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German Pages 408 Year 2015
Andreas Braun Campus Shootings
Kulturen der Gesellschaft | Band 18
Andreas Braun (Dr. phil.) ist Soziologe und lehrt als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fachgruppe Gesellschaftswissenschaften an der RWTH Aachen University. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Soziologische Theorie, Soziologie der (zielgerichteten) Gewalt und Amoktaten.
Andreas Braun
Campus Shootings Amok an Universitäten als nicht-intendierte Nebenfolge der Hochschulreform
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Inhalt
Vorwort | 9 1. Über Amokformen, gesellschaftliche Veränderungsprozesse und Identität | 13 2. Die Ökonomisierung der Gesellschaft | 43
2.1 Die (Ausgangs-)Basis einer Ökonomisierung der Gesellschaft | 44 2.1.1 New Public Management | 50 2.1.2 Grundannahmen im New Public Management | 54 2.1.3 Steuerungselemente des New Public Management | 57 2.2 Zum Verhältnis von New Public Management und einer gesellschaftlichen Ökonomisierung | 63 2.2.1 Gesellschaftliche Differenzierung | 64 2.2.2 Die Organisationsgesellschaft | 81 2.2.3 Die ökonomische Durchdringung der Teilsysteme | 90 2.3 Zusammenfassung | 104 3. Die Ökonomisierung der Universitäten | 107
3.1 Die politisch intendierte Ausgangsbasis der Ökonomisierung im europäischen Kontext | 110 3.2 Die politisch intendierte Ausgangsbasis der Ökonomisierung im amerikanischen Kontext | 118 3.3 Die intendierte (erste) Ebene einer Ökonomisierung der Universitäten | 127 3.4 Zusammenfassung | 139 4. Zur komplexen Struktur des Reformobjekts Universität – oder: Universitäten als institutionalisierte Organisationen lose gekoppelter Teilbereiche | 143
4.1 Universitäten als Institutionen | 144 4.2 Universitäten als (institutionalisierte) Organisationen | 152 4.3 Universitäten als institutionalisierte Organisationen lose gekoppelter Teilbereiche | 163 4.4 Zusammenfassung | 177
5. Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte der Hochschulreform | 181
5.1 Universitäten im Quasi-Markt | 186 5.2 Die unternehmerische Universität | 198 5.2.1 Rechenschaftsablegung | 201 5.2.2 Definition und Festlegung der Ziele | 207 5.2.3 Formale Struktur | 212 5.2.4 Management als Profession | 220 5.3 Universitärer Isomorphismus als Rahmenbedingung für Änderungen im Rollenbild wissenschaftlicher Akteure | 224 5.4 Der Homo Academicus Oeconomicus | 240 5.5 Zusammenfassung | 249 6. Amoktaten im Kontext von Hochschulen: Campus Shootings als hybride und eigenständige (neue) Subform von Amok | 253
6.1 Vom Phänomen Amok zur Subform der Campus Shootings – Erster Schritt: Campus Shootings als spezieller Fall und der Prozess des Casing | 258 6.2 Ein Zwischenschritt: Zur Definition von Campus Shootings und deren charakteristischen Merkmalen | 263 6.3 Vom Phänomen Amok zur Subform der Campus Shootings – Zweiter Schritt: Campus Shootings als hybride (neue) Subform von Amok | 274 6.4 Zusammenfassung | 283 7. Campus Shootings als nicht-intendierte Nebenfolge der Hochschulreform: Von den Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekten zur Bedrohung der Identität | 285
7.1 Der Homo Academicus Oeconomicus, normative Erwartungen und das Belohnungssystem des Akademischen Kapitalismus | 287 7.2 Identität(en) im reformierten universitären Kontext – Identitätstypen des Homo Academicus Oeconomicus | 301
7.3 Identitätsbedrohung(en) und -behauptung(en) im universitären Kontext | 313 7.4 Amoktaten an Universitäten als nicht-intendierte Nebenfolge der Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte der Hochschulreform(en) – Campus Shootings als Form identitätsbehauptenden Handelns | 330 7.5 Zusammenfassung | 345 8. Schlussbetrachtung | 351 Literatur | 359
Vorwort
Eine Arbeit über Amoktaten an Universitäten ist in mehrerer Hinsicht ein komplexes und auch kompliziertes Vorhaben. Zum einen besteht ein Problem in der Tatsache, dass campus shootings – wie Amoktaten an Universitäten hier terminologisch gefasst werden – bislang innerhalb der einschlägigen Forschungsliteratur entweder nur äußerst selten oder aber gar nicht thematisiert werden. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass derartige Akte extremer Gewalt als eigenständige Subform von Amoktaten bis dato in der internationalen Forschungslandschaft nicht existent sind, sondern wenn überhaupt in die Gruppe der Amoktaten an Schulen integriert werden. Die Konzeptionalisierung von Amoktaten an Universitäten ist somit die erste und sicherlich auch grundlegendste Herausforderung, der man sich stellen muss bzw. im Kontext des persönlichen wissenschaftlichen Ehrgeizes zu stellen hat. Zum anderen kommt erschwerend hinzu, dass auch die Soziologie in den letzten Jahren Amoktaten eher randständig behandelt hat. Es liegen nur wenige soziologisch orientierte bzw. rein soziologische Arbeiten zu diesem Themenfeld vor, wobei sich eine Häufung im Bereich der Amoktaten an Schulen konstatieren lässt. Zwar lassen sich auch im Bereich der beiden anderen Subformen von Amoktaten – des ›klassischen‹ Amoklaufs und der Amoktaten am Arbeitsplatz (workplace violence) – soziologische Arbeiten auffinden, aber auch diese Ansätze bieten nur begrenzte Möglichkeiten, campus shootings als eigenständige Subform von Amoktaten zu erklären, denn auch innerhalb der soziologischen Ansätze werden campus shootings nicht thematisiert. Eine weitere Komplexität bei der Annäherung an dieses Thema besteht in dem hybriden Charakter von campus shootings, der aus der Mischung der bis dato gängigen bzw. bekannten Amokformen resultiert. Ein Aspekt, der durch eine Gegenüberstellung und einen Vergleich der bisherigen Subformen bei der Analyse von Amoktaten an Universitäten ebenfalls herausgearbeitet werden muss. Neben dem komplizierten Vorgehen des Versuchs der Etablierung einer neuen hybriden Subform von Amoktaten, die im Idealfall auch auf interdisziplinären Konsens stößt,
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erweist sich aus den bisher genannten Aspekten vor allem die theoretische Rahmung als komplex. Denn wenn Amoktaten an Universitäten, gemäß der hier zugrunde liegenden These, eine nicht-intendierte Nebenfolge der Hochschulreform1 sind und in letzter Instanz von individuellen Akteuren ausgeführt werden, so muss es gelingen, gesellschaftliche Veränderungen auf der strukturellen (teilsystemischen) Ebene mit den Wandlungsprozessen der Universitäten auf organisationaler Ebene zu verbinden und deren Auswirkung(en) auf die Akteure darzustellen. In diesem Sinne ist man also dem Dualismus zwischen Handeln und Struktur bzw. Akteur und System permanent ausgesetzt. Glücklicherweise kann hier zwar auf existente Ansätze innerhalb der Soziologie zurückgegriffen werden, aber die Verbindung und das Zusammenfügen allgemeiner soziologischer Theorie mit dem spezifischen Feld der Hochschulreform(en), unter zusätzlicher Berücksichtigung organisationssoziologischer Ansätze und Überlegungen – aufgrund der intermediären Funktion von Organisationen bei der gesellschaftlichen Integration und den Interaktionen zwischen Individuen und Gesellschaft –, sowie darüber hinaus mit dem Aspekt der Amoktaten an Universitäten sind kein leichtes, sondern eben ein komplexes und kompliziertes Unterfangen. Aber auch im Bereich der Empirie stößt man auf Schwierigkeiten, da sich campus shootings äußerst selten ereignen. Was aus moralischen Gründen sicherlich mehr als begrüßenswert ist, stellt aus wissenschaftlicher Perspektive allerdings ein Problem dar – zumindest, wenn es um die Erstellung des quantitativen Datenmaterials in Form der Fallzahl und der qualitativen Informationen über Taten und Täter geht. Trotz dieser Komplikationen und komplexen Verflechtungen bei der Annäherung an und Analyse von Amoktaten an Universitäten, die sicherlich bei allen wissenschaftlichen Arbeiten in unterschiedlichem Ausmaß vorliegen und berücksichtigt werden müssen, legt die vorliegende Arbeit zu guter Letzt einen soziologischen Erklärungsansatz von campus shootings als nicht-intendierte Nebenfolge der Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte der Hochschulreform(en) vor. Ob das Vorhaben dabei als gelungen anzusehen ist, bleibt in letzter Instanz aber dem Leser und der soziologischen community überlassen. Selbstverständlich ist das Verfassen einer solchen Arbeit zwar primär das Anliegen und die Aufgabe des Autors, aber ein solches Vorhaben ist ohne entsprechenden Rückhalt im Privaten und ohne kritisch-anregende Diskussionen im wis-
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An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass sich der angeführte Begriff der Hochschulreform auf den Gesamtkomplex der vielfältigen (internationalen) Restrukturierungen und (Ver-)Änderungen der universitären Landschaft bezieht. Da es sich hierbei aber streng genommen um unterschiedliche Prozesse und damit im Kern um mehrere Reformen handelt, wird im weiteren Verlauf aus inhaltlichen Gründen vorwiegend der Plural Hochschulreformen bzw. an einigen Stellen das Kompositum Hochschulreform(en) verwendet.
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senschaftlichen Umfeld wohl kaum möglich. Insofern möchte ich mich an dieser Stelle bei denjenigen Personen bedanken, die mich auf diesem Weg begleitet haben. Zuallererst gilt mein Dank Thomas Kron und Roger Häußling, welche die hier vorliegenden Arbeit, bei der es sich um eine in Teilen ergänzte und überarbeitete Fassung meiner im Mai 2014 an der RWTH Aachen University eingereichten Dissertationsschrift handelt, begutachtet haben. Beide haben nicht nur für eine angenehme Disputation Sorge getragen, sondern mir auch dankbare Hinweise zu besagten Ergänzungen und Überarbeitungen gegeben. Vor allem danke ich Thomas Kron auch dafür, dass er sich im Rahmen der Betreuung auf dieses komplexe und komplizierte Thema eingelassen hat. Seine kritische Auseinandersetzung mit der Thematik, seine produktiven Hinweise und Ideen sowie die zahlreichen anregenden Diskussionen waren stets gewinnbringend. Ebenso gilt mein Dank all den Kolleginnen und Kollegen, die mich stets mit kritischen Kommentaren und anregenden Diskussionen auf dem Weg zu dieser Arbeit begleitet haben; insbesondere Pascal Berger, Eva-Maria Heinke, Daniel Houben, Athanasios Karafillidis und Christoph Wenzel. Auch möchte ich mich an dieser Stelle bei meinen Eltern dafür bedanken, dass sie immer an mich geglaubt haben und mir den Weg in die Wissenschaft ermöglicht haben. Ebenfalls immer an mich geglaubt hat auch mein »Schwiegervater«, dem ich ebenso danken möchte; auch wenn er das Erscheinen dieser Arbeit leider nicht mehr miterleben durfte. Hingegen kaum in Worte zu fassen ist der Dank, den ich meiner langjährigen Lebensgefährtin Julia aussprechen möchte. Sie hat mich auch in äußerst schweren Zeiten stets mehr als unterstützt und mir mit ihrer Fürsorge und Liebe immerzu den Rücken frei gehalten sowie dafür Sorge getragen, dass ich jegliche (phasenweise) Zweifel stets wieder verworfen und diese Arbeit niemals aufgegeben habe. An dieser Stelle sei noch darauf verwiesen, dass aus Gründen besserer Lesbarkeit auf die Verwendung eines einheitlichen geschlechtsneutralen Schreibstils verzichtet wurde. Sofern geschlechtsspezifische Wortverwendungen vorliegen, beziehen sich diese dabei stets und ausschließlich auf das grammatikalische und nicht das sachliche Geschlecht. Insofern ist mit Nennung der jeweiligen männlichen Funktkionsbezeichnung in diesem Buch, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mitgemeint.
Aachen, im Mai 2015
Andreas Braun
1. Über Amokformen, gesellschaftliche Veränderungsprozesse und Identität
Der Titel Campus Shootings. Amoktaten an Universitäten als nicht-intendierte Nebenfolge der Hochschulreform mag in zweierlei Hinsicht Verwunderung hervorrufen: Zum einen bzgl. des (zunächst) postulierten Phänomens extremer zielgerichteter Gewalt im akademischen Kontext, da Amoktaten an Bildungsinstitutionen, spätestens seit den Geschehnissen an der US-amerikanischen Columbine High School (1999) oder den deutschen Vorfällen am Erfurter Gutenberg Gymnasium (2002), an der Geschwister-Scholl-Realschule in Emsdetten (2006) oder der Albertville-Realschule in Winnenden (2009), in der öffentlichen Wahrnehmung explizit mit Schulen – sogenannten school shootings – assoziiert werden. Zum anderen kann die Verwunderung aber auch der Einbettung derartiger Gewaltakte in den Kontext der Hochschulreform(en) gelten. Während der erste Aspekt insofern Verwunderung auslösen kann, als Amoktaten an Universitäten – trotz einer empirischen Nachweisbarkeit – im Gegensatz zu derartigen Gewaltakten im öffentlichen und/oder schulischen Raum bisher allem anderen als einer prominenten Wahrnehmung unterliegen, weist der zweite Aspekt auf eine kritische Betrachtung der Hochschullandschaft hin, deren Reformprozesse und Restrukturierungen der letzten Dekaden erstmals mit dem Phänomen spezifischer zielgerichteter Gewaltakte in Form von Amoktaten in Verbindung gebracht werden. Die Reformen der universitären Strukturen im europäischen und US-amerikanischen Kontext, so die zugrunde liegende These, erzeugen dabei nicht-intendierte Nebenfolgen, die für die Akteure im hochschulischen Bereich eine identitätsbedrohende Wirkung entfalten und damit die Handlungsalternativen hinsichtlich einer dauerhaften Behauptung individueller Identität(en) verengen können (Kap. 7). Die extreme Form eines identitätsbehauptenden Handelns im Kontext derart bedingter und fortwährender Identitätsbedrohungen mündet (in Einzelfällen) in Amoktaten an Universitäten. Auch wenn es sich bei campus shootings, wie diese Ereignisse hier terminologisch gefasst werden, um kein empirisches Phänomen mit großer Fallzahl handelt (Kap. 6.2), so können der-
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artige Gewaltvorfälle und deren Erklärung dennoch nicht ignoriert bzw. als Pathologie abgetan werden. Während Amoktaten im Allgemeinen von der Öffentlichkeit als pathologisches Geschehen innerhalb zivilisierter Gesellschaften beschrieben, also als Rückfall in ›barbarische‹ Zustände stigmatisiert werden, soll im Rahmen dieser Arbeit aufgezeigt werden, dass campus shootings keineswegs ›barbarische‹ Akte im Sinne nicht-zivilisierter bzw. nicht dem Zivilisationsaspekt moderner Gesellschaften folgender Handlungen sind. Im Gegenteil: Campus shootings sind gerade ein Produkt zivilisierter Gesellschaften, und zwar ein Produkt ihrer zunehmenden Ökonomisierung, in deren Prozess auch die europäischen und US-amerikanischen Hochschulstrukturreformen eingebettet sind. Die Konzeptionalisierung eines solchen Erklärungsansatzes ist dabei also einerseits an gesellschaftliche und universitäre Entwicklungstendenzen anzukoppeln und andererseits an bestehende Befunde aus dem Bereich der Amokforschung, innerhalb derer campus shootings als eigenständige Form allerdings nicht vorkommen. Dies bedeutet zwar nicht, dass derartige Vorfälle im Rahmen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung gänzlich ignoriert werden, aber aufgrund der Tatsache, dass sich »[e]in eigener Begriff wie beispielsweise ›Uni(versity) Shooting‹ […] hierfür bislang noch nicht etablieren [konnte]« (Scheithauer/Bondü 2008: 22), werden campus shootings unter allgemeine Gewaltakte und unter solche Vorfälle subsumiert, die sich generell auf Geländen mit vielfältigen Gebäudekomplexen im Bereich von Bildungsinstitutionen (Schulen, Berufsschulen etc.) beziehen. Zwar lassen sich innerhalb der Forschung auch erste Anzeichen für eine Betrachtung von campus shootings konstatieren, diese werden bis dato aber eher in die allgemeinen Bereiche des bedrohlichen Verhaltens, Stalkings und genereller Gewalt an Universitäten eingeordnet (siehe Baum/Klaus 2005; Carr 2005; Drysdale/Modzeleski/Simons 2010; Fremouw/Westrup/Pennypacker 1997; Hoffmann/Blass 2012) und nicht als eigenständige Subform von Amoktaten angesehen. Dies hat zur Folge, »dass diese Taten […] [innerhalb der Amokforschung; A.B.] unter die School Shootings gefasst werden« (Scheithauer/Bondü 2008: 22; siehe Newman/Fox 2009; Rau et al. 2013). Eine Vorgehensweise, die auf den ersten Blick zwar durchaus naheliegend erscheint, da sich beide Formen schließlich an Bildungsinstitutionen ereignen. School shootings werden allerdings per definitionem ausschließlich von ehemaligen oder aktuellen Schülern der bewusst für die Tat ausgewählten Schule begangen (vgl. Robertz 2004: 20; Robertz/Wickenhäuser 2007: 10), und die Täter an Universitäten verteilen sich auf unterschiedliche statusbezogene Zugehörigkeiten innerhalb von Hochschulen – eben nicht nur auf den Bereich der Studierenden, sondern auch auf wissenschaftliche Angestellte und professorale Vertreter im universitären Teilbereich der Lehre und Forschung. Aus diesem Grund bilden campus shootings nicht nur eine eigenständige und neue Subform von Amoktaten, sondern lassen sich darüber hinaus durch eine Hybridität kennzeichnen, welche aus der Mischung der bis dato in der Forschung existenten Subformen des ›klassischen‹ Amoklaufs, der school shootings und der Amoktaten am Arbeitsplatz
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(workplace violence) resultiert (Kap. 6.3). Lässt sich bzgl. campus shootings demnach ein Desiderat innerhalb der Amokforschung konstatieren, so sind die Konzeptionalisierung derartiger Gewaltakte als spezieller Fall von Amoktaten (Kap. 6.1) und deren Einbettung in einen soziologischen Erklärungsansatz dabei an die bisherigen Befunde der Amokforschung anzukoppeln. Denn ohne grundlegendes Wissen über Amoktaten im Allgemeinen wie im Speziellen, ohne definitorische Grundlagen und ohne Sichtung bisheriger Erkenntnisse im Bereich der Erklärung derartiger Gewaltakte, können campus shootings als eigenständige und hybride Subform von Amoktaten, die aus der »mixture of […] two [or more; A.B.] pure forms [Herv. i.O.]« (Latour 1993: 78) resultieren, analytisch nicht gefasst und erklärt werden. Bevor campus shootings also in einen soziologischen Erklärungsrahmen eingebettet werden können (Kap. 7.3 und 7.4), gilt es insofern zunächst einmal, die phänomenologischen Grundlagen und die bis dato existenten Subformen von Amoktaten darzustellen.1 Als Akt der Gewaltausübung und -anwendung zunächst innerhalb des geografischen Bereichs des indonesisch-malaiischen Archipels ist Amok als Phänomen, zumindest ersten Schilderungen von Reiseberichten im Zuge der aufkommenden Kolonialisierung folgend, seit dem frühen 15. Jahrhundert in westlichen Ländern bekannt (vgl. Adler 2000: 9f.; Christians 2008: 60-80; Spores 1988: 11-29). In etymologischer Hinsicht kann das ursprünglich malaiische Wort amuk, welches auch mit dem portugiesischen Terminus amouco/s (der/die Krieger) assoziiert wurde2, mit »wütend« oder »rasend« übersetzt werden, wobei die Assoziation mit dem Kriegerstatus zugleich auf eine doppelte Ausprägung des Phänomens Amok verweist: auf persönlich motivierte Individualtaten und auf militärtaktisch geprägte Taten von Gruppen (vgl. Adler 2000: 9ff.; Carr 1978: 271f.; Christians 2008: 63; Ellenberger 1965: 205; Kon 1994: 686; Spores 1988: 11-60). War Amok im 15.-16. Jahrhundert zunächst ein gruppenbasiertes, militärtaktisches Verhalten elitärer Kriegerkasten im indonesischen Raum, das durch eine »zeitliche und räumliche Entgrenzung der kriegerischen Aktion«3 (Vogl 2010: 13) gekennzeichnet war und im Zuge der Islamisierung der genannten Gebiete auch eine »religiös-fanatische Färbung als Kriegshandlung bei der Intifada, dem Heiligen Krieg« (Adler 2000: 11) erhielt, so erfuhr 1
Einige der im Folgenden angeführten Aspekte und Textteile finden sich in ähnlicher Form bereits bei Braun (2008).
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Dies begründet sich durch die Tatsache, dass die ersten Reiseberichte bzw. die erste Schilderung von Amoktaten im westlichen Raum aus dem Jahre 1430 auf den Portugiesen Nicolo Conti zurückzuführen ist (vgl. Adler 2000: 12; Christians 2008: 63).
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Der Entgrenzungscharakter dieser Taten basiert u.a. auf der bewussten Inkaufnahme des eigenen Todes als wesentlichem Merkmal der Amokläufer und der Übertragung der kriegerischen Aktion auch auf nichtbeteiligte (unschuldige) Dritte, wie bspw. Frauen oder Kinder (siehe u.a. Spores 1988; Kon 1994).
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der individuelle Amoklauf mit Beginn der fortschreitenden Kolonialisierung in diesem Gebiet eine erhöhte Aufmerksamkeit (vgl. Adler 2000: 9-13, 2002: 72ff.; Christians 2008: 60-101; Knecht 1998: 681, 1999: 144; Kon 1994: 686; Murphy 1973: 32; Scheithauer/Bondü 2008: 13-16; Spores 1988: 11-60; Schünemann 1992: 9f.; Vogl 2010: 12-15). Der einstige kriegerische Amoklauf von Gruppen, dessen Motivation im Verlust eines Herrschers oder in der Ablehnung der Kolonialherrschaft bestand und der auf Basis der bewussten Inkaufnahme des eigenen Todes als geplanter Gewaltakt anzusehen ist, wurde mit der Fokussierung auf Individualtaten (meist spontane Taten zur Rettung der persönlichen Ehre, z.B. bei Überschuldung oder bevorstehender Sklaverei) einem ontologischen Wandel unterzogen, innerhalb dessen sich die askriptiven Merkmale eines Amoklaufs von der bewusst geplanten militärtaktischen Aktion zunächst zu scheinbar motivationslosen spontanen Taten bzw. (pathologisch) abweichendem Verhalten änderten (vgl. Adler 2000: 10ff., 2002: 72; Christians 2008: 60-101; Spores 1988: 11-60; Vogl 2010: 14). Innerhalb der indigenen Bevölkerung des indonesisch-malaiischen Archipels entwickelte sich Amok »[…] seit dem 17. Jahrhundert […] zu einem sozial akzeptierten Ventil, der Zahlungsunfähigkeit als Schuldner und der damit einhergehenden Versklavung zu entgehen. Motivational diente Amok primär der Abwendung ehrgefährdender und auswegloser Situationen, der Suche nach Achtung, der Expression von Eifersucht und Trauer, der Beendigung von Partnerschaftsproblemen oder Autoritätskonflikten. […] Im Zuge der Kolonialisierung Südostasiens durch die Europäer verschwand allerdings die gesellschaftliche Akzeptanz dieser ritualisierten und integrierten Form der Problemlösung. Amok steht seit Mitte des 19. Jahrhunderts in den meisten Ländern unter Strafe. So wurden überlebende Amokläufer in Ländern mit britischer Rechtsprechung zum Tod oder zu langen Haftstrafen verurteilt oder in psychiatrische Kliniken eingewiesen.« (Weilbach 2009: 19)
Als Folge dieser von den Kolonialmächten umdefinierten Form der Gewalt, von einer gesellschaftlich legitimierten Aktion zur Ehrerhaltung hin zu einer den (westlichen) Normvorstellungen diametral entgegengesetzten Auffassung zivilisatorischen Verhaltens, ist »[d]er Amoklauf […] von einem kriegerischen Ritual zu einem psychiatrischen Vorfall geworden« (Vogl 2010: 15). Der Amoklauf wurde als spontaner motivationsloser Akt und damit einhergehend als erweiterter Suizid aufgefasst, welcher entlang der von Ellenberger (1965: 202-206) postulierten Trias aus dem »Wunsch zu sterben«, dem »Wunsch getötet zu werden« und dem »Wunsch zu töten« somit auch als suizidal-homizidale Handlung aufgefasst werden kann und auch heute noch wird.
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Spätestens ab dem 19. Jahrhundert hielt Amok als Akt suizidal-homizidaler Gewalt aber auch direkten Einzug in westlich akkulturierte Gesellschaften4, wobei das in den westlichen Kulturkreis importierte Phänomen damals wie heute zunächst als »soziale Irrealität« (Vogl 2010: 17) erscheint: als individuelle Manifestation zivilisations-pathologischer Barbarei in modernen Gesellschaften, welche das Soziale aus seiner eigenen Mitte heraus bedroht (vgl. Vogl 2010: 17ff.). Diese Bedrohung zeigt sich in heutigen Gesellschaften auch an der Wahl der Angriffsorte und -ziele, welche sich meist in städtischen Regionen und innerhalb von Massen-, Konsumoder Verwaltungsinstitutionen ereignen, wobei derartige Amoktaten in Teilen wiederum den Charakter einer traditionell militärtaktisch geplanten Kampfaktion annehmen, wie bspw. die neueren Formen der Amokläufe an Schulen (vgl. Adler 2000: 58f.; Adler et al. 2006: 584; Drysdale/Modzeleski/Simons 2010; Robertz 2004; Robertz/Wickenhäuser 2007; Scheithauer/Bondü 2008: 19-22; Vogl 2010: 19; Fein/Vossekuil/Holden 1995: 3). Im Zuge dieser Neuentwicklung ändert sich auch der Aspekt der Opferauswahl und -anzahl: Zum einen vom rein willkürlichen Akt hin zum durchaus zielgerichteten Vorgehen – meist werden Personen als Opfer ausgewählt, die für das der Tat vorauseilende Motiv verantwortlich gemacht werden –, und zum anderen erhöht sich die Anzahl der Opfer durch den vermehrten Einsatz von Schusswaffen (vgl. Adler et al. 2006; Hoffmann 2003: 399, 407f.; Fein/ 4
Dies kann bspw. an den exemplarischen Fällen des sogenannten Enoch Brown Schoolhouse Massacre und dem deutschen Fall des Lehrers Wagner illustriert werden. Am 26. Juli 1764 überfielen vier Krieger des indianischen Lenape-Stammes in dem damals unter britischer Besatzung stehenden nordamerikanischen Gebiet des heutigen Pennsylvania ein Schulhaus und töteten den anwesenden Lehrer Enoch Brown und zwölf Kinder sowie eine schwangere Frau in der Nachbarschaft des Schulgebäudes. Ein motivationaler Aspekt zur Begehung dieser Tat kann in dem »heiligen Krieg« der indianischen Bevölkerung zur Befreiung ihres Heimatlandes von den weißen Besatzungsmächten gesehen werden (vgl. Dixon 2005: 223) – in gewisser Weise sind hier Ähnlichkeiten zu dem Aspekt der Ehrerhaltung und dem kriegerischen Amoklauf des javanisch-malaiischen Archipels zu sehen. Im Gegensatz zu diesem eher noch gruppenspezifischen Fall eines kriegerischen Amoklaufs in Nordamerika verweist der erste bekannte deutsche Amokvorfall des Lehrers Ernst August Wagner auf eine Individualtat. Ernst August Wagner, Lehrer im schwäbischen Degerloch, tötet am 4. September 1913 zunächst seine vier Kinder und seine Frau, bevor er sich von Stuttgart aus ins benachbarte Mühlhausen begibt, dort in der Nacht an mehreren Stellen in der Stadt (Scheunen und Wohnhäuser) Feuer legt und aus gedeckter Stellung vor dem Feuer fliehende Personen erschießt. Insgesamt tötet Wagner 14 Personen und verletzt elf weitere. Wagner wurde nach seiner Tat psychiatrisch betreut und gilt bis heute wohl als der erste und eindrucksvollste Täter hinsichtlich der psychiatrisch-klinischen Untersuchung von Amokläufern (vgl. Adler 2000: 31f.; Gaupp 1996; Neuzner/Brandstätter 1996).
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Vossekuil/Holden 1995: 1). Anhand der Koaleszenz der beiden klassisch-traditionalen Amok-Komponenten (Homizid/Suizid) und einer zielgerichteten Ausrichtung kann wiederum von einer Re-Ontologisierung von Amokläufen gesprochen werden. Im Zuge dieses erneuten bzw. wiederholten Wandels bezeichnen Amokläufe Akte individueller Gewalt, die im Rahmen einer prozesshaften Entwicklung – ausgehend von einem als negativ oder kränkend wahrgenommenen Ereignis über eine (soziale) Rückzugsphase bis hin zur Begehung der Tat – von einzelnen Tätern, innerhalb eines bestimmten öffentlichen Raumes und einer abgegrenzten Zeitspanne, ohne Phase einer emotional-kognitiven Beruhigung bzw. Ablenkung des Täters, zu einer intentionalen Tötung/Verletzung mehrerer Personen führen, wobei die Auswahl der Opfer eine gewisse symbolische Qualität bzgl. des Auslösemoments aufweist und homizidale wie suizidale Momente als tateinheitliche Motive zusammenfallen (vgl. Adler 2002: 73f.; de Becker 1997: 110ff.; Lübbert 2002: 25-28; Robertz 2004: 17; Scheithauer/Bondü 2008: 19-22, 74-77; siehe auch Adler 2000; Adler et al. 1993, 2006; Buteau/Lesage/Kiely 1993; Cohen/Llorente/Eisdorfer 1998; Hoffmann 2003; Kua 1991; Milroy/Dratsas/Ranson 1997; Scheithauer/Bondü 2008; Schmidt/Hill/ Guthrie 1977; Schmidtke et al. 2002). Amoktaten – im Allgemeinen verstanden als Mehrfachtötungen durch Erwachsene und/oder Jugendliche, die sich an einem Ort und in einem bestimmten zeitlichen Rahmen ohne Wiederholung der Tötung(en) an anderen Orten oder zu anderen Zeitpunkten ereignen – werden dabei innerhalb der Forschung als eigenständige Unterkategorie von Mehrfachtötungen angeführt, die sich von anderen Arten multipler Tötungen wie Serienmorden, spree killings und Massenmorden trotz des gemeinsamen Merkmals der Homizidalität unterscheiden (vgl. Scheithauer/Bondü 2008: 19ff.; Robertz 2004: 17). Diese drei Varianten multipler Tötungen lassen sich gemäß dem Crime Classification Manual (Douglas et al. 2006) wie folgt definieren:5 »Mass murder is defined as the killing of four or more victims at one location or crime scene. A spree murder is defined as the killing of three or more victims at more than one location without a cooling-off period between the murders. Cooling-off period is defined as the state of returning to the murderer’s usual way of life between killings. The spree killer kills at more than one location and with multiple crime scenes. The serial murderer kills more than two victims with a cooling-off period between the killings and involves more than one location or crime scene. [Herv. i.O.]« (Burgess 2006: 436) 5
Beim Crime Classification Manual handelt es sich um einen Leitfaden »[which; A.B.] has received notice from FBI investigative profilers, law enforcement officers, corrections and parole staff, mental health staff, and students in forensic studies and criminal justice studies« (Douglas et al. 2006: ix), der u.a. das Ziel einer terminologischen Standardisierung im Bereich des Strafrechts verfolgt.
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Unter Rekurs auf den eben angesprochenen definitorischen Grundstock grenzen sich Amoktaten von Serienmorden und spree killings vor allem hinsichtlich des zeitlichen und örtlichen Aspekts ab, denn Serienmorde und spree killings zeichnen sich u.a. durch eine zwischen den Tötungen liegenden Pause, die Tage, Monate oder Jahre dauern kann, sowie durch eine Tatortpluralität aus, wobei spree killings auch zusätzlich mit anderen Straftaten (z.B. Raubdelikten) einhergehen (vgl. Burgess 2006: 436, 448-461; Robertz 2004: 17; Scheithauer/Bondü 2008: 19).6 Scheiden demnach spree killings und Serienmorde zur Beschreibung bzw. Kategorisierung von Amoktaten aus, bleibt letztlich also die Frage offen, ob Amoktaten nicht doch als reine Massenmorde beschrieben werden können. Handelt es sich gemäß der im Crime Classification Manual (Douglas et al. 2006) aufgeführten Definition bei einem Massenmörder um mindestens einen Täter, der vier oder mehr Personen innerhalb einer Zeitspanne, an einem (geografisch-räumlichen) Ort und einem Tatort tötet, wobei sich der Tatort auf offene Straßen, öffentliche Gebäude, Häuser oder Schulen beziehen kann (Burgess 2006: 437), scheint zumindest hinsichtlich der Elemente Raum, Ort und Zeit eine Entsprechung mit dem Phänomen der Amoktaten vorzuliegen. Eine Gleichsetzung von Amoktaten mit Massenmorden ist bei genauerer Betrachtung aber dennoch problematisch, da Massenmorde auch anders gelagerte Taten wie terroristische Anschläge (z.B. der Anschlag auf das World Trade Center am 11.09.2011 oder das Oklahoma City Bombing am 19.04.1995), opferspezifische Massentötungen (z.B. der Tod von ca. 1000 Anhängern des Sektenführers Jim Jones im südamerikanischen Jonestown am 18.11.1978), Genozide bzw. zivile Massaker (z.B. der Völkermord in Ruanda 1994 oder der Holocaust im zweiten Weltkrieg) oder auch Massentötungen im familiären Umfeld umfassen (vgl. Fox/Levin 2011; Kellner 2008; Meloy et al. 2001; Meloy et al. 2004; Scheithauer/ Bondü 2008: 19f.). Aufgrund der vielfältigen Ausprägung des Phänomens Massenmord über teilweise längere Zeiträume bzgl. der (wiederholten) Tatausführung (z.B. Genozide) sowie der Potenzialität von Mehrfachtäterschaften (z.B. Genozide, terroristische Anschläge) erweist sich Massenmord als Beschreibung für Amoktaten als nicht trennscharf genug, sodass die Konzeptionalisierung von Amoktaten als eigenständige Unterkategorie von Massenmorden innerhalb der Forschung gerechtfertigt 6
Auch wenn die Definition von spree killings dem Phänomen von Amoktaten auf den ersten Blick zu entsprechen scheint, was neben dem Faktum, dass »[t]he killer often commits suicide or goes for what is known as ›suicide by cop‹: putting himself in a position where police will have to kill him« (Burgess 2006: 448) auch darauf zurückgeführt werden kann, dass »[h]ierfür […] kein entsprechender deutschsprachiger Ausdruck [existiert] [und; A.B.] [d]aher […] im Deutschen auch solche Taten zumeist als ›Amok‹ bezeichnet [werden]« (Scheithauer/Bondü 2008: 19), bleiben die genannten Einwände bestehen. Hinsichtlich der Übersetzung von spree killings ins Deutsche als »Amoktat« scheint somit ein gravierendes Missverständnis vorzuliegen.
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ist (vgl. Robertz 2004: 18; Scheithauer/Bondü 2008: 19f.). Stellen Amoktaten demnach tatsächlich eine eigenständige Kategorie im Bereich multipler Tötungen dar und rechtfertigen somit auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit solchen Akten extremer Gewalt als eigenständigem Phänomen in einem eigenen Forschungsbereich, so muss an dieser Stelle – und dies sicherlich auch entgegen der landläufigen medialen und öffentlichen Wahrnehmung – darauf hingewiesen werden, dass auch innerhalb dieser Kategorie Unterschiede existent sind. Denn: Amok ist nicht gleich Amok. Dem bisherigen und gängigen Forschungsstand folgend lassen sich Amoktaten in die drei Bereiche des ›klassischen‹ Amoklaufs, der school shootings sowie der Amoktaten am Arbeitsplatz (gefasst unter dem breiten Begriff workplace violence) einteilen, die trotz der anfangs genannten Merkmale eines definitorischen Grundstocks Unterschiede aufweisen (vgl. Scheithauer/Bondü 2008: 20). Der ›klassische‹ Amoklauf, welcher sich nach Adler (2000: 50f.) dadurch auszeichnet, dass es sich immer um eine ernste Gewalttat handeln muss, die (1) mindestens ein Todesopfer fordert oder zumindest die intentionale Tötung einer Person umfasst, (2) die historische Amokintention der Inkaufnahme des eigenen Todes integriert bzw. den Tod des Täters durch Dritte oder durch Suizid beinhaltet, (3) Homizidalität und Suizidalität als tateinheitliche Faktoren bei der scheinbar spontanen impulsiven Tat subsumiert und (4) »nicht durch politische, ethnische, religiöse oder kriminelle Motive bestimmt gewesen sein [darf]«, lässt von den drei Subformen die engste Verwandtschaft mit dem ursprünglichen Phänomen Amok erkennen. Im Gegensatz dazu weisen school shootings – und auch Taten der workplace violence – keine derartig lange Historie auf, die bis in das 14.-15. Jahrhundert zurückreicht. Zwar lassen sich auch hier die historisch verankerten Elemente der Homizidalität und Suizidalität als tateinheitliche Aspekte nachweisen und aufzeigen, als eigenständige Form sind aber sowohl school shootings als auch workplace violence ein Produkt des 20. Jahrhunderts. So kann in Übereinstimmung mit dem Forschungsstand festgestellt werden, dass sich das Verständnis von school shootings als eigenständiger Subform extremer Gewalt im Bereich von Amoktaten auf das Jahr 1974 datieren lässt (vgl. Böckler/Seeger/Heitmeyer 2011: 263f.; Faust 2010: 153; Newman et al. 2004: 308; Reddy et al. 2001: 158; Robertz 2004: 62; Robertz/ Wickenhäuser 2007: 13f.; Vossekuil et al. 2000: 3, 2002: 47).7 In den Fokus öffent7
In Abhängigkeit davon, welche Studie(n) zur Beschreibung von intentionalen multiplen Tötungen von Jugendlichen innerhalb von Bildungsinstitutionen herangezogen wird bzw. werden, ist hierbei zunächst auffällig, dass (in forschungshistorischer Perspektive) eine terminologische Vielfalt hinsichtlich der jeweils verwendeten Definition(en) existiert. Ein Aspekt, der durchaus auf eine fehlende offizielle Klassifikation zurückgeführt werden kann, weswegen »researchers are left to define the subject of analysis largely according to their own standards and subjective preference« (Böckler et al. 2013: 3). So wurden
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licher und wissenschaftlicher Auseinandersetzungen gerieten school shootings im Wesentlichen nach den Ereignissen an der Columbine High School (1999).8 Auch Amokläufe von Jugendlichen an Schulen bspw. als premeditated shooting spree (McGee/ DeBernardo 1999: 16, 2001: 1), lethal school violence (Moore et al. 2003: 12, 287-291), premeditated mass shootings in schools (Twemlow et al. 2002: 475), school targeted violence (Vossekuil et al. 2002: 7), school associated violent death (Stephens 2007: 1) oder im deutschsprachigen Raum als zielgerichtete Gewalt an Schulen (Hoffmann 2007a: 26) beschrieben. Ohne auf eine detaillierte Beschreibung der jeweiligen Definitionen und deren Historie – im Sinne einer den Analysen zugrunde liegenden Forschungsausrichtung oder institutionellen An- und Eingebundenheit – einzugehen, kann konstatiert werden, dass die jeweiligen Definitionen trotz existenter Divergenzen, wie bspw. hinsichtlich der Operationalisierungskriterien oder der minimalen Opferzahl (Böckler et al. 2013: 3), aber auch in unterschiedlicher Art und Weise Konvergenzen aufweisen. In Teilen an das Konzept des Bedrohungsmanagements angelehnt, welches ursprünglich im Kontext des Schutzes öffentlicher oder berühmter Personen zur Analyse von Risiken und Bedrohungen in Form gewalthafter Übergriffe entwickelt wurde (vgl. Borum et al. 1999; Fein/ Vossekuil/Holden 1995) und innerhalb dessen Übertragung auf den Bereich von Schulen Amoktaten von Jugendlichen in genereller Hinsicht als »any incident of violence where a known (or knowable) attacker selects a particular target prior to their violent attack« (Vossekuil et al. 2002: 4) aufgefasst werden können, herrscht Einigkeit darüber, dass (1) aktuelle oder ehemalige Schüler die Gruppe der Täter bilden, (2) die (›eigene‹) Schule als Tatort bewusst ausgewählt wurde, (3) die Opfer als Angehörige der Schule (Einzelpersonen und/oder Gruppen) oder gar die Schule als Institution bewusst und gezielt ausgewählt wurden und (4) bei der Tat zwar vorwiegend Schusswaffen verwendet werden, obwohl der zusätzlich Gebrauch von Hieb- und Stichwaffen sowie unkonventionellen Sprengund Brandvorrichtungen (USBV) – »selbst hergestellte, veränderte oder missbräuchlich benutzte gewerbliche oder militärische Vorrichtungen, die eine Explosion und/oder einen Brand herbeiführen können« (Bundeskriminalamt 2006: 4) – nicht auszuschließen ist (vgl. Hoffmann 2007a; McGee/DeBernardo 1999, 2001; Newman et al. 2004; Robertz 2004; Robertz/Wickenhäuser 2007; Stephens 2007; Twemlow et al. 2002; Vossekuil et al. 2000, 2002). Aus den Konvergenzen innerhalb der einzelnen Definitionen und verglichen mit dem Terminus school shooting resultiert letztlich auch die Dominanz dieses in der Literatur weitestgehend verwendeten Begriffs, da hier die eben genannten Elemente ebenfalls definitorisch intergiert werden (vgl. Böckler et al. 2013: 6; Brumme 2011: 14; Robertz/Wickenhäuser 2007: 10). Auch wenn der Terminus school shooting vor allem hinsichtlich der gewählten Tatwaffen eine gewisse Unschärfe besitzt: »[n]icht alle Taten werden mit Schusswaffen begangen, während Massenschießereien im Gruppenkontext eben gerade keine School Shootings darstellen« (Robertz/Wickenhäuser 2007: 10). 8
Am 20.04.1999 töteten die beiden Täter Eric Harris und Dylan Klebold innerhalb von ca. 46 Minuten zielgerichtet 13 Personen und verletzten weitere 24 schwer.
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im Zuge der (gravierenden) deutschen Vorfälle in Erfurt (2002), Emsdetten (2006) und Winnenden (2009) nahm die Prominenz von Amoktaten Jugendlicher an Schulen in der öffentlichen und medialen Wahrnehmung zu, sodass als Ergebnis hiervon jugendliche Gewalttaten an Schulen im Sinne von Mehrfachtötungen im schulischen Kontext fälschlicherweise als spontane, unreflektierte ›Blutbäder‹, ›Massaker‹ oder ›Massenmorde‹ beschrieben werden. Ein Vokabular, das angesichts der Ausmaße sowie der assoziativen Vorstellungen zwar einerseits leicht nachvollziehbar, andererseits aber keinesfalls haltbar ist. Denn aus wissenschaftlicher Perspektive kann festgehalten werden, dass es sich bei Amoktaten im Allgemeinen (›klassische‹ Amokläufe), an Schulen (school shootings) und am Arbeitsplatz (workplace violence) entgegen der landläufigen Meinung äußerst selten um spontane Akte extremer Gewalt handelt, die aus blinder Wut geschehen und/oder in Raserei ausgeübt werden (siehe Adler 2000; Adler et al. 1993; Adler et al. 2006; Braun 2013; Hoffmann 2007a, 2010, 2011; Robertz 2004; Robertz/Wickenhäuser 2007; Scheithauer/Bondü 2008; Weilbach 2004, 2009), sondern »die […] Kennzeichen der Impulsivität, des Kontrollverlusts sowie der scheinbaren Irrationalität des Verhaltens nicht ausreichend sind, um Amok hinreichend zu erklären und einzugrenzen. […] [S]olche Begriffe [führen] eher zu Missverständnissen […], da die Taten durchaus nicht immer spontan und impulsiv erfolgen.« (Scheithauer/Bondü 2008: 9)
So zeichnen sich z.B. vor allem school shootings durch eine intensivere Planungsphase und ein zielgerichtetes, eben nicht spontan impulsives, Vorgehen aus (vgl. Hoffmann 2007a; McGee/DeBernardo 1999, 2001; Newman et al. 2004; Robertz 2004; Robertz/Wickenhäuser 2007; Stephens 2007; Twemlow et al. 2002; Vossekuil et al. 2000, 2002): »School Shootings bezeichnen Tötungen oder Tötungsversuche durch Jugendliche an Schulen, die mit einem direkten und zielgerichteten Bezug zu der jeweiligen Schule begangen werden. Dieser Bezug wird entweder in der Wahl mehrerer Opfer deutlich, oder in dem demonstrativen Tötungsversuch einer einzelnen Person, insofern sie aufgrund ihrer Funktion an der Schule als potenzielles Opfer ausgewählt wurde. [Herv. A.B.]« (Robertz/Wickenhäuser 2007: 10)
Workplace violence, als dritte Subform von Amoktaten, ist ebenfalls ein Produkt westlich industrialisierter Gesellschaften des 20. Jahrhunderts und fällt historisch gesehen – in der Form von Amoktaten am Arbeitsplatz – paradigmatisch mit dem erhöhten Aufkommen zahlreicher Tötungsvorfälle mit Schusswaffen durch mehrere Angestellte des U.S. Postal Service in unterschiedlichen U.S. Post Offices zusammen, bei denen im Zeitraum von 1986-1993 24 Angestellte des US-amerikanischen Postdienstes durch Kollegen und Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz bzw. innerhalb
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ihrer Dienststellen getötet wurden (vgl. Baxter/Margavio 1996: 277f.; Beale/Hoel 2010: 101; Jacobs/Scott 2011: 86; Mullgn 1997: 21; Neuman/Baron 1998: 392).9 Handelt es sich bei workplace violence wie bei school shootings somit auch um ein ursprünglich rein US-amerikanisches Phänomen, ereignen sich derartige Vorfälle extremer Gewalt mittlerweile aber ebenso im deutschen und europäischen Kontext (vgl. Hoffmann 2010: 20, 2011: 164). Verglichen mit dem ›klassischen‹ Amoklauf und der Subform der school shootings erweist sich eine definitorische Näherung bzgl. Amoktaten am Arbeitsplatz allerdings als problematisch. Zwar hat sich der Terminus workplace violence – im Gegensatz zu anderen Begriffen wie Counterproductive Work Behavior10 oder workplace bullying11 – flächendeckend(er) in der Forschungslandschaft etabliert, aber hierunter werden im Allgemeinen vielfältige Gewaltformen subsumiert: So wird bspw. zwischen fatalen Übergriffen physischer Art – z.B. Misshandlungen, die erster Hilfe oder weiterer medizinischer Versorgung bedürfen, Stalking, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigungen, Morde sowie Homizide – und nicht-fatalen Übergriffen – z.B. verbale und/oder non-verbale Drohungen und/oder Beleidigungen, Einschüchterungen, Mobbing, physische Übergriffe ohne direkte physische Beeinträchtigung sowie verbale oder non-verbale sexuelle Belästigung – unterschieden. Innerhalb dieser beiden Kategorien wird zusätzlich zwischen intern und extern bedingten Taten differenziert: also zwischen Gewalttaten, die von aktuellen oder ehemaligen Angestellten einer Organisation innerhalb dieser Organisation ausgeführt werden und sich gegen Kollegen, Mitarbeiter und/oder Vorgesetzte richten, und extern bedingten Gewaltakten, die entweder ohne direkte Verbindung zur Organisation, oder wenn doch, dann lediglich von Kunden, Klien9
Der sicherlich die größte wissenschaftliche und öffentliche Aufmerksamkeit erzielende Fall von workplace violence innerhalb der U.S. Post Offices ist der Fall des 45-jährigen Postangestellten Patrick Sherill, der am 20.08.1986 14 Postangestellte tötete und sich anschließend suizidierte (vgl. Baxter/Margavio 1996: 277). Als Resultat dieser und der folgenden Amoktaten durch Angestellte des U.S. Postal Service wurde u.a. auch der Begriff des going postal geprägt, welcher später umgangssprachlich Amoktaten im Allgemeinen sowie Amoktaten an Arbeitsstätten kennzeichnete (vgl. Waldrich 2007: 7).
10 Counterproductive Work Behavior bezieht sich auf intendiertes schädliches Verhalten gegenüber Arbeitsorganisationen und deren Mitgliedern in Form von Aggressionen, Diebstahl oder arbeits- und funktionsbeeinträchtigenden passiven Verhaltens von Angestellten (vgl. Fox/Spector/Miles 2001: 291f.; Kelloway et al. 2010: 19; siehe Fox/Spector 2005; Gruys/Sackett 2003; Miles et al. 2002; Penney/Spector 2005). 11 Der Terminus workplace bullying bezeichnet wiederholte und andauernde intra-organisationale Akte negativer Einflussnahme auf eine oder mehrere Personen, die durch Machtungleichgewichte und/oder Aggressionen ein schädigendes Arbeitsklima erzeugen (vgl. Baillien et al. 2008; Beale/Hoel 2010: 101; Hutchinson 2012: 639f.; Lutgen-Sandvik/ Tracy/Alberts 2007; Parzefall/Salin 2010: 763; Salin 2003: 1214ff.).
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ten oder Patienten einer Dienstleistungsfirma begangen werden (vgl. hierzu Fleming/Harvey 2002: 26; Harrell 2011; Hoffmann 2010: 21; 2011: 164f.; Kormanik 2011: 114; MacKay 1994: 16; Mullgn 1997: 25-29; Neuman/Baron 1998: 392f.; LeBlanc/Barling 2004: 9; Nolan et al. 1999: 935; OSHA 2002: 1; Rugala/Isaacs 2001: 12ff.; Scalora et al. 2003: 311; Spry 1998: 232; Tobbin 2001: 91f.; USDA 2001: 4; Wassell 2009: 1050).12 Zwar kann bis zu diesem Punkt konstatiert werden, dass Amoktaten am Arbeitsplatz fatalen Vorfällen zuzuordnen sind, da auch hier gemäß der historischen Ausprägung des Phänomens Amok homizidale und suizidale Elemente innerhalb einer Tat zusammenfallen, allerdings lassen sich Homizide am Arbeitsplatz generell sowohl dem Bereich extern als auch intern bedingter Gewalttaten zuordnen, wobei Erstere hierbei die überwiegende Anzahl arbeitsplatzbezoge12 Die Integration der vielfältigen Ausprägungen und Formen der Gewaltanwendung(en) unter dem Begriff der workplace violence lässt sich durchaus auch auf die generelle Problematik einer adäquaten Definition von Gewalt zurückführen, wie dies exemplarisch dem deutschen Diskurs innerhalb der Gewaltsoziologie zu entnehmen ist. Als »analytisches Stiefkind der allgemeinen soziologischen Theorie« (von Trotha 1997: 10) wurde zwischen den Gruppen der eher quantitativ orientierten »Mainstreamer« und der eher qualitativ orientierten »Innovateure« der Gewaltforschung (Imbusch 2004) mehrfach der Versuch unternommen, Gewalt im Hinblick auf soziologische Analysen adäquat zu definieren. Neben einer reinen Fokussierung auf den Aspekt der körperlichen Gewalt wurde hierbei auf alternative Definitionen des zwischen (Aktions-)Macht (Popitz 1986) und physisch-personaler Gewalt (Galtung 1975) oszillierenden »soziologisch amorph[en]« (Weber 2005: 38) Begriffs verwiesen (vgl. Nedelmann 1997: 61). Zwischen den Dimensionen einer u.a. fremd- und eigendynamischen Entstehung von Gewalt, einem eindeutigen (täterfokussierten) Verständnis von Gewalt als sozialem Ordnungsproblem und eher ambivalenten (Prozesse und Figurationen der Gewaltentstehung berücksichtigenden) Sichtweisen, sowie einer Begrenzung auf bzw. Entgrenzung von Akten extremer Gewalt, mündete der Versuch einer adäquaten Definitionsfindung aber weiterhin in einer Vielfalt von Begriffsbestimmungen, deren inhaltliche Dimensionen auf Aspekte der strukturellen Gewalt (Galtung 1975), kulturellen Gewalt (Galtung 1993), psychischen Gewalt (z.B. direkte oder indirekte Drohungen, Beleidigungen, Folter) und weiterhin der körperlichen Gewalt bis hin zur Unterlassung von Hilfe als indirekte Form der Gewalt sowie auf systeminduzierte Formen der Gewalt (z.B. in Form von Terrorismus) verteilt werden können, um nur einige Aspekte zu nennen (vgl. hierzu Baecker 2007: 29-63; Collins 2011; Fuchs 2004; Imbusch 2000, 2005: 20-35; Nunner-Winkler 2004; Schroer 2004). Die Entwicklung einer adäquaten, (international) anerkannten Definition von Gewalt ist trotz dieses Diskurses nicht zu konstatieren. Gewalt ist und bleibt somit ein facettenreicher Begriff, dessen »adäquate« definitorische Eingrenzung lediglich in Abhängigkeit vom wissenschaftlichen Interesse und Fokus auf ein zu analysierendes Phänomen erfolgen kann.
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ner Homizide repräsentieren und intern bedingte Homizide äußerst selten sind (vgl. Neuman/Baron 1998: 392).13 Um der empirischen Seltenheit intern bedingter extremer, zielgerichteter Gewalttaten in Form von Amoktaten am Arbeitsplatz gerecht zu werden (vgl. LeBlanc/Barling 2004: 9; Tobbin 2001: 91f.), wird im Rahmen dieser Arbeit dem Vorschlag von Neuman/Baron (1998: 393ff.) gefolgt, sodass nur direkte physische Angriffe am Arbeitsplatz, die von organisationalen Insidern (gegenwärtigen oder ehemaligen Angestellten) begangen werden und sich gegen Kollegen, Mitarbeiter sowie Vorgesetzte richten, als workplace violence – im Sinne von Amoktaten am Arbeitsplatz – verstanden werden.14 So vielfältig die unterschiedlichen Ausprägungen von Amoktaten in Form des ›klassischen‹ Amoklaufs, der school shootings und der workplace violence sind, so vielfältig sind auch existente Erklärungsansätze. Dabei lässt sich im Bereich der ›klassischen‹ Amokläufe und der school shootings, verglichen mit der Subform der workplace violence, eine Mehrung von Erklärungsansätzen aus dem Bereich psychologisch oder psychiatrisch angelegter Studien konstatieren. Amoktaten werden hier – sowohl in der ursprünglich-historischen malaiischen Form als auch in den modernen Varianten des ›klassischen‹ Amoklaufs und der school shootings – auf den Aspekt von Psychopathologien bzw. psychisch-affektiven Störungen und de13 So weisen bspw. in genereller Hinsicht Rugala/Isaacs (2001: 13) darauf hin, dass »violence by criminals otherwise unconnected to the workplace accounts for the vast majority – nearly 80 percent – of workplace homicides«. Und Harrel (2011: 1, 9) verweist im Kontext der Analyse von workplace violence im Zeitraum von 1993-2009 innerhalb der USA darauf hin, dass das Phänomen von Amoktaten am Arbeitsplatz – hier im Sinne von Homiziden – in dem genannten Zeitraum von 1068 Vorfällen (1993) auf 521 Vorfälle (2009) pro Jahr zurückgegangen ist, wobei »[a]bout 70% of workplace homicides were committed by robbers and other assailants while about 21% were committed by work associates between 2005 and 2009«. 14 Der Rückgriff auf dieses Konzept erweist sich hinsichtlich einer definitorischen Eingrenzung von Amoktaten am Arbeitsplatz als workplace violence aus zwei Gründen als zielführend: Zum einen können hiermit nicht nur alle Arten von verbalen, non-verbalen sowie sexuellen psychischen und latent physischen Schädigungen und Beleidigungen definitorisch ausgeschlossen werden, sondern auch die als workplace bullying und Counterproductive Work Behavior beschriebenen Verhaltensweisen. Definitorisch exkludiert, besteht aber dennoch weiterhin die Möglichkeit einer prozessual-multikausalen Berücksichtigung als potenzielle Wirkfaktoren. Zum anderen können damit aber auch jegliche extern bedingten Taten (bspw. Raubüberfälle oder Geiselnahmen) ausgeklammert werden, sodass die auch Amoktaten am Arbeitsplatz inhärente Planung und Zielgerichtetheit in empirischer Hinsicht nicht durch derartige externe Vorfälle verzerrt oder unterminiert werden kann und darüber hinaus eine bessere Vergleichbarkeit mit den Subformen der school shootings und des ›klassischen‹ Amoklaufs gegeben ist.
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pressiven Symptomatiken als ursächliche Faktoren zurückgeführt, was (in Teilen) durch das Vorliegen katatonischer oder tranceähnlicher Zustände ohne Erinnerung an die Tat belegt und u.a. durch Befragungen überlebender Täter gesichert wird (siehe Adler 2000; Adler et al. 1993; Adler et al. 2006; Carr/Tan 1976; Hoffmann/ Roshdi/Robertz 2009; Langman 2009; Schmidt/Hill/Guthrie 1977). So scheint z.B. »[e]in Schlüsselfaktor […] in der narzisstischen Kränkbarkeit der Täter zu liegen, wodurch sie Konflikte und Demütigungen psychisch nicht verarbeiten und für sich abschließen können« (Hoffmann/Roshdi/Robertz 2009: 200). In einem sich zuspitzenden prozessualen Verlauf führt dies letztlich zu der Begehung einer Amoktat. Ebenso werden aber auch sadistische Persönlichkeitszüge, ein hohes (›Gerechtigkeit‹ wiederherstellendes) Maß an Bestrafungsphantasien oder auch Traumata (z.B. sexueller Missbrauch), welche Depressionen, suizidale Tendenzen, Verlustängste und einen Hass auf das ›normale‹ Leben Anderer erzeugen können, sowie »unterschiedliche paranoide Wahnvorstellungen, Größenwahn, auditive Halluzinationen (Stimmen)« (Langman 2009: 174) als psychopathologische Störungen in Kombination mit hieraus resultierenden oder bereits vorhandenen Isolations- und Ausgrenzungserfahrungen zur Erklärung von ›klassischen‹ Amokläufen und school shootings herangezogen (vgl. Adler 2000; Langman 2009: 54-210). So aufschlussreich Erklärungsversuche bzw. -ansätze über individuell verankerte oder potenziell vorhandene psycho-pathologische Störungen und/oder Auffälligkeiten im Bereich einer rein individualbezogenen Erklärung und im Hinblick auf die Situation, das multifaktorielle Zusammenspiel und den prozessualen (Entwicklungs-)Verlauf einer Tat bzw. eines Täters sind und im Rahmen einer interdisziplinär angelegten Vorgehensweise auch sein können, so problematisch erweisen sie sich allerdings im Kontext einer soziologischen Analyse: Zum einen steht die hiermit verbundene Personalisierung, im Sinne einer handlungsorientierenden rekursiven Verflechtung von sozialen Strukturen und gesellschaftlichen Akteuren, dem soziologischen Denkstil entgegen (vgl. Schimank 2000: 338). Zum anderen birgt die solitäre Verwendung derartiger Erklärungsansätze in gewisser Art und Weise die Gefahr des Ausblendens der (kausalen) Relevanz von sozialstrukturellen Faktoren und/oder Interaktionssituationen. Denn werden Amoktaten explizit über psycho-pathologische Faktoren erklärt, kann dies zu einem Erklärungsdefizit bei solchen Taten führen, bei denen die Täter keinerlei psycho-pathologischen Auffälligkeiten bzw. Störungen unterliegen. Insofern kann hier nicht von einer primären Ursächlichkeit derartiger Faktoren gesprochen werden, da »[d]as Amokphänomen […] eine Extremvariante schwerer Gewalttaten ohne spezielle Bindung an eine psychiatrische Erkrankung bzw. Diagnose [ist]« (Schünemann 1992: 102) und kriminelles wie gewalthaftes Handeln »nicht kausal auf physiologische, hormonelle oder psychiatrische Merkmale zurückzuführen ist« (Lübbert 2002: 45; vgl. Schünemann 1992: 63ff.; Lübbert 2002: 36ff.). Des Weiteren ist auch die damit einhergehende Gefahr einer generellen Pathologisierung der Täter, eben aufgrund solitärer klinisch-diagnostischer Ty-
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pologien, oder gar eine pauschale Pathologisierung der Taten selbst problematisch. So fasst bspw. Milzner (2010) Amoktaten als »amerikanische Krankheit« und »als Symptom einer zerbrechenden Gesellschaft« auf. Dies führt er auf eine zum Egoismus und ökonomischen Rationalismus hin geänderte Kultur und Gesellschaftsform zurück, deren »Heilung« nur durch geeignete »gesellschaftliche Prophylaxemaßnahmen« vorgenommen werden kann. Die Fokussierung auf die sich ändernde Kultur und Gesellschaftsform, mit der sich Milzner vorwiegend für die USA auseinandersetzt, repräsentiert zwar einen guten, auch sozialstrukturell eingebetteten Ansatz auf dem Weg hin zur Erklärung derartiger Taten, das Postulat »Amoklauf als Symptom einer zerbrechenden Gesellschaften« und damit als gesellschaftliche Krankheit erscheint allerdings nicht haltbar, da die konstatierte »Krankheit« kulturell und gesamtgesellschaftlich verankert wird. Und aus diesem Grund bezeichnet dieser Sachverhalt also ein Gesellschaftsphänomen, dem keine destruierenden, etwaig abweichenden sozialen Formen gegenübergestellt werden können, was die kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen in Konsequenz eben nicht zu einem pathologischen, sondern zu einem normalen gesellschaftlichen Zustand werden lässt (vgl. Durkheim 1984: 141-164). Unabhängig von diesem spezifischen Einwand kann auch in genereller Hinsicht das Problem psychologischer wie pathologischer Erklärungen darin gesehen werden, dass »[d]as psychologische Verständnis die ›Realität‹ einer Krankheit [untergräbt]. [Aber gerade; A.B.] [d]iese Realität muß [sic!] erklärt werden.« (Sontag 1978: 60) Ein konstatiertes Desiderat psychologischpsychiatrischer Erklärungsansätze, welches u.a. auch darin gesehen werden kann, dass »[d]ie bisherigen psychiatrischen Untersuchungen zu Amok […] zudem den Aspekt [vernachlässigen], dass Frauen mindestens genauso häufig Amok laufen müssten wie Männer, wenn die Ursache für dieses Phänomen auf eine psychiatrische Erkrankung zurückzuführen wäre« (Lübbert 2002: 45; vgl. Schünemann 1992: 102) – ein berechtigter Einwand angesichts einer Quote weiblicher Amoktäter von lediglich drei bis fünf Prozent.15 Die Erklärung der von Sontag (1978: 60) angesprochenen »›Realität‹ einer Krankheit« als problematischer Aspekt im Kontext psycho-pathologisch basierter Erklärungsansätze von Amoktaten wird hingegen von soziologischen bzw. zumindest soziologisch orientierten Ansätzen über die As-
15 Im Rahmen der unterschiedlichen Analysen verweisen bspw. Adler (2000), Adler et al. (1993) sowie Schünemann (1992) bei einer jeweiligen Betrachtung von 196 ›klassischen‹ Amokläufen bzw. Robertz (2004) und Robertz/Wickenhäuser (2007) bei einer Betrachtung von 75 bzw. 99 school shootings auf einen weiblichen Täteranteil von ca. 5%, Adler et al. (2006) bei 54 untersuchten Fällen auf einen weiblichen Täteranteil von ca. 4% und Lübbert (2002) bei ihrer Untersuchung von 118 Fällen auf einen weiblichen Täteranteil von ca. 3%.
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pekte gesellschaftlicher Veränderungsprozesse und Anerkennungs- bzw. Identitätsproblematiken verfolgt.16 Im Bereich ›klassischer‹ Amokläufe kann hier auf Ansätze verwiesen werden, die Amoktaten als abweichendes Verhalten aufgrund vorangegangener Konflikte (Lübbert 2002), Demütigungserfahrungen oder zunehmender Fragmentierungen der Identität (Weilbach 2004, 2009) verstehen, wobei bei regelmäßigem und dauerhaftem Vorliegen dieser Konflikte und bezogen auf die mehrheitlich männlichen Täter u.a. auch die gesellschaftlich konstruierte männliche Identität bedroht wird (vgl. Lübbert 2002: 45-90). Hierbei führt die durch die Bedrohung resultierende bzw. subjektiv wahrgenommene Entmännlichung zur Entstehung subordinierter Männlichkeiten – also »Personen, die nicht an der hegemonialen Männlichkeit [definiert durch die Aspekte der Nachwuchskontrolle, Beschützer- und Versorgerfunktion; A.B.] teilhaben, so sind z.B. Arbeitslose untergeordnete Männlichkeiten, da aufgrund des Verlustes des Arbeitsplatzes und des damit verbundenen Gehaltsverlustes ihre Rolle als Versorger in Frage gestellt wird« (Lübbert 2002: 52f.) –, die letztlich den Amoklauf als gerechtfertigte Alternative zur Wiederherstellung des Ideals des »männlichen Helden« auffassen (vgl. hierzu Lübbert 2002: 48-90).17 So geeignet 16 Es ist darauf hinzuweisen, dass damit keineswegs die Erkenntnisse bisheriger und künftiger psychologischer bzw. psychiatrisch basierter Erklärungsansätze bestritten werden, geschweige denn deren Erklärungskraft in spezifischen Einzelfällen. Diese Aspekte erweisen sich aber im Kontext einer soziologischen Sichtweise als problematisch. Aufgrund des hier vorliegenden spezifisch soziologisch gelagerten Analysefokus werden demnach im Folgenden für alle drei Subformen der Amoktaten auch nur solche Ansätze rekurriert und dargestellt, die dem genannten Kriterium eines genuin soziologischen oder soziologisch orientierten Erklärungsansatzes gerecht werden und entsprechen. Im Hinblick auf künftige sowie weiterführende Analysen und Forschungen zu Amoktaten unterschiedlicher Ausprägungen wird hier grundsätzlich die Auffassung vertreten, dass interdisziplinäre Zusammenschlüsse und damit die integrierte Bündelung von Fachkenntnissen und -kompetenzen eine adäquate und zukunftsträchtige Forschungsperspektive bilden. 17 Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit (Connell 1983, 1990; Connell/Messerschmidt 2005), »das inzwischen geradezu paradigmatischen Rang innerhalb der Männlichkeitenforschung erlangt hat« (Paulitz 2012: 53), bezieht sich auf kulturell idealisierte und sozialkonstruierte Vorstellungen von Männlichkeit und Männlichkeitsrollen, welche die männliche(n) Machtstellung(en) innerhalb von Gesellschaften definieren, durch stete Reproduktion festigen und in gewisser Weise das Bild eines »männlichen Helden« zeichnen, welches sich durch die gesellschaftlichen Funktionen der Nachwuchskontrolle, des Schutzes (vor Feinden) und der Versorgung (der Gemeinschaft und Familie) konstituiert und somit die Kontrastfolie für die meisten männlichen Gesellschaftsmitglieder bildet (vgl. Connell 1983: 185f., 1990: 83; Donaldson 1993: 646; Kersten 1997: 48f.; Lübbert 2002: 45-47; Messerschmidt 1993: 82f.).
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ein identitätsbasierter und gender-bezogener Ansatz hinsichtlich eines deutlich überwiegenden männlichen Täteranteils für die Erklärung von ›klassischen‹ Amokläufen zumindest in theoretischer Hinsicht erscheint, so problematisch erweist sich dies allerdings in empirischer Hinsicht: Zwar werden zum einen die Amoktaten männlicher Täter unter Rekurs auf die vorherrschenden Männlichkeitsideale erklärt, die weiblichen Täter aber gänzlich ignoriert – »die Gruppe der weiblichen Amokläufer [ist; A.B.] nicht von Bedeutung« (Lübbert 2002: 89). Zum anderen wird die generelle Situation prekärer und sich ändernder Erwerbsarbeitsperspektiven im Zuge zunehmender gesellschaftlicher Ökonomisierungs- und Globalisierungsprozesse, wie bspw. die geschlechtslose Figur des an Effektivität und Effizienz orientierten abstract worker (Böhnisch 2003), nicht berücksichtigt (vgl. Böhnisch 2003: 43). Im Kontext dieser gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen werden Geschlechterungleichheiten stetig abgebaut und das traditionelle Nachkriegsleitbild der intakten (mittelständischen) Kleinfamilie aufgelöst, womit die »durch ›hegemoniale Männlichkeit‹ geprägten Verhaltensroutinen […] durch die Reformprozesse unter Druck [geraten]« (Riegraf 2007: 80) und somit auch die theoretische Grundlage einer historisch verankerten bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, welche Connell (2006: 205f.) als Entwicklungscharakteristikum der hegemonialen Männlichkeit auffasst (vgl. Meuser 2012: 149ff.; Nickel 2007: 28; Riegraf 2007: 79ff.). Und hieraus resultiert die Schwierigkeit, »hegemoniale Männlichkeit empirisch ›dingfest‹ zu machen« (Meuser 2012: 160), da das theoretische Konzept der hegemonialen Männlichkeit auf globale, ökonomisierte Gesellschaften und auf eine spezifisch männliche Identität(en) bedrohende Fokussierung zur Erklärung von Amoktaten nur bedingt übertragbar ist. Denn im Zuge der empirischen Auflösung der Geschlechterkonstruktionen in der Erwerbsarbeit (abstract worker) müsste die Bedrohung von Geschlechtsidentitäten auch einen deutlich höheren Anteil von Frauen betreffen und demnach eine prozentuale Annäherung der weiblichen und männlichen Täter vorliegen (vgl. Böhnisch 2003: 79; vgl. Meuser 2012: 151). Erweist sich die Fokussierung auf einen gender-bezogenen Erklärungsansatz – zumindest im Hinblick auf konstruierte Geschlechterrollen bzw. -identitäten – empirisch als problematisch, so bietet der generelle Rückgriff auf (geschlechterneutrale) Anerkennungs- bzw. Identitätsproblematiken als Erklärungsfaktor mehr Potenzial. Ausgangspunkt hierbei ist die Einbettung der Identitätsbildung in interaktionale Prozesse und sozial(strukturell)e Faktoren. Aus deren interdependenter Verflechtung – in Abhängigkeit von einer externen und subjektiven sozialen Bestätigung und Anerkennung gesellschaftlich konformen Verhaltens – werden zunächst individuelle Identitäten erzeugt, wobei der betroffene Akteur bei zunehmenden Demütigungserfahrungen und Identitätsverletzungen sowie einer hieraus resultierenden Transformation in Wut »die Kontrolle über seine Identität« (Weilbach 2004: 29) verliert und das subjektive Bedürfnis zur Aufhebung dieses Kontrollverlustes in der »Schaffung eines angriffigen, tödlich endenden Verteidigungsprojektes« (Weilbach 2004: 31) resultieren kann
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(vgl. Weilbach 2004: 25-31). Hierbei zielt die letztliche Amokhandlung darauf ab, »die eigene verletzte Identität wiederherzustellen« (Weilbach 2004: 58), wobei externe Anerkennungsdefizite oder ökonomisierungsbedingte soziale Demütigungen und Exklusionen die Begehung von ›klassischen‹ Amokläufen begünstigen können (vgl. Weilbach 2004: 58-92). Amoktaten unterliegen hierbei einer prozessualen Entwicklung von Demütigungen über Drohungen bis hin zur Vorbereitung und Begehung der Tat, und zwar im Kontext reziproker subjektiver und sozialer Eskalationsprozesse zwischen zunehmenden Fragmentierungs- und Entgrenzungserfahrungen (vgl. Weilbach 2004: 92, 2009: 104-109). Die erfahrenen Fragmentierungen – subjektiv verzerrte Wahrnehmungen der Realität im Sinne nicht-adäquater Reflexionen der sozialen Situation (Unterscheidung zwischen ›richtigem‹ und ›falschem‹ Handeln) – gefährden also die Identität eines Akteurs und lassen Gewalt zu einer Option hinsichtlich der Abschaffung der subjektiv empfundenen Kränkungen werden (vgl. Weilbach 2009: 105). Mit der Entstehung der Motivation zur Abschaffung der konflikthaften Erfahrungen setzt dann die Phase der Entgrenzung ein: »Entgrenzung […] umfasst alle Bestrebungen des Täters, andere zu schädigen, zu sanktionieren, zu verletzen oder zu vernichten. Entgrenzung erfolgt in Schritten und baut auf Fragmentierungen auf. Sie führt zur Bereitschaft, Gewaltintentionen bis hin zur Tötung und Selbsttötung umzusetzen. [Herv. i.O.]« (Weilbach 2009: 106)
Entgrenzungserfahrungen verweisen dabei auf die dynamische Komponente der Gewaltentwicklung im Sinne einer abweichenden Karriere bis hin zur Rollenübernahme des Amoktäters. Im Verlauf der Zunahme identitätsgefährdender Fragmentierungen sowie der subjektiv als ›gut‹ gedeuteten Gewaltoptionen der Entgrenzungskomponente – wobei der Zusammenfall beider Dimensionen der Identitätswahrung dient – spitzt sich das subjektive Unrechtsempfinden zu und engt die Handlungsalternativen zur ›Rettung‹ der persönlichen Identität ein, sodass am Ende die homizidal-suizidale Handlung der Amoktat als ›Lösung‹ übrig bleibt (vgl. Weilbach 2009: 106ff.). Identität und deren Einbettung in interaktionale Prozesse nimmt aber nicht nur im Bereich der Erklärungsansätze zu ›klassischen‹ Amokläufen eine zentrale Stellung ein, sondern findet sich auch innerhalb von Erklärungsansätzen zur Entstehung und Begehung von school shootings wieder. Dabei geht es stets um multifaktoriell angelegte Erklärungsansätze, die sich neben Aspekten auf der individuellen Ebene auch auf Einflüsse und Wirkweisen im Bereich der organisationalen (inter- und intra-schulischen) sowie (sozial-)strukturellen Ebene fokussieren: Denn school shootings sind innerhalb soziologisch basierter Ansätze nicht das Resultat einer monokausal wirkenden Kette einfacher Faktoren, sondern »nur ›systemisch‹, also unter Berücksichtigung eines ganzen Ursachenbündels und unter Einbezug von gegenseitigen Verstärkereffekten einer Gesamtkultur verständlich zu machen« (Waldrich
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2007: 142; vgl. Brumme 2011; Faust 2010; Newman et al. 2004). Hinsichtlich der Identitäts- bzw. Anerkennungsproblematik wird dabei zumeist auf Exklusionsprozesse und Marginalisierungserfahrungen der späteren Täter verwiesen, die im Rahmen der »systemischen« Herangehensweise eine zentrale Stellung einnehmen, aber ohne organisationale wie strukturelle oder kulturelle Beeinflussungen auch keine monokausale Erklärungskraft besitzen. Die Exklusionsprozesse, denen Jugendliche in Form von Schikanierungen und/oder Beleidigungen bis hin zu physischer Gewalt im schulischen Umfeld ausgesetzt sind, gehen mit einer subjektiven Wahrnehmung der späteren school shooter als marginal und einem damit verbundenen niederen Status in der »Hackordnung« der schulischen peer group einher (vgl. hierzu Faust 2010: 60-66; Newman et al. 2004: 111-154, 229, 235-242). Das hiermit verbundene und von der gleichaltrigen Bezugsgruppe konstruierte Rollenverständnis eines idealtypischen Schülers (beliebt, gutaussehend, sportlich, Betonung männlicher Geschlechtsstereotype), über das der persönliche Status innerhalb der Bezugsgruppe definiert werden kann und wird, dient dabei als Kontrastfolie (vgl. Faust 2010: 6066; Newman et al. 2004: 111-154, 229, 235-242). Jugendliche, die diesem Raster nicht entsprechen, sind einem enormen sozialen Druck der peer group ausgesetzt, erfahren hierdurch mangelnde Anerkennung und werden somit Stigmatisierungsund Exklusionsprozessen ausgesetzt, deren negative Auswirkungen die Identitätsbildung bzw. -festigung bedrohen (vgl. Faust 2010: 60-66; vgl. hierzu Newman et al. 2004: 111-154, 229, 235-242). Identitätsbedrohungen liegen also vor, wenn zwischen den Polen der Selbst- und Fremdwahrnehmung Spannungen vorliegen, wobei das Spannungsverhältnis zwischen Anerkennungsmangel und den schichtspezifischen Mitteln, das Bedürfnis nach Anerkennung zu befriedigen, entscheidend ist (vgl. Brumme 2011: 75f.). Als besonders problematisch wird dieses Spannungsverhältnis bei Jugendlichen aus der Mittelschicht gesehen (die sogenannte Mittelschichtshypothese). Auf einzelne Schichten bezogen (Ober-, Mittel- und Unterschicht) existieren unterschiedliche Mittel zur Befriedigung des Anerkennungsbedürfnisses, und zwar in Abhängigkeit von den schichtenspezifisch verfügbaren Ressourcen. Während Jugendliche aus den oberen Schichten ihre Anerkennung über den familiären Status oder die finanziellen Mittel sowie über – quasi standesgemäß verankertes – normkonformes Verhalten erreichen und Jugendliche der unteren Schichten auf abweichende Verhaltensweisen (z.B. physische Gewalt, Raubdelikte etc.) zurückgreifen, die im Kontext der peer group für Anerkennung sorgen, können Jugendliche aus der Mittelschicht weder auf die Ressourcen der Oberschicht – ein Statusaufstieg oder erhöhte finanzielle Ressourcen sind qua Schichtzugehörigkeit nicht vorhanden – noch auf die Ressourcen der Unterschicht zurückgreifen, da abweichendes Verhalten dem von der Mittelschicht akzeptierten und legitimierten Kodex widerspricht (vgl. Brumme 2011: 75-89). Zwar besitzt auch die Mittelschicht spezifische Ressourcen, die zum Erhalt von Anerkennung eingesetzt werden können (z.B. Sportlichkeit, gutes Aussehen oder schulischer Erfolg), dies sind aber
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genau jene Faktoren, über die school shooter gemäß der forschungsbasierten empirischen Befunde (en gros) nicht verfügen, sodass ein bestimmter Anteil der Jugendlichen aus der Mittelschicht im Kontext des diesbezüglich erfahrenen Anerkennungsdefizites als »Außenseiter« oder »Verlierer« abgestempelt wird (vgl. Brumme 2011: 75-89). Diese Stigmatisierungsprozesse können zwar auch in gewisser Weise identitätsstiftend wirken – nämlich dann, wenn die Möglichkeit eines Ausweichens in gesellschaftliche Nischen (z.B. Subkulturen), die Übernahme von Gegenidentitäten, als sich gegen bestehenden Konventionen und Normen richtende deviante Identitäten (z.B. die Rollenübernahme des ›Klassenclowns‹), oder andere selbstbestätigende Positionen und/oder Verhaltensweisen (z.B. bewusst abweichendes Verhalten) vorhanden sind und die Bedrohung der Identität kompensieren können –, decken sich aber als potenziell dauerhafte Lösung einerseits nicht mit den individuellen (mittelschichtspezifischen) Erwartungen an die eigene Identität. Und andererseits wird die Übernahme der Gegenidentitäten vor allem in ländlichen und vorstädtischen Regionen18 aufgrund eines engen Sozialkapital Netzwerks in den dortigen close-knit communities so weit erschwert, dass die Begehung extremer Gewalttaten zur Option wird (vgl. hierzu Brumme 2011: 75-89; Faust 2010: 75-111; Newman et al. 2004: 111-154, 229, 235-242). Als potenzielles Resultat der Exklusions- und Marginalisierungserfahrungen können psychische Probleme diese Effekte insofern verstärken, als dass vorhandene Coping-Strategien bzw. Fähigkeiten, mit den Exklusionserfahrungen zurechtzukommen, in Kombination mit dem Vorliegen psychischer Probleme mit der Zeit erodieren (vgl. Newman et al. 2004: 242-245). Wichtig ist hierbei aber, dass sich der Aspekt psychischer Probleme nicht auf Psychopathologien bezieht, sondern auf evtl. vorhandene depressive und suizidale Tendenzen oder familiäre Probleme (wie z.B. fehlender Rückhalt oder fehlende Bindungen), die vor allem darauf zurückgeführt werden können, dass die Vermittlung guter Bindung(en) von den Eltern zu den Kindern – durch eine zunehmende, die familiäre Arbeits- und Einkommenssituation verändernde (z.B. längere Arbeitszeiten, Prekarisierung etc.), gesellschaftliche Ökonomisierung und Kapitalisierung – nicht mehr möglich ist oder zumindest sehr erschwert wird (vgl. Newman et al. 2004: 242-245; Waldrich 2007: 142). Mit der gesellschaftlichen Ökonomisierung ist zudem ein Rückgang bzw. Wegfall stabiler Institutionen verbunden, sodass im Kontext einer gewissen Regellosigkeit auch ein Sinn-Defizit entsteht, welches bei adoleszenten 18 School shootings ereignen sich meistens in ländlichen oder vorstädtischen Regionen, sodass das Ausweichen in gesellschaftliche Nischen oder auf Gegenidentitäten, aufgrund der engen sozialen Bindungen der Gemeinschaftsmitglieder äußerst selten vorhanden ist, der Anerkennungsdruck zu stark werden kann und letztlich eine gänzliche Exklusion drohen kann aus der heraus ein school shooting als letzte Möglichkeit bzgl. des Anerkennungserhalts erscheint (vgl. Faust 2010: 31; McGee/DeBernardo 1999: 17, 2001: 7, 12; Scheithauer/Bondü 2008: 43, 2011: 46f.; Newman et al. 2004: 111-154).
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Jugendlichen in Kombination mit dem Wegbruch des elterlichen Bindungsaufbaus in einer Perspektiv- und Hilflosigkeit resultiert, die zerstörerische Prozesse freisetzt (vgl. Waldrich 2007: 28-34). Beides – das Fehlen von Bindungen und das Fehlen sinnstiftender Strukturen als Ergebnis gesamtgesellschaftlicher Ökonomisierungstendenzen – bedroht insofern die subjektive(n) Identität(en), da »Identität einerseits nach geglückten Bindungen [verlangt] und andererseits nach Inhalten« (Waldrich 2007: 35), was aber durch die ökonomisierte und kapitalisierte »Generalausrichtung« des Lebens durch rational ökonomisches Erfolgsstreben verdrängt wird. Insofern sind Jugendliche einer doppelten Anerkennungsproblematik ausgesetzt, die neben den Exklusions- und Marginalisierungsprozessen der peer group auch strukturell im intra-organisationalen Kontext der Schule hervorgerufen wird (vgl. Faust 2010: 43-46). Im Bereich der Schulen – und damit auf organisationaler Ebene – resultiert die Bedrohungssituation aus dem mit der Ökonomisierung verbundenen gesellschaftlichen Druck einer Normanpassung der Schüler an die vorgegebene gesellschaftlich geforderte Leistungsfähigkeit und aus dem hiermit verbundenen inhärenten Selektionsdruck entlang von Bildungsabschlüssen und guten Noten (vgl. Faust 2010: 43-46; Münch 2009a; Waldrich 2007: 90-94). Das ökonomisch bedingte und erzeugte Credo »›Ohne Erfolg bist Du nichts‹« (Waldrich 2007: 110) wird dabei gemäß der Prämisse »mehr ›Stoff‹ innerhalb kürzer [sic!] Zeit« (Waldrich 2007: 39) mit einem damit verbundenen »Bulimie-Lernen« sowie unpersönlichem Frontalunterricht in die Schulen als »Spiegelbilder einer Gesellschaft« (Waldrich 2007: 89) hineingetragen und begünstigt damit die zweite Komponente der organisational und strukturell verankerten Anerkennungsproblematik (vgl. Waldrich 2007: 90-94): Durch die Anpassungsproblematiken und durch die Erzeugung von Wettbewerbsstrukturen, innerhalb derer die Leistungen des Einzelnen durch das quantifizierte – also qualitative Einzelleistungen jenseits des geforderten Stoffes außer Acht lassende – Bewertungssystem der Notengebung gemessen werden, können bei dauerhaft schlecht bewerteten Leistungen Identitätskrisen im Form von Selbstzweifel entstehen (vgl. Waldrich 2007: 88-107). Diese Bedrohungssituation, die in der Begehung einer Amoktat münden kann, resultiert aber nicht per se aus dem schulischen Leistungsdruck oder der durch den Prozess negativer Notengebung bedingten Etikettierung als ›schlechter Schüler‹, sondern aus der zusätzlichen Kombination dieser mit einer von der peer group erzeugten Stigmatisierung als Außenseiter und der subjektiven Interpretation und Selbststigmatisierung als aktueller (schulischer) und künftiger (beruflicher) ›Versager‹. Die aus dieser Verflechtung resultierenden Identitätskrisen können schließlich das Ausweichen auf »deviante Identität[en]« (Faust 2010: 53) und damit die Begehung eines school shootings als letzte ExitOption begünstigen (vgl. hierzu Faust 2010: 50-53; Waldrich 2007: 88-107). Im Laufe einer sich derartig anbahnenden prozessualen Zuspitzung der Situation hin zur Planung und Begehung eines school shootings wirkt der Faktor des »failure of surveillance systems that are intended to identify troubled teens before their prob-
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lems become extreme« (Newman et al. 2004: 230) im intra- und inter-schulischen Kontext, der durch die ökonomisierten Umstrukturierungen hin zu mehr personaler Arbeits- und Aufgabenteilung mit erzeugt wird, ebenfalls in das multifaktorielle Ursachenbündel mit hinein. So werden bspw. relevante Informationen über (Verhaltens-)Auffälligkeiten – z.B. Drohungen u.a. in Form von gewalthaften Zeichnungen oder Schriftstücken, Misshandlungen oder Vorfälle mitgebrachter Waffen – nicht durch alle intra- und/oder inter-schulischen Instanzen (z.B. bei Schulwechsel) hindurch kommuniziert, sodass sich (potenzielle) Täter in gewisser Weise »unter dem Radar« bewegen (vgl. hierzu Newman et al. 2004: 253-259). Neben dem Einfluss einer gesamtgesellschaftlichen Ökonomisierung, der hierdurch gewandelten organisationalen Strukturen und Erwartungen an die Schüler sowie den in der peer group vorherrschenden Exklusions- und Marginalisierungsprozesse lassen sich auch auf der (medien-)kulturellen Ebene Einflussfaktoren konstatieren, die durchaus miteinander verwoben sind. Im Zuge eines gesteigerten medialen Interesses an school shootings – zumindest seit der Tat an der Columbine High School (1999) – und in Kombination mit dem Aufkommen des Internets stehen durch intensive Berichterstattungen über die Taten, die Täter und die über das Internet grenzenlos verfügbaren und kursierenden Videos, Abschiedsbriefe und andere Schriftstücke bisheriger Täter enorme Informationen zur Verfügung, die die Begehung eines school shootings und potenzielle Nachahmungstaten fördern können (vgl. Brumme 2011: 61-69; Faust 2010: 89-94; Newman et al. 230, 245-253; Waldrich 2007: 61-85). Die potenziell begünstigende Wirkung ist dabei das Resultat eines aus den unterschiedlichen Informationen entstehenden kulturellen Skripts, welches als Handlungsanleitung – als »›strategies of action‹ that they [the youths; A.B.] can draw on to resolve their social problems« (Newman et al. 2004: 148) – hierbei gleichermaßen als medial produziertes Problemlösungsmodell sowie als gestalterisch fungierendes »design of the rampage [Herv. i.O.]« (Newman et al. 2004: 252) zu verstehen ist und einen gewissen »code of conduct« vermittelt: Hierzu gehören u.a. ein etablierter Kleidungsstil ([para-]militärische, vorwiegend schwarze Kleidung), der Suizid des Täters nach der Beendigung der Tat, medial inszenierte prädeliktische Selbstdarstellungen und (quasi post-deliktische) Rechtfertigungen der Täter19 in unterschiedlichen Online- und Offline-Dokumenten sowie Informationen über bereits erfolgreich eingesetzte Waffen(-arsenale), deren Anwendung und Einsatz zusätzlich einen künftigen Platz in der »Ahnengalerie« (Faust 2010: 94) sichern kann (vgl. hierzu Brumme 2011: 61-69; Faust 2010: 89-94; Newman et al. 230, 245-253). Flankiert durch diese verfügbaren Informationen entwickelt sich somit auch das Design eines 19 Die Rechtfertigungen der Täter sind insofern als quasi post-deliktisch anzusehen, als sie bereits vor der Tat verfasst und/oder aufgenommen wurden, aber erst unmittelbar vor oder nach der Tat veröffentlicht werden. Bei Online-Veröffentlichungen ist dies bspw. über eine zeitlich definierte Freischaltung des Inhalts auf der Täterwebsite möglich.
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school shootings, welches mit der Ausübung von Macht verbunden ist und sich durch die Wahl spezifischer Schusswaffen, den potenziell produzierbaren Schaden, die Auswahl von Zielpersonen, zu beachtende taktische oder strategische Vorgehensweisen etc. ausdrückt. Und in diesem Sinne fungiert das kulturelle Skript als handlungserleichternde Kontrastfolie und Leitfaden (vgl. hierzu Newman et al. 2004: 230, 245-253).20 Verglichen mit ›klassischen‹ Amokläufen und school shootings lässt sich im Bereich der Erklärungsversuche und -ansätze von workplace violence eine relativ homogene Auffassung und Vorgehensweise konstatieren. Zwar sind auch hier unterschiedliche disziplinenspezifische Vorgehensweisen existent (z.B. aus der Psychoanalyse, dem Personalmanagement, der Soziologie und der Organisationsforschung), aber hinsichtlich möglicher Einfluss- und Wirkfaktoren liegt in gewisser Weise ein Konsens vor, der sich auf das (mehr oder weniger stark betonte) multifaktorielle Zusammenspiel struktureller, situativer bzw. intra-organisationaler sowie personaler Aspekte bezieht (vgl. Fox/Levin 1994; Fox/Spector/Miles 2001; Hoffmann 2010, 2011; Hutchinson 2012; Mullgn 1997; Neuman/Baron 1998; Scalora et al. 2003; Salin 2003; Tobbin 2001). Den Ausgangspunkt bildet hierbei zunächst die Ebene der strukturellen Faktoren. Im Kontext zunehmender Globalisierung und Wettbewerbsfähigkeit lassen sich hier Umstrukturierungsmaßnahmen feststellen, die – flankiert von den politisch intendierten und durch New Public Management 20 Neben der medialen Konstruktion dieses Skriptes ist aber auch in genereller Hinsicht eine (mehr oder weniger) kausale Wirkung im Bereich der Mediennutzung zu konstatieren, wobei Medienkonsum und besonders gewalthaltigem Medienkonsum allerdings keine monokausale Wirkung unterstellt werden kann (vgl. Brumme 2011: 61-69; Faust 2010: 85f.; Waldrich 2007: 36-53). Aufgrund vielfältiger Diskussionen über die Tragweite und das tatsächliche Ausmaß einer medialen Beeinflussung bei der Begehung von school shootings (siehe zur medientheoretischen Analyse exemplarisch Mikos 2003) sowie deren Irrelevanz im Kontext der hier vorliegenden Arbeit wird auf eine explizite Darstellung der kausalen Wirkung von (gewalthaftem) Medienkonsum verzichtet. Ebenso wird auch der Aspekt eines leichten Zugangs zu, einer zahlreichen Verfügbarkeit von sowie der relativ ungesicherten Aufbewahrung und des Besitzes von Schusswaffen innerhalb der Familie oder im Kreise der nächsten Verwandten und/oder Bekannten, die eine katalysierende Wirkung hinsichtlich der Senkung der (letzten) vorhandenen Hemmschwelle zur Begehung eines school shootings haben können (vgl. Newman et al. 2004: 230f.), hier nicht weiter thematisiert. Dies soll keineswegs bedeuten, dass diesen Faktoren für die Begehung eines school shootings sowie für die hier im analytischen Fokus stehenden campus shootings in genereller Hinsicht eine Bedeutung a priori abgesprochen wird. Aufgrund fehlender und ungesicherter Informationen wären Äußerungen zu diesen Aspekten aber rein spekulativ. Ob und inwiefern diese Faktoren auch bei campus shootings eine Rolle spielen, ist demnach eine Fragestellung weiterer Forschungen und Analysen.
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(NPM) begleiteten wirtschaftlichen Bestrebungen einer gesellschaftsrelevanten Restrukturierung des Arbeitsmarktes hin zu mehr Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit (gemäß dem privaten Wirtschaftssektor) – u.a. zu einer Automatisierung und Mechanisierung bisheriger Produktions- und Lieferprozesse oder zu Restrukturierungen der formalen Struktur von Organisationen führen (vgl. Hutchinson 2012: 637, 641; Jacobs/Scott 2011: 90; Mullgn 1997: 29; Salin 2003: 1224f.). Diese strukturell intendierten Veränderungen auf gesellschaftlicher Ebene wirken somit auf die Ebene der Organisationen ein und erzeugen hinsichtlich der situativen bzw. intra-organisationalen Umgebung unterschiedliche Arten der Beeinflussung, die die Begehung von Amoktaten am Arbeitsplatz begünstigen können. Diese Arten einer direkten und indirekten Beeinflussung sind u.a. das Resultat der NPM-bedingten Änderung formaler organisationsinterner Strukturen, wie z.B. Änderungen innerhalb der hierarchischen Struktur oder die Einführung neuer, auf Leistungsorientierung basierender Belohnungssysteme sowie Änderungen innerhalb der Organisationskultur, wenn bspw. bisherige normative Leitlinien und Werte durch die Prämissen einer Egoismus fördernden Effizienz und Wirtschaftlichkeit in Abhängigkeit von der finanziellen Vergütung (Strategie des ›Hauen-und-Stechens‹) in die bestehende organisationale Kultur implementiert werden oder diese gar ersetzen (vgl. Hutchinson 2012: 640; Salin 2003: 1220f.; Tobbin 2001: 93). So kann eine direkte Beeinflussung der situativen bzw. intra-organisationalen Ebene bspw. darin gesehen werden, dass aus Kosten-, Effektivitäts- und Wirtschaftlichkeitsgründen vorgenommene Verkleinerungen der Angestellten- und Mitarbeiterzahl durch Entlassungen und Gehaltskürzungen, budgetäre Einbußen der Gesamtmittel einer Organisation, die Einführung neuer Kommunikationsmedien und technischer ›Produktionshelfer‹ sowie die vermehrte Beschäftigung von Zeitarbeitern die Konflikte innerhalb der Belegschaft und die Konflikte zwischen Belegschaft und Führungsetage – aus Gründen einer subjektiv wahrgenommenen Ungerechtigkeit und vorherrschender Machtungleichheiten – erhöht werden können. Dies kann wiederum zu einer innerbetrieblichen Konkurrenzsteigerung beitragen, sodass damit das Aggressions- und Gewaltpotenzial einzelner Mitarbeiter drastisch erhöht wird (vgl. Baillien/De Witte 2009: 350; Baron/Neuman 1996: 167ff.; Salin 2003: 1219ff.; Scalora et al. 2003: 312). Indirekte Beeinflussungen, welche entlang der Veränderung(en) der Arbeitsatmosphäre konstatiert werden können, sind zwar ebenfalls mit dem organisationalen Wandel hin zu mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit verbunden, resultieren aber eher verdeckt hieraus. So können bspw. der geforderte Anstieg von Leistung und Produktivität und die damit verbundene Schaffung von intra-organisationalem Wettbewerb und Konkurrenz das vorherige intra-organisational institutionalisierte Sozialkapital zwischen den Angestellten gefährden, womit Elemente der Unterstützung, Hilfeleistung und gegenseitiger Anerkennung wegbrechen. Aufgrund einer hiermit (potenziell) verbundenen Strategie des ›Hauen-und-Stechens‹, als Ergebnis einer egoistisch rationalen Leistungssteigerung, können die Leistung(en) und die
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Effektivität der Kollegen und Mitarbeiter durch aggressive Verhaltensweisen unterminiert werden (vgl. hierzu Baillien/De Witte 2009: 351f.; Bourdieu 1983: 191ff.; Fox/Spector/Miles 2001: 292). Aber auch das Ausmaß der organisationalen Kohärenz, als das Ausmaß, in dem die Rhetorik des organisationalen Managements und der Führung mit den täglichen Erfahrungen der Mitarbeiter kongruent ist, kann indirekt aggressive Verhaltensweisen bis hin zu Amoktaten am Arbeitsplatz begünstigen (vgl. Hutchinson 2012: 641). Eine geringe organisationale Kohärenz, bspw. in Form von (subjektiv) erfahrenen Widersprüchen zwischen den managerial festgelegten organisatorischen Prinzipien einer quantitativ effektiven und effizienten ›sogünstig-wie-möglich‹-Produktion und die in der Praxis noch verankerte individuelle Auffassung einer diametral entgegenstehenden, qualitativ ›guten‹ Produktionsweise, kann einerseits die Schwelle für den Einsatz aggressiver Verhaltensweisen senken und andererseits Inkonsistenzen hervorrufen, welche die Identität der Angestellten, z.B. in Form von Rollenambiguitäten oder Rollenkonflikten, herausfordert (vgl. Fox/Spector/Miles 2001: 292; Hutchinson 2012: 641f.). Insofern wirken die direkten und indirekten Beeinflussungen – nicht zuletzt durch die reziproke Verbindung – auch in die personale Ebene hinein, wenn bspw. erfolgte oder bevorstehende Kündigungen und Gehaltskürzungen die individuelle Existenzsicherung sowie die soziale Anerkennung als Mitglied der erwerbstätigen Bevölkerung und die damit verbundene Kombination aus Fremd- und Eigenwahrnehmung der persönlich gestalteten Identität (verstärkt durch Rollenambiguität und -konflikte) bedrohen. Da es sich bei workplace violence aber ebenso wie beim ›klassischen‹ Amoklauf und bei school shootings um eine prozessuale Entwicklung hin zur Begehung der Amoktat handelt, führen sowohl die direkten als auch die indirekten durch die strukturellen Faktoren intendierten organisationalen Veränderungen zu einer intra-organisationalen Beeinflussung, welche aggressive Verhaltensweisen fördern und begünstigen kann. Im Kontext von workplace violence ist hierbei ebenso wie im Bereich von school shootings davon auszugehen, dass der spätere Täter Opfer dieser Schikanen und damit einhergehender Exklusionsprozesse ist (vgl. Baron/Neuman 1996: 167ff.; Beale/Hole 2010: 101; Fox/Levin 1994: 16-19; Kormanik 2011: 115; Lankford 2013: 262; Neuman/Baron 1998: 402ff.; Spry 1998: 232ff.; Tobbin 2001: 92f.). Finden die Exklusionsprozesse wiederholt und systematisch auf eine bestimmte Person gerichtet statt, sodass damit eine intra-organisational erzeugte Viktimisierung mit konstatierbaren sozialen Exklusionserfahrungen auftritt, und werden diese (subjektiv) als ungerecht empfundene Behandlung sowie der entstehende soziale Druck auf das Individuum möglicherweise auf intra-organisationaler Ebene noch durch Rollenkonflikte und/oder Rollenambiguitäten flankiert, wirkt diese negative Beeinflussung ebenfalls auf die (mögliche) Existenzangst und Anerkennungsproblematik im Bereich der personalen Faktoren. Als Ergebnis dieser multifaktoriellen (subjektiv wahrgenommenen) Einschränkung der Persönlichkeit erfolgen seitens des bis hierhin als Opfer zu beschreibenden späteren Täters Gewalthandlungen, die
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eine katalysierende Wirkung hinsichtlich der negativen Beeinflussung haben. Und diese dann als zielgerichtet einzustufenden ›Gegenangriffe‹ können in ihrer extremen Form zu einer Amoktat am Arbeitsplatz führen. Unabhängig von der spezifischen Ausrichtung auf unterschiedliche Subformen von Amoktaten im Kontext der soziologischen bzw. soziologisch orientierten Erklärungsansätze kann resümierend konstatiert werden, dass sich drei zentrale Aspekte über alle vorangegangenen Ansätze hinweg herausfiltern lassen, anhand derer die jeweiligen Subformen von Amoktaten analytisch gefasst und erklärt werden können: Identität, organisationale und strukturelle Veränderungen im gesellschaftlichen Kontext. Konkreter handelt es sich hierbei (1) um Prozesse der gesellschaftlichen Ökonomisierung hin zu mehr Effizienz, Effektivität und Leistungsdruck, die in historischer Perspektive mit dem Schlagwort des New Public Management zusammenfallen, (2) um damit verbundene und einhergehende Reformprozesse auf der Ebene gesellschaftlicher Institutionen bzw. Organisationen (Schulen und öffentliche wie betriebliche Arbeitsorganisationen) und (3) um die Auswirkungen der hierdurch bedingten und implementierten Restrukturierungsprozesse auf Ebene der Akteure, die sich in Identitäts- und Anerkennungsproblematiken innerhalb der interaktionalen Prozesse manifestieren. Aufgrund der eingangs erwähnten Hybridität von campus shootings, die aus der Mischung der bisher gängigen Subformen resultiert, müssen diese zentralen Aspekte somit auch in gewisser Weise für die Konzeptionalisierung eines soziologischen Erklärungsansatzes, welcher der These von Amoktaten an Universitäten als einer nicht-intendierten Nebenfolge der Hochschulreformen gerecht wird, eine Rolle spielen und berücksichtigt werden. Dabei ist der in dieser Arbeit vorgelegte Ansatz zur Erklärung von campus shootings – in Anlehnung an die eben angeführte Aufzählung – trichterförmig angelegt und aufgebaut. Dies bedeutet, dass die tatsächliche Erklärung von Amoktaten an Universitäten als identitätsbehauptende Handlung auf der individuellen Ebene zuvor aus den gesamtgesellschaftlichen und organisationalen Veränderungen hergeleitet werden muss, die für universitäre Akteure von Relevanz sind. Ein solcher Erklärungsansatz ist dabei in ein komplexes theoretisches Geflecht eingebunden, welches alle drei relevanten Erklärungsebenen der gesellschaftlichen Struktur, der gesellschaftlichen Organisationen – als intermediäre Instanzen der Vermittlung gesellschaftlicher Anforderungen an die Akteure – und letztlich die Ebene der Akteure selbst nicht nur berücksichtigen, sondern auch miteinander verbinden muss. Ausgangspunkt des hier konzeptionalisierten und vorgestellten Erklärungsansatzes ist dabei die allgemeine Entwicklung westlich moderner und differenzierter Gesellschaften im Zuge der Ölkrise der 1970er Jahre, die zu einem Umdenken und zu einer ersten Restrukturierung des öffentlichen Verwaltungssektors führte und letztlich in eine Ökonomisierung der Gesellschaft mündet (Kap. 2). Im Kontext der von Margaret Thatcher in Großbritannien, Ronald Reagan in den USA und etwas später von Helmut Kohl in Deutschland forcierten Politik des Einsparens staatlicher
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Ressourcen bei gleichzeitig und stetig steigenden Haushaltskosten wurde eine Anpassung öffentlicher Verwaltungen an privatwirtschaftliche Unternehmen vorgenommen, die unter dem Schlagwort des New Public Management (NPM) (Kap. 2.1) bis heute paradigmatisch mit einer neoliberal(istisch)en Politik verbunden ist und über verschiedene Elemente der Steuerung (u.a. Controlling, Reporting, Auditing) eine Rechenschaftsablegung von Organisationen hinsichtlich der politisch vorgegebenen Ziel- und Leistungserbringung in Kombination mit der Sanktionierung der hierfür bereitgestellten Mittel verlangt. Diese strukturellen Veränderungen, die von einzelnen Akteuren der jeweiligen politisch-administrativen Führung aufgrund einer benötigten Anpassung an die neu gegebenen Umweltverhältnisse (Finanzkrisen, steigende Staatsverschuldung, Aufrechterhaltung des Wohlfahrtsstaates) ins Leben gerufen wurden, wirken über die teilsystemische Gliederung innerhalb der differenzierten Gesellschaften handlungsprägend auf die Akteure, die als Mitglieder von Organisationen innerhalb der gesellschaftlichen Teilsysteme über ihre Handlungsfähigkeit gleichzeitig zur Aufrechterhaltung der neuen strukturell implementierten, handlungsprägenden und normativen Verhaltens- und Handlungsvorgaben beitragen (Kap. 2.2). Der für die Erklärung von campus shootings grundlegende gesellschaftliche Differenzierungsprozess hin zu einer Ökonomisierung der Gesellschaft und damit einer ökonomisierten individuellen Handlungsausrichtung ist dabei also auch das Resultat handelnden Zusammenwirkens von (einzelnen) Akteuren. Aufgrund der zunehmenden flächendeckenden intermediären Bedeutung von Organisationen, die einerseits über die Rolle organisationaler Mitgliedschaft(en) eine gesellschaftlich integrative Wirkung aufweisen und andererseits zwischen individuellen Interaktionen und Gesellschaft vermitteln, wird das NPM-basierte Credo der Effektivität, Effizienz und Wirtschaftlichkeit in alle Lebensbereiche einer derartigen Organisationsgesellschaft übertragen (vgl. Luhmann 1975a, 2000b: 81-122; Schimank 2005c: 19, 36). Als Folge hieraus durchdringt der ökonomische Primat alle gesellschaftlichen Teilbereiche, ändert die Erwartungsstrukturen an die einzelnen Akteure und wirkt über die teilsystemische Multi-Inklusion der vielfältigen Organisationszugehörigkeiten insofern auf alle gesellschaftlichen Bereiche zurück, als dass die teilsystemischen Handlungslogiken den ökonomischen Prinzipien der Effektivität und Effizienz angepasst werden: Die soziale (nicht-gewinnorientierte) Ausrichtung öffentlicher Verwaltungen und der (wohlfahrtsstaatlichen) Politik wandelt sich im Zuge dieser Intrusion zu einer gewinnorientierten (nicht-sozialen). So zielt bspw. die heilungs- und genesungsorientierte Ausrichtung des Gesundheitssystems nicht mehr auf vollständige Gesundheit der Patienten ab, sondern auf eine rein wirtschaftlich effiziente Behandlung im Rahmen der leistungsfixierten Fallpauschalen, und auch Bildung wandelt sich von qualitativen Wissenserwerb zum effizienzund zukunftsorientierten Humankapital (vgl. Bourdieu 1998, 2004; Münch 2009a, 2009b, 2010, 2011a; Krönig 2007; Schimank/Volkmann 2006, 2008). Der Wandel von qualitativer Bildung als Kulturgut hin zu einer effizienzorientierten Bildung im
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Sinne des Paradigmas des Humankapitals ist dabei in eine weitere gesellschaftliche Entwicklung eingebettet, die sich als Wandel zur Wissensgesellschaft beschreiben lässt. Konfrontiert mit globalen Wettbewerbsmärkten sowie einer steigenden Nachfrage an technische und technologische Errungenschaften und an ein generelles technisches und technologisches Fortschrittsstreben, muss Wissen zur treibenden Kraft von Gesellschaften werden, um letztlich deren Fortbestand und Weiterentwicklung zu sichern. Dies ist aber nur dann möglich, wenn produziertes Wissen auch wirtschaftlich vermarktet werden kann, was zu einer politisch intendierten Anpassung bzw. Angleichung von Wirtschaft und Wissenschaft führt – ähnlich der Entwicklung öffentlicher Verwaltungen. Und durch den Zusammenfall von Wirtschaft und Wissenschaft, innerhalb dessen Bildung als Kulturgut durch das effizienzorientierte Paradigma des Humankapitals verdrängt wird (vgl. Münch 2009a: 36), vollzieht sich als Folge der Ökonomisierung der Gesellschaft auch die Ökonomisierung der Universitäten (Kap. 3). Hierbei wird der dem NPM-inhärente Grundgedanke einer Ausrichtung auf Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit durch politisch-administrativ intendierte Reformmaßnahmen im US-amerikanischen und europäischen Raum (Bologna-Prozess) schließlich auf Universitäten übertragen. Wie öffentliche Verwaltungen sehen sich im Zuge dieser Entwicklung nun auch Universitäten mit einer Rechenschaftspflicht konfrontiert, die durch unterschiedliche Steuerungsinstrumente überwacht und hinsichtlich staatlich festgelegter Zielund Leistungsvereinbarungen auch gefordert wird. Durch die Zunahme des für die Erfüllung dieser Vorgaben steigenden Verwaltungsaufwandes führt dies zu einer institutionellen Differenzierung der Hochschulen im Sinne der Implementierung effizienter Managementstrukturen zur Umsetzung der Reformforderungen. Aufgrund der besonderen Situation der Einbettung von Universitäten in das wissensgesellschaftlich erzeugte, trilaterale Geflecht aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft bedeuten das politisch intendierte Reformbestreben und die damit verbundenen Restrukturierungen aber, dass sich die intern durch eine plurale Autonomie dezentraler Einheiten (Forschung, Lehre und Verwaltung) charakterisierten Universitäten als institutionalisierte Organisationen lose gekoppelter Teilbereiche (Kap. 4) neu organisieren müssen. Denn nur als von außen wahrgenommene einheitliche Organisation können Universitäten den externen Anforderungen rational-ökonomischen Handelns, als Blaupause des gesellschaftlich institutionalisierten und definierten Effizienz-, Effektivitäts- und Wirtschaftlichkeitskriteriums, gerecht werden. Aufgrund dieser vielfältigen internen und externen Verflechtungen sind Hochschulen somit »in ein komplexes Netzwerk wechselseitiger Abhängigkeiten und Bedingungen eingebettet, aus dem […] eine im Grunde unberechenbare diachrone wie synchrone Dynamik erwächst […] [u]nd so […] außer den intendierten Folgen externer Interventionen« (Clement 2003: 17) im Kontext der universitären Umstrukturierungen auch »Hybride mit nichtintendierten Wirkungen« (Münch 2009a: 60) entstehen. Die hieraus resultierenden Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte der Reform-
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maßnahmen (Kap. 5) wirken sich dabei wiederum auf die strukturelle, organisationale und individuelle Ebene aus, wobei die strukturellen und organisationalen Hybride, auf Basis der transintentionalen Gestaltungsbemühungen, als aus dem steten Modernisierungsprozess hin zu Wissensgesellschaften resultierende nicht-intendierte »Nebenfolgen zweiter Ordnung [Herv. i.O.]« (Beck/Bonß/Lau 2001: 32) angesehen werden können (vgl. Schimank 2003a: 247). Diese sind nicht nur aus dem gesellschaftlichen Entwicklungsprozess selbst entstanden, sondern können zugleich auch als positiv konnotierte und gesellschaftlich legitimierte Lösungen der bis dato von innen heraus in Frage gestellten ›Funktionskrise‹ gesellschaftlicher Institutionen und damit auch von Universitäten angesehen werden (vgl. Beck 1996: 26f., 69; Beck/Bonß/Lau 2001: 32f.; Böschen/Kratzer/May 2006: 13f.; Heidbrink 2010: 5; Kron 2010: 160). In Folge der Übertragung von NPM auf die Universitäten müssen diese in die neue Struktur eines Quasi-Marktes (Le Grand/Bartlett 1993) (Kap. 5.1) eingebettet werden, innerhalb dessen die traditionellen Strukturen universitärer Wissensproduktion – bedingt durch die externen Anforderungen der innovationspolitisch eingeführten Steuerung des Wissenschafts- und Universitätsbetriebes aufgrund des erkannten Funktionsdefizits – mit denen des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs, der Konkurrenz und einer zielgerichteten Steigerung der Qualität im Sinne einer erwarteten Bedürfnisbefriedigung bzgl. des ›gesellschaftlichen Profits‹ kombiniert werden (vgl. Kamiske/Umbreit 2008: 23; Krönig 2007: 103-111; Mayntz 1973a: 91f., 2005: 43f.; Münch 2010: 50; Terhart 2000: 809). Im Kontext dieses neu entstandenen Hybrids auf der strukturellen Ebene findet letztlich auch die Umstrukturierung der Universitäten hin zu ökonomisch orientierten Unternehmen statt (vgl. Münch 2011a: 68ff.). Auf der organisationalen Ebene zeigt sich dieser Prozess exemplarisch an der Form der »unternehmerischen Universität« (Clark 2001; Maasen/Weingart 2006) (Kap. 5.2), deren hybrider Charakter u.a. dadurch gekennzeichnet ist, dass »es sich nicht mehr um reine Organisationsstrukturen, aber auch nicht um bloße Marktkontrakte [handelt], sondern um eigentümliche Mischgebilde, die für das Business der Zukunft charakteristisch sind« (Bolz 2012: 2; vgl. Brandsen/ van de Donk/Putters 2005). Der von außen durch die politisch-administrativen Führungen an die Universitäten herangetragene umfangreiche Katalog an Anforderungen und umzusetzenden Maßnahmen, in Form der europäischen und amerikanischen Reformmaßnahmen – die stärkere Einbindung in den Austausch mit staatlichen, wirtschaftlichen und politischen Organisationen, die stärker zentralisiert gesteuerte und leistungsorientierte Mittelversorgung, eine stärkere finanzielle Abhängigkeit von der Privatwirtschaft und anderen unabhängigen Quellen zum organisationalen Überleben sowie die hybride Organisationsstruktur der unternehmerischen Universität im Kontext eines geschaffenen Quasi-Marktes –, erzeugt dabei einen universitären Isomorphismus (Kap. 5.3). Durch die extern erzwungenen Änderungen der universitären Strukturen, die Nachahmung privatwirtschaftlicher formaler Organisationsstrukturen und einem mit der inter- und intra-universitären Professio-
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nalisierung von Management einhergehenden zunehmenden normativen Druck in allen universitären Teilbereichen (Verwaltung, Forschung und Lehre) ändert sich schließlich auch der Wertekanon innerhalb der akademisch-wissenschaftlichen (Organisations-)Kultur (vgl. DiMaggio/Powell 1983, 2000; Hackett 1990: 246-265). Die einstigen Prinzipien und Verhaltensweisen der klassischen, nach qualitativem Wissen und Erkenntnis strebenden Akademia werden in diesem Kontext in ökonomischer Weise transformiert: Über die Evaluation finanzieller und wirtschaftlich verwertbarer (sprich: quantitativ messbarer) Qualität führt dies zu einer Änderung des Rollenbildes wissenschaftlicher Akteure, welches in die Sozialfigur des quantitativen Leistungsdruck erfüllenden und Eigennutz maximierenden homo academicus oeconomicus (Peter 2010; vgl. Münch 2011a: 94-99; Steinert 2010) mündet (Kap. 5.4). Der auf der individuellen Ebene entstehende Hybrid des homo academicus oeconomicus ist es dann auch, der im Geflecht der nicht-intendierten Nebenfolgen der strukturellen, organisationalen und individuellen Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte der Hochschulreformen Identitätsbedrohungen ausgesetzt ist, die zur Aufrechterhaltung und Wahrung der subjektiven Identität behauptet werden müssen (Kap. 7.2 und 7.3). Eingebettet in das durch die Reformmaßnahmen entstandene und implementierte, auf rein finanziell messbare Leistung fixierte Belohnungssystem des »Akademischen Kapitalismus« (Münch 2011a) nimmt der externe Erwartungsdruck an die Akteure zu. Die Erfüllung dieses Erwartungsdrucks in interaktionalen Prozessen kann dann zu Identitätsbedrohungen führen, wenn die identitätskonzipierenden Elemente der subjektiven Vorstellung, der normativen Erwartungen und der hierauf basierenden ausbalancierten Identitätsdarstellung nicht austariert werden können. Nimmt die subjektiv erfahrene Identitätsbedrohung dabei dauerhaft zu und kann durch den gezielten Einsatz von Identitätsbehauptungsstrategien und/oder möglichen Mitteln der Einflussnahme auf die in Interaktionen erfahrenen Bedrohungen nicht adäquat – im Sinne einer erfolgreichen Abwendung der Identitätsbedrohung – reagiert werden, so verbleibt die subjektiv gerechtfertigte Anwendung von Gewalt in Form der Begehung einer Amoktat als letztes Machtmittel der identitätsbedrohten Akteure, um ihre Identität in dieser Extremform des Rollenausstiegs zu behaupten. Und in diesem Sinne sind campus shootings als nichtintendierte Nebenfolge der Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte der Hochschulreform(en) zu verstehen.
2. Die Ökonomisierung der Gesellschaft
Die Rede von einer »Ökonomisierung der Gesellschaft« scheint innerhalb aktueller Debatten der letzten Jahre zu einem (erneuten gegenwartsdiagnostischen) Schlagwort für die Beschreibung moderner westlicher Gesellschaften des 21. Jahrhunderts zu avancieren (siehe bspw. Heuser 2001; Krönig 2007; Müntefering 2006; Schimank 2008; Schimank/Volkmann 2008). Neben dem hiermit verbundenen betont positiven »Wettbewerb« scheint aber auch eine Furcht vor dem wirtschaftlichen Kalkül zu bestehen, welches alle Bereiche der modernen »Leistungsgesellschaft« (Heuser 2001) durchzieht: Dabei wird das Streben nach Effizienz, Effektivität und persönlichem Erfolg begleitet von einem Verlust an persönlicher Sicherheit bspw. hinsichtlich eigener Zukunftssicherheit, die durch den etablierten Wettbewerb in allen gesellschaftlichen Teilbereichen – wie in der Politik, der Wirtschaft, auf institutioneller oder organisatorischer Ebene und bei den Ansprüchen an die Gesellschaftsmitglieder – herausgefordert wird (vgl. Heuser 2001; Krönig 2007: 9-13; Müntefering 2006; Schimank/Volkmann 2008: 382).1 Unter dem Schlagwort der Ökonomisierung wird hier aber kein Nebeneinander oder eine Integration ökonomi-
1
Dass Ökonomisierungs- und Rationalisierungstendenzen mit ihren Vor- und Nachteilen innerhalb moderner Gesellschaften kein neues Phänomen innerhalb gegenwartsdiagnostischer Beschreibungen sind, zeigen bereits u.a. die Arbeiten von Ritzer (1995) zur McDonaldisierung der Gesellschaft bzgl. Effizienzstreben und rational bedingter Kontrollierbarkeit, Habermas’ (1995) These der Kolonialisierung der Lebenswelt durch die Imperative der Wirtschaft, Sennetts (2000, 2007) Ausführungen zur notwendigen individuellen Flexibilisierung und der damit einhergehenden »neuen« Kultur des modernen Kapitalismus (siehe hierzu auch die Beiträge von Brüsemeister 2007a, 2007b und Heming 2007 in der Bestandsaufnahme soziologischer Gegenwartsdiagnosen von Schimank/ Volkmann 2007) oder bereits Simmels (2008) Beschreibungen der Auswirkungen auf die sich verändernde subjektive Lebensgestaltung mit ihren Vor- und Nachteilen einer Zweck-Mittel-Verdrehung aufgrund der spezifischen Philosophie des Geldes.
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scher Handlungslogiken und Werte in andere gesellschaftliche Teilbereiche verstanden, sondern eine Durchdringung dieser Teilbereiche durch den ökonomischen Primat. Diese Durchdringung basiert auf dem Eindringen ökonomischer Prinzipien in die anderen gesellschaftlichen Teilbereiche, bis deren eigene, bis dato vorherrschenden (natürliche, politische, künstlerische, soziale usw.) Prinzipien denen der Ökonomie unterliegen und durch Intrusion – im Sinne einer »feindlichen Übernahme« – ersetzt werden (vgl. Bourdieu 1998: 112-121; 2004: 120-129, 147-152; Krönig 2007: 13; Schimank/Volkmann 2006, 2008: 382f.). Begleitet werden diese prozessualen Veränderungen von dem im Neoliberalismus aufkommenden und hiermit verbundenen Schlagwort des New Public Management, das zugleich eine, wenn nicht sogar die, Erklärung für die Situation einer Verwirtschaftlichung der gesamtgesellschaftlichen Strukturen bietet; wie bspw. in den neueren Debatten um eine Ökonomisierung des Gesundheitssystems bzw. die Einführung und Etablierung eines Gesundheitsmanagements (siehe Drupp 2011; Fink 2009; Greiner 2011), die Ökonomisierung des Schulsystems (siehe Altrichter/Maag Merki 2010; Münch 2009a) oder im europäischen Kontext die durch Bologna bedingte Umstrukturierung des Hochschulsystems hin zu einem »Akademischen Kapitalismus« (Münch 2011a; Kap. 3 und 5). Als Ausgangspunkt dieser Veränderungen hin zu einer gesellschaftlichen Ökonomisierung kann auf die Entwicklungen der 1970er Jahre verwiesen werden, durch die in gewisser Weise der ›Grundstein‹ dieser Umstrukturierungen – u.a. aufgrund von zunehmender Staatsverschuldung und einer damit einhergehenden Restrukturierung öffentlicher Verwaltungen – gelegt wurde.
2.1 D IE (AUSGANGS -)B ASIS DER G ESELLSCHAFT
EINER
Ö KONOMISIERUNG
Im Zuge der durch den ersten Golfkrieg bedingten Ölkrise, einer damit einhergehenden Wirtschaftskrise sowie hoher Arbeitslosenzahlen und demografischer Veränderungsprozesse (Geburtenrückgang, Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung) wird in den Staaten der westlichen Industrienationen in gewisser Weise ein Funktionsdefizit der bisherigen Strukturen öffentlicher Verwaltungen ersichtlich. Die bisherige Struktur der statischen und eng hierarchisch strukturierten Verwaltungsapparate ist nicht mehr länger in der Lage, adäquat auf die dynamischen Umweltveränderungen zu reagieren. Die zum Erhalt dieser Strukturen potenziell benötigten enormen finanziellen Mittelaufwendungen können im Zuge gleichzeitig zunehmender Staatsverschuldung nicht aufgebracht werden, sodass im Kontext einer sich parallel entwickelnden Erfolgs- und Wachstumsrate privatwirtschaftlicher Unternehmen eine Angleichung des öffentlichen Verwaltungssektors an die Privat-
D IE Ö KONOMISIERUNG
DER
G ESELLSCHAFT
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wirtschaft angestrebt wird. Auf politischer Ebene wird die hieraus resultierende Reform des öffentlichen Verwaltungssektors durch neoliberalistische Elemente und Gedanken geprägt, woraus eine intendierte Dezentralisierung der bisherigen statischen Verwaltungsstrukturen hervorgeht. Unter dem Einfluss der Ölkrise Ende der 1970er Jahre geriet vermehrt das Problem der Gestaltung öffentlicher Verwaltungen in den Fokus der Politik (vgl. Luhmann 1989; Mayntz 1973a, 1973b, 1997; Scharpf 1989), was zu einer Umstrukturierung des öffentlichen Verwaltungssektors führen sollte, deren Auswirkungen bis heute relevant sind. War der öffentliche Sektor bis dato durch ein monokratisches Verwaltungsprinzip strukturiert, das in idealtypischer Hinsicht mit dem Bürokratisierungsmodell Webers (2005: 157-166) verknüpft wird2, wurden, durch die vom Ersten Golfkrieg bedingte Ölkrise und dem damit einhergehenden Ölpreisschock, die Mängel dieses Verwaltungssystems in virulenter Weise sichtbar (vgl. Budäus/Grü-
2
Für Weber (2005: 157-166) stellt die bürokratische Verwaltung innerhalb politischer Vereinigungen, wie sie auch Staaten darstellen, hinsichtlich der Festlegung, Pflege, Kontrolle und Beaufsichtigung der mit Gesetzen verbundenen und fixierten gesellschaftlichen Normorientierungen den »reinste[n] Typus der legalen Herrschaft« (Weber 2005: 159) dar. Die durch Beamte verwaltete und bürokratisch verankerte Herrschaft ist dabei durch eine strikte Trennung von den benötigten finanziellen Mitteln – die Verfügung der Mittel verbleibt in der Wertsphäre der Wirtschaft – und durch feste hierarchische Strukturen mit festgelegten Aufstiegsmöglichkeiten nach Alter oder Leistung sowie geregelten Pensionsansprüchen gekennzeichnet. Diese starren formellen Strukturen bedingen nicht nur eine enorme Berechenbarkeit seitens der Politik und der Bürger, sondern tragen dazu bei, dass »die bureaukratisch-monokratische aktenmäßige Verwaltung […] nach allen Erfahrungen die an Präzision, Stetigkeit, Disziplin, Straffheit und Verläßlichkeit […] formal rationalste, Form der Herrschaftsausübung [Herv. i.O.]« (Weber 2005: 164) ist. Und da dies zugleich der notwendige Typus der Verwaltung von Massen ist, besteht auf Seiten des Verwaltungsapparates ein materielles, sachliches und somit ideelles Interesse und Bestreben bzgl. des Organisationserhalts, ohne den moderne Gesellschaften westlicher Prägung ihren Fortbestand nicht mehr gewährleisten könnten. Schließlich fungiert die bürokratische Herrschaft als integratives Moment hinsichtlich des Zusammenhangs gesellschaftlicher Solidarität. So erfolgversprechend dieses Organisationsmodell der Bürokratie zwar für die Existenz und den Fortbestand politischer Verbände bis hin zu Staaten sein mag, so problematisch kann es für die einzelnen Beteiligten und Gesellschaftsmitglieder sein. Denn die festen Strukturen erschaffen ein »stählernes Gehäuse«, aus welchem die einzelnen Individuen nicht mehr ausbrechen können – die Folge hiervon ist eine Einschränkung persönlicher Freiheit trotz Modernisierungstendenzen (vgl. Schimank 2007a 49-63; Weber 1971: 320-350).
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ning 1998: 4f.; Grüning 2000: 11f.).3 Die enorme Statik dieses ein »stählernes Gehäuse der Hörigkeit« (Weber 1971: 320-350) erzeugenden Modells war den Anforderungen der sich verändernden Umweltbedingungen nicht gewachsen. »In Folge des Ölpreisschocks kam es zu länger anhaltenden Wirtschaftskrisen, zum gleichzeitigen Auftreten von Stagnation, Inflation und hohen Arbeitslosenzahlen (sog. Stagflation). Die nachlassende Wirtschaftskraft westlicher Volkswirtschaften führte zu sinkenden Steuereinnahmen, während gleichzeitig die Aufrechterhaltung der sozialen Sicherungssysteme […] mit wachsenden Krisentendenzen zusätzliche Finanzmittel erforderte. [Herv. i.O.]« (Budäus/ Grüning 1998: 4f.) 3
Obwohl Webers Modell der Bürokratisierung und Verwaltung als bevorzugter Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit Organisations- und Verwaltungsstrukturen herangezogen wird und als Idealtypus für eine monokratische Verwaltungsstruktur vielfältig kritisiert wurde und auch im Rahmen verwaltungswissenschaftlicher Analysen und Auseinandersetzungen immer wieder »als eine Art punching ball [verwendet wurde], um zu zeigen, dass er den Prinzipien moderner Verwaltung nicht gerecht werden könne« (Anter/Bruns/Duran 2010: 2), weist Mayntz (1965: 493) darauf hin, dass es sich hierbei in Teilen um eine Fehlinterpretation bzw. -definition des weberschen Modells handelt, da »sich [bspw.] die Organisationssoziologie […] gar nicht unmittelbar anknüpfend an Weber […] entwickelt [hat], sondern später und aus anderen Wurzeln« (Mayntz 1965: 493). Und auch Luhmann (1964: 31f.) verweist innerhalb seiner Beschreibungen formaler Organisationen darauf, dass, bezogen auf die bisherige »klassische Organisationslehre«, neben Weber auch andere Ansätze existent sind, wie z.B. Parsons’ (1960: 16-96) Beschreibung von Organisationen in modernen Gesellschaften, welche im Gegensatz zur Bürokratisierungstheorie durch eine interdependente Verflechtung technischer Systeme (zuständig für das, was produziert werden soll; z.B. Bildung), managerialer Systeme (zuständig für die Administration des Prozesses und die Vermittlung bzgl. des öffentlichen Interesses, z.B. eine Firma) und institutioneller Systeme (die einbettende Rahmung von Organisationen in einen übergreifenden Kontext, z.B. in die Struktur politischer Autorität) gekennzeichnet sind. Trotz der vehementen Kritik, die nicht zuletzt auch von Seiten der Organisations- und Verwaltungssoziologie geübt wurde, wird an Webers Modell – unter der Voraussetzung, dass es tatsächlich als idealtypisches Modell der reziproken Verbindung und des Spannungsverhältnisses zwischen Verwaltung und Politik angesehen und verstanden wird, und eben nicht als Strukturmodell moderner Organisationen – die Ineffizienz hinsichtlich der Anpassung an Umweltveränderungen deutlich (vgl. Mayntz 1965: 493-502). Und in dieser Hinsicht wird im Kontext der vorliegenden Arbeit auf Webers Modell Bezug genommen: eben nicht im Sinne einer kritischen organisationssoziologischen Untersuchung oder Auseinandersetzung, sondern um die Kritik der Ineffektivität und Ineffizienz bzgl. der Umstrukturierungsprozesse moderner Verwaltungen, wie sie innerhalb der New Public Management-Literatur angeführt wird, nachzeichnen zu können.
D IE Ö KONOMISIERUNG
DER
G ESELLSCHAFT
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Die starren, in der zentralisierten bürokratischen Struktur integrierten Verwaltungsstrukturen sind aufgrund des aus ihnen resultierenden und sie umschließenden »stählernen Gehäuses« nicht in der Lage, angemessen auf Umweltveränderungen zu reagieren, da dies ein Aufbrechen der zwingend benötigten, festgelegten und festen (Hierarchie-)Strukturen bedeuten würde. Eine derartige Änderung würde aber Webers Konzeption der zentralisierten bürokratischen Herrschaft aufbrechen und, zugespitzt formuliert, zu einem anomischen Herrschaftszustand führen. Zur Vermeidung dieser potenziell anomischen Tendenzen muss die entstehende Kluft überbrückt oder besser sogar geschlossen werden. Und diese Lücke kann nur dann erfolgreich geschlossen werden, wenn die starre zentralistische Struktur der öffentlichen Verwaltung dezentralisiert wird – im Sinne einer privatisierten Aufgabenauslagerung ähnlich dem Verwaltungs-, Management- und Organisationsmodell privatwirtschaftlicher Unternehmen auf dem freien Wettbewerbsmarkt der Wirtschaft (vgl. hierzu Budäus 1998: 11-32; Budäus/Grüning 1998: 5f.). Durch die Veränderungen der demografischen Situation (Geburtenrückgang, Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung) wuchs der Druck auf die Finanzierung der staatlichen Wohlfahrtsstrukturen, der mit den von privatwirtschaftlichen Unternehmen erreichten Erfolgs- und Wachstumsraten zusätzlich erhöht wurde (vgl. Budäus/Grüning 1998: 5; Schmidt 2008: 7). Als Folge hiervon »seien Finanzbasis und Regulierungskapazitäten des Staates allgemein eingeschränkt und als Reaktion hierauf soziale Standards und Umverteilungsleistungen heruntergefahren worden« (Schmidt 2008: 7), was der öffentlichen Wahrnehmung der parallelen Entwicklung eines qualitativ verbesserten Dienstleistungssektors (qualitative Verbesserung durch flexible Leistungsanpassung und -fähigkeit sowie Kosteneinsparungen durch moderne Informationstechnologien und dynamische Hierarchisierungen) diametral entgegenstand (vgl. Budäus/Grüning 1998: 5; siehe Sennett 2007). Diese situativen Veränderungen zwischen privatwirtschaftlichem und öffentlichem Sektor führten demnach nicht nur zu einer krisenhaften Entwicklung auf Seiten der Wertvorstellungen der Bevölkerung, was sich als Bürokratieverdrossenheit charakterisieren lässt, sondern auch »zu einer einschneidenden Veränderung für die Lage des öffentlichen Sektors« (Grüning 2000: 12), dessen statische Struktur ein Auseinanderklaffen zwischen den neueren Modernisierungstendenzen und den zu erbringenden Leistungen offenbarte (vgl. Budäus/Grüning 1998: 5; Grüning 2000: 12). Die steigende Modernisierungs- und Individualisierungstendenz innerhalb westlicher Industrienationen und die damit einhergehende Verlagerung bis dato vorherrschender materieller Grundsicherung hin zu mehr individueller Lebensqualität und Freizeitgestaltung auf der einen Seite (siehe Inglehart 1977; 1979; 1989; 1998 und kritisch zu Inglehart u.a. Lehner 1979; Klein/Pötschke 2000) prallt auf der anderen Seite auf eine wachsende Staatsverschuldung (generelle finanzielle Knappheit) sowie eine allgemein zunehmende Ressourcenknappheit als nicht-intendierte Nebenfolge der bisherigen Handlungsausrichtung (siehe Beck 1986). Zur Aufrechterhaltung der
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bisherigen statischen Strukturen des zentralisierten Bürokratieapparates werden immer mehr finanzielle Mittel benötigt, die allerdings im Rahmen zunehmender Internationalisierung (bzw. Globalisierung) und ökologischer Belastungen sowie deren Folgen nicht nur zu einem erhöhten Maß an Pluralisierung gesellschaftlicher Strukturen führen, sondern zeitgleich auch (neue) Probleme hinsichtlich der Sozialstruktur erzeugen – bspw. neue Armutstendenzen, Inadäquanz des Wohlfahrtssystems etc. (siehe Beck 1986, 2007, 2008) Diese weitreichenden Entwicklungen können unter dem Begriff der sogenannten Modernisierungs- und Leistungslücke zusammengefasst werden. Während auf der einen Seite die staatlichen Aufgaben enorm anwachsen, sinken zeitgleich die hiermit verbundenen Leistungen ab, sodass eine Kluft zwischen externen Ressourcen und internen Managementstrukturen der öffentlichen Verwaltung bzgl. der Bewältigung dieser Diskrepanz entsteht. »Die Folge all dieser Entwicklungen war, daß Staatsverständnis, Aufgaben, Strukturen und Handlungsmuster des öffentlichen Sektors in zahlreichen OECD-Staaten in Frage gestellt wurden und daß Politiker begannen, in ihre Wahlprogramme die Verkleinerung und die Reform der öffentlichen Apparate aufzunehmen.« (Budäus/Grüning 1998: 5)
Diese Krise innerhalb des öffentlichen Verwaltungssektors in einem Großteil der OECD-Staaten und die Forderung nach mehr Leistungssteigerung und Kundenfreundlichkeit von Seiten der Bürger veranlasste die politischen Entscheidungsträger, die durch die vielfältigen Krisen und Finanzierungsproblematiken konstatierte Dysfunktionalität des bisherigen idealtypischen Bürokratiesystems nicht nur einzugestehen, sondern auch hinsichtlich des Erfolgs privatwirtschaftlicher Unternehmen – welche bereits auf die dynamischen Umwelt- und Marktveränderungen durch eine Umstrukturierung des statischen Organisationsmodells reagiert hatten – flexibler, effizienter und leistungsorientierter umzugestalten (vgl. Borins/Grüning 1998: 12; Budäus 1998: 1f.; Budäus/Grüning 1998: 4f.; Grüning 2000: 12; siehe auch Aucoin 1995, 2008; Hood 1991). »Die durch sinkendes Wirtschaftswachstum veränderten Verteilungsspielräume, aber auch stagnierende und sinkende Profitraten generierten dann […] seit Mitte der 1970er-Jahre erste Debatten über eine Neujustierung der Wirtschafts- und Sozialordnung (Legitimationskrise des Sozialstaates) und der betrieblichen Strukturen.« (Ptak 2007: 83)
Der hiermit verbundene Weg vom Eingeständnis des Scheiterns bisheriger Verwaltungsmodelle durch die politischen Entscheidungsträger hin zur Umstrukturierung durch Reformen fällt in zeitlicher Hinsicht vor allem mit der politischen Machtübernahme Margaret Thatchers in Großbritannien zusammen (vgl. Borins/Grüning 1998: 12f.; Grüning 2000: 12f.). Thatcher nimmt in diesem Kontext insofern eine bedeutende Rolle für die weitere Entwicklung westlicher Staaten ein, da sie kurze
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Zeit vor Ronald Reagan in den USA4 und quasi leitend für die anderen angloamerikanischen Systeme (wie bspw. Kanada, Australien, Neuseeland) eine Politik verfolgte und umsetzte, die auf diese spezifischen Problemlagen zugeschnitten und deren »Referenzsystem das Management der privaten Wirtschaft [Herv. i.O.]« (Budäus/Grüning 1998: 6) war. Aber auch für den bundesdeutschen politischen Kontext war und ist das politisch Programm Thatchers, dessen zentrale Elemente dem Neoliberalismus zugeschrieben werden können und sich auf Privatisierung, Flexibilisierung, Deregulierung, Kundenorientierung und Wettbewerbschaffung der bisherigen staatlichen Aufgabenbereiche konzentrierten, seit der Übertragung der Reformierungen und Umstrukturierungen des öffentlichen Sektors durch Helmut Kohl – nach seinem Amtsantritt in den 1980er Jahren – von Bedeutung (vgl. hierzu Borins/Grüning 1998: 12f.; Budäus/Grüning 1998: 5f.; Engartner 2007: 87, 98, 107112; Giddens 1999: 11-25; Grüning 2000: 12ff.; Ptak 2007: 81-86). Der Übergang der bis dato vorherrschenden Grenzen benötigenden, souveränen nationalen Wohlfahrtsstaaten (Regulierungsstaaten) hin zu dem aus der Privatwirtschaft einfließenden globalisierten Sachzwang unterliegenden, Grenzen auflösenden bzw. grenzenlosen Wettbewerbsstaaten (Gewährleistungsstaaten) (vgl. Altvater 1994; Borins/ Grüning 1998: 14ff.; Schedler/Proeller 2006: 31-35) beinhaltet darüber hinaus »[d]ie Ablehnung eines mächtigen Staatsapparats, [als] ein erstes und wesentliches Charakteristikum des Neoliberalismus […] [sowie] [d]ie strikte Gegnerschaft zum Wohlfahrtsstaat […].« (Giddens 1999: 22, 24) »Ihm [dem Neoliberalismus; A.B.] gilt der Wohlfahrtsstaat als Quelle allen Übels, […]. [Aber] […] wie wird dann für Wohlfahrt gesorgt? Die Antwort lautet: durch das von Märkten erzeugte Wirtschaftswachstum. Wohlfahrt sollte nicht als staatliche Unterstützung verstanden werden, sondern als Maximierung des wirtschaftlichen Fortschritts und damit des allgemeinen Wohlstands, indem man die Märkte ihre Wunder vollbringen lässt.« (Giddens 1999: 24f.)
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An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass sich die Entwicklung der Reformierung und Umstrukturierung in Großbritannien und den USA auf unterschiedliche Arten vollzog. Nicht nur war die Ausgangslage der Reaktion auf das Scheitern der bisherigen Verwaltungsstrukturen eine andere – Thatcher reagierte auf die steigende Staatsverschuldung, die durch die Privatisierungsmaßnahmen eingedämmt und verlagert werden sollte, während Reagans Politik bei den zu hoch etatisierten Bundeszuschüssen für kommunale Verwaltungsstrukturen und einer hohen kommunale Steuerpolitik ansetzte –, sondern auch die hierzu verwendeten Instrumente der Steuerung unterschieden sich. Eine detaillierte Darstellung der länderspezifischen Reformierungen wird hier aber nicht verfolgt, da die zentralen und basalen Gedanken der Reformbewegungen, trotz unterschiedlicher Fokussierungen und Anwendungen, als homogen angesehen werden können (vgl. Budäus 1998: 1-4; Budäus/Grüning 1998: 7; Borins/Grüning 1998: 12f.; Grüning 2000: 12-23).
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Zur Umsetzung dieser zentralen (neoliberalistisch geprägten) Elemente und Gedanken hinsichtlich der Umstrukturierungen und Reformierungen des öffentlichen Sektors bediente man sich schließlich eines spezifischen – aus Praxisansätzen evolvierten – (neuen) Steuerungsmodells, das trotz unterschiedlicher Ausrichtungen und Ansätze unter dem Label des New Public Management zusammengefasst werden kann (vgl. Budäus 1998: 1; Budäus/Grüning 1998: 6f.; Grüning 2000: 15f.). 2.1.1 New Public Management Zur Umsetzung der politisch intendierten Reformierungen und Umstrukturierungen des öffentlichen Verwaltungssektors wird auf das neoliberalistische Steuerungsmodell des New Public Management zurückgegriffen. Als Konglomerat von Managementansätzen aus der Public-Choice-Theorie und dem Public Management zielt New Public Management dabei im Kern auf eine Entmonopolisierung staatlicher Leistungsstrukturen mit einhergehender Einschränkung staatlicher Tätigkeiten und Entscheidungsprozesse ab. Begleitet werden diese intendierten Maßnahmen durch die Einführung und Implementierung von Evaluationsinstrumenten zum Leistungsvergleich mit dem privatwirtschaftlichen Unternehmenssektor. Im Kontext einer extern definierten Ziel- und Leistungsorientierung mit daran gekoppelter finanzieller Mittelzuweisung werden somit ein lenkendes und steuerndes Eingreifen in die Strukturen öffentlicher Verwaltungen sowie die notwendige dynamische Umweltanpassung dieser bisher statisch strukturierten Organisationen möglich. Das Konzept des New Public Management (NPM) unterliegt bzgl. seiner Grundlagen einer Vielfalt von Einflüssen theoretischer sowie praktischer Art, wobei zwei Konzepte als allgemein maßgebend für die zentralen Ideen und Ergebnisse angesehen werden können: zum einen die Public-Choice-Theorie und zum anderen die Theorie des Public Management bzw. der sogenannte Managerialismus (vgl. Aucoin 1990: 115-119; Borins/Grüning 1998; Hood 1991: 5f.; Schedler/Proeller 2006: 47f.; Vogel 2006: 59-77; siehe auch Aucoin 2008).5 Während sich die PublicChoice-Theorie – auf Basis der ökonomischen Entscheidungstheorie und des Menschenbilds des rational handelnden homo oeconomicus gemäß dem methodologi-
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Dass innerhalb der Literatur von der Formel »NPM = Public Choice + Managerialismus« ausgegangen werden kann, führt bspw. Vogel (2006: 59ff.) an, der diese Formel – trotz Schwierigkeiten und Problemen der beiden (heterogenen) Ansätze, die scheinbar lediglich zur theoretischen Legitimation der Praxiserfahrungen herangezogen wurden – anhand der Durchsicht von ca. 50 unterschiedlichen (internationalen) Publikationen als hinreichend belegt sieht.
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schen Individualismus6 – auf Vergleiche zwischen politischen und wirtschaftlichen Leistungen im Rahmen von Entscheidungsprozessen konzentriert, befasst sich die Theorie des Public Management bzw. des Managerialismus mit der kapazitätssteigernden Entbürokratisierung von Organisationen durch die Implementierung moderner Managementansätze und -strukturen (vgl. Borins/Grüning 1998: 16-19; Grüning 2000: 118-125; Schedler/Proeller 2006: 48ff.; Vogel 2006: 59-77). Public Management kann somit als Konglomerat von Managementansätzen angesehen werden, deren Reformgedanken »consist of deliberate changes to the structures and processes of public sector organizations with the objective of getting them (in some sense) to run better [Herv. weggelassen, A.B.]« (Pollitt/Bouckaert 2004: 8). So hielten auf der einen Seite die Ideen der Umfangseinschränkung staatlicher Tätigkeiten und Entscheidungsprozesse sowie die Forderung der Entmonopolisierung staatlicher Leistungsstrukturen, kombiniert mit der Implementierung von Evaluationsinstrumenten und -mechanismen zum Vergleich staatlicher Güter mit den auf dem (freien) Markt gehandelten Gütern, aus der Public-Choice-Theorie Einzug in die konzeptionelle Gestaltung des NPM (vgl. Schedler/Proeller 2006: 48ff.). Beide Ideen können hierbei als Reaktion auf festgefahrene staatliche Monopolstrukturen und deren inhärentes Prinzip der Gewinnmaximierung gesehen werden. Die Idee der Umfangseinschränkung wurde maßgeblich durch die Kritik am sogenannten Phänomen des rent-seeking beeinflusst. Hierbei wirkt sich das allgemeine Gewinnstreben der rational handelnden (politischen) Akteure auf die Gewinnsteigerung der eigenen Rendite(n) aus, sodass hiermit »enorme Wohlfahrtsverluste verbunden sind, bedingt durch systemimmanente Ineffizienzen und Verschwendungen« (Schedler/Proeller 2006: 49). Denn die politischen Tätigkeiten und Ziele werden dem Kampf um eine persönliche, gewinnorientierte Renditengestaltung untergeordnet und die hierbei anfallenden Kosten, ohne besondere Furcht vor Sanktionierungen, auf die Allgemeinheit übertragen (vgl. Grüning 2000: 173ff.;
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Eine Auffassung, die in der Soziologie u.a. paradigmatisch dem Theorieprogramm von Schmid (1998, 2004, 2006), Maurer/Schmid (2010) und Esser (1999a, 1999b, 2000a, 2000b, 2000c, 2000d, 2001) entspricht: Eine Erklärung sozialer Phänomene auf Basis einer – an das aus den Naturwissenschaften stammende, deduktiv-nomologische Erklärungsmodell Hempel/Oppenheims (1948) angelehnten – (zwingenden) mikroperspektivischen Fundierung rational handelnder Akteure, die sich ausgehend von der Situationsdefinition über unterschiedliche Mechanismen und Prozesse der rationalen Handlungswahl für eine Handlungsalternative entscheiden und deren handelndes Zusammenwirken als aggregierte Transformation der individuellen Handlungswahlen das im Fokus der Analyse stehende Phänomen erklären (siehe hierzu auch Kron 2005: 52-67, 2010: 53-87; Kron/ Winter 2006, 2012; Schimank/Kron/Greshoff 2002).
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Schedler/Proeller 2006: 48f.; siehe Krueger 1974: 291; Tullock 1967).7 Und auch die Stoßrichtung des Entmonopolisierungsbestrebens ist als Reaktion auf das allgemeine Gewinnstreben innerhalb politischer Entscheidungsprozesse zu werten: ist doch »[d]ie monopolistische Verhandlungsmacht von Verwaltungseinheiten […] massgeblich [sic!] für die Durchsetzung von Budgetmaximierungsstrategien verantwortlich« (Schedler/Proeller 2006: 49). Demgemäß sollten die festen, monopolistischen staatlichen Entscheidungs- und Handlungsstrukturen aufgebrochen und mit der Einführung marktinterner Mechanismen – wie bspw. Dezentralisierung bisheriger staatlicher Aufgabenbereiche, Änderung organisatorischer Strukturen hin zu Effektivität und Effizienz, interne Verrechnung oder leistungsorientierte Finanzierung mit Anreizgestaltungen – sowohl Leistungsfähigkeit als auch Wettbewerb eingeführt und gefördert werden (vgl. Budäus 1998: 3ff.; Grüning 2000: 16-20; Schedler/Proeller 2006: 49; Vogel 2006: 66-70). »Diese beiden wichtigen Schlussfolgerungen und Forderungen der Public Choice Theorie widerspiegeln [sic!] sich in einzelnen Elementen des NPM-Werkzeugkastens, wie zum Beispiel die NPM-Methoden und Instrumente der Privatisierung, der Auslagerung, aber auch die Rollenteilung zwischen Finanzierer, Bereitsteller und Erbringer, welche im NPM eine prominente Stellung einnimmt.« (Schedler/Proeller 2006: 49f.)
Auf der anderen Seite kann der Einfluss des Public Management in der Aufhebung des prognostizierten »stählernen Gehäuses« (Weber 1971: 331) der »legalen Herrschaft […] mittels bureaukratischen Verwaltungsstabs [Herv. i.O.]« (Weber 2005: 162) gesehen werden. Die Macht dieses »stählernen Gehäuses« besteht in der Einschränkung individueller Entfaltungsmöglichkeiten durch die starren Verwaltungsund Organisationsstrukturen (vgl. Weber 1971: 331ff.), welche somit nicht nur die Kreativität der einzelnen Akteure bzgl. (neuer) Lösungskonzepte eindämmen, sondern gesamtgesellschaftliche Folgen im Sinne einer »société bloquée« (Crozier 1970) nach sich ziehen können: eine Gesellschaft, welche durch die starre, zentralistische Organisation ihrer bürokratischen Strukturen in einen verkrusteten Zustand geraten ist, in dem die strikte endogene Verwaltungsstruktur nicht mehr angemessen auf exogene Änderungen reagieren kann, sodass eine Blockierung der gesellschaftlichen Strukturen entsteht, die nur in extremen Krisensituationen (zumindest 7
Wenn bspw. von Seiten der Politik den Bürgern im Wahlkampf eine Verbesserung des Gesundheitssystems ›verkauft‹ wird, welche die Wiederwahl oder den Erhalt vieler Wählerstimmen zum Fortbestand der eigenen Einkommenszahlung sichern, die Verbesserung selbst aber dann nicht vom ›Kostenverursacher‹ getragen wird, sondern umgelegt auf das Gemeinwohl gleichzeitig auch noch einen höheren Preis erfordert, als er bei bestimmten, qualitativ ›besseren‹ Behandlungsmethoden im Einzelfall unter Annahme eines frei wählbaren und gehandelten Marktgutes zu zahlen wäre.
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zeitweise) durch Problemlösungsstrategien aufgelöst werden kann (vgl. Crozier 1970; Schimank 2007a: 62). Und diese Verkrustungen staatlicher (und allgemeiner) Organisationsstrukturen sollen durch die Erweiterung des Möglichkeitenspielraums von Führungskräften hinsichtlich eines lenkenden Eingreifens in die Strukturen selbst aufgebrochen werden, das sowohl den Erfolg der Organisation als auch deren Anpassungsfähigkeit auf dem Markt steigert und flexibilisiert (vgl. Schedler/ Proeller 2006: 50). Um dieses Phänomen auf der Ebene der öffentlichen Verwaltung zu umgehen, werden unter dem Sammelbegriff des Public Management bzw. Managerialismus heterogene Managementansätze und -konzepte hinsichtlich eines erfolgreichen Managements von Organisationen zusammengefasst und von der Praxis für die Praxis empfohlen (vgl. Borins/Grüning 1998: 20f.; Schedler/Proeller 2006: 50; Vogel 2006: 71). Unabhängig von der Vielzahl der hierbei zugrundeliegenden, hinsichtlich ihrer analytisch-organisatorischen Perspektive rational oder organisch argumentierenden Managementkonzepte (vgl. Borins/Grüning 1998: 23f.)8 kann festgehalten werden, dass die oben angeführte eingeschränkte Kreativität im bisherigen starren Verwaltungsmodell durch Flexibilität, dezentralisierte Aspekte bzgl. der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und die subjektiv-personale Bindung an diese in Form budgetierter Leistungskopplung, durch Feedback-Schleifen zwischen den einzelnen Managementebenen und den Angestellten, eine stärkere Dienstleistungs- und Kundenorientierung durch Schaffung von Anreizstrukturen sowie eine zunehmende Ergebnisorientierung wieder in die Strukturen der öffentlichen Verwaltung eingeführt werden sollte (vgl. Grüning 2000: 344-392; Osborne/Gaebler 1997: 10-32 ). Kurz gesagt sollten Konzepte unternehmerischen Denkens aus den privatwirtschaftlichen Dienstleistungssektoren auf die öffentlichen Verwaltungen übertragen werden. Diese sollen in ihrer Ausrichtung und Aufgabenbewältigung zwar nicht primär zu privatwirtschaftlichen Unternehmen umfunktioniert, aber dennoch vorrangig unternehmerischer gestaltet werden, sodass der, in Anlehnung an Grüning (2000: 354) zugespitzt formulierte, Irrglaube an die durch strikte hierarchische Regeln und Regelungen suggerierte Unsterblichkeit einer Behörde gemäß dem weberschen Verwaltungsidealtypus erkannt und aufgegeben werden konnte (vgl. Borins/Grüning 1998; Vogel 2006: 76). Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass »[d]er Einfluss des Public Management auf das NPM […] allgemein in der Stärkung und Betonung von Managementaspekten im öffentlichen Sektor [liegt] und […] sich in der Aufnahme verschiedener Managementtechniken und Managementansätze im NPM« äußert (Schedler/Proeller 2006: 50).
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Einen guten Überblick hierzu bietet Grüning (2000: 344-392).
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2.1.2 Grundannahmen im New Public Management New Public Management, als der Reformierung des öffentlichen Sektors zugrunde liegendes neoliberalistisches Steuerungsmodell, beruht im Kern auf den Grundannahmen der Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung von Organisationsmitgliedern, die weiterhin nach sozialer Sicherheit streben und die kontraktuellen Grundlagen der Gesellschaft und ihrer Organisationen nicht ablehnen. Diese Annahme spiegelt sich auch in der Auffassung wider, dass New Public Management den Staat als zentrales Verantwortungsinstrument für die Gesellschaftsmitglieder nicht ablehnt und auch keine vollständige Privatisierung staatlicher Gefüge anstrebt. Denn ein funktionierendes und kontrollierbares Verwaltungssystem ermöglicht erst die mit den Reformmaßnahmen verbundene Umstrukturierung der statischen Strukturen hin zu einer dynamisch angelegten Effizienz- und Effektivitätsausrichtung auf der Basis umweltbezogener Kontroll- und Zielsetzungsmechanismen, die im Kontext der Einführung marktähnlicher Mechanismen in den Verwaltungssektor der Entbürokratisierung der als lernfähig anzusehenden Verwaltungsorganisationen dienlich sind. Aus den bisherigen Darstellungen geht hervor, dass wesentliche Bestandteile des auf Public-Choice-Theorie und Public Management beruhenden New Public Management nicht als sonderlich neu oder revolutionär einzustufen wären, waren doch »einzelne Elemente durchaus bereits vor NPM bekannt […] und […] [i]m NPM wurden diese nun kombiniert und in ein zusammenhängendes Steuerungsmodell gefügt« (Schedler/Proeller 2006: 51). Wie bei allen theoretischen Konzeptionen und Ansätzen zur Erklärung bestimmter Sachverhalte oder deren Hinweis auf verändernde Mechanismen zum Erhalt durch Veränderung, liegen auch dem NPM spezifische Grundannahmen und Wertvorstellungen zugrunde, die für dessen Verständnis unabdingbar sind: ein optimistisches Menschenbild, die Notwendigkeit des Staates und öffentlicher Verwaltungseinrichtungen, der Gedanke der Effizienz und Effektivität, die Möglichkeit eines rationalen Public Management, Wettbewerb als Grundlage des Effizienz- und Effektivitätsgedankens sowie die Lernfähigkeit von Staat und öffentlicher Verwaltung (vgl. Schedler/Proeller 2006: 51-57).9 Das dem NPM zugrunde liegende Menschenbild ist insofern optimistisch, als es von einem Akteur ausgeht, der als verantwortungsbewusst handelnder Mensch einer intrinsischen Motivation folgend gute Arbeit leisten will, wobei der hierbei integrierte individuell geforderte Entscheidungsspielraum bzgl. der eigenen Handlungen von einer Situationsoffenheit hinsichtlich der Fähigkeit zur Umweltanpassung
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Sofern nicht anders angegeben und kenntlich gemacht, beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen auf die gute Zusammenfassung von Schedler/Proeller (2006: 51-57).
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begleitet wird. Handelt es sich beim Bestreben, gute Arbeit zu leisten, um die Suche nach einer individuellen Ansprüchen genügenden Aufgabe – d.h. einer Aufgabe, mit der man sich nicht nur selbst identifiziert, sondern die auch ein (die eigene Integration ermöglichendes) soziales Umfeld mit sich bringt –, so ist der hiermit verbundene »relativ […] [hohe] Grad von Vorstellungskraft, Urteilsvermögen und Erfindungsgabe für die Lösung organisatorischer Probleme« (Schedler/Proeller 2006: 52) nicht nur bei einzelnen Eliten vorhanden, sondern durchzieht den Großteil der gesamten Bevölkerung.10 Und diese Prämissen sind darüber hinaus hierarchieunabhängig: »Menschen auf unterschiedlichen Hierarchiestufen sind prinzipiell gleich, werden jedoch durch ihre Aufgabe geprägt.« (Schedler/Proeller 2006: 52) Aufgrund dieser Basis setzt NPM im Rahmen der angestrebten strukturellen Änderungen von bürokratischen Verwaltungs- und Organisationsapparaten, im Gegensatz zur oben erwähnten Public-Choice-Theorie, eben nicht auf Kontrollinstanzen und negative Sanktionierung, sondern fokussiert in erster Linie sowohl die Eigenverantwortung der einzelnen Mitglieder als auch die notwendigen, auf Vertrauen und Glaube an Verträge basierenden, kontraktuellen Grundlagen zum Erhalt der neuen Organisationsstrukturen.11 Dabei lehnt NPM die Existenz und Strukturen öffentlicher Verwaltungen und Staaten nicht ab. Im Gegenteil: »Die Grundprämisse, dass der Staat und die öffentliche Verwaltung für eine funktionierende (d.h. in Frieden koexistierende) Gesellschaft notwendig sind, beeinflusst die Argumentation des NPM massgeblich [sic!]: der Staat soll nicht ›abgeschafft‹ bzw. durch radikale (Voll-) Privatisierung zurückgedrängt werden. Vielmehr will ihn NPM in seiner Funktion stärken, indem es neue Kompetenzen und schlankere Strukturen schafft, um ihn den heutigen Anforderungen anzupassen.« (Schedler/Proeller 2006: 53f.)
Dementsprechend bildet der Staat weiterhin das zentrale Verantwortungsinstrument für die Gesellschaftsmitglieder, da eine vollständige Privatisierung von Gesellschaften nicht angestrebt wird – wie viel dieser Verantwortung allerdings noch auf Seiten 10 Hiermit verbunden ist die Vorstellung von einzelnen Akteuren als complex man (vgl. Schedler/Pröller 2006: 51f.). Im Gegensatz zu einem Menschenbild gemäß dem economical man, dessen Motivation solitär von Geld abhängt, oder dem social man, dessen soziale Motive auch bei der Arbeit befriedigt werden können, zeichnet sich der complex man durch eine differenzierte Motivstruktur aus, die nach Sicherheit, sozialer Anerkennung und nach sozialen Kontakten strebt, wobei die Motivstruktur dabei stets selbstbestimmt ist (vgl. Wellhöfer 2012: 108). 11 Ein Ansatzpunkt, der auch stark an Durkheims (1960) Argumentation bzgl. der Entwicklung und des Erhalts moderner Gesellschaften auf Basis der integrierenden Berufsgruppen zur Aufrechterhaltung der moralischen Grundlegenden der nicht-kontraktuellen Grundlagen des Gesellschaftsvertrages erinnert (siehe auch Schimank 2007a: 26-41).
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des Staates verbleibt, ist eine Entscheidung, die der Politik als zentralem innerstaatlichen Steuerungsorgan (hinsichtlich der Verwirklichung kollektiv angestrebter Ziele) obliegt (siehe Luhmann 1981; Münch 1984; Parsons 1996). Befasst sich NPM folglich nicht mit einer zentralen Staatskritik und demzufolge auch nicht mit einer Kritik an den grundlegenden Prinzipien der Legalität und Legitimität staatlicher Herrschaft und deren Strukturen, wird »[a]ls Hauptproblem unserer Verwaltung […] die mangelnde Effizienz und Effektivität [erlebt]« (Schedler/ Proeller 2006: 54). Dementsprechend sind etablierte und funktionierende staatliche Gefüge, die nicht zwangsweise nach westlichem Vorbild demokratisch organisiert sein müssen, »Grundvoraussetzung für ein Funktionieren des NPM [Herv. i.O.]« (Schedler/Proeller 2006: 54). D.h. ein »kontrollierbares Verwaltungssystem und ein stabiles politisches System [werden] vorausgesetzt« (Schedler/Proeller 2006: 55), damit die Steuerungsinstrumente des NPM (Kap. 2.1.3) die bisher vorhandenen Strukturen überhaupt an die, auf Effizienz und Effektivität basierenden, neuen Kontroll- und Zielsetzungsmechanismen ausrichten kann. Ähnlich modernen privatwirtschaftlichen Organisationen, die wie eingangs erwähnt durch Kernaspekte der zweiten Hauptströmung des NPM (der Public-Management-Theorie) durch Umstrukturierung verbessert und entbürokratisiert wurden, werden innerhalb des NPM staatliche Organisation ebenfalls als komplexe, den privatwirtschaftlichen ähnliche, moderne Organisationen aufgefasst. Dementsprechend gilt dann auch für staatliche Organisationen die Prämisse, dass manageriale Techniken und Ansätze aus der Privatwirtschaft auf die komplexe Organisation der staatlichen Institutionen bzw. dessen Verwaltungsstabes übertragen werden können und deren Implementierung ebenfalls zu einer Entbürokratisierung und Effizienzsteigerung führt. Damit sich dies aber realiter vollziehen kann, werden die ebenfalls aus dem privatwirtschaftlichen Sektor stammenden Instrumente der erfolgversprechenden Ziel- und Leistungsvereinbarungen übernommen. Denn: »Nur klar ausformulierte und operationalisierte Ziele ermöglichen die Kontrolle der Einhaltung solcher Vereinbarungen.« (Schedler/Proeller 2006: 55) Doch die erfolgreiche Übertragung und Implementierung derartiger Ziel- und Leistungsvereinbarungen, im Sinne einer erfolgreichen Veränderung der bisherigen Strukturen hin zu mehr Effizienz und Effektivität mit gleichzeitiger Entbürokratisierung, ist an den Erhalt bestimmter (finanzieller) Mittel gekoppelt, über deren Vergabe im privaten Sektor wiederum der Marktmechanismus des Wettbewerbs auf Basis eines hohen Konkurrenzdrucks entscheidet. Und somit »versucht man im NPM, möglichst weitgehende Marktmechanismen im öffentlichen Sektor zu installieren« (Schedler/Proeller 2006: 56), wobei der versprochene Erfolg derartiger Umgestaltungsprozesse auf einer postulierten erhöhten Lernfähigkeit im Sinne einer adäquaten Umweltanpassung von Politik und Verwaltung basiert (siehe auch Luhmann 1998: 413-594; 2000a: 407-434). Der Gesamtkomplex der Restrukturierungs- und Reorganisationsprozesse wird hierbei unter Zuhilfenahme spezifischer Elemente gesteuert.
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2.1.3 Steuerungselemente des New Public Management12 Das Ziel einer effizienten, effektiven und wirtschaftlichen Umstrukturierung des öffentlichen Verwaltungssektors, welches mit der Implementierung marktähnlicher Strukturen einhergeht und Privatisierungs- und Dienstleistungsbestrebungen hervorruft, die sich aktiv an den Leistungsbedarfen der Bürger als Kunden zu orientieren haben, wird im New Public Management mithilfe unterschiedlicher Steuerungselemente angestrebt. Im Zuge einer generellen Neuverteilung von Kompetenzen, innerhalb derer der Staat lediglich die Rahmenbedingungen und die zu erreichenden Ziele bzgl. der Kundenbedarfe definiert (Was-Komponente), obliegt die Erfüllung dieser Ziele eigenverantwortlich den öffentlichen Verwaltungsorganisationen (WieKomponente). Die Kontrolle und Überwachung hinsichtlich dieser Leistungserfüllung – im Sinne einer Qualitätssicherung und eines Qualitätsmanagements – sowie eine bei Nicht-Erfüllung der vorgegebenen Ziel- und Leistungsvereinbarungen stattfindende Sanktionierung in Form finanzieller Mittelkürzungen, erfolgt dabei über interne und externe Informations- und Prüfsysteme zur Sicherung und Aufrechterhaltung der u.a. durch die Kundenbedarfe definierten Qualität der angebotenen Dienstleistungen (Auditing-Verfahren) sowie über die Schaffung von interund intra-organisationalem Wettbewerb und einem damit verbundenen Leistungsund Qualitätsvergleichsmaßstab bzw. -vergleich der öffentlichen Verwaltungen (Benchmarking). Die mit den Wirtschafts- und Finanzkrisen einhergehenden und zunehmenden Staatsverschuldungen zwangen aber nicht nur zu einer generellen Umstrukturierung der Verwaltungsstrukturen, sondern führten aufgrund der allgemeinen finanziellen Knappheiten letztlich auch zu Privatisierungs- und Dienstleistungsbestrebungen der öffentlichen Verwaltungen und der hier zuvor verankerten Aufgaben- und Leis-
12 Bevor im Folgenden einige Aspekte dieser Eingriffsmechanismen dargestellt werden, soll darauf verwiesen werden, dass hier eine vollständige Auflistung der Steuerungselemente nicht vorgenommen wird. Zwar »liegen zahlreiche Auflistungen der wichtigsten Bestandteile vor, und alle gleichen sich in außerordentlich hohem Maße« (Grüning 2000: 16), aber aufgrund der spezifischen Bindung an die Verwaltungswissenschaften sind nicht alle dieser Aspekte im Kontext dieser Arbeit relevant. Aus Gründen der konkreten Ausrichtung auf den akademischen Bereich sollen auch nur diejenigen Elemente angeführt werden, welche im weiteren Verlauf bzgl. der Umstrukturierung und Reorganisierung des akademischen Bereichs anschlussfähig sind. Aus diesem Grund wird bei der Anführung der relevanten Steuerungselemente im Folgenden auch bereits auf die Entwicklung und Auswirkung im und für den universitären Kontext skizzenhaft hingewiesen, um den Anschluss an die folgenden Kapitel zu verdeutlichen.
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tungsbereiche (vgl. Grüning 2000: 16f.). Denn »Privatisierung kann eine vernünftige Problemlösung sein, wenn die bereitgestellten Güter marktfähige Gebührengüter oder private Güter sind oder kann ein erster Schritt zur Einrichtung wettbewerblicher Arrangements sein« (Borins/Grüning 1998: 31), wobei »[d]ie Vision der modernen Verwaltungsführung […] dabei zunächst in der Idee der Gestaltung der öffentlichen Verwaltung als ›menschliche Verwaltung‹ im Gegensatz zur maschinellen, entpersonifizierten Sichtweise im Bürokratiemodell« (Schedler/Proeller 2006: 61) liegt. Der Aspekt der »menschlichen Verwaltung« ist dabei primär mit dem Schlagwort der Kundenorientierung verbunden. Demgemäß sollen im Rahmen der Umstrukturierung durch New Public Management die öffentlichen Verwaltungsbereiche und -strukturen auf die Bedürfnisse der (in diesem Kontext neu benannten) »Kunden« ausgerichtet und angepasst werden, wobei der Begriff des Kunden den des Bürgers nicht ersetzt, sondern »Kunden« in passiver Hinsicht als individuelle Leistungsempfänger anzusehen sind bzw. in einer aktiven Rolle als Einflussnehmende bzgl. der Leistungsverbesserung des öffentlichen Leistungsangebotes, was durch Befragungen evaluiert werden kann (vgl. Grüning 2000: 18; Schedler/Proeller 2006: 67-71). »Um [allerdings; A.B.] klarzustellen, dass mit der ›menschlichen Verwaltung‹ nicht ein modernes ›Wohlfahrtsinstitut‹ propagiert werden soll, wird das Bild des ›Dienstleisters‹ gegenübergestellt.« (Schedler/Proeller 2006: 62) Ähnlich der Dienstleistungsorientierung auf den privatwirtschaftlich organisierten Märkten bedeutet dies auch eine Privatisierung der bisherigen staatlichen Strukturen öffentlicher Verwaltungssysteme im Sinne einer Rücknahme der staatlichen Einflusskompetenzen und Wirkungsbereiche (vgl. Vogel 2006: 434). Die Privatisierungsbestrebungen innerhalb des NPM ziehen somit eine Abkopplung der bisherigen Verwaltungen von der politisch-administrativen Führung nach sich, was wiederum eine gleichzeitige Neuverteilung der Kompetenzen mit sich bringt. Die Umstrukturierung und Reorganisation der Kompetenzverteilung wird hierbei an den beiden Polen des Was und Wie verankert. Während im bis dato vorherrschenden statischen Verwaltungsmodell diese beiden Kategorien unter der politisch-administrativen Führung summiert waren, gilt für die politische Führungsebene im Rahmen des NPM nur noch die Übernahme bzw. Erfüllung der Was-Komponente. D.h., die Politik legt von nun an nur noch die Rahmenbedingungen in Form der Ausrichtung und Erreichung der (strategisch günstigen) Ziele bzgl. der Kundenbedarfe sowie die Regeln zur erfolgreichen Durchführung der Grundsatzentscheidungen fest, innerhalb derer die Verwaltungen operieren. Der mit dieser Kompetenzverteilung verbundene Dezentralisierungsprozess bindet die Politik somit über die Verankerung der Was-Komponente ausschließlich an die höher geordnete Kontroll- und Sicherstellungsfunktion hinsichtlich der Leistungserbringung. Da die Abkopplung der Was- von der Wie-Komponente im Zuge dieser Umstrukturierungsmaßnahmen, aufgrund der neuen spezifischen Kundenorientierung und Bedürfnisanpassung der »menschlichen Verwaltung«, auch zugleich mehr Eigenverantwortung der einzel-
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nen Verwaltungsteilbereiche bedeutet, ist hiermit auch die Entstehung einer Autonomie und Dezentralisierung dieser vielfältigen neuen kleinen Einheiten verbunden: Die Umsetzung und Gestaltung der Entscheidungen im Bereich der Wie-Komponente fällt innerhalb des neuen Kompetenzrahmens nun explizit den Verwaltungen selbst zu. Diese zunehmende Dezentralisierung wirkt sich dabei im Kontext der Hochschulreformen auch auf die Universitäten aus, innerhalb derer der Verwaltungsbereich der »unternehmerischen Universitäten« (Maasen/Weingart 2006) zur Gestaltung und Umsetzung der intra-organisatorischen Zielverfolgung und -erfüllung einen enormen Ausbau erfährt (Kap. 5.2.3), wobei zur Zielerreichung und Auftragserfüllung die intra-universitären, lose gekoppelten Teilbereiche der Forschung, Verwaltung und Lehre (Kap. 4.3) koordiniert werden müssen. Im Zuge der Privatisierung öffentlicher Verwaltungen werden also dezentralisierte Verwaltungszentren geschaffen, welche eigenverantwortlich über ihre finanziellen Ressourcen entscheiden. Dabei tragen sie die Hauptverantwortung für die Erbringung und Erfüllung der spezifischen Leistung(en) und sind von der politischadministrativen Führungsebene nur noch bzgl. der Rahmung des Leistungsauftrags, der Preisfestlegung für das zu produzierende Gut und hinsichtlich der Überprüfung, Kontrolle sowie Sicherstellung der Ausführung des festgelegten Auftrags abhängig (vgl. zu diesem Abschnitt Grüning 2000: 18ff.; Schedler/Proeller 2006: 63f., 87-93; Vogel 2006: 440-446). Die Kontrolle und Überwachung der mit den Aufträgen verbundenen Leistungserbringung erfolgt dabei seitens der politisch-administrativen Führung über sogenannte Auditing-Verfahren. In allgemeiner Hinsicht kann unter einem Audit »die systematische, unabhängige Untersuchung einer Aktivität und deren Ergebnisse, durch die Vorhandensein und sachgerechte Anwendung spezifizierter Anforderungen beurteilt und dokumentiert werden« (Kamiske/Brauer 2008: 9) verstanden werden. Audits, als weiteres Steuerungsinstrument des NPM, sind also Informations- und Prüfsysteme zur Sicherung und Aufrechterhaltung der Qualität, die bspw. in Form einer aktiven (z.B. direkte Gespräche) oder passiven Befragung (z.B. Fragebögen) von Mitarbeitern oder Kunden über interne oder externe Einrichtungen eingesetzt werden (vgl. Grüning 2000: 19f.; Kamiske/Brauer 2008: 9f.; Vogel 2006: 452). Hierbei lassen sich (mindestens) drei Typen von Audits unterscheiden: Bei Produktaudits werden die einzelnen Produkte selbst über die Befragung von Auftraggebern, Kunden oder Anwendern hinsichtlich ihrer Qualität geprüft. Bei Verfahrensaudits hingegen stehen arbeitsplatz- und prozessbezogene Aspekte, wie Ausstattung oder Einhaltung der Anforderungen zur Sicherung der Leistungserfüllung, im Vordergrund. Das Systemaudit bezieht sich schließlich auf die Leistungs- und Funktionsfähigkeit einzelner Bereiche oder des Gesamtspektrums. Über diese unterschiedlichen Komponenten können somit Aspekte der produktbezogenen, der kundenbezogenen, der prozessbezogenen sowie der wertbezogenen Qualität abgefragt werden (vgl. Kamiske/Brauer 2009: 9-12; Schedler/Proeller 2006: 78).
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Im Kontext der Hochschulreformen (Kap. 3) werden auch diese Audittypen, auf der Basis einheitlicher Qualitätssicherungsmaßnahmen, auf Universitäten übertragen; bspw. über studentische (also kundenspezifische) Lehrevaluationen, über Mitarbeiterevaluationen in Form von Ziel- und Leistungsvereinbarungsgesprächen und Evaluation der Absolventenzahlen sowie über Evaluations- und Monitoringverfahren durch Akkreditierungsagenturen (vgl. Alphei/Michalk 2006; ENQA 2009a, 2009b). Die den Audits vorausgehenden Dezentralisierungsprozesse führen aber auch zu einer weiteren Veränderung, die unter dem Schlagwort des Gewährleistungsstaates bzw. der Gewährleistungsverwaltung zusammengefasst werden kann. Hierbei nimmt die politisch-administrative Führung die Rolle des Auftraggebers ein und die Rolle des Auftragnehmers fällt, aufgrund der Trennung von Produzent und »Bereitsteller« eines Gutes, unterschiedlichen Verwaltungsbereichen (öffentlich oder privat bzw. interne oder externe Einrichtungen) zu (vgl. Grüning 2000: 17; Schedler/Proeller 2006: 110f.). Da hierdurch die Vielfalt der möglichen Auftragserteilung an interne oder externe Einrichtungen zunimmt, steigt im Rahmen der Bestrebungen des NPM (auch bezogen auf öffentliche Güter) der inter- und intra-institutionelle Wettbewerb. Innerhalb der Schaffung von Wettbewerb bzw. Wettbewerbsstrukturen kann dabei zwischen der Schaffung tatsächlicher Marktstrukturen und Quasi-Marktstrukturen unterschieden werden: Bei tatsächlichen Marktstrukturen werden Wettbewerbsstrukturen aufgrund der Existenz ausschließlich privat(wirtschaftlich)er Produzenten geschaffen. Diese bieten ein Gut bzw. Produkt an, dessen Menge und Qualität durch die Nachfrage der Konsumenten und deren Zahlungsbereitschaft in Form eines bestimmten Preises spezifiziert wird. Der Preismechanismus sorgt hierbei einerseits für ein Marktgleichgewicht (das ausgewogene Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage) und ermöglicht andererseits auch eine (potenziell intendierte) Exklusion einiger Konsumenten aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen. Demgegenüber bezeichnen Quasi-Marktstrukturen die Schaffung von wettbewerbsähnlichen Scheinstrukturen in Organisationen, »wo Aufgabenbereiche aufgrund ihres hoheitlichen Charakters keinem ›echten‹ Wettbewerb ausgesetzt werden können« (Vogel 2006: 437). Diese zunächst mit der Restrukturierung des öffentlichen Verwaltungssektors verbundenen Effekte wurden im Laufe der letzten Jahre auch auf den universitären Bereich übertragen (Kap. 5.1). Dabei dringt die NPM-basierte Formel »Wir brauchen mehr Wettbewerb […] [als; A.B.] beschwörendes Mantra in der zeitgenössischen Sozial- und Wirtschaftspolitik [Herv. i.O.]« (Rosa 2006: 82) im Zuge der Hochschulreformen (Kap. 3) in die universitäre Landschaft ein (vgl. Binswanger 2012: 44; Rosa 2006: 82). Ziel ist hierbei eine Schaffung und Steigerung von Wettbewerb unter den Universitäten. Und zwar nicht nur hinsichtlich der Produktion von Bildung, Wissen oder etwa berufsqualifizierenden Fähigkeiten und Fertigkeiten, sondern – aufgrund des auch hier zu konstatierenden Wandels einer überwiegend staatlichen Finanzierung hin zu einem »Mix aus öffentlichen und privaten Quellen« (Alesi/Kehm 2010: 40) – vorrangig um die im
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Kontext der universitären Restrukturierungen zu verteilenden finanziellen Ressourcen. Als Ergebnis hiervon konkurrieren letztlich auch Hochschulen einerseits interuniversitär um die Versorgung mit »öffentlichen Grundmitteln« (Lanzendorf/ Pasternack 2009: 22) sowie um zusätzliche finanzielle Ressourcen u.a. aus der Privatwirtschaft (Kap. 5.1) und andererseits intra-universitär bzgl. der nach Leistung und Auftragserfüllung zu verteilenden finanziellen Mittel (Kap. 7.1). Da Universitäten über den weiterhin staatlich intendierten Bildungsauftrag allerdings ein hoheitliches, da öffentliches, Gut produzieren, werden hierbei keine tatsächlichen Marktstrukturen zur Wettbewerbsförderung etabliert. Denn die mit dem Konzept der Wissensgesellschaft und den Hochschulreformen verbundene Auffassung von Bildung und (wissenschaftlichem) Wissen als global handelbaren Gütern (Kap. 3) führt aufgrund eines intendiert geschaffenen »Wettbewerb[s] um beschränkte Mittel« (Binswanger 2012: 39f.) zu der Etablierung von Quasi-Marktstrukturen (Kap. 5.1), die »ein unterstützendes Klima für Reformen und besseres Management« (Borins/ Grüning 1998: 28) schaffen (vgl. hierzu Binswanger 2012: 39-46; Borins/Grüning 1998: 28-31; Schedler/Proeller 2006: 81ff.; Siebert/Lorz 2007: 83f.; Vogel 2006: 437; Wildmann 2010: 21ff.; siehe auch Münch 2009a, 2011a). Innerhalb dieser neuen Wettbewerbsstrukturen, denen öffentliche Verwaltungen durch Restrukturierungen des öffentlichen Sektors ausgesetzt sind, wird aber nicht nur um die erfolgreiche Erlangung der zu verteilenden Aufträge und die Kunden der Organisationen konkurriert, sondern auch um die Stellung der Organisation im inter-organisationalen Vergleich (vgl. Borins/Grüning 1998: 14f.; Grüning 2000: 17). Denn die Mittelzuweisung an öffentliche Verwaltungen erfolgt nicht mehr anhand des bisherigen (real verbrauchten) Budgets, sondern über die erbrachten Leistungen als Ergebnis der Verwaltungstätigkeit öffentlicher Institutionen. Ein Aspekt, der ebenfalls im Kontext der Hochschulreformen über das Belohnungssystem des »Academic Capitalism« (Slaughter/Leslie 1999), in Form des finanziell basierten Prinzipal-Agenten-Modells der Ökonomie, in den universitären Kontext Einzug gehalten hat (Kap. 7.1). Die Festlegung der Leistungen erfolgt sowohl bei der Umstrukturierung des öffentlichen Verwaltungssektors als auch bei der Restrukturierung der Universitäten über sogenannte Feedback-Modelle. Ausgehend von bestimmten existenten oder noch zu definierenden Bedürfnissen werden hierbei Ziele festgelegt, die zum einen wiederum Einfluss auf die Ressourcenverteilung nehmen und zum anderen auch die hiermit verbundenen und geforderten Aktivitäten in Gang setzen, aus denen letztlich die Leistungen zur Erfüllung der gewünschten Ziele resultieren. Die Bemessung der Leistungserfüllung resultiert somit aus den zuvor festgelegten Ziel- und Leistungsvereinbarungen, was wiederum die inter-organisationale Konkurrenz im Wettbewerb um die zur Verfügung stehenden Mittel fördert. Die durch Ziel- und Leistungsvereinbarungen wettbewerblich angeregte Konkur-
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renzsituation wird gleichzeitig durch Benchmarking13 aufrechterhalten, indem einzelne (quantitative und qualitative) Leistungsindikatoren in Kennziffern gefasst werden und in quasi-homogene Vergleiche14 und mittelabhängige Rangordnungsverteilungen durch Evaluation der komparativen Ergebnisse münden (vgl. zu diesem Abschnitt Borins/Grüning 1998: 15; Grüning 2000: 19f., 22; Schedler/Proeller 2006: 72ff.; Vogel 2006: 446-450). Quantitative Indikatoren beziehen sich gemäß des sogenannten »drei-E-Modells« auf die Aspekte der Economy (Sparsamkeit), Efficiency (Wirtschaftlichkeit) und Effectiveness (Wirksamkeit). Demgemäß sollen mit minimalem Einsatz der gegebenen Mittel die benötigten Ressourcen beschafft werden (Economy), deren minimaler Einsatz wiederum die Erstellung der vorgegebenen Leistung vorgibt (Efficiency) und die hieraus resultierenden Wirkungsvorgaben bzgl. der Leistungsausrichtung mit dem minimalen Leistungsvolumen (finanzielle, personelle und materielle Mittel) erreicht werden (Effectiveness) sollen (vgl. Schedler/Proeller 2006: 76). Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit kennzeichnen darüber hinaus auch diejenigen Anforderungen, die über die extern festgelegten Ziel- und Leistungsvereinbarungen an die »unternehmerischen Universitäten« (Maasen/Weingart 2006) herangetragen und gestellt werden (Kap. 5.2), wobei die Wettbewerbs- und Konkurrenzsituation der »unternehmerischen Universitäten« auf dem geschaffenen Quasi-Markt über Hochschulrankings, als externes Benchmarking, aufrecht erhalten und gefördert werden (Kap. 5.1). 13 In definitorischer Hinsicht bezeichnet Benchmarking einen »ongoing process of measuring and improving products, services and practices against the best that can be identified worldwide [Herv. i.O.]« (Codling 1995: 7), wobei zwischen internem, externem und bestpractice-Benchmarking unterschieden werden kann. Internes Benchmarking bezieht sich auf die zu vergleichenden Bereiche innerhalb einer Organisation und deren Subeinheiten. Externes Benchmarking hingegen dient dem Vergleich mit anderen Organisationen, wobei hierbei nicht nur Leistungslücken aufgedeckt werden können, sondern auch die spezifischen (personell-managerialen) Einstellungen und Fähigkeiten evaluiert werden können, welche die Effizienz der Organisation begründen. Die best-practice-Variante des Benchmarking bezieht sich schließlich auf die Entdeckung der tatsächlich besten Lösungsaspekte und Praktiken, die in puncto Effizienz für die eigene Organisation aus der Vielfalt der gegebenen Möglichkeiten destilliert werden können (vgl. hierzu Burr/ Seidlmeier 1998: 56; Codling 1995: 8-12). 14 Die Quasi-Homogenität dieser Vergleiche resultiert aus dem Sachverhalt, »dass in Benchmarkingprozessen ein prekäres Spannungsverhältnis zwischen Homogenität und Heterogenität zu bewältigen ist: Einerseits gilt es, Vergleichbarkeit herzustellen, um Aussagekraft und Legitimation des Kennzahlensystems zu gewährleisten, andererseits kommen die erwünschten Lernprozesse nur in Gang, wenn Unterschiede bestehen bleiben und nicht durch zu rigide Ausschlusskriterien oder Erfassungsstandards nivelliert werden.« (Vogel 2006: 450)
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Zielen die bisher genannten Faktoren dabei vorwiegend auf die Restrukturierung der allgemeinen Rahmenbedingungen ab, dürfen die internen Prozesse und Abläufe aber auch nicht außer Acht gelassen und vernachlässigt werden. Denn die im Kontext der Restrukturierungen des öffentlichen Sektors vielfach geforderte und überwachte Kunden- und Produktqualität, als »Eigenschaftssumme eines Produktes bzw. einer Tätigkeit, welche die Eignung für gegebene Erfordernisse bestimmt« (Vogel 2006: 451), muss schließlich auch erst in das Gut hineinproduziert bzw. -konstruiert werden, sodass der damit versprochene und verbundene Erfolg auf lange Sicht aufrechterhalten werden kann (vgl. Brauer 2009: 8; Kamiske/Brauer 2008: 7). Im Kontext dieser, auch unter dem Label der Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement subsumierbaren, Steuerungselemente von NPM steht demgemäß nicht nur das Was (das Produkt und der generierte Kundennutzen) im Zentrum des erforderlichen Qualitätsbewusstseins, sondern auch das Wie (der Aspekt der Leistungserzeugung). Oder anders formuliert: eben der Aspekt, wie eine dem spezifischen Produkt inhärente Leistung innerhalb der Organisationen erzeugt wird. Eine Sichtweise, die somit nicht nur auf die strukturellen Gegebenheiten blickt, sondern auch Mechanismen und Prozesse betrachtet, die sich sowohl auf die Mitglieder einer Organisation beziehen als auch auf die damit verbundenen individuellen Einstellungen gegenüber der zu erreichenden Qualität (vgl. hierzu Brauer 2009: 8; Giauque 2003: 574; Schedler/Proeller 2006: 77-80). Denn die Ganzheit einer Organisation (öffentliche Verwaltungen wie Universitäten) besteht nicht nur in der strukturellen Gestaltung der neuen Rahmenbedingungen, innerhalb derer verschiedene Akteure interagieren, da »[e]ine produktorientierte, dezentrale Organisationsstruktur allein noch keine verbesserte Außenwirkung im Sinn von Bürgerfreundlichkeit [garantiert]« (Vogel 2006: 451), wie sie gemäß NPM u.a. durch die Restrukturierungsprozesse implementiert werden soll, sondern benötigt zur Umsetzung der strukturell vorgegebenen Rahmenbedingungen auch die Akteure selbst (vgl. Schedler/Proeller 2006: 80). Nur anhand der Identifikation mit den Zielen, die eine Organisation verfolgt, sind die organisationalen Mitglieder auch in der Lage, diese im Kontext der geänderten Strukturen zu erfüllen. Die Reformprozesse sind somit in gewisser Weise abhängig von dem Zusammenwirken der drei Elemente Struktur, Organisation und Akteur.
2.2 Z UM V ERHÄLTNIS
VON N EW P UBLIC M ANAGEMENT UND EINER GESELLSCHAFTLICHEN Ö KONOMISIERUNG
Der Zusammenhang zwischen der Ökonomisierung der Gesellschaft und den politisch intendierten Reformmaßnahmen des öffentlichen Sektors auf Basis des New Public Management lässt sich im Kontext differenzierter Gesellschaften und einer
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zentralen integrativen Bedeutung formaler Organisationen rekonstruieren. Zielen die Reformbestrebungen auf eine Änderung der handlungsprägenden Rationalitätskriterien gesellschaftlicher Teilsysteme ab, so ist die Umsetzung dieser Prozesse und Mechanismen an die Handlungsfähigkeit von Organisationen gebunden, da eine Änderung der teilsystemischen Codierungen nur innerhalb der Freiheitsräume der organisationalen Handlungsselektionen über eine Modifikation der Primärcodierungen als Nebencodierung möglich ist. Der Prozess der Nebencodierung basiert dabei auf der Verwendung generativer Metaphern, welche die Transformationen umweltspezifischer Leitdifferenzen durch eine intra-systemische Modifikation in eine neue systeminterne Leitdifferenz ermöglichen. Dieser Vorgang vollzieht sich in den inter-systemischen Interpenetrationszonen, innerhalb derer unterschiedliche Organisationsmitglieder in Akteurkonstellationen interagieren, anhand reflexiver Interessen Intentionsinterferenzen abbauen und das Resultat dieser Abarbeitungsprozesse letztlich wieder in das eigene, den strukturellen Rahmen der Handlungsselektion bestimmende Teilsystem rückführen. Aufgrund pluraler Organisationsmitgliedschaften durchdringt das ökonomische Primat auch weitere Teilsysteme, was in der Ökonomisierung der Gesellschaft resultiert. Zur Herstellung des Zusammenhangs von New Public Management und einer Ökonomisierung moderner Gesellschaften, im Sinne einer feindlichen Übernahme gesellschaftsweiter Teilbereiche durch die ökonomischen Werte und Handlungslogiken, können drei Referenzpunkte herangezogen werden: (1) die Sichtweise moderner Gesellschaften als differenzierte Gesellschaften mit der Herausbildung von Akteurfiktionen und teilsystemischen Handlungslogiken, (2) das Phänomen einer Organisationsgesellschaft sowie (3) die ökonomische Durchdringung bzw. die Infiltration weiterer gesellschaftlicher Teilbereiche durch das ökonomische Primat. 2.2.1 Gesellschaftliche Differenzierung Die politisch intendierte Umstrukturierung des öffentlichen Verwaltungssektors ereignet sich im Kontext moderner und damit differenzierter Gesellschaften. Im Hinblick auf eine erfolgreiche Umstrukturierung des Verwaltungssektors wird eine Neu-Rahmung der handlungsprägenden (normativen) Rationalitätskriterien des strukturellen gesellschaftlichen Rahmens benötigt. Hinsichtlich der für die Umsetzung der Reformen notwendigen Mechanismen und Prozesse sind zugleich aber auch eine Abarbeitung von Interessenkonflikten und Intentionsinterferenzen (z.B. zwischen Regierung und Opposition) sowie eine Legitimation derselben (z.B. durch die Gesellschaftsmitglieder) vonnöten. Insofern ist eine Sozialintegration erforderlich, die formalen Organisationen als handlungsfähigen Systemtypen zufällt. Denn erst auf Basis handlungsfähiger Organisationen wird die Änderung der primären
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normativen Rationalitätskriterien des strukturellen Rahmens möglich. Und zwar durch die auf reflexiven Interessen von Akteuren beruhende Abarbeitung spezifischer Intentionsinterferenzen in den Freiheitsräumen der Handlungsselektionen sich wechselseitig durchdringender Interpenetrationszonen. Die hier erzielten Ergebnisse werden durch die in die Interpenetrationszonen eingebetteten Organisationsmitglieder qua pluraler Organisationszugehörigkeit wiederum in den strukturellen Rahmen der jeweiligen, den Handlungsraum der Organisationen definierenden, gesellschaftlichen Teilsysteme rückgeführt. Somit ist der Reformprozess in eine (rekursive) Differenzierungsdynamik aus handlungsprägenden und handlungsfähigen Systemen eingebettet. Die von der politisch-administrativen Führung angestrebten, beschlossenen und letztlich umgesetzten Reformgedanken zur Umstrukturierung der öffentlichen Verwaltung ereignen sich im Kontext moderner und damit gemäß klassischen differenzierungstheoretischen Annahmen differenzierter Gesellschaften – zumindest wenn diese unter dem allgemeinen Aspekt einer »Trennung zuvor miteinander vereinigter Sphären gesellschaftlichen Handelns als Charakteristikum moderner […] Gesellschaften« (Schimank 1985: 421) summiert werden. Dementsprechend handelt es sich hierbei also um Gesellschaften, die im Laufe des Zivilisationsprozesses über den Aspekt der Ausbildung eines staatlich zentralisierten Gewaltmonopols mit normativen Regularien und Verhaltensvorschriften (z.B. Gesetzen) sowie der Entwicklung vom reinen Naturalien-Tauschhandel zum abstrahierten geldbasierten Marktsystem hinaus durch ein stetig ansteigendes Bevölkerungswachstum zur Bildung von Nischen gezwungen waren, in denen u.a. die Erkenntnis einer subjektiven Kraftersparnis durch Arbeitsteilung, die Loslösung von Produzent und Ware sowie eine hiermit verbundene und einhergehende Spezialisierung und Ausweitung gesellschaftsrelevanter Aufgaben zu der Entstehung spezialisierter gesellschaftlicher Teilbereiche führte, die aufgrund der jeweiligen Abhängigkeiten innerhalb des komplexen Gesellschaftsgebildes für den Erhalt des Ganzen unabdingbar geworden sind (siehe u.a. Durkheim 1977; Elias 1977; Luhmann 1998; Marx 1967; Münch 1984; Parsons 1959, 1996; Schwinn 2001; Simmel 1983a, 1983b, 1995a, 2008; Weber 2011). Unabhängig davon, mit welchen theorieimmanenten Begrifflichkeiten diese dynamischen Veränderungen vormoderner Gesellschaften hin zu modernen und damit differenzierten Gesellschaften beschrieben und analytisch fassbar gemacht werden (können), lässt sich in gewisser Weise ein Konsens konstatieren, der darin besteht, dass sich differenzierte Gesellschaften durch die Existenz vielfältiger sich gegenüberstehender Teilbereiche mit spezifischen Aufgaben (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Religion, Kunst usw.) charakterisieren lassen (vgl. Degele 1999: 345; Schimank 2007a: 243-246). Die im Kontext derartiger Prozesse sozialen Wandels entstehenden Teilbereiche, die spätestens seit den Arbeiten Parsons’ (1959, 1996) in (neueren) differenzierungstheoretischen Arbeiten mit dem
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prominenten Schlagwort der gesellschaftlichen Teilsysteme bezeichnet werden (siehe u.a. Luhmann 1984; Mayntz et al. 1988; Münch 1984; Schimank 1988, 2005a), müssen aufgrund einer hiermit einhergehenden zunehmenden Komplexitäts- und Kontingenzerhöhung gegenseitiger Abhängigkeiten eine integrative Funktion zum Erhalt der Gesellschaft, als diese Teilsysteme umfassendes System, und zur Aufrechterhaltung sozialer Ordnung übernehmen (vgl. Lockwood 1964: 245; Luhmann 1998: 619; Parsons 1996: 16-42). Bei dieser Systemintegration (Lockwood 1964: 245) stehen also die »orderly or conflictual relationships between the parts of the social system« im Vordergrund der Betrachtung von Gesellschaften (vgl. Archer 1996: 679ff.; Mouzelis 1997: 111f.). Eine erfolgreiche Systemintegration zur Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung zielt dabei – über spezifische, jeweils dem eigenen Aufgabenbereich inhärente und die Grenzen dieses Bereichs nicht überschreitenden Kommunikationsmedien – auf die Koordination der voneinander abhängigen Teilsysteme und deren Leistungsaustauschbeziehungen15 ab (vgl. Luhmann 1998: 618f.; Münch 1996a: 77ff.; Kneer/Nassehi 2000: 62-64; Parsons 1996: 16-42; Schimank 2007a: 173). Verbunden mit dieser Koordination der Teilsysteme und dem Problem sozialer Ordnung ist auch der Aspekt der Anschlussfähigkeit dieser Systeme im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der eigenen Systemstrukturen (vgl. Schimank 1995a: 75). Zur Aufrechterhaltung der Systemstrukturen müssen die Teilsysteme dabei ihre unabhängige Selbsterzeugung und -erhaltung durch die andauernde Reproduktion ihrer konstitutiven Elemente (Autopoiesis) über Kommunikation bzgl. der notwendigen Anschlussfähigkeit an die in ihrer Umwelt liegenden anderen Teilsysteme reproduzieren. Dieser Prozess basiert auf den eben genannten Kommunikationsmedien, die auf bestimmten zweiwertigen Schemata (Codes) beruhen und »die in ihrer Entweder-Oder-Form die Einheit der in dem betreffenden Teilsystem geltenden Handlungslogik formulieren« (Schimank 15 Diese Beziehungen lassen sich in systemtheoretischer Terminologie mit den Begriffen der Interpenetration (Münch 1984; Parsons 1996) oder der strukturellen Kopplung (Luhmann 1998) beschreiben. Während sowohl bei Parsons (1996) als auch bei Münch (1984) mit dem Begriff der Interpenetration eine gegenseitige Durchdringung gesellschaftlicher Teilbereiche verstanden wird und ein inter-systemischer Austausch durchaus möglich ist, ist ein tatsächlicher Austausch zwischen Systemen mit dem luhmannschen (1998) Konzept der strukturellen Kopplung nicht möglich. Im Kontext der Evolutionstheoretischen Ausführungen Luhmanns (1998: 413-594) wird zwar auf die wechselseitige Abhängigkeit der evolutorischen Entwicklung und Entstehung im Rahmen von System-Umwelt-Beziehungen verwiesen, ein direkter Eingriff eines Systems in ein anderes ist dabei aber nicht möglich. Eine Austauschbeziehung, wenn man sie im Kontext der luhmannschen Systemtheorie so nennen möchte, ist nur über Irritationen in der Umwelt eines Systems möglich, auf das dieses in Form von kommunikativer Verarbeitung entweder reagieren kann oder nicht.
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1988: 628) und somit das Handeln von Systemen (also deren Kommunikation) prägen (vgl. Luhmann 1984, 1998, 2009a; Schimank 1995a: 78f.). Die Handlungsprägung ist dabei das Resultat der über die Codes vermittelten, den Strukturen eines Systems inhärenten Rationalitätsprinzipien, welche den Komplexitäts- und Kontingenzraum der potenziell möglichen Handlungen minimieren und auf bestimmte Zweck-Mittel-Relationen bzgl. der Vereinfachung einer Handlungsalternativenwahl reduzieren. »Das Gesellschaftssystem und seine primären Teilsysteme als handlungsprägende Sozialsysteme konditionieren gesellschaftliches Handeln. Sie legen den äußeren Rahmen des Handelns fest: das, was nicht geschehen kann oder darf. Die handlungsprägenden Sozialsysteme operationalisieren die von ihnen bearbeiteten funktionalen Erfordernisse in handlungsinstruktiven normativen und kognitiven Orientierungen wie Werten, Normen, Rollen, Verfahren, Aufmerksamkeitsregeln und dergleichen. Dadurch wird die Intentionalität der Akteure, deren Auslegung ihres Handelns im Hinblick auf Zwecke und Mittel, in bestimmte Richtungen gelenkt, gewissermaßen mit einem perspektivischen Rahmen versehen. [Herv. i.O.]« (Schimank 1985: 430)
Handlungsprägende Systeme schaffen und erhalten demnach die strukturelle Rahmung innerhalb derer wiederum andere Systemtypen, wie Gruppen, soziale Bewegungen, formale Organisationen oder Interessenverbände, agieren. Handlungsprägende Systeme sind dabei in genereller Hinsicht alle sozialen Systeme, die in Differenz zu ihrer (nicht mit Sinn behafteten) Umwelt stehen und in diesem Sinne selbstreferentiell, autopoietisch, operativ geschlossen, über einen Selektionsmechanismus bzgl. der Operation und über Programmstrukturen verfügend als Komplexität verarbeitende Sinnsysteme operieren (siehe Kneer/Nassehi 2000; Luhmann 1984, 1998, 2009a). Die handlungsprägende Komponente dieser Art von Systemen resultiert aus dem komplexitätsreduzierenden Strukturaufbau und durch systeminterne Prozesse: »Sozialsysteme prägen so das in ihnen stattfindende Handeln in dem Sinne, daß sie die substantielle Identität der Einzelhandlung durch Vorgabe struktureller und prozessualer Differenzen konstituieren. [Herv. i.O.]« (Schimank 1985: 427) Die Hauptaufgabe der strukturellen Rahmung und damit der handlungsprägenden Funktion kommt in diesem Kontext den gesellschaftlichen Teilsystemenen wie bspw. Politik oder Wirtschaft zu, die auf Basis der Übernahme spezifischer funktionaler Erfordernisse und deren steter Reproduktion für den Erhalt der Gesellschaft sorgen (vgl. Münch 1984, 1995: 77-106; Luhmann 2000a: 83f.; Parsons 1996: 1642; und zu diesem Abschnitt Schimank 1985: 23-30).16 Politik und Wirtschaft ste16 An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass die hier vertretene Auffassung von gesellschaftlichen Teilsystemen mit der Übernahme spezifischer Funktionen zum Erhalt des gesellschaftlichen Ganzen durchaus kritisch ge- bzw. bewertet kann, da im Kontext poly-
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hen sich also einerseits als eigenständige ausdifferenzierte Funktionssysteme gegenüber, andererseits besteht deren Aufgabe als Teil des gesellschaftlichen Ganzen aber auch darin, dass sie für den Fortbestand der Gesellschaft in der Lage sein müssen, spezifische Eigenleistungen auf die anderen Systeme in Form eines Leistungsaustausches zu übertragen (vgl. Münch 1996a: 77ff.). Die Funktion der Politik bezieht sich dabei auf die Spezifikation dessen, welche Entscheidungen – und zwar im Sinne kollektiv verbindlicher Entscheidungen – für den Fortbestand der Gesellschaft umgesetzt werden sollen. Diesbezüglich stellt die Politik auch die hierfür benötigten Kapazitäten zur Verfügung, wobei die Entscheidungen auf der Selektion von Personen in politischen Ämtern beruhen und hinsichtlich der Umsetzung der »kollektiv bindende[n] Entscheidungen Einfluß auf wirtschaftliche Prozesse« (Luhmann 1994b: 26) genommen werden kann (vgl. hierzu Luhmann 2000a: 83-88, 375-378; Münch 1984: 303). Demgegenüber ist aber auch die Politik in gewisser Weise von der Wirtschaft abhängig, nämlich dann, wenn es um wirtschafts- und finanzpolitische Entscheidungen oder die Finanzierung der öffentlichen Haushalte geht (vgl. Luhmann 2000a: 384-388). Und diese Abhängigkeitssituation im Hinblick auf die Anpassung an sich verändernde Umwelten und die Sicherung des Fortbestands der Gesellschaft auf Basis kollektiv verbindlicher Entscheidungen entspricht in gewisser Hinsicht der Situation, die als (Ausgangs-)Basis einer Ökonomisierung der Gesellschaft bereits dargestellt wurde (vgl. Kap. 2.1). Die zunehmenden Staatsverschuldungen im Kontext der Ölpreiskrise und die konstatierte (finanzielle) Ineffizienz des öffentlichen Sektors wirken sich auf die bis dato verfolgte Wirtschafts- und Finanzpolitik aus und gefährden im Hinblick auf die bisher existenten Strukturvorgaben in gewisser Weise den gesellschaftlichen Fortbestand, sodass die weitere Sicherung des Fortbestands eine Neuanpassung an die sich verändernden Umweltverhältnisse erfordert. Insofern repräsentieren die politischen Entscheidungen, die zur Umgestaltung der bis dato vorherrschenden statischen Strukturen gekontexturaler Gesellschaften eher von diversifikatorischer statt von funktionaler Differenzierung gesprochen werden sollte, wie Schimank (1998, 2003b, 2005a; siehe auch Schwinn 2011: 30) dies dargelegt hat. Im Kontext der hier zugrundeliegenden und folgenden theoretischen Rahmung einer gesellschaftlichen Ökonomisierung, kann aber weiterhin an dieser Terminologie festgehalten werden. Denn zum einen resultiert der für die gesellschaftliche Ökonomisierung basale »gesamtgesellschaftliche funktionale Primat der Wirtschaft […] aus der herausgehobenen Position, die die Wirtschaft im Gefüge der allseitigen Leistungsinterdependenzen hat [Herv. i.O.]« (Schimank 2009: 331) und zum anderen erlaubt es der teilsystemische Funktionsbegriff, als über Kommunikation erzeugte Zuschreibung, »Funktionszuschreibungen [zu; A.B.] rekonstruieren […] [die dazu dienen] die Vielfalt der eigenen Leistungsbezüge zu bündeln und darüber auch die Einheit der Umwelt so, wie sie sich jeweiligen Blick nach draußen darbietet, zu formulieren« (Schimank 2005a: 58; vgl. Schimank 1998: 182).
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führt haben und mithilfe der Techniken und Instrumente des NPM durchgeführt und implementiert wurden, auf der Strukturebene eine Veränderung und Neu-Rahmung der normativen Vorgaben, sprich der Handlungsprägung, innerhalb derer sich eine erfolgversprechende, dynamische Anpassung an Umweltveränderungen abzuspielen hat (siehe Schimank 1988). Neben dieser strukturellen Komponente wurde aber auch bei den vorangegangenen Ausführungen zu den Steuerungsinstrumenten des NPM (vgl. Kap. 2.1.3) deutlich, dass vor allem beim Aspekt der Qualitätssicherung ein spezifisches Bewusstsein erforderlich ist, welches sich auf die beiden Bereiche der Kunden und Mitarbeiter konzentriert, sodass hier strukturelle Vorgaben und individuelle Einstellungen bzw. Handlungen in gewisser Weise eine gleichberechtigte Rolle spielen (vgl. Brauer 2009: 8; Giauque 2003: 574; Grüning 2000: 19f.; Kamiske/Brauer 2008: 9f.; Schedler/Proeller 2006: 77-80; Vogel 2006: 451f.). Somit sind die Restrukturierungsprozesse gleichzeitig auch von der Legitimation der betroffenen Subjekte abhängig, die – aufgrund der Verknüpfung über die Mitgliedschaftsrollen in Organisationen als intermediäre Instanzen zwischen Struktur und Interaktion (vgl. Luhmann 1975a) – sowohl Bestandteil des Teilsystems (die öffentliche Verwaltung) als auch des gesamten (sozialen) Systems (Gesellschaft) sind. Die Neu-Rahmung der normativen Komponente als Resultat der Restrukturierung benötigt für ihre Durchsetzung als kollektiv verbindliche Entscheidung aber auch einen Konsens im Sinne einer breiten Basis der Zustimmung bzgl. der hiermit verbundenen Wertinhalte. Denn die Umsetzung der Restrukturierungs- und Reformmaßnahmen, als Lösung der konstatierten Probleme und damit auch als gewisse Neu-Rahmung der handlungsprägenden Komponente, ist eine durch politische Macht umgesetzte Leistung, die aufgrund der »Transformation des Abwesenden in die Anwesenheit von Werten« (Luhmann 2000a: 47) der Legitimationsbedürftigkeit unterliegt (vgl. Münch 1976: 11-14). Die Transformation in Werte, die durch politische Verfahren wie Wahlen in eine gesellschaftlich legitimierte, allgemein geteilte Wertebasis überführt wird, benötigt somit nicht nur die Akzeptanz innerhalb der eigenen (Regierungs-)Reihen, da auch hier (Reform-)Entscheidungen als konsensuale Mehrheitsentscheidungen erfolgen müssen, sondern als politische Entscheidung auch die Zustimmung der Wähler als der von den Restrukturierungen betroffen Personen (siehe Luhmann 1983, 2000a; Münch 1976). Für die mit NPM etablierten und implementierten Restrukturierungsmaßnahmen folgt somit eine benötigte doppelte Akzeptanz bzgl. der mit den normativen Vorgaben verbundenen Werte: Zum einen die Akzeptanz innerhalb der politisch-administrativen Führungsebene und damit verbunden auch der (oberen) Verwaltungsebenen aufgrund derer vorheriger enger Kopplung an die politische Führungsebene, bedingt durch das statische Modell der bürokratischen Herrschaft.17 Diese Akzeptanz dürfte 17 Zum Verhältnis der engen Kopplung von politisch-administrativer Führung und bürokratischer Herrschaft im Kontext marktbasierter Wirtschaftssysteme kann anhand Webers
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als gegeben angesehen werden, auch wenn die Durchsetzung des neuen Kurses zur Dynamisierung der bisherigen Verwaltungsstrukturen sicherlich nicht ohne ›Grabenkämpfe‹ vonstatten ging – Margaret Thatcher erhielt gewiss nicht umsonst den Spitznamen der ›Eisernen Lady‹, der auf das kontinuierliche Beharren ihrer radikalen Strategie hinweist und die daraus letztlich resultierte (mehr oder weniger gegebene) Akzeptanz ihrer Reformbemühungen. Zum anderen die Akzeptanz der Bevölkerung, im Sinn der die Entscheidungen legitimierenden Wählerschaft. Auch hier (2005: 691-716) Ausführungen zur Herrschaftssoziologie folgender Zusammenhang rekonstruiert werden: »In außerordentlich vielen Fällen ist es die Herrschaft und die Art ihrer Ausübung, welche aus einem amorphen Gemeinschaftshandeln erst eine rationale Vergesellschaftung erstehen lässt, und in anderen Fällen, wo dem nicht so ist, ist es dennoch die Struktur der Herrschaft und deren Entfaltung, welche das Gemeinschaftshandeln formt und namentlich seine Ausgerichtetheit auf ein ›Ziel‹ überhaupt erst eindeutig determiniert. […] Und […] die Struktur der Herrschaft […] ist […] meist irgendwie ökonomisch mitbedingt. […] ›Herrschaft‹ interessiert uns hier in erster Linie, sofern sie mit ›Verwaltung‹ verbunden ist. Jede Herrschaft äußert sich und funktioniert als Verwaltung. […] Dies ist am meisten bei der sog. ›unmittelbar demokratischen Verwaltung‹ der Fall. […] 1. weil sie auf der Voraussetzung prinzipiell gleicher Qualifikationen aller zur Führung der gemeinsamen Geschäfte beruht, 2. weil sie den Umfang der Befehlsgewalt minimisiert. […] Die durch Vergesellschaftung hergestellten spezifischen Vorkehrungen der Herrschaft aber bestehen, allgemein gesprochen, darin: daß ein an Gehorsam gegenüber den Befehlen von Führern gewöhnter, durch Beteiligung an der Herrschaft und deren Vorteilen an ihrem Bestehen persönlich mit interessierter Kreis von Personen sich dauernd zur Verfügung hält und sich in die Ausübung derjenigen Befehls- und Zwangsgewalten teilt, welche der Erhaltung der Herrschaft dienen (›Organisation‹). Den oder die Führer, welche die von ihnen beanspruchte und tatsächlich ausgeübte Befehlsgewalt nicht von einer Übertragung durch andere Führer ableiten, wollen wir ›Herren‹ nennen, die in der erwähnten Art zu ihrer speziellen Verfügung sich stellenden Personen deren ›Apparat‹. Die Struktur einer Herrschaft empfängt nun ihren soziologischen Charakter zunächst durch die allgemeine Eigenart der Beziehung des oder der Herren zu dem Apparat und beider zu den Beherrschten und weiterhin durch ihre spezifischen Prinzipien der ›Organisation‹ […]. Denn der eigentliche Boden für die Bürokratisierung der Verwaltung war von jeher eine spezifische Art der Entwicklung der Verwaltungsaufgaben, und zwar zunächst […] ihre quantitative Entfaltung. Auf politischem Gebiete z.B. bilden den klassischen Boden der Bürokratisierung: der Großstaat und die Massenpartei. […] Mehr als die extensive und quantitative ist aber die intensive und qualitative Erweiterung und innere Entfaltung des Aufgabenkreises der Verwaltung Anlaß der Bürokratisierung. […] Von rein politischen Momenten wirkt in der Richtung der Bürokratisierung besonders nachhaltig das steigende Bedürfnis einer an feste absolute Befriedung gewöhnten Gesellschaft nach Ordnung und Schutz (›Polizei‹) auf allen Gebieten. [Herv. i.O.]«
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kann wiederum von einer Zweiteilung ausgegangen werden, da sich die direkte Betroffenheit der Bevölkerung auf ihre jeweiligen Rollenfunktionen als Kunden auf der einen und als tatsächlich in den Verwaltungsprozess involvierte Angestellte auf der anderen Seite bezieht. Was den Aspekt der Kundenakzeptanz betrifft, kann davon ausgegangen werden, dass dieser als gegeben gilt, wurde doch gerade von Seiten der Kunden auch Kritik am bisher gängigen (statischen) Verwaltungssystem geübt und die Forderung nach mehr individueller Berücksichtigung gestellt (vgl. Budäus/Grüning 1998: 5). Auf Seiten der von den Umstrukturierungen direkt betroffenen Angestellten der Organisationen kann ein Ansatzpunkt für die Akzeptanz der Umstrukturierung in dem Versprechen des neuen, flexibel-dynamischen Systems gesehen werden, neue Freiheiten bzgl. der individuellen Arbeits- und Lebensgestaltung durch die Auflösung des bisherigen statisch-linearen »stählernen Gehäuses« zu schaffen (vgl. Sennett 2000: 11). Ein Versprechen, das auf die Flexibilität und Freiheit des Einzelnen im Sinne einer höheren Wertschätzung individueller Verantwortung und damit einer aktiveren Einbindung in die tatsächlichen Prozesse der Organisation abzielt (vgl. Schedler/Proeller 2006: 87f.). Wenn die von der Umstrukturierung direkt betroffenen Akteure (die Angestellten) nun demgemäß die normativen Vorgaben des Restrukturierungsprozesses im Sinne einer konsensualen Befürwortung stützen und akzeptieren, fallen die normative Rahmung und die gemeinsam geteilte Überzeugung dieser Veränderungsprozesse zusammen. Aus den bisherigen Schilderungen geht hervor, dass der (klassische) Dualismus zwischen Handeln und Strukturen zur Erklärung einer Ökonomisierung von Gesellschaften berücksichtigt werden sollte bzw. auch muss. Denn: Zum einen wurden die strukturellen Veränderungen von handlungsfähigen Akteuren, »als Ursprung und Träger des Handelns« (Schimank 2005a: 29), in auf Interessenkonflikten basierenden und auf dem Abbau von Intentionsinterferenzen beruhenden Akteurkonstellationen ins Leben gerufen. Die konkrete und intendierte Durchsetzung der politischen Interessen und Intentionen Thatchers, Reagans und Kohls gegen die oppositionellen Interessen und Intentionen resultierten, im Kontext der aus diesem handelnden Zusammenwirken entstehenden Akteurkonstellationen auf politischer Ebene, in einem Abbau der Intentionsinterferenzen hinsichtlich des gesellschaftlichen Fortbestandes, aus denen im Zuge der Durchsetzung kollektiv verbindlicher Entscheidungen dauerhafte Bewältigungsmuster in Form der neuen normativen Vorgaben als handlungsprägende Strukturen entstanden (vgl. Schimank 1988: 87, 2000: 173-322, 2005a: 32f.). Zum anderen betreffen diese strukturellen Veränderungen in ihrer Wirkung aber auch wiederum Akteure, die, entweder über ihren Status als Angestellte oder als Kunden der Organisation, sowohl für die Reproduktion der neuen Strukturen verantwortlich sind als auch den Auswirkungen der intendierten oder nicht-intendierten Restrukturierungseffekten direkt oder indirekt ausgesetzt sind. Und zwar über die situative Kontingenz- und Komplexitätsreduktion der individuellen Entscheidungen über die handlungsprägende Eingrenzung der teilsystemischen
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Rationalitätsprinzipien, welche die bewusste Selektion von Handlungsmöglichkeiten erleichtern (vgl. Schimank 2000: 179, 2005b: 41-68). In Anlehnung an Giddens (1984: 19) wird hier der Aspekt der Dualität sozialer Strukturen deutlich, nämlich »that the rules and resources drawn upon in the production and reproduction of social action are at the same time the means of system reproduction«. Strukturen als rekursiv organisierte Mengen von Regeln und Ressourcen – und dies ist nichts anderes als die Bildung von dauerhaften Bewältigungsmustern auf Basis bestimmter Intentionsinterferenzen bzgl. spezifischer Ressourcen, die dann soziale Strukturen konstituieren – sind ab dem Moment ihrer Entstehung zwar abgekoppelt von den zuvor beteiligten Individuen, beziehen im Rahmen ihrer gesellschaftlichen Relevanz allerdings die situativen Handlungen der Akteure wieder mit ein (vgl. Giddens 1984: 25). »Structure is not ›external‹ to individuals […] it is in a certain sense more ›internal‹ than exterior to their activities […]. Structure is not to be equated with constraint but is always both constraining and enabling.« (Giddens 1984: 25) An dieser Stelle wird die Verwobenheit von Handlung und Strukturen erneut deutlich: Die Handlungsfähigkeit von Akteuren erzeugt, erhält und verändert – aufgrund nicht-intendierter oder transintentionaler Handlungseffekte – soziale Strukturen, die wiederum, auf Basis der ihnen inhärenten Rationalitätsprinzipien, den Komplexitäts- und Kontingenzraum der Handlungen minimieren und auf bestimmte Handlungsselektionen reduzieren. Im Kontext der bisher dargestellten differenzierungstheoretischen Perspektive sind hiermit aber zugleich theorieparadigmatische Schwierigkeiten verbunden, auf die bereits Schimank (1985, 1988, 1995a) hingewiesen hat: nämlich die Problematik einer Erklärungskonzeption, die sich sowohl auf die systemgenerierten Aspekte der Strukturveränderung als auch auf die involvierten Akteure konzentriert. Zur Lösung bedarf es somit einen akteur- und systemtheoretische Perspektiven integrierenden Ansatz zur Erklärung gesellschaftlicher Differenzierungsprozesse, dessen basale These darauf beruht, dass »gesellschaftliche Differenzierung […] vielmehr nur als Ergebnis von Interessen- und Einflußkonstellationen gesellschaftlicher Akteure im Rahmen funktionaler Erfordernisse gesellschaftlicher Reproduktion angemessen rekonstruierbar [ist] [Herv. i.O.]« (Schimank 1985: 422). Denn wird gesellschaftliche Differenzierung nur über den Aspekt der notwendigen Umweltanpassungen gesellschaftlicher Teilsysteme erklärt, werden eher die Ursachen im Sinne der Frage, was die Antriebskräfte oder Ergebnisse gesellschaftlicher Differenzierung sind, in den Blick genommen, anstatt die Frage zu stellen, wie sich gesellschaftliche Differenzierung tatsächlich über welche Mechanismen und Prozesse herausgebildet hat. Um die Wie-Komponente in die Theorie gesellschaftlicher Differenzierung zu integrieren, muss neben der systemintegrativen Perspektive auch die sozialintegrative Perspektive, als »the orderly or conflictual relationships between the actors« (Lockwood 1964: 245), berücksichtigt werden (vgl. hierzu Schimank 1985: 424-427).
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»In systemintegrativer Perspektive betrachtet ein Beobachter soziale Wirklichkeit als sich selbst regulierende Systeme mit entsprechenden Regulationsmechanismen und -kräften; in sozialintegrativer Perspektive wird soziale Wirklichkeit demgegenüber als Zusammenhang intentionaler Akteure betrachtet. […] Die sozialintegrative Perspektive nun entgeht der Systemtheorie […]. Sie vermag zwar die handlungsprägende Kraft von Systemen, nicht aber die Handlungsfähigkeit von Akteuren – und damit auch deren systemkonstituierende Potenz – zu erfassen […]. [Herv. A.B.]« (Schimank 1985: 426)
Dies soll, anders als es bei dem eben angeführten Zitat anklingt, keineswegs bedeuten, dass es systemtheoretisch orientierten Ansätzen generell an einer sozialintegrativen Perspektive mangeln würde. »Ein schweres Manko der systemischen Integrationstheorie […] ist [aber] ihre Blindheit für Solidarität und Gruppenzugehörigkeit als wesentliche Elemente der Sozialintegration auch in modernen Gesellschaften.« (Münch 1997: 95) Für den Kontext der hier angestrebten Integration und Berücksichtigung von Akteuren als handelnden Subjekten erweisen sich diese sozialintegrativen Perspektiven somit nicht als zielführend.18 So bezieht sich zwar Luhmanns (1998: 618-634) sozialintegrative Perspektive der Inklusion/Exklusion auf die Berücksichtigung von Personen, diese werden aber lediglich als »Identitätsmarken« im Prozess der Kommunikation adressiert und sind als psychische Systeme weiterhin der Umwelt sozialer Systeme zuzurechnen, sodass hier nicht von Akteuren in einem handlungstheoretischen Verständnis gesprochen werden kann – dies ist selbstredend aber auch kein theorieimmanentes Anliegen (vgl. Luhmann 1984: 148-241). Hinzu kommt, dass auch inter-systemische Austauschbeziehungen, wie sie in der Form der Intentionsinterferenzen abarbeitenden Akteurkonstellationen zu Beginn der Entstehung der Restrukturierungen weiter oben konstatiert wurden, innerhalb der luhmannschen Systemtheorie nicht integriert werden können. Die inter-systemische Verbindung in Form struktureller Kopplungen bezieht sich lediglich auf die systeminterne Reaktion auf Irritationen aus der Umwelt, die über Kommunikation im eigenen Unterscheidungsschema des Codes verarbeitet werden können – von tatsächlichen Austauschbeziehungen kann hier somit nicht gesprochen werden. Auch Parsons’ (1959, 1996: 12-40) sozialintegrative Perspektive über im Laufe der Sozialisation erlernte Rollen und deren Institutionalisierung in Form von Ämtern stellt zwar eine integrative Verbindung der Zielverwirklichungskomponente der Persönlichkeitsstruktur mit dem sozialen System (Gesellschaft), genauer gesagt mit der 18 Denn wie sich an späterer Stelle (Kap. 5) noch zeigen wird, sind vor allem die Auswirkungen der handlungsprägenden Restrukturierungen der Hochschullandschaft mit nichtintendierten (Hybridisierungs-)Effekten verbunden, deren Konsequenzen auf der Ebene von Akteuren zu der Begehung eines campus shooting (Kap. 7) führen. Und diese Taten werden de facto und de jure – bei verhafteten Tätern, die juristisch zur Rechenschaft gezogen werden – von individuellen Akteuren begangen.
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gesellschaftlichen Gemeinschaft her, aber sowohl Integration als auch Interpenetration – wenn an dieser Stelle wiederum auf die ursächlich wirkenden Akteurkonstellationen verwiesen wird – werden »den generellen Eigenschaften der Systeme selbst« (Nolte 1999: 102) und keinen Akteuren zugerechnet.19 Im Gegensatz zu Luhmann und Parsons scheint sich hingegen, in der Fortführung des parsonsschen Interpenetrationsgedankens, Münchs (1984, 1991, 1996a) Konzept der Interpenetrationszonen für eine Einbindung von Akteuren in den Differenzierungsprozess zu eignen, da Integration aus Interpenetration resultiert und Interpenetration, als tatsächliche Durchdringung von Systemen, auf dem Zusammenhalt und dem Solidargefühl von Gruppen und deren Rollenträgern beruht, die über Systemgrenzen hinweg kommunizieren (vgl. Münch 1984: 240f., 1996a: 48-56, 1997: 90).20 »Die gesellschaftliche Realität«, so Münch (1991: 285), »hat […] die Theorie der Systemdifferenzierung längst überholt«. Aufgrund einer zunehmenden Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung sind Prozesse eingetreten, die die strikte Grenzzie19 Auch wenn Parsons (1975: 40f.) innerhalb seiner Beschreibung der Entwicklung von vormodernen zu modernen Gesellschaften – und damit im Bereich gesellschaftlicher Differenzierung – davon spricht, dass Gruppen als »strukturelle Einheiten« die Aufgabe der Integration in die Gesellschaft übernehmen, so werden aber auch letztlich Gruppen, »sobald diese […] legitime Fähigkeiten entwickelt haben, die zum Funktionieren des Systems ›beitragen‹«, im Zuge fortschreitender gesellschaftlicher Differenzierung in das System selbst einbezogen – nämlich in das Subsystem der gesellschaftlichen Gemeinschaft, welche »die Integrität einer gemeinsamen kulturellen Orientierung aufrechterhalten [muß]« (Parsons 1975: 22). Und schließlich ist es im Rahmen der parsonsschen Systemtheorie auch die gesellschaftliche Gemeinschaft, welche als Subsystem des sozialen Systems (Gesellschaft) die Aufgabe und Funktion der Integration der Gesellschaftsmitglieder in die Gesellschaft übernimmt und gewährleisten muss. Integration verbleibt somit auf der Ebene eines Systems, sodass hier – auch bei dem Verweis auf Gruppen – von tatsächlichen Akteuren nicht gesprochen werden kann. Nicht zuletzt auch, weil Akteure als handelnde Subjekte in der parsonsschen Systemtheorie nicht analytisch zu fassen sind. Denn wenn überhaupt, könnten handelnde Subjekte (und damit Akteure), aufgrund der funktionalen Systemuntergliederung in Anpassung (A), Zielerreichung (G), Integration (I) und latente Strukturerhaltung (L), nur auf der Ebene der Conditio Humana, als Zusammenschluss des physikalisch-chemischen Systems (A), des menschlich-organischen Systems (G), des Handlungssystems (I) und des telischen Systems (L) angesiedelt und gedacht werden (vgl. Münch 2004: 107-110; Parsons 1978: 382). 20 In dieser Hinsicht scheint Münch (1997: 95) das von ihm konstatierte »Manko der systemischen Integrationstheorie« im Sinne ihrer »Blindheit für Solidarität und Gruppenzugehörigkeit als wesentliche Elemente der Sozialintegration« zu überwinden. Allerdings kann auch bei Münch nicht zwangsweise von aktiv handelnden Akteuren ausgegangen werden, wie sich noch zeigen wird.
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hung zwischen den gesellschaftlichen Teilsystemen, wie Politik und Wirtschaft, und den dortigen Systemlogiken der Handlungsausrichtung zunehmend auflösen. »Die besondere Dynamik der modernen Gesellschaft, [sic!] läßt sich nicht mehr mit [den rein systemintegrativen; A.B.] traditionalen Formen der Absicherung sozialer Ordnung kontrollieren« (Münch 1991: 107), da sich die gesellschaftlichen Teilsysteme immer mehr aufeinander zubewegen und sich über die Vernetzung der einzelnen Teilsysteme in Form inter-systemischer Kommunikation sowie über Aushandlungsprozesse und Kompromissbildungen »immer breitere Zonen der Interpenetration [bilden] […], in denen sich ein immer größerer Teil des gesellschaftlichen Geschehens abspielt« (Münch 1991: 285; vgl. zu diesem Abschnitt Münch 1991: 285288). Die Folge der sich in den Interpenetrationszonen vermischenden Systemgrenzen und damit auch der sich vermischenden handlungsprägenden teilsystemischen Rationalitätskriterien sieht Münch (1991: 285) in der Entstehung eines Konglomerats »von sich überlappenden Handlungsorientierungen«, die die »Akteure aus der Logik einzelner Systeme heraus [ziehen] und […] sie einer Gemengelage unterschiedlicher Systemlogiken [unterwerfen] [Herv. A.B.]«, sodass »Akteure unterschiedliche Fähigkeiten miteinander vereinigen [müssen] [Herv. A.B.]«, »um in dieser Gemengelage erfolgreich zu sein«. Zwar besteht die Struktur der modernen Gesellschaft auch weiterhin aus komplexitätsreduzierenden normativen (also handlungsprägenden) Vorgaben, die für den gesellschaftlichen Fortbestand zu erfüllenden und stetig zunehmenden Leistungen und Entscheidungen werden aber in den vielfältigen Interpenetrationszonen vollzogen (vgl. Münch 1991: 285-317), in denen »handelnde Akteure Träger der Interpenetration sind [Herv. i.O.]« (Kron 2004a: 44). Dies verdeutlicht Münch (1996a: 48-56) am Beispiel der inter-systemischen Beziehung von Wirtschaft und Politik im Kontext von miteinander gekoppelten Organisationen (Ministerien) vor allem über das Konzept von Akteuren als Rollenträger bzw. Rollenspieler (vgl. auch Kron 2004a: 45). So setzt sich bspw. das Finanzministerium aus unterschiedlichen Akteuren zusammen, die einerseits jeweils unterschiedlichen Rollenanforderungen ausgesetzt sind – zum einen der auf kollektiv verbindlichen Entscheidungen beruhenden Anforderungen der Politik und zum anderen der auf Effizienz und Effektivität orientierten Anforderung der Wirtschaft –, diese aber andererseits aufgrund der Funktion ihres Amtes stets gleichermaßen erfüllen müssen. Eine derartige Umsetzung ist im Rahmen der strikten Trennung der handlungsprägenden Verhaltensorientierungen aus Wirtschaft und Politik nicht denkbar, da Systeme nicht mit Codes aus anderen Systemen operieren können. Akteuren als Trägern von unterschiedlichen Rollen und als Rollenspielern ist dies hingegen möglich, da sie über (Umgangs-)Sprache in der Lage sind, die jeweils unterschiedlichen Anforderungen aus den spezifischen Teilsystemen zu übersetzen und miteinander auszuhandeln, indem sie sich eben »in ihrer jeweiligen Rolle an mehreren Bezugssystemen [und damit an mehreren teilsystemischen Handlungsorientierungen; A.B.] orientieren können, ihre jeweilige ›Sprache‹ verstehen und gemein-
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sam punktuelle Zusammenschlüsse in konkreten Entscheidungen bewerkstelligen« (Kron 2004a: 45). So vielversprechend und gewinnbringend damit Münchs Perspektive für die Berücksichtigung von Akteuren im Prozess gesellschaftlicher Differenzierung auch sein mag, so ernüchternd erweist sie sich, wenn nach dem konkreten Aspekt der aktiven Gestaltung von Akteuren im Hinblick auf die Prozesse der Entscheidungsfindung und dem Umgang mit unterschiedlichen teilsystemischen Rationalitätskriterien gefragt wird (vgl. Kron 2004a: 44-47). »[L]eider erfahren wir nichts darüber, wie genau die Akteure […] Entscheidungen treffen und dabei die unterschiedlichen Handlungsprinzipien ›mischen‹ bzw. wie sie mit jenem Konglomerat sich überlagernder Handlungsorientierungen umgehen, die eine Interpenetration im Handeln ausmachen. Münch müsste detailliert zeigen, wie die verschiedenen Handlungstypen in der Handlungsselektion des Akteurs miteinander verknüpft werden können. Sobald diese Frage berührt wird, verlässt er aber die akteurtheoretische Argumentation und verweist auf Handlungsprägungen, z.B. […] über symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien. Oder aber er verweist wieder auf die Rollenebene […] [wo; A.B.] der eigentliche Interpenetrationsakt […] [zwar] in die Entscheidungen der Akteure verlegt [wird], es wird aber nicht angegeben, nach welcher Regel entschieden wird, wie die verschiedenen Rollen/Systemrationalitäten ›verrechnet‹ werden, zumal Münch […] selbst angibt, das Handeln von Akteuren ›individuelle Motivation, Wahrnehmung und Reflexion‹ einschliesst [sic!]. […] Gerade dieser Zusammenhang wird aber offen gelassen. [Herv. i.O.]« (Kron 2004a: 46f.)
Diese ›Lücke‹ innerhalb der münchschen Konzeption lässt sich aber über die schimankschen (1985, 1988, 1995a) Aspekte der bereits angeführten Handlungsfähigkeit von Akteuren in Akteurkonstellationen und über den Aspekt teilsystemischer Handlungslogiken als Akteurfiktionen schließen. Handlungsfähigkeit lässt sich dabei sowohl individuellen als auch korporativen Akteuren als »Ursprung und Träger des Handelns« (Schimank 2005a: 29) zusprechen, wobei im Kontext gesellschaftlicher Differenzierung vor allem der Handlungsfähigkeit korporativer Akteure Bedeutung zukommt (vgl. Schimank 2005a: 29). Dabei können korporative Akteure im Rahmen systemtheoretischer Argumentation als bestimmter Systemtypus in Form formaler Organisationen (z.B. Unternehmen oder spezifische Gruppenzusammenschlüsse wie Interessenverbände) aufgefasst werden; denn ähnlich der Handlungsprägung sozialer Systeme erzeugen auch Organisationen systeminterne Strukturen, die das Handeln der jeweiligen Mitglieder über den Status der Mitgliedschaftsrolle durch bestimmte normative Verhaltensvorgaben konditionieren (vgl. Luhmann 1964: 29-42, 1998, 2000b: 225-255, 2009a).21 21 Schließlich sind Organisationen bei Luhmann (1964, 2000b) ebenfalls als autopoietisch, selbstreferentiell, operativ geschlossen und autonom zu verstehen, wobei im Vergleich zu Funktionssystemen die Entscheidungsprämissen der Organisationen als funktionales
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Darüber hinaus können diese Systemtypen aber »selbst als Akteure auftreten – was nichts anderes heißt, als daß [sic!] ihnen Handeln zugerechnet werden kann« (Schimank 1985: 427) und somit diesem, sozusagen »zweite[m] Typ sozialer Systeme« (Schimank 1985: 430), ebenfalls Handlungsfähigkeit zugeschrieben werden kann (vgl. Geser 1990; Schimank 1985: 427).22 Da handlungsfähige Systeme somit auch handlungsprägend sind, sind sie in Analogie zu Letzteren aber auch auf ihre Selbstreproduktion zwecks Fortbestands angewiesen. Sie erfüllen demnach ebenso spezifische funktionale Erfordernisse – allerdings mit dem Unterschied, dass diese nicht auf die notwendige gesellschaftliche Reproduktion abzielen. An dieser Stelle kann somit auch von einer Intentionalität handlungsfähiger Systeme (akteurtheoretisch als korporative Akteure gedacht) bzgl. ihrer Handlungsselektion ausgegangen werden, da die Selektion der Handlungen innerhalb des strikten strukturellen Rahmens der Funktionssysteme einer gewissen ›Freiheit‹ unterliegt – zumindest so lange, wie die Selbstreproduktion aufrechterhalten wird (vgl. Schimank 1985: 430). Bis zu diesem Punkt gleichen sich die Konzepte Schimanks und Münchs noch in gewisser Weise: Während bei Schimank (1985: 427-430) Organisationen, als auf Akteurkonstellationen beruhende korporative Akteure, im Kontext gesellschaftlicher Differenzierung handlungsprägende und handlungsfähige Einheiten sind, deren Handlungsselektionen – auf Basis der über die Mitgliedschaftsrollen verbundene Abarbeitung von Intentionsinterferenzen der Akteure im Hinblick auf eine ›einheitliche‹ Handlungsausrichtung der Organisation – einer gewissen ›Freiheit‹ gegenüber den starren Grenzen der teilsystemischen Handlungsprägung unterliegen, entspricht dies bei Münch (1984: 7-20, 1991: 306f.) durchaus der vermittelten Funktion von Institutionen23: Institutionen sind jene Instanzen, die zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilsystemen eine vermittelnde Funktion einnehmen, die Rationalitätspräferenzen der Teilsysteme über Rollen als institutionelle Muster der Handlungsorientierung an die Akteure übermitteln und aufgrund ihrer vermittelnden Funktion in den Interpenetrationszonen des gesellschaftlichen AusÄquivalent zur binären Codierung gesehen werden und in diesem Sinne die Organisation ebenfalls an ein Programm binden. 22 Im Zuge seiner Auseinandersetzung mit dem »ungeklärten Verhältnis von Organisationsund Funktionssystemen in Luhmanns Theorie sozialer Systeme« verweist auch Kneer (2001: 413f.) auf einen handlungstheoretischen Bezug bzw. auf eine handlungstheoretisch orientierte Modellierung der von Luhmann angeführten Außenkommunikation von Organisationen. 23 Bei dieser Gegenüberstellung können Organisationen (Schimank) und Institutionen (Münch) insofern miteinander verglichen werden, wenn davon ausgegangen wird, dass es sich bei beiden um soziale Gebilde handelt, die sich institutionell verselbstständigt haben und dementsprechend spezifische Ziele verfolgen bzw. bestimmte Zwecke erfüllen (vgl. Manytz 1963: 18).
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tausches angesiedelt werden können, wobei sich die unterschiedlichen Zonen der Interpenetration ebenfalls durch ein gewisses Maß an ›Freiheit‹ gegenüber den strikt vorgegebenen Handlungsrationalitäten der Gesellschaftsysteme charakterisieren lassen (vgl. Münch 1984: 7-20, 1991: 306f.). Denn: »Da sich das gesellschaftliche Geschehen immer mehr in diesen Interpenetrationszonen abspielt, wird immer mehr nach einer komplexen Gemengelage unterschiedlicher Systemlogiken und immer weniger nach einer eindeutig definierbaren Systemlogik gehandelt. Die gesellschaftliche Realität hat in der dargelegten Hinsicht die Theorie der Systemdifferenzierung längst überholt.« (Münch 1991: 285)
Der Unterschied, und damit die Möglichkeit der Ergänzung der Konzeption Münchs, besteht aber im Bereich der angesprochenen ›Freiheit‹. Diese ist bei Münch, neben dem Aspekt der »institutionellen Interpenetrationen« (Kron 2004a: 45), im Bereich der sich über die – unterschiedlichen Institutionen und damit unterschiedlichen Teilsystemen zugehörigen – Rollenspieler vollziehenden »Interpenetration im Handeln [Herv. i.O.]« (Kron 2004a: 45) anzusiedeln, innerhalb derer die »Träger von Interpenetrationsleistungen letztlich die mit unterschiedlichen Systemlogiken operierenden [passiven; A.B.] Akteure sind [Herv. i.O.]« (Kron 2004a: 45). Diese Passivität hinsichtlich der Entscheidung und Gestaltung von Handeln, die nach Kron (2004a: 46f.) aus der mangelnden Berücksichtigung bzw. Integration von u.a. individueller Motivation im Bereich des Rollenspiels der Akteure resultiert, kann nun mithilfe der schimankschen (1988: 633ff.) Auffassung dieser ›Freiheit‹ über den aus Akteurfiktionen resultierenden aktiven Aspekt der Handlungsgestaltung ergänzt werden. Denn die ›Freiheit‹, der die intentionalen handlungsfähigen Systeme (formale Organisationen bzw. korporative Akteure) im Hinblick auf ihre Handlungsselektionen innerhalb des strikten strukturellen Rahmens der gesellschaftlichen Teilsysteme unterliegen, ist dabei das Produkt einer fiktionalisierten Situationsdefinition und -rekonstruktion von Akteuren auf Basis der komplexitätsreduzierenden, situativen teilsystemischen Handlungslogiken, die den Akteuren als Als-ob-Konstruktionen sozialer Situationen dienen. D.h., anhand der spezifischen, strukturell bedingten Rationalitätsprinzipien für die Handlungsorientierung in den entsprechenden Teilsystemen fiktionalisieren Akteure bestimmte Situationen, in denen sie sich befinden, so als ob sich der Kontingenzbereich der Erwartungen und Erwartungserwartungen nur an diesen vorherrschenden Kriterien orientieren würde und andere Kontingenzen nicht vorhanden wären (vgl. Schimank 1988: 633ff.). Denn das Handeln von Akteuren in Akteurkonstellationen und damit auch in formalen Organisationen besteht nicht nur aus dem »Vollzug organisatorischer Regeln und durch Kommunikationsmedien zugemuteter Selektionen« (Schimank 1995a: 79), sondern auch aus deren Motivation – schließlich ist für »[d]as differenzierte System motiviertes Einzelhandeln unerläßlich [sic!]« (Luhmann 1988: 132 Fn 9;
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vgl. Schimank 1995a: 84f.). Das motivierte Einzelhandeln von (individuellen und korporativen) Akteuren findet dabei in Situationen doppelter Kontingenz statt, die sich u.a. durch interdependent verflochtene strategische Handlungsausrichtungen einzelner Akteure auszeichnen und sich – die in dieser Situation bereits ereignete und vollzogene Strukturbildung als basales Moment der Entstehung von (sozialen) Systemen zur Komplexitäts- und Kontingenzreduktion in differenzierten Gesellschaft bereits vorausgesetzt – über die zugrunde liegenden Erwartungserwartungen bzgl. der Handlungsselektion und -anpassung an einem die Situation definierenden regulativen Bezugsrahmen (eben an den teilsystemischen Rationalitätskriterien als Akteurfiktionen) orientieren (vgl. Esser 2000b: 1-22; Luhmann 1984: 154, 159f.; Münch 1988: 327ff., 2004: 57; Parsons 1968a: 436, 1994: 73f.). »Wenn also ein gesellschaftlicher Akteur eine soziale Situation, an der er nicht selbst beteiligt ist und/oder die bereits vergangen ist, als simplifizierte Abstraktion rekonstruiert, nämlich als Ausprägung der durch generalisierte kognitive, evaluative und normative Orientierungen konstituierten spezifischen Handlungslogik eines bestimmten gesellschaftlichen Teilsystems, dann handelt es sich bei dieser Rekonstruktion um keine wahrheitsgemäße Darstellung […] [sondern um] Unwahrheiten, die den Akteuren als solche bewußt sind und ihnen dennoch – oder sogar: gerade deshalb – überhaupt erst Handeln ermöglichen. Damit ist der Tatbestand von Fiktionen gegeben. [Herv. i.O.]« (Schimank 1988: 633f.)
Die bei Münch fehlende Aktivität der Handlungsgestaltung in Form der individuellen Motivation wird somit bei Schimank (1995a: 84f.) nicht nur berücksichtigt, sondern ist dabei zugleich auch wiederum an das intentionale Handeln der Organisationen gekoppelt: Zum einen über das interessenabhängige Wollen und zum anderen über das durch Ressourcenabhängigkeit oder -verfügbarkeit bedingte Einflusspotenzial (das Können) in den bestehenden Akteurkonstellationen, welche sich eben u.a. durch interdependent verflochtene strategische Handlungsausrichtungen einzelner Akteure auszeichnen. Innerhalb der Wollen-Dimension bilden bestimmte reflexive Interessen die Basis der Intentionen der Akteure. Diese Interessen zeichnen sich bspw. dadurch aus, dass Akteure (1) die Umsetzung ihrer Interessen (z.B. durch Wachstumsförderung hierfür benötigter Ressourcen oder eigene Befugniserweiterung) ausweiten wollen, (2) eine spezifische Interessensphäre dominieren wollen und (3) nach der Erweiterung der Kontrolle über die eigene Interessenumsetzung streben. Die Verfolgung dieser reflexiven Interessen wird von jedem Akteur unterstellt – sie werden fiktionalisiert und werden somit zu Handlungsanleitungen: »Die wechselseitige Unterstellung solcher reflexiver Interessen schafft eine Verständigungsebene, auf der das gegenseitige Abtasten daraufhin, was der jeweils andere will, meist sehr schnell auf sicheren Grund führt.« (Schimank 1995a: 86) Allerdings ist das Wollen auch in Abhängigkeit vom Können zu betrachten und vice versa. Die Können-Dimension »besteht vor allem aus verschiedenen Ressourcen
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der wechselseitigen Beeinflussung, den situationsbezogenen Wissensstand der Akteure sowie institutionellen Restriktionen« (Schimank 1995a: 87, vgl. hierzu Schimank 1995a: 85ff.). Somit ergänzt das aktive Moment der Handlungsfähigkeit von (individuellen und korporativen) Akteuren nicht nur Münchs sozialintegrative Perspektive der Interpenetration um einen entscheidenden Faktor, sondern bietet darüber hinaus eine sozialintegrative Perspektive an, die »der Systemtheorie und damit auch der Theorie funktionaler Differenzierung [entgeht]« (Schimank 1985: 426). Die Konzeptionalisierung formaler Organisationen, als auf der Handlungsfähigkeit von Akteuren basierende Akteurkonstellationen, die aufgrund der Abarbeitung von Intentionsinterferenzen und über die teilsystemischen Rationalitätsfiktionen hinaus auch in der Lage sind, handlungsprägende Strukturen zu generieren und zu verändern, bietet eine sozialintegrative Perspektive innerhalb differenzierungstheoretischer Beobachtungen und Analysen an, die neben der »handlungsprägenden Kraft von Systemen […] [auch; A.B.] die Handlungsfähigkeit von Akteuren – und damit auch deren systemkonstituierende Potenz [Herv. A.B.]« (Schimank 1985: 426) erfassen kann. Aus der Verwobenheit handlungsfähiger und handlungsprägender Systeme geht somit hervor, dass gesellschaftliche Differenzierung über bestimmte Dynamiken diese beiden Arten von Systemtypen hervorbringt, die beide bestimmte (funktionale) Erfordernisse übernehmen. Systeme ersteren Typs generieren aufgrund der inter-systemischen Interessen- und Einflusskonstellationen positive Handlungsauswahlen, während Systeme letzteren Typs negative Handlungsauswahlen konditionieren, die allerdings maßgeblich für die Reproduktion der funktionalen Erfordernisse für die Gesellschaft sind (vgl. Schimank 1985: 431). »Gesellschaftliche Differenzierung als das teils beabsichtigte, teils unbeabsichtigte Ergebnis gesellschaftlichen Handelns muß daher aus gesellschaftlichen Interessen- und Einflußkonstellationen im Rahmen funktionaler gesellschaftlicher Reproduktion erklärt werden.« (Schimank 1985: 431f.) Die so angelegte Differenzierungsdynamik ist eine rekursive und erklärt Differenzierung durch Differenzierung (vgl. Abb. 1). Abbildung 1: Rekursive Differenzierungsdynamik
Schimank 1985: 432, 2005a: 109
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Abschließend lässt sich somit also konstatieren, dass die rekursive Annahme einer gesellschaftlichen Differenzierung über das handelnde Zusammenwirken von Akteuren in Akteurkonstellationen zum einen gesellschaftliche Strukturen und damit handlungsprägende Sozialsysteme konstituiert, die durch teilsystemische Handlungslogiken auf das Handeln der Akteure wiederum rückwirken. Zum anderen kann aber über die Einbeziehung akteurtheoretisch fundierter Annahmen intentionalen Handelns auch nachvollzogen werden, dass bestimmte Systeme selbst handlungsfähig sind und somit über inter-systemische Austauschbeziehungen der Strategieaspekt des Handelns anhand reflexiver Interessen auch auf systemischer Ebene fruchtbar gemacht werden kann. 2.2.2 Die Organisationsgesellschaft Formalen Organisationen, als Schnittstelle zwischen Akteuren und Systemen und als alle gesellschaftlichen Bereiche durchziehenden Leistungsträgern, kommt in der Organisationsgesellschaft eine besondere Bedeutung hinsichtlich einer positiven wie negativen Integration für Individuen und die Gesellschaft zu. Über strukturell implementierte Mitgliedsrollen und die Ausbildung von Karrieren ermöglichen Organisationen in gesellschaftlich positiver Hinsicht nicht nur die Entstehung handlungsprägender Rationalitätskriterien, sondern auch individuelle wie organisationale Handlungsfähigkeit und somit gesellschaftliche Integration. Für Individuen besteht das positive Moment einer Organisationsgesellschaft in der Verbesserung individueller Lebenschancen auf Basis freiwilliger bottom-up-Zusammenschlüsse Einzelner zur Verbesserung einer (gegenseitig angepassten) Interessendurchsetzung und durch top-down-gesteuerte Zusammenschlüsse, in denen sich Einzelne auf Basis (meist) finanzieller Anreize zur persönlichen Anspruchsbefriedigung und zur Verbesserung der organisationalen Leistungsproduktion zusammenschließen. In negativer Hinsicht können sich diese Aspekte, durch Oligarchisierungstendenzen oder durch Entfremdungs- und Machtlosigkeitserfahrungen, aber auch in einer Verschlechterung individueller Lebenschancen niederschlagen. Aus diesbezüglich entstehenden individuellen Rückzugstendenzen aus der aktiven Organisationsmitgliedschaft resultiert das gesellschaftlich negative Moment von Desintegrationstendenzen, die zu einer Blockade der gesellschaftlichen Strukturen und zu einer Multiexklusion der Mitglieder führen. Wie in den vorangegangenen Ausführungen deutlich geworden ist, nehmen Organisationen als handlungsprägende und handlungsfähige Systeme eine besondere Stellung im Prozess der gesellschaftlichen Differenzierung ein. Dies ist nicht nur auf den sozialintegrativen Aspekt zurückzuführen, sondern auch auf den enormen Zuwachs von Organisationen in modernen Gesellschaften, sodass die moderne, diffe-
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renzierte Gesellschaft aufgrund der »flächendeckenden Durchsetzung nahezu aller Lebensbereiche mit formalen Organisationen […] wahrhaft eine Organisationsgesellschaft [ist] [Herv. i.O.]« (Schimank 2005c: 19f.; vgl. Schimank 2007b: 239f.). »Unternehmen, staatliche Verwaltungen, Schulen und Hochschulen, Krankenhäuser, Gerichte, Forschungsinstitute, das Militär, Kirchen, Museen, Zeitungen, Fernsehsender, politische Parteien, Verbände, Genossenschaften, Vereine: Diese Auflistung ist auch ohne Bemühen um Vollständigkeit schlagend.« (Schimank 2005c: 19f.)
Organisationen durchziehen als Leistungsträger in modernen Gesellschaften demnach alle gesellschaftsrelevanten Teilbereiche mit ihren inhärenten Prinzipien der Handlungseffizienz und -effektivität, wenn nicht sogar in kritischer Perspektive davon gesprochen werden kann, dass Gesellschaft eben nicht mehr formal organisiert ist, sondern vielmehr formale Organisationen Gesellschaft sind (vgl. Schimank 2005c: 20f.). Aus einer etwas weniger kritischen Haltung heraus kann aber festgestellt werden, dass Organisationen als intermediären Instanzen insofern eine entscheidende Bedeutung zukommt, als sie eben zwischen Interaktion – als wechselseitige (doppelt kontingente) Wahrnehmung mindestens zweier Akteure – und Gesellschaft – im Hinblick auf die kommunikative Erreichbarkeit der Systeme – vermitteln (vgl. Luhmann 1975a; Schimank 2005c: 23). Wenn man diesen Gedanken anders formuliert, kann also davon gesprochen werden, dass Organisationen als Schnittstelle zwischen Akteuren und Systemen fungieren, womit gleichzeitig auch unterschiedliche Vor- und Nachteile für die beteiligten Elemente verbunden sind (vgl. Tab. 1). Tabelle 1: Positive und negative Aspekte einer Organisationsgesellschaft
Schimank 2005c: 22-46
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Formale Organisationen erweisen sich in puncto der »integrativen Wirkung […] [, die; A.B.] in ihrer Bündelung und Einbindung von ansonsten anarchisch fluktuierenden Individualinteressen [besteht] [Herv i.O.]« (Schimank 2005c: 36), insofern als positiv im Kontext einer Organisationsgesellschaft, als über diese Bündelung und Einbindung spezifischer Individualinteressen, im Sinne einer Integration von Individuen als Mitgliedern formaler Organisationen, gesellschaftliche Integration möglich wird. Denn: »Mit der Bildung von mitgliedschaftsbewußten [sic!] sozialen Systemen wird […] ein gewisser Grad an Veräußerlichung und Abstraktion der sozialen Orientierung erreicht und damit eine Vorbedingung für den Aufbau großer sozialer Systeme erfüllt. […] Sobald die Mitgliedschaft als besondere Rolle aufgefasst wird, scheiden sich die im System gelebten Erwartungen […]: ein Teil der Verhaltenserwartungen im System wird zum Bestandteil der Mitgliedsrolle.« (Luhmann 1964: 36)
Paradigmatisch für diesen Integrationstypus kann dabei in klassischer Hinsicht erneut Webers Konzeptionalisierung der bürokratischen Herrschaft angesehen werden. Denn zu den Besonderheiten, welche »[d]ie legale Herrschaft mit bürokratischem Verwaltungsstab« (Weber 2005: 160) auszeichnen, gehört ein hohes Maß an Formalismus im Sinne einer festen Regelsetzung. Die Regelsetzungen schaffen durch (positive oder negative) Sanktionierungsmöglichkeiten eine Arbeitsdisziplin, die, gestützt durch feste hierarchische Strukturen, Regelkonformität – als Basis einer »Sicherung persönlicher Lebenschancen gleichviel welcher Art Interessierten« (Weber 2005: 166) – erzeugt und somit nicht-rationale Verhaltensweisen (z.B. Feindseligkeit, Konflikte etc.) von rationalen aufgrund der Schaffung wechselseitiger Erwartungssicherheit abtrennt (vgl. Merton 1971: 265f.; Schimank 2005c: 36; Weber 2005: 160-166). Zu den wesentlichen Merkmalen der Ausbildung von Bürokratien als quasi archetypische Form formaler Organisationen (siehe Perrow 1986: 258-262), die innerhalb gesellschaftlicher Differenzierungsprozesse von der einstigen hauptsächlichen Verbindung an die politisch-administrative Führung auch auf andere gesellschaftliche Bereiche übertragen wurde (vgl. Parsons 1996: 36), gehört somit »die Institutionalisierung von Rollen als ›Ämter‹, die relativ gut umrissene offizielle Funktionsbereiche haben« (Parsons 1996: 36). Durch die Überführung spezifisch ausgehandelter Aspekte ursprünglicher Interessenvereinigungen in normativ festgelegte und regulierte wechselseitige Verhaltenserwartungen mit einer strukturell implementierten, vorauszusetzenden Erfüllung derselben kann die Ausbildung von Mitgliedsrollen und ihre integrative Bedeutung, im Sinne einer kollektiven Zielverfolgung und -verwirklichung, demnach als elementare Ordnungsform formaler Organisationen und einer – auf der pluralen Existenz formaler Organisationen beruhenden – Organisationgesellschaft angesehen werden (vgl. Luhmann 1964: 2953; Parsons 1996: 12-40; Schimank 2005c: 19f., 2007b: 239f.). Denn analog zu den
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elementaren Voraussetzungen einer Gruppenbildung, als auf einer Interessenvereinigung beruhender Akteurkonstellation, ist »Mitgliedschaft selbst als Symbol für eine besondere Rolle mit bestimmten Rechten und Pflichten […], d.h. als abgesonderter Komplex von Verhaltenserwartungen, der unter Bedingungen gestellt werden kann« (Luhmann 1964: 35) anzusehen. Voraussetzung hierfür ist, »daß auch die Gruppe als besonderes soziales System erlebbar wird, auf das sich die Mitgliedschaft […] bezieht […] [wofür eben ein; A.B.] Mindestmaß an innerer Organisation des Systems erforderlich [ist]« (Luhmann 1964: 35). D.h., die aus der Gruppenbildung resultierende und erlebte Mitgliedschaft ermöglicht »[s]achlich […] eine doppelte Rahmung der kommunikativen Operationen des Systems [Herv. i.O.]« (Luhmann 2000b: 112): »Nach außen grenzt sich das System durch die Unterscheidung von Zugehörigkeit/Nichtzugehörigkeit ab. […] Intern entsteht durch die geringe Spezifikation der Mitgliedschaftsanforderungen ein Medium, das weitere Spezifikationen bedarf; also ein Medium, das weitere interne Unterscheidungen benötigt, um Operationen erzeugen zu können.« (Luhmann 2000b: 112)
Die weiteren internen Unterscheidungen zur Erzeugung von Operationen sind somit neben den allgemeinen Anforderungen an Organisationen als autopoietische, selbstreferentielle, operativ geschlossene, autonome Systeme auch an das spezifische Vorhandensein von Entscheidungsprämissen (als funktionales Äquivalent binärer Codierung der Funktionssysteme) und in diesem Sinne eines Programms gebunden (siehe Kneer/Nassehi 2000; Luhmann 1998, 2000b: 222-255, 2009a). Denn erst »[d]urch die Differenzierung von Codierung und Programmierung gewinnt ein System also die Möglichkeit als geschlossenes und als offenes System zu gleich zu operieren [Herv. i.O.]« (Luhmann 1990: 91). Und Programme »als vorgegebene Bedingungen für die Richtigkeit der Selektion von Operationen« (Luhmann 1990: 91) können als Strukturen im Kontext von Organisationen »ihre Mitglieder mit Verhaltenszumutungen konfrontieren« (Schimank 2005c: 37), die wiederum als normative Verhaltensvorgaben interpretiert werden können und damit als handlungsprägende Rationalitätskriterien für die Aufrechterhaltung von Ordnung sorgen. Aus der in sachlicher Hinsicht resultierenden Unterscheidung zwischen Mitgliedschaft und Nicht-Mitgliedschaft folgt also in sozialer Hinsicht die »Zuweisung von Gründen für bestimmte Handlungen« (Luhmann 2000b: 95) in Form von Motiven. Denn »[e]s gibt in der Organisation Adressaten [eben die Mitglieder; A.B.], denen gegenüber es sich empfiehlt, Motive mit den Entscheidungsprogrammen der Organisation zu identifizieren« (Luhmann 2000b: 96), um die Handlungen der Mitglieder erklären zu können (vgl. Luhmann 2000b: 95f.). Im Kontext einer auf pluralen Organisationen und damit einer auf teilsystemischer Multi-Inklusion basierenden Organisationsgesellschaft kommt dabei Karrieren, »als ein[em] stabile[n] Moment, […] [das; A.B.] es sowohl den Individuen als auch den Organisationen ermöglicht, die
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Entscheidungskontingenzen der Organisationen zu ertragen und zu nutzen« (Luhmann 2000b: 102), »eine zentrale Funktion in der Integration von Individuen und Organisationen« (Luhmann 2000b: 101) zu: Denn Karrieren – als mit der notwendigen öffentlichen Symbolisierung von Selbstselektion (der eigene Handlungsantrieb) und Fremdselektion (die organisationalen Entscheidungsprämissen) kommunizierten individuellen Selbst-Entwicklung in Form eines Lebenslaufes als Zeichen erfolgreicher gesellschaftlicher Integration – »leisten […] nicht nur eine […] Verteilung von Personen auf Rollen oder Ämter, sondern [stellen eben; A.B.] zugleich eine […] Motivation« (Luhmann 2000b: 106) zur Ausführung fremddeterminierter Verhaltensweisen bereit, die aufgrund der »durch die Mitgliedsrolle […] generalisierte[n] Konformitätsbereitschaft« (Schimank 2005c: 36) unabhängig von der Individualität von Personen ist (vgl. Luhmann 2000b: 84, 94-111). »Die […] launenhafte Subjektivität von Personen wird in formalen Organisationen […] [somit; A.B.] durch Karrierechancen und [darüber hinaus durch; A.B.] Kündigungsdrohungen sozial erwartbar gemacht« (Schimank 2005c: 36), sodass die in den Programmstrukturen formaler Organisationen implementierten normativen Verhaltensvorgaben »in zeitlicher Hinsicht eine eigene Kontinuität [gewinnen], die die Diskontinuitäten des Personals und der Aufgaben ausgleicht [Herv. A.B.]« (Schimank 2005c: 37). Aufgrund der Unabhängigkeit von einzelnen Individuen wird formalen Organisationen damit auch Handlungsfähigkeit ermöglicht. Die gesellschaftlich integrative Funktion von Organisationen beruht demnach in sachlicher, sozialer und zeitlicher Hinsicht auf den bereits dargestellten handlungsprägenden und handlungsfähigen Aspekten formaler Organisationen (vgl. Kap. 2.2.1). Da Organisationen in puncto ihrer Handlungsfähigkeit aber auch als kollektive Akteure aufgefasst werden, die aus einem historisch-evolutiven Lernprozess einzelner Individuen im Hinblick der besser Durchsetzung und Befriedigung ihrer Interessen aufgrund des organisatorischen Zusammenschlusses zu einer Interessenvereinigung (z.B. politische Parteien, Gewerkschaften, NGOs) und durch die Bündelung spezifischer Einflusspotenziale (wie Geld oder Macht) entstanden sind, resultiert auch auf Ebene der Individuen ein positives Moment der Organisationsgesellschaft. Aus dem eben genannten Aspekt der Interessendurchsetzung sowie einem damit einhergehenden Entgegenwirken individuellen Ausspielens aufgrund einer Einflussneutralisierung resultiert eine Verbesserung individueller Lebenschancen (vgl. hierzu Schimank 2005c: 24ff.). Voraussetzung für den Zusammenschluss Einzelner zu einer formalen Organisation – im Sinne einer bottom-up-Organisationsbildung – ist hier die freiwillige Mitgliedschaft, welche gleichzeitig eine individuelle Anpassung an die Ziele des Kollektivs mit sich führt. Zum Wohl des Ganzen müssen Akteure demnach ein Stück ihrer Autonomie aufgeben. Zu Beginn einer solchen Organisationsbildung ist ein erfolgreiches Moment bzgl. der Steigerung der Lebenschancen zu verzeichnen, wobei es allerdings im Kontext einer erfolgreichen Interessendurchsetzung einer Gruppe auch immer zu Verlusten anderer Gruppen
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kommt, sodass im Zuge einer gegenseitigen Anpassung der Interessendurchsetzung ein Organisationspluralismus zu verzeichnen ist, der im zeitlichen Verlauf eher zu einer Interessenverteidigung und -behauptung führt als zu der ursprünglich vorherrschenden -durchsetzung (vgl. hierzu Schimank 2000: 310-313, 2001, 2004, 2005c: 26ff.). An dieser Stelle ist das dynamische Element einer Organisationsgesellschaft zu erkennen. Aber nicht nur Interessenorganisationen tragen zu einer Verbesserung der individuellen Lebenschancen durch Interessenbündelung, -durchsetzung und Einflussneutralisierung bei, sondern auch Organisationen, die von oben, also topdown gebildet werden. Im Gegensatz zu Interessenorganisationen entsteht dieser Typus, der als Arbeitsorganisation charakterisiert werden kann, nicht aus dem freiwilligen Zusammenschluss mehrerer individueller Akteure zu einem korporativen Akteur, sondern wird ausgehend von einem einzelnen Akteur (oder einer Gruppe) zunächst etabliert und anschließend werden weitere Teilnehmer rekrutiert. Als beispielhaft für diesen Typ formaler Organisation, dessen Zielsetzungen nicht zwangsläufig mit denen der Mitglieder übereinstimmen müssen, können Unternehmen oder Verwaltungen angesehen werden (vgl. hierzu Schimank 2000: 315-318, 2001, 2004, 2005c: 26ff.). Hinsichtlich der speziellen Mitgliedschaftsvariante in diesem Typus formaler Organisation lässt sich für die einzelnen Akteure Folgendes konstatieren: »Für festgelegte Anreize insbesondere finanzieller Art verpflichtet sich das Individuum, Beiträge zur organisatorischen Leistungsproduktion zu liefern – wobei die Art der Beiträge im Arbeitsvertrag nicht genau spezifiziert sind [sic!], sondern lediglich eine ›zone of indifference‹ […] umrissen ist, innerhalb derer sich die Anforderungen der Organisation bewegen müssen.« (Schimank 2005c: 27)
Aus dieser spezifischen Art der Verfügung über ihre Mitglieder, die mit Luhmann (1975a: 12) auch als »Autoritätsunterwerfung gegen Gehalt« beschrieben werden kann, erfolgt zum einen die Möglichkeit einer über kontinuierliche Gehaltszahlungen gegebene Anspruchsbefriedigung von Akteuren. Die subjektiven Ansprüche der Akteure können im Kontext der Tauschbeziehung »Arbeit gegen Geld« und einer Investition des Letzteren in mit den Ansprüchen verbundene Waren oder Güter befriedigt werden. Zum anderen begründet sich aus der spezifischen Art der Verfügung über die Mitglieder der Arbeitsorganisation auch die Existenz und rasche Ausbreitung der Arbeitsorganisationen, da hierdurch große Vorteile der Effizienz und Effektivität hinsichtlich der Leistungsproduktion gegeben sind (vgl. Schimank 2000: 315-318):
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»Denn die […] Möglichkeit, sich sehr weitgehend über die konkreten und je individuellen Motivlagen der Mitglieder hinwegsetzen und eine homogenisierte Mitgliedschaftsmotivation voraussetzen zu können, eröffnet ansonsten nicht gegebene organisatorische Spezialisierungsund Wachstumspfade.« (Schimank 2005c: 27)
Das positive und zeitgleich förderliche Moment bzgl. der individuellen Lebenschancen resultiert somit aus der teilsystemischen Leistungssteigerung bzgl. ihrer inhärenten Güter- und Warenproduktion. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass einerseits die Interessenbefriedigung einzelner Akteure durch ihren korporativen Zusammenschluss und andererseits die Anspruchsbefriedigung durch die teilsystemisch erbrachte Leistungsproduktion auf Basis der Arbeitsorganisationen förderliche Aspekte einer Organisationsgesellschaft im Sinne einer Verbesserung individueller Lebenschancen darstellen (vgl. Schimank 2005c: 24-29). Die Organisationsgesellschaft führt aber nicht nur in positiver Hinsicht zu einer Verbesserung der individuellen Lebenschancen, sondern in negativer Hinsicht auch zu einer Verschlechterung individueller Lebenschancen, die in »einer um das Individuum besorgten Kulturkritik« (Schimank 2005c: 29) resultiert. Aufgrund der (zunehmenden) Durchdringung aller gesellschaftsrelevanten Bereiche durch formale Organisationen (vgl. Luhmann 1975a: 12) können individuelle Interessen verdrängt werden, was mit Machtlosigkeit oder Entfremdungserfahrungen auf Seiten der Akteure einhergeht (siehe Junge 2000; Kron 2002, 2004b; Simmel 1983a). Sowohl Machtlosigkeit als auch Entfremdungserfahrungen beruhen auf der Annahme einer Oligarchisierungstendenz. Diese tritt dann ein, wenn die Anzahl der Organisationsmitglieder einen bestimmten Schwellenwert erreicht, aufgrund dessen basisdemokratische Entscheidungen auf die Ebene repräsentativ-demokratischer Entscheidungen gehoben werden, sodass zwar eine basislegitimierte Führung bestimmt wird, diese aus Sicht der einzelnen Mitglieder die Interessenverfolgung (in subjektiv interpretatorischer Hinsicht) allerdings nicht im Sinne des Kollektivs durchsetzt (vgl. Schimank 2000: 313ff., 2005c: 29ff.). Die Folge ist ein gewisses Maß an Machtlosigkeit der individuellen Mitglieder. Aus dieser Perspektive kann aber der Eindruck entstehen, dass – positiv gewendet – die Führung formaler Organisationen oftmals besser einschätzen kann, welche der spezifischen Ziele wie am besten durch- und umgesetzt werden können. »Oligarchisierung bedeutet also nicht notwendigerweise eine Missachtung der gemeinsamen Interessen durch die Führung. Doch sofern es ihr nicht gelingt, die eigene Sicht dieser Interessen auch der ›Basis‹ plausibel zu machen, stellen sich auf der anderen Seite Entfremdungsgefühle ein. […] Man sollte also die Oligarchisierung aus der Sicht der individuellen Mitglieder als eine stets präsente Gefahr ansehen, der wachsam Einhalt geboten werden muss […].« (Schimank 2005c: 30f.)
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Aber nicht nur Oligarchisierungstendenzen können zu einer Verschlechterung individueller Lebenschancen beitragen, sondern auch der bereits oben angesprochene Aspekt der Entfremdung bzw. die Entfremdungserfahrungen individueller Akteure hinsichtlich ihrer Einbindung in einen auf Effizienz und Effektivität angelegten Produktionsprozess formaler Organisationen (vgl. Schimank 2005c: 31-35).24 Denn im Zuge der zunehmenden gesellschaftlichen Differenzierung hin zu einer kapitalistischen (und ökonomisierten) Umstrukturierung löst sich die Verbindung von Produzent und Produkt, sodass individuelle Produktionsmittel durch die Einbindung in gesellschaftlich konzentrierte zersplittert werden. Ergebnis dieser Trennung ist eine Entfremdung zwischen Arbeitskraft als Produktivkraft und dem tatsächlich produzierten Gut, welche auf der einen Seite zu einem Verlust subjektiver Bindung führt, aber auf der anderen Seite gleichzeitig die Vorteile eines konsumistischen Pluralismus bzgl. der Vielfalt der nun erwerbbaren Güter bedingt (vgl. hierzu Marx 1967: 789ff.; Simmel 1983a; siehe auch Simmel 2008). Und dieses ambivalente Verhältnis zwischen Produzent/Konsument bzw. Subjekt/Objekt als »Verschlechterung der ›Lebenschancen‹ im Bereich der Arbeit ist der Preis, den viele Individuen zu zahlen haben, damit ihre ›Lebenschancen‹ als Leistungsabnehmer moderner Arbeitsorganisationen durch deren Effektivitäts- und Effizienzsteigerungen verbessert werden« (Schimank 2005c: 31). Das subjektive Leben erfährt hierdurch eine gewisse Transformation, indem es zunächst selbst zum Objekt des Konsums werden muss bzw. im weiteren Verlauf auch wird und bleibt: »Das existenzielle Umfeld, das man ›Konsumgesellschaft‹ nennt, zeichnet sich dadurch aus, dass es alle zwischenmenschlichen Beziehungen nach dem Muster und Vorbild der Beziehungen zwischen Konsumenten und ihren Konsumobjekten umgestaltet. Diese erstaunliche Leistung beruht auf der Besetzung und Kolonialisierung des Raums, der sich zwischen menschlichen Individuen erstreckt, durch Konsumgütermärkte […]. […] In der Konsumgesellschaft kann niemand ein Subjekt werden, ohne sich zuerst in eine Ware zu verwandeln, und niemand kann sich seines Subjektseins sicher sein, ohne ständig jene Fähigkeiten zu regenerieren, wiederzubeleben und aufzufrischen, die von einer käuflichen Ware erwartet und eingefordert werden. Die ›Subjektivität‹ des Subjekts und der Großteil dessen, was diese Subjektivität dem Subjekt zu erreichen ermöglicht, ist fokussiert auf das nicht enden wollende Bemühen, selbst eine verkäufliche Ware zu werden und zu bleiben. [Herv. A.B.]« (Bauman 2009: 19, 21) 24 Allerdings weist Schimank (2005c: 34) auch darauf hin, dass im Rahmen einer derartigen Diagnose ein Mangel an empirisch fundierten Belegen existiert und diese Argumentation unter Rekurs auf Schulzes (1992) gegenwartsdiagnostische Beschreibung einer »Erlebnisgesellschaft« entkräftet werden könnte, da die »Erlebnisgesellschaft« »zumindest für einen Teil der Individuen vielfältige Erweiterungen von ›Lebenschancen‹ mit sich bringt, und […] [dies hängt] in hohem Maße an Leistungsangeboten formaler Organisationen«.
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Oder anders formuliert: Aufgrund der asymmetrischen Beziehung zwischen individuellen und kollektiven Akteuren (formale Organisationen) nimmt das Einflusspotenzial einzelner Akteure im Vergleich zu den sich verselbstständigenden formalen Organisationen ab. Es entsteht ein erhöhtes Abhängigkeitsverhältnis Ersterer von Letzteren, wodurch letztlich »[ü]berspitzt formuliert: Die Organisationsgesellschaft […] orientierungslose, frustrierte Zwangscharaktere [erzeugt]« (Schimank 2005c: 32; vgl. hierzu Coleman 1982; Schimank 2007b: 247-251). Und in dieser Hinsicht wird auch das negative Moment einer Organisationsgesellschaft für die Gesellschaft selbst deutlich: die sich über individuelle Rückzugstendenzen aus der aktiven Organisationsmitgliedschaft entwickelnden Tendenzen gesellschaftlicher Desintegration. Sowohl das Empfinden von Machtlosigkeit als auch die Entfremdungserfahrungen im Kontext von Organisationen können als Kehrseite des eigentlich integrativen Aspekts in passives Verhalten der Mitglieder und individuelle Rückzugstendenzen münden, was aufgrund eines Rückgangs basisdemokratischer Entscheidungen hin zu einer zunehmenden zentralisierten Machtsteigerung der Organisationen zu intra- und inter-organisationalen Desintegrationstendenzen führen kann (vgl. Sennett 2007: 144). Anstatt sozial-konstruktiven Mitgliederhandelns kann destruktives Handeln entstehen. So können sich bspw. einzelne Mitglieder einer Partei, bei einer vorliegenden Abkehr von Basisentscheidungen, nicht nur weniger für die Partei engagieren (passives Verhalten), sondern auch innerparteiliche Opposition betreiben oder austreten (individuelle Rückzugstendenzen in Form desintegrativen Verhaltens), was im ersten Fall die kollektive Zielverwirklichung der Partei konterkariert und im letzten Fall – bei massiven Rückzügen in Form von Parteiaustritten – zu einem Zerfall der Partei führen kann (vgl. Schimank 2000: 314f.). Und auch in Unternehmen können die Mitglieder bspw. ihre Unzufriedenheit mit den Leistungen der Führung in das eigene Leistungsverhalten überführen und nur noch die normativ vorgeschriebenen Mindestleistungen erbringen (›Dienst nach Vorschrift‹ als passives Verhalten) oder z.B. durch Streiks (individuelles Rückzugsverhalten in Form desintegrativen Verhaltens) die Produktion und damit die Leistung des Unternehmens mindern. Wenn derartigen »aktiven desintegrativen Reaktionsmustern […] durch die anderen Individuen, deren Rückzug in die Passivität einer Nicht-Verteidigung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung gleichkommt kein Einhalt geboten wird«, das aktiv-desintegrative Verhalten folglich das Niveau des Passiven übersteigt und »sich dieser massenhafte individuelle Rückzug aufgrund oligarchischer Interessenorganisationen mit Entfremdungserfahrungen und entsprechendem Rückzugsverhalten in Arbeitsorganisationen [paart], tritt in Form einer Verschlechterung der teilsystemischen Leistungsproduktionen weiterer Sprengstoff für die gesellschaftliche Integration hinzu [Herv. i.O.]« (Schimank 2005c: 43). Denn das aktiv-desintegrative Mitgliederverhalten kann zu intraund inter-organisationalen Stagnationstendenzen führen, und da Organisationen innerhalb der Organisationsgesellschaft als zentrale Leistungsträger fungieren, kann
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ein hiermit einhergehender Einbruch der vorherigen effizienten und effektiven Leistungsproduktion in eine Rückkehr zum statischen »Gehäuse der Hörigkeit« münden, die ohne Hoffnung auf neue »charismatische Führer«, um die Situation in weberscher Terminologie zu beschreiben, zu einer (erneuten) Blockade der gesellschaftlichen Strukturen führen kann (vgl. hierzu Crozier 1970; Schimank 2005c: 42ff.). Aber auch die teilsystemischen Handlungslogiken, welche auf Ebene der Organisationen durch die jeweiligen Entscheidungsprämissen als Handlungsorientierung in gewissem Maß repräsentiert werden und nach der Akteure ihr Verhalten ausrichten, driften auseinander und können ein konflikthaftes Verhältnis erzeugen (vgl. Schimank 1985, 1988, 1995a, 2005c: 38f.). Es kann der Eindruck eines quasi elitären top-dog-Verhaltens entstehen, welches die Bedürfnisse und Interessenansprüche der under-dogs nicht mehr adäquat vertritt bzw. in extremer Form übergeht. Eine derartige Situation der Unterbindung des Potenziellen durch das Aktuelle kann in der Terminologie Galtungs (1975: 7-36) als indirekte oder strukturelle Gewalt aufgefasst werden, die zu einer Multiexklusion der Organisations- und Gesellschaftsmitglieder und damit zu Tendenzen gesellschaftlicher Desintegration führen kann, deren Überwindung in letzter Instanz nur durch die Anwendung von Gewalt (z.B. Aufstände, Unruhen) ermöglicht werden kann (vgl. Schroer 2004: 167ff.). Das gesellschaftlich integrative Moment von Organisationsgesellschaften, in Form der Festlegung rationaler Verhaltensweisen zur Aufrechterhaltung von Ordnung (vgl. Merton 1971: 265f.; Schimank 2005c: 36; Weber 2005: 160-166), kehrt sich somit aufgrund einer zunehmenden zentralisierten Macht von Organisationen in sein Gegenteil um und schafft gesellschaftlich desintegrative, nicht-rationale Verhaltensweisen, welche die Aufrechterhaltung der Ordnung konterkarieren. 2.2.3 Die ökonomische Durchdringung der Teilsysteme Die ökonomische Durchdringung der gesellschaftlichen Teilsysteme kann nicht auf eine direkte intra-systemische Übernahme ökonomischer Rationalitätskriterien zurückgeführt werden, da extern bedingte Änderungen der systemischen Leitpräferenzen gemäß systemtheoretisch inhärenter Grundannahmen nicht möglich sind. Um die ökonomische Intrusion dennoch zu erklären, bietet sich der Rückgriff auf eine Theorie der Nebencodierung und das Konzept generativer Metaphern an. Nebencodes fungieren dabei als Wandler (umweltspezifischer) analoger in (systeminterne) digitale Signale, wodurch eine Integration des ökonomischen Primats in die anderen Teilsysteme, im Sinne einer Modifikation der Primärcodierung, möglich wird. Die Codemodifikation ist dabei an generative Metaphern als spezifische Beobachtungsweise gebunden, die in der Lage sind, bestimmte Elemente als etwas anderes aufzufassen, woraus etwas Neues entsteht: z.B. die Auffassung öffentlicher Verwaltungen als Unternehmen, deren Ausrichtung und Leitdifferenz ›sozial = kein wirt-
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schaftlicher Gewinn‹ im Zuge der auf der generativen Metapher beruhenden Nebencodierung in die paradoxe Formel ›sozial = Gewinn‹ transformiert wird. Aufgrund der rekursiven Differenzierungsdynamik werden hierdurch auch die Leitdifferenzen der handlungsfähigen formalen Organisationen und damit deren Erwartungsstrukturen an die Organisationsmitglieder und letztlich auch das Handeln von Akteuren selbst modifiziert, sodass alle gesellschaftlichen Ebenen (Makro-, Mesound Mikroebene) vom ökonomischen Primat durchdrungen werden. Die eingangs erwähnte Ökonomisierung der Gesellschaft als gegenwartsdiagnostisches Schlagwort zur Beschreibung des Vorgangs, »durch den Strukturen, Prozesse, Orientierungen und Effekte, die man gemeinhin mit einer modernen kapitalistischen Wirtschaft verbindet, gesellschaftlich wirkmächtiger werden« (Schimank/Volkmann 2008: 382), ereignet sich in empirischer Hinsicht im Kontext drastischer Umweltveränderungen (vgl. Kap. 2.1), auf die Gesellschaften zur Sicherung und zum Erhalt ihres Fortbestands reagieren müssen. Aufgrund der spezifischen Entwicklungscharakteristika moderner Gesellschaften, die eine derartige Umweltanpassung aber auf unterschiedliche gesellschaftliche Teilbereiche (primär Politik und Wirtschaft) überträgt, ist die Ökonomisierung der Gesellschaft in theoretischer Hinsicht in den Kontext differenzierter Gesellschaften (vgl. Kap. 2.2.1) und hinsichtlich des enormen Zuwachses und der Bedeutung formaler Organisationen in modernen Gesellschaften auch in den Kontext einer Organisationsgesellschaft (vgl. Kap. 2.2.2) einzubetten. Im Folgenden soll nun, zunächst ausgehend von der systemischen Betrachtung, aufgezeigt werden, wie die Ökonomisierung der gesellschaftlichen Teilbereiche vonstattengeht und welche Auswirkungen dieser Prozess, aufgrund der rekursiven Verwobenheit von Handeln und sozialer Strukturen, für die Akteure hat. Basierend auf einer makroperspektivischen Betrachtung gesellschaftlicher Systeme mündet dieses Vorgehen also in den mikroperspektivischen Bereich der Effekte auf das Handeln der Akteure und erklärt abschließend den Zusammenhang zwischen New Public Management und der Ökonomisierung der Gesellschaft. Hierdurch werden nicht nur die bisherigen Ausführungen und Elemente dieses Kapitels miteinander verbunden, sondern zugleich schließt dieses Vorgehen den theoretischen Rahmen, innerhalb dessen die folgende Ökonomisierung der Universitäten (Kap. 3), die hieraus resultierenden Effekte auf organisationaler Ebene (Kap. 5.2 und 5.3) sowie letztlich die Auswirkungen auf einzelne Akteure bis hin zu der Begehung eines campus shooting (Kap. 7) eingebettet und erklärt werden. Denn schließlich ist der aus der Übertragung von NPM auf den akademischen Bereich entstandene »Academic Capitalism« (Slaughter/Leslie 1999), in dessen Folge »Amokläufe […] nur der extremste Ausdruck […] [eines; A.B.] alltäglichen Kampfes in der Allianz von entfesseltem Wettbewerb, grenzenlosem Egoismus und totaler Kontrolle [sind]« (Münch 2011a: 111ff.), nur im Gesamtkontext der Durchdringung oder Intrusion
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gesellschaftlicher Teilbereiche durch den ökonomischen Primat – und damit im Kontext einer Ökonomisierung der Gesellschaft – zu verstehen (vgl. Bourdieu 1998: 112-121, 2004: 120-129, 147-152; Krönig 2007: 13; Münch 2007, 2009a, 2010, 2011a: 111ff., 2011b; Schimank/Volkmann 2006, 2008: 382f.). Die Erklärung der Ökonomisierung der Gesellschaft als Durchdringung oder Intrusion gesellschaftlicher Teilbereiche durch den ökonomischen Primat (vgl. Bourdieu 1998: 112-121, 2004: 120-129, 147-152; Krönig 2007; Schimank/Volkmann 2006, 2008: 382f.) beginnt in Anlehnung an Krönig (2007) auf der Ebene der gesellschaftlichen Struktur und damit im Bereich der (handlungsprägenden) gesellschaftlichen Teilsysteme, wie z.B. Politik oder Wirtschaft (vgl. Kap. 2.2.1). Hierbei handelt es sich um autopoietische, selbstreferentielle, operativ geschlossene Systeme, deren hiermit einhergehende (notwendige) Grenzziehung zwischen SystemSystem bzw. System-Umwelt auf Basis des funktionalen Primats jeden Systems beruht und deren Reproduktion durch die anschlussfähige binär codierte Kommunikation festgelegt wird: Denn die Operationen autopoietischer Systeme ziehen die Grenzen des Systems, sie legen fest, was zum System und was zur Umwelt gehört (vgl. Krönig 2007: 15ff.; Luhmann 1998: 747-754). Aufgrund dieser spezifischen Systemeigenschaften ist die für eine gesellschaftliche Ökonomisierung notwendige Durchdringung gesellschaftlicher Teilsysteme durch den ökonomischen Primat (zunächst) allerdings nicht möglich. Denn (direkte) wechselseitige Austauschbeziehungen, die eine Übertragung der Operationen des Wirtschaftssystems in andere Systeme ermöglichen müssten, sind sowohl in der Theorie Parsons’ (1980, 1996) als auch bei Münch (1984, 1991, 1996a) und Luhmann (1984, 1998, 2009a) nicht möglich. Bei Parsons’ (1980: 11-54, 1996: 12-40; Parsons/Platt 1973: 36f.) Konzeptionalisierung von Interpenetration als wechselseitige inter-systemische Beeinflussung ist ein tatsächlicher Austausch zwischen sozialen Systemen aufgrund der strikten Medien-Codierung nicht möglich. Lediglich ein Austausch zwischen personalen und sozialen Systemen bzw. zwischen Handlungssystem und sozialem System ist über das Konzept der Interpenetration möglich (vgl. hierzu Künzler 1990: 157-161; Luhmann 1978: 299, 301f.). Auch innerhalb der münchschen (1984, 1991: 107, 285-317, 1996a: 48-56) Fassung von Interpenetration ist eine derartige Austauschbeziehung (zumindest) auf (direkter) systemischer Ebene nicht möglich: Zum einen ebenfalls aufgrund der medienspezifischen Selektion von Operationen, die an die Systemgrenzen gebunden sind, und zum anderen finden die von Münch in durchaus akteurtheoretischer Sichtweise konstatierten Austauschhandlungen in den Interpenetrationszonen ›lediglich‹ auf der Ebene der Rollenspieler, aber nicht auf der (direkten) Ebene der Systeme statt (siehe Kron 2004a).25 Und auch bei 25 Die Auffassung, dass auch im Rahmen des münchschen (1980, 1996a, 1996b) Interpenetrationskonzepts nicht von einem direktem (Leistungs-)Austausch zwischen Systemen gesprochen werden kann, wird darauf zurückgeführt, dass Münch (1980: 38) zu Folge »je-
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Luhmann (1984: 286-345, 1998: 92-128, 2009a: 118-140) ist ein inter-systemischer Austausch nicht möglich, denn »[s]chon die Spezifikation der Funktionen und der Codes führt zur Rejektion anderer Systemorientierungen« (Luhmann 1998: 769). Zwar könnte versucht werden, gesellschaftliche Ökonomisierung über das Konzept der (kommunikativ geräuschlosen) strukturellen Kopplung sozialer Systeme – als aus der evolutorisch bedingten Angepasstheit von Systemen an ihre Umwelt hervorgehende inter-system-Verbindung – und ihrer (damit verbundenen) kognitiven Öffnung bzgl. der Beobachtung von Ereignissen und Informationen aus der Umwelt zu konstruieren. Dies ist aber aufgrund der Tatsache, dass Systeme durch kognitive Öffnung zwar Umweltereignisse als Irritationen des eigenen Systems erkennen, diese aber in operativer Hinsicht nur mithilfe des systeminternen Codes bearbeiten können, nicht möglich (vgl. hierzu Krönig 2007: 18-22; Luhmann 1998: 92-128). »[M]it dem Begriff der strukturellen Kopplung [wird] zunächst nur darauf hingewiesen […], daß Systeme […] auf Störungen ihrer Umwelt angewiesen sind, eine gewisse Umweltangepaßtheit aufrechterhalten müssen und diesen Bezug zur Umwelt nicht operativ gestalten können […]. Dominanzbeziehungen, Steuerung und Eingreifen eines Systems in ein anderes ist also selbst mit den leistungsstärksten Formen struktureller Kopplung nicht zu machen. Mit dem Konzept der strukturellen Kopplung läßt sich demnach Ökonomisierung in keiner Weise konstruieren.« (Krönig 2007: 20ff.)
Ist nach Krönig (2007: 23) die Intrusion anderer Systeme durch den ökonomischen Primat theoretisch nicht »als Eindringen wirtschaftlicher Operationen in andere Funktionssysteme« über das Konzept der strukturellen Kopplung zu fassen und zu erklären, »muß […] Ökonomisierung auf operativer, systeminterner Ebene stattfinden«. Dieser Forderung kann durch die von Krönig (2007) vorgeschlagene Theorie des [System weiterhin; A.B.] über einen unabhängigen Kern [verfügt], von dem ausgehend es das jeweils andere Systeme durchdringt«. So ist also trotz der grundlegend möglichen – und für den gesellschaftlichen Erhalt auch notwendigen – inter-systemischen (Leistungs-)Austauschbeziehungen, die sich über die Übertragung und Integration außersystemische Aspekte und Elemente in das System über Faktoreninput und Produktoutput in den Randzonen und Randgebieten der Systeme vollziehen, weiterhin ein zentraler ›Systemkern‹ vorhanden, der sich stets an dem eigenen Rationalitätskriterium orientiert (vgl. Kron 2010: 95-99; Münch 1980: 37f., 1996a: 12-18; Schwinn 1996: 274). Somit kann zwar definitiv von einem Leistungsaustausch im Sinne einer gegenseitigen systemischen Durchdringung gesprochen werden, der Prozess selbst findet aber nicht direkt zwischen den Systemen statt, sondern nur über dessen »Stellvertretungen« in den Randzonen des Systems. Ein direkter Austausch zwischen Systemen, der in gewissem Sinne eine »deckungsgleiche Überlappung« erfordern würde, hätte schließlich auch zur Folge, dass ein System dem anderen »zum Opfer fallen« (Münch 1980: 38) würde.
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der Nebencodierung in Kombination mit dem Konzept generativer Metaphern nachgekommen werden. Die Theorie der Nebencodierung zielt auf »Nebencodierung als ›systeminternen Einbezug der Codes anderer Funktionssysteme‹« (Krönig 2007: 28) ab, sodass Ökonomisierung dann als Codeintegration des ökonomischen Codes in alle anderen Systeme angesehen werden kann (vgl. Krönig 2007: 29). Die hier zugrunde liegende Paradoxie einer per definitionem ausgeschlossenen Integration von Codes in Codes kann aber durch die Vorstellung von Nebencodes als Wandler analoger in digitale Signale entparadoxiert werden. Nebencodes sind bei Luhmann (1975b: 172-183) in erster Linie als nicht digitale Codes konstruiert, so wie bspw. Reputation im Wissenschaftssystem, welche als Code »ein Analogcode, kein Digitalcode [ist] […] und sich auf ein ›mehr oder weniger‹ […] mit fließenden Übergängen, nicht auf ein künstlich-klares ›entweder/oder‹ [stützt]« (Luhmann 1992a: 247; vgl. Krönig 2007: 24f.). Nebencodes stellen für Luhmann (1975b: 183) eine zusätzliche Variante der Codierung von Systemen dar, die wesentlich kontextabhängiger ist als die Erstcodierungen und nur dann verwendet wird, wenn ein Funktionsdefizit der Primärcodierung zu konstatieren ist, sodass dieses funktionale Defizit durch die Verwendung anderer Medien (aber innerhalb des gleichen Medien-Bereiches) ausgeglichen werden kann. Die Autonomie des jeweiligen Funktionssystems muss dabei weiterhin gewährleistet werden. Nebencodes sind aufgrund dieser Tatsache nur dann in eine eigene Theorie zu integrieren, wenn sie, wie die Erst- oder Zweitcodierungen, die Form einer Codierung erfüllen (Binarität) und eine spezifische Funktion für das jeweilige System übernehmen können (vgl. Krönig 2007: 24). Will man sich also die Stärke einer Theorie der Nebencodierung zunutze machen, muss der Nebencode als Analog/Digital-Wandler konzeptionalisiert werden. Nebencodes muss somit die Funktion zufallen, aus den unzähligen vagen analogen Umweltinformationen digitale Informationen zu transformieren (hierbei ist durchaus Verlust einzukalkulieren), die systemintern nach binären Schemata verarbeitet werden können, sodass Kommunikation eben an Kommunikation anschließen kann. Hierbei ist es wichtig zu erwähnen, dass der Nebencode den Primärcode des Systems nicht ersetzt oder beschränkt, denn an dem Primärcode der Systeme hängt ihre Existenz – ihre Selbstreferenz und Autopoiesis (vgl. hierzu Krönig 2007: 29-32). »Der Nebencode kann nicht, wenn man es raummetaphorisch sagen will, neben dem Erstcode sein. Neben dem Erstcode wird nicht kommuniziert: Es gibt kein System. Das Gleiche gilt für jegliche Positionen außerhalb der Grenze, die der Erstcode ›ist‹. Genauso wenig kann der Nebencode aber hinter dem Erstcode ansetzen, da das heißen müßte, daß schon digitalisierte Kommunikation vorliegt. Hinter dem Erstcode gibt es keine Störungen mehr, es gäbe also nichts für den Nebencode zu tun. [Herv. i.O.]« (Krönig 2007: 32)
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Da der Nebencode also weder vor noch nach der Erstcodierung des Systems verortet werden kann, kann er nur als Bestandteil der Erstcodes aufgefasst werden, also »in der Erstcodierung [Herv. i.O.]« (Krönig 2007: 32) liegen. Somit wird eine Modulation der systeminternen Codierung angestrebt, die allerdings nicht in einer Ersetzung oder Verdrängung mündet, sondern eher als Modifikation der Primärcodierung anzusehen ist. Diese Modulation mag aufgrund der Tatsache, dass die Bestimmung der Codes erst (fremdreferentiell) durch Programmstrukturen (hinsichtlich der Wertzuschreibung) vorgenommen wird, zunächst schwierig anmuten. Allerdings kann in der binären Codierung von Systemen eine Minimalbestimmtheit von Codes angenommen werden, welche die Problematik der Modulation einer grundsätzlich (codeinhärenten) leeren Bestimmung hinsichtlich ihres Differenzschemas aufheben kann. Diese Minimalbestimmtheit kann darin gesehen werden, dass Codes als evolutionär (über Selbstreferenz) bedingte, identitätsstiftende, rein binär konstruierte Leitdifferenzen in der Lage sind, genau ein System von einem anderen unterscheiden zu können; und zwar aufgrund der Unterscheidung der jeweils nicht identischen Systemcodes (vgl. hierzu Krönig 2007: 32-36; Luhmann 1990: 85ff.). Zusätzlich muss »[d]er Code als Differenzschema auf operativer Ebene […] schon über ein Minimum an eigener Bestimmtheit verfügen, um die basale Selbstreferenz der Autopoiesis gewährleisten zu können« (Krönig 2007: 38). Wenn über die Minimalbestimmtheit von Codes also eine Modulation möglich ist, stellt sich die Frage, wie die Umwandlung von analogen Störungen in digitale Informationen zur Anschlussfähigkeit der systeminternen Kommunikation vonstattengeht. Diese dem Nebencode als Analog/Digital-Wandler inhärente Leistung, vollzieht sich über generative Metaphern (vgl. Krönig 2007: 50). Unter einer generativen Metapher ist eine Beobachtungsweise zu verstehen, »die die Codierung modifiziert, ohne sie aufzuheben, und damit die Beobachtungsmöglichkeiten vergrößert« (Krönig 2007: 50f.). Im Kontext seiner Ausführungen fasst Krönig (2007: 56-59) generative Metaphern als kognitives Instrument auf, mithilfe dessen »etwas als etwas zu verstehen ist« und über diese Auffassung hinaus »zu einer neuen Erfahrung führt« – und dies im Sinne eines dynamisch-zirkulären Prozesses, innerhalb dessen die neuen Erfahrungen (im Sinne von Bedeutungen) nicht mehr auf den Ausgangspunkt der Übertragung von etwas auf etwas zurückgeführt werden können: Das Ergebnis entzieht sich der Rekonstruktion über die ursächlichen Teile und ist emergent. Die Emergenz resultiert aus der besonderen Beziehung der Elemente, bei denen das eine als etwas anderes aufgefasst werden kann. Und anhand dieser Möglichkeit einer Code-Modifizierung über das kognitive Instrument der generativen Metapher kann, angefangen bei der durch NPMbedingten Restrukturierung der öffentlichen Verwaltungen, die Ökonomisierung der Gesellschaft nun als Effekt der Nebencodierung gesellschaftlicher Teilsysteme auf Basis des ökonomischen Primats – und damit auch als deren Durchdringung – erklärt werden: Die in den 1970er Jahren infolge von Ressourcenknappheit und der
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starren und unflexiblen Struktur öffentlicher Verwaltungen zunehmende Staatsverschuldung führte u.a. zu neuen Armutstendenzen und Unangepasstheiten des Wohlfahrtssystems (siehe Beck 1986, 2007, 2008). Mit der Einführung von NPM sollte auf diese Miseren reagiert werden und zwar derart, dass eine Umstrukturierung und damit einhergehende Anpassung öffentlicher Verwaltungen an die Effizienz- und Effektivitätsprinzipien privatwirtschaftlicher Unternehmen angestrebt wurde (vgl. Kap. 2.1). An diesem Punkt fallen ebenfalls zwei Bereiche zusammen, von denen der eine als etwas anderes aufgefasst wird – nämlich öffentliche Verwaltung als privatwirtschaftliche Unternehmen. Dabei handelt es sich bei beiden (Verwaltung und Unternehmen) um formale Organisationen, die als handlungsfähige Systemtypen innerhalb der strukturellen Rahmung der handlungsprägenden Systeme (Politik und Wirtschaft) agieren (vgl. Schimank 1985: 430). Orientieren privatwirtschaftliche Unternehmen ihre Handlungsselektion anhand der Entscheidungsprämisse Gewinn/kein Gewinn, so ist diese aufgrund der strukturellen Rahmung des Wirtschaftssystems lediglich eine Variante des dortigen Codes haben/nicht-haben bzw. zahlen/nicht-zahlen. Auf der anderen Seite unterliegen öffentliche Verwaltungen als formale Organisation auch der Erstcodierung des politischen Systems. Einem Vorschlag Krönigs (2007: 71f) folgend wird der primäre Code des politischen Systems hier »an der Leitdifferenz sozial/nicht-sozial orientiert, wenn ›sozial‹ so viel heißt wie ›im Hinblick auf die Gesamtgesellschaft verantwortbar bzw. wünschenswert‹«. Die Teilung dieser Leitdifferenz als Erstcode der Politik beruht auf der Tatsache, dass diese Orientierung dem Konstrukt eines Wohlfahrtsstaates entspricht und damit der primären Ausrichtung westlicher Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg bis hin zur angestrebten Umstrukturierung durch NPM – denn hier wurde der bis dato bekannte Wohlfahrtsstaat in seiner Reinform durch paradoxe Strukturen abgelöst, was bspw. schon an der Formulierung eines Staates im Sinne einer sozialen Marktwirtschaft ersichtlich wird (vgl. Münch 1994). Aufgrund der bis zur Restrukturierung vorliegenden engen Kopplung öffentlicher Verwaltungen hinsichtlich der direkten und strikten Umsetzung der wohlfahrtsstaatlichen Aufgaben und Zielsetzungen, wird davon ausgegangen, dass öffentliche Verwaltungen ebenfalls dem Erstcode sozial/nicht-sozial unterliegen. Im Zuge der Restrukturierungsprozesse werden nun beide ungleichen Bereiche – durch die Einführung dezentralisierter Strukturen, Verlagerung der Aufgabenbereiche, Ziel- und Leistungsvereinbarungen etc. – gleichgesetzt: Öffentliche Verwaltungen werden als privatwirtschaftliche Unternehmen aufgefasst. Entgegen der nicht paradoxen Sichtweise gemäß der Ausrichtung sozial = kein Gewinn bzw. nicht-sozial = Gewinn resultiert somit innerhalb des zyklischen Restrukturierungsprozesses die paradoxe Formel sozial = Gewinn, bei der die vorherige Ungleichsetzung der ursprünglichen Leitdifferenzen in eine Gleichsetzung transformiert wird (vgl. Krönig 2007: 72). Und dies entspricht genau der Forderung des NPM hinsichtlich der Anwendung des »drei-E-Modells« auf die öffentlichen Verwaltungen: Soziale Institutionen sollen effizienter gestaltet
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werden, wobei die benötigten Ressourcen über Ziel- und Leistungsvereinbarungen an den Erwerb bzw. die Einsparung finanzieller Mittel gebunden ist. Das politische System versucht somit auf die analogen Störungen aus dem Wirtschaftssystem zu reagieren (Finanz- und Ressourcenproblematik als Auslöser der Restrukturierung), und zwar per Einstellung auf die wirtschaftlichen Operationen (vgl. Krönig 2007: 72f.) »Dies geschieht durch die scheinbare Evolution der Wirtschaftscodierung zahlen/nicht-zahlen (bzw. wirtschaftlich/nicht-wirtschaftlich [bzw. Gewinn/kein Gewinn] […]) als Nebencodierung der Politik, so daß die politische Kommunikation sich selbst als Verwenderin der Wirtschaftscodierung beobachten kann, ohne diese tatsächlich zu verwenden. […] [D]ie Politik [kann] in keinem Fall mit der Codierung des Wirtschaftssystems operieren […] sondern […] [d]ie fremde Codierung wird in die eigene Operativität eingeführt, indem die unsinnige Behauptung, die eigenen Operationen seien schon die Operationen des Wirtschaftssystems, durch den zyklischen Prozess der generativen Metapher entparadoxiert werden [sic!].« (Krönig 2007: 72f.)
Im Zuge weiterer Nebencodierungen gesellschaftlicher Teilbereiche (wie z.B. des Gesundheits- oder Erziehungssystems) bzgl. der teilsysteminternen Übernahme der ökonomischen Leitdifferenzen (vgl. Krönig 2007: 96-126) ändern sich schließlich auch die Erwartungsstrukturen an die Mitglieder auf Ebene der formalen Organisationen (Schulen, Hochschulen, Krankenhäuser etc.).26 Unter Berücksichtigung einer teilsystemischen Multi-Inklusion hinsichtlich der Organisationszugehörigkeit diffundieren die ökonomischen Leitdifferenzen – und damit die durch NPM ökonomisierten teilsystemischen Handlungslogiken – über die Organisationen in alle Bereiche der Gesellschaft.
26 Die Nebencodierung des Erziehungssystems und damit auch die Ökonomisierung des akademisch-hochschulischen Bereichs bzw. des Wissenschaftssystems, wird später (Kap. 3.3) ausführlich dargestellt und erläutert. An dieser Stelle kann in Kürze darauf verwiesen werden, dass sich die Nebencodierung hier über den Begriff der Qualität vollzieht. Der Qualitätsbegriff des Erziehungssystems (Qualität = besser lernen) wird durch die mit der Übertragung von NPM auf den schulischen und hochschulischen Bereich implementierten Restrukturierungsprozesse der Hochschulreformen letztlich in den Qualitätsbegriff der Wirtschaft bzw. des dort anzusiedelnden Qualitätsmanagements (Qualität = effiziente und effektive Erfüllung externer Leistungserwartungen) transformiert.
98 | CAMPUS S HOOTINGS »In staatlich getragenen bzw. mitfinanzierten Organisationen wie der öffentlichen Verwaltung, den Schulen und Universitäten, den Gerichten […], öffentlichen Krankenhäusern […] u.Ä. stellt sich Ökonomisierung heutzutage als Transformation der Regelungsstrukturen ins Governance-Regime des NPM dar. Vorgelagert ist in vielen Fällen eine vollständige oder partielle Privatisierung von bis dahin öffentlich getragenen wohlfahrtsstaatlichen Leistungen – ›outsourcing‹ bzw. ›public-private partnership‹ sind die einschlägigen Stichworte, wobei Letzteres auch die Nutzerbeteiligung an den Kosten der teilsystemischen Leistungsproduktion, etwa in Form von Studiengebühren oder privaten Zuzahlungen bei medizinischen Behandlungen, einbezieht.« (Schimank/Volkmann 2008: 387)
Dies entspricht auch dem Intrusionsgedanken Bourdieus (2004: 147f.), wenn er konstatiert, dass »[z]wischen der ökonomischen Theorie […] und den Politiken, die in ihrem Namen ins Werk gesetzt oder legitimiert werden, […] Akteure und Institutionen [stehen], die von all den stillschweigenden Vorannahmen durchdrungen sind, welche ihrerseits das Erbe einer ganz bestimmten ökonomischen Welt sind«. Hieran wird auch erneut deutlich, dass Akteuren, im Zuge einer Ökonomisierung in differenzierten Gesellschaften, eine besondere Bedeutung zukommt (vgl. Kap. 2.2.1). Die strukturelle Ökonomisierung gesellschaftlicher Systeme modifiziert zwar die handlungsprägenden Leitdifferenzen, aber handlungsprägende Systeme sind nicht handlungsfähig – die Politik handelt nicht, sondern deren institutionelle Vertreter wie bspw. Regierung und Opposition. Und insofern kommt Akteuren wiederum eine besondere Stellung zu, da im Zuge der wechselseitigen Beobachtungs- und Einflusskonstellationen die jeweiligen Intentionsinterferenzen abgearbeitet werden müssen. Die aufkommende Idee einer Umstrukturierung öffentlicher Verwaltung entspricht genau diesem Abarbeitungsprozess. Durch das unabweichliche Beharren Thatchers, Reagans und Kohls hinsichtlich der Durchsetzung des von ihnen angestrebten Restrukturierungsprogramms mündete die Interferenzabarbeitung wohl weniger in eine ausgehandelte Einigung, sondern in eine intendierte Änderung der Deutungsstrukturen. Im Sinne des auf Beeinflussung basierenden ›politischen Kampfes‹ zwischen Regierung und Opposition entspricht diese Strukturänderung einem intendierten Effekt auf Basis eines dominanten Akteurs, »der kraft seiner formalen Position geradezu die Verantwortung dafür besitzt, die Strukturen der Organisation entsprechend den Erfordernissen zu gestalten, die sich aus der Aufgabenverfolgung und Umweltgegebenheiten stellen« (Schimank 2000: 274) – eben die Reaktion auf die seit der Ölkrise entstehenden Problemlagen. In Schimanks (1985: 432, 2005a: 109) Darstellung der rekursiven Differenzierungsdynamik entspräche dies der auf Abarbeitung der Intentionsinterferenzen basierenden, intendierten Differenzierung formaler Organisationen (öffentliche Verwaltung) durch die Handlungsfähigkeit formaler Organisationen (Regierung) (vgl. Abb. 2, S. 99).
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Abbildung 2: Rekursive Differenzierungsdynamik formaler Organisationen
Schimank 1985: 432, 2005a: 109
Die hiermit geschaffene Situation führte zu dem Effekt einer Änderung der Erwartungsstrukturen an die Mitglieder dieser Organisationen. Diese sahen sich nun mit einer geschaffenen Quasi-Marktstruktur konfrontiert, innerhalb derer die ökonomischen Prinzipien der Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit vorherrschten. Das einstige »stählerne Gehäuse« zerbrach. Die Befreiung aus diesen starren Strukturen führte zu einer Dynamisierung und Flexibilisierung der gestellten Anforderungen zur Erreichung der Effizienz (vgl. Sennett 2007: 34-49). Es folgte eine Spezialisierung auf kleine Teilbereiche, bestimmte Aufgaben wurden an externe Institutionen als Zulieferer ausgelagert, die Größe der Institutionen und der Belegschaft wurde an die entsprechenden Anforderungen angepasst und die Aufgabenerfüllung war nicht mehr an eine hierarchische Abarbeitung gebunden. Stattdessen wurden die neuen Aufgaben an verschiedene Bereiche verteilt und gleichzeitig bearbeitet. Dies bedingt auf Seiten der Mitglieder eine Schaffung von Konkurrenzdruck, da nur diejenigen belohnt werden, die das gewünschte Ergebnis schneller liefern und produzieren als die anderen Bereiche. Das Arbeitsethos verändert sich. Durch die zusätzliche Konfrontation mit den neuen Informationstechnologien wurde die flexible Anpassungsfähigkeit der Akteure verstärkt gefordert: Automatisierungsprozesse führen zu Rationalisierungsmaßnahmen, erfahrungsbasiertes Wissen und die Identifikation mit der eigenen Arbeit wird durch konkurrenz- und leistungsbasierte Belohnung ersetzt – das neue meritokratische Prinzip der Belohnung für effiziente Arbeit fordert eine ständige (fragmentierte) Wissenserweiterung und schafft Existenzängste bei Nicht-Erfüllung der Forderung (vgl. hierzu Sennett 2000: 131-157, 2007: 71-92).
100 | CAMPUS S HOOTINGS »Die Menschen mögen heftig um Positionen innerhalb des Unternehmens konkurrieren, doch tun sie das nicht, um eine Position um deren selbst willen zu besitzen. […] Arbeitsidentitäten nutzen sich ab und erschöpfen sich, wenn die Institution selbst ständig neu erfunden wird. […] Handwerkliche Einstellung, also die Bereitschaft, etwas um seiner selbst willen zu tun, verliert zunehmend an Bedeutung in Institutionen, in denen vor allem Prozesse und Netzwerke zählen. […] Die Leistung und die vollendete Beherrschung einer Tätigkeit verzehren sich selbst, Kontexte und Inhalte von Wissen verbrauchen sich bei ihrem Gebrauch.« (Sennett 2007: 114)
Es resultiert aber nicht nur eine Trennung des zu produzierenden Gutes von der subjektiven Identifikation mit diesem, sondern auch eine Entfremdung, innerhalb derer die subjektive Arbeitskraft selbst zur Ware wird: Nur die flexibel angepasste und anzupassende Arbeitskraft zählt im System der auf Effizienz und Effektivität basierenden Leistungsbelohnung (vgl. Baumann 2009: 13; Schimank 2005c: 31; Simmel 1983a). Der idealtypische Angestellte im Kontext dieser Restrukturierungsmaßnahmen ist gemäß der Änderung der Erwartungsstrukturen »ein Mensch […] der sich bereitwillig auf jede Aufgabe einlässt, die sich ihm stellt, und willens ist, die eigenen Neigungen ständig anzupassen und neu einzustellen, und der sich in kurzer Abfolge neue Prioritäten zu eigen macht und alte abstreift; ein Mensch, der ein Umfeld gewohnt ist, in dem es unerwünscht und daher unklug ist, sich überhaupt an etwas – an einen Job, eine Fertigkeit oder eine Handlungsroutine – ›zu gewöhnen‹ […]. Im Übrigen ein Mensch, für den langfristige Perspektiven, in Stein gemeißelte Karrierestufen und jede Art von Stabilität noch abschreckender und furchteinflößender sind als das Fehlen derselben.« (Bauman 2009: 18)
Aber so wie die wettbewerbsbedingte Konkurrenz auf Ebene der Akteure zunimmt, so nimmt sie auch auf der inter-systemischen Ebene der Organisationen zu. Öffentliche Verwaltungen und privatwirtschaftliche Unternehmen finden sich ebenfalls in einem Quasi-Markt bedingten Wettbewerb bzgl. der benötigten Ressourcen wieder. Vor allem durch die Aspekte des Contracting-Out und der Ziel- und Leistungsvereinbarungen wird diese Situation verschärft. Öffentliche Verwaltungen und privatwirtschaftliche Unternehmen stehen sich über die implementierte externe Aufgaben- und Mittelvergabe gegenüber. Die zu erbringende externe Leistung und damit der finanzielle Erhalt ist an die Erlangung erfolgreicher Aufträge gekoppelt und behaupten kann sich nur, wer in den Benchmarkingprozessen gut abschneidet (vgl. Borins/Grüning 1998: 14f.; Grüning 2000: 17). Durch die Restrukturierung kann somit von einer über die Mittelvergabe (Geld) institutionalisierten beidseitigen Einflusssteigerung ausgegangen werden (vgl. Schimank 2000: 251, 265). Sowohl öffentliche als auch privatwirtschaftliche Organisationen sind bzgl. der Auftragsvergabe und Auftragserfüllung finanziell voneinander abhängig. Denn auch öffentliche
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Verwaltungen müssen sich intra-organisational aufgrund der Leistungsvereinbarungen und der wirtschaftlichen Arbeitsweise am Faktor Geld (eingesparte Ressourcen) über Benchmarking hinsichtlich ihrer Effektivität und Effizienz messen lassen. Die Folge hiervon ist die dargestellte Nebencodierung beider Organisationstypen über die Modifikation der Leitdifferenz auf Basis des wirtschaftlichen Codes: Die Umgestaltung der Erfüllung und Durchführung sozialer Funktionen im Bereich öffentlicher Verwaltung ist sowohl Bestandteil des politischen Systems als auch des ökonomischen. Ein Effekt, der den anfänglichen Intentionen sicherlich diametral entgegensteht und somit als eine durch Rückkopplungseffekte bedingte, nicht-intendierte Nebenfolge angesehen werden kann (vgl. Abb. 3). Abbildung 3: Rekursiver Zusammenhang intendierter und nicht-intendierter Handlungseffekte durch New Public Management
Der nicht-intendierte Effekt schlägt sich dann in der Rückwirkung auf den Bereich des individuellen Handelns in der Verstärkung der zuvor bereits angeführten individuellen Auswirkungen nieder, und zwar in durchaus negativer Hinsicht. Hier kann das negative Moment einer Organisationsgesellschaft hinsichtlich der Verschlechterung individueller Lebenschancen durch zunehmende Machtlosigkeit und Entfremdung gesehen werden: Aufgrund der immer stärker erforderlichen Flexibilität und der damit einhergehenden Abhängigkeit der Akteure von Organisationen erzeugt »[d]ie Organisationsgesellschaft […] orientierungslose, frustrierte Zwangscharaktere« (Schimank 2005c: 32). Über die organisationale Abhängigkeit der Akteure wird
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die versprochene Freiheit einer individuelleren Lebensgestaltung durch den flexiblen Kapitalismus unterwandert (vgl. Sennett 2000: 11). »Das Geheimnis einer [sich ebenfalls über Organisationen vollziehenden; A.B.] erfolgreichen ›Sozialisierung‹ besteht darin, dass man Individuen dazu bringt, das tun zu wollen, was nötig ist, damit das System sich selbst reproduziert. [Herv. i.O.]« (Bauman 2009: 91) »Von neu Eingestellten wird erwartet, dass sie von ihrem ersten Arbeitstag an mit voller Geschwindigkeit und ganzer Kraft Leistungen erbringen: Es bleibt keine Zeit, sich ›einzugewöhnen‹, ›Fuß zu fassen‹, sich zu integrieren, anzupassen und Loyalität zur Firma und Solidarität mit den anderen Angestellten zu entwickeln, da sich das Profil der geforderten Leistungen schnell verändert. Langwierige Rekrutierungsverfahren, Eingewöhnung und innerbetriebliche Schulungen werden allesamt als Verschwendung von Zeit und Ressourcen betrachtet – genauso wie das Bereithalten von größeren Beständen fertiger Produkte in den Lagerhäusern des Unternehmens. Produkte, die in den Regalen lagern, bringen keinen Profit und sind praktisch nutzlos.« (Bauman 2009: 90)
Auch das negative Moment einer gesellschaftlichen Desintegrationstendenz kann hier gesehen werden. Die Macht der Organisationen, die zu den erwähnten Entfremdungstendenzen und Machtlosigkeitsgefühlen auf Seiten der Akteure führt, wird gepaart mit einer zunehmenden Oligarchisierungstendenz der Organisationen. Überführen die individuellen Akteure ihre Unzufriedenheit mit den Leistungen der Organisationen in ihr eigenes Handeln als Mitglieder einer Organisation, besteht die Gefahr eines Leistungseinbruchs der Organisation: die Gefahr einer Stagnation hinsichtlich Effizienz und Effektivität und Rückkehr zum einstigen »stählernen Gehäuse der Hörigkeit« als Produkt der spezifischen »Kultur des neuen Kapitalismus« (Sennett 2007; vgl. Schimank 2005c: 42ff.). »Die Institutionen sind weder kleiner noch demokratischer. Stattdessen ist es zu einer neuen Zentralisierung der Macht gekommen. [Herv. A.B.]« (Sennett 2007: 144) Diese negativen Effekte werden aber von den Akteuren durchaus selbst wahrgenommen, und sie versuchen, diese »lebensgeschichtliche Entwicklung« (Sennett 2007: 146) in der Abarbeitung dieser neuen Intentionsinterferenzen zu bewältigen. Neue Akteurkonstellationen bilden sich und nehmen, in Anlehnung an Sennett (2007: 146ff.), Einfluss auf die gesellschaftliche Differenzierungsstruktur, durch die Schaffung von Parallelinstitutionen (z.B. Gewerkschaften als Arbeitsvermittler oder Beschäftigungsgesellschaften), die Etablierung von Jobsharing-Maßnahmen (Aufteilung eines Jobs in mehrere Teilzeitjobs, sodass die parallele Arbeitsmöglichkeit für eine kontinuierliche Beschäftigungssituation sorgt und die Angst vor befristeten Verträgen mindert) sowie die Etablierung langfristiger Planungsmöglichkeiten (z.B. auf Basis eines Grundeinkommens).
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»Alle drei Bemühungen reagieren auf eine harte Realität: Die Unsicherheit ist keineswegs nur eine unerwünschte Folge der unsteten Märkte. Vielmehr ist sie in das neue institutionelle Modell einprogrammiert. […] [D]ie Unsicherheit ist […] ein gewolltes Element der Bürokratie neuen Stils. Diese und andere Bemühungen ähnlicher Art sollen ein Gegengewicht zu diesen Programmen bilden, ohne zu der rigiden Zeitordnung der alten Organisationsform […] zurückzukehren.« (Sennett 2007: 149)
Unter Berücksichtigung der dargestellten Entwicklungstendenzen sowohl auf Ebene der Akteure als auch auf systemsicher Ebene, welche über die ausgebildeten Leitdifferenzen der Systeme als teilsystemische Handlungslogiken, an denen Akteure ihr Handeln ausrichten, verbunden werden können, lässt sich die Differenzierungsdynamik moderner Gesellschaften im Sinne einer Ökonomisierung gesellschaftlicher Teilbereiche auf Basis der Implementierung und Etablierung von New Public Management nachzeichnen (vgl. Abb. 4). Abbildung 4: Dynamik der Ökonomisierung der Gesellschaft
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Über die stellvertretend für das politische System handelnde politisch-administrative Führung wurde die Umstrukturierung öffentlicher Verwaltung durch NPM als Anpassung an privatwirtschaftliche Unternehmen angeregt und eingeleitet. Dadurch mussten intra-institutionelle Änderungen vollzogen werden, welche öffentliche Verwaltungen mit privatwirtschaftlichen Unternehmen gleichsetzten. Die hieraus resultierende Paradoxie einer Gleichsetzung von ungleichen Systemen führt zu einer zwangsweisen Modifikation des teilsystemischen Codes der öffentlichen Verwaltung über die Nebencodierung der wirtschaftlichen Leitdifferenz. Diese Veränderung führt in ihrer nicht-intendierten Auswirkung zu einer negativen Beeinflussung auf Ebene des individuellen Handelns. Die Akteure reagieren hierauf in neuen Zusammenschlüssen und die hieraus entstehenden Akteurkonstellationen, in denen durch die erneute Abarbeitung von Intentionsinterferenzen Parallelinstitutionen oder andere Bewältigungsstrategien entwickelt werden, schaffen neue organisatorische Zusammenschlüsse, die wiederum auf die gesellschaftliche Differenzierungsstruktur rückwirken.
2.3 Z USAMMENFASSUNG Die Ökonomisierung der Gesellschaft als Prozess, innerhalb dessen der ökonomische Primat alle gesellschaftlichen Teilbereiche intrudiert, vollzieht sich entlang der strukturellen, organisationalen und individuellen Ebene. Die (Ausgangs-)Basis der gesellschaftlichen Ökonomisierung kann dabei in zeitlicher Hinsicht mit dem Eintreten der Ölpreiskrise in den 1970er Jahren verortet werden. Im Zuge dieser wirtschaftlichen Krise, einer steigenden Verschuldung westlicher Staaten und in Folge eines starken Geburtenrückgangs mussten die vorhandenen wohlfahrtsstaatlichen Strukturen bei gleichzeitig sinkenden Staatseinnahmen aufrechterhalten werden. Die hierfür notwendige dynamische Anpassung öffentlicher Verwaltungen an die sich ändernde(n) Umwelt(en) konnte im Kontext des zu statisch organisierten und strukturieren Verwaltungssektors nicht hinreichend umgesetzt werden. Angeregt durch die sich zeitgleich vollziehende Gewinnerhöhung privatwirtschaftlicher Unternehmen in den Zeiten der Krise erfolgte in Großbritannien durch Margaret Thatcher, in den USA durch Ronald Reagan und in der BRD durch Helmut Kohl eine politisch intendierte Restrukturierung des Verwaltungssektors, innerhalb derer öffentliche Verwaltungen an die effizienten, effektiven und wirtschaftlich ausgerichteten privaten Unternehmen und deren Organisationsweise angepasst wurden. Zur Implementierung und Umsetzung dieses Reformprozesses bedienten sich die politisch-administrativen Führungsebenen des neoliberal(istisch)en Steuerungsmodells des New Public Management (NPM), das mithilfe spezifischer Steuerungselemente dazu beitragen sollte, einen auf Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit beru-
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henden Wettbewerb zwischen öffentlichen Verwaltungen zu generieren. Über Aspekte der Dezentralisierung, der dienstleitungsbasierten (Neu-)Orientierung am Bürger als Kunden und der Einführung einer auf extern definierten Zielvorgaben basierenden, aber selbstständig umzusetzenden Leistungserfüllung wird die tatsächliche Leistungsbeurteilung im NPM mit den Instrumenten der (transparenten) Rechenschaftsablegung, Auditing-Verfahren und Leistungsevalutionen einzelner Organisationen sowie deren national vergleichender Leistungsbemessung (Benchmarking) überwacht, um die erforderliche Verteilung der staatlich bereitgestellten Mittel gemäß der Ziel- und Leistungserfüllung zu verteilen. Aufgrund der spezifischen Struktur moderner Gesellschaften vollzieht sich die politisch intendierte Restrukturierung des öffentlichen Sektors im Kontext differenzierter Gesellschaften, die sich durch das Vorhandensein unterschiedlicher Funktionserfordernisse übernehmender und erfüllender Teilsysteme charakterisieren. Gesellschaftlichen Teilsystemen, wie Politik und Wirtschaft, fällt dabei, neben der Erfüllung der jeweils spezifischen Funktionserfordernisse, die Aufgabe zu, die gesellschaftliche Komplexität sowie die existente Kontingenzvielfalt der individuellen Handlungsmöglichkeit strukturell (über die Ausbildung systemspezifischer Handlungsrationalitäten) zu rahmen. Insofern handelt es sich bei den gesellschaftlichen Teilsystemen um handlungsprägende Systeme, die die kontingenzreduzierende Handlungsorientierung entlang spezifischer Rationalitätskriterien, in Form von die Handlungsselektionen bestimmenden teilsystemspezifischen Codierungen als Zweck-Mittel-Relationen (z.B. Macht/keine Macht, zahlen/nicht zahlen), ermöglichen und vereinfachen. Darüber hinaus bietet die strukturelle Rahmung der Teilsysteme auch anderen Systemtypen wie Organisationen Raum, in dem diese agieren können. Organisationen kommt dabei als zentralen gesellschaftlichen Leistungsträgern eine besondere Bedeutung zu, da sie über die Definition normativer Verhaltenserwartungen an ihre Mitglieder (als ebenfalls handlungsprägendes Element) hinaus nicht nur eine sozialintegrative Funktion für die Gesellschaft und die Individuen übernehmen, sondern darüber hinaus auch selbst handlungsfähig sind. Denn im Gegensatz zu den strikt innerhalb der eigenen Grenzen operierenden und den Selektionsraum der Handlungen vorgebenden gesellschaftlichen Teilsystemen sind Organisationen in der Lage, bestimmte Freiräume hinsichtlich der teilsystemisch vorgegebenen Handlungsselektion zu nutzen. Diese Freiräume ergeben sich aus einer Vielzahl von Interpenetrationszonen, in denen Kompromisse zwischen den Systemen in Form inter-systemischer Austauschbeziehungen für den gesellschaftlichen Fortbestand und Erhalt ausgehandelt und gebildet werden müssen. Da die Teilsysteme – aufgrund einer per definitionem unmöglichen Überschreitung der systemspezifischen Grenzen zur Umwelt qua Codierung – allerdings nicht handlungsfähig sind, demgegenüber aber Organisationen als zentrale Leistungsträger in Gesellschaften fungieren, vollzieht sich dieser Leistungsaustausch über die Organisationen; und zwar über in Akteurkonstellationen zusammentreffende Akteure als Organisationsmitglieder, die als Rollenspieler in
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der Lage sind, systemfremde Rationalitätskriterien in systemeigene zu übersetzen. Dies resultiert aus den von den Akteuren fiktionalisierten Situationsdefinitionen und -rekonstruktionen auf Basis der komplexitätsreduzierenden situativen, teilsystemischen Handlungslogiken, die den Akteuren als Als-ob-Konstruktionen sozialer Situationen dienen. Aufgrund einer in den Akteurkonstellationen notwendigen Abarbeitung von Interessenkonflikten und Intentionsinterferenzen, handeln Akteure in den Interpenetrationszonen so, als ob sie sich nur an den vorherrschenden teilsystemischen Rationalitätskriterien orientieren würden, und verfolgen dabei die Durchsetzung der eigenen Intentionen und Interessen. Die Resultate der Abarbeitung der Intentionsinterferenzen in den jeweiligen Interessenkonflikten, als inter-systemische Kompromisse, werden schließlich über die Akteure in die Organisationen und somit in den strukturellen Rahmen der gesellschaftlichen Teilsysteme zurückgeführt. Dieses Vorgehen wird auch am Beispiel der politisch intendierten Reformen des öffentlichen Sektors deutlich: Diese zielen auf eine Änderung der strukturellen Rahmung der im öffentlichen Verwaltungssektor operierenden Organisationen. Damit die Reformmaßnahmen umgesetzt werden können, sind allerdings inter-systemische Austauschprozesse vonnöten, die durch die handlungsprägenden Systeme selbst nicht vollzogen werden können, da die Reformbestrebungen und -maßnahmen nicht durch die Politik als System vollzogen werden, sondern durch deren Vertreter in der formalen Organisation der Regierungspartei. Für ein erfolgreiches Funktionieren der Reformvorhaben ist diese wiederum an die Abarbeitung von Intentionsinterferenzen mit der Opposition gebunden und darüber hinaus an eine gesellschaftliche Legitimation durch die Wählerschaft. Für die Umsetzung der Reformen wird aber ebenfalls eine Legitimation durch die Betroffenen benötigt, die wiederum die notwendigen Mechanismen und Prozesse intra-organisational umsetzen, woraufhin aufgrund der Handlungsfähigkeit formaler Organisationen somit die Leitdifferenzen des öffentlichen Sektors erst geändert werden können. Die Änderung erfolgt hierbei über eine Nebencodierung auf Basis generativer Metaphern, mit welcher die Leitdifferenzen der Systeme modifiziert werden. In den Akteurkonstellationen der Interpenetrationszonen werden die geforderten Effizienz-, Effektivitäts- und Wirtschaftlichkeitskriterien, als zentrale Merkmale der Anpassung öffentlicher Verwaltungen an den privatwirtschaftlichen Sektor, ›brauchbar‹ transformiert, sodass aus der ursprünglichen Handlungsrationalität sozial = kein Gewinn die wettbewerbsorientierte und damit ökonomische Formel sozial = Gewinn resultiert. Die sich über Akteure und Organisationen vollziehende Nebencodierung führt letztlich zu der ökonomischen Durchdringung des öffentlichen Sektors. Aufgrund pluraler Organisationszugehörigkeiten von Akteuren und der Intrusion des ökonomischen Primats und der NPM-inhärenten Prämissen der Effektivität, Effizienz und Wirtschaftlichkeit in deren Handlungen diffundieren die ökonomischen Leitdifferenzen in weitere gesellschaftsrelevante Bereiche auf der individuellen, organisationalen und strukturellen Ebene, woraus letztlich die Ökonomisierung der Gesellschaft resultiert.
3. Die Ökonomisierung der Universitäten »Die Öffentlichkeit ist mit einem marktradikalen Neoliberalismus beschäftigt, der auch im Hochschulwesen marktwirtschaftliche Regelungen nachbilden will. Private Hochschulen sollen expandieren und die öffentlichen sollen staatlichem Einfluss entzogen werden. In beiden sollen Lehrende und Lernende zu Marktteilnehmern werden, die Fachschulung als Dienstleistung handeln. Marktwirtschaftliche Verhältnisse, so die Begründung, könnten die Effizienz und die Anpassungsfähigkeit der Hochschulen an den wirtschaftlichen Qualifikationsbedarf steigern.« ENRIQUE FERNANDEZ DARRAZ ET AL. (2010: 7)
Im Kontext der von Fernández Darraz et al. (2010: 7) konstatierten geplanten Anpassung von Hochschulen an die marktwirtschaftliche Effizienz ist die Entstehung und Einbettung dieses Prozesses aufgrund der Tatsache, dass Hochschulen und »Wissenschaft in ihrer modernen Form als eine zentrale Institution der Gesellschaft« (Weingart 2003: 8) und in diesem Sinne als Kernelement der seit einiger Zeit proklamierten Wissensgesellschaft anzusehen sind, eng verknüpft mit den bereits im vorherigen Kapitel angesprochenen Differenzierungsaspekten auf gesellschaftlicher und organisationaler Ebene (vgl. Weingart 2003: 8; siehe Luhmann 1992a; Stichweh 1979). Denn erst im Zuge einer gesellschaftlichen Differenzierung sind Wissenschaft und das hiermit verbundene Wissen nebst dem Streben nach Wahrheit zu einem eigenständigen gesellschaftlichen Teilsystem (bzw. Funktionssystem) evolviert (siehe Luhmann 1992a, 1998; Stichweh 1994). Dies fußt u.a. auf den historischen Errungenschaften des Buchdrucks im 17. Jahrhundert als Ausgangspunkt (potenziell) anschlussfähiger und reproduzierbarer Kommunikation durch Publikationen und der (spätestens im 19. Jahrhundert erfolgten) Umstellung des Erkenntnisinteresses weg von reiner Reproduktion in puncto Wissenserhalt hin
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zu einer (über empirische Methoden und eigenständige Theoriebildungen) hinterfragenden und prüfenden Selbstproduktion von Wissen und Erkenntnis (vgl. Ellwein 1985: 38ff., 47-51; Luhmann 1992a: 147-159, 617-621; Stichweh 1994: 52-68, 8992, 2006: 36ff.). »Wissen und erst recht wissenschaftlich gesichertes Wissen ist [somit nicht nur; A.B.] ein Produkt der Gesellschaftsgeschichte« (Luhmann 1992a: 549), sondern »Wissen wird mitstratifiziert. Es gehört mit in den legitimatorischen Aufbau der Gesamtgesellschaft.« (Luhmann 1992a: 149) In Folge des gesellschaftlichen Differenzierungsprozesses und der sich im historischen Verlauf entwickelnden Innendifferenzierung der Hochschulen qua Disziplinbildung hin zu einer institutionalisierten Organisation hat sich »Wissenschaft als autonomes Handlungssystem konstituiert und sich von anderen Funktionskontexten, wie Religion, Politik und Ökonomie ab[ge]trennt« (Stichweh 1979: 82; vgl. Stichweh 1979: 82-88, 1994: 88f.; Weingart 2003: 16). Aber auch die klassische Auffassung einer Bildung durch Wissenschaft, die Weitergabe zur Anleitung selbstständiger Forschungsarbeit sowie forschendes Lernen und lehrendes Forschen, wie es ausgehend von Wilhelm von Humboldts Organisationsplan einst für die Berliner Universität angestrebt und zunächst im deutschen sowie später auch im europäischen und amerikanischen Hochschulsystem etabliert wurde, scheint am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu einem Relikt vergangener Zeiten geworden zu sein (vgl. Greenwood 2012: 116; Kopetz 2002: 42-51; Mittelstraß 1982b: 119; Münch 2009a: 95-98).1 Im Zuge US-amerikanischer Reformmaßnahmen und des Bologna-Prozesses sowie im Rahmen der globalen Dominanz ökonomischer Modelle (New Public Management) und der zunehmenden (neoliberalen) ökonomischen Denkweise einer dienstleistungs- und marktorientierten Gesellschaftsstruktur wurde eine international vergleichbare Bildungsstruktur implementiert, die mit der global gültigen Anpassung an Bachelor-Master-Programme bisherige nationale Bildungskulturen und -traditionen unter dem Dach eines einheitlichen Bildungskonzeptes subsumieren, woraus eine »Kapitalisierung der Bildung« resultiert (vgl. Münch 2009a: 29, 93, 2010). Denn »[d]ie Wissenschaft wird [im Zuge der Ökonomisierung; A.B.] nicht mehr als Wissenschaft in ihrem eigenen Wert und als funktional ausdifferenziertes, autonom – um nicht zu sagen autopoietisch – operierendes System begriffen, sondern als Teil der Ökonomie« (Münch 2011a: 53). Hierbei ist vor allem der Bereich organisationaler Veränderungen und damit verbundener Restrukturierungsmaßnahmen in den letzten Jahren, seit der Einführung und Umsetzung der in den Reformprozessen konstatierten Ziele für einen einheitlichen europäischen bzw. internatio1
Diese klassisch-traditionale Sichtweise kann durchaus als »idealistische Definition« (Mittelstraß 1982a: 101) angesehen werden, denn wie u.a. Schimank (1995b) gezeigt hat, tritt im Rahmen der proklamierten Einheit von lehrendem Forschen und forschendem Lehren der Aspekt der Forschung hinter den der Lehre zurück. Im Zuge der Hochschulreformen scheint sich diese Entwicklung allerdings wieder umzukehren.
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nalen Hochschulraum, vermehrt in den Fokus vielfältiger Debatten geraten. Hierbei stehen z.B. Aspekte einer »unternehmerischen Universität« (Dörre/Neis 2010; Maasen/Weingart 2006), einer »überforderten Universität« (Schreiterer 2010) oder gar eines »Academic Capitalism« (Slaughter/Leslie 1999) im Vordergrund. Diesen und anderen Beiträgen bzgl. der aktuellen Hochschulsituation gemein ist die in »mehrere[n] Wellen ebenso tiefer wie umfassender und nachhaltiger Veränderungen« (Schreiterer 2010: 438) vonstattengehende Restrukturierung der Universitäten im Kontext der u.a. durch Bologna herbeigeführten Übertragung des New Public Management auf den bisherigen hochschulinternen Verwaltungsapparat und deren Auswirkung im Sinne eines zunehmenden unternehmerischen, managerialen und somit ökonomischen Drucks auf die beteiligten Akteure (vgl. Dörre/Neis 2010: 1117; Maasen/Weingart 2006: 19-22; Schimank 2010a: 236f.). Die damit einhergehenden strukturverändernden Reformen mit ihren (weitreichenden) Konsequenzen für alle am und im Bereich Hochschule beteiligten Akteure können aufgrund ihres kosmopolitischen Charakters (u.a. die Aufhebung der traditionellen Trennung von Wissenschaft und Ökonomie bzw. ›eigene‹ und ›andere‹ Bildungsstruktur) als Territorialgrenzen überschreitender Meta-Wandel einer »entgrenzten« Hochschullandschaft angesehen werden. In diesem Kontext wandeln und verändern sich sowohl die jeweiligen (bildungs-)kulturellen Komponenten als auch Organisations- und Verfahrensabläufe im Sinne einer Restrukturierung (vgl. hierzu Beck: 2004: 18ff.; Beck/Bonß/Lau 2001: 22-31; Steinert 2010). In Folge dieser Umstrukturierung vollzieht sich somit zeitgleich ein Wandel ontologischer Art, indem die Trennung zwischen Wissenschaft (Bildung als Kulturgut) und Ökonomie (Investition in Kapital und Renditenauszahlung) durch die Dominanz des ökonomischen Rationalitätsprinzips in der Wissenschaft in Form des neuen Paradigmas des »Humankapitals« verdrängt wird (vgl. Beck/Bonß/Lau 2001: 26-30, 37f.; Becker 1993; Münch 2009a, 2011a). »In diesem […] [internationalen; A.B.] Rahmen verliert die Bildung zwangsläufig ihre feste Bindung an nationale Traditionen, sie muss sich von lokalen Partikularitäten befreien und universell verwertbar sein.« (Münch 2009a: 36) Dieser Prozess ist allerdings nicht allein das Ergebnis einer solitären Verflechtung aus Wirtschaft und Wissenschaft. Im Gegenteil, er kann und muss in erster Linie durch das in der Wissensgesellschaft2 inhärente Zusammenspiel der anderen Funktionssysteme in Kombination mit einem krisenbedingten »Wandel der Staatlichkeit« verstanden werden (vgl. Martinsen 2010: 117ff.; Weingart 2003: 89-125, 2011).3 2
Die nach Martinsen (2010: 113) »derzeit populärste Selbstbeschreibung der modernen Gesellschaft«.
3
Vgl. hierzu auch die in Kap. 2.1 dargestellten Krisen auf politischer Ebene hinsichtlich der hierarchischen Verwaltungsmodelle als Reaktion auf die Bedürfnisse der Bürger sowie die damit einhergehende forcierte Ausrichtung auf zunehmende Effizienz und Effektivität oder die in Frage stehende politische Legitimation bzgl. dem neu aufkommenden
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Als Kernelement der gesellschaftlichen Veränderung hin zu einer Wissensgesellschaft kann zunächst auf europäischer Ebene der sogenannte Lissabon-Prozess bzw. die Lissabon-Strategie angeführt werden, wobei derartige Reformprozesse bereits einige Jahre zuvor auch in den USA intendiert und implementiert wurden.
3.1 D IE DER
POLITISCH INTENDIERTE AUSGANGSBASIS Ö KONOMISIERUNG IM EUROPÄISCHEN K ONTEXT »Seit dem Ende 1990er Jahre fokussieren Politik, Wirtschaft und Medien in der EU darauf, dass sie sich mehr und mehr zu entrepreneurial societies entwickeln. In Positionenkonkurrenz vor allem zu den USA soll die EU […] laut dem so genannten Lissabon Vertrag […] zum ›wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt‹ aufsteigen. [Herv. i.O.]« ANDREA D. BÜHRMANN (2010: 335)
Als Reaktion auf die Ende der 1990er Jahre europaweit fokussierten Zielsetzungen hinsichtlich eines zukunftsfähigen, dynamischen und global wettbewerbsfähigen europäischen Wirtschaftsraums werden – im Kontext einer politisch intendierten Steigerung wissenschaftlich-technologischen Fortschritts – Bestrebungen zum Auf- und Ausbau hierfür benötigter wissensbasierter Wirtschaften forciert, innerhalb derer wissenschaftliches Wissen zum globalen konkurrenz- und wettbewerbsfähigen Kernelement wirtschaftlichen Fortschritts werden soll. Zur Umsetzung dieses Vorhabens werden universitäre Reformprozesse angestrebt und implementiert, zu deren Kernelementen u.a. die Schaffung vergleichbarer Studienstrukturen (Modularisierung, einheitliche Regelstudienzeit), -leistungen (ECTS) und -abschlüsse (Bachelor, Master), eine Steigerung der Qualität der Lehre, die Vermittlung arbeitsmarktrelevanter Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie ein Rückzug staatlicher Finanzierung zugunsten einer wettbewerbsschaffenden Eigenfinanzierung von Hochschulen über private und/oder wirtschaftliche Kooperationen gehören. Die Sicherung und Überprüfung der intendierten internationalen Leistungsvergleiche europäischer Universitäten erfolgt dabei auf Basis von Qualitätssicherungs- und Qualitätsmanagementaspekten des NPM, die sich u.a. in Akkreditierungsmaßnahmen, der Anfertigung
gesellschaftlichen Bewusstsein für die vielfältigen technologischen Folgen und Risiken innerhalb der (Welt-)Risikogesellschaft (Beck 1986, 2007).
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von Rechenschaftsberichten und unterschiedlichen Evaluationsmechanismen niederschlagen und einen Ausbau von universitätsinternen Managementpositionen und -strukturen mit sich führen. Die vom Europäischen Rat am 23. und 24. März 2000 in Lissabon verabschiedeten Bestrebungen und Ziele sind als Reaktion auf die fortschreitende Globalisierung und »[die] positive Entwicklung der Wirtschaftsdaten in den 1990er Jahren« (Alesi/Kehm 2010: 30) zu sehen. Im Rahmen dieser Entwicklungen wird die strategische Zielsetzung eines Wandels hin zu wissensbasierten Wirtschaften4 im europäischen Raum fokussiert, um: »die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen – einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen. [Herv. weggelassen; A.B.]« (Europäischer Rat 2000: I.5)
Die hierbei verfolgte globale Strategie zielte nicht nur auf die weiteren Entwicklungen einer Informationsgesellschaft (kostengünstiger Zugang zur neu entstehenden Kommunikationsinfrastruktur) und Strukturänderungen hin zu mehr Wettbewerbsfähigkeit (u.a. ein breites Angebot an Dienstleitungen), sondern auch auf die Stärkung der Rolle von Forschung und Entwicklung als Kernelemente wirtschaftlichen Wachstums sowie deren effiziente Integration, Koordination und Vernetzung inner4
Der Begriff bzw. das Konzept der wissensbasierten Wirtschaft (knowledge-based economy) wurde bereits 1996 von der OECD in Anbetracht der Erkenntnis der Bedeutung von Wissen in modernen Gesellschaften geprägt. Wissen nimmt hier über die Säulen der Produktion, Übertragung und Umsetzung eine bedeutende Schlüsselfunktion ein. Im Rahmen der Produktion neuen Wissens, im Sinne wissenschaftlichen Wissens, und der zunehmenden Vermischung von angewandter und grundlagenorientierter Forschung sowie deren Bedeutung für technische/technologische Errungenschaften und die gesellschaftliche Weiterentwicklung ist Wissen zu einem öffentlichen Gut geworden. Die Übertragung des produzierten Wissens findet im Wesentlichen in den Bereichen der Ausbildung (vornehmlich ingenieur- und naturwissenschaftliche Bereiche) statt. Diese wachsende Bedeutung stellt für das wissenschaftliche System eine Herausforderung dar, da nicht nur ein vermehrter Ausbildungsdruck auf breiter Basis besteht, sondern zugleich auch die wichtige und verlangte high-quality-Forschung vorangetrieben werden muss. Damit das wissenschaftlich produzierte und übertragene Wissen aber sinnvoll umgesetzt werden kann, muss eine effektive Verbreitung in Netzwerken zwischen Forschern und Forschungsinstitutionen existieren. Und dies bezogen auf die Anwendung und praktische Adaption des Wissens im ökonomischen Kontext, bestehend aus der Verbindung von Universität, Industrie und Regierung (vgl. hierzu OECD 1996: 21-26).
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halb der EU. Hierzu sind vor allem auch Investitionen in die Bildung der Menschen (Steigerung des Humankapitals) zu forcieren, die unter dem Schlagwort »lebenslanges Lernen« den Bedarf an steigender und qualitativ hochwertiger Beschäftigung innerhalb der für die Wissensgesellschaft benötigten Entwicklung abdecken und aufrechterhalten können. Darüber hinaus soll vor allem im Ausbildungs- sowie Lehr- und Forschungsbereich die »Förderung der Mobilität von Schülern und Studenten, Lehrern sowie Ausbildungs- und Forschungspersonal […] durch mehr Transparenz bei der Anerkennung von Abschlüssen sowie Studien- und Ausbildungszeiten bestimmt« (Europäischer Rat 2000: I.26) und verfolgt werden (vgl. zu diesem Abschnitt Europäischer Rat 2000: I.1-I.41; Alesi/Kehm 2010: 30-36). Vor allem die letzteren Aspekte bzw. Zielsetzungen fallen mit den politischen Bestrebungen der Schaffung eines einheitlichen Europäischen Hochschulraums bzgl. Forschung und Innovation, wie er bereits in den bildungsministerialen Erklärungen von Sorbonne (1998) und Bologna (1999) vorgedacht ist, zusammen (vgl. Alesi/Kehm 2010: 33-43; Berliner Kommuniqué 2003: 2). Die in Lissabon beschlossenen Maßnahmen hinsichtlich eines »Umbau[s] der Wirtschaft, eine[r] Modernisierung des Wohlfahrtsstaates/der sozialen Systeme und eine[r] Strategie für eine nachhaltige Entwicklung« (Alesi/Kehm 2010: 31) basieren demnach nicht nur vorwiegend auf Wissen als beschleunigendem und notwendigem Faktor des Voranschreitens der wettbewerbsfähigen europäischen Wissensgesellschaft, sondern auch als hinreichendes Kernstück einer angestrebten Weltmarktstellung in Konkurrenz zu den USA und asiatischen Ländern sowie einem damit verbundenen Ausbau des wissenschaftlich-technischen Vorsprungs, wirtschaftlichen Wachstums und (mindestens) der Sicherung eines entsprechenden Lebensstandards für Folgegenerationen (Alesi/Kehm 2010: 31, 35). Somit sind, konträr zur einstigen Vorreiterstellung der Wissenschaft, auch andere gesellschaftliche Teilsysteme, wie Politik und Wirtschaft, »mit der Erzeugung, Speicherung und Nutzung von Wissen beschäftigt« (Kajetzke/Engelhardt 2010: 7; vgl. Dörhöfer 2010; Kajetzke/Engelhardt 2010: 7; Martinsen 2010). Bezogen auf die Politik ist die Beschreibung moderner Gesellschaften als Wissensgesellschaften seit dem Lissabon-Prozess nicht nur zu einem wichtigen Leitbild politischer Programme und Projekte avanciert, sondern zeitgleich verweist das Konzept auf eine doppelte Kopplung zwischen den Systemen der Politik und der Wissenschaft (vgl. Martinsen 2010: 113f.): Die Politik ist über zwei spezifische Leistungen der Wissenschaft – die Bereitstellung »instrumentellen Wissens zur Lösung konkreter Probleme und Legitimation für politische Entscheidungen [Herv. i.O.]« (Weingart 2011: 27f.) – an diese gekoppelt (Verwissenschaftlichung der Politik). Die Wissenschaft wiederum ist infolge der institutionellen Absicherung und Festlegung der anzustrebenden Forschungsrichtung (Forschungspolitik) sowie der Ressourcenzuweisung durch die Politik (und Wirtschaft) an die Politik gekoppelt (Politisierung der Wissenschaft) (vgl. Martinsen 2010: 114f., 119; Weingart 2011: 27f.). Im Rahmen international zunehmender Verände-
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rungs- und Restrukturierungsprozesse – bspw. hinsichtlich der Arbeitsmarktstrukturen oder der Organisations- und Verwaltungsstrukturen von Unternehmen und Institutionen – wurde im Lissabon-Prozess auch die Bedeutung von Wissen für die Wirtschaft betont und hervorgehoben. Die ausgerufene wissensbasierte Wirtschaft zielt in dieser semantischen Verschiebung auf die zunehmende Bedeutung von Informations- sowie Kommunikationstechnologien ab und bezieht somit Produktion und Wachstum auf die aktive Anwendung von Wissen und Informationen zurück (vgl. Dörhöfer 2010: 102ff.). Diese forcierte Neustrukturierung der ökonomischen Produktions- sowie Wettbewerbsfähigkeit kann als Antwort »auf die allgegenwärtige Legitimationskrise der (neoliberalen) kapitalistischen Entwicklung« angesehen werden (vgl. Dörhöfer 2010: 102ff.). »Die Einbettung von Unternehmen in eine wissensbasierte globale Ökonomie hat die Unternehmensstrategien, die Bedeutung regionaler Vernetzungen und den Arbeitsprozess maßgeblich verändert. […] Entsprechend der widersprüchlichen Konstitution wissensbasierter Ökonomien – zwischen Vermarktlichung und Wissensbasierung – versuchen Unternehmen jene paradoxen Handlungsimperative erfolgreich zu vermitteln.« (Dörhöfer 2010: 107)5
Kann der Lissabon-Prozess, wie oben erwähnt, als wissensgesellschaftliches Kernstück angesehen werden, so beziehen sich die in dieser Strategie aufgestellten Ziele hinsichtlich des Ausbaus, der Funktion und der Rolle von Wissen innerhalb wissensbasierter Wirtschaften doch auch auf die Produzenten bzw. Vermittler dieses Wissens: die Hochschulen. Hochschulen nehmen aufgrund ihrer Besonderheit als Organisation eine Doppelrolle ein: sie gehören gleichermaßen dem Wissenschaftssystem wie dem Erziehungssystem bzgl. der Selektion für Karrieren an. Die Verbindung zum Wissenschaftssystem basiert auf der Notwendigkeit von Wissen zum Zweck der Lehre und durch Forschung (entlang der Codierung wahr/nicht wahr), wohingegen die Verbindung zum Erziehungssystem aus dem Aspekt der Lehre (absichtsvolle Vermittlung von Wissen und Können/nicht absichtsvolle Vermittlung von Wissen und Können bzw. besser lernen/schlechter lernen) resultiert. Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Erziehungssystem weisen Hochschulen aber auch wiederum Verbindungen zu Politik (Entscheidung über Personal- und Sachmittel, Gestaltung von Lehrplänen, Prüfungsordnungen etc. als kollektiv verbindliche Entscheidungen) und Wirtschaft (Ausbildung von Arbeitskräften, finanzielle Ressourcen) auf, sodass die der Wissensgesellschaft inhärente trilaterale Verbindung Politik-Wirtschaft-Wissenschaft eben auch auf Ebene der Universitäten zum Tragen kommt (vgl. hierzu Krause 2005: 50; Krönig 2007: 97-100; Luhmann 1994a: 186-190, 5
Ein Versuch, der allerdings auch in die Gegenrichtung der Erfolglosigkeit tendieren und für die beteiligten Akteure nicht-intendierte Handlungsfolgen beinhalten kann, wie im weiteren Verlauf am Beispiel von Amokläufen an Universitäten aufgezeigt wird.
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2002: 54, 59, 73, 118f., 125, 130ff., 2009b: 188; Nickel 2007: 85, 93f.; Stichweh 2005: 123). Die Einbettung und -bindung von Universitäten in das Geflecht aus Wirtschaft (Industrie, Unternehmen), Regierung und Wissenschaft erfordert somit – im Rahmen der allgemeinen Konstitution wissensbasierter Gesellschaften und ihres Kernelements eines produktiv verwertbaren Wissens – auch einen Strukturwandel. Diesbezüglich werden die Überlegungen aus Lissabon (2000) – und in ihrer späteren Veränderung in Barcelona (2002) – flankiert von einem weiteren Prozess, der (zumindest) im wissenschaftlichen und öffentlichen Bereich stärker zur Kenntnis genommen wurde: dem sogenannten Bologna-Prozess. Ausgangspunkt dieses Prozesses ist die Sorbonne-Erklärung (1998). Auch hier steht die Bildung eines Europas des Wissens entlang der kulturellen, sozialen, intellektuellen und technischen Dimensionen moderner Gesellschaften im Vordergrund. Betont wird hierbei, unter Rekurs auf die historisch bedeutende Rolle und Funktion europäischer Hochschulen, nicht nur weiterhin die Teilnahme von Universitäten an der Ausbildung der angeführten Dimensionen. In Anlehnung an die europäische Hochschulgeschichte, in der überregionale Mobilität durch einheitliche Abschlüsse und damit die Verbreitung von Wissen über Ländergrenzen hinaus möglich war (vgl. Ellwein 1985: 23-38; Prahl 1978: 122-128, 157-162, 237-244), zielt das Bestreben der Sorbonne-Erklärung auch auf eine grenzüberschreitende Mobilität europäischer Studierender ab (vgl. hierzu Sorbonne Joint Declaration 1998). »We owe our students, and our society at large, a higher education system in which they are given the best opportunities to seek and find their own area of excellence. An European area for higher learning carries a wealth of positive perspectives, of course respecting our diversities, but requires on the other hand continuous efforts to remove barriers and to develop a framework for teaching and learning, which would enhance mobility and an ever closer cooperation.« (Sorbonne Joint Declaration 1998)
Der angesprochene Rahmen soll hierbei über die Verwendung eines europäischen Leistungstransfersystems und über eine vergleichbare Regelstudienzeit erfolgen, die auf einer ersten Stufe (Bachelorstudium) arbeitsmarktbezogene Qualifikationen vermitteln und auf die weiteren Stufen einer selbstständigen und forschungsbezogenen Arbeit (Masterstudium und Doktorandenausbildung) vorbereiten soll (vgl. Sorbonne Joint Declaration 1998). Die in der Sorbonne-Erklärung »betonte […] Schlüsselrolle der Hochschulen für die Entwicklung europäischer kultureller Dimensionen […] [sowie] […] die Schaffung des Europäischen Hochschulraumes als Schlüssel zur Förderung der Mobilität und arbeitsmarktbezogenen Qualifizierung seiner Bürger und der Entwicklung des europäischen Kontinents insgesamt« (Bologna-Erklärung 1999) stieß nicht nur auf eine breite Akzeptanz innerhalb anderer europäischer Mitgliedstaaten. Den ursprünglichen sowie weiteren Zielsetzungen hin zu einem Europäischen Hochschulraum wurde letztlich am 19.06.1999 von 30 eu-
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ropäischen Bildungsministern in der Bologna-Erklärung per Unterzeichnung zugestimmt (vgl. Bologna-Erklärung 1999). Zu den festgelegten Zielen gehören neben der Einführung vergleichbarer Abschlüsse – unterstützt durch das Diploma Supplement zur Erleichterung ihrer Anerkennung – sowie der Steigerung arbeitsmarktrelevanter Qualifikationen (employability) und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit auch die Einführung eines zweistufigen Ausbildungssystems (Bachelor, Master), wobei der Erstabschluss (Bachelor) für den Eintritt in den Arbeitsmarkt qualifiziert. Des Weiteren werden die Einführung eines Punktesystems zum adäquaten Leitungsvergleich und somