Carl Schurz: Ein deutscher Kämpfer [Reprint 2019 ed.] 9783111507293, 9783111140155


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German Pages 412 [420] Year 1929

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Entwicklung des Liberalismus in Deutschland bis zum Jahre 1848
3. Carl Schurz als Vorkämpfer des Liberalismus
4. Schlußwort. Schurz in Amerika und seine Bedeutung heute
Schurzliteratur
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Carl Schurz: Ein deutscher Kämpfer [Reprint 2019 ed.]
 9783111507293, 9783111140155

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Carl Schurz Ein -eutfcher Kämpfer

Carl Schurz Ein deutscher Kämpfer von

Dr. Otto dannehl stmtsgerichtorat

(Mitglied d. burfchenschaftl. hlstor. Commisfion)

Motto: Wilhelm II. an Miquel: „vom §els zum Meer, von Zugendtraumen zue Mannestat." Schurz: „wenn ich nicht der Bürger eines freien Veutfchland fein kann, so mochte ich wenigstens der Bürger des freien Amerika fein." (Brief vom 19. 4. 52.)

Berlin und Leipzig 1929

Verlag von Walter -e Grugter & Co. vormals O. Oöschen'fche Verlagshanölung / Z. Guttentag, Verlags­ buchhandlung ✓ Georg Reimer / Karl 3- ^rübner / Veit & Oomp.

Alle Rechte vorbehalten

Printed in Germany Copyright 1928 by Verlag Walter de Gruyter & Co., Berlin Auszugsweiser Vachdmck vor dem I.Mai 1-2- nur mit Genehmigung des Verfassers

Vertteter für Amerika: Paul porzelt bei Ladenburg, Thalmann L Co.,

25 Broad Street, Vew Port, U. S. A.

Druck von Walter de Gruyter & Co., Berlin W )O

Vorwort On Carl Schurz of

Richard Watson Glider (06) In youth he braved a monarch’s ire, To set the people’s poet free; Then gave his life, bis fame, bis fire To the long praise of liberty. His life, his fame, his all he gave That not on earth should live one slave, True freedom of the soul he sought And in that battle well he sought. He sought, and yet he loved not war. But looked and labored for the day, When the loud canon silent are And holy peace alone bath sway. Ah, what a life! From youth to age Keeping the faith, in noble rage. Ah. what a life! From knigthly youth Servant and Champion of the truth. — Not once, in all his length of days That falchion flashed for paltry ends, So wise, so pure, his words and ways, Even those, he conquered rose his friends. For went no rancor with the blow; The wrong, and not the man, his foe, He smote not meanly, not in wrath; That truth might speed he cleaved a path. The Iure of place he well could scorn, Who knew a mightier joy and fate, The passion of the hope forlorn, The luxury of being great. The deep Content of soul serene Who gain or lose with equal mien: Defait his spirit not subdued Nor victory marred his noble mood.

o Hat ein Amerikaner vor 23 Jahren der Trauer zweier Völker über

den

Tod

eines

Carl

Schurz

poetischen

Ausdruck

ge­

geben. Heute rüsten sich zwei Welten, die Zentenarfeier dieses großen

Deutsch-Amerikaners

(2.

März

1929)

festlich

zu

begehen.

Nicht

soll sie nur eine Totenweihe eines großen Staatsmannes werden, für den man bisher auch in Deutschland aus parteipolitischen Grün­

den nicht die erforderliche neutrale Objektivität hat aufbringen können, sondern noch mehr das verehrungövolte Gedenken an einen großen

VI Geisteshelden im Goethe-, Lessing-, Spielhagen-Jahr, an einen Ehren­ doktor dreier Universitäten, dessen Taten und Ideen noch machtvoll

in die Gegenwart und Zukunft zweier Völker hineinkeuchten, denen Carl Schurz einst eine gemeinsame Weltmission prophezeite. Solche Geisteöheroen kann man nur aus ihrer Zeit verstehen.

Deshalb erschien es mir erforderlich, meine Carl Schurz-Biographie etwas anders aufzubauen, als man dies gewöhnlich zu tun pflegt.

Bei Carl Schurz muß der

romanhafte

(„Disraeli") oder die Feuilletonart

von

Andre Maurois

Stil von Emil

Ludwig

ausscheiden.

Carl Schurz' Leben und Wirken, so gewaltig es an die Odyssee er­ innert, ist nur durch den geschichtlich-politischen Brennpunkt zu pro­

jizieren.

So mußte er geschildert werden, wie er in die Arena der

politischen Welt im großen „Erweckungsjahr" (1848) eintrat und auf den gewaltigen Wogen

genial hin­

der historischen Ereignisse

wie ein Sturmvogel auf hoher See sich herumtummelte. Vielleicht kann

auch

diese politische Schulung

an

den

ersten

deutschen Verfassungökämpfen, die leider den Traum unserer Väter

nicht zur Blüte reifen lassen konnten, dazu anregen, das große Ziel endlich in die Tat umzusetzen, an dem auch ein Carl Schurz mit heißem

feinen

Herzen mitgearbeitet hat,

Stämmen"

und

von

dem

das

Deutsche

Willen

zur

Reich,

inneren

„einig

in

Festigung

und zum kraftvollen Fortschritt beseelt, zu ehrlicher deutscher Ar­ beit in Harmonie mit den anderen Völkern auf der Basis der Gleich­ berechtigung zu schaffen.

Wenn die Zentenarfeiern im Schurzjahr

uns diesem Ziel näher bringen würden, so würde dies der beste Dank

sein, den wir dem Traum unserer Väter, den wir unserem großen Landsmann und „Bürger zweier Welten" Carl Schurz an seinem Ehrentage auf den Altar legen können.

Magdeburg, Februar 1929.

Dr. Otto Dannehl.

Inhaltsverzeichnis. Seite

1. Einleitung...................................................................................... 2. Die Entwicklung des Liberalismus in Deutschland bis zum Jahre 1848............................................................................... A. a) $ie Entstehung und Ziele des vormärzlichen Liberalismus... b) Die konstitutionellen Verheißungen .............................................. c) Die liberalen Ziele der Burschenschaft ........................................

i

r> 5 11 15

B. a) Die Abkehr von den Verheißungen von 1815............................. b) Der Kampf gegen den Liberalismus. Die Karlsbader Beschlüsse c) Das Zeitalter der Reaktion (bis 1830). Berfassungsleben.... Neue Vorzeichen des Aufschwungs.

21 26 39

C. Der Liberalismus nach der Julirevolution (1830—1840)................. a) Der rheinische Liberalismus .......................................................... b) Der süddeutsche Liberalismus........................................................ c) Die Offensive des Liberalismus (Hambacher Fest—Frankfurter Wachensturm) .................................................................................

45 47 51 58

D. Die Versuche zum politischen Zusammenschluß (1840—1847)........ 69 a) Das Wiedererstarken des Liberalismus in Preußen. Der König Friedrich Wilhelm IV...................................................................... 69 b) „Das Volk am freien deutschen Rhein" (7. rhein. Landtag) ... 73 c) „Die neue weltgeschichtliche Idee" (vergeistigter Sozialismus) 80 d) Das liberale Verfassungsprogramm (8. rhein. Landtag)........... 85 6) Der erste fehlgeschlagene Vorstoß auf dem „vereinigten Landtag". Die Bildung der liberalen Partei................................................ 94 f) Die Vereinheitlichung des Liberalismus in Deutschland. Die Parteikluft ....................................................................................... 107

3. Carl Schurz als Vorkämpfer des Liberalismus...................... ii6 a) Carl Schurz als Bonner Franke und deren Führer ....................... b) Carl Schurz als Führer der Studentenschaft ................................. c) Schurz als liberaler Politiker und Journalist .................................. 1. Der Ausbruch der Februarrevolution............................................ 2. „Die friedliche politische Regeneration des Vaterlandes"........... 3. Schurz und die Schleswig-Holsteinische Frage ............................. 4. Schurz als Organisator des demokratischen Vereins in Bonn ..

116 114 160 162 167 188 193

VIII Seite

5. Schurz am Grabe des vormärzlichen Liberalismus. Das Hervor­ treten der Demokraten ........................................................................ 6. Carl Schurz Leitartikel zur Politik ................................................. a) Der Waffenstillstand zu Malmö ................................................ b) Wien und unsere Hoffnungen..................................................... c) Das Kaisertum Hohenzollern ........................................................ d) Olmütz und Frankfurt.................................................................... e) Die Errungenschaften der Revolution ....................................... f) Die Wahl........................................................................................... g) Preußisches Theater........................................................................ h) Die östreichische Note...................................................................... i) Die politischen und sozialen Fragen ............................................ k) Der deutsche Kaiser................................................................... l) Der Wendepunkt ............................................................................ m) Ostreich und Ungarn ...................................................................... n) Die Kontrerevolution in Österreich.............................................. o) Die Ablehnung der Kaiserkrone.................................................... p) Die Revolution in Preußen.......................................................... q) Der Entscheidungskamps ................................................................ r) Resultate ........................................................................................... s) Frankreich........................................................................................... t) Die Flüchtlingsangelegenheit inder Schweiz............................. 7. Schurz als Militär. Die Belagerung in Rastatt..........................

4. Schlußwort.

199 212 214 224 235 254 264 268 277 283 289 297 309 314 322 333 341 347 355 360 367 374

Schurz in Amerika und seine Bedeutung heute. 391

Einleitung. „Auch Vvlkerwünsche sich erfüllen Nicht durch das Wunder einer Nacht. Drum mühe jeder sich im Stillen, Bis einst das Lebenswerk vollbracht. Bis daß im ganzen Vaterlande Der Freiheit Christbaum leuchtend glüht Solch Wunder kommt gewiß zustande. Wenn alles Volk darum sich müht."



So jauchzte Luise Otto-Peters, die „Lerche der deutschen Frauen­ bewegung im Jahre

1848"T)

eines

ihrer letzten Lieder der Frei­

heit — zu einer Zeit in die Luft, als der Dornröschenschlaf Deutsch­ lands nach der Errichtung des deutschen Kaisertums zu weichen begann. Schon früher hatten weitauöschauende kühne und kühnste Pioniere

dem

Genius

deö

neuen

Deutschland

durch

die

Dornhecke

den

blutigen Weg bahnen wollen. Aber mit zerrissenen Händen, von denen

ihr Herzblut floß, mußten sie den Dornen der Reaktion im Jahre 1849

weichen. Doch ihr Kampf („Leben für seine Ideale, um Gutes in Dir und um Dich zu vollbringen, das ist wahre Stärke"*2)) war nicht ver­

gebens.

Wenn auch das lodernde Feuer ihrer Ideale der höchsten

Humanität zur gräßlichsten Tragik der Unfruchtbarkeit in den Titanen­ kämpfen der größten deutschen Freiheitsbewegung, die man als „tolles

Wirrsal" leider bisher leicht abgetan hat, verdammt wurde, so sind die Sturmglocken der Revolution von 1848 noch nicht verstummt

und rufen auch heute wieder — jetzt erst für die meisten richtig ver­ ständlich — das deutsche Volk auf zu dem Kampf ihrer Väter für Freiheit und Recht nicht nur des Einzelnen, sondern auch des deutschen

Volkes im Streite gegen die Kriegsschuldlüge und die Reparations­ reaktion, sowie der ganzen Menschheit zur Aufrichtung deö großen

VölkerareopagS in Genf, der schon fast wieder im Sterben liegt.

Was die große Geburtöaristokratin („Memoiren einer Idealistin") Malvida von Meysenbug, die Freundin von Schurz, am Grabe jener

Welthoffnungen prophetisch vorausgesagt hat, wird uns erst jetzt nach dem Weltkrieg klar: *) Anna Blos: „Frauen der deutschen Revolution 1848 (1928)" S. 15.

2) Vgl. Note 1 S. 38 Malvida von Meysenbug. Dannehl, Schurz.

2 „Das Licht unserer Ansichten wird noch leuchten, wenn aller Des­ potismus mit dem Schatten ewiger Vergangenheit bedeckt sein wird." Und immer eindringlicher mehren sich die Stimmen, die endlich

dem deutschen Volke, dessen Verständnis für die politischen Fragen noch immer sehr gering ist, die Augen darüber öffnen wollen, wie cs „seit 1000 Jahren irrgegangen sei"3)4 5 und sich vor „Verantwortlich­

keiten"^) gedrückt habe, die in dem großen weltgeschichtlichen Ent­ wicklungsprozeße) die Pflicht zur Selbstbestimmung seiner Geschicke, wie es dem Liberalismus von 1848 vorschwebte, ihm auferlegte, die es Staatsmännern von kleinem Format auf Grund ihres Gottesgnaden-

tums überließ, denen der Hausmachtschacher des Wiener Kongresses höher stand als die Mitarbeit und Miwerantwortung des eigenen Volkes. Wenn überhaupt noch eine Wiedergeburt des europäischen Liberalismus, zu dem sich am 7. Juli 1928 Loyd George bekannt hat^, möglich ist, so kann sie nur erfolgen, wenn Deutschlands Libe­ ralismus sich seiner historischen Mission wie einst zu Schurz Zeiten er­

innert und sich aus der Etappe an die Front drängt. Hierzu ist aber erforderlich, daß man den Etappengeist abstreift und aus der eigenen Kraft unter Anknüpfung an die Ideale der „Forty-eigthers“6)

den Willen zum Fortschritt im Sinne des alten deutschen Humanitäts­ begriffes zielbewußt — und hoffentlich auch bald nicht ganz macht­ los mehr! — vorwärts treibt. Zu solcher Selbstbesinnung muß uns in den Zeiten der verblö­ denden Rekordsucht, der mechänistischen Parteischablone, des egoisti­ schen Parlamentarismus, der das Wohl des Staates, wie auch zu Schurz Zeiten in Amerika, den kleinlichen Parteiprinzipien nicht immer überzuordnen versteht, und des krassesten Materialis­

mus der 100. Geburtstag eines ganz großen Staatsmannes, „eines Bürgers zweier Welten", eines Politikers von großem

Format, eines Carl Schurz führen, der in sich die gewaltige antike Einheit eines Staatsmannes, Feldherrn und Dolksredners in 3) Alfred Krauß (öftere. General). „Der Irrgang der deutschen Königs­ politik" (1927). 4) Richard Fester (Halle). „Verantwortlichkeiten" in „Deutsche Rundschau" (April 1928, 54. Iahrg. S. 1—32). 5) Dgl. „Magdeburger Zeitung" 8. Juli 1928, Nr. 364. 6) Vgl. de Ionge: ,,Gottfried Kinkel as political and social Thinker“. New York 1926.

3 klassischer Form verkörperte und den das uralte Germanenschicksal — wie einst die deutschen Kaiser nach Rom — den Weg über den Ozean

in das Land führen sollte, wo sich sein Genie auswirken konnte und wo er in unerhört schneller Laufbahn zum General, Mitglied deö Senates, Minister deö Inneren und fast zum Präsidenten aufstieg, einer

der „größten amerikanischen Bürger", der „with a clear vision kor realities and a strong praktical sense“, „diplomate, statesmann, soldier and publicist“ 1852 nach Amerika kam „with the conviktion, that there he would find the ideals kor wich he fougth, „not fully realized, but at least struggling kor full Realisation“7). Wie in England Disraeli, der frühere Chartist und Sozialist, sowohl

für seine Torypartei wie auch noch heute „a name to conjure with“ (ein Vorbild!) ist, so sollte auch der Name von Carl Schurz und seine Persönlichkeit in Deutschland nicht nur der Jugend, sondern auch dem

gereiften Politiker als Ideal näher gebracht werden, obwohl hier noch nicht einmal ©£(>013„Speeches,correspondenceandpoliticalPapers“ in Übersetzung vorliegen. Mit Disraeli hat Schurz insofern Ähnlichkeit, als um beide der Schutt eines Traumes (um Bismarck sogar eines Reiches!) liegt, den die Scherben des 19. Jahrhunderts angehäuft haben. Beide waren Idealisten auf dem Throne der Wirklichkeit, beide gaben das große Beispiel unparlamentarischer Parlamentarier, unpolitischer Politiker, weil sie im Grollen der Katastrophen, im Kampf des Alltags als Titanen dastanden, die ihre eigenen Wege gehen mußten, die trotz aller

Erdennähe doch in höhere Weiten ihren Völkern den Weg wiesen. Bezeichnend ist hierfür Schurz „greatest Speech” 1859 in Faneuil Hall, on the Subjekt ok the „Ideal Mission of this country and this poeple“

„You may teil me, that my views are visionary,

that

the destiny ok this country are less great than i think they are or ougth to be. I answer, Ideals are like stars; you will not succeed in touching them with your hands. But like the seafearing man on the desert of waters, you choose them as your Guides, and following them, you reach your destiny!“ (Ideale sind Sterne, die man sich zu Führern wählt, will man sein Ziel erreichen!) ’) Kurz vor der Verwirklichung!

4 So stand Schurz

als

„forty-eigther“ auch

in

Deutschland

als ein Prediger und Streiter in der Wüste deö Absolutismus, unbe­

kümmert um sich selbst und seine Zukunft, nur dem Prometheuswillen in seinem Innern folgend und den Idealen, die ihm wie Sterne den

Weg auf seiner großen Seefahrt wiesen. Obwohl Schurz in seinen „Erinnerungen" ein wundervolles Bild in seiner plastischen Sprache von jenem „großen Erweckungsjahr"

des deutschen Volkes gegeben hat, so kann eö nicht vermessen erscheinen, einmal näher zu untersuchen, wie er selbst in diesem ersten politischen

Waffengang des neuen Deutschland gewirkt hat,zumal er bescheiden hier offenbar seine Person zu sehr in den Hintergrund stellt. Auf Grund ganz neuen Materials, teilweise sogar seines Tagebuchs, ist es möglich,

Schurz ungeheure Arbeit und sein Heranreifen zum Führer, Redner,

Journalist, Politiker und Militär im „tollen Jahr" kennen zu lernen und ihn als Vorkämpfer deö Liberalismus darzustellen. Obwohl

eine eingehende Würdigung jener gewaltigen Ereignisse, die Treitschke leider nicht mehr hat ausführen könnens, heute trotz des verdienst­

vollen Werkes von Prof. Brandenburg: „Die Reichsgründung" (4446) noch nicht ganz möglich erscheint, da hierzu die Vorarbeiten noch nicht abgeschlossen sind, soll hier der Versuch unternommen werden, Schurz

aus dem Geiste der Zeit als Vorkämpfer des Liberalismus der deutschen Jugend und dem deutschen Volke zu schildern.

Man muß endlich

auch in Deutschland erkennen, daß die Politik, wie Napoleon es einst ausgesprochen hat, auch unser Schicksal ist, und daß wir „aus

den Jugendträumen zur Manneötat", wie Schurz eö uns vor­ gezeigt hat, herauskommen müssen, wollen wir unsere exponierte Stel­ lung in Mitteleuropa 8 9) behaupten. Um zu verstehen, „unter welchen Umständen" Schurz wirkte und „was seine Taten in jenem Zeitalter zu bedeuten hatten", erscheint es erforderlich — in Schurz eigenem Sinne (vgl. Erinnerungen Bd. III S. 317) — zunächst ein

„Frame work“, einen Rahmen 10) ju geben, in welchem sich die „Entwicklung der Tatsachen" und seines Charakters den historischen Perioden cinfügt. 8) Vorhanden ist allerdings noch im Treischkearchiv «in Stenogramm seiner

Leipziger Vorlesung („Deutsche Geschichte 1848—50") aus dem Jahre 1863 von

Hans Blume (anscheinend „alte Gabelsberger"). 9) Vgl. Graf Coudenhove-Calergi: „Held und Heiliges usw.; Samuel San­

ger: „Die neue Ara" in „Die neue Rundschau" Juli 1928 S. 97 ff. usw.

10) Gleichsam der politische Stammbaum einer Biographie.

Die Entwicklung des Liberalismus in Deutsch­ land bis zum Jahre 1848» Die Entstehung und Ziele des Vormärschen Liberalismus. Der berühmte französische Dichter Viktor Hugo"), der nach dem

Zeitalter Ludwigs

des

14.

lebte

und

nach

der

Epoche

Formenschönheit eine neue Dichterschule heraufführte,

klassischer

hat

einmal

gesagt: „Die Romantik ist in der Literatur was der Liberalismus in der Politik."

Mag dieses Urteil hauptsächlich für Frankreich zutreffen, dessen Proklamierung der Menschenrechte und dessen Geistesströmungen von 1789 (Revolution) auch auf die Ideenwelt in Deutschland übersprangen

und das Horoskop für ähnliche Freiheitsziele stellten, so kann man doch nicht zugestehen, daß die Geburtöstunde des modernen Libera­ lismus auf französischem Boden geschlagen hat. Nach der Entdeckung

Amerikas durch Columbus im Jahre 1492 wurde der ständische

und

liberale

Staatsgedanke der Neuzeit zum ersten Male jenseits

deS großen Ozeans, der ja heute keine Völkerfcheide mehr bedeutet, in der nordamerikanischen Unionsverfassung vom Jahre 1787 ver­ wirklicht.

Hier wurde die praktische Lösung der großen Probleme von 1848



und

vielleicht auch

noch von heute —

für

Deutschland,

die

„Schaffung eines starken Gemeinwesens in der Form eines Bundes" und die „Herstellung einer Demokratie für ein großes Volk und Ge­ biet" — trotz verschiedener Länder — grundlegend im Sinne von Montesquieu verwirklicht, wohin Deutschland infolge

des „JrrgangS

n) Berühmt ist seine liberal« Rede vom 9. Juli in der französischen National­ versammlung über die Preßfreiheit.

6 seiner Königspolitik" ") erst 1919 gelangen konnte, ohne daß eine Einheitslösung bisher möglich war. In Amerika lag schon die gesetzgebende Gewalt in der Hand des

Kongresses, der aus dem Hause der Repräsentanten und dem Senate besteht. Hier war die Gleichheit der Bürger zum Grundrecht erhoben. Hier lag die vollziehende Gewalt in der Hand des Präsidenten „in the People of the United States“, der auch gegenüber dem Kongreß

ein suspensives Veto hatte. Hier war die Unabhängigkeit der richter­ lichen Gewalt statuiert usw."). Hier war schon der dreifache Staatszweck des modernen Staates

(Schutz des Bürgers, Ausbau der Rechtsordnung, Kulturförderung) in der Einleitung zum Ausdruck gekommen, wie ihn in ähnlicher

Weise die deutsche Reichsverfassung vom Jahre 1919 wiederholte: „Wir, das Volk der Vereinigten Staaten, in der Absicht, eine vollkommne Union zu bilden. Recht und Gerechtigkeit einzusehen, Ruhe im Innern zu festigen, für gemeinsame Verteidigung Fürsorge zu treffen, die all­

gemeine Wohlfahrt zu fördern und den Segen der Freiheit uns und unseren

Nachkommen zu sichern, verordnen und errichten diese Konstitution für die Vereinigten Staaten von Amerika."

Zum Vorbild für diese Staatseinrichtung hatte wohl das Staats­

wesen in England gedient, obwohl es weit hinter Amerika zurückblieb. In England war schon 100 Jahre früher nach der „glor­

reichen Revolution" von 1688 und dem Sturze Jakobs des 2. die berühmte

„Bill of Hights“

zum Staatsgrundsatz

erhoben.

Diese

hatte in England eine Art konstitutionelles Königtum geschaffen, in­ dem der König fortan nicht mehr von den Gesetzen dispensieren durfte

und feierlich das Recht des Grundbesitzerparlaments zur Gesetzgebung anerkannte. Immerhin wurde der stark aristokratische Charakter dieses Parlaments erst durch die Parlamentsreform im Jahre 1832 be­

seitigt, die nicht nur die Wahlkreise erweiterte, sondern auch dem breiten

Mittelstand

das

Wahlrecht

und

die

Möglichkeit

der

Ver-

trttung im Unterhaus gab. In Deutschland wurde der Boden für den liberalen Staats­

gedanken, obwohl ihm schon die Reformation und die Bauernbefrei18) Krauß: „Der Irrgang der deutschen Königspolitik" 1927.

Vgl. auch

Fester: Verantwortlichkeiten in „Deutsche Rundschau" April 1928.

13) Vgl. auch Dr. Kimpen: „Die Ausbreitungspolitik der Vereinigten Staa­ ten" 1923. van Loon: „Von Columbus bis Coolidge" 1928.

7 ung vorgearbeitet hatten, erst durch Stein und Wilhelm von Humbold gelegt, die hier herauszuholen und freizulegen suchten, was man durch Beseitigung des absolutistischen Abraums zur Grundlage des staat­

lichen Bergbaues

systematisch und vorausschauend

nehmen konnte.

In diesem Sinne hat Haußmann") den großen Staatsmann Wil­ helm von Humbold „als den ersten großen Vertreter des politischen Liberalismus als einer staatsumbildendenMacht" bezeichnet. Der praktische Liberalismus in der Politik entstand sonach in

den Zeitpunkten des Staatölebens, wo sich der Bürger vor die Frage gestellt sah, Rechtsgarantien gegen die Übergriffe der Regierungs­

gewalt zu erhalten. In Deutschland kam die Geburtsstunde erst reich­ lich spät. Dies lag wohl in der Hauptsache auch an der liberalen Regierung Friedrichs des Großen"), der seinen Nachfolgern in seinem letzten Willen (Oeuvres 6 S. 215) eingeschärft hatte: „Ich empfehle allen meinen Verwandten im guten Einvernehmen zu leben und wenn es sein muß, ihre persönlichen Interessen dem Wohl

des Vaterlandes zu opfern." 1772 (Oeuvres 8 S. 197): „Die Menschen haben sich Obrigkeiten unter­ worfen, um ihre Rechtsordnung zu sichern. Das ist der wahre Ursprung

der Souveränität. Die Oberen sind die ersten Diener des Staates."

In Deutschland wurde der praktische Liberalismus") merk­ würdigerweise auch nicht in der Arena des politischen Lebens geboren, sondern entstand in der Studierstube der Gelehrten, die zuerst philo14) 3m Handbuch der Politik. 15) Friedrich der Große hat schon richtig die Zukunft Deutschlands erkannt und ausgesprochen, daß der Rhein Deutschlands Grenze sein müsse: „Bis in seine tiefste Quelle schäumt der alte Rhein voll Groll. Fluch der Schmach, daß seine Welle fremdes Joch ertragen soll." Schon 1748 (Oeuvres 1 S. 123) (Denkwürdigkeiten von Brandenburg) bekannte

er sich zur „repräsentativen Monarchie". „Ein Fürst ist der erste Diener und der erste Magistrat des Staates und schuldet Rechenschaft dem Staat über den Gebrauch, den er von den öffentlichen

Steuern macht."

16) Vgl. Vergsträsser: „Geschichte der politischen Parteien", S. 10: „Die reine Lehre des Liberalismus führt zum Völkerbund (insofern pazifistisch eingestellt) als der möglichen Organisation zur Durchführung des Rechts in der Außenpolitik."

Friedrich

der Große schloß

sofort mit Nordamerika kurz vor seinem Tode

den Handelsvertrag ab und bekannte sich somit zu dem Völkerrechtsprogramm des Liberalismus.

8 sophisch-historisch den liberalen Problemen nahe zu kommen suchten.

aus

„Nicht

den

Klassenkämpfen

eines

reichen

und

selbstbewußten

Bürgertums, wie Treitschke zutreffend (Band 2 S. 14 seiner deut­ schen

ausführt, entsprang der deutsche Liberalismus,

Geschichte "))

sondern auö den Schulbegriffen der Gelehrten. Mit jener unbestimmten

historischen Sehnsucht nach den großen Tagen deö alten Kaisertums, die zur Zeit der Fremdherrschaft zuerst in den literarischen Kreisen

entstanden

war,

vermischten

sich

allmählich

die Lehren

der neuen

Philosophie über das natürliche Recht der freien Persönlichkeit, so­ dann einige Sätze aus Montesquieu und Rousseau, endlich auch ein gut

Teil gelehrter Standesvorurteile. nunftrechtlichen

Begriffen,

So entstand ein System von ver­

welche

unser

Volk

durch

die

Freiheit

zu seiner alten Macht emporführen sollten. Daß der Staat Macht ist

und der Welt des Willens bedarf, blieb diesem Geschlechte wohl­ meinender

voll

Gelehrter

noch ganz verborgen.

Erst nach Jahrzehnten

schwerer Verirrungen und Enttäuschungen

sollte das deutsche

Parteileben der Wiege der Doktrin entwachsen und von der Politik des Bekenntnisses sich erheben zur Politik der Tat." Der vormärzliche Liberalismus — als Staatsdoktrin — läßt sich

nur im Gegensatz zum Absolutismus begreifen.

Man darf seinen

Grundzug nicht zu eng auffassen, wie es Brandenburg usw. tut").

Der Liberalismus ist ein tiefer Drang nach Befreiung von der Last

der Traditionen und Vorrechte sowie von dem Zwange der Autorität, die Sehnsucht nach Mitverantwortung im Staate. Erst 1848 tritt dem Liberalismus

der Konservatismus gegenüber, der eine Politik

deö Beharrens, der Bremse, der Aufrechterhaltung der alten Vor­

machtstellung auf Grund geschichtlicher Entwicklung betreiben will. Der Liberalismus dagegen erstrebt den Fortschritt auf allen Gebieten entsprechend der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung, also eine

ständige Erweiterung der politischen Mitverantwortlichkeit jedes ein­

zelnen Mitbürgers, ohne Rücksicht auf sein Einkommen und seinen Stand.

Der Liberalismus ist also der aktive, der Konser­

vatismus

der

passive

Pol

im

Staatsleben.

Der

bekannte

17) Jetzt neu erschienen im Hcndclvcrlag als Volksausgabe.

") Vgl. Brandenburg: „Die Reichsgründung", S. 124 ff. Richtig teilt Bergsträsser ein: „Die Geschichte der politischen Parteien Deutschlands". (Ein Abriß.)

1926.

9 Politiker und Redakteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung Roh-

mer, der gerade in Bayern 1848 eine große Rolle spielte, hat des­ halb einen aufrichtigen „Versöhnungsblock" als das politische Ziel be­

zeichnet, „in dem Liberale und Konservative nicht Deutschland ab­

wechselnd zum Spielball eines fanatischen Radikalismus noch eines feigen, schwächlichen und eben darum nach Militärdespotie lüsternen

Absolutismus machen""). Deshalb ist es irrig, die Demokratie in Gegensatz zum Liberalismus zu bringen, wie dies Brandenburg tut*20). Hierauf hat neuerdings Prof. Kahl auf dem liberalen Parteitag in Berlin hingewiesen21). Die Demokratie ist lediglich eine linke Gruppe des Liberalismus, dem die Frage der Staatsform nicht die

Hauptsache ist. Die Differenzierungen in den Parteien, die gerade in Deutschland infolge der unglücklichen Charakterveranlagung (wenig Sinn für die Kunst des Erreichbaren!) besonders stark sind, ergeben sich lediglich als Richtungen aus den verschiedenen Auffassungen über das Staatsideal, den Staatszweck und die Staatspraxis. Gerade die Entwicklung der Deutschnationalen heute zeigt, daß es sowohl liberale wie konservative Republikaner — ebenso wie früher Monarchisten oder demokratisch-Konstitutionelle usw. — gibt, wobei das Zentrum — ur­

sprünglich auch stärkster Konservatismus

— heute alle Richtungen enthält,

auch 1848 im Rheinland durchaus liberal eingestellt war.

Der alte Absolutismus versuchte eine Konstruktion des mo­ dernen Staates von oben, wie er in der sozialen Dreiteilung des Mittelalters und in dem ständischen Programm der Konservativen von

1848 die aus der geschichtlichen Entwicklung heraus scheinbar ge­ gebene Lösung schien. Der vormärzliche Liberalismus sah sich also vor eine schwere Aufgabe gestellt, als er es unternahm, gegen die Fürsten den modernen Staat zu schaffen. Er konnte diese Lösung nur erreichen, indem er teilweise das Programm der französischen Revo­ lution übernahm, wollte er zunächst das Prinzip der Demokratie wie in Amerika vermeiden. Die Entwicklung des vormärzlichen Liberalismus22) als staats") „Augsburger Abendzeitung" 1848, Nr. 273 ')• 20) Dgl. Anm. 18. 21) „Magdeburger Zeitung", 2. Januar 1928, Nr. 353. 22) Hervorgerufen durch die Entstehung eines geistigen Bandes deutscher Ein­ heit durch Kant, der die Republik prophezeite. Schiller, der den „nationalen

Gedanken seiner Zeit durch sein literarisches Sprachrohr zum Angriff ansehte" und

10 umbildender Macht wurde aber wesentlich dadurch begünstigt, daß er zwei große Ziele seinem Programm einverleiben konnte. Einmal war er der Träger des immer mehr im Leben der Nationen zu seinem Rechte gelangenden subjektiven Freiheits- und Persönlichkeits­ prinzips, das an die Pflicht des Bürgers zur Mitverantwortung im Staate wirksam appellierte, und besaß somit das Erstgeburtörecht für die politische Zukunft Deutschlands. Dann aber war er der

legitime und volkstümliche Vertreter des Gedankens der künftigen Einheit der deutschen Nation. Seitdem im Volke der Druck der sozialen Nöte und Klassengegensätze infolge der wirtschaftlichen Ent­ wicklung immer mehr fühlbar wurde, seitdem der zündende Einheits­ gedanke — verbreitet durch die fähigsten Köpfe alter Burschenschafter

— zum Symbol auch der breiteren Massen erhoben werden konnte, waren die Vorbedingungen für die Machtstellung des Liberalismus — teilweise schon in den 40 et Jahren — in der Revolutionszeit 4848/49 gegeben, der den Staatsverfassungen in Deutschland seinen Stempel aufdrücken konnte, bis ihm die Reichsverfassungskampagne den Todes­ stoß versetzte, obwohl seine Ideen moralisch noch Bismarcks Reichs­ gründung wirksam beeinflußten und auch heute wieder aus dem Grabe ihre Stimmen für die Einheit des Reiches erheben.

Carl Schurz wurzelt mit seinen Ideen in dem Gedankenkreis des vormärzlichen Liberalismus, der damals im Rheinlande und auch in der Burschenschaft Frankonia, zu der Schurz mit Leib und Seele

gehörte, große Anhänger hatte. Es erscheint daher erforderlich, das. alte Testament des Liberalismus (Entwicklung und Ziele), das bisher eine eingehende Darstellung leider noch nicht erhalten hat23 * *) * *dem heutigen Deutschen wieder etwas nahe zu bringen, zugleich auch um

Schurz als Vorkämpfer dieses vormärzlichen Liberalismus darstellen zu können. dem Herzog von Augustenburg schrieb: „Politische und bürgerliche Einheit bleibt

immer und ewig das herrlichste der Güter, das niedrigste Ziel aller Anstrengungen und das groß« Zentrum der Kultus, Goethe („Hermann und Dorothea"), Les­ sing („Emilia Galotti"), Herder („Ideen zur Geschichte der Menschheit) usw.

23) Vgl. für die Geschichte der Nationalliberalen, der Erben des vormärzlichchen Liberalismus: E. W. Meyer: „Aus der Geschichte der nationalliberalen Partei

in den Jahren 4868—1874" in „Meinecke-Festschrift". Bergsträsstr: „Geschichte der politischen Parteien in Deutschland."

Wentzke und Heyderhoff: „Im neuen

Reich 4874—4890. Deutsche Liberale im Zeitalter Bismarcks. 500 Briefe" usw.

11

Dir konstitutionellen Verheißungen. In der Restauration Preußens^) nach Jena und Auerstädt und

in den Freiheitskriegen^) war der

konstitutionelle Gedanke des

Liberalismus Gemeingut des Volkes geworden. auch,

daß

Nun verlangte man

ein Staat diesem politischen Wollen der Mehrheit des

Volkes Rechnung trage.

Obwohl die Fürsten lediglich ihre Haus­

macht^) aufrechterhalten wollten, mußten sie doch dem Programm27) des Liberalismus, wenn es auch noch nicht durch eine Partei ver­

treten wurde, nachgeben. Besonders der König von Preußen hatte sich infolge des Einflusses von Stein und Humboldt zu Zugeständnissen

bequemt, die auf einen guten Willen schließen ließen. Am 27. Oktober 1810 versprach der König von Preußen, „der Nation eine zweck­ mäßig eingerichtete Repräsentation sowohl in den Provinzen wie

in dem Ganzen zu geben, deren Rat wir gerne benutzen und in der 24) Hardenberg entwarf in seiner Denkschrift aus Riga die großen Ziele: „Demokratische Grundsätze in einer monarchistischen Regierung", „Revolutionen im guten Sinne, binführend zu dem großen Zwecke der Veredelung der Menschheit, „Ständeorganisation nach dem Vorbilde Frankreichs". Stein führe diese Gedanken

im liberalen Sinne aus: a) 9. Oktober 1807: die Schaffung des freien Bauern­ standes („am Martinitage 1810 nur noch freie Leute"), b) 16. Dezember 1808: die Herstellung der Verwaltungseinheit durch 5 Fachminister und einem Staatsrat

(mit aus den Landständen zu wählenden Repräsentanten als Sachverständige), c) Städteordnung 19. November 1808 (Selbstverwaltung!). Steins weitere Pläne (Kreisordnung, Provinzialordnung und preußische Reichsstände) waren vom König

nicht zu erreichen. Steins liberaler Geist blieb nach seinem Ausscheiden (Ende 1808 auf Napoleons Befehl!) lebendig; a) im Heerwesen, wo Scharnhorst-Gneise-

nau 1810 die allgemeine Wehrpflicht einführten, b) in der Unterrichtsverwaltung, wo Wilhelm von Humbold die Schul- und Universitätsausbildung (BerlinBreslau) im liberalen Sinne ausbaute. 25) In den Freiheitskriegen wurde der Gedanke der nationalen Einheit Na­ tionaleigentum. Schleiermachers Predigten, Fichtes Reden, Arndt, Iahn, Kleist usw. sowie die Freiheitsdichter Schenkendorf, Uhland, Körner usw. wurden die Leuchtfernsignale zum Zusammenschluß. 26) Wie sich besonders aus dem „Schacher der Seelen" des Wiener Kon­

gresses 1815 ergibt, vgl. Krauß: „Der Irrgang der preußischen Königspolitik"

S. 344. Leider fand sich trotz Steins Bemühungen kein Verständnis zur Schaffung

eines liberalen

Deutschland,

obwohl hierzu nach Brandenburgs („Die Reichs­

gründung" S. 69) Urteil die Zeiten schon Sommer und Herbst 1813 günstig waren. 27) Auf die nähere Literatur kann hier nicht eingegangen werden.

12 wir unseren getreuen Untertanen die Überzeugung fortwährend geben werden, daß der Zustand des Staates und der Finanzen sich

bessere, daß die Opfer, die zu dem Ende gebracht werden, nicht ver­ geblich sind".

Noch weiter wurde dieses konstitutionelle Versprechen

durch die Verordnung vom 22. Mai 1815, die einen Preis für neue Opfer der Nation in Aussicht stellte, zum Rech.tssatz erhoben, „um

der preußischen Nation ein Pfand unseres Vertrauens zu geben, und damit der Nachkommenschaft die Grundsätze,

nach denen unsere

Vorfahren und wir selbst die Regierung unseres Reiches geführt haben,

treu überliefert und vermittelst einer schriftlichen Urkunde als Ver­

des

fassung

preußischen

dauerhaft bewahrt

Reiches

bleiben":

§ 1. Es soll eine Repräsentation des Volkes gebildet werden. § 2. Iu diesem Iwecke sind: a) die Provinzialstände da, wo sie mit mehr oder minder Wirksam­ keit vorhanden sind, herzustellen und dem Prinzip der Zeit gemäß

einzurichten,

b) wo gegenwärtig keine Provinzialstände vorhanden sind, sie anzu­ ordnen. § 3. Aus den Provinzialständen wird die Versammlung der Landes­ repräsentanten gewählt, die in Berlin ihren Sih haben wird.

$ 4. Die Wirksamkeit der Landesrepräsentanten erstreckt sich auf die Be­ ratung über alle Gegenstände der Gesetzgebung, welche die persönlichen und Eigentumsrechte der Staatsbürger mit Einschluß der Besteuerung betreffen.

Eine beschließende und entscheidende Mitwirkung wurde zwar hier

der Volksvertretung nicht zuerkannt, obwohl der Sinn dieser „Ver­ fassung" nichts anderes sein konnte, als zum konstitutionellen

System, wie eö im Programm des Liberalismus stand, überzu­ gehen. zutage,

der Einfluß

Offenbar tritt hier schon

der sich

dagegen wehrte,

von Metternich

konstitutionelle Zugeständnisse zu

machen, ohne daß es nötig wäre. Besonders im Wiener Kongreß

gelang es Mettemich, sein System in der Wiener Bundesakte vom 8. Juni 1815, die man überflüssigerweise auch noch unter die Garantie

Europas — als Jnnengesetz des deutschen Bundes! — stellte, erneut

zu verankern. Nur eine einzige Bestimmung, die den konstitutionellen

Gedanken auf Drängen Preußens (Steins!) freie Bahn schaffen sollte, wurde in

dem berüchtigten

Arttkel

13

ausgenommen:

„In

allen

Bundesstaaten — es gab deren 38 — wird eine landständische Verfassung

stattfinden."

Diese Schlußvorschrift wurde

aber ge-

13 schickt durch die Wiener Schlußakte vom 15. Febr. 20 wieder unwirksam gemacht, indem in Art. 55 die Interpretation (die Wiener Schlußakte mußten als Landesgesetz publiziert werden!) aufgestellt wurde:

„Den souveränen Fürsten der Bundesstaaten bleibt es überlassen, diese innere Landesangelegenheit mit Berücksichtigung sowohl der fürderhin ge­ setzlich bestandenen ständischen Rechte als der gegenwärtigen Verhältnisse zu ordnen" 27a). Durch solche Bestimmungen (Metternichsche Kniffe) sollte den

Fürsten die freiere konstitutionelle Entwicklung, selbst wenn sie wollten, unmöglich gemacht werden. Der deutsche Bund war somit eine Ver­ sicherungsanstalt für den gegenwärtigen Besitzstand der Fürsten geworden, nachdem es versäumt worden war, ihn im Steinschen Sinne zum Nationalstaat auszubauen, wobei noch Humboldt das Zusammengehen Österreichs und Preußens für möglich hielt28). „Dar­ in lag also die Schwäche jener Liberalen, welche sich um Stein schatten, daß sie trotz aller Bemühungen auf die praktische Politik

der beiden deutschen Großmächte keinen wirklichen Einfluß ausüben konnten" (Brandenburg S. 70) 29). Das einzige Mittel wäre gewesen,

dem Rate des Erzherzogs Johann von Österreich zu folgen, der am 13. November 1813 erklärte: „Zuerst Deutschland ausfegen!" (d. h. mediatisieren!). Auf legitimem Wege (unter „legitim" sind die Besitz­ rechte der Dynastien an Ländern und Menschen zu verstehen) konnten die „Vereinigten Staaten von Mitteleuropa" nicht zustande­ kommen.

27a) Weitere Kautelen zum Schuhe der absolutistischen Gewalten waren in Art. 57: „Da der deutsche Bund, mit Ausnahme der freien Hansastädte, aus souve­ ränen Fürsten besteht,.. so kann der Souverän durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an der Mitwirkung der Stände gebunden werden", und 58: „Die Fürsten dürfen durch keine landständische Verfassung in Er­ füllung ihrer Bundespflichten gehindert oder beschränkt werden". 28) Humbold: „Denkschrift 1813": „Die feste durchgängige Freundschaft Österreichs und Preußens ist allein der Schlußstein des ganzen Gebäudes. Das Wahre und Eigentliche wäre, daß Preußen und Österreich gemeinschaftlich den Bund leiteten." „Denkschrift vom 25. Februar 1815": Si Ion croit, que FAutriche ne se decidera pas a des transaktions nuisibles ä FAllemagne precisement ä cause de la dignite imperille, on oublie, q une puisance doit toujours agir ainsi que son interet reel l’exige.“ 29) Vgl. „Meineckes eigenartige Begründung", S. 250, in „Weltbürgertum, und Nationalstaat.

14 Auch

die

Hoffnung,

auf konstitutionellem

Wege weiter­

zukommen, erwies sich trotz verheißungsvoller Anfänge (Weimar er­ hielt zuerst seine Verfassung!) unmöglich.

Preußen konnte sich nicht

entschließen, die verheißene Nationalrepräsentation schnell einzuführen. Die Verordnung vom 17. Januar 1820 erweiterte zwar die Ver­ heißungen noch hinsichtlich deS Staatsschuldenwesens: „Sollte der Staat künftighin zu seiner Erhaltung oder zur Förderung

des allgemeinen Wohls in die Notwendigkeit kommen, zur Aufnahme eines

neuen Darlchns zu schreiten, so kann solches nur mit Zuziehung und unter

Mitgarantie der künftigen reichsständischen Versammlung geschehen."

Das allgemeine Gesetz wegen Anordnung der Provinzialstände vom 5. Juni 1823 bedeutete aber einen Rückschritt, indem es nur

die Errichtung von Provinzialständen „im Geiste der älteren deutschen Verfassung" anordnete und ihnen nur ein Beratungsrecht gab (Vor­ bedingung der Standschaft blieb das Eigentum!) und ein gewisses

Selbstverwaltungsrecht. „Wenn eine Zusammenberufung der allgemeinen Landstände erforder­

lich ist, hieß es diplomatisch, und wie sie dann aus den Provinzialständen hcr-

vorgehen sollen, darüber bleiben die weiteren Bestimmungen vorbehalten."

Die Provinzialstände — nicht die allgemeinen Landstände! —

wurden in der ganzen Monarchie — auch im neu dazu gekommenen

Rheinland — durch drei Gesetze vom 1. 7. 1823, und fünf Gesetze vom 27. 4. 1824 ins Leben gerufen. Sie haben aber zunächst einen besonderen Einfluß nicht auöüben können.

Da Preußen gezwungen

war, sich den Maßnahmen des Fürstenbundes anzuschließen, so begann mit diesem Zeitpunkt der Kampf des Liberalismus um die poli­

tische

Mitwirkung

bei

der Bestimmung der

Geschicke deö

Reiches. Erst jetzt begann der PartikulariSmuö, wie Treitschke sich ausdrückt 3°), in seiner Sünden Maienblüte zu treten. „Der Dünkel über den Besitz der Kaiserwürde und die weltfremde Selbstsucht der Fürsten" hat schließlich — wie auch 1848 — hier die Lösung sowohl

der Einheits- wie auch der Freiheitsfrage verhindert und die Verein­ heitlichung der deutschen Politik im Sinne einer bewußten Außen-

und Innenpolitik unmöglich gemacht.

30) Bismarck hat ebenso geurteilt: „Der Partikularismus wurzelt in dem gott­

losen und rechtlosen Souveränitätsschwindel der deutschen Fürsten"

15

Die liberalen Ziele der Burschenschaft. Die eigentlichen Träger der liberalen Bewegung nach den Frei­

heitskriegen wurden die akademisch Gebildeten.

„Die teutonische Be­

wegung", die schon während des Befreiungskampfes in Deutschland alle Herzen mitriß, und besonders aus der studentischen Jugend ihre begeisterten

Vorkämpfer

Kanonendonner als

holte,

versuchte

nationales Recht

später

das,

sie

was

im

erkannt

und nationales Ziel

hatte, — genau wie 1919 nach dem Kriege — auch im politischen

Leben zu verwirklichen^). schaft,

die

sie

Der Frontgeist

im Felde gepflegt

und

die

und die Kamerad­ über

die

Klassen­

unterschiede hinaus herzliche Bande geknüpft hatten, sollte nun auch

im politischen Leben in Gemäßheit der Versprechungen der Krone von 1815 daS große Ziel, für das man gemeinsam gelitten hatte, weiter­ verfolgen, die großdeutsche Friedenskameradschaft über alle

Gaue des Vaterlandes hinaus zu festigen. Man wollte die ver­

knöcherten Traditionen beseitigen und aktive Politik treiben, d. h. „die geistigen Fähigkeiten ausbilden, den Staat, das öffentliche Leben zu

verstehen und die Kunst üben, nach Maßgabe dieses Verständnisses auf den Staat und das öffentliche Leben einzuwirken" 31 32).

So

reichung

entstand

aus

vaterländischer

den „teutonischen Lesegesellschaften zur Er­ und

wissenschaftlicher

Zwecke",

aus

Ernst

Moritz Arndts „deutschen Gesellschaften" und aus den Ideen des

sogen. „Hoffmannschen Bundes" der burschenschaftliche Gedanke, der mit der Hauptträger des vormärzlichen Liberalismus geworden ist.

Die Gründung der Burschenschaft, von der Bismarck am 31. Juli 31) Vgl. Krauß, S. 361: „Weil die Befreiungskriege das »Reichs nicht ge­ bracht hatten, warf sich insbesondere die Jugend um so mehr auf den deutschen Volksgedanken. Deutsch, nicht anders, war das Wesen der ganzen Bewegung der

Burschenschaft." 32) Vgl. Schurz: „Erinnerungen", Bd. 1, S. 113: „Die Burschenschaft hatte ja auch ihre politische Tradition. In den Jahren unmittelbar nach den Befreiungs­

kriegen hatte sie in erster Linie den Ruf nach Erfüllung der gegebenen Versprechun­ gen erhoben. Sie hatte mit Eifer den nationalen Sinn gepflegt, wenn dieser Eifer

auch zuweilen in eine törichte übertriebene Deutschtümelei ausartete. — In den sogen. Demagogenverfolgungen hatten sie eine ansehnliche Zahl der Opfer ge­ stellt." Man erkannte es „als Pflicht an, sich von allem, was in der politischen

Welt vorging, wohl unterrichtet zu halten".

„Die politische Tätigkeit der alten

Burschenschaft war allerdings nicht fortgesetzt worden."

16 1892 in Jena anerkannte, daß ihre Ahnung zu früh gewesen sei, geschah in Jena am 12. Juni 1815. Die alten Landsmannschaften Vandalia, Thuringia, Frankonia

und

Curonia, di« unter die Führung alter Frontkämpfer gekommen waren (Rie­ mann, Scheibler Horn33) usw.), erklärten unter Teilnahme auch einer Anzahl

Finken int Gasthaus zur Tanne in Jena nach Absingung des Arndtschcn

Liedes: „Sind wir vereint zur guten Stunde" und „Was ist des Deutschen

Vaterland" feierlich, daß sie sich fortan zur „ersten deutschen Burschen­

schaft" zusammentun wollten.

Auch die anderen Universitäten (z. B. Gießen, Halle usw.) folgten

bald diesem Beispiel. Die Grundprinzipien der Burschenschaften (die Gründungöurkunde in Jena enthält 263 Paragraphen!) waren natür­ lich zunächst nicht ganz übereinstimmend. Man einigte sich jedoch bald auf die Farben der Lützower (schwarz-rot-gold) und auf den Wahl­ spruch der Hallenser Teutonen: Ehre, Freiheit, Vaterland. Als einigen­

des Band erschien der vaterländische Geist, der in der Einleitung der Jenenser Verfassung klar hervortrat: „Sichtbar muß auf den Universitäten das Volksgefühl in einer eigenen

Bildung hervortreten, damit wir uns des gemeinsamen Vaterlandes erinnern und stets in der allgemeinen Volkstümlichkeit fortstreben mögen. Daher soll und darf auf deutschen Universitäten nur eine Einheit bestehen, alle Studie­

renden müssen zu einer Verbindung gehören, alle müssen Mitglieder einer

Burschenschaft sein."

Die Kämpfe um die Konstitution der Burschenschaft, die nicht

gering waren und manchmal nur durch den freudigen Opferwillen zum Ausgleich führten, kamen erst 1818 zum Abschluß, zumal es auf dem berühmten Wartburgfest von 1817, das zum erstenmal Deutsche aller Stämme aus den deutschen Universitäten zu einer ge­ meinsamen Bundesfeier vereinigte, nicht möglich war, alle Differenzen zu schlichten. Am klarsten kamen die Ziele der Burschenschaft in dem Glaubensbekenntnis (ähnlich dem des bekannten Philosophen Fries in

Jena)^) des Kieler Arztes

Franz Hegewisch (Herausgeber der

„Kieler Blätter") zum Ausdruck, das dieser dem späteren berühmten

33) Der Sohn des ersten Sprechers der deutschen Burschenschaft Horn war auch Bonner Frankone gleich Schurz.

3‘) Fries und Oken gaben „Die Nemesis" heraus.

17 Orientalisten Olshausen für die Wartburgverhandlungen 1817 mit­

gab 35 * *). Das Hauptziel war zunächst die Schaffung des konstituti­ onellen Rechtsstaates, „daß das Recht sicher sei vor Gewalt, nicht nur von außen, sondern auch

von innen, daß gute Gesetze herrschen (.Gerechtigkeit und Ordnung') und daß die gesammelten Kräfte ordnungsgemäß zur rechten Stunde und am rechten Orte (wie im Felde!) wirken".

Um die zuständigen Instanzen von der Kraft des konstitutionellen

Gedankens zu überzeugen, sollte in der Burschenschaft ein Beispiel des Konstitutionalismuö gegeben werden („der akademische Bun­

desstaat!"): „Künftig müssen und werden gesetzliche Wege sein, auf welchem die

Wünsche braver, unterrichteter Männer des Landes zum Fürsten, zur Öffent­

lichkeit gelangen. Da es jetzt noch in dem allergrößten Teile Deutschlands an den gesetzlichen Wegen fehlt, da der Art. 13 der Bundesakte in dem größten

Teile Deutschlands noch nicht zur Ausführung gebracht ist, so geschehe das Nützliche durch freie Vereinbarung der Gesinnungen und Kräfte an gewissen übcrgangspunkten aus der alten Linie in die neue Zeit.

, so geschehe das

Notwendige auf ungewöhnlichem Wege durch freie Beschlüsse der ver­

sammelten deutschen Jugend am frei gewählten heiligen Orte."

Im einzelnen stellt Hegewisch nun in 27 Thesen -

nach dem

Vorbilde von Luther in Worms! — die Glaubenssätze auf, die Son­ derziele der Burschenschaft sein sollten. Sie seien hier gekürzt wieder­ gegeben: nach außen: $ 1. Ein Deutschland ist, soll sein und bleiben. Wir können nicht glauben, daß Deutschland aus 38 Inseln bestehe. $ 2. Den 18. Oktober (Schlacht bei Leipzig) zu feiern ist die Pflicht

eines jeden ehrlichen und frommen deutschen Mannes, jedes ehrlichen und frommen deutschen Fürsten... Wir vergessen der für die deutsche Freiheit ge­ fallenen Kämpfer nicht.

§ 3. Kampf gegen die Lehre von der Spaltung Deutschlands in Nordund Süddeutschland36).

3ä) Derartige präzisere Bestrebungen wurden allerdings nicht in der Konstitu­ tion verankert.

Sie sind gleichsam mehr der Kommentar zu ihr, der sich durch

mündliche Überlieferung fortpflanzte.

36) Noch auf dem Wiener Kongreß stellte der bayrische Minister Graf Montgelas mit Befriedigung fest: „In der Schwäche Österreichs und Preußens lag unsere Stärke." D a n n e h l, Schurz

2

18 § 4. Propagierung des Einheitsgedankens für den Krieg zum na­

tionalen Selbstschutz: „Wir sehen ein, daß, wenn Oder und Rhein nicht sicher

sind, keine Sicherheit auch um Elbe und Donau sein werden." § 5. Waffenübungen von Landwehr und Landsturm in Ehren halten! nach innen'. $ 6. Verantwortung der Minister für die Taten des Königs.

$ 7. Huldigung für Weimar: „Der Herzog hat zuerst aus tiefer Er­

kenntnis und Wertschätzung des deutschen Volkes, ohne Zwang, ohne Wider­ willen, ohne unedle Rücksichten und Ängstlichkeiten das in Wien zur Zeit der Gefahr gegebene Wort der deutschen Fürsten eingelöst und in seinem Lande

eine verbesserte Verfassung gestiftet, welche das meiste Musterhafte für alle

deutschen Lande enthält: Gott segne Blücher und Weimar!" § 8. Mahnung an die Fürsten zur Ausführung des Art. 13 der Bundes­

akte und zur Schaffung eines Ministerverantwortlichkeitsgesetzes. § 9. Wir wollen gehorchen dem Gesetz, dem vom Oberhaupt des Staa­ tes sanktionierten und ausgeübten, zuvor von erwählten Abgeordneten

des deutschen Volkes öffentlich geprüften und beratenen Gesetze. $ 10. Wir erklären, daß wir mit dem Worte „Souveränität, das vom Rheinlande stammt37), 38 nicht den Begriff der Despotie verbinden wollen.

Wir erklären auch, daß wir andere wünschenswerte Gleichheit kennen als die Gleichheit vor dem Gesetz, wie sie in England längst bestanden hat und für Frankreich durch die konstitutionelle Charte von Ludwig XVIII wirklich ausgesprochen ist. § 11. Schutz des Eigentums. — Gesetzmäßiges Abgabenrecht.

„Wir

bekennen, daß wir von der Wahrheit des in der Vorzeit Deutschlands begrün­ deten Satzes: Nicht Auflagen, sondern Abgaben! überzeugt sind sowie

auch von der Wahrheit, daß die Bewilligung der Abgaben nur von selbstge­ wählten Abgeordneten des Volks geschehen müsse und nur für ein Jahr. $ 12. Vorzugsrechte des Besitzes3S) in der Landesversammlung — ent­ weder nach dem Muster der Weimarschen Verfassung oder in einem Senate mit besonderen Deputierten.

$ 13.

Abscheu vor den Banden der Leibeigenschaft!

§ 14. Kampf gegen die Vorherrschaft des römischen Rechts39).40 Aufhebung der privilegierten Gerichtsbarkeit. Einführung von Geschworenen­ gerichten und öffentliche Rechtspflege.

37) Eigentlich wohl aus Frankreich.

Doch wurde der Ruf danach wohl im

Nheinlande ausgenommen. 38) Man fordert noch immer nicht Gleichstellung der besitzlosen Gebildeten

mit dem Besitz, obwohl gerade hierin ein schwerer Mangel lag, den der Liberalismus ausgleichen wollte. 39) Der erste Anfang war hier durch das Allgemeine Landrecht gemacht. Doch

fußt noch heute das BGB. vielfach auf römischen Grundsätzen!

40) Man fußt hier offenbar auf Fichte, vgl. S. 135 Anmerkung 270.

19 § 15. Recht auf Arbeit"). — Das Studium der Moral und

der Politik ist wichtiger als das der Metaphysik. § 17. Kampf gegen Zensur und Polizeiwillkür 41).

§ 18.

Einführung der freien Gemeindeverwaltung.

§ 21. Selbstbestimmungsrecht des Volkes hinsichtlich der Regie­

rungsform 42).43 § 23.

Schiedsrichterlicher Ausgleich — insbesondere bei Ehren­

händeln "). § 24. Pflicht, die Wahrheit zu sagen und laut zu sagen (Propaganda). $ 25. Kampf gegen Kastengeist und ferner die Begrenzung der Rechte

des Adels. § 26. „Wir bekennen, daß ein großer Teil der Greuel der Revolution

in Frankreich den Jakobinern zur Last fällt, daß aber ein nicht geringerer

Teil der Schuld auf denen ruht, die sich bemühten, die politischen Ver­ änderungen und Verbesserungen, welche die Zeit erforderte, zu hindern44).

Wir bekennen auch die Meinung und Überzeugung, daß ein

großer Teil des Unrechts und des Übels in der Welt aus der geduldigen und trägen Schwäche derer entspringt, welche Unrecht leiden, ohne die gerechten Mittel, welche ihnen zu Gebote stehen, zu ihrem Schutz zu gebrauchen45).

§ 27. „Wenn ein gemeinschaftlicher Kampf der Deutschen gegen den Feind bevorsteht, so wäre gewiß ein gemeinschaftliches Zeichen zu wün­ schen. Welche Farben aber können passender sein, als die Farben des Ernstes

und der Reinheit, welche Blücher trägt46).

Man sieht, daß diese Ideen, die auch Schurz zu seinem Pro­ gramm machte, durchaus gemäßigt sind, zumal man sie heute als Grundlagen des modernen Rechtsstaates gar nicht wegdenken kann. 41) Krauß S. 344: „Der partikularistische Staat war lediglich ein notwen­

diges durch Polizei, Gericht und Henker zusammengehaltenes Gefängnis und ganz unabhängig von der Staatsform. Ob absolut, ob konstitutionell, ob Monarchie oder Republik, das Wesen blieb sich gleich." Aus diesem Grunde konnte auch kein König von Preußen den Weg zum deutschen König finden! 42) Auch das heutige Völkerrecht sollte diesen Grundsatz jetzt durchführen

wollen. 43) Die neue Ehrenordnung der deutschen Burschenschaft, die 1928 endlich

Gesetz geworden ist, hat erst jetzt diesen alten Grundsatz verwirklichen können. Ver­

wiesen sei auch auf die Arbeitsgerichtsorganisation usw.

44) Vgl. auch die scharfe Kritik von Krauß: S. 354 ff. 45) Auch Schurz erkennt diese Notwehr gegen die Fürsten an, ebenso wie Fichte usw. 46) Vgl. Wentzke:

(schwarzweiß).

„Die

deutschen Farben", 1927,

S. 148, 150, 221

20 Sie enthalten in sich schon das Symbol Hindenburgs, der am 16. August 1928 bei der Taufe des neuen Ozeanriesen „Bremen" (die ein

„Glied mehr sein soll, das uns mit den Ländern jenseits des

Ozeans verbindet") dem deutschen Volke die Mahnung zurief, „daß nur

zusammengefaßte Kraft und ein einiges Wollen den Wiederaufstieg und die Selbstbehauptung in der Welt verbürgt" 47).

Die deutsche Burschenschaft kann hiernach in Anspruch nehmen,

daß sie nicht nur eine „Ahnung" gehabt, sondern auch schon das

heutige politische Programm Deutschlands verkörpert hat. In der Ver­ fassungsurkunde vom 18. Oktober 1818 (der „Allgemeinen deutschen Burschenschaft") wurde dieser „Jugendbundesstaat" lediglich all­ gemein „auf das Verhältnis der deutschen Jugend zur werdenden Ein­

heit des deutschen Volkes gegründet" und die Hauptziele politischer

Art durch die Schlagworte ausgedrückt: „Einheit, Freiheit, Gleichheit aller Burschen, christlich deutsche Ausbildung aller Kräfte im Dienste

des Vaterlands" ohne Festlegung auf besondere Richtungspunkte oder Parteien im heutigen Sinne, also ein liberales Programm mit

großem Spielraum, wie es aber auch erforderlich ist, um große

Wirkung in weiten Kreisen zu gewährleisten"). Auf diese Weise konnte die Burschenschaft alle besseren Elemente

des deutschen Studentumö an sich ziehen und mit diesem hohen libera­

len Geiste in den ersten 5 Jahren ihrer Frühzeit erfüllen. Diese Führer haben das liberale Banner durch alle Gaue Deutschlands getragen

und die Durchführung des burschenschastlichen Zieles auf manchen Umwegen und ohne Rücksicht auf die äußerst starken Widerstände, wenn auch manchmal fehlgreifend in der Wahl der Mittel und des

Weges — die vorerst noch dunkel waren —, für die Zukunft — noch ist das alte Ziel nicht erreicht! — gewährleistet. Es kann hier nicht der Ort sein, dies im Einzelnen zu verfolgen.

Verwiesen sei hier auf WenHkc: „Geschichte der deutschen Burschenschaft und Haupt-Wentzke: „100 Jahre deutscher Burschenschaft (Burschenschaftliche Lebensläufe von Gagern, Ludwig von Mühlenfels, Karl Fallen, Uwe Jens

Lornsen, Beseler, Max Duncker, Hoffmann von Fallersleben, Wilhelm Hauff, Fritz Reuter usw.) sowie das burschenschaftliche Archiv.

4’) Vgl. „Magdeburger Zeitung", Nr. 445, 2. Ausgabe vom 17. August 1928.

") Das ist heute der Fehler der Parteien — auch in der Burschenschaft! —, daß man über kleinlichen Sonderinteressen das große praktische Ziel aus dem Auge läßt und nicht versteht, Opfer der Überzeugung zu bringen im höheren Interesse.

21

Dir Abkehr von der Verheißung von 1815. Die Verheißungen von 1815, — in Süddeutschland ging man nach dem Wiener Kongreß vernünftigerweise zu konstitutionellen For­ men über — hatten auch in Preußen zunächst freudige Begeisterung ausgelöst. Das große Werk der Steinschen Verwaltungsreform konnte seinen Abschluß logischerweise nur in der Reichsverfassung finden,

die allein imstande war, die widerstrebenden Elemente des Staates durch die nachhaltige Gemeinschaft politischer Zusammenarbeit und

durch die Schulung in der Parteiorganisation zu lebendiger Staats­ gesinnung und tatkräfttger Verantwortung zusammenzuschweißen. Dies konnte naturgemäß nicht von heute auf morgen erfolgen. Man nahm deshalb vertrauensvoll die Lösung der Vorfragen in Angriff und ver­

suchte auch in der Presse die praktischen Probleme zu lösen, ohne sich allerdings Kopfschmerzen

über

die

wirkliche

Durchführbarkeit

zu

machen. Das Rheinland ging hier voran. Görres48*), der Herausgeber

des

Rheinischen

Merkur"

1814/15,

erörterte

in

einem

Artikel

(„Kongreßangelegenheiten" 17. Febr. 1815) zum ersten Male auch die

Frage der künftigen Organisation Deutschlands, die 1848 das

Scheitern der Paulskirche zur Folge hatte. Görres 48a) wollte keinen Staatenbund, wie ihn Metternich propagierte, sondern einen „Staatenstaat", denn „in jenem würden die Kräfte nur sum­

miert, in diesem aber die Faktoren mit sich selbst in ein Produkt multipliziert werden, und keine europäische Macht wird vermögen, mit des Schwertes

Schärfe diesen Fels zu teilen". „Österreich, um seiner Macht und Gewalt und früheren Verdienste willen gebührt die Kaiserwürde, Österreich hat seines

Vorteils wahrgenommen, wie alle dem ihrigen nachgegangen sind.

Cs hat

sich getrennt vom Reich (1803) und irrig geglaubt, es dürfe nicht seiner achten und selbständig abgeschlossen für sich bestehen. heimgcsucht (1809).

Gott hat es dafür

Das Reich, wo es nicht mit Österreich ist, ist gegen

Österreich. Darum wird es fortan ihm ein teurer Hort sein und eine Schuh­ wehr werden. Den nächsten Rang nach ihm sagt einstimmig das gesamte Volk Preußen zu. Und weil dies Haus von Ursprung an den Waffen sich ergeben und am Kriegsspiel sich erfreut, darum werde sein König zum Krvn-

feldherrn des Reiches erkoren."

Nach

dem

Wiener

Kongreß

hat

Görres

in

seiner Schrift:

48a)Am 18. 8. 1814: „Denn das best« ist die starke Einheit in der freien Vielheit."

22 „Deutschland und die Revolution" (1819) seine Pläne weiter ent­ wickelt"): „Man dachte sich ungefähr, ein Kaiser werde aufs neue an die Spitze

Deutschlands treten, die Würde erblich, solange das Geschlecht besteht, ihm zur Seite zum Schutze der Freiheit bei dieser Erblichkeit und zur Erhaltung des

Gegensatzes, der einstmals sich erhoben, ein deutscher König50). Dann die Herzöge des Reiches, seine Fürsten, Grafen, Prälaten und

übrigen Standesherrn in einer Pairskammer.

Die gemeinen aber in einer

zweiten Kammer des Reichsparlaments (1848 das Königs- und Unterhaus

Friedrich Wilhelms IV.) und also jedes Glied das Ganze bedingend und be­ dingt, alle Stämme sich beigeordnet, und keiner herrschend über den andern,

alle mit Freiheit dienend demselben Oberhaupte.

Die einzige Verfassung,

die seit langen Jahren auf der Teutschen Charakter und Sinnesweise paßt.

Dies also geordnet, trat dies Reich in der Gesamtheit der europäischen Staa­

ten mit dem ganzen Gewicht seiner Macht und Würde, getragen von dem

wiederbelebten Geiste des Volkes ein und die übrigen Angelegenheiten der

europäischen Republik ordneten sich nun nach Billigkeit und dem gemein­ samen Interesse der Teilnehmer gemäß."

Diese ständische Vertretung für Großdeutschland forderte man

aber nun auch für Preußen. Nicht nur die liberale, sondern die ge­ samte patriotische Presse hallte von diesen konstitutionellen Re­ formforderungen wieder bi). Sogar die interimistische National­ üb) Ludens Nemesis ruft 1815 nach dem Kaiser, von dem alles abhänge

„Nicht nach Verfassung, nicht nach Einteilung, nicht nach Handels-, Denk- uni

Gewissensfreiheit,

nicht nach Wegschaffung despotischer Einrichtungen, Studien

zwang, Nachdruck, Posterpressungen, unerschwinglichen Steuern, nicht nach alleder müssen wir fragen. Mit dem Kaiser ist das alles gegeben.

Es gibt in ihm kein

willkürliche Verhaftung, Einsperrung und Festungshaft mehr usw." Die „Deutsche

Blattes (Brockhaus) vom 9. Mai 1814 entwerfen einen „Europäischen Staater bund" — 3 Königreiche: im Osten Österreich, im Süden Bayern und im Norde

Preußen. „Germanen seid Germanen! Schafft Mitteleuropa!" Dahlmann schrei!

1815: „Kleine Schriften und Reden", S. 20: „Es muß ein innerliches Gan. werden aus dem vielgliedrigen Deutschland, oder das Blut vieler Deutschen i umsonst geflossen", ohne sich klar zu machen, wie dies erfolgen sollte.

bo) Ernst Moritz Arndt: „Geist der §eit", 1814: „Preußens rheinische Mark^

„Preußen ist in demselben Augenblicke wieder aufgestanden, aus Elend und Schänd wo seine Führer begriffen und es laut vor der Welt aussprachen, Preußen köni

und wolle nur in Deutschland bestehen (so tatsächlich 1848 Friedrich Wilhelm IV

und nicht außerhalb Deutschlands ... Der König muß des heiligen deutschen Reich

Markgraf bei Rhein sein!"

51) Gneisenau 28. August 1814: „Cs besteht die Notwendigkeit, Preuß bald eine Konstitution zu geben."

„Solches erwirbt uns den Primat über 1

23 repräsentation der alten Provinzen beschloß kurz vor ihrer Auflösung im Jahre 1815 — später wiederholt —, den König um schleunige einer beständigen, endgültigen Landesrepräsentation und Wiederbelebung der Provinzialstände zu bitten. Besonders eifrig

Einführung

und gewichtig gebärdeten sich die Stände in der Mark: „Unsere Verfassung hat wohltätig bestanden, ehe der preußische Staat

eine Verfassung hatte. Daß der Entwurf noch nicht fertig ist, kann daher kein Hindernis sein, die unsrigc durch den Tilsiter Frieden aufgehobene in unseren Grenzen zu lassen."

Diese altständische Bewegung, die weitere Kreise zog, bewog nun den Kanzler Hardenberg, am 7. Juli 1817 die Verfassungskom­

mission (zum ersten und einzigen Male) zu berufen, zumal auch aus liberalen Beamtenkreisen — besonders vom Rhein — gewichtige Stimmen zur Weiterausgestaltung der Steinschen Reformen sich er­

hoben. Präsident Sethe verlangte in einer Denkschrift, daß der Reichs­

tag auö Wahlen hervorgehen solle, indem allen „selbständigen" (1848 wurde dieser unbestimmte Ausdruck aufgegriffen) Wählern das Wahlrecht gegeben werden sollte. Im ähnlichen Sinne forderte ein Düsseldorfer Richter eine Interessenvertretung für die sozialen Klassen (hier auch an die Arbeiter gedacht!). Eine andere rheinische Denkschrift verlangte eine erste Kammer von lebenslänglich Berufenen (Grund­ besitz, Großkapital und Intelligenz (bes. Universitäten)) und eine zweite Kammer, gewählt durch die indirekten Wahlen des ganzen Volkes, Ideen, die erst daö Jahr 1848 zur Reife bringen konnte. In der Regierung selbst war der Minister Beyme ein liberaler Anhänger der konstitutionellen Bewegung, der „die alten Stände als eine Geburt der finsteren Zeiten des Mittelalters, welche das helle Tageslicht nicht vertragen könnte", bekämpfte und Hardenberg wirksam

sekundierte. Beyme hob als sein Ideal einer Verfassung das amerikanische Vorbild (wohl der erste preußische Minister, der Schurz' Ideal verGeister. Das dreifache Primat der Waffen, der Konstitution und der Wissenschaften ist eß, das allein uns aufrecht zwischen den mächtigen Nachbarstaaten erhalten

kann." Liberale Einrichtungen, gute Verfassung und würdige Gesetze geben, schließt

er.

„Deutsche Blätter", 10. 6. 1814: „Preußen ist zuweit gegangen, um ohne

Gefahr rückwärts zu gehen." Hauptbasis: eine nach vernünftigen Grundsätzen einge­

richtete Repräsentation.

werden.

Auf die weitere Literatur kann hier nicht eingegangen

24 körperte!) hervor, und forderte für Preußen die Vertretung der Stände in einer Kammer, völlige Öffentlichkeit des Reichstages, der Pro­

vinzialstände und Landtage, dazu Grundrechte im heutigen Sinne (wie auch 1848!) und Schwurgerichte für Preßvergehen. Noch weiter als Beyme ging der liberale Grävell, der in seiner

Schrift: „Bedarf Preußen einer Konstitution?" die Meinung vertrat, daß die gesamte Gesetzgebung seit 1806 den Reichsständen zur Nachprüfung vorgelegt werden müßte. Das reifste Werk über die Frage der Neuorganisation stammte aus Benzenbergs (Rheinland) Feder: „Über die Verfassung", obwohl es sich in der Hauptsache

mit Deutschland beschäftigte und Preußens Reform nur nebenbei be­ handelte.

Durch solche Ideen befruchtet, legte Hardenberg — aller­

dings erst 1820 — dem Ausschuß der Verfassungskommission seinen Entwurf: „Jcheen zu einer landständischen Verfassung in Preußen" vor. Seine Vorschläge liefen im wesentlichen auf das hin­ aus, was man im Jahre 1847 im „vereinigten Landtag" bezweckte. Was Hardenberg plante, war in der Tat ein Abschluß der Steinschen

Reformen von 1806—1812 und kam dem Verfassungsentwurf von Wilhelm von Humbold — der neben Ancillon, Daniels und Eichhorn der eifrigste Schildhalter Hardenbergs im Verfassungsaus­ schuß war — sehr nahe. Es hatte sonach den Anschein, als ob auch in Preußen die absolutistischen Schleier fallen sollten. Obwohl Harden­ bergs Pläne, die in ihrer Wirkung die Axt an die letzten Stümpfe

des mittelalterlichen Feudalwesens legten, auf starken Widerstand bei den konservativen Kreisen stoßen mußten und dem Fürsten Metternich gleichsam ins Gesicht schlugen, jubelten die Liberalen laut auf und Grävell schrieb begeistert, Wilhelm von Humbold beglückwünschend: „Zwei große Tage erscheinen im Leben des Volkes: der Tag der Thron­ besteigung, wo die Zeit, — und der Tag der Verfassungsverleihung, wo die

Weisheit einen neuen Bund schließt zwischen Fürst und Volk. Friedrich Wil­ helms Volk erlebt einen zweiten großen Tag, das Jahr 1820 bringt das Evangelium der neuen Zeit, den Tag der Gründung der ständischen Ver­ fassung."

Wie verkannte man doch die wahre Sachlage, die durch die Karls­ bader Entschlüsse noch im letzten Augenblick durch einen geschickten

Schachzug Metternichs geschaffen war und infolge der weiteren Bin­ dung Preußens an die österreichische Reaktionspolitik notwendig das

25 ganze Verfassungswerk zum Scheitern bringen mußte, eine Situation, die sich verblüffend 1848/9 wiederholte! „Schwer hat die Krone gefehlt, schreibt Treitschke (Band 2 S. 567), als sie in -Karlsbad sich den lebendigen Kräften des Jahrhunderts entgegenstemmte, die wie ein reißender Strom im Liberalismus dahinströmten und alle alten

Uferbefestigungen des Absolutismus überspülten." Unglücklicherweise gelang es Metternich noch im letzten Augenblick, dagegen einen Staudamm zu errichten. Hierbei kam ihm ein Macht­ kampf Humbolds gegen den Kanzler Hardenberg zugute, bei dem Humbold den realpolitischen Blick verlor. Zweifellos hatte er Recht,

als er in mannhafter Empörung die „Karlsbader Beschlüsse von 1820

(vgl. später!) „schändlich, antinational und ein denkendes Volk be­ leidigend" nannte. Er durfte aber die ungleich wichtigere Verfassungs­ frage, die unmittelbar vor dem Abschluß stand, nicht dieser an sich doch nebensächlichen Kabinettsfrage, die sich später evtl, allein gelöst hätte, opfern. Es war politisch verkehrt, so sehr es seinem liberalen Herzen Ehre inachte, von Preußen, das sich gerade in törichter Weise

wieder von Österreich ins Schlepptau hatte nehmen lassen, zu ver­ langen, man möge die zu treffenden Maßnahmen als eine vorübergehmde Polizeiaktion ansehen und vom Bundestag fordern, daß die Verkündigung der Karlsbader Beschlüsse als eine außerordentliche Maß­ nahme auf zwei Jahre beschränkt werde usw. So fand Humbolds liberale Staatslaufbahn ein ttagisches Ende. Mit seinem Sturze begann aber wieder eine Phase in der Tragödie des vormärzlichen Liberalismus und seines preußischen Verfassungskampfes, die sich

merkwürdigerweise nach 30 Jahren, trotz Schurz, unter ähnlichen Verhältnissen bei Friedrich von Gagern wiederholen sollte und auch das deutsche Verfassungswerk recht eigentlich im Augenblick des Sieges zum Scheitern brachte. Ob Preußens Kampf gegen die Karlsbader Beschlüsse schon damals, wie die Historiker behaupten, zu einer Tren­

nung von Österreich geführt hätte oder nicht vielmehr die erste Bresche

in das Metternichsche System gerissen und damit die Lösung von 1848 wesentlich erleichtert hätte, kann hierbei völlig dahingestellt bleiben. Die

Niederlage des Liberalismus in diesem tragischen Falle beweist nur, daß er noch nicht die Kraft hatte, sich durchzusetzen, um auf die Ent­ wicklung entscheidenden Einfluß ausüben zu können. Nach dem Sturz der drei Minister Beyme, Boyen und Humbold verlor der Verfassungö-

26 ausschuß

seine

größten

liberalen

Talente

und

treibenden

Kräfte.

