschaft mbH zu trennen, die auf Initiative der Wehrmacht ausschließlich zur Herstellung von Rüstungsgütern entstanden waren. Die Reparationslieferungen zwangen dazu, die Fertigungskapazitäten stark zu erweitern. Auch das lag nicht in der ursprünglichen Absicht der Geschäftsleitung, denn es war nicht abzusehen, ob es für diese Kapazitäten nach dem Ende der Reparationsverpflichtungen noch genügend Beschäftigung geben werde. Unter dem Gesichtspunkt des Ministers für Bewaffnung war diese Kapazitätserweiterung natürlich von Vorteil, denn der vergrößerte Ausrüstungspark schlug bei der geplanten Demontage für die Sowjetunion zu Buche. Andererseits ermöglichten die sowjetischen Aufträge, insbesondere die Reparationslieferungen aus der laufenden Produktion, die Stammbelegschaft zusammenzuhalten und zu ergänzen. Viele Arbeitskräfte aus Jena und Umgebung, die während des Krieges zur Arbeit in das Zeiss-Werk dienstverpflichtet waren, darunter vornehmlich Frauen und Mädchen, die wieder eine Beschäftigung im Zeiss-Werk aufnahmen, erhielten nicht nur Verdienstmöglichkeiten, sondern auch Lebensmittelkarten, die dazu berechtigten, größere Lebensmittelrationen zu kaufen. Während im November 1945 7.593 Beschäftigte besondere Lebensmittelkarten erhielten, waren es am 27. September 1946 12.532. Davon erhielten 4,8 Prozent die Schwerstarbeiterkarte, 49,2 Prozent die Schwerarbeiterkarte, 42,0 Prozent die Arbeiterkarte und vier Prozent die Lebensmittelkarte für Angestellte.40 Beides, Verdienstmöglichkeiten und Lebensmittelkarten, war in diesen Monaten lebenswichtig. Die Einwohner der sowjetischen Besatzungszone hatten zu dieser Zeit keinen Zugang zu ihren Ersparnissen auf Banken und Sparkassen.

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BACZ Nr. 19667 (Briefentwurf an das Landesamt für Finanzen vom 23. November 1946). Am 15. März 1946 wurde das Gesetz über die Umbildung des Rates der Volkskommissare und den Ministerrat der UdSSR erlassen, danach wurde das Volkskommissariat Ministerium für Bewaffnung. BACZ Nr. 26785 (alt) (Lebensmittelkarteneinstufung. 27. September 1946).

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Deportation, Demontage und Widerstand Der Befehl aus Moskau und der Widerstand gegen den vollständigen Abbau des Zeiss-Werkes In der Nacht vom 21. zum 22. Oktober 1946 läuteten sowjetische Militärs an den Wohnungen von 275 Zeissianern und 12 Schott-Mitarbeitern und teilten den aus der Nachtruhe Aufgeschreckten mit, daß die Sowjetische Militäradministration angeordnet hat, die „Firma, in der Sie bisher gearbeitet haben, zusammen mit dem technischen Personal, für die weitere Arbeit nach der Sowjetunion" zu verlegen. „Mit dieser Firma werden Sie ebenfalls für die Arbeit in die Sowjetunion mobilisiert.... Jetzt sind Sie verpflichtet, insgesamt mit Ihrer Familie, Ihrem Hab und Gut, Eisenbahnwagen zu besteigen.... Bei der Packung Ihrer Sachen in die Wagen werden Ihnen die Soldaten behilflich sein".41 Unter den für einen Arbeitseinsatz in der UdSSR ausgewählten Zeissianern befanden sich nach Angaben von Victor Sandmann etwa 36 Mitarbeiter aus dem wissenschaftlichen Bereich, 100 aus der Konstruktion und 130 aus der Fertigung.42 Zu ihnen gehörten auch Zeissianer, die, wie Dr. Karl Gundlach und der Entwicklungsleiter Artur Pulz, das Pensionsalter bereits oder fast erreicht hatten. Als der Konstrukteur Walter Kabisius von seinem Abtransport erfuhr, erlitt er einen Herzanfall, dem er kurze Zeit später erlag.44 Hugo Schrade wurde am Vormittag des 22. Oktober 1946 gegen 11 Uhr von Generalmajor Dobrowolski über den Demontagebefehl informiert. Der Chef der sowjetischen Verwaltung ließ ein Schreiben an den Geschäftsleiter verlesen, in dem ihm diese Tatsache mitgeteilt wurde und in dem die Maßnahmen enthalten waren, die Hugo Schrade umgehend einzuleiten hatte. Nachdem das Schreiben verlesen worden war, warnte Dobrowolski vor Sabotage beim Abbau und Verpacken des Demontagegutes durch die Belegschaftsmitglieder und drohte Strafen an. Hugo Schrade konnte erreichen, daß das Werk wie bisher in Betrieb blieb, „um ein Chaos zu vermeiden und um die Aufräumungsarbeiten zu erleichtern". Auf die Frage von Hugo Schrade, „ob Teile zurückbleiben, wird von Generalmajor Dobrowolski mitgeteilt, daß im Laufe des heutigen Nachmittags oder morgen nähere Anweisungen erfolgen, welche Teile zurückbleiben". Schrade erfuhr dann lediglich, daß die Arbeiten am Contax-Programm fortgeführt werden. Unmittelbar nach dem Treffen mit dem Chef der Werkskommission unterrichtete Hugo Schrade die Geschäftsleiter und Betriebsräte der Stiftungsunternehmen von der neuen Situation.

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BACZ Nr. 8323 (Informationen an die Mitarbeiter der Werke Zeiss und Schott über ihre Arbeitsverpflichtung in die UdSSR vom 21. Oktober 1946). VA Nr. 5886 (Brief von Victor Sandmann an Paul Henrichs vom 29. Oktober 1946). BACZ Nr. 6730 (Verzeichnis der im Okt. 1946 nach der Sowjetunion deportierten Spezialarbeitskräfte des Zeisswerkes); Nr. 23736 (Namenslisten über die Rückkehr der Zeiss-Spezialisten aus der SU 1951-1953). VA Nr. 5886 (Brief von Victor Sandmann an Paul Henrichs vom 29. Oktober 1946).

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Nur wenige Stunden nach Bekanntwerden der Deportationen und des Demontagebefehls begannen die Aktionen gegen den zu Recht befürchteten vollständigen Abbau der beiden Stiftungsunternehmen. Sie erfolgten auf verschiedenen Ebenen und aus unterschiedlichen Interessen. Von den Deutschen, die sich gegen eine totale Demontage der Stiftungsunternehmen wandten, sprach sich keiner gegen die Verpflichtung Deutschlands zur Wiedergutmachung der Schäden aus, die die deutsche Wehrmacht in der UdSSR angerichtet hatte. Sie waren aber der Ansicht, daß deshalb ein gut funktionierender und komplizierter Wirtschaftsorganismus nicht zerstört werden muß, denn es war durchaus möglich, die Wiedergutmachungsleistungen in Form von feinmechanisch-optischen Erzeugnissen, Meß- und Prüfmitteln und speziellen Ausrüstungen zu erbringen. Die Geschäftsleitung hatte unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Demontagebefehls entsprechende Angebote unterbreitet. 45 In Jena, Weimar und Berlin wirkten unterschiedliche politische Kräfte zusammen, um die totale Demontage der Werke Zeiss und Schott zu verhindern. Der Stiftungskommissar, die Geschäftsleiter und Betriebsräte, der thüringische Ministerpräsident sowie Funktionäre der SED intervenierten bei der Sowjetischen Militäradministration gegen die Demontage. Selbst Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl, die Vorsitzenden der SED, setzten sich beim Obersten Chef der SMAD dafür ein, daß Werksausrüstungen in Jena verbleiben. Letztlich war aber wohl das Interesse der Sowjetischen Militäradministration dafür ausschlaggebend, daß die Jenaer Unternehmen nicht vollends abgebaut wurden, sondern in Kernen erhalten blieben. Als Sokolowski von der beginnenden Demontage in Jena erfuhr, wandte er sich an Stalin. Er plädierte dafür, die Ausrüstungen in Jena zu belassen, die erforderlich waren, um die sächsische Kameraindustrie mit Objektiven für Photo- und Kino-Apparate zu beliefern, denn die Kameraindustrie hatte erhebliche Reparationsleistungen zu erbringen. Für das Reparationsaufkommen war letztlich Sokolowski verantwortlich. Noch im September 1946 hatte ein sowjetischer General das Zeiss-Werk damit beauftragt, monatlich 6.000 Photo-Objektive an die Dresdner Kamera-Werke zu liefern. 46 Es mag für Sokolowskis Einspruch aber auch noch politische Gründe gegeben haben, denn die Demontage der feinmechanisch-optischen Unternehmen in Thüringen erfolgte zur gleichen Zeit, in der auch andere größere Produktionsstätten in Ostdeutschland abgebaut wurden. Darunter befanden sich die Junkers-Werke in Dessau, die Henschel-Werke in Staßfurt, die Siebel-Werke in Halle, mehrere große Druckereien und Brennstoff- und Energieerzeuger. 47 Das hatte nicht nur Auswirkungen auf das wirtschaftliche Gefüge in der sowjetischen Besatzungszone, sondern auch auf die Stimmung in der Bevölkerung. Beides erschwerte den politischen Auftrag der SMAD, in Ostdeutschland die gesellschaftspolitischen Verhältnisse im Sinne der UdSSR zu verändern. Im Alliierten Kontrollrat zeigten die west-

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BACZ Nr. 1748 (Vorschläge der Fa. Carl Zeiss). BACZ Nr. 14985 (Stand der Demontage). Reiner Karisch: Allein bezahlt. Die Reparationsleistungen der SBZ/DDR 1945-53, Berlin 1993, S. 80.

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liehen Vertreter zu diesem Zeitpunkt ohnehin kein Verständnis mehr für die Reparationspolitik der UdSSR. So nahm der Leiter der Wirtschaftspolitischen Abteilung, Friedrich Wonne, am 2. November 1946 ein Telefonat entgegen, in dem ein Mitarbeiter der Berliner Zeiss-Filiale darüber berichtete, daß in der kommenden Woche ein Alliierter Rontrollausschuß gebildet werden soll, der sich mit den jüngsten Demontagen und Deportationen in der Ostzone befassen wird. 48 Sokolowskis Intervention bei Stalin hatte Erfolg. Auf Stalins Anweisung legte der Ministerrat der UdSSR am 5. November 1946 fest, daß sechs Prozent der Gesamtkapazität des Zeiss-Werkes von der Demontage auszunehmen sind. Wahrscheinlich hatte Sokolowski vorgeschlagen, zehn Prozent der Gesamtkapazität in Jena zu belassen, denn diese Aussage erhielten Rudolf Jobst, Erich Matthes, Otto Marquardt und der Betriebsratsvorsitzende des Schott-Werkes, Eduard Heintz, am 7. November 1946 in einer Besprechung mit Otto Grotewohl und Wilhelm Pieck. In der Aktennotiz über diese Besprechung bei den Parteivorsitzenden, die Hermann Fechner, Vertreter des FDGB Thüringen, angefertigt hat, ist dazu vermerkt: „Im Laufe der Aussprache gaben dann die Genossen Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl einen Bericht über die bis zur Stunde mit der SMA Rarlshorst erzielten Übereinkünfte. Dabei ist wesentlich zu bemerken, daß seitens der SMA Rarlshorst die grundsätzliche Zusage erfolgte, daß in den beiden Betrieben ein Grundstock zum Wiederaulbau bzw. zur Wiederentwicklung einer Friedensproduktion gelassen wird. Da über die Höhe des Prozentsatzes der verbleibenden Betriebskapazität noch keine endgültige Festlegung erfolgte, sondern nur mit ungefähr 10 % gerechnet wird."49 Ustinow, der seinerseits bei Stalin Einwände gegen das Ersuchen von Sokolowski vorbrachte, hatte offensichtlich dafür gesorgt, daß lediglich sechs Prozent der Produktionskapazität von der Demontage ausgenommen werden. Er ordnete am 15 November 1946 auch an, nichts von den Laboratorien und Produktionslinien zu hinterlassen, das für sein Ministerium von Interesse war.50 Nachdem klar war, daß das Zeiss-Werk aus sowjetischer Sicht Zulieferbetrieb der Rameraindustrie wird, begannen zwischen der Geschäftsleitung und der Sowjetischen Verwaltung der Werke Zeiss und Schott zähe Verhandlungen über Umfang und Qualität der Ausrüstungen, die in Jena verbleiben müssen, damit die erwarteten Leistungen erbracht werden können. Es mußte sich die Industrieverwaltung bei der Sowjetischen Militäradministration einschalten, damit ein Minimum der benötigten technischen Ausstattung zurückgelassen wurde. Nachdem Hugo Schrade zur Renntnis genommen hatte, daß zehn Prozent der Fertigungskapazität in Jena verbleiben, begann er sofort mit der Wiederaufbauplanung. Am 9. November 1946 unterbreitete er Generalmajor Dobrowolski in einem Gespräch erste Vorschläge für die Wiederaufnahme der Produktion 51

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BACZ Nr. 8086 (Demontage. Sowjetische Anordnungen). BACZ Nr. 14986 (Aktennotiz betrifft Demontage der Firmen Zeiss und Schott Jena vom 7. November 1946). Uhl: Das Ministerium für Bewaffnung, S. 129. BACZ Nr. 4699 (Schreiben der Geschäftsleitung an Dobrowolski vom 10. November 1946).

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und ließ zwei Tage später Zeichnungen für eine künftige Fertigung heraussuchen. Er beauftragte Karl Müller, Leiter der Planungsstelle, den Teil des Maschinenparks zusammenzustellen, der von der Demontage auf jeden Fall ausgenommen werden muß. Müller schlug vor, daß von den 10.600 Maschinen, über die das Werk im Oktober 1946 verfügte, 700 Groß- und 250 Rleinmaschinen in Jena verbleiben. Nach den Plänen von Schrade und Müller sollte das künftige Fertigungsprogramm Brillen, Photo-Objektive, medizinische Geräte, Mikroskope und Feinmeßgeräte umfassen. Aufgrund der alliierten Bestimmungen wollte man auf die Herstellung von geodätischen und astronomischen Geräten, Bildmeßgeräten und Feldstechern verzichten. Friedrich Wonne ersuchte Schnittger, der in der Zentralverwaltung für Industrie für die feinmechanisch-optische Industrie zuständig war, bei der SMAD dafür einzutreten, daß die Gitterteilmaschine und die 1 m-Teilmaschine nicht weggebracht werden, da sie durch den Transport ohnehin unbrauchbar würden. Schnittger sollte sich ferner dafür einsetzen, daß Maschinen und Einrichtungen vom Abtransport ausgenommen werden, die für eine leistungsfähige Fabrik unerläßlich waren, das betraf auch die Produktionsmittel, von denen nur ein Exemplar in Jena existierte. Wonne wollte durch Schnittger auch erfahren, ob Material und Maschinen, die nach dem 8. Mai 1945 angeschafft wurden, ebenfalls der Demontage unterliegen. 52

Der Demontageverlauf Die Demontagearbeiten begannen Anfang November 1946 und zogen sich bis Mitte März 1947 hin. Während der Demontage liefen die Arbeiten für das ContaxProgramm und die Reparationsaufträge weiter. Aber so wie die Abbauarbeiten voranschritten, kam die Produktion zum Erliegen. In der ersten Novemberhälfte 1946 bauten die Soldaten der Trophäenbrigade den Ausrüstungspark systematisch ab. Von den insgesamt 8.700 Belegschaftsmitgliedern arbeiteten am 8. November 1946 76 Prozent für die Demontagebrigade, 6,5 Prozent waren noch mit der Contax-Fertigung und 17,5 Prozent mit Reparationsaufträgen beschäftigt.53 Mitte November 1946 ließ Dobrowolski die Demontagearbeiten beschleunigen. Da die Beschäftigten des Zeiss-Werkes nicht ausreichten, um die anfallenden Arbeiten zu bewältigen, forderte Dobrowolski Arbeitskräfte vom Jenaer Arbeitsamt an.54 Unter dem 15. November 1946 vermerkt ein Bericht der Fertigungsbetriebsleitung, daß in den einzelnen Abteilungen - die Contax-Fertigung ausgenommen 90 bis 100 Prozent der Maschinen für den Abtransport bereit stehen. 53 Um die

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BACZ Nr. 8086 (Schreiben von Wonne an Schnittger vom 13. November 1946). BACZ Nr. 8086 (Demontage im Zeiss-Werk); 14985 (Stand der Demontage). BACZ Nr. 27200 Tagebuch des Betriebsrates (Eintragung vom 13. November 1946). BACZ Nr. 9796 (Bericht der FBL vom 15, November 1946).

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Maschinen auf den Werkshof zu bringen, mußten oftmals die Gebäudewände aufgerissen werden, und über die Qualität der Transportverpackung wird in einem Bericht festgehalten: „Die Art der Verpackung ist sehr primitiv und höchstwahrscheinlich von kurzer Lebensdauer. Um jede Maschine wird ein Balkengestell gebaut, das mit Maschinenschrauben zusammengeschraubt wird. Die Löcher für die Maschinenschrauben werden oft nur in einem Abstand von 4-5 cm vom Balkenende gebohrt, so daß die Balken jetzt schon aufspalten. Das fertig zusammengeschraubte Balkengestell wird dann von außen mit Brettern verschlagen. Die Innenseite der Riste wird mit ungesandeter Dachpappe ausgekleidet. Die Oberseite der Riste wird nicht mit Dachpappe abgedeckt, so daß der Ristendeckel durch Regenwasser und Schnee zerstört werden kann."56

Abb. 4 Verpacken von demontierten Maschinen im Zeiss-Werk. November 1946

Mitte November 1946 begann der Abtransport des Demontagegutes, und am 12. Dezember 1946 gibt ein Bericht an, daß die Hälfte der Maschinen und zwei Drittel der Werkzeuge bereits in die UdSSR gebracht worden sind.57 Gegen Jahresende ging die Trophäenbrigade dazu über, aus den Werksgebäuden die

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BACZ Nr. 14985 (Stand der Demontage). BACZ Nr. 14985 (Stand der Demontage).

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Einrichtung für den Transport von Medien - elektrische Leitungen, Preßluft-, Gas- und Wasserleitungen -, Türen und Fenster, einschließlich der Rahmen, die Heizungsanlagen, eingebaute Schränke usw. zu entfernen. Dafür hatte die Werkskommission am 9. Dezember 1946 eine „Instruktion über die Demontage von Inneneinrichtungen von Räumen" herausgegeben, in der auch sehr eingehend beschrieben wird, was beim Abbau der sanitären Einrichtungen zu beachten ist: „Vor der Abnahme der Klosettbecken und der Pissoire sind diese mit Soda und Chlorkalk zu reinigen. Nach der Abnahme erfolgt eine zweite Reinigung mit Soda und Chlorkalk."58 Dieser Teil der Demontage hatte offensichtlich eine Doppelfunktion. Er diente einerseits dazu, die Voraussetzungen für eine Infrastruktur in den sowjetischen Werken zu schaffen. Zum anderen sollten dadurch die Werksgebäude für eine Wiederverwendung weitgehend unbrauchbar gemacht werden. Von der vollständigen Zerstörung waren lediglich diejenigen Gebäude ausgenommen, in denen die Contax-Arbeiten ausgeführt und die für das Photo-Optik-Programm der SMAD benötigt wurden. Im Verlauf der Demontage kam es immer wieder zu Konflikten zwischen den Zeissianern und Offizieren und Soldaten der Trophäenbrigade. Die Geschäftsleitung und der Betriebsrat mußten sich mit dem sowjetischen Führungspersonal über die Entlohnung der Belegschaftsangehörigen auseinandersetzen, denn die Trophäenbrigade war für die Bezahlung der deutschen Arbeitskräfte zuständig. Sie hatte dafür ein Budget, das aber offensichtlich in Moskau zu knapp bemessen worden war. Zudem wollte die Trophäenbrigade lediglich die deutschen Arbeitskräfte entlohnen, die die Abbauarbeiten ausführten. Dazu waren sie aber nur in der Lage, wenn der gesamte Betriebsorganismus funktionierte. Die Arbeitskräfte, die das ermöglichten, es waren am 2. Dezember 1946 immerhin 1.093 Personen, standen nicht auf den Personallisten der Brigade und erhielten deshalb auch keinen Lohn.59 Die Geschäftsleitung verlangte aber, auch diese Arbeitskräfte aus dem Brigade-Budget zu bezahlen. Die Entlohnung durch die Trophäenbrigade erfolgte höchst unregelmäßig. Erich Matthes erwähnte in einem Gespräch, das er am 15. Januar 1947 mit Walter Ulbricht führte, daß nahezu 1.500 Arbeiter sieben Wochen ohne Lohn geblieben waren und mehrere tausend Arbeiter nur unregelmäßig entlohnt worden sind.60 Otto Marquardt vermerkt unter dem 26. November 1946 im Betriebsratstagebuch, daß die Arbeiter Schiemann und Helfrich sowie die Hälfte der Kollegen ihrer Arbeitsstelle lediglich einen Stundenlohn erhalten, der unter einer RM liegt. Die Betriebsräte mußten bei den Offizieren sowohl auf die Bezahlung der Überstunden als auch auf die dazu gehörenden Zuschläge in

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BACZ Nr. 9796 (Instruktion über die Demontage von Inneneinrichtungen von Räumen vom 9. Dezember 1946). BACZ Nr. 19205 (Lohnzahlung an Demontagekräfte). BACZ Nr. 14912 (Matthes: Notiz über eine Besprechung bei Walter Ulbricht am 29. November 1946).

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Höhe von 20 Prozent drängen. Ebenso gab es Probleme bei der Bezahlung von Feiertagszuschlägen, Trennungsentschädigungen und bei der Fahrgeldrückerstattung. Gegen Ende des Jahres 1946 stellte sich bei Verhandlungen mit der Werkskommission heraus, daß das Ministerium für Bewaffnung in der Annahme, die Demontagearbeiten werden bis Ende 1946 abgeschlossen, keine weitere finanzielle Vorsorge getroffen hatte, so daß finanzielle Mittel erst Ende Januar 1947 wieder bereitstanden, um die ausstehenden Löhne zu zahlen. 61 Die Geschäftsleiter und der Betriebsrat sahen sich immer wieder veranlaßt, Belegschaftsmitglieder gegen Übergriffe von Militärangehörigen in Schutz zu nehmen. So hielt Otto Marquardt unter dem 16. November 1946 im Betriebsratstagebuch fest: „Die Rollegen Rosenkranz und Gretscher sind von den Russen geschlagen und gewürgt worden". Und am 15. Dezember 1946 trägt Otto Marquardt ein: „Roll. Rimmisch, Rlemp (Rlempnerei d. V.) ist wegen Verweigerung von Überstunden von Russen entlassen. Er ist 31 Jahre bei Zeiss. Ich versichere ihm, daß er in 1-2 Wochen wieder Arbeit bekommt."62 Die Offiziere argwöhnten ständig, daß die Zeissianer ihre Anweisungen nicht ordnungsgemäß ausführen. Jede tatsächliche oder scheinbare Unregelmäßigkeit konnte als Sabotage ausgelegt und bestraft werden. Das zeigte sich auch am 20. November 1946 im Bau 29 des Hauptwerkes. An diesem Tag war beim Transport schwerer Maschinenkisten der Lastenaufzug abgestürzt Generalmajor Dobrowolski behauptete am 21. November 1946 gegenüber dem Betriebsrat, das Tragseil sei angeschnitten worden. Die Arbeiter Vogel und Frank aus der PhotoDreherei, Mechsner aus der F-Fräserei und Rlöpsch aus der F-Dreherei, die die Transportarbeit mit ausgeführt hatten, waren sofort von Mitarbeitern des NRWD verhaftet worden. Die Untersuchung des Vorganges ergab aber, daß das Seil gerissen war, weil es beim Herausziehen der Risten mit Hilfe eines Rrans über eine scharfe Betonkante der Hauswand gezogen worden war. 63 Das Untersuchungsresultat und das Eintreten von Otto Marquardt und Erich Matthes für die Verhafteten bei Dobrowolski führten dann dazu, daß drei der Verhafteten nach drei Tagen wieder frei kamen, Vogel aber erst am 4. Dezember 1946 an seinen Arbeitsplatz zurückkehrte. Überhaupt wurden Arbeiter immer wieder von Mitarbeitern des NRWD verhört. Darüber berichtete Erich Matthes Walter Ulbricht in der schon erwähnten Zusammenkunft: „Außerdem ist die Arbeiterschaft über die Verhöre bei der NRWD beunruhigt" Ungeachtet der scharfen Rontrollen und der Gefahr, verhaftet zu werden, schafften Werksangehörige ausgewählte Werkzeuge, Lehren, wertvolle Meßmittel usw. sowie schriftliche Unterlagen in der Absicht beiseite, sie für den Wiederaufbau sicherzustellen. Am 3. Dezember 1946 wurden Rudolf Rlupsch

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BACZ Nr. 19205 (Demontageangelegenheiten). BACZ Nr. 27200 Tagebuch des Betriebsrates (Eintragungen vom 16. November und vom 15. Dezember 1946). BACZ Nr. 9796 (Demontage FBL).

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und einige seiner Rollegen aus dem Werkstofflaboratorium verhaftet, weil sie einen Spektrographen Q 24 und ein Metallmikroskop vor der Trophäenbrigade versteckt hatten. 64 Im Verlauf der Demontage verschlechterte sich die Stimmung in der Belegschaft zusehends. Die Art der Demontage wurde als sinnlos empfunden. Niemand konnte sich vorstellen, wie die empfindlichen Gerätschaften und Maschinen den Transport überstehen und in der UdSSR wieder in Betrieb genommen werden konnten. Immer wieder gab es Gerüchte über weitere Deportationen. Vor allem die Mitarbeiter, die am Contax-Programm arbeiteten, befürchteten, daß sie, wenn ihr Auftrag abgeschlossen ist, samt der Ausrüstung in die Sowjetunion verbracht werden könnten. In einem von Betriebsratsmitgliedern am 15. November 1946 abgefaßten Bericht heißt es: „Es sind Anzeichen dafür vorhanden, daß eine neue Evakuierung von Spezialisten stattfindet oder unmittelbar bevorstehen könnte. Es mußten Listen von Spezialisten aus Forschungs- und Entwicklungsabteilungen eingereicht werden mit genauen Angaben ihrer Spezial-Arbeitsgebiete und ihrer Spezialarbeiten und deren Dauer - sowie Gehalts- und andere Angaben zu ihrer Person."65 Der Bericht informiert auch über „das Wegbleiben von Spezialisten von der Arbeit", das in den letzten Tagen zugenommen hatte. Es wurde vermutet, daß sie in die westlichen Besatzungszonen gereist sind. Wie die Stimmung in der Zeiss-Belegschaft war, zeigt der Text eines Flugblatts, das am 19. November 1946 im Nordwerk kursierte: „Zum 100jährigen Bestehen der Firma Carl Zeiss Jena. Seid keine Saboteure der deutschen Wirtschaft. Reiht Euch mit in die Reihen des zivilen Ungehorsams ein!"66 Das 100jährige Bestehen des Zeiss-Werkes sollte ursprünglich in einer angemessenen Form begangen werden. Aber unter den gegebenen Umständen war es der Geschäftsleitung nicht möglich, ihr Vorhaben zu realisieren. Am 17. November 1946 gedachten die Geschäftsleiter und Vertreter des Betriebsrates am Grab von Carl Zeiß des besonderen Tages in der Geschichte des Unternehmens, und Friedrich Schomerus trug in seiner Wohnung einem kleinen Kreis von Zeissianern die Rede vor, die er aus diesem Anlaß für die Festversammlung im Volkshaus verfaßt hatte. Das Demontagegut wurde zwischen Mitte November 1946 und Juni 1947 auf 7.252 Waggons verladen und in 155 Eisenbahnzügen in die UdSSR gebracht. Es bestand aus 13.693 technischen Ausrüstungen, darunter 2.140 optische Spezialmaschinen, 2.218 Drehmaschinen, 1.197 Bohr- und 980 Fräsmaschinen sowie aus 84.5161 Material, darunter Laborausrüstungen und technische Dokumentationen, Halbfabrikate, Buntmetalle, Büromaterial, Sanitäranlagen. 67 64

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Reinhard Bernst: Zur Geschichte des Werkstofflabors der Firma Carl Zeiss. In: Jenaer Jahrbuch zur Technik- und Industriegeschichte 2002. Verein für Technikgeschichte in Jena e.V., Jena 2002, S. 135. BACZ Nr. 14985 (Bericht des Betriebsrates vom 15. November 1946). BACZ Nr. 27200 Betriebsratstagebuch (Eintragung vom 19. November 1946); Mühlfriedel/ Hellmuth: Das Tagebuch des Betriebsrates, S. 201. Uhl: Das Ministerium für Bewaffnung, S. 130-131.

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Über den Nutzen der Zeiss-Ausrüstung und der Deportierten für die sowjetische feinmechanisch-optische Industrie Die Verwendung der Ausrüstungen Der Minister für Bewaffnung konnte seine Absicht, das Zeiss-Werk an einem Standort in der UdSSR wiederaufzubauen - wie es bei anderen demontierten Objekten in seinem Ministeriumsbereich möglich war - nicht realisieren, weil ihm der Ministerrat dafür kein Sonderprogramm zugebilligt hatte. Und weil ihm für ein solches Vorhaben nicht die nötigen finanziellen Mittel, Materialien und Arbeitskräfte zur Verfügung standen, mußte Dimitri Ustinow eine andere Lösung finden. Am 16. Juni 1946 erließ er den geheimen Befehl Nr. 188, der alle Maßnahmen für die Verwendung des Demontagegutes und die Unterbringung der Deportierten aus Jena enthielt. Der Befehl sah vor, die demontierten Maschinen und Einrichtungen auf 14 feinmechanisch-optische Betriebe zu verteilen. Lediglich die Ausrüstung aus dem Jenaer Glaswerk wurde komplett dem Werk Nr. 233 in Lytkarino in der Nähe von Moskau zugewiesen. Für die Deportierten waren Arbeitsplätze in acht Betrieben vorgesehen. Die vorbereitenden Arbeiten für die Aufnahme des Demontagegutes erfolgten nicht in dem vorgesehenen Tempo, so daß im Dezember 1946 überhaupt erst drei feinmechanisch-optische Betriebe in der Lage waren, den zugewiesenen Maschinenpark aufzunehmen und sachgemäß zu lagern. Die anderen Betriebe benötigten bis zum Sommer 1947, um wenigstens 50 Prozent der Maschinen und Einrichtungen zu nutzen. Die Leningrader Werke Nr. 349 und 357 sahen sich außer Stande die Maschinen zu übernehmen und zu lagern. Den größten Teil des Demontagegutes erhielten die Werke Nr. 233 in Lytkarino, Nr. 393 in Krasnogorsk, Nr. 784 in Kiew, Nr. 349 in Leningrad, Nr. 589 in Moskau und Nr. 355 in Zagorsk. Der Minister für Bewaffnung mußte wegen Geld-, Material- und Arbeitskräftemangel hinnehmen, daß sich die Inbetriebnahme der Ausrüstungen immer wieder verzögerte. Die Reihenfolge der Montagen wurde von militärischen Interessen bestimmt. Nach den Plänen des Ministeriums für Bewaffnung war vorgesehen, bis Ende 1947 die Fertigung von Entfernungsmessern im Werk Nr. 69 in Nowosibirsk und von Bombenzielgeräten im Werk Nr. 589 in Moskau aufzunehmen. Dagegen sah man zu diesem Zeitpunkt die Betriebsbereitschaft der Ausrüstungen für zivile Erzeugnisse nur noch zu 20 bis 40 Prozent vor. Bis Anfang der fünfziger Jahre war es schließlich gelungen, die Produktion in verschiedenen zivilen Fertigungsgruppen aufzunehmen. Dazu gehörten Mikroskope, Geräte zur Spektralanalyse, Refraktometer, geodätische Geräte, Photoapparate sowie photometrische Geräte. Die Herstellung von Brillen, Ferngläsern, Zielfernrohren, medizinischen oder astronomischen Geräten kam nur in einem begrenzten Umfang oder überhaupt nicht in Gang.68

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Uhl: Das Ministerium für Bewaffnung, S. 125.

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Der Einsatz der Zeissianer Die deportierten Zeiss-Fachkräfte erhielten in Gruppen unterschiedlicher Größe ihren Arbeitsplatz in verschiedenen Werken zugewiesen. 69 Die größte Gruppe von 117 Personen, unter ihnen vier Saalfelder, kam in das Werk Nr. 393 in Krasnogorsk. Es waren Facharbeiter aus Spezialwerkstätten wie der Endmaßfertigung, der Zahnradwerkstatt und der Lehrenfertigung sowie aus verschiedenen Bereichen der Optikfertigung, insbesondere Fachkräfte für die Photolinsen- und Photoobjektivfertigung. Unter den Optikfachleuten befanden sich auch Mitarbeiter, die die Technologie zur Herstellung des T-Belages70 beherrschten. Ferner waren in Krasnogorsk Montagearbeiter für Konstruktionsmusterbau und Bildmeßgeräte, Techniker, Ingenieure und Konstrukteure aus allen Konstruktionsbereichen - ausgenommen aus dem Konstruktionsbüro für astronomische Geräte tätig. Wissenschaftler aus dem Zellen-, Kristall- und Elektro-Labor, dem Reproduktionslabor und dem Zentralen Prüflabor hatte man ebenfalls dem Krasnogorsker Werk zugewiesen. Zu ihnen gehörten die Physiker Dr. Paul Gänswein, Dr. Alfred Krohs und Dr. Paul Görlich aus dem Zellenlabor, der Leiter des Reproduktionslabors Dr. Karl Gundlach, die Wissenschaftler Dr. Harald Straubel aus dem Kristall-Labor, der bekannte Entwickler für Astro-Optik, Dr. August Sonnefeld, und Dr. Robert Tiedecken, der Fachmann auf dem Gebiet der Berechnung von Photoobjektiven, sowie der Betriebsleiter des Optikbetriebes, Oskar Bihlmeier. 76 Zeissianer wurden in Leningrad vorzugsweise in den Betrieben der Leningrader Opto-Mechanischen Vereinigung (LOMO) eingesetzt 71 Unter ihnen befanden sich vor allem Konstrukteure und Mechaniker aus der Entwicklung und Fertigung astronomischer Geräte, aber auch aus den Bereichen Feinmeßgeräte, Analysenmeßgeräte, Mikroskope und Fernrohrbau sowie Konstrukteure aus dem Bereich Kino, Projektion und Planetarien. Zur Leningrader Gruppe gehörten auch Professor Dr. Friedrich Hauser aus dem Mikrolabor und Dr. Konrad Kühne aus dem Quarzlabor. In Podolsk hatte das Ministerium für Bewaffnung zwei Konstrukteure aus dem Bereich „Feinmess, Geo, Ferngläser und medizinische Instrumente" eingesetzt. Sokolniki wurde die vorübergehende Arbeitsstätte für drei Konstrukteure aus dem Bereich Elektrik und zwei Mechaniker aus der Versuchsmusterfertigung. Die Gruppe im Werk Nr. 569 in Sagorsk umfaßte 13 Fachkräfte aus der Konstruktion und Produktion von ophthalmologischen und medizinischen Geräten sowie von Feldstechern. Im Werk Nr. 589 in Moskau waren 19 Zeissianer tätig. Sie kamen zum überwiegenden Teil aus dem Konstruktions69

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Die folgenden Angaben wurden nach den in BACZ Nr. 6730 und 23736 enthaltenen Listen zusammengestellt. Durch den T-Belag kommt es zu Reflexionsminderung der Oberflächen von optischen Bauelementen durch die Interferenz des Lichtes an dünnen Schichten. Mit der Entspiegelung erreicht man eine höhere Transparenz der optischen Systeme und eine Verminderung von Streulicht. Der T-Belag wurde zu dieser Zeit vornehmlich auf die optischen Systeme von Fernrohren aufgebracht. LOMO war ein Zusammenschluß mehrerer Betriebe mit annähernd gleichem Produktionsprofil wie das Zeiss-Werk. Im Rahmen des RGW arbeitete der VEB Carl Zeiss Jena mit LOMO zusammen.

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büro „Elektrik", in dem während des Zweiten Weltkrieges auch Zieleinrichtungen konstruiert worden waren. Zu dieser Gruppe gehörten die beiden Wissenschaftler Dr. Wilhelm Kämmerer und Dr. Herbert Rortum. In diesem Werk wurden Bombenzielgeräte entwickelt und gefertigt72 Das Werk Nr. 784 in Kiew war auf den Bau von Werkzeugmaschinen und geodätischen Geräten spezialisiert. Das war wohl auch der Grund, weshalb elf Konstrukteure aus dem Konstruktionsbüro für Werkzeuge, Maschinen, Justierund Prüfmittel, fünf Mitarbeiter aus dem Maschinenbau, dazu Werkmeister und Arbeiter der Stanzerei, Druckgießerei, Teilerei und Konstrukteure und Produktionsarbeiter des Vermessungsgerätebaus hier ihren neuen Arbeitsplatz fanden. Zur Kiewer Gruppe gehörte auch Dr. Herbert Schorch, der stellvertretende Betriebsleiter des Gerätebetriebes, in dem die Vermessungsgeräte produziert wurden. In diesem Werk arbeiteten insgesamt 45 Zeissianer.73 Die Zeiss-Belegschaft erfuhr erst nach und nach durch die Briefe ihrer deportierten Kollegen, wo sie in der UdSSR zum Einsatz gekommen waren. Friedrich Schomerus, der für die Personalangelegenheiten zuständige Geschäftsleiter, suchte den Kontakt zu den einzelnen Gruppen.74 Auf diese Weise gewann die Geschäftsleitung ein Bild von den verschiedenen Aufenthaltsorten ihrer Mitarbeiter und über deren Lage. In den Jahren 1946 bis 1949 berichtete Friedrich Schomerus über den Wiederaufbau des Zeiss-Werkes, und Mitglieder aus den einzelnen Gruppen schilderten ihre Eindrücke. Dieser Informationsaustausch wurde natürlich vom sowjetischen Sicherheitsdienst überwacht und ausgewertet. Matthias Uhl fand in den vom ihm ausgewerteten Archivalien auch einen Vorgang, in dem der Chef des sowjetischen Staatssicherheitsdienstes, Abakumow, am 18. August 1947 an Berija über Äußerungen eines Optikfachmannes informierte, der im Leningrader Werk Nr. 349 arbeitete und sich darüber beklagte, daß die Ausrüstungen, die nach Leningrad gebracht worden waren, „vergammeln".75 Die Briefpartner wußten bald, daß ihre Post der sowjetischen Zensur unterlag. Sie überlegten sich darum wohl sehr gut, was sie dem Papier anvertrauen konnten und was nicht, so daß die Informationen in den Briefen der Deportierten nur einen Teil der Wirklichkeit wiedergeben. Die Situation war für die einzelnen Gruppen an den jeweiligen Arbeitsorten sehr unterschiedlich. In den Briefen aus den ersten Monaten spiegelten sich die außerordentlichen Schwierigkeiten wider, die in den sowjetischen Werken bestanden, um das Demontagegut aufzunehmen, zu nutzen und die Zeissianer einzusetzen. Georg Günzerodt teilte im November 1946 in seinem ersten Brief aus Leningrad mit, daß ihm und den anderen seiner Gruppe bisher noch keine

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Uhl: Das Ministerium für Bewaffnung, Anhang, S. 141-145. Einsatzorte und Berufe zusammengestellt nach den Listen BACZ Nr. 6730 und den Listen der Rückkehrer in BACZ Nr. 23736. BACZ Nr. 8244 (Briefwechsel zwischen Dr. Friedrich Schomerus und den in die Sowjetunion deportierten Zeissianern, 1946-1949). Nach dem Ausscheiden von Friedrich Schomerus aus dem Zeisswerk im Februar 1949 ist kein weiterer Briefwechsel überliefert. Uhl, Das Ministerium für Bewaffnung der UdSSR, S. 133.

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Arbeitsaufgaben zugewiesen wurden. 76 Karl Gundlach berichtete aus Krasnogorsk, daß man sie erst Anfang Dezember 1946 auf ihren Fachgebieten eingesetzt habe. 77 Oskar Bihlmeier schreibt im März 1947 an Dr. Ernst Wandersieb: „Was ich in Rußland soll, weiß ich noch nicht, manchmal scheint es mir, als ob ich auf Eis gelegt werden sollte."78 Um die Wartezeit zu nutzen, begann er, sich mit russischer Fachliteratur zu befassen. Da er kaum das Russische lesen konnte, orientierte er sich in einigen Büchern anhand der Abbildungen. Er erbat Informationen von Ernst Wandersieb, um sich dann in den Büchereien Moskaus nach deutscher und englischer Fachliteratur umzusehen. Fritz Winter, Werkmeister der Abteilung asphärische Optik, schildert in seinem Erinnerungsbericht aus dem Jahre 1955 als einziger zur damaligen Zeit, wie sich sein Einsatz im Werk in Krasnogorsk vollzog: „Im Okt. 1946 kam ich dann als Spezialist mit der 100 % ausgeräumten Abteilung nach Rußland, ich war damals 60V2 Jahre alt. Dort machte ich nun den 4. Aufbau meiner asphärischen Abteilung, ich war allein ohne jede deutsche Hilfe. Aber das muß ich sagen, von russischer Seite habe ich jede Hilfe bekommen, und habe dort den Aufbau auch zur Fabrikation gebracht. Es war sehr schwer für mich, geeignete Mädchen anzulernen (Männer versagten vollständig). Von genau 38 Mädchen, die nacheinander kamen, schälten sich dann 5 Mädchen als gut heraus, und das waren Mädchen von technischen Schulen, von diesen 5 sprach gerade eine leidlich deutsch. Einen Meister anzulernen, ist mir erst das letzte Jahr gelungen. Meine Chefin war eine Technologin und war tätig im russischen OBB. Dieselbe hatte die asphärische Produktion und was so drum und dran hängt, sehr schnell begriffen, sprach auch sehr gut deutsch, und hat mir dadurch die Arbeit erleichtert. Es wurden viele Versuche mit russischen Rechnungen gemacht, als das Vertrauen zu den Maschinen erst einmal da war, kamen Rechnungen über Rechnungen über asphärische Flächen, die auch alle gut ausgefallen sind. Rückschläge sind eigentlich nur entstanden durch Fehlrechnungen. Wir lieferten im Durchschnitt 1.200-1.500 Linsen im Monat, es liefen ja nicht immer 4 Maschinen. In der letzten Zeit unseres Aufenthaltes in Rußland bekam ich einen Auftrag über 12 genaue Kondensoren, 79 ich sagte zum großen Chef, das sieht aber aus wie Objektive. Das wurde mir aber bestritten, denn ich war abgeneigt, Objektive herzustellen. Von den 12 Stück waren 10 gut und entsprachen genau der Rechnung. Nach einiger Zeit war große Aufregung, es wurde mir vorgelesen, daß die Linsen sehr gut wären, und am Schluß des Briefes wurden 6.000 Stück bestellt. Es handelte sich hier um Objektive für Kinoaufnahmegeräte. Also doch Objektive, was mir dann auch lachend bestätigt wurde. Das war kurz vor unserer Abreise von Rußland, die Abreise wurde von meinen russ. Vorgesetzten bedauert. Es wurde mir auch gesagt, daß ich, mein Kollege Bernd und Dipl.-Ing. Reindel

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BACZ Nr. 8244 (Brief von Georg Günzerodt an Friedrich Schomerus vom 19. November 1946). BACZ Nr. 8244 (Brief von Karl Gundlach an Friedrich Schomerus vom 2. Februar 1947). BACZ Nr. 14944 (Brief von Otto Bihlmeier an Ernst Wandersieb vom 9. März 1947). Kondensoren sind optische Linsen.

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(gemeint sind vermutlich Walter Bernst und Rudolf Reindl d. V.) einen Vertrag über 2 Jahre mit sehr günstigen Bedingungen für uns erhalten sollten. Ich lehnte ab, ich war inzwischen 66 Jahre geworden, meine Frau war krank, wir wollten nach Hause, wo meine Frau auch nach 2 Monaten verstorben ist. Zu erwähnen wäre noch kurz, daß ich als einziger Spezialist... für meine guten Leistungen von der russischen Betriebsleitung sowie den russischen Kollegen ein sehr wertvolles Abschiedsgeschenk und später noch einen sehr netten Brief erhalten habe." 80 Auch Franz Peter aus Issjum berichtete, daß die russischen Mitarbeiter und die Bevölkerung sehr hilfreich und freundlich seien - „nur die Unkenntnis der Sprache wirkt erschwerend in jeder Beziehung". 81 Aber nicht jeder Zeissianer stieß auf eine freundliche Aufnahme. Herbert Rortum empfand, daß die Umgebung gegenüber den Deutschen recht unfreundlich eingestellt war - „nicht verwunderlich nach dem Krieg". 82 Auch Karl Gundlach stellt in einem Brief fest: „Man hat nicht das Gefühl, daß unsere Arbeit und unsere Bemühungen, die wir uns redlich geben, auf einen für beide Teile fruchtbaren Boden fallen. Woran das liegt, ist schwer zu sagen. Die Sprachschwierigkeiten und Verschiedenheit in der Art der Arbeitsauffassung spielen dabei wohl eine gewisse Rolle."85 Die Wissenschaftler und Konstrukteure aus Jena wurden in Arbeitsgruppen eingesetzt und blieben zumeist unter sich. Ein sowjetischer Verbindungsmann hielt den Kontakt zur Betriebsleitung. Dagegen waren die in der Fertigung tätigen Zeissianer in die Abteilungen oder sogar in Brigaden des sowjetischen Betriebes

AH HEKKä vV Λ

y . - \. festgesetzt 1st. £s Bird Ihnen g e s t a t t e t allmonatlieh Pakete Im Genieht b i s 8 Klg nach Deutsehlend zu schielten ,und aus Deutschland zu e r h a l t e n , 5üj> I h r e ! Monatsgehaltes In deutscher Marie nach Deutschland zu übersenden. Susaerdem wird es Ihnen erlaubt einmalig deutsohe Marken in S o l l e t · geld in Summe γοη 3000 Hb. einzutauschen. DIHEETIdH 31/XII-46. Abb. 5 Verdienstbescheinigung für den Lehrling Horst Anschütz, Werk „Progress" Leningrad

integriert, da sie zum großen Teil Anleitungs- und Anlernaufgaben erfüllten. Horst Anschütz, Jahrgang 1932, der mit seinen Eltern nach Leningrad kam, berichtet, daß er dort nach Beendigung der Schule eine Lehre begann. Er war im

80 81 82 85

BACZ BACZ BACZ BACZ

Nr. 18815 (Erinnerungsbericht von Fritz Winter vom 15. Juli 1955). Nr. 8244 (Brief von Franz Peter an Friedrich Schomerus vom 28. März 1948). Nr. 8244 (Brief von Herbert Kortum an Friedrich Schomerus vom 26. Januar 1948). Nr. 8244 (Brief von Karl Gundlach an Friedrich Schomerus vom 26. März 1948).

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Werk „Progress" zuerst in einer Frauenbrigade tätig. Die Frauen hätten ihn betreut, „wie ihr eigenes Rind". Er mußte im Betrieb alles machen, lernte viel. Der Nachteil dieser „Lehre" war - er erhielt kein Zeugnis oder Abschlußzertifikat. Über die Lebensbedingungen der Deportierten und ihren Familien Die Informationen, die in Jena über die Lebensumstände der Deportierten und ihren Familien eintrafen, waren nach dem Aufenthaltsort und der Jahreszeit sehr unterschiedlich. Karl Gundlach war angenehm überrascht, in einem Erholungsheim, „ein früheres Jagdschlößchen eines russischen Grafen", unterzukommen und dort hübsche Zimmer, einen Speisesaal mit anschließenden Versammlungsund Musikzimmer, Warmwasserheizung und fließendes Wasser sowie elektrische Beleuchtung vorzufinden. 84 Georg Günzerodt meldet bereits in seinem ersten Brief: „Leningrad hat angenehm enttäuscht. Es gibt keine größeren Zerstörungen, zumindest im Zentrum." 85 Auch Friedrich Hauser war von der Stadt Leningrad und ihrer Umgebung sehr angetan. 86 In Issjum wohnte die kleine Zeissianer-Gruppe in einem Trakt eines Häuserblocks mit Warmwasserheizung, Brausebad und Wasserklosett, zehn Minuten vom Werk entfernt 87 Die große Gruppe in Krasnogorsk hatte man an verschiedenen Orten in der Umgebung der Stadt einquartiert. Georg Günzerodt beklagte für Leningrad, daß eine größere Zahl von Mitarbeitern und ihren Familien „in einer Siedlung in beträchtlicher Entfernung von hier untergebracht" war.88 Tatsächlich war der größere Teil der „Leningrader Zeissianer" im ersten Jahr in einem Schlößchen im Westteil der Stadt nahe dem Finnischen Meerbusen untergebracht, während weit davon entfernt am östlichen Stadtrand die Siedlung entstand, in der schon ein kleinerer Teil der Zeissianer Unterkunft gefunden hatte, und die noch weiter ausgebaut wurde. Nach Fertigstellung der Häuser zogen auch die „Schloßbewohner" dorthin um. Die Fabriken lagen im Süd-Osten der Stadt.89 In den Wintermonaten, besonders im Winter 1946/47, litten die Deportierten und ihre Familien unter dem kalten Kontinentalklima. Die Leningrader beklagten das windige und feuchte Seeklima. 90 Die Ramine in den Häusern, die vom Flur aus beheizt wurden, boten nicht viel Wärme. Die deutschen Rriegsgefangenen, die die Häuser errichteten, halfen mit dem Bau von Öfen.

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BACZ Nr. 8244 (Brief von Karl Gundlach an Schomerus vom 2. Februarl947). BACZ Nr. 8244 (Brief von Georg Günzerodt an Friedrich Schomerus vom 19. November 1946). BACZ Nr. 18805 (Erinnerungsbericht von Prof. Friedrich Hauser über seine Arbeit im ZeissWerk). BACZ Nr. 8244 (Brief von Werkmeister Franz Peter aus Issjum an Friedrich Schomerus vom 28. März 1948). BACZ Nr. 8244 (Brief von Georg Günzerodt an Friedrich Schomerus vom 19. November 1946). Nach Aussagen von Otto Straube, Gisela und Horst Anschütz, die als Kinder und Jugendliche mit ihren Eltern in Leningrad waren. BACZ Nr. 8244 (Brief von Georg Günzerodt an Friedrich Schomerus vom 27. März 1948).

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Die Ernährungsumstellung bereitete den Jenaern erhebliche Probleme. Die Frau des Schlossers Walter Süss, der in Kiew eingesetzt war, vermißte vor allem Obst und Gemüse. Nur das arbeitende Familienmitglied bekam Kartoffelzuteilung - ein Pfund am Tage. „Könnt Ihr Euch vorstellen einen Haushalt ohne dies?", schrieb sie an eine befreundete Familie in Jena. 91 Manchem bereitete die einseitige Ernährung gesundheitliche Probleme. Einige Briefschreiber zeigten sich aber mit der Lebensmittelversorgung zufrieden, sie sei gut und ausreichend, jedenfalls besser als in der Heimat. Dabei waren die Alleinstehenden im Vorteil, besonders gegenüber großen Familien und gering bezahlten Arbeitern 92 , die „sich mit ihren zum Teil zahlreichen Familienmitgliedern nur notdürftig durchschlagen und zum Teil direkt in Not geraten sind."93 Durch „Eßgemeinschaften" konnte mancher Mangel gelindert werden: Die Frauen kochten für Alleinstehende mit, und diese gaben von ihrer Zuteilung, was wiederum der Familie zugute kam.

Abb. 6

Sportfest der Zeissianer in Leningrad. Wohnhäuser der Zeiss-Spezialisten im Hintergrund. 1. August 1948

Ein Problem war auch der Schulunterricht für die Rinder. In Leningrad war erst ab Frühjahr 1948 regulärer Schulunterricht bis zur 8. Klasse möglich. Gisela

91 92

93

BACZ Nr. 14944 (Brief der Frau Süss vom 8. April 1947 an eine bekannte Familie in Jena). Nach Aussage von Gisela und Horst Anschütz hatten die Zeissianer wohl ein Mitspracherecht um die Höhe des Verdienstes. Es wurden die Arbeitsjahre im.Zeisswerk berücksichtigt Siehe BACZ Nr. 8244 (Brief von Karl Gundlach an Friedrich Schomerus vom 2. Februar 1947).

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Anschütz berichtete, daß vorher einige Eltern den Unterricht übernahmen und in der Unterstufe Lesen, Schreiben, Rechnen und Heimatkunde lehrten. Ähnliches wird auch aus den anderen Orten berichtet. Die Freizeit verbrachten die Zeissianer meist miteinander. Sie gestalteten gemeinsame Weihnachts- und Osterfeiern und Konzerte. Im April 1948 berichtete Robert Tiedecken aus Krasnogorsk, daß sie im Februar eine Faschingsveranstaltung, im März einen Tanzabend oder einen Kulturabend mit klassischer Musik und Dichtung organisiert, zu Ostern eine Lesung des ersten Teiles von Goethes „Faust" veranstaltet hatten. 94 Die „Moskauer", „Krasnogorsker" und „Leningrader" konnten, wenn auch nur in bescheidenem Umfang, Theateraufführungen und Konzerte in Moskau und Leningrad besuchen. Die in Leningrad lebenden Zeiss-Mitarbeiter unternahmen in den Sommermonaten Ausflüge in die städtische Umgebung. 95 Mit anderen in Leningrad lebenden deutschen Fachkräften wurden Sportwettkämpfe ausgetragen. Im ersten Jahr konnten sich die Zeissianer in Leningrad frei bewegen. Später mußten sie sich abmelden, wenn sie die Wohnsiedlung auf mehr als 1 km Entfernung verlassen wollten und bekamen eine einheimische Begleiterin.96 Unter den Deportierten befanden sich auch ältere Mitarbeiter, denen es besonders schwer fiel, sich in die neuen Verhältnisse einzugewöhnen. Deshalb fragte Karl Gundlach, der inzwischen das 69. Lebensjahr erreicht hatte, immer wieder bei Friedrich Schomerus an, ob es der Geschäftsleitung nicht möglich sei, bei den zuständigen Stellen eine Verkürzung der Aufenthaltsdauer der Ältesten zu erwirken. Mit Bedauern mußte Friedrich Schomerus mitteilen, daß der Geschäftsleitung eine solche Einflußmöglichkeit fehlt.97 Die Ungewißheit über ihr weiteres Schicksal war für viele Zeissianer eine starke seelische Belastung, die sie nur allmählich überwanden, denn sie hatten nicht nur Unklarheit über die Dauer ihres Aufenthaltes in diesem fernen Land und über das Wohlergehen ihrer Angehörigen in Jena, sie sorgten sich auch um das Schicksal des Jenaer Werkes. Friedrich Schomerus konnte Ende 1947 und 1948 mit Freude vom begonnenen Wiederaufbau berichten. 98 Eine große Rolle spielte für die Zeissianer, die es in die UdSSR verschlagen hatte, auch die Sorge, welchen Arbeitsplatz sie nach Rückkehr - wann immer das auch sein würde - erhalten werden. Deshalb schreibt ihnen Friedrich Schomerus zum Jahreswechsel 1948/1949: „Zunächst möchten wir auch Ihnen ... sagen, daß Sie alle bei Ihrer Rückkehr wieder bei uns Aufnahme finden werden. Wir werden uns sehr freuen, wenn Sie

94 95

96 97 98

BACZ Nr. 8244 (Brief von Robert Tiedecken an Friedrich Schomerus vom 6. April 1948). BACZ Nr. 18805 (Erinnerungsbericht von Prof. Friedrich Hauser über seine Arbeit im ZeissWerk). Nach Erzählung von Gisela Anschütz. BACZ Nr. 8244 (Brief von Friedrich Schomerus an Karl Gundlach vom 17. April 1947). BACZ Nr. 8244 (ähnlich lautende Schreiben von Friedrich. Schomerus vom 11. Dezember 1947 an Georg Günzerodt, Leningrad; Wilhelm Hess, Kiew; Karl Gundlach, Krasnogorsk; Franz Peter, Issjum; Herbert Kortum, Moskau sowie Briefe vom Dezember 1948 an Franz Peter, Herbert Kortum, Wilhelm Hess, Georg Günzerodt).

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alle recht bald zu uns zurückkehren, und erwarten durch Ihre dort gewonnenen Erfahrungen auf technischem wie auf gesellschaftlichem Gebiet auch für uns reichen Gewinn."99 Anfang 1951 entschied man im Ministerium für Bewaffnung, daß die Zeissianer in absehbarer Zeit in die Heimat zurückkehren dürfen. 13 Zeiss-Werksangehörige verstarben während ihres außergewöhnlichen Arbeitseinsatzes in der UdSSR. Zu den Resultaten der Demontage und des Arbeitseinsatzes der Deportierten Betrachtet man die Resultate der Demontage und des Arbeitseinsatzes von Zeissianern in der UdSSR aus der Sicht des Ministers für Bewaffnung, dann haben sich letztlich die Erwartungen, die Ustinow 1945 hegte, nur zum Teil erfüllt. Es war nicht gelungen, mit Hilfe der überführten Ausrüstungen und der deportierten Fachkräfte ein neues Zentrum der feinmechanisch-optischen Industrie zu bilden, dessen Erzeugnisse der Sowjetunion auf dem internationalen Markt eine herausragende Position verschafften. Die durch die Demontage gewonnenen materiell-technischen Kapazitäten mußten dezentralisiert werden, ihre Verwendung war auch nicht in jedem Falle effektiv. Vor allem aber kam durch die Art und Weise wie die Demontage erfolgte, das innovative Wesen des Zeiss-Werkes und seiner Belegschaft nicht zum Tragen. Die für das Zeiss-Werk charakteristische unmittelbare Verbindung von Wissenschaft und Produktion fand ebensowenig die gebührende Beachtung wie die Herausbildung und Pflege eines feinnervigen Unternehmensorganismus. Die Zersplitterung der Produktionsbereiche und der Kräfte ließ das „Jenaer Klima", die Grundvoraussetzung für die Leistungsfähigkeit des Zeiss-Werkes, nicht aufkommen. Lediglich in den großen Gruppen, die in Leningrad und Krasnogorsk tätig waren, gab es weitgehende Erfolge beim Aufbau der Anlagen und der Vermittlung der im Zeiss-Werk charakteristischen Zusammenarbeit zwischen Forschung, Entwicklung und Produktion. Den einheimischen Arbeitskräften fehlte das über Jahre erworbene und von Generation zu Generation weitergegebene fachliche Wissen und handwerkliche Können der Meister, Spezial- und Facharbeiter. Es hatte sich gezeigt, daß die technische Vorbildung der russischen und ukrainischen Arbeiter nicht ausreichte, um in kurzer Zeit die Arbeiten, die bei der Fertigung feinmechanisch-optischer Erzeugnisse anfallen, in qualitativer und quantitativer Hinsicht zu bewältigen.100 Dessen ungeachtet erhielt die feinmechanisch-optische Industrie der UdSSR moderne Produktionsanlagen und Technologien, die in den verschiedenen Produktionsstätten lange Zeit ihren Dienst taten. Jenaer Fachleuten, die in den fünfziger und sechziger Jahren diese Betriebe besuchten, wurden die noch funktionstüchtigen Maschinen und Einrichtungen mit lobenden Bemerkungen 99

100

BACZ Nr. 8244 (Brief von Fr. Schomerus an Georg Günzerodt in Leningrad vom 16. Dezember 1948). Ähnlich lautende Schreiben gingen an die Briefpartner aller Gruppen. Uhl: Das Ministerium für Bewaffnung, S. 134-140.

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vorgeführt. Die in die UdSSR verbrachten Zeissianer haben in verschiedenen Funktionen zur Modernisierung des Produktionsapparates und der Arbeitsorganisation sowie zur Heranbildung von Fachkräften in den einschlägigen Betrieben beigetragen. Das Fachwissen der Jenaer Wissenschaftler und Ingenieure wurde vor allem bei der Lösung militärtechnischer Probleme in Anspruch genommen. Nach dem Weggang der Zeissianer unterblieb auf dem zivilen Sektor vielfach die Weiterentwicklung der optischen Präzisionsgeräte, so daß die alten Zeiss-Konstruktionen noch lange Zeit angeboten wurden. 101 Ustinow blieb es auch versagt, das Vorhaben, das Jenaer Zeiss-Werk zu liquidieren, zu realisieren. Dem stand nicht nur das Interesse anderer sowjetischer Dienststellen an Reparationslieferungen und der Aufbauwille der Zeiss-Belegschaft entgegen, sondern auch und vor allem der Rurswechsel, den die Führung der KPdSU und die Sowjetregierung 1947 in der Deutschlandpolitik vollzogen. Der nun verfolgte Kurs zielte auf eine allmähliche Gesundung der Wirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone.

Der Demontageschaden für das Zeiss-Werk Obgleich es nicht zur völligen Liquidierung der Stiftungsunternehmen kam, erlitten beide Unternehmen durch die Demontage und die Deportation von Fachleuten erhebliche Verluste, von denen sie sich erst im Laufe eines Jahrzehnts erholen konnten. Das trug wesentlich dazu bei, daß das Zeiss-Werk die ohnehin durch den Zweiten Weltkrieg geschwächte Führungsposition im optischen Präzisionsgerätebau weitgehend verlor und nur auf ausgewählten Gebieten halten oder zurückgewinnen konnte. Mitte März 1947 wurde die Demontage beendet. Zwischen dem 12. und 14. März 1947 händigten der Mitarbeiter des Ministeriums für Bewaffnung der UdSSR und ein Offizier der Trophäenbrigade Hugo Schrade die Übergabedokumente für die Jenaer Werksteile aus, in denen der Zustand dieser Werksteile beschrieben wurde. Im Dokument über das Hauptwerk ist zur Übergabe vermerkt: „1.) Die Fertigungsfläche des Hauptwerkes CZ mit einer Fläche von 127.000 qm (einschließlich Garagen), wobei auf 22.500 qm sanitäre und Elektroeinrichtungen nicht demontiert sind, die den 6 °/o zugehören, welche dem Werk entsprechend dem Befehl des Hauptkommandierenden, des Marschalls der SowjetUnion Sokolowski, verblieben sind."102 Anfang Dezember 1946 hatte die Geschäftsleitung erstmals die Verluste zusammengestellt, die dem Zeiss-Unternehmen in Jena durch die Demontage entstanden waren. Eine endgültige Schadensermittlung war noch nicht möglich, weil sich die zu Beginn der Demontage angelegten Inventarlisten in der Hand der sowjetischen Werkskommission befanden. Der Bitte der Geschäftsleitung an die

101 102

Aus den Erfahrungen Otto Straubes im Laufe der späteren Zusammenarbeit. BACZ Nr. 1784 (Übergabeprotokoll Hauptwerk vom 13. März 1947).

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Werkskommission, ihr die Listen zu überlassen, wurde zu dieser Zeit nicht entsprochen. Die Angaben über die wissenschaftlich-technischen Unterlagen, Einrichtungen aus Laboratorien, Produktionsausrüstungen usw., die in die UdSSR verbracht worden waren, sowie deren finanzielle Bewertung nach dem Stand vom 3. Dezember 1946 sind in den Tabellen 5 und 6 im Tabellenanhang aufgeführt Aus der für das Landesamt für Finanzen Anfang Dezember 1946 angefertigten „Zusammenstellung der durch die Demontage entnommenen Werte" geht hervor, daß der Firma Carl Zeiss bisher durch die Demontagen ihrer Fertigungsstätten in Jena, Saalfeld und Gera ein Schaden von insgesamt 142 Millionen RM entstanden war. Der Abb. 7 Amerikanische Offiziere kontrollieren das demontierte Zeiss-Werk. AbgeBerechnung lag der Versicherungswert baute Automatendreherei. 28. Juni der Gebäude, Anlagen und Maschinen 1947 zugrunde. Unter dem 16. Juni 1948 stellte die Geschäftsleitung für das Wertausgleichskonto alle Kriegs- und Kriegsfolgeschäden zum 30. September 1947 zusammen. Danach beliefen sich die Verluste durch Demontage auf insgesamt 281.285.031,99 RM. Davon entfielen 74,5 Prozent auf Anlagen, 5,7 Prozent auf Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, 19,3 Prozent auf Halb- und Fertigfabrikate sowie 0,5 Prozent auf Lieferungen und Leistungen. Hinzu kamen noch Besatzungsleistungen für sowjetische Behörden in Höhe von 4.245.550 RM und Besatzungskosten von 110.819 RM.103

103

BACZ Nr. 15704 (Wertausgleich. 16. Juli 1948).

DRITTES KAPITEL

Der Wiederaufbau des Zeiss-Werkes in Jena und die Herausbildung der ZEISS-OPTON GmbH in Oberkochen Der beginnende Wiederaufbau in Jena Nachdem bekannt war, daß nach Abschluß der Demontage die Fertigung in einem begrenzten Umfang wieder aufgenommen werden kann, hatte Victor Sandmann am 26. November 1946 Unterlagen zur künftigen Produktions-, Finanz- und Vertriebsplanung vorgelegt, die, vom 1. Januar 1947 ausgehend, die einzelnen Schritte für den Wiederaufbau des Zeiss-Werkes bis 1948 vorzeichneten. Der Geschäftsleiter nannte als vordringliche Aufgaben für 1947 die Bereinigung des Anlagensektors, die Vorratswirtschaft und die Vorfabrikation und fügte hinzu: „Grundsätzlich soll die Fertigung auf breiter Basis in allen Zivilabteilungen erstrebt werden."1 Von den Vertriebsabteilungen forderte er, für jeden Fertigungsbereich die Endziele vorzugeben. Die Bereiche sollten ihre Tätigkeit aufnehmen, sobald dafür die technischen Möglichkeiten bestehen. Der sich verzögernde Abschluß der Demontagen veranlaßte Victor Sandmann, seine Planungen den veränderten Gegebenheiten anzupassen. Am 6. Februar 1947 rief Hugo Schrade die Betriebsleiter zusammen, um die ersten praktischen Schritte in die Wege zu leiten. Er wies die Wiederherstellung von Bäumlichkeiten und das Zusammentragen der zurückgelassenen Maschinen und Einrichtungen an bestimmten Stellen der Gebäude an. „Nach Beendigung der Demontage werden sämtliche Räume gesäubert und verschlossen. Das Treppenhaus 14 ist als erstes wieder instand zu setzen (Türen, Fußböden, Abortanlagen)." Hugo Schrade verlangte, im Bau 29 die Stockwerke IV bis VI für die Wiederaufnahme der Fertigung vorzubereiten. 2

1

2

BACZ Nr. 20837 (Material von Victor Sandmann über die Planung für 1947 vom 26. November 1946). BACZ Nr. 16146 (Niederschrift über die Betriebsleiterbesprechung vom 6. Februar 1947).

Der Wiederaufbau des Zeiss-Werkes in Jena

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Bei der Planung der Wiederaufbauarbeiten hatten die Ansprüche der Besatzungsmacht zunächst Priorität. Das betraf sowohl das Contax-Programm als auch den SMAD-Optikauftrag vom Dezember 1946. Die SMAD achtete streng darauf, daß ihre Befehle eingehalten wurden. So überprüfte der SMAD-Mitarbeiter Chewaldin vom 20. bis 22. August 1947 das Zeiss-Werk. Er besichtigte alle Laboratorien, Werkstätten und Lager und erkundigte sich über die Belegung der Räumlichkeiten sowie über die Auftragsplanung. Karl Müller unterrichtete den SMA-Abgesandten über verschiedene technische und Materialschwierigkeiten, die hinsichtlich des Photo-Optik-Programms bestanden. So war zum Beispiel die Herstellung der Contax-Apparate in Verzug geraten, weil die Werkzeugmacherei noch mit der Anfertigung von Werkzeugen für diesen Auftrag befaßt war. 3 Dessen ungeachtet hatten die Geschäftsleiter schon einen größeren Zeitraum im Blick. Anknüpfend an die Dispositionen von Ende November 1946 gab Victor Sandmann am 14. Februar 1947 Richtlinien für die Gestaltung des Fertigungsprogramms vor. Er beauftragte die Vertriebsabteilungsleitungen, in Abstimmung mit den Fertigungsleitungen das traditionelle zivile Zeiss-Programm wieder anzubieten. Dazu waren künftig herzustellende Geräte unter Beachtung ihrer Qualität so rasch wie möglich auszuwählen. Erst danach sollte die weitere Programmplanung erfolgen. Victor Sandmann forderte, daß vorerst einige Standardtypen aufgelegt werden und äußerte die Ansicht, daß 1947/48 eine Programmerweiterung vermieden werden muß. Die Abteilungen sollten mindestens ein charakteristisches Zeiss-Instrument auf den Markt bringen. Experimente mit Neuentwicklungen seien zu unterlassen. Lediglich Geräte mit geringfügigen Verbesserungen könnten angeboten werden. Er hob hervor: „Carl Zeiss muß zunächst mit Waren gleicher Art und Güte auf dem Markt erscheinen." 4 Ende Dezember 1948 erinnerte der Planungsleiter Erich Schreiber in einer Betriebsleitersitzung daran, daß die Geschäftsleitung nach der Demontage den Plan gefaßt habe, den Gesamtaufbau des Werkes bis 1951 durchzuführen. Die Belegschaft sollte in diesem Zeitraum auf 9.000 Wissenschaftler, Techniker, Arbeiter und Raufleute anwachsen. Zugleich war vorgesehen, daß sich 1951 die produktiven Stunden auf ca. 700.000 Stunden pro Monat belaufen. Dr. Hans Harting, der von Hugo Schrade im Sommer 1945 gebeten wurde, die Geschäfte der Wissenschaftlichen Hauptleitung in seinem Auftrag wahrzunehmen, leitete den Wiederaufbau der Laboratorien und entwarf gemeinsam mit den Laborleitern das wissenschaftliche Rekonstruktionsprogramm. Vorerst konnte das Wiederaufbauprogramm nur in Absprache mit der Industrieabteilung der SMAD und dem Chef der SMA in Thüringen schrittweise realisiert werden. Bis in das Jahr 1948 hinein mußte die Geschäftsleitung für jedes Geschäftsfeld, das sie wieder bearbeiten wollte, die Genehmigung der SMAD einholen. Als im Februar 1948 die Aufträge für Rekonstruktionsarbeiten an Astro-Großgeräten aus Brasilien und Kanada eingingen, benötigte die

3

BACZ Nr. 4732 (Überprüfung des Zeiss-Werks durch Herrn Chewaldin von der SMAD, BerlinKarlshorst vom 20. bis 22. August 1947).

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Geschäftsleitung dafür die Zustimmung der SMAD. Ebenso verhielt es sich bei Exportgeschäften. 3 Ende 1947 unterlag das Zeiss-Werk noch immer der Rontrolle durch die Industrie-Verwaltung der SMAD.6 Erst im Mai 1948 erhielt Hugo Schrade im Laufe eines Gesprächs mit dem Chef der SMA in Thüringen auf die Frage, ob es für den Aufbau des Zeiss-Werkes eine Grenze gibt, von Kolesnitschenko die Antwort, „daß dem Wiederaufbau nach oben keine Grenzen gesetzt sind". „Zur Grundfrage erklärte General K.", so vermerkt die Gesprächsniederschrift, „daß auch solche Geräte in die Planung aufgenommen werden sollen, welche die Reparationsverwaltung nicht interessiert, dagegen für Export oder sonstigen Bedarf in Deutschland nötig erscheinen". 7 Bei einer späteren Begegnung mit dem Generalmajor erfuhr Hugo Schrade, daß die Geschäftsleitung bei der SMA keinerlei Genehmigungen mehr einzuholen braucht, wenn sie die Produktionsfläche des Unternehmens erweitern will. Der Grund für diese neue Haltung der sowjetischen Besatzungsmacht lag in der veränderten Politik der sowjetischen Regierung in Deutschland. Im Laufe des Jahres 1947 befaßten sich die Geschäftsleiter mehrfach mit der Organisationsstruktur des Zeiss-Werkes, die auf die Erfordernisse des Wiederaufbaus ausgerichtet werden mußte. Dabei ging es vor allem auch darum, die personellen Lücken zu schließen, die durch die Deportation der Fachleute in die UdSSR und durch die Folgen der Demontage vor allem in der Leitungshierarchie entstanden waren. Gleichzeitig waren die Facharbeiter nach ihren Arbeitserfahrungen und -fertigkeiten in den sich neu konstituierenden Betriebsabteilungen einzusetzen. Im Februar 1948 bestand im Zeiss-Werk folgende Organisationsstruktur: Der Geschäftsleitung mit den Stabsabteilungen unterstanden die Wissenschaftliche Hauptleitung, Entwicklungshauptleitung, Betriebshauptleitung, Raufmännische Hauptleitung, Vertriebshauptleitung und Personalhauptleitung. Daneben bildeten die Berufsschule und die Lehrlingswerkstätten eine eigene Struktureinheit. Zur neu gebildeten Betriebshauptleitung gehörten sieben Betriebsleitungen und das Ausbildungswesen. 8 Am 13. März 1947 gab Hugo Schrade in der Betriebsleiterbesprechung das Ende der Demontage bekannt und stellte dazu fest: „Der Weg für den Wiederaufbau ist nun frei und es soll mit allen Rräften diese Aufgabe in Angriff genommen werden." 9 Die Mitarbeiter der Forschungs- und Entwicklungsbereiche brachten gemeinsam mit den Betriebshandwerkern ihre Arbeitsräume wieder in Ordnung. Sie

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BACZ Nr. 4907 (Schreiben von Victor Sandmann: Betr.: Wiederaufbau des Werkes. Fertigungsprogramm). BACZ Nr. 6501 (Schriftwechsel mit Fa. Carl Zeiss - SMAD). BACZ Nr. 6501 (Schriftverkehr Fa. Carl Zeiss - SMAD-Industrieverwaltung vom 29/50 Dezember 1947). BACZ Nr. 26785 (alt) (Niederschrift über einen Besuch von Hugo Schrade bei Kolesnitschenko am 10. Mai 1948). Hellmuth: Die Entwicklung des VE Β Carl Zeiss, Anlage 4.13-14. BACZ Nr. 16146 (Niederschrift über die Betriebsleiterbesprechung am 13. März 1947).

Der Wiederaufbau des Zeiss-Werkes in Jena

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begannen sowohl mit der Rekonstruktion der Unterlagen für die Meß- und Prüfeinrichtungen, die für die Wiederaufnahme der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten unerläßlich waren, als auch mit den Arbeiten an den für den Verkauf vorgesehenen Erzeugnissen. Ebenso wurden Konstruktionsunterlagen für spezifische Maschinen und Einrichtungen geschaffen. Auch wenn zunächst die Entwicklungsarbeiten im Vordergrund standen, die sich aus dem Sokolowski-Befehl ergaben, so bereiteten die Mitarbeiter der Forschungs- und Entwicklungshauptleitungen gleichzeitig das traditionelle ZeissGerätesortiment für die Fertigung vor. Als ein Beispiel dafür kann das MessLabor genommen werden, das unter Leitung von Fritz Löwe stand und in dem Horst Lucas, der 1947 nach Jena zurückgekehrt war, an maßgeblicher Stelle wirkte. Die Mitarbeiter dieses Laboratoriums begannen damit, das vollständige Programm an physikalisch-optischen Meßgeräten zu rekonstruieren. 10 Zugleich wurden der Abbe-Refraktometer, das Laborinterferometer und das Rreiselpolarimeter neu konstruiert. Auf die Rekonstruktionsarbeiten in anderen Warengruppen wird im fünften Kapitel eingegangen. Der zügige Wiederaufbau des Zeiss-Werkes wurde im Fertigungsbetrieb (FBL), den Rudolf Müller leitete, besonders deutlich. In diesem Betrieb arbeitete man 1947 vornehmlich noch am Contax-Programm, um die komplette Fabrikeinrichtung für die Herstellung von Photo-Apparaten vom Typ Contax, einschließlich aller Werkzeuge, Vorrichtungen, Hilfsmittel, Zeichnungen und technischer Unterlagen, endgültig abzuschließen. Im Juni 1948 konnte die Fabrikeinrichtung in einem Gesamtwert von 7,4 Millionen RM abgerechnet werden. 11 Sodann kam es darauf an, die materiell-technischen Voraussetzungen für die Fertigung der photo-optischen Systeme zu schaffen, die der Sokolowski-Befehl verlangte. Bis Juni 1947 konzentrierte man sich darauf, die Herstellung der Kleinbild-Objektive in Gang zu setzen, im Sommer 1947 erfolgte dann die Produktionsaufnahme Abb. 9 Kleinbildkamera Contax. Juni 1947 von Reproduktions-Objektiven, und ab September 1947 begann die Fertigung der Kino-Projektions-Objektive. Am 25. November 1947 stellte die Abteilung das zwanzigtausendste Objektiv fertig.12

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Lothar Krämer: Fritz Löwe - Leben und Werk. In: Jenaer Jahrbuch zur Technik- und Industriegeschichte 1999, S. 53-54. BACZ Nr. 17140 (Wipo. Jahresbericht der Abteilung Vertrieb für optische Meßgeräte für das Geschäftsjahr; Jahresbericht der Abteilung Diverser Verkauf für das Geschäftsjahr 1947/48); Hellmuth: Die Entwicklung des VE Β Carl Zeiss, S. 31. Schumann: Carl Zeiss. Einst und Jetzt, S. 636.

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Diese Fortschritte wurden möglich, weil bis Ende 1948 die Produktionsfläche von 3.000 auf 10.200 m 2 erweitert werden konnte und der Ausrüstungspark von 120 auf 420 Maschinen anwuchs, wovon allerdings noch immer 45 Maschinen überholungsbedürftig waren. Die Belegschaft des FBL, die unmittelbar nach der Demontage nur noch 400 Arbeiter und Angestellte zählte, belief sich Ende 1948 bereits auf 1.288 Personen. Rudolf Müller sorgte vor allem dafür, daß in den Werkstätten - ungeachtet aller Schwierigkeiten - die technologischen Prozesse modern gestaltet wurden. Es gelang bis Ende 1948 nicht, die vorgesehenen Umkleideräume und Waschanlagen einzurichten. 13 Die Brillenfertigung, die im Frühjahr 1947 wieder begann, wurde zügig gesteigert, so daß der Brillen-Betrieb im vierten Quartal des gleichen Jahres 70.000 Brillengläser ausliefern und schon Duopal-, Star- und Ratraigläser herstellen konnte. 14 Von besonderer Bedeutung war der Aufbau einer eigenen Gießerei, in der am 22. Juni 1948 der erste Abstich des selbstkonstruierten Kupolofens erfolgte.15 Erhebliche Aufwendungen waren notwendig, um die durch Bombardements und Demontage verwüsteten Produktionsgebäude wieder herzurichten. Im Hauptwerk wurden 50.000 m 2 für die Fertigung wieder instand gesetzt, so daß im Dezember 1947 auf einer Gesamtfläche von 70.000 m 2 gearbeitet werden konnte. Dazu war es nötig, 6.500 m 2 Wandfläche neu zu errichten, auf 30.000 m 2 Malerarbeiten auszuführen, 3.000 m 2 Fensterglas einzusetzen, 2.500 m 2 Parkettboden neu zu verlegen bzw. zu reparieren und 1.800 m 2 Pflaster und Asphalt aufzubringen.16 Am 8. März 1947 zählte die Belegschaft noch 6.392 Mitarbeiter, davon waren 33,5 Prozent Angestellte und 66,5 Lohnarbeiter. 17 Da es aber für diesen Personenkreis nach dem Abschluß der Demontage noch nicht genügend Beschäftigung gab, mußten ca. 1.000 Arbeitskräfte beurlaubt werden, so daß die Belegschaftszahl im April 1947 auf 5.048 Arbeiter und Angestellte zurückging. Nachdem sich der Wiederaufbau zügiger als erwartet vollzog, rief man im Laufe des Jahres einen Teil der Beurlaubten ins Werk zurück. Ende 1947 beschäftigte das Zeiss-Werk wieder 6.233 Personen 18 und im folgenden Jahr 9.000 Wissenschaftler, Ingenieure, Techniker, Kaufleute und Arbeiter. Damit war die Vorgabe des ersten Aufbauplans realisiert. 19 Der Wiederaufbau wurde aus verschiedenen Quellen finanziert. 1947 erreichte die Geschäftsleitung, daß die Rechnungen für Leistungen, die sowjetische Militäreinheiten und Auftraggeber vor der Demontage in Anspruch genommen hatten,

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BACZ Nr. 15410 (FBL-Bericht: 18 Monate Aufbau). Schumann: Carl Zeiss. Einst und Jetzt, S. 636-637. BACZ Nr. 18947 (Zeittafel der ZBL Oktober 1946 - Dezember 1948). BACZ Nr. 6478 (Rechenschaftsbericht von Hugo Schrade auf der Betriebsversammlung des Zeiss- und des Glaswerkes am 5. Dezember 1947). BACZ Nr. 26785 (alt) (Personalstatistik vom 10. August 1947.). BACZ Nr. 6478 (Rechenschaftsbericht von Hugo Schrade vor der Belegschaft des Zeiss- und des Schott-Werkes am 5. Dezember 1947). Schumann: Carl Zeiss. Einst und Jetzt, S. 676.

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zum Teil beglichen wurden. Des Weiteren konnte das Contax-Programm abgerechnet werden. Sichere Einnahmen waren die Erlöse aus Reparationslieferungen und Verkäufen an sowjetische Handelsorganisationen. Während die Aufwendungen für die Reparationen aus dem thüringischen Staatshaushalt beglichen werden mußten, zahlten die Handelsorganisationen in bar. Im Laufe des Jahres 1947 lieferte das Zeiss-Werk Erzeugnisse im Wert von 8,9 Millionen RM und von Januar bis Juni 1948 für weitere 1,3 Millionen RM an sowjetische Auftraggeber. Der Anteil der Lieferungen der Firma Carl Zeiss Jena an die UdSSR am Gesamtumsatz und Anteil der sowjetischen Handelsorganisationen an diesen Lieferungen ist der Tabelle 8 im Tabellenanhang zu entnehmen. 1947 beanspruchte die UdSSR 67,1 und in den ersten sechs Monaten des Jahres 1948 16 Prozent vom Gesamtumsatz des Zeiss-Werkes.20 Mit der allmählichen Wiederaufnahme der Produktion stiegen auch die Einnahmen aus dem Verkauf von Fertigerzeugnissen an die einheimische Bevölkerung. Allerdings wurden die finanziellen Resultate des Zeiss-Werkes durch die Preispolitik der Alliierten beeinträchtigt, denn in dem hier betrachten Zeitraum galten die Stopp-Preise des Jahres 1944, die schon bei ihrer Einführung nicht kostendeckend waren. Da inzwischen die Preise für Rohstoffe, Material und Halbzeuge unter der Hand weiter angestiegen waren, sah sich die Geschäftsleitung schon 1946 veranlaßt, bei den deutschen und sowjetischen Preisbehörden Anträge auf Preiserhöhung zu stellen, auf die zunächst nicht reagiert worden war. Immerhin ging es um Preiserhöhungen, die zwischen 70 Prozent für medizinische Geräte und 125 Prozent für astronomische Geräte lagen. Im September 1947 gab es ein gewisses Zugeständnis dahingehend, daß für Erzeugnisse, für die Preiserhöhungsanträge liefen, die beantragten Preise berechnet werden durften. Für Reparationslieferungen mußten weiterhin Preise angesetzt werden, die 1944/45 galten.21 Den entscheidenden Anteil an der Finanzierung des Wiederaufbaus hatten aber die Kredite von der Thüringischen Landesbank. Wie noch zu schildern ist, beschloß der Thüringische Landtag Anfang 1947 ein Gesetz zum Wiederaufbau der Stiftungsunternehmen, auf dessen Grundlage das Land eine Kreditbürgschaft von 35 Millionen RM übernahm. Davon entfielen 71 Prozent auf die Firma Carl Zeiss.22 Auch für 1948 stellte die Landesregierung einen Wiederaufbaukredit von monatlich bis zu zwei Millionen RM bereit 2 3 Zwischen Januar 1947 und Juni 1948 wuchs der Umsatz der Firma Carl Zeiss bei einigen Rückschlägen allmählich an. In diesem Zeitraum realisierte das Unternehmen insgesamt 22,3 Millionen RM.24 Die Tabelle 9 im Tabellenanhang vermittelt

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Quelle: Errechnet nach BACZ Nr. 25200 (Umsätze im Zeiss-Werk und Monatserfolgsmeldungen). BACZ Nr. 15293 (Interne Mitteilung über die Bestimmungen der SMAD über Reparationslieferungen vom 29. April 1947; Preisgestaltung vom 1. September 1947). BACZ Nr. 23341 (Vermerk über ein Telefonat zwischen Friedrich Wonne und Kohlitz vom 25. Januar 1947). BACZ Nr. 7792 (Materialsammlung Archiv. Chronik); Hellmuth: Die Entwicklung des VE Β Carl Zeiss, S. 30-31. Errechnet nach BACZ Nr. 23200 (Umsätze im Zeiss-Werk und Monatserfolgsmeldungen).

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einen Eindruck von der Umsatzentwicklung in diesem Zeitraum. Im Frühjahr 1947 stellte das Zeiss-Werk erste Erzeugnisse auf der Leipziger Messe aus. Im folgenden Jahr konnten die Zeissianer das neue Mikroskop LgO, eine Phasenkontrasteinrichtung und die Kugelspiegellampe auf der Leipziger Frühjahrsmesse zeigen.25

Abb. 10 Zeiss-Messestand in Leipzig. Frühjahr 1947

Im Sommer 1948 war die erste Wiederaufbauetappe des Zeiss-Werkes weitgehend abgeschlossen.

Die Abwehr des ersten Verstaatlichungsversuches Als das Ende der Demontage der Stiftungsunternehmen unmittelbar bevorstand und die Stiftungsunternehmen in absehbarer Zeit ihre traditionelle Friedensproduktion wieder aufbauen konnten, kam es zur ersten Auseinandersetzung über die Verfassung der Carl-Zeiss-Stiftung. Während die Geschäftsleiter und die

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BACZ Nr. 9102 (Mikro-Vertrieb. Jahresbericht 1947/48 der Abteilung Mikro und Med).

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Belegschaft davon ausgingen, daß die demontierten Betriebe im Eigentum der Stiftung verbleiben, war man in der SED-Führung in Thüringen der Ansicht, daß die Werke Zeiss und Schott ebenso wie die anderen 1.200 Industriebetriebe in das Eigentum des Landes übergehen und von der Hauptverwaltung Landeseigene Betriebe geführt werden müssen. Diese Absicht stellte das gesamte Lebenswerk von Ernst Abbe in Frage. Als Betriebsratsmitglieder der beiden Stiftungsunternehmen am 13. Januar 1947 Walter Ulbricht, der zu dieser Zeit als Mitglied des Parteivorstandes und des Zentralsekretariats der SED vornehmlich die Wirtschaftspolitik dieser Partei bestimmte, aufsuchten, um ihn um Unterstützung gegen das Vorgehen der Demontagekommandos zu ersuchen, kam das Gespräch auch darauf, was nach dem Ende der Demontage geschehen werde. Walter Ulbricht meinte dazu: „Zur Frage der Stiftungsbetriebe: Macht das, wie Ihr wollt. Bereitet mit Eurer Regierung ein neues Statut vor, jedoch ohne die Abbe-Theorie! Wir machen reine Staatsbetriebe ohne Aktiengesellschaften und GmbH. Eine Gewinnbeteiligung der Arbeiter wird darin nicht vorgesehen. Wir wollen bessere soziale Einrichtungen für alle. Ihr müßt Eure Zeiss-Theorie weitgehend liquidieren und die Stiftung modernisieren. ... Wir zeigen Euch jetzt einen Ausweg und dann wird es schon einen Auftrieb geben."26 Walter Ulbricht gab den Betriebsräten die Empfehlung auf den Weg, die CarlZeiss-Stiftung in modernisierter Form fortbestehen zu lassen, aber die Stiftungsunternehmen in staatliches Eigentum zu überführen. Als Hugo Schrade wenige Tage später, am 23. Januar 1947, den Chef der SMA in Thüringen besuchte, um mit ihm über Probleme des Wiederaufbaus nach der Demontage zu sprechen, erhielt er den Rat, das Zeiss-Werk nicht als Unternehmen der Carl-Zeiss-Stiftung, sondern als landeseigenen Betrieb wieder aufzubauen. 27 Rolesnitschenko vertrat natürlich den Standpunkt der sowjetischen Führung, daß die Demilitarisierung der deutschen Industrie nur gesichert werden könne, wenn sich deren rüstungsrelevanten Teile in der Hand eines vom Kapital unbeeinflußten Staates befinden. Am 25. Januar 1947 notiert Otto Marquardt im Betriebsratstagebuch: „Gespräch mit Dr. Jobst, Matthes. ... Die Bestrebungen in Richtung landeseigener Betrieb".28 Wenige Tage später, am 4. Februar 1947, fand eine Sitzung des Sekretariats der SED-Landesleitung statt, zu der man maßgebliche SED-Funktionäre aus den Stiftungsunternehmen eingeladen hatte. Auf der Tagesordnung stand die Überführung der Stiftungsunternehmen in Landeseigentum. In den Tagesordnungspunkt führte Werner Eggerath, einer der beiden Vorsitzenden der SED-Landesparteiorganisation, ein. Er begründete die Notwendigkeit einer Enteignung mit der Feststellung, daß der Carl-Zeiss-Stiftung die wirtschaftliche Grundlage ent-

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BACZ Nr. 14912 (Reisebericht über Besuch der Betriebsraisvertreter Auer, Adam und Matthes bei Walter Ulbricht in Berlin und der SMAD in Karlshorst vom 13. bis 15. Januar 1947). BACZ Nr. 15125 (Niederschrift über die Besprechung zwischen Hugo Schrade und Rolesnitschenko am 23. Januar 1947). BACZ Nr. 27200 Betriebsratstagebuch (Eintragung vom 25. Januar 1947).

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zogen sei und verwies auf die „Abneigung der großen Mehrheit der Arbeiter in Deutschland gegen die besonderen Privilegien der Jenenser". Mit dem tatsächlichen Wesen der Carl-Zeiss-Stiftung hatte er sich offensichtlich nicht befaßt. Auch Walter Wolf, Minister für Volksbildung und verantwortlich für die Stiftungsverwaltung, hatte sich nicht näher mit der Materie befaßt, denn er argumentierte in der Diskussion: „Die Arbeiter im Zeiss-Betrieb wurden von den Kapitalisten korrumpiert, und diese Korruption ist Tradition geworden. Deshalb muß Zeiss landeseigen werden." Werner Eggerath fügte noch hinzu, die ZeissArbeiter seien nicht klassenbewußt gewesen. Die SED-Funktionäre aus dem Zeiss- und Schott-Werk ließen sich aber nicht überzeugen, sondern beharrten auf die Wiederherstellung der Stiftungsverfassung, wie sie vor der Sequestrierung durch die SMA bestanden hatte. Allerdings sprachen sie sich für eine größere Einflußmöglichkeit des Ministeriums für Volksbildung, also der Stiftungsverwaltung, und für die Einbeziehung des Wirtschaftsministeriums in die Leitung der Stiftungsunternehmen aus. Sie waren auch dafür, daß eine Persönlichkeit zum Stiftungskommissar berufen wird, die den Einfluß der SED und des von dieser Partei dominierten Staatsapparates auf die Stiftung und deren Unternehmen verstärkt. Aufgrund dieses Widerstandes konsultierte das Landessekretariat Berlin und insbesondere Walter Ulbricht. Von dort kam der Bescheid, „daß Zeiss als Stiftung beibehalten werden soll. Das Statut soll geändert und der Einfluß der Gewerkschaft und der Belegschaft entscheidend verankert werden. Ein Einfluß der landeseigenen Betriebe muß sichergestellt werden". 29 Die Geschäftsleiter und die Betriebsräte unterrichteten die betriebliche Öffentlichkeit über die Absichten, die es hinsichtlich der Stiftungsunternehmen gab. Das veranlaßte die 300 Abteilungsvertreter, das waren in den Verwaltungseinheiten und Werkstätten gewählte Belegschaftsvertreter, sich am 6. Februar 1947 entschieden gegen die Überführung der Stiftungsunternehmen in Landeseigentum auszusprechen. Daraufhin wandte sich Hugo Schrade am 7. Februar 1947 an den Ministerpräsidenten, Dr. Rudolf Paul, mit der Bitte um Unterstützung für den Fortbestand der Stiftungsverfassung. Um sich beim Chef der SMA in Thüringen zugunsten der Carl-Zeiss-Stiftung sachkundig äußern zu können, erbat Rudolf Paul eine entsprechende schriftliche Unterlage. Am 9. Februar 1947 trafen der Stiftungskommissar, die Geschäftsleiter und die Betriebsräte zusammen, um das für den Ministerpräsidenten verfaßte Papier zu erörtern. Sie formulierten den Antrag auf Rückgabe der Stiftungsunternehmen an die Carl-Zeiss-Stiftung und stellten ihn dem Ministerpräsidenten zu. In diesem Zusammenhang legte Victor Sandmann das Memorandum „Betr. Verstaatlichung der Zeiss-Betriebe" vor, in dem er nachdrücklich gegen die Überführung der Stiftungsbetriebe in Landeseigentum polemisierte. 30

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Zitiert in Oskar Kiel: Zur Bewußtseinsentwicklung der Werktätigen des Zeiss-Werkes im Prozeß der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung. Diss. Jena 1988, S. 57-59. BACZ Nr. 14681 (Victor Sandmann. Betr.: Verstaatlichung der Zeiss-Betriebe o.D.).

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Die Beharrlichkeit, die sich in Jena gegen eine Verstaatlichung der Stiftungsunternehmen zeigte, führte Ende Februar 1947 zu einer Koalition der politischen Parteien im Landtag. Die SED-Fraktion brachte am 6. März 1947, unterstützt von der Fraktion der Liberaldemokraten, in der Landtagssitzung einen InitiativDringlichkeitsantrag ein, der ohne Aussprache sofort an den Rechtsausschuß zur Beratung überwiesen wurde. Die drei entscheidenden Punkte des Antrags waren: „I. Die Regierung wird beauftragt, dafür Sorge zu tragen, daß nach Freigabe durch die Besatzungsmacht die Firma Carl Zeiss in Jena mit ihren Nebenbetrieben in Gera und Saalfeld und die Firma Schott & Gen. in Jena als Stiftungsbetriebe der Carl-Zeiss-Stiftung zurückgegeben werden. II. Die Regierung wird beauftragt, die Stiftungsverwaltung zu veranlassen - im Rahmen und nach den Vorschriften des Statuts der Carl-Zeiss-Stiftung - eine Überprüfung dieses Statuts und gegebenenfalls Änderungen, Streichungen und Bestimmungen vorzunehmen... III. Die Regierung wird beauftragt, im Einvernehmen mit den Betriebsräten und den Geschäftsleitungen der Stiftungsbetriebe dafür Sorge zu tragen, daß beiden Betrieben ermöglicht wird, ihre ursprüngliche und einmalige Aufgabe eines geordneten Zusammenwirkens von Wissenschaft und technischer Kunst auf dem Gebiete feinmechanischer Industrie auch weiterhin in vollem Umfang erfüllen zu können." Ein vierter Punkt betraf die Aufgaben, die das Ministerium für Wirtschaft zu leisten hat, damit der Wiederaufbau der Stiftungsunternehmen zügig erfolgen kann. 31 Die Verfasser dieses Antrages machten für die im Punkt II von der Stiftungsverwaltung geforderte Überprüfung des Stiftungsstatuts einige Vorgaben. So wurde verlangt, daß „für alle Zeiten die Übernahme jeder Art von Kriegs- und Rüstungsproduktion" als ausgeschlossen und mit der „Art der wissenschaftlichtechnischen Zielsetzung und der Produktionsaufgaben" der Stiftungsunternehmen unvereinbar erklärt wird. Das Ministerium für Wirtschaft solle neben dem Volksbildungsministerium in die Rechte und Obliegenheiten der Stiftungsverwaltung einbezogen werden. Die seit 1905 am Statut der Carl-Zeiss-Stiftung vorgenommenen Veränderungen seien rückgängig zu machen. Das Mitbestimmungsrecht bei der Leitung der industriellen Tätigkeit und der Verwaltung ihres Geschäftsbetriebes sowie in der Verwaltung der Stiftungseinrichtungen seien durch die Teilnahme der Betriebsratsvorsitzenden der Stiftungsunternehmen sicherzustellen. Der Rechtsausschuß des Landtages befaßte sich am 14. und 15. März 1947 mit dem Antrag der SED, den auch die LDPD-Landtagsfraktion mit trug. Am 15. März hielt der Ausschuß seine Sitzung im Zeiss-Werk ab. Im Zentrum der Diskussion standen die Punkte im Antrag, die auf eine Änderung des Stiftungs-

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Was geschah im Thüringen Landtag? Thüringer Landtag 1946-1949, Stenographische Berichte, Bd. I, 1.-19. Sitzung vom 21. November 1946 bis 30. Mai 1947, S. 154.

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statuts hinsichtlich der Mitbestimmung der Belegschaftsvertretung und der Einflußnahme der Ministerien auf die Geschäftstätigkeit der Stiftungsunternehmen abzielten. Der Stiftungskommissar und die Geschäftsleiter nahmen Gelegenheit, den Abgeordneten den Inhalt des Stiftungsstatuts in den in Rede stehenden Diskussionspunkten zu erläutern. Dabei standen sie vor einer doppelten Aufgabe. Sie mußten die politisch motivierten Eingriffe in das Stiftungsstatut abwehren, aber zugleich erkennen lassen, daD die aus den politischen Gegebenheiten erwachsenden Forderungen nach einem größeren Einfluß der Ministerien und der Betriebsräte auf die Stiftung und deren Unternehmen auch auf eine andere Weise möglich sei und bereits praktiziert werde. Am Schluß der Ausschußsitzung wurde das Ergebnis der Diskussion hinsichtlich der einzelnen Punkte des Antrags festgestellt. Der Ausschuß empfahl, die Stiftungsbetriebe an die CarlZeiss-Stiftung zurückzugeben, also nicht zu verstaatlichen. Einstimmigkeit bestand hinsichtlich der Unterbindung der Rüstungsproduktion. 32 Am 25. März 1947 beauftragte der Landtag die Regierung „dafür Sorge zu tragen, daß nach Freigabe durch die Besatzungsmacht die Firma Carl Zeiss in Jena mit ihren Nebenbetrieben in Gera und Saalfeld und die Firma Schott & Gen. in Jena als Stiftungsbetriebe der Carl-Zeiss-Stiftung zurückgegeben werden". 33 Damit war der erste Angriff auf die Verfassung der Carl-Zeiss-Stiftung abgewehrt. Dabei sollte es aber nicht lange bleiben, denn im Frühjahr 1948 veränderte sich die Situation für die Stiftungsunternehmen grundlegend.

Der Verstaatlichungsprozeß Der Parteivorstand der SED hatte nach Konsultationen mit dem Obersten Chef der SMAD auf seiner Tagung am 11. und 12. Februar 1948 empfohlen, die Tätigkeit der Sequesterkommissionen in der sowjetischen Besatzungszone zu beenden. 34 Um einen entsprechenden Befehl der SMAD vorzubereiten, der dann am 17. April 1948 erlassen wurde, 35 überprüfte auch die Landessequesterkommission in Thüringen die industriellen Vermögenswerte, über die die Besatzungsmacht bisher noch nicht entschieden hatte. Dazu gehörten alle industriellen Unternehmungen, die formal noch unter sowjetischer Verwaltung standen. Da das auch, wie sich nun herausstellte, die Unternehmen der Carl-Zeiss-Stiftung betraf, befaßte sich die Landessequesterkommission mit diesen beiden Werken.

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BACZ Nr. 19144 (Protokoll der Sitzung des Rechtsausschusses des Landtages von Thüringen, abgehalten im Zeiss-Werk am 15. März 1947). Zitiert in Schumann: Carl Zeiss. Einst und Jetzt, S. 644. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Chronik: Teil III Von 1945 bis 1965, Berlin 1967, S. 145. Beschluß des Sekretariats der Deutschen Wirtschaftskommission über die Beendigung der Tätigkeit der Sequesterkommissionen vom 31. März 1948; Befehl Nr. 64 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland zur Beendigung des Sequesterverfahrens vom 17. April 1948. In: Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland, S. 616617, 620-622.

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Dabei ignorierten sowohl die SED-Mitglieder in der Rommission als auch die Spitzenfunktionäre der SED in Weimar und Berlin den Landtagsbeschluß vom Vorjahr über die Rückgabe der demontierten Jenaer Werke an die Carl-Zeiss-Stiftung. Mit der Begründung, daß die Stiftungsbetriebe maßgeblich an der Ausrüstung der deutschen Wehrmacht beteiligt waren, wurden zwischen dem 25. und 27. Februar 1948 Belegschaftsvertreter, Funktionäre der SED-Betriebsgruppe und die Geschäftsleiter dazu gedrängt, sich für die Enteignung des industriellen Vermögens der Carl-Zeiss-Stiftung auszusprechen oder sie zumindest zu akzeptieren. 36 Das erwies sich als außerordentlich schwierig, denn zunächst stießen die Befürworter einer Enteignung auf erheblichen Widerstand. Vor allem in der Belegschaft kam es zu heftigen Protesten gegen dieses Vorhaben. Hugo Schrade, der als Industrievertreter der Sequesterkommission angehörte, versuchte bis zuletzt die Verletzung der Stiftungsverfassung, die mit der Verstaatlichung der Werke Zeiss und Schott verbunden war, zu verhindern. In einer entscheidenden Sitzung von maßgeblichen SED-Funktionären des Landes Thüringen, die am 26. Februar 1948 stattfand, wandte er sich energisch gegen die Enteignung. Er entgegnete einem Mitglied des Landesvorstandes der SED, das das Argument vorbrachte, Zeiss müsse aufgrund seiner Rüstungsproduktion enteignet werden: „Ich kenne genau die Richtlinien von Befehl 124/126. Es ist kein Zweifel, daß Zeiss und Schott auf die Liste Α gehören. Man kann aber sicher das Doppelte an Aktienmaterial gegen die Gründe zur Verurteilung beibringen." Und nachdem er einiges gegen die Enteignung vorgebracht hatte, sagte er: „Wir müssen einen Weg finden, den unglaublichen Aufbau des Betriebes nicht zu hemmen. Den Vorwurf, daß Zeiss an seiner Kriegsproduktion verdient hat, muß ich zurückweisen. Wenn wir keine Kriegsproduktion gehabt hätten, stünden wir heute anders in der Welt da. Die moderne Forschung ist nachzuholen. Im Ausland ist man auf vielen Gebieten oft weiter. Wir müssen neue Erkenntnisse bekommen." Der Geschäftsleiter hatte Sorge, daß die Überführung der Stiftungsunternehmen in Landeseigentum den Aufbauschwung in Jena unterbrechen könnte. Er machte die Anwesenden auch darauf aufmerksam, daß sein Name unter Lieferverträgen steht, die eingehalten werden müssen. „Ein falscher Entschluß kann diese Verträge zum Scheitern bringen. Meine Aufgabe ist Sicherstellung der Fertigung." Und er warnte: „Wenn wir landeseigen werden, glaube ich, daß der Zeissbetrieb in Heidenheim selbständig wird. Drüben macht also ein neuer Carl Zeiss auf.... Werden wir aber volkseigen, befürchte ich, daß ein ganzer Teil Leute abrückt." Hugo Schrade hatte sich mit seinen Äußerungen politisch weit vorgewagt, um die ernste Gefahr von der Carl Zeiss-Stiftung abzuwenden, für die er sich persönlich verantwortlich fühlte. Er enthielt sich dann bei der Abstimmung in der Landessequesterkommission, ob die Stiftungsunternehmen auf die Liste der Betriebe gesetzt werden, die in Landeseigentum überführt werden sollen, der Stimme. Das war in der gegebenen politischen Situation durchaus mutig. Denn

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Mühlfriedel/Hellmuth: Das Tagebuch des Betriebsrates, S. 204.

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als die Ablehnung der Enteignung der Stiftungsunternehmen zugunsten des Landes Thüringen in der Zeiss-Belegschaft immer entschiedener wurde, besuchte der Chef der SMA in Thüringen, Gardegeneralmajor Kolesnitschenko, am 12. März 1948 das Zeiss-Werk, um die Betriebsräte und die Mitglieder der Betriebsparteiorganisation der Liberaldemokratischen Partei, die eine Entschließung gegen die Überführung des Zeiss-Werkes in Landeseigentum verfaßt und im Betrieb bekannt gemacht hatten, mit dem sowjetischen Standpunkt vertraut zu machen. Der Gardegeneralmajor plädierte für die Umwandlung des Zeiss-Werkes in Volkseigentum.37 Der Widerstand in der Belegschaft gegen die Enteignung wurde durch die Zusicherung untergraben, daß die Carl-Zeiss-Stiftung fortbestehen kann. Damit wurde die Befürchtung der Belegschaftsangehörigen zerstreut, daß sie durch die Verstaatlichung die sozialen Ansprüche, die ihnen das Statut der Carl-Zeiss-Stiftung gewährt und die sie sich in der Vergangenheit erworben hatten, verlieren könnten. Die Geschäftsleiter gaben sich zu diesem Zeitpunkt der Hoffnung hin, daß mit der Eintragung der Stiftungsunternehmen in die Liste der zu enteignenden Betriebe noch nicht feststeht, ob sie tatsächlich in Landeseigentum überführt werden, denn es bestand durchaus die Möglichkeit, daß die Landesregierung die Unternehmen der Stiftung überlassen könnte. Sie wurden in dieser Hoffnung durch die Bemerkung von Kolesnitschenko am 8. März 1948 gegenüber Hugo Schrade, daß wichtige Betriebe nicht den Ländern überlassen, sondern der DWR unmittelbar unterstellt werden, bestärkt. „Diese Betriebe", so Kolesnitschenko, „sollen zwecks leichterer Überwachung und Steuerung seitens der SMA direkt von der zentralen Wirtschaftskommission verwaltet werden." Zweck dieser Maßnahme sei es, den Ausstoß dieser Werke, an der die UdSSR selbst stark interessiert ist, „ehestens und weitestgehend zu verstärken". Der Dolmetscher Otto, der Hugo Schrade begleitet hatte, vermerkt in der Gesprächsnotiz: „Von russischer Seite aus scheint man auf die Frage des Eigentums keineswegs gesteigerten Wert zu legen, da man im Grunde genommen weiß, daß die Stiftung schon Volkseigentum und nicht Privateigentum ist.... Viel größeren Wert legt man russischerseits auf die Neuregelung der Unterstellung der Geschäftsleitung unter die direkte Leitung der zentralen Wirtschaftskommission, denn mit dieser Regelung glaubt man ehestens eine Leistungssteigerung erreichen zu können, denn, wie der General zum Ausdruck brachte, sollen über diese zentrale Wirtschaftskommission die herausgehobenen Firmen im besonderen Maße mit Material bedacht werden."38

Das Zeiss-Werk - Zentrum der W B OPTIK Tatsächlich arbeitete das Sekretariat der DWK zu dieser Zeit in enger Abstimmung mit der SMAD an einer Zentralisierung der wichtigsten Industriebereiche in der sowjetischen Besatzungszone. Das Resultat billigte der Oberste Chef der 37 38

Mühlfriedel/Hellmuth: Das Tagebuch des Betriebsrates, S. 204. BACZ Nr. 15125 (Niederschrift über Besprechung von Hugo Schrade mit Kolesnitschenko am 8. März 1948).

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SMAD am 23. April 1948 mit seinem Befehl Nr. 76.39 Das Sekretariat der DWR hatte beschlossen, die wichtigen Staatsbetriebe in der sowjetischen Besatzungszone nach branchenfachlichen Gesichtspunkten in Vereinigungen Volkseigener Betriebe (WB) zusammenzuschließen. Diese Vereinigungen wurden Anstalten des öffentlichen Rechts und juristisch selbständige Personen. Die Rechtsstellung der Betriebe innerhalb der Vereinigungen wird in der Geschäftsordnung der OPTIK Vereinigung für feinmechanische und optische Betriebe vom 30. November 1949 wie folgt beschrieben: „Die der Vereinigung Optik angegliederten Betriebe besitzen keine eigene Rechtspersönlichkeit. Sie sind rechtlich und wirtschaftlich unselbständige Betriebsstätten der Vereinigung. Sie sind in ihrer gesamten Geschäftsführung der Vereinigung unterstellt und an die Weisung der Direktion der Vereinigung und ihrer Beauftragten gebunden". 40 Die Hauptverwaltung Elektrotechnik und Feinmechanik-Optik hatte im April 1948 die Bildung einer Industrievereinigung im Industriezweig FeinmechanikOptik vorbereitet Dabei wurde auf die eigentumsrechtliche Stellung der Betriebe zunächst keine Rücksicht genommen, sondern unterstellt, daß sie bereits verstaatlicht sind. Das war aber im Falle der Stiftungsunternehmen noch nicht erfolgt. Die vom Ministerpräsidenten Thüringens unterzeichnete Enteignungsurkunde wurde erst am 1. Juni 1948 mit folgender Begründung ausgestellt: „Die Enteignung Ihrer auf Grund des Befehls Nr. 124 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland vom 30. Oktober 1945 beschlagnahmten Vermögenswerte Optisch-mechanische Werke Zeiss, Jena, sowie sämtlicher sonstiger Vermögenswerte ist durch den Befehl Nr. 64 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration vom 17. April 1948 bestätigt und damit rechtskräftig geworden."41 Im Befehl Nr. 64 verfügte der Oberste Chef der SMAD die Beendigung des Sequesterverfahrens. Er bestätigte „die von der Deutschen Wirtschaftskommission vorgelegten Listen der Betriebe der Monopolisten und anderer Kriegs- und Naziverbrecher, die ... enteignet und in den Besitz des Volkes überführt wurden", und bestimmte, „daß das Volkseigentum unantastbar ist".42 Noch bevor die formelle Enteignung der Stiftungsunternehmen erfolgt war, wurde Hugo Schrade vom Leiter der Hauptverwaltung, Grosse, zum 4. Mai 1948 zu einer Besprechung nach Berlin eingeladen. Grosse eröffnete Hugo Schrade, daß die volkswirtschaftlich bedeutenden feinmechanisch-optischen Staatsbetriebe 59

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Befehl Nr. 76 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland über die Bestätigung des Vorschlages der Deutschen Wirtschaftskommission zur Schaffung von Vereinigungen Volkseigener Betriebe und Instruktionen über das Verfahren der gerichtlichen Eintragung von Betrieben, die in Volkseigentum übergegangen sind. In: Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland, S. 625. BACZ Nr. 19441 (Geschäftsordnung der OPTIK Vereinigung Volkseigener Betriebe für feinmechanische und optische Geräte vom 30. November 1949). 40 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 1, S. 7 (Faksimile). Befehl Nr. 64 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland zur Beendigung des Sequesterverfahrens. In: Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland, S. 616-617, 620-622.

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zu einer Industrievereinigung zusammengefaßt werden und trug ihm die Leitung dieser Wirtschaftseinheit an. Nach einer längeren Diskussion erklärte sich Hugo Schrade bereit, die Aufgabe eines Hauptdirektors zu übernehmen, wenn er gleichzeitig das Zeiss-Werk weiterhin leiten kann. Obgleich eine derartige Personalunion nicht vorgesehen war, willigte der Hauptverwaltungsleiter ein.43 Als Schrades Stellvertreter war Victor Sandmann vorgesehen. Am 10. Mai 1948 stellte der Leiter der Hauptverwaltung Maschinenbau und Elektrotechnik für Hugo Schrade eine Vollmacht aus, aus der hervorgeht, daß Hugo Schrade „zum Direktor der Industrievereinigung Feinmechanik-Optik Nr. 1" berufen ist. „Herr Direktor Dr. Schrade hat alle Vollmachten, Arbeiten, die notwendig sind, um die Organisation der Industrievereinigung FeinmechanikOptik durchzuführen, einzuleiten. Er ist insbesondere bevollmächtigt, die Erfassung der Betriebe, die der Vereinigung zugeteilt sind, unverzüglich durchzuführen und alle in diesem Zusammenhang notwendigen Maßnahmen anzuordnen." 44 Im Laufe des Monats Mai 1948 bereiteten Hugo Schrade und Victor Sandmann die Gründung der Industrievereinigung vor. Sie wählten die Betriebe aus, die in die Vereinigung aufgenommen werden sollten und bestimmten Zeiss-Mitarbeiter für die Leitung der Industrievereinigung, die ihre Funktion ebenfalls in Personalunion ausübten. Am 1. September 1948 stand die Leitungsstruktur der Industrievereinigung fest. Sie bestand anfangs aus der Raufmännischen Leitung, die in den Händen von Victor Sandmann lag, der Technischen Leitung unter Rudolf Müller und der Personalleitung, die Rudolf Jobst unterstand. Diesen drei Direktionsbereichen waren Abteilungen und Büros zugeordnet. Friedrich Wonne war für den Vertrieb und Erich Wolfram für die Fertigung zuständig. 45 Die Bereitschaft der Geschäftsleiter, bei der Bildung der Industrievereinigung die Federführung zu übernehmen, hatte strategische Gründe. Obgleich das Zeissund das Schott-Werk bis Juni 1948 noch Eigentum der Carl-Zeiss-Stiftung waren, hielten es die führenden Männer beider Unternehmen für zweckmäßig, sich gegenüber der geplanten Vereinigung nicht zu verweigern, sondern deren Aufbau selbst in die Hand zu nehmen und auf diese Weise von vornherein ihren Einfluß auf den Industriezweig zu sichern. Dabei kam ihnen zugute, daß in beiden Unternehmen reiche Erfahrungen darüber vorlagen, wie eine konzernähnliche Organisation beschaffen sein muß und wie sie von einem Zentrum aus zu führen ist. Die Geschäftsleiter sorgten dafür, daß der organisatorische Aufbau der Industrievereinigung weitgehend mit dem im Zeiss-Werk übereinstimmte. Durch die Verwendung eigener Fachkräfte konnte die Arbeitsweise der Abteilungen und Büros geprägt und kontrolliert werden. Das war vor allem auch deshalb wichtig, weil der SMA-Befehl Nr. 76 den Betriebsleitungen, also auch der Zeiss-Werkleitung, wesentliche unternehmerische Kompetenzen zugunsten der Industrie-

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BACZ Nr. 15775 (Vermerk über Besprechung bei der DWK am 4. Mai 1948). VA 5079 (1) (DWK-Vollmacht für Hugo Schrade vom 10. Mai 1948). BACZ Nr. 19441 (Organisationsplan vom 1. September 1948); Nr. 7895 (Sachberarbeiterverzeichnis vom 31. Mai 1948); Hellmuth: Die Entwicklung des VEB Carl Zeiss, Anlage 5.10.

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Vereinigung entzogen hatte. Nun hatte lediglich der Hauptdirektor der Vereinigung unmittelbaren Zugang zum Leiter der zuständigen Hauptverwaltung in der DWR, der die Plankennziffern für die WB bestimmte. Der Hauptdirektor vergab wiederum die Produktionsauflagen an die Betriebe in der Vereinigung. Da die Gewinne der einzelnen Betriebe an die Vereinigung abgeführt werden mußten, entschied der Hauptdirektor in Absprache mit der Hauptverwaltung bzw. mit der Planungsabteilung der DWR über die Verteilung der Investitionsmittel innerhalb der Vereinigung. Ebenso verhielt es sich mit der Zuteilung von Roh- und Hilfsstoffen und Halbzeugen. Auch über die Größe und Struktur der jeweiligen Betriebsbelegschaft entschied die Vereinigung. Die Leitung der Vereinigung besaß also den Schlüssel für die inhaltliche Ausrichtung der einzelnen Betriebe und damit für die Arbeitsteilung innerhalb der Vereinigung. Das war für das im Wiederaufbau befindliche Zeiss-Werk nicht unwesentlich. Der Absatz lag ebenfalls in den Händen der Vereinigung, der aber nur über die Deutsche Handelszentrale (DHZ), die die feinmechanisch-optischen Erzeugnisse in der sowjetischen Besatzungszone vertrieb, und dem staatlichen Unternehmen Deutscher Innen- und Außenhandel (DIA) erfolgen konnte. Beide staatlichen Handelsunternehmen vertraten in der sowjetischen Besatzungszone das Handelsmonopol, das die sowjetische Besatzungsmacht der DWR zugestanden hatte. In der zweiten Hälfte des Jahres 1948 erhielt die Industrievereinigung für feinmechanische und optische Geräte die Bezeichnung OPTIR Vereinigung Volkseigener Betriebe für feinmechanische und optische Geräte. Vor dem Hintergrund der allmählich größeren politischen und ökonomischen Bewegungsfreiheit der DWR konnte die WB OPTIR erstmals eine längerfristige Disposition treffen. Das setzte einen Überblick über das Potenzial der Vereinigung voraus. Die 12 Betriebe der Vereinigung beschäftigten 1948 insgesamt 13.639 Arbeitskräfte. Davon arbeiteten 58 Prozent im Zeiss-Werk. Der Umsatz dieser Betriebe belief sich 1948 auf 55,1 Millionen Mark,46 daran war das ZeissWerk mit 42 Prozent beteiligt 18,7 Prozent des Gesamtumsatzes entfielen 1948 auf Reparationsleistungen und 9,1 Prozent auf Lieferungen an diverse sowjetische Dienststellen. Vom Gesamtumsatz wurden in der Ostzone 49 und in Berlin 6,3 Prozent realisiert. In den Westzonen wurden 10,1 Prozent und im Export 1,9 Prozent umgesetzt, der Rest entfiel auf Lieferungen innerhalb der Vereinigung.47

Der Erhalt der Carl-Zeiss-Stiftung Als sich im Frühjahr 1948 abzeichnete, daß die Verstaatlichung des gewerblichen Vermögens der Carl-Zeiss-Stiftung in Ostdeutschland nicht mehr abzuwenden

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Da sich in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR die Bezeichnung der Wahrung mehrfach änderte, wird im folgenden die Bezeichnung Mark verwendet. Von 1948 bis 1964 hieß die Währung Deutsche Mark der Deutschen Notenbank und dann Mark der Deutschen Notenbank. Ökonomisches Lexikon, L-Z, S. 118. BACZ Nr. 24495 (Statistische Angaben der W B für feinmechanisch-optische Geräte).

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war, und - trotz gegenteiliger Beteuerungen der an einer Enteignung der Stiftungsunternehmen interessierten Kräfte - die Gefahr einer Liquidierung der Stiftung bestand, suchten die Geschäftsleiter nach einem Weg zur Sicherung der Stiftung. Dr. Rudolf Jobst übernahm es, dem Stellvertretenden Vorsitzenden der Deutschen Wirtschaftskommission, Fritz Selbmann, einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten. Am 21. Mai 1948 reiste Rudolf Jobst nach Berlin und erläuterte Fritz Selbmann den Sachverhalt. Selbmann nahm den unterbreiteten Vorschlag beifällig auf. Nach seiner Rückkehr formulierte Rudolf Jobst sowohl den Beschlußentwurf für die DWK als auch das Begleitschreiben mit der Begründung für den Fortbestand der Stiftung. Beides erörterte er zwischen dem 22. und 25. Mai 1948 mit den Geschäftsleitern und den Betriebsratsmitgliedern. 48 Die Schriftstücke wurden am 25. Mai 1948 Fritz Selbmann übersandt. Das Begleitschreiben enthielt die Gründe für einen Beschluß der DWR, mit dem der Fortbestand der Stiftung garantiert werden sollte. Der Beschluß würde die Rechte der beiden Betriebe gegenüber der Industrie-Vereinigung für feinmechanische und optische Geräte absichern und der Carl-Zeiss-Stiftung ermöglichen, ihre im StiftungsStatut festgelegten Stiftungszwecke auch weiterhin zu erfüllen. Durch den Fortbestand der Carl-Zeiss-Stiftung ließe sich ihr Einfluß auf die Vermögenswerte der Carl-Zeiss-Stiftung in den westlichen Besatzungszonen in vollem Umfang erhalten und etwaige Maßnahmen der amerikanischen Militärregierung in Anwendung ihres Gesetzes Nr. 52 abwenden. Schließlich könne durch den Beschluß verhindert werden, daß von irgend einer Seite eine Carl-Zeiss-Stiftung gebildet wird, die in der Lage ist, in den westlichen Besatzungszonen Ronkurrenzunternehmen der Jenaer Betriebe aufzubauen. Um den augenblicklichen Schwebezustand baldigst zu beenden, wurde die DWR um eine rasche Beschlußfassung ersucht. Das werde den Organen der Carl-Zeiss-Stiftung erlauben ausdrücklich festzustellen, „daß ihre Existenz und Wirksamkeit für die Zukunft außer Frage steht". Der Vorsitzende der DWK, Heinrich Rau, und dessen Stellvertreter, Fritz Selbmann, unterzeichneten am 16. Juni 1948 den „Beschluß über die Carl-ZeissStiftung". Darin legte das Sekretariat der DWR in „Anerkennung und Würdigung der Einmaligkeit des Werkes Ernst Abbes und von der Notwendigkeit der Fortführung der Existenz und Wirksamkeit der Carl-Zeiss-Stiftung überzeugt" fest, daß die „volkseigenen Betriebe Carl Zeiss und Jenaer Glaswerk Schott & Gen. gegenüber der Carl-Zeiss-Stiftung bestimmte Rechte und Verpflichtungen haben, die durch das neu zu fassende Statut festgestellt werden". Eine von der DWR eingesetzte Rommission sollte das Statut abfassen und der DWR zur Bestätigung vorlegen. Bis zum Inkrafttreten der neuen Satzungen der Carl-Zeiss-Stiftung „werden die Befugnisse aller Organe der Stiftung von einem von der DWR zu ernennenden Stiftungskommissar wahrgenommen, der über die Anwendung der

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VA Nr. 5888 (Vorschlag für den Beschluß der Deutschen Wirtschaftskommission vom 25. Mai 1948; Schreiben an den Vorsitzenden der Deutschen Wirtschaftskommission, Fritz Selbmann, vom 25. Mai 1948).

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Bestimmungen des alten Statuts entscheidet bzw. der DWR hierzu Vorschläge unterbreitet". 49 Der Beschluß der DWR garantierte den Fortbestand der Carl-Zeiss-Stiftung als Rechtsperson. Zugleich enthielt er einen entscheidenden Eingriff in die Stiftungsverfassung. In dem er die Verstaatlichung der gewerblichen Vermögenswerte sanktionierte, billigte er zugleich die Veränderungen in den Befugnissen und der Struktur der Unternehmensleitungen. Das tangierte ein wichtiges Organ der Carl-Zeiss-Stiftung. Das Stiftungsstatut sieht eine kollegiale Leitung der Stiftungsunternehmen mit weitreichenden Befugnissen vor. Die Leiter der Staatsbetriebe fungierten aber als Einzelleiter und waren dem Hauptdirektor der W B OPTIK verantwortlich, der wiederum seine Anweisungen von der jeweiligen DWK-Hauptverwaltung erhielt Der Stiftungskommissar mußte mit Zustimmung der Geschäftsleiter von der Stiftungsverwaltung berufen werden. Nun übernahm es die DWR selbst, einen Stiftungskommissar zu bestimmen, dessen Aufgabe es sein sollte, das Stiftungsstatut den gesellschaftlichen Verhältnissen anzupassen, die in Ostdeutschland entstanden. Der DWR-Beschluß enthielt also eine Reihe von Vorgaben, durch die das Stiftungsstatut erheblich modifiziert wurde. Stiftungskommissar Dr. Arno Barth entwarf im Sommer 1949 ein neues Stiftungsstatut, das - nach Auskunft von Victor Sandmann - die grundsätzlichen Paragraphen des Statuts unverändert ließ. Dieser Entwurf blieb bedeutungslos, weil im engeren Führungszirkel des Zeiss-Werkes an einer Veränderung des Stiftungsstatuts kein Interesse bestand. Mittlerweile hatte das Sekretariat der DWR Prof. Dr. Robert Rompe als staatlichen Rommissar eingesetzt und damit beauftragt, die „Befugnisse aller Organe der Stiftung" so lange wahrzunehmen, bis eine von der DWR berufene Rommission das Stiftungsstatut überarbeitet hat. Robert Rompe leitete zu dieser Zeit die Hauptabteilung für Hochschulen und Wissenschaft in der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung. Gleichzeitig war er der Leiter des II. Physikalischen Instituts an der Humboldt-Universität zu Berlin. Arno Barth, von dieser Entscheidung der DWR irritiert, erkundigte sich bei Robert Rompe über die dadurch entstandene Situation und erfuhr, daß der Wissenschaftler nicht besonders daran interessiert war, die Funktion eines staatlichen Rommissars auszuüben. Er erklärte Arno Barth, daß er sich der Stiftung übergeordnet fühle und nicht als Stiftungskommissar im Sinne des Statuts wirken wolle.50 Die ehemaligen Stiftungsunternehmen kamen ihren finanziellen Verpflichtungen gegenüber der Carl-Zeiss-Stiftung und dem Pensionsfonds nach.

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Beschluß über die Carl-Zeiss-Stiftung vom 16. Juni 1948. Zentralverordnungsblatt 1948 Nr. 22. VA Nr. 5890 (Paul Henrichs: Niederschrift über die Besprechung mit Victor Sandmann am 24. Juni 1949 in Stuttgart).

