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German Pages [230] Year 2013
Horst Sassin
Carl Goerdeler Hitlers Widersacher in der Solinger Kommunalpolitik 1911 bis 1920
Mit 57 Abbildungen
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0088-1 ISBN 978-3-8470-0088-4 (E-Book) Ó 2013, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Jan Marco Schmitz, Solingen, unter Verwendung eines Fotos der Familie Goerdeler und des vom Stadtarchiv Solingen zur Verfügung gestellten historischen Wappens der Stadt Solingen Druck und Bindung: CPI Buch Bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Warum Solingen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schlachthof und Armenverwaltung – der juristische Hilfsarbeiter . . . .
25
Schulverwaltung und Krankenversicherung – der Beigeordnete . . . . .
37
»Ein sonst nicht unsympathischer Herr« – Goerdelers differenziertes Verhältnis zur Sozialdemokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
Juli-Krise, Erster Weltkrieg und Versailler Vertrag . . . . . . . . . . . . .
79
Zur Frage der Einheitsschule 1919 und weiteren Reformplänen . . . . .
87
Auf dem Sprung nach Ostpreußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
119
Prägende Solinger Erfahrungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
125
Solinger Erinnerungen an Goerdeler in der Weimarer Republik und im »Dritten Reich« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
145
Solinger Gedenken an Goerdeler nach dem Untergang des »Dritten Reiches« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
153
Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
161
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
163
6
Inhalt
. . . . .
163 163 172 173 195
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195 200
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
213
Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
219
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Namens-, Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1) Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Juristisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemeindeverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reform des Schulsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2) Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911 und ihre Umsetzung in Solingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3) Übersichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort
Die Annahme, über das Leben Carl Goerdelers, des Kopfs der zivilen Widerstandsbewegung im Kampf gegen Hitler, sei alles bekannt und alles gesagt, ist immer wieder zu hören. Dies liegt zum einem an der umfassenden Biographie, die Gerhard Ritter schon im Jahr 1954 vorgelegt hat. Ritter widmete seinem Protagonisten, dem er auch persönlich verbunden war, ein geschichtswissenschaftliches Standardwerk, dem, so schien es, kaum noch etwas hinzuzufügen war. In den 1960er Jahren führte jedoch die zum Teil vehemente Kritik am vermeintlich geradezu »vordemokratischen« Denken der »Honoratioren« im Widerstand und nicht zuletzt Kritik an den konservativen Wertvorstellungen des Verwaltungsfachmanns Goerdeler zu weiteren Archivrecherchen, damit verbunden zu ergänzenden Veröffentlichungen sowie Neubewertungen. Die zum Teil überzogenen Vorwürfe spielen in den heutigen Debatten zur Bedeutung und Rolle der Gegner des »Dritten Reiches« keine prominente Rolle mehr. Die Persönlichkeit Goerdelers hat im Kreis derjenigen, die den Nationalsozialismus mutig bekämpft haben, seine feste Verankerung gefunden. In den letzten Jahrzehnten haben weitere Studien zum Widerstand zwar einzelne Aspekte des Wirkens von Goerdeler neu beleuchtet, aber wirklich umfassende Neuentdeckungen blieben aus. Um so begrüßenswerter ist, dass mit dem vorliegenden Werk unser Wissen über die frühen Wirkungsjahre des Westpreußen Goerdeler – in den knapp zehn Jahren seiner Tätigkeit als Kommunalbeamter in der rheinisch-bergischen Industriestadt Solingen – wesentlich erweitert wird. Horst Sassin, seit vielen Jahrzehnten ein ausgewiesener Kenner des facettenreichen bürgerlichen Widerstands gegen Hitler, erweitert, wesentlich auf Akten des Stadtarchivs Solingen gestützt, das Bild eines Mannes, der später zu einem der konsequentesten Gegner der braunen Diktatur wurde und mit seinem Verständnis von Recht und Moral eine politische und geistige Stütze des Widerstands wurde. Die Wurzeln dieses Denkens finden sich in der Frühphase seiner Karriere, die im vorliegenden Buch anhand einer Vielzahl bislang gänzlich unbekannter Quellen dokumentiert und interpretiert wird. Sie erweitern unser Wissen über Goerdelers Denken und seine Charakterzüge erheblich.
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Vorwort
Erhellend sind Goerdelers entscheidungsbezogene Einstellungen sowie seine Begabung, pragmatische Lösungen im Verhandlungs- und Vermittlungswege zu erwirken. Dieses sachorientierte Procedere führte dazu, dass selbst die SPD in der Arbeiterstadt Solingen seiner Arbeit Respekt zollte – Befähigungen des jungen Verwaltungsjuristen, die ihm später auf der schwierigen Suche nach Verbündeten gegen Hitler zugute kommen sollten. Wichtig sind zudem Goerdelers Ausarbeitungen und Stellungnahmen zur Schul- und Bildungspolitik, die in der bisherigen Forschung zu wenig Beachtung gefunden haben. Nicht zuletzt mit Blick auf diese Neuerkenntnisse ist dem Werk von Herrn Sassin eine weite Verbreitung zu wünschen! Prof. Dr. Joachim Scholtyseck Institut für Geschichtswissenschaft Universität Bonn
Carl Goerdeler
Einleitung
Carl Goerdeler, der führende Kopf des zivilen Widerstands gegen das blutrünstige Hitler-Regime, ist gescheitert. Der von ihm organisierte Widerstand war zwar breit genug, um den Staatsstreich auszulösen, dieser brach jedoch binnen weniger Stunden zusammen. In den Verfolgungswellen wurden fast alle Beteiligten verhaftet und ihre Familien in Sippenhaft genommen. Mehr als 100 führende Verschwörer wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. Goerdeler war ein tragischer Held – aber ein Held. Deshalb ist sein Name nicht wie Schall und Rauch verweht, sondern lebt fort. Davon zeugen hunderte Straßen, die nach ihm benannt sind, Schulen verschiedenster Formen, die seinen Namen tragen. Als Beispiel sei die Goerdeler-Grundschule in Berlin-Wilmersdorf herausgegriffen, eine zukunftsträchtige Europa-Schule, deren Schüler bilingual auf Deutsch und Polnisch unterrichtet werden. Die Robert Bosch-Stiftung hat ein Carl Friedrich Goerdeler-Kolleg eingerichtet, in dem Nachwuchskräfte des öffentlichen Dienstes aus den mittel- und südosteuropäischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion von Belarus bis Aserbaidschan in Good Governance unterrichtet werden. Leiter des Kollegs ist der ehemalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt und EU-Kommissar Günter Verheugen. Nicht vergessen sei die 1995 von den Kindern Goerdelers errichtete Carl und Anneliese Goerdeler Stiftung, die die kommunalpolitische und kulturelle Entwicklung der Stadt Leipzig und das bürgerschaftliche Engagement dort fördert. Wer war der Mann, dem diese Ehre gebührt? Drei Zeugnisse über Goerdelers Tätigkeit zollen ihm hohes Lob. Der Solinger Oberbürgermeister August Dicke schrieb 1914: »Dr. Goerdeler ist ein geistig hervorragend begabter Mann, der sich sehr leicht in die wichtigsten Dezernate eingearbeitet hat. Mit grossem Fleiß verbindet er ein ungewöhnliches Geschick in der Bearbeitung schwieriger Sachen. Er hat ein sehr gutes klares Urteil, gewandten, fliessenden Vortrag, recht gründliche Kenntnisse des bürgerlichen wie des Verwaltungsrechts. Im Verkehr mit Behörden wie mit der städtischen Vertretung und der Bürgerschaft ist er äusserst geschickt und sehr entgegenkommend. Er ist durchaus frei von rechthaberischem Wesen, weiss aber seinen Standpunkt fest
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Einleitung
und sehr gut zu vertreten; in seinen Ansichten ist er massvoll und zeigt stets ein recht glückliches Taktgefühl. p[raedictus] Goerdeler ist ein vornehmer, ehrenhafter Charakter, der unbedingtes Vertrauen verdient. […] p. Goerdeler besitzt zweifellos ein ganz bedeutendes Organisationstalent und hat auf den ihm übertragenen Gebieten eine sehr rege und erfolgreiche Initiative entwickelt. […] Dr. Goerdeler ist hiernach gerade als Kommunalbeamter in hohem Masse befähigt […].«1
Fünf Jahre später ergänzte Dicke: »Sein gewandtes Wesen, seine äusserst geschickte Vortragsweise in Verbindung mit gründlichem Können, Energie und klarem Verständnis befähigen ihn […]. So ungern ich ihn scheiden sehe, so würde ich mich doch freuen, wenn ein so hervorragend tüchtiger und befähigter Mann in grössere Verhältnisse kommt, wo es ihm möglich ist, seine grosse Befähigung zu bestätigen.«2
Und der General der Infanterie Erich von Falkenhayn schätzte Goerdelers Verwaltungsarbeit im letzten Kriegsjahr hoch ein: »Ich stehe […] nicht an, Herrn Goerdeler als einen Finanzmann, Organisator und Arbeiter von höchstem Range zu bezeichnen.«3 So beachtlich diese Zeugnisse sind, gebührt es sich doch genauer hinzusehen, wie Goerdeler sich diese Lorbeeren verdient hat. Goerdelers beruflicher Start in Solingen hat bisher ein Schattendasein geführt, die Literatur hat hierüber wenig zu bieten. Zwar ging bereits sein erster Biograf, Gerhard Ritter, kurz auf seine Solinger Amtstätigkeit ein; sie lag jedoch für seinen Themenschwerpunkt, den Widerstand gegen das Hitler-Regime, recht peripher. Ines Reich, die sich in den 1990er Jahren mit Goerdeler als Kommunalpolitiker befasste und dafür auch im Stadtarchiv Solingen forschte, stellte die Leipziger Amtszeit von 1930 bis 1937 in den Mittelpunkt. Immerhin widmete sie sich seinem Solinger Wirken wesentlich ausführlicher als Ritter und leistete Weiterführendes zur Einordnung seiner Tätigkeit.4 Der Lokalhistoriker Heinz Rosenthal setzte sich nur punktuell mit Goerdeler auseinander. Im dritten Band seiner Stadtgeschichte, der aus seinem Nachlass zusammengestellt wurde, gibt es außer tendenziösen Ausführungen über das Schulwesen, über die später noch zu sprechen sein wird, bloß sporadische Details. Der maschinenschriftliche Nachlass seiner gesammelten Werke im Stadtarchiv enthält weiter nichts über Goerdeler.5 Hier gibt es also lokalgeschichtlichen Nachholbedarf – mit nüchternem Blick ohne Heldenverehrung. 1 StAS, Na 13 Bd. 83: Zeugnis von Oberbürgermeister Dicke (Abschrift) vom 8. 7. 1914 = BArch, NL Goerdeler 32. Die Rechtschreibung in den Zitaten entspricht den Quellen. 2 StAS, Na 13 Bd. 82: Zeugnis von Oberbürgermeister Dicke (Abschrift) vom 1. 9. 1919 = BArch, NL Goerdeler 32. 3 StAS, Na 13 Bd. 82: Zeugnis von General von Falkenhayn (Abschrift) vom 2. 9. 1919 = BArch, NL Goerdeler 32. 4 Ritter : Goerdeler, S. 20 – 22, 25 f. – Reich: Goerdeler, S. 66 – 82, 91 – 95. 5 Rosenthal: Solingen 3, S. 379, 410 – 417. – StAS, GA 637/7: Heinz Rosenthal: Gesammelte
Einleitung
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Auf ein grundlegendes methodisches Problem weist die Frage, wie die Biografie eines nachgeordneten Kommunalbeamten, der Goerdeler in Solingen war, zu fassen ist. Selbst den führenden Beamten ist kaum auf die Spur zu kommen, wenn sie ihre Amtsjahre nicht autobiografisch beschrieben haben. In verschärfter Weise stellt sich das Problem bei den Biografien von Beamten, die nicht in der ersten Reihe standen. Goerdeler selbst hat weder eine Autobiografie hinterlassen noch ein Tagebuch geführt. Vorsicht ist auch bei der Lektüre der erst später über ihn erstellten Gutachten geboten, da sich mit ihnen über die Sachinformation hinaus auch ein gewisser Gefälligkeitscharakter verband. Seine seit den 1920ern verfassten Denkschriften nehmen nur punktuell Bezug auf seine Solinger Amtszeit; hier ist bei den Spätschriften wiederum ihr Rechtfertigungszweck gegenüber dem NS-Regime und der Nachwelt zu berücksichtigen. Als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter war er eine Art »Mädchen für alles«, auf das der amtierende Oberbürgermeister gerade die Sachbereiche abwälzen konnte, die ihm an unangenehmsten waren. Der Hilfsarbeiter und später der Beigeordnete benötigte keine Affinität zur seinen Sachbereichen, sondern administratives Handwerkszeug. Als subalterner Beamter war er ein Testobjekt, das vom Oberbürgermeister auf seine Verwaltungstauglichkeit geprüft wurde. Auf dieser Basis arbeitete er sich hoch. Wäre er in Solingen gescheitert, hätte er andernorts nach einer zweiten Chance Ausschau halten müssen. Unter diesen Bedingungen wäre reichhaltiges Aktenmaterial, das Goerdelers Wirken in seinen Solinger Ämtern und Aufgabenbereichen dokumentiert, zweckdienlich. Tatsächlich ist die Überlieferung in der Regel punktuell und zufällig. Wenig hilfreich sind die Protokolle der Stadtverordnetenversammlung und der Ausschüsse, die im Allgemeinen keine Wortbeiträge enthalten. Die wenigen Ausnahmen wurden für die vorliegende Studie ausgewertet. Keinerlei Erkenntnisse konnten über die Arbeit im Hintergrund erzielt werden. Selbst die Frage, wer seine ihm unterstellten Solinger Mitarbeiter waren, muss weitgehend offen bleiben. Insofern mussten die spärlichen Angaben in den Akten und die Wiedergaben in den Lokalzeitungen, die jeweils bestimmte politische Richtungen repräsentierten, sorgfältig auf ihre Verwertbarkeit untersucht werden. Hier soll es um folgende leitenden Fragestellungen gehen. Wie hat Goerdeler sich in den komSchriften [ms.], Bd. 7: Biographisches. GA 637/9: ders.: Gesammelte Schriften [ms.], Bd. 9: Zur Geschichte des bergischen Schulwesens und Solinger Schulen. – Der kleine Beitrag von Lutz Peters: Carl Friedrich Goerdeler – Politiker und Widerstandskämpfer gegen Hitler, in: Die Heimat (Solingen) NF 25, 2009, S. 72 f., streift die Solinger Phase nur. – Eine vorläufige Kurzfassung meiner Ausführungen stellt mein Beitrag dar : Vor 100 Jahren: Goerdelers kommunalpolitischer Start in Solingen, in: Die Heimat (Solingen) NF 27, 2011, S. 4 – 19. – An dieser Stelle danke ich dem Stadtarchiv Solingen, insbesondere seinem Leiter Ralf Rogge, für die großzügige Unterstützung bei der Archivarbeit, ihm und Herrn Dr. Stefan Gorißen für die kritische Lektüre des Manuskripts.
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Einleitung
munalpolitischen Arbeitsfeldern, in denen er tätig war, positioniert und welche Initiativen hat er dort ergriffen? Da über Goerdelers politisches Profil die Meinungen auseinander gehen, soll gefragt werden, ob er sich strikt im nationalkonservativen Sinn für die Interessen von Staat, Gemeinde und wirtschaftlichen Eliten engagiert hat, oder ob er über seine persönlichen politischen Überzeugungen hinaus mit politisch Andersdenkenden zusammengearbeitet hat. Jenseits seiner Verwaltungstätigkeit in Solingen stellt sich die Frage, inwiefern diese erste praktische kommunalpolitische Erfahrung prägend war, oder ob nicht jede beliebige andere Stadtverwaltung dieselben Erfahrungen vermittelt hätte. Abschließend soll die umgekehrte Frage nach der Nachwirkung von Goerdelers Solinger Tätigkeit gestellt werden. Wie wurde er während der drei höchst unterschiedlichen Epochen der Weimarer Republik, des »Dritten Reichs« und der Bundesrepublik Deutschland an seiner ersten kommunalpolitischen Wirkungsstätte rezipiert?
Warum Solingen?
Dass Goerdeler sich für den Kommunaldienst entschied, lässt sich auf verschiedene Ursachen zurückführen. In soziologischer Perspektive rekrutierten sich die Landräte als Staatsbeamte bevorzugt aus dem adligen Reservoir, während Oberbürgermeister, Bürgermeister und Beigeordnete vorwiegend bürgerlicher Herkunft waren. Dass Goerdelers Profil dem eines typischen Aspiranten auf ein kommunales Leitungsamt entsprach, erweist sich an seiner Herkunft aus einem Beamtenhaushalt und seiner akademischen Bildung, wobei in erster Linie Juristen gefragt waren. Unter dem finanziellen Aspekt war die außerordentlich großzügige Besoldung als künftiger Oberbürgermeister verlockend; dieser stand sich als Kommunalbeamter materiell nicht nur besser als Landräte und andere Staatsbeamte, sondern, soweit es um kommunale Spitzenpositionen in Großstädten ging, sogar besser im Vergleich mit Landesministern.6 Zudem hatte der künftige Oberbürgermeister ein außerordentlich breites Aufgabenspektrum zu meistern, wofür ihm die im Kaiserreich gegebene Finanzhoheit der Städte einen beträchtlichen Spielraum eröffnete. Wie kam Carl Goerdeler, der am 31. Juli 1884 in Schneidemühl in der Provinz Posen, Regierungsbezirk Bromberg, Kreis Kolmar geboren wurde, gerade nach Solingen? 1902 hatte er sein Abitur am humanistischen Gymnasium in Marienwerder abgelegt und die meisten Stationen seiner Ausbildung in den Provinzen Ostpreußen und Posen durchlaufen. Er war von 1911 bis 1920 bei der Stadt Solingen tätig, Teilnehmer am Ersten Weltkrieg mit dem Eisernen Kreuz II. und I. Klasse, 1920 bis 1930 Zweiter Bürgermeister von Königsberg, 1930 bis 1937 Oberbürgermeister von Leipzig. Er beantragte seine Entlassung, als sein Stellvertreter in seiner Abwesenheit das Mendelssohn-Denkmal zerstören ließ, befand sich seit 1937 in Diensten des Bosch-Konzerns und unternahm, um sich als Alternative zu Hitler vorzubereiten, Auslandsreisen, verfasste zahlreiche Denkschriften, betätigte sich als unermüdlicher Organisator des Widerstands,
6 Vgl. Romeyk: Verwaltungsbeamten, S. 243 – 277.
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Warum Solingen?
Marienwerder, Postkarte um 1910
wurde nach dem 20. Juli 1944 verhaftet, vom berüchtigten Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 2. Februar 1945 hingerichtet. Goerdeler ergriff die höhere kommunale Verwaltungslaufbahn, wie er 1937 bei seiner Verabschiedung als Leipziger Oberbürgermeister sagte, »aus innerster Neigung«,7 aber es war keine Liebe, nicht einmal eine erkennbare Beziehung zu der Stadt Solingen, die den jungen Juristen aus konservativem Elternhaus ins Bergische zog, sondern im Gegenteil scharfes Kalkül. Da er mit der rheinischen beziehungsweise bergischen Mentalität nicht vertraut war, hätte er als Westpreuße in Solingen scheitern können. Insofern zeugt es von persönlichem Mut, dass er sich in die Höhle des bergischen Löwen traute. Solingen bot dem Gerichtsassessor aus dem kleinstädtisch-agrarischen Westpreußen neue Erfahrungen: »eine der bedeutendsten Industriestädte der Rheinprovinz«,8 Hochburg der SPD bei den Reichstagswahlen mit gleichem Männerwahlrecht, Zentrum der Gewerkschaftsbewegung, Austragungsort von Konflikten zwischen Positiven und Liberalen in der evangelischen Kirchengemeinde, Stadtverwaltung ohne juristisch ausgebildeten Beigeordneten und vor allem eine Kommune mit Bürgermeisterverfassung anstelle der Magistratsverfassung. Die preußische Magistratsverfassung besagte, dass kommunale Beschlüsse nur dann gültig waren, 7 Carl Goerdeler : Rechenschaftsbericht vom 22. 3. 1937, in: Gillmann/Mommsen: Politische Schriften und Briefe Goerdelers, 1, S. 86 – 91, hier S. 90. Die beiden Bände werden künftig zitiert als Goerdeler I und Goerdeler II. 8 Heinrich Silbergleit: Preußens Städte, Berlin 1908, S. 116*. – Professor Silbergleit war Direktor des Statistischen Amtes der Stadt Berlin.
Warum Solingen?
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wenn sie in identischer Form von der Stadtverordnetenversammlung und dem Magistrat, bestehend aus dem Bürgermeister und den Stadträten, gefasst wurden. In der Bürgermeisterverfassung, damals Bürgermeistereiverfassung genannt, die in der Provinz Rheinland und in einigen Städten Westfalens und anderer Provinzen galt, war die vom stimmberechtigten Bürgermeister geleitete Stadtverordnetenversammlung das einzige beschlussfassende Organ.
Die Müngstener Brücke zwischen Solingen und Remscheid
Aber es kam noch mehr hinzu, was Solingen dem jungen Assessor interessant gemacht haben könnte. Denn die bergische Mittelstadt hatte deutschlandweit mit bedeutenden Projekten in Fachkreisen und in der breiteren Öffentlichkeit Prestige errungen. Hier ist die 1897 eröffnete Müngstener Brücke auf der Grenze zur Nachbarstadt Remscheid zu erwähnen, nach damaligen Maßstäben ein Riesenbauwerk, das auf neuen technischen Voraussetzungen beruhte. Durch den Bau der Solinger Sengbach-Talsperre 1901 bis 1903, der siebten in Deutschland und seinerzeit größten im Bergischen Land, stand Solingen mit an der Spitze des Fortschritts bei der Sicherung der Wasserversorgung. Stremmel spricht von einer Schrittmacherfunktion des Bergischen Landes und des Sauerlandes beim Talsperrenbau.9 Die 1903 eröffnete Badeanstalt bot über das Baden hinaus
9 Vgl. Stremmel: Gesundheit, S. 137.
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Die Solinger Talsperre
Das Wechseltonnensystem
Warum Solingen?
Warum Solingen?
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heiltherapeutische Einrichtungen.10 Weniger spektakulär waren die elektrische Straßenbahn und das Elektrizitätswerk. Aber mit der Kommunalisierung der Müllabfuhr führte Solingen 1909 als zweite deutsche Stadt nach Kiel das Wechseltonnensystem ein, das sich nicht nur als praktisch handhabbar, sondern auch als finanzieller Erfolg erwies und zahlreiche städtische Delegationen nach Solingen lockte. Zudem wies die Stadt über Jahrzehnte eine der niedrigsten Sterblichkeitsraten von Säuglingen unter den preußischen Städten auf. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das zugespitzt formulierte »Prestige Solingens als Fortschrittsmetropole«11 nicht nur am Talsperrenbau festzumachen war. Für jede technische Neuerung mussten auch qualifizierte Fachleute eingestellt werden. Die Solinger Verwaltung und die Stadtverordnetenversammlung versprachen eine energische Inangriffnahme kommunaler Missstände und eine gesellschaftliche Dynamik, die einem engagierten jungen Verwaltungsfachmann einen beträchtlichen Betätigungsspielraum eröffneten. Warum gerade Solingen? Darauf gab die Witwe Anneliese Goerdeler, geborene Ulrich, die schlagende Antwort: Carl Goerdeler folgte dem Rat des liberalen Königsberger Oberbürgermeisters Siegfried Körte, eines Nachbarn der Familie Ulrich, und wählte mehr oder weniger zufällig eine »Mittelstadt […], die eine möglichst vielseitige und nicht auf ein Riesen-Dezernat beschränkte Ausbildung gewährleistete.«12 So bewarb sich der junge Gerichtsassessor in der kreisfreien Stadt Solingen, einer Stadt von gut 50.000 Einwohnern, wohlgemerkt nur eine von damals fünf Städten des oberen Kreises Solingen; Gräfrath, Wald, Ohligs und Höhscheid waren noch eigenständig, ebenso Burg, nur mit Dorp war AltSolingen seit 1889 vereinigt. Bemerkenswert an seiner Vorgehensweise ist, dass der Assessor durch eine klassische Bewerbung und nicht etwa über sein Beziehungsgeflecht nach Solingen gelangte. In dieser mittleren Industriestadt nahm Goerdeler am Samstag, dem 14. Oktober 1911, eine zunächst unbesoldete Praktikantentätigkeit auf. Oberbürgermeister August Dicke (1859 – 1929) erteilte seinem Praktikanten »die Erlaubniß zur informatorischen Beschäftigung bei der städtischen Verwaltung«.13 Die Stadtverordnetenversammlung hatte keine Einwände gegen Goerdelers Wunsch, an ihren Sitzungen und an denen der einzelnen Kommis10 Vgl. Manfred Krause: Die Städtische Badeanstalt Birker Straße – vor 90 Jahren modern, heute unzeitgemäß?, in: Die Heimat (Solingen) NF 9, 1993, S. 57 – 69. 11 Vgl. Stremmel: Gesundheit, S. 131 – 133 (Müllabfuhr); vgl. ebd., S. 181 (Sterblichkeit); ebd., S. 136 (Zitat). 12 StAS, Na 13 Bd. 63: Gedanken von Frau Goerdeler über das Leben ihres Mannes (Auszug) = BArch, NL Goerdeler 20. – Zu Dicke vgl. die Kurzbiografie in: Romeyk: Verwaltungsbeamten, S. 411 f., und Michael Kiekenap: August Dicke. Über 30 Jahre als Solinger Oberbürgermeister, in: … und sie bewegt sich doch! 125 Jahre Gymnasium August-Dicke-Schule, Festschrift o.O.u.J [Solingen 1998], S. 49 – 55. 13 StAS, V-A-1 Bd. 16, S. 394: StVO-Sitzung vom 17. 10. 1911.
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Oberbürgermeister August Dicke
Das Goebelhaus, Wohnsitz des Oberbürgermeisters seit 1910
Warum Solingen?
Warum Solingen?
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sionen teilzunehmen. Wenn Ines Reich daraus schließt: »Goerdeler stieg zunächst über die Teilnahme an den Stadtverordnetenversammlungen in die kommunalpolitische Praxis ein«,14 so lässt diese Angabe sich aus den Akten nicht beweisen; denn als Teilnehmer an den Sitzungen der Stadtverordneten wurden außer den Stadtverordneten nur die amtlichen Vertreter der Stadt und die geladenen Gäste erfasst. Goerdeler wird hier erst nach einem Dreivierteljahr genannt. An den Kommissionssitzungen scheint er zunächst nur sporadisch teilgenommen zu haben, obwohl er zu allen eingeladen wurde. Die Finanzkommission besuchte er erstmals Ende Oktober 1911, die Armenkommission im November 1911, die Schuldeputation im Mai 1912. Hatte das mit seinem Vorgesetzten, dem eine Generation älteren Oberbürgermeister, zu tun, den Anneliese Goerdeler folgendermaßen beschrieb: »Dicke war Autokrat von eigenartiger Prägung, der dem jungen wissensdurstigen Assessor mit gewisser reservatio gegenüberstand«?15
Die Ersterwähnung des unbekannten Assessors als Teilnehmer an einer Ausschusssitzung
Die nur sporadische Teilnahme an Kommissionssitzungen änderte sich, als die Stadtverordneten Goerdeler am 10. Juni 1912 rückwirkend zum 1. Juni mit einer dreimonatlichen Kündigungsfrist zum besoldeten juristischen Hilfsarbeiter bestellten.16 Nach heutigen Begriffen entsprach diese Position der eines wissenschaftlichen Mitarbeiters. Dass diese Stellung nicht so unbedeutend war, wie ihre Bezeichnung klingt, lässt das jährliche Gehalt von 4200 Mark erkennen, was mehr war, als beispielsweise ein Volksschullehrer verdiente. Die Position des juristischen Hilfsarbeiters hatten die Städte geschaffen, um ihre zunehmend anspruchsvollen Aufgaben bewältigen zu können. Für die hier engagierten jungen Männer bot sie laufbahntechnisch die Chance, sich auf den höheren Dienst in der Stadtverwaltung vorzubereiten. Goerdelers Berufung erfolgte außer der Reihe, denn das neue Haushaltsjahr hatte am 1. April 1912 bereits begonnen. Nun endlich wechselte das Ehepaar aus einem bescheiden möblierten Zimmer an der Hochstraße 46 in eine Vierzimmerwohnung an der gutbürgerlichen Birkerstraße 5, zweite Etage, die nach eigenem Geschmack eingerichtet 14 Reich: Goerdeler, S. 66. 15 StAS, S 551: Zirkular Dickes vom 20. 10. 1911. – StAS, Na 13 Bd. 63 (Zitat). 16 StAS, V-A-1 Bd. 17, S. 148: StVO-Sitzung vom 10. 6. 1912.
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Warum Solingen?
wurde. Dies war eine Straße, wo das besser situierte Bürgertum in erst wenige Jahre alten repräsentativen Häusern wohnte. Jetzt konnte das Ehepaar sich auch eine Dienstmagd aus Ostpreußen leisten.
Der Anfang der Birker Straße, rechts vorn das Wohnhaus der Familie Goerdeler, Wohnung im 1. Stock, im Hintergrund das Gewerkschaftshaus; kolorierte Postkarte
Schlachthof und Armenverwaltung – der juristische Hilfsarbeiter
Die Frage, wofür Carl Goerdeler sich in der Solinger Kommunalpolitik engagierte, muss eigentlich umgekehrt gestellt werden: Wofür setzte Oberbürgermeister Dicke ihn ein? Oder krasser : Welche Aufgaben wälzte Dicke auf ihn ab, und wie bewährte er sich darin? Denn es steht außer Frage, dass der ehrgeizige junge Gerichtsassessor sich seine Aufgabenfelder nicht aussuchen konnte, sondern dass er in dieser Hinsicht von den Vorlieben und der Willkür Dickes völlig abhängig war. Und wie entwickelte sich sein Verhältnis zu den als Reichsfeinde diskriminierten, aber in Solingen starken Sozialdemokraten? Seine wichtigsten Arbeitsbereiche waren zunächst der Schlachthof und die Armenverwaltung, aber auch bei juristischen Fragen, seinem erlernten Metier, wurde er herangezogen. Am 13. Juni 1912 übertrug Oberbürgermeister Dicke seinem juristischen Hilfsarbeiter als erstes die verwaltungstechnische Leitung des Schlachthofs.17 Der erst im Jahr 1900 eröffnete neue Schlachthof wies die Stadt als Vertreterin des Munizipalsozialismus aus. Dieser Begriff kennzeichnet die Übernahme wirtschaftlicher Aufgaben – wie Wasser- und Gaswerk, Krankenhaus, Badeanstalt (1903), Müllabfuhr (1908), Straßenreinigung (1908) – durch die Kommunen. Wie die zeitgenössischen Protokolle der Stadtverordnetensitzungen belegen, war auch damals die Frage umstritten, was Aufgaben der öffentlichen Hand sind und was in Privatinitiative erfolgen kann und soll. Der neue Schlachthof war, wie Stremmel urteilt, »in mancher Hinsicht ein Vorbild für andere Städte«,18 denn von den Städten mit mehr als 30.000 Einwohnern hatten lediglich sechs einen – bezogen auf die Bevölkerungszahl – größeren. Schon ein Vierteljahrhundert vorher, als Solingen seinen ersten Schlachthof an der Birker Straße eröffnete, hatte die Stadt eine Pionierrolle übernommen, war es doch nach Liegnitz der zweite kommunale Schlachthof in Preußen überhaupt. Maßgeblich für diese Einrichtung waren gesundheitliche 17 StAS, S 1789. 18 Stremmel: Gesundheit, S. 99.
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Schlachthof und Armenverwaltung – der juristische Hilfsarbeiter
Aspekte. So kam es immer wieder zu Fleischvergiftungen und Trichinenepidemien aufgrund verdorbenen Fleisches. Ralf Stremmel führt das eindrucksvolle Beispiel des Königreiches Sachsen an, wo im Zeitraum von 1860 bis 1889 109 Epidemien mit 79 Todesfällen und 3.402 Erkrankten wegen verdorbenen Fleisches grassierten.19
Der Schlachthof und seine Gesellen
Die Leitung und Überwachung des Schlachthofes erforderte qualifiziertes Personal, das in der traditionellen Honoratiorenverwaltung nicht verfügbar war. Zwar war Goerdeler weder tierärztlich noch gesundheitspolitisch oder kaufmännisch ausgebildet, aber das Interesse an seinem Verwaltungsgebiet versetzte den jungen Juristen in die Lage, sich zügig in diesen Aufgabenbereich einzuarbeiten. Dazu forderte er ein schriftliches Gutachten des Schlachthofdirektors Tierarzt Dr. Albert Knüppel an. An dem Schlachthof und seinem Direktor zeigt sich, wie die Professionalisierung der Kommunalpolitik auch in Solingen Einzug gehalten hatte. Knüppel erzielte als Experte ein wesentlich höheres Einkommen als sein neuer Vorgesetzter. Die Professionalisierung begann also nicht erst mit 19 Ebd., S. 54.
Schlachthof und Armenverwaltung – der juristische Hilfsarbeiter
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Goerdelers Amtstätigkeit, aber er profitierte von ihr. Dass der wissenschaftliche Hilfsarbeiter ein Gutachten anforderte und nicht etwa den Direktor nur berichten ließ, weist einerseits auf seine gänzliche Unerfahrenheit in Schlachthofangelegenheiten hin, andererseits auf seine Unsicherheit in der Einschätzung des Schlachthofdirektors, drittens aber auch auf sein Bestreben, sich nach oben, gegenüber dem Oberbürgermeister, abzusichern. Goerdeler agierte hier als junger Verwaltungsmann im Umgang mit den Mitarbeitern und der Sache vorsichtig, sachlich angemessen, aber noch nicht souverän. Knüppel war der Profi, der ihm die Fakten und Zahlen lieferte, die Goerdeler dann interpretierte. Eine rentable Unterhaltung des Schlachthofes wäre ausgeschlossen gewesen, wenn die Städte aufgrund eines preußischen Gesetzes aus dem Jahr 1868 nicht den Schlachthofzwang hätten ausüben können. Doch nach der Vereinigung Solingens mit Dorp führte die Randlage einiger Ortschaften wiederholt zu Auseinandersetzungen um Ausnahmegenehmigungen. Das Problem daran war, dass es kein festes Maß für die Entfernung gab, die die Befreiung vom Schlachthofzwang begründet hätte. In der Stadtverordnetensitzung vom 11. Februar 1913 beantragten acht sozialdemokratische Stadtverordnete der dritten Klasse, an der Spitze der Parteivorsitzende Hugo Schaal, eine Ausnahme vom Ortsstatut (Ortsgesetz) über den Schlachthofzwang, damit es Bewohnern abgelegener Ortschaften gestattet würde, für den Eigenbedarf auch privat zu schlachten.20 Die Schlachthofkommission lehnte den Antrag ab und verlangte darüber hinaus die Aufhebung der bisher gültigen Ausnahmen. Die Antragsteller argumentierten mit den Kosten und dem Zeitaufwand für den Transport sowie dem eigennützigen Interesse der Metzger an den Schlachtgebühren, die Befürworter des Schlachthofzwangs und namentlich Goerdeler mit dem veterinärpolizeilichen Gesundheitsschutz im Schlachthof, wo manche Seuchen erst entdeckt werden könnten, mit dem sanitären Rückschritt bei Privatschlachtungen wegen der mangelnden tierärztlichen Untersuchung und mit mangelndem Tierschutz wegen der unterlassenen Betäubung der Tiere, außerdem mit der Verrohung zuschauender Kinder. Zudem würden bei Privatschlachtungen zusätzliche Kosten für das Schlachtfest mit den Nachbarn anfallen. Eine Kontrolle, ob die Privatschlachtungen nur für den Eigenbedarf vorgenommen würden, sei kaum möglich. Im Hintergrund stand die unausgesprochene Notwendigkeit, den Schlachthof wirtschaftlich zu betreiben. Die Antragsteller operierten mit abenteuerlichen Unterstellungen bezüglich der Gebühren, was der Schlachthofdirektor korrigieren konnte. Offensichtlich wollte Goerdeler seine Position im Konflikt mit den Sozialdemokraten durchsetzen. Trotzdem mussten die Vertreter des Munizipalsozialismus, so auch Goerdeler, eine Niederlage einstecken, denn die Stadtverordneten ak20 Dies betraf die Ortschaften III. Hästen, Scharfhausen, Pfaffenberg, Kempen und Steinsiepen.
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zeptierten die Ausnahmeanträge mehrheitlich. Der Regierungspräsident erklärte jedoch die Solinger Regelung zur Hausschlachtung für unzulässig, weil Ausnahmen nur durch Ortsstatut, nicht aber durch außerstatutarische Entscheidungen der Stadtverordneten erlaubt waren.21 Während die Niederlage in der Stadtverordnetenversammlung für den wissenschaftlichen Hilfsarbeiter wohl leichter zu verkraften war, machte er nun die unangenehme Erfahrung, dass der Solinger Beschluss den juristischen Maßgaben der vorgesetzten Kontrollbehörde in Düsseldorf widersprach. Dass er diese peinliche Niederlage in seinem ureigensten Metier, dem Verwaltungsrecht, einstecken musste, wurmte ihn zweifellos. Vor allem konnte er daraus den Schluss ziehen, dass er juristisch relevante Fragen umsichtiger vorbereiten musste, wenn er sich bewähren und seinen Ehrgeiz auf ein kommunales Spitzenamt eines Tages einlösen wollte. Durch eine Rundfrage bei anderen Städten erfuhr Goerdeler nun, dass von der Regierung Düsseldorf andernorts Ausnahmen zugelassen worden waren. Für die Lösungsfindung im Solinger Schlachthofstreit waren die beiden Rückmeldungen aus Krefeld und Düsseldorf aufschlussreich, denn beide Städte gestanden private Schweineschlachtungen zum eigenen Bedarf zu, Düsseldorf nur den stadtfern gelegenen Ortschaften.22 Als das Thema Anfang Juli 1913 wieder auf der Tagesordnung stand, beschloss die Stadtverordnetenversammlung gegen das Votum Goerdelers, die Befreiung vom Schlachthofzwang auf 21 Ortschaften auszudehnen, von denen der sozialdemokratische Stadtverordnete Hermann Krenzer sechs erst in der Sitzung zusätzlich beantragt hatte. Das Argument der weiten Wege wurde allerdings zum Bumerang, da die Stadtverordneten die Wegegebühren für die Trichinenbeschau bei Hausschlachtungen um die Hälfte erhöhten.23 Auf neuerlichen Antrag genehmigte der zuständige Bezirksausschuss bei der Regierung in Düsseldorf nun die Sonderregelung, bestimmte Ortschaften, die im Ortsstatut einzeln aufgeführt waren, vom Schlachthofzwang zu befreien. Nachdem Goerdeler das Ortsstatut mit dieser Ausnahmegenehmigung in der Solinger Presse veröffentlicht hatte,24 baten 41 Einwohner von vier entlang der Burger Chaussee 21 StAS, V-A-1 Bd. 17, S. 284 f.: StVO-Sitzung vom 11. 2. 1913. – STvom 12. 2. 1913. SZ vom 29. 1. 1913. – StAS, S 1789: RP Düsseldorf am 11. 4. 1913 an Oberbürgermeister Solingen. – Zum ganzen Absatz vgl. Stremmel: Gesundheit, S. 102. 22 StAS, S 1789: Rundfrage bei Städten wegen Befreiung vom Schlachthofzwang vom 21. April 1913, undatierte Zusammenstellung (Mai 1913). 23 StAS, V-A-1 Bd. 17, S. 381 f.: StVO-Sitzung vom 2. 7. 1913. Die ursprünglich beantragten Ortschaften waren Schaltkotten, Eulswaag, Grunenburg, Wiesenkotten, Petersmühle, Kirschbaumskotten, Glüder, Bertramsmühle, Schellberg, I., II. und III. Balkhausen, Wüstenhof, Breidbach, Odenthal. Die von Krenzer zusätzlich beantragten Ortschaften waren Pfaffenberg, III. Hästen, Scharfhausen, Steinsiepen, Kempen, Haus Hohenscheid. 24 StAS, S 1789: Entscheidung des Bezirkausschusses Düsseldorf vom 24. 10. 1913. – STvom 15. 11. 1913.
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Stadtplan der kreisfreien Stadt Solingen, seit 1889 mit Dorp vereinigt, aus dem Jahr 1903, fortgeführt bis 1919; deutlich erkennbar ist der städtische Kern im Nordwesten, um den sich das ländliche Dorp legt
gelegenen Ortschaften in einer Eingabe gleichfalls um Befreiung. Diese Ortschaften hatten allerdings im Gegensatz zu den 21 befreiten Ortschaften, die größtenteils an den Seitenbächen, den Hängen und im Tal der Wupper gelegen waren, eine günstigere topografische Lage mit direkter Straßenverbindung zum Solinger Stadtzentrum. Außer den Transportkosten und der Zeitersparnis
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führten die Petenten den Anreiz zur vermehrten Schweinehaltung an.25 Goerdeler lehnte das Ansinnen rundweg ab, zumal der »Nachtrag zum Ortsstatut betreffend die Ausdehnung des Schlachtzwanges auf das ganze Gebiet der Gemeinde Solingen vom 12. März 1901« gerade erst beschlossen worden war. Mit der Stadtverordnetensitzung vom 17. Dezember 1912 verband sich ein besonderes Ereignis: Am Ende, im nichtöffentlichen Teil der Sitzung, sollte der wissenschaftliche Hilfsarbeiter zum besoldeten Beigeordneten der Stadt Solingen gewählt werden. Doch zuvor ging es wiederum um Schlachthofangelegenheiten. Dass er an dieser Sitzung teilnahm, lässt sich nur den Zeitungsberichten entnehmen, während das Sitzungsprotokoll weder seine Teilnahme noch seine Wortbeiträge erkennen lässt. Die alte, auf täglich 200 Zentner Eisproduktion dimensionierte Dampfkühlanlage hatte sich als zu klein für den Schlachthofsbetrieb erwiesen. Zunächst legte Goerdeler das Problem dar und beleuchtete die Lösungsmöglichkeiten einschließlich die Finanzierung mit Dampfbetrieb für 116.000 Mark oder Elektrobetrieb für 93.000 Mark Gesamtkosten, wobei die laufenden Betriebskosten des Elektrobetriebs höher lagen. Anschließend widmete sich der Stadtbaurat Kurt Michael den technischen Fragen. In der sehr kontrovers geführten Debatte ging es um vermeintliche Risiken einer Nutzung von Elektrizität und um die Frage, was die in der Schlachthofkommission vertretenen Metzger wünschten. Diese hatten zwar nicht einheitlich, aber mit klarer Mehrheit für den Dampfbetrieb abgestimmt, während die Kommission den Dampfbetrieb mit knapper Mehrheit gleichfalls befürwortet hatte. Nachdem Goerdeler die Bereitschaft der Metzger, sich auch auf den elektrischen Betrieb einzulassen, geschickt eingebracht hatte, entschieden die Stadtverordneten sich mit 15 von 23 Stimmen für die Anschaffung eines 15-PS-Elektromotors der Kölner Firma Humboldt zum stolzen Preis von 75.800 Mark.26 Vorteilhaft war die bessere Auslastung des städtischen Elektrizitätswerks, das somit wirtschaftlicher betrieben werden konnte. In diesem Fall bewies Goerdeler das nötige Fingerspitzengefühl, das Verwaltungsinteresse trotz der langfristigen Betriebskosten, die eher gegen den Elektroantrieb sprachen, gegenüber den zögerlichen, bedenklichen Stadtverordneten durchzusetzen. Einen Monat, nachdem Goerdeler die Schlachthofverwaltung übernommen hatte, übertrug Oberbürgermeister Dicke ihm – am 22. Juli 1912 – den Vorsitz der Armenkommission, die bisher unter Dickes Leitung monatlich getagt hatte. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, über Unterstützungsanträge der Solinger Ortsarmen zu entscheiden. Wie es scheint, war Dicke bestrebt, diesen ihm läs25 StAS, S 1789: Eingabe von Carl Buchholz u. a. an Oberbürgermeister Dicke, 26. 11. 1913. Es ging um die Ortschaften Jagenberg, Dorperhof, Wieden und Burger Chaussee. 26 StAS, V-A-1 Bd. 17, S. 252: StVO-Sitzung vom 17. 12. 1912. – ST vom 18. 12. 1912; SZ vom 18. 12. 1912; BASt vom 18. 12. 1912.
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tigen, weil mit viel Kleinarbeit verbundenen Amtsbereich auf einen ehrgeizigen jungen Beamten abzuwälzen. In der Kommission wurden gelegentlich Aufgaben verhandelt, die über die Entscheidung von Einzelfällen hinausgingen, wie die Anhebung der Pflegekosten für Kinder, Weihnachtsgaben und die Anlieferung von Kohlen an Arme, die sie wegen Gebrechlichkeit nicht selbst abholen konnten. Weiter ging es um die Auftragsvergabe zur Lieferung von Brot, Schuhen, Särgen und für die Reparatur von Schuhen, zudem um die Belieferung des Waisenhauses mit sämtlichen Bedarfsartikeln. Wiederholt wurde über Nachbesserungen am städtischen Familienhaus (Armenhaus) entschieden, wo es unter anderem um die Anschaffung eines Handkarrens, um die Badeeinrichtung, einen Spielplatz, Außenflächen zum Anbauen von Kartoffeln und Gemüse und die Errichtung einer Spiel- und Trockenhalle ging. Um die Auseinandersetzungen über die Höhe der Unterstützungssätze für die Ortsarmen in eine sachliche Bahn zu lenken, machte Goerdeler Ende 1912 eine Umfrage bei elf Nachbarstätten. Das Ergebnis zeigte, dass Solingen mit seinem Unterstützungssatz von 3,20 Mark pro Kopf der Bevölkerung an dritter Stelle lag. Aus der selektiven Übersicht in den Solinger Tageszeitungen geht hervor, dass die Stadt mit diesem Betrag vor den anderen Städten des Solinger Industriebezirks lag; Gräfrath zahlte 2,30 Mark, Ohligs 1,98 Mark, Wald 1,88 Mark und Höhscheid mit 1,68 Mark nur gut die Hälfte des Solinger Satzes. Unter den wohlhabenden Städten der Nachbarschaft lag Elberfeld mit 4,53 Mark weit über, Remscheid mit 2,68 Mark deutlich unter den Solinger Sätzen. Ein vergleichbares Ergebnis erbrachte eine erneute Umfrage Ende 1913, nur dass Solingen nun mit 3,35 Mark an dritter Stelle nach Düsseldorf und Mönchen-Gladbach mit 4,69 Mark und 4,36 Mark, aber noch vor Barmen und Elberfeld mit 3,30 Mark beziehungsweise 3,12 Mark lag.27 Erste Maßnahmen zur Verwaltungsvereinfachung – eine Aufgabe, die Goerdelers administratives Handeln über Jahrzehnte bestimmen sollte – führte er schon als juristischer Hilfsarbeiter in der Armen- und Wohlfahrtspflege sowie im Gebührenwesen durch. Die Reform der Armenverwaltung trieb er seit dem Herbst 1912 offensichtlich federführend voran, wobei auch zwei Vertreter der Armenkommission mit der Teilnahme an den Beratungen über die Zusammenarbeit der Wohltätigkeitsvereine beauftragt wurden. Entwickelt wurde die Konzeption einer Zentralstelle für die gesamte öffentliche Armenpflege und die private Wohlfahrtspflege mit dem Ziel, eine stärkere Zusammenarbeit zu gewährleisten. Einerseits ging es darum, die missbräuchliche parallele Ausnutzung verschiedener Einrichtungen zu verhindern, andererseits für Bedürftige recht27 StAS, V-A-10 Bd. 6: Protokollbuch der Armenverwaltung Solingen 1906 – 1921, S. 180 – 182 (11. 12. 1911), S. 224 (28. 4. 1913), 226 f. (26. 5. 1913), 265 (20. 7. 1914). – STvom 29. 1. 1913; ST vom 27. 3. 1914. – ST vom 9. 1. 1914.
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zeitig Abhilfe zu schaffen, bevor sie dauerhaft unterstützungsbedürftig würden. Auch der Zuzug von Armen aus den Nachbarstädten, die geringere Unterstützungssätze gewährten, sollte so begrenzt werden. Die Realisierung dieser Zentralstelle gelang vor dem Ersten Weltkrieg nicht vollständig, weil nicht alle betroffenen Vereine an der Zentralisierung mitwirkten; die beteiligten 19 Vertragspartner gründeten immerhin im Februar 1913 eine »Vereinigung der Wohltätigkeits-Bestrebungen in Solingen«, die ihre Arbeit im Mai 1913 aufnahm. Den Vorsitz übernahm Goerdeler noch als juristischer Hilfsarbeiter, die Geschäftsstelle wurde der städtischen Armenverwaltung angegliedert. Unabhängig von den Reformbestrebungen wandte sich der sozialdemokratische Stadtverordnete Krenzer gegen Einsparungen im Armenetat und verlangte stattdessen erfolglos höhere Unterstützungssätze in Naturalien und Barmitteln.28 Am 17. Oktober 1912 erhielt Goerdeler als weitere Aufgabe das Amt des zweiten stellvertretenden Vorsitzenden des Versicherungsamtes nach dem Oberbürgermeister Dicke und dem Beigeordneten Michael.29 Ein Segment der Verwaltungsvereinfachung betraf die Grundstücksentwässerung, deren Beiträge und Gebühren bisher im Gegensatz zu den übrigen Kommunalsteuern am Ende des Erhebungszeitraums zu leisten waren. Goerdeler setzte sich im Februar 1913 für die Angleichung an die in der Quartalsmitte gelegenen Steuertermine ein. Er begründete die Änderung gegen die Interessenvertreter der Haus- und Grundbesitzer, hier den Fortschrittsparteiler Rudolf Schwarz und den Nationalliberalen Albert Dörschel, mit dem geringen Zinsverlust von höchstens einer Mark im Quartal, während durch die Verwaltungsvereinfachung Arbeitszeit eingespart werde, die an wichtigerer Stelle besser eingesetzt werden könne. Während die Änderung dem Votum des Bauausschusses zufolge sofort in Kraft treten sollte, war nach Intervention bürgerlicher Stadtverordneter für den Übergang eine Kulanzregelung vorgesehen. Gegen wenige Stimmen nahmen die Stadtverordneten den Verwaltungsantrag an.30 Durch seine Tätigkeit in der Armen- und Schlachthofverwaltung, im Versicherungswesen sowie bei praktischen Einzelfragen eignete der juristische Hilfsarbeiter Carl Goerdeler sich Erfahrungen an bei der Leitung städtischer Kommissionen sowie in der Auseinandersetzung mit verschiedensten Kom28 StAS, V-A-10 Bd. 6, S. 211: Sitzung der Armenverwaltung vom 11. 11. 1912. StAS, S 598: gedrucktes schmales Heft »Vereinigung der Wohltätigkeits-Bestrebungen in Solingen. Grundsätze des Vereins und Bestimmungen über den Verkehr der Mitglieder mit der Geschäftsstelle.« – BASt vom 7. 10. 1912. ST vom 12. 2. 1913. – ST vom 30. 8. 1919, 21. 11. 1913. – ST vom 9. 7. 1914; SZ vom 9. 7. 1914. – SZ vom 21. 1. 1914. 29 StAS, S 3176: Protokoll vom 17. 10. 1912. 30 SZ vom 12. 2. 1913. – StAS, V-A-16 Bd. 14, S. 275: Sitzung der Baukommission vom 24. 1. 1913.
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missionsmitgliedern aus der Stadtverordnetenversammlung und aus der Gesellschaft, er experimentierte mit Lösungsstrategien und sammelte Erfahrungen bei der Entscheidungsfindung durch Bildung einer sachorientierten Mehrheit. Anhand einer Aktennotiz über eine Grünanlage, die die evangelische Kirchengemeinde Solingen um die mitten im dicht bebauten Stadtzentrum gelegene Alte Kirche anlegen und unterhalten sollte, lassen sich die administrativen Fingerübungen des juristischen Hilfsarbeiters erkennen. Goerdeler strich und ergänzte in seinem nur wenige Zeilen umfassenden Text zunächst mehrere Stellen, strich dann den ganzen Text und legte ihn zweimal neu an.31 Die Passage findet sich ähnlich in dem Vertrag wieder, den die Stadt Solingen im Januar 1912 mit der Evangelischen Kirchengemeinde Solingen zwecks Regulierung des Kirchplatzes abschloss. Während dieser grundlegende Vertrag städtischerseits von dem Oberbürgermeister Dicke unterschrieben wurde, unterzeichnete neun Monate später, im Oktober 1912, »für die Stadtgemeinde Solingen als Geschäftsführer ohne Auftrag Herr Gerichtsassessor Dr. Carl Goerdeler[,] zur Zeit in Solingen, Birkerstraße 5«, die notarielle Urkunde über die für den Vertrag bereitgestellten Urkunden, eine bloße Formsache. Die Angelegenheit gehörte in das Umfeld der Planungen zur teilweisen Umgestaltung des nördlichen Stadtzentrums durch den Neubau eines Rathauses, der dann doch nicht realisiert wurde, und die veränderte Linienführung der Kreisbahn in diesem Bereich.32 Zwar hatte der junge Assessor in Solingen bereits schnell Karriere gemacht – vom unbesoldeten Hospitanten zum besoldeten juristischen Hilfsarbeiter –, aber auch seinen weiteren Aufstieg hatte er fest im Auge. Überhaupt war er ein Mann der schnellen Entschlüsse. Schon 1903 verlobte der 19-Jährige sich mit seiner 15-jährigen Cousine zweiten Grades Anneliese Ulrich in Königsberg, ein Schritt, der sein erstes juristisches Examen 1905 beflügelte. Es folgten der Militärdienst in Königsberg, die Referendarszeit in Ostpreußen, zwischendurch die Promotion 1907 in Göttingen, und im März 1911 das Assessorexamen in Berlin. Anschließend heiratete er am 6. Juni 1911 seine Braut, nach bürgerlichen Konventionen viel zu früh, weil er noch keine gesicherte Existenz vorweisen konnte. Das Assessorexamen war die Voraussetzung für die weitere Karriere im Justizdienst, in der Staats- oder Kommunalverwaltung. Ines Reich weist nach, dass der Einstieg in den Justizdienst über ein jahrelanges unbezahltes Praktikum erfolgte, sodass der Assessor erst im Alter von über 40 Jahren in der Lage war, einen eigenen Hausstand zu gründen. Hier liegt ein Vergleich mit der Figur des Barons Innstetten in Fontanes Roman »Effi Briest« nahe. Goerdeler entschied 31 StAS, S 598: hs. Aktennotiz, undatiert. 32 Vertrag: EKAS, Karton 61a: Vertrag zwischen der evangelischen Kirchengemeinde Solingen und der Stadt Solingen vom 2. 1. 1912; notarielle Urkunde Nr. 1702 vom 17. 10. 1912, beglaubigte Abschrift vom 22. 10. 1912 (Zitat). – Solinger Nordstadt: StAS, V-A-18, S. 33 f.: Sitzung der Rathaus-Neubau-Kommission vom 15. 11. 1912.
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sich also aus ganz pragmatischen Gründen für die beschleunigte Karriere in der Kommunalverwaltung. Dabei diente das halbjährige Bankpraktikum bei der Bank der Ostpreußischen Landschaft in Königsberg und bei der Preußischen Seehandlung, der Staatsbank, in Berlin dem Ziel zu erkunden, wie kommunale Anleihen von Seiten der Banken gehandhabt wurden.33 Die erwünschte Karriere in Solingen musste Goerdeler nun auf die Sprünge bringen, weil er angesichts der Schwangerschaft seiner Frau in absehbarer Zeit eine Familie zu ernähren haben würde. Seine Bewerbung bei der Stadt Halberstadt im Regierungsbezirk Magdeburg führte zum Erfolg: Er wurde zum besoldeten Stadtrat mit einem Jahresgehalt von 5000 Mark gewählt. Als er seinem Vorgesetzten diese Perspektive verkündete, machte die Solinger Stadtverordnetenversammlung Nägel mit Köpfen. Sie wählte, vorbereitet durch eine vertrauliche Besprechung mit dem Oberbürgermeister acht Tage zuvor,34 den jungen Juristen am 17. Dezember 1912 einstimmig zum Beigeordneten auf 12 Jahre. Die Einstimmigkeit bedeutet, dass nicht nur die bürgerlichen Stadtverordneten, sondern auch die sozialdemokratische Fraktion für ihn stimmte. Sein Anfangsgehalt betrug 6000 Mark, alle zwei Jahre sollte es um 500 Mark bis zum Höchstbetrag von 8000 Mark steigen. So konnte er die Stelle in Halberstadt leichten Herzens ausschlagen und die parallel unternommene Bewerbung in Görlitz zurückziehen.35 Kaum gewählt, wurde dem designierten jungen Beigeordneten nun die Ehre zuteil, die Festrede auf der Kaisergeburtstagsfeier zu halten. Am 26. Januar 1913, einen Tag vor dem Geburtstag, feierte die Bürgerschaft in dem überfüllten Saal der Schützenburg mit einem umfangreichen Programm nicht nur den 54. Geburtstag Kaiser Wilhelms II., sondern auch das hundertste Jubiläum der deutschen Volkserhebung gegen die napoleonische Herrschaft und das 25-jährige Thronjubiläum Wilhelms. Aus den ausführlichen Berichten des Solinger Tageblatts und der Solinger Zeitung werden die Grundgedanken von Goerdelers Rede deutlich. Er hielt eine durch und durch vaterländische Rede, in der er die Liebe und Dankbarkeit des Volkes zum Kaiserhaus proklamatorisch zum Ausdruck brachte. Er hatte sich auch über das Ergehen des Bergischen Landes unter der französischen Herrschaft kundig gemacht und betonte dessen Belastung durch Truppenaushebungen, Besteuerung und Einschränkung von Handel und Gewerbe. Er berief sich auf die Begeisterung, mit der das Volk die Herrschaft Napoleons abgeworfen habe. Der Untergang, der Deutschland damals gedroht habe, sei durch die Zerrissenheit im Lande und die Verständnislosigkeit der 33 Vgl. Reich: Goerdeler, S. 65. 34 ST vom 10. 12. 1912. 35 Zu Halberstadt: Reich, S. 69. Freundliche Mitteilung von Frau Gabriele Bremer aus dem Historischen Archiv der Stadt Halberstadt. – Zu Görlitz: StAS, S 563: Eingang (Geheim) vom 25. 12. 1912, Ausgang vom 4. 1. 1913.
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deutschen Fürsten verursacht worden, die sich auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen ausgeruht hätten. Damit schlug er einen Bogen zu Bismarck und zur Gegenwart unter Wilhelm II., indem er die massive Aufrüstung des preußischen Heeres vor den deutschen Einigungskriegen und die aktuelle Hochrüstung von Heer und Flotte als defensive Friedenstat pries. Demgegenüber scheint seine Würdigung des Aufschwungs von Handel, Gewerbe, Wissenschaft und Kunst in den Hintergrund getreten zu sein. Gegen Ende seiner Festrede nahm Goerdeler das Burgfrieden-Konzept vom Kriegsbeginn 1914 vorweg, wenn er die Bereitschaft des deutschen Volkes, »ohne Unterschied der Partei« für sein Vaterland in den Krieg zu ziehen, im Sinne eines Gelöbnisses formulierte, wobei er die antimilitaristische Einstellung der SPD überging.36 Die Rede mündete in das Kaiserhoch und die preußische Nationalhymne. Goerdelers Rede weist ihn als staatstreuen konservativen Beamten aus, der Bismarck die Überwindung der Zerrissenheit des deutschen Volkes bescheinigte, ohne zu berücksichtigen, dass dieser zwar Kleindeutschland geeint, aber auch eine scharfe Politik gegen die angeblichen inneren Reichsfeinde betrieben hatte, zunächst im Verfassungskonflikt gegen die Liberalen, dann im Kulturkampf gegen das Zentrum, schließlich mit den Sozialistengesetzen gegen die Sozialdemokraten, darüber hinaus gegen die nationalen Minderheiten der Polen und Franzosen, wodurch er mithin neue politische Gräben aufgerissen und einen Teil des Volkes dem Staat entfremdet hatte. Zudem beschönigte Goerdeler die hektische Rüstungspolitik, die die imperialistischen Mächte an den Rand des europäischen Krieges geführt hatte. Auch wenn es sich um eine Jubelrede handelte, wäre doch auch Raum für differenzierende beziehungsweise distanzierende Zwischentöne gewesen. Wie empfindlich die Sozialdemokraten in dieser Sache waren, beweist am schlagendsten ein Vorgang Anfang 1914. Nachdem die Stadtverordneten ohne Aussprache 500 Mark für die Ausgaben zur Kaisergeburtstagsfeier bewilligt hatten, beantragten die in der Minderheit verbliebenen Sozialdemokraten die Änderung der Geschäftsordnung, um die bürgerliche Mehrheit zu einer argumentativen Auseinandersetzung zu zwingen. Als die Mehrheit diesen Antrag ablehnte, zogen die sozialdemokratischen Stadtverordneten aus dem Sitzungssaal aus.37
36 ST vom 27. 1. 1913; SZ vom 27. 1. 1913, hier auch das Zitat. 37 StAS, V-A-1 Bd. 18, S. 96 f.: StVO-Sitzung vom 20. 1. 1914.
Schulverwaltung und Krankenversicherung – der Beigeordnete
Am 1. April 1913, wenige Tage vor der Geburt seines ältesten Sohnes Ulrich, trat Goerdeler sein Beigeordnetenamt an. Nachdem er bisher nur den Schlachthof, die Armenverwaltung und vertretungsweise das Versicherungsamt betreut hatte, wurden ihm als Beigeordnetem nun auch weitere sozialpolitische Aufgaben, die Volksschule, das Finanz-, Steuer- und Versicherungswesen, Jugend- und Militärangelegenheiten und die juristische Beratung der übrigen Abteilungen der Stadtverwaltung übertragen.38 Er war jedoch nicht der einzige Jurist der Stadtverwaltung, wie es seit Gerhard Ritter immer wieder falsch unterstellt wird, denn der Oberbürgermeister Dicke war ebenfalls Jurist.39 Wenn man bedenkt, dass die engere Stadtverwaltung außer Goerdelers Arbeitsfeldern das Generalbüro, die Polizeiverwaltung, das Meldeamt und das Bauamt umfasste, wird deutlich, wie groß der Verantwortungsbereich des juristischen Beigeordneten war und wie stark er Dicke damit entlastete. In seinem ihm zugewiesenen Arbeitsgebiet vertrat er den Oberbürgermeister unmittelbar und war ihm gegenüber für seine Amtsführung verantwortlich. Schließlich vertrat er seinem Dienstalter entsprechend den Oberbürgermeister bei dessen Abwesenheit an sechster Stelle. Er war auf dem besten Weg, sein Ziel, die kommunale Verwaltungspraxis in größtmöglicher Breite kennen zu lernen, zu erreichen. Allerdings spezifizierte seine Witwe nachträglich: »Mit zäher Energie mussten die Positionen in den einzelnen Dezernaten erobert werden.«40 Ein Beispiel dafür gibt die erst nach einem knappen halben Jahr erfolgte Anweisung Goerdelers, dass der Schriftverkehr des Schlachthofs mit den Verwaltungsabteilungen und den städtischen Betrieben »grundsätzlich über Abt[eilung] I stattzufinden [habe],
38 ST vom 2. 4. 1913. 39 Vgl. Ritter : Goerdeler, S. 24; Marianne Meyer-Krahmer : Carl Goerdeler und sein Weg in den Widerstand. Eine Reise in die Welt meines Vaters, Freiburg 1989, S. 28. Richtig schon Rosenthal: Solingen 3, S. 410. 40 StAS, Na 13 Bd. 63.
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Schulverwaltung und Krankenversicherung – der Beigeordnete
damit ich über alle Vorfälle unterrichtet werde«.41 Diese Abteilung war dem Oberbürgermeister direkt unterstellt. Mit den ihm übertragenen Arbeitsbereichen verantwortete Goerdeler im Etat 1914 50 Prozent der städtischen Schulden, die hauptsächlich im Volks- und Fortbildungsschulwesen, ferner im Sozialwesen und in der Schuldenverwaltung anfielen. Dabei ist zu bedenken, dass zwischen produktiven Schulden, die auf künftige Einnahmevermehrung abzielten, und unrentablen Schulden unterschieden wurde. Gerade letztere versuchte Goerdeler, auch wenn es nur um kleine Beträge ging, in Grenzen zu halten. Einen ausgeglichenen Haushalt hatte in seinem Verantwortungsbereich der städtische Schlachthof vorzuweisen.42 Im Folgenden wird Goerdelers Tätigkeit als Beigeordneter in drei seiner Arbeitsfelder genauer vorgestellt, und zwar in der Schulverwaltung, in der juristischen Arbeit und im Versicherungswesen.
Volksschule Stöcken
Im Schulwesen war der Beigeordnete Goerdeler für die Volksschulen und die an sie anschließenden Fortbildungsschulen (Berufsschulen) zuständig, nicht aber für Fachschule, Realschule, Reformgymnasium und Lyzeum. Hier zeigt sich deutlich die Klassengesellschaft des Kaiserreichs. Während das Reformgym41 StAS, S 1789: Aktennotiz vom 14. 9. 1913. Ein bestimmter Grund für die relativ späte Datierung konnte nicht ermittelt werden. 42 StAS, IV-A-1: Haushaltspläne der Stadt Solingen für das Rechnungsjahr 1914, S. 4.
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Eine Klasse der Volksschule Clauberg
nasium mit Realschule an der Schwertstraße mit einer Klassenfrequenz von 43 bis 50 Schülern (1910 bis 1914) in der Vorschule begann, die sich bis zum Einjährig-Freiwilligen-Abschluss (»Mittlere Reife«) auf etwa 20 Schüler der Realschule und bis zum Abitur auf 15 Schüler des Reformgymnasiums reduzierte (1914), waren die Volksschulklassen überfüllt. In der Etatberatung für das Haushaltsjahr 1914 kritisierte der Solinger SPD-Vorsitzende Hugo Schaal die hohen Klassenfrequenzen trotz sinkender Schülerzahlen. Am Beispiel der Volksschulen Klauberg und Stöcken verdeutlichte er das Problem. Dort hatte die Klassenfrequenz ursprünglich bei 54,6 bzw. 54 Schülern gelegen, in Stöcken war sie durch Umschulungen auf 58,8 Schüler pro Klasse gestiegen. In den Zeitungen ist eine Reaktion des zuständigen Beigeordneten Goerdeler auf diesen Vorwurf nicht überliefert. Auch die Bergische Arbeiterstimme, deren Vertriebsleiter der sozialdemokratische Stadtverordnete Hugo Schaal war, streifte das Thema nur.43 Die Verwaltungsprotokolle dokumentieren wiederum keine Wortbeiträge. Wie selbstverständlich Klassengrößen von mehr als 50 Schülern waren, beweist ein von Goerdeler als zuständigem Beigeordneten verantworteter Verwaltungsvorschlag. Demzufolge sollte die überfüllte oberste Klasse der Volksschule Krahenhöhe mit 81 Schülern geteilt werden. Um die Neuanstellung eines Lehrers zu 43 ST vom 14. 1. 1914; BASt vom 15. 1. 1914. – Über Schaal vgl. Rogge: Novemberrevolution, S. 5 – 24.