Hardenberg war schon zu alt und zu sehr Diplomat, um seine Stellung

für die Ausführung seiner Pläne aufs Spiel zu setzen (er starb No­ vember 1822). So hatte Metternich wiederum im letzten Augenblick verhindert,

daß ein liberaler Frühlingöwind vorzeitig das absolutistische Eis zer­ sprengte.

Damit begann die Abkehr von den Verheißungen von 1815 und der jahrzehntelange Kampf des Liberalismus um seine Staats­

geltung.

Wenn es geglückt wäre, einem Volke von derartiger Bildung wie

in Preußen das Repräsentativsystem zu geben, so stand zu erwarten, daß sich der Gedanke, Deutsche zu sein, der in den neuen Provinzen — auch im Rheinland — noch vielfach auf schwachen Füßen stand, vertiefte, daß die Pflichttreue des Volkes zur neuen Staatsform und zur Teilnahme an dem Staatsleben sich in verständige Bahnen leiten

ließ. Ein freies Geschenk in dieser Beziehung hätte die Stützen des Thrones verstärkt, während das Zögern — genau so wie mit dem all­ gemeinen Wahlrecht im Weltkriege — nur den Glauben an die All­ macht der legitimen Staatsautorität immer mehr untergrub, den Haß

gegen das „perfide Königtum" erst künstlich erzeugte und den Libe­ ralismus immer mehr nach links trieb, sodaß man schließlich das große Ziel nicht mehr als ein freies „Zugeständnis", sondern als ein Werk des Volkes ansah. Keiner hat diese reale Seite der Politik klarer erkannt als Friedrich von Gagern, der 1823 schrieb: („Das Leben des Generals Friedrich von Gagern") „Die Politik ist die Kunst, auf dem Strome der Zeit schiffen zu können; sie täuscht sich über ihre Kräfte, wenn sie versucht, in diesen reißenden Fluten

eine künstliche Insel zu gründen. Sobald Preußen Reichsstände hat, wer­

den diese wie ein Magnet die übrigen deutschen Kammern anziehen."

Der Kampf gegen den Liberalismus. Die Karlsbader Beschlüsse. „Das Wort, das unseren Bund geschürzet. Das Heil, das uns kein Teufel raubt

Und kein Tyrannentrug uns kürzet, Das sei gehalten und geglaubt!"

27 Diesen Burschenschwur ins Leben umzusetzen war die Aufgabe der deutschen

Burschenschafter.

Ihre

Losung

hieß:

„Blücher

und

Weimar", wie Riemann 1817 in seinem Trinkspruch hervorhob: „Solche Losung mahne an Deutschlands Unabhängigkeit nach innen und

an Deutschlands Freiheit nach außen. In Blücher wollen wir alle ehren, die heldenmütig für Deutschlands Rettung gekämpft haben. Wir nennen ihn, weil seine Entschiedenheit die Zaudernden vorwärts gerissen hat über Elbe

und Rhein zur großen Entscheidung.

In Weimar wollen wir alles ehren,

was für gesetzmäßige Freiheit und Einheit in Deutschlands Staaten ge­ schieht. Wir nennen Weimar, weil der Großherzog unter allen deutschen Fürsten zuerst das Wort, das in der deutschen Bundesakte gegeben ist, gelöst

hat, und eine bessere Verfassung eingeführt hat. Gott segne Blüchers starken

und Weimars guten Geist!"

Damit hatte die Burschenschaft sich offen zum Liberalismus be­

kannt, zu der großen nationalen Strömung, die damals in Preußens Heer und Staat und in Weimars klassischem Geist — ein Nachhall

der Zeit Goethes und Schillers — und in dem dort machtvoll zum

Ausdruck gekommenen Drängen nach einer verfassungsmäßigen Neu­ ordnung des neuen Deutschland — diese beiden Elemente haben später das erste Reich geschaffen — mit richtigem Instinkt den Weg der

Erneuerung des Reiches suchte.

Zn schwungvollen Worten, die etwas von dem Geist der Kieler-

Blätter des Franz Hegewisch atmen, schildert auch der Kieler Ent­ wurf eines „Burschenschaftsgesetzes", der teilweise grundlegend

für die weitere Entwicklung geworden ist, „die Nacht und Schande, aus

der die Nation siegreich sich erhoben hat": „Ein großes Werk ist getan, aber ein größeres, die Beschirmung und

Erhaltung des wiedererrungenen Kleinods, bleibt noch übrig." „Auf der Einigkeit aller bis jetzt noch getrennten Teile des deutschen Landes beruht die Hoffnung für des Volkes Wohl.

Keiner der

deutschen Stämme soll abgerissen für sich bestehen und unbekümmert um andere nur seinem eigenen Wohle nachjagen... Der akademischen Frei­

heit muß eine höhere Richtung angewiesen werden durch klare Vorhaltung

dieses gemeinschaftlichen Zielpunktes.

Klarer und lebendiger wie in irgend­

einem Vereine soll hier das vaterländische Gefühl und der Geist des Volkes zum Ausdruck und Bewußtsein kommen. Und dieses hohe Bewußtsein soll der geistigen und körperlichen Ausbildung einen höheren Schwung geben, als es vorher bei geteiltem Interesse, ohne einen sicheren Zweck im

Auge zu haben, möglich war. Dieses Bewußtsein soll jeden hinüberbegleiten ins staatsbürgerliche Leben, ihn mit heiliger Wärme begeistern und seine

28 Tätigkeit lenken und leiten, wenn er nun in das Getriebe der Staaten ein­ greift. Ja die Hoffnung möchte wohl nicht zu verwegen sein, um sie aus­ sprechen zu dürfen, daß die lang ersehnte Einheit des deutschen Volkes vielleicht nur durch die wohltätigen Folgen dieses Vereins her­ beigeführt werden könnte. Der Ienaischen Hochschule bleibt das große Verdienst, das erste Wort in diesem Verein ausgesprochen zu haben. Aber einmal ausgesprochen kamen alle übrigen Hochschulen ihrem Wunsche freudig entgegen. Das Fest der wiedererrungenen Freiheit von geistigen und leib­ lichen Banden, von deutschen Burschen auf der Wartburg gefeiert (1817), gab die erste Idee dieses Vereins." Demgemäß wurde auch als besondere vaterländische Weihe der

Landesvater52)53mit den bekannten Zeremonien33) unter Absingung

des Liedes:

„Alles

schweige, jeder neige ernsten Tönen nun

sein

Ohr..eingeführt, indem bei dem Berse:

„Seht ihn blinken in der Linken diesen Schläger nie entweiht Ich durchbohr den Hut und schwöre, halten will ich stets auf Ehre, stets ein braver Bursche sein. Nimm den Becher, wackrer Zecher, vaterländischen Trankes voll. Nimm den Schläger in die Linke, bohr ihn durch den Hut und trinke auf des Vaterlandes Wohl." der Burschenhut (Mütze oder Jerevis) durchbohrt34) wurde.

52) 1848 wurde in der Frankonia — ob Schurz den Antrag gestellt hat, läßt sich nicht feststellen, der Landesvater abgeschafft, weil er als eine Huldigung für den Landesfürsten aufgefaßt wurde, für den man damals infolge seiner Halb­ heiten wenig übrig hatte. 1857 auf dem großen Sommerkommers der Frankonia in Oberwesel wurde der Landesvater wiedereingeführt. Hierbei wurde darauf hinge­ wiesen, daß die Korps den Landesvater als eine Feier des Duellwesens auffassen. Werkmeister führte im Konvent damals aus, daß der Ursprung des Landesvaterö in den Landsmannschaften zu suchen sei, die allerdings dem Haupt ihres Landes hierbei ein Treugelöbnis ausbrachten. Heute sei er eine nationale Feier. „Wenn auch der Landesvater etwas Politisches ist, wie alles, was mit dem Vater­ lande zusammenhängt, so ist damit doch nicht gesagt, daß wir eine einseitige Richtung in der Politik zum Prinzip erheben wollen. Jeder, mag er das Heil des Vaterlandes in der absolutistischen Regierungsform sehen oder in der republikani­ schen Verwaltung, jeder kann den Landesvater feiern, wenn er nur einsieht, daß er das Höchste sein soll für den Menschen. Eine Korpszeremonie wird die Feier, wenn wir sie als etwas besonders politisches und nicht in der Weise der alten Bur­ schenschaft auffassen." („Vaterlandsfeier!") 53/54) Der bekannte General Ludendorff bezeichnet den Landesvater als „Juden­ hohn" und warnt das „deutsche Blut der deutschen Jugend" davor. Vgl. „Mittel­ deutsche Presse": 21. Juli 1928 (1. Beil.): Er verweist darauf, daß der Landes-

29 Was die Freiheitsdichter als festes Bindemittel und geistiges

Erbgut zur Erziehung des deutschen Volkes überliefert hatten, das wurde neben dem Einleben in den Geist der Klassik in der Burschenschaft gepflegt. Ein neues Element wurde noch durch die „Gießener Schwarzen" unter der Leitung der Gebrüder Folien hereingebracht. Nach dem

Vorbilde von Hoffmanns Bünden und Snells deutschen Gesellschaften, die sich reale politische Ziele stellten, gewann der in Gießen ausgebil­ dete Gedanke, „engere gesellschaftliche Klubs mit dem Zweit

der Bearbeitung des Staatsrechtes zu bilden", Anklang. Die eifrigsten Träger der sogen. Adressenbewegung, die sich in Südund Mitteldeutschland fortpflanzte und eine Petition an den Bundestag zur

allgemeinen

Einführung

landständischer

Verfassungen propagierte (t817)

waren die Gießener und Darmstädter Schwarzen gewesen.

Sic setzten sich

auch propagandamäßig für die Crkämpfung einer freieren landständischen Verfassung in Hessen ein.

Karl Ludwig Zöllen war schon 1818 als Volkstribun — er war allerdings schon Privatdozent — weit bekannt und errang im Herbst 1818 einen ersten Erfolg, indem er bei der hessischen Regie­ rung die Herabsetzung der schweren Kriegssteuern und Gemeinde­ schulden erreichte. Im Winter 1817/18 hielt sein Bruder — Adolf Ludwig Follen seine Vorträge über die „Grundzüge für eine künf­ tige Reichsverfassung". Follen wollte — ein Vorspiel der 48ziger Bewegung — ein Reich mit Kaiser und Reichslanden (Schweiz, Elsaß und die Niederlande) auf einem völlig neuen Unterbau (durch Volkswahlen) schaffen (Einheitlichkeit des Rechts, der Schulen, der Kirche usw.). Sein Bruder Karl Follen arbeitete diese Reichsverifassung radikal in Anlehnung an die Konstitution in Frankreich

vom Jahre 1789 um, indem er, wie der Bericht der Mainzer Zentraluntersuchungskommission meinte, „die Idee eines republikanischen Königs durch jene einer deutschen Republik ablösen wollte", vater 1723 in der Freimaurerei als „Sinnbild der Verschwörung gegen eine völkische Staatsgewalt, als Symbol „des in der französischen Revolution durch dieses.

Ritual gelehrten Fürstenmords bestand". Trotzdem wird sich di« Burschenschaft „ihr

Ritual" — wenn es auch nach alten Vorbildern geschaffen ist, nicht nehmen

lassen, auch nicht „den Salamander". 55) Vgl. Haupt-Wentzkc: „100 Jahre deutscher Burschenschaft S. 25 ff. G. W. Spindler: The life of Karl Folien (Chikago 1917).

30 Die revolutionäre Stimmung dieser „Unbedingten", die angeb­

lich in ihren Klubs nur die großen Zukunftsfragen des deutschen Staatsrechtes mit Freunden aus allen Ständen erwägen und sich ge­ genseitig hierüber ihre Ergebnisse (von Universität zur Universität) mit­

teilen wollten, wurde noch durch Follens

(„Großes Lied") Lieder

vertieft: „Menschenmenge, Menschenwüste, Die umsonst den Frühling grüßte,

Breche, krache, altes Eis!" oder (Festgesang: Vaterlands Söhne) Vaterlands Söhne! Todesgenossen! Wieder im Grab sind die Ahnen verschlossen. Klagen ertönen, Jubel verstummt — Sonn' ist in schwarze Trauer gemummt. —

Aber in uns noch brauset die Jugend

Braust wie der Rhein durch den grünen Plan. Seht auf dem Mast ihr die Palme der Tugend?

Rüstige Brüder! Hinan! Hinan! — Ja bis der Höllendamm geborsten Reißen wir all in vereinigter Macht. Fest wie die Eichen in Teutoburgs Forsten,

Drin die gedoppelten

Adler horsten.

Drängt euch zusammen: Sturm erwacht!

Steig aus der Nacht, o Hermanns Schlacht! Steig aus der Nacht, o Hermannsschlacht!

Mag man heute — mehr auf das Reale eingestellt — über solche Ideologie lächeln, so darf man aber auch nicht verkennen, daß sie in

der damals idealer veranlagten Zeit immerhin eine gleichsam prak­ tisch-philos ophischePolitik darstellte, mit der man glaubte, das große

Ziel erreichen zu können.

Folien gab schon im Sommer 1818 die

Losung aus, „daß überall, wo eine sittliche Notwendigkeit vorliege, für den

seien".

von dieser Notwendigkeit Überzeugten alle Mittel erlaubt Ein anderer Schwarzer, Wilhelm Schulz, verfaßte 1819 ein

„Frage- und Antwortbüchlein über allerlei, was im deutschen Vater­ lande

besonders

nottut".

In

volkstümlicher,

biblischer

Art

suchte

man auf diese Weise die Gedanken über Volksvertretung und Wahl­

recht, über Presse- und Redefreiheit, Reichseinheit und Freiheit sowie

Landwehr zu verbreiten, die auch die Darmstädter Advokaten in ge­ mäßigterer Form in Schriften, Reden, Briefen usw. propagierten. Es

war sonach keine kindliche Spielerei, wie man zuweilen diese Schwär-

31 merei abtun will, sondern es war die Bewegung des durch die Befreiungskriege mannbar gewordenen Volkes, deren „Not­ wendigkeit" man, wie Treitschke es in seiner Antrittsvorlesung zur

Geschichte der Jahre 1848—1850 in Leipzig (1863) richtig schon

erkannt

hat,

begreifen

muß,

ohne

ihre

politische

Anfänger­

schwäche zu übersehen. In solchen „engeren Vereinen" vertieften sich in gewaltiger Weise,

ohne daß man zunächst bis zur Masse vordringen konnte, die freiheit­ lichen Ideen, die immer aufs Neue aus dem Südwesten des Reiches hervorquollen,

in

den Kämpferreihen

der deutschen Burschenschaft.

Es war gleichsam eine politische Schulung zum Führertum, wonach man auch heute wieder strebt, ohne bisher die rechten Mittel

dazu zu finden. Heinrich von Gagern, (der Paulskirchenführer), Jenö

Uwe Lornsen (der Vorkämpfer der Schleswig-Holsteinschen Freiheits­ bewegung), Ludwig von Mühlenfels (ein Freund von Schleiermacher

und Arndt, der Vorkämpfer der Thüringischen Einheitsbewegung, „der

granitene Überrest einer stärkeren Zeit", wie ihn Freytag in seinen „Bildern aus deutscher Vergangenheit" schildert) usw. erhieltet! hier

ihre Rostralbildung. Die Werbekraft solcher Follenschen Ideen, wozu auch der groß­

deutsche Gedanke gehörte, der heute noch der Erfüllung harrt, ge­ wann den burschenschaftlichen Gedanken auf allen Universitäten, ins­ besondere auch auf der neugegründeten Bonner Universität (ISIS)57)

und in Freiburg neue Anhänger.

Der Versuch Follens, auch

sein

radikaleres Programm republikanischer Art von Jena aus, wohin er hatte flüchten müssen, der Burschenschaft offiziell aufzudrängen, schei­ terte zwar an der naiven Ungeschicklichkeit, mit der Follen seine natur­

rechtlichen Ideen nach Fichtescher Art zu begründen unternahm, er hatte aber doch zu einem bedenklichen Ziele geführt, das zum Existenz­

kampf der Burschenschaft werden sollte.

Am 23. März 1819 wurde der russische Dichter Kotzebue in ä7) Die ersten Jahre der Bonner Universität schildert sehr anschaulich Hoff­ mann von Fallersleben.

Auch Heinrich Heine war in Bonn Burschenschafter und

dichtet« hier bei dem Turnfest auf dem Drachenfels am 18. Oktober 1818 „Eine Nacht auf dem Drachenfels". Die Bonner „Allgemeinheit" umschloß 1819 über

200 Mitglieder mit 15 Vorstehern.

32 Mannheim von Ludwig Sand^), einem Anhänger von Karl Follen ermordet.

Sand bekannte sich — unter Follens dämonischer Leiden­

schaft stehend^) — zu dem unburschenschaftlichen Prinzip, „allem Unreinen, Schlechten und, wer auch immer den deutschen Namen entehrt, auf eigene Faust nach seiner hohen Freiheit zum offenen Kampf

gewaltsam entgegenzutreten".

Nachdem ferner am 1. Juli 1819 der Apotheker Löning, der auch den Schwarzen nahestand, in Schwalbach einen Mordversuch

gegen den Nassauischen Präsidenten Jbell unternommen hatte, glaubte man — irrtümlich — in Verbindung mit dem Autodafe auf der Wart­

burg (1817)6°) die Gewißheit zu haben, daß eine weitverzweigte Ver­ schwörung der „deutschen Jakobiner", wie Metternich die Burschen­ schafter nannte, bestände 6i).

So begann der Kampf gegen den

Liberalismus der Burschenschaft, die rohen Untersuchungen und 58) Der bekannte Historiker Julius Ficker von Feldhaus (1845 Bonner Frankone) schreibt in seinem Tagebuche: „Dieser Tage las ich im neuen Pitaval die Geschichte des unglücklichen Sand. Eine unklare, religiös vaterländische Schwärmerei

spricht aus allem Tun.

Die deutsche Burschenschaft war seine einzige Geliebte,

doch kann der Burschenschaft seine Tat nicht zur Last gelegt werden. O glückliche Zeit der Burschenschaft! Welch innige Vaterlandsliebe, welch fromme Religiosität, welch treue Einheit! Wehe über euch, die ihr diese schönen Blüten knicktet,

den Baum fälltet wegen einiger Auswüchse. War das Volk unempfindlich durch die lange Unterdrückung geworden gegen Freiheit und Recht?

Deutschlands Jugend

würde dem Vaterlande die wohlerworbenen Früchte der Freiheitskriege in späteren Jahren zugewandt haben. Deutsches Volk konntest du zuschauen, wie man das hoch­ herzige Streben deiner Jugend unterdrückte?"

59) Ein Unbedingter versicherte: „Er ziehe es vor, wegen einer gegen Gottes Gebot verstoßenden Tat, die sein Volk rette, in die ewige Verdammnis zu gehen, als alle seine Volksgenossen dauernder Knechtschaft zu überlassen."

60) Ernst Welcker berichtet in der „Bremer Zeitung", daß diese Bücherver­ brennung am 18. Oktober 1817 auf dem Wartenberg bei Eisenach improvisiert war.

Man protestierte hier symbolisch gegen die Knechtschaft, indem man ver­

schiedene verhaßte Gegenstände in das Feuer warf: einen preußischen Ulanenschnür­ leib, einen hessischen Zopf, einen österreichischen Korporalstock und verschiedene Bücher

bzw. auf Zettel geschriebene Büchertitel: von Schmalz, Kamtz (Kodex der Gen­

darmerie): „Hallers Restauration der Staatswissenschaft" usw., endlich August Kotzebues: „Geschichte des deutschen Reiches".

61) Erst im Juli 1820 fand Follen auf seiner Flucht in Chur (Schweiz) An­

stellung und griff von hier aus nochmals verhängnisvoll in die Geschichte der Burschenschaft ein durch die Stiftung des „Jünglingsbundes".

33 Demagogenverfolgungen gegen

die Besten des Volkes.

Görres3-)

bezeichnete in einem Artikel „Kotzebue und was ihn ermordet" Sandtö Tat richtig als ein Zeichen der Zeit, als eine Entladung des Unmuts

über die getäuschten Hoffnungen bei dieser „ersten blutigen Be­

gegnung der jungen und alten Welt", wie sie sich 1848 in

ganz großem Format wiederholte. So berechtigt an sich diese Gedanken zur politischen Durchdrin­ gung des Volkes durch die Burschenschaft waren und so ungefähr­ lich sie in diesen jungen Brauseköpfen, die sich an Schlagworten be­ rauschten, tatsächlich sein mußten, so ernst wurden sie mangels eines

psychologischen Verständnisses im deutschen Bunde genommen.

Ob­

wohl Weimar versuchte, die Frage der Burschenschaft „als einen daö gemeinsame

Interesse

Deutschlands

umfassenden

Gegenstand

an

den Bundestag zu bringen", um ihr „eine förmliche Organisation zu

geben und sie als ständige Körperschaft unter obrigkeitliche Leitung zu stellen",

fand

sich hierfür —

insbesondere

durch den Widerstand

Bayerns!33) — kein Verständnis. Und so kam es zu den berüchtig­ ten

Karlsbader

Beschlüssen

und

der

Wiener

Schlußakte

Metternichs, die alles — mit polizeilicher Willkür — regeln sollten,

„was auf die Universitäten, auf die Preßfreiheit und selbst auf das Verfassungsleben in Deutschland Bezug habe". Die Wiener Schlußakte verankerte in 65 Paragraphen den öden engstirnigen Geist des Absolutismus und wurde so ein Triumpf

des Partikulariömus, der jeden Sinnes für die Fortentwicklung

der deutschen Einheit und Freiheit bar war. Der Bundestag (§ T—34) blieb nach wie vor die oberste „vertrags­

mäßige, gesetzgebende" Behörde des Bundes. Die Souveränität der einzelnen 62) Görres hatte auch dem sogen. „Wallensteins Lager" Gneisenaus in Koblenz 1816 nahegestanden. Man hatte hier die Germanisicrung des Rhcinlandes in Angriff genommen, machte sich aber durch seine liberalen Ideen in Berlin ver­

dächtig, so daß Gneisenau schon 1816 weichen mußte. Dafür wirkten Arndt, Jahn, Gruner, der Dichter Max von Schenkendorf und «in führendes Mitglied des Bundes­ tages von 1810 Friedrich Lange, der frühere Heideberger Teutone Ludwig von

Mühlenfels (in Köln im Justizdienst) und Adolf Follenius (in Elberfeld, in Be­ ziehung zu den Gießener Schwarzen stehend) im Rheinland, ferner Friedrich und

Gottlieb Welcher, Steingaß, der Schwiegersohn von Görres, van Calker, Wilhelm Snell usw.

63) Dgl. Wentzke: „Geschichte der Burschenschaft 1919", S. 351.

Danach!, Schurz.

3

34 Staaten sollte „nur insofern beschränkt werden, als es der Zweck der Einheit Deutschlands erfordere". Der Bundestag sollte „den Bund in seiner Gesamt­ heit vorstellen." Seine Mitglieder blieben aber von ihren Souveränen „un­ bedingt abhängig". Dagegen wurde in § 6 die Abtretung von Souveränitäts­ rechten zugunsten eines Mitgliedes gestattet. So erhielt Preußen seine Hand frei für die glanzvolle Vorarbeit zur Vereinheitlichung des Reiches auf wirt­ schaftlichem Gebiete (die Zollanschlußverträge!), was Metternich damals über­ setzen hat. Leider war es nicht mehr möglich, das Mehrheitöbeschlußrecht durchzusetzen, wodurch allein die systematische Fortentwicklung des Reiches ge­ währleistet werden konnte, die Metternich gerade verhindern wollte. Art. 7 der Bundesakte verlangte für alle Grundgesetze und organischen Einrichtungen („bleibende Anstalten als Mittel zur Erfüllung der ausgesprochenen Bundes­ zwecke") Einstimmigkeit. Ein gemeinsames Bundestribunal zu schaffen war nicht möglich. Man mußte sich einstweilen mit der Austrägalordnung vom Jahre 1S17 behelfen, welche die Entscheidung durch ein von den Parteien gewähltes Bundesgericht eines dritten Staates anheimgab. Dagegen kam es auf Drängen Preußens im Kriegswesen zu kleinen Fortschritten, obwohl man — wie im Weltkrieg 1914 — nicht zu einem ge­ meinschaftlichen Oberbefehl kommen konnte. Es wurde statuiert, daß bei Kriegserklärungen 2/3 Mehrheit genüge und daß im Falle eines Angriffs­ krieges auf außerbündische Provinzen eines Bundesstaates der Bundesrat mit einfacher Mehrheit im engeren Rate beschließen konnte, daß Gefahr für das Bundesgebiet vorhanden sei, um dann in der gewöhnlichen Weise den Krieg des Bundes zum Beschluß zu erheben oder abzulehnen (Art. 47 war eine besondere Gefahr für Preußen!). Den wichtigsten Kern enthielt der dritte Teil der Wiener Schlußakte (§ 53—65). An sich sollte die Unabhängigkeit der Bundesmitglieder jede Einwirkung des Bundes in die innere Staatseinrichtung ausschließen. Der berühmte Art. 13 der Bundesakte (ständische Verfassung!) wurde auch noch dahin interpretiert, daß der Bundestag darüber zu wachen habe, daß der Art. 13 in keinem Staat unerfüllt bleibe. Aber es wurden neue Hemmschuhe eingeschoben. „Die in anerkannter Wirksamkeit bestehenden landständischen Verfassungen sollten nur auf verfassungsmäßigem Wege ab­ geändert werden dürfen." Der Hauptgrundsatz des Absolutismus — seine Magna Charta — wurde aber erneut in § 57 verankert: „Die gesamte Staatsgewalt muß in dem Staatsoberhaupte vereinigt bleiben und der Sou­ verän kann durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung be­ stimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden." So war zwar das „Motto des monarchischen Systems" in unzweideutiger Weise äußerlich noch aufrechterhalten. Immerhin war doch der erste Schritt im Sinne von Montesquieus Gewaltenteilung undRottecks Volks­ souveränität trotz Metternich getan. Die vorhandenen Verfassungen, die wi< in Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg usw. ganz verschieden waren waren aufrechterhalten, die Fürsten hieran gebunden. Und in der unklarer

35 Formulierung der politischen Gedanken war indirekt das Geldbewilligungs­ recht des Landtags („das konstitutionelle Budgetrecht") zur gesetzlichen Aner­

kennung gekommen.

„Am 24. Mai 1820, schreibt Treitschke (Band III Seite 26),

wurden

Konferenzen

die

geschlossen

und,

nachdem

daö

Wiener

Drama beendet war, mußten die Satyrn des Bundestages ihren

Fackeltanz beginnen."

Die Bundesexekutionsordnung vom 3. August

sollte der strengen Ausführung der Bundestagsbeschlüsse das

1820

Richtziel geben und sie überwachen. Insbesondere sollte hierdurch die

Pressezensur,

die durch das Bundespressegesetz in Karlsbad be­

schlossen war, ins Leben gerufen werden, um alle den öffentlichen

angeblich

Frieden

gefährdenden

Schriften,

Zeitungen

und

Druck­

schriften auch unter 20 Bogen zu unterdrücken. Für die Universitäten wurde ein Regierungsbevollmächtigter mit unbeschränkten Vollmachten

ernannt (auch zur Absetzung von Lehrern!). Der Vernichter der Burschenschaft war Gentz, dem „die allge­

meine Burschenschaft als ein so durchaus verwerfliches, auf so ge­

fahrvolle

und

frevelhafte Zwecke

gerichtetes Institut erschien, daß

kein Stein davon auf dem andern bleiben dürfe". Sie sollte, hatte er unter dem Beifall Metternichs ausgeführt, da sie „im höchsten und furchtbarsten Sinne revolutionär ist, wie sich aus ihren

Statuten ergibt,

zumal sie ausdrückiich und wesentlich auf die Idee

der

Einheit Deutschlands, und zwar nicht bloß einer idealen oder wissenschaft­

lichen oder literarischen, sondern einer leibhaftig politischen Einheit gegründet ist", sowie „alle geheimen Verbindungen" unterdrückt werden.

Hierzu

wurde

die

Mainzer

Zentraluntersuchungskom­

mission eingerichtet, die „Tatbestand, Ursprung und Verzweigungen aller gegen die bestehende Verfassung und innere Ruhe des Bundes

oder einzelner Bundesstaaten gerichteten revolutionären Umtriebe und demagogischen Verbindungen untersuchen und feststellen sollte". Jeder Staat

hatte

den

Weisungen

dieser

Femeinquisition

(gleichsam

Clu-Clux-Clan-Anstalt!) nicht nur Folge zu leisten, sondern auf Ver­

langen

jeden

Verhafteten

auch nach Mainz abzuliefern. Hierdurch

wurde also nicht nur das Hoheitörecht und Gnadenrecht der Fürsten

außer Kraft gesetzt, sondern auch jede Schutzwehr der persönlichen Freiheit gegen Willkür und Vergewaltigung, soweit sie in den Landes­

verfassungen bereits vorhanden war, niedergelegt.

36 Durch die Metternichschen Diplomatenkünste, Einschüchterung der Kleinstaaten, verfassungswidrige Überrumpelung ihrer Vertreter und

Fälschung der AbstimmungsprotokolleM) waren diese Folterbeschlüsse

(am 20. September 1819 zuerst in Frankfurt angenommen) zustande gekommen, die 10 Jahre lang über Deutschland den Belagerungs­ zustand^) und die Metternichsche Kirchhofsruhe nach dem „Prinzip der Stabilität" °°) aufrechterhielten. Diese sklavische Knech­

tung des deutschen Liberalismus und der Versuch, die geistige

Einheit gewaltsam zu hindern, führte dazu, daß sämtliche Briefpost (besonders die von Thurn und Taxis in Frankfurt usw.) durch­ schnüffelt wurde und daß bald über 300 Deutsche im Kerker schmach­ teten, obwohl bis zum Jahre 1827 eine Verschwörung nicht auf­ zudecken war, wie Metternich vermutete. Von 117 Angeklagten wurden 44 freigesprochen. Die 72 Verurteilten gehörten größtenteils

zu der an sich ganz unschuldigen Burschenschaft, die sich politisch aktiv nicht weiter betätigt hatte. Der einzige, der in dieser Beziehung

vielleicht weiter gegangen war, Karl Folien und einige andere Un­ ruhestifter seines engeren Kreises, waren rechtzeitig nach Paris (so Arnold Ruge^) und nach Amerika geflohenG8)69). 64) Vgl. hierüber Treitschke Band III und die neueren Forschungen. 65) Auch hier sprach wieder — wie früher ein österreichischer Prinz! — ein weißer Rabe die wahr« Kritik aus, nämlich der Kronprinz Ludwig von Bayern

(während gerade sein Land durch seine Haltung mitschuldig geworden ist, bes. in

der Frage des Bundesheerwesens): „Zäumt man nicht das Pferd verkehrt, wo

Einheit sein soll, gegen außen, dawider ist man, im Innern aber, zur Unter­ drückung der Freiheit, dafür wird sich eifrig bemühet."

66) Gentz sah all« „anarchistischen Doktrin«" gestürzt und schrieb in seinem Tagebuch (14. Dezember 1819) zu Art. 57: „Eines der wichtigsten und wür­

digsten Resultate der Verhandlungen unserer Zeit, ein Tag größer als der bei Leipzig." *’) Arnold Rüge war ursprünglich Hallischer Burschenschafter, ging dann nach Heidelberg, wurde Mitglied des „Jünglingsbundeß" und war später mit

Heinrich Heine literarisch in Paris tätig.

Heinrich Heine sagte später in seinen

„Reisebildern" 2. Teil: „Was ist die Aufgabe unserer Zeit? Cs ist die Emanzipa­ tion. Nicht bloß der Irländer, Griechen, Frankfurter Juden, westindischen Schwarzen und derlei gedrückten Volkes, sondern «S ist die Emanzipation der ganzen Welt, absonderlich Europas, das mündig geworden ist und sich jetzt losreißt von dem

eisernen Gängelbande der Bevorrechteten, der Aristokratie."

68) Karl Folien betrat am 19. Dezember 1824 Amerika, obwohl ihn sein Genosse Sartorius zur Errichtung eines deutschen demokratischen Jdealstaats nach

37 Der niedergeschlagenen Stimmung über solche verkehrte Poli­

tik^) gab kein Geringerer als Prinz Friedrich Wilhelm (der nachm. Kaiser Wilhelm I.) in einem Briefe an General Natzmer den rich­ tigen Ausdruck: „Hätte die Nation 1813 gewußt, daß nach elf Jahren von der damals zu erlangenden und wirklich erreichten Stufe des Glanzes, Ruhmes und An­ sehens nichts als die Erinnerung übrig bleiben würde, wer hätte wohl

damals alles geopfert solchen Resultates halber?

Nichts als die

Erinnerung, aber keine Realität ist übrig geblieben!"

Wie ein Hohn mußte es den Liberalen klingen, als ausgerechnet

an dem höchsten patriotischen Tage der Schlacht bei Leipzig (18. Oktober 1819) die Karlsbader Beschlüsse und ein scharfes Zensur­

edikt veröffentlicht wurden.

Wenn auch die polizeiliche Willkür, die

oft in nichtswürdige Schikane ausartete, die großen Errungen-

schajften der Befreiungskriege zu fälschen suchte, und den hehren Nationalgeist vergiftete, wenn die deutsche Einheits­ bewegung auch gehemmt wurde, wenn Großes zu einer gedeihlichen Entwicklung des Liberalismus verloren war, die Möglichkeit, Mexiko zu ziehen suchte.

Er wurde zunächst Lehrer an der Harvarduniversität in

Cambridge: „In diesem Lande, schrieb er, wo das Gesetz allein herrscht, gibt es keinen

ruhigeren

Untertanen

als

mich."

Vgl.

Haupt-Wentzke: „100

Jahre

Burschenschaft" S. 36 ff. Georg von Skal: „Die Achtundvierziger in Amerika" S. 12 (in Paulskirche). G9) Es ist seit Jahren das traurigste Kapitel in der Justiz, nach politischen Verfehlungen zu fahnden. Cs hat bisher jedenfalls, wovon uns Schurz in Amerika

ein Vorbild gegeben hat, noch nie gelohnt, diese finanziellen Opfer für eine Sache zu bringen, die sich durch andere Mittel des Fortschritts langsam in gemäßigte Bahnen leiten läßt. Ein Übermaß an politischen Verfolgungen ist stets ein Zeichen der Schwäche einer Regierung, wie man auch wieder in neuester Zeit in Deutsch­

land erfahren hat.

70) Die Professoren Arndt (später abgesetzt) und Welcker wurden scharf überwacht. Ludwig v. Mühlenfels wurde im Juli 1819 verhaftet und nach Berlin

geschleppt.

Im Mai 1821 gelang es ihm, aus dem Gefängnis zu entkommen.

Er floh nach Schweden und später nach Londen, wo er 1827 eine Professur er­

hielt.

1830 wurde er freigesprochen.

Später wurde er Oberlandesappellationsrar

in Naumburg, konnte allerdings 1848 nach Frankfurt nicht kommen. — Selbst Männer, wie Stein, Scharnhorst, Blücher, Gneisenau, Dork, Schleiermacher, Fichte, sogar der Minister Eichhorn gerieten in den Verdacht, wie sich aus den Akten ergibt.

(Vgl. Ilse: „Geschichte der politischen Untersuchungen von 1819—1827

und anno 1832—1842, 1860").

38 frei und offen Farbe zu bekennen (wie Treitschke es von der Burschenschaft verlangte), so war der liberale Geist als ein immateri­ elles Gut, zumal er schon zu tief die Herzen ergriffen hatte, nicht zu vernichten und der Same, den die Burschenschaft und ihre Mitglieder im werktätigen Leben weiter pflegten und fortpflanzten, mußte — da­ von war man tief durchdrungen — doch einst zum Ziele führen. In ergreifender Weise kommt dies in dem Abschiedsbrief zum Aus­ druck, den Robert Wesselhöft an den Großherzog von Weimar schrieb: „Es ist der Wille Eurer Königlichen Hoheit gewesen, die Burschen­ schaft aufzulösen. Es ist vollführt. Wir selbst erklären hiermit feierlich, daß wir dem Befehl strengen Gehorsam geleistet haben. Wir selbst haben die Form zerstört, wie uns anbefohlen war. Wir haben niedergerissen, was wir nach bester Einsicht, nach reiflicher Prüfung mit arglosem, unschuldigen Glauben und mit frohem Bewußtsein, etwas Gutes zu tun, aufgebaut haben. Die Folgen hatten unserer Erwartung entsprochen. Ein sittliches freies Leben hatte sich gestaltet, zuversichtliche Öffentlichkeit war an die Stelle schleichen­ der Heimlichkeit getreten. Wir konnten ohne Scheu und mit gutem Ge­ wissen der Welt darbieten, was wir aus unserem innersten Gewissen hervor­ gesucht und in die Wirklichkeit verseht hatten. Der Geist der Liebe und der Gerechtigkeit hat uns geleitet und die bessere öffentliche Stimme hat bis auf die neuesten Zeiten unsere Bestrebungen gebilligt. Tief in das Leben der Einzelnen hat der Geist eingegriffen, der unS vereinigt hatte. Cs ist von den Einzelnen begriffen, wie der deutsche Jüngling zum anderen stehen müsse. Das Recht des Stärkeren war in seiner veralteten Form vernichtet. Sitt­ lichkeit war die erste und lehte Triebfeder unseres vereinigten Handelns. Unser Leben sollte eine Vorschule des künftigen Bürgers sein. Jeht ist die Schule geschlossen. Jeder geht hinweg mit dem, was er in ihr gelernt hat. Er wird es behalten und wird mit ihm fortleben. Was als wahr begriffen ist im ganzen, wird auch mit ihm fortleben. Was als wahr begriffen ist im ganzen, wird auch im einzelnen wahr bleiben." Der Geist der Burschenschaft, der Geist sittlicher Freiheit und Gleich­ heit in unserem Burschenleben, der Geist der Gerechtigkeit und der Liebe zum gegenseitigen Vaterlande, das Höchste, dessen Menschen sich bewußt werden mögen, dieser Geist wird dem Einzelnen innewohnen und nach Maß seiner Kräfte ihn fortwährend zum Guten geleiten."

Mit vertrauensvoller Zuversicht, wenn auch nicht ohne wehmütig­ bittere Enttäuschung gab der junge Burschenschaftsdichter August von Binzer diesem Gedanken poetische Form und am Abend der Auflösung der Burschenschaft") (am 26. November 1819 in Jena int Saale der „Rose") erklang der unerschütterliche Rütlischwur aus tatenfrohen Kehlen:

39 „Wir hatten gebauet ein stattliches HauS Und drin auf Gott vertrauet, trotz Wetter, Sturm und Graus. Das Band ist zerschnitten, war Schwarz, Rot und Gold Und Gott hat es gelitten, wer weiß, was er gewollt? Das Haus mag zerfallen, was hat's denn für Not? Der Geist lebt in uns allen und unsere Burg ist Gott!"

Das Zettalter der Reaktion (bis 1830). Das Verfassungsleben im allgemeinen. Neue Vorzeichen des Aufschwungs. Metternichs

Plan

war

darauf

hinausgegangen,

den

liberalen

Konstitutionalismus zu zerstören, die österreichischen Staatsnotwendig­

keiten zu einem europäischen System des Legitimismus auszubauen. Dieser Plan

scheiterte

eigentümlicherweise

am

dynastischen System

selbst, das sich gegen die österreichischen Angriffe auf das Souveränitäts­

gefühl der Fürsten zur Wehr setzte. Solange die Fürsten hoffen konnten, sich unbequemer Konstitutionen und aufsässiger parlamentarischer Ge­

lüste ihrer Untertanen zu erwehren, benutzten sie die Metternichschen

Mittel gern als willkommene Handhabe.

Solange sie aber eine Ge­

fahr für ihren Partikulariömuö darin sahen, suchten sie sich ihnen durch Künsteleien zu entziehen. Auf diese Weise konnte der Liberalis­ mus sich auch im Zeitalter der Reaktion behaupten, ohne an Werbe­

kraft zu verlieren.

Durch verständiges Nachgeben suchte man das

Damoklesschwert zu vermeiden, daß drohend mit neuen Heimsuchungen

und

Repressalien

über

ihnen

hing.

So

wurde

der

Liberalismus

gleichsam in die ihm Schutz gewährenden Mittelstaaten getrieben und

veranlaßt, hier — unter Zurücksetzung der Einheitsidee — zunächst für die freie Entwicklung des Staatslebens zu kämpfen und Opfer zu

bringen.

71) Am 30. Oktober 1819 wurden in Weimar die Karlsbader Beschlüsse veröffentlicht. In Heidelberg tat sich die Burschenschaft am 20. Januar 1320 schon wieder auf. In Bonn wurde die Burschenschaft im Juni 1820 aufgelöst, konnte sich aber am 4. November 1820 erneut als „Germania" mit den Farben Schwarz-Rot-Gold neu konstituieren und kam zu hoher Blüte. In Bonn wurde nicht wie im Jahre 1848 die germanistische Richtung („revolutionäre Progression", „Herbeiführung eines einigen Staatslebens") vertreten, sondern die arministische, die durch politische Ausbildung ihrer Mitglieder - ohne aktive Ziele — das staatliche Verständnis wecken wollte, obwohl man auch stark dem Waffenspiel huldigte.

40 Man ertrug auch die Zeit der Reaktion deshalb minder schwer, weil überall sich die gemeinschaftlich von Fürst und Volk zu lösenden Fragen in den Vordergrund drängten, die schweren Wunden zu heilen,

die die napoleonische Fremdherrschaft fast überall geschlagen hatte. Anfänglich triumphierte aber das Metternichsche System, das sich nun

auch die Peinigung des Bundestages" zum Ziele setzte. Am 48. August 1824 gelang es ihm, einen Bundesbeschluß durchzusetzen, der die landständischen Verfassungen noch weiter ver­ kümmerte und zur Überwachung des Schulunterrichts und des

gesamten Erziehungswesens (einschließlich der Universitäten) eine Kom­ mission einzusetzen. Man hielt auch (seit 1828) die Bundestagsbe­ schlüsse der Öffentlichkeit vor, so daß 20 Jahre lang die Tätigkeit

des Bundestages in tiefes Dunkel gehüllt blieb.

Schon durch den

Beschluß vom 5. Januar 1824 war das Petitionsrecht so gut wie ver­ nichtet worden. Ferner wurden die Regierungen gezwungen, ihre

freisinnigen Bundestagsgesandten abzuberufen. So wurde das politische Leben im Bunde zur bloßen Form erniedrigt. Aber auch die deutschen Landtage, in denen sich immerhin noch einige Zeit ein liberaler Oppo­ sitionsgeist regte, standen unter diesem unheimlichen Inquisitions­ druck, der auf Deutschland lastete. Bis zu einem gewissen Grade mußten sich die konstitutionellen Staaten dem Metternichschen Re­ aktionsjoch beugen und die Opposition durch Auflösungen usw. mundtot oder mürbe machen. In Preußen scheiterten deshalb — teils durch den Widerstand des Kronprinzen und des Fürsten Wittgenstein in der Verfassungskom­ mission — die Hardenbergschen Verfassungspläne. Durch die Kabi-

nettSorder vom 21. Juni 1821 wurde „das weitere wegen der Ein­ berufung der allgemeinen Landstände der Zeit, der Erfahrung und der Entwicklung der Sache und meiner landesväterlichen Fürsorge anheim­ gestellt". Immerhin wurde wenigstens — angeregt durch die Schrift von Schmalz: „Eine Ansicht der ständischen Verfassung der preußischen Monarchie" und eine Denkschrift von Humbold: „die warm und

überzeugend für die Gesamtstaatsverfassung eintrat und den Wider­ sinn des föderativen Systems darlegte, auch die Ausgestaltung der preußischen Verfassung dementsprechend kurz behandelte", eine 5. Kommission — heute ähnlich zur Herbeiführung der Zentralverfassung l

— zur Beratung der preußischen Verfassung einberufen, die aber

41 über die Berufung von Notabeln nicht hinauökam. Mit dem Tode Hardenbergs am 26. November wurde auch diese Kommission be­ graben. Sonach scheiterte der großartige Reformplan Steins zum Un­ heil für Preußen, wodurch die Bewegung von 1848 ihre historische

Rechtfertigung erhielt. Dafür wurde der ständische Gedanke des Königs ausgebaut. Am 5. Juni (3. August) 1823 erließ die unbelehrbare Selbstregierung, die weder Kraft noch Einsicht, noch praktische Entschlußfähigkeiten be­ saß, das Gesetz über die Provinzialstände, zunächst für Branden­ burg, Pommern und Preußen, am 27. März 1824 auch für die

übrigen fünf Provinzen. Obwohl dieses Gesetz im Rheinlande scharf kritisiert wurde, zumal es mit den erträumten konstitutionellen Ideen wenig gemein hatte, so konnten die Provinzialstände wenigstens vor­ übergehend doch als ein Unterbau für die zukünftige Verfassung gelten. Aus diesen mehr taktischen Erwägungen heraus begrüßten die Liberalen die Provinzialstände als den Anfang „einer organischen

Gestaltung der Nation"72). „Der beste Inhalt der deutschen Landtagsverhandlungen, der unmittelbare Gedankenaustausch, wie Treitschke Seite 358 (Band 3) richtig hervorhebt, zwischen Regierung und den Ständen", blieb leider für Preußen aus, so daß die Provinzialstände anfänglich —

auch mangels des Petitionsrechtes und der Publizität ihrer Verhand­ lungen — nicht den ihnen zukommenden Einfluß gewinnen konnten. Immerhin haben sie auch in Preußen einen kleinen Stamm politisch erfahrener liberaler Männer erzogen und auch in Einzelfragen z.B. der Westfälische Landtag unter dem Vorsitz des Freiherrn von Stein — Gutes geleistet. So konnten in den Jahren 1825—1828 trotz mancher Klassengegensätze72) sieben neue Kreisordnungen, eine gemeinsame für Rheinland und Westfalen und je eine für die öst­ lichen Provinzen geschaffen werden, die Anfänge der Kreisselbstver­ waltung schufen, obwohl den Kreistagen die Verfügung über die Kreiöeinkünfte usw. versagt blieb. Insbesondere hat diese Selbstverwaltung 72) So der General von Pfuel (ähnlich ferner Theodor Körner, Stein, Humbold, Freiherr von Vincke, Minister Schön usw.) im märkischen Landtag.

”) Die Macht der Junker trat hier schon gegen die Bauern auf, deren Rechte man — im eigenen Interesse! — beschneiden wollte.

Cs war ein schöner

Zug vom König, daß er diese Krebsschäden mit kräftiger Hand abstellte.

42 der Provinz viel für die Agrargesetzgebung (die schwierige Ab­ lösung der Reallasten, besonders in den neuen Provinzen) geleistet, ob­ wohl man sich für die Gewerbefreiheit — wie teilweise noch 1848 —

nicht begeistern konnte und zum Zunftzwang zurückkehrte (im Sinne Steins!). Andererseits gelang es den Ständen im Rheinland, das schon etwas weiter fortgeschritten war und ein freieres Recht be­

nötigte, den Angriff auf ihr freies rheinisches Landrecht, das sogar die Geschworenengerichte schon kannte, abzuschlagen. Obwohl Anselm von Feuerbach schon die Mündlichkeit und Öffentlichkeit des Straf­ prozesses glänzend gerechtfertigt hatte, wollte der König 1827 im Rheinland das allgemeine Landrecht, das noch ganz für bäuerische Ver­ hältnisse zugeschnitten war, einführen. Nur den stürmischen Debatten aus den Provinziallandtagen, den Warnungen der Presse und dem Adressenregen aus dem Rheinland war eö zu danken, daß der König hier nachgab und vorläufig den Plan zurückstellte, bis das große

Revisionswerk Dankelmannö (unterstützt von Savigny, Sethe, Kamtz, Sack, Simon usw.) — eine Neukodifikation des gesamten preußischen Rechts — beendigt war. Erfolgreich war auch die An­ regung der beiden wirtschaftserfahrenen Landtage des Westens, die den diplomatischen Verkehr mit den neuen Republiken Südamerikas —

nach dem Vorbilde Friedrichs des Großen gegenüber den Vereinigten Staaten! — aufzunehmen baten, damit dem rheinischen Absatz dieser Weltmarkt erschlossen werden könnte und nicht verloren gehe. Daß der König auch hier seine legitimistischen Bedenken dem Staatswohl opferte, war „eine der erfreulichen Seiten seines widerspruchsvollen Charakters". War sonach in Preußen der konstitutionelle Gedanke gescheitert,

wenn auch dem Liberalismus das Forum der Provinzialland­ tage geöffnet wurde, so konnte er trotz der Revision der Verfassun­ gen in den anderen Staaten sich wenigstens äußerlich aufrechterhalten und dem Liberalismus die Plattform, sich zu betätigen, verschaffen. Dem Bayrischen Landtag"), der im März 1825 zusammen­ trat, mußten zwar viele Liberale fernbleiben (z.B. Prof. Behr in Würzburg usw.), weil ihnen die Regierung den Urlaub verweigerte.

Dafür traten aber neue Pioniere des liberalen Gedankens 74) König Ludwig (katholisch-liberal) sang 1825: „Herrlich über freies Volk zu walten — Nicht nach Willkür grundlos schalten."

43 auf, Professor Ignaz Rudhart (später als bayrischer Verwaltungs­ beamter bewährt!), Utzschneider, ein Industrieller großen Stils, ein besonderer Kenner der Volkswirtschaft (Anhänger von List!) und Graf

Benzel-Sternau, der in seinen Bayernbriefen die Erfahrungen im Landtage zum politischen Allgemeingut des Liberalismus machte. In vorbildlich maßvoller Weise paßte man sich der Situation an. Die von

der Regierung vorgelegte Geschäftsordnung, die das kleine Recht des Landtags noch mehr einschränkte (Verweigerung des Rechts der Ein­ bringung von Gesetzentwürfen, Bestimmungen über den Mißbrauch der

Redefreiheit usw.) wurden angenommen, da man sonst die Oktroyierung durch die reaktionäre Partei am Hofe fürchten mußte. Drei immerhin nicht ganz schlechte Gesetze, die der Behörde die Erlaubnis zum Heiraten, zur Niederlassung und zum Gewerbebetrieb („nach dem Nahrungöstand des Ortes") zuwiesen, entsprangen dieser unter dem Druck der Regierung stehenden Tagung. Erst mit der Thronbesteigung

Ludwigs des Ersten begann für Bayern am 12. Oktober 1825 eine neue liberale Ara, obwohl die Umwandlung sich sehr langsam vollzog und noch 1848 die politische Teilnahme der Bevölkerung teil­ weise sehr schwach war'»). Während in Württembergs) sogar der Metternichsche Plan der Universitätsreform unter dem Druck Österreichs durchgeführt wurde (1829 erhielt Tübingen die Verfassung!), konnte sich trotz der Rück­ sichtnahme des liberalen Schwabenkönigs in seinen altrechtlichen Land-

tagöausschüssen ein wirklich freies politisches Leben nicht entwickeln. Der bekannte Volkswirt Friedrich List, der große Eisenbahnpionier, mußte sogar nach Amerika auöwandern, was allerdings später dem deutschen Bahnbau zugutekam. Im Hessischen Landtag dagegen gelangen heilsame Reformen, z.B. die Aufhebung der Zehnten usw., ein Zeichen, daß hier ein wert­ voller liberaler Zweig seine Wurzeln trieb. Immerhin wurde die liberale Opposition schließlich unterdrückt. 1826 wurde der rührigste ’6) Traub berichtet (S. 14), daß noch am 5. März 1848 an einer Volks­ versammlung in Augsburg nur 50 Bürger teilnahmen. Ebenso wurde das „literari­

sch« Museum", wo 30 Zeitungen auslagen, nur schwach besucht. ’6) Aus Raummangel kann auf die Entstehung des Liberalismus in Süd­ deutschland nicht näher eingegangen werden. Dgl. Meerwerth: Die öffentliche Mei­

nung in Baden (Dissertation 1907 Heidelberg).

44 Vertreter der Liberalen, E. H. Hoffmann, während der Wahlen wegen indirekter Majestätsbeleidigung angeklagt und konnte erst drei Jahre

später



nach

in die Kammer eintreten.

seinem Freispruch! —

Die Saturnalien der Reaktion kamen aber in Baden zum Ausdruck,

wo der Freiherr von Blitterödorf die Knute schwang. Er trug

sich ernstlich mit dem Gedanken, die Verfassung einfach aufzuheben.

Im Dezember 1824 wurde der Landtag aufgelöst und die Wahltätig­ keit

der

Opposition,

insbesondere

Rottecks77)

amtlich

verhindert.

Hierdurch wurde die liberale Partei zerschlagen, so daß nur 3 Liberale

— nicht einmal der Führer Professor Welcker! — in den Landtag ein­ ziehen konnten, die sich aber durch geschickte Taktik großes Ansehen erwarben: Föhrenbach, Grimm und der Freiburger Professor Dutt-

linger, ein gewiegter Kenner deö Verfassungsrechtes. Nur mit knapper Not und diplomatischem Einlenken konnte hier die Änderung der Ver­

fassung verhindert werden, indem man daö Budget auf 3 Jahre be­ willigte. Die Grundlage des Liberalismus war also erhalten geblieben

und er konnte — wenn auch zunächst mit großer Reserve — seine Pläne weiter verfolgen. englische

Neue Antriebe erhielt er durch die liberale

Handelspolitik 78), 79 (damals

entstand

die

Monroedoktrin

„Amerika den Amerikanern!"), durch die hellenische Freiheitsbewe­ gung^) und außer Schelling durch Hegels preußische Staatsphiloso­

phie 80), die sogar Rousseaus Ideen teilweise anerkannte.

Hierdurch

wurde die politische Schulung der Deutschen angebahnt. Auch

das

geistige Leben (Eichendorff, Platen, Hauff usw., Niebuhr 81), Ranke,

Schlosser usw.) folgte dem wirtschaftlichen Aufschwung (Zollverein!),

so daß Eichendorff mit Recht voraussagte: „Wo immer müde Känipfcr sinken im blutigen Strauß,

Es kommen neue Geschlechter und fechten es mutig aus."

77) Rotteck gab später seine Annalen (Politischer Almanach) heraus. 78) Vgl. die Lissaboner Flottenfahrt, die Anerkennung der Rebcllenstaaten in Südamerika 1825 und der Abschluß von Handelsverträgen mit ihnen usw.

79) Lord Byrons Lied: „The montains lock on Marathon and Marathon shows on the sea“ wurde ein Weckruf der Liberalen Europas!

80) Die Ausbildung der konstitutionellen Monarchie ist das weltgeschicht­ liche Werk der neuen Zeit, wie Hegel prophezeite. Näher kann hierauf leider nicht «ingegangen werden. 81) 1815: „Politische Parteien müssen in jedem Staate sein, wo Freiheit und Leben ist."

45

Der Liberalismus nach 1830. Gerade die Julirevolution 1830 in Frankreich hat klar bewiesen, daß ein „Volk sich mit aller Entschiedenheit der liberalen Bewegung hingeben kann und dennoch zu gleicher Zeit seinem Fürsten mit einer alt angestammten Pietät anhängen kann, die in kleinen wie in großen Dingen hervortritt, so lange der Fürst sich nicht ihrer unwürdig ge­

macht hat" «2). Sie ist nicht der Anfang eines „Iersetzungsprozesses"^), der in den Revolutionsjahren 1848 seinen Höhepunkt und Rückschlag erhält („Auflösung und Umbildung durch das Zeitalter Bismarcks")8^), sondern ein „Glied in der Kette jener Bewegungen, welche seit 1815 Europa erschüttert haben"8''). „Die

ständige Wiederkehr der Ereignisse beweist,

daß es Wider­

sprüche gibt in unserem Staatenorganismus, die noch nicht gelöst

sind. Von zwei großen Gedanken, welche in ihrem letzten Grunde nur eins sind, werden die politischen Bewegungen durchzogen, von dem Gedanken, daß die Völker ein Recht haben, ihre Geschicke selbst zu bestimmen und

dann, daß es ein unabweisbares Recht der Völker ist, nationale Staaten zu bilden und diesem Gedanken gegenüber steht nicht sowohl eine Idee, als

eine Macht, die Macht des Bestehenden." „Und es gehört keine Propheten­ gabe dazu, um das eine daraus zu erkennen, daß die Welt heute doch liberal ist und daß der Sieg dieser liberalen und nationalen Welt zu­

fallen wird" 86).

Die Julirevolution kann sonach gewissermaßen den Startschuß für den großen Lauf des Liberalismus vor 1848 darstellen. Sie war in Frankreich eine Folge der unzureichenden Konstitutionali­ sierung der Charte von 1814 und endete mit der Niederlage des Legitimismus. Als der König am 25. Juni 1830 auf Betreiben der Aristokratie die ver­ hängnisvollen Ordonnanzen erließ, die das Wahlrecht änderten, die Presse­ freiheit beschränkten und die neugewählte Kammer gegen die Macht der auf­

strebenden, Handel und Industrie verkörpernden Bourgeoisie auflöste, rief er die Arbeiter und die republikanische Jugend auf die Barrikaden.

Am

7. Juli wurde der „Bürgerkönig" Louis Philipp eingesetzt. An Stelle des monarchischen Systems kam innerlich das parlamentarische87) zur Herrschaft.

82) So: „Augsburger Allgemeine Zeitung" von 1848 (Nr. 259). 83) So Meinecke: „Weltbürgertum und Nationalstaat" S. 256 (um seinen

Standpunkt begründen zu können).

84) So Meinecke S. 256. 8d) und 86 82)87 83 So 84Treitschke * in seinem „Kolleg über die Geschichte 1848—1850" in Leipzig 1863 (nicht publiziert; Stenogramm von Hans Blume). 87) Mit dem Fortfall der adeligen Pairskammer kam das Bürgertum zur Re-

46 Der revolutionäre Funke87a) sprang auch nach Belgien über und führte zur Trennung der Niederlande, während schon am 7. Februar 1831 im Namen der Volkssouveränität die belgische Verfassung proklamiert wurde.

Einen weiteren Widerhall fanden die Pariser Umwälzungen in dem alten Lande der Freiheit, in England, in dem nunmehr der Liberalismus („Der demokratische Geist des Zeitalters^ weitere Volks­ rechte erringen konnte. Vorbereitet durch die Emanzipation der Katholiken (ein Werk Welling­

tons und Robert Peels 1829), durch die demokratischen Lehren von Bentham und John Stuart Mills, durch die Eröffnung der ersten größeren Eisen­

bahn von Manchester nach Liverpool (durch Huskisson!), die das Zeitalter des Dampfes und der Arbeitskämpf« einleitete, kam im Jahr« 1832 die Reformbill zustande, die das Unterhaus neu gestaltete und auf eine ziemlich weite bürgerliche Basis stellte, ohne allerdings den Belangen des vierten

Stander schon genügend Rechnung zu tragen, was erst das sehr zahme

Fabrikgeseh 1833 in Angriff nahm.

Auch in Polen"), in der Schweiz und in Italien brachen Revolutionen aus. Man glaubte allgemein an einen großen europäi­ schen Krieg. Preußen zumal fürchtete für seine Westgrenze, weil Palmerston das Bürgerkönigtum in Frankreich sofort anerkannt hatte. Wiederum mußte der Legitimismus nachgeben. Die Mittelmächte sahen — allerdings widerwillig — ein, daß man „dem ewigen Werden in der Weltgeschichte nicht ungestraft sein Halt zurufen konnte" und fügten sich in die entstandenen Veränderungen, indem

der Preußenkönig sich seinen Untertanen für verpflichtet erklärte, das peinliche Opfer seiner Grundsätze zu bringen. (Anerkennung der Quasi­ legitimität in Frankreich und der Bolkssouveränität in Belgien usw.). Die solange niedergehaltene Opposition deö Liberalismus in allen

gienmg, während der vierte Stand, der sein Blut in der Hauptsache für den Libe­ ralismus geopfert hatte, dank dem plutokratischen Wahlgesetz, das für die Aus­ übung der politischen Rechte einen hohen Zensus »orschrieb, beiseite gedrängt wurde

und nunmehr auf die sozialistische und kommunistische Bahn zwangsweise einlief.

87a) Der Schweizer Johannes Müller prophezeite schon seit 1792 große Res

volutionen, da es unmöglich sei, den Geist mit den Bajonetten zu vertilgen.

„Die wahr« Klugheit ist die Erkenntnis der Zeichen der £eit" (Evolution!).

") In Polen wurde 1832 der Aufstand unterdrückt. schwemmten Europa.

Viel« Polen über­

„Die polnische Emigration wird der Fluch Europas."

47 Schattierungen jubelte laut auf, als sie die Verankerung und An­ erkennung ihrer Ideen im Auslande erfuhr 88 a89 ). Und so begann, besonders in den Staaten, wo die Verfassung noch fehlte, der alte liberale Kampfwille gegen die veraltete Gesell­ schaftsordnung sich von neuem aufzubäumen. Überall in Deutschland flackerten kleinere Unruhen auf. Die innere Verwandtschaft zwischen ihnen bewies die schöpferische Naturgewalt einer elementaren nationalen

Bewegung, schuf eine gemeinsame liberale Staatsgesinnung, ein über die Grenzpfähle sich einendes geistiges Parteileben (teilweise noch kos­ mopolitisch eingestellt!), das bewußt die Reform des national­

liberalen deutschen Gesamtstaates auf seine Fahne schrieb.

Der rheinische Liberalismus. „Der Zauber der geheiligten Ordnung Alt-Europas war gebrochen und die Elementargeister und Dämonen des jungen Europa stiegen aus

ihrem Dunkel hervor"M). Während Hannover, Kurhessen und Braun­ schweig gewaltsam zu Verfassungsstaaten (in Kurhessen arbeitete Syl­ vester Jordan nach französischem Vorbilde die Verfassung auö!) um­

gestaltet wurden, während in Bayern und der Pfalz (auch Sachsen) die Spannungen zwischen Volksvertretung und Herrscher besonders stark wurden und Zugeständnisse erreichten, blieb Preußen von heftigeren Einwirkungen verschont, obwohl das Bürgertum die Zurück­ setzung gegenüber dem Adel bitter empfand, aber noch kein politi­ sches Sprachrohr für seine großen Wünsche hatte. Gerade das wirtschaftlich weit fortgeschrittene Rheinland fühlte sich übermäßig zu­ rückgesetzt. Es brachen auch einzelne Unruhen aus (im Wuppertal und in Aachen), die aber in der Hauptsache wirtschaftlich-soziale Ursachen (nicht politische Hintergründe!) hatten. Wie 1821 in Eupen handelte 88 a) Allen voran jauchzte Heinrich Heine: „Lafayette, die dreifarbige Fahne, die Marsailleise —

Fort ist meine Sehnsucht nach Ruhe. Ich weiß jetzt wieder, was ich will, was ich soll, was ich muß.

Ich bin der Sohn der Revolution und greife wieder zu den gefeiten Waffen, Worüber meine Mutter ihren Zaubersegen ausgesprochen. Blumen! Blumen! Ich will mein Haupt bekränzen zum Todeskampf,

Ich bin ganz Freud«, ganz Gesang, ganz Schwert und Flamme!"

89) Vgl. Schwimmer: „Restauration und Revolution".

48 es sich mehr um Proteste der handarbeitenden Klassen gegen die un­

erwünschte Konkurrenz der Dampfmaschinen (vgl. auch in Schlesien die Weberunruhen) und der städtischen Einwohner gegen den Steuer­

druck. So kann es nicht weiter wundernehmen, daß sich bald im Rhein­ land

die

späteren

Führer

des

rheinischen

Liberalismus

auf

Verfassungsgerüchte aus Berlin hin an die Rampe der Politik wagten.

Fürst Joseph von Salm-Dyk legte in einer Denkschrift an den

Prinzen von Preußen (28. 1. 1831) dar, die am 22. Mai 1815 ver­ heißenen Reichsstände seien das beste Mittel, „um die bloß agglomerierten Teile der Monarchie in ein Ganzes zu ver­ schmelzen und die Rheinprovinz fest an Preußen zu ketten." Der auf Gleich­

heit und Freiheit gerichtete Geist der Rheinländer sei leicht durch liberale Institutionen zu bändigen, die die Stellung des Königtums nur befestigen könnten. Dies sei auch die Ansicht von 9/io der Mitglieder des rheinischen Landtags.

Kurz vorher hatte der in Aachen ansässige Kaufmann und spätere Minister von 1848 David Hansemann99)

dem König eine noch

wirkungsvollere Abhandlung übersandt (31. Dezember 1830: „Über

Preußens Lage und Politik am Ende des Jahres 18 30/z),

in der er gleichfalls riet, durch Gewährung einer repräsentativen Ver­ fassung den Grund für eine ruhigere Entwicklung des Staates und für

eine Befestigung der Monarchie zu legen und baldigst mit den über­ lebten patriarchalischen Formen der Verwaltung zu brechen. Der Realpolitiker ging richtig davon aus, daß der in Handel und Industrie vertretene Bürgerstand stärker als bisher entsprechend seiner

Bedeutung für den Staat zur Mitregierung herangezogen werden müsse, obwohl er die Bevorzugung des Adels bestehen lassen wollte und Belgien sogar als das „Bastardkind der Freiheit" bezeichnete. Er wies aber mit Recht darauf hin, daß die übermäßige Präponderanz des Adels, die weltfremde Neubelebung alter überholter feudalistischer Ideen und die aus­

schließliche Macht der

Beamtenhierarchie

den neuen

Lebenskräften

und

Lebensbedingungen des Staates nicht mehr gerecht werden könnten. Da die Struktur des Staates und der Gesellschaft sich infolge der wirtschaftlichen

Entwicklung9*), die besonders im Rheinlande stark in Erscheinung trete,

geändert habe, so müsse der Gedanke einer ständischen Vertretung auf Grünt 90) Einer der vielen Tüchtigen, die unser Volk dem protestantischen Pfarr­

hause verdankt.

91) Man behauptet nicht mit Unrecht, daß wir uns heute wieder vor eine ähnlichen Lage befänden, die eine stärkere Mitwirkung der Arbeiter im Wirt

schaftsprozeß bedinge.

49 Preußen ver­

der Provinzialverfassung als unfruchtbar aufgegeben werden. kümmere,

wenn es nicht einen neuen

lebensspendenden

Unterbau

einer alle Volkskreise umfassenden allgemeinen Vertretung er­ halte.

Man müsse zum modernen Zweikammersystem kommen.

Kammer ernenne der König.

Die erste

Die zweite (300 Abgeordnete!) müsse un­

mittelbar durch das Volk gewählt werden (aktives Wahlrecht mit höherem

Zensus, passives ohne Zensus).

Auf diese Weise könnten die geistigen und

besten Kräfte der Nation in die Kammern gezogen werden und somit eine Elite der nationalen Kräfte dem König hilfreich zur Seite stehen. Preußens

Krone würde durch ein solches Reprüsentativsystem,

das

die Rheinländer

1815/18 allerdings teilweise abgelehnt hätten, an parlamentarischer und re­ gierungsfähiger Kraft gewinnen. „Der stärkste deutsche, der preußische Volks­

stamm will durch ein öffentliches Leben (mit Pressefreiheit) seinen Monarchen vermittels der Organe seiner Macht emporgehoben sehen. Die Macht des

Königs kann gar nicht anders als identisch mit der Wohlfahrt und der Macht des Staates gedacht werden.

Preußens Politik kann keinen anderen end­

lichen Zweck verfolgen als den, selbständig durch seine Stellung und innere

Kraft zu sein, nicht die Selbständigkeit den gegenwärtigen Verhältnissen

der Großmächte teilweise danken zu müssen. Sein Regierungssystem muß mit klarem Bewußtsein, aber nicht mit überspannten demokratischen Ideen die wahre Kraft der preußischen Nation, wie sie durch ihren fortgeschrittenen

und fortschreitenden Kulturzustand sich gestaltet hat, formell und vollständig ausbilden, die legale Äußerung der öffentlichen Meinung und deren wohl­

tätigen Einfluß sichern."

Hansemann stellte aber auch Preußen die Aufgabe (nach dem Wunsch der Koblenzer Rhein- und Moselzeitung von 183T, „einem großen und auf der Weltbühne geachteten Volke anzugehören"), den losen deutschen Bund in einen Föderativstaat zu verwan­ deln, indem er den Beruf Preußens hierzu aus den Erfolgen seines Zollvereins ableitete. „Der Zollverein hat

in Beziehung auf die materiellen

Interessen

Deutschlands die Bahn der Vereinigung geöffnet. Es ist Preußens erhabener Beruf und zugleich sein klarliegendes Interesse, die Macht und die Wohl­

fahrt Deutschlands kräftig zu fördern und deshalb die deutschen Staaten in einem gemeinsamen durch wahre Interessen fest verknüpften Bund zu ver­

einigen. Preußen muß das Band der deutschen Volksstämme zur gemein­ samen Vermehrung der gemeinsamen deutschen Macht enger festigen, die Unabhängigkeit der übrigen kleineren mitteleuropäischen Staaten schützen, um

auf diese Weise einen von der Konvenienz der europäischen Großmächte un­ abhängigen höheren Grad der Selbständigkeit zu behaupten/

— Österreich

müsse ausscheiden. — Preußen scheint, weil es den Geist der Zeit besser als Österreich aufzufassen versteht, bestimmt zu sein, den Einfluß und die Macht

Deutschlands vorzugsweise zu heben, während Österreich durch seine Herr­ schaft über nicht germanische Völker jener Bestimmung sich mehr entDannehl, Schurz.

4

50 fremdet.

eine mit

Die zum neuen Bunde gehörigen deutschen Staaten können nie nichtdeutschen Staaten

verbundene

Regierung

und Verwaltung

haben."

Die Initiative sollte von der Dolksseite ausgehen, indem die

Bundesversammlung (mit dem Recht der Steuerbewilligung!) von den Volksvertretungen gewählt werden sollte. Die Regierungen dagegen sollten nach dem Prinzip des organischen Verfassungsauf­ baues einen Exekutivrat aus den drei größten Staaten er­ nennen. Hansemann stand mit seinem Plan in Gegensatz zu den radikaleren Ideen in Süddeutschland, die teilweise ein deutsches Parla­

ment mit einer deutschen Republik erstrebten. Sein Programm wich aber auch sonst von den früheren Wünschen im Rheinland ab. Eö schloß sich teilweise der französischen konstitutionellen Idee der Re­

volution (1830) an. Er verzichtete aber für das passive Wahlrecht auf den erhöhten Zensus, wie ihn auch Rotteck für Süddeutschland verlangte. Er folgte in dieser Beziehung der belgischen Verfassung. Er lehnte aber ihr gegenüber die Idee der Volkösouveränität ab (auch das Oktroyierungsprinzip!) und stellte sich auf den Boden der Verein­ barung (schon früher im Rheinland und jetzt auch von Weicker ge­ fordert!), indem er verlangte, „daß die preußische Verfassungöurkunde

einer aus Wahl hervorgegangenen, die wahre Kraft der Nation reprä­ sentierenden Versammlung vorzulegen und auf diese Weise vertrags­ mäßig abzuschließrn sei". Obwohl Hansemann an die Ideen der Stein-Hardenbergschen

Epoche anknüpfte, und ausdrücklich die kurhessische Verfassung mit ihren Volksrechten (sehr liberal vom 5. Jan. 1831) für Preußen ab­ lehnte "), fand er bei der Regierung keine Sympathie99). Als Hansemann im Jahre 1832 sein Werk: „Preußen und

Frankreich, staatswirtschaftlich und politisch unter vorzüg­ licher Berücksichtigung der Rheinprovinz" erscheinen ließ, emp­ fand man seine — vielleicht teilweise nicht ganz zutreffenden statisti­ schen»«) — Darlegungen in Berlin als „unpreußisch" und als „eine 92) Besonders das Wahlrecht ohne Zensus, das Einkammersystem, das uty beschränkt« Steuerbewilligungsrecht. 93) Als Hansemann 1831 in Aachen zum Provinziallandtag gewählt wurde, versagt« die Regierung ihm sogar die Bestätigung, weil er noch nicht 10 Jahre lang Grundbesitzer war, «in bequemes Mittel, um politisch« Gegner kaltzustellen.

91) Obwohl Hansemann sicher gut« Unterlagen dazu gehabt hat, ist bei der Unsicherheit aller Statistik — auch noch heute, obwohl man sic benötigt — ein

51 Art von Kriegömanifest der Rheinprovinz gegen den preußischen Staat", als „französisch gesinnt", indem man völlig den tiefen patriotisch­ deutschen Kern darin verkannte.

Eine Annäherung des rheinischen Liberalismus an Preußen wurde noch mehr unmöglich, als nach dem Hambacherfest (1832)95 * *)96und 97 dem Frankfurter Attentat (3. April 1833) die Demagogenverfolgungen im

Rheinlande Formen annahmen, die im Volke die schärfste Erbitterung gegen Preußen erregten. Dazu kam, daß Preußen versuchte, eine Durchlöcherung deö rheinischen freien Rechts und der rheinischen Ge­ richtsverfassung") seit 1832 systematisch in die Wege zu leiten, was

erneut zu großen Stürmen unter den rechtsbewußten Rheinländern Anlaß gab. Durch solche kleinlichen und inquisitorischen Maßnahmen (durchaus verfehlte Politik unter den damaligen Verhältnissen!) zog

die Regierung selbst im Rheinlande sich eine liberale Oppo­ sition heran, die auf dem rheinischen Landtag von 1833 — sogar unterstützt von den rheinischen Regierungsorganen, Graf Arnim, von Bodelschwingh usw. — ernste Beschwerden und Warnungen erhob. Unbelehrbar führte man diese Bürokratenwirtschaft weiter, sodaß sich die Regierung 1836 auf dem rheinischen Provinziallandtag gleich von zwei äußerst schweren Konflikten bedroht sah, einmal gegenüber der liberalen Gruppe — (Merkens (Köln), Mohr (Trier) und Cetto (St. Wendel)) — und sodann auch gegenüber den Ultramontanen"). So führte egoistische und kurzsichtige Prinzipienpolitik zu einer Zerklüftung der Nation, die leicht zu einer ernsten Gefahr der Ab­

splitterung der Rheinland« hätte führen können, wenn das liberale Bürgertum nicht zunächst wichtigere wirtschaftliche Fragen auf dem Gebiete der Schiffahrt und der Eisenbahn zu lösen gehabt hätte und dadurch etwas mehr von der eigentlichen Politik abgelenkt worden wäre.

Der Süddeutsche Liberalismus. Wie im Rheinland, so war auch in Süddeutschland der Libe­ ralismus von der großen Gefahr bedroht, seines urdeutschen Charakters Irrtum natürlich möglich und sicher entschuldbar gewesen, zumal er die Schluß­ folgerungen nicht beeinträchtigt hat. 95) Vgl. näheres S. 58. 96) Der Code Napoleon war besser für das industrielle Leben zugeschnitten, als das Landrecht in Preußen. 97) Näheres bei Hansen: „Die Rheinprovinz." Dieser kirchenpolitische Prin-

52 entkleidet zu werden und sich zu französisieren98 * *),* * weil * die Regie­ rungen den Kompaß der deutschen Politik nicht zu lesen verstanden.

ES muß daher als ein Wunder bezeichnet werden, daß nach dem Tode

der alten liberalen Veteranen nun die neuen Kämpfer erstanden, die diese Gefahr bannen wollten. Im Norden hatte der Tod furchtbare

Ernte unter den liberalen Großen gehalten, die die Macht Preußens

hatten

begründen

aber

helfen,

nicht

die

Kraft

Steuerruder nach dem deutschen Kurs zu drehen.

gründer

des

Zollvereins,

Niebuhr,

der

besaßen,

das

Motz,, der Be­

Schreiber

der

deutschen

Geschichte (gestorben Neujahr 1831), Stein, der große Staatsmann

der Befreiungskriege (gestorben 29. Juli 1831), Hegel, der Ver­ künder des konstitutionellen Staates, Gneisenau (August 1831) und

Clausewitz, die Strategen, usw., und endlich der Altmeister Goethie, der in seinem soeben erschienenen Faust dem deutschen Volke die

Mahnung gegeben hatte, „als freies Volk auf freiem Boden zu stehn", waren in IV- Jahren dahingegangen, obwohl sie teils noch

strenge Monarchisten waren, und sich scharf gegen die Revolution aus­

sprachen (wie Gneisenau und Clausewitz). Kein Geringerer als Dahl­

mann 99) sprach rühmend und warnend zugleich in der Hannoverschen Zeitung („Die Rede eines Fürchtenden") es damals aus: „Wir haben einen Staat in Deutschland, der den wunderbaren Speer

besitzt, welcher heilt und zugleich verwundet. An dem Tage, da der König von Preußen in seinem Staate die Reichsstandschaft begründet, wird der

gesetzliche Deutsche wieder aufatmen. Er hat die Versicherung, daß bei der Freiheitsentwicklung das Gesetz wohnen werde, daß fortan unseren Dynastien ihre Ehr« verbleibe, daß aber auch künftig die Bundesversammlung in ihren Berechnungen die leitenden Ideen aufnehmc und allmählich dem Grund­ gesetze einverleiben werde, welche das gute heimische Recht sicher­ stellen vor jeder verderblichen Einwirkung, sei es von Westen oder von Osten."

Während trotz aller Warnungen der Himmel des Liberalismus in Preußen wolkenverhangen blieb, zog bereits im Süden ein Unwetter zipienkampf wurde erst 1840 — in für Preußen nicht günstiger Weise — durch Friedrich Wilhelm IV. beigelegt.

") Di« Entwelschung begann infolge des ägyptischen Streits (Sommet 1840) durch die Kriegsdrohungen Frankreichs.

Damals entstand durch Nikolaus

Beckers Lied („Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein") der sogen.

Poetenkrieg, und damit der rechte deutsche Geist des rheinischen Liberalismus99) Dahlmann kam 1828 von Kiel nach Göttingen und wurde der uner­

müdliche Vorkämpfer des Liberalismus im Vormärz. Er schilderte die Geschichte der

englischen und französischen Revolution.

53 über ihn herauf, das ihm zwar neuen Wind in die Segel zuführte,

aber doch durch die Macht der von Frankreich herüberdringenden revo­ lutionären Ideen neue Gefahren für fein deutsches Wesen mit sich

brachte.

Ansätze einer liberal-preußischen Partei, die sich auch

im Süden schwach zeigten, wurden hierdurch erstickt, zumal Preußen selbst nichts tat, um die Geister für den politischen Anschluß an sich

— der wirtschaftliche im Zollverein entsprang vorerst reinen Iweckmäßigkeitöerwägungen! — zu gewinnen.