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Die Aktivitäten der Zeiss-Gruppe in Heidenheim Die Geschäftsleiter der Firma Carl Zeiss Jena hatten in den letzten Tagen vor ihrer Abreise aus Jena verschiedene leitende Angestellte, die nicht auf den Deportationslisten der amerikanischen Militärs standen, damit beauftragt, die Interessen des Jenaer Unternehmens in den Firmen wahrzunehmen, an denen das Stiftungsunternehmen beteiligt war und die ihren Standort in den westlichen Besatzungszonen hatten. Diese Beteiligungsfirmen sind in der Tabelle 10 im Tabellenanhang aufgeführt. So hatte Heinrich Rüppenbender Dr. Gerhard Kühn nach Göttingen zur Firma R. Winkel GmbH entsandt, um dort die kaufmännische Leitung zu übernehmen. In einem Schreiben an Georg Hausmann äußerte der Geschäftsleiter: „Wir legen Wert darauf, daß die Firma R. Winkel GmbH in der gegenwärtigen Zeit als Stützpunkt von CZ erhalten und soweit wie möglich ausgebaut wird."51 Die entsprechenden Vollmachten wurden am 21. Juni 1945 ausgestellt. Am 22. Juni 1945 teilte Paul Henrichs dem Justiziar Walter David mit, daß Erich Schreiber bei der M. Hensoldt & Söhne AG in Wetzlar die darniederliegende Fertigung wieder in Gang bringen soll. David selbst wurde von Henrichs ersucht, in den übrigen Ronzernfirmen die Interessen des Stiftungsunternehmens zu vertreten. 32 Um in den westlichen Besatzungszonen über einen finanziellen Spielraum zu verfügen, hatten die Geschäftsleiter im Laufe des Monats Juni 1945 einige Vorsorge getroffen. Am 7. Juni 1945 beauftragten sie die Reichsbankfiliale in Jena, drei Millionen RM auf das Firmenkonto der Reichsbank in München zu überweisen. Auf das Ronto der Zeiss-Aerotopograph GmbH bei der Commerzbank in Jena zahlten sie 1,9 Millionen an Firmengeldern mit der Anweisung ein, diese Summe an die Commerzbank in München weiterzuleiten. Paul Henrichs, der alleinigen Zugang zu diesem Ronto hatte, überwies die Mittel dann auf verschiedene Firmenkonten in Westdeutschland. Die Saalfelder Apparatebau GmbH übernahm es, 275.000 RM der Firma Carl Zeiss an die Firma Rollmorgen zu überweisen. Paul Henrichs und Walter David hatten bei ihrem Weggang aus Jena 56.000 bzw. 500.000 RM an Barmittel mit, die sie ebenfalls auf Firmenkonten einzahlten. 53 Die Geschäftsleitung hatte bereits im März 1945 Firmengelder in Höhe von zwei Millionen RM über die Schweiz nach Schweden überwiesen. 54 Als die Geschäftsleiter und die anderen Zeissianer Ende Juni 1945 in Heidenheim an der Brenz ankamen, mußten sie feststellen, daß von den Versprechungen, die man ihnen in Jena gemacht hatte, nichts zutraf. Vielmehr wurden sie von den Amerikanern als Internierte behandelt. An diesem Zustand änderte sich

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BACZ Nr. 3881 (Schreiben von Heinrich Rüppenbender an Georg Hausmann vom 20. Juni 1945). BACZ Nr. 3881 (Schreiben von Paul Henrichs an Walter David vom 22. Juni 1945). Carl Zeiss, Oberkochen, Optisches Museum (Diverse Unterlagen: Anmerkungen Ho, zur Bilanz 1946. September 1987). VA Nr. 472/4 (Arbeitsbuch von Hugo Schrade. Eintragung vom 28. Januar 1947).

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für die Zeiss-Gruppe lange Zeit nur wenig. Erst im Herbst 1945 erlaubte ihnen die amerikanische Militärbehörde eine größere Bewegungsfreiheit. Von einer Arbeitsmöglichkeit auf ihrem Fachgebiet war keine Rede. Die Bemühungen der Geschäftsleiter, bei der amerikanischen Militärregierung eine Veränderung dieser Situation zu erreichen, schlugen bis zum Beginn des Jahres 1946 fehl. Als immer deutlicher wurde, daß die Amerikaner das Interesse an den Zeissianern in Heidenheim verloren hatten, begannen Paul Henrichs, Walther Bauersfeld und einzelne Mitarbeitergruppen mit Vorbereitungsarbeiten für ein Zeiss-Zweigwerk in der amerikanischen Besatzungszone. Heinrich Küppenbender war zwischen Oktober 1945 und April 1946 in dem amerikanischen Lager bei Grenzberg, dem so genannten Speerlager, interniert. Paul Henrichs versuchte mit großer Hartnäckigkeit, bei der amerikanischen Militärregierung die Genehmigung für den Aufbau einer Fertigungsstätte für feinmechanisch-optische Erzeugnisse zu erhalten und entwarf im September 1945 für die Betriebe in den westlichen Besatzungszonen, an denen die Firma Carl Zeiss bzw. die Carl-Zeiss-Stiftung beteiligt war, einen abgestimmten Fertigungsplan, in dem u. a. vorgesehen war, daß die Firma R. Winkel in Göttingen durch die Herstellung von Brillengläsern und einfachen ophthalmologischen Geräten erweitert und die Firma Hans Kollmorgen in Coburg für die Fertigung optischer Elemente eingerichtet werden sollte. Die Photoobjektive, auf interne Rechnung der Firma Carl Zeiss hergestellt, waren für die Contessa-Werke in Stuttgart vorgesehen. Ferner sollte eine Versuchswerkstätte in Heidenheim entstehen. Der Geschäflsleiter sorgte in diesen Monaten auch dafür, daß der Maschinenpark des Zeiss-Werkes, der sich in den Strafvollzugsanstalten Amberg und Ebrach befand, vor der Beschlagnahme sichergestellt wurde. Er war als Grundstock für den Aufbau des neuen Zweigwerkes der Firma Carl Zeiss vorgesehen, dessen Hauptbasis das wissenschaftlich-technische Potenzial in Heidenheim bildete. 55 Walther Bauersfeld hatte die wissenschaftliche Arbeit wieder aufgenommen und mit einigen Wissenschaftlern und Konstrukteuren ein Fertigungsprogramm entworfen, das mit der Herstellung von Brillengläsern und Photo-Objektiven beginnen sollte.56 Im August 1945 war Dr. Wolfgang Roos mit einer Hilfskraft in seiner Wohnung in Nattheim daran gegangen, die Punktalgläser neu zu berechnen. Er vertrat die Ansicht, daß die Gläser, die bisher in Jena gefertigt wurden, nicht mehr dem neuesten Stand entsprachen. Ungeachtet der räumlichen Enge, unter denen beide arbeiten mußten, gelang es Wolfgang Roos bis Februar 1946 neue Daten für sphärische Brillengläser vorzulegen. Im Sommer 1946 mietete er in Nattheim einen Raum, so daß er fünf weitere Mitarbeiter beschäftigen konnte. Das „Rechenbüro Nattheim", das am 1. Juli 1946 die Tätigkeit aufnahm, führte im März 1947 als Rechenbüro im Oberkochener Werk die Arbeiten weiter. Die Arbeitsergebnisse

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BACZ. Nr. 15620 (Sandmann: Bericht über Verhandlungen mit Paul Henrichs am 28.-29. Dezember 1945); VA Nr. 5886 (Schreiben von Victor Sandmann an Paul Henrichs vom 4. Januar 1946). BACZ Nr. 15249 (Bericht Dr. Lehmann vom 25. November 1945).

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auf dem Gebiet der außentorischen Gläser lagen vor, als man die Brillenglasfertigung in Oberkochen aufnehmen konnte. Im Herbst 1945 trafen sich Dr. Richard Uterberger, Johannes Richter und Walter Fritsch, um Optik-Bearbeitungsmaschinen und die dazu gehörigen Werkzeuge zu rekonstruieren. Anfangs führten sie ihre Konstruktionsarbeiten im Dachgeschoß eines Gebäudes der Firma Voith in Heidenheim aus, später zogen sie in die Zigarrenfabrik Schäfer um. Die Dreiergruppe arbeitete unter sehr provisorischen Bedingungen, denn es fehlte nicht nur an Zeichenpapier, sondern auch an vielen anderen Hilfsmitteln. Ein Teil der Reißbretter war Eigenbau und die Konstruktionszeichnungen mußten auf der Rückseite von Tapetenresten ausgeführt werden. Die auf diese Weise entworfenen Maschinen wurden in verschiedenen metallverarbeitenden Unternehmen in Süddeutschland ausgeführt. Ihre Auslieferung erfolgte aber erst nach der Währungsreform. 57 Am 25. Februar 1946 genehmigte die amerikanische Militärregierung in Heidenheim die Eröffnung eines feinmechanisch-optischen Reparaturbetriebes, in dem medizinische und ophthalmologische Geräte sowie geodätische Instrumente wieder instand gesetzt werden konnten. Die Leitung dieser Optischen und Feinmechanischen Werkstätte GmbH lag in den Händen von Otto Ratz, einem Fachmann auf dem Gebiet der Bildmeßtechnik. Die Werkstätte befand sich ebenfalls in der Schäferschen Fabrik in Heidenheim. Die erste Werkzeugausstattung bestand aus dem, was Otto Ratz aus Jena mitgenommen hatte und das ursprünglich für die Herstellung von Bildmeßgeräten für die Amerikaner gedacht war. Nach einiger Zeit vermochte Otto Ratz von der Firma Piltz, mit der das ZeissWerk seit längerem in Geschäftsbeziehung gestanden hatte, einige Maschinen zu leihen. Da in Heidenheim kein elektrisches Kabel aufzutreiben war, beschaffte man es aus dem Keller eines zerstörten Hauses in Ulm. Otto Ratz nahm in seine Werkstätte junge, aus der Kriegsgefangenschaft entlassene Zeissianer auf. Sie beschränkten ihr Tätigkeitsfeld nicht auf das genehmigte Programm, sondern reparierten auch Mikroskope und Feldstecher.58 Victor Sandmann informierte am 10. März 1946 in einer Yertriebsleiterbesprechung über die Existenz der Werkstätte und fügte hinzu: „Wir haben ein Interesse daran, die Zeiss-Leute in Heidenheim zu unterstützen, damit sie uns nicht verloren gehen."59

Die Vollmachten für die Geschäftsleiter in Heidenheim Damit die verschiedenen Aktivitäten der Zeiss-Gruppe in Heidenheim zu einem dauerhaften Ergebnis geführt werden konnten, war eine Reihe von Voraussetzungen erforderlich. Die Hauptvoraussetzung bestand darin, daß die amerikanische Militärregierung und die württembergisch-badischen Behörden den Auf-

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Carl Zeiss, Oberkochen, Optisches Museum (Otto Nordt: Der schwere Anfang. Typoskript). Carl Zeiss, Oberkochen, Optisches Museum (Otto Nordt: Der schwere Anfang. Typoskript). VA Nr. 5886 (Protokoll der Vertriebsleiterbesprechung am 10. März 1946).

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bau einer feinmechanisch-optischen Fertigungsstätte billigten. Daran zeigten die Amerikaner im Frühjahr des Jahres 1946 durchaus Interesse. Eine zweite Voraussetzung bildete die Existenz einer offiziellen Repräsentanz der Firma Carl Zeiss vor Ort. Dazu hatte Paul Henrichs einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet, dem Victor Sandmann am 4. April 1946 zustimmte. Diese Vertretung mit der Bezeichnung „Carl Zeiss, Geschäftsstelle Heidenheim" leitete Paul Henrichs. 60 Obwohl die Geschäftsleiter in Heidenheim auf Lebenszeit bestallt waren, fehlte ihnen eine rechtsgültige Legitimation darüber, daß sie berechtigt sind, die Interessen der Carl-Zeiss-Stiftung und der Firma Carl Zeiss in den westlichen Besatzungszonen wahrzunehmen. Diese Legitimation war sowohl gegenüber den militärischen und zivilen Behörden als auch gegenüber den Beteiligungsfirmen erforderlich. Diese Legitimationen besaßen nur Gerhard Kühn und Erich Schreiber. Um das zu ändern, ersuchte Paul Henrichs am 3. Oktober 1945 in einem Schreiben an Victor Sandmann um entsprechende Vollmachten für die Geschäftsleiter, die in Heidenheim agierten. Zur Begründung führt er an: „Wir 4 GL (Geschäftsleiter d. V.) handeln diesseits der Trennlinie (der Grenzlinie zwischen den westlichen Besatzungsgebieten und der Ostzone d. V.) aufgrund unserer lebenslänglichen Bestellung und haben uns diese Pflicht (und Recht) von berufener Seite ausdrücklich bestätigen lassen! Da wir hierzu jetzt wieder in der Lage sind, - wir haben reichlich Bewegungsfreiheit - so erscheint es nur richtig, die z. Zt. durch Scho (Schomerus d. V.) erteilte Vollmacht an Kü (Kühn d. V.) und Sehr (Schreiber d. V.) als suspendiert und nur für den Notfall bestimmt zu betrachten, d. h. für den Fall, daß wir hier etwa erneut aktionsunfahig werden sollten, womit aber nicht zu rechnen ist."61 Paul Henrichs versicherte, daß die in Heidenheim lebenden Geschäftsleiter ihre Dispositionen so treffen werden, „daß sie auf weite Sicht sich den Intensionen und Interessen Jenas einfügen rsp. einfügen lassen". Bei einem Besuch von Victor Sandmann im Dezember 1945 in Heidenheim ging es in den Gesprächen mit Paul Henrichs neben einer Reihe von Problemen, auch um die erbetenen Vollmachten. Nach seiner Rückkehr nach Jena berichtete Victor Sandmann den Jenaer Geschäftsleitern über die Vorhaben von Paul Henrichs in den westlichen Besatzungszonen. Hinsichtlich der gewünschten Vollmachten bestanden aus verschiedenen Gründen einige Bedenken, die Victor Sandmann Paul Henrichs am 12. Januar 1946 in einem persönlich gehaltenen Schreiben mitteilte. 62 Die Stiftungsverwaltung hatte die Absicht, bei der Präsidialkanzlei des Landes Thüringen die offizielle Abberufung der früheren Mitglieder der Geschäftsleitung der Stiftungsunternehmen zu beantragen. Sie stützte sich auf die in Thüringen bestehenden Gesetze, nach denen Mitglieder der NSDAP, die bestimmte Funktionen ausgeübt oder von den nationalsozialistischen Behörden Ernennungen erfahren

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VA Nr. 5886 (Schreiben von Paul Henrichs an Victor Sandmann vom 11. April 1946). BACZ Nr. 3881 (Schreiben von Paul Henrichs an Victor Sandmann vom 3. Oktober 1945). VA Nr. 5886 (Schreiben von Victor Sandmann an Paul Henrichs vom 12. Januar 1946).

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hatten, dazu gehörten Wehrwirtschaftsführer, aus ihren Funktionen zu entfernen waren. Weil das sowohl der Stiftungskommissar als auch die Geschäftsleiter der Stiftungsunternehmen auf jeden Fall vermeiden wollten, schlugen die Jenaer Geschäftsleiter den Geschäftsleitern in Heidenheim am 12. Februar 1946 in einem gemeinsamen Schreiben vor „von sich aus auf Ihre Bestellung zu Mitgliedern der Geschäftsleitungen (Zeiss und Schott d. V.) zu verzichten, um die sonst praktisch werdende Abberufung zu vermeiden". 63 Die Jenaer baten dringend, diesem Vorschlag zu folgen, denn sie sahen „darin auch die Möglichkeit, daß die in der letzten Zusammenkunft vorgesehenen Absprachen über die Geschäftshandlungen der Stiftung und der Stiftungsbetriebe in der Westzone Ihren Wünschen entsprechend durchgeführt werden können". Victor Sandmann mußte in seinem Schreiben an Paul Henrichs vom 12. Januar 1946 hinsichtlich der Probleme, die bei der Erteilung der Vollmachten an die Heidenheimer Geschäftsleiter bestanden, auch darauf hinweisen, daß die Stiftungsunternehmen unter Sowjetischer Verwaltung standen. Diese Tatsache „macht es schwer, freie Hand in der Vertretung der Stiftungsinteressen irgendwelchen Personen zu erteilen für Gebiete, die praktisch von Jena aus zu erreichen sind ... Der Befehl 124, der praktisch dem Gesetz Nr. 52 im wesentlichen entspricht, verlangt die volle Verantwortung der mit der Führung der Betriebe betrauten Personen für das gesamte Vermögen, erlaubt aber die Weiterführung aller bisher im Rahmen der Geschäfte liegenden Handlungen". 64 Daraus leitete man in Jena auch die Berechtigung ab, den Heidenheimer Geschäftsleitern die gewünschten Vollmachten zu erteilen. In ihrem offiziellen Schreiben an die „früheren Herren Mitglieder der Geschäftsleitungen der Firmen Carl Zeiss und Jenaer Glaswerk Schott & Gen. z. Hd. von Herrn P. Henrichs brachten die Geschäftsleiter der Stiftungsunternehmen in Jena „zum Ausdruck, daß wir es im Interesse der gesamten Carl-Zeiss-Stiftung sowie der Stiftungsbetriebe für erforderlich halten, zunächst eine einwandfreie Klarstellung unserer rechtlichen Zuständigkeit als einzige Geschäftsleitungen herbeizuführen, bevor weitere Maßnahmen bezüglich der Handhabung der Geschäfte der Stiftung und der Stiftungsbetriebe in der amerikanisch, französisch und englisch besetzten Zone mit Ihnen verabredet werden können". Zur Begründung führten die Jenaer Geschäftsleiter an: „Wir stehen auf dem Standpunkt, daß, nachdem wir auf Ihren Vorschlag von der Stiftungsverwaltung als Geschäftsleiter eingesetzt sind, wir die alleinige verantwortliche Geschäftsleitung und Sie damit abgetreten sind, wobei wir die Verpflichtung eingegangen sind, daß wir bei Ihrer etwaigen Rückkehr nach Jena und der Möglichkeit, Ihr früheres Amt wieder zu übernehmen, auf Wunsch der Stiftungsverwaltung zu Ihren Gunsten zurücktreten. Sie haben bislang einen gegenteiligen Standpunkt eingenommen und sprechen von einer zweiten Ge-

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VA Nr. 5886 (Schreiben der Jenaer Geschäftsleiter an die Heidenheimer Geschäftsleiter vom 12. Januar 1946). VA Nr. 5886 (Schreiben von Victor Sandmann an Paul Henrichs vom 12. Januar 1946).

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schäftsleitung, die in der amerikanisch, französisch oder englisch besetzten Zone zuständig sei. Wir können dieser Auffassung aus rechtlichen Gründen und wegen der Notwendigkeit einer einheitlichen Geschäftsführung nicht zustimmen; denn abgesehen davon, daß die in Jena amtierenden Bevollmächtigten der Carl-Zeiss-Stiflung bzw. Mitglieder der Geschäftsleiter der Stiftungsbetriebe nur alleinberechtigt sein können, rechtsverbindliche Handlungen für die Stiftung und Stiftungsbetriebe vorzunehmen, ist es auch nach außen hin erforderlich, daß absolute Klarheit bezüglich der Zuständigkeiten geschaffen wird. Das Zeisswerk hat seinen Sitz in Jena und es kann nur eine hier amtierende Geschäftsleitung geben. Nur wenn dies nach innen und nach außen unanfechtbar klargestellt ist, kann die für alle geschäftlichen Transaktionen erforderliche Sicherheit geschaffen und Entwicklung und Existenz der Stiftung, soweit sie in deutscher Macht liegt, gewährleistet werden."65 Victor Sandmann war auch auf dieses Problem in seinem persönlichen Schreiben vom 12. Januar 1946 an Paul Henrichs eingegangen, in dem er feststellt: „Es dürfte wohl beiderseits Klarheit darüber bestehen, daß durch die Erteilung der Vollmachten die grundsätzliche Weisungsbefugnis von Jena aus dokumentiert wird, und daß infolgedessen, soweit möglich, eine Verständigung über alle Maßnahmen mit Jena erforderlich ist."66 In seinem Antwortschreiben vom 29. Januar 1946 an Victor Sandmann bemerkte Paul Henrichs: „Selbstverständlich pflichte ich Ihnen bei, daß durch die Erteilung der Vollmachten die grundsätzliche Weisungsbefugnis von Jena aus dokumentiert wird, woraus alles weitere sich von selbst ergibt."67 Anfang März 1946 hielten die Geschäftsleitungen von Zeiss und Schott in Jena die Voraussetzungen für die Erteilung der Vollmachten für Walther Bauersfeld, Paul Henrichs, Richard Hirsch und Dr. Erich Schott für gegeben. 68 In einem Schreiben vom 4. März 1946, das den Vollmachten beigefügt war, wurde nochmals auf die Bedingungen verwiesen, unter denen von den Vollmachten Gebrauch gemacht werden kann. 69 Es wurde mit Genugtuung festgehalten, daß zwischen den Jenaer und Heidenheimer Geschäftsleitern die Ansichten übereinstimmen, „daß die in Jena im Amt befindlichen Geschäftsleitungen ordnungsgemäß bestellt und für die Leitung der beiden Stiftungsbetriebe allein zuständig und verantwortlich sind". Es wurde bestätigt, „daß zur Vertretung der Stiftungsbetriebe in den nichtrussischen Besatzungszonen die früheren Geschäftsleitungsmitglieder nach Wiederherstellung ihrer Handlungsfreiheit in erster Linie berufen sind". Man erwartete, daß die von

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VA Nr. 5886 (Schreiben der Jenaer Geschäftsleiter an die Heidenheimer Geschäftsleiter vom 12. Januar 1946). VA Nr. 5886 (Schreiben von Victor Sandmann an Paul Henrichs vom 12. Januar 1946). VA Nr. 5886 (Schreiben von Paul Henrichs an Victor Sandmann vom 29. Januar 1946). Erich Schott und Richard Hirsch waren Geschäftleiter der Fa. Schott & Gen. VA Nr. 5886 (Schreiben der Geschäftsleitungen der Firmen Carl Zeiss und Jenaer Glaswerk Schott & Gen. in Jena an die „früheren Herren Mitglieder der Geschäftsleitungen der Firmen Carl Zeiss und Jenaer Glaswerk Schott & Gen." z. Hd. von Paul Henrichs vom 4. März 1946).

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den Heidenheimer Geschäftsleitern betriebene und von Jena unterstützte Entnazifizierung in Kürze und mit Erfolg absolviert wird. 70 Die Bevollmächtigten wurden ersucht, die Jenaer Bedingungen durch ihre Unterschrift zu bestätigten. Als Heinrich Rüppenbender nach seiner Rückkehr aus dem Internierungslager am 23. April 1946 in Jena ebenfalls um eine Vollmacht zu den gleichen Bedingungen nachsuchte wie sie die anderen Heidenheimer Geschäftsleiter anerkannt hatten, 71 stellte Friedrich Schomerus als Bevollmächtigter der Carl-Zeiss-Stiftung am 17. Juni 1946 ein neues Dokument mit folgendem Wortlaut aus: „Als Bevollmächtigter der Carl-Zeiss-Stiftung in Angelegenheiten der Firma Carl-Zeiss in Jena erteile ich hiermit den Herrn Professor Dr.-Ing. Walther Bauersfeld, Paul Henrichs und Dr.-Ing. Heinrich Rüppenbender sämtlich z. Zt. in Heidenheim/Brenz Vollmacht, die Firma Carl Zeiss in Jena außerhalb der Jena einschließenden Besatzungszone in allen Rechtshandlungen gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten mit der Maßgabe, daß jeweils zwei der Bevollmächtigten gemeinsam zur Vertretung berechtigt sind. Die Bevollmächtigten sind ermächtigt, diese Vollmacht für den einzelnen Fall auf andere zu übertragen. Werden von ihnen zwei handlungsunfähig, kann der dritte allein handeln, bis ein neuer Bevollmächtigter bestellt ist."72 In dem der Vollmacht beigelegten Schreiben vom 17. Juni 1946 hebt Friedrich Schomerus nochmals hervor: „Für die mit den neuen Urkunden ausgesprochene Bevollmächtigung gelten die Bedingungen fort, wie sie in unserem Schreiben vom 4.3.46 bereits festgelegt und von den Herren Professor Bauersfeld und Henrichs anerkannt worden sind. Wir bitten auch Dr. Rüppenbender, diese Bedingungen durch Unterschrift und Rückgabe der gleichlautenden Durchschrift dieses Schreibens zu bestätigen."73

Die Gründung der OPTON GmbH in Oberkochen Die Dispositionen für die Gründung des Zweigwerkes der Firma Carl Zeiss Jena in Heidenheim hatten Ende Mai 1946 klare Ronturen angenommen. Victor Sandmann und Friedrich Schomerus informierten sich bei ihrem Besuch in Heidenheim über die Gründungsmodalitäten und erörterten sie am 12. Juni 1946

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Direktive des Alliierten Kontrollrates Nr. 24 über die Entnazifizierung. Amtsblatt des Kontrollrates in Deutschland Nr. 5, S. 98. VA Nr. 5886 (Schreiben von Heinrich Küppenbender an die Jenaer Geschäftsleiter vom 23. April 1946). VA Nr. 5886 (Vollmacht für Walther Bauersfeld, Paul Henrichs, Heinrich Küppenbender vom 17. Juni 1949). VA Nr. 5886 (Schreiben von Friedrich Schomerus an Walther Bauersfeld, Paul Henrichs, Heinrich Küppenbender vom 17. Juni 1949).

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mit dem Stiftungskommissar und Hugo Schrade. Sie berichteten zunächst darüber, daß „die amerikanische Militärregierung angeordnet hat, daß die rund 5 Millionen Reichsmark Guthaben, die die Firma Carl Zeiss in der amerikanischen Zone hat, und ferner die in Bayern lagernden Maschinen im Werte von etwa einer halben Million Reichsmark unter Rontrolle gestellt und beschlagnahmt werden, sofern nicht in der amerikanischen Zone mit Hilfe dieser Geldund Sachmittel ein optischer Betrieb von den dorthin verbrachten Mitgliedern der Stiftungsbetriebe aufgemacht wird". Unter diesen Umständen hielten es die Versammelten für angebracht, den Plan der Heidenheimer Geschäftsleiter zu billigen. Der Plan sah vor: „Es soll eine GmbH gegründet werden. Deren Kapital soll 1 Million Reichsmark betragen. Das Kapital wird teils in Geld, teils in Sachwerten eingebracht. Hauptgründer ist die Firma Carl Zeiss, vertreten durch einen Treuhänder. Zwei weitere Betriebsangehörige sind Gesellschafter mit kleineren Kapitalbeiträgen, die ihnen aber treuhänderisch von der Firma Carl Zeiss zur Verfügung gestellt werden. Geschäftsführer sind Herr Küppenbender, der bereits entnazifiziert ist74, und zwei Herren, wobei festgelegt wird, daß immer nur zwei gesetzliche Vertreter zusammen rechtswirksam Vertreterbefugnis ausüben können. Das Herstellungsprogramm ist so vorgesehen, daß es auch bei einer Änderung der Verhältnisse nicht störend auf das Herstellungsprogramm der Firma Carl Zeiss in Jena einwirken kann. Für die Fabrikation ist ein leerstehendes Fabrikgebäude, etwa 20 km von Heidenheim entfernt in Oberkochen vorgesehen. Während der Anlaufzeit wird die Württembergisch-Badische Regierung ein Darlehen oder einen verlorenen Zuschuß von 200.000 Reichsmark geben. Evtl. werden auch in späteren Etatsjahren weitere Mittel zur Verfügung gestellt."75 Die Sitzungsteilnehmer faßten den Beschluß über die Gründung eines neuen Zweigwerkes der Firma Carl Zeiss in der amerikanischen Besatzungszone einstimmig. Zwei Tage später, am 14. Juli 1946, lag die Genehmigung des Wirtschaftsministeriums von Württemberg-Baden für das beantragte Fertigungsprogramm vor, das Brillen, Photo-Objektive, optisch-medizinische Geräte und insbesondere Mikroskope und Instrumente zur Untersuchung landwirtschaftlicher Produkte umfaßte. Die Genehmigung war vorerst auf das zweite Halbjahr 1946 und auf einen Wertumfang von 30.000 RM begrenzt. 76 Die Gründung des Zweigwerkes konnte zu dieser Zeit in der amerikanischen Besatzungszone nur durch Personen erfolgen, die politisch unbelastet waren. Sie durften sich also zu keiner Zeit für die NSDAP oder einer ihr angegliederten Organisation eingesetzt und kein Amt in einem der Verbände, die militaristische Lehren verbreiteten, ausgeübt haben. Von ihnen wurde erwartet, daß sie an

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Diese Information war falsch. Die Entnazifizierung von Heinrich Küppenbender erfolgte erst im Sommer 1947. BACZ Nr. 8323 (Vermerk. Zustimmungsbeschluß über die Gründung der OPTON GmbH vom 12. Juni 1946). Carl Zeiss, Oberkochen, Optisches Museum (Otto Nordt: Entwicklung der Firmenbezeichnung. Vorgänge um Westgründung).

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keiner nationalsozialistischen Straftat, Rassenverfolgung oder Rassenhetze beteiligt waren, keine Rassenlehren vertreten oder die NSDAP oder Amtsträger oder Führer derselben in wesentlichem Umfang unterstützt haben. 77 Danach konnten weder Walther Bauersfeld noch Paul Henrichs oder Heinrich Rüppenbender geschäftlich tätig werden. Sie mußten erst entnazifiziert werden. Aus diesem Grunde unternahmen Dr. Franz Riedinger, Dr. Gerhard Hansen und Oberingenieur Adolf Steinle die formalen Schritte, die notwendig waren, um das ZweigUnternehmen zu gründen, denn sie konnten die eidesstattliche Erklärung abgeben, daß sie politisch unbelastet waren. Eine derartige Erklärung wurde bei Unterzeichnung des Gründungsdokuments gefordert. Am 25. Juni 1946 ermächtigte Victor Sandmann, der als Bevollmächtigter der Carl-Zeiss-Stiftung berechtigt war, in einzelnen Angelegenheiten Untervollmachten zu erteilen, „Dipl. Ing. Dr. Franz Riedinger ... für die Carl-Zeiss-Stiftung einen Gesellschaftsvertrag zur Gründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung abzuschließen, die die Fertigung und den Vertrieb optischer und feinmechanischer Geräte und verwandter Erzeugnisse zum Gegenstand hat".78 Franz Riedinger war ermächtigt, eine Stammeinlage in Höhe von 950.000 RM für die Carl-Zeiss-Stiftung zu übernehmen. Gleichzeitig erhielt er eine Stimmvollmacht mit der Ermächtigung, die Carl-Zeiss-Stiftung auch künftig in den Generalversammlungen der zu gründenden Gesellschaft zu vertreten und für den Geschäftsanteil der Stiftung das Stimmrecht auszuüben. Am gleichen Tag schloß Victor Sandmann einen Treuhandvertrag mit Dr. Gerhard Hansen und Adolf Steinle, nach dem sie auf Weisung der Firma Carl Zeiss Jena an der neu gegründeten OPTON GmbH je eine Stammeinlage von 25.000 RM übernehmen sollen. Die beiden Zeiss-Mitarbeiter waren nach dem Treuhandvertrag verpflichtet, „das Stimmrecht und alle sonstige Rechte aus den Anteilen nur nach Weisung von CZ (Firma Carl Zeiss Jena d. V.) auszuüben und auch sonst die Anteile nur nach Weisung von CZ zu verwalten". Diesen Vertrag unterzeichneten Gerhard Hansen und Adolf Steinle am 10. September 1946.79 Am 2. September 1946 hatte Paul Henrichs in einem schriftlichen Vermerk darum gebeten, ihm mitzuteilen, ob bei den einzelnen Unternehmen in den westlichen Besatzungszonen, die der Firma Carl Zeiss Jena nahestanden, die Firma Carl Zeiss oder die Carl-Zeiss-Stiftung beteiligt waren. Aus diesem Sachverhalt leitete Paul Henrichs die Anregung ab, die auf Walther Bauersfeld, Paul Henrichs und Heinrich Rüppenbender ausgestellte Vollmacht auch auf die Wahrnehmung der Stiftungsinteressen zu erweitern. 80 Dem wurde in Jena entsprochen. Am 7. September 1946 lag eine Vereinbarung zwischen der Carl-Zeiss-Stiftung und der Firma Carl Zeiss, vertreten durch Friedrich Schomerus, und Walther Bauersfeld, Paul Henrichs und Heinrich Rüppenbender vor, in der die Heidenheimer die

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VA Nr. 5886 (Gesellschaftsvertrag zur OPTON-Gründung vom 4. Oktober 1946.) VA Nr. 5886 (Vollmacht für Franz Riedinger vom 25. Juni 1946). VA Nr. 5886 (Treuhandvertrag zwischen Victor Sandmann und Gerhard Hansen und Adolf Steinle vom 25. Juni 1946). VA Nr. 5886 (Vermerk von Paul Henrichs an Victor Sandmann vom 2. September 1946).

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„Interessen der Carl-Zeiss-Stiftung und der Firma Carl Zeiss außerhalb der Jena einschließenden Besatzungszone wahrzunehmen" haben. Dabei wurde auf den Inhalt der Vollmacht vom 17. Juni 1946 verwiesen. „Die mit Urkunde vom 17. Juni 1946 erteilte Vollmacht ist in ihrem Bestand an den Auftrag gebunden." Gleichzeitig wurde das am 17. Juni 1946 begonnene Auftragsverhältnis bis zum 16. September 1951 befristet.81 Am 4. Oktober 1946 suchten Franz Riedinger, Gerhard Hansen und Adolf Steinle in Begleitung von Syndikus Walter David den öffentlichen Notar Hagele in Heidenheim auf, um zu erklären, daß sie eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu gründen wünschen. In dem vorbereiteten Gesellschaftsvertrag heißt es: „Die Gesellschaft führt die Firma ,ΟΡΤΟΝ Optische-Werke Oberkochen Gesellschaft mit beschränkter Haftung' und hat ihren Sitz in Heidenheim ... Gegenstand des Unternehmens ist die Fertigung und der Vertrieb von optischen und feinmechanischen Geräten sowie verwandten Erzeugnissen. Die Gesellschaft kann im In- und Ausland Niederlassungen errichten, gleichartige oder verwandte Unternehmen und Hilfsbetriebe begründen oder sich an solchen beteiligen."82 Das Stammkapital der Gesellschaft von einer Million RM setzte sich aus einer Stammeinlage von 950.000 RM und zwei Stammeinlagen zu je 25.000 RM zusammen. Je 1.000 RM ergab eine Stimme in der Gesellschaftsversammlung. Die Stammeinlage von 950.000 RM wurde von der Carl-Zeiss-Stiftung aufgebracht und die beiden kleineren Einlagen brachten Gerhard Hansen und Adolf Steinle im Auftrag der Stiftung ein. Die von der Carl-Zeiss-Stiftung vertretene Summe bestand aus einer Barleistung in Höhe von 450.000 RM und aus Sacheinlagen im Gesamtwert von 500.000 RM. Die Sacheinlage bestand aus 274 Maschinen. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses befanden sich die Bar- und die Sachmittel bereits im Besitz der zu gründenden Gesellschaft Die Gesellschafter beschlossen einstimmig, vorerst nur einen Geschäftsführer zu bestellen und damit Heinrich Küppenbender zu betrauen83. Zu Prokuristen wurden Christian Tramsen und Sigmund Meyer bestimmt. Gerhard Hansen, Franz Riedinger und Adolf Steinle versicherten gegenüber dem Notar an Eidesstatt, daß sie hinsichtlich ihres politischen Verhaltens in der NS-Zeit unbelastet sind. Unmittelbar nach Abschluß dieses Vertrages beantragte Heinrich Küppenbender beim Amtsgericht Heidenheim, die neue Gesellschaft in das Handelsregister einzutragen. Das Wirtschaftsministerium von WürttembergBaden genehmigte am 28. Oktober 1946 die Unternehmensgründung, und am

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VA Nr. 5886 (Vereinbarung zwischen Carl-Zeiss-Stiftung und Fa. Carl Zeiss und Walther Bauersfeld, Paul Henrichs und Heinrich Küppenbender vom 7. September 1946). VA Nr. 5886 (Gesellschaftsvertrag zur Gründung der OPTON vom 4. Oktober 1946). Zeitweilig erlaubte die amerikanische Militärregierung politisch belasteten Deutschen eine Geschäftstätigkeit auszuüben, wenn ihr Entnazifizierungsverfahren eröffnet war. Das war bei Heinrich Küppenbender der Fall.

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30. Oktober 1946 wurde die OPTON GmbH in das Handelsregister beim Amtsgericht in Heidenheim eingetragen. Am 31. Oktober 1946 ordnete Heinrich Küppenbender die Gesellschafterverhältnisse in der OPTON GmbH neu. Adolf Steinle trat seinen Geschäftsanteil von 25.000 RM an Franz Riedinger ab. Der Anteil von 950.000 RM, den bisher Franz Riediger gehalten hatte, wurde von den Bevollmächtigten der Carl-ZeissStiftung in Heidenheim übernommen. Am 31. Januar 1947 ließ sich Heinrich Rüppenbender als Gesellschafter der OPTON GmbH in das Handelsregister eintragen, und am gleichen Tag beurkundeten Heinrich Rüppenbender, Franz Riedinger und Gerhard Hansen beim stellvertretenden Bezirksnotar Hagele in Heidenheim einen Gesellschafterbeschluß über die veränderte Firmierung des Oberkochener Unternehmens. Danach war die neue Firmenbezeichnung: ZEISS-OPTON Optische Werke Oberkochen Gesellschaft mit beschränkter Haftung.84 Nachdem die Entnazifizierungsverfahren gegen Walther Bauersfeld, Paul Henrichs und Heinrich RüppenAbb. 11 Werksanlage der ZEISS-OPTON bender im Sommer 1947 abgeschlosGmbH in Oberkochen. Links übersen waren und die Geschäftsleiter n o m m e n e Gebäude, rechts spätere damit die volle rechtliche HandlungsNeubauten freiheit erlangt hatten, fand am 18. August 1947 eine außerordentliche Gesellschafterversammlung statt, in der die Anwesenden Walther Bauersfeld und Paul Henrichs „zu ordentlichen Vorstandsmitgliedern der ZEISS-OPTON GmbH" bestellten. 85 Paul Henrichs hatte sich bei den amerikanischen Behörden beharrlich um die Rückgabe der zwischen April und Juni 1945 von amerikanischen Militärs in Jena requirierten Unterlagen und Ausrüstungsgegenständen bemüht und schließlich erreicht, daß zumindest der finanzielle Gegenwert erstattet wurde. Die Regierung in Württemberg-Baden wurde von der Obersten Amerikanischen Militärbehörde angewiesen, die ermittelte Summe unter der Bedingung zu begleichen, daß sie zum Aufbau der OPTON bzw. im britisch-amerikanischen Besatzungsgebiet verwendet wird. Aus diesem Grunde vereinbarte Victor Sandmann am 29. November 1947 mit den Geschäftsleitern der ZEISS-OPTON, daß Carl Zeiss Jena die errechnete Summe in Höhe von 11.585.997,29 RM dem Oberkochener Unternehmen in Form eines Darlehns überläßt. Ungeachtet späterer Entscheidung der württembergisch-badischen Regierung mußte die ZEISS-OPTON das Darlehn vor

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Carl Zeiss, Oberkochen, Optisches Museum Oberkochen (Nordt: Entwicklung der Firmenbezeichnung. Vorgänge um die Westgründung Typoskript). VA Nr. 5887 (Schreiben von Walter David an Wilhelm Schacht vom 16. Oktober 1947).

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dem 31. Dezember 1951 nicht tilgen. 86 Am 25. Februar 1948 beschlossen der Stiftungskommissar und die Geschäftsleiter der Stiftungsunternehmen, von dem Darlehn vier Millionen RM zur Erhöhung des Stammkapitals der ZEISS-OPTON GmbH zu verwenden. Gleichzeitig kamen sie überein, von den Requisitionszahlungen vier Millionen der ZEISS-OPTON als Gegenleistung für Entwicklungsarbeiten zu überlassen, die OPTON in ausschließlichem Interesse der Firma Carl Zeiss Jena bisher geleistet hat und künftig noch leisten wird. 87 Zwei Tage später, am 27. Februar 1948, beschlofl die Gesellschafterversammlung einstimmig, das Stammkapital der OPTON GmbH auf fünf Millionen RM zu erhöhen. 88 Unter der umsichtigen Führung von Waither Bauersfeld, Paul Henrichs und Heinrich Rüppenbender begann in der zweiten Hälfte des Jahres 1946 unter außerordentlichen Schwierigkeiten der Aufbau des neuen Zeiss-Werkes in Oberkochen. Sie wurden dabei von den Wissenschaftlern, Konstrukteuren und anderen Fachkräften, die man Ende Juni 1945 nach Heidenheim gebracht hatte, ebenso unterstützt wie von den Zeiss-Mitarbeitern, die in den folgenden Monaten aus Jena, Gera und Saalfeld oder aus der Kriegsgefangenschaft dazu stießen. Im Laufe des Jahres 1947 waren die Aufbauarbeiten soweit gediehen, daß die Fertigung von Brillengläsern aufgenommen werden konnte. 1947 wurden insgesamt 107.330 Gläser hergestellt. 89 Als die Werkstätten eingerichtet wurden, glaubte man - so erinnerte sich Gerhard Hansen - alles Wesentliche zu wissen, aber es zeigte sich, daß das Wissen der Werkmeister nirgends festgehalten war. „So mußten wir in mühsamer systematischer Arbeit uns die Erkenntnisse von neuem verschaffen, die in Jena Allgemeingut waren." 90 Im Januar 1947 zählte die Belegschaft der ZEISS-OPTON GmbH insgesamt 479 Mitarbeiter. 91 Davon waren nach einem Zeitungsartikel von Mitte Juli 1947 nahezu zehn Prozent der Belegschaft dieses Unternehmens Wissenschaftler und Konstrukteure. 92

Die Haltung in Jena zum neuen Zeiss-Unternehmen Die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena unterstützte die nach Heidenheim deportierten Zeissianer finanziell ebenso wie die Zeiss-Mitarbeiter, die sich mit Zustimmung 86

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VA Nr. 5887 (Schreiben von Victor Sandmann an Paul Henrichs über die Darlehnsvereinbarung vom 29. November 1947). VA Nr. 5888 (Beschluß vom 25. Februar 1948). VA Nr. 5888 (Gesellschafterversammlung vom 27. Februar 1948). Carl Zeiss, Oberkochen, Optisches Museum. Beiträge zur Geschichte des Zeiss-Werkes ab 1945 (Statistische Übersicht die zwischen 1947 und 1957 über gefertigte Brillengläser und Photo-Objektive). Gerhard Hansen: Dem Glauben sind Taten gefolgt. In: Zeiss-Werkzeitung 1955, S. 89. Carl Zeiss Oberkochen, Optisches Museum. Betriebsorganisation-Auftragswesen 1946-1950 (Produktions-Ergebnis Zeiss-Opton Januar 1947-Juni 1950). Errechnet nach Der Aufbau der Zeiss-Opton-Werke, In: Schwäbische Donau-Zeitung vom 19. Juli 1947.

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der Jenaer Geschäftsleitung in Heidenheim aufhielten. Des Weiteren beglich die Stiftung auch sonstige Aufwendungen, die der Zeiss-Gruppe entstanden. Sie trug selbstverständlich auch die Rosten für die Zeiss-Geschäftsstelle in Heidenheim. Diese gesamten Ausgaben beliefen sich in der Zeit von Juli 1945 bis September 1946 auf 872.370,10 RM. Davon entfielen 65,4 Prozent auf die Unterstützung der Zeiss-Gruppe und 10,9 Prozent auf die Gehälter der anderen Zeiss-Mitarbeiter. 93 Während diese finanzielle Unterstützung in Jena immer außer Frage stand, war die Einstellung der Jenaer Geschäftsleiter zur Gründung eines Zeiss-Zweigwerkes ambivalent. Einerseits waren sie daran interessiert, daß die Fachkräfte aus Heidenheim, wieder nach Jena zurückkehren und unternahmen auch entsprechende Versuche. Andererseits förderten sie das Vorhaben der Zeissianer in Heidenheim, soweit es in ihrem Ermessen lag. Manches Ersuchen aus Heidenheim mußten sie offiziell zurückweisen, um nicht in Konflikt mit der Sowjetischen Verwaltung des Zeiss-Werkes zu geraten. In dem Maße, wie sich die Auseinandersetzungen zwischen den USA und Großbritannien einerseits und der UdSSR andererseits immer mehr zuspitzten, gewann das zweite Zeiss-Zentrum in dem westlichen Besatzungsgebiet Deutschlands eine zunehmende Bedeutung. Nachdem das Zeiss-Zweigwerk in Oberkochen ins Leben gerufen war, bestand sowohl in Jena als auch Oberkochen der Wunsch, die Zusammenarbeit auf wissenschaftlich-technischem Gebiet zu intensivieren. Darüber verständigte man sich Ende Januar 1947 beim Besuch von Victor Sandmann in Oberkochen. Weil in Heidenheim/Oberkochen die wissenschaftlichen Spitzenkräfte des Unternehmens versammelt waren, das wissenschaftliche Potenzial in Jena erheblich geschwächt war und die sowjetischen Besatzungsbehörden vorerst nur begrenzt Entwicklungsarbeiten erlaubten, kam man überein, die in Heidenheim/Oberkochen versammelte und noch nicht ausgeschöpfte wissenschaftlich-technische Leistungskraft auch für Jena zu nutzen. Victor Sandmann hält in der Niederschrift über seine Heidenheimer Januar-Reise fest: „Es herrscht nunmehr Einvernehmen darüber, daß Heidenheim das Entwicklungszentrum auch für Jena ist."94 Hugo Schrade bestätigte während seines Aufenthaltes in Oberkochen im April 1947, daß, da in Jena keine speziellen Entwicklungen vorgesehen seien, „die Entwicklung also im wesentlichen in Oberkochen erfolgen soll, daß die Entwicklungskosten hier erfaßt und mindestens einmal jährlich nach Verständigung aufgeteilt werden". 95 Nach dieser Übereinkunft begann eine inhaltliche Zusammenarbeit zwischen den Fachkräften in Oberkochen und Jena. Ein Beispiel ist der Gedankenaustausch über die Neugestaltung von Mikroskopen. Mitte Juli 1947 trafen sich Fachleute aus Jena und Oberkochen in Oberkochen, um einige Probleme zu erörtern.

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Carl Zeiss, Oberkochen, Optisches Museum (Kosten der Kostenstellen des Entwicklungs-, Konstruktions- und Vertriebsbereichs vom 7. Januar 1949). VA Nr. 5887 (Niederschrift über die Besprechung mit Victor Sandmann vom 24. bis 27. Januar 1947). VA Nr. 5887 (Vermerk über die Besprechung mit Hugo Schrade in der Zeit vom 3. bis 7. April 1947).

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Dabei ging es um die zweckmäßige Tubuslänge, die Mikroskop-Optik, die Vergrößerungen und die Okularreihe. Nach dieser Zusammenkunft prüfte man in Jena und Oberkochen die gegenseitigen Vorschläge, traf sich im Oktober erneut und kam hinsichtlich der Tubuslänge zu einer gemeinsamen Auffassung.96 Die leitenden Männer in Oberkochen sahen es aber auch als einen wesentlichen Bestandteil der Zusammenarbeit mit Jena an, daß dem Zeiss-Zweigunternehmen das Recht zugestanden wurde, „die Schutzrechte und Warenzeichen des Stammhauses in Jena zu benutzen". Deshalb schlug Paul Henrichs Victor Sandmann im Januar 1947 vor, „daß CZ an ZEISS-OPTON eine General-Lizenz über alle verwertbaren Schutzrechte und Warenzeichen gibt. Von dieser GeneralLizenz ist zunächst noch die Benutzung des Namens Carl Zeiss auszunehmen". Victor Sandmann sicherte eine Rücksprache mit seinen Geschäftsleiterkollegen darüber zu. Er willigte auch in die Vergabe einer Lizenz für das Proxar an das Oberkochener Unternehmen ein. Heinrich Rüppenbender wünschte darüber hinaus eine Lizenz für die Fertigung von Sonnaren. Die Lizenzgebühr sollte die gleiche sein, die Zeiss-Ikon zahlt 97 Nach einem von Paul Henrichs bereits korrigierten Entwurf eines Lizenzvertrags sollte der ZEISS-OPTON GmbH gegen einen Pauschalbetrag der Gebrauch aller Schutzrechte gewährt werden. Als Voraussetzung galt Gesellschaftsmajorität der Firma Carl Zeiss Jena als Eigentümerin. Der veränderte Vertragsentwurf sollte in Jena noch erörtert werden.98 Eine Zusammenarbeit zwischen Jena und Oberkochen gab es auch auf kaufmännischem Gebiet Da unter den von den Amerikanern nach Heidenheim verbrachten Zeissianern keine Raufleute waren, wurden die Jenaer Geschäftsleiter gebeten, mit sachkundigen Mitarbeitern auszuhelfen. Als Hugo Schrade Anfang April 1947 in Oberkochen weilte, wies ihn Paul Henrichs „auf die Zweckmäßigkeit hin, Jenaer Beamten aus der Vertriebsorganisation vorübergehend nach Oberkochen kommen zu lassen".99 Victor Sandmann machte eine Liste von Raufleuten, die aus unterschiedlichen Gründen in Jena nicht mehr in ihren früheren Positionen tätig waren, dem Leiter der Oberkochener Personalabteilung zugänglich, der dann geeignete Raufleute zur Übersiedlung nach Oberkochen animieren konnte.100 Sodann erbaten Paul Henrichs und dessen Mitarbeiter seit Frühjahr 1947 von der Jenaer Vertriebsabteilung eingehende Informationen über das Zeiss-Vertriebsnetz in den westlichen Besatzungszonen und im westlichen Ausland, die auch erteilt wurden.101 Die Vertriebsabteilung in Jena überließ den Rollegen in Oberkochen die komplette Ropie der Vertreter- und Rundenkartei.

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VA Nr. 5887 VA Nr. 5887 1947). 98 VA Nr. 5887 1947). 99 VA Nr. 5887 1947). too VA Nr. 5887 97

(Schreiben von Walther Bauersfeld an Hans Harting vom 7. August 1947). (Niederschrift über die Besprechung mit Victor Sandmann vom 24. bis 27. Januar (Vermerk über die Besprechung mit Hugo Schrade in der Zeit vom 3. bis 7. April (Vermerk über die Besprechung mit Hugo Schrade in der Zeit vom 3. bis 7. April (Christian Tramsen: Notiz über eine Besprechung in Jena vom 30. April 1947).

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1945-1948 Carl Zeiss Jena

Nach der Verstaatlichung der Firma Carl Zeiss in Jena veränderten sich die Grundlagen für das Zusammenwirken des Stammhauses mit der ZEISS-OPTON. Obwohl die beiden Unternehmen aufgrund der verschiedenartigen politischen und wirtschaftlichen Existenzbedingungen in Ost- und Westdeutschland unterschiedliche Entwicklungen nahmen, blieben die formellen und insbesondere die informellen Beziehungen zwischen den Unternehmensleitungen und der Mitarbeiterschaft erhalten. Vor allem zwischen den Zeissianern in Jena und Oberkochen, die einander aus der gemeinsamen Arbeit in Jena gut kannten, blieb der persönliche Rontakt ungeachtet der politischen Verhältnisse bestehen. Mit dieser Feststellung soll natürlich nicht darüber hinweg gegangen werden, daß es im Geschäftsleben immer wieder zu scharfen Konflikten kam, wenn sich Zeiss-Jena und Zeiss-Oberkochen als Ronkurrenten gegenüberstanden. Davon wird im neunten Rapitel berichtet.

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VA Nr

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VIERTES KAPITEL

Die Integration des Zeiss-Werkes in das staatssozialistische System Die Anfange der Integration Am 7. Oktober 1949 wurde in der sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Demokratische Republik gegründet. Das von der SED dominierte Staatswesen war die Grundvoraussetzung für die Herausbildung eines staatssozialistischen Systems, das auf einer zentralverwaltungswirtschaftlichen Grundlage beruhte, deren Hauptelemente das staatliche Eigentum an den Produktionsmitteln, die zentralstaatliche Planung, der hierarchische Aufbau der Wirtschaftsleitung sowie das staatliche Finanzsystem und Außenwirtschaftsmonopol waren. In dem Maße, wie sich dieses System herausbildete, wurde das Zeiss-Werk zum Bestandteil dieses Systems. Dafür war die mehrfache Änderung der Werksbezeichnung ein äußeres Rennzeichen. Nachdem es seit 1948 unter OPTIK Carl Zeiss Jena VEB firmierte, ordnete das Ministerium für Maschinenbau im Rundschreiben vom 7. Oktober 1952 an, daß das Werk künftig als VEB Optik Carl Zeiss Jena bezeichnet wird. Am 7. Juni 1953 verfügte das Ministerium für Allgemeinen Maschinenbau die Firmenbezeichnung VEB Carl Zeiss Jena. 1 In der Auseinandersetzung um die gewerblichen Alt-Warenzeichen und den Namen Carl Zeiss zwischen den Carl-Zeiss-Stiftungen in Jena und Heidenheim bzw. dem VEB Carl Zeiss in Jena und der Firma Carl Zeiss, Oberkochen, vor dem Landgericht Düsseldorf entschied das Gericht am 7. Dezember 1954, daß bei der Firmierung des Jenaer Zeiss-Werkes die Buchstaben VEB und der Ortsname Jena besonders hervorzuheben sind. Dem wurde in der Folgezeit durch Firmierung VEB Carl Zeiss JENA Rechnung getragen. 2 Die zentralstaatliche Planungsorganisation in der DDR zwang die Werkleitung, das betriebliche Planungssystem, das sich im Zeiss-Werk seit längerem herausgebildet hatte, an diese Organisation anzupassen. Aus diesem Grund bildete sie am 1. März 1951 eine Planungshauptleitung, die von Diplomingenieur Erich Schreiber geleitet wurde. 3 Sie konzentrierte sich unter seinem Einfluß vornehmlich auf die Planung und Realisierung von Investitionen und Generalreparaturen sowie auf die Planung und verwaltungsmäßige Bearbeitung der Forschungs- und

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BACZ Nr. 18934 (Informationen über die Firmierung des Zeiss-Werkes). BACZ Nr. S 95; Nr. 19288; Hellmuth: Die Entwicklung des VEB Carl Zeiss JENA, S. 42. Im folgenden Text wird diese Firmenbezeichnung für den Zeitraum 1955 bis 1990 immer verwendet, auch wenn verschiedene Autoren gelegentlich nicht JENA, sondern Jena schreiben. Erich Schreiber leitete von 1921 bis 1941 die Ν. V. Nederlandsche Instrumenten Companie, „Nedinsco", Venlo in den Niederlanden und übernahm 1948 die Leitung der Planungsarbeiten im Zeiss-Werk. BACZ Nr. 13500 (Bildung der Planungshauptleitung).

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1949-1964 VEB Carl Zeiss JENA

Entwicklungsarbeiten. 4 Die Disposition des Absatzes lag weiterhin in den Händen der Vertriebsabteilung, die der Kaufmännischen Hauptleitung unterstand. Erst nach dem Ausscheiden von Erich Schreiber aus dem Zeiss-Werk und der Übernahme der Planungshauptleitung durch Siegfried Glimm am 11. März 1953 begann im Herbst 1953 die inhaltliche Umgestaltung des Planungssystems. Die Planungshauptleitung entwickelte sich nun zur anleitenden und koordinierenden Stelle für die gesamten Planungsprozesse im Zeiss-Werk. Aufgrund der Regierungsverordnung vom 15. März 1950 wurde im Zeiss-Werk ebenfalls ein VEB-Plan zusammengestellt, der am 12. Mai 1950 vorlag und von der W B OPTIK bestätigt wurde. 5 Bei der inhaltlichen Gestaltung dieses Planes, aber auch der späteren Pläne, stand die Werkleitung vor der Aufgabe, die eigenen strategischen Ziele mit den staatlichen Vorgaben so zu verbinden, daß die Entwicklung des Zeiss-Werkes weiter nach den eigenen Intentionen erfolgen konnte. Die im Dezember 1950 in der DDR durchgeführte Haushaltsreform veränderte den Aufbau des Staatshaushaltsplans, der nun nach den jeweiligen Abschnitten des Volkswirtschaftsplanes gegliedert wurde. 6 Diese Reform bildete in den staatlichen Betrieben die organisatorischen Voraussetzungen für eine übereinstimmende Planung von Produktion und Finanzen. Damit und mit der seit 1951/52 möglichen selbständigen Planung der betrieblichen Finanzen konnte in den Betrieben zu einer abgestimmten Disposition von Produktion und Finanzen übergegangen werden. Das bedingte allerdings die wirtschaftliche und juristische Selbständigkeit der Staatsbetriebe, denn erst durch sie konnten Prinzipien der wirtschaftlichen Rechnungsführung zum Tragen kommen. Die wirtschaftsrechtliche Grundlage dafür schuf eine am 20. März 1952 erlassene Verordnung. 7 Allerdings ließ sich die wirtschaftliche Rechnungsführung nur begrenzt durchsetzen, weil dem andere zentralverwaltungswirtschaftliche Grundsätze entgegenstanden. Um die Beziehungen zwischen den staatlichen Betrieben zu regeln, hatte man am 6. Dezember 1951 das allgemeine Vertragssystem eingeführt. 8 Am 7. August 1952 wurde das Statut der zentralgeleiteten Betriebe der staatlichen Industrie in der DDR erlassen, das die Grundstruktur des Leitungsaufbaus in den staatlichen Betrieben vorgab und deren Verbindung zu übergeordneten Leitungsorganen nach den in der Zentralverwaltungswirtschaft geltenden Grundsätzen regelte.9 Das zwang im Zeiss-Werk wiederum zu strukturellen Veränderungen im

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BACZ Nr. 13300 (Bildung der Planungshauptleitung). BACZ Nr. 9302 (VEB-Plan des Zeiss-Werkes 1950). Gesetz über die Reform des öffentlichen Haushaltes vom 15. Dezember 1950, GBl. 1950, S. 1201. Verordnung über Maßnahmen zur Einführung des Prinzips der wirtschaftlichen Rechnungsführung vom 20 März 1952, GBl. 1952, S. 225, 228, 372. Verordnung über die Einführung des Allgemeinen Vertragssystems vom 6. Dezember 1951, GBl. 1951 S. 1141, 1143. Statut der zentralgeleiteten Betriebe der volkseigenen Betriebe der volkseigenen Industrie in der DDR, Ministerialblatt 1952, S. 137.

Die Integration des Zeiss-Werkes in das staatssozialistische System

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Organisations- und Leitungsaufbau, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Auf die negativen Folgen des Außenhandelsmonopols für die Geschäftstätigkeit des Zeiss-Werkes wird an anderer Stelle näher eingegangen.

Die Auswirkungen der SED-Strukturpolitik auf das Zeiss-Werk Ein besonderer Aspekt der Integration in das staatssozialistische System bestand darin, den langfristigen Interessen des Zeiss-Werkes im volkswirtschaftlichen Planungsprozeß Geltung zu verschaffen. Dazu mußte die Werkleitung dafür sorgen, daß ihre strategischen Vorhaben in die länger- und mittelfristige Volkswirtschaftsplanung eingingen. Gleichzeitig galt es, Forderungen der staatlichen Planungsbehörden, die nicht den Werksinteressen entsprachen - soweit das möglich war - abzuwehren. Das erwies sich als schwierig, weil die SED-Führung ihre Wirtschaftspolitik häufig grundlegend korrigierte. Schon im Sommer 1952 wurden die Rennziffern des Gesetzes über den Fünfjahrplan für die Jahre 1951 bis 1955, das die Volkskammer der DDR ohnehin erst am 31. Oktober 1951 beschlossen hatte, wieder verändert. 10 In der Industriepolitik wurden neue Prioritäten gesetzt, in dem nun die begrenzten Investitionsmittel vornehmlich in die Grundstoffindustrie und den Schwermaschinenbau flössen. Die innovationsträchtigen Industriezweige - Werkzeugmaschinenbau, allgemeiner Maschinenbau, Fahrzeugbau, elektrotechnische und elektronische Industrie, Büromaschinenbau, feinmechanisch-optische Industrie - sowie die Verbrauchsgüterindustrie mußten weitgehend mit dem gegebenen technisch-technologischen Stand vorlieb nehmen. Da diese Strukturpolitik schon nach kurzer Zeit in eine Wirtschaftkrise mit erheblichen Auswirkungen auf das gesamte Gesellschaftssystem führte, sah sich die SED-Führung im Juni 1953 gezwungen, ihren wirtschaftspolitischen Kurs zu korrigieren. Als dann Mitte der fünfziger Jahre immer deutlicher wurde, daß die Erzeugnisse der Investitionsgüterindustrie erhebliche Qualitätsmängel aufwiesen, orientierte die SED-Spitze mit größerem Nachdruck auf den wissenschaftlich-technischen Fortschritt. Deshalb wurde nun sowohl der natur- und technikwissenschaftlichen Forschung als auch den Industriezweigen, die diesen Fortschritt trugen, größere Aufmerksamkeit geschenkt. Das zeigte sich in der Anlage des Fünfjahrplanes 1956-1960,11 im Chemie-Programm aus dem Jahre 195812 und in den Schwerpunkten des Sieben jahrplanes 1959-196513. In den frühen sechziger Jahren zwangen die begrenzte Leistungsfähigkeit der DDR-Volkswirtschaft und die außenpolitischen Bedingungen die SED-Führung erneut zu strukturpolitischen Korrekturen. 10 11

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Gesetz über den Fünfjahrplan (1951-1955) der DDR, Zentralverordnungsblatt II 1951, S. 973. Gesetz über den zweiten Fünfjahrplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR für die Jahre 1956 bis 1960. Gbl. 1.1958, S. 41. Chemie gibt Brot-Wohlstand-Schönheit Konferenzmaterial der Chemiekonferenz des ZK der SED und der Staatlichen Plankommission in Leuna am 3. und 4. November 1958, o.O., o.J. Gesetz über den Siebenjahrplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik in den Jahren 1959 bis 1965 vom 1. Oktober 1959. Gbl. 1.1959, S. 745.

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Nachdem zwischen 1947 und 1950 im Zeiss-Werk der kapazitive Grundstock geschaffen worden war und ein Grundsortiment feinmechanisch-optischer Erzeugnisse angeboten werden konnte, kam es nun darauf an, das wissenschaftlich-technische Potenzial qualitativ und quantitativ zu vervollkommnen, die Produktionskapazitäten zu erweitern und zu modernisieren und ein breites Sortiment an optischen Präzisionsgeräten, darunter einen erheblichen Teil von Neuentwicklungen auf den Markt zu bringen. Die 1950 beginnende Vorbereitung des Fünfjahrplanes 1951 bis 1955 bot der Werkleitung die Gelegenheit, dieses Vorhaben in den ersten längerfristigen Plan der volkswirtschaftlichen Entwicklung einzufügen. Eine Möglichkeit, die Führungsspitze der DDR mit den Absichten bekannt zu machen, bot sich bei einem Besuch des Stellvertretenden Ministerpräsidenten und Generalsekretärs der SED, Walter Ulbricht, am 11. August 1950 im Zeiss-Werk. Erich Schreiber hatte aus diesem Anlaß für den Besucher eine Notiz verfaßt, in der die Hauptkennziffern für die Entwicklung des ZeissWerkes bis zur Mitte der fünfziger Jahre dargestellt wurden. 14 Danach war vorgesehen, bis 1955 die Fertigungsfläche von 180.000 m 2 auf 250.000 m 2 und den Maschinenpark um 30 Prozent zu vergrößern. Weiter sollte die Belegschaftszahl von 11.700 auf 22.000 Arbeiter und Angestellte erhöht werden. Für die Geräteproduktion hatte man eine Steigerung von 55 auf 130-150 Millionen Mark ins Auge gefaßt. Es war nicht nur geplant, die traditionelle Erzeugnispalette vollständig wiederherzustellen, sondern zugleich die optischen Präzisionsgeräte schrittweise zu erneuern. So war vorgesehen, das gegenwärtig angebotene Gerätesortiment bis 1955 durchweg zu erneuern und zu modernisieren. Erich Schreiber vermerkte in den Notizen für Walter Ulbricht auch die absehbaren Schwierigkeiten, die überwunden werden müssen, um die selbstgestellten Aufgaben zur erfüllen. Sie betrafen die Materialversorgung und das notwendige Personal. Als besonders problematisch wurde der Mangel an hochwertigen optischen Gläsern angesehen, weil das Jenaer Glaswerk noch nicht über PlatinTiegel verfügte, die für die Herstellung anspruchsvoller optischer Gläser unerläßlich waren. Ebenso waren Quarz und besondere Rohstoffe, aber auch Sonderstähle aus dem Ausland zu beschaffen. Anfang Januar 1951 stellte Dr. Hans Harting in einem Expose, das der Leiter des Zentralamtes für Forschung und Technik auch von ihm erbeten hatte, um seinerseits den Fünfjahrplan vorzubereiten, ausführlich die Probleme des optischen Präzisionsbau in der DDR dar. Zugleich beschreibt er die langfristigen Aufgaben, die in diesem Industriezweig auf wissenschaftlich-technischem Gebiet zu lösen sind.15

H

15

BACZ Nr. 19108 (Notizen zu Fakten und Kennziffern zum Besuch von Walter Ulbricht am 11. August 1950). BACZ Nr. 23795 (Hans Harting: Vorschläge zum wissenschaftlichen Lenken und Ausbauen des VEB Carl Zeiss Jena an den Leiter des Zentralamtes für Forschung und Technik in der Staatlichen Plankommission vom 29. Januar 1951).

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Abb. 12 SOjähriges Dienstjubiläum von Dr. Hans Harting (links). Geschäftsleiter Dr. Friedrich Schomerus (Mitte), Leiter des Mess-Labors Dr. Fritz Löwe (rechts) gratulieren. 1. August 1947

Im Zuge der Volkswirtschaftspläne für die Jahre 1951 und 1952, die noch aus dem Gesetz über den Fünfjahrplan abgeleitet worden waren, gelang es, den Ausbau des Zeiss-Werkes fortzusetzen. Dafür standen auch die entsprechenden Investitionsmittel zur Verfügung. Das belegen die Angaben in der Tabelle 11 im Tabellenanhang. Das sollte sich im Gefolge der 2. Parteikonferenz der SED vom 9. bis 12. Juli 1952, auf dem die Delegierten den Aulbau der Grundlagen des Sozialismus in der DDR und die beschleunigte Rekonstruktion der Schwerindustrie beschlossen, 16 ebenso ändern wie durch die wirtschaftspolitische Korrektur, zu der die SED-Führung im Frühsommer 1953 gezwungen wurde. Mit dem so genannten Neuen Rurs 17 kam es sowohl zu einer Reduzierung der Investitionsvorhaben in der Schwerindustrie als auch zu einer Betonung der Verbrauchsgüterindustrie. Beides tangierte die Sorümentsgestaltung im Zeiss-Werk. Dazu wird in den Schlußbetrachtungen des Allgemeinen Geschäftsberichts vom 30. Juni 1953 angemerkt:

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17

Zur gegenwärtigen Lage und zu den Aufgaben im Kampf für Frieden, Einheit, Demokratie und Sozialismus. Beschluß der 2. Parteikonferenz der SED. 9.-12. Juli 1952. In: Dokumente zur Geschichte der SED. Band 2 1945-1971, S. 171-173. Beschluß des Ministerrates der DDR über Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenslage der Arbeiter, der Intelligenz, der Bauern, der Handwerker und der Einzelhändler vom 11. Juni 1953, GBl. 1953, Nr. 78, S. 805.

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„Im Zusammenhang mit dem Ministerratsbeschluß vom 11. Juni 1953 über den Neuen Rurs der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik werden dem Betrieb neue Aufgaben gestellt. Diese neue Aufgabenstellung findet ihren Niederschlag in einer Änderung des Produktionsplanes sowie aller übrigen Teile des Betriebsplanes. ... Durch die ständigen Änderungen der betrieblichen Aufgaben entstehen laufend Störungen, die im einzelnen nicht zahlenmäßig festzustellen sind. Welches Ausmaß diese Dinge annehmen, wird am besten veranschaulicht durch die Tatsache, daß ζ. B. für das Außenwerk Weimar in diesem Jahr bereits das zweite Mal die Produktion vollkommen umgestellt werden mußte."18 Der Produktionsplan für 1954 sah nun neben einer weiteren Steigerung der Exportgüterproduktion die Zunahme von „konsumgüterintensiven Warengruppen" vor. Letztere sollten gegenüber 1953 um 70 Prozent anwachsen. Es war die Fertigung von Photoobjektiven zu verdoppeln und die Herstellung von Belichtungsmessern, Selbstauslösern, Universal-Bruststativen mit Trägereinrichtungen, Stativköpfen, 16 mm Amateur-Stummkino-Projektoren und Doppelfernrohren erheblich zu steigen.19 1955 wurde rückblickend festgestellt, daß dem Zeiss-Werk aus dem Fünfjahrplan 1951 bis 1955 die Aufgabe erwuchs, eine Bruttoproduktion im Wert von 491,1 Millionen Mark zu erbringen. 20 Folgt man den statistischen Unterlagen, dann erzielte das Zeiss-Werk von 1951 bis 1955 eine industrielle Bruttoproduktion von 539,3 Millionen Mark.21

Konflikte mit dem Ministerium und Veränderung in der Werkleitung Nachdem das Jahr 1953 für das Zeiss-Werk auch in ökonomischer Hinsicht erfolgreich verlaufen war, konnten in den beiden folgenden Jahren weder die selbst gesetzten Ziele noch Aufgaben, die das Ministerium gestellt hatte, vollständig erfüllt werden. Dafür gab es mehrere Ursachen. Die hauptsächlichste Ursache bestand darin, daß der Bau optischer Präzisionsgeräte im Produktionsprogramm einen breiteren Raum erhielt. Die Schaffung der dazu erforderlichen Voraussetzungen war arbeits- und kostenintensiv. Die technisch-technologischen Grundlagen für die differenziertere und anspruchsvollere Geräteproduktion waren weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht vollständig vorhanden. Ein nennenswerter Teil der Mitarbeiter, vornehmlich in den Fertigungsabteilungen, entsprach noch nicht den fachlichen Anforderungen, die nun gestellt

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20

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BACZ Nr. 20845 (Allgemeiner Geschäftsbericht vom 50. Juni 1953). BACZ Nr. 13656 (Hugo Schrade: Die Aufgaben des VEB Carl Zeiss Jena im Neuen Kurs für das Jahr der großen Initiative 1954. Artikelmanuskript). Zu unveränderten Planpreisen. BACZ Nr. 15803 (Bericht über Forschung und Entwicklung im VEB Carl Zeiss JENA 1955). Errechnet nach Statistisches Jahrbuch 1965 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 29.

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wurden. Hinzu kam, daß die organisatorische und strukturelle Umstellung des Werkes auf die neuen Schwerpunkte des Produktionsprogramms nicht reibungslos erfolgen konnte. Das Exportgeschäft, das in den Händen eines staatlichen Außenhandelsunternehmens lag, vollzog sich nicht optimal, weil sich dessen Mitarbeiter außerstande sahen, den Vertrieb sachgerecht zu gestalten. Das alles führte dazu, daß sich 1954 die Erwartungen in die Leistungsfähigkeit des ZeissWerkes nicht im vollem Umfang erfüllten. Deshalb verlangte der Minister von der Werkleitung 1954 einen Bericht. Darin trug die Werkleitung das ganze Spektrum der Probleme vor, die es in Jena gab und ersuchte das Ministerium um die Zuweisung von Investitionsmitteln und Arbeitskräften. Das Kollegium des Ministeriums war mit der Einstellung der Werkleitung nicht einverstanden und akzeptierte den Bericht nicht. Als sich auch im ersten Halbjahr 1955 keine grundlegende Veränderung abzeichnete, verlangte der Minister einen neuen Bericht, der die gleiche Tendenz wie der im Vorjahr hatte und wiederum zu einer scharfen Kritik des Ministerkollegiums an der Zeiss-Werkleitung führte. Die Werkleitung ihrerseits war längst der Ansicht, daß man im Ministerium nicht in der Lage und fähig ist, die Spezifik des Zeiss-Werkes objektiv zu beurteilen. 22 Anfang Oktober 1955 griff das Politbüro des ZK der SED ein und entschied, Hugo Schrade einen ständigen Ersten Stellvertreter an die Seite zu stellen und einen versierten Kaufmann in das Zeiss-Werk zu entsenden. 23 Diese personalpolitische Entscheidung fiel wohl aus zwei Gründen. Es sollte sich ein Nachfolger für Hugo Schrade einarbeiten, der als Funktionär ihres Vertrauens nicht nur das Verhältnis zwischen Werkleitung und Ministerium verbessern, sondern vor allem im Zeiss-Werk den neuen Kurs in der wissenschaftlich-technischen Politik durchsetzen konnte. Am 11. Oktober 1955 trat die Werkleitung in Anwesenheit des Stellvertretenden Ministers zu ihrer 15. Sitzung zusammen, über die im Sitzungsprotokoll zunächst vermerkt ist, daß die Hauptverwaltung das Zeiss-Werk dazu verpflichtet habe, eine größere „Arbeit über die Aufgaben des VEB Carl Zeiss im zweiten Fünfjahrplan" vorzulegen. In diesem Zusammenhang wird die Äußerung von Walter Ulbricht wiedergegeben: „Der VEB Carl Zeiss muß wieder der führende Betrieb der ganzen Welt werden." 24 Schließlich unterrichtete Hugo Schrade die Anwesenden davon, daß das Kollegium des Ministeriums Herbert Weiz zum Ersten Stellvertreter des Werkleiters berufen hat und daß, um der Vertriebsabteilung im Zeiss-Werk ein größeres Gewicht zu geben, die Planstelle des Ver-

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BACZ Nr. 23789 (Aktennotiz über die Besprechung am 17. Mai 1954); Nr. 25075 (Niederschrift über die Leitungsbesprechung am 5. November 1954); Nr. 15805 (Berichterstattung vor dem Ministerkoilegium des Ministeriums für Allgemeinen Maschinenbau. Anschreiben vom 15. Mai 1955). Wolfgang Mühlfriedel: Hugo Schrade und das Zeisswerk nach 1945. Biographische Notizen. In: Jenaer Jahrbuch zur Technik und Industriegeschichte 2001, S. 44-46. Katharina Schreiner: Befragung bzw. Ausführungen vom 17.1.2000 von Dr. Herbert Weiz, Jg. 1924, bei CZJ vom 12.10.55-5.7.62. Archiv Thüringer Forum für Bildung und Wissenschaft (Typoskipt). BACZ Nr. 25075 (Niederschrift über die Leitungsbesprechung vom 11. Oktober 1955).

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triebsdirektors geschaffen worden ist. Mit dieser Aufgabe wurde künftig Dr. Hüber betraut. 25 Nachdem Hugo Schrade die Leitungsmitglieder mit diesen Veränderungen vertraut gemacht hatte, begrüßte er Herbert Weiz als seinen Ersten Stellvertreter und Kurt Büttner als Kaufmännischen Direktor und erklärte: „Durch die Maßnahme des Ministeriums zur Unterstützung unserer Werkleitung wird eine Arbeitsteilung vorgenommen, die es ermöglicht, unser Werk intensiver zu leiten."26 Der 39jährige Herbert Weiz hatte nach dem Besuch der Volksschule den Beruf eines Raufmanns erlernt und nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena Wirtschaftswissenschaften studiert Von 1952 bis 1954 leitete er den VEB Optima Büromaschinenwerk in Erfurt. Gleichzeitig absolvierte er ein Fernstudium in der Fachrichtung Ingenieurökonomie. 1954 übernahm er die Leitung der Hauptverwaltung Leichtmaschinenbau im Ministerium für Allgemeinen Maschinenbau und wurde im April 1955 kommissarischer Stellvertreter des Ministers für Allgemeinen Maschinenbau. 27 Kurt Büttner war bisher Kaufmännischer Leiter der Hauptverwaltung Leichtindustrie.

Abb. 13 Dr. Herbert Weiz (3. v. 1.) empfängt S. P. Mitrofanow (2. v. 1.) zum Erfahrungsaustausch in Jena 1961

25 26 27

Schreiner: Befragung von Herbert Weiz. BACZ Nr. 23075 (Niederschrift iiber die Leitungsbesprechung vom 11. Oktober 1955). DDR. Wer war wer. Ein biographisches Lexikon, Berlin 1982, 2. durchgesehene Auflage, S. 480; Schreiner: Befragung von Herbert Weiz.

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Als die beiden neuen Leitungsmitglieder ihre Tätigkeit in Jena aufnahmen, war die Stimmung im Zeiss-Werk aufgrund der Auseinandersetzung mit dem Ministerium schlecht. Obendrein hatte eine Kommission der Zentralen Parteikontrollkommission der SED im August 1955 die Arbeitsweise der SED-Betriebsparteiorganisation untersucht und dabei offensichtlich in Jena den Eindruck entstehen lassen, daß das Zeiss-Werk keine Perspektive habe, 28 denn der Sekretär der SED-Betriebsparteiorganisation sah sich nach der Vorstellung der beiden neuen Werkleitungsmitglieder zu der Bemerkung veranlaßt: „Wir müssen den Pessimismus, der sich in die Abteilungen, Büros und Labors eingeschlichen hat, mit aller Kraft überwinden, weil es keinen Grund für Pessimismus gibt". Er bat die Anwesenden, „solchen Parolen, wie der Werkleiter, Rumü (Rudolf Müller d. V.) oder Dr. Hüber bekommen jetzt jemand vor die Nase gesetzt, energisch entgegen zu treten". Tatsächlich war im Zeiss-Werk die Ansicht verbreitet, daß Herbert Weiz über kurz oder lang den in der Belegschaft beliebten Werkleiter Hugo Schrade ablösen werde. 29 Darauf geht Herbert Weiz am 25. Mai 1956 in einem Bericht an den Minister für Allgemeinen Maschinenbau im Werk ein: „Mein Einsatz im Betrieb ist... in keiner Weise offenherzig erfolgt. ... Dazu kommt noch, daß mein plötzlicher Einsatz im Betrieb bei vielen leitenden Funktionären unberechtigte Schlußfolgerungen ... nach sich zog. ... So gab es die Auffassungen, daß man mit meinem Einsatz den Werkleiter ablösen wolle, da gab es auch Auffassungen, daß man einen Kommissar des Ministeriums eingesetzt habe ... Die anfänglichen Schwierigkeiten lagen besonders darin, daß sich nur sehr langsam eine Zusammenarbeit mit den leitenden Funktionären anbahnt, wobei es bis zum Tage leider noch nicht bis zu einer ehrlichen und offenen Zusammenarbeit mit allen Leitungsmitgliedern der Werkleitung gekommen ist. Viele leitende Funktionäre, angefangen vom Werkleiter, sind mißtrauisch und finden nur langsam den Willen zu einer engen kollektiven Zusammenarbeit." 30 Im Laufe der Zeit gewann Herbert Weiz durch seine sachliche Art und durch seine Bereitschaft, sich mit den Besonderheiten des optischen Präzisionsgerätebaus eingehend vertraut zu machen, das Vertrauen der Leitungskräfte, vor allem der maßgeblichen Wissenschaftler. Herbert Weiz verstand es auch, das politische und fachliche Ansehen, das er im zentralen Apparat der SED und im Ministerium genoß, im Interesse des Zeiss-Werkes zu nutzen. Zur pessimistischen Stimmung in der Belegschaft trug auch die juristische Auseinandersetzung zwischen Jena und Oberkochen/Heidenheim bei, die zu Ungunsten des Jenaer Zeiss-Werkes ausgegangen war.31

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29 30

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Mühlfriedel/Hellmuth: Carl Zeiss Jena - der widerspruchsvolle Weg in die Planwirtschaft, S. 336. Mühlfriedel: Hugo Schrade und das Zeisswerk nach 1945, S. 27-58. Herbert Weiz: Situationsbericht an das Ministerium vom 25. Mai 1956. Archiv Thüringer Forum für Bildung und Wissenschaft e.V. Siehe Achtes Kapitel.

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Die neue Sicht der SED-Führung auf den optischen Präzisionsgerätebau Nachdem die SED-Führung seit Mitte der fünfziger Jahre aufgrund der erheblichen Schwächen des technischen Niveaus der industriellen Erzeugnisse und der raschen Fortschritte auf wissenschaftlich-technischem Gebiet in den westlichen Industrieländern der Wissenschafts- und Industriepolitik eine größere Bedeutung beimaß, wurden die Natur- und Technikwissenschaften in der Akademie der Wissenschaften, im Hochschulwesen und die Forschung und Entwicklung in der Industrie zunehmend mit staatlichen Mitteln gefördert.32 Das äußerte sich im Ausbau und in der Gründung von einschlägigen Instituten und Technischen Hochschulen. Die Forschungs- und Lehreinrichtungen hatten einen wachsenden Bedarf an optischen Präzisionsgeräten. Ebenso verhielt es sich in der Industrie, insbesondere in der chemischen Großindustrie. Daraus ergaben sich für das Zeiss-Werk mehrere Konsequenzen. Die Wissenschaftler, Konstrukteure und Techniker, die auf den verschiedenen Gebieten des optischen Präzisionsgerätebaus tätig waren, erhielten bessere Möglichkeiten, ihr Wissen und Können einzusetzen, um mit größerem Nachdruck die schon produzierten Geräte weiterzuentwickeln und vor allem neue Geräte zu schaffen. Zugleich änderte sich im zentralen Apparat der SED, in der Staatlichen Plankommission und in den einschlägigen Ministerien die Einstellung gegenüber dem Zeiss-Werk. Zumal auch in anderen Staaten die gleichen Tendenzen wirkten und daraus ein größerer Bedarf an optischen Präzisionsgeräten erwuchs. Ungeachtet dieser neuen Einsichten in den wirtschaftsleitenden Gremien war man der Ansicht, daß die Kapazitäten im Zeiss-Werk ausreichen, um größere Aufgaben zu übernehmen. Deshalb wurden die Jenaer Forderungen nach Investitionsmitteln und Arbeitskräften zunächst weiterhin abgewiesen. Das wissenschaftlich-technische Personal war in inhaltlicher Hinsicht durchaus in der Lage, den qualitativen Anforderungen an den optischen Präzisionsgerätebau zu entsprechen. Aber der Maschinen- und Einrichtungspark entsprach weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht den Erfordernissen. Vor allem fehlte es im Forschungs- und Entwicklungsbereich an ausreichenden und geeigneten Räumlichkeiten. Die Leitung des Zeiss-Werkes, die sich in ihrer Auffassung von der volkswirtschaftlichen Bedeutung des optischen Präzisionsgerätebaus bestätigt sah, nahm nun die Planungen für den Zeitraum 1956 bis 1960 in Angriff. Die Rahmendaten, die dazu von der Staatlichen Plankommission und dem Ministerium dem ZeissWerk vorgegeben wurden, besagten, daß bis 1960 die Produktion um 75 Prozent und die Arbeitsproduktivität um 78 Prozent gegenüber dem Stand von 1955 steigen und die Selbstkosten in der gleichen Zeit um mindestens 28 Prozent sinken

32

Mühlfriedel/Wießner: Die Geschichte der Industrie der DDR bis 1965, Berlin 1989, S. 276-287.

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sollten. Ferner war vorgesehen, daß sich die Neuentwicklungen am Gerätesortiment des Werkes 1960 auf 40 Prozent belaufen. 33 Im Frühjahr 1957 erarbeitete man in Jena im ministeriellen Auftrag einen Forschungs- und Entwicklungsplan als Grundlage für die Werksentwicklung bis 1965. Am 29. Mai 1957 besprachen die Mitglieder der Werkleitung die inhaltliche Anlage und die Funktion des Perspektivplans. Herbert Weiz war der Ansicht, daß dieser Plan die zeissinternen Vorstellungen von der Werksentwicklung bis 1965 enthalten muß, Arbeitsinstrument für Leitung und Belegschaft wird und übergeordneten Leitungsgremien die umfangreichen und vielseitigen Aufgaben des Zeiss-Werkes nahebringt. Unter diesen Gesichtspunkten stellte eine zentrale Rommission, die sich auf neun Arbeitsgruppen stützte, diesen Plan zusammen. Anfang Oktober 1957 erörterten Staatssekretär Bernicke und Herbert Weiz den Entwurf des Perspektivplanes für das Zeiss-Werk. Bernicke teilte Herbert Weiz mit, daß der Planentwurf bestätigt wurde. Zugleich informierte der Staatssekretär über abweichende Auffassungen, die aus den unterschiedlichen Sichtweisen des Ministeriums und der Werkleitung resultierten. Wiederum lehnte das Ministerium bis 1965 größere Produktionsbauten in Jena ab. Ebensowenig könne man in Jena mit zusätzlichen Arbeitskräften rechnen. Vielmehr verlangte das Ministerium die Rationalisierung innerhalb des Werkes und die Verlagerung von Zeiss-Produktionen in andere Betriebe. Ausdrücklich kritisierte der Staatssekretär das Fehlen militärtechnischer Aufgaben im Perspektivplan und äußerte dazu: „Künftige Kriege werden durch Feinmechanik entschieden. Diese militärische Entwicklung ist nicht berücksichtigt."34 Über das Ergebnis dieser Besprechung berichtete Herbert Weiz in der Werkleitungssitzung vom 17. Oktober 1957.35 In der Diskussion, die nach dem WeizBericht erfolgte, kritisierte Herbert Kortum die Berliner Ablehnung einer Kapazitätserweiterung in Jena, und in einer Leitungsbesprechung am 28. November 1957 warf er die Frage auf, welche Bedeutung zentrale Stellen dem Industriezweig Feinmechanik-Optik eigentlich zuerkennen und welche Mittel sie für diesen Zweig zur Verfügung stellen. Er bezeichnete es als ein personalpolitisches Fiasko, daß vielversprechende Mitarbeiter den Industriezweig verlassen hätten. Auf diese Weise sei man auf dem besten Weg, die Tradition zu verlieren. Andere Industriezweige würden weit besser unterstützt. Er beklagte auch die Raumnot im Zeiss-Werk und die angespannte Wohnungssituation in Jena. 36 Ende April 1959 erhielt die Werkleitung die Rahmenkennziffern für die ökonomische Entwicklung des Zeiss-Werkes bis zur Mitte der sechziger Jahre. Sie sahen vor, die industrielle Bruttoproduktion zwischen 1958 und 1965 um

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54 35 36

BACZ Nr. 24504 (Rechenschaftsbericht der Parteileitung der SED-Betriebsparteigruppe vom 25. April 1959). VA Nr. 1167 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 17. Oktober 1957). BACZ Nr. 23087 (Protokoll der Werkleitungsbesprechung vom 14. Oktober 1957). VA Nr. 1150 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 26. November 1957).

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62 Prozent zu steigern und die Gerätefertigung - einschließlich der Nullserien um 71 Prozent zu erhöhen. Mitte der sechziger Jahre sollte sich der Anteil der neuen Geräte an der Produktion auf 50 Prozent belaufen. 37 Bei der inhaltlichen Ausgestaltung des neuen Perspektivplanes stützte sich die Werkleitung auf die Überlegungen von Ende 1957. Da nach den Vorgaben des Siebenjahrplans die innovationsträchtigen Industriezweige besonders rasch wachsen sollten und dazu Erzeugnisse des optischen Präzisionsgerätebaus benötigt wurden, rückte dieser Industriezweig stärker als bisher ins Blickfeld des zentralen Leitungsapparats, so daß die Leitung des Zeiss-Werkes nicht genötigt war, immer wieder auf die volkswirtschaftliche Bedeutung des optischen Präzisionsgerätebaus zu verweisen. Allerdings verwehrten Staatliche Plankommission und Ministerium dem Zeiss-Werk noch immer größere staatliche Zuwendungen, obgleich vom optischen Präzisionsgerätebau in den kommenden Jahren erwartet wurde, daß er gerätetechnische Voraussetzungen für die zunehmende Forschungs- und Entwicklungstätigkeit schafft, zur rasch steigenden Produktion in der chemischen Industrie und im Maschinenbau beiträgt und gleichzeitig einen großen Teil seiner Erzeugnisse exportiert. Zur kritischen Äußerung von Staatssekretär Bernicke am 14. Oktober 1957 gegenüber Herbert Weiz über das Fehlen von militärtechnischen Projekten im Perspektivplan bis 1965 des Zeiss-Werkes ist folgendes anzumerken. Seit Beginn des Wiederaufbaus 1947 bis in die zweite Hälfte der fünfziger Jahre hinein spielte das Militärgeschäft für das Zeiss-Werk keine nennenswerte Rolle. Ausnahmen bildeten die Produktion von Α 1-Geräten, das waren Flugsimulatoren zur Ausbildung von Jagdfliegern in der UdSSR, und die Lieferung von Feldstechern verschiedenen Typs für die Kasernierte Volkspolizei. 38 Die Kasernierte Volkspolizei und später die NVA bezogen ihre Ausrüstung vornehmlich aus der UdSSR. Seit Mitte der fünfziger Jahre gingen die Streitkräfte der Warschauer Paktstaaten zunehmend dazu über, die Militärtechnik zu modernisieren. In diesem Zusammenhang wuchs das Interesse an optischen Militärgeräten, das zeigte sich auch für das Zeiss-Werk am Ausgang der fünfziger Jahre. Die Zeiss-Werkleitung wandte sich diesem Geschäftsfeld nur zögernd zu. Im Herbst/Winter 1955 suchten hochrangige Offiziere der Nationalen Volksarmee die Werkleitung auf, um sich über die Möglichkeiten zu informieren, die in Jena für die Entwicklung und den Bau von optischen Militärgeräten bestanden. 39 Es fielen noch keine grundlegenden Entscheidungen über die Mitwirkung des Zeiss-Werkes an der Ausrüstung der NVA. Obwohl es in den folgenden Jahren immer wieder zu Besprechungen mit NVA-Offizieren zu diesem

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BACZ Nr. 24504 (Rechenschaftsbericht der Parteileitung der SED-Betriebsparteiorganisation vom 25. April 1959). BACZ Nr. 24513 (Diverse Unterlagen aus den Jahren 1952 und 1953); VA Nr. 1151 (SchradeArbeitsbuch. Eintragung vom 19. Februar 1959). BACZ Nr. 24513 (Schreiben des Amtes für Technik vom 5. Oktober 1955, Schreiben der Verwaltung für Industriebedarf vom 11. Oktober 1955); VA Nr. 1149 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 20. Dezember 1955).

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Thema kam, blieb eine grundlegende Entscheidung noch aus. 40 Am 19. Februar 1959 erkundigte sich der Leiter der Konstruktions-Versuchswerkstatt Krause in der Betriebsleiterbesprechung nach der Perspektive auf diesem Gebiet. Zwei Monate später, am 3. April 1959, kam es zu einer größeren „Aussprache über die Festlegung der Perspektive des VEB Carl Zeiss hinsichtlich Bedarfsbefriedigung des MfNV", an der acht Offiziere der Nationalen Volksarmee und 15 Führungskräfte des Zeiss-Werkes teilnahmen. Generalmajor Menzel, der die Militärabordnung leitete, stellte die vom Zeiss-Werk „gewünschte Perspektive hinsichtlich Entwicklung und Fertigung neuer Geräte" in Aussicht. Sie könne aber, so ließ er wissen, zunächst nur informativ sein, weil eine Abstimmung zwischen dem Ministerium für Nationale Verteidigung und den anderen Armeen des Warschauer Paktes über die Geräteforderung erst im April 1959 erfolgt. „Erst danach könne dem VEB Zeiss eine Perspektive für die nächsten Jahre gegeben werden." Aus diesem Grunde sollten vorerst möglichst grundsätzlich Fragen der Forschung und Entwicklung militärischer Geräte besprochen werden. Die Offiziere der drei Teilstreitkräfte brachten ihre Probleme vor und ersuchten die Wissenschaftler und Betriebspraktiker um ihre Meinung. Am Ende der Aussprache kam man überein, einen gemeinsamen Arbeitskreis zu bilden. Schließlich nannte der Generalmajor die Lieferwünsche seines Ministeriums für den Zeitraum bis 1965, die in Entfernungsmeßgeräten und Meßscheren bestanden. Abschließend stellte Hugo Schrade fest, „daß die Vertreter des MfNV und der VEB Carl Zeiss JENA sich endlich zu einer ersten Aussprache zusammengefunden haben. Der Anfang sei zwar schwierig gewesen, um so mehr freue es ihn, daß damit der Wunsch unseres Ministers Stoph 41 erfüllt worden ist,... daß eine enge Zusammenarbeit zwischen dem MfNV und dem VEB Carl Zeiss stattfindet." Hugo Schrade „versicherte nochmals, daß vom Werk aus alles getan wird, um unsere Armee und die Armeen der sozialistischen Länder mit besten Geräten auszustatten." 42 Am 14. Oktober 1960 besprachen dann NVA-Offiziere mit der Werkleitung umfangreiche Lieferungen von optischen Militärgeräten. Dabei ging es um Kommandeurgeräte (Feld-Entfernungsmesser), Baustellengeräte (Infrarotgerät), Doppelferngläser 7x40 und Standardgläser sowie um Meßscheren. 43 An der Wende von den fünfziger zu den sechziger Jahren geriet die Volkswirtschaft der DDR in eine Wachstumskrise. Die Analyse der Krisenursachen ergab, daß sich das bisher praktizierte zentralverwaltungswirtschaftliche System - ungeachtet verschiedener Korrekturen in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre - als untauglich erwiesen hatte. Gleichzeitig wurde offensichtlich, daß die Industrie der DDR in qualitativer und struktureller Hinsicht weiter hinter der Entwicklung

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BACZ Nr. 24513 (Schreiben Winkelmanns an Hugo Schrade vom 8. März 1957 und vom 3. April 1957). Willi Stoph war zu dieser Zeit Minister für Nationale Verteidigung der DDR. BACZ Nr. 24515 (Niederschrift über die Aussprache zwischen dem MfNV und dem ZeissWerk am 3. April 1959). VA Nr. 1151 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 14. Oktober 1960).

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in westlichen Industriestaaten zurückgeblieben war. Eine grundlegende Reform des zentralverwaltungswirtschaftlichen Systems wurde unerläßlich. 44 Verschärfend kam hinzu, daß die Regierung der BR Deutschland am 30. September 1960 ankündigte, zum 31. Dezember 1960 das Abkommen über den innerdeutschen Handel vom 20. September 1951 samt Zusatzabkommen zu kündigen. Um den Schaden, der daraus der DDR-Volkswirtschaft erwachsen konnte, abzuwehren, wies die politische Führung seit Herbst 1960 die Wirtschaftsorgane an, dafür zu sorgen, daß künftig Einfuhren aus der Bundesrepublik und aus anderen NATO-Staaten möglichst unterbleiben. Am 30. November 1960 hatte Nikita Sergejewitsch Chruschtschow Walter Ulbricht Unterstützung zugesichert, falls das Abkommen tatsächlich gekündigt werden sollte.45 Um die Wachstumskrise zu überwinden und die volkswirtschaftliche Entwicklung wieder zu stabilisieren, traf die SED-Führung, nachdem die Staatsgrenze am 13. August 1961 zu Westberlin und zur BR Deutschland nahezu hermetisch abgeriegelt worden war, eine Reihe kurz- und langfristig angelegter Entscheidungen, deren Richtung in einem Beschluß der 14. Tagung des ZK der SED, die vom 23. bis 26. November 1961 stattfand, vorgezeichnet wurde. Darin heißt es: „Die gesamte Arbeit muß auf die Lösung der ökonomischen Aufgaben konzentriert werden, auf die Vervollkommnung der Planung und die straffe Leitung der Produktion in Industrie und Landwirtschaft, auf die exakte Erfüllung der Pläne, die planmäßige Forschungsarbeit zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität und die Veränderung des Produktionsprofils mancher Betriebe und Industriezweige, auf die Herstellung der engen Wirtschaftsgemeinschaft mit der UdSSR."46 In den folgenden Monaten wurden die Maßnahmen, die als notwendig erachtet wurden, um diese Aufgaben zu realisieren, eingehend diskutiert. Die Ergebnisse dieser Diskussion gingen in das neue Parteiprogramm der SED ein, das Mitte Januar 1963 auf dem VI. Parteitag beschlossen wurde. Die Diskussionen in der SED-Führung und in den zentralen Planungsgremien über die inhaltliche Ausrichtung der volkswirtschaftlichen Entwicklung, die im Zusammenhang mit dem Parteiprogramm geführt wurden, boten in der zweiten Hälfte des Jahres 1962 den Führungskräften im Zeiss-Werk wiederum Gelegenheit, auf die besondere Bedeutung des optischen Präzisionsgerätebaus für die Natur- und Technikwissenschaften und die verschiedenen Industriezweige sowie für die medizinische Wissenschaft und Praxis zu verweisen. So hatte Paul Görlich nach eigener Aussage „anläßlich der 2. Plenartagung des Forschungsrates am 12. November 1962 ... nachdrücklich und hart versucht nachzuweisen, daß der Gerätebau leider bisher nicht die Aufmerksamkeit fand, die ihm im volkswirtschaftlichen Interesse zukommen muß". 47 Die steten Hinweise auf die volkswirtschaftliche Bedeutung

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Siehe dazu sechstes Kapitel Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Chronik Teil III, S. 713, 720-721. Dokumente der SED, Bd. VII, Berlin 1961, S. 498. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Chronik. Teil III, S. 815.

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des optischen Präzisionsgerätebaus und vor allem aber die künftige Strukturpolitik der SED-Führung führten dazu, daß Walter Ulbricht in seiner Rede auf dem VI. Parteitag feststellte: „Der wissenschaftliche Gerätebau bildet eine wesentliche Grundlage für ein hohes Entwicklungstempo auf allen Gebieten der Naturwissenschaften und der materiellen Produktion. Er ist entsprechend seiner Bedeutung für die Erforschung prinzipiell neuer Wege, für die Entwicklung der Produktion und für neue Verfahren und Technologien sowie für die Erhöhung des Niveaus der Forschung auszubauen." 48 Die SED-Führung zählte nun den wissenschaftlichen Gerätebau zu einem führenden Industriezweig in der DDR-Volkswirtschaft.49 Das erleichterte es der Zeiss-Werkleitung, gegenüber dem zentralen Parteiapparat, der Staatlichen Plankommission und dem Volkswirtschaftsrat 50 die finanziellen, materielltechnischen und personellen Interessen des optischen Präzisionsgerätebaus vorzutragen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, sie äußere ungerechtfertigte Sonderwünsche. Unmittelbar nach dem VI. Parteitag der SED wurde damit begonnen, für den optischen Präzisionsgerätebau ein längerfristiges Programm zu konzipieren, das Mitte März 1963 erstmals diskutiert werden sollte. Darüber informierte Paul Görlich am 13. Februar 1963 in der kleinen Werkleitungssitzung. 31 Am 22. Mai 1963 fand dazu ein Kolloquium des Forschungsrates statt, auf dem Paul Görlich den internationalen Stand des optischen Präzisionsgerätebaus ausführlich analysierte und die wissenschaftlich-technischen Aufgaben formulierte, die auf diesem Gebiet in der DDR zu lösen sind. 52 In diesem Zusammenhang definierte er den wissenschaftlichen Gerätebau als „die Herstellung von Geräten, Apparaturen und Hilfsmittel zur Förderung der Arbeitsproduktivität in den experimentellen Naturwissenschaften und in der industriellen Fertigung". Besondere Aufmerksamkeit schenkte Paul Görlich den Wirkungsfeldern des Gerätebaus, die sich aus zukunftsträchtigen Entwicklungen ergaben. Er verwies dabei auf die Weltraumforschung, die Kernphysik und -technik sowie auf die Mikrobiologie und regte eine enge Zusammenarbeit zwischen den Gerätebauern und den anderen auf diesen Gebieten tätigen Fachleuten an. Zur Organisation dieser Zusammenarbeit

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Protokoll des VI. Parteitages der SED, Bd. 4, S. 449. Seit Mitte der fünfziger Jahre bezeichnete man in zentralen Leitungs- und Planungsgremien der Volkswirtschaft einen Teil der feinmechanisch-optischen Industrie als „Wissenschaftlichen Gerätebau". Dazu zählten die Betriebe, die Geräte entwickelten und herstellten, die Informationen über Helligkeit, Temperatur, Position usw. erfaßten, übertrugen, wandelten, speicherten, auswerteten und nutzten. Lexikon der Optik. Hrsg. von Heinz Haferkorn, Leipzig - Hanau 1990, S. 378. In der Industriezweignomenklatur des Volkswirtschaftsrates wurden diese Betriebe unter der Bezeichnung „Wissenschaftlicher Gerätebau/Optik" geführt Der Volkswirtschaftsrat war als Organ des Ministerrates im Juli 1961 zur zentralen Leitung der Industrie gebildet worden und bestand bis März 1965. VA Nr. 1158 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 13. Februar 1963). VA Nr. 1770 (Paul Görlich: Rolloquiumsvortrag Wissenschaftlicher Gerätebau im Forschungsrat am 22. Mai 1963).

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empfahl er die Bildung eines staatlichen Gremiums. Abschließend urteilte Paul Görlich über den Stand der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit innerhalb des RGW. Er bewertete die Abstimmungen bei photogrammetrischen Geräten, Ultraschall-Materialprüfgeräten und Röntgengrobstrukturgeräten als Fortschritt, bemängelte aber, daß sich verschiedene Staaten - obwohl die Organe des RGW Empfehlungen für die Arbeitsteilung zwischen den Ländern gegeben hätten - nicht danach richteten, sondern selbst optische Geräte entwickelten und fertigten. Er nannte in diesem Zusammenhang die VR Bulgarien, die zum Bau von Vermessungsgeräten übergegangen war. Am 7. November 1963 ordnete das Präsidium des Ministerrates der DDR an, für den Industriezweig „Wissenschaftlicher Gerätebau/Optik" ein Perspektivprogramm für den Zeitraum 1964 bis 1970 zu erarbeiten. 33 Es bedurfte eines längeren Zeitraumes, bis dessen Grundzüge vorlagen. Erst am 4. Juni 1964 konnte der Leiter der Abteilung Werkzeugmaschinen und Gerätebau im Volkswirtschaftsrat mit den Generaldirektoren der W B Dieselmotoren, Pumpen und Verdichter, der W B Regelungstechnik, Gerätebau und Optik und dem Werkleiter des Zeiss-Werkes den Entwurf einer Konzeption für die Ausarbeitung des Perspektivprogramms für den Industriezweig „Wissenschaftlicher Gerätebau/Optik" erörtern. Der Entwurf sah vor, die Leistungsfähigkeit des Industriezweigs so zu steigern, „daß die Bedürfnisse der Volkswirtschaft der DDR, des sozialistischen Lagers und der Export in andere Wirtschaftsgebiete schneller und besser als bisher erfüllt werden." 34 Im Gefolge dieser Besprechung wurden in den WB, aber auch im Zeiss-Werk, Arbeitsgruppen gebildet, die sich mit den einzelnen Teilen des Programms befaßten. Am 8. Dezember 1964 lag schließlich das gewünschte Programm unter dem Titel „Direktive zur Realisierung des Programms zur vorrangigen Entwicklung des Wissenschaftlichen Gerätebaus. VEB Carl Zeiss Jena mit unterstellten Betrieben gemäß Ministerratsbeschluß" vor, an dem aber noch gefeilt werden mußte.

Die Vervollständigung der Produktionsbasis In den fünfziger und frühen sechziger Jahren standen in den Fertigungsbereichen des Zeiss-Werkes Rationalisierungsprozesse im Vordergrund. Zu Neuinvestitionen kam es vornehmlich in den Außenwerken in Winterstein, Dresden-Reick, Weimar und Seebach, die zwischen 1951 und 1953 dem Zeiss-Werk zugeordnet worden waren, sowie in den Fertigungsstätten in Eisfeld und Saalfeld. In Saalfeld entstanden die produktionstechnischen Voraussetzungen für die Produktion des Zeiss-Rechen-Automaten ZRA 1 und in Eisfeld für die Fertigung der Photoapparate vom Typ Werra. In Jena bildete seit Ende der fünfziger Jahre der Bau des Forschungshochhauses, das am 16. Juni 1965 offiziell eingeweiht wurde, den

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Roland Kowalski: Der wissenschaftlich Gerätebau der DDR in den 60er Jahren, S. 66. Zitiert in Kowalski: Der wissenschaftlich Gerätebau der DDR in den 60er Jahren, S. 67.

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Investitionsschwerpunkt.55 Die Daten in der Tabelle 11 im Tabellenanhang zeigen, wie sich die Investitionen in den fünfziger Jahren entwickelten. Vor allem in den Jahren 1951 und 1952 bis 1955 gingen die Investitionen erheblich zurück. Größere Investitionen wurden erst seit Anfang der sechziger Jahre wieder vorgenommen. Insgesamt investierte das Zeiss-Werk zwischen 1950 und 1964 182,9 Millionen Mark. Davon entfielen 24,5 Prozent auf die Jahre 1950 bis 1955, 30,1 Prozent auf die Jahre 1956 bis 1960 und 45,5 Prozent auf die Zeit von 1961 bis 1964. Diese Summen enthalten finanzielle Mittel für Generalreparaturen und Neuinvestitionen.56 Durch die Zuordnung der Außenwerke und vor allem durch deren Ausbau vergrößerte sich die Nutzfläche des Zeiss-Werkes von 247.000 m 2 im Jahre 1955 auf 350.328 m2 im Jahre 1964.57 Zwischen 1950 und 1964 wuchs der Bruttowert der Arbeits- und Werkzeugmaschinen von 15,6 auf 93.5 Millionen Mark und der Nettowert von 11,8 auf 40,6 Millionen Mark.58 In diesen Zahlen spiegelte sich die Qualitätsminderung des Ausrüstungsparkes wider. Bei der Vervollkommnung des Ausrüstungsparks mußten noch immer erhebliche Schwierigkeiten überwunden werden, denn der Maschinen- und Anlagenbau in der DDR und in anderen Ostblockstaaten war oftmals nicht in der Lage, den qualitativen und quantitativen Anforderungen des Zeiss-Werkes zu entsprechen. Der werkseigene Maschinen- und Werkzeugbau war in einem erheblichen Maße genötigt, neben speziellen Metall- und Glasbearbeitungsmaschinen auch Standardausrüstungen zu fertigen, da sich die Maschinenbauindustrie hierzu außerstande sah. Verschiedentlich wurden weiterhin gebrauchte Maschinen aufgekauft.59 Die Qualität des Maschinen- und Einrichtungsparks im Zeiss-Werk war höchst unterschiedlich. Das zeigt eine Analyse vom November 1953, bei der es um einen Qualitätsvergleich zum Stand von 1945 ging. Eine Reihe von Fertigungsstätten konnte berichten, daß das technisch-technologische Niveau insgesamt höher oder gleichwertig war. Aber in den meisten Produktionsstätten gab es neben Maschinen und Einrichtungen von zufriedenstellender Qualität vielfach auch solche, die den Arbeitsanforderungen nicht genügten. Als Beispiel kann die Dreherei im Fertigungsbetrieb genommen werden. Während in der F-Dreherei der technologische Stand von 1945 erreicht worden war, entsprachen 20 Prozent der Maschinen nicht den qualitativen Voraussetzungen, die die Arbeitsaufgaben erforderten. Ebenso wurde die geringe Qualität der verfügbaren Werkzeuge beklagt Für die Automatendreherei wurde hingegen konstatiert, daß der technische Stand des Jahres 1945 überschritten werden konnte, aber die Qualität des Automatenstahls mangelhaft war.60 55 56 57

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40 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 1, S. 73. Errechnet nach Statistisches Jahrbuch 1965 des VE Β Carl Zeiss JENA, S. 4. BACZ Nr. 15803 (Investitionsentwicklung von 1947 bis 1955); Statistisches Jahrbuch 1965 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 10. Statistisches Jahrbuch 1965 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 7. BACZ Nr. 15803 (Investitionsentwicklung von 1947 bis 1955). BACZ Nr. 21038 (Unterlagen über die Erhebung zur Erfassung des Charakters der verschiedenen Abteilungen und ihrer Stellung im Produktionsprozeß vom November 1953. Band 1).

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Wie begrenzt die erzielten Fortschritte bei der technischen Erneuerung des Maschinenparks waren, verdeutlicht 1955 die Analyse der Altersstruktur von 600 Metallbearbeitungsmaschinen. Die Revolverdrehmaschinen waren zu 88 Prozent nach 1945 gebaut worden. Von den Pittler-Revolverdrehmaschinen waren lediglich 17 Prozent, von den Drehmaschinen 35 Prozent und von den Außenrundschleifmaschinen 44 Prozent nach dem Zweiten Weltkrieg hergestellt worden. Die restlichen Maschinen gehörten vorwiegend zu dem Fonds, der nicht demontiert oder von anderen Firmen angekauft worden war. Davon stammten wiederum 41 Prozent der Pittler-Drehmaschinen, fünf Prozent der Revolverdrehmaschinen, 14 Prozent der Revolverdrehautomaten und 16 Prozent der Außenrundschleifmaschinen aus der Zeit vor 1930. Das Baujahr der anderen Maschinen lag zwischen 1931 und 1945.61 Werkleitung und Betriebsleitungen waren nicht nur bestrebt, leistungsfähige Maschinen und Einrichtungen zu erhalten, sondern achteten zugleich auf moderne technologische Gestaltungsprinzipien. So gelang es durch betriebsorganisatorische Maßnahmen und technologische Veränderungen in der Brillenproduktion, die Fertigungszeiten erheblich zu reduzieren und die Produktion teilweise bis zu 1.200 Prozent zu steigern. 1953 entstanden in der Vorfertigung und Montage Fließstraßen. Im Optik-Betrieb kam bei Prismen, Objektiven und Tessaren die Gruppenfertigung zur Anwendung, und im Tele-Betrieb wurde eine Feldstecherstraße eingerichtet. 62 Durch eine neuartige Prüfungsmethode für Photoobjektive auf photographischer Grundlage gelang es, den wirksamen Auszug, die Brennweite, den Astigmatismus, den Randschlag, die Zentrierung, die Bildebnung und die Auflösung zu prüfen. Dadurch wurde es möglich, in einer Normalschicht bis zu 1.000 Objektive zu kontrollieren. Beim Gravieren von Schriftzeichen erlaubte die automatische Tiefenbegrenzung die Strichbreiten genau einzuhalten, so daß nicht nur die ausgeführten Arbeiten eine bessere Qualität aufwiesen, sondern auch Fertigungszeiten verkürzt werden konnten. Gleichzeitig erleichterte das neue Verfahren die Arbeit der Graveure. Das sind nur einige Beispiele aus einer Vielzahl kleinerer und größerer Maßnahmen. In Jena bildete die Umsetzung der Optikfertigung aus dem Haupt- in das Südwerk, verbunden mit einer zweckmäßigen Organisation der Fertigungsabläufe und der besseren technischen Ausstattung des Optikbetriebes in den Jahren 1956/57 ein aufwendiges Rationalisierungsvorhaben. Im Optikbetrieb gab es nun vier Fertigungsstraßen. In der Fertigungsstraße 3 wurden die optischen Elemente für Mikro, Mess, Vg und Bms und in der Fertigungsstraße 4 Prismenund Planoptik hergestellt. Im Produktionsbetrieb für Brillen entstanden 16 Fließreihen für verschiedene Gläser. Die im Optik- und im Brillenbetrieb aufgestellten neuen Maschinen waren vom werkseigenen Maschinenbau konstruiert und gebaut worden. Haupttechnologe Paul Blume berichtete am 8. November 1960 in

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BACZ Nr. 15803 (Übersicht über das Lebensalter wichtiger Maschinen nach dem Stand von 1955). BACZ Nr. 18278 (Geschäftsbericht des VE Β Carl Zeiss Jena zum 31. Dezember 1953).

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Abb. 14 Feldstecherwerkstatt im Hauptwerk. November 1951

der Betriebsleiterbesprechung, daO mit dem erneuerten Maschinenpark die Brillengläser· und Optikfertigung um 300 Prozent gesteigert werden konnte. 63 In Gerätebetrieben wurden in dieser Zeit Maschinenfließstraßen zur Fertigung von Stutzen für geodätische Geräte, Vorfertigungsfließstraßen zur Bearbeitung von Photo-Rohrstutzen, Feldstechergehäusen und Mikroskopstativen, aber auch Handfließreihen zur Montage von Schalt- und Prüfgeräten sowie von Photoobjektiven in Betrieb genommen. 64 Die vielfältigen Formen der Rationalisierung führten im Zeiss-Werk zu dem bemerkenswerten Anstieg der Bruttoproduktion je m 2 -Fläche von 1.274 Mark im Jahre 1958 auf 1.594 Mark 63 im Jahre 1965.66

Die Konsolidierung der Stammbelegschaft Die Politisierung der Personalführung Eine entscheidende Bedingung für die Integration des Zeiss-Werkes in das staatssozialistische System bestand in der politischen Beeinflussung der Belegschaft im Sinne dieses Systems. Das war in erster Linie die Aufgabe der SED-Betriebspar-

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VA Nr. 1151 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 8. November 1960). Schumann: Carl Zeiss. Einst und jetzt, S. 824. Zu unveränderten Planpreisen. Statistisches Jahrbuch 1965 des VE Β Carl Zeiss JENA, S. 11.

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teiorganisation. Ihre Führungskräfte und aktiven Mitglieder warben in den Betriebsabteilungen und Werkstätten für die Gesellschaftspolitik der SED. Sie sorgten dafür, daß Parteimitglieder und sympathisierende Gewerkschaftsmitglieder in die Leitungsgremien der gesellschaftlichen Organisationen gewählt wurden, die im Werk wirkten. Gleichzeitig drängte die SED-Parteileitung darauf, daß auch betriebliche Schlüsselfunktionen mit politisch zuverlässigen und fachlich versierten Parteimitgliedern besetzt wurden. Anfang der fünfziger Jahre wurde die Belegschaft auf vielfaltige Weise mit den Bestrebungen der SED-Führung, dem neuen Gesellschaftssystem in den Staatsbetrieben Geltung zu verschaffen, konfrontiert. Dazu gehörte das intensive Werben für die Bildung von Arbeitsbrigaden und die Einführung von Betriebskollektivverträgen. Anfang 1951 wurde, wie in anderen Staatsbetrieben, im Zeiss-Werk ein Betriebskollektivvertrag zusammengestellt, der vorsah, daß sowohl die Werkleitung als auch die Belegschaft konkrete Verpflichtungen zur Erfüllung der betrieblichen Aufgaben im jeweiligen Planjahr übernehmen sollten. Die staatlichen Vorgaben für den Vertrag tangierten zugleich soziale Rechte, die das Statut der Carl-Zeiss-Stiftung den Belegschaftsmitgliedern garantierte. Beides, Verpflichtung zu Aufgaben, die eigentlich Sache der Werkleitung waren und deren Lösung die Belegschaft nur sehr bedingt beeinflussen konnte, und die Gefahr, daß die Stiftungsrechte verloren gehen könnten, lösten bei einem großen Teil der Belegschaft und ihren gewerkschaftlichen Interessenvertretern einen hartnäckigen Widerstand aus.

Abb. 15 Ergebnislose Delegiertenversammlung zur Beratung und Abstimmung zum Betriebskollektivvertrag. September 1951

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Die Auseinandersetzungen um den Betriebskollektivvertrag erstreckten sich über das ganze Jahr 1951. Der Vertrag kam erst Ende 1951 zustande, nachdem die Regierung in sozialer Hinsicht einige Zugeständnisse gemacht hatte.67 Um derartige Neuerungen in den Staatsbetrieben einführen zu können, bedurfte es im Personalbereich entsprechender Leitungsstrukturen. Im Zeiss-Werk bestand bis zum Sommer 1951 das traditionelle System der Personalhauptleitung mit dem Personalhauptbüro, der Abteilung Löhne und Gehälter und den Personalreferenten für die Hauptleitungen und die Betriebsabteilungen, in denen ebenfalls Personalleitungen bestanden, sowie den Abteilungen, die für soziale und kulturelle Belange der Belegschaft zuständig waren. Im Januar 1951 wurde eine Lehrbetriebsleitung gebildet, um die Lehrausbildung einheitlicher zu gestalten.68 Im Juli 1951 wurde aufgrund einer Regierungsanordnung im Zeiss-Werk ein Kulturdirektor berufen. Diese Aufgabe übernahm Otto Schiek, dem die neu eingerichtete Abteilung Arbeitsproduktivität, die Abteilungen Schulung und Berufsbildung, die Personalbetreuung und die Kulturarbeit unterstanden. Der Abteilung Arbeitsproduktivität oblag die Arbeitskräfteplanung, die Förderung der Aktivistenbewegung, die Verbindung zur technischen Intelligenz, die Entwicklung der Technisch begründeten Arbeitsnormen (TAN)69 und der fortschrittlichen Arbeitsmethoden sowie die Prüfung und Kontrolle der Betriebskollektivverträge. Im August 1951 kamen noch die Abteilungen Personalbetreuung und Sozialwesen dazu. Im Frühsommer 1952 wurde ein Direktor für Arbeit eingesetzt, der neben dem Technischen Direktor als Zweiter Stellvertreter des Werkleiters fungierte und für alle Belange auf den Gebieten Arbeit und Lohngestaltung zuständig war.70 Diese Aufgabe übernahm im September 1952 Fritz Röhrdanz, der aus der UdSSR zurückgekehrt war. Im Dezember 1954 wurde Fritz Röhrdanz von seiner Funktion abberufen und nach einer Interimslösung berief das Ministerium am 1. Juni 1956 Gerhard Schübel zum Arbeitsdirektor. Dieses Direktorat stellte im März 1954 erstmals den Arbeitskräfteplan für 1954 zusammen.71 Die Lücken in der Stammbelegschaft Ein entscheidender Aspekt des Konsolidierungsprozesses der Stammbelegschaft bestand darin, den Kreis der Belegschaftsmitglieder zu vergrößern, der über zeisstypische Eigenschaften verfügte, denn Anfang der fünfziger Jahre wurden die

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Wolfgang Mühlfriedel: Die Auseinandersetzung um den ersten Betriebskollektivvertrag im Zeiss-Werk (Typoskript). BACZ Nr. S 95; Hellmuth: Die Entwicklung des Zeiss-Werkes, S. 46. Im Zeiss-Werk bestand seit dem 1. April 1951 eine zentrale TAN-Abteilung. 40 Jahre in Volkes Hand, Teil I, S. 25. Hellmuth: Die Entwicklung des Zeiss-Werkes, S. 47, Anlagen 4.16.4,4.18. BACZ Nr. 18934 (Chronik der Abteilung Arbeit).

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Lücken besonders spürbar, die durch den Krieg und seine Folgen in der Stammbelegschaft entstanden waren. Von den ca. 16.000 Arbeitern und Angestellten, die Mitte des Jahrzehnts im Werk arbeiteten, gehörten lediglich 29,4 Prozent bereits während des Krieges zur Zeiss-Belegschaft. Nach Abschluß der Demontage nahmen 12.000 Arbeitskräfte ihre Tätigkeit im Zeiss-Werk auf und mußten von erfahrenen Zeissianern in fachlicher und mentaler Hinsicht mit dem Zeiss-Geist vertraut gemacht werden. Das war eine Grundvoraussetzung, um die Erzeugnisentwicklung im gebotenen Tempo und auf dem erforderlichen Niveau weiterzuführen, die Produkte in traditioneller Zeiss-Qualität und zu angemessenen Kosten herzustellen. Dabei wurden die erfahrenen Zeissianer durch die Kollegen unterstützt, die Anfang der fünfziger Jahre aus der UdSSR zurückkehrten. Die Heimkehr der Zeissianer aus der UdSSR Als Anfang 1951 die Werkleitung von Deportierten die Nachricht erhielt, daß deren Rückkehr bevorsteht, traf sie unverzüglich die nötigen Vorbereitungen für die Aufnahme der Kollegen. Es wurden Mitarbeiter mit der Betreuung der Heimkehrenden und deren Familien beauftragt 72 und finanzielle Mittel für die provisorische Unterbringung der Rückkehrenden sowie für den Ankauf von Möbel und Hausrat bereitgestellt. Im Geschäftsbericht per 30.9.1952 wurden unter der Rubrik „außergewöhnlicher Aufwand" 20.000 Mark Rückführungskosten ausgewiesen, die das Innenministerium der DDR nicht übernommen hatte. Außerdem waren 337.000 Μ Gehaltsaufwendungen für die ersten drei Monate außerplanmäßig angefallen. 73 Die ersten 13 Heimkehrer trafen im August 1951 in Jena ein.74 Unter ihnen waren die Doktoren Karl Gundlach und August Sonnefeld, zwei der Ältesten, die 1946 in die UdSSR verbracht worden waren. 75 Die überwiegende Mehrheit der Deportierten kam im Januar und Juni 1952 nach Jena zurück. 76 Sie wurden mit großer Herzlichkeit empfangen. Werkleitung und Betriebsgewerkschaftsleitung unternahmen alles, um ihnen das Gefühl zu geben, daß sie im Zeiss-Werk und in Jena willkommen sind.77 Rudolf Müller, der Technische Hauptleiter, hält dazu in seinen Erinnerungen fest: „Wir Zeissianer bereiteten den Familien einen unbeschreiblich herzlichen Empfang. Die Zeiss72

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BACZ Nr. 23756 (Materialien zur Frage der Rückkehr von Spezialisten aus der Sowjetunion nach Jena. Bericht der Betriebsparteiorganisation der SED an Dr. Hugo Schrade vom 16. März 1951). BACZ Nr. 15975 (Geschäftsbericht per 30. September 1952 des VEB Optik Carl Zeiss Jena). BACZ Nr. 20845 (Geschäftsbericht per 30. September 1951 des VEB Optik Carl Zeiss Jena); Nr. 9340 (Monatsbericht des Kulturdirektors vom 4. Oktober 1951 an das ZK der SED, Abteilung Agitation). BACZ Nr. 15863 (Schreiben des Kulturdirektors Schiek des VEB Carl Zeiss Jena an den Förderungsausschuß beim Stellvertreter des Ministerpräsidenten der DDR betr. Zuteilung von IN-Karten vom 17. August 51). BACZ Nr. 18934 (Zeittafel DAL 1952). BACZ Nr. 23736 (Materialien zur Frage der Rückkehr von Spezialisten aus der Sowjetunion nach Jena. Bericht der Betriebsparteiorganisation der SED an Dr. Hugo Schrade vom 16. März 1951).

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Abb. 16 Dr. August Sonnefeld spricht auf dem Empfang für die ersten Rückkehrer aus der UdSSR. 7. August 1951

Kapelle begrüßte ihre Rollegen mit Heimatliedern.... Der Werkdirektor Dr. Hugo Schrade bereitete allen ein Wiedersehen mit der geliebten Heimat, die allen zu Herzen ging."78 Die Werkleitung bot jedem Rückkehrer eine Tätigkeit in seiner alten Abteilung an, sofern in den einzelnen Arbeitsgebieten inzwischen keine Strukturveränderungen eingetreten waren. Das ließ Hugo Schrade die Heimgekehrten in einer Zusammenkunft am 29. Juli 1952 wissen: „Ich kann nicht sagen, nachdem Ihr 5 Jahre weg wart, der kommt dahin und der dahin. Das kann ich erst, wenn ich mit Euch gesprochen habe und weiß, was Ihr in der Sowjetunion geleistet habt. Deshalb habe ich angeordnet, daß erst einmal jeder auf seinen früheren Arbeitsplatz Anspruch erheben kann und gehaltlich so eingesetzt wird, wie er mutmaßlich die Entwicklung hier genommen hätte. Das sollte aber nur eine vorläufige Regelung sein. Im Verlauf eines Vierteljahres sollten die Dinge in Ordnung gebracht werden."79 Die Zurückgekehrten erhielten nach einem Gespräch mit Hugo Schrade einen Arbeitsplatz, der ihrem beruflichen Werdegang entsprach. Mitarbeiter, die vor ihrem Abtransport als Meisterstellvertreter oder Techniker beschäftigt waren,

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NL XIII/13 Rudolf Müller - Erinnerungen. BACZ Nr. 23736 (Protokoll über die Aussprache von Vertretern der Werkleitung, BPO, BGL, und der Kreisleitung der SED am 29. Juni 1952).