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vermeiden, wurden die beiden obersten Klassen der Volksschule Burgstraße mit 37 und 34 Schülerinnen zusammengelegt. Von diesen nun 71 Schülerinnen wurden 17 umgeschult, sodass die verbleibenden 54 Schülerinnen von einer Lehrkraft unterrichtet werden konnten, während die frei werdende Lehrkraft an die Volksschule Krahenhöhe versetzt wurde. Diesen Vorschlag hieß die Schuldeputation gut. Eine Übersicht in der Bergischen Arbeiterstimme, bezogen auf das Winterhalbjahr 1910/1911, weist eine Frequenz von 22 höheren Schülern, aber 50 Volksschülern auf einen Lehrer aus. Eine Klasse umfasste in höheren Schulen durchschnittlich 37, in Volksschulen 55 Schüler. Unter 148 Schulklassen hatten in Solingen nur sechs weniger als 40 Kinder, während 47 Klassen von mehr als 60, sechs Klassen von mehr als 70 Kinder besucht wurden. Wie vergleichsweise günstig dennoch die Klassenfrequenz der Volksschulen in der Stadt Solingen war, zeigt ein Vergleich des Landkreises Solingen vom Frühjahr 1912, den die Solinger Zeitung mit der Stadt Solingen in Beziehung setzte. Demnach hatten vier Gemeinden des Kreises eine günstigere Klassenfrequenz zwischen 46 und 53 Schülern, gefolgt von der Stadt Solingen mit 54,5 Schülern. Zwölf Gemeinden wiesen Klassengrößen von 57 bis 66 Schülern auf, worunter auch die Städte des Industriebezirks vertreten waren: Ohligs mit 60, Wald, Höhscheid und Gräfrath mit 63 Schülern pro Klasse. Die schlechtesten Klassenfrequenzen hatten Baumberg mit 73 und Rheindorf mit 74 Schülern.44 Nicht weniger rigide als die Bildung großer Volksschulklassen wurde die Trennung von Jungen und Mädchen in der Schule durchgesetzt. Unter dem Vorsitz des Beigeordneten beschloss die Schuldeputation, die Geschlechtertrennung, hier in der Volksschule Zweigstraße, auch in den untersten beiden Klassenstufen durchzuführen.45 Die Bergische Arbeiterstimme veröffentlichte damals die Ergebnisse schulärztlicher Untersuchungen über die signifikanten körperlichen Unterschiede von Schülern an Berliner Gymnasien und Volksschulen, wozu Solinger Vergleichsdaten fehlen. Die Berliner Untersuchungen ergaben, dass die Körpergröße der Gymnasiasten im Alter von 6 bis 14 Jahren von 118,3 cm auf 156,0 cm stieg, diejenige der Volksschüler jedoch nur von 113,6 cm auf 146,6 cm, sodass der Unterschied im Größenwachstum zwischen beiden Gruppen in diesen acht Jahren 4,7 cm betrug. Beim Körpergewicht nahm in demselben Zeitraum die Differenz zwischen den Gymnasiasten und den Volksschülern von 2,2 kg auf 8,6 kg zu. Wenn beim Gewicht von der unterschiedlichen Körpergröße abgesehen wird, wogen Gymnasiasten im Alter von sechs Jahren 189 Gramm pro Zentimeter Körpergröße, Volksschüler hingegen nur 177 Gramm; diese Diffe44 BASt vom 15. 7. 1913 – SZ vom 25. 3. 1912. 45 Klassenfrequenz: StAS, V-A-31 Bd. 2: Sitzung der Schuldeputation vom 21. 4. 1914. – Geschlechtertrennung: StAS, V-A-31 Bd. 2: Sitzung vom 30. 3. 1914.
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renz wuchs bis zum Alter von 14 Jahren auf 318 und 256 Gramm, somit auf 62 Gramm Unterschied.46 Dieses Auseinanderklaffen lässt Rückschlüsse auf die Qualität der Ernährung in wohlhabenden und armen Schichten zu. In diesen Zusammenhang gehört Goerdelers Leitung einer Kommission, die in den Wintermonaten Dezember bis Februar die Ausgabe eines warmen Frühstücks an bedürftige und schwächliche Schüler, bestehend aus einem Viertelliter Milch und je zwei Brötchen, regelte. Im Winter 1913/1914 waren davon 602 Schulkinder betroffen, weniger als in den vergangenen Wintern.47 Damit setzte die Stadt sich für eine eng begrenzte Schülergruppe aus unterprivilegierten Familien ein. Ansonsten positionierte sich Goerdeler, der bei unproduktiven Aufgaben streng auf die Deckung der städtischen Ausgaben achtete, gegen egalitäre Vorstellungen der Sozialdemokraten, auch wenn sie nur bescheidene zusätzliche Kosten verursachten. Da 150 Mädchen jährlich die Volksschule verließen, ohne am hauswirtschaftlichen Unterricht teilgenommen zu haben, richtete er drei Abendkurse ein, in denen insgesamt 48 Schülerinnen Kochen und Haushaltsführung erlernen konnten. Die sozialdemokratische Fraktion wünschte das Schulgeld von 8 Mark zu streichen. Goerdeler widersprach, weil der Betrag im Vergleich mit dem Landkreis, der 12 Mark verlangte, niedrig ausfalle, die Mädchen zubereitete Mahlzeiten bekämen und hauptsächlich ältere Mädchen aufgenommen werden sollten, die bereits ein bescheidenes Einkommen hätten. Die Stadtverordneten entschieden im Sinne der Vorlage.48 Da die Kurse von den Adressatinnen angenommen wurden, beschlossen die Stadtverordneten ein Jahr später eine von Goerdeler begründete Verwaltungsvorlage, zusätzlich erweiterte Haushaltskurse für feinere Küche einzurichten, für die die Teilnehmerinnen 20 Mark entrichten sollten. Der katholische Zentrums-Stadtverordnete Laurenz Bremen, Vorsitzender der Zwanginnung der Bäcker, sprach sich für die Vorlage aus, »damit den Mädchen des Mittelstandes Gelegenheit gegeben ist, kochen zu lernen und später mal Mann und Familie zufrieden zu stellen.« Er geriet geradezu ins Schwärmen, als er die Volksweisheit »Liebe geht durch den Magen« zitierte. Des Weiteren wurden Nähkurse für schulentlassene Mädchen eingerichtet. In beiden Fällen wurden die Anträge der Sozialdemokraten, die Kursusgebühren zu streichen, von der bürgerlichen Mehrheit abgelehnt.49 In der Schulgeldfrage argumentierte Goerdeler haushaltstechnisch rational, denn während die Volksschulen der Stadt mit rund 30 Prozent des Gesamtzuschusses die höchsten jährlichen Kosten des städtischen Etats verursachten, 46 BASt vom 17. 12. 1913. 47 ST vom 29. 11. 1913. – StAS, IV-A-1: Haushaltspläne der Stadt Solingen für das Rechnungsjahr 1914, S. 118: 647 Kinder im Winter 1911/1912, 660 Kinder im Winter 1912/1913. 48 StAS, V-A-1 Bd. 17, S. 324: StVO-Sitzung vom 8. 4. 1913. 49 ST vom 10. 3. 1914 (Zitat). – StAS, V-A-1 Bd. 18, S. 120 f.: StVO-Sitzung vom 10. 3. 1914.
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brachten die Vorschulen des Reformgymnasiums mit Realschule und des Lyzeums der Stadt durch das Schulgeld zusätzliche Einnahmen in die Stadtkasse. Dass die Klassenfrequenzen in Solingen im Vergleich mit den Nachbarstädten niedriger waren, schlug auf der Ausgabenseite zu Buche.50 Eine andere Konstellation zeigte sich in den Debatten um den Haushaltsentwurf für das Rechnungsjahr 1914. Für die Errichtung von vier weiteren Klassenräumen und einem Lehrerzimmer in der gewerblichen Fortbildungsschule (Berufsschule) Bergstraße beantragte die Verwaltung 9000 Mark. Während drei bürgerliche Debattenredner die Forderung ablehnten, fasste die Bergische Arbeiterstimme zusammen: »Die Genossen Schaal und Forkert, ebenso Herr Dr. Goerdeler verteidigen die Forderung.«51 Der Verwaltungsantrag wurde mit großer Mehrheit angenommen. Zur Anpassung des Ortsstatuts für die kaufmännische Fortbildungsschule (Handelsschule) führte Goerdeler eine gemeinsame Beratung mit den Vertretern der Gewerbetreibenden und der Angestellten durch. Eine schärfere Konfrontation entstand über die Frage, ob eine Vorstufe bei der kaufmännischen Fortbildungsschule eingerichtet werden sollte. Wie die Debatte veranschaulicht, klingen die Argumente auch ein Jahrhundert später noch vertraut. Beteiligt waren der nationalliberale Bauunternehmer Carl Bickenbach und der linksliberale Glasermeister Otto Ruppert: »Herr Bickenbach meint, wenn ein Junge in 8 Jahren in der Volksschule nicht rechnen gelernt habe, würde er es auch nicht in der Vorklasse in einem Jahre lernen. Er ist für Ablehnung der Vorlage. Herr Beigeordneter Dr. Gördeler betont, daß die Vorklasse nicht viele Schüler haben werde, daß sich der Lehrer also eingehender mit ihnen befassen könne. […] Herr Ruppert meint, […] [e]r habe auch die Elementarschule besucht, und er müsse konstatieren, daß sie früher mehr geleistet habe, wie heute. Was die Schüler der Volksschule damals wußten, das wüßten sie heute noch nicht nach 3jährigem [!] Besuch der Fortbildungsschule.«52
Wenn die kulturpessimistischen Argumente der Gegner zuträfen, wäre über Generationen hinweg ein permanenter Bildungsverfall zu beklagen. Andererseits stellt sich die Frage, wieso Goerdeler sein Argument von der eingehenderen Förderung in kleinen Klassen nicht auch auf die Volksschulen bezog. Vermutlich lag es an den hohen Kosten, die sie im Haushaltsplan der Stadt Solingen verursachten: 676.000 Mark im Haushaltsjahr 1913/1914, während der preußische 50 ST vom 30. 8. 1913. SZ vom 8. 1. 1914. 51 StAS, V-A-36: Sitzung des Vorstandes der gewerblichen Fortbildungsschule vom 13. 11. 1913. StAS, V-A-1 Bd. 18, S. 56: StVO-Sitzung vom 16. 12. 1913. – BASt vom 17. 12. 1913 (Zitat). 52 ST vom 18. 6. 1914 (Zitat). Der in den Akten und Zeitungen häufig verschriebene Name Gördeler statt Goerdeler wird in den Zitaten beibehalten. – StAS, V-A-1 Bd. 18, S. 183: StVOSitzung vom 17. 6. 1914.
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Goerdelers Unterschrift 1912 (Mitte rechts), eine einmalige Variante 1913 (oben), Namenskürzel und Unterschriftsstempel
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Staat nur einen Zuschuss von 31.000 Mark beisteuerte.53 Bemerkenswert ist die knappe Annahme des Antrags mit 13 gegen 11 Stimmen, das heißt im Wesentlichen mit den sozialdemokratischen und einzelnen bürgerlichen Stimmen. Zwei andere kostenträchtige Fragen betrafen die schulärztliche Betreuung. So sprach Goerdeler sich zwar nicht grundsätzlich gegen die Errichtung einer Schulzahnklinik aus, betonte aber, dass eine solche Einrichtung die Stadt mit hohen Kosten belasten würde. Deshalb sollten zunächst die Erfahrungen der Stadt Düsseldorf mit ihrer Schulzahnklinik abgewartet werden. Es gehe auch um die Frage, ob der Besuch einer Klinik oder die freie Arztwahl vorzuziehen sei. Die Schulzahnklinik solle aber errichtet werden, wenn die Ortskrankenkasse die Familienversicherung einführe und somit zu den Kosten der schulzahnärztlichen Untersuchung einen Zuschuss beisteuere. Dies war zugleich ein Seitenhieb gegen den sozialdemokratischen Stadtverordneten Jakob Knoth, den ehemaligen Vorsitzenden der Solinger AOK. Das Reichsversicherungsamt hatte das Modell einer Familienversicherung der Solinger AOK wenige Monate zuvor abgelehnt.54 Die Schulzahlklinik blieb ein dringender Wunsch auch der bürgerlichen Öffentlichkeit, weil die Untersuchungen anderer Städte eine außerordentlich hohe Schadhaftigkeit der Zähne schon von Erstklässlern ergeben hatte. Zudem wurde sie in den benachbarten Städten Elberfeld, Barmen und Remscheid sowie im Kreis Mettmann eingeführt. Eine Umfrage des Deutschen Städtetages hatte umfangreiches Material erbracht, das die moralische Verpflichtung der Stadt Solingen zur Einführung einer Schulzahnklinik dringlich erscheinen ließ. Doch in Solingen wurde sie erst nach dem Ersten Weltkrieg unter anderen politischen Vorzeichen realisiert. Wie lehrreich die Beobachtung der Entwicklungen in Nachbarstädten sein konnte, zeigt das Beispiel der Verlegung der ersten schulärztlichen Untersuchung auf die Zeit vor der Einschulung, wie es die Stadt Barmen bereits praktizierte.55 Während Goerdeler bei der Schulzahnklinik hinhaltend, aber ergebnisoffen argumentierte, schmetterte er die Forderung des bürgerlichen »Konsumanstalt«-Inhabers Paul Iserloh nach Berufung eines zweiten Schularztes neben Paul Selter, den er bei dieser Gelegenheit lobte, ab. Vorgeschoben klingt seine weitere Argumentation: »Der Hauptwert, der in der einheitlichen Leitung bestehe, werde durch die Anstellung mehrerer Schulärzte verloren gehen, wozu auch momentan kein Bedürfnis bestehe.«56 Aber Goerdeler argumentierte durchaus 53 ST vom 17. 11. 1913. 54 StAS, V-A-31 Bd. 2: Sitzung der Schuldeputation vom 19. 6. 1912. – ST vom 15. 1. 1914; BASt vom 15. 1. 1914. – ST vom 10. 9. 1913. 55 ST vom 17. 6. 1914. – Umfrage: ST vom 1. 11. 1913. – ST vom 13. 3. 1920. – Einschulung: StAS, V-A-31 Bd. 2: Sitzung der Schuldeputation vom 3. 7. 1913. 56 STvom 9. 4. 1914. – Zu Selter vgl. Ralf Rogge: Professor Dr. Paul Selter (1866 – 1941), Schöpfer der Gesundheitsfürsorge in Solingen, in: Die Heimat (Solingen) NF 9, 1993, S. 71 – 90.
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ernsthaft: Hier zeigen sich die Grundlagen seines Denkens. Er schätzte die dominante Position des Bürgermeisters in der rheinischen Kommunalverfassung sehr. Danach war der Bürgermeister als Vorgesetzter der Beigeordneten und Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung in einer ähnlichen Position wie Bismarck als Reichskanzler gegenüber seinen Staatssekretären. Wie der Kanzler dem Reichstag und der Ministerpräsident dem Abgeordnetenhaus gegenüber die politische Verantwortung zu übernehmen hatte, ohne von den Abgeordneten abgesetzt werden zu können, so war auch die Position des Bürgermeisters dominant. Gerade solche autoritären Elemente der Bürgermeisterverfassung korrespondierten mit Goerdelers konservativ-autoritären Staatsvorstellungen. Sie ließen sich ohne Weiteres auch auf einzelne Verwaltungszweige, hier den Schularzt, übertragen. Nachzutragen bleibt, dass die Stadtverordneten seinem Argument von der einheitlichen schulärztlichen Leitung in ihrer Abstimmung folgten. Mit geringen Kosten war der Vorschlag des Solinger Lehrervereins verbunden, Vorstellungen in Solinger Kinematographen-Theatern, den Kinos, für Unterrichtszwecke zu verbilligen. Goerdeler begrüßte und unterstützte den Vorschlag in der Sache, weil es sich um lehrhafte Filme handelte, während die Solinger Verwaltung parallel den Zutritt Jugendlicher unter 16 Jahren durch den Oberpräsidenten erfolgreich einzuschränken beantragte. Zudem konnte er auf den fahrenden Zug springen und bei den Stadtverordneten auch der dritten Wählerklasse Sympathien sammeln. Die sozialdemokratische Fraktion förderte diese Initiative ausdrücklich, da es sich nicht um das bürgerlich-reaktionäre und entpolitisierende, aus sozialdemokratischer Sicht »feindlich[e] und verheerend[e]« Kino handelte, zumal der sozialdemokratische Volksschullehrer Max Meis sich maßgeblich für die Einführung von Vorführungen für Volksschüler einsetzte.57 Der Beigeordnete versuchte das Thema großformatig auszuweiten; noch kurz vor dem Ersten Weltkrieg beschäftigte Goerdeler sich zunächst mit der Errichtung eines städtischen Kinos, dann wegen der Ablehnung durch die Schuldeputation alternativ eines Schulkinos oder mit der Anschaffung eines städtischen Vorführungsapparats. Im Juli 1914 beschloss die Finanzkommission, die Schüler die lehrhaften Filmvorführungen kostenlos besuchen zu lassen.58 In seinem juristischen Arbeitsbereich scheint Goerdeler als juristischer Ex57 StAS, V-A-1 Bd. 17, S. 361: StVO-Sitzung vom 6. 5. 1913. – StAS, V-A-31 Bd. 2: Sitzungen der Schuldeputation vom 19. 6. 1912, 3. 4. 1913. – ST vom 11. 6. 1913; SZ vom 11. 6. 1913; BASt vom 11. 6. 1913, 26. 11. 1913. – Zur kritischen Einstellung: P. Max Grempe: Kino und Proletariat, in: BASt vom 22. 11. 1912 (Zitat). – Zu Meis: ST vom 29. 1. 1921. 58 StAS, V-A-8 Bd. 4: Sitzungen der Finanzkommission, S. 13 (5. 2. 1914), S. 17 (7. 7. 1914). – ST vom 23. 5. 1914. – Vgl. Sassin: Carl Goerdeler und das Solinger Kino. – Zur Geschichte des Kinos in Solingen vgl. Jörg Becker/Georg Mergard/Ralf Rogge (Hg.): Kino Heimat Solingen. Über die Glanzzeit des Kinos, Solingen 2010.
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perte dringend gebraucht worden zu sein. Offenbar legte er, um einen Überblick über die juristische Lage der Stadt Solingen zu bekommen, zu Beginn seiner Verwaltungslaufbahn eine Zusammenstellung sämtlicher geltenden Polizeiverordnungen und weiteren Bestimmungen an, die in gedruckter Form erschien.59 Noch 1913, in seinem ersten Jahr als Beigeordneter, veröffentlichte er vier Ortsstatute und 19 Polizeiverordnungen, davon allein sieben im ersten Amtsmonat Juni. 1914 waren es drei Polizeiverordnungen und zwei Ortsstatute. Ausnahmsweise führte er bei der Genehmigung des Ortsstatuts betreffend die kaufmännische Fortbildungsschule selbst den Vorsitz in deren Kuratorium. Die Zahlen sprechen dafür, dass es hier von Seiten des Oberbürgermeisters einen Arbeitsstau gegeben hatte, den der neue Beigeordnete nun mit großem Einsatz zielstrebig aufarbeitete, womit er seinem Vorgesetzten lästige Arbeit abnahm. Die juristische Arbeit kann an Goerdelers Bearbeitung der »Bestimmungen über die Dienstverhältnisse der Beamten, Angestellten und Anwärter der Stadt Solingen« genauer dargestellt werden. Goerdeler lag eine maschinenschriftliche Fassung vor, die er einer gründlichen Revision unterzog. Angaben über die hier nicht erfassten städtischen Lehrkräfte und Arbeiter strich er, viele Paragrafen glättete oder verallgemeinerte er. Ein Beispiel dafür gibt die Bestimmung, die die Berufungen in den Aufsichtsrat, den Vorstand oder den Verwaltungsrat eines Erwerbsunternehmens von der Genehmigung des Oberbürgermeisters abhängig machte. Goerdeler strich die Einzelfälle, die möglicherweise noch zu ergänzen gewesen wären, und ersetzte sie durch zu genehmigende »entgeltliche Nebenbeschäftigungen und Nebenämter«.60 Zu zwei Sachfragen arbeitete Goerdeler die Alternativen aus, überließ aber dem Oberbürgermeister die Entscheidung – ein geschickter Schachzug. Im ersten Fall ging es um die Frage, ob die Kündigung von Angestellten der Stadtverwaltung nur aus wichtigem Grund oder auch ohne diesen erfolgen können sollte, im zweiten um die Frage, ob sich das Ruhegehalt und die Hinterbliebenenrenten an einem Bundesratsbeschluss oder an den Bestimmungen, die für städtische Beamte Solingens galten, orientieren sollten. Der Oberbürgermeister strich mit dickem rotem Stift die Beschränkung »Kündigung nur aus wichtigem Grund« sowie »Zahlungen laut Bundesratsbeschluss« und ließ die Alternativen gelten. Goerdeler erwies sich hier nicht nur als loyaler Mitarbeiter, sondern agierte auch taktisch geschickt gegenüber seinem Dienstvorgesetzten. Die Bestimmungen passierten die Stadtverordnetensitzung
59 Zusammenstellung der Polizei-Verordnungen und sonstigen Bestimmungen für den Stadtkreis Solingen. Amtliche Ausgabe 1912. 3. Auflage, Solingen 1912 [Stand vom 1. Juni 1912]. Die 2. Auflage erschien 1904. 60 StAS, S 598: undatierter, hs. stark redigierter Entwurf. – Ortsstatut: StAS, V-A-37: Sitzung des Vorstands der kaufmännischen Fortbildungsschule vom 22. 5. 1914.
Bestimmungen über die Dienstverhältnisse der städtischen Mitarbeiter mit handschriftlichen Änderungen Goerdelers und der Entscheidung des Oberbürgermeisters Dicke mit Rotstift
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vom 2. Juli 1913 unverändert. Zudem war es Goerdeler, der für die Anschaffung der aktuellen juristischen Fachliteratur sorgte.61 Der Beigeordnete vertrat die Interessen der Stadt Solingen auch im Bezirksausschuss des Regierungsbezirks Düsseldorf, der die neu verabschiedeten Ortsstatute prüfte und über Einsprüche dagegen entschied. Juristisch einwandfrei musste die Zensur gehandhabt werden, deren Anwendung auf Kinder, Jugendliche und Kinoplakate die Stadt Solingen beim Oberpräsidenten der Rheinprovinz zuvor beantragt hatte. Die von Goerdeler geleitete Kinokommission beanspruchte, mittels der zuvor nur von der Polizeiverwaltung durchgeführten Zensur, die seit Februar 1914 für jedes Kino von einer eigenen Unterkommission ausgeübt wurde, erzieherisch zu wirken. Dabei ging es um die Prüfung der Filme und die Art der Werbung für die gezeigten Filme. Die Verwaltung berichtete der Presse: »In nur wenigen strittigen Fällen mußte das Obergutachten des Vorsitzenden Herrn Beigeordneten Dr. Gördeler eingeholt werden.«62 Ein äußerst schwieriges Sachgebiet war die Bearbeitung der Wasser- und Kottenprozesse, die auf die Errichtung von Kläranlagen und Kanälen folgten; vor dem Landgericht Elberfeld ging es um die Frage, ob die unterhalb gelegenen Nutzer einen Verlust an Menge und Qualität des Wassers erdulden mussten. Im Hintergrund stand die Ablösung der traditionellen Wasserkraft, die jahreszeitlich nur unzuverlässig als Antriebskraft zur Verfügung stand, durch die moderne Elektrizität. Im Fall eines wasserbetriebenen Triebwerks am Weinsbergbach musste Goerdeler sich mit Quell- und Regenwasser, Strömungsverhältnissen und Mengenberechnungen auseinander setzen. Hinzu kamen die juristischen und physikalisch-technischen Fragen der Anspruchsberechtigung, Langzeit-Niederschlagsmessung, Drainagierung, Gefällehöhen, Sekundenliter, Einlaufkoeffizienten. Vor dem Landgericht Elberfeld ging es den Klägern im August 1912 um eine Entschädigungssumme von zunächst 42.000 Mark, bei einem späteren Vergleichstermin im Juli 1913 um 17.500 Mark. Doch Goerdeler wies – wie vor ihm schon der technische Beigeordnete Michael – den Klägern falsche Angaben nach. Er ermittelte, dass sie seit Jahren Verluste machten, die in den beklagten Jahren sogar um die Hälfte geringer ausgefallen waren als zuvor.63 Zudem griff er auf die Beurteilung eines vergleichbaren Verfahrens durch das Oberlandesgericht Düsseldorf zurück. In einem großen Gutachten für den Düsseldorfer Regierungsbaurat Paul Berkenkamp konnte Goerdeler unter anderem nachweisen, dass die beiden fraglichen Quellen durch zwei Firmen, die 61 StAS, V-A-8 Bd. 3, S. 275 – 280: Sitzung der Finanzkommission vom 27. 6. 1913. StAS, V-A-1 Bd. 17, S. 379: StVO-Sitzung vom 2. 7. 1913. – StAS, S 598: Aktennotiz vom 16. 7. 1912. 62 Bezirksausschuss: ST vom 22. 11. 1913, 24. 3. 1914. – Kino: ST vom 9. 1. 1914, 19. 6. 1914 (Zitat), 20. 6. 1914. – SZ vom 10. 1. 1914, 3. 2. 1914, 4. 2. 1914. – BASt vom 26. 11. 1913. 63 StAS, S 6533: Goerdeler an Rechtsanwalt Brück, 2. 4. 1913.
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Stahlwarenfabrik Henckels (»Zwillingswerk«) und die Brauerei Beckmann, vollständig genutzt würden, dass das Quellwasser aber im Bergischen Land nur eine geringe Rolle spiele und dass der Gutachter des Klägers bei seinen Kalkulationen verschiedene Fehler gemacht habe. Letzteres wurde in komplexen Berechnungen, die Goerdelers Mitarbeiter außerordentlich beschäftigt haben müssen, differenziert ausgeführt.64 Auf diesem Stand ging das Verfahren in den Ersten Weltkrieg und wurde dann von dem Beigeordneten Schmidhäußler weiter betreut. Eine Auseinandersetzung, in der sozialpolitische und versicherungstechnische Fragen mit juristischen eng verknüpft waren, besaß gerade für eine Stadt mit traditionell starker Heimarbeiterschaft wie Solingen besondere Bedeutung: der Streit um die Krankenversicherung der arbeitenden Bevölkerung. Es handelte sich um eine Frage, bei der zunächst die Interessen der metallindustriellen Unternehmer und der Gewerkschaften hart aufeinander prallten. Hierbei ist der außergewöhnlich hohe Organisationsgrad der Solinger Metallarbeiter zu beachten: 1910 waren 7500 im freigewerkschaftlichen Deutschen Metallarbeiterverband, 6000 im lokalen Industriearbeiterverband und 1.500 im Christlichen Metallarbeiterverband organisiert; damit gehörten 75 Prozent der Solinger Metallarbeiter einer Gewerkschaft an, während 1907 nur 17 Prozent aller deutschen Arbeiter organisiert waren.65 Solinger Messer- und Scherenschleifer waren Spitzenverdiener mit Wochenlöhnen zwischen 35 und 45 Mark im Jahr 1910; damit erzielten sie in der Regel wesentlich höhere Einkommen als die Elberfelder Textilarbeiter, die Elberfelder und Leverkusener Chemiearbeiter und die Kölner Metallfacharbeiter.66 Andere Hausgewerbetreibende in der Solinger Metallindustrie wurden ebenfalls wesentlich schlechter entlohnt. Im Hintergrund stand die fabrikmäßige Modernisierung der Metallwarenindustrie, durch die sich die traditionellen Solinger Verlegerkaufleute und die hochqualifizierten Schleifer bedroht sahen. Auf Gewerkschaftsseite vertrat der Industriearbeiterverband das traditionelle sozial-konservative »Solinger System« (Boch), während der DMV auf Seiten der Modernisierer stand. Über einen wesentlichen Aspekt dieser Problematik, die heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Deutschen Metallarbeiterverband und dem Industriearbeiterverband in Solin64 StAS, S 6534: Goerdeler an Berkenkamp, 30. 6. 1914 mit Anlagen, abgedruckt im Anhang, S. 163 – 172. 65 Vgl. Volker Wünderich: Arbeiterbewegung und Selbstverwaltung. KPD in der Weimarer Republik. Mit dem Beispiel Solingen, Wuppertal 1980, S. 24. 66 Vgl. Rudolf Boch/Manfred Krause (Hg.): Historisches Lesebuch zur Geschichte der Arbeiterschaft im Bergischen Land, Köln 1983, S. 84. Vgl. Jochen Putsch: Vom Ende qualifizierter Heimarbeit. Entwicklung und Strukturwandel der Solinger Schneidwarenindustrie von 1914 – 1960, Köln 1989, S. 49 f. – Vergleich mit benachbarten Städten: Krause: Gewerkschaftsbewegung, S. 44.
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gen, gibt eine Studie von Rudolf Boch Auskunft, ohne sich speziell auf diesen Fall zu beziehen.67 In der Reichsversicherungsordnung, die am 19. Juli 1911 verabschiedet worden war und am 1. Januar 1914 in Kraft trat, wurde die Kranken-, Unfall- und Invalidenversicherung geregelt. Die bisherige Unterscheidung von selbstständigen Hausgewerbetreibenden und unselbstständigen Heimarbeitern wurde darin aufgehoben. Damit wäre die generelle Krankenversicherungspflicht der Hausgewerbetreibenden in der Orts- beziehungsweise Landkrankenkasse einheitlich festgelegt worden, wenn es nicht die Lex Solingen, den auf Solinger Initiative eingefügten § 488 der RVO, gegeben hätte, auf dessen Basis das bisher geltende Ortsstatut über die Krankenversicherung der Hausgewerbetreibenden auf Antrag der Stadt Solingen in Kraft bleiben konnte. Auf der Grundlage der Lex Solingen beantragte die Solinger Verwaltung diese Ausnahmeregelung beim Bezirksausschuss Düsseldorf, der die Hausgewerbetreibenden der Solinger Metallwarenindustrie sodann zu Selbstständigen erklärte.68 Diese mussten daraufhin ihren Krankenversicherungsbeitrag zu 100 Prozent selbst entrichten, während die übrigen Hausgewerbetreibenden zwei Drittel zahlten, für das letzte Drittel mussten die Arbeitgeber aufkommen. Industriepolitisch schrieb diese Regelung die Differenzierung der traditionellen qualifizierten Hausgewerbetreibenden von den modernen angelernten Fabrikarbeitern fort. Nach Verabschiedung der RVO durch den Reichstag stellte die Solinger Wochenzeitung Der Stahlwaren-Arbeiter sie in einer elfteiligen Folge vor. Darin wird deutlich, dass der Industriearbeiterverband und seine Mitglieder kein Interesse hatten, der Allgemeinen Ortskrankenkasse beizutreten, sondern den Verbleib in den Hilfskassen vorzogen, obwohl sie hier für die volle Höhe der Versicherungsbeiträge aufkommen mussten. Auch wollten sie verhindern, dass die AOK als Konkurrenzkasse das Unternehmer-Drittel der Hilfskassen-Einzahler einstrich, wie es bei den unselbstständigen Versicherten, die Mitglieder ihrer Hilfskassen blieben, der Fall war.69 Die Verhandlungen über die Weitergeltung des Solinger Ortsstatuts beanspruchten drei weitere Sitzungen der Stadtverordneten. Mit der Integration der Lex Solingen in die RVO und der Einstufung der Solinger metallindustriellen Hausgewerbetreibenden als Selbstständige durch den Bezirksausschuss waren die Würfel gefallen, wie die Solinger Stadtverwaltung sich in den Verhandlungen der Stadtverordneten über das Ortsstatut positionieren würde. Es ist dasjenige Sachthema, bei dem die Auseinandersetzungen zwischen dem zuständigen 67 Boch: Handwerker-Sozialisten, S. 167 – 257. – Vgl. auch Krause: Gewerkschaftsbewegung, bes. S. 52 – 74. 68 RGBl 1911, S. 509. Die Lex Solingen ist abgedruckt im Anhang, S. 195. – StAS, V-A-1 Bd. 18: StVO-Sitzungen, S. 24 (14. 10. 1913), 48 (9. 12. 1913). – BASt vom 18. 10. 1912. 69 Der Stahlwaren-Arbeiter 6, 1911, Nr. 33.
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Beigeordneten und den Stadtverordneten in der Berichterstattung am deutlichsten artikuliert wurden – und dies über einen Zeitraum von mehreren Monaten, sodass insbesondere die Argumentation Goerdelers plastischer wird. Als loyaler Mitarbeiter seines Oberbürgermeisters hatte Goerdeler überhaupt keine andere Wahl, als das traditionelle »Solinger System« zu vertreten. Er hätte sich allenfalls bei internen Besprechungen, die nicht aktenkundig geworden sind, auf die moderne Unternehmerseite stellen können. In der ersten Lesung am 23. September 1913 entwickelte sich ein heftiger Schlagabtausch zwischen dem sozialdemokratischen Gewerkschaftssekretär Wilhelm Weber und Goerdeler, dessen Aufgabe es als juristischer Beigeordneter war, die Fortgeltung des Ortsstatuts zu begründen. Weber spielte eine besondere Rolle, weil er als Arbeitersekretär beim traditionalistischen Industriearbeiterverband, dann beim modernistischen Gewerkschaftskartell fungierte, zu dem auch der konkurrierende Deutsche Metallarbeiterverband gehörte. Der Gewerkschafter erklärte die Anpassung des Ortsstatuts an die Bestimmungen der Ortskrankenkasse, somit die Festlegung des Arbeitgeberanteils, für unerlässlich. Er wünschte zwecks eingehender Prüfung die Rückverweisung an die Finanzkommission und die Erarbeitung eines neuen Entwurfs. Goerdeler bestand hingegen auf der Eilbedürftigkeit der Sache, ein ungeschicktes Argument, weil es die Stadtverordneten unter Druck setzte; in der Sache war es dennoch zutreffend, weil nach der Anpassung der AOK-Satzung an die Vorgaben der RVO nur noch 99 Tage bis zum Inkrafttreten der RVO blieben. Weiter erklärte er eine Änderung des Statuts nach Gesetzeslage »überhaupt nicht mehr [für] möglich, zumal ja diese Sonderbestimmung [Lex Solingen] gerade unter Berücksichtigung der Solinger Verhältnisse getroffen worden sei«.70 Aus Weber Sicht behandelte die RVO die Solinger Hausgewerbetreibenden ungerecht, weil die Zahlung der vollen Versicherungsbeiträge für viele unselbstständige von ihnen eine Härte darstelle, während Goerdeler zufolge die RVO ihnen keine Besserstellung brächte. Nicht in den Sitzungsberichten steht, dass der Industriearbeiterverband in der Beitragsregelung im Gegensatz zu Weber keine Härte erkennen konnte, sondern vielmehr über dieses Argument spottete.71 Als Webers darauf beharrte, das Ortsstatut an die AOK-Satzung anzupassen, erwiderte Goerdeler, »daß die Bestimmungen der Ortskrankenkasse für solche Hausgewerbetreibende geschaffen werden mußten, die eben nicht unter die im Ortsstatut festgelegten Sonderbestimmungen fallen […].«72 Dies ist immerhin spitzfindig argumentiert, schloss es damit doch die für selbstständig erklärten 70 GA, undatierte Beilage mit Protokoll der Stadtverordnetensitzung vom 23. 9. 1913, eingelegt in die Akte: StAS, V-A-1 Bd. 18. 71 Der Stahlwaren-Arbeiter 6, 1911, Nr. 37. 72 GA, undatiert (wie Anm. 70).
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Hausgewerbetreibenden ausdrücklich von der Berücksichtigung durch die AOK aus. Es gelang Weber lediglich, eine zweite Lesung durchzusetzen, wofür außer den Sozialdemokraten auch der linksliberale Stadtverordnete Schwarz stimmte. Im Gegensatz zum General-Anzeiger und der Solinger Zeitung berichteten das Solinger Tageblatt und die Bergische Arbeiterstimme nur knapp über diese erste Sitzung. Die Arbeiterstimme ergänzte allerdings, dass der sozialdemokratische Stadtverordnete und Solinger AOK-Vorsitzende Jakob Knoth schon früher angeregt hätte, die Beitragspflicht der Unternehmer zu fixieren.73 Die zweite Lesung, die drei Wochen später, am 14. Oktober 1913, stattfand, brachte Goerdeler in stärkere Bedrängnis. Diesmal berichteten das Solinger Tageblatt und die Bergische Arbeiterstimme gleichermaßen ausführlich. Nun stellte der sozialdemokratische Stadtverordnete Hermann Krenzer im Widerspruch zu Goerdelers Angaben in der ersten Lesung fest, dass abgeänderte Ortsstatute, die den Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung enthielten, doch genehmigt werden konnten, wie das Beispiel Remscheid beweise. Die Bergische Arbeiterstimme präzisierte, dass das Remscheider Statut beim Bezirksausschuss in Anwesenheit von drei Regierungsvertretern akzeptiert worden sei. Krenzer folgerte daraus, dass der Entwurf zur weiteren Beratung an die Finanzkommission überwiesen werden sollte. Goerdeler musste sich nach seiner juristischen Fehlinformation aus der ersten Lesung nun aus der Affäre ziehen. Er machte einen taktischen Rückzieher, indem er einräumte, dass das Statut, wenn es seiner Empfehlung zufolge unverändert angenommen werde, nachträglich immer noch geändert werden könne. Damit insistierte er weiterhin, jedoch mit angepasster Begründung auf der unveränderten Annahme des Statuts, nahm die zuvor behauptete Bestreitung der Änderungsmöglichkeit zurück, reduzierte sie aber auf Zukunftsmusik. Beschwichtigend wies er auf einen zu erwartenden Beschluss des Bundesrates hin, wonach die Hausgewerbetreibenden bei der Invalidenversicherung fest mit der Heranziehung der Arbeitgeber zur Beitragszahlung rechnen könnten. Das war ein klassisches Ablenkungsmanöver, denn die Rechtslage bei der Invalidenversicherung ließ keine andere Regelung zu. Goerdeler verwies auf die komplizierte Sachlage in der Solinger Eisenindustrie. Die hier vorliegenden spezifischen Probleme konnten bis zum Inkrafttreten der RVO nicht gelöst werden, weil die Hausgewerbetreibenden für mehrere Unternehmer arbeiteten. Dies war ein gewichtiges Argument, das andererseits bei der Invalidenversicherung nicht ins Feld geführt wurde. Einer Rücküberweisung widersprach er mit dem Argument: »Der Finanzkommission sei es auch gar nicht möglich, die Frage der Heranziehung der Arbeitgeber zur Beitragsleistung zu lösen, das müsse im Wege der Verhandlungen mit den Verbänden geschehen.« Diese Tarifverbände waren auf Arbeitgeberseite der 73 ST vom 24. 9. 1913; SZ vom 24. 9. 1913; BASt vom 24. 9. 1913.
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Das Gewerkschaftshaus an der Kölner Straße
Verband von Arbeitgebern im Kreis Solingen und der Verband der Solinger Fabrikanten-Vereine, auf Gewerkschaftsseite der Deutsche Metallarbeiterverband und der Industriearbeiterverband. Mit diesem Argument entledigte Goerdeler sich für den Gesetzgeber der Verantwortung und wies die Sache an die zerstrittenen Tarifparteien zurück. Zudem verwies der Beigeordnete trotz der Änderung des Remscheider Ortsstatuts auf die Hürde des Genehmigungsrechts des Ministers für Handel und Gewerbe. Gegen dieses schwache Argument betonte Krenzer, dass das Oberversicherungsamt Düsseldorf und der Minister die geänderten Ortsstatute akzeptieren würden.74 74 ST vom 15. 10. 1913 (Zitat), BASt vom 15. 10. 1913. – StAS, V-A-1 Bd. 18, S. 24: StVO-Sitzung vom 14. 10. 1913.
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Die Ortsverwaltung des Deutschen Metallarbeiterverbandes, vermutlich mit Wilhelm Weber
Der Gewerkschaftssekretär Weber brachte einen weiteren gewichtigen Einwand vor. Die Stadt Solingen habe das Reichsversicherungsamt bei der Begründung der Lex Solingen falsch informiert, denn die Löhne der Hausgewerbetreibenden seien viel zu hoch angesetzt worden. Löhne von wöchentlich 40 bis 60 Mark erzielten nur diejenigen Arbeiter, die mit zwei Söhnen arbeiteten. Tatsächlich weisen zeitgenössische Statistiken solche Lohnspannen für die hochqualifizierten Rasiermesser- und Waffenschleifer aus; manche Schleiferberufe erzielten je nach Qualität 35 bis 45 Mark, andere weniger. Weber fragte zudem nach der Bereitschaft der Verwaltung, die Arbeitgeberbeiträge zur Krankenversicherung in das Ortsstatut einzubringen. Goerdeler scheint der Lohnfrage ausgewichen zu sein; für die Arbeitgeber könne er keine verbindliche Stellungnahme abgeben. Der SPD-Vorsitzende Hugo Schaal hakte nach, die Verwaltung solle die Beitragspflicht der Arbeitgeber in das Statut aufnehmen, worauf der Oberbürgermeister Dicke in Schlussstrichmentalität erklärte, dass er erst nach dessen Annahme Verhandlungen einleiten wolle. Daraufhin wurde das Statut gegen die SPD-Stimmen angenommen.75 Nun musste es noch von der Regierung genehmigt werden. Zu diesem Zweck wurde das Ortsstatut in einer vom Minister für Handel und Gewerbe einberufenen Konferenz, an der auch Goerdeler teilnahm, nochmals 75 ST vom 15. 10. 1913; BASt vom 15. 10. 1913. – Einkommen der Schleifer : Boch: HandwerkerSozialisten, S. 119 – 122.
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redigiert, um seine Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung anzupassen, und diese Fassung wurde der Solinger Stadtverordnetenversammlung am 9. Dezember 1913 zur Beschlussfassung vorgelegt. Zuvor hatte Goerdeler mit je zwei Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer ergebnislos über die Heranziehung der Arbeitgeber zu den Krankenversicherungsbeiträgen beraten. Diesmal berichtete das Solinger Tageblatt ausführlicher über Goerdelers Begründung des Statuts und knapp über die Einwände der Sozialdemokraten, die Bergische Arbeiterstimme verfuhr genau umgekehrt. Goerdeler erläuterte, dass die Beitragspflicht der Arbeitgeber nicht aufgenommen worden sei, weil die Verhandlungen mit ihnen und den Gewerkschaften wegen starker Widerstände beiderseits nicht abgeschlossen seien. Zudem müsse der Landkreis mitspielen, weil der Stadt Solingen sonst wirtschaftliche Nachteile erwüchsen. Der sozialdemokratische Gewerkschaftssekretär Wilhelm Weber lehnte das Statut wegen der fehlenden Beitragspflicht der Unternehmer ab. Die Arbeitgeber hätten einen Vorteil daraus, dass die Hausgewerbetreibenden zu Hause statt in einer Fabrik arbeiteten, weil dies den Unternehmern Investitionen erspare. Die Arbeitgeberbeiträge seien auch nicht, wie behauptet werde, in den Tarifen enthalten. Dass der Landkreis bei der Beitragsregelung mitmachen müsse, räumte Weber jedoch ein. Eine weitere Debatte fand nicht statt. Das Statut wurde gegen die sozialdemokratische Fraktion angenommen. Die Fronten in dieser Frage waren so verhärtet, dass die SPD inzwischen die Vorstandsmitglieder des Industriearbeiterverbandes, dessen traditionalistisches hausindustrielles Wirtschaftsmodell nicht in das zentralistische großindustrielle Modernisierungskonzept passte, in einem Parteigerichtsverfahren des Bezirks Niederrhein ausschloss.76 In einer späteren Sitzung der Stadtverordneten am 17. Februar 1914 wurde die Krankenversicherungspflicht auf alle Hausgewerbetreibenden ausgedehnt. Nun hakte der Gewerkschaftssekretär Weber nochmals bezüglich des Standes der Verhandlungen mit den Arbeitgebern über die Frage des Krankenversicherungsbeitrages nach. Goerdeler erwiderte, dass die Verhandlungen mit den Arbeitgebern, aber nicht die mit den Gewerkschaften abgeschlossen seien. Weiterhin bestünden »große Widersprüche darüber, ob die Versicherungsbeiträge der Arbeitgeber seinerzeit in die Lohntarife eingerechnet worden seien«.77 Hier erweist Goerdeler sich nicht als neutraler Vermittler, als der er erscheinen wollte, sondern als Sachwalter der Arbeitgeber, und da er sich nicht aus eigener Machtvollkommenheit so positionieren konnte, bedeutet es, dass die Stadtverwaltung sich auf die Seite der traditionalistischen Stahlwarenunternehmer stellte. In der Frage der Versicherungsbeiträge der Arbeitgeber wird Einigkeit 76 ST vom 10. 12. 1913; BASt vom 10. 12. 1913. – ST vom 2. 12. 1913. – SZ vom 22. 11. 1913. – Ausschluss aus der SPD: ST vom 8. 12. 1913; ST vom 12. 12. 1913. BASt vom 6. 1. 1914. 77 StAS, V-A-1 Bd. 18, S. 105: StVO-Sitzung vom 17. 2. 1914. – ST vom 18. 2. 1914.
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zwischen dem Deutschen Metallarbeiterverband und dem Industriearbeiterverband bestanden haben, denn der Stahlwaren-Arbeiter hatte nach Verabschiedung der RVO kritisiert: »Es kann der Regierung doch nicht zugemutet werden, zu glauben, daß gerade allein in Solingen das Beitragsdrittel schon auf den Lohn geschlagen sei.«78 Somit blieb die Frage des Arbeitgeberanteils an den Krankenversicherungsbeiträgen der Hausgewerbetreibenden in der Solinger Metallwarenindustrie zu Amtszeiten Goerdelers offen. Goerdelers Argumentation war vorwiegend verwaltungstechnisch, juristisch und von den Interessen der traditionellen Solinger Kleineisenindustrie motiviert; gelegentlich bediente er sich unhaltbarer Argumente, die von der Gegenseite widerlegt werden konnten. Er beanspruchte zwar, eine neutrale Mittelposition einzunehmen, indem er auf eine in konstruktiven Verhandlungen zu erzielende einvernehmliche Regelung zwischen der Metallindustrie und den Gewerkschaften setzte. Tatsächlich positionierte er sich für die Stadtverwaltung auf der Seite der herkömmlichen Metallindustriellen und schuf damit Fakten, die eine normative Kraft entwickeln konnten, sodass Vertröstungen auf künftige Verbesserungen wohlfeil waren. Die Einigung zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften zu erzielen war illusorisch, weil nicht nur die Interessen von Arbeitgebern und Gewerkschaften auseinander gingen, sondern weil auch die Gewerkschaften, der Deutsche Metallarbeiterverband und der Industriearbeiterverband, in scharfer Konkurrenz gegeneinander standen. Indessen wurden die Arbeitgeber bei der Invalidenversicherung der selbstständigen Kraftstellenmieter (»Kottenmeister«) zu den Versicherungsbeiträgen herangezogen, da diese Frage jeweils nachträglich halbjährlich oder jährlich zu entscheiden war. Somit konnte festgestellt werden, ob ein Kraftstellenmieter zu 75 Prozent oder mehr für einen einzelnen Auftraggeber gearbeitet hätte. Die Auftraggeber zahlten hier 50 Prozent des Versicherungsbeitrags, eine Genugtuung für Sozialdemokraten, Gewerkschaften und AOK.79 Was hätte dagegen gesprochen, diese Verfahrensgrundlage auch für die Krankenversicherung zu wählen?
78 Der Stahlwaren-Arbeiter 6, 1911, Nr. 33. – Die Endfassung der Ortssatzung ist abgedruckt im Anhang, S. 195 – 199. 79 StAS, V-A-1 Bd. 18, S. 139: StVO-Sitzung vom 25. 3. 1914. – ST vom 25. 3. 1914.
»Ein sonst nicht unsympathischer Herr« – Goerdelers differenziertes Verhältnis zur Sozialdemokratie
Im Zusammenhang mit der Kaisergeburtstagsfeier 1913 wurde offenkundig, dass die Nachwirkungen der Reichsfeindepolitik Bismarcks bis in die damalige Gegenwart reichten. Bismarck hatte nacheinander die fortschrittlichen Liberalen (Verfassungskonflikt), den politischen Katholizismus (Kulturkampf) und die Sozialdemokraten (Sozialistengesetze) bekämpft, parallel dazu die nationalen Minderheiten, insbesondere die katholischen Polen und Franzosen. Die wichtigsten, als Reichsfeinde abgestempelten innenpolitischen Gegner, die ihre Organisation immer stärker ausbauten, waren längst die Sozialdemokraten geworden. Durch das Dreiklassenwahlrecht waren die Sozialdemokraten massiv benachteiligt, wie ein Vergleich mit den Reichstagswahlergebnissen zeigt, bei denen die sozialdemokratischen Kandidaten seit 1877 mit zwei Ausnahmen jeweils das Mandat des Wahlkreises Solingen gewannen. Zur Größenordnung der drei Wählerklassen, die je ein Drittel des Steueraufkommens repräsentierten, liegen absolute Wählerzahlen in den drei Klassen zu den Kommunalwahlen vom November 1912 und vom November 1914 vor, nach denen die Zahl der Wahlberechtigten von 10.873 auf 11.734 Männer anstieg. 1912 betrugen die Anteile der ersten Klasse 1,5 Prozent, der zweiten 13,4 Prozent und der dritten Klasse 85,1 Prozent; 1914 hatten die Anteile sich auf 1,2 Prozent, 12,1 Prozent und 86,7 Prozent der Wahlberechtigten verschoben,80 während im preußischen Durchschnitt das Verhältnis 4 Prozent zu 14,2 Prozent zu 81,8 Prozent lautete. Die Sozialdemokraten stellten damit 10 von 30 Stadtverordneten, sämtlich aus der dritten Klasse. Mit 4441 Mitgliedern hatten sie Anfang 1914 die drittstärkste Wahlkreisorganisation des SPD-Bezirks Niederrhein nach Essen und ElberfeldBarmen. Von 121 Stadtverordneten dieses Bezirks stellte der obere Kreis Solingen 1907/1908 allein 44. Die Sozialdemokraten unterlagen nach der Aufhebung der Sozialistengesetze einer kontinuierlichen polizeilichen Überwachung, 80 BASt vom 25. 11. 1912, 12. 11. 1914. Vgl. Thiemler : Politische Wahlen, S. 166 für die Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus im Jahr 1903.
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wie die Geheimakten der Solinger Stadtverwaltung aus dem wilhelminischen Kaiserreich beweisen, durften aber zu Goerdelers Amtszeiten trotz dieser Überwachungsmaßnahmen entgegen der früheren Rechtslage zu Mitgliedern der Schuldeputation gewählt werden, während ihre Jugendorganisationen verboten wurden. Ein Versuch des Solinger Tageblatts, die bürgerlichen Wähler aus der dritten Klasse gegen die sozialdemokratischen Kandidaten zu mobilisieren, scheiterte auf ganzer Linie.81 Wer waren Goerdelers hauptsächliche Kontrahenten auf sozialdemokratischer Seite? Alle vier kamen in den 1890er Jahren nach Solingen, drei von ihnen aus dem wirtschaftlich weniger entwickelten Osten in das prosperierende Rheinland. Der Schlossergeselle Hugo Schaal (1868 – 1951), geboren in Görlitz, war bereits aktives SPD-Mitglied, als er 1894 von Mönchengladbach nach Solingen zog. Hier war er der erste hauptamtliche DMV-Funktionär, positionierte er sich auf Seiten der modernen zentralistischen SPD und leitete 1898 das Wahlkomitee für Philipp Scheidemann. Seit 1899 arbeitete er hauptamtlich als Geschäftsführer der Bergischen Arbeiterstimme, 1908 wurde er zum Stadtverordneten gewählt und leitete dort die SPD-Fraktion, ein einflussreicher Parteifunktionär, als Goerdeler nach Solingen kam. Der Schuh- und Lederwarenhändler Ernst Forkert (1865 – 1932) aus Dahme in der Mark Brandenburg, etwa 60 Kilometer südlich von Berlin, und der Messerund Scherenfabrikant Hermann Krenzer (1868 – 1940) aus (Wuppertal-) Cronenberg, damals Kreis Mettmann, wurden bereits 1902 erstmals in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Krenzer war wie Schaal zeitweise SPDFraktionsvorsitzender. Seit 1911 gehörte Forkert dem Vorstand des Spar- und Bauvereins an, wo Schaal seit 1910 Aufsichtsratsmitglied war. Das Solinger Tageblatt schrieb über ihn: »Die sachliche und vornehme Art […] brachte es mit sich, daß seine Ansicht auch die Beachtung der politisch nicht links eingestellten Kreise fand.« Die Berufsbezeichnung Krenzers als Fabrikant führt nach heutigen Begriffen in die Irre; er erledigte in einem vielgliedrigen Arbeitsprozess bei der Messerproduktion den letzten Arbeitsgang – als Fertigmacher oder Fabrikant. Seit 1905 engagierte er sich als Vorstandsmitglied und kaufmännischer Leiter der Genossenschaftsbuchdruckerei, in der die Bergische Arbeiterstimme erschien. Wilhelm Weber (1872 – 1922), geboren in Beeskow in der Mark Brandenburg, etwa 30 Kilometer südwestlich von Frankfurt an der Oder, war gelernter Schneidergeselle, als er Ende 1899 von Leipzig nach Solingen zog. Hier wurde er 81 StAS, S 563. – ST vom 8. 2. 1913, 12. 4. 1913. – Krause: Gewerkschaftsbewegung, S. 62. – Vgl. Heinrich Eppe: Selbsthilfe und Interessenvertretung. Die sozial- und jugendpolitischen Bestrebungen der sozialdemokratischen Arbeiterjugendorganisationen 1904 – 1933, Bonn 1983, S. 25 – 30.
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SPD-Parteivorstandsmitglieder mit Solinger Sozialdemokraten bei einem Treffen 1903 in Solingen, vordere Reihe: Hugo Schaal, Ernst Forkert, Philipp Scheidemann, August Bebel, Hermann Molkenbuhr, Wilhelm Dittmann, Hermann Krenzer
Ernst Forkert um 1930
schon bald Schriftführer des Zentralkomitees der Gewerkschaften, die damals noch die lokalen Fachvereine integrierten, 1906 Arbeitersekretär des Industriearbeiterverbandes, doch wechselte er 1909 zur Konkurrenz und wurde
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Gewerkschaftssekretär des Gewerkschaftskartells. Während er zeitweilig in demselben Haus wie der später bedeutende damalige Redakteur der Bergischen Arbeiterstimme, Wilhelm Dittmann, lebte, wird es lebhafte geistige Auseinandersetzungen zwischen ihnen gegeben haben. In der SPD leitete er lange Jahre die Pressekommission; erst zu Goerdelers Zeiten wurde er im April 1913 zum Stadtverordneten gewählt und im Juni 1913 in dieses Amt eingeführt. Zudem gehörte er zu den Gründern der Konsumgenossenschaft Solidarität. Wie Forkert zählte er zur gemäßigten Richtung der SPD. Sein besonderes Engagement galt dem Arbeiterschutz und der Sozialpolitik. In ihrem Nachruf betonte die Bergische Arbeiterstimme, dass er in einem weiten politisch-sozialen Spektrum vom Bürgertum bis zu den Kommunisten geschätzt worden sei.82 An einigen Beispielen sind bereits sowohl gewisse Schnittmengen zwischen Goerdelers politischen Auffassungen und denen der sozialdemokratischen Stadtverordneten als auch scharfe Unterschiede erkennbar geworden. Die Frage, wie sich Goerdelers Verhältnis zu den sozialdemokratischen Stadtverordneten darstellte, soll anhand weiterer, nur kurz gestreifter Aufgabenbereiche genauer untersucht werden. Zu der Vielzahl an Aufgaben, die der Oberbürgermeister Dicke seinem Beigeordneten übertrug, gehörte der Vorsitz des städtischen Jugendausschusses. Gleich am Beginn seiner Beigeordnetentätigkeit stand die Übernahme der traditionellen städtischen Kooperation mit den Leitern derjenigen Jugendvereine, die nationale männliche Jugendpflege betrieben; dazu zählten Vereine wie der vaterländische Jungdeutschlandbund, der evangelische CVJM, zwei evangelische Jugendklubs, drei katholische berufsständische Vereine, der Israelitische Jünglingsverein, zehn Turn- und Sportvereine, der DNHV, der Kaufmännische Verein 1858, der bündische Wandervogel, die paramilitärischen Pfadfinder und Jugendwehr. Zweck war die Einrichtung eines Kurses zur Ausbildung der nationalen Jugendleiter. Damit waren Sozialdemokraten und Freigewerkschaftler und speziell die Freie bergische Turnerschaft von vornherein ausgeschlossen, da es darum ging, die schulentlassene Jugend vor dem Antritt des Wehrdienstes von der antimilitaristischen Beeinflussung durch die Sozialdemokraten fernzuhalten. Mit den Vorsitzenden nationaler Jugend-, Sport- und Turnvereine wurden auch weiterhin exklusive Besprechungen abgehalten. Auch in der von Goerdeler geleiteten Schuldeputation hatten nationale Organisationen wie der Vaterländische Frauenverein, der Turnverein Jahn und der Deutschnationale Hand82 Zu Schaal: Rogge: Die Novemberrevolution, S. 12 – 16. Ralf Stremmel: Politische Plakate 1870 – 1960. Aus den Beständen des Stadtarchivs Solingen, Solingen 1992, S. 49. StAS, PA 80. – Zu Forkert: ST vom 24. 2. 1932 (Zitat), 27. 2. 1932. BASt vom 24. 2. 1932, 27. 2. 1932. – Zu Krenzer : ST vom 30. 4. 1931. StAS, PA 1883. – Zu Weber : ST vom 23. 9. 1922; BASt vom 23. 9. 1922. StAS, V-A-1 Bd. 17, S. 353 f.: StVO-Sitzung vom 7. 6. 1913. Webers Wohnadresse mit Dittmann: StAS, S 326, S 168.
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lungsgehilfenverband innerhalb eines Vierteljahres keine Probleme, Zuschüsse oder schulische Räumlichkeiten zu bekommen. Demgegenüber wurden Anträge sozialdemokratisch orientierter Vereine, beispielsweise der Arbeiter-Sanitätskolonne und des Arbeiter-Bildungsausschusses, in der Finanzkommission vertagt oder abschlägig beschieden.83 Unter erschwerten Bedingungen vollzog sich die Jugendarbeit der SPD und der freien Gewerkschaften, da nach dem Reichsvereinsgesetz von 1908 Jugendliche unter 18 Jahren keinen Zutritt zu politischen Versammlungen hatten, wobei Staats- und Justizbehörden den Begriff des Politischen außerordentlich weit fassten. So löste sich in Solingen ein Anfang 1907 gegründeter Verein der arbeitenden Jugend nach zwei Jahren zugunsten eines Jugendausschusses auf, der im Kreis Solingen vom Sozialdemokratischen Volksverein und dem Gewerkschaftskartell gebildet wurde. Dieser Ausschuss richtete keine Mitgliederorganisation ein, sondern warb um Abonnenten für die sozialdemokratische Zeitschrift Arbeiter-Jugend, deren Zahl von 1911 bis 1913 von 800 auf 2000 stieg. Schon 1910 gründete der Jugendausschuss eine Jugendschutzkommission. An großen Arbeiterjugendfesten erschienen 1912 und 1913 2000 bis 3000 vorwiegend jugendliche Teilnehmer. Prominente Redner traten dort auf; so sprach auf dem Kreisjugendtag im Juli 1912 der sozialdemokratische preußische Landtagsund Reichstagsabgeordnete Karl Liebknecht über »Das Recht der Jugend«. Der für die Polizeiverwaltung zuständige Oberbürgermeister Dicke verbot – vermutlich nach Rücksprache mit dem für Jugendfragen verantwortlichen Beigeordneten Goerdeler – im Einvernehmen mit den Bürgermeistern der benachbarten Kreisstädte am 17. Oktober 1913 nicht nur einen geplanten Marsch junger Arbeiter und Handwerker zu einem Fest der Arbeiterjugend in Leichlingen, sondern löste auch am selben Tag den »Jugendausschuss für Solingen und Umgegend« auf, da es sein Zweck sei, die Jugendlichen unter 18 Jahren politisch zu beeinflussen. Nachdem es den örtlichen Polizeibeamten am 19. Oktober 1913 nicht gelungen war, den Marsch der Arbeiterjugend zu verhindern, druckte die Bergische Arbeiterstimme die Verbotserklärung Dickes im Wortlaut ab, kritisierte aber, dass die sozialdemokratische Jugendorganisation sich schon einige Jahre zuvor selbst aufgelöst habe, und erläuterte, dass der Jugendausschuss als Kommission aus Erwachsenen, und zwar zu gleichen Teilen aus Sozialdemokraten und Gewerkschaftern, bestehe und dass es dort weder 83 ST vom 3. 4. 1913, 4. 4. 1913, 14. 4. 1913, 29. 5. 1914. SZ vom 6. 6. 1914. – StAS, V-A-31 Bd. 2: Sitzungen der Schuldeputation vom 3. 4. 1913, 5. 5. 1913, 3. 7. 1913. – StAS, V-A-8 Bd. 3: Sitzungen der Finanzkommission, S. 213 – 220 (30. 10. 1911), S. 265 (17. 4. 1913). – Vgl. Heinrich Eppe: 100 Jahre Sozialistische Jugend in Deutschland im Überblick, in: ders./ Ulrich Herrmann (Hg.): Sozialistische Jugend im 20. Jahrhundert, Weinheim/München 2008, S. 43 – 68, hier S. 51. – Vgl. Ralf Schäfer: Militarismus, Nationalismus, Antisemitismus. Carl Diem und die Politisierung des bürgerlichen Sports im Kaiserreich, Berlin 2011.
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eine Jugendabteilung noch einen »Verein Jugendausschuß« gebe, da die Abonnenten der Zeitschrift Arbeiter-Jugend keinen Verein bildeten. Die Arbeiterstimme prognostizierte die Wirkungslosigkeit der Verbotserklärung. Einen Monat später machte der Beigeordnete Goerdeler in Vertretung des Solinger Oberbürgermeisters bekannt, dass die Rechtskraft der Auflösungsverfügung des »Jugendausschusses für Solingen und Umgebung« einschließlich der angegliederten Jugendabteilung eingetreten sei. Dickes Beispiel folgten die Bürgermeister des Kreises Solingen sowie der Landrat, der den Kreisjugendausschuss auflöste. Der Widerspruch zwischen der losen Zusammenkunft der Jugendlichen und dem Vereinsrecht schien die Kommunalverwaltungen nicht zu stören.84 Diplomatischer verfuhr Goerdeler beim Vormundschaftswesen für uneheliche Kinder, dessen Professionalisierung er bereits Ende 1913 im städtischen Waisenrat ankündigte. Nachdem die Armenkommission der Vorlage Goerdelers Ende März 1914 zugestimmt hatte, war die Sache in der Stadtverordnetensitzung vom 8. April 1914 spruchreif. Es ging darum, die bisher innerfamiliär geregelte Vormundschaft, die in den meisten Fällen vom Vater der jungen Mutter übernommen wurde, auf einen ausgebildeten Vormund aus der Stadtverwaltung zu übertragen. Dieser sollte für alle unehelichen Kinder seines Bezirks zuständig sein und bis zum Ende der Berufsvormundschaft, somit bis zum abgeschlossenen sechsten Lebensjahr des Kindes, die vermögensrechtlichen Fragen bearbeiten, während die pflegerische und erzieherische Betreuung der Familie einer Helferin übertragen wurde. Der Gewerkschaftssekretär Wilhelm Weber wog Licht- und Schattenseiten des Entwurfs ab, kritisierte, dass die Väter die Möglichkeit besaßen, sich der Unterhaltszahlung zu entziehen, bestand auf der Wahrung des mütterlichen Erziehungsrechts und befürchtete, dass die Vormundschaft zu bürokratisch angewendet werden könnte. Doch machte er ein bezeichnendes Zugeständnis: »Wenn garantiert werde, daß Herr Beig[eordneter] Dr. Gördeler die Sache überwache, würde er dafür sein.« Der Oberbürgermeister sagte Weber zu, dass seine Anregungen umgesetzt würden.85 Am 1. Juli 1914 trat die Berufsvormundschaft in kraft, bei der die Stadtverwaltung mit dem Coppelstift und dem Verein Jugendschutz zusammenarbeitete. Webers Sympathiebezeugung wirft zum wiederholten Mal die Frage nach 84 RGBl 1908, S. 151. – AJ 3, 1911, Nr. 2 vom 28. 1. 1911, S. 22. AJ 4, 1912, Nr. 16 vom 3. 8. 1912, S. 246. AJ 5, 1913, Nr. 17 vom 16. 8. 1913, S. 263; Nr. 23 vom 8. 11. 1913, S. 359; AJ 7, 1915, Nr. 8 vom 10. 4. 1915, S. 64. – Für Hinweise auf diese Artikel bin ich Herrn Dr. Heinrich Eppe sehr zu Dank verpflichtet. – BASt vom 20. 10. 1913. – Bekanntmachung vom 25. November 1913, abgedruckt im ST vom 27. 11. 1913. 85 ST vom 17. 12. 1913; ST vom 9. 4. 1914 (hier auch das Zitat). – StAS, V-A-1 Bd. 18, S. 146: StVO-Sitzung vom 8. 4. 1914. – Verwaltungsvorlage im StAS, V-A-10 Bd. 6, S. 255: Sitzung der Armenverwaltung vom 30. 3. 1914.
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Die Unterschriften von Wilhelm Weber und August Dicke
Goerdelers Einstellung zu den Sozialdemokraten auf. Schon die einstimmig erfolgte Wahl zum juristischen Beigeordneten lässt erkennen, dass Goerdeler nicht als Feind der SPD auftrat, auch wenn er die Hausgewerbetreibenden und darüber hinaus die städtischen Angestellten der AOK entzog. Im Vergleich zu dem autoritär strukturierten Oberbürgermeister scheint er sich ausgesprochen konziliant gezeigt zu haben. Seine Arbeit in unterschiedlichsten Verwaltungszweigen und seine Teilnahme an den Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung verdeutlichten ihm, dass viele sozialdemokratische Anliegen durchaus sachbezogen waren, auch wenn sie aus juristischen oder finanziellen Gründen nicht umgesetzt wurden. Dies soll an einigen Berichten der Bergischen Arbeiterstimme über die Stadtverordnetensitzungen differenziert betrachtet und anhand des Solinger Tageblatts ergänzt werden. Wiederholt stimmte die Bergische Arbeiterstimme Goerdelers Positionen zu. Dies zeigte sich schon im Fall der Filmvorführungen für Unterrichtszwecke, wo der Gewerkschaftssekretär Weber die Zustimmung seiner Fraktion zu Goerdelers Vorschlag erklärt hatte. Und während der SPD-Vorsitzende Hugo Schaal gegen die Jugendliteratur, die der Solinger Lehrerverein vertrieb, ideologische Reserven anmeldete, ging Weber auf Goerdelers Argument, die Volksschullehrer engagierten sich in dieser Sache verantwortungsvoll, ein und betonte, »die Lehrerschaft habe sicher das Beste im Auge und Bestrebungen, die Schundliteratur auszumerzen, solle man immer unterstützen«.86 Bei der Frage der Erweiterung der gewerblichen Fortbildungsschule an der Bergstraße stellten sich einige bürgerliche Stadtverordnete gegen Goerdeler und die Sozialdemokraten, was die Bergische Arbeiterstimme zu der schon zitierten lapidaren Beschreibung der Frontstellung zwischen den Genossen Schaal und Forkert mit dem Beigeordneten Goerdeler einerseits, den bürgerlichen Gegnern andererseits veranlasste.87 Im umgekehrten Fall folgte Goerdeler dem sozialdemokratischen Vorschlag, den Bürobedarf der Verwaltung aus Kostengründen im Verdingungsverfahren zu vergeben.88 Anders reagierte er auf den Antrag, den der Stadtverordnete Hugo Schaal namens des Sozialdemokratischen Volksvereins und der Freien Gewerkschaften stellte, durch eine städtische Petition an den Reichstag und den Bundesrat die 86 BASt vom 11. 6. 1913. – ST vom 10. 12. 1913 (Zitat). 87 BASt vom 17. 12. 1913. 88 BASt vom 21. 1. 1914.
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Einführung einer staatlichen Arbeitslosenversicherung zu fordern und, solange diese unerreichbar blieb, die Arbeitnehmer mit einer kommunalen Arbeitslosenversicherung abzusichern. Hierzu empfahl der Antrag das Genter System, nämlich die Gewährung von Zuschüssen an die Gewerkschaften. Bei dieser Sache gab Goerdeler zwar nicht nach, versuchte aber die guten Absichten der Stadt nachzuweisen, wie das Tageblatt schrieb: »Es wurde von Herrn Beigeordneten Dr. Gördeler darauf hingewiesen, daß der Deutsche Städtetag, dem Solingen angeschlossen ist, bereits im gleichen Sinne beim Reichstag und Bundesrat vorstellig geworden ist, und daß sich deshalb eine Petition der Stadt Solingen, die neues Material auch nicht bringen könne, erübrigt.«
Selbstverständlich hätte mit einer eigenen Petition der Druck auf die Verfassungsorgane noch erhöht werden können, doch dazu ließ die Verwaltung sich nicht hinreißen. Goerdeler begründete die Notwendigkeit der staatlichen statt einer kommunalen Arbeitslosenversicherung mit den schlechten Erfahrungen in Basel, Bern, Gent,89 Erlangen, Straßburg und in Leipzig, einer Großstadt, wo sich nur 171 Arbeiter beteiligten. Selbst die Stadt Köln, die am weitesten fortgeschritten sei, habe nur einen geringen Teil der gewerkschaftlich nicht organisierten Arbeiter freiwillig versichern können; denn während die freien, christlichen und liberalen Gewerkschaften 13.000 (1911) beziehungsweise 11.000 Arbeitnehmer (1912) kollektiv bei der kommunalen Versicherung anmeldeten, versicherten sich 1912 nicht einmal 200 nicht organisierte Arbeitnehmer selbst. Andererseits bezog er sich auf die aktuell hohe Beschäftigungsrate in Solingen, die ein städtisches Eingreifen überflüssig mache, erklärte sich aber bereit, im Fall steigender Arbeitslosigkeit mit den Gewerkschaften zusammenzuarbeiten. Der sozialdemokratische Stadtverordnete Hugo Schaal wies erfolglos auf Städte hin, die sich mit einer kommunalen Arbeitslosenfürsorge schon befasst hätten, wie Krefeld, Elberfeld und Barmen. Dass die Nachbarstädte Höhscheid, Wald, Ohligs und Gräfrath im Gegensatz zu der Stadt Solingen Kommissionen beauftragten, sich mit der kommunalen Arbeitslosenversicherung auseinander zu setzen, veranlasste das Gewerkschaftskartell, der Stadt Solingen soziale Rückständigkeit vorzuhalten. Jedoch wurde die von dem Beigeordneten initiierte Zusammenarbeit der Stadtverwaltung mit den Gewerkschaften, dem Deutschen Metallarbeiterverband, dem Industriearbeiterverband und dem freigewerkschaftlichen Zentralverband der Handlungsgehilfen, zwecks Feststellung der Arbeitslosigkeitsentwicklung tatsächlich schon Anfang 1914 aufgenommen.90 89 An das 1901 geschaffene System der ostflandrischen Stadt Gent erinnerte Goerdeler noch in seiner Denkschrift Der Weg; vgl. Goerdeler II, S. 950 – 1012, hier S. 957. 90 StAS, V-A-1 Bd. 18: StVO-Sitzungen, S. 59 f. (16. 12. 1913), 93 f. (20. 1. 1914). StAS, V-A-8 Bd. 4, S. 1: Sitzung der Finanzkommission vom 19. 1. 1914. – STvom 17. 12. 1913 (Zitat). – SZ
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In der Frage der Sonntagsruhe nahm Goerdeler, der lutherisch geprägt war und zugleich ein sehr tolerantes Christentum vertrat, eine Mittelposition ein. Es kümmerte ihn nicht, dass er mit seinen Vorstellungen über die Einhaltung der Sonntagsruhe einzelne Selbstständige evangelischer und katholischer Provenienz – den »Konsumanstalt«-Inhaber Paul Iserloh und den Bäckermeister Laurenz Bremen – gegen die Verwaltungsvorlage aufbrachte, indem er den Verkauf verderblicher Lebensmittel sonntags auf 8 bis 9 sowie 11 bis 13 Uhr begrenzte und die zweiten Feiertage an Weihnachten, Ostern und Pfingsten in diese Regelung einschloss. Aber er ging auch auf die sozialdemokratischen Forderungen nicht ein, den Lebensmittelhandel in den Morgenstunden ganz zu verbieten. Das Ortsstatut wurde angenommen und mit geringfügigen Änderungen durch den Regierungspräsidenten in kraft gesetzt. Obwohl es den weitergehenden Vorstellungen der SPD nicht entsprach, verlangte der sozialdemokratisch orientierte Zentralverband der Handlungsgehilfen, Bezirk Solingen, in einer Eingabe die Einführung dieses Statuts auch in der Nachbargemeinde Wald, die das Solinger Ortsstatut daraufhin unverändert übernahm. Das Gewerkschaftskartell feierte die Erweiterung der Sonntagsruhe als Erfolg. Das angekündigte Reichsgesetz über die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe wurde vor Kriegsbeginn nicht mehr verabschiedet und damit auf die lange Bank geschoben. Nach Inkrafttreten des Ortsstatuts bemühte sich der »Verein zur Wahrung kaufmännischer Interessen und Rechte e.V.« um die Revision mittels der Reichsgesetzgebung.91 In einem anderen Fall scheiterte Goerdeler an den Interessen des gewerblichen Mittelstandes. Sein Versuch, die Zwangsinnung für das Bäckergewerbe für die Festlegung eines Einheitsgewichtes von Schwarzbrot zu gewinnen, hatte zwar bei dessen Vorstand Erfolg, fand aber trotz der werbenden Empfehlungen des Beigeordneten in der Mitgliederversammlung keine Mehrheit.92 Im Versicherungsamt, das bei Abwesenheit des Oberbürgermeisters unter dem Vorsitz Goerdelers tagte, ging es, vergleichbar der Armenkommission, darum, Anträge betreffs Rentenzahlung und Anträge von Invaliden- und Unfallversicherten individuell zu beraten und zu entscheiden. Hier arbeitete Goerdeler im Beschlussausschuss der Kommission mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern, darunter dem Gewerkschaftssekretär Wilhelm Weber, vom 17. 12. 1913, 7. 2. 1914, 6. 3. 1914. – BASt vom 6. 1. 1914. – Über Köln: Soziale Praxis 23, 1913/1914, Sp. 170 f. (Ausgabe vom 6. 11. 1913). – Gewerkschafts-Kartell: Geschäfts-Bericht 1913, S. 15. 91 StAS, V-A-8 Bd. 3, S. 268 – 272: Sitzung der Finanzkommission vom 17. 6. 1913. – StAS, V-A-1 Bd. 17, S. 379: StVO-Sitzung vom 2. 7. 1913. – ST vom 3. 7. 1913; SZ vom 3. 7. 1913; BASt vom 3. 7. 1913. ST vom 29. 10. 1913. Abdruck des Solinger Ortsstatuts im ST vom 28. 11. 1913. – Wald: ST vom 18. 8. 1913; Abdruck des Walder Ortsstatuts im ST vom 6. 11. 1913. – Revision: ST vom 6. 3. 1914. – Gewerkschafts-Kartell: Geschäfts-Bericht 1913, S. 22 f. 92 SZ vom 8. 7. 1914.
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vertrauensvoll zusammen.93 In der Armenkommission dienten Besuche einschlägiger Einrichtungen der praktischen Anschauung und dem direkten Erfahrungsaustausch. Im September 1913 besichtigte die Armenkommission das beschönigend meist Familienhaus oder Arbeiterwohnhaus genannte städtische Armenhaus am Dornsiepen und das Waisenhaus am Böckerhof, um sich ein Bild von den Einrichtungen und von erforderlichen Verbesserungsmaßnahmen zu machen. Es folgte ein Besuch der Provinzial-Irrenanstalt in Galkhausen (Langenfeld). Mit einem größeren Aufwand war eine Besichtigung der Arbeitsanstalt der Provinzialverwaltung in Brauweiler am linken Niederrhein verbunden. Mit dem Vorstand und den Mitgliedern der Armenkommission, insgesamt 26 Personen, unternahm Goerdeler im April 1914 eine stark beachtete Fahrt in sieben Automobilen zu der Anstalt, wohin die Stadt auf Antrag der Armenverwaltung arbeitsunwillige Väter, die ihrer Verpflichtung zum Familienunterhalt nicht nachkamen, zur Zwangsarbeit überweisen konnte. Dort wurde namens der städtischen Armenverwaltung, auf Goerdelers Antrag hin, auch ein säumiger Solinger Trinker untergebracht. In Brauweiler erörterte die Kommission mit der Anstaltsleitung die provinzialen und kommunalen Perspektiven zur Unterbringung säumiger Ernährer.94 Kritischer war es bei der Frage nach der Krankenversicherungspflicht der Hausgewerbetreibenden, wo Goerdeler sich in Verhandlungen mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern für eine einvernehmliche Lösung der Frage aussprach, wie der auf die Metallarbeitgeber entfallene Anteil an den Versicherungsbeiträgen verrechnet werde. Die großen, letztlich unüberwindbaren Hürden ließen die Einigung scheitern. Bei der Krankenversicherung für städtische Angestellte und Lehrpersonen folgte Goerdeler gleichfalls nicht dem Wunsch der SPD-Fraktion, diese Berufsgruppen in der AOK zu versichern oder wenigstens die Angestellten und Arbeiter gleich zu behandeln, indem auch diese durch die Stadt versichert würden. Erkennbar zielte der Beigeordnete darauf ab, nur die höher qualifizierten Angestellten an die Stadt zu binden. Zwar wies er darauf hin, dass die Stadt keine Landkrankenkasse gegründet habe, die sich der Kontrolle der Versicherten entzogen hätte, konnte aber trotz dieses Zugeständnisses an die SPD ihre Zustimmung nicht erzielen. Vielmehr unterstützte er im Fall einer Wahlanfechtung der freien Gewerkschaften zu den Krankenkassenwahlen der AOK deren Konkurrenz, eine christlich-nationale Liste, indem er als juristischer Leiter des Versicherungsamtes die Einsprüche begründet zurückwies. Damit
93 StAS, S 3176. 94 StAS, V-A-10 Bd. 6, S. 237: Sitzung der Armenverwaltung vom 15. 10. 1913. StAS, S 828. – SZ vom 3. 7. 1913, 21. 4. 1914; STvom 30. 6. 1914. – StAS, S 1831, Bl. 1 ff. – STvom 22. 10. 1912; ST vom 29. 1. 1913.
Lageplan des Armenhauses, westlich (hier schräg rechts unterhalb) des Friedhofs Grünbaumstraße
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eröffnete er der christlich-nationalen Liste zugleich die Chance, auch in die Vertretung des Versicherungsamtes gewählt zu werden.95 Mit den Solinger Haus- und Grundbesitzern gab es von der Bergischen Arbeiterstimme aufmerksam verfolgte Auseinandersetzungen um die Frage, inwiefern kostenträchtige Investitionen berechtigt seien und nach welchen Gebührensätzen sie umgelegt werden sollten. Der Haus- und Grundbesitzerverein wandte sich generell gegen die »Millionen-Projekte« der Stadtverwaltung, zu denen neben der Kanalisation der Neubau eines gemeinsamen Krankenhauses der Stadt Solingen und der Nachbarstädte, die Erweiterung des Straßenbahnverkehrs, der fallen gelassene Umbau der elektrischen Stadtbahn und die Pflasterung von Chausseen gehörten. Aufgrund der erwarteten Gesamtkosten von 15 Millionen Mark verlangte der Verein, einen Teil der Projekte aufzugeben und die anderen zeitlich zu strecken.96 In der Stadtverordnetenversammlung ging es bei der Frage der Reinigung der Straßen und Wege um die paradoxe Situation, dass Solingen die individuelle Straßenabschnittsreinigung auf Antrag der betreffenden Hausbesitzer gestattete. Das hatte gegebenenfalls die Reduzierung der städtischen Straßenreinigung auf die verbliebenen Lücken zur Folge, ein ebenso umständlicher wie aufwändiger Vorgang. Nun beantragte Goerdeler für die Verwaltung die Neuregelung, Straßen und Plätze auch ohne eigenen Antrag der angrenzenden Hausbesitzer durch städtische Anordnung reinigen zu lassen und die Kosten dafür auf diese Hausbesitzer umzulegen. Gegen den Widerspruch des Stadtverordneten Dörschel, der als Vertreter der Haus- und Grundbesitzer die Senkung der Reinigungsgebühren wünschte, seines Kollegen Ruppert, der, unterstützt von dem Verkehrsvereinsvorsitzenden Schwarz, die Vertagung auf ein Jahr forderte, und weiterer Stadtverordneter, die nach Einschätzung der Bergischen Arbeiterstimme »bisher schon unentwegt für Rückwärts eingetreten« waren, wurde der Verwaltungsantrag mit veränderter Geltungsdauer mehrheitlich angenommen, was die Arbeiterstimme süffisant beschreibt: »Das Statut der Verwaltung wird [von bürgerlichen Stadtverordneten] abgelehnt – aber Genosse Krenzer verstand es zu retten. Er hatte rechtzeitig den Antrag gestellt, am Schluß des § 8 statt 5 Jahre 3 Jahre [Geltungsdauer der Beiträge] zu setzen, und wohl aus Versehen erhielt dieser Antrag eine kleine Mehrheit.«97
95 ST vom 18. 2. 1914; SZ vom 18. 2. 1914. Vgl. auch ST vom 29. 1. 1913. – StAS, V-A-1 Bd. 17, S. 274: StVO-Sitzung vom 28. 1. 1913. – StAS, V-A-1 Bd. 18, S. 104 – 104a: StVO-Sitzung vom 17. 2. 1914. – Gewerkschafts-Kartell: Geschäfts-Bericht 1913, S. 7 – 12 mit vollständiger Wiedergabe der Entscheidung Goerdelers. 96 ST vom 22. 4. 1913. SZ vom 22. 4. 1913. 97 BASt vom 7. 5. 1913 (Zitat). – StAS, V-A-1 Bd. 17, S. 343: Sitzung vom 6. 5. 1913.
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Wie bei der Einrichtung einer Vorstufe für die Fortbildungsschule waren es die Sozialdemokraten, die dem Verwaltungsantrag mit einzelnen bürgerlichen Stimmen zur Mehrheit verhalfen.
Kanalisationsarbeiten am Böckerhof 1912
Ein größeres dieser Millionenprojekte betraf die Kanalisation. Obwohl sie eigentlich in die Bauverwaltung gehörte, war Goerdelers Sachverstand erwünscht. Die Walder Zeitung kritisierte die verspätet durchgeführte Kanalisation in der Stadt Solingen, die die Steigerung der langfristigen kommunalen Verschuldung beim Abschluss der Etats für 1911 und 1912 von 313,76 Mark auf 335,24 Mark Schulden pro Kopf der Einwohner steigen ließ, und gab zu bedenken, dass bei rechtzeitiger Lösung dieser Aufgabe die »Bewegungsfreiheit, die die Stadtverwaltung sich jetzt durch Verzichtleistung auf wichtige und notwendige kommunale Projekte mühsam schaffen muß, […] dann von selbst gegeben [wäre]«.98 In Sachen der Entschädigung der Böckerhofer Haus- und Grundbesitzer für ihre Kanalgebühren berichtete die Bergische Arbeiterstimme wesentlich kürzer als die bürgerlichen Zeitungen, sie verknappte die Auseinandersetzung auf die Kontroverse zwischen dem nationalliberalen Stahlwarenfabrikanten Albert Dörschel und der Verwaltung und konzedierte insbesondere Goerdeler eine 98 Walder Zeitung vom 9. 6. 1913.
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hohe Sachkompetenz, wenn sie schrieb: »Herr Oberbürgermeister Dicke und Herr Beigeordneter Dr. Gördeler verteidigten die Stadtgemeinde gegen die Angriffe Dörschels und namentlich Herr Dr. Gördeler wies nach, daß, wenn die Böckerhofer nach dem Rezept ihres Fürsprechers Dörschel behandelt werden, sie vom Regen in die Traufe kommen.«99 Die bildliche Wendung »vom Regen in die Taufe«, auf den Gegenspieler des Beigeordneten gemünzt, lässt klare Sympathie für Goerdeler erkennen. Dessen juristische Argumentation, die die bisherige Rechtsprechung auswertete, ist in einem vierseitigen Manuskript erhalten geblieben. Er notierte zunächst einschlägige Stellenangaben aus dem Preußischen Verwaltungsblatt, aus einem Standardwerk über die preußischen Verwaltungsgesetze und aus einem unbekannten Werk, und entwarf dann seinen Text, der nach einer Einleitung fünf Urteile des Oberverwaltungsgerichts aus verschiedenen Ausgaben des Preußischen Verwaltungsblatts auszugsweise zitierte, wobei er zwei Bezüge auf Solingen und – als Analogie zu dem Grenzgebiet zwischen Höhscheid und Solingen – eine Erläuterung über das Grenzgebiet von Berlin und Charlottenburg einschob. Daran schließen sich Goerdelers Schlussfolgerungen an. Die Auseinandersetzungen um die Kanalgebühren zogen sich noch monatelang hin. Dass der Beigeordnete für Gespräche mit erzürnten Bürgern zur Klärung strittiger Detailfragen ausgewählt wurde, beweist, welche Sachkompetenz und zugleich welches Fingerspitzengefühl man ihm zutraute. Er wirkte maßgeblich an der Entwicklung eines Vergleichs mit, der die Böckerhofer Anwohner großzügig entschädigte und im Gegenzug die Stadt vor weitergehenden Ansprüchen absicherte. Während ein Teil der Böckerhofer 100-prozentige Entschädigung verlangt hatten, bewilligten die Stadtverordneten den betroffenen Bürgern eine Entschädigungssumme von insgesamt 37.000 Mark oder gut 70 Prozent ihrer Auslagen.100 Bei der Frage der Kanalisationskosten plädierte Goerdeler für die Festlegung der Gebühren auf drei Jahre, während zwei bürgerliche Stadtverordnete für die einjährige Dauer eintraten. Obwohl der Beigeordnete ihnen mit einem bürgerlichen Argument widersprach, dass nämlich die Haus- und Grundbesitzer bei dreijähriger Festlegung der Gebühren mit stabilen Verhältnissen sicher rechnen könnten, stimmten auch die Sozialdemokraten dem Antrag der Verwaltung zu.101 Es wäre also verfehlt zu glauben, dass es eine starre Frontlinie zwischen dem 99 BASt vom 9. 4. 1913. 100 StAS, V-A-1 Bd. 17, S. 392 f.: StVO-Sitzung vom 12. 7. 1913. – StAS, V-A-16 Bd. 14, S. 268: gemeinsame Sitzung der Finanz- und Baukommission vom 19. 1. 1913. – ST vom 7. 8. 1913, 1. 9. 1913, 29. 10. 1913. – StAS, S 598: Goerdelers unbetiteltes Manuskript, beginnend mit den Worten »Man wird davon ausgehen müssen«. Mit Bezug auf M. von Brauchitsch: Die neuen Preußischen Verwaltungsgesetze, Bd. 3, Berlin, 18. Aufl. 1910. 101 ST vom 10. 12. 1913.
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Luftbild der Stadt Solingen
bürgerlich-konservativen Beigeordneten Goerdeler und der sozialdemokratischen Fraktion gegeben hätte, was schon die einstimmige Wahl zum Beigeordneten Ende 1912 angekündigt hatte. Die Berichterstattung verdeutlicht, dass die Sozialdemokraten, die durch das Dreiklassenwahlrecht in eine scheinbar hoffnungslose Minderheitenposition gerückt wurden, in der Stadtverordnetenversammlung und den Kommissionen durchaus sachbezogen mitarbeiteten, dabei die Interessen ihres Milieus konsequent vertraten und damit fallweise bei den bürgerlichen Abgeordneten aus der ersten und zweiten Wählerklasse ebenso auf Ablehnung oder Zustimmung stießen wie bei der Verwaltungsspitze, personifiziert in dem Oberbürgermeister Dicke und dem Beigeordneten Goerdeler. Ein Beispiel dafür bietet auch die beantragte Umwandlung des Reformgymnasiums in ein Realgymnasium. Diese Frage fiel zwar nicht in Goerdelers Amtsbereich, jedoch war er überzeugter Anhänger des humanistischen Gymnasiums. In der Abstimmung der Stadtverordneten vom 28. Oktober 1913 erlebte er, wie die Entscheidung darüber mit knappster Mehrheit von einer Stimme um zwei Jahre vertagt wurde und dies mit den zehn Stimmen der SPD-Fraktion und einigen bürgerlichen Stimmen gegen die Mehrzahl der bürgerlichen Stadtverordneten und den Oberbürgermeister.102 Faktisch blieb es damit bei dem humanistischen Reformgymnasium bis über den Ersten Weltkrieg hinaus. Erst im Nachhinein lassen sich anerkennende Wertungen Goerdelers über den fortschrittlichen Solinger Arbeitersiedlungsbau nachweisen. Da er für das Bauwesen nicht zuständig war, sprach er in den Stadtverordnetensitzungen zu diesem Thema nicht. Die Arbeitersiedlungen wurden von der gemeinnützigen 102 StAS, V-A-1 Bd. 18, S. 33 f.: Sitzung vom 28. 10. 1913.
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Genossenschaft »Spar- und Bauverein« und dem Solinger Gemeinnützigen Bauverein errichtet. In den Anfängen von Goerdelers Solinger Tätigkeit erhielt der Spar- und Bauverein durch den vermehrten Beitritt von Sozialdemokraten Auftrieb; 1910/1911 entstand die erste größere genossenschaftliche Siedlung in Solingen, 1912/1913 in der benachbarten Kreisstadt Höhscheid, wo die sozialdemokratisch majorisierte Stadtverordnetenversammlung den Bau genossenschaftlicher Arbeitersiedlungen stärker begünstigte als die Solinger Stadtverordnetenversammlung. 1914 plante der Spar- und Bauverein die Errichtung weiterer Arbeiterhäuser. Der Solinger Oberbürgermeister August Dicke zeigte sich in den Beratungen aufgeschlossener für die soziale Bautätigkeit als die Vertreter des Haus- und Grundbesitzervereins, angeführt vom Stadtverordneten Albert Dörschel. Der Spar- und Bauverein setzte für Arbeiterfamilien Maßstäbe hinsichtlich der Wohnungsgröße, der Hygiene und einer mit vielen Grünflächen aufgelockerten Bebauung.103 Obwohl Goerdeler keineswegs sozialdemokratische Positionen vertrat, war und blieb er unter den pragmatisch orientierten Solinger Sozialdemokraten anerkannt, weil er immer sachlich argumentierte, aus seinem Sachengagement heraus auch gegen bürgerliche Liberale oder Zentrumskatholiken Stellung bezog und aus seiner konservativen Grundeinstellung heraus durchaus Verständnis für bestimmte sozialdemokratische Forderungen entwickelte. Das zeigt sich am Beispiel der erwähnten Krankenversicherungspflicht der Angestellten der Stadt Solingen, wo die SPD-Fraktion und mit ihr die Bergische Arbeiterstimme den von Goerdeler ausgearbeiteten Lösungsentwurf verwarfen. Die Zeitung reagierte nicht einfach nur ablehnend, sondern fügte einen relativierenden Gedanken bei: »Herr Beigeordneter Dr. Goerdeler, ein sonst nicht unsympathischer Herr, hat mit dieser Arbeit gründlich danebengegriffen.«104 In der Sache blieb die Arbeiterstimme somit hart, in der Form äußerte sie sich dennoch konziliant. Betrachtet man das Verhältnis von Seiten Goerdelers, so fällt auf, dass er in richtungweisenden sozialpolitischen Fragen wie der kommunalen Arbeitslosenversicherung, der Krankenversicherung in der AOK oder der Jugendarbeit durch Subventionierung nationaler Jugendvereine und Verbot des sozialdemokratischen Jugendausschusses gegen die sozialdemokratischen Anliegen agierte. Im 103 BArch, NL 1113 Bd. 73: Carl Goerdeler: Unsere Idee (Denkschrift vom November 1944), S. 99 – 138, hier S. 103. StAS, V-A-8 Bd. 3: Sitzungen der Finanzkommission, S. 224 (12. 2. 1912), 383 (6. 10. 1913). StAS, V-A-8 Bd. 4: Sitzungen der Finanzkommission, S. 1 f. (19. 1. 1914), 11 (23. 1. 1914), 16 (5. 2. 1914), 30 (26. 5. 1914). – StAS, V-A-1 Bd. 18: StVO-Sitzungen, S. 93 (20. 1. 1914), 105 f. (17. 2. 1914), S. 184 (17. 6. 1914). – Vgl. Armin Schulte: Gemeinsam bauen und wohnen. 100 Jahre Solinger Wohnungsbaugenossenschaften, Solingen 1997, S. 86 – 92. Vgl. Ralf Stremmel/Karl Peter Wiemer : 100 Jahre Spar- und Bauverein eG, Köln 1997. 104 BASt vom 18. 12. 1913. – Zur unveränderten Verabschiedung vgl. BASt vom 18. 2. 1914.
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Konflikt mit der SPD-Fraktion wollte der Beigeordnete seine Position, die zugleich die der Verwaltungsspitze war, durchsetzen, während er bei weniger parteipolitisch dominierten Fragen – wie dem Vertrieb von Jugendliteratur, den Schülervorstellungen im Kino oder der Beschaffung des Bürobedarfs – eher auf die sozialdemokratischen Interessen einging. Sein vielleicht wichtigstes Zugeständnis war die Heranziehung der freien Gewerkschaften zur Ermittlung der Arbeitslosenstatistik, einer Aufgabe ohne direkte politische Konsequenz, aber mit Entwicklungspotenzial. Wenn es um Einzelfälle ging, die in der Armenverwaltung oder im Versicherungsamt anfielen, war die Zusammenarbeit reibungslos. Im Vergleich mit dem Oberbürgermeister scheint Goerdeler den sozialdemokratischen Stadtverordneten umgänglich erschienen zu sein. Dass neben der ambivalenten Haltung zu den Sozialdemokraten die kämpferische Haltung gegen andere so genannte Reichsfeinde gesellschaftlich fortwirkte, beweist ein interner Verwaltungsvorgang. Es ist ein geheimes Schriftstück des Regierungspräsidenten in Düsseldorf, dessen Inhalt in der Geheimregistratur verzeichnet wurde: »Bezeichnung ›ultramontan‹ für Centrumspresse & Partei soll nicht mehr gebraucht werden«. Damit sollte dem katholischen Zentrum nicht mehr die nationale Legitimation bestritten werden, indem auf seine geistige Abhängigkeit vom römischen Papst hingewiesen wurde. Goerdeler wurde als juristischer Beigeordneter an erster Stelle darüber informiert.105 Daneben hatte Goerdeler auch angenehme Termine wie die Hauptversammlung der freiwilligen Feuerwehr im Januar 1914, die Einweihungsfeierlichkeiten der katholischen Volksschule Weeg und der evangelischen Volksschulen Rosenstraße und Zweigstraße im März und April 1914; die Stadt Solingen rühmte sich ihrer in den letzten Jahren errichteten »prachtvollen neuen Volksschulbauten«. Im Mai 1914 nahm er an der Eröffnung der evangelischen Dorper Kirche teil, deren individueller trutziger Baustil auch von Elementen des Jugendstils und der heimatlichen bergischen Bauweise geprägt war.106 Noch wenige Tage vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde in Solingen ein großes Sport- und Spielfest der nationalen Jugend-, Sport- und Turnvereine durchgeführt, um die 14- bis 18-jährigen Jugendlichen der antimilitaristischen Ideologie der SPD zu entziehen. Goerdeler selbst zeichnete als Vertreter des Oberbürgermeisters die siegreichen Mannschaften und Einzelsportler aus. Parallel dazu veranstalteten die Sozialdemokraten und die freien Gewerkschaften einen Kreisjugendtag mit 1500 Teilnehmern, eine Prestigeeinbuße für Stadtverwaltung und nationale Vereine, nachdem in der bürgerlichen Presse 105 StAS, S 563: Eingang (Geheim) vom 19. 3. 1914. 106 SZ vom 24. 3. 1914; ST 22. und 23. 4. 1914. – STvom 19. 1. 1912 (Zitat). – Jaan Bruus u. a.: Die Dorper Kirche. Ein Symbol des bergischen Protestantismus im Aufbruch, Solingen 2007, S. 41.
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aufwändig für das nationale Sport- und Spielfest geworben worden war, während die Fortbildungsschüler (Berufsschüler) mit Strafen sowohl für das Fernbleiben von dem nationalen Fest als auch für die Teilnahme an der sozialdemokratischen Kreisjugendtag bedroht worden waren.107 Zudem bereitete sich der auf 12 Jahre gewählte Beigeordnete nach nur 15monatiger Tätigkeit als Beigeordneter auf den Weggang in eine Großstadt vor, wie aus einem Zeugnis des Oberbürgermeisters Dicke hervorgeht: »Da Solingen aus örtlichen und wirtschaftlichen Gründen in seiner Entwicklung beschränkt ist, kann es Herrn Gördeler nicht verübelt werden, wenn er sich für ein grösseres Gemeinwesen meldet.«108 Diese Umorientierung des Solinger Beigeordneten scheint auf seine persönlich motivierte, nicht auf Delegation durch die Stadtverordnetenversammlung beruhende Teilnahme an der Tagung des Deutschen Städtetages Mitte Juni 1914 in Köln zurückgegangen zu sein, wo Goerdelers ostpreußischer Mentor, der Königsberger Oberbürgermeister Körte, das Korreferat über die »Verbindung von Städten und Privatkapital für wirtschaftliche Unternehmungen« gehalten hatte.109
107 SZ vom 20. 7. 1914. – AJ 6, 1914, Nr. 17 vom 15. 8. 1914, S. 263. 108 StAS, Na 13 Bd. 83: Zeugnis vom 8. 7. 1914 (beglaubigte Abschrift) = BArch, NL Goerdeler 32. 109 STvom 15. 6. 1914. – StAS, V-A-1 Bd. 18, S. 160: StVO-Sitzung vom 5. 5. 1914. Als Delegierte gewählt wurden Oberbürgermeister Dicke und der Stadtverordnete Richard Spitzer. – Laut Teilnehmerliste nahmen auch die Beigeordneten Goerdeler und Schmidhäußler teil, letzterer ohne Stimmrecht; Verhandlungen des Vierten Deutschen Städtetages am 15. und 16. Juni 1914 zu Cöln, Berlin 1914, S. 9.
Juli-Krise, Erster Weltkrieg und Versailler Vertrag
Nach der Ermordung des österreichischen Thronfolger-Ehepaars durch eine serbische Geheimorganisation, begangen am 28. Juni 1914 in Sarajewo, wuchs die Kriegsgefahr dramatisch. Als der Oberbürgermeister Dicke Mitte Juli 1914 seinen Sommerurlaub in der Schweiz antrat, führte der Beigeordnete Goerdeler dessen Amtsgeschäfte weiter, obwohl er laut Stellenplan eigentlich der fünfte Vertreter Dickes war.110 Es war wohl erforderlich, die Geschäfte in die Hände eines hauptamtlichen Beigeordneten zu legen. Goerdeler erließ wie bisher unter anderem Polizeiverordnungen und eine Marktordnung. Vom Verein für Volkshochschulkurse ließ er sich noch am 23. Juli 1914 für einen Vortrag über »Städtische Wohlfahrtspflege« im neuen Jahresprogramm gewinnen, der sich mit der in der Stadt Solingen praktizierten Zentralisierung der städtischen und privaten Wohlfahrtspflege befasst hätte.111 Am 28. Juli erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg, gefolgt von der Teilmobilmachung Russlands am 29. und von der Generalmobilmachung am 30. Juli. Auch die anderen europäischen Staaten machten mobil. Am 31. Juli verkündete Goerdeler gegen 15 Uhr von der Ratshaustreppe aus den Zustand drohender Kriegsgefahr in Solingen. Am 1. August 1914 erklärte Deutschland Russland den Krieg. In der angespannten Atmosphäre Ende Juli wuchs auch in Solingen die Kriegsfurcht, Bürger begannen sich ihre Konten bei der Sparkasse und den Banken auszahlen zu lassen, und Kaufleute verlangten als Sicherheit Gold- und Silbermünzen statt Papiergeld. Um einer Panik vorzubeugen, warnte Goerdeler am 31. Juli in einer fett gedruckten Bekanntmachung vor unüberlegten Handlungen und wies auf den besonderen Rechtsschutz der Bankguthaben hin. Am nächsten Morgen, dem 1. August, stellte er nach einer Besprechung mit den Solinger Obst- und Lebensmittelhändlern klar, dass »Solingen für die nächste Zeit noch in ausgiebiger Weise mit Getreide, Mehl etc. versehen« sei, und rief die
110 StAS, V-A-1 Bd. 18, S. 76: StVO-Sitzung vom 17. 12. 1913. 111 ST vom 24. 7. 1914. – Vgl. ST vom 9. 7. 1914.
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Juli-Krise, Erster Weltkrieg und Versailler Vertrag
Goerdelers Aufruf vom 31. Juli 1914 im Solinger Tageblatt
Bürgerschaft auf, keine Grundnahrungsmittel zu horten.112 Damit folgte er einer Instruktion vom Vormonat über die »Vorratsfeststellung an Vieh & Lebensmittel[n] für den Fall der Mobilmachung«.113 Ebenfalls am 1. August 1914 erinnerte Goerdeler in einer Bekanntmachung daran, dass mit der Erklärung des Kriegszustandes verschärfte Strafbestimmungen gelten würden. Die Hektik dieses Tages wird spürbar, wenn im Solinger Tageblatt direkt unter Goerdelers erneut abgedruckter Bekanntmachung über den Geldverkehr eine Warnung des 112 ST vom 31. 7. 1914, 1. 8. 1914 (Zitat). 113 StAS, S 563: Schreiben des RP Düsseldorf, Eingang vom 23. 6. 1914, an Goerdeler übergeben.
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Das Rathaus mit Treppe, Kölner Straße 135
eben eingetroffenen Oberbürgermeisters Dicke vor Hamsterkäufen erschien, in der er den Lebensmittelhändlern Zwangspreise ankündigte, wenn sie die gestiegene Nachfrage für unangemessene Preiserhöhungen nutzen sollten.114 Eine Woche später setzte der Oberbürgermeister die städtische Preisliste in kraft. Sofort nach der Rückkehr Dickes meldete Goerdeler sich als Reserve-Leutnant zum Feldartillerie-Regiment 71 in Ostpreußen, nahm an der Schlacht von Tannenberg und anderen Gefechten teil, ging Ende 1915 ins Feldartillerie-Regiment 93 über und diente seit 1916 als Ordonnanzoffizier bei höheren Stäben, zuletzt als Hauptmann der Reserve beim Oberkommando der 10. Armee unter General Erich von Falkenhayn. In der Etappe erlebte er die russischen Revolutionen vom Februar und Oktober 1917. Als die Friedensverhandlungen mit der kommunistischen Regierung Russlands im Februar 1918 ins Stocken gerieten, besetzte die 10. Armee in Weißrussland und Litauen ein Gebiet von 57.000 qkm dünn besiedelten Bauernlandes, dessen Finanzverwaltung in Goerdelers Hände gelegt wurde. Zum Vergleich: Nordrhein-Westfalen hat eine Fläche von 34.088 qkm. Die Finanzverwaltung führte Goerdeler zusammen mit russischen Mitarbeitern bis zum Rückzug im November 1918.115 Die deutsche Novemberrevolution betraf die 10. Armee nur am Rande; allerdings drängten der Soldatenrat und die Truppen nach vier Jahren Krieg nun nach Hause.
114 ST vom 1. 8. 1914. 115 Vgl. Reich: Goerdeler, S. 77 f.
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Goerdeler als Stabsoffizier 1916
Als Goerdeler aus dem Heer entlassen wurde, hatte sich die parlamentarische Demokratie bereits durchgesetzt. Die deutsche Nationalversammlung und die preußische Landesversammlung waren im Januar 1919 gewählt worden. Sozialdemokraten, Linksliberale und das katholische Zentrum stellten zusammen Dreiviertel der Abgeordneten. Goerdeler kehrte im Februar 1919 zu seiner Familie nach Königsberg zurück, trat dort der neugegründeten konservativen, teilweise chauvinistischen Deutschnationalen Volkspartei bei und erlebte Anfang März die Bekämpfung der Arbeiter- und Soldatenräte sowie der Armeeund Marinevolkswehr, die von der USPD und dem Spartakusbund (KPD) in Königsberg dominiert wurden. In Preußisch Holland im westlichen Ostpreußen kaufte er einen Bauernhof, eine Flucht in die Sachwerte angesichts der Entwertung der Mark-Währung. Zugleich versuchte er, eine Anwaltspraxis aufzubauen. Nach Beendigung der polnischen Aufstandsbewegung in der preußischen Provinz Posen und im südlichen Westpreußen reiste Goerdeler wohl Ende März oder Anfang April wieder nach Solingen, ließ sich aber, ohne an einer einzigen Kommissionssitzung teilgenommen zu haben, bereits am 14. April 1919 von der Stadtverordnetenversammlung aus seinem Beigeordnetenamt entlassen, um
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sich auf eine Stelle – außerhalb der Kommunalverwaltung – im Osten zu bewerben.116 Als dieser Versuch scheiterte, bewährte sich die erprobte Verbundenheit, ließen der Oberbürgermeister Dicke und die Solinger Stadtverordneten fünf gerade sein und betrachteten die Entlassung als noch nicht rechtsgültig. Diese an Rechtsbeugung grenzende Entscheidung wurde juristisch so spitzfindig formuliert, dass der Wortlaut des Protokolls der Stadtverordnetensitzung hier wiedergegeben werden soll: »Der Vorsitzende [Oberbürgermeister Dicke] teilte mit, dass der Beigeordnete Dr. Gördeler ihm erklärt habe, dass die ihm in seiner Heimat gebotene Existenzmöglichkeit in der Hauptsache ihm entgangen sei und er deshalb vorziehe, in seiner Stellung als Beigeordneter der Stadt Solingen zu verbleiben. Er – der Oberbürgermeister – habe den Beschluss der Stadtverordneten-Versammlung vom 14. ds. Mts. [des Monats], worin diese sich mit dem Ausscheiden des Dr. Gördeler aus dem Dienste der Stadt Solingen einverstanden erklärt habe, wegen der plötzlichen Abreise des Dr. Gördeler diesem in rechtsgültiger Form noch nicht zustellen können. Sonach sei der Beschluss der Stadtverordneten-Versammlung nicht zur Ausführung gekommen und nach seiner – des Oberbürgermeisters – Ansicht Dr. Gördeler nach wie vor Beigeordneter der Stadt Solingen, so dass gegen die Fortführung seiner Tätigkeit keine rechtlichen Bedenken zu erheben seien. Dem Vorschlage der Verwaltung und Finanzkommission entsprechend, erklärt sich die Stadtverordneten-Versammlung hiermit einverstanden.«117
Zugleich wurde sein Gehalt von bisher 8000 Mark ab 1. April 1919 auf 10.000 Mark festgelegt, jährlich um 500 Mark steigend bis zum Höchstgehalt von 12.000 Mark. Dies war allerdings nur eine scheinbare Gehaltserhöhung, faktisch ein Inflationsausgleich. Dicke übertrug Goerdeler weitere Abteilungen der Solinger Verwaltung: die Polizeiverwaltung, die Kriegsversehrtenfürsorge, das Kriegsrechnungswesen und Sparkassenangelegenheiten. Zudem bearbeitete er die mit den diversen Verwaltungszweigen zusammenhängenden Finanzfragen einschließlich die Haushaltspläne selbstständig. Goerdeler, Ehrenmitglied der Artilleriekameradschaft Solingen, beteiligte sich als Mitglied des Gründungsausschusses an der »Frau Postdirektor Kind-Stiftung«, deren Zweck es war, kriegsversehrten Solinger Teilnehmern am Ersten Weltkrieg, besonders den heimkehrenden Kriegsgefangenen, Beihilfen zu gewähren.118 Auf ein Detail seiner Solinger Bemühungen, durch Verwaltungsvereinfachung effektiver und wirtschaftlicher zu arbeiten, gibt es einen nachträglichen Hinweis aus seiner Königsberger Tätigkeit. Goerdeler bezeichnete die Abschaffung der Tagebücher in den städtischen Dienststellen als »wesentliche Vereinfachung des 116 StAS, V-A-1 Bd. 19, S. 355: StVO-Sitzung vom 14. 4. 1919. – ST vom 15. 4. 1919. 117 StAS, V-A-1 Bd. 19, S. 363: StVO-Sitzung vom 23. 4. 1919. Identischer Text mit Ausnahme des letzten Satzes in: StAS, V-A-8 Bd. 4, S. 239: Sitzung der Finanzkommission vom 23. 4. 1919. 118 Annonce im ST vom 21. 5. 1919 u. ö. – ST vom 8. 1. 1937.
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Verwaltungsbetriebes«, mit der er bereits in Solingen gute Erfahrungen gemacht habe. Da das Journal der Geheimakten Anfang Juni 1919 abbricht, kann geschlossen werden, dass er sich im Mai mit dieser Reform beschäftigte. Eine Akte des Wohlfahrtsamtes enthält noch Mitte Mai 1919 ein Schreiben mit Tagebuchnummer, während ein späteres Schreiben nur mit der Abteilungsnummer versehen ist.119 Als die Siegermächte des Ersten Weltkriegs der deutschen Delegation ihre Friedensbedingungen übergaben, richteten die Solinger Parteien aller politischen Richtungen – DNVP, DVP, Zentrum, DDP, SPD, USPD – auf Initiative des DDP-Vorsitzenden Dr. Emil Kronenberg eine gemeinsame Eingabe an den Oberbürgermeister Dicke, er möge bei der britischen Besatzungsbehörde die Genehmigung von Veranstaltungen erwirken, in denen zu den Friedensbedingungen Stellung bezogen würde. Doch damit war die Goerdeler so wichtige Gemeinsamkeit schon erschöpft. Die bürgerlichen Parteien und die Arbeiterparteien führten getrennte Veranstaltungen durch, weil die Sozialdemokraten beider Richtungen sich von den gewandelten Vertretern einer chauvinistischen Siegfriedensideologie, die erst gegen Kriegsende ihren Sinn für einen gerechten Friedensschluss entdeckt hatten, nicht vereinnahmen lassen wollten. Die SPD führte eine separate Veranstaltung mit ihrem Vorsitzenden Hugo Schaal als Redner durch, während die USPD auf eine eigene Veranstaltung verzichtete.120 Nachdem die Siegermächte des Ersten Weltkriegs der deutschen Regierung am 29. Mai 1919 signalisiert hatten, dass es keinen Verhandlungsspielraum um die Bedingungen des Versailler Vertrags gäbe, und nachdem Goerdeler die Überzeugung gewonnen hatte, dass die Politiker im Rheinland zur Unterzeichnung des Versailler Vertrags neigten, verließ er Solingen bereits Anfang Juni 1919 erneut, um sich zum Abwehrkampf gegen Polen beim FeldartillerieRegiment 71 in Westpreußen zu melden. Dort ließ er sich zum politischen Verbindungsmann beim XVII. Armeekorps in Danzig berufen. Es ging um die Gebietsansprüche, die Polen aufgrund des Versailler Vertrags gegen Deutschland in Ost- und Westpreußen, Posen und Oberschlesien würde erheben können, sodass Goerdelers Heimatstädte Schneidemühl und Marienwerder, durch den polnischen Korridor getrennt, in den neuen Grenzgebieten zu liegen kämen. In einer Ausarbeitung vom 13. Juni 1919 für den Generalstabschef des XVII. Ar119 StAS, S 563: letzte kontinuierliche Eintragung vom 6. 6. 1919, danach nur noch punktuelle Einträge. – StAS, S 2027: Brief vom 24. 5. 1919 mit der Tagebuchnummer VII E 523, Brief vom 17. 10. 1919 mit der Nummer IIIb. – Goerdeler : Organisation der Verwaltung, S. 41 (Zitat). 120 ST vom 9. 5. 1919. – Die Rede, die Kronenberg am 22. Mai 1919 hielt, ist abgedruckt in: Wilhelm Bramann: Emil Kronenberg. Solinger Arzt und Schriftsteller, Solingen 2002, S. 262 – 270. – Veranstaltung der SPD am 29. 5. 1919: BASt vom 27. 5. 1919 (Annonce), 30. 5. 1919 (Bericht).
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Ostsee
Danzig
D e ut s ch-
land Ostpre ußen Marienwerder
We s t p r e u ß e n Schneidemühl
Bromberg Thorn
Posen Das westpreußische Abstimmungsgebiet und der polnische »Korridor«
meekorps bezeichnete Goerdeler die militärische Niederwerfung Polens als einzige Möglichkeit, die Gebietsabtretungen zu verhindern. Er spornte als »rechte Hand« seinen Regimentskommandeur General Otto von Below in den Besprechungen zur Vorbereitung eines Aufstandes an, der in dem kleinen Zeitfenster noch vor der Unterzeichung des Versailler Vertrages am 28. Juni 1919 erfolgen musste. Nach seinen Vorstellungen sollte sogar ein deutscher Oststaat ausgerufen werden, der an die Versailler Vertragsbedingungen nicht gebunden gewesen wäre. Die Truppe sollte den Grenzkrieg auslösen, die Regierung den Belagerungszustand verhängen, aber diese Pläne gingen dem Oberkommando
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und dem Oberpräsidenten zu weit, sodass sie fallen gelassen wurden.121 Nach Angaben des linksliberalen Besprechungsteilnehmers Albrecht von Holtum, der ebenfalls dem XVII. Armeekorps zugeordnet war, operierten Goerdeler und seine Gesinnungsgenossen mit übertriebenen Angaben zum deutschen Bevölkerungsanteil in Westpreußen.122 Noch im Juli 1919 begab Goerdeler sich nach Marienwerder, um perspektivisch an der Vorbereitung der Volksabstimmung über die Zugehörigkeit des westpreußischen Abstimmungsgebiets zu Deutschland oder Polen mitzuwirken.123 Das kurze Engagement im Osten weist Goerdeler in dieser Ausnahmesituation als leidenschaftlichen Nationalisten aus, der laut Peter Hoffmann »showed […] his tendency to pursue illusory aims«, und dem es laut Gillmann und Mommsen an »Realitätssinn« mangelte,124 obwohl er, wie Mommsen ausführt, im übrigen dem gouvernementalen Westarp-Flügel der DNVP zuzurechnen war.125 Er traf damit einen Nerv der Zeit, wie das Beispiel des prominenten linksliberalen Soziologen Max Weber beweist, der Ende 1918 für eine gewaltbereite deutsche Irredenta plädierte und im Mai 1919 erwartete, dass der deutsche Osten auch gegen den Willen der Reichsregierung bewaffnet gegen Polen vorginge.126 Goerdeler war bereit, auf politischer Seite eine kemalistische Rolle zu übernehmen, wie sie kurz darauf in der Türkei zur teilweisen Revision der Kriegsergebnisse und auf längere Sicht zur Revision des Diktatfriedens von SÀvres (1920) im Friedensvertrag von Lausanne (1923) führen sollte. Zugleich ist der Einsatz im Osten, der sowohl die Zusammenführung der politischen Parteien als auch die Koordination von Militärs und Politik in der Oststaatsfrage bezweckte, ein früher Hinweis auf die aktive, dynamische Rolle, die Goerdeler zu übernehmen bereit war und die sich dann wieder im Widerstand gegen das Hitler-Regime zeigte.
121 Vgl. Goerdelers Bericht über seine Tätigkeit im preußischen Abtretungsgebiet, in: Goerdeler I, S. 191 – 198. – Vgl. auch Hagen Schulze: Der Oststaat-Plan 1919, in: VHZ 18, 1970, S. 123 – 163. 122 So der in (Solingen-) Wald geborene Albrecht von Holtum in einem Brief vom 25. 6. 1961 an die Stadt Solingen, anhängend sein Typoskript: Der Untergang des Deutschen Reiches nach Beobachtungen 1919 – 1933 in dem Schwerpunkt West- und Ostpreußen, StAS, SG 4680b. 123 Goerdeler I, S. 199. 124 Hoffmann: Goerdeler, S. 26. – Gillmann/Mommsen: Goerdeler I, S. 176. 125 Goerdeler I, S. XXXVIII. – Zu Westarps politischer Mäßigung vgl. Ohnezeit: Zwischen »schärfster Opposition«, passim. 126 Vgl. Wolfgang J. Mommsen: Max Weber und die deutsche Politik 1890 – 1920, Tübingen 19742, S. 335 – 338.
Zur Frage der Einheitsschule 1919 und weiteren Reformplänen
Wohl erst in der zweiten Juli-Hälfte 1919 kehrte Carl Goerdeler aus Marienwerder zu einem diesmal längeren Aufenthalt nach Solingen zurück, wo er seine vermehrten Sachbereiche sofort energisch in Angriff nahm. Viele größere Aufgaben waren während der Kriegzeit zurückgestellt worden; zu diesem Reformstau traten nun neue Herausforderungen durch die Beendigung des Krieges und die Errichtung der Republik hinzu.
Goerdelers Wohnhaus Kaiserstraße 230, das zweite von rechts, etwa gegenüber der Einmündung Augustastraße
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Das Hotel Deutsches Haus an der Kölner Straße
Nachholbedarf bestand bei der Polizeiverwaltung. In der Kriegszeit war der Bestand an Polizisten vermindert worden; zugleich war wegen der kriegsbedingt dramatischen Produktionseinbrüche und des Frontbedarfs der Nachschub an Dienstuniformen und Ausrüstungsgegenständen für die Heimat zurückgegangen. Goerdelers Aufgabe war es, hier für gerechte Abhilfe zu sorgen. Mit der
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»Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit«, die »eine wesentliche Vermehrung des Posten- und Patrouillendienstes neben einer ständigen Besetzung der Wache und des Revierdienstes« erforderte,127 begründete Goerdeler die Einstellung von 20 zusätzlichen Polizisten bei gleichzeitiger Senkung der Arbeitszeit auf den Achtstundentag. Für die neu eingestellten Polizisten waren dauernde Mehrkosten an Gehältern und Kleidergeld, einmalige Ausgaben für die Einkleidung und zeitweilige Ausgaben an Teuerungszulagen bereitzustellen. Aber auch für die bisher tätigen Polizeibeamten mussten in größerem Umfang Dienstkleidungsstücke neu beschafft werden. Ergänzt wurde die Beschaffungsliste um insgesamt 40 Pistolen. Nachdem in Kriegszeiten Polizisten, die ihre Kleidung sorgfältig behandelt hatten, bei der Neuanschaffung benachteiligt worden waren, reformierte Goerdeler den Ersatz der Dienstkleidung, indem er für jeden Beamten einen Fonds für Kleidergeld anlegte, aus dem die Neuanschaffungen zu bestreiten waren. Bei schonendem Umgang mit ihrer Dienstkleidung sollten die betreffenden Polizeibeamten die Überschüsse ausgezahlt bekommen. Die Stadtverordneten erhoben Goerdelers Vorlage zum Beschluss.128 Auch die schon vor dem Ersten Weltkrieg eingeleitete Zentralisierung der privaten und öffentlichen Wohlfahrtspflege, durch die alle ihr dienenden Einrichtungen und Bestrebungen organisatorisch zusammengefasst werden sollten, griff der Beigeordnete bereits Ende Juli 1919 wieder auf, indem er sich bei anderen Städten nach deren Organisation des Wohlfahrtsamtes erkundigte. Das geplante Wohlfahrtsamt sollte für »Armen- und Waisenpflege, Säuglingsfürsorge, Jugendfürsorge, Fürsorge für Kriegshinterbliebene und Kriegsbeschädigte, [das] Wohnungsamt und dergleichen mehr« zuständig sein. Die Arbeitsfelder wurden nun genauer umrissen als in den ersten Grundsätzen und Bestimmungen aus dem Jahr 1913. In einer Pressemitteilung beschrieb die Verwaltung die Aufgaben der Zentral- und Auskunftsstelle bei der Stadtverwaltung wie folgt: Sie sollte denjenigen Behörden, Vereinen und Privatleuten, die sich der Armen- und Wohlfahrtshilfe widmeten, Auskunft über die Antragsteller erteilen und damit zur Begutachtung der Bittgesuche beitragen; sie sollte Vereine, Privatpersonen und die Hilfsbedürftigen beraten, insbesondere über die am besten geeignete Stelle für schnelle Hilfe; sie sollte bei erforderlicher, aber noch nicht eingeleiteter Wohlfahrtspflege die Hilfsmaßnahmen seitens der Behörden oder Vereine beschleunigen; sie sollte schließlich in dafür in Frage kommenden Fällen eine koordinierte Unterstützung der Hilfsbedürftigen durch
127 StAS, V-A-1 Bd. 20, S. 29: StVO-Sitzung vom 26. 8. 1919. 128 StAS, V-A-1 Bd. 20, S. 66 – 68: StVO-Sitzung vom 1. 10. 1919. StAS, V-A-8 Bd. 4: Sitzungen der Finanzkommission, S. 273 f. (21. 8. 1919), 283 – 285 (1. 10. 1919).
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Behörden, Vereine und Privatleute anregen und garantieren.129 Goerdeler konnte seine Planungen in seiner Solinger Amtszeit nicht zu dem angestrebten Ergebnis, der Errichtung eines Wohlfahrtsamtes, weiterentwickeln, stellte aber die Weichen. Die von ihm mit vorbereitete Satzung des Wohlfahrtsamtes vom Februar 1920 wurde von einem Sachkenner als »so vorbildlich« bezeichnet, »daß später nach den Bestimmungen des RJWG mit seinen Muß- und Kannvorschriften kaum eine Änderung notwendig wurde«. Zudem wurde der Beigeordnete zum dritten Vorsitzenden des Mieteinigungsamtes gewählt, wo er sich einer traditionellen sozialpolitischen Aufgabe, dem Interessenausgleich zwischen Vermietern und Mietern, widmete.130 Im Rahmen der Wohlfahrtspflege schlug sich seine Zuständigkeit für die Kriegshinterbliebenen und Kriegsversehrten in umfangreichen Maßnahmen für die Betroffenen nieder. Es war ein ebenso wichtiger wie komplizierter und kostenintensiver Arbeitsbereich. Als Goerdeler im April 1919 nach einer vergeblichen Bewerbung wieder als Beigeordneter anerkannt wurde, leitete er noch am Ende des Monats eine Sitzung des Unterausschusses der Finanzkommission mit Vertretern der Kreisstädte Wald, Gräfrath und Höhscheid, wo ein Antrag der gleichfalls anwesenden Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenen-Vereinigung, Ortsgruppe Solingen, auf Gewährung einer einmaligen Teuerungszulage beraten wurde. Die Vereinigung einigte sich mit Goerdeler auf eine so durchdachte, großzügige Regelung, dass sie ihr völliges Einverständnis und ihre Dankbarkeit bekundete, während die Vertreter der Kreisstädte sich für die Übernahme dieser Regelung einsetzen wollten. An die Hinterbliebenen gefallener Soldaten erstattete die Stadt Solingen im Gegensatz zur Vorkriegszeit, als Solingen vergleichsweise hohe soziale Unterstützungsleistungen zahlte, auf die Dauer geringere Leistungen als die Nachbargemeinden, wie in wiederholten Konferenzen unter dem Vorsitz Goerdelers mit Vertretern der benachbarten Kreisstädte festgestellt wurde; deshalb wurden die Unterstützungssätze im Oktober 1919 an die in Gräfrath, Ohligs und Höhscheid geltenden angeglichen. Andererseits lebten in der Stadt Solingen vergleichsweise viele Kriegsbeschädigte, deren Zahl – 250 im September 1919 – nun »mit allen Mitteln verringert werden« sollte.131 Goerdeler achtete – wie bei der Frage der Arbeitslosenversi129 ST vom 30. 8. 1919. – Organisation des Wohlfahrtsamtes: StAS, S 2027: Goerdeler an OB Herne, 26. 7. 1919. 130 Willi Dickhäuser : 40 Jahre Jugendamt. Im Wandel der Zeiten vor stets neuen Aufgaben, in: Anker und Schwert 2, 1964, S. 125 – 198, hier S. 126 f. (Zitat). RJWG: Reichsjugendwohlfahrtsgesetz vom 9. 7. 1922, RGBl I, 1922, S. 633. – Mieteinigungsamt: StAS, V-A-1 Bd. 20, S. 16: StVO-Sitzung vom 5. 8. 1919. 131 StAS, V-A-8 Bd. 4, S. 282: Sitzung der Finanzkommission vom 25. 9. 1919 (Zitat). – Zum gesamten Absatz: StAS, S 6764: Sitzung der Kriegsfürsorgekommission vom 29. 4. 1919; Brief des Geschäftsführers Arnz vom 26. 10. 1919 an den OB. StAS, V-A-8 Bd. 4: Sitzungen der Finanzkommission, S. 255 (19. 5. 1919), 270 (18. 8. 1919, Kriegsrechnung), 282 f. (25. 9.
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cherung vor dem Ersten Weltkrieg – genau auf die Zuständigkeit der Reichsbehörden. Es ging ihm darum, dass die städtischen Behörden ihre Unterstützungsmaßnahmen nur vorschussweise auf die Zahlungen der Militärversorgungsstellen oder der zivilen Reichsstellen leisteten, oder dass die Antragsteller direkt an die zuständigen Reichsbehörden verwiesen wurden. Dennoch ergab die städtische Kriegsrechung mit Stand vom 30. Juni 1919 eine dauerhafte finanzielle Last von fast 7,6 Millionen Mark für Familienunterstützung, die vom Staat noch nicht beglichen worden war, und für vorschussweise gezahlte Kriegsfürsorge, Lebensmittel und dergleichen. Nur in besonderen Fällen sollte die Stadt aus eigenen Mitteln unterstützend eingreifen. In einem mehrgliedrigen Antrag erklärte Goerdeler es für erforderlich, die Unterstützungssätze und die Mietzuschüsse für »Kriegerfamilien« als Teuerungsauszugleich um 60 Prozent anzuheben und ihre Versorgung mit Kohlen und Kartoffeln mittels einer Beihilfe zu sichern. Entsprechendes galt für die Unterstützung der Hinterbliebenen gefallener Soldaten, deren Beihilfe für die Witwen und pro Kind nochmals aufgestockt wurde. Arbeitslose Kriegsversehrte sollten in Notfällen je nach Familienstand und Kinderzahl eine gesonderte Unterstützungsleistung erhalten. Wegen der Unsicherheit der Währungsverhältnisse galt es die Höhe der Leistungen vierteljährlich zu überprüfen. Die Stadtverordneten stimmten der Vorlage zu. Die juristische Arbeit des Beigeordneten hatte 1919 andere Schwerpunkte als vor dem Ersten Weltkrieg. Nun veröffentlichte er keine Ortsstatute und Polizeiverordnungen mehr, sondern eine Verordnung, eine Verbrauchsvorschrift, eine Anordnung, eine Ausschreibung und insgesamt 43 weitere Bekanntmachungen verschiedener Art (1913: 16, 1914: 34). Die Zuständigkeit für Finanzen, die er seit seiner Ernennung zum Beigeordneten 1913 innehatte, schlug sich außer in der Revision der städtischen Kriegsrechnung in einer Besichtigung und umfassenden Prüfung der städtischen Hauptkasse nieder.132 Eine andere wichtige Aufgabe war die Anpassung des Schulwesens an die republikanischen Grundlagen. Der Reformbedarf in Sachen Einheitsschule resultierte, wie auch die Solinger Schulpolitik bis zum Ersten Weltkrieg gezeigt hatte, aus der Atmosphäre gebremster bildungspolitischer Reformen im wilhelminischen Kaiserreich. Damals bestand Deutschland aus 25 Einzelstaaten, die ihre eigenen konstitutionellen, republikanischen oder ständischen Verfassungen hatten, ein eigenständiges Staatsbürgerrecht besaßen und ihre eigenen Staatshymnen sangen; selbstverständlich pflegten die Einzelstaaten ihr jeweils eigenes Schulsystem. Der nationale Einheitsgedanke bezog sich jetzt auch auf die Vereinheitlichung des Schulwesens, das die Trennung nach Staaten, Konfessio1919), 297 f., 301 f. (14. 10. 1919). – Antrag: StAS, V-A-8 Bd. 5, S. 4 f.: Sitzung der Finanzkommission vom 28. 10. 1919. 132 StAS, V-A-8 Bd. 4, S. 270: Sitzung der Finanzkommission vom 18. 8. 1919.
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Goerdelers Unterschrift 1919
nen und Geschlechtern aufheben und insbesondere das soziale Bildungsmonopol der höheren Klassen brechen sollte. Im Folgenden werden die Rahmenbedingungen der bildungspolitischen Reformbestrebungen in Deutschland, Preußen und Solingen skizziert. Die Grundlage für Goerdelers Einheitsschulentwurf gab die kurz zuvor verabschiedete Weimarer Reichsverfassung vor: die allgemeine Schulpflicht, die achtjährige Volksschule statt der bisher siebenjährigen, die anschließende Fortbildungsschule bis zum 18. Lebensjahr, die Unentgeltlichkeit von Unterricht und Lernmitteln in diesen Schulformen, die organische Ausgestaltung von gemeinsamer Grundschule, mittlerer und höherer Schule (WRVArtikel 145, 146). Die organische Ausgestaltung bedeutet, dass es keine Sackgassen im Bildungsgang geben durfte, sondern dass die Übergänge in weiterführende Systeme für begabte Schüler offen stehen mussten. Alle verfassungsmäßigen Aspekte mit einer Ausnahme griff Goerdeler in seinem Entwurf auf, damit er den Grundlinien der Verfassung entsprach. Der Artikel 148 der Reichsverfassung enthält den Begriff, der in Goerdelers Entwurf nicht vorkommt. Dort heißt es: »In allen Schulen ist sittliche Bildung, staatsbürgerliche Erziehung, persönliche und berufliche Tüchtigkeit im Geiste des deutschen Volkstums und der Völkerversöhnung zu erstreben.« Völkerversöhnung ist der Begriff, der in Goerdelers Entwurf fehlt. Dies entsprach dem Antrag der deutschnationalen Abgeordneten Traub und Mumm in der Nationalversammlung, ihn aus dem Verfassungsartikel zu streichen, aber auch dem Urteil des führenden Verfassungskommentators, des linksliberalen Juristen Gerhard Anschütz, der Völkerversöhnung erst nach einer Revision des Versailler Vertrags für angebracht hielt.133 133 Vgl. Kurt Nowak: Evangelische Kirche und Weimarer Republik. Zum politischen Weg des deutschen Protestantismus zwischen 1918 und 1932, Göttingen 21988, S. 37. – Gerhard Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, Berlin 81928.
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Allerdings gab es im Herbst 1919, als Goerdeler seinen Einheitsschulentwurf veröffentlichte, noch kein Reichsschulgesetz, das die Verfassungsparagrafen ausgestaltet hätte, und auch weitere Anläufe dazu sollten später scheitern. In Preußen verlief die Schulreform zügig, aber uneinheitlich. Den Anstoß gegeben hatte die preußische Volksbeauftragten-Regierung, paritätisch zusammengesetzt aus MSPD und USPD, mit ihrer Ankündigung vom 13. November 1918, die Einheitsschule einzuführen. Diese Schulform sollte fraglos dem sozialistischen Modell zu entsprechen, nämlich der allgemeinen Volksschule mit der Untergliederung in Mittel- und Oberklassen ausschließlich nach der Begabung. Nach den preußischen Wahlen vom Januar 1919 kam eine Koalitionsregierung aus MSPD, linksliberaler DDP und katholischem Zentrum zustande, die die zu gründende Deutsche Oberschule schon im Mai 1919 avisierte, ihre Ausgestaltung aber auch im November des Jahres noch nicht fixierte.134 In Solingen erwartete die Verwaltung aufgrund der Verlautbarung der preußischen Regierung bereits Mitte November 1918 eine »einschneidende Änderung des gesamten Schulwesens«, noch bevor der unabhängige Sozialdemokrat Hermann Merkel, Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates, in einer Lehrerversammlung seine Vorstellungen über die Einheitsschule der sozialistischen Republik darlegte.135 1919 entwickelte die Stadt große Anstrengungen, das Bildungssystem entsprechend den Vorgaben der Reichsverfassung und der preußischen Gesetzgebung zu reformieren. Dazu gehörten die Errichtung einer Fortbildungsschule für kaufmännisch und gewerblich beschäftigte Mädchen und einer städtischen Volkshochschule anstelle des bisherigen Vereins für Volkshochschulkurse, die Einrichtung einer dritten Eingangsklasse, der Sexta, am Gymnasium und insbesondere die Einführung der achten Klasse an den Volksschulen, die in der von Goerdeler verantworteten Verwaltungsvorlage ausdrücklich als »Vorbedingung für den weiteren Ausbau unseres Schulwesens« bezeichnet wurde.136 In Solingen existierten zu dieser Zeit 21 Volksschulen, von denen 14 siebenklassig, fünf achtklassig und je eine vier- und dreiklassig waren. Nachdem im Vorentwurf seines Einheitsschulkonzepts die Frage, ob alle oder nur ausgewählte Schüler das achte Schuljahr der Volksschule besuchten sollten, 134 Aufruf der preußischen Regierung vom 13. November 1918, in: Michaelis/Schraepler : Der Weg in die Weimarer Republik, S. 86 f. – Vgl. Bernd Zymek: Expansion und Differenzierung des höheren Schulwesens im Staat Preußen und seinen Provinzen Rheinland und Westfalen während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Kurt Düwell/Wolfgang Köllmann (Hg.): Rheinland-Westfalen im Industriezeitalter, 4: Zur Geschichte von Wissenschaft, Kultur und Bildung an Rhein und Ruhr, Wuppertal 1985, S. 149 – 180, hier S. 152. 135 StAS, S 4488, Aktennotiz vom 22. 11. 1918 (Zitat). – BASt vom 28. 11. 1918. 136 StAS, V-A-1 Bd. 20, S. 12 f.: StVO-Sitzung vom 5. 8. 1919 (Umwandlung des Gymnasiums); S. 17 f.: StVO-Sitzung vom 5. 8. 1919 (VHS); S. 65: StVO-Sitzung vom 1. 10. 1919 (Zitat). – ST vom 6. 8. 1919, 2. 10. 1919; SZ vom 2. 10. 1919; SVB vom 3. 10. 1919; ST vom 7. 11. 1919.