So konnte sich in Straßburg ein geheimes Revolutionskomitee

So konnte aber auch der junge Stralsunder Cornelius

einrichten.

von hier aus in einer Beilage zum „Niederrheinischen Kurier", betitelt

„Das konstitutionelle Deutschland", für den Anschluß an Preußen werben. —

Immerhin konnte er nicht verhindern, daß die Badischen Libe­

ralen unter den Einfluß der radikaleren Rotteck und später Welcker

gerieten. Unter ZtzsteinS Führung errangen sie im März 1831 einen glänzenden Sieg bei den Wahlen, den sie allerdings nicht richtig auS-

nutzten. Ihr Fehler war, daß sie echtfranzösischen ParteiterroriSmuö trieben und sich als „französierende Deutschtümmler" gebär­ deten. Rotteck, der später das sogen. Staatslexikon herausgab, suchte

damals

diese

liberale

Kammerweisheit über

ganz

Deutschland

in

einem Werke: „Lesebüchlein und Lehrbuch für das deutsche Volk" zu

verbreiten. Er bekannte sich in diesem Lehrbuch des Vernunftrechts zu

der einzig gerechten Staatsform der Republik. Der „alte Soldat der Freiheit", der unerschrocken« Verfechter der Presse­ freiheit, Prof. Welcker, war etwas gemäßigter in der Theorie wie Rotteck.

Zu diesem Kreise, den mit geschickter Taktik der Rechtsanwalt Jtzstein väter­ lich zusammenzuhalten suchte, der besonders die neue Selbstverwaltung im

Gemeindegesetz

erreicht«, gehörten

auch der

Jurist Mittermayer

(aus

Heidelberg), der mit besonderer Wärme sich für die Einführung der Schwur­

gerichte und für die Verbesserung des Gefängniswesens 10°) einsetzte, der verfassungskundig« Jurist Duttlinger, der Vorkämpfer der Pressefreiheit (auch für den Buchhandel), der Buchhändler

Winter, der geistig« Rat

Herr usw. wo) Seine humanen Ideen sollen vielleicht heute Wirklichkeit werden.

Be­

sonders in Sowjetrußland sucht man das Gefängnis zur Erziehungsanstalt um­

zubilden. Auch in Deutschland bricht sich der Gedanke im Anschluß an die Ideen Nietzsches immer mehr durch, nicht mehr zu strafen, sondern zu bessern und Stützen zur Selbstbefestigung zu geben. („Vom bleichen Verbrecher").

54 Das folgenschwerste Ereignis dieser Epoche wurde der große An­

trag Welckerö „auf organische Entwicklung des deutschen Bundes". Obwohl man sich über die zukünftige Organisation des

Bundes (in praktische Auswirkung!) und über die Frage der Führung Preußens keine weiteren Gedanken machte und auch selbst nichts dazu tat, diesen Gedanken mit den richtigen politischen Mitteln nun auch weiter durchzudrücken, so war es doch zu begrüßen, daß zum ersten

Male öffentlich in einem Parlament eine deutsche Verfassung gefordert wurde und daß gleichzeitig auch — anscheinend persönlich verab­ redet — Silvester Jordan im hessischen Landtag in Kassel die Ver­ öffentlichung der Bundesprotokolle und die engere Verbindung der kon­ stitutionellen Einzelstaaten im Bunde verlangte. Der Nachhall dieser liberalen Forderungen war doch stärker, als man wohl noch geträumt

hatte, wenn man auch auf den Festen Badens sich meistens noch gegen „daö Joch Österreichs und Preußens" wandte E). In Freiburg entstand „das erste Kind der Pressefreiheit", nämlich „Der Freisinnige" unter der Leitung des Freiherrn von Reichlin-Meldegg,

finanziert durch eine Aktiengesellschaft. In Mannheim erschien „Der Wächter

am Rhein", redigiert von Strohmeyer, dem sein Schwager, der junge Karl Mathy (der später« Minister) manchen liberalen Artikel übersandte.

Neben

dem „Schwäbischen Merkur, der die deutsche Handelspolitik richtig

be­

urteilte und den Zollverein propagierte, schossen viele radikalere Blätter auf.

In den „Zeitschwingen" z. B. forderte G. Stein die unbedingte Einheit des

Vaterlandes evtl, in einer Republik, unter Vernichtung aller Einzelstaaten usw.

Wie einst Koblenz in der Zeit des Rheinischen Merkurs", Jena in der Zeit der Nemesis und Isis (von Luden und Oken heraus­ gegeben), so wurde die bayrische Rheinpfalz zum Feuerherde der literarischen Opposition. Am radikalsten zeigten sich Dr. Siebenpfeiffer in München und Wirth. Siebenpfeiffer begann in seinem Journal „Rheinbayern, eine Zeit­

schrift für die Gesetzgebung des konstitutionellen In- und Auslandes, zumal Frankreichs" seine rabulistisch-demagogische Wirksamkeit.

Wirth, ein frän­

kischer Jurist arbeitet« zunächst (1831) an dem von Cotta gegründeten „In­

land", das für volkswirtschaftliche und soziale Reform eintrat, gab aber später eine eigen« Zeitschrift: „Die Tribüne" heraus (vgl. auch seine Brand­

artikel in den „Westboten"), in der er (erbitterter Gegner der bayrischen iooa) Auch Rotteck schrieb noch naiv in seinen „Politischen Annalen": „Cs handele sich jetzt um di« allgemeine Freiheit und Zivilisation.

Also müßten die

deutschen konstitutionellen Fürsten aktiv vorgehen und ihr Wort und ihre Arme legen in di« Wagschale der Konstitution."

55 Regierung) nicht nur das amerikanische Staatsidcal verherrlichte, sondern auch den gemäßigten Sozialismus predigte.

Aus diesem Hexenkessel reifer und unreifer liberaler Meinungen (auch Polenschwärmereien, VaterlandSvereinsmeierei usw.), traten aber

auch einige praktische Ideen hervor, die die politische Entwicklung Deutschlands zu fördern imstande gewesen wären.

Schulz:

Wilhelm

„Deutschlands

Einheit

DaS Buch von

durch

National­

repräsentation", das die Welckersche Motion näher begründete, ver­

langte außer dem Reichstag eine feste Zentralgewalt (sei es Kaisertum

oder Republik!) und die Bildung eines konstitutionellen Bundes im Bunde (die Forderung Sylvester Jordans!), weil Preußen zur Zeit

zur Hegemonie wegen seines Vorgehens gegen Polen ungeeignet sei. Ähnliche Gedanken wurden auch in Rottccks Annalen und in den staats­ rechtlichen Beiträgen von K. H. Hoffmann (hessischer Liberaler) vertreten, ob­

wohl diese Probleme zunächst größere Bedeutung nicht erringen konnten.

Lediglich ein Werk — und zwar eines alten Burschenschafters — konnte weit bis nach Norden, Westen und Osten wirken, das reifste,

volkstümlich geschriebene Buch „des Propheten des neuen deutschen Reiches

deutsche

Schwaben

Nation",

Paul

wie

Pfizer:

ihn

Treitschke

Briefwechsel

nennt,

zweier

des

jungen

Deutscher"

(1831).

Pfizer wies richtig darauf hin, daß im Staate Friedrichs des

Großen und seinen Regierungsmaximen die Grundelemente des neuen Deutschlands schon vorhanden seien.

Österreich, das sich seit der

Reformation dem deutschen Leben entfremdet habe, könne nicht mehr

der Führer der nationalen Entwicklung sein. Nur Preußen —

und zwar als liberaler Verfassungsstaat eingerichtet — sei hierzu be­ rufen und in der Lage. Pfizer kritisierte auch freimütig — vom süd­ deutschen Standpunkt aus — die Kehrseiten der liberalen Bewegung und schleuderte ihr das harte und auch der Sachlage nicht ganz gerecht werdende (wenn auch politisch taktische) Wort ins Gesicht: „Weniger die Fürsten als die Völker Deutschlands sind das große Hindernis seiner Vereinigung." „So schön und tief101), urteilte Treitschke, hatt« noch nie ein Deutscher

von Preußens großer Zukunft gesprochen. Neben Pfizers streng politii°i) Pfizer: „Wird denn nie Deutschland zur Besinnung

Würde wieder fühlen und erkennen, was es sich schuldig ist?

kommen,

seine

Die Nation, die

Roms Weltreich zertrümmerte, Europa wiedergeboren und durch viele Jahre be­ herrscht hat, welche dann in der Reformation an die Spitze der geistigen Welt­

bewegung getreten ist, kann nicht aus gemeinem Stoffe und schlechtem gebildet

56 scheu Gedanken erschienen FichteS^-') kühneWeissag ungen doch nur wie nebelhafte Gelehrtenträume." Besonders auf norddeutsche Politiker — z. D. Jens Uwe Lornsen usw. — wirkten diese Gedanken befruchtend fort.

Obwohl die Masse der Liberalen in Süddeutschland noch viel zu

tief im Partikularismus

gefangen

war und

sich für den

größeren

Horizont Pfizers noch nicht wirksam begeistern konnte, so regten diese Gedanken doch ihren Vorgänger^) Friedrich von Gagern an, sie

in

großen Werk:

seinem

(1834)

„Vom Bundesstaat" weiter­

zuspinnen 104). Gagern forderte für den Neubau Deutschlands (nach Görres Wün­

schen) ein erbliches Kaisertum, in dem die kleinen Potentaten gewisse Hoheits­ rechte an die Zentralgewalt abtreten (z. B. Heerwesen, Auswärtiges usw.). Daneben solle eine Kammer der halbsouveränen Fürsten und eine gewählte

Volksvertretung dem Kaiser in einer großen Kaiserresidenz als Brennpunkt des nationalen Lebens zur Seite stehen.

Im einzelnen blieb noch sehr vieles unklar. Es war aber immer­

hin ein Gewinn, daß solche zukunftsreichen Gedanken (die in einem konstitutionellen Preußen verkörperte Nationalidee der deutschen Einheit

müsse sich mit dem Programm des konstitutionellen Südens verbinden!) nun auch in Mitteldeutschland weiter wirken konnten und die Ziele sein. Und doch, was ist aus Deutschland geworden? Es zählt nicht im Rate der

Nationen, Deutschland geht ja leer aus bei der Teilung der Welt und der Deutsche darf seinen Fuß nur unter der Bedingung über die Grenzen sehen, daß er aufhört, Deutscher zu sein." ...„Wenn nicht alle Zeichen trügen, so ist Preußen auf das Protektorat über Deutschland durch das Verhängnis angewiesen, das ihm einen Friedrich den Großen gab."

„Such nur das neue Vaterland! Was blendet dein Gesicht? Sowie Ulyß erwacht am Strand, weinst du und kennst es nicht."

102) Nach Fichte sollte der König von Preußen „der Zwingherr zur Deutschheit" werden, obwohl ihm als höchstes Ziel noch „die Republik ohne deutsche Fürsten und Erbadel" vor Augen steht, dessen Verwirklichung er richtig in „weiter

Ferne" voraussieht. „Preußen sei gezwungen, fortzuschreiten in den Schritten zur

Freiheit, in den Schritten zum Reiche; nur so kann es fortexistieren. Sonst geht es zugrunde."

Fichte ist nach Treitschke (1862) „der erste namhafte Verkündiger

jener Ideen, die heute Deutschlands nationale Partei bewegen."

103) 1823 erschien die Denkschrift „Von der Notwendigkeit und den Mitteln, die deutsche Einheit herzustellen", die Gedanken von Arndt und Stein weitersponn.

(„Hier weht das deutsche Banner"!) 101) Gagern besprach hierin auch die amerikanischen Verhältnisse, insbesondere

den Zollstreit zwischen Südkarolina und der Union (1832/33).

Man sieht, daß

die Einwirkung Amerikas auf Deutschlands Werden doch stärker gewesen ist und

noch ist, als man gewöhnlich glaubt.

57 des Liberalismus von Frankreich abzulenk'en suchten auf das große deutsche Urideal. Es ist bedauerlich — und noch heute ein Fehler! —

daß der Geist des starren Altpreußentums die Abneigung des Südens und Westens gegen den schroffen preußischen Militarismus (der sich

besonders

in

der

Polenfrage,

Kirchenstreite zeigte),

damals

der polizeilichen

Willkür,

und

dem

nicht überwinden konnte, weil letzten

Endes die romantische Richtung für das Althergebrachte dem deutschen Volke noch zu sehr im Blute liegt und das gegenseitige Verständnis

erschwert, zumal die Sonderbrödelei sich nicht zu der großen Pflicht aufschwingen kann: „Rücksicht auf die ehrliche Überzeugung der andern"

und „Deutschland über alles"! Noch einer, „das gute deutsche Gewissen", der alte Arndt,

erhob warnend wie immer seine Stimme gegen die übermäßige Fran­

zosenfreundschaft, die auch im Rheinland noch teilweise ihre Wur­ zeln ausbreitete. Aber seine Warnung (in seinem Werk: „Die Niederlande und der Rhein") verhallte ungehört, ebenso wie seine alte ewig junge Werbung für

Preußen („über Demokratie und Zentralisation" 1831). Arndt erstrebte eine Zwischenlösung zwischen dem Hallerschen Patriarchenstaat und der modernen Volkssouveränität, deren Berechtigung er bis zu einem gewissen Grade an­ erkannte. Die deutsche Verfassung sollte die besten Fermente aus Monarchie,

Aristokratie und Demokratie erhalten.

Aber Arndt war nicht mehr der Führer der Jugend105), die schort zu sehr im Fahrwasser der allgemeinen Volksbewegung schwamm"«) 105) Arndt wurde allerdings in Bonn noch bis zu seinem Ende und be­

sonders auch von Schurz 1848 jubelnd begrüßt. io«) Charakteristisch ist ein Bekenntnis des Historikers Ficker von Feld­

haus — etwas später 1844 am 31. Dezember — in seinem Tagebuch (unver­ öffentlicht!): „In Bonn lebe ich ganz der Politik. Das Lesekabinett nimmt jetzt

die Stelle der Altertümer ein. Ich neige mich sehr den sozialistischen Ideen hin. Werde ich je glücklich werden können, wenn ich nie einen Freiligrath, Heine oder Hoffmann mir als Muster hinstelle? Werde ich so nicht zum Kommunismus, zum Rationalismus kommen?" — Am 9. Februar 1845 — „Mit einer wahren

Gier verschlinge ich Börnes Schriften. Welche Sprache! Ich las gestern abend in seinem Tagebuche." „Ich ging in das kommunistische Kränzchen, wo Feuer­ bach vorgenommen wird." „Glaubte ich an Feuerbachs Philosophien, würde mein

Lebensglück zerstört sein!" — Vor dem Römer in Frankfurt, Juni 1845 — „O Kaiserzeit! wieviel Schönes und Erhabenes knüpft sich nicht an Dich?.. Da stehen die edlen Hohenstaufen.

Kein Geschlecht kann solche Männer aufweisen.

Doch auch sie sanken dem Geschicke trotz ihrer Kraft und Macht. Armes Deutsch­

land, durch deine ganze Geschichte zieht sich ein feindliches Geschick! Wie könntest du sonst zu deinem heutigen Zustande gelangt sein!"

58 und durch den Druck der öffentlichen Meinung und Agitation sowie

infolge der Polizeischikane daö große Ziel der Einheit und Freiheit Deutschlands nur mit Mitteln erringen zu können meinte, wie sie

immer radikaler auS Süddeutschland empfohlen wurden.

Die Offensive des Liberalismus. (Hambacher Fest» Frankfurter Wachensturm.) Da man der Nation den gesetzlichen Weg zur Bundesreform ver­

sperrte, indem man auch die Sendung von Adressen an den Bundes­ tag verbot und die Pressefreiheit einschränkte107), so verschuldeten"") die Fürsten selber, daß der Liberalismus sein Heil nur in der Offensive suchte und schließlich auf die Bahn der Gewalt gedrängt wurde.

Ganz sind aber die Liberalen hier auch nicht von ihren Verfehlungen freizusprechen. Ihre kosmopolitische Einstellung, die an sich nationale Maßnahmen der Fürsten (wie z. B. die Niederwerfung Polens ""),

die im preußischen und deutschen Interesse damals unzweifelhaft lag), unklug bekämpfte, hat andererseits die Fürsten wieder vor den Kopf gestoßen. Und so wurde der Zusammenstoß unvermeidbar, weil beide Teile für das, was zu den nationalen Belangen wirklich gehörte, zu wenig Verständnis aufbrachten. Varnhagen von Ense (ein liberaler Diplomat) schrieb damals ziemlich

konfus: „Wer die Freiheit als Ausnahmebesih der Deutschen, wer sie nicht

als Gemeingut aller Völker ansehen will, der ist kein echter Freund von ihr. Verbrüderung von Franzosen, Polen und Italienern no), gemeinsamer Krieg gegen alle Unterdrücker, das ist not"! Ähnlich sang damals Freiligrath: „Zwei Lager nur auf Erden, die Freien mit dem kühnen Blick

Die Sklaven um den Hals den Strick!

Seis!

Mags entschieden werden!"

Infolge solcher verschwommenen Ideen, die das richtige Verständ­ nis für die inneren Zusammenhänge von national und liberal ver­ missen ließen, kam das Hambacher Fest zustande. „Auf den über­ spannten Idealismus der burschenschaftlichen Jugend (1817), urteilt Treitschke, folgte der falsche Idealismus der Erwachsenen" (bes. in

Süddeutschland). 107) Die badische Regierung bewilligte im Lande Pressefreiheit und stimmte-

gleichzeitig im Bundestag für Aufrechterhaltung der Karlsbader PreßgeseH«. los) Pfizers tragischer Irrtum bestand darin: „Denn ich wage es, die Frage, ob die Fürsten Deutschlands auf ihr« Souveränität, dieses unheilvolle Geschenk

des gefährlichsten Feindes der Deutschen, jemals freiwillig und ohne Kampf auf

Leben und Tod Verzicht leisten werden, mit: Ja! zu beantworten." 109/no) Polen war durch Preußen und Italien durch Österreich niedergeworfen.

59 Diese Politik der Massenpsychose (Einberufung von großen Volksversammlungen), ging auf Wirth und Siebenpfeiffer zurück, die

durch einen „Presseverein" die „Organisation eines deutschen Reiches auf demokratischer Grundlage" erstrebten und eine gewaltige Volks­ propaganda im Süden hervorriefen. Eine ganz große Zusammenkunft sollte nun im Hambach statt­

finden.

Ein Aufruf Siebenpfeiffers

lud alle Deutschen ein, daö

„Allerdeutschenfest" auf dem Hambacher Schlosse bei Neustadt (an der Hardt), „den deutschen Mai zu feiern, am Tage des

Geburtstages der bayrischen Verfassung und der polnischen Konsti­ tution. Überall an den Ufern des Mittelrheins fand dieser liberale Weckruf freudigen Widerhall, besonders in Mainz, wo die Burschen­

schafter (besonders die Gießener Schwarzen), ihre schwarz-rot-goldnen Bänder und Kokarden wieder zu zeigen begannen. Obwohl also viele

Burschenschafter 25000" eilten, Deutschlands schen von 1817

wie 1817 (zur Wartburg), zu diesem „Fest der konnte diese zweite Bergfeier für die Einheit

nicht die sittlich vaterländische Begeisterung der Bur­ auf der Wartburg hervorbringen, obwohl ihre Folgen

nicht geringer waren. Die Halbheit der liberalen Reden, denen daö große prak­ tische Programm fehlte, die Weltverbrüderung mit den Polen und Franzosen, die unklaren Kampfrufe gegen die Fürsten und für ein republikanisches Europa stießen viele ab. Und so fehlte diesem radi­ kalistischen Treiben trotz nationaler Begeisterung doch der große nationale deutsche Gedanke, wie Karl Mathy unmutig feststellte. Siebenpfeiffer"') verlangte in seiner Hauptrede, daß „die Fürsten die bunten Hermeline feudalistischer Gotthalterschaft mit der männlichen Toga deutscher Nationalwürde vertauschen sollten", schloß aber kosmopolitisch mit einem Hoch auf Deutschland, Frankreich und Polen. Wirth fühlte zwar die welsche Gefahr und warnte vor

Frankreichs Rheinlands Gelüsten, verlor sich aber in republikanischen Schwärmereien und ließ „die vereinigten Freistaaten Deutschlands,

das konföderierte republikanische Europa"'") leben. „Seit das Joch des fremden Eroberers abgeschüttelt ist, erwartet das

deutsche Volk lammfromm von seinen Fürsten die verheißene Wiedergeburt.

Cs

sieht sich getäuscht. Darum schüttelt es zürnend die Locken und drohet dem Meineid."

"2) Ideen, die di« „Interparlamentarische Union (1889) und Graf Coudenove-Calerghi („Paneuropa") Wiederaufnahmen.

60 „Selbst die Freiheit — führte er allerdings vernünftig aus — darf auf Kosten der Integrität unseres Gebietes nicht erkauft werden. Der Kampf

um unser Vaterland und unsere Freiheit muß ohne fremde Einmischung durch unsere eigene Kraft von innen heraus geführt werden und die Patrioten müssen in dem Augenblicke, wo fremde Einmischung stattfindet, die Oppo­

sition gegen die inneren Verräter suspendieren und das Gesamtvolk gegen den äußeren Feind zu den Waffen rufen."

Karl Brüggemann (Heidelberger Student und Burschenschafter — später Redakteur der „Kölnischen Zeitung" — damals ebenso radi­

kal wie der spätere Finanzminister von Miquel, als Student in Göt­ tingen 113) —

sprach unter dem Jubel der Heidelberger Burschen­

schafter m) mit patriotischer Wärme und jugendlichem Schwung: „.. Über England, Amerika und Frankreich sind die Ideale der Freiheit

und Gleichheit nun auch nach Deutschland gekommen. Diese große Idee be­ herrscht unser Jahrhundert — sie führt die bewunderungswürdigen polnischen

Scharen. Sie wird Deutschland vereinigen. Sie wird ganz Europa zu Frei­ staaten gestalten. Dieser Idee hat sich die deutsche Jugend verschworen mit

Gut und Blut." Nun entwarf er ein romantisches Bild von Deutschlands Zukunftsauf­ gaben: „Deutschland, das Herz Europas, soll dann als m ächtiger Freistaat

mit schirmender und schützender Liebe über die Wiedergeburt des übrigen Eu­ ropa wachen. Polen wird es wieder herstellen, Italiens Vereinigung schirmen, das französische Belgien mit Frankreich, das deutsche Elsaß-Lothringen wieder mit Deutschland verbinden, Ungarns Freiheit und Selbständigkeit achten. Es

wird stolz sein auf die Liebe und Achtung der dankbaren Völker.

Von

Deutschland aus ist das abgelebte Altertum vernichtet. Von Deutschland aus ist die Reformation und mit ihr die Freiheit in die neue Welt gekommen.. Don Deutschland aus soll Volksgeist und Vaterlandsliebe unter die Nationen

gebracht werden."

Er verkündete dann das alte „Epursimuove-Jdeal" (Galileis!):

„Das;

die Menschheit im ganzen sich immer mehr entwickle zu Tugend und Glück — daß jede Zeit und jedes Volk ihre besondere Aufgabe hierbei

haben, — daß die Aufgabe der neuen Völker ist, das vereinzelnde Familien­ leben mit einem einigenden Volksleben harmonisch zu verbinden, daß diese

Fortbildung hindurchgehe — durch die Vernichtung des Despotismus, dann des ständischen Aristokratismus zur Gründung der Volksherrlichkeit. Daß die 113) Vgl. Wilhelm Mommsen: Johannes Miquel (1. Bd. 1928). m) Vgl. die Artikel in der „Kölnischen Zeitung" Januar 1927 ff.

„Karl

Brüggemann als Revolutionär" (Beiträge zur Geschichte des Vormärz von Dr. Karl Buchheim). Br. war 1832 Mitglied des Polenkomitees in Heidelberg (zu­

sammen mit Bassermann, Winter, Mittermayer usw.) und arbeitete eifrig im Preß- und Vaterlandsverein mit. Die Heidelberger Burschenschaft nahm damals drei Aktien für Wirths „Tribüne" auf sich. Ferner übernahm sie 150 Exemplare

des großen Aufrufs „Deutschlands Pflichten".

61 Erneuerung Europas in diesem Sinne die Aufgabe unseres Jahrhunderts

und daß Deutschlands Einheit hierzu der Anfang und die Aufgabe der jetzigen Generation fei, woran sie alles unbedingt zu setzen durchaus be­

rufen und verpflichtet ist." Brüggemann forderte die Verwirklichung auf gesetzlichem Wege und mittels der freien Presse. Wenn allerdings dieser Weg verbarri­

kadiert werde, wenn die Gesetze verhöhnt und die Mittel zur Menschheits­ bildung abgeschnitten seien, dann bleibe nur die Revolution übrig (Fichte!).

„Dann ist der Kampf ein Kampf der Notwehr, der alle Mittel heiligt, denn die schneidensten sind die besten. Denn sie beenden die gerechte Sache am siegreichsten und schnellsten" 115).

Das Hambacher Fest verlief letzten Endes ergebnislos116). einzige praktische

Vorschlag,

eine

provisorische Regierung

für

Der

das

freie Deutschland einzusetzen, fiel nicht wegen seiner inneren Unmög­

lichkeit, obwohl er 1847 wiederholt wurde und auch der Paulskirche

(1848) als Vorbild vorschwebte, sondern weil hierzu — die Voll­ machten von daheim fehlten. Der Gedanke der unbedingten nationalen Sicherheit und Einheit — der unabhängig war von „Vollmachten" —

hatte hier noch keinen Resonanzboden. Dies zeigte sich besonders, als einige Zeit später bei einem anderen Feste in Badenweiler (am 11.

Juni 1832) ein Burschenschafter das „deutsche Banner" aufpflanzen wollte.

Rotteck widersetzte sich diesem revolutionären Vorhaben, in­

dem er sogar einen Trinkspruch auf die Selbständigkeit Badens

ausbrachte: „Ich will feine Einheit, die uns in Gefahr setzt, in einen Kriegszug

gegen die uns natürlich Verbündeten geschleppt zu werden.

Ich will keine

Einheit unter den Flügeln des österreichischen oder preußischen Adlers, sondern die Einheit der Völker Deutschlands zum Schutze gegen die Vereinigung der

Fürsten und der Aristokraten."

Unter brausendem Beifall schloß er mit dem zukünftigen Schlag­

wort deö liberalen Partikularismus: „Ich will lieber Freiheit ohne Einheit, als Einheit ohne Freiheit!"'

Hier zeigt es sich klar, wo der Grund für diese revolutionären Be­

strebungen des süddeutschen Liberalismus lag, in Paris. Dort bestand schon längst ein Herd der Revolution (besonders Polen und Ita­

liener — von den Deutschen wirkten Heinrich Heine und Ludwig Börne

mit). Nach dem Dorbilde von Lafayettes Geheimbünden („comitSes 11') Als wirkungsvollsten Schluß sprach er den Rütlischwur!

lle) Siebenpfeiffer und Wirth forderten sogar die Bildung eines National­

konvents. Zunächst sollten aber durch Venedey aus Köln und Rauschenplatt propagandiert werden.

62 direkteurs“) sollte nun auch Deutschland mit einem Netz von Ge­ heimbünden (in Paris war ein deutscher Presseverein gegründet wor­ den), überzogen werden. Der kühnste aller Demagogen, der Genueser Guiscppe Mazzini schrieb

damals an den Badener Garnier: „Es ist wesentlich, daß die Jugend die Ge­ schicke der Menschheit in die Hand nimmt, denn sie allein besitzt Ausdauer,

Kraft, Begeisterung, sie allein ist fähig, aus der Freiheit eine Religion zu machen". So entstanden die politischen Geheimbunde: „das jung« Italien,

das junge Polen und das junge Deutschland, bis endlich „das junge Europa"

die Kabinette stürzen sollte.

Daß die vorwärtsdrängende Jugend solchen nationalen Bestre­ bungen nachgab, die von Männern geführt wurden, ist verständlich"'). Und so kam es, daß auch die seit 1830 wieder stark gewordene Bur­

schenschaft — der Gießener Leseverein der Schwarzen war noch immer am Werkel —in das Fahrwasser dieser radikalen Ideen sich ziehen ließ,

obgleich natürlich nicht alle sympathisierten. Besonders in Erlangen, Jena und Halle kam es zu Spaltungen. Während die sogen, arministische

Richtung (benannt nach Arminia Jena) sich mehr in die Welt der Ro­ mantik und der Frieöschen Philosophie einsponn, wollten die Ger­

manen sich praktisch in der Politik — nach Fallens Vor­ bild! — betätigen. Auf dem Burschentag zu Dresden wurde zum

ersten Male

die

Frage

aufgeworfen,

ob die Burschenschaft

auch

dann, wenn der Augenblick zur Herbeiführung der Einheit und Freiheit

gekommen sei, noch bei ihrem „Prinzip der Vorbereitung" beharren dürfe, oder ob man nicht vielmehr nun selbst in die Politik eingreifen

müsse (vgl. Rüder: „Lebens-Erinnerungen^.

Germania Jena beschloß auf Anregung Rüders, dem Burschen­

tage vorzuschlagen, in „Burschenzeitungen und in den Kränz­ chen burschenschaftliche und politische Fragen zu besprechen,

geeignete Aufsätze auch in allgemeine Zeitungen zu bringen und so das Volk für das Endziel der Burschenschaft — eben­ so wie durch Gründung von Philistervereinen!'") — zu ge­ winnen.

So

wurden

weitere

Fäden

zwischen

Burschenschaft

und

der,

süddeutschen Bewegung geknüpft. In München kamen zur Waterloo­

feier der Münchener Germania am 18. Juni 1831 viele liberale Ab­

geordnete (darunter: von Closehn, Eisemann, Siebenpfeiffer). Sieben117) Wiederholt in der Femeorganisation nach dem Weltkriege, ns) Solche bestanden schon bei den Landmannschaften im Süden.

63 Pfeiffer hielt hier eine große politische Rede auf die Münchener Burschenschaft und toastete auf die edelmütigen Jünglinge der Ger­ mania. So gewann die radikalere Bewegung auch in der Burschen­ schaft Boden, sodaß auf dem Burschentag in Frankfurt am

26. September 1831 beschlossen wurde, daß „die Burschenschaft als eine politische Assoziation gegen jedes illiberale Prinzip auftrcte". Demgemäß wurde der § 1 der Verfassung dahin geändert:

„Die allgemeine deutsche Burschenschaft ist die freie Vereinigung der wissenschaftlich auf der Hochschule sich bildenden deutschen Jugend, die sich

zum Zwecke gesetzt hat, herbeizufiihren: ein frei und gerecht geordnetes, in Volksfrciheii gesichertes Staatsleben im deutschen Volke und die sich zur gewissen Erreichung dieses Zieles eines freien, wissenschaftlichen,

sittlichen

und volkstümlichen Lebens auf der Hochschule und einer kräftigen Entwicklung und Übung des Körpers auf eifrigste bestrebt."

Damit war der von Jena aufgestellte Grundsatz der „praktischpolitischen Tendenz" angenommen. Dagegen wurde die von dem Münchener Burschenschafter G. P. Körner vertretene Meinung, die eine revolutionäre Bewegung durch die Burschenschaft selbst in die Wege leiten wollte, oerroorfenU9). (Einfluß Siebenpfeiffers vorerst abgelehnt!.) Als am 1. April 1832 auf dem „Fest der freien

Presse in Weinheim" die Burschenschafter Brüggemann und Küchler (aus Heidelberg) als Redner auftraten, verlangte Küchler — eine Folge der Frankfurter Beschlüsse — ganz offen, man müsse, wenn nicht bald anderes zum Ziele führe, zum Schwerte greifen. Jmmerhi,» war die Stimmung hierfür noch nicht reif und man rief ihm warnend zu: „Halt! nicht zu weit! Auf dem Wege des Gesetzes!". Deshalb hob Brüggemann in seiner Rede ergänzend hervor, daß

man mit Hilfe der Presse und der öffentlichen Opposition wie in Baden (im Landtag, wo man die Wiederherstellung der in­ zwischen abgeänderten Verfassung und ein Pressegesetz erzwungen hatte), die Regierungen dazu bringen müsse, die Reform­ wünsche deö Volkes zu erfüllen. Am 26. Mai 1832 forderte auch der Burschenschafter Kähler (aus Heidelberg unter Wieder­

holung von Küchlers Forderung!) in Hambach, man solle doch nicht wieder nur schwatzen, sondern endlich losschlagen, was jedoch ent­

schieden

zurückgewiesen

wurde.

„Die

praktisch-politische

Tendenz"

n9) Vgl. hierüber näher die Forschungen von Heer: „Die Geschichte der De-

magogenzeit" (Geschichte der Burschenschaft, 2. Bd. 1927, S. 238 ff.).

64 wurde jedoch nach und nach stärker. Auf dem Volksfest vom 22. Juni 1832 in Wilhelmsbad bei Hanau (10000 Besucher!) trat dies deut­ lich hervor. Zwar trat der Bonner (auch Jenaer und MarburgerBurschenschafter I. A. Forster, der in Fulda daS „Volksblatt für das konstitutionelle Deutschland" herausgabin Pfizers Fußtapfen und zeigte den Weg der friedlichen Einigung Deutschlands unter preußischer

Mehr Anklang fand aber Brüggemann, der als Ab­ gesandter des Heidelberger Pressevereinö sprach, als er für den Beitritt zum Presseverein als Mittel zur Durchführung der Reformwünschc warb und hierbei auch realere Maßnahmen in Aussicht nahm, Hegemonie.

Schaffung von Bürgerwehren, Steuerverweigerung und gewaltsamen Widerstand gegen die Erhebung und zwangsweise Beitreibung von

Steuern usw. (wie Schurz 1848!). Diese Radikalisierung der Burschenschaft und der liberalen Frei­ heitsbewegung (besondere Herde waren in Freiburg, Heidelberg usw.) erhielten einen neuen Impuls durch verfehlte Maßnahmen der Re­ gierungen. Der Feldzug des Generals Wrede gegen die Pfalz schaffte erst gerade die Märtyrer, die eine bisher hauptsächlich literarische Bewegung dazu trieb, zum Äußersten zu greifen. Wrede versuchte den Reformverein zu unterdrücken und verhaftete auch die Mitglieder des Pressevereinskomitees (darunter Geib, Wirth und Siebenpfeiffer). Am 19. Juli 1832 nahm man Brüggemann m) in Haft und lieferte ihn nach Preußen zur Aburteilung aus, wo er erst 1840 wieder die Freiheit erhielt usw. Gleichzeitig wurde auch Kähler wegen seines Aufsatzes im „Wächter am Rhein" verhaftet, der nach seiner Verurteilung im Dezember 1832 von

seinen Bundesbrüdern aus dem Gefängnis in Bruchsal — wo später 1848

auch Kinkel Aufnahme fand — befreit wurde. Der alte Bonner Burschenschafter

Venedey — 1848 in der Paulskirche — konnte auf seiner Überführung nach Preußen entfliehen und ging nach Frankreich usw. —

Unter diese Einflüsse geriet der Burschentag in Stuttgart (am 26./27. Dez. 1832). Fast überall hatten sich aus den engeren Vereinen in den Burschenschaften politische Klubs gebildet (bes. in 12°) Börne hatte um diese Zeit seine ersten „Briefe aus Paris" erscheinen

lassen. Vgl. über die burschenschaftlichc Propaganda Heer: S. 240 ff., insbeson­ dere

Georg

Herold (hallescher

Bursche):

„Ich

bitt

ums Wort,

eine

halbe

Stund« mit Arndt und Hase", der den Sturz der Monarchie durch «inen Volksbund fordert. isi) Dgl. „Kölnische Zeitung", Januar 1927 den Artikel von Buchhcim und

die dort zitiert« Literatur.

65 München und Würzburg usw.). So kam es zu dem verhängnisvollen Be­

schluß, daß „die von dem Frankfurter Burschentag gegebene Bestimmung einer praktisch-politischen Tendenz weiter beibehalten und daß der Weg der Revolution als der einzige für jetzt dazu verfolgt werden sollte." Ferner wurden nähere Wege und Pläne zu solcher Politik beraten. Man setzte sich auch mit dem Frankfurter Presseverein in Verbindung,

der die Oberleitung im Losschlagen übernommen hatte und in dem viele

Burschenschafter saßen.

Hier in Frankfurt wurden die Pläne gestaltet, die

1848 zur Ausführung kommen sollten. Es sollte sofort eine provisorische

Regierung eingesetzt werden. Ein Vorparlament sollte die Wahlen aus­ schreiben zu der deutschen Abgeordnetenversammlung, die dann die Frage, ob

Deutschland als Freistaat oder als konstitutionelle Monarchie geschaffen wer­ den müßte, zu entscheiden habe usw.

Jahns Mahnungen in seiner erst Mitte März 1833 er­ schienenen Flugschrift: „Merke zum deutschen Volkstum" kamen zu

spät. Sie hätten die betörte Jugend — die immerhin das Richtige

wollte! — nicht mehr zurückhalten können, weil der Rubikon der Besinnung bereits überschritten war und man sich nicht mehr ängstlich Rechenschaft abzulegen geneigt war, ob die verfügbaren Mittel auch

den erhofften Erfolg verbürgen konnten. Körner, der später in Amerika ein gesuchter Rechtsanwalt wurde122),123 schrieb über die Stimmung der Reformer in seinem Tage­ buch: (vgl. die Anklänge an Schurz 1849) „Wir alle waren der festen Überzeugung, daß, wenn auch unser Schritt

mißlingen müsse, und wir den Untergang finden müssen, dennoch irgendeine Tat geschehen müsse. Wir waren der Überzeugung, daß jeder Tropfen ver­ gossenen Bluts tausendfachen Betrag einst bringen würde.

Wir waren der

Überzeugung, daß das Mißlingen uns nur scheinbar zurückwerfen mußte, denn wir alle hatten aus der Geschichte die unwandelbare Ansicht geschöpft, daß

keine Tat, die aus einem freien Entschlüsse entspringt, ohne die beabsich­ tigten Folgen bleiben kann. Wir glaubten an die Wahrung und Ge­

rechtigkeit unserer Gesinnung und also auch unserer Handlung zu

sehr, um nicht, wenn auch nicht unmittelbar, den Sieg für gewiß zu halten." Ähnlich sprach sich der Burschenschafter Rochau*23) aus: „Wir wollten keinen anderen Zweck als den, zu fallen und Deutschlands politisches Urteil anzuregen. Es war von einer Eroberung, von der Möglichkeit 122) Vgl. „Deutsch-Amerikanische Geschichtsblätter", Nr. 3, Beil., S. 255. Körners Tagebuch befindet sich im Besitz der Frankonia Heidelberg.

Körner schrieb

auch ein gutes Buch über die deutsche Einwanderung in Amerika (vgl. von Skal:

„Die 1848ziger in Amerika" (Paulskirche)). 123) Vgl. Gutzkow: „Briefe aus Paris" (1842), Bd. 11, S. 142. Dannehl, Schurz.

5

66 eines Umsturzes keine Rede. Man wollte gegen die Bunderbeschlüsse, gegen

die Lethargie der Mass« protestieren. Man wollt« der konservativen Partei (gemeint ist wohl die Hofkamarilla) zeigen, wessen die liberale fähig sei in ihrem Mut und in ihrer Überzeugung."

So ideal diese Gesinnung war, so konnte sie höchstens ein Lange­ markopfer (1915) zur Folge haben, da man in der Politik (wie im

Kriege) nur die Kunst des Erreichbaren üben soll. So kam eö zu dem

schon am 3. April verratenen und darum am 5. April kläglich ge­ scheiterten Frankfurter Wachensturm von nur (etwa) 50 Teil­ nehmern unter der Führung von Bunsen, Berchelmann, Körner und

Auch die Putschversuche an anderen Orten, der Besanyonmarsch am 7. April über die Schweiz nach Baden — der auch 1848/49 wiederholt wurde —, die Aufstände in Galizien und Piemont (Italien) mißlangen, weil sie zu schwach und unklug angesetzt waren. Diese törichten Opfer, die scheinbar auf einen gemeinsamen

Plan hindeuteten, riefen den Bundestag (ein willkommener Anlaß für Metternich, „das Gespenst der Bedrohung Europas an die Wand zu malen") in die Front. Der Demagogenverfolgung wurden von neuem die Tore geöffnet und wiederum entlud sich das Unwetter

über die diesmal allerdings schwer beteiligte Burschenschaft. Hatt« schon das Hambacher Fest den Bundestag bewogen, die 6 Metternichschen Sicherheitsartikel, die das monarchische Prinzip noch stärker — aller­

dings nur auf dem Papier — verankern wollten, sofort anzunehmen, so wurden nunmehr noch weitere Sichcrheitskautelcn geschaffen.

Am 5. Juli

wurden die politischen Vereine verboten, die Volksversammlungen und Volks­ feste von der polizeilichen Genehmigung abhängig gemacht, endlich die Frci-

heitsbäumc und die deutschen Kokarden verfemt.

Der Badische Hof wurde

aufgefordert, binnen 14 Tagen sein bundeswidriges Pressegesetz zu ändern.

Ferner wurden die liberalen Gazetten kassiert. So fielen „der Wächter am Rhein", „der Freisinnige", „Rottecks Annalen", Mebolds „Deutsche Allge­

meine Zeitung" usw. Einer Reih« von liberalen Publizisten wurde untersagt,

in den nächsten 5 Jahren eine Zeitschrift usw. herauszugeben. Dieses Maul­ korbverbot traf besonders Wirth, Siebenpfciffer, Rotteck, Strohmeyer, Mebold usw.

So hatte auch Deutschland seine Zuniordonnanzen und Metter­

nich bildete sich — wie viele nach ihm — ein, mit diesen „Mittelchen"

die Opposition, die doch nur zur Mitarbeit herangezogen zu werden brauchte, um sie kaltzustellen, mundtot machen und auörotten zu 124) Näheres Heer: S. 246 ff.

67 können. Am meisten bedauerte Dahlmann, der geistige Führer des Liberalismus, — wenn er auch weniger hervortrat — diese unge­ rechtfertigte und maßlose Härte der Reaktion, indem er erklärte: „ES schwebt nun einmal ein Unglücköstern über allem, waö

deutsch ist." Treffend charakterisiert Treitschke (Band 4 Seite 268) diese

Politik: „Wie zuversichtlich hatte man gehofft, der neue Tag, den der schmet­ ternde Weckruf des gallischen Hahns angekündigt hatte, werde auch den Deut­

schen die Pressefreiheit und die Parlamentsherrschaft bringen. Und nun legte

der Bundestag die vorhandenen bescheidenen Rechte der Landtage in streng mo­ narchischem Sinne aus. Immer nur der Stein statt des Brotes! Statt der Pressefreiheit die gehässige Verfolgung, die neben revolutionären Schriften

auch gebildete und wohlmeinende Blätter, wie Rottecks Annalen mit ihren Peitschenschlägen traf. Wie schwärmerisch hatte man sich nach der Herrlich­

keit eines großen Vaterlandes gesehnt und nun ward der Nation sogar ihre in

ehrlicher Begeisterung entfaltete neue Trikolore verboten." „Für die Einheit, deren die Nation wie des lieben Brotes bedurfte, für die Einheit des Heer­

wesens und der Handelspolitik tat der Bund gar nichts." „Vielherrschaft

da, wo Einheit not tat, Zentralisation, wo der Partrkularismus fein gutes Recht hatte — das war der Charakter der deutschen Bundespolitik. Er er­ schien der Nation nur noch wie eine gehässige kleinliche Polizeibe­ hörde."

Und nicht genug mit den bisherigen Beschlüssen! Am 30. Juni 1833 begann abermals eine Sturzwelle von Schikanen. Wiederum wurde in Frankfurt die Zentralbehörde für die Untersuchungen eingerichtet, wenn sie auch etwas geringere Kompetenzen wie früher

erhielt. Maßnahmen zur Überwachung des Fremdenverkehrs wurden angeordnet. Den Studenten wurde die Beherbergung fremder Studenten untersagt. Außer­ halb des eigenen Landes mußte die Erlaubnis zu Reisen eingeholt werden. Preußen z. B. verbot seinen Landeskindern das Studium auf den Burgen der

Burschenschaft, in Jena, Tübingen, München, Würzburg, Marburg usw. ohne besondere Genehmigung. Gegen die Mitgliedschaft bei der Burschenschaft und

anderen geheimen Verbindungen wurden scharfe Abschreckungsbestimmungen getroffen (z. B. Versagung von Ämtern usw.).

Die Aburteilung der Hambacher Genossen und die Auflösung

des Hessischen Landtages im November 1833, in dem Heinrich von Gagern neben Hoffmann und Jaup männlich hervortraten, bildete das Ende der liberalen Reformbewegung^) im Süden. Ein 125) Bei dem Frankfurter Wachensturm waren als Bonner Burschenschafter:

Fries, More und Matthiä beteiligt (vgl. „Heer": S. 296). Erst 1848 kehrten die ö*

68 Nachspiel dieses Radikalismus folgte noch in der Wetterau, bei dem sich der junge Georg Büchner („Der Johannes des Messias Lassalle", Realist in der Dichtung und Politik) zum ersten Male her­

vorwagte, indem er die sozialistischen Gedanken in Wirths Ver­ teidigungsrede und in den liberalen Flugschriften weiterspann und die Lehre vertrat, daß der Sieg der Revolution nur durch die rohe Gewalt erfolgen könne. Nachdem Karl Follen und sein Freund

Münch

(Begründer

der „Gesellschaft

für Menschenrechtes

nach

Amerika geflüchtet waren, entstand hier in Hessen die erste sozialisti­ sche Presse. Der „Leuchter und Beleuchter für Hessen" Weidigs, sowie sein „Bauernlexikon" und Büchners „Hessischer Landbote" verbreiteten hier die ersten Samen eines Unkrauts, das erst nach

Jahren — 1848 merkte man noch wenig vom Kommunismus! — aufgehen sollte. Die Demagogenverfolgung machte jedoch auch hier­ vor nicht Halt. Büchner konnte noch rechtzeitig entfliehen, während Weidig gefangen genommen wurde. So war auch die letzte Flamme des

liberalistischen

Aufruhrs

im

Süden

erstickt,

wenn

auch

das

Feuer weiterschwelte und 1848 erneut sich entfachen konnte. Einen besonderen Impuls erhielt die liberale Bewegung vor 1840 noch durch die brutale^) Maßregelung der „Göttinger Sieben", die sich als

Professoren weigerten, den auf die alte Verfassung geschworenen Eid zu brechen, die der König Ernst August am 1. Nov. 1837 einfach im Widerspruch zu dem deutschen Staatsrecht127) aufhob. Hatte man sich bisher nur für die Polen und Griechen geopfert, so entstand letzten Flüchtlinge (Dr. Gärth, Eimer und von Rochau) in ihr Vaterland zurück. In Bonn versuchte sich die Burschenschaft noch — nach ihrer Auflösung am y. Dezember 1832 unter Führung von Max Duncker (des bekannten Geschichtsschreibers und Poli­ tikers von 1848^ — vgl. sein Werk: „Zur Geschichte der Reichsversammlung in Frankfurt 1849") als Mareomannia (Grün-rot-gold!) und später als „Rulandia" (zu der auch der Dichter Emanuel Geibel gehörte) zu halten. In die Hochverrats­

prozesse wurden über 1800 (darunter etwa 1200 Burschenschafter) Personen ver­ wickelt (vgl. „Heer": S. 324 ff.). Eine ganze Reihe von ihnen nahm an dem Frankfurter Parlament teil, das man nicht mit Unrecht als „ein Burschenschafter­

parlament bezeichnet hat. 126) Vgl. Treitschkes scharfe Kritik in Band IV, S. 630.

127) Vgl. das Bindungsprinzip, das 15. Oktober 1830 bei dem Streit um die Braunschweiger Verfassung auf dem deutschen Bundestag aufgestellt wurde: „Eine in anerkannter Wirksamkeit bestehende Verfassung bedürfe nicht erst der Zustim­

mung eines neuen Regenten, denn sonst hinge es nur von seiner Willkür ab, ge­ heiligte Rechte nach Gutdünken zu vernichten."

69 jetzt durch diesen

wclfischen Staatsstreich zum

ersten Male

wieder

ein national-deutsches Symbol. Indem man in Nord und Süd, in Ost und West — 1848 wurde die Flotte ein weiterer Anlaß eines Einheitsopfers — für die vertriebenen Göttinger Professoren —

darunter auch besonders Dahlmann128) — einen Ehrenfonds sammelte, aus dem ihr Gehalt gezahlt werden sollte, wurve hieraus eine na­ tionale Tat und ein historischer Entwicklungsmoment für den Liberalismus zur Herstellung einer Einheitsfront gegen die „ver­ ewigte Anarchie" der Fürsten.

Das Wiedererstarkrn des Liberalismus in Preußen. (Friedrich Wilhelm IV.) Wie in Baden begann auch die eigentliche Entwicklung des Liberalismus in Preußen erst im Jahre 1840 mit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. Obwohl in des Königs Augen der Liberalis­

mus „eine Krankheit wie die Rückenmarksdarre" war, und obwohl der König die Vertreter liberaler und demokratischer Interessen als seine „persönlichen Feinde" ansah und verfolgte, so konnte er den großen Aufschwung der liberalen Gedanken und Kräfte nicht hindern, denen eö in seiner Regierungszeit gelang, wenigstens theoretisch das Ideal des parlamentarischen modernen Staates zu formen und sich die Mittel, die man zur Durchführung parlamentarischer Wirksam­ keit benötigte, zu schaffen, die Parteiorganisation (in der Haupt­ sache erst 1848!). Als Friedrich Wilhelm IV. am 7. April 1840 den Thron bestieg, wurde er auch im Rheinland mit überschwenglicher Hoff­ nung begrüßt*22). Der junge schwäbische Dichter Georg Herwegh

gab dieser Stimmung begeisterten Ausdruck, indem er sang: 128) Leider fand der Bundestag trotz des Bürgermeister Stüve (aus Osnabrück) Beschwerde nicht die Kraft, dies« „Zuchtlosigkeit der souveränen Fürstengewalt" zu

rektifizieren. So entsprang das Verlangen nach einer starken Ientralgewalt nicht

der revolutionären Leidenschaft, sondern — wie t848 bei Schurz — „dem gesetz­

lichen Sinn".

m) Besonders auch auf dem Kölner Dombaufest, 4. September 1842, wo er sprach: „Hier, wo der Grundstein liegt, dort nrt

T'ürner zrzle'ch sollen

sich die schönsten Tor« der ganzen Welt erheb.». Deutschland baut sie, ,o mögen sie

für Deutschland durch Gottes Gnade Tore einer neuen großen guten Zeit werden. Der Geist, der diese Tore baut, ist der Geist der deutschen Einigkeit und Kraft. Ihm mögen die Kölner Dompforten Tore des herrlichsten Triumpfes werden! Er

70 „Die Sehnsucht Deutschlands steht nach Dir. Fest wie nach Norden blickt die Nadel. O Fürst, entfalte Dein Panier! Noch ist es Zeit, noch folgen wir. Noch soll verstummen jeder Tadel. Du bist der Stern, auf den man schaut, Der letzte Fürst, auf den man baut. O! Eil Dich! Eh der Morgen graut. Sind schon die Freunde in die Weite. Friedrichs romantische Hamletnatur, die — in Hallerschen und Stahlschen Ideen wurzelnd — den religiös fundierten Absolutismus erstrebte, hatte kein Verständnis für die ewige Wahrheit, daß der „staatsbildende Gemeingeist der modernen Völker sich ge­ rade in ihrer Gesetzgebung ausspricht und die historische Entwicklung des Rechts nicht mehr ohne Mitwirkung frei geordneter Staatsgewalten erfolgen kann" (Treitschke V S. 21). Obwohl der König also dem hohen Staatsideal Friedrich des Großen („Repräsentative Monarchie nach englischem Vorbild, Erziehung des Volkes durch bürgerliche und religiöse Freiheit zur politischen Freiheit""*))) untreu wurde und sich auch nicht mit dem instinktiv richtigen Testament seines Vaters befreunden konnte, der ihm die Einführung konstitutioneller Formen empfahl,

baue! Er vollende! Und das große Werk verkünde späteren Geschlechtern von einem durch Einigkeit seiner Fürsten und Völker großen, mächtigen, ja den Frieden der Welt unblutig erzwingenden Deutschland. Der Dom von Köln, das bitte ich von Gott, rage über dieser Stadt, rage über Deutschland, über Zeiten reich an Men­ schenfrieden, reich an Gottesfrieden bis an das Ende der Tage!. Das 1000 jährige Lob der Stadt: „Alaaf Köln!" Brausender, weithin verheißungsvolle Hoffnung erweckender Jubel folgte diesen Worten, obwohl mancher Liberale nur schwer seine Bedenken unterdrücken konnte, die ihm die Mahnung des jungen Dichters Robert Prutz eingeflößt hatte: „Herr, die Geschichte drängt, die Räder rollen. Und wollt es Gott, Gott selber hielt sie nicht — So sprich das Wort zum zweiten Dombaufeste, Sprich aus das Wort: Konstitution." 13°) „Will man, hatte der Philosoph von Sanssouci vorausgefühlt, daß die monarchische Verfassung der republikanischen vorgezogen werde, so hat der Monarch nur eine Wahl, er muß zu handeln verstehen, unbescholtenen Rufes und all seine Kräfte zusammenzunehmen, um den ihm vorgeschriebenen Beruf zu erfüllen. Für den Fürsten gibt es nur eine Wohlfahrt, die Wohlfahrt des Staates." „Die Menschen haben sich Obrigkeiten gegeben, um ihre Rechtsordnung zu sichern. Das ist der wahre Ursprung der Souveränität. Diese Obrigkeiten waren die ersten Diener des Staates."

71 so dämmerte ihm doch die Idee des preußischen Reiches deutscher Nation, nur daß «r den Fehlgriff beging, dieses nur mit Österreich schaffen zu wollen.

So begann131) in Preußen ein unklarer Iickzackkurs der Politik. Liberale Reformen und Verheißungen, die ganz anderen Sinn

hatten, wurden vom Volke mißverstanden. Der König wollt« nichts weiter als die ständischen Organisationen aus­ bauen, wo unter dem König als der höchsten Obrigkeit von Gottes Gnaden die

niederen Obrigkeiten mit eigenen ebenfalls von Gott verliehenen Rechten, die Gutsherren, die Stadtmagistrate, die Korperationen usw. stehen und in dem vereinigten Landtag lediglich ihre beratende (Stimmt dem Könige leihen sollten

(„Ein freies Volk unter einem freien König!")- — Wollte er sonach jedes politi­

sche Leben ersticken, so zeigte er andererseits — merkwürdigerweise — für das industrielle Leben, für Handel und Verkehr, für den Ausbau von Straßen-

und Eisenbahnen, für die Erweiterung des Zollvereins usw. ein offenes Auge,

obwohl er deren Wichtigkeit für die Geburt des deutschen Reiches noch nicht recht ahnte.

Seine ersten Erleichterungen, die Amnestierung der in Haft be­ findlichen Demagogen, die Wiedereinsetzung deö greifen Patrioten Ernst Moritz Arndt in

seine Professur in Bonn

usw.,

gewannen

ihm

ebenso das Vertrauen des Volkes wie die Beseitigung deö unhaltbaren politischen Spionagesystems und der Friedensschluß mit der katholi­ schen Kirche am 24. September 1841, obwohl int letzten Punkte dem König lediglich daran lag, das Zusammenarbeiten mit dem an­

deren Hort der Legitimität im Staate (dem Papsttum!) sicherzustellen und er hierfür schwere Opfer brachte, die für die Zukunft noch ge­ fährlich werden sollten. Immerhin erkannte man überall den Ver­

söhnungswillen des Königs an (auch im rheinischen Landtag), zumal er schon am 24. Dezember 1841 durch eine Jensurverfügung der Presse größere Bewegungsfreiheit eingeräumt hatte. Da kam — von vielen geahnt — der jähe Umschwung. Immer

offenbarer wurde, daß der König für die Erfüllung der liberalen Wünsche nicht zu haben war. Immer lauter wurden die Stimmen

des Unmuts darüber, daß er sich gegen die konstitutionellen Re­ formen gewandt oder derartige Wünsche schroff abgelehnt hätte. Die liberale Propaganda fiel bei ihm auf unfruchtbaren Boden. Die „vier Fragen" des Führers des ostelbischen Liberalismus, des Arztes Zakoby in Königsberg (in milderer Form in der Schrift des Ober­ präsidenten Schön — „Woher und Wohin?" wiederholt), nannte er 131) Auffällig ist die Ähnlichkeit der Regierung Kaiser Wilhelms II. mit der Friedrich Wilhelms IV.



72

„eine revolutionäre Schrift". Immer klarer wurde es dem Liberalis­ mus, daß der König mit seinen Ideen nicht harmonierte. Friedrich von Gagern urteilte richtig, als er erklärte: „Solche Pfarrers­

predigten, domines

Pratjes, bezeichnen nicht den Mann der Tat."

Immer stürmischer wurden die Forderungen nach Reform. Auch außerhalb Preußens begann der alte Preußenhaß wieder Wurzeln zu schlagen, weil man über den kleinen Zugeständnissen die große Auf­

gabe des deutschen Königs vermißte. Recht aus dem Herzen der Liberalen sang der Dichter Franz Dingelstedt (der kosmopolitische Nachtwächter): „Ihr habt gepredigt nun «in Jahr, die neue treue, freie Jeit.

.. Ein stolzes Wort habt Ihr gewagt. Nun eilt, daß Ihr zu Ende kommt Und macht es anderen bald wahr: die neue, treue, freie Zeit."

Doch es

folgten nur halbe Maßregeln.

Im Februar

1841

wurden den Provinziallandtagen etwas größere Rechte eingeräumt (regelmäßige Berufung in jedem zweiten Jahr, Publikation ihrer Ver­ handlungen in Berichten ohne Nennung der Redner). Kein Wunder, daß nunmehr die Provinziallandtage, auf denen der Liberalismus Fuß zu fassen suchte, stürmischer die Reformforderungen erhoben. Während man auf dem rheinischen Landtag im Herbst 1842 getreu der Mahnung Hansemanns an den Königs) nur Forderungen nach Milderung der Zensur, nach Öffentlichkeit der Landtagsverhandlungen

und nach Unabhängigkeit der Justiz erhob, gingen die Landtage in Königsberg, Posen und Breslau noch weiter. Diesem vereinigten

Druck gab der König insofern — wieder eine halbe Maßnahme —

nach, als er die „Vereinigten Ausschüsse" (die Vertreter waren von jedem Landtage zu wählen!) nach Berlin rief. „Vorbehaltlich der jeder Provinz zu belassenden naturgemäßen Eigen­ tümlichkeiten und der gesetzlich provinzialständischen Verfassung" wollt« der König, „die Ausbildung einer wahrhaft preußischen Nationalität

und

die

Verbreitung eines echt preußischen Patriotismus fördern", indem er den ein­

zigen Weg hierzu — den konstitutionellen —

nicht sah.

Er gewährte dem ständischen Zentralinstitut nur beratende Stimme und legte ihm so unbedeutende Angelegenheiten vor, daß er

nur den Zorn der ohnmächtigen Abgeordneten herausforderte. Ledig­ lich eine Erweiterung ihrer Rechte gegenüber dem Schuldengesetz von 1820 gestand er zu, ein Bewilligungsrecht auf dem Gebiet der Anleihen und direkten Steuern. Alles andere, was man erwartete 132) „das Volk zur Freiheit und politischen Mündigkeit zu führen."

(;>

(Budgeterörtcrung, Periodizität, Bindung an eine geschriebene Ver­

fassung), lehnte er ab. So führten diese zweischneidigen Experimente genau das Gegenteil von dem herbei, was der König wünschte. Sie entfremdeten ihm die Herzen und führten alle Patrioten dem Libe­ ralismus zu, der den Kampf um die Gewährung der konstitutionellen Volksrcpräsentation zielbewußt weiter führte und hierdurch teilweise auf die schiefe Bahn — den Kampf gegen das Königtum — mit

Naturnotwendigkeit durch Verschärfung der Gegensätze geführt wurde (genau wie Schurz 1848!)133).

Das Volk am freien deutschen Rhein! (Der Liberalismus auf dem 7. rhein. Landtag.) Bis zum Jahre 1845 hatte der rheinische Liberalismus sich mit der Pressepropaganda in der „öffentlichen Debatte großen Stils""'), begnügt. Noch im Juni 1845 berichtete der damalige Zensor SaintPauls nach Berlin, „daß der Sinn für Gerechtigkeit gerade bei den Rheinländern (auch bei Schurz!) am stärksten entwickelt sei, daß das bewegliche rheinische Temperament wohl gern kritisiere, aber weit entfernt sei von Schritten der Gewalttätigkeit und offenen Wider­ setzlichkeit". Die Regierung hatte aber selber Schuld, daß man immer mehr, zumal nach der Unterdrückung der „Rheinischen Zeitung" (1. April 1843), das Bedürfnis empfand, die Propaganda zu erweitern und die Gruppen des Liberalismus fester zusammenzuschließen. Gerade der

7. rheinische Landtag brachte hierfür den Beweis. Als die Regierung 133) Auf die Verhältnisse in Süddcutschland (Versuche zum politischen Zusammenschluß) und auf die Entwicklung des Liberalismus dort („Die öffentliche Meinung von ganz Deutschland", die nach Trcitschke (II S. 512) durch ihre „Mo­

tionen" den Stoff für die Gesetzgebung mehrerer Jahrzehnte schuf, sowie auf die

„Devensivstellung des Liberalismus dort") kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. Ruckstuhl: „Der badische Liberalismus und di« Verfassungskämpfe 1841 bis

1843." Müller: „Sturm- und Drangpcriode in Baden 1840—50." G. Freytag: Karl Mathy; Karl Wild: Karl Theodor Wclcker (1913); Hebeisen: „Die Kon­ stitution und die radikale Partei in Baden 1848" usw., Traub: „Die Augsburger Abendzeitung" usw.

"') Aus Raummangel kann hier nicht auf die Wirkung der „Rheinischen

Zeitung" (1842—1843), die das liberale Sprachrohr des jungen Deutschland wurde, und der „politischen Lyrik" (Uhlands, Georg

Herwegs, Freiligraths

usw.) eingegangen werden, obwohl Schurz schon in seiner Jugend unter diesen Ein­ fluß geriet.

74 dort einen Strafgesetzentwurf einbrachte, der zum Zwecke hatte, die Rechtseinheit in Preußen herzustellen, entstand eine ungeheure Er­ regung. Der energische Rechtspartikularismus der Rheinländer war in diesem Falle im Recht. Man konnte sich unmöglich gefallen lassen, die fortgeschrittene Entwicklung des für das Rheinland durchaus

passenden Code Napoleon dem preußischen altständischen Recht zum Opfer zu bringen, das noch die Prügelstrafe kannte und an der Patri­ monialgerichtsbarkeit festhielt. Der neue Strafgesetzentwurf war zwar

im Anklang an die humaneren Empfindungen der Zeit milder als der ,„mit Blut geschriebene" 135) Code Penale Napoleons, erschien aber im Rheinland, wo das Prinzip der bürgerlichen Rechtsgleichheit herrschte, wo „Öffentlichkeit, Mündlichkeit und die vorhandenen

Schwurgerichte"

als

„urdeutsche

Institutionen"

ausgebaut

waren

(„Kölnische Zeitung" Nr. 36, 1842), reaktionär, insbesondere wegen

der Prügelstrafe. Die „Kölnische Zeitung" wies darauf hin, daß dem Prinzip der Rechts­ gleichheit und Rechtseinheit die Zukunft gehöre.

Fanatiker des Schlechteren werden.

Man dürfe aber nicht zum

Mit dem barbarischen Strafrecht Alt­

preußens könne man sich im Rheinlande nicht „auf gleiche Stufe stellen". „Man verzichtete darauf, sich den Code Penale durch fremdartige Cle­ mente verfälschen zu lassen." „Es muß übrigens auffallen, daß gerade dort, wo sonst so eindringlich zur Achtung vor dem Bestehenden gemahnt wird, die

Achtung, die die Rheinländer für die bei ihnen bestehende Gesetzgebung in so entschiedener Weise an den Tag legen, so wenig Anerkennung findet („Köl-

nische Zeitung", Nr. 144, 1843).

„Rheinischer Sinn belebt den Landtag,

rheinisches Blut durchströmt die Adern seiner Glieder. Vertrauen wir auf die Männer unserer Wahl."

„Ohne den Code Penale für ein Ideal zu halten, schrieb die „Köl­

nische Zeitung" (Nr. 314, 10. November 1843), kann man die Einheit der deutschen Nationalgesetzgebung eifrigst verlangen, ohne für den Augenblick den Code daran geben zu wollen, dessen klare und präzise Bestimmungen

immerhin ein Interim leidlich machen."

Der Kampf für Fortentwicklung des rheinischen Rechts hatte zwei Ziele: moderne Gerichtsverfassung und moderne Gesetzgebung, ins­ besondere humanere Strafgesetze, zumal man die Todesstrafe136)

als unzweckmäßig empfand und ebenso die Strafe des Prangers und der körperlichen Züchtigung als mit der Bürgerwürde nach rheinisch­ westeuropäischen Begriffen unvereinbar hielt. 135) so Kamptz. 13ti) Auch heute ist die Todesstrafe noch nicht abgeschafft, obwohl allmählid) diese alten liberalen Ideen sich durchsetzen, so daß mit der Aufhebung zu rechnen ist.

75 Für die

allgemeine

Einführung

der Schwurgerichte

in Deutschland

(„Das Palladium der Volksfreiheit am Rhein"!) führte die „Kölnische Zei­ tung" (Nr. 33, 2. Februar 1843) folgende Gründe an:

1. den altgermanischen Charakter des Instituts.

(„Wenn sie auch nicht

altdeutsch gewesen wären, so wären sie doch sehr gut neudeutsch"), 2. die Bewährung im Gebiete des rheinischen Rechts (also kein „revolu­ tionärer Ursprung!"),

3. die Bewährung in Indien und St. Domingo, wo sie die Engländer

eingeführt hatten.

Auf Grund solchen modernen Rechtsempfindens lehnte daher der rheinische Landtag den Strafgesetzentwurf von vornherein ab, ohne erst in die Beratung näher einzutreten. Hierdurch gewann er sich den Bei­ fall der Liberalen in Berlin137) und in Süddeutschland *38). Anderer­ seits kam man den Wünschen der Regierung nach einer Reform der

rheinischen Gemeindeverfassung entgegen, obwohl sich auch hier ein starker Widerstand aus dem Gesichtspunkt der bürgerlichen Gleich­ heit heraus erhob. Am 11. November 1842 (Nr. 315) gab die „Kölnische Zeitung" hierzu

den Auftakt an: „Die im Rheinlands bestehende Rechtsgleichheit (zwischen

Stadt und Landgemeinden) ist die teuerste Errungenschaft, die wir den Stür­ men des vorigen Jahrhunderts verdanken. Für diese Rechtsgleichheit sind wir mit allen Rheinländern entschlossen, zu stehen und zu fallen." Trotzdem war man sich der Mängel der französischen Munizipalverfassung, die am Rhein be­ stand, voll bewußt, da sie der Steinschen Gemeindeverfassung insofern weit

nachstand, als sie alle wahre Selbstverwaltung hemmte und den Bürgermeister zum allmächtigen Tyrannen 139) nach unten und zum gefügigen Hörigen nach oben (gegenüber den Provinzialbehörden!) machte.

Damals schrieb die „Kölnische Zeitung (am 15. Mai 1843

Nr. 135): „Die Kommunalverfassungsreform ist ein allgemein und dringend gefühltes Bedürfnis." „Die Gemeindeverfassung ist ein viel wichtigerer und zuverlässigerer Maßstab für die Mündigkeit

und Freiheit eines Volkes, als ihn allgemeine Staatseinrichtungen abzugeben vermögen. Aus den Gesetzen und dem Gerichtsverfahren

sowie aus der Verfassung der Gemeinden spricht am deutlichsten der sittliche Charakter eines Volkes"""). 137) Vgl. Brüggemanns Schrift: „Preußens Beruf in der deutschen Staatsent­

wicklung", Berlin 1843. 138) „Begutachtung des Strafgesetzentwurfs des rheinischen Landtags", Heidel­ berg 1843.

139) Schurz hat sich 1848 hiergegen gewandt und gesucht, den d'Esterschen Gemeindeverfassungsentwurf in Berlin zur Annahme zu bringen.

14°) „Kölnische Zeitung", Nr. 255, 1845.

76 Immerhin waren die rheinischen Liberalsten in diesem Punkte nicht ganz einer Meinung. Während die einen als Vorbild auf die Badische Ge­ meindeverfassung von 1831, die allerdings 1837 verschlechtert worden war, Hinwiesen 141), fand Hansemann die Steinsche Städteordnung, die zudem noch 1831 verschlechtert worden war, zu demokratisch. Heinrich von Sybel („Die politischen Parteien" S. 45 ff.) verlangte den organischen Aufbau des Staates durch die selbständige Gemeinde, die an Stelle der mittelalterlich ständischen Korporationen dem Individuum seine Mitarbeit im Staate ge­ währleisten sollte. Mevissen ging noch weiter. Er forderte als weitere Zwischenstufen: gewerbliche Organisationen. Auch Camphausen und von Beckerath (der neue Abgeordnete für Krefeld) traten für eine weitgehende kommunale Freiheit ein.

Durch solchen Widerstand gezwungen, mußte die Regierung nach­ geben. Der rheinische Liberalismus hatte einen zweiten Sieg er­ rungen, als die Regierung am 23. Juli 1845 die Gemeindeordnung dahin veröffentlichte, daß sie die Gleichheit von Stadt und Land, die sie beseitigen wollte, bestehen ließ, obwohl sie den weiteren 2Bünfd)en142) des Landtages nach größerer Selbstverwaltung und Er­ weiterung des Gemeindewahlrechts (allgemeines Stimmrecht — min­ destens Herabsetzung des Zensus von 400 auf 200—250 Taler, vgl. „Kölnische Zeitung" Nr. 111 1846) nicht Rechnung trug. Die „Kölnische Zeitung" knüpfte hieran allgemeine Reform­ wünsche: „Die Gemeindeverfassung ist der letzte Grundstein des Verfassungs­ gebäudes überhaupt. Möge hier im Grunde der Bau gleich mit der gehörigen Breite angelegt werden! Dann werden in den höheren Etagen die mit der Zeit notwendigen Renovationen desto sicherer angebracht werden können. In der Wehrverfassung ist das Maß („Allgemeines Wahlrecht!") schon abge­ steckt. Das ist ein großer Vorteil, wenn man die daraus fließende Not­ wendigkeit erkennt und achtet, aber auch eine verdoppelte Gefahr, wenn man sie verkennen sollte."

Die Regierung erkannte diese Gefahr bis 1848 nicht. Man wollte sich kurzsichtig die Zügel der Regierung nicht aus der Hand nehmen lassen. Es blieb sonach alles beim alten. Die Gemeinderäte gingen zwar aus Wahlen hervor. Die Wähler waren auch nach der Steuerleistung in drei Klassen eingeteilt. Aber die Hauptmasse der Wähler hatte keinen Einfluß. Der Bürgermeister, der nach wie vor von der Regierung ernannt und ge­ leitet wurde, war nach wie vor unumschränkter Herrscher in der Gemeinde —.

141) Vgl. „Kölnische Zeitung" Nr. 247 1843. 142) Vgl. die Protokolle der rheinischen Landtage.

77 Die Sitzung des rheinischen Landtages war eine der bewegtesten in der rheinischen Geschichte und zeigte, daß die Rheinländer gesonnen

waren, ihre Geschicke selbst zu bestimmen, obwohl auf vielen Gebieten

scharfe Gegensätze hervortraten und die Geschlossenheit der Parteien fehlte. Aus der Flut von Petitionen, mit denen der Landtag aus allen

Teilen zur Wahrung von Sonderinteressen überschüttet wurde, ragten vor allem zwei hewor, die Mevissen veranlaßt hatte. Die Bitte um

Reform der Posttaxe und des im Postwesen herrschenden Fiskalis­ mus hatte sogar bei der Regierung Erfolg, indem diese 1844 eine Er­

mäßigung des Briefportos usw. eintreten ließ. um Pressefreiheit,

Petition

die

dem

Dagegen konnte die

rheinischen Liberalismus

besonders am Herzen lag und mit der man gemeinsam mit dem

Osten vorgehen wollte, nicht einmal im Landtage eine Mehrheit er­

ringen (im Gegensatz zu der Königsberger Entschließung!), obwohl

Camphausen und von Beckerath wirksam in die sehr lebhafte Debatte

hierüber eingriffen “’). Immerhin war die Niederlage sehr ehrenvoll, da nur zwei Stimmen an der erforderlichen Zweidrittelmehrheit *144)

fehlten.

Auch der Vorstoß Beckeraths, für den VerfassungSge-

danken im Sinne der liberalen Ideen einzutreten, scheiterte an dem

Widerstand der sog. Autonomen, aus denen sich später das Zentrum entwickelte.

Andere Fragen, die hier auf die Tagesordnung kamen,

hinsichtlich der Emanzipation der Juden und der Konfessionen (der Gegensatz zu dem evangelischen Gustav-Adolf-Verein im Rheinland

usw.) wirkten sich erst in den nächsten Jahren auö (besonders die

Ausstellung des heiligen Rockes von Trier durch den Bischof Arnoldi 1844 usw.).

Immerhin hatte der rheinische Liberalismus durch seine

Mitarbeit auf dem Landtag sich große Sympathien erworben.

Eine

weitere Stärkung erfuhr er, als Mevissen seine tatkräftige, welt­ erfahrene Führung ihm lieh. — Schon im Februar 1843 hatte er wirksam bei der Wahl des Abgeordneten Camphausen eingegriffen.

Man

begann

nunmehr,

den

Aushau

des Liberalismus

zur

Partei anzufangen, indem man des öfteren zu Besprechungen an

verschiedenen Orten zusammenkam. Im März 1843 fanden Zusammenkünfte der rheinischen Liberalen in

Krefeld statt, wo von Beckerath sich mit I. Compes und Mevissen usw. traf.

14S) Vgl. Hansen: S. 291, 296 ff. 144) Vgl. „Konstitutionelle Jahrbücher 1843" (herausgegeben von Weil III S. 58 ff.).

78 Am 31. März 1843 traf man sich in Aachen, wo Hansemann der Führer seiner Gesinnungsgenossen war.

Hier beschloß man mit großer Mehrheit,

von einer Petition um Einführung der Reichsstände zurzeit abzusehen und zu­ nächst die Entwicklung der „Vereinigten Ausschüsse" abzuwarten, ein Zeichen, daß damals die rheinischen Sonderbelange noch den Vorzug hatten vor dem Versprechen von 1815.

Anfang Juni 1843 reiste Mevissen nach Düssel­

dorf, um sich mit Beckerath und dem Abgeordneten Diergardt usw. zu be­ sprechen. Auch in Wiesbaden, wohin sich Mevissen zur Kur begeben mußte,

knüpfte er weitere Beziehungen an. Hier lernte er nicht nur den Hamburger Syndikus Heinrich Sieveking (den Befürworter des Anschlusses der Hansa­ städte an den Zollverein!), sondern auch den Königsberger Stadtrat Heu­

bach kennen, der sich in der liberalen Partei im Osten (Führer Iakoby!) betätigte.

Mevissen kam hier auch mit dem früheren badischen Minister

Freiherrn von Blittersdorf in Fühlung, dem schroffsten Gegner des Kon­ stitutionalismus usw.

Auf mancherlei Weise suchte Mevissen eine liberale Propaganda zu treiben. In politischen Gedichten und scharfen Satiren usw. geißelte er nicht nur die charakteristischen Halbheiten der Regierung, sondern stellte auch greifbare Ziele auf. So trat er mit Hansemann, List, Herwegh usw. kräftig für die Schaffung einer deutschen Seemacht,

die er schon T838 einmal verlangt hatte, ein, deren Flagge alö Zeichen der deutschen Einheit auf allen Meeren flattern solle. Am

fruchtbarsten wurde aber seine Fühlungnahme mit den süd­ deutschen Liberalen, die er zielbewußt von Baden-Baden auö in die Wege leitete, wohin er zur Nachkur gehen mußte. Hier besprach er sich mit dem WeingutLbcsihcr Muhl (später in der

Kammer in Karlsruhe und in der Paulskirche!) und mit L. A. Jordan usw. Mit Heinrich von Gagern traf er sich in Monsheim. Welcker und Gervinus suchte er in Heidelberg auf, in Mannheim Bassermann, Hecker, Sachs und Heyl usw., so daß er einen richtigen Einblick in das Programm und Wesen

der Süddeutschen erhielt.

Hier ward er sich auch des Unterschiedes vom rheinischen Libe­ ralismus bewußt. Während die süddeutsche Reformpartei die französi­ schen Einwirkungen nicht verleugnen konnte, während im ostpreußischen Liberalismus der stark konservative Einfluß noch dominierte, der — wie Heubach versicherte — jede Revolution bestimmt ablehnte, er­

wuchsen die noch stark in Gährung befindlichen Strömungen im Rheins lande aus ganz anderen Elementen — dem Fortschrittsbedürfniö der Wirtschaft und Industrie, die in das Zeitalter des Dampfes eintrat und den Belangen des 4. Standes, der sich stets als revolutionär er­ wiesen hat.

79 So gelang eö Mevissen, die Fäden der liberalen Gruppen in Deutschland in seiner Hand fester zu knüpfen. Die seit der Gründung deö Zollvereins und dem damit verbundenen Aufschwung der Wirt­ schaft im Rheinlande entstandene liberale Strömung schloß sich ihm

gern an, nachdem er am 15. Oktober 1843 bei der Einweihung der rheinischen Bahn von Köln über Aachen nach Antwerpen (seit 10

Jahren wurde an diesem „eisernen Rhein" mühselig von den Wirt­ schaftskreisen gebaut, zumal die Regierung die Initiative nicht über­

nahm!) die Hoffnung auf eine enge wirtschaftliche Verbrüde­ rung zwischen den stammverwandten Flamländern und den vorwärts­ strebenden Rheinländern mit großem Beifall ausgesprochen hatte. Alles was er sonst noch von den Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben

redete, wurde letzten Endes das große Programm des rheinischen Liberalismus. Die Gegenwart sollte die Rheinbrücke zu den verschiedenen Völkern

mit den Mitteln des modernen Verkehrs, dem Schienenwege, schlagen zum Zwecke eines harmonischen Ausgleichs aller Gegensätze, die im Grunde nicht so groß seien.

„Geistige Einheit, Gemeinsamkeit des Strebens der Edlen

und Tüchtigen in allen Nationen für die Wahrheit, die Freiheit und das Glück aller sei das Losungswort der Zukunft" 146).147Alle Schranken, die die

Menschheit trennen, müßten fallen, damit ein gemeinschaftliches edles Ringen freien Wettbewerbs aller Völker um das hohe Ziel des Fortschritts auf allen Gebieten in bester Harmonie und unter allgemeinem Wohlwollen die Menschheit zu neuen Ufern trüge117). Mevissens weltumspannender Fort­ schrittsgeist erkannte intuitiv und prophetenhaft die Zukunft, er ahnte vor­

aus, daß der Blutkreislauf der Welt durch die modernen Verkehrsmittel —

damals vorerst der Eisenbahnen — gefördert werden müßte. Deshalb wollte er zunächst Deutschland die Vorteile aus den Umwälzungen zugutekommen lassen, auf welche seit Jahren die Verbindung der Dampfkraft mit der Schiene hindeutete. Sein Ziel war die Ausbildung eines nationalen Wirt­

schaftslebens und als Vorbedingung hierzu die planmäßige Dezentrali­ sation durch das Eisenbahnverkehrsnetz. Darum griff er in diesem

Augenblick entscheidend in die Entwicklung des Eisenbahnwesens am Rhein ein, da der preußische Staat schon seit 1833 es unterließ (im Gegensatz zu England, Frankreich, Belgien und einigen deutschen Kleinstaaten), die

Sorge für die Landstraßen und Eisenbahnen zu übernehmen. Die Regierung hatte lediglich durch zwei Gesetze (das Konzessionierungsgesetz vom Jahre 1838 und das Aktiengesetz vom Jahre 1842 — revidiert 1844 und am 3. Dezember

1847) Erschwerungen und Hemmungen in diese unbedingt zu lösenden Wirt146) Heute bieten die Luftverbindungen Mittel, um die Völker einander näher

zu bringen. (Weltsprache fehlt noch!) 147) Vgl. „Kölnische Zeitung" Nr. 282—321 und Hansen Bd. I S. 307 ff.

80 schaftsfragen

hineingetragen.

Mcvissen gelang cs durch persönliche Vor­

stellungen in Berlin endlich, die Regierung von der Notwendigkeit des Baues zu überzeugen und weitere Erleichterungen für seine rheinischen Pläne zu erhalten. So konnte am 13. Februar 1844 di« Universität Bonn durch eine

Bahn mit Köln verbunden werden. Nunmehr wurde der Plan in Angriff genommen, die Bahn nach Koblenz und darüber hinaus nach Frankfurt

weiterzuführen,

was

1848

noch

nicht

vollendet war11S).

Nachdem

ein

Handelsvertrag zwischen Belgien und dem Zollverein trotz starken französi­ schen Widerstandes zustandegekommen war (1. September 1844), konnte die

rheinische Industrie wirksam sich heben und den Konkurrenzkampf gegen

Holland durchführen. Mevissen ahnte auch schon den Wert der Deutschen im Auslande.

Seine Bestrebungen,

«in« großzügige

deutsche

Aus­

wandererpolitik zum Zwecke deutscher Kolonisation in die Wege zu leiten, scheiterten an dem mangelnden Verständnis der Regierung, so daß die deut­

schen Auswanderer noch lange Zeit ohne den staatlichen Schutz der Heimar blieben *«).

Dieser liberale Wirtschaftsgeist im Rheinland war es in erster Linie, der das Bürgertum zur Mitarbeit im Staate erzog und es aus diese Weise politisch mündig machte.

Die neue weltgeschichtliche Idee („Vergeistigter Sozialismus".) Den Vorwurf des Mangels an sozialem Verständnis, den man gegen den älteren deutschen Liberalismus bis zu einem gewissen Grade mit Recht erhoben hat, kann man dem rheinischen Liberalismus nicht anhängen, dem jede Manchestergesinnung von vornherein fernlag.

Der rheinische Liberalismus erkannte schon frühzeitig die großen Gefahren, die in dieser Beziehung mit dem Aufkommen der Dampf­ kraft heraufzogen und suchte nach Abhilfe. Die „Kölnische Zeitung" (ebenso wie die Rheinische!), die die Chartisten in England wie die Kommunisten in Frankreich ablehnte, zeigte schon 1842 der Re­ gierung Wege zur Bekämpfung der sozialen Krisen und der sich hier­

aus entwickelnden revolutionären Bewegungen. Dachte man zunächst nach englischem Vorbild nur an die Bildung privater Hilfs- und Unterstützungövereine, so bekämpfte man schon 1843 die Schlachtund Mahlsteuer als volksverderbend. 118) Das Hauptverkehrsmittel blieb noch zur Schurzzeit das Dampfschiff oder die Postkutsche.

149) Besonders die Deutschen in Amerika haben dies — auch noch zu Schurz'

Zeiten — schwer gebüßt und erst um ihr Recht unter Schurz' Führung kämpfen

müssen.

81 „Die Mahl- und Schlachtsteuer (gegen die später auch Schurz scharf

sich gewandt hat), hieß es, ist150) unsozial, weil die Mahlsteuer gerade di« Proletarier, die das meiste Brot verzehren, am härtesten trifft, ebenso wie

di« Schlachtstcuer den Mittelstand.

Sie ist L-’1) unpraktisch, weil ihre Er­

hebung so kostspielig ist, daß der Staat kaum Nutzen aus ihr zieht, und

sittlich gefährdend, weil sie geradezu mit Gewalt zum Schmuggel reizt."

Am 27. September 1843 erörterte ein Mitarbeiter aus Paris die Ideen des Saint-Simonismus in der „Kölnischen Zeitung" (die positivistische Dreistadientheorie usw.). Während diese Ausführun­

gen auf Mevissen großen Eindruck machten, lehnte sie Hansemann größtenteils (Ausn.: die Dreistadientheorie!) ab. „Die moderne Gesellschaft, führte der Pariser Autor aus, welche zu­ nächst als Zentralmacht der Bildung durch monarchische

Institutionen

im

Gegensatz zur mittelalterlichen Barbarei zur Willkürherrschaft und zu den seit­

her wieder sehr angepriesenen Assoziationen des

Egoismus (Stände

und

Korporationen) ihren Anfang nahm, diese moderne Gesellschaft strebt jetzt mittels der französischen Revolution durch Ausbreitung der Bildung im Volke

zur Herrschaft der Vernunft und Gerechtigkeit, zur wahren Demokratie hin

oder zu den Assoziationen der Humanität, d. h. dem sozialen Leben entgegen, in welchem die egoistischen Interessen sich ausgleichen und aufhebcn."

Man erörterte ebenso die kommunistischen Ideen eines Weitling und die sozialen Ideen ProudhonS (bes. dessen Werk: „De la cr6ation de Fordre dans rhumairit6“)z empfahl aber,

das Verhältnis des Individuums zur Gattung und zur Gesamtheit auf deutsche Weise neu zu regeln. Den entschiedenen Anstoß zur Weiterspinnung dieser sozialen

Lösungsversuche gab dann im Jahre 1844 der plötzlich — und un­ erwartet für die Regierung — auSbrechende Weberaufstand, der durch veraltete Arbeitsmethoden und durch die Menschenkraft er­ sparenden Maschinen hervorgerufen war. Der Redakteur Andree nahm hierzu selbst das Wort („Kölnische Zeitung" Nr. 168, 16. Juni 44): „Jetzt ist es viel wichtiger, auf Mittel der Abhilfe der Not in den unteren Klassen zu denken, als Angelegenheiten der höheren Politik, d. h. der auswärtigen Angelegenheiten, zu ventilieren." „Die Ursachen der Not zu ergründen, ist jetzt die erste Pflicht." Hierzu müsse ein Ausschuß eingesetzt werden, in dem zur Hälfte

Beamte, zur Hälfte Bürger und auch Fabrikarbeiter vertreten sein 15°) Die Situation war damals noch nicht derartig, daß man sich mehr hierum zu kümmern brauchte.

1S1) Vgl. „Kölnische Zeitung" 1843 Nr. 160, 1845 Nr. 26. Dannehl, Schurz.

6

82 müßten. Dieser Ausschuß solle sofort zur Gewerbeauöstellung, die

in Berlin stattfände, einberufen werden"»"). „Cs geschehe soviel für Kunst und Wissenschaft, daß es die höchst« Zeit sei, daß endlich einmal etwas für die armen Leute, für ihr geistiges und

physisches Wohl geschehe.

Die Hauptschuld hab« offenbar die Bürokratie,

die oft genug von der Presse auf dies« Katastrophe hingewiesen worden sei."

Im Oktober 1844 wurde daraufhin in Berlin (auf Anregung der rheinischen Industriellen Diergard, Böddingshaus, Croon, Vopeliuö usw.) ein Aufruf zur Bildung von Zentralvereinen für das Wohl der arbeitenden Klassen mit einem Spezialprogramm erlassen.

Brüggemann schilderte

sein

(der

alte

soziales

Burschenschafter) Programm

wirkte

hierbei

folgendermaßen

mit und („Kölnische

Zeitung Nr. 99 1847): „Den Wert der in den Programmen des Zentralvereins an die Spitze gestellten „Spar- und Prämienkassen" durchaus anerkennend, hatte ich

doch vor der stattfindenden Versammlung zweierlei wesentliche Ergänzungen

verlangt, nämlich: 1. eine stärkere Betonung des moralischen Zweckes dieser Kassen und deswegen eine umfänglichere Anwendung des „Prinzips der

Selbstverwaltung" bei denselben, denen man zugleich Versicherungskassen (wie zunächst für Krankheitsfälle, so weiterhin für das Alter und sonstige Ar­

beitsunfähigkeit) beizugeben suchen wollte, und 2. eine „geregelte Verbindung -wischen Verein und der öffentlichen Arbeitspflege" derart, daß letztere dadurch einen mehr vorbauenden Charakter annehmen und (bei ihren Unter­ stützungen mehr nach Würdigkeit verfahrend) indirekt einen gewissen Spar­

und Versicherungszwang ausüben könnte."

Während heute diese Ideen durchgeführt sind, waren sie zu jener

Zeit, wo der Regierung daö Verständnis für soziale Fragen noch ein Buch mit sieben Siegeln war, die Veranlassung, daß Brüggemann hierdurch in den Verdacht „kommunistisch-subversiver Tendenzen" geriet. Im Rheinland nahm man diesen „vergeistigten Sozialis­ mus" (so „Kölnische Zeitung" 1844), der dem Problem mit Hilfe einer Organisation der Wohltätigkeit nahe zu kommen suchte, gern auf, begann aber andererseits tiefer zu schürfen und die soziale Frage von innen heraus an der Wurzel zu lösen. „Man wollte, wie Hansen (Bd. I S. 352) schildert, zu ihrem Kern vordringen, also dem Arbeiter das Bewußtsein der Gleichberechtigung an Stelle des Gefühls der Erniedrigung erwecken und planmäßig den Massen

den Weg zu höheren Stufen des gesellschaftlichen Daseins bahnen helfen/' 15ia) Dies« Unruhen in Langenbielau und Peterwaldau hat Gerhard Haupt mann in seinen „Webern" dramatisch geschildert.

83 Man erkannte die Existenz des Proletariats als

einen orga­

nischen Fehler der modernen Gesellschaft an, der nur durch gemeinsames Wirken nach den Prinzipien der Gleichheit und Gegen­

seitigkeit, nicht durch äußerliche Hifömittel wirksam bekämpft werden könne.

Zu einer Heilung der sozialen Schäden war jedoch die Zeit

noch nicht reif, zumal die Regierung noch nicht einmal die politische Reife des Volkes zu verstehen und zu befriedigen vermochte. Trotz der Schwierigkeiten auf diesem Gebiete nahm der rheinische Libe­ ralismus die Lösung in Angriff. bildern

hatte Hansemann

Nach englischen und französischen Vor­

schon 1833 einen „Verein zur Hebung der

Arbeitslosigkeit in Aachen gegründet, dessen bescheidenes, aber doch günstiger

Wirken man schon auf dem Provinziallandtag 1843 anerkannt hatte. Ähnliche

Versuche unternahm der Großindustrielle Harkort in Elberfeld (vgl. dessen Schrift 1844: „Bemerkungen über die Hindernisse der Zivilisation und die

Emanzipation der arbeitenden Klassen")-

Mevissen,

der mit den Gedankengängen

Pestalozzis, Saint-

Simons 162), Herbartö usw. vertraut war und nicht nur mit dem

Junghegelianer Karl Grün (aus Schlesien), sondern auch mit Karl Marx selbst22») in Briefwechsel stand, suchte diesen Problemen näher

zu kommen, wozu er als Präsident der Eisenbahn die beste Gelegen­ heit hatte.

So hatte er die Unterstützungsvereine bei der Eisenbahn

weiter ausgebaut. Im Jahre 1845 war der „Unterstützungsverein des Personals der rheinischen Eisenbahn" eine Krankenkasse mit Unterstützungs- und Pensionsfonds. Als Beitrag mußte jeder Arbeiter 6 Pfennig pro verdienten

Taler Arbeitslohnes abgeben.

Bei einem Todesfälle mußten besondere Zu­

schüsse entrichtet werden, Mitglieder mit 300 Taler Einkommen mußten

5 Silbergroschen, die geringer Besoldeten 21/2 Silbergroschen zahlen, um der

Witwe oder den Waisen eine Unterstützung hieraus gewähren zu können. Ver­ stärkungsbeihilfen zu den einzelnen Fonds wurden regelmäßig von der Eisen­ bahndirektion gezahlt usw.

Mevissen suchte so den Gedanken der Annäherung der Gebildeten an die Arbeiter zur gemeinsamen Förderung sozialer Ziele und die

Betrachtung der sozialen Frage von einem anderen als dem wirtschaft­ lichen Gesichtspunkte weiter populär zu machen und in die Praxis 152) worin ähnliche Ideen wie die des Abtes Graf Emanuel Sieyes vertreten wurden, der zum ersten Male eine Erklärung der „Menschen- und Bürgerrechts (vgl. „Politische Schriften" 1796) verfaßte. 153) der in Paris mit Rüge zusammen publizistische

Pläne

verfolgte

jetzt in seinem „Vorwärts" sich zum radikalen Sozialismus bekannte.

und

84 umzusetzen. Er konnte sich jedoch in dieser Beziehung gegenüber Camphausen und der Regierung nicht durchsetzen. Camphausen warnte davor, schon jetzt bei den Arbeitern Ansprüche und Bedürfnisse zu erwecken, die man später nicht befriedigen könne. So konnte in Köln am 4. Dezember 1844 nur ein „Allgemeiner Hilft- und Bildungs­ verein" (nicht wie Mevissen wünschte: ein gegenseitiger zum Wohle der arbeitenden Klassen!) gegründet werden, über dem aber ein tragischer Un­ stern waltete. Die Bürokratie wurde durch Verdächtigungen kommunistischer Umtriebe, die sich hinter solch edlen Bestrebungen verbergen sollten, kopf­ scheu gemacht und verweigerte die Konzession der Vereine, obwohl man in Berlin sie zunächst sogar am Hofe begünstigt hatte.

So wurde wiederum eine glänzende Gelegenheit zum Ausgleich der Gegensätze im Lande verbarrikadiert. Kein Wunder, daß die Erre­ gung über eine solche engstirnige Politik der Regierung ziemlich stark wurde, zumal man sogar das Erörtern dieser Probleme in Ver­ sammlungen usw. verbot. Auf dem rheinischen Provinziallandtag in Koblenz entstand hierüber eine große Debatte. Beckerath griff rück­ sichtslos die Haltung der Regierung an. Eine Mitwirkung zur Steuer der Not, führte er wirksam aus, könne nur dann in heilsamer Weise erfolgen, wenn ihr gesetzmäßige Bahnen durch die Verfassung eröffnet würden. Mit der Ruhe und Sicherheit des Staates sei es nicht vereinbar, wenn die wichtigsten sozialen Fragen der Gegenwart nicht in großen frei zusammentretenden Versammlungen verhandelt werden könnten, solange es an politischen Institutionen fehle, die ihrerseits die bürgerliche Freiheit verbürgten, andererseits die Macht des demokratischen Einflusses zu mäßigen vermöchten.

Die Gefahr eines gewaltsamen sozialen Durchbruches, hob er hervor, rücke infolge solcher Gesetzlosigkeit näher und näher (vgl. Sit­ zungsprotokolle des 6. rhein. Prov.-Landt. Koblenz 1845 S. 116). Auch Mevissen ließ sich von der Weiterverfolgung seiner Pläne nicht abhalten. Am 16. März 1845153a) legte er in einer großen Ver­ sammlung nochmals dar, daß der soziale Fortschritt nur von innen heraus auf der Basis klarer Erkenntnis durch besonnenes Handeln herbeigeführt werden könnte. Die Maxime: „Alles für das Volk, nichts durch das Volk!" sei heute nicht mehr aufrecht zu erhalten. Sonst würde dies zu einem gewaltsamen Durchbruche führen. Es gelang ihm zwar, seinen ersten Statutenentwurf des „Hilfs- und Bildungsvereins zur Wohlfahrt der arbeitenden Klassen" wiederherzulu3a) Dgl. die Abhandlung: „Über den allgemeinen Hilfs- und Bildungs­ verein" Dd. II S. 129—137.

85 stellen, er konnte aber die Genehmigung zur Bildung des Vereins ebensowenig erreichen, weil inzwischen die Situation anders geworden war. Friedrich Engels und Moseö Heß hatten inzwischen ihre „kommunistische Tätigkeit" in Elberfeld ausgenommen und die Re­ gierung hatte nunmehr angeblich wirklich Grund zu ihrer Befürchtung,

daß sich die kommunistischen Umtriebe (die man tatsächlich nur durch Mevissenö Programm verhindern konnte) durch die Wohlfahrtövereine im Rheinlande fortentwickeln würden. Somit war der erste große soziale Reformversuch des rheinischen Liberalismus auf Der Riß zwischen Arbeiter und

deutschem Boden gescheitert.

Bürger, der vielleicht hätte vermieden werden können, wenn man rechtzeitig Prophylaxe getrieben hätte, erweiterte sich nach der Niederlage von 1848 und dem Sozialistengesetz, daö eine törichte

Wiederholung der Maßnahmen von 1844/45 darstellt, zu einer un­ überbrückbaren Kluft, die schließlich zum Untergang des Kaiser­ tums und 1919 zur Republik führte, weil die Monarchie sich wiederum zu rechtzeitigen Reformen (insbes. des Wahlrechts usw.) nicht verstanden hattet"). Die Idee der Volksgemeinschaft, die die Burschenschaft einst auf ihre Fahne geschrieben hatte, konnte in der Praxis bisher nicht gelöst werden. Der rheinische Liberalismus glaubte allerdings damals, daß eine gleichzeitige Lösung der sozialen und politischen Probleme, die nach Schurz' richtiger Ansicht zusammengehören und sich be­ dingen, nicht möglich sei, und gab künftig der politischen Frage den Vorrang, indem man die soziale teilweise ganz fallen ließ (vgl. Mevissen Band 1 Seite 359).

Das liberale Verfassungsprogramm. (Der achte rheinische Landtag). Während im übrigen Deutschland (außer Österreich!) sich bereits die Theorie des allgemeinen konstitutionellen Staatsrechtes mehr oder weniger durchzusetzen begann, geriet Preußen in die Krisis seines Ver­ fassungslebens

unglücklicherweise

in

einer Ära, wo die politischen

Leidenschaften seiner Bürger — besonders angestachelt durch den in­ folge des Zollvereins und des Ausbaus von Eisenbahnen im Westen 15‘) Die Mevissenschen Reformen auf sozialem Gebiete sind noch nicht durch­

geführt.

Ob sich überhaupt eine Überbrückung der Klassengegensätze in seinem

Sinne ermöglichen läßt, muß die Zukunft lehren.

86 hervorgerufenen wirtschaftlichen Aufschwung — zwar schon stark aus­ gebildet waren und nach Betätigung stürmisch drängten, wo aber ein

öffentliches Leben noch durch den Bürokratismus des Beamtenstaates niedergehalten wurde und der König selbst kurzsichtig die unaufhalt­ bare Entscheidung verzögerte.

Nur einer in der Regierung, Grass

Arnim, fühlte, daß die Pläne deö Königs, das Rad der Geschichte

rückwärts zu drehen, unausführbar sein würden. Er schlug daher vor, endlich

eine „Periode

des

besonnenen Fortschreitens" zu

beginnen und der nüchternen Erkenntnis Rechnung zu tragen, daß

der Neubau der ständischen Verfassung auf einen festen unanfecht­ baren Rechtsboden gestellt werden müsse. Arnim wollte aus den Virilstimmen des Herrenstandes und aus den

erwählten

Abgeordneten der Provinziallandtage einen Reichstag

von

60

Köpfen bilden, der alle Jahre regelmäßig zusammentreten und über neue Steuern, Gesetze und Anleihen beraten (zu 1 und 2!) und auch über die

Anleihen (zu 3) beschließen sollte.

Leider verwarf der König im Mai 1844 diese Vorschläge eines

gesunden Menschenverstandes. Am 26. Juli 1844 erhielt er hierfür die —

allerdings

wohl

unbeabsichtigte



Quittung,

indem der Alt­

bürgermeister von Storkow, Tschech — ein verstockter Fanatiker! — zwei Pistolenschüsse — ohne Folgen auf den König abfeuerte. „So kündigte sich, urteilt« Treitschke (Bd. V S. 262), die Revolution

schon an, indem die Obrigkeit ihre Würde, der Königsmord seine Schrecken

ju verlieren begann."

Aber dies Menetekel konnte den König nicht belehren. Er beging

sogar den großen Fehler, neue Märtyrer zu schaffen, indem er sich nicht dazu verstehen konnte, Tschech zu schonen und kalt zu stellen. Obwohl

der General Boy en ihn am 3. August freimütig vor den Folgen des Fehmewahnsinns warnte und ihm zurief: „Es ist der größte Irr­

tum,

daß

man

den

Entwicklungsgang

der

Zeit

beliebig

hemmen oder die öffentliche Meinung durch Verweise öf­ fentlich schulmeistern könne", ließ er das Todesurteil an Tschech

vollstrecken, und stachelte so den 3orn154 a) aller Aufrechtgesinnten an. 164a) Ein Berliner Gassenlied gab dieser Stimmung offen Ausdruck: Ins Volk fiel's wie ein Donnerkeil,

Daß Tschech mußt fallen unterm Beil.

Der fromme König, ach so gut.

Vergoß um nichts Märtyrerblut. Im Opemhause kann man sehn:

Der König, der muß flöten gehn. Hurra!

87

Die ihm entgegenströmende scharfe Kritik der Presse hatte aber doch den Erfolg, daß der König sich endlich entschloß, seine Pläne

zur Ausführung zu bringen und am 24. Dezember 1844 dem Minister­

rate die Anweisungen für den Neubau der Verfassung gab. Sein starrer Doktrinarismus wollte die Krankheit Preußens aus den angeblichen drei Widersprüchen der Gesetze von 1815, 1820 und 1823 ab­

leiten, weil die „Landesrepräsentation" (1815)

sich mit der „Regulierung

für Friedenszeiten" (1820) und dem Worte „Provinzialstände" (1823) nicht

vereinbaren lasse.

Mit solchen bürokratischen Spitzfindigkeiten suchte er die

Lebensfähigkeit seines verfaulten Systems zu beweisen.

Im Grunde war es ihm lediglich wohl um die Erhaltung seiner

Macht zu tun, weil er den Sinn des Dichterwortes „Nicht Roß, nicht Reisige sichern die steile Höh,

Wo Fürsten stehn."

nicht begreifen konnte. In einem verhüllten Zweikammersystem wollte

er drei Faktoren zur Mitarbeit heranziehen, die er gegeneinander in

überkünstelter Weise ausspielen wollte, indem er die Provinzialstände, die vereinigten Ausschüsse und den vereinigten Landtag nach Gut­ dünken als Vertretung des Volkes heranziehen wollte. In einem Brief an den Fürsten Metternich vom 8. November 1844

hatte er positiv gesagt, was er nicht wollte: „Ich will entschieden a) keine Nationalrepräsentation,

b) keine Charte, c) keine periodischen Fieber, d. h. periodische Reichstage, d) keine Reichstagswahlen, weil ich König von Preußen bleiben, weil ich Preußens Stellung in Europa

nicht umwerfen will.

Die arglistige Absicht, die periodischen Ausschußtage

durch die eigene Schwere in die Reichstagskategorie hinüberrollen zu lassen, ist mausetot."

Leider übersah er, daß er das Schwergewicht des vereinigten Land­

tags in seinen Mechanismus einschaltete.

War dieser auch in einen

gewissen Leerlauf gebracht, so mußte er doch bald von selbst, um posi­

tive Mitarbeit zu erhalten, seine Funktionen erweitern und Periodizität verlangen (d. h. Reichstagskategorie!).

Noch einmal versuchte Graf Arnim, den König von seinen unheil­

vollen Plänen abzuhalten. Er riet eindringlich zum Zweikammersystem und zur periodischen Wiederkehr der Reichsstände. Mangels eines Ent­

gegenkommens schied er deshalb am 11. Juni 1845 aus dem Staats­ dienst, — verkannt von der Presse des Liberalismus, die gegen ihn wegen

der

Ausweisung der badischen Kammerredner Hecker und Itzstein aus Berlin —

88 die er wohl nur auf höhere Anordnung erlassen hatte — ein Wutgeschrei er­

hoben hatte. (Mai 1845). Johannes Scherr erkannte damals richtig die Situation, als er in seinem Buche: „Das enthüllte Preußen" bitter schrieb:

„Die Verjagung Jtzsteins und Heckers aus Sandjerusalem und allen Borussen­ landen — gewiß die brutalste, allerhöchst befohlene Polizeiflegelei — ist ein herrliches Präludium zu dem angekündigten Puppenspiel: Eine neue preußi­ sche Verfassung!"

Obwohl der König mit seiner großen ständischen Monarchie an­ geblich die „konstitutionellen Mißbildungen" der anderen deut­ schen Länder zu übertrumpfen hoffte, konnte die „Bodelschwingsche

kleine Derfassungskommission" den GeburtSakt nicht vollziehen.

So

verging wiederum — seit 5 Jahren! — kostbare Zeit, sodaß die Volks­

wünsche sich von Jahr zu Jahr immer erbitterter steigern mußten. Besonders

im Rheinlande drängte die liberale Bewegung gewaltig

zur Offensive.

Daö Spekulationsfieber auf dem Gebiete des rhei­

nischen Eisenbahnwesens und wirtschaftliche Übergangsschwierigkeiten

hatten eine Zeitlang die Aufmerksamkeit von der Politik abgezogen. Nun begann die rheinische Presse, unterstützt durch den mehr konser­

vativ

eingestellten „Rheinischen Beobachter" und

die „Rhein-

und

Moselzeitung", erneut mit der Kanonade. Alle die Provinz näher be­

wegenden Fragen (Pressefreiheit, die Öffentlichkeit der Landtage, die

neuerdings wieder eingeschränkte Unabhängigkeit der Richterm), die stärkere Vertretung von Handel und Industrie in den Provinzial­

ständen, die Aufhebung der Mahl- und Schlachtsteuer usw.) wurden

lebhaft erörtert. Eine neue Anregung gab das Werk des ostpreußischcn Liberalen Jakoby („Das königliche Wort Friedrich Wilhelm IIP', eine den preußischen Ständen

überreichte

Denkschrift

— Paris 1845),

das den

Auftakt zur liberalen

Offensive für die Reichsstände im Osten bildete.

Eö galt nunmehr, die Kräfte des Liberalismus zu sammeln und

geschlossen anzusetzen.

Seit Anfang Januar begann im Rheinlande

eine lebhafte Agitation der Reformer. Planmäßig wurden Notablenversammlungen

abgehalten usw.

Auch Mevissen

beteiligte sich

führend an dieser Petitionsbewegung für die Reichsstände, die in den größeren Städten des Rheinlandeö begeisterten Widerhall fand.

Mevissens Kölner Adresse (vom 16. Januar 1845) wurde stark unter­ zeichnet. 1M) Vgl. H. Simon: „Die preußischen Richter und die Gesetze vom 29. 3. 1844" — Leipzig 1845; „Kölnische Zeitung" Nr. 189, 217. „Trierer Zeitung" Nr. 208 1844.

89 Sie verlangte die Reichsständc mit der Begründung, daß endlich die Verbindung der preußischen Landesteil- durch ein gemeinsames Zusammen­

arbeiten in die Wege geleitet werden müsse, um an die Stelle einseitiger Provinzialansichtcn ein einheitliches Nationalintercsse zu sehen, um die Sicher­

heit Preußens zu erhöhen und die ungestörte Fortentwicklung der

Staats­

einrichtungen Preußens auf gesehlichem Wege zu verbürgen.

Gleichzeitig diente diese Petitionöbewegung dazu, die Arbeit des

8. rheinischen Landtags in Koblenz, der am 9. Februar 1845 eröffnet wurde, vorzubereiten. Ein Sturm von Anträgen aus fast allen größeren Städten hagelte auf ihn ein und brachte all die rhei­ nischen Beschwerden, die sich immer fühlbarer machten, vor, ohne Rück­ sicht darauf, daß der König sie größtenteils schon durch den Reichs­

tagsabschied von 1843 schroff zurückgewiesen hatte (vgl. Sitzungs­ protokolle des 8. rheinischen Landtags 1845 Koblenz). Der Landtag wurde dann auch ein großer Erfolg für den Liberalismus, zumal es gelang — zum letzten Male! — die Auto­ nomen — unter Führung des Herrn M. von Loe zur Mitgefolgschaft

heranzuziehen. Mit 63 : 6 Stimmen wurde der Antrag auf Gewäh­ rung von Pressefreiheit angenommen, ebenso viele Beschwerden und Fragen rheinischen Charakters""). Politisch weitaus am bedeutendsten aber waren Camphausens Anträge zur Verfassungsfrage, gegen die allerdings Herr von Loe protestierte, weil er „in der Weiterbildung der staatlichen Zentra­ lisation die größte Gefahr für die ständischen Freiheiten erblickte und nichts von einer allgemeinen Vertretung und von Reichsständen wissen wollte". Er fand aber bei seinen „Fraktionsgenossen" geringen An­ klang, zumal ihm nur der alte Führer der „Glaubensarmee", der Koblenzer Dietz, stärker zustimmte. Die überwiegende Mehrheit (72 :6) forderte die Verfassung oder „entsprechende Maßnahmen" (55). Der

eigentliche Träger dieser im Mittelpunkte der Verhandlungen stehenden Verfassungsfrage war der spätere Minister Camphausen, den Hanse­ mann und Beckerath vorzüglich sekundierten. Camphausen führte hier aus1W): 156) Man kam den Katholiken sogar entgegen, indem Hansemann den An­ trag auf Aufhebung der Kabinettsorder vom Jahre 1825 betr. die gemischten Ehen stellte.

157) Vgl. „Bremer Zeitung" 1845 Nr. 54, „Weserzeitung" Nr. 355, 357, 390. K. Biedermann: „Unsere Gegenwart und Zukunft" 1846 S. 119 ff. Hanse­ mann: „Die politischen Tagesfragen mit Rücksicht auf den rheinischen Landtag

1846. Bergengrün: Hansemann S. 311 ff.

90 Die Rheinländer seien keine Separatisten 158 * * ). Man wolle aufgehen in

der Einheit des Vaterlandes und in den Bund der Provinzen eintreten — unbeschadet seiner Sonderwünsche. In dem Charakter und in der Gesinnung lägen keine die Verschmelzung hindernden Elemente.

Wenn die Regierung

— anscheinend gegen den Willen des Königs! — die Provinzialstände auf die

Beratung unbedeutender Verwaltungsdetails beschränke, so sei es Pflicht der Stände, nunmehr aus der Zurückhaltung herauszutreten und den Monarchen

um die Gewährung der im Besihergreifungspatent vom 5. April 1815 der Rheinprovinz versprochenen und durch das Geseh vom 22. Mai 1815 ver­

heißenen Repräsentation zu bitten. Der Landtagsabschied von 1843 dürfe von dieser Forderung nicht abschrecken. „Das deutsche Volk hat ein Recht,

seine Vertretung zu verlangen.

Durchsuchen Sie alle Jahrhunderte der be­

kannten Geschichte. Durchsuchen Sie die ganze Erdoberfläche und wenn sie

das zweite Beispiel eines Volkes finden, welches, dem deutschen Volke an Sittlichkeit, Intelligenz und Zivilisation gleichstehend, unter der Herrschaft

angestammter Fürsten mit dem uns gewährten Maße politischer Rechte sich begnügt hätte, so wollen wir auf deren Erweiterung getrost für immer ver­ zichten. Ein solches Volk hat nicht existiert und wird nicht existieren.

Wir

dürfen keine Ehre darin suchen, in dieser Beziehung einzig dazustehen in der

Geschichte und in der Welt."

Zum ersten Male trat der rheinische Liberalismus hier öffentlich im Parlament mit einem positiven Verfassungsprogramm hervor, das allerdings nicht überall Beifall fand. Hansemann neigte hauptsächlich dazu, die belgisch-französischen Ver­

fassungsnormen als Vorbild hinzunehmen. Er wollte, wie er dies in seinen Schriften schon geoffenbart hatte, hohen Zensus für das aktive, geringen Zensus für das passive Wahlrecht usw. Mevissen hatte 1840 sich dahin aus­ gesprochen, daß „Deutschland freie ständische Formen, nicht die Frankreichs, aber die der deutschen Nation geschichtlich eigentümlichen, erhalten müsse"

(vgl. Hansen Bd. 1 S. 190).

In der auf hoher Warte stehenden Landtagsdebatte, die in Deutsch­ land großen Eindruck ^interlieg159) ging der Liberalismus auf die der eigenen gleichartige ältere Auffassung des Freiherrn von Stein 158) Separatistische Bestrebungen wurden nur vereinzelt 1848 beobachtet. Die

große Separatistenbewegung im Rheinlande nach dem Weltkrieg ist französischen Ursprungs gewesen und konnte sich nicht durchsetzen. 159) Die „Weserzeitung" Nr. 398 (1845), die dem Redakteur Andröe der

„Kölnischen Zeitung" nahestand, nannte diese Verhandlungen „ein Meisterstück

parlamentarischer Diskussion", wodurch die Führer ihre Befähigung erwiesen hätten, Vertreter eines Volkes und sachkundige Ratgeber einer vorwärtsstrebenden Regierung

zu sein". — Vgl. auch die große Rede Vinckes auf dem westfät. Landtag am

14. März 1845 über die Reichsstände in „Wiegands Vierteljahrsschrift" 1845 Bd. 4 S. 90 ff.

91 zurück.

Man stimmte darin überein, daß „die Grundfeste und der

Schlußstein des politischen Gebäudes" die erbliche Monarchie bleiben sollte. Man wollte aber eine vom König verliehene und schriftlich

garantierte Verfassung auf monarchischer Grundlage und lehnte die Idee der Volkssouveränität ab, wie Camphausen ausdrücklich her­ vorhob. Die Volksvertretung sollte das gesamte Bürgertum (an die Arbeiter­ schaft dachte er damals noch nicht!) repräsentieren und die staatliche Einheit

über dem provinzialständischen Partikularismus schaffen, obwohl man die liberal rheinischen Institutionen als Grundlage wünschte. Man erstrebte rück­

haltlos die loyale Verschmelzung der beiden preußischen Staatshälften, die Beseitigung der Rudimente des Feudalismus im Osten und ihren Ersatz durch die bürgerliche Gleichheit des Westens, die Erweckung eines nationalen Bürger­ geistes und die Begründung eines gemeinschaftlichen öffentlichen Lebens, um so dem „preußischen Staate mehr Kraft und Einheit zu geben, als bloße

administrative Zentralisation zu geben vermag".

Man forderte zwei Kammern, eine „geborene", die die vom König ernannten Vertreter aus dem Adel, aus dem Grundbesitz und den Universitäten umfassen sollte, und die gewählte zweite Kammer.

Die Kammern sollten jährlich berufen werden und die Abgeordneten Vertreter der Gesamtinteressen sein. Alle Klassen der Bevölkerung sollten „im richtigen Verhältnis vertreten sein". Die Volksvertretung sollte eine „Mehrheitsrepräsentation der materiellen und in­ tellektuellen Kräfte im Volke" sein. Man wollte allerdings noch kein allgemeines und gleiches Wahlrecht, denn „Herrschaft der Massen ist noch keine Freiheit". Der König sollte nach seiner Meinung und

seinem freien Entschluß (so Camphausen) den Umfang der Rechte und Pflichten der Volksvertretung bestimmen. Man wollte — ohne sich auf Einzelheiten festzulegen — formale Rechtsgarantien, wo­ durch sich die konstitutionell-monarchische Auffassung im Rheinlande von

der absolutistischen der Regierung unterschied. Nach Hansemanns Aufstellung verlangte man besonders: Pressefrei­

heit, Glaubensfreiheit, Petitionsrecht, das Recht, sich unbewaffnet zu ver­ sammeln und über Petitionen an die Behörden oder die Stände zu be­ raten, Unabhängigkeit und Öffentlichkeit der Justiz, Geschworenengerichte für

alle politischen Verbrechen und Vergehen, Beseitigung der Kabinettsjustiz (aller Order und Ordonnanzen, die das Eigentum und die Personenrechte betreffen), das Budgetrecht (jährlich die Steuern und Staatsausgaben festzusetzen) usw. Man wollte kurz — wie Rotteck — das Gleichgewicht der Gewalten durch Gewaltenteilung, ohne doch für alle Gesetze das Recht der

Beschlußfassung zu verlangen.

92 Man wollte auch besonders den bürokratischen Leerlauf und die

Beamtenwillkür beseitigen.

der Staatsenergie er­

Die Befruchtung

hoffte man von der Verantwortlichkeit der Minister. Man dachte hier­ bei an eine parlamentarische Form der Regierungspolitik, die sich der Majorität der Kammer anpassen sollte, wobei die Minister auch nicht nur aus dem Berufsbeamtentum genommen werden sollten, ohne eine

Schwächung des monarchischen Mittelpunktes im Auge zu haben. Man

wollte nur die Tuchfühlung von Fürst und Bürgertum her­ stellen 159 a). Wenn sich die rheinischen Liberalen für die verfassungsmäßige Glau­ bens- und Gewissensfreiheit einsehten (Hansemann war für Trennung von

Staat und Kirche!), so meinten sie insbesondere, „daß in allen Fragen der

bürgerlichen und politischen Rechte, des materiellen und geistigen Fortschritts in staatlichen Einrichtungen die Konfession ohne Einfluß sein könne

und müsse, und daß die in Belgien durchgeführte Trennung der Zivilgesetze von dem religiösen Gebiete auch in Preußen eines der besten Mittel sei, um diesen Zweck zu erreichen" (Hansemann 1845) 16 * *°). **

Wenn nun auch der Erfolg des Liberalismus auf diesem Land­

tage in der Hauptsache nur ein moralischer war, weil man die

eingebrachte

Petition

betr.

die

Verfassung

nur indirekt

durchsetzen

konnte, so wurde die Wirkung dieses Erfolges trotz der ablehnenden

Haltung des königlichen Landtagsabschieds noch durch die Möglichkeit der Pressekritik erhöht, die im Jahre 1846 die Kölnische Zeitung durch die Feder Beckeraths und Brüggemanns kraftvoll begann. Beckerath verlangte die staatliche Einheit Preußens aus der Über­

zeugung heraus, daß die politischen, kirchlichen und sozialen Aufgaben des Staates die Einheit wie auf wirtschaftlichem Gebiete (im Zollverein usw.)

verlangten. „In Deutschland, schrieb er, scheint, seltsam (am 10. April 1846) genug bei dem tiefen sittlichen Ernst unseres Volkes, das materielle In­

teresse zum Bindemittel für die getrennten Stämme, zu dem Boden bestimmt zu sein, aus welchem ein Nationalgefühl, unentbehrlich für politische

Größe, erblühen soll. Der Volksgeist drängt in der Form materieller Be­ strebungen nach Einheit der Nation, nach einer selbständigen Konstituierung anderen Völkern und Ländern gegenüber, um demnächst sein schöpferisches

Wirken auch nach innen zu richten." „Diesen Geist zu pflegen, dieses positive

Element unseres Staatslebens, auf welchem Preußens Zukunft beruht, zu

tan."

159a) Camphausen: „die Harmonie zwischen dem Monarchen und dem Unter­ „Es ist meine innigste Überzeugung, führte Hansemann aus, daß eine starke

Königsmacht zur Aufrechterhaltung und Stärkung der Nationalunabhängigkeit, zum

Glück des Volkes und zur dauernden Befestigung der Freiheit notwendig ist." 16°) Vgl. auch das Programm des ultramontanen Reichensperger von 1847 in

Hansen (Bd. 1 S. 699), das teilweise hiermit übereinstimmt.

93 entwickeln,

es zu bewahren

verneinenden Richtungen

gegenüber, die nur

hemmen, nicht zu schaffen vermögen, festzustehen in der Liebe zu Freiheit und

Recht und unerschütterlich treu in der Anhänglichkeit an die monarchische Ver­

fassung, das ist die Aufgabe unseres Volkes, das ist der Weg, auf dem die Segnungen eines selbstbewußten Nationallebens herbeizuführen sind" („Köl­ nische Zeitung", Nr. 23 und 43, 1846).

Brüggemann nahm die Regierungstheorien1€1) der Freiheit der Krone unter die Lupe und führte in einer längeren Artikel­ serie^) im Juni 1846 aus: Auch unter dem Absolutismus des 18. Jahrhunderts sei Preußen keine Willkürherrschaft gewesen, ebensowenig wie England. Der König — insbe­

sondere Friedrich der Große — habe sich stets an feste Normen gehalten sowohl auf dem Gebiete der Verwaltung wie der Gesetzgebung. Zu diesem

Zwecke habe er eine Gesetzeskommission und später den „Staatsrat ge­ schaffen, der ein Prüfungsrecht hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit gehabt habe. In dieser Beziehung habe sich der feste preußische Beamtenstaat vorteilhaft von

der Hofdespotie Ludwigs XIV. unterschieden. Die preußische Monarchie habe sich hierdurch zwar nicht beschränkt, aber an die Gesetzmäßigkeit gebun­ den. Dies sei altpreußische Tradition im Gegensatz zu Frankreich.

„Wir sprechen über das in Frage stehende wahre Recht des Beamten­

tums in Preußen aus dem Geiste der preußischen Staatsentwicklung heraus, unsere Gegner (Verteidiger der königlichen Vollgewalt) aber aus dem Geiste

des französischen Königtums unter Ludwig XIV. und XV. Das ist der Unter­ schied!"

Mit diesem wirkungsvollen Moment verteidigt nun Brüggernann -- mit Recht — das Prinzip, daß der König auch an das Votum der S tände gebunden sei. Seien hiermit Reichsstände gemeint, so müßten eben vor­

läufig bis zu ihrer Schaffung die Provinzialstände eintreten.

Es sei lediglich

nötig, die Kompetenz gesetzmäßig abzugrenzen.

Er berief sich auch zutreffend auf das Bundesrecht (Art. 13 der Bundes­ akte, Art. 56—58 der Wiener Schlußakte), das wirkliche Stände, nicht nur Marionetten verlange. Da die Stände somit auch reichsgesetzlich garan­

tiert seien, so sei auch ihre Wirksamkeit im Staate damit rechtlich anerkannt

und die Könige könnten mit ihnen nicht machen, was sie wollten.

„Wir wiederholen es, wir haben nur beratende Stände, aber in ihnen

doch immerhin beratende Stände. Es ist deshalb frivol zu sagen, es stehe rctn im Belieben der Regierung, wie weit sie die Ansichten der Stände adoptieren und deren Beirat den erfolgenden Entscheidungen zugrunde legen wolle. Es 161) Die Krone sei an die Provinzialstände nicht gebunden. Der König habe

nach seinen früheren Erlassen nur den Beirat für die Gesetze sich nicht Vorbehalten, die eine Veränderung der Personen- und Eigentumsrechte

herbeiführen

Provinz allein angingen. 162) Vgl. „Kölnische Zeitung", Nr. 151/152, 155—157, 162.

und die

94 zeugt von wenig Kenntnis des deutschen Staatsrechtes, zu meinen, Verfassun­ gen mit bloß beratenden Ständen stehen in betreff der ständischen Befugnisse

keinerlei Schutz des Bundes zur Seite."

Wenn nun auch der Bund selbst gar keinen Wert auf diesen

Schutz legte, so taten diese moralischen Ohrfeigen aus dem Rheinlande doch ihre Wirkung, als einige Zeit später die über­ raschende Wendung — wenn auch nun schon zu spät — in der stän­ dischen Gesetzgebung in Preußen eintrat.

Der rheinische Liberalismus hatte ausdrücklich die politische Mündigkeitöerklärung der Rheinlande vollzogen, ihre Rechts­ ansprüche in nicht mißzuverstehender Weise — zunächst mit moralischer

Wirkung — angemeldet und so das Signal für den weiteren Ver­ fassungskampf in Deutschland gegeben. Daö Trommelfeuer der Offensive begann aller Orten. Der Angriff konnte jedoch erst 1848

auf breitester Front zum Siege vorgetragen werden.

Der erste frhlgrschlagene Vorstotz auf dem vereinigten Landtag. Dir Bildung der liberalen Partei. Der rheinische Liberalismus bezweifelte zunächst, daß der König von sich auS Schritte zur Lösung der Verfassungsfrage unternehmen würde. Man suchte daher die Basis zur unvermeidbaren General­

offensive zu erweitern und sich fester zusammenzuschließen, soweit dies die damaligen parteilosen Zustände gestatteten. Hierzu nötigte be­

sonders der 9. rheinische Landtag im Jahre 1847, auf dem man eine starke Mehrheit erringen mußte, wollte man aus der verderblichen Krise herauskommen. Die große Propaganda zu den Wahlen im Sommer 1846 trug ihre Früchte. Von 78 Deputierten konnte man etwa 60 als Anhänger des Liberalismus buchen. Auch Mevissen, der zu der Überzeugung gekommen war, daß die Auf­ gabe der Landtage nicht darin bestand, bloß Probleme und Dogmen zu dis­

kutieren, sondern Gesetze zu geben oder mindestens zu beraten, und daß die Regierung lediglich durch das Schwergewicht der Provinziallandtage in den liberalen Strom gezogen werden könnt«, wurde, jubelnd begrüßt, zum Abge­ ordneten gewählt.

Mevissen glaubte noch an starke Widerstände, als er seinen Wählern sein« Ziele auLeinandersetz«:

„Mein Streben wird unabhängig dahin gerichtet sein, für unser Volk

diejenige freie und selbständig« Mitwirkung zur Erreichung des Staatszweckes in Anspruch zu nehmen, die einzig den materiellen und geistigen Fortschritt

95 dauernd zu sichern und ohne die kein Herrscher in Perioden des Sturms das Staatsschiff durch die bewegten Wogen zu steuern vermag.

Di« sozial« Frag« dem allgemeinen Verständnis durch einschlägige Dis­ kussionen näher zu bringen, ist die zweite dem neuen rheinischen Landtag

Vorbehalten« Aufgabe."

Deshalb suchte man zuversichtlich die engere Fühlung mit dem

Liberalismus

in Deutschland, um gleichmäßig

vorzugehen und die

Stoßkraft des Angriffes zu verstärken^).

Inzwischen tauchten Gerüchte auf, wonach mit einer Aufrollung der Verfassungsfrage durch Berlin zu rechnen sei. Obwohl man auf der Besprechung am 13. Januar (Hansemann, Camphausen, Becke­ rath, Mevissen, von der Heydt und Aldenhoven) 1847 noch nicht an

die Ernstlichkeit des Vorhabens der Regierung glauben wollte, hielt man eine neue Besprechung dieser Sachlage für geboten.

Am 3. Fe­

bruar 1847 erschien überraschend das Königliche Patent, das die

vereinigten 8 Provinzialstände *") berief.

auf den

11. April nach Berlin

Am 14. Februar traf man sich in Köln, um zu diesem an­

scheinend alle Hoffnungen vernichtenden Schlage Stellung zu nehmen. Trotz ernster Bedenken glaubte man — auf praktische Politik einge­

stellt — aus der unzulänglichen und verklausulierten Fassung immer­ hin den Willen deö Königs entnehmen zu können, den Weg der Ver­ einheitlichung

des

preußischen

Staates

und

der

Schaffung

eines

gemeinschaftlichen öffentlichen Lebens zu beschreiten. Während Preußen

und Schlesien die Jnkompetenzerklärung forderten,

konnte man sich

im Rheinlande hiermit nicht befreunden. Den Standpunkt des Breslauer Juristen Heinrich Simon, den dieser

in seiner Schrift „Annehmcn oder Ablchnen" (Leipzig, März 1847) ver­ treten hatte, hielt man für verkehrt165 * * ). * * *Im * * 164 Sinne der Rheinländer lagen

mehr die „Vier Fragen", die trotz der Widersprüche für eine positive Mit­ arbeit stimmten. Viel Beachtung zu dieser sehr schwierigen Lage fanden auch 16S) Mevissen trat auch zu dem geistvollen Staatsmann und Publizisten Alexis de Toqueville in Verbindung, der 1836 sein berühmtes Werk: ,,La democratie en Amerique-1 veröffentlicht hatte und für

selfgovernement eintrat,

ferner

mit

dem jungen Publizisten Saint Rene Taillandier, der feit 1843 in der revue des deux mondes Abhandlungen über Deutschland und Preußen veröffentlicht« und drei

Werke herausgab: a) 1845, „Die politische Lage in Deutschland im Jahre 1845. b) 1846, „Die Verfassungsfrage in Preußen."

c) 1847, „Preußische Zustände."

164) 543 ständische Deputierte in 3 Kurien und eine besonder« Herrenkurie

von 70 Mitgliedern. 165) Beckerath meinte hierzu: „Simon ist diesmal ohn« staatsmännische Auf­ fassung verfahren. Sein Rat ist schlecht. Mevissen verurteilt« ihn ebenfalls.

96 die Broschüren „Das Votum eines Süddeutschen" und „Die heutige Lage

Preußens" usw.166).

Der rheinische Liberalismus beschloß deshalb mit Recht, die Führung zu einem einheitlichen Vorgehen zu übernehmen167). Um die Führer des preußischen Liberalismus zum ersten Male in Berlin zu einer Fraktionstagung zusammenzuerhalten, fand am 7. April T847 in Berlin im Hause des Marschalls von Brünneck eine Versammlung statt. Nach langen äußerst schwierigen Verhand­ lungen (von Auerswald, von Bardeleben, Graf zu Dohna usw. waren für die Inkompetenzerklärung) gelang es Camphausen, das rheinische Programm mit einigen Modifikationen zur Annahme zu bringen t67a). Die Situation war gerade umgekehrt wie 1840, wo zuerst die Ost­ preußen die Führung im Sinne einer Einigung zur politischen Mitwirkung im Staate zu übernehmen gesucht hatten (allerdings vergeblich!).

Sie wurde noch dadurch erschwert, daß Gervinus einflußreiche Schrift: „Die preußische Verfassung und das Patent vom 3. Februar 1847" kurz vor­ her (Anfang April erschienen) die Ablehnung mit gewichtigen Gründen emp­

fohlen hatte. Um so erfreulicher war der Sieg der Rheinländer.

Mevissen

schrieb am 8. April hoffnungsfreudig an seine Gattin: „Die Geschäftsordnung des Landtags, die wir gestern bei Brünneck im

Entwurf sahen, ist zwar klausuliert nach allen Seiten.

Aber die Macht des

freien Geistes wird die Fesseln sprengen, die ihn umschließen. Von heute über acht Tage ist die Schlacht geschlagen. Wir halten alle an dem einen Grund­ satz fest: Eine mächtige, erhabene, unverletzliche Krone, verantwortliche Mi­ nister, ein freies mitberatendes und mittatendes Volk."

Obwohl man auf 180 liberale Abgeordnete (60 aus dem Rhein­ land, 80 aus Preußen, 40 aus Schlesien und einige aus den anderen Provinzen) rechnete, war die Lage doch keineswegs geklärt und jeden­ falls auf Seiten der Regierung viel weniger nachgiebig, als man erhoffte. Schon die anmaßende, schulmeisterliche Thronrede, die die 166) Vgl. Näheres Hansen, Bd. 2, S. 232 ff. 167) Mevissen schrieb an die schlesischen Abgeordneten Milde, Tschokke und Siebig. Hansen setzte sich mit Simon in Verbindung. Fühlung wurde ferner mit dem Abgeordneten Coqui in Magdeburg und von Saucken (durch von der Heydt)

usw. genommen. 167a) In Sachsen wie in Schlesien waren starke Mehrheiten für Simon.

Pommern und Brandenburg verhielten sich neutral. Westfalen war trotz Vincke gegen eine Deklaration der Rechte. Die Rheinländer stellten sich hinter ihre Führer.

Vgl. die Artikel Mevissens in der „Kölnischen Zeitung", Bd. 2,

S. 201 ff.; ferner die Adressen aus Köln, Krefeld, Düsseldorf, Elberfeld, Viersen, Rheydt und Dülken.

97 Jndßpendance Belge

zeichnete

alö den Schwanengesang der Königtums

be­

enthüllte die persönlichen Absichten des Königs mit einer

Schärfe, daß sich sofort bei den Liberalen die Überzeugung aufdrängte,

daß ein erfolgreiches Zusammenarbeiten nicht zu erwanen war1G9). Der König erklärte mit pathetischer Überhebung, er denke nicht an eine repräsentative Volksvertretung, in Preußen gäbe es nur einen Willen,

die Prärogative der Krone lasse sich nicht durch eine konstitutionelle Bindung einschränken. Und et gelobte feierlich in einem Widerspruch zu seinem Patent, daß „es keiner Macht der Erde je gelingen sollte, mich zu bewegen, das natürliche, ge­ rade bei uns durch seine innere Wahrheit so mächtig machende Verhältnis zwi­

schen Fürst und Volk in ein konstitutionelles zu verwandeln, und daß ich nim­

mermehr zugeben werde, daß sich zwischen unserem Herrgott im Himmel und diesem Land ein beschriebenes Blatt Papier (1848 wurde er anderer An­ sicht!) gleichsam als zweite Vorsehung eindränge, um uns mit seinen Para­

graphen zu regieren und durch sie die alte Treue zu ersehen."

Diesen frivolen Schlag in ihr Gesicht empfanden die Liberalen stärker, als der König wohl beabsichtigt hatte. Die Ostpreußen, die am besten mit der russischen Knute vertraut waren und nach diesem

„Pascholl" jede Verständigung für ausgeschlossen ansahen, wollten

sofort abreisen.

Es fehlte wenig, so hätte der erste große parlamen­

tarische Kampf in Preußen und der deutschen Geschichte überhaupt sofort als Drama mit einem Aktschluß geendet. Nur dem Ansehen, das die Rheinländer

sich bei den Vorverhandlungen zur Gründung

der liberalen Fraktion durch ihr geschicktes Vorgehen gewonnen hatten, war es zu verdanken, die Einheit der Partei aufrechtzuerhalten und

zu gemeinsamer Arbeit fortzureißen.

Am 15. und 16. Aprilfand die große Adreßdebatte*") statt, an der sich fast alle Hauptführer der Liberalen beteiligten und 168) Nr. 108, 1847: Je chant de cygne de la monarchie absolue“. 169) Mevissen schrieb: „Heute ist das Barometer der Volkshoffnungen tief

gesunken." 17°) Der liberale Abgeordnete aus Pommern, Graf Schwerin, erhielt den Auftrag, den Adreßantrag (zur Antwort auf die Thronrede) zu stellen und hierin besonders die Rech:sverwahrung zu fordern. Der Rheinländer von Beckerath mußte

die Adresse entwerfen. 171) Mevissens Rede, die auch besonders wieder auf die soziale Frage hinwies,

gipfelte in der Forderung nach Periodizität, jener Frage, die auch in England im

17. Jahrhundert zur Kraftprobe zwischen dem „langen Parlament" und der Krone sich ausgewachsen hatte.

Dgl. über die Reden Hansen, Bd. 2 S. 237 ff. und

Bleich: „Der vereinigte Landtag 1847", Dd. 1, S. 26 ff.

Dannehl, Schurz.

98 mit ziemlicher Schärfe gegen die Regierung und für das Recht des Landtags auftraten.

Nur durch ein geschicktes taktisches Eingreifen

des Grafen Arnim, sowie Schwerins und Auerwaldü gelang es, die

Katastrophe zu verhüten und die Folgen einer schroffen Form der Adresse abzuwenden.

BeckerathS Entwurf wurde soweit abgeschwächt

(„Bitte um Rechtszustand!"), daß die Möglichkeit zu weiterer parla­ mentarischer

länder auö

Arbeit

nicht

abgeschnitten

wurde,

obwohl

die Rhein­

einem gewissen starren RechtSgefühl heraus, daö auch

Schurz kennzeichnet, größtenteils gegen die abgeschwächte Form stimmten,

weil sie richtig die Unnachgiebigkeit deö Königs auch gegenüber einer Bitte fühlten. Noch schwerer mag eö auf der Gegenseite dem Grafen

Arnim geworden sein, den König zu einem versöhnlichen Schritt zu bestimmen,

der

die

Fortsetzung

der

Versammlung

gewährleistete.

Immerhin war eö nur eine halbe Maßregel und eine unheilvolle Verzögerung, daß der König nicht die

Periodizität gewährte, sondern

nur die Wiedereinberufung in 4 Jahren in Aussicht stellte und gnädig

konzedierte: „Die Gesetzgebung vom 3. Februar ist in ihren Grundlagen

unantastbar. Wir betrachten sie aber deshalb nicht alö abgeschlossen, vielmehr als bildungsfähig." Obwohl also der König, ohne sich fest­ zulegen, zurückgewichen war, blieb die Rechtsfrage, auf die es dem

Liberalismus

doch

in erster Linie ankamm), ungelöst. Der

Liberalismus stand erneut vor einem Schisma.

junge

Vincke forderte in

seinem ungestümen westfälischen Rechtötrotz, daß der Landtag dem

König eine feierliche „Erklärung

der Rechte" übergäbe. Er verwies

auf die Bill of rights in England, die allerdings ganz andere Vor­

aussetzungen hatte172 173).

Auch die Rheinländer vermochten in dieser

Frage nicht ganz ihr RechtSgefühl praktischen Erwägungen unterzuord­

nen

und nach außen eine geschlossene Phalanx — wenigstens der

Führer — zu zeigen. Beckerath, Hansemann und Mevissen wünschten

einen erneuten Vorstoß in schonender Form (die erneute Bitte um

Anerkennung der älteren Rechte unter einer entschiedenen Rechtöver-

wahrung), also ein Zurückgreifen auf die Beckerathsche Adresse in ihrer 172) „Das unselige Erbteil der Deutschen, schrieb Mevissen (Bd. 2, S. 275), die innere Spaltung, die Differenzen in bezug auf die anzuwendenden Mittel bei gleichem Zweck, ist sehr schwer zu besiegen." m) 3m Jahr« 1689 wahrte man „als weltgeschichtliche Tat" alte englische Rechte gegenüber einem Usurpator, der seine Stellung der Revolution verdankte. Vgl. Dahlmanns Geschichte der englischen Revolution, die schon erschienen war.

99 ersten Fassung. In einer Versammlung der Liberalen am 25. bis 26. April (die Opposition umfaßte ursprünglich 240—260 Stimmen) fand

die Vinckesche Erklärung die Majorität. Sie wurde von 138 Abgeord­

neten unterschrieben.

Mevissen und Hansemann schlossen sich unter

diesen Umständen der Mehrheit an, während Camphausen, Beckerath und von der Heydt sich enthielten174). Mevissen versuchte noch in einer

Kommission die Einkleidung der Adresse in eine taktischere Form durch­ zusetzen. Doch war auch hierfür eine Mehrheit nicht zu erringen. Die

Rechtöverwahrung scheiterte schon in der Dreiständekurie und ebenso noch mehr in der Herrenkurie, die jede Verhandlung darüber von vorn­

herein ablehnte, weil die sich im Mai bildende — spätere konservative — Partei die Regierung schützte.

Damit war der Liberalismus mit seiner Politik an der Macht der Verhältnisse gescheitert. Trotzdem gelang es dem praktischen Sinn —

besonders der Rheinländer — sich zu der Überzeugung durchzuringen, daß man sich nicht zurückziehen, sondern versuchen müsse, wenigstens moralische Erfolge zu erringen, um den moralischen Druck auf die Regierung und im Lande zu verstärken. Diese Haltung wurde ein Hauptgewinn für den Liberalismus und führte ihn bald zu einer hohen,

geachteten parlamentarischen Stellung, obgleich sich immer mehr die Unmöglichkeit herausstellte — wie auch 1848 in der Paulskirche! — die taktische Einheit mindestens der Fraktion zu erhalten''»).

Die Tagesordnung der Landtagssession gab aber den Führern aller Gruppen immer wieder Gelegenheit, die taktische Hauptidee in den Vordergrund zu rücken und das ganze moralische Gewicht der ur­

sprünglichen prinzipiellen Rechtsfrage in die Wagschale zu werfen.

Zweimal benötigte die Regierung die ständische Garantie für die Übernahme finanzieller Verpflichtungen, für die durch die Verordnung

von 1820 den Ständen nicht nur ein Mitwirkungörecht, sondern auch die Periodizität („jährliche Berufung") zugestanden worden war.

Es

war also verständlich, daß man nach dem Grundsätze: do ut des hier 17 *) „Geht diese Erklärung oder eine andere in milderer Form zu dem glei­ chen Zwecke vom Grafen Schwerin eingebrachte nicht durch, so ist der vereinigte

Landtag tot", erkannt« Mevissen richtig. 175) Zuviel ausgeprägte Führernaturen lassen sich — zumal bei der doktrinären Veranlagung des Deutschen — schwer unter einen Hut bringen. So war es noch

im vormärzlichen Liberalismus, wo die konservativ-liberalen Gegensätze sich noch binden zu können meinten und die Radikalen ihrer Natur nach sich ohne weiteres

von dem rechten Flügel der Liberalismus schieden.

100 seine Trümpfe ausspielte. Die Debatten über diese Fragen bildeten den

Höhepunkt der Tagung und verschafften dem Liberalismus einen sogar im Ausland"«) anerkannten ungeheuren moralischen Erfolg, wenn man auch vom Standpunkt der praktischen Politik es bedauern kann, wenn mit Rechten des Landes und der Bürger Kuhhandel getrieben

wird zugunsten von Parteiprinzipien «'). Der erste Zusammenstoß erfolgte bei der Agrarreform. Um end­ lich die Steinsche Agrarbereinigung zum Abschluß zu bringen, hatte die

Regierung einen durchaus vernünftigen Entwurf zur Errichtung von Landes-Rentenbanken eingebracht, mit deren Hilfe die Realablösung der bäuerlichen Grundstücke durchgeführt werden sollte.

Diese Be­

freiung stand durchaus im Programm des Liberalismus. Die ständische Garantie für die Fundierung der neuen Rentenbanken mußte also an sich freudig bewilligt werden. Da in diesem Punkte den Ständen schon 1820 ein Mitwirkungsrecht gewährt worden war, drehte man den Spieß einfach um. Nach dem Vorschläge von Vincke wurde dieser

Hebel zu einer Kardinalfrage des Rechtsstandpunktes gemacht. Man stellte sich auf den Standpunkt, daß man neue Schulden nicht auf­ nehmen dürfe, während man den Staatshaushalt nicht übersehen und prüfen könne, solange man also das Budgetrecht nicht habe. An sich war dieser Standpunkt berechtigt und eö war eine ungeheure Ungeschick­ lichkeit der Regierung, hier nicht einzulenken, zumal man in absehbarer Zeit diese Forderung doch hätte bewilligen müssen. Minister Bodelschwingh beging sogar die Unklugheit, mit Ausreden und Verdrehungen

um diese Klippe herumzukommen, was man als Betrug auffaßte. Deshalb verweigerte man einfach die Zustimmung, indem man aus­

drücklich hervorhob, wie sehr der Staatskredit durch diesen Übergang zum Verfassungsstaat mit Budgetkontrolle gewinnen könneI7S). 176) In der „Dependance Beige" und in der „Times". Die Vertreter de Wol­ fers und Emil Frensdorfs (der Autor des Werkes: „L'Allemagne moderne) be­ richteten eingehend über die Landtagsdebatten. Vgl. ferner: „Journal des Debats"

30. 4. 47, „L'Observateur", „Kölnisch« Zeitung", „Bremer Zeitung" usw. *77) Hier ging es allerdings letzten Endes um die Anerkennung des Rechts­

staates in Preußen. 17s) Dgl. das „Journal des Debats": „Sie wollen den Fortschritt, dir Garantien eines konstitutionellen Staatslebens, aber sie sprechen sich zugleich mit

einer sehr lehrreichen Energie für die monarchischen Institutionen und mit beson­

derem Klarblick für die heilsam« Verbindung der monarchischen Regierung mit einer demokratischen Gesellschaft aus."

101 Der Konflikt, der sich leicht hätte vermeiden lassen, wurde noch ver­

schärft, als die Frage der Ostbahn von Berlin nach Königsberg, die der Staat unbedingt benötigte, zur Debatte kam. Wiederum konnte die Bahn nur durch Aufnahme einer Anleihe, deren Bewilligung von den

Ständen abhing, finanziert werden. So sehr man für die Erbauung der Bahn an sich war, die mangels einer Rentabilität von einer Privat­ gesellschaft nicht wie am Rhein gebaut werden konnte, so sehr man da­

von überzeugt war, daß diese Bahn nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich und politisch eine Lebensfrage für Preußen war, so wenig glaubte man in der Verfassungsfrage nachgeben zu können. Obwohl

die Bahnarbeiten schon im Gange waren, traten nicht nur die Wort­ führer Hansemann (Rheinland) und E. von Sauken-Tarputschen (Ost­ preußen), sondern auch der Eisenbahnpräsident Mevissen gegen die Be­

willigung auf, weil man unmöglich für die Erkämpfung einer wirklich reichöständischen Verfassung seine Trümpfe vorzeitig aus der Hand geben könne. Am 8. Juni wurde darauf, zumal die Regierung ihre Halsstarrigkeit ebenso auf die Spitze trieb, die Anleihe durch die liberale Opposition versagt179). Zum ersten Male trat hier Otto von Bismarck, der anscheinend unter den Einfluß der „Krautjunkerpartei" geraten war, dem RechtSfanatiSmuö der Liberalen — den der Regierung erkannte er leider

nicht I — entgegen, indem er den Gegnern vorwarf, „man wolle gleich­ sam ein Retentionsrecht an dem Rechte der Anleihebewilligung auSüben", das man „besser mit Erpressung brandmarken" sollte, wäh­ rend er richtiger — realpolitisch gedacht! — der Regierung die Leviten gelesen hätte. Denn der König wurde hier seinen Prinzipien untreu, da er noch kurz zuvor in der Thronrede gelobt hatte, „höhere Regenten­ pflichten nicht zu verletzen", die ihn doch wohl seinem Volke gegenüber zwangen, den so dringend nötigen Eisenbahnbau nicht rechthaberisch ein­ fach einzustellen, sondern ihn zunächst, wie der Landtag immerhin noch hilfsbereit empfohlen hatte, aus Haushaltsmitteln zu subventionieren. Zur offenen Krisis wurde dieser törichte fanatische Gegensatz auf beiden 179) Vincke sagte: „Cs gibt Lagen im Staatsleben, wo der Patriot sein Haupt verhüllt, in sein Innerstes zurückgeht und den festen Entschluß faßt, nur der inneren Stimm« zu folgen, welch« ihm zuruft, tue recht und scheue niemand." Hansemann verwies die Krone auf den KriegsschaH, aus dem sie ohne weiteres sich

die Mittel zum Bahnbau beschaffen könne, weil er weniger wichtig sei als «ine Nationalbank, in die er als Grundstock eingelegt werden konnte. Cr tat hier den be­

rühmten Ausspruch: „In Geldsachen hört die Gemütlichkeit auf!"

102 Seiten gesteigert, als der König am 24. Juni die Bitte des Landtags um Periodizität, deren Notwendigkeit sogar Bismarck anerkannte,

brüsk ablehnte, dagegen vom Landtag die Wahl der ständischen Aus­

schüsse forderte, denen er den Entwurf eines Strafgesetzbuches, das doch gerade vor daö größte Forum des Landes gehört hätte, vorlegen wollte

und zugleich die Bildung der in der Verordnung vom 3. Februar vor­ gesehenen

Schuldendeputation verlangte, der er

die Staatsschulden­

kontrolle zugewiesen hatte, die er aber offenbar an die Stelle der Stände zu setzen beabsichtigte.

Durch die Uneinigkeit deö Liberalismus errang die Regierung hier wider Erwarten einen großen Erfolg, indem 284 Abgeordnete die Wahl vornahmen (dabei 155 unter einem Vorbehalt, z. B. Camphausen und

Beckerath), während nur 58 Abgeordnete (darunter Hansemann, Me-

vissen, Vincke und der Schlesier Milde) sich weigerten, wofiir der König sie sogar anfänglich („offene Feinde der Rebellion und flagranter Un­ gehorsam!") bestrafen („kassieren") wollte. Konsequenterweise hätte der

Liberalismus, falls er überhaupt seine Politik durchsetzen wollte, seine Mitwirkung zu einer Ausschaltung deö Landtags versagen und Verwah­

rung gegen die Beschlüsse deö trotzdem gewählten Ausschusses und der Deputation einlegen müssen, wie eö Mevissen und Hansemann dringend

verlangten, obwohl sie einen offenen Konflikt mit der Krone vermeiden

wollten, sofern dies ohne die Aufgabe ständischer Rechte möglich war. Mevissen faßte hier noch einmal wirkungsvoll die bisherigen Ergeb­ nisse zusammen und wies in der Rede zur Periodizität auf die „sophistischen Interpretationskünste" der Regierung hin: „Ich vermag nicht einzusehen, daß zu gleicher Zeit mehrere reichs­ ständische Versammlungen kreiert werden können, wie die Krone wolle (Wahl von Ausschuß und Deputation!). Das Wesen einer jeden reichsständischen Versammlung besteht darin, daß sie die Interessen des ganzen Landes in sich repräsentiert und daß sie die gesamten Volksrechte gegenüber den Rechten und Prärogativen der Krone vertritt. Eine solche kann bei einem Volke nur einmal vorhanden sein. Und wäre es möglich, in ein und demselben Volke zwei reichsständische Versammlungen zu haben, so wäre es auch möglich, diese zu gleicher Zeit zu berufen, also ganz verschiedene Vota eines und desselben Volkes zu gleicher Zeit von seinen Vertretern entgegenzunehmen (und sich ihnen auch nach Willkür anzuschließen!). Wenn der Iustizminister den Geist des Gesetzes von 1820 heraufbeschwören will, so muß es der Geist jener Zeit sein, der das Gesetz von 1820 diktiert hat; jener Geist, der in einer ganzen Reihe ruhmwürdiger Gesetze durch unsere ganze Geschichte hindurch sich be­ tätigte, der Geist, der schon 1808 für die in jenem Jahre berufenen ostpreu­ ßischen Stände die jährliche Zusammenkunft für notwendig erachtete... der-

103 selbe Geist, aus dem 1815 am 22. Mai, wenige Tage vor einem zu er­

öffnenden großen Kampfe mit dem Feinde, dem Volke die schöne Verheißung

des Gesetzes vom gleichen Tage entstammt... Ein gleiches unwiderrufliches Pfand des Vertrauens auf die berufene Vertretung des Volkes wurde in dem Gesetze vom 17. Januar 1820 einerseits den Gläubigern des Staates, anderer­

seits dem Volke gegeben... Ich glaube, daß wir an dem Tage stehen, wo es sich definitiv entscheiden muß, ob Rechtsgefühl und welches Rechtsgefühl im Volke lebt.... Dieses Rechtsbewußtsein des Volkes kann ihm durch keine

Macht der Erde genommen werden. Einmal erworben wird es dasselbe wah­ ren und heilig halten und in Institutionen auszuprägen suchen...

König und Volk bilden eine unzertrennbare Einheit zur gemeinschaft­ lichen Erstrebung desselben Zweckes, der Macht und Würde der kulturhistori­ schen Entwicklung einer Nation.

Das Königtum wird in seiner Machtfülle

durch die Rechte der reichsständischen Versammlung nicht geschwächt, sondern

gestärkt, wie dies der Gesandte des mächtigsten Souveräns der Erde, des Königs von England auf dem Wiener Kongreß von 1814 ausdrückte...

Gibt es denn eine höhere und schönere Aufgabe für Fürsten als die, an

der Spitze freier Völker zu stehen, freie Völker auf ihren Wegen zu leiten und zu begleiten? (Wie es z. B. Friedrich der Große am Schlüsse seines Lebens

erkannte, als er nicht über Sklaven herrschen wollte.)

Eine ganz andere

Kraft wird dargestellt durch die germanischen Stämme, wenn 40 Millionen

Deutsche, die alle an dem Geschicke des Vaterlandes auf das innigste teil­ nehmen, wenn sein Geschick ihr Geschick ist, mitwirken zur Begründung seiner Macht und Würde nach innen und außen, — als wenn sie schlummern...."

An der dreitägigen Debatte nahmen fast 100 Redner teil und so gelang es nach einer ehrenvollen Schlacht dem Liberalismus durchzusehen, daß der

König um die Anerkennung des auf Grund der älteren Gesetze bestehenden Rechts auf jährliche Einberufung der Reichsstände gebeten würde und wenig­ stens eine zweijährige Einberufung zusage (vom König abgelehnt).

Obwohl also positive Ergebnisse auf dem Wege zum konstitutionellen Rechtsstaat nicht zu erzielen gewesen waren, weil der König hierfür kein Verständnis hatte, so mußte die Kette der Kompetenzkonflikte der Krone doch zeigen, wie die Stimmung im Lande war. Die Regierung mußte auch darüber klar sein, daß der Landtag noch nicht einmal die wirklichen Machtverhältnisse im Lande — und deren radikalere Stim­

mung! — zum Ausdruck brachte, da große Teile des Volkes infolge des plutokratischen Wahlsystems (in der Hauptsache der Grundbesitz ver­ treten!) nicht zu Worte kommen konnten. Auch mußte ihr aus den vorzüglichen Beratungen und Debatten"") eigentlich ohne weiteres die

Offenbarung kommen, wie wichtig die politische Mitarbeit eines solchen

Gremiums war. 18°) Vgl. R. Haym: „Reden und Redner des ersten preußischen vereinigten

Landtags" (Berlin 1847).

104 Die über

die

freiheit,

lichen

Trennung

über

die

über

Debattenreden

großen

von

Staat

Sicherstellung

Unabhängigkeit,

über

der die

und

die

Befreiung

Kirche,

persönlichen

Aufhebung

über Freiheit

der

der

Juden,

die

Presse­

und richter­

Heimlichkeit

der

Bundestagsverhandlungen, über die Wahl der Landtagsmarschälle durch die Stände, über die Publizität der ständischen Versammlungen und den Bau

eines Ständehauses in Berlin (die letzten 5 Anträge von Mevissen!) über die Errichtung einer Zentralstelle für das Auswandererwesen, über den Versicheausbau, über das Schulwesen 1. Herstellung absoluter Lehrfreiheit, 2. Gründung höherer polytechnischer Schulen in sämtlichen Provinzen, 3. Gehaltsverbesserung

der Elementarlehrer, 4. Schulkontrolle durch Abgeordnete, 5. Abschaffung

des Schulgeldes, 6. Errichtung von Fabrikschulen unter kommunaler Subven­ tion — die Vorstufe der heutigen Fortbildungsschulen! — usw. usw. und all dies gewaltige Interesse an wirtschaftlichen und sozialpolitischen Zukunftsaufgaben mußte dem Könige in das Gewissen hämmern, wie wichtig ein Organ war, in dem erörtert wurde, wo dem Volke der Schuh drückte, in dem endlich die

brodelnden und widerstreitenden Interessen zum Ausgleich gebracht werden konnten. — Doktrinarismus unten und oben! — Hier war dem Liberalismus

eine Mission gestellt, die des Schweißes der Edelsten wert war, wenn sie auch 1848 nur scheinbar zum Ziele führen sollte.

Nur auf zwei Fragen sei hier noch eingegangen, die ein grelles Licht auf die ganze bürokratische Unfähigkeit der Regierung warfen, den Ernst der Lage rechtzeitig zu erkennen und die erforderliche Abhilfe zu schaffen und die geradezu nach einem öffentlichen Sprachrohr schrieen, das die Aufmerksamkeit der Behörden nicht übersehen konnte. Auf dem Landtag wurde auch die Aufhebung der Mahl- und

Schlachtsteuer — wie 1845 im Rheinlande! — und ihre Ersetzung durch eine gerechte Einkommensteuer wie in England, wo sie 1814 schon Robert Peel eingeführt habe und wie sie schon 1806 von dem Freiherrn von Stein für Preußen verordnet worden sei, gefordert. Be­ sonders Camphausen brach hierfür eine Lanze. Doch war der Grund­ besitz hierfür nicht zu gewinnen. Mevissen wurde sogar durch vorzeitigen Schluß der Debatte an der

Haltung seiner großzügigen Rede gehindert, die im Entwurf richtig die Ent­

wicklung voraussah:

„Erst am fernen Horizonte des Tages schweben die leichten Wolken des Kommunismus.

Aber darum, weil noch der Zustand fest und geordnet ist,

darum lassen Sie uns beizeiten an eine naturgemäße Fortbildung desselben

denken.

Die Regierung hat durch die Gesetzesvorlage (Selbstschätzung des

Einkommens usw.) den ernsten Willen manifestiert, der unbestreitbaren Ten­ denz der heutigen Gesellschaft, dem Besitzlosen gerecht zu werden, einen großen Schritt entgegen zu tun."

105 Die Notstandsdebatte

vermochte sich auch nicht auf

eine

der Sachlage entsprechende Höhe, zumal hierfür eigentlich nur das Rheinland und Schlesien in Frage kamen, zu schwingen, obwohl man die

Einrichtung von Hilfskassen — die früher die Regierung nicht kon­

zessionieren wollte — und von Notstandsarbeiten erreichte. Man nahm nicht einmal Rücksicht auf die dringenden Forderungen der Arbeiter­ presse (bes. „Trierer Zeitung" Nr. 188, 192, 1847), die soziale Frage

als die eiligere vor der Verfassungsfrage zum Austrag zu bringen und die Hebung der sozialen Not sofort in Angriff zu nehmen. Da zudem die Regierung noch weniger die Ursachen der sozialen Frage durchschaute, so wurde hier eigentlich so gut wie nichts geleistet. Ohne die Erkämpfung politischer Rechte des Volkes — dies wurde damals dem

4. Stande klar — konnte bei dem Mangel an Verständnis auf Seiten der Regierung, die nicht einmal dem Bürgertum sein Recht geben wollte, die Lösung der sozialen Frage nicht erfolgen. Wie in Steuerfragen, so zeigten sich auch in den Wirtschaftsfragen die Gegensätze des fortgeschrittenen industriellen Westens und des mehr konservativen bäuerlichen Ostens. (Schutzzoll kontra Freihandel'), ob­ wohl Mevissen schon 1845 in einer großen Denkschrift auf die lebendige Interessengemeinschaft und die Verflechtung zwischen Ost und West

hingewiesen hattet).

Das Fehlen eines besonderen Handelsministeriums in Preußen machte sich stark bemerkbar, das so manche Gegensätze rechtzeitig hätte überbrücken können. Mevissens große Rede über die Umwandlung des Handelsamtes in ein Ministerium für Ackerbau, Handel und Industrie, die im Rheinlande als „klassische Leistung" verstanden wurde, fand in der Mitte und im Osten kaum Beachtung. Mevissen

wies hier auch mit Recht darauf hin, daß nur ein Premierminister — wie zur Zeit deö Staatskanzlers Hardenberg! — die unentbehrliche 181) Ende April wurden in Elberfeld Unruhen mit Mühe verhindert. An der Mosel konnte die Erregung wegen der Weinsteuern nur zunehmen („Triersche Zei­

tung" vom 20. Mai 1847, Nr. 140). Brotkrawalle infolge der Teuerung gab es

in ganz Deutschland (wie schon 1846).

Mevissen schrieb am 14. Januar 1847:

„Ich fürchte, daß wir rascher einer gesellschaftlichen Revolution entgegengehen, als

man glaubt. Die beiden Notjahre bringen Tausende an den Bettelstab ohne Aus­

sicht, je wieder in Wohlstand zu kommen." Im Rheinlande suchte man durch ver­ stärkte Armenfürsorge und private Wohltätigkeit zu helfen. 182) Endlich traten die Kräfte des Ultramontanismus hier stärker hervor und

stellten sich in Gegensatz zum Liberalismus.

106 Garantie für die Einheitlichkeit der Politik deö Gesamtministeriumö, die in einem konstitutionellen Staate bestehen müsse, zu bieten ver­ möge"^). So hatte der Liberalismus trotz taktischer Fehler — seine parlamentarische und politische Notwendigkeit und Schlagkraft bewiesen. Besonders im Rheinlande wurde der Erfolg der rheinischen Führer — besonders Mevissens — voll anerkannt und in glänzenden Feiern ge­ würdigt 183 184). Am 29. Ium 1847 faßte Mevissen in Dülken die praktischen Ergeb­ nisse des Landtags plastisch zusammen: „Zwei Aufgaben waren durch den vereinigten Landtag zu lösen, zwei Punkte blieben die Achse seiner Verhandlungen. Die erste Aufgabe des Land­ tags war die tiefere Begründung einer gemeinsamen preußischen und deut­ schen Nationalität, einer inneren Einheit auch der entferntesten Stämme unseres herrlichen deutschen Vaterlandes. Das Bewußtsein deutscher Einheit, jahrelang im Stillen gepflegt und vorgebildet, bedurfte nichts als einer Tri­ büne, um in voller stolzer Größe sich den Augen der Welt zu zeigen. Kaum hatten die vom Volke gesandten Vertreter der verschiedenen Provinzen unseres Staates sich im weißen Saale begrüßt, als der Geist der inneren Einheit alle provinziellen Schranken wegräumte, über alle Sonderungen siegte und mit einem Schlage alle Herzen vom Njemen zum Rhein durchzuckte. Das Be­ wußtsein der Einheit und der Gemeinsamkeit der Interessen aller deutschen Stämme war die erste schönste Frucht des vereinigten Landtags. Die zweite Aufgabe war die Begründung eines festen öffentlichen Rechts, die Begründung einer allen Stürmen gewachsenen volkstümlichen Staatsverfassung. Die Verhandlungen geben Zeugnis, wie ernst, wie entschieden und beharrlich die Lösung auch dieser Aufgabe erstrebt worden ist. Zum ersten Male wurde vor den Augen Europas das Recht des preußischen Volkes zur Teilnahme am Leben des Staates, das Recht zur Mitwirkung des Volkes bei der Gesetzgebung in allen Punkten gründlich erwogen und fest­ gestellt. ... Der erste, wichtigste Schritt ist geschehen. Das Recht des Volkes ist feierlich deklariert, das Bewußtsein dieses Rechts wird fortan sich immer tiefer in die Herzen des Volkes einsenken und mehr und mehr alle Herzen durchdringen. Lebendiges Rechtsgefühl, lebendige Teilnahme aller an den großen Fragen des öffentlichen Lebens sind die sicherste Gewähr dafür, daß wir das erreichen werden, was uns not tut. Fortzubauen nach beiden Richtungen

183) Hierauf griff Bismarck später in seinem Abschiedsgesuch vom 18. März 1890 zurück (vgl. „Bismarckhandbuch", 1899, S. 385). Die „Aachener Zeitung", (Nr. 170, 1847), und die Presse des Rheinlandes unterstrich noch besonders Me­ vissens Forderungen. 184) Nur der Demokrat Heinzen („Einiges über den deutschen Servilismuö und Liberalismus") und die Radikalen der früheren „Rheinischen Zeitung" kriti­ sierten abfällig die Haltung der rheinischen Liberalen.

107 ist die Aufgabe der schöpferischen Periode, in der wir uns befinden" (vgl. „Kölnische Zeitung", Nr. 188, 1847).

Der vormärzliche Liberalismus stand vor dem Gipfel seines Auf­

stiegs. Er sollte zwar scheinbar 1848 den First erklimmen, konnte aber

nicht die Kraft aufbringen, die Fahne der Freiheit dort aufzupflanzen. „Das politische Schiff Deutschland konnte nicht — trotz Seetüchtigkeit

— wie Springer es 1848 ausdrückte, in die offene See stechen", weil ihm

der erfahrene Kapitän fehlte, der den Mut gehabt hätte, die legitimistischen und kommunistischen Klippen rasch und gewandt zu durchschiffen.

Vie Vereinheitlichung des Liberalismus in Deutschland. (Die Partribildung.) Niebuhr hatte schon 1815 („Über geheime Verbindungen im preußi­ schen Staate und deren Denunziation") die Parteibildung propagiert: „Politische Parteien müssen in jedem Staate entstehen, wo Leben und

Freiheit ist. Denn es ist unmöglich, daß sich die lebendige Teilnahme nicht

nach den individuellen Verschiedenheiten in ganz entgegengesetzter Richtung

verteile."

Die Stunde hierzu schien jetzt gekommen, nachdem der vereinigte

Landtag in Preußen nicht die Hoffnungen erfüllt hatte, die man von ihm in ganz Deutschland erwartete. Weder die konstitutionelle Frage

noch die Einheitsfrage war durch ihn in irgendeiner Weise gefördert worden. Der Liberalismus sollte jetzt zeigen, ob sein Programm imstande

war, sowohl die mehr freiheitlichen als auch die mehr nationalen Kräfte konservativer Art sich fernerhin zu assimilieren.

Hinsichtlich der nationalen Einheitsbewegung schien ihm dies zu­ nächst zu gelingen, zumal ihm hier ein Anstoß von außen zu Hilfe kam,

der „Offene Brief" des

dänischen Königs

Christian vom 8.

Juli 1846, der aufs neue die deutschen Grenzlande im Norden an sich zu reißen drohte. Seit 1815, wo die Regierung den Einheitsgedanken

gewaltsam unterdrückt hatte, seit 1830, wo dieser in Süddeutschland wieder Wurzel gefaßt hatte, und seit 1840, wo ihm durch die welsche

Gefahr — besonders im Rheinland — neue Triebkraft zugeführt war, hatte kein Ereignis die Veranlassung gegeben, sich näher mit dieser Frage

zu befassen, zumal die Freiheitslösung zunächst in den Vordergrund trat.

Wie sooft vorher und nachher hatten von außen drohende Gefahren die Veranlassung zur Selbstbesinnung und zum Zusammenschluß gegeben. Unter diesem Druck begann auch der Liberalismus sich zu regen und die Fäden, die sich bereits über Deutschland zogen, fester zu knüpfen. Der

108 schon längst gehegte Plan der „Deutschen Zeitung" konnte mit einem Male zur Ausführung kommen»88). Die badischen Liberalen (ins­

besondere die Politiker Mathy, Bassermann und Jtzstein sowie die Uni­ versitätsprofessoren in Heidelberg Gervinus, Mittermaier und Häußer, der hessische Staatsmann Heinrich von Gagern usw.) hatten es sich zur Aufgabe gemacht, darzulegen, daß Preußen seinen Beruf zur Grün­ dung des neuen Reiches nur erfüllen könnte, wenn es sich zuvor zum Verfassungsstaat — wie im Süden — entwickle. Die rheinischen Libe­ ralm (bes. Hansemann und Mevissen) hießen diesen Plan gut, zumal

er geeignet sei, die Vereinheitlichung der liberalen Phalanx, wie sie schon 1842 die „Rheinische Zeitung" erstrebt hatte, wirksam zu fördern. Schon im Herst 1846 begann dieses liberale „Einheitsorgan"

seine fruchtbringende Tätigkeit 186 18).* *Während ** des Landtags in Preußen

versuchte man die preußische liberale Fraktion nachhaltig zu unterstützen. Auch zahlreiche Adressen auö Süddeutschland187) sprachen dem preußi­ schen Landtag ihre Sympathie aus. Während der Sitzungen selber erschien zum ersten Male das große Deutschlandprogramm der „Deutschen Zeitung, das den engeren

Bund unter Preußens Führung im weiteren deutschen Rahmen forderte und auch in Preußen große Beachtung fand188). 18i) Die Durchführung dieser Pläne war bisher an Dahlmann gescheitert, der

sich nicht beteiligten wollte, vgl. Springer: „Dahlmann", 2. Bd., S. 117. 18c) Dgl. auch Carl Biedermanns „Deutsche Monatsschrift für Literatur und

öffentliches Leben" (seit 1842): „Die liberale Partei, welche zulange

nur

um

politische Ideen und Theorien gekämpft hatte, muß endlich einsehen, daß die politische Freiheit nicht Zweck, sondern Mittel sei, daß sie einer reellen praktischen Grundlage bedürfe und daß diese keine andere sein könne als die Freiheit des pro­

duktiven Schaffens, der industriellen und kommerziellen Tätigkeit, „keine wahre Freiheit, welche nicht zugleich und vor allen Dingen das Vaterland, die Nation groß, einig und frei macht. „Wir haben die Täuschungen der französischen Revolu­ tion in ihrer ganzen Gefährlichkeit und Heimtücke erkannt." Vgl. auch „Die Grenz­

boten, Blätter für Deutschland und Belgien" von I. Kuranda (Österreicher). 187) Eine von Pfizer und Römer verfaßte Adresse sprach sich am 15. Juni dahin aus, daß der Landtag in der deutschen Geschichte «inst denselben Wendepunkt

für die innere Wiedergeburt bedeuten würde, wie die Erhebung Preußens im Frei­ heitskrieg für die äußere gebildet habe (vgl. „Kölnische Zeitung" 1847 Nr. 179

Beilage).

Ähnliche Gedanken vertrat eine Adresse aus Hessen, die an Hanse­

mann, Mevissen und Vincke gerichtet war (vgl. „Aachener Zeitung" 1847 Nr. 206).

na) Dgl. die Ideen von RadowiH über die Neuorganisation des deutschen

Bundes unter preußischer Hegemonie, die auch auf den König Eindruck machten.

109 Hansemann arbeitete an der „Deutschen Zeitung" mit. Mevissen

schrieb von ihr am 9. August an Rudolf Haym (dem Begründer der „Preußischen Jahrbücher"189)): „Die /Deutsche Zeitung' könne füg­ lich die /Rheinische Zeitung' von 1847 genannt werden." Von den drei Richtungen, in die jich die Gruppen der „Rheinischen Zeitung" geteilt hatten (eine radikal-soziale, eine praktisch-materielle und eine mittlere),

bringe sie in etwas doktrinärerweise die mittlere zur Geltung, die eine mildere, das Bestehende mehr anerkennende Weltansicht 19°) vertrete, ohne darum doch die absolute Freiheit deS Geistes aufzugeben. So wurde die „Deutsche Zeitung" die Führerin und der Sammelpunkt der ganzen

deutschen liberalen Partei, seitdem Hansemann (März 1847) die per­ sönliche Verbindung schon des rheinischen und des süddeutschen Libe­

ralismus hergestellt hatte191). Auf dem preußischen Landtag selbst, der in der Hauptsache den Zusammenschluß der preußischen Liberalen herbeizuführen suchte, war es jedoch nicht möglich gewesen, die nationale Frage im weiteren Um­ fange anzuschneiden, zumal der König die Erörterung der äußeren Politik verboten hatte. Immerhin wurden in der Debatte doch die Wünsche der Liberalen wirksam eingeflochten. Hansemann »und Beckerath wiesen unter lebhaftem Beifall auf die große Gefahr im Norden hin, indem 'sie

forderten, daß Preußen für die Selbständigkeit der schleswig-holsteinschen Herzogtümer und für ihre Vereinigung und Eingliederung in daö

große Deutschland192) eintrete, auch durch die Schaffung einer KriegsAuch Gervinus hatte in seiner Denkschrift auf die Enttäuschung der Süddeutschen über Preußens Zögern hingewicsen. 189) Vgl. Otto Westphal: „Welt und Staatsauffassung des deutschen Libe­

ralismus" (1919), der erst mit dem Jahre 1858 beginnt. 19°) In ähnlicher Weise suchte Rohmer in der „Augsburger Allgemeinen

Zeitung" liberal-konservativ in Bayern vorwärtszukommen. Dgl. Nr. 77 1848: „Der Himmel beschütze uns vor dem ominösen ,c’est trop tard1. Nur mit rühm­

lichem politischen Takte steuert man dem hohen Ziel der bürgerlichen Freiheit zu, welche auf dem Felsen der Gesetzlichkeit wurzelt." (Februar 1348). Vgt. Rohmer: „Wissenschaft und Leben" Band V S. 526: „Die Engländer haben

di« Monarchie in di« Aristokratie aufgehen lassen, die Franzosen in die Demokratie. Cs ist Aufgabe der Deutsch n, eine wirkliche Monarchie aufzurichten".

191) Hansemann traf sich damals mit Mathy, Gervinus und Welcker in Koblenz.

Auch im September 1847 baute er diese Fühlung durch «ine Rund­

reise nach Heidelberg, Stuttgart, München usw. noch weiter aus und erlebte auch die radikale Versammlung in Offenburg (Hecker-Struve). 192) Auch Mevissen, der viel mit Beseler und Claußen verkehrte, sprach

110 marine seine und Deutschlands überseeische Jukunftöaufgaben zu lösen suche. Eine weitere Förderung des Einheitsgedankens erfolgte durch die

Germanistenversammlungen zu Frankfurt und Lübeck"3) und durch den Liberalistenkongreß in Heppenheim, den Hansemann mit den Süddeutschen auf den 10. Oktober 1847 vereinbart hatte "«). Ium ersten Male suchte man hier aus den verschiedenen Ansichten über die zweckmäßige Organisation des deutschen Bundes ein praktisches politisches Fundament zu schaffen. Während Bassermann den deutschen

Bund nur weiterbilden wollte und eine Volksvertretung als Korrelat zum Fürstenrat forderte, waren Hansemann und Mathy, die die Fort­ führung des Verhältnisses zu Österreich praktisch für undurchführbar hielten, für den Ausbau des preußischen Zollvereins und für die Schöpfung einer parlamentarischen Jollvereinsvertretung, in der alle Deutschen stimmberechtigt durch ihre Abgeordneten sein sollten"3). Leider fand das Hansemann-Mathysche Programm, das allein die prak­

tischen Schwierigkeiten zu Österreich in die Wagschale legte, das aber trotz der Sympathie von Radowitz vom König in Preußen abgelehnt wurde"«), bei Mevissen keine Unterstützung, der die deutsche Frage in Hamburg mit dem österreichischen Liberalen Freiherrn A. von Doblhoff eingehend besprochen hatte und hierdurch zu der Überzeugung gekommen

war, daß eine friedliche Lösung zwischen Österreich und Preußen mög­ lich sei. So wurde leider das Bassermannsche Programm als Zielpunkt am 31. Mai von jenen Schritten zur deutschen Einheit, die so lebhaft »on allen

Seiten angestrebt werd«.

193) 3m September 1846 und 1847,

wo Arndt,

Dahlmann,

Dropsen,

Gervinus, Jakob Grimm, Uhland, Waitz, Bescler usw. die nationalen Gesamt­ fragen besonders im Hinblick auf die holsteinschen Ereignisse erörterten, auch zu

der zukünftigen deutschen Verfassung Stellung nahmen. "*) Anwesend waren hauptsächlich: Hansemann, (Mevissen kam leider zu

spät!), Bassermann, Mathy, Weicker, Itzstcin, Buhl, Römer (aus Württemberg), Heinrich von Gagern (Hessen), Hergenhahn (Nassau) — 13 Führer! — Vgl.

Hansemann: „Das preußische und deutsche Verfassungswerk" in „Deutsche Zei­ tung" Nr. 107 1847; ferner Freytag: „Karl Mathy" S. 238; Bergengrün: „Hansemann" S. 398. 19ä) Dies war der alte Gedanke von List und W. Schulz: „Deutschlands Einheit durch Nationalrepräsentation" (1832).

"6) Der König sprach sich auf Grund der Radowihschen Denkschrift vom 20. November 1847 nur für ein« Lösung mit Österreich unter der Vormacht Wiens und der Souveränität aller Bundesfürsten aus.

111 in einem kritischen Augenblick aufgestellt, wo es sich darum drehte, daß der Liberalismus eine den praktischen Verhältnissen entsprechende Politik einheitlich verfolgte und auch sofort mit der Ausarbeitung der Verfassung unter Fühlungnahme mit der Gewalt, die allein sie durchführen konnte, begann. Mit diesen Vorbelastungen trat der Liberalismus seine tragische Fahrt in „das große Erweckungsjahr",wie es Schurz bezeichnete,

an. Ohne Vorbereitungen, ohne der Sachlage entsprechende praktische Vorschläge, ohne richtigen Rückhalt an eine Macht, die den Erfolg ver­ bürgen konnte, ohne den großen Führer, den die Stunde erforderte, sah

man sich plötzlich vor schier unüberwindliche Schwierigkeiten gestellt, deren Lösung nur durch raschen Zugriff unter Ausnutzung der politischen Situation möglich gewesen wäre und deren Überwindung an dem deut­

schen Doktrinarismus schließlich scheiterte, der noch nicht die unheil­ vollen Folgen einer „Troptardpolitik" am eigenen Leibe gespürt hatte. Noch aber ging es mit frischer Hoffnung aufwärts. Am 12. Fe­ bruar 1848 stellte Bassermann in der badischen Kammer seinen be­ rühmten Antrag, eine gemeinsame Vertretung am Bundestage durch die

Schaffung von Ständekammern zu erwirken, die eine einheitliche Gesetz­ gebung und einheitliche Institutionen für ganz Deutschland beschließen sollten197). Aus allen Teilen Deutschlands scholl ihm bei den gemäßigten Liberalen — besonders im Rheinland und Süddeutschland — freudige Zustimmung entgegen (auch von Camphausen!). Auf Grund solcher Machtstellung, welche sich der Liberalismus im ganzen Reiche errungen hatte, durfte Camphausen (bei der Beratung des vereinigten Ausschusses in Berlin im Januar 1848) tiefbewegt, aber doch mit einer selbstbewußten Sicherheit der Stärke eine letzte Warnung dem König zurufen, die allerdings inö Leere verhallte: „Ale die Stände bis auf die äußerste Grenze vorrückten und, weit

hinübergebogen, die Hand zum Ausgleich anboten, ist diese Hand im Zorne zuriickgestoßen worden.

Ein Wort hätte hingereicht,

für immer in Preußen zu beenden. Folgen müssen getragen werden.

den Verfassungsstreit

Es ist nicht gesprochen worden.

Die

Die Geschichte aber wird richten zwischen

uns und der Regierung." 197) Ende Februar 1848 unternahm auch von Gagcrn — offenbar verab­

redet l — denselben Vorstoß in der hessischen Kammer, indem er «in provisorisches Bundesoberhaupt zur Leitung des Heeres und der auswärtigen Angelegenheiten von

Deutschland sowie verantwortliche Minister forderte.

Am l. März 4848 über­

reichte Hansemann dem Minister von Bodelschwingh sein« „Denkschrift", in der er di« großen Reformen vorschlug (Pressefreiheit, Wahlgesetz, Einberufung des

»ereiaigten Landtags usw. — siehe später —).

112 Aber der König war in seine „Paschollpolitik" vernarrt und un­

belehrbar.

Erst als die Februarrevolution in Frankreich ausbrach und

die Welt mit einem Schlage verwandelte, mußte er — notgedrungen — die periodische Einberufung des Landtages, der allein die überflutenden Wogen in Preußen in ein geordnetes Bett hätte zurückführen können,

aussprechen. Aber dies erlösende Wort kam zu spät. Man hielt es für ein durch die Zeitverhältnisse abgerungenes Zugeständnis, das die immer

stärker anschwellenden Wellen der Revolution nicht mehr aufhalten

konnte, weil es zu wenig gab. Waö vor einem Jahr oder vor Monats­

frist vielleicht als Beruhigung hätte wirken können, war jetzt nicht mehr

geeignet, die radikale Stimmung zu dämmen. So schritt auch hier die Revolution, die der Liberalismus mit seiner besonnenen Politik hätte bändigen oder wenigstens parallelisieren und stark abschwächen können,

über den törichten Stolz eines Herrschers hinweg, der eigensinnig die

Doktrin über die praktische Politik hatte stellen wollen.

Aber auch der Liberalismus mußte denselben Fehler büßen, indem er nicht die Kraft fand, seinen linken Flügel zu halten, und sich zu stark nach rechts orientierte, ohne zu berücksichtigen, daß er hierdurch seine

Stoßkraft schwächte und sich selbst für die großen Aufgaben, die zu lösen waren, um Doktrine willen entmannte. Dies scheint Carl Schurz

gefühlt zu haben, als er bei Lesung der Verhandlungen des Landtags sich dahin äußerte, daß die Republik, in der alle Volkskräfte zur Mit­

wirkung und zum Ausgleich kommen könnten, die „höhere Staats­

form" sei.

So kam es zur Revolution. Noch stärker als im Rheinländer)

wurde die revolutionäre Aufregung in Süddeutschland. Bisher hatten sich zu den badischen Liberalisten (Bassermann, Welcker, von Soiron,

Mathy usw.) im Parlament auch die sogen. Demokraten (der ge­ wandte Rabulist Brentano, der feurige Bolköredner Hecker usw.) ge­

halten.

Daneben wirkten im Lande für den Radikalismus der junge

198) Der rheinische Abgeordnete Stedtmann ließ schon 1847 «in Buch ver­

breiten („Über das Staatsrecht der rheinischen Herzogtumes), das den Nachweis führen sollte, daß die Rheinlande niemals ein geringeres Maß von persönlicher Frei»

heit und bürgerlicher Gleichberechtigung genossen hätten, als unter der preußischen Herrschaft. In Mainz entstand ein „Rheinischer Verein zur Aufrechterhaltung des rheinischen (französischen!) Rechts". Ein „rheinischer Ausschuß zur Gründung der

deutschen Republik" — anscheinend von Heinzen ins Leben gerufen — schwemmte das Rheinland mit einem Aufruf: „Zur Vorbereitung" usw.

über­

Carl Schur; 1852 (Bey oon Heinrich Schmolz

113 Demagoge Karl Blind, Itzstein und Strube, der in seiner Zeitschrift („Deutscher Zuschauer") wider die „Halben" und die „Kammermanda­

rinen" donnerte. Bei den Ergänzungswahlen zur badischen Kammer im Herbst 1847 unterlag dieser liberale Flügel, indem auch Struve nicht wiedergewählt wurde, den gemäßigten Liberalen. Auch Schweizer und Pariser Einflüsse vergifteten die Geister, die so ihren Einfluß im Parla­

ment nicht zur Geltung bringen konnten. So kam es, daß sich dieser linke Flügel der Liberalen — mangels eines Sprachrohrs und mangels genügender Fühlung mit der Hauptpartei —, (die sog. Radikalen!) von der Hauptpartei immer mehr absonderte und am 12. September 1847 in Offenburg ihr eigenes Programm aufstellte — daö erste wirkliche Parteiprogramm im modernen Sinne —, das die demokratische (fast

republikanische!) Umgestaltung des deutschen Bundes forderte und auch schon aus parteitaktischen Gründen soziale Volkswünsche (z.B. Tren­ nung von Kapital und Arbeit usw.) mit aufnahm. Außer Hecker und Struve gehörten zu den Führern dieser Radikalen der alte Adam von Itzstein, der bisher in Baden der Kristallisationspunkt aller Liberalen gewesen war und auch noch in Heppenheim (1848) wieder versuchte, den unbedingt nötigen Anschluß an die Hauptpartei zu finden. Auch in Sachsen entstand unter Robert Blums Führung ein „Redeübungsverein", der „soziale Tendenzen" verfolgte. Robert Blum, der ursprünglich an der Spitze der deutsch-katholischen Bewegung stand und zu den gemäßigten Liberalen gehörte199), gab mit seinen Gesinnungs­

genossen in Sachsen ein „Staatslexikon für das Volk" heraus, das 1848 als die Charte der Linken galt und auch von Schurz gern ge­ lesen wurde. Blum forderte — unter Ablehnung des sog. Kommunis­ mus! —: gerechtere Verteilung der Güter der Erde, nicht durch Ge­ walt, sondern durch friedliche Ausgleichung, Erhebung der sog. unteren Klassen zu gleichem Menschenrecht und gleichem staatlichen Rechte usw., also Gedanken, die heute zum größten Teile verwirklicht sind. Gleich­ wohl waren auch diese Arbeiterkreise nicht international eingestellt. Zm Gegenteil war hier — im sog. Mittelstände — die Sehnsucht nach einem großen deutschen Vaterlande ebenso tief vorhanden, der Blum in seinem schönsten Liede poetischen Ausdruck gab (Ende 1846!):

199) Im Jahre 1845 hatte Blum noch aus Baden «ine Dankadresse er­

halten, die neben Mathy, Weicker, von Soiron, Bassermann usw. Jtzstein, Hecker

und Struve unterzeichnet hatten. Dann eh l, Schurz.

8

114 Der finstern Stürme blindes Wüten, Das stark und mächtig rückwärts bläst,

Zerknicken nur die äußern Blüten, Die Wurzel nicht, die tief und fest.

Drum muß es aus dem Herzen stammen.

Wo seine Wurzel festgebannt.

Muß aus der tiefen Seele flammen Das eine deutsche Vaterland. So hebet denn nach deutscher Weise

Der Traube goldnes Feuerblut Und weiht mit ihm in weitem Kreise Dem Vaterlande Kraft und Glut.

Wir wollen treu und männlich weben

Ein unzertrennlich Bruderband. Es soll in Kraft und Freiheit leben

Das eine deutsche Vaterland!^)

Praktisch traten diese Gegensätze in der liberalen Partei, die in der

Hauptsache die nationale Grundlage nicht beiseiteschoben ^), in denParla-

menten noch nicht fühlbar hervor. Erst 1848 in der Paulskirche schieden sich die linken, die ursprünglich mehr großdeutsch eingestellt waren, von

den gemäßigten Liberalen. Die Unterschiede im Programm, die Bran­

denburg als fundamental gelten lassen tvill 202 * 201 ), waren in der Haupt­ sache doch wohl mehr theoretischer oder parteitaktischer Natur — auf den Kreis der Arbeiter mehr zugeschnitten — wie überhaupt auch heute

noch in jeder Partei stets mehrere Schattierungen vorhanden sind, die mehr nach rechts oder mehr nach links zuneigen203). Wenn auch die

Radikalen in ihrem Programm stark wirtschaftliche Vorteile erstrebten — wie jede andere Partei mehr oder minder auch! — so waren sie 200)

Dr. H. Blum: „Lebenserinnerungen" 1907 Bd. 1.

201) Ausgenommen vielleicht die Marxvereine in Elberfeld usw.

202) Vgl. „Die Reichsgründung" Bd. 1 S. 125 ff., 170 ff. 203) „Das oberste Motiv der Liberalen, meint Brandenburg, ist die politische Freiheit, das Grundmotiv der Demokratie ist die Gleichheit aller und die Herr­ schaft des Mehrheitswillens. Die Demokratie ist sozusagen ein Absolutismus mit

umgekehrten Vorzeichen und daher den Liberalen ebenso unerträglich wie der Des­ potismus den Menschen." Man kann derartige Unterschiede künstlich ex post kon­

struieren. Für die Praxis spielten sie damals keine Rolle und dürften auch nicht in Frage kommen, da sie Unterschiede dem Grade nach, nicht aber dem Wesen nach darstellen. Bekanntlich erstrebt jede Partei die Herrschaft des Mehrheitswillens — natürlich unter ihrer Führung.

Und das Freiheitsprinzip involviert letzten Endes

auch das der Gleichheit, wobei die einzelnen Grade je nach der politischen Mündig­

keit verschieden sein können (vgl. die Nuancierungen im rheinischen Liberalismus!).

115 zunächst noch nicht eingeschworene Gegner der Monarchie. Das Pro­

gramm von Offenburg stellte darum auch folgerecht noch keine Forde­

rung nach Einführung der Republik auf, wenn man auch nach französi­ schem Vorbilde daö Wort „Volks souveränität" im Auge hatte und als

ultima ratio mit dem Schlagwort „Republik" operierte, indem z.B. die Struvesche Richtung zunächst nur den Kampf gegen die Zensur usw. und nicht gegen die liberale Regierung des Ministeriums Beck in Baden sich zum Ziel setzte. Daö Struvesche Programm, das man als charakteristisch für den vormärzlichen nationalen Radikalismus an­ sprechen kann, war sonach durchaus im Rahmen des Liberalismus ge­

halten. „Volle

Gewissensfreiheit,

Vcreinsfreiheit,

allgemeines

und gleiches

Wahlrecht, Abschaffung stehender .Heere und Einführung der allgemeinen Volkswehr, progressive Einkommensteuer, Geschworenengerichte für alle poli­ tischen und Pressevergehen, Abschaffung aller Standesvorrechte, Wohlstand,

Bildung, Unterricht für alle, Beseitigung der Bürokratie und volle Selbst­

regierung des Volkes, Verantwortlichkeit der Minister, Berufung eines deut­ schen Parlaments usw."

Wirklich greifbare Unterschiede zu den liberalen Parteiprogramm­

punkten in Heppenheim (vgl. später) waren noch nicht vorhanden, mit Ausnahme der Sozialfragen, die hier im Hinblick auf die Anhänger herausgestellt werden mußten, während man in Heppenheim mehr Weri auf das nationale Ziel legte, ohne die wichtigen sozialen Impondera­ bilien ihrem Wert entsprechend — den man leider noch verkannte! — einzuschätzen. In Wahrheit war das Partcileben in Deutschland noch arg in den Kinderschuhen, als die Revolution in Europa ausbrach. Man hatte zwar einzelne Programmrichtpunkte herausgestellt, sich aber nirgends über die praktische Durchführbarkeit klare Vorstellungen gemacht und die letzten Konsequenzen richtig durchdacht. So wurde der Liberalismus, der sich zu seinem Unheil auch gerade in einer Gärung, die zu Spaltungen führen mußte, befand, von der Revolution mehr überrascht, als ihm lieb war. Die großen Mängel an parlamentarischer Erfahrung in größeren Fragen und die praktische Befähigung zur Parteileitung, die

sich schon im preußischen Landtag unheilvoll gezeigt hatten, traten in der Paulskirche erneut hervor und lähmten — noch vermehrt durch den schwerfälligen deutschen Doktrinarismus — trotz aller Willigkeit und manchen realen Blickes im einzelnen die schnelle Errichtung des Ver­ fassungsgebäudes oder einer machwollen Jentralregierung. Besonders 8'

116 erschwert

wurde

die parlamentarische Arbeit noch dadurch, daß die

Führer einmal nicht verstanden, die Parteidisziplin zu zügeln (daher die

große und unfruchtbare Redewut — wie vielfach auch noch heute! —)

und auch nicht die Arbeit von Partei zu Partei vorausschauend zu har­ monischer Zusammenarbeit zusammenzufassen unternahmen (daher die

großen,

teilweise ganz überflüssigen

und zeitraubenden Kämpfe

im

Plenum!). Der Hauptmangel war aber das Fehlen eines ganz über­

ragenden

Staatsmannes, der die nötigen Schritte mit zusammenge­

faßter Kraft entsprechend der Lage sofort einleiten konnte. So mußte der vormärzliche Liberalismus im Augenblick der scheinbaren Höhe seiner

politischen Entwicklung seinen jähen tragischen Sturz in kurzer Zeit er­ leben, weil er zur Lösung der schier unüberwindbaren Hindernisse, die sich ihm immer aufs neue in den Weg türmten und die man nicht recht­

zeitig in Erwägung gezogen hatte, nicht nur des weiteren Resonanz­ bodens im Volke, sondern auch bei den Fürsten entbehrte und weil ihm

vor allem wie zu Steins Zeiten die Macht und der Wille zum rücksichts­ losen Siege abging, ohne den man nun einmal in der Politik in großen

Momenten nicht auskommt.

Wie Schurz in diesem Drama des vormärzlichen Liberalismus ge­ standen und gekämpft hat, soll der zweite Abschnitt darstellen. Gemäß

der Lehre Goethes mußte zunächst der allgemeine Fluß des Geschehens dem Leser vor Augen geführt werden, um die Entwicklung von Schurz

in dem Rahmen des vormärzlichen Liberalismus begreifen zu können: „Die Biographie sollte sich einen großen Vorrang vor der Geschichte

erwerben^ indem sie das Individuum lebendig darstellt und zugleich das Jahrhundert wie auch dieses lebendig auf jenes «inwirkt... Dem Geschichts­ schreiber ist es nicht zu verargen, daß er sich nach Resultaten umsieht, aber darüber geht die einzelne Tat sowie der einzelne Mensch verloren."

Schurz ist aber immerhin wert, in der kommenden Zeit der politischen Wiedergeburt zum Führer genommen zu werden.

Carl Schurr als Bonner Franke. Carl Schurz wurde am 2. März 1829 recht eigentlich schon als

Liberaler geboren, nicht mit „der Partikel", wie sein Frankenbruder Heinrich von Treitschke 204), der „zunächst innenpolitisch ausgesprochener 20V205) Vgl. Wilhelm Mommsen: „Die deutsche Einheitsbewegung, eine Aus­

wahl zeitgenössischer Äußerungen" 1927 — ferner Treitschkes Brief an Nock vorn 18. 12. 1853: „Eine gewisse Beschränktheit haftet jedem Sohn unseres unglück­ lichen Awitteradels an", vgl. „Frankenbriefe und Frankenlieder" 1925, S. 48.

117 Demokrat war"20ä), nicht auch in einem konservativen Bürger- oder Bauernhause, sondern alö Sohn eines Schulmeisters in Liblar20), weil der König hier den Gesetzes­ boden verließ, den er selbst feierlich und bindend begründet hatte. Das

Gesetz vom 8. April 1848 hatte dem Volke zugesagt (§ 6): „Den künftigen Vertretern des Volkes soll jedenfalls die Justim-

mung zu allen Gesetzen, sowie zur Feststellung des Haushaltsetats und das Stcuerbewilligungsrecht zustehen." (§ 13.) „Die auf Grund deä gegenwärtigen Gesetzes zusammentretende Versammlung ist dazu berufen, die künftige Staatsverfassung durch Ver­

einbarung mit der Krone festzustellen, und die seitherigen rechtsständischen Befugnisse, namentlich in bezug auf die Bewilligung der Steuern, für die Dauer der Versammlung auszuüben."

Über diese der preußischen Nationalversammlung gewährten Rechte konnte man sich nicht ohne weiteres Hinwegsetzen, da sie sogar durch Reichsrecht nach dem bisherigen StaatsrechtM0) geschützt wurden. Es 537) Am 2. Dezember dankte der Kaiser ab und übertrug dem jugendlichen

Franz Joseph die

Regierung,

der

- ungebunden

durch

Versprechungen! —

„das Bedürfnis und den hohen Wert freier und zeitgemäßer Institutionen aus eigener Überzeugung" anerkannte, und „sich bereit erklärte, unsere Rechte mit dem Volke zu teilen", in Wirklichkeit aber die Reaktion durch Schwarzenberg — un­

wissend! — betrieb. öS») Vgl. „Bonner Zeitung" Nr. 195 (9. Dezember): „Das ganze ist das

Spinngewebe einer Scheinfreiheit, eine große organisierte Lüge." 539) Brüggemann (S. 44) hielt die Verfassung für „eine

unerfreuliche

Gabe", wenn er auch bekennt: „Mein Glaube an die volle Aufrichtigkeit der Oktroy­ ierung war bereits viel bankbrüchiger geworden, als ich es öffentlich gestehen durfte." 54°) Vgl. S. 68 des Werkes.

280 wurde daher im RheinlandeVl1)

und besondere auch von Schurz —

als ein Peitschen schlag in das Gesicht empfunden, wenn „die Krone an Stelle des Gesetzes das Faustrecht setzt, wenn sie mit Hohn den Boden

des Gesetzes von sich stößt, den Boden der Vereinbarung"-'), auf den sic sich im März gestellt hat". (Düsseldorfer Adr. vom 18. November.) „Die Verfassung oktroyieren, urteilte damals Marx („Rheinische Zei­ tung" Nr. 194, 9. Dezember), heißt ein für allemal den Rechtsbodcn der Vereinbarung aufgeben, heißt den Kampf zwischen Volkssouveränität und

Cinzelwillen unvermeidlich machen."

Dies war auch der richtige Rechtsstandpunkt von Schurz, der be­

sonders

aus

dem Studium

der Hannoverschen Frage

das deutsche

Staatsrecht in dieser Beziehung kennengelernt hattet"). Da die neu gewählten Kammern durch illegale Gesetze

-

der

König konnte ja keine mehr allein erlassen! — zustandcgekommen waren,

so konnten diese auch niemals das Unrecht des Königs legalisieren. Der einzige Rechtsboden hierfür war eben die Revolution.

Kein Wunder

also, daß Realpolitiker wie Schurz sich dem königlichen Rechtsboden zum

Vorbild nahmen und ihre Ziele auf ebenso „revolutionäre Art" zu ver­ wirklichen strebten. Mit den Waffen des Rechts und der Dialektik griff

daher Schurz sofort die verwundbare Stelle der „im ganzen sehr demo­ kratischen und freisinnigen Verfassung" und deren Nebengesetze an. Ein

Fehler und Rückschritt — den Bismarck und Napoleon vermieden durch

Einführung des allgemeinen, gleichen Wahlrechts ohne Zensus! — war

es z. B., daß das Wahlgesetz das Gesetz vom 8. April 1848 einfach aufhob, indem es als Erfordernis für den Urwähler „die Selbständig­

keit", einen unklaren Begriff, und damit den Zensus wieder einführte. 541) Vgl. die großen Versammlungen in Bonn und Düsseldorf („Rheinische Zeitung" Nr. 149) 22. November 1848: „Aber die heiligste Pflicht einer Na­

tion, sprach man unter Zustimmung von Oberbürgermeister Dictze in Düsseldorf aus, ist die, sich mit dem Schwert in der Hand zu erheben, wo man cs wagt, das

Palladium ihrer geschlichen Freiheiten anzutastcn."

542) Die „Rheinische Zeitung" (Nr. 195, 10. Dezember 1848) sprach von der Rechtsjobsiade Camphausens, der das „Vereinbarungsprinzip" erfand.

Die

Verfassung erschien ihr aus dem Bestreben geboren, „sich populär zu machen". „Unter und durch Camphausen hat sich die Konterrevolution aller entscheidenden Posi­ tionen bemächtigt" (Reformierung des Kriegsheeres -- unter Hansemann: Restau­

ration der Polizei — Brandenburg brauchte nur den Schlußstrich zu ziehen!). 543) Wenn Historiker sich auf den Standpunkt stellen, daß der König sich noch im Vollbesih seiner königlichen Gewalt befunden hätte, so haben sie die

Tragweite des Gesehcs vom 8. April 1848 nicht hinreichend gewürdigt.

281 Eine „papierne Verheißung" war auch der Art. 109 der Verfassung, der bestimmte: „alle durch die bestehenden Gesetze angeordneten Behörden

bleiben bis zur Ausführung der sie betreffenden organischen Gesetze in Tätigkeit" (ferner das autonome Recht des Königs im Belagerungö-zustande, die Revision der Verfassung § 112 ff.).

Aus allen diesen

Hintertüren (vgl. auch Art. 63—67 der Verf.) sah — unverkennbar für den

geborenen Juristen Schurz"')—der „Pferdefuß" hervor, der dem König

hinter der äußerlich freisinnigen Fassade zum Inhaber der absoluten

Gewalt machte. Schurz verurteilte daher scharf dieses, der „Willkür Tür und Tor

öffnende" Papier, das sich zwischen Volk und Fürst zum Unheil Preu­

ßens und zum Untergang Deutschlands einschob, in seinem plastischen Vergleich mit dem Theater"^). Er schrieb am 11. Januar 1849: („Bonner Zeitung" Nr. 9.)

„Unsere neue Konstitution kommt mir vor wie eine Theaterbühne, auf welcher die Errungenschaften der Revolution, mit allerlei Theater­ flitter aufgeputzt, vor den Augen des großen Publikums, Volk genannt, sich gerieren und akzeptabel zu machen suchen.

Aber auch eine echte

Theaterbühne scheint mir unsere Konstitution zu sein, mit künstlich an­

gebrachten Beleuchtungen, mit papierenen Kulissen, mit einer Menge künstlicher Versenkungen. Wem fällt nicht bei der Betrachtung unserer

Konstitution diese Unzahl von Beziehungen auf organische Gesetze auf? Da sind Pressegesetze, Assoziationögesetze, Unterrichtögesetze, alles mög­

liche verheißend, Dinge, die das Wesen der „königlichen Geschenke" näher bestimmen und ihre Anwendung und Ausführung modifizieren sollen. Wird nicht die Echtheit unserer freien Assoziation hauptsächlich von den

Assoziationsgesetzen abhängen? Wird nicht durch eine einzige kurze Be­ stimmung das Recht der freien Rede verkürzt werden können? Und den514) Als Schurz an der Bar von Wiskonsin als Anwalt zugelassen werden wollte, bestand sein Aufnahmeexamen darin, daß er dem Richter seine 1848 durchgemachten Erlebnisse in den 3 Stunden erzählte. Vgl. Prof. Kühnemann:

„Schriften der Schurzgesellschaft" Berlin.

ö15) Schurz hatte auch Rezensionen über das Bonner Theater zu bringen, wodurch er wohl in einem „Stück" zu diesem Artikel angeregt wurde.

Vgl. Er­

innerungen Bd. 1 S. 164 ff. Hier traf ihn auch der Strahl der ersten Liebe, obwohl er sonst schwere innere Kämpfe, wie sie die Entwicklung großer Männer zu kenn­

zeichnen pflegt, wohl nicht erlebt hat. Dazu trat er schon zu reif und auf der mitt­ leren Linie ins Leben.

282 noch besteht die Assoziationsfreiheit in der Verfassung, aber die unglück­

liche Errungenschaft wird vielleicht plötzlich in den durchlöcherten Theater­

boden einsinken und ein unbestimmter Popanz, organisches Gesetz ge­ nannt, gespenstisch dafür aufsteigen. Diese Gesetze sind die kleinen

Versenkungen, die sich in unendlicher Zahl um die großen reihen. Wozu und was aber diese? Könnte es nicht sein, daß die unglücklichen Er­ rungenschaften, erschreckt durch das Wanken des Bodens, auf dem sie

stehen, sich zusammenrotten, um vereint ihrem tragischen Schicksal zu

trotzen? Und was dann? Wird sich nicht die eine im Versinken an die andere klammern und gegenseitige Hilfe alle retten? Nun dann öffnet sich der gewaltige Schlund der größten Versenkung, weit genug, um die

ganze Gesellschaft zu fassen und keine Spur vor den Augen des Publi­

kums übrig zu lassen. Die Errungenschaften sind unrettbar verloren und heraufsteigt ein finster blickendes Ungeheuer mit wolkiger Stirn und

drohendem Schwert. Diese größte Versenkung aber ist der Belagerungs­ zustand. Pressefreiheit, Assoziationsfreiheit, Habeas-Korpusakte! Nichts von alledem! Und alle die in der Verfassung garantierten Dinge ver­ schwinden auf rein verfassungsmäßiger Weise. Und wovon hängt die

Entscheidung über den Belagerungszustand ab? Wem steht es zu, die Grundrechte des Volkes zu suspendieren? Auf dem Theater dem Schauspieldirektor, in dem Staate dem Könige. Und wer vermag es,

dagegen zu protestieren? Die Kammer? Der König kann sie ebensoleicht auflösen, als er den Belagerungszustand verhängt. Freilich ist die Verfassung ein Meisterwerk, wir leugnen es nicht, — aber ein Meister­

werk der Verklausulierung in der Anwendung von Hintertüren und trü­ gerischen Blendwerks. Und so steht denn der furchtbar drohende konsti­ tutionelle Belagerungszustand mitten auf der Bühne und das nerven­ schwache Publikum glotzt ihn an und schüttelt sich schaudernd. Aber wozu

länger das Ungeheuer ansehen, denkt der Direktor. Er läßt den Vorhang fallen. Der konstitutionelle Plunder ist verschwunden und die bezahlte Claque klatscht aus Leibeskräften und ruft mit spiritueller Begeisterung den kunstsinnigen Anordner. Der Vorhang schwebt auf und er erscheint. Blumen regnets im Theater. Wer zischt, wird hinausgeworfen und

der Direktor verkündet lächelnd die nächste Vorstellung. So soll die konstitutionelle Komödie werden. Ort der Handlung: Berlin. Zeit: das

Jahr 1849. — Ist es nicht zum Entzücken? Aber für die Versenkung bedarf es Maschinen, die Claque muß bezahlt sein und das Räderwerk der Maschinen wird steif — gebrechlich und knarrt auf das Verdrießlichste.

283 Vielleicht wird auf diesem Theater ein Gast auftreten, der den unwür­ digen Souffleurkasten vom vorigen Jahr zertritt, der ein kräftiges, ge­ sundes Wort an Stelle der alten Popanzerei setzt und durch eine große Komödie der Verwirrung, die, unerwartet, die Nichtswürdigkeit der alten Truppe zeigt, sich selber und siegreich durchsetzt."

Die österreichische Note. (15. Februar 1849.) In dem Aufruf des „Vereins zur Wahrung der Volksrechte" in

Wien vom 2. Oktober 1848 hieß es: „Wie der Moslem sich gläubig nach Mekka wendet, so richteten sich

aller Augen, aller Herzen nach Frankfurt und harrten in Geduld des Wortes (in der Malmöfrage!), das Freiheit, Glück und Macht dem deutschen Volke

bringen sollte...." „Die Mehrheit hat die kostbare Gelegenheit, wodurch sich Deutschland dem Ausland gegenüber als ein einziges starkes Volk zeigen

konnte, in volksverräterischer Weise verschleudert."

Dieser „Fluch der bösen Tat" sollte auch nach Schurz' Meinung Deutschland zum Unheil gereichen. Darum propagierte er die Revo­ lution- Zunächst erwartete er immer noch den Sturz des reaktionären Österreichs durch Ungarn. Aus dem Wiederaufstieg Italiens, das schon einmal dem übrigen Europa im Kampf für die Freiheit vorangegangen sei (vgl. „Bonner Zeitung" Nr. 51/49 „Die römische Republik und

Mittelitalien" °")), schöpfte man neue Hoffnung. „Und sollte Rußland intervenieren, so wird es einen Völkerauf st and

geben, wie ihn die Geschichte noch nicht gesehen hat, der auf seinen Fahnen die Vernichtung des Slaventums 51T) und zu seinem Ziele einen europäischen

Bundesstaat hat" 548 546).547

546) Vgl. auch „Rheinische Zeitung" Nr. 169, 15. 12. 1848: „Die Revolu­ tion von 1648 (England^ und 1789 (Frankreich) war die Proklamation der poli­ tischen Ordnung für die neue europäische Gesellschaft — der Sieg einer neuen Ge­ sellschaftsordnung. .. 1848 verkümmerte Nachwirkung einer europäischen Revolu­ tion in einem zurückgebliebenen Land", ein Plagiat nach allen Richtungen --- da­ her neue Revolution nötig!

547) Vgl. die Kritik der „Rheinischen Zeitung" (Nr. 222, 15. Februar 1849) an Bakunins „Aufruf an die Slaven" auf dem Slavenkongreß in Prag (1848): /,Die österreichische Armee, die Wien, Prag, Lemberg, Krakau, Mailand und Buda­

pest erobert hat, ist der wirklich aktive Slavenkongreß. Der Rassenhaß ist die erste revolutionäre Leidenschaft der Deutschen." lichen

518) Vgl. Buchheim: „Die Stellung der „Kölnischen Zeitung" im vormärz­ rheinischen Liberalismus." S. 255: „Über die Weltinteressenverflechtung",

Russenhaß usw.

284 Auch auf die Unterstützung Frankreichs und Englands glaubte man in diesem großen Befreiungskämpfe rechnen zu können. Aus diesen kosmopolitischen Gesichtspunkten heraus, die auch auf

Schurz nicht ganz ohne Einfluß blieben, versuchte man „die Wieder­ geburt Deutschlands" in die Wege zu leiten. Schurz entwickelte damals gerade immer schärfer seine Ideen zur österreichischen Frage. Nach der „Bonner Zeitung" (Nr. 38,16. Februar 1849) ergriff Schurz im DV. zuvor das Wort, um den Sinn und die Bedeutung der öster­

reichischen Note zu erläutern und reihte einige allgemeine Bemerkungen an, die sich hauptsächlich auf die nun prekär gewordene Stellung der Frankfurter Nationalversammlungskomödie gegenüber dem Olmützer Hofe beziehen 549). Schurz' Referat, das richtig die verlogene Haltung Österreichs erkannte, wie auch die Unmöglichkeit der Schaffung der deut­

schen Einheit mit Hilfe der Fürsten und des Frankfurter Parlaments, ist inhaltlich sicher mit seinem Leitartikel999) vom 15. Februar 1849

identisch, der einer Erläuterung nicht bedarf: („B. Z." Nr. 37/38). Die österreichische Note.

„Die letzten beiden Monate, welche, die Wahl abgerechnet, in poli­ tischer Beziehung ziemlich matt und ruhig waren, scheinen dazu bestimmt zu sein, über jene Verhältnisse Klarheit zu verbreiten, welche sich im Laufe der Revolution zwischen Fürsten und Völker herangebildet haben. Und gerade diese Klarheit kann in ihren Folgen entscheidender sein als oft ein mächtiger Wellenschlag. Zwar sind wir seit lange gewohnt, Frankfurt nicht mehr als Zentrum der deutschen Bewegung anzu­ sehen, aber es scheint, als ob Frankfurt bei manchen bedeutungsvollen Entwicklungen als dritte Person figurieren sollte. 949) Vgl. „Rheinische Zeitung" Nr. 222: „Der Österreicher hat längst crlannt, daß der deutsch« Ochse wie früher wieder am österreichischen Karren zieht." „Metternichs diplomatische Schnupftabakdose kitzelt solange die Frankfurter

Frösche, bis der alte heilige Bund soweit ist, um mit einem Hieb auf den Flach­ schädel ihnen das Q-uaken zu verleiden... Der letzte Atemzug des Bundes ist auch für Österreich ein deutsches Piedcstal... Österreich ist ein deutsches Bedürfnis, weil die Knutung Deutschlands ein österreichisches Bedürfnis ist."

Ferner „Speener-

sche Zeitung" am T5. 2. 1849: „Die alte Allianz mit Rußland ist erneuert, um allem Umsichgreifen demokratischer Ideen und Staatsformen auf das beharrlichste

und kräftigste entgegenzutreten." 99°) AuS diesem geht auch klar Schurz' Rcdaktionszeichen (griechisches Sigma)

hervor.

Kinkel schrieb unter,,K."

285 Wo wurde der Malmöer Waffenstillstand abgeschlossen? nicht in

Frankfurt. Wo wird die Kaiserfrage entschieden? nicht in Frankfurt.

Die Fürsten haben den Völkern die wichtigsten Fragen aus den Händen gewunden, wodurch nicht etwa auf beiden Seiten neue Möglichkeiten,

sondern

nur

neue

Unmöglichkeiten

positiv, das meiste negativ.

entstehen.

Weniges

Und das ist wohl ein

Zeichen eines gewaltigen Umschwunges der Zukunft,

entscheidet

bedeutungsvolles

daß unter den

Händen der Monarchen alles zerbröckelt und zu Staub wird und sie selbst, wenn sie wirklich wollen, etwas Lebensfähiges zu schaffen nicht

mehr fähig sind.

Gerade in dieser letzten Beziehung hat die österreichische Note, die

jetzt in Frankfurt alle Köpfe und Zungen gewaltig in Bewegung setzt, ihre besondere Bedeutung. Und es lohnt sich der Mühe, ihren Gedanken­

gängen folgend, ihre Wichtigkeiten im einzelnen zu zeigen.

Wie alle

Schriftstücke, welche von den Fürsten ausgehen, so will auch die öster­

reichische Note durch absichtliches Ignorieren der wichtigsten Ereignisse die ganze Kette der Begebenheiten, den ganzen Faden der politischen, be­ sonders der deutsch-nationalen Entwicklung, wie sie sich vom März des einen bis zum Februar des andern Jahres hinziehen, nicht im mindesten

auf einen Bruch mit den alten Zuständen begründet wissen, sondern sie

stellt sämtliche Resultate der Bewegung als bloße Geschenke dar, deren Verweigerung etwa nicht mehr Mühe gemacht hätte als deren Bewilligung. Die konstitutionelle Monarchie ist den Fürsten nichts als eine neue Form des Absolutismus, das Nationalparlament nichts als

ein bloßes Produkt des Bundestages.

Denn, sagen sie, ist jene nicht von der absoluten Fürstengewalt ge­ geben worden, und sind für diese nicht vom Bundestag Wahlen ausge­

schrieben worden? Die Forderungen des souveränen Volkes wären dann nichts ge­ wesen — und leider hat sich in Jahresfrist gezeigt, wie schwach sie wirk­

lich waren. WaS aber folgt nach der fürstlichen Logik auS diesen Din­ gen? Die österreichische Note sagt es uns ganz klar und rückhaltlos, daß

sich der Vereinbarungszustand zwischen den Fürsten Deutschlands und dem Nationalparlament nach der Reichsverfassung von selbst verstehe. Die österreichische Regierung erklärt, daß sie an dem am 30. März im Bundestage aufgestellten Grundsätze der Vereinbarung festhalten wolle.

Ob der Bundestag von einer neuen rechtlichen Gewalt abgelöst wor­ den sei, von einer Gewalt, die den Vereinbarungszustand nicht wollte.

286 daö kümmert die österreichische Regierung wenig. Denn, sagt sie, wo ist die Auflösung des alten Bundesverhältnisses durch die Fürsten? Daß sie sich für den Vereinbarungszustand erklärt habe, ist für die öster­ reichische Regierung die einzige und höchste rechtliche Instanz.

Also Vereinbarung! Schon mehrere Male ist in diesen Blättern angedeutet worden, was unter Vereinbarung zu verstehen sei. An vielen

Stellen ist es im Buch der Geschichte zu lesen, wozu eine Vereinbarung zwischen Fürsten und Völker führen müsse. Bei der Vereinbarung gilt das Recht des Starken. Der Kampf, den der Bereinbarungszustand in

sich schließt, besteht nicht allein darin, daß sich etwa die Überzeugungen, sondern darin, daß

sich die Schwerter kreuzen.

Die Vereinbarung

führt unbedingt zum Oktroy, denn beide Parteien, indem sie sich gel­ tend zu machen suchen, fangen schon an, zu oktroyieren. Also Oktroy gegen Oktroy! Wer der stärkere ist, hat das letzte Wort. Wer das letzte

Wort hat, oktroyiert zuletzt. Wer zuletzt oktroyiert, ist Sieger.

So

machte man es mit der preußischen, so will man es mit der Frankfurter Nationalversammlung machen. Die österreichische Regierung will dem

Frankfurter Oktroy ein Ziel setzen. Sie beginnt ihre Vereinbarung mit

einem Machtspruch d. h. die Vereinbarung ist vernichtet, noch ehe sie begonnen (Nr. 38, 16. Februar 1849).

Die österreichische Note, welche das Vereinbarungsprinzip

auf­

stellt, setzt ziemlich klar auseinander, daß die Regierung keineswegs die

in Frankfurt

aufgestellten Prinzipien des Bundesstaats

anerkennen

könne. „Die Gestaltung eines unitaristischen Staates, heißt es dort, er­ scheint dem Kaiserlichen Kabinett nicht ausführbar für Österreich, nicht wünschenswert für Deutschland." Weiter: „So wie die Kaiserliche Re­

gierung das Band, welches die deutschen und nichtdeutschen Lande Österreichs seit Jahrhunderten zusammenhält, nicht lösen kann, eben­

sowenig vermag sie eine einseitige Aufhebung des deutschen Bundesver-

hältnisseö zuzugeben, welches einen wesentlichen Bestandteil der euro­ päischen Verträge bildet."

Wunderbar klingt es, daß jenes Österreich, dessen verschiedene Be­

standteile, durch Nationalunterschiede unverschmelzbar, nur durch Waf­ fengewalt zusammengehalten werden können, daß jenes Österreich sagt: „Ich kann die Bande nicht lösen" — gerade in dem Augenblicke, wo die

Magyaren für ihre nationale Selbstbestimmung kämpfen, wo die Lom­

barden, von dem Geiste der Freiheit getrieben, den Verzweiflungskampf für HauS und Herd nochmals aufzunehmen bereit sind, gerade in dem

287 Augenblick, wo in den serbischen und kroatischen Nationalitäten der revo­ lutionäre Geist sich zu regen anfängt, ja wo selbst die Tschechen, daS freche Spiel ahnend, das die Krone mit ihnen spielt, ihre allerdings

starke Hand eher zum Sturze, als zum Schutze des schuldbelasteten Thrones erheben werden. Und nun sollte ein Band nicht gelöst werden können, welches die widerstrebendsten Elemente wider ihren Willen ver­ einigend, mit jedem Tage gewaltsam auseinanderplatzen kann und jeden­ falls auseinanderplatzen wird? Denn niemals hat die österreichische Monarchie deutlicher ihre innere Unmöglichkeit bewiesen als in dem Augenblicke, wo sie sich nach der Bezwingung der Oktober-Revolution eine starke nannte. Der Betrug, mit dem man die Augen der Nation um-

schleierte, war nur für wenige Augenblicke des Wahns geschaffen. Der systematische Völkermord, durch das Aufeinanderhetzen der Nationen bewerkstelligt, ist nur solange möglich, bis die Nationen über sich zu denken anfangen. Was folgt aber aus dieser Olmützer Wahrheit? Daß Österreich eine

einseitige Aufhebung des Bundesverhältnisses nicht zugeben könne. Was aber ist dieses Bundesverhältnis? Es ist derselbe Zustand, in­ dem die Deutschen damals lebten, als sie die deutsche Einheit vermißten. ES war in jenen Bundestagen repräsentiert, dessen bloße Meinungs­ äußerungen der österreichischen Regierung mehr sind als die Beschlüsse des souveränen Nationalparlaments. Die österreichische Regierung will keinen Gesamtstaat, keinen Bundesstaat, weil dieser Bundesstaat eine unnatürliche Zentralisation vorausgesetzt, dem Olmützer Kabinett aber an der Sonderzentralisation Österreichs mehr gelegen ist als an dem Ge­ deihen der deutschen Einheit. Macht ihr den Bundesstaat, sagt die österreichische Note, so zerreißt ihr Deutschland, denn Österreich müßte ausscheiden, weil seine Integrität ihm über alles geht. Was will nun aber das Olmützer Kabinett vereinbaren? Das Olmützer Kabinett gibt dem gesamten Deutschland einen Faustschlag ins Gesicht, es spottet aller derer, die noch von irgendeiner Errungenschaft der Märzrevolution träumen, es schlägt statt einer einheitlichen Wiedergeburt Deutsch­

lands eine Revision der deutschen Bundesverfassung vor. Einen bestimm­ ten Plan deutet das österreichische Kabinett für das „neue einige Deutsch­ land" nicht an. Aber waS ihm „vorschwebt" für ein im Innern glück­ liches, nach außen starkes Deutschland, daö läßt sich auö der Weise

entnehmen, in welcher die österreichische Regierung die Vereinbarung gerichtet wissen will. Es soll vereinbart werden vorerst mit den Königen

288 in Deutschland mit Ausschluß der kleinen Fürsten. Die Könige sollen sich vom

Parlament

einen Entwurf der Reichsverfassung

lassen, um diesen anzunehmen oder abzulehnen.

vorlegen

Das Parlament ist

demnach hier bloß ein beratender, Vorlagen auöarbeitender Landtag ohne definitive Beschlußfassung.

Der souveräne Wille des Volkes ist also wieder zu einem deund wehmütigen Wunsche herabgesunken, der in Petitionen seinen Aus­

druck findet und von der Gnade der Fürsten lebt. Was das Resultat

von Vereinbarungen sein wird, liegt auf der Hand. Das Prinzip der Vereinbarung, das Recht des Stärkeren wird sich auch da geltend ma­

chen — und Österreich spricht seine Politik deutlich genug aus. Die österreichische Note schließt mit folgendem Satze: „Gegen eine Unterordnung der Majestät des Kaisers unter die von einem anderen

deutschen Fürsten gehandhabte Zentralgewalt verwahrt sich Sr. Maje­ stät der Kaiser und Allerhöchst desselben Regierung auf das Feierlichste.

Sic sind es sich, sie sind es Österreich, sie sind es Deutschland schuldig/' Waö heißt das anders als: „Ich werde, solange mein Einfluß in

Deutschland nicht völlig vernichtet ist, auf keine Weise dulden, daß ein

anderer als ich Kaiser sei!" Wir haben oben gesagt, daß die Kaiser­ frage nicht in Frankfurt entschieden wird, sie ist in Olmütz entschie­ den. Die Fraktionen in der Frankfurter Versammlung müssen sich we­

sentlich umgestalten. Diejenigen, welche der deutschenEinhei t wegen ein preußisches Kaisertum wollen, müssen jetzt notwendig von der

schwarz-weißm Seite abspringen und ein großer Teil derjenigen, die frü­ her an die Möglichkeit eines deutschen Kaisertums glaubten, wird, durch

diese Tatsache belehrt, erkennen, wie die unerhörtesten durch fürstliche Prätension hervorgerufenen Verwirrungen durch den bloßen Plan des

Kaisertums entstanden sind und seiner faktischen Existenz allen Boden unter den Füßen wegnehmen. Aber was will Frankfurt machen? Jetzt

endlich werden die Frankfurter sich doch nicht mehr verbergen können,

was chnen ungestraft durch die Fürsten geboten werden kann.

Sie

müssen einsehen, daß sie solche Faustschläge nicht allein mehr rächen, sondern nicht einmal mehr parieren können. Ihre Existenz ist ihnen ins Gesicht hineingeleugnet worden und leider können wir als Tatsache hin­

stellen, daß in dem Augenblick die Geltung der Nationalversammlung vernichtet war, als die Fürsten nicht etwa die Vereinbarung mit Waffen

zu erzwingen sich rüsteten, sondern als sie nur den Gedanken einer Vereinbarung auszusprechen sich kühn genug fühlten. Die österreichische

289 Note ist

ein Meisterstück

reaktionärer Gemeinheiten

und

Frechheit,

aber das Verdienst hat sie, daß sie den Rest des Vertrauens, mit denen

noch ein Patriot auf die Fürsten oder das Parlament geblickt haben

mag, daß sie diesen Rest in seiner Nichtigkeit zeigt und zerrinnen läßt. Sie wäre würdig, den Abschluß einer traurigen Phase der Revolution zu bilden, in welcher das Volk hoffentlich seine Feinde und das Maß seiner Kräfte erkannt haben wird."

Die politischen und sozialen Fragen. (I. März 1849.) Über das Verhältnis der sozialen zu den politischen Fragen

hat

lange Zeit Unklarheit geherrscht, obwohl man im Liberalismus sich schon

früher hiermit beschäftigt hatte. Meistens wollte man die soziale von der politischen Frage trennen. Man unterschied die „soziale Demokratie" Mt)

(Struve-Hecker und sein Kreis — im Rheinland Marx im gewissen Sinne) und die „politische Demokratie" (1848 hervortretend!).

Jm-

mermehr aber drang die Überzeugung durch, daß eine bloße Verfassung

allein nicht das Ziel des Strebens sein könne, sondern daß man vom Gesichtspunkt der Idee der Persönlichkeit aus durch die Freiheit der Ver­ fassung zu einer Neuordnung der Wohlfahrt des Volkes gelangen müsse, bis sich die Konexität beider Ziele herausstellte.

Im Vorparlament 1848 erfolgte die erste Sympathieerklärung für die arbeitenden Klassen bei der Beratung der Grundrechte durch Venedeys

Forderung

nach einer Garantie für die „armen Leute" (8 9

„Schutz der Arbeit gegen Not und Elend" 552)). Während in der Dis­

kussion Biedermann sich gegen irgendwelche Rechte der Arbeiter wandte, führte Robert Blum — der Märtyrer von Wien! — aus, „daß er eine der wichtigsten Aufgaben ist, demjenigen Stande, an dem bis­

her alle politischen Freihcitsbestrcbungen fruchtlos voriibcrgegangen sind, der. ungeachtet bei den politischen Bewegungen der Vergangenheit stets Gut und :’51) Lit: Krause (Paulskirche) „Politisch und Sozial".

Vgl. früher Lorenz-

Stein: 1842,,Der Sozialismus und Kommunismus des heutigen Frankreich". — 1848 „Die sozialistischen und kommunistischen Bewegungen seit der 3. französischen

Revolution". — Ferner in „Gegenwart" Bd. I S. 79 ff. (1848). a) Die sozialen Bewegungen der Gegenwart, b) Der Sozialismus in Deutschland, c) Die soziale Bewegung und der Sozialismus in England usw.

Man unterscheidet 3 Gruppen

a) agitatorisch — Weitling-Engels, b) publizistisch — Fischer und Hildebrand,

c) kirchlich — Rauhes Haus usw.

i>!>2) Verlangt Vereinsschuh der Arbeitsunfähigen und Erwerbslosen usw. D a n n e h l, Schurz.

10

290 Blut ober, wenn er das erste nicht hatte, wenigstens bas letztere hat ein­ setzen müssen, Vorteile durchzusetzen, nämlich dem Stande der Arbeiter und der Armen in der nächsten Zeit eine andere Stellung zu geben."

Eisenstuck bezeichnete „als die wahre und große Frage der Gegen­ wart" die „Frage rücksichtlich des Wohles der arbeitenden Klassen".

Man stellte damals folgendes Programm aus: Eigenes Arbeitsministerium, Elementar- und Fachunterricht (frei),

Fabrikgerichte (Schutz gegen den Arbeitnehmer!), Schiedsgerichte,

Besteuerung des Kapitals zugunsten der Arbeiter, Bildung von Unterstützungsfonds (durch Lohnabzug und Besteuerung

— direkte Steuern auf das Einkommen, indirekte Steuern nur auf Produkte und Arbeit) ufro.553).

Durch das Manifest vom 4. April 1848 wurde die bisherige repu­

blikanische Partei (soziale Demokratie!) zunächst „Demokratische Par­ tei". Man forderte damals hauptsächlich: „Ausgleichung des Mißverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit ver­

mittels eines Arbeitsministeriums, welches dem Wucher steuert, die Arbeit

stützt und derselben namentlich einen Anteil am Arbeitsgewinn sichert."

Die Paulskirche konnte sonach an diesen Problemen 554) nicht vor­ übergehen, zumal hier die Linke ziemlich stark ward5d). Iiegert (Minden) führte hier aus: „Sie können nicht leugnen, daß die Bewegung unserer Zeit nicht nur eine politische, sondern auch eine soziale ist, und zwar in doppelter Richtung, einmal, indem die Besitzlosen und Minderbegüterten mehr oder weniger gegen

-.53) gm Fünfziger-Ausschuß war auch eine besondere Arbeitskommission ge­ bildet. 554) Karl Nauwerk stellte z. B. den Antrag auf Erwerbslosenunterstützung

und Gemeindearmenunterstützung (ähnlich heute ourchgefühct; vgl. Veit Valentin: „Die

erste deutsche Nationalversammlung" 1919).

Universitätsprofessoren,

57 Professoren,

Die Paulskirche zählte 49

66 Advokaten, 20 Bürgermeister

und

108 Verwaltungsbeamte, also nur wenig Leute, die die Probleme in der Praxis gespürt hatten. Immerhin gelang es doch dank Hildebrands Statistiken (Hand­ werker verdienten teilweise weniger als hochqualifizierte Arbeiter usw.) und den sachverständigen Ausführungen Simons aus Trier und Eisenstucks usw. (mit 422

Stimmen) das Wort „selbständig" für das aktive Wahlrecht zu streichen. 55-.) Die Linke bestand: a) Deutscher Hof: (Robert Blums gemäßigtes Sozial­

programm), Voigt, Eisenstuck, Löwe, Graf Reichenbach, Nauwerk usw., b) Don­

nersberg: (radikaler) Arnold Rüge, Simon von Trier, Julius Fröbel, Schlöffet, Schaffrath, Jitz usw., c) Westendhall (Zentrum, gemäßigte Linke): Heinrich Si­

mon aus Breslau, Naveaur aus Köln usw.

Köln, Vischer aus Tübingen, Venedey aus

291 die Herrschaft des Besitzes oder des Kapitals im Kampfe stehen, und sodann dadurch, daß die arbeitenden Klassen an der Verbesserung ihrer Lage sich

organisch beteiligen wollen. Es scheint mir daher zur Lösung der sozialen Frage das allgemeine Stimmrecht eine Notwendigkeit zu sein, weil nur

durch die Beteiligung aller Volkskreise an der Gesetzgebung, an der Steuer­

bewilligung und an der Verwendung der Staatsgelder sowie an der inneren und äußeren Politik die soziale Frage, soweit durch Staatseinrichtungen und Organisationen die materiellen Zustände überhaupt gebessert

werden

können 55G), gelöst wird."

Auch Löwe (Calbe) wandte sich gegen „die politische Entrechtung der Arbeiter, denn „wir können den feindlichen Gegensatz zwischen Ka­ pital und Arbeit nicht legalisieren". „Die Arbeiterschaft hat kein Teil im Staate, sie wird also ein Staat im Staate und dieser Staat im Staate wird ihnen sehr gefährlich werdenI" 557).

Obwohl man auch in der preußischen Nationalversammlung öö8)

darlegte, „daß die soziale Frage, die sich mit dem Schicksal der arbeiten­ den Klassen befaßt, dringend notwendig ist, ja daß sie wichtiger ist als die Verfassungsfrage", war die Zeit für ein tieferes Verständnis dieser

Probleme noch nicht da. Immerhin konnten Ludwig Bamberger und Feuerbach richtig erkennen, „daß nach der Julirevolution ein Wende­ punkt in dieser Beziehung eingetreten war, daß „das rote Gespenst", die soziale Frage ihr Schwert in die Wagschal'e geworfen hatte, um nicht

mehr aus dem Kampf zu verschwinden, um den Sieg der reinen politi­ schen Partei für alle Zeit zu erschweren, wenn nicht unmöglich zu ma­

chen"

Auch die Arbeiterkongresse 56°) konnten diese sozialen

Be-

5o6) Heute tritt vielfach eine Überspannung des sozialen Prinzips ein, wo­ durch der Selbsterhaltungs- und Arbeitstrieb im Volke geschwächt wird. 557) Bismarck hat dies nicht recht vorausgesehen, weshalb sein Reich scheiterte. 558) Hier wurde eine besondere „Kommission für Handel und Gewerbe mit besonderer Berücksichtigung der arbeitenden Klassen" (von Unruh, Schulze-Delitzsch

Brill usw.) gebildet. d'Cster setzte sich damals für die Not der schlesischen Weber ein. Sonst sand die soziale Frage keine Diskussion. 559) Vgl. Ludwig Bamberger: „Erinnerungen" S. 108.

56°) Der Hallesche demokratische Kreiskongreß verlangte am 18. September 1848: „Volle Souveränität des Volkes, deutsche Einheit, Heerverfassung, Ge­ meindeverfassung, freies bäuerliches Verhältnis, freie Gewerbeverhältnisse, Hebung

der Lage des arbeitenden und gewerblichen Volkes." Vgl. ferner die große Adresse der Bornschen Arbeitervereine in Berlin an die Nationalversammlung (im „Volk" Nr. 1 vom 1. Juni 1848). Hier werden großartige Vorschläge, 1. für Fabrikanten

und Meister, 2. für die kleinen Meister und Handwerker, 3. für die Arbeiter ge­ macht. (8. B. Minimum des Arbeitslohnes und der Arbeitszeit durch Kommissions19*

292 strebungen trotz des Manifestes des Sozialismus (vgl. „Bonner Zei­

tung" Nr. 169, 9. November 1848) noch nicht parteitaktisch

auS-

werten. Der Demokratische Kongreß in Berlin (Oktober 1848) wurde jeden­

falls für die demokratische Sache (auch in dieser Beziehung) ein großes Fiasko, so daß Kinkel ihn wegen der „kommunistischen Forderun­ gen" 5S1) verließ.

Die Stoßkraft der beiden Flügel (politische Richtung: Waldeck, Jakoby, Heinrich Simon usw. und soziale Richtung: Marx Programm

„Forderungen

der kommunistischen Partei Deutschlands

vom Früh­

jahr 1848") war nicht mehr zu halten. Über die tiefen Unterschiede bei­

der Richtungen schrieb der „deutsche Zuschauer" schon am 28. Juli 1848

(Nr. 4 der „Neuen Folge"): „Die Republik ist die Form, der Sozialismus der innere Gehalt. Die

Republik ist der Weg, der Sozialismus das Ziel.

Das Ziel der politischen

Revolution ist die auf jeden Staatsbürger ausgedehnte Freiheit.

Das Ziel

der sozialen Reform ist die jedem Staatsbürger garantierte Wohlfahrt."

Da die Sozialen in Berlin die Klassenkampffrage (ob das soziale

Problem als eins der ganzen Gesellschaft oder als ein Kampf der Ar­ beiter des ganzen Proletariats gegen die anderen Klassen gelöst werden sollte!) als Ziel aufstellten, da man in die Eigentums- und Erbverhältnisse usw. ohne Grund eingreifen wollte, trennten sich die „blauen De­ mokraten", die ein stufenweises Fortschreiten zu „Wohlstand, Freiheit

und Bildung" in einer sozialen Republik unter Zusammenwirken mit der ganzen Menschheit höchstens konzedieren konnten.

„Die Verbrüde­

rung" (Nr. 13 vom 14. November 1848) schrieb damals: „Ja, es ist wahr, die Trennung der sozialen von der politischen Frage »st yeuce unmöglich und in diesem Sahe liegt die Antworr auf das Bedeu-

beschluß von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, Aufhebung der direkten Steuern, progressive Einkommensteuer mit Steuerfreiheit der Armen usw., Errichtung von

Musterwerkstätten durch den Staat, Handwerkerbildungsanstalten, Freizügigkeit usw.,

endlich „das Recht auf Arbeit.)

Ende August tagte ein Arbeiterparlament in

Berlin (35 Vereine). Vgl. „Beschlüsse des Arbeiterkongresses vom 23. August bis 3. September in Berlin" (Breslau). Hier wurde die „Arbeiterverbrüderung", Sitz Leipzig, geschlossen.

Auf dem 2. Kongreß 1850 waren schon 250 Arbeitervereine

vertreten. 561) Die „Verbrüderung" fordert: durch vernünftige Organisation der Vertehrsverhältnisse, durch Sicherung der Arbeit, durch folgerichtige Teilung, aber auch durch Einigung den Arbeiter aus der Sklaverei des Kapitalisten zu befreien,

Vernichtung der politischen Vorrechte, Bahnung des Weges für den Arbeiter zur

Humanität durch die Möglichkeit körperlicher und geistiger Genüsse usw.

293 ken, was wir aufwarfen: ob wir noch ferner mit der demokratischen Partei gehen können. Wenn es die demokratische Partei nicht begreifen kann, daß

sie ohne die sozialen Ideen nichts schaffen kann, weshalb sollen wir die demokratischen Ideen trennen von unseren sozialen?"

Carl Schurz hat diese Trennung der Demokraten von den Sozial­ demokraten sicher nicht ohne Wehmut gesehen. Nach dem Erscheinen des „Manifestes des Sozialismus" („Bonner Zeitung" Nr. 169,

9. November 1848) „las er diesen zur Beratung in den Demokrati­ schen Vereinen veröffentlichten Bericht des Ausschusses für die soziale Frage" der Sitzung vom 8. November 1848 vor und erklärte im Namen

des Direktoriums, „daß es in keinerlei — weder zustimmend noch ableh­

nend — Beziehung zu dem Bericht stehe, daß es aber diesen — nach Abdruck in der „Bonner Zeitung" — nächsten Mittwoch zur Besprechung bringen werde". Diese fand jedoch infolge der politischen Ereignisse in Wien und Berlin erst am 20. Dezember 1848 statt („Bonner Zei­ tung" Nr. 204). „Schurz entwickelte bei der Besprechung des sozialen Programms des

Berliner Demokratenkongresses in ausführlicher Rede, wie, auf der bisherigen Entwicklung des Menschengeschlechts fußend, ein« soziale Uingestaliung auf

dem Wege politischer Operationen möglich sei, ohne daß ein vollkommener

und blutiger Bruch mit der Vergangenheit einen solchen gewagten Sprung nötig mache, wie man ihn gewöhnlich mit Reform im sozialen Sinn«

zu v«rbind«n pflegte. Bürger Meyer — Schurz' Frankenbruder — beschrieb die bestehenden Mißstände des Handels und Gewerbes und gab praktische Gesichtspunkte zu deren Reorganisation."

Man sieht, daß Schurz auch hier die alten Ideen des rheinischen

Liberalismus wieder aufnahm. Hatte dieser die Regelung der sozialen Frage aber hinter die der politischen zurückgestellt, so erkannte Schurz richtig deren Konexität. ES war für ihn eine große liberale WeltanschauungSfrage, die zwar mit der Entwicklung des politischen Le­ bens zusammenhing, aber sowohl in einer monarchischen wie in einer re­ publikanischen Spitze zu verwirklichen war. Interessant ist in dieser Be­

ziehung die Parallele zu Lasalle, der „Republikaner von Kindesbeinen an und Gegner des KonstitutionaliSmus", sich zum „Bannerträger des sozialen Königtums" machen wollte. Schurz konnte ebenso mit Roh-

mer aussprechen: „Der vierte Stand ist die Basis des Königtums" M2). Im übrigen war es für ihn lediglich eine Frage der Taktik, ob er seine

Aristokratie (und als Führer den allerbesten) entweder mit einem geä62) Vgl. „Augsburger Abendzeitung": „Was wir verlangen, ist eine wahre

konstitutionelle Monarchie, welche von der Souveränität des Volkes abhängt."

294 wählten (Präsidenten wie in Amerika) oder erblichen König (wie in

Preußen) durchsetzen konnte. Die Volks souveränität war für ihn eine ruhende Kraft, die nur im Parlament zur Geltung kommen sollte. Die Demokratie war also lediglich eine laufende Regierungsauöbildung des

Volkes zu politisch-sozialer Mitschöpfung im StaatSleben. Schurz fühlte — aus seiner ganzen Entwicklung aus dem Landleben heraus — ein tiefes Verständnis für die Rechte des Volkes und für die

sozialen Erneuerungen, weil er erkannte, wohin der Klassengegensatz und der Ausschluß weiter Volkskreise von seinem Selbstbestimmungsrecht führen mußten. Er wollte die gefahrbringende Kluft des Klassen­ hasses, wie er auf dem Demokratenkongreß zum Vorschein gekommen war, durch den sozialen Ausgleich beseitigen. „Die Wohlfahrt

des Volkes" hieß daher seine Devise, die ihn von dem Marxismus schied. Nicht durch die „Expropiation der Expropiatäre", sondern durch „sozia­ len Fortschritt" wollte er allmählich in der Form der politischen Freiheit die Organe entwickeln, die die soziale Lage des Volkes in allen Klassen hoben S63). Da der König von Preußen hierfür kein Verständnis hatte, so mußte man eben mit Gewalt handeln. So kam Schurz auch aus diesen Gründen zur Forderung des freien Rechtsstaates, der dem „Zweck der Fraktionseinrichtungen" Rechnung trug, „das Wohl des Volkes zu erstreben". In diesem Sinne schrieb er am 1. März 1849 seinen Artikel („Bonner Zeitung" Nr. 49): Die politischen und die sozialen Fragen.

„Ich werde in den politischen Dingen mit den Konstitu­ tionellen, in den sozialen mit der Linken gehen!" Diese Zu­ sage gab der neugeschaffene Abgeordnete Bleibtreu seinen Wahkmännern in Siegburg. Die Zeit der Gespenster ist vorüber, auch an Wunder glauben wir nicht mehr, und so sind wir denn unmäßig ge­ spannt, wie sich dies wunderbare Versprechen auf natürliche Weise wird lösen lassen. Vergebens wird Herr Bleibtreu in der Kammer die Frak­ tion suchen, der seine Überzeugungen sich anschließen, vergebens in allen

Kammern von Deutschland, vergebens in der ganzen Welt. Was ist der Zweck aller politischen Einrichtungen, was ist S63) Vgl. Bamberger S. 202: „Jede künftige Bewegung von unten muß in

ein mehr oder minder soziales Programm ausmünden."

Leider erkannte man in

Deutschland zu spät diese Wahrheiten, so daß das Königtum sich nicht halten konnte.

295 bet Iweck bet Staatövcrfassung? Doch nicht etwa, baß es Könige gebe,

welche

neue Verfassungen okttoyieten, baß es nationale Vcr-

sammlungen gebe, bie bet König auflösen, baß es Veteine gebe, welche bie Polizei sprengen, baß es Denunzianten gebe, welche Verschwörungen anzeigen könnten. Eine politische Einrichtung, eine Verfassung kann nie

reiner Selbstzweck sein, sie kann es ebensowenig wie eine Geschäfts­ ordnung, mit bet man Verhandlungen regelt, ebensowenig wie eine

Maschine, mit der man Wagen zieht ober Schiffe treibt. Herr Bleib­

treu, ber, wie wir lobend anerkennen, es mit dem Volke trefflich meint, Herr Bleibtreu wird nicht leugnen können, baß ber Zweck aller Frak­

tionseinrichtungen

bas Wohl des Volkes sei.

Dieser Begriff

bes

Volkswohles aber erstreckt sich nicht nur auf ben Zwang ber Tugend und bie Ahnbung bes Verbrechens, nicht nur auf bie Sicherstellung gegen äußere Feinde unb innere Verordnung, sondern er bezieht sich auf alle

Eigentümlichkeiten, auf die krassen Verhältnisse — kurz auf bas, was

wir bie sozialen Zustänbe nennen. Wenn nun bie Einrichtung beö Staa­ tes bas Wohl bes Volkes zum Objekte hat, so muß sie bie Maschine

sein, welche baö soziale Leben treibt und regelt, sie muß in Form ber politischen Freiheit bie Organe schaffen, burch welche ber so­

ziale Fortschritt sich geltenb macht. Was bietet bie Pressefreiheit anderes als ein bloßes Mittel, die Gedanken des Einzelnen, die Wünsche

des Volkes zu allgemeiner Geltung zu bringen! So beziehen sich diese Gedanken des Einzelnen, diese Wünsche des Volkes nicht auf politische Einrichtungen oder Umgestaltungen? Und sind diese politischen Einrich­

tungen und Umgestaltungen nicht wieder die Maschine für das soziale Leben und die soziale Bewegung? So aber ist eö mit der Freiheit der

Assoziation, so ist eS mit bet Volksvertretung, so ist es mit allen Dingen, die Organe des Volkes sein sollen — und so ist eben die ganze staatliche

Einrichtung. Eine Frage möge Herr Bleibtreu sich recht klar machen: Was

überhaupt eine Revolution sei? Wird daö Volk aus bloßer Lieb­ haberei revoltieren, wenn es sich in seinen sozialen Zuständen ungedrückt, wenn eö sich glücklich fühlt? Oder wird es vielmehr erst dann aufstehen, wenn es das Bewußtsein in sich trägt, daß sein Freiheitsbedürfniö in den

bestehenden politischen und sozialen Formen keinen genügenden Ausdruck findet? Der Freiheitsbegriff aber und das Freiheitsbedürfnis, sie ziehen nicht allein etwa daö Verhältnis des Volkes zum Fürsten, son­

dern sie ziehen hauptsächlich das Verhältnis der Klasse zur Klasse in

296 Betracht, sie bestimmen das Recht des größeren Vermögens, den Grad der Gleichheit unter den Menschen, kurz sie modifizieren die sozialen Zu­ stände. Und dennoch gehen scheinbar die Revolutionen auf eine Ände­

rung der politischen Form los; nicht natürlich!

Denn sie suchen die

äußeren Formen, den äußeren Fortschritt zu akkomodieren, sie suchen in

einer Erweiterung der politischen Freiheit Möglichkeit und Räume für die soziale Entwicklung zu schaffen. Als der Geist des Volkes bis zur Forderung,der Gleichheit vor dem Gesetz durchgedrungen war, mußte

die Leibeigenschaft, mußte der Feudalismus, mußten die adligen Herr­

lichkeiten fallen, eine bedeutende Umwälzung

im Staatsorganismus!

War diese Umwälzung eine politische oder eine soziale? Vom gemeinen

Manne wurden die Fesseln genommen, die ihm eine durchgängige Selbständigkeit jm Leben nicht gestatten. Ein sozialer Fortschritt! Das

Wesen des Feudalstaates ging in die monarchische Zentralisation über — eine politische Umgestaltung — und doch eine und dieselbe Tatsache. Glaubt Herr Bleibtreu wohl, daß sich das Volk im Scherz um

Pressefreiheit, um Assoziationörecht, um

das Zweikammersystem

ge­

schlagen hat? Schwerlich wohl! Das Volk fühlte, wo ihm der Schuh

drückte und suchte einen weiteren Schuh, um für seinen Fuß eine größere

Bequemlichkeit zu haben. Das Volk suchte eine Staatsform, die ihm Raum genug gebe, um seine sozialen Mißstände abstellen, seine erwei­

terten Freiheitsbegriffe und Freiheitsbedürfnisse fassen zu können. Das Volk fordert Abstellung der Klassenunterschiede, eö fordert starke

Progressivsteuern, es fordert eine vollständige rechtliche Gleich­

heit aller Individuen in allen Verhältnissen. Herr Bleibtreu,

der eö mit dem Volke wohl meint, wird sich diese Forderungen zu Herzen

nehmen und in allen sozialen Fragen mit der Linken gehen. Abstellung aller Klassenunterschiede

unter

dem Königtum?

Absolute

rechtliche

Gleichheit unter dem Königtum? Unter einem Königtum mit dem abso­

luten Veto? Und wenn nun Seine Majestät sich weigert, durch Dekre-

tierung einer starken Progressivsteuer die letzte Stütze des Thrones, die

Bourgeoisie sich zu verfeinden, wenn er sich weigert, durch die Auf­ hebung aller Klassenunterschiede die Rechte der Krone als eine Inkonse­ quenz, eine Absurdität bloßzustellen? Wenn er sich weigert, durch Ver­

minderung und Reorganisation des stehenden Heeres

die Lasten des

Volkes zu erleichtern? Wenn es sich nun herausstellt, daß das Königtum

diese Inkonsequenz im demokratisch organisierten Staat wirklich ist, in dem Staat, der persönliche Ausnahmen verbietet und dennoch im König

297 rine solche Ausnahme hegt? Wenn es sich nun zeigt, daß das Königtum sich um seiner Existenz willen zu solchen sozialen Umgestaltungen nicht verstehen kann? Was wird Herr Bleibtreu tun? Herr Bleibtreu

stimmt in politischen Fragen mit den Konstitutionellen. Und wenn es sich nun einmal darum handeln wird, ob der Konsti-

tutionalismuS niedcrzubrechen oder die Hoffnung auf soziale Umge­ staltung aufzuheben sei, wenn sich einmal diese mächtige Frage um das

Resultat unserer Revolution in aller Größe austvirft — und sie wird nicht lange auf sich warten lassen —, wohin wird Herr Bleibtreu sich entscheiden? Wird er nicht wie Ahasver in steter Wanderung begriffen sein zwischen der rechten und der linken Seite?

Wird er zwischen 2 Stufen sich setzen müssen, wenn er sich nicht ganz für eine ent­

scheiden will? Der Geist des Volkes ist gewachsen und größer geworden, wie ein Jüngling wächst und größer wird, nun aber ist ihm sein Rock zu enge« geworden, er platzt in den Nähten und muß mit einem neuen vertauscht werden. Herr Bleibtreu freut sich über das Gedeihen des Jungen, aber ihm ein weiteres Kleid machen zu lassen, fällt ihm nicht ein. Er versucht den Rock zu dehnen und meint, er müsse mit den Gliedern wachsen. Wie nennt man das?

Das Resultat eines

konstitutionellen

Wahlsieges."

Der deutsche Kaiser. (21. März 1849.) „Die Revolution, welche die Nationalversammlung in die Pauls­ kirche gerufen hat, um hier im Namen des Volkes eine Verfassung für

Deutschland zu begründen, sie ist wesentlich veranlaßt worden durch das

niederdrückende Gefühl, daß dem deutschen Volke die Rolle in Europa vorenthalten sei, die ihm in der Familie der Nationen gebührt. Ihre Aufgabe war, eine Verfassung zu finden, die der Nation die gebührende Stelle in der europäischen Völkerfamilie sichert. Das Bedürfnis der

Nation nach einer Kräftigung, die durch die Einheit bedingt ist, das war

die nächste Veranlassung der Revolution."... „Nenne man die künftige Verfassungsform Deutschlands wie man wolle, das Bedürfnis für Deutschland ist, daß eine Gesamtregierung, die durch die Vertretung der Nation beraten und bewacht wird, die Geschicke der Nation leite, die nationalen, notwendig einheitlichen Interessen ver­ walte."

298 So hatte von Gagern — zuerst im Mai — unter Betonung der Volkssouveränität alö Rechtsgrund der Vollmacht zur Verfassungs­ schöpfung — am 18. Dezember 1848 in der Paulskirche verkündet,

ohne hieraus die Konsequenzen, wie sie Jordan564) darlegte, zu ziehen. Hatte die Paulskirche nach und nach ihr Souveränitätöprinzip aufgeben müssen, so gab von Gagern durch sein Programm sogar das „Verein? barungsprinzip" gegenüber Österreich565) auf und suchte nur noch den

Weg der „Verständigung". Noch am 5. Januar 1849 wollte sogar Gagern im Hinblick auf die falsche Note Schwarzenbergs vom 28. De­

zember 1848 — die er völlig verkannte — sein Programm zurückziehen, sobald Österreich (wie die übrigen deutschen Bundesstaaten) die unbe­ dingte Erklärung abgebe, daß es in den Bund gemäß der Reichsverfas­ sung einzutreten bereit sei. „Daß die Zeit gekommen sei, meinte et selbstbewußt — und ahnungs­

los —, den starken Bundesstaat mit dauerhafter einheitlicher Gewalt in der

Geburt zu ersticken und durch ein Surrogat zu ersetzen, das dem alten Bundes­

tage mehr oder minder ähnelt, diese Hoffnung wird zuschanden werden."

Noch in den großen Verhandlungen vom 11.—13. Januar 1849 kam man über die leidige österreichische Frage trotz Beckeraths War­ nung^«) zu keinem Resultat und versuchte zum letzten Male die An­ schlußfrage Österreichs durch „gesandschaftliche Verhandlungen" zu

klären, obwohl von Gagern selbst hier in einer großen staatsmännischen Rede die unheilvolle Suprematie Österreichs bestimmt ablehnte5S7). Noch heilloser gingen die Ansichten über das „Reichsoberhaupt"

auseinander (Debatten vom 14.—22. Januar 1849). Die Mehrheit des de») ,,Die Wahrheit mag bitter sein: Österreich will keine andere Verfassung

als den alten Bund und Bundestag mit seiner Inkompetenz als Regel/'

Von

Schmerling gab dies auch indirekt selbst zu: „Es trifft nicht Österreich allein der

Vorwurf, daß es eine dynastische Politik verfolgt, an diesem Verbrechen — und so muß ich eS bezeichnen — haben mehr oder minder alle deutschen Staaten sieh

beteiligt." 565) Österreich hatte früher die Souveränität mehr anerkannt als Preußen5OT) Vgl. S. 266.

d67) „Ich erachte es also für einen Widerspruch, die Monarchie in den Zwei­

gen zu erhalten und, im Gipfel sie entehrend, im Gipfel die republikanische Spitze

zu wollen, wo es einer einheitlichen Führung (kein Direktorium usw.) bedarf." von Vincke trat für den Bundesstaat ohne Österreich ein, Vogt für die Republik, von Wydenbruck will ein Direktorium (Österreich, Bayern, Preußen). Sepp (Bayer)

will den Kaiser von Österreich. („Wir bedanken uns für den preußischen Stock.")

Simon: „Kein Preußen, kein Österreich, nur ein einiges Deutschland!" usw.

299 Ausschusses hatte hier beantragt: „Die Würde des Reichsoberhaupts

wird einem der regierenden deutschen Fürsten übertragen." Hiergegen wandte sich die Minderheit von zunächst 10 Ausschußmitgliedern unter

der Führung von Dahlmann, die ein erbliches Kaisertum verlangte. In den vorzüglichen Debatten->°«) schlossen sich ihnen alle Anhänger eines starken deutschen Bundesstaates an (Bassermann, von Vincke,

Barth (Bayern), Gumprecht (Hannover), Ostendorf (Soest) usw.). Mit 258 : 211 Stimmen ging dann der „deutsche Kaiser" durch, ob­ wohl die Erblichkeit mit 263 Stimmen abgelehnt wurde t). Am 26. Ja­ nuar 1849 war die erste Lesung der Verfassung beendet und am 28. Ja­

nuar erließ Gagern ein Rundschreiben an die Fürsten mit der Bitte um

umgehende Stellungnahme. Schon vorher hatte Preußen — auf Drängen Camphausens — eine Iirkularnote vom 23. Januar 1849 57°) erlassen, die zwar die Ein568) Stahl: „Wenn dagegen Österreich nicht im Bundesstaat ist, so haben wir

keine Wahl, wir können dann nur Preußens König wählen." Biedermann (Sach­

sen): republik. Spitze oder Kaiserwürde.

„Es kann niemand die Kaiserwürde er­

halten als der Beherrscher des mächtigsten Staates und das ist Preußen." Rümelin

(Württemberg): „Man gewöhne sich in Süddeutschland nur schwer an das preußi­ sche Erbkaisertum" („harte Lehre").

Welcker: „Wenn Österreich ausscheidet oder

Österreich zustimmt, sage ich mit vollem Herzen: Es lebe der preußische Kaiser hoch!"

Für Österreich sprachen besonders Uhland (Tübingen), Philipps (München), Venedey (Einheit im Parlament, nicht in der Spitze!) und der Katholik Reichensper­ ger: „Daß man eine Suprematie des Nordens über den katholischen Süden nicht

mit ganz gleichgültigem Blicke ansieht, zumal wenn noch 13 Millionen Österreicher­ ausscheiden sollen, das versteht sich von selbst" (Direktorium!). 569) „Der republikanische Präsident" erlangte nur eine kleine Minderheit. ö7°) Preußen erklärte, daß es sich schon im März 1848 mit dem Gedanken der Revision der Bundesverfassung (also nicht Neubau, nicht Neuschöpfung, son­

dern Ausbesserung!) getragen habe. Es sei ein Fehler der Regierungen gewesen, der Paulskirche nicht diesen revidierten Verfassungsentwurf vorgelegt zu haben. Man habe es daher der Paulskirche überlassen, einen solchen Entwurf aus sich her­ aus zu schaffen und sich auch mit der provisorischen Zentralgewalt abgefunden. Nun­

mehr sei es an der Zeit, daß die Regierungen dahin wirkten, daß beider Absichten zum Ziele führten. Der österreichische Staat sei mit alten Banden an Deutschland

gekettet. Deutschland könne auf die alte Verbindung mit Österreich nicht ver­ zichten. Am wenigsten habe Preußen einen Plan berücksichtigen können, der auf Auflösung der bisher bestehenden Bande beruhe.

Man erklärte sich mit der öster­

reichischen Note vom 28. Dezember 1848 solidarisch und stellte zwei Unmöglichkeiten

als Vorbedingung nebeneinander: weder ein Hindernis der Einheitsbestrebungen mit Österreich noch ein Hindernis der Einheitsbestrebungen in Deutschland.

Nur

wenn Österreich ein Opfer seiner Souveränitätsrechte nicht bringen konnte, sollte ein

300 heit Deutschlands mit Hilfe der Fürsten und mit Frankfurt zu schaffen

in Aussicht stellte, im Grunde aber — nach Österreichs Vorbild — einem Freibrief von der Paulskirche gleichkam.

Durch diesen Schachzug Camphausens schien das Verfassungöwerk seinem Ende nahegerückt, falls der König von Preußen der Paulskirche hätte wirklich Gefolgschaft leisten wollen, wie er immer in Aussicht ge­ stellt hatte. Merkwürdigerweise erhielt dieser sehr problematische Schritt Preußens mehr Billigung als man geglaubt hätte. Außerhalb der Pauls­ kirche meinte man vielfach, daß das Verfassungswerk nun endlich den Schwätzern in Frankfurt entwunden und auf eine reale Basis gestellt werden würde, da man sich nach dem hoffnungslosen, unfruchtbaren Parteichaos beinahe mehr mit dem Oktroyieren als mit dem Konsti­ tuieren vertraut gemacht hatte. Andererseits sah man in der Paulskirche nicht den bürokratischen Kern der Note. „Man erklärte, schreibt Prutz,

die geringschätzige Nachsicht für erfreuliche Mäßigung, die wunderliche Deferenz gegen Österreich für weise Großmut, die Abneigung gegen die

Kaiserkrone für das verschämte Sträuben einer Braut", ohne darauf zu kommen, daß Preußen sich hier mit Österreich wieder zu vereinigen im Begriff stand, weil man nicht gewillt war, durch selbstlose Aufopferung der Souveränität freudig Bausteine zum Tempel der deutschen Einheit zu liefern. Auch die Sündflut von widersprechenden Noten und Erklärungen aus all den 38 deutschen Staaten, von Lichtenstein bis zu den freien Reichsstädten, die sich gegen die deutsche Verfassung ergoß, — die 4 Königreiche waren gegen Österreichs Ausschluß — fand keinen Staats­ mann, der hier das System der Verneinung herausfühlteä71).

Nur die Demokratie warnte rechtzeitig. Zimmermann hatte am 19. Januar in Frankfurt erklärt: „Wir wollen keine Kaserneneinheit'" Simon hatte schon am 6. Januar im Hinblick auf den Armeebefehl des

-engerer Bund der deutschen Staaten nach dem Vvrbilde des Zollvereins in Erwä­

gung kommen.

Man empfahl, der Paulskirche „die Bedenken und Abänderungs­

vorschläge" hinsichtlich der Reichsverfassung zur

Kenntnis zu bringen und sich

vorher mit dem preußischen Gesandten in Frankfurt zu verständigen.

Preußen

hob hervor, daß es weder nach einer Machtvergrößerung noch nach einer Kaiser­ würde — di« gar nicht nötig sei — strebe — ganz abgesehen von der Voraussetzung der freien und vollständigen Zustimmung aller Regierungen zu einer solchen Maß­ nahme. 37i) In ähnlicher Weis« vermochte Deutschland nicht die Cinkreisungspolitik

vor dem Weltkriege zu erkennen und zu parieren.

301 Königs zu Neujahrausgesprochen: „Deutschland ist nicht mehr zu retten!" Schütz erklärte am 26. Januar 1849: „Nur die breiteste Entfal­

tung des demokratischen Prinzips der Verfassung kann den gewaltigen Zusammenstoß in Deutschland verhüten"5M). Auch im Auslande erkannte man dies besser als in Frankfurt. Der Chartistenführer Harney in England führte am 15. Januar 1849

in London aus: „Auf dem ganzen Kontinent hat man die Narrheit, „halbe Revolutionen"zu machen, vollständig begriffen." Noch klarer wurde die Unmöglichkeit der Einigung mit der Paulskirche in Wien er­

kannt. Der „Lloyd" („Wiener Zeitung") nannte die Paulskirche Anfang Januar 1849 eine „Versammlung vagabundierender Österreicher".

„Die

Wienerin" eiferte gegen das Primat Preußens und erklärte Anfang 1849: „Österreich bildet den Schlußstein Deutschlands." Man sprach es schließlich ganz unverblümt aus, daß „Verständigung, Einheit und Deutschland" nur in zweiter Linie hinter dem unbedingten Primat des österreichischen

Kaisers

kämen 57 5).

Österreich trieb seine eigene Politik, noch schlimmer wie Preußen. Es operierte scheinbar mit der Idee des Direktoriums wie Preußen mit der Idee des Parlaments und der Konstituierung der Verfassung Deutschlands, um Zeit zu gewinnen und endlich doch wieder in den: Hafen des alten Bundestages einmütig zu landen. Österreich warf nunmehr die Maske am 4. Februar 1849 ab, in­ dem es — unter Umgehung der provisorischen Reichsregierung — direkt an das Frankfurter Parlament — schrieb, daß es sich gegen die Unter­

ordnung unter irgendeine Macht verwahre, aber sich auch nicht von Deutschland lostrennen lasse, wie es die Paulskirche erstrebe57ti). 572) den die „Rheinische Zeitung" als auf der gleichen Stufe mit dem Mani­ fest des Herzogs von Braunschweig vom Jahre 1792 stehend bezeichnete (9. 1.

1849).

573) Vgl. Brüggemann „Kölnische Zeitung", 24. Januar 1849: „Uns ist es

ernst mit der wahren Demokratie", daher Erweiterung der demokratischen Organi­ sationen nötig.

Vgl. ferner die konservative Nationalzeitung in Berlin (Ende

Januar 1849): „Wir wollen eine wahrhaft demokratische Ordnung" usw.

574) Vgl. Robespierre: „Wer halbe Revolution macht, gräbt sich selbst ein Grab."

575) Vgl. „Olmützer Zeitung" vom Dezember 1848 (Organ der Kaiserin Sophie).

576) Schwarzenberg war auf das Programm der Kaiserin Sophie vom Dezem­ ber 1848 („Olmüher Zeitung") eingeschworen: 1. Österreichischer Kaiser, 2. öfter-

302 Ncnedcn bezeichnete diese Note mit Recht als ein „Attentat auf

die Souveränität der Versammlung" und als einen „Versuch, sic auf das

Niveau eines unmaßgeblichen Einflusses herabzudrücken"

Die Schwarzenbergsche Note hatte wenigstens den Erfolg, daß sich nunmehr die große „erbkaiserliche Partei" (über 200 Mitglieder aus allen Parteien!) bildete, die endlich energisch und zielbewußt ein

Kompromiß in verschiedenen Fragen zur schnellen Herbeiführung des Schlußsteins erstrebte. Während Preußen sich mit Österreich auf der alten Basis (Franz Josef: römischer Kaiser, Friedrich Wilhelm: erblicher Reichöfeldherr) zu

verständigen suchte, was Schwarzenberg spöttisch ablehnte, nahm die Paulskirche am 15. Februar das allgemeine gleiche Wahlrecht

anr’77), um die Linke für die große Lösung zu gewinnen. Hiermit fuhr man dem König in die Parade, der in diesem Punkte den Gipfel der Ent­ würdigung der ihm zugedachten Königskrone eines Reichs mit allge­ meinem Wahlrecht erblickted7s)- Schien sonach das Werk der Paulskirche wiederum zum Scheitern im Ziel verurteilt, so kam ihm unverhofft ein neues Fortschrittsmoment zrus Österreich zu Hilfe. Schwarzenberg ging nach dem bescheidenen Siege über die Ungarn bei Kapolna (24. Fe­ bruar 1849) zum Angriff über. Am 4. März proklamierte er eine Ver­ fassung in Österreich und löste am 7. März den ihn unbequemen Reichs­ tag einfach auf. Er oktroyierte auf diese Weise den „österreichischen Ein­ heitsstaat", indem er die ungarische Verfassung usw. aufhob. Zugleich verlangte er in einer herausfordernden Note vom 9. März die Aufnahme

Österreichs mit Primat in den deutschen Bund. DaS Verlangen kam im Grunde auf eine Mediatisierung Deutschlands zugunsten Österreichs heraus. Es war also eine offene Brüskierung Preußens, das zwar seine Solidarität mit Österreich nach außen betont hatte, deren Ziel aber gerade die Gleichberechtigung mit Österreich war. Schwarzenbergs Größenwahn — vielleicht schätzte er auch die Situation richtig ein! — reichliche

Marine,

3. Reichsheer

aus Truppen Österreichs und

4. Reichstag in Wien, 5. Eintritt Österreichs in den Zollverein.

bleibt bei den Verträgen von 1815.

Deutschlands, „Österreich ver­

Die Nationalversammlung ist kein Mit­

paziszent." 5’sa) Einige ehrliche Österreicher trugen sich mit dem Gedanken auszuschcidcn,

weil man in Österreich Vorschläge zur Einigung nicht mache oder nicht woll«. 577) Bismarck — ebenso Schwarzenberg schon 1849! — gewährte später im

norddeutschen Bund und deutschen Reiche dieses (leider nicht für Preußen!).

■’17e) An Bunsen schrieb er von der „Schandkrone", die für ihn ein Halsband des Leibeigenen im Dienst« der Revolution sein würde.

303 hätte eigentlich in diesem Augenblick Friedrich Wilhelm an die Seite der

Paulskirche führen müssen, weil in diesem Punkte sich beider Ziel

berührte. Man gewahrte mit Schrecken in der Paulskirche, vor welchem Ab­

grund Deutschland stand, wenn man den bisher gehegten Gedanken eines Großdeutschland nicht schleunigst ad acta legte und mit Preußen ging. Anstatt das unwürdige Satyrspiel — der Schacher um das Ober­ haupt! 579)* 581 — nunmehr abzubrechen und die Aufgabe für gescheitert zu

erklären 58°), suchte man nunmehr noch einen Sterbenden mit den schärf­ sten Mitteln — der sofortigen Durchführung des Programms von Ga-

gerns — zu retten. Vielleicht wäre ein Erfolg noch zu erwarten gewesen, wenn man den Welckerschen Antrags) am 12. März 1849 sofort einstimmig angenommen hätte, der einzig und allein die von Österreich

drohende Gefahr — die man wohl nicht erkannte — bannen konnte.

Ium mindesten hätte die Versammlung sich dadurch neue Sympathien gewonnen und durch chren ehrenvollen Tod — auch trotz Annahme — eine neue Einheitsbewegung in Deutschland herbeiführen können. Leider

verschwand.der Antrag in den gefürchteten Ausschüssen. So begann wieder das alte Kesseltreiben gegen den Ausschluß Österreichs582), sodaß 579) „Für jeden Fußbreit Volksrechte ein Zoll Oberhaupt mehr", hieß es.

58°) Vogt machte damals den Witz: „einen Kaiser auf Kündigung anzu­ stellen, weil man sich über die Frage der Erblichkeit doch nicht einigen könne." 581) sofort die ges. Verfassung en bloc (unter Vorbehalt von Änderungen!)

- anzunehmen und dem König von Preußen die erbliche Kaiserkorne anzutragen.

Welcker erkannte, daß die Bewegung von 1848 auf ihrem Kreisläufe zum öster­ reichischen Absolutismus zurückkehrte.

582) Vogt (Demokrat): „Diesen heiligen

Krieg zwischen der Kultur des

Westens gegen die Barbarei des Ostens, den dürfen Sie nicht herabwürdigen zu einem Duell zwischen dem Hause Habsburg und dem Hause Hohenzollern." Mohl:

„Der preußische Erbkaiser ist ein totgeborenes Kind. Den Beweis dafür haben Sie in der neuesten preußischen Note in den Händen (vom 16. Februar, die die Not­ wendigkeit der Vereinbarung noch stärker als bisher betonte!).

Werfen Sie die

Fackel des Bürgerkriegs (Kampf zwischen protestantischen Norden und dem katho­ lischen Süden!) nicht in unser deutsches Vaterland!" Fröbel: (Vgl. „Wien, Deutsch­ land und Europa 1848".) „Soll nicht Wien an die russische Grenze kommen, so muß es der Mittelpunkt eines Systems verbündeter Staaten werden, welches vom Rhein bis an die Mündung der Donau reicht." (Dagegen Hansemann: „Die

deutsche Verfassung 1849.") Berger (Wien): gegen die Voraussetzung der Ge­ fahr. „Österreich hat sein letztes Wort nicht gesprochen." Riesser für Preußen: //Fassen

Sie einen großen weltgeschichtlichen/ rettenden Entschluß!"

304 am 21. März der Welckersche Antrag fiel, weil man nicht rechtzeitig die

noch fehlenden 30 Stimmens) durch Zugeständnisse sich gesichert hatte. „Die Erbkaiserlichen" („Die Weidcnbuschpartei" unter Führung von Biedermann) hätten sich nur der Gruppe Heinrich von Simons zu versichern

brauchen, die das Verfassungswerk nicht scheitern lassen wollte, sich aber mit

dem „absoluten Veto" des Kaisers nicht einverstanden erklärte 583).

Da Schwarzenberg sein Schach sowohl gegen Preußen wie gegen

die Paulskirche schlecht gespielt hatte, so hätte es für die Paulskirche bei

geschickter Ausnutzung der Situation am 12. März vielleicht eine Ret­ tung gegeben.

Später rektifizierte Österreich seinen Fehler und so kam die Abstim­

mung am 27. März (Annahme des Welckerschen Antrages!) zu spät, zumal der König am 3. April wieder auswich und die Zustimmung der Fürsten verlangte.

Diese Situation hat Schurz richtig erkannt, als er am 21. März 1849 seinen Artikel „Der deutsche Kaiser" schrieb.

Der „preußische

Kaiser" war in diesem Augenblicke in Preußen schon unmöglich ge­ worden. Darin aber täuschte sich Schurz, daß der „treibende Siegeömut von 1848" wieder aufleben konnte und daß ein Diktator die Revo­

lution zum Siege führen würde. Schurz schrieb damals („Bonner Zei­ tung" Nr. 66, 21. März 1849): Der deutsche Kaiser.

„ES wäre ein müßiges Geschäft, all die Momente hervorsuchen zu wollen, wodurch die Märztage des Jahres 1849 sich von denen des

vorhergehenden Jahreö unterscheiden. Ein jeder trägt das erdrückende

Bewußtsein in sich, daß nicht allein die äußeren Verhältnisse sich we­ sentlich geändert haben, sondern daß leider das stolze Selbstbewußtsein

im Herzen des Volkes erloschen, daß der treibende Siegeömut unter­ gegangen ist. Wohl niemand hat vergessen, welch gewaltig auödeh-

nende Kraft der erste Freiheitssturm in alle Seelen goß, wie eö nicht

allein den Einzelnen, sondern das ganze Volk mächtig drängte, aus sei­ nem Hause zu eilen und mit der Waffe in der Hand der Freiheit eine

Gasse zu brechen, wo sie diese nicht gefunden hatte. Es war dies das s83) Die eigentlich« Kaiserwahl am 28. März erfolgte auf Grund eines

Kuhhandels, indem die Weidenbuschpartei der Linken gegenüber durch einen Revers sich verpflichtete, auch später in keine Verfassungsänderung zu willigen, wodurch

di«

Verhandlungsmöglichkeiten

wurden.

mit

dem

König

von

vornherein

aussichtslos

305 Wahrzeichen einer echten Volkserhebung, denn die wahre Freiheit ist stets propagandistisch; ein Volk, das sich vollständig seiner Fesseln ent­

ledigt hat, ist stets eroberungslustig.

Erst der ist wahrhaft frei, der

keinen Sklaven neben sich dulden kann.

Die Freiheit des

antirevo-

lutionären Staatsbürgers war durchaus unvollkommen, denn sie war eine selbständige, dem hohen Gedanken uneigennützige, d. h. allgemeine

Freiheit nicht zu verwirklichende. Das könnte der stolze Beruf unseres

Jahrhunderts sein.

Das Volk in seiner ersten Erhebung schien diese

propagandistische Notwendigkeit zu fühlen, denn unwillkürlich wandte

es seinen Blick nach Osten, um sich mit Lust in einen Krieg zu stürzen, den es mit voller Wahrheit für unabwendbar hielt, indem ihm ein Frieden zwischen Freiheit und Sklaverei unmöglich schien. Das Volk

wünschte den russischen Krieg ehrlich, wünschte ihn voller Kampfbegier und SiegeSgewißheit. Ein Jahr ist seitdem verflossen. Das Volk hat seine Macht ver­ geudet. ES hat sie sich aus den Händen winden lassen, indem es zu

trunken und zu dummehrlich war, um an Niederträchtigkeit zu glauben. Der Freiheitsfrühling ist schnell verblüht und noch hängt die Donner­

wolke über Deutschland, ohne sich entladen zu haben. Denselben Krieg,

den das Volk früher wünschte, fürchtet eS jetzt. Die Kampfbegier

ist verloren gegangen

in

dem

erdrückenden

Gedanken, was denn noch da sei, wofür man sich mit Lust schlagen, wo denn die Freiheit geblieben sei, für die man mit Begeisterung erobern könne. Aber eben jetzt, wo das Volk diese moralische Niederlage er­

litten, scheint jbie russische Macht sich wieder drohend zu entwickeln; sie zieht immer engere, stickendere Kreise um das bebende Deutschland und

der Ruf: .„DaS Vaterland ist in Gefahr", der Ruf, den man oft so unnütz verschwendet, hat an Bedeutung gewonnen. Jetzt gilt eS, dem Vaterlande ein kräftiges Schwert zu schmieden, daS Iaubermittel

zu finden, welches die alte Begeisterung wieder in die Herzen des Volkes gießt und von neuem die alte Siegesgewißheit heraufführt.

Deutschland harrt puf das wunderbare Mittel und Welcker steht auf und will es gefunden haben: „Schneller Beschluß der Deutschen

R. V. .und die Kaiserkrone für den König von Preußen". Deutschland

wird neugierig und horcht ein wenig, aber die Nation ist so zahm ge­ worden, daß sie sich alles bieten läßt. „Der König von Preußen werde

Kaiser, weil das Vaterland in Gefahr ist." Es ist wahr, das Vaterland ist in Gefahr! Die Konterrevolution in Österreich hat va banque geDannehl, Schurz.

20

306 spielt und für heute gewonnen.

Die Pressefreiheit, die Assoziations­

freiheit sind in Österreich vernichtet, die Habeas.-Korpusakte sind zum

Spott der Polizei geworden.

Der Säbel, die Kartusche regieren daö

Volk, sie haben den Gedanken der nationalen Vereinigung in den Herzen der deutschen Bewohner niedergepreßt. Inwieweit sich die Elasti­

zität dieses Bedürfnisses neutralisieren läßt, ist heute gleichgültig. Der Sieg der Konterrevolution ist für den Augenblick entschieden. Öster­

reich hat die Hilfe der Russen ins Land gerufen oder hineingelassen,

Österreich und Rußland sind befreundete Nachbarn, Österreich mag wollen oder nicht. Österreich stellt die Wiederherstellung der alten

Bundesverfassung als Bedingung der Vereinigung mit Deutsch­ land — Österreichs Ausschluß ist somit für heute entschieden. Die Hoff­ nungen auf die Zukunft liegen in dem gesunden Bewußtsein des Volkes

begründet. Nur eine Revision wird Österreich wieder mit Deutschland

vereinigen. Allein die Revision wäre also möglich zu machen und zu

unterstützen. Ja daö Vaterland ist in Gefahr, der alten Zerrissenheit wieder anheimzufallen. Sieben Millionen deutsche Brüder sind aus

dcnr nationalen Verbände gerissen! Wo ist das Mittel, den unseligen Bruch zu heilen? Wo ist die revolutionäre Kraft, die eigennützigen Be­

strebungen der schwarz-gelben Konterrevolution zu brechen? „Ein preußischer Kaiser", sagt Wclcker.

Die Konterrevolution hat in Preußen ebenso gesiegt wie in Öster­

reich. Die Vertretungen des Volkes beraten im Belagerungszustand, sie sind für jeden Augenblick eines Gewaltstreiches von Oben gewärtig, so­ bald sie sich erkühnen, die Rechte des Volkes gegen die Rechte der Krone

unparteiisch abzuwägen. Die ministeriellen Vorlagen über Preß- und

Lssoziationögesetze enthüllen klar die Gesinnungen der Regierung, denen

der König nicht fremd sein kann. Die Gesinnungen bekunden das Be­ streben, und das Streben der Regierung bestimmt bis zum nächsten revo­ lutionären Ausbruch das Schicksal des Volkes.

Und ein Kaisertum,

unter solchen Verhältnissen entstanden, von solchen Tendenzen getragen, soll den 7 Millionen Deutschen in Österreich Mut und Begeisterung zu einer nationalen Revolution einflößen? Werden sie einen Schritt dazu

tun, nach der Besiegung der schwarz-gelben Konterrevolution — der schwarz-weißen in die Arme zu fallen?

Die Deutschen in Österreich

werden wissen, daß Kaiser Friedrich Wilhelm I. mit dem König Frie­ drich Wilhelm IV. ein und dieselbe Person ist, mag er nun seine Rede

an den vereinigten Landtag, an die konstitutionelle Kammer oder an das

307 deutsche Volkshaus richten. Das Vaterland ist in Gefahr und das schwarz-weiße Kaisertum macht eine nationale Wiedervereinigung un­

möglich. Die Kluft, die seit langer Zeit zwischen Nord- und Süd­ deutschland existiert, ist in der neuesten Zeit immer bemerkbarer ge­ worden. Die Oberhauptsfrage hat die Ausdehnung gezeigt, bei ihr offen­ bart sich unverhohlen der tiefe Widerwille des süddeutschen Volkes gegen eine nordische, besonders eine preußische Hegemonie, ein Widerwille,

den die partikularistischen Bestrebungen der Fürsten falschmünzen und zu ihren Zwecken auszubeuten wußten. Die Intriguen der Fürsten gehen hier sonderbarer Weise mit dem Gefühl des Volkes einen Augenblick Hand in Hand, obschon sie aus verschiedenen Quellen entsprangen und zu entgegengesetzten Endzielen führen. Die Wege treffen sich auf kurze

Zeit. Der Haß gegen die preußische Obergewalt ist eine Tat­ sache. Ihn zu leugnen oder zu beschwichtigen wäre vergeblich, denn Liebe und Haß fügen sich keinem Oktroy. Es kommt auf einen zündenden Funken an und die Explosion ist unvermeidlich. Eine gewaltsam auf­

gedrungene Bevorzugung des Nordens gegenüber dem Süden wäre mehr als ein Funke und der Bürgerkrieg, dieses gräßliche Ungetüm, in welchem sich Bassermannsche Schreckgestalten häufig zeigen, als Frösche

nach dem Regen, der Bürgerkrieg wäre entzündet. Die Gefahr des Bürgerkrieges schwebt über dem Vaterlande! — und Weicker ist bereit, die Lunte an das Pulverfaß zu legen. Der preu­ ßische Kaiser ist die Lunte und Deutschland ist die Pulvertonne.

Die deutschen Männer sind in zwei preußische Heerlager geteilt, in daö der Demokratie und das der konstitutionellen und reaktionären Monarchie. Zwar ist die Zahl derer, die in politischem Halbbewußtsein zu keiner der beiden Parteien geschworen haben, nicht gering, aber sie sind keine Faktoren in dem lebendigen politischen Treiben. Der allge­ meine Sieg der Konterrevolution wird, weit davon entfernt, die revolu­ tionäre Kraft im Volke für immer gelähmt zu haben, daö revolutio­ näre Bedürfnis sehr bald auf die Höhe der Verzweiflung trei­ ben. Die Demokratie sehnt sich nach dem Kampfe und der Kampf steht

unverkennbar bevor. Die Demokratie verlangt deshalb den Kampf, weil sie daS Bewußtsein hat, daß sie, wenn auch vielleicht augenblicklich die Minorität im Volke bildend, im Augenblick der Tat zur Majorität

werden wird. Die Demokratie erwartet die Stunde, wo ein gro­ ßes Attentat auf den Willen des Volkes diese mit einem Male 20*

308 zum Kampfe emporschnellen und zum Siege tragen wird. Je

allgemeiner dieses Attentat, desto besser — und was wäre wohl das allgemeinste? Sobald der König von Preußen auf den Kaiserthron ge­ stiegen ist, wird die in einer Person verdichtete Konterrevolution über

Deutschland herrschen. Zwar ist Süddeutschland jetzt schon zur Erhebung reif. Zwar lastet jetzt schon die reaktionäre Herrschaft schwer auf dem Volke. — Aber dieser Druck ist nicht halb so schwer, solange die reaktio­ näre Gewalt nicht eine preußische ist. Zwar hat jetzt schon in Preußen die Erbitterung allen Boden unterhöhlt, aber dann wird alles zum Bre­ chen reif und gezeitigt sein, wenn die Erhebung des Königs eine Lösung vieler Lande nötig macht. Und auf welchen Zeitpunkt möchte Herr Welcker diese allgemeine Erhebung gelegt wissen? Etwa auf den Augen­

blick, wo die russischen Bataillone die Grenzen überschreiten, wo der Angstschrei der Grenzbewohner ganz Deutschland durchhallen wird?

Herr Welcker schaffe seinen Kaiser und er hat es getan. Und dieser Kaiser soll Deutschland retten? Ein Kaiser, der um

seiner Existenz willen sein eigenwilliges Volk mit seinen Kanonen wird mederkartätschen müssen, statt sie gegen die Feinde zu richten? Ein Kaiser, an dessen Thron das Volk mit der letzten Kraft der Verzweif­ lung rütteln wird, statt seinem Rufe gegen die Russen zu folgen? Ein Kaiser, der mit dem kleinsten Fürsten um jeden Soldaten wird markten müssen, während die Feinde mit unaufhaltsamem Fortschritt daS Land überschwemmen? Und woher wird das Volk die Begeisterung nehmen,

um sich mit Mut und Manneskraft in den Kampf zu stürzen? Im 19. Jahrhundert holt man an einem Kaiserthron ebensowenig

Begeisterung wie man aus einem Krötensumpf Champagner schöpft! Herr Welcker im Parlament kommt mir vor wie Wagner, Faustens Famulus in seinem Laboratorium. Auf der wichttgsten, ge­ heimnisvollen Stirn steht geschrieben: Hier wird ein Mensch gemacht. „Und aus einer wirren Mischung der Parten, zur glücklichen Stunde zusammengeschmolzen, geht dann endlich das künstliche Wesen hervor, kein kräftig Kind der Zeit, sondern ein nebelhaftes Ding mit un­ stimmten Dasein." — Und Herr Welcker klascht voll Vaterfreude in

die Hände und besieht sich im Spiegel. Wird aber das preußische Kaisertum, indem es die ganze Kraft der

Konterrevolution auf einen Punkt zentralisiert, auch das revolutionäre Streben mit einem gewaltigen Schlage vernichten? Wird dieser letzte

Fußtritt das deutsche Volk noch vor dem Russenkrieg aus seinem

309 Schlafe rütteln, dann begrüßen wir Weickers Kaisertum als neue revolu­

tionäre Hoffnung. Die Zeit wird ein kräftiges Kind gebären und aus dem Haupte der Revolution ein gewaltiges Bild springen, gewaffnet

und

mit hellem Geist: kein Kaiser, sondern ein republikanischer

Diktator, gestählt am Sturm der Zeit, getragen von der Begeisterung

des Volkes. Will also Herr Weicker einen Kaiser machen, so mache er ihn schnell, denn das Vaterland ist in einer Gefahr, die wohl eine Re­

publik wenden kann,

nicht aber der künstlich gebraute Homunkulus

aus dem dumpfen Laboratorium der Frankfurter Retortenschule!"

Der Wendepunkt. (14. März 1849). Prutz schrieb („Das Jahr 1849"): „Es ist, als ob das Jahr 1849 dazu bestimmt gewesen ist, den Völkern der Erde noch einmal und in kolossalen Lettern das alte Oxenstjernnasche — „Du siehst mein Sohn, mit wie wenig Weisheit die Welt regiert wird" — vor Augen zu führen, nirgends ein schöpferischer Gedanke, nirgends «ine

Idee, welch« den Keim glücklicher Entwicklungen in sich trägt."

Auch Schurz war am Jahrestage des „großen Erweckungsjahres"

bereits zu einer ähnlichen Überzeugung gekommen. Was am 21. De­ zember 1848 die „Daily-News" in London mit richtigem Gefühl ge­ sagt hatte: „Nur durch «ine Demütigung und Begrenzung der Gewalt und Präten­ sion ihrer Fürsten können die Deutschen ihre Stärke, ihre Unabhängigkeit, ihre Freiheit und ihr« Einheit wiedererlangen.

Wrangel und Windischgräh sind

heute die Herren von Deutschland."

wurde auch seine Auffassung der Lage der Dinge.

Er sah immer

schärfer, daß die Hauptfrucht der Ereignisse vom Juni, Oktober, No­ vember und Dezember 1848 sowie März 1849, die wie Meilensteine den

Weg der Konterrevolution anzeigten, die Beseitigung der Märzillusionen

war, „die Ernüchterung und Entzauberung des europäischen Volksver­ standes" (Rhein. Zeit.).

Allen Märzenthusiasten wurde nunmehr bei

kalter Bilanzziehung klar, daß die Errungenschaften der Märzrevolution, soweit sie gescheitert waren, nur durch einen neuen Kampf gegen die

Fürsten zu erringen waren.

Die Verhältnisse in Preußen, die Verhältnisse in Deutschland hatten

sich gewendet. In Preußen waren starke Kräfte am Werke, die sich gegen den

weiteren Fortschritt wandten, die insbesondere die Kaiserkrone nicht aus

310 den „unreinen — revolutionären Händen" der Paulökirche annehmen wollten.

Diesen Widerstand vermochte auch die preußische National­

versammlung, die am 28. Februar 1849 wieder eröffnet wurde, nicht zu brechen. Sie stand unter dem Druck des Belagerungszustandes, den

der König sich fürchtete, aufzuheben. Auch die Thronrede, obwohl sie auf einen versöhnlichen Ton gestimmt war, ließ sofort erkennen, daß der

König nicht gewillt war, auf die „Diktatur der Bajonette" zu verzichten, obwohl die gemäßigt Liberalen sich der Illusion einer Revision der Ver­

fassung, wie sie zugesagt war, Hingaben. Die Opposition begnügte sich daher zunächst in den Adressedebatten, gegen die Rechtsgültigkeit der oktroyierten Verfassung zu protestieren, ohne allerdings ihre Existenz, die doch darauf beruhte, zu negieren. Was man besonders im liberalen

Lager erwartet hatte, eine klare Antwort über die deutsche Frage, blieb aus. Der König stellte lediglich einen nahen Friedensschluß mit Däne­ mark — der Waffenstillstand wurde am 28. Februar gekündigt — in

Aussicht. Schleswig-Holsteins und seiner Rechte wurde nicht gedacht,

— ein Zeichen, daß Preußen gar nicht mehr im Sinn hatte, sein Schwert

zugunsten Deutschlands, zu dem die nordischen Grenzlande gerechnet wurden, in die Wagschale zu werfen. Der König dachte gar nicht daran,

auf seine Kompetenz-Kompetenz zu verzichten und behandelte die Kam­ mern als quantite negligable. Schon der Neujahrserlaß an „das herr­

liche Kriegsherr" — der Freischaren wurde nicht gedacht!^») — sprach den Dank für den Beistand in der Zeit, da „Preußen ohne Gottes Hilfe

der Verführung und dem Hochverrat erlegen wäre", aus und lobte die Treue der Truppe, die sie bewiesen, als „Empörung die friedliche Ent­

wicklung jener freisinnigen Einrichtungen gestört habe, denen der König sein Volk habe

entgegenführen wollen".

Erhob der König hier die

schwersten und ungerechtesten Anklagen — vom politischen Standpunkt aus — gegen den übrigen Teil der Nation, so ignorierte er völlig dessen dringende Wünsche. Er bot einfach dem Volke va banque und ordnete

— vorwegnehmend —, was er durchsetzen wollte, schon vorläufig an. Am 2. Januar 1849 wurde mit einer überstürzten Eile die Patrimonial­

gerichtsbarkeit und der erinnerte Gerichtsstand aufgehoben, die Gerichte neu

organisiert und die Schwurgerichte überall eingeführt. War diese Maßnahme an sich zu begrüßen, so geschah sie nur, um den Einfluß auf die Bildung, der Geschworenenlisten ausschließlich in die Hand der Regierung zu legen.

Gemäß § 105 (Diktaturparagraph!) wurde mit der gleichen Unbekümmert-

584) Auch wir haben nach dem Weltkriege ähnliches erlebt!

311 heit -- ohne den Beirat der Kammern! — die Gewerbeordnung am 6. Fe­ bruar erlassen.

Während das Volk die Tragweite dieser absolutistischen Maß­ nahmen infolge der Kammerwahlen übersah, erkannten Führer wie

Schurz sofort hierin die tieferen Beweggründe und die damit beabsichtig­

ten Zwecke. Andererseits durchschaute er auch, wie die Stimmung in den ande­ ren Ländern sich damals gegen Preußen wandte (z. B. in Thüringen, Anhalt, Hessen, Mecklenburg usw. Für Preußen waren nur die kleinen: Bernburg, Meiningen, Schwarzburg usw.). Die Mittelstaaten wollten sich durch Preußen nicht „mediatisieren" lassen, was sie im Falle der Hege­ monie Preußens befürchteten. Sie schlossen sich daher gefühlsmäßig

näher oder ferner, deutlicher oder versteckter der österreichischen Politik an, „am schnellsten Hannover, am ehrlichsten Württemberg, mit dem meisten Recht Bayern, mit dem größsten Ungeschick Sachsen". Hier

wurde gegen die Einheit Deutschlands unter preußischer Führung jetzt gearbeitet. Auffälligerweise bekämpften die Kammern kurzsichtig nicht einmal diese eigenmächtige und verderbliche Hausmachtpolitik ihrer Kabinette, obwohl sie

nach den in der Paulskirche 8 Monate lang beratenen Grundrechten 58s>) ver­

langten, die doch völlig untergeordneter Natur waren — gegenüber der Haupt­ frage der Einheit! — und ebensogut dem neuen auf Grund der Verfassung ge­ wählten Reichstag hätten überlassen werden können.

Am 14. Februar erklärte die württembergische Kammer, daß die „Einheit des Gesamtvaterlandö, die Freiheit und Wohlfahrt der einzelnen

Volksstämme" nur gesichert sei, wenn auch die österreichisch-deutschen Stämme zu einem verfassungsmäßig gegliederten Bundesstaat vereinigt würden. Am 17. Februar sprach sich die Kammer der bayrischen Reichs­ räte gegen die Errichtung eines preußischen Kaisertums au65S6)- 3» Sachsen verlangte die Demokratie in der Kammer sogar einen verant­ wortlichen Präsidenten an der Spitze Deutschlands (an Stelle Preu­ ßens!), während sie gar nicht daran dachte, das Königtum in Sachsen

abzuschaffen usw. Endlich konnte Schurz aus dem österreichischen und preußischen Notenwechsel gegenüber der Paulskirche folgern, daß hier „Komödie" 585) Mißfielen allerdings: die bürgerliche Gleichstellung der Juden, die allge­ meine Freizügigkeit, die Gewerbefreiheit usw.

58ß) Prutz urteilte (S. 235): „Krasser und sinnloser Partikularismus der bayrischen Demokratie."

312 gespielt wurde. Am 23. Januar schien Preußen mit der Paulskirche

nach seiner Auffassung brechen zu wollen. Am 16. Februar schwächte Preußen seine Schroffheit ab und e6 wurde, wie ein Abgeordneter sich ausdrückte, „manche Spitze der ersten Note abgebrochen". Die Note vom 10. März erklärte sich mit einem Male wieder mit dem zweizüngigen Österreich, das ausdrücklich ein Direktorium fetzt forderte und zum „alten System" zurückkehrte, identisch. Preußen erklärte aber: „Eö habe

zur großen Befriedigung gereicht, daß damit auch Österreich den vom preußischen Kabinett vorgeschlagenen Weg der „Verständigung" in Frankfurt betreten habe. Preußen sei mit Vergnügen bereit, diese Vor­

schläge einer reiflichen Erwägung zu unterziehen." Schurz fühlte aus solchen diplomatischen Verklausulierungen, die mit Manteuffels Wort „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten" nicht in Einklang zu bringen waren, daß man nur die Oktroyierung deö „alten Systems" im Auge hatte und vorerst noch Zeit gewinnen wollte, daß

„die Republik der Fürsten und die Republik der Überzeugung" (Gutz­ kow) zweierlei seien." Er übersah auch nicht, daß die Konterrevolution, anstatt sich in die Bahn der Gesetzlichkeit (die Reform!) zu begeben, sich fanatisch in Permananz erklärte und nicht, wie er noch immer gehofft hatte, den Drang verspürte, sich durch Reformen zu „legalisieren" — ein Fehler, dm auch die Revolution 1848 schuldhafterweise begangen hatte. Da das entscheidende Wort von Preußen nicht gesprochen worden war, so glaubte er auch nicht mehr an die entscheidende Tat des Königs, sich an die Spitze Deutschlands zu stellen. Hatte Schurz den Widerstand aus den Kleinstaaten und bei den Großfürstm richtig erkannt, so übersah ec die Stärke der denrokratischen Kräfte in Deutschland. Versagte sich der Fürst in Preußen, so blieb nur noch der Appell an das Schwert übrig. Und hier war damals ein Er­ folg nur noch zu erhoffen, wenn durch den Sieg Ungarns über Öster­ reich die nationale Kraft Deutschlands zu einem Krieg gegen Rußland fähig gewesen wäre. „Sogar eine einzig verlorene Schlacht, urteilte Gutzkow, würde uns ein zwanzigjähriges Parlament der Paulskirche er­ spart haben." Von Frankreich, wo am 20. Dezember 1848 Prinz Louis

Napoleon zum Präsidenten proklamiert worden war, im Auslande aber als Anhänger des Legitimismus angesehen wurde, war jedoch eine Unter­ stützung nicht zu erwarten, obwohl die Demokraten am Rhein noch im­ mer auf den Ausbruch einer neuen Revolution dort hofften.

313 Hatte Schurz bisher nur mit dem Revolutionsgedanken gespielt, um ihn politisch als ein „pressure from without“ (Druck von außen) zu

benutzen, so wurde er ihm nun zum Selbstzweck, ein Mittel! zum direkten Erfolg, indem er hoffte, daß „das Gefühl verletzten Rechts

(seine tiefere Triebfeder!), der Unwille des gebrochenen Wortes, der männliche Zorn der Enttäuschung" die liberalen Kräfte nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt zu einem krafwollen Zu­ sammenwirken, „zu dem siegreichen Mut" wie einst im März 1848 entfesseln würde. In diesem Sinne schrieb er am 14. März („Bonner

Zeitung" Nr. 60):

„Nach Ablauf von noch 7 Tagen, und wir feiern den Jahrestag der Berliner Revolution. Tiefe Trauer erfüllte zwar aller Gemüter, alö die Helden des 18. März in das Grab hinabgesenkt wurden, aber eine tiefe Trauer verbunden mit der freudigen Hoffnung und jubelnden Ge­

wißheit, daß aus den Gräbern eine Saat emporwachsen werde, die den Zurückbleibenden goldene Früchte liefern wird. Nach dem Friedrichshain wandten sich unsere Blicke als nach dem Orte, wo mit unserem Fleisch und Blute der ewige Grund zu den von Gott und Menschen wegen unö zukommenden Rechten gelegt sei. Wir fühlten uns glücklich und vergaßen unsere Feinde. Wenn jetzt die Gräber sich öffneten und die Toten aufständen; könnten sie mit den jetzigen Zuständen zufrieden sein?

Dürften sie in der Lage, in der wir uns jetzt befinden, die würdige und entsprechende Folge ihres Heldentodes erkennen? Sähen sie in den uns umgebenden Verhältnissen die gerechte Belohnung ihrer Ausführung? Eö müßte dann sein, daß Verletzung der eingegangenen Friedensbedin­ gungen, Belagerungszustand, Soldatenwirtschaft, Einkerkerungen, Ver­ haftungen, Ausweisungen, Verhöhnung der Volks souveränität, Auf­ lösung der Bürgerwehr, Unterdrückungen der Presse und des Vereins­ rechtes usw. der Preis solchen Todes wird. Doch wir wollen keine Toten heraufbeschwören, denn ihr Blick müßte uns vernichtend treffen. Wie

kam dieser Zustand? Durch Nachsichtigkeit, Nachgiebigkeit und teilweise

Erschlaffung des Volkes. Als das Volk im Mai gewählt hatte, glaubte es, die Revolution sei geschlossen und merkte nicht, daß dieses bloßes Brechen des Eises war, damit die nun freien und frischen Fluten der Revolution ungehindert und ungehemmt sich fortwälzen konnten. Eö bürdete seinem Abgeordneten die große schwere Aufgabe auf, den eröff-

neten Kampf allein durchzufechten und verhielt sich selbst nur als müßi­ ger Zuschauer. Doch es hieße das Wesen des Eigentümlichen der Revo-

314 lution verkennen,

wollte man deshalb verzweifeln.

Die Revolution

gleicht dem Drachen in dem Märchen, dem an die Stelle des abgehaue­ nen KopfeS ein anderer, noch furchtbarerer und wilderer nachwächst. Ja

die zweite Revolution ist unvermeidlich und keine große Sehergabe ist dazu nötig, um ihr baldiges Auftreten zu verkünden, zu bestimmen. Wie

der Ebbe die Flut folgt, so folgt der Reaktion die Aktion. Und die Reak­

tion hat nun endlich die Runde durch Europa gemacht. In Berlin Sprengung der konstituierenden Versammlung und Oktroyierung einer Verfassung. In Wien das Gleiche. Und in Frankreich? Dort wird

in diesem Augenblick über das Leben und die Freiheit von Personen ent­ schieden, die für das Wohl und das Glück des Volkes ihr alles aufzu­ opfern bereit sind. Und ist die jetzige französische Regierung keine ok­ troyierte? Wenigstens ist sie mit dem allgemeinen Volköbewußtsein zu­ widerlaufend. Fragt man nun nach den Mitteln und Stützen,

auf

welche die Machthaber in den drei genannten Reichen ihre Gebäude ge­

gründet haben, so wird man weder die öffentliche Meinung als solche finden, noch die innere moralische Kraft, die das Ganze belebend durch­

dringt und zusammenhält, sondern daö Säbelregiment und die Polizei­ gewalt sind die Pfeiler dieses Staatsgebäudes, und wo diese nicht aus­ reichen, wird dem Untertan noch eine Dosis Pulver und Blei in den

Magen geleitet. Und im Hintergründe, oder vielmehr im Vordergründe

steht der Koloß im Osten, der Zar, mit dem Fürsten des zivilisierten Europas ein Bündnis eingegangen sind, der Knechtschaft gegen die Frei­ heit, der Finsternis gegen das Licht, der Verdummung gegen die Auf­ klärung, her Abhängigkeit gegen die Selbständigkeit, des Absolutismus

gegen Demokratie. Wir fürchten dieses Bündnis nicht. Bei uns steht das entrüstete Gefühl verletzten Rechtes, der Unwille gebrochenen Wor­ tes, der männliche Zorn der Enttäuschung, die Erweiterung unbefriedigter

Ansprüche und die moralische Notrvendigkeit, den begonnenen Kampf

zu Ende zu führen und eine ihrer Sache sich bewußte Schar von Ver­ teidigern unserer Sache. Dessen aber müssen sich alle bewußt werden, daß der Sieg schwankend, aber nicht zweifelhaft sein wird. „Zur Zeit

der Ahndung, spricht der Herr, will ich an ihnen ahnden ihre Sünden."

Österreich und Ungarn. (9. März 1849.) Am 4. Januar 1849 erklärte Simon in der Paulskirche: „Ein Volk, dessen Wille Jahrhunderte lang untergegangen war in der

Geschichte seiner Fürsten, schwingt sich nicht in wenigen Monaten zur Frei­ heit."

315 Die Wahrheit dieser Worte suchte die „Rheinische Zeitung" (Nr.

189, 7. Januar 1849) durch einen Vergleich Europas mit der freien Entwicklung Amerikas zu beweisen. Amerika hatte Anfang 1849 be­ reits 778 Banken mit einem Kapital von 210 Millionen Dollar, wäh­ rend Deutschland und Österreich noch in den Kinderschuhen steckten. Amerika hatte, da dort bereits 1829 die erste Bahn eröffnet worden war, 6103 englische Meilen Schienenwege, während Preußen mit dem

Eisenbahnbau erst einige Jahre vor der Revolution angefangen und hauptsächlich am Rhein Eisenbahnen hatte (allerdings noch nicht von Frankfurt nach Koblenz!). New-York hatte (Prof. Morse!) bereits

„elektro-magnetische Telegraphenlinien" 1844 und 1846 gebaut, wäh­ rend man in Deutschland erst 1848 damit begann (bisher Taubenpost!). Auch der Staatshaushalt war viel teurer wie in Amerika. Preußen mit seinen 18 Millionen Einwohnern brachte 94 Millionen Taler Steu­ ern auf (davon 4,5 Millionen für die Hofhaltung des Königs!). Ame­ rikas Etat sah bei 21 Millionen Einwohnern nur 42, 8 Millionen, Dollar (der Präsident erhielt nur: 37000 Taler! ^), die größtenteils durch Zölle aufgebracht wurden (nur 38 Millionen Pr. Taler durch» Einkommensteuer). Auf Dollar umgerechnet ergab sich, daß Amerika

im Verhältnis von rund 2 :3 besser gestellt war, zumal Preußen noch die vorsintflutliche Mahl- und Schlachtsteuer (wie heute noch in

Italien!) mit ungeheuren Unkosten erhob. War also Amerika infolge seiner freien Institutionen und der rentabeleren freien Wirtschaft gegenüber Mitteleuropa weit voraus, obwohl

der Zollverein schon segensreich gewirkt hatte, so war doch Österreich infolge seiner Agrarverhältnisse noch rückständiger als das übrige Deutschland. Es schien beinahe so, als ob diese mittelalterlichen Fesseln

auch die Politik dort ungünstig beeinflußten. Man konnte von der öster­ reichischen Kirchturmöpolitik58S) — wie heute in Bayern! — nicht los­ kommen, obwohl man in den Manifesten anläßlich des Thronwechsels (3. Dezember 1848) mit Freiheitsphrasen nicht sparte. Schwarzenbergs geheimes Programm gegenüber der Paulskirche hatte schon im Novem­ ber 1848 die „Wiener Zeitung" unverhüllt ausgesprochen (anläßlich

Robert Blums Tode!): „Die Unverantwortlichkeit der Frankfurter Deputierten in Österreich an6”) Der Präsident von Frankreich erhielt: 100000 Franken.

588) die nach Friedjung ebensogut im liberalen Sinne hätte geführt werden

können.

316 zuerkennen, hieße Österreich dem Frankfurter Parlament unterzuordnen und das kann die Regierung ohne die Zustimmung des Reichstags nicht."

Richtig durchschaute diese Pläne auch die „Rheinische Zeitung", als sie am 3. Januar 1849 anläßlich der Reise des Fürsten von Fürstenberg als deutscher Gesandter zu den Verhandlungen nach Olmüh aussprach:

„Jugend Deutschlands, du träumst von einem Bunde der Völker und wirst wahrscheinlich werden, was du warst, ein Bund der — Fürsten."

Die Passivität Österreichs wurde weiter durch die Nachricht doku­

mentiert, daß Österreich nicht im Stande sei, die Beiträge zum Reichs­ haushalt der Paulskirche zu zahlen und sich dazu weigere (Januar 1849) 589). Ihre Kriegserklärung gegen die Paulökirche durch das Pro­

gramm von Kremsier wurde dadurch bereits mit Vorpostengefechten weitergeführt. Und es war, wie Brüggemann (S. 47) urteilt, ein Fehler, daß die österreichischen Abgeordneten noch weiter zur Abstimmung zu­ gelassen wurden und sonach nur Verwirrung und Unfug (insbesondere fiel der Welckersche Erbkaiserantrag durch die Österreicher!) 59°) in einem Bundesstaate anstifteten, zudem sie gegen den Willen ihrer Regierung wollten. Allerdings, muß man Friedjung Recht geben, stand für Öster­ reich mehr auf dem Spiele als die Erschütterung der unumschränkten

Gewalt. Der Zerfall Österreichs zwang die Regierung dazu, die öko­ nomische Klammer im Innern über die politische (Zusammenhang mit Deutschland!) zu stellen. So war es gleichsam eine Lebensnotwendigkeit für Österreich, das alte Reich gewaltsam wieder zu zimmern, indem man hier auch wie in Preußen alles auf eine Karte setzte und schließlich mit Hilfe Rußlands gewann. Der Versuch, Ungarn wieder unter Wiens Botmäßigkeit zu be­ kommen. mißlang zunächst, obwohl Windischgrätz am 12. Dezember

1848 das ungarische Heer zum Zurückweichen nötigte, da man zu einem Feldzug nicht vor dem Frühjahr gerüstet war. So konnte Windischgrätz - Wien mit Siegesbulletins überschwemmend — nach Überschreiten der Leitha ziemlich schnell Oedenburg, Tyrnau, Raab und Mikolsz nehmen und am 5. Januar 1849 in Pesth seinen Einzug halten, indem er sich 58.9) Simon sagte schon damals richtig voraus (4. Januar 1849): „Deutsch­ land ist nicht mehr zu retten". „Die Gewalt hat gesiegt, wir sind an das Verfahren

vor dem März gewöhnt."

590) Mit 251 : 169 außerösterreichischen Stimmen wäre er durchgegangen. Später allerdings wurde die Mehrheit für die Crbkaiserwürd« durch 4 Österreicher (267 :263 Stimmen!) erreicht, die die Schöpfung Deutschlands höher stellten (vgl. F'iedjung: S- 197).

317 einbildete, von hier aus das „erwachende Ungarn" beherrschen zu können. Durch diesen Fehler gab er Kossuth Gelegenheit, zum Gegen­

schlage auözuholen. Kossuth^'), zwar kein Staatsmann vom Range Georg Washingtons, aber doch ein glühender Patriot und Volköagitator, der sich mit O. Connel messen konnte, entfachte überall die nationale Flamme und organisierte — auch im Auslande Versuche59S) — die Er­ hebung Ungarns. Die Generale Bem (Österreicher), Dembinski (Pole) und Görgey traten auf seine Seite. Schon im Januar konnte Bem

den österreichischen Feldherrn Püchner in Siebenbürgen durch einen kühnen Einfall derartig bedrängen, daß man schon Anfang Februar die Russen zum Schutz nach Hermannstadt rufen mußte. Der Erfolg war, daß Bem die Russen und Österreicher gemeinsam schlug und am 20. März 1849 Kronstadt eroberte, während die Reste der Russen und Österreicher in die Wallachei abgcdrängt wurden. Mit Ausnahme der Festung Karlsburg stand Ende März ganz Siebenbürgen in der Hand

der Ungarn, die — auch die Polen — dem greisen Heerführer, idem „Blücher Ungarns" zujauchzten. Ebenso glücklich waren die aus Un­ garn selbst vordringenden ungarischen Kerntruppen. Nach den Gefechten

bei Szolnok (5. März) und Hattan (durch Dembinski am 2. April) mußte Windischgrätz, trotz des anfänglichen Sieges bei Kapolna am 26. Februar, am 6. April Pesch räumen. Nach dem Fall von Waitzen wurde er am 10. April bei Szent-Endera glänzend geschlagen, sodaß man ihn abberief und den alten Weiden zum Oberbefehlshaber ernannte. Nach den Siegen von Neuhäusel und Gran (19.—20. April), fiel Pesch und Komorn in die Hände der Ungarn.

Schien somit Ungarn befreit, so war es auch in sich seit dem 14. April geeinigt, als der Reichstag in Debreczin die Selbständigkeit Ungarns aussprach und Kossuth zum Präsidenten wählte. Alle Welt glaubte, daß nunmehr die Stunde Österreichs geschlagen habe, wovor allerdings im letzten Augenblick die Russen an Stelle der Preußen! es bewahrten. Als Schurz seinen Artikel „Österreich und Ungarn" schrieb, war allerdings für Österreich die Lage auch schon gefahrvoll, zumal in Italien die Revolution erneut ausbrach, wenngleich Schwarzenberg damals („Regierung mit rückschreitenden Fortschritt") gerade — am 4. März — 591) floh später nach Amerika.

Kürzlich wurde sein Denkmal in New Uork

enthüllt.

ö92) In Paris, London, Italien und Deutschland waren Ungar. Agenten.

318 die Einheitsverfassung oktroyiert hatte. Österreich hatte hierdurch selbst

die Bande des Rechts und Gesetzes, durch die es mit Ungarn verknüpft war, gelöst, indem es entgegen dem Wortlaut aller Eide und Verträge

die ungarische Verfassung einfach aufhob, nachdem

es schon früher

„durch die unerhörtesten Perfidien Ungarn in das Elend des Krieges ge­

stürzt hatte" (Prutz S. 320).

Diese schweren Rechtsbrüche, die Schurz wieder Anlaß gaben, über

die österreichische Frage im D. V. in Bonn (und außerhalb) zu reden,

drückten ihm die Feder in die Hand.

Im allgemeinen beurteilte er

richtig die Lage, wenn er auch die Kraft der Russen nicht in Betracht zog,

die später im Mai die Entscheidung zugunsten Österreichs herbeiführten. Schurz schrieb damals: („B. I." Nr. 57, 9, 3.1849).

Österreich

und

Ungarn.

„Bereits hat die Geschichte über die Jentralpolitik des österreichischen Ministeriums daö unerwartete Urteil gefällt, daß sie nicht nur eine falsche und ungerechte war, sondern daß sie auch auf durchaus unmög­

lichen Voraussetzungen fußte. Wir sehen die tatsächlichen Beweise in Italien, wir sehen sie in dem Gesinnungöumschwung der Slaven, in den serbischen und kroatischen Bewegungen, wir sehen sie in dem ungarischen

Kriege. Soviel Nationalitäten, in denen ein lebhaftes Bedürfnis nach

Selbständigkeit erwacht ist, welche dieses Bedürfnis bis zum TodeSkampf treibt, solche Nationalitäten eine durch andere zu knechten, um

dann eine mit der anderen zu verbinden, dieser Gedanke setzt Dummheit oder unverantwortliche Voreingenommenheit voraus. Der Kampf hat

sich entsponnen. Erst eine dieser Nationalitäten hat den brutal hinge­

worfenen Handschuh mit nationaler Begeisterung ausgenommen und

bereits ist der Sieg über das Ministerium entschieden.

Als Wien gebändigt war, als man mit Waffengewalt die Stimme der Freiheitsbegeisterung zum Schweigen gebracht hatte, da glaubte man

in den Magyaren ein verlassenes Häuflein zu erblicken, ohne Sympathie bei den anderen Nationen, ohne hinreichende innere und äußere Hilfs­

mittel. Man begann den Krieg in dem Glauben, daß der Schrecken, der von dem Namen deö Feldobersten Windischgrätz vorherging, in wenigen

Tagen die aufgestandene Nation gezähmt zu den Füßen deö Monarchen

niederlegen werde. Man hatte sich getäuscht. Man hatte vergessen, daß an der Spitze der Magyaren der größte Revolutionär (Kossuth) dieses

Jahrhunderts stand, ein Mann, der durch die unwiderstehliche Macht

319 seiner Rede die Herzen zu sich zog, der durch die rücksichtsloseste Tat den Verrat im Jaume hielt. Schon jetzt sind über die ersten Tatsachen

des ungarischen Krieges die nötigen Aufklärungen erfolgt. Die Mag­ yaren verließen ihre Schanzen bei Preßburg und Raab, sie gaben anschei­ nend ihr Land dem Feinde preis. Und die schwarz-gelben waren eifrig be­

müht, die Feigheit der Magyaren in fabelhaften Nachrichten ins Land hinauözuposauncn, sodaß Europa erstaunte und nur der tiefer Sehende

hinter der anscheinenden Flucht einen wohldurchdachten Plan erblickte. Die Zeit hat dies bestätigt. Die österreichische Regierung gab den Lügen einen offiziellen Charakter, aber sie dachte nicht daran, daß man die

Geschichte wohl verdunkeln, aber nicht verändern kann. Die lange Dauer des Krieges ist der beste Beweis für die Unwahrheiten der anfänglichen

österreichischen Bulletins und ein konsequenter Anfang der Lüge läßt eine konsequente Fortsetzung vermuten. Aber mögen wir an die öster­

reichischen, mögen wir an die magyarischen Siegesberichte glauben, die

in fast regelmäßigen Abwechselungen folgten und sich gegenseitig paraly­ sieren wollten — die Tatsache steht fest, daß die magyarische Insur­

rektion noch lange nicht beendigt ist, daß die österreichischen Waffen trotz der ungeheuren Anstrengungen in den letzten Wochen nicht einen

Fuß breit Landes gewonnen haben. Die Behauptung, der Krieg sei be­

endigt, wurde schon vor Monaten als gewiß hingestellt. Die Wahrheit war unerbittlich und beschämte den österreichischen Prahler

vor den

Augen Europas. Jetzt soll durch ein angeblich gewonnenes Treffen bei Kalpolna (26. Februar 1849) die Insurrektion für immer erdrückt sein.

Aber wir wissen, daß die Österreicher eben an den Grenzen des Terrains

stehen, auf welchem die Ungarn den Kampf in ihrer Weise und mit Er­ folg fortführen können.

Der Krieg hat

solange gedauert und wird

noch länger dauern — diese Tatsache sei uns genug.

Was wollte Österreich mit der Unterwerfung Ungarns? Konnte das Ministerium die Besiegung Ungarns um jeden Preis

wollen, auch um den Preis, daß aus dem üppigen Lande ein ödeö, aus dem reichen Volke ein armes gemacht werde?

Auch um den Preis,

daß es an der Bekriegung dieses Landes seine Geld- und Militärkräfte vergeudete?

Die österreichischen Staatsschulden

sind ungeheuer,

die

Geldkräfte erschöpft, die Finanzquellen versiegt, der Kredit geschwunden.

Man erinnere sich, daß im Reichstage eine außerordentliche Anleihe von 80 Millionen bewilligt wurde (21. Dezember 1848). Rotschild und Sina wollen das Geld nicht hergeben, die Anleihe kommt auf diesem

320 Wege nicht zustande.

Man erinnere sich, daß die Finanzoperationen

Kossuths den Österreichern unangenehme Schläge versetzten. Was wird

das Ministerium tun? eine freie Anleihe im Lande zu machen suchen? Das Volk wird nicht zahlen, denn das Volk sympathisiert nicht mehr

mit dem Ministerium.

Ungarn, das reiche Ungarn ist das Land, an

welchem sich Österreich erholen könnte. Und wenn Österreich Ungarn vernichtet, so hat es sich selbst vernichtet. Österreich muß also Ungarn schonen, wenn dieses ihm nützen soll, denn nur das reiche Ungarn hat für Österreich augenblicklichen Wert. Österreich muß Ungarn besiegen,

wenn es Ungarn benutzen will — denn der Magyare wird seine Selb­

ständigkeit um keine Bedingungen friedlich verkaufen. Das Ministerium scheint die Sonderbarkeit seiner Lage einzusehen, denn es denkt an Ver­

mittlung und fängt an, Vorschläge zu machen. Da aber unter diesen

Vorschlägen auch derjenige ist, daß die Magyaren die Häupter der Insur­ rektion, also auch ihren gefeierten Kossuth ausliefern sollen, so sind

diese Vorschläge gar keine Vorschläge. Aber zur Vermittlung ist es zu spät, denn die ungarische Insurrektion hat ihren lokalen Charakter ver­

loren und einen prinzipiellen angenommen.

Die Idee der nationalen

Selbständigkeit hat Propaganda gemacht und ist weit über die Grenzen

des Magyavenlandes hinausgetreten.

Sie hat die ehemaligen Feinde

der Magyaven erfaßt und sie in einen Kampf hineingezogen, der zwar mit den Magyaven nicht unter einer gemeinsamen Fahne geführt wird,

der aber auf ein gemeinsames Ziel lossteuert. Die serbische Insurrektion, weit entfernt

unterdrückt zu sein, ge­

winnt täglich an Terrain und Bedeutung. Stratimirovich, der Chef der

Empörung, gebietet über den bei weitem größeren Teil des SerbenLandeö, und noch ist es nicht gelungen, ihm einen Fuß breit Landes streitig zu machen. Unter dm Kroaten zeigen sich nationale Ansprüche,

die mit dem System des Ministeriums keineswegs übereinstimmen. Die Slaven, die scheinbar so unwandelbaren Stützen des Thrones, fangen

an, das himmekschveiende Unrecht zu erkennen, das an den Magyaren begangen wird. Ein vorurteilsfreier Blick in die Zukunft zeigt ihnen, daß sie, falls sie das Treiben der Regierung unterstützen, das Schwert

für ihren eigenen Hals schärfen, daß ihnen für den Fall eines ministe­ riellen Sieges Ungarns Schicksal gewiß ist. In Mähren, Böhmen, in Galizien und in den deutschen Landen wachsen die Sympathien für

Ungarn mit jedem Tage und ihre Unterstützung läßt nicht auf sich warten: sie verweigern die Stellung von Rekruten. Es beginnt sich ein

321 unsichtbares Band zu schlingen um all die Nationalitäten, welche aufs schändlichste mit- und durcheinander verraten worden sind. Und das sind

in Österreich eben alle. Leidende Menschen werden leicht Freunde, die

leidenden Nationen aber auch, besonders wenn sie strebende Nationen sind. Was aber am schnellsten zusammenbindet, daö ist das Bewußtsein,

gemeinsam verraten zu sein. Noch ist die Sympathie nur eine heimliche, noch hat sie die intensive Höhe nicht erreicht und den Zeitpunkt nicht

gefunden, wo sie sich verkörpern könnte.

Aber diese Intensität und

diesen Zeitpunkt wird das Ministerium sehr bald heraufführen, wenn eS fortfährt, an Ungarn zu beweisen, wie man die Völker systematisch ein­

ander morden läßt.

Ob ein augenblicklich scheinbarer Waffenerfolg

der Österreicher

möglich oder wahrscheinlich ist, ist eine andere Frage. Das Einrücken

der Russen in Siebenbürgen hat dem siegenden Fortschreiten Bems kein Ziel gesetzt.

Ein dunkeles Geheimnis ruht noch auf dieser Tatsache.

Zeder freiheitsliebende Mann brennt vor Begierde, den Schleier auf­

zuheben, um den zu erkennen, der die ungeheure Verantwortlichkeit für diesen Schritt auf den Schultern trägt. Selbst das österreichische Mini­ sterium scheut sich, zu der großen Reihe seiner Verrätereien auch noch

diesen großen Verrat an ganz Europa hinzuzufügen.

Es würde sein

letzter sein. Vielleicht wird es die bebende Hand zurückziehen — man

sagt schon, daß kein Russe mehr in Siebenbürgen zu finden sei — viel­ leicht wird es verzweifelt zugrcifen und vor ganz Europa die Maske ab­

werfen, die es nur mit Ungeduld behielt.

Die Entrüstung über das

Erscheinen der Russen ist in Österreich allgemein.

Greifen russische

Bajonette nur einmal entscheidend in den ungarischen Kampf ein, so

wird der Krieg mit Macht über die engen Grenzen des Landes hinaus­

schwellen, und der Völkerkrieg im umfassendsten Sinne des Wortes ist entzündet.

Und was hat Österreich?

Möglich, daß die

magyarische

Sache verloren geht — für Österreich wird Ungarn nie und nimmer­ mehr gewonnen. Möglich, daß die Freiheitsbewegungen in den Herzen

der Nationen mit russischen Bajonetten niedergetreten werden — für

Österreich werden sich diese Arme nie mehr bewaffnen. Österreich ist so zerrüttet, wie es niemals war, — nur noch rus­

sische Hilfe, und eö wird kraftlos und abhängig nach außen dastehen> denn die Russen erfechten nur russische Siege, nicht fremde. Das aber ist jetzt vor aller Augen sonnenklar geworden: Österreich konnte nur dann die Magyaren besiegen, wenn es Ungarn in wenig

Sanneftt, Schurz.

21

322 Tagen im Sturmschritt eroberte. Jeder Tag des Krieges, der über die

ersten Wochen hinausging, war für Österreich eine Niederlage, denn das Ziel des Kampfes schwand aus seinen Augen und seine Kräfte gingen

zugrunde. Eine verlorene Schlacht konnte Österreich wohl ertragen — aber eine täglich sich wiederholende Niederlage monatelang hindurch zu ertragen, ist unmöglich. In diesem Kriege wird Österreichs Macht unter­

gehen, mag sie nun die magyarische Nation mit ins Verderben ziehen oder ihr den Kranz des Waffensieges lassen."

Die Konterrevolution in Österreich. (25. März 1849.)

Wie in Preußen, so war auch der Reichstag in Kremsier nach dem Siege der Konterrevolution in Wien zur völligen Bedeutungslosigkeit

herabgesunken. Nachdem er am 21. Dezember — trotz schwerster Be­

denken und schärfster Proteste die von der Regierung geforderte 80 Mil­ lionenanleihe, die zur Wiederherstellung des Metternichschen Systems dringmd benötigt wurde, bewilligt hatte59S), um es nicht zum Bruch

kommen zu lassen, hatte man sich sein Grab gegraben. Schwarzenberg

ließ ihn sich in der Danaidenarbeit der Beratung der Grundrechte — die auch dem Frankfurter Parlament zum Unheil werden sollte — auf­

reiben. Die Abschaffung des Adels, die Aufhebung der Todesstrafe usw.

konnte man zunächst theoretisch ertragen. Als man jedoch dazu über­ ging, bei Beratung der Verfassung eigene Wege zu gehen, wurde er kurzerhand (am 7. März) aufgelöst und die Verfassung vom 4. März

zur Wiederherstellung der Einheit der Monarchie oktroyiert. Man er­

klärte ganz offen, es sei nun endlich an der Zeit, „dem Mißbrauch der

Freiheit (von Mißbrauch der Gewalt war nicht die Rede!) zu steuern

und die Revolution zu schließen", da der Reichstag sich „in höchst ge­ fährliche theoretische Irrtümer verloren habe, dadurch die Wiederkehr der Ruhe, der Gesetzlichkeit (die die Regierung auch gerade übertrat!)

und des öffentlichen Vertrauens verzögert, wohlgesinnte Staatsbürger betrübt und die Partei des Umsturzes — besonders in Ungarn — er­ mutigt habe" — die übliche Umdrehung des Spießes! —.

Die Verfassung, die „aus freier Bewegung und eigener kaiserlicher Macht (contra: die Märzgesetze!) seinen Völkern diejenigen Rechte, Frei­

heiten und politischen Institutionen verleihen wollte", die zugesagt waren, 593) Auch stimmten die Slaven bafür, die die Regierung durch Versprechungen

gegen die eigenen Landsleute ausspielte.

323 schloß sich im allgemeinen (auf Wunsch Schwarzenbergs und Stadions!) der preußischen an, war aber weit absolutistischer gehalten. Von einer

Revision durch die Kammern (wie in Preußen!) und von einer Verstän­ digung zwischen Fürst und Volk war keine Rede, obwohl die Regierung wiederholt noch dem Reichstag zu Kremsier die Mitwirkung versprochen

hatte. Das Verhältnis zu Deutschland wurde gar nicht erwähnt, aber durch die Fassung die Aufnahme als Ganzes zur Bedingung gestellt. Ein Termin für die Neuwahlen war überhaupt nicht festgesetzt worden usw. 594). Diese „polnische Knutenwirtschaft" nahm die Bevölkerung Österreichs mit völliger Gleichgültigkeit hin, „soweit sie sich überha.upt

auö den Banden der Verfinsterung und der Pfaffenherrschaft hcrauögearbeitet hatte"595). Aber auch im übrigen Deutschland ertrug man

apathisch diese Schicksale unb hoffte höchstens auf Italien oder Ungarn, von denen nach Besiegung der österreichischen Armee allein die Ret­

tung kommen konnte. Zn Italien war die Freiheitsbewegung schon im Februar erneut auögebrochen. Zn Nom wurde am 9. Februar die Republik verkündet usw. Am 18. Februar rief man in Florenz die Republik auö usw. Doch war >vic überall — außer Ungarn — die revolutionäre Kraft zu gering, um den regulären Truppen — in Italien Radetzkys — widerstehen zu kön­ nen. Nach dem Gefecht bei Novarra am 23. Februar 1849 war die sardinische Armee vernichtet und Österreich in der Hauptsache999) wieder Herr der Lage (endgültig erst nach dem Fall von Venedig am 22. August 1849). Die Lage in Ungarn dagegen wurde immer bedrohlicher, zumal auch die Russen Siebenbürgen nicht halten konnten. Die Entscheidung hing dort an einem Faden. Siegten die Ungarn und eroberten Wien, so

war nicht

nur Österreich

verloren,

sondern

konnte auch

die

594) Als Grundrechte waren aufgestellt: Glaubensfreiheit, Unterrichtsfreiheit, Pressefreiheit mit repressiven Maßnahmen, Versammlungsrecht usw. — Habeas­ korpusakte fehlten nicht, konnten aber jederzeit durch den Belagerungszustand auf­

gehoben werden. Man proklamierte „die freie, selbständige, unteilbare und unauf­

lösbare konstitutionelle österreichische Erbmonarchic, Gleichberechtigung aller Stämme (nach

Schuselka: gleiche

Knechtung

aller Stämme!), ein unverletzliches Recht

auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität, ferner Reichsrat, Reichstag, Oberund Unterhaus usw. 595) Vgl. Prutz S. 304.

c*96) Am 23. April kapitulierte Palermo.

Rom mußte sich den vereinigten

Waffen von Österreich, Neapel, Spanien und Frankreich beugen.

324 Revolution auf Deutschland wieder übergreifen.

Vielleicht wäre in diesem Augenblicke eine günstige Gelegenheit zur Schaffung Deutsch­

lands unter der Hegemonie Preußens gewesen, zumal der Zar Nikolaus große Truppenmassen nach Ungarn werfen mußte, um dort die Revo­

lution zu beseitigen. Leider wurden die in dieser Situation liegenden

Entwicklungömöglichkeiten nicht erkannt, weil hierzu ein Napoleon oder Friedrich der Große fehlte. Die Einheit Deutschlands, die Schurz er­ strebte, fand sonach nicht den Staatsmann großen Formats, ohne den

nun einmal nicht in die Speichen des Schicksals in den großen Mo­ menten der Geschichte eingegriffen werden kann. Die Einheitsbewe­

gung war stecken geblieben, weil ihr die richtige Organisation und die zupackende Führung fehlte. Gerade die großartige Neuschöpfung in Ungarn durch Kossnth erweckte in Schurz den Glauben, daß ein

solches Werk auch in einem größeren Maßstabe volutionärem Wege geschaffen werden könnte. Organisationsausschuß mit einem Diktator an gewesen. Die demokratische Partei^), in der

in Deutschland auf re­ Hierzu wäre aber ein der Spitze erforderlich

Schurz arbeitete, war

hierzu nicht in der Lage. Der Zentralausschuß war dazu nicht fähig. Vielleicht hätte in der Paulökirche eine Möglichkeit hierzu gelegen, wenn man nicht eine österreichisch geführte provisorische Jentralgewalt ge­

habt hätte. All« die großen Sünden der Paulskirche wurden jetzt zu

furchtbaren Fesseln, die jede Flucht aus dem Irrgarten unmöglich machten. Man hatte sich gleichsam in einem Kamin verstiegen, der nicht die Möglichkeit bot, auf den First des Bergeö „Deutschland" zu

gelangen, was man erst bei hereinbrechender Dämmerung — zu spät — erkannte. sw) Dgl. über di« Stärke Krause: „Die demokratische Partei" S. 137/145 (in

„Paulskirche").

Schwach

war

der

Anhang

Brandenburg (außer Berlin). Schmerzenskinder schweig.

Hoffnungslos sind Bremen, Oldenburg.

in

Ostpreußen,

Pommern,

waren Hannover und Braun­

Gut ist die Organisation in

Schlesien (65 Dem. Vereine), Rheinhessen (70 Vereine), int Rheinland (Bonn, Köln, Trier und Mosel). Zufriedenstellend (teils besser) ist die Mitgliedschaft

in Hamburg, Westfalen (12 Vereine), Thüringen, Sachsen, Württemberg und Baden.

Auch Demokrat. Studentenvereine werden organisiert in Breslau, Bonn,

Heidelberg, Tübingen, Berlin usw. (Gründung am 25. September in Eisenach beschlossen!).

Ein Zentralausschuß von 5 Mitgliedern leitet von Berlin die Pro­

vinzialausschüsse

usw.

Organisationsreisen

unternahmen: Rau

nach

Württem­

berg, Fröbel nach Österreich, Georg Fein nach Hamburg, Hannover, Mecklen­ burg, Holstem, Köln usw. (Stärkezahl sonst nicht bekannt!).

325 So richtig Schurz die politische Gesamtlage durchschaute, so sehr verkannte er — der noch dazu von seinem beschränkten rheinischen Horizont die Weltpolitik beurteilte —, die Entwicklungsmöglichkeiten der Zukunft. Was Ungarn unter einem Kossuth gelungen war, war in Deutschland unter einem Gagern oder König von Preußen oder auch

einem Diktator von Format nicht möglich, weil der Zeitpunkt verpaßt, der Kompaß von vornherein verkehrt eingestellt und jetzt die Heereö-macht des Absolutismus (im Rheinland stand ein Observationskorps von 100 — 150000 Mann — „Rheinische Zeitung" Nr. 178, 25. 12.

1848) unüberwindlich — auch nach der Parteilage überhaupt — war. Schurz schrieb am 22. März 1849 („B. Z." Nr. 70 u. 72): „In keinem Lande Europas hat die revolutionäre Bewegung seit

dem Frühling deS Jahres 1848 einen so sonderbaren Weg gemacht wie in Österreich. Keine Stadt erlebte ein revolutionäreres Aufschnellen

des Volksgeistes so oft, in keiner Stadt zentralisierten sich die revolu­ tionären Kräfte so tätig und entschieden, wie in Wien. Die Großartig­ keit der Arbeiterbewegungen trat in Deutschland nirgends so in den Vordergrund. Die glänzende Erscheinung der Aula fand in ihrer Art nichts Ebenbürtiges. Die Frische deö Strebens, die heitere rasche Ent­ schließung, wie sie den Österreichern eigen ist, dokumentierte sich ekla­

tant in den schnell aufeinanderfolgenden Krisen und Wendungen, welche die Revolution in Österreich so außerordentlich lebhaft machte. Leider

waren die revolutionären Kräfte nicht so von geistiger Klarheit durch­ drungen, daß sie ihre eigne materielle Stärke, die Macht ihrer Populävität oder die Gunst deö Augenblicks zu erkennen oder zu unterschei­

den gewußt hätten — und diese schwache Seite, die besonders bei der Oktober-Revolution übel hervortrat, wußte die Konterrevolution in ihrem ganzen Umfange zum Schaden der Revolution und zum Verderben des Revolutionärs auözubeuten. Die altkluge Mäßigung der Aula, die Duldsamkeit der Wiener Be­ völkerung gegen den äußerst unfähigen Reichstag, der Umstand, daß man den Zustand des offenen Bruches, der ausgesprochenen Revolu­ tion, in dem man sich wirklich befand, nicht anerkennen wollte, sondern sich pedantisch nach einem legalen Boden umsah, um diesen der Be­

wegung zu „unterbreiten", alle diese Dinge stellten eine gewisse Un­ fähigkeit der revolutionären Lage heraus, eine innere Haltlosigkeit, wo

es galt, das Gewaltsame von der Vergangenheit loszureißen und den entscheidenden Schritt zum äußersten zu tun. Dadurch geschah es, daß

326 die Revolution das innere Spiel verlor und die Konterrevolution eine

siegende Laufbahn beginnen konnte. Die siegeöfähigen Kräfte der Revolution und Konterrevolution sind

wesentlich verschiedener Art.

Während die Revolution in der Erkennt­

nis des günstigen Augenblicks und in möglichst entschiedener und um­

fassender Tat die Möglichkeit des Sieges suchen muß, so hat die Konter­

revolution die äußerste Vorsicht in den kleinsten Dingen, eine sichere Berechnung der anscheinend unbedeutendsten Umstände nötig, um sich

im Besitz der Gewalt zu erhalten. Denn jede wahre Revolution, getragen von einer siegesgewissen Idee, .ist durch klare Offenheit mächtig, wäh­

rend die Konterrevolution ihr falsches Streben in undurchdringlicher

Verschlossenheit bergen muß. Die Konterrevolution hat also doppelt so viel Klugheit nötig als die Revolution und sie ist in der kürzesten Frist

verloren, wo sie diese nicht besitzt. Als Wien gefallen war unb die Konterrevolution den Sieg der

Waffen errungen hatte, da standen ihr zwei Wege offen: entweder sie

setzte den Terrorismus der Waffen bis zum Extrem fort oder sie täuschte

das Volk durch liberale Konzessionen, die sie später umso leichter wieder hätte zurücknehmen können, als gerade durch sie die erdrückte Revolu­

tion viel Sympathien verloren hätte.

Sie mußte den revolutionären

Geist zu morden oder zu absorbieren suchen. Zwar schienen die zahlreichen Füsiladen anfangs anzudeuten, daß

die Regierung zu dem äußersten Terrorismus wohl entschlossen sei. Aber hier legte die konterrevolutionäre Gewalt den ersten großen Be­

weis ihrer gänzlichen Unfähigkeit ab. Zu unentschieden, mit den Er­ rungenschaften der revolutionären Vergangenheit gänzlich zu brechen und

die rohe absolute Waffengewalt zu dem einzig gült'gen Forum zn ma­ chen, zu feige, sich sämtlicher Führer der revolutionären Partei zu be­

mächtigen und sie rücksichtslos zu opfern, schlachtete sie gerade so viel Freiheitskämpfer, als nötig waren, um den tiefen Ingrimm im Herzen

der Völker zu nähren, aber nicht genug, um diesem Ingrimm die Organe zu rauben, durch welche er in der Zukunft sich furchtbar gellend ma­ chen konnte. Die Konterrevolution war grausam und beging die Dumm­

heit, in der Grausamkeit nicht einmal konsequent zu sein. Diese Dumm­ heit raubte ihr die berechneten Erfolge ihrer Grausamkeit, denn der

blutige Terrorismus reichte nicht hin, der nächsten Zukunft Möglichkeiten zu entziehen: Er führte ihr im Gegenteil revolutionäre Notwendigkeiten zu. Man beging die Dummheit, Robert Blum zu erschießen, den Zorn

327 des gesamten Deutschlands zum Wutgeschrei zu steigern, während man

Füfler, Fischhof, Goldmark usw. usw., Männer, die für Österreich un­

endlich viel gefährlicher waren, nicht antastete. Man beging die Dumm­

heit, den Reichstag wieder einzuberufen und ließ so den günstigsten Augenblick vorübergehen, wo man die Macht in Händen hatte, den un­

verhüllten Absolutismus wieder einzuführen.und selbst das Murren des Volkes zu unterdrücken und unmöglich zu machen. Man war so feige,

sich nochmals mit dem verhaßten Konstitutionalismus zu maskieren, ohne zu bedenken, daß der Zeitpunkt da sei, die Maske zu zertreten, die

man in der Zukunft vielleicht nicht los werden durfte. Man begnügte

sich mit einem halben Terrorismus und bedachte nicht, daß der halbe Terrorismus den entgegengesetzten Erfolg hat wie der ganze.

Aber auch den anderen Weg schlug die Konterrevolution in Öster­ reich nicht ein. Weit.entfernt den Reichstag mit einer scheinbar glän­

zenden Macht zu umgeben, die Lüge des Konstitutionalismusses durch fürstliche Zuvorkommenheit zu umkleiden, durch huldvoll väterliches Ent­ gegenkommen dem Herzen des Volkes die revolutionären Sympathien

zu entwinden, ließ man.die revolutionären Errungenschaften ein küm­

merliches aber aufreizendes Dasein fristen. Das Ministerium log, aber

es log zu dumm und ließ sich in die Karten sehen; eö war so kindisch, das betrogene Volk wegen seiner Leichtgläubigkeit zu verspotten, bevor der

Betrug noch seine Früchte getragen. Man war so unklug, den Reichs­

tag, den man doch hatte existieren lassen, auf nicht undeutliche Weise zu verhöhnen, wodurch denn der Reichstag, dessen Auflösung doch eine notwendige Aufgabe der Zukunft wäre, mehr Boden im Volke gewann;

man war so unklug, durch die empörendsten Eingriffe in die Preß- und

Assoziationöfreiheit, die man doch nicht ganz zu vernichten wagte, dem Volke zu zeigen, was man für die Zukunft vorhabe. Man empörte den Patriotismus der Deutsch-Österreicher durch die offene Darlegung der undeutschen und Zentralisationspolitik — kurz, man häufte den Brenn­

stoff für eine neue Revolution in ungeheurem Maße an, man bereitete

den Boden, auf dem man stand, zu einem vulkanischen Durchbruch syste­

matisch vor. Es war natürlich, daß die österreichische Regierung durch diese ent­ schiedene Halbheit in eine wunderbar schiefe Stellung kommen mußte.

Es eröffnete sich eine Spaltung zwischen der Gewalt im Staate, welche zum entschiedenen Terrorismus neigte und derjenigen, welche

volks­

tümlicheren Konzessionen hold zu sein schien. Nur im Kampfe gegen

328 die Repräsentation der Volkssouveränität waren diese Gewalten einig und machten sich das Zerwürfnis geltend, sobald dieser Kampf auf dem Sta­

dium der drängenden Gefahr in daö der politischen Überzeugung trat. Diese beiden Gewalten waren Windischgrätz mit dem Heere einerseits

und das Ministerium andererseits. Der Reichstag war seit der OktoberRevolution nur noch eine illusorische Macht, denn das konstitutionelle

Ministerium kümmerte sich wenig um ihn. Es beantwortete diejenigen

Interpellationen, die ihm eben bequem waren. Windischgrätz, der sich, geheimen Instruktionen des absolutistischen

Hofes unbedingt folgend, von Anfang an als einen Vorfechter des Ab-

solutismusseS offen ankündigte, war der fähigste Konterrevolutionär in Österreich, denn er war wenigstens in seinem Willen konsequent, wenn

er auch die Bedeutung seiner Stellung nicht ganz begriff. Er hörte an­

fangs auf das konstitutionelle Ministerium, weil ihm die „Befehle des Kaisers" höherstanden; aber er zog die äußerste Konsequenz aus seiner Widersetzlichkeit nicht. Er besaß das Heer und er war der Mann, der das

Oktroy auf seine Schultern nehmen konnte. Aber er hielt sich in seiner

militärischen Sphäre und war zu viel als Diener, als daß er selbständig hätte handeln können.

Dem Ministerium war es also anheimgegeben, das Werk der Kon­

terrevolution zu vollenden, daö Volk sah im Reichstag noch immer einen Damm gegen die Übergriffe der Regierung und wenn auch die Macht des

Reichstages eine durchaus zerbrechliche war, so gründete daö Volk doch

seine politischen Rechtöbegriffe auf den Reichstag, dessen Existenz nach Kremsier auch von der Konterrevolution von neuem sanktioniert war.

Das Programm des Ministeriums, welches viele Hoffnungen erweckte, wurde von Volke als ein heiliges Versprechen genommen, auf welches

zurzeit eine laute Widerrufung statthaft sei. Da das Ministerium den Schein des Konstitutionalismusses beibehalten wollte, so knüpfte

es

mehrere seiner politischen Handlungen an die Bestätigung deö Reichs­ tages und hielt formell auch diese Gewohnheit. Wenn der Reichstag

auch wußte, daß ihm, im Falle einer Widersetzlichkeit, die unverzügliche

Auflösung bevorstand, wenn also auch seine Entschließung keine freie mehr zu nennen war, so wurde dem Volke doch diese Bedingung der

Gültigkeit der ministeriellen Beschlüsse um so teuerer/ als diese immer

drohendere Übergriffe gegen die Grundrechte des Volkes machte.

Wie

eifersüchtig daö Volk auf die Wahrung seiner Souveränitätsrechte durch den Reichstag war, zeigte sich unzweideutig, als man in Böhmen, Mäh-

329 rett und den deutschen Provinzen die Stellung von Rekruten verweigerte, weil die Ausschreibung der Rekrutierung ohne vorherige Genehmigung des Reichstages einseitig vom Ministerium ausgegangen war. Der revo­

lutionäre Funke war also damals schon in das Volk geschleudert wor­

den — und es nahte der Augenblick, wo dieser Rechtsverletzung eine un­

endlich größere beigefügt werden mußte — die gänzliche Auflösung des Reichstages selbst. Die Auflösung des Reichstages war vom Standpunkt des Ministe­

riums aus eine politische Notwendigkeit; denn der unbedingten Zentrali-

sationspolitik deö Ministeriums stand ja schon die Existenz des Reichs­ tages, dessen Zusammensetzung aus ganz anderen Prinzipien hervorge­ gangen war, als ein entschiedener Widerspruch entgegen. Die Auflösung

wurde nicht etwa allein von besorglichen Gemütern gefürehtet oder ge­ ahnt, sie wurde allgemein erwartet, — so groß war allmählich die Klar­

heit über die Absichten deö Ministeriums und die negierende Stellung deö

Reichstages während der Oktober-Revolution erfolgt — sie hätte sich bemänteln und als notwendige Abwendung einer ungeheuren revolu­

tionären Gefahr darstellen lassen, ja, man hätte ihr einen Rechtsboden unterschieben können, der noch immer einigen Schein für sich hatte.

Man ließ diese Gelegenheit vorübergehen und der rechtliche Schein war

verschwunden.

Eine Auflösung nach der zweiten Zusammenberufung

stand als rohe nackte Gewalttat da, welche im Volke die allergefährlichsten

Folgen haben konnte. Aber diese Gewalttat war für die Konterrevolu--

tion eine Notwendigkeit. Man mußte suchen, sie unter möglichst gün­

stigen Bedingungen auszuführen. Und welchen Zeitpunkt wählte das Ministerium? — Das Volk, welches durch die Niederlage der Freiheit in Wien eine Zeitlang geistig

gelähmt und zu allem revolutionären Aufschwung gänzlich unfähig schien,

erholte sich allmählich von seinem jähen Schrecken, erwärmte sich in

seiner trostlosen Lage an den Reden seiner entschiedensten Vertreter und arbeitete sich nach und nach zu einem kräftigeren Selbstbewußtsein em­

por. Die Dumpfheit verschwand und der kühner unterscheidende poli­ tische Blick gab dem geistigen Leben reichere Nahrung und

höheren

Schwung. Sehr bald begann das Volk wieder heimlich zu fordern und

offen zu fragen und trat so der Möglichkeit einer neuen Revolution einen bedeutenden Schritt näher. — Die slavischen Stämme Österreichs, welche sich bei der Oktober-Revolution als ein williges Werkzeug in den

Händen der Konterrevolution bewährt hatten, weil sie glaubten, ihrer

330

Nationalität eine ausgedehnte Herrschaft begründen zu können, blieben

der Regierung so lange treu zugetan, als diese eS verstand, jene eitlen Illusionen in ihnen rege zu halten. Dieses Trugspiel konnte nicht von

langer Dauer sein, und das allgemeine Mißtrauen, welches die Welt nach allen Richtungen durchströmte, schlich sich auch zwischen die Sla­ wen und die Regierung und deckte die Eitelkeit der Hoffnungen auf, welche den Slawen unter allen die teuersten waren. Eine Gesinnungs­

änderung der slawischen Stämme war die natürliche Folge, und diese sonst so dienstwillige Stütze der konterrevolutionären Regierung wankte in allen Fugen. Der magyarische Krieg war zum Prüfstein der konterrevolutio­

nären Kräfte bestimmt. Windischgrätz hatte sich zu Ende des vorigen Jahres mit aller Macht auf die magyarischen Insurgenten geworfen; es war nochmals gelungen, die einzelnen Nationalitäten des österreichi­ schen Staatenverbandes zu blutiger Feindschaft gegeneinander aufzu­

hetzen und der Kampf nahm den Charakter eines Nationalitätenkampfes an. Der Sturm auf die revolutionären Magyaren brach von allen Seiten los und den schwarz-gelben Fahnen schien der Sieg dauernd hold zu sein. Das fluchtartige Weichen der Magyaren hätte sich als eine morali­ sche Niederlage der revolutionären Partei auöbeuten lassen — aber noch­

mals ließ daö Ministerium den günstigen Augenblick für den gefähr­ lichsten Schritt unbenutzt vorübergehen. Hatte man auch keine Siege für sich, man besaß wenigstens den Ruf des Sieges. Doch bald nahm der magyarische Krieg eine neue Wendung, die feindlichen Nationalitäten sahen ihr Unrecht ein und wurden sich ihrer eigenen Interessen bewußt. Sie wandten der schwarz-gelben Konterrevolution den Rücken und die Sympathien für die Magyaren wuchsen mit jedem Tage. Die Häupte" der Konterrevolution, besonders Jellachich gerieten in eine gefährlich zweideutige Stellung zwischen ihre Nationalität und die Regierung. Wandten sie sich gegen die Regierung, so fielen sie unter die Kategorie

der Rebellen, wandten sie sich gegen die Ansprüche ihrer Nationalität, so gaben sie dieser die entscheidende Veranlassung zur Selbsthilfe. Jel­ lachich scheint das Letztere zu tun und qualifiziert Agram zum Heere einer revolutionären Bewegung. Die unwiderlegliche Kunde von den Waffen­ siegen der Magyaren goß neue Lebenskraft in die revolutionäre Partei.

Die Hoffnungen wuchsen mit der Finanznot der Regierung, welche durch die ungeheuren kostspieligen Anstrengungen des magyarischen Krieges aufs höchste getrieben wurde. Der Kredit schwand mit den Niederlagen,

331 der revolutionäre Widerstand stieg mit den Niederlagen. Eben in dem Augenblick, wo alle Finanzquellen verstopft sind, erreicht das finan­ zielle Bedürfnis die höchste Spitze. Der Krieg in Italien war unver­ meidlich, man wußte dies vor Monaten ebenso klar, wie in den Tagen

der Waffenstillstandskündigung. Der Mangel an Soldaten stellte sich schon in Ungarn fühlbar heraus; der italienische Krieg, der durch die Begeisterung und die Verbrüderung der Nationen großartiger droht als jemals, wird diesen Soldatenmangel aufs höchste treiben. Schon sieht man sich genötigt, Freischaren anzuwerben, Landsturm zu organisieren, um für den Augenblick die bewaffnete Macht ausreichend zu machen. —

Es braucht nur einer großartigen Volkserhebung von nicht durchaus

lokalem Charakter und die Konterrevolution hat nicht einmal Bajo­ nette genug, um sie ihren Gegnern gegenüberzustellen. — DaS Mini­ sterium erkannte die Gefahr und tat einen neuen Schritt, der eines Fieberkranken würdig war. Es ließ die Russen in Siebenbürgen die Grenze Österreichs überschreiten. Ein Schrei des Unwillens durchtönte ganz Europa, und das Ministerium, selber stutzend ob der Tat, die es getan, suchte mit kindischer Verlegenheit den Schritt zu bemänteln oder zu verleugnen, der allen Widerwillen gegen die konterrevolutionäre Macht zu tiefem Haß entflammte. Und selbst jetzt war es nicht einmal konse­ quent, es stand da wie ein errötender Schulknabe, mehr eines ver­ ächtlichen Mitleides als eines glühenden Hasses wert. Das war der Augenblick, wo alle Speichen in den Rädern des Staatswagens schlot­ terten, wo alle Achsen krachten und zu brechen drohten: der revolutio­ näre Mut zu einem neuen Ausbruch gezeitigt, die slawischen Stämme in steigender Opposition, die Armee von den Magyaren geschlagen, der Krieg in Italien in neuem Ausbruch, ganz Europa voll Unwillen über den Einmarsch der Russen — und in diesem Augenblick tat das öster­ reichische Ministerium den gefährlichen Schritt: ES löste den Reichstag auf und oktroyierte eine Verfassung. Noch nicht genug — es verhaftete die beliebtesten Mitglieder der Linken, ließ andere verfolgen und wollte jetzt von ihnen eine Verantwortung für Oktobertage fordern. Der Erfolg dieses Schrittes konnte nicht zweifelhaft sein. Alle

Nationalitäten des österreichischen Staatenkomplexes sahen sich durch die Vertreibung ihrer Abgeordneten aufs empfindlichste verletzt, sie sahen in der oktroyierten Verfassung alle ihre Nationalhoffnungen ver­

höhnt und vernichtet — der Übertritt von der Seite des Ministeriums auf die Seite der Revolution war ein natürlicher. Das Wort, welches ein

332 Mitglied der Rechten nach der Vertreibung des Reichstages auösprach:

„Ich lasse mich nach Frankfurt wählen und stimme mit den Republi­ kanern!" — dieses Wort ist bezeichnend für den Umschwung der Gesin­

nung, die durch diese Gewalttaten die größte Allgemeinheit gewann. Die Südslawen stutzten über das Oktroy — das hatten sie nicht erwartet.

Aller Unzufriedenheit wendet sich gegen das konterrevolutionäre Mini­

sterium, jeder Glockenschlag kann den Anfang einer Insurrektion be­ zeichnen.

Die serbische Insurrektion gewinnt plötzlich ein bestimmtes

Objekt und die blutigen Kämpfe der Aufständischen gegen die Kaiser­

lichen bezeichnen klar die Richtung der Bewegung. Selbst die konserva­ tiven Elemente im serbischen Lande werden von der konterrevolutionären

Gewalttat aufgeschreckt und ihr Haß wendet sich rückhaltlos gegen das

Ministerium; diese Bewegungen aber haben eine große Bedeutung: sie bahnen dem erbitterten Feinde der Konterrevolution, den Magyaren,

den Weg nach Wien, selbst dann, wenn sie nicht ihre Fahnen mit den magyarischen zu gemeinsamem Kampfe vereinigen sollten. Ist aber der

Ungar in Wien — dann stehen die Geister aller Erschlagenen auf, es steht der Geist der Aula auf, und die Revolution wird den Boden zu

ebenen wissen, auf den sie ihre Gebäude setzen will. Die Auflösung des Reichstages hat Österreich im glücklichsten

Augenblick der

großen Errungenschaften teilhaftig gemacht, die

das

übrige revolutionäre Deutschland schon lange erkannt hat und die ihm wohl bekommen mögen. Österreich weiß jetzt, daß Revolutionen nicht auf parlamentarischem Wege ausgefochten werden können. Das Volk glaubte in dem Reichstag eine Waffe gegen die Regierung zu besitzen.

ES sah nicht, daß diese Waffe nichts sei als ein papierner Theater­

dolch, mit dem man wohl drohen, aber »richt imponieren, wohl kitzeln, aber nicht töten könne. Und wenn daö Volk auch bemerkte, wie seine

Waffe an dem Panzer der Konterrevolution unschädlich abprallte, es setzte seine Angriffe fort, als wenn es am Ende doch hätte nützen müssen.

Das Ministerimn löste den Reichstag auf, warf dem Volke den papier-

nen Theaterdolch

zerbrochen vor die Füße und bewies ihm,

daß eS Waffen von scharfeinStahl bedarf zu einem ernsten Kampf.

DaS Volk ist hörig und versteht die Lehre. Das Ministerium

hat durch die Auflösung des Reichstages dem revolutionären Volke revo­ lutionäre Häupter gegeben in dem Augenblick, wo nur diese Häupter

fehlten, um die innere Gärung zu einem Ausbruch zu qualifizieren.

Auf diese Weise hat die Konterrevolution in Österreich das Messer

333 für den eigenen Hals geschliffen. Sie lieferte einen trefflichen Beweis

für die Offenbarung unserer Zeit: Mit Blindheit geschlagen sind die, welche das Evangelium unserer Tage nicht verstehen oder nicht auüführen wollen! Blind sind sie in ihren Siegen, blind in ihren Niederlagen.

Ihre Köpfe sind verwirrt und mit all ihren verzweifleten Anstrengungen, mit ihrem eigenem Schweiß und dem Blute der Böller erreichen sic nur das eine: sie beschleunigen ihr eigenes Schicksal."

Die Ablehnung der Kaiserkrone. (2. Mai 1849.)

Schon im März 1848 hatte die „Deutsche Allgemeine Zeitung" (Nr. 85) geschrieben: „Die Maßregeln eines Napoleon seien nunmehr ergriffen worden, jetzt gehöre auch das Herz eines Napoleon dazu, sie durchzuführen. Dieses fehle dem Gebieter, nicht die Mittel." (17./18. März).

Aber das deutsche Volk erkannte diese Wahrheit zu spät.

„An

dieser Dummheit, Deutschland mit Parlamentsreden zu retten, scheiterte alles", urteilte Becker richtig

in seiner Verteidigungsrede in Köln

1850 ’98). Ebensowenig jedoch war der König von Preußen der Prometheus, der die Kaiserkrone sich usurpieren konnte. Er brauchte Rückendeckung durch die wiedergekittete Allianz und schlug auch die Warnung Renards in den Wind, die gleichzeitig mit der Nachricht von der am 28. März erfolgten Kaiserwahl899) an sein Ohr drang: „Cs darf nicht gelingen, das frische Leben der Heilung anstrebenden Wunde durch ätzendes Gift zu töten und den allenfalls entstandenen Spalt

zur unausfüllbaren Kluft zu gestalten!"

So konnte sich der lang ersehnte Umschwung des deutschen Schwerpunktes aus dem Süden nach dem Norden, den schon der alte Welfenherzog Heinrich der Löwe im Auge gehabt hatte, nicht vollziehen.

Hätte die Frankfurter Deputation die wirklichen Verhältnisse richtig 598) Vgl. Dr. Becker: „Monarchie oder Republik in Deutschland 1850",

S. 28. 599) Am 27. März wurde der Antrag angenommen,

einem

regierenden

deutschen Fürsten di« Krone zu übertragen (270 :255 Stimmen). Die Kaiser­ wahl am 28. vollzog sich mit 267 :263 Stimmen, also einer geringen Mehr­ heit (von 4 Österreichern, vgl. Friedjung S. 197).

334 eingeschätzt, sie hätte schon an den Toren Berlins ihren Kanossa­

gangs) beenden und umkehren müssen. Möglicherweise hatte sie auch den Einfluß der Kammern in Berlin verkehrt eingeschätzt, die sich zunächst für Deutschland einsetzten. Schon am 17. März 1849 hatte die erste Kammer in einer devoten Adresse

die

auf

Thronrede

hinsichtlich

deutschen

der

Frage

ausgeführt,

daß im Falle der Unausführbarkeit der Cinigungspläne die Kammer wenig­ stens „in der Bildung eines engeren Vereins innerhalb des Bundes eine

zweite

entsprechende

Anbahnung

des

großen Ziels

mit Befriedigung er­

kennen und der Regierung hierbei mit aller Kraft zur Seite stehen würde".

Die zweite Kammer, in der die demokratische Partei etwa 80—90 Mit­ glieder zählte („Neue Rheinische Zeitung" Nr. 245, 1849), schloß

sick­

erst zwei Wochen später an, indem sie sich bereit erklärte, „mitzuwirken zur Vereinigung aller deutschen Stämme unter einer Verfassung, welche den Bedürfni'ssen Deutschlands wie den gerechten Erwartungen seines Volkes entspricht".

Obwohl also beide Kammern dem König den Schild halten wollten, war ihr Ratschlag für den König ganz nebensächlich. Er hielt sich noch

immer für den Spiritus rektor, der zwar nach der Pfeife Rußlands

tanzte, die konstitutionelle Regierung aber nach wie vor für eine Phrase

hielt. Obwohl er „verheißen" hatte, sich an die Spitze Deutschlands stellen zu wollen, lagen in der deutschen Frage feste legale Bindungen noch nicht vor, so daß er tatsächlich aus eigener Machtvollkommenheit

ablehnen oder annehmen konnte. Friedrich Wilhelm hielt also in seiner Hartnäckigkeit an seinem

Programm, wie sich aus der österreichischen Note ergeben hatte, fest, daß die Paulskirche nicht berechtigt sei, über die Kaiserkrone zu ver­

fügen. Schon im Frühjahr 1848 hatt.' it Dahlmann geschrieben, daß er di« höchste Krone, die Österreich gebühre, nicht annehmen werde, wenn sie ihm überhaupt angeboten werden sollte, „wozu aber von feiten der Fürsten keine Gefahr sei.

Das Anerbieten von feiten des Volkes, was auch nicht

stattfinden wird, wäre aber mehr als Gefahr.

Cs wäre der Beweis der

vollständigen Auflösung Deutschlands, wenn es gegen der Fürsten Mei-

ooo) Vgl. „Rheinische Zeitung" (Nr. 1849):

„Dieser

monströs

oktroyierte

260/261

Kaiser

ist

vom

nichts

31.

als

3.

der

und

1. 4.

pessimistische

Sturmvogel einer bevorstehenden Massenerhebung, die den deutschen Augiasstall

von dem politischen Mist reinigen und für die soziale Republik vorbereiten muß." Als die Deputation in Köln ankam, wurde ihr vor dem „Hotel Disch" von einer

drohenden Menge die Marsaillaise (Allons enfants de la patrie!) gesungen usw.

Tzschirner

erklärte

in

Sachsen: „Cs

mortale die Republik zu erklären."

handelt

sich

darum,

mit einem

Salto

335 nimg und Willen geschieht, und wäre wahrscheinlich mit Kanonen zu be­

antworten".

Im November 1848 betonte er Gagern gegenüber, daß mindestens

die freiwillige Zustimmung aller Fürsten die Voraussetzung der Annahme

bilden müsse. Im Dezember 1848 schrieb er an Bunsen auf dessen Rat zur An­

nahme: „Ich will weder der Fürsten Zustimmung zu der Wahl noch die Krone. Verstehen Si-e die markierten Worte? Ich will Ihnen das Licht

darüber so kurz und hell wie möglich schaffen. — Die Krone ist erstlich keine

Krone.

Die Krone, die ein Hohenzoller nehmen dürfte, wenn die

Umstände es möglich machen könnten, ist keine, die eine, wenn auch mit

fürstlicher

Zustimmung

eingesetzte,

aber

in

die

Saat

revolutionäre

ge­

schossene Versammlung macht...., sondern eine, die den Stempel Gottes trägt, die den, der sie aufseht, nach der Ölung „von Gottes Gnaden" macht,

weil —

und weil

sie

mehr denn

34

Fürsten zu

Königen

der

Deutschen von Gottes Gnaden gemacht hat und den letzten immer der alten Reihe gesellt.

Die Krone, die die Ottonen und Hohenstaufen, die

Habsburger getragen,

kann

natürlich ein

Hohenzoller

ihn überschwenglich mit 1000 jährigem Glanze.

tragen.

Sie

ehrt

Die aber, die Sie leider

meinen, verunehrt überschwänglich mit ihrem Ludergeruch der Revolution von 1848ti01), der albernsten, dümmsten, schlechtesten, wenn auch gottlob

nicht der bösesten dieses Jahrhunderts ti02). aus

Dreck

und

Letten

gebacken,

soll

Einen solchen imaginären Reif,

em

legitimer

von

König

Gottes

Gnaden und nun gar der König von Preußen sich geben lassen, der den

Segen hat, wenn auch nicht die älteste, doch die edelste Krone, die niemand gestohlen ist, zu tragen". „Ich sage es Ihnen rund heraus: Soll die 1000 jährige

Krone deutscher Nation, die 42

Jahre geruht

hat, wieder

einmal vergeben werden, so bin ich es und meinesgleichen, die sic ver­ geben werden, und wehe dem, der sich anmaßt, was ihm nicht zukommt."

Diese eigensinnige naive Auffassung des königlichen Übermenschentumö in moralischem Hochmut — auch ein typischer deutscher Fehler! — vertrat er auch seinen Ministern gegenüber. „Alle

politischen

Unweisen,

schrieb

er

dem

Grafen

Brandenburg,

wollen Preußens Erhebung über Deutschland durch Paziszieren mit der Revolution. Gagern setzt alles daran, dies sein Schoßkind, das ersaufen will, über Wasser zu halten.

Das soll Preußen tun, und

sein

muß freiwillig oder unfreiwillig denselben Weg geschleppt werden. tut er nicht!" bH) Vgl. Becker S.

12:

„Ein Standpunkt des

gewaltsamen

König Das

Angriffs

heißt, wenn er von oben kommt: Oktroyierung, wenn er von der beherrschten Seite kommt, Revolution.

Das übersah der König, daß er selbst Revolutionär

geworden war". 602) Die schlimmste war die sog. Konterrevolution der Fürsten.

336 Di« „Rheinisch« Zeitung" erinnerte am 18. April (Nr. 275) mit

Recht an die Märztage 1848, wo der König vor der Masse zu

Kreuze

kroch und vor den Toten den Hut zog, indem sie das spanische Sprichwort

zitierte: el rio passado, el santo olvidado (Ist der Fluß

überschritten,

ist der Heilige vergessen!).

Immerhin gab der König zunächst scheinbar seinem Ministerium nach, wie er an Bunsen schrieb: „Aber wenn die persönliche Frage kommt,

würdig als der 17. der Hohenzollern603). si« wünschen oder hoffen!

dann

werde ich reden,

Wie, das wissen Sic, nicht wie

Ich setze meine Krone und mein Leben daran,

«in ehrlicher Mann und Fürst zu 6l Graphen des

sog. Klubgesehes, weil sie ihm zu bürokratisch schienen („Rheinische Zeitung" Nr. 257, 8. 5. 1849). Bismarck wurde deshalb auch vom Grafen Brandenburg als Freikonservativer nicht zur Tafel gezogen.

342 Die Ablehnung der Kaiserkrone zwang die Linke — obwohl sie für eine Revolution nicht vorbereitet war, schneller zum Handeln, als Schurz lieb war. Immerhin war man bei den Führern611) entschlossen, zumal in Schleswig-Holstein der deutsche Kampf (bei Eckernförde am 5. 4.49) siegreich fortzuschreiten schien und Österreichs Lage durch Kossuth immer bedrohlicher wurde. Dem preußischen „Reichsfußtritt"«") hatten sich auch die Re­ gierungen in Hannover und Dresden angeschlossen, indem die Kammern

aufgelöst wurden, während München sein Parlament nur vertagte. Deshalb versuchte man das Volk in Versammlungen über die Lage aufzuklären und Beschlüsse wie in Breslau (am 30. 4.) herbeizuführen: „Die Reichsverfassung ist gültig und wird für ein unantastbares Ge­ setz erklärt."

Schurz erkannte aber schon frühzeitig, daß die Führung nicht ge­

nügte, obwohl das sich auflösende Parlament in Frankfurt die Parole zum Aufstand auögab. Am 30. April 1849 setzte man in Frankfurt unter der Führung der

Linken die Beschlußfähigkeit des Parlaments auf 150 Mitglieder fest und den Präsidenten, jederzeit und

bevollmächtigte

die Reichsversammlung zu berufen.

an jedem

Orte

beliebigen

Einige Tage später kam der verhäng­

nisvolle Beschluß zustande, die Regierungen, die Gemeinden und das ge­ Reichs­

samte deutsche Volk aufzufordern, die am 28. März beschlossene

verfassung

und

Anerkennung

zur

man, daß der Reichstag, der

gewählt

werden

sollte,

am

Geltung

zu

Ferner

bringen.

am

auf Grund der Verfassung 22.

August

in

Frankfurt

entschied

Juli

15.

zusammentreten

sollte613).

tin)

Am 5. Mai

einenAufruf gegen di« 8.

5.

1849 erließ die Linke in Frankfurt (durch Brentano!) Russen und die Fürsten („Bonner

Zeitung" Nr.

106,

1848).

®12)

In der Note Preußens an die Zentralgewalt hieß es: „Preußens Be­

ruf ist es,auf dem Wege des Rechts geforderte

hätten

Einheit,

verlassen

Freiheit

und des Friedens, auf

Macht

hinzuwirken....

des

sollen, war der Weg

quenz und der Treue."

Mittel, um

und

Rechts,

des

die von der Nation

Den

Weg,

Friedens, der

den

sie

Konse­

„Di« Verfassung und das Wahlgesetz waren nur di«

allmählich und anscheinend

auf legalem Wege

(sic!)

die

oberste

Gewalt zu beseitigen und die Republik einzuführen."... „Deutschland hat von

seinen Fürsten jedes Opfer zu fordern, außer dem

des

Rechts,

der Wahrheit

und der Treue." eis) Später wurde noch beschlossen, daß Preußen durch den Einmarsch in

Sachsen

Schutze

den

Reichsfrieden

gebrochen

habe,

des Reichsfriedens verpflichtet sei

gart aufgelöst würde.

daß

die

bewaffnete

Macht

zum

usw., bis das Parlament in Stutt­

343

Man übersah aber, daß diese Beschlüsse nur mit dem Schwert durchzuführen waren, das man nicht so rasch gegen die ungeheure Mili­ tärmacht der Reaktion schmieden konnte. Man versuchte zwar zunächst einen kleineren Bundesstaat aus den 28 zustimmenden Regierungen zu bilden, indem man auf Gagerns Führung rechnete, der dem Herzog

Ernst von Koburg — den Sieger von Eckernförde — die einstweilige

Reichstatthalterschaft anbot. Doch mußten diese Versuche mangels einer

ausreichenden Organisation gegenüber dem Belagerungszustände sich als unausführbar erweisen. Immerhin gelang es doch, die Leidenschaften des Mittelstandes aufzuwühlen und eine Reichsverfassungsbewe­ gung 6n) ins Leben zu rufen. Besonders am Rhein steigerte sich die Er­ regung gegen das Ministerium Brandenburg-Manteuffel, das seine Un­ fähigkeit zur Lösung der deutschen Frage bewiesen habe. Ähnlich wie in Sachsen, Baden und der Pfalz machte das schwer enttäuschte Bürger­ tum Front gegen die Regierungen, sodaß die alten Lostrennungsbestre­

bungen im Rheinland wieder auflebten. Die kurzsichtige und eigensin­ nige Politik deö Königs hatte wieder einmal die Lunte an das Pulverfaß gelegt und, wenn die Bewegung wie im März 1848 sich zu vereinter

Kraft hätte aufschwingen können, so wäre es um den Thron geschehen

gewesen. Ium Glück für den König fehlten die richtigen Führer oder der Führer, der, wie Kossuth in Ungarn, die Organisation in die Hand nahm. Es fehlte aber auch hier die patriotische Unterstützung der Massen des Bürgertums, die zur erfolgreichen Durchführung nicht entbehrt werden konnten. Und so konnte die Revolution nur ein „Sturm im Wasserglase" werden, ohne die Königsmacht ernstlich

zu gefährden, da Preußen mit seinen kampferprobten Truppen in der Lage war, überall bald die Ordnung wieder herzustellen. Carl Schurz war Feuer und Flamme der Bewegung in Bonn ge­

worden. Seinem Freunde Spielhagen hatte er auf seine Warnungen erklärt:

„In Revolutionen macht man kurzen Prozeß" oder „Ein guter Regen und ein guter Reiter kommen überall durch" (Götz von Berlichingens Spruch!).

Für ihn galt es die Bewegung am Rhein, die in erster Linie mit zur

Erringung der deutschen Einheit beitragen sollte, in Fluß zu bringen, c14) Am 29. 4. Versammlungen in Fürth (5000 Personen), Bingen (10000 Personen), Philippsburg (8 000 Personen); am 2. Mai in Kaisers­

lautern (10000 ausschuß usw.

Personen); am

3. Mai

in Mannheim:

Landesverteidigungs­

344 ohne sich vorerst Gedanken darüber zu machen, wer eigentlich die Ober­ leitung hatte. Er rechnete wohl in der Hauptsache auf die Paulskirche.

Schon in der Bonner Bürgervereinsversammlung

am 1. Mai

wurden die Dr. Ungarschen Anträge debattiert. Man erklärte durch Akklamation das Ministerium Brandenburg-Manteuffel für abgesetzt als „freiheitsfeindlich, volköschädlich und hochverräterisch". Gegen den zwei­ ten Antrag, eine Adresse an den Reichsverweser zu richten und die An­

erkennung der ReichSverfassung rechtsverbindlich auszusprechen, wandten sich mit richtigem Gefühl Schurz und Meyer und setzten durch, daß man

folgende Anträge annahm: 1. Eine Aufforderung an

die Nationalversammlung in Frankfurt,

sie mög« sofort auf Grund ihres Wahlgesetzes Neuwahlen ausschreiben und di«se unter den Schutz des Volkes stellen (geschah in Frankfurt).

2. Die Bonner Volksversammlung stellt an die rheinischen Städte und Gemeinden di« Aufforderung, daß sich die waffenfähigen Männer zu­

sammentun

und

organisieren

sollen,

um

den

kontrcrevolutionären

Be­

strebungen gegenüber eine drohende Haltung anzunehmcn.

Dieses Vorgehen zeigt, daß Schurz sofort an die richtige Organi­

sation deö Reiches und der Reichsarmee dachte, wenn er auch die Füh­ rung in diesen Maßnahmen bei anderen suchte und vielleicht auch dem älteren Kinkel den Dortritt überließ. Dieser war ebenso wie Schurz zu einer Aktion bereit. Am 6. Mai führte Kinkel in einem Artikel „Der deutsche Herzenswunsch" („Bonner Zeitung" Nr. 105) aus, daß die Zeit zum Handeln gekommen sei: „Unterstehen oder durchschwimmen!

Knute oder Freiheitsmühe! Bürgerkrieg oder Einheit!" ^is)

So wurde also in Bonn der Bogen gespannt. Schurz fühlte aber immer mehr selbst, daß die unbedingt erforderliche Einheitlichkeit und Zielbewußtheit dieser Reichöverfassungöbewegung noch fehlte, ohne zu

erkennen, daß hier Organisationsfehler in Frankfurt vorlagen, die mangels eines genialen Kossuth schließlich zum Verhängnis führen mußten. Er ergriff daher die Feder, um auf diese ihm zum Bewußtsein kommende Gefahr aufmerksam zu machen und die Vereinigung von Nord und Süd zu fordern: „In Frankfurt der Anfang, in Berlin daö Ende." „In Frankfurt verfechte man die Verfassung, in Berlin wird 615) Am 17. Mai schrieb Kinkel in dem Artikel „Unsere Lage": „Die Zeit

des Redens und der Adressen ist vorbei, die Zeit des Handelns ist gekommen".

Schon

in

Berlin

hatte

er

Mitte

März

Macbeth

mich an einen Pfabl gebunden und ich muß kämpfen."

zitiert:

„Sie

haben

345 man die Republik erkämpfen", schloß er mit intuitiver Ahnung, aber

doch auch mit zuversichtlicher Hoffnung seinen Werberuf am 4. Mai 1849 („Donner Zeitung" Nr. 104): „Preußen hat in Europa seit dem März 1848 die wichtigste Rolle gespielt, nicht etwa durch seine materielle Macht oder durch seinen aus­

wärtigen Einfluß, sondern durch die Schnelligkeit und Klarheit, mit welcher es politische Streitigkeiten nicht etwa zum Schweigen, sondern zur offenbaren Entscheidung brachte. Als im März der Freiheitsdrang

der Völker plötzlich entfesselt wurde, da sprach sich schnell und deutlich auö, welches Ziel das unklare Freiheitsstreben der Völker in den früheren Jahren sich gewählt hatte. Man kannte die Freiheit nur als abstrakten Begriff und kam sehr leicht dazu, die konstitutionell regierten Völker Europas für frei anzusehen, obschon sie nur freier waren als wir. Nicht

auffallend war es deshalb, daß die Majorität des Volkes die Verkörpe­ rung seines abstrakten Freiheitsbegriffes aus seiner monarchischen Ver­ gangenheit praktisch herausbildete, und so entstand der Konstitutiona­ lismus in Deutschland. Nirgendswo konnte sich die neue Form als solche schneller herausbilden als eben in Preußen, wo die politische Entwicklung nicht durch einen massenhaften Interessenstreit verschiedener Natio­ nalitäten verwirrt war, sondern in dem rein prinzipiellen Parteikampf schnelle Beförderung fand und zu unverkennbarer Klarheit durchdrang. Wir gestehen es ohne Scheu, daß im ersten revolutionären Aufschwung die republikanische Partei in Preußen sehr schwach und klein war, denn für daS Volk waren die Namen Republik und Konstitutionalismus nur ein leerer Schall, weil es zwischen beiden noch nicht praktisch hatte unter­ scheiden lernen. Sehr gut war es deshalb, daß Preußen im März keine

Republik wurde, denn nur, indem es den Konstitutionaliömus der Ge­ genwart vorführte, machte es ihn für die Zukunft unmöglich. ES würde überflüssig sein, eine ausführliche Kritik der konstitutio­

nellen Regierung in Preußen entwickeln zu wollen. Rufen wir uns nur die Worte des Ministers Manteuffel, daß Preußen vor dem 5. De­

zember, dem Geburtstage der oktroyierten Verfassung, kein konstitutio­ neller Staat gewesen sei, ins Gedächtnis zurück und die Kritik ist fertig. Manteuffel hatte Unrecht. Freilich waren die Maßregeln der Regie­

rung vor dem 5. Dezember so konsequent absolutistisch, daß man die

konstitutionellen Formen nur beobachtete, als es ein Scheinmanöver galt oder wo es eben bequem war; freilich wurde die oktroyierte Ver­ fassung nur durch den absoluten Schritt der Auflösung der National-

346 Versammlung zur praktischen Handhabung möglich.

Aber waren die

Taten nach dem 5. Dezember etwa weniger absolutistisch als früher? Fiel es dem Ministerium ein, der Kammermajorität zu weichen? Oder benutzte daS Ministerium nicht vielmehr seine formelle Berechtigung,

um das moralische Recht zu unterdrücken? Und was soll das beweisen?

Nicht etwa, daß sie nach dem 5. Dezember ebenso unkonstitutionell sei, wie sie vorher gewesen, sondern daß sie vor dem 5. Dezember ebenso

konstitutionell gewesen wie sie nachher war. Denn worin besteht der Konstitutionalismus anders, als daß man absolutistische Manöver mit

konstitutionellem Firlefanz maskiert. Die absoluten und konstitutionellen Monarchien haben

etwas Gemeinschaftliches, welches alle ihre Ver­

schiedenheiten in-den Hintergrund treten läßt: das ist der Monarch, mit

dem Legitimitätsprinzip und dem sich daran knüpfenden Legitimitäts­ fanatismus, der besonders im Heere seine Vertretung findet. An diesen

Dingen knüpft sich materielle Macht und diese schafft den „legalen Boden".

Die jüngsten Tage haben uns Ereignisse gebracht, welche den Be­ weis dieser vor einem Jahr hochverräterischen Behauptung völlig über­ flüssig machen. Das Volk hat gelernt, daß die regierende Kraft nicht im

Ministerium liegt, sondern über ihm steht und daß die dynastischen

Interessen weit davon entfernt, neue Gesichtspunkte und Bestrebungen gewonnen zu haben. Nicht mündliche Überlieferungen oder künstliche Agitationen hat diese Überzeugung hervorgebracht, sondern die revolu­

tionäre Stimmung der Mark und besonders des fanatischen Wuppertales zeigt, daß die Geschichte mit unüberwindlichen Stimmen predigt.

Preußen hat uns über den konstitutionellen Traum hinweggeholfen.

Ui;b für dies Verdienst ist dem preußischen Volke in der kommenden

Revolution eine ebenso schwierige wie ehrenvolle Stellung zugewiesen. Die preußische Konstitution hat den letzten Trumpf ausgespielt — sie

hat die Regierung zum Oktroy einer Verfassung aufgefordert. In der

preußischen Regierung liegt die Spitze der

ganzen Konterrevolution

Deutschlands. Ist der dynastische Monarchismus in Preußen gebrochen,

so liegt er in Deutschland darnieder und Berlin wird wieder das Ziel

der Revolution sein müssen. Die Gefahr des Frankfurter Parlaments scheint zwar den Schau­ platz der Revolution nach Süddeutschland verlegt zu haben, aber die

Stellung der Revolution in Süddeutschland ist nur eine Defensivstel­

lung, die keine Möglichkeiten zu einem entscheidenden Schlage bietet.

347 Die Notwendigkeit einer Solidarität der Deutschen untereinander ist nie schärfer hervorgetreten. Werden die Süddeutschen ihren nördlichen

Brüdern nicht durch ihre Hilfe möglich machen, nach dem Abschlag des ersten Angriffes der Konterrevolution in Süddeutschland den allgemeinen Hauptfeind in seinem eigenen Neste aufzusuchen und zu vernichten, so wird die Revolution ebenso verloren sein, als wenn die Norddeutschen

durch Mangel an Hilfe einen Widerstand gegen den ersten Angriff im Süden unmöglich machen. In Frankfurt der Anfang — in Berlin das Wichtigste, das Ende. — Zn Frankfurt verfechte man die Verfassung und in Berlin wird man die Republik erkämpfen."

Der Gntscheidungskampf. (16. Mai 1849.) „DaS Schwert für Euer Recht!", hatte die Linke (Donneröberg) am 8. Mai 1849 in ihrem Aufruf „Deutsches Volk" als Feld­ geschrei ausgegeben. Der König rief darauf am 14. Mai die preußi­ schen Mitglieder aus der Paulskirche ab und antwortete — diplomatisch

— mit dem nach Radowitz Plänen entworfenen „Aufruf an mein Volk" vom 15. Mai 1849, in dem er nicht nur den „Kampf gegen die Gottlosigkeit, die Eidbrechung und Raubsucht" ankündigte, sondern auch

daö Frankfurter Einigungswerk durch zuführen versprach.

die Unionsverfassung fort­

„Diese Verfassung wird in kürzester Frist der Nation gewähren, was

sic

mit

Recht

verlangt

und

erwartet,

ihre

Einheit."...

„Deutschland

erkennt hierin den Patriotismus und das Rechtsgefühl der Regierung, es

wird nicht getäuscht werden!".

Diese Rattenfängermelodien, die in der Praxis ganz anders auS-

sahen, verfingen bei dem größten Teil des Liberalismus nicht mehr und kamen auch schon zu spät, da der Rubikon wieder überschritten war. So begann der Reichsverfassungskampf, zu dem die Paulskirche selbst aufrief, die am 30. Mai, als Rumpfparlament nach Stuttgart über­ siedelte und dort eine,Meichsregentschaft" (die Demokraten Karl Vogt, Heinrich Simon, Raveaux, Schüler und Becher) einsetzte, zwar mit Un­ ruhen überall, doch ohne große Einheitlichkeit der Führung, ohne stärkere

Beteiligung der Massen und sonach ohne Erfolgsaussichten. „Das traurige Ereignis" begann — am 3. Mai in Dresden — da­

mit, daß die Fürsten gegenüber ihren patriotischen Ständen die Verfas­

sung durchaus nicht anerkennen wollen (so Treitschke-Briefe Band 1

348 Seite 54) und daß nach der Auflösung des Landtages am 30. April „das Gerücht sich verbreitete, daß die Besetzung des Landes durch preu­

ßische Truppen bevorstehe". In den Kämpfen bis zum 9. Mai konnte die „Reichscmcute" in Sachsen mit Hilfe eines preußischen Korps (2000 Mann) erstickt werden. Am 5. Mai erhob sich die Rheinpfalz für die Neichsverfassung und

setzte eine provisorische Regierung ein. Auch Baden schloß sich an. Schon am 44. Mai zog „der Landesausschuß" nach der Flucht der Regierung in Karlsruhe ein und verfügte am 17. Mai die Einberufung einer konsti­ tuierenden Versammlung, ohne allerdings sonst große Organisations­ tätigkeit zu entfalten. Auch im Rheinland wirkte Brentanos Aufruf vom 5. Mai 1849 („Deutsche Männer"). Schon am 23. März 1849 hatte die „Bonner Zeitung" (Nr. 68) vorausgesagt: „überall

brennt

der Boden

Glut zu einer lohen Flamme an.

und

der nächste Windstoß

facht

die

In diesem Frühjahr wird nicht nur

das Grabgoläute der Hauses Habsburg ertönen!"

Die „Rheinische Zeitung" sprach es am 4. Mai offen aus: zzSefct, wo deutsches Gebiet durch russische Räuberbanden betreten, fühlen wir cs als eine Schmach, den Namen

„Preußen" zu tragen".

(Ungarn war eigentlich kein deutsches Gebiet!).

Am 5. Mai erklärte sich der demokratisch-konstitutionelle Verein in Köln — ebenso wie Wiesbaden am 1. Mai und Braunschweig am 2. Mai (vgl. „Magdeburger Zeitung") usw. — für die Reichsverfas­

sung. Der rheinische Stadlrätetag, an dem 400 Abgeordnete teil­ nahmen, erklärte am 8. Mai die Frankfurter Urkunde für ein endgül­ tiges Gesetz. Man proklamierte cs — nach den Beschlüssen der Paulskirche —

als Pflicht, „das Grundgesetz mit ollen Mitteln zur Geltung zi- bringen,

sich öffentlich für die Reichsverfassung einzusetzen und den Anordnungen der Paulskirche Folge zu leisten" („Rheinische Zeitung" Nr. 293).

Man

erklärte ferner die von der Regierung angeordncte Maßnahme der Ein­

berufung der Landwehr als friedensgefährdend und warnte vor der drohen­ den Möglichkeit der Absplitterung der Rheinland« von Preußen.

Kein Wunder, daß man auch in Bonn die Stunde zur „großen Tat", für die Schurz entschlossen war, für gekommen hielt. Am 10. Mai faßte man auf Schurz' Antrag in der Bürgervereinsversamm­

lung folgende Beschlüsse: 1. „Die Volksversammlung erklärt, daß sie den

Kampf der Re­

gierung gegen die Nationalversammlung für einen CntscheidungSkampf

des

Absolutismus

gegen

di« VolkSsouverLnität

erkennt.

Sie

verspricht,

sich mit der entscheivenven Tatkraft auf die Seite der letzteren zu stellen."

349 2. Auf Antrag

Ungars:

„sich

dem

Rufe

der Revolution

anzu­

schließen, indem sie die Nationalversammlung als die einzig rechtmäßige und notwendige Negierung anerkennt. Die Versammlung fordert die

Bürgerwehrkompagnien auf, sich zur Bewerkstelligung ihrer Organisa­ tion zusammenzuschließen.

Sie geloben, daß sie fest zusammenstehn in der

Stunde der Gefahr und a-lle für einen und einer für alle einzustehen ge­ willt sind."

Vom 9.—18. Mai fanden in den Fabrikftädten Elberfeld, So­ lingen, Grafrath, Iserlohn Tumulte statt, von denen die Gerüchte nach Bonn drangen. In Elberfeld wurden Barrikaden errichtet, auf denen die schwarz-rot-goldene Fahne wehte. Die Landwehr erklärte vielfach, der Einberufung des Ministeriums Brandenburg-Manteuffel nicht Folge leisten zu wollen, so z. B. in Elberfeld, Barmen, Essen, Krefeld, Glad­ bach, Prüm usw. Obwohl Manteuffel am 6. Mai dem Oberpräsidenten Eichmann eingeschärft hatte: „Wir sind entschlossen, unseren Gang mit

Entschiedenheit zu verfolgen, und, soweit unsere Kräfte reichen, alles zu

beseitigen, waö uns hemmt", gewann zunächst die Landwehr in Iserlohn bei ihrer Ausrüstung die Oberhand. Doch war es nicht möglich, die

Landwehr gegen die Linie zur richtigen Abwehr einzusrtzen. Schurz und Kinkel unterschätzten die Stärke der preußischen Krone, als sie versuchten, den Beschluß der Paulskirche: „Dem

Regierung

schweren

Bruch

des

Rechtsfriedens,

durch unbefugtes Einschreiten

welchen

die

preußische

in Sachsen sich hat zuschulden

kommen lassen, ist mit allen Mitteln entgcgenzutreten."

im Rheinland durchzuführen. Obwohl man nicht nur in Bonn, sondern auch in Köln gegenüber der Militärmacht sich zu schwach fühlte, glaubte man doch sich verpflichtet, „sein Recht dem Wortbruch der Regierungen gegenüber kühn zu vertreten" und dem Rufe nach Elberfeld zur Unter­ stützung Folge leisten zu müssen. Am 10. Mai 1849 fand bei Tesch in Bonn eine Landwehrversammlung statt, um zu der Frage: „für oder gegen die Regierung" Stellung zu nehmen. Man erwog hier, ein Frei­ korps aufzustellen und sich in Siegburg, wo ein Landwehreinkleidungs ­

arsenal vorhanden war, auszurüsten. Da die Sache nicht so einfach war, riet Kinkel sogar ab. Ein rechter Führer fehlte, so daß man schließlich

dem kühlen Drängen des früheren Artillerieleutnants An necke erlag, dessen Plan (Zug nach Siegburg!) man — auch Schurz — für ruhige Überlegung hielt, ohne seine Unfähigkeit, wie Strodtmann (S. 255) urteilt, zu durchschauen. Außerdem war man des ewigen Harrens müde und brannte darauf, „durch die Tat seine Worte zu bewähren".

350 „Die ganze Siegburger Affäre", fuhrt Strodtman» aus, „war wie bei

allen, so auch bei

Hervorbrechen

eines

Kinkel und Schurz

nichts

als das

ungeduldige

ungeduldigen Tatendranges, der in dem

un­

glücklichsten Fall, nach Objekten suchen zu müssen, durch di« Unklarheit

über Mittel und Zwecke, durch den gänzlichen Mangel an revolutionärer Anschauung den Stempel einer unfähigen Verworrenheit trug."

3lm 11. Mai 1849 wurde nach endlosen Debatten, in denen Carl Schurz zuletzt ganz offen die Parole ausgab: „Auf nach Siegburg, um

uns Waffen zu holen!" der „Zug der Freischärler nach Siegburg"

beschlossen, aber nur von 120 Anhängern ausgeführt. Man holte die fliegende Fähre von Beuel herüber und setzte mit einem Schimmel — den ein Gastwirt mitbrachte — über den Rhein, indem Schurz und

Meyer mit einem Kahn nachkamen616 617). Schurz war hierbei allerdings nicht der Führer, weil er sich dazu nicht für erfahren genug hielt. Er wollte in den Augen seiner Parteifreunde aber nicht alö Feigling er­

scheinen und hoffte auch mit jugendlichem Mut und tatenfreudiger Zu­ versicht auf Genossen mit derselben Begeisterung, ohne die jede revolu­

tionäre Tat unmöglich ist. Spielhagen entschlossen,

urteilte

über Schurz:

va banque zu

spielen.

„Wie

ich

Und wenn

er

ihn

kannte,

kein«

war

Genossen

funden hätte, würd« er allein nach Elberfeld gegangen sein.

er

ge­

So mochte

er das bis zur Lächerlichkeit Kopflose des ganzen Anschlages auf die leichte

Achsel nehmen."

Eine halbe Schwadron Bonner Husaren, die bald alarmiert war,

da die Polizei über alle bei Tesch beschlossenen Pläne sofort orientiert

wurde, genügte, um — durch das Gerücht von ihrem Herannahen — die fast waffenlose Siegburger Expedition zu zerstreuen. Man fing ledig­ lich den Schimmel, dem man den Schwanz abhieb, das einzige blutige Heldenstück!

So war der Zug — wie Schurz vielleicht geahnt haben mag — kläglich gescheitert und es kam über ihn ein Gefühl tiefer ingrimmiger

Beschämung: „Unser Unternehmen hatte also nicht nur einen unglücklichen, son­ dern auch einen lächerlichen, schmachvollen Ausgang — allerdings durch eigene Schuld! — genommen. Dor einer Handvoll Soldaten war unsere

mehr als dreifach so starke Schaar — di-e in der Dunkelheit die Pferde hätte scheu und die Reiter durch Steinwürfe hätte kampfunfähig machen können —, ohne einen Schuß zu verfeuern, davongelaufen. So bewahr616) Vgl. die Broschüre: „Der Zug der Freischärler nach Siegburg unter Annecke, Schurz usw.".

617) Hier widersprechen sich die Nachrichten!

3öl heiteren sich die großen Worte derer, die der Einheit und Freiheit des deutschen Volkes Gut, Blut, Leib und Leben versprochen hatten."

Mit Ludwig Meycr und Kamm begab sich Schurz nach Siegburg,

wo er vergeblich das Volk zum Kampf aufzureizen suchte, und von dort

nach Elberfeld. Auch hier fand er trotz Barrikaden „nur eine geringe An­ zahl von Bewaffneten, weder ein systematisches Kommando noch Diszi­ plin". Sein natürlicher militärischer Verstand sagte ihm richtig, daß man mit solchen Mitteln nicht imstande war, eine Revolution wirksam

zu organisieren, um die Linientruppen zu besiegen. Wehmütig, wenn auch ungebrochenen Mutes, ging er deshalb nach Düsseldorf, wo am 10. Mai die Straßenkämpfe auögebrochen waren. Damals schrieb er offenbar den Artikel („Bonner Zeitung" Nr. 112, 15. 5.) „Stand der Dinge". Nachdem am 12. Mai in Frankfurt beschlossen worden war, 1. „die gesamte bewaffnete Macht Deutschlands, einschließlich der

Landwehr

und der Biirgerwehr, ist zur

Aufrechterhaltung

der endgültig

beschlossenen Verfassung feierlich zu verpflichten," 2.

„die

provisorische Zentralgewalt hat

das

Erforderliche zu

ver­

anlassen" (von Gagern hatte am 10. Mai niedergelegtl),

beschloß Schurz, der noch immer an die Möglichkeit des Sieges glaubte,

„der Vergangenheit den Rücken zu kehren und seinem Schicksal in der Pfalz entgegenzugehen". Auf einem Rheindampfer fuhr er von Düssel­ dorf, wo man gegen die Militärmacht nicht aufgekommen war, nach St. Goarshausen zu dem alten freisinnigen Frankenwirt Nathan, der ihm Unterschlupf gewährte und die Ausrüstung für den badischen Feld­ zug besorgte. Hierher kamen auch die Frankonenfreunde Wessel und

Strodtmann und berieten, wie sich Schurz gegenüber dem drohenden Haftbefehl, publiziert am 22. Mai, verhalten sollte. Trotz solcher HiobSposten verzagte Schurz nicht, weil er an den Sieg der gerechten Sache glaubte. „Ich erwärmte mich", schrieb er (S. 183), „an dem Glauben, daß

eine so große, so gerechte, so heilige Sache wie die der deutschen Einheit und Volksfreiheit unmöglich verloren gehen könnte und daß ich noch weiter

Gelegenheit haben

würde,

zu

ihrem

Siege,

wenn

auch

nur Geringes

beizutragen." Und so schied er zuversichtlich — Meyer blieb zurück — von seinen

Frankonenfreunden, um nach der Pfalz zu gehen. „Als ich ihnen zum letzten Male die Hand drückte, fühlte ich, als schiede ich nicht von ihnen, sondern nehme noch einmal Abschied von meinen

Eltern und Geschwistern, von meiner Heimat, von meinen lieben Freun­

den, von meiner ganzen Vergangenheit.

Ade du schöne Studentenzeit mit

352 deinen köstlichen Freundschaften, deinem idealen Streben, deinen glorreichen Jugendträumen! Die Lehrjahre waren zu Ende, die Wander­ schaft begann."

Noch einmal erhob er, der die Schwächen der Revolution in Bonn, Elberfeld und Düsseldorf kennengelernt hatte, seine warnende Stimme

in seinem Artikel „der Entscheidungskampf", der mit richtigem Gefühl die Organisation der Revolution entwarf, wozu es allerdings schon zu spät war, da Preußen zu schnellen Schlägen ausholte.

Gleichzeitig mit Freiligraths Lied zum Abschied der aufgehobenen

„Rheinischen Leitung"618): „Kein offner Hieb in offner Schlacht! Es fallen die Mücken und Tücken. Es fällt mich di« schleichende Niedertracht Der schmutzigen Westkalmücken!"

schrieb Schurz am 22. Mai 1849 („Donner Zeitung" Nr. 116):

„Die politischen Parteien in unserem Vaterlande, welche jetzt, im

einzelnen den kleinen Prinzipienstreit aus den Augen lassend, in zwei mächtige Heerlager zusammengezogen sind, haben endlich den großen Streit auf einen Kampfplatz verlegt, auf welchem sie, wenn auch nicht mit gleichen Kräften, so doch mit gleichen Waffen fechten. Die parla­

mentarische Nörgelei mit ihrem Gefolge von Betrug und Verrat ist in den Hintergrund getreten und die beiden Gegner stehen sich Stirn an

Stirn einander gegenüber mit dem Bewußtsein, daß ihr Streit bis zur Instanz durchgedrungen ist und daß die Notwendigkeit eines Vernich-

tungskampfcs sich täglich schärfer und gebieterischer herausstellt. Jeder

Vergleichöversuch ist Berat oder Selbstbetrug, denn jeder Gegner weiß, daß seine Existenz nur durch die Vernichtung des anderen Gegners ga­

rantiert ist, und die eigene Sclbsterhaltung ist das natürliche Streben, selbst wo ihre Anforderungen so extrem werden. Der Ruf zu den Waffen ist aller Orten im Lande ergangen und das Volk spart sein Blut nicht. Der Kampf hat bereits als Einzelkampf

begonnen und schnell stellten sich die Stärke der Gegner und die Bedin­ gungen heraus, unter welchen der eine oder der andere siegen kann.

Nicht schwer ist es, die Vorteile zu erkennen, welche die Konterrevolution, 618) Während An necke schon am 16. Mai in Kaiserslautern mit einer Kcrntruppe von Soldaten und Studenten nach Ludwigshaven marschierte („Rhei­ nische Zeitung" Nr. 301), wurde am Rhein die Bewegung — auch durch das Verbot von Zeitungen — erstickt. Die „Rheinische Zeitung" erschien am 19. Mai 1849 zum letzten Male in rotem Druck.

353 sich auf wohl organisierte und gehorchende Bataillone, auf eine zahlreiche Reiterei, eine Menge von Kanonen und beträchtliche Geldmittel stützend,

der Macht der Revolution gegenüber voraus hat. Das Säbelregiment

ist in Übung gekommen und die Konterrevolution hat Zeit und Gelegen­ heit gehabt, über die zweckmäßige Benutzung der Kräfte treffliche Stu­ dien zu machen. Sie hat der Revolution die natürliche Art ihrer Kriegs­

führung abgemerkt und versteht es unverkennbar, sich danach einzu­ richten und die Weise ihrer Gegner sich selbst zum Vorteil werden zu

lassen. Die Sache der revolutionären Partei ist es nun, ihre wohldurch­ dachte Taktik zu ändern und den Kampf auf ein günstiges Feld zu

spielen. Die Revolution hat bisher fast ausschließlich die Straßen der Städte zu ihrem Schlachtfelde gemacht, ein Terrain, daS wegen seiner Be­

schränktheit nur einen Verteidigungskampf zuließ, keineswegs aber zur Verfolgung errungener Vorteile geeignet war. Freilich ist dies in Paris, einer Stadt, in deren Mauern das ganze Frankreich zusammengedrängt ist, anders. Zn Deutschland aber, wo die Zentralisation nirgends in dieser Weise ausgebildet ist, und wo Revolutionen im Bereich des ganzen

Vaterlandes ausgefochten werden müssen, wenn ihr Sieg ein voll­ ständiger genannt werden soll, sind selbst Hauptstädte nicht einmal im­ stande, mit einem Schlage einen für das ganze Land entscheidenden Um­ schwung der Dinge hervorzubringen. Der Straßenkampf also, selbst wenn er in einer Menge von Städten zugleich sollte losgebrochen sein, bietet der konterrevolutionären Militärmacht folgende Vorteile. Ist das Militär glücklich aus der Stadt getrieben, hat also die Insurrektion den ersten Sieg davongetragen, so ergibt sich daraus für die siegende Stadt die Verpflichtung, die errungenen Vorteile zu behaupten, d. h. sich in Ver­ teidigung zu setzen, wie dies z. B. Elberfeld getan hat. Alles ist unter Waffen. Trotzige Barrikaden sperren die Straßen, der Verkehr ist auf­

gehoben. Das Volk glüht vor Kampfesmut in Erwartung des Angriffs von außen. Muß das Militär sogleich angreifen? O nein. Es zieht Verstärkungen heran, zentralisiert seine Kraft und greift erst dann an, wenn es ihm gefällig ist. DaS Volk in der Stadt wartet und wartet und in demselben Maße, wie das Militär Kraft und Zeit gewinnt, sinkt in den Mauern die brausende Begeisterung und eine nach dem Verkehr des Alltags sich sehnende Erschlaffung tritt an die Stelle des todeömütigen Eifers. Plötzlich macht daö Militär mit verdoppelter Kraft und

Schnelligkeit seinen Angriff. — Das Volk hat seine Begeisterung und Dannehl, Schurz.

23

354

seinen Kampfesmut mühsam wieder heraufbeschworen und die einfache Folge ist, daß es der in der Organisation und den Mitteln überlegenen Militärmacht erliegen muß. Damit ist dann nicht allein die Insurrek­

tion in der Stadt selbst gedämpft, sondern sie ist auch für einen nicht unbeträchtlichen Umkreis auf dem platten Lande unmöglich gemacht. Ein Kampf in der Stadt, der doch stets eine ephemere Erscheinung ist,

zieht, wenn er mißlungen ist, für lange Zeit eine totale Unfähigkeit nach sich, indem er nicht nur eine bestehende und sich entwickelnde Organisa­ tion der Streitkräfte löst, sondern auch die organischen Kräfte gewöhn­ lich gänzlich absumiert. Wäre nun auch in 50 Städten unseres Vater­

landes der Aufstand gleichzeitig losgebrochen, so würde dieser gleich­ zeitig nicht etwa die Macht der Konterrevolution zersplittern, sondern

daö herrliche Heer würde in Masse von einem Ort zum andern ziehen und sehr bald mit allen 50 Städten fertig geworden sein. Diese Nach­ teile des Straßenkampfeö lassen sich auf eine Eigenschaft zurückführen.

Er ist wesentlich ein defensiver Kampf, dessen ganzer Sieg meist darin besteht, für den Augenblick einer Niederlage entgangen zu sein. Es ist also die Sache der Revolution, die Vorteile des Gegners zu vernichten oder sich selbst danach einzurichten. Jene Vorteile sind haupt­ sächlich die Masse und die Wirklichkeit der Streitkräfte, die Leichtigkeit der Zentralisation und der Transportation. Die Masse ist nur durch eine andere Masse oder durch eine sehr kluge Anwendung geringer Macht

zu vernichten. Die Insurrektion muß also, um zu umfassenden Kräften zu kommen, ihr Terrain ausdehnen, sie muß das durch den Straßen­ kampf fast ganz ausgeschlossene Landvolk unter die Waffen rufen. Die­ ses bietet die Masse, gewährt die Möglichkeit, die Zentralisation der Militärmacht zu verhindern und kann, indem es sich im Verein mit der Landwehr aus Stadt und Dorf zu Volksarmeen heranbildet, den revolutionären Einzelkampf in einen Revolutionskrieg verwandeln. Der

Revolutionökrieg, in einem günstigen Terrain geführt, welches nicht alle Waffengattungen der Militärmacht z. B. Artillerie und Kavallerie zur Anwendung kommen läßt, gewährt Muße genug, um die ungeordnete Masse zu organisieren und den Kern der Volksarmee, der anfangs

aus der Landwehr bestände, zur größeren Masse zu ergänzen und auszudehnen. Bei solchem Kampfe würde nicht allein die Haupt­ kraft der Militärmacht unwirksam gemacht, sondern eine betrübende und vernichtende Folge jeder Straßenniederkage vermieden. Ist ein mobiles Korpö auch einmal geworfen, so ist es damit noch nicht desorganisiert.

355 Seine Wirksamkeit ist suspendiert, aber nicht aufgehoben. Die Revolu­

tion würde hierdurch Zeit gewinnen und durch den Jeitgewinnst bedeu­ tende Kraft. Es würden sich die schlagfertigen Kräfte entlegener Pro­ vinzen durch Erweiterung der Jnsurrektionsgebiete die Hände reichen und so eine Zentralisation auch der revolutionären Kräfte stattfinden können. Die Möglichkeit für diese Unternehmungen ist jetzt geboten. Das

bergische Land und Süddeutschland stehen im offenen Aufstand. Die Vereinigung dieser Insurrektionen würde ihre Kraft verzehnfachen und diese Vereinigung ist keine Unmöglichkeit mehr. Wenn die Insurgenten auf beiden Seiten die Rechte der Revolution und ihre Vorteile erkennen, so wird das herrliche Heer des Unterknäs in Sanssouci bald in den Bergen des rheinischen Landes einen Feind finden, dessen Bekämpfung

keine Spielerei ist."

Resultate. (Zürich, 15. November 1849.)

Das Resultat der Revolution in Europa im Jahre 1849 war eine Niederlage auf der ganzen Linie, weil die Regierungen der Hydra vor ihrer Entfaltung den Kopf abschlugen und weil, wie es schon am 24. Mai die „Bonner Zeitung" fürchtete, „zuviele Dummköpfe am Ruder waren", die kein richtiges Organisationstalent besaßen und zu­ wenig politische Erfahrung hatten. Das Frankfurter Rumpfparlament, aus dem am 19. Mai Dahlmann, von Gagern und ihre Freunde ausgetreten waren, weil der

Reichsverweser zur Konterrevolution hielt, versagte auch in Stuttgart (seit 30. Mai noch 100 Mitglieder!), obwohl es unter dem Vorsitz

LöweS aus Calbe am 5. Juni — viel zu spät! — den Reichsverweser absetzte, eine Reichsregentschaft einrichtete und die allgemeine Volköwaffnung anordnete, ohne noch die Möglichkeit zur Organisation über­ haupt zu haben. Die Paulskirche fand dann auch — sie wurde durch württembergisches Militär am 18. Juni 1849 zersprengt — ein ent­ setzlich tragisches Ende, nachdem sie mit solchen Hoffnungen ins Leben gerufen worden war, weil sie die Glücksaugenblicke mangels richtiger Führung versäumt hatte, die ihr immerhin die Möglichkeit gaben, die Einheit und Freiheit Deutschlands zu begründen. Der Aufruhr in Schlesien, Rheinland, Westfalen wurde ebenso

wie in Sachsen durch die schlagfertige und geschlossene Kriegsmacht Preußens noch im Keime erstickt. Auch in Frankreich konnte die Revolu23*

356 tion nicht siegreich werden. Die Wahl Napoleons, die einst lediglich der republikanischen Partei zu danken war, erwies sich als ein Fehl­ schlag, wie die „Rheinische Zeitung" (Nr. 168, 14. Dezember 1848 und Nr. 172 19. Dezember 1848) vorausgesagt hatte. „Die revolutionäre Erhebung der französischen Arbeiterklasse, der Weltkrieg", der der Inhalt des Jahres 1849 nach der Ansicht von Marx werden sollte619) konnte auch in Frankreich gegen die Militärmacht nicht organisiert werden, obwohl man in den Klubs und auf den Banquetten 620) Woinez Gedicht auf Robert Blum (auch andere Chansonö!) rezitierte: „Mais patience! L’henreure ä la fin sonnera. Ou sur l’autel. voite de noir. la vengeresse Des larmes et da sang des traitres se teindra. A son tour, sans pitie pour leur sceleratesse. Et ce moment sauveur le temps l’apportera.“

ES bestanden damals — wie auch schon früher — viele Komitees, deren Plan war, gemeinsam in ganz Europa loszuschlagen. Als in Baden die Revolution ausbrach, war man eigentlich noch nicht richtig vorbereitet. Der badische Gesandte Blind trieb deshalb Ledru-Rollin — den Führer der französischen Sozialdemokratie — zur Eile an. Vor Mitte Juni 1849 erschien — ohne schwache Rückendeckung! — die „Prok­ lamation an das Volk" Frankreichs (auch „das deutsche Komitee in Paris", „das Komitee der polnischen Emigration in Paris" usw. schlossen sich mit ähnlichen Manifestationen an). Bevor jedoch die gleichzeitig eingesetzte Regierung „Der Nationalkonvent" mit dem Sitz im Konservatoire des Arts et Metiers seine Wirksamkeit recht beginnen konnte, wurde der Volks­ sturm am 13. Juli am Boulevard des Italiens durch Cavaignac zerstreut und die Nationalregierung, soweit sie nicht geflohen war, gefangen ge­ nommen.

Am 31. Oktober wurde die französische Nationalversammlung durch ein Pseudoministerium („Barrot—Dufaure—Rayneval") und die Bot­ schaft des Präsidenten Napoleon überrascht, die unverblümt seine Dik­ tatorschaft aussprach, „den Willen der Nation an den Willen des Einzelnen zu knüpfen und den Absolutismus unter der Form nationaler Freiheit und Selbstbestimmung zum eigentlichen Wesen des französischen Staatslebens zu machen" (so Prutz S. 429).

Aber auch in Mitteleuropa beendigte die Revolution diesen Kreis­ lauf. In Baden und der Pfalz stellte der Prinz von Preußen mit 50000 Mann preußischer Truppen (auch die Magdeburger Landsleute 61y/620) Vgl. „Rheinische Leitung" Nr. 1.

357 waren dabei) die Ordnung wieder her, nachdem sich der Großherzog von Baden — warum nicht früher solche Mittel? — verpflichtet hatte,

die von Preußen entworfene Reichöverfassung anzuerkennen. Auch hier scheiterte trotz Brentanos Organisationstalent die Revolution an ihrer

eigenen Unfähigkeit zu großen Taten«").

Nachdem die militärische Niederlage besiegelt war, legte Brentano die Regierung am 29. Juni nieder und ging in die Schweiz. Bald dar­ auf legte auch der Oberbefehlshaber, der Pole MieroölawSki den Ober­

befehl über das in voller Auflösung begriffene Revolutionsheer nieder, während gerade Hecker, der Heros von 1848, aus Amerika in Le Havre eintraf. Nach dem Fall von Rastatt am 23. Juli 1849, bei dem Schurz nur durch einen Zufall der Gefangennahme entging und in die Schweiz

floh, war die Revolution in Deutschland erlebigt621a). Bald darauf vollzog sich auch die Katastrophe in Ungarn. 150000 Russen und 80000 Österreicher erdrückten seit Mitte Juni 1849 das kleine und weit verstreute Heer Ungarns (etwa 80—40000 Mann). Da Kossuth eine Hilfe auö Europa, an das er sich wandte (Frankreich—

England) nicht erhielt, mußte er am 11. August 1849 die Präsident­ schaft niederlegen und flüchten. Görgey übernahm — als militärischer Führer — die Diktatur. Am 13. August wurden bei BillagoS die Waf­ fen gestreckt (noch etwa 20000 Mann!). Nach dem Fall von Munkasz (26. August), Pcterwardein (7. Sept.) und Komorn (27. Sept.) wurde am 6. Oktober ein schwere! Blutgericht

an den Führern vollzogen.

Cs wurden mit grausamster Härt« 114 Todes­

urteile und 1765 Kerkerstrafen verhängt.

Damit hatte der Absolutismus

— insbesondere die heilig« Allianz — ihre alten Prinzipien von neuem befestigt.

Der Revolution war vorerst das Rückgrat gebrochen, obwohl man

im Flüchtlingslager in der Schweiz die Hoffnung auf einen neuen Sieg nicht aufgab. Auch Schurz, der das Versagen der revolutionären Kräfte und die Gründe dafür klar erkannt hatte, bereitete sich auf eine neue Erhebung vor. Er meinte, daß man nunmehr über Erfahrungen ver«") Die Struvesche Partei

störte die Einigkeit und Geschlossenheit der

Regierung, ebenso wie Werner und der frühere Finanzminister Goegg die In­ teressen de- Großherzogs wahrnahmen und die revolutionäre Regierung schlecht

unterstützten, so daß man in der Zeit der größten Kopflosigkeit am 30. Juni so­ gar den Großherzog zurllckzurufen ernstlich vorschlug.

6,la) Hierüber (Schurz' Flucht aus Rastatt) vgl. „Erinnerungen" S. 222.

Bd. I

358 füge und verstehen würde, die Einheitsfront des Liberalismus zu einem erfolgreichen Schlage zusammenfassen. Bald jedoch — nach der Be­

freiung Kinkels 1850622) — erkannte er, daß sein Glaube ein Traum­ gebilde sei. Er ging deshalb nach Amerika, um sich hier eine Existenz

in einem freien Lande zu schaffen. Schurz im Exil geschriebener Auf­

satz 623) „Resultate" der Revolution ist leider nicht vollständig erhalten. Der Schluß läßt aber seine Ideen doch gut erkennen („Bonner Zeitung"

Nr. 197, 28. November 1849): „Und trotz all dieser Unterstützung der Konterrevolution regt sich

das politische Leben im Volke nicht mehr? Es ist natürlich, aber noch mehr nützlich als natürlich. Wir bemerkten schon, wie scharf die Scheidung der

Parteien vor sich ging, wie sehr in dem lebendigen, aber nicht immer mit der allein imponierenden sittlichen Würde geführten Kampfe die

Gehässigkeit auf beiden Seiten stieg. Es konnte nun nicht fehlen, daß

die großen Gewaltstreiche der Konterrevolution, alle jene Kammerauf­ lösungen, Oktroyierungen usw., einen großen Teil derer in ihrem Glau­

ben wankend machen, die früher im Vertrauen auf dieWahrheit des Konstitutionalismuö dem Gouvernement ihre Unterstützung liehen. Eine be­ deutende Menge der Royalisten fiel ab. Aber vereinigten sich nun die

oppositionellen Elemente zu einer großen Masse?

Nein, die konter­

revolutionäre Partei wurde wohl kleiner, aber die revolutionäre nicht

größer. Und dies hatte nicht anders, als es scheinen mag, seinen klaren Grund. Der Kampf der Partei hatte sich nicht auf die Presse und die öffentliche Meinung beschränkt. Er hatte bei einer immer wachsenden

Erbitterung auch im Privatleben seinen Tummelplatz gefunden.

Der

massenhafte Streit der Presse übertrug sich auf die einzelnen Personen und so geschah es, daß mancher, der ein Gegner seiner eigenen Partei

wurde, sich doch nicht zum Freunde der anderen bekannte. Und so gestehen wir es nur: die Physiognomie der revolutionären Partei war, nach ihrem

Äußerlichen betrachtet, so einladend nicht, und es gab viele Schwächlinge, die von dieser unwesentlichen Seite ebenso abgestoßen wurden, wie von

der prinzipiellen und sittlichen Misere der Konterrevolution. Jener affek­ tierte SanSkulottiSmuö, den man mit kindlicher Pedanterie an vielen

Orten zur Schau trug, reüssiert in Deutschland nicht. Eine Vereinigung der oppositionellen Elemente schien immer unmöglicher zu werden, je mehr 622) Dgl. Erinnerungen Bd. I S. 294 ff. 623) schrieb damals auch für die „Westdeutsche Freundes Becke: in Köln Leitartikel, die nicht zu ermitteln sind.

Zeitung"

seines

359 die kleinlichsten Meinungsverschiedenheiten auseinanderführten. Diesem gefährlichen Zustande setzte die Konterrevolution ein Ziel. Die Presse und das Versammlungsrecht wurden beschränkt, aber die Konterrevolu­

tion erreichte nicht, was sie wollte. Nicht die Freiheit vernichtete sie, in­ dem sie ihre äußerlichen Lebenstätigkeiten hemmte, sondern nur die Ab­

geschlossenheiten der Partei. So hat sich denn das bedingende Element der revolutionären Entwicklung in die Tiefe gesenkt. Und da geht ein Mischungsprozeß vor sich, der von unermeßlichen Folgen sein wird. Die Schranken sind gefallen, die Tore geöffnet, und alle die Elemente,

die nur durch zufällige Vorurteile und kleinliche Differenzen ausein­

andergehalten werden, fließen friedlich zusammen. Die Umwandlung der Gesinnung jener vom Royalismuö Abgefallenen darf nun lauter werden, denn eine unbeschränkte Unmittelbarkeit ist an die Stelle der konventionellen Rücksichten getreten. Gerade dieser Zustand scheinbarer Ruhe war nötig, um die in unendlich viele Fraktionen zersplit­ terte Opposition zu einer imposanten Masse zu einigen. Und diese Verschmelzung geschieht langsam, ist aber um so weniger zu stören und zu hemmen. Wenn man im März 1848 fragte, wer denn eigentlich die Revolu­ tion gemacht habe, so hieß es nicht, diese oder jene Partei, sondern das

Volk. Und man hatte Recht, denn jene große damals fast noch unzer­ splitterte Oppositionspartei war das Volk. Sind wir nicht auf dem­ selben Wege? Seit Louis Napoleon den lächerlichen Streich machte, seine einzige Krücke zu zerbrechen, dasjenige Ministerium nämlich, wel­ ches seine Dummheit mit schlauer Berechnung an Drähten zog, seit

jener Einsetzung eines Ministeriums Louis Napoleon, ist es nicht zweifel­ haft mehr, daß ein plötzlich gewaltiger Schlag auch in Deutschland die

Revolution zu neuem Leben elektrisieren wird. Auch dieser Schlag würde unnütz vorübergehen können, wenn er nur eine Fraktion zur Ein­ leitung deö Kampfes vorschöbe. Aber dann wird die royalistische Konterrevolution staunen über die neue Parteigestaltung, die, wie aus dem,Boden gewachsen, sich im Augenblick der Tat massenhaft organi­

sieren und in Form des Volkes bis zum Siege zusammenhalten wird. Freilich können die Männer der jetzigen parlamentarischen Opposition nicht Führer der Erhebung werden. Sie werden es 1850 ebensowenig sein, wie sie es 1848 gewesen sind. Die parlamentarische Opposition

hat keinen Boden mehr, sie ist eine Lächerlichkeit geworden, sowohl in, den Augen des Volkes wie in sich selbst. Aber weil sie das ist, wird sie

360 im Augenblick der Entscheidung den über sie hinausgehenden Schwung

der Revolution nicht mehr hemmen können. Und darin scheint mir das große Resultat des Jahres 1849 zu liegen, daß es die umfassendste Oppositionsgestaltung des März wieder

heraufbeschworen hat ohne das leichtsinnige Vertrauen und die schwäch­ lichen Mittel deö März, daß eö sowohl den Wahn derer geheilt hat, die

noch an eine ruhige und gesetzliche Entwicklung glaubten, als derer, die

in der Überstürzung eines blinden Selbstvertrauens die große Schlacht

der Entscheidung allein mit der Avantgarde schlagen wollten, daß eö den konstitutionellen Liberalismus von seiner prinzipiellen, die Demo­ kratie von ihrer praktischen Torheit überzeugt hat, vor allem aber, daß

eö dem Volke gezeigt hat, wo eö seine Gegner suchen und wie eö auf eigenen Füßen stehen müsse. Und wo ist der effektive Wert dieser Resultate? möchte mancher

fragen. Ich kenne einen Fluß, dessen Krümmungen so stark sind und so kreisförmig in sich zurückgehen, daß ein Schiffer, der den ganzen Tag

über gefahren ist, am Abend wieder in dasselbe Wirtshaus einkehren kann, von wo er des Morgens seine Reise antrat. Und doch ist er um eine ganze Tageöreise weiter. — So ist eö mit der Revolution in den Jahren 1848 und 1849."

Frankreich. (Zürich, 8. Februar 1850.) „Quiveut la fin, veutles moyens“, die Wahrheit dieses französi­

schen Sentenz sollte bald den Glauben der deutschen Revolutionäre („Auch sie werden ihr Damaskus haben") zerstören. Friedrich Wilhelm IV. hatte in Gemäßheit deö Radowitzschen Schachzuges am 26. Mai 1849 mit Hannover und Sachsen die „Union" geschlossen, um durch die preußische Unionsverfassung den Zweck deö Frankfurter Parlaments zu einem Ende im Sinne der Fürsten zu führen.

Hierdurch hatte er einen großen Teil deö Liberalismus und der Frank­ furter Erbkaiserpartei auf seine Seite zunächst gebracht, während die katholischen PiuSvereine schon damals Österreich die Stange hieltenC24). 624) Leider wurde die Cnblockannahme des Unionsentwurfes im Unions­ parlament von den Fürsten selbst verhindert, um die Grundrechte auszumerzen. Becker urteilte (S. 50): „Tatsache ist, daß 29 Regierungen, welche die

Grundrechte

angenommen

hatten,

sich

derselben,

Stimmrechts auf diese Weise entledigt haben."

namentlich

des

allgemeine»

361 Auf diese Weise gelang eS ihm auch, die preußische Verfassung unter

Dach und Fach zu bringen, ihr insbesondere den „gesetzlichen Boden" zu geben. Am 30. Mai 1849 oktroyierte er62i) für die zweite preußische Kammer ein zwar allgemeines, aber abgestufteö und indirektes Zensus­

wahlsystem, daö „den einzelnen Volksschichten einen zu ihrer wirklichen Bedeutung im Staate im richtigen Verhältnis stehenden Einfluß" angeb­ lich gewähren sollte, ohne daß man — auch später — der sich voll­ ziehenden Umschichtung genügend Rechnung trug 626). Mit Hilfe dieses Parlaments gelang eS in Preußen die Revision

der preußischen Verfassung im Jahre 1850 durchzubringen, wo­

durch unglücklicherweise der Übergang des ins Wanken geratenen Herrschersiaats zum Volköstaat, wie er sich immerhin 1848 angebahnt hatte, zum Schaden der deutschen Politik verhindert wurde62'). So wurde „die brutalste Konterrevolution in Sachsen, in Deutschland, in Europa vollendet" 628). „Mit Vertrauensfloskeln, führte Becker vor den Assisen in Köln aus,

„hat man angefangen, mit rettenden Taten fortgefahren, mit Meineid ge­ endet und mit Pulver und Blei ihm die höhere Weihe

steht Ihnen frei, diese Erinnerung

an

verliehen.

Cs

die Schmach mit dem Iuchthause

zu bestrafen."

Die Kraft des Liberalismus war gebrochen. Wie er im Verfas­ sungskampfe in Preußen Mißerfolge über Mißerfolge einstecken mußte, so mußte er auch im Erfurter Reichstag, der im März 1850 die deutsche 626) Vgl. Prutz: „Oktroyieren ist nur der verschönerte, gleichsam ins Diplo­ matische gehende Ausdruck für „revolutionieren". Revolution ist überall, wo ein bestehender Rechtszustand auf gewaltsamem Wege aufgehoben wird.

und

Recht

aufhört

und

die

Gewalt

beginnt,

beginnt

auch

die

Wo Gesetz Revolution.

Rechtsbruch bleibt Rechtsbruch, ob das Recht von oben oder von unten gebrochen

wird." 626) Das Wahlrecht war der rheinischen Gemeindeordnung von 1845 nach­ gebildet. Hierdurch waren besonders die geistigen und nichtbesitzenden Berufe benachteiligt. 627) Dem

Parlamente

wurde

das

Steuerbewilligungsrecht

genommen

(Art. 108!) trotz Beckerach, Dahlmann, von Ammon, Kühlwetter, Hansemann,

Camphausen usw.

Art.

108 wurde

fortan das Palladium

Regierungsgewalt. 628) In Sachsen wurde zuerst am 3. Juni

der monarchischen

1850 die Verfassung

vom

15. November 1848 aufgehoben, nachdem offenbar die Fürstenkongresse in Berlin, Frankfurt und Warschau die Parole zur Befestigung des Absolutismus ausge­

geben hatten.

362 Frage im Sinne der Fürsten"9) lösen sollte, den kürzeren ziehen und

den Niedergang seiner nationalen Hoffnungen"") mit dem schmerz­ lichen Bedauern früherer Versäumnisse erleben. Die Widerstände in Er­ furt wurden noch größer wie in Frankfurt. Die Konservativen lehnten

die Unionspolitik grundsätzlich ab, weil sie ihnen in ihrem „moralischen Hochmut" wie eine Fortsetzung der Revolution und als eine schmach­ volle Verbindung mit der Demokratie erschien. Gegenüber diesem Wider­

stand der „Altpreußen" und des Zentrums, das stets der Sekundant Österreichs war, konnte Radowitz seine Pläne nicht681) durchsetzen, zu­ mal auch die „Großdeutschen" sich nach wie vor dagegen stemmten. Der jetzt schwer durchführbare Kampf um die Hegemonie in Deutschland hatte inzwischen die Verhältnisse zwischen Österreich und Preußen derartig gespannt, daß Friedrich Wilhelm am 6. November 1850 die Mobilmachung gegen Österreich anordnete, also zu einer Zeit, wo ihm die konsolidierte Macht Österreichs und Rußlands gegenüberstand.

So wich er — vielleicht unter Überschätzung der russischen Ein­ mischung — in diesem allerungünstigsten Augenblicke, den er selbst ver­ schuldet und verzögert hatte, zurück und erlitt am 29. November 1850 durch die Punktation von Olmütz die demütigendste Niederlage, die Österreichs Suprematie wiederherstellte. Infolge der durch den König selbst verschuldeten zwangsweisen Niederhaltung aller nationalen und libe­ ralen Bestrebungen war die Einheitsbewegung in Deutschland vorerst gescheitert"8). Österreich

es

am

31.

nunmehr

kehrte

Dezember

1850

die

ganz

zuin

Absolutismus

Verfassung

ganz

zurück,

indem

die

bisher

aufhob,

629) In Gotha hatten auch die rheinischen Liberalen zusammen mit von

Gagern ein Opfer ihrer Überzeugung gebracht, indem sie das allgemeine Wahl­ recht und das

suspensive Veto Preisgaben, um den Weg

Preußen frei zu machen. weil

sie

dem

zum

Anschluß

an

Die katholische Press« verhöhnte darob die „Gothaer",

„hungrigen

Wolf

der

brandenburgischen

Habgier

ihren

letzten

Knochen in den Hals schieben wollen"

"°) Hannover trat zuerst zurück.

Darauf wollte man

die

Grundrechte

aus der Verfassung haben. So scheiterte der Versuch. 631 Erst die nationalliberal« Partei konnte sie später teilweise verwirklichen.

"2) Vor allem widersetzte sich auch Bayern, wo man sogar Wallfahrten veranstaltete, um von der Himmelskönigin „die Errettung aus den preußischen Klauen" zu erflehen.

Beckerath gab damals in der 2. preußischen

seiner herben Enttäuschung über die preußisch« Niederlage

Kammer

Ausdruck, während

die „Kreuzzeitung" nach Bismarcks Rede vom 3. Dezember 1850 ihre Be­ friedigung über diese Lösung kundgab, indem sie von ihrem Standpunkt eine

Verletzung der Ehre Preußens nicht einsehen wollte.

363 auch nur auf dein Papier gestanden hatte.

Der König von Preußen da­

gegen hatte schon am 6. Februar 1850 die Verfassung beschworen, in­

er ausdrücklich

dem

sich

gegen

das parlamentarische System

verwahrte.

Er hatte sich hier dem vernünftigen Rat des Grafen Schwerin gefügt,

der am 24. September 1849 (in der zweiten Kammer) sich zum Grund­

satz des Liberalismus und der Demokratie (wie er ihn auffaßte!) bekannte: „Das Wesen der konstitutionellen Monarchie bedinge, daß das Volk ein

gesetzliches Mittel besitzen muß, um seinen Willen zur Geltung zu

bringen."

Trotzdem wurde auch in Preußen am 8. Januar 1851 durch Man­ teuffel offen die Reaktion proklamiert, die sich auch besonders gegen das Rheinland richtete633).634 Damit 635 sank der rheinische Liberalismus zu einer derartigen Bedeutungslosigkeit herab, daß man jede Rücksicht ihm gegenüber fallen lieg m). Da sonach im Hinblick auf diese Realpolitik der „organisierten historischen Kräfte" in Deutschland und Österreich«33) eine Hoffnung auf parlamentarische Reformen ausgeschlossen wurde, so klammerte sich der Liberalismus wieder an seinen letzten Strohhalm — an Frankreich, von dem man eine neue Erhebung zur Verhinderung des Staatsstreiches Napoleons erwartete. Auch Schurz, der selber in Paris einige Zeit lebte, nährte diese Hoffnung. Als jedoch Napoleon am 2. Dezember 1851 sich mit Hilfe des Generals Changarnier zum Kaiser in Frankreich aufschwang, be­ schloß auch Schurz, der damals in London lebte, nach Amerika zu gehen. „Mit der Republik ists zu Ende, schrieb er, und also auch mit der

neuen Revolution, die

sich

auf den

von Frankreich

kommenden

Anstoß

über den ganzen Kontinent verbreiten sollte" (S. 410).

Schurz' Artikel aus Zürich vom 8. Februar 1850 schilderte noch erwartungsvoll die Situation am Anfang des Jahres und vor Kinkels Befreiung in Spandau. Er charakterisierte im allgemeinen richtig die Weltlage, wenn er auch noch die liberalen Kräfte, die zu einer netten Revolution zur Verfügung standen, überschätzte („Bonner Zeitung" Nr. 19): 633) Vgl. von Gerlach: „In unserer Revolution und Konterrevolution kann man eine Aktion des Rheinlandes und eine Reaktion der alten Provinzen gegen

sie sehen." 634) Durch Gesetz vom 21. Juli 1850 wurden sogar die

liberalen Be­

amten zur Disposition gestellt usw. 635)

Deshalb

wanderten

damals

Westen und Süden) nach Amerika aus.

1850

Preußen

(viele

Leute

aus

dem

364 Frankreich. „Seit der ersten französischen Revolution ist eö den Völkern Europas

fast zur Gewohnheit geworden, von Frankreich aus den Sprung und die Tat zu erwarten, welche für ihr Schicksal entscheidend werden sollten.

Und vielleicht niemals ist es das Wichtigste gewesen wie in diesem Augen­ blicke. Die Restaurationserfolge der absolutistischen Mächte sind so ent­ schieden, die Macht der revolutionären Partei in dem übrigen Europa so gebrochen und gesprengt, daß alle Hoffnungen sich auf die eine Nation konzentrieren, welche vermöge ihrer inneren Verhältnisse zu einem gro­

ßen Durchbruch die größte Reife in sich trägt und allein die Macht hat, mit einem mächtigen revolutionären Strom ihre Grenzen nach allen Rich­

tungen hin zu überfluten. Zwar zieht auch in Frankreich kein geräusch­ voller Kampf der Parteien die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, im

Gegenteil scheint das Verlangen nach Ruhe dort vorherrschender zu sein alö jemals. Aber doch ist daS Bewußtsein, welches die gegenwärtigen Zu­ stände verdammt, ein so allgemeines geworden, daß fast jeder das Her­

annahen neuer Stürme fühlt und vorhersagt, obgleich er doch nicht weiß, von wann und wohin sie wehen werden. Selbst die Revolutionäre pre­ digen Ruhe, denn diese besonders wissen sehr wohl, daß derjenige bei einer neuen Bewegung eine bedeutende Chance gegen sich haben wird,

welcher zuerst die Fahne der Verfassungöverletzung erhebt. Sie hoffen,

daß die Regierung dies tun werde — und nicht mit Unrecht. Die Wahl des 10. Dezember hat einen Menschen auf den Präsi­ dentenstuhl gerufen, dessen Regierung man in Europa die Mondkalb­

regierung zu nennen beliebt. In der Tat möchte nicht selten eine Persön­ lichkeit geeignet sein, mit der Summe der Gewalt eines großen Staates

in Händen, das Unerwartete, das Unbegreifliche zutage zu fördern. Die Dummheit Louis Napoleons, auf die sich sein abenteuerlicher Ehrgeiz gründet, sein Ehrgeiz, durch seine Dummheit so unendlich possierlich,

beide Dinge können auf einem monarchischen Throne durch angestammte

Rechte sich behaupten — auf dem Präsidentenstuhle einer Republik, an

der Spitze eines sanguinischen Volkes müssen sie zu den eigentümlichsten Verwicklungen führen.

Man hat so häufig schon ungläubig den Kopf geschüttelt, wenn

von einem Staatsstreich, von einem zweiten 18. Brumaire in Frank­ reich die Rede war. Aber man lege sich folgende Fragen vor: Hat Louis

Napoleon Hoffnung, bei einer nochmaligen Präsidentenwahl seine Macht

365 und Würde zu behalten? Wird Louis Napoleon eS darauf ankommen lassen, bei dieser Gelegenheit von ganz Europa verlacht, in seine Nichtig­ keit zurückgeschleudert zu werden oder wird er nicht den Versuch wagen,

sich durch einen zuvorkommenden Schlag über diese Gefahr hinaus-

zusetzcn? Für Louis Napoleon gibtö aber eine Größe und die ist er selbst und ein einziges Ziel und das ist seine eigene Erhebung, was bleibt ihm also übrig, wenn er nicht fallen will und sich auf verfassungsmäßigem Wege nicht halten kann? Eine Verletzung, ein Umsturz der Verfassung,

ein Staatsstreich. Die Wahl des 10. Dezember hat in Frankreich den

Versuch eines neuen 18. Brumaire notwendig gemacht. Freilich währt es bis zu einer neuen Präsidentenwahl noch fast drei volle Jahre, aber diese Frist dürfte dem Präsidenten nicht gelassen sein. — DaS Ministe­ rium Odilon Barrot neigt sich der persönlichen Politik Napoleons nicht in der geforderten Weise zu. Er erklärte ihm seine Unzufriedenheit und es fiel. Ein bonapartistischeS Ministerium trat an seine Stelle. Mit diesem Augenblick erhielt die Fraktion der Bonapartistischen Partei eine neue Bedeutung. Die eine klammert sich an die ruhmreiche Überlieferung deS Kaisertums an, es ist die militaristische, an ihrer Spitze Changanier und eine Anzahl alter und junger Generale. Die andere Fraktion will, indem sie zugleich die Person Louis Napoleons zu heben bestrebt ist, eine Garantie für Ruhe und Ordnung schaffen, an ihrer Spitze das Ministe­ rium. Die Legitimisten stehen außerhalb der Bonapartistischen Partei. Denn wollten sie auch durch die Wahl Louis Napoleons den alten histo­

rischen Rechten in Frankreich eine neue Bahn eröffnen, so liegen doch ihre Zwecke über Louis Napoleon hinaus und ihre Hoffnungen gründen sich auf die europäische Diplomatie. Für die militärische Fraktion, die Frak­ tion des Ehrgeizes gibt es nur ein Mittel, ihren Plänen ein weites Feld zu schaffen, und dieses eine Mittel ist die weitere Erhebung und Befesti­ gung Louis Napoleons in einer ausgedehnteren Gewalt, als die Präsi­ dentschaft sie bietet. Der Staatsstreich ist für sie eine innere Notwendig­ keit, denn ohne Staatsstreich ist sie nichts. Sie treiben Louis Napoleon

von Schritt zu Schritt, von Sprung zu Sprung und ihre Erfolge werden um so sicherer sein, als sie seiner abenteuerlichen Neigung schmeicheln. Anders ist es mit der Fraktion des Ministeriums. Es ist eine be­ kannte Tatsache, daß das Bankhaus Achille Fould gegen den sehr ver­ schuldeten Louis Napoleon eine bedeutende Menge von protestierten Wechseln in Händen hat. Mit diesen protestierten Wechseln disponiert der Finanzmann Achille Fould in der ausgedehnten Weise über das Pri-

366 vawermögen des Präsidenten. Fould aber mag wohl ahnen, wie wenig

für einen bonapartistischen Staatsstreich in diesem Augenblick die Wahr­ scheinlichkeit des Gelingens vorliegt. Und ihm, dem Bankier, ist gewiß

auch die Rücksicht nicht fremd, daß bei einem so gewagten Unternehmen der Wert seiner protestierten Wechsel in Frage gestellt sei. Er arbeitet

ihm also entgegen und kann dies um so erfolgreicher, als er dem Präsi­ denten gegenüber eben jene Wechsel in der Hand hat, denn er kann

ihn eben auspfänden lassen. So regiert der Finanzminister, der Ban­

kier die Schicksale Frankreichs durch die protestierten Wechsel

eines

Abenteurers. Er wird dem Drängen des Präsidenten nicht eher nach­

geben wollen, his er eine Garantie des Erfolges zu haben glaubt. Wird sich Louis Napoleon so lange hallen lassen? Wird er nicht in seiner Verblendung glauben, sich durch einen gelungenen tS.Brumaire über

die Bedenklichkeiten feines Finanzministeriums hinwegsetzen zu können? Wir beuteten fchon oben an, daß die neue Präsidentenwahl die

äußerste Frist fein werde, aber eS möchte wohl noch eine weniger ferne

geben; das ist die nächste Kammerwahl. Er wird nicht hoffen dürfen,

jemals wieder eine Kammer zu erhalten, welche an Servilität, an royali­ stischer Gesinnung dieser gleichkommt. Er muß im Gegenteil wissen,

daß die nächste Kammer ihm sein Urteil sprechen wird. Dann dürfte die Möglichkeit eines t8.Brumaire vorüber sein. Und in der Tat scheint der Entschluß zu reifen.

Changarnier hat eine Versammlung der Generale

veranstaltet,

welche nur den Zweck hatte, über die bei gewissen Eventualitäten zu er­ greifenden Maßnahmen sich zu vereinbaren. Was für Eventualitäten

sind das?

Man war vorsichtig genug, das selbst auszusprechen.

Es

wurde in der Versammlung die Frage gestellt, ob wirklich ein Staats­

streich in so naher Aussicht stehe. Man beabsichtigt augenblicklich nichts,

lautete die Antwort, aber es könne doch kommen. Das heißt: es kommt.

So vereinigten sich dann die Generale — nicht etwa, die Verfassung

aufrechtzuerhalten, sondern der Anarchie, wo sie sich zeige, entgegenzu­ treten. Das heißt, sie wollen den Staatsstreich unterstützen. Und die

Truppen? Man könnte sich auf ihre Disziplin verlassen, hieß es. Sollte das so richtig sein? Ich will alle jene Nachrichten, welche

von der Demokratisierung des französischen Heeres reden, nicht in die Wagschale werfen, sondern Tatsachen sprechen lassen.

Die Generale

Cavaignac und Lamoriciere, weder durch ihren Namen noch durch ihren

Einfluß auf die Armee unbedeutend, stellten sich an die Spitze eines Ein-

367 Verständnisses von Offizieren. Sie erklärten offen, alles für die Auf­ rechterhaltung der Verfassung aufzubieten, d. h. dem Staatsstreich, der Eitelkeit Louiö Napoleons, bewaffneten Widerstand entgegensetzen

zu

wollen. Ebenfalls.Generale! Kann Louis Napoleon sich auf die Armee

verlassen? — Ferner man hat sich genötigt gesehen, ganze Korps, z. B.

die Mobilgarde, die blutigen Junisieger, aufzulösen und zu entwaffnen. Warum?

Weil man sich auf sie verlassen konnte? Ferner: man hat

selbst in der Nationalversammlung jenes abgebrauchte Mittel einer Sold­

erhöhung für die Unteroffiziere ergreifen wollen, um ihre materiellen

Interessen an das Gouvernement zu fesseln. Die Montagne trat die­ sen Manövern taktvoll entgegen, indem sie eine Solderhöhung für die

Gemeinen vorschlug. Wozu dies alles? Was lehrt die anerkannte Not­ wendigkeit, die Unteroffiziere, die sonst überall bewährten Stützen der

Regierung, aufö neue zu gewinnen? Etwa, daß sich das Gouvernement auf die Armee verlassen könnte?

Ferner: in keiner Armee ist das Lesen demokratischer Journale mit so strengen Strafen verpönt, wie in der französischen und in keiner findet

diese Strafe so häufig Anwendung. Man lese dietäglichen Rapporte des

„National". Wie kommt das? Weil man sich so unbedingt auf die Er­ gebenheit der Armee verlassen kann? Ferner: man hat sich genötigt

gesehen, durch einen Garnisonbefehl, der in allen Kasernen in Paris

angeschlagen worden ist, den Soldaten den Besuch einer großen Anzahl

von Straßen zu verbieten. Warum das? Weil man von ihrer Disziplin überzeugt ist?

Man könnte diese Litaneien ins Unendliche fortsetzen,

wenn nicht das Gegebene genügt, um zu beweisen, daß ein Staatsstreich

Louis Napoleons nicht nur im Volke, sondern auch bei den Soldaten

und nicht nur bei den Gemeinen, sondern auch bei den einflußreichen Generalen auf blutigen Widerstand stoßen würde. So liegt denn die

Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit nicht fern, daß ein Staatsstreich

Louis Napoleons in seinen Erfolgen eine „rettende Tat" für die fran­ zösische Revolution werden kann. Das französische Volk sieht ein, wie

lächerlich es sich durch die Wahl des 10. Dezember gemacht hat. Wir wünschen den Tag herbei, an welchem es seiner Reue Luft machen kann!" Dir FlüchHingsangelrgrnheik in der Schweiz.

(16. November 1850.) Bis zum März 1850 lebte Carl Schurz als Flüchtling in Zürich

bei dem Kaufmann Dolder am Schanzengraben, wo er historische, mili-

368 tärffche und politische Studien trieb (z. B. Rankes Werke usw.).

Er

plante auch, sich als Privatdozent der Geschichte an der neu zu errichtenden Univeksttät Zürich zu etablieren, um sich dort eine Professur zu er­

kämpfen 636 * * ). *637

Um sich bis zur Erlangung eigenen Erwerbes über Wasser zu hal­

ten, lieferte er auch für die „Westdeutsche Zeitung" in Köln, die sein Freund Becker redigierte, „Korrespondenzen und Artikel", die nicht be­

kannt sind.

Später nahm ihn die Befreiung KinkelsG37) in Anspruch, der An­ fang Mai in Köln nach seiner glänzenden Verteidigungsrede wegen

des Siegburger Putsches freigesprochen wurde 638). Doch fand Schurz — in Paris — noch Zeit, sich der schweizerischen Flüchtlinge anzuneh­

men, denen die Schweiz auf den Druck Österreichs und Preußens hin, die einen Bazillenherd nicht so in ihrer Nähe haben wollten, das Asyl­ recht zu entziehen suchte833). Schon am 11. Januar 1849 wurde in der

Rheinischen Zeitung" diese Frage erörtert und darauf hingewiesen, daß

England als Zufluchtsort für politische Flüchtlinge in Betracht käme 64°). Da aber die politischen Flüchtlinge in der Schweiz und in Frankreich immer aufs neue Versuche zur Revolutionierung Deutschlands unter63«) Dgl. „Erinnerungen" S. 252 ff.. um

ihm

seinen

von

Bonner

Hier suchte ihn Strodtmann auf,

Unterstützung

Freunden

Hier

bringen.

zu

traf

er auch mit dem großen Tondichter (Flüchtling aus Leipzig) Richard Wagner

zusammen. 637) Vgl. „Vossische Zeitung" vom 2t. August 1927 Nr. 200 (4. Teil):

„Wie Gottfried Kinkel befreit wurde." 638) Kinkel sprach hier: er glaube nicht, daß eine „Weltidee" dadurch ge­

würde,

schändet

ich Sozialist

glaube auch

ich,

daß

bin,

und

Sünder

Weil

ich Demokrat. einmal

wenn

daß,

Pflicht

die

Zöllner

bin besitzt,

diese

das

Volk

Einrichtungen

sich ich nicht

bis

zu

ihr

nur auf

„Weil

bekannten.

bin, ... darum

Demokrat

das den

sondern

Recht,

letzten

zu verteidigen..., man dies auch mit der Kugel... tun darf.

Mann..

Hätten wir ge­

siegt, so retteten wir unserem Volke den Frieden mit sich selber — die Einheit das Vaterlandes, diesen

Grundgedanken

der deutschen

Revolution

und

in

ihr

den Schlüssel zu allen künftigen Eroberungen von Glück und Größe.. Wer will es leugnen, daß durch die Erhebung des ganzen Volkes in Waffen die Krone auch ohne Bürgerkrieg auf den Weg des Fortschritts gedrängt werden konnte?"

639)

Dgl.

„Erinnerungen"

Bd.

1

S.

268 ff.:

Am

31.

Oktober

1849

erließ man in Bonn — von Strodtmann verfaßt — einen Aufruf zur Unter­ stützung

der politischen

64°)

„Kein

Flüchtlinge

(vgl.

flüchtig Haupt hat

„Bonner Zeitung").

Cngeland

Von seiner Schwelle noch gewiesen."

369 nahmen (durch Versendung revolutionärer Schriften641) usw.), so gab man dem deutschen Bundestag auch ein Recht, ihre Kaltstellung oder Ausweisung zu fordern, und der Schweiz die Veranlassung, diesen Wün­

schen nachzukommen. Die Lasten, die der Schweiz aus der Beherbergung der politischen

Flüchtlinge erwuchsen, waren nicht gering. — Sie beliefen sich nach dem

Bericht des Bundesrats der Schweiz auf 1475000 Franken für die Zeit von 1849

Ende

bis

1852

ttberwachungsleute

(Truppenaufgebote,

usw.)642).

Es war daher verständlich, daß die Schweiz danach trachtete,

diesen 1849

teuren

und gefährlichen

Gästen

zu

befreien.

Schon

sich von

Mitte

Juli

beschloß man, die Führer auszuweisen, um nicht einen Herd der

Revolution in der Schweiz zu haben, obwohl man ihnen entgegenkommender­

weise

Karenzfristen

noch

gewährte.

Ebenso

verhandelte

mit

man

den

Heimatregierungen, um diese zur Zurücknahme (Amnestie usw.) unter freiem Geleite der Flüchtlinge zu bewegen, die sich weniger strafbar gemacht hatten.

So gelang es bis zum 24. September 1849 die Hälfte der in der Schweiz befindlichen Flüchtlinge zu entfernen (vgl.

Andererseits

Neitzke S. 54).

sorgte die Schweiz auch für die Unterstützung der Bedürftigen, die pro Tag 35 Rappen aus der Staatskasse erhielten (Beschluß vom 7. August 1849). Auch

die

private

Unterstützung

war

der

dank

Sympathien

allen

aus

Kreisen vorbildlich und übertraf die Anstrengungen des gesamten Deutsch­

land für seine Freiheitskämpfer.

Ende 1850 erschienen auch die angeregten

Amnestieerlasse, so daß die meisten Flüchtlinge heimkehren konnten.

Nur

etwa 150 waren noch in der Schweiz, nachdem sich viele (nach der Liste des badischen Konsulats in Le Havre) Führer nach Amerika oder nach Eng­ land begeben hatten 643). Man suchte, wie es Abraham Linkoln 1863 auf dem Schlachtfelde von Gettysburg

diesen 48 ern

aus

„eine Nation, im Glauben an die Freiheit errichtet geweiht, 6n)

daß

alle

Menschen gleichgeboren

sprach:

ob eine Regierung des

sind,

Vgl. Theodor Scholz „Revolutionäre"

der Seele

und dem Grundsatz

(1926) S.

358:

„sie

ver­

breiteten in Baden nach dem Schreiben des Minist, vom 27. September 1850: 1.

„Vier Briefe

eines

Demokraten",

2.

„An das

deutsche Volk",

3.

„An

Preußens Tyrannen" usw., ferner Struves Kalender für das freie Deutschland..." Moritz Hartmann, Herwegh, Herzen usw. waren literarisch tätig, ferner Johannes Scherl:

„Die Revolution in Baden

Standpunkt beleuchtet usw.

und die Demokratie

Vgl. Paul

Flüchtlinge in der Schweiz." 642) Dgl. Paul Neitzke:

„Die

Neitzke:

deutschen

„Die

vom

revolutionären

deutschen

Flüchtlinge

in

der

politischen

Schweiz

1848/49"; Theodor Scholz: „Revolutionäre", 1926. 643) So nach Amerika: Blenker, Brentano, Doll, Fresch, Fischer, Kappel,

Mersy, Mordes, Metternich, Richter, Schneider, Zitz usw.; nach England (und später nach Amerika): Gogg, Heinzen, Struve, Sigel, Millich, Ziegler, Kiefer, Kaiser, Reichard, Schmidt, Raveaux, Mierolawski usw.

Vgl. auch Georg von

Skal (Die Paulskirche): „Die Achtundvierziger in Amerika". Daune hl, Schurz.

24

370 Volkes, durch das Volk und für das Volk auf dieser Erde bestehen kann

oder von ihr verschwinden muß".

Schurz war einer von denen, die damals und auch immer noch

später aus der deutschen Misere herauskommen wollten, und der mit der glühenden Liede eines Konrad Krez, der in Amerika sang: „Land meiner Väter, länger nicht das meine. So heilig ist kein Boden wie der deine!

Und hast du schutzlos mich hinausgetrieben,

Weil ich in meiner Jugend nicht verstand, Dich weniger und mehr mich selbst zu lieben —

Du bliebst mein heiß geliebtes Vaterland!"

an seinem Vaterlande hing, das er zur Einheit und zu „freien Regie-

rungöinstitutionen", seinem hohen Humanitätsideal entsprechend, mit dem edlen Eifer für Wahrheit und Recht, aber auch der Unerschrockenheit

eines deutschen Kämpfers führen wollte, wie man es noch in Amerika später wieder an ihm sehen kann

So ist es kein Wunder, daß er die Feder erhob, um auch die Be­ lange der politischen Flüchtlinge, die schlimmer als wirkliche Verbrecher

damals von den ängstlichen lediglich durch ihre Gewalt — und nicht durch das Vertrauen deö Volkes geschützten Regierungen behandelt wur­ den, zu verteidigen und die Verblendung des Absolutismus auch in dieser

Beziehung zu geißeln.

Schurz schrieb am 16. November 1850 („Bonner Zeitung" Nr. 22): „Die schwächlichste Politik, welche der Bundesrat in der Schweiz

führt, trägt bereits die Früchte, welche schon vor vielen Monaten von so mancher Seite prophezeit wurden. Es haben sich alle Befürchtungen als richtig herausgestellt, welche man damals höheren Orts als Chimären ansah

Die Bundesregierung der schweizerischen Revublik sieht jetzt schon

jenem jämmerlichen Bilde ähnlich, welches jede Regierung darstellen

muß, die ein unstetes, prinziploses Lavieren zu ihrem Grundsatz gemacht hat. Konnte der Bundesrat damals, als von Preußen aus die ersten

FlüchtlingsauSweisungen gefordert wurden, noch immer daran zweifeln, daß die Absichten der absoluten Großmächte weit über diese Maßregeln hinausgingen? Er scheint, als ob er vertraut habe, und es ist der Mühe

wert, dem Ganzen dieser Vertrauensangelegenheit einen Blick zu widmen. 6t4) z. B. in seinem Kampf für die Indianer, gegen die Korruption und den Amterschacher, gegen di« imperialistische Politik Grants (Annektierung der west­

indischen

Inseln

political Papers.“

usw.);

vgl.

Carl

Schurz: ,,Speeches Correspondence and

371 Der Bundesrat ließ sich willig finden, er wies die geforderte An­

zahl von Flüchtlingen aus. Er tat dies um so lieber, als man ihm eine

ausgedehnte Amnestierung der übrigen in Aussicht stellte. Statt diese Amnestierung zu vollziehen, stellte man neue Forderungen, eS müsse

auch dieser oder jener der Zahl der Ausgewiesenen hinzugefügt werden. Dann werde die Begnadigung der großen Masse möglich. Der immer noch vertrauensvolle Bundesrat tats.

Aber — nun hörte man — nun

sind noch dieser und diese und noch einhalb Dutzend — alle für das

europäische Gleichgewicht gefährliche Leute. Und der Bundesrat? Aus­ gewiesen — Laßt sehen! hieß es dann. Sind die Leute auch wirklich fort? Und sollten nicht noch einige Individuen über den Ozean geschafft wer­

den können? — Der Bundesrat beeilte sich, auf sie zu fahnden. Ja,

eö trat der Fall ein, daß die Polizei den Wohnort eines der Bezeichneten nicht ausfindig machen konnte. Siehe da, es kam aus Berlin ein Brief, welcher angab, der Betreffende wohne bei Herrn M. im Dorfe E. bei Z. Die Polizei schaute nach und fand, daß eS also war. Ausgewiesen. —

So ging es einige Monate hindurch. Da keine neuen Forderungen an­

langten, so glaubte wohl der Bundesrat den Frieden der Schweiz hin­ länglich gesichert. Eö wurde den noch nicht Abgereisten gestattet, bis zum Ablauf des Winters zu bleiben.

Die polizeiliche Überwachung wurde

milder, kurz es schien, als wenn sich das Vertrauen des Bundesrats wirklich rechtfertigen sollte.

Aber dann — kam die Kunde von der preußisch-österreichischen Note, die in Paris der Gegenstand diplomatischer Verhandlungen war. Sie forderte die Ausweisung aller Flüchtlinge. Denn, sagte die Note,

diese Menschen zwingen Preußen und Österreich, jenes 490000, die­ ses 600000 Mann auf den Beinen zu halten und sie hätten nicht Lust,

auf diese Weise ihre Finanzen zu ruinieren. (Ach! daö wäre doch auch

recht schade um die blühenden Finanzen!) Wird aber die Schweiz unseren Forderungen nicht Folge leisten, so werden die Mächte sich genötigt sehen,

sagt die Note weiter, eine militärische Besetzung der Schweiz vorzu­ nehmen. Eine Million und 90000 Mann! Nicht weniger als 450 auf jeden Flüchtling!

Jeder sieht ein, daß diese Angaben eine lächerliche

Strohrenommage waren, aber die Mächte wissen wohl, daß die Politik

des Bangemachens an dem Bundesrat ihre rechten Leute gefunden hat.

Sogleich wird es auf den Polizeiämtern lebendig. Es ergeht die Verord­

nung, daß sämtliche AuSgewiesene bis Ende Februar die Schweiz ver­ lassen sollten.

372 Die Kantonalregierungen rufen die Flüchtlinge zusammen, verlan­

gen Ausweisschristen, verlangen gar — horribile diktu — die Stel­ lung einer Kaution von 400 Franken, widrigenfalls eine baldige Entfer­

nung zu gewärtigen stehe. Zwar hat die französische Regierung sich

nicht mit der Note einverstanden erklärt. Man hat die begründete Hofft nung, daß England die Sache in der Schweiz in die Hand nehmen wirb.

— Der Bundesrat ist konsequent in seiner Schwäche! Und das Schwei­ zer Volk?

Es ist nicht zu leugnen, daß im Anfang die Maßnahmen des Bun­ desrates in der Flüchtlingsangelegenheit nicht ganz unpopulär waren. Was sollten wir unsere Wohlfahrt für die deutschen Emigranten in

die Schanzen schlagen, räsonnierten viele. Tun wir, was uns den Frie­ den erhalten kann!

Aber wie denn der gesunde Verstand des Volkes öfter das Richtige

trifft als eine Regierung, die nur gar zu häufig in der konsequenten Verfolgung einer dummen Kombination eine Rettung ihrer Unfehlbar­

keit sieht, so war es auch hier. Man merkte doch gar zu bald, daß das

Ziel der absoluten Großmächte ein ganz anderes sein müßte. Die Ein­ flüsterungen der aristokratischen Partei, die Flüchtlinge trügen die Schuld

an all den Gefahren, welche der Schweiz von außen drohten, verloren allmählich ihren fruchtbaren Boden. Und nicht selten hörte man sehr

gemäßigte Stimmen mit entschiedener Überzeugung den Gedanken aus­

sprechen, daß der Weg des Nachgebens der Weg des Verderbens fei.

Man weiß wohl, was bevorsteht! Eine Rückforderung Neuenburgs und

zuletzt eine Restauration der Bundesverfassung von 1815. Der schweize­

rische Liberalismus trägt einen ganz anderen Charakter als die europäi­ sch: Demokratie. Er hält sich — etwa die radikale Fraktion, deren Sitz

Genf ist, ausgenommen — mit einer gewissen abstoßenden Exklusivität innerhalb der Grenzen seines Landes, ist daher einer nationalen Be­ schränktheit seines Landes anheimgefallen, welche fast aller Orten wäh­

rend der Revolution als ein das allgemeine Zusammenwirken aller prin­

zipiell Verbündeten hinderndes Element hervorgetreten ist. So würde

der Schweizer allenfalls der Ausweisung aller Flüchtlinge kaltblütig zu­ sehen, selbst einer Rückforderung Neuerburgs würde er im äußersten

Falke noch Folge geben. Aber hier ist die Grenze. Für seine Verfassung

wird er mit aller Kraft einstehen. Einen offenen Eingriff in seine Frei­

heit wird er niemals dulden. Es gibt Verwicklungen im politischen Leben, welche die Macht eines sonst antiquierten revolutionären Hebels wieder

373 zur Geltung zu bringen scheinen, eine solche Verwicklung würde ein preußisch-österreichischer Angriff auf die Schweiz sein. Das nationale Bewußtsein der Schweizer würde mit ungeahnter Kraft in die Schranke treten und die Entscheidung blutig und schwer machen.

Es ist klar, daß der Bundesrat auf seinen Wegen des Nachgebens die Schweiz selbst an jene Grenze führen wird; er würde sie noch weiter führen, wenn sie sich noch weiter führen ließe, denn er ist schwach ge­ nug, seine Kräfte nicht zu kennen. Und daß die größte Stärke außerhalb

der Schweiz liegt, wird er niemals einsehen lernen. Aber selbst in dem Falle, daß sich jene günstigen Nachrichten von einem schützenden Ein­ greifen Englands öffentlich bestätigen sollten, selbst in diesem Falle wird

der Bundesrat in seinen Maßregeln gegen die Flüchtlinge dennoch fort­ fahren. Denn er hat einmal jenen

preußisch-österreichischen Begriff

vom europäischen Frieden anerkannt und wird es für eine Ehrenrettung

halten, aus diesem Begriff die Konsequenzen zu ziehen.

Die Konse­

quenzen sind die preußisch-österreichischen Forderungen. Wenn jemals eine Gelegenheit kommen könnte, der kleinen Schweiz in der europäischen

Politik eine immense Bedeutung zu geben, so lag sie in dieser Flüchtlings­ angelegenheit. Der Bundesrat hat sie vorübergehen lassen, und in seiner

Macht wird es schwerlich jemals wieder liegen, eine neue herbeizuführen. Wie winzig die Macht der Schweiz auch sein mag gegen die nord-öst­

lichen Kolosse, sie dürfte stets auf eine Intervention Englands vertrauen.

Denn England ist der nationale Freund derer, die sich der österreich­

russischen Anmaßung zu erwehren streben. So hätte die Schweiz, ohne sich mit großem Prunk an die Spitze einer revolutionären Bewegung zu

werfen, auf ihr staatliches Recht, auf das Recht der Notwehr gestützt,

der Zentralpunkt aller demokratischen Kräfte Europas werden können

und wahrscheinlich nicht ohne Erfolg. Zwar dehnt sich unsere Zukunft

so nebelhaft vor unseren Blicken aus, daß man nicht einen Schritt weit vor sich sehen kann. Der Möglichkeiten sind so viele, daß man die

Lust verlieren sollte, sie zu kombinieren. Aber mit unter diesen Möglich­ keiten ist auch die, welche uns wirklich offizielle Schritte gegen die

Schweiz in Aussicht stellt.

Wer weiß, ob nicht der schweizerische

Bundesrat die Sache der Schweiz bis dahin ebenso unpopulär bei der europäischen Demokratie gemacht haben wird, als er die Sache der

Flüchtlinge bei dem schweizerischen Volke unpopulär zu machen bestrebt

war. Er ist auf dem besten Wege dazu. Es wäre eine Schwäche, aber doch eine verzeihliche Schwäche der europäischen Demokratie, wenn sie

374 in diesem Falle ihre Kräfte dem nicht leihen möchte, der ihre Angehörigen dem bloßen Belieben deö gemeinschaftlichen Feindes geopfert hat." Schur; als Militär.

Die Belagerung in Rastatt.

Es muß als eine Fügung des Schicksals bezeichnet werden, daß Schurz, der im Frühjahr 1848 durch Kinkels Einfluß in die politische

Laufbahn gezogen wurde (statt nach Schleswig zu gehen!), nun doch

wieder auf die militärische Seite durch die Verfassungskampagne in Baden gedrängt wurde. Wäre er im Norden den Weg der Freischaren gegangen 645)z so hätte er wohl nicht so den „revolutionären Kampf" als das „dramatische Kompendium des öffentlichen Lebens in der gedrängtesten Form" kenncngelernt. So erlebte er mit dem ihm

eigenen Scharfblick646) das Drama des Liberalismus („viel edle Selbstverleugnung

neben schmutzigstem

Egoismus, das kühne

Genie neben der rücksichtsvollen Unfähigkeit, die Leidenschaften der Kühn­ heit neben den Leidenschaften der Feigheit, großer Ehrgeiz und stümper­ hafter

Klüngel")

in dem großen deutschen Freiheitökampf im Süden, den allerdings preu­

ßische Schnelligkeit und Schlagkraft — soll man lieber sagen leider oder glücklicherweise? — bald niederschlug.

Mitte Mai 1849 hatte der Landesausschuß in Baden den Kampf „für die deutsche Reichöverfassung" ausgenommen und nach der Flucht

des Großherzogs Mitte Juni 1849 Brentano, Gögg und Werner die diktatorische Gewalt übertragen, die den Verfassungöfeldzug vorbereiten sollte. Die Organisation wurde dadurch erschwert, daß jeder sein poli­ tisches System in den Vordergrund zu rücken suchte. Stellenjägerei, An­ maßung, Habsucht und Borniertheit brachten — insbesondere durch die Struvegruppe — Verwirrung in die Reihen, die nicht erkannten, daß Eile und selbstlose Unterordnung unter den höheren Zweck, wi« Schurz cs von sich bekannte: „Die Subordination unter die Überlegen­ heit ist mir niemals schwer geworden und niemals habe ich der höheren

Kraft, wo ich sic fand, meine Anerkennung versagt," 64ä) Die Freikorps wurden ziemlich übel behandelt. Sie wurden später rück­

sichtslos aufgelöst, zumal allerdings wohl „Meuterungen" — der Kampf gegen

den Absolutismus usw. — vorgckommen sein mögen.

„Bonner" und „Rheinischen Zeitung" hierüber.

Dgl. die Artikel in der

Sonst ist hier alles noch im

Dunkeln. 646) Schurz schrieb int Brief vom 23. Juli 1849: „Da bin ich dann mit der Revolution umhergcgangen wie ein Naturforscher im Gebirge."

375 das einzige Gebot der Stunde war, da der Prinz von Preußen die Gefahr des Untergangs aller Hoffnungen mit sich brachte. Am schlimmsten sah es bei der Schaffung der Armee aus, zu der sich junge tüchtige Elemente aus allen Teilen Deutschlands drängten. Wenn es auch gelang, etwa 50000 Mann notdürftig zu bewaffnen, so

konnte der Oberbefehlshaber Mieroslavki in der Eile doch nicht den Frei­ scharen den militärischen Schliff geben, mit dem sie gegen preußische

Linientruppen, die sich schon in Schleswig bewährt hatten, bestehen

konnten. Unglücklicherweise konnte auch der Anschluß Württembergs, Rheinhessens, Bayerns, Frankreichs usw. trotz großer Bemühungen nicht erreicht werden, sodaß der Absolutismus leichtes Spiel hatte. Der Einfall in das hessische Gebiet am 30. Mai brachte den Revo­

lutionstruppen die erste — wenn auch unverdiente — Niederlage647). Nach dem Rückzug der pfälzischen Armee, die auch ein Pole Szanyade führte, besetzten die Preußen schon am 15. Juni Ludwigshafen.

Nach den

Gefechten bei Käferthal, Hirschhorn (20. Juni) und Waghäusel (21. Juni) vollendeten die Schlachten bei Sinsheim, Durlach und Gernbach-Oos

die Vernichtung der badischen Armee, deren Führer darauf fluchtartig ihre Posten verließen.

Am TI. Juli traten die letzten Reste der Revolutionsarmee über die schweizerische Grenze. Nur noch der linke Flügel, der sich in die Festung Rastatt geworfen hatte, konnte sich noch bis zum 23. Juli dank der wohl mit Absicht nachlässig betriebenen Belagerung halten, nach deren Über­ gabe ein schreckliches Blutgericht wie in Ungarn gehalten wurde. In Rastatt wurden 27 Hinrichtungen nach Kriegsrecht vollzogen 648).

Erst die nordamerikanische Union gab später (1865) unter dem Einfluß von Schurz nach dem mühevollen Sieg über die Südstaaten das große Bei­ spiel des allgemeinen Verzeihens und Vergessens „und so wurden — wie Friedjung schreibt — die Monarchien Europas durch ein freies Volk dar647) Brentano verzweifelte schon nach dem Zusammentritt der Landesver­

sammlung am 10. Juni an der Zukunft, weil deren Mehrheit „aus unfähigen

und gewöhnlichen Schreiern" bestand und angesichts einer Katastrophe das ge­ wöhnliche Bild einer Volksvertretung bot, die das für den Augenblick Nötige

zurücktreten ließ hinter Prinzipienkämpfen und revolutionären Anträgen. 648) Zum Tode verurteilt wurden 28 (darunter Gottfried Kinkel). 8 er­ hielten Festungshaft bis 5 Jahre, 60 — bis 10 Jahre —. Die übrigen ließ man nach einer Kerkerhaft in den

Kasematten der Festung (etwa 1000) frei.

Kinkel, der nur als Musketier mitgegangen und leicht im ersten Gefecht ver­ wundet worden war, wurde später zu „Zuchthaus begnadigt". Vgl. „Bonner Zeitung" Nr. 13 im Februar 1850. In Sachsen wurde der radikale Abgeord­

nete Trützschler usw. zum Tode verurteilt.

376 über

belehrt,

wie

die

Wunden

eines

Bürgerkrieges

am

besten

geheilt

werden".

Schurz war zunächst in Baden als „Jivilkommissar" (vgl. Er­

innerungen Band I S. 188 ff.) tätig, wurde aber bald Adjutant von Annecke bei der pfälzischen Artillerie und nahm an verschiedenen Ge­

fechten der etwa 7000 Mann starken Armeegruppe teil, die am 19. Juni bei Knielingen über den Rhein auf badisches Gebiet gedrängt wurde

(S. 205). In dem Gefecht bei Uhstadt erlebte er zum ersten Male kalt­

blütig ein richtiges Artilleriefeuer (S. 208). Am 28.—30. Juni 1849 nahm er an den Kämpfen um Rastatt teil, wodurch der linke Flügel der badischen Armee in die Festung gedrängt wurde. Da der Oberstleut­ nant Annecke seine Abteilung verließ, um sich in die Schweiz zu retten,

wurde Schurz Adjutant beim Stabe des Obersten Tiedemann,

deö Gouverneurs der Festung Rastatt 649). Bei der Übergabe der Festung gelang es Schurz noch im letzten Augenblick, mit Hilfe eines Siegburger

Schlossers durch einen unterirdischen Kanal zu entfliehen und nach der Schweiz zu entkommen, um weiter für den Liberalismus zu kämpfen. Schurz hatte schon früher eingehende Berichte aus Baden an die

„Bonner Zeitung" gesandt, die gegenüber seiner Schilderung in seinen

„Erinnerungen" hier nicht interessieren999).

Ein sehr eingehendes kritisches Bild entwarf er in der Schweiz von

seinen Erlebnissen in Rastatt, die als letzter Teil seines verschwundenen

Tagebuches wert sind, dem Dunkel entrissen zu werden. Mit schönem Mut nahm Schurz hier „kein Blatt vor den Mund", als er die Schäden

und das Versagen der Revolution aufdeckte. Andererseits tritt hier auch fein praktischer militärischer Blick hervor, den er später in Amerika als

Divisions- und Korpöführer in noch höherem Maße bewähren sollte. Schurz schrieb — „nach meinem Tagebuche!" — aus der Schweiz am 22. August 1849 (Bonner Zeitung" Nr. 172):

Ein Tag in Rastatt •“). „... Auf dem Wall gewannen wir eine klare Ansicht der feindlichen

Stellung. Ein merkwürdiger Fehler, den man bei dem Bau der Festung 649) Vgl. „Erinnerungen" S. 210 ff. und Otto von Corvin (Oberstleutnant):

„Erinnerungen eines Revolutionärs". 65°) Dgl. „Bonner Zeitung" Nr. 123, 126 (27. Mai) 129 (3. Juni) 130 (Bericht über das Gefecht bei Heppenheim) Nr. 148 (27. Juni) Nr. 166 (2.

August).

Auch eine Pfälzer Studcntenlegion erließ damals einen Aufruf.

6äl) Aus Raummangel gekürzt (Beschreibung der Wirkung der Beschießung).

377 begangen hatte, gab den Preußen die Möglichkeit, ohne Verschan­

zungen bauen zu müssen, uns ziemlich gedeckt zu beschießen. Die Eisen­

bahn läuft nämlich bei Rastatt auf einem mehr als mannshohen Damm,

der mit dem Wall durchweg parallel liegt, dessen Rückseite also von

keinem Werke aus bestrichen werden kann. Unter dem Schutz eines an­

stoßenden Wäldchens hatten die Preußen nun in der Nacht anscheinend

2 große Mörser und 2 Vierundzwanzigpfünder dorthin bringen lassen, ohne von dem Feuer unserer Artillerie gestört zu werden, die durch daö

Gerassel der Wagen in der Nacht aufmerksam gemacht, schon als eö noch

dunkel war, fleißig mit Kartätschen hinüber gefeuert hatte. Auch jetzt, als wir durch den aufsteigenden Dampf mit großer Genauigkeit be­

merken konnten, schien eS fast unmöglich, sie zu erreichen, obschon von vielen Seiten Granate auf Granate hinüberflog, ohne auf den richtigen

Punkt einzuschlagen... Schon während der Nacht hatte ein Ausfall gemacht werden sollen, aber er war durch den alles hemmenden Einfluß BiedenfeldS, der unter

allerlei Vorwänden die Stellung seines Regiments verweigerte, verhin­ dert worden. Ähnlich ging es, als um 10 Uhr morgens der Ausfall be­ werkstelligt werden sollte, und erst um 4 Uhr nachmittags war man mit

allem genügend zustande gekommen. Man hatte den Zweck des Ausfalls dahin festgeftellt, die Position der Preußen hinter dem Eisenbahndamm

zu erreichen, ihre Geschütze zu nehmen und wenigstens unschädlich zu machen. Wir rückten ungefähr 2 Bataillone stark, von 2 12-Pfündern

und 2 6-Pfündern begleitet, auö dem Karlsruher Tor, lehnten den rechten

Flügel an die Murg, schoben den linken, aus Volkswehr und dem Rest der deutsch-polnischen Legion bestehend, ins offene Feld und be­

gannen so gegen die feindliche Stellung zu avancieren. Tiedemann selbst

führte daS Kommando. Es galt zuerst, das an die Eisenbahn stoßende Wäldchen von den Preußen zu säubern; dann erst konnten wir die Stelle erreichen, wo die feindlichen Geschütze standen. Unterdessen sollten die

Geschütze des Forts B, des nördlichen,

jede Annäherung

feindlicher

Haufen von dem Lager zu Steinmauern und Rauenthal verhüten, wäh­

rend die Artillerie des Forts A, des südlichen, die Eisenbahnbrücke bei

Kuppenheim beschießen und die Bataillone auf dem dortigen Lager am Übergang verhindern sollte. Die Leopoldsfeste aber, das am meisten nach

Süden vorgeschobene Werk, sollte das nicht mehr als 600 Schritt ent­

legene Dorf Niederbuhl und den anstoßenden Wald beherrschen. Unsere

378 6-Pfünder also rückten im Trab bei der Eisenbahn vor und eröffneten

ein kurzes Kartätschenfeuer gegen die Mannschaft der feindlichen Bela­ gerungsgeschütze, während die Infanterie, in eine Tirailleurkette aus­ gelöst, gegen das Wäldchen drang. Anfangs gings flott vorwärts, ob­

schon ein dichter Kugelregen uns aus dem Wäldchen entgegen pfiff. Man wird mit der Zeit, wenn man an das Krachen der schweren Geschütze und das Sausen der Kanonenkugeln sich nach und nach ge­

wöhnt hat, ungemein gleichgültig und geringschätzend gegen das kleine

Gewehrfeuer, was besonders bei uns der Fall war, da wir aus Erfah­ rung die auffallend geringe Wirkung des preußischen Musketenfeuers kannten. Die Preußen prahlen nämlich gewaltig mit der Schnelligkeit ihres Schießens, und, da sie es damit allein auszurichten meinen, so nahmen sie sich nicht die Zeit zum Anlegen, sondern knallten mit ange-

strengster Eile darauf los, den Kolben unterm Arm, wodurch dann die Schüsse durchweg zu hoch gingen. — So blieb denn auch Tiedemann mit

dem Stab stets in der Feuerlinie, im dichtesten Kugelregen hin- und her­ reitend, obschon es hier bedenklicher war als gewöhnlich; denn die Preußen, vollkommen gedeckt durch den Wald, konnten sich Zeit nehmen und taten es auch, was wir an der furchtbaren Wirkung ihres Feuerö

merkten. Die Leute fielen rund herum in großer Menge, und ein wahres

Wunder ist es, daß Tiedemann mit dem Stabe so davon kam; nur ein Adjutant wurde niedergeschossen. Die Infanterie hatte nur noch ein kleineres Terrain im Lauf zurücklassen müssen, dann war es gewonnen;

denn sobald sie den Saum des Waldes erreicht hatte, boten sich ihr die­ selben Vorteile wie den Feinden, und dann konnte es durchgehen. Schon

bemerkten wir mehrere unserer Anfanteristen an den feindlichen Ge­ schützen, als unsere b-Pfünder zurück mußten, weil sie zu sehr den feind­ lichen Kugeln ausgesetzt waren. Ein Mann war ihnen von der Protze heruntergeschossen worden, ein paar Verwundungen waren unbedeutend.

Die Infanterie, obschon furchtbar leidend, hielt noch einige Zeitlang das Gefecht, wich aber auch, sobald sie die feindlichen Geschütze vernagelt glaubte. Zuerst ging der rechte Flügel, aus einem Bataillon des 3. Regi­

ments bestehend, zurück. Der kommandierende Major war verwundet, eine Menge anderer Verwundeter und Toter waren teils bereits abge­ führt, wurden teils mitgeschleppt. Der linke Flügel indessen, die deutsch­ polnische Legion und einige Volkswehren schlugen sich herrlich, drangen noch immer vor, mußten jedoch endlich zurück, weil sie hätten abge-

schnitten werden können.

379 Während °b-) nun die ganze Linie beim Bahnhof, der unter den Kanonen der Stadt liegt, wieder Position faßte, hatten die Geschütze

bei den Wällen daö Ihrige getan. Auf die Eisenbahnbrücke, über welche die Preußen aus dem Lager bei Kuppenheim durchaus hinüber wollten, hatte man vom Fort A ein furchtbares Feuer unterhalten. Die Schüsse

fielen so dicht, daß man hätte glauben sollen, eine Völkerschlacht würde

geschlagen. Kaum aber waren unsere Truppen zurück, als sie, ihre Rich­ tung verändernd,

ein

mörderisches

Kreuzfeuer

auf das Wäldchen

machten, wozu namentlich die Geschütze des Forts A mitwirkten, die ihre Kugeln und sogar Kartätschen uns über die Köpfe schickten, welches

letztere unvorsichtig und gefährlich genug war, da 2 oder 3 Leute von

hinten durch Kartätschenkugeln verwundet wurden. Nun begannen die Preußen Kavalleriemassen zu entwickeln. Eine Schwadron Kürassiere

und 2 Schwadronen Husaren kamen von Rauhenthal her, einem Dorfe, das eine gute Stunde von Rastatt entfernt liegt. Auch von der Kuppen­

heimer Seite zeigten sich bedeutende Streitkräfte. Die Kavallerie aber,

besonders die Kürassierschwadron, beging die Unvorsichtigkeit, sich in den Bereich unserer Geschütze zu wagen.

Aus den 18-Pfündern des

Forts A sausten 2 Kugeln mitten in die Kürassiere hinein; man glaubte eine Gasse durch die Schwadron zu sehen, so gut war die Wirkung.

Die Kürassiere stoben auseinander wie vom Winde verjagt und so räumten sie im wilden Galopp das Feld. Nicht besser gingS den Hu­ saren, welche sogar einige Kartätschenschüsse unserer 12-Pfünder am Bahnhof auözuhalten hatten. So wurde an dieser Seite das Gefecht

fortgesetzt, indem mehr Preußen gegen die Stellung der unsrigen an­ prallten und sich dann eiligst davon machten.

Auch Tiedemann hatte

etwas abgekriegt. Eine Kugel hatte seine linke Schulter getroffen; doch blieb er zu Pferde, als ob nichts geschehen sei. Unterdessen entwickelte sich am Fort A zwischen Niederbuhl und der Festung ein neues Drama.

Sehr lieb war es mir, daß ich hin mußte, um zu sehen, was es sei. In Niederbuhl hatten sich die Preußen blicken lassen.

Sogleich machten

sich einige Pfälzer und Mannheimer Volkswehrmänner, um das Tor

öffnen zu lassen, über die Pallisaden und eröffneten ein recht lustiges Gewehrfeuer. Sie wurden noch lebhafter empfangen, gingen, da ihrer

nur 20 bis 30 waren, zurück, holten einige Verstärkung, drangen dann

im Sturmschritt unter lautem Hurrah gegen das Dorf und den anschlie­

ßenden Wald vor.

Ein kleiner Tambour ging mit, und obschon die