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erhielten Meisterstellen oder wurden als Vollkonstrukteure eingesetzt. Ältere Rollegen, die noch nicht in Rente gehen mochten, übernahmen Kontroll- oder Anleitungsaufgaben. Um eine gute Aufnahme der Heimkehrer war man aber nicht nur im ZeissWerk bemüht. Auch die SED-Parteileitungen und das Ministerium achteten auf eine reibungslose Wiedereingliederung, denn es sollte alles unterbleiben, was die Fachleute veranlassen könnte, nach Westdeutschland weiterzureisen. Bei manchem Zeissianer, der die harte Wiederaufbauzeit durchlebt hatte, stieß die politisch gewollte Bevorzugung der „SU-Spezialisten" auf Vorbehalte. Das traf besonders zu, wenn der eine oder andere Rückkehrer den Eindruck erweckte, er sei durch den Aufenthalt in der Sowjetunion dazu prädestiniert, im Werk eine Leitungsfunktion zu übernehmen. Dazu stellt Rudolf Müller rückblickend fest: „Einige umgaben sich mit dem Nimbus eines in der SU qualifizierten Kommunisten, der schließlich Anerkennung der vielen Entsagungen - denen auch nicht in dem durch den faschistischen Krieg so unerträglich hart geprüften Lande er entgehen konnte - verlangen kann. Sie sahen ihre Chance darin, im Werk nun, ,ihre Politik' durchsetzen zu können. Sie hatten sich offensichtlich einiges vorgenommen und gaben sich, als wenn das ZK der SED ihnen einen solchen Auftrag gegeben haben könnte. Offensichtlich sorgten sie für einen schnellen Einsatz des Heimkehrers Dr. Paul Görlich als Hauptleiter für Forschung und Entwicklung. Braune wurde als Hauptleiter der Kaderabteilung und Röhrdanz als Direktor für Arbeit eingesetzt. Eine gesteuerte Unruhe schlich sich durch die Reihen der leitenden Kader.... Mich umgab ein geheimnisvolles Mißtrauen der,Neuen'. Kaum einer stellte sich aber den aktuellen Belangen des Betriebes."80 Ein besonderes Problem bestand in der Bereitstellung von Wohnraum für diejenigen, die mit ihren Familien in der UdSSR gelebt hatten. Es mußten Unterkünfte für 169 Familien beschafft werden81, deren frühere Wohnungen inzwischen von Jenaer Einwohnern oder Umsiedlern, darunter „eine Reihe von Aktivisten und Angehörigen der schaffenden fntelligenz",82 belegt waren. Die Beratungen zur Wohnungsfrage mit der Stadtverwaltung ergaben, daß 30 Wohneinheiten mit 2-3 Zimmern in der Baugenossenschaft und 50 Wohnungen vom städtischen Wohnungsamt bereitgestellt werden können. Um den Bedarf einigermaßen zu befriedigen, war der Neubau von 90 Wohnungen nötig. Im Programm der staatlichen Intelligenzpolitik, das den Bau von 300 Einfamilienhäusern in der gesamten DDR vorsah, erhielt Jena Investitionsmittel für zehn derartige Neubauten.83 Die Bemühungen ergaben im August 1951, daß in der Camburger

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NL XIII/13 Rudolf Müller - Erinnerungen. BACZ Nr. 23736 (Schreiben der Werkleitung an den Oberbürgermeister der Stadt Jena vom 27. Februar 1951 die Unterbringung der zurückkehrenden Zeiss-Spezialisten betreffend). BACZ Nr. 23736 (Bericht der Betriebsparteiorganisation an Hugo Schrade vom 16. März 1951). BACZ Nr. 23736 (Besprechungsniederschrift vom 13. März 1951).

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Abb. 17 Rudolf Müller (links) begrüßt den Konstruktionsleiter Hermann Schrumpf

Abb. 18 Wilhelm Lutz

Abb. 19 Meister Paul Schnerr mit Tochter Heidi (Hintergrund)

Abb. 20 Sepp Bauer (links) mit Rückkehrer Dr. Harald Straubel (rechts)

Abb. 17-20 Begrüßung von Heimkehrern aus der UdSSR. 9. Juni 1952

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Straße 40 Wohnungen gebaut wurden. Für weitere 60 Rückkehrer mußten andere Möglichkeiten gefunden werden.84 Aufgrund eines Antrages von Hugo Schrade an den Stellvertretenden Ministerpräsidenten Heinrich Rau erhielt die Stadtverwaltung die Zusage, daß 1952 in Jena weitere ca. 100 Wohnungen für die Intelligenz zusätzlich gebaut werden können.85 Anfang Februar 1952, einen halben Monat nach Eintreffen der größten Heimkehrergruppe, berichtet der Rulturdirektor an das ZK der SED: „Die Wohnungsbeschaffung hat anfänglich große Schwierigkeiten gemacht, ist aber im großen und ganzen zur Zufriedenheit der Spezialisten erledigt worden. Grundsätzlich sind die Heimkehrer in ihren früheren Wohnungen untergebracht worden. Soweit die Wohnungen nicht bis zum Eintreffen freigemacht werden konnten, wurden die heimkehrenden Kollegen mit ihren Familien im Hotel vorübergehend untergebracht. (Jetzt sind alle Rollegen untergebracht. Beanstandungen liegen nicht vor.) ... Wir haben die Heimkehrer in allen Fragen ihrer neuen Seßhaftmachung weitgehend unterstützt, Wohnungen instand gesetzt, fehlenden Hausrat, Gasherde, Öfen, Rüchenherde beschafft, sie beim Geldwechsel usw. usw. unterstützt. Schwierigkeiten hat es nirgendwo gegeben."86 Zeitweilige Unstimmigkeiten vor allem beim Geldwechsel, die zu Mißmut und Unruhe unter den Heimkehrern führten, wurden geklärt und in Ordnung gebracht87 26 Wissenschaftler und Ingenieure, die in Krasnogorsk, Leningrad, Moskau und Kiew an militärischen Aufgaben gearbeitet oder größere Einblicke gewonnen hatten, waren 1952 noch in den sowjetischen Betrieben verblieben und wurden Mitte des Jahres 1953 für ein halbes Jahr auf die Insel Gorodomlia im Seligersee88, zwischen Leningrad und Moskau gelegen, umgesiedelt, bevor sie im November 195 389 die UdSSR verlassen konnten. Zu ihnen gehörten die 84

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BACZ Nr. 9329 (Protokoll über die Besprechung beim Oberbürgermeister Herdegen am 9. August 1951). BACZ Nr. 15802 (Schreiben Heinrich Rau an den Oberbürgermeister der Stadt Jena vom 8. Februar 1952). BACZ Nr. 9340 (Monatsbericht des Kulturdirektors an das ZK der SED vom 5. Februar 1952) Anfang des Jahres 1951 hatte man festgelegt, daß die Heimkehrer ihren Rubelverdienst zum Kurs ein Rubel zu 0,63 bzw. 0,68 Mark umtauschen können. Siehe BACZ Nr. 23736 (Niederschrift einer Besprechung in Berlin am 13. März 1951). Geldüberweisungen der deutschen Spezialisten aus der Sowjetunion während der Zeit ihres Aufenthaltes an ihre Angehörigen in der DDR waren aber zu einem Kurs von 1 Rubel in 2 DM erfolgt. Deshalb wurde der Geldumtausch noch einmal neu geregelt: Die Hälfte des zuletzt bezogenen Gehaltes sollte im Verhältnis 1:2, der Rest im Verhältnis 1:0,63 Rubel in Deutsche Mark umgetauscht werden. Dennoch kam es anfangs zur Überweisung von Beträgen, die nicht den Erwartungen der Spezialisten entsprachen. Erst nach erfolgten Einsprüchen seitens des Betriebes wurden die Geldüberweisungen nachträglich aufgebessert. Siehe BACZ Nr. 9340 (Monatsbericht des Kulturdirektors an das ZK der SED vom 1. April 52) Auf dieser Insel hatten seit 1946 deutsche Raketenspezialisten gelebt und gearbeitet. 1953 waren nur noch wenige da, die ebenfalls „vergessen" sollten. BACZ Nr. 19600 (SU-Heimkehrer - Namensaufstellung betreffs Einzelverträge und Altersversorgung vom 12. Mai 54 von EHB/Her) und nach Aussage des Sohnes von Fritz Straube, Otto Straube, der als Kind (Jahrgang 1939) mit seinen Eltern in Leningrad und auf der Insel Gorodomlia weilte.

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ehemaligen Betriebsleiter Oskar Bihlmeier, Georg Kresse, Dr. Ronrad Kühne aus dem Quarzlabor, der Astro-Werkmeister Walter Pfaff, die Doktoren Herbert Kortum und Wilhelm Kämmerer, die in einem Moskauer Rüstungsbetrieb gearbeitet hatten, sowie der Ingenieur Fritz Straube, der von Herbert Kortum während der „Quarantäne" in die gedankliche Vorbereitung einer elektronischen Rechenmaschine, der späteren OPREMA, einbezogen wurde. 90

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Abb. 21 Heimkehr der Familie Fritz Straube aus der UdSSR. 26. November 1953

Das Wachstum und die strukturelle Veränderung der Belegschaft Wie schon an anderer Stelle dargestellt, bestimmte das zuständige Ministerium durch die Vorgabe von Kennziffern Umfang und Grundstruktur der Zeiss-Belegschaft. Nachdem die Zeiss-Belegschaft in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre stark anwuchs, blieb bis zur Mitte der sechziger Jahre die Anzahl der Beschäftigten weitgehend konstant. Von 1950 bis 1954 stieg die Beschäftigtenzahl von 10.496 auf 16.554. 1954 hatten die Jenaer Betriebe einen unterschiedlich großen Anteil an den Beschäftigten des Werkes. Auf den Fertigungsbetrieb entfielen 36,5 und auf den Brillenbetrieb lediglich 3,7 Prozent.91 Die Tabelle 12 im Tabellenanhang gibt darüber nähere Auskunft. 1965 arbeiteten im Zeiss-Werk 17.161 Arbeiter und Angestellte.92 Die Tabelle 13 im Tabellenanhang vermittelt einen Eindruck von der quantitativen Entwicklung der Belegschaft des VE Β Carl Zeiss JENA. 1965 arbeiteten 83 Prozent der Beschäftigten des VEB Carl Zeiss JENA in den Laboratorien, Konstruktionsbüros und Fertigungsstätten in Jena. 17 Prozent waren in den neun Fertigungsstätten tätig, deren Standorte sich in verschiedenen Regionen der DDR befanden, davon 8,5 Prozent in Saalfeld, 3,9 Prozent in Eisfeld und 1,9 Prozent in Lommatzsch. Die restlichen Beschäftigten arbeiteten in kleineren Fertigungsstätten. In dem betrachteten Zeitraum vollzog sich in der Belegschaft eine Reihe struktureller Veränderungen. Zwischen 1950 und 1960 ging der Anteil der Produktionsarbeiter von 68,4 auf 60,5 Prozent zurück. Demgegenüber nahm der Anteil des technischen Personals sowie des übrigen industriellen und nichtindustriellen Personals von 31,6 auf 39,5 Prozent zu. Bemerkenswert ist, daß sich die Proportionen zwischen den letztgenannten drei Beschäftigungsgruppen verschoben. 1955 hatte das technische Personal einen Anteil von 27, das sonstige industrielle 90 91 92

Nach Aussage von Otto Straube. Zusammengestellt und errechnet nach BACZ Nr. 18934 (Chronik der Abteilung Arbeit). In Vollbeschäftigteneinheiten und ohne Lehrlinge. Statistisches Jahrbuch 1965 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 15.

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1949-1964 VEB Carl Zeiss JENA

Personal von 48 und das nichtindustrielle Personal von 25 Prozent. Bis 1960 war der Anteil des technischen Personals auf 25,3 und des sonstigen industriellen Personals auf 38,7 Prozent zurückgegangen, der Anteil des nichtindustriellen Personals aber auf 38 Prozent angestiegen. Der Anteil der Frauen und Mädchen an den Beschäftigten lag in dem betrachteten Zeitraum in der Regel etwas über 30 Prozent. 1965 arbeiteten im VEB Carl Zeiss JENA 6.740 weibliche Arbeitskräfte, das waren 38,7 Prozent der Gesamtbeschäftigten. Am Standort Jena belief sich der Anteil der weiblichen Arbeitskräfte auf 36,3 Prozent. Wesentlich höher war er in Saalfeld und Eisfeld mit 47.3 Prozent bzw. 45 Prozent. Eine detaillierte Übersicht über die Tätigkeitsstruktur der Beschäftigten vermitteln die Angaben aus dem Jahr 1964. Danach waren von den Beschäftigten 12.4 Prozent im Leitungs- und Lenkungsbereich, 5,1 Prozent im kaufmännischen Bereich, 12,6 Prozent in Forschung und Entwicklung, 61,1 Prozent in den Produktionsbereichen und 8,8 Prozent in der Ausbildung und in anderen Bereichen tätig. Die durchschnittliche Altersstruktur der Belegschaft schwankte in den Jahren 1950 bis 1965 zwischen 30 und 40 Jahren. 93 In den fünfziger Jahren rekrutierte das Zeiss-Werk die Arbeitskräfte aus verschiedenen Quellen. Nur ein relativ kleiner Teil der Neueingestellten war durch den bisherigen beruflichen Werdegang auf eine Tätigkeit im Zeiss-Werk vorbereitet. Die überwiegende Mehrheit der neuen Werksangehörigen hatte keinerlei fachliche Beziehung zu ihrer künftigen Tätigkeit. Viele, vornehmlich Frauen und Mädchen, kamen erstmals mit einer industriellen Beschäftigung in Berührung. Daraus resultierte auch der hohe Anteil von Frauen und Mädchen in den unteren Entlohnungsgruppen. Der überwiegende Teil der Arbeitskräfte, der im betrachteten Zeitraum im Zeiss-Werk in Jena oder in einem der Außenwerke eine Arbeit aufnahm, stammte aus den jeweiligen Ortschaften oder aus deren Umgebung. Ein wesentliches Reservoir der Belegschaft bildete der Facharbeiternachwuchs aus der eigenen Lehrausbildung. Bei der Konsolidierung der Stammbelegschaft spielten Arbeitsbrigaden, die von SED- und Gewerkschaftsfunktionären in den einzelnen Produktionseinheiten seit den frühen fünfziger Jahren angeregt wurden, durchaus eine fördernde Rolle. Sie wurden gegen Ende des Jahrzehnts dazu angehalten, nach dem Beispiel der chemischen Industrie am Wettbewerb um den Titel „Brigade der sozialistischen Arbeit" teilzunehmen. Einen solchen Titel erhielten die Brigaden, wenn sie bestimmte Aufgaben in der Produktion, in der fachlichen und politischideologischen Bildung, auf geistig-kulturellem und auf allgemein politischem Gebiet nachweislich erfüllt hatten. Die Zuerkennung des Titels war für die Brigade mit der Gewährung einer nennenswerten finanziellen Prämie verbunden. Im Zeiss-Werk bewarben sich im Frühjahr 1959 die ersten Arbeitsbrigaden um den Titel Brigade der sozialistischen Arbeit. Am 31. April 1959 zählte die

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Statistisches Jahrbuch 1965 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 15, 17, 19.

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Betriebsgewerkschaftsleitung 16 und am 31. Dezember 1960 338 derartige Brigaden mit insgesamt 4.516 Mitgliedern.94 Die Funktionäre der SED und des FDGB bewerteten diese Brigadebewegung als Ausdruck eines gewachsenen politischen Bewußtseins der Teilnehmer. Sie wiesen auch den finanziellen Ertrag aus, der bei diesem Wettbewerb erzielt worden sein soll. Dagegen maßen manche Betriebs- und Abteilungsleiter der Brigadebewegung keine reale wirtschaftliche Bedeutung bei.95 Mitarbeiter aus Forschung und Entwicklung, aus der Technischen Hauptleitung und aus Produktionsbetrieben, die gemeinsam an der Entwicklung eines Geräts oder an einem technologischen Verfahren arbeiteten, fanden sich seit dem Frühjahr 1959 in Arbeitsgemeinschaften zusammen. Sie sahen in dieser Organisationsform eine Möglichkeit, ihre Projekte zügiger und mit besonderer Unterstützung durch die Werkleitung zu realisieren. Nur ein Teil der Arbeitsgemeinschaftsmitglieder fand die offizielle Bezeichnung „Sozialistische Arbeitsgemeinschaft" zutreffend. Im Juni 1959 bestanden im Zeiss-Werk 15 derartige Gemeinschaften, in denen 538 Belegschaftsmitglieder zusammenarbeiteten. Ende 1960 gab es im Zeiss-Werk 165 Arbeitsgemeinschaften mit 3.431 Mitarbeitern.96 Über die Bedeutung der Arbeitsgemeinschaften wurde auf der Ökonomischen Konferenz der Direktionen Forschung und Entwicklung und Haupttechnologie wie folgt geurteilt: „Die Arbeitsergebnisse waren in den meisten Fällen so eindeutig positiv, daß die anfanglich bei vielen Rollegen vorhandene Skepsis heute überwunden ist und die Bildung von sozialistischen Arbeitsgemeinschaften eine anerkannte Methode für die Bearbeitung wichtiger Forschungs- und Entwicklungsaufgaben geworden ist."97 Die berufliche Aus- und Weiterbildung Die betriebliche Berufsschule nahm nach dem Kriegsende, so bald es möglich war, den Unterricht wieder auf. Gleichzeitig sorgte die Werkleitung dafür, daß die nationalsozialistisch belasteten Lehrkräfte aus dem Schuldienst entfernt wurden. Am 1. Dezember 1945 befanden sich wieder 445 Lehrlinge in der Ausbildung. Sie wurden von vier hauptamtlichen und einer Reihe nebenamtlicher Lehrkräfte unterrichtet.98 Während der Demontage des Werkes ruhte die Lehrausbildung. Die gesamte Ausstattung der Lehrwerkstätten wurde von dem Demontagekommando abtransportiert, so daß die materiellen Grundlagen für die Lehrausbildung völlig neu geschaffen werden mußten. Dabei war man genötigt, die Werkstätten teilweise mit veralteten Maschinen auszustatten. 94 95

96 97

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Schumann: Carl Zeiss. Einst und jetzt, S. 860. Hans Liebe: Die Rolle des VEB Carl Zeiss Jena im Kampf für den Frieden. Diss. Berlin 1963, S. 144. Schumann: Carl Zeiss. Einst und jetzt, S. 865. BACZ Nr. 23890 (Referat auf der Ökonomischen Konferenz der Direktionen für Forschung und Entwicklung und Haupttechnologie am 9. November 1961). BACZ Nr. 13411 (Antrag der Fa. Carl Zeiss an den Chef der SMATH vom 13. Dezember 1945).

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1949-1964 VE Β Carl Zeiss JENA

Im Zuge des Wiederaufbaus wurde auch die Berufsausbildung neu konzipiert, wobei man auf eine enge Verbindung von Theorie und Praxis Wert legte. In der neu eingerichteten Betriebsberufsschule boten die Lehrkräfte das theoretische Wissen, das dann in der Lehrwerkstatt in die Praxis umgesetzt wurde. Die Lehrausbildung erstreckte sich je nach dem gewählten Beruf über zwei bis vier Jahre. Die den Lehrlingen gestellten Produktionsauflagen trugen maßgeblich dazu bei, daß sie schon während ihrer Ausbildung auf die Anforderungen des Arbeitsprozesses vorbereitet wurden. Das galt für die Sorgfalt der auszuführenden Arbeiten ebenso, wie für das Heranführen an die Facharbeiternormen. In der Lehrproduktion wurde das Herstellen von Geräten verlangt, die den strengen Abnahmebedingungen des Werkes entsprachen. In einer 1953 in den Produktionsabteilungen angefertigten Analyse, die sich u. a. auch mit den Leistungen der Jungfacharbeiter befaßte, wurde allerdings verschiedentlich beklagt, daß die jungen Leute noch nicht über die erforderlichen Arbeitsfertigkeiten verfügen. Als Ursache wurde die Verkürzung der Ausbildungszeit, die nach dem Krieg erfolgte, gesehen." Seit 1949 leitete Albert Rombach die Berufsausbildung im Werk. Mitte der fünfziger Jahre beteiligten sich 231 Fachkräfte an der Lehrlingsausbildung. Dazu gehörten 41 hauptamtliche Lehrer in der Betriebsberufsschule, die acht Fächer - von den fachkundlichen Fächern bis zu Deutsch und Geschichte und Sport unterrichteten, drei Obermeister, 12 Meister und 95 Lehrausbilder in den Werkstätten sowie 70 Mitarbeiter in den Betriebsabteilungen. Die Außenwerke in Saalfeld, Eisfeld und Dresden-Reick verfügten über eigene Ausbildungsstätten. Am 1. Januar 1957 wurden die Lehrbetriebsleitung und die Betriebsberufsschule zur Betriebsberufsschule VEB Carl Zeiss JENA zusammengelegt. Für den Ausbau der Betriebsberufsschule wurden zwischen 1956 und 1960 insgesamt 11,7 Millionen Mark aufgewandt, davon entfielen elf Millionen Mark auf Investitionen. 448.400 Mark setzte das Werk für die Errichtung und den Betrieb von Lehrlingswohnheimen ein.100 Von 1945 bis 1949 belief sich die durchschnittliche Lehrlingszahl pro Jahr auf 400. Zwischen 1950 und 1964 besuchten insgesamt 22.255 Jugendliche die betrieblichen Ausbildungsstätten des VEB Carl Zeiss JENA.101 Die Lehrlinge aller Ausbildungsrichtungen beteiligten sich am 15. November 1951 erstmals am Berufswettbewerb. Eine zunehmende Rolle spielte im Zeiss-Werk die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern, die bereits im Arbeitsprozeß standen. Im Sommer 1948 begann die Weiterbildung von Betriebsangehörigen mit Vorträgen von Fachleuten zu wissenschaftlich-technischen Themen. Im Winterhalbjahr 1948 veranstaltete Prof. Dr. Hermann Pistor, der Direktor der Fachschule für Augenoptik in Jena, eine Vortragsreihe zum Thema „Einführung in die allgemeine Optik" und

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BACZ Nr. 21058 (Unterlagen über die Erhebung zur Erfassung des Charakters der verschiedenen Abteilungen und ihre Stellung im Produktionsprozeß. Band 1.1953). Zusammengestellt und errechnet nach VA Nr. 1208 (Kontrollbericht 1960. Anhang). Statistisches Jahrbuch 1965 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 15

Die Integration des Zeiss-Werkes in das staatssozialistische System

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Abb. 22 Optische Lehrwerkstatt Südwerk in Jena

Prof. Dr. Kurt Schuster referierte im gleichen Semester über die Entwicklung der Elektronenmikroskopie. Zu diesen Weiterbildungsveranstaltungen luden die Werkleitung und der Betriebsrat gemeinsam ein. Am 24. Dezember 1949 informierte ein Allgemeiner Anschlag darüber, daß aufgrund eines Beschlusses des Politbüros der SED vom Juli 1949 für die Betriebsangehörigen der Betriebe Zeiss und Schott eine Abendschule eingerichtet wird, deren Aufgabe es war, Facharbeiter zu Vorarbeitern, TAN-Bearbeitern, Werkmeistern, Technikern und Ingenieuren heranzubilden. 102 Um die Arbeitskräfte, die ohne berufsspezifische Voraussetzungen in das Zeiss-Werk eingetreten waren, für ihre jeweiligen Arbeitsaufgaben zu qualifizieren, wurde 1950 die Betriebs-Volkshochschule des Zeiss-Werkes geschaffen. 103 In den Lehrgängen erwarben die Teilnehmer vor allem fachtheoretisches Wissen.

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BACZ Nr. 19778 (Aushänge). BACZ Nr. 24487 (Schrade-Referat vom 20. Juli 1956).

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Nach einer Verordnung der Regierung über die Ausbildung und Qualifizierung der Arbeiter in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 5. März 1953 wurde die Betriebs-Volkshochschule in die Technische Betriebsschule umgebildet.104 Diese Ausbildungsstätte nahm am 1. September 1953 den Lehrbetrieb auf. Ihr Lehrkörper zählte 1954 insgesamt 119 Dozenten. Davon unterrichteten sieben hauptamtlich und 112 nebenamtlich. 75 nebenamtliche Lehrkräfte waren Belegschaftsmitglieder. Die Technische Betriebsschule erlaubte Werksangehörigen auch, Prüfungen abzulegen, die sie dazu berechtigten, eine qualifiziertere Tätigkeit auszuüben. Vielfach handelte es sich dabei um Zusatzqualifikationen. Der Besuch der Technischen Betriebsschule war kostenfrei. Die personellen und sachlichen Aufwendungen für den Unterricht wurden vom Zeiss-Werk getragen. Die Technische Betriebsschule erhielt in den Jahren 1956 bis 1960 etwas über eine Million Mark aus dem Kultur- und Sozialfonds des Werkes.105 Am 30. Oktober 1959 wurde im Zeiss-Werk die Betriebsakademie eröffnet 106 Die Werkleitung förderte auch Werksangehörige, die an einem Studium an technischen Lehranstalten, Hochschulen und Universitäten interessiert waren. Sie rechnete damit, daß sie nach ihrem erfolgreichen Abschluß in das Zeiss-Werk zurückkehren. An der Fachschule für Feinmechanik-Optik, zu dieser Zeit die zentrale Ausbildungsstätte der WB Optik, erwarben Studierende aus dem ZeissWerk im Direkt- oder Abendstudium das für ihre spätere Tätigkeit erforderliche theoretische Wissen.107 Die Fluktuation in der Belegschaft Der Konsolidierungsprozeß der Stammbelegschaft wurde in den fünfziger Jahren durch eine starke Fluktuation beeinträchtigt. So lag die Austrittsquote 1957 bei 14,2 und 1958 bei 10,8 Prozent.108 Dafür gab es viele Gründe, auf die hier im einzelnen nicht näher eingegangen werden soll. Lediglich eine Ursache spielte bis zum August 1961 eine besondere Rolle. Sie bestand in der Abwanderung von Wissenschaftlern, fngenieuren, Meistern, Spezial- und Facharbeitern sowie versierten Raufleuten in die BR Deutschland, nach Westberlin oder in das westliche Ausland. Die Weggehenden hinterließen auf den verschiedenen Arbeitsgebieten Lücken, die sich oftmals nicht ohne weiteres schließen ließen. In Jena wurde ihr Ausscheiden aus dem Rollegenkreis vielfach als Verrat am Zeiss-Werk betrachtet und mißbilligt. Das traf besonders dann zu, wenn sie sich ein Betätigungsfeld bei

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Verordnung über die Ausbildung und Qualifizierung der Arbeiter in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 5. März 1953, GBl. Nr. 35 vom 12.3.1953, S. 407; 75 Jahre Volkshochschule Jena. 1919 bis 1991, Hrg. Volkshochschule Jena, Jena 1991, S. 276-277. Zusammengestellt und errechnet nach VA Nr. 1208. BACZ (Rontrollbericht 1960, Anhang). 40 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 1, S. 54. Das lebende Herz, S. 26. BACZ Nr. 24504 (Bericht über die ökonomischen Ergebnisse des Betriebs vom 25. Februar 1959).

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deutschen oder ausländischen Unternehmen suchten, die sowohl zu Zeiss-Jena als auch zu Zeiss-Oberkochen in Ronkurrenz standen. Etwas anders verhielt es sich, wenn die Jenaer Zeiss-Mitarbeiter in Unternehmen eintraten, die zur Oberkochener Zeiss-Gruppe gehörten, denn sie wechselten zwar in einer Zeit die Seite, in der die Auseinandersetzung zwischen den beiden Zeiss-Werken an Schärfe zunahm, arbeiteten aber wiederum in einem Zeiss-Unternehmen. Natürlich war es für die Jenaer Mitarbeiter trotzdem besonders schmerzlich, wenn der eine oder andere Kollege zu einem Zeitpunkt nach Oberkochen ging, an dem eine besonders erfolgversprechende Arbeitsaufgabe vor dem Abschluß stand oder bereits gelöst war, und damit die Gefahr bestand, daß die Früchte des Erfolgs ohne Mühe an anderer Stelle geerntet werden könnten. Für das Oberkochener Zeiss-Unternehmen waren die Jenaer Zeissianer höchst willkommen, denn es mangelte in Oberkochen oder an den anderen Zeiss-Standorten zu dieser Zeit an fachlich versierten Mitarbeitern. Die politischen Kreise innerhalb und außerhalb des Zeiss-Werkes waren über Mitarbeiter, die Jena und der DDR den Rücken kehrten, höchst ungehalten, weil sie darin in erster Linie eine Abkehr vom Gesellschaftssystem der DDR sahen. Darum unternahmen sie auch alles in ihrer Macht stehende, um die „Republikflucht" von Zeissianern zu verhindern. Es gab verschiedene Ursachenkomplexe dafür, daß bis August 1961 eine beträchtliche Anzahl von Belegschaftsmitgliedern ihren Arbeitsplatz aufgaben und „in den Westen" gingen. Ein erster Komplex resultierte aus der grundsätzlichen Ablehnung der gesellschaftspolitischen Verhältnisse in der DDR. Sie veranlaßte vornehmlich ältere und fachlich versierte Zeissianer, die von der bürgerlichen Lebensweise besonders stark geprägt waren und die Hoffnung auf demokratische Verhältnisse in Ostdeutschland aufgegeben hatten, zu einem derartigen Entschluß. Eine Reihe von ihnen wurde im Frühjahr 1953 darin durch die politisch motivierten Verhaftungen eines größeren Kreises von Leitungskräften bestärkt. 109 In den frühen fünfziger Jahren waren die geschäftlichen Beziehungen zwischen Jena und Oberkochen noch relativ eng. Belegschaftsmitglieder beider Zeiss-Werke pflegten vielfach engen persönlichen Kontakt zueinander. Das wurde im Parteiapparat der SED seit längerem mit Argwohn verfolgt. Nach der 2. Parteikonferenz der SED ging die SED-Führung davon aus, daß sich mit dem Aufbau des Sozialismus in der DDR der Klassenkampf verschärfen werde. Unter diesem Gesichtspunkt wurden auch die Beziehungen von DDR-Bürgern nach Westdeutschland betrachtet Eine besondere Rolle spielte dabei die tatsächliche oder vermeintliche Spionage und Wirtschaftssabotage. Seit 1952 begann man sich im Ministerium für Staatssicherheit für bestimmte Vorgänge im Zeiss-Werk zu interessieren. Daraus entwickelte sich der Operatiworgang „Lupe". Als bekannt wurde, daß ein A 1-Gerät aus dem Zeiss-Werk in die Zeiss-Niederlassung nach Berlin-Friedenau gebracht worden war, wurden die Ermittlungen gegen Zeiss-Mitarbeiter intensiviert und

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Mühlfriedel/Hellmuth: Carl Zeiss Jena - widerspruchsvoller Weg in die Planwirtschaft, S. 338-339.

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der Personenkreis zusammengestellt, der unter dem Verdacht der Militärspionage und der Wirtschaftssabotage verhaftet werden sollte. Darunter befanden sich vornehmlich Zeiss-Mitarbeiter, die im Vertrieb und in der Materialbeschaffung tätig waren. Die Ermittler hatten auch den Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung, Friedrich Wonne, im Visier. Am 21. März 1953 wurden im Zuge dieses Operativvorgangs 15 Personen festgenommen, von denen einige verurteilt, andere wieder auf freien Fuß gesetzt wurden. Friedrich Wonne verstarb in der Haft an den Folgen eines Selbstmordversuchs. Victor Sandmann verließ am 15. März 1953 die DDR. Dr. Wilhelm Schacht, Justiziar im Zeiss-Werk, wechselte Mitte März 1953 in die BR Deutschland. 110 Nach den Verhaftungen gingen leitende Vertriebsmitarbeiter nach Westberlin oder Westdeutschland. Der zweite Ursachenkomplex ergab sich aus den materiellen Existenzbedingungen in Jena. Viele Zeissianer, die die DDR verließen, mochten die permanenten Unzulänglichkeiten in der Versorgung mit Lebensmitteln und technischen Konsumgütern, das Warten auf eine angemessene Wohnung, die bescheidenen Urlaubsmöglichkeiten usw. nicht mehr länger hinnehmen. Zumal sie beobachten konnten, wie sich seit den frühen fünfziger Jahren die Lebensverhältnisse in der BR Deutschland stetig verbesserten. Einem weiteren Ursachenkomplex lagen tatsächliche oder vermeintliche Behinderungen der beruflichen Karriere und ein unbefriedigendes Arbeitsklima zugrunde. Insbesondere bei Wissenschaftlern und Ingenieuren spielten die vielfaltigen bürokratischen Verfahren, die im Forschungs- und Entwicklungsprozeß um sich griffen, eine Rolle. Sie fühlten sich dadurch in ihrer Arbeit beeinträchtigt. Vielfach sahen sie sich daran gehindert, ein Erfolg versprechendes wissenschaftliches oder technisches Projekt zu realisieren. Von der Uneinsichtigkeit ministerieller Stellen enttäuscht, suchten sie außerhalb der DDR nach einer Möglichkeit, ihre wissenschaftlichen und technischen Vorhaben zu verwirklichen. Manche Fachleute fanden es unerträglich, wenn ihnen begründete Reisen zu wissenschaftlichen Tagungen oder Fachausstellungen in Westdeutschland oder im westlichen Ausland verwehrt wurden oder sie unter diskriminierenden Umständen antreten mußten, weil ihnen die erforderlichen Reisemittel vorenthalten wurden, so daß sie auf die finanzielle Unterstützung der Gastgeber angewiesen waren. Solche Reisen waren sowohl für die Ausführung der Arbeitsaufgabe als auch für die persönliche Reputation in Fachkreisen unverzichtbar. Davon Betroffene sahen, obwohl sie im allgemeinen dem ostdeutschen Staatswesen loyal gegenüberstanden, oftmals nur die Lösung im Verlassen der DDR. Ein anderer Ursachenkomplex bestand in der zunehmenden Politisierung des betrieblichen und familiären Alltags, die mit einer Einschränkung der politischen Meinungsvielfalt einherging. Als ein treffender Beleg kann die politischideologische Offensive der SED-Betriebsparteileitung im Jahre 1958 genommen werden, bei der versucht wurde, die so genannte Zeiss-Ideologie zu bekämpfen.

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Andre Beyermann: Carl Zeiss Jena im Visier des MfS. Der Operativvorgang „Lupe" (Typoskript).

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Damit im Zusammenhang stand die Forderung an alle Betriebsfunktionäre, sich eines „sozialistischen Arbeitsstils" zu befleißigen.111 Daneben gab es eine Vielzahl höchst individueller Ursachen für das Verlassen der DDR. Zumeist war es auch ein Bündel von Ursachen aus verschiedenen Komplexen, das Belegschaftsmitglieder veranlaßte, wegzugehen. Aber wie schon erwähnt, gab es in diesem Zeitraum auch Ereignisse, die besonders dazu beitrugen, daß eine größere Anzahl von Zeissianern den Weg in den Westen wählte. Als Mitte der fünfziger Jahre in der Belegschaft Zweifel an der Perspektive des ZeissWerkes aufkamen, entschlossen sich vor allem Produktionsarbeiter, in Westdeutschland eine neue berufliche Existenz aufzubauen. Solche Zweifel wurden Anfang 1955 durch eine Entlassungsaktion genährt. 1953 und 1954 registrierte die Personalabteilung 288 bzw. 211 Zeissianer, die die DDR verlassen hatten, 1955 waren es 633 Arbeiter und Angestellte.112 Im Volkspolizeikreisamt Jena wurde festgestellt, daß im August 1955 ca. 1.000 Zeissianer ihren Urlaub in Westdeutschland, vornehmlich in Oberkochen, verbracht hatten. 113 Von den Jungfacharbeitern der Ausbildungsjahrgänge 1952 bis 1955 waren 238 nach Westdeutschland gegangen. Das waren 9,7 Prozent der in dieser Zeit ausgebildeten Lehrlinge. 70 Prozent von den 238 jungen Facharbeitern verließen 1955 die DDR.114 Die jungen Leute hatten wiederum spezifische Gründe für ihre Entscheidung. Viele mußten erfahren, daß sie nach der Lehre nicht in ihrem Ausbildungsberuf, sondern an beliebigen Arbeitsplätzen eingesetzt wurden. Das betraf 1955 besonders die Werkzeugmacher und die Feinmechaniker. Zum zweiten wollten männliche Jungfacharbeiter dem Dienst in der Kasernierten Volkspolizei und seit 1956 in der Nationalen Volksarmee entgehen. Seit 1952 mußte im Zeiss-Werk mit wachsender Intensität für den Dienst in den bewaffneten Organen geworben werden. Die Werkleitung erhielt die staatliche Auflage dafür zu sorgen, daß sich eine vorgegebene Anzahl junger Männer zu einem bestimmten Zeitpunkt dazu verpflichtete, freiwillig in der Armee oder der Bereitschaftspolizei zu dienen. 115 Zu dieser Zeit bestand die allgemeine Wehrpflicht in der DDR noch nicht. Dieser Fluktuationsprozeß wurde noch durch einen spezifischen Faktor begünstigt. Die Unternehmen der Zeiss-Gruppe in der BR Deutschland, die sich in den fünfziger Jahren noch im Aufbau befanden, hatten einen großen Bedarf an Fachkräften. Das traf insbesondere auf das Werk in Oberkochen zu. In diesem Werk wurden die Stiftungsrechte der Jenaer Mitarbeiter anerkannt. Diese Tatsache, die in Jena bekannt war, ermunterte zum Wechsel nach Oberkochen. Zeissianer aus Oberkochen trugen auf vielfältige Weise dazu bei, daß sich Jenaer 1.1

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Mühlfriedel/Hellmuth: Carl Zeiss Jena - widerspruchsvoller Weg in die Planwirtschaft, S. 361-368. BACZ Nr. 23810 (Westfluchtmeldung des Jahres 1953 vom 13. Februar 1954; Bericht über die Westabgänge im VEB Carl Zeiss vom 4. Oktober 1954). Beyermann: Carl Zeiss Jena im Visier des MfS. VA Nr. 1149 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 13. Dezember 1955). VA Nr. 1151 (Schrade Arbeitsbuch. Eintrag vom 14. September 1961); BACZ Nr. 23810 (Berichte der Personalabteilung 1954-1957).

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Fachkräfte zum Weggehen entschlossen. Am 15. Juni 1950 wurde der Werkleitung in Jena berichtet, daß Mitarbeiter aus Oberkochen, die während ihres Urlaubs in Jena weilten, Zeissianer, für die man sich in Oberkochen interessierte, zu einem Treffen eingeladen hatten. Der Berichterstatter vermerkt dazu: „Es sollen auch Fragebogen oder Werbeschreiben im Umlauf sein, die den Leuten vorgelegt wurden.... Daß man in werbender Absicht an technische Fachkräfte herantrete, habe auch ein Angehöriger der Mikro-Werkstatt bestätigt"116 In Abteilungen und Werkstätten wurden an den Anschlagbrettern Ansichtskarten und Briefe ehemaliger Rollegen öffentlich gemacht, die nun in Westdeutschland lebten. 117 Zwischen 1949 und 1961 wechselten nach den Angaben der Personalleitung 3.557 Belegschaftsmitglieder in die BR Deutschland, nach Westberlin oder ins westliche Ausland. Davon verließen allein zwischen Januar 1955 und Mai 1961 2.236 Zeiss-Mitarbeiter die DDR. Die überwiegende Mehrheit, 65,2 Prozent, verließen zwischen 1955 und 1957 die DDR, von 1958 bis 1960 20,8 Prozent und im Frühjahr 1961 14 Prozent. Dieser Personenkreis setzte sich zu 5,8 Prozent aus wissenschaftlich-technischen Mitarbeitern, zu 22,8 Prozent aus technischen und kaufmännischen Angestellten und zu 67,4 Prozent aus Facharbeitern und Angelernten zusammen. Vier Prozent waren Lehrlinge. 118

Zur sozialen Lage der Belegschaft Die Arbeitseinkommen Am 17. August 1950 erließ der Ministerrat der DDR die Verordnung über die Verbesserung der Entlohnung der Arbeiter und Angestellten in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben, die das Tarifsystem wesentlich veränderte.119 Nun erfolgte eine Differenzierung in der Lohnhöhe nach der volkswirtschaftlichen Bedeutung der einzelnen Industriebereiche. Obwohl man das Zeiss-Werk dem bevorzugten Industriebereich Schwermaschinenbau zugeordnet hatte, kam es bis zum Sommer 1955 nicht zu einer entsprechenden Lohnangleichung. Das war ein Grund für die Unzufriedenheit in der Zeiss-Belegschaft im Juni 1953. Der neue Tarifvertrag sah des Weiteren eine größere Differenzierung nach dem Schwierigkeitsgrad der auszuführenden Tätigkeiten und nach Zeitund Stücklohn vor. Die Stücklohntarifsätze lagen in der Regel um 15 bis 20 Prozent über den Zeitlohntarifsätzen. Die neue Verordnung ersetzte die bisherigen Lohn- und Gehaltsgruppen durch acht Lohngruppen für Produktionsarbeiter,

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BACZ Nr. 19160 (Handschriftliche Notiz von Dö vom 15. Juni 1950). VA Nr. 1149 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 13. Dezember 1955). Mühlfriedel/Hellmuth: Carl Zeiss Jena - widerspruchsvoller Weg, S. 564-365. Verordnung über die Verbesserung der Entlohnung der Arbeiter und Angestellten in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben. GBl. 1950, S. 839; Linse: Die Entwicklung der Lohnformen in der DDR, Diss. 1987, S. 35-36.

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vier Gehaltsgruppen für Meister, fünf Gehaltsgruppen für Ingenieure und jeweils vier Gehaltsgruppen für technische und kaufmännische Angestellte. Ebenso wurde das Lehrlingsentgelt neu geregelt.120 Als Beispiel für die Verteilung der Produktionsarbeiter auf die neuen Lohngruppen sollen die Angaben aus dem Jahre 1954 genommen werden. Sie sind in der Tabelle 14 im Tabellenanhang aufgeführt. Im Gefolge dieser Verordnung stiegen im Zeiss-Werk die Zeitlöhne in den Lohngruppen 1 bis 4 um acht bis 16 Prozent und in den Lohngruppen 5 bis 8 um 20 Prozent. In den Gießereibetriebsabteilungen erhöhte sich der Zeitlohn in der Lohngruppe 4 um 20 und in den Lohngruppen 5 bis 8 um 25 Prozent. In den Gehaltsgruppen der technischen und der kaufmännischen Angestellten nahm der Verdienst zwischen zehn und 12 bzw. zwischen acht und zehn Prozent zu. Das Gehalt der Werkmeister, Meistervertreter und Vorarbeiter lag nun um zehn bzw. elf Prozent höher. Dabei ist zu beachten, daß die Steuergesetzgebung die Angestellten gegenüber den Arbeitern benachteiligte. Ende 1951 betrug der Durchschnitt des Leistungslohnes bei männlichen Arbeitskräften in den acht Tarifgruppen zwischen 1,46 und 2,04 Mark, bei den weiblichen Arbeitskräften zwischen 1,27 und 1,57 Mark. In der Wiederaufbauperiode war die Akkordarbeit in den Fertigungsbetrieben wieder eingeführt worden. Damit entsprach man den Richtlinien der DWR zur Lohngestaltung in den staatlichen Betrieben vom September 1948.121 Ausgang des Jahres 1948 verhandelte man im Zeiss-Werk intensiver über die Einführung des Leistungslohnes. Ende 1955 betrug der Anteil der Leistungslöhner an der Gesamtzahl der Produktionsarbeiter 62,5 Prozent. Zum gleichen Zeitpunkt beliefen sich die Leistungslohnstunden an den von den Produktionsarbeitern geleisteten Stunden auf 62 Prozent 122 In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre entschied der Ministerrat mehrfach, die Löhne und Gehälter in der staatlichen Industrie zu erhöhen. Am 28. Juni 1952 wurden die Löhne für qualifizierte Arbeiter in wichtigen Industriezweigen angehoben.123 Im Zeiss-Werk lagen im Februar 1952 die durchschnittlichen Monatslöhne der Lohngruppen 1 und 8 zwischen 202 Mark und 446 Mark. Bei Meistergehältern gab es eine Spanne von 490 bis 1.000 Mark. Die Gehälter der technischen Angestellten differierten zwischen 198 und 721 Mark und die der kaufmännischen Angestellten zwischen 173 und 699 Mark. Die Gehaltsgruppen für die Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker hatten eine Spanne von 600 bis 1.555 Mark.124 Im Zuge des im Sommer 1953 veränderten wirt-

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BACZ Nr. 18996 (Lohn- und Gehaltstabellen sowie Tätigkeitsmerkmale vom 2. Oktober 1955). Richtlinien zur Lohngestaltung in den volkseigenen und SAG-Betrieben vom 29. September 1948. ZVB11948, S. 476 BACZ Nr. 24487 (Hugo Schrade: Referat an der Karl-Marx-Hochschule in Berlin am 20. Juli 1956). Gbl. 1952, S. 501. BACZ Nr. 18996 (Lohn- und Gehaltstabellen sowie Tätigkeitsmerkmale vom 2. Oktober 1953).

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schaftspolitischen Kurses der SED-Führung beschloß der Ministerrat am 23. Juli 1953, die Löhne der Lohngruppen 1 bis 4 anzuheben. Danach erhöhte sich der Monatslohn dieser Arbeiter um 20 bis 38 Mark. 123 Am 10. Dezember 1953 entschied der Ministerrat, zum 1. Januar 1954 die Löhne für die Lohngruppen 5 bis 8 zu erhöhen. 126 Das führte beim Zeitlohn zu Steigerungen zwischen 10,8 Prozent in der Lohngruppe 5 und 23,7 Prozent in der Lohngruppe 8. Beim Leistungsgrundlohn betrug die Steigerung 11,4 bzw. 23,6 Prozent.127 Wie sich der Durchschnittslohn der Arbeiter und Angestellten sowie der Produktionsarbeiter im VEB Carl Zeiss JENA zwischen 1950 und 1965 entwickelte, zeigen die Angaben in der Tabelle 15 im Tabellenanhang. Um die Arbeitsleistungen zu stimulieren, wurden im Betrachtungszeitraum verschiedene neue Lohnformen praktiziert, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann. Nachdem in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre das Arbeitseinkommen relativ rasch anstieg, verlief die Entwicklung bis zur Mitte der sechziger Jahre wesentlich verhaltener. Der jährliche Durchschnittslohn der Arbeiter und Angestellten128 erhöhte sich von 5.024 Mark im Jahr 1955 auf 6.751 Mark im Jahr 1965 und der von Produktionsarbeitern von 4.533 Mark auf 6.074 Mark.129 Im Zusammenhang mit der Abschaffung der Lebensmittelkarten im Mai 1958 wurden Lohn- und Sonderzuschläge gewährt. 130 Der Vergleich des durchschnittlichen monatlichen Arbeitseinkommens von Produktionsarbeitern im Zeiss-Werk mit dem von Produktionsarbeitern im Industriezweig Maschinenbau und in der zentralgeleiteten staatlichen Industrie zeigt, daß das Einkommen der Produktionsarbeiter im Zeiss-Werk wesentlich niedriger lag. Die Tabelle 16 im Tabellenanhang veranschaulicht diese Unterschiede. Ein besonderes Problem war in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre die Entlohnung der weiblichen Arbeitskräfte. Obgleich die Werkleitung daran interessiert war, Frauen und Mädchen an anspruchsvollen Arbeitsplätzen zu beschäftigen und auch Möglichkeiten schuf, damit sie sich das nötige Wissen und die erforderlichen Arbeitsfertigkeiten aneignen konnten, gehörten Frauen und Mädchen zu den Mitarbeitern, deren Arbeitseinkommen relativ gering war. Das galt insbesondere für die Produktionsarbeiterinnen. In den betrachteten Jahren veränderte sich die Anzahl der weiblichen Facharbeiter in den Lohngruppen 5 bis 7 nicht. 1955 gehörten von den insgesamt 2.976 Produktionsarbeiterinnen 760 zu diesen Lohngruppen. Reine der Frauen war in die Lohngruppe 8 eingestuft. Die überwiegende Mehrheit der Frauen und Mädchen wurde als An- und

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Verordnung über die Erhöhung der Arbeitslöhne der Arbeiter in der volkseigenen Wirtschaft in den unteren Lohngruppen. GBl. 1953, S. 885; Schöneburg u. a.: Vom Werden unseres Staates, Bd 2, S. 328. 126 Verordnung über die Erhöhung des Arbeitslohnes für qualifizierte Arbeiter der Lohngruppen 5 bis 8 in bestimmten Zweigen der volkseigenen Wirtschaft vom 17. Dezember 1953. Gbl. 1053, S. 1330. 127 Errechnet nach BACZ Nr. 18996 (Allgemeiner Anschlag vom 20. Januar 1954). 128 In Vollbeschäftigteneinheit gerechnet. 129 Statistisches Jahrbuch 1965 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 21. 130 Gesetz über die Abschaffung der Lebensmittelkarten GBl. 1 1958, S. 413.

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Ungelernte nach den Lohngruppen 3 und 4 bezahlt. Das waren 51,1 bzw. 23,4 Prozent der weiblichen Arbeitskräfte, die im Stundenlohn beschäftigt wurden.151 Bis 1965 blieb die Anzahl der Frauen und Mädchen in der Lohngruppe 5 gleich groß, sie nahm aber in der Lohngruppe 6 und 7 zu. Für 1962 wurden die ersten sieben Frauen in der Lohngruppe 8 ausgewiesen. 132 Die Löhne und Gehälter bildeten den Hauptbestandteil des Arbeitseinkommens der Arbeiter und Angestellten im Zeiss-Werk. Sie konnten ihr Arbeitseinkommen durch besondere Arbeitsleistungen erhöhen, die in Prämien, finanziellen Resultaten von Persönlichen Konten usw. ihren Niederschlag fanden. Die Prämiensysteme, die man einführte, wurden zumeist nach kurzer Zeit wieder verändert, weil sich die gewünschte stimulierende Wirkung nicht einstellte oder weil sich ihre Handhabung nicht bewährte. In der Belegschaft herrschte vielfach der Eindruck, daß durch die jeweiligen Prämiensysteme die Arbeitsleistungen nicht korrekt oder nicht präzise genug bewertet wurden. Die Handhabung des Prämiensystems führte in der Belegschaft zu latenter Unzufriedenheit. Die relativ geringen Prämiensummen stimulierten die Leistungsbereitschaft ohnehin nicht nennenswert. Damit durch das Prämienwesen eine größere ökonomische Wirkung erzielt wurde, erließ der Ministerrat der DDR am 11. Mai 1957 eine Verordnung über die Bildung von Betriebsprämienfonds sowie von Kultur- und Sozialfonds in den staatlichen Betrieben. 133 Sie bestimmte, daß bei der Gewährung von Prämien künftig nicht nur die Quantität, sondern auch und vor allem die Qualität der geleisteten Arbeit zu berücksichtigen war. Gleichzeitig sah die Verordnung die Prämiierung herausragender ingenieurtechnischer und kaufmännischer Leistungen vor. Den Betriebsgewerkschaftsleitungen wurde durch die Verordnung ein stärkeres Mitspracherecht bei der Vergabe von Prämien eingeräumt Um dem Prämiensystem eine größere Wirkung zu geben, erhielten die Staatsbetriebe Prämienmittel aus dem Staatshaushalt. So erhöhten sich zwischen 1956 und 1959 die Prämienmittel im VEB Carl Zeiss JENA von 2,1 auf 6,9 Millionen Mark.134 Zum Arbeitseinkommen sind auch die finanziellen Leistungen zu rechnen, die der VEB Carl Zeiss JENA für die Belegschaft erbrachte. Die überwiegende Mehrheit der Belegschaft profitierte von den Zuschüssen, die das Werk für das Werksessen aufbrachte. 1953 kostete für den Werksangehörigen eine warme Mahlzeit 0,75 Mark. Die Beschäftigten konnten ihre Kinder in werkseigenen Kindereinrichtungen unterbringen. Für die Werkleitung war es in Jena und in den Städten, in denen das Zeiss-Werk Fertigungsstätten hatte, in den fünfziger Jahren nicht einfach, geeignete Gebäude zu finden und zu Kindereinrichtungen auszubauen. In Jena gelang es zwischen 1949 und 1954, acht werkseigene Kindergärten, Kin-

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Errechnet nach BACZ Nr. 24487 (Referat Hugo Schrade vom 20. Juli 1956). Statistisches Jahrbuch 1965 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 27. Verordnung über die Bildung von Betriebsprämienfonds sowie von Kultur- und Sozialfonds in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 11. Mai 1957, GBl Teil I, 1957, S. 289. Zusammengestellt und errechnet nach VA Nr. 1208 (Rontrollbericht 1960, Anhang).

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derkrippen und Rinderhorte einzurichten. 1954 kam ein Betriebskinderheim hinzu. In Bad Sulza unterhielt das Zeiss-Werk ein Rinderkurhaus und in Georgenthal ein Rindererholungsheim. 135 Obgleich die Rindereinrichtungen ausgebaut wurden, entsprach ihr Platzangebot Mitte der fünfziger Jahre noch längst nicht dem Bedarf. Deshalb wurden weitere werkseigene Rindereinrichtungen geschaffen. 1965 unterhielt der VEB Carl Zeiss JENA fünf Rinderkrippen, vier Rindergärten, zwei Rinderhorte, ein Rinderheim und eine Rinderkrankenstation mit insgesamt 974 Plätzen.136 Die preiswerte Unterbringung der Rinder in werkseigenen Rindereinrichtungen war von besonderem finanziellen Vorteil für die Beschäftigten. So waren 1954 für einen Platz in der Rinderkrippe 15 Mark und im Rinderhort monatlich 7,50 Mark zu entrichten. Im Betriebskinderheim, das Rinder im Alter von 3 bis 14 Jahren auch für längere Zeit aufnahm, betrug der Unterhaltsbeitrag der Eltern je nach deren sozialer Lage pro Rind zwischen 35 und 90 Mark im Monat. Rostenlos war der Aufenthalt von Rindern im Rindererholungsheim Georgenthal und im Rinderkurhaus Bad Sulza. In beiden Einrichtungen wurden die Rinder gesundheitlich betreut. Diese soziale Erleichterung für die weiblichen Arbeitskräfte war für das ZeissWerk zugleich ein Mittel, um die Stammbelegschaft, in der die Frauen einen wesentlichen Teil bildeten, zu festigen. Um die qualifizierten Frauen an das Werk zu binden und um unter der weiblichen Bevölkerung weitere Arbeitskräfte zu gewinnen, war die sichere Unterbringung der Rinder von Belegschaftsmitgliedern während der Arbeitszeit eine Voraussetzung. Werksangehörige hatten, wenn auch im begrenzten Umfang, die Möglichkeit, ihre Rinder den städtischen Rindereinrichtungen anzuvertrauen. Das Zeiss-Werk unterhielt eine Reihe von Ferienobjekten, in denen Belegschaftsmitglieder mit ihren Familien einen Teil ihres Jahresurlaubs verbringen konnten. Die finanziellen Aufwendungen, die den Urlaubern entstanden, waren relativ gering. 1954 betrugen die Pensionspreise im Stutenhaus für 14 Tage für Werksangehörige, die dem FDGB angehörten, 35 Mark, für Familienangehörige 70 Mark und für Rinder im Alter bis zu sechs Jahren 56 Mark.137 1965 unterhielt das ZeissWerk vier Ferienheime mit 2.460 Sommer- und rd. 2.000 Winterplätzen. 138 Für die Herausbildung und FestiAbb. 23 Stutenhaus der Carl-Zeiss-Stiftung Jena im Thüringer Wald gung der Stammbelegschaft war in dem

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Das lebende Statistisches Das lebende Statistisches

Herz des Werkes, S. 10-23. Jahrbuch 1965 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 14. Herz des Werkes, S. 18-20. Jahrbuch 1965 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 14.

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hier betrachteten Zeitraum die Versorgung der Beschäftigten ein besonderes Problem. Fehlender Wohnraum erschwerte, Fachkräfte zu halten und neue für das Zeiss-Werk zu gewinnen. 1954 waren 23,3 Prozent der Belegschaft Pendler, von denen ein erheblicher Teil Anträge auf Zuzug nach Jena gestellt hatte. In einer Denkschrift der Jenaer Stadtverwaltung vom 29. November 1954 wurde festgestellt, daß zur Zeit 1.019 Werksangehörige dringend Wohnraum benötigten. Darunter befanden sich 67 Prozent Aktivisten, Spezial-, Fach- und Hilfsarbeiter, 15,5 Prozent Angestellte und 13,4 Prozent Hoch- und Fachschulpersonal. 40 Prozent der Wohnung suchenden größeren Familien lebten in Ein-Zimmerwohnungen und 21,7 Prozent in Zwei-Zimmerwohnungen. 139 Bis 1953 war der Wohnungsbau ausschließlich eine Angelegenheit der Kommunalverwaltung, die nur über geringe finanzielle und materielle Mittel verfügte, um die durch Luftangriffe beschädigten Wohnhäuser zu reparieren oder neue Wohnungen zu bauen. Erst im Gefolge des Neuen Kurses konnten die staatlichen Betriebe werkseigene Wohnungen bauen und Arbeiter-Wohnungsbaugenossenschaften unterstützen, die nun entstanden. Das Zeiss-Werk nutzte die neuen Möglichkeiten und errichtete in Jena 41 Wohnungen, davon 26 mit drei Zimmern, 15 mit zwei Zimmern, Küche und Bad. In Saalfeld entstanden acht Wohnungen. Die Monatsmieten für die Zwei- Zimmerwohnungen betrugen 35 und für die Drei-Zimmerwohnungen 40 Mark. 1954 gründeten Werksangehörige in Jena eine Arbeiter-Wohnungsbaugenossenschaft. 140 1947 wurde die Werkleitung durch die SMA in Thüringen veranlaßt, eine Betriebspoliklinik einzurichten, die am 1. Mai 1948 in einer Etage eines Hauptwerkgebäudes in Jena eröffnet und im Laufe der Jahre weiter ausgebaut wurde. 1954 praktizierten unter Leitung des Chefarztes Dr. Trebing 17 Ärzte. Sie wurden von 18 Schwestern, zehn zahnärztlichen Helferinnen und Zahntechnikern und weiteren Hilfskräften unterstützt. 1965 arbeiteten in der Betriebspoliklinik 22 Ärzte, acht Zahnärzte, denen 65 Mitarbeiter aus dem mittleren medizinischen Personal zur Hand gingen.141 Seit 1951 gab es eine Betriebsapotheke mit zwei Apothekern und einer pharmazeutischen Assistentin. Die Mitarbeiter der Poliklinik trugen vor allem maßgeblich zur vorbeugenden Gesundheitsfürsorge der Belegschaft bei. Zwischen 1949 und 1965 wurden aus dem Kultur- und Sozialfonds und aus anderen betrieblichen Fonds des VEB Carl Zeiss JENA insgesamt 172,4 Millionen Mark für kulturelle und soziale Zwecke aufgewandt. Davon entfielen auf die Bereiche Gesundheitswesen, Kinderfürsorge, Jugendarbeit 34,8 Prozent, auf den Kulturbereich - Bücherei, Kulturensemble, Theater - 3,3 Prozent und auf Sport 3,8 Prozent. 49,2 Prozent der Mittel wurden als Beihilfen und Zuschüsse für Urlaub, Krankenbetreuung, Kurzuschüssen u. a. aufgewandt. Über die restlichen Prozente fehlen nähere Angaben.142

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Edith Hellmuth/Wolfgang Mühlfriedel: Carl Zeiss Jena - widerspruchsvoller Weg in die Planwirtschaft. S. 358. Das lebende Herz des Werkes, S. 19. Statistisches Jahrbuch 1965 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 14. Statistisches Jahrbuch 1965 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 14.

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Die aus Altersgründen aus dem Betrieb ausscheidenden Belegschaftsmitglieder erhielten die im Pensionsstatut vorgeschriebenen Pensionen, die mit der staatlichen Rente verrechnet wurden. Die Zeiss-Rentner stellten sich in diesen Jahren besser als andere Rentner in der DDR. Später relativierte sich dieser Vorteil durch die Anrechnung der seit 1968 gültigen Zusatzrentenversicherung. Für die Einkommensentwicklung der Beschäftigten spielten in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre auch die stabil gehaltenen Preise für rationierte Lebensmittel, Textilien und Brennstoffe, für Nahverkehr, Stadtgas und Elektroenergie sowie für Mieten eine Rolle. Hinzukam, daß in diesem Zeitraum die Preise für Lebens- und Genußmittel sowie für Industriewaren in den Geschäften der Staatlichen Handelsorganisation (HO) schrittweise reduziert wurden. Am 9. Dezember 1951 erfolgte die fünfte Preissenkung für HO-Waren. Bis zur Mitte des Jahrzehnts kam es zu weiteren Preissenkungen für HO-Waren. Die Einzelhandelspreise sanken bis 1955 gegenüber 1950 auf 65,4 Prozent. Im gleichen Zeitraum gingen die Lebenshaltungskosten für mittlere Einkommensgruppen auf 62,5 Prozent zurück. 143 All das läßt freilich nicht darüber hinwegsehen, daß das qualitative Angebot an Nahrungs- und Genußmitteln, vor allem aber an hochwertigen industriellen Ronsumgütern, noch immer außerordentlich beschränkt war. Höchst unbefriedigend blieb bis zur Mitte der sechziger Jahre die Versorgung der Belegschaftsmitglieder mit Wohnraum und die allgemeine Lebensqualität in der Stadt Jena. 144

Die Rückkehr auf die internationalen Märkte Mit der Rekonstruktion des Produktionsprogramms und dem allmählichen Verzicht der UdSSR auf Reparationslieferungen entstanden die Voraussetzungen für das Zeiss-Werk, auf die internationalen Märkte zurückzukehren. Die Werkleitung und das Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel nutzten die zunehmende Leistungsfähigkeit des Werkes, um Zeiss-Erzeugnisse zu exportieren. Das wurde dadurch begünstigt, daß es in den staatssozialistischen Ländern nur wenige Fabrikationsstätten gab, die ein beschränktes Sortiment feinmechanisch-optischer Erzeugnisse herstellten. Nimmt man die UdSSR aus, so gab es kaum Betriebe, die in der Lage waren, anspruchsvolle optische Präzisionsgeräte anzubieten, so daß in den Staatshandelsländern die Nachfrage nach optischen Präzisionsgeräten aus Jena erheblich war. In den westlichen Industriestaaten gab es Anfang der fünfziger Jahre noch einen nennenswerten Nachkriegsbedarf. Gleichzeitig hatte sich - wie an anderer Stelle schon erwähnt während des Zweiten Weltkrieges in den USA und in einer Reihe westeuro-

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Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Chronik Teil III, S. 488. Ausführlicheres zur Sozialpolitik im Zeiss-Werk: Philipp Neumann: Betriebliche Sozialpolitik im VE Β Carl Zeiss Jena 1948 bis 1953. Magisterarbeit 2002. Friedrich-Schiller-Universität Jena. Gutachter: Prof. Dr. Jürgen John, S. 70-122.

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päischer Länder eine leistungsstarke feinmechanisch-optische Industrie herausgebildet. Verschiedene Unternehmen hatten sich auf bestimmte optische Präzisionsgeräte spezialisiert und dabei ein hohes Niveau erreicht. Das Zeiss-Werk sah sich auf einigen Gebieten starken Ronkurrenten gegenüber. Schon im Sommer 1949 hatte Victor Sandmann aus einer Marktanalyse den Schluß gezogen, daß es im Auslandsgeschäft nicht in erster Linie auf Großserien - Photoobjektive, Tonkinokoffer usw. sondern vielmehr auf Geräte mit höherer Leistung ankommt, die dem bisherigen Zeiss-Standard entsprechen, und daß neue Geräte auf den internationalen Markt gebracht werden müssen. Victor Sandmann verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Notwendigkeit, bei den Geräten neben dem bestmöglichen Nutzeffekt auch größeren Wert auf ihr Aussehen zu legen und erforderlichenfalls auch die „Mode" zu berücksichtigen. 145 In der DDR waren die Rahmenbedingungen für die Rückkehr des Zeiss-Werkes auf die internationalen Märkte nicht günstig. Die Art und Weise wie das staatliche Außenhandelsmonopol in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre praktiziert wurde, erlaubte Zeiss-Mitarbeitern nicht mehr ohne weiteres den unmittelbaren Kontakt zu den Runden. Im unmittelbaren Rundenkontakt bestand aber immer eine besondere Stärke des Zeiss-Werkes. Er ermöglichte, die Interessenten in persönlichen Gesprächen mit den Vorzügen und Besonderheiten der Geräte vertraut zu machen und zugleich Wünsche und Anregungen von Nutzern in Erfahrung zu bringen, die wiederum in die Erzeugnisentwicklung einflossen. Als die Werkleitung und die Vertriebsmitarbeiter das Exportgeschäft wieder in dieser Form betreiben wollten, mußten sie erfahren, daß weder die SED-Führung noch das zuständige Ministerium damit einverstanden waren. Sie wollten den Vertrieb der Zeiss-Erzeugnisse den staatlichen Außenhandelsunternehmen übertragen. So belehrte der Mitarbeiter der DAHA Feinwerk-Technik, Stephanowitz, Friedrich Wonne am 24. Mai 1951: „Die Exportpolitik ist Teil der allgemeinen Politik der DDR.... Es gehe daher nicht an, daß CZ (Carl Zeiss d. V.) glaube, auf die Dauer Handelspolitik für sich treiben zu können. Dies sei Aufgabe der DAHA ... Schritt für Schritt werde die DAHA daher auch den Export an sich ziehen.... Wenn CZ sich gegen die Entwicklung sträube, so verstoße es nicht nur gegen die klare Tendenz der Politik der DDR, sondern treibe auch Don Quichotterie." Dr. Schulz, der die Gesprächsnotiz anfertigte, zog daraus den Schluß, daß Stephanowitz zum Ausdruck bringen wollte, „daß es zweckmäßig sei, wenn CZ eine freundliche und enge Zusammenarbeit mit der DAHA suche, anstatt ständig in Abwehrstellung zu stehen."146 Da die DAHA „allmählich eigene Auslandsvertretungen aufbauen" wollte, bemühte sie sich, dafür - speziell auf den Gebieten Optik und Feinmechanik gute Fachkräfte zu bekommen. Das Zeiss-Werk sollte versierte Zeiss-Vertriebsmitarbeiter zur Verfügung stellen.

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BACZ Nr. 15159 (Niederschrift der Betriebsleitersitzung vom 14. Juli 1949). BACZ Nr. 8446 (Dr. Schulz: Vermerk für Dr. Wonne über eine Besprechung mit Stephanowitz vom 24. Mai 1951).

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Tatsächlich wurde dem Zeiss-Werk die Außenhandelskompetenz entzogen. Am 21. Juli 1952 beauftragte das Sekretariat des ZR der SED das Ministerium für Maschinenbau, den gesamten Export des Zeiss-Werkes und dessen Lieferungen in die BR Deutschland unverzüglich durch die Absatzabteilung des Ministeriums und durch das staatliche Handelsunternehmen Deutscher Innen- und Außenhandel (DIA) zu übernehmen. 147 Auf die Probleme, die damit für das Zeiss-Werk verbunden waren, wurde im Geschäftsbericht vom 30. Juni 1953 nachdrücklich aufmerksam gemacht: „Das Schwergewicht der Schwierigkeiten hat sich vielmehr von der Produktionssphäre jetzt in die Zirkulationssphäre verlagert. Es ist dabei zu berücksichtigen, daß die hochwertige Fertigung des VE Β Carl Zeiss in erster Linie für Exportzwecke zur Verfügung steht. Der reibungslose Absatz der hergestellten Produktion wird demnach in erster Linie davon abhängig, wie weit es der DIA gelingt, den Anschluß an die beiden großen Weltmärkte des demokratischen Lagers und des kapitalistischen Auslandes zu gewinnen. Insbesondere muß der Standpunkt des Verteilens endgültig verlassen werden."148 Da man seitens der DIA offensichtlich nicht energisch genug das Exportgeschäft des Zeiss-Werkes übernahm, griff die Parteiführung der SED erneut ein. Daraufhin ordnete die DDR-Regierung am 14. September 1953 an, daß die Exporte aus dem Zeiss-Werk künftig von DIA Feinmechanik-Optik vertrieben werden. Hugo Schrade sah sich daraufhin am 6. Oktober 1953 genötigt, mit diesem staatlichen Außenhandelsunternehmen einen Vertrag abzuschließen der festlegte, daß das Zeiss-Werk ab 1. Oktober 1953 die gesamten Export-Vertriebsaufgaben dem DIA PRECIS überlassen mußte. 149 Damit aber diese Ausfuhren gegenüber den Runden weiterhin als Eigengeschäft des Zeiss-Werkes erschienen, wurden für die Geschäftskorrespondenz Zeiss-Briefbögen verwendet. ZeissMitarbeiter der Exportabteilung mußten die Verträge unterzeichnen. Das Außenhandelsunternehmen richtete im Zeiss-Werk eine Exportabteilung mit 69 Mitarbeitern ein, die größtenteils aus der Vertriebsabteilung des Werkes kamen. Wenig später zeigte sich, daß diese Lösung untauglich war, weil das Außenhandelsunternehmen nicht imstande war, die Verträge rechtzeitig und entsprechend des vorgegebenen Exportvolumens abzuschließen. 130 Im Frühjahr 1954 befaßte sich der Minister für Außenhandel und Innerdeutschen Handel, Heinrich Rau, mit den Unzulänglichkeiten in seinem Bereich und beriet sich in Vorbereitung auf eine Außenhandelskonferenz mit Hugo Schrade und anderen Zeiss-Mitarbeitern. Daraus ergaben sich für das Zeiss-Werk weitreichende Ronsequenzen, denn am 24. Mai 1954 wurde in einer Besprechung

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Hellmuth/Mühlfriedel: Carl Zeiss Jena - widerspruchsvoller Weg in die Planwirtschaft, S. 554. BACZ Nr. 20845 (Allgemeiner Geschäftsbericht zum 50. Juni 1955). BACZ Nr. 25851 (Vertrag zwischen VE Β Carl Zeiss und VEH Deutscher Innen- und Außenhandel Feinmechanik-Optik vom 6. Oktober 1955). BACZ Nr. 25790 (Protokoll einer Besprechung mit Alfred Wunderlich am 12. Januar 1954).

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beim Stellvertretenden Minister für Allgemeinen Maschinenbau, Alfred Wunderlich, u. a. mitgeteilt, daß im Zeiss-Werk eine selbständige Exportabteilung eingerichtet wird. Auf Empfehlung von Heinrich Rau sollte geprüft werden, ob „die bestehende Außenstelle des DIA, Feinmechanik-Optik in Jena aufgelöst wird und mit... einer eigenen Exportabteilung verschmolzen wird". Einen einschlägigen Vorschlag hatte man im Zeiss-Werk bereits vorbereitet und den Besprechungsteilnehmern vorgelegt. Am 4. September 1954 entschied Heinrich Rau, daß das Zeiss-Werk die Geschäfte im innerdeutschen Handel und im westlichen Ausland wieder in eigener Regie betreiben kann. Daraufhin kündigte Hugo Schrade am 13. September 1954 den Vertrag mit der DIA, Feinmechanik-Optik vom 6. Oktober 1953. Die abgestellten Zeiss-Mitarbeiter kehrten in das Werk zurück. 151 Diese Entscheidung ermöglichte dem Zeiss-Werk, im westlichen Ausland ein eigenes Vertreternetz aufzubauen. Dabei verzichtete man auf Vertreter, die bisher sowohl für Jena als auch für Oberkochen tätig waren. Durch eine intensive Marktarbeit gelang es, einen möglichen Geschäftsrückgang zu vermeiden. Bis zum Sommer 1956 war das neue Vertreternetz des Zeiss-Werkes geknüpft Die Vertreter, die gewonnen werden konnten, trugen maßgeblich zur Exportsteigerung bei. Allerdings behinderten ministerielle Anordnungen, die staatssozialistischen Länder bevorzugt zu beliefern, den Ausbau des Exportgeschäfts im westlichen Ausland. 1956 entschied man im zentralen Wirtschaftsapparat, daß das staatliche Außenhandelsunternehmen Deutsche Ex- und Importgesellschaft GmbH (DEXI) im Zeiss-Werk ein Rontor einrichtet und das Jenaer Werk nun auch den Export in die staatssozialistischen Länder in eigener Regie ausführen kann. Um die gewachsenen Außenhandelsaufgaben erfüllen zu können, baute das Zeiss Werk in den folgenden Jahren die Exportabteilung aus, die seit 1958 als werkseigenes Auslandskontor fungierte. 152 Ende Dezember 1959 forderte Kurt Büttner in einer Besprechung der Raufmännischen Direktion, im Laufe des Jahres 1960 alle Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Exportabteilung die Aufgaben eines Außenhandelsunternehmens wahrnehmen kann. 153 Die Übertragung der Verantwortung für die Exportgeschäfte war eine wichtige Voraussetzung, um ihnen eine größere Stetigkeit zu geben, die Beziehungen zu den Auslandsvertretungen, insbesondere im westlichen Ausland, zu intensivieren, Marktforschung zu betreiben, den Auslandskundendienst zu pflegen, langfristige Verträge abzuschließen und vor allem neue und neuartige Geräte anzubieten. 154

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BACZ Nr. 23790 (Notiz über die Übernahme des RA-Exports sowie der Lieferungen im innerdeutschen Handel durch CZ vom 18. September 1954). BACZ Nr. 24504 (Bericht über die ökonomischen Ergebnisse des Betriebes im Jahre 1958 und Schlußfolgerungen für 1959). BACZ Nr. 23318 (Niederschrift der Arbeitsbesprechung der Raufmännischen Direktion vom 29. Dezember 1959). BACZ Nr. 24504 (Bericht über die ökonomischen Ergebnisse des Betriebes im Jahre 1958 und Schlußfolgerungen für 1959).

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In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre eröffnete das Zeiss-Werk in einigen Ländern eigene Vertretungen. Rudolf Reindl richtete in Peking die seit längerem geplante Technische Außenstelle des Zeiss-Werkes ein. Um den Export zu steigern, mußte im Zeiss-Werk größerer Wert auf kürzere Lieferzeiten, prompte Bedienung und höfliche Behandlung der Runden, bessere Ersatzteillieferung und einen wirkungsvollen technischen Dienst gelegt werden. Das war unter den gegebenen Bedingungen nicht immer einfach. Die Werkleitung nutzte alle sich bietenden Gelegenheiten, um durch die Präsentation von Erzeugnissen der internationalen Fachwelt die Leistungsfähigkeit des Jenaer Betriebes besser bekanntzumachen. Das Zeiss Werk präsentierte seine ErzeugBild 24: Zeiss-Geräte aus Jena zur Internisse vornehmlich auf der Leipziger nationalen Fachausstellung für MeD-Regel-Steuerungstechnik und Frühjahrs- und Herbstmesse. Seit MitAutomatisierung MESUCORA in te der fünfziger Jahre veranstaltete das Paris 1961 Zeiss-Werk in verschiedenen Ländern komplexe Ausstellungen. Die erste große Gesamtschau außerhalb der DDR fand 1955 in Prag statt.155 Vom 19. April bis 8. Mai 1959 standen die Zeiss-Exponate im Mittelpunkt einer Kollektivausstellung, die das Außenhandelsunternehmen Feinmechanik-Optik und Elektrotechnik in Peking veranstaltete. Auf dieser Schau, die zeitgleich mit dem 2. Chinesischen Volkskongreß begann, zeigte das Zeiss-Werk sein vielseitiges Erzeugnissortiment. Das bot den Abgesandten aus allen Teilen der VR China Gelegenheit, sich ein Bild von dem Leistungsangebot aus Jena zu machen. ZeissFachleute hielten während der Ausstellung Fachvorträge im Pekinger Zeiss-Planetarium. 156 In diesen Jahren richtete das Zeiss-Werk die größte universelle Fachausstellung im Ausland vom 18. bis 31. Juli 1960 im Polytechnischen Museum in Moskau auf einer Fläche von 1.300 m 2 aus. Sie wurde von Regierungsvertretern, Außenhändlern und Mitarbeitern wissenschaftlich-technischer Einrichtungen, aber auch von Fachkundigen aus allen Landesteilen der UdSSR besucht. Im Rahmen dieser Ausstellung hielten Jenaer Wissenschaftler und Techniker 14 wissenschaftliche Vorträge. 155

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BACZ Nr. 2976 (Schwerpunkte der Entwicklung des VE Β Carl Zeiss JENA 1945-1965. Anlage). Otto Müller: VE Β Carl Zeiss JENA in Peking. In: Jenaer Rundschau 1959, S. 171.

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Eine besondere Rolle für die Beziehungspflege zu Nutzern von ZeissGeräten und für das Knüpfen neuer Rundenkontakte spielten die Fachausstellungen, die im Zusammenhang mit Kongressen und Tagungen nationaler und internationaler wissenschaftlichtechnischer Gesellschaften veranstaltet wurden und auf denen Neuentwicklungen gezeigt und vorgeführt werden konnten. Als Beispiele sollen die Physikertagungen oder die Ophthalmologen-Kongresse genannt werden. Auch bei diesen Veranstaltungen traten Zeiss-Mitarbeiter mit wissenschaftlichen Beiträgen auf. Schließlich soll noch auf die Kurse verwiesen werden, die von den Vertriebsabteilungen in Zusammenarbeit mit den Entwicklungsabteilungen im In- und Ausland abgehalten wurden. Abb. 25: Dr. Hermann Weinhold erläutert der Gesundheitsministerin Indiens In den einzelnen Ländern verstärkte das Koinzidenz-Refraktometer auf das Zeiss-Werk die Kontaktpflege mit der Ausstellung des VE Β Carl Zeiss Kunden und baute das Vertreternetz JENA anläßlich des 19. Internatioweiter aus. So wurde zum Beispiel vor nalen Ophthalmologen Kongresses der Leipziger Frühjahrsmesse 1959 1962 mit maßgeblichen Mitarbeitern der Vertreterfirmen aus 19 westeuropäischen Staaten, den USA und ehemaligen Kolonialländern eine Arbeitskonferenz abgehalten, auf der Fachkräfte aus dem Zeiss-Werk zu verschiedenen Problemkreisen referierten. Eine gleichartige Zusammenkunft fand nach der Messe mit 40 Fachleuten der Handelsgesellschaften aus staatssozialistischen Ländern statt.157 Nachdem der Zeiss-Vertrieb die Außenhandelsgeschäfte - wenn auch in Grenzen - wieder in eigener Regie betreiben konnte, nahm seit 1958 der Eigenexport des Zeiss-Werkes rasch zu. Er betrug 1958 59 Millionen Mark und lag 1964 bei 135,2 Millionen Mark. 158 Von den Gesamtausfuhren entfielen 1964 88,5 Prozent auf den Eigenexport 159 Seit Mitte der fünfziger Jahre erhöhte sich der Anteil der exportierten Erzeugnisse und Leistungen am Gesamtumsatz beachtlich. Während er in der ersten Hälfte des Jahrzehnts um die 35 Prozent lag, erhöhte er sich in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre. 1957 betrug er 44,7 und 1964 52,1 Prozent. 157 158 159

Jenaer Rundschau 1959, S. 105. Zu Betriebspreisen. Errechnet nach Statistisches Jahrbuch 1965 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 59,41.

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Gleichzeitig veränderte sich die Exportrichtung. 1949 gingen noch 46,5 Prozent der Zeiss-Erzeugnisse in die BR Deutschland und nach Westberlin, 25,9 Prozent in das westliche Ausland und 25,2 Prozent in staatssozialistische Länder. Der Rest wurde als Exportvergütung ausgewiesen. 1949 sind noch Reparationsleistungen in Höhe von 14,8 Millionen Mark hinzuzurechnen. Seit den frühen fünfziger Jahren lieferte das Zeiss-Werk zunehmend in die staatssozialistischen Länder. 1953 gingen 84 Prozent in die Ostblockstaaten, 9,7 Prozent in die westlichen Länder und 6,3 Prozent in die BR Deutschland und nach Westberlin. In den folgenden Jahren änderte sich daran nur wenig. Hauptabnehmer blieben die UdSSR und die anderen RGW-Staaten. 1964 lieferte das Zeiss-Werk 78,6 Prozent in die Ostblockstaaten, 15,8 Prozent in das westliche Ausland, wobei nun die ehemaligen Kolonialländer einen größeren Anteil aufnahmen. 4,4 Prozent der Ausfuhren bezogen Runden in Westdeutschland und Westberlin. Den Rest bildete wiederum die Exportvergütung. 1964 lieferte das Zeiss-Werk seine Erzeugnisse in insgesamt 85 Länder.160 In der Tabelle 17 im Tabellenanhang sind die Angaben über den Zeiss-Export zwischen 1949 und 1964 angeführt. In dem betrachteten Zeitraum wirkten sich die politischen und ökonomischen Vorgänge in den beiden Weltblöcken und zwischen ihnen mittel- und unmittelbar auf das Exportgeschäft aus. Es soll nur auf ein Beispiel verwiesen werden. Ende der fünfziger Jahre kam es zum Konflikt zwischen der UdSSR und der VR China, in den auch die DDR involviert war. Das Zeiss-Werk, das seit 1953 jährlich Waren im Wert zwischen 14 und 25 Millionen Mark nach China lieferte, verlor 1961 diesen Handelspartner, denn innerhalb eines Jahres ging der Absatz in dieses Land um 75 Prozent zurück. Seit Mitte der fünfziger Jahre beeinträchtigten die Auseinandersetzungen um den Namen Carl Zeiss und die gewerblichen Alt-Schutzrechte zwischen dem VEB Carl Zeiss JENA und der Firma Carl Zeiss, Oberkochen, die Exportgeschäfte in den westlichen Ländern und im innerdeutschen Handel zunehmend. Darauf wird im achten Kapitel näher eingegangen.

Die wirtschaftlichen Resultate 1949-1964 Die Umsatzentwicklung Die Erweiterung der Produktionskapazitäten, die Rationalisierungsmaßnahmen, die Festigung der Stammbelegschaft, der Ausbau des Fertigungsprogramms und die Rückkehr auf die Außenmärkte bildeten die Grundlagen für die wachsenden Umsätze des Zeiss-Werkes zwischen 1949 und 1964. 1949 belief sich der Umsatz

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BACZ Nr. 2976 (Schwerpunkte der Entwicklung des VEB Carl Zeiss JENA 1945-1965. Anlage).

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auf 51,7 Millionen Mark und 1964 auf 245,5 Millionen Mark.161 Das Umsatzwachstum erfolgte nicht stetig. Es gab Jahre, in denen der Absatz besonders stark anstieg, und andere, in denen er stagnierte. Besonders kräftig war die Umsatzsteigerung beim Übergang von der Wiederaufbau- in die Ausbauphase, also von 1949 bis 1953. Dann folgte eine Zeit, sie währte von 1954 bis 1957, in der der Absatz stagnierte oder gar leicht zurückging. Zwischen 1958 und 1964 wuchs der Absatz dann in einem nennenswerten Umfang wieder an. Lediglich das Jahr 1961 bildete eine Ausnahme, weil sich die politischen Ereignisse auch auf das Zeiss-Werk auswirkten. Die Tabelle 18 im Tabellenanhang bietet einen Überblick über die Umsatzbewegung zwischen 1949 und 1964. Wie schon betont, spielte für das Umsatzwachstum die Gestaltung des Fertigungsprogramms eine maßgebliche Rolle. Dabei sind zwei Perioden zu unterscheiden. In der ersten Periode dominieren die Produkte der Erzeugnisgruppen, die vornehmlich Ronsumgüter herstellten. Das ist in erster Linie darauf zurückzuführen, daß in der Wiederherstellungs- und Ausbauphase die technischtechnologischen Bedingungen für deren Herstellung sehr früh zur Verfügung standen. Die Voraussetzungen für die Fertigung anspruchsvoller optischer Präzisionsgeräte - Rekonstruktion der Geräte und der technisch-technologischen Grundlagen - konnten nur im Laufe einiger Jahre geschaffen werden, so daß diese Erzeugnisgruppen erst seit Mitte der fünfziger Jahre im Fertigungsprogramm ein größeres Gewicht erlangten. Mitte der fünfziger Jahre begann die zweite Periode. Zwischen 1950 und 1955 hatten die Erzeugnisgruppen, die optische Ronsumgüter herstellten, an der Produktion der wichtigsten Erzeugnisgruppen einen Anteil über 50 Prozent. Die Präzisionsgeräte fertigenden Erzeugnisgruppen waren in diesem Zeitraum mit 30 bis 35 Prozent beteiligt. Eine Sonderstellung nahm die Erzeugnisgruppe Rino- und Projektionsgeräte ein, in der bis Mitte der fünfziger Jahre auch die Α 1-Geräte für die Luftstreitkräfte der UdSSR produziert wurden. Daraus ergab sich auch der relativ große Anteil dieser Erzeugnisgruppe von 15,5 Prozent im Jahre 1950 und 10,3 Prozent im Jahre 1955. Nachdem die Aufträge für die Α 1-Geräte zurückgingen 162 und schließlich ganz ausblieben, verringerte sich auch der Anteil der Erzeugnisgruppe Rino- und Projektionsapparate bis auf 6,8 Prozent im Jahre I960. 165

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Abgesetzte Warenproduktion zu Betriebspreisen. Der Betriebspreis war der interne Preis für die Erzeugnisse, der sich aus den gesellschaftlich notwendigen Selbstkosten und dem betrieblichen Reineinkommen zusammensetzte. Er war Bestandteil des Industrieabgabepreises und für gleiche Erzeugnisse einheitlich. Ökonomisches Lexikon Α-K, S. 329. So war vorgesehen, daB die Produktion der Erzeugnisgruppe Rino- und Projektionsgeräte 1953 auf 45 Millionen Mark ansteigen sollte. Tatsächlich wurden nur Erzeugnisse im Wert von 23,1 Millionen Mark hergestellt, weil ein Teil der sowjetischen Bestellungen von Α 1-Geräten storniert wurde. Wenig später lief die Produktion dieser Geräte ganz aus, so daB die Fertigung in Seebach und Weimar, die dafür eigens eingerichtet worden war, mit erheblichen ökonomischen Verlusten eingestellt werden mußte. BACZ Nr. 15803 (Bericht über die Forschung und Entwicklung im VE Β Carl Zeiss Jena. Zuarbeit zur Berichterstattung vor dem Ministerkollegium vom 27. Mai 1955). Errechnet nach Statistisches Jahrbuch 1965 des VE Β Carl Zeiss JENA, S. 32.

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Über die Entwicklung der Erzeugnisgruppen, die optische Präzisionsgeräte fertigten, gibt die Tabelle 19 im Tabellenanhang nähere Auskunft. Die Absatzergebnisse In den Wiederaufbau)ahren war es dem Zeiss-Werk noch nicht möglich, rentabel zu arbeiten. 1953 konnte erstmals ein Gewinn ausgewiesen werden. Das Absatzergebnis, das 1955 bei 18,1 Millionen Mark lag, fiel im folgenden Jahr um 24,1 Prozent geringer aus als im Vorjahr, stieg aber in den folgenden Jahren wieder an und betrug 1960 45,5 Millionen Mark. Die jährlichen Wachstumsraten waren mit 69,4 und 37,6 Prozent in den Jahren 1957 und 1959 besonders hoch. In den Jahren 1961 und 1962 trat eine Stagnation ein. Das sonstige Ergebnis, das auch die Verluste auswies, belief sich 1955 noch auf 9,9 Millionen Mark und wurde in den folgenden Jahren stetig verringert. 1962 betrug es noch 1,3 Millionen Mark.164 Verluste resultierten u. a. aus außerplanmäßigen Bankzinsen, Vertragsstrafen, Materialabwertungen, nicht gerechtfertigtem Mehrverbrauch von Werkzeugen und Normteilen, aber auch aus ungeplanten Aufwendungen. Eine solche Position war 1958 die Ausgabe von 58.600 Mark für drei Rinderoffenställe.163 Die Ergebnisentwicklung ist der Tabelle 20 im Tabellenanhang zu entnehmen. In dem betrachteten Zeitraum gelang es, die Arbeitsproduktivität zu steigern. Das wird am Index der Produktivität je Produktionsarbeiter auf der Basis der Bruttoproduktion zu unveränderten Planpreisen deutlich. Geht man von 100 im Jahre 1950 aus, dann stieg der Index 1955 auf 164,1960 auf259 und 1964 auf 341 Prozentpunkte. Dazu trugen verschiedene Faktoren bei, von denen zwei besonders hervorgehoben werden sollen. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre gelang es, ungeachtet der Probleme, die nach wie vor bestanden, die Fluktuation in der Belegschaft einzudämmen. Das führte vor allem in den Produktionsbetrieben zu einem stabileren Qualifikationsniveau und wirkte sich auf das Arbeitstempo und die qualitätsgerechte Ausführung der Arbeitsaufgaben positiv aus. Gleichzeitig wurde die Arbeitszeit besser genutzt, in dem die Anzahl der Ausfallstunden und die Wartezeiten gesenkt werden konnten. Um welche Dimensionen es sich dabei handelte, lassen die folgenden Angaben erkennen. 1955 machte der Verlust an Arbeitsstunden, in Arbeitskräfte umgerechnet, noch ein Arbeitskräftepotenzial von ca. 1.000 Personen aus. Mit betriebsorganisatorischen Maßnahmen wurde erreicht, daß durch die Ausfallzeiten im Jahre 1958 nur noch das Potenzial von 650 Personen verloren ging.166 Fortschritte bei der Senkung der Selbstkosten ließen sich nicht in jedem Jahr in der vorgesehenen

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Statistisches Jahrbuch 1965 des VE Β Carl Zeiss JENA, S. 43. BACZ Nr. 24504 (Mängel in der Arbeit). Die Staatsbetriebe waren verpflichtet, Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften bei Investitionsvorhaben zu unterstützen. In dieser Zeit gab es die Mode, diese untaugliche sowjetische Methode der Rinderhaltung zu praktizieren. BACZ Nr. 24504 (Mängel in der Arbeit).

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Höhe erreichen, weil die Faktoren, die dabei eine Rolle spielten, nicht immer von der Werkleitung oder den Betriebsleitungen zu beeinflussen waren. Dennoch gelang es in dem betrachteten Zeitraum, die Selbstkosten zu verringern. Die innerbetrieblichen Möglichkeiten der Selbstkostensenkung waren vielfaltig. Als Beispiel soll das Jahr 1960 angeführt werden. In diesem Jahr resultierten über 80 Prozent der Selbstkostensenkung aus technisch-organisatorischen Veränderungen. Wird dieses Resultat gleich 100 gesetzt, dann entfielen 41 Prozent auf die Modernisierung der technischen Einrichtungen, zehn Prozent auf Standardisierungsmaßnahmen, neun Prozent auf die Mechanisierung und drei Prozent auf die Automatisierung der Arbeitsgänge, sieben Prozent auf neue technologische Verfahren und 30 Prozent auf arbeitsorganisatorische Maßnahmen. 167 Zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur Senkung der Selbstkosten trug das betriebliche Vorschlagswesen bei. Zwischen Sommer 1945 und 1955 wurden insgesamt 6.254 Verbesserungsvorschläge eingereicht, davon hatte man bis im Juni 1955 3.271 als realisierbar beurteilt. Die eingereichten Vorschläge kamen zu 44,7 Prozent aus der Produktionsarbeiterschaft und zu 40,8 Prozent von technischen Angestellten. Hugo Schrade gab den Durchschnittswert eines Vorschlages 1952 mit 685 und 1955 mit 1.342 Mark an. 168 In den folgenden Jahren nahm die Anzahl der eingereichten Verbesserungsvorschläge weiter zu. 1958 wurden 1.284 und 1964 4.794 Vorschläge eingereicht. Davon ließen sich in den beiden Jahren 53 Prozent bzw. 73 Prozent realisieren. Der Grundnutzen je realisiertem Vorschlag fiel unterschiedlich aus und schwankte zwischen 1.274 Mark im Jahre 1958 und 457 Mark I960.169 Durch die verschiedenen Faktoren, die zu einer größeren Wirtschaftlichkeit führten, verbesserten sich die ökonomischen Resultate, die in den Rennziffern Produktionsabgabe 170 und Betriebsergebnis 171 Ausdruck fanden. 1955 beliefen sich beide Rennziffern zusammengenommen auf 20,3 Millionen Mark, davon entfielen auf die Produktionsabgabe 58 Prozent und auf das Betriebsergebnis 42 Prozent. In den folgenden drei Jahren blieb die Produktionsabgabe in ihrer absoluten Höhe nahezu unverändert, so daß bei steigendem Ertrag das Betriebsergebnis erheblich zunahm. 1958 betrugen Produktionsabgabe und Betriebsergebnis zusammengenommen 34,5 Millionen Mark. Davon gingen 34,8 Prozent

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BACZ Nr. 13314 (10 Jahre Verbesserungsvorschlagswesen des VEB Carl Zeiss JENA); Schumann: Carl Zeiss. Einst und jetzt, S. 876-877. BACZ Nr. 24487 (Hugo Schrade: Referat an der Karl-Marx-Hochschule in Berlin am 20. Juli 1956). Statistisches Jahrbuch 1965 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 5. Die Produktionsabgabe war die Abgabe auf das in einem Staatsbetrieb der DDR beim Absatz der Produkte realisierte gesellschaftlichen Reineinkommen. Sie trat Mitte der fünfziger Jahre an die Stelle der verschiedenen Steuern und Teilen der bis dahin erhobenen Nettogewinnabführung. Ökonomisches Lexikon L-Z, S. 435. Das Betriebsergebnis bildete den Gewinn oder Verlust aus wirtschaftlicher Tätigkeit und diente als Maßstab für die Beurteilung der ökonomischen Leistung und sagte aus, wie groß die Rentabilität des Betriebes in einem gegebenen Zeitraum war. Ökonomisches Lexikon Α-K, S. 315.

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an den Staatshaushalt und 65,2 Prozent standen dem Betrieb zur Verfügung. Zwischen 1959 und 1961 erhöhte sich der Ertrag von 53,7 Millionen auf 66,6 Millionen Mark, um dann 1962 auf 61,3 Millionen Mark zurückzugehen. In diesen Jahren nahm der prozentuale Anteil der Produktionsabgabe zu. 1962 wurden 49,8 Prozent des Ertrages an den Staatshaushalt abgeführt.172 In der Tabelle 21 im Tabellenanhang sind die jährlichen Angaben über Produktionsabgabe und Betriebsergebnis vermerkt.

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Errechnet nach Statisüsches Jahrbuch 1965 des VE Β Carl Zeiss JENA, S. 45.

FÜNFTES KAPITEL

Die ersten Erneuerungen des Geräteprogramms Zur Forschungs- und Entwicklungsleitung Hans Harting, der in den ersten Nachkriegsjahren, vor allem aber nach der Demontage, den wissenschaftlichen Bereich neu organisiert hatte, verstarb am 21. September 1951. Die Wissenschaftlichen Leiter Dr. Hans Boegehold, Dr. Horst Lucas, Prof. Dr. Kurt Schuster, Dr. August Sonnefeld und Dr. Harry Zöllner entschlossen sich nun, die Wissenschaftliche Hauptleitung vorerst gemeinsam zu führen. 1 Am 18. August 1952 übernahm Dr. Paul Görlich, der aus der UdSSR zurückgekehrt war, diese Aufgabe. 2 Der 47jährige Wissenschaftler hatte an der Technischen Hochschule in Dresden studiert und sich 1932 zum Dr. Ing. promoviert. Danach leitete er bei Zeiss Ikon in Dresden das Zellenlabor. Sein vornehmliches Arbeitsgebiet war der lichtelektrische Effekt. Er publizierte über Photozellen und ihre Anwendung. 3 Unter Leitung von Werner Bischoff entstand in den ersten Nachkriegsjahren aus den Konstruktionsbüros die Entwicklungshauptleitung. Im September 1953 schied Werner Bischoff, wahrscheinlich aus politischen Gründen, aus dieser Funktion aus. 4 Anfang 1954 trat Dr. Herbert Rortum, der Abb. 26 Wissenschaftlicher Hauptleiter ebenfalls aus der UdSSR zurückgeDr. Paul Görlich kehrt war, an die Spitze der Entwicklungshauptleitung. Der 46jährige Physiker hatte in Jena studiert und war danach als Assistent am Physikalischen Institut der Jenaer Universität tätig. 1934 trat er in das Zeiss-Werk ein und befaßte sich vornehmlich mit der Entwicklung von

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BACZ Nr. 18946 (Zeittafel der WHL). BACZ Nr. 9485 (Betriebsleitersitzung vom 18. August 1952). Paul Görlich 60 Jahre. In: Jenaer Rundschau 1966, S. 148. Zur Herausbildung der Entwicklungshauptleitung unter Leitung von Werner BischofT von 1945 bis 1955: Wimmer: Von den Konstruktionsbüros zur Entwicklungshauptleitung.

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Rechengeräten für die Feuerleitung unter Verwendung elektromechanischer Analogrechenglieder, von Servosystemen und Luftfahrtnavigationsgeräten. Im Juni 1945 verbrachten ihn die amerikanischen Besatzungstruppen nach Heidenheim. Er kehrte noch im Jahre 1945 nach Jena zurück und wurde im Oktober 1946 von den sowjetischen Besatzungsbehörden ebenfalls in die UdSSR deportiert.5 Bis Ende der fünfziger Jahre blieb die Grundstruktur des Forschungs- und Entwicklungsbereiches konstant. Lediglich innerhalb der beiden Hauptleitungen kam es verschiedentlich zu Veränderungen. 1960 schied Herbert Rortum aus dem Zeiss-Werk aus, um das Institut für Automatisierung 6 aufzubauen, das in Jena gegründet worden war. Nun übernahm Paul Görlich die Leitung der beiden Direktionsbereiche Forschung und Entwicklung mit den sechs Forschungs- bzw. Entwicklungsleitungen, die für bestimmte Erzeugnisgruppen arbeiteten. So waren in der Forschungsleitung 1 die Laboratorien für astronomische Geräte, Feinmeß- und Meßgeräte zusammengefaßt. Zur Entwicklungsleitung 1 gehörten die einschlägigen Entwicklungsbüros. 7 Um die Beziehungen zwischen den Forschungslaboratorien und den Entwicklungsbüros, die für die jeweiligen Erzeugnisgruppen wirkten, enger zu knüpfen, wurde im Herbst 1962 eine Veränderung in der Organisationsstruktur dieses Direktionsbereiches vorbereitet. In der kleinen Werkleitungssitzung am 22. Oktober 1962 erklärte Paul Görlich „die Berechtigung und sein Einverständnis zur Zusammenlegung von Forschung und Entwicklung nach einzelnen Gebieten und ihre direkte Verbindung mit festen Betriebsleitungen, denen als Bindeglied noch eine KoV-Werkstatt (Konstruktionsversuchs-Werkstatt d. V.) und Abtlg. für Werkzeuge vorgeschaltet bzw. zugeordnet ist".8 Diese neue Organisation trat zum 1. März 1963 in Kraft. Nun lag die Leitung von Forschung und Entwicklung in den einzelnen Arbeitsgebieten in einer Hand. Die Laboratorien und Entwicklungsbüros planten gemeinsam die Vorhaben und führten sie auch zusammen aus. Da sich diese Form der Zusammenarbeit bewährte, ging man einen Schritt weiter und prüfte, „ob die Bildung von FE-Einheiten, die sowohl das betreffende Labor als auch das betreffende Entwicklungsbüro umfassen, zweckmäßig und sinnvoll ist". Ernst Gallerach unterbreitete in der Werkleitungssitzung am 10. September 1963 den Vorschlag, Mitarbeiter von Laboratorien und Entwicklungsbüros, die an einem Projekt Gerät oder technologischem Verfahren - arbeiten, zu zeitweiligen Arbeitsgruppen zusammenzuschließen. 9 Es wurde auch eine Zuordnung von Produk-

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Johannes Jänike: Herbert Kortum. Leben und Werk. Vortrag im Arbeitskreis Technikgeschichte des VDI am 19. Januar 1995 (Typoskript); Edgar Mühlhausen: OPREMA und ZRA 1. In: Jenaer Jahrbuch zur Technik- und Industriegeschichte 1999, S. 160. Wolfgang Mühlfriedel: Zur Geschichte des Instituts für Automatisierung in Jena (Typoskript). Zusammengestellt nach BACZ Nr. 19724 von Edith Hellmuth, Bl. 9a-9b. VA Nr. 1157 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 22. Oktober 1962). VA Nr. 1159 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 10. September 1963).

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tionsbetrieben als Partner der FE-Hauptabteilung ins Auge gefaßt, um bessere Voraussetzungen für das Zusammenwirken von Forschung, Entwicklung und Produktion zu schaffen. 10 Zwischen 1950 und 1964 nahm das Personal in den beiden Hauptleitungen zu. Dabei wurde die Personalstruktur den Erfordernissen angepaßt. Zeitweilig wuchs die Mitarbeiterzahl in der Wissenschaftlichen Hauptleitung stärker. Die Tabellen 22 und 23 im Tabellenanhang geben einen Einblick in die Verteilung des Forschungs- und Entwicklungspersonals in diesem Direktionsbereich und auf die verschiedenen Tätigkeitsfelder.

Verstärkte Hinwendung zum optischen Präzisionsgerätebau Seit den frühen fünfziger Jahren standen die Mitarbeiter der beiden Hauptleitungen vor der Aufgabe, die in der Wiederaufbauzeit in die Produktion übernommenen und im Fertigungsprogramm verbleibenden Geräte auf den jüngsten Erkenntnisstand zu bringen, vor allem aber neue Geräte und technisch-technologische Verfahren zu entwickeln. Gleichzeitig waren die Prüf- und Meßmittel, speziellen Maschinen und Einrichtungen zu konstruieren und zumeist im Werk anzufertigen. Ebenso verhielt es sich mit speziellen elektronischen Bauelementen, die im Zeiss-Werk entwickelt und gefertigt werden mußten, weil sie von der elektrotechnisch-elektronischen Industrie der DDR nicht angeboten wurden. Aus einer von Herbert Rortum im Mai 1958 angefertigten Übersicht geht der Beitrag der Forschungs- und Entwicklungsabteilungen zur Geräteentwicklung nach der Demontage hervor. Danach waren von den Geräten, die das Jenaer Zeiss-Werk im Frühjahr 1958 anbot, 1,5 Prozent Rekonstruktionen, die ausschließlich auf den Forschungs- und Entwicklungsresultaten der Vorkriegszeit basierten, 35 Prozent verbesserte Rekonstruktionen, die „bereits einen großen Teil Neuentwicklungsarbeit" enthielten. 26 Prozent waren „neuentwickelte Geräte, von denen zwar Vorgänger existierten, die aber mit Ausnahme der Verwendung gewisser Grundlagen völlige Neuentwicklungen" darstellten. 37,5 Prozent der Geräte bestanden aus „völligen Neukonstruktionen, die mit allen Grundlagen völlig neu geschaffen" worden waren. 11 In der ersten Hälfte der sechziger Jahren erhöhten sich die für Forschung und Entwicklung verbrauchten finanziellen Mittel von 27,2 auf 40,9 Millionen Mark.12 Die näheren Angaben dazu finden sich in der Tabelle 24 im Tabellenanhang. Die zunehmende Hinwendung zur Produktion optischer Präzisionsgeräte und der wachsende Anteil neuer Entwicklungen am Produktionssortiment bereitete

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BACZ Nr. 18966 (Vorlage zur erweiterten Leitungssitzung am 10. September 1963 zum Thema: Einschätzung des Nutzeffektes der am 1. März 1963 durchgeführten Strukturveränderung zur Verbesserung der sozialistischen Leitungstätigkeit). " BACZ Nr. 24500 (Herbert Rortum: Erfahrungs- und Rechenschaftsbericht über die Lage der Forschung und Entwicklung im VEB Carl Zeiss Jena. Mai 1958, Bl. 14). 12 Statistisches Jahrbuch 1965 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 2.

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der Werkleitung und den Leitungskräften in den wissenschaftlich-technischen Bereichen und Betrieben eine Reihe von Problemen. Ein Grundproblem, das in den fünfziger Jahren immer deutlicher wurde, bestand im Verständnis für die inhaltliche Ausrichtung des Zeiss-Werkes in der Wiederaufbau- und Rekonstruktionsphase. Darauf macht Herbert Rortum in der schon zitierten Studie vom Mai 1958 aufmerksam: „Der Kardinalfehler der Entwicklung des grundlegenden Betriebsklimas bei CZ in der Nachkriegszeit liegt darin, daß nach Abzug der Amerikaner unter Mitnahme der wissenschaftlichen und konstruktiven Spitzenkräfte und nach der Demontage mit einem 5 bis 7jährigen Entzug der noch übriggebliebenen oder bereits wieder neu hinzugekommenen führenden Rader für F/E der wesentlich weniger bzw. überhaupt nicht angetastete Fertigungsbetrieb verständlicherweise ein in allen Fragen entscheidendes Übergewicht bekam. Ein solches Übergewicht des Produktionsbetriebes ist aber eine durchaus sinnwidrige Ordnung für ein so ausgesprochen wissenschaftlich orientiertes Industriewerk, wie das ZeissWerk, das in seiner spezifischen Eigenart in der ganzen Welt kaum ein 2. Gegenstück hat... Nach unserer Rückkehr aus der SU ist von allen Stellen des Werkes, die an diesen neu entstandenen Verhältnissen verständlicherweise interessiert sein mußten, alles getan worden, wenn auch sicher mehr unbewußt als bewußt, um diese Neuordnung zu erhalten, d. h. zu verhindern, daß die wissenschaftlichen und konstruktiven Abteilungen des Werkes wieder wie früher einen größeren Einfluß auf das gesamte Werksgeschehen bekommen, wobei sie durch ministerielle Struktur- und Vereinheitlichungsbestrebungen und durch den Vorrang der Produktionserfüllung unterstützt wurden. Jeder kleine Fortschritt in dieser Hinsicht hat einen Rampf gekostet, bei dem es leider nicht immer zu vermeiden war, daß bei Stellen und Rollegen, die die Verhältnisse nicht genügend beurteilen konnten, manchmal vielleicht der Eindruck entstanden ist, als ob es sich dabei auf seiten derer, die die vorhandene Entwicklungstendenz aufhalten oder verbessern wollten, um persönliche, nicht der Sache dienenden Motive handelte.... Es sei hierzu ausdrücklich festgestellt, daß es sich hier wirklich um Fragen handelte, die für die Zukunft von größter Bedeutung sind, in dem sie nämlich darüber entscheiden, in welchem Tempo, oder ob überhaupt das ganze Werk wieder mehr von der Wissenschaft durchdrungen wird, oder ob es sich immer mehr zu einer Fabrik entwickeln wird."13 Mit der weitgehenden Rekonstruktion des traditionellen Erzeugnisprogramms und der Übernahme neuer Aufgaben stieß das Zeiss-Werk seit Mitte der fünfziger Jahre an seine Leistungsgrenzen. Dafür gab es mehrere Anzeichen. Mitarbeiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilungen sahen sich oftmals außerstande, die Bearbeitungsfristen von Themen, die sie sich selbst gesetzt hatten oder die ihnen vorgegeben worden waren, einzuhalten. Das resultierte auch vielfach aus dem Fehlen materiell-technischer oder räumlicher Voraussetzungen. Der Muster-

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BACZ Nr. 24500 (Herbert Kortum: Erfahrungs- und Rechenschaftsbericht über die Lage der Forschung und Entwicklung im VE Β Carl Zeiss JENA. Mai 1958, Bl. 276-277).

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bau war auf die Bearbeitung der wachsenden Zahl rekonstruierter und neu entwickelter Geräte in seiner Kapazität nicht eingerichtet und die Gerätebetriebe, die die Nullserienfertigung übernehmen sollten, waren vornehmlich mit der Planerfüllung befaßt. Das war unter den gegebenen Umständen schon schwierig genug. In den Gerätebetrieben bestanden Disproportionen in der Leistungsfähigkeit zwischen den Vorfertigungs- und Montageabteilungen. Die Vorfertigungsabteilungen waren in der Regel nicht in der Lage, das Aufgabenpensum fristgemäß zu erledigen. Auf einen wesentlichen Grund dafür wird im Zusammenhang mit der Belegschaftsentwicklung eingegangen. Schwierigkeiten bereiteten den Gerätebetrieben die Zulieferungen aus dem Zeiss-Werk, aber besonders aus den Fremdfirmen. Sie kamen oftmals nicht fristgemäß und nicht in der notwendigen Qualität. Eine besondere Rolle spielte dabei die Bereitstellung von optischen Systemen aus dem OptikBetrieb, an die mit den Fortschritten im Gerätebau immer größere qualitative Anforderungen gestellt wurden. Die komplizierter werdenden Systeme bedingten nicht nur eine zunehmende Arbeitserfahrung und Arbeitsfertigkeit Abb. 27 Rändelknopffertigung. Oktober 1961 der Mitarbeiter, sondern auch einen größeren Zeitaufwand bei ihrer Fertigung und Prüfung. Der Optik-Betrieb war wiederum von der Qualität der optischen Spezialgläser aus dem Jenaer Glaswerk abhängig, die nicht in jedem Falle den Erwartungen entsprach, weil es aufgrund unzulänglicher technisch-technologischer Ausrüstung oftmals außerstande war, die erforderlichen Glasarten zu liefern. Als sich in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre die Mängel im Überleitungsprozeß immer stärker bemerkbar machten, suchten die Führungskräfte nach Lösungen. Dabei entstand der Plan, für die einzelnen Warengruppen Leitungsgremien zu schaffen, die in der Lage waren, auf den jeweiligen Fachgebieten konzeptionelle Fragen rasch zu klären und den Überleitungsprozeß zu optimieren. In diesen Warengruppenleitungen fanden sich Wissenschafter, Ingenieure, Konstrukteure und Vertriebsfachleute zusammen, die für Entwicklung, Produktion und Absatz der jeweiligen Erzeugnisse zuständig waren. Anfang 1958 nahmen 28 Warengruppenleitungen ihre Arbeit auf.14 Ihre vornehmlichen Aufgaben 14

BACZ Nr. 23318 (Niederschrift über Arbeitsbesprechung der Kaufmännischen Hauptleitung vom 2. April 1958). Im Januar 1959 bestanden 31 Warengruppenleitungen. BACZ Nr. 24504 (Mängel der Arbeit 1958).

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bestanden darin, Forschungs- und Entwicklungsthemen, die in ihre Zuständigkeit fielen, zu beurteilen und neue Themen vorzuschlagen. Damit war die Absicht verbunden, den ökonomischen Nutzeffekt der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zu erhöhen und zu prüfen, ob und auf welche Weise die dabei erzielten Resultate in die Produktion überführt werden können. Gleichzeitig oblag es ihnen, die Forschungsergebnisse zügig in die Entwicklung, den Musterbau, die Nullserienfertigung und schließlich in die Produktion überzuleiten. Die Vertriebsmitarbeiter konnten sich bereits während des Überleitungsprozesses mit den Leistungsparametern der neuen Erzeugnisse vertraut machen und so deren Absatz besser vorbereiten. Die Warengruppenleitungen hatten auch das Recht, Empfehlungen zur Weiterarbeit an beanstandeten Forschungs- und Entwicklungsthemen oder an gesperrten neuen Geräten zu geben sowie die Termine und die Finanzierung der bestätigten Themen zu kontrollieren. Rudolf Müller betonte am 25. Februar 1958 gegenüber den Betriebsleitern, daß „nur der Betriebsleiter prädestiniert scheint, die Gespräche mit den Konstrukteuren, Wissenschaftlern und Kaufleuten nach ökonomischen Gesichtspunkten zu führen und dadurch eine gewisse Gewähr gegeben wird, daß nur solche Geräte in die Produktion gehen, von denen wir der Meinung sind, daß die neuen Vorschläge in der weiteren Perspektive dem Werk eine wesentliche Stütze bedeuten werden". 15 1958 untersuchte man eingehend die Hemmnisse, die einer zügigen Realisierung der Forschungs- und Entwicklungsresultate entgegenstanden. 16 Sie bestanden nach dem Geschäftsbericht für das Jahr 1959 in der Unterschätzung der Nullserienfertigung in den Gerätebetrieben, in einer ungenügenden Abstimmung zwischen Konstruktion, Fertigung und Abnahme der Fertigungsmuster, in der verspäteten Fertigstellung der Funktionsmuster, in nicht fristgerechter Auslieferung der Zeichnungen, im Nichtweitergeben der im Fertigungsmusterbau gewonnenen Erfahrungen an die Gerätebetriebsleitung, in unausgereiften Entwicklungen, in konstruktiven Veränderungen während der Nullserienfertigung, in der Überlastung in der Arbeitsvorbereitung, in der teilweise nicht termingemäßen Auslieferung der optischen Systeme sowie in Verzögerungen bei der Abnahme der Nullseriengeräte aufgrund des zeitlichen Zusammentreffens der Arbeiten am Monatsende. 17 In den folgenden Jahren nahm die Anzahl der Forschungs- und Entwicklungsthemen noch zu. Sie erhöhte sich von 494 im Jahre 1957 auf 557 im Jahre 1960 und konnte bis 1964 auf 419 Themen reduziert werden. In der gleichen Zeit nahm die Anzahl der abgeschlossenen Themen zu. Als ein Beleg für die bessere Beherrschung des Überleitungsprozesses kann der Rückgang der Nullserienkosten in der ersten Hälfte der sechziger Jahre genommen werden. Für Forschung und Entwicklung wurden von 1960 bis 1964 insgesamt 168,3 Millionen Mark verbraucht. 18

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BACZ Nr. 23046 (Niederschrift der Betriebsleitersitzung am 25. Februar 1958). BACZ Nr. 23046 (Niederschrift der Betriebsleitersitzung vom 5. Februar 1959). VA Nr. 1206-1207 (Geschäftsbericht 1959). Statistisches Jahrbuch 1965 des VE Β Carl Zeiss JENA, S. 2-3.

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Unter dem Einfluß der Strukturpolitik, die von der SED-Führung seit Anfang der sechziger Jahre verfolgt wurde, kam es zu einer stärkeren Konzentration des Forschungs- und Entwicklungspotenzials auf Schwerpunktthemen. Wie sich die Erzeugnisstruktur insgesamt und insbesondere auf dem Gerätegebiet zwischen 1950 und 1965 veränderte, zeigen die Angaben über die wichtigsten Erzeugnisgruppen in der Tabelle 25 im Tabellenanhang. In der wissenschaftlich-technischen Arbeit konzentrierte man sich in der ersten Hälfte der sechziger Jahre auf die Schaffung eines vollständigen Gerätesystems für die photogrammetrische Auswertetechnik, insbesondere auf die Automatisierung der Luftbildvermessung, auf die Entwicklung von optischen Meßsystemen für numerisch gesteuerte Werkzeugmaschinen, Verfahren und Einrichtungen zur Herstellung von Präzisions-Glasmaßstäben großer Längen und Baukasteneinheiten für die Datenverarbeitung, auf optische Analysenmeßgeräte, vornehmlich für die spektrochemische Direkt- und Röntgenfluoreszenzanalyse, sowie auf Kern- und Elektronenresonanzspektrometer, auf neue Laser-Bauelemente und auf die Laser-Anwendung im Gerätebau sowie auf Untersuchungen über den Einsatz von Rechenautomaten in Technologie und Konstruktion. Eine Sonderstellung kam den Entwicklungsarbeiten für die NVA zu. Das betraf 1965 die Staatsplanthemen IR-Nachtsichtgerät, Laser-Entfernungsmesser mittlerer Reichweite und Vertragsthemen. 1965 wurden im Zeiss-Werk 60 Staatsplanthemen bearbeitet, deren Ergebnisse gegenüber dem Staatssekretariat für Forschung und Technik zu vertreten waren. 19

Rontakte zu wissenschaftlichen Einrichtungen in der UdSSR Nach den Verhandlungen zwischen Walter Ulbricht und Nikita Sergewitsch Chruschtschow Ende Februar 1962 in Moskau vereinbarten beide Seiten, die wissenschaftlich-technischen Beziehungen zu erweitern. 20 Das führte seit Sommer 1962 zu einer Zunahme der Konsultationen zwischen sowjetischen Dienststellen, die mit dem optischen Präzisionsgerätebau befaßt waren, und der Zeiss-Werkleitung. Dabei ging es sowohl um den Austausch fachlicher Informationen als auch um die Vorbereitung arbeitsteiliger Prozesse. Am 18. Juni 1962 fand eine Besprechung zwischen Hugo Schrade, Paul Görlich, Rudolf Müller und dem führenden Mitarbeiter des sowjetischen Komitees für Verteidigungstechnik, Belajew, statt, in der ein bereits bestätigter Plan der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit und deren Perspektiven, aber auch Probleme der laufenden Fertigung eingehend erörtert wurden. Der Gast äußerte sich zunächst kritisch zu den Fortschritten auf gerätetechnischem Gebiet in seinem Land und bemerkte dazu: „Wir fürchten, daß wir anfangen nicht nur hinter dem Westen, sondern auch hinter

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VA Nr. 1397 (Industriezweiganalyse VEB Carl Zeiss Jena mit unterstellten Betrieben vom 15. Juli 1965). Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Chronik. Teil III. S. 782-783.

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dem Osten (Japan) zurückzubleiben." Belajew stellte auch fest, daß sowjetische Wissenschaftler zu vielen Fragen keine einheitliche Auffassung haben. So beklagte er das Zurückbleiben auf dem Gebiet der asphärischen Optik und das unzulängliche Sortiment an optischen Gläsern und Kristallen. Er erklärte, daß auf dem Gebiet der Faseroptik bis zum vergangenen Jahr in seinem Land überhaupt nichts getan wurde. Der Gast regte eine arbeitsteilige Zusammenarbeit an. Sodann ging Belajew auf die Lasertechnik ein. Obwohl er vermutete, daß über diese Innovation in den USA viel Reklame gemacht werde, hielt er das Befassen mit dieser Technik für außerordentlich wichtig. Schließlich sprach Belajew über den Stand der Bildmeßtechnik in den RGW-Staaten. Er räumte ein, daß in der UdSSR Stereokomparatoren und Entzerrungsgeräte immer noch nach den alten Zeiss-Zeichnungen gefertigt würden, und erkundigte sich nach den gegenwärtigen Plänen zur Bildmeßtechnik in Jena. Nach seiner Ansicht sollte das ZeissWerk im RGW alleiniger Hersteller von Bildmeßgeräten werden. Paul Görlich wies in der Diskussion verschiedentlich darauf hin, daß einige der angesprochenen Probleme die Forschungs- und Entwicklungskapazität des Zeiss-Werkes überfordern. Das betraf insbesondere die asphärische Optik, die vornehmlich in Akademie-Instituten bearbeitet wurde. Immer wieder ging Paul Görlich auf die beträchtlichen Rosten der von Belajew vorgebrachten Entwicklungsarbeiten ein, die sich nicht ohne weiteres amortisieren ließen. 21 Vom 19. bis 23. November 1962 reiste Hugo Schrade mit Zeiss-Mitarbeitern und in Begleitung von Außenhandelsfunktionären der DDR nach Moskau, um mit Vertretern verschiedener sowjetischer Institutionen über langfristig angelegte Lieferungen und die Präsentation des Zeiss-Werkes in der UdSSR zu verhandeln. Dabei spielte auch die Arbeitsteilung zwischen feinmechanisch-optischen Betrieben in der UdSSR und dem Zeiss-Werk eine Rolle. Die Verhandlungen liefen darauf hinaus, daß sich das Zeiss-Werk auf photogrammetrische und astronomische Geräte sowie auf Feinmeßgeräte für die Astronomie spezialisieren soll. Bei den einzelnen Gesprächen wurde deutlich, daß die Partner Erzeugnisse wünschten, die der internationalen wissenschaftlich-technischen Entwicklung besonders entsprachen und in der UdSSR noch nicht oder nicht in genügender Stückzahl gefertigt wurden. Dagegen war Hugo Schrade aber in erster Linie daran interessiert, Erzeugnisse, die bereits produziert wurden oder sich in der Entwicklung befanden, in der UdSSR zu verkaufen. 22 Vom 12. bis 24. Juni 1963 weilten Hugo Schrade und Kurt Büttner erneut zu Verhandlungen in Moskau. In einer Besprechung beim Komitee für Koordinierung, das für die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit zwischen der UdSSR und anderen Staaten zuständig war, wurde von sowjetischer Seite eine Unterstützung der Weltraumforschung durch das Zeiss-Werk angesprochen. Stepenko, ein maßgeblicher Mitarbeiter des Komitees, äußerte gegenüber Hugo Schrade: „Zeiss könnte

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VA Nr. 1156 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 18. Juni 1962). VA Nr. 1158 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 19. bis 23 November 1962).

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eine große Hilfe leisten." Um das zu konkretisieren, schlug Stepenko vor, die Zusammenarbeit in den Jahren 1960 bis 1965 in einem Plan festzuhalten. In der Abschlußbesprechung mit dem Stellvertretenden Ministerpräsidenten Lessetschko faßte Kurt Büttner die Hauptresultate der Gespräche zusammen. Er berichtete über 12 Spezialistengespräche und die verschiedenen Festlegungen. So hatte man sich darüber ausgetauscht, daß in den USA in der Feinmeßtechnik bereits dreidimensionale Meßgeräte angeboten werden, deren Herstellungskosten bei 200.000 bis 250.000 Rubel pro Stück liegen würden. An einem solchen Feinmeßgerät habe die sowjetische Flugzeugindustrie besonderes Interesse gezeigt. Die Zeiss-Vertreter erklärten sich zur Entwicklung eines dreidimensionalen Feinmeßgeräts bereit, vorausgesetzt, es komme zu einer entsprechenden Vereinbarung. Kurt Büttner bot auch die konkrete Mitarbeit in der Weltraumforschung an. 23 Mit Belajew wurde am 6. April 1964 über den Plan der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit in den Jahren 1964 und 1965 verhandelt. Gegenstand des entsprechenden Planes waren Photoapparate, Laser, Faseroptik und asphärische Optik.24

Neue Erzeugnisse Mikroskope Nur wenige Wochen nach der Demontage begannen die Rekonstruktionsarbeiten im Mikroskopbau. Bereits 1947 wurden die ersten Einzelobjektive, Okulare und Kondensoren gefertigt 1948 konnten Mikroskope vom Typ Stativ Lg, Phasenkontrasteinrichtungen und Standardkameras montiert werden. Im folgenden Jahr gingen Mikroskope vom Typ Stativ Lumipan Lp, Stereomikroskope PM XVI in die Fertigung. 25 Im Januar 1951 erläuterte Hans Harting in einem Expose für den Leiter des Zentralamtes für Forschung und Technik die Aufgaben, die auf dem Gebiet des Mikroskopbaus in den nächsten Jahren zu lösen waren. Dazu gehörte die „Schaffung eines neuen universellen Forschungsmikroskops". Den entsprechenden Forschungsantrag an das Zentralamt, das dazu die finanziellen Mittel bereitstellen mußte, hatte man bisher abgelehnt. Des Weiteren führte er Forschungsarbeiten zur Phasenkontrastmikroskopie sowie zur Ultrarotmikroskopie und zur Ultrarotspektromikroskopie an, die vor allem geleistet werden müßten. Sodann behandelte der Leiter der Wissenschaftlichen Hauptleitung die Arbeiten zur Spiegel- und Linsenoptik. Nachdem der Mikroskopbau bei Winkel-Göttingen dem Jenaer Einfluß entzogen war, hielt es Hans Harting für erforderlich, die Arbeiten zur Polarisationsmikroskopie sofort aufzunehmen. Damit das breite Aufgaben-

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VA Nr. 1159 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 19. bis 23 November 1962). VA Nr. 1161 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 6. April 1964). BACZ Nr. 23621 (Bericht vor dem Ministerkollegium am 27. Mai 1955. Zuarbeit Forschung und Entwicklung).

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spektrum bewältigt werden konnte, hatte er für die Einrichtung eines zweiten Mikroskop-Labors gesorgt.26 Die auf dem Gebiet des Mikroskop- und Elektronenmikroskopbaus tätigen Mitarbeiter vermochten durch Rekonstruktionsarbeiten, die sie mit partiellen Neuentwicklungen verbanden, in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre das Produktprogramm ständig zu erweitern. 1955 bot die Erzeugnisgruppe Mikroskopie insgesamt 23 Mikroskoparten und einzelne Elemente an. Die Erzeugnisgruppe Elektronenmikroskope brachte 1953 das Elektronenmikroskop Elmi C und 1955 Elmi D 2 heraus. 27 Um jedoch der aufstrebenden Ronkurrenz auf dem internationalen Markt begegnen zu können, wurde die Entwicklung einer neuen Mikroskop-Typenreihe in Angriff genommen. Es entstand die N-Reihe mit den Stativen Ng als Arbeitsmikroskop für alle Durchlichtuntersuchungen und das Forschungsmikroskop Nf, wahlweise für Reobachtungen im Auflicht oder Durchlicht. 28 Für Durchlicht standen die folgenden Objektivserien für 160 mm Tubuslänge zur Verfügung: Achromate, Apochromate, Planachromate, Phasenkontrastobjektive u. a., für Auflicht u. a. Planachromate °°/0 und °°/0 POL. Reide Geräte wurden 1958 als Neuheiten auf der Leipziger Frühjahrsmesse gezeigt.29 1 961 brachte das Zeiss-Werk das Universalforschungsmikroskop Nu heraus, das die Ingenieure Otto Jursch, Günther Herr und Werner Sebastian entwickelt hatten. Die Konstruktion beruht auf dem Gedanken, eine Vielzahl von Untersuchungsmethoden am gleichen Objekt zu ermöglichen. Das gelang durch die Auswechselbarkeit der Rauteile bei Erhalt der optischen und mechanischen Justierung und einer ausreichenden Anzahl geeigneter Lichtquellen. Das Nu war auf einem Spezialtisch angeordnet, mit dem sich Reobachtungen im durchfallenden Licht und auffallenden Licht sowie im kombinierten Auf-Durchlicht durchführen ließen. Im Falle des Auflichts standen die Reobachtungsmethoden Hellfeld, Dunkelfeld, Phasenkontrast, Fluoreszenz, Polarisation, Interferenz, Härteprüfung zur Verfügung.30 Außer den Mikroskop-Entwicklungen für einen breiten Anwenderkreis wurden auch Entwicklungen von Mikroskopen für spezielle Anwendungen aufgenommen. So wurden 1955 im Zeiss-Werk, dem damaligen Trend in der Kernforschung folgend, die Arbeiten an einem Kernspurmeßmikroskop begonnen. 31 Sie

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BACZ Nr. 23795 (Hans Harting: Vorschläge zum wissenschaftlichen Lenken und Ausbau des VEB Carl Zeiss Jena an den Leiter des Zentralamtes für Forschung und Technik in der Staatlichen Plankommission. 29. Januar 1951). BACZ Nr. 23621 (Bericht vor dem Ministerkollegium am 27. Mai 1955. Zuarbeit Forschung und Entwicklung); Eberhardt Hahn: Die elektronenoptischen Elemente des Elmi D2. In: Jenaer Jahrbuch 1955, Teil 1, S. 35-53. Ludwig Otto: Unsere neuen Mikroskope. In: Jenaer Rundschau 1958, S. 41-43. BACZ Nr. 23312 (Niederschrift der Vertriebsleiterbesprechung vom 8. Januar 1958). Joachim Bergner/Eberhard Gelbke/Ludwig Otto: Universalmikroskop Nu aus Jena. In: Jenaer Rundschau 1962, S. 3-6. Hermann Beyer: Mikroskop zur genauen und rationellen Vermessung von Kernspuren in Photoemulsionen. In: Jenaer Rundschau 1958, S. 135-139.