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offen geblieben war, wurde sie vermutlich aus Kostengründen vom zweiten Entwurf an im Sinne der Auslese entschieden. Im Widerspruch dazu blieb es dabei, die achte Klasse an zunächst 14 Solinger Volksschulen einzuführen, ein merkwürdiger Kontrast zu der geringen Anzahl von gut 30 begabten Schülern. In diesem Zusammenhang überrascht, dass Goerdeler mit den von ihm selbst erhobenen Zahlen über die potenziellen Besucher der Deutschen Oberschule nachlässig umging. Durch eine Rundfrage hatte er erfahren, dass die Solinger Volksschulleiter nicht mehr als 34 von 443 Abgängern des abgelaufenen siebten Schuljahrs für befähigt hielten, das achte Schuljahr mit der Perspektive des Übergangs auf die Deutsche Oberschule zu absolvieren. Der Beigeordnete machte daraus in seinem Vorentwurf zur Solinger Einheitsschule »etwa 30«, in der Kostenberechnung 35, in seinem zweiten Entwurf »höchstens 30 (Knaben und Mädchen)«.137 Wenn Goerdeler die achte Klasse nun an 14 Volksschulen einführen wollte, muss das Kriterium der Auslese hinfällig geworden sein. In der Stadtverordnetensitzung vom 1. Oktober 1919 beantragte Goerdeler vom Schuljahresbeginn am 1. April 1920 an sogar die Errichtung von 16 achten Volksschulklassen und die Anstellung der entsprechenden Anzahl von Lehrern, deren Teuerungszulagen inzwischen das nominelle Gehalt bei weitem übertrafen. Die städtische Volkshochschule initiierte Goerdeler als zuständiger Beigeordneter auf noch breiterer Grundlage als die Vereinigung der WohltätigkeitsBestrebungen. Auf seinen Vorschlag wählte die Stadtverordnetenversammlung einen Ausschuss von 60 Vertretern aller Parteien, Gewerkschaften, gewerblichen und gesellschaftlichen Vereinigungen. Dieser Ausschuss bildete wiederum einen engeren Arbeitsausschuss, dessen Aufgabe es war, die Volkshochschulkurse, die nun in städtischer Regie veranstaltet wurden, im Interesse der Bürgerschaft insgesamt zu organisieren.138 Auch das Kuratorium des Gymnasiums war bereits aktiv geworden. Am 31. Januar 1919 hatte es die Auflösung seiner Vorschule beschlossen, sodass alle Schüler bereits von Ostern 1919 an die ersten vier Klassen der Volksschule besuchen mussten. Am 5. August 1919 entschieden die Stadtverordneten, das Reformgymnasium in ein Realgymnasium umzuwandeln und ab 1920 eine Oberrealschule einzurichten, nachdem der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung ihr am 12. Juni 1919 in der in Solingen gewünschten Form grünes Licht gegeben hatte. Als Goerdeler Mitte Juli 1919 nach Solingen zurückkehrte, waren die Schulverhältnisse gravierend beeinträchtigt durch die britische Besatzung, die 16 Schulgebäude als Massenquartiere belegt hatte, darunter das Gymnasium, das 137 StAS, S 4488: Vorentwurf, S. 2; zweiter Entwurf, S. 3. 138 StAS, V-A-2,10, S. 65: StVO-Sitzung vom 1. 10. 1919. – VHS: ST vom 6. 8. 1919. SZ vom 6. 8. 1919.
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Lyzeum, die Fortbildungsschule (Berufsschule) und 13 Volksschulen. Nur vier Volksschulen blieben gänzlich unbelegt, drei waren kurzfristig belegt.139 Deshalb intervenierte Goerdeler wohl im September 1919 bei der britischen Militärregierung in Köln, ohne eine Räumung zu erreichen, woraufhin er in der Schuldeputation das Erforderliche zur Herrichtung von Behelfsschulräumen für den bevorstehenden Winter in die Wege leiten ließ. Anschließend legte er dem britischen Ortskommandanten in Solingen das Problem vor. Nun kam es doch zum Abzug größerer Einheiten in die deutsch-polnischen Grenzgebiete, und der Oberbürgermeister Dicke konnte dem Regierungspräsidenten in Köln am 20. November melden, dass die Mehrzahl der Schulen geräumt war. Allerdings waren erhebliche Reinigungs- und Renovierungsarbeiten sowie die Neuanschaffung von Einrichtungsgegenständen und Schulmaterial erforderlich. Von einer reibungslosen Fortführung des Unterrichts konnte also keine Rede sein. Fünf Schulgebäude, darunter das Gymnasium und das Lyzeum, blieben vorläufig von den Briten belegt. Unter diesen erschwerten Umständen wurden die Verhandlungen über die Schulreform in Solingen geführt. In dieser Zeit arbeitete Goerdeler in verschiedenen schulischen Kommissionen mit, die er bis dahin nicht oder selten besucht hatte. Bereits am 23. Juli 1919 nahm er an der Kuratoriumssitzung der stahlwarenindustriellen Fachschule teil, wo es insbesondere um die Einführung von Meisterkursen ging. Zwei Monate später befasste sich der Vorstand der gewerblichen Fortbildungsschule unter dem Vorsitz des Beigeordneten mit einem Antrag der Freien Sozialistischen Jugend, des Jugendverbandes der USPD. Die fünf Teile des Antrags behandelte der Schulvorstand wie folgt. Für die Ausdehnung der Fortbildungsschulpflicht auf das 18. Lebensjahr und die Unentgeltlichkeit der Lernmittel, die bereits in der Weimarer Reichsverfassung geregelt waren, wurden im Hinblick auf die Durchführung vor Ort nun die preußischen Ausführungsbestimmungen abgewartet. Mit der Verlegung des Unterrichts in die gesetzliche Arbeitszeit am Vormittag war der Schulvorstand einverstanden, zumal es bereits einen entsprechenden Erlass des Reichsarbeitsministers gab; die Umsetzung musste aufgrund der Belegung der Fortbildungsschule mit britischen Truppen jedoch vorläufig zurückgestellt werden. Die Einführung des Lehrfachs Körperpflege befürwortete der Schulvorstand gleichfalls, doch war sie wegen der Belegung der Turnhallen mit britischen Soldaten vorerst nicht durchführbar. Lediglich den
139 Vgl. Hartmut Roehr : … schwer genug wird es uns ohnedies schon gemacht. Besatzung in Stadt und Landkreis Solingen 1918 – 1926, Norderstedt 2006, S. 104. Unbelegt: Bünkenberg, Hästen, Kannenhof und Klauberg; kurzfristig belegt: Dorperhof, Meigen und Weeg. – Zum Folgenden auch StAS, V-A-31 Bd. 2: Sitzung der Schuldeputation vom 25. 9. 1919. STvom 2. 10. 1919.
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weitestgehenden Antrag, den Schülerrat an der Auswahl und Festlegung der Lehrfächer zu beteiligen, lehnte der Schulvorstand ab.140 Im August und September 1919 entwickelte Goerdeler in Verbindung mit einigen Lehrkräften seinen Entwurf eines Einheitsschulmodells. Um den Entwurf sinnvoll einordnen zu können, ist der Begriff »Einheitsschule« zu klären. Die Einheitsschule im sozialdemokratischen Sinn war idealtypisch im Wesentlichen die achtjährige Volksschule oder die mindestens vierjährige Grundschule mit anschließender fünfjähriger Mittel- und dreijähriger Oberstufe für alle Konfessionen, Klassen und Geschlechter gemeinsam. Damit sollten die konfessionellen Volksschulen, die Vorschulen des Gymnasiums und des Lyzeums sowie die Trennung in Jungen- und Mädchenschulen künftig wegfallen. Begabte Schüler sollten nach der Volksschule die Möglichkeit des kostenlosen Besuchs einer weiterführenden Schule erhalten. Diesem sozialdemokratischen Modell stand idealtypisch das bürgerliche Modell der Einheitsschule gegenüber, das eine gemeinsame Grundschule bis zur vierten Klasse beinhaltete, nach der die Schüler je nach Neigung und Begabung unterschiedliche Schultypen besuchen können sollten. An einen Verzicht auf Schulgeld war dabei nicht grundsätzlich gedacht. Wichtig an dem differenzierteren bürgerlichen Modell war die Durchlässigkeit der Schulsysteme, so dass auch Schüler, deren Begabung spät entdeckt würde, höhere Schulen besuchen könnten. Auf Solingen bezogen baute Goerdelers Einheitsschulentwurf auf der nun achtjährigen Volksschule auf, von der die ersten vier Jahre als Grundschule für alle Kinder obligatorisch waren. Nach dem vierten Schuljahr sollten begabte Schüler in das Realgymnasium beziehungsweise die Realschule aufgenommen werden, begabte Mädchen in das Lyzeum mit einem abschließenden Jahr als Frauenschule. Bezeichnenderweise enthält der Entwurf mit Ausnahme des achten Schuljahrs, das für die Vorbereitung auf die Deutsche Oberschule unerlässlich war, keinerlei Reformen zugunsten der Volksschulen. Das muss nach dem Vorentwurf auch Goerdeler aufgefallen sein, denn in den zweiten Entwurf nahm er die unbestimmte Prognose auf: »Weitere Verbesserungen des Volksschulwesens sind vorgesehen«, die gleichlautend auch die Endfassung enthält.141 An die achtjährige Volksschule schloss wie bisher die Fortbildungsschule (Berufsschule) an. Anschließend konnte wie zuvor schon die zweijährige Fachschule besucht werden. Neu war die auf das achte Volksschuljahr aufbauende Alternative einer Deutschen Oberschule, die fünf Schuljahre umfasste. Sämtliche weiterführenden Schulsysteme sollten die Berechtigung zum Hochschulbesuch 140 StAS, V-A-38a: Sitzung des Kuratoriums der Fachschule für die Solinger Stahlwarenindustrie vom 23. 7. 1919. – StAS, V-A-36: Sitzung des Vorstandes der gewerblichen Fortbildungsschule vom 22. 9. 1919. 141 StAS, S 4488: Goerdeler : Die Einheitsschule in Solingen, Typoskript, 9 Seiten, hs. leicht redigiert.
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eröffnen, nun also auch die Deutsche Oberschule und nach zusätzlichen Sonderkursen die Fachschule. Goerdeler qualifizierte als »Hauptstamm« seines Einheitsschulmodells die Fortbildungs- und Fachschulen, die nur einer kleinen Minderheit begabter Schüler den Zugang zur Technischen Hochschule über Zusatzkurse ermöglichen sollten. Dieser Entwurf des Solinger Beigeordneten wird nachfolgend in die kommunalpolitische Bildungsdiskussion eingeordnet und in Einzelaspekten untersucht. Goerdeler stellte seinen Entwurf zunächst der Schuldeputation, dann den Stadtverordneten und dem Ausschuss für Volkshochschulkurse vor.142 Mittels einer Vorab-Presseinformation stimmte er die Öffentlichkeit auf die geplante Schulreform ein. Darin wurden die Schuldeputierten darauf vorbereitet, dass »Volksschule, Fortbildungsschule und Fachschule in organischem Aufbau einander folgen und […] durch die Angliederung von Kursen an die Fachschule begabte Schüler bis zur Hochschulreife für technische Hochschulen« führen sollten.143 Sodann ging es innerhalb des Konzepts der Einheitsschule auch um eine einheitliche Oberleitung des gesamten Fortbildungsschulwesens unter dem Direktor August Huth. Das hohe Arbeitstempo des Beigeordneten wird durch die drei Daten sinnfällig, an denen die wesentlichen Vorarbeiten und Zwischenergebnisse erörtert wurden. Nachdem die Schuldeputation am 25. August 1919 nach einem Vortrag Goerdelers über die Einheitsschule deren Präsentation vor allen interessierten Kreisen mit anschließender schriftlicher Publikation als Denkschrift empfohlen hatte, fand am 2. September eine Besprechung mit sieben von 15 eingeladenen Lehrern statt, vier vom Gymnasium und dem Lyzeum, drei von den Volksschulen. Dort wurden folgende Eckpunkte für die weitere Ausgestaltung der Einheitsschule aufgestellt: Die Dauer der gemeinsamen Grundschule wurde auf vier Jahre begrenzt; jedoch sollte geprüft werden, ob das fünfte Schuljahr am Gymnasium und Lyzeum fremdsprachenfrei erteilt werden könnte und, dies vorausgesetzt, ob es der Grundschule zugeschlagen werden oder bei den höheren Schulen in der Funktion einer »Zusammenschmelzungsklasse« verbleiben sollte. Die Volksschulen sollten für die künftigen achten Schuljahre keine Begabtenklassen einrichten, sondern, beraten durch die Lehrer der Deutschen Oberschule, die Schüler nach ihrer Eignung für die Deutsche Oberschule auswählen. Die geeigneten Volksschüler sollten ohne Aufnahmeprüfung in die Deutsche Oberschule übergehen können. Sofern Eltern ihre Kinder ohne Empfehlung des Lehrers zur Deutschen Oberschule anmeldeten, war dafür Schulgeld für ein Schuljahr zu entrichten, wie es bei den herkömmlichen höheren Schulen der Fall war. Ungeeignete Schüler sollten die Deutsche 142 StAS, V-A-31 Bd. 2: Sitzung der Schuldeputation vom 25. 8. 1919. – StAS, S 4488: Besprechung vom 24. 9. 1919. – StAS, V-A-2 Bd. 10: StVO-Sitzung vom 1. 10. 1919. 143 ST vom 20. 8. 1919.
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Oberschule nach dem Ende des neunten Schuljahrs verlassen müssen. Zudem wurde bei dieser Besprechung die Kommission für die Erarbeitung des Lehrplans der Deutschen Oberschule gebildet.144 Dieser wird weiter unten vorgestellt. Nachdem der Lehrplan erstellt war, fand unter dem Vorsitz des Oberbürgermeisters Dicke am 24. September 1919 eine große Sitzung statt, zu der alle in Frage kommenden Personenkreise eingeladen wurden: die Stadtverordneten, die Kuratorien des Gymnasiums mit Realschule, des Lyzeums mit Oberlyzeum, der kaufmännischen und gewerblichen Fortbildungsschule und der Fachschule, die Schuldeputation, die Direktoren des Gymnasiums und des Lyzeums, der Arbeitsausschuss der Volkshochschule und die Lehrpersonen, die dem Arbeitsausschuss für Volkshochschulkurse angehörten, der Schularzt, der Kreisschulinspektor und die Vorsitzenden des Lehrerausschusses, des Solinger Lehrervereins, des Volksschullehrervereins, des Lehrerinnenvereins und des Junglehrervereins, außerdem Professor Lammers. Insgesamt waren 36 Personen anwesend. Volksschullehrer – Rektoren, Hauptlehrer und Lehrer – waren nicht speziell eingeladen, sondern nahmen als Mitglieder der genannten Gremien und Vereine an der Sitzung teil. Hier stellte Goerdeler seinen Einheitsschulentwurf und der Studienrat Professor Dr. Wilhelm Thamhayn den Lehrplan der Deutschen Oberschule vor. Dem Protokoll zufolge übte nur der Direktor des Gymnasiums, Dr. Adolf Lange, Kritik an dem Lehrplan, weil dieser durch die Beschränkung auf eine Fremdsprache dem der Mittelschule ähnle, eine Beschränkung, die den Solinger Verhältnissen nicht gerecht werde. Seine Kritik war vermutlich schärfer, als das Protokoll sie wiedergibt. Denn die einheitliche Ablehnung des Deutschen Gymnasiums beziehungsweise der Deutschen Oberschule durch den Deutschen Oberlehrertag führte er wenige Monate später als »nachdrucksvolle Bestätigung« seiner Einwendungen an. Wie einen Monat zuvor die Schuldeputation empfahl die Versammlung die Veröffentlichung nun beider Vorträge einschließlich der Grafiken und der tabellarischen Darstellungen zum Lehrplan, um eine breite öffentliche Auseinandersetzung damit zu initiieren.145 Damit wartete die Verwaltung bis nach der Kommunalwahl vom 2. November 1919 ab. Dass die Denkschrift des Beigeordneten Goerdeler unter dem Titel »Die Einheitsschule in Solingen« am 11. November 1919 im bürgerlichen Solinger Tageblatt und am 11. und 12. November in der Solinger Zeitung veröffentlicht 144 StAS, S 4488: Besprechung über Einheitsschule am 2. 9. 1919 (Protokoll). – Die an der Sitzung teilnehmenden Lehrer waren der Direktor des Lyzeums Gustav Paschen, die Gymnasiallehrer Prof. Dr. Wilhelm Thamhayn, Oberlehrer Julius Hufschmidt, Prof. Karl Lammers und von den Volksschulen Rektor Elfried Gosekuhl, Hauptlehrer Heinrich Herzberg und Lehrer Max Meis. 145 StAS, S 4488: Besprechung über Einheitsschule am 24. 9. 1919 (Protokoll); Direktor Dr. Lange an OB Dicke, 12. 12. 1919.
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wurde, gefolgt von der Walder Zeitung und dem General-Anzeiger für Solingen und Umgegend am 12. November, alle mit genau denselben beiden grafischen Darstellungen, ist bisher in der lokalhistorischen Forschung unbeachtet geblieben. Diese bürgerlichen Zeitungen stellten anschließend den Unterrichtsplan für die Deutsche Oberschule vor, den Thamhayn auf Goerdelers Wunsch hin schriftlich fixiert hatte.146 Am 14. November 1919 zog die mehrheitssozialdemokratische Tageszeitung Solinger Volksblatt nach, beschränkte sich aber auf die Denkschrift Goerdelers. Die Zeitungen der USPD und des Zentrums, die Bergische Arbeiterstimme und die Bergische Post, druckten weder Goerdelers Entwurf noch Thamhayns Plan ab. Dass der Ohligser Anzeiger beide Schriften nicht abdruckte, war vermutlich dem gemeinsamen Realgymnasium der Kreisstädte Ohligs und Wald zu schulden.
Goerdelers Denkschrift über die Einheitsschule, erster, handschriftlich korrigierter Entwurf
Ausgangspunkt der Solinger Bildungsreform war der verlorene Erste Weltkrieg. Goerdeler beklagte dessen »unglücklichen Ausgang« und »bittere[s] Ende« und wollte Lehren aus dieser Erfahrung ziehen. Die Konsequenz aus der 146 [Wilhelm] Thamhayn: Entwurf eines Lehrplans für die Deutsche Oberschule in Solingen, in: ST vom 12. und 13. 11. 1919 (künftig zitiert als Thamhayn: Entwurf, Teil 1 und 2), SZ vom 12. 11. 1919, Walder Zeitung vom 12. 11. 1919 und GA vom 12. 11. 1919. Der Artikel im GA ist nur im StAS, S 4488 dokumentiert. – Goerdelers Denkschrift und Thamhayns Lehrplanentwurf sind abgedruckt im Anhang, S. 173 – 181 und 181 – 188.
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deutschen Niederlage, nämlich Deutschlands Absturz von der imperialistischen Großmacht zum mitteleuropäischen Machtvakuum, galt es zu überwinden. In diesem Kontext wurden Erinnerungen an die Niederlage Preußens gegen das napoleonische Frankreich 1806 aktualisiert, in deren Folge die preußischen Staatsmänner um die Freiherrn vom Stein und von Hardenberg ein Reformprogramm an Haupt und Gliedern einschließlich eine Bildungsreform vollzogen hatten. Im Zusammenhang mit der Errichtung der städtischen Volkshochschule zitierte Dr. Otto Gmelin, Studienrat am gemeinsamen Realgymnasium der Kreisstädte Ohligs und Wald, den Ausspruch des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. (1797 – 1840): »Der Staat muß durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren hat«, um fortzufahren: »In noch weit höherem Maße als damals trifft dieses Wort die heutige Lage des Deutschen Reichs.«147 Bildung wurde damit zur Voraussetzung für den staatlichen Wiederaufstieg proklamiert. Goerdeler zog aus der Niederlage Deutschlands die Konsequenz, seine Forderung nach »einer geschlossenen deutschen Bildung und einer darauf beruhenden klaren, dem ganzen Volk eigenen Weltauffassung« zu erheben.148 In der vorletzten Fassung seines Einheitsschulentwurfs hatte er noch deutlicher formuliert, »daß wir einer geschlossenen Deutschen Bildung und einer darauf beruhenden klaren deutschen Weltauffassung unbedingt und ebenso dringend bedürfen«.149 Damit ging er über seine Position vor dem Ersten Weltkrieg hinaus, als er die fehlende Einheit des deutschen Volkes nur auf die mangelnde staatliche Einigung vor 1871 bezogen hatte; nun folgte er einem verbreiteten Harmoniestreben als Reaktion auf die mannigfache Zerklüftung der deutschen Klassengesellschaft im Kaiserreich. In dieser Forderung konnten sich Konservative, Liberale und Sozialdemokraten unter je eigenen politisch-ideologischen Vorzeichen wiederfinden. Eine Perspektive der nationalistischen Rechtsopposition übernehmend, griff er, indem er die Geschlossenheit einer einheitlichen Weltauffassung der ganzen deutschen Nation forderte, indirekt den Vorwurf auf, die politische Linke hätte es wegen ideologischer Differenzen mit den nationalen Kräften an jener Geschlossenheit des deutschen Volkes mangeln lassen, die für einen Sieg im Ersten Weltkrieg erforderlich gewesen wäre. Damit bediente er sich eines Stereotyps der nationalistischen Rechten, der Dolchstoßlegende, die besagt, dass die so genannten vaterlandslosen Gesellen der Sozialdemokratie in der Heimat die Einheit des Volkes zerrissen hätten, indem sie dem Heer durch Massenstreiks und Revolution in den Rücken gefallen wären, während das deutsche Heer an der Front unbesiegt geblieben wäre. Diese Legende war eine 147 Otto Gmelin: Zur Volkshochschulfrage, in: ST vom 27. 8. 1919. 148 ST vom 11. 11. 1919; SZ vom 12. 11. 1919; Walder Zeitung vom 12. 11. 1919; SVB vom 14. 11. 1919. Hervorhebungen im Original, auch im Folgenden. 149 StAS, S 4488: Goerdeler: Die Einheitsschule in Solingen (zweiter redigierter Entwurf).
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Vier Einheitsschulmodelle in einem Schaubild der Solinger Stadtverwaltung, links die Darstellung des Solinger Entwurfs
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Geschichtsklitterung zu durchsichtigen Zwecken, um die politische Führung des Kaiserreichs, die Oberste Heeresleitung und das Heer insgesamt von der Niederlage zu entlasten und diese den politischen Gegnern zuzuschieben. Eine solche Interpretation lässt jedoch Goerdelers abgeklärten Pragmatismus außer Acht, der ein anderes Licht auf seine Forderung nach nationaler Geschlossenheit wirft. Seine sachlich-nüchterne Perspektive findet sich erneut in einer Passage seiner Denkschrift »Der Weg«, verfasst im April 1944, in der er der Obersten Heeresleitung des Ersten Weltkriegs, Hindenburg und Ludendorff, und der politischen Führung des deutschen Kaiserreichs im Kriegsverlauf schweres politisch-psychologisches Versagen vorwirft, den Dolchstoß als Legende entlarvt, die SPD-Führung und die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten aber für nervenstark und patriotisch erklärt.150 Nun sind historische Rückschlüsse nicht unproblematisch. Hat Goerdeler so auch schon 1919 gedacht, wie es die vielfachen zeitgenössischen Zeitungsberichte über das Versagen der OHL nahelegen könnten, oder ist sein Blick auf das Kriegsende und die Novemberrevolution durch die in der Weimarer Republik publizierten Akteneditionen und durch Memoirenliteratur entscheidend verändert worden? Goerdeler selbst betonte in einer seiner Denkschriften den Wert des Empirismus zur Lösung akuter Aufgaben. Seine scheinbar unvermittelte Wendung vom offensiven »Kemalisten« zum defensiven Besitzstandsverteidiger in den westpreußischen Abstimmungsgebieten lässt vermuten, dass er diese kritische Grundhaltung schon 1919 eingenommen hat. Dann muss auch seine Forderung im Einheitsschulentwurf nach der »geschlossenen deutschen Bildung« und der einheitlichen Weltauffassung des ganzen deutschen Volkes versöhnlich gedeutet werden. Somit würde sie einem gewissen sozialen Ausgleich entsprechen, an dem auch die gemäßigten Sozialdemokraten interessiert waren, die unter anderen ideologischen Vorzeichen nach der Versöhnung im Volksstaat durch Aufhebung der Bildungszerrissenheit und durch Schaffung einer einheitlichen deutschen Kultur strebten.151 Ein Vergleich kann hierbei zur Klärung dienen. Goerdeler war während seines Solinger Aufenthaltes 1919 in ständiger Fühlung mit Institutionen im Osten, die ihn über die politische Entwicklung auf dem Laufenden hielten. So erfuhr er, dass die Parteien des Abtretungsgebiets Posen-Westpreußen sich in einer Zentralarbeitsgemeinschaft organisiert hatten, die von der Deutschen Partei (dem Zusammenschluss von DNVP und DVP) über die DDP und das Zentrum bis zur
150 Vgl. Goerdeler II, S. 964 – 968. – Ausdrückliche Bezugnahme auf die amtlichen Aktenpublikationen in Goerdelers Denkschrift »Unsere Idee«, S. 99 f. 151 Berichterstattung in der Solinger Lokalpresse: z. B. in der SZ vom 5. 3. 1919. – Vgl. Karstädt: Aufbauschule, S. 25, 60, 72. – Vgl. Goerdeler : Der Weg, S. 951 f.
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SPD reichte. Welch überragende strategische Perspektiven er dieser Entwicklung beimaß, wird an folgendem Briefzitat deutlich: »Ich erlaube mir, auf die grosse Bedeutung aufmerksam zu machen, die ein positiver Erfolg in dieser Richtung [der Einigung der Parteien von der DNVP bis zur SPD] für das Reich haben würde. Als ich im Westen Mitteilung machte, im Osten hätte sich das Deutschtum von Rechts bis Links zu gemeinsamer Arbeit zusammengefunden, ging eine tiefe Bewegung durch Anhänger aller Parteien. Ich halte dies in den Bereich der grossen Politik hinüberreichende Ziel für so bedeutungsvoll, dass es m. E. vorübergehende Enttäuschungen und Augenblicksopfer […] rechtfertigt.«152
Mit dem Westen kann nur Solingen gemeint sein, wobei wiederum fraglich ist, ob Goerdeler die Reaktionen der Parteien nicht beschönigt hat und ob insbesondere die USPD-Vertreter ebenso reagiert haben, zumal es seine Absicht war, »die deutschen Arbeiter, von denen die meisten ein gesundes Nationalgefühl haben, zu positiver nationaler Arbeit zu erziehen«.153 Deutlich tritt zutage, dass er mit dem Einigungskonzept weitreichende Aussichten verband. Goerdeler legte in seinem Entwurf Wert darauf, dass die Deutschen als Weltvolk ein Schulsystem bräuchten, das auf nationale Identität, auf Realien und Begabtenförderung zu achten habe; dafür konzedierte er den Verzicht auf geschätzte humanistische Bildungsgüter in den weiterführenden Schulen. Bei Goerdeler klingt das recht verklausuliert: »Ganz abgesehen von dem unglücklichen Ausgang des Weltkrieges hätten wir nach meiner Ueberzeugung auf jeden Fall vor allem in unserem oberen Schulwesen auf manches, vielen von uns teure Bildungselement verzichten müssen, um desto mehr von jenem Wissen in uns aufzunehmen, ohne das ein Weltvolk heute seinen Platz nicht erhalten kann.«154
Zudem äußerte er sich kritisch über die bisher fehlende Erprobung der Deutschen Oberschule und über ihre Kosten, die er mittels partieller Erhebung von Schulgeld zu mindern beabsichtigte. Goerdeler schloss seine inhaltliche Darstellung mit dem Gedanken: »Deutsche Zukunft und deutsches Schulwesen sind untrennbar miteinander verbunden. In diesen Zusammenhängen wollen die Gedanken der gemeinsamen Volksschule und der Deutschen Oberschule, die nach meiner Ueberzeugung in dieser oder jener Form die Oberschule unserer Zukunft ist, gewertet werden.«
152 BArch, Berlin-Lichterfelde, R 8043, Best. 61 Deutsche Stiftung 1, Akte 1566, Bl. 523 – 525, hier Bl. 525: Carl Goerdeler, Bromberg, an den Vorstand der Vereinigung des deutschen Volkstums in Posen (DP), 22. 11. 1919, Abschrift. 153 Ebd., Bl. 524. 154 SVB vom 14. 11. 1919.
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Aus dieser schulpolitischen Perspektive den Schluss zu ziehen, der Beigeordnete habe die verschiedenen höheren Schulformen in der Deutschen Oberschule aufgehen lassen wollen, deutet die eigentliche Aussage zugespitzt um. »Die Oberschule« beinhaltet nicht die einzige, sondern die wichtigste unter den weiterführenden Schulen. Diese Deutung lässt sich mittels der dokumentierten Auffassung der Solinger Verwaltung erhärten, dass unter der hohen Zahl von Volksschülern die potenziellen Aspiranten der Deutschen Oberschule schon 1919 einen höheren Anteil als die Gymnasiasten und Realschüler ausgemacht hätten, nämlich 7,5 Prozent – richtig wären 7,9 Prozent155 – gegen 5 Prozent. Dennoch steht der verheißungsvolle Abschluss der Denkschrift in einem offensichtlichen Missverhältnis zu der verhaltenen Ausstattung der Deutschen Oberschule mit nur einer Klasse pro Jahrgang, da Goerdeler trotz der Meldung von 34 geeigneten Volksschülern mit maximal 30 Schülern der Eingangsklasse in dieser Schulform rechnete. Das bedeutet, dass er seinem Angebot an die Eltern, ihre Kinder auch ohne Befürwortung seitens der Volksschule an dieser Schulform anzumelden und dafür Schulgeld zu entrichten, nur eine hypothetische Bedeutung beimaß. Hier stand Effekthascherei im Vordergrund, um die Schwächen des Einheitsschulentwurfs zu kaschieren. An der Ausarbeitung des Lehrplans der Deutschen Oberschule waren drei Lehrer des Gymnasiums beteiligt gewesen, außer dem Studienrat und stellvertretenden Schulleiter Professor Dr. Wilhelm Thamhayn der Studienrat Dr. Leopold Schulz-Bannehr und der Oberlehrer Julius Hufschmidt, weiter der Direktor des Städtischen Lyzeums Gustav Paschen, der Rektor der evangelischen Volksschule Stöcken Elfried Gosekuhl und der Lehrer an der evangelischen Knabenschule Dorper Straße Max Meis. Thamhayn war Vorsitzender des Philologenvereins und Mitgründer der DNVP in Solingen, zeitweilig auch Meister vom Stuhl der humanitären Freimaurerloge Zur bergischen Freiheit. Der von Thamhayn geleitete Philologenverein entwickelte bereits im Mai 1919 Grundsätze für die Einheitsschule mit vierjähriger gemeinsamer Grundschule, auf die eine reichhaltige Untergliederung in die existierenden Schulformen, getrennt nach Jungen- und Mädchenschulen, aufbauen sollte. Begabten Kindern aus allen Volksschichten sollte der Besuch weiterführender Schulen mittels materieller Förderung ermöglicht werden. Die »innere Einheitlichkeit« der differenzierten Schulformen sollte durch die »Darbietung nationaler und gemütspflegender Bildungsstoffe« gewährleistet werden.156 Paschen hatte der linksliberalen Fortschrittlichen Volkspartei angehört und wandte sich 1919 zur nationalliberalen DVP, deren Reichsschulausschuss sich für eine differenzierte Form der Ein155 StAS, S 4488: Zusammenstellung der Ergebnisse der Rundfrage Goerdelers an die Solinger Volksschulleiter vom 13. 8. 1919. 156 ST vom 14. 5. 1919. BASt vom 15. 5. 1919.
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oben Professor Dr. Wilhelm Thamhayn und Oberlehrer Julius Hufschmidt, unten Direktor Gustav Paschen (stehend links) und Studienrat Dr. Leopold Schulz-Bannehr (sitzend rechts) im Lehrerzimmer des Gymnasiums
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Rektor Elfried Gosekuhl und Volksschullehrer Max Meis
heitsschule aussprach. Schulz-Bannehr, der erst nachträglich in die Lehrplankommission aufgenommen wurde, war langjähriger stellvertretender Vorsitzender des Vereins für Technik und Industrie und neben seinem Lehramt am Gymnasium nebenamtlicher Lehrer an der Fachschule für die Stahlwarenindustrie. Hufschmidt organisierte den internationalen Schüleraustausch der Gymnasiasten. Auch Hufschmidt und Schulz-Bannehr tendierten wohl zur DVP, wo Hufschmidt bereits im Mai 1919 über die Einheitsschule referiert hatte, während Meis vor dem Solinger Lehrerverein im Kontext der Einheitsschule das Thema »Das soziale Werden in der Schule« behandelt hatte. Gosekuhl war 35 Jahre lang Vorsitzender der evangelischen Lehrerkonferenz Solingen und 22 Jahre lang Mitglied der Schuldeputation. Meis, wie Thamhayn Freimaurer, hatte schon vor dem Ersten Weltkrieg seine Mittelschullehrer- und Rektorprüfung abgelegt sowie Einführungskurse für Junglehrer und naturwissenschaftliche Fortbildungskurse für Lehrer abgehalten. Dass er im November 1919 als MSPD-Vertreter auf dem vierten Listenplatz zum Stadtverordneten gewählt wurde, weist ihn als den Aufsteiger in die Führungsriege seiner Partei aus. An seiner Einbeziehung zeigt sich Goerdelers Bestreben nach einer breiten politischen Basis für seinen Einheitsschulentwurf. Dass drei Gymnasiallehrer und ein Lyzeumsdirektor an dieser Planung maßgeblich mitwirkten, entsprach der Strategie des Philologenverbandes, die Ausgestaltung der Einheitsschule, wenn deren Kommen schon nicht zu verhindern wäre, von vornherein im eigenen
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Interesse zu beeinflussen.157 Für die Ausarbeitung des Lehrplans benötigte die Kommission nur drei Wochen. Um die geschlossene Weltauffassung des deutschen Volkes herzustellen, wurden nun in dem Solinger Lehrplan für die Deutsche Oberschule die Gesinnungsfächer Deutsch und Geschichte in den Vordergrund gerückt, während vor allem in sozialistischen Entwürfen das Fach Geschichte höchstens ein Schattendasein im Kontext beispielsweise des Faches Deutsche Staats-, Wirtschaftsund Soziallehre spielte.158 Wie der von Thamhayn und seinen Kollegen entwickelte Lehrplan zeigt, entfielen in der Deutschen Oberschule die humanistischen Kulturfächer Griechisch und Latein, deren »ganzer Bildungsstoff […] aus der deutschen Kultur herausgeholt werden« sollte.159 Auch die zweite Fremdsprache fiel fort. Die damals als Wandervogelfächer bezeichneten, mit deutschen Kulturgütern ausgestatteten Fächer wurden aufgewertet. Der Anteil des Deutschunterrichts wurde etwa doppelt so hoch wie an den anderen weiterführenden Schulformen angesetzt, der des Fachs Geschichte um etwa ein Drittel höher. Im Fach Deutsch sollte ein vollständiger Durchlauf durch die deutsche Literaturund Sprachgeschichte einschließlich des Alt-, Mittel- und Frühneuhochdeutschen geleistet werden, und auch andere Fächer sollten vermehrt Deutschkunde betreiben. In Religion wäre es »die deutsche Kirchengeschichte, insbesondere auch die rheinische«, die »stärker als sonst betont werden könnte«. In Philosophischer Propädeutik würde als philosophisches System »am besten Kant« gelehrt, wobei der Verfasser von der Anfang 1919 erschienenen kleinen Schrift seines bisherigen sozialdemokratischen Kollegen Karl Vorländer, »Kant als Deutscher«, inspiriert gewesen sein könnte.160 Sogar die einzige obligatorische Fremdsprache, Englisch, sollte als »Gegenstück zur deutschen« dienen, um ein »vertieftes Verständnis für die Eigenart unseres Volkstums« zu wecken.161 Das Fach Geschichte, dessen vaterländische Dimension Thamhayn nicht einmal ausdrücklich hervorhob, stand in Goerdelers Vorentwurf noch an aussagekräftiger zweiter Stelle nach Deutsch mit Literaturgeschichte. Es sollte in der Abschlussklasse Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre, gegebenenfalls auch die Geschichte der modernen Parteien einschließen. In Erdkunde wäre von 157 DVP: Vgl. Eberhard Kolb/Ludwig Richter (Hg.): Nationalliberalismus in der Weimarer Republik. Die Führungsgremien der Deutschen Volkspartei 1918 – 1933, Düsseldorf 1999, S. 177. – Buchenau: Einheitsschule. – Hufschmidts Referat bei der DVP: ST vom 19. 4. 1919; StVO-Kandidatur der Ehefrau Schulz-Bannehrs auf der DVP-DNVP-Liste: ST vom 20. 10. 1919. – Meis’ Kandidatur hinter Wilhelm Weber, Ernst Forkert und Hugo Schaal: STvom 24. 10. 1919. Referat: BASt vom 17. 5. 1919. 158 So der Entwurf von Dr. Alfred Schmidt, Bunzlau, abgedruckt in: Karstädt: Aufbauschule, Anhang. 159 Thamhayn: Entwurf, Teil 1. Hier auch die weiteren nicht nachgewiesenen Zitate. 160 Karl Vorländer : Kant als Deutscher, Darmstadt 1919. 161 Thamhayn: Entwurf, Teil 2. Hier auch die weiteren nicht nachgewiesenen Zitate.
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Deutschland und den mit ihm verbundenen Ländern auszugehen. In den Naturwissenschaften sollten die biologischen Bereiche Pflanzen- und Tierkunde »möglichst unter Berücksichtigung der Heimat« behandelt werden, in Kunstgeschichte auch die Geschichte des deutsches Gewerbes. Deutlich wird die überragende nationale Ausrichtung des Unterrichts in der Deutschen Oberschule, wobei auch das Wahlfach Musikgeschichte die ausländische Komposition nur in Bezug auf die deutsche zu berücksichtigen hätte. Auf der anderen Seite waren Mathematik und die Naturwissenschaften stärker als in den traditionellen weiterführenden Schulen im Stundenplan vertreten, sodass insoweit eine gewisse Annäherung an das Realschulsystem vollzogen wurde. Goerdeler spricht von der »Deutsche[n] Oberschule, Knaben und Mädchen vom 14. bis 19. Lebensjahr umfassend«, was den Eindruck erweckt, dass es sich um ein koedukatives System handelte. Einzuwenden ist dagegen, dass auch die Volksschule Mädchen und Jungen umfasste, dies jedoch zumeist in geschlechtsspezifischen Schulen beziehungsweise Klassen. Des Weiteren sagt Goerdeler an keiner Stelle seines Entwurfs ausdrücklich, dass Mädchen und Jungen koedukativ unterrichtet werden sollten. Lediglich seine unveröffentlichte Kostenberechnung enthält hierzu den Schlüsselsatz: »Nach einer Rundfrage bei den Schulleitern kommen 35 Schüler für eine Oberschule infrage, was eine Klasse erfordert, nach 4jährigem Aufstieg 5 Klassen.«162 Da die Schülerzahl sich aus Jungen und Mädchen zusammensetzt, weist die Einrichtung nur einer Klasse pro Jahrgang eindeutig auf koedukative Erziehung hin. Man muss davon ausgehen, dass diese ausschließlich aus Kostengründen akzeptiert wurde, weil die gemeinsame Erziehung von Jungen und Mädchen anderenfalls hätte begründet werden müssen. Speziell die von den Stadtverordneten schon beschlossene Fortbildungsschule (Berufsschule) für Mädchen sollte neben ihrem Erwerbsberuf das konservativ-traditionelle Frauenbild pflegen: »Tüchtige Hausfrauen heranzubilden sei ihr Hauptziel. Neben Nähen, Schneidern, Plätten und Kochen sollen auch Garten- und Landarbeit getrieben werden«, so Goerdeler in seinem Entwurf über die Solinger Einheitsschule. Dieses Frauenbild herrschte allgemein vor – bis weit in die Reihen von SPD und KPD. Der 1924 in Kraft getretene preußische Lehrplan der Deutschen Oberschule legte für Jungen und Mädchen getrennte Schulen mit variierten Lehrplänen fest.163 Es überrascht, dass dieser programmatische Entwurf Goerdelers keinen Eingang in die Edition seiner »Politischen Schriften« von Sabine Gillmann und Hans Mommsen gefunden hat, zumal er damit seinen eigentlichen Wirkungs-
162 StAS, S 4488: Berechnung der Kosten einer deutschen Oberschule (August 1919?). 163 Vgl. Die Neuordnung des preußischen höheren Schulwesens. Denkschrift des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Berlin 1924, S. 55, 58.
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bereich, die Volksschulen und die auf ihnen aufbauenden Schulformen – Fortbildungsschule, Volkshochschule –, weit überschritt. Wie hat die Solinger Öffentlichkeit auf diesen Einheitsschulentwurf reagiert? Die linksliberale Deutsche Demokratische Jugend veranstaltete zwei Wochen nach dessen Veröffentlichung einen Vortragsabend, auf welchem der Volksschullehrer Ernst Jäger, Vorstandsmitglied der Solinger DDP, über das Thema »Konservative und demokratische Auffassung über Einheits- und Simultanschule« referierte.164 Zwar berichteten die Zeitungen über die Veranstaltung nicht, aber anhand der Debatten auf den DDP-Reichsparteitagen von 1919 und 1920 kann erschlossen werden, welche Auffassung er vertreten haben wird. Auf dem Parteitag im Juli 1919 sprach sich der Parteivorsitzende Friedrich Naumann für die nationale Einheitsschule als allgemeine Volksschule aus, in der alle Jugendlichen im republikanischen Sinn erzogen würden. Ein Debattenredner unterstrich die Forderung nach einer einheitlichen deutschen Kultur im Sinne einer vom Besitz unabhängigen sozialen Bildungspolitik. Der hessische Kultusminister Reinhard Strecker warnte vor einer stärkeren Aufgliederung der Einheitsschule, sollte sie doch die pädagogische Entsprechung zu dem angestrebten Einheitsstaat darstellen.165 Auf dem zweiten DDP-Parteitag im Dezember 1920 wurden die »Leitsätze zur Schulfrage« angenommen, die die Einheit des Volkes betonten und der Einheitsschule einen besonderen Rang zuwiesen: »Die Einheitlichkeit des deutschen Schulwesens ist eines der stärksten Fundamente der Reichseinheit.«166 Was die überkonfessionelle Simultanschule betraf, sprach sich die DDP im Gegensatz zur DNVP und zum Zentrum eindeutig für diese Schulform aus. Zudem war es ein DDP-Mann, der Theologe und Kulturphilosoph Ernst Troeltsch, der als damaliger Unterstaatssekretär im preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung einer der geistigen Urheber der Deutschen Oberschule wurde. Zu Goerdelers Position zur Simultanschule sind direkte Äußerungen nicht überliefert. Es kann nur angenommen werden, dass er sie befürwortete; jedenfalls trat die Freikonservative Partei schon vor 1914 für die konfessionsübergreifende Volksschule ein. Das Solinger Tageblatt berichtete von einer Debatte über den konfessionellen Charakter des Volksschulwesens. Die evangelische Kirchengemeinde Solingen hatte den Direktor des Verbandes Deutscher Evangelischer Schul-, Lehrer- und 164 ST vom 24. 11. 1919. 165 Bericht über die Verhandlungen des 1. Parteitags der Deutschen Demokratischen Partei abgehalten in Berlin vom 19. bis 22. Juli 1919, hg. von der Reichsgeschäftsstelle der DDP, Berlin 1919, S. 190, 193 (Naumann), 253 f. (Stadtverordneter Peter Mütze, Kassel), 254 f. (Strecker). 166 Bericht über die Verhandlungen des 2. ordentlichen Parteitags der Deutschen Demokratischen Partei abgehalten in Nürnberg vom 11. bis 14. Dezember 1920, hg. von der Reichsgeschäftsstelle der DDP, Berlin o. J., S. 325.
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Lehrerinnen-Vereine, den DNVP-Politiker und pensionierten Rektor August Grünweller aus Rheydt, zu einem Vortrag über das Schulwesen eingeladen, in dem dieser für die »positive« christlich-evangelische Konfessionsschule, aber gegen die geistliche Schulaufsicht plädierte. In der Diskussion erwiderte der linkspazifistische Ketzberger Pfarrer Lic. Hans Hartmann, nicht die Konfessionsschule, sondern die »Einheitsschule des Tatchristentums« solle eingeführt werden. Er trat für einen obligatorischen gemeinsamen religionsgeschichtlichen Unterricht und für einen fakultativen konfessionellen Unterricht ein. In weiteren Ausgaben des Tageblatts sprach sich der Direktor Gustav Paschen, Goerdelers und Thamhayns Mitstreiter, zur Frage »Simultanschule oder konfessionelle Volksschule?« im Sinne einer evangelischen Volksschule ohne religiösen Zwang aus, womit er sich in Übereinstimmung mit der evangelischen Lehrerschaft und dem Presbyterium befand, während der Solinger Pfarrer Otto Müller für die modifizierte herkömmliche liberale evangelische Volksschule plädierte und ein gewisses Verständnis für Hartmanns religionsgeschichtlichen Unterricht entwickelte. Dies rief wiederum den Evangelischen Schulverein auf den Plan, der sich entschieden für die »positive« evangelische Volksschule auf biblischer Grundlage aussprach, die Simultanschule als »Tummelplatz der Meinungen« ablehnte und an ihrer Stelle die religionslose Schule vorziehen wollte.167 Auch die katholischen Stellungnahmen waren nicht einheitlich. In der Bergischen Post erschien Ende November 1919 in zwei Teilen der Artikel »Vom Bildungssystem« von einem anonymen Verfasser »-ng« – es könnte sich um den Rektor der katholischen Solinger Volksschule Krahenhöhe, Johannes Vogelsang, gehandelt haben –, der sich prinzipiell positiv zu Goerdelers Einheitsschulentwurf äußerte. Der Autor betonte einerseits, dass sich das Volk einschließlich die unteren Stände, wie er sich ausdrückte, gerade nach dem animalischen Leben in Kriegszeiten nach den Quellen von Wissen und Bildung, nach geistiger Gleichheit sehne. Die Volksbildung habe auch den Vorteil, das politische Denken anzuheben. Um der Sehnsucht nach geistiger Befreiung zu entsprechen, solle das Bildungswesen sozialisiert werden. Der andere Vorteil der Einheitsschule sei die »scharfe und gerechte Auslese der begabten Schüler«, wobei der Autor auf die Bewährungsprobe in der Praxis verwies. Als beispielhaft nannte er die freideutsche Jugendbewegung, wo viele Jugendliche trotz hoher Bildung handwerkliche Berufe ergriffen, um, wie er es drastisch ausdrückte, »die Dekadenz unserer heutigen ›besseren Gesellschaft‹ und ihrer konventionellen Be167 ST vom 15. 1. 1920 (Zitat Hartmann), 17. 1. 1920, 22. 1. 1920, 26. 1. 1920 (Zitat Evangelischer Schulverein). – EKAS, Protokolle des Presbyteriums 1913 – 1920, Sitzung vom 10. 1. 1919, S. 287 f. – Zur Haltung der evangelischen Kirche in Rheinland-Westfalen zur Schulfrage nach der Revolution von 1918 vgl. Dirk Bockermann: »Wir haben in der Kirche keine Revolution erlebt«. Der kirchliche Protestantismus in Rheinland und Westfalen 1918/1919, Köln 1998, S. 150 – 173.
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schränktheit« abzustreifen.168 Der Verfasser äußerte sich überzeugt, dass die Einheitsschule und die Deutsche Oberschule sich durchsetzen würden, weil es um soziale Gerechtigkeit gehe. Das Solinger Modell werde aber unter dem Problem des vereinzelten Provisoriums leiden. Das Solinger Tageblatt berichtete mit anderer Tendenz im Januar 1920, dass nun auch die katholische Bewegung für die Solinger Konfessionsschulen gewonnen sei.169 Der Solinger Zeitung sind zwei bürgerliche Reaktionen auf die Beiträge von Goerdeler und Thamhayn zu entnehmen. Wilhelm Niemöller, Student in Marburg und Absolvent des Solinger Gymnasiums (1913), bewertete die geplante Deutsche Oberschule positiv, hatte aber zwei ergänzende Vorschläge. Zum einen hielt er die Einführung der Fremdsprache Latein für notwendig, damit die Abgänger der Deutschen Oberschule die gesamte Bandbreite der Studienfächer studieren könnten, einschließlich Theologie, Rechtswissenschaft, Sprachwissenschaft und Geschichte. Er bezweifelte, dass eine Schulform, die nur auf ein schmales Spektrum an Studienfächern hinführen würde, viel Resonanz bei den Schülern fände. Zum anderen plädierte er für die Einführung des Pflichtfachs Stenografie als in jeder Hinsicht vorteilhaft, und zwar für das System Gabelsberger. Dies rief den Studienrat Professor Peter Spelter auf den Plan, der als langjähriger Stenografielehrer am Solinger Gymnasium sich entschieden für das System Stolze-Schrey stark machte.170 Soweit die bürgerlichen Reaktionen. Wie haben die Solinger Sozialdemokraten beider Richtungen Goerdelers Entwurf beurteilt? Der lokalhistorischen Forschung war bisher nicht aufgefallen, dass ein sozialdemokratischer Volksschullehrer an der Ausgestaltung des Einheitsschulmodells und an der Unterrichtsplanung für die Deutsche Oberschule beteiligt gewesen war. Max Meis’ Mitwirkung zeigt, dass das differenzierte Solinger Einheitsschulmodell und die Neugestaltung der Oberschule auf deutschkundlicher Grundlage mit den noch unspezifischen programmatischen Vorstellungen dieser Partei vereinbar waren. Unter den sozialdemokratischen Reaktionen auf Goerdelers Entwurf ist als wichtigste die des Hauptlehrers der evangelischen Volksschule Am Rosenkamp in Wald, Albert Kaesgen, zu nennen, der seine Erwiderung in einer dreiteiligen Artikelfolge im mehrheitssozialdemokratischen Solinger Volksblatt vom 24. bis 26. November 1919 veröffentlichte.171 Es war die einzige gründlich ausgearbeitete Reaktion überhaupt.
168 Vom Bildungswesen, in: BP vom 27. und 28. 11. 1919; Zitate: BP vom 28. 11. 1919. 169 ST vom 17. 1. 1920. 170 SZ vom 22. 11. 1919, 24. 11. 1919. – Zu Spelter vgl. Heinz Rosenthal: Geschichte des Gymnasiums Schwertstraße zu Solingen im Rahmen der Stadtgeschichte, Solingen o. J. (1953), S. 73 f. 171 [Albert] Kaesgen: Kritik zu dem Entwurf einer Solinger Einheitsschule, 3 Teile in: SVB vom 24., 25., 26. 11. 1919 (künftig zitiert als Kaesgen: Kritik, Teil 1, 2 und 3), abgedruckt im
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Haupteingang der Volksschule Am Rosenkamp Anhang, S. 189 – 195. – Irrig sind die Einschätzungen der lokalgeschichtlichen Forschung, vgl. Rosenthal: Solingen 3, S. 413; Kahrl: Goerdelers Auffassung, S. 24.
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Kaesgen warf Goerdeler Etikettenschwindel vor : Der Beigeordnete wolle keine Einheitsschule, sondern weiterhin ein mehrfach gegliedertes Schulsystem, das um die Deutsche Oberschule lediglich ergänzt werden solle. Goerdelers Entwurf sei keine Reform, denn er lasse den größten Teil der Schüler, nämlich die Volks- und Fortbildungsschüler, unberücksichtigt. Kaesgen hielt dem Beigeordneten vor, dass er seiner Einheitsschule in Form von individuellem Schulgelderlass und Stipendien »ein soziales Mäntelchen umhängen« wolle.172 Dadurch bleibe aber die alte Standesschule erhalten. Der Rektor bestand auf Unentgeltlichkeit, vergleichbar der militärischen Ausbildung. Die Abschaffung des Schulgeldes begriff er als einen Ausdruck sozialer Gerechtigkeit. Er gab zu bedenken, dass nach Erkenntnissen der Solinger Verwaltung 7,5 Prozent der schulentlassenen Volksschüler voraussichtlich die Befähigung zum Besuch der Deutschen Oberschule hätten, und fragte: »Sind das nicht in erster Linie diejenigen, denen ein früherer Besuch der bisherigen höheren Schule aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich war?«173 Ließe man aber diese Schüler mittels Schulgeldbefreiung und Stipendien die herkömmlichen weiterführenden Schulen besuchen, wäre der Zustrom zu den Deutschen Oberschulen noch geringer. Zudem kritisierte Kaesgen die einseitige Auslese, die die geistige Befähigung, nicht aber Spezialbegabungen berücksichtige, sowie die Trennung von Jungen und Mädchen statt der Gleichberechtigung der Geschlechter. Goerdelers Behauptung, die Deutsche Oberschule solle die Oberschule der Zukunft werden, war aus Kaesgens Sicht eine Beschönigung. Seinen Einwand formulierte er so: »Warum hat man […] denn nicht sofort damit begonnen, diesen Gedanken zu verwirklichen und die [herkömmliche] Oberschule der deutschen Oberschule überhaupt angepaßt?« Hätte Goerdeler diesen Gedanken aufgegriffen, hätte er »von einer allmählichen Vereinheitlichung der Oberschulen« sprechen müssen. Offensichtlich strebte Goerdeler genau diese einheitliche Form der Oberschule nicht an, sondern zielte darauf ab, die unterschiedlichen Oberschulformen nebeneinander bestehen zu lassen. Kaesgens Hauptkritikpunkt bezog sich jedoch darauf, dass die Volksschulen, die nach seinen Angaben 95 Prozent der Schüler unterrichteten,174 zu einem Schattendasein verurteilt bleiben würden. Er betonte: »Hier liegt der Angelpunkt einer wirklichen Schulreform: alle Verbesserungen müssen bei der Grundschule (Volksschule) beginnen und von dort ausstrahlen auf die anschließenden Schulgattungen, nicht umgekehrt. Von diesem Gedanken ist in der So172 Kaesgen: Kritik, Teil 1. 173 Kaesgen: Kritik, Teil 2. Hier auch die weiteren nicht nachgewiesenen Zitate. 174 Die Zahl ist vermutlich etwas zu hoch angesetzt, da in Preußen im Schuljahr 1906/1907 durchschnittlich 8 Prozent aller Kinder einen über den Volksschulabschluss hinausgehenden Unterricht erhielten.
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linger Einheitsschule nichts zu spüren; man zerbricht sich die Köpfe, wieviele und welche Schulen man um die Volksschule herumsetzen soll und vergißt dabei die Hauptsache: die Schule, auf die nach wie vor über 80 Prozent unseres Volkes angewiesen sind.«
Unterschrift von Albert Kaesgen
Der Unterschied zwischen den 95 Prozent beziehungsweise über 80 Prozent erklärt sich daraus, dass Kaesgen von den 95 Prozent derzeitiger Volksschüler 7,5 Prozent als für die Deutsche Oberschule vorgeschlagen abzog und von einem weiteren Prozentsatz von Eltern ausging, die ihre Kinder nach der Volksschule auch ohne das positive Votum des Klassenlehrers die Deutsche Oberschule besuchen lassen würden. Er urteilte entschieden: »Wir verwerfen daher den Solinger Plan, der der Volksschule nur ein bescheidenes Plätzchen neben den andern Schulen gönnt«. Stattdessen verlangte er die verbindliche achtklassige Volksschule für alle, auf die die vierklassige Fortbildungsschule beziehungsweise die fünfklassige Oberschule aufbauen sollten. Die Volksschule sollte entschieden verbessert werden durch eine Höchstfrequenz von 30 Schülern pro Klasse, Koedukation, Lernmittelfreiheit, reichliche pädagogische Ausstattung der Schulen und erhöhte Gesundheitspflege. Der Volksschul-Lehrplan sollte von der sechsten Klasse an eine Fremdsprache als Wahlfach anbieten. Die aus heutiger Sicht nahe liegende Annahme, dass es sich um Englisch handelt, wird durch zeitgenössische Quellen nicht bestätigt. Der sozialdemokratische Ministerialbeamte im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Otto Karstädt fand einleuchtende Gründe für Latein als hervorragende Grundlegung, für Englisch als relativ leicht zu erlernende germanische Sprache und für Französisch als ausgesprochen fremdartige Sprachalternative. Er hielt den Einsatz des Englischen im niederdeutschen Sprachraum, dem auch das Solinger Platt zuzuordnen ist, für fragwürdig, weil es »dem Deutschen, namentlich dem Plattdeutschen, so nahe [stehe], daß es fast wie eine deutsche Mundart wirken könnte«.175 Laut Kaesgen sollte Englisch oder Französisch anschließend in der Fortbildungsschule als Wahlfach, in der Oberschule als Pflichtfach unterrichtet werden. In der Oberschule sollten als Wahlfächer die zweite lebende Fremdsprache und Latein hinzukommen. Damit sah Kaesgen
175 Karstädt: Aufbauschule, S. 67 – 69, Zitat S. 68 f.
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»die wesentlichen Bedenken derer zerstreut, die einer Abzweigung der Oberschule vom vierten Schuljahre ab das Wort reden«.176 Kaesgen formulierte für die sozialdemokratische Schulpolitik das Ziel, Realund Oberrealschule, Gymnasium und Lyzeum langfristig in der Deutschen Oberschule aufgehen zu lassen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kaesgen zwar sachlich, aber keineswegs gnädig mit Goerdelers Entwurf einer Einheitsschule umging. Er akzeptierte Goerdelers Entwurf der Einheitsschule als angebliches Rückgrat des Schulsystems nicht, sondern nur als ein System unter mehreren. Kaesgens Kritik kann um drei andere sozialdemokratische Reaktionen ergänzt werden. Der Schulverein der evangelischen Volksschule Bünkenberg stellte im Gegensatz zu Goerdelers Entwurf folgende Forderungen auf: eine überkonfessionelle, koedukative, mindestens sechsjährige Grundschulzeit und eine gemeinsame Oberschule, wobei die unteren Klassen der traditionellen weiterführenden Schulen sukzessive abzubauen seien. Der Übergang zur Oberschule sei nicht vom Einkommen der Eltern, sondern nur von Befähigung und Neigung abhängig zu machen.177 Die Bergische Arbeiterstimme, die sich zur USPD orientiert hatte, veröffentlichte Goerdelers Entwurf nicht und brachte auch keine direkte Stellungnahme. Jedoch lässt sich ein großer Beitrag auf der Basis eines USPD-Antrags in der preußischen Landesversammlung vom Anfang Dezember 1919 unter dem Titel »Grundsätzliche Schulpolitik der USPD in Preußen« als indirekte Reaktion werten. Darin forderte die USPD »den Abbau des höheren Schulwesens und den Aufbau der Einheitsschule«, die Einführung des Rätesystems im Bildungswesen, und zwar Bildungs- und Erziehungsräte der Gemeinden, Fachbeiräte aus Lehrern, Psychologen und Schulhygienikern sowie Interessentenräte, die die Eltern und Schüler einer Schule vertreten. Das Erziehungswesen sollte mit dem obligatorischen Kindergarten beginnen, gefolgt von der einheitlichen Grundschule (Volksschule); daran anschließend war ein Kurssystem mit Gemeinschaftsunterricht in allgemein wichtigen Fächern und Sonderkursen für die speziellen Ausbildungsbedürfnisse vorgesehen.178 Im März 1920 erläuterte der entschiedene Schulreformer Max Hermann Baege, ohne sich speziell auf Goerdelers Modell zu beziehen, in der Bergischen Arbeiterstimme die Konzeption der Einheitsschule als ein System mit »einheitlichem Organisationsplan, aber nicht etwa mit einheitlichem Lehrplan«, das adäquat zu den unterschiedlichen Anlagen und Begabungen »bis aufs feinste differenziert« ausgestaltet werden müsse. Privilegien für Kinder begüterter Eltern sollten ausge176 Kaesgen: Kritik, Teil 3. 177 ST vom 2. 12. 1919. 178 Antrag der USPD in: GStA PK, I. HA Rep. 90 A Staatsministerium Jüngere Registratur, Nr. 2400, Bl. 193. Der Antrag ist wörtlich wiedergegeben in: BASt vom 2. 12. 1919.
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schlossen werden. Er legte auf die schulischen Aufstiegschancen der handwerklich-praktisch veranlagten Schüler besonderen Wert und betonte: »Ja, die Einheitsschule ist einst dann vollständig, wenn das gesamte Berufsschulwesen in sich und mit den allgemeinen Bildungsanstalten so verbunden ist, daß dadurch allen Begabungen der Aufstieg bis zu einer Hochschule möglich wird.«179 Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass Goerdelers Einheitsschulentwurf trotz der Mitwirkung eines sozialdemokratischen Volksschullehrers am Lehrplan der Deutschen Oberschule im sozialistischen Spektrum – auch bei den gemäßigten Solinger Mehrheitssozialdemokraten – überwiegend auf Ablehnung stieß, weil er von dieser Seite als Mogelpackung empfunden wurde. Der Gegensatz zwischen der sozialdemokratischen Einheitsschule und Goerdelers Modell entsprach in etwa der zwischen den organisatorischen Einheitsschulentwürfen des linken Flügels der entschiedenen Schulreformer um den kurzfristigen preußischen Kultusminister Adolph Hoffmann einerseits und der differenzierten Einheitsschule, wie sie Georg Kerschensteiner, der entschiedene Schulreformer Baege und der Deutsche Lehrerverein als Vertretung der Volksund Mittelschullehrer forderten und das Philologenblatt aufgriff, andererseits. Eine gewisse Mittelposition nahmen der entschiedene Schulreformer Paul Oestreich und der Geschäftsführer des Deutschen Lehrervereins Johannes Tews ein, der bezeichnenderweise auf der Reichsschulkonferenz 1920 einen Kompromiss mit dem Philologenverband schloss.180 Wie verhielt sich Goerdelers Einheitsschulentwurf zu den schulpolitischen Vorstellungen der Deutschnationalen? Die DNVP hatte sich schon in ihrem Aufruf vom 24. November 1918 für ein »starkes deutsches Volkstum«, »unabhängig […] von fremden Einflüssen«, ausgesprochen und für die »Volksschule als Grundlage der Bildung des Volkes« plädiert, die auch wirtschaftlich eine Chance zum »Aufstieg von der Volksschule zur höheren Bildung« ermöglichen solle.181 An diesen skizzenhaften Deklamationen lässt sich bei aller Unbestimmtheit im Einzelnen jedenfalls kein Gegensatz, sondern eine gewisse Vereinbarkeit der deutschnationalen Grundsätze mit dem Entwurf Goerdelers feststellen. Auffällig ist zudem, wie sehr Goerdelers Entwurf den Leitsätzen des Solinger Philologenvereins vom Mai 1919 entspricht.182 179 M. H. Baege: Die Einheitsschule, in: BASt vom 13. 3. 1920. 180 Vgl. die Schriften: J[ohannes] Tews: Die deutsche Einheitsschule. Freie Bahn dem Tüchtigen. Im Auftrage des Geschäftsführenden Ausschusses des Deutschen Lehrervereins, Leipzig 1916, bes. S. 28, 99 – 101. – Durchführung der Einheitsschule in Berlin. Vortrag im Berliner Lehrerverein von J. Tews, Berlin o. J. (1919). – Heinrich Ströbel: Entschiedene Schulreform, in: Die Weltbühne 15, 1919, Nr. 43 vom 16. 10. 1919, S. 463 – 468. – Buchenau: Die differenzierte Einheitsschule. – Boelitz: Aufbau, S. 66. 181 Michaelis/Schraepler : Der Weg in die Weimarer Republik, S. 203 f. 182 ST vom 14. 5. 1919. BASt vom 15. 5. 1919.
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Der nationalliberale preußische Kultusminister Otto Boelitz kam Goerdelers Entwurf insofern nahe, als er das durchlässiger gewordene Schulsystem im Anschluss an Kerschensteiner als Einheitsschule charakterisierte; unter diesem Begriff subsumierte er konfessionelle, überkonfessionelle und religionslose Volksschulen für Jungen, für Mädchen oder auch für beide Geschlechter, Mittelschulen, Fortbildungsschulen, Volkshochschulen, Realschulen und Gymnasien für Jungen, Lyzeen und Oberlyzeen für Mädchen, die Deutsche Oberschule sowie die Universitäten und Technischen Hochschulen. Erst zu Ostern 1924 führte das Kultusministerium die preußischen Lehrpläne für die Deutsche Oberschule ein, jedoch wurden ihr durch eine schlechte Ausstattung der Schulen zusätzliche Steine in den Weg gelegt. Der preußische Lehrplan, nun von der großen Koalition einschließlich der nationalliberalen DVP verantwortet, rückte in allen kulturwissenschaftlichen Fächern die Äußerungen deutschen Geistes in den Vordergrund. Hier hatte das Fach Geschichte wie bei Goerdeler eine starke Stellung, während sozialdemokratische Schulreformer zur reinen Gegenwartsschule neigten. Eine zweite Fremdsprache war als freiwilliges Angebot vorgesehen, um den Absolventen ein möglichst breites Spektrum an Studiengängen zu eröffnen.183 In Solingen wurde dieser Schultyp nicht eingeführt, zumal die Volksschulen mangels Nachfrage schon 1920 nur in elf von 21 Volksschulen achtjährige Systeme errichtet hatten und im nachfolgenden Schuljahr mehrheitlich zum siebenjährigen System zurückkehrten. Kaesgens Prognose, dass Goerdelers Deutsche Oberschule das Schulsystem nur ergänzen würde, wurde in der Praxis bestätigt durch die Tatsache, dass in ganz Preußen 1924 neben 891 Gymnasien und Realschulen nur vier Deutsche Oberschulen existierten.184 Überblickt man die Beigeordneten-Tätigkeit Goerdelers in Solingen, so wird seine enorme Schaffenskraft deutlich. Er hatte nicht zu reflektieren, welche Arbeit ihm übertragen werden sollte, sondern musste auf die ihm auferlegten Sachbereiche und Einzelarbeiten, gleichgültig ob sie seinen Interessen entsprachen, sachbezogen reagieren. Goerdeler nahm das Maß an Aufgaben, die der Oberbürgermeister Dicke ihm in sprunghaft steigendem Ausmaß übertrug, nicht nur klaglos hin, sondern arbeitete seinem Vorgesetzten energisch zu. Er machte als leistungsfähiger, loyaler Beamter die Kärrnerarbeit. In der Solinger Stadtverwaltung war er in einer nachgeordneten Position, vergleichbar dem Stabsoffizier im Ersten Weltkrieg, der die eigentliche Arbeit leistete. Im Laufe seiner Amtszeiten als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter und als Beigeordneter erwies sich, wie gut es ihm gelang, komplexe Probleme zu moderieren. In seinen 183 Boelitz: Aufbau, bes. S. 9 f., 66, 91 – 96. – Zur Gegenwartstendenz vgl. Karstädt: Aufbauschule. 184 Boelitz: Aufbau, S. 192; außerdem 53 oder 73 Aufbauschulen, die teilweise nach dem Prinzip der Deutschen Oberschule arbeiteten, ebd., S. 101. – StAS, IV-A-1: Haushaltspläne der Stadt Solingen für das Rechnungsjahr 1922, Teil 15 (über den Stand Oktober 1921).
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letzten Solinger Monaten stürzte er sich als Workaholic geradezu in einen Schaffensrausch, um die großen Reformaufgaben der Nachkriegszeit zu lösen oder ihre Lösung zumindest konzeptionell auf den Weg zu bringen. Er hatte auch gelernt, seine Moderationsergebnisse durch rhetorische Zugaben aufzuwerten. Goerdeler nahm das alles auf sich, um seinem Ziel, die kommunalpolitische Nummer eins zu werden, näher zu kommen.
Auf dem Sprung nach Ostpreußen
Goerdelers Denkschrift über die Einheitsschule erschien Mitte November 1919 zu einer Zeit, als er sich bereits nach Ostpreußen hatte beurlauben lassen, um die Geschäftsführung der Zentral-Arbeitsgemeinschaft (ZAG), des Zusammenschlusses der Parteien SPD, DDP, Zentrum und Deutsche Partei (DVP und DNVP), im deutschen Abtretungsgebiet zu übernehmen, die deutschen Parteien gegen einen Anschluss des westpreußischen Abstimmungsgebiets an Polen zu organisieren und sich auf das Amt des Stadtkämmerers von Königsberg zu bewerben.185 Schon Anfang September hatte er sich von Oberbürgermeister Dicke ein Zeugnis ausstellen lassen, in dem dieser ihm die Befähigung zur selbstständigen Leitung von Großstädten bescheinigte.186 Inzwischen hatten die Solinger Kommunalwahlen am 2. November nach dem allgemeinen gleichen Wahlrecht die Mehrheitsverhältnisse verändert. Von 48 Mandaten gewannen die USPD 22, die MSPD 9 und drei bürgerliche Fraktionen 17 (Bürgerliste aus DVP und DNVP 6, DDP 5, Zentrum 6). Ende November beantragte Goerdeler eine einjährige Urlaubsverlängerung ohne Gehaltsbezüge; die USPD, die sich gegen seine politischen Aktivitäten im Osten wandte, bestand in der Finanzkommission am 1. Dezember 1919 darauf, dass er sein Abschiedsgesuch einreichen sollte. Die Kommission lehnte die Verlängerung des Urlaubs nicht nur mit der Stimmenmehrheit beider sozialdemokratischen Parteien, sondern auch mit allen bürgerlichen Vertretern einstimmig ab. Zur nächsten Sitzung der Finanzkommission am 9. Dezember reichte Goerdeler sein Beurlaubungsgesuch bis zum Jahresende ohne Gehaltsfortzahlung erneut ein. Diesmal stimmten die Mehrheitssozialdemokraten mit den bürgerlichen Fraktionen für die Annahme.187 Nur die USPD blieb bei ihrer Ablehnung.
185 BArch, Bestand 61 Deutsche Stiftung 1: R 8043, Akte 1566, Bl. 523 – 525. Die Volksabstimmung im westpreußischen Abstimmungsgebiet vom 11. Juli 1920 ergab 92,4 Prozent für den Verbleib bei Deutschland. – Hoffmann: Goerdeler, S. 26. 186 StAS, Na 13 Bd. 83: Zeugnis vom 1. 9. 1919 (Abschrift) = BArch, N 1113, Goerdeler 32. 187 StAS, V-A-8 Bd. 5, S. 29 f.: Sitzung der Finanzkommission vom 1. 12. 1919. BASt vom 2. 12.
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Oberbürgermeister August Dicke in der Weimarer Republik
Nun wurde die Kontroverse in den beiden Parteizeitungen ausgetragen. Die Bergische Arbeiterstimme äußerte Verständnis, dass der Oberbürgermeister Dicke Goerdelers politischen Gründen »ausdrücklich und mit einer gewissen Schärfe zustimmte«, während sie die Zustimmung der Mehrheitssozialdemokraten »unbegreiflich« fand.188 Jetzt war es Sache des Solinger Volksblatts, die Haltung der MSPD begreiflich zu machen. Vermutlich war es der Chefredakteur Hugo Schaal selbst, der das Ja seiner Fraktion mit Goerdelers führender Zusammenarbeit mit allen deutschen Parteien seiner westpreußischen Heimat – einschließlich die Sozialdemokraten beider Richtungen – begründete. Dafür sei ihm der Urlaub bis zum 7. Dezember verlängert worden. Nun habe er Urlaubsverlängerung bis zum Jahresende 1919 beantragt. Zusätzlich zur Organisation der westpreußischen deutschen Parteien biete sich ihm die Chance auf den zweiten Bürgermeisterposten in einer ostpreußischen Großstadt. Nach Angaben des Volksblatts fand der USPD-Stadtverordnete Merkel Goerdelers politische Tätigkeit gefährlich, weil er eine deutsche »Irredenta«, eine gegebenenfalls auch gewaltbereite Untergrundbewegung, schaffe, die die Unterdrückung der Deutschen unter polnischer Herrschaft zur Folge hätte. Das Volksblatt ging nicht darauf ein, dass es sich dabei um eine propagandistische Übertragung von Goerdelers Aktivitäten, die er vor der Unterzeichnung des Versailler Ver1919. – StAS, V-A-8 Bd. 5, S. 35: Sitzung der Finanzkommission vom 9. 12. 1919. SZ vom 3. 12. 1919, 11. 12. 1919. 188 BASt vom 10. 12. 1919.
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trags im Juni 1919 beim XVII. Armeekorps entwickelt hatte, auf die veränderte Situation handeln musste und dass Goerdeler sich im Gegenteil auf die Rahmenbedingungen unter dem Versailler Vertrag eingestellt hatte. Das Volksblatt fuhr fort, dass die einzige Sanktion, die die Stadtverordneten hätten verhängen können, der Gehaltsentzug, eine stumpfe Waffe wäre, weil Goerdeler selbst schon auf die Gehaltsfortzahlung verzichtet hatte. Deshalb stimmten die Mehrheitssozialdemokraten mit den bürgerlichen Stadtverordneten für die Urlaubsverlängerung bis zum Jahresende, um »den voraussichtlichen Abgang eines tüchtigen Beamten nicht mit einem schrillen Mißklang enden« zu lassen.189 Schaal irrte sich, als er unterstellte, dass Goerdeler alle Parteien, mithin auch die USPD, in die ZAG integriert hätte. Vielmehr brach die ZAG auch ohne Beteiligung der USPD Mitte November auseinander, und Goerdeler verwendete einen Monat lang große Anstrengungen darauf, eine gemeinsame Basis der deutschen Parteien in den Abtretungsgebieten Posen-Westpreußen wiederherzustellen, von denen die westpreußischen Gebiete erst durch das Inkrafttreten des Versailler Vertrags im Januar 1920 an Polen abgetreten werden sollten. Seine Bemühungen fielen in den Zeitraum vom letzten November-Drittel bis Weihnachten 1919, somit genau in die Zeitspanne, in der Goerdeler die Verlängerungsgesuche für seinen Urlaub stellte. Die lückenhaften Restakten im Bundesarchiv weisen aus, wie erbittert der Machtkampf zwischen der geschrumpften ZAG und der abgespaltenen Deutschen Partei (DNVP und DVP) war und welche konzeptionelle Vordenkerrolle Goerdeler bei der Einigung der zerstrittenen Parteien auf eine gemeinsame Arbeitsbasis spielte.190 Am 31. Dezember 1919 beantragte der beurlaubte Beigeordnete eine weitere Verlängerung seines Urlaubs, weil seine Bewerbung auf das Bürgermeisteramt von Königsberg im ersten Wahlgang noch keine Entscheidung gebracht hatte. Doch in der Stadtverordnetensitzung vom 20. Januar 1920 konnte Oberbürgermeister Dicke von Goerdelers Wahl zum zweiten Bürgermeister der Stadt Königsberg berichten.191 Das war nicht nur hinsichtlich seines Amtes, sondern auch hinsichtlich der Bedeutung der Stadt ein Aufstieg; denn Königsberg hatte damals (1920) mit 188.000 Einwohnern mehr als die dreifache Einwohnerzahl Solingens. Andererseits litt die Provinzhauptstadt Ostpreußens nach dem Ersten Weltkrieg unter der Neubildung der osteuropäischen Staaten derart, dass der bisher florierende Osthandel mit Agrarprodukten vorübergehend gänzlich zusammenbrach. Nachdem Goerdelers Wahl bereits am 3. Februar 1920 von der
189 SVB vom 13. 12. 1919. 190 BArch, R 8043, Best. 61 Deutsche Stiftung 1, Akte 1566, Bl. 523 – 572. 191 Goerdelers Urlaubsgesuch (Entwurf) vom 31. 12. 1919 in: Goerdeler I, S. 198 f. – StAS, V-A1 Bd. 19, S. 165: StVO-Sitzung vom 20. 1. 1920.
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Goerdelers letztes Solinger Wohnhaus, Eichenstraße 49
Regierung bestätigt worden war,192 wurde er am 10. Februar aus den Diensten der Stadt Solingen entlassen. Schon am 25. Januar 1920 hatte er sich offiziell von seiner letzten Adresse in Solingen, Eichenstraße 49, nach Königsberg abgemeldet. Das Solinger Tageblatt kommentierte: »Aus dem Osten stammend, vermochte er sich den hiesigen Verhältnissen doch nicht so anzupassen, wie das für eine ersprießliche und ihn selbst befriedigende Wirksamkeit erforderlich gewesen wäre.«193 Es ist die einzige derartige kritische Äußerung über Goerdeler in der Solinger Presse. Vielleicht bezog sich der Redakteur auf den Typus des bergischen Menschen, wie ihn der Pädagoge Diesterweg ein knappes Jahrhundert zuvor beschrieben hatte. Dieser verglich den schwer regierbaren, selbstbewussten, eigensinnigen und sich endlos gegen die Obrigkeit beschwerenden niederbergischen Menschenschlag mit den fügsamen, lenkbaren und trägen Einwohnern des früheren Herzogtums Kleve.194 Es mag auch sein, dass sein stark rationalistischer, ethisch ausgerichteter lutherischer Glaube in der Solinger evangelischen Gemeinde, wo positive und liberale Christen um die Gemeindeleitung wetteiferten, nicht vorbehaltlos Anerkennung fand. Reichs Einschätzung, Goerdeler habe in Solingen ähnliche religiöse Verhältnisse vorgefunden 192 GStA PK, I. HA Rep. 77 Tit. 2560 Nr. 20 Bd. 8, Bl. 266 – 268. – Osthandel: [Cornelius] Schäfer : Die Deutsche Ostmesse, in: Verwaltung der Stadt Königsberg, S. 136 – 140; [Friedrich] Kutschke: Die Verkehrspolitik, in: ebd., S. 103 – 114, hier S. 114 f. 193 ST vom 19. 1. 1920. 194 Friedrich Adolf Wilhelm Diesterweg: Die preußischen Rheinprovinzen. Ein historisches Hausbuch für Schule und Haus [1829], neu hg. und eingeleitet von Klaus Goebel, Duisburg 1990, S. 247.
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wie in seiner Heimat, hält den Gegebenheiten nicht stand. Goerdeler wuchs in Schneidemühl und Marienwerder in einer lutherisch geprägten Umgebung auf, während in Solingen die traditionell starken Reformierten das Übergewicht über die Lutheraner hatten.195 Der Oberbürgermeister August Dicke neigte im Gegensatz zu seinem Beigeordneten der positiven Richtung zu. Goerdeler selbst stritt persönliche Aversionen ab und betonte in einem Privatbrief: »Es ist mir nicht leicht, Solingen und meine hiesige Arbeit zu verlassen. Wenn das Gegenteil bisweilen gesagt wird, so ist es unrichtig. Rein sachliche Gründe haben mich bestimmt, einen anderen Wirkungskreis zu suchen.«196 Nach Goerdelers Abgang wurden seine Dezernate auf mehrere neugewählte Beigeordnete verteilt, eine Versorgungsmaßnahme, die Goerdelers Sparsamkeitsprinzip diametral widersprach: auf den parteilosen bürgerlichen Juristen Dr. Robert Krups, die Geschäftsführer Hugo Schaal (SPD) und Hermann Krenzer (KPD) sowie auf den Redakteur Hermann Merkel (USPD). Wenn man die Dauer von Goerdelers Aufenthalten im Jahr 1919 berechnet, hielt er sich 4 12 bis höchstens fünf Monate in Solingen und die übrige Zeit des Jahres in den deutschen Ostprovinzen auf. Sein erstes, langfristiges Urlaubsgesuch beweist, dass er nun definitiv auf dem Absprung nach Ostpreußen war. Nach erfolgter Wahl zum Zweiten Bürgermeister von Königsberg kehrte er zwecks Haushaltsauflösung noch einmal wenige Tage nach Solingen zurück. Kaum ins Amt des Zweiten Bürgermeister eingeführt, brachte der Kapp-Putsch vom 13. März 1920 die junge Republik ins Wanken. In Ostpreußen, wo die Putschisten ein Zentrum hatten, stellte sich der Oberpräsident August Winnig (SPD) im Gegensatz zur rechtmäßigen Reichsregierung und zu seiner Partei den Putschisten zur Verfügung, während der linksliberale Oberbürgermeister Hans Lohmeyer (DDP) die Hissung der schwarz-weiß-roten Fahne auf dem Königsberger Rathaus und die Bekanntmachung der Erlasse der Kapp-Regierung verweigerte. Goerdeler wurde in dieser Situation in einen Zwiespalt gestürzt. Seine Partei, die DNVP, hatte sich auf Reichsebene kaum verhüllt hinter den Kapp-Putsch gestellt, und gerade der Kreisverband Königsberg-Stadt hatte sich den Putschisten nahtlos angeschlossen,197 doch der Zweite Bürgermeister verhielt sich offensichtlich loyal zu seinem Oberbürgermeister und somit zur 195 Vgl. Reich, Goerdeler, S. 66 f. 196 StAS, 01-Goerdeler : Brief von Goerdeler an den Rektor Rudolf Picard vom 22. 1. 1920. – Vgl. auch Andreas Kurschat: Goerdeler, Carl Friedrich, Dr. jur., in: Harald Schultze/Andreas Kurschat (Hg.): »Ihr Ende schaut euch an …«. Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts, Leipzig 2006, S. 273 – 275. 197 Fritz Gause: Die Geschichte der Stadt Königsberg in Preußen, Bd. 3, Köln/Wien 1971, S. 34. – Vgl. den Aufruf der DNVP, Kreisverein Königsberg-Stadt, abgedruckt in: Karl Brammer : Fünf Tage Militärdiktatur. Dokumente der Gegenrevolution, Berlin 1920, S. 45. Auszugsweise angedruckt in: Ohnezeit: Zwischen »schärfster Opposition«, S. 201, Anm. 185.
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Weimarer Republik. Er bewies nun mehr Augenmaß als bei der Oststaatsfrage 1919. Erst zehn Jahre später erfüllte sich in Leipzig sein Ziel, in die kommunale Spitzenposition aufzurücken – nun mit einem Gehalt von 30.000 Reichsmark.198 Die Messestadt Leipzig war die fünftgrößte Stadt des Deutschen Reiches und mit 715.000 Einwohnern 1930 die bedeutendste Stadt des Freistaates Sachsen. Gut 16 Jahre zuvor hatte Goerdeler das Negativbeispiel der in Leipzig eingerichteten kommunalen Arbeitslosenversicherung in der Solinger Stadtverordnetenversammlung kritisch angeführt, um einen entsprechenden Antrag der SPDFraktion abzuweisen. Nun mögen die blau-gelben Leipziger Stadtfarben ihn an seine Amtszeit in Solingen erinnert haben. War er in Solingen mit den Stimmen aller Stadtverordneten, auch der Sozialdemokraten, zum Beigeordneten gewählt worden, erfolgte die Wahl zum zweiten Bürgermeister von Königsberg gegen die Stimmen der USPD und der MSPD, zum Oberbürgermeister von Leipzig gegen die Fraktionen von KPD, SPD und DDP.
198 Für verschiedene Informationen über Goerdeler aus dem Stadtarchiv Leipzig bin ich Frau Birgit Horn-Kolditz dankbar.
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Welche prägenden politischen Erfahrungen nahm Goerdeler aus Solingen mit? Vieles brachte er aus seiner Erziehung und seinen Erfahrungen, die er in seinen jungen Lebenskreisen gesammelt hatte, bereits mit, als er nach Solingen zog: die Königs- und Staatstreue des preußischen Beamtensohnes, wie er sie beispielhaft in seiner Kaisergeburtstagsrede darlegte, eine freikonservative Grundeinstellung, einen engstirnigen Nationalismus,199 ein lebhaftes Interesse an Politik, die juristische Kompetenz, sich in komplizierte Sachfragen ergebnisorientiert einzuarbeiten, eine sachbezogene Streitlust und die Fähigkeit, sich mit völlig neuen Sachgebieten vertraut zu machen. Dass er unter diesen Voraussetzungen weitere nachhaltige Erfahrungen in Solingen sammelte, soll an einigen wesentlichen Beispielen gezeigt werden. In Solingen hatte Goerdeler die Bürgermeisterverfassung der preußischen Rheinprovinz in der Praxis kennen gelernt. Die starke Stellung des Bürgermeisters, der nicht in das Kollegialorgan des Magistrats eingebunden war, sondern die Beamten, an ihrer Spitze die Beigeordneten, leitete, beauftragte und überwachte und der zudem die Stadtverordnetenversammlung stimmberechtigt präsidierte, entsprach seiner konservativen, autoritären Grundeinstellung.200 Wie überzeugend Goerdeler die rheinische Bürgermeisterverfassung fand, dafür liefert seine Reaktion auf eine Eingabe des Preußischen Städtetages vom September 1919 an das preußische Parlament und an die preußische Staatsregierung ein schlagendes Beispiel. In dieser Eingabe ging es um die Ausgestaltung der Magistratsverfassung.201 Darüber verhandelte der preußische Landtag den Gesetzentwurf zur Städ199 Goerdeler II: Rechenschaftsbericht (Januar 1945), S. 1178. 200 Vgl. Reich: Goerdeler, S. 73. 201 StAS, S 598: Preußischer Städtetag, Der Vorstand, Berlin, 22. 9. 1919 an die Preußische Landesversammlung, die Preußische Staatsregierung [Drucksache]: Betr. Stellung der Magistrate nach dem Entwurf der Städteordnung; mit Anschreiben: Preußischer Städtetag, Der Vorstand, Berlin, 25. 9. 1919, Rundschreiben Nr. 448/19 P [Umdruck], betr.: Städteverfassung. Beide Dokumente auch im LA Berlin, B Rep. 142 – 01 Nr. StB 4840, Bl. 28, 30 f.
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teordnung, der die lokalen Kompetenzen im Sinne der Gewaltenteilung regelte. Der Stadtverordnetenversammlung wurde das Beschlussrecht, dem Magistrat die Pflicht zur Ausführung der Beschlüsse zugeteilt. Jedoch sollten dem Magistrat auch ein Beanstandungsrecht bei Gesetzesverletzungen und ein Verweigerungsrecht bei Verstößen gegen das Staatswohl oder das Gemeindeinteresse zustehen. Auf diesen Gesetzentwurf reagierte der Preußische Städtetag mit dem Einwand, dass er statt dieser »Halbheit« die Bedeutung der Magistrate als Verbindung der kommunalen Selbstverwaltung mit dem Staat gestärkt sehen wolle, dem die Gemeinden nicht konfrontativ gegenüberstehen sollten. Aus diesem Grund sollte den Magistraten das bisherige Mitbestimmungsrecht nicht genommen werden. Hingegen erkannte der Städtetag den Wert der rheinischen Gemeindeverfassung an, wie der folgende Auszug aus der Eingabe, eine der wenigen von Goerdeler markierten Textstellen, beweist: »Bei der Bürgermeistereiverfassung ist der Ausgleich des örtlichen und des Staatsinteresses durch die Person des Bürgermeisters gewährleistet, der als Vertreter der Verwaltung und zugleich als Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung nach beiden Richtungen über den nötigen Einfluß verfügt; in der Magistratsverfassung geht das unentbehrliche Bindeglied zugleich mit dem Mitbestimmungsrecht des Magistrats unwiederbringlich verloren.«202
Hingegen sei ein Magistrat ohne Mitbestimmungsrecht Verantwortung und Einfluss los. Als möglichen Ausgleich schlug der Preußische Städtetag gemischte Kommissionen von Stadtverordneten und Magistraten vor. All diese Probleme gebe es bei der Bürgermeisterverfassung nicht. Doch beide Kommunalverfassungen hätten sich bewährt und sollten deshalb beibehalten werden. Ein weiterer Einwand des Preußischen Städtetages gegen den Gesetzentwurf bezog sich auf die Klausel zur lokalen Änderung der Städteverfassung,203 wie sie bereits in der westfälischen Städteordnung galt: »Nur sollte man nicht […] allen Städten mit Magistratsverfassung die Möglichkeit zu statutarischer Einführung der Bürgermeistereiverfassung geben«,204 weil dies die Unruhe in den Kommunalverwaltungen steigern und wertvolle Kräfte binden würde. Dieses ist ebenfalls eine von Goerdeler angestrichene Textstelle. Der Solinger Oberbürgermeister Dicke reichte die Unterlagen des Preußischen Städtetages mit Eilvermerk an Goerdeler weiter. Dessen handschriftlicher Entwurf einer knappen Antwort ist seine erste bekannte Stellungnahme zu der 202 StAS, S 598: Denkschrift des Preußischen Städtetages. 203 LA Berlin, B Rep. 142 – 01 Nr. StB 5021, Bl. 14 – 24. Der Entwurf stammte von dem Staatskommissar für Verwaltungsreform Dr. Bill Drews, hs. redigiert vom dem Beigeordneten Albert Meyer-Lülmann. Der § 45 eröffnet Städten mit Magistratsverfassung die Einführung der Bürgermeisterverfassung. 204 StAS, S 598: Denkschrift des Preußischen Städtetages.
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Frage Bürgermeister- oder Magistratsverfassung und bisher in der Literatur nicht beachtet worden. In seinem Manuskript stimmte Goerdeler dem Preußischen Städtetag zu, dass die Magistrate keine bloßen Ausführungsorgane werden dürften, sondern ihre Beschlussrechte behalten müssten. Er fügte ein zusätzliches Argument hinzu: »Entscheidenden Nachdruck möchte ich aber auf die schlechterdings verderblichen Folgen legen, die sich hinsichtlich des Bewerberkreises aus der geplanten gewaltsamen Entmannung der Magistrate ergeben müssen.«205 Gegenteilig fiel sein Urteil darüber aus, dass der Preußische Städtetag die fakultative lokale Einführung der rheinischen Kommunalverfassung in den anderen preußischen Provinzen ablehnte:
Aus Goerdelers Entwurf einer Antwort an den Preußischen Städtetag vom 4. Oktober 1919; zu erkennen sind die Worte: »Entmannung der Magistrate«
»Dagegen kann ich die Bestimmung des Entwurfs, die der statutarischen Einführung der Bürgermeisterei-Verfassung die Bahn freimachen[!], nur begrüßen. Diese ganz außerordentlich schmiegsame u[nd] in schwierigen Verhältnissen besonders praktische Verfassung wird sich auch in den ihr historisch fremden Landesteilen Neuland erwerben.«
Er sprach sich aus praktischen Gründen für eine zehnjährige Übergangszeit aus, nach der die neue Verfassung irreversibel sein sollte. Goerdelers Entwurf einer Stellungnahme zur geplanten preußischen Kommunalverfassung hätte eigentlich mit in die von Sabine Gillmann und Hans Mommsen herausgegebenen »Politischen Schriften« gehört. Ob der Solinger Oberbürgermeister Dicke Goerdelers Entwurf wörtlich übernahm, kann nicht mehr festgestellt werden, weil die Akten in Solingen und Berlin nicht vollständig überliefert sind. Von 73 unmittelbaren Mitgliedsstädten des Preußischen Städtetages hatten sich 61 uneingeschränkt, 10 bedingt für die Stellungnahme des Städtetages ausgesprochen. Davon erklärten sich 9 Städte, im Bergischen Land außer Solingen auch Barmen, in der einen oder anderen Weise für die Bürgermeisterverfassung. Der 205 StAS, S 598: Antwort [Entwurf] Goerdelers vom 4. 10. 1919 auf Anschreiben und Eingabe des Preußischen Städtetages. Hier auch das folgende Zitat. Goerdelers Antwortentwurf ist abgedruckt im Anhang, S. 172 f.
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Vorstand des Preußischen Städtetages fasste diese alternativen Vorstellungen als »Nebenbemerkungen« zusammen.206 In dem Oberbürgermeister von Königsberg, Hans Lohmeyer (DDP), traf Goerdeler auf einen Gleichgesinnten, der vorbehaltlos für die Einführung der rheinischen Bürgermeisterverfassung eintrat und den Städten nicht einmal ein Wahlrecht zwischen dieser und der Magistratsverfassung zugestand.207 Als Oberbürgermeister von Leipzig waren Goerdelers Kompetenzen nach der sächsischen Magistratsverfassung viel schwächer ausgeprägt als in der rheinischen Städteverfassung, doch bemühte er sich mit Erfolg, sie zu stärken.208 In Königsberg wie in Leipzig reformierte Goerdeler die Stadtverwaltung nach den Kriterien der Sachsystematik, der Wirtschaftlichkeit und der Effizienz. Speziell die Errichtung eines Wohlfahrtsamtes, das er vor und nach dem Ersten Weltkrieg in Solingen projektiert hatte, konnte er bei der Verwaltungsreform der Stadt Königsberg in den frühen 1920er Jahren realisieren. In einer frühen Beschreibung seiner Königsberger Verwaltungsreform lobte er aufgrund seiner Erfahrungen mit der schlanken Solinger Bürgermeisterverfassung die Vorzüge der rheinischen Städteordnung und betonte die Notwendigkeit der Einheitlichkeit, der Schlagfertigkeit und der Sachlichkeit der Verwaltung.209 Differenzierter als Lohmeyers Stellungnahme waren die Ausführungen, die Goerdeler auf dem Preußischen Städtetag 1922 über den neuen Entwurf der Preußischen Städteordnung machte. Gezielt wies er auf die Einführung der Bürgermeisterverfassung im Rheinland unter französischer Herrschaft hin, obwohl damit unter dem Aspekt der französischen Revanchepolitik und der andauernden Besetzung des Rheinlandes seit dem Waffenstillstand 1918 nationale Leidenschaften aufgeputscht werden konnten, die Goerdeler um der Sache willen in kauf nahm. Dass die Bürgermeisterverfassung trotz ihrer französischen Herkunft im Rheinland beibehalten wurde, belegt ihre Angemessenheit und illustriert, wie praktisch diese Einrichtung auch aus der Sicht der Rheinländer war. Zugleich wandte Goerdeler sich entschieden gegen das Prinzip einer »Demokratisierung der Verwaltung«, durch die die Macht der Stadtverordnetenversammlung auf Kosten des Bürgermeisters und des Magistrats gestärkt würde. Goerdeler erklärte das demokratische Prinzip »für dem Gemein206 LA Berlin, B Rep. 142 – 01 Nr. StB 4840, Bl. 83: Zusammenstellung des Beigeordneten Meyer-Lülmann vom 10. 11. 1919; folgende Städte bezeichneten die Bürgermeisterverfassung als vorteilhaft: Barmen, Breslau, Minden, Iserlohn, Solingen, Forst, Potsdam, Geestemünde, Guben. 207 LA Berlin, B Rep. 142 – 01 Nr. 1186/II, ms. Bericht über den ostpreußischen Städtetag vom 17./18. 2. 1920. 208 Vgl. Reich: Goerdeler, S. 98 f. 209 Goerdeler : Organisation der Verwaltung, S. 18 f., 22, 24. – Paulus: Kommunale Wohlfahrtspolitik, S. 42 – 45.
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wohl abträglich und für einen Rückschritt gegenüber den im letzten Jahrhundert gemachten Errungenschaften«.210 Wie in seinem Solinger Antwort-Entwurf 1919 zog er auch beim Preußischen Städtetag den Schluss, dass die tüchtigen Persönlichkeiten aus den städtischen Leitungspositionen abwandern oder sich gar nicht erst dort bewerben würden. Er lobte hingegen die Vorzüge der Bürgermeisterverfassung: ihre Beweglichkeit, Einfachheit und Schlagkraft, ihre »innige Beziehung« zwischen dem Oberbürgermeister und der Gemeindevertretung durch dessen Vorsitz, wodurch Reibungen nahezu ausgeschlossen würden, und die Erziehung der Stadtverordneten zu Sachlichkeit, Praktikabilität und Verantwortungsbewusstsein. Obwohl Goerdeler ein leidenschaftlicher Verfechter der Bürgermeisterverfassung war, lehnte er die Lohmeyers Auffassung entsprechende Bestimmung des Entwurfs ab, dass sie beibehalten werden müsse, wenn die Stadtvertretung sich einmal dafür entschieden habe. Seine taktische Begründung war, dass die Städte mit Magistratsverfassung unter dieser Voraussetzung den Versuch nicht wagen würden, die Bürgermeisterverfassung einzuführen. Entsprechend seinem Solinger Entwurf eines Antwortschreibens und dieses präzisierend plädierte er für die mindestens »zehnjährige Beibehaltung der einmal gewählten Verfassungsart«, nachdem die Stadtverordneten sich zweimal mit absoluter Mehrheit für sie entschieden hätten.211 Da er keine Chance für die allgemein verbindliche Einführung der Bürgermeisterverfassung in Preußen sah, setzte er sich als Kompromiss für vermehrte »gemeinschaftliche Sitzungen der Stadtverordneten-Versammlung und des Magistrats unter dem Vorsitz des Bürgermeisters zu gemeinsamer Beratung und getrennter Abstimmung in mehr oder minder großem Umfange, theoretisch sogar allgemein«,212 ein. Als Alternative zu den gemeinschaftlichen Sitzungen der Gesamtkörperschaften erschien ihm ein Verständigungsausschuss wünschenswert. In seiner Erwiderung kritisierte der sozialdemokratische Elberfelder Stadtverordnete Oskar Hoffmann den Entwurf der preußischen Städteordnung als reaktionär, die Stellungnahme des Vorstands, die Goerdeler in seinen Ausführungen übernahm, als »noch reaktionärer« und die privilegierte Position des Oberbürgermeisters als autokratisch.213 Einige Jahre später ging es nicht mehr um die preußische, sondern um die Reichsstädteordnung, die die unterschiedlichen Städteordnungen der deutschen Länder und der preußischen Provinzen ersetzen sollte. Vermutlich im September 1929 nahm Goerdeler Stellung zu dem Entwurf des Deutschen Städtetages über die Einführung einer einheitlichen Reichsstädteordnung, wobei er in 210 StAS, S 499: Verhandlungen des Neunten Preußischen Städtetages am 26. und 27. Mai 1922 in Goslar, Berlin 1922, Goerdeler als Berichterstatter S. 7 – 23, hier S. 11. 211 Ebd., S. 13. 212 Ebd., S. 14. 213 Ebd., S. 45 f., Zitat S. 45.
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seinen detaillierten Anmerkungen den vorbildlichen Charakter der rheinischen Städteordnung aufgriff. Er verteidigte deren klare Zuweisung der Verantwortung: die Position des Oberbürgermeisters als des Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung, die Position der Beigeordneten als der verantwortlichen gesetzlichen Vertreter in den Geschäftsbereichen, die ihnen vom Oberbürgermeister zugewiesen würden. Diese Vertretungskompetenz der Beigeordneten, wie sie in der rheinischen Städteordnung geregelt war, legitimiere die Durchführung gemeinsamer Besprechungen des Bürgermeisters mit den Beigeordneten.214 Es ist bezeichnend für Goerdelers differenzierten Umgang mit der Materie, dass er das Prinzip der Bürgermeisterverfassung nicht für generell praktikabel erachtete. In seinem internen Kommentar zu dem Reichsstädteordnungsentwurf machte er Ausnahmen für kleinere Städte, zu denen eine Mittelstadt wie Solingen nicht zählte. Für Kleinstädte hielt er die Einführung der Bürgermeisterverfassung für falsch, weil mit ihr nicht näher bezeichnete, somit als bekannt vorausgesetzte negative Folgen verbunden wären. Er dachte an die verstärkte Staatsaufsicht beziehungsweise an die Stärkung von Provinzen und Kreisen auf Kosten der kommunalen Selbstverwaltungskompetenz, wobei er sich ausdrücklich auf seine Erfahrungen mit der rheinischen Städteverfassung vor 1914 bezog.215 In der Zeit der Präsidialkabinette regte Goerdeler in einer Denkschrift an den Reichspräsidenten Hindenburg – analog zu der sächsischen Notverordnung vom 21. September 1931 – im April 1932 an, den Bürgermeistern im Sinne des rheinischen Modells in ganz Deutschland »eine klare persönlich verantwortliche Stellung« durch Notverordnung zu verschaffen.216 Der Gemeindevorstand sollte berechtigt sein, auch gegen den Willen der Stadtverordnetenversammlung den jährlichen Haushalt der Gemeinde verantwortlich festzulegen. Der Grundgedanke dieser Denkschrift, die noch während der Kanzlerschaft des Zentrumspolitikers Heinrich Brüning verfasst worden war, findet sich in der Notverordnung des rechtskatholischen Kanzlers Franz von Papen vom 14. Juni 1932 wieder, die dem Oberbürgermeister die außerordentliche Befugnis gab, den städtischen Haushalt auch ohne Mitwirkung und Kontrolle durch die Stadtverordnetenversammlung zu verabschieden.217 214 LA Berlin, Rep. 142 – 01 Nr. 382/II: [Detaillierte] Bemerkungen [Goerdelers] zum Entwurf einer Reichsstädteordnung, undatiert, vermutlich vom September 1929. Diese Bemerkungen enthalten 27 Punkte; hier Punkte 13, 17. 215 LA Berlin, Rep. 142 – 01 Nr. 382/II: [Allgemeine] Bemerkungen des Bürgermeisters Dr. Goerdeler zum Entwurf einer Reichsstädteordnung, undatiert, vermutlich vom September 1929. 216 Goerdeler I, S. 329. – Paulus: Kommunale Wohlfahrtspolitik, S. 40. 217 Verordnung des Reichspräsidenten zur Erhaltung der Arbeitslosenhilfe und der Sozial-
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Im Mai 1933, also bereits unter der Regierung Hitler, veröffentlichte Goerdeler einen Artikel zum Thema »Entwicklungstendenzen im deutschen Kommunalrecht«, in dem er indirekt auf sein Werben seit dem Jahr 1919, die rheinische Kommunalverfassung auch in den Gemeinden mit Magistratsverfassung zuzulassen, zurückkam: »Alle Versuche, diese Bürgermeistereiverfassung [der Rheinprovinz] als ungewöhnlich elastische und bewährte Verwaltungsreform durchzusetzen, sind fehlgeschlagen.«218 Es spricht Bände, dass Goerdeler in der Etablierungsphase der nationalsozialistischen Diktatur die Ausarbeitung der einheitlichen Deutschen Gemeindeordnung als Fortsetzung seiner Bestrebungen in der Weimarer Republik auffasste, wobei er auf seine Erfahrungen mit der rheinischen Bürgermeisterverfassung, nicht aber mit der preußischen Magistratsverfassung und mit der sächsischen Gemeindeordnung zurückgriff, obwohl er in Königsberg und auch in Leipzig wesentlich länger gearbeitet hatte als in Solingen. Der Ausarbeitung dieser Gemeindeordnung widmete er sich in der Anfangszeit des »Dritten Reiches«, als er noch glaubte, durch persönliche Einwirkung auf die Staatsführung Entscheidendes verändern oder verhindern zu können. In seinem ersten Entwurf in Briefform, den er im Oktober 1933 an den Reichsinnenminister Frick sandte, schlug er daher vor : »1. Verantwortlicher Leiter der Gemeindeverwaltung ist der Bürgermeister«, dem laut Punkt 2 die hauptamtlichen und ehrenamtlichen Stadträte zu unterstellen waren. Im 3. Punkt ging es um die Abschaffung einer zweiten Körperschaft, wie sie in der Magistratsverfassung existiert hatte, wobei er sich ausdrücklich auf die Gemeindeordnung der Rheinprovinz, mithin auf die Solinger Verhältnisse, und auf die süddeutschen Städteverfassungen bezog.219 Bürgermeister und Stadträte, wie die Beigeordneten in der Magistratsverfassung genannt wurden, sollten eine Körperschaft bilden, dem Stadtrat dabei eine nicht nur beratende, sondern beschlussfassende Funktion zukommen. Bezeichnenderweise berief Goerdeler sich zur Begründung seines autoritären Gemeindeordnungsmodells nicht nur auf die rheinische Gemeindeverfassung, sondern auch auf seine Erfahrungen in der Stabsarbeit bei höheren Truppenstäben. Goerdeler musste im weiteren Verlauf der Ausarbeitung der Deutschen Gemeindeordnung starke Rückschläge in Kauf nehmen, was ihn nicht hinderte, auf veränderter, aus seiner Sicht schlechterer Grundlage immer wieder modifizierende Impulse einzubringen, so etwa die Forderung nach dem Beschlussrecht für die Gemeinderäte, an das der Bürgermeister aber nicht gebunden sein versicherung sowie zur Erleichterung der Wohlfahrtslasten der Gemeinden: RGBl I, 1932, S. 273. Die betreffende Bestimmung ist versteckt im 2. Teil, Kapitel I, § 3. 218 Artikel aus Reichsverwaltungsblatt und Preußisches Verwaltungsblatt 54, Nr. 22 vom 27. 5. 1933, S. S. 37. 219 Goerdeler I, S. 107 – 112: Schreiben Goerdelers an Reichsinnenminister Wilhelm Frick vom 12. 10. 1933, S. 109.
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Titelblatt der Deutschen Gemeindeordnung von 1935
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sollte,220 und sogar den Vorschlag einer Einflussnahme der NSDAP auf die Gemeindearbeit, wie sie ähnlich in der späteren Endfassung der Deutschen Gemeindeordnung verwirklicht wurde.221 Nach ihrer Verabschiedung ging Goerdeler so weit, den Einfluss der NSDAP auf die Gemeindeverwaltung mit den Worten zu legitimieren: »Da die Wahlmöglichkeit nicht zur Verfügung stand, so blieb doch gar nichts anderes und Sinnvolleres übrig, als einem Beauftragten der Partei hier eine besondere, ich möchte sagen Wählerstellung zuzuweisen.«222 Keine zwei Jahre später wurde er eines Schlechteren belehrt. Die bittere Erkenntnis, dass seine Autorität als Oberbürgermeister durch den Leipziger NSDAP-Beauftragten untergraben wurde, führte 1936 zu seinem Entschluss, sein Amt niederzulegen. Noch in seiner Denkschrift »Das Ziel« vom Herbst 1941 legte Goerdeler Wert darauf, die Deutsche Gemeindeordnung, um die Hauptkritikpunkte bereinigt, nicht nur beizubehalten, sondern sie zur Basis des Staatsaufbaus nach dem Sturz des Hitler-Regimes zu machen, und in der in Haft entstandenen Denkschrift »Unsere Idee« vom November 1944 lobte er die Deutsche Gemeindeordnung mit der Ausnahme einzelner Schwachstellen.223 Was Goerdeler an der Bürgermeisterverfassung schätzte, ließ sich auf alle anderen Ebenen und Institutionen des Staatswesens übertragen. Die Nachwirkungen seiner Erfahrungen mit der rheinischen Städteordnung zeigen sich analog auch darin, dass er sich beim Preußischen Städtetag 1924 emphatisch für »eine starke, sehr starke Staatsgewalt« aussprach, die aber nicht auf Kosten der kommunalen Selbstverwaltung gehen dürfe. Darüber hinaus setzte er sich im Einklang mit seiner Partei 1929 für eine Stärkung der Rechte des Reichspräsidenten in der Weimarer Verfassung ein. Noch in seiner im April 1944 fertig gestellten Denkschrift »Der Weg« kritisierte er die schwache Stellung der Regierung in der Weimarer Republik als Verfassungsmangel. Hier nahm er wiederum Abschied von der exklusiven Position des Reichskanzlers, die Bismarcks Reichsverfassung von 1871 auszeichnete, indem er neben dem verantwortlichen Reichskanzler verantwortliche Minister anstelle der untergeordneten Staatssekretäre forderte.224 Auch in seiner im November 1944 verfassten Denkschrift »Unsere Idee« trat Goerdeler für eine starke Regierung ein. Als eigentliche 220 Goerdeler I, S. 121 – 126: Schreiben Goerdelers an Staatssekretär Hans Pfundtner vom 3. 4. 1934, S. 124. 221 Goerdeler I, S. 126 – 136: Schreiben Goerdelers an den geschäftsführenden Präsidenten des Deutschen Gemeindetages Kurt Jeserich vom 8. 6. 1934, S. 132. 222 Goerdeler : Die Deutsche Gemeindeordnung in der Entwicklung der Selbstverwaltung, S. 221. 223 Goerdeler II: Das Ziel, S. 930 – 934. – Goerdeler : Unsere Idee, S. 112. 224 Verhandlungen des Hauptausschusses des Preußischen Städtetages am 26. und 27. Mai 1924 in Münster i.W., Berlin 1924, S. 17. – Goerdeler I, S. 200 – 212: Mehr Macht dem Reichspräsidenten!; Goerdeler : Der Weg, S. 953, 969. – DNVP: Ohnezeit: Zwischen »schärfster Opposition«, S. 408.
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Schwäche der Weimarer Verfassung bezeichnete er das Verhältniswahlrecht, das nach britischem Vorbild durch die Persönlichkeitswahl ersetzt werden sollte.225 Ein zweiter Aspekt, der bei den prägenden Erfahrungen nicht fehlen darf, ist Goerdelers Leitmotiv einer »Politik der Sachlichkeit«,226 die sein Denken und seine politische Praxis durchzog. Sie setzte Offenheit im Geben und im Nehmen voraus. Goerdeler legte die Gründe für seine Positionierungen rückhaltlos dar und schuf damit eine sachbezogene Atmosphäre, die die Auseinandersetzung mit den Stadtverordneten entkrampfte. Auf der anderen Seite erwies er sich als offen für Impulse der Stadtverordneten, sofern diese seinen Auffassungen, zum Beispiel der strikten Ausgabendeckung bei unproduktiven Aufgaben, nicht zuwiderliefen. Den hohen Rang, den er der Ausgabendeckung beimaß, beweist seine rigide Deflationspolitik als Oberbürgermeister während der Weltwirtschaftskrise, in der auch in Leipzig die kommunalen Wohlfahrtsausgaben dramatisch anstiegen. Im Extremfall des Einheitsschulentwurfs zog er die Grenzen seiner Kompromiss- und Akzeptanzbereitschaft überaus weit. Grundlage dieser sachpolitischen Orientierung war seine Erziehung nach altpreußischen Werten wie Pflichtgefühl, Sparsamkeit und Integrität.227 In Solingen lernte er mit den Stadtverordneten unterschiedlichsten Profils umzugehen – Anneliese Goerdeler spricht von »Stadtverordneten verschiedenster Prägung, […] den selbständigen ›Kotten‹-Meistern, Gross- und Kleinindustriellen«228 –, eingeschlossen die Sozialdemokraten, mit denen er sich nicht nur Rededuelle lieferte, sondern deren sachbezogene Arbeit er zu schätzen lernte. Die Strukturprobleme des deutschen Kaiserreichs lastete er nicht einseitig den Sozialdemokraten an, sondern erkannte zumindest rückblickend in der rigiden Positionierung des Staates für das Besitzbürgertum eine den Klassenkampf mobilisierende Wirkung, für einen Konservativen eine bemerkenswerte Einsicht.229 Seine sachliche Grundhaltung machte ihn zum willkommenen Gesprächspartner bei Konflikten zwischen der Verwaltung und einzelnen Bürgern.230 Doch auch zur Vertretung der städtischen Interessen beim Bezirksausschuss Düsseldorf, beim Oberversicherungsamt und anderen Körperschaften wurde er herangezogen. In der Besatzungszeit nach dem Ersten Weltkrieg verhandelte er mit der britischen Militärbehörde in Köln und Solingen. In schwierigen Auseinan225 226 227 228
Goerdeler : Unsere Idee, S. 107, 123. Goerdeler I, S. XXXVIII. Paulus: Kommunale Wohlfahrtspolitik, S. 33, 36. – Hoffmann: Goerdeler, S. 23. StAS, Na 13 Bd. 63. In der Brief-Abschrift heißt es versehentlich ›Rotten‹-Meistern, was Ritter : Goerdeler, S. 20 übernimmt. 229 Goerdeler : Der Weg, S. 959. 230 Vgl. das »Eingesandt« des Bürgers Ernst Otto Kraus bezüglich der Kanalbeiträge und -gebühren, im ST vom 24. 1. 1913.
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dersetzungen zwischen den Auftraggebern der Hausgewerbetreibenden und den Gewerkschaften in Sachen Krankenversicherung, zwischen den Auftraggebern der Hausgewerbetreibenden und den Krankenkassen in Sachen Invalidenversicherung, zwischen Mietern und Vermietern sowie zwischen der Ärzteschaft und den Krankenkassen wurde er als neutraler Verhandlungsführer hingenommen, wenn nicht anerkannt. Sein Ziel, die Verwaltung zu vereinfachen, hatte er immer im Blick, zunächst in tastenden Versuchen bei der Veranlagung zu Gebühren und Abgaben, bei der Wohlfahrtspflege und dem Schularzt, weitergeführt bei der einheitlichen Leitung der Fortbildungsschulen und nach seiner Solinger Amtszeit im großen Stil umgesetzt bei den Reformen der Königsberger und später der Leipziger Stadtverwaltung. Zur sicheren Einschätzung städtischer Planungen mit nüchternem Blick griff er wiederholt auf das übliche Mittel des Vergleichs mit anderen deutschen und europäischen Kommunen zurück, so bei der Höhe der Unterstützungssätze für die Ortsarmen, bei der Straßenreinigung, der Sonntagsruhe, dem kommunalen Schulkino, der Frage der kommunalen Arbeitslosenversicherung und der Krankenversicherung von städtischen Angestellten und Lehrpersonen.231 Auch zur Frage, ob eine Schulzahnklinik eingeführt werden sollte, wartete er die Erfahrungen anderer Städte ab. Deren Berichte lieferten wertvolle Grundlagen für die eigene Entscheidungsfindung. Als Goerdeler auf dem Preußischen Städtetag 1922 als Berichterstatter zu dem Entwurf der Preußischen Städteordnung Stellung bezog, ließ er zwar an seiner persönlichen Wertschätzung der rheinischen Bürgermeisterverfassung keinen Zweifel, erklärte aber ihre Bevorzugung für unangemessen und lehnte jeglichen Zwang, sich auf eine bestimmte Städteverfassung festlegen zu müssen, ab. Wie so oft argumentierte er auch hier empirisch und betonte, dass das Nebeneinander von Bürgermeister- und Magistratsverfassung keine schädlichen Wirkungen erzielt habe; vielmehr nähmen die Bürger in ihren jeweiligen Städteordnungen lebhaft an der Kommunalpolitik teil, wohingegen eine »zwingende Notwendigkeit, die eine oder andere Verfassungsart auszuschalten«, fehle. Der Vorzug des neuen Entwurfs einer preußischen Städteordnung sei, dass im Fall ihrer Einführung die Voraussetzung geschaffen würde, um in fernerer Zukunft aus »Erfahrung und Einsicht allmählich organisch eine einheitliche Städteordnung gestalten« zu können.232 Auch bei der Entwicklung der Reichsstädteordnung 1929 legte Goerdeler keinen Wert darauf, eine Entscheidung über ihre Einführung mit der Brechstange herbeizuführen, sondern bewies viel Fingerspitzengefühl. Er riet von 231 Straßenreinigung: ST vom 7. 5. 1913; Krankenversicherung: ST vom 18. 2. 1914. 232 StAS, S 499: Goerdeler als Berichterstatter auf dem 9. Preußischen Städtetag am 26./27. 5. 1922 in Goslar, S. 22 f.
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Übereilung ab, vielmehr setzte er auf Besonnenheit, um die projektierte Reichsstädteordnung in ihrem Kernbestand nicht zu gefährden. Das »Kernstück«, die überragende Stellung des Bürgermeisters auch als Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung, wollte er gewahrt wissen und fragte: »Hat der Städtetag genügend Sicherheiten dafür, daß gerade diese Bestimmung des Entwurfs, falls er zur Beratung kommt, nicht gestrichen wird? Besteht dies Risiko, so zwingt es m. E. den Städtetag zur größten Zurückhaltung.«233 Deshalb sollte von einer Veröffentlichung des Entwurfs zunächst Abstand genommen werden. Doch lehnte er es ab, die Entwicklung bloß abzuwarten, vielmehr ging er von der Voraussetzung aus, insbesondere die neu gewählten, weniger erfahrenen Stadtverordneten zu einer sachlichen Kommunalpolitik im Sinne der Verwaltungsspitze erziehen zu können. Das sachpolitische Leitmotiv trat Ende 1931 unübersehbar zutage, als Goerdeler gegen den Willen des DNVP-Vorsitzenden Hugenberg das Amt des Reichskommissars für Preisüberwachung in der Regierung Brüning annahm und im Gegenzug seinen Austritt aus der DNVP erklärte. Hugenberg hatte die Deutschnationalen nach rechts radikalisiert, die deutsche Politik insgesamt polarisiert und dabei die Abspaltung des gemäßigt konservativen Parteiflügels in kauf genommen. Goerdeler, der in den Jahren 1922 bis 1927 dem Parteivorstand der DNVP und von 1920 bis 1930 ihrem ostpreußischen Landesvorstand angehört hatte, war ein Mann des Ausgleichs, dessen politisches Denken nach Mommsens Worten »in hohem Maße von seinen Erfahrungen in der Kommunalpolitik geprägt« war.234 Seine Bereitschaft zum Ausgleich fand in seinen Prinzipien ihre Grenzen. Zugleich zeigt sich hier eine ausgeprägte Elastizität, die er sich bereits in der Kommunalpolitik, also anfänglich in Solingen, angeeignet hatte. Sein Pragmatismus ging so weit, im nationalsozialistischen System nicht nur auf Gemeindeebene zu arbeiten, sondern auch auf Staatsebene als Vorstandsmitglied des Deutschen Gemeindetages zu wirken, als Vorsitzender des Reichsarbeitgeberverbandes der Städte und der öffentlichen Betriebe und vom November 1934 bis Juni 1935 erneut als Reichskommissar für Preisüberwachung. Diesen Pragmatismus hatte er bei dem Solinger Oberbürgermeister August Dicke gelernt, der sich im November 1918 zwecks Vermeidung von Ausschreitungen zur »verständnisvollen Zusammenarbeit«235 mit dem linkssozialistisch dominierten Solinger Arbeiter- und Soldatenrat zur Verfügung gestellt hatte. Auch Goerdeler war offensichtlich bereit, sich auf den Boden der
233 LA Berlin, B Rep. 142 – 01 Nr. 382/II – Reichs-Städteordnung 1929 – 1933: [Allgemeine] Bemerkungen des Bürgermeisters Dr. Goerdeler zum Entwurf einer Reichsstädteordnung, undatiert (etwa September 1929), unpaginiert. 234 Goerdeler I, S. XXXVIII. 235 ST vom 11. 12. 1918.
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Tatsachen zu stellen und konstruktiv daran zu arbeiten, das aus seiner Sicht Beste daraus zu machen. Goerdeler nahm aus Solingen die Erfahrung mit, dass Sachfragen sich ihre Mehrheiten suchen. Denn in der kommunalpolitischen Praxis vor Ort sah Goerdeler die »traditionell gebundene[n] Kräfte wie Heimatliebe, lebendige Interessen [und] Übersehbarkeit der Probleme«236 dominieren, welche die Lösung praktischer Sachfragen gegenüber den ideologischen Gegensätzen in den Vordergrund treten ließen. Das zeigte sich auch daran, dass in der Solinger Stadtverordnetenversammlung nicht durchweg die Mehrheit der 20 bürgerlichen Stadtverordneten der ersten beiden Wählerklassen über die 10 sozialdemokratischen der dritten Klasse dominierte, sondern dass in Fällen, wo eine Mehrheit der bürgerlichen Vertreter gegen eine Verwaltungsvorlage stimmte, diese gegebenenfalls mit Hilfe der SPD-Stimmen durchgesetzt werden konnte. Goerdeler hat in der Todeszelle angegeben, er habe den engen Nationalismus, mit dem er aufgewachsen sei, aufgrund seiner internationalen Kontakte allmählich zurücktreten lassen. Es ist nicht sinnvoll, diese Entwicklung erst auf seine Amtszeit als Oberbürgermeister von Leipzig zu datieren. Bereits in Königsberg gab es anlässlich der Ostmesse, die in seiner Amtszeit als Zweiter Bürgermeister ihren Anfang nahm, regelmäßig Kontakte zu Ausländern, die hauptsächlich aus dem osteuropäischen Raum kamen. Hingegen sind Beziehungen zu Ausländern in seiner Solinger Amtszeit nicht bekannt, wenn man von seiner Intervention bei der britischen Militärregierung in Köln und Solingen absieht. Hier zeigte sich vielmehr noch sein »Nationalismus enger Art« anlässlich seiner Kaisergeburtstagsrede 1913, seiner Oststaatspläne 1919 und des stark national ausgerichteten Einheitsschulentwurfs 1919, in den er auch die Völkerversöhnung als Erziehungsziel nicht aufnahm. Dennoch hätte er schon in dieser Zeit Anlass gehabt, seinen engen Nationalismus in der Auseinandersetzung mit den sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Stadtverordneten in Frage zu stellen. Wie er die politischen Verhältnisse in Solingen akzeptierte und zum Nutzen der Stadt mit den Stadtverordneten aller Richtungen zusammenarbeitete, so akzeptierte er die Weimarer Republik als politische Grundlage für einen allerdings tiefgreifenden verfassungsrechtlichen Reformprozess.237 Der dritte Aspekt, der – jedoch auf andere Art und Weise – als prägend berücksichtigt werden soll, ist das Schulwesen. Betrachtet man Goerdelers spätere Äußerungen hierzu, fallen sowohl Kontinuitäten als auch Unterschiede auf. Goerdelers Verantwortung als Solinger Beigeordneter, nicht aber als Zweiter Königsberger Bürgermeister für die Volksschule, die er in seinem Einheits236 Goerdeler : Der Weg, S. 970. 237 Goerdeler II: Gedanken eines zum Tode Verurteilten (September 1944), S. 1178. Vgl. Hoffmann: Goerdeler, S. 26 mit falschem Quellennachweis.
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schulentwurf von 1919 stiefmütterlich behandelt hatte, schlug sich in seinen Erläuterungen zum Etat der Stadt Leipzig für das Jahr 1931/1932 nieder. Hier lag ihm daran, die Volksschulen durch ein großzügiges Berechtigungswesen zu stärken, das verhindern sollte, dass die besten Volksschüler auf andere Schularten übergingen.238 Das Berechtigungswesen sollte durch Senkung der Anforderungen aus der Wirtschaft so verändert werden, dass der Zugang zu Lehrberufen nicht Schülern mit höheren Bildungsabschlüssen vorbehalten bliebe, sondern auch mit dem Abgangszeugnis der Volksschule erreicht werden könnte.239 Wie in seinem Einheitsschulentwurf blieb er auch hier bei der traditionellen Auffassung, dass die Mädchen vornehmlich Hausfrauen werden sollten. Auch wenn Goerdeler die Schulform Deutsche Oberschule nicht mehr aufgriff, sprach er sich in seiner Denkschrift an den Reichspräsidenten vom April 1932 gegen die Tendenzen zur Entnationalisierung in erster Linie der Volksschule, aber auch der anderen Schulformen aus und plädierte für eine »absolut bewußt nationale« Erziehung.240 Andere schulpolitische Akzente setzte Goerdeler Ende 1938 in seiner innenpolitischen Denkschrift. Er lobte das humanistische Gymnasium mit der Sprachenfolge Latein, Französisch und Griechisch, dazu Englisch als Wahlfach. Energisch empfahl er, sich durch den Ruf nach realer Bildung, also nach Realschulen, Oberrealschulen und Realgymnasien, nicht vom Vorzug humanistischer Bildung abbringen zu lassen, denn: »Er [der Ruf nach realer Bildung] kam aus dem Westen; Industrie wird stets materielle Institute in den Vordergrund stellen u[nd] zwar nackt […].«241 Dabei spielten Goerdelers Erfahrungen mit der Solinger Stahlwarenindustrie eine nachhaltige Rolle. Ihr Streben nach Realien, das er mit Materialismus gleichsetzte,242 widersprach seinem humanistisch und idealistisch geprägten Denken. Hier zeigt sich, wie sehr er in seiner Einheitsschuldenkschrift 1919 nicht nur über seinen Schatten gesprungen sein muss, als er die Realien zu Lasten humanistischer Bildungsgüter als Unterrichtsstoff befürwortete. Jedoch hielt er in allen Schulformen, auch im humanistischen Gymnasium, die Einführung des Faches Volkswirtschaftslehre zum Verständnis der modernen Industriegesellschaft für erforderlich – analog zum Solinger Lehrplanentwurf der Deutschen Oberschule 1919. In seiner großen Denkschrift »Das Ziel« vom Herbst 1941 wiederholte Goerdeler die Notwendigkeit, in den Schulen Wirtschaftskunde zu unterrichten. Hier betonte er, wie 1938 schon angedeutet, dass die Volksschullehrer im Ge238 239 240 241 242
Goerdeler I: Zum neuen Haushaltsplan (1931/1932), S. 63. Goerdeler I: Denkschrift zur Wirtschafts- und Finanzpolitik (Anfang 1931), S. 284. Goerdeler I, S. 329. Goerdeler II: Denkschrift zur Innenpolitik (Oktober/November 1938), S. 748. Goerdeler II: Stand des Bildungswesens (Juli 1940), S. 792.
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gensatz zu denen der weiterführenden Schulen keine universitäre Ausbildung benötigten. Im Vergleich mit seiner Leipziger Denkschrift vom Anfang 1931, aber nicht im Widerspruch zu ihr wollte er in allen Schularten die Anforderungen deutlich anheben. Somit stand im Vordergrund die gute Allgemeinbildung der Schüler, auch der Volksschüler, als Voraussetzung, um die Zugangsberechtigung zu den Lehrberufen möglichst weit offen zu halten.243 Die höheren Schulen sollten den Schülern nun unabhängig vom Besitzstand und Einkommen der Eltern ausschließlich nach ihrer Begabung zugänglich gemacht werden.244 Noch in seiner letzten in Freiheit verfassten Denkschrift, betitelt »Die Aufgaben der deutschen Zukunft«, setzte Goerdeler sich Anfang August 1944 mit der Reform des Schulwesens auseinander. Er skizzierte eine gemeinsame Grundschule von nur noch drei Jahren, daran anschließend die fünfjährige Volksschule, alternativ das humanistische Gymnasium oder die Oberrealschule von neun Jahren. Ausdrücklich wies er andere Formen, somit auch die Deutsche Oberschule, zurück.245 Drei Monate später verfasste er als zum Tode Verurteilter in Haft seine Denkschrift »Unsere Idee«, wo er – neben der an anderer Stelle berücksichtigten Volkswirtschaftslehre – ein weiteres Unterrichtsthema anmahnte: die Widerlegung der Dolchstoßlegende. Er verwies auf die Gewissenlosigkeit der Obersten Heeresleitung und warf Hindenburg und Ludendorff Unanständigkeit und Unwahrhaftigkeit vor. Ihm ging es darum, kommende Generationen vor der leichtfertig verabreichten Droge der militärischen Führung, die ihre Hände scheinheilig in Unschuld wasche, zu bewahren. Deshalb regte er intensive intellektuelle Auseinandersetzungen an: »Lest die amtlichen Urkunden zum ersten Weltkriege, macht sie zum Gegenstande des Unterrichtes in den Schulen, diese Vergiftung muss aus den Köpfen und der Seele des Volkes heraus.« Er wünschte Schülerreferate und Debatten in den Klassen über die zentralen Dokumente, um statt Verblendung Wahrheit zu schaffen; »denn sonst kann es ja die Jugend später nicht besser machen, sondern verfällt dem Hass […]!«246 Ihm ging es somit um die Zukunftsfähigkeit des deutschen Volkes, das sich den Fehlern der Vergangenheit stellen sollte, um aus ihnen Lehren zu ziehen. Darüber hinaus wurde Goerdeler in Solingen mit einer tradierten selbstbewussten Haltung in Verbindung mit einem ausgeprägten, wenn auch vorwiegend berufsbezogenen Bildungsstreben vertraut, einer Haltung, die vor allem in der hochspezialisierten Kleineisen- und Schneidwarenindustrie mit ihren qualifizierten Facharbeitern anzutreffen war. Beide Seiten, Unternehmer wie Arbeit243 244 245 246
Goerdeler : Das Ziel, S. 901 f. Goerdeler : Der Weg, S. 954. Goerdeler II, S. 1014. Goerdeler : Unsere Idee, S. 104 f.
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nehmer, vertraten ihre berufsständischen Interessen mit einer Konsequenz, die einzelne Sparten Solinger Facharbeiter nicht nur an die deutschlandweite Einkommensspitze führte, sondern auch kaum lösbare Konflikte mit teils jahrelangen, in Ausnahmefällen jahrzehntelangen Streiks zur Folge hatte. Unversöhnlich blieben jahrzehntelang auch die Auseinandersetzungen zwischen dem freigewerkschaftlichen Deutschen Metallarbeiterverband und dem unabhängigen lokalen Industriearbeiterverband. In protestantischen Kreisen war eine Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Obrigkeit gegeben, die sich beispielsweise in der Agenda-Frage in den 1820er und 1830er Jahren und im »Kirchenkampf« im »Dritten Reich« niederschlug. Mit dieser besonderen Mentalität wurde Goerdeler in Solingen fortlaufend konfrontiert, und an ihr musste er sich bewähren. Bei der Frage nach der Nachhaltigkeit der Solinger Erfahrungen ist die Dauer seiner dortigen Verwaltungstätigkeit von Bedeutung. Seine formale Praktikumsund Amtszeit dauerte von Oktober 1911 bis zum Februar 1920 acht Jahre und knapp vier Monate. Doch davon müssen faktisch sein Kriegsdienst und seine daran anschließenden monatelangen Aufenthalte in den deutschen Ostprovinzen abgezogen werden. Dann bleiben zwei Jahre und sieben Monate, die Goerdeler als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter und Beigeordneter im Dienst der Stadt Solingen stand; zählt man seine 7 12 Monate als Praktikant hinzu, so waren es drei Jahre und 2 12 Monate. Dass er trotz der kurzen Zeit intensive, nachhaltige Erfahrungen gewinnen konnte, beweisen seine späteren Rückgriffe auf seine Solinger Amtszeit, insbesondere sein rastloser Einsatz für die Einführung der rheinischen Bürgermeisterverfassung. Die Verwüstungen des Bombenkriegs weckten andersartige Gefühle in Goerdeler. In seiner Mitte November 1944 verfassten Denkschrift »Unsere Idee« beklagte er das Flächenbombardement auf die Solinger Innenstadt vom 4. und 5. November 1944.247 Noch im Januar 1945 wies Goerdeler in einer Denkschrift darauf hin, dass beim Wiederaufbau zerstörter Städte unterschiedliche Wege beschritten werden müssten. Den Wiederaufbau Wuppertals in dem beengten Tal hielt er, nachdem die historischen Voraussetzungen für die dortige Entwicklung zur Großstadt entfallen seien, nur für bedingt sinnvoll, nämlich insofern die ortsansässige Bevölkerung Barmens auf die Textilindustrie spezialisiert war, während er im Übrigen die Wuppertaler Bevölkerung in anderen Landstrichen des Bergischen Landes anzusiedeln trachtete. Seinem nüchternen Denkmodell zufolge erachtete er »eine sehr großzügige Verlagerung des Standorts dieser Stadt auf die Höhe oder in das breitere Untertal der Wupper« – zwischen die Städte Solingen und Leverkusen – »oder gar eine sehr großzügige Umsiedlung der Bevölkerung in eine Reihe von kleineren Städten« für plausibel. 247 Goerdeler : Unsere Idee, S. 128.
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Hier könnte er an Städte wie Mettmann, Hilden, Heiligenhaus, Wülfrath, Velbert, Neviges oder Sprockhövel gedacht haben. Als Präzedenzfall diente ihm die einige Jahrzehnte zuvor vollzogene Verlagerung des Schwerpunkts der BayerChemiewerke von Elberfeld in das von einer Lokalzeitung als »Chicago des Kreises Solingen« titulierte Wiesdorf (Leverkusen), deren Abschluss er als Solinger Beigeordneter miterlebt hatte. Die besonderen Bedingungen einer beruflich spezialisierten ortsansässigen Bevölkerung, die nicht umgesiedelt, sondern am traditionellen Ort wieder angesiedelt werden konnte, sah er hingegen in den zerstörten bergischen Städten mit Kleineisen- und Werkzeugindustrie gegeben.248 Dies war zugleich seine letzte bekannte Bezugnahme auf seine erste berufliche Wirkungsstätte Solingen. Seine Zusammenarbeit mit einem breiten Spektrum von konservativen, liberalen, katholischen und sozialdemokratischen Stadtverordneten war zweifellos prägend. Aufschlussreich ist, dass Goerdeler kommunalpolitisch auch mit führenden Vertretern der Israelitischen Synagogengemeinde Solingen zusammenarbeitete, so mit dem Stahlwarenindustriellen und ehrenamtlichen Beigeordneten Gustav Coppel und mit dessen Sohn, dem Stadtverordneten (seit 1915) Dr. Alexander Coppel, in der Armenkommission auch mit Jenny Geisenheimer, Teilhaberin der Firma Alexander Coppel. In der »Frau Postdirektor Kind-Stiftung«, die sich den Kriegsversehrten und Kriegsheimkehrern widmete, arbeitete er mit Gustav Coppels Witwe Fanny, den anderen beiden Familienangehörigen Coppel sowie mit dem Kaufmann Nathan Isaac und seiner Frau Fanny, sämtlich aktiven Mitgliedern der Synagogengemeinde, zusammen. Gustav Coppel war Vorsitzender, Nathan Isaac und seit 1915 Dr. Alexander Coppel Vorstandsmitglieder der Synagogengemeinde, Fanny Isaac Vorstandsmitglied des Israelitischen Frauenvereins. Zudem kooperierte er bei der anwaltlichen Vertretung der Stadt vor dem Landgericht mit dem Vorstandsmitglied der Synagogengemeinde Elberfeld, Rechtsanwalt Gustav Brück, der in späteren Jahren, 1929 bis 1943, Vorsitzender der Elberfelder, 1945 bis 1950 der Wuppertaler jüdischen Gemeinde war.249 Berührungsängste gegenüber der jüdischen Minderheit kannte er nicht, eine Einstellung, die in seinem freikonservativen Elternhaus selbstverständlich gewesen sein dürfte. Dass er schon in Marienwerder, wo es eine kleine Synagogengemeinde gab, Kontakte mit jüdischen Repräsentanten pflegte, muss bezweifelt werden. Zweifellos ist hingegen der Beginn der administrativen Zusammenarbeit mit lokal führenden Juden in die Solinger Amtszeit zu datieren. Diese selbstverständliche Zusammenarbeit widerspricht der Auffassung, dass 248 Goerdeler II: Beantwortung von 39 Fragen (Anfang 1945), hier S. 1069 f., 1083, GoerdelerZitat S. 1069. – Chicago-Zitat: SZ vom 25. 3. 1912. 249 Stiftung: im Vorstand Dr. Alexander Coppel, im Ausschuss Fanny Coppel, Jenny Geisenheimer und Fanny Isaac; ST vom 21. 5. 1919. – Brück: StAS, S 6533, S 6534.
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Goerdeler vom traditionellen Antisemitismus geprägt gewesen sei.250 Vielmehr lässt sich Peter Hoffmanns eindrucksvoller Nachweis des stetigen Einsatzes Goerdelers für die Rechte der jüdischen Minderheit und gegen den Antisemitismus251 noch rückwärts in seine Solinger Amtszeit zu verlängern. Wie zuvor gezeigt wurde, ist neben den positiven Solinger Prägungen hinsichtlich der Bürgermeisterverfassung und der Politik der Sachlichkeit auch die negative Prägung durch die materiellen Interessen der Solinger Stahlwarenindustrie an der Realschulbildung anstelle der humanistischen Gymnasialbildung nachweisbar. Waren es allgemeine Verwaltungserfahrungen oder spezifische Solinger Erfahrungen, die Goerdelers weitere berufliche Tätigkeit prägten? Elementares hätte er auch in anderen Stadtverwaltungen erlernen und erfahren können: die tägliche Verwaltungsroutine, den Umgang mit dem Oberbürgermeister als Dienstvorgesetztem, mit haupt- und nebenamtlichen Beigeordneten und die Leitungsfunktion von Dezernaten mit teilweise hochspezialisierten Verwaltungsbeamten und -angestellten, mit unterschiedlichen Stadtverordneten und mit von der Verwaltungstätigkeit betroffenen Bürgern. Nicht nur in Solingen, sondern auch in anderen Mittelstädten hätte er ein sachlich breites Aufgabenfeld bearbeiten müssen. Reichsgesetzliche Auftragsangelegenheiten wie die Reichsversicherungsordnung mussten wie in Solingen, wo zudem durch die Lex Solingen die Weichen bereits gestellt waren, auch in anderen Städten umgesetzt werden. Auch andere Städte mussten das Schulwesen nach der Revolution 1918 reformieren, wobei die Bestimmungen der Reichsverfassung und der Reichsgesetze ebenso wie die preußischen Landesgesetze zu beachten waren. Entsprechendes gilt für zahlreiche sonstige Gesetze, Verordnungen und Erlasse. Doch Goerdeler führte nicht einfach Vorgaben aus, sondern entwickelte dabei eigene Initiativen, wozu ihm der Oberbürgermeister Dicke nach anfänglicher Reserve den erforderlichen Gestaltungsspielraum ließ. Maßgeblich war seine juristische Initiative bei den Ortsstatuten, die er im Laufe seiner Tätigkeit von den Stadtverordneten verabschieden ließ und dann in Vertretung des Oberbürgermeisters mit seiner eigenen Unterschrift publizierte, und bei Polizeiverordnungen, Bestimmungen, Ordnungen und Verträgen. In einem Prozess mit komplizierter Sachlage, dessen negativer Ausgang der Stadt teuer zu stehen gekommen wäre, erwies er sich als ausgesprochen umsichtiger Sachwalter der städtischen Interessen. Seine Findigkeit und seine Vermittlungsfähigkeit waren auch bei der in der zweiten Jahreshälfte 1912 eingeleiteten Reform der Ar250 So Hans Mommsen: Alternative zu Hitler. Studien zur Geschichte des deutschen Widerstandes, München 2000, S. 390; und Christof Dipper: Der Widerstand und die Juden, in: Jürgen Schmädeke/Peter Steinbach (Hg.): Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus, München 1985, S. 598 – 615, hier S. 608. 251 Hoffmann: Goerdeler, passim.
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menverwaltung gefragt, ein Vorhaben, das er nach der Unterbrechung durch den Ersten Weltkrieg zum Abschluss zu bringen trachtete. Bei der Einführung der Berufsvormundschaft ging er der gesetzlichen Regelung ebenso voran wie bei der Ausweitung der Sonntagsruhe im Handelsgewerbe. Die Reform der Polizeiverwaltung 1919 lag ganz in seiner Hand. Als krönender Abschluss, was Umfang und potenzielle Auswirkungen der Reform betrifft, kam durch seine Energie der nicht umgesetzte Entwurf zur Ausgestaltung der Einheitsschule in Solingen und zur Errichtung der Deutschen Oberschule zustande, der allerdings den Volksschulen wenig Beachtung schenkte. Inwieweit dieser Entwurf hätte durchgesetzt werden können, wenn Goerdeler in Solingen tätig geblieben wäre, muss in Anbetracht der geringen Teilnahmefrequenzen an den achten Klassen der Volksschulen skeptisch beurteilt werden. Andererseits ist nicht auszuschließen, dass die schwache Akzeptanz des achten Schuljahrs gerade auf das Fehlen der darauf aufbauenden weiterführenden Deutschen Oberschule zurückzuführen war. Was er anpackte, trieb er mit großer Tatkraft voran. In der bergischen Mittelstadt nahm er nachhaltige Lehren für seine künftigen Lebensstationen an. Überblickt man Goerdelers Zeit in Solingen, so drängt sich dennoch der Eindruck auf, dass ihn wenig hier hielt. Er war immer auf dem Sprung nach größeren Aufgaben, was mit der Übernahme des Amts des Oberbürgermeisters in der Handelsstadt Leipzig gelang.
Solinger Erinnerungen an Goerdeler in der Weimarer Republik und im »Dritten Reich«
Wie hat sich die Stadt Solingen nach seinem Wegzug an ihren ehemaligen Beigeordneten erinnert? Nachdem Goerdeler sein Amt als Zweiter Bürgermeister von Königsberg angetreten hatte, spielte er in der Solinger Öffentlichkeit nur noch gelegentlich eine Rolle. Nach dem Zusammenschluss mit den Kreisstädten des Industriebezirks – Ohligs, Wald, Höhscheid und Gräfrath – kam sein Name 1929 noch einmal als Oberbürgermeisterkandidat der Stadt »Groß-Solingen« ins Spiel. Die Parteien DDP, DVP, DNVP, Zentrum und Reichspartei des deutschen Mittelstandes hatten für die Kommunalwahlen am 17. November 1929 eine gemeinsame Liste, die Bürgerliche Wahlgemeinschaft, gebildet, die 19 von 52 Mandaten erzielte. Die Rechtsparteien – DNVP und DVP – wünschten Goerdeler als Oberbürgermeister-Kandidaten.252 Zwar konnten sie sich theoretisch noch auf die anderen Parteien des bürgerlichen Lagers stützen (die Volksrechtspartei und den CSVD mit je 2 Mandaten, die Walder Bürgervereinigung und die NSDAP mit je einem Mandat), aber die Linksparteien verfügten über die Mehrheit (KPD 18, SPD 8, KPO 1 Mandat), wenn sie geschlossen abstimmten. Weil die SPD auf einem eigenen Bürgermeisterkandidaten beharrte, verzichtete Goerdeler auf die aussichtslose Bewerbung.253 Seine weiteren Karriereschritte wurden in der lokalen Presse allenfalls beiläufig verfolgt – nach dem Motto: Solingen ist stolz auf den Mann, der sich hier seine kommunalpolitischen Sporen verdient hat. Nach seiner Wahl zum Oberbürgermeister von Leipzig rief das Solinger Tageblatt den vergeblichen Vorschlag ins Gedächtnis, ihn für dasselbe Amt in der vereinigten Stadt Solingen zu nominieren. Als er Ende 1931 von der Regierung Brüning zum Reichspreiskommissar ernannt wurde, erinnerte sich ein alter Redakteur, dass der junge Beigeordnete einen geschickten Umgang mit der Presse gehabt habe, während 252 RLZ vom 5. 7. 1935, 9. 1. 1937. 253 Bernd Neufurth: Solingen 1929 – 1933. Eine Studie zur Auflösung der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Machtübernahme in einer Kommune, St. Augustin 1984, S. 56 – 61.
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der Oberbürgermeister Dicke nicht viel mit ihr habe anfangen können.254 Goerdelers Preiskommissariat wurde von dem Kasseler Regierungspräsidenten Ferdinand Friedensburg positiv bewertet, da ihm die Preissenkung »in unerwartetem Maße« gelungen sei, während der Nürnberger Oberbürgermeister Hermann Luppe kritisch bemerkte, dass Goerdeler, nachdem er keinen Einfluss auf die Kartellpreise bekommen habe, sich mit weniger wichtigen Fragen habe befassen müssen.255 Über die erneute Übernahme des Reichspreiskommissariats im November 1934 unterrichtete die Solinger Presse ihre Leser ausführlich im überregionalen Teil. Den Rücktritt als Oberbürgermeister der Stadt Leipzig nutzte das Solinger Tageblatt für einen Rückblick auf seine Lebensstationen mit irrigen Angaben über seine Solinger Amtszeit.256 In der Zeit des »Dritten Reiches« unternahm Goerdeler zwei höchst unterschiedliche Reisen nach Wuppertal. Mitte 1935 berichtete die Rheinische Landeszeitung im Lokalteil »Solinger Beobachter« wortreich, aber inhaltsleer und mit den üblichen Solinger Reminiszenzen von einer Studienreise des Leipziger Oberbürgermeisters Goerdeler mit Leipziger Ratsherren in eine Reihe von rheinisch-westfälischen Großstädten, darunter Köln, Düsseldorf, Dortmund und Wuppertal.257 Der nicht genannte Zweck war vermutlich die Verwaltungsreform. Es war eine Fortführung der vormals durch Umfragen bei anderen Städten erzielten Erfahrungen mit anderen Mitteln. Eine weitere Reise Goerdelers nach Wuppertal fand überhaupt keine Erwähnung in der Presse. Goerdeler engagierte sich nach seiner Entlassung als Leipziger Oberbürgermeister im Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime und reiste in dieser Rolle Mitte 1943 in das westdeutsche Industrierevier, um illusionäre Vorstellungen über die angebliche Harmlosigkeit der Flächenbombardements aus eigener Anschauung zu widerlegen. Auch auf Barmen hatte es Ende Mai, auf Elberfeld Ende Juni 1943 Bomben geregnet. Daraufhin schrieb Goerdeler in seinem Brief vom 25. Juli 1943 an den Generalfeldmarschall Günther von Kluge: »Dort [im Westen] liegt die Arbeit von tausend Jahren in Schutt. Es hat keinen Zweck, die Gefühle zu beschreiben, die mich bewegten, als ich vom Toelleturm ab auf die Ruinenstadt Barmen und auf das zur Hälfte zerstörte Elberfeld heruntersah. […] In Elberfeld arbeiteten selbst unversehrte Betriebe des Stadtteils Vohwinkel zu 30 Prozent,
254 ST vom 3. 4. 1930. – ST vom 22. 12. 1931 (Redakteur Robert Schaberg). 255 Ferdinand Friedensburg: Die Weimarer Republik, Berlin 1946, S. 211 (Zitat). Vgl. Hermann Luppe: Mein Leben, Nürnberg 1977, S. 236. 256 ST vom 8. 1. 1937, Lokalteil. 257 RLZ vom 5. 7. 1935.
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weil die Arbeiter abgewandert sind. Aus Wuppertal und Essen sind je etwa zwei Drittel, aus Köln vier Fünftel der Bevölkerung verschwunden.«258
Der Brief, ein Zeichen für Goerdelers Beredsamkeit, hat seinen Adressaten vermutlich nicht erreicht. Er bezweckte den schwankenden Kluge damit auf die Seite des Widerstands zu ziehen. Diesem wurde dann aber ein Brief des Generals Olbricht mit demselben Tenor übergeben. Auch wenn der Generalfeldmarschall Goerdelers Brief nicht gelesen hat, liegt der Gedanke nahe, dass dieser die Informationen, wie es um Wuppertal stand, in Gesprächen mit Militärs und Zivilisten zu Aufklärungszwecken weiter verwendet hat. Eine geheime Widerstandsbeziehung zu Solinger Oppositions- oder Widerstandskreisen gegen das nationalsozialistische Regime scheint Goerdeler nicht unterhalten zu haben, doch sein Mitstreiter, der ehemalige hessische Innenminister Wilhelm Leuschner, ein führender Sozialdemokrat, unterhielt regelmäßige berufliche Kontakte mit dem Solinger Sozialdemokraten Hermann Meyer, der durch seine Führungsposition im Solinger Spar- und Bauverein lokal auch heute noch ein Begriff ist. Meyer lebte allerdings seit seiner Berufung in das Wohlfahrtsministerium 1930 in Berlin. Auf Reisen durch das Rheinland besprach sich Leuschner heimlich auch mit Solinger Sozialdemokraten. Nach dem misslungenen Attentat des Oberst Stauffenberg vom 20. Juli 1944 auf Hitler erinnerte die Solinger Presse ein letztes Mal an Goerdeler. Diesmal handelte es sich nicht um Solinger, sondern um Berliner Berichterstattung. Nicht von vornherein war bekannt, dass der Oberbürgermeister außer Diensten in die Verschwörung nicht nur einbezogen war, sondern die führende zivile Rolle gespielt hatte. Am 2. August 1944 brachten das Solinger Tageblatt und die Lokalausgabe der parteioffiziellen Rheinischen Landeszeitung die identische Meldung des Deutschen Nachrichtenbüros, dass Goerdeler als »Attentäter« gesucht werde und dass auf Hinweise zu seiner Ergreifung eine Belohnung von einer Million Reichsmark ausgesetzt seien. Der Fahndungsaufruf wurde in beiden Zeitungen am 4. August wiederholt, diesmal mit Foto. Eine weitere Fahndungsmeldung erfolgte am 8. August im Solinger Tageblatt und am 9. August in der Rheinischen Landeszeitung, wobei das unterschiedliche Datum vermutlich auf den Charakter des Tageblatts als Abendzeitung, der Landeszeitung als Morgenzeitung zurückzuführen ist. Beide Zeitungen berichteten am 9. August 1944 auf mehreren Seiten ausführlich über das erste Verfahren des Volksgerichtshofs gegen General Erwin von Witzleben und andere und über die Todesurteile gegen die Beteiligten. Der Abschnittsbereich Westdeutschland des Sicherheitsdienstes (SD) der SS berichtete an das Reichssicherheitshauptamt, dass die Bekanntgabe der führenden Verschwörer, insbesondere der Fahndungsaufruf nach Goerdeler, 258 Abgedruckt in: Goerdeler II, S. 856 – 862, hier S. 857. Der Name Toelleturm ist in der Druckfassung verschrieben.
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Fahndungsaufruf nach Carl Goerdeler in der RLZ vom 4. August 1944
»in weiten Kreisen der Bevölkerung die Meinung [habe] aufkommen lassen, dass es sich nicht um einen kleineren Kreis von Verschwörern handelt, wie es von unserer Propaganda immer wieder betont worden sei, sondern daß ein großer Teil unserer führenden Schicht nicht mehr an einen Sieg Deutschlands glaube«.259
259 Heinz Boberach (Hg.): Meldungen aus dem Reich. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS 1938 – 1945, Bd. 17, Herrsching 1984, S. 6699: Meldung vom 10. 8. 1944.
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In Anbetracht der subversiven Opposition ziviler und militärischer Eliten waren Ergebenheitsadressen auch vor Ort angesagt. Am 16. August hielt Alfred Straßweg, der Wuppertaler NSDAP-Kreisleiter und Vorsitzende des Bergischen Geschichtsvereins, auf einer Veranstaltung der NSDAP in der Gaststätte Kannenhof eine Ansprache zu dem Thema »Wenn das Attentat gelungen wäre«. Im Vorfeld wiesen die Rheinische Landeszeitung und das Solinger Tageblatt mehrfach auf diese Veranstaltung hin. Doch während das Tageblatt am 29. Juli 1944 einen Dreispalter über eine inszenierte Kundgebung in der »Adolf-Hitler-Halle« unter der Überschrift »Totaler Krieg – totaler Einsatz – oder totale Niederlage / Treugelöbnis der Klingenstadt zum Führer« gebracht hatte, fand eine Berichterstattung über Straßwegs Vortrag in keiner der beiden Zeitungen statt. Deshalb lässt sich nicht feststellen, ob und wie er über Goerdeler gesprochen hat. Als Reichsredner der NSDAP hatte er die Aufgabe, über aktuelle politische Entwicklungen parteikonform zu sprechen, und als fanatischer Nationalsozialist nahm er zweifellos einen kompromisslosen Standpunkt gegenüber den Verschwörern ein. Am 21. August 1944 meldete das Solinger Tageblatt auf der Titelseite: »Goerdeler verhaftet«, ohne zu erwähnen, dass er bereits am 12. August verhaftet worden war. Erst nach dem Urteil des Volksgerichtshofs unter dem Vorsitz des berüchtigten Blutrichters Freisler ging die Solinger Presse erneut auf ihn ein. Am 11. September druckte das Tageblatt, am 12. September die Rheinische Landeszeitung die identische, nur leicht bearbeitete Meldung des Deutschen Nachrichtenbüros über seine Verurteilung und die von sechs weiteren Verschwörern durch den Volksgerichtshof zum Tode. Goerdelers Name wurde in der Überschrift beziehungsweise in der Unterzeile genannt. Diese Nachricht stellte ihn als führenden Kopf der Verschwörung dar. Nach einleitenden allgemeinen Aussagen ging es um die sieben Verschworenen, die jeweils kurz vorgestellt wurden, und zwar als erster und am ausführlichsten Goerdeler. Der Wortlaut im Solinger Tageblatt:
Überschriften aus dem Solinger Tageblatt vom 11. September 1944 und der Rheinischen Landeszeitung vom 12. September 1944
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»Bei Goerdeler, der als Kopf der Verschwörer und [!] für den Posten des ›Reichskanzlers‹ ausersehen war, liefen alle Fäden zusammen. Er war es, der die Verrats- und Attentatspläne mit dem feindlichen Ausland abstimmte, der seit 1942 die Verbindung zwischen den militärischen Verrätern einerseits und den politischen Verschwörern andererseits herstellte und in zahlreichen Unterredungen alle Einzelheiten des Komplotts und des Attentats vorbereitete. Er hat von Anfang an darauf gedrängt, die Umsturzpläne durch einen direkten Mordanschlag auf den Führer einzuleiten. Nach dem Gelingen des Attentats wollte er eine Militärdiktatur einführen, Standgerichte einsetzen und vor dem Feinde kapitulieren. Schärfste Sozialreaktion nach innen und würdelose Unterwerfung nach außen – das waren die Grundlagen des von ihm aufgestellten ›Regierungsprogramms‹.«260
Wie die gesamte gelenkte Berichterstattung über den 20. Juli war auch dieser Bericht nicht nur tendenziös, sondern verzerrte Goerdelers Persönlichkeit. Es ist geradezu ein Symbol für Goerdelers Ehrfurcht vor dem Leben, dass er den politischen Mord, auch das Attentat auf Hitler, grundsätzlich ablehnte. Dass er von der ersten Fahndungsmeldung bis zu dem Bericht über das Todesurteil als Vorbereiter des Attentats qualifiziert wurde, entsprang freier Erfindung. Goerdelers Biograf Gerhard Ritter beurteilte dessen Ablehnung des Attentats scharf: »Das ist bitter für alle, die das sittliche Recht dieser Tat bejahen, bitter auch für die Freunde Goerdelers, weil es die Grenze seiner politischen Begabung in denkbar schärfster Beleuchtung zeigt.«261 Es wäre aufschlussreich zu erfahren, wie alte Solinger, die ihn noch aus seiner kommunalpolitischen Tätigkeit kannten, den Rufmord in der Lokalpresse damals eingeschätzt haben. Leider fehlen dazu die Quellen. Unter Goerdelers Solinger Mitarbeitern scheint einzig der Lehrer Max Meis nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 ins Visier der Gestapo geraten zu sein, weil er sich unvorsichtigerweise positiv über ihre ehemalige Zusammenarbeit in Solingen und über ihn selbst äußerte. Nach den Erinnerungen seiner Witwe habe er seine Verehrung für Goerdeler mit der Unvorstellbarkeit begründet, dass dieser etwas Unrechtes oder noch nicht gründlich Durchdachtes in Angriff genommen habe. Meis war 1921 als Stadtschulrat nach Barmen berufen und als Sozialdemokrat nach der Machtübernahme der NSDAP 1933 entlassen worden, aufgrund seiner deklamatorischen Distanzierung von der SPD aber 1934 als Rektor an der Volksschule Am Diek wiedereingestellt worden. Er kam mit Verhören durch die Gestapo glimpflich davon.262 260 ST vom 11. 9. 1944. 261 Ritter : Goerdeler, S, 409. – Goerdelers Haltung z. B. in seiner Denkschrift »Unsere Idee«, S. 118. 262 Tonaufnahme von Hedwig Meis (1889 – 1968) aus ihrem letzten Lebensjahrzehnt, Band 17 A. Für Quellen und Erinnerungen an die Eltern Max und Hedwig Meis danke ich dem Sohn Ltd. Ministerialdirektor Reinhard Meis. – Klaus Goebel: Ein Volk, ein Reich, eine Schule. Die Volksschule in Wuppertal zwischen 1933 und 1945, in: ders. (Hg.): Über allem
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Ein letztes Mal hätte die Solinger Presse über Goerdeler berichten können, nachdem er am 2. Februar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet worden war, wenn die Nachricht nicht von Berlin aus unterschlagen worden wäre.
die Partei. Schule, Kunst, Musik in Wuppertal 1933 – 1945, Oberhausen 1987, S. 9 – 48, hier S. 10 f.
Solinger Gedenken an Goerdeler nach dem Untergang des »Dritten Reiches«
Wie hat die Stadt Solingen nach dem Untergang des »Dritten Reiches« ihres einstigen Beigeordneten gedacht? Das Gedenken begann viel früher, als bisher bekannt geworden ist. Nicht erst 1952, sondern schon am 14. Mai 1945 machte der von den amerikanischen Besatzungsbehörden eingesetzte Oberbürgermeister Oskar Rieß den Vorschlag, anlässlich der bevorstehenden Umbenennungen von Straßen und Plätzen den Widerstandskämpfer Goerdeler zu berücksichtigen. Rieß schrieb an das Bauamt: »Bei der Umbenennung des Platzes vor der Stadthalle in Solingen an der früheren Burgstrasse bitte ich den Namen Gördeler-Platz in Vorschlag zu bringen. […] Ich erwarte recht bald die Vorschläge für die Umbenennung.«263 Das ist in dreifacher Hinsicht bemerkenswert, weil der Sozialdemokrat Rieß und der Konservative Goerdeler aus politisch sehr unterschiedlichen Lagern kamen, weil der Vorschlag zur Umbenennung sechs Tage nach der Kapitulation des nationalsozialistischen Regimes erfolgt war und weil der Platz vor der Stadthalle seit 1933 einen systemkonformen Namen trug: Adolf-Hitler-Platz. Was den Verschwörern 1944 nicht gelungen war, sollte symbolisch 1945 geschehen: die Ersetzung Hitlers in seiner Funktion als Reichskanzler durch den Kanzler des Widerstands Carl Goerdeler. Bei der Umbenennung wurde Goerdelers Name nicht berücksichtigt;264 der Platz erhielt am 28. Juni 1945 den Namen Am Schlagbaum und 1946 Burgstraße. Doch 1952 ergriff der Solinger Oberstadtdirektor Gerhard Berting erneut die Initiative. Damals wurde die zerbombte Solinger Innenstadt nicht einfach wiederaufgebaut, sondern mit großzügigerer Straßenführung neu gestaltet. Eine Umgehungsstraße als Symbol der Modernität sollte Goerdelers Namen tragen. Der Rat benannte die Straße vom Entenpfuhl bis zur Clemenskirche am 24. Juli 1952 nach dem einstigen Beigeordneten, legte aber fest, den Namen erst nach Zustimmung der Familie zu verwenden. Die hocherfreute Witwe reagierte mit 263 StAS, Na 13 Bd. 68: Oberbürgermeister Rieß an Bauamt, Herrn Kirchhoff, vom 14. 5. 1945. 264 StAS, SG 1894: Bekanntmachung vom 28. 6. 1945. Vielleicht weil Rieß schon nicht mehr im Amt war. Am 22. Mai 1945 wurde er von Josef Brisch (SPD) abgelöst.
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Solingens erster Nachkriegsoberbürgermeister Oskar Rieß
Solinger Gedenken an Goerdeler nach dem Untergang des »Dritten Reiches«
Oberstadtdirektor Gerhard Berting
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den Worten: »Wir haben in den letzten Jahren zur Genüge erlebt, wie Namen zu Schall und Rauch geworden sind. Aber vielleicht werden reines Streben und bittere seelische und körperliche Leiden einem kommenden Menschenalter Ehrfurcht und Achtung abnötigen.«265 Faktisch erfüllte die Goerdelerstraße vorläufig ihren Zweck, den Durchgangsverkehr aufzunehmen, nicht; in den 1950er Jahren wurde sie bis zur Kasinostraße ausgebaut, und erst in den späten 1960ern erfolgte bei der Clemenskirche die bequeme Anbindung an die Hauptstraße, so dass ein Großteil des innerstädtischen Verkehrs nun auf die Goerdelerstraße umgeleitet werden konnte.
Luftbild der Goerdelerstraße, die in der rechten Bildmitte schräg nach oben führt, im Vordergrund der Platz Entenpfuhl
Wie wenig selbstverständlich diese Straßenbenennung damals war, hat Professor Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, anhand einer Meinungsumfrage aus dem Sommer 1956 dargelegt. Damals stimmten nur 18 Prozent der Benennung einer Schule nach Goerdeler oder dem Hitler-Attentäter Stauffenberg zu, während eine überwältigende Mehrheit sie ablehnte.266 Widerstand gegen das Hitler-Regime wurde von vielen Deutschen 265 ST vom 1. 8. 1952. 266 Johannes Tuchel: »Feiglinge« und »Verräter«, in: Die Zeit Nr. 3, 2009. – Vgl. Rüdiger von Voss: Der Staatsstreich vom 20. Juli 1944. Politische Rezeption und Traditionsbildung in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 2011.
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als Hoch- und Landesverrat gewertet, wovon auch der durch mehrere Instanzen geführte Prozess um den Pfarrer Dietrich Bonhoeffer ein schlagendes Beispiel liefert. Mit der Frage nach der Bewertung des Widerstands verbanden sich zudem direkte juristische und wirtschaftliche Konsequenzen, ob ein Widerstandskämpfer beziehungsweise seine Angehörigen mit Entschädigungszahlungen rechnen konnten. Von der Stadt Solingen ging auch die Initiative für eine Unterstützung der Witwe Anneliese Goerdeler aus, nachdem der Oberstadtdirektor Berting von ihrer finanziellen Notlage erfahren hatte. Mit der Zustimmung der Verwaltungskonferenz konnte er der Witwe Ende Mai 1947 mitteilen, dass die Stadt bereit wäre, ihr eine Unterstützung zu gewähren, bis ihre Wiedergutmachungsansprüche geregelt wären. Anneliese Goerdelers generöse Reaktion darauf ist in der Solinger Presse häufig zitiert worden; sie schrieb: »Es hat mich sehr bewegt, daß die Stadt Solingen für mich eintreten will. Angesichts der schweren Lage der Arbeiterschaft im Industriegebiet möchte ich keinen Gebrauch von Ihrem freundlichen Angebot machen. Möge das Einsehen aller Mächte auch dem fleißigen Bergischen Land wieder einen Aufstieg ermöglichen.«267
Nun herrschte genau ein Jahr lang Funkstille, bis die Korrespondenz mit dem Sohn Reinhard Goerdeler die schwierige materielle Lage der Familie offenkundig machte. Er teilte mit, dass die Stadt Leipzig nur bis zum Oktober 1945 die rückwirkenden Zahlungen und die Pension überwiesen hätte, und dass das Land Sachsen einen Abschlag auf das eingezogene Vermögen von nicht einmal 8 Prozent gewährt hätte; seitdem erhielt die Witwe nur noch eine schmale Rente von 90 Reichsmark von der Stadt Leipzig.268 Berting setzte sich sofort mit dem Sohn in Verbindung, von dem er erfuhr, dass Anneliese Goerdeler eine rechtssichere Pension wünschte. In die weiteren Verhandlungen platzte die Währungsreform hinein, die die Stadt Solingen zu erheblichen Abbau- und Einsparungsmaßnahmen zwang. Nun mussten neue Belastungen wie die Unterstützung der Witwe, für die aufgrund des Abschiedsgesuchs ihres Ehemannes kein Rechtsanspruch bestand, auf die lange Bank geschoben werden. Den Durchbruch brachte eine Bemerkung Reinhard Goerdelers, dass seine jüngste Schwester noch unversorgt sei, woraufhin der Oberstadtdirektor vorschlug, dass die Stadt Solingen einen Zuschuss zu ihrer Berufsausbildung gewähren könnte.269 Die Sache zog sich nochmals ein Jahr hin, bis die 20-jährige Benigna die Vorbereitungskurse für ihre Berufsausbildung absolvierte. Nun leistete die Stadt einen monatlichen Zuschuss bis zum Ende ihrer Ausbildung im November 1951. 267 StAS, SG 4570: Berting an Anneliese Goerdeler, 29. 5. 1947; Antwort (Zitat) vom 4. 6. 1947. 268 StAS, SG 4570: Reinhard Goerdeler an Oberbürgermeister Pünder, 13. 3. 1948 (Abschrift), Anlage zum Schreiben von Pünder an Oberbürgermeister Hebborn, 27. 5. 1948. 269 StAS, SG 4570: Reinhard Goerdeler an Berting, 13. 6. 1948; Antwort vom 9. 8. 1948.
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Da Goerdelers Witwe in Westdeutschland keinen Rechtsanspruch auf eine Witwenrente besaß, Königsberg nicht mehr existierte und Leipzig nur einen symbolischen Betrag, seit der Währungsreform in Ost-Mark, gewährte, hatte der Kölner Oberbürgermeister Hermann Pünder inzwischen den Deutschen Städtetag eingeschaltet. Von diesem erhielt sie eine Rente, die einen gewissen Zuschuss zu ihren laufenden Lebenshaltungskosten ausmachte.270 Berting blieb nichts weiter übrig, als sie auf das Wiedergutmachungsgesetz des Landes Baden hinzuweisen. Demgegenüber bezog die Witwe des fanatischen Präsidenten des Volksgerichtshofs Roland Freisler, der auch das Todesurteil über Goerdeler verhängt hatte, bis zu ihrem Tod 1997 die ungeschmälerte Witwenpension. In der lokalen Presse wurde weniger des Beigeordneten als vielmehr des Widerstandskämpfers gedacht. Die Zahl der einschlägigen Artikel und Meldungen, besonders aus Anlass der Jährung des 20. Juli und seines Todestages, ist kaum zu überblicken. Hier soll nur auf einzelne bemerkenswerte Berichte in den 1950er Jahren hingewiesen werden. Dazu gehört eine frühe Bemerkung in dem sozialdemokratisch orientierten Rhein-Echo, Goerdeler würde in sozialistischen und gewerkschaftlichen Kreisen nicht vergessen, weil er »einer der wenigen aufrechten Männer des Bürgertums« gewesen sei.271 Gerhard Ritter begnügte sich bezüglich Goerdelers Solinger Tätigkeit verständlicherweise mit sekundärer Überlieferung in Form von dienstlichen Zeugnissen des Oberbürgermeisters Dicke und von Erinnerungsberichten der Witwe. Als Ritters Goerdeler-Biografie Ende 1954 erschien, wurde sie in der Solinger Öffentlichkeit begeistert aufgenommen. Das Solinger Tageblatt brachte zu Goerdelers zehntem Todestag die dreiteilige Serie »Der Gegenspieler des Diktators« von Karl Heinz Hauptreif, der seiner Darstellung Ritters biografisches Werk mit zugrunde legte. Die Rheinische Post veröffentlichte einen Auszug aus dem Werk.272 Der Bergische Geschichtsverein, Abteilung Solingen, nahm sich erst ein Jahrzehnt später Goerdelers an, als Heinz Rosenthal seinen Aufsatz über den Einheitsschulentwurf des damaligen Beigeordneten in der »Heimat« veröffentlichte, ein Beitrag, dem der Stolz auf diesen zeitweiligen städtischen Spitzenbeamten zu entnehmen ist. Das darin in harmonisierender Absicht entworfene geglättete Bild, das Goerdeler an die Seite der gemäßigten Sozialdemokraten stellt, hält den kontroversen Debatten um den Schulentwurf nicht stand. Rosenthals Artikel erschien ursprünglich 1964, 20 Jahre nach dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944, in der »Heimat«, der damaligen lokalgeschichtlichen
270 StAS, SG 4570: Anneliese Goerdeler an Berting, 9. 2. 1951. 271 Rhein-Echo vom 1. 2. 1951. 272 ST vom 2., 5., 10. 2. 1955; RP vom 22. 1. 1955.
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Monatsbeilage zum Solinger Tageblatt. Seine Darstellung trägt hagiografische Züge. Andere Autoren folgten ihm ungeprüft.273
Straßenschild, 2012
Rund drei Jahrzehnte später habe ich in einem Vortrag die liberale Widerstandsgruppe um den Berliner Richter Ernst Strassmann vorgestellt, der schon seit der Jahreswende 1937/38 mit Goerdeler in Verbindung stand. Nochmals ein Jahrzehnt später, am 24. Oktober 2005, referierte Professor Joachim Scholtyseck über neue Erkenntnisse zur Entwicklung von Goerdelers politischem Denken im Widerstand gegen den Nationalsozialismus.274 Mit in Folge dieses Vortrags beschloss der Vorstand des Bergischen Geschichtsvereins, Abteilung Solingen, einen symbolischen Stolperstein zu stiften, den der Kölner Künstler Gunter Demnig am 20. Dezember 2007 vor dem Standort seines Solinger Domizils in der Birker Straße 5, wo er persönlich am längsten gewohnt hatte, verlegte. Der Leiter des Stadtarchivs Ralf Rogge würdigte aus diesem Anlass Goerdelers Wirken.
273 Heinz Rosenthal: Dr. Goerdeler und die Solinger Einheitsschule, in: Die Heimat (Solingen) 30, 1964, Nr. 1, S. 2 f. Wiederabdruck in: Rosenthal: Solingen 3, S. 410 – 417. – Kahrl: Goerdelers Auffassung, S. 18 mit S. 168. Reich: Goerdeler, S. 93. – Vgl. Sassin: Zwischen Deutschnationalen. 274 Vgl. Horst Sassin: Liberale im Widerstand. Die Robinsohn-Strassmann-Gruppe 1934 – 1942, Hamburg 1993, S. 149. Vgl. Joachim Scholtyseck: Robert Bosch und der liberale Widerstand gegen Hitler 1933 – 1945, München 1999.
Schluss
In der Solinger Stadtverwaltung erlernte Goerdeler das Handwerk des Kommunalbeamten von der Pike auf. Hier machte er seine ersten administrativen Fingerübungen, hier bewies er, wie zügig und gründlich er sich in die verschiedensten Verwaltungsaufgaben einarbeiten konnte, und hier stellte er die Befähigung zur Leitung seiner Dezernate unter Beweis. Es war die Schlüsselphase seines Lebens, bedingt durch die Vielzahl und die Intensität einschlägiger Erfahrungen eine Lebenslehre. In geeigneten Arbeitsbereichen organisierte er zielstrebig die Zusammenführung öffentlicher Verwaltungs- und privater Vereinstätigkeit mit entsprechenden Synergieeffekten. Er meisterte die haushaltstechnischen Erfordernisse der von ihm betreuten Amtsbereiche souverän. Einige Vorgänge hatten durch Goerdelers Initiativen erhebliche finanzielle Folgewirkungen auf den städtischen Haushalt. Seine juristische Kompetenz war bei der Erarbeitung oder Überarbeitung von Statuten und Verträgen und bei der Führung städtischer Prozesse vor Gericht, aber auch in zahlreichen Einzelfällen gefragt. Doch von überragender Bedeutung war seine Erfahrung der Bürgermeisterverfassung, für die er seit seinen Solinger Amtsjahren unermüdlich warb. Die kommunalpolitische Situation vor Ort, wo der juristische Beigeordnete die traditionelle Heimatliebe, die lebendigen Interessen und die Übersichtlichkeit der Probleme schätzte, ließ die Lösung von Sachfragen die ideologischen Gegensätze dominieren, sodass Goerdeler im alltäglichen politischen Geschäft in der Verwaltung, in der Stadtverordnetenversammlung und in den Kommissionen leichter Gegensätze auszugleichen oder zumindest um wechselnde Mehrheiten für seine Sachposition zu werben vermochte. Sofern die Sachfragen von ideologischen Motiven überlagert wurden, bewährte er sich als strikter Vertreter städtischer Interessen oder er schaffte es, sich als neutraler Sachwalter eine vermittelnde Position zu bewahren. Waren die administrativen Sporen, die sich Goerdeler in Solingen verdient hatte, für seine Amtstätigkeit in Königsberg und Leipzig grundlegend, ebenso wie für seine schon Anfang der 1920er Jahre richtungweisenden Aktivitäten im Preußischen und Deutschen Städtetag, so blieben seine politischen Erfahrungen bedeutsam für den Aufbau eines breit
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Schluss
aufgestellten, geheimen politischen Widerstandsnetzes von den Konservativen über Liberale und Zentrum bis hin zu den Sozialdemokraten unter Ausschluss der Kommunisten. Dies war dem Mann vom rechten Flügel des Parteienspektrums nur möglich, weil er in der Kommunalpolitik im steten Meinungsstreit mit politisch anders Gesinnten als starker Verbündeter oder eben als respektabler Gegner erfahren wurde. Dass die politische Organisation der Opposition nicht geräuschlos vollzogen werden konnte, liegt auf der Hand. Goerdeler ging damit das denkbar höchste persönliche Risiko ein. Seine Tragik im Widerstand war es, dass er trotz der Organisation eines breiten zivilen Widerstandsnetzes lange Zeit kein militärisches Pendant fand, das frühzeitig zu der erlösenden Tat bereit gewesen wäre.
Anhang
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Schriften
Juristisches 1. Der Oberbürgermeister, gez. Goerdeler, an Regierungsbaurat Paul Berkenkamp/Düsseldorf,275 30. Juni 1914 – StAS, S 6534: Beiakten zur Sache Solingen ./. Küllenberg. [hs.] Abschrift. Der Oberbürgermeister
Solingen, den 30. Juni 1914.
J. No. VII. R. An Herrn Regierungs- und Baurat Berkenkamp Düsseldorf Zum Schreiben vom 2. ds. Mts. in Sachen Küllenberg gegen Solingen. Zu 2. Aus dem beigefügten Stadtplanausschnitt (Anlage 1) ist ersichtlich, auf welchen Strecken der Kanal in das alte Bachbett verlegt und auf welchen Strecken das Bachbett erhalten geblieben ist. Das an die Kanalisation angeschlossene Niederschlagsgebiet ist 145 ha. groß. (Anlage 2). Die Behauptung im Schriftsatz vom 12. November 1912, daß das Quellwasser dem Bachlauf unvermindert wieder zugeführt wird, ist rechnerisch kaum nachzuweisen. Die Richtigkeit der Behauptung wird aber durch folgende Tatsachen bewiesen. Der Kanal ist überall mit den aus der eingereichten Zeichnung ersichtlichen Drainagen derart versehen, daß das Quellwasser unter 275 Berkenkamp war Vorstand des Königlichen Wasserbauamts II in Düsseldorf.
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Anhang
dem Kanal entlang zieht, durch die Drainage aufgenommen und am Notauslass dem Bachbett wieder zugeführt wird. Ein Drainagerohr von 155 mm. innerem Durchmesser führt bei einem durchschnittlichen Gefälle von 1:50 bei voller Füllung etwa 17 Sekundenliter, eine Wassermenge, die weder vor noch nach der Kanalisation beobachtet ist, die aber auch gar nicht bei einem solchen kleinen Niederschlagsgebiet als Quellwasser in Frage kommen kann; denn sonst hätte die Stadt Solingen nicht eine Talsperre zu Trinkwasserzwecken zu bauen brauchen, sondern sich Quellgebiete besorgt. Die Quellwassermenge des Niederschlagsgebiets wird auf höchstens 1 bis 2 Sekundenliter geschätzt. Dazu kommt, daß die Firma J. A. Henckels, wie eine Ortsbesichtigung leicht ergibt, die starken Quellen am Hauptbahnhof276 (in der Anlage 2 mit einem roten + bezeichnet) seit Jahrzehnten abfängt und völlig für ihre Zwecke nutzbringend verwendet. Es war schon vor der Kanalisation so gut wie kein Quellwasser im Bachlauf vorhanden. Die Drainagen unter dem Kanal dagegen sammeln noch das im Boden befindliche Wasser tieferer Schichten und führen es dem Bachlauf wieder zu. Aehnlich liegen die Verhältnisse an dem östlich erhalten gebliebenen Bachlauf. Dort hat ebenfalls seit Jahrzehnten die Brauerei Beckmann das Quellwasser für ihren großen Betrieb abgefangen. Der blaue Punkt auf dem Plane neben dem Wort Bismarckplatz (in der Anlage 2 blaues Kreuz) bedeutet einen kleinen Teich. Unterhalb dieses Teiches ist im Erdboden eine Sammelstelle, von der aus mit einer Leitung das Wasser nach der Brauerei geführt wird. Also auch hier war schon vor der Kanalisation das Quellwasser von Dritten abgefangen. Welche geringe Rolle das Quellwasser im Bergischen Lande spielt, beweist die Tatsache, daß die Bachläufe nur zur regenreichen Zeit Wasser in nennenswerter Menge führen; in der übrigen Zeit aber nur kleine Rinnsale darstellen. Das erklärt sich durch den undurchlässigen Untergrund an den steilen Hängen. Grundwasserbecken sind nirgends in der Nähe von Solingen zu finden. Die Frage, wie viel Wasser durch den Notauslass dem Bach übergeben werden muß, ist nur schwierig zu beantworten. Die vom Notauslaß weitergehende Leitung von 600 mm Durchmesser hat ein Gefälle von 1:100, ihre Wasserführung ist daher durchschnittlich 400 Sekundenliter. Indessen erfolgte eine Verminderung der Wassermenge, da der Einlaufquerschnitt durch ein in den Kanal eingeschraubtes Brett eingeschürt277 ist. Des weiteren ist der Einlaufkoeffizient zu berücksichtigen. Die fortgeführte Maximalwassermenge beträgt noch 300 Sekundenliter ; alles was darüber liegt, wird in den Bach abgeführt. Wird nur ein Abflußkoeffizient aus dem bebauten Gebiete von 0,60 angenommen (Schmidt behauptet 0,80), so berechnet sich die Regenhöhe nach der Gleichung: Fläche in 276 Vorherige Bezeichnung Südbahnhof; nicht identisch mit dem heutigen Hauptbahnhof in Solingen-Ohligs. 277 Eingeschoben.
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Hektar . 0,6. Abfluß X in Sekundenliter gleich 300 Sekundenliter, X gleich 300 : 145 . 0,6 = 3,45 Sekl. Wenn also auf ein ha. 3,45 Sekl. fallen, so beginnt der Notauslaß überzulaufen. Alles was es über 3,45 Seklit. regnet, geht, soweit es überhaupt zum Abfluß gelangt, in den Bach und kommt den Klägern zugute. Im Jahre 1910 sind vom 1. Mai bis 31. Oktober nach den Regenmessern an der Schule Hästen 3421,26 cbm mehr als 3,45 Sekl. pro ha. Regen gefallen oder auf 145 ha. 496072,70 cbm (Anlage 3) Der Regenmesser ist von der Schule Hästen nach der Schule Blumenstraße verlegt und wird von Rektor Götze bedient. Er kann jederzeit auf seine einwandfreie Arbeit besichtigt werden. Von dieser Menge wären durch den Notauslaß abgeflossen 60 % gleich 297643,62 cbm. Da der Notauslaß in der angegebenen Zeit 232 mal in Tätigkeit getreten ist, sind im Mittel jedes Mal 1282,95 cbm dem Bach zugeführt worden. Zu 3: Eine Tabelle über die Niederschlagsmenge an der Solinger Talsperre von dem Solinger Gaswerk in den Jahren 1905 bis 1913 und die dazu gehörigen Unterlagen sind beigefügt. (Anlage 4). Auf diesen Messungen beruhen die Michaelschen Berechnungen. Ihre Richtigkeit kann nur nachgewiesen werden, wenn die bei den Gerichtsakten befindlichen Unterlagen der Stadt nochmals zugänglich gemacht werden. Wird dieser Nachweis für erforderlich erachtet, so bitte ich um Uebermittelung der bezeichneten Unterlagen. Die Nachrechnung soll dann in kürzester Zeit erfolgen. Ohne weiteres kann aber die Unrichtigkeit der Schmidtschen Kurven dargetan werden. Die Schmidtschen Kurven, die einer dreißigjährigen Messung entsprechen sollen, können auf ihren Wert leicht dadurch nachgeprüft werden, daß der Inhalt der Abflußfläche ermittelt wird. Der Inhalt ist die Jahreswassermenge für 2 [q]klm. ländliche Bebauung und 0,88 qklm. städtische Bebauung. Die fehlenden Ordinate bei 0 soll zu gunsten Schmidt auf 400 angenommen werden. Für 2 qklm. unbebauter Fläche ergibt sich dann: 400 þ 170 . 20 = 5700 2 170 þ 140 . 10 = 1550 2 140 þ 110 . 20 = 2500 2 110 þ 70 . 30 = 2750278 2 70 þ 50 . 40 = 2400 2 278 Berechnungsfehler: Das Ergebnis muss 2700 lauten.
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50 þ 40 . 25 = 1125 2 40 þ 30 . 35 = 1250279 2 30 þ 20 . 50 = 1250 2 20 þ 10 . 60 = 900 2 10 þ 3 . 75 = 488280 2 19863 Tagessekl.281 19863 oder = 54,4 Sekl. für 2 qklm im Mittel, 365 27,2 Sekl. für 1 qklm im Mittel, 27; 2:60:24:365 = 857779 cbm/Jahr.282 an Abfluß oder 1000
oder
An Regen fällt bei 1080 mm 1,080000 cbm/Jahr also Verlust 222221 cbm. Hiernach fließen von der unbebauten Fläche ab 79,4 %, während Schmidt mit 67,5 % rechnet; denn er sagt, daß von 1080 mm 350 mm verdunsten. Es besteht also eine Differenz von 79,4 – 67,5 = rd. 12. Diese Differenz zeigt zweifellos an, daß bei den Schmidtschen Berechnungen Unrichtigkeiten vorhanden sind. Es ist, wie schon immer betont, unrichtig, wenn Schmidt seine Beobachtung von einem Gebiet mit 1300 mm Niederschlagshöhe auf ein solches mit 1080 mm überträgt. Auf wiederholtes Drängen hat er zwar angegeben, einen Reduktionsfaktor von 20 % verwendet zu haben. Schmidt hat aber diesen Faktor nicht angewendet; denn seine Kurve stimmt, wenn man mit einer Höhe von 1300 mm rechnet; dann beträgt der Jahresabfluß für 1 qklm 1300000 cbm, der Verlust 1300000 – 857779 = 242221. Der Abfluß beträgt dann 66 %, also fast zutreffend der von Schmidt auf 67,5 % angegebene Abfluß. Hieraus ergibt sich die Hinfälligkeit des Schmidtschen Materials für das Solinger Gebiet.
279 Berechnungsfehler: Das Ergebnis muss 1225 lauten. 280 Aufgerundet. 281 Das Ergebnis ist mit den falschen Teilergebnissen stimmig, müsste aber mit den richtigen Zwischenergebnissen 19888 Tagessekundenliter lauten. 282 Die Rechnung ist falsch, wird aber richtig, wenn man den Zähler des Bruches ein weiteres Mal mit 60 multipliziert. Diese korrigierende handschriftliche Ergänzung ist – nur – in der nachfolgenden Berechnung der Abflussmengen im bebauten Gebiet vorgenommen worden.
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Noch auffälliger wird die Unrichtigkeit bei bebauten Gebieten. Aus der Schmidtschen Kurve ist für 0,88 qklm. abzulesen: 13 þ 16 . 75 = 1087,5283 2 16 þ 18 . 60 = 1020,–284 2 18 þ 21 . 50 = 975,– 2 21 þ 24 . 35 = 787,5 2 24 þ 26 . 25 = 625,– 2 26 þ 35 . 40 = 1220,– 2 35 þ 52 . 30 = 1305,– 2 52 þ 63 . 20 = 1150 2 63 þ 70 . 10 = 665 2 70 þ 100 . 10 = 1700285 2 10535 = 29,0 für 365 0,88 qklm. Abfluß oder oder
29; 0 = 33 Sekl. für 1 qklm. Abfluß 0; 88
33:60:60:24:365 = 1040688 cbm Abfluß im Jahr 1000
283 In dieser Gleichung steht die Multiplikation mit 75 auf dem Zähler ; dieser Fehler ist in der Durchschrift nicht korrigiert worden, vermutlich aber im Original. 284 In der Durchschrift steht hier 10020,–, wobei die Null an der Tausenderstelle dort steht, wo ansonsten Leertasten gedrückt wurden; vermutlich ist sie im Originalschreiben entfernt worden. 285 Berechnungsfehler: Das Ergebnis muss 850 lauten. Die Addition stimmt jedoch mit den richtigen Teilergebnissen.
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für 1 qklm. also in 1080000 cbm fallen 96 %. Unerklärlich bei dieser Kurve ist auch noch, daß am Ende vom bebauten 13 = 15 Sekl.286 Gebiet 0; 88 3 auf ein 1 qklm dauernd abfließen, während von unbebautem Gebiet = 1,50 2 Sekl. von einem qklm. abfließen, also vom bebauten Gebiet 10 mal mehr, während sonst die Schmidtschen Abflußzahlen 80 + 68 für beide Gebiete betragen. Nun ändert sich dieses Verhältnis in der Schmidtschen Kurve, denn bei der Ordinate 110 ist der Abfluß von unbebautem Gebiet plötzlich größer als bei bebautem Gebiete. Eines weiteren Beweises für die Unrichtigkeit der Schmidtschen Kurven bedarf es nicht. Zu 7. Die Errechnung der Gefällehöhen ist außerordentlich zeitraubend. Die Arbeiten konnten noch nicht beendet werden, Abschrift des Schreibens vom 2. ds. Mts. ist beigefügt. I. V. gez. Dr. Goerdeler. Anlagen: Anlage 1: Ausschnitt aus dem Stadtplan.287 Anlage 2: An die Kanalisation angeschlossenes Niederschlagsgebiet: Plan des Teiches zu Kotten Küllenberg, einschließlich Höhenplan. [Vgl. Abbildung auf Seite 169] Anlage 3: Regenmessung an der Schule Hästen vom 1. Mai bis 31. Oktober 1910.288
286 Aufgerundet. 287 Fehlt in der Akte. 288 Fehlt in der Akte.
Lageplan der Teich- und Kottenanlage im Weinsbergtal; die Karte wird anstelle der fehlenden Anlage 2 gezeigt
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Anlage 4: Tabelle über die Niederschlagsmenge an der Solinger Talsperre 1905 – 1913. Abschrift.
Jahr 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 Mittel
Jahresregenhöhe von April bis April – Talsperre mm. Gasanstalt mm. 1200,575 1292,80 1042,35 1029,70 1010,95 1111,80 1498,25 1647,90 1258,20 1152,25 1091,325 1015,50 1120,45. 1002,35 1175 1178 —–oOo—–
Für die Richtigkeit der Abschrift: Solingen, den 28. März 1913. I.A. Schneider Oberstadtsekretär. Anlage 5: Abschrift des Schreibens vom 2. Juni 1914. Abschrift! Berkenkamp.
Düsseldorf, den 2. Juni 1914. Goethestr. 71 Fernruf 9434.
An den Herrn Oberbürgermeister in Solingen. Streitsache Küllenberg ./. Solingen. gefl. Schreiben vom 5.5. VII. R. 106. —–-—In Verfolgung der gefl. Zuschrift vom 5. v. Mts. bitte ich die Unterlagen wie folgt zu vervollständigen. Zu 2. Es sind nur zwei Zeichnungen vorgelegt. Zu erläutern ist noch die Lage des Kanalquerschnittes zum früheren Bachbett. Rechnerisch ist die Behauptung des Schriftsatzes vom 12. XI. 12 Seite 5, wie das Wasser dem Bachlauf unver-
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mindert wieder zugeführt wird, nachzuweisen. Nach der Zeichnung Anlage 2a ist ein Drainagerohr von 0,/5 m [!]289 innerm Durchmesser vorhanden. Das Niederschlagsgebiet bis zur Ableitungsstelle Bismarkstraße [!] ist nach Anlage 1 mit 45 ha. angegeben. Es ist ferner durch Rechnung zu belegen, welche Wassermengen im Jahre im Mittel durch den Notauslaß Anlage 2b dem Bache zugeführt werden müssen. In Ihrem eigensten Interesse wird anheimgegeben, diese Angelegenheit sehr eingehend zu behandeln, da die vorliegenden Akten hierüber nichts angeben. Zu 3. Die Beobachtungswerte sind mit Berechnung des Gesamtmittelwertes beizubringen. Es genügt Angabe der Jahresmittelwerte, wenn Seite und Jahr der betreffenden Wasserwerksberichte angegeben werden. Die Errechnung des im Michaelischen Gutachten angenommenen Abschlußwerte ist von Ihnen beizubringen, ich kann dann die Jahresmittelwerte nach den amtlichen Unterlagen, soweit solche vorhanden sind, nachprüfen. Ebenso sind die in Anlage 3 des Michaelischen Gutachtens vom 3. X. 1912 nachgewiesenen Kurven und Zahlen von Ihnen genau anzugeben, nachzuweisen und zu erläutern, wobei die Abweichungen von den Schmidtschen Kurven eingehend zu begründen sind. Regenmesserangaben beim Gaswerk liegen hier nicht vor. Diese Zahlen sind zum Vergleich mit denen an der Talsperre in einer besonderen Tabelle gegenüberzustellen. Zu 7. Stelle ich die Vorlage der Gefällshöhen [!] anheim, durch die die gemachten Angaben auf alle Fälle verdeutlicht werden. Dem Antwortschreiben bitte ich höflichst Abschrift dieses Schreibens wieder beizufügen. Ich bitte die Fragen möglichst innerhalb 3 Wochen also bis zum 24. ds. Mts. zu beantworten. Hochachtungsvoll! gez. Berkenkamp. P.S. Ich bitte Ihren Herrn Rechtsanwalt Brück in Elberfeld von diesem Schreiben in Kenntnis zu setzen.
Gemeindeverfassung 2. Carl Goerdeler : [Entwurf einer Antwort auf ein Rundschreiben des Preußischen Städtetages, betr. Magistratsverfassung und Bürgermeistereiverfassung, 4. Oktober 1919] – StAS, S 598: Handakten des Beigeordneten Krups und des Beigeordneten Dr. Goerdeler, 1912 – 1923. VII (BT)! G 384. 289 Richtig: 0,75 m.
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1.) Antwort Z. Ihr…. Soweit die Magistratsverfassung aufrechterhalten wird, schließe ich mich der in der Eingabe v. 22. 9. 1919 verlautenen Auffassung, daß die Magistrate nicht lediglich Ausführungsorgane für Stadtv[erordneten-] Beschlüsse werden dürfen, rückhaltlos an. Eine Minderung der Rechte des Magistrats ist sachlich durch nichts begründet. Die glänzende Entwicklung auch der Städte mit Magistratsverfassung muß den Herrn Staatskommissar für Verwaltungsreform ebenso wie die Staatsregierung von solchen Schritten unbedingt zurückhalten. Entscheidenden Nachdruck möchte ich aber auf die schlechterdings verderblichen Folgen legen, die sich hinsichtlich des Bewerberkreises aus der geplanten gewaltsamen Entmannung der Magistrate ergeben müssen. Dagegen kann ich die Bestimmung des Entwurfs, die der statutarischen Einführung der Bürgermeister-Verfassung die Bahn freimachen, nur begrüßen. Diese ganz außerordentlich schmiegsame u. in schwierigen Verhältnissen besonders praktische Verfassung wird sich auch in ihr historisch fremden Landesteilen Neuland erwerben. Hier müsste die sie einführende Ortssatzung nach einer Probezeit von etwa 10 Jahren unabänderlich werden, um die Verwaltung vor beständiger Unruhe zu bewahren. 4. 10. 1919 I.A. G
Reform des Schulsystems 3. Carl Goerdeler : Die Einheitsschule in Solingen – Solinger Tageblatt vom 11. 11. 1919, Solinger Zeitung vom 11. und 12. 11. 1919, Walder Zeitung vom 12. 11. 1919, General-Anzeiger für Solingen und Umgegend vom 12. 11. 1919, Solinger Volksblatt vom 14. 11. 1919. Der Gedanke der Einheitsschule hat bereits in den Jahren vor dem Kriege weite Kreise der Lehrerschaft beschäftigt; er ist auch in der Oeffentlichkeit wiederholt behandelt worden. Die Erfahrungen und Ereignisse der letzten 5 Jahre haben ihn in den Mittelpunkt aller auf Umgestaltung des Schulwesens gerichteten Bestrebungen gerückt. Ueber das Wesen der Einheitsschule herrschen noch große Unklarheiten. Es wird vielfach ganz mechanisch dahin aufgefaßt, als ob alle Kinder unseres Volkes durch eine Schule gehen müßten. Das ist nicht der Fall. Der Verwirklichung solcher Pläne würden auch schlechterdings unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen; Hindernisse, die sowohl auf finanziellem Gebiete liegen, als auch in der Schwierigkeit der Beschaffung der erforderlichen Lehrkräfte und in der
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Verschiedenheit der Veranlagung der Schüler selbst begründet sind. Wir werden heute weniger denn je daran denken können, auf dem Gebiete des Schulwesens kostspielige Versuche zu unternehmen. Eine im wesentlichen schulgeldfreie, mit hochschulmäßig vorbereiteten hochbezahlten Lehrkräften besetzte Einheitsschule würde so erhebliche Kosten erfordern, daß nicht nur leistungsschwache Gemeinden – man denke an die ländlichen Gemeinden des Ostens –, sondern auch wohlhabende Gemeinden sich diese Ausgaben heute weniger denn je leisten können. Zur Voraussetzung hätte eine solche Einheitsschule einen geschlossenen einheitlich vorgebildeten Lehrkörper, der sich ebenfalls nur mit Kosten für den einzelnen wie für die Allgemeinheit schaffen läßt; müßten doch auf jeder unserer 21 deutschen Universitäten nach oberflächlicher Berechnung jährlich 1400 junge Leute allein dem Studium der Philologie sich widmen, dazu fehlen Dozenten, Hörsäle und Mittel. Es wäre endlich sinnlos, Schüler, deren Begabung offenbar zur Erreichung des Schulzieles nicht ausreicht, in eine solche Schule hineinzupressen und zum Schaden der Begabteren bis zu einem für alle einheitlichen Endziele mitdurchzuziehen. Es ist daher klar, daß aus dem idealen Gedanken einer vollkommen einheitlichen Schule nur das herausgeholt werden kann und soll, was für Eltern, Schüler und Volk den größtmöglichen Vorteil ergibt und finanziell durchführbar ist: möglichst lange gemeinsame Erziehung aller Kinder unseres Volkes, volkseigene Grundlage dieser Erziehung, gesunde Aufstiegsmöglichkeiten für alle wirklich tüchtigen Kräfte. In dem Augenblick, in dem die Verschiedenheit der Begabung eine fehlerfreie Trennung der Schüler ermöglicht, muß sie aus pädagogischen und finanziellen Gründen durchgeführt werden. Diese Gabelung nach der Verschiedenartigkeit der Schüler ist natürlich um so leichter, je später sie vorgenommen wird. Anderseits hemmt ihre Hinausschiebung begabte Kinder, weil sie zusammen mit den weniger oder anders begabten nicht so gefördert werden können, wie bei alleiniger Erziehung. Die technische Hauptschwierigkeit der ganzen Frage liegt also in der Wahl des richtigen Zeitpunktes für die Gabelung. Man hat die verschiedensten Wege erdacht und teilweise auch bereits eingeschlagen, um dieser Schwierigkeit Herr zu werden. Einige dieser Möglichkeiten sind hier zur Darstellung gebracht. [Siehe Abbildung auf Seite 175] Die erste Möglichkeit hat den Nachteil, daß zwischen die vierklassige Grundschule und die vierklassige Oberschule eine Mittelschule eingeschoben ist, das begabte Kind also drei Schulen: Grundschule, Mittelschule und Oberschule zu durchlaufen hat. Eine weitere Schwäche dieses Systems liegt darin, daß bereits nach dem zweiten Jahrgang der Mittelschule wieder eine Teilung eintritt, die den offenbar für die gewerblichen Berufe veranlagten Kindern den Uebergang in die sogenannte gewerbliche Mittelschule ermöglicht. Die beiden ersten Jahrgänge der Mittelschule müssen also sowohl für die gewerbliche Mittelschule
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Schaubild 1: Drei Alternativen der Einheitsschule
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als auch für den weiteren Besuch der Allgemeinen Mittelschule vorbereiten, werden so mit doppelter Aufgabe belastet. Endlich soll diese Allgemeine Mittelschule in ihrem Endziel die Kinder einmal vorbereiten für den Uebertritt ins praktische Leben, anderseits für den Eintritt in die Oberschule. Die zweite Möglichkeit hat den großen Vorteil einer sechsjährigen gemeinsamen Grundschule, aber den bedeutenden Nachteil, daß zwischen Oberschule und Grundschule wieder eine dreistufige Mittelschule eingeschoben wird, die sowohl auf die Oberschule als auf die praktischen Berufe vorbereiten soll. Die dritte Möglichkeit stellt einen in Berlin durchgeführten Versuch dar. Sie hat zur Voraussetzung die Einrichtung einer Realschule, deren Sexta und Quinta fremdsprachenfrei sind. Nach dem 4., 5. und 6. Schuljahre werden aus der Volksschule die begabtesten Schüler in besondere Begabtenklassen übergeleitet und auf diesen für den Uebergang in die entsprechenden Klassen (Quinta und Quarta) der Realschule vorbereitet. Die Begabtenprüfung erfolgt in wissenschaftlich durchgebildeten Verfahren. Der große Nachteil dieses Versuchs liegt darin, daß drei Jahre lang aus der Volksschule die besten Kräfte herausgesogen werden zum Nachteil einmal der Volksschule als solcher und unter beträchtlicher Störung auch eines ruhigen Schulbetriebes; er wird jedes Jahr durch diese Entziehung erneut gestört. Ganz zu schweigen von den schädlichen seelischen Einflüssen, die durch die dauernde Begabtenauslese auf Elternhaus und Kinder ausgeübt werden müssen. Endlich berücksichtigt dieses System nicht genügend die Tatsache, daß für die Tüchtigkeit im späteren Leben durchaus nicht die geistige Begabung ausschließlich ausschlaggebend ist, sondern mindestens in gleicher Weise Eigenschaften des Charakters, wie Fleiß und Pflichttreue, sowie Eigenschaften des Willens, wie Stetigkeit und Festigkeit. Diese Eigenschaften sind aber erst in späteren Lebensjahren des Kindes genügend klar erkennbar. Die Verwaltung der Stadt Solingen gedenkt daher, der Lösung der Frage der Einheitsschule auf einem andern Wege näher zu kommen. [Siehe Abbildung auf Seite 177] Diese Lösung ist hier zur Darstellung gebracht.290 Sie geht von dem Gedanken aus, daß mit Rücksicht sowohl auf unsere Finanzen, als auch auf die unbestritten feststehende Bewährung bisheriger Schulformen Neuschöpfungen und Umgestaltungen nur insoweit vorgenommen werden dürfen, als die Durchführung der oben aufgestellten drei Ziele sie erfordern, im übrigen aber das Bestehende erhalten bleiben muß, bis erprobte bessere Formen an seine Stelle gesetzt werden können. Hierin werden wir durch die Erwägung bestärkt, daß die neue Form der Deutschen Oberschule, mit der allein bei einer möglichst langen gemein290 Hier endet der erste Teil des Lehrplans in der Solinger Zeitung vom 11. 11. 1919 einschließlich beide Abbildungen; der zweite Teil erschien in der SZ vom 12. 11. 1919.
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Schaubild 2: Darstellung von Goerdelers Einheitsschulentwurf
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samen Grundschule jeder der Förderung werten Gedanken der Einheitsschule sich verwirklichen lassen, in der Wirklichkeit noch nicht erprobt ist und ihre Lebensfähigkeit erst nachweisen muß. Es wird also in der Hauptsache folgendes geplant: Die vier untersten Klassen der Volksschule bilden nach Abschaffung der Vorschule die gemeinsame Grundschule. Von dieser gemeinsamen Grundschule kann bis auf weiteres Uebergang in die bisher bestehenden Oberschulen (Realschule und Realgymnasium) erfolgen, an denen grundsätzlich Schulgeld erhoben wird. Das Schulgeld, später vielleicht sogar ein erhöhtes Schulgeld, ist berechtigt, da diese Oberschulen mit der Errichtung der Deutschen Oberschule ihr Monopol der Hochschulreifeprüfung verlieren. Befähigte und wirtschaftlich bedürftige Schüler werden schulgeldfrei unterrichtet. Die Gewährung von Stipendien zur Beschaffung freier Lernmittel an diese Schülergruppe ist zu erwägen. Die überwiegende Mehrheit der Schüler wird nach der Grundschule auf der gemeinsamen Volksschule verbleiben, die durch Aufbau der 8. Klasse ausgestaltet wird. Die hierzu erforderlichen Mittel sind von der Stadtverordneten-Versammlung bereits bewilligt, der Aufbau soll zum 1. April 1920 erfolgen. Weitere Verbesserungen des Volksschulwesens sind vorgesehen und werden so schnell durchgeführt werden, als unsere besonderen Verhältnisse (Besetzung usw.) es gestatten. Es ist geplant, in die 8. Volksschulklasse nur die befähigten Schüler des 8. Jahrganges aufzunehmen. Die in dieser 8. Klasse sich als hervorragend begabt erweisenden Schüler werden (ohne besondere Prüfung) durch ihre Lehrer und durch Lehrkräfte der Deutschen Oberschule freigestellt. Die Schüler dieser Schule zahlen Schulgeld, falls ihre Eltern dazu in der Lage sind. Eine Umfrage bei unseren Volksschulen hat ergeben, daß von den zu Ostern 1919 entlassenen Volksschülern höchstens 30 (Knaben und Mädchen) die Reife für eine Deutsche Oberschule hätten erlangen können, das sind 7,5 Prozent. Um etwaige Fehler, die sich bei der Auswahl ergeben, auszumerzen, können auch nicht ausgewählte Schüler zum Besuche der Deutschen Oberschule zugelassen werden, müssen dann aber unter allen Umständen erhöhtes Schulgeld bezahlen. Erweisen sie sich nach einjährigem Besuch der Deutschen Oberschule tatsächlich ungeeignet, so müssen sie die Oberschule verlassen. Die Deutsche Oberschule, Knaben und Mädchen vom 14. bis 19. Lebensjahr umfassend, ist, wie gesagt, eine bisher noch nicht erprobte Schulform. Sie soll in 5 Jahren ihre Schüler bis zur Hochschulreife bringen, d. h. im gleichen Lebensjahre dasselbe Ziel erreichen lassen, wie die bestehenden alten Oberschulen. Sie kann daher nur mit besonders begabten Schülern arbeiten. Ihr von den Herren Direktor Paschen, Professor Dr. Thamhayn, Oberlehrer Hufschmidt, Dr. SchulzBannehr, Rektor Gosekuhl und Lehrer Meiß291 ausgearbeiteter Lehrplan sieht 291 Richtig: Max Meis.
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nur eine lebende Fremdsprache vor. Im übrigen soll der ganze Bildungsstoff, den die bestehenden Oberschulen zum Teil den alten Kulturen entnehmen, aus der deutschen Kultur herausgeholt werden. Deutsch (einschl. Literaturgeschichte) nimmt deshalb den hervorragendsten Platz ein. Des weiteren sind Mathematik, Naturwissenschaft und Geschichte die Hauptbildungsfächer. Näheres bringt eine von Herrn Professor Dr. Thamhayn bearbeitete Darstellung. Selbstverständlich muß die Deutsche Oberschule unter genau den gleichen Daseinsbedingungen arbeiten, wie die bestehenden Oberschulen, damit sie auf gleicher Grundlage ihre Daseinsfähigkeit und -berechtigung nachweisen können. Sie muß also ihren Unterricht in eigenen Räumen, im wesentlichen in den Vormittagsstunden, erteilen und mit guten Lehrmitteln ausgestattet sein. Die große Zahl der aus der Volksschule entlassenen Schüler wird wie bisher auf die Fortbildungsschule geführt, die z. Zt. das 15. bis 17. Lebensjahr umfaßt, nach Artikel 145 der Reichsverfassung bis zum vollendeten 18. Lebensjahre ausgedehnt werden soll. Den Beitrag zahlt hier der Arbeitgeber. Da der Fortbildungsschule nur die wirklich hervorragend begabten Schüler und auch diese nur mit dem Willen ihrer Eltern durch die Deutsche Oberschule entzogen werden, ist nicht zu befürchten, daß die Fortbildungsschule durch Mangel an Begabung und Tüchtigkeit leiden wird. Im Gegenteil, durch den Aufbau der 8. Volksschulklasse und durch innigere innere Verbindung der Lehrpläne wird sie zu größerer Fruchtbarkeit ausgestaltet werden können. Auf die Fortbildungsschule baut sich die Fachschule mit freiwilligem Besuch sowie Schulgeldfreiheit und Stipendien für begabte Schüler organisch auf. Hervorragend befähigte gewerbliche Arbeiter sollen in freiwilligen Sonderkursen noch über das Ziel der Fachschule hinaus gefördert und zum Besuch der höheren Maschinenbauanstalt, in außerordentlichen Fällen zum Studium an der Technischen Hochschule geführt werden. Ob die Stadt Solingen ihre derart hervorragend begabten Söhne, deren Zahl kleiner sein wird, als alle guten Wünsche erhoffen mögen, durch Stipendien, Stiftungen usw. auch den Besuch der Hochschule erleichtern kann und wird, kann der Zukunft überlassen bleiben. Sie wird sich gewiß der Pflicht nicht entziehen, auch hierin hervorragend Tüchtigen den Weg nach aufwärts zu bahnen, soweit ihre Mittel es ihr gestatten. So tatkräftig die Verwaltung den Gedanken der Deutschen Oberschule zu vertreten bereit ist, so kann es doch keinem Zweifel unterliegen, daß für eine Gewerbestadt wie Solingen der Hauptstamm für den Aufstieg frischer Kräfte die Fortbildungs- und Fachschule ist, auf denen sich der gewerblich tätige Arbeiter allgemeine Kenntnisse verschafft, sein Fachkönnen vertieft und seine besondere Tüchtigkeit zu erweisen imstande ist. Was in vorstehenden Vorstellungen und Ausführungen von der männlichen Jugend gesagt ist, gilt in gleicher Weise von der weiblichen. Die Fortbildungsschule für Mädchen ist bereits beschlossen; die Vorarbeiten sind soweit gefördert, daß sie demnächst der Stadtverordneten-
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Versammlung vorgelegt werden können und der Unterricht zum 1. April 1920 voll aufgenommen werden kann. Die Fortbildung der jungen Mädchen darf nicht nur an ihren Erwerbsberuf anknüpfen, sondern ihrem vornehmsten Lebensberuf als Hausfrau gelten. Tüchtige Hausfrauen herauszubilden sei ihr Hauptziel. Neben Nähen, Schneidern, Plätten und Kochen sollen auch Gartenund Landarbeit getrieben werden; auf sie ist unser Volk in Zukunft mehr als bisher angewiesen, sie sind auch für den gewerblich tätigen Kopf- und Handarbeiter die Quellen seiner und der Seinen Arbeitslust, Gesundheit und Lebensfreude. Als die Verwaltung ihre Pläne bereits in der Schuldeputation vorgetragen hatte, wurde die neue Reichsverfassung, gerade in ihrem Abschnitt über das Schulwesen bis in die letzten Stunden heiß umstritten, Gesetz. Sie bestimmt in Artikel 145, daß der Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht grundsätzlich die Volksschule mit acht Schuljahren und die anschließende Fortbildungsschule dient. In Artikel 146, daß im übrigen das öffentliche Schulwesen organisch auszugestalten ist. »Auf einer für alle gemeinsamen Grundschule baut sich das mittlere und höhere Schulwesen auf. Für diesen Aufbau ist die Mannigfaltigkeit der Lebensberufe, für die Aufnahme eines Kindes sind seine Anlage und Neigung, nicht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung oder das Religionsbekenntnis seiner Eltern maßgebend.« Ganz abgesehen davon, daß der Plan der Verwaltung sich mit diesen Bestimmungen im wesentlichen deckt, scheint er den Vorzug vor andern Möglichkeiten zu haben, weil er 1. das Bewährte bestehen läßt, 2. der Hebung der Volksschule an sich dient, 3. durch Vermeidung von frühzeitigen Gabelungen und Abspaltungen eine geschlossene Erziehung in den einzelnen Schulstämmen gewährleistet, 4. die Kosten auf ein Mindestmaß beschränkt. Diese Kosten sind für die Neuschöpfungen auf folgende Jahresbeträge veranschlagt: 1. 2.
8. Klasse der Volksschule Deutsche Oberschule rund Zusammen
45.000 M 140.000 M 185.000 M
Sie können durch Erhöhung des Schulgeldes an den bestehenden Oberschulen und durch teilweises Schulgeld an der Deutschen Oberschule auf etwa 100.000 M verringert werden. Die Durchführung der Neugestaltung muß organisch erfolgen. Zum 1. April 1920 werden wie erwähnt, zunächst die 8. Klassen der Volksschulen aufgebaut. Zum 1. April 1921 könnte mit der Einrichtung der Deutschen Oberschule begonnen werden. Bis dahin wird sich übersehen lassen, ob und wie die Mittel aufgebracht werden können, ob der Staat die erforderliche Genehmigung erteilt und einen Zuschuß leisten wird. Der Staat wird und soll selbstverständlich hier in Solingen ebensowenig wie anderswo alleinstehende Sondergebilde zulassen.
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Er wird sich aber hoffentlich der Einsicht nicht verschließen, daß in unser Schulwesen bei aller Anerkennung seiner bisherigen großen Leistungen ein neuer frischer Zug eindringen muß. Ganz abgesehen von dem unglücklichen Ausgang des Weltkrieges hätten wir nach meiner Ueberzeugung auf jeden Fall vor allem in unserem oberen Schulwesen auf manches, vielen von uns teure Bildungselement verzichten müssen, um desto mehr von jenem Wissen in uns aufzunehmen, ohne das ein Weltvolk heute seinen Platz nicht erhalten kann. Das bittere Ende des Krieges lehrt eindringlicher, als es ein glückliches vermocht hätte, daß wir einer geschlossenen deutschen Bildung und einer darauf beruhenden klaren, dem ganzen Volk eigenen Weltauffassung unbedingt und ebenso dringend bedürfen, wie der zielbewußten Förderung der tüchtigsten Kräfte aus allen Volksschichten. An dieser Notwendigkeit kommt unser Volk nicht vorbei, wenn es seine Geschicke selbst bestimmen und diese ungeheure Verantwortung mit lebendigem Inhalt erfüllen will. Deutsche Zukunft und deutsches Schulwesen sind untrennbar miteinander verbunden. In diesen Zusammenhängen wollen die Gedanken der gemeinsamen Volksschule und der Deutschen Oberschule, die nach meiner Ueberzeugung in dieser oder jener Form die Oberschule unserer Zukunft ist, gewertet werden. Staat und Gemeinde müssen sorgfältiges Erwägen mit schneller Entschlußkraft und tatkräftigem Handeln vereinen. Diese Gedanken über die Um- und Neugestaltung des Solinger Schulwesens sind zunächst in der Schuldeputation, dann vor den Stadtverordneten und dem Ausschuß für Volkshochschulkurse vorgetragen. Die Verwaltung knüpfte an die Vorträge die Bitte um rückhaltlose, aber fruchtbare Kritik. Mit dem gleichen Wunsche schließe ich auch diese kurzen öffentlichen Darlegungen. 4. Wilhelm Thamhayn: Entwurf eines Lehrplans für die Deutsche Oberschule in Solingen – Solinger Tageblatt vom 12. und 13. 11. 1919, Solinger Zeitung vom 12. 11. 1919, Walder Zeitung vom 12. 11. 1919, General-Anzeiger für Solingen und Umgegend vom 12. 11. 1919. In den pädagogischen Erörterungen der Gegenwart spielt die Idee einer Deutschen Oberschule oder, wie sich andere ausdrücken, eines deutschen Gymnasiums eine immer nachdrucksvoller hervortretende Rolle. Herr Dr. Goerdeler hat sich bereits über die Grundlage ausgesprochen, auf der eine solche Anstalt für Solingen aufgebaut werden könnte. Das Ziel würde danach sein, begabten Volksschülern und -schülerinnen nach achtjähriger Vorbereitung in fünf Jahren unter besonderer Betonung der Kulturelemente des deutschen Volkstums eine Ausbildung zu geben, die sich trotz aller Verschiedenheit des Lehrgangs gleichwertig neben die der Abiturienten anderer höherer Schulen stellen könnte. Will man diesem Gedanken näher treten, so wird es doch wohl notwendig sein, daß man sich zunächst einmal in großen Umrissen eine Vor-
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stellung von der Art macht, wie sich der Lehrplan einer solchen Schule gestalten ließe. Ihn endgültig und ins einzelne gehend festzustellen, müssen wir vor allem denen überlassen, denen man gegebenenfalls den Unterricht an der neuen Schule übertragen wird. Es ist auch ganz selbstverständlich, daß sie dabei nicht ohne die Einwilligung der übergeordneten Instanzen ans Werk gehen können. Unter diesem Gesichtspunkt bitten wir die nachfolgende Skizze aufzunehmen. Wir teilen zunächst eine Uebersicht mit, aus der hervorgeht, welche Fächer unseres Erachtens an der neuen Schule zu lehren wären, ferner wie viel Stunden auf jedes von ihnen in jeder der fünf Klassen zu verwenden wären, und endlich wieviel Wochenstunden danach insgesamt auf die einzelnen Unterrichtsgegenstände fallen. Aus praktischen Gründen habe ich mich in der äußeren Gestaltung dieser Uebersicht möglichst an die sogenannten »gedruckten« Lehrpläne für die höheren Schulen Preußens vom Jahre 1901 angeschlossen.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Religion Deutsch und phil. Prop. Fremdsprache Geschichte Erdkunde Mathematik Naturwissenschaften Zeichnen Kunstgeschichte zus. Dazu kommen: 10. Turnen 11. Chorsingen 12. Musikgeschichte 13. Linearzeichnen
V 3 6 6 4 2 5 3 2 30
IV 2 6 6 4 2 5 3 2 30
III 2 6 6 3 1 4 4 2 2 30
II 2 4+2 5 3 1 4 5 2 2 30
I 3 4+2 5 3 1 4 5 2 2 30
zus. 10 30 28 17 7 22 20 10 6
3 2 2
3 2 2
3 2 1 2
3 2 1 2
3 2 1 2
15 10 3 10
Hierzu ist zu bemerken, daß Musikgeschichte und Linearzeichnen als wahlfreie Fächer zu denken sind. Chorsingen kommt natürlich nur für die Stimmbegabten in Betracht; vom Turnen kann auf Grund eines ärztlichen Zeugnisses befreit werden. Der Religionsunterricht ist nach neueren Erlassen als wahlfreies Fach anzusehen. Da aber selbst Dissidentenkinder, wie mir versichert wird, an ihm teilnehmen, werden wir gut tun, die beiden Stunden, die ihm zufallen, nach wie vor mit den Pflichtfächern zusammen zu verrechnen. Aus der wagerechten Reihe unter »Kunstgeschichte« ergibt sich, daß unsere Deutsche Oberschule auf allen Stufen – von den Fächern unter 10 – 13 abgesehen, aber einschließlich des Religionsunterrichtes – ihren Zöglingen 30 Wochenstunden zumuten würde. Das ist ebensoviel, wie für die entsprechenden Fächer das althumanistische Gymnasium verlangt, etwas weniger als die Realanstal-
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ten*) fordern und eine Kleinigkeit mehr als das Reformgymnasium und die Studienanstalten realgymnasialen Charakters in Anspruch nehmen. Die beiden letztgenannten Systeme haben in Obertertia für die entsprechenden Fächer nur 29 Stunden. In der letzten senkrechten Reihe unserer Uebersicht sind die Wochenstunden der einzelnen Fächer für alle fünf Klassen zusammengezählt. Es wird von Wert sein diese Zahlen mit denen zu vergleichen, welche sich für die Klassen Obertertia bis Oberprima der wichtigsten bisherigen Systeme ergeben. Dies sind Gymnasien (altes und nach dem Frankfurter Lehrplan), Realgymnasien (ebenso), Oberrealschule und Studienanstalten mit realgymnasialen Kursen. Die Studienanstalten mit Oberrealschul- und Gymnasialkursen treten an Zahl gegen die andern zurück, daß wir glauben, von ihnen absehen zu dürfen. Auch beschränkt sich unsere Uebersicht auf die Fächer, in denen die Ziffer der deutschen Oberschule, wie wir sie uns denken, von allen oder einem Teil der übrigen Anstalten abweicht. [Vgl. die Tabelle S. 184] Die Bedeutung der Plus-, Minus- und Gleichheitszeichen in der letzten senkrechten Reihe ergibt sich von selbst, wenn wir die Ziffern für die deutsche Oberschule mit den links davon stehenden der anderen Schularten vergleichen. In dem obligatorischen fremdsprachlichen Unterricht stehen wir bedeutend gegen die andern Schularten zurück, ganz besonders gegen das Gymnasium. In der Mathematik nehmen wir eine Mittelstellung ein, neigen jedoch etwas mehr zu den Realanstalten hin. In der Naturwissenschaft tritt das noch mehr hervor ; wir haben hier gleiche Stundenzahl mit dem Realgymnasium des Frankfurter Systems, wie es jetzt hier eingeführt werden soll. Im Freihandzeichnen überragen wir das Gymnasium mit den übrigen Anstalten zusammen um ein Bedeutendes. Geschichte und Erdkunde, ganz besonders aber, was sich ja von selbst versteht, das Deutsche, zeigen das Plus auf Seiten der Deutschen Oberschule, Kunst- und Musikgeschichte würde sie allein treiben. Was soll nun in den einzelnen Fächern geboten werden? Der Stoff für den Religionsunterricht dürfte durch den Grundgedanken der neuen Schule kaum berührt werden, es sei denn, daß die deutsche Kirchengeschichte, insbesondere auch die rheinische stärker als sonst betont werden könnte. Im Deutschen, auf das wir wohl etwas ausführlicher eingehen dürfen, würde zunächst eine gründliche Einführung in die Geschichte der gesamten deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart zu geben sein. Es ist eine alte Klage der Deutschlehrer, daß das bei der bisherigen Stundenverteilung zum mindesten für die nachgoethische Zeit geradezu unmöglich ist. Alles Herumkurieren hat hier nicht zur Genesung geführt. In 5 würde zunächst eine Einführung in die literarhistorische Betrachtungsweise an der Hand leichter Dichter wie Ludwig Uhland, Chamisso, Lenau u. a. zu geben sein, wobei dann natürlich auch eine zuverlässige Grundlage für die Metrik und Poetik zu legen wäre. In 4
OberrealGymnasium Realgymnasium schule altes Frankf. altes Frankf. 1. Obligat. Fremdsprachen 80 80 56 64 43 2. Mathematik 19 16 25 23 25 3. Naturwissenschaften 10 10 21 20 28 4. Zeichnen 2 2 10 10 10 5. Deutsch 14 15 15 15 18 6. Geschichte 13 14 13 13 13 7. Kunstgeschichte 8. Musikgeschichte 9. Erdkunde 2**) 2**) 3**) 3**) 6 **) Verstärkt durch Verwendung einer Anzahl von Geschichtsstunden für die Erdkunde.
Deutsche Obersch. 28 22 20 10 30 17 6 3 7
Studienanstalt (Rg.) 60 20 19 10 15 10 5
++= += + + + + +
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beginnt der systematische Literaturunterricht; unter sorgfältiger Einführung namentlich in die klassischen mittelhochdeutschen Urtexte ist er bis auf Luther zu führen. Ganz von selbst wird sich die Altertumskunde, namentlich auch deutsche Mythologie damit verbinden. In drei schließt sich die Zeit von der Begründung der neuhochdeutschen Schriftsprache bis auf Klopstock, Wieland, Herder und besonders Lessing an, in 2 die Goethes und Schillers, in 1 die Neuzeit. Auf allen Stufen ist ein liebevolles Eingehen auf den Geist und das Wesen der deutschen Sprache im Sinne Hildebrands und anderer zu pflegen. Das ist ja natürlich bisher auch schon geschehen, nur wird es die deutsche Oberschule in vertieftem Maße ausführen können. Insbesondere wird sie durch den sechsstündigen in 4 in die Lage versetzt sein, endlich einmal eine festere Grundlage für die Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung unserer Sprache zu schaffen. Auch mancherlei anderes, was bisher nur in bescheidenem Umfang oder gelegentlich berührt werden konnte, wird sie gründlicher behandeln können. Wir rechnen dahin Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten (am besten wohl in 5), Namenskunde, Wortbildungslehre, Mundarten, (besonders die beiden ersten in 4). Da die deutsche Geistesart selbstverständlich vielfach von fremder beeinflußt ist, werden wir den Schülern auch hervorragende Literaturwerke anderer Völker in guten Uebersetzungen zugänglich machen, so in 5 – entsprechend dem geschichtlichen Pensum – Homer, in 4 zur Unterstützung der Altertumskunde Tacitus Germania (1. Teil), in 3, schon mit Rücksicht auf Lessing, eine oder zwei attische Tragödien, vielleicht auch eine antike Komödie, ferner Shakesspeare und doch wohl auch eine klassische französische Tragödie. In 2 und 1 würden zwei Wochenstunden auf philosophische Propädeutik zu verwenden sein. Die schöne und wichtige Aufgabe dieses Unterrichtszweiges würde es sein, eine Verbindung zwischen allen Fächern herzustellen. Das ist nicht leicht, aber sehr wohl möglich. Vorarbeiten dazu sind vorhanden. Zu lehren wären Elemente der Psychologie, Logik und Ethik, dazu wäre in das eine oder andere philosophische System am besten wohl Kant einzuführen. Wenn auf diesem Gebiete bisher wenig oder nichts geleistet ist, so liegt das eben wesentlich daran, daß man nicht die nötige Zeit dazu hatte und mit Rücksicht auf andere Fächer nicht haben konnte. Auf allen Stufen würde der freie mündliche Gebrauch der Muttersprache ausgiebig zu pflegen sein, wozu natürlich auch alle anderen Fächer beizutragen haben. Was die schriftlichen Arbeiten angeht, so bedürfte die Zahl der deutschen Aufsätze vielleicht keiner Vermehrung, wohl aber der sogenannten kleinen Ausarbeitungen, in denen sich der Schüler über einen einzelnen Gegenstand
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seines Wissens klar, kurz und bündig und doch möglichst erschöpfend aussprechen soll; diese Uebungen sind ja auch für andere Fächer vorgeschrieben.292 Was den fremdsprachlichen Unterricht angeht, so war zunächst daran gedacht, für die drei oberen Klassen auch wahlfreien Unterricht vorzuschlagen. Mit Rücksicht darauf, daß in diesem Stunden erfahrungsmäßig nur sehr Bescheidenes geleistet zu werden pflegt, und daß denen, die noch weiteren Unterricht wünschen, in Zukunft unsere Volkshochschulkurse zur Verfügung stehen werden, hat man es dann vorgezogen, die betreffenden Stunden größtenteils der Pflichtfremdsprache zu gute kommen zu lassen. Für unsere Verhältnisse dürfte als solche wohl nur das Englische in Betracht kommen. Die Aufgabe dieser Unterrichtsfächer würde eine dreifache sein: 1. Einführung in die fremde Kultur als Gegenstück zur deutschen und damit vertieftes Verständnis für die Eigenart unseres Volkstums, 2. musterhaftes Uebersetzen auch schwieriger Texte aus der fremden in die Muttersprache, was denn wiederum dem Grundgedanken der deutschen Oberschule dienen würde, und endlich 3. der praktische, mündliche und schriftliche Gebrauch der Fremdsprache. 5 und 4 würden zur ersten Einführung genügen, doch wären schon im Elementarunterricht die oben genannten drei Ziele scharf ins Auge zu fassen. Für die Geschichte setzt unser Plan soviel Stunden fest, wie das Gymnasium und Realgymnasium alten Stiles den 7 Klassen Quarta bis Oberprima zusammen zuweisen, wobei noch zu beachten ist, daß ein Teil davon in den Oberklassen dieser Anstalten für erdkundliche Belehrungen verwandt werden muß. Es wäre daher an sich wohl möglich, auch auf der deutschen Oberstufe die Geschichte zweimal von den Anfängen bis zur Gegenwart zu durchmessen. Zweckmäßiger dürfte es sein, es nur einmal zu tun und dann durch ständige und gründliche Wiederholungen, was ja durch die Stundenzahl ermöglicht wird, für Festigung des Wissens zu sorgen. Und zwar möchten wir vorschlagen, daß das ganze Pensum in den Klassen 5 und 2 erledigt wird (Abgrenzungspunkte: Tod des Augustus oder Untergang des römischen Weltreiches, Reformation, große französische Revolution). Dann würde die oberste Klasse reichlich Raum haben neben Wiederholungen und Durchblicken durch die ganze Weltgeschichte eine gründlichere Einführung in die Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre zu bieten, als dies bisher möglich war, zumal wenn in den voraufgehenden Klassen in geeigneten Fällen bereits auf die spätere zusammenhängende Darstellung dieser Wissensgebiete hingearbeitet ist. Auch eine selbstverständliche streng objektiv zu haltende Behandlung der Geschichte der modernen Parteien könnte in 1 gegeben werden. Begleitstoffe für einzelne besonders wichtige Gebiete des historischen Unterrichts würde der deutsche – namentlich aus dem Gebiete der 292 Hier endet der erste Teil des Artikels im ST vom 12. 11. 1919; der zweite Teil erschien im ST vom 13. 11. 1919.
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modernen erzählenden Prosa – zu liefern haben. Gelegentliche Lektüre von Quellenschriften könnte ebenfalls in einem der beiden Fächer betrieben werden (s. oben Tacitus Germania). Der Unterricht in der Erdkunde würde wohl zweckmäßig von Deutschland und den europäischen Ländern ausgehen, die mit ihm in besonderer Verbindung stehen. Daran würden sich dann bis zum Abschluß der Klasse 3 die anderen Länder Europas und die übrigen Erdteile reihen. In 2 und 1 würden allgemeine Erdkunde folgen, in 1 auch größere Wiederholungen nach erdkundlichen Zusammenhängen. Wenn sich die Geographie ähnlich wie auf der Oberrealschule, die in den Sekunden und Primen wöchentlich je eine Stunde für das Fach ansetzt, in den drei oberen Klassen unserer Anstalt mit je einer Stunde begnügen soll, ist Voraussetzung dabei, daß sie von dem Physik- und Chemieunterricht durch Belehrungen mit dem Gebiet der mathematischen Geographie, der Astronomie, der Wetterkunde und der Geologie gestützt wird. Auch der Geschichtsunterricht ist ja ein natürlicher Helfer der Erdkunde. Wünscht man gleichwohl für diese auch in den Oberklassen je zwei Stunden, so müßte wohl als Gesamtstundenzahl auf diese Stufen 31 statt 30 angesetzt werden, wie dies auf der Oberrealschule und dem alten Realgymnasium der Fall ist. Eine Kürzung etwa der Kunstgeschichte um eine Stunde würde wieder von anderer Seite mit Recht lebhaft bedauert werden. Für die Mathematik weist unser Plan nur eine Stunde weniger auf als der des Reformrealgymnasiums. Während aber dort die Reihe 4, 4, 5, 5, 5 ist, lautet sie für uns 3, 3, 4, 4, 4. Ein Mathematiker, der ein tüchtiger Kenner des Reformrealgymnasiums ist, sagt mir, in den Klassen 5 und 4 würden die Schüler soweit geführt werden können, daß sie am Schluß des zweiten Jahres den Zöglingen des genannten Systems gleichständen; in den Oberklassen müsse natürlich von den Pensen derselben für die Deutsche Oberschule einiges, das er mir auch näher bezeichnet hat, gestrichen werden. Von anderer geschätzter Seite wird mir gesagt, daß jedenfalls das Ziel des alten Gymnasiums mit der auf unserem Plane festgesetzten Stundenzahl erreicht werden kann. Meines Erachtens wird es bei der Geschlossenheit des mathematischen Lehrgebäudes für dieses Fach noch mehr als für andere darauf ankommen, was die Volksschule ihren Zöglingen mit auf den Weg geben kann. Für die Naturwissenschaften hatte ich ursprünglich die Stundenzahlen 3, 3, 4, 4, 4 angesetzt. Da jedoch von fachmännischer Seite dringend geraten wurde, in den beiden oberen Klassen je eine Stunde zuzulegen und der ursprünglich beabsichtigte fakultative Sprachunterricht von dem Sonderausschuß, der diesen vorläufigen Lehrplan vorberaten hat, einstimmig aufgegeben wurde, sind dann für 2 und 1 je fünf Stunden angesetzt worden. Zur Verteilung der zur Verfügung stehenden Zeit auf die einzelnen Zweige der Naturwissenschaften wird folgendes empfohlen: In 4 und 3 Zoologie und Botanik (möglichst unter Berücksichtigung
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der Heimat), Mensch und Hygienisches (eine Stunde), in 2 je 2 Stunden Physik und Chemie, in 2 und 1 ebenso, dazu eine Stunde für eine tiefer gehende Behandlung der Biologie. In den kunstgeschichtlichen Stunden soll auch die Geschichte des deutschen Gewerbes mit berücksichtigt werden, worauf ja das Kunstgewerbe von selbst führen dürfte. Von der Geschichte der Kunst anderer Völker wird namentlich die griechische eingehendere Berücksichtigung verdienen. Dem Freihandzeichnen ist, wie bereits bemerkt, dieselbe Pflichtstundenzahl zugeteilt wie an den Realanstalten. Das Linearzeichnen ist auch für die Oberschule nur fakultativ. Doch wird es wünschenswert sein, daß sich möglichst wenig Schüler diesem Fach entziehen. Der wahlfreie Unterricht in der Musikgeschichte würde die ausländische Tonkunst nur insofern zu berücksichtigen haben, als sie für die deutsche von Bedeutung ist. Die Teilnahme an diesen Unterweisungen würde auch Nichtsängern zu empfehlen sein, soweit sie musikalisches Verständnis zeigen. Wie man sieht, lassen sich auf Grund unseres Lehrplanes verschiedene Forderungen ohne weiteres erfüllen, die in den letzten Jahrzehnten immer gebieterischer aufgetreten sind, und zwar mit Recht: eine gründliche Behandlung des neueren deutschen Schrifttums, eine tiefere der philosophischen Propädeutik eingehendere Pflege der Bürgerkunde und der Volkswirtschaftslehre, Einführung in die vor allem das Gemüt und die Sinneswahrnehmung so reich befruchtende Kunstgeschichte. Der Erdkunde können wir mehr Zeit zuweisen als jedes der anderen Systeme in den entsprechenden Klassen. In den Naturwissenschaften und im Zeichnen vermeiden wir mit den Realanstalten die bedauerliche Einschränkung, die sich das Gymnasium – das alte wie das neue – infolge der starken Betonung des fremdsprachlichen Unterrichts auferlegen muß. Ich habe mich im vorstehenden, nach Möglichkeit, wie es ja gewünscht war, darauf beschränkt, für einen weiteren Kreis zusammenzustellen, was ich vor dem erwähnten Sonderausschuß und dann in der Beratung, die kürzlich im Stadtverordnetensaal stattfand, vorgetragen habe. An Gelegenheit auf die Einwände, die im ganzen wie im einzelnen gegen den obigen Entwurf gemacht werden können und z. T. schon gemacht worden sind, zusammenhängend einzugehen, wird es ja nicht fehlen. Ich möchte aber nicht schließen, ohne den zahlreichen Fachmännern, die mir mit ihrem freundlichen Rat zur Seite gestanden haben, auch an dieser Stelle meinen verbindlichen Dank auszusprechen. *)
Oberrealschule und Realgymnasium 30 30 31 31 31 Reformrealgymnasium 30 32 32 32 32 Ich bemerke ausdrücklich, daß ich für das Reformrealgymnasium augenblicklich nur Schulnachrichten von einer Anstalt zur Verfügung habe.
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5. Albert Kaesgen: Kritik zu dem Entwurf einer Solinger Einheitsschule – Solinger Volksblatt vom 24., 25., 26. 11. 1919. I.293 An dem in den hiesigen Tageblättern veröffentlichten Entwurf einer Solinger Einheitsschule knüpfte die Verwaltung die Bitte um »rückhaltlose, aber fruchtbare Kritik«. Im folgenden soll diesem Wunsche nachgekommen werden. Einheitsschule nennt sich das Gebilde des Solinger Vorschlages. Welche Forderungen sind an eine Einheitsschule zu stellen? Dieselbe soll – unabhängig von der wirtschaftlichen und sozialen Stellung der Eltern und Kinder – eine Erziehung nach Fähigkeiten und Neigungen vermitteln. Ziel der Erziehung: volle Entfaltung der körperlichen, geistigen und sittlichen Kräfte des einzelnen und damit des ganzen Volkes: ein Volk durch eine Erziehung! Ist dieser Gedanke der Einheitsschule in dem Solinger Plane gewahrt? Nach der Statistik haben 95 Prozent unseres Volkes Volksschulbildung: nach dem Solinger Vorschlag sollen hiervon noch 7,5 Proz. der deutschen Oberschule zugeführt werden; rechnen wir noch einige wenige ab, die auf Grund der in Aussicht genommenen Vergünstigungen der bisherigen höheren Schule zugeführt werden, so bleiben doch immerhin noch über 80 Prozent aller Kinder, die nach wie vor mit Volksschul- und Fortbildungsschulunterricht sich begnügen müssen. Es darf daher die berechtigte Frage gestellt werden: Liegt die Solinger Reform wirklich im Interesse der Volksschule, also im Interesse von vier Fünfteln unseres Volkes, ist in ihr eine bedeutende Verbesserung des Volksschulwesens gewährleistet? An Verbesserungen nennt der Vorschlag nur eins: die Errichtung des achten Jahrganges. Sonst sagt er von diesem Kapitel nur: »Weitere Verbesserungen sind vorgesehen.« Warum werden sie nicht genannt? Oder soll diese allgemeine Redewendung nur eine Beruhigungspille sein? Welche Bedenken haben einer gründlichen Reform des Volksschulwesens hindernd im Wege gestanden? Waren sie finanzieller Art? In der Hauptsache sicher. Kann man sich immer noch nicht dazu verstehen, für ein Volksschulkind dieselbe Summe auszuwerfen, wie für einen Schüler der höheren Schulen? Eine »Reform« aber, die mehr als 80 Prozent der Kinder unseres Volkes fast unberücksichtigt läßt, trägt ihren Namen zu unrecht, erst gar, wenn sich ihr Gebilde mit dem schönen Namen »Einheitsschule« ein soziales Mäntelchen umhängen will. Der Grundgedanke der Einheitsschule – wie er oben angedeutet wurde – ist in den Solinger Plänen wahrhaftig nicht zu entdecken. Man will für befähigte arme Kinder Schulgeld293 Teil I erschien am 24., Teil II am 25., Teil III am 26. 11. 1919.
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freiheit und Stipendien schaffen. Das genügt nicht! Heraushebung aus dem sozialen Elend, volle Anerkennung der Erziehung, Beihilfen sogar an Eltern, sofern ihnen durch ein dem weiteren Studium sich widmendes Kind Unterstützung verloren geht, Kinderhorte und Jugendheime, die diesen Kindern auch außerhalb der Schulstunden eine sonnigere Jugendzeit sichern; denn die Erziehung liegt im Interesse des Staates, mithin übernimmt er auch, wo es nötig ist – hierfür die volle Verpflichtung. Wie war es mit der militärischen Erziehung und Ausbildung? Sie war doch auch unentgeltlich. Milliarden verschlang der Etat jährlich. Sollte man zur Heranbildung der jungen Menschen zu brauchbaren Gliedern der Gesellschaft weniger übrig haben? Die Berechtigung, eine besondere Schulgattung zu besuchen, erwirbt sich das Kind nur durch seine Fähigkeiten und Neigungen; darum fordern wir, daß jedem, der diese Bedingungen erfüllt, der Besuch der nicht obligatorischen Teilschulen ermöglicht wird, aber auch nur solchen. Ist dieser Gedanke bei der Solinger Einheitsschule zum Ausdruck gekommen? Nein! »Es wird grundsätzlich Schulgeld erhoben«, heißt es. Das Kind des Reichen kann also nach wie vor mit Hilfe des Geldbeutels die Bänke drücken, Ballast sein für die wirklich Begabten einer Klasse. Die Standesschule in ihrer alten Form bleibt also »grundsätzlich« erhalten. Die Organisation der Solinger Einheitsschule weist erhebliche Mängel auf. Die Auslese findet zu früh statt: bereits nach dem vierten Schuljahre. Die Erfahrung spricht gegen diese frühe Auslese. Weder die geistige Veranlagung, noch die sittlichen Qualitäten, viel weniger noch die Geneigtheit, zu besonderen Berufen lassen sich in diesem Lebensalter einigermaßen mit Sicherheit beurteilen. Und beweist die Angliederung der deutschen Oberschule an das achte Volksschuljahr nicht auch die Unvollkommenheit einer Auslese schon mit dem zehnten Lebensjahre? Die Auslese ist zu einseitig. Nur die rein geistigen Befähigungen scheinen gemessen zu werden; wo bleibt die Berücksichtigung der Spezialbegabungen. Daß man alle Fehler einer bisherigen Erziehung nicht mit einem Schlage ausmerzen kann, ist selbstverständlich. Da aber der Solinger Entwurf so herzlich wenig von dem neuen Geiste einer wahren Volksbildung erkennen läßt, so müssen seine Mängel rückhaltlos gezeigt werden. II. Der Aufbau der Solinger Einheitsschule ist einerseits zu sehr gekünstelt. Warum neben der Knabenoberschule noch eine besondere Oberschule für Mädchen (Lyzeum, Frauenschule)? Wir fordern Gleichberechtigung von Mann und Weib; daher gemeinsame Erziehung von Knaben und Mädchen, solange wie nur eben möglich. Eine Trennung in der Erziehung mag nur dann erfolgen, wenn die Berufswahl eine solche wünschenswert erscheinen läßt, aber auch dann nicht
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allgemein, sondern für die besonderen Unterrichtsfächer. Bei den theoretischen Berufen ist daher eine Trennung überhaupt nicht nötig; von der Grundschule bis zur Hochschule gemeinsamer Unterricht. Und wenn noch ängstliche Gemüter hiergegen Bedenken haben sollten, so sei auf die Erfahrungen in andern Ländern (z. B. Nordamerika) aufmerksam gemacht. Dort werden nach der letzten Statistik 90 v. H. aller Volksschüler und 95 Prozent aller Schüler höherer Schulen in gemischten Klassen unterrichtet. Und mit welchem Erfolg? Nach dem Urteil zahlreicher Pädagogen, Philologen und Politiker hat sich diese Einrichtung durchaus bewährt. Aus den angeführten Gründen besteht daher für besondere Mädchen-Oberschulen keine Berechtigung. Oder soll in dem Bau der Einheitsschule noch eine Standesschule als Fremdkörper bestehen bleiben? Die Auslese der Mädchen kann aber nur nach denselben Gesichtspunkten erfolgen wie bei den Knaben; darum müssen besondere Mädchenschulen fallen. Es bliebe noch das Verhältnis der Deutschen Oberschule zur Oberschule (bisherige Realschule, Realgymnasium) zu betrachten übrig. Die Deutsche Oberschule soll nach den Ausführungen des Beigeordneten Dr. Goerdeler die Oberschule der Zukunft werden. Warum hat man dann denn nicht sofort damit begonnen, diesen Gedanken zu verwirklichen und die Oberschule der deutschen Oberschule überhaupt angepaßt? Man wäre dann schließlich statt zu dreien zu einer Oberschule gekommen. Vorhandene Schulen können nicht von heute auf morgen in der Versenkung verschwinden; da aber der Solinger Plan von einer allmählichen Vereinheitlichung der Oberschulen kein Wort spricht, so geht man wohl in der Annahme nicht fehl, daß diese drei Oberschulen nebeneinander bestehen bleiben sollen. Nach dem Gesagten fehlt dieser Dreiheit die innere Notwendigkeit, und wir fordern daher eine Oberschule. Man wird entgegnen, daß sich die Oberschule (Lyzeum und Realgymnasium) auf das 4., die Deutsche Oberschule auf das 8. Jahr der Volksschule aufbaut. Wie soll da eine einheitliche Oberschule möglich sein? Das bringt mich auf den Zusammenhang zwischen Volksschule und Oberschule überhaupt. Was für Folgen hat die nach dem Solinger Vorschlag mit Beendigung des 4. Schuljahres einsetzende Auslese für die Volksschule und Fortbildungsschule? Wahrlich keine guten! Diese beiden Schulen werden noch mehr als bisher zu den Schulen der Wenigerbegabten und Indifferenten herabgedrückt werden. An diesem Urteil kann auch die Tatsache nichts ändern, daß die deutsche Oberschule aus dem 8. Jahrgang der Volksschule hervorgehen soll. Nach den Feststellungen der Solinger Volksschullehrerschaft eignen sich zur Aufnahme in die deutsche Oberschule nur 7,5 Prozent. Sind das nicht in erster Linie diejenigen, denen ein früherer Besuch der bisherigen höheren Schule aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich war? Wenn nun diese Gründe zum Teil durch Schulgeldfreiheit und Stipendien beseitigt werden, sind späterhin noch weniger als 7,5 Proz. zur Deutschen Oberschule reif. (Die Errichtung der Deutschen Ober-
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schule, sowie dieselbe nach Solinger Plänen vorgesehen ist, kann dadurch überhaupt illusorisch werden.) Und das Urteil, in der Volksschule und Fortbildungsschule die Wenigerbegabten zu haben, wird sich mit Recht verstärken und vertiefen. Der Solinger Vorschlag zeitigt daher einen sonderbaren Widerspruch: auf der einen Seite will er Gegensätze überbrücken (durch Schulgeldfreiheit, Stipendien), auf der anderen Seite wird der Gegensatz zwischen Volksschule und höherer Schule erweitert. Ueberhaupt kann man sich bei diesen Reformvorschlägen (bei denen anderer Städte ist es nicht wesentlich anders) des Eindrucks nicht erwehren, als ob man nur einige sogenannte Begabte aus dem »Volke« herauszuheben brauchte, und die Frage der Einheitsschule und der neuen Erziehung wäre gelöst. Welchen Vorteil hat die große Masse unserer Kinder, die doch nach wie vor den Weg durch die Volks- und Fortbildungsschule machen müssen, von der Einheitsschule? Ich habe bisher keine entdecken können. Nach wie vor eine stiefmütterliche Behandlung dieser beiden Schulgattungen. Wir Volksschullehrer und alle, denen es wirklich ernst ist mit einer gründlichen Besserung der Volksbildung, müssen von der kommenden Einheitsschule weit mehr, als dies im Solinger Entwurf vorgesehen ist, eine Reform der Volks- und Fortbildungsschulen verlangen. Nur wenn diese beiden mit den andern Schularten gleichwertige Bausteine sind im Gebäude der Einheitsschule, ist die Gewähr gegeben, daß die Volkserziehung zu ihrem Rechte kommt. Wir verwerfen daher den Solinger Plan, der der Volksschule nur ein bescheidenes Plätzchen neben den andern Schulen gönnt und fordern: der Besuch der achtstufigen Volksschule bis zum 14. Jahre ist für alle, ohne Ausnahme, Pflicht; Fortbildungsschule und Oberschule bauen sich auf den achten Jahrgang der Volksschule auf. Bei dieser Forderung ist nur die eine Frage zu prüfen: Sind in einer sich auf die achtstufige Volksschule aufbauenden fünfstufigen Oberschule die Ziele zu erreichen, die von einer Oberschule verlangt werden müssen; insbesondere: Ist mit diesen 8 und 5 Stufen Hochschulreife zu erreichen? Diese Frage ist eigentlich schon durch den Solinger Vorschlag einer Deutschen Oberschule mit ja beantwortet worden. Um wieviel sicherer wäre das Ziel zu erreichen, wenn es gelänge, die Leistungen der Volksschule durch einschneidende Verbesserungen um ein Bedeutendes zu erhöhen! Hier liegt der Angelpunkt einer wirklichen Schulreform: alle Verbesserungen müssen bei der Grundschule (Volksschule) beginnen und von dort ausstrahlen auf die anschließenden Schulgattungen, nicht umgekehrt. Von diesem Gedanken ist in der Solinger Einheitsschule nichts zu spüren; man zerbricht sich die Köpfe, wieviele und welche Schulen man um die Volksschule herumsetzen soll und vergißt dabei die Hauptsache: die Schule, auf die nach wie vor über 80 Prozent unseres Volkes angewiesen sind.
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III. Notwendige und nächstliegende Forderungen zur Hebung der Volksschule sind: 8 aufsteigende Klassen, Schülerhöchstzahl in der Klasse 30, gemeinsame Erziehung der Knaben und Mädchen, Unentgeltlichkeit der Lernmittel, reichliche Ausstattung mit modernen Lehrmitteln, Arbeitsstätten, bessere und freundlichere Ausstattung der Schulräume, erhörte Gesundheitspflege (hauptamtlich angestellte Schulärzte, Schulspeisungen, ungeteilte Unterrichtszeit und hiermit freie Nachmittage für Turnen, Spielen, Schwimmen, Wandern, besondere Behandlung der körperlich und geistig Schwachen, Waldschule, Hilfsschule, Ferienkolonien), für das vorschulpflichtige Alter modern geleitete Kindergärten, für die 6- bis 14jährigen Kinderhorte, für den inneren Schulbetrieb: Freiheit der Lehre, Befreiung des Lehrplanes von intellektueller Einseitigkeit, Arbeitsunterricht, Notschule, für den Lehrer : Selbständigkeit der Arbeit im Rahmen allgemein geltender Ziele, Fachlehrer für Spezialfächer, Hochschulstudium und Gleichberechtigung für alle Lehrer, Fachaufsicht. Daß wir vom sozialistischen Standpunkt aus auch die weltliche Schule fordern, bedarf keiner besondere Erwähnung und Begründung. Die Erfüllung dieser Forderungen würde die Leistungsfähigkeit der Volksschule um ein Beträchtliches steigern. Und sie sind zu erfüllen! Ein großer Teil schon jetzt, restlos aber sicher späterhin; allerdings nur dann, wenn der gute Wille bei Staat und Gemeinde vorhanden ist, die Volksschule aus ihrer Aschenbrödelstellung herauszuheben. Ich will hier nicht die beschämenden Zahlen nennen, die einen Maßstab dafür abgeben, wie man bisher die Schulen des Volkes und Schulen der »Höheren« behandelt hat. Die Volksschule, die unter den geforderten Bedingungen arbeitet, wird sicherlich ihre Kinder geistig, körperlich und sittlich soweit heranbilden, daß für die Begabten eine fünfstufige Oberschule genügt, um die Hochschulreife zu erreichen. Selbstverständlich kann es nicht Ziel der Volksschule sein, auf die Oberschule vorzubereiten; aber der Zweck wäre mit dem allgemeinen Ziel der Volksschule von selbst erfüllt. Wenn man in den Lehrplan der Volksschule vom 11. Jahre ab noch den Unterricht in einer lebenden Fremdsprache wahlfrei aufnähme, der in der Fortbildungsschule wahlfrei, in der Oberschule als Pflichtfach weitergegeben würde (eine zweite lebende Fremdsprache und Latein wären in der Oberschule wahlfreie Spezialfächer), so wären nach meinem Dafürhalten auch die wesentlichen Bedenken derer zerstreut, die einer Abzweigung der Oberschule vom vierten Schuljahre ab das Wort reden. Man hätte damit zugleich auch einem Bedürfnisse des praktischen Lebens Rechnung getragen; denn die grundlegenden Kenntnisse einer lebenden Fremdsprache werden auch den Menschen der praktischen Berufe sehr oft von Nutzen sein. Wer aber trotz alledem noch glaubt, eine gehobene Volksschule in ihren vier letzten Schuljahren und eine
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fünfstufige Oberschule für Begabte könnten insgesamt nicht das erreichen, was früher eine neunstufige höhere Schule geleistet hat, der mag ruhig abwarten, bis ihn die Tatsachen eines andern belehren. Die Einheitsschule für Solingen (Groß-Solingen?) würde sich nach unserem Vorschlag wie folgt gestalten: auf die achtstufige mit weiteren Zielen bedachte Volksschule (besser Grundschule) mit ihren Hilfsanstalten – Kindergarten, Hilfsschule, Kinderhort, Waldschule usw. – bauten sich auf nach der Seite der vorwiegend praktischen Berufe die vierstufige Fortbildungsschule (anschließend Fachschule mit Sonderkursen), nach der Seite der vorwiegend geistigen Berufe eine gemeinsame fünfstufige Oberschule für Knaben und Mädchen (in den oberen Klassen getrennter Unterricht, soweit ein solcher durch die Berufswahl wünschenswert erscheint). Von der Fachschule und Oberschule ist der Uebergang zur Hochschule (Akademie, technische Hochschule, Universität) möglich. Der Vorteil eines solchen Planes wäre eine folgerichtige strenge Durchführung des Gedankens einer Einheitsschule und damit 1. eine Erziehung nur nach Fähigkeiten und Neigungen, nicht nach der sozialen Stellung der Eltern; 2. eine wirkliche Hebung der Volksbildung; 3. eine spätere und darum einwandfreiere Auslese der Tüchtigen; 4. eine Herabminderung der gesellschaftlichen Gegensätze. Im Vorliegenden sollte in erster Linie versucht werden, die Rechte und Ziele der Volksschule im Rahmen der Einheitsschule darzulegen. Es ist nicht meine Aufgabe, zu zeigen, wie sich die Reform der anschließenden Schulgattungen im einzelnen gestalten müßte, wie ich auch ebenso hier nicht auf die praktische Durchführung der oben geforderten Volksschulreformen näher eingehen kann; aber auf einige allgemeine Gesichtspunkte muß noch hingewiesen werden: Fortbildungsschule und Fachschule einerseits und Oberschule andererseits dürfen nicht vollständig gegeneinander abgeschlossen werden. Es muß auch hier eine Verbindung aufrechterhalten bleiben. Daß die von der Oberschule vor dem 18. Lebensjahre Abgehenden der Fortbildungsschule zugewiesen werden, ist selbstverständlich. Es muß aber auch Fortbildungsschülern, die besondere Begabung und Neigung zeigen für wissenschaftliche Spezialgebiete (Physik, Chemie, Mathematik, Kunstgeschichte, Nationalökonomie) Gelegenheit gegeben werden, an diesen Fächern der Oberschule teilzunehmen, wie umgekehrt Schüler der Oberschule in den Arbeitsstätten der Fortbildungs- und Fachschule freiwillige Ausbildung erhalten können. Der Gefahr des Entfremdens zwischen den Schülern der verschiedenen Schulen kann auch dadurch entgegengearbeitet werden, daß ein reger gesell-
Rechtsgrundlagen
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schaftlicher Zusammenhang hergestellt wird durch gemeinsame Feste, Wanderungen und einheitlichen Spiel- und Sportbetrieb. Die Einheitsschule – die Schule der Zukunft. Ihr Fundament das unveräußerliche Recht des einzelnen und der Gesamtheit auf eine im freien Menschentum begründete Erziehung, ihr Ziel Höchstentfaltung aller guten Kräfte zum Wohle aller. Sorgen wir dafür, daß dieser ideale Gedanke nicht zu einem Zerrbild wird, es würdens die am meisten bereuen, denen heute noch die Augen verschlossen sind für das, was nottut!
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Rechtsgrundlagen
Die Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911 und ihre Umsetzung in Solingen 6. Die Lex Solingen, § 488 RVO – RGBl I, 1911, S. 509. § 488: Ist für einen Bezirk und ein Gewerbe bei Verkündung dieses Gesetzes die Versicherung der Hausgewerbetreibenden bereits durch statutarische Bestimmung geregelt, so kann die oberste Verwaltungsbehörde auf Antrag der beteiligten Gemeinden oder des beteiligten Gemeindeverbandes genehmigen, daß die statutarische Bestimmung in Geltung bleibt. Voraussetzung der Genehmigung ist, daß Auftraggeber und Hausgewerbetreibende im Bezirke des Versicherungsamts oder in dem von der obersten Verwaltungsbehörde nach örtlichem Bedürfnis bestimmten größeren Bezirke ihren Betriebssitz haben,294 und daß die den Hausgewerbetreibenden zugebilligten Leistungen denen dieses Gesetzes mindestens gleichwertig sind. Änderungen der statutarischen Bestimmung bedürfen der Genehmigung der obersten Verwaltungsbehörde. Zuschüsse, die für einen solchen Hausgewerbetreibenden von anderen Auftraggebern eingehen, werden ihm ausgezahlt oder verrechnet. 7. Ortssatzung über die Krankenversicherung der Hausgewerbetreibenden und ihrer hausgewerblich Beschäftigten im Stadtkreise Solingen – BASt vom 5. 5. 1914. 294 Für die Betriebsitze der Auftraggeber wurden als größerer Bezirk die Regierungsbezirke Düsseldorf, Köln und Arnsberg festgelegt; ST vom 25. 4. 1914.
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Auf Grund des § 10 der Städte-Ordnung für die Rheinprovinz vom 15. Mai 1856 und des § 488 der Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911 wird für den Umfang des Stadtkreises Solingen folgende Ortssatzung erlassen: § 1. Die Hausgewerbetreibenden, die im Bezirk der Stadt Solingen ihre Betriebsstätte haben, und ihre hausgewerblich Beschäftigten sind, soweit auf sie das zweite Buch der Reichsversicherungsordnung Anwendung findet, Mitglieder der Allgemeinen Ortskrankenkasse Solingen. Zu den hausgewerblich Beschäftigten gehören auch diejenigen Familienangehörigen eines Hausgewerbetreibenden, welche ohne eigentliches Arbeitsverhältnis im Betriebe tätig sind; die Beschäftigung eines Ehegatten durch den anderen begründet keine Versicherungspflicht. (§ 150 R.-V.-O.) § 2. Die im § 1 bezeichneten Personen haben Anspruch auf die vollen satzungsmäßigen Leistungen der Kasse und bleiben Mitglieder auch während der Zeit, in der sie vorübergehend nicht gegen Entgelt beschäftigt werden, aber Beiträge zahlen. § 3. 1. Die Auftraggeber sind verpflichtet, jede von ihnen in Solingen beschäftigte, nach § 1 versicherungspflichtige Person nach Beginn und Ende der Beschäftigung bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse Solingen zu melden, auch, wenn es ihnen bekannt ist, anzugeben, daß und für welche anderen Auftraggeber der Hausgewerbetreibende beschäftigt ist. 2. Abweichend hiervon haben sich die Hausgewerbetreibenden der Metallindustrie nach Beginn und Ende der Beschäftigung selbst bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse Solingen zu melden und bei der Anmeldung ihre Eintragung in das Mitgliederverzeichnis zu beantragen. Die Mitgliedschaft beginnt mit der Eintragung in das Mitglieder-Verzeichnis. Hausgewerbetreibende der Metallindustrie sind insbesondere alle Schmiede, Schlosser, Schleifer, Reider, Ausmacher, Polierer, Schwertfeger, Härter, Heftemacher, Schalenschneider, Feiler, Nagler, Vorschläger, Eisengießer, Gelbgießer, Feilenhauer, Messer- und Scherenschläger, Korkzieherarbeiter, Bändemacher, Schalenschilderer, Federschneider, Schalenpresser, Erlmacher, Portefeuiller, Zuckerformenarbeiter, Vernickler und sonstige Meister der Metallindustrie.295 295 Die unbekannten oder weniger bekannten Berufe beweisen die hohe Spezialisierung der Solinger Scheidwarenindustrie; es folgen Erklärungen in alfabetischer Reihenfolge. Ausmacher : schneidet und poliert zur Endbearbeitung von Schneidwaren, insbesondere Taschenmessern, alle Kanten rund; das entspricht einer Teilarbeit des Reidens. – Bändemacher : Bände sind die metallischen Zwischenstücke, z. B. zwischen den Heften (Griffen) und den Klingen bei Taschenmessern, feineren Tischmessern und Schwertern. – Erlmacher : Erle sind eigentlich die verlängerten Metallteile der Klingen zwischen den Schalen im Griff. Hier geht es um die flachen Erle für Taschenmesser, meist aus Messing. – Federschneider : schneidet die Federn für Taschenmesser mit speziellen Geräten auf, um zwei gegenüberliegende Taschenmesserteile zu federn und zu arretieren. – Feilenhauer : haut Feilen ursprünglich von Hand mit einem speziellen Hammer und einem speziellen Meißel, ab Ende
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3. Sämtliche Hausgewerbetreibenden haben ihre hausgewerblich Beschäftigten nach Beginn und Ende der Beschäftigung bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse Solingen zu melden. 4. Die Meldefrist (Ziffer 1 – 3) beträgt, so lange sie durch die Satzung der Kasse nicht erweitert wird, 3 Tage, für Auftraggeber (Ziffer 1), welche außerhalb des Stadtkreises Solingen wohnen, 7 Tage. Die Meldung kann unterbleiben, wenn die Arbeit für kürzere Zeit als eine Woche unterbrochen wird und die Beiträge fortgezahlt werden. 5. Die Beiträge sind so lange fortzuzahlen, bis die vorschriftsmäßige Abmeldung erfolgt ist. 6. Die Auftraggeber der Hausgewerbetreibenden der Metallindustrie haben der Allgemeinen Ortskrankenkasse Solingen bis zum 31. Januar 1914 eine Liste, welche Name, Vorname, Wohnung und Betriebsstätte der von ihnen mit Aufträgen versehenen Hausgewerbetreibenden enthält, einzureichen. Auftraggeber, die erst nach dem 1. Januar 1914 mit der Beschäftigung von Hausgewerbetreibenden beginnen, haben innerhalb eines Monats nach Beginn der Beschäftigung eine Liste gemäß Absatz 1 einzusenden. Aenderungen gegenüber den Listen sind bis Ende jedes Monats der Krankenkasse mitzuteilen. Soweit die in diesen Listen aufgeführten Hausgewerbetreibenden einer anderen Kasse angehören haben, hat die Allgemeine Ortskrankenkasse Solingen binnen einer Woche der anderen Kasse Auszüge aus den Listen mitzuteilen. des 19. Jahrhunderts vorwiegend mit speziellen Feilenhaumaschinen die gleichmäßigen Rillen und Grate ein. – Feiler : bearbeitet insbesondere handgeschmiedete Scherenrohlinge vor dem Schleifen mit der Feile weiter und bringt sie in Form. Diese Arbeit wurde mit der Gesenkschmiedetechnik (ab ca. 1880) zunehmend hinfällig. – Gelbgießer : gießt Gussteile (Zwischenstücke, Griffe u. a.) aus Messing, z. B. für Blankwaffen und Dolche. – Härter : Schneidwaren wie Klingen und Scheren mussten nach dem Schmieden durch Erhitzen und Abschrecken im Wasser- oder Ölbad gehärtet werden. – Heftemacher : stellt für Messer die Hefte (Griffe) jedweder Art her, meist aus Holz, aber auch aus Schildpatt, Elfenbein und anderem Material. – Korkzieherarbeiter: stellt Korkenziehergewinde für den Einsatz in Taschenmessern oder in speziellen Korkenziehern her. Nur wenige Firmen in Solingen haben komplette Korkenzieher gefertigt. – Messer- und Scherenschläger: Gesenkschmied, in aller Regel entweder für Messer oder für Scheren. – Nagler : montiert die beiden Scherenhälften zu einer Schere, ursprünglich mit einem Nagel, später mit einer Schraube. – Polierer: poliert insbesondere Besteckteile auf speziellen Lappenscheiben. – Portefeuiller : stellt Brieftaschen und Aktenmappen in der Regel aus Leder her. – Reider : montiert Heft oder Schalen zu einem Messer. – Schalenschneider: stellt Schalen aus Holz-, Horn- und Knochenplatten sowie Griffe her, vgl. Heftemacher. – Schalenschilderer : fräst in Schalen mit einer speziellen Maschine Einlagen aus Metall u. a. zur Verzierung ein. – Schalenpresser : stellt Schalen aus Horn her. – Schwertfeger : fertigt und montiert die kunstvollen Griffe der Blankwaffen, teilweise aus Einzelteilen, die ihnen der Gelbgießer liefert. – Vorschläger : assistiert dem Handschmied bei der Fertigung insbesondere von Rohklingen mit einem schweren Handhammer. Vgl. Hans Hardenberg: Die Fachsprache der bergischen Eisenund Stahlwarenindustrie, Bonn 1940, S. 81 – 169. Ich danke der Direktorin des Klingenmuseums Solingen, Frau Dr. Barbara Grotkamp-Schepers, und dem Leiter des Industriemuseums Hendrichs in Solingen, Jochem Putsch, für ihre Hilfe.
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§ 4. 1. Die Versicherungspflichtigen, mit Ausnahme der in der Metallindustrie Beschäftigten, haben zwei Drittel der Beiträge, ihre Auftraggeber ein Drittel der Beiträge für die Hausgewerbetreibenden selbst, alle Hausgewerbetreibenden ein Drittel der Beiträge für ihre hausgewerblich Beschäftigten zu leisten. 2. Die Auftraggeber der versicherungspflichtigen Hausgewerbetreibenden sind verpflichtet, die vollen Beiträge für diese Hausgewerbetreibenden an den durch die Satzung festgesetzten Zahlungsterminen nachträglich einzuzahlen. Dies gilt nicht für die Auftraggeber der Hausgewerbetreibenden der Metallindustrie. Die gleiche Pflicht trifft sämtliche Hausgewerbetreibende für ihre hausgewerblich Beschäftigten. Diejenigen Auftraggeber, welche nicht in regelmäßigen Lohnperioden, sondern bei Ablieferung der fertiggestellten Waren oder Halbfabrikate löhnen, können die Beiträge erst am nächsten auf die Auslöhnung folgenden satzungsmäßigen Zahlungstermine, spätestens aber drei Monate nach Beginn der übertragenen Arbeit oder nach der letzten Beitragszahlung einzahlen. § 5. Die Hausgewerbetreibenden der Metallindustrie haben die satzungsmäßigen Kassenbeiträge für sich und für ihre hausgewerblich Beschäftigten selbst zu leisten und zu zahlen, die übrigen Hausgewerbetreibenden nur dann, wenn sie für mehrere Auftraggeber beschäftigt sind. Der Kassenvorstand kann Hausgewerbetreibende, die mit Zahlung von zwei aufeinanderfolgenden Beiträgen im Rückstand geblieben sind, zur wöchentlichen Zahlung und zur Leistung eines einmonatigen Vorschusses anhalten. Sind Hausgewerbetreibende wegen Nichtzahlung der Beiträge an den Zahlungsterminen erfolglos gemahnt worden, so sind ihre Auftraggeber zur Zahlung der rückständigen Beiträge verpflichtet, gleichgültig, ob sie auf die Hausgewerbetreibenden selbst oder ihre hausgewerblich Beschäftigten entfallen. Die Verpflichtung des Auftraggebers erlischt, wenn er nicht binnen drei Monaten nach dem Fälligkeitstermine zur Zahlung aufgefordert worden ist. Sind mehrere Auftraggeber vorhanden, so bestimmt der Kassenvorstand denjenigen, welcher die fällige Zahlung zu leisten hat. Die Auftraggeber sind berechtigt, die Beiträge, welche sie für die von ihnen beschäftigten Hausgewerbetreibenden gezahlt haben, bei jeder Lohnzahlung in Abzug zu bringen. § 6. Die Versicherungspflichtigen müssen sich bei der Lohnzahlung ihren Beitragsteil vom Lohn abziehen lassen. Sind Abzüge für eine Lohnzeit unterblieben, so dürfen sie nur bei der Lohnzahlung für die nächste Lohnzeit nachgeholt werden, wenn nicht die Beiträge ohne Verschulden des Auftrag- oder Arbeitgebers verspätet entrichtet worden sind. § 7. Bei Verletzung einer der durch diese Ortssatzung begründeten Pflichten finden die Strafvorschriften der Reichs-Versicherungs-Ordnung (§§ 529 – 536) Anwendung.
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§ 8. Soweit die Versicherung der Hausgewerbetreibenden durch diese Satzung nicht geregelt ist, finden die entsprechenden Bestimmungen der Satzung der Allgemeinen Ortskrankenkasse Anwendung. § 9. Dieser Ortssatzung unterstehen auch die Auftraggeber, welche ihren Betriebssitz zwar nicht in Solingen, aber doch innerhalb des nach § 488 Absatz 2 der Reichsversicherungsordnung durch die oberste Verwaltungsbehörde festgesetzten Bezirks, d. h. innerhalb der Regierungsbezirke Düsseldorf, Köln und Arnsberg haben, hinsichtlich der Hausgewerbetreibenden, die ihre Betriebsstätte in Solingen haben. § 10. Diese Ortssatzung tritt gleichzeitig mit dem achten Abschnitt, Teil VI (Hausgewerbe) des zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung (Krankenversicherung) in Kraft. Mit gleichem Zeitpunkt werden alle früheren Bestimmungen ungültig. Beschlossen in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 17. Februar 1914. Solingen, den 19. Februar 1914. Der Oberbürgermeister. I. V.: Der Beigeordnete: Dr. Goerdeler. __________ Genehmigt. Düsseldorf, den 3. März 1914. Namens des Bezirks-Ausschusses, I. Abteilung: Der Vorsitzende: I. V.: Kanter. B. A. I. C. 314/14/I. __________ Auf Grund des § 488 R.-V.-O. ist durch Erlaß vom 31. Dezember 1913 (III. 11 492) widerruflich genehmigt worden, daß das Ortsstatut der Stadt Solingen über die Krankenversicherung der Hausgewerbetreibenden und ihrer hausgewerblich Beschäftigten in der vorstehenden Fassung in Geltung bleibt. Berlin, den 17. März 1914. Der Minister für Handel und Gewerbe: I. A.: Neumann. (L. S.) III. 2675. __________ Vorstehende Ortssatzung wird hiermit zur öffentlichen Kenntnis gebracht. Solingen, den 23. April 1914. Der Oberbürgermeister. I. V.: Der Beigeordnete: Dr. Goerdeler.
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Goerdelers Wohnadressen in Solingen 1911 – 1920:
14. bis 16. Oktober 1911: Hotel Deutsches Haus, Kölner Straße 107, Ecke Weyersberger Straße, Hotelier Ludwig Tuschhoff. 16. Oktober 1911 bis 27. Juni 1912: Hochstraße 46 (heute: Am Neumarkt), möbliertes Zimmer bei dem Druckereibesitzer Julius Buschhaus. 27. Juni 1912 bis 17. April 1914: Birkerstraße 5, Vier-Zimmer-Wohnung, Eigentümer Schmitz & Flabb. 17. April 1914 bis 21. Juli 1919: Kaiserstraße 230 (heute: Konrad-Adenauer-Straße), Eigentümer Paul Vogel. Goerdelers Antrag vom 8. April 1919, die am 1. Mai 1919 frei werdende Wohnung des Oberstleutnants Tschirner im Bezirkskommando, Kölner Straße 68, zu beziehen, wurde nicht entsprochen. 21. Juli 1919 bis 5. September 1919: Hotel Deutsches Haus, Kölner Straße 107, Ecke Weyersberger Straße, Eigentümer Hotelier Ludwig Tuschhoff. 5. September 1919 bis 25. Januar 1920: Eichenstraße 49,296 Eigentümerin Helene Danielmeyer, Wohnung (Untermiete) bei dem Kaufmann Friedrich Henkel, Holzhändler.
Einwohnerzahlen (gerundet) der Städte Solingen, Halberstadt, Görlitz, Königsberg, Leipzig: Solingen 1. 12. 1910: 50.536 Einwohner Halberstadt 1910: 46.500 Einwohner Görlitz 1910: 85.800 Einwohner Königsberg 1920: 188.000 Einwohner Leipzig 1930: 715.000 Einwohner
Wahlen Goerdelers in Ämter :
Wahl zum juristischen Hilfsarbeiter in Solingen, 10. 6. 1912: keine Angabe Wahl zum Beigeordneten in Solingen, 17. 12. 1912: einstimmig Wahl zum Zweiten Bürgermeister von Königsberg, 14. 1. 1920: im zweiten Wahlgang gewählt von DVP, DDP, DNVP, Zentrum gegen die Stimmen von SPD und USPD Wahl zum Oberbürgermeister von Leipzig, 2. 4. 1930: im zweiten Wahlgang gewählt von Vereinigte Bürgerliste (DVP, DNVP, Zentrum, Wirtschaftspartei), NSDAP, Volksrechtspartei gegen KPD, SPD, DDP
296 Das Haus Eichenstraße 49 wurde 1836 von dem Solinger Kreisphysikus Dr. Johann Wilhelm Spiritus (1787 – 1848) erbaut; seine Adresse war Kölner Straße 62. Das Haus ging nach dem Tod des Arztes in den Besitz von Gustav Berg, Teilhaber der Firma Gebr. Weyersberg, über. Als das Grundstück wegen der Erweiterung der Solinger Hauptpostfiliale 1908 gebraucht wurde, erwarb es der ehemalige Wirt Heinrich Danielmeyer, der es Balken für Balken nummerieren und an der Eichenstraße, aufgestockt um ein Stockwerk, wieder aufbauen ließ. – Für die Informationen über das Haus danke ich Herrn Herbert Ferres.
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Goerdelers Jahresgehalt in Solingen, Königsberg, Leipzig und bei der Firma Robert Bosch: Grundgehalt, gültig ab:
Oktober 1911: Juni 1912: April 1913: April 1915: April 1917: April 1919:
0 Mark 4200 Mark 6000 Mark (zweijährlich um 500 Mark auf 8000 Mark steigend) 6500 Mark (tatsächlich 3593,60 Mark)297 7000 Mark (tatsächlich 4593,60 Mark) 10.000 Reichsmark (jährlich um 500 Mark auf 12.000 Mark steigend, faktisch aber durch Gehaltsverzicht reduziert) Februar 1920: 17.000 Reichsmark (dreimal in Dreijahresschritten um 1500 Reichsmark auf 21.500 Reichsmark steigend) Mai 1930: 30.000 Reichsmark298 1938: 60.000 Reichsmark
Von Goerdeler ausgefertigte Ortsstatute, Polizeiverordnungen, Marktordnungen und andere Bestimmungen: Die Veröffentlichungen werden nach dem Solinger Tageblatt wiedergegeben; nur in Ausnahmefällen werden andere Zeitungen genannt. 1)
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Polizei-Verordnung [der Regierung Düsseldorf] betreffend das Haltekinderwesen vom 13. Oktober 1908, dito vom 8. 5. 1913; von Goerdeler bekannt gegeben am 3. Juni 1913; abgedruckt im ST vom 5. 6. 1913. Bekanntmachung [über Heberolle für Beiträge zur Rheinischen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft] vom 13. Juni 1913, abgedruckt in der Walder Zeitung vom 16. 6. 1913. Polizei-Verordnung [betr. Verkleidung und Maskierung] vom 14. Juni 1913; abgedruckt im ST vom 19. 6. 1913. Polizei-Verordnung betr. den Fuhrverkehr auf der mittleren Kaiserstraße, dem Nordwall, dem Ostwall I, der Ufergartenstraße, der mittleren Kölnerstraße, der Kirchstraße und des Südwalls vom 14. Juni 1914, abgedruckt im ST vom 19. 6. 1913. Bekanntmachung [aufgrund der §§ 114a, 114b der Gewerbeordnung: Beschluss des Bundesrats, dass Betriebe der Kleider- und Wäschekonfektion Lohnbücher führen müssen], ausgefertigt vom Stellvertreter des Reichskanzlers, Delbrück, in Berlin am
297 Die Stadtverordnetenversammlung beschloss auf Vorschlag der Finanzkommission, 70 % der Offiziersbesoldung von dem zivilen Einkommen abzuziehen. StAS, V-A-8 Bd. 4, S. 39: Sitzung der Finanzkommission vom 11. 9. 1914; V-A-1 Bd. 18, S. 216: Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 14. 9. 1914. 298 Goerdeler machte dazu in einem Brief an den Gauleiter Martin Mutschmann vom 23. 11. 1937 folgende ergänzende Angaben: »Zunächst habe ich […] mit meinem Amtsantritt schon vor Erlass der Reichsbestimmungen mit der Gepflogenheit gebrochen, daß der Oberbürgermeister unbeschränkte Nebenbezüge haben durfte.« Brief in: Goerdeler I, S. 96 – 102, hier S. 100.
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14. Februar 1913; von Goerdeler bekannt gegeben am 24. Juni 1913; abgedruckt im ST vom 28. 6. 1913. Polizei-Verordnung [betreffend Befahrung der Clauberger Straße mit Fuhrwerken: aufgehoben] vom 30. Juni 1913; abgedruckt im ST vom 5. 7. 1913. Polizei-Verordnung die Vertilgung der Blattlaus betreffend vom 30. Juni 1913; abgedruckt im STvom 5. 7. 1913; erneut abgedruckt im STvom 31. 1. 1914 (ausgefertigt vom Oberbürgermeister Dicke am 6. Januar 1914). Polizei-Verordnung [betreffend Hundesteuermarken] vom 30. Juni 1913; abgedruckt im ST vom 5. 7. 1913. Polizei-Verordnung [betreffend Aufstellung von Karrussels, Schieß-, Schau- und Verkaufsbuden, Tischen u. a. zu ähnlichen Zwecken bei Kirmessen, Schützenfesten u. a.] vom 30. Juni 1913; abgedruckt im ST vom 5. 7. 1913. Bekanntmachung [über die Pferde-Vormusterung und die Musterung der Fahrzeuge und Geschirre im Stadtkreis Solingen] vom 12. August 1913; abgedruckt im ST vom 26. 8. 1913. Polizei-Verordnung betreffend die Beleuchtung der Ein- und Ausgänge der Schank-, öffentlichen Versammlungs-, Vergnügungs- und ähnlichen Lokalen in Solingen vom 13. September 1913; abgedruckt im ST vom 22. 9. 1913. Polizei-Verordnung [über Aufhebung der Polizei-Verordnung betreffend Hundesteuermarken vom 30. 6. 1913] vom 13. September 1913, abgedruckt im ST vom 22. 9. 1913. Polizeiverordnung über Errichtung von Baugerüsten und Bauzäunen sowie über Staubvermeidung bei dem Abbruch von Gebäuden vom 25. September 1913, abgedruckt im ST vom 3. 10. 1913. Bekanntmachung [über die Pferde-Vormusterung und die Musterung der Fahrzeuge und Geschirre im Stadtkreis Solingen] vom 22. August 1913; abgedruckt im ST vom 3. 10. 1913. Bekanntmachung [über die Öffnungszeiten an den vier Sonntagen vor Weihnachten für Gewerbetreibende mit offenen Verkaufsstellen, maximal 10 Stunden] vom 21. Oktober 1913, abgedruckt im ST vom 22. 10. 1913. Bekanntmachung [über erweiterte Beschäftigungszeit für Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter in offenen Verkaufsstellen, Büros und Lagerräumen an den 7 Wochentagen vor Weihnachten, an Sylvester, Karsamstag, Samstag vor Pfingsten] vom 21. Oktober 1913, abgedruckt im ST vom 22. 10. 1913. Polizei-Verordnung [über Aufhebung der Polizeiverordnung vom 10. Juli 1894 über die Polizeistunde für Gast- und Schankwirtschaften] vom 23. Oktober 1913, abgedruckt im ST vom 28. 10. 1913. Polizei-Verordnung [über Aufhebung der Polizeiverordnung vom 11. Mai 1887 über den Verkehr im Postgebäude] vom 23. Oktober 1913, abgedruckt im ST vom 28. 10. 1913. Polizei-Verordnung [über Aufhebung der Polizeiverordnung vom 30. Juni 1913 über Aufbewahrung und Ausschank von Branntwein pp.] vom 23. Oktober 1913, abgedruckt im ST vom 28. 10. 1913. Polizei-Verordnung [unter Aufhebung der Polizeiverordnung vom 7. Juni 1907, betreffend Körung von Zuchtstieren] vom 23. Oktober 1913, abgedruckt im ST vom 28. 10. 1913.
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Ortsstatut betreffend die Reinigung der Straßen und Wege in Solingen, vom 6. Mai 1913, genehmigt vom Bezirksausschuss, I. Abteilung, am 26. September 1913, ausgefertigt von Goerdeler am 22. Oktober 1913, abgedruckt im ST vom 28. 10. 1913. Ortsstatut betreffend die gewerbliche Fortbildungsschule der Stadt Solingen, ausgefertigt vom Oberbürgermeister Dicke vom 22. 7. 1913, genehmigt vom Bezirksausschuss, I. Abteilung, Düsseldorf, am 24. Oktober 1913, veröffentlicht von Goerdeler am 8. November 1913, abgedruckt im ST vom 11. 11. 1913. Schulordnung betreffend die gewerbliche Fortbildungsschule der Stadt Solingen, ausgefertigt vom Oberbürgermeister Dicke vom 29. April 1913, veröffentlicht von Goerdeler am 8. November 1913, abgedruckt im ST vom 11. 11. 1913. Stundenplan der gewerblichen Fortbildungsschule der Stadt Solingen vom 8. November 1913, abgedruckt im ST vom 11. 11. 1913. [Bekanntmachung betreffend Vergabe der Kohlelieferung an Hilfsbedürftige im kommenden Winter] vom 12. November 1913, abgedruckt im ST vom 12. 11. 1913. Bekanntmachung. Nachtrag zum Ortsstatut betreffend Ausdehnung des Schlachtzwanges auf das ganze Gebiet der Gemeinde Solingen vom 12. März 1901, ausgefertigt von Goerdeler am 2. Juli 1913, genehmigt vom Bezirksausschuss zu Düsseldorf, I. Abteilung, am 24. Oktober 1913, bekannt gegeben von Goerdeler am 11. November 1913, abgedruckt im ST vom 15. 11. 1913. Polizei-Verordnung betreffend Maulkorbzwang für Hunde, vom 14. November 1913, abgedruckt im ST vom 19. 11. 1913. Polizei-Verordnung [über Aufhebung der Polizeiverordnung vom 27. Juli 1896 über Leitern in landwirtschaftlichen Betrieben] vom 14. November 1913, abgedruckt im ST vom 20. 11. 1913. Polizeiverordnung betr. das Reinigen der Schornsteine vom 14. November 1913, abgedruckt im ST vom 23. 11. 1913. Gebühren-Ordnung für die Erhebung von Schornsteinreinigungsgebühren vom 14. November 1913, abgedruckt im ST vom 23. 11. 1913. Bekanntmachung [über Auflösung des Vereins »Jugendausschuß für Solingen und Umgegend« durch die Solinger Polizeiverwaltung] vom 25. November 1913, abgedruckt im ST vom 27. 11. 1913. Ortsstatut betreffend die Regelung der Sonntagsruhe im Handelsgewerbe in der Stadt Solingen, ausgefertigt von Oberbürgermeister Dicke am 2. Juli 1913, genehmigt von Bezirksausschuss Düsseldorf, I. Abteilung, gez. Kantel am 7. November 1913, veröffentlicht von Goerdeler am 27. November 1913, abgedruckt im ST vom 28. 11. 1913. Zusammenstellung der außer dem Ortsstatut [über die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe] noch zu Recht bestehenden Bestimmungen über die Beschäftigung von Gehilfen, Lehrlingen und Arbeitern an Sonn- und Feiertagen im Handelsgewerbe vom 27. November 1913, abgedruckt in der BASt vom 27. 11. 1913. Bekanntmachung [über Ausliegen der Hebeliste über Beiträge zu den Kosten der Handwerkskammer] vom 15. Dezember 1913, abgedruckt im ST vom 17. 12. 1913. Bekanntmachung [betreffend Ortslöhne laut RVO §§ 149 – 151 für Tagearbeiter] vom 19. Dezember 1913, abgedruckt im ST vom 22. 12. 1913. Polizei-Verordnung [betreffend Ausdehnung der Baupolizeiverordnung für Landkreis des Regierungsbezirks Düsseldorf über die Verwendung von Strohdocken für
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Bedachungen auf den ländlichen Bezirk des Stadtkreises Solingen] vom 18. Dezember 1913, abgedruckt im ST vom 24. 12. 1913. Polizei-Verordnung für die Straßenreinigung der Stadt Solingen vom 30. 12. 1913, abgedruckt im ST vom 4. 1. 1914. Bekanntmachung [betreffend Verpflichtung der Gewerbetreibenden, ihre in Hausarbeit beschäftigten Personen in einem Verzeichnis zu führen] vom 7. Januar 1914, abgedruckt im ST vom 9. 1. 1914. Bekanntmachung [betreffend Beiträge zur Grundstücksentwässerung] vom 8. Januar 1914, abgedruckt im ST vom 9. 1. 1914. Krankenversicherung der Hausgewerbetreibenden. [Aufforderung an Auftraggeber, der AOK ein Verzeichnis ihrer Hausgewerbetreibenden einzureichen] vom 14. Januar 1914, abgedruckt im ST vom 15. 1. 1914. [Bekanntmachung über Wert der freien Station für männliche und weibliche Versicherte laut RVO § 100] vom 29. 1. 1914, abgedruckt im ST vom 31. 1. 1914. Ortsstatut der Stadt Solingen betreffend die Anstellung der Beamten, ihre Versetzung in den Ruhestand und die Fürsorge für ihre Hinterbliebenen, ausgefertigt von Goerdeler am 21. Januar 1914, genehmigt vom Bezirksausschuss, I. Abteilung, gez. Graef, am 23. Januar 1914, veröffentlicht von Goerdeler am 6. Februar 1914, abgedruckt im ST vom 9. 2. 1914. Bekanntmachung [betreffend Genehmigung des Bezirksausschusses Düsseldorf für den Beschluss der Stadtverordnetenversammlung, die Kommunalsteuer für 1914 zu erheben] vom 26. Februar 1914, abgedruckt im ST vom 28. 2. 1914. Bekanntmachung [betreffend Rückstellung von Reservisten], ausgefertigt vom Militär- und Zivilvorsitzenden der Ersatzkommission, Tschirner und Goerdeler, vom 3. März 1914, abgedruckt im ST vom 3. 3. 1914; erneut abgedruckt im ST vom 5. 3. 1914. Bekanntmachung [betreffend Festsetzung der Stimmzahl der Krankenkassen für die Wahl der Versicherungsvertreter beim Versicherungsamt] vom 28. Februar 1914, abgedruckt im ST vom 3. 3. 1914. Bekanntmachung [betreffend Prämienberechnung für Privatfahrzeuge und Reittiere] vom 3. März 1914, abgedruckt im ST vom 6. 3. 1914. Bekanntmachung [betreffend Musterung der Militärpflichtigen] vom 6. März 1914, abgedruckt im ST vom 7. 3. 1914; erneut abgedruckt im ST vom 26. 3. 1914. Bekanntmachung [betreffend Elektrizitätswerk als Prüfstelle für Kino-Vorführer] vom 7. 3. 1914, abgedruckt im ST vom 9. 3. 1914; erneut abgedruckt im ST vom 12. 3. 1914. Grundsätze über die Prüfung von Kinematographenvorführern vom 25. Februar 1914, abgedruckt im ST vom 9. 3. 1914; erneut abgedruckt im ST vom 12. 3. 1914. Bekanntmachung [betreffend Haushaltungs- und Bügelkurse sowie Nähkurse für schulentlassene Mädchen, Haushaltungskurse für einfache und feine Küche] vom 27. März 1914, abgedruckt im ST vom 30. 3. 1914. Kaufmännische Fortbildungsschule [Neuanmeldungen] vom 30. März 1914, abgedruckt im ST vom 31. 3. 1914. Bekanntmachung [betreffend die Einsehbarkeit der Wahlordnungen zum Auswahlausschuss, zum Vertragsausschuss und zum Schiedsamt] vom 31. März 1914, abgedruckt im ST vom 2. 4. 1914.
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Bekanntmachung [betreffend erweiterter Geschäftsverkehr im Handel am Sonntag vor Ostern] vom 1. April 1914, abgedruckt im ST vom 2. 4. 1914. [Bekanntmachung betreffend Übertragung der Erteilung der Lehrbefähigung an Gewerbeschullehrerin vom Minister auf das Landesgewerbeamt], ausgefertigt vom Minister für Handel und Gewerbe, Sydow, Berlin, am 21. Februar 1914, veröffentlicht von Goerdeler am 9. April 1914, abgedruckt in der Solinger Zeitung vom 13. 4. 1914. Ortssatzung über die Krankenversicherung der Hausgewerbetreibenden und ihrer hausgewerblich Beschäftigten im Stadtkreise Solingen, beschlossen am 17. Februar 1914; ausgefertigt von Goerdeler am 19. Februar 1914, genehmigt vom Bezirksausschuss, 1. Abteilung, gez. Kantel, am 3. März 1914, bestätigt vom Minister für Handel und Gewerbe, gez. Neumann, am 17. März 1914, veröffentlicht von Goerdeler am 23. April 1914, abgedruckt im ST vom 25. 4. 1914. Beschluß [über Genehmigung des Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung, wie die Anwohner zu den Kosten der Entwässerung ihrer Grundstücke herangezogen werden, und Zurückweisung dreier Einsprüche] des Bezirksausschusses Düsseldorf, I. Abteilung, gez. Kantel, vom 17. April 1914, veröffentlicht von Goerdeler am 30. April 1914, abgedruckt im ST vom 30. 4. 1914. Bekanntmachung [über drei Unabkömmlichkeitserklärungen für das Mobilmachungsjahr 1914/1915] vom 24. April 1914, abgedruckt im ST vom 30. 4. 1914. Bekanntmachung [über Bekanntgabe der Listen der Arbeitgeber und der Versicherten als Beisitzer zum Versicherungsamt] vom 30. April 1914, abgedruckt im ST vom 2. 5. 1914. Bekanntmachung [über als Beisitzer des Versicherungsamtes gewählte Arbeitgeber und Versicherte] vom 16. Mai 1914, abgedruckt im ST vom 18. 5. 1914. Bekanntmachung [über erweiterten Geschäftsverkehr am Sonntag vor Pfingsten] vom 22. Mai 1914, abgedruckt im ST vom 22. 5. 1914. Bekanntmachung [über Prüfung eines Hufschmiedes zum Hufbeschlag-Lehrmeister] vom 22. Mai 1914, abgedruckt im ST vom 25. 5. 1914. Polizei-Verordnung betreffend Sperrzeiten für Tauben während der Saatzeit vom 22. Mai 1914, abgedruckt im ST vom 26. 5. 1914. [Bekanntmachung über Aussendung erholungsbedürftiger Kinder auf das Land], vom 24. Mai 1914, abgedruckt im ST vom 26. 5. 1914. Ortsstatut [betreffend Beiträge zur Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung der RVO] vom 27. Mai 1914, abgedruckt im ST vom 29. 5. 1914. Bekanntmachung [über Regelung des Geschäftsbetriebs und der Sonntagsruhe am ersten und zweiten Pfingsttag] vom 30. Mai 1914, abgedruckt im ST vom 30. 5. 1914. Bekanntmachung [über als Beisitzer des Versicherungsamtes gewählte Arbeitgeber und Versicherte] vom 4. Juli 1914, abgedruckt im ST vom 6. 7. 1914. Bekanntmachung [über Ausliegen der Heberolle der Gärtnerei-Berufsgenossenschaft] vom 11. Juli 1914, abgedruckt im ST vom 14. 7. 1914. Bekanntmachung [über das Verbot des festen Absprengens der Bürgersteige wegen der neuen Befestigungsart mit Mosaik] vom 17. Juli 1914, abgedruckt im ST vom 18. 7. 1914. Polizeiverordnung und Marktordnung für die in der Stadt Solingen stattfindenden
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Wochen- (Jahr-, Kram- pp.) Märkte vom 17. Juli 1914, ausgefertigt von Goerdeler am 21. 7. 1914, abgedruckt im ST vom 22. 7. 1914. Verzeichnis der nach § 3 der Markt-Ordnung für die Gemeinde Solingen zum Wochenmarktverkehr zugelassenen Gegenstände; Tarif betreffend die Erhebung von Marktstandsgeld in der Gemeinde Solingen vom 15. April 1914, genehmigt vom Bezirksausschuss Düsseldorf, I. Abteilung, gez. Kantel, am 15. Mai 1914, ausgefertigt von Goerdeler am 21. 7. 1914, abgedruckt im ST vom 22. 7. 1914. Polizei-Verordnung betreffend den Gewerbebetrieb der Dienstmänner der Stadt Solingen vom 20. Juli 1914, abgedruckt im ST vom 23. 7. 1914. Tarif für die Dienstmänner der Stadt Solingen vom 20. Juli 1914, abgedruckt im SZ vom 23. 7. 1914. Bekanntmachung [über Leistung des ersten Drittels des Wehrbeitrages], ausgefertigt von dem Vorsitzenden der Veranlagungskommission Solingen, i.V. Regierungsassessor Schmitt, vom 21. 7. 1914, veröffentlicht von Goerdeler am 27. Juli 1914, abgedruckt im ST vom 27. 7. 1914. Bekanntmachung [betreffend Papiergeld und Sparkassenguthaben] vom 31. Juli 1914, abgedruckt im ST vom 31. 7. 1914, erneut abgedruckt im ST vom 1. 8. 1914. Bekanntmachung [betreffend Kriegszustand, Bestimmungen des Gesetzes über den Belagerungszustand] vom 1. August 1914, abgedruckt im ST vom 1. 8. 1914. Bekanntmachung [über zwei Geldspenden von je 1000 Mark zur Unterstützung der zum Kriegsdienst eingezogenen Solinger Wehrpflichtigen] vom 1. August 1914, abgedruckt in der Solinger Zeitung vom 1. 8. 1914. [Bekanntmachung über Heberolle für Beiträge zur Rheinischen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft], vom 19. Mai 1919, abgedruckt im ST vom 22. 5. 1919. [Bekanntmachung betreffend Aufforderung an die Eltern, erholungsdürftige Kinder für Landaufenthalte in Mecklenburg und Pommern für gemeinsame Transporte anzumelden] vom 24. Mai 1919, abgedruckt im ST vom 26. 5. 1919. [Bekanntmachung über Abgabe von Ausweisen zur Benutzung der Stadtküche nur an Armenpfleglinge] vom 25. Juli 1919, abgedruckt im ST vom 26. 7. 1919. Bekanntmachung [betreffend Verschiebung eines Sportfestes und eines Eilbotenlaufs wegen Nutzung des Sportplatzes Ritterstraße durch die britischen Truppen] vom 28. Juli 1919, abgedruckt im ST vom 1. 8. 1919. Warnung! [betreffend missbräuchlich verwendete gefälschte Pässe und Ausweise im besetzten Gebiet] vom 4. August 1919, abgedruckt im ST vom 4. 8. 1919. Bekanntmachung [über Berufungen zweier Bezirksschornsteinmeister] vom 30. Juli 1919, abgedruckt im ST vom 4. 8. 1919. Bekanntmachung [betreffend Versteigerung von Kraftfahrzeugen auf dem Solinger Neumarkt auf Befehl des britischen Munitionsverfügungsamtes Köln] vom 8. August 1919, abgedruckt im ST vom 9. 8. 1919. Motorwagen [Bekanntmachung über Bezahlung der ersteigerten Kraftwagen bis 15. August 1919] vom 11. August 1919, abgedruckt im ST vom 12. 8. 1919, erneut abgedruckt im ST vom 13. 8. 1919, erneut abgedruckt im ST vom 14. 8. 1919. Bekanntmachung [über Berufung eines Bezirksschornsteinfegers] vom 7. August 1919, abgedruckt im ST vom 12. 8. 1919. Bekanntmachung [über ermäßigten Eintritt für Schüler der gewerblichen und
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kaufmännischen Berufsschule im Strandbad Ittertal während der Ferien] vom 9. August 1919, abgedruckt im ST vom 13. 8. 1919. Bekanntmachung [über die Ankörung je eines Stiers von zwei Wirten] vom 21. August 1919, abgedruckt im ST vom 21. 8. 1919. Viehzählung [im ganzen Deutschen Reich, 121 Zählbezirke in Solingen] vom 22. 8. 1919, abgedruckt im ST vom 23. 8. 1919. Petroleum [nur für Haushalte, die keine andere Beleuchtung haben] vom 26. August 1919, abgedruckt im ST vom 28. 8. 1919, erneut abgedruckt im ST vom 3. 9. 1919. Bekanntmachung [über Schließung der Geschäftszimmer der Stadtverwaltung wegen Viehzählung am 1. September 1919] vom 28. August 1919, abgedruckt im ST vom 29. 8. 1919. Verkehrsscheine [über Berücksichtigung von Verkehrscheinen für Erholungs- und Urlaubsreisen laut britischer Militärbehörde nur auf ärztliches Attest] vom 2. September 1919, abgedruckt im ST vom 4. 9. 1919. [Ausschreibung der Reinigungs- und Heizungsarbeiten in der Schule Dorper Straße] vom 5. September 1919, abgedruckt im ST vom 6. 9. 1919. [Bekanntmachung über Abgabe von Textilien auf Berechtungsschein durch das Bekleidungswirtschaftsamt] vom 6. September 1919, abgedruckt im ST vom 9. 9. 1919. Bekanntmachung [über Sperrung der Bergstraße wegen Erneuerung der Hauptwasserleitung] vom 8. September 1919, abgedruckt im ST vom 9. 9. 1919. Bekanntmachung [über kriegsbedingte Beschlagnahme von Borax, Borsäure und borhaltigen Mineralien wird am 11. August 1919 aufgehoben] des Reichswehrministers, i. A. Hedler, vom 11. August 1919, von Goerdeler ausgefertigt am 8. 9. 1919, abgedruckt im ST vom 10. 9. 1919. Bekanntmachung [über Erhöhung der Passgebühr von 1 auf 1,50 Mark] vom 10. September 1919, abgedruckt im ST vom 10. 9. 1919. Bekanntmachung [über wahlberechtigte Tierärzte zur Wahl einer Standesvertretung] vom 13. September 1919, abgedruckt im ST vom 15. 9. 1919. [Bekanntmachung über geplanten Kursus für Kriegsbeschädigte in kaufmännischen Fächern] vom 12. September 1919, abgedruckt im ST vom 15. 9. 1919. Bekanntmachung [über Obstverkaufszeiten während der Obsternte] vom 13. September 1919, abgedruckt im ST vom 16. 9. 1919. Bekanntmachung [über Anträge von Fortbildungsschülern für Befreiung vom Schulgeld, Ermäßigung oder Stipendien] vom 15. September 1919, abgedruckt im ST vom 16. 9. 1919. Bekanntmachung [über Regelung der Sonntagsruhe im Handelsgewerbe nach Außerkrafttreten des Ortsstatuts vom 2. Juli 1913] vom 13. September 1919, abgedruckt im ST vom 16. 9. 1919. Bekanntmachung [über Außerkrafttreten der Höchstpreise für Eichen- und Fichtengerbrinde und über Außerkrafttreten der Beschlagnahme von Treibriemen und Aufgaben der Schuster diesbezüglich] vom 11. September 1919, abgedruckt im ST vom 16. 9. 1919. Verlängerung der Gültigkeitsdauer der Personalausweise [in 38 Bezirken] vom 15. September 1919, abgedruckt im ST vom 17. 9. 1919. [Bekanntmachung über Ausfall des kaufmännischen Fortbildungsunterrichts an 2
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Tagen wegen der Verlängerung der Personalausweise] vom 20. September 1919, abgedruckt im ST vom 20. 9. 1919. Bestimmungen zum Bezuge von Textilien (Kommunalware) für die in Kleidungsnot befindliche Bevölkerung. (Neue Richtlinien vom 19. Juli 1919.) Vom 17. September 1919, abgedruckt im ST vom 22. 9. 1919. Bekanntmachung [über Meldung der Veränderung des privaten Rindvieh- und Schweinebestandes an das städtische Lebensmittelamt binnen 24 Stunden] vom 19. September 1919, abgedruckt im ST vom 22. 9. 1919. [Bekanntmachung] Volkszählung am 8. Oktober 1919, ausgefertigt am 19. September 1919, abgedruckt im ST vom 23. 9. 1919. Bekanntmachung [über Schlusstermin für die Impfung der Kinder, widrigenfalls Bestrafung und Zwangsmaßregeln] vom 20. September 1919, abgedruckt im STvom 23. 9. 1919, abgedruckt im ST vom 25. 9. 1919. Bekanntmachung [der Reichsstelle für Gemüse und Obst] vom 2. September 1919 [betreffend Erzeugerhöchstpreis für Zwiebeln] von Goerdeler veröffentlicht am 22. September 1919, abgedruckt im ST vom 26. 9. 1919. Anordnung für den Verkehr mit Früchten oder daraus hergestellten Erzeugnissen außerhalb der behördlichen Verteilung, insbesondere mit Auslandsgetreide und Auslandsmehl, vom 24. September 1919, abgedruckt im ST vom 27. 9. 1919. Verbrauchsvorschriften für Selbstversorger und Vorschriften für Mühlen und sonstige Betriebe, die gewerbsmäßig Früchte für Selbstversorger verarbeiten, vom 24. September 1919, abgedruckt im ST vom 27. 9. 1919. [Bekanntmachung] auf Anordnung der britischen Behörde [Gebrauch nach Möglichkeit der rechten Fahrbahn durch Fuhrwerke, um britischen Fahrzeugen Aufenthalt = Stau zu vermeiden] vom 25. September 1919, abgedruckt im ST vom 30. 9. 1919. [Bekanntmachung betreffend Aushang der Verkaufspreise im Lebensmittelhandel und Abwiegen der Lebensmittel] vom 25. September 1919, abgedruckt im ST vom 30. 9. 1919. [Bekanntmachung über Schließung der Apotheken zwischen 19 Uhr abends und 7 Uhr morgens] vom 30. September 1919, abgedruckt im ST vom 1. 10. 1919. [Bekanntmachung betreffend Termine für die Körung von Ziegenböcken] vom 26. September 1919, abgedruckt im ST vom 2. 10. 1919. Bekanntmachung [betreffend Schließung der Geschäftszimmer der Stadtverwaltung während der Volkszählung] vom 30. September 1919, abgedruckt im ST vom 2. 10. 1919. Bekanntmachung [betreffend Öffnungszeiten offener Verkaufsstellen] vom 30. September 1919, abgedruckt in der Solinger Zeitung vom 2. 10. 1919. [Bekanntmachung betreffend präziser Angaben bei der Volkszählung zwecks Abgleich der Brotkarten-Kartothek mit den Ergebnissen der Volkszählung] vom 3. Oktober 1919, abgedruckt im ST vom 6. 10. 1919. Verordnung [über Höchstpreise für Vollmilch und verschiedene Magermilchsorten] vom 7. Oktober 1919, abgedruckt im ST vom 9. 10. 1919. Petroleum [Bekanntmachung über die Abgabe von Petroleum und Karbid an die Karteninhaber und über die abgebenden Geschäfte; noch nicht eingetroffenes Pe-
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troleum für Heimarbeiter und Landwirte] vom 18. Oktober 1919, abgedruckt im ST vom 20. 10. 1919. 121) [Abänderung der Bekanntmachung vom 13. September 1919 über Sonntagsruhe im Handelsgewerbe] vom 23. Oktober 1919, abgedruckt im ST vom 25. 10. 1919. 122) [Bekanntmachung über den erhöhten Jahresarbeitsverdienst in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung laut Verordnung des Reichsarbeitsministers vom 6. August 1919 und die Umsetzung für die land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter in Solingen] vom 20. Oktober 1919, abgedruckt im ST vom 25. 10. 1919. 123) [Bekanntmachung über die Abgabe von Petroleum und Karbid an die Karteninhaber, über die abgebenden Geschäfte und die Preise] vom 27. Oktober 1919, abgedruckt im ST vom 28. 10. 1919.
Abkürzungsverzeichnis
a.D. AJ Anm. AOK BArch BASt Bl. BP cbm CSVD DDP ders. DNVP DVP ebd. EK EKAS etc. EU GA GStA PK ha. Hg. hs. I. A., i. A. I. V. KPD KPO LA Lic. Ms. MSPD NF
außer Diensten Arbeiter-Jugend Anmerkung Allgemeine Ortskrankenkasse Bundesarchiv Bergische Arbeiterstimme Blatt Bergische Post Kubikmeter Christlich-Sozialer Volksdienst Deutsche Demokratische Partei derselbe Deutschnationale Volkspartei Deutsche Volkspartei Ebenda Eisernes Kreuz Evangelisches Kirchenarchiv Solingen et cetera, undsoweiter Europäische Union General-Anzeiger für Solingen und Umgegend Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Hektar Herausgeber handschriftlich Im Auftrag In Vertretung Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei-Opposition Landesarchiv Licensiat, Lizensiat Maschinenschrift Mehrheits-Sozialdemokratische Partei Deutschlands Neue Folge
212 NL NSDAP o.O.u.J. p. Proz. qklm. rd. Rg. RGBl RLZ RP RP RVO Sekl., Seklit. SPD ST StAS SVB StVO SZ Tagessekl. USPD vgl. v. H. v. Mts. VHS VHZ WRV ZAG
Abkürzungsverzeichnis
Nachlass Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei ohne Orts- und Jahresangabe praedictus, der vorbenannte Prozent Quadratkilometer rund Realgymnasium Reichsgesetzblatt Rheinische Landeszeitung Regierungspräsident Rheinische Post Reichsversicherungsordnung Sekundenliter Sozialdemokratische Partei Deutschlands Solinger Tageblatt Stadtarchiv Solingen Solinger Volksblatt Stadtverordnete(r) Solinger Zeitung Tagessekundenliter Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands vergleiche vom Hundert vorigen Monats Volkshochschule Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Weimarer Reichsverfassung Zentral-Arbeitsgemeinschaft
Quellen- und Literaturverzeichnis
Stadtarchiv Solingen Na 13 Bd. 63: Gedanken von Frau Goerdeler über das Leben ihres Mannes (Auszug) = BArch, NL Goerdeler 20. Na 13 Bd. 82: Zeugnisse von 1919 = BArch, NL Goerdeler 32. Na 13 Bd. 83: Zeugnis von 1914 = BArch, NL Goerdeler 32. 01-Goerdeler. IV A 1: Haushaltspläne der Stadt Solingen für das Rechnungsjahr 1914, 1922. V-A-1 Bd. 16: Protokollbuch der Stadtverordnetenversammlung vom 13.1.1910 – 24.10.1911. V-A-1 Bd. 17: Protokollbuch der Stadtverordnetenversammlung vom 30.10.1911 – 17.7.1913. V-A-1 Bd. 18: Protokollbuch der Stadtverordnetenversammlung vom 23.4.1913 – 2.5.1916. V-A-1 Bd. 19: Protokollbuch der Stadtverordnetenversammlung vom 6.6.1916 – 15.7.1919. V-A-1 Bd. 20: Protokollbuch der Stadtverordnetenversammlung vom 15.7.1919 – 26.10.1920. V-A-2 Bd. 10: Protokollbuch der Stadtverordneten-Versammlung (Konzept) 1918 – 1919. V-A-8 Bd. 3: Protokollbuch der Finanzkommission vom 5.6.1906 – 6.1.1914. V-A-8 Bd. 4: Protokollbuch der Finanzkommission vom 19.1.1914 – 14.10.1919. V-A-8 Bd. 5: Protokollbuch der Finanzkommission vom 28.10.1919 – 12.5.1922. V-A-10 Bd. 6: Protokollbuch der Armenverwaltung Solingen 1906 – 1921. V-A-16 Bd. 14: Protokollbuch der Baukommission vom 1.12.1911 – 5.2.1913. V-A-18: Protokollbuch der Rathaus-Neubau-Kommission vom 27.4.1908 – 15.12.1912. V-A-31 Bd. 2: Solingen. Protokollbuch der Schuldeputation 1908 – 1920. V-A-36: Protokollbuch des Vorstandes der gewerblichen Fortbildungsschule vom 22.4.1901 – 31.10.1919. V-A-37: Protokollbuch der kaufmännischen Fortbildungsschule vom 22.4.1901 – 4.6.1919. V-A-38a: Protokollbuch des Kuratoriums der Fachschule für die Solinger Stahlwarenindustrie vom 4.5.1914 – 1941. V-A-52 Bd. 2: Protokollbuch der Straßenbahn-Kommission Solingen vom 27.4.1908 – 16.4.1920. PA 80: Personalakte Hugo Schaal. PA 1883: Personalakte Hermann Krenzer.
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PA 3636: Personalakte Albert Kaesgen. S 168: Abmeldungen Solingen 1901 – 1903 [auch 1904]. S 247 – 248: Bürgerrollen Solingen 1900 – 1930, Eichenstraße. S 326: Bürgerrollen Solingen 1900 – 1930, Ritterstraße. S 499: Preußischer Städtetag 1906 – 1925. S 551: Verschiedene Verwaltungssachen 1912 – 1920. S 563: Solingen. Journal über sekrete Angelegenheiten (Geheim), 1908 – 1921. S 598: Handakten des Beigeordneten Krups und des Beigeordneten Dr. Goerdeler, 1912 – 1923. S 828: Familienhaus Dornsiepen (Neubau des Arbeiterwohnhauses in Dornsiepen) von 1897 – 1919. S 1789: Angelegenheiten des Städtischen Schlachthofes 1909 – 1915. S 1831: Unterbringung auf Grund des Gesetzes gegen säumige Fürsorgebedürftige und Arbeitsscheue. S 1902: Familien-Waisenhaus zu Solingen (Städt. Waisenhaus) von 1911 bis 1927. S 1903: Solingen. Familien- und Waisenhaus zu Solingen (Städt. Waisenhaus) von 1894 bis 1915. S 2027: Satzung des Wohlfahrtsamtes 1919 – 1921. S 3176: Versicherungsamt. Wahl der Versicherungsvertreter, Bildung des Spruchausschusses und des Beschlussausschusses. (Terminkalender des Versicherungsamtes als Anlage), 1911 – 1921. S 4488: Solingen. Grundschule, Einheitsschule 1918 – 1925. S 6533: Prozessakte Stadt Solingen ./. Küllenberg, 1912 – 1914. S 6534: Beiakten zur Sache Solingen ./. Küllenberg. S 6764: Protokollbuch der Kriegsfürsorgekommission 10.9.1915 – 2.11.1920. SG 1894: Umbenennung von Straßen, Plätzen, Schulen usw. SG 4570: Unterstützung der Familie Goerdeler. SG 4680b: Büro Oberbürgermeister. Allgemeiner Schriftverkehr A-K, 1961 – 1965. GA 637: Heinz Rosenthal: Gesammelte Schriften [ms.]. Lokalzeitungen
Evangelisches Kirchenarchiv Solingen Protokolle des Presbyteriums der evangelischen Kirchengemeinde Solingen 1913 – 1920. Karton 61a: Grundstücke im Bereich der Stadtkirche.
Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde R 8043, Best. 61 Deutsche Stiftung 1, Akte 1566, Bl. 523 – 525
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Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz I. HA Rep. 77 Tit. 2560 Nr. 20 Bd. 8. I. HA Rep. 90 A Staatsministerium Jüngere Registratur, Nr. 2400.
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Archiv der Arbeiterjugendbewegung, Oer-Erkenschwick Arbeiter-Jugend (Zeitschrift)
Chronologisches Verzeichnis der verwendeten Schriften und Briefe von Carl Goerdeler Goerdeler I und II: Sabine Gillmann/Hans Mommsen (Hg.): Politische Schriften und Briefe Goerdelers, 2 Bde., München 2003. Goerdelers unbetiteltes Manuskript, beginnend mit den Worten »Man wird davon ausgehen müssen« (vermutlich 1913), in: StAS, S 598. Bericht über seine Tätigkeit im preußischen Abtretungsgebiet (Juli 1919), in: Goerdeler I, S. 191 – 198. Antwort (Entwurf) Goerdelers vom 4. 10. 1919 auf Anschreiben und Eingabe des Preußischen Städtetages, in: StAS, S 598. Die Einheitsschule in Solingen, gleichlautend veröffentlicht in: Solinger Tageblatt vom 11. 11. 1919, Solinger Zeitung vom 11. und 12. 11. 1919, Walder Zeitung vom 12. 11. 1919, General-Anzeiger für Solingen und Umgegend vom 12. 11. 1919, Solinger Volksblatt vom 14. 11. 1919. Brief an den Vorstand der Vereinigung des deutschen Volkstums in Posen (DP), 22. 11. 1919, Abschrift, in: BArch, Berlin-Lichterfelde, R 8043, Best. 61 Deutsche Stiftung 1, Akte 1566, Bl. 523 – 525.
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Quellen- und Literaturverzeichnis
Urlaubsgesuch (Entwurf) vom 31. 12. 1919 in: Goerdeler I, S. 198 f. Brief von Goerdeler an den Rektor Rudolf Picard vom 22. 1. 1920, in: StAS, 01-Goerdeler. Berichterstattung auf dem 9. Preußischen Städtetag am 26./27. Mai 1922 in Goslar, Berlin 1922, S. 7 – 23, in: StAS, S 499. Organisation der Verwaltung (1924), in: Die Verwaltung der Stadt Königsberg i. Pr. nach dem Kriege. Festschrift des Magistrats der Stadt Königsberg i. Pr. Königsberg 1924, S. 18 – 48. Berichterstattung, in: Verhandlungen des Hauptausschusses des Preußischen Städtetages am 26. und 27. Mai 1924 in Münster i.W., Berlin 1924, S. 17. [Allgemeine] Bemerkungen des Bürgermeisters Dr. Goerdeler zum Entwurf einer Reichsstädteordnung, undatiert (vermutlich vom September 1929), in: LA Berlin, B Rep. 142 – 01 Nr. 382/II – Reichs-Städteordnung 1929 – 1933. [Detaillierte] Bemerkungen zum Entwurf einer Reichsstädteordnung, undatiert (vermutlich vom September 1929), in: LA Berlin, B Rep. 142 – 01 Nr. 382/II – ReichsStädteordnung 1929 – 1933. Mehr Macht dem Reichspräsidenten! (1929), in: Goerdeler I, S. 200 – 212. Zum neuen Haushaltsplan (1931/1932), in: Goerdeler I, S. 56 – 68. Denkschrift zur Wirtschafts- und Finanzpolitik (Anfang 1931), in: Goerdeler I, S. 271 – 313. Denkschrift an den Reichspräsidenten Hindenburg (April 1932), in: Goerdeler I, S. 313 – 330. Entwicklungstendenzen im deutschen Kommunalrecht, in: Reichsverwaltungsblatt und Preußisches Verwaltungsblatt 54, Nr. 22 vom 27. 5. 1933, S. 421 – 425, in: Goerdeler I, S. 32 – 44. Schreiben Goerdelers an Reichsinnenminister Wilhelm Frick vom 12. 10. 1933, in: Goerdeler I, S. 107 – 112. Schreiben Goerdelers an Staatssekretär Hans Pfundtner vom 3. 4. 1934, in: Goerdeler I, S. 121 – 126. Schreiben Goerdelers an den geschäftsführenden Präsidenten des Deutschen Gemeindetages Kurt Jeserich vom 8. 6. 1934, in: Goerdeler I, S. 126 – 136. Die Deutsche Gemeindeordnung in der Entwicklung der Selbstverwaltung, in: Soziale Praxis 44, 1935, Sp. 217 – 222. Rechenschaftsbericht vom 22. 3. 1937, in: Goerdelers I, S. 86 – 91. Denkschrift zur Innenpolitik (Oktober/November 1938), in: Goerdeler II, S. 696 – 762. Stand des Bildungswesens (Juli 1940), in: Goerdeler II, S. 792 – 801. Das Ziel (Herbst 1941), in: Goerdeler II, S. 930 – 934. Brief an den Generalfeldmarschall Günther von Kluge, 25. Juli 1943, in: Goerdeler II, S. 856 – 862. Der Weg (April 1944), in: Goerdeler II, S. 950 – 1012. Die Aufgaben der deutschen Zukunft (August 1944), in: Goerdeler II, S. 1013 – 1024. Unsere Idee (Denkschrift vom November 1944), In: BArch, NL 1113 Bd. 73: S. 99 – 138. Beantwortung von 39 Fragen über den Wiederaufbau (Anfang 1945), in: Goerdeler II, S. 1054 – 1117. Gedanken eines zum Tode Verurteilten über die deutsche Zukunft (September 1944), in: Goerdeler II, S. 1148 – 1189. Rechenschaftsbericht (Januar 1945), in: Goerdeler II, S. 1202 – 1235.
Quellen- und Literaturverzeichnis
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Weitere Quellen und Literatur Rudolf Boch: Handwerker-Sozialisten gegen Fabrikgesellschaft. Lokale Fachvereine, Massengewerkschaft und industrielle Rationalisierung in Solingen 1870 bis 1914, Göttingen 1985. Otto Boelitz: Der Aufbau des preußischen Bildungswesens nach der Staatsumwälzung, Leipzig 19252. Artur Buchenau: Die differenzierte Einheitsschule, in: Deutsches Philologen-Blatt 27, 1919, Heft 1/2, S. 10 – 12. Die Verwaltung der Stadt Königsberg i. Pr. nach dem Kriege. Festschrift des Magistrats der Stadt Königsberg i. Pr. Königsberg 1924. Gewerkschafts-Kartell für Solingen und Umg[ebung]: Geschäfts-Bericht für das Geschäftsjahr 1913, Solingen o. J. Peter Hoffmann: Carl Goerdeler and the Jewish Question, 1933 – 1942, Cambridge 2011. [Albert] Kaesgen: Kritik zu dem Entwurf einer Solinger Einheitsschule, 3 Teile in: SVB vom 24., 25., 26. 11. 1919. Hans Dieter Kahrl: Goerdelers Auffassung zu Staat und Gesellschaft, dargestellt an seinen literarischen Arbeiten, Ms., o.O.u.J. [Wuppertal 1969]. O[tto] Karstädt: Aufbauschule und Deutsche Oberschule, Osterwieck 1920. Manfred Krause: Die Gewerkschaftsbewegung und die sozialistische Arbeiterbewegung in Solingen 1914 – 1925, ms. Hausarbeit, Bochum 1981. Herbert Michaelis/Ernst Schraepler (Hg.): Der Weg in die Weimarer Republik (Ursachen und Folgen 3), Berlin o. J. Maik Ohnezeit: Zwischen »schärfster Opposition« und dem »Willen zur Macht«. Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) in der Weimarer Republik 1918 – 1928, Düsseldorf 2011. Julia Paulus: Kommunale Wohlfahrtspolitik in Leipzig 1930 bis 1945. Autoritäres Krisenmanagement zwischen Selbstbehauptung und Vereinnahmung, Köln/Weimar/ Wien 1998. Ines Reich: Carl Friedrich Goerdeler. Ein Oberbürgermeister gegen den NS-Staat, Köln/ Weimar/Wien 1997. Reichsgesetzblatt 1908, 1911, 1922, 1932. Gerhard Ritter : Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, Stuttgart 1954. Ralf Rogge: Die Novemberrevolution 1918 in Solingen und die Rolle Hugo Schaals (1868 – 1951), in: Die Heimat (Solingen) NF 11, 1995, S. 5 – 24. Horst Romeyk: Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten der Rheinprovinz, Düsseldorf 1994. Heinz Rosenthal: Solingen. Geschichte einer Stadt, Bd. 3, Duisburg 1975. Horst Sassin: Vor 100 Jahren: Goerdelers kommunalpolitischer Start in Solingen, in: Die Heimat. Beiträge zur Geschichte Solingens und des Bergischen Landes, NF 27, 2011, S. 4 – 19. Horst Sassin: Carl Goerdeler und das Solinger Kino. Zensur, Natur und Technik. in: Die Heimat. Beiträge zur Geschichte Solingens und des Bergischen Landes, NF 28, 2012, S. 48 – 55. Horst Sassin: Zwischen Deutschnationalen und Sozialdemokraten. Anmerkungen zu
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Quellen- und Literaturverzeichnis
Heinz Rosenthals Umgang mit Goerdelers Solinger Einheitsschulentwurf, in: Romerike Berge 62, 2012, Heft 3, S. 35 – 40. Ralf Stremmel: »Gesundheit – unser einziger Reichtum?« Kommunale Gesundheits- und Umweltpolitik 1800 – 1945 am Beispiel Solingen, Solingen 1993. [Wilhelm] Thamhayn: Entwurf eines Lehrplans für die Deutsche Oberschule in Solingen, in: Solinger Tageblatt vom 12. und 13. 11. 1919, Solinger Zeitung vom 12. 11. 1919, Walder Zeitung vom 12. 11. 1919, General-Anzeiger für Solingen und Umgegend vom 12. 11. 1919. Dagmar Thiemler : Politische Wahlen in Solingen in der Zeit Wilhelms II., ms. Magisterarbeit, Münster 1983. Arbeiter-Jugend Bergische Arbeiterstimme Bergische Post Der Stahlwaren-Arbeiter General-Anzeiger für Solingen und Umgegend Ohligser Anzeiger Rhein-Echo Rheinische Landeszeitung Rheinische Post Solinger Tageblatt Solinger Volksblatt Solinger Zeitung Soziale Praxis Walder Zeitung
Tonaufnahme von Hedwig Meis (1889 – 1968) aus ihrem letzten Lebensjahrzehnt, Band 17 A.
Bildnachweis
Stadtarchiv Solingen: 17, 18, 20, 21, 23, 26, 29, 38, 39, 43, 47, 54, 55, 61 oben, 65, 69, 72, 74, 80, 81, 87, 88, 92, 99, 101, 105 oben, 106 links, 112, 114, 120, 127, 132, 148, 149, 154, 155, 156, 169, 175, 177 Familie Goerdeler : 9 Carl und Anneliese Goerdeler-Stiftung: 82 Herbert Ferres: 122 Claus Forkert: 61 unten Reinhard Meis: 106 rechts Daphne Sassin: 159 Horst Sassin: 16 Gymnasium Schwertstraße, Solingen: 105 unten Kartographie Hermes, Hardegsen-Hevensen: 85
Danksagung
Das wissenschaftliche Neuland, das in dieser Monografie ausgebreitet wird, hätte ohne die freundlichen Hilfeleistungen von verschiedenen Seiten nicht betreten werden können. Für diese Hilfe, die ich durchaus nicht als selbstverständlich empfinde, möchte ich mich an dieser Stelle bedanken. Mein Dank gilt an erster Stelle den Mitarbeitern des Stadtarchivs Solingen, insbesondere seinem Leiter Ralf Rogge, für die großzügige Unterstützung bei der Archivarbeit und bei der Recherche der Bilder, die das vorliegende Buch nicht unwesentlich bereichern. Auch in den anderen Archiven habe ich gute Arbeitsbedingungen vorgefunden. Der Mühe, das Manuskript kritisch gegenzulesen, haben sich wiederum Ralf Rogge und Dr. Stefan Gorißen unterzogen. Ihrem aufmerksamen Blick habe ich Manches an Korrekturen zu verdanken. Dem Verlag V& R unipress bin ich für die Aufnahme in sein Programm verbunden. In der Endphase waren das Interesse der Familie Goerdeler und vorzüglich die Förderung der Drucklegung durch die Carl und Anneliese Goerdeler-Stiftung hilfreich, die ich als besondere Anerkennung empfinde.
Namens-, Orts- und Sachregister
Abstimmungsgebiete 86, 102, 119 Allgemeine Ortskrankenkasse 44, 51 – 53, 57, 65, 68, 75, 196 f., 199 Anschütz, Gerhard 92 Antisemitismus 142 Arbeiter-Bildungsausschuss 63 Arbeiter-Sanitätskolonne 63 Arbeitersiedlungsbau 74 f. Arbeiter- und Soldatenrat 82, 93, 136 Arbeitgeberverband im Kreis Solingen 54 Arbeitslosenstatistik 66, 76 Arbeitslosenversicherung, kommunale 66, 75, 124, 135 Armenverwaltung 25, 30 – 32, 37, 64, 67 f., 76, 89, 141 – 143 Artilleriekameradschaft Solingen 83 Aserbeidschan 11 Attentat, politisches 147, 149 f., 158 Ausschuss für Volkshochschulkurse 97 Bäcker-Zwangsinnung 41, 67 Baden 158 Baege, Max Hermann 115 Barmen 31, 44, 59, 66, 127 f., 140, 146, 150 Basel 66 Beeskow 60 Belarus s. Weißrussland Below, Otto von 85 Bergisches Land 16 f., 34, 50, 76, 122, 127, 140 f., 143, 157, 164 Berkenkamp, Paul 49, 163, 171 f. Berlin 33 f., 40, 60, 73, 147, 151, 176, 199, 201, 205
Berlin-Wilmersdorf 11 Bern 66 Berting, Gerhard 153, 157 f. Berufsschule s. Fortbildungsschule Bezirksausschuss bei der Regierung Düsseldorf 28, 49, 51, 53, 134, 203 – 206 Bickenbach, Carl 42 Bildung – deutsche 100, 102 f., 107 f., 179, 181 – humanistische 15, 74, 103, 107, 138 f., 142 – reale 103, 138 f., 142 Bismarck, Otto von 35, 45, 59, 133 Boch, Rudolf 50 f. Boelitz, Otto 117 Bonhoeffer, Dietrich 157 Bremen, Lorenz 41, 67 Breslau 128 Brisch, Josef 153 Bromberg, Regierungsbezirk 15 Brück, Gustav 141, 172 Brüning, Heinrich 130, 136, 145 Bürgermeisterverfassung 16 f., 45, 125 – 133, 135 f., 140, 142, 161, 172 f. Burgfrieden 35 Buschhaus, Julius 200 Chamisso, Adelbert von 183 Chicago 141 Coppel, Alexander 141 Coppel, Gustav 141 Coppelstift 64 Cronenberg (Wuppertal) 60
224 CVJM 62 Danielsmeyer, Helene 200 Danzig 84 DDP 84, 93, 102, 109, 119, 123 f., 128, 145 Demnig, Gunter 159 Demokratisierung der Verwaltung 128 Deutsche Demokratische Jugend 109 Deutsche Gemeindeordnung 8, 131, 133 Deutsche Oberschule 93 f., 96 – 99, 103 f., 107 – 109, 111, 113 – 117, 138 f., 143, 176, 178 – 192 Deutsche Partei 102, 119, 121 Deutscher Gemeindetag 136 Deutscher Metallarbeiterverband 50, 52, 54, 57, 66, 140 Deutscher Städtetag 77, 129, 158, 161 Deutschnationaler Handlungsgehilfenverein 62 f. Dicke, August 11 f., 19, 21, 25, 30, 32 f., 37, 46, 55, 62 – 64, 73 – 75, 77, 79, 81, 83 f., 95, 98, 117, 119 – 121, 123, 126 f., 136, 142, 146, 158, 202 f. Dienstverhältnisse, städtische 46 Diesterweg, Friedrich Adolph Wilhelm 122 Dittmann, Wilhelm 62 DNVP 82, 84, 86, 102 – 104, 107, 109 f., 116, 119, 121, 123, 136, 145 Dolchstoßlegende 100, 102, 139 Dorp, Kreis Solingen 19, 27 Dörschel, Albert 32, 71 – 73, 75 Dortmund 146 Dreiklassenwahlrecht 59, 74 Drews, Bill 126 Düsseldorf 28, 31, 44, 49, 51, 54, 76, 134, 146, 163, 171, 199, 201, 203 – 206 DVP 84, 102, 104, 106 f., 117, 119, 121, 145 Einheitlichkeit 91, 104, 109, 128, 174 Einheitsschule 87, 91 – 117, 119, 134, 143, 158, 173 – 181, 189 – 195 Elberfeld 31, 44, 49 f., 59, 66, 129, 141, 146, 172 Erlangen 66 Erster Weltkrieg 15, 45, 79, 91, 99, 117
Namens-, Orts- und Sachregister
Essen 59, 147 Evangelische Kirchengemeinde Solingen 33, 109 Fachschule für die Stahlwarenindustrie 38, 95, 106 Falkenhayn, Erich von 12, 81 Familienhaus 31, 68 Finanzverwaltung – kommunale 15, 30, 37, 83, 91, 94, 130, 173, 176 – in Litauen/Weißrussland 81 Firmen – Alexander Coppel Solingen 141 – Bosch-Konzern 15, 201 – Brauerei Beckmann, Solingen 50, 164 – Humboldt, Köln 30 – J. A. Henckels, Solingen 50, 164 – Ostpreußische Landschaft 34 – Preußische Seehandlung 34 – Zwillingswerk s. J. A. Henckels Flabb, August 200 Fontane, Theodor 33 Forkert, Ernst 42, 60, 62, 65, 107 Forst 128 Fortbildungsschule 38, 72, 92, 97, 109, 113 f., 117, 135, 179 f., 191 – 194 – für Mädchen 93, 108, 179 f. – gewerbliche 42, 65, 95, 98, 174, 179, 203, 205 – 207 – kaufmännische 42, 46, 98, 204, 207 Frankfurt a.M. 183 Frauenbild 108, 190 Frau Postdirektor Kind-Stiftung 83, 141 Freie bergische Turnerschaft 62 Freie Sozialistische Jugend 95 Freikonservative Partei 109, 125, 141 Freimaurer 104, 106 Freisler, Roland 149, 158 Frick, Wilhelm 131 Friedensburg, Ferdinand 146 Friedrich (II.) der Große, König von Preußen 35 Friedrich Wilhelm III., deutscher Kaiser 100
Namens-, Orts- und Sachregister
Galkhausen s. Langenfeld Gebührenwesen 31 Geestemünde 128 Geisenheimer, Jenny 141 Gent 66 Gerichtsverfahren 49, 73, 142 Geschlechtertrennung, schulische 40 Gewerkschaften, s. Deutscher Metallarbeiterverband, Deutschnationaler Handlungsgehilfenverein, Gewerkschaftskartell, Industrie-Arbeiterverband, Zentralverband der Handlungsgehilfen Gewerkschaftskartell 52, 62 f., 66 f. Gillmann, Sabine 86, 108, 127 Gmelin, Otto 100 Goerdeler, Anneliese geb. Ulrich 11, 19, 21, 33, 134, 153, 157 f. Goerdeler, Benigna 157 Goerdeler, Reinhard 157 Goerdeler, Ulrich 37 Goethe, Johann Wolfgang 185 Goetze, Carl 165 Görlitz 34, 60, 200 Gosekuhl, Elfried 98, 104, 106, 178 Göttingen 33 Gräfrath, Kreis Solingen 19, 31, 40, 66, 90, 145 Grünanlage 33 Grundschule 92, 96 f., 104, 113, 115, 139, 174, 176, 178, 180, 191 f., 194 Grünweller, August 110 Guben 128 Gutachten 13, 26 f., 49, 172 Gymnasium, s. Realgymnasium, Reformgymnasium Halberstadt 34, 200 Hardenberg, Karl August von 100 Hartmann, Hans 110 Hauptreif, Karl-Heinz 158 Hausgewerbetreibende 50 – 53, 55 – 57, 65, 68, 135, 195 – 199, 204 f. Haushalt, städtischer 38, 83, 130, 161 Haus- und Grundbesitzerverein 32, 71, 75 Hauswirtschaftslehre 41
225 Heiligenhaus 141 Henkel, Friedrich 200 Herder, Johann Gottfried 185 Hessen 109 Hildebrand, Rudolf 185 Hilden 141 Hindenburg, Paul von 102, 130, 139 Hitler, Adolf 7 f., 11 f., 15, 86, 131, 133, 147, 153, 156, 158 Hoffmann, Adolph 116 Hoffmann, Oskar 129 Hoffmann, Peter 86, 142 Höhscheid, Kreis Solingen 19, 31, 40, 66, 73, 75, 90, 145 Holtum, Albrecht von 86 Homer 185 Hufschmidt, Julius 98, 104, 106 f., 178 Hugenberg, Alfred 136 Huth, August 97 Industrie-Arbeiterverband 50, 52, 54, 56 f., 61, 66, 140 Invalidenversicherung 51, 53, 57, 135 Irredentismus 86, 120 Isaac, Fanny 141 Isaac, Nathan 141 Iserlohn 128 Iserloh, Paul 44, 67 Israelitischer Jünglingsverein 62 Israelitische Synagogengemeinde Solingen 141 Jäger, Ernst 109 Jugend 37, 139, 179 – nationale 62, 75 – 77 Jugendausschuss – der Arbeiterjugend 63 f., 75 – städtischer 62 Jugendliteratur 65, 76 Jugendwehr 62 Jungdeutschlandbund 62 Junglehrerverein 98 juristische Arbeit 33, 37 f., 45 f., 49 f., 68, 73, 91, 142, 161, 201 – 209 Kaesgen, Albert 111, 113 – 115, 117, 189
226 Kaisergeburtstag 34 f., 137 Kanalisation 71 f., 163 f., 168, 171 Kanter, Vorsitzender Bezirksausschuss Düsseldorf, I. Abt. 199, 203, 205 f. Kant, Immanuel 107, 185 Kapp-Putsch 123 Karstädt, Otto 114 Kassel 109, 146 Katholizismus 59, 76, 110 f. Kemal Atatürk 86 Kemalismus 86 Kerschensteiner, Georg 116 Kiel 19 Kino 45, 49, 204 – Schülervorstellungen 45, 76 Kino-Zensur 49 Klassenfrequenz 39 f., 42 Kleve 122 Klopstock, Friedrich Gottlieb 185 Kluge, Günther von 146 f. Knoth, Jakob 44, 53 Knüppel, Albert 26 f. Koedukation 113 – 115, 178, 190 f., 193 Kolmar, Kreis 15 Köln 30, 50, 66, 77, 95, 134, 137, 146 f., 158 f., 195, 199, 206 Kommissionen, städtische 19, 21, 32, 41, 66, 74, 82, 126, 161 – Armenkommission 21, 30 f., 64, 67 f., 141 – Finanzkommission 21, 45, 52 f., 63, 83, 90, 119, 201 – Kinokommission 49 – Kriegsfürsorgekommission 90 – Kuratorium der Fachschule für die Stahlwarenindustrie 95, 98 – Kuratorium der gewerblichen Fortbildungsschule 95, 98 – Kuratorium der kaufmännischen Fortbildungsschule 46, 98 – Kuratorium des Gymnasiums 94, 98 – Kuratorium des Lyzeums 98 – Lehrplankommission Deutsche Oberschule 98, 104, 106 f. – Schlachthofkommission 27, 30
Namens-, Orts- und Sachregister
– Schuldeputation 21, 40, 44 f., 62, 97 f., 106, 180 – Waisenrat 64 Königsberg 15, 19, 33 f., 77, 82 f., 119, 121 – 124, 128, 131, 135, 137, 145, 158, 161, 200 f. Körpergröße der Schüler 40 Körte, Siegfried 19, 77 Krankenversicherung 37, 50 f., 53, 55 – 57, 68, 75, 135, 195, 199, 204 f. Krefeld 28, 66 Kreisschulinspektor 98 Krenzer, Hermann 28, 32, 53 f., 60, 71, 123 Kriegsgefangene, -heimkehrer 83, 141 Kriegshinterbliebene 89 f. Kriegsversehrte 83, 90 f., 141, 207 Kronenberg, Emil 84 Krups, Robert 123, 172 Küllenberg, Fritz Paul 163, 168, 171 Kulturpessimismus 42 Lammers, Karl 98 Lange, Adolf 98 Langenfeld, Kreis Solingen 68 Lausanne 86 Lehrerausschuss 98 Lehrerinnenverein 98 Leichlingen 63 Leipzig 11 f., 15 f., 60, 66, 116, 123 f., 128, 131, 133 – 135, 137 – 139, 143, 145 f., 157 f., 161, 200 f. Lenau, Nikolaus 183 Lessing, Theodor 185 Leuschner, Wilhelm 147 Leverkusen 50, 140 f. Lex Solingen 51 f., 55, 142, 195 Liebknecht, Karl 63 Liegnitz 25 Litauen 81 Lohmeyer, Hans 123, 128 f. Ludendorff, Erich 102, 139 Luppe, Hermann 146 Luther, Martin 185 Lyzeum 38, 42, 95 – 98, 104, 115, 190 f. Magdeburg, Regierungsbezirk 34
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Namens-, Orts- und Sachregister
Magistratsverfassung 16, 125 – 129, 131, 135, 172 f. Marburg 111 Marienwerder 15, 84, 86 f., 123, 141 Meis, Hedwig 150 Meis, Max 45, 98, 104, 106 f., 111, 150, 178 Mentalität 16, 140 Merkel, Hermann 93, 120, 123 Mettmann 44, 60, 141 Meyer, Hermann 147 Meyer-Lülmann, Albert 126 Michael, Kurt 30, 32, 49 Mieteinigungsamt 90 Militärverwaltung 81 – britische 84, 94 f., 134, 137, 206 – 208 Minden 128 Mommsen, Hans 86, 108, 127, 136, 142 MSPD s. SPD Müller, Otto 110 Mumm, Reinhard 92 Munizipalsozialismus 25, 27 Mutschmann, Martin 201 Mütze, Peter 109 Napoleon Bonaparte 34, 100 Nationalismus 125, 137 Naumann, Friedrich 109 Neumann, Ministerialbeamter 199, 205 Neviges 141 Niederberg 122 Niederschläge 49, 163 f., 171 f Niemöller, Wilhelm 111 Nordrhein-Westfalen 81 Nürnberg 146 Oberrealschule 115, 138 f., 183 f., 187 f. Oberschlesien 84 Oberste Heeresleitung 102, 139 Oberversicherungsamt 54, 134 Oestreich, Paul 116 Ohligs, Kreis Solingen 19, 31, 40, 66, 90, 99 f., 145, 164 Olbricht, Friedrich 147 Österreich-Ungarn 79 Ostpreußen 15, 22, 33, 81 f., 84, 119, 123 Oststaatsfrage 86, 124, 137
Papen, Franz von 130 Paschen, Gustav 98, 104, 110, 178 Pfadfinder 62 Philologenverband 104, 106, 116 Polizeireform 88 f. Posen, Provinz 15, 82, 84, 102, 121 Potsdam 128 Preisüberwachung s. Reichskommissar Preußen 16, 25, 92 f., 100, 113, 115, 117, 129, 182 Preußischer Städtetag 125, 129, 133, 135, 161 Preußisch Holland 82 Protestantismus 16, 76, 109 f., 122 f., 140 Provinzial-Arbeitsanstalt 68 Provinzial-Irrenanstalt 68 Pünder, Hermann 158 Quellwasser 49 f., 163 f. Realgymnasium 74, 94, 96, 98 – 100, 104, 106, 111, 138, 178, 183, 186 – 188, 191 Realschule 38 f., 42, 96, 98, 115, 117, 138, 176, 178, 182 f., 191 Reformgymnasium 38 f., 42, 74, 94, 183 Reich, Ines 12, 21, 122 Reichsarbeitgeberverband der Städte und öffentlichen Betriebe 136 Reichskommissar für Preisüberwachung 136 Reichsversicherungsamt 44, 55 Reichsversicherungsordnung 51 – 53, 56 f., 142, 195 f., 198 f. Religion 67, 107, 122 f., 182 Remscheid 17, 31, 44, 53 f. Rheydt 110 Rieß, Oskar 153 Ritter, Gerhard 7, 12, 37, 150, 158 Rogge, Ralf 159 Rosenthal, Heinz 12, 158 Ruppert, Otto 42, 71 Russland 79, 81 Sachlichkeit 102, 128 f., 134 – 137, 142, 161 Sachsen 26, 124, 130, 157
228 Sarajewo 79 Sauerland 17 Schaal, Hugo 27, 39, 42, 55, 60, 65 f., 84, 107, 120 f., 123 Schaberg, Robert 146 Schiller, Friedrich 185 Schlachthof 25 – 28, 30, 37 f. Schlachthofzwang 27 f., 30 Schmidhäußler, Hermann 50, 77 Schmidt, Albert 164 – 168, 172 Schmitz, Hugo 200 Schneidemühl 15, 84, 123 Schneider, Johannes 171 Scholtyseck, Joachim 8, 159 Schularzt 44 f., 98, 135 Schulden 38, 72 Schulgeldfrage 41, 96 f., 103 f., 113, 174, 178 – 180, 189 f., 192 Schulwesen 12, 38 – 45, 91 – 117, 137 – 139, 142, 173 f., 180 f. Schulzahnklinik 44, 135 Schulz-Bannehr, Leopold 104, 106 f., 178 Schwarz, Rudolf 32, 53, 71 Schweiz 79 Selbstverwaltung, kommunale 126, 133 Selter, Paul 44 Sengbach-Talsperre 17 Serbien 79 SÀvres 86 Shakespeare 185 Simultanschule 109 f. Solingen, Landkreis 19, 40 f., 54, 56, 63 f. Solinger Gemeinnütziger Bauverein 75 Solinger Lehrerverein 45, 65, 98, 106 Solinger System 50, 52 Solinger Talsperre 17, 165, 171 Sonntagsruhe 67, 135, 143, 202 f., 205, 207, 209 Sowjetunion 11 Spar- und Bauverein 75, 147 SPD 16, 27, 34 f., 39, 41, 45, 52, 55 – 57, 59 – 77, 82, 84, 93, 100, 102 f., 106, 108, 111, 115 f., 119 f., 123 f., 137, 145, 147, 150, 153, 162 Spelter, Peter 111 Spiritus, Johann Wilhelm 200
Namens-, Orts- und Sachregister
Spitzer, Richard 77 Sprockhövel 141 Staatsgewalt 133 Städteordnung 125 f., 128 – 130, 133, 135 f. Standesschule 113, 190 f. Stauffenberg, Claus Graf Schenk von 156 Stein, Karl vom und zum 100 Straßburg 66 Straßenreinigung 25, 71, 135, 204 Strassmann, Ernst 159 Straßweg, Alfred 149 Strecker, Reinhard 109 Stremmel, Ralf 17, 25 f. Süddeutschland 131 Sydow, Reinhold von 205 Synagogengemeinde 141 Tacitus 185, 187 Tannenberg 81 Technische Hochschule 97, 117, 179, 194 Tews, Johannes 116 Thamhayn, Wilhelm 98 f., 104, 106 f., 110 f., 178 f., 181 Traub, Gottfried 92 Troeltsch, Ernst 109 Tschirner, Oberstleutnant 200, 204 Tuchel, Johannes 156 Türkei 86 Turnverein Jahn 62 Tuschhoff, Ludwig 200 Uhland, Ludwig 183 Ulrich, Anneliese s. Goerdeler Umfrage bei anderen Städten 28, 31, 44, 146 uneheliche Kinder 64 Universität 117, 174, 194 Unterstützung der Familie Goerdeler 157 f. USPD 82, 84, 93, 95, 99, 103, 115, 119 – 121, 123 f. Vaterländischer Frauenverein 62 Velbert 141 Verband Deutscher Evangelischer Schul-,
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Namens-, Orts- und Sachregister
Lehrer- und Lehrerinnen-Vereine 109 f. Verband der Solinger Fabrikanten-Vereine 54 Verein für Technik und Industrie 106 Verein für Volkshochschulkurse 79, 93 Verein Jugendschutz 64 Verein zur Wahrung kaufmännischer Interessen und Rechte e.V. 67 Verheugen, Günter 11 Verkehrsverein Solingen 71 Versicherungsamt 32, 37 f., 67, 71, 76, 195, 204 f. Verwaltungsreform 31 f., 83 f., 88 – 91, 126, 128, 146, 161, 173 Vogel, Paul 200 Vogelsang, Johannes 110 Vohwinkel (Wuppertal) 146 Volksabstimmung 86, 119 Volksgerichtshof 16, 147, 149, 158 Volkshochschule 93 f., 98, 100, 109, 117 Volksschule 37 – 40, 42, 76, 92 – 94, 96 f., 108 – 110, 113 – 117, 137 – 139, 143, 176, 178 – 181, 187, 189, 191 – 194 Volksschullehrerverein 98 Volksschulverwaltung 38 Vorländer, Karl 107 Vormundschaftswesen 64 Vorschule 39, 42, 94, 96, 178 Wahlrecht s. Dreiklassenwahlrecht Waisenhaus 68 Wald, Kreis Solingen 19, 31, 40, 66 f., 86, 90, 99 f., 111, 145 Wandervogel 62 Wasser- und Kottenprozesse 49 Weber, Max 86 Weber, Wilhelm 52 f., 55 f., 60, 64 f., 67, 107 Weißrussland 11, 81 Westarp, Kuno Graf von 86
Westfalen 17 Westpreußen 16, 82, 84, 86, 102, 121 Wiederaufbau zerstörter Städte 140 Wieland, Christoph Martin 185 Wiesdorf (Leverkusen) 141 Wilhelm II. 34 f. Winnig, August 123 Wirtschaftskunde 107, 138 f., 186 Witzleben, Erich von 147 Wohlfahrtsamt 84, 89 f., 128 Wohlfahrtspflege 31, 79, 89 f., 134 Wülfrath 141 Wuppertal 50, 60, 140 f., 146 f., 149 Zeitungen – Arbeiter-Jugend 63 f. – Bergische Arbeiterstimme 39 f., 42, 53, 56, 60, 62 f., 65, 71 f., 75, 99, 115, 120 – Bergische Post 99, 110 – Der Stahlwaren-Arbeiter 51 f., 57 – General-Anzeiger für Solingen und Umgegend 53, 99, 173, 181 – Ohligser Anzeiger 99 – Rhein-Echo 158 – Rheinische Landeszeitung 146 f., 149 – Rheinische Post 158 – Solinger Tageblatt 34, 53, 56, 60, 65 f., 80, 98, 109 – 111, 122, 145 – 147, 149, 158 f., 173, 181, 186, 201 – 209 – Solinger Volksblatt 99, 111, 120 f., 173, 189 – Solinger Zeitung 34, 40, 53, 98, 111, 173, 176, 181, 205 f., 208 – Walder Zeitung 72, 99, 173, 181, 201 Zensur s. Kino Zentralarbeitsgemeinschaft der Parteien 102 f., 119, 121 Zentralstelle für städtische und private Wohlfahrtspflege 31 f., 79, 89, 94 Zentralverband der Handlungsgehilfen 66 f.