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erfolgten im engen Zusammenwirken mit Prof. Dr. Cosyns - Brüssel. Das erste Rernspurmeßmikroskop wurde Ende 1959 an das Vereinigte Institut für Kernforschung in Dubna bei Moskau ausgeliefert

Abb. 28 Entwicklungsgruppe am KernspurmeBmikroskop. Werner Sebastian im Hintergrund links

In der Entwicklung von Mikroskopobjektiven wurden die Möglichkeiten, die Großrechenanlagen boten, genutzt, um die Reihen der Achromate, Apochromate und Planachromate zu überarbeiten und zu verbessern. Außerdem wurde die Reihe der Planachromate für Auflicht und unbedeckte Objekte neu entwickelt Obgleich diese Objektive für das große Auflicht-Kameramikroskop Neophot 2 bestimmt waren, ließen sie sich auch bei anderen Auflichtstativen verwenden. 32 Für spezielle Anwendungen waren Objektive mit großem Arbeitsabstand erwünscht oder erforderlich. Für diese Zwecke, ζ. B. für Untersuchungen in Heiz-,

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Heinz Bernhardt: Neue Mikroskopobjektive. In: Jenaer Rundschau 1965, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 13-16.

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Kühl- und Vakuumkammern, wurde ein Spiegelobjektiv mit großem Arbeitsabstand entwickelt. 33 Aufgrund seiner besonderen Eigenschaften nahm dieses Objektiv eine Spitzenposition ein. Zusammen mit weiteren schwächeren Linsenobjektiven mit großem Arbeitsabstand gelang es mit dem Aufkommen der Laser im Zeiss-Werk sehr schnell, die erste Einrichtung für die Laser-Mikro-Spektralanalyse durch Kombination eines Mikroskops (Nf) und eines Spektrographen (Q 24) aus dem Bereich Analysenmeßtechnik mit nur wenigen Ergänzungsteilen zum Einsatz zu bringen. Die nachfolgende Konstruktion des Laser-Mikro-Spektralanalysators LMA 1 erfolgte in der Erzeugnisgruppe Mikroskopie. Der Vertrieb dieses Gerätes lag in den Händen der Erzeugnisgruppe Mess. In den fünfziger Jahren war eine Renaissance der UV-Mikroskope festzustellen, die Dr. August Köhler am Beginn des 20. Jahrhundert initiiert hatte. Sie dienten damals zur Erhöhung des mikroskopischen Auflösungsvermögens. Nun wurden sie vornehmlich für die Absorptionseigenschaften wichtiger Zellsubstanzen für die biologische und medizinische Forschung genutzt. Dazu diente das auf der Basis eines Nf-Stativs neu entwickelte UV-Mikroskop, das mit neuer Spiegeloptik vom Spiegellinsentyp ausgerüstet war.34

Abb. 29 Japaner am Zeiss-Forschungsmikroskop Nf auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1961

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Horst Riesenberg: Ein neues Mikroskop-Spiegelobjektiv mit großem Arbeitsabstand. In: Jenaer Rundschau 1964, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 15-14. Horst Riesenberg: Das Spiegelmikroskop und seine Anwendungen. In: Jenaer Jahrbuch 1956, S. 30-78; ders.: UV-Mikroskop mit Einrichtung für Photometrie. In Jenaer Rundschau 1965, S. 132-134.

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Mit der Entwicklung der Mikroskopinterferenzeinrichtung Interphako von Dr. Hermann Beyer und Günter Schöppe 35 konnten unterschiedliche Kontrastverfahren - Shearingverfahren, vom Phasenkontrastverfahren abgeleitetes Interphakoverfahren, Interferenzstreifenverfahren - sowohl qualitativ als auch quantitativ durchgeführt werden; sie wurde erstmals auf Basis des Nf-Stativs realisiert. Medizinische und ophthalmologische Geräte Die Fabrikationsgruppe Medizinische Geräte hatte bis zur Mitte der fünfziger Jahre neun rekonstruierte Geräte in ihr Fertigungsprogramm aufgenommen, darunter Kolposkope und Operationsmikroskope. Die ersten Operationsmikroskope, die speziell für die Otoskleroseoperationen entwickelt worden waren, gingen 1951 in die Fertigung. Die Grundkonzeption des Gerätes bot die Möglichkeit für die Weiterentwicklung zum Operationsmikroskop II. Um den wachsenden Forderungen der medizinischen Praxis zu entsprechen, wurde in den fünfziger Jahren das Kolposkop II, das seit 1953 hergestellt wurde, zum Kolposkop III ausgebildet.36 Die Erzeugnisgruppe Ophthalmologische Geräte führte 1955 wieder 33 Geräte in ihrem Fertigungsprogramm. 37 Darunter befanden sich die ersten Neuentwicklungen. Bei den Untersuchungsgeräten für den Augenhintergrund ist der Handaugenspiegel und das Handophthalmoskop zu nennen, deren Entwicklung 1951 bzw. 1952 abgeschlossen werden konnte. 1956 zeigte das Zeiss-Werk auf der Tagung der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft in Heidelberg das neu entwickelte Registrier-Adaptometer nach Hartinger, mit dem die Anpassung des Auges an verschiedene Lichtverhältnisse gemessen und registriert werden konnte. 38 Im gleichen Jahr wurden die Teilnehmer des OphthalmologenKongresses in Neapel mit der Netzhautkamera Retinophot bekannt gemacht. 39 Dieses Gerät, dessen Entwicklung 1951 begann und von dem 1957 das erste Muster verkauft wurde, ermöglichte Farbaufnahmen der Netzhaut des Auges bei kürzester Belichtungszeit. Es arbeitete mit einem Elektronenblitz. Die Serienfertigung begann 1959.40 1956 wurde auch die Entwicklung eines Handophthalmoskops für direkte und indirekte Refraktion abgeschlossen. 41

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Hermann Beyer/Günter Schöppe: Interferenzeinrichtung für Durchlichtmikroskope. In: Jenaer Rundschau 1965, S. 99-105. BACZ Nr. 23621 (Bericht vor dem Ministerkollegium am 27. Mai 1955. Zuarbeit Forschung und Entwicklung); Alfred Forster: Operationsmikroskop II und Kolposkop III auf Stativ III. In: Jenaer Rundschau 1961, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 70-71. BACZ Nr. 23621 (Bericht vor dem Ministerkollegium am 27. Mai 1955. Zuarbeit Forschung und Entwicklung). Ferdinand Fertsch: Registrier-Adaptometer nach Prof. Hartinger. In: Jenaer Rundschau 1957, S. 94; BACZ Nr. 13828 (Jahresbericht der Vertriebsabteilung Ophthalmo für 1956). Hugo Schrade: Neue Zeiss-Geräte für die Forschung. In: Die Wirtschaft. Messesonderausgabe für die Leipziger Messe vom 2.-11. März 1958. BACZ Nr. 13828 (Jahresbericht der Vertriebsabteilung Ophthalmo für 1956).

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Ende der vierziger/Anfang der fünfziger Jahre brachte das Zeiss-Werk die Spaltleuchtengeräte mit PM XVI bzw. mit SM XX auf den Markt. 1960 kamen die Diagnoseeinheit und der Rugel-Perimeter zur Gesichtsfeldmessung heraus. 1964 wurde für Augenkliniken der Lichtkoagulator LIRO fertiggestellt. Ungeachtet der Fortschritte, die in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre erzielt werden konnten, blieben die Leistungen des Zeiss-Werkes auf dem Gebiet der ophthalmologischen Geräte unbefriedigend. Das zeigte sich am 28. Juni 1961 in einer Besprechung der Werkleitung mit maßgeblichen Vertretern des Ministeriums für Gesundheitswesen. Dr. Burghardt vom Ministerium informierte über die ernste Lage auf dem Gebiet der Medizintechnik in der DDR und über ein entsprechendes Programm für Medizintechnik. Er bemängelte die langen Entwicklungszeiten und die ungenügende Konzentration der Kräfte auf einige Entwicklungen und beklagte, daß bereits entwickelte Geräte teilweise überhaupt nicht in die Produktion überführt worden seien. Prof. Dr. Velhagen konstatierte, daß das Zeiss-Werk von Firmen in der Schweiz, in den USA, in Großbritannien und Japan überholt wurde und das Monopol bei ophthalmologischen Geräten verloren habe. Als einen Hauptmangel betrachtete er die schlechte elektrische Ausstattung der Geräte. Hinsichtlich der Versorgung der Bevölkerung mit Brillen verwies Velhagen darauf, daß für 50 Prozent der Bedürftigen keine oder keine passenden Brillengläser verfügbar seien. Obendrein würden die Lieferzeiten für Brillengläser zunehmen. Dagegen wandte Rudolf Müller ein, daß das Zeiss-Werk seit 1945 45 neue medizinische oder ophthalmologische Geräte entwickelt habe. 42 Optische Analysenmeßgeräte 43 und Feinmeßgeräte Bis zur Mitte der fünfziger Jahre hatten die Mitarbeiter des Labors für Analysenmeßtechnik unter Leitung von Dr. Horst Lucas und das Entwicklungsbüro Geräte 1 unter Kurt Kratzsch für die Rekonstruktion einer relativ breiten Palette von optischen Analysenmeßgeräten gesorgt.44 1955 umfaßte das Jenaer Analysenmeßgerätesortiment insgesamt 29 Gerätetypen. 45 Darunter befanden sich das Flammenphotometer Flapho 3, das Laborinterferometer, das Schnellphotometer G II und der legendäre Quarzspektrograph Q 24, die im Gesundheitswesen und für den wirtschaftlichen Neubeginn dringend benötigt wurden. Die rekonstruierten Gerätekonstruktionen wiesen vielfach bemerkenswerte Verbesserungen auf. Im Auftrag der sowjetischen Besatzungsmacht wurden das Große Schlierengerät 300 und das Kleine Schlierengerät 80 zusätzlich und in kurzer Zeit entwickelt.46

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VA 1153 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 28. Juni 1961). Bei der Abfassung des Textes über die optischen Analysenmeßgeräte wurden die Autoren von Dipl.-Phys. Curt Schacke und Dipl.-Phys. Lothar Kramer beraten. BACZ Nr. 21038 (Unterlagen über die Erhebung zur Erfassung des Charakters der verschiedenen Abteilungen und ihre Stellung im Produktionsprozeß (Band I). November 1953). BACZ Nr. 23621 (Bericht vor dem Ministerkollegium am 27. Mai 1955. Zuarbeit Forschung und Entwicklung). Wolfgang Nebe: Zur Geschichte der analytischen Interferometer und Schlierengeräte im Zeisswerk Jena. In: Jenaer Jahrbuch zur Technik- und Industriegeschichte, 2003, S. 52-77.

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In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre wandten sich die Mitarbeiter des Entwicklungsbereichs Mess Neuentwicklungen zu. Dazu gehörten der Dreiprismenspektrograph, das Industriespektroskop 47 , das lichtelektrische Registrierphotometer LIREPHO 2 und vor allem das Ultrarot-Spektralphotometer UR 10, dessen Entwicklung im Herbst 1955 weitgehend abgeschlossen war.48 Das Gerät zeichnete sich durch hohe Genauigkeit, Automatisierung, einfache Bedienung und weitgehende Anpassungsfähigkeit an extreme Anforderungen aus. 49 Das UR 10 war das am weitesten automatisierte Gerät seiner Gattung in der Welt und entsprach weitgehend den Ansprüchen der Anwender in Forschung und Industrie. Dazu waren im Zeiss-Werk durch die Kristallzucht für die großen Prismen, die IR-durchlässigen Rüvettenfenster sowie die Herstellung und Prüfung leistungsfähiger thermischer Strahlungsempfänger 50 die technologischen Voraussetzungen geschaffen worden. 1957 ging das Gerät in die Serienfertigung und in den Export 51 Damit war es nicht nur gelungen, den Entwicklungsvorsprung konkurrierender Unternehmen in den USA und in Großbritannien aufzuholen, die sich auf optische Analysenmeßgeräte spezialisiert hatten, sondern auch das Embargo gegen die RGW-Staaten wirkungslos zu machen, das westliche Ronkurrenzfirmen auf Infrarot-Spektralphotometer gelegt hatten. Das UR 10 war von erheblichen Nutzen für verschiedene Industriezweige, insbesondere aber für die erdölverarbeitende Industrie. Für den Bau von Spektralgeräten gewannen Beugungsgitter eine wachsende Bedeutung. Sie waren neben Prismen die wichtigsten Bauelemente für die Zerlegung optischer Strahlung. Zur Gitterteilung bediente man sich einer Gitterteilmaschine. Die im Zeiss-Werk vor 1945 entwickelte Gitterteilmaschine wurde 1946 in die UdSSR verbracht. 1947 veranlaßte Horst Lucas den Aufbau einer neuen Gitterteilmaschine. Werner Bischoff und Hauptkonstrukteur Walter Richter schufen die Voraussetzungen, daß Mitarbeiter der Ronstruktionsversuchsabteilung 1 (RoVl) unter Leitung des Werkmeisters Fritz Weißenborn die Maschinenteile herstellen, montieren und den Optimierungsprozeß der neuen Beugungsgittermaschine vornehmen konnten. Ende 1951 begannen die Probeteilungen, und 1955 wurden auf einer Tagung in Weimar die ersten brauchbaren Gitter der Fachwelt vorgestellt Die Gitter wurden erstmals im Plangitterspektrographen PGS 2 eingesetzt Dieser erste in Deutschland industriell gefertigte 2m-Plangitterspektrograph PGS 2 wurde 1958 auf der Achema in Frankfurt am Main gezeigt 52

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Heinz Scheller: Ein neues Industriespektroskop. In: Jenaer Rundschau 1960. Sonderheft zur Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 40-43. BACZ Nr. 23048 (Brief Hans-Martin Bolz an Horst Lucas vom Oktober 1957). Hans-Martin Bolz: Ultrarot-Spektralphotometer UR 10 aus Jena. In: Jenaer Rundschau 1957, S. 4-10. Lothar Kramer: Die Messung der absoluten Gleichlichtempfindlichkeit, Wechsellichtempfindlichkeit und Zeitkonstanten thermischer Strahlungsempfänger. In Jenaer Jahrbuch, 1963, S. 77-92. BACZ Nr. 23048 (Schreiben des MsLab/ELab an Hugo Schrade vom 1. April 1957). Zeiss-Geräte aus Jena zur Achema 1958 Frankfurt /Main. In: Jenaer Rundschau 1958, S. 161.

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Abb. 30 Baugruppenmontage am Ultrarotspektralphotometer UR 10 1960

1955 erörterte man im Zeiss-Werk die weitere Entwicklung von Gitterteilmaschinen, denn mit der GTM I ließ sich der interne Bedarf des Betriebes nicht decken. Das Interesse richtete sich nun auf die Herstellung von Gittern hoher Qualität für die verschiedenen physikalisch-technischen Anwendungen. 1957 begannen im Schichtenlaboratorium die Arbeiten an einem Gitterkopierverfahren auf Epoxydharzbasis. Hubert Pohlack und Wilhelm Schmidt stellten 1959 die ersten Qualitätsgitter vor. Nach einer relativ kurzen Entwicklungszeit konnte 1965 die Vierfachgitterteilmaschine GTM II in Betrieb genommen werden. Um die Gitterteilmaschine und das Ropierverfahren in die Produktion zu überführen, wurden innerhalb der RoVl ein eigener Bereich zur Herstellung von Gittern geschaffen und die Anlagen für den Ropierprozeß eingerichtet. 1963 hatte das Zeiss-Werk mit dem Spektralkolimeter Spekol das zweite Gittergerät herausgebracht. Bis 1965 wurden 195 Gitter für den PGS 2, 65 Gitter für den Spiegelmonochromator, 45 Sondergitter, 1.350 Schulgitter und 3.500 Spekolgitter erzeugt. Ihr Wert belief sich auf 1,4 Millionen Mark - zum Industrieabgabepreis. 53 53

Peter Kröplin: Entwicklung und Fertigung mechanisch geteilter Beugungsgitter bei Carl Zeiss Jena. 1945 bis 1992. In: Jenaer Jahrbuch zur Technik- und Industriegeschichte 2000, S. 170-199.

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Seit 1965 nahm der Laser-MikroSpektralanalysator LMA 1 einen festen Platz in der spektro-chemischen Analytik ein. LMA 1 war das erste ZeissGerät, in dem ein Laser eingesetzt wurde. Anfangs nutzte man dazu den freischwingenden Nd:Glas-Laser (ZFL 750) mit Laserstäben aus dem Jenaer Schott-Werk. Der Laser war mit einem Forschungsmikroskop auf optischer Bank und einem Quarzspektrographen vom Typ Q 24, später auch mit dem Plangitterspektrograph PGS 2 kombiniert. Mit diesem Meßgerät, dessen Prinzip auf der Verdampfung der Probe mit einem Laser beruhte, wurde die spektrochemische Analyse mikroskopisch kleiner Probenbereiche vorgenommen. Das dabei entstehende Plasma wurde spektralanalytisch unterAbb. 31 Der Zeiss-Plangitterspektrograph sucht. Diese Untersuchungstechnik auf der ACH EMA in Frankfurt a. M. hatte den Vorteil, daß eine Probenvorbereitung entfiel, elektrisch leitende und nichtleitende Substanzen verwendet werden konnten, nur geringe Substanzmengen benötigt wurden und eine mikroskopische Vorauswahl des Probenortes erfolgen konnte. Beobachtung und Laserstrahlfokussierung erfolgten durch das gleiche Objektiv.54 In den sechziger Jahren wurde das Programm der optischen Analysenmeßgeräte durch Geräte der Hochfrequenzspektroskopie erweitert. Dazu gehörte das Rernresonanzspektrometer ZRR 60 und das auf paramagnetischer Elektronenresonanz beruhende Elektronenresonanzspektrometer ER 9. Das ZRR 60 war ein Protonenspektrometer, mit dem sich alle flüssigen oder gelösten Substanzen, die Protonen enthalten, analysieren ließen. Neben der Strukturanalyse, für die das hochauflösende Rernresonanzspektrum die meisten Aufschlüsse bot, konnte das Gerät zu qualitativen und quantitativen Analysen, zur Ronzentrationsbestimmung oder zur Bestimmung des Wassergehaltes, bei Reinheitsprüfungen in der organischen Industrie und Forschung, in der Erdöl- und Runststoffindustrie, in der Halbleiterindustrie, aber auch in anderen Bereichen eingesetzt werden. 55 1964 zeigte das Zeiss-Werk das ER 9 auf der Leipziger Frühjahrsmesse und im folgenden Jahr das ZRR 60.

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Horst Moenke/Lieselotte Moenke-Blankenburg: Lasermikrospektralanalyse. In: Jenaer Rundschau 1966, Heft 3, S. 166-171. Gustav Wanie: Hochauflösendes Rernresonanzspektrometer ZKR 60. In: Jenaer Rundschau 1966, S. 268-271.

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Die Erzeugnisgruppe Feinmess bot 1955 insgesamt 52 Typen von Feinmeßgeräten an. 56 Dazu gehörten das Universalmeßmikroskop, die Längenmeßmaschine und der Kleine Optische Teilkopf. Seit Mitte der fünfziger Jahre nahm die Entwicklung und der Bau von Feinmeß-Großgeräten sprunghaft zu.57 Die zunehmenden Tendenzen zur Rationalisierung und Automatisierung in der metallverarbeitenden Industrie bedingten in einem wachsenden Maße eine Feinmeßtechnik, die auf objektivierten Meßverfahren beruhte. Da aber die elektronischen Bauelemente für derartige Meßgeräte noch nicht die gleiche Gewähr für die Betriebssicherheit und Arbeitsgenauigkeit boten, die mit subjektiven Meßmethoden erzielt werden konnten, standen verschiedene Wissenschaftler und Konstrukteure des Zeiss-Werkes der Integration der Elektronik in die Feinmeßtechnik noch abwartend gegenüber. Die Erzeugnisgruppe folgte den auf feinmeßtechnischem Gebiet eingeschlagenen Entwicklungslinien, die in Universalität, Werkstatteinsatz und Baukastenprinzip bestanden. Das zeigten die auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1960 vorgestellten Neuheiten, insbesondere die neue Universal-Längenmeßmaschine. 58 Abb. 32 Dr. Erasmus Hultzsch. Langjähriger Entwickler von ZahnradmeßSie ermöglichte, an einem Gerät Innengeräten Oktober 1956 und Außenmessungen mit körperlicher Antastung, Steigungsmessungen an Leitspindeln, Teilungsmessungen an Maßstäben mit mechanischer und optischer Anvisierung durchzuführen. Auf einige der über 30 Feinmeßgeräte, die in den sechziger Jahren im Zeiss-Werk weiterentwickelt wurden oder neu entstanden, soll besonders verwiesen werden. 1960 brachte das Jenaer Werk die stark verbesserte Universal-Längenmeßmaschine heraus. Sie wurde den gestiegenen Forderungen der Industrie bezüglich Genauigkeit und Anwendungsmöglichkeit gerecht. 1963 kam das Projektions-

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BACZ Nr. 23621 (Bericht vor dem Ministerkollegium am 27. Mai 1955. Zuarbeit Forschung und Entwicklung). Rudolf Jobst: VEB Carl Zeiss Jena. Neue Zeiss-Geräte auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1959. In: Jenaer Rundschau 1959, S. 2-6; Bernhard Meier: Geschichte und Entwicklung technischer Feinmeßgeräte bei Carl Zeiss Jena, 2. Teil: 1947 bis 1967. In: Jenaer Rundschau 1967, S. 279-282. Heinz Zill: Die Universal-Längenmeßmaschine. In: Jenaer Rundschau 1960, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 50-51.

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werkzeugmikroskop, dem eine neue Konzeption zugrunde lag, auf den Markt. Unter Beibehaltung bewährter Meßbereiche nutzte man alle konstruktiven Möglichkeiten für bequemes und sicheres Arbeiten. 1964 zeigte das Zeiss-Werk den Optischen Teilkopf Ρ 3, der ebenfalls den gewachsenen Forderungen der Industrie entsprach. Die nun auf einem Projektionsschirm angezeigten Winkelwerte ermöglichte ermüdungsfreies Arbeiten. Der Teilkopf, der sich durch Robustheit und Genauigkeit auszeichnete, war ein Spitzengerät seiner Klasse. 1965 zeigte das Zeiss-Werk das Tastschnittgerät ME 10, ebenfalls ein Spitzenprodukt, mit dem sich Messungen gegen eine exakte Gradführung oder gegen eine Kurve, die beim Abfahren der Oberfläche mit einer Kufe erzeugt wird, durchführen ließen. Dieses Gerät erfaßte Welligkeit, Rauheit sowie Formfehler, wenn sie Abweichungen von einer Geraden sind, trennte die einzelnen Fehlerteile und ermittelte die Maße der Gestaltabweichung elektronisch. Vorzüge des Geräts waren ferner die 100 mm Länge der Fremdführung für das Freitastsystem, die wählbare Größe und Lage der Bezugsstrecke innerhalb der Meßstrecke, die 0 bis 100 mm betrug, sowie die austauschbaren Kufen. Photogrammetrische Geräte 59 und Vermessungsgeräte In den ersten Nachkriegsjahren war aufgrund der alliierten Bestimmungen das Beschäftigen mit der Luftfahrttechnik in Deutschland verboten. Das betraf auch die Photogrammetrie. Die SMAD achtete darauf, daß dieses Verbot befolgt wurde. Im Laufe des Jahres 1949 wurde es möglich, Arbeiten auf diesem Bereich wieder vorzubereiten. Im Herbst 1949 übernahm der 67jährige Dr.-Ing. Franz Manek auf Wunsch von Hugo Schrade den Aufbau des Bildmeßlaboratoriums.60 Der zunächst kleine Mitarbeiterkreis befaßte sich mit diesem Fachgebiet vorerst rezeptiv. Wegen des dringenden Bedarfs an photogrammetrischen Geräten in der Bauwirtschaft und im Braunkohlenbergbau Ostdeutschlands ließen die Besatzungsbehörden zu, daß für diese Zwecke ein terrestrisch-photogrammetrisches Gerätesystem im Zeiss-Werk entwickelt und produziert werden konnte. Am 29. Januar 1951 stellt Hans Harting in seinem Εχροβέ an den Leiter des Zentralamtes für Forschung und Technik fest: „Die Herstellung von Luftbildmeß-Geräten ist zur Zeit noch verboten. Es scheinen aber keine Bedenken seitens der Besatzungsmacht mehr zu bestehen. Deshalb ist dringend geboten, der Forschung auf diesem Spezialgebiet möglichst bald freie Bahn zu schaffen, so daß bereits in den ersten Jahren des Fünflahrplanes damit begonnen werden kann."61

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Bei der Abfassung des Textes über die photogrammetrischen Geräte wurden die Verfasser von Dipl.-Ing. Horst H. Schöler beraten. Horst H. Schöler: Otto von Gruber - ein bedeutender Geodät und Wegbereiter der Photogrammetrie. In: Jenaer Jahrbuch zur Technik- und Industriegeschichte 2003, S. 37. BACZ Nr. 23795 (Hans Harting: Vorschläge zum wissenschaftlichen Lenken und Ausbau des VE Β Carl Zeiss Jena an den Leiter des Zentralamtes für Forschung und Technik in der Staatlichen Plankommission. 29. Januar 1951).

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Abb. 33 Dr.-Ing. e. h. Franz Manek 1963

Bis zur Mitte der fünfziger Jahre hatten die Alliierten ihre Rontrollen weitgehend aufgegeben, so daß es möglich wurde, die Fertigung eines breiteren Gerätesortiments für den Binnenbedarf und den Export in Angriff zu nehmen. Das waren vornehmlich Gerätetypen aus der Vorkriegszeit, die zum Teil leicht verändert wurden. Am Ende der fünfziger Jahre konnte die Erzeugnisgruppe Bildmess den Phototheodoliten PhoTheo 19/1318, den Stereokomparator Steko 1818, das terrestrische Stereokartiergerät Stereoautograph, das Entzerrungsgerät SEG I, die Aerostereokartiergeräte Multiplex und Stereoplanigraph anbieten. 62 Damit war der Stand, den die Firma Zeiss-Aerotopograph Jena vor dem Zweiten Weltkrieg hatte, wieder erreicht. Im Verlauf dieses Rekonstruktionsprozesses entstand auf diesem anspruchsvollem Arbeitsgebiet im Zeiss-Werk ein Team kreativer Fachleute. Da Ronkurrenzfirmen seit Rriegsende neue photogrammetrische Geräte anboten, stand man in Jena vor der Aufgabe, neue Geräte zu entwickeln, die es dem Runden erlaubten, sie mit Geräten anderer Unternehmen zu kombinieren. Mit diesem Ziel schufen Henry Guldbrandsen und Horst Schöler Ende der fünfziger

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PhoTheo 19/1318 und Steko 1818: Entwurf Franz Manek; Otto Weibrecht: Die terrestrische photogrammetrische Aufnahme mit dem Phototheodolit 19/1318. In: Kompendium Photogrammetrie, Band I; Rekonstruktion SEG I: Otto Weibrecht; Erich Wolf: Die Arbeit mit dem Multiplex. Kompendium Photogrammetrie. Band II; Rekonstruktion Stereoplanigraph: Otto Hofmann/Horst Schöler.

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Jahre den Stereometrograph, dessen Kernstück die Einführung einer elektrischen Welle zur Übertragung von Bewegungen und Meßwerten war.63 Damit trat die Elektromechanik als gleichwertiges Element neben die Mechanik und Optik und ermöglichte einen völlig geschlossenen Geräteaufbau und den Anschluß automatischer Registrier- und Rechengeräte mit der Bezeichnung Coordimeter.64 Der Stereometrograph war das erste Gerät einer neuen Generation. In den frühen sechziger Jahren fanden im Rahmen des RGW im Jenaer ZeissWerk zwei Symposien statt, an denen auch Jenaer Fachleute teilnahmen. In diesen Zusammenkünften wurden die zukünftigen Arbeiten auf dem Gebiet der photogrammetrischen Geräte erörtert. Im Ergebnis dieser Beratungen übernahm Jena die Aufgabe, ein Auswertungsgerät für Orginalmeßbilder zu entwickeln, das es ermöglichte, universelle Luftbilder vom Schmalwinkeltyp (Öffnungswinkel 56°) bis zum Super-Überweitwinkeltyp (Öffnungswinkel 137°) auszuwerten. Dazu wurden die Arbeiten 1961 aufgenommen. Nach dem Stand der Technik bot sich zur Lösung der vorgelegten Aufgaben der Ersatz der optisch-mechanischen, bzw. rein mechanischen Analogrechner des Stereoplanigraphen oder des Stereometrographen durch einen digitalen elektronischen Prozeßrechner auf der Basis der im Zeiss-Werk in Entwicklung befindlichen ZRA-Computer an. Mit einem solchen Projekt konnte aber der gesteckte Terminplan nicht realisiert werden, so daß zunächst nach einer Analoglösung gesucht werden mußte. Es ergaben sich schließlich vier Varianten. Davon basierten zwei auf der kongruenten Wiederherstellung der Aufnahmestrahlenbündel, die zur Erweiterung des Stereometrographen und zur Neuentwicklung des Topocart führten, womit die Auswertung von Luftbildern bis zu einem Öffnungswinkel von 122° möglich wurde. Die weiteren beiden Lösungen basierten auf der „Theorie der umgeformten Strahlenbündel". 63 Die Dezentrierung der Meßbilder während der Auswertung funktionierte ebenfalls nur bis zum Öffnungswinkel von 122°. Voll zielführend war der Entwurf des Stereotrigomat, der in einer kleinen Stückzahl gefertigt worden ist, aber vor allem als Experimentiergerät von großer Bedeutung für die weitere Geräteentwicklung war.66 Die auf seiner Basis entstandenen neuartigen Methoden der Differentialentzerrung und Bildkorrelation führten zu mehreren Zusatzeinrichtungen, die infolge des modularen Aufbaus des Stereotrigomat und besonders dank des gleichartigen Aufbaus der Betrachtungsoptik des Topocart auch auf dieses Gerät problemlos übertragen werden. So entstand die sehr erfolgreiche Gerätekombination Topocart/Orthophot und der Topomat, mit denen handgesteuert und auch nahezu vollautomatisch Orthophotkarten sowie Signaturenkarten hergestellt werden konnten.

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Henry Guldbrandsen/Horst Schöler: DDR-Patente 45517, 17225, 1958. Otto Hofmann: Das Coordimeter. In: Kompendium Photogrammetrie, Band IV. Horst Schöler: Die Theorie der umgeformten Strahlenbündel und ihre praktische Anwendung im Stereometrographen a u s Jena. In: Kompendium Photogrammetrie, Band VII. Horst Schöler: Über den Aufbau eines universellen Kartierungssystemes Stereotrigomat. In: Kompendium Photogrammetrie, Band VIII.

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Abb. 34 Entwickler des Stereotrigomat Dr.-Ing. Otto Weibrecht, Dipl.-Ing. Horst Schöler, Dipl.-Ing. Wilfried Müller (stehend) und Dipl.-Ing. Alexander Heyroth (v. 1. n. r.) 1965

Auch die großen Präzisionskoordinatographen der Cartimatreihe waren Abkömmlinge des Stereomat. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre stand aus der Zeiss-Entwicklung der Bildmess-Rechner zur Verfügung, der den Analogrechner des Stereotrigomat ersetzte und der so zum Analytischen Auswertegerät Stereodicomat wurde. Diese Arbeiten kamen aber ins Stocken, als die Entwicklung und der Bau von Computern im Zeiss-Werk aufgegeben wurden. Voraussetzung für die Schaffung eines Analytischen Auswertegeräts ergaben sich erst wieder Anfang der achtziger Jahre. Das Ergebnis war dann der Dicomat. Für die Messung von Bildkoordinaten in überdeckten Luftbildern wurden Stereokomparatoren genutzt. In Jena entstand das Stecometer, das vornehmlich für die Aerophotogrammetrie ausgelegt war.67 Die Meßergebnisse wurden auf computerkompatiblen Datenträgern ausgegeben. Nach der Fertigstellung des Analytischen Auswertegerätes wurde das Stecometer durch die Meßeinrichtungen des Discomat unter der Bezeichnung Dicometer abgelöst. 68 1953 hatte Horst Schöler bereits eine Studie über neue Luftaufnahmegeräte vorgelegt.69 Um aber derartige Geräte bauen zu können, fehlten in Jena bis in die sechziger Jahre hinein die fertigungstechnischen Voraussetzungen. Erst Anfang 67

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Otto Weibrecht: Das Stecometer mit automatischer Registriereinrichtung. In: Kompendium Photogrammetrie, Band VII. Rolf-Peter Mark: Α universal algoritm for the real-time process of an Analytical Plotter. In: Kompendium Photogrammetrie, Band XIX. Horst Schöler: Zur Frage des Bildwanderungsausgleiches bei Reihenmesskammern. In: Vermessungstechnik, 1953, Heft 1, S. 8

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der sechziger Jahre entstand ein spezielles Meßlaboratorium. Die Meßund Prüfmittel wurden nach eigenen Konstruktionen im Zeiss Werk angefertigt. Die von den Mitarbeitern des Bereiches für photographische Aufnahmeoptik entwickelten Hochleistungsobjektive Pinatar, Lametar, Lamegon und Super-Lamegon ermöglichten den Bau der Typenreihe der MRB-Luftbildkammern. 70 Da die Luftbildaufnahme inzwischen im elektromagnetischen Spektrum ein Gebiet vom panchromatischen Bereich bis hin zum nahen Infrarot nutzte, kam es zur Serie der PI-Objektive, die diesen Abschnitt ohne Fokusdifferenz erfassen. Die Jenaer Bildmeßfachleute waren daran interessiert, die neuen Luftbild- Abb. 35 Langjähriger Laborleiter für Vermessungsgeräte Erhard Grödel. kammern für das Bildformat 23 cm χ Dezember 1954 23 cm zu konzipieren, das in den westlichen Ländern üblich war. Das war zunächst nicht möglich, weil die unter sowjetischer Führung stehende Arbeitsgruppe Photogrammetrische Technik des RGW auf dem Bildformat 18 cm χ 18 cm beharrte. In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre wurden die Vermessungsgeräte zügig rekonstruiert. Mitte des Jahrzehnts bestand das Fertigungsprogramm dieser Erzeugnisgruppe aus 13 Gerätetypen.71 Anfang der sechziger Jahre wurden mehrere Neuentwicklungen abgeschlossen und auf den Markt gebracht. 72 Dazu gehörten die Rompensator-Nivelliere Roni 007 und Ni 025, das Basis-ReduktionsTachymeter BRT 006 und der Theodolit 120, mit dem die neue Theodoliten-Reihe abgeschlossen werden konnte. 73 In ihrem Jahresbericht für 1959 stellte die Vertriebsabteilung fest: „Auf dem geodätischen Gebiet können wir der vergleichbaren Konkurrenz fast hundertprozentig standhalten."74

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Horst Schöler/Hermann Schrumpf: DDR-Gebrauchsmuster 8544, 1959; Horst Schöler: Die Luftbildmesskammer MRB 21/1818 mit Hochleistungsobjektive Pinatar 4/210 - ein neues Luftbildaufnahmegerät aus dem VEB Carl Zeiss JENA. In: Vermessungstechnik 1960, Heft 2, S. 27. BACZ Nr. 23621 (Bericht vor dem Ministerkollegium am 27. Mai 1955. Zuarbeit Forschung und Entwicklung). BACZ Nr. S 177 (alt) (Jahresbericht der Vertriebsdirektion für das Jahr 1959). Ulrich Schmidt: Das Kompensator-Nivellier „Koni 007". In: Jenaer Rundschau 1960, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 58; Erhard Grödel: Der Theodolit 120 aus Jena. In: Jenaer Rundschau 1961, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 46-51; Horst Jochmann: Der Meridiansucher, ein Zusatzinstrument zum Theo 020, ebenda S. 51-55; Heinz Richter: BasisReduktionstachymeter 006 ebenda, S. 54-55 BACZ Nr. S 177 (alt) (Jahresbericht der Vertriebsdirektion für das Jahr 1959); 75 Jahre ZeissJena-Vermessungsgeräte. Beilage der Jenaer Rundschau 1983, Η. 1.

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Astronomische Geräte und Planetarien 73 Nach der Demontage nahm unter Leitung von Walter Richter eine kleine Gruppe von Konstrukteuren, die auf diesem Gebiet Erfahrungen hatte, die Rekonstruktion bewährter astronomischer Geräte auf. Zu ihnen stießen Konstrukteure aus anderen Fachgebieten, darunter Paul Luthardt und Helmut Böhme. 1948 kehrte der erfahrene Astronom und Zeiss-Konstrukteur Alfred Jensch aus der Kriegsgefangenschaft in das Zeiss-Werk zurück und konnte maßgeblich an der Konzeption für ein 2-m-Teleskop mitwirken, das Prof. Dr. Hans Kienle, Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums in Potsdam, 1948 angeregt hatte. Auf Zuarbeiten von Alfred Jensch gestützt, legte Hans Kienle 1949 eine Denkschrift zu diesem Projekt vor. Das war der Beginn einer entscheidenden Phase der Entwicklung der Astrogerätetechnik in Jena, in der zugleich an weiteren AstroGroßgeräten gearbeitet wurde. Dazu gehörten das Rohr und die Optik für das komafreie Spiegelteleskop 800/1200/2400, das für die Hamburger Sternwarte entwickelt und gebaut wurde. Das Forschungsinstrument zählte wegen seiner optischen und mechanischen Leistungen sowie seines Bedienungskomforts zu den astronomischen Spitzengeräten der Welt. Es war zugleich das größte Teleskop seiner Art außerhalb Amerikas und wurde im Juli 1955 offiziell eingeweiht. Dank der Weitsicht der Werkleitung unter Hugo Schrade übernahm das ZeissWerk die Ausführung des 2-m-Teleskops. Es war zugleich das größte Vorhaben, das man bisher in Jena in Angriff genommen hatte. Um das Teleskop zu entwickeln und zu fertigen, waren erhebliche Aufwendungen erforderlich, denn es stellte nicht nur an die Organisation der Entwicklungsarbeiten völlig neue Anforderungen, sondern bedingte vor allem die entsprechenden Fertigungs-, Meß- und Prüfmittel. Dazu gehörten neben den notwendigen Baulichkeiten im Südwerk u. a. die 2-m-Verspiegelungsanlage, die Hochgenauigkeits-Schneckenrad-Schneidmaschine, die 4-m-Karussel-Drehbank. Die Fertigungsmittel mußten im Zeiss-Werk konstruiert und gebaut werden. Unter der Federführung von Alfred Jensch wurde nach der Konzeption von Hans Kienle in mehrjähriger Arbeit ein neuartiges universelles Teleskop mit vier verschiedenen Anordnungen geschaffen und so angelegt, daß es sich leicht von einem zum anderen optischen System umbauen ließ. Jedes System hatte die gleiche Qualität wie ein Spezialteleskop. Hinsichtlich seiner Abmessungen gehörte es in die kleine Spitzengruppe astronomischer Großgeräte. Das Teleskop zeichnete sich durch ungewöhnliche Eigenschaften aus. Besonders hervorzuheben sind die neuartigen Lösungen für den gesamten mechanischen Aufbau und die vier optischen Systeme aus dem Glaswerkstoff ZK 7. Die Kombination von vier optischen Systemen war zu dieser Zeit im Teleskopbau einmalig. Die SchmidtVariante mit einem Korrektionsplattendurchmesser von 1,34 m war noch Ende der achtziger Jahre die größte Schmidt-Kamera der Welt. Als Standort für dieses Universalteleskop, bei dem alle zu Gebote stehenden Möglichkeiten an tech75

Dipl. Astronom Hans G. Beck hat die Verfasser bei der Abfassung der Passagen über die Astronomischen Geräte und die Planetarien beraten.

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nischer Vollkommenheit und Anwendungskomfort für die einzelnen Spezialgebiete genutzt wurden, wurde der Tautenburger Forst bei Jena gewählt. Am 19. Oktober 1960 wurde das Teleskop seiner Bestimmung übergeben. 76

Abb. 36 Teilnehmer der Internationalen Astronomentagung in Jena besichtigen den Hauptspiegel des 2-m-Universal-Spiegel-Teleskopes. Professoren Hoffmeister, Kienle, Görlich, Konstrukteur Alfred Jensch, Dipl.-Astronom Hans Beck u. a.

In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre fertigte das Zeiss-Werk die SchmidtSpiegelteleskope 600/900/1800 für die VR China, die DDR, die VR Ungarn sowie für die VR Polen. In dieser Zeit beinhaltete das Lieferprogramm des Zeiss-Werkes auch Geräte zur Auswertung des photographischen Beobachtungsmaterials. Die Fortschritte im Astro-Gerätebau in den USA und insbesondere die Entwicklung der Weltraumtechnik förderte das öffentliche Interesse an der Astronomie und veranlaßte in vielen Ländern staatliche Stellen, erhebliche finanzielle Mittel für die Errichtung neuer und die Modernisierung bestehender astronomischer Einrichtungen bereitzustellen. Das erlaubte den Astronomen den Erwerb von

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VA Nr. 5751 „Weltnovitäten" des optischen Präzisionsgerätebaus 1868-1978. Hugo Schrade: Ansprache anläDlich der feierlichen Bestimmungsübergabe des 2-m-Universalspiegelteleskops am 19. Oktober 1960. In: Jenaer Rundschau 1961, S. 22-25; Hans HafTner: Fünf Jahre 120-cm-Schmidtspiegel in Bergedorf. In: Jenaer Rundschau 1960, S. 199-202; Hans G. Beck: Meine Erinnerungen an Alfred Jensch und unsere gemeinsame Zeit (Typoskript), S. 7; Hans G. Beck: Aus der Geschichte der Astro-Abteilung (Typoskript), S. 6-7; Peter Köhler/Dietrich Gutcke/Hans Joachim Teske: 90 Jahre Teleskopbau in Jena. In: Jenaer Rundschau 1987, S. 189-192.

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technischen Ausrüstungen. Dafür war das Zeiss-Werk in Jena eine der ersten Adressen, denn die Mitarbeiter der Abteilung Astrogeräte und Planetarien trugen den Tendenzen im internationalen Astro-Gerätebau Rechnung. Sie zeigten sich in der Steigerung der Leistungsfähigkeit der Beobachtungsgeräte, in einer besseren technischen und elektrotechnisch-elektronischen Gestaltung und im Übergang zur Automatisierung mit dem Ziel, bei gleicher Beobachtungs- und Auswertungszeit den Informationsumfang zu vergrößern. Im Gefolge der strukturellen Veränderungen im Forschungs- und Entwicklungsbereich war es am Beginn der sechziger Jahre zum Zusammenschluß des Astro-Labors mit dem einschlägigen Konstruktionsbüro gekommen. Der Astronom Hans Beck, der seit 1958 das Astro-Labor leitete, übernahm 1961 die Führung des neuen Abschnitts. Alfred Jensch stand dem Astro-Ronstruktionsbüro vor. Auf Wunsch von aserbaidshanischen und tschechoslowakischen Astronomen und in enger Zusammenarbeit mit ihnen entstand in der ersten Hälfte der sechziger Jahre die Konzeption eines neuartigen 2-m-Primär-Cassegrain-Coude-Spiegelteleskops. Am 21. September 1966 konnte den Mitarbeitern der Aserbaidschanischen Akademie der Wissenschaften das Observatorium in Schemacha bei Baku übergeben werden. Es bestand aus dem 2-m-Primär-Cassegrain-Coud6Spiegelteleskop, das sich durch die Stützmontierung auszeichnete, die Alfred Jensch eigens dafür neu konstruiert hatte und die die Vorzüge der englischen Montierung mit den Vorteilen der Gabelmontierung verband. Ferner wurde die komplette Ausrüstung mit Photometer, Spektrographen und der lückenlosen Reihe von Auswertegeräten geliefert. Dazu gehörten u. a. ein Blink- und Stereokomparator, ein Stereometrograph, das Koordinatenmeßgerät ASCORECORD von höchster Präzision mit automatischer Registrierung und gleichzeitiger digitaler Großanzeige der Koordinaten. Das nach Vorgaben von Hans Beck entwickelte ASCORECORD war 1964 erstmals der Fachwelt vorgestellt worden. Dr. Manfred Steinbach, der von der Technischen Hochschule Ilmenau ins Zeiss-Werk kam, konstruierte im Rahmen der Astro-Abteilung das Satellitenbeobachtungsgerät. Am 23. August 1967 wurde im Observatorium der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften in Ondrejov bei Prag die 2-m-Spiegelteleskopanlage in Betrieb genommen. 77 Mit dem 2-m-Spiegelteleskop und der Auswahl an Zusatz- und Auswertegeräten lieferte das Jenaer Zeiss-Werk ein voll arbeitsfähiges astrophysikalisches Institut. Das Astro-Geräteprogramm des Zeiss-Werkes war die Grundlage für den Aufbau eines astronomischen Beobachtungssystems in den Ostblockstaaten. 78

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Alfred Jensch: Eine neue 2-m-Spiegelteleskop-Anlage aus Jena: In Jenaer Rundschau 1966, S. 196-200; ders.: 70 Jahre Abteilung für Astrogeräte. 2. Teil: 1947 bis 1967. Der neue Start. In: Jenaer Rundschau 1967, S. 171-176; Hans Beck: 13. Generalversammlung der Internationalen Astronomischen Union. In: Jenaer Rundschau 1968, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 100-102; Hans G. Beck: Meine Erinnerungen an Alfred Jensch und unsere gemeinsame Zeit (Typoskript). BACZ Nr. 17690 (Rechenschaftsbericht der Wissenschaftlichen Hauptleitung für 1951).

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Durch die Entwicklung von Typenreihen und die laufende technische Vervollkommnung der Geräte trugen die auf diesem Gebiet tätigen Mitarbeiter wesentlich zum kommerziellen Erfolg der Erzeugnisgruppe Astrogeräte bei. Neben den astronomischen Geräten spielten die Planetarien eine maßgebliche Rolle für das internationale Ansehen des Jenaer Zeiss-Werkes. Die Planetarien, die nach der Demontage in Jena gebaut wurden, wiesen technische Neuerungen auf, die den Bedienungskomfort erhöhten und mit neuen Zusatzeinrichtungen versehen waren. Die ersten Großplanetarien wurden nach Stalingrad (Wolgograd), Peking, Kattowitz (Charzow) und Calcutta geliefert. Später baute das Jenaer Zeiss-Werk Planetarien in Prag, Colombo, Cairo, Diakarta, Bogota und Riga. Gerhard Vogel, der Jenaer Planetariums-Konstrukteur, schuf gemeinsam mit Stephan Härtung das erste Planetarium mit automatischer Steuerung. Die Kleinbildkamera Werra 79 Im Spätherbst 1955 beauftragte das Ministerium für Maschinenbau die ZeissWerkleitung, im Rahmen des Neuen Kurses in der Wirtschaftspolitik der SED eine Kleinbildkamera für Amateurphotographen zu entwickeln und in Großserie zu produzieren. Die ministerielle Vorgabe verlangte einen Apparat, der den Ansprüchen einer modernen Kleinbildkamera entspricht und den Werksabgabepreis von 100 Mark nicht überschreitet. Unter der Federführung von Rudolf Müller begannen Mitte Februar 1954 die Entwurfsarbeiten. Bis Mitte September 1954 waren alle Voraussetzungen für den Produktionsbeginn geschaffen worden. Auf der Leipziger Herbstmesse 1954 wurde das neue Zeiss-Erzeugnis vorgestellt und gleichzeitig in der internationalen Fachpresse beworben. Die Kleinbildkamera wurde am 3. Mai 1954 in das Warenzeichenregister der DDR unter der Bezeichnung „Werra" eingetragen. Für die Großserienfertigung hatte man das Außenwerk in Eisfeld, das seit Februar 1952 zum VEB Carl Zeiss gehörte, ins Auge gefaßt, in dem dafür die produktionstechnischen Bedingungen geschaffen wurden. Im Januar 1955 begann in diesem Werk die Fertigung der Apparate. Während der Serienproduktion hatte sich gezeigt, daß die Werra konstruktiv noch nicht ausgereift war, so daß 1954/1955 insgesamt sechs konstruktive Veränderungen, u. a. am Gehäuse und am Filmtransport, erforderlich wurden. Da aber inzwischen mangelhafte Apparate ausgeliefert worden waren, kam es zu umfangreichen Reklamationen. 1955 mußten 10.000 Apparate, die in die CSR geliefert worden waren, zurückgenommen werden. Dazu vermerkt die Vertriebsdirektion in ihrem Bericht für das Jahr 1955: „Einen sehr schweren Verlust an Ansehen im Ausland haben wir uns durch die Freigabe der noch nicht exportreifen Werra zugezogen, dessen Bedeutung

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Ausbruch aus Not und Enge. Zur Geschichte des VEB Carl Zeiss JENA Betrieb Eisfeld. Hrg. Betriebsparteiorganisation der SED, Berlin 1978, S. 38-40; Hartmut Thiele: Werra: Die Geschichte einer Kamera von Carl Zeiss Jena. Privatdruck München 2002.

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nicht unterschätzt werden darf. Die verfrühte Ankündigung dieser Kamera in der photographischen Fachpresse überall in der Welt und die durchgeführten Lieferungen haben eine katastrophale Wirkung gezeigt."80 Nachdem die Rinderkrankheiten beseitigt waren, konzentrierte man sich in Eisfeld auf die Optimierung des Fertigungsprozesses und auf den Aufbau einer Werra-Modellserie, die auf insgesamt 22 Modelle anwuchs, deren Leistungsvermögen stetig erweitert wurde. Mitte der sechziger Jahre zeigte sich, daß künftig auf diesem Geschäftsfeld keine positiven Ergebnisse zu erwarten sind. Zur gleichen Zeit suchte man in Jena nach Möglichkeiten, die Produktion von optischen Präzisionsgeräten zu

Abb. 37 Kleinbildkamera Werra 1954

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BACZ Nr. S 48 (alt) (Jahresbericht der Vertriebsdirektion für 1955).

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erweitern. Dafür bot sich das Eisfelder Werk an. Aus diesen Gründen entschied die Werkleitung, die Werra-Produktion 1967 einzustellen. Die letzten WerraApparate wurden 1967 verkauft. Hartmut Thiele schätzt, daß ca. 500.000 Apparate hergestellt wurden.

Technologische Verfahren Die Optik dünner Schichten und der Bau von Beschichtungsanlagen Hans Harting widmete den Arbeiten über die dünnen Schichten in seinem Expose vom 19. Januar 1951 einen breiten Raum und hielt „die Herstellung nichtmetallischer dünner Mehrfachschichten auf oder zwischen Glasträgern" für sehr dringlich. 81 Er hatte schon 1948 Dr. Siegfried Buch, den Leiter des Medizintechnischen Laboratoriums, beauftragt, den Forschungsbereich für dünne Schichten wieder aufzubauen. Nach dessen Weggang an die TH Ilmenau übernahm der Physiker Dr. Hubert Pohlack die Leitung des Schichten-Laboratoriums, der in den fünfziger Jahren grundlegende Resultate in der Physik und Technologie optischer Schichten erzielte. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern erkundete Hubert Pohlack die von den dünnen Schichten zu erwartenden Potenzen zur Verwirklichung neuer physikalisch-optischer Wirkprinzipien und klärte, wie sich die erkannten schichtoptischen Effekte verfahrenstechnisch realisieren ließen. Sodann ging es um Methoden ihrer effizienten Nutzung sowie um die Entwicklung der erforderlichen Verfahrens- und Meßtechniken, die eine Eigenentwicklung spezifischer technischer Hilfsmittel einschloß. Damit beschritten die Mitarbeiter des Schichten-Laboratoriums Neuland. 1955 entstand der erste achromatische lichtverlustarme Strahlteiler der Welt, der von Firmen im westlichen Ausland als Pohlack-Spiegel in Lizenz genommen wurde. 1959 konnten Kopien von hochauflösenden Beugungsgittern nach dem Abdruck-Verfahren erstmals unter Produktionsbedingungen gefertigt werden, und 1960 stand der erste extrem widerstandsfähige, hochreflektieAbb. 38 Prof. Dr. Hubert Pohlack (links) rende Oberflächenspiegel der Welt zur mit dem Leiter der WissenschaftVerfügung, der als ein funktionsbestimlichen Zeiss- Bibliothek Lothar mendes Element in etwa 120 HauptLöbnitz 1983

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BACZ Nr. 23795 (Hans Harting: Vorschläge zum wissenschaftlichen Lenken und Ausbauen des VE Β Carl Zeiss Jena an den Leiter des Zentralamtes für Forschung und Technik in der Staatlichen Plankommission vom 29. Januar 1951).

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geräten eingesetzt wurde. 82 Die Arbeitsresultate des Schichten-Laboratoriums wurden in Form von schichtoptischen Funktionen und Bauelementen in die Geräteforschung, -entwicklung und -produktion überführt. Da immer komplexere Dünnschichtstrukturen mit ihren zunehmend vom kompakten Material abweichenden Stoffeigenschaften zur Anwendung kamen, mußten der konventionelle Wissensstand über Festkörper und die physiko-chemischen Erfahrungen ständig erweitert werden. Auf diese Weise trugen verschiedene damit verbundenen Weiterentwicklungen innovativen Charakter. Die für die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten benötigten Beschichtungsanlagen und Meß- und Prüfmittel wurden im Schichten-Laboratorium projektiert, konstruiert und gebaut. Dazu gab es eine enge Zusammenarbeit mit den Rollegen im vakuumtechnischen Laboratorium, die unter Leitung von Werner Haunstein kommerzielle Vakuumtechnik entwickelten und herstellten. 1952 wurde die erste kommerzielle Hochvakuum-Bedampfungsanlage HBA 1 für die Seriengerätefertigung im Zeiss-Werk gebaut. In den folgenden Jahren fertigte man in diesem Laboratorium auch unikale Bedampfungsanlagen für spezielle Anwendungsgebiete. Dazu gehörten 1956 die Glas-Hochvakuum-Bedampfungsanlage für die Entwicklung von Technologien zur Herstellung von PräzisionsBeugungsgitter und die Hochvakuum-Bedampfungs-Großanlage zur Verspiegelung von Zeiss-Teleskop-Spiegeln mit einem Durchmesser bis zu zwei Metern aus dem Jahr 1958.83 Optische Kristalle Neben speziellen Gläsern kommen im optischen Präzisionsgerätebau Kristalle als optische Medien überall dort zum Einsatz, wo sie den optischen Gläsern in bestimmten funktionellen Eigenschaften graduell überlegen sind oder das Wirkprinzip eines Gerätes sich generell nur mit dem streng periodischen Gitteraufbau der Kristalle realisieren läßt. Im Zeiss-Werk wurden schon seit Jahrzehnten im Labormaßstab größere Kristalle aus der Lösung oder aus der Schmelze gezüchtet. Nach der Demontage entstanden im Kristall-Laboratorium erneut Anlagen zur Kristallzüchtung. Gleichzeitig wurden die einschlägigen Verfahren weiterentwickelt. Seit Anfang der fünfziger Jahre arbeitete man intensiv an der Vorbereitung einer industriellen Herstellung kristalliner Materialien, denn die Neuentwicklung optischer Präzisionsgeräte und elektronischer Bauelemente bedingte in zunehmendem Maße Kristalle der unterschiedlichsten Art. Deshalb baute man 1956 im Zeiss-Werk eine industrielle Produktionsstätte zur Herstellung der vier verschiedenen Kristallarten NaCL, LiF, KRS 5 und ADP auf.

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VA Nr. 5751 „Weltnovitäten" des optischen Präzisionsgerätebaus 1868-1978. Ausführliches zur wissenschaftlich-technischen Leistung von Prof. Dr. Hubert Pohlack bei Erich Hacker: Physik und Technologien optischer Schichten. Bedeutende Innovationen aus Jena. In: Jenaer Jahrbuch zur Technik- und Industriegeschichte 1999, S. 81-96. Siegfried Döhnel: Anwendung von Baueinheiten für die Hochvakuumtechnik. In: Jenaer Rundschau 1962, S. 39.

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1961 wurde in Eisenberg eine neue Produktionsstätte für Kristalle errichtet und 1962 in Betrieb genommen. Sie deckte den Eigenbedarf des Zeiss-Werkes an den Kristallarten NaCL, LiF, KBr, KRS 5 und Kalialaun. Die Kristalle wurden in Form von Fenstern, Prismen, Linsen und Filtern über Polarisationsbauelementen, ATR-Platten, Röntgen-Analysatoren und schwingungsquarzakustooptischen Modulatoren, wenig später als Laser-Resonatoren und nichtlineare optische Funktionselemente im optischen Präzisionsgerätebau verwendet. 84 Maßverkörperung Maßverkörperungen sind ein wesentliches Element optischer Präzisionsgeräte. Um den Anspruch nach hoher und höchster Genauigkeit in der Präzisionsmeßtechnik zu entsprechen, ist es notwendig, die die Genauigkeit beeinflussenden Störfaktoren des Umfeldes, wie ζ. B. Temperaturveränderungen und mechanische Schwingungen, zu minimieren - nicht durch extreme Forderungen an das Umfeld, sondern durch neuartige konstruktive Lösungen oder regelungstechnische Maßnahmen. Mit der Entwicklung von Bauelementen und technologischen Geräten, die diesem Anspruch immer besser gerecht werden, befaßte sich seit den fünfziger Jahren ein Bereich, der über zwei Jahrzehnte von dem Physiker Gerhard Meister geleitet wurde und wesentlich an der Herausarbeitung dieser Entwicklungsrichtung gewirkt hat. Dazu wurden zunächst in den Jahren 1954 bis 1957 Meßpotentiometer mit hoher Linearität, Magnetkupplungen mit niedrigen Ansprechzeiten und Relais-Laufgetriebe entwickelt. Sie fanden nicht nur in den Zeiss-Geräten, sondern auch als Automatisierungselemente in der Industrie einen breiten Einsatz. Das Zeiss-Werk in Jena erreichte damit in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre einen Umsatz von einigen Millionen Mark. Wichtiger jedoch waren die Überlegungen, den Prozeß der Herstellung Abb. 39 Dr. Gerhard Meister

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Joachim Bittner: Über Verfahren zur Züchtung großer Einkristalle. In: Jenaer Rundschau 1956, S. 24-26; Dietrich Gutberlet/Günther Kötitz/Elke Patzschke: 25. Jahre industriemäßige Produktion optischer Kristalle. In: Jenaer Rundschau 1987, S. 195; Günther Kotitz: Ernst Abbe - Wegbereiter der Materialwissenschalten und Pionier des Einsatzes von kristallinen Medien in der Optik. In: Jenaer Jahrbuch zur Technik- und Industriegeschichte 1999, S. 23.

172

1949-1964 VE Β Carl Zeiss JENA

von Skalen - den Teilungsvorgang - und der anschließenden Überprüfung zu objektivieren und zu automatisieren, denn der menschliche Körper bewirkt in der Nähe solcher Maschinen sofort eine für den Teilprozeß schädliche Temperaturveränderung. So entstand der Gedanke, lichtelektronische Mittel ζ. B. zur Strichmarkenabtastung zu verwenden. 1953 entstand das erste lichtelektronische Mikroskop, das im Jenaer Zeiss-Werk Jena in einem lichtelektronischen Romparator für Glasmaßstäbe eingesetzt wurde. 85 Sehr bald folgte die Erweiterung des Lichtmikroskop-Prinzips. 1958 wurde die erste automatische lichtelektronische Teilmaschine LiTei 200 für die Herstellung von Glasmaßstäben vorgestellt. Es folgten in den sechziger und siebziger Jahre weitere Teil- und Meßmaschinen unter Verwendung dieses Mikroskops: die LiTei 250 und die LiTei 1000 sowie die lichtelektronischen Meßmaschinen LiMess 200 und LiMess 250. Außerdem wurde eine Rasterteilmaschine und ein Geradheitsmeßgerät GM 1000 entwickelt. Die Suche nach Grundlösungen führte zu einem biegeunempfindlichen, durchsichtskorrigierten Glasmaßstab in Form eines Trapezes. Darüber hinaus wurde ein biege- und verspannungsunempfindlicher Glasteilkreis sowie das spannungsfreie Fassen von Glasteilkreisen und anderen empfindlichen optischen Elementen entwickelt. 86 Es entstanden neuartige Meßeinrichtungen der Fertigungsmeßtechnik, so das Spanndrahtlineal für höchste Geradheitsansprüche und zeitliche Beständigkeit sowohl für Labor- und Werkstattmeßtechnik als auch für die Geradheitsmeßsteuerung.

Die Laserentwicklung in Jena und erste Laseranwendungen im Zeiss-Werk87 Im September 1961 übernahm Gerhard Wiederhold im Physikalischen Institut der Jenaer Universität die Leitung der Arbeitsgruppe „Mikrowellenspektroskopie", die sich vornehmlich der Laser-Forschung widmete. Paul Görlich, der die Laser-Entwicklung verfolgte, ging in einer Besprechung über die Zusammenarbeit zwischen dem Zeiss-Werk und der Jenaer Universität am 19. Juni 1962 bei der Vorstellung der Perspektive des Zeiss-Werkes auch auf das Laser-Problem ein und betonte: „Laser wird eine vollkommene Revolution für die Optik bedeuten". 88 Deshalb hatte er 1962 Werner Meinel beauftragt, in der Arbeitsgruppe von Gerhard Wiederhold über den Festkörperlaser zu arbeiten.

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88

Heinz Strobel/H.-J. Freitag: Dr. Ing. Gerhard Meister - 65 Jahre. In: Feingerätetechnik 1985, H. 4, S. 183. Heinz Strobel: Laudatio zu Ehren des 80. Geburtstages von Dr. Gerhard Meister, gehalten im Technikgeschichtlichen Kolloquium des Vereins für Technik-Geschichte in Jena e.V. im November 1997. Die folgenden Ausführungen stützen sich, soweit keine andere Quelle angegeben ist, auf den Aufsatz von Gerhard Wiederhold: Vier Jahrzehnte Laserentwicklung in Jena. In: Jenaer Jahrbuch zur Technik- und Industriegeschichte 2000, S. 110-120 und Tabellenanhang. VA Nr. 1156 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 19. Juni 1962).

Die erste Erneuerung des Geräteprogramms

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Den Mitarbeitern der Wiederhold-Arbeitsgruppe gelang es 1962, den Festkörperlaser Nd-Glas-Laser/Rubin-Laser und den HF-angeregten He-Ne-Laser (λ = 1,15 μπι) unter Federführung von Werner Meinel bzw. Reinhard Neubert in Betrieb zu nehmen. Während in Jena und Berlin die Grundlagen für den Laserbau geschaffen wurden, liefen in der von Wolfgang Wrede geleiteten Zeiss-Abteilung die Konstruktionsarbeiten an einem Gas- und einem Festkörperlaser. Für die Konstrukteure ergaben sich aus der unbefriedigenden Raumsituation und aus der staatlichen Anweisung, nur in der DDR hergestellte Bauelemente zu verwenden, erhebliche Schwierigkeiten. Am 5. Februar 1963 hatte Hugo Schrade die auf dem Laser-Gebiet tätigen Fachleute zu einer Besprechung zusammengerufen, um nach der erfolgreichen Demonstration der Laser im Physikalischen Institut zu beraten, was im Zeiss-Werk getan werden muß. Die Sitzungsteilnehmer erörterten die allgemeine wissenschaftlich-technische Bedeutung der verschiedenen Lasertypen. Dazu stellte Paul Görlich fest, daß ihnen die gleiche Bedeutung zukomme wie den Transistoren und machte darauf aufmerksam, daß man dieses Thema schon Mitte 1962 hätte erörtern müssen. Statt dessen habe man sich mit Profilierungsfragen befaßt. Ernst Gallerach warf die Frage auf, wie sich das Zeiss-Werk zur Laser-Thematik verhalten soll und was zu tun ist, damit das Zeiss-Werk Laser auf der Leipziger Messe zeigen kann. Ernst Gallerach sah die Nutzungsmöglichkeiten von Lasern auf dem Gebiet des Experimentierens, des Lasereinbaus in bestehende Geräte und in der Entwicklung neuer Geräte auf der Grundlage von Lasern. Als Hauptweg betrachtete Ernst Gallerach die Ausstattung vorhandener Geräte mit Lasern. Die Sitzungsteilnehmer besprachen sodann die Voraussetzungen, die im Zeiss-Werk zur Laser-Technik vorhanden und noch zu schaffen waren, um ausgewählte Lasertypen zu entwickeln und zu fertigen. Werner Meinel berichtete darüber, daß bereits ein minimales und ein maximales Programm vorhanden ist. Erich Wolfram sicherte zu, daß noch im laufenden Jahr ein Funktionsmuster vorliegen wird, das 1964 erprobt werden kann. Ein Problem für die kommerzielle Nutzung der Laser ergab sich aus dem Interesse der Militärs an der Lasertechnik, denn es bestand die Gefahr, daß Dienststellen der NVA auf Geheimhaltung dieser Entwicklung bestanden. 89 Die NVA forderte 1963 die Entwicklung eines tragbaren Laser-Entfernungsmessers für Panzerabwehrgeschütze. 90 Eine Anfrage bei Herbert Weiz ergab, daß das Zeiss-Werk auf der Leipziger Frühjahrsmesse Laser zeigen kann. Im Mai 1963 lag das Programm zur Entwicklung von He-Ne-Gaslaser im nahen Infrarot (λ = 1,15 pm) mit abgeschmolzenen Entladungsröhren und Brewsterwinkel-Fenster vor. Es war in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung Elektrokonstruktion 1 in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern des Physikalischen Instituts der Jenaer Universität erarbeitet worden war und zielte darauf ab, bis 89 90

VA Nr. 1158 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 5. Februar 1963). Ausführliche Darstellung der Geschichte der Laserentwicklung im Jenaer Zeiss-Werk: Gerhard Wiederhold: Vier Jahrzehnte Laserentwicklung in Jena. In: Jenaer Jahrbuch zur Technik- und Industriegeschichte 2000, S. 110-169.

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Ende 1963 drei He-Ne-Gaslaser herzustellen. In der kleinen Werkleitungssitzung erörterte Paul Görlich am 22. Juli 1963 die Frage, ob das Zeiss-Werk Laser fertigen und verkaufen soll oder lediglich die dazu vorbereiteten Kristalle.91 Auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1964 zeigte das Zeiss-Werk den Gaslaser ZGL 900 (λ = 1,15 pm) und den Festkörperlaser ZFL 750 mit verschiedenen Laserstäben. Das waren die ersten kommerziellen Laser, die in den RGW-Staaten entwickelt worden waren.

Abb. 4 0 Dipl.-Phys. Ernst Roch erläutert auf der Leipziger Frühjahrsmesse Besuchern den Gaslaser 1964

Am 2. Juli 1964 konstituierte sich im Zeiss-Werk die Warengruppe Laser unter der Leitung von Hans Vosahlo, Chef des Bereiches Elektrik-Entwicklung. Sein Stellvertreter war Alfred Krohs aus dem Zellenlabor. Als Fertigungsstätte für Laser war der Saalfelder Betrieb vorgesehen. Das erste Zeiss-Gerät, in dem ein Laser eingesetzt wurde, war der LaserMikrospektral-Analysator LMA 1, der 1964 entstand. 1967 brachte das ZeissWerk die ersten kommerziellen He-Ne-Gaslaser heraus. 92 91 92

VA Nr. 1159 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 22. Juli 1963). Horst Moenke/Lieselotte Moenke-Blankenburg: Laser Mikrospektralanalyse. In: Jenaer Rundschau 1966, S. 166; Gerhard Wiederhold: Vier Jahrzehnte Laserentwicklung in Jena, S. 123.

Die erste Erneuerung des Geräteprogramms

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Die Optische Rechenmaschine OPREMA und der Zeiss-Rechen-Automat ZRA 1 Eine entscheidende Voraussetzung für leistungsfähigere optische Präzisionsgeräte bestand in der Weiter- und insbesondere in der Neuentwicklung von optischen Systemen. Ausgehend von den spezifischen Anforderungen der Geräteentwickler an die Beschaffenheit derartiger Systeme oder von den Anregungen, die sich aus dem Erkenntnisgewinn der Konstrukteure von optischen Systemen an die Geräteentwickler ergaben, mußten diese Systeme und ihre einzelnen Bauelemente in einem zeitraubenden und kostenintensiven Verfahren berechnet werden. Viele Vorhaben, die von Objektivkonstrukteuren ins Auge gefaßt wurden, ließen sich mit der herkömmlichen Arbeitsweise überhaupt nicht realisieren. In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre bot die digitale Rechentechnik die Möglichkeit, die Rechenarbeit beim Entwurf von optischen Systemen zu automatisieren. Herbert Kortum und Wilhelm Kämmerer hatten sich - wie an anderer Stelle schon erwähnt - in den Monaten, in denen sie sich vor ihrer Rückkehr nach Jena in der UdSSR in „Quarantäne" befanden, mit der Möglichkeit befaßt, einen Rechenautomaten zu bauen. Im Frühjahr 1954 nahmen sie die Vorarbeiten für dieses Projekt auf, 93 das Herbert Kortum am 17. Mai 1954 dem Minister Heinrich Rau vorstellte: „Wir haben uns ... die Aufgabe gestellt, einen Plan auszuarbeiten, nach dem eine ... Relais-Rechenmaschine in kürzester Zeit entwickelt und hergestellt werden kann und vorzugsweise darauf abgestimmt ist, unser Rechenprogramm für die Entwicklung hochwertiger Optiken in außerordentlich beschleunigtem Tempo durchzuführen. ... Um die Maschinen sofort nach Fertigstellung zur Verarbeitung der optischen Rechenprogramme einsetzen zu können, mit deren Vorbereitung schon jetzt begonnen werden kann, wird die Maschine als Zwillingsmaschine gebaut, d. h. es handelt sich hierbei um 2 gleiche Maschinen, die während der Erprobungszeit zunächst mit dem gleichen Programm parallel zueinander laufen und dabei ihre Ergebnisse stets selbst kontrollieren, so daß ein Versagen sofort erkannt wird.... Weiter ist dabei wichtig, daß dadurch, daß wir die Maschine selbst entwickeln und bauen, sie 1. die Gewähr bietet, daß sie dem optischen Rechenprogramm aufs beste angepaßt ist und 2. daß das zukünftige Betreuungspersonal gleich bei der Entwicklung von uns herangebildet wird." 94 Herbert Kortum erklärte, daß die Maschine noch 1954 fertiggestellt sein wird und über eine Arbeitskapazität verfügt, die mindestens 120 Optikrechner gleichkommt.

93

94

BACZ Nr. 24500 (Herbert Kortum. Erfahrungs- und Rechenschaftsbericht über die Lage der Forschung und Entwicklung im VEB Carl Zeiss Jena. Mai 1958, Bl. 95); Edgar Mühlhausen: OPREMA und ZRA 1 - Frühe Entwicklung der digitalen Rechentechnik im Zeisswerk Jena. In: Jenaer Jahrbuch zur Technik- und Industriegeschichte, 1999, S. 115-116. BACZ Nr. 23789 (Herbert Kortum: Kurze Zusammenfassung des Vertrags zur OPREMA, gehalten vor Min. Rau am 17. Mai 1954).

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Das Projekt wurde unmittelbar nach der ministeriellen Zustimmung und der Freigabe der geforderten Summe von einer Million Mark in Angriff genommen. Der von Wilhelm Kämmerer geleitete Mitarbeiterkreis, der anfangs aus sechs bis acht Mathematikern und Ingenieuren bestand, wuchs im Verlauf des Jahres 1954 auf 250 Personen an. Das Team stellte die Rechenmaschine bis Ende 1954 fertig. Im April 1955 begann der Versuchsbetrieb, und im Juni 1955 konnte unter Leitung von Alfred Jung der offizielle Rechenbetrieb aufgenommen werden. Die OPREMA war die erste funktionstüchtige digitale Rechenmaschine in der DDR und zugleich das Herzstück des ersten ostdeutschen Rechenzentrums.

Abb. 41 Dr. Wilhelm Kämmerer (1. v. I.) und Dr. Herbert Kortum (2. v. 1.) während des Besuches von Stellv. Minister Alfred Wunderlich zur Einweihung der OPREMA. Dezember 1954

Da die beiden kompletten Rechner der Rechenmaschine einwandfrei arbeiteten, war es möglich, auf den ursprünglich vorgesehenen Parallelbetrieb zu verzichten, so daß zwei OPREMA-Rechner zur Verfügung standen. Anfangs wurden die bis dahin in der Optikrechnung üblichen Methoden in OPREMA-Programme umgesetzt. Das führte zu einem beträchtlichen Zeitgewinn. Berechnungen, die bisher Jahre beanspruchten, ließen sich nun in wenigen Wochen ausführen. Bald zeigte sich auch, daß mit den Rechenmaschinen schwierige und große Programme zu bewältigen waren, und u. a. Zylinderflächen, Dezentrierungen und ähnliche Aufgaben in die Programme aufgenommen werden konnten. Toleranzberechnungen ermöglichten, die Fertigungsbetreuung effektiver zu gestalten und die Qualität der geforderten Objektive zu verbessern. 1956 begannen Entwicklungsarbeiten an einem Rechner, der die Bezeichnung Zeiss-Rechen-Automat 1 ZRA 1 erhielt. Das Ziel bestand nun darin, einen Rechen-

Die erste Erneuerung des Geräteprogramms

177

automaten mittlerer Geschwindigkeit zu schaffen, mit dem vornehmlich wissenschaftlich-technische Aufgaben bearbeitet werden sollten. Im März/April 1960 kamen zwei Anlagen des ZRA 1 im Rechenzentrum des Zeiss-Werkes zum Einsatz. Damit wurden mit Hilfe einer speziellen Maschinensprache Optikberechnungen sowie Berechnungen von Variosystemen und Dezentrierungsberechnungen ausgeführt. Ferner ließen sich Bildfehler dritter Ordnung analytisch behandeln. Die Entwicklungszeiten von Objektiven konnten weiter verringert werden. Berliner Dienststellen drängten die Leitung des Zeiss-Werkes, den ZRA 1 in Serie zu fertigen. Obgleich dafür in Jena wenig Interesse bestand, traf man seit 1957 im Saalfelder Außenwerk dennoch fertigungstechnische Vorbereitungen, die aber wegen fehlender Investitionsmittel nur langsam voran kamen. Schließlich konnte 1961 in Saalfeld die Serienfertigung aufgenommen werden. Ende 1961 entschied die Werkleitung aus kommerziellen Gründen die ZRA 1-Produktion in Saalfeld auslaufen zu lassen und 1963 ganz einzustellen. Bis 1963 entstanden insgesamt 33 Rechenmaschinen vom Typ ZRA 1. Ende 1961 wurden die relativ weit gediehenen Arbeiten am ZRA 2 abgebrochen. Das Zeiss-Rechenzentrum musterte den ZRA 1 erst 1968 aus und ersetzte ihn durch eine ICL-Anlage der dritten Generation aus Großbritannien. 95

Die Qualitätsbewertung der Zeiss-Erzeugnisse Die wissenschaftlich-technische Leistungsfähigkeit des Zeiss-Werkes wurde nicht nur auf dem Markt, sondern auch durch DDR-Institutionen bewertet Wie an anderer Stelle schon erwähnt, vergab das Deutsche Amt für Material- und Prüfwesen zwischen 1950 und 1964 und danach das Deutsche Amt für Meßwesen und Warenprüfung das Gütezeichen „Q" für technische Erzeugnisse und Ronsumgüter, die sich durch eine besondere Qualität auszeichneten. 96 Das erste dieser Gütezeichen, das in der DDR vergeben wurde, erhielt das Universalmeßmikroskop aus dem Zeiss-Werk auf der Frühjahrsmesse 1950.97 1959 wurden die Grundsätze der Gütezeichenvergabe neu gefaßL Nun erhielten Erzeugnisse das Gütezeichen „Q", wenn sie den technischen Höchststand bestimmten oder mit bestimmten und damit über dem Durchschnitt der Erzeugnisse lagen, die auf dem Weltmarkt angeboten wurden. Daneben wurde das Gütezeichen „1" für Erzeugnisse eingeführt, die dem Durchschnitt der von den führenden Industrieländern angebotenen gleichartigen oder ähnlichen Erzeugnissen entsprachen. Seither mußten die Betriebe der DDR die prüf- und klassifizierungspflichtigen Waren besonders ausweisen. Dazu gehörten alle, die aufgrund einer gesetzlichen Anordnung beim Deutschen Amt für Meßwesen und

95 96 97

Mühlhausen: OPREMA, S. 116-120. Ökonomisches Lexikon Α-K, S. 464, 855; L-Z, S. 1072. 40 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 1, S. 20.

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Abb. 42 Universalmeßmikroskop UMM mit Gütezeichen der DDR „Q" Nr. 1

Warenprüfung zum Zwecke der Erteilung eines klassifizierenden Gütezeichens anzumelden und zur Prüfung bereitzustellen waren. 1963 erweiterte das Deutsche Amt für Meßwesen und Warenprüfung die Bewertung der Erzeugnisse, in dem es nicht nur die technischen, sondern auch die ökonomischen Parameter der Erzeugnisse beurteilte. Dazu wurden die Herstellungskosten einem internationalen Vergleich unterzogen. Das betraf auch eine Reihe von Zeiss-Erzeugnissen, die in wissenschaftlich-technischer Hinsicht bereits die Gütezeichen „Q" oder „1" erworben hatten, aber zu Kosten produziert wurden, die dem internationalen Vergleich nicht standhielten, so daß diese Gütezeichen aberkannt werden mußten. 98 Aberkennung der Gütezeichen bzw. Zurückstufung auf ein geringerwertiges Gütezeichen brachten erhebliche finanzielle Nachteile. Der Anteil der Erzeugnisse, die ein Gütezeichen erhalten mußten, wurde in den Jahresplänen des Zeiss-Werkes vorgegeben. Im Dezember 1959 verfügten 80 Prozent der Zeiss-Geräte über das Gütezeichen „Q", 1960 waren es 90 Prozent und auf der Rentabilitätskonferenz des Zeiss-Werkes konstatierte Kurt Petermann, Leiter der Qualitätskontrolle im Zeisswerk, am 15. Februar 1966, daß

98

VA Nr. 1160 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 13. Februar 1964).

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78,5 Prozent der Spitzenerzeugnisse das Gütezeichen „0" trugen. Allerdings mußten auch Rückstufungen hingenommen werden." Für die Bewertung der wissenschaftlich-technischen Leistungen des ZeissWerkes spielten die Goldmedaillen eine besondere Rolle, die seit 1963 vom Deutschen Amt für Material- und Warenprüfung gemeinsam mit dem Leipziger Messeamt für innovative Erzeugnisse vergeben wurden. Das Zeiss-Werk erhielt anläßlich der Leipziger Herbstmesse 1963 die ersten beiden Goldmedaillen für das Weitwinkelobjektiv Flektogon 4/20 und das Photoobjektiv Sonnar 2,8/180.'°° In der Tabelle 46 im Tabellenanhang sind die Goldmedaillen aufgeführt, die der VEB Carl Zeiss JENA zwischen 1963 und 1989 für seine Erzeugnisse erhalten hat. In dem betrachteten Zeitraum sahen sich die Werkleitung, aber auch die führenden Kräfte in den Laboratorien und Konstruktionsbüros, Fertigungsabteilungen und Werkstätten immer wieder veranlaßt, die Einhaltung der ZeissQualitätsparameter zu reklamieren. Die erfahrenen Zeissianer kannten die Unzulänglichkeiten auf diesem Gebiet, und die Klagen der Kunden über Qualitätsmängel taten ein übriges. Das hatte interne und externe Ursachen. Sie bestanden u. a. in unausgereiften Konstruktionen, in Materialmängeln, im abgenutzten und überalterten Maschinenpark, aber auch in Verstößen gegen Qualitätsforderungen durch Belegschaftsmitglieder. Überhaupt konstatierten Betriebsleiter und Meister einen Rückgang des Qualitätsbewußtseins in der Belegschaft. In der Rentabilitätsbesprechung am 31. Januar 1964 mußte Kurt Büttner daraufhinweisen, daß der Aufwand für die Qualitätskontrolle der Erzeugnisse nunmehr ebenso groß ist, wie für den gesamten Absatz der Erzeugnisse. Zuträglich war ein Verhältnis von 1:2 oder 1:3, aber Anfang 1964 betrug es 1:1. Kurt Büttner verlangte deshalb von allen Werksangehörigen ein größeres Qualitätsbewußtsein. 101 In der Rechenschaftslegung der Werkleitung vor dem Volkswirtschaftsrat kam am 19. März 1964 auch die Qualität der prüf- und klassifizierungspflichtigen Erzeugnisse zur Sprache. Der Vertreter des Deutschen Amtes für Material- und Warenprüfung bestätigte in seinem Beitrag zunächst, daß viele Zeiss-Geräte - er hob die photogrammetrischen und geodätischen Geräte hervor - zur Weltspitze gehören und ging dann auf die Mängel an Zeiss-Geräten ein, die immer wieder auftraten. Nach Ansicht seines Amtes bestanden sie vor allem in der Verarbeitung, in der ungenügenden Beachtung der VdE-Vorschriften (Sicherheitsvorschriften) und im unmodernen Design hinsichtlich Form und Farbe.102 Um die Qualität der Erzeugnisse zu sichern, wurden im Zeiss-Werk erhebliche Anstrengungen unternommen. Dazu gehörte neben der sorgfaltigen Qualitätskontrolle die bessere Ausbildung der Arbeitskräfte. Durch ein System materieller und moralischer Stimulierung wurden die Beschäftigten dazu angehalten,

99

VA Nr. 1164 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 15. Februar 1966). 40 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 1, S. 66. ιοί VA Nr. 1160 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 31. Januar 1964). io2 va Nr. 1161 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 19. März 1964). 100

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ihre Arbeitsaufgaben in qualitativer Hinsicht ordnungsgemäß auszuführen. Eine Methode, die Qualitätsarbeit zu fördern, bestand seit 1964 in der Auszeichnung von Arbeitern, die eine gute Qualitätsarbeit leisteten, mit dem „Goldenen Q". Am 7. Oktober 1964 erhielten 40 Arbeiter, darunter drei Frauen, erstmals diese Auszeichnung. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre gelang es, eine zunehmende Anzahl von Beschäftigten für diese Auszeichnung zu interessieren. Bis zum 10. September 1967 wurde das „Goldene Q" an insgesamt 803 Arbeiter und Arbeiterinnen vergeben. Darunter befanden sich 218 Beschäftigte, die diese Auszeichnung zum zweiten Male erwarben. Drei von ihnen war schon zum dritten Male auf diese Weise gewürdigt worden. Im Saalfelder Betrieb erhielt am 8. März 1965 Margarete Gutgesell das erste „Goldene Q".103

103

Zusammengestellt nach 40 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 1.

SECHSTES KAPITEL

Das Zeiss-Werk im NÖSPL Ein neues Kapitel in der Zeiss-Geschichte Mitte der sechziger Jahre begann ein neues Kapitel in der Geschichte des VEB Carl Zeiss JENA. Diese Zäsur wurde durch verschiedene äußere und innere Faktoren gesetzt. Entscheidend waren die politischen, vor allem aber die ökonomischen Rahmenbedingungen, die im Gefolge des VI. Parteitages der SED entstanden. Am 25. Juni 1963 verabschiedeten die Teilnehmer der Wirtschaftskonferenz des ZR der SED und des Ministerrates der DDR die Richtlinie für das neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft der DDR (NÖSPL).1 Sie zielte darauf ab, das bisher praktizierte zentralverwaltungswirtschaftliche System zu reformieren, ohne die staatssozialistischen Grundlagen der Gesellschaft zu gefährden. Die ersten Verordnungen zur Umsetzung dieser Richtlinie traf der Ministerrat am 30. Januar 1964. Sie veranlaßten eine Industriepreisreform und die Umbewertung der Grundmittel in der staatlichen Industrie.2 Darauf aufbauend traf der Ministerrat in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre weitere Maßnahmen. Dazu gehörte die Einführung der Produktionsfondsabgabe. Sie war der Teil des Bruttogewinns einer WB oder eines Betriebes, der nach einem vorgegebenen Prozentsatz auf die beanspruchten Grund- und Umlaufmittel erhoben und an den Staatshaushalt abgeführt wurde. Des Weiteren kam es zur Einführung der Jahresendprämie, die nun die Hauptform der Prämierung der Belegschaften und der Wirtschaftsfunktionäre bildete. Schließlich hatten die Wirtschaftseinheiten ihren Bedarf an Investitions- und Umlaufmitteln selbst zu erwirtschaften.3 Das Konzept, das der Richtlinie zugrunde lag, führte im Zeiss-Werk zu einigen grundlegenden Veränderungen in der Betriebswirtschaft sowie in der Betriebsorganisation und -struktur. Die Prinzipien des NÖSPL beschleunigten nun die Herausbildung einer Wirtschaftseinheit im Industriezweig Wissenschaftlicher Gerätebau/Optik, die alle Phasen des Reproduktionsprozesses - Forschung, Entwicklung, Produktion, Absatz - umfaßte. Zentrum dieser Wirtschaftseinheit bildete das Zeiss-Werk. Das stand wiederum in einem engen Zusammenhang mit dem Vorhaben der SED-Führung, die Industriestruktur umzubauen. Die Industriezweige, von denen der wissenschaftlich-technische Fortschritt in der gesamten Volkswirtschaft abhing, erhielten nun Vorrang. Dazu gehörte auch der 1

2

3

Richtlinie für das neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft der DDR. Gbl. II 1963, S. 75. Beschlüsse des Ministerrates der DDR über die Durchführung der ersten Etappe der Industriepreisreform und über die Umbewertung der Grundmittel. Gbl. II 1964, S. 75. Wolfgang Berger/Otto Reinhold: Zu den wissenschaftlichen Grundlagen des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung. Berlin 1966, S. 31-32; Ökonomisches Lexikon A-K, S. 515,1019, M-Z, S. 438.

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1965-1975 VE Β Carl Zeiss JENA mit unterstellten Betrieben

optische Präzisionsgerätebau. Während diese Erkenntnis in den vergangenen Jahren lediglich konstatiert worden war, führte sie nun dazu, daß der optische Präzisionsgerätebau finanzielle Mittel erhielt, um das Forschungs- und Entwicklungspotenzial zu vergrößern und die Produktionskapazitäten zu modernisieren und zu erweitern. Die SED-Führung war bestrebt, die Vorteile der gegebenen und angestrebten industriellen Grundstruktur der DDR zu nutzen, um durch den Export von intelligenzintensiven Industrieerzeugnissen den Import von Roh- und Hilfsstoffen, von Halbzeugen und ausgewählten Investitionsgütern zu finanzieren. Auch das war ein Grund für die besondere Förderung des optischen Präzisionsgerätebaus. Zum Dritten spielte das wachsende Interesse der Militärs am Ausbau des Industriezweiges eine Rolle. Die Umsetzung des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft im Zeiss-Werk nahm einen längeren Zeitraum in Anspruch und vollzog sich auf verschiedenen Gebieten. Sie konnte in der Regel immer erst dann erfolgen, wenn der Ministerrat der DDR die jeweiligen wirtschaftsrechtlichen Vorschriften erlassen hatte. Im Zuge der Neuordnung der Leitungshierarchie, die in der staatlichen Wirtschaft im Frühjahr 1963 vollzogen wurde, erhielten die Leitungen der Vereinigungen Volkseigener Betriebe weitreichende Kompetenzen. In diesem Zusammenhang gab es unter SED-Wirtschaftspolitikern einen Meinungsaustausch darüber, ob es nicht zweckmäßig ist, in ausgewählten Industriezweigen Industriekombinate zu bilden. 4

Der Umbau der Werksstruktur Der Erste Stellvertreter des Werkleiters, Ernst Gallerach, machte es sich im Frühjahr 1964 - ausgehend von den Grundsätzen des neuen ökonomischen Systems der Leitung und Planung der Volkswirtschaft - zur Aufgabe, eine grundlegende Veränderung der Leitungs- und Organisationsstruktur im Zeiss-Werk in die Wege zu leiten. Dazu verfaßte Ernst Gallerach eine Vorlage, deren Hauptziel es war, im Zeiss-Werk die Führungstätigkeit zu verbessern. Diese Vorlage erläuterte er am 21. April 1964 den Werkleitungsmitgliedern. Danach war vorgesehen, vertikale Strukturen in den Betrieben zu schaffen, so daß die Betriebsleitungen für den gesamten Reproduktionsprozeß, also von der Forschung über die Produktion bis zum Absatz, verantwortlich waren. Die Erkundungsforschung sollte konzentriert werden und eine Hauptabteilung Elektronik entstehen. Weiter sah die Vorlage die Bildung eines Direktionsbereiches Ökonomie und ökonomische Leiter in den einzelnen Betrieben vor.5 4

5

Reiner Breuer: Zur Politik der SED für die Herausbildung und Entwicklung sozialistischer Industriekombinate in der DDR in den sechziger Jahren. Diss. Berlin 1983. VA Nr. 1161 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 21. April 1964); BACZ Nr. 18967 (Bericht über die bisherigen Ergebnisse der Anwendung des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft im VEB Carl Zeiss und Begründung der weiter einzuleitenden Maßnahmen. Vorlage zur Werkleitungssitzung am 21. April 1964).

Das Zeiss-Werk im NÖSPL

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Die Deutsche Notenbank hatte im Frühjahr 1964 eine Großbetriebsfiliale eingerichtet, die für den VEB Carl Zeiss JENA zuständig war. Auf Initiative von Ernst Gallerach entstand im August 1964 die aus 25 Fachleuten bestehende „Sozialistische Arbeitsgemeinschaft ,Neues ökonomisches System'". Unter Federführung von Dr. Erich Wichler wurden Grundsätze für die Anwendung des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft im VEB Carl Zeiss Jena erarbeitetet und in einer Vorlage festgehalten. In dieser Vorlage stellten die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft zunächst die Voraussetzungen fest, die im optischen Präzisionsgerätebau und im ZeissWerk für die Anwendung der NÖSPL-Richtlinie bereits bestanden. Sie wurden darin gesehen, daß die Prinzipien der wirtschaftlichen Rechnungsführung im Zeiss-Werk schon galten, ca. 80 Prozent des Produktionsvolumens des optischen Präzisionsgerätebaus in diesem Werk konzentriert waren und eine enge Verbindung zwischen Forschung, Entwicklung und Produktion bestand. Ebenso lagen umfangreiche Erfahrungen in der Führung von Außenhandelsgeschäften vor. Dessen ungeachtet hielten die Verfasser der Vorlage das bestehende Leitungsund Planungssystem als „völlig ungeeignet, das neue ökonomische System durchzusetzen". Das Zeiss-Werk sei nach ausgesprochen zentralistischen Gesichtspunkten aufgebaut, die keinem Leiter, den Werkleiter ausgenommen, die Verantwortung über einen vollständigen Reproduktionsprozeß überlassen. Damit sei ausgeschlossen, Entscheidungsbefugnisse zu delegieren und ein in sich geschlossenes System ökonomischer Hebel einzusetzen. 6 „Ein weitgehend patriarchalischer Leitungsstil verhinderte die Entwicklung der Initiative mittlerer Rader und der Kollektive der Werktätigen. Es mußte daher eine grundlegende Wendung in der Planungs- und Leitungsarbeit herbeigeführt werden."7 Als nachteilig wurde weiter festgehalten, daß weder die einzelnen Produktionsbetriebe des Zeiss-Werkes nach den Prinzipien der wirtschaftlichen Rechnungsführung arbeiten noch die volle Verantwortung für den vollständigen Reproduktionsprozeß - Forschung und Entwicklung, Überleitung der wissenschaftlich-technischen Ergebnisse in die Produktion, Produktion und Absatz wahrnehmen konnten. Um diesen vermeintlichen oder tatsächlichen Nachteil zu beheben, empfahl die Arbeitsgemeinschaft, im VEB Carl Zeiss JENA Stammbetriebe zu bilden, in denen der gesamte Reproduktionsprozeß für bestimmte Erzeugnisgruppen unter einer Leitung steht. Am 24. November 1964 referierte Ernst Gallerach in der Werkleitungssitzung über die Durchsetzung des neuen ökonomischen Systems im Zeiss-Werk und

6

7

Im neuen ökonomischen System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft spielten die ökonomischen Hebel eine besondere Rolle, deren grundlegende Funktion darin gesehen wurde, daß die Betriebe und die Beschäftigten auf ökonomische Weise zur rationellsten Verausgabung der gesellschaftlichen Arbeit angeregt werden. Ökonomisches Lexikon L-Z, S. 297. Begründung für den Vorschlag der Auszeichnung der sozialistischen Arbeitsgemeinschaft „Neues ökonomisches System" mit dem Orden „Banner der Arbeit" o. D. (vermutlich erste Hälfte 1965) In: Erinnerung an die Zukunft, Anhang, S. 129.

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über die Resultate der Arbeitsgemeinschaft. 8 Dabei ging er auf einige Aspekte ein, die sich aus dem neuen ökonomischen System der Leitung und Planung der Volkswirtschaft ergaben. Sie betrafen die betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten in den Betrieben, die Gestaltung der ökonomischen Beziehungen zwischen den Betrieben sowie die Einführung der leistungsabhängigen Bezahlung von leitenden Betriebsfunktionären zum 1. Januar 1965.

Die betriebswirtschaftlichen Veränderungen Die Bestimmungen des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft veränderten auf mannigfaltige Weise die betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten im VEB Carl Zeiss JENA. Schon mit der Verordnung über die Planung und Abrechnung der Selbstkosten vom 12. Juli 1962 wurde das Ziel verfolgt, alle Aufwendungen für Produktion und Absatz korrekter zu erfassen. Das galt auch für die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung, die nun den Selbstkosten zuzurechnen waren. Demgegenüber durften Aufwendungen, die aus Mängeln in der Leitungstätigkeit resultierten, nicht mehr den Selbstkosten zugeschlagen werden. 9 Die Verordnung über die Umbewertung von Grundmitteln 10 vom 30. Januar 1964 ermöglichte, die Grundmittel neu zu bewerten, und die Verordnung über die Abschreibung von Grundmitteln und die Bildung der Fonds für Generalreparaturen vom 30. Januar 196411 enthielt neue Abschreibungssätze. Diese Verordnung erlaubte, den Verschleiß der Grundmittel genauer zu erfassen und in die Selbstkosten einzubeziehen. Eine weitergehende Auswirkung auf die Betriebswirtschaft hatte die Industriepreisreform, die im April 1964 eingeleitet wurde und sich über drei Etappen bis Ende 1966 erstreckte. Die im Gefolge dieser Reform veränderten Preise für Elektroenergie, Brennstoffe, Wasser, Rohstoffe, Halbzeuge, Fertigerzeugnisse und Transportleistungen führten im Zeiss-Werk zu höheren Selbstkosten. So entstand dem Zeiss-Werk 1964 aus höheren Brennstoffpreisen ein Mehraufwand von 1,6 Millionen Mark, der durch Einsparungen von 125.000 Mark nur teilweise kompensiert werden konnte. Die zweite Etappe der Industriepreisreform, in der vornehmlich Wasser und Halbzeuge aus Metall sowie Holz, Pappe und Papier verteuert wurden, ließ Mehrkosten von 4,4 Millionen Mark erwarten. Diesem Rostenanstieg mußte durch Materialeinsparungen begegnet werden. Eine besonders starke Belastung erwuchs dem Zeiss-Werk aus den Preissteigerungen für optisches Rohglas und Diamantmaterial. Allein 50 Prozent der gestiegenen Materialkosten resultierten im Zeiss-

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VA Nr. 1161 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 24. November 1964). Verordnung über die Planung und Abrechnung der Selbstkosten vom 12. Juli 1962. GBl. 19Θ2, Teil II, Nr.51. Verordnung über die Umbewertung von Grundmitteln vom 30. Januar 1964, GBl. 1964, Teil II, Nr. 14. Verordnung über die Abschreibung von Grundmitteln und die Bildung der Fonds für Generalreparaturen, GBl. 1964, Teil II, Nr. 14.

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Werk aus den veränderten Rohglaspreisen. Welche Dimension diese Preiserhöhung hatte, machen die Materialkosten für Duopalgläser deutlich. Vor der Industriepreisreform beliefen sich die Materialeinsatzkosten für ein derartiges Glas auf 2,10 Mark, danach auf 19,29 Mark. Die Preise für Diamantmaterial erhöhten sich durch die Reform um ca. 46 Prozent. Neben diesen Rostensteigerungen führten auch die höheren Abschreibungen und die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung zu steigenden Selbstkosten und einer veränderten Rostenstruktur. Ein Rostenvergleich zwischen 1966 und 1967 ergab, daß die Gesamtselbstkosten um 8,9 Prozent angestiegen waren. Die Aufwendungen für Grundmaterial erhöhten sich um 16,8 Prozent und die Gemeinkosten wuchsen um 6,3 Prozent. Unverändert blieben die Grundlohnkosten und die Rosten des Fonds Technik. Bei der Bewertung dieser Zahlen ist zu beachten, daß man seit 1964 besonders nachdrücklich versuchte, die Selbstkosten durch vielerlei Maßnahmen zu senken. Von vorgesetzter Seite war verlangt worden, daß die Selbstkosten im VEB Carl Zeiss JENA zwischen 1964 und 1967 um 20,3 Millionen Mark reduziert werden. 12 Einen breiten Raum nahmen die Maßnahmen zur Verringerung des Produktionsverbrauchs ein. Wie dringlich das war, lassen die Materialausnutzungskoeffizienten erkennen, die für Stahl bei 50, bei Rupfer bzw. Messing bei 40 und bei Aluminium bei 42 Prozent lagen. 13 Im Rahmen des Rationalisierungsprozesses war man bemüht, der Materialökonomie, bei der Ronstruktion beginnend, über die Technologie und bis zur Fertigung ein noch größeres Gewicht beizumessen. Das betraf die Substitution von Einsatzmaterialien. An die Stelle von Metall und Holz traten Plastwerkstoffe. Durch den weiteren Übergang zu zerspanungsarmer und spanloser Fertigung gelang es, Material einzusparen und gleichzeitig die Arbeitsproduktivität zu steigern. Dazu gehörte u. a. die Technologie des Flüssigpressens. 14 Eine Voraussetzung für eine wirksame Materialökonomie war die weitere Vervollkommnung der Materialverbrauchsnormen. Damit befaßte sich zwischen Januar und Juni 1967 eine Arbeitsgruppe, die dafür sorgte, daß 677 Normen neu erarbeitet und bestätigt sowie 700 Normen überarbeitet bzw. in ihrer Gültigkeit verlängert wurden. 15 Für die Senkung der Selbstkosten hatte die Arbeitsproduktivität eine besondere Bedeutung. Sie konnte in den sechziger Jahren durch verschiedene Maßnahmen erhöht werden. Dabei spielte die Qualifizierung der Arbeitskräfte eine besondere Rolle. Im Zeiss-Werk nahm die Arbeitsproduktivität je Produktionsarbeiter zwischen 1960 und 1965 auf der Basis der Bruttoproduktion um 42,4 Prozent 16 und zwischen 1967 und 1970 um 11,5 Prozent zu. 17 12

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Ina Riedl: Die Industriepreisreform von 1962 bis 1967 unter besonderer Beachtung der Preisentwicklung im VEB Carl Zeiss Jena. Diplomarbeit Jena 1986, S. 24-34. BACZ Nr. 23918 (Kleine Leitungssitzung der Stammbetriebe vom 13. Januar 1965). Betina Werner: Geschichte des VEB Carl Zeiss Jena 1965-1967. Diplomarbeit Jena 1985, S. 47-49. Werner: Geschichte des VEB Carl Zeiss Jena 1965-1967, S. 34. Errechnet nach Statistisches Jahrbuch 1965 für den VEB Carl Zeiss JENA, S. 21. Errechnet nach Statistisches Jahrbuch 1972 für den VEB Carl Zeiss JENA, S. 33.

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Die Rompensation der Rosten reichte aber nicht aus, um bei allen Erzeugnissen eine Preiserhöhung zu vermeiden. Die Preissumme sämtlicher Erzeugnisse lag 1967 um 2,4 Millionen Mark über dem Vorjahresniveau. Eine Betrachtung der Preisentwicklung von 15 Erzeugnisgruppen ergab, daß bei neun Gruppen die Preise 1967 über dem Stand von 1966 lagen. Das betraf besonders die Preise für Diamantwerkzeuge, photogrammetrische Geräte, ärztliche Spezialleuchten und astronomische Geräte. Die Preiserhöhungen in den Erzeugnisgruppen wirkten sich hauptsächlich für den Werkzeug- und den allgemeinen Maschinenbau sowie für die örtliche Wirtschaft negativ aus. Die Richtlinie über das neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft betonte die betriebswirtschaftliche Rennziffer Nettogewinn bei der Bewertung der ökonomischen Leistungsfähigkeit der staatlichen Betriebe. Das führte dazu, daß sich die Betriebe auf die Produktion von Erzeugnissen konzentrierten, deren Preise einen maximalen Nettogewinn ermöglichten. Dagegen wurde die Produktion von Erzeugnissen, mit denen sich die entsprechenden Gewinne nicht erzielen ließen, verringert oder gänzlich eingestellt. Das wirkte sich innerhalb kurzer Zeit auf das Investitions- und Verbrauchsgüterangebot aus und führte zu erheblichen Störungen im volkswirtschaftlichen Rreislauf, vor allem aber in der Versorgung der Bevölkerung mit preiswerten Waren. Von dieser Geschäftspolitik ließ sich auch die Generaldirektion des VEB Carl Zeiss JENA in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre leiten, so daß der Ökonomische Direktor, Horst Borrmann, zu einem Rontrollbericht des Amtes für Preise, Abt. Maschinenbau/Elektronik vom 24. Januar 1972 am 23. März 1972 feststellen muß: „Die Gründe für die bisher zum Teil noch nicht befriedigende Preisarbeit sind unter anderem auf die von der alten Rombinatsleitung (unter Ernst Gallerach d. V.) in die Preisarbeit hineingetragene falsche Ideologie der Erzielung maximaler Gewinne unter Mißachtung der Bedarfsdeckung wichtiger Erzeugnisgruppen zu suchen."18 Da die Industriepreisreform die Ronsumgüterpreise nicht tangieren durfte, wurde bei Ronsumgütern die Differenz zwischen Betriebs- und Industrieabgabepreis durch staatliche Subventionen ausgeglichen. Für die 1967 im Zeiss-Werk erzeugten Ronsumgüter im Wert von 51,7 Millionen Mark erhielt das Werk eine Preisstützung von 10,2 Millionen Mark. Davon waren 9,5 Millionen für Augengläser, 367.000 Mark für die Werra-Ramera, 194.000 Mark für Photoobjektive und die restliche Summe für Ferngläser, Lupen und Sonnenschutzbrillen vorgesehen. 19 Im Zuge des NÖSPL veränderte sich die Gewinnkalkulationsmethode. Bisher kalkulierte man die Gewinne in der Regel als Prozentsätze der Gesamtselbstkosten, dabei waren sechs Prozent Gewinn auf die Gesamtselbstkosten gestattet. Dadurch bestimmte der Materialeinsatz maßgeblich den Gewinnsatz. Jetzt wur18

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VA Nr. 767 (Borrmann: Stellungnahme zum Rontrollbericht des Amtes für Preise, Abt Maschinenbau/Elektrik vom 24. Januar 1972. 23. März 1972). Der Ministerrat der DDR hat am 17. November 1971 die Preispolitik korrigiert. Riedl: Die Industriepreisreform, S. 26, 40-41.

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den die Verarbeitungskosten ohne Einbeziehung des Materialeinsatzes der Gewinnkalkulation zugrunde gelegt. Der Gewinn des Betriebes wurde nun von folgenden Komponenten bestimmt: Verhältnis der betriebsindividuellen Rosten zu den im Preisnormativ bei der Kalkulation anerkannten normativen Verarbeitungskosten; Grad der Materialausnutzung; Qualitätsdifferenzierung bei Rohund Grundstoffen und den meisten Weiterverarbeitungsprodukten. Während bei Erzeugnissen von höherer Qualität Preiszuschläge kalkuliert werden konnten, mußten bei geringwertigen Produkten Preisabschläge in Kauf genommen werden. Die neuen betriebswirtschaftlichen Regelungen wirkten sich auch auf die statistische Erfassung der betriebswirtschaftlichen Prozesse aus, so daß es nicht möglich ist, die für den Zeitraum 1948 bis 1965 ermittelten Daten mit denen aus den folgenden Jahren zu vergleichen. Mit dem NÖSPL veränderte sich das Planungssystem. Die W B und die Betriebe erhielten von der Staatlichen Plankommission und vom Volkswirtschaftsrat bzw. von den 1966 neu gebildeten Industrieministerien für den Planungszeitraum 1966 bis 1970 nur noch Orientierungsziffern. Die konkrete Planung oblag nun den Produzenten. Die Diskussion um den Per- Abb. 43 Am 16. Juni 1965 wurde das Forschungshochhaus an der Schillerspektivplan für die Jahre 1966 bis 1970 straße in Jena eingeweiht eröffnete Kurt Büttner in der kleinen Werkleitungssitzung am 16. Juni 1964. Zur gleichen Zeit entstand ein Perspektivprogramm für den Industriezweig Wissenschaftlicher Gerätebau/Optik. 20

Die Entscheidung des Volkswirtschaftsrates vom 30. Dezember 1964 Der latente Widerspruch zwischen dem breiten Produktionsprogramm und den Produktionsbedingungen ließ im Sommer 1960 im Zeiss-Werk erneut den Wunsch nach einer stärkeren Entlastung aufkommen, zumal sich weitere Forderungen an das Werk abzeichneten. Den Weg dazu sah man darin, anderen Betrieben des Industriezweiges Wissenschaftlicher Gerätebau/Optik ausgewählte

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VA Nr. 1163 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 2. Februar 1965).

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Zeiss-Produktionen zu übertragen. Damit aber das Zeiss-Werk die Rontrolle über eine qualitätsgerechte Ausführung der Arbeiten behielt, mußte eine Unternehmensform gefunden werden, die eine unmittelbare Einflußnahme der ZeissWerkleitung auf diese Betriebe erlaubte. Dafür wurde am 1. April 1963 eine Voraussetzung geschaffen, in dem der Volkswirtschaftsrat das Zeiss-Werk aus der W B herauslöste und der Abteilung Werkzeugmaschinen und Gerätebau im Volkswirtschaftsrat direkt unterstellte. Zwischen November 1963 und Ende 1964 wurde im zentralen Parteiapparat der SED, im Volkswirtschaftsrat und im Zeiss-Werk intensiv über die Art und Weise diskutiert, wie die neue Wirtschaftseinheit im Industriezweig beschaffen sein sollte. Walter Ulbricht hatte während eines Rundganges auf der Leipziger Frühjahrsmesse im März 1964 die Erwartung geäußert, daß bis zum 1. Januar 1965 das neue Kombinat gebildet ist.21 Die Entscheidung über die geeignete Form der Wirtschaftseinheit war nicht einfach, denn es galt, zwei Besonderheiten des VEB Carl Zeiss JENA zu berücksichtigen. Der Firmenname Carl Zeiss war Eigentum der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena. 1948 hatte die Stiftung die Lizenz zur Nutzung dieses Namens an den Staatsbetrieb Optik Carl Zeiss Jena VEB erteilt. Das war eine der Grundlagen für die juristische Auseinandersetzung mit der Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim und der Firma Carl Zeiss, Oberkochen, die nicht in Frage gestellt werden durfte. In vermögensrechtlicher Hinsicht war es nicht möglich, daß zwei juristische Personen den Namen Carl Zeiss nutzen konnten. Die zweite Besonderheit bestand in den mit der Carl-Zeiss-Stiftung verbundenen Personalrechten der Beschäftigten in den früheren Stiftungsunternehmen VEB Carl Zeiss JENA, VEB Jenaer Glaswerk Schott & Gen. und VEB Jenapharm, die entweder aufgegeben oder auch den Belegschaften der Betriebe, die in das Kombinat eingehen, übertragen werden mußten. Diese beiden Besonderheiten standen der vorgesehenen Kombinatsbildung entgegen, so daß die Rechtsstelle zum Schutz des Volkseigentums dafür plädierte, alle eigentumsrechtlichen Veränderungen zu unterlassen, die das bestehende Verhältnis zwischen Carl-Zeiss-Stiftung und den vormaligen Stiftungsunternehmen tangieren könnten. Das betraf auch die Firmierung der beabsichtigten Unternehmenskonstruktion. Im November 1964 hatte man sich im Volkswirtschaftsrat endlich entschieden, welcher Wege einzuschlagen ist, um im Industriezweig Wissenschaftlicher Gerätebau/Optik die Bildung eines Kombinates einzuleiten, ohne die diesem Vorhaben entgegenstehenden politischen, wirtschaftlichen und juristischen Gründe zu ignorieren. Die Lösung bot eine „Verfügung über die Einsetzung des VEB Carl Zeiss JENA als Leitbetrieb im Industriezweig Wissenschaftlicher Gerätebau/ Optik", die von der Abteilung Recht des Völkswirtschaftsrates vorbereitet worden war. Sie bestimmte, daß der VEB Carl Zeiss JENA mit Wirkung vom 1. Januar 1965 „als Leitbetrieb der Betriebe des Industriezweiges Wissenschaftlicher Ge-

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Breuer: Zur Politik der SED für die Herausbildung und Entwicklung sozialistischer Industriekombinate in der DDR, S. 55.

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rätebau" eingesetzt wird. Zu diesem Industriezweig wurden nun gezählt: VEB Carl Zeiss JENA, VEB Rathenower Optische Werke, VEB Feinoptisches Werk Görlitz, VEB Freiberger Präzisionsmechanik, VEB Feinmeß Dresden, VEB Feinmeßzeugfabrik Suhl, VEB Gerätebau Dresden und VEB Werkzeugmaschinenfabrik Mögelin. Zur Stellung des VEB Carl Zeiss JENA im Industriezweig heißt es in dieser Verfügung: „Der Leitbetrieb ist Führungsorgan des Industriezweiges. Er arbeitet nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung und trägt entsprechend den in zentralen staatlichen Plänen festgelegten volkswirtschaftlichen Zielsetzungen bei voller Wahrung der juristischen Selbständigkeit sowie Eigenverantwortlichkeit der in Ziff. 2 genannten Betrieben die Verantwortung für die allseitige Erfüllung der staatlichen Aufgaben und die Einhaltung der dafür festgelegten materiellen und finanziellen Fonds. ... Die anderen Betriebe des Industriezweiges arbeiten ebenfalls nach den Prinzipien der wirtschaftlichen Rechnungsführung." Ferner wurde bestimmt, daß der Leitbetrieb durch den Generaldirektor nach dem Prinzip der Einzelleitung geleitet wird und dem Leiter der Abteilung Werkzeugmaschinen und Automatisierung im Volkswirtschaftsrat für die Erfüllung der Aufgaben des Leitbetriebes und der Betriebe des Industriezweiges verantwortlich und rechenschaftspflichtig ist. Dieser Verfügung wurde am 24. November 1964 im Beschluß des Volkswirtschaftsrates zugestimmt. Allerdings enthielt dieser Beschluß keinen Hinweis auf einen Leitbetrieb. Vielmehr wurde darin bestimmt, daß die in der Verfügung aufgeführten Betriebe dem VEB Carl Zeiss JENA mit Wirkung vom 1. Januar 1965 „unterstellt" werden. „Der VEB Carl Zeiss Jena mit unterstellten Betrieben hat in seiner Stellung gegenüber dem Volkswirtschaftsrat die Rechte und Pflichten einer WB. Der VEB Carl Zeiss Jena trägt die volle Verantwortung für den Reproduktionsprozeß der unterstellten Betriebe. Der VEB übt die Leitung des wissenschaftlichen Gerätebaus/Optik in Personalunion aus und hat gegenüber den Betrieben des wissenschaftlichen Gerätebaus/Optik die Rechte und Pflichten einer WB." 22 Darüber informierte Ernst Gallerach die Mitglieder der Werkleitung am 24. November 1964.23 Nachdem diese Entscheidung gefallen war, konnte Erich Wichler am 8. Dezember 1964 die „Direktive zur Realisierung des Programms zur vorrangigen Entwicklung des Wissenschaftlichen Gerätebaus. VEB Carl Zeiss Jena mit unterstellten Betrieben gemäß Ministerratsbeschluß" in der Werkleitungssitzung vorstellen. Aber inzwischen waren im Volkswirtschaftsrat Zweifel aufgekommen, ob es richtig ist, dem Zeiss-Werk alle zum Industriezweig gezählten Betriebe zu unterstellen. Man kam zu dem Schluß, daß dem Zeiss-Werk am 1. Januar 1965 ledig-

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Archiv Mühlfriedel: Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik, Volkswirtschaftsrat, Sitzungsmaterial vom 24. November 1964. VA Nr. 1162 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 24. November 1964).

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lieh der VEB Rathenower Optische Werke, der VEB Freiberger Präzisionsmechanik und der VEB Werkzeugmaschinenfabrik in Mögelin unterstellt werden. Das wurde Hugo Schrade am 30. Dezember 1964 fernschriftlich mitgeteilt. In der Mitteilung aus Berlin hieß es dann noch, daß eine Veröffentlichung dieses Beschlusses nicht erfolgt und seine Publikation außerhalb des Betriebes untersagt ist 2 4 Diese Konstruktion wurde möglich, weil 1963 eine grundlegende Umgestaltung der Vereinigung Volkseigener Betriebe erfolgte. Während die W B bisher lediglich eine Ebene in der Leitungshierarchie zwischen Volkswirtschaftsrat und Staatlicher Plankommission einerseits und den Staatsbetrieben andererseits bildeten, wurden sie nun zu industriellen Organismen ausgebildet. Sie verfügten sowohl über alle Funktionen, die zur Führung eines Industriezweiges erforderlich waren, als auch über die juristischen und ökonomischen Mittel, um die wirtschaftlichen Prozesse in ihrem Industriezweig vorzubereiten, zu planen und zu realisieren. Die W B waren für die Grundfragen der wissenschaftlich-technischen, ökonomischen und strukturellen Entwicklung ihres Industriezweiges ebenso verantwortlich wie für die ständige Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Betriebsbelegschaften. 25 Über diese Kompetenzen verfügte nun auch die Leitung des VEB Carl Zeiss JENA mit unterstellten Betrieben. Entsprechend der Grundsätze für die Leitungsstruktur des neuen Typs der Vereinigungen Volkseigener Betriebe fungierte Hugo Schrade in Personalunion als Generaldirektor der im Industriezweig geschaffenen neuen Wirtschaftseinheit und als Werkleiter des Zeiss-Werkes. In der Berufungsurkunde, die Hugo Schrade am 6. Januar 1965 erhielt, heißt es: „Mit Wirkung vom 1.1.1965 berufe ich Sie zum Generaldirektor des VEB Carl Zeiss, Jena. In dieser Eigenschaft haben Sie den VEB Carl Zeiss, Jena, unter ständiger Einbeziehung der Werktätigen und ihrer Organisationen nach dem Prinzip der persönlichen Verantwortung zu leiten. Sie tragen die Verantwortung für die gesamte politische, ökonomische und organisatorische Tätigkeit des VEB Carl Zeiss, Jena, mit unterstellten Betrieben des Wissenschaftlichen Gerätebaus/Optik gegenüber dem Volkswirtschaftsrat, dem Sie auch rechenschaftspflichtig sind. In diesem Rahmen steht Ihnen eine umfassende Weisungsbefugnis zu. Sie sind bei Ihren Entscheidungen an die geltenden Gesetze und Pläne sowie die Weisungen des Volkswirtschaftsrates gebunden." 26 Die neue Wirtschaftseinheit im Industriezweig Wissenschaftlicher Gerätebau/Optik - VEB Carl Zeiss JENA mit unterstellten Betrieben - hatte in der Struktur der staatlichen Industrie den Rang einer W B erhalten, nicht den eines Kombinates. Obgleich man in der Vorbereitungsphase sowohl in Jena als auch in Berlin immer davon sprach, daß im Industriezweig ein Kombinat geschaffen 24 25 26

VA Nr. 1163 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 30. Dezember 1964). Ökonomisches Lexikon L-Z, S. 925. VA Nr. 5079 (1) (Berufungsurkunde für Hugo Schrade vom Volkswirtschaftsrat der DDR vom 6. Januar 1965).

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wird, entschieden sich die maßgeblichen Wirtschaftspolitiker im Volkswirtschaftsrat schließlich dazu, der neuen Wirtschaftseinheit die Rechtsform der W B zu geben. Damit behielten der VEB Carl Zeiss JENA und die ihm unterstellten Betriebe ihre juristische und ökonomische Selbständigkeit. Es kam zu keiner Fusion. Dieser Entscheidung lagen wohl mehrere Überlegungen zugrunde. Da die Stabilisierung der DDR-Volkswirtschaft noch nicht abgeschlossen war, befürchtete man im Volkswirtschaftsrat offensichtlich, daß ein solches Experiment in dem sensiblen Industriezweig scheitern und nachteilige Folgen für die Volkswirtschaft haben könnte. Immerhin hing auch ein wesentlicher Teil des Exports vom Zeiss-Werk und anderen Betrieben im Industriezweig ab. Im VEB Carl Zeiss JENA waren die Verhältnisse nicht stabil genug, um die mit der Bildung eines Industriekombinates verbundenen Aufgaben und Probleme ohne weiteres zu bewältigen. Die Produktionsprogramme der Betriebe, die in das Kombinat eingehen sollten, waren noch zu heterogen. Obendrein war der technisch-technologische Ausrüstungstand in diesen Betrieben zumeist nicht derart, daß ihre Erzeugnisse ohne weiteres dem Zeiss-Qualitätsstandard entsprachen. Das war aber eine Voraussetzung, um die Erzeugnisse unter dem Namen Carl Zeiss JENA auf den Markt zu bringen. Bei der Entscheidung über die Form der angestrebten Wirtschaftseinheit im Industriezweig spielten auch die juristischen Auseinandersetzungen mit der Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim und der Firma Carl Zeiss, Oberkochen, um den Namen Carl Zeiss und die gewerblichen Alt-Warenzeichen eine maßgebliche Rolle. Da im Schriftverkehr nach außen oder in Publikationen nicht von einem ZeissKombinat, sondern nur vom VEB Carl Zeiss JENA, gelegentlich vom VEB Carl Zeiss JENA mit unterstellten Betrieben, die Rede war, wird im folgenden aus formalen und aus sachlichen Gründen ebenfalls die Bezeichnung Kombinat unterlassen. Im Zeiss-Werk und in den zentralen Leitungsgremien herrschte die Meinung, daß es sich bei der neuen Wirtschaftseinheit um ein Kombinat handelt, und man bezeichnete sie intern auch als Kombinat. Um aber die besondere Verfassung des VEB Carl Zeiss JENA mit unterstellten Betrieben zu unterstreichen, werden im folgenden - wenn die neu entstehende Wirtschaftseinheit Gegenstand der Darstellung ist - entweder die Bezeichnung VEB Carl Zeiss JENA mit unterstellten Betrieben oder der Begriff Zeiss-Verbund verwendet Wenn hingegen nur der VEB Carl Zeiss JENA behandelt wird, dann steht wie bisher entweder der Firmenname oder Zeiss-Werk. In dem Wirtschaftsorganismus VEB Carl Zeiss JENA mit unterstellten Betrieben entstanden in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre die ersten Grundelemente eines Industriekombinates. Sie bestanden in der Herausbildung einer Generaldirektion, die in zunehmendem Maße in die Verantwortung für die Gesamtheit der Betriebe hineinwuchs. Das betraf die Planungsprozesse für die gesamte Wirtschaftseinheit, die Lenkung der Investitionen und die Verwaltung der gemeinsamen Fonds, die Organisation der Arbeitsteilung zwischen dem ZeissWerk und den unterstellten Betrieben sowie zwischen den unterstellten Betrieben, die inhaltliche Führung der wissenschaftlich-technischen Arbeit und die Anleitung der unterstellten Betriebe auf technisch-technologischem Gebiet Aber

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in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre nahmen der komplizierte organisatorische Umbau und die Kapazitätserweiterung im Zeiss-Werk die Aufmerksamkeit der Generaldirektion so in Anspruch, daß sie die Vorgänge in den unterstellten Betrieben und die Probleme, die es dort gab, vielfach vernachlässigte. Dabei spielte wohl auch eine auf das Zeiss-Werk bezogene Denkweise der Jenaer Führungskräfte eine Rolle, denn noch am Beginn der siebziger Jahre wird im Geschäftsbericht des VEB Carl Zeiss JENA festgestellt: „Die Leitung war 1972 gezwungen, sich vorwiegend auf die Sicherung der Planerfüllung am Standort Jena zu konzentrieren. Entwicklungsprobleme der juristisch selbständigen Betriebe wurden dadurch nicht immer rechtzeitig erkannt und gelöst."27 Andererseits waren die Leiter der unterstellten Betriebe wiederum darauf bedacht, ihre Eigenständigkeit gegenüber der Generaldirektion möglichst lange zu wahren. Erst Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre reiften die Elemente weitgehend aus, die dazu berechtigen, von einem Kombinat im Industriezweig Wissenschaftlicher Gerätebau/Optik zu sprechen. Dazu trugen auch die Bemühungen der SED-Wirtschaftspolitiker bei, in der Industrie Kombinate zu schaffen. Doch zurück zum Beginn dieses Prozesses in Jena. Am 22. Dezember 1964 hielt Hugo Schrade die erste Direktorensitzung ab. Das Direktorium setzte sich aus dem Ersten Stellvertreter des Generaldirektors, Ernst Gallerach, dem Kaufmännischen Direktor, Kurt Büttner, dem Ökonomischen Direktor, Horst Borrmann, dem Direktor für Forschung und Entwicklung, Paul Görlich, dem Direktor für Kader, Willi Seele, der zugleich für die Berufsschule zuständig war, und dem Direktor für Technik, Rudolf Müller, zusammen. 28 Zur Führung der Wirtschaftseinheit wurden ein Wissenschaftlich-technisches Zentrum und eine Fachleitstelle geschaffen. 29 Der Generaldirektor, sein Erster Stellvertreter und die Fachdirektoren stützten sich in ihrer Tätigkeit auf die Hauptabteilungen Organisation und Rechentechnik, Ordnung und Sicherheit, Information, Qualität, Forschung und Entwicklung, Technik, Kader, Ökonomie und Produktion. 30 Die dem VEB Carl Zeiss JENA unterstellten Betriebe verfügten über ein historisch gewachsenes Produktionsprogramm. Die Rathenower Optischen Werke produzierten Mikroskope, Metallspektroskope, Projektionsobjektive für Steh-, Laufbild- und Rückprospektion, Ferngläser, ophthalmologische Geräte und Augenarztbestecke, Augengläser, Brillengestelle sowie Maschinen und Zubehör für Augenoptik. Die Freiberger Päzisionsmechanik fertigte Röntgenfeinstrukturgeräte und Vermessungsgeräte, darunter Nivelliere, Theodoliten, Großbauüberwachungsgeräte sowie nautische Geräte und Mikrotome. Die Werkzeugmaschinenfabrik Mögelin war für den Bau und die Instandsetzung von Optikmaschinen und Mechanikerdrehmaschinen vorgesehen.

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VA Nr. 1234 (Geschäftsbericht des VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1972). Hellmuth: Der Wandel der Strukturen im VEB Carl Zeiss Jena, S. 54; VA Nr. 1163 (SchradeArbeitsbuch. Eintragung vom 22. Dezember 1964). Hellmuth: Der Wandel der Strukturen im VEB Carl Zeiss Jena, S. 54. VA Nr. 1791c (Kombinatsbildungsprozeß).

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Die Betriebe des Zeiss-Verbundes produzierten 1965 - nach Planvorgabe Erzeugnisse im Wert von insgesamt 354,6 Millionen Mark. Daran hatten die vier Betriebe einen unterschiedlich großen Anteil. Der Jahresplan für 1965 sah für das Zeiss-Werk eine Warenproduktion von 294,8, für die Rathenower Optischen Werke von 46,8, für die Freiberger Präzisionsmechanik von 8,8 und für das Mögeliner Werk von 4,2 Millionen Mark vor. Das Produktionsprogramm des Zeiss-Verbundes umfaßte acht Warengruppen. Die Warengruppe Wissenschaftliche Geräte hatte einen Anteil von 46,8 Prozent, gefolgt von den Warengruppen Medizinische Geräte und Augenoptik mit 15,8 und der Warengruppe Photokinotechnik mit 13,2 Prozent. Die speziellen Geräte, das waren vornehmlich optische Militärerzeugnisse, hatten einen Anteil von 5,2 Prozent 31 Daran hatten die Betriebe des Zeiss-Verbundes - wie aus den Daten der Tabelle 26 zu entnehmen ist einen unterschiedlichen Anteil. Die Erzeugnisstruktur des Zeiss-Verbundes ist der Tabelle 26 im Tabellenanhang zu entnehmen. 1965 beschäftigten diese Betriebe insgesamt 21.388 Arbeiter und Angestellten und bildeten 1.560 Lehrlinge aus. Darüber hinaus arbeiteten für das Zeiss-Werk in den Strafanstalten Bautzen und Torgau 99 Häftlinge. Die Qualifikationsstruktur der Beschäftigten geht aus der Tabelle 27 im Tabellenanhang hervor.

Das Perspektivprogramm vom Februar 1965 Nachdem Anfang Juni 1964 der Konzeptionsentwurf für das Perspektivprogramm des Industriezweigs „Wissenschaftlicher Gerätebau/Optik" für die Jahre 1964 bis 1970 in der Abteilung Werkzeugmaschinen und Gerätebau des Volkswirtschaftsrates bekannt gegeben worden war, 32 begannen Arbeitsgruppen im Zeiss-Werk die einzelnen Programmteile auszuarbeiten. Am 8. Dezember 1964 lag schließlich der Entwurf des Programms unter dem Titel „Direktive zur Realisierung des Programms zur vorrangigen Entwicklung des Wissenschaftlichen Gerätebaus. VEB Carl Zeiss Jena mit unterstellten Betrieben gemäß Ministerratsbeschluß" vor. Aber nach der Entscheidung des Volkswirtschaftsrates vom 30. Dezember 1964 wurde es notwendig, das ursprüngliche Perspektivprogramm für den Industriezweig Wissenschaftlicher Gerätebau/Optik an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Schließlich konnte Dr. Erich Wichler, der die Federführung bei der Programmerarbeitung hatte, am 2. Februar 1965 die Direktoren des VEB Carl Zeiss JENA über den Inhalt des fünften Programmentwurfs informieren. 33 Das Programm begann mit einer Zustandsanalyse des optischen Präzisionsgerätebaus, die ergab, daß infolge der politisch-ökonomischen Entwicklung nach 1945 das Erzeugnissortiment sehr umfangreich geworden ist und das Leistungs51

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Errechnet nach VA Nr. 1397 (Industriezweiganalyse VEB Carl Zeiss Jena mit unterstellten Betrieben vom 15. Juli 1965). Zitiert in Kowalski: Der wissenschaftlich Gerätebau der DDR in den 60er Jahren, S. 67. VA Nr. 1165 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung von 2. Februar 1965).

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vermögen des Industriezweiges übersteigt. Das hatte bei einer größeren Anzahl von Erzeugnissen zu einem technischen Rückstand geführt. Durch die ungenügende Leistungsfähigkeit der Zulieferindustrie für Sondermaterialien und elektronische Bauelemente wurde die Einbeziehung der Elektronik bei der Entwicklung neuer Geräte behindert. Das zwang die Gerätebetriebe zu zeit- und kraftraubenden Arbeiten, um auf diesen Gebieten durch Eigenentwicklungen Abhilfe zu schaffen. Dadurch wurden die ohnehin knappen Kapazitäten für Forschung und Entwicklung, Musterbau und Produktion überfordert. All das verringerte die Erfolgsaussichten auf dem Markt. Sodann wurden die Aufgabenfelder des Industriezweiges bestimmt: „Der Wissenschaftliche Gerätebau hat durch Bereitstellen von Geräten, Apparaten und Anlagen - zum Beobachten oder Messen von Naturvorgängen - zur Herstellung und Aufrechterhaltung wählbarer Betriebszustände die Arbeitsproduktivität in der naturwissenschaftlichen Forschung und in der materiellen Produktion sowie auf anderen Gebieten der Volkswirtschaft (ζ. B. Gesundheitswesen) wesentlich zu steigern und damit einen entscheidenden Beitrag zur Durchsetzung der technischen Revolution in der DDR zu leisten." Als Hauptaufgaben des Industriezweiges wurden genannt: 1. Sicherung des Bedarfs der führenden Industriezweige, insbesondere der chemischen Industrie, an wissenschaftlichen Geräten aus eigener Produktion und auf internationalem Niveau 2. Deckung des Bedarfs der Forschungsinstitute aus eigener Produktion und in rationellen Stückzahlen 3. Bereitstellung von optischen Präzisionsgeräten mit hohen Deviseneriösen für den direkten und indirekten Export. In dem Programm wurden dann drei zu entwickelnde Geräteklassen angeführt. Das waren Geräte zur Forschung mit hoher Meßgenauigkeit und maximalem Meßbereich für universelle Anwendung, insbesondere für Laboratoriumsbedarf, Geräte für die Routinemessung in Forschung und Industrie in robuster, geschlossener Bauweise mit ökonomischen, meist automatisierten Arbeitsablauf, sicher im Einsatz, in der Meßgenauigkeit und im Meßbereich dem Anwendungszweck angepaßt, für den Einsatz im Prüffeld und Betrieb erheblich billiger als Forschungsgeräte und Prozeßkontrollgeräte für automatische Überwachung von Produktionsprozessen. Das Programm enthielt ferner die Schwerpunkte für die wissenschaftlich-technische Entwicklung in den einzelnen Gerätegruppen und für die gerätegebundenen Bauelemente - synthetische Kristalle, Laser, asphärische Optik, Fresnellinsen, optische Spezialfilter, optische Gitter. Da für die nächsten fünf Jahre keine nennenswerten Investitionen in Aussicht standen, wurde auf eine vollständige Nutzung der vorhandenen Kapazitäten in Forschung, Entwicklung und Produktion und vor allem auf die Arbeitsteilung innerhalb des Zeiss-Verbundes orientiert. Im Laufe des Jahres 1965 trat hinsichtlich der Investitionen eine entscheidende Veränderung ein. Am 22. Dezember 1965 bestätigte die Staatliche Plankommission die Technisch-ökonomische Zielstellung für das Investitionsvorhaben

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„Rationalisierung, Rekonstruktion und Erweiterung des VE Β Carl Zeiss", dessen Zentrum das „Produktionssystem Süd" bildete. Dazu wurden Arbeiten an dem Investitionsvorhaben noch im Jahre 1965 aufgenommen. 34 Für diese Entscheidung waren neben der wachsenden Einsicht in den Planungsbehörden, daß die ohnehin wachsenden Anforderungen an den Industriezweig Wissenschaftlicher Gerätebau/Optik mit den vorhandenen Kapazitäten nicht zu bewältigen sind, vor allem zwei Vorgänge ausschlaggebend. Der erste Vorgang stand im Zusammenhang mit dem „Programm zur Entwicklung, Einführung und Durchsetzung der maschinellen Datenverarbeitung in der DDR in den Jahren 1964-1970", das der Ministerrat der DDR am 3. Juli 1964 beschlossen hatte.35 Darin war der Bau einer universell einsetzbaren Datenverarbeitungsanlage der unteren Mittelklasse Robotron 300 - vorgesehen. Dazu gehörte ein Magnetbandspeicher, dessen Entwicklung in den Händen des Wissenschaftlichen Industriebetriebes EREMA (Elekronische REchenMAschinen) in Rarl-Marx-Stadt lag. Die Mitarbeiter dieses Betriebes sahen sich außerstande, dem Höchstmaß an feinmechanischer Präzision zu entsprechen, das das Transportwerk des Speichers erforderte, weil die Start- und Stoppvorgänge das Magnetband außerordentlich stark beanspruchten. Da von der Lösung dieses Problems das gesamte Robotron-Projekt abhing, ersuchte der Volkswirtschaftsrat im Frühjahr 1965 die Leitung des Zeiss-Werkes, die Entwicklungsarbeiten an diesem Peripheriegerät zu übernehmen und das Gerät zu produzieren. Der Staatsauftrag umfaßte die Forschungs- und Entwicklungsthemen Magnetbandtransport, Informationselektronik und Achtspur-Magnetköpfe. Das Gerät sollte 1967 in die Produktion gehen. Die dazu nötigen Forschungs-, Entwicklungs- und Investitionsmittel kamen aus dem Staatshaushalt. Der Stellvertretende Generaldirektor wies am 5. Juni 1965 an, in Gera den Betrieb für Informationsverarbeitungstechnik aufzubauen. 36 Die Leitung des neuen Betriebes übertrug er Jochen Weimar.37 Der zweite Vorgang resultierte aus Problemen, die es beim Aufbau der mikroelektronischen Industrie in den RGW-Staaten gab. Zur Entwicklung und Produktion von elektronischen Bauelementen bedurfte es feinmechanisch-optischer Ausrüstungskomponenten. Als der Minister für Elektrotechnik und Elektronik, Otfried Steger, Anfang Mai 1966 in Moskau weilte, um elektronische Bauelemente und Ausrüstungen für die mikroelektronische Industrie in der DDR zu

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Günther Weißflog/Wolfgang Mühlfriedel: Ein Zeiss-Betrieb profiliert sich - Geräte von Mikro bis Makro. Geschichte des Betriebes für optischen Präzisionsgerätebau in der Carl Zeiss Jena GmbH (Typoskript), 1990, S. 25. Erich Sobeslavsky: Der schwierige Weg von der traditionellen Büromaschine zum Computer. In: Erich Sobeslavsky/Nikolaus Joachim Lehmann: Zur Geschichte der Rechentechnik und Datenverarbeitung in der DDR 1946-1968, Dresden 1996, S. 61. Werner: Geschichte des VE Β Carl Zeiss Jena 1965-1967, S. 74. Zur Aufbaugeschichte des I-Betriebes: Lothar Löscher: Der Magnetbandspeicher - ein Beitrag von Carl Zeiss Jena zur DDR- und RGW-Rechentechnik (ESER); Jochen Weimar: Ergänzende Bemerkungen zum Magnetbandspeicher. Beide in: Schreiner: Schaltkreise, S. 37-51; Katharina Schreiner/Lothar Löscher: 2. Befragung von Jochen Weimar (Typoskript). Archiv des Thüringer Forums für Wissenschaft und Bildung.

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beschaffen, wurde er von seinen sowjetischen Verhandlungspartnern um Unterstützung ersucht. Dabei ging es mit Blick auf das Zeiss-Werk um lithographische Geräte. Nach seiner Rückkehr aus Moskau ließ der Minister einen Maßnahmeplan zur Mikroelektronik ausarbeiten, der auch folgende Passage enthält: „Entsprechend den Forderungen bzw. Wünschen der UdSSR ist die Möglichkeit der Erweiterung bzw. Umprofilierung der Forschungs- und Entwicklungskapazitäten im VEB Carl Zeiss JENA zur Sicherung der vorrangigen Entwicklung der Mikroelektronik zu prüfen. Dabei geht es insbesondere um Ausrüstungen für die Maskenherstellung, Präzisionsgeräte der physikalischen und Analysenmeßtechnik, Spezialmikroskope usw. In Auswertung der auf dem Gebiet der Halbleitertechnik und Mikroelektronik durchzuführenden Expertenberatungen mit der UdSSR sind durch den VEB Carl Zeiss JENA in Abstimmung mit der W B Bauelemente und Vakuumtechnik die erforderlichen Schlußfolgerungen zum Perspektivplan dem Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik vorzulegen."38 Nach der internen Prüfung der Möglichkeiten im Zeiss-Werk und nach eingehenden Konsultationen mit sowjetischen Fachleuten, entschied sich die Generaldirektion für eine Mitarbeit auf diesem Gebiet. Das wurde in das entsprechende Abkommen zwischen dem Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik der DDR und dem Ministerium für Elektronische Industrie der UdSSR vom 20. Dezember 1968 aufgenommen. 39

Das Ende der Ära Schrade 1965 hielt es der Erste Stellvertreter des Generaldirektors, Ernst Gallerach, an der Zeit, die Funktion von Hugo Schrade, der das Pensionsalter erreicht hatte, zu übernehmen. Ernst Gallerach hatte sich seit 1962 mit dem Zeiss-Werk vertraut gemacht und es als seine besondere Aufgabe angesehen, die Richtlinien des Neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft im VEB Carl Zeiss JENA umzusetzen. Herbert Weiz erinnert sich in einem Interview: „Gallerach konnte später die Zeit des Wechsels nicht abwarten, er machte Druck

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VA Nr. 2018 (MaDnahmeplan zur Auswertung der Reise einer Delegation des Ministeriums für Elektrotechnik und Elektronik unter Leitung des Ministers, Genösse Steger, in die UdSSR vom 2. bis 7. Mai 1966). Zur Vorgeschichte der Erzeugnisgruppe Elektronik: Hansjürgen Pröger: Die Anfange der Mikroelektronik bei Carl Zeiss Jena. In: Schreiner: Politkrimi oder Zukunftsmodell, S. 82-85; VA Nr. 2018 (Vereinbarung zwischen der Regierung der DDR und der UdSSR über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der photolithographischen Prozesse und der Schaffung entsprechender Gerätekomplexe; Rechenschaftslegung des Gerätebetriebes am 25. Juli 1968. III. Entwicklung des Gerätesystems E; Sitzungsmaterial WTK Systemgruppen Elektronik. Kurzfassung vom 13. Februar 1969); B-B Nr. 163 (Jörg Fischer: Entstehung und Entwicklung des Betriebes für den optischen Präzisionsgerätebau im Kombinat Carl Zeiss JENA (Typoskript), S. 17).

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und wurde schnell Generaldirektor von Zeiss."40 Es war aber nicht einfach - wie schon frühere Versuche gezeigt hatten - Hugo Schrade aus seiner Stellung zu verdrängen. Er hatte einen starken Rückhalt in der Belegschaft, war - im Gegensatz zu Ernst Gallerach - alter Zeissianer und fand die Unterstützung Walter Ulbrichts und sowjetischer Fachleute, die im Regierungsapparat der UdSSR einflußreiche Positionen innehatten. Nicht zuletzt war Hugo Schrade für die Führung der Warenzeichenprozesse in den verschiedenen Ländern unentbehrlich. Nachdem Hugo Schrade das 65. Lebensjahr überschritten hatte, schien aber für Ernst Gallerach und führenden SED-Funktionären die Voraussetzung gegeben, Hugo Schrade aus der Position des Generaldirektors zu verdrängen. Im Dezember 1965 ordnete Günter Mittag eine Aussprache über die Leitungstätigkeit im Zeiss-Werk an, die auch in der zweiten Dezemberhälfte 1965 stattfand. An ihr nahmen der 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED im Bezirk Gera, Herbert Ziegenhahn, der Sekretär der Industriekreisleitung der SED im VEB Carl Zeiss JENA, Heinz Tittl, und Ernst Gallerach teil. Hugo Schrade war bei dieser Aussprache nicht zugegen. Dabei ging es - folgt man der Information, die Gerhard Tautenhahn am 24. Dezember 1965 verfaßt und am 28. Dezember 1965 Günter Mittag übersandt hatte - zunächst um die Beziehungen zwischen Hugo Schrade und Ernst Gallerach. Die Teilnehmer beklagten, daß die „einheitliche Leitung und systematische Erziehung der leitenden Rader" im Zeiss-Werk nicht im erforderlichen Maße gewährleistet sei. „Für die Direktoren und Betriebsleiter gibt es faktisch zwei Leiter im Betrieb". Hugo Schrade war offensichtlich nicht gewillt, seinem Ersten Stellvertreter ohne weiteres das Feld zu überlassen. Gerhard Tautenhahn führte eine Reihe von Beispielen dafür an, daß Hugo Schrade von Ernst Gallerach getroffene Festlegungen in dessen Abwesenheit rückgängig gemacht hatte. So habe er die Beratung von „Maßnahmen zur Durchsetzung des Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft im VEB Carl Zeiss Jena" von der Tagesordnung einer erweiterten Werkleitungssitzung genommen, weil er der Auffassung sei, daß man Leitungsverantwortung nicht delegieren kann, sondern nur Aufgaben. Hugo Schrade habe auch erklärt, „ihm würden die Beratungen in der Werkleitung nicht mehr gefallen, weil es zu wenig widersprüchliche Meinungen gebe". In der Zeit, „als er mit Herrn Schomerus ... zusammengearbeitet habe, wäre das Verhältnis zu einander anders gewesen". In der Information an Günter Mittag wurde Friedrich Schomerus als „Geschäftsleiter in der Zeit des Faschismus" bezeichnet, obwohl den Jenaer Teilnehmern der Aussprache bekannt gewesen sein mußte, daß Friedrich Schomerus erst seit Ende Juni 1945 als Geschäftsleiter fungierte und 1933 auf Betreiben des nationalsozialistischen Betriebsrats seine Stellung als Leiter der Personalhauptleitung des Zeiss-Werkes verloren hatte. Gerade diese Charakterisierung von Friedrich Schomerus läßt den gegen Hugo Schrade gerichteten Tenor der Aussprache

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Archiv des Thüringer Forum für Bildung und Wissenschaft e.V. Katharina Schreiner: Befragung bzw. Ausführungen vom 17.1.2000 von Dr. Herbert Weiz, Jg. 1924 bei CZJ vom 12.10.555.7.62.

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erkennen. Jedenfalls weigerte sich Hugo Schrade, hinsichtlich der vorgeschlagenen Maßnahmen zur Durchsetzung des NÖSPL im Zeiss-Werk so lange etwas zu unternehmen, „bis der Leiter der Rechtsabteilung von der Auslandsreise zurück ist und er sich mit ihm hinsichtlich der Einhaltung des Statuts der Carl-Zeiss-Stiftung habe beraten können". Um ihrem Vorhaben, Hugo Schrade abzulösen, stärkeren Nachdruck zu verleihen, führten die Teilnehmer der Aussprache einige Beispiele an, die ihrer Meinung nach besonders geeignet waren, Hugo Schrade in den Augen des ZK-Sekretärs politisch-moralisch zu diskreditieren und die „vom politischen Standpunkt untersucht werden müssen". Am Schluß der Information verwies Gerhard Tautenhahn auf einige Probleme im Umgang mit Hugo Schrade, die „politisch sehr diffizil sind" und über die deshalb „zentral", also innerhalb des ZR-Apparates, zu entscheiden war. Sie betrafen die „Möglichkeiten der vollen Wahrnehmung der Verantwortung in der Leitung des VEB Carl Zeiss Jena durch den Genossen Ernst Gallerach, die Auswirkungen, die sich daraus ergeben sowohl für den Betrieb als auch für das künftige Tätigkeitsgebiet des Genossen Prof. Dr. Schrade", die „Rolle des Genossen Prof. Dr. Schrade in der Führung des Warenzeichenprozesses und die zu erwartenden Auswirkungen, wenn er keinen Einfluß auf die Prozeßführung mehr ausübt" sowie die „Prüfung einiger Probleme im Zusammenhang mit dem persönlichen Verhalten des Genossen Prof. Dr. Schrade". 41 Die Diktion der Information von Gerhard Tautenhahn läßt deutlich erkennen, daß die Parteifunktionäre fest entschlossen waren, Hugo Schrade endgültig aus der Funktion des Generaldirektors des VEB Carl Zeiss JENA zu entfernen und Ernst Gallerach an dessen Stelle zu setzen. Da aber auf das Mitwirken von Hugo Schrade bei den Warenzeichenprozessen nicht verzichtet werden konnte, entschieden sie, daß Hugo Schrade weiterhin als Bevollmächtigter der Carl-ZeissStiftung fungieren soll. Die ganze Anlage der von Günter Mittag angeordneten Aussprache verdeutlicht, daß die Situation für Hugo Schrade immer unfreundlicher wurde. Der Führungsstil, den Ernst Gallerach und andere Führungskräfte pflegten, entsprach weder der langjährigen Erfahrung noch der Mentalität von Hugo Schrade. Obendrein zeichnete sich eine Entwicklungsrichtung für das Zeiss-Werk ab, die nicht mit seinem traditionellen Charakter übereinstimmte. Das betraf die innere Beschaffenheit ebenso wie das Produktionsprogramm. Hinzu kam, daß der Gesundheitszustand von Hugo Schrade seit einiger Zeit beeinträchtigt war, so daß er nicht mehr über die alte Spannkraft und Leistungsfähigkeit verfügte. Im ersten Halbjahr 1966 entschied er sich für den Rückzug aus der Funktion des Generaldirektors des VEB Carl Zeiss JENA. Am 27. Juli 1966 besprach er mit Minister Otfried Steger im Beisein von Ernst Gallerach die Modalitäten seines Ausscheidens. Dabei wurde vereinbart, daß die Leitung des VEB

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Archiv des Thüringer Forum für Bildung und Wissenschaft e.V.: Mitteilung von G. Tautenhahn an Dr. Mittag vom 28. Dezember 1965; Information über einige wichtige Probleme der Leitungstätigkeit im VEB Carl Zeiss Jena vom 24. Dezember 1965.

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Carl Zeiss JENA am 4. August 1966 an Ernst Gallerach übergeht. Der Minister erkannte Hugo Schrade das Recht zu, auf Lebenszeit den Titel „Generaldirektor i. R." zu tragen und Angehöriger des VEB Carl Zeiss JENA zu bleiben. Ernst Gallerach ersuchte Hugo Schrade am 8. August 1966 in einem Schreiben, „bestimmte Aufträge, die vor allem mit der Rechts Vertretung des VEB Carl Zeiss Jena im Ausland zusammenhängen, zu übernehmen." Im gleichen Schreiben hielt Ernst Gallerach fest: „Ich habe davon Kenntnis genommen, daß durch das Ausscheiden als Generaldirektor des VEB Carl Zeiss Jena keine Veränderung in Ihrer Funktion als Mitglied beider Geschäftsleitungen der Carl Zeiss-Stiftung (Zeiss- und Schott-Werk d. V.) eintreten."42 Mit dem Ausscheiden von Hugo Schrade aus der Werkleitung ging im Sommer 1966 auch eine Ära in der Geschichte des Jenaer Werkes zu Ende, die von ihm maßgeblich geprägt worden war. Er hatte im Sommer 1945 unter mißlichen Umständen gemeinsam mit Victor Sandmann und Friedrich Schomerus die Verantwortung für das Zeiss-Werk und die Carl-Zeiss-Stiftung übernommen. In den über zwanzig Jahren seines Wirkens war er bestrebt, das Erbe von Carl Zeiß und Ernst Abbe zu wahren. Ungeachtet aller Fährnisse - Kriegsfolgen, Demontage, staatssozialistische Eingriffe - war es ihm und seinen Mitarbeitern, unterstützt von großen Teilen der Belegschaft, gelungen, das Jenaer Zeiss-Werk wieder zu einem international angesehenen und leistungsfähigen feinmechanisch-optischen Unternehmen zu machen. Von der Richtigkeit seiner Unternehmenspolitik überzeugt, ließ er sich durch politische Denunziationen großer und kleiner Funktionäre des Parteiapparates der SED nicht beirren. Wenngleich er während seiner Tätigkeit manchen politischen Kompromiß schließen mußte, versuchte er bei seinen beruflichen und persönlichen Entscheidungen immer den Grundinteressen des Werkes und seiner Belegschaft gerecht zu werden.43 Rudolf Müller, der Technische Direktor des Zeiss-Werkes und langjähriger Stellvertreter von Hugo Schrade, hat in seinen Erinnerungen das Wesen von Hugo Schrade im Zusammenhang mit einer besonderen Situation charakterisiert: „Schon immer, aber besonders gerade in dieser Zeit, war die überlegene Art des Werkdirektors Dr. Hugo Schrade ein Garant für ein friedvolles Nebeneinander dieser großen Geister (Paul Görlich und Herbert Kortum d. V.), wie überhaupt aller Werktätigen. Der gutmütige Schwabe behielt die Ruhe, er schwieg mit seiner Autorität einfach solche Reibereien tot. Wenn er mit seiner rauchenden schwarzen Brasil durch den Betrieb ging, dann stimmte es im Betrieb. Die Arbeiter stellten dann fest, daß der Plan wieder einmal erfüllt war. Viele harte Worte, aus der Zeit heraus geborene Entscheidungen, harte Worte im kämpferischen Disput, glättete er durch seine Autorität und durch den Respekt, den er den Menschen zollte. Für den Aufbau des Werkes, für die Überwindung der sich aus vielen revolutionären Taten ergebenden Spannungen, für das Einschleusen neuer

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VA Nr. 5079 (1) (Schreiben von Ernst Gallerach an Hugo Schrade vom 8. August 1966). Mühlfriedel: Hugo Schrade und das Zeiss-Werk nach 1945, S. 52-54.

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wissenschaftlicher Rader aus anderen Industriebereichen war er die Persönlichkeit. Die alten Zeissianer vor allem schätzten ihren Werkleiter. Rein Nachfolger Dr. Hugo Schrades konnte auch nur annähernd gleiche Popularität erlangen." 44 Wenige Tage nach seinem 74. Geburtstag verstarb Hugo Schrade nach langer und schwerer Krankheit. Im Nachruf in der Jenaer Rundschau heißt es: „Hugo Schrade hat viele Jahre schöpferisch und erfolgreich den Neuaufbau des VEB Carl Zeiss JENA geleitet. Er hat wesentlichen Anteil an der Aufwärtsentwicklung und der Stärkung des internationalen Ansehens des Volkseigenen Betriebes Carl Zeiss JENA... In den Jahren seines Wirkens im VEB Carl Zeiss JENA erwarb sich Hugo Schrade hohe Achtung und Wertschätzung, die im Zeiss-Kollektiv fortleben werden." 45

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NL XIII/13 Rudolf Müller - Erinnerungen. Prof. Dr. Dr. Hugo Schrade verstorben. In: Jenaer Rundschau 1974, S. 360.

SIEBENTES KAPITEL

Die Politbüro- und Ministerratsbeschlüsse von 1967 und 1968 und die Schwierigkeiten bei ihrer Realisierung Die Politbüro- und Ministerratsbeschlüsse von 1967 und 1968 Ende 1965 entstand aus den einschlägigen Abteilungen des Volkswirtschaftsrates das Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik. Zum Minister wurde der Diplomingenieur für Elektrotechnik Otfried Steger berufen, der seit 1963 die Abteilung Elektrotechnik im Volkswirtschaftsrat geleitet hatte. Diesem neuen Ministerium war der VEB Carl Zeiss JENA unterstellt. Auf der bereits erwähnten Reise Otfried Stegers Anfang Mai 1966 nach Moskau spielte die Zusammenarbeit beider Länder auf dem Gebiet der Mikroelektronik eine wesentliche Rolle. Dabei kam auch die Mitwirkung des Zeiss-Werkes bei der Entwicklung technologischer Ausrüstungen für die Mikroelektronik zur Sprache und führte in Jena zu weitreichenden Ronsequenzen. In seinen Anfang 1967 unterbreiteten Vorschlägen für die Änderung der Struktur der elektronischen Industrie, die zugleich die ministerielle Führungskonzeption für die weitere Entwicklung der elektronischen Industrie und des Industriezweiges Wissenschaftlicher Gerätebau/Optik war, 1 hatte er die sowjetische Forderung nach einer Mitwirkung des Zeiss-Werkes berücksichtigt Aus diesem Grund befaßte sich das Politbüro der SED im Februar 1967 mit dem Ausbau des Zeiss-Werkes. Am 12. April 1967 faßte das Präsidium des Ministerrates der DDR den „Beschluß zur Deckung des Bedarfs an wissenschaftlichen Präzisionsgeräten durch Beschleunigung der Entwicklung des VEB Carl Zeiss JENA", der die „Grundrichtung der Entwicklung des VEB Carl Zeiss zur Erhöhung der Produktion von wissenschaftlichen Präzisionsgeräten zur Verbesserung der Bedarfsdeckung der DDR und zur Sicherung des Exports durch Rationalisierung, bessere Auslastung der vorhandenen Fonds durch Zuführung von Arbeitskräften sowie durch Umprofilierung von Betrieben anderer Zweige" festlegte. Dem Beschluß war die Anlage über „Maßnahmen zur vorfristigen Inbetriebnahme des Investitionsvorhabens, Rationalisierung, Rekonstruktion und Erweiterung des VEB Carl Zeiss Jena im IV. Quartal 1971'" beigefügt 2 Wenige Tage nach dieser Beschlußfassung tagte der VII. Parteitag der SED, der die langfristigen Entwicklungstendenzen in Wissenschaft und Technik und die Ronsequenzen behandelte, die sich daraus für die Wissenschafts- und Wirtschaftspolitik der Partei ergaben. Willi Stoph erklärte in diesem Zusammenhang:

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Zitiert in Detlef Eckert: Die Politik der SED zur Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts im Fünfjahrplanzeitraum 1966 bis 1970 (Industrie der DDR). Dissertation, Berlin 1986, S. 45. VA Nr. 2020 (Präsidium des Ministerrates der DDR. Beschluß zur Deckung des Bedarfs an wissenschaftlichen Präzisionsgeräten durch Beschleunigung der Entwicklung des VEB Carl Zeiss - Jena vom 12. April 1967).

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„Infolge der großen Bedeutung des wissenschaftlichen Gerätebaus ist es notwendig, im VEB Carl Zeiss Jena die bestehenden Disproportionen, die die schnelle Überleitung von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten ernsthaft behindern, zu beseitigen." 3 Ernst Gallerach, der sich an der Diskussion beteiligte, übergab die Prognose des VEB Carl Zeiss JENA.4 Am 20. April 1967 besuchte Leonid Iljitsch Breshnew, Generalsekretär der KPdSU, das Zeiss-Werk. Dabei wurden vor allem weitere Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit sowjetischen Partnereinrichtungen im optischen Präzisionsgerätebau erörtert. Im November 1967 stellte die SED-Führung auf der 3. ZR-Tagung fest, daß im Laufe des Jahres eine Reihe von Industriezweigen ein höheres Wachstum aufweist als im Volkswirtschaftsplan vorgesehen. Demgegenüber entspreche das Tempo auf wissenschaftlich-technischem Gebiet, bei der Produktion strukturbestimmender Erzeugnisse und bei der Herstellung von Rationalisierungs- und Automatisierungsmitteln nicht den Erfordernissen. Daraus leitete der Führungszirkel die Notwendigkeit ab, den Industriezweigen Elektronik, Datenverarbeitung, BetriebsMeß-, Steuer- und Regeltechnik, Rationalisierungs- und Automatisierungsmittelbau und wissenschaftlicher Gerätebau für 1968 größere Aufgaben zu stellen. Diese strukturpolitische Ausrichtung und das vorgegebene Entwicklungstempo wurde nicht nur von dem Bestreben, den Rückstand gegenüber den fortgeschrittenen westlichen Industrieländern zu verringern, beAbb. 44 Leonid Iljitsch Breshnew (r. sitstimmt. Die Staaten des Warschauer zend), Ernst Gallerach (links) und Werner Eberlein (hinten rechts) Paktes sahen sich auch wegen der anim Zeiss-Werk. 20. April 1967 gespannten außenpolitischen Situation veranlaßt, die Ausrüstung ihrer Streitkräfte rascher zu modernisieren, denn in Vietnam eskalierte der Einsatz amerikanischer Truppen und im Nahen Osten schwelte nach dem dritten israelisch-arabischen Krieg die Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern weiter.

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Protokoll des VII. Parteitages der SED, 17. Bis 22. April 1967 in der Werner-SeelenbinderHalle zu Berlin, 1.-3. Verhandlungstag, Berlin 1967, S. 122, 437. 40 Jahre in Volkes Hand. Chronik.Teil 1, S. 81.

Die Politbüro- und Ministerialratsbeschlüsse von 1967 und 1968

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Im Frühjahr 1968 wurde in Zusammenarbeit mit der Zeiss-Generaldirektion im zentralen Parteiapparat der SED, in der Staatlichen Plankommission und im Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik ein Beschluß des Politbüros des ZK der SED zum optischen Präzisionsgerätebau vorbereitet. Dazu hatte die Generaldirektion des VEB Carl Zeiss JENA Material über die langfristige Entwicklung des Zeiss-Wirtschaftsverbundes vorbereitet, das von Walter Ulbricht prinzipiell gebilligt worden war. Um einige damit verbundene Probleme vor Ort zu klären, besuchte Walter Ulbricht am 25. April 1968 in Begleitung von Günter Mittag, Günther Kleiber, Fachministern und Mitarbeitern des Parteiapparates das Zeiss-Werk. Dabei ging es vor allem um die Beziehung zwischen dem ZeissWerk, der Jenaer Universität und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen in

Abb. 45 Besuch Walter Ulbrichts am 25. April 1968 in Jena anläßlich der Grundsteinlegung für Bau 6/70 (v. 1. n. r.: Dr. Joachim Pohl, Walter Ulbricht, Lotte Ulbricht, Ernst Gallerach)

der DDB. Walter Ulbricht äußerte die Ansicht, daß die wissenschaftlichen Einrichtungen für das Zeiss-Werk arbeiten müßten. Er plädierte für den Ausbau der naturwissenschaftlich-technischen Bereiche an der Friedrich-Schiller-Universität und konstatierte: „hier geht es um die Ausrichtung der Universität auf die Belange von Zeiss". Zur Unterstützung des Zeiss-Werkes verlangte Walter Ulbricht einen Gesamtplan, in dem festgelegt werden sollte, welche Forschungsinstitute zur Arbeit für das Zeiss-Werk verpflichtet werden. „Die Forschung bei

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Ihnen ist richtig, sie kann so bleiben". Dann warf er die Frage auf: „Welche Betriebe übernehmen die Serienproduktion von Erzeugnissen, die CZ herstellt? ... Es muß festgelegt werden, für welche Erzeugnisse wer was übernimmt oder es muß festgelegt werden, welche neue Betriebe aufzubauen sind." Schließlich verlangte er die Errichtung einer neuen Werkhalle in Leichtbauweise. „Dieses neue Zeiss-Werk muß vor allem Rationalisierungsmittel für die DDR bauen." Kritisch äußerte sich Walter Ulbricht zum baulichen Zustand der Jenaer Innenstadt und zur architektonischen Gestaltung von Neu-Lobeda. „Man kann eine Stadt mit einem Werk, das solche Spitzenleistungen bringt, nicht in diesem Zustand lassen." Für den Stadtkern forderte er einen Generalbebauungsplan. Schließlich ging er auf die Voraussetzungen für das kulturelle Leben im ZeissWerk und an der Universität ein.5 Am 26. April 1968 legte dann das Politbüro der SED fest, „den VEB Carl Zeiss Jena zu einem Zentrum der Großforschung und Produktion für die Rationalisierungs- und Automatisierungstechnik der DDR auf der Grundlage der Entwikklung und Produktion von Gerätesystemen des wissenschaftlichen Gerätebaus zu entwickeln". 6 Nach diesem Besuch in Jena stellte eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Walter Ulbricht und Willi Stoph ein Programm für die weitere Entwicklung des Zeiss-Werkes und der Stadt Jena zusammen, das von der Staatlichen Plankommission in einen Beschlußentwurf für den Ministerrat gebracht wurde. Kern dieses Programms bildete die vervollkommnete Prognose, die von Fachleuten des Zeiss-Werkes erarbeitet worden war. Dazu ist allerdings zu bemerken, daß der ökonomische Nutzen der vorgesehenen Investitionen sehr großzügig berechnet wurde, um die günstige Gelegenheit, Investitionsmittel, Baukapazität und moderne Ausrüstungen zu erhalten, zu nutzen.

Vorbehalte im Präsidium des Ministerrates Nachdem der Beschlußentwurf in den zuständigen Ministerien beraten worden war, lag er am 28. August 1968 dem Präsidium des Ministerrats zur abschließenden Beratung vor. Unter dem Vorsitz von Alfred Neumann erörterten Dr. Rurt Fichtner, zuständig für Grundfonds- und Investitionspolitik, Walter Halbritter, Leiter des Amtes für Preise, Wolfgang Rauchfuß, verantwortlich für Außen- und Innerdeutschen Handel, Gerhard Schürer, Vorsitzender der Staatlichen Plankommission, und Dr. Herbert Weiz, Minister für Forschung und Technik, das Vorhaben. Sie waren sich darin einig, daß es im Grundsatz gebilligt werden muß, hegten aber hinsichtlich einzelner Positionen ernsthafte Bedenken. Herbert Weiz hielt Verschiedenes für überzogen und riet zu einer näheren Überprüfung, um

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Hausmitteilung von Gerhard Tautenhahn an Günter Mittag über den Besuch des Staatsratsvorsitzenden, Genossen Walter Ulbricht, am 25. April 1968 im VEB Carl Zeiss Jena. In: Erinnerung an die Zukunft, S. 143-154. Zitiert in Eckert: Die Politik der SED zur Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts im Fünfjahrplanzeitraum 1966 bis 1970, S. 60.

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„sachkundige Entscheidung" treffen zu können. So betrachtete er den Bau eines Sportpalastes in Jena mit 5.000 Plätzen für eine Illusion. Alfred Neumann brachte die Sprache auf die bis 1975 geforderten 6.000 neuen Planstellen für Forschung und Entwicklung, die einen weiteren Bedarf von 19.000 Stellen nach sich ziehen würden, weil auf jede Planstelle vier Hilfskräfte kamen. Nachdem die Runde der Stellvertretenden Ministerpräsidenten sich dafür entschieden hatte, der Grundlinie des Beschlußentwurfs in allgemeiner Form zuzustimmen, aber die Details nochmals prüfen zu lassen, wurden anschließend die Fachminister um ihre Meinung ersucht. Ohne das Vorhaben prinzipiell in Frage zu stellen, verwies jeder Fachminister auf Schwierigkeiten, die sich aus seiner Sicht bei der Realisierung ergeben werden. Der Minister für Bauwesen, Wolfgang Junker, machte darauf aufmerksam, daß von den etwa sechs Milliarden Mark umfassenden Investitionen bis 1975 3,4 bis 4 Milliarden Mark auf die Bauleistungen entfallen werden. Da aber das Bauwesen im Bezirk Gera schwach entwickelt sei, werde es notwendig, 5.000 Bauarbeiter aus anderen Bezirken in Jena einzusetzen und 500 Millionen Mark zur Vorbereitung der Bauarbeiten vorzusehen. Der Bauminister hatte dabei nicht nur die Investitionsmittel im Auge, die für den Aufbau der Produktionsstätten benötigt wurden, sondern die Gesamtinvestitionen. Er sah als Hauptproblem, „daß eine richtige Ordnung in dem Gesamtinvestitionsplan der DDR erfolgen muß." Unter Verweis auf bereits beschlossene Großvorhaben wie das Atomkraftwerk Nord bemerkte er: „Aber diese Vorhaben haben bereits eine beträchtliche Kraft gekostet und jetzt kommt ein weiteres Vorhaben hinzu." Der Minister für Leichtindustrie, Wittik, machte die Runde darauf aufmerksam, daß das Schott-Werk weder bei den Investitionen noch bei den Arbeitskräften oder dem Anteil an Wohnraum im Beschlußentwurf hinreichend berücksichtigt wurde. In seinen Schlußbemerkungen ging Alfred Neumann auf das Grundproblem in der Volkswirtschaft der DDR ein, das in diesen Jahren am Beispiel Zeiss erneut sichtbar wurde: „Die forcierte Entwicklung bei Zeiss erfordert eine Überprüfung der Proportionen in den Industriezweigen, Bereichen und Kombinaten, die durch die Entwicklung in Mitleidenschaft gezogen werden, der viele Industriezweige zwingt, sich nach dem neuen Vorhaben auszurichten. Wenn das nicht gelingt, dann werden wir den ökonomischen Vorteil von Zeiss dafür verwenden müssen, um die Rückstände der anderen zu beseitigen." Am Schluß der Zusammenkunft wurde dem Vorhaben prinzipiell zugestimmt und Wolfgang Rauchfuß, Otfried Steger und Gerhard Schürer beauftragt, den Beschluß abschließend so zu redigieren, daß sein Anliegen erhalten bleibt, die fraglichen Details aber vage formuliert werden. 7

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Niederschrift über die Behandlung des Beschlußvorschlages „Entwicklung des VEB Carl Zeiss Jena zum Zentrum der Forschung und Produktion für die Rationalisierungs- und Automatisierungstechnik der DDR auf der Grundlage der Entwicklung und Produktion vorn Gerätesystemen des wissenschaftlichen Gerätebaus" in der Sitzung des Präsidiums des Ministerrates am 28. August 1968. In: Erinnerungen an die Zukunft, S. 155-179.

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Der Verlauf der Debatte im Präsidium des Ministerrates veranschaulicht die Situation, in der sich die Wirtschaftspolitiker im Staatsapparat Ende der sechziger Jahre befanden. Sie wußten, daß die Volkswirtschaft der DDR nicht über die Leistungskraft verfügte, die der engere Führungszirkel um Walter Ulbricht ihr abverlangte. Zugleich waren sie aber auch nicht gewillt, offen gegen Projekte zu opponieren, von denen sie wußten, daß sie in der vorgesehenen Form nicht zu realisieren waren. Sie beschränkten sich auf das Vortragen von Vorbehalten und auf einige Korrekturen. Der Ministerratsbeschluß trat am 28. August 1968 in Kraft. Er bestimmte, den „VEB Carl Zeiss Jena zu einem Zentrum der Forschung und Produktion für die Rationalisierungs- und Automatisierungstechnik der DDR auf der Grundlage der Entwicklung und Produktion von Gerätesystemen des wissenschaftlichen Gerätebaus" zu entwickeln, „die Stadt Jena zu einer sozialistischen Stadt der Wissenschaft und Technik" zu gestalten sowie „die Lebensbedingungen der Werktätigen des VEB Carl Zeiss Jena und der Bevölkerung von Jena" zu verbessern. Das Zeiss-Werk war bis 1975 auf die „Entwicklung und Produktion von Gerätesystemen mit wissenschaftlich-technischem Höchststand zur Rationalisierung, Automatisierung der Arbeitsprozesse in Industrie, Bauwesen und Landwirtschaft, zur Erschließung neuer Wege und Erkenntnisse in der naturwissenschaftlichen und technischen Forschung und zur Stärkung der Landesverteidigung" zu konzentrieren. 8 Die Forschungskapazität des Zeiss-Werkes sollte durch die Zusammenarbeit mit der Friedrich-Schiller-Universität erweitert werden. Ende Oktober 1968 zeigte sich die SED -Spitze auf der 9. Tagung des ZK bei der Analyse der Wirtschaftsentwicklung erneut mit dem Entwicklungstempo auf wissenschaftlich-technischem Gebiet unzufrieden. Sie forderte, bei wichtigen Erzeugnissen und Verfahren den wissenschaftlich-technischen Höchststand bereits 1975/76 zu erreichen und nicht erst - wie bisher vorgesehen - 1980. Daraus leitete die SED-Führung die Notwendigkeit ab, auf strukturbestimmenden Gebieten leistungsfähige Industriekombinate zu bilden, die Großforschung zu organisieren, in den Kombinaten die Forschung und Entwicklung zu konzentrieren und die Automatisierung durchzusetzen. Die Kombinate sollten nun zu Partnern der zentralen staatlichen Planung und Leitung werden. Im Rahmen der Planung für die Zeit von 1971 bis 1975 wurden die Kennziffern für die Volkswirtschaftspläne 1969 und 1970 gegenüber dem Gesetz zum Fünfjahrplan 1966 bis 1970 wiederum wesentlich erhöht. In beiden Jahren wurden Vorhaben in Angriff genommen, die bisher nicht vorgesehen waren. Nun wurde auch die „konsequente Fortführung der komplexen Rationalisierung einschließlich ihrer höchsten Stufe, der Automatisierung ganzer Prozesse", zum Hauptweg der volkswirtschaftlichen Entwicklung erklärt. Dafür sollten innerhalb kurzer Zeit die produktionsorganisatorischen Voraussetzungen und die materiell-technischen Bedingungen geschaffen werden. 8

VA Nr. 2020 (Entwicklung des VEB Carl Zeiss Jena zum Zentrum der Forschung und Produktion für die Rationalisierungs- und Automatisierungstechnik der DDR vom 28. August 1968).

Die Politbüro- und Ministerialratsbeschlüsse von 1967 und 1968

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Davon wurden im Frühjahr 1969 auch in Jena die Arbeiten am Perspektivplan für den Zeitraum bis 1975 beeinflußt. Man begnügte sich nun nicht mehr mit den Kennziffern, die dem Ministerratsbeschluß vom 28. August 1968 zugrunde lagen. Das geht aus einem Material zur Effektivitätsberechnung zum Ministerratsbeschluß hervor, das am 31. Mai 1969 abgefaßt worden war.9 Vor dem Ministerratsbeschluß war man von einem Investitionsaufwand von 945,1 Millionen Mark ausgegangen, der Ministerratsbeschluß sah 1.700 Millionen Mark vor und der Perspektivplanentwurf enthielt 1.990 Millionen Mark. In diesem Material wurden die Anteile der Gerätesysteme an der Produktion im Jahre 1975 aufgeführt. Die Elemente dieser Systeme waren Geräte verschiedener Erzeugnisgruppen, die zur Lösung komplexer Arbeitsaufgaben in Wissenschaft, Industrie und Gesundheitswesen benötigt werden. Während das jährliche Produktionswachstum bei 27 Prozent liegen sollte, erwartete man bei den Gerätesystemen eine Zunahme pro Jahr von 49 Prozent, so daß der Anteil der Gerätesysteme am Produktionsvolumen, der 1970 bei 36,9 Prozent lag, bis 1975 auf 81,2 Prozent steigen würde. 1975 sollten die einzelnen Systemgruppen folgende Anteile aufweisen: Gerätesystem Aktive und passive Längenmeßtechnik, insbesondere Numerik, 32,2 Prozent, Gerätesystem Informationsspeichertechnik 31,7 Prozent, Gerätesystem Stoff- und Strukturanalyse im Mikro- und Makrobereich 12 Prozent und das System Erzeugung und Messung von Mikrostrukturen 5,3 Prozent. Während für Geräte der Längenmeßtechnik, für Analysenmeßgeräte, Mikroskope, ausgewählte Bildmeßgeräte, Vermessungsgeräte und Geräte der Dokumentationstechnik ein überdurchschnittliches Wachstum vorgesehen war, sollte die Produktion anderer Erzeugnisse lediglich durchschnittlich wachsen, zurückgehen oder überhaupt auslaufen. Das betraf Photoobjektive, Augengläser, Ferngläser und astronomische Geräte. Bei Augengläsern und Brillenfassungen wollte man nur noch den DDR-Bedarf decken. Mit der Begründung, der Bedarf an astronomischen Geräten sei im wesentlichen gedeckt, sollte die Entwicklung und Fertigung dieser Geräte gänzlich eingestellt werden. Bei einzelnen astronomischen Geräten war ein Import vorgesehen. Bis 1980 sollte die Speichertechnik 39 Prozent, die Längenmeßtechnik 35 Prozent, die Analysenmeßtechnik 15 Prozent und die terrestrischen und exterrestrischen Vermessungsgeräte sieben Prozent zur Geräteproduktion beitragen. Der Rest entfiel auf die sonstigen wissenschaftlichen Geräte. Für 1980 war eine Gesamtproduktion von 3,1 Milliarden Mark vorgesehen. Die Beschlüsse der SED-Führung und des Ministerrates der DDR zur Entwicklung des VEB Carl Zeiss JENA in den Jahren 1967/68, in denen die sicherheitsrelevanten Aspekte eine größere Rolle als bisher spielten - es soll nur auf die strategischen Projekte, die gemeinsam mit der UdSSR bearbeitet wurden und auf

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VA Nr. 2020 Material zum Beschluß des Ministerrates vom 28. August 1968. (Effektivitätsberechnung zum Beschluß zur Entwicklung des VEB Carl Zeiss JENA vom 28. August 1968 vom 31. Mai 1969).

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den größeren Beitrag des Zeiss-Werkes zur Ausrüstung der Streitkräfte der Warschauer-Pakt-Staaten verwiesen werden - veranlaßten das Ministerium für Staatssicherheit, sich intensiver mit den politischen und ökonomischen Vorgängen im Zeiss-Werk zu befassen. Mitarbeiter der Bezirks- und Kreisdienststelle dieses Ministeriums unterhielten schon seit den frühen fünfziger Jahren Rontakte im Zeiss-Werk. 1957 entstand dann in der Kreisdienststelle Jena eine spezielle Operativgruppe von zehn Mitarbeitern, deren Arbeitsfeld das Zeiss-Werk war. Am 1. März 1968 schuf das Ministerium eigens eine Objektdienststelle in Jena für die Tätigkeit im VEB Carl Zeiss JENA mit 38 Mitarbeitern, deren vornehmliche Aufgabe in der Abwehr von Militär- und Industriespionage und in der Sicherstellung des Geheimnisschutzes bestand. Zugleich hatten sie dafür zu sorgen, daß von der Belegschaft, insbesondere aber von ausgewählten Personengruppen, unerwünschte politisch-ideologische Einflüsse ferngehalten werden. Ferner war es Aufgabe der Objektdienststelle, die Leitungsgremien des Zeiss-Werkes bzw. Zeiss-Kombinates zu kontrollieren, ob sie SED-Beschlüsse und die staatlichen Pläne erfüllen, sowie Informationen über die wissenschaftlich-technischen und ökonomischen Verhältnisse auf den westlichen Märkten zu sammeln und auszuwerten. Die Mitarbeiter des Ministeriums stützten sich auf Informanten in den verschiedenen Bereichen des Zeiss-Werkes. Im Laufe der Jahre vergrößerte sich der Personenkreis in der Kombinatsleitung und in den Betriebsleitungen, der sich vom Ministerium für Staatssicherheit zur Mitarbeit verpflichten ließ. Mitte der siebziger Jahre waren 160 und 1989 250 Belegschaftsangehörige als Inoffizielle Mitarbeiter für dieses Ministerium tätig. Dazu kamen noch die Gesellschaftlichen Mitarbeiter für Sicherheit und die Inoffiziellen Mitarbeiter für Konspiration. Entsprechend der Aufgaben des Ministeriums im Zeiss-Kombinat war der Anteil der Inoffiziellen Mitarbeiter an der Belegschaft in einigen Bereichen besonders hoch. Er belief sich im Außenhandelsbetrieb auf 2,7 Prozent der Belegschaft, in den Betrieben für die Entwicklung wissenschaftlich-technischer Ausrüstungen und für optische Präzisionsgeräte auf 1,6 Prozent bzw. auf 1,1 Prozent. In der Kombinatsleitung waren 1,6 Prozent der Beschäftigten Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums. Unter den Informellen Mitarbeitern befanden sich vornehmlich Führungskräfte, die nicht nur die Informationen liefern konnten, an denen das Ministerium Interesse zeigte, sondern auch für die Einhaltung der sich ständig verschärfenden Sicherheitsvorschriften sorgten. Dazu gehörte in erster Linie die Personalpolitik. Vor allem seit den siebziger Jahren wurden Zeiss-Mitarbeiter, die aus der Sicht der Staatssicherheit als unzuverlässig beurteilt wurden, von sicherheitsrelevanten Arbeiten möglichst ferngehalten. Die Geheimhaltungsvorschriften erschwerten die wissenschaftlich-technische Kommunikation zwischen den Fachleuten, und die selektive Personalpolitik unterbrach bzw. verzögerte Forschungs- und Entwicklungsarbeiten, weil aus Sicherheitserwägungen Wissenschaftler und Konstrukteure ihr bisheriges Arbeitsgebiet aufgeben mußten und mit anderen Aufgaben betraut wurden. Von Vorteil erwiesen sich hingegen die besonderen Möglichkeiten des Ministeriums, wenn im westlichen Währungsgebiet Geräte, Halbzeuge, Materialien, Unterlagen für bestimmte Vorhaben zu beschaffen waren, die aufgrund

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der Embargopolitik der USA und ihren Verbündeten auf kommerziellen Wege nicht erworben werden konnten. 10

Die Liquiditätskrise Als die Realisierung der Ministerratsbeschlüsse im vollen Gange war, wurden die Schwierigkeiten, in der sich die Volkswirtschaft der DDR Ende der sechziger Jahre befand, auch in Jena immer deutlicher spürbar. Die Investitionsvorhaben kamen nicht im vorgegebenen Tempo voran, weil es an der erforderlichen Baukapazität mangelte und die Lieferung von Gebäudeausrüstungen nicht fristgemäß erfolgte. In der laufenden Produktion kam es zu unvorhergesehenen Störungen. Das war auch in anderen Industriezweigen zu beobachten. Eine Reihe von Vorhaben in der chemischen und elektronischen Industrie wurde nicht fertig gestellt. Der wachsende Bedarf an Elektroenergie konnte nicht mehr gedeckt werden. Wichtige Rohstoffe und Materialien standen nicht in der erforderlichen Menge und Qualität zur Verfügung. Das Bau- und Transportwesen war den Anforderungen nicht mehr gewachsen. Als die SED-Führung im Dezember 1969 vor der Entscheidung stand, ob der in den letzten Jahren verfolgte wirtschaftspolitische Rurs beibehalten wird oder zugunsten einer ausgeglicheneren Entwicklung der Volkswirtschaft verändert werden muß, beschloß sie, auch weiterhin Kräfte und Mittel auf ausgewählte Vorhaben zu konzentrieren. Sie ließ sich noch immer von der Illusion leiten, daß auf diese Weise die Voraussetzungen für eine ausgeglichene Volkswirtschaft in späteren Jahren geschaffen werden, die dann zu einer grundlegenden Verbesserung der Lebenslage der Bevölkerung führen würde. Solange müsse die Bevölkerung, insbesondere aber die Arbeiterschaft, Opfer bringen. 1970 wurden die Investitionen in der Industrie erneut bedeutend erhöht, die Organisation von Großforschungszentren in „entscheidenden" Industriezweigen in die Wege geleitet und die Systemautomatisierung in den Vordergrund gestellt. Für 1970 wurde eine Akkumulationsrate von 23,6 Prozent vorgegeben. Gleichzeitig nahm man in den Bezirksstädten Investitionsvorhaben in Angriff, die im Volkswirtschaftsplan überhaupt nicht enthalten waren und für die weder Material noch Personal bilanziert waren. In der ersten Hälfte des Jahres 1970 wurde immer deutlicher, daß sich die Volkswirtschaft der DDR in einer Krise befand. Das veranlaßte das Politbüro der SED am 8. September 1970 zu einer ersten Analyse der ökonomischen Situation und zu Korrekturen an geplanten und zusätzlichen Investitionen. 12 In Vorbereitung auf die 14. Tagung des ZK der SED im Dezember 1970 verfaßten maßgebende wirtschaftspolitische Mitarbeiter des zentralen Parteiapparats der SED ein Material,

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Reinhard Buthmann: Radersicherung im Kombinat VEB Carl Zeiss Jena. Eckert: Die Politik der SED zur Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts im Fünfjahresplanzeitraum 1966 bis 1970, S. 87-93. Geschichte der SED. AbriB, Berlin 1978, S. 542, S. 545-546; Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin 1981, 287-288.

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in dem die Ursachen der Wirtschaftskrise dargestellt wurden. Die Autoren waren zu dem Ergebnis gekommen, daß man die wirtschaftlichen Wachstumsziele zu hoch angesetzt und einseitig auf hohe Zuwachsraten der Gesamtproduktion ausgerichtet hatte, ohne die innere Struktur der Produktion gebührend zu berücksichtigen. Das führte zu erheblichen Disproportionen zwischen dem Wachstum der Fertigungs- und der Zulieferindustrie. Dadurch entstanden im Wirtschaftskreislauf Diskontinuitäten, Terminverzögerungen, Gebrauchswertminderung und Stillstand. Für die unrealistischen Ziele des Volkswirtschaftsplanes für das Jahr 1970 fehlte bei wichtigen Bilanzpositionen die materielle Deckung. Durch die Art und Weise, wie das NÖSPL gehandhabt wurde, war es zu einer weitgehenden Dezentralisierung des volkswirtschaftlichen Bilanzierungssystems gekommen. In zentralen Gremien waren Entscheidungen getroffen worden, ohne die weitverzweigten Auswirkungen zu übersehen, und wenn man um die Unmöglichkeit ihrer Realisierung wußte, hatte man es unterlassen, dagegen zu opponieren. Dafür ist die bereits geschilderte Diskussion über den Beschluß des Politbüros vom August 1968 zur weiteren Entwicklung des Zeiss-Werkes im Präsidium des Ministerrates ein treffender Beleg. Diese Wirtschaftspolitik führte zu Diskrepanzen sowohl zwischen Bedarf und Aufkommen von Rohstoffen, Zulieferungen usw. als auch zwischen Investitionsvolumen und verfügbarer Baukapazität. Es gab Defizite in den Zahlungsbilanzen, weil den überhöhten Importen zu geringe Exporte gegenüberstanden. Diese Defizite gingen bis an die Grenzen der Verschuldung, die zu dieser Zeit möglich war. Diskrepanzen bestanden ferner zwischen der Raufkraft der Bevölkerung und dem verfügbaren Warenfonds. Das Wirtschaftsgefüge wurde aber auch durch Investitionsvorhaben, die überhaupt nicht geplant waren, oder durch Lohnsteigerungen, die aus dem Bestreben resultierten, die Pläne zu erfüllen, gestört. Zu diesen wirtschaftspolitisch begründeten Unzulänglichkeiten kamen 1970 noch unvorhergesehene Widrigkeiten. Dazu gehörten ein strenger Winter und ein außerordentlich trockener Sommer. 13 Das Zeiss-Werk profitierte von dem wirtschaftspolitischen Rurs des SED-Führungszirkels nach dem VII. Parteitag, denn er bot endlich die Möglichkeit, das wissenschaftlich-technische Potenzial zu vergrößern, die Fertigungskapazitäten zu modernisieren und zu erweitern, die Infrastruktur und den Wohnungsbau in Jena und an anderen Standorten des Werkes den Erfordernissen anzupassen. Zugleich trug der Ausbau des Zeiss-Werkes in einem bestimmten Maße zu den Schwierigkeiten der Volkswirtschaft der DDR bei, durch die wiederum die Vorhaben in Jena und an anderen Standorten der Zeiss-Unternehmung beeinträchtigt wurden. Als die Investitionsvorhaben in Jena weitgehend fertiggestellt waren, zeigte sich, daß weder in der DDR noch im RGW, geschweige denn im westlichen Wahrungsgebiet, die erwartete Nachfrage nach verschiedenen Gerätesystemen bestand. So waren zu der 1968 prognostizierten Automatisierung kom-

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Carl-Heinz Janson: Totengräber der DDR. Wie Günter Mittag den DDR-Staats ruinierte, Düsseldorf, Wien, New York 1991, S. 40-45.

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plexer Produktionsprozesse weder die DDR noch die UdSSR oder andere RGWStaaten ökonomisch und technisch in der Lage. Das wirkte sich in den frühen siebziger Jahren auf den Absatz aus, so daß die erzielten ökonomischen Resultate nicht ausreichten, um die Investitionskredite zu tilgen und den laufenden Verpflichtungen nachzukommen. Hinzu kam eine Reihe von Gründen, die ausschließlich von der Leitung des Zeiss-Verbundes zu verantworten war. Das betraf die betriebsorganisatorischen Veränderungen, die im Zusammenhang mit der Kapazitätserweiterung standen und die gewohnten Arbeitsabläufe beeinträchtigten. Das waren die hauptsächlichsten Ursachen für die außerordentlich kritische Wirtschaftslage des Zeiss-Werkes, die sich zu einer Liquiditätskrise auswachsen sollte. Anfang der siebziger Jahre wuchs die industrielle Warenproduktion nicht wie vorgesehen. Nachdem die industrielle Warenproduktion 14 1970 gegenüber dem Vorjahr noch um 17,5 Prozent angestiegen war, betrug das Wachstum 1971 nur noch 2,2 Prozent. 1970 gab es Rückstände bei den Hauptleistungen und den exportfähigen Geräten. Auch das vorgegebene Sortiment wurde nicht produziert. Um den Schaden zu begrenzen, vor allem aber um eine Handhabe zu haben, der Belegschaft dennoch Prämien zahlen zu können, wurde 1971 der vorgegebene Plan um 77 Millionen Mark verringert. Eine solche Planpräzisierung erfolgte auch beim Export Die Diskrepanz zwischen den Jahresplänen und den erzielten Resultaten wirkte sich auch auf das Einheitliche Betriebsergebnis negativ aus, das 1970 um 6,4 Prozent unter dem Stand von 1969 und 1971 um 65,3 Prozent unter dem Vorjahresniveau lag. Nach dem Plan für 1971 sollte der VEB Carl Zeiss JENA mit unterstellten Betrieben ein einheitliches Betriebsergebnis von 286 Millionen Mark erzielen, erreichte aber lediglich 265 Millionen Mark.15 Die 1965 eingeführte Organisation der Forschung und Entwicklung im ZeissWerk hatte nicht zu der erwarteten Leistungssteigerung geführt. Denn diese Entscheidung war, wie es im Geschäftsbericht von 1971 unter Verweis auf einen Bericht an das Politbüro der SED und an den Ministerrat heißt, „zu Lasten des wissenschaftlich-technischen Vorlaufs wichtiger Erzeugnisse" gegangen und hatte „zu Verlusten von Marktanteilen, zur Instabilität und Produktionsunsicherheit vieler neuer Erzeugnisse (Überleitungsprobleme) geführt". 16 Das spiegelte sich auch in der Bewertung der prüf- und klassifizierungspflichtigen Warenproduktion des Zeiss-Werkes wider. Sie hatte zwischen 1967 und 1972 um 117,5 Prozent zugenommen. Aber der Anteil der Erzeugnisse, denen das Gütezeichen „Q" zuerkannt wurde, verringerte sich 1969 gegenüber dem Vorjahr um 7,3 Prozent und 1970 um weitere elf Prozent. Demgegenüber erhöhte sich die Warenproduktion mit dem Qualitätskennzeichen „1" um 162 Prozent. Die Gründe dafür lagen offensichtlich in der Zurückstufung von Erzeugnissen von „Q" auf „1" sowie in der Einstufung neuer Erzeugnisse in die Qualitätsstufe „1". 1971 sank der Anteil der Erzeugnisse mit dem Qualitätsmerkmal „Q" sogar um 14 15 16

Zu Industrieabgabepreisen. Statistisches Jahrbuch 1972 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 59. VA Nr. 1233 (Geschäftsbericht des VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1971).

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24,8 Prozent. Dagegen veränderte sich bei Erzeugnissen der Qualitätsstufe „1" in diesem Jahr nichts. Erst 1972 wurden wieder einige Erzeugnisse in die „Q"-Gruppe eingestuft. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der Anteil der Erzeugnisse mit dem Prädikat „Q" an der prüf- und klassifizierungspflichtigen Warenproduktion von 77 Prozent im Jahr 1967 auf 27 Prozent im Jahr 1972 abgesunken war.17 Das machte sich natürlich auch im Betriebsergebnis negativ bemerkbar, weil - wie an anderer Stelle schon betont - das Zeiss-Werk aus dem Umfang der mit „Q" oder „1" gekennzeichneten Erzeugnissen finanzielle Vorteile zog. Anfang der siebziger Jahre war es noch nicht gelungen, die erheblichen Disproportionen zwischen der Herstellung optischer Elemente und Systeme und der Gerätefertigung abzubauen. Sie hatten sich vielmehr vergrößert. Dabei spielte allerdings auch das Unvermögen des Jenaer Glaswerks, den qualitativen und quantitativen Bedarf an optischen Gläsern zu decken, eine maßgebliche Rolle. Ferner machte sich die noch immer bestehende Diskrepanz zwischen Vorfertigung und Montage hemmend bemerkbar. Aber auch die schleppenden Zulieferungen aus anderen Zeiss-Betrieben oder Fremdfirmen hatten die Zahl angearbeiteter Geräte anwachsen lassen. Eine Analyse des Verhältnisses von fertigen und unfertigen Erzeugnissen in den Jahren 1967 bis 1971 brachte folgendes Resultat: 1967 belief sich der Wert der fertigen Erzeugnisse auf 48,5 Millionen Mark und der unfertigen auf 144,8 Millionen Mark. Dagegen betrug 1971 der Wert der Fertigerzeugnisse 62,3 Millionen Mark, der unfertigen Erzeugnisse aber 272,3 Millionen Mark. Während also die Fertigproduktion zwischen 1967 und 1971 um 28,4 Prozent angestiegen war, erhöhte sich die unfertige Produktion um 88,7 Prozent.18 Die unbefriedigenden ökonomischen Ergebnisse führten dazu, daß der VEB Carl Zeiss JENA seinen finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte. Dazu heißt es im Geschäftsbericht des VEB Carl Zeiss JENA für 1970: „Die Zahlungsfähigkeit war während des gesamten Jahres 1970 durch vorhandene Zahlungsrückstände im Jahresdurchschnitt von 30 Millionen Mark gekennzeichnet." 19 Und der Geschäftsbericht für 1971 hielt fest, daß die Liquiditätslage während des Jahres durch erhebliche Zahlungsrückstände sowohl gegenüber Lieferanten als auch gegenüber dem Staatshaushalt gekennzeichnet war. Bis zum 30. September 1971 schwankten die Gesamtverbindlichkeiten im Durchschnitt um 60 Millionen Mark. Um die finanziellen Schwierigkeiten zu beheben, sprang in beiden Jahren der Staat ein. Das geschah auf verschiedene Weise. Der Staatshaushalt übernahm die finanziellen Verpflichtungen, denen das Zeiss-Werk nicht nachkommen konnte. Das betraf 1971 Ausfälle, die aus der zu geringen

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Errechnet nach Statistisches Jahrbuch 1972 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 36-38. Errechnet nach Statistisches Jahrbuch 1972 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 63. Diese Nummerierung wurde später verändert und bei den juristisch selbständigen Betrieben nicht verwendet. VA Nr. 1231 (Geschäftsbericht des VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1970).

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Planerfüllung resultierten, und die Verluste aus der Inventur bei der Finanzierung der eigenen Fonds. Aus dem Staatshaushalt wurden 1971 Prämienmittel in Höhe von 11,4 Millionen Mark zugeschossen, so daß der Belegschaft aus der Fehlleistung der Leitungskräfte keine finanziellen Nachteile erwuchsen. Die Industrie- und Handelsbank kreditierte die entstandenen Überplanbestände. Die Devisenkredite in Höhe von 8,2 Millionen Mark, die für die Automatisierungsvorhaben MIRROVAL, GEOMAT und Wälzschraubtriebe gewährt worden waren, wurden aufgehoben. Insgesamt erhielt das Zeiss-Werk 1971 zur Abdeckung sämtlicher überfalliger Verbindlichkeiten 127 Millionen Mark aus dem Staatshaushalt. Davon waren 46,1 Millionen Mark zinsloser Zusatzkredit zur Finanzierung nicht erwirtschafteter Eigenmittel und 80,5 Millionen Mark Zusatzkredit zur Finanzierung der Überplanbestände. 20 Darüber hinaus wurden die Plankennziffern für 1971 reduziert und damit die finanzielle Situation des Zeiss-Werkes erleichtert. Trotz der staatlichen Hilfe trat bis Ende 1971 keine wesentliche Änderung ein.

Die Abberufung von Ernst Gallerach In Berlin verfolgte man mit wachsender Unzufriedenheit die wirtschaftliche Lage, die sich Anfang 1970 im Zeiss-Werk abzeichnete. Deshalb entsandten der Minister für Elektrotechnik und Elektronik und das Sekretariat des ZK der SED im Frühjahr 1970 Arbeitsgruppen nach Jena, um die Verhältnisse zu untersuchen. Die Untersuchungsergebnisse wurden im Sekretariat des ZK der SED und in anderen Parteigremien ausgewertet Dabei „wurde nachgewiesen, daß der VEB Carl Zeiss JENA seiner durch Partei und Regierung übertragenen hohen Verantwortung nicht gerecht geworden ist". Der Leitung des VEB Carl Zeiss JENA hielt man vor, daß sie die politisch-ideologischen Grundfragen nicht beherrscht Dafür wurde die Schuld vor allem bei dem Generaldirektor gesehen, der die führende Rolle der SED mißachte, was sich „vor allem in einer fachlichen Überbetonung in der Bewertung seiner Aufgaben" ausdrücke. Zweitens wurde kritisch vermerkt, daß es „Erscheinungen der Überheblichkeit, die sich u. a. in der Überschätzung der technischen Leistungen, der Überbetonung der Kompliziertheit des eigenen Bereichs, der Herausstellung der ,Zeiss-Besonderheiten' und in der Tendenz, die Leistungen anderer abzuwerten, äußert", gab. Sodann entsprach nach Ansicht der SED-Funktionäre „die politisch-ideologische Reife" des Leitungskollektivs nicht den Erfordernissen, denn in diesem Gremium sei eine „offene Atmosphäre auf der Basis von Kritik und Selbstkritik" ungenügend entwickelt. Das habe, so heißt es weiter, „zur Folge, daß der Generaldirektor in seiner Funktion als Leiter und Erzieher des Kollektivs durch Vertrauensseligkeit und politische Sorglosigkeit in verschiedenen Fragen die Entwicklung zum Libe-

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VA Nr. 1235 (Geschäftsbericht des VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1971). VA Nr. 1231 (Geschäftsbericht des VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1970).

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ralismus zugelassen hat". 21 Dieses scharfe politisch motivierte Urteil über Ernst Gallerach und andere Mitglieder der Leitung des VEB Carl Zeiss JENA war eine ernste Warnung an die Adresse des Generaldirektors. Als im Laufe des Jahres 1970 die Auswirkungen der Krise in der Volkswirtschaft der DDR auf das Investitionsgeschehen in Jena mit den wachsenden internen Problemen zusammentrafen und das Zeiss-Werk in die Liquiditätskrise geriet, die sich Anfang 1971 verschärfte, wuchsen in Berlin die Zweifel an der politischen, fachlichen und mentalen Führungsfähigkeit von Ernst Gallerach, so daß schließlich im Frühjahr 1971 entschieden wurde, ihn als Generaldirektor abzulösen. Ernst Gallerach, der sich Mitte der sechziger Jahre mit allen Mitteln in die Funktion des Generaldirektors gedrängt hatte, hatte den führenden Wirtschaftspolitikern der SED bei der Umsetzung des NÖSPL in Jena gezeigt, daß er bereit und der Lage war, Wünsche und Vorgaben der Parteiführung in einer großen Wirtschaftseinheit zu befolgen, gleichgültig, ob sie den Gegebenheiten entsprachen oder nicht. Es soll nur auf die Zersplitterung der Forschungs- und Entwicklungskapazitäten verwiesen werden, die er mit dem Argument des Produktionsprinzips begründete. Gleichzeitig sorgte er dafür, daß die ökonomischen Gesichtspunkte im Leitungsprozeß ein größeres Gewicht erhielten. Ernst Gallerach förderte ausgewählte innovative Entwicklungen, die sich für das Zeiss-Werk als zukunftsträchtig erwiesen haben. Aber in seinem Bestreben, den ökonomischen Aspekten ein größeres Gewicht zu verleihen, begann er die für den optischen Präzisionsgerätebau charakteristischen Grundproportionen zwischen Atelierfertigung, Kleinserienfertigung und Großproduktion zugunsten der Großproduktion zu verändern. Dabei nahm er die Einengung der gewachsenen und begründeten Breite des wissenschaftlich-technischen Profils in Kauf und ignorierte, daß damit nicht nur das Fundament für grundlegende Innovationen, sondern auch für die ökonomische Stabilität des Zeiss-Werkes untergraben wird. Zu den Verdiensten von Ernst Gallerach für das Zeiss-Werk gehört zweifellos, daß er die Chance für den Ausbau und die Modernisierung wahrnahm, die sich in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre bot. Um für das Zeiss-Werk die lange angemahnten Investitionsmittel zu erhalten, nutzte er die im engeren Führungszirkel der SED herrschende Auffassung, daß durch die starke Konzentration des volkswirtschaftlichen Potenzials auf ausgewählte Gebiete die Grundlagen für den allgemeinen volkswirtschaftlichen Aufschwung geschaffen werden können. Dabei kam ihm zu Hilfe, daß die DDR-Führung einen größeren Beitrag zur Ausrüstung der Streitkräfte der Warschauer Paktstaaten, darunter auch optische Militärgeräte, übernommen hatte. Ernst Gallerach hatte ein Konzept für die Entwicklung des VEB Carl Zeiss JENA erarbeiten lassen, das den wirtschaftspolitischen Intensionen von Walter Ulbricht und seiner unmittelbaren Umgebung entsprach. Zugleich vermittelte er in Berlin persönlich den Eindruck, daß er imstande ist, dieses Konzept umzusetzen. Dieser Gesamtkonstellation war es zu verdanken, daß dieses Konzept auch gegen die Vorbehalte sachkundiger Skeptiker im Präsidium des Ministerrates in Angriff genommen wurde.

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Die Aufgaben des neuen Generaldirektors Am 1. Juli 1971 führte Minister Otfried Steger Dr. Helmut Wunderlich als neuen Generaldirektor des VEB Carl Zeiss JENA in sein Amt ein.22 Der 52jährige Maschinenbauingenieur hatte bisher verschiedene Funktionen im wirtschaftsleitenden Apparat der DDR inne. Nach einer Betriebsleitertätigkeit war er Minister für Allgemeinen Maschinenbau, Abteilungsleiter in der Staatlichen Plankommission und schließlich Stellvertretender Vorsitzender des Volkswirtschaftsrates. 1971 wurde er Kandidat des ZK der SED.23 Aufgrund seines bisherigen Arbeitsgebietes waren ihm die Verhältnisse im optischen Präzisionsgerätebau vertraut

Abb. 46 Generaldirektor Dr. Helmut Wunderlich (links) und dessen Stellvertreter Dr. Helmut Luck

Helmut Wunderlich übernahm seine neue Aufgabe, als in der DDR die Dispositionen für die volkswirtschaftliche Entwicklung bis zur Mitte der siebziger Jahre getroffen wurden. Dabei ging es zunächst hauptsächlich um die Überwindung der ökonomischen Krise und um die erneute Stabilisierung der Wirtschaft Dazu hatte die SED-Führung in der Direktive zum Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR 1971 bis 1975 die Grundrichtung vorgegeben, die von den Delegierten des VIII. Parteitages im Juni 1971 gebilligt wurde. Darin

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40 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 2. Wer war wer - DDR. Ein biographisches Lexikon, Zweite durchgesehene Auflage, Berlin 1992, S. 501.

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wurde der VEB Carl Zeiss JENA aufgefordert, „die Forschung und Entwicklung auf die Neu- und Weiterentwicklung von Geräten der Stoff- und Strukturanalyse, der Längenmeßtechnik einschließlich Numerik, der Photogrammetrie, der Geodäsie und Informationsspeichertechnik, der Erzeugung von Mikrostrukturen sowie auf ausgewählte Gebiete der Medizintechnik" auszurichten. 24 Zugleich wurde ein größerer Beitrag auf dem Gebiet der optischen Ronsumgüter erwartet. Vor dem neuen Generaldirektor und den anderen Leitungskräften stand 1971 ein ganzer Komplex von Aufgaben. Sie mußten das Zeiss-Werk aus einer außerordentlich kritischen ökonomischen Situation herausführen und die Wirtschaftlichkeit des Zeiss-Werkes wieder herstellen. Das war nur möglich, wenn die begonnenen Investitionsvorhaben zügig zu Ende geführt, das Forschungszentrum und der Betrieb für Export und Import konstituiert und das Produktionsprogramm wieder den realen Gegebenheiten angepaßt wurden. Hinzu kam die Integration des VEB Feinmeßzeugfabrik Suhl und des VEB Feinmeß Dresden. Beide Betriebe gehörten seit dem 1. Januar 1971 zum Zeiss-Wirtschaftsverbund. Sie hatten 1971 einen Anteil an der industriellen Warenproduktion von 5,5 Prozent. 25 Der Saalfelder Betrieb hatte bereits 1969 zwei ortsansässige Betriebe - das Nähmaschinen- und das Waschmaschinenwerk - aufgenommen. Ein besonderes Anliegen von Helmut Wunderlich war die weitere Umgestaltung des Zeiss-Wirtschaftsverbundes in ein Industriekombinat. In der ersten Kombinatsleitungssitzung, die er am 13. Juli 1971 abhielt, ließ er die Anwesenden wissen, daß er „die Stärkung des Kombinatsgedankens und die Erhöhung der Effektivität in den Mittelpunkt der künftigen Arbeit" stellen werde. 26 Die Vorschläge dazu enthielt das Material „Grundgedanken für die Lösung von Schwerpunktaufgaben im Kombinat", das den Sitzungsteilnehmern vorlag. Darin ging es vor allem um die Beziehungen zwischen dem Forschungszentrum und den Betrieben sowie um Klarheit über das Zusammenspiel zwischen dem Betrieb für Export und Import und den Produktionsbetrieben. Obwohl das skizzierte Aufgabenspektrum, das Anfang der siebziger Jahre vor allem im Zeiss-Werk in Angriff zu nehmen war, die ganze Kraft des Generaldirektors, der Fachdirektoren, Betriebsleiter und der Belegschaft verlangte, sollte sich alsbald zeigen, daß Helmut Wunderlich nicht die Führungsstärke zeigte, die erforderlich war, um dem Konsolidierungsprozeß die nötige Dynamik zu geben. Es war in erster Linie der Arbeitsauffassung der in der Zeiss-Tradition stehenden Führungskräften und Belegschaftsmitgliedern zu danken, daß erste Fortschritte bei der Konsolidierung des Zeiss-Werkes erzielt werden konnten. Daran hatten die Mitarbeiter des Forschungszentrums einen erheblichen Anteil.

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Direktive zum Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR 1971 bis 1975. In: Protokoll der Verhandlungen des VIII. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. 15. bis 19. Juni 1971 in der Werner-Seelenbinder-Halle zu Berlin, Band 2. Errechnet nach VA Nr. 1233 (Geschäftsbericht des VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1971.). VA Nr. 822 (Protokoll der Kombinatsleitungssitzung vom 17. Juli 1971).

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Die Gründung des Betriebes für Export und Import Zum 1. Januar 1965 war dem VEB Carl Zeiss JENA mit unterstellten Betrieben nach langer Diskussion und auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen dem Volkswirtschaftsrat und dem Ministerium für Außen- und Innerdeutschen Handel die Außenhandelsfunktion übertragen worden. Der Minister für Außenund Innerdeutschen Handel hatte Weisungs- und Kontrollrecht gegenüber dem VEB Carl Zeiss JENA entsprechend der handelspolitischen ökonomischen Direktiven dieses Ministeriums und in rechtlichen Fragen. Der Generaldirektor des VEB Carl Zeiss JENA war hinsichtlich der Warendeckung, des Export- und Importplanes, der Valuta- und Preisgestaltung sowie des Transports dem Ministerium gegenüber verantwortlich und rechenschaftspflichtig. Seit dem 1. Januar 1968 trug der VEB Carl Zeiss JENA für die Außenwirtschaftstätigkeit die volle Verantwortung. Die Grundlage dafür war der Beschluß des Politbüros der SED „Die Außenwirtschaft im ökonomischen System des Sozialismus - die nächsten Schritte zur Durchsetzung des ökonomischen Systems des Sozialismus in der Außenwirtschaft" vom 5. Dezember 1967. Danach wurde im VEB Carl Zeiss JENA der Betrieb für Export und Import gebildet, der zunächst dem Ministerium für Außenwirtschaft 27 und dem Generaldirektor des VEB Carl Zeiss JENA weiter unterstellt blieb 28 Am 1. Januar 1972 wurde dann der Betrieb für Export und Import des VEB Carl Zeiss JENA nach den Grundsätzen, die für solche Betriebe in der DDR galten, gebildet. Der Generaldirektor des VEB Carl Zeiss JENA trug nun die volle Verantwortung für die Außenwirtschaftsbeziehungen. Der Außenhandelsbetrieb war sowohl für den Export der Erzeugnisse des Zeiss-Werkes und der unterstellten Betriebe als auch für den Import zweigspezifischer Erzeugnisse zuständig. Die für Außenhandelsbetriebe der DDR vorgegebene Rahmenstruktur entsprach nicht im vollen Umfang den Gegebenheiten des Zeiss-Betriebes. Die Leitung des Betriebes wurde im Dezember 1972 dem 39jährigen Gerhardt Ronneberger übertragen. Er hatte den Beruf eines Elektroinstallateurs erlernt und nach dem Ingenieurstudium für elektrische Anlagen und Geräte im Herbst 1956 die Laufbahn eines Exportkaufmanns eingeschlagen. Nach einem Fernstudium im Fach Außenwirtschaft an der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Rarlshorst baute er in der W B Bauelemente und Vakuumtechnik das Direktorat Anlagenimport auf. Im Mai 1978 schied Gerhardt Ronneberger aus, um den Außenhandelsbetrieb Elektronik zu leiten. Seit dem 1. Januar 1973 arbeitete der Außenhandelsbetrieb nach den Prinzipien der wirtschaftlichen Rechnungsführung. Er beschäftigte 1975 576 Mitarbeiter, von denen 21,2 Prozent eine Hoch- und 28 Prozent eine Fachschule absolviert hatten. Die anderen Mitarbeiter waren Facharbeiter. Von den in diesem Betrieb Tätigen verfügte nur ein kleiner Kreis über hinreichende spezifische Kenntnisse 27

28

Das Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel wurde 1967 in das Ministerium für Außenhandel umgebildet Edith Hellmuth: Der Wandel der Strukturen im VEB Carl Zeiss JENA und die Aufgaben des NÖS. In: Erinnerung an die Zukunft - Jenas Aufbruch in die Moderne, S. 50-64.

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auf dem Gebiet des Außenhandels und der Ökonomie.29 Der Betrieb für Export und Import unterhielt in den staatssozialistischen Ländern sieben TechnischKommerzielle Büros mit 14 Zeiss-Mitarbeitern und einen Beauftragten des Generaldirektors. 1974 gingen 63 Prozent der abgesetzten Industriellen Warenproduktion des Zeiss-Werkes in den Export. Setzt man diesen Anteil gleich 100, dann wurden 85,7 Prozent in das staatssozialistische Wirtschaftsgebiet und 14,3 Prozent in andere Länder ausgeführt.30 In das staatssozialistische Wirtschaftsgebiet exportierte das Zeiss-Werk 1971 Erzeugnisse im Wert von 283,3 und 1975 von 484,5 Millionen Mark. Davon entfielen 1971 50,8 und 1975 55,4 Prozent auf die UdSSR. Das gesamte Kombinat lieferte 1971 Erzeugnisse im Wert von 342,9 und 1975 von 484,5 Millionen Mark in dieses Gebiet.31 Die Warengruppen des Zeiss-Werkes waren 1975 an der Ausfuhr in den Ostblock in einem unterschiedlichen Maße beteiligt. Den größten Beitrag leisteten die Warengruppen Meß- und Feinmeßgeräte mit 20 bzw. zehn Prozent, gefolgt von den Warengruppen Mikroskope und Vermessungsgeräte mit acht bzw. sieben Prozent. Die Warengruppen Bildmeßtechnik, Astrogeräte waren am Export in dieses Wirtschaftsgebiet mit jeweils fünf und fotolithographische Geräte mit drei Prozent beteiligt.32 In einer Einschätzung beklagte Gerhardt Ronneberger im November 1976, daß in den zurückliegenden Jahren das Exportgeschäft in die staatssozialistischen Länder durch mangelhafte Liefertreue, erhebliche Mängel im Kundendienst und in der Ersatzteilversorgung beeinträchtigt worden sei. Er konstatierte ein gestörtes Verhältnis des Zeiss-Werkes zu wichtigen Außenhandelspartnern, speziell zu sowjetischen. Zahlreiche Partner hätten zum Ausdruck gebracht, daß die Vertreter des Zeiss-Werkes vom Standpunkt der Überheblichkeit ausgingen und sich von der Überzeugung leiten ließen, daß die Jenaer Erzeugnisse in den RGWLändern benötigt würden. Es gebe auch den Vorwurf, daß man sich in Jena ungenügend für die ökonomische Integration einsetze.33 Wesentlich problematischer gestaltete sich das Außenhandelsgeschäft im westlichen Währungsgebiet. Der Zeiss-Betrieb unterhielt in diesen Ländern Mitte der siebziger Jahre 13 äußere Absatz- und Bezugsorganisationen, darunter fünf Technisch-Kommerzielle Büros, zwei Beauftragte des Generaldirektors und sechs Gemischte Gesellschaften mit insgesamt 18 Zeiss-Mitarbeitern. Die Gemischten Gesellschaften bestanden in England, Frankreich, Dänemark, Nor-

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WB 590 (Ronneberger, Leiter des Betriebes für Export und Import: Berichterstattung vor der Kombinatsleitung 1976). Errechnet nach VA Nr. 1236 (Geschäftsbericht des VE Β Carl Zeiss Jena für das Jahr 1974). VA Nr. 1233 (Geschäftsbericht des VE Β Carl Zeiss JENA für das Jahr 1971); VA Nr. 1237 (Geschäftsbericht des VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1975). WB 590 (Ronneberger, Leiter des Betriebes für Export und Import: Berichterstattung vor der Kombinatsleitung 1976). WB 591 (Ronneberger: Einschätzung der politischen und ökonomischen Arbeitsweise des Kombinates durch den Generaldirektor des AHB vom 5. November 1976).

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wegen, Schweden und in der BR Deutschland. Obgleich die staatlichen Auflagen für den Export in das westliche Währungsgebiet ständig erhöht wurden - 1971 und 1975 sahen die Jahrespläne für dieses Gebiet einen Export im Wert von 41,5 Millionen bzw. 110,1 Millionen Valutamark vor - gelang es dem Zeiss-Werk in der ersten Hälfte der siebziger Jahre nicht, die staatlichen Vorgaben zu erreichen. Wenn der Exportplan 1971 mit 41,6 Millionen Valutamark noch erfüllt werden konnte, so vergrößerte sich die Diskrepanz zwischen Plan und Realisierung zunehmend. 1975 führte das Zeiss-Werk in das westliche Währungsgebiet lediglich Erzeugnisse im Wert von 41,1 Millionen Valutamark aus. 34 Von den Erzeugnisgruppen trugen die Vermessungs- und Bildmeßgeräte mit 21 und 17 Prozent, die Mikroskope mit 19 und die Feinmeßgeräte mit 12 Prozent zu diesem Export bei. Die medizintechnischen Geräte und die Meßgeräte hatten einen Anteil von jeweils acht Prozent und die Astro-Geräte von drei Prozent. Über die Ursachen für die mangelhafte Erfüllung der staatlichen Vorgaben urteilt der Generaldirektor des Betriebes am 5. November 1976: „Wir brachten nicht ausreichende wissenschaftlich-technische Spitzenleistungen, die man aber auf den kapitalistischen Märkten von CZ erwartete. Hier wirkten Qualitätsprobleme, Nichteinhaltung übernommener Lieferverpflichtungen, verzögerte Einführung bereits angekündigter neuer Erzeugnisse auf dem Markt, Probleme im Rundendienst, der Ersatzteilversorgung und in der Applikationstätigkeit besonders Rufbild schmälernd. Hinzu kommen im NSW (Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet d. V.) noch die Schwächen in der Absatzorganisation und die Mängel in der kommerziellen Arbeit."33 Die Gemischten Gesellschaften verfügten nicht über die erforderliche Kapitalausstattung, hielten zu hohe Lagerbestände und duldeten in einem zu großen Umfang überfallige Forderungen. Das Leitungspersonal besaß nicht die notwendige Qualifizierung. Vertreterfirmen besaßen nicht die erforderliche Finanzkraft und ökonomische Leistungsfähigkeit. Ihre Absatzorganisation war ungenügend. Teilweise fehlte es an SpezialVertretungen.36

Die Realisierung der Investitionsvorhaben Seit Mitte der sechziger Jahre standen dem Zeiss-Werk in einem zunehmenden Maße die Mittel zur Verfügung, die erforderlich waren, um den Maschinen- und Ausrüstungspark zu modernisieren und die Neubauten in Jena und Gera zu errichten. Dadurch gelang es, den permanenten Widerspruch zwischen den For-

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Errechnet nach VA Nr. 1236 (Geschäftsbericht des VE Β Carl Zeiss JENA für das Jahr 1974). VA Nr. 1233 (Geschäftsbericht des VE Β Carl Zeiss JENA für das Jahr 1971); VA Nr. 1237 (Geschäftsbericht des VE Β Carl Zeiss JENA für das Jahr 1975). WB 591 (Ronneberger: Einschätzung der politischen und ökonomischen Arbeitsweise des Kombinates durch den Generaldirektor des AHB vom 5. November 1976). WB 590 (Ronneberger, Leiter des Betriebes für Export und Import: Berichterstattung vor der Kombinatsleitung 1976).

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derungen an die Erzeugnisqualität und an das Produktionswachstum einerseits und dem unzulänglichen Zustand des Ausrüstungsparks andererseits zu verringern. 1965 hatte eine Analyse der Alters struktur der Maschinerie ergeben, daß 50 Prozent der Gewindefräs-, Karusselldreh- und Langhobelmaschinen, 59,2 Prozent der Flachschleifmaschinen, 77,8 Prozent der Spitzen- und Rundschleifmaschinen sowie 93,3 Prozent der Außenrundschleifmaschinen mindestens 25 Jahre alt waren. 37 Obgleich man verschiedene betriebsinterne Maßnahmen getroffen hatte, um diesen Widerspruch wenigstens abzumildern, ließ sich mit den vorhandenen Investitionsmitteln bis in die zweite Hälfte der sechziger Jahre hinein keine grundlegende Veränderung erreichen. Nun erhielt das Zeiss-Werk Investitionskredite, Baukapazitäten, Maschinenkontingente und Devisen, um die umfangreichen Investitionsvorhaben zu realisieren. Der VEB Carl Zeiss JENA mit unterstellten Betrieben investierte zwischen 1967 bis 1972 insgesamt 1.516.713 Millionen Mark, davon entfielen 96,5 Prozent allein auf das Zeiss-Werk. Die Tabelle 28 im Tabellenanhang weist die Investitionsmittel für die Jahre 1965 bis 1972 aus, die im VEB Carl Zeiss JENA mit unterstellten Betrieben eingesetzt wurden. Im Zentrum des Investitionsgeschehens standen der Betrieb für Informationstechnik in Gera, dessen Ausbau 1965 begann, der Produktionskomplex JenaGöschwitz, die Betriebsberufsschule in Jena-Göschwitz und der Bau 6/70 an der Tatzendpromenade in Jena. Hinzu kamen ausgewählte Ausrüstungskomplexe im Hauptwerk, darunter das Automatisierungsvorhaben MIRROVAL, das 1969 in Betrieb genommen wurde. Für dieses Vorhaben wurden zu einem großen Teil moderne Werkzeugmaschinen aus westlichen Industrieländern importiert. Am 1. September 1970 konnte im Produktionskomplex Göschwitz der Betrieb aufgenommen werden. Gleichzeitig wurde die Betriebsberufsschule Göschwitz mit Ausbildungsplätzen für 2.100 Lehrlingen und das Polytechnische Zentrum für 4.000 Schüler eröffnet. 38 Für den Aufbau des Produktionskomplexes Göschwitz wurden insgesamt 430 Millionen Mark aufgewandt. 39 Er war für die Fertigung von Magnetbandspeichern in großen Stückzahlen konzipiert. Die vollklimatisierte Halle 1 verfügte über eine Produktionsfläche von insgesamt 58.265 m 2 , die aber für die Magnetbandspeicherproduktion zu dieser Zeit nicht mehr benötigt wurde. Deshalb nahm das Werk 1, der Betrieb Göschwitz, noch die Erzeugnisgruppe Numerik und die Fertigung von Vermessungsgeräten auf. Zwischen 1970 und 1975 wuchs die Belegschaft des Göschwitzer Betriebes auf 2.823 Arbeiter und Angestellte. Da die Beschäftigten zu 60 Prozent Jungfacharbeiter waren, die aus allen Bezirken der DDR stammten und ihre berufliche Aus-

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Roland Kowalski: Der wissenschaftliche Präzisionsgerätebau der DDR in den 60er Jahren dargestellt am Beispiel des Carl Zeiss-Unternehmens Jena. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1991/4, S. 70. 40 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 1, S. 91. VA Nr. 422 (Zusammenfassung der wesentlichen Feststellungen und Erkenntnisse aus der Finanzrevision im VEB Carl Zeiss JENA vom 6. November 1975).

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Abb. 47 Betrieb Göschwitz (vorderer Gebäudekomplex) im Hintergrund Teil des Wohngebietes Neu-Lobeda in den achtziger Jahren

bildung vorwiegend in Jena erhalten hatten, kam es in der ersten Hälfte der siebziger Jahre vor allem darauf an, eine Stammbelegschaft herauszubilden. Der Anteil der Produktionsarbeiter lag bei 61,4 Prozent. Das Produktionsprogramm des Werkes 1 umfaßte 1975 Magnetbandspeicher mit den drei Hauptgeräten ZMB 61, ES 5016 und ES 017. Die Erzeugnisgruppe Magnetbandspeicher hatte an der Gesamtproduktion dieses Werkes einen Anteil von 67 Prozent. Mit 12 Prozent war die Gerätereihe GEOMAT mit THEO 010 A, THEO 020 Α und Dahlta 010 Α in 60 verschiedenen Modifikationen und zwei Gruppen von Sortimentszubehör beteiligt Die Weg- und Winkelsysteme und Positionsteller in 40 Modifikationen waren mit acht Prozent und die Kugellaufspindeln mit drei Prozent an der Gesamtproduktion beteiligt. Zehn Prozent entfielen auf Laufwerke für Kassettentechnik im Rahmen des Konsumgüterprogramms.40 Nachdem am 25. April 1968 Walter Ulbricht den Grundstein für den Bau 6/70 gelegt hatte, war der Aufbau der neuen Produktionsstätte Ende 1971 soweit fortgeschritten, daß der Umzug der ersten Abteilungen unmittelbar bevorstand.41 Am

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VA Nr. 422 (Müller: Bericht über die Lage im Werk 1 zur Kombinatsleitungssitzung am 16. Dezember 1975). Neues Deutschland vom 26. April 1968.

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6. Dezember 1971 nahm die Leitung des neu gebildeten Werkes 2 ihre Tätigkeit auf. Vor dem Betriebsleiter Joachim Weimar stand die Aufgabe, den gut vorbereiteten Umzug des Fernrohrbetriebes (F-B), des Gerätebetriebes (G-B) und des Projektionsgerätebetriebes (P-B), die im Werk 2 zusammengeführt wurden, zu organisieren, für die Inbetriebnahme des Rompaktbaues zu sorgen und das Produktionsprogramm des neuen Werkes für den Zeitraum von 1972 bis 1975 vorzubereiten. 42 Der Rompaktbau mit einer Nutzfläche von 103.300 m 2 und einer Produktionsfläche von 62.000 m 2 , für den 650 Millionen Mark an Investitionsmitteln aufgewandt wurden, konnte im Laufe des Jahres 1972 bezogen werden. Die restlichen Bauabschnitte wurden 1973 bezugsfertig. Den Beschäftigten des Werkes standen zunächst über 658 vornehmlich moderne Werkzeugmaschinen zur Verfügung. Nach dem offiziellen Produktionsbeginn am 1. Februar 1972 wurden die drei Betriebe aufgelöst. An ihre Stelle traten im Mai 1972 die Hauptabteilungen Feinmeßgeräte, Bildmeß- und Astrogeräte, Foto-Rino, Sondergeräte und Vermessungsgeräte, Zwischenfertigung und das Zentrum Hochproduktive Technik. 43

Abb. 48 Bau 6/70 im Südwerk Luftbild 1990

Die rasch wachsende Fertigung von Präzisionsgeräten, Militärgeräten und Ronsumgütern sowie die ständig steigenden qualitativen Anforderungen an die optischen Elemente und Baugruppen forderten von den Mitarbeitern des Werkes 3, des Optik-Betriebes, einen besonderen Einsatz. In diesem Betrieb wurden 42 43

Weißflog/Mühlfriedel: Ein Zeiss-Betrieb profiliert sich, S. 162-163. B-B 165 Jörg Fischer: Entstehung und Entwicklung des Betriebes für den Optischen Präzisionsgerätebau im Kombinat VE Β Carl Zeiss JENA, S. 12, 16.

Die Politbüro- und Ministerialratsbeschlüsse von 1967 und 1968

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Medien, insbesondere optisches Glas, in den Abmessungen von 0,5 mm bis zwei Meter bearbeitet und optische Bauteile aus verschiedenen Kristallen hergestellt. Seit den sechziger Jahren waren mit Teiloptik, Faseroptik, Laseroptik, Plasteoptik u. a. weitere Fertigungen hinzugekommen. 1975 verarbeitete man im Betrieb 641 verschiedene Schmelzen. In den betrachteten Jahren nahmen die Anforderungen an die Eigenkapazitäten in der Rohteilefertigung zu. Unter den optikeigenen Rostenträgern dominierten die Einzeloptik, die Brillenfertigung und die spezielle Produktion. Zwischen 1968 und 1975 war die Herstellung von Bauteilen von 2,82 auf 7,5 Millionen Stück angewachsen. 1975 beanspruchte die Erzeugnisgruppe Fernrohre 1,22 Millionen Stück, gefolgt von den Erzeugnisgruppen Mikroskope und Meßgeräte. In qualitativer Hinsicht stellten die Erzeugnisgruppen im Werk 2 an die Optiken die höchsten Ansprüche. Die Produktionsbedingungen im Optik-Betrieb waren sehr differenziert. Er war in der Altbausubstanz des Hauptwerkes und des Südwerkes untergebracht. Weitere Fertigungsstandorte befanden sich im Bau 6/70 und im Nordwerk. Dazu kamen Fertigungsstätten in Eisenberg, Dresden und Winterstein. Von den 1.784 Optikmaschinen waren 43,8 Prozent älter als 20 Jahre. Es bestand ein erheblicher Bedarf an spezifischen und produktiven Optikmaschinen. Die Anlagen für die Eigenaufbereitung der meisten Betriebshilfsstoffe im Nordwerk waren technisch überholt und bedurften dringend der Rekonstruktion. Die Belegschaft belief sich 1975 auf rd. 3.150 Arbeiter und Angestellte und 360 Lehrlinge. Der Anteil der Produktionsarbeiter lag bei 79 Prozent und der weiblichen Beschäftigten bei 59 Prozent. 40 Prozent der Beschäftigten verfügten über eine Berufserfahrung von weniger als fünf Jahren. Das Durchschnittsalter der Mitarbeiter betrug 36 Jahre. Der Anteil des Hoch- und Fachschulpersonals an der Belegschaft war gering. Auf 100 Beschäftigte kamen zwei Hochschul- und vier Fachschulabsolventen, und auf 100 Produktionsarbeiter entfielen lediglich neun Beschäftigte im technischen Bereich. Diese fachliche Zusammensetzung der Belegschaft wurde den Anforderungen nicht gerecht, die insbesondere mit dem steigenden Rompliziertheitsgrad der optischen Bauteile wuchsen. Ein weiteres Problem für die Mitarbeiter des Optik-Betriebes blieb die unbefriedigende Qualität verschiedener optischer Gläser aus dem Schott-Werk.44 Das größere Produktionsvolumen stellte auch höhere Anforderungen an den Zuliefer-Betrieb. Die stärkere Betonung der Verbrauchsgüterproduktion für die einheimische Bevölkerung in der Wirtschaftspolitik der SED-Führung hatte seit 1971 auch Konsequenzen für die Entwicklung und Produktion von Photoobjektiven und Feldstechern. In Jena wurde die Entwicklung von hochwertigen Photoobjektiven für die Kameraindustrie wieder aufgenommen. Dazu gehörten vor allem die Objektive Sonnar 3,3/135 AD B/E, Flektogen 2,4/35 ADB/E und Biometar 2,8/80, die 1975 heraus kamen. 45 1973 war durch Rationalisierungsmaßnahmen die

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VA Nr. 422 (Günther Eulenstein: Bericht über die Situation im Werk 3 zur Kombinatsleitungssitzung am 16. Dezember 1975). VA Nr. 1237 (Geschäftsbericht des VE Β Carl Zeiss JENA für das Jahr 1975).

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Kapazität für die Fertigung von Photoobjektiven im Saalfelder Betrieb erhöht worden. 46 Für die seit 1968 im Eisfelder Betrieb konzentrierte Feldstecherfertigung wurde eine erweiterte und modernisierte technisch-technologische Grundlage geschaffen. Das hatte sich als notwendig erwiesen, weil der von Jena nach Eisfeld umgesetzte Maschinen- und Einrichtungspark von geringer Güte war. Im Betrieb Eisfeld wurde die neue Feldstechergeneration DF 8 χ 50, 7 χ 50 und 10 χ 50 entwickelt, die hinsichtlich optischer Leistung, Design, Gewicht und Selbstkosten auf optimale Weise den Erwartungen entsprach. Eine zweckmäßige technologische Gestaltung der Fertigungsprozesse und eine effiziente Arbeitsorganisation ermöglichten, zwischen 1971 bis 1975 die Produktion der neuen Feldstecher von 71.978 auf 130.480 Stück zu steigern.47 Zwischen 1971 und 1975 konnte das Zeiss-Rombinat seinen Beitrag zur Versorgung der einheimischen Bevölkerung mit optischen Konsumgütern verdreifachen und damit die staatlichen Vorgaben überbieten. 1975 lieferte das Kombinat Fertigerzeugnisse für den Bevölkerungsbedarf im Wert von 30,3 Millionen Mark, daran war das Zeiss-Werk mit 65,2 Prozent beteiligt.48 Der Eisfelder Betrieb, der seit 1963 SPEROL-Meßansätze herstellte, übernahm Anfang der siebziger Jahre die Fertigung des Atomabsorptionsspektrometergerätes AAS 1, wofür in den RGW-Staaten ein erheblicher Bedarf bestand. Dieses im Forschungszentrum entwickelte Gerät ging in Eisfeld nach relativ kurzer Zeit in die Nullserie. Daran hatten der Produktionsleiter Horst Hourle und die Technologen Heinz Zetzmann, Hugo Zeller, Hubert Langbein, Peter Papst und Rudi Koch einen besonderen Anteil. Das Produktionsvolumen auf dem Meßgerätesektor hatte sich von 1963 bis 1975 von einer Million Mark auf über 30 Millionen Mark erhöht. 49 Im Ergebnis dieser Investitionen vergrößerte sich im Zeiss-Werk zwischen 1965 und 1972 die Nutzfläche um 104,2 Prozent, die Produktionsfläche um 98,8 Prozent, die Verwaltungsfläche um 41,6 Prozent und die Fläche für die Kulturund Sozialeinrichtungen sowie für das Gesundheitswesen um 146,2 Prozent. Gleichzeitig nahm der Nettowert des gesamten Grundmittelbestandes um 386,1 Prozent und der industriellen Grundmittel um 401,9 Prozent zu. Daran hatten 1972 die Ausrüstungen einen Anteil von 39,2 Prozent und die Gebäude und baulichen Anlagen von 61,8 Prozent. 30 Die Grundfondsausstattung 51 erhöhte sich zwischen 1967 und 1972 um 119 Prozent. 52

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VA Nr. 1235 (Geschäftsbericht des VE Β Carl Zeiss JENA für das Jahr 1973). Ausbruch aus Not und Enge. Zur Geschichte des VEB Carl Zeiss JENA Betrieb Eisfeld, Berlin 1978, S. 101-106. VA Nr. 1237 (Geschäftsbericht des VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1975). Ausbruch aus Not und Enge. Zur Geschichte des VEB Carl Zeiss JENA Betrieb Eisfeld, S. 106107. Zusammengestellt und errechnet nach Statistisches Jahrbuch 1965 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 4, 10; Statistisches Jahrbuch 1972 des VEB Carl Zeiss JENA 1972, S. 20, 23-24. Die Grundfondsausstattung wurde wie folgt ermittelt: Durchschnittlicher Bruttowert der industriellen Grundmittel (einschließlich ungenutzter Grundmittel) durch Produktionsarbeiter im Stundenlohn in Vollbeschäftigteneinheiten (ohne Forschung und Entwicklung). Statistisches Jahrbuch 1972 des VEB Carl Zeiss JENA 1972, S. 69, 66.

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Im Mai 1973 konnte die erste Ausbaustufe der Druckgießerei in Betrieb genommen werden, und am 26. April 1974 wurde die Fertigungshalle in Eisenberg übergeben. Im März 1974 wurde die neue Produktionsstätte der Vorfertigung in der Meß-Abteilung im Mikro-Betrieb fertiggestellt.53 Mit der Inbetriebnahme der neuen Produktionskapazitäten veränderten sich die Anteile der Werke und Betriebe an der industriellen Warenproduktion des VE Β Carl Zeiss JENA. 1973 hatten die Werke 1 und 2 einen Anteil von 38,3 bzw. 23,6 Prozent. Der Mikro-Betrieb war mit 12,2 Prozent, der Optik-Betrieb mit 4,6 Prozent und der Zuliefer-Betrieb mit 1,6 Prozent an der industriellen Warenproduktion beteiligt. Auf die Betriebe in Saalfeld und Eisfeld entfielen 7,7 bzw. 6,4 Prozent Der Betrieb in Mögelin trug 3,1 Prozent bei, den Rest erbrachten einige kleinere Fertigungsstätten. 54

Zur quantitativen und qualitativen Entwicklung der Belegschaft Das wachsende wissenschaftlich-technische Potenzial und die neuen Fertigungskapazitäten führten nicht nur zu einer Zunahme der Beschäftigtenzahl, sondern veränderten zugleich die Qualifikationsstruktur der Belegschaft. Zwischen 1967 und 1972 wuchs die Anzahl der Beschäftigten des Zeiss-Werkes von 17.933 auf 26.694.55 Davon waren 1967 37,4 Prozent und 1972 38,3 Prozent weibliche Arbeitskräfte. Besonders stark nahmen die Belegschaften der neuen Betriebsstätten zu. Das betraf insbesondere die Betriebe I und N, die 1972 zum Werk 1 zusammengefaßt wurden. Ihre Belegschaften vergrößerten sich zwischen 1967 und 1972 von 415 Arbeiter und Angestellte auf 2.629 Arbeiter und Angestellte. In der Hauptabteilung Anlagenerhaltung (TA) erhöhte sich die Mitarbeiterzahl von 816 auf 1.476 Personen und im Werkzeugbau (TTB) von 512 auf 1.146. Vergrößert wurde auch die Belegschaft des Eisfelder Betriebes von 579 auf 1.006 Personen Von den Gesamtbeschäftigten hatten 71,8 Prozent ihren Arbeitsplatz in den Produktionsbetrieben. Der Anteil der Betriebsbelegschaften an den Gesamtbeschäftigten im Jahre 1972 ist in der Tabelle 29 im Tabellenanhang verzeichnet. In den betrachteten Jahren nahm vor allem das Hoch- oder Fachschulpersonal zu. Im Zeiss-Werk wurden 1967 2.510 und 1972 4.995 Mitarbeiter dieser Qualifikationsgruppe gezählt. 56 Der Anteil der weiblichen Hoch- oder Fachschulabsolventen lag in den beiden Stichjahren bei 10,3 bzw. bei 16,7 Prozent Im VE Β Carl Zeiss JENA mit unterstellten Betrieben gab es 1967 2.711 und 1972 5.498 Angestellte mit Hoch- oder Fachschulabschluß. 57 Im Betrachtungszei-

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40 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 2. Errechnet nach VA Nr. 1235 (Geschäftsbericht des VE Β Carl Zeiss JENA für das Jahr 1973. Schnellberichterstattung). Vollbeschäftigteneinheiten, ohne Lehrlinge. Vollbeschäftigteneinheiten, ohne Lehrlinge. Statistisches Jahrbuch 1972 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 48.

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träum wurden vornehmlich Naturwissenschaftler und Ingenieure sowie im zunehmenden Maße Wirtschaftswissenschaftler und Berufspädagogen für eine Tätigkeit gewonnen. Im Zeiss-Verbund hatte sich zwischen 1967 und 1972 die Beschäftigtenzahl von 21.370 auf 32.510 Arbeiter und Angestellte erhöht. Dabei ist zu beachten, daß dem VEB Carl Zeiss JENA weitere Betriebe zugeordnet wurden. 58 Zwischen 1966 und 1975 trat für die Gesamtbelegschaft und für einzelne Beschäftigungsgruppen eine Reihe von sozialen Vergünstigungen in Kraft. So ordnete der Ministerrat am 3. Mai 1967, am 3. Februar 1971 und am 24. April 1974 für ausgewählte Beschäftigungsgruppen Lohnerhöhungen an. 59 Seit dem 1. Juni 1967 bekamen Beschäftigte, deren Lohn bisher 220 Mark betrug, 300 Mark, und für Arbeitskräfte mit einem Arbeitseinkommen unter 400 Mark wurden die monatlichen Bruttolöhne differenziert angehoben. 60 Seit 1966 erhielten die Beschäftigten in den Staatsbetrieben Jahresendprämien. Durch diese Prämien sollten die Belegschaftsmitglieder an der Erfüllung der betrieblichen Gesamtaufgaben und einem hohen Betriebsergebnis interessiert werden. Die Höhe der Jahresendprämien hing davon ab, wie die Wettbewerbsziele erreicht worden waren. Im Allgemeinen erhielten die Beschäftigten 63,3 Prozent des durchschnittlichen Monatsverdienstes. 61 1967 erzielten die Arbeiter und Angestellten im Zeiss-Werk ein durchschnittliches jährliches Arbeitseinkommen von 7.205 Mark, das bis 1972 auf 8.264 Mark anstieg. Im Zeiss-Verbund fiel das durchschnittliche Arbeitseinkommen in den beiden Stichjahren um 2,7 Prozent bzw. um 2,2 Prozent geringer aus. Das Arbeitseinkommen der Produktionsarbeiter in den Produktionsbetrieben betrug im Jahresdurchschnitt 1967 6.435 Mark und 1972 7.749 Mark (Tabelle 30).62 Die Arbeitseinkünfte in den Betrieben des Zeiss-Werkes fielen sehr unterschiedlich aus. Das zeigen die Angaben in der Tabelle 30 im Tabellenanhang. Weibliche Beschäftigte waren nur zu einem kleinen Teil in den Lohngruppen 5 bis 8 vertreten. Ihr Anteil lag im November 1965 in der Lohngruppe 5 bei 24,1 Prozent, in der Lohngruppe 6 bei 5,4 Prozent, in der Lohngruppe 7 bei 2,0 und in der Lohngruppe 8 bei 0,7 Prozent.63 Der Hauptgrund dafür war, daß viele der Frauen und Mädchen nicht oder nur unzureichend für eine anspruchsvolle Tätigkeit qualifiziert waren. Um diesen Zustand zu ändern, wurde in den Betrieben der fachlichen Qualifizierung der weiblichen Arbeitskräfte weiterhin eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

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Zusammengestellt und errechnet nach Statistisches Jahrbuch 1972 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 51-54. GBl. II, 1967, S. 513, 517; GBl. II 1967, S. 248; GBl. II 1971, S. 241; Unser Staat. DDR-Zeittafel, S. 137. Verordnung über die Erhöhung des monatlichen Mindestlohnes von 220 Mark auf 300 Mark und die differenzierte Erhöhung der monatlichen Bruttolöhne unter 400 Mark vom 1. Juni 1967. GBl. II, S. 248. Geschichte des FDGB, Berlin 1982, S. 566. Zusammengestellt nach Statistisches Jahrbuch 1972 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 57. Statistisches Jahrbuch 1965 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 27.

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Dazu entstanden seit Mitte der sechziger Jahre Produktionsgrundschulen, die theoretische Grundkenntnisse vermittelten. So besuchten im September 1965 922 Frauen und Mädchen diese Ausbildungsstätten. Im gleichen Jahr legten 196 Kolleginnen die Facharbeiterprüfung ab. Um weibliche Arbeitskräfte auf eine Tätigkeit in einer leitenden Position vorzubereiten, wurden Frauensonderklassen eingerichtet. Die Teilnehmerinnen konnten 2/3 der Studienzeit während ihrer Arbeitszeit absolvieren. Von 1963 bis 1966 gab es eine Sonderklasse mit 34 Teilnehmerinnen, von 1964 bis 1967 eine Frauen-Technikerklasse und eine Frauensonderklasse Außenhandelsökonomie mit jeweils 21 bzw. 17 Teilnehmerinnen. 64 Auch die männlichen Beschäftigten mit einer fachlichen Grundausbildung sahen sich veranlaßt, ihre fachlichen Kenntnisse zu erweitern. Dafür gab es vor allem zwei Gründe. Zum einen mußten die Positionen wieder besetzt werden, die altersbedingt frei wurden, und zum zweiten wuchsen mit den komplizierter werdenden Geräten die Anforderungen an die fachlichen Kenntnisse eines größeren Mitarbeiterkreises. Damit war die Zunahme der Arbeitsplätze für die Lohngruppen 6 bis 8 verbunden. Um diesen wachsenden Anforderungen zu entsprechen, bedurfte es entsprechender Kenntnisse und Arbeitserfahrungen. Die immer enger werdende Verbindung von Optik, Mechanik und Elektronik im Präzisionsgerätebau machte die Heranbildung und Weiterqualifizierung von Facharbeitern auf dem Gebiet der Elektronik und Datenverarbeitung ebenso erforderlich, wie die Vermittlung von elektronischen und informationstechnischen Grundkenntnissen an die Gerätemonteure. Die Erzeugnisgruppe Informationsverarbeitungstechnik erforderte den Aufbau der Ausbildungsrichtungen Elektromechanik und elektronische Bauelemente in der Berufsausbildung. Der Ausbau des optischen Präzisionsgerätebaus setzte eine wachsende Anzahl von Lehrlingen voraus. Der Rückgang der Lehrlingszahlen am Beginn der sechziger Jahre - die Gesamtzahl der Lehrlinge sank von 1.253 im Jahre 1960 auf 873 im Jahre 1962 - wurde gestoppt 1965 besuchten 1.822 Lehrlinge die Betriebsberufsschule. 63 Im Betrachtungszeitraum blieb die Fluktuation von Produktionsarbeitern ein Grundproblem. Vor allem aus den Vorfertigungsbereichen wechselten viele Arbeitskräfte in andere Betriebe der DDR. 1964 waren von den 221 Drehern, die zwischen 1958 und 1961 im Zeiss-Werk ausgebildet wurden, noch 98 im Werk. Dafür gab es verschiedene Gründe. Die Entlohnung in der Vorfertigung fiel wesentlich niedriger aus als in der Montage. Während in den frühen sechziger Jahren die Löhne in der Vorfertigung um 12 Pfennige pro Arbeitsstunde stiegen, bekamen die Beschäftigten in der Montage 20 Pfennige mehr. Jungfacharbeiter verdienten in der Vorfertigung weniger als ältere Arbeiter. In der Regel waren die Beschäftigten in der Vorfertigung eine Lohngruppe niedriger eingestuft als ihre Kollegen in der Montage. Die höchste Lohngruppe war in der Vorfertigung die Lohngruppe 6, Beschäftigte in der Lohngruppe 7 bildeten eine Ausnahme. Hinzu kam, daß die Arbeitsbedingungen in der Vorfertigung wesentlich schlech-

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Werner: Geschichte des VE Β Carl Zeiss Jena 1965-1967, S. 58-59. Statistisches Jahrbuch 1965 des VE Β Carl Zeiss JENA, S. 15.

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ter waren als in der Montage. Die Arbeit war schmutziger, und es bestand ein Schichtregime. Die Montagearbeit galt als attraktiver. Während die Schulabgänger aus der achten Klassen den Vorfertigungsbereichen zugewiesen wurden, fand sich in der Montage kein jüngerer Arbeiter, der nicht die zehnte Klasse besucht hatte. Den personellen Engpässen in der Vorfertigung, die sich negativ auf den gesamten Fertigungsprozeß auswirkten, versuchte die Werkleitung Mitte der sechziger Jahre durch bevorzugte Vergabe von Prämien an die Beschäftigten dieses Bereiches entgegenzuwirken. Das löste wiederum Widerspruch in den Montageabteilungen aus, deren Mitarbeiter argwöhnten, ihre Tätigkeit werde geringschätzig beurteilt. Um die vornehmlich durch Fluktuation entstandenen personellen Lücken zu schließen, wurden neue Arbeitskräfte geworben, die aber erst auf ihre speziellen Tätigkeiten vorbereitet werden mußten. Das war kostspielig und erhöhte die Gemeinkosten. Immerhin mußten jährlich 1.400 Arbeitskräfte neu eingestellt werden. Da sich die finanziellen Aufwendungen für die Grundausbildung einer berufsfremden Arbeitskraft auf4-5.000 Mark und für die spezielle Qualifizierung eines Facharbeiters auf 1-3.000 Mark beliefen, entstanden allein aus dieser Aufgabe Kosten von 4,2 Millionen Mark.66 Am 22. Dezember 1965 beschloß der Ministerrat der DDR die Einführung der Fünf-Tage-Arbeitswoche in jeder zweiten Woche bei vollem Lohnausgleich.67 Diese Verordnung zwang im Zeiss-Werk zu einem veränderten Arbeitszeitregime, das auch die Fahrtzeiten der Nahverkehrsmittel tangierte, denn von den am Jenaer Standort tätigen Zeissianern kamen 3.380, das waren 23,3 Prozent der hier Beschäftigten, mit dem Bus oder der Eisenbahn aus dem Umland.68 Für das Zeiss-Werk hatte die Arbeitszeitverkürzung einen Produktionsausfall von 2,3 Millionen Mark zur Folge, der durch Einsparungen und Produktivitätsteigerung zu kompensieren war. Der Mehraufwand an Löhnen betrug 230.000 Mark. Am 3. Mai 1967 beschloß der Ministerrat dann, Ende August 1967 die durchgängige Fünf-Tage-Arbeitswoche mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 43 V2 Stunden einzuführen. Gleichzeitig wurde ab Kalenderjahr 1967 der Grundurlaub auf 15 Werktage verlängert.69 Im April 1972 beschlossen das ZK der SED, der Bundesvorstand des FDGB und der Ministerrat, den Mindesturlaub von 15 auf 21 und bei Schichtarbeit auf 24 Tage zu verlängern.70 Zu dieser Zeit erhielten die Schichtarbeiter weitere Vergünstigungen. So wurde ihnen seit 1974 eine Schichtprämie von sieben Mark je geleisteter Schicht gewährt.71

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VA Nr. 1160 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 31. Januar 1964). Verordnung über die Einführung der Fünf-Tage-Woche in jeder zweiten Woche und die Verkürzung der Arbeitszeit vom 22. Dezember 1965. GBl. II, S. 897. Statistisches Jahrbuch 1965 des VE Β Carl Zeiss JENA, S. 17-18. Verordnung über die Einführung der Fünf-Tage-Arbeitswoche und die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit vom 3. Mai 1967; Verordnung über die Einführung eines Mindesturlaubs von 15 Werktagen im Kalenderjahr vom 3. Mai 1967; GBl. II, S. 237,241. Unser Staat, S. 124. GBl. I. 1974, S. 477.

Die Politbüro- und Ministerialratsbeschlüsse von 1967 und 1968

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Im Betrachtungszeitraum traf die Leitung des Zeiss-Werkes wiederum Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensverhältnisse der Belegschaft. 1967 begann die Rekonstruktion und Modernisierung der Rüche und des Speisesaals im Hauptwerk, und im Dezember 1969 wurde die erste Selbstbedienungsreihe eröffnet. Seit dem 20. Oktober 1972 konnten die Beschäftigten im Werk 2 ihre Mahlzeiten in der neuen Betriebsspeisegaststätte einnehmen. 72 Von besonderer Bedeutung für das Zeiss-Werk und die Belegschaftsmitglieder war die Fortsetzung des Wohnungsbaus in Jena. 1968 wurde der mehrfach erweiterte Ausbau des Wohnviertels Jena-Nord abgeschlossen. Zwischen 1964 und 1967 erfolgte der Aufbau des Wohngebietes am Saalbahnhof, 1969 nahm man den Wohnkomplex in Winzerla in Angriff. Ein Jahr später begannen die Bauarbeiten in Jena-Neu-Lobeda. Zur gleichen Zeit entstanden Arbeiterwohnheime in Neu-Lobeda, Winzerla und Kahla.

Widerspruchsvoller Verlauf des Ronsolidierungsprozesses 1972 setzte im Zeiss-Werk der Ronsolidierungsprozeß ein. Gegenüber dem Vorjahr konnte der Absatz der Erzeugnisse um 21,3 Prozent und im folgenden Jahr um 23,2 Prozent gesteigert werden. Die abgesetzte Warenproduktion, die 1971 lediglich bei 522 Millionen Mark lag, belief sich 1973 auf 779,3 Millionen Mark. Dabei ist zu beachten, daß inzwischen in den Neubauten der Betrieb aufgenommen worden war. Diese positive Tendenz hielt allerdings nicht an. 1974 ging der Absatz um ein Prozent zurück und im folgenden Jahr wurde lediglich ein Zuwachs um 5,1 Prozent erreicht. Im gesamten Wirtschaftsverbund lag das Wachstum der abgesetzten Warenproduktion zwischen 1971 und 1975 bei 49,5 Prozent. 1975 wurden von allen Betrieben Erzeugnisse im Wert von 990,3 Millionen Mark verkauft. 73 Die Tabelle 31 im Tabellenanhang weist den Absatz zwischen 1967 und 1975 aus. Das Einheitliche Betriebsergebnis des Zeiss-Werkes, das Gewinn und Verlust widerspiegelte, betrug 1971 57,9 Millionen Mark und erhöhte sich bis 1974 auf 223 Millionen Mark. Im folgenden Jahr wurden nur 199,2 Millionen Mark erzielt Im Kombinat erhöhte sich das Betriebsergebnis von 106,2 Millionen Mark im Jahr 1971 auf 277,1 Millionen Mark im Jahr 1974, um dann ebenfalls auf 258,3 Millionen Mark abzusinken. Das Nettoergebnis, der Saldo zwischen Kosten und Erlösen unter Berücksichtigung der eigenen Gewinnverwendung, war 1971 im Zeiss-Werk negativ ausgefallen. Der Verlust belief sich auf 59,1 Millionen Mark. 1972 konnte ein Nettoergebnis von 48,2 Millionen Mark und 1974 von 113 Millionen Mark verbucht werden. 1975 war dann das Nettoergebnis wieder auf 84,1 Millionen Mark zurückgegangen. Im Zeiss-Kombinat betrug der Verlust 1971

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40 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 2. Zusammengestellt und errechnet nach Statistisches Jahrbuch 1972 des VEB Carl Zeiss JENA; VA Nr. 1235-1237 (Geschäftsberichte des VEB Carl Zeiss JENA für die Jahre 1973-1975).

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1963-1975 VE Β Carl Zeiss JENA mit unterstellten Betrieben

25,7 Millionen Mark. 1974 konnte ein Nettoergebnis von 153,4 Millionen Mark ausgewiesen werden, das aber 1975 ebenfalls um 16,4 Prozent unter dem Vorjahresniveau lag.74 Ein weiteres Rennzeichen für den Ronsolidierungsprozeß waren die strukturellen Veränderungen im Produktionsprogramm, die sich im unterschiedlichen Wachstum der Erzeugnisgruppen äußerten. In den betrachteten Jahren stieg die Produktion von photogrammetrischen Geräten um 89 Prozent, von Vermessungsgeräten um 61,4 Prozent und von Mikroskopen um 54,9 Prozent. Die Tabelle 32 im Tabellenanhang vermittelt ein Bild von der Bewegung in den hauptsächlichen Erzeugnisgruppen. Im Export wurden in der ersten Hälfte der siebziger Jahre folgende Resultate erzielt: Die Ausfuhr aller Kombinatsbetriebe in die staatssozialistischen Länder nahm zwischen 1970 und 1973 um 122 Prozent und in die UdSSR um 216,8 Prozent zu. Diese Bewegung setzte sich 1974 nicht fort. Vielmehr ging der Export in diese Länder um 3,7 Prozent und in die UdSSR um 19,2 Prozent zurück, auch im folgenden Jahr blieben Fortschritte aus. Besonders stark war der Rückgang des Exports in das westliche Währungsgebiet, der zwischen 1970 und 1972 47,6 Prozent betrug. Obwohl er in den folgenden Jahren wieder leicht anstieg, erreichte er das Niveau von 1970 nicht.75 Die Daten zeigen, daß es nicht gelang, den wirtschaftlichen Aufschwung, der bis 1973 zu beobachten war, fortzusetzen. Als Ursachen dafür wurden im Geschäftsbericht für das Jahr 1975 die ungenügende Beherrschung des Planungsund Leitungsprozesses und der Überleitung neuer Erzeugnisse in die Fertigung, die fehlende Übereinstimmung von Plan, Bilanz und Vertrag, die Überbewertung der Kennziffer Warenproduktion und die Unterschätzung der Vertrags- und sortimentsgerechten Produktion, die hochgradig operative Steuerung des gesamten Reproduktionsprozesses genannt. Die operative Steuerung des Reproduktionsprozesses zeigte sich 1975 ζ. B. in den sich häufenden Anweisungen, Mitarbeiter des Forschungszentrums für eine kürzere oder längere Zeit in die Fertigungsbetriebe zu entsenden. Störend wirkten sich die Disproportionen aus, die noch immer in einigen Fertigungsbereichen bestanden. Das betraf u. a. die zentrale Teilefertigung, die Kooperationsoptik, die Vorfertigung im Werk 2 und im Mikroskop-Betrieb.76

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Zusammengestellt und errechnet nach Statistisches Jahrbuch 1972 des VEB Carl Zeiss JENA S. 61; VA Nr. 1256-1237 (Geschäftsberichte des VEB Carl Zeiss JENA für die Jahre 1974 und 1975). Zschäbitz: Die volkswirtschaftliche Stellung des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA, S. XIIXIII. VA Nr. 1237 (Geschäftsbericht des VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1975).

ACHTES KAPITEL

Der Aufbau des Forschungszentrums ausgewählte wissenschaftlich-technische Resultate Der Aufbau des Forschungszentrums Am 1. Januar 1971 schied Paul Görlich aus dem Zeiss-Werk aus. Der Fünfundsechzigjährige hatte sich als Direktor für Forschung und Entwicklung um eine wirkungsvolle Kooperation zwischen Industrie und wissenschaftlichen Einrichtungen, um die fachwissenschaftliche Förderung des Nachwuchses im ZeissWerk und um den wissenschaftlichen Kontakt zu führenden Persönlichkeiten des wissenschaftlichen Lebens im In- und Ausland, insbesondere in der UdSSR, außerordentlich verdient gemacht. Von besonderer Bedeutung war sein erfolgreiches Bemühen, Feinmechanik, Optik und Elektronik im optischen Präzisionsgerätebau zu vereinen und die Laserentwicklung in Jena so zu fördern, daß sie zu einem unverzichtbaren Element im Gerätebau wurde. Es ist seiner Weitsicht mit zu danken, daß das Jenaer Zeiss-Werk das erste Industrieunternehmen in der Welt war, das den Lasereffekt gerätetechnisch, also industriell, nutzte. Dafür steht der Laser-Mikrospektralanalysator. Dabei mußte er oftmals gegen den teilweise erheblichen Widerstand von Führungskräften im Zeiss-Werkes angehen. 1 Paul Görlich hat sich immer gegen Versuche, den traditionellen Charakter des ZeissWerkes zu beschädigen, zur Wehr gesetzt. In den letzten beiden Dienstjahren beschäftigte sich Paul Görlich gemeinsam mit Hubert Pohlack und Peter Hradilak mit den Planungen für ein Großforschungszentrum Wissenschaftlicher Gerätebau. Dieses Zentrum sollte den Kern des Großforschungsverbandes Wissenschaftlicher Gerätebau bilden, der sich am 25. Juni 1969 konstituiert hatte und von Prof. Dr. habil. Karlheinz Müller geleitet wurde. 2 Anfang 1971 übernahm Karlheinz Müller die Aufgaben von Paul Görlich und erhielt von Ernst Gallerach in der Direktionssitzung am 17. Februar 1971 die Berufungsurkunde. 3 Gleichzeitig wurde er mit der Leitung des Forschungszentrums beauftragt. Der achtunddreißigjährige Wissenschaftler hatte in der UdSSR studiert und arbeitete nach seinem Studium als Hochschullehrer an der Technischen Universität in Dresden. 4 Karlheinz Müller hatte sich in der ersten Hälfte des Jahres 1971 mit dem Aufbau des Forschungszentrums befaßt und die entsprechenden Vorschläge unter-

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VA Nr. 5751 (Pohlack: Zuarbeit für die KCZ-Chronik Teil 2); Karlheinz Müller/Christian Hofmann: Professor Dr. Dr. h.c. Paul Görlich. In Jenaer Rundschau 1975, S. 252. VA Nr. 1229-1231 (Geschäftsberichte des VEB Carl Zeiss JENA für die Jahre 1968-1970). VA Nr. 822 (Protokoll der Direktionssitzung vom 17. Februar 1971). VA Nr. 1229-1231 (Geschäftsberichte des VEB Carl Zeiss JENA für die Jahre 1968-1970).

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1965-1975 VE Β Carl Zeiss JENA mit unterstellten Betrieben

breitet, 5 so daß die Direktion des Forschungszentrums Anfang Mai 1971 ihre Arbeit aufnehmen konnte. Neben Karlheinz Müller, der in Personalunion Stellvertretender Generaldirektor für Forschung und Direktor des Zentrums war, fungierten Prof. Dr. Ing. Klaus Mütze als Direktor für Entwicklung und Peter Hradilak als Direktor für Ökonomie. 6 Die offizielle Gründung des Forschungszentrums nahm der Stellvertretende Generaldirektor, Helmut Luck, am 1. August 1971 vor. Karlheinz Müller erläuterte den Versammelten die grundlegenden Ziele und Aufgaben dieser neuen Einrichtung im VEB Carl Zeiss JENA. Die Konstituierung des Forschungszentrums war durch zwei Abb. 49 Prof. Dr.-Ing. Karlheinz Müller, erster Direktor des Forschungsmiteinander verflochtene Prozesse gezentrum kennzeichnet. Einmal galt es, die einschneidenden Veränderungen, die in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre im Forschungs- und Entwicklungsbereich des Zeiss-Werkes vorgenommen worden waren, zu korrigieren. Dabei ging es nicht nur um die Beseitigung untauglicher Strukturen, sondern auch um die Tatsache, daß man innerhalb eines kurzen Zeitraumes 50 Prozent des Forschungsund Entwicklungspotenzials operativ umprofiliert hatte. 7 Dieser Prozeß beanspruchte Zeit und Kraft, die für die Lösung der eigentlichen Aufgaben verloren gingen. Der zweite Prozeß ergab sich aus den Möglichkeiten für die inhaltliche Ausrichtung der wissenschaftlich-technischen Arbeit in Jena, die der veränderte wirtschafts- und sozialpolitische Kurs der SED-Führung bot. Sie erlaubten, im Erzeugnisprogramm wieder ausgewogenere Proportionen herzustellen. Dazu bedurfte es eingehender Erwägungen in den einzelnen Erzeugnisgruppen, die im Forschungszentrum ihren Ausgang nehmen mußten. Das traf insbesondere auf die Erzeugnisgruppen zu, die in den vergangenen Jahren infolge der Strategie der Generaldirektion stark vernachlässigt oder gänzlich liquidiert worden waren.

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VA Nr. 822 (Protokoll der Direktionssitzung vom 19. Januar 1971). Dieter Sacher: Die politische Führung der Werktätigen des Forschungszentrums im Kombinat Carl Zeiss JENA beim Kampf um Planerfüllung und wissenschaftlich-technischen Höchststand auf der Grundlage der Beschlüsse des VIII. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei. Diss. Jena 1983, S. 198. Sacher: Die politische Führung der Werktätigen des Forschungszentrums, S. 191-192.

Der Aufbau des Forschungszentrums

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Die ersten Aufgabenkomplexe für den Konstituierungsprozeß wurden in der Forschungskonzeption 71 festgehalten. 8 Zunächst ging es um den Aufbau der Arbeitsgruppen und Abteilungen. Dazu mußten die Mitarbeiter wieder aus den Betrieben herausgelöst werden. Am 4. Mai 1971 trug Karlheinz Müller in der Direktionssitzung den Plan für eine etappenweise Konzentration des wissenschaftlichen und technischen Personals vor, die bis zum September 1971 abgeschlossen sein sollte.9 Dieses Vorhaben ließ sich aber in der vorgesehenen Zeit nicht realisieren, vor allem weil Betriebsleitungen bestrebt waren, fachlich versierte Mitarbeiter, die sich für leitende Funktionen eigneten, erfahrene Konstrukteure oder Facharbeiter aus dem Musterbau, in den Betrieben zu halten. Des Weiteren fehlte es an Räumlichkeiten für das Forschungszentrum, denn nachdem der Forschungsneubau 71 mit einer Fläche von 19.000 m 2 der Friedrich-Schiller-Universität überlassen wurde, mußten für die Mitarbeiter andere Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen werden. 10 1974 repräsentierte das Forschungszentrum 85 Prozent des Forschungs- und Entwicklungspotenzials im Kombinat. 11 1975 arbeiteten 4.741 Personen im Forschungs- und Entwicklungsbereich, das waren 13,5 Prozent der Beschäftigten des gesamten Kombinats. 92,4 Prozent der Mitarbeiter in Forschung und Entwikklung waren im Zeiss-Werk tätig.12 Über die Tätigkeits- und Qualifikationsstruktur der Beschäftigten im Forschungs- und Entwicklungsbereich gibt die Tabelle 33 im Tabellenanhang Auskunft. In den Aufbaujahren wurde das Forschungs- und Entwicklungspotenzial umgruppiert So erhielten die Bereiche Elektronik und Optik-Systeme eine besondere personelle und materielle Förderung, wodurch bestehende Disproportionen wesentlich verringert werden konnten. In den entscheidenden Querschnittsgebieten - Optik, Entwicklungstechnologie und Laser - wurden nun nicht nur, wie ursprünglich vorgesehen, 455 Mitarbeiter, sondern 580 Arbeitskräfte eingesetzt." Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre waren die finanziellen Mittel für die wissenschaftlich-technische Arbeit von 48,8 Millionen Mark im Jahre 1967 auf 129,5 Millionen Mark im Jahr 1971 angestiegen. 1975 standen für Forschungs- und Entwicklungsarbeiten 134,5 Millionen Mark zur Verfügung. Der Anteil des Zeiss-Werkes an diesen Aufwendungen betrug zwischen 93,5 und 96,5 Prozent 14

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WB Nr. 895 (Carl Zeiss JENA - Forschungszentrum: Lang- und mittelfristige Konzeption für die Forschung und Entwicklung des VEB Carl Zeiss JENA). 9 VA Nr. 822 (Protokoll der Direktionssitzung vom 4. Mai 1971). 10 WB Nr. 895 (Carl Zeiss JENA - Forschungszentrum: Lang- und mittelfristige Konzeption für die Forschung und Entwicklung des VEB Carl Zeiss JENA). " Sacher: Die politische Führung der Werktätigen des Forschungszentrums, S. 198. 12 VA Nr. 1237 (Geschäftsbericht des VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1975). 15 Vollbeschäftigteneinheiten. WB Nr. 895 (Carl Zeiss JENA - Forschungszentrum: Lang- und mittelfristige Konzeption für die Forschung und Entwicklung des VEB Carl Zeiss JENA). 14 Zusammengestellt und errechnet nach Statistisches Jahrbuch 1972 des VEB Carl Zeiss JENA, S. 13; VA Nr. 1236, 1237 (Geschäftsberichte des VEB Carl Zeiss JENA für die Jahre 1974 und 1975).

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1965-1975 VE Β Carl Zeiss JENA mit unterstellten Betrieben

In der ersten Hälfte der siebziger Jahre gelang es, die Leitung und Planung des Forschungs- und Entwicklungsprozesses zu stabilisieren. Das betraf die Gestaltung langfristiger Dispositionen ebenso wie die methodologischen Grundlagen der Planung. Daran hatten die elf Fachausschüsse für Schwerpunkt-Erzeugnisgruppen einen wesentlichen Anteil, die Ende 1972 aus kompetenten Führungskräften in Forschung, Entwicklung, Produktion und Vertrieb gebildet wurden. An der Spitze der Erzeugnis-Fachausschüsse standen zumeist die Leiter der einschlägigen Forschungs- und Entwicklungsbereiche. Die Ausschüsse berieten den Generaldirektor und bereiteten Entscheidungen zu Grundsatzfragen ihrer Erzeugnisgruppen vor, die alle Aspekte - von der Forschung bis zum Absatz betrafen. Zu ihren Aufgaben gehörten nicht zuletzt die langfristige Planung und die Jahresplanung für die jeweilige Erzeugnisgruppe. 15 So wurde im September 1972 eine Entwicklungskonzeption für die Feinmeßtechnik erarbeitet, und im Juni 1973 entstanden Entwicklungsstudien für Optik und Elektronik. Damit wurde erstmals der Bedeutung dieser Querschnittsgebiete für die langfristige Entwicklung des optischen Präzisionsgerätebaus Rechnung getragen. Im Frühjahr 1975 entstanden wissenschaftlich-technische und ökonomische Konzeptionen für verschiedene Erzeugnisgruppen, in denen der Versuch unternommen wurde, die Entwicklungen bis 1990 abzustecken. 18 Die Einführung geeigneter Leitungsinstrumente ermöglichte Fortschritte bei der durchgängigen Gestaltung des Prozeßablaufs in Forschung und Entwicklung sowie bei der Überleitung neuer Erzeugnisse in die Fertigung. Allerdings gab es bei verschiedenen Sortimenten in der Null- und Serienfertigung noch immer Rückstände, weil Arbeiten an Spezialverfahren oder im Vorrichtungs-, Werkzeug-, Justier- und Prüfmittelbau oftmals nicht rechtzeitig ausgeführt werden konnten. Eine besondere Aufmerksamkeit widmete die Leitung des Forschungszentrums der Ökonomisierung des Forschungs- und Entwicklungsprozesses. Dabei ging es vornehmlich um die Verkürzung des Zeitraumes, der von der Forschung und Entwicklung bis zur vollen Produktionsreife der neuen Erzeugnisse und Verfahren benötigt wurde. Dieser Zeitraum konnte seit Beginn der siebziger Jahre um neun Monate verringert werden und betrug in der Mitte des Jahrzehnts im Durchschnitt noch 51 Monate. Der angestrebten Verringerung auf 36 Monate standen die langen Durchlaufzeiten im Musterbau und in der Nullserienfertigung sowie die zu geringen Kapazitäten im Vorrichtungs-, Werkzeug-, Justierund Prüfmittelbau entgegen. Negativ wirkten sich auch die langen Lieferfristen der Zulieferbetriebe aus. 17 Ein wichtiger Aspekt bei der Ökonomisierung der Forschungs- und Entwicklungsarbeit war der Rückfluß der finanziellen Aufwendungen. Um dafür ein Kriterium zu haben, wurden Rückflußkoeffizienten gebil-

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VA Nr. 1235 (Geschäftsbericht des VE Β Carl Zeiss JENA für das Jahr 1973); VA Nr. 5751 (Pohlack: Zuarbeit für die KCZ-Chronik Teil 2). Sacher: Die politische Führung der Werktätigen des Forschungszentrums, S. 210, 225, 243, 250,252,256-257, 259. WB Nr. 895 (Carl Zeiss JENA - Forschungszentrum: Lang- und mittelfristige Konzeption für die Forschung und Entwicklung des VEB Carl Zeiss JENA).

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det und Rückflußfristen ermittelt. Im April 1975 schlug Wolfgang Fickler vor, die Produktivität der Forschungs- und Entwicklungsleistungen in den Werken und Betrieben zu messen. Dazu bot er eine Berechnungsmethode an, nach der noch in den achtziger Jahren gearbeitet wurde. 1975 wurden für die Quantifizierung der Wettbewerbsleistungen themengebundene Rennziffern vorgegeben. Sie betrafen Themenkosten, Entwicklungsdauer, Zielstellung für den Erwerb des Qualitätskennzeichens „Q", Kostenlimit für die Produktion, Wiederholteilgrad, Arbeitsproduktivität und Zeitaufwand für die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. 18 In der ersten Hälfte der siebziger Jahre nahm die prüfpflichtige Warenproduktion im Zeiss-Werk von 345,2 Millionen im Jahre 1971 auf 648,7 Millionen Mark im Jahre 1975 zu. In dieser Zeit schwankte der Anteil der prüfpflichtigen Warenproduktion mit dem Qualitätskennzeichen „Q" erheblich. Nachdem er von 36,2 Prozent im Jahre 1971 auf 27,3 Prozent im Jahre 1972 zurückgegangen war, erhöhte er sich bis 1974 auf 33 Prozent, um dann 1975 wieder auf 32,1 Prozent zurückzufallen. 19 Die Mitarbeiter des Forschungszentrums, vornehmlich aber die leitenden Wissenschaftler, mußten viel Zeit und Kraft aufbringen, um der Forschung und Entwicklung ein festes Fundament zu geben. Diese vornehmlich organisatorischen und konzeptionellen Aufgaben hatten in der ersten Hälfte der siebziger Jahre die wissenschaftlich-technische Leistungsfähigkeit zunächst beeinträchtigt. Dessen ungeachtet gelang es den Mitarbeitern des Forschungszentrums, mit einer Reihe neuer Erzeugnisse und technologischer Verfahren aufzuwarten. Das belegt nicht nur die Tatsache, daß sich zwischen 1971 und 1975 der Anteil neuer Erzeugnisse an der Warenproduktion von 4,8 Prozent im Jahr 1971 auf zehn Prozent im Jahr 1975 erhöht hatte, 20 sondern auch die Darstellung über die Fortschritte in den Erzeugnisgruppen.

Die Zusammenarbeit mit akademischen Institutionen und Betrieben in der UdSSR und in anderen RGW-Staaten Es bedurfte eines längeren Zeitraumes und bestimmter politischer Voraussetzungen bis das Bemühen von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Kaufleuten des Zeiss-Werkes, mit Fachkollegen in der UdSSR und in anderen RGW-Staaten ausgewählte Projekte auf einer vertraglich abgesicherten Grundlage gemeinsam zu bearbeiten, Früchte trug. Im Jahre 1970 vermerkt der Geschäftsbericht des ZeissWerkes:

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Sacher: Die politische Führung der Werktätigen des Forschungszentrums, S. 233,237, 255. Zusammengestellt und errechnet nach Statistisches Jahrbuch 1972 des VEB Carl Zeiss JENA; VA Nr. 1235-1237 (Geschäftsberichte des VEB Carl Zeiss JENA für die Jahre 1973 bis 1975). WB Nr. 895 (Carl Zeiss JENA - Forschungszentrum: Lang- und mittelfristige Konzeption für die Forschung und Entwicklung des VEB Carl Zeiss JENA).

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„Allgemein ist der Zustand der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit mit der SU noch unbefriedigend, da die Anzahl konkreter vertraglicher Vereinbarungen nicht den Anforderungen entspricht. Ziel muß es sein, von zahlreichen vorhandenen Rontakten mit sowjetischen Partnern zu beiderseitig verbindlichen Vereinbarungen zu kommen." 21 Auf einigen Gebieten bestanden vertragliche Regelungen. Dazu gehörte der Vertrag zwischen den zuständigen Ministerien der DDR und der UdSSR über die Zusammenarbeit bei der Entwicklung von fotolithographischen Ausrüstungen. Ebenso war die Zusammenarbeit des Zeiss-Werkes mit dem sowjetischen Institut für Kybernetik und der Jenaer Beitrag zum AUTEVO-Projekt vertraglich geregelt. Ferner gab es kommerzielle Beziehungen zur Sibirischen Abteilung der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. Das Zeiss-Werk erwarb von dort wissenschaftliche Resultate.22 Der Grad der internationalen Zusammenarbeit, der bis zum Beginn der siebziger Jahre erreicht werden konnte, befriedigte die Fachleute im Zeiss-Werk nicht. Dafür hatten sie vor allem mehrere Gründe. Das breite Erzeugnissortiment und das begrenzte wissenschaftlich-technische Potenzial erlaubte es nicht, alle Probleme, die zur Weiter- und vornehmlich Neuentwicklung von Geräten und technologischen Verfahren erforderlich waren, zu bearbeiten. Deshalb waren sie daran interessiert, die Erkenntnisse, die in der UdSSR oder in anderen RGWStaaten gewonnen wurden, für den eigenen Gerätebau zu nutzen. Es bestand der Wunsch, durch die Arbeitsteilung mit wissenschaftlichen Einrichtungen und Betrieben in anderen RGW-Ländern die Möglichkeit zu erhalten, das Leistungspotenzial auf ausgewählte Querschnittsgebiete und Erzeugnisse zu lenken. Ferner resultierte das Interesse an einer systematischen und langfristigen Zusammenarbeit aus dem Bestreben, durch Entwicklung und Produktion von Erzeugnissen frühzeitig den qualitativen und quantitativen Bedürfnissen der Wissenschaft, Medizin und Wirtschaft in den RGW-Ländern zu entsprechen. Dieser kommerzielle Aspekt war für das Zeiss-Werk von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Eine bessere politische Voraussetzung für Fortschritte in der wissenschaftlichtechnischen Zusammenarbeit entstand Anfang der siebziger Jahre. Verschiedene Partei- und Staatsführungen der RGW-Staaten hatten seit den späten sechziger Jahren auf den systematischen Ausbau einer solchen Zusammenarbeit hingewirkt und erreichten, daß Ende Juli 1971 auf der XXV. Tagung des RGW in Bukarest das „Komplexprogramm für die weitere Vertiefung und Verfolgung der Zusammenarbeit und Entwicklung der sozialistischen ökonomischen Integration der Mitgliedsländer des RGW" beschlossen wurde. 23

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VA Nr. 1231 (Geschäftsbericht des VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1970). VA Nr. 1231 (Geschäftsbericht des VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1970). Komplexprogramm für die weitere Vertiefung und Verfolgung der Zusammenarbeit und Entwicklung der sozialistischen ökonomischen Integration der Mitgliedsländer des RGW. In: Dokumente des RGW, S. 13; Margot Hegemann: Kurze Geschichte des RGW, Berlin 1980, S. 270-280.

Der Aufbau des Forschungszentrums

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Im ersten Halbjahr 1972 gelang es, der Zusammenarbeit zwischen dem ZeissWerk und einschlägigen wissenschaftlichen Institutionen und Betrieben in der UdSSR eine neue Qualität zu geben. Im Geschäftsbericht für 1971 wird dazu festgehalten: „Mit der UdSSR konnten Vorverhandlungen für den Abschluß eines komplexen Programms über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des WGB (Wissenschaftlichen Gerätebaus d. V.) abgeschlossen werden. Anfang Januar 1972 konstituierte sich der .Ständige Rat des WGB', der in der 1. Etappe die Zusammenarbeit auf dem Schwerpunktgebiet Analysenmeßtechnik koordinieren, anleiten und kontrollieren wird. Durch die Mitarbeit der Akademien, Gerätehersteller und Außenhandelsorgane der UdSSR und der DDR wird die Komplexität und Durchsetzung der Ergebnisse erleichtert."24 Am 9. Juni 1972 hatten die Regierungen der DDR und der UdSSR in Berlin ein Abkommen über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des wissenschaftlichen Gerätebaus geschlossen, das auch die Zusammenarbeit zwischen dem VEB Carl Zeiss JENA und den Akademie-Instituten und Industriebetrieben enthielt Dabei lag der Schwerpunkt auf der Röntgenanalysenmeßtechnik. Das Abkommen zielte auch darauf ab, den Erkenntnisvorlauf in den wissenschaftlichen Einrichtungen zügig in gerätetechnische Lösungen umzusetzen und die neuen Geräte in den notwendigen Stückzahlen zu fertigen. Als Beispiel dafür kann das Zusammenwirken des Zeiss-Forschungszentrums mit dem Institut für Biophysik der sowjetischen Akademie der Wissenschaften genommen werden. Zwei Mitarbeiter dieses Instituts arbeiteten sieben Monate in einer Zeiss-Forschungsgruppe. Die Zusammenarbeit begann mit der Grundlagenforschung, führte über die Gerätekonzeption und die Entwicklung und Konstruktion bis zu umfangreichen Anwendungsuntersuchungen. In dem Geschäftsbericht von 1972 wurde das gemeinsame Vorhaben des ZeissWerkes und der Leningrader optisch-mechanischen Vereinigung - LOMO besonders hervorgehoben, das die Konzeption einer Anlage zur Züchtung großer Fluorid-Kristalle hoher Qualität mit einem Durchmesser bis 200 mm betraf. Nachdem 1972 Klarheit über den Aufbau und die Funktionsweise dieser Anlage bestand, arbeitete man 1973 und 1974 an der Konstruktion und an den verfahrenstechnischen Grundlagen. Am 26. September 1974 übergab der Technische Direktor die neue Fertigungshalle in Eisenberg an das Werk Iii/Optik, so daß nun großtechnische Versuche aufgenommen werden konnten.25 Eine gleiche Anlage entstand in Leningrad. Die Prüfung der Gesamtanlagen in Eisenberg und Leningrad erfolgte in der ersten Hälfte des Jahres 1975. Die Zusammenarbeit zwischen Jena und Leningrad erlaubte, bei der Realisierung dieses Projektes ca. zwei Jahre einzusparen. 26 Das Projekt war charakteristisch für die wachsende Bedeutung der Optik-Hochtechnologie im optischen Präzisionsgerätebau.27 24 25 26 27

VA Nr. 1234 (Geschäftsbericht des VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1972). 40 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 2. VA Nr. 1236 (Geschäftsbericht des VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1974). VA Nr. 5751 (Pohlack: Zuarbeit für die RCZ-Chronik. Teil 2).

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Abb. 50 Dr. Günther Kotitz (2. Reihe rechts) mit Mitarbeitern der Kristallzucht

1975 begann zwischen dem Zeiss-Werk und fünf sowjetischen Ministerien die Koordinierung der Arbeitsaufgaben im Zeitraum von 1976 bis 1980. So wurden mit dem sowjetischen Ministerium für Verteidigungsindustrie 18 Forschungsund Standardisierungsthemen auf den Gebieten der Meß- und Feinmeßtechnik und der Mikroskopie vereinbart. Am 22. März 1974 kam ein Regierungsabkommen zwischen der DDR und der UdSSR zustande, das die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Optik und des optisch-mechanischen Gerätebaus zum Gegenstand hatte. Es regelte die Beziehungen zwischen dem Zeiss-Werk, der Leningrader optisch-mechanischen Vereinigung LOMO und anderen Betrieben in der UdSSR. Im Rahmen einer großen Fachausstellung, die das Zeiss-Werk vom 13. bis 21. September 1974 in Leningrad veranstaltete, kam es auch zur Abstimmung des Produktionsprofils mit LOMO in Leningrad. Am 12. Juni 1975 Schloß der Minister für Elektrotechnik und Elektronik der DDR mit dem sowjetischen Fachminister ein Abkommen über die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, Spezialisierung und Kooperation der Produktion von Erzeugnissen der Röntgenanalysenmeßtechnik und Elektronenmikroskopie. Darin wurde festgelegt, wie die Produktion der Geräte und Baugruppen und das Import- und Exportvolumen auf die deutschen und sowjetischen Betriebe verteilt wird. Die Zusammenarbeit zwischen Fachleuten aus dem Zeiss-Werk und Mitarbeitern sowjetischer wissenschaftlicher Institutionen und Betriebe gestaltete sich nicht immer problemlos. Das war zum einen auf das Selbstbewußtsein der Zeissianer zurückzuführen, das bei fachlichen Kontakten mit den sowjetischen Kollegen oftmals bestätigt wurde, sich gelegentlich aber auch in Ignoranz gegenüber dem

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Wissen und Können der Partner zeigte. Zum anderen mußten Zeiss-Mitarbeiter, denen an einer echten Zusammenarbeit mit sowjetischen Fachleuten gelegen war, erleben, daß die Partner lediglich am Jenaer Erkenntnisstand zu partizipieren suchten, aber ihre Arbeitsresultate nicht unbedingt preisgeben wollten. Das äußerte sich im Hinhalten der Zeissianer oder in offenen oder versteckten Hinweisen auf die strategische Bedeutung ihrer Arbeit. Das galt auch für einschlägige wissenschaftliche Einrichtungen. Die damit konfrontierten Zeiss-Mitarbeiter konnten sich aber auch nicht des Eindrucks erwehren, daß die sowjetische Seite das Zeiss-Werk als Konkurrent auf internationalen Märkten betrachtete. Solche Erfahrungen veranlaßten die Zeiss-Leitung, dem Informationsbedürfnis der sowjetischen Partner zunehmend reserviert zu begegnen, solange es keine vertraglichen Regelungen gab, denen das Prinzip des gegenseitigen Vorteils zugrunde lag. In dieser Haltung wurde die Werkleitung auch von übergeordneten Dienststellen bestärkt. Obgleich die Beziehungen zwischen dem Zeiss-Werk und sowjetischen Einrichtungen in der ersten Hälfte der siebziger Jahre zunehmend dominierten, unterhielt Jena auch vertragliche Bindungen mit den staatlichen Verwaltungen für Geodäsie, Astrophotogrammetrie und Kartographie der RGW-Staaten und führenden Observatorien. Das belegen auch die folgenden Angaben: Von den 95 Themen, die das Forschungszentrum im Frühjahr 1974 im Rahmen der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit bearbeitete, entfielen 75,8 Prozent auf die UdSSR, 12,6 Prozent auf die CSSR, 6,3 Prozent auf die VR Polen, 4,3 Prozent auf die VR Ungarn und ein Prozent auf die SR Rumänien. 28 Im Frühjahr des folgenden Jahres wurden insgesamt 116 Forschungs- und Entwicklungsthemen gemeinsam mit 45 Partnern in RGW-Ländern - ohne UdSSR bearbeitet 29

Ausgewählte wissenschaftlich-technische Leistungen Zwischen 1965 und 1975 trugen die traditionellen Erzeugnisgruppen durch bemerkenswerte Neuerungen zur Entwicklung des Zeiss-Werkes bei. Das wurde u. a. möglich, weil die finanziellen Mittel, die für Forschung und Entwicklung zur Verfügung standen, erhöht wurden. In den Jahren 1966 bis 1972 beliefen sich die dafür im VEB Carl Zeiss JENA mit unterstellten Betrieben verbrauchten Mittel auf 645.586.000 Mark. Die höchsten Steigerungsraten lagen zwischen 1968 und 1970. Allein 1969 konnten 62,7 Prozent mehr Mittel verbraucht werden als im Vorjahr.30 Der größte Teil dieser Mittel entfiel auf die neuen Erzeugnisgruppen Magnetbandspeicher, Lithographische Geräte und Numerik. Die Tabelle 34 im Tabellenanhang gibt über die verbrauchten Mittel Auskunft.

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Sacher: Die politische Führung der Werktätigen des Forschungszentrums, S. 245.

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Mikroskope, Optische Medizingeräte und Ophthalmologische Geräte Fast ein Jahrzehnt nach der Einführung der N-Stative wurde auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1968 die MIRROVAL-Reihe vorgestellt. Bei dieser neuen Mikroskop-Reihe handelte es sich um hochstandardisierte Mikroskope, die nach dem Baukastenprinzip gestaltet waren. Die ersten Vertreter dieser neuen Reihe, das Rursmikroskop Xk und das Arbeitsmikroskop für Durchlicht Xa, hatte das ZeissWerk schon 1965 herausgebracht. Seit 1968 wurden die beiden Geräte unter der Bezeichnung EDUVAL bzw. LABOVAL geführt. 1968 wurde die Reihe erweitert. Hinzu kamen das Durchlichtmikroskop DIAVAL, später als ERGAVAL bezeichnet, das Forschungsmikroskop AMPLIVAL, das für mehrere Beleuchtungs- und Beobachtungsverfahren ausbaufähig war, die Polarisationsmikroskope AMPLIVAL Pol-D und AMPLIVAL Pol-U sowie VERTIVAL für Auflicht und TELAVAL, ein umgekehrtes Mikroskop, das hauptsächlich in der Gewebezüchtung verwandt wurde. Mit Ausnahme des ERGAVAL waren die Mikroskope so konstruiert, daß Grob- und Feintrieb bzw. kombinierter Trieb auf den Tisch wirkten und das Grundstativ und die unterschiedlichen Tuben äußerst robust und stabil ausgeführt werden konnten. Auch äußerlich hob sich die Typenreihe durch ein einheitliches Design und eine neue in grau gehaltene Farbgebung von der N-Reihe ab. Für alle Mikroskope der MIRROVAL-Reihe standen komplette Sätze von Achromaten, Apochromaten und Planachromaten zur Wahl. Die MIRROVALReihe nahm im internationalen Mikroskopbau einen guten Platz ein.31 1969 hatte Ernst Gallerach die Erzeugnisgruppe Medizingeräte aufgelöst und ihre Mitarbeiter in die Erzeugnisgruppe Vermessungsgeräte versetzt. Diese fehlerhafte Entscheidung stieß in der medizinischen Forschung und Praxis ebenso auf entschiedenen Widerspruch wie bei den Gesundheitspolitikern, so daß die Erzeugnisgruppe 1971 wieder begründet wurde. 32 Um den gewachsenen Bedürfnissen der verschiedenen Anwender und die Fortschritte bei den Diagnose- und Therapiemethoden zu entsprechen, arbeitete man in der ersten Hälfte der siebziger Jahre bei einigen Schwerpunktgeräten an einem Generationswechsel. Das betraf insbesondere die Operationsmikroskope und Rolposkope, die Spaltleuchten, die Netzhautkamera, das Stereo-Ophthalmoskop sowie das Zubehör. Seit Mitte der siebziger Jahre kamen die neuen Geräte auf den Markt. Sie waren so konzipiert, daß sie vom Routine- bis zum hochwertigen Operationsmikroskop bzw. Rolposkop den Ansprüchen verfeinerter Methoden der Chirurgie ebenso entsprachen, wie den zunehmend höheren Forderungen an die Beobachtungs-

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Lothar Umland: Zur internationalen Zusammenarbeit der Mitgliedsländer im feinmechanisch-optischen Präzisionsgerätebau. In: Jenaer Rundschau 1975, S. 211-213. Errechnet nach Statistisches Jahrbuch 1972 des VE Β Carl Zeiss JENA, S. 10. Gerhard Müller/Ludwig Otto/Friedrich-Wilhelm Schüler: Neue Mikroskop-Typen der MIRROVAL-Serie. In: Jenaer Rundschau 1968, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 5559; Hans Gause/Joachim Bergner: AMPLIVAL Pol-D und AMPLIVAL Pol-U, neue Polarisationsamikroskope aus JENA. In: Jenaer Rundschau 1968, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 60-64; Gerhard Weiland: Das umgekehrte Mikroskop TELAVAL. In: Jenaer Rundschau 1968, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 65-67.

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und Manipulationstechnik. Die Operationsmikroskope OPM 210 und 220 waren für die Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie bzw. für verschiedene mikrochirurgische Anwendungen konstruiert worden. Für die Ophthalmo-Mikrochirurgie hatte man speziell das Operationsmikroskop OPM 310 entwickelt. Bei den Kolposkopen 110 und 120 wurde sowohl auf eine höhere optische Leistungsfähigkeit als auch auf eine vereinfachte Bedienbarkeit Wert gelegt. Sie kamen bei gynäkologischen Routineuntersuchungen und in der Forschung zum Einsatz. Das Zeiss-Werk stellte ophthalmologische Untersuchungs- und Diagnostikeinheiten zusammen, die zur Senkung der Untersuchungszeit und zu geringerem Platzbedarf führten. 33 1967 und 1970 kamen die Spaltleuchtengeräte FSL bzw. SL auf den Markt. Optische Analysenmeßgeräte und Feinmeßgeräte In den sechziger Jahren entwickelten Wissenschaftler und Ingenieure des ZeissWerkes Geräte auf der Basis von Wirk- und Arbeitsprinzipien, die im Wechselspiel mit den Fortschritten in den naturwissenschaftlichen und technischen Wissenschaften, in der Biologie und Medizin, in der Landwirtschaft, der Metallurgie und in der chemischen Großindustrie entstanden waren. Mit diesen neuen oder weiterentwickelten Geräten konnten in Forschung und industrieller Praxis sowohl größerer Informationsgewinn erzielt als auch Zeit und Material eingespart werden. Dabei spielten die Fortschritte in der Elektronik eine ausschlaggebende Rolle, denn sie erlaubten erst die gerätetechnischen Entwicklungen, die der geforderten Meßwertbildung, Meßwerterfassung und -Verarbeitung gerecht wurden. Im Ergebnis dieser Entwicklungsetappe konnten Ende der sechziger Jahre Gerätesysteme für Hauptanwendungsgebiete, wie Landwirtschaft, Chemie und Metallurgie, angeboten werden, die sowohl Geräte für Forschungszwecke und Routine-Laboranalytik als auch solche für die kontinuierliche Produktanalyse und Prozeßkontrolle in der Industrie enthielten. 34 1966 wurde auf der Leipziger Frühjahrsmesse das vollautomatische InfrarotSpektralphotometer UR 20 vorgestellt Dieses registrierende Zweistrahlgerät für den Spektralbereich von 400 c m 1 bis 5000 cm -1 glich in seinem Aufbau dem UR 10 und verfügte auch über dessen besonderen Vorzüge, die in der unübertroffenen Automatisierung und Einfachheit der Bedienung lagen. Völlig neu waren am UR 20 hingegen die Elektronik und einige Teile des Monochromators. Ferner waren Verbesserungen am Getriebe für die Einstellung der Registriergeschwin-

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Karl-Heinz Donnerhacke: 90 Jahre ophthalmologischer Gerätebau. Vortrag 4.4.2002. Hermann Weinhold: Die Operationsmikroskope 210 und 220 des VEB Carl Zeiss JENA; Das Operationsmikroskop 310 des VEB Carl Zeiss JENA, Die Kolposkope 110 und 120 des VEB Carl Zeiss JENA. In: Jenaer Rundschau 1975, S. 31-36; Helmut Tauber: Ophthalmologische Untersuchungseinheiten des VEB Carl Zeiss JENA aus der Sicht der Klinik. In: Jenaer Rundschau 1975, S: 37. Dieter Diehlmann/Alfred Leman/Curt Schacke/Klaus Schmidt: Zeiss-Jena-Gerätesystem für Chemie und Metallurgie. In: Jenaer Rundschau 1970, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 63-68.

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digkeit und des Registriermaßstabes sowie an der Klimaanlage des Gerätes vorgenommen worden. Das UR 20 löste das UR 10 in der Fertigung ab.35 Für Analysen in begrenzten Spektralbereichen wurde eine Reihe von Zweistrahl-Spektralphotometern entwickelt, die 1968 mit dem SPECORD UV-VIS eröffnet und dann mit dem SPECORD 71 IR und dem SPECORD 72 IR fortgesetzt wurde. 36 Diese Geräte erlaubten eine bequeme und einfache Bedienbarkeit für Routinemessungen bei anspruchsvollen Leistungsparametern für das mittlere Infrarot. Die SPECORD-Reihe entwickelte sich mit weiteren Typen und hohen Exportstückzahlen in der Folgezeit zu einer der wirtschaftlich tragenden Säulen der Warengruppe Mess. 1966 stellte das Zeiss-Werk auf der Leipziger Frühjahrsmesse auch das Mössbauer-Spektrometer MS 10 vor. Obwohl dieses Gerät zunächst für Untersuchungen mit dem Eisenisotop Fe57 vorgesehen war, hatte man aber bereits bei seiner Konstruktion darauf geachtet, daß durch eine einfache Weiterentwicklung auch andere Mössbauer-Kerne untersucht werden können. 37 Wegen der begrenzten Anwendungsfälle wurde das Gerät nur in einer kleinen Stückzahl gebaut.

Abb. 51 Ansprache von Dr. Horst Lucas (rechts) aus Anlaß der Fertigstellung des 1000. SPEKOL im Beisein von Prof. Dr. Hugo Schrade (2. v. r.), den Leiter des M-Betriebes, Walter Thiele (4. v. r.) und Konstrukteur Kurt Hohmann (3. v. r.)

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Herbert Günther/Hubert Büttner/Heinz Seiferth: Das Infrarot-Spektralphotometer UR 20. In: Jenaer Rundschau 1966, S. 121-126. Heinz Riegler/Ernst Winter: Registrierende Infrarot-Spektralphotometer SPECORD 71 IR und SPECORD 72 IR. In: Jenaer Rundschau 1970. Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 85-87. Jens Jacob/Werner Meisel/Dieter Neuhold/Willy Schnabel: Mössbauer-Spektrometer MS 10. In: Jenaer Rundschau 1966, S. 272-278.

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Für den Einsatz zur diskontinuierlichen Produktkontrolle in der chemischen Industrie eigneten sich auch Geräte, die vorrangig für die Laboranalytik konzipiert waren. Dazu zählten die Typen der SPEKOL-Linie, die seit 1963 entstand 38 und zur Leipziger Frühjahrsmesse 1970 mit 16 verschiedenen Ansätzen gezeigt wurde. 39 Der Routineanalyse in großen Forschungs- und Industrielaboratorien mit hohem Probenanfall dienten auch die beiden universellen Großgeräte, der Direkt-Spektral-Analysator DSA 240 für die optische Emissionsanalyse und der vollautomatische Röntgenfluoreszenzanalysator VRA 1. Der zur Leipziger Frühjahrsmesse 1967 vorgestellte VRA 1 war ein vollautomatisch arbeitendes Zweikanal-Vakuum-Röntgenspektrometer mit Lochband-Programmsteuerung. Das Gerät zeichnete sich durch einen hohen Automatisierungsgrad, weitgehenden Bedienungskomfort und eine optimale Anpassungsfähigkeit an verschiedene Analyseprobleme aus. Es trug den Bedingungen der spektrochemischen Routineanalyse in der Industrie ebenso Rechnung wie den vielfaltigen Anforderungen in zentralen Laboratorien und wissenschaftlichen Instituten. 40 1969 folgte bereits die weiterentwickelte Serienausführung VRA 2 und 1973 die Kopplung mit dem Zeiss-Kleinrechner KSR 4100. Angeregt von Horst Lucas, baute Lothar Kramer im Jenaer Zeiss-Werk ab 1964 das neue Arbeitsgebiet Röntgenfluoreszenzanalyse auf und schuf eine effektive Kooperationskette, zu der das Zeiss-Werk, die TU Dresden und einschlägige Betriebe in der DDR gehörten. Gemeinsam mit Anatolii N. Mechewitsch sorgte er für ein Spezialisierungsabkommen zwischen der DDR und der UdSSR. Kooperationskette und Spezialisierungsabkommen, die bis 1990 bestanden, trugen entscheidend dazu bei, daß die Geräte der VAR-Linie weiterentwickelt und in großen Stückzahlen verkauft werden konnten. 41 Als Geräte für die Prozeßkontrolle in der chemischen Industrie dienten Ende der sechziger Jahre das Prozeßrefraktometer REMAT42 und der Röntgen-Meßfühler-Mansfeld mit dem Zeiss-Spektrometer (RMM). In der medizinischen und landwirtschaftlichen Laboranalytik waren weiterhin Flammenphotometer wegen ihrer schnellen und genauen Analysen auf Alkaliund Erdalkalielemente unentbehrlich. So entstand 1973 das Flapho 4, das bis

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Wolfgang Falta/Kurt Hohmann/Heinz Riegler: SPEKOL - Lichtelektrisches Spektral-Kolorimeter für vielseitigen routinemäßigen Einsatz. In: Jenaer Rundschau 1965, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig,, S. 77-80. Oswald Schiek: Die SPEKOL-Gerätegruppe. In: Jenaer Rundschau 1970, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 77-80. Lothar Kramer/Günther Möbius/Ernst-Peter Hasenfelder: Der vollautomatische Röntgenfluoreszenz-Analysator VRA 1. In: Jenaer Rundschau 1967, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 55-67. Lothar Kramer/Wolfgang Löschau: Stand und Perspektiven der arbeitsteiligen Entwicklung und Produktion von Geräten der Röntgen-Analysetechnik im RGW - Teil I; Lothar Kramer/ Antatolii N. Mechewitsch: Ebenso Teil II. In Jenaer Rundschau 1975, S 214-221 und Jenaer Rundschau 1976, S. 280-286. Dr. Wolfgang Nebe/Heinz Riegler/Werner Menzel: Prozeß-Refraktometer REMAT. In: Jenaer Rundschau 1968, S. 224-227.

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Abb. 52 Dipl. Phys. Lothar Kramer (3 v. 1.) und Anatolii N. Mechewitsch (2. v. r.) in Vorbereitung des Spezialisierungsabkommens zur Röntgen-Analysenmeßtechnik zwischen den Fachministerien der DDR und der UdSSR in Leningrad im Dezember 1972

zu seinem Nachfolger Flapho 40 (1981) in großer Stückzahl gefertigt wurde. Der seit 1960 als Laborleiter tätige Dr. Wolfgang Falta widmete sich insbesondere diesen Geräten sowie gemeinsam mit Oswald Schiek der Entwicklung neuer Spekol-Typen. Bei der Vervollkommnung bewährter und der Entwicklung neuer Feinmeßgeräte bemühten sich die Jenaer Fachleute, den internationalen Trend mitzubestimmen. Sie arbeiteten vor allem darauf hin, Geräte zur Messung von Längen und Dicken für Unterschiedsmessungen und unmittelbaren Messungen an außen- und innen liegenden Flächen technischer Körper in einer Koordinate und für zwei Koordinaten zu schaffen. Bei neuen Geräten waren die Anschlußmöglichkeiten für Messungen in der dritten Koordinate gegeben. Gleichfalls galt ihre Aufmerksamkeit den Geräten für den Profilvergleich, für Oberflächentechnik, für die Zahnrad- und Winkelmessung. Die Zeiss-Konstrukteure verbesserten die Genauigkeit der Geräte und führten neue physikalische Methoden ein, mit denen die Messungen objektiviert, die Meßgeschwindigkeit gesteigert und die Meßergebnisse mit technischen Mitteln protokolliert werden konnten. Das wurde durch die sinnvolle Verquickung der bewährten optisch-mechanischen Methoden mit elektrisch-elektronischen Verfahren möglich. 43

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Gerhard Dornheim: Einige Bemerkungen zu Entwicklungstendenzen in der Präzisionsfertigung und MeBtechnik. In: Jenaer Rundschau 1967, S. 293-298.

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Die zunehmenden Tendenzen zur Rationalisierung und Automatisierung in der metallverarbeitenden Industrie bedingten in einem wachsenden Maße eine Feinmeßtechnik, die auf objektivierten Meßverfahren beruhte. Da aber die elektronischen Bauelemente für derartige Meßgeräte noch nicht die gleiche Gewähr für die Betriebssicherheit und Arbeitsgenauigkeit boten, die mit subjektiven Meßmethoden erzielt werden konnten, stand eine Reihe von Fachleuten im Zeiss-Werk der Integration der Elektronik in die Feinmeßtechnik noch abwartend gegenüber. Dessen ungeachtet folgte die Erzeugnisgruppe den auf feinmeßtechnischem Gebiet eingeschlagenen Entwicklungslinien, die in Universalität, Werkstatteinsatz und Baukastenprinzip bestanden. Die wieder breiter werdenden Aktivitäten der Erzeugnisgruppe Feinmeßgeräte führten zu Neuentwicklungen in der Gerätekette Roordinatenmeßgeräte mit dem Ziel, bei zunehmender Kompliziertheit der Werkstücke die Prüfzeiten zu verkürzen und zugleich die Fertigungstoleranzen zu verringern. Dazu wurde auch intensiv an Dreikoordinatenmeßgeräten gearbeitet. Photogrammetrische Geräte und Vermessungsgeräte In den siebziger Jahren bestand die Typenreihe der MRB-Meßkammern mit einem Bildformat 23 χ 23 aus Schmalwinkelaufnahmegeräten (f = 300 mm), Zwischenwinkelaufnahmegeräten (f = 210 mm) und Weitwinkelaufnahmegeräten (f = 150 mm) und Überweitwinkelaufnahmegeräten (90 mm). 44 Neben den Aufnahmekammern wurden Hilfsgeräte u. a. für die Bildflugnavigation und für die Behandlung von Fliegerfilmen sowie elektronisch gesteuerte Kopiergeräte unter der Bezeichnung Elcop entwickelt. Den wachsenden Ansprüchen der Wirtschaft, des Sports oder der Kriminalistik an die Nahbereichsphotogrammetrie wurden die angebotenen Geräte - Phototheodolit Pho Theo 19/1318, Stereokomparator Steco 1818 und Stereoautograph nicht mehr gerecht. Deshalb baute man Anfang der sechziger Jahre zwei spezielle Meßkammersysteme, die Stereomeßkammer SMK 5,5/0808 und das Aufnahmesystem der Universalmeßkammer UMK, auf.45 Kern dieses System waren Meßkammern des Formates 13 cm χ 18 cm mit unterschiedlichen Brennweiten vom Schmalwinkel- bis zum Überweitwinkeltyp. Anfang der achtziger Jahre ersetzte man die MRB-Typenreihe durch das neue System der Luftbildmeßkammer LMK.46 Das entscheidende Merkmal dieses Aufnahmesystems war der Bildwanderungsausgleich, 47 so wie er bereits 1953 theoretisch entwickelt worden war.48 Zur weiteren Verbesserung dieses Systems trug 44

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Gerhard Würtz: Die neue automatische Luftbildmesskammer 21/1818. In: Kompendium Photogrammetrie, Band V; ders.: MBR 9/2323 - eine neue Überweitwinkel-Luftbildmesskammer aus Jena. In: Kompendium Photogrammetrie, Band IX. Günther Voss: Das Aufnahmesystem Stereomesskammer SMK 5.5/0808 aus Jena. In: Kompendium Photogrammetrie, Band XI. Günther Voss/Ulrich Zeth: The LMK Aerial Camera System. In: Kompendium Photogrammetrie. Band XVI. Filmvorschub während der Belichtungszeit.

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eine kreiselstabilisierte Aufhängung bei.49 Die LMK war in den achtziger Jahren die leistungsfähigste Luftbildmeßkammer, die auf dem Weltmarkt angeboten wurde. Diese Typen waren, die kurzbrennweitige Überweitwinkelkammer ausgenommen, fokussierbar. Damit gab es erstmalig photogrammetrische Meßkammern, bei denen der Abstand des Meßobjektivs von der Bildebene veränderlich war. Der Stereoautograph wurde ersetzt durch eine spezielle Variante des Topocart, die den Namen Technocart erhielt. 30 In den Jahren von 1950 bis 1990 sind im Jenaer Zeiss-Werk 60 Bildmeßgeräte entwickelt worden, darunter zehn Luftbildaufnahmesysteme, sieben terrestrische Messkammern, sechs Entzerrungsgeräte, vier Automatische Großkoordinatographen, 12 Stereokartiergeräte und drei StereoAbb. 55 Montage und Endjustierung der Universalmeßkammer UMK 1985 komparatoren. Insgesamt wurden zwischen 1952 und 1989 ca. 1.700 terrestrische Aufnahmekammern, 370 Luftbildkammern, 1.320 Stereokomparatoren und 2.500 Stereokartiergeräte hergestellt und ausgeliefert. 51 Nachdem es in den vierziger und fünfziger Jahren gelungen war, einige physikalische Effekte technisch zu nutzen, erschloß man sie auch für den geodätischen Instrumentenbau. Dabei bildete die selbständige Stabilisierung der Ziellinien optischer Systeme zur Lotrichtung mittels des physikalischen Pendels einen Schwerpunkt. Es entstand der Neigungskomparator, der ein optisches Bauelement besaß, das vom Pendel zur Lotrichtung selbständig gesteuert wird, in einem gewissen Nutzungsbereich stets den horizontalen Zielstrahl auf das Bild der Meßlatte im Sehfeld des Nivellierzielrohrs abbildet, unabhängig von der Horizontrierung des Gerätes selbst. Im Feldeinsatz bestanden die Vorteile des Romparators im verkürzten Meßprozeß, in der Justierhaltigkeit und im Wegfall von Libellenfehlern. Zwischen 1960 und 1968 entstanden im Zeiss-Werk die Kom48

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Horst Schöler: Zur Frage des Bildwanderungsausgleiches bei Reihenmeßkammern. In: Vermessungstechnik 1955/1, S. 8. Heinrich Klose: Die neue kreiselstabilisierte Aufhängung für Luftbildmesskammern. In: Vermessungstechnik 1990, Heft 1, S. 15. Günther Voss: Das Aufnahmesystem Universalmesskammer UMK 10/1518. In: Kompendium Photogrammetrie, Band X. GB Nr. 2408 (Kurzcharakteristik. Werk für optische Präzisionsgeräte. Carl Zeiss JENA GmbH).

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pensatornivelliere Ni 007, Ni 025 und Ni 050.52 Die Entwicklung des Neigungskomparators nach dem Prinzip des einfach hängenden Pendels mit Kreuzbandgelenk regte dazu an, das automatische Präzisionskompensatornivellier Ni 002 zu entwickeln. Bei diesem 1973 vorgestellten Gerät fand erstmals das Verfahren des quasiabsoluten Horizonts Anwendung. Der Wegfall der Vorstationierung ermöglichte kürzere Meßzeiten, hohe Meßgenauigkeit und verminderte den Einfluß systematischer Fehler im Nivellementergebnis. Das Ni 002 war für alle Spezialhöhenmessungen höchster Genauigkeit bei rationellster Arbeitsweise sowohl für das Fuß- als auch für das motorisierte Nivellement einsetzbar. Erstmals und im internationalen Maßstab einmalig wurde Automatisierung mit höchster Präzision vereinigt. Das Gerät gehörte nach zeiss-interner Bewertung zu den fünfzig internationalen Spitzenleistungen, die seit 1880 in Jena entstanden. 53 Bei Theodoliten diente der Neigungskomparator zur automatischen Stabilisierung des Höhenindexes der Vertikalkreisanzeige zur Lotrichtung und ersetzte die Höhenindexlibelle. Das führte zu einer einfacheren, schnelleren, genaueren und zuverlässigeren Zenitwinkelmessung. Die seit 1971 produzierte Theodolit-Typenreihe Α mit den Geräten THEO 020 A, THEO 010 A, DAHLTA 010 A war ebenfalls mit Neigungskomparatoren ausgestattet Die den Typenreihen zugrunde liegenden konstruktiven Prinzipien gestatteten eine rationelle Fertigung.54 Astronomische Geräte In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre spielten für die Erzeugnisgruppe AstroGeräte die 1-m-Teleskope eine maßgebliche Rolle. 1964 kam es zu Verhandlungen mit Dr. Sinvahl vom Observatorium Nainitel in Indien über derartige Geräte. Sie mündeten in die Bestellung von zwei 1-m-Teleskopen, die ausgeführt wurden. Ein solches Instrument wurde auch aus Ungarn geordert. Damit im Zusammenhang kam es zu einer Zusammenarbeit mit dem ungarischen Unternehmen VI LATI, die von besonderer Bedeutung für Jena wurde, weil die Mitarbeiter dieses Betriebes nicht nur Erfahrungen auf dem Gebiet elektronischer Steuerungen von Werkzeugmaschinen hatten, sondern auch Zugang zu modernen elektronischen Bauelementen. Über dieses Unternehmen konnten elektronische Steuerungssysteme für astronomische Geräte beschafft werden, die sowohl für das Teleskop, das in Ungarn aufgestellt wurde, als auch bei den folgenden acht 1-m-Teleskopen verwendet wurden. 55

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75 Jahre Zeiss-Jena-Vermessungsgeräte, S. 17; Erhard Grödel: Ein neues ZEISS-Vermessungssystem. In: Jenaer Rundschau 1971, Sonderheft zur Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 5562; ders. Vermessungsgeräte. In: Jenaer Rundschau 1971, S. 282; VA Nr. 5751 (Pohlack: Zuarbeit zu 40 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 2). Gerhard Hüther: Das neue Präzisions-Kompensatornivillier Ni 002 des VEB Carl Zeiss JENA. In: Jenaer Rundschau 1972, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 56-60.; VA Nr. 5751 (Pohlack: Zuarbeit zu 40 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 2). 75 Jahre Zeiss-Jena-Vermessungsgeräte, S. 17. Hans G. Beck: Meine Erinnerungen an Alfred Jensch und unsere gemeinsame Zeit (Typoskript), S. 17, 20.

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Abb. 54 Alfred Welm und Helmut Sandner bei der Endmontage des 1-m-Spiegel 1983

1967 brachte das Zeiss-Werk das neue Satelliten-Beobachtungsgerät SBG 420/ 500/760 heraus, mit dem sich präzise photographische Positionsmessungen von künstlichen Erdsatelliten im Bezug auf das Fixsternsystem vornehmen ließen. Das optische System dieses Gerätes bestand aus einem Schmidt-Teleskop mit geebnetem Feld und einem halbpankratischem Leit- und Suchfernrohr. In dieser Zeit konstruierten die Mitarbeiter der Astro-Abteilung auch das 600-mmSpiegelteleskop als Sonderausführungen für Fernsehaufnahmen. 5 6 Dieses Teleskop wurde in der Folge zu einem Seriengerät weiterentwickelt, von dem mehr als 50 Exemplare gebaut wurden. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre wurde ein neues Modell des Universal- Großplanetariums herausgebracht, dessen Parameter das Jenaer Planetarium in die Weltspitze führten. In dieser Zeit erfolgte der Übergang von dem Planetarium mit Modellcharakter zu dem Universalprojektor mit größtmöglicher Simulation der Wirklichkeit, insbesondere des Sternenhimmels. 1967 wurden Planetarien diesen Typs in Calgary, Toronto und Vancouver eröffnet. 37

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Manfred Steinbach: Satellitenbeobachtungsgerät SBG 420/500/760. In: Jenaer Rundschau 1967, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 89. Heinz Letsch: Das neue Universal-GroDplanetarium aus Jena. In: Jenaer Rundschau 1968, S. 345-349.

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Parallel dazu wurde die Entwicklung eines mittleren Planetariumstyps betrieben. 1967 wurde in der Abteilung Astrogeräte und Planetarien das RaumflugPlanetarium Spacemaster fertiggestellt, das für Kuppeln zwischen 10 und 15 m Durchmesser konzipiert war. Es verband die traditionelle Darstellung der natürlichen Himmelserscheinungen und scheinbare Bewegungen der Himmelskörper mit der Darstellung neuartiger Bewegungsabläufe und Beobachtungsbedingungen, die erst durch die Raumfahrt möglich wurden. Dieses Planetarium wurde vollautomatisch geführt. 58 Magnetbandspeicher, Numerik und Lithographische Geräte Ende der sechziger Jahre waren in der Erzeugnisgruppe Magnetbandspeicher die Entwicklungsarbeiten an einem Magnetbandspeicher abgeschlossen, so daß die ersten Geräte ausgeliefert werden konnten. 59 1969 hatte man die Fertigung von Magnetbandspeichern weitgehend automatisiert. 60 Das erlaubte der Erzeugnisgruppe, die Arbeitsproduktivität erheblich zu steigern. Sie wuchs zwischen 1970 und 1975 um 16,9 Prozent.61 Im Sonderheft zur Leipziger Frühjahrsmesse 1970 konnte darüber berichtet werden, daß sich bereits einige hundert ZeissMagnetbandspeicher ZMB 30 im praktischen Einsatz bewährt haben. 62 Dieses Gerät ließ sich über das Zeiss-Gerät ZMS 1031 mit der in der UdSSR entwickelten elektronischen Rechenmaschine MINSK 22 verbinden. Die große Speicherkapazität eines Magnetbandes und die Anschlußmöglichkeit von acht Magnetbandspeichern an das Steuergerät ZMS 1031 erschlossen der MINSK völlig neue Einsatzmöglichkeiten. Anfang der siebziger Jahre brachte das Zeiss-Werk dann den Magnetbandspeicher ZMB 51 heraus. 63 In den siebziger Jahren gab diese Erzeugnisgruppe dem Zeiss-Werk ein solides ökonomisches Fundament. Die Magnetbandspeicherproduktion, die 1970 bei 92,1 Millionen Mark lag, belief sich 1973 auf 261,1 Millionen und hatte in diesem Jahr einen Anteil von 28 Prozent an der Gesamtproduktion des Zeiss-Werkes.64 In den folgenden Jahren ging die Nachfrage aus der UdSSR an diesen Geräten stark zurück. Die zunehmende Hinwendung des Werkzeugmaschinenbaus der DDR zu Maschinen mit numerischen Steuerungen ließ den Bedarf an numerischen Bau-

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Hans G. Beck: Raumflug-Planetarium Spacemaster. Jenaer Rundschau 1967, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 87-88. Löscher: Der Magnetbandspeicher, In: Schreiner: Schaltkreise, S. 41-47. VA Nr. 1230 (Geschäftsbericht des VE Β Carl Zeiss Jena für das Jahr 1969). VA Nr. 3318 (Konzeption zur Intensivierung des Reproduktionsprozesses im Kombinat VEB Carl Zeiss JENA vom 20. August 1975). Klaus Heuer/Rauthgundis Kaspar/Günter Kuhn/Manfred Perich: Der Magnetbandspeicher ZMB 30 - ein peripherer Speicher für die elektronische Datenverarbeitungsanlage. In Jenaer Rundschau 1970, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 85-92. Klaus Heuer: Der Magnetbandspeicher ZMB 51. In: Jenaer Rundschau 1971, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 63-65. S. Alexander W. Zschäbitz: Die volkswirtschaftliche Stellung des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA. Diplomarbeit Friedrich-Schiller-Universität Jena 1999, Gutachter: Universitätsprofessor Dr. Rolf Walter, S. 40.

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gruppen ständig wachsen. Da im Zeiss-Werk seit längerem für den eigenen Gerätebau auf diesem Gebiet gearbeitet wurde und Jenaer Fachleute in den sechziger Jahren mit dem VEB Mikromat Dresden, dem VEB Starkstromanlagenbau und dem Forschungszentrum des Werkzeugmaschinenbaus in Rarl-Marx-Stadt bei einzelnen Projekten zusammenwirkten, fiel dem Zeiss-Werk Ausgang der sechziger Jahre die Aufgabe zu, die Positionsmeßtechnik für die NC-Maschinen zu entwickeln und zu fertigen. Dazu bildete sich im Geräte-Betrieb, in dem man sich mit Meßsystemen befaßte, die Erzeugnisgruppe Numerik heraus. Günter Wagner übernahm den Aufbaustab für Meßsysteme und Rolf Roitsch die gleiche Aufgabe für die Kugelrollspindeln im Zulieferungsbetrieb. Die Erzeugnisgruppe Numerik wurde 1970 gebildet.65 Beim ihrem Aufbau war eine Reihe von Schwierigkeiten zu überwinden. Die personelle Zusammensetzung der Mitarbeiterschaft entsprach nicht den Anforderungen, denn es stand nur ein kleiner Kreis von fachlich versierten Mitarbeitern zur Verfügung. Die Belegschaft setzte sich anfangs vornehmlich aus jungen Absolventen von Hoch- und Fachschulen und aus Kollegen zusammen, die aus anderen Bereichen gewonnen wurden. Auch für Führungspositionen gab es nur wenige Personen, die sofort den Anforderungen gewachsen waren. Die zunächst unzulänglichen Arbeitsbedingungen änderten sich erst, nachdem die Arbeitsräume im Produktionssystem Göschwitz bezugsfertig waren. Da eine Vielzahl von speziellen Produktionseinrichtungen, Werkzeugen und Meß- und Prüfmittel nicht aus anderen DDR-Betrieben bezogen werden konnte, mußten sie im Zeiss-Werk entwickelt und gebaut werden. Das hatte den Vorteil, daß die Technik auf den modernsten Stand gebracht und gehalten werden konnte. Für den Aufbau und die Entwicklung der Erzeugnisgruppe war es außerordentlich vorteilhaft, daß die Mitarbeiter aufgrund der Größe und Breite des Produktionssortiments im Zeiss-Werk auf nahezu jedem wissenschaftlichen und technischen Gebiet Ansprechpartner fanden. Dadurch ließ sich fast jedes technische Problem ohne Verzögerung lösen. Als Nachteil für den Aufbau der Erzeugnisgruppe erwies sich das fehlende Angebot an serienreifen Zuliefererzeugnissen. Dem Zeiss-Werk wurde Anfang der siebziger Jahre die alleinige Zuständigkeit für die Entwicklung und Fertigung von Kugelrollspindeln als kombinierte Antriebs- und Meßelemente, von Linearmeßsystemen, rotativen Meßsystemen, Meßsteuerungen, Schrittmotoren, Kreisteiltischen und Lasersystemen zur Maschinenabnahme und -kalibrierung übertragen. Der Bau von Meßsteuerungen oblag dem VEB Feinmeß in Dresden. 66 Nach einer Anpassung der Kugelrollspindeln (Wälzschraubtriebe) an die Erfordernisse im Maschinenbau und dem Beschaffen der zu ihrer Herstellung benötigten Ausrüstungen war es 1971 möglich, die ersten Wälzschraubtriebe für den Werkzeugmaschinenbau zu fertigen. 65

66

In der Folgezeit änderte sich die werksinterne Bezeichnung mehrfach. Zunächst n'annte man es Produktionssystem Göschwitz (PSG), dann Numerik.-Betrieb (N-Betrieb), Betrieb für Informationsverarbeitung (I-Betrieb), Betrieb Göschwitz und schließlich Betrieb für Mikroskope und Wissenschaftlichen Gerätebau. Veit Kern: Der Kombinatsbetrieb VEB Feinmess Dresden - Produzent von Meßeinrichtungen für Werkzeugmaschinen. In: Jenaer Rundschau 1985, S. 80-82.

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Aufgrund der Fortschritte in der Feinmeßtechnik, bei Photoempfangern für eine objektive photoelektrische Abtastung sowie dem funktionstüchtigen absoluten Winkelmeßsystem, das im Winkelmeßsystem WMS 105 und WMS 10e Niederschlag gefunden hatte, wurde das Zeiss-Werk Ende der sechziger Jahre damit beauftragt, mit Nachdruck die Entwicklung von Baugruppen für die objektive Meßwerterfassung und -Verarbeitung, in denen optoelektronische Wirkprinzipien dominieren, voranzutreiben und zu fertigen. Den Feinmeßtechnikern waren die Anforderungen vertraut, die Werkzeugmaschinenbauer an die Geräte stellten, so daß die zu entwickelnden Numerikerzeugnisse an Bearbeitungsund Verarbeitungsmaschinen optimal angepaßt werden konnten. Abb. 55 Prüfstand für Wälzschraubtriebe Als sich Ende der sechziger Jahre die Hinwendung zur inkrementalen Meßwerterfassung immer deutlicher abzeichnete, wandten sich die auf dem Numerik-Gebiet tätigen Wissenschaftler und Ingenieure im Zeiss-Werk der Entwicklung des Inkrementalen Geber rotatorisch IGR zu. Der IGR war ein inkrementales, rotatorisches, digitales Meßsystem zum direkten Messen von Winkelpositionen und zum indirekten Messen von Längenverschiebungen. Das Meßsystem wurde in drei Ausführungen entwickelt, als Standgeber mit eingebautem elektronischen Teil, als Meßgeber mit getrenntem elektronischen Teil und als Meßgeber mit durchgehender Welle, Handrad und getrenntem elektronischen Teil. Wenig später kam der Inkrementale Positionssteiler IPS hinzu. Der IPS war ein aktives Meßsystem, mit dem direkt Drehwinkel und über eine Maßverkörperung Längen bei gleichzeitiger Verstellung des Winkels bzw. der Länge gemessen werden. Er vereinigte in sich die Eigenschaften eines inkrementalen rotatorischen Meßsystems und eines digitalen Stellsystems mit hoher Winkelgenauigkeit Er wurde als 5-Statorsystem und als 3-Statorsystem entwickelt 6 7 Am Beginn der siebziger Jahre zeigte sich, daß die Erwartungen in das Tempo der Automatisierung in der Industrie der DDR und im gesamten RGW-Bereich, vornehmlich in der UdSSR, zu hoch gesteckt waren. Der Absatz von Erzeugnissen der Erzeugnisgruppe Numerik vollzog sich nicht im prognostizierten

67

VEB Carl Zeiss Jena. Aus dem Erzeugnisprogramm des wissenschaftlichen Gerätebaus. Beilage der Jenaer Rundschau 1973, Heft 4, S. 11.

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Maße, so daß sich sowohl die für diese Erzeugnisgruppe in Göschwitz vorgesehene Produktionsfläche als auch der Ausrüstungspark als überdimensioniert erwiesen. Im Frühjahr 1967 waren die Erörterungen zwischen den deutschen und sowjetischen Fachleuten über den Beitrag des Zeiss-Werkes zur Entwicklung und zum Bau von Geräten und Gerätekomplexen zur Herstellung und Rontrolle von Mikrostrukturen in lichtempfindlichen Schichten auf Glas, Keramik und Halbleitersubstraten soweit gediehen, daß am 29. März 1967 zwischen der DDR und der UdSSR ein Forschungsvertrag abgeschlossen werden konnte. 68 Dabei ging es um eine Mitwirkung an der Elektronenlithographie. Vom Zeiss-Werk wurde erwartet, daß es Geräte für drei Präzisionsstufen beisteuert. Die Konsultationen hatten ergeben, daß für zwei dieser Stufen, die in der UdSSR bereits entwickelt worden waren, Geräte genutzt werden konnten, die im Zeiss-Werk schon hergestellt wurden, die aber dem neuen Anwendungsgebiet angepaßt werden mußten. Für die dritte Präzisionsstufe waren neue Problemlösungen erforderlich.69 Um zielgerichtet vorzugehen, erhielt Hermann Dietrich 1967 den Auftrag, das Ingenieurbüro Ε (Elektronik) aufzubauen, in dem fertigungsgerechte Konstruktionsunterlagen erarbeitet, die Technologie festgelegt und die materiell-technischen Bedingungen zur Fertigung der Geräte zu schaffen waren. Dieses Büro bildete den Kern für die Systemgruppe E, die im Mai 1968 ins Leben gerufen wurde. Unter Leitung von Gerhard Dornheim hatte sie die Aufgabe, die neue Erzeugnisgruppe zu konzipieren und den Forschungs- und Entwicklungsplan auszuarbeiten, die Entwicklungsarbeiten zu organisieren und die Produktion der Geräte vorzubereiten. Vorerst galt es, die Anwendungsmöglichkeiten der vorhandenen Geräte für fotolithografische Zwecke zu prüfen und die erforderlichen Neuentwicklungen zu empfehlen. Mitte Mai 1968 konnten die technisch-technologischen Unterlagen an die beteiligten Betriebe übergeben und die damit befaßten Kollegen im G-, F- und P-Betrieb instruiert werden. Im Zentrum der ersten Entwicklungsarbeiten stand ein Maskenrepeater für die Fertigung von mikroelektronischen Schaltkreisen, die gemeinsam mit dem Institut für Allgemeine Molekulare Elektronik und dem VEB Elektromat erfolgten. Der Automatische Neunfachrepeater ANR 1, mit dem gleichzeitig bei neun Fotoschablonen der Größe 25" χ 25" Strukturen bis minimal 1 pm hergestellt werden konnten, wurde 1969 in Jena zur Produktionsreife gebracht. Das Gerät wies bei seiner Übernahme noch über einhundert konstruktive Mängel auf, die erst noch zu beheben waren. Bei dem angewandten lithographischen Verfahren bereitete der Vervielfaltigungsprozeß des Maskenbildes auf eine Maske Schwierigkeiten. Die dazu von Elektromat Dresden in Kooperation mit dem Zeiss-Werk entwickelte Justierund Belichtungsanlage befriedigte nicht. Deshalb schlug man unter Federfüh-

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69

B-B Nr. 163 Jörg Fischer: Entstehung und Entwicklung des Betriebes für den Optischen Präzisionsgerätebau im VEB Kombinat Carl Zeiss JENA, S. 17. Knut Kaschlick: Zwanzig Jahre Mikrolithografie-Entwicklung bei Carl Zeiss Jena: In: Schreiner: Schaltkreise, S. 21-23.

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rung von Dr. Hans-Joachim Pohl und unter Mitarbeit u. a. von Dr. Rarl-Werner Gommel und Alexander Heyroth einen neuen Weg ein und schuf die Projektionshelichtungsanlage JuhPM 50, mit der 2"- oder 3 "-Arbeitsschablonen berührungsfrei und damit verschleißfrei auf 2"- oder 3"-Wafer in einem Stück übertragen werden konnten.70 Als besonders schwierig erwies sich die Herstellung der Objektive, denn sie stellten außerordentliche Anforderungen an Maßgenauigkeit, Verzeichnung, Farbquer- und -längsabweichung. Solchen Anforderungen waren die vorhandenen Fertigungs-, Justier- und Prüftechnologien aber nicht mehr gewachsen, so daß ein Komplex von Verfahrens- und Entwicklungsthemen für Hochleistungsobjektive erarbeitet werden mußte, dessen Realisierung zu neuen Technologien, Fertigungsmaschinen und rechnergestützten Meßmitteln führte. An der Ausrüstung und den Verfahren wurde in den folgenden Jahren weitergearbeitet, um die Objektive auch bei wachsenden Anforderungen reproduzierbar zu gestalten. Mit der Projektionsbelichtungsanlage begannen die Entwicklungsarbeiten für die Geräte der dritten Präzisionsstufe. Um mit der Fotolithographie in den Submikrometerbereich vorzudringen, führte der Weg über die Elektronenstrahllithographie. Dazu trugen die Mitarbeiter des Laboratoriums für Elektronenmikroskopie unter Leitung von Dr. Eberhard Hahn maßgeblich bei. Es entstand der Masken-Projektions-Überdeckungs-Repeater MPÜR, an dessen Entwicklung Dr. Rarl-Werner Gommel und Stephan Härtung führend beteiligt waren.71 Mit dem JubPM 50 und dem MPÜR waren zwei wichtige Bestandteile für den Gerätekomplex der dritten Präzisionsstufe geschaffen worden. Die bisherigen Fortschritte auf dem Gebiet der fotolithographischen Technik erlaubten, zum Aufbau des neuen Gerätesystems, dem System 80/100, überzugehen. Durch dieses System konnten Siliziumwafer mit dem Scheibendurchmesser von 80 bzw. 100 mm gefertigt werden. Zu dieser Zeit beschränkte man sich aber auf Wafer von 80 mm Durchmesser. Dieser Geräteentwicklung lag wiederum ein Regierungsabkommen zwischen der DDR und der UdSSR von 1974 zugrunde. 1972 waren im Bau 6/70 die materiell-technischen Voraussetzungen für die Serienfertigung der Geräte für die Erzeugnisgruppe Lith gegeben. Die Serienfertigung des ANR 1 wurde 1974 aufgenommen. Schon nach kurzer Zeit führten die Entwicklungsarbeiten zum Automatischen Neunfach-Repeater ANR 4, der sich durch hohe Präzision der mechanisch-optischen Systeme und universelle Programmierbarkeit auszeichnete. Er wurde in Forschungsinstituten ebenso wie im robusten industriellen Mehrschichtbetrieb eingesetzt. Von diesem Gerät lieferte das Zeiss-Werk bis 1977 mehr als 140 Exemplare an wissenschaftlich-technische Einrichtungen und Betriebe der Mikroelektronik in der UdSSR, der DDR und 70

71

Dietmar Klingenfeld: Justier- und Belichtungseinrichtung Projektion Mikrostrukturen JUBPM 50. In: Jenaer Rundschau 1974, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 65-68. Uwe Michl/Klaus Nestler: Automatischer Neunfachrepeater ANR des VEB Carl Zeiss JENA, ein photolithographisches Präzisionsgerät für die Halbleiterindustrie. In. Jenaer Rundschau 1974, Sonderheft Frühjahrmesse in Leipzig, S. 56-62; BACZ Nr. 76040 Kammer der Technik des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA (Hrsg.): Mikroelektronik. Informations- und Schulungsmaterial für die Leitungskader des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA, 1981, S. 70.

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anderen RGW-Ländern. 1974 wurden der ANR 4 und die JubPM 50, die dem ANR 4 angepaßt war, auf der Leipziger Frühjahrsmesse gezeigt. Zum System Ε gehörten 1973 der Präzisions-Roordinatograph E, das Stereomikroskop SM XX C, das Projektionswerkzeugmikroskop Prowemi, der Meßprojektor MP 320, der Automatische Neunfach-Repeater ANR, das Universalforschungsmikroskop NU 2 E, die Justier- und Belichtungseinrichtung 830-03 und 830-11, das Interphakomikroskop EPIVAL A-E sowie das Oberflächentastschnittgerät ME 10. Damit stand der Halbleiterindustrie ein Geräteausrüstungskomplex für die Maskierungstechnik zur Herstellung und Rontrolle von Mikrostrukturen bis zu einer Elementbreite von 1 pm mit hoher Überdeckungsgenauigkeit zur Verfügung.72 Bei den Arbeiten an den Geräten der neuen Erzeugnisgruppe mußten die Mitarbeiter in der Forschung, Entwicklung und im Musterbau außerordentliche Anfangsschwierigkeiten bewältigen. Das wird in einer Bemerkung deutlich, die Hans-Joachim Pohl im April 2002 rückblickend machte: „Als wir damals die Aufgabe,Fotolithografie' auf uns nahmen, war die geistige Lage nach meiner Erinnerung ausgesprochen positiv. Wir meinten, alle Probleme letzten Endes lösen zu können und ganz am Ende - bei allen Zwischenschlägen, die wir ertragen mußten - haben wir das bei Zeiss ja auch geschafft. Das Ε-System wurde zunächst von außen verlangt, und wir haben uns dem unter einem strategischen Gesichtspunkt auch gern und mit allen Rräften gewidmet. ... Wir haben den Vertrag leichtfertig abgeschlossen. Alle Beteiligten hatten noch nie solche Ausrüstungen in Funktion gesehen.... Und wir verfügten nicht über eigene Erfahrungen. ... Wir haben also den das Zeiss-Profil entscheidend erweiternden Vertrag mit unserem Partner geschlossen, aber mit einem ganz entscheidenden Mangel: Der Vertrag war so eisern, daß er beiden Seiten gewissermaßen keine Chance gab, auszuweichen. Man muß sich vorstellen, es waren Riesenvolumina, die gesamte Mikroelektronikindustrie der Sowjetunion sollte über mindestens fünf Jahre mit diesen Ausrüstungen versorgt werden, und die Abnehmer haben keinerlei Toleranz gezeigt, irgendwo von dem Vertrag abzuweichen." 73 Der Leiter des Zentral-Instituts für die elektronische Industrie der UdSSR, Prof. Dr. Fedotow, urteilte 1971 über die Bedeutung der Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern des Zeiss-Werkes: „In der Zusammenarbeit mit der DDR ist besonders die Zusammenarbeit mit dem VEB Carl Zeiss Jena hervorzuheben. Sie hat zu wesentlichen Fortschritten geführt, auch wenn einige detaillierte Zielstellungen nicht erreicht wurden. Wenn die Ergebnisse jetzt nicht vorliegen würden, würde das einen Rückstand der elektronischen Industrie der UdSSR von fünf Jahren bedeuten." 74

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74

Alexander Heyroth: Das Gerätesystem Ε des VEB Carl Zeiss JENA. In: Jenaer Rundschau 1973, S. 3-19. Hans-Joachim Pohl: Zur Entwicklung des VEB Carl Zeiss Jena im NÖS. In: Schreiner: Politkrimi, S. 107-108. Zitiert in: Pohl: Zur Entwicklung des VEB Carl Zeiss Jena im NÖS, In: Schreiner Politkrimi, S. 109.

NEUNTES KAPITEL

Die Auseinandersetzungen um den Namen Carl Zeiss und die gewerblichen Alt-Schutzrechte zwischen Heidenheim/Oberkochen und Jena Erste Meinungsverschiedenheiten Im Vereinigten Wirtschaftsgebiet, das 1948/49 die amerikanische und britische Besatzungszone umfaßte, hatte der Wirtschaftsrat am 5. Juli 1948 das Gesetz über die Errichtung von Annahmestellen für Patent-, Gebrauchsmuster- und Warenzeichenanmeldungen erlassen. Sie entstanden in Berlin und Darmstadt. In der sowjetischen Besatzungszone existierte seit dem 15. September 1948 ebenfalls eine derartige Dienststelle. Am 17. Dezember 1948 ermöglichte ein Gesetz des Wirtschaftsrates im Vereinigten Wirtschaftsgebiet die Einrichtung eines Deutschen Patentamts, und am 8. Juli 1949 trat das Erste Gesetz zur Änderung und Überleitung von Vorschriften auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes im Vereinigten Wirtschaftsgebiet in Kraft Diese gesetzlichen Regelungen enthielten auch Bestimmungen über die Schutzrechte, die am 8. Mai 1945 noch Geltung hatten oder bis zu diesem Stichtag beim Reichspatentamt eingereicht, aber noch nicht abschließend bearbeitet worden waren. 1 Die bevollmächtigten Vertreter der Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim nutzten die Möglichkeiten, die diese Gesetze boten, und machten bei der Berliner Annahmestelle bzw. bei der Berliner Außenstelle des Deutschen Patentamtes den Anspruch auf die gewerblichen Alt-Schutzrechte der Firma Carl Zeiss bzw. der Carl-Zeiss-Stiftung geltend. Die Eintragung der Alt-Schutzrechte im Ursprungsland war die Voraussetzung für ihre Anerkennung in anderen Staaten. Die bevollmächtigten Vertreter der Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim legten der Berliner Dienststelle des Deutschen Patentamtes eine vom Kultminister in WürttembergBaden am 7. Mai 1949 ausgestellte Bestätigung vor, aus der hervorging, daß die Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim ansässig ist.2 Den Anspruch auf die gewerblichen Alt-Schutzrechte leiteten sie daraus ab, daß die Verstaatlichung der Stiftungsunternehmen nur die gewerblichen Vermögenswerte in der sowjetischen Besatzungszone betreffen und die Vermögenswerte der Carl-Zeiss-Stiftung bzw. der Stiftungsunternehmen außerhalb der sowjetischen Besatzungszone der Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim gehören würden. Sie machten sich damit die 1

2

BACZ Nr. 15816 (Erstes Gesetz zur Änderung und Überleitung von Vorschriften auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes vom 8. Juli 1949, Amtliche Begründung zum Ersten Gesetz zur Änderung und Überleitung von Vorschriften auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes vom 8. Juli 1949. In: Blatt für Patent-, Muster- und Zeichnungswesen 1949, Heft 11, S. 229-239). BACZ Nr. 19153 (Hugo Schrade/Victor Sandmann: Auseinandersetzung mit der westdeutschen Zeiss-Schott-Gruppe über die Benutzung von Schutzrechten der Betriebe Zeiss- und Schott in Westdeutschland. 29. Januar 1952).

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in Westdeutschland vorherrschende Rechtsauffassung zu eigen, wonach die Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim die frühere, aber enteignete Inhaberin der Stiftungsunternehmen Carl Zeiss Jena und Jenaer Glaswerk Schott & Gen. sei. Aus dieser Rechtskonstruktion leiteten die bevollmächtigten Vertreter der Carl-ZeissStiftung in Heidenheim die Inanspruchnahme der gewerblichen Alt-Schutzrechte und das Verbietungsrecht gegenüber allen fremden Renutzern ab. Sie betrachteten die Staatsbetriebe Carl Zeiss Jena und Jenaer Glaswerk Schott & Gen. als fremde Renutzer. Durch ihr rasches Vorgehen sicherten sie für Zeiss die Rechte an den gewerblichen Alt-Schutzrechten in Westdeutschland, Westberlin und im westlichen Ausland. Um dem in Oberkochen entstehenden Zeiss-Unternehmen auf dem westdeutschen und westlichen Markt die nötige Anerkennung zu verschaffen, kam es nicht nur darauf an, Erzeugnisse von Zeiss-Qualität anzubieten, sondern zugleich den Namen Zeiss und die gewerblichen Alt-Schutzrechte uneingeschränkt zu nutzen. Das war eine wesentliche Voraussetzung, um auf den Märkten unabhängig von Jena agieren zu können. Das Recht, den Namen Zeiss zu benutzen, hatte für das aufstrebende Oberkochener Unternehmen vor allem große ökonomische Redeutung. Um das zu erreichen, muflte dem Jenaer ZeissWerk das Verfügungsrecht über den Namen Zeiss und die Warenzeichen entzogen werden. Dazu äußerte sich Heinrich Rüppenbender gegenüber dem skandinavischen Geschäftspartner Fahlström, der ihn am 3. November 1949 in der Privatwohnung aufgesucht hatte. Er erklärte seinem Gast, „daß Optik Carl Zeiss Jena VER nicht berechtigt wäre, den Namen Carl Zeiss zu führen und das Warenzeichen zu benutzen. Es würde in dieser Reziehung gegen CZ/Jena vorgegangen werden. Auch die Renutzung der früheren Patente wäre CZ/Jena nicht mehr gestattet. Diesbezügliche Schritte wären bereits im Ausland unternommen worden". 3 Der Resucher machte Heinrich Rüppenbender nachdrücklich darauf aufmerksam, „daß ein Rruderkrieg zwischen CZ/Jena und ZO/Oberkochen unbedingt vermieden werden müsse und daß, falls ein solcher eingeleitet würde, es sehr zweifelhaft wäre, ob die Auslandsvertreter - besonders die skandinavischen - sich bei der Alternative entweder CZ/Jena oder ZO/Oberkochen für ZO entscheiden würden. Das Ansehen von ZO würde stark darunter leiden und nur die deutschen Ronkurrenzfirmen würden aus solch einem Streit zwischen CZ/Jena und ZO/Oberkochen Nutzen ziehen. Die Auslandsvertreter sind sehr auf Jena eingestellt und werden vermutlich CZ/Jena die Treue halten". Daß Fahlströms Redenken nicht fruchteten, zeigte ein persönlich und vertraulich gehaltenes Schreiben von Walther Rauersfeld, Paul Henrichs und Heinrich Rüppenbender an Victor Sandmann vom Januar 1950. Nach einer allgemeinen Rewertung der inzwischen in Deutschland entstandenen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse gingen sie auf die rechtlichen Gegebenheiten ein und stellten fest: „Inhaber der Rechte an den Firmennamen CARL ZEISS JENA und

3

BACZ Nr. 19153 (Leonhardt: Notiz über einen Besuch bei ZO in Oberkochen am 2. und 3. November 1949).

Die Auseinandersetzungen um den Namen Carl Zeiss

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JENAER GLASWERK SCHOTT & GEN. sowie den Patenten, Warenzeichen und dem gesamten übrigen nach der Enteignung verbliebenen Vermögen ist die Carl Zeiss-Stiftung. Die Carl-Zeiss-Stiftung verwaltet das außerhalb der Ostzone gelegene Vermögen durch uns vom Sitz Heidenheim aus." Sodann entwarfen sie das Szenarium, daß bei der fortwährenden Teilung Deutschlands „die volkseigenen Betriebe Zeiss und Schott zu kampfkräftigen Ronkurrenzunternehmen in der Hand östlicher Machthaber umgeformt werden, die sogar mit Hilfe dieser Betriebe gefahrliches Dumping betreiben können". Die Heidenheimer wollten eine derartige Möglichkeit nicht dadurch begünstigen, daß sie tatenlos zusehen, „wie sich die Industrievereinigung OPTIK als ein Instrument der östlichen Wirtschaftspolitik auch noch derjenigen Rechte bemächtigt, welche der Stiftung nach der Enteignung verblieben sind: ihre unersetzlichen Firmennamen, ihre überaus wertvollen Patente und ihr sonstiger industrieller Rechtsbesitz." Da ZEISSOPTON und Schott der Ostmarkt verschlossen sei, müßten beide Unternehmen im Westen eine bevorzugte Stellung beanspruchen. „Andererseits sind wir bereit, den volkseigenen Betrieben in einem Lizenzabkommen den Absatz auch im Westen unter Benutzung unserer Patente und Warenzeichen zu gestatten, namentlich den Verkauf von Artikeln, die wir noch nicht herstellen." Als Voraussetzungen für eine Lizenzvergabe an das Zeiss- und Schottwerk in Jena erwarteten sie, daß die Jenaer Erzeugnisse Zeiss- und Schott-Qualität aufweisen. Des Weiteren verlangten sie eine angemessene Lizenzvergütung auf das Stiftungskonto in Heidenheim durch die Industrievereinigung OPTIK.4 Darüber war Victor Sandmann von Paul Henrichs schon bei einem früheren Treffen in München unterrichtet worden. Am 17. Februar 1950 schrieben die bevollmächtigten Vertreter der CarlZeiss-Stiftung in Heidenheim im gleichen Sinne an den Hauptdirektor der WB OPTIK Hugo Schrade. Dieses Schreiben blieb ebenso unbeantwortet wie die folgenden Mahnschreiben aus Heidenheim. Am 4. Juli 1950 kam es in Berlin zwischen Paul Henrichs, Hugo Schrade und Victor Sandmann zu einer Aussprache über den Inhalt des Schreibens vom 17. Februar 1950. Nachdem beide Seiten ihre Standpunkte dargestellt hatten, verwies Paul Henrichs auf gesetzliche Bestimmungen, die dazu Anlaß geben, den Heidenheimer Rechtsstandpunkt zur Geltung zu bringen, „damit nicht durch Duldung eine Verwirkung ihrer Rechte eintritt". Paul Henrichs wollte von seinen Gesprächspartnern wissen, ob die Regierungsstellen der DDR bereit wären, in einer juristisch einwandfreien Form zu erklären, daß der Betrieb Optik Carl Zeiss VEB dem Oberkochener Werk nicht das Recht absprechen werde, den Firmennamen Zeiss zu tragen und die Warenzeichen der Carl-ZeissStiftung zu nutzen. Im Falle einer solchen Erklärung könnte man sich in Oberkochen entschließen, den gegenwärtigen Zustand zu dulden. Hugo Schrade und Victor Sandmann hielten es, nach dem Vermerk von Paul Henrichs, für möglich, „Selbmann hierfür zu gewinnen. Nur er würde für eine solche Vereinbarung Ver-

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5

VA Nr. 5819 (Schreiben von Walther Bauersfeld, Paul Henrichs und Heinrich Küppenbender an Victor Sandmann vom Januar 1950). VA Nr. 5819 (Paul Henrichs: Vermerk über die interne Besprechung mit Victor Sandmann und Hugo Schrade in Berlin am 4. und 5. Juli 1950).

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ständnis aufbringen". Aber auch dann wäre es noch fraglich, ob es ihm gelingen würde, eine derartige Vereinbarung im Ministerrat der DDR durchzubringen, der zweifellos dazu befragt werden müßte. Hugo Schrade und Victor Sandmann erklärten sich bereit, dem Minister für Industrie diesen Vorschlag zu unterbreiten. 5 Paul Henrichs betonte dann weiter, daß sich die Herren in Heidenheim unter Berufung auf die Meinung „erster Juristen und zuständiger Stellen" in der BR Deutschland sicher seien, daß ihre Rechtsauffassung berechtigt ist und eventuelle Rechtsschritte erfolgreich sein werden. „Eine Änderung ihrer Auffassung sei deshalb nicht gegeben." Das Angebot vom 17. Februar 1950 resultiere aus der langjährigen Bindung von Walther Bauersfeld und Paul Henrichs an das Jenaer Zeiss-Werk und aus der Überlegung, einen „offenen Kampf zwischen zwei Zeiss-Romplexen auch aus wirtschaftlichen Gründen, insbesondere im Ausland, zu vermeiden". Victor Sandmann erwiderte, „daß die Carl-Zeiss-Stiftung de jure und de facto in Jena existiert und infolgedessen das Angebot aus Heidenheim, das jeder Rechtsgrundlage entbehrt, abzulehnen ist. Dementsprechend stehen die Betriebe im Westen Deutschlands unter dem Weisungsrecht der Carl-Zeiss-Stiftung Jena, so daß eine Lizenzabmachung grundsätzlich hinfällig und eine eventl. im Absatz notwendige Abstimmung nur nach den Weisungen der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena erfolgen könne." Victor Sandmann wies noch daraufhin, daß ein Prozeß um die gewerblichen Schutzrechte ein ungeeignetes Mittel ist. In der Besprechung spielten ferner Absprachen über die Marktaufteilung zwischen Jena und Oberkochen eine Rolle. Hugo Schrade informierte Minister Selbmann am 12. Juli 1950 über das Berliner Treffen 6 und ging am 19. Oktober 1950 in einem Schreiben an Fritz Selbmann ausführlich auf die Aussichten eines Rechtsstreites mit Oberkochen ein: „Wenn jetzt die Rechtsfrage, wem die westlichen Vermögenswerte zustehen und wer über die Patente, Warenzeichen und Firmenrechte der Betriebe Zeiss und Schott im Westen verfügungsberechtigt ist, im Prozeß geklärt werden sollte, ist durchaus nicht sicher, zu wessen Gunsten dieser Prozeß entschieden wird." Hugo Schrade verwies auf die Möglichkeit einer politisch motivierten Rechtsprechung zu Ungunsten der Jenaer Stiftung. Bei einer Übereinkunft mit Heidenheim könnten die Patente und Warenzeichen im Ausland gemeinsam verteidigt werden, „was gegenwärtig noch mit erheblichen Schwierigkeiten und Unklarheiten verbunden ist".7 Inzwischen hatte Paul Henrichs in Jena immer wieder eine Antwort auf die Heidenheimer Vorschläge angemahnt. Am 16. Dezember 1950 erreichte Paul Henrichs ein Brief vom Leiter der Zweigniederlassung Berlin, in dem er davon unterrichtet wurde, daß die Angelegenheit bisher im Ministerrat der DDR noch nicht zur Sprache gebracht werden konnte und im Dezember 1950 auch nicht mehr zu erwarten ist.8 Zu dieser Zeit standen im Regierungsapparat Verände-

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BACZ Nr. 19155 (Schreiben von Hugo Schrade an Fritz Selbmann vom 12. Juli 1950). VA Nr. 5819 (Schreiben von Hugo Schrade an Minister für Industrie vom 19. Oktober 1950). VA Nr. 5819 (Schreiben von Hans Pardow an Paul Henrichs vom 16. Dezember 1950).

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rungen bevor, und die Zeiss-Werkleitung wollte nicht insistieren, um keinen Anlaß zu falschen politischen Schlüssen zu geben. In Oberkochen wurden der Auf- und Ausbau des Unternehmens fortgesetzt, das Produktionsprogramm systematisch erweitert und auf ausgewählten Gebieten Neuentwicklungen herausgebracht. Anfang 1951 ließen die bevollmächtigten Vertreter der Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim die Firma Carl Zeiss beim Amtegericht Heidenheim in das Handelsregister eintragen, und am 28. Juli 1953 hielten Paul Henrichs und Heinrich Küppenbender, die für die Carl-Zeiss-Stiftung handelten, in Aalen eine Gesellschafterversammlung ab, in der sie beschlossen, das Vermögen und die Verbindlichkeiten der ZEISS-OPTON GmbH unter Ausschluß der Liquidation auf dem Wege der Umwandlung mit Wirkung der Eintragung der Umwandlung in das Handelsregister auf die alleinige Gesellschafterin, die Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim, zu übertragen. Die Stiftung ließ die Geschäfte nun von der Firma Carl Zeiss, Oberkochen, weiterführen. 9 Diese grundlegende Veränderung wurde der Belegschaft und Kundschaft in einem von Walter David verfaßten Artikel mitgeteilt, der am 15. Oktober 1953 in der ZeissWerkzeitschrift erschien und der mit der Feststellung schließt: „Die ZEISS-OPTON GmbH hat ihre vorübergehende Aufgabe erfüllt, eine Reservestellung zu sein, um Tradition und Leistung des Namens ZEISS in einer Sturmzeit zu bewahren. ZEISS-OPTON geht auf in unsere größere Firma CARL ZEISS. Vergangenheit und Gegenwart reichen sich die Hände, um eine neue Zukunft zu gestalten. Das Werk in Oberkochen, abgetrotzt einem widerstrebenden Schicksal, ist Stiftungsbetrieb geworden und trägt von jetzt ab einen großen, einen verpflichtenden Namen in die Zukunft: CARL ZEISS."10

Die Reaktivierung der Stiftungsorgane in Jena Nach dem Ableben des Stiftungskommissars Arno Barth am 9. November 1949 unterblieb in den folgenden Monaten die Berufung eines Nachfolgers. Im Frühjahr 1951 zwangen mehrere Ereignisse zu einer Reaktivierung der Stiftungsorgane. Der Betriebskollektivvertrag, der im Frühjahr 1951 im Zeiss-Werk eingeführt werden sollte und verschiedene soziale Bestimmungen des Stiftungsstatuts tangierte, stieß auf den Widerstand in der Zeiss-Belegschaft. Belegschaftsvertreter forderten die Wiederherstellung der Carl-Zeiss-Stiftung in ihrer ursprünglichen Form. Nach der Verordnung über die Neuorganisation des Hochschulwesens vom 22. Februar 1951 war die Zuständigkeit für die Universitäten und Hochschulen in der DDR an das Staatssekretariat für Hochschulwesen übergegangen. 11 Das betraf die Stiftungsverwaltung, die ja nach dem Stiftungsstatut einer für die Jenaer Universität verantwortlichen thüringischen Staatsbehörde obliegen mußte. Vor allem

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Carl Zeiss, Oberkochen, Optisches Museum: Otto Nordt: Entwicklung der Firmenbezeichnung. Vorgänge um die Westgründung. (Typoskript). 10 Walter David: Die Firma Carl Zeiss. In: ZWZ 1953, S. 90. " Verordnung über die Neuorganisation des Hochschulwesens. GBl. 1951, S. 123.

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aber gaben die Vorgänge in Heidenheim und Oberkochen Anlaß zur Reaktion in Jena, Weimar und Berlin. Am 9. Februar 1951 hatte Paul Henrichs Dr. Wilhelm Schacht, den Justiziar des VEB Carl Zeiss, inoffiziell davon in Kenntnis gesetzt, daß zwischenzeitlich die Fa. Carl Zeiss ins Handelsregister beim Amtsgericht Heidenheim eingetragen worden sei.12 Um die Jenaer Interessen in einer möglichen juristischen Auseinandersetzung um den Namen Zeiss und die gewerblichen AltSchutzrechte wahrnehmen zu können, waren funktionierende Stiftungsorgane in Jena und Weimar unerläßlich. Aus diesen sehr unterschiedlichen Gründen trafen sich am 2. März 1951 Assessor Richter vom Ministerium für Maschinenbau, Hauser vom Amt zum Schutz des Volkseigentums, Landgerichtspräsident Dr. Theodor Kunze und die leitenden Männer der Werke Zeiss und Schott sowie Wilhelm Schacht zu einer Besprechung, um grundsätzliche Probleme der Fortführung der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena zu erörtern. Im Zentrum der Besprechung aber stand die Frage, wie mit dem Statut der Carl-Zeiss-Stiftung umgegangen werden soll. Bisher hatten die Leitungskräfte der beiden ehemaligen Stiftungsbetriebe einen Eingriff in das Statut verhindert. Der Vertreter des Amtes zum Schutz des Volkseigentums war offensichtlich mit der Absicht zu der Besprechung gekommen, „das Statut wegen der grundlegenden Veränderung der Verhältnisse durch die Überführung der Betriebe in Volkseigentum zu ändern". Aber er mußte sich von den Gesprächspartnern eines Besseren belehren lassen und erkannte schließlich die vorgetragenen Argumente - wirtschaftliche Nachteile, Auseinandersetzung mit ZEISS-OPTON - an und konstatierte, daß „eine unveränderte Fortgeltung des Statuts von großer Bedeutung für die Bestätigung unserer Rechtsmeinung sein werde". Hauser gelangte zu der Ansicht, daß die Stiftung voll existent und handlungsfähig ist und ihre statutengemäßen Aufgaben mit dem verbliebenen Vermögen und etwaigen Zuwendungen aus den volkseigenen Betrieben erfüllen kann. Schließlich vertrat er die Ansicht, „daß die gewerbliche Betätigung der Stiftung sich nicht in den Stiftungsbetrieben Zeiss und Schott erschöpft hat, sondern in der Übernahme von Beteiligungen und Gesellschaftsrechten an anderen Betrieben ebenfalls eine nach dem Statut vorgesehene und zulässige gewerbliche Tätigkeit zu erblicken ist. Der Wegfall der Stiftungsbetriebe hat also einen Wegfall der Aufgaben der Zeiss-Stiftung in gewerblicher Hinsicht nicht zur Folge gehabt, so daß sie auch insofern noch Daseinsberechtigung hat." Diese Auffassung, die bisher keine Rolle gespielt hatte, zielte offensichtlich darauf ab, daß die Tätigkeit der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena nach dem Verlust der Stiftungsbetriebe in Thüringen durchaus nicht nur auf die nichtindustriellen Aufgaben beschränkt ist, sondern auch weiterhin über industrielle Vermögenswerte in der DDR, der BR Deutschland oder im Ausland verfügt oder verfügen kann. Abschließend behandelten die Sitzungsteilnehmer noch die Art und Weise, wie die Wiederbesetzung der Stiftungsorgane realisiert werden soll. Man kam auch überein, in diesem Zusammenhang politische Aktionen zu unterlassen. 13 12 13

BACZ Nr. 15805 (Aktennotiz über eine Besprechung in Stuttgart am 9. Februar 1951). BACZ Nr. 15805 (Sitzungsniederschrift über die Wiederbelebung der Organe der Carl-ZeissStiftung am 2. März 1951).

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Nachdem Victor Sandmann den Minister für Maschinenbau, Gerhart Ziller, auf die Notwendigkeit hingewiesen hatte, einen Stiftungskommissar zu berufen und das Verhältnis zwischen den Werkleitern der ehemaligen Stiftungsunternehmen und der Carl-Zeiss-Stiftung im Sinne des Stiftungsstatuts zu regeln, 14 ersuchte Ziller den Ministerpräsidenten von Thüringen, Werner Eggerath, die Angelegenheit entsprechend zu klären. Eggerath beauftragte damit die Volksbildungsministerin Oschmann. Da sich die Klärung hinzog, mahnte der Ministerpräsident bei Frau Oschmann an: „Ich möchte nochmals darauf aufmerksam machen, daß die Angelegenheit eilt, weil, wie der Herr Minister für Maschinenbau mir mitteilt, in nächster Zeit mit einer Klage aus Westdeutschland gerechnet werden muß."15 Am 23. Mai 1951 unterrichtete Werner Eggerath den Maschinenbauminister über die personelle Besetzung der Stiftungsorgane. Er nannte Dr. Theodor Kunze als künftigen Stiftungskommissar und Hugo Schrade, Victor Sandmann, Hans Harting als Geschäftsleiter für Zeiss und Hugo Schrade, Fritz Dunger, Albert Heintz und Dr. August Klemm als Geschäftsleiter für Schott.16 Der neue Stiftungskommissar vermerkt in seinem ersten Tätigkeitsbericht, daß am 29. Mai 1951 die Berufung des Stiftungskommissars erfolgte und fahrt dann fort: „Von einer Neufassung des Statuts ist im Einvernehmen mit sämtlichen beteiligten Ministerien der DDR zunächst Abstand genommen worden. Es wurde lediglich am 29.5.51 die Geschäftsleitung wieder entsprechend der statuarischen Bestimmungen in ihre Befugnisse eingesetzt und ergänzt. Die Durchführung des erwähnten DWK-Beschlusses macht es zunächst erforderlich, das Statut der Carl-Zeiss-Stiftung als gesetzlich zulässig wieder in den volkseigenen Betrieben Zeiss, Schott und Jenapharm 1. wirksam werden zu lassen und 2. die finanziellen Belange der Carl-Zeiss-Stiftung so zu regeln, daß diese im Stande ist, ihren statuarischen Verpflichtungen gegenüber der Belegschaft und der Allgemeinheit nachzukommen." 17 Die thüringische Volksbildungsministerin teilte Hugo Schrade, Victor Sandmann, Fritz Dunger, Albert Heintze und August Klemm mit, daß sie als Organ der CarlZeiss-Stiftung für die Leitung der industriellen Tätigkeit aufgrund des § 4 des Stiftungsstatuts mit Wirkung vom 27. Juni 1945 und Hans Harting mit Wirkung vom 29. Mai 1951 bestellt sind. Am 28. November 1951 wurde Prof. Dr. Hans Knöll, Werkleiter des VEB Jenapharm, mit Wirkung vom 7. November 1951 berufen. 18 Theodor Kunze übergab am 30. Juni 1969 das Amt des Stiftungskommissars aus gesundheitlichen Gründen an den Rektor der Friedrich-Schiller-Universität Prof. Dr. Franz Bolck.19 14 15 16 17

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BACZ Nr. 15805 (Schreiben von Victor Sandmann an Gerhart Ziller vom 22. April 1951). BACZ Nr. 15805 (Schreiben von Werner Eggerath an Frau Oschmann vom 25. Mai 1951). BACZ Nr. 15805 (Schreiben von Werner Eggerath an Gerhart Ziller vom 23. Mai 1951). BACZ Nr. 15805 (Tätigkeitsbericht des Stiftungskommissars über den Zeitraum vom 29. Mai 1951 bis 30. September 1951). BACZ Nr. 15806 (Berufungsschreiben an die Geschäftsleiter). 40 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 1, S. 87.

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Konflikt mit dem Deutschen Patentamt in München Im Mai 1951 stellte die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena beim Deutschen Patentamt, Außenstelle Berlin, den Antrag auf Aufrechterhaltung der gewerblichen AltSchutzrechte. Daraufhin teilte das Deutsche Patentamt am 10. Juli 1951 mit, daß die Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim den Antrag auf diese Rechte gestellt hat, und da man diesem Antrag bereits stattgegeben habe, könne dagegen nur vorgegangen werden, wenn der Nachweis geführt wird, daß die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena fortbesteht. Deshalb wurde in der Stiftungssitzung am 22. Juli 1951 in Jena beschlossen, beim Deutschen Patentamt vorstellig zu werden. 20 Am 25. Juli 1951 suchten Theodor Kunze und Wilhelm Schacht die Rechtsabteilung des Ministeriums für Maschinenbau und den Leiter der Hauptverwaltung Feinmechanik auf, um dieses Problem vorzutragen. Ausgehend von der Tatsache, daß eine größere Anzahl von gewerblichen Alt-Schutzrechten auf die Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim eingetragen worden war, stellten sie die Notwendigkeit heraus, die bisherige Organisation und Wirksamkeit der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena fortzuführen, „um bei der Auseinandersetzung mit der westdeutschen Zeiss-SchottGruppe über die Besitzrechte an westdeutschen Vermögenswerten nachweisen zu können, daß die Carl-Zeiss-Stiftung auch nach Überführung der Betriebe Zeiss und Schott ins Volkseigentum nicht nur formell, sondern auch praktisch weiterbesteht und ihre bisherigen statuarischen Aufgaben fortführt". In dem Gespräch mit dem Hauptverwaltungsleiter Chemnitz erhielten die Stiftungsvertreter die Genehmigung, mit der Berliner Außenstelle des Deutschen Patentamtes zu verhandeln. Am 1. August 1951 suchten der für Patentfragen im ZeissWerk zuständige Mitarbeiter Erich Rossbach und der Justiziar Wilhelm Schacht die Berliner Außenstelle des Deutschen Patentamts auf, um sich zu informieren. Von Dr. Garve und dem Senatspräsidenten Rühnemann erfuhren sie, daß sich das Deutsche Patentamt aus verschiedenen Gründen dafür entschieden hat, die AltSchutzrechte zugunsten der Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim einzutragen. Heidenheim habe den Auszug aus dem Handelsregister vorgelegt, wonach Walther Bauersfeld, Paul Henrichs und Heinrich Rüppenbender zur Vertretung der Carl-Zeiss-Stiftung befugt sind. Man habe auch den Nachweis der Verlegung der Carl-Zeiss-Stiftung nach Heidenheim erbracht. Hinzu sei noch gekommen, daß sich die Heidenheimer Stiftung in einer besseren Position befunden habe, weil bei Antragstellern aus der BR Deutschland und Westberlin die Gebühren für die Eintragung leichter eingezogen werden können als bei Ostdeutschen. 21 Nun stellte Jena gegenüber dem Patentamt klar, daß nach dem Statut der Carl-Zeiss-Stiftung Jena der alleinige Stiftungssitz ist. Die Landesregierung von Württemberg-Baden sei zu dem Verwaltungsakt nur berechtigt, wenn die Stiftung

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BACZ Nr. 15805 (Niederschrift über die 1. Sitzung der Carl-Zeiss-Stiftung am 22. Juli 1951; Tätigkeitsberichte des Stiftungskommissars für den Zeitraum 29. Mai 1951 bis 30. September 1951). BACZ Nr. 14930 (Niederschrift über den Besuch beim Deutschen Patentamt, Außenstelle Berlin, am 1. August 1951).

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bereits bei seinem Erlaß in ihrem Hoheitsgebiet ansässig war. Obendrein hatte der Ruitminister nicht darauf hingewiesen, daß im Verwaltungsakt vom 23. Februar 1949 zwei Stiftungssitze, nämlich Jena und Heidenheim, genannt sind. Von Jenaer Seite wurde gegenüber dem Deutschen Patentamt der Fortbestand der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena in rechtlicher und organisatorischer Hinsicht geltend gemacht. Die Berliner Dienststelle des Deutschen Patentamts in München Schloß sich am 22. November 1951 dem von der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena vertretenen Standpunkt an und faßte einen Beschluß, der die Möglichkeit einer Sitzverlegung der Carl-Zeiss-Stiftung von Jena nach Oberkochen und die Identität zwischen der „Carl-Zeiss-Stiftung Oberkochen" und der Carl-ZeissStiftung Jena verneinte. Der Patentamts-Beschluß ließ die Frage offen, „ob die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena in ihrer jetzigen Form berechtigt ist, irgendwelche Rechte im Bundesgebiet geltend zu machen". 22 Daraufhin ließen die Geschäftsleiter der Firma Carl Zeiss, Oberkochen, die im Handelsregister Heidenheim unter dem 15. Januar 1951 eingetragene Firma Carl Zeiss am 16. Januar 1952 vom Registerführer, Justizoberinspektor Betzier, im Amtsgericht mit dem Zusatz versehen: „Der Sitz der Firma (Carl Zeiss) ist von Jena nach Heidenheim verlegt". In die Spalte, die den Geschäftsinhaber ausweist, trug der Beamte „Carl-Zeiss-Stiftung Heidenheim (Brenz)" ein. 23 Gegen den Beschluß vom 22. November 1951 legte die Oberkochener Seite Beschwerde ein. Sie stützte nun ihren Anspruch auf die Schutzrechte nicht mehr auf die Sitzverlegung, „sondern behauptet, die bis Mai 1945 in Jena im Amt gewesenen Geschäftsleitungsmitglieder Professor Dr. Bauersfeld, Henrichs und Dr. Rüppenbender hätten neben dem Sitz der Stiftung in Jena noch einen Sitz in Oberkochen begründet. Die genannten Geschäftsleiter seien dazu befugt gewesen, da sie auf Lebenszeit bestellt seien und ihre Funktionen durch den Weggang aus Jena nicht aufgegeben hätten. Die Befugnis der genannten Herren, die CarlZeiss-Stiftung in Westdeutschland zu vertreten, wird noch auf den Beschluß der DWR vom 16.6.1948 gestützt, wonach die Funktionen der Stiftungsorgane zeitweilig durch einen von der DWR ernannten Stiftungskommissar ausgeübt wurden. Die ,Carl-Zeiss-Stiftung Oberkochen' will daraus ableiten, daß dadurch die Stiftungsverwaltung im Sinne des Stiftungsstatuts erloschen sei und die zu diesem Zeitpunkt im Amt befindlichen Geschäftsleitungsmitglieder die Funktion der Stiftungsverwaltung ausüben". 24 Das sah der Beschwerdesenat des Deutschen Patentamts als hinreichenden Grund an, um den Beschluß der Berliner Außenstelle am 25. Juni 1952 aufzuhe-

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BACZ Nr. 2 6 8 3 0 (alt) (Memorandum zum Warenzeichenverfahren vom 9. August 1963); Nr. 19153 (Wilhelm Schacht: Stellungnahme zur Auseinandersetzung mit der westdeutschen Zeiss-Schott-Gruppe über die Benutzung von Schutzrechten vom 29. Januar 1952). Zeiss-Warenzeichen. Wo sitzt die Stiftung?". In: Der Spiegel,. 1955, Nr. 23 vom 1. Juni 1955, Ausgabe Berlin); Carl Zeiss, Oberkochen, Optisches Museum: Otto Nordt: Die Amerikaner in Jena/Entwicklung des Verhältnissei Jena/Heidenheim (Typoskript); BACZ Nr. 2 6 8 3 0 (alt) (Memorandum zum Warenzeichenverfahren vom 9. August 1963). BACZ Nr. 19153 (Wilhelm Schacht: Stellungnahme zur Auseinandersetzung mit der westdeutschen Zeiss-Schott-Gruppe über die Benutzung von Schutzrechten vom 29. Januar 1952).

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ben. Er ordnete an, bei dem Schutzrecht zu vermerken, daß die Firma Carl Zeiss ihren Sitz von Jena nach Heidenheim verlegt hat. Im Ergebnis dieser Entscheidung erfolgte bei allen Warenzeicheneintragungen, die bisher unter dem Firmennamen Carl Zeiss Jena registriert waren, die Angabe des Firmensitzes Heidenheim an der Brenz. Da die Regierung der BR Deutschland bereits Mitte 1952 die Wiederanwendung der Patentverfahren und des Madrider Markenabkommens erklärt hatte, wurde aufgrund der Eintragungen beim Deutschen Patentamt in München bei den noch nicht abgelaufenen internationalen Eintragungen, die unter dem Firmennamen Carl Zeiss Jena in Bern registriert waren, ebenfalls Heidenheim als Firmensitz vermerkt. 25 Nachdem Hugo Schrade am 5. Dezember 1951 ein Schreiben aus Oberkochen erhalten hatte, in dem die Lizenzfrage erneut aufgeworfen worden war, 26 wurde Anfang 1952 im Ministerium für Maschinenbau geprüft, ob auf die Forderung nach Lizenzen mit rechtlichen Mitteln reagiert werden soll. Davon sah man zu diesem Zeitpunkt aus zwei Gründen ab. Zum einen wurde der größte Teil der vor 1945 erworbenen Patente entweder durch den Zeitablauf oder durch neue Erfindungen als überholt angesehen. Zum anderen sollte die Nutzung des mit Oberkochen gemeinsam betriebenen Vertriebsnetzes nicht gefährdet werden. Ob auch politische Erwägungen eine Rolle spielten, muß dahin gestellt bleiben, denn zu dieser Zeit wurde von der SED-Führung und von der Sowjetregierung das Konzept einer Wiedervereinigung Deutschlands auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens noch verfolgt. Auf seiner 8. Tagung hatte das ZK der SED Ende Februar 1952 erneut den Kampf um den Friedensvertrag mit Deutschland zur zentralen nationalen Aufgabe erklärt, und die Regierung der UdSSR unterbreitete am 10. März 1952 den drei Westmächten in einer Note den Entwurf der Grundlagen des Friedensvertrages mit Deutschland. 27 Etwas anders verhielt es sich mit dem Warenzeichen Carl Zeiss im Linsenrahmen. Die Geschäftsleitung der ZEISS-OPTON GmbH verwendete dieses Zeichen weder zur Kennzeichnung von Erzeugnissen noch im Schriftwechsel, sondern beließ es bei der Inschrift Zeiss Opton im Linsenrahmen. 28 Jedenfalls sicherte man sich in Jena am 17. Januar 1952 durch eine Vereinbarung zwischen der Carl-Zeiss-Stiftung Jena einerseits und den drei Betrieben Carl Zeiss Jena, Jenaer Glaswerk Schott & Gen., Jenapharm andererseits ab, deren erste Bestimmung besagt, daß nach dem DWK-Beschluß und in Übereinstimmung mit den zuständigen Ministerien „die Betriebe Zeiss und Schott auch nach ihrer Überführung in Volkseigentum weiterhin als Stiftungsbetriebe im Sinne des Stiftungsstatuts" gelten.29

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BACZ Nr. 26830 (alt) (Memorandum zum Warenzeichenverfahren vom 9. August 1963). Zeiss-Warenzeichen. Wo sitzt die Stiftung?". In: Der Spiegel, 1955, Nr. 23 vom 1. Juni 1955, Ausgabe Berlin) Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Chronik Band III, S. 314-315. BACZ Nr. 26830 (alt) (Memorandum zum Warenzeichenverfahren vom 9. August 1963). BACZ Nr. 14930 (Vereinbarung zwischen Carl-Zeiss-Stiftung und VE Β Carl Zeiss Jena o. D.). Es ist nicht klar, ob es sich dabei nur um einen Entwurf handelt.

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Als der Landtag des Landes Thüringen am 25. Juli 1952 beschlossen hatte, das Land Thüringen in Land- und Stadtkreise zu gliedern und sie in den drei Bezirken Erfurt, Gera und Suhl zusammenzufassen sowie die Aufgaben der Landesregierungen auf die Räte der Bezirke zu übertragen, 30 mußte eine neue Regelung für die Stiftungsverwaltung getroffen werden. Sie lag nun in der Hand des Stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Gera, Helmut Lehmann. Für die laufenden Geschäfte wurde in Jena ein Verwaltungsbüro der Carl-ZeissStiftung eingerichtet. Das wurde in der Stiftungssitzung vom 2. Dezember 1952 entschieden. In diesem Zusammenhang wurden die Vermögensangelegenheiten der Carl-Zeiss-Stiftung nochmals zusammenfassend behandelt. 31 Die Aufgabe des Stiftungskommissars nahm weiterhin Theodor Kunze wahr, der den Vorsitz des Bezirksarbeitsgerichts in Erfurt übernommen hatte. Die Bevollmächtigten der Carl-Zeiss-Stiftung waren Hugo Schrade für Zeiss und Schott und Fritz Dunger für Schott. Als Vorstandsmitglieder fungierten Hugo Schrade für Zeiss und Schott, August Klemm und Albert Heintz für Schott sowie Hans Knöll für Jenapharm. 32 Am 21. November 1952 wandte sich Hugo Schrade an die Hauptverwaltung Feinmechanik-Optik im Ministerium für Maschinenbau in der Alt-SchutzrechtsAngelegenheit. Er machte darauf aufmerksam, daß das Jenaer Zeiss-Werk die Altwarenzeichen rechtzeitig angemeldet hat, die Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim aber inzwischen in die Rolle eingetragen wurde. Hugo Schrade wies darauf hin, daß es möglich ist, um die Alt-Schutzrechte einen Rechtsstreit zu führen, fügt aber hinzu: „Diesen Rechtsstreit zu führen, der also die Grundsatzprobleme erörtern würde, ist bisher nicht in Erwägung gezogen worden, da dazu keine unbedingte Notwendigkeit erkennbar war. Insbesondere hatte auch der Minister für Maschinenbau die Anweisung erteilt, bis auf weiteres davon Abstand zu nehmen, zumal wir in der Durchführung unserer Westexporte durch die westdeutsche ZeissGruppe noch nicht wesentlich behindert worden sind und auch die Aussicht besteht, daß eine solche in absehbarer Zeit nicht eintreten wird." Weiter verweist er darauf, daß zur Weiterführung der eingeleiteten Warenzeichenverfahren beim Patentamt in Kürze 41.000 DM benötigt werden. 33 In seinem Antwortschreiben erklärt der Minister: „Bei der gegenwärtigen Situation erscheint es zweckmäßiger, daß wir uns zunächst stillschweigend an die ... Vorschläge (der Oberkochener Seite hinsichtlich der Aufteilung des Marktes d. V.) halten. Aus diesem Grunde wird es auch nicht zweckmäßig sein, von uns aus einen Patentstreit zu entfachen. Sollten 30

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Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe im Lande Thüringen. Vom 25. Juli 1952. Regierungsblatt für das Land Thüringen 1952, Nr. 22/23, S. 177-178. BACZ Nr. 14950 (Protokoll über die Stiftungssitzung am 2. Dezember 1952); Nr. 19227 (Notizen betr. Carl Zeiss-Stiftung o. D.). BACZ Nr. 19227 (Notizen betr. Carl Zeiss-Stiftung o. D.). BACZ Nr. 14930 (Schreiben von Hugo Schrade an das Ministerium für Maschinenbau, Hauptverwaltung Feinmechanik-Optik, vom 21. November 1952).

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durch Veränderung der Situation, durch verändertes Verhalten der westdeutschen Zeiss-Schott-Gruppe oder aus anderen zur Zeit nicht sicher festzulegenden Gründen die jetzt zweckmäßigen Festlegungen unzweckmäßig werden, dann haben wir ja bei stillschweigender Duldung zu jeder Zeit die Möglichkeit, die im gegebenen Augenblick notwendig erscheinenden Maßnahmen zu treffen."34 Im Laufe des Jahres 1952 hatte sich in den Beziehungen zwischen Zeiss Oberkochen und Zeiss Jena nichts verändert Jena benutzte nach wie vor das gemeinsame Vertriebsnetz, und beide Seiten hielten sich an ihre Absprachen über die Aufteilung des Marktes. Das begann sich zu ändern, nachdem man dem Zeiss-Werk in Jena im Sommer 1953 die Exportkompetenz entzogen und das Auslandsgeschäft dem staatlichen Außenhandelsunternehmen DIA Feinmechanik-Optik übertragen hatte. Nun sah sich die ZEISS-OPTON GmbH nicht mehr veranlaßt, auf Jena Rücksicht zu nehmen. Deshalb verlangte die Oberkochener Geschäftsleitung von dem ostdeutschen Handelsunternehmen am 29. Juni 1953 die Anerkennung ihrer Zeiss-Namens- und Warenzeichenrechte. Anlaß dafür war eine Werbekampagne des DIA Feinmechanik-Optik in westdeutschen und Westberliner Publikationsorganen für feinmechanisch-optische Produkte aus der DDR, bei der auch auf Erzeugnisse des VEB Carl Zeiss Jena verwiesen wurde. Als die Leitung des staatlichen Handelsunternehmens auf dieses Ansinnen nicht reagierte, kündigte die Geschäftsleitung der Firma Carl Zeiss, Oberkochen, der DIA Feinmechanik-Optik am 12. Februar 1954 gerichtliche Schritte an.

Die Prozesse um den Namen Zeiss und die gewerblichen Alt-Schutzrechte in den beiden deutschen Staaten Am 22. Februar 1954 beantragte Walther Bauersfeld in seiner Eigenschaft als Bevollmächtigter der Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim bei der Fa. Carl Zeiss, Oberkochen, beim Landgericht Göttingen, dem Raufmann Werner Jähnert in Göttingen in der BR Deutschland und in Westberlin die Benutzung des Namens Zeiss, ob allein oder in Zusammensetzungen, zu untersagen. Zugleich ersuchte er, dem VEB Carl Zeiss Jena jegliche Werbung und Ankündigungen mit dem Zeichen Carl Zeiss zu verwehren. 35 Werner Jähnert hatte bis zum Jahre 1952 als Treuhänder des VEB Carl Zeiss Jena gehandelt und fungierte danach als selbständiger Raufmann nach innen und außen. Er vertrieb als Generalimporteur in der BR Deutschland die Jenaer Zeiss-Erzeugnisse, die von der DIA Feinmechanik-Optik angeboten wurden. Die vierte Zivilkammer des Göttinger Landgerichts folgte dem Antrag von Walther Bauersfeld ohne mündliche Verhandlung und erließ am 27. Februar 1954 die entsprechende Verfügung. Dagegen legte Werner Jähnert Widerspruch ein, der vom Landgericht Göttingen am 24. Mai 1955 zurückgewiesen wurde. Unge34 35

Zitiert in Zeiss-Warenzeichen, wo sitzt die Stiftung, Spiegel 1955, Nr. 25, S. 14. Walter David: Die Carl-Zeiss-Stiftung. Ihre Vergangenheit und ihre gegenwärtige rechtliche Lage. Hrg. v. d. Carl-Zeiss-Stiftung Heidenheim an der Brenz, Heidenheim 1954, Anlage 51.

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achtet der Verfügung vom 27. Februar 1954 vertrieb Werner Jähnert Jenaer ZeissErzeugnisse in der BR Deutschland, in Westberlin und im westlichen Ausland weiter. Daraufhin beglich die Firma Carl Zeiss in Oberkochen die Rechnungen für Waren aus Jena nicht, die Werner Jähnert 1953 und 1954 an die Zeiss-Zweigstellen in Berlin, Hamburg, Köln und München geliefert hatte. Dabei handelte es sich um einen Betrag von 700.000 DM. Die nun folgende rechtliche Auseinandersetzung zwischen Werner Jähnert und der Firma Carl Zeiss, Oberkochen, um dieses Geld, die durch mehrere Instanzen bis zum Bundesgerichtshof ging, zog sich bis 1968 hin. 36 Nach diesem erfolgreichen Vorstoß von Carl Zeiss, Oberkochen, gegen die Firma Werner Jähnert ging die Stiftungsverwaltung der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena ihrerseits in die Offensive. Am 27. April 1954 strengte der Rat des Bezirkes Gera im Auftrag der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena in seiner Eigenschaft als Stiftungsverwaltung am Landgericht in Stuttgart einen Prozeß mit dem Ziel an, Walther Bauersfeld, Paul Henrichs und Heinrich Küppenbender zu untersagen, sich im Namen Carl Zeiss geschäftlich zu betätigen, die Firma Carl Zeiss, Oberkochen, aus dem Handelsregister beim Amtsgericht Heidenheim zu streichen und die gewerblichen Alt-Schutzrechte auf die Carl Zeiss-Stiftung in Jena zu übertragen. Dagegen wurde von beklagter Seite eingewandt, daß der Rat des Bezirkes nicht befugt sei, als Stiftungsverwaltung aufzutreten. Um vor Gericht zu belegen, daß der rechtmäßige Sitz der Carl-Zeiss-Stiftung Heidenheim ist, suchten die Beklagten bei der baden-württembergischen Staatsregierung Unterstützung. Der Ruitminister des Landes bat am 17. Mai 1954 das Staatsministerium und das Justizministerium, diesem Wunsch zu entsprechen. Dem wurde am 22. Mai 1954 mit einem weiteren Verwaltungsakt entsprochen, wobei im Unterschied zu dem Verwaltungsakt vom 25. Februar 1949 darin nicht mehr zwei Stiftungssitze, nämlich Jena und Heidenheim, aufgeführt wurden, sondern nur noch Heidenheim. Nachdem die Oberkochener Seite dieses Dokument dem Landgericht am 26. Mai 1954 vorgelegt hatte, wurde die Klage am 31. Mai 1954 abgewiesen. Dagegen ging der Rat des Bezirkes über mehrere Instanzen in Berufung. In den Verhandlungen spielte immer wieder das Vertretungsrecht des Geraer Bezirksrates eine Rolle, das von den jeweiligen Gerichten nicht anerkannt wurde. Der Prozeß, den der Rat des Bezirkes Gera am 29. Februar 1954 angestrengt hatte, endete am 15. November 1960 mit einem Urteil des Bundesgerichtshofes, das die Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 29. Oktober 1958 bestätigte. Das Oberlandesgericht hatte erklärt, in Jena bestünde keine funktionierende Stiftung mehr. Im Mai 1954 klagte Fa. Carl Zeiss, Oberkochen, beim Landgericht in Düsseldorf gegen den VEB Carl Zeiss Jena und das Staatliche Außenhandelsunternehmen DIA Feinmechanik-Optik. Man wollte Jena die Benutzung der Betriebsbezeichnung VEB Carl Zeiss Jena, das Verwenden des Wortes Zeiss in einer

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Stefan Schumacher: Die Auseinandersetzung um die Altwarenzeichen der Fa. Carl Zeiss von den Anfängen bis 1971. Diplomarbeit Jena 1996 bei Prof. Dr. Walter, S. 33-35.

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Firmenbezeichnung, gleichgültig in welcher Zusammensetzung, sowie der ZeissWarenzeichen für die BR Deutschland und Westberlin verbieten. Das Landgericht Düsseldorf entsprach in seinem Urteil vom 7. Dezember 1954 dem Antrag der Firma Carl Zeiss, Oberkochen, hinsichtlich der Nutzung der Firmenbezeichnung aber nicht, sondern ordnete lediglich an, daß der VEB Carl Zeiss Jena seine Firmenbezeichnung zur besseren Unterscheidung gegenüber dem Oberkochener Zeiss-Unternehmen dahingehend verändern müsse, daß die Buchstaben VEB und das Wort Jena drucktechnisch stärker hervorgehoben werden. Das Gericht untersagte dem Jenaer Zeiss-Werk, 18 bestimmte Warenzeichen, darunter alle mit dem Namen Zeiss, zu verwenden. 37 Gegen dieses Urteil gingen beide Parteien aus unterschiedlichen Gründen in Berufung. Der VEB Carl Zeiss Jena beantragte, der Firma Carl Zeiss, Oberkochen, die Benutzung der Firmenbezeichnung Carl Zeiss und der wichtigsten Zeiss-Warenzeichen zu untersagen. Die Firma Carl Zeiss, Oberkochen, erweiterte ihrerseits den Antrag dahingehend, daß dem Jenaer Zeiss-Werk die Verwendung der Firmenbezeichnung Carl Zeiss und der Zeiss-Warenzeichen auf der ganzen Welt, die DDR ausgenommen, verboten wird. Das Oberlandesgericht Düsseldorf fällte in dem Βerufungsverfahren am 11. Januar 1957 ein Urteil, wonach dem VEB Carl Zeiss Jena jede Verwendung der Betriebsbezeichnung VEB Carl Zeiss Jena oder jeder anderen Firmenbezeichnung untersagt wurde, die den Namen Carl Zeiss oder Zeiss enthielt. Ebenso wurde die Benutzung der Zeiss-Warenzeichen untersagt. Die Verbote galten allerdings nur für die BR Deutschland und für Westberlin. Damit waren weder der VEB Carl Zeiss Jena noch die Firma Carl Zeiss, Oberkochen, einverstanden und legten beim Bundesgerichtshof Revision ein. Der Bundesgerichtshof verbot in seinem Urteil vom 24. Juli 1957 dem VEB Carl Zeiss Jena und dem DIA in der BR Deutschland und in Westberlin die Firmen- und Warenzeichen Zeiss in allen ihren Zusammensetzungen zu benutzen. Als 1954 deutlich wurde, daß das Jenaer Zeiss-Werk in der BR Deutschland und in Westberlin seine Erzeugnisse nicht mehr mit der Rennzeichnung Carl Zeiss bzw. Zeiss vertreiben kann, suchten Werkleitung und zentrale staatliche Leitungsgremien den Ausweg in einem adäquaten Warenzeichen. Das neue Warenzeichen lehnte sich an das Linsenzeichen an, enthielt aber nun die Inschrift Ernst Abbe Jena. Es wurde im Herbst 1954 in der BR Deutschland und in anderen Ländern angemeldet. Gegen dieses neue Warenzeichen ging die Geschäftsleitung der Firma Carl Zeiss, Oberkochen, gerichtlich vor. Am 23. November 1954 erließ das Landgericht Düsseldorf eine einstweilige Verfügung, die dem VEB Carl Zeiss Jena und deren Vertretungen in der BR Deutschland und in Westberlin untersagte, das neue Warenzeichen in Verbindung mit dem Namen Zeiss zu verwenden. Den Widerspruch, der am 19. April 1955 dagegen eingelegt wurde, wies das Düssel-

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BACZ Nr. 15816 (Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts in Düsseldorf vom 7. Dezember 1954).

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Abb. 56 Theodolit Theo 010 mit G e r ä t e k e n n z e i c h n u n g „JENA"

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dorfer Landgericht ab. In der Hauptverhandlung brachte die Oberkochener Seite einen Antrag auf das vollständige Verbot der Warenkennzeichnung mit Ernst Abbe Jena ein, dem das Gericht auch entsprach. Die folgenden gerichtlichen Auseinandersetzungen, die wiederum bis zum Bundesgerichtshof führten, fanden erst am 6. Februar 1959 zugunsten von Carl Zeiss, Oberkochen, ein Ende. Aufgrund dieses Prozesses wählte man Mitte 1955 in Jena ein neues Warenzeichen, das wiederum den Linsenrahmen zeigte, aber in der unteren Linse lediglich den Schriftzug Jena enthielt. Auch dagegen ging Carl Zeiss, Oberkochen, auf dem Gerichtsweg vor. Das Landgericht Köln untersagte am 31. August 1955 dem VEB Carl Zeiss Jena, seine Erzeugnisse mit dem Zeichen Jena zu kennzeichnen. Nun beschränkte man sich darauf, die Produkte nur noch durch den Herkunftsort Jena kenntlich zu machen. Diese Rennzeichnung nutzte auch die Firma Jenoptik, die für den VEB Carl Zeiss Jena in der BR Deutschland und in Westberlin tätig war, nachdem der Bundesgerichtshof 1957 die Betriebsbezeichnung verboten hatte. 38 Im Geschäftsverkehr mit Betrieben und staatlichen Stellen in der DDR hatte die Firma Carl Zeiss, Oberkochen, die Firmenbezeichnung Carl Zeiss, Oberkochen, bzw. Heidenheim verwendet. Das veranlaßten die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena und den VEB Carl Zeiss Jena, dagegen beim Bezirksgericht Leipzig zu klagen. Es wurde beantragt, der Firma Carl Zeiss, Oberkochen, die Benutzung der Firmenbezeichnung Carl Zeiss im geschäftlichen Verkehr sowie im Schriftverkehr mit Personen und Behörden, das Amt für Erflndungs- und Patentwesen der DDR eingeschlossen, ebenso zu untersagen wie die Verwendung der ZeissWarenzeichen. Das Bezirksgericht Leipzig folgte in seinem Urteil vom 30. September 1959 weitgehend dem Antrag der Kläger. In einem Punkt wich das Gericht vom Antrag ab, in dem es die Benutzung der Firmenbezeichnung Carl Zeiss im Schriftverkehr mit Betrieben, Behörden usw. in der DDR nicht verbot. Dagegen gingen die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena und der VEB Carl Zeiss Jena beim Obersten Gericht der DDR in Berufung, das in seinem Urteil vom 23. März 1961 auch in diesem Punkt der Klage entsprach.

Meinungsverschiedenheiten zwischen Berlin und Jena Anfang der sechziger Jahre führten die Carl-Zeiss-Stiftungen in Heidenheim und Jena sowie die Firma Carl Zeiss, Oberkochen und der VEB Carl Zeiss JENA in einer Reihe von Ländern juristische Auseinandersetzungen mit durchaus wechselndem Erfolg um den Namen Carl Zeiss und um die gewerblichen Alt-Schutzrechte. Im Frühherbst 1961 begannen sich DDR-Regierungsstellen eingehender als bisher mit diesen Prozessen zu befassen. Das geschah zunächst offensichtlich in der Absicht, diesen Auseinandersetzungen auf internationalem Parkett aus dem

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Schumacher: Die Auseinandersetzung um die Altwarenzeichen der Fa. Carl Zeiss, S. 41-42.

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Wege zu gehen, weil die in einer Reihe von Ländern bereits laufenden Prozesse zu kostspielig wurden und weitere Prozesse zu erwarten waren. Diese Diskussion wurde zu einer Zeit geführt, in der die SED-Führung mit aller Macht versuchte, die DDR in wirtschaftlicher Hinsicht vom Westen weitgehend unabhängig zu machen. In der kleinen Werkleitungssitzung am 18. September 1961 wurde darüber beraten, ob man künftig das Warenzeichen Jenoptik wählen und der Betrieb im westlichen Ausland künftig unter der Firma VEB Gerätebau und Optik auftreten soll.39 Wenige Tage nach der kleinen Werkleitungssitzung, am 21. September 1961, fand eine Besprechung im Volkswirtschaftsrat statt, in der es um die Weiterführung der Prozesse um den Firmennamen Carl Zeiss in westlichen Staaten ging. Nach Ansicht zentraler Gremien sollte der Firmennamen VEB Carl Zeiss JENA fortan nur in den staatssozialistischen Ländern - einschließlich Jugoslawien und Kuba - verwendet werden. Desgleichen wünschte man neue Warenzeichen. In der Diskussion spielte auch das Verhältnis von Exporterlösen zu Aufwendungen für die zu führenden Prozesse eine Rolle. Herbert Weiz stellte fest, daß ein dazu vorliegendes Papier für den Ministerrat nicht die ganze Ronsequenz beinhaltet. Er sah nur zwei Möglichkeiten. Entweder muß der Name Zeiss und der Anspruch auf die Alt-Schutzrechte verteidigt oder aber aufgegeben werden. Er machte unter dem Hinweis auf ein Gespräch mit Erich Apel, dem Sekretär des ZR der SED, darauf aufmerksam, daß es sich nicht nur um ein ökonomisches, sondern auch um ein politisches Problem handelt, und erklärte: „Man muß mich überzeugen, daß es politisch falsch ist. Während wir politisch kämpfen, verzichten wir auf den Fakt Zeiss ... Zeiss spielt in aller Welt mit seinem Namen eine große Rolle für die DDR. Schadenersatz verjährt - und steht doch auch heute, wenn wir freiwillig aufgeben. Solange ich gefragt werde - sage ich nein - ich beuge mich aber bei Beschluß dem demokratischen Zentralismus." Herbert Weiz mochte nicht einsehen, daß Carl Zeiss Jena künftig unter Jenoptik firmieren soll, denn die Bezeichnung Jenoptik werde das nicht ersetzen können, was man in der Welt mit dem Namen Carl Zeiss Jena verbindet Nachdem der Vertreter von Helmut Wunderlich, Weidlich, die Auffassung von Alfred Neumann und Helmut Wunderlich 40 vorgetragen hatte, die darauf hinaus lief, daß die politische Begründung von Herbert Weiz nicht anerkannt werden könne und die Meinung von Alfred Neumann wiedergegeben hatte, daß die ZeissErzeugnisse von anderen Betrieben überholt und die gewerblichen Alt-Schutzrechte darum auch nicht mehr wichtig seien, meldete sich Paul Görlich zu Wort Er ging zunächst auf die leichtfertige Bemerkung über den Entwicklungsstand der Zeiss-Erzeugnisse ein und stellte dann, zu den Mitarbeitern von Alfred Neumann gewandt, aufgebracht fest: „Sie wissen nicht, was Sie aufgeben. Sie wissen nicht, wie es in einem solchen Betrieb aussieht. Sie müßten einmal ein Jahr mitarbeiten, damit Sie wissen, was 39 40

VA Nr. 1154 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 18. September 1961). Alfred Neumann war Vorsitzender des Volkswirtschaftsrates und Helmut Wunderlich dessen Vertreter.

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der Name bedeutet. Ich bin empört. Sie kennen die Welt nicht. Ziehen Sie mich zu solchen Beratungen nicht mehr zu, ich verzichte!" Kurt Büttner machte auf die Auswirkungen einer Namensänderung auf die Preisbildung des Zeiss-Werkes aufmerksam. Die Räufer würden nicht mehr bereit sein, für die unter einem neuen Firmennamen auf den Markt gebrachten Erzeugnisse den gleichen Preis zu zahlen wie für die Zeiss-Markenprodukte. Er nannte das Beispiel des Münchner Brillenproduzenten Rodenstock, der für seine Gläser 25 Prozent weniger als das Zeiss-Werk erhält. Des Weiteren sei der Rückgang des Verkaufsvolumens zu beachten. Die mit der Namensänderung einhergehende Pressekampagne werde das Zeiss-Werk zerschlagen. Durch die Einwände aus Jena sahen sich die Vertreter des Volkswirtschaftsrates veranlaßt, bis zum 15. Oktober 1961 eine neue Ministerratsvorlage zu erarbeiten, die alle Aspekte des Problems berücksichtigt. 41 Am 2. November 1961 besprach Prof. Dr. Rleyer, Rechtsberater beim Ministerrat, mit der Zeiss-Werkleitung die Bedeutung des gegenwärtigen und künftigen Exports in westliche Industrieländer, um die Vor- und Nachteile einer juristischen Auseinandersetzung mit Zeiss Oberkochen in den verschiedenen Ländergruppen zu eruieren. Er empfahl ferner, die bisherigen Erfahrungen mit dem Warenzeichen Jenoptik zu erkunden und das weitere Vorgehen mit der Außenpolitik der DDR in Einklang zu bringen. 42 Diese neue Art, an die Prozesse heranzugehen, zeigte, daß sich die Auffassung in den Regierungsstellen zu verändern begann. Anfang April 1962 ließ Rleyer in einer Besprechung beim Volkswirtschaftsrat erkennen, daß es nun darum gehen müsse, sowohl die Warenzeichen als auch den Firmennamen Carl Zeiss offensiv zu verteidigen. Er plädierte dafür, die bisherige Unterschätzung der Prozesse in den RGW-Staaten zu beenden und zu überlegen, was getan werden muß, wenn juristische Auseinandersetzungen verloren gehen oder gewonnen werden. Er empfahl auch, nicht nur verlorene Prozesse propagandistisch auszuwerten, sondern auch diejenigen, die für das Zeiss-Werk positiv ausgegangen sind. Zugleich riet er, in den Ländern, in denen Prozesse geführt werden müssen, die richtigen Anwälte zu wählen. Gerhard Trautmann erklärte, daß 12 der laufenden Prozesse bis zur nächsten Instanz zu führen sind. Als ein Hauptproblem betrachtete er die nicht einzuschätzenden Prozeßkosten und regte an, bei jeder Entscheidung über die Art, wie der Prozeß zu führen ist, gleichzeitig dessen Finanzierung zu klären. Alfred Neumann, der gleichfalls an der Beratung teilnahm, merkte durchaus selbstkritisch an, daß die Regierungsstellen in der Vergangenheit das Zeiss-Werk bei den Auseinandersetzungen mit dem Oberkochener Unternehmen allein gelassen haben. Damit sei das Zeiss-Werk überfordert gewesen. Er stellte nun den Zusammenhang zwischen den zu führenden Prozessen und dem Bestreben der DDR um internationale Anerkennung her und hob die internationale Bedeutung von Zeiss und Schott in Jena hervor. Alfred Neumann betonte die Notwen-

41 42

VA Nr. 1154 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 21. September 1961). VA Nr. 1154 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 2. November 1961).

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digkeit, im internationalen Leben mit einwandfreien Urteilen zugunsten der beiden Jenaer Unternehmen zu operieren und in den befreundeten Ländern mit Hilfe von Diplomaten, Handelsvertretungen und Justizministerium für Urteile zu Gunsten von Zeiss und Schott in Jena zu sorgen.45 Die offensivere Verteidigung der Jenaer Interessen in den Auseinandersetzungen um den Firmennamen und die gewerblichen Alt-Schutzrechte im Ausland erschwerte es dem Oberkochener Zeiss-Unternehmen, seinen Rechtsstandpunkt ohne weiteres durchzusetzen. Das macht ein Schriftstück deutlich, mit dem sich Walter David am 26. Januar 1964 an die Disponenten in den Zeiss-Werksabteilungen wandte.44 Dabei ging es um Aktionen gegen das Auftreten des Jenaer Zeiss-Werkes im westlichen Ausland und um die Schwierigkeiten, die die Oberkochener Geschäftsleitung bei den Vertretungen im Ausland hatte, ihren Rechtsstandpunkt in der Warenzeichenfrage durchzusetzen. Walter David vermerkt in dem Schriftstück zunächst: „Wir haben schon vor Verkündigung der deutschen Grundsatzurteile bei zahllosen Verlagen und Ausstellungen durchsetzen können, daß sie keine Inserate, keine Artikel und keine Reteiligungen der Sowjetzone unter Mißbrauch unseres Namens und unserer Marken zustimmen. Allerdings hat sich das mit einem kurzen Brief nie erreichen lassen. Man muß da schon verhandeln und sich seine Argumente vorher überlegen. Deren gibt es eine Menge - nicht nur juristische, sondern auch wirtschaftliche und gesellschaftliche - jeweils abgewandelt für die einzelnen Fälle." Walter David räumt ein, daß es „schlechterdings ausgeschlossen" ist, „die Auseinandersetzung mit der Sowjetzone nur mit prozessualen Mitteln zu einem guten Ende zu bringen. Wir müssen auch durch außergerichtliches Einwirken auf die Leitung von Ausstellungen, Messen, Verlagen, Redaktionen unsere Interessen zu wahren versuchen. Das läßt sich nur zentral von Oberkochen aus nicht bewältigen". Dazu bedarf es, so meint der Verfasser des Schriftstücks, auch der Hilfe der Auslandsvertretungen und klagt: „Die meisten dieser Vertreter überlassen es allerdings geruhsam uns, ihnen die Märkte freizukämpfen. ... Wirkliche Hilfe haben wir bisher nur von den wenigsten Vertretungen bekommen.... Wenn uns nicht unsere Außenstellen und Außenvertretungen unterstützen, diese Verletzungsformen und Verletzungsfalle (durch Zeiss-Jena d. V.) in aller Welt aufzuspüren und zu bekämpfen, werden wir nicht durchkommen. Der Gegner wird im Gegenteil diese Verletzungsmöglichkeiten ausbauen und damit ein Hydra hervorbringen, der eines Tages die Köpfe nicht mehr abgeschlagen werden können."

43 44

VA Nr. 1160 (Schrade-Arbeitsbuch. Eintragung vom 4. April 1962). Carl Zeiss, Oberkochen, Optisches Museum: Diverse Unterlagen (Schreiben von Walter David an die Disponenten der Fa. Carl Zeiss, Oberkochen vom 29. Januar 1964).

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Der Londoner Prozeß und der Rompromiß Es ist im Rahmen dieser Darstellung nicht möglich, den Verlauf der zahlreichen Prozesse, die Oberkochen und Jena im Ausland in den sechziger Jahren gegeneinander führten, nachzuzeichnen. Es soll nur auf die juristische Auseinandersetzung in Großbritannien eingegangen werden, weil sie für beide Kontrahenten bedeutsam wurde und in einem gewissen Sinne die Vorahnung von Walter David bestätigte. Nachdem der britische Feindeigentumsverwalter das während des Zweiten Weltkrieges beschlagnahmte Vermögen deutscher Unternehmen freigegeben hatte, beantragte die Firma Carl Zeiss in Oberkochen 1953 die Rückübertragung der Zeiss-Alt-Schutzrechte. Einen solchen Antrag stellte das Jenaer Zeiss-Werk erst Ende 1954. Der Feindeigentumsverwalter überließ es der britischen Justiz zu entscheiden, welcher Seite die Schutzrechte zuerkannt werden. Die Carl-ZeissStiftung in Jena, durch die Stiftungsverwaltung, dem Rat des Bezirkes Gera, vertreten, verklagte 1955 vor dem Chancery Division des High Court of Justice in London die Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim auf die Herausgabe aller ZeissVermögenswerte, die von der Heidenheimer Stiftung genutzt wurden. Zugleich sollte das angerufene Gericht dafür sorgen, daß der Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim der Gebrauch der Zeiss-Firmen- und Warenzeichen und der Name Carl-Zeiss-Stiftung untersagt wird. Die Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim stellte einen Gegenantrag, der darauf abzielte, den angestrengten Prozeß einzustellen und die Klage abzuweisen. Richter Cross vom High Court befaßte sich in seinem Urteil vom 6. März 1964 zunächst damit, ob der Rat des Bezirkes Gera in der Eigenschaft einer Stiftungsverwaltung überhaupt befugt war, die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena zu vertreten. Er kam zu der Auffassung, daß der Rat des Bezirks nach §§ 5 und 113 des Stiftungsstatuts durchaus berechtigt ist, als Stiftungsverwaltung aufzutreten, und meinte, daß das DDR-Recht bei der Urteilsfindung zugrunde zu legen sei. Der Richter stützte sich dabei auf das Gutachten, das im Auftrag des Obersten Gerichts der DDR 1954 angefertigt worden war, auf das Urteil des Obersten Gerichts der DDR von 1961 und auf das Schreiben vom 28. Januar 1946 an die Geschäftsleitung des Zeiss-Werkes, in dem die bisherigen Geschäftsleiter, die mit den amerikanischen Truppen Jena verlassen hatten, ihren formellen Rücktritt bestätigten. In dem Urteil, das Richter Cross vom High Court am 6. März 1964 verkündete, wurde festgestellt, daß die Berufung der neuen Geschäftsleitung nach den Vorschriften des Stiftungsstatuts erfolgt ist. Als grob rechtswidrig wies der Richter den Anspruch westdeutscher Gerichte zurück, Entscheidungen in Sachen Zeiss für Gebiete zu treffen, die nicht zur BR Deutschland gehören. Zeiss-Oberkochen rief nun im Juli 1964 das Court of Appeal in London an. Die Firmenanwälte versuchten, den Berufungsrichter davon zu überzeugen, daß er nicht nach dem DDR-Recht entscheiden könne, weil Großbritannien diesen Staat nicht anerkannt hat. Sie beantragten, dazu das britische Außenministerium zu konsultieren, das bestätigte, daß die britische Regierung die DDR nicht anerkennt. Als die Anwälte der Jenaer Carl-Zeiss-Stiftung durch das Gericht im briti-

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sehen Außenministerium klären ließen, ob die BR Deutschland die Vertretung der DDR beanspruchen darf, stellte das Außenministerium wiederum klar, daß Großbritannien die DDR nicht als souveränen Staat anerkennt. Die DDR sei vielmehr sowjetisches Besatzungsgebiet, das durch die UdSSR vertreten werde. Die UdSSR übe de jure die Regierungshoheit aus. Da der Richter es als maßgebend betrachtete, daß Großbritannien die DDR nicht anerkennt, folglich auch nicht das DDR-Recht, kam er zu der Auffassung, daß der durch DDR-Recht geschaffene Rat des Bezirkes Gera nicht als Stiftungsverwaltung fungieren kann. Am 17. Dezember 1964 wies der Berufungsrichter die Klage der Jenaer Carl-ZeissStiftung ab, weil sie zu Unrecht durch den Rat des Bezirkes Gera vertreten worden sei. Darauf ließ es die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena nicht beruhen. Sie wandte sich als Revisionsklägerin an das House of Lords, der dritten und obersten Instanz. Die Lordrichter hoben am 18. Mai 1966 das Urteil der zweiten Instanz auf und stellten das der ersten Instanz wieder her. Da auch sie die DDR nicht anerkannten, betrachteten sie die Gesetzgebung in diesem Land ebenfalls nicht als Akt eines souveränen Staates. Aber sie zogen aus dem Standpunkt des britischen Außenministeriums einen anderen Schluß. Da die UdSSR das Hoheitsrecht de jure für die DDR habe, erkenne sie die Gesetze der DDR als einer abhängigen und untergeordneten Organisation der UdSSR an. Daraus ergibt sich, so die Lordrichter, daß das Überleitungsgesetz der ostdeutschen Länder in Bezirke vom 23. Juli 1952 als verbindlich angesehen werden muß. Somit könne dem Rat des Bezirks Gera in seiner Eigenschaft als Stiftungsverwaltung nicht das Recht verwehrt werden, die Schritte zu unternehmen, die erforderlich sind, um einen Prozeß einzuleiten. Sie erklärten ebenfalls, daß das Urteil des westdeutschen Bundesgerichts für britische Richter nicht bindend ist. Die Enteignung der Stiftungsunternehmen in Jena ändere an der Vertretungsmacht der Stiftungsverwaltung nichts. Die Rosten des Verfahrens gingen zu Lasten des Beklagten, also der Fa. Carl Zeiss, Oberkochen. Sie beliefen sich nach der Berechnungsart der DDR auf eine Million Valutamark. In einer anderen Quelle wurden 1,5 Millionen DM angegeben. 45 Obgleich dieses Urteil erst die Voraussetzungen dafür schuf, daß die Jenaer Carl-Zeiss-Stiftung ihre Interessen in Großbritannien juristisch verfolgen konnte, hatte es für Jena positive Auswirkungen auf die juristischen Auseinandersetzungen mit dem Oberkochener Zeiss-Unternehmen in anderen Ländern. In Großbritannien fand am 17. Oktober 1967 die erste Anhörung in der ersten Instanz im Hauptverfahren um die strittigen Namens- und Warenzeichenrechte statt. Das Hauptverfahren vor dem High Court of Justice in London begann erst am 11. Januar 1971. An der Wende von den sechziger zu den siebziger Jahren hatten sich die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Kontrahenten verändert. Der von dem Oberkochener Zeiss-Unternehmen geführte Konzern war 45

Hermann: Und trotzdem Brüder, S. 267.

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wegen des außerordentlich ungünstigen Verlaufs des Photogeschäfts in ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. In dieser Situation wurden auch die beträchtlichen Rosten, die der Prozeß verursachte und noch verursachen konnte, zu einer Belastung. Zumal ein positiver Verlauf des Prozesses längst nicht gewiß war. Der Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim waren aus den verschiedenen Prozessen um den Namen Carl Zeiss und die gewerblichen Alt-Schutzrechte bis Mitte der siebziger Jahre Rosten in Höhe von rund 12,9 Millionen DM entstanden. 46 Ohnehin waren die seit längerem geführten juristischen Auseinandersetzungen für das Image des Unternehmens nicht förderlich. Hinzu kam, daß sich das politische Gesamtklima für den Prozeß veränderte, denn in der BR Deutschland vollzog sich ein politischer Stimmungswechsel. Bis in die fünfziger und sechziger Jahre ließ sich die Bundesregierung von dem außenpolitischen Grundsatz leiten, den Walter Hallstein 1955 aufgestellt hatte. Nach diesem Grundsatz unterhielt die BR Deutschland aufgrund ihres Alleinvertretungsanspruchs für das gesamte deutsche Volk mit keinem Staat diplomatische Beziehungen, der solche Beziehungen zur DDR hatte oder einging. Die Hallstein-Doktrin, die sich Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre nicht mehr durchsetzen ließ, wurde 1972 endgültig aufgegeben. Diese Rechtsauffassung hatte die Oberkochener Geschäftsleitung in der Auseinandersetzung mit Jena genutzt. Sie fand für ihre Ansprüche hinsichtlich des Namens Carl Zeiss und der gewerblichen AltSchutzrechte bei westdeutschen Politikern hinreichende Unterstützung. Seit Willy Brandt Ranzler der Bundesrepublik war und gegenüber den staatssozialistischen Ländern einen anderen politischen Rurs verfolgte, wandelte sich in der deutschen und internationalen Öffentlichkeit auch die Sicht auf den Ronflikt zwischen den beiden Zeiss-Stiftungen und Werken. Die Oberkochener Geschäftsleitung konnte nun nicht mehr ohne weiteres auf die aktive Unterstützung der westdeutschen Diplomaten bei juristischen Auseinandersetzungen in westlichen Ländern rechnen. Das war im Laufe der sechziger Jahre für die westdeutschen Auslandsvertretungen ohnehin immer problematischer geworden, weil in einer zunehmenden Anzahl von Ländern die Regierungen die Existenz der DDR anerkannten und sich zu diesem Staat und seinen Einrichtungen entsprechend verhielten. Das und das Interesse der DDR an einem Ende der Auseinandersetzungen trugen nun dazu bei, daß in Jena und Oberkochen nach einem Weg gesucht wurde, um den Prozeß in Großbritannien zu beenden. Zunächst waren die Monate Januar und Februar 1971 noch mit dem Vortrag von Prozeßdokumenten vor Gericht ausgefüllt. Aber am 23. Februar 1971 bat der britische Anwalt, der die Jenaer Seite vertrat, das Verfahren zu unterbrechen. Er deutete eine mögliche außergerichtliche Einigung zwischen Jena und Oberkochen an. Da auch der Oberkochener Prozeßvertreter dazu sein Einverständnis erkennen ließ, willigte der Richter in eine Vertagung des Verfahrens bis zum 22. März 1971 ein. Diese Zeit nutzten Dr. Rurt Büttner und Dr. Rudolf Reichrath

46

Carl Zeiss, Oberkochen, Optisches Museum: Otto Nordt: Der Bruch zwischen Heidenheim und Jena/Prozesse/Londoner Abkommen (Typoskript).

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von Jenaer Seite und Dr. Heinrich Rüppenbender und die Oberkochener Juristen, um einen Rompromiß zu finden, der von beiden Seiten akzeptiert werden konnte. Das Resultat der Verhandlungen ging in ein Abkommen ein, das am 26. April 1971 vorlag und von Dr. Gerhard Kühn für die Carl-Zeiss-Stiftung Heidenheim/Oberkochen und von Dr. Rudolf Reichrath und Dr. Kurt Büttner für die Carl-Zeiss-Stiftung und den VEB Carl Zeiss JENA unterzeichnet wurde.47 Am 27. April 1971 trug der britische Anwalt, der die Jenaer Interessen vor Gericht vertrat, das Abkommen dem Richter vor, der daraufhin das Hauptverfahren einstellte. In dem Abkommen, das als Londoner Abkommen in die Zeiss-Geschichte einging, stellten die beiden Seiten zunächst fest, daß sie über die Existenz, die rechtliche Lage, den Sitz und den Namen der von Ernst Abbe gegründeten Stiftung auch weiterhin konträre Auffassungen vertreten werden. Dessen ungeachtet stimmten sie den in der Abmachung getroffenen Festlegungen zu. Beide Parteien hatten sich darüber verständigt, in welchen Ländern und in welcher Form sie den Namen Carl Zeiss und die Warenzeichen verwenden werden. Der VEB Carl Zeiss JENA und die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena hatten das Recht, Namen und Handelsnamen, die Carl Zeiss oder Zeiss enthalten, in fast allen staatssozialistischen Ländern, aber auch in Syrien, Kuwait und im Libanon zu verwenden. Eine Ausnahme bildete die VR Rumänien, deren Regierung die nach dem Zweiten Weltkrieg beschlagnahmten Warenzeichen noch nicht freigegeben hatte. Das Zeiss-Unternehmen in Oberkochen und die Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim verpflichteten sich, die strittigen Namen und Warenzeichen in diesen Ländern nicht zu nutzen. Die Fa. Carl Zeiss, Oberkochen, und die CarlZeiss-Stiftung in Heidenheim konnten nach dieser Übereinkunft Namen und Warenzeichen in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft, Frankreich ausgenommen, in Griechenland und Österreich benutzen. In einer Reihe von Ländern konnten die beiden Parteien gleichberechtigt agieren. Das betraf alle größeren Staaten und ihre ehemaligen Kolonialgebiete. Frankreich war auch hier ausgenommen. Das Jenaer Zeiss-Werk durfte nach diesem Abkommen als VEB Carl Zeiss JENA Firmieren und mußte, wenn es das Linsenzeichen oder den Namen Carl Zeiss verwendete, immer die Ortsangabe Jena hinzufügen. Das Oberkochener Zeiss-Unternehmen hatte demgegenüber die Möglichkeit, das Warenzeichen Carl Zeiss mit oder ohne Linsenrahmen oder lediglich Zeiss zu benutzen. Ferner hatte man vereinbart, bis zum 51. Dezember 1971 alle Verfahren und Verhandlungen vor staatlichen Institutionen und Gerichten abzuschließen oder abzubrechen. Es bedurfte aber aus verschiedenen Gründen eines längeren Zeitraums, um diesen Punkt der Vereinbarung zu realisieren.48 Das Londoner Abkommen wurde von beiden Seiten bis zum Jahre 1989 respektiert.

47

48

BACZ Nr. 26355 (alt) (Londoner Vereinbarung); Schumacher: Die Auseinandersetzung um die Altwarenzeichen der Fa. Carl Zeiss, S. 52-56, 94-96. Schumacher: Die Auseinandersetzung um die Altwarenzeichen der Fa. Carl. Zeiss, S. 52-56, 94-96.

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1965-1975 VE Β Carl Zeiss JENA mit unterstellten Betrieben

Die Abkehr von der juristischen Ronfrontation enttäuschte den Justiziar des Oberkochener Unternehmens, Dr. Walter David, der diese Aufgabe bis zum Juni 1945 schon in Jena ausgeübt hatte und seit den späten vierziger Jahren mit großer Energie an der juristischen Front gegen den Anspruch des VEB Carl Zeiss auf die Nutzung des Namens Zeiss und der gewerblichen Alt-Schutzrechte sowie gegen die Anerkennung der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena gefochten hat. Er war der festen Überzeugung, daß der Prozeß in London zu Gunsten der Oberkochener Seite ausgefallen wäre und ließ auch lange nach dem Prozeß wissen: „Den englischen Prozeß hätten wir gewonnen, und dann wäre der VEB (Carl Zeiss JENA d. V.) auch aus dem Commonwealth rausgeflogen." 49 Der Rompromiß war sowohl für den VEB Carl Zeiss JENA als auch für die Firma Carl Zeiss, Oberkochen, eine Erleichterung, denn beide Unternehmungen befanden sich am Beginn der siebziger Jahre in einer schwierigen geschäftlichen Lage und hatten einen langen Weg der wirtschaftlichen Konsolidierung vor sich.

Abb. 57 Werksansicht der Fa. Carl Zeiss in Oberkochen Luftbild 1987

49

Zitiert in Hermann: Und trotzdem Brüder, S. 291.

ZEHNTES KAPITEL

Der Wandel im Kombinat VE Β Carl Zeiss JENA Der neue Generaldirektor In der ersten Hälfte des Jahres 1975 waren die Planungen für die Volkswirtschaft der DDR bis 1980 in vollem Gange. Dabei wurde die Industrie von der SED Führung immer nachdrücklicher auf die Intensivierung der ökonomischen Prozesse orientiert. Das war auch Gegenstand einer Besprechung von Führungskräften des Zeiss-Werkes mit Werner Krolikowski über die Entwicklung des optischen Präzisionsgerätebaus bis 1980 am 17. März 1975. Der Wirtschaftssekretär des ZK der SED forderte „eine langfristige Intensivierungskonzeption bis 1980" und die Überprüfung der bestehenden Vorstellungen. Dazu bedurfte es einer Überarbeitung vorliegender Konzeptionen. Das Forschungs- und Entwicklungsprogramm war langfristig zu bestimmen, die Forschungs- und Entwicklungsprozesse zu intensivieren, durch eine engere Kooperation mit der UdSSR und anderen RGW-Staaten der Bedarf der Forschungseinrichtungen zu decken und der Export in das westliche Währungsgebiet zu gewährleisten. Die ebenfalls überarbeitete Absatzkonzeption sollte sowohl die Verpflichtungen gegenüber der UdSSR garantieren als auch den Absatz in westliche Länder bis 1980 in Höhe von 250 Millionen Valutamark ermöglichen. Die Jenaer Besprechungsteilnehmer brachten die dazu erforderlichen materiell-technischen Voraussetzungen für die Einzel- und Kleinserienfertigung sowie die Sicherung des Bedarfs an optischem Glas und elektronischen Erzeugnissen zur Sprache. Schließlich ging es noch um die Beschaffung von Ausrüstungen aus westlichen Industrieländern und die Arbeitskräftesituation in Jena und an anderen Zeiss-Standorten.1 Im Mai 1975 legten Mitarbeiter des Forschungszentrums die „Lang- und mittelfristige Konzeption für die Forschung und Entwicklung des VE Β Carl Zeiss JENA, Analyse des VEB Carl Zeiss JENA und Prämissen für die Arbeit der Forschung und Entwicklung" vor. Sie enthielt ein kritisches Urteil über den internationalen Stand der Erzeugnisentwicklung und die Richtungen, in die sich der optische Präzisionsgerätebau in Jena in den nächsten Jahrzehnten entwickeln muß, um im internationalen Maßstab wieder mitbestimmen zu können.2 Auf dieses Material wird im folgenden Kapitel näher eingegangen. Am 23. Juni

1

VA 1236 (Helmut Wunderlich: Bericht des Generaldirektors anläßlich der Rechenschaftslegung zur Erfüllung der staatlichen Aufgaben für das Jahr 1974 und zum Plananlauf 1975 vor dem Minister am 3. April 1975).

2

W B Nr. 895 Lang- und mittelfristige Konzeption für die Forschung und Entwicklung des VEB Carl Zeiss JENA. Analyse des VEB Carl Zeiss JENA und Prämissen für die Arbeit der Forschung und Entwicklung. Mai 1975.

284

Kombinat VE Β Carl Zeiss JENA

1975 unterzeichnete Helmut Wunderlich die „Konzeption zur Intensivierung des Reproduktionsprozesses im VEB Carl Zeiss JENA - Intensivierungskonzeption 1976".3 In den Monaten, in denen die Perspektive des Zeiss-Werkes und der anderen Betriebe des Kombinates für die zweite Hälfte der siebziger Jahre festgelegt wurde, gelang es der Generaldirektion nicht, die erwarteten wirtschaftlichen Resultate zu erzielen, so daß die SED-Führung über einen Wechsel an der Spitze des Zeiss-Kombinates entschied. Zum 1. Oktober 1975 wurde Wolfgang Biermann mit der Funktion des Generaldirektors betraut. Der Achtundvierzigjährige hatte nach der Ausbildung zum Maschinenbauschlosser von 1949 bis 1951 die Ingenieurschule für Maschinenbau in Leipzig besucht. Nach dem Studium arbeitete er zunächst als Konstrukteur und später als Assistent des Technischen Direktors im VEB Bagger,- Förderbrücken- und Gerätebau in Lauchhammer. Zwischen 1955 und 1964 war Wolfgang Biermann in verschiedenen Maschinenbaubetrieben als Technischer Direktor, Produktionsdirektor und Werkleiter tätig. 1965 wurde er Generaldirektor des VEB Großdrehmaschinenbau „7. Oktober" in Berlin und 1966 Kandidat des ZK der SED.4 Vor dem neuen Generaldirektor stand zunächst die Aufgabe, die ökonomischen Verhältnisse im Zeiss-Werk soweit zu stabilisieren, daß es den vorgegebenen Verpflichtungen nachkommen konnte. Sodann kam es darauf an, die abschließenden Dispositionen für die Entwicklung des Kombinates und seiner Betriebe bis zum Beginn des neuen Jahrzehnts zu treffen. Nachdem sich Wolfgang Biermann in den ersten Wochen seiner Amtszeit mit den Gegebenheiten in Jena vertraut gemacht Abb. 58 Generaldirektor Wolfgang Bierm a n n in s e i n e m Arbeitszimmer hatte, setzte er im November 1975 eine 1975 Arbeitsgruppe ein, die den Auftrag erhielt, in kurzer Zeit eine Intensivierungskonzeption für die gesamte Wirtschaftseinheit nach seinen Intensionen auszuarbeiten. Die Mitglieder dieser Arbeitsgruppe hatten durchaus eine klare Vorstellung von der künftigen Entwicklung des Zeiss-Werkes und der juristisch selbständigen Betriebe im Zeiss-Wirtschaftsverbund. Sie waren vor allem daran interessiert, das Produktionsprogramm wieder uneingeschränkt auf die Entwick-

3

4

VA Nr. 3318 (Konzeption zur Intensivierung des Reproduktionsprozesses im VEB Carl Zeiss JENA vom 23. Juni 1975; HA Technologie: Analyse Planteil Technologie und Rationalisierung vom 3. Dezember 1975). Wer war wer - DDR. Ein biographisches Lexikon, S. 44.

Der Wandel im Kombinat VEB Carl Zeiss JENA

285

lung und den Bau optischer Präzisionsgeräte auszurichten. Das konnte Wolfgang Biermann auch den Unterlagen entnehmen, die ihm vorgelegt wurden. Am 5. Januar 1976 trug er dem Führungspersonal die Grundsätze für das perspektivische Programm vor, die der ersten komplexen Intensivierungskonzeption für den Zeitraum 1976-1980 von Ende 1975 zugrunde lagen und von ihm am 31. Januar 1976 bestätigt wurden. Für die Forschung- und Entwicklungstätigkeit enthielt die Konzeption u. a. Vorgaben für die Anhebung des naturwissenschaftlich-technischen Niveaus der Erzeugnisse durch die umfassende Entwicklung der physikalischen und technisch-technologischen Optik und die Heranführung der Elektronik an das internationale Niveau, für Sonderentwicklungen und -fertigungen für abgestimmte Forschungsbedürfnisse, Ausrüstungen für die mikroelektronische und chemische Industrie sowie für den Werkzeugmaschinenbau. Ferner sollte die besondere Aufmerksamkeit auf verfahrenstechnische Probleme, auf die Erneuerung des Produktionsprogramms und die Verkürzung des zeitlichen Aufwands von der Erzeugnisentwicklung bis zu ihrer Markteinführung gelenkt werden. Die dritte Aufgabe, die Wolfgang Biermann unmittelbar nach seinem Amtsantritt zu lösen hatte, bestand in der Gestaltung eines Kombinatsmodells in einem wissenschaftsbasierten Industriezweig. Darin waren das Forschungs- und Entwicklungspotenzial, die Fertigungskapazitäten der Finalproduzenten und hauptsächlichen Zulieferer sowie die Organisation des Binnen- und Außenhandels zu erfassen. Diese Erkundungsaufgabe diente offensichtlich dazu, eine Grundlage für die durchgängige Umgestaltung der staatlichen Industrie zu schaffen. Um diese Aufgabe in Angriff zu nehmen, sah es der neue Generaldirektor als vordringlich an, überhaupt zu klären, welchen Charakter die Wirtschaftseinheit hatte, für die er nun verantwortlich war. Daran erinnerte Dr. Willi Matthies in einer Einschätzung über die Arbeitsweise des Kombinates vom 5. Oktober 1976: „Fakt war jedoch, daß wir zwar bis vor einem Jahr mehrere Varianten diskutiert haben, aber daß die Vorstellungen unklar blieben und keine Linie für praktische Veränderungen vorhanden war. Mit der Fragestellung, ob der VEB Carl Zeiss JENA nun Großbetrieb, Kombinat oder VVB ist, hat der Generaldirektor, Genösse Biermann, diesen unklaren Zustand zur Diskussion gestellt und als notwendige Konsequenz die Feststellung getroffen, daß neben anderen Grundfragen die Veränderung der Wirtschafts- und Leitungsorganisation notwendig ist".5 Gleichzeitig ging es Wolfgang Biermann auch um das Image dieser Wirtschaftseinheit. In der Kombinatsleitungssitzung am 5. Mai 1976 bezeichnete er das Kombinat VEB Carl Zeiss JENA „als Zentrum des optisch-mechanischen Präzisionsgerätebaus" und ließ in der Diskussion zu einer Vorlage über eine neue Werbelinie zu, daß Heinrich Pemsel vorschlug, sich von dem Rufbild „Betrieb für Rationalisierung und Automatisierung der DDR" abzugrenzen. „Bei der Rufbildpflege sollten u. a. folgende Akzente gesetzt werden: Mit Tradition werben;

5

WB Nr. 592 (Dr. Willi Matthies: Politische und ökonomische Einschätzung der Arbeitsweise des Kombinates. Vorlage für die Kombinatsleitungssitzung am 5. Oktober 1976).

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Kombinat VEB Carl Zeiss JENA

Zusammenarbeit Zeiss/Schott/Uni hervorheben; CZ, dessen Geräte an der vordersten Front von Wissenschaft und Technik eingesetzt sind; CZ-Spezialisten sind führend auf ihrem Gebiet". Wolfgang Biermann forderte, „die Leistungen des Kombinates für Forschung und Lehre, aus denen sich die Leistungen für andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ableiten, in den Mittelpunkt unserer Werbetätigkeit zu stellen".6

Die drei Etappen der Rombinatsreorganisation Im Frühjahr 1976 wurde die Reorganisation des Zeiss-Rombinates eingeleitet, die auf eine grundlegende Umgestaltung der gesamten Wirtschaftseinheit abzielte. Dabei ging es erstens darum, den Betrieben im VEB Carl Zeiss JENA eine größere wirtschaftliche Eigenständigkeit einzuräumen. Zweitens war der Betrieb für Export und Import vollständig in das Kombinat zu integrieren und die äußere Absatzorganisation zu stärken. Das betraf vor allem die Verbesserung des Services und der Ersatzteilversorgung im Auslandsgeschäft. Drittens galt es, die Beziehungen zwischen dem Forschungszentrum, dem Außenhandelsbetrieb und den Produktionsbetrieben auf der Grundlage der Prinzipien der Wirtschaftlichen Rechnungsführung effizienter zu gestalten. Zum vierten war das Forschungspotenzial im Kombinat zu konzentrieren, die Forschungseffizienz zu erhöhen, die „Säulen" Optik und Elektronik zügig zu entwickeln, damit sie dem internationalen Niveau entsprachen und den Fertigungs- und Verfahrenstechnologien die erforderliche Aufmerksamkeit zu schenken. Hinzu kam die Konzentration der Investitionsmittel auf ausgewählte Projekte. Eine Grundvoraussetzung für das Gelingen der Reorganisation sah der neue Generaldirektor des Kombinates in der Personalpolitik, weil sie nach seiner Ansicht die „Partei- und Staatsdisziplin einschließlich der Ordnungsmäßigkeit auf allen Gebieten" garantiere. Deshalb trug er maßgeblich zur weiteren Politisierung in der Leitungshierarchie und in den Kombinatsbetrieben bei. Das führte zu einer nachdrücklicheren Werbung in der Belegschaft für die Mitgliedschaft in der SED durch die Parteiorganisationen, zu der nahezu durchgängigen Besetzung der Leitungspositionen bis zu den Gruppenleitern, Meistern und Brigadeleitern durch SED-Mitglieder, zum exzessiven politischen Versammlungs- und Schulungswesen sowie zu dem argwöhnischen Umgang mit Belegschaftsangehörigen, die sich dem Politisierungsprozeß zu entziehen suchten oder ihre distanzierte und kritische Einstellung gegenüber dem Gesellschaftssystem in der DDR erkennen ließen. Wolfgang Biermann betrachtete die entsprechende Auswahl des Führungspersonals als eine vordringliche Aufgabe. Das zeigte sich darin, daß er kurze Zeit nach der Amtsübernahme eine Reihe von maßgeblichen Mitarbeitern der Kombinatsleitung auswechselte. Gleichzeitig unterzog er die bisherige Arbeitsweise

6

WB Nr. 590 (Protokoll der Kombinatsleitungssitzung vom 5. Mai 1976).

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der Führungsgremien des Kombinates einer scharfen Kritik. Um die Leitungskräfte von ihren Fehlern in der Leitungstätigkeit zu überzeugen, veranstaltete er mit ihnen zwei Aussprachen und gab ihnen Kostproben seines Arbeitsstils, die nach Ansicht von Helmut Eichler, er leitete das Büro des Generaldirektors, inzwischen ihre Früchte zeigten. Helmut Eichler stellt in einer Vorlage für die Kombinatsleitungssitzung am 5. Mai 1976 zu den Fortschritten im Kombinatsdenken bei Leitungskräften fest: „Den entscheidenden Anteil daran hat die Leitungstätigkeit des Generaldirektors, Gen. Biermann, denn nur die Leistungen derer finden Anerkennung, die sowohl ihre eigenen Aufgaben als auch die notwendigen Leistungen für ihre Partner termin- und qualitätsgerecht erfüllen." Wie das erreicht wurde, erläutert Helmut Eichler ebenfalls in seiner Vorlage: „Während noch vor Monaten die Veränderungen und der neue Stil im wesentlichen auf Druck und Härte zurückzuführen waren, bin ich der Auffassung, daß besonders in der letzten Zeit die positiven Ergebnisse die persönliche Einsicht in die Notwendigkeit der getroffenen Veränderungen gefördert haben."7 Wolfgang Biermann verlangte, daß seine Entscheidungen oder die von Leitungsgremien strikt umgesetzt wurden. Verzögerungen oder Abweichungen duldete er nicht. So heißt es im Protokoll über ein Leitungsseminar am 16. November 1982, in dem es offensichtlich Meinungsverschiedenheiten mit Betriebsleitern gegeben hatte: „Gen. Dr. Biermann unterstreicht mit Nachdruck, daß er sich als Mitglied des ZK der SED einer solchen Linie nicht anschließt. Es gilt für das KCZ, daß wir keine Erfolge vormachen, die keine Erfolge in der Volkswirtschaft sind. Das KCZ wird demzufolge keine Planänderungsanträge stellen. Es gilt das, was auf dem X. Parteitag der SED beschlossen wurde und auf dem Leipziger Seminar (der Generaldirektoren der Kombinate mit Günter Mittag d. V.) echt als 2 Tage Planvorsprung 1982 beschlossen wurde im Vergleich zum Ist 1981."8 Wolfgang Biermann setzte seinen ganzen Ehrgeiz daran, das Zeiss-Kombinat im Sinne der SED-Politik zu führen. Auf die von ihm dabei praktizierten äußerst widerspruchsvollen Methoden wird an anderer Stelle eingegangen. Die Reorganisation des Kombinates vollzog sich in drei Etappen. In der ersten Etappe, die das Jahr 1976 umfaßte, richtete er neben den bestehenden Fachdirektionen einen ihm direkt unterstellten Leitungsbereich Internationale Zusammenarbeit (LZ) ein, der am 1. Juni 1976 die Arbeit aufnahm. 9 Zeiss-Betrieben am Standort Jena wurden bisher zentralisierte Kompetenzen übertragen. Das geschah vor allem mit dem Ziel, diesen Produktionsbetrieben eine größere ökonomische Selbständigkeit zu geben. Zunächst wurde die Instandhaltung, die Betriebsmittelkonstruktion, die Technische Kontrollorganisation, der innerbetriebliche Transport, der Absatz und die Arbeiterversorgung übertragen. 7

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WB Nr. 590 (Helmut Eichler: Politische und ökonomische Einschätzung der Arbeitsweise des Kombinates. Vorlage für die Kombinatsleitungssitzung vom 5. Mai 1976). GB Nr. 873 (Protokoll des Leitungsseminars vom 16. November 1982). WB Nr. 590 (Protokoll der Kombinatsleitungssitzung vom 5. Mai 1976); Lothar Umland: Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe - Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit im RGW. In: Schreiner: Schaltkreise, S. 74

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In der zweiten Etappe, sie erstreckte sich über das Jahr 1977, wurden den Zeiss-Betrieben die Arbeitsbereiche Materialversorgung, Warenausgangskontrolle und das Meßwesen, die Verfahrenstechnologie, die Wissenschaftliche Arbeitsorganisation sowie die Investitionsvorbereitung zugeordnet. Gleichzeitig erfolgte die Umgestaltung der Betriebsleitungen, die man der Kombinatsleitungsstruktur anglich. 10 Am 1. Januar 1978 begann die dritte Etappe, in der die Wirtschaftliche Rechnungsführung in den Zeiss-Betrieben durchgesetzt wurde, wodurch die ZeissBetriebe ihre relative ökonomische Selbständigkeit im Rahmen des Kombinates erhielten. Sie waren nun eigenverantwortlich für die Planung, Durchführung und Realisierung der Produktionsprozesse entsprechend der zentralen staatlichen Planauflagen und schlossen die dazu erforderlichen Wirtschaftsverträge mit Betrieben innerhalb des Kombinates sowie mit Fremdfirmen. Gleichzeitig waren sie für die Nutzung und Bildung der ihnen übertragenen Grund- und Umlauffonds verantwortlich. Die Betriebe hatten die Mittel zur erweiterten Reproduktion zu erwirtschaften, und sie konnten sich einen Teil der Arbeitsergebnisse aneignen und nach gesellschaftlichen und betrieblichen Erfordernissen verteilen. Da der VEB Carl Zeiss JENA ungeachtet der durchaus tiefgreifenden innerbetrieblichen Veränderungen eine juristische Einheit blieb, waren die Zeiss-Betriebe nach wie vor juristisch unselbständig. 11 Anders verhielt es sich bei den VEB, die dem VEB Carl Zeiss JENA angegliedert worden waren. Sie blieben weiterhin juristisch selbständig. Das „Kombinat VEB Carl Zeiss JENA", wie der Wirtschaftsverbund nun verbindlich genannt wurde, war nicht in das Handelsregister eingetragen. Die Maßnahmen, die in diesen drei Etappen getroffen worden waren, schufen innerhalb des Kombinates vergleichbare, selbständige Wirtschaftseinheiten. Um das vollständig zu gewährleisten, mußten die zwischen dem Forschungszentrum, den Finalproduzenten, den Zulieferbetrieben und dem Außenhandelsbetrieb ausgetauschten Leistungen bewertet werden. Dazu wurden im Kombinat innerhalb von eineinhalb Jahren nach den gesetzlichen Vorschriften 80.000 Preise gebildet.12 Im Geschäftsbericht des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1978 wird konstatiert: „Die Reorganisation des Kombinates konnte 1978 im wesentlichen abgeschlossen werden.... Es wurde ein einheitliches überschaubares Leitungssystem mit einer Verkürzung der Informationswege geschaffen."13 Das wurde durch den Verzicht auf eine Leitungsebene, die Einführung von lediglich drei Leitungsebenen in den Fachbereichen - die Bereiche Produktion

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VA Nr. 3329 (Erfahrungen und Ergebnisse aus der Reorganisation des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA. Vorlage zur Kombinatsleitungssitzung vom 20. September 1977). B-B Nr. 69 (Peter-Jörg Tausch/Jens Grothe: Welche Leistungen vollbrachten die Werktätigen des VEB Carl Zeiss JENA in den 70-er Jahren, um die steigenden Anforderungen zur wirtschaftlichen Stärkung unserer Republik zu erfüllen. Abschlußarbeit (Typskript), o.O., o.J. VA Nr. 8202 (Wolfgang Biermann: Diskussionsbeitrag zur Kreisdelegiertenkonferenz der IKL/SED am 14. Januar 1979). VA Nr. 1240 (Geschäftsbericht des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1978).

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und Technik in den Kombinatsbetrieben ausgenommen - sowie durch den Wegfall von 1.140 Struktureinheiten erreicht. Allerdings entstanden im Zuge der Reorganisation ca. 250 Struktureinheiten in den Betrieben. Zweifellos führte diese Umgestaltung zu einer besseren Leitfähigkeit des gesamten Kombinats. Die Anzahl der Mitarbeiter in der Kombinatsleitung sank von 2.500 im Jahre 1975 auf 745 im Jahre 1978. Gleichzeitig verringerten sich die zentralen Struktureinheiten um 1.050.14 Mit diesen Veränderungen war eine Bürokratisierung der Beziehungen zwischen den Betrieben und ihren Mitarbeitern verbunden. Dadurch wurde das kollegiale Zusammenwirken der verschiedenen Abteilungen und Werkstätten bei der Lösung komplizierter wissenschaftlich-technischer Aufgaben, das für das Zeiss-Werk so charakteristisch war, außerordentlich erschwert Als besonders nachteilig für die Leistungsfähigkeit erwiesen sich personelle Veränderungen, die Wolfgang Biermann in den ersten Jahren seiner Amtszeit veranlaßt hatte. Nach seiner Information wurden zwischen 1976 und 1983 über 3.000 Mitarbeiter mit anderen Aufgaben betraut. Das unterbrach die Kontinuität der Arbeitsprozesse in den davon betroffenen Bereichen, die in der Folgezeit nicht ohne weiteres wiederhergestellt werden konnte. Das Zeiss-Werk mußte auch erhebliche Zeitverluste in der Geräte- und Verfahrensentwicklung hinnehmen, weil der Generaldirektor in diesen Jahren über 40 Mitarbeiter aus ihren Forschungs- und Entwicklungsbereichen herausgelöst hatte. 15 Wolfgang Biermann erreichte schon nach kurzer Amtszeit, daß zwei Entscheidungen getroffen wurden, die für das Kombinat außerordentlich wichtig waren. Er erwirkte, daß der Betrieb Export und Import 1977 vollständig in das Kombinat integriert wurde. Am 29. Juni 1977 beschloß das Politbüro der SED, den VEB JENAer Glaswerk Schott & Gen. an das Zeiss-Kombinat anzugliedern. Das geschah unter der Voraussetzung, daß dieser Betrieb juristisch selbständig bleibt und das Produktionsprofil nicht verändert wird.16 Damit war ein großes Hemmnis für die Entwicklung des optischen Präzisionsgerätebaus beseitigt, weil nun die Produktion von optischen Spezialgläsern im Glaswerk wieder ein größeres Gewicht erhielt. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre gelang es, die Verhältnisse in den Kombinatsbetrieben wieder zu stabilisieren, so daß das Zeiss-Kombinat den Verpflichtungen aus dem Fünfjahrplan für die Jahre 1976 bis 1980 nachkommen konnte. Lediglich die Auflagen für den Export in das westliche Währungsgebiet wurden nicht vollständig realisiert. 17 Die Industrielle Warenproduktion des Kombinates erhöhte sich von 1.013 Millionen Mark im Jahre 1975 auf 2.431 Millionen Mark im Jahre 1980.18 Einen Eindruck vom jährlichen Wachstum der Industriellen Warenproduktion des Kombinates vermitteln die Daten in der Tabelle 35 im Tabellenanhang.

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VA Nr. 8202 (Wolfgang Biermann: Diskussionsbeitrag zur Kreisdelegiertenkonferenz der IKL/SED am 14. Januar 1979). Walter Gühne: Erinnerungen. In: Beck: Zeiss-Geschichten. 40 Jahre in Volkes Hand, Chronik Teil 2. VA 1186 (Geschäftsbericht des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1980). Zu Industrieabgabepreisen.

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Die Veränderungen im Kombinatsprofil In den siebziger Jahren hatte sich der wissenschaftlich-technische Fortschritt in den Industrieländern mit zunehmendem Tempo in einer Richtung vollzogen, in der das Jenaer Unternehmen über Rernkompetenzen verfügte. Das betraf neben traditionellen Gebieten des optischen Präzisionsgerätebaus vornehmlich die Leistungen bei der Entwicklung von Ausrüstungen für die mikroelektronische Industrie sowie auf den Gebieten Laser-, Weltraum- und Militärtechnik. Da in den RGW-Staaten in dieser Hinsicht die erforderlichen Voraussetzungen nur bedingt vorhanden waren, zählten die politischen Führungsgremien, insbesondere in der UdSSR, auf die Kreativität der Jenaer Wissenschaftler, Konstrukteure und Facharbeiter. 1980 basierten 90 Prozent der Zeiss-Exporte in die Sowjetunion auf langfristigen Regierungsabkommen. 19 Ein besonderer Aspekt lag zu dieser Zeit in dem Bestreben der Warschauer Paktstaaten, im Wettlauf mit den Westmächten auf militärtechnischem Gebiet nicht ins Hintertreffen zu geraten. Das zeigte sich auch auf der Tagung des Politisch Beratenden Ausschusses der Teilnehmerstaaten des Warschauer Paktes am 4. und 5. Januar 1983 in Prag, in der u. a. über die Abwendung eines nuklearen Krieges beraten wurde und auf der die DDR-Führung einen größeren Beitrag zur Ausrüstung der Streitkräfte des Warschauer Paktes zusicherte. 20 Zugleich verlangte die Wirtschaftslage in der DDR größere Aktivitäten auf den westlichen Märkten, denn das Zeiss-Kombinat gehörte zu den Wirtschaftseinheiten in der DDR, die Erzeugnisse anbieten konnten, für die in diesen Ländern eine Nachfrage bestand. Auf dem Binnenmarkt wuchs der Bedarf an hochwertigen industriellen Konsumgütern, die in Zeiss-Kombinatsbetrieben gefertigt wurden. All diese Gründe führten Anfang der achtziger Jahre dazu, daß die SED-Führung besondere Hoffnung auf das Zeiss-Kombinat setzte. Hinzu kam noch, daß die Kombinatsleitung Erfahrungen bei der ökonomischen Stabilisierung und der Organisation eines wissenschaftsbasierten Unternehmens gesammelt hatte, die dazu ermutigten, das Profil dieser Wirtschaftseinheit zu erweitern und dafür die erforderlichen finanziellen, materiell-technischen und wirtschaftsorganisatorischen Entscheidungen zu treffen. Am 24. Mai 1983 stimmte das Politbüro der SED einer Vorlage mit dem Titel „Komplexe Konzeption zur weiteren Entwicklung des Forschungs-, Produktionsund Exportprofils einschließlich der Entwicklung der Speziellen Produktion bis 1985 und für den Zeitraum 1986 bis 1990 des Kombinates VE Β Carl Zeiss JENA" zu.21 In der Vorlage wurde das Kombinat zum „Zentrum des wissenschaftlichen Gerätebaus für die intensiv erweiterte Reproduktion der Volkswirtschaft der DDR, für die bessere Versorgung der Bevölkerung sowie zur Erhöhung des Exports an hochveredelten Erzeugnissen in das SW und NSW" erklärt. Im Mittel-

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VA Nr. 1187 (Geschäftsbericht des VE Β Carl Zeiss JENA für das Jahr 1980). Unser Staat. DDR-Zeittafel 1949-1983, Berlin 1984, S. 166. Buthmann: Kadersicherung im Kombinat VEB Carl Zeiss Jena, S. 201-213.

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punkt standen die Aufgaben, die das Kombinat in den nächsten Jahren auf militärgerätetechnischem Gebiet zu lösen hatte. Dazu heißt es in der Vorlage: „Ausgehend von den militärischen Grundanforderungen werden für die neue Entwicklung und Produktion der Militärtechnik als Hauptrichtungen die Lasertechnik und deren Anwendung, die Optoelektronik im Infrarot- bis Submillimeter-Wellenbereich und die Bildverarbeitungstechnik/Lenkverfahren vorgesehen."22 Sodann wurden die zu bearbeitenden Objekte und die dazu vorgesehenen Maßnahmen behandelt. Sie betrafen die Zuführung von Arbeitskräften, die finanziellen Aufwendungen für Forschung, Entwicklung und Produktion sowie die Produktionssteigerung bis 1990. Nach der Vorlage sollte sich der Umfang der Neuproduktion 1990 auf 900 Millionen und nach der vollen Inbetriebnahme der Kapazitäten im Jahre 1992 auf 1.800 Millionen Mark belaufen. Der Anteil der optischen Militärerzeugnisse an der Kombinatsproduktion sollte sich von 15,7 Prozent im Jahr 1983 auf etwa 28 Prozent im Jahr 1990 erhöhen und in den folgenden Jahren auf über 30 Prozent ansteigen. Ferner enthielt die Vorlage Vorgaben für den Export. Die Staatliche Plankommission hatte errechnet, daß das Kombinat die Ausfuhr in staatssozialistische Länder von 1.422 Millionen im Jahre 1982 auf 2.850 Millionen Mark 23 steigern könnte. In der Angabe für 1990 waren die Lieferungen von Militärerzeugnissen an die UdSSR enthalten. Der Export in das westliche Währungsgebiet sollte im gleichen Zeitraum von 126 auf 330 Millionen Valutamarkt gesteigert werden. Dagegen hatte Wolfgang Biermann offensichtlich Einwände erhoben, die in der Beschlußvorlage vermerkt waren. Der Generaldirektor, der den für 1985 vorgesehenen Export von Erzeugnissen im Wert von 260 Millionen Valutamark für zu hoch hielt, sah im westlichen Währungsgebiet einen Absatz von lediglich 220 Millionen Valutamark für realisierbar an. Das Politbüro des ZK der SED beschloß diese Vorlage am 24. Mai 1983.24 Die beträchtliche Erweiterung der Militärgeräteproduktion brachte die Kombinatsleitung in Bedrängnis, denn es war abzusehen, daß sie auf Kosten der Produktion für den zivilen Bedarf geht. Darauf machte Wolfgang Biermann in einem Meinungsstreit mit dem Minister für Elektrotechnik und Elektronik in einem Seminar der Kombinatsdirektoren aufmerksam. „Wenn", so Biermann, „das Kombinat die Anforderungen auf dem Gebiet Laser-Waffen-Technik realisieren soll, dann kann das Kombinat nichts mehr für den zivilen Bedarf machen." Das Forderungsprogramm für das Kombinat, in dem der Aufbau der Militärtechnik, die Erweiterung der Produktion für die Mikroelektronik und für Kraftwerke in der UdSSR im Vordergrund stehe, „macht den Einsatz des gesamten Potentials des Kombinats erforderlich. Für die Konsumgüterproduktion und den NSWExport muß entschieden werden. Nach den vorliegenden Anforderungen ver-

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Buthmann: Radersicherung im Kombinat VEB Carl Zeiss Jena, S. 201 In Valutagegenwert Buthmann: Kadersicherung im Kombinat VEB Carl Zeiss Jena, S. 201.

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bleiben dafür keine Kapazitäten". Schließlich forderte der Generaldirektor: „Es muß eine grundsätzliche Entscheidung geben über das Produktionsprofil des Kombinates. Das kann ich als GD nicht entscheiden." 25 Die ständige Erweiterung des Aufgabenfeldes verschärfte in der ersten Hälfte der achtziger Jahre die Situation in den Kombinatsbetrieben. Die zentralen Vorgaben überstiegen zunehmend die personellen und sachlichen Möglichkeiten des Kombinates und der einzelnen Betriebe. Die fortdauernden Unzulänglichkeiten des zentralstaatlichen Planungssystems behinderten ein effizientes Wirtschaften. Oftmals befriedigten die Zulieferungen weder in qualitativer noch quantitativer Hinsicht. Obendrein wurden die Lieferfristen nicht eingehalten. Immer wieder fehlte es an der Übereinstimmung zwischen der Produktions- und Absatzplanung, so daß die gefertigten Erzeugnisse auf den internationalen Märkten keinen Absatz fanden oder nicht den vorgesehenen finanziellen Ertrag erbrachten. Die unter dem permanenten Zeitdruck erfolgten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten und die überhastete Überführung der Konstruktionen in die Produktion zwangen vielfach zu kostenträchtigen und zeitraubenden Nacharbeiten, die nicht dazu beitrugen, der internationalen Konkurrenz wirkungsvoll zu begegnen. Um einen Konflikt mit dem zentralen Parteiapparat und der zentralen Wirtschaftsleitung wegen der Nichterfüllung von Planauflagen zu vermeiden, entwickelte der Generaldirektor des Kombinates ein System von Maßnahmen, die darauf abzielten, die Diskrepanz zwischen den staatlichen Vorgaben und den erzielten Resultaten zu kaschieren. Dabei griff er verschiedentlich in die Kompetenzen der Betriebsleiter ein. Wolfgang Biermann war in seinem Vorgehen gegen Mitglieder der Kombinatsleitung oder gegen Betriebsleiter nicht zimperlich, wenn sie, verschuldet oder nicht, die Pläne nicht erfüllen konnten, so daß sie sich gleichfalls veranlaßt sahen, die Arbeitsergebnisse in ihrem Zuständigkeitsbereich zu manipulieren. Im Bericht einer Auswertungs- und Kontrollgruppe der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit vom 4. Juni 1984 heißt es dazu, daß die Leitungskader darauf verweisen, „daß der Generaldirektor über die damit verbundenen Manipulationen (der ökonomischen Ergebnisse d. V.) in immer größeren Umfang selbst entscheidet und teilweise direkt in die Belange der Betriebsleitung eingreift". Nach dieser Aussage erklärten die Führungskräfte, daß sie zunehmend „Dienst nach Vorschrift" leisten und nur „im Rahmen jeweils konkreter Anweisungen des Generaldirektors" tätig werden wollen.26 Ein treffendes Beispiel für die Überforderung der Leistungsfähigkeit des Kombinates und seiner Betriebe Mitte der achtziger Jahre ist die Erzeugnisgruppe Lithographische Geräte im Betrieb für optischen Präzisionsgerätebau. Er hatte die Aufgabe, die im Forschungszentrum W zur Produktionsreife gebrachten Geräte für die mikroelektronische Industrie in großen Stückzahlen zu fertigen,

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Zitiert in Zschäbitz: Die volkswirtschaftliche Stellung des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA, S. 42. Zitiert in Buthmann, Kadersicherung im Kombinat VEB Carl Zeiss JENA, S. 213.

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die eine staatliche Planauflage vorschrieb. Aber es sollte sich zeigen, daß die Erzeugnisgruppe dazu in absehbarer Zeit nicht in der Lage war, weil ca. 300 Arbeitskräfte fehlten, die Produktionsprozesse noch nicht beherrscht wurden und die effektiven Fertigungsverfahren und -mittel noch nicht zur Verfügung standen. Um die Aufgabe dennoch zu realisieren, wurden Mitarbeiter aus der Betriebsleitung und aus Querschnittsabteilungen dazu gewonnen, in Wochenendschichten und über einen längeren Zeitraum in den Produktionsabteilungen mitzuarbeiten. Arbeiter der Vorfertigung, die ein Engpaß war, weigerten sich, im Dreischichtsystem zu arbeiten. Das begründeten sie mit der hohen Ausfallquote der Maschinen. Die Konzentration auf die lithographischen Geräte hatte zur Folge, daß andere Erzeugnisgruppen vernachlässigt wurden. Lediglich die Militärgerätefertigung wurde wie vorgesehen weitergeführt. 27 1984 verfügte die Parteiführung der SED, daß die Betriebe des Kombinates VEB PENTACON DRESDEN zum 1. Januar 1985 dem Kombinat VEB Carl Zeiss JENA zugeordnet werden. 28 Von diesen Betrieben verfügte lediglich der VEB PENTACON DRESDEN über eine Forschungsabteilung mit 364 Mitarbeitern. Das Produktionspersonal belief sich auf 4.672 Personen. In den beiden anderen Betrieben waren 420 bzw. 1.050 Arbeiter und Angestellte tätig.29 Am 17. Oktober 1985 faßte das Sekretariat des ZK der SED den Beschluß „Zur Entwicklung des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA zu einem Kombinat für die Entwicklung und Anwendung der Hochtechnologie in der DDR".30 Dem folgte der Politbüro-Beschluß vom Frühjahr 1986, der die „Entwicklung weiterer Kapazitäten für die Forschung und Entwicklung der Mikroelektronik in den Kombinaten VEB Carl Zeiss JENA und VEB Kombinat Mikroelektronik" zum Gegenstand hatte. Er war von der Jenaer Kombinatsleitung mit vorbereitet worden, denn Günter Mittag billigte am 11. April 1986 in einer Besprechung über die Mikroelektronik ausdrücklich das Jenaer Material.31 Beide Beschlüsse standen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Vorbereitung des XI. Parteitages der SED, der im April 1986 stattfand und die Wirtschaftsentwicklung in der DDR bis 1990 vorzeichnete. Im Juni 1986 setzte Wolfgang Biermann eine zentrale Arbeitsgruppe ein, deren Aufgabe es war, Vorschläge für die „Profilierung des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA zur Hochtechnologie" zu erarbeiten. Sie stützte sich auf sieben Arbeitsgruppen, die Entscheidungen zur Mikroelektronik, zur Lichtleiternachrichtentechnik, zur speziellen Produktion, zur NSW/SW-Vertragsbindung neuer Produk-

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Buthmann: Kadersicherung im Kombinat VEB Carl Zeiss Jena, S. 214-215. 40 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 2. Zum Kombinat VEB PENTACON gehörten der VEB PENTACON DRESDEN - Kamera- und Kinowerke, der 1959 aus dem ZusammenschluD der in Dresden angesiedelten Kamerabetriebe - Ihagee-Kamera-Werk, VEB Kamerawerk Niedersedlitz, VEB Zeiss Ikon Dresden (seit 1958 VEB Kinowerke Dresden) - hervorgegangen war, der VEB Kamerafabrik Freital und der VEB Feinoptisches Werk Görlitz. VA Nr. 5111 (Langfristige Reihen wichtiger Kennziffern 1975-1985). GB Nr. 877 (Protokoll der Kombinatsleitungssitzung am 7. Dezember 1985). VA Nr. 2235 (Protokoll der Koordinierungsberatung des Generaldirektors vom 14. April 1986).

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tion, zur Hochtechnologie und zu Sehhilfen vorbereiteten. 32 Im Geschäftsbericht des Kombinates für das Jahr 1986 wurde in einem gesonderten Abschnitt auf die Maßnahmen eingegangen, die dazu führen sollten, daß das Kombinat zu einem Zentrum der Hochtechnologien wird. An erster Stelle stand die „Herausarbeitung einer einheitlichen Konzeption auf dem Gebiet der Höchstintegration der Mikroelektronik mit unseren sowjetischen Partnern und die verbindliche Abstimmung der beiderseits zu lösenden Aufgaben im zweiseitigen Regierungsabkommen". Der zweite Maßnahmenkomplex betraf die Wissenschaftskooperation mit allen Partnern an der Akademie der Wissenschaften, den Universitäten und Hochschulen, die zu einer größeren Wirksamkeit in der Vorlauf- und Grundlagenforschung führen sollte. 1986 bestanden 214 konkrete Leistungsverträge mit rund 1.200 Wissenschaftlern zu 17 Themenkomplexen. Die Vorlaufforschung war vornehmlich auf den 4-Megabit-Schaltkreis gerichtet, wobei Zwischenergebnisse für den 256-Kilobit- und den 1-Megabit-Schaltkreis genutzt werden sollten. Ein dritter Maßnahmenkomplex zielte auf den weiteren Profilierungs- und Konzentrationsprozeß des wissenschaftlich-technischen Potenzials im Zeiss-Kombinat auf bestimmende Entwicklungslinien und „höhere Leistungsinhalte der Hoch- und Schlüsseltechnologien". Dazu sollten auch langfristige Konzeptionen für den VEB Forschungszentrum Mikrotechnologie Dresden, den VEB ELEKTROMAT Dresden Technologische Spezialausrüstungen und den VEB HOCHVAKUUM DRESDEN dienen. Die Qualifizierung der Belegschaft, die materiell-technischen Grundlagen für die Nutzung der CAD/CAM-Arbeit in allen Bereichen des Reproduktionsprozesses sowie in der Planung und Leitung bildete den vierten Komplex. Schließlich wurde im fünften Komplex alles zusammengefaßt, was zur Rationalisierung beitragen konnte. Dazu gehörten vornehmlich bedienungsarme Fertigungsabschnitte und erste flexible automatisierte Fertigungssysteme. 33 Im Zusammenhang mit der weiteren Profilierung des Kombinates kam es zu Veränderungen in der Kombinatsleitung. Am 1. Juli 1986 teilte Wolfgang Biermann in der Koordinierungsberatung mit, daß Prof. Dr. Klaus Mütze am 1. August 1986 die Funktion des Stellvertretenden Generaldirektors für Mikroelektronik und Dr. Klaus Gattnar am 1. Juli 1986 die Aufgabe des Stellvertretenden Generaldirektors für Hochtechnologie übernehmen werden. Das Forschungszentrum W wurde seit 1. August 1986 von Dr. Wolfgang Nordwig geleitet, der sich auf das Fachgebiet Optotechnologie und konstruktive Optik spezialisiert hatte und zwischen 1978 bis 1984 als Direktor für Optikentwicklung fungiert hatte. 34 Sodann informierte Wolfgang Biermann über die Aufnahme des VEB HOCHVAKUUM DRESDEN, des VEB Forschungszentrum Mikroelektronik Dresden, des VEB ELEKTROMAT DRESDEN in das Kombinat. 35

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VA Nr. 2235 (Protokoll der Koordinierungsberatung des Generaldirektors vom 9. Juni 1986). VA 1192 (Geschäftsbericht des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1986). Jenaer Rundschau. 1985, S. 41. VA Nr. 2235 (Protokoll der Koordinierungsberatung des Generaldirektors vom 1. Juli 1986).

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Darin äußerten sich die Profillinien, die Ende der achtziger Jahre im ZeissRombinat nach den zentralstaatlichen Vorgaben verfolgt wurden. An die erste Stelle waren die Arbeiten zur Mikroelektronik gerückt. Sie umfaßten die Entwicklung von höchstintegrierten Schaltkreisen - 256 RDRAM, Mikro/IMDRAM, 4 Mega/4MDRAM, ASIR -, von Elektronikmaschinen und einschlägigen ingenieurtechnischen Leistungen. Zweitens trat das Gebiet der militäroptischen Geräte wesentlich stärker in den Vordergrund. Zum dritten erhielt der Aufbau der Hochtechnologie mit den Romponenten Ultravakuumtechnik, Preformens für die Lichtleiternachrichtentechnik und Festkörperlaser in der künftigen Strategie ein starkes Gewicht. Die vierte Profillinie bestand in der Weiterentwicklung des optischen Präzisionsgerätebaus. Dabei bildeten die Erzeugnisgruppen mit besonderen Exportchancen einen Schwerpunkt. Dazu gehörten Mikroskope, medizinische Geräte, optische Analysenmeß- und Feinmeßgeräte. Die Ronsumgüter, Photo- und Rinoerzeugnisse, Ferngläser, Sehhilfen und Haushaltsglas, bildeten die fünfte Profillinie.36 Die Veränderungen, die seit Mitte der siebziger Jahre im Rombinatsprofil vollzogen worden waren, spiegelten sich in den Anteilen der Erzeugnisgruppen an der Produktion wider. In den Jahren 1976 bis 1980 dominierte der optische Präzisionsgerätebau. Er war mit 30,3 Prozent an der Gesamtproduktion beteiligt Dazu kamen die 15 Prozent der Magnetbandspeicherproduktion. Die Ronsumgüterproduktion trug mit 12,2 Prozent zur Rombinatsproduktion bei. Die optischen Militärgeräte und die Hochtechnologieerzeugnisse waren mit 5,5 Prozent und die Mikroelektronik mit 4,5 Prozent beteiligt. Auf die sonstige Produktion entfielen 32.5 Prozent. Für den Zeitraum von 1986 bis 1990 waren nun folgende Anteile vorgesehen: Optischer Präzisionsgerätebau 21,8 Prozent, davon 1,7 Prozent Magnetbandspeicher, optische Militärerzeugnisse und Hochtechnologie 20,3 Prozent, Mikroelektronik 16 Prozent, Ronsumgüter 16,2 Prozent und sonstige Produktion 25.6 Prozent. In der ersten Hälfte der neunziger Jahre sollte sich die Grundproportion weiter zugunsten der Mikroelektronik, der optischen Militärgeräteproduktion und der Hochtechnologie verändern und der Anteil der optischen Präzisionsgeräte und der Ronsumgüter sinken. Die Tabelle 36 im Tabellenanhang gibt die Veränderungen zugunsten der neuen Proflllinien in den Zeiträumen 19761980,1981-1986 und 1986-1990 wieder. Zu dem Zeitpunkt, an dem dieses Vorhaben in Jena bekannt wurde, war nicht zu übersehen, daß diese strategische Ausrichtung den Leistungsrahmen des Rombinates sprengte und die Arbeitsmöglichkeiten traditioneller Erzeugnisgruppen erheblich einschränkte, so daß diese nicht mehr in der Lage waren, ihren Beitrag zur ökonomischen Absicherung des gesamten Unternehmens zu leisten. Vor allem auf den internationalen Märkten gerieten ihre Erzeugnisse gegenüber der Ronkurrenz ins Hintertreffen. Im Geschäftsbericht des Rombinates für 1989 mußte konstatiert werden, daß der Anteil an neu entwickelten

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WB Nr. 2935 (Ausführungen des Generaldirektors zur Entwicklung und Profilierung des Kombinates Carl Zeiss JENA am 25. April 1988).

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Erzeugnissen am Export in das westliche Währungsgebiet 26,6 Prozent betrug und damit niedriger als im Vorjahr ausgefallen war. Als Ursachen für das Nichterfüllen der Planvorgaben im Jahre 1989 wurden fehlende Produktionskapazitäten und Elektronikzulieferungen, zu geringe Bereitstellung von Teilen sowie Probleme beim Produktionsanlauf, fehlende Vertragsbindungen und handelspolitische Voraussetzungen genannt. 37 Zugleich zeigte sich gegen Ende des Jahrzehnts, daß die neuen Profillinien ihre ökonomische Wirkung für das Kombinat auf die Dauer nicht vollständig entfalten konnten, weil sich die politischen und ökonomischen Verhältnisse in den staatssozialistischen Ländern grundlegend veränderten und die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der DDR keine stabile Grundlage mehr für die Herausbildung des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA zu einem Zentrum für Hochtechnologie boten. Im Geschäftsbericht für das Jahr 1989 wurde festgestellt: „Die Gesamtsituation in der Produktion war 1989 äußerst angespannt. Die Absatzchancen entwickelten sich nicht so, wie es der Produktionsplan vorsah." Einen Bedarfsrückgang gab es bei der speziellen Produktion, also bei optischen Militärerzeugnissen, bei TSA für aktive Bauelemente und Systeme der Fernerkundung. Die dadurch freigesetzten Produktionskapazitäten konnten wegen ihrer spezifischen Struktur nicht im vollen Umfang für traditionelle Erzeugnisgruppen des optischen Präzisionsgerätebaus genutzt werden. 38 Zwischen 1975 und 1989 wuchs die Industrielle Warenproduktion des ZeissKombinates von 1.013 auf 4.725 Millionen Mark. 39 Der höchste Stand wurde mit 5.035 Millionen Mark im Jahre 1987 erreicht. Der Tabelle 35 im Tabellenanhang sind die Angaben über die Industrielle Warenproduktion zwischen 1975 und 1989 zu entnehmen.

Das Investitionsgeschehen Die strategischen Entscheidungen über die Veränderung des Kombinatsprofils bestimmten seit Mitte der siebziger Jahre das Investitionsgeschehen in Jena und an anderen Standorten des Unternehmens. 40 Zu den bereits bestehenden Investitionsschwerpunkten kamen vor allem in den achtziger Jahren neue hinzu. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre wurden die Investitionsmittel eingesetzt, um begonnene Objekte weiterzuführen und abzuschließen. Dabei ging es vornehmlich um Rationalisierungsvorhaben. Die Kombinatsleitung entsprach damit den Vorgaben der SED-Führung, die darauf drängte, die vorhandenen Potenziale und Kapazitäten intensiver zu nutzen. So entschied die Kombinatsleitung 1976,

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VA Nr. 1194 (Geschäftsbericht des Kombinates Carl Zeiss JENA für das Jahr 1989). VA Nr. 1237; 1194 (Geschäftsberichte des Kombinates Carl Zeiss JENA für das Jahr 1975 und 1989). Zu Industrieabgabepreisen. Edith Hellmuth, Investitionen als Indikator von Entwicklungsschwerpunkten bei Carl Zeiss JENA in den Jahren 1978/79 bis 1987. In: Schreiner: Schaltkreise, S. 102-141.

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56 Prozent der Investitionsmittel zur Beseitigung der „Hauptdisproportionen im Kombinat" zu verwenden. Das betraf ausgewählte Bereiche in der Optikfertigung und im Zuliefer-Betrieb sowie im Forschungszentrum. Weitere Mittel wurden genutzt, um rechentechnische Ausrüstungen zu erwerben und einzusetzen. Um die Rationalisierung zu ermöglichen, sah sich die Kombinatsleitung seit 1976 genötigt, umfassender als bisher Rationalisierungsmittel innerhalb der Unternehmung zu entwickeln und zu fertigen. Deshalb gingen in den folgenden Jahren zwischen zehn und 20 Prozent der Investitionsmittel in den Rationalisierungsmittelbau innerhalb des Kombinates. Nachdem von 1973 bis 1976 lediglich zwischen 60 und 85 Millionen Mark investiert wurden, erhöhte sich die Investitionssumme bis 1979 und lag in diesem Jahr um 134,2 Prozent über dem Stand von 1976. Insgesamt betrug die Investitionssumme in den Jahren 1976 bis 1979 558 Millionen Mark.41 Die Tabelle 37 im Tabellenanhang enthält die Angaben über die eingesetzten Investitionsmittel. Ende der siebziger Jahre wurde von Kombinaten und Betrieben in der DDR zunehmend gefordert, im Rahmen ihres Produktionsprofils Erzeugnisse und Verfahren zu entwickeln, die bisher aus dem westlichen Währungsgebiet bezogen werden mußten. Dafür standen gleichfalls Investitionsmittel zur Verfügung. Sie wurden im Zeiss-Werk u. a. verwandt, um ein neues Verfahren zur Wärmebehandlung von Wälzschraubtrieben zu schaffen, so daß seit 1980 Wälzschraubtriebe in einer Länge bis zu vier Meter gefertigt werden konnten. Ebenso erlaubten die in den Jahren 1976 bis 1982 entstandenen Produktionsstätten für die industrielle Züchtung von optischem und piezoelektrischem Quarz, von Flußspat und Kristallen für die Festkörperlasertechnik, die Trimmtechnik und die Weitbereichsspektroskopie in Eisenberg, auf den Import von Quarz, Flußspat und andere kristalline Materialien zu verzichten und Rohkristalle an Interessenten zu verkaufen. Anfang der achtziger Jahre zwang die Ölkrise, wieder in einem größeren Umfang Braunkohle als Energieträger einzusetzen. Das tangierte auch verschiedene Betriebe des Kombinates, die nun genötigt waren, ihr Heizsystem den neuen Gegebenheiten anzupassen. Die dafür erforderlichen Investitionsmittel kamen aus dem Staatshaushalt. Nachdem im Laufe der siebziger Jahre auch im Zeiss-Kombinat der Konsumgüterproduktion wieder eine größere Aufmerksamkeit geschenkt werden konnte, nahmen die dafür verwendeten Investitionsmittel zu. So wurde zwischen 1980 und 1982 in Rathenow der Rationalisierungskomplex Zweistärkengläser realisiert. Im gleichen Betrieb kam es 1985 und 1986 zur Modernisierung und Erweiterung der Brillenproduktion. Zur gleichen Zeit begannen in Rathenow die vorbereitenden Arbeiten für die Plastlinsenfertigung. Die Grundlagen dafür hatten Mitarbeiter in der Optikentwicklung im Forschungszentrum W geschaffen. Im

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Errechnet nach Zschäbitz: Die volkswirtschaftliche Stellung des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA, S. 32.

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Kombinat VE Β Carl Zeiss JENA

Oktober 1989 wurde im Rathenower Betrieb der Probebetrieb im Teilvorhaben Formschalenfertigung aufgenommen. Um den Bevölkerungsbedarf an Feldstechern besser zu befriedigen, wurde die einschlägige Produktionstechnik in den achtziger Jahren modernisiert. Die Ausrüstungen entstanden vornehmlich im kombinatseigenen Rationalisierungsmittelbau. Zu den Neuerungen gehörten u. a. ein Porroprismenrichtkittgerät, ein Verkettungsroboter für die Fertigung optischer Teile für den Feldstecher und eine Zuführungseinrichtung für die Teilefertigung 42 , Maschinen und automatische Vorrichtungen für die rationellere Fertigung der Feldstechergehäuse und für den Ausrüstungsbau. 43 Investitionen wurden in diesen Jahren auch im Saalfelder Betrieb, der Fotoobjektive herstellte, und in den sächsischen Ramerawerken getätigt, die zum Zeiss-Kombinat gehörten. Des Weiteren erhielten die Exportbetriebe Investitionsmittel, damit sie ihre Fertigung rationalisieren konnten. Dazu gehörten die Betriebe, in denen Mikroskope, Vermessungs- und photogrammetrische Geräte herstellt wurden. Als Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre vom Zeiss-Rombinat der Ausbau der Militärgerätefertigung verlangt wurde, zeigte sich immer deutlicher, daß diese Aufgabe weder mit dem vorhandenen wissenschaftlich-technischen Potenzial noch mit den gegebenen Fertigungskapazitäten zu bewältigen war. Das war nur möglich, wenn das bestehende Produktionsprogramm reduziert würde. In der schon zitierten Vorlage für den Beschluß des Politbüros des ZR der SED vom 7. April 1983 heißt es denn auch: „Die hohen Anforderungen an das Kombinat VEB Carl Zeiss JENA, insbesondere auf dem Gebiet der militärischen Technik, können durch eine ausschließlich intensiv erweiterte Reproduktion nicht erfüllt werden". Und in einer Passage der Vorlage, die sich mit den Nachteilen der komplexen Konzeption zur Entwicklung des Rombinates befaßt, wird festgestellt: „Die wissenschaftlich-technischen Aufwendungen sind so hoch, daß ohne eine wesentliche Einschränkung des gegenwärtigen Potenzials für zivile Forschung und Entwicklung die Aufgaben nicht lösbar wären, so daß eine extensive Entwicklung vorgeschlagen werden muß". 44 Die folgenden Angaben verdeutlichen die in Betracht gezogene Dimension der Erweiterung. So war vorgesehen, dem Zeiss-Rombinat von 1984 bis 1987 für die Forschung und Entwicklung 1.480 Personen und für den Produktionsbereich 2.000 Personen zuzuführen. Der Aufwand für die einschlägigen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten wurde nach ersten Berechnungen mit 800 bis 900 Millionen Mark angegeben. An Investitionsmittel für das Zeiss-Rombinat waren bis 1989 über 192 Millionen Mark in Aussicht genommen. Hinzu kamen bis 1989 noch 800 Millionen Mark zur Sicherung der Kooperationsleistungen für Forschung und Entwicklung innerhalb des Rombinates.

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VA Nr. 1190 (Geschäftsbericht des KCZ für das Jahr 1984). VA Nr. 1193 (Geschäftsbericht des KCZ für das Jahr 1987). Buthmann: Radersicherung im Kombinat VEB Carl Zeiss Jena, S. 206-207.

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Die Entscheidungen des Politbüros des ZK der SED vom 24. Mai 1983 leiteten eine neue Periode im Investitionsgeschehen des Kombinates ein. Nach der Aufnahme der Betriebe der Photo-Kino-Industrie und der Forschungs- und Produktionsstätten für die Entwicklung von mikroelektronischen Bauelementen sowie von Betrieben, die Ausrüstungen für die Chipproduktion herstellten, erhöhten sich die Investitionen im Zeiss-Kombinat erneut. Ein zweiter Investitionsschwerpunkt war der Komplex Mikroelektronik. Der Einsatz der Investitionsmittel erfolgte in Übereinstimmung mit zentralen Beschlüssen und Regierungsvereinbarungen mit der UdSSR in drei Richtungen. Erstens wurden Mittel für den Ankauf von Rechenanlagen und Kleinrechnern verwandt, um die neuen Geräte mit Rechentechnik auszustatten und dafür Software zu entwickeln und zu beschaffen, damit sich ihre Absatzchancen erhöhen. Gleichzeitig konnten mit Hilfe der Rechentechnik die Forschungs-, Entwicklungs- und Verwaltungsarbeiten rationalisiert werden. Zweitens galt es, die Entwicklung und Fertigung von Technologischen Spezialausrüstungen für die mikroelektronische Industrie zu fördern. Das betraf vor allem das Forschungszentrum W, den Betrieb für optischen Präzisionsgerätebau, den Optik-Betrieb und den VEB ELEKTROMAT Dresden. Drittens erhielten die Bereiche, die an der Bauelementeentwicklung beteiligt waren, die entsprechenden Mittel. Sie flössen vornehmlich in das Forschungszentrum für Mikroelektronik Dresden und in die Abteilungen in Jena, in denen optoelektronische Bauelemente für die speziellen Bedürfnisse des optischen Präzisionsgerätebaus entworfen und gefertigt wurden. Darüber hinaus erhielt das Kombinat noch den Auftrag, Halbzeuge für die Herstellung von Glasfaserkabeln für die Lichtleiternachrichtenübertragung herzustellen. Der Bau der Gebäude und Produktionsanlagen für diesen Auftrag sollte mit der Errichtung eines Bauelementetechnikums verbunden werden. Der Produktionskomplex „Lichtleiternachrichtenübertragung" wurde unter der Leitung des VEB Jenaer Glaswerks errichtet. In ihm wurde einige Jahre erfolgreich produziert. Der Bau des Bauelementetechnikums mußte immer wieder aus Mangel an zusätzlichen Investitionsmitteln verschoben und schließlich gänzlich aufgegeben werden. Um 1985 wurde lediglich ein Bauelementelabor eingerichtet, in dem das Forschungszentrum W Hybridschaltkreise entwickelte, die im VEB Keramische Werke Hermsdorf produziert wurden. Pläne für eine umfassendere Grundlagenforschung in Zusammenarbeit mit der Akademie der Wissenschaften der DDR und wissenschaftlichen Einrichtungen des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen für die Entwicklung weiterer Bauelemente und deren Produktion kamen nicht zur Verwirklichung. Insgesamt investierte das Kombinat zwischen 1980 und 1987 3,4 Milliarden Mark. Davon entfielen 38,9 Prozent auf den Zeitraum von 1980 bis 1984, wobei die Investitionsmittel in den jeweiligen Jahren gleich groß ausfielen. Lediglich 1983 blieben die Investitionsmittel um ca. 50 Prozent unter dem Niveau von 1982 und 1984. In den folgenden drei Jahren wurden 61,1 Prozent der Gesamtsumme investiert Der höchste Anteil von 27,5 Prozent entfiel auf das Jahr 1987. 60,9 Prozent aller Investitionsmittel, die dem Kombinat zwischen 1980 und 1987 zur Verfügung standen, das waren über zwei Milliarden Mark, erhielten die Betriebe im

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Kombinat VE Β Carl Zeiss JENA

VEB Carl Zeiss JENA. Davon gingen 27,1 Prozent an den Betrieb in Gera, 21,1 Prozent an den Betrieb für optischen Präzisionsgerätebau, 12,5 Prozent an den Betrieb für die Entwicklung wissenschaftlich-technischer Ausrüstungen und 7,7 Prozent an den Optik-Betrieb. Die restlichen Investitionsmittel entfielen auf die anderen Zeiss-Betriebe.45 Die Tabelle 37 im Tabellenanhang vermittelt ein Bild von den finanziellen Mitteln, die im Zeiss-Rombinat von 1980 bis 1987 investiert wurden.

Die Entwicklung der Belegschaft bis zum Ausgang der achtziger Jahre Mit dem Kapazitätszuwachs im VEB Carl Zeiss JENA und der Aufnahme weiterer Betriebe in den Rombinatsverband nahm die Beschäftigtenzahl seit Mitte der siebziger Jahre zu. Für 1976 weist der Geschäftsbericht des Kombinates 34.614 Beschäftigte aus. 46 1980 wurden im Rombinat 41.746 und fünf Jahre später 53.048 Arbeiter und Angestellte gezählt. Im VEB Carl Zeiss JENA waren 1985 32.942 Arbeitskräfte tätig, davon hatten 25.783 ihren Arbeitsplatz in Jena und 7.159 in den Außenbetrieben in Eisfeld, Gera, Lommatzsch, Saalfeld und Suhl. Von den Belegschaftsmitgliedern in den Außenbetrieben entfielen allein 42,2 Prozent auf Saalfeld, 32,5 Prozent auf Gera. 1985 arbeiteten in den juristisch selbständigen Kombinatsbetrieben 20.106 Arbeiter und Angestellte, davon 4.200 im Jenaer Glaswerk, 7.148 in den vier feinmechanisch-optischen Betrieben und 8.758 in den drei Betrieben der Photo- und Kinoapparateproduktion. 47 Die Tabellen 38 und 39 im Tabellenanhang enthalten die näheren Angaben über die Beschäftigten im VEB Carl Zeiss JENA und den juristisch selbständigen Rombinatsbetrieben im Jahre 1985. 1986 und 1987 belief sich die Anzahl der Beschäftigten im Rombinat auf 61.999 bzw. auf 61.504.48 In dem betrachteten Zeitraum ließ sich der Bedarf an fachlich versierten Arbeitskräften nicht mehr ohne weiteres decken. An den Standorten der Rombinatsbetriebe, das betraf insbesondere Jena, Gera, Saalfeld und Dresden, war das notwendige Arbeitskräftereservoir nicht mehr vorhanden. Um dennoch die anspruchsvoller werdenden Aufgaben erfüllen zu können, kam es sowohl darauf an, das vorhandene Arbeitskräftepotenzial zu erhalten, als auch zu versuchen, neue Arbeitskräfte für die Rombinatsbetriebe zu gewinnen. Dazu bedurfte es einer ganzen Palette von Maßnahmen. Sie reichte von der Qualifizierung der Beschäftigten über die Ausbildung von Lehrlingen zu leistungsfähigen und 45 46

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Zusammengestellt und errechnet nach VA Nr. 5111 (Berichtswesen 1988). Es ist nicht angegeben, ob es sich dabei um Vollbeschäftigteneinheiten oder um natürliche Personen handelt und ob die Lehrlinge eingeschlossen sind. Zusammengestellt und errechnet nach VA Nr. 5111 (Langfristige Reihen wichtiger Rennziffern 1975-1985). In Vollbeschäftigteneinheiten. VA Nr. 1195 (Geschäftsbericht des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1987).

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disponiblen Facharbeitern und deren Bindung an die Kombinatsbetriebe bis zur Gewinnung von Hoch- und Fachschulabsolventen. 49 Ebenso galt es, der Fluktuation von jungen, gut ausgebildeten Fachkräften entgegenzuwirken. Entscheidend war aber die weitere Qualifizierung der Beschäftigten. Sie erlaubte den Arbeitern und Angestellten, nicht nur ihre fachlichen Kenntnisse und Arbeitserfahrungen und -fertigkeiten an die sich ändernden Arbeitsaufgaben anzupassen, sondern zugleich ihr Arbeitseinkommen zu verbessern. In der ersten Hälfte der achtziger Jahre qualifizierten sich im Zeiss-Kombinat 2.084 Beschäftigte zum Facharbeiter und 387 zum Meister. Zwischen 1981 und 1985 beendeten 722 Kombinatsangehörige mit Erfolg ein Hoch- und Fachschulstudium. 18.659 Belegschaftsmitglieder bereiteten sich nach ihrer Arbeitszeit in Fortbildungskursen auf eine Tätigkeit an veränderten oder neu gestalteten Arbeitsplätzen vor. Seit Mitte der siebziger Jahre verbesserten sich durch Neuinvestitionen und Rationalisierungsmaßnahmen vornehmlich für das Produktionspersonal die Arbeitsbedingungen. Das betraf insbesondere Arbeitstätigkeiten mit starker körperlicher und gesundheitlicher Belastung. In den Jahren 1981 bis 1985 wurden im Zeiss-Kombinat jährlich 4.200 Arbeitsplätze neu- bzw. umgestaltet. Bei 1.125 Arbeitsplätzen wurden vorhandene Arbeitserschwernisse reduziert oder gänzlich beseitigt. Dazu trug auch der Einsatz von NC- bzw. CNC-Werkzeugmaschinen bei, wodurch sich die Arbeitsbedingungen für 500 Beschäftigte wesentlich veränderten. Durch Rekonstruktionsmaßnahmen erhielten ferner 192 Beschäftigte im Werkzeugbau des Betriebes für optischen Präzisionsgerätebau bessere Arbeitsbedingungen. Die Rationalisierung der Linsenfertigung schuf im Betrieb für Optik bessere Arbeitsverhältnisse für 75 Arbeitskräfte. 50 1984 und 1985 entstanden vier Fertigungszellen im bedienungsarmen Fertigungsabschnitt für die automatisierte Produktion von Mittelklasseoptik.51 Ein Problem blieb auch in den betrachteten Jahren die Gewinnung von Arbeitskräften für die Schichtarbeit. Um die modernisierte Fertigungstechnik effektiver zu nutzen, drängten die Kombinatsleitung und die Betriebsleitungen darauf, den Kreis der Schichtarbeiter zu erweitern. Dabei stießen sie aber, vor allem wenn es um das Dreischichtsystem ging, bei den angesprochenen Arbeitern auf wenig Bereitschaft. Das hatte vornehmlich persönliche Gründe, resultierte aber auch aus der Erfahrung, daß während der Nachtschicht nicht die Aufmerksamkeit aufgebracht wurde, die an Arbeitsplätzen notwendig ist, an denen besondere Qualitätsarbeit zu leisten war. Im Kombinat konnte die Anzahl von Schichtarbeitern von 28.649 im Jahre 1980 auf28.890 im Jahre 1985 geringfügig erhöht werden. Davon arbeiteten 1980 65,5 Prozent in einer Schicht, 21 Prozent in zwei Schichten und 12,7 Prozent in

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Zur Berufsausbildung in diesem Zeitraum: Christian Engelhardt: Lehrlingsausbildung im VEB Carl Zeiss JENA in den siebziger Jahren. In: Schreiner: Schaltkreise, S. 93-101. VA Nr. 1191 (Geschäftsbericht des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1985). 40 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 2.

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Abb. 59 CNC-Bearbeitungszentrum für die Großteilefertigung im Betrieb für Zulieferungen 1986

drei Schichten. Bis 1985 hatte sich die Anzahl der Arbeitskräfte im Einschichtsystem lediglich um 1,5 Prozent verringert, 19,5 Prozent arbeitete in zwei Schichten und 16,5 Prozent im Dreischichtsystem. Es war also nur in einem bescheidenen Maße gelungen, eine Veränderung zu erreichen. 52 Der permanente Widerspruch zwischen dem Umfang der vielseitigen Arbeitsaufgaben und den verfügbaren Arbeitskräften führte auch dazu, daß in einem nennenswerten Umfang Überstunden anfielen. Als Beispiel soll der Betrieb für optischen Präzisionsgerätebau angeführt werden, dessen Belegschaft 1975 152.300,1979 320.000 und 1985 165.300 Überstunden leistete.53 Seit Mitte der siebziger Jahre nahm das monatliche Arbeitseinkommen der Beschäftigten im Zeiss-Kombinat weiter zu. Dazu trugen verschiedene Faktoren bei. Am 27. Mai 1976 faßten das ZR der SED, der Bundesvorstand des FDGB und

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Zusammengestellt und errechnet nach VA Nr. 5111 (Langfristige Reihen wichtiger Kennziffern 1975-1985). VA Nr. 5111 (Langfristige Reihen wichtiger Kennziffern 1975-1985).

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der Ministerrat der DDR einen gemeinsamen Beschluß, der festgelegte, daß ab Oktober 1976 die Mindestlöhne von 350 auf 400 Mark erhöht und Arbeiter und Angestellte mit einem Bruttolohn zwischen 400 und 500 eine differenzierte Lohnerhöhung erhalten. Im Gefolge des Beschlusses über die Entwicklung der Mikroelektronik erhöhten sich die Löhne und Gehälter der Beschäftigten, die an diesem Programm mitarbeiteten. Das betraf die Beschäftigten im Betrieb für optischen Präzisionsgerätebau, die seit 1982 nach dem in diesem Industriezweig geltenden Tarif entlohnt wurden. 54 Im Betrieb für die Entwicklung wissenschaftlich-technischer Ausrüstungen, in dem zum Teil optische Militärgeräte entwickelt und gefertigt wurden, galten für die Entlohnung Sonderregelungen, die sich in einem überdurchschnittlichen monatlichen Arbeitseinkommen niederschlugen. 1975 betrug das durchschnittliche monatliche Arbeitseinkommen von Arbeitern und Angestellten 55 719,53 Mark und 1985 962,17 Mark. Das Arbeitseinkommen eines Produktionsarbeiters belief sich 1975 auf 688,05 und 1983 auf 873,07 Mark. Das Arbeitseinkommen nahm allerdings in den einzelnen Jahren unterschiedlich zu. Besonders hoch war der Zuwachs gegenüber dem jeweiligen Vorjahr 1978 und 1979 mit jeweils sechs Prozent. Wesentlich geringer fiel der Zuwachs zwischen 1980 und 1984 aus. In diesem Zeitraum stieg das durchschnittliche monatliche Arbeitseinkommen lediglich zwischen 0,8 Prozent im Jahr 1981 und 2,2 Prozent im Jahr 1984. 1975 erzielten in den Jenaer Betrieben die Beschäftigten des Betriebes für physikalisch-optische Meßgeräte und Mikroskope mit 749,09 Mark das höchste durchschnittliche monatliche Arbeitseinkommen, gefolgt von den Arbeitern und Angestellten des Betriebes für Zulieferungen mit 741,61 Mark und des Betriebes für optische Präzisionsgeräte mit 727,24 Mark. Die Beschäftigten des Göschwitzer Betriebes erhielten ein Arbeitsentlohnung von 711,52 Mark und die des Betriebes für Optik 649,32 Mark. Eine Sonderstellung nahm die Belegschaft des Forschungszentrums W mit 858,91 Mark ein. Hier führte der relativ hohe Anteil an Hoch- und Fachschulpersonal und qualifizierten Facharbeitern zu dem höheren durchschnittlichen monatlichen Arbeitseinkommen. Bis zur Mitte der achtziger Jahre kam es zu erheblichen Veränderungen in der Rangfolge der Arbeitseinkommen. An die Spitze trat nun die Belegschaft des Betriebes für Entwicklung der wissenschaftlich-technischen Ausrüstungen. In diesem Betrieb belief sich schon 1980 das monatliche Arbeitseinkommen auf 1.228,40 und 1985 auf 1.318,13 Mark. Die Mitarbeiter des Forschungszentrums W verfügten 1985 über ein durchschnittliches Arbeitseinkommen von 1.090,41 Mark. An die dritte Stelle rückten die Arbeiter und Angestellten des Betriebes für optische Präzisionsgeräte mit 1.057,09 Mark. Es folgten die Belegschaften des Betriebes für Zulieferungen mit 955,33 Mark, des Göschwitzer Betriebes mit 933,82 Mark und des Betriebes für physikalisch-optische Meßgeräte und Mikroskope mit 926,27 Mark.

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WeiDflog/Mühlfriedel: Ein Zeiss-Betrieb profiliert sich, S. 146-147. In Vollbeschäftigteneinheiten.

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Die Beschäftigten des Betriebes für Optik hatten ein Arbeitseinkommen von 875,27 Mark. 56 Die Tabelle 40 im Tabellenanhang bietet eine Übersicht über das durchschnittliche Arbeitseinkommen in ausgewählten Betrieben des VEB Carl Zeiss JENA in den Jahren 1975, 1980 und 1985. Der gemeinsame Beschluß des ZR der SED, des Bundesvorstandes des FDGB und des Ministerrates der DDR über die weitere planmäßige Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen vom 27. Mai 1976 beinhaltete auch Vergünstigungen für verschiedene Beschäftigtengruppen. So wurde der Schwangerschaftsund Wochenurlaub von 18 auf 28 Wochen bei Zahlung des vollen Wochenverdienstes verlängert. Berufstätige Mütter konnten bei Geburt eines zweiten und jedes weiteren Kindes bezahlte Freistellung bis zur Vollendung des ersten Lebensjahres des Rindes in Anspruch nehmen. Diese Maßnahmen traten zum 1. Januar 1977 in Rraft. Ab 1. Mai 1977 wurde für Beschäftigte, die regelmäßig im Drei- und im durchgehenden Schichtsystem arbeiteten, die 40 Stundenwoche und für Arbeitskräfte im Zweischichtsystem die 42 Stundenwoche eingeführt. Die Verkürzung der Arbeitszeit erfolgte ohne Lohnminderung. Für vollbeschäftigte Mütter mit zwei und mehr Rindern bis zum 16. Lebensjahr verkürzte sich die Arbeitswoche auf 40 Stunden, ebenfalls ohne Lohnminderung. Schichtarbeiter erhielten einen Zusatzurlaub von drei Tagen. Vollbeschäftigten alleinstehenden Frauen ab dem 40. Lebensjahr mit eigenem Haushalt wurde monatlich ein bezahlter Haushaltstag gewährt. Ab 1. Januar 1979 erhielten alle Berufstätigen drei zusätzliche Urlaubstage. Die arbeitsfreien Sonnabende wurden nicht mehr als Urlaubstage gerechnet. 37 In dem betrachteten Zeitraum bemühten sich Funktionäre der SED- Parteiorganisation, in den Betriebsbelegschaften immer nachdrücklicher für die Politik der SED-Führung zu werben. Sie nutzten dazu vor allem die Zusammenkünfte der Gewerkschaftsgruppen und der Arbeitsbrigaden. Aber ihre Position wurde im Laufe der Jahre immer schwieriger, weil ein zunehmender Teil der Belegschaftsmitglieder mit den Verhältnissen in der DDR, die sich auch an ihren Arbeitsplätzen und in ihrem Alltag negativ bemerkbar machten, unzufrieden war. Bei den Belegschaftsmitgliedern schwand in den achtziger Jahren zunehmend die Hoffnung, daß sich etwas zum Besseren wenden wird. In den Belegschaften machte sich - trotz aller Gegenagitation der Parteifunktionäre - Resignation breit, die auch SED-Mitglieder erfaßte. In der schon zitierten Information einer Auswertungs- und Rontrollgruppe der Bezirksverwaltung Gera des Ministeriums für Staatssicherheit über die Lage im Zeiss-Rombinat vom 4. Juli 1984 heißt es dazu: „Auf den ständig wachsenden Rreis der Rombinatsangehörigen, der Renntnis von den o. g. Problemen/Erscheinungen (auf ökonomischem Gebiet d. V.)

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Zusammengestellt nach VA Nr. 5111 (Langfristige Reihen wichtiger Kennziffern 1975-1985). Gemeinsamer Beschluß des Zentralkomitees der SED, des Bundesvorstandes des FDGB und des Ministerrates der DDR über die weitere planmäßige Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen im Zeitraum 1976-1980 vom 27. Mai 1976. In: Dokumente zur Geschichte der SED Band 3, 1971 bis 1988, S. 209-217.

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erhält, wirkt sich diese Situation negativ aus. Das widerspiegelt sich u. a. darin, daß diese die Wirtschaftspolitik der Partei und die ökonomische Entwicklung in der DDR als perspektivlos einschätzen und in Begründungen der Ersuchen von Kombinatsangehörigen zur Übersiedlung in das NSA "(nichtsozialistisches Ausland d. V.).58 Das Versammlungswesen der Partei- und Gewerkschaftsorganisationen wurde in einem verstärkten Maße von Routine bestimmt, die für eine reale demokratische Mitwirkung der Mitglieder keinen Raum ließ. Etwas anders verhielt es sich in den Arbeitsbrigaden, in denen in der Regel die Meinungen über die allgemein-politischen und betrieblichen Verhältnisse offen ausgetauscht wurden. In den Brigaden pflegten die Mitglieder einen kollegialen Umgang miteinander, das zeigte sich auch in den geselligen Veranstaltungen, zu denen sie regelmäßig zusammenkamen. Ein permanentes Problem für die Leitungen der Kombinatsbetriebe stellte, wie schon geschildert, die Fluktuation dar. Um ihr entgegenzuwirken, mußte das Kombinat auch mit dazu beitragen, daß sich die Lebensbedingungen der Beschäftigten verbesserten. Dabei spielten für die Familien, vor allem aber für die Alleinerziehenden, die Möglichkeiten, die Kinder in Kindereinrichtungen unterzubringen, weiterhin eine große Rolle. Deshalb wurde großer Wert darauf gelegt, daß in den Kindereinrichtungen an den Betriebsstandorten genügend Plätze vorhanden waren. In Jena unterhielt das Kombinat im Juli 1980 47 Kindergärten mit 2.605 Plätzen und 44 Kinderkrippen mit 2.001 Plätzen. Bis Ende 1982 war das Platzangebot in den Kindereinrichtungen auf 5.236 erhöht worden. 59 Das zweite Problem bestand in der Versorgung der Beschäftigten mit Wohnraum. Das war eine grundlegende personalpolitische Voraussetzung für die Bindung der Beschäftigten an den Betrieb und für die Gewinnung von weiteren qualifizierten Mitarbeitern. In Jena gelang es, in den siebziger und achtziger Jahren auf diesem Gebiet erhebliche Fortschritte zu erzielen. Dazu trug der Ausbau des Neubauviertels Lobeda-West und der Aufbau der Neubauviertel Lobeda-Ost und Winzerla maßgeblich bei. Daran waren neben dem staatlichen Wohnungsbau auch die Arbeiter-Wohnungsbaugenossenschaften beteiligt Die Zeiss-Genossenschaft konnte im September 1983 die 5.000. Wohnung an ein Genossenschaftsmitglied übergeben. Dem Betrieb für optische Präzisionsgeräte wurden zwischen 1972 und 1987 1.696 Wohnungen zugewiesen. Dadurch konnte 2.187 Belegschaftsmitgliedern, die eine Wohnung suchten, geholfen werden. 60 Die Lebensqualität in Jena entsprach in den siebziger Jahren noch immer nicht den Erwartungen der Bevölkerung an die Stadt Um hierbei für eine gewisse Verbesserung zu sorgen, nahm Wolfgang Biermann auf die Geschicke der Stadt einen größeren Einfluß. Ende der siebziger Jahre schloß die Kombinatsleitung mit dem Rat der Stadt einen Kommunalvertrag ab. Das Kombinat übernahm die Patenschaften über 26 Wohnbezirke und richtete bis 1978 elf Jugendclubs ein.

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Buthmann: Kadersicherung im Kombinat VEB Carl Zeiss Jena, S. 213. 40 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 2. 40 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 2; Weißflog/Mühlfriedel: Ein Zeiss-Betrieb profiliert sich, S. 145.

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Das mit Mitteln der Carl-Zeiss-Stiftung errichtete Cafe Kosmos wurde am 1. Mai 1979 eröffnet. Im Rahmen des Rommunalvertrages setzte das Kombinat 80 Arbeitskräfte zu Rekonstruktionsarbeiten in der Innenstadt ein und beteiligte sich mit 1,4 Millionen Mark am Bau einer Kaufhalle in der Grietgasse. Ebenfalls auf Anregung des Generaldirektors konstituierte sich am 25. Januar 1886 die Interessengemeinschaft „Territoriale Rationalisierung", in der sich die Jenaer Betriebe, wissenschaftliche Institutionen und Einrichtungen der Stadt zusammengeschlossen hatten, um gemeinsam verschiedene innerstädtische Aufgaben zu lösen. Im Dezember 1987 berichtet Wolfgang Biermann, der den Vorsitz der Gemeinschaft inne hatte, daß die Heizungen in 900 Wohnungen des Stadtteils Jena-Nord und das Volksbad rekonstruiert, Straßen instand gesetzt sowie Maßnahmen zur Versorgung der Bevölkerung realisiert wurden. Dazu gehörte die Modernisierung einer Gaststätte am Markt und einer Ausflugsgaststätte. Im Volkshaus, dem Zentralen Kulturhaus des Kombinates, wurde am 20. Dezember 1987 die Sauer-Orgel „Opus 2207" übergeben. 61

Die Bildung und Arbeitsweise des Außenhandelsbetriebes 1977 wurde, wie schon an anderer Stelle angeführt, der Betrieb für Export und Import, der bisher sowohl dem Generaldirektor des VEB Carl Zeiss JENA als auch dem Ministerium für Außenhandel unterstand, vollständig in das ZeissKombinat integriert. Der Außenhandelsbetrieb erhielt im Zuge der Kombinatsreorganisation - wie die anderen Zeiss-Betriebe - eine ökonomische Eigenständigkeit. Ihm oblag der Ex- und Import von Erzeugnissen und Leistungen sowie der Absatz in der DDR. Mit zunehmenden Aktivitäten des Kombinates auf den Außenmärkten und mit der Pflicht zur eigenen Wirtschaftlichkeit veränderte sich die Stellung des Außenhandelsbetriebes innerhalb des Kombinates. Er wurde stärker als der bisherige Vertrieb zum Mittler zwischen dem Markt einerseits und dem Forschungszentrum und den Exportbetrieben im Kombinat andererseits, in dem er immer zutreffendere und umfangreichere Informationen über das Marktgeschehen und die Kundenwünsche zur Verfügung stellte. Die größere Autorität, die der Leitung des Außenhandelsbetriebes innerhalb des Kombinates zukam, und das ökonomische Eigeninteresse, das die wirtschaftliche Rechnungsführung mit sich brachte, trugen dazu bei, daß Leitung und Mitarbeiter des Außenhandelsbetriebes auf die langfristige Bestimmung des Forschungs-, Entwicklungsund Produktionsprofils einen maßgeblichen Einfluß nehmen konnten. Das geschah innerhalb der Kombinatsleitung ebenso wie in den Erzeugnisgruppenfachausschüssen. Gleichzeitig verfolgten die Mitarbeiter des Außenhandelsbetriebes die Prozesse der Überleitung von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen in die Fertigung und zeigten sich an deren zügigem Verlauf unmittelbar interessiert.

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4 0 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 2.

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Mit der neuen Stellung des Außenhandelsbetriebes im Kombinatsorganismus wurde, wenn auch mit systembedingten Einschränkungen, wieder ein Zustand geschaffen, der für das Zeiss-Unternehmen bis in den Zweiten Weltkrieg hinein selbstverständlich war. Er war dadurch charakterisiert, daß die Raufleute, insbesondere jene mit ausgeprägt technischem Profil, aufgrund ihrer soliden Kenntnisse des Marktes und der Bedürfnisse der Kundschaft die inhaltliche Ausrichtung der Forschung und Entwicklung und die quantitativen Aspekte des Produktionsprogramms beeinflußten. Gleichzeitig verfolgten sie aufmerksam das innovative Tun in den Laboratorien und Konstruktionsbüros des Zeiss-Werkes unter dem Gesichtspunkt der kommerziellen Verwertbarkeit. Die Kaufleute waren in der Lage, die Zukunftsträchtigkeit von Geräte- und Verfahrensentwicklungen zu erkennen und dafür zu sorgen, daß sie von den Leitungskräften gefordert wurden. Das Hauptaugenmerk der Mitarbeiter des Außenhandelsbetriebes im ZeissKombinat galt natürlich in erster Linie der erfolgreichen Gestaltung des Exportgeschäfts und der Lösung von Importaufgaben. Dafür hatten sich, nachdem die alliierten Siegermächte im November 1972 die Aufnahme der DDR in die Vereinten Nationen befürworteten, die außenpolitischen Rahmenbedingungen für ihre Tätigkeit wesentlich verbessert, denn innerhalb kurzer Zeit wurde die DDR von einer großen Anzahl von Staaten völkerrechtlich anerkannt Der Export war sowohl für das Kombinat als auch für die Volkswirtschaft der DDR von existentieller Bedeutung. Das traf auf die Staatshandelsländer ebenso zu wie auf das westliche Währungsgebiet. Während es beim Absatz in die RGWStaaten durch die regelmäßig getroffenen Vereinbarungen zwischen den Regierungen eine relative Planungssicherheit gab und Probleme in der Regel durch die zu geringen Kapazitäten in den Exportbetrieben entstanden, galt für den Export in das westliche Währungsgebiet eine Reihe anderer Grundsätze. Mitte der siebziger Jahre befriedigte das West-Exportgeschäft weder die Leitung des Kombinates noch den zentralen Wirtschaftsapparat Zum „NSW-Export Deshalb unternahm Wolfgang Biermann im Herbst 1976 eine Reise in verschiedene westeuropäische Industrieländer, um die Arbeitsweise der äußeren Absatzund Bezugsorganisation zu inspizieren und Möglichkeiten für eine Exportoffensive im westlichen Währungsgebiet zu erkunden. Am 26. November 1976 trug er den Mitgliedern der Kombinatsleitung seine Reiseeindrücke und die daraus gezogenen Schlußfolgerungen vor. Einleitend bemängelte er die bisherige Arbeitsweise der Mitarbeiter, die im westlichen Ausland tätig waren. 62 Die Ursachen für den unbefriedigenden Stand der Geschäftstätigkeit im westlichen Währungsgebiet sah er im Subjektiven. Er war der Ansicht, daß man die konjunkturellen Probleme und die politische Diskriminierung des Jenaer Zeiss-Werkes

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WB Nr. 592 (Protokoll der Kombinatsleitungssitzung vom 26. November 1976).

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als Hürde für die Handelstätigkeit überbewertet. Der Arbeitsstil sei durch eine völlig unzureichende und defensive Marktarbeit sowohl in den staatssozialistischen als auch in den kapitalistischen Ländern gekennzeichnet. Schließlich habe man „eine bewußte Feindtätigkeit gemacht, auch wenn das den einzelnen Betreffenden nicht immer bewußt ist". So beklagte Wolfgang Biermann, daß „der VEB CZ an entscheidenden Positionen der NSW-Wirtschaft als sozialistisches Kombinat so gut wie unbekannt" ist. „Die Außenhandelstätigkeit war bisher", führte er weiter aus, „auf die ,bequemen Märkte' (ζ. B. Arabischer Raum) orientiert. CZ scheut die Konfrontation mit führenden Firmen der kapitalistischen Industrieländer". Ein Ergebnis der in der Leitung geführten Diskussion bestand in der Bildung von Marktbearbeitungsgruppen, die für bestimmte Ländergruppen zuständig waren. Sie wurden von Stellvertretenden Generaldirektoren und Fachdirektoren geleitet. Die Leiter und Mitarbeiter dieser Gruppen hielten Kontakt zu den Vertreterfirmen, versuchten auf Reisen neue Großkunden zu gewinnen und Anlagen- und Komplexgeschäfte anzubahnen. Die Leiter der Marktbearbeitungsgruppen berichteten vor der Kombinatsleitung und in den vom Generaldirektor abgehaltenen Koordinierungsberatungen über die Ergebnisse ihrer Bemühungen. Die Marktbearbeitungsgruppen gaben den Mitarbeiter des Außenhandelsbetriebes wesentliche Impulse. Unter der Leitung von Dr. Gerhardt Ronneberger und später von Dr. Joachim Abicht wurde die Arbeitsweise des Außenhandelsbetriebes analysiert und grundlegend verändert. Die Veränderungen betrafen zunächst die Auswahl und die Qualifizierung der Mitarbeiter. Dabei wurde sowohl auf die fachlichen Voraussetzungen als auch auf die Verbundenheit mit dem Gesellschaftssystem in der DDR Wert gelegt. Sodann ging es um die Beurteilung der ausländischen Firmen, die das Zeiss-Kombinat bereits vertraten und um die Gewinnung von Vertreterfirmen in den Regionen, in denen das Kombinat noch nicht oder noch nicht im erforderlichen Maße präsent war. Da sich bei der Überprüfung der Vertretungen zeigte, daß manche von ihnen aus unterschiedlichen Gründen die Jenaer Erwartungen nicht erfüllten, löste der Außenhandelsbetrieb die geschäftlichen Verbindungen. Das führte in der ersten Hälfte der achtziger Jahre dazu, daß die Anzahl der Vertretungen, die für den Außenhandelsbetrieb tätig war, zurückging. Wenn Ende 1980 105 Firmen in den westlichen Ländern, darunter 30 General- und 75 Fachvertretungen, für das Kombinat arbeiteten, so waren es 1985 nur noch 79. Dazu gehörten nun auch die Firmen, die PENTACON-Erzeugnisse vertrieben und die ebenfalls vom Außenhandelsbetrieb betreut wurden. 63 In den achtziger Jahren schuf der Außenhandelsbetrieb im westlichen Ausland ein Netz von Technisch-Kommerziellen Büros. Das geschah, um im Auslandsgeschäft eine größere Unabhängigkeit zu erreichen und eine sachkundige Betreuung der Kundschaft zu gewährleisten. Denn es hatte sich gezeigt, daß eine Reihe von Vertreterfirmen weder in der Lage noch bereit war, interessierten

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VA Nr. 1186; 1191 (Geschäftsberichte für das Kombinat VEB Carl Zeiss JENA für die Jahre 1980 und 1985).

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Runden die technisch anspruchsvoller werdenden Geräte, die auch in immer kürzeren Intervallen auf den Markt kamen, sachkundig zu offerieren. Nachdem in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre immer deutlicher wurde, daß gut geführte Gemischte Gesellschaften auf den westlichen Märkten besonders erfolgreich agierten, konzentrierte sich die Leitung des Außenhandelsbetriebes auf diese Form der äußeren Absatz- und Bezugsorganisation. Im Außenhandelsbetrieb wurde eine Abteilung ins Leben gerufen, deren Aufgabe es war, die Arbeitsweise der bereits bestehenden Gemischten Gesellschaften effektiver zu gestalten und Neugründungen vorzubereiten. Am 31. Dezember 1980 bestanden derartige Gesellschaften in Dänemark, Frankreich, Großbritannien sowie in der BR Deutschland. Trotz der komplizierten Marktbedingungen, unter denen diese Gesellschaften wirkten, gelang es ihnen, ihren Anteil am Außenhandelsumsatz zu halten und zu erhöhen. Das wurde auch möglich, weil die Gemischten Gesellschaften, die ihren Sitz in London oder Paris hatten, seit Ende der siebziger Jahre auch die ehemaligen Rolonialgebiete Frankreichs und Großbritanniens bearbeiteten.64 Die ökonomische Bedeutung dieser Unternehmen wird deutlich, wenn man ihren Anteil am Export in die Länder betrachtet, in denen sie tätig waren. 1985 vertrieben die Gemischten Gesellschaften in ihrem jeweiligen Wirkungsgebiet 43,8 Prozent aller Erzeugnisse, die der Außenhandelsbetrieb dorthin lieferte.65 Von besonderer Bedeutung für den Absatz im westlichen Währungsgebiet war die Herausbildung zukunftsträchtiger Geschäftsformen. Bis in die siebziger Jahre hinein dominierte das EinzelgeschäfL Aber seit Ende dieses Jahrzehnts trat das Komplex- und Anlagengeschäft immer stärker in den Vordergrund. Diese Geschäftsform setzte aber voraus, daß im Kombinat ein Generallieferant geschaffen wurde, der sich auf ein System von Hauptauftragnehmern innerhalb des Kombinates stützen konnte. Diese Aufgabe wurde 1977 dem Betrieb für optische Präzisionsgeräte übertragen, weil der Astro-Bereich Erfahrungen auf diesem Geschäftsfeld besaß und einschlägige Erzeugnisse herstellte. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe erwies sich als außerordentlich kompliziert. Als Generallieferant von schlüsselfertigen Objekten hatte der Gerätebetrieb nicht nur die Ausrüstungen aus den Kombinatsbetrieben zu beschaffen, sondern auch die Zulieferungen aus anderen DDR-Betrieben. Allein das erwies sich als schwierig. Als man für ein Projekt im Irak von einem Dresdner Betrieb Klimaanlagen beziehen wollte, sah sich die Leitung dieses Betriebes - trotz eines entsprechenden Ministerratsbeschlusses - erst 1983 in der Lage, die benötigten Anlagen zu liefern. Ebenso mangelte es an Baukapazitäten. Um die Projekte vertragsgemäß auszuführen, mußte auf Devisen zurückgegriffen werden. Dadurch wurden die Deviseneriöse geschmälert, die durch den Export der Anlage erzielt werden sollten. 1978 konnten im Komplex- und Anlagenexport erste bemerkenswerte Resultate erzielt werden. Im Irak wurde ein Observatorium, in Libyen und Wolfsburg

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VA Nr. 1186 (Geschäftsbericht für das Kombinat Carl Zeiss JENA für das Jahr 1980). VA Nr. 1191 (Geschäftsbericht für das Kombinat Carl Zeiss JENA für das Jahr 1985).

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jeweils ein Raumflugplanetarium und in Algerien ein Institut für Feinmechanik und Optik schlüsselfertig errichtet. Dieses Geschäftsfeld wurde in den folgenden Jahren weiter ausgebaut. 1980 belief sich der Anlagenexport auf über 19 Millionen Valutamark, das waren 15 Prozent des Umsatzes im westlichen Währungsgebiet.66 Diese Geschäftsform wurde in der ersten Hälfte der achtziger Jahre weiter ausgebaut. 1985 nahm der Anlagenexport gegenüber dem Vorjahr um 40 und das Komplexgeschäft um 33,1 Prozent zu. Der Vertrieb von Einzelgeräten erhöhte sich lediglich um 8,7 Prozent.67 Die Fortschritte, die der Außenhandelsbetrieb ungeachtet aller Hemmnisse seit seiner vollständigen Integration in das Zeiss-Kombinat bis in die zweite Hälfte der achtziger Jahre hinein auf den westlichen Märkten erzielen konnte, basierten auf der zunehmenden Professionalität seiner Mitarbeiter und vor allem aber auf der Fähigkeit der Exportbetriebe des Kombinates, eine Reihe von Erzeugnissen herauszubringen, die das Interesse anspruchsvoller Kunden fanden. Das verdeutlichen die Daten über die Ausfuhr von Erzeugnissen und Leistungen des Kombinates in das westliche Währungsgebiet. Dahin lieferte das Kombinat 1975 Erzeugnisse im Wert von 48,4 Millionen und 1980 von 123 Millionen Valutamark. Die Zunahme von 20 Prozent erfolgte kontinuierlich. In der ersten Hälfte der achtziger Jahre wiesen die Exportzahlen erhebliche Schwankungen auf. Während 1982 das Niveau von 1980 noch um 1,9 Prozent übertroffen wurde, blieb die Ausfuhr in die westlichen Länder 1981,1983 und 1984 teilweise erheblich unter dem Stand von 1982. Der niedrigste Wert mit 85,4 Millionen Valutamark wurde 1983 erreicht. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre konnte das Kombinat wieder eine Zunahme des Exports verzeichnen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß der Außenhandelsbetrieb auch die Erzeugnisse der Betriebe vertrieb, die seit 1985 dem Kombinat angegliedert worden waren. 68 So bemerkenswert die Fortschritte im Exportgeschäft in den westlichen Ländern waren, die seit Mitte der siebziger Jahre erzielt werden konnten, sie befriedigten weder die Kombinatsleitung noch die Mitarbeiter des Außenhandelsbetriebes. Die Gründe dafür lagen zum einen in den Exportländern, in denen die wirtschaftliche Entwicklung ungünstig verlief. Im Geschäftsbericht des ZeissKombinates für das Jahr 1982 heißt es dazu: „Die anhaltende Krise in der Bauwirtschaft, die dramatischen Kürzungen der Sozialausgaben und in den haushaltfinanzierten Institutionen sowie im Bildungswesen der kapitalistischen Staaten sind wesentliche Ursachen für den sinkenden Absatz und verschärften Preisdruck. Da die japanischen Hersteller zunehmend ihre Marktanteile zu Lasten westeuropäischer Produzenten wie Opton

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VA Nr. 1180 (Geschäftsbericht für das Kombinat Carl Zeiss JENA für das Jahr 1979). VA Nr. 1191 (Geschäftsbericht für das Kombinat VE Β Carl Zeiss JENA für das Jahr 1985). Alexander W. Zschäbitz: Die volkswirtschaftliche Stellung des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA in den 70er und 60er Jahren. Diplomarbeit Universität Jena 1999 (Gutachter: Prof. Dr. Rolf Walter), S. XIII.

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(Carl Zeiss, Oberkochen, d. V.) und Wild ausweiten, spielen die ,Billigpreise' dieser Firmen bei der Festlegung unserer Valutapreise eine wichtige Rolle."69 Zur japanischen Ronkurrenz wird festgestellt: „Die japanischen Firmen bieten zunehmend Geräte mit hoher Qualität, technischem Höchststand und niedrigen Preisen." Das traf insbesondere auf Vermessungsgeräte, Mikroskope, ophthalmologische Geräte und optische Analysenmeßgeräte zu. 1984 spielte auch die Zahlungsunfähigkeit der Entwicklungsländer für den unbefriedigenden Verlauf des Exportgeschäftes eine Rolle. Im gleichen Jahr brachten staatliche Importregulierungen den Zeiss-Export in lateinamerikanische Staaten zum Erliegen.70 Zum anderen vermochte das Zeiss-Kombinat aber auch aus internen Gründen auf den westlichen Märkten der Ronkurrenz nicht in jedem Falle erfolgreich zu begegnen. Wenngleich die optischen Präzisionsgeräte nach wie vor hinsichtlich ihrer optischen und feinmechanischen Qualität der Ronkurrenz überlegen oder zumindest gleichwertig waren, so blieben sie bezüglich der elektronischen Romponenten in den technischen Parametern und den Preisen erheblich hinter dem internationalen Stand zurück. Darauf verwies der Geschäftsbericht für das Jahr 1982. Auch in diesem Jahr hatte sich gezeigt, „daß die Elektronik noch nicht konkurrenzfähig ist". Das wirkte sich auf die Devisenkennziffer aus, weil der hohe nationale Aufwand für die elektronischen Bauelemente und -gruppen in den Geräten sich im westlichen Währungsgebiet nicht vollständig realisieren ließ.71 Erschwerend für das Exportgeschäft war ferner die Tatsache, daß neue Erzeugnisse, die hinsichtlich ihrer technischen Parameter Ronkurrenzprodukten überlegen oder durchaus gleichwertig waren, nicht rechtzeitig und in der erforderlichen Stückzahl auf den Markt gebracht wurden. Die Gründe dafür bestanden in den relativ langen Entwicklungs- und Überleitungszeiten, in mangelnden Zulieferungen und in unzureichenden Fertigungskapazitäten. Obgleich in den zurückliegenden Jahren immer nachdrücklicher darauf gedrängt worden war, die Entwicklungsarbeiten zu beschleunigen und die Resultate rascher in die Produktion zu überführen, blieb der Erfolg dieser Bestrebungen begrenzt. Am 25. April 1988 hielt Wolfgang Biermann den leitenden Mitarbeitern des Rombinates vor, daß zwischen 1981 und 1986 lediglich 16 von 139 Erzeugnissen in weniger als zwei Jahren entwickelt worden seien. Die Mehrheit der Erzeugnisse konnte erst drei bis fünf Jahre nach dem jeweiligen Ronkurrenzprodukt auf den Markt gebracht werden. 72 Bei der Beurteilung des Exportgeschäfts ist natürlich auch zu beachten, daß es dem Zeiss-Rombinat verwehrt war, Geräte von hoher Qualität in das westliche Ausland zu verkaufen, weil sich vornehmlich Regierungsstellen der UdSSR vorbehalten hatten, darüber zu entscheiden, was die DDR exportieren durfte. Das betraf u. a. Technische Spezialausrüstungen für die mikroelektronische Industrie und ausgewählte Geräte der Bildmeßtechnik.

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VA Nr. 1188 (Geschäftsbericht des Rombinates VE Β Carl Zeiss JENA für das Jahr 1982). VA Nr. 1189 (Geschäftsbericht des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1984). VA Nr. 1188 (Geschäftsbericht des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1982). Alexander W. Zschäbitz: Die volkswirtschaftliche Stellung des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA in den 70er und 60er Jahren, S. XII.

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Obgleich die Mitarbeiter des Außenhandelsbetriebes bestrebt waren, die Liefertermine einzuhalten, Ersatzteile rechtzeitig bereitzustellen und den Service wesentlich zu verbessern, gab es in dieser Hinsicht auch in den achtziger Jahren immer wieder Unzulänglichkeiten. Ende der achtziger Jahre gingen 60 Prozent vom „NSW-Export des ZeissRombinates in westeuropäische Länder, 22 Prozent auf den amerikanischen Kontinent, 12 Prozent nach Asien und Australien und sechs Prozent nach Afrika.73 Der Verlauf des Exportgeschäfts im westlichen Währungsgebiet ist in der Tabelle 41 im Tabellenanhang festgehalten. Zum „SW"-Export Die Belieferung der staatssozialistischen Länder, insbesondere aber der UdSSR, blieb auch in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre und in den achtziger Jahren das Hauptgeschäftsfeld des Außenhandelsbetriebes. 74 Die maßgeblichen Grundlagen für die Ausfuhren des Kombinates in die Ostblockstaaten bildeten 31 Abkommen der DDR-Regierung mit der UdSSR und anderen osteuropäischen Staaten am Ausgang der siebziger Jahre. Dazu gehörten fünf zwischen der DDR und der UdSSR geschlossene Regierungsabkommen, 12 bi- und multilaterale SpezialVereinbarungen, 12 Kooperationsverträge und zwei Abkommen über internationale Investitionsbeteiligungen. Zwischen 1981 und 1985 tangierten 20 bilaterale und multilaterale Abkommen bzw. Verträge das Jenaer Kombinat. Darunter befanden sich drei Spezialisierungsabkommen, neun bilaterale Verträge bzw. Spezialisierungs- und acht Kooperationsabkommen. 75 Auf Grundlage dieser Abkommen und Verträge realisierte das Kombinat mehr als 50 Prozent des Export- und Importvolumens. Für das Jenaer Kombinat war ein Übereinkommen, das Erich Honecker und Michael Gorbatschow Mitte der achtziger Jahre getroffen hatten, von besonderem Gewicht, denn beide Seiten erwarteten vom Zeiss-Werk, daß das Hochtechnologieprogramm vollständig erfüllt wird und die vorgesehenen optischen Militärgeräte entwickelt und gebaut werden. 76 Die Abkommen und Vereinbarungen bestimmten vornehmlich die inhaltliche Ausrichtung der Forschungs- und Entwicklungsarbeit und das Produktionsprogramm in den achtziger Jahren. Dabei lag das Schwergewicht zunehmend auf Geräten für das Interkosmos-Programm, optischen Militärgeräten, Technischen Spezialausrüstungen für die mikroelektronische Industrie. Der Export dieser drei Erzeugnisgruppen nahm allein von 1984 zu 1985 um 46,3 Prozent bzw. um 14 und sieben Prozent zu. Sie waren 1984 und 1985 mit 47,1 bzw. mit 52,8 Prozent am Export des Kombinates in die staatssozialistischen Länder betei-

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VA Nr. 1194 (Geschäftsbericht des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1989). Dazu berichtet aus eigener Erfahrung Lothar Umland: Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe. Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit im RGW. In: Schreiner: Schaltkreis, S. 73-92. VA Nr. 1186 (Geschäftsbericht des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1980). Buthmann: Kadersicherung im Kombinat VEB Carl Zeiss JENA, S. 23.

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ligt.77 In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre traten, bedingt durch die Zuordnung des Forschungszentrums für Mikroelektronik Dresden zum Zeiss-Kombinat, die Entwicklung und der Bau von mikroelektronischen Bausteinen stärker in den Vordergrund. Der Außenhandelsbetrieb baute in den achtziger Jahren auch in den Ostblockstaaten die äußere Absatz- und Bezugsorganisation weiter aus. Die in diesen Ländern tätigen Mitarbeiter des Außenhandelsbetriebes pflegten die Beziehungen zu den staatlichen Dienststellen und zu den Außenhandelsunternehmen. Ihre Arbeit wurde komplizierter, nachdem sich in der UdSSR und in anderen RGW-Staaten im Gefolge von Wirtschaftsreformen die weitgehend zentral gelenkten Außenhandelsbeziehungen immer mehr lockerten. Die Betriebe erhielten größere Freiheiten bei Importen. Das hatte zweierlei zur Folge. Zum einen konnten die ZeissMitarbeiter nun ihre Geschäfte nicht mehr nur von Moskau aus betreiben, sie mußten die Kombinate und Betriebe im Lande aufsuchen, um die Zeiss-Erzeugnisse und Leistungen anzubieten. Zum zweiten verfügten die Kombinate und Betriebe im begrenzten Umfang über Devisen, so daß sie entscheiden konnten, bei welchen Firmen sie ihre Erzeugnisse und Leistungen erwarben. 1986 stellte die UdSSR den Import von Magnetbandspeichern ein. Das war für das Kombinat, insbesondere aber für den Betrieb für Informationstechnik, in zweierlei Hinsicht von Nachteil, denn damit ging nicht nur eine sichere und durchaus lukrative Einnahme zurück, sondern es veränderte sich zugleich die Kostenlage für die Fertigung. Zunächst wurde noch der Bedarf der DDR und einiger RGW-Länder befriedigt. 1987 lief diese Produktion aus.78 Ende der achtziger Jahre verlief die Bedarfsentwicklung in den verschiedenen RGW-Staaten bei Erzeugnissen der Erzeugnislinie Hochtechnologie differenziert. Technologische Entwicklungsprobleme in den einzelnen Ländern und Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Ausrüstungen wirkten sich negativ auf den Export aus. Beim Absatz optischer Präzisionsgeräte machte sich der technische und kommerzielle Konkurrenzdruck westlicher Firmen zunehmend bemerkbar. Im Exportgeschäft spielten das technisch-technologische Niveau, die Zuverlässigkeit und die Termintreue eine wachsende Rolle. Obendrein standen weder Mikroskope noch Geräte der Medizintechnik und der Fertigungsmeßtechnik oder Vermessungsgeräte in ausreichender Stückzahl zur Verfügung.79 Auf die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der DDR und der UdSSR wirkte sich gegen Ende der achtziger Jahre auch die Entspannungspolitik der sowjetischen Führung aus, denn sowjetische Aufträge für optische Militärgeräte wurden kurzfristig storniert. Zwischen 1975 und 1987 erhöhte sich der Export in die staatssozialistischen Länder von 650,2 auf 2.189,3 Millionen Mark (SW). Davon entfielen auf die

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VA Nr. 1191 (Geschäftsbericht des Kombinates VE Β Carl Zeiss JENA für das Jahr 1985). VA Nr. 1191 (Geschäftsbericht des Kombinates VE Β Carl Zeiss JENA für das Jahr 1985); Zschäbitz: Die volkswirtschaftliche Stellung des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA, S. 40. VA Nr. 1194 (Geschäftsbericht des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA für das Jahr 1989).

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Kombinat VEB Carl Zeiss JENA

UdSSR 52,7 bzw. 49,5 Prozent. Die Ausfuhr in die Sowjetunion erreichte 1983 mit einem Anteil von 61 Prozent einen Spitzenwert. Die Tabelle 42 im Tabellenanhang gibt die Entwicklung des Exports in die staatssozialistischen Länder und den Anteil der UdSSR wieder. 80 Die Betriebe im Zeiss-Kombinat waren im betrachteten Zeitraum in der Lage, auf vielen Gebieten des optischen Präzisionsgerätebaus dem internationalen Stand zu entsprechen. Das ist bei dem Tempo des wissenschaftlich-technischen Fortschritts in diesen Jahren nicht gering zu schätzen. Gleichzeitig bestimmten Wissenschaftler, Ingenieure und Facharbeiter mit Geräten und Verfahren nicht nur das Branchenniveau mit, sondern warteten mit Erzeugnissen auf, die der internationalen Ronkurrenz durchaus überlegen waren. Diese Feststellung kann nicht darüber hinweg sehen lassen, daß Jenaer Wissenschaftler und Ingenieure den eigenen Ansprüchen an ihre Arbeit oftmals nicht entsprechen konnten, weil die Verhältnisse, unter denen sie wirken mußten, dem entgegenstanden. Während für diejenigen, die an besonders geförderten Projekten arbeiteten, nahezu alle personellen, materiell-technischen und finanziellen Voraussetzungen gegeben waren, sahen sich andere, deren Arbeitsgebiet die traditionellen Erzeugnisse waren, in einem wachsenden Maße Schwierigkeiten gegenüber, die sie daran hinderten, ihr Leistungsvermögen vollständig zur Geltung zu bringen.

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Zschäpitz: Die volkswirtschaftliche Stellung des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA, S. XII.

ELFTES KAPITEL

Veränderte Prioritäten im Forschungsund Entwicklungsprozeß Zum Stand des Jenaer Präzisionsgerätebaus Mitte der siebziger Jahre Im Laufe des Jahres 1974 nahmen Karlheinz Müller, Klaus Mütze und Hubert Pohlack in eingehenden Gesprächen eine Standortbestimmung des optischen Präzisionsgerätebaus vor und erörterten die Rolle des Industriezweiges als Wachstumsfaktor der Volkswirtschaft. Zugleich gingen sie der Frage nach, welchen Leistungskriterien die Geräte entsprechen müssen, welche Quellen es für den Fortschritt im Gerätebau gibt und wie sich die Entwicklungsstrategie in diesem Industriezweig realisieren läßt. Die Resultate ihrer Überlegungen bildeten eine Grundlage für die inhaltliche Ausrichtung der Forschung und Entwicklung im Zeiss-Kombinat in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. 1 Wenige Monate später, im Mai 1975, lag im Forschungszentrum ein umfangreiches Material vor, in dem nicht nur die Situation des optischen Präzisionsgerätebaus in Jena Mitte der siebziger Jahre beschrieben wurde, sondern auch die Entwicklungsschwerpunkte für die einzelnen Erzeugnisgruppen vorgegeben wurden. 2 Die Analyse von 170 Hauptgeräten 3 in acht wichtigen Erzeugnisgruppen 4 ergab, daß sie hinsichtlich Präzisionsmechanik und Optik im wesentlichen dem internationalen Stand entsprachen. Dabei waren 83 Prozent der Haupterzeugnisse dem Weltstand ebenbürtig oder bestimmten ihn. Allerdings besaßen nur 24 Prozent der Hauptgeräte einen nennenswerten Elektronikanteil, der zu 65 Prozent bei ihrer Markteinführung dem internationalen Niveau nicht mehr entsprach. Bei 58 Prozent der Geräte lag der Beginn der Serienfertigung später als bei Konkurrenzprodukten. Differenziert war die Altersstruktur der Geräte in den einzelnen Erzeugnisgruppen. Der Anteil der Geräte im Produktionsalter von unter fünf Jahren war mit 50 Prozent bei den Vermessungsgeräten und mit 45 bzw. 42 Prozent bei den photogrammetrischen bzw. Feinmeßgeräten besonders hoch. Ein Produktionsalter von über zehn Jahren wiesen 71 Prozent der optischen Medizingeräte und 55 Prozent der optischen Analysenmeßgeräte auf. Bei diesen Daten ist zu beachten, daß sich darunter Geräte befanden, die aufgrund ihrer guten Leistungsparameter über eine lange Zeit nachgefragt wurden. Die Untersuchung der einzelnen Erzeugnisgruppen ergab folgendes Bild: 1

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Karlheinz Müller/Klaus Mütze/Hubert Pohlack: Geräte als Wachstumsfaktor der Volkswirtschaft In: Feingerätetechnik 1974, S.435-441. WB Nr. 895 VEB Carl Zeiss JENA. Forschungszentrum. Lang- und mittelfristige Konzeption für die Forschung und Entwicklung des VEB Carl Zeiss JENA. MAI 1975. Als Hauptgeräte wurden nur echte Geräteeinheiten ohne ihre Modifikationen gewählt Es waren die Erzeugnisgruppen BildmeOtechnik, Geodätische Meßtechnik, Mikroskopie, Feinmeßtechnik, Optische Analysenmeßtechnik, Optische Medizintechnik, Astronomie, Mikrofilmtechnik:

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1976-1990 Kombinat VE Β Carl Zeiss JENA

Das Programm der Erzeugnisgruppe Mikroskope wurde bezüglich der klassischen Gerätetechnik und Anwendungsgebiete als ausreichend angesehen. Als unvollständig wurde das Zubehör bewertet. Die Objektive entsprachen in ihrer wissenschaftlich-technischen Konzeption nicht den Marktanforderungen. Ein Sortiment automatisch arbeitender Geräte mit objektiver Messung sowie mikroskopischer Baugruppen und Verfahren, die in der modernen Industrie benötigt wurden, stand nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung. Von den im internationalen Maßstab angebotenen mikroskopischen Hauptgeräten stellte das Jenaer Zeiss-Werk 34 her, das waren 49 Prozent der Hauptgeräte. Zur Erzeugnisgruppe Medizintechnik wurde festgestellt, daß ihr Programm ausgewählte Geräte enthielt, die durch Konzeption und zweckmäßige Konstruktion gekennzeichnet waren. Für einige Geräte bestand ein Nachholbedarf. Die Erzeugnisgruppe fertigte 17 Hauptgeräte und bestritt damit 59 Prozent des einschlägigen Angebots in der Welt. Die Erzeugnisgruppe optische Analysenmeßgeräte produzierte ausgewählte Geräteklassen mit optischen Wirkprinzipien vorrangig für Routineuntersuchungen in Laboratorien. Das angebotene Sortiment wurde den volkswirtschaftlichen Erfordernissen nicht gerecht und war damit auch nicht marktsichernd. Hinzu kam, daß Zubehör- und Ergänzungseinheiten, die zur Komplettierung der Hauptgeräte erforderlich waren, nicht im ausreichenden Maße zur Verfügung standen. Die Automatisierung und die Meßwertverarbeitung entsprachen nicht dem internationalen Stand. Da das internationale technische Niveau in der Analysenmeßtechnik bereits wesentlich von der Elektronik bestimmt wurde, waren die Jenaer Geräte auf den westlichen Märkten nicht mehr konkurrenzfähig. Mit 43 Hauptgeräten beteiligte sich die Erzeugnisgruppe zu 48 Prozent an der Gesamtheit der auf diesem Gebiet in der Welt angebotenen Hauptgeräte. In der Erzeugnisgruppe Technische Feinmeßgeräte wurden vornehmlich klassische Geräte der Feinmeßtechnik gefertigt, die mit wenigen Ausnahmen seit längerem zum Sortiment gehörten. Sie verkörperten Mitte der siebziger Jahre nicht mehr in jeder Hinsicht den internationalen wissenschaftlich-technischen Stand. Ein teilweise großer Rückstand bestand bei Geräten mit elektronischer Meßwertverarbeitung. Er betraf die Vollständigkeit des Sortiments und das Produktionsvolumen. Um auf dem Gebiet der Feinmeßtechnik konkurrenzfähig zu werden, wurde Mitte der siebziger Jahre an der Modernisierung bzw. Neuentwicklung von Zwei- und Dreikoordinatenmeßgeräten gearbeitet. Damit ging allerdings eine Vernachlässigung der übrigen Hauptgeräte einher, die diese Erzeugnisgruppe trugen. Das Produktionssortiment belief sich auf 25 Geräte, das war ein Anteil von 69 Prozent der Hauptgeräte im internationalen Rahmen. Die Erzeugnisgruppe Vermessungsgeräte war hinsichtlich der klassischen Geräte nahezu komplett. Ihr technischer Stand wurde als gut bezeichnet. Das trug dazu bei, daß in den zurückliegenden Jahren der Export gesteigert werden konnte. Zu den elektrooptischen Geräten, die zur neuen Generation der Meßgeräte gehörten, mußte konstatiert werden, daß sie gegenüber dem internationalen Stand einen Rückstand von ca. zehn Jahren aufwiesen. Schwerpunkt auf diesem Gebiet war die Integration der Datenverarbeitung in die Geräte. Durch zügige

Veränderte Prioritäten im Forschungs- und EntwicklungsprozeD

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Entwicklung und Produktion des elektrooptischen Tachymeters sollte der Anschluß an den internationalen Stand erreicht werden. Die Erzeugnisgruppe stellte 13 Hauptgeräte her, das war ein Anteil von 68 Prozent an der Gesamtheit der Hauptgeräte auf diesem Gebiet in der Welt. Das Sortiment der Erzeugnisgruppe Photogrammetrische Geräte entsprach zum Betrachtungszeitpunkt der traditionellen Aufgabenstellung. Es gewährleistete ein nahezu lückenloses Angebot an Gerätesystemen für die vielfaltigen Einsatzgebiete. Der Automatisierungsgrad der Geräte war den internationalen Bedürfnissen angepaßt und hielt den Vergleich mit den kommerziell vertriebenen Ronkurrenzprodukten stand. Auf den Gebieten der Digitaltechnik und der Stereokartierung zeichneten sich die Jenaer Geräte durch Leistungsstärke und zugleich preisgünstige Lösungen aus. Sie bestimmten neben den Geräten aus dem Oberkochener und Wildschen Unternehmen das internationale Niveau mit. Das Jenaer Werk hatte 15 Hauptgeräte im Fertigungsprogramm. Das war ein Anteil von 60 Prozent des internationalen photogrammetrischen Hauptgerätesortiments. Die astronomischen Geräte wurden hinsichtlich ihres wissenschaftlich-technischen Niveaus den Anforderungen gerecht. Das Jenaer Zeiss-Werk stellte 21 Hauptgeräte her. Das war ein Anteil von 74 Prozent der astronomischen Hauptgeräte in der Welt. Um einen Einblick in die Grundstruktur der Produktion im Zeiss-Werk im Jahre 1975 zu geben, wird in der Tabelle 43 im Tabellenanhang der Anteil der angeführten Erzeugnisgruppen an der Gesamtproduktion ausgewiesen. Seit Mitte der siebziger Jahre bestimmten, neben den eigenen Zielsetzungen, die Abkommen zwischen der DDR, der UdSSR und anderen staatssozialistischen Ländern die inhaltliche Ausrichtung der Forschung, Entwicklung und Produktion des Zeiss-Werkes zunehmend m i t In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre wurde die Forschungs- und Entwicklungsarbeit von der Belegschaft des Forschungszentrums W getragen, deren Mitarbeiterzahl zwischen 1976 und 1979 von 3.282 auf 3.509 Personen anwuchs. Ende 1980 betrug der Anteil des Hochschulpersonals an den Gesamtbeschäftigten im Forschungszentrum W 37,9 und des Fachschulpersonals 21,5 Prozent Dabei ist zu berücksichtigen, daß ein Teil des Hoch- und Fachschulpersonals in das Forschungszentrum U wechselte. Die Tabelle 44 im Tabellenanhang enthält eine detaillierte Übersicht über die Beschäftigtenstruktur des Forschungszentrums W zum 31. Dezember 1980. Bis 1985 nahm das Hoch- und Fachschulpersonal weiter zu. In diesem Jahr waren von den Beschäftigten im Forschungszentrum W 39 Prozent Hochschulabsolventen und 24 Prozent Fachschulabsolventen. Durch gezielte Qualifizierungsmaßnahmen sank der Anteil der Beschäftigten ohne Facharbeiterausbildung zwischen 1976 und 1985 von 7,3 auf 1,2 Prozent 5 Auf der Grundlage von Vorarbeiten, die im Forschungszentrum W zur Multispektraltechnik für die Interkosmosforschung der UdSSR geleistet worden 5

Zusammengestellt und errechnet nach VA Nr. 5111 (Statistische Angaben über das Kombinat VE Β Carl Zeiss JENA 1975 bis 1985).

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1976-1990 Kombinat VE Β Carl Zeiss JENA

waren, 6 faßte das Präsidium des Ministerrates der DDR am 20. November 1975 den Beschluß über die Beteiligung der DDR an einem kosmischen Experiment der UdSSR. Darin wurde angewiesen, daß der YEB Carl Zeiss JENA zu beauftragen ist, gemeinsam mit sowjetischen Partnern die Multispektralkamera KMS 6, die Baugruppen für Rontroll- und Meßgerätesätze und den Vierkanalmischprojektor zu entwickeln und zu fertigen. Als Termin der Übergabe an die sowjetische Seite wurde der 30. Mai 1976 angegeben. Die Verantwortung für die Ausführung des Beschlusses trug der Minister für Elektrotechnik und Elektronik. 7 Wolfgang Biermann übertrug Karlheinz Müller die Leitung dieses Projekts. Klaus Mütze, der die Leitung des Forschungszentrums W zunächst kommissarisch übernahm, wurde im September 1976 Direktor des Forschungszentrums. Klaus Mütze, Jahrgang 1933, erlernte den Beruf eines Maschinenschlossers und absolvierte die Ingenieurschule und die Technische Hochschule. Nach dem Studium trat er 1960 in das ZeissWerk ein. Er war zunächst als Konstrukteur und danach als Haupttechnologe tätig. Seit 1960 wirkte Klaus Mütze als nebenamtlicher Dozent an der Ingenieurschule „Carl Zeiss" und seit 1965 als nebenamtlicher Hochschullehrer an der Sektion Technologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 8 Nachdem der Auftrag ausgeführt war, wurde Karlheinz Müller im September 1976 mit der Aufgabe betraut, einen Bereich zu schaffen, der sich besonders mit der Forschung und Entwicklung von optischen Militärgeräten befaßt. Dafür wurden geeignete MitarAbb. 60 Der Direktor des Forschungszentrums W Prof. Dr. Klaus Mütze beiter aus dem Forschungszentrum W erläutert sowjetischen Besuchern gewonnen. Zum gleichen Zeitpunkt ein Vermessungsgerät auf der Leipwurden der Bereich Sonderfertigung ziger Frühjahrsmesse mit einer eigenen Musterwerkstatt und eine Konstruktionsleitgruppe gebildet, die an Sonderoptiken, Einzelgeräten bzw. Kleinserien für den Forschungsbedarf, an der Multispektraltechnik und an optischen Militärgeräten arbeiteten. Unter Führung von Karlheinz Müller entstand im Zeiss-Werk ein neues Forschungs-

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Achim Zickler: Die Multispektralkamera MKF-6. In: Jenaer Jahrbuch 2001, S. 105-110. Faksimile des Beschlusses: Achim Zickler: Die Multispektralkamera MKF-6. In: Jenaer Jahrbuch 2001, S. 108. VA Nr. 5751 (Pohlack: Zuarbeit. Für die KCZ-Chronik Teil 2).

Veränderte Prioritäten im Forschungs- und Entwicklungsprozeß

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Zentrum, das die Bezeichnung U erhielt und 1979 572 Wissenschaftler, Ingenieure und hochqualifizierte Facharbeiter beschäftigte. Sie hatten anfangs ihre Arbeitsplätze in Baracken, die in Göschwitz aufgestellt waren. 1979 konnten sie am gleichen Standort einen Festbau beziehen. Das Forschungszentrum U und der Sonderfertigungsbereich wurden zu einem Wissenschaftsbetrieb unter der Bezeichnung Betrieb für die Entwicklung wissenschaftlich-technischer Ausrüstungen - U-Betrieb - zusammengeführt. Er wurde am 2. Januar 1980 offiziell gegründet. 9 Der Betrieb zählte im Gründungsjahr 815 und 1985 1.345 Arbeiter und Angestellte.10 Die Qualifikationsstruktur der Belegschaft, die in einem starken Maße vom Hoch- und Fachschulpersonal gekennzeichnet war, geht aus der Tabelle 45 im Tabellenanhang hervor. Die Serienfertigung der im U-Betrieb entwickelten Geräte erfolgte in dem zwischen 1975 und 1980 ausgebauten Betrieb für spezielle Produktion - D-Betrieb - in Gera.

Spezielle Schaltkreise für den Gerätebau und Technische Spezialausrüstungen für die mikroelektronische Industrie Seit Mitte der siebziger Jahre befaßten sich Wissenschaftler und Ingenieure im Forschungszentrum W mit dem Gedanken, spezielle Bauelemente und Schaltkreise für die Funktionsprinzipien in der Gerätetechnik, die die elektronische Industrie der DDR und anderer Ostblockstaaten nicht liefern konnten, selbst zu entwickeln und herzustellen. Der Grundgedanke bestand darin, den speziellen Bedarf der Zeiss-Geräte ζ. B. bei Messungen von Längen und Winkeln sowie spektralfotometrischen Messungen, für die Positionssteuerung und für die Bilderfassung und Abtastung durch den Bau von Strahlungssendern und Strahlungsdetektoren auf Halbleiterbasis zu befriedigen, die den Einsatz von Elektronik und Rechentechnik in Zeiss-Geräten noch effektiver machten. Vorgesehen war die Kleinserienfertigung von optoelektronischen Bauelementen als Ermittler und Sensoren und, in Zusammenarbeit mit dem VEB Keramische Werke Hermsdorf, von Hybridschaltkreisen zur Erfüllung gerätespezifischer Logik mit systemspezifischen Parametern. Hybridschaltkreise wurden ab 1986 in einem Bauelementelabor des Forschungszentrums hergestellt. Spezielle anwenderspezifische Schaltkreise wurden Ende der achtziger Jahre im Forschungszentrum für Mikroelektronik Dresden, das, wie schon erwähnt, seit 1986 zum Zeiss-Kombinat gehörte, auf der Basis von Mikrochips entwickelt und hergestellt. Die Entwicklung von hochintegrierten Speicherschaltkreisen, an denen in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre in dem Dresdener Forschungszentrum des Zeiss-Kombinates gearbeitet wurde, wird hier nicht behandelt.

9 ,0

40 Jahre in Volkes Hand. Chronik Teil 2. VA Nr. 5111 (Statistische Angaben über das Kombinat VEB Carl Zeiss JENA 1975 bis 1985; 1980-1987). Ein Material von Hans Vosahlo gibt den Anfangsbestand der Beschäftigten des U-Betriebes mit 954 Arbeitskräften an. Archiv des Thüringer Forums.

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1976-19Θ0 Kombinat VE Β Carl Zeiss JENA

Auf der Grundlage des schon angeführten deutsch-sowjetischen Abkommens über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Technischen Spezialausrüstungen für die mikroelektronische Industrie aus dem Jahre 1974 wurden in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre ergänzende Arbeiten an der bereits entwickelten Gerätegeneration ausgeführt. Gleichzeitig begann die Vorbereitung der folgenden Gerätegeneration. Dabei spielte die Entwicklung einer neuen Klasse von Objektiven mit großem Blickfeld zur fotografischen Erzeugung von elektronischen Mikrostrukturen, im Zeiss-Werk als UMObjektive bezeichnet, eine große Rolle. Die Fertigung dieser Objektive erforderte einen großen Aufwand an Präzisionsmechanik, denn die Teile der bis zu 60 kg wiegenden l:l-Objektive mußten auf 1 μηι genau justiert werden. Abb. 61 Prof. Dr. Harry Zöllner 1977 - führender Wissenschaftler und RechZur Steigerung der Arbeitsproduktiner der Photo-, Röntgen- und vität bei der Herstellung von Reticles Hochleistungsobjektive im Jenaer für Schaltkreise mit einem sehr hoZeiss-Werk hen Integrationsgrad - VLS-Technik wurde in Jena die Elektronenstrahlbelichtungsanlage ZBA 10 für die direkte Waferbelichtung entwickelt, bei der man erstmals im Weltmaßstab das Prinzip „Programmierbarer Formstrahl" angewandt hatte. Dieses Prinzip war durch eine programmgesteuerte Ablenkung einer rechteckformigen Elektronensonde gekennzeichnet, deren Rantenlänge im Bereich 0,1 ... 10 pm frei programmierbar ist. ZBA 10 ermöglichte beim Einsatz empfindlicher Elektronenresistenz die Herstellung von Reticle für VLSI-Schaltkreise höchster Komplexität in ein bis zwei Stunden. Dazu bedurfte es bei den bisher verwendeten optisch-mechanischen Bildgeneratoren 30 bis 50 Stunden. 1977 konnte der Automatische Neunfachrepeater ANR 4 durch den UniversalEinfachrepeater UER abgelöst werden. Dr. Manfred Steinbach schuf für die spezielle Meßtechnik zum internen Gebrauch das Gerät Μ 1000. Am 22. Dezember 1977 wurde zwischen der DDR und der UdSSR ein Regierungsabkommen unterzeichnet, das die weitere Zusammenarbeit beider Länder auf dem Gebiet der Mikroelektronik regelte. 11 Daraus resultierte der Staatsauf-

11

VA Nr. 1180 (Geschäftsbericht des Kombinates VE Β Carl Zeiss JENA für das Jahr 1979).

Veränderte Prioritäten im Forschungs- und Entwicklungsprozeß

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trag „Werkstoffe, Verfahren und Ausrüstungen für die Produktion elektronischer, insbesondere mikroelektronischer Bauelemente", in dem auch Themen für das Zeiss-Werk fixiert waren. Dabei ging es vorrangig um die Entwicklung der technologischen Grundlagen für die Herstellung von Silizium-Scheiben mit einem Durchmesser von 150 mm. 12 Gemeinsam mit sowjetischen Fachleuten wurden im Forschungszentrum W die Geräte für diese neue Generation bis zur Mitte der achtziger Jahre entwickelt und in Abb. 62 Universal-Einfach-Repeater UER in Japan im Einsatz die Produktion überführt. Die Leitung des Forschungszentrums konnte in ihrem Jahresabschlußbericht 1985 erklären, daß Ende 1985 „alle WTZ-Aufgaben im Thema 10.2 Ausrüstungen für die Fertigung und Kontrolle von Fotoschablonen und Präzisionslithographie' bestehend aus den 10 Positionen des ,Systems 150' abgeschlossen" wurden und die Geräte dieses „Systems 150" seit 1982 an die UdSSR ausgeliefert werden. 13 Die Geräte dieses Systems bildeten eine komplexe technologische Linie, die den Anforderungen einer produktiven Herstellung und Rontrolle von Schablonen für die Strukturierungsprozesse sowie der Direktstrukturierung von Halbleiterwafern im Mikrometer- und Submikrometerbereich in den achtziger Jahren entsprachen. Das Zeiss-Werk war an diesem System mit folgenden Geräten beteiligt: - Automatischer Einfachrepeater AER - Das war ein neu entwickelter Fotorepeater, der sowohl für die modernste Entwicklung auf dem Gebiet der VLSI als auch für klassische Aufgabengebiete diskreter Bauelementefertigung eingesetzt werden konnte. Die besonderen Vorzüge des AER bestanden in einer hochauflösenden Positionsgenauigkeit und Reproduzierbarkeit der Positionierung, in hochauflösenden Hellfeldobjektiven sowie in der Steuerung und Funktionskontrolle durch frei programmierbare Mikrorechner. Das Gerät zeichnete sich ferner durch eine große Produktivität aus. Seine erfolgreiche Industrieerprobung erfolgte 1984. - Automatischer Überdeckungsrepeater AÜR - Der AÜR war eine vollautomatische Justier- und Belichtungsanlage zur schrittweisen Projektionsübertragung von Mikrostrukturen auf Halbleiterscheiben bis 150 mm. Damit stand der mikroelektronischen Industrie im Ostblock eine produktive Ausrüstung für die Herstellung von VLSI-Schaltkreisen vom Typ 64-kBit-RAM und von höheren Integrationsgraden zur Verfügung. Die Leistungsdaten des AÜR entsprachen 12

13

Knut Kaschlick: Zwanzig Jahre Mikrolithografie-Entwicklung bei Carl Zeiss Jena: In: Schreiner: Schaltkreise, S. 21-23. WB Nr. 3363 (Jahresabschlußbericht des Forschungszentrums für das Jahr 1984).

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dem internationalen Trend nach Erhöhung des Integrationsgrades, der Integrationsdichte und höchster Überdeckungsgenauigkeit. Die Anlage war außerordentlich produktiv. Nach erfolgreichem Test im Jahre 1985 begann die Serienfertigung. 14 - Zeiss-Belichtungsanlage ZBA 20 - Sie basierte auf der ZBA 10 und wurde 1984 in die Serienfertigung überführt. - Zeiss-Rastermikroskop ZRM 20 - Schablonenvergleichsgerät SYG 160 - Breitenmeßgerät BMG 160 - Defektkontrollgerät DKG 160 - Projektionsmikroskop EBIGNOST PME - Rontrollmikroskope TECHNOVAL 2 und CITOVAL 2 - zwei speziell für die mikroelektronische Industrie entwickelte Mikroskope sowie ein Fernsehmikroskop.13 Das Regierungsabkommen zwischen der DDR und der UdSSR löste die Arbeiten an dem Gerätesystem Α aus, die begonnen, aber aufgrund der politischen Gegebenheiten nicht zum Abschluß gebracht wurden. Die Geräte für die Ausrüstung der mikroelektronischen Industrie wurden im Betrieb für optischen Präzisionsgerätebau zur Produktionsreife gebracht und in Serien gefertigt. Von den drei Gerätegenerationen wurden 513 Foto repeater, 370 Überdeckungsrepeater, 240 Elektronenstrahllitographie-Anlagen, 16 108 Elektronenstrahlmeß- und Rontrollgeräte, 13 Schablonenvergleichsgeräte und 41 Defektkontrollgeräte 17 gefertigt. Die Erzeugnisgruppe Lith wurde zu einer der umsatzstärksten und führte zu einer erheblichen Sortimentsverschiebung in diesem Betrieb zugunsten des Elektronikmaschinenbaus. Während 1972 der Anteil lithographischer Geräte an der Gesamtfertigung bei fünf Prozent lag, erhöhte er sich bis 1985 auf 44 Prozent und betrug 1989 sogar 60 Prozent. Demgegenüber verringerte sich der Anteil der optischen Präzisionsgeräte von 90 Prozent im Jahre 1972 auf 28 Prozent. Der Rest entfiel auf die Fertigung optischer Militärgeräte.18

Fortschritte im traditionellen Präzisionsgerätebau Mikroskope und optisch-medizinische Geräte Seit Mitte der siebziger Jahre wurde die Mikroskopreihe durch das Fluoreszenzmikroskop FLUOVAL, das weitgehend eigenständige Durchlicht-Fotomikroskop DOCUVAL und das etwas später eingeführte umgekehrte Auflichtmikroskop

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17 18

Jenaer Rundschau 1982, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 4; WB Nr. 3363 (Jahresabschlußbericht des Forschungszentrums für das Jahr 1985). WB Nr. 3363 (Jahresabschlußbericht des Forschungszentrums für das Jahr 1985). Knut Kaschlick: Zwanzig Jahre Mikrolithografle-Entwicklung bei Carl Zeiss Jena: In: Schreiner: Schaltkreise, S. 24-28. GB Nr. 2408 (Kurzcharakteristik. Werk für optische Präzisionsgeräte Carl Zeiss JENA GmbH). Weißflog/Mühlfriedel: Ein Betrieb profiliert sich, S. 163.

Veränderte Prioritäten im Forschungs- und Entwicklungsprozeß

525

METAVAL,19 das bereits mit völlig neu berechneten Objektiven ohne chromatische Vergrößerungsdifferenz ausgerüstet war, 20 ergänzt. Ferner war die Zeit nach Einführung der MikrovalReihe durch die Entwicklung von Meßmikroskopen für verschiedene Zwecke unter Ausnutzung aller verfügbarer Technik gekennzeichnet Der automatische Bildanalysator MORPHOQUANT entstand in Zusammenarbeit mit dem Institut für Biophysik in Puscino in der UdSSR. Die Entwicklung des Meßmikroskops für elektrophoretische Mobilitätsmessung an mikroskopisch kleinen Partikeln PARMOQUANT erfolgte in einer Zusammenarbeit zwischen Industrie und medizinischer Forschung. 21 Abb. 65 Dr. Horst Riesenberg, Wissenschaftler und Leitender Mitarbeiter in Nachdem sich die MIKROVAL-Mikroder Erzeugnisgruppe Mikroskopie skope über ein Jahrzehnt weltweit be1979 währt hatten, war die Zeit gekommen, mit einer Mikroskopgeneration aufzuwarten, der neue konzeptionelle Überlegungen zugrunde lagen. Sie wurde erstmals als JENA-MIKROSKOPE 250 - CF auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1982 der Öffentlichkeit präsentiert 2 2 Der wesentlichste konzeptionelle Ausgangspunkt für diese Mikroskopserie war die Einführung einer neuen Generation von Mikrooptik - das CVP-freie System der Objektive und Okulare (frei von chromatischer Vergrößerungsdifferenz) - von Dr. Horst Riesenberg. Zur Kennzeichnung wurden die Buchstaben CF (chromatisch aberration free) in der Produktbezeichnung aufgenommen. Zusammen mit Großfeld-Abbildung (GF, scheinbarer Bildfelddurchmesser 250 mm) wurde nochmals eine deutliche Qualitätsverbesserung erreicht. 23 Zu der neuen Reihe gehörten das DurchlichtForschungsmikroskop JENAVAL mit den Merkmalen eines methodenvariablen 19

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Heinz Rüpffer: Das umgekehrte Auflichtmikroskop METAVAL - ein modernes Gerät für die metallographische Routine und Forschung. In: Jenaer Rundschau 1978, S. 177-181. Horst Riesenberg: Farbfehlerfreie Mikroskopobjektive aus Jena. In: Jenaer Rundschau 1980, S. 158-163. Günter Schöppe/Wolfgang Schütt/Rolf Unger: PARMOQUANT - ein neues automatisches Meßmikroskop des VEB Carl Zeiss JENA für Forschung und Routine. In: Jenaer Rundschau 1978, S. 264-269. Gerhard Weiland/Peter Döpel/Hans Tandler: Die JENA-MIKROSKOPE 250-CF, eine neue Mikroskopgeneration der VEB Carl Zeiss JENA. In: Jenaer Rundschau 1982, S. 6-11. Horst Riesenberg/Horst Bruch: Eine neue Generation von Mikroskopoptik aus Jena. In: Jenaer Rundschau 1982, S. 33-39. Konstruktive Einzelheiten der neuen Mikroskopreihe in: Hermann Beyer/Horst Riesenberg: Handbuch der Mikroskopie, 3. Auflage, Berlin 1988.

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Abb. 64 Die Mikroskope JENAMED variant und JENAVAL 1982

kompakten Mikroskops als auch um- und aufrüstbar nach dem Baukastenprinzip sowie die JENAMED-Gerätereihe in den Ausführungsformen histology, variant, fluorescence. Die Mikroskope entstanden in Auswertung einer Vielzahl von Fachgesprächen mit den Anwendern. In den folgenden Jahren kamen das Fluoreszenzmikroskop JENALUMAR, das Polarisationsmikroskop JENAPOL, das aufrechte Auflichtmikroskop JENAVERT und das JENATECH inspection für die mikroelektronische Industrie hinzu. 1980 zeigte das Zeiss-Rombinat auf der Leipziger Frühjahrsmesse das neue Operationsmikroskop OPM 212. Es gehörte zur Reihe der manuell bedienbaren Operationsmikroskope und berücksichtigte besonders die Bedürfnisse der Hals-, Nasen-, Ohren-Chirurgie, wurde aber auch in anderen medizinischen Bereichen genutzt. 24 1981 kamen die Operationsmikroskope 230 und 320 mit Variosystemen auf den Markt. Während das OPM 230 für verschiedene Gebiete der Mikrochirurgie verwendet wurde, war das OPM 320 auf die Ophthalmo-Mikrochirurgie ausgerichtet. 25 Die Reihe der Operationsmikroskope wurde 1983 durch das Operationsmikroskop OPM 150 ergänzt. 26 Eine neue Generation von Operationsmikroskopen und Operationsspaltleuchten mit Parallelogrammstativen brachte das Zeiss-Werk 1987 heraus. Die Operationsmikroskope OPM 240 F mit

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Jenaer Rundschau. Informationen 1980, S. 17. Jenaer Rundschau. Informationen 1981, S. 15-16. Jenaer Rundschau. Informationen 1983, S. 18.

Veränderte Prioritäten im Forschungs- und Entwicklungsprozeß

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Parallelogramm-Bodenstativ bzw. OPM 250 F mit Parallelogramm-Deckenstativ gehörten ebenso wie die Operationsleuchten OPS 341 mit ParallelogrammBodenstativ und OPS 351 mit Parallelogramm-Deckenstativ zur oberen Leistungsklasse. 27 In dem betrachteten Zeitraum gab es wieder bemerkenswerte Fortschritte im ophthalmologischen Gerätebau. 1976 entstanden für die Untersuchung des Augenhintergrundes das Stereo-Ophthalmoskop und 1986 und 1987 die Ophthalmoskope RCS/RCM 310 bzw. RCM 250. 1976 kam die Baukastenreihe Spaltlampen auf den Markt. 28 Unter den Geräten für die Augenarztpraxis nahmen die Ophthalmologischen Arbeitsplätze einen besonderen Platz ein. Die 1981 auf der Leipziger Frühjahrsmesse gezeigten OAP 213 und 310 bildeten die erste Ausbaustufe einer neuen Generation von augenärztlichen Arbeitsplätzen, die nach dem Baukastenprinzip für den jeweiligen Anwendungszweck zusammengestellt werden konnten. Mit diesen Neuentwicklungen wurde das Ziel verfolgt, die Arbeitsabläufe bei den Augenärzten und Augenoptikern zu rationalisieren. 29 Aufbauend auf die mit dem OAP 310 Abb. 65 Dr. Manfred Fritsch mit der Operagesammelten Erfahrungen wurde seit tionsspaltleuchte OPS 330 auf der 1986 der Ophthalmologische ArbeitsLeipziger Frühjahrsmesse 1983 platz OAP 311 gefertigt, der Informationen erfaßte, speicherte, dokumentierte und einen Datentransfer zwischen den verschiedenen Geräteeinheiten erlaubte. Dieser OAP war zusätzlich mit dem Refraktionssystem METROPHOR für objektive und subjektive Refraktionsbestimmungen ausgestattet. 30 1984 brachte das Zeiss-Kombinat den Laser-ArgonRoagulator LAR auf den Markt, mit dem sich eine mikrochirurgische Behandlung am Augeninneren ohne Eröffnung des Auges vornehmen ließ, sowie den Photodisruptionslaser LAVA 210.31

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Jenaer Rundschau. Informationen 1987, S. 19-20; Manfred Fritsch/Egon Luther: Operationsmikroskope und Zubehör für die moderne Mikrochirurgie. In: Jenaer Rundschau 1989, S. 160-163. Karl-Heinz Donnerhacke: 90 Jahre ophthalmologische Geräte. Jenaer Rundschau. Informationen 1981, S. 14. Jenaer Rundschau. Informationen 1986, S. 20-21. Jenaer Rundschau. Informationen 1984, S. 11.

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Optische Analysenmeßgeräte und Feinmeßgeräte Im betrachteten Zeitraum wurden innerhalb des umfangreichen Sortiments des Erzeugnisbereiches Optische Analysenmeßgeräte die Geräte der Molekülspektroskopie und der Atomspektroskopie zum Schwerpunkt. Auf der Basis des 1973 entwickelten Flammen-Atom-Absorptions-Spektrometers AAS 1 wurden 1978 das AAS 1/N mit Lachgaseinrichtung und 1982 das AAS 3/EA mit Graphitrohrtechnik herausgebracht. Die AAS-Geräte waren wegen der hohen Nachweisempfindlichkeit wertvolle Hilfsmittel für die Stoffanalyse sehr geringer Konzentrationen (Spurenanalyse) und entwickelten sich bis 1990 (AAS 4) zu einer wirtschaftlich bedeutenden Erzeugnislinie. 32 1977 brachte das Jenaer Zeiss-Werk den Vollautomatischen Röntgenfluoreszenzanalysator VRA 20 heraus. Das Gerät war die Nachfolgeentwicklung des VRA 2, das auf dem Gebiet der Röntgenfluoreszenzspektroskopie in vielen Zweigen der Grundstoffindustrie und in Laboratorien einen festen Platz gefunden hatte. Die Variante VAR 20-R war ein kristalldispersives Einkanalsequenzspektrometer, das für den vollautomatischen Betrieb mit Rechner zur Steuerung des Spektrometers und zur Auswertung der Meßwerte konzipiert war. Bei diesem Gerät war der gesamte Analysenablauf vom Einlegen der Probe bis zum Berechnen und Ausdrucken der Elementekonzentration der gemessenen Probe automatisiert. 33 1982 folgte das Röntgen-Fluoreszenz-Sequenzspektrometer VRA 30.34 Es war ein mit einem Mikrorechner gesteuertes, kristalldispersives Einkanalgerät. Von besonderer Bedeutung war der neue Komplex der Mikro- und Ultramikroliteranalyse. Dabei standen die hochgenaue Dosierung kleinster Flüssigkeitsmengen und die rechnergestützte Meßwertverarbeitung im Vordergrund. Das seit 1985 angebotene Gerätesystem SUMAL erlaubte die Probenvorbereitung und die automatische Messung von 8 χ 12 Proben (Mikrotiterplatten) im Meßvolumenbereich der Ultramikroanalytik (10 μΐ, 60 μΐ) und Mikroanalytik (ca. 100-250 pl). Da die Ultramikroanalytik wegen geringer Einsatzmengen essentieller Reagenzien erhebliche Kostenreduzierungen erlaubte, wurde es möglich, umfangreiche Testserien und Screeningtests durchzuführen. Das Gerätesystem SUMAL wies eine große Anwendungsbreite auf, die sich aus einer Vielzahl photometrischer Verfahren ergaben. Das Gerätesystem entstand im Zusammenwirken mit verschiedenen Industriebetrieben, dem Institut für Biochemie der Jenaer Universität sowie dem Forschungsinstitut für Medizinische Diagnostik Dresden. 35 1983 ging aus dem bewährten Spektralphotometer SPEKOL 20 die Typenreihe SPEKOL 210,211,220 und 221 hervor. Sie war das Resultat der Zusammenarbeit mit dem jugoslawischen Kooperationspartner ISKRA. ISKRA hatte für SPEKOL

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Die Geschichte der Zeiss Analysenmeßtechnik. Das Fundament für Leistung. Druckschriftennr. FPM 33-171-1 der Carl Zeiss Jena GmbH 1993. Jenaer Rundschau 1977, Messe-Sonderbeilage, S. 32-33. Jenaer Rundschau. Information 1982, S. 22. B. Knull/R. Kierok: SUMAL. In: Jenaer Rundschau 1985, S. 164-168.

Veränderte Prioritäten im Forschungs- und Entwicklungsprozeß

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20 und die nachfolgende Gerätereihe den Baustein für die Meßwerterfassungsund -auswerteelektronik entwickelt und geliefert.36 1984 brachte das Zeiss-Kombinat das in Mikroprozessortechnik ausgeführte Spektralphotometer SPEROL 11 heraus. 37 Die SPEKOL-Reihe war die erfolgreichste Entwicklungslinie auf dem Gebiet kleiner Spektralphotometer, in 25 Jahren wurden 100.000 Stück verkauft 1980 wurde mit dem Spektralphotometer SPECORD Μ 40/41 UV VIS der Übergang von den bewährten Modellen VSU 2-Einstrahlphotometer und SPECORD UV VIS zu einer neuen Klasse leistungsfähiger und hochmoderner Spektralphotometer für Forschung und Industrie vollzogen. 1984 brachte das ZeissWerk das Registrierende IR-Spektralphotometer SPECORD Μ 80 und SPECORD Μ 85 heraus. Das UV-VIS-Spektralphotometer SPECORD Μ 400, das 1989 auf den Markt kam, war ein registrierendes Zweistrahl-Spektralphotometer für anspruchsvolle Forschungsanalytik. Im gleichen Jahr wurde das neue InfrarotSpektralphotometer SPECORD Μ 82 auf den Markt gebracht 3 8 1988 zeigte das Zeiss-Kombinat das UV VIS-Spektralphotometer SPECORD Μ 42. Das für den ultravioletten und sichtbaren Spektralbereich ausgelegte Gerät wurde den hohen Ansprüchen an ein modernes Analysenmeßgerät gerecht. Die leistungsstarke Mikroelektronik des Gerätes enthielt einen Auswerterechner. Die Meßergebnisse erschienen unmittelbar auf dem Bildschirm und ließen sich mit einem Matrix-Drucker protokollieren. 39 1987 konnte das Universal-Röntgendiffraktometer URD 6 vorgestellt werden, das sich durch eine große Genauigkeit auszeichnete. Es entstand im VE Β Freiberger Präzisionsmechanik in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der TU Dresden, der Bergakademie Freiberg und der Akademie der Wissenschaften. Die neu gestaltete Elektronikeinheit basierte auf mikroelektronischen Baugruppen. 40 Ende der achtziger Jahre nahm man sich der lange vernachlässigten optischen Emmissionsspektralanalyse wieder an. Es wurde ein Spektrometer entwickelt das auf der Basis von induktiv gekoppeltem Plasma arbeitete und durch Hochleistungsoptik und rechnergestützte Analysenvorbereitung, Messung und Meßwertverarbeitung eine große Anwendungsbreite und hohen Bedienkomfort garantierte. Man konnte mit ihm gleichzeitig 60 Elemente bestimmen. Durch die Verknüpfung von Echelle-Polychromator und Faseroptik konnten hochgenaue Messungen von Spuren und Ultraspuren vorgenommen werden. Das führte 1990 zum PLASMAQUANT 100.41 Mit den Fortschritten in der metallverarbeitenden Industrie erhöhten sich die Anforderungen an die Feinmeßtechnik. Dem suchten die Fachleute im ZeissWerk immer besser Rechnung zu tragen. Dabei bildeten die Roordinatenmeß56 37 38 39

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Zeitzeugenbericht: Curt Schacke J. Rudolph/R. Scheibe/G. Schmidt: SPECOL 11. In: Jenaer Rundschau 1984, S. 175-178. Jenaer Rundschau. Informationen 1989, S. 20-21. W-D. Ersel/G. Hess/N. Hoffmann/G. Ropte: SPECORD Μ 42. In: Jenaer Rundschau 1987, S. 144-148. Jenaer Rundschau. Informationen 1987, S. 14. E. Bischoff/V. Jüngel/W. Quillfeldt u. a.: PLASMAQUANT 100. In: Jenaer Rundschau 1990, S. 4-7.

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geräte einen Schwerpunkt. Als besonders anspruchsvoll erwiesen sich die Entwicklungsarbeiten an den Dreikoordinatenmeßgeräten. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre entstanden mehrere Typen. 1978 brachte das Zeiss-Werk das Dreikoordinatenmeßgerät DKM 1-300 DP heraus, das auf dem DKM 1-300 basierte. Die inkrementalen photoelektrischen Meßsysteme hatten eine Auflösung von 1 pm. Die Prüflingsantastung erfolgte wahlweise mechanisch oder optisch. Der Mikrorechner Robotron Κ 1510, der im Elektroschrank eingebaut war, übernahm die sofortige Auswertung der Meß- und Auswertungsprogramme. 42 1983 trat das Zeiss-Werk mit dem Dreikoordinatenmeßgerät DKM 05-320 D mit dem hochauflösenden Meßsystem LID 310 an die Öffentlichkeit. Durch die Koppelung des hochgenauen mechanischen Grundgerätes mit einem leistungsstarken Tischrechner und einer anwenderfreundlichen Software konnte den Forderungen nach einfacher und bequemer Bedienung und universellem Einsatz entsprochen werden. Das Gerät zeichnete sich durch eine hohe Produktivität aus 43

Abb. 66 Schüler der Spezialschule „Carl Zeiss" in Jena in der Polytechnikausbildung am Dreikoordinatenmeßgerät im Betrieb für optischen Präzisionsgerätebau 1987

Nachdem seit Mitte der siebziger Jahre das Zeiss-Werk die Zweikoordinatenmeßgeräte ZKM 1-150 D und ZKM 02-150 herausgebracht hatte, folgte 1978 das ZKM 02-250, das den Forderungen nach einem großen Anwendungsgebiet, geringer Meßunsicherheit, kurzen Meßzeiten und hohem Auslastungsgrad durch 42 43

Jenaer Rundschau 1978, Messe-Sonderbeilage, S. 17. Jenaer Rundschau. Informationen 1983, S. 9-10.

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geringe Ermüdung des Bedienungspersonals besonders gerecht wurde. Neu war an diesem Gerät der Roordinatenmeßtisch, ein größerer Spitzenbock und ein justierbarer Plantisch. 44 Auf der Grundlage dieses Gerätes entstand in den folgenden Jahren eine ganze Reihe von Zweikoordinatenmeßgeräten. 1989 lag mit dem ZRM 01-250 DE die bisher leistungsfähigste Variante der ZKM-Baureihe vor. Mit diesem Gerät wurde sowohl den Forderungen des Marktes nach meßtechnischer Leistungsfähigkeit in Verbindung mit hohem Bedienkomfort als auch dem internationalen Trend zur Objektivierung des Meßprozesses und höherer Integration der Rechentechnik als wichtigste Voraussetzung für eine Prozeßautomatisierung entsprochen. 45 In den achtziger Jahren kam es auch auf anderen feinmeßtechnischen Gebieten zu bemerkenswerten Leistungen. Dazu gehörten das Universalmeßgerät ULMO 01-600 C im Jahre 1984, die Kleinmeßmaschine RMM 30 im Jahre 1986 und der Präzisionsstereokomparator DICOMETER im Jahre 1987.46 Geodätische Geräte47 In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre begann das motorisierte Präzisionsnivellement eine zunehmende Rolle zu spielen. Den besonderen Anforderungen, die dieses Verfahren an das Nivellierinstrument stellte, wurde der PräzisionsKompensatornivellier Ni 002 des Jenaer Zeiss-Werkes gerecht Seine Verwendung beim Motorisierten Nivellement reduzierte die Nivellementsgesamtkosten zwischen zehn und 15 Prozent Das Gerät ermöglichte auch Spezialmessungen und gestattete das Erfassen von Refraktionseinflüssen. 48 1977 brachte das Zeiss-Werk die Laserfluchtungsgeräte LF 1 und LFG 1 auf den Markt 4 9 Aus der technischen Nutzung physikalischer Effekte, die sich in den fünfziger Jahren anbot, erwuchs für den geodätischen Instrumentenbau die Möglichkeit, mittels moduliertem Licht verschiedener Wellenlängen Distanzen zu messen. Das regte im Zeiss-Werk dazu an, elektronische Streckenmeßgeräte zu entwickeln. 1965 zeigte das Werk das erste elektrooptische Streckenmeßgerät, das eine hohe Meßgenauigkeit und Reichweite aufwies. Fortschritte in der Halbleitertechnik erlaubten, die bedeutend kleineren und leichteren Streckenmeßgeräte für die geodätische Praxis zu fertigen. 1968 entstand das elektrooptische Rurzstreckenmeßgerät EOR 2000. Es hatte eine Reichweite von 2.500 m und eine Meßgenau-

44 45 46 47

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Jenaer Rundschau. Messe-Sonderbeilage 1978, S. 18-19. Jenaer Rundschau. Information 1989, S. 17. 40 Jahre in Volkes Hand, Teil 2. Fritz Deumlich: Entwicklungstendenzen im geodätischen Gerätebau. In: Jenaer Rundschau 1977, S. 107-109; 75 Jahre Zeiss-Jena-Vermessungsgeräte, S. 20. Theo Ith: Das Ni 002 im Einsatz beim Motorisierten Präzisionsnivellement. In. Jenaer Rundschau 1977, S. 123-127. Laserfluchtungsgeräte LF 1 und LFG 1. In: Jenaer Rundschau 1977, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 14.

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Abb. 67 Einsatz des EOT zur Weitenmessung bei den Asienfestspielen in Indien 1983

igkeit von ± 1 cm. Ein eingebauter Suchscheinwerfer ermöglichte das schnelle Auffinden der im Zielpunkt aufgestellten Reflektoren. Durch Mikroprozessoren konnte die elektrooptische Streckenmessung automatisiert werden. Sie übernahmen die digitale Phasenmessung, den Phasenvergleich und die Auswertung, berücksichtigten die eingegebenen Korrekturen hinsichtlich Additionskonstante und Atmosphäre und berechneten die gemessene Schrägenentfernung. Dadurch gelang es, das Instrument zu verkleinern, die Stromaufnahme zu reduzieren und die Meßzeiten erheblich zu verkürzen. 50 Das mit den Funktionen eines Theodolits ergänzte elektrooptische Streckenmeßgerät führte 1977 zum elektronischen Tachymeter EOT 2000. Nachdem es möglich war, das Ablesen und Anzeigen der Meßwerte zu digitalisieren, entstanden 1980 der registrierende Computer-Tachymeterautomat RECOTA und 1982 der Tachymeterautomat RETA. Nun ließ sich der automatische Datenfluß von der Aufnahme bis zur Rartierung bereits im Felde schließen. 51 1979 wurde mit dem EOT-S, einem Wurfweitenmeßgerät für den Sport, eine Spezialentwicklung des elektronischen Tachymeters, abgeschlossen, das noch im gleichen Jahr bei der Völkerspartakiade in Moskau eingesetzt wurde. 1980 fand das Gerät bei den Olympischen Spielen in Moskau Verwendung. 32

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75 Jahre Zeiss-Jena-Vermessungegeräte, S. 22; Elektrooptisches Tachymeter EOT 2000. In: Jenaer Rundschau 1977, Sonderheft Frühjahrsmesse in Leipzig, S. 13. Jenaer Rundschau. Informationen 1981; Erich Feistauer: RECOTA - ein neuer Tachymeterautomat des VEB Carl Zeiss JENA. In: Jenaer Rundschau 1981, S. 48-30. Elektrooptisches Tachymeter-Sport EOT-S. In: Informationen aus Jena 1980; Stefan Süß: Das WurfweitenmeBsystem aus Jena zu den Olympischen Spielen in Moskau. In: Jenaer Rundschau 1981, S. 48-50.

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1981 stellte das Kombinat die neue Theodolit-Typenreihe THEO Β vor. Sie bestand aus dem neu entwickelten Mikrometertheodolit THEO 015 B, dem Skalentheodolit THEO 020 B, dem Sekundentheodolit THEO 010 Β und dem Reduktionstachymeter DALTHA 010 B. 1988 bot das Kombinat auch noch den Kleintheodolit THEO 080 A an.53 1983 wurde die neue und nach einheitlichen Gesichtspunkten gestaltete Nivellier-Typenreihe Α aufgelegt. Dazu gehörte das Kompensatorbaunivellier NI 040 A, die Ingenieurnivelliere NI 020 Α mit Kompensator und NI 021 Α mit Libelle und das Kompensatornivellier hoher Genauigkeit NI 005 A. Das NI 005 Α verfügte über einen eingebauten Planplattenmikrometer und die in das Sehfeld eingespiegelte Mikrometeranzeige. Damit fand die Überarbeitung des Vermessungsgeräteprogramms einen vorläufigen Abschluß.54 1987 wurde auf der Leipziger Frühjahrsmesse das neue Präzisionsnivellier RENI 002 gezeigt. Es war das erste elektronische Gerät dieser Instrumentenklasse mit teilautomatischer Meßwerterfassung und geräteinterner Datenerfassung, -berechnung und -speicherung.55 Astronomische Geräte und Planetarien Seit Mitte der siebziger Jahre wartete der Betrieb für optischen Gerätebau mit einer Reihe von neuen und weiterentwickelten astronomischen Geräten auf. Dazu gehörten 1976 das neue Kleinplanetarium ZKP 256 und 1977 das Raumflugplanetarium RFP-DP mit direkter Programmsteuerung.57 1980 verhandelten Vertreter des Zeiss-Kombinats mit führenden Vertretern des Edmonton Space Center aus Kanada über den Bau eines Großplanetariums. Am 1. Mai 1981 ging in Jena ein entsprechender Auftrag ein, der die Gestaltung eines neuartigen Planetariums mit modernster Technik und integrierter Mikroelektronik beinhaltete. Am 1. Juli 1984 konnte das Großplanetarium COSMORAMA seiner Bestimmung übergeben werden. Das Gerät zeichnete sich gegenüber seinen Vorgängern durch stark erweiterte Demonstrationsmöglichkeiten aus. Durch die umfassende Anwendung moderner Rechentechnik wurde beim Bedienungskomfort ein qualitativ neues Niveau erreicht Die mikroelektronische Steuerung durchdrang die gesamte Planetariumskonzeption. Die Steueranlage war mit sechs Mikrorechnern aufgebaut. Das ermöglichte dem Vortragenden, alle Varianten der Bedienung vom manuellen bis zum vollautomatischen Betrieb zu nutzen, die auf die gesamte Planetariumstechnik mit Zusatzprojektoren, Ton- und Lichtanlage ausgedehnt werden konnte. Das Planetarium war für Planetariums53

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Jenaer Rundschau. Information 1981, S. 7-8; Wieland Feist/Matthias Menzel/Roman Seifert: Die neue Theodolit-Typenreihe Β des VEB Carl Zeiss JENA. In: Jenaer Rundschau 1981, S. 42-45. Jenaer Rundschau. Information 1983, S. 4. Gerhard Hüther: RENI 002 Α und NI 002 A - zwei neue Präzisions-Kompensatornivelliere. In: Jenaer Rundschau 1988, S. 160-164; 75 Jahre Zeiss-Jena-Vermessungsgeräte, S. 24. Jenaer Rundschau 1976, S. 142. Jenaer Rundschau 1977. Informationen, S. 7

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anlagen mit Ruppeldurchmessern von 17,5 bis 25 m ausgelegt. 38 Ein zweites Gerät dieses Typs wurde in Jena und ein drittes in Ostberlin aufgestellt. 59 1986 befand sich das Projektionsgerät UNIVERSARIUM in der Entwicklung, mit dem die Grundlage für die modernsten Planetarien der Welt der neunziger Jahre, insbesondere die Glasfaserprojektion, geschaffen wurde. 60 Von den astronomischen Großgeräten soll der 1977 fertiggestellte Doppelastrograph 400/3000 genannt werden. Für die astronomische Forschung bot das Zeiss-Rombinat Ende der achtziger Jahre das Cassegrain-Spiegelteleskop 600/ 2400/7500, das 800 mm-RC-Spiegelteleskop, das l-m-Ritchey-Chr6tien-Coud6Spiegelteleskop, den Universal-Astro-Gitterspektrograph UAGS und den CoudeGitterspektrograph an. 61 Den modernen Forderungen der Beobachtungstechnik wurde in Jena durch die Weiterentwicklung des 2-m-Teleskops zur Variante mit der Ritchey-Chretien-Optik entsprochen. Solche Teleskope wurden am Roshen in Bulgarien und am Terskol im Raukasus in Betrieb genommen. Die Erzeugnisgruppe Astro hatte seit dem Wiederaufbau des Zeiss-Werkes ca. 150 Refraktor-Ausrüstungen, 45 Astrographen, 65 Sonnen-Forschungsgeräte, über 150 spektrographische Ausrüstungen und 75 Reflektor-Teleskope, darunter fünf Spiegelteleskope mit 2-m-Öffnungen und 12 Spiegelteleskope mit 1-m-Öffnungen, ausgeliefert. Hinzu kamen 150 Planetarien, die in 40 Ländern eingerichtet wurden. 62 Ronsumgüter 1976 brachte das Zeiss-Rombinat das neue Objektiv electric MC Flektogon 2.4/35 mm, 1978 das Superweitwinkelobjektiv MC Flektogon 2,8/20 ADB, ADBfE und das MC-Sonnar 2,8/200 mm heraus. Es folgten seit 1979 die PRARTICAR-Objektive für die Ramerareihe Praktica B. Unter den Prismenfeldstechern, die in diesen Jahren angeboten wurden, zeichneten sich die Prismenfeldstecher 8 χ 50,12 χ 50 NOTAREM 10 χ 40 Β besonders aus. Hervorzuheben ist ferner das Zielfernrohr für Jagdgewehre vom Typ VZF 1,5-6 χ 39.63

Geräte zur Fernerkundung der Erde Im Sommer 1975 lag die technische Aufgabenstellung für die Mutispektralkamera und den Multispektralprojektor vor, so daß in der Hauptabteilung WAS/WAR

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Jenaer Rundschau. Informationen 1984, S. 18; Jenaer Rundschau 1985, S. 37. Michael Schumacher/Siegfried Pider; Großplanetarium COSMORAMA für Berlin.In: Jenaer Rundschau 1987, S. 147. Jenaer Rundschau 1986, S. 113. Exportprogramm, S. 49. GB Nr. 2408 (Kurzcharakteristik. Werk für Optische Präzisionsgeräte Carl Zeiss JENA GmbH.) Jenaer Rundschau. Informationen 1976, S. 22; 1977, S. 35; Messe-Sonderbeilage 1979 S. 17-18; Jenaer Rundschau 1980. Informationen, S. 21.

Veränderte Prioritäten im Forschungs- und Entwicklungsprozeß

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Abb. 68 PRAKTICAR-Montage im Betrieb Saalfeld

die Arbeiten an dem MKF-6-Komplex aufgenommen werden konnten. 64 Den Mitarbeitern der Hauptabteilung gelang es, den Komplex in der geforderten Qualität fristgemäß fertigzustellen. Das war aufgrund des Fachwissens und der außerordentlichen Einsatzbereitschaft der damit beschäftigten Mitarbeiter, aber auch durch die tatkräftige Unterstützung der Rollegen im Jenaer Glaswerk und in der Optik- und Mechanikfertigung, die jede gewünschte Unterstützung gewährten, möglich geworden. Der MKF-6-Komplex bestand aus der Multispektralkamera für die Aufnahme von Bildern in mehreren Spektralbereichen unter Verwendung unterschiedlicher Film-Filter-Rombinationen. Bei der MRF-6M waren es die Spektralbereiche 460 ... 500 nm (Blau-grün), 520 ... 560 nm (grüngelb), 580 ... 620 nm (gelb), 640 bis 680 nm (rot), 700 ... 740 nm (infrarot) und 790 ... 890 nm (infrarot). Gleichzeitig mit der MKF-6 wurde der Multispektralprojektor MSP-4 entwickelt, mit dem mehrere Multispektralbilder mit unterschiedlichen Farbfiltern übereinander auf einen Bildschirm oder auf Fotomaterial projiziert wurden. Mit diesem Gerät ließen sich spezifische Informationen der einzelnen Spektralbereiche sichtbar machen. Um Ropien von Μ RF-6-Aufnahmen in ausgezeichneter Qualität herstellen zu können, wurde im Zeiss-Werk der Präzisionskopierautomat PRA entwickelt. Mit dem Rontaktkopiergerät für

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Achim Zickler: Die Multispektralkamera MKF 6. Beginn der Zeiss-Jena-Beteiligung an der bemannten Raumfahrt. In: Jenaer Jahrbuch zur Technik- und Industriegeschichte 2001, Band 3, Jena 2001, S. 101-121.

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70 mm breite Filme ließen sich Kopien mit einem hohen Auflösungsvermögen herstellen. 65 Der erste Einsatz der MRF 6 erfolgte im Raumschiff Sojus 22, das vom 15. bis 23. September 1976 die Erde umkreiste. Während Bordingenieur V. Axjonow die Kamera bediente, steuerte Kommandeur V. Bykowski das Raumschiff von Hand. Im Verlauf des Fluges wurden in jedem Spektralkanal 2.000 Aufnahmen angefertigt Auf jeder Aufnahme war ein Gebiet der Erde von 115-165 km 2 abgebildet. 66 Die Kamera arbeitete einwandfrei.

Abb. 69 Funktionsprüfung der Multispektralkamera MRF 6 durch Dr. Achim Zickler (rechts) und seine Rollegen. Juli 1978

Die ausgezeichneten Erfahrungen, die mit der MKF 6 gesammelt werden konnten, führten dazu, daß die Nutzer nun Aufnahmen von größeren Gebieten der Erdoberfläche und Untersuchungen von zeitlichen Vorgängen in ausgewählten Gebieten der Erdoberfläche wünschten. Das Staatliche Zentrum PRIRODA der

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Präzisionskopierautomat PKA. In: Informationen aus Jena 1980, S. 7. Optische Technik für die Raumfahrt. In: Messe-Sonderbeilage 1977 der Jenaer Rundschau, S. 4-5; Achim Zickler: Die Multispektralkamera MKF 6, S. 101-121; Wolfgang Tzschuppe: Der Multispektralkameraprojektor MSP-4 - ein Farbsynthesegerät zur Auswertung von Multispektralaufnahmen. In: Jenaer Rundschau 1977, S. 266-269.

Veränderte Prioritäten im Forschungs- und Entwicklungsprozeß

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Hauptverwaltung für Geodäsie und Kartographie beim Ministerrat der UdSSR beauftragte das Zeiss-Kombinat, eine Kamera zu entwickeln und zu bauen, die in einer Raumstation vom Typ SALUT eingesetzt werden konnte und langzeitflugtauglich sein mußte. Dieser Auftrag stellte neue Anforderungen an die elektronischen und mechanischen Baugruppen, an das verwendete Material und an die Serviceeignung. Die an die veränderten Einsatzbedingungen angepaßte MKF 6 erhielt die Bezeichnung MKF 6M. Sie wurde in die Raumstation SALUT 6 installiert, die am 29. September 1977 startete. Die MKF 6M blieb länger als vorgesehen im Dienst Die zweite Kamera dieses Typs ging im April 1982 in der Raumstation SALUT 7 auf die Reise. Für den Einsatz in Orbitalstationen entstand als eine weitere Variante die MKF 6MA. Sie mußte eine Reihe weiterer Bedingungen erfüllen. Dazu gehörte die Notwendigkeit, die Kamera von der Bodenstation aus über Fernsteuerung zu bedienen. Später wurde die MKF 6MA auch in der Raumstation MIR eingesetzt Insgesamt wurden fünf derartige Flugeinheiten an das Staatliche Zentrum PRIRODA ausgeliefert. Die verwendeten elektronischen Bauelemente, Motoren, Stecker u. a. stammten aus sowjetischer Fabrikation. 67 Im Gefolge von Regierungsabkommen zwischen der DDR und der UdSSR wurde seit Mitte der siebziger Jahre im Forschungszentrum und im Betrieb für optischen Präzisionsgerätebau das für die Fernerkundung der Erde erforderliche Gerätesystem erweitert und ständig weiterentwickelt. Dazu gehörte die Ausrüstung für die Aufnahme von Meßbildern aus Luftfahrzeugen zum Zwecke der topographischen Vermessung und Interpretation. Das betraf das Multispektrale Flugzeug (Samolotnij)-Kamerasystem MSK 4 und das Aufnahmesystem Luftbildkammer LKM. Die MSK war ein Aufnahmegerät, das speziell für den Einsatz im Flugzeug entwickelt worden war. Seine optischen Systeme und mechanische Konstruktion zeichneten sich durch höchste Qualität aus. Der Kamerazyklus und die automatische Funktionsüberwachung erfolgten mikrorechnergesteuert Die im KSM 4 verwendeten elektronischen Elemente stammten aus der DDR. Die Kamera war mit vier Hochleistungsobjektiven vom Typ PINATAR 4/125 ausgestattet Die Multispektralbildsätze, die mit dieser Kamera aufgenommen worden waren, ließen sich automatisch und ohne Qualitätsverluste mit dem Präzisionskopierautomaten PKA Β verarbeiten. Vom KSM 4 wurden 30 Flugeinheiten hergestellt, davon gingen 17 an sowjetische Kunden. 68 1978 ersuchten sowjetische Fachleute, die auf dem Gebiet der Fernerkundung der Erde arbeiteten, die Leitung des Zeiss-Kombinates, bei der Entwicklung einer photographischen Sternenkamera behilflich zu sein. Die dazu im Forschungs-

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Dieter Wolter: Die Multispektrale Kosmische Fotoapparatur MKF 6MA - eine Weiterentwikklung für die sowjetischen Raumfahrt In: Jenaer Rundschau 1989, S. 146-147; Waldemar Skarus: Weltraumtechnik in Jena - erfolgreich aus der Vergangenheit in die Gegenwart und Zukunft (Typoskript). Vortrag in der Veranstaltung „Sehalt-Kreise" des Thüringer Forums für Bildung und Wissenschaft e.V. am 7. Dezember 2002 in Jena. Jenaer Rundschau. Informationen 1985, S. 4-5; Skarus: Weltraumtechnik in Jena - erfolgreich aus der Vergangenheit in die Gegenwart und Zukunft.

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Zentrum U 1978/79 erarbeitete Machbarkeitsstudie ergab, daß der entstehende hohe Entwicklungsaufwand mit dem Bedarf an Kameras, den die UdSSR in Aussicht stellte, nicht refinanziert werden konnte. 69 Deshalb zeigte die Kombinatsleitung kein Interesse an diesem Projekt. Daraufhin unterbreitete die sowjetische Seite ein neues Angebot, so daß sich die Kombinatsleitung im Frühjahr 1981 bereit erklärte, gemeinsam mit dem Institut für Kosmosforschung der Akademie der Wissenschaften der DDR das Projekt zu bearbeiten. Jena übernahm die Entwicklung des Optikblockes und die Fertigung des gesamten Gerätes. 70 Für die damit befaßten Zeiss-Mitarbeiter erwuchs eine Reihe von Problemen, die u. a. aus dem Einsatz der Geräte im freien Weltraum resultierten, mit denen sie bisher nicht konfrontiert waren. Im Kombinatsbetrieb für die Entwicklung wissenschaftlich-technischer Ausrüstungen wurden die materiell-technischen Bedingungen für die Ausführung des Auftrages geschaffen, und Ende 1984 konnte nach der entsprechenden inhaltlichen und organisatorischen Vorbereitung mit der konkreten Entwicklung des Optischen Sternensensors begonnen werden. Für Sternensensoren war eigens das Objektiv INTENSOR 1,4/100 konstruiert worden, das hinsichtlich der optischen Eigenschaften und des verwendeten Materials den Anforderungen im Weltraum entsprach. 71 1987 lieferte der Betrieb die ersten beiden Flugsätze an das Interkosmos Institut in Moskau fristgemäß aus. Es folgten die Nachrüstung dieser beiden Sätze, die Lieferung weiterer fünf Flugsätze sowie eines Prüfungslaboratoriums. Aus sachlichen Erwägungen wurde das OSD nun als Astroorientierungssystem ASTRO 1 bezeichnet. 1988 kam der Vorschlag, ASTRO 1 für Flüge im Rahmen des Wissenschaftsprogramms SPEKTR weiterzuentwickeln. Generaldirektor Wolfgang Biermann hatte jedoch im Frühjahr 1989 beschlossen, den Weltraumbereich aufzulösen und die Fachkräfte für das Mikroelektronik-Programm arbeiten zu lassen. Er hatte das Entwicklungskollektiv in Gera, das an einer ähnlichen Thematik gearbeitet hatte, bereits auf dieses Programm ausgerichtet. Inzwischen hatten die sowjetischen Dienststellen die Geheimhaltung der Arbeiten am ASTRO 1 aufgehoben, so daß das Zeiss-Kombinat nun mit dem bisherigen Arbeitsresultat an die Öffentlichkeit gehen konnte. Auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1989 wurden der Optoelektronische Meßkomplex für Astroorientierung von Flugkörpern ASTRO 1 und der Optoelektronische Prüfkomplex für Astro 1 gezeigt. In der Information 1989 der Jenaer Rundschau wurde Astro 1 als erstes Gerät einer neuen Generation optoelektronischer Meßkomplexe für die Astroorientierung von Raumflugkörpern und deren Nutzlasten beschrieben, die zur operativen, autonomen und automatischen Bestimmung der aktuellen Orientierung eingesetzt werden konnten. Der Meßkomplex ermöglicht die Einbindung 69

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Waldemar Skarus: Jenaer Sternsensoren zur autonomen Richtungsbestimmung im Weltraum. Historie, Stand und Persektiven. In: Jenaer Jahrbuch zur Technik- und Industriegeschichte 2002. Verein Technikgeschichte in Jena e.V., Jena 2002, S. 181-188; Katharina Hein-Weingarten: Das Institut für Kosmosforschung der AdW, Berlin 2000, S. 124133. Eberhard Dietzsch: Der INTENSOR 1,4/100 - ein neues Objektiv für Sternsensoren. In: Jenaer Rundschau 1993, S. 144-145.

Veränderte Prioritäten im Forschungs- und Entwicklungsprozeß

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in Systeme der Astronavigation und Astroorientierung von Raumflugkörpern mit hoher Präzision, die Präzisionskoordinatenanbindung von Fernerkundungsdaten der Erdoberfläche oder kosmischer Objekte mit hoher geometrischer Auflösung und die Untersuchung der Dynamik der Navigations- und Orientierungsvorgänge von Raumflugkörpern. Astro 1 arbeitet mit drei Meßkanälen und zwei Rechnerkomplexen. Der erste Einsatz des ASTRO 1 erfolgte 1989 an Bord eines sowjetischen Raumflugkörpers, der an die Raumstation MIR angekoppelt war. ASTRO 1 war das Resultat einer Zusammenarbeit des Zeiss-Werkes mit den Instituten für Kosmosforschung der Akademie der Wissenschaften in der UdSSR und der DDR.72

Optische Militärgeräte In den achtziger Jahren erhielt die Produktion von optischen Militärerzeugnissen im Zeiss-Rombinat ein stärkeres Gewicht. Dazu gehörten neben den schon genannten Objekten das Universalmeßgerät UMGPi für Pioniere, dessen Entwicklung schon Mitte der siebziger Jahre aufgenommen, aber zugunsten des FLS 72 zeitweilig zurückgestellt worden war, und dann in den achtziger Jahren gefertigt wurde. Hinzu kamen das Stereonachtsichtgerät PM 1 für einen Pionierpanzer, die Meßeinrichtung Β LP für einen Brückenpanzer und ein Prüfautomat für Schützenwaffenmunition. Nachdem die Entwicklungsarbeiten an dem Zielsuchkopf der Luft-Luft-Rakete R 13 Μ und an dem Ziellaserentferungsmesser für den Panzer T-72 sowie an der Feuerleitanlage „Wolna" für die Modernisierung des T-55 Α abgeschlossen waren, begann die Fertigung dieser Geräte. 1983 belief sich die Produktion der Luft-Luft-Rakete auf 2.500 Stück. Um eine rentable Produktion der optischen Geräte für die Panzer zu ermöglichen, hatte man 1983 für 1987/88 den Ausbau der Vorfertigung ins Auge gefaßt. Es war eine Produktion von 500 Stück pro Jahr vorgesehen. Zu dieser Zeit wurde auch an einem Blendschutz gegen Atomblitz der Kernwaffen, an einem modularen System von Zieltrainingsgeräten und einem Feuerleitsystem mit Wärmebildtechnik gearbeitet Im Zusammenhang mit einem Regierungsabkommen zwischen der DDR und der UdSSR über den Bau von Kriegsschiffen, in dem die DDR den Bau von Artillerieschnellbooten übernommen hatte, die mit Seezielraketen ausgerüstet werden sollten, fiel dem Zeiss-Rombinat die Aufgabe zu, die Zielsuchköpfe für diese Geschosse zu entwickeln und zu fertigen. 73 72

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Skarus: Jenaer Sternsensoren zur autonomen Richtungsbestimmung im Weltraum, S. 181188; Waldemar Skarus/Christian Elstner: Astro 1 - ein optoelektronischer Meßkomplex für die Astroorientierung von Raumflugkörpern. In: Jenaer Rundschau 1989, S. 139-140; Jenaer Rundschau. Informationen 1989, S. 8-9. Vorlage für das Politbüro der SED: Komplexe Konzeption zur weiteren Entwicklung des Forschungs-, Produktions- und Exportprofils einschließlich der Entwicklung der Speziellen Produktion bis 1985 und für den Zeitraum 1986 bis 1900 des Kombinates VE Β Carl Zeiss JENA vom 7. April 1983 In: Buthmann: Kadersicherung im Kombinat VEB Carl Zeiss Jena, S. 202-203

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Dazu hatte 1980 in der Abteilung UO eine kleine Mitarbeitergruppe die Arbeiten aufgenommen. Dieses Objekt, unter der Bezeichnung 016 im Rahmen des Staatsauftrages „Mikroelektronik" ausgeführt, war eine niedrig fliegende Raketenwaffe für Seeziele mit spezieller Zielauswahllogik. Die Teilnehmer einer im Dezember 1982 abgehaltenen Spezialistenkonsultation stellten fest, daß dieses Projekt völlig neue Anforderungen stellte. Das betraf insbesondere optische Medien im Infrarot-Bereich, spezielle Technologien für Festkörperlaser, hochintegrierte Schaltkreise zur Meßdatenverarbeitung, optoelektronische Sensoren, optische Kristalle, Sensoren zur Nachtsichtfähigkeit und Wärmebildverarbeitung sowie Elemente der miniaturisierten Leistungselektronik. Dieses Projekt wurde zwischen 1982 und 1987 ausgeführt. Dazu gehörte die Konstituierung der Bearbeitergruppe, die Schaffung der entsprechenden Fertigungstechnik und -technologie, die Projektierung und Realisierung der erweiterten Kapazitäten in Göschwitz, Gera und im Jenaer Glaswerk, die Gründung der Arbeitsrichtung Modellierung komplexer technischer Systeme und die Schaffung einer hochmodernen IR- und CCD-Meß- und Prüftechnik. 1987 entschied das Politbüro der SED aufgrund der politischen und ökonomischen Situation, in der sich die DDR Ende der achtziger Jahre befand, und im Zuge der Abrüstungspolitik, die von den Staaten des Warschauer Paktes verfolgt wurde, die Einstellung der Arbeiten an dem Objekt 016. Die erzielten Forschungs- und Entwicklungsresultate konnten im zivilen Bereich genutzt werden. Dazu gehörten die Arbeiten an den IR-Objektiven, die 1981 aufgenommen worden waren. 1983 stellte der Forschungsdirektor UO das erste in der DDR entwickelte IR-optische System vor. Zwischen 1985 und 1988 wurden die Arbeiten an der ersten geschlossenen IR-optischen Objektivreihe weitergeführt, so daß die Mitarbeiter der Abteilung UO Ende der achtziger Jahre imstande waren, jedes physikalisch sinnvolle System innerhalb von drei Monaten zu entwerfen. Im optischen Präzisionsgerätebau konnte auch die Entwicklungsarbeit an der OBV-Kamera, bei der es vornehmlich um das neue Prinzip der inkoherenten strukturzonalen Analyse ging, für die Probleme der Informationsverarbeitung technisch konkret, applikationsreif und konkurrenzfähig getestet werden. Der Lösung lagen Technologien und Bauelemente zugrunde, die in der DDR verfügbar waren.

ZWÖLFTES KAPITEL

Die Umwandlung des VE Β Carl Zeiss JENA in die Carl Zeiss JENA GmbH Der unfreiwillige Rücktritt des Generaldirektors Im Herbst 1989 war nicht mehr zu übersehen, daß sich das politische und wirtschaftliche System in der DDR in einer fundamentalen Krise befand und die Partei- und Staatsführung nicht in der Lage war, das Land aus dieser Krise herauszuführen. Im Ostblock hatten sich längst tiefe Risse gezeigt. Die einzelnen Staaten lösten sich aus dem Wirtschaftsverbund, dem RGW, heraus, und der Warschauer Militärpakt verlor seine Funktionsfahigkeit. Die politische Führung der UdSSR war weder in der Lage noch willens, diesem Auflösungsprozeß entgegenzuwirken. Vor allem aber hatte sie die DDR zugunsten ihrer nationalen und internationalen Interessen aufgegeben, zumal die SED-Spitze aus ihrer kritischen Distanz gegenüber dem politischen Kurs, den Michael Gorbatschow nach außen und innen verfolgte, keinen Hehl machte. Sie selbst war nicht gewillt, den Reformbestrebungen in der eigenen Partei und in der Bevölkerung Rechnung zu tragen. In der ostdeutschen Bevölkerung artikulierte sich der angestaute Unmut über das SED-Regime immer offener und aggressiver. Gleichzeitig wuchs in den Kreisen, die für das Gesellschaftssystem in der DDR standen, die Frustration über die Unfähigkeit des Parteiapparates der SED zu einer grundlegenden Korrektur der Politik. Das zeigte sich auch in Jena und den anderen Städten, in denen Kombinatsbetriebe ihren Standort hatten. Nachdem am 9. November 1989 die Grenzen zu Westberlin und zur BR Deutschland geöffnet worden waren, veränderte sich das gesellschaftliche Klima in der DDR, in der Stadt Jena und in den Büros und Werkstätten der Kombinatsbetriebe grundlegend. Am 17. November 1989 hatte sich unter Hans Modrow eine Koalitionsregierung gebildet. In der SED machte der Zerfallsprozeß rasche Fortschritte. Spitzenfunktionäre wurden aus der Partei ausgeschlossen. Das ZK der SED trat geschlossen zurück. Günter Mittag, Harry Tisch, Erich Honecker, Willi Stoph, Erich Mielke und andere Politbüromitglieder wurden verhaftet, SED-Mitglieder traten in Scharen aus der Partei aus. Egon Krenz, der für kurze Zeit das Amt des Staatsratsvorsitzenden innehatte, ließ den Führungsanspruch der SED aus der Verfassung der DDR streichen. Unter dem Druck der Bürgerrechtsbewegung gingen Staatsfunktionäre vielfach aber auch aus eigener Überzeugung dazu über, die staatlichen Institutionen zu nutzen, um einer demokratischen Entwicklung den Weg zu ebnen. Beiden Seiten gelang es, den gesellschaftlichen Umgestaltungsprozeß ohne gewaltsame Auseinandersetzungen zu beginnen. Im November und Dezember 1989 waren die Vorstellungen über das Ziel der in Gang gesetzten Veränderung noch sehr unscharf. Man war sich lediglich darüber einig, daß das staatssozialistische System, das sich in den letzten Jahrzehnten herausgebildet hatte, beseitigt werden mußte. Keine der politischen Strömungen in der Bevölkerung hatte

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zu dieser Zeit klare Vorstellungen über die künftige Beschaffenheit der Gesellschaft in der DDR, zumal man nicht wußte, wie sich die UdSSR und die anderen Siegermächte des Zweiten Weltkrieges verhalten werden. Allerdings mehrten sich die Stimmen, die für eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten auf gleichberechtigter Grundlage eintraten. Anfang Dezember 1989 drängten Bürgerrechtler im „Neuen Forum" auf ein rascheres Tempo des Umgestaltungsprozesses und forderten einen konkreten Termin für Volkskammerwahlen. Das Neue Forum in Karl-Marx-Stadt rief zum Generalstreik auf, sollte bis zum 6. Dezember 1989 kein Termin feststehen. Am 6. Dezember traten Betriebsbelegschaften in Plauen in einen zweistündigen politischen Warnstreik. Am 7. Dezember 1989 konstituierte sich in Berlin der Runde Tisch. Vertreter der Bürgerrechtsbewegung, der politischen Parteien und der Regierung erörterten aktuelle Probleme und trafen Entscheidungen, die den Demokratisierungsprozeß beförderten. 1 Was sich in Berlin und in anderen Städten und Gemeinden in der DDR vollzog, zeigte sich natürlich auch in Jena. Im Zeiss-Werk richtete sich die Aufmerksamkeit bald auf das ehemalige Mitglied des ZR der SED und Generaldirektor des Zeiss-Kombinates. Er personifizierte in besonderer Weise das SED-Regime und das staatssozialistische System. Seinesgleichen wurden nicht nur für die Fehlentwicklungen in der DDR verantwortlich gemacht, sondern auch als Hemmnis für einen gesellschaftlichen Neuanfang betrachtet. Zunächst wurde ihm vorgehalten, er habe Privilegien genossen. Das war zu dieser Zeit ein Argument, das im Zusammenhang mit Berichten über besondere Vergünstigungen, die hohen Partei- und Staatsfunktionären zuteil, aber der Bevölkerung vorenthalten worden waren, oft vorgebracht wurde. Ende November/Anfang Dezember 1989 wurden die Stimmen lauter, die seinen Rücktritt forderten. In den Tagen, in denen sich in den Jenaer Kombinatsbetrieben die Forderungen nach Rücktritt von Wolfgang Biermann häuften, nahmen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den Betrieben zu. Die politische Regsamkeit in den Büros und Werkstätten, die sich in eifrigen Diskussionen über die Veränderungsprozesse in Berlin und in anderen Städten der DDR und in persönlichen Angriffen auf Funktionäre der SED und des FDGB äußerten, beeinträchtigten das Arbeitsklima und wirkten sich negativ auf die Arbeitsleistung aus. In die gleiche Richtung wirkte der allmähliche Autoritätsverlust von staatlichen Leitern und die sich lockernde Arbeitsdisziplin. Viele Belegschaftsangehörige nutzten die neuen Reisemöglichkeiten. Es bestand die reale Gefahr, daß die Erzeugnisse nicht mehr fristgemäß ausgeliefert werden konnten. Die Betriebsleiter, die dafür verantwortlich waren, mußten außerordentliche Anstrengungen unternehmen, damit die Produktion ordnungsgemäß durchgeführt wurde. In diesen Tagen trafen sich die Leiter der Jenaer Betriebe häufig, um ihr Handeln zu koordinieren. Als Anfang Dezember 1989 in den Belegschaften in Jena und Saalfeld die Forderung nach Rücktritt von Wolfgang Biermann mit der Streikandrohung verbunden wurde,

1

Hannes Bahrmann/Christoph Links: Chronik der Wende. Die DDR zwischen 7. Oktober und 18. Dezember 1989. Berlin 1994.

Die Umwandlung in die Carl Zeiss JENA GmbH

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wenn Biermann nicht umgehend zurücktreten sollte, kamen die Betriebsleiter zur Ansicht, daß gehandelt werden muß. Nach Erörterung der aktuellen Situation in ihren Betrieben faßten sie in den Mittagsstunden des 7. Dezember 1989 den Entschluß, dem Generaldirektor umgehend nahezulegen, aus dem Amt auszuscheiden. Nachdem sie sich darüber verständigt hatten, hielten sie es für angebracht, das weitere Vorgehen mit Mitgliedern der Kombinatsleitung zu besprechen. Der Erste Stellvertreter des Generaldirektors, Klaus Gattnar, der über die Situation im Bilde war, setzte für den frühen Abend eine Koordinierungsberatung an. Zur Vorbereitung dieser Beratung kamen die Betriebsleiter mit den in Jena anwesenden Mitgliedern der Kombinatsleitung zusammen, die zur gleichen Ansicht wie die Betriebsleiter gelangt waren. Wolfgang Biermann, der aus gesundheitlichen Gründen nicht im Dienst war, ließ Bernhard Kammerer, den Betriebsleiter des optischen Präzisionsgerätebaus, telefonisch wissen, daß er wegen seines Gesundheitszustandes nicht an der einberufenen Koordinierungsberatung teilnehmen kann, sondern wünschte, daß sie am Vormittag des 8. Dezember 1989 stattfindet Bernhard Kammerer hatte Wolfgang Biermann über die Rücktrittsforderungen in Kenntnis gesetzt und auf die Dringlichkeit der Beratung verwiesen, da sonst in den Betrieben mit Ausschreitungen gerechnet werden muß. Am frühen Morgen des 8. Dezembers 1989 bestellte Wolfgang Biermann Bernhard Kammerer zu sich, der seinem Gesprächspartner deutlich machte, daß in den Betrieben die Meinung vertreten werde, der Generaldirektor habe die Politik des SED-Politbüromitglieds Günter Mittag durchgesetzt und sich bei jeder Gelegenheit auf seine guten Beziehungen zu Mittag berufen. Gleichzeitig ließ er wissen, daß das Leiterkollektiv Biermanns Rücktritt für notwendig erachte. Daraufhin erklärte Wolfgang Biermann, er werde aus gesundheitlichen Gründen den Antrag auf Entbindung von der Funktion des Generaldirektors stellen. Über diesen Gesprächsverlauf unterrichtete der Betriebsleiter Klaus Gattnar. Um 11 Uhr fand dann die Koordinierungsberatung statt, in der Wolfgang Biermann zunächst Kombinatsangelegenheiten zur Sprache brachte, aber eine Rücktrittserklärung vermied. Mit Hinweis auf seinen Gesundheitszustand, der tatsächlich nicht gut war, übertrug er seinem Ersten Stellvertreter die Aufgaben, die während seiner Abwesenheit zu lösen waren. Nach dieser Beratung verlangte Klaus Gattnar im Beisein des Kombinatsjustiziars von Wolfgang Biermann die Rücktrittserklärung. In persönlichen Gesprächen versuchten auch andere Kombinatsleitungsmitglieder, Wolfgang Biermann von der objektiven Notwendigkeit seines Rücktritts zu überzeugen. Da Wolfgang Biermann nicht gewillt schien, das Feld ohne weiteres zu räumen, verfaßte Klaus Gattnar den Entwurf einer Rücktrittserklärung und legte sie Wolfgang Biermann zur Unterschrift vor, die er dann auch am späten Nachmittag des 8. Dezembers 1989 leistete. Diese Erklärung reichte Wolfgang Biermann beim Minister ein. Um 18 Uhr setzte er die Jenaer Betriebsdirektoren vom Inhalt seiner Rücktrittserklärung in Kenntnis und verabschiedete sich von ihnen.2

2

Archiv Klaus Mütze (Protokoll zur Forderung des Rücktritts des Generaldirektors, Prof. Bierraann, vom 2. Januar 1990).

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Damit ging wiederum eine Periode in der Geschichte des Jenaer Zeiss-Werkes zu Ende.

Das widerspruchsvolle Urteil über Wolfgang Biermann Nachdem die Potenzen des Kombinates VEB Carl Zeiss JENA in der ersten Hälfte der siebziger Jahre durch die inkonsequente Führung nicht hinreichend erschlossen worden waren, trug das Wirken von Wolfgang Biermann entscheidend dazu bei, die wissenschaftlich-technische und ökonomische Leistungsfähigkeit dieser Wirtschaftseinheit zu steigern. Im ersten Jahrzehnt seiner Generaldirektion sorgte er dafür, daß der optische Präzisionsgerätebau wieder im Zentrum der Unternehmensstrategie stand und das Innovationspotenzial zielgerichtet gefördert und systematisch zum Tragen gebracht wurde. Dazu gehörten die Entscheidungen, die geeignet waren, das Zeiss-Werk und das gesamte Kombinat so zu strukturieren und zu organisieren, daß der gesamte Reproduktionsprozeß von der Vorlaufforschung bis zur Markteinführung der Erzeugnisse effizienter gestaltet werden konnte. Wolfgang Biermann legte auch Wert darauf, daß Zeiss-Jena auf den westlichen Märkten größere Präsenz zeigte. Der von ihm verfolgten Unternehmenspolitik war es mit zu danken, daß in den achtziger Jahren das Image des VEB Carl Zeiss JENA im In- und Ausland erhöht wurde. Unter seiner Generaldirektion gelang es, das Zeiss-Werk und das Kombinat in seiner Gesamtheit bis zur Mitte der achtziger Jahre ökonomisch zu stabilisieren und auf einigen Gebieten des optischen Präzisionsgerätebaus den Rückstand gegenüber der internationalen Konkurrenz zu verringern und auf ausgewählten Gebieten die Spitzenposition zu halten bzw. einzunehmen. Wolfgang Biermann, der um die Voreingenommenheit der Zeissianer gegenüber Werksfremden, denen eine Führungsposition im Zeiss-Werk übertragen wurde, und um die unbefriedigende Arbeitsweise seines Vorgängers wußte, suchte von Anbeginn seiner Tätigkeit zu erreichen, daß es die Mitarbeiter ihm gegenüber nicht an Respekt fehlen ließen. Ihn erwarb er sich durch intensives Einarbeiten in die Spezifik des optischen Präzisionsgerätebaus, so daß er schon nach kurzer Zeit in der Lage war, anstehende Probleme sachkundig zu beurteilen und zutreffende Lösungen anzubieten. Gleichzeitig zeigte er Entscheidungsfreude. Beides verschaffte ihm bei den Fachleuten Autorität. Wolfgang Biermann schuf ein dichtes Kontrollnetz, das es ihm erlaubte, in kurzen Intervallen zu überprüfen, ob getroffene Entscheidungen inhaltlich und fristgemäß ausgeführt werden. Das fand nach den Jahren einer laxen Ausführung von Entscheidungen die Zustimmung bei den Mitarbeitern, denen an einem straffen Leitungsstil gelegen war. Dieses positive Urteil läßt nicht darüber hinweg sehen, daß der Generaldirektor vor allem in den ersten Jahren seiner Tätigkeit bei der Bewertung von Arbeitsresultaten, die er nicht billigte, gleichgültig, ob zu Recht oder zu Unrecht, die Mitarbeiter auf eine Weise beurteilte, die weder der kollegialen Atmosphäre entsprach, die im Zeiss-Werk üblich war, noch dem was in der DDR unter „sozialistischer Menschenführung" propagiert wurde. Der oft-

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mals rüde Umgang Biermanns mit Belegschaftsangehörigen, zumal mit Leitungskräften, die sein Mißfallen erregt hatten, war außerordentlich diskriminierend. Das Bestreben, sich auch auf diese Weise Respekt und Autorität zu verschaffen, war für ihn und für das Zeiss-Werk nicht dienlich, sondern sorgte sowohl bei den Betroffenen als auch in ihrem Rollegenkreis für Unmut und Frust und untergrub die Arbeitsmoral. Seit Mitte der achtziger Jahre veränderte sich die Situation für den Kombinatsdirektor Biermann. Die wirtschaftliche Gesamtlage der DDR, die sich zunehmend verschlechterte und die Art und Weise, wie der engere Führungszirkel um Erich Honecker und Günter Mittag darauf reagierte, schränkte den Aktionsraum für Wolfgang Biermann in zweierlei Hinsicht ein. Günter Mittag, der sich in der Wirtschaftspolitik das Alleinentscheidungsrecht anmaßte, wurde gegenüber anderen Wirtschaftsfachleuten immer beratungsresistenter. Er hatte wieder eine strikte Kommandowirtschaft eingeführt und traf in einem zunehmenden Maße subjektivistische Entscheidungen, die sich im Wirtschaftsorganismus störend auswirkten. Für die Wirtschaftsfunktionäre war es nicht mehr opportun, gegen solche Fehlentscheidungen zu opponieren. Das galt auch für Wolfgang Biermann, der wegen seiner parteipolitischen Zuverlässigkeit und Führungskompetenz das Wohlwollen der Parteispitze genoß. Nicht von ungefähr führte der Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzende des Staatsrates der DDR, Erich Honecker, in seinen Memoiren das Zeiss-Kombinat als Beleg für die erfolgreiche Wirtschaftspolitik der SED an und bezeichnete Wolfgang Biermann als seinen Kampfgefährten. 3 Diesem politischen Ansehen und dem Ruf der Durchsetzungsfähigkeit Biermanns war es vor allem mit geschuldet, daß in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre das Aufgabenspektrum des Zeiss-Kombinates stark erweitert wurde. Das Kombinat wurde nun nicht nur damit beauftragt, einen erheblich größeren Beitrag zur Ausrüstung der Streitkräfte der Warschauer-Pakt-Staaten mit anspruchsvollsten optischen Militärgeräten zu leisten, sondern neben dem Bau von Elektronikmaschinen auch die Verantwortung für den entscheidenden Teil der mikroelektronischen Industrie, die Entwicklung höchstintegrierter Speicherschaltkreise, zu übernehmen. Dadurch wurde das Zeiss-Kombinat nicht nur überdimensioniert, sondern in seinem Aufgabenspektrum sehr heterogen. Wolfgang Biermann stand damit unter einem Erfolgsdruck, dem er ungeachtet eines hohen persönlichen Einsatzes weder politisch-moralisch noch physisch gewachsen sein konnte. Im Kombinat verschoben sich die Akzente sehr stark zugunsten profilfremder Arbeitsgebiete. Das ging zu Lasten der Innovationsfähigkeit in den Kerngebieten des optischen Präzisionsgerätebaus. Hinzu kam, daß sich die außenwirtschaftlichen Beziehungen zu den anderen RGW-Staaten, insbesondere zur UdSSR, wandelten, weil man in diesen Ländern das zentralverwaltungswirtschaflliche System weitgehend aufgab und marktwirtschaftlichen Elementen immer größeren Raum gab. Die rüstungspolitischen Folgen der Entspannungspolitik bedingten, daß das beachtliche Forschungs- und Entwicklungspotenzial,

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Erich Honecker. Aus meinem Leben. Berlin 1981, S. 269, 272.

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das man in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre für den optischen Militärgerätebau im Zeiss-Rombinat geschaffen hatte, innerhalb kurzer Zeit inhaltlich neu ausgerichtet und für die Fertigung neue Dispositionen getroffen werden mußten. Dabei setzte Wolfgang Biermann auf den weiteren Ausbau des Elektronikmaschinenbaus. Der Generaldirektor, der in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre von grundlegenden Entscheidungsprozessen, die das Zeiss-Rombinat betrafen, weitgehend ausgeschlossen blieb, weil sie nur von einem kleinen und nahezu geschlossenen Zirkel von Sicherheits- und Parteipolitikern getroffen wurden, mußte sie lediglich „abstrichslos" ausführen. Dem versuchte er aus Parteidisziplin und Staatsräson gerecht zu werden.

Die beginnende Transformation im VEB Carl Zeiss JENA Seit Dezember 1989 standen die Leitungskräfte des Rombinates VEB Carl Zeiss JENA vor der Aufgabe, das Unternehmen auf marktwirtschaftliche Erfordernisse vorzubereiten. Dazu gehörte, dafür zu sorgen, daß die Betriebe ihre Leistungsfähigkeit steigerten und effektiver wirtschafteten. Gleichzeitig war es unerläßlich, Vorstellungen über die künftige Zusammenarbeit mit ausländischen Unternehmen zu erarbeiten. In dieser Hinsicht hatte die Rombinatsleitung schon erste Schritte unternommen. Das setzte freilich die Einhaltung der Verträge, die mit Runden geschlossen worden waren, voraus. Dazu bedurfte es aber des Arbeitsfriedens, der zu dieser Zeit durch Streiks gefährdet war. Um ein tragfähiges Gesamtkonzept für den Übergang zur Markwirtschaft zu erarbeiten, war ein längerer Zeitraum erforderlich, zumal noch nicht zu übersehen war, aufweiche Weise sich in der DDR die Markwirtschaft herausbilden wird und wie sich die Beziehungen zur BR Deutschland konkret gestalten werden. Ein Schwerpunkt war das Vorhaben, den VEB Carl Zeiss und das Jenaer Glaswerk wieder in das Eigentum der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena zu überführen. Bei den strategischen Überlegungen spielten die künftigen Beziehungen zu den Firmen Carl Zeiss, Oberkochen, und Schott Glaswerke, Mainz, eine besondere Rolle. Die Jenaer Betriebsleiter hatten eine Rommission gebildet, die sich die Aufgabe gestellt hatte, intensive Rontakte nach Oberkochen aufzubauen. Dem diente offensichtlich ein Treffen der Betriebsleiter Bernhard Rammerer und Dr. Bernd Reinhold mit dem Vorstandsmitglied der Firma Carl Zeiss, Gustav Pieper, am 2. Januar 1990 im Saarland.4 Einen Monat später, am 2. Februar 1990, besuchte Dr. Horst Skoludek, Vorstandssprecher der Firma Carl Zeiss, Oberkochen, in Begleitung des Justiziars von Einem und Pressesprecher Manfred Berger Jena, um einen persönlichen Eindruck vom inneren Zustand des Jenaer Rombinates zu gewinnen. Bei dieser Gelegenheit kam es zu einem gemeinsamen Abendessen mit Rlaus Gattnar und anderen Mitgliedern der Rombinatsleitung. Dabei wurden vornehmlich die Geschäftsfelder der beiden Unternehmen und Möglichkeiten erör-

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Hermann: Und trotzdem Brüder, S. 216

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tert, die sich aus einer Bündelung der Kräfte auf den Märkten ergeben könnten. Am 20. und 21. Februar 1990 weilte Horst Skoludek, diesmal in Begleitung seines Vorstandskollegen Prof. Dr. Jobst Herrmann, erneut in Jena. Am 1. März 1990 beschloß die Modrow-Regierung, eine Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums zu gründen und erließ am gleichen Tag die Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften.5 Nach den Wahlen zur Volkskammer der DDR am 18. März 1990 ließ der neue Ministerpräsident, Lothar de Maizi6re, ein Treuhandgesetz ausarbeiten, das nach einer kontroversen Diskussion am 17. Juni 1990 von der Volkskammer angenommen wurde und zum 1. Juli 1990 in Kraft trat Mit der Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften ging der VEB Carl Zeiss JENA ebenso wie die juristisch selbständigen Betriebe, die bisher zum Zeiss-Kombinat gehörten, in die Treuhandverwaltung über. Um den Privatisierungsprozeß des VEB Carl Zeiss JENA einzuleiten, nahm am 1. April 1990 ein Arbeitsvorstand seine Tätigkeit auf. Seine Mitglieder erklärten, daß sie die „Geschäftsführung wieder unter die Abbeschen Maximen stellen", d. h. das die in staatssozialistischen Betrieben bestehende Einzelleitung durch das Prinzip der kollegialen Führung des Unternehmens ersetzt wird. Unter dem Vorsitz von Klaus Gattnar nahmen die anderen Vorstandsmitglieder bestimmte Arbeitsgebiete wahr. Prof. Dr. Klaus Mütze war für die Produktionsstrategie, Dr. Edgar Riedel für Finanzstrategie und Heinrich Hedrich für Marktstrategie zuständig. Dem Vorstand gehörten ferner die Betriebsdirektoren Bernhard Kammerer, Betrieb für optischen Präzisionsgerätebau, Dr. Dieter Altmann, Direktor des VEB Jenaer Glaswerke, und Klaus Weber, Direktor des VEB Elektromat Dresden, an. Der Arbeitsvorstand machte es sich zur Aufgabe, die Markt-, Produktund Finanzstrategie für das Jenaer Unternehmen auszuarbeiten und damit die Grundlage für die künftige Geschäftspolitik zu schaffen. Das war die Voraussetzung, um die finanzielle Stabilität des Unternehmens zu sichern. Dabei galt es, die Unternehmensentwicklung nach marktwirtschaftlichen Prinzipien zu gestalten. Dem Arbeitsvorstand oblag es, die juristisch selbständigen Betriebe, die bisher zum Zeiss-Kombinat gehörten, nach den Vorschriften der Regierungsverordnung vom 1. März 1990 in Kapitalgesellschaften umzuwandeln. Eine besondere Aufgabe für den Arbeitsvorstand bestand in der Rückführung des VEB Carl Zeiss JENA und des VEB Jenaer Glaswerk in das Eigentum der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena. Schließlich hatte der Arbeitsvorstand die Zentralbereiche und Betriebe des VEB Carl Zeiss JENA zu führen. Anfang Mai 1990 wurde bekannt, daß zum 1. Juli 1990 die DM in der DDR allgemeines Zahlungsmittel wird. Damit war eine wesentliche Veränderung der bis-

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Beschluß zur Gründung der Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums (Treuhandgesetz); Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften. Gbl. 1990 I, S. 107.

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herigen Geschäftsbedingungen für das Zeiss-Werk sowohl auf dem Binnen- als auch auf dem Außenmarkt abzusehen. Das betraf auch und vor allem die Beziehungen zwischen den beiden Zeiss-Unternehmen sowie zwischen dem Jenaer Glaswerk und Schott. Die Vorstände der vier Unternehmen reagierten darauf mit einer Erklärung über die Gestaltung ihrer Beziehungen in absehbarer Zukunft. Sie äußerten am 29. Mai 1990 in Biebelried die Absicht, die vier Unternehmen in einer Carl-Zeiss-Stiftung zusammenzuschließen, sobald „das unter Berücksichtigung wirtschaftlicher und sozialer Gesichtspunkte möglich und vertretbar ist".

Abb. 70 Unterzeichnung der Absichtserklärung zur Carl-Zeiss-Stiftung - Biebelrieder Erklärung - durch Dr. Klaus Gattnar für VE Β Carl Zeiss JENA (2. v. 1.) und Dr. Horst Skoludek für Carl Zeiss, Oberkochen (3. v. 1.). 29. Mai 1990

Die Unternehmen sollten in diesem Geiste in der Übergangszeit „freundschaftlich zusammenarbeiten, gegenseitig ihre rechtliche Selbständigkeit achten und alle zumutbaren Möglichkeiten ausschöpfen, die dem beiderseitigen Nutzen dienen". Die Unterzeichner der Erklärung erwarteten, „daß die Regierung der DDR im Zuge der Privatisierung der Jenaer Unternehmen Bedingungen schafft, die eine wirtschaftliche Lebensfähigkeit dieser Unternehmen unter Berücksichtigung auch der sozialen Verpflichtungen ermöglichen". Bis zum Zusammenschluß in einer Carl-Zeiss-Stiftung erklärten sich Zeiss-Oberkochen und SchottMainz bereit, „sich an privatisierten Kapitalgesellschaften des Kombinats VEB Carl Zeiss JENA zu beteiligen, sofern die Wirtschaftlichkeit der Beteiligung gewährleistet ist". Die beiden Zeiss-Unternehmen nahmen sich „unverzüglich eine Ergänzung der Londoner Verhandlungen zwecks Lösung anstehender Probleme der Nutzung der Firmen- und Warenzeichen für das Gebiet eines zusammengeführten Deutschlands und die Länder des geregelten Nebeneinanders, falls es sich als notwendig erweist", vor. In der einleitenden Bemerkung wurde

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auf die „unterschiedliche Rechtsauffassung in der Frage der Carl-Zeiss-Stiftung" hingewiesen. 6 Die Nichtanerkennung der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena durch die Führungskräfte in Oberkochen und Mainz hatten die Leitungen der Jenaer Unternehmen, den Stiftungskommissar und die Stiftungsverwaltung am 29. Januar 1990 dazu veranlaßt, den Ministerrat der DDR zu ersuchen, die juristischen Voraussetzungen für die Rückführung des VEB Carl Zeiss JENA und des VEB Jenaer Glaswerk in das Eigentum der Carl-Zeiss-Stiftung Jena zu schaffen. Das war notwendig, um die Nutzungsrechte am Namen Carl Zeiss und an den Warenzeichen zu wahren und die finanziellen Grundlagen für die Verpflichtungen der Stiftung gegenüber der Belegschaft, der Universität und dem städtischen Gemeinwesen finanziell weiterhin zu sichern. 7 Der Ministerpräsident der DDR ließ am 15. März 1990 die Stiftungsverwaltung wissen, daß er mit dem im Schreiben vom 29. Januar 1990 verfolgten Ziel übereinstimmt und die dafür nötigen Entscheidungen vorbereitet werden sollen. Zur gleichen Zeit hatte der Zeiss-Wissenschaftler Dr. Ing. Gerd Schuchardt die Bildung einer Rommission aus Parteipolitikern angeregt, die auf parlamentarischem und außerparlamentarischem Weg für die Rückführung der Jenaer Unternehmen in das Eigentum der Stiftung eintrat. Auf seine Initiative wandte sich die amtierende Kreisvorsitzende der SPD in Jena, Heidemarie Holzgräbe, am 20. März 1990 im Namen des SPD-Kreisverbandes mit dem Antrag auf Rückgabe der Unternehmen an die Carl-Zeiss-Stiftung an den künftigen Ministerpräsidenten der DDR, die dann erfolgen sollte, wenn in Thüringen aus freien Wahlen eine Landesregierung hervorgegangen ist und die Stiftungsverwaltung wahrnehmen und die personelle Besetzung der Stiftungsorgane - Stiftungskommissar und Geschäftsleiter - vornehmen kann. In dem Antrag wurde die Zusammensetzung und Zuständigkeit der Kommission „Rückführung Stiftungsbetriebe" eingehend dargestellt. Gerd Schuchardt übernahm es, den Kontakt zu den anderen politischen Parteien, zu den Belegschaftsvertretungen und zu den Geschäftsleitungen herzustellen. Die Kommission aus Vertretern der SPD, CDU und PDS nahm noch im März 1990 ihre Tätigkeit auf. Am 9. Mai 1990 bat Klaus Gattnar den Ministerpräsidenten Lothar de Maiziere und die Regierung der DDR „durch die Einbeziehung dieser Frage in die Verhandlungen mit der Regierung der BRD" um Unterstützung bei der Rückführung der Jenaer Unternehmen in das Eigentum der Stiftung. Er begründete die Bitte mit „Gesprächen, die mit den BRD-Unternehmen Carl Zeis Oberkochen und Schott Mainz über Fragen der Zusammenarbeit geführt wurden" und aus denen deutlich wurde, „daß die Existenz der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena nicht anerkannt wird.... Bei der Rückgabe der enteigneten Betriebe an die Stiftung in Jena nimmt die Anerkennung der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena durch die Unternehmen in der BRD auf Grund der mit diesen Unternehmen in der Vergangenheit zur Benut6 7

Archiv Mütze: (Absichtserklärung. Biebelried am 29. Mai 1990). Die im folgenden zitierten Unterlagen wurden von Dr.-Ing. Gerd Schuchardt zur Verfügung gestellt.

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zung des ZEISS-Namen und Warenzeichen getroffenen Vereinbarungen eine zentrale Stellung ein". Am 20. Juni 1990 fand beim Amt für den Rechtsschutz des Vermögens der DDR in Berlin eine Beratung statt, deren Resultat sich in einem Schreiben des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Gera an den Ministerpräsidenten der DDR, Lothar de Maizi6re, vom 22. Juni 1990 niederschlug. Danach war man übereingekommen, daß es dringend geboten sei, „im Zuge der Reprivatisierung der Zeiss-Betriebe ... die Geschäftsanteile zu 100 °/o an die Stiftung zu übertragen, damit die Namens- und Warenzeichenrechte gewährt bleiben und die Verhandlungspositionen gegenüber der Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim gestärkt wird". Lothar de Maiziere, der mit den Verhandlungsresultaten und den verschiedenen Stellungnahmen vertraut war, stimmte am 28. Juni 1990 in einem Schreiben an Klaus Gattnar dem „ausgehandelten Kompromiß, die Treuhand zu bitten, bis zu einer endgültigen Entscheidung die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena mit der Wahrnehmung der Verwaltung der Betriebe des ehemaligen Kombinates VEB CarlZeiss-Jena zu beauftragen", zu. Am 29. Juni 1990 unterzeichnete der Mitarbeiter der Treuhandanstalt, Erhard Schulz, im Beisein eines Notars den Gesellschaftsvertrag der Carl Zeiss JENA GmbH. Darin wurde bestimmt, daß das Jenaer Unternehmen unter Carl Zeiss JENA GmbH firmiert und auf unbestimmte Zeit errichtet ist. Die Gesellschaft hatte die Entwicklung und den Vertrieb von Erzeugnissen und Leistungen des optischen Präzisionsgerätebaus und artverwandter Branchen sowie Handelsund Dienstleistungen auf den genannten Gebieten zum Gegenstand. Das Stammkapital der Gesellschaft wurde mit 300 Millionen Mark der DDR angegeben und aus dem Vermögen des umgewandelten Betriebes gebildet. Die Stammeinlage wurde in der genannten Höhe von der Treuhandanstalt übernommen. 8

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GB Nr. 2408 (Gesellschaftvertrag der Carl Zeiss Jena GmbH vom 29. Juni 1990).

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Rolf Walter

Zeiss 1905-1945 2000. Χ, 354 Seiten. 1 farbige und 55 s/w-Abb. Gb. mit SU. € 39,90/SFr 71,I S B N 3-412-11096-5

Die Darstellung der Firma Carl Zeiss Jena folgt dem Konzept einer modernen, theoriegeleiteten Unternehmensgeschichte. Das bedeutet, dass auch wirtschaftswissenschaftlich relevante Aspekte untersucht u n d systematisch bearbeitet werden. Hierbei stehen die handelnden Menschen, die Geschäftsleiter, Ingenieure u n d Mitarbeiter der Weltfirma Zeiss im Mittelpunkt des Interesses. Ihrem Engagement ist es zu verdanken, dass das Unternehmen in komplizierten politischen und wirtschaftlichen Kontexten seine Weltgeltung ausbauen und festigen konnte. Das Buch stützt sich auf bislang ungehobene Quellen aus dem Archiv der Firma Carl Zeiss in Jena. Es vermittelt neue Einsichten in die Geschichte einer von der unternehmenshistorischen Forschung bislang völlig vernachlässigten Branche, nämlich der feinmechanisch-optischen Industrie. Darüber hinaus wird die internationale Bedeutung des Jenaer Stiftungsunternehmens herausgearbeitet. Der zweite Band der Unternehmensgeschichte der Firma Carl Zeiss Jena zeichnet deren Geschichte von 1905, dem Todesjahr des Physikers und Initiators der Carl-Zeiss-Stiftung Ernst Abbe, bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nach.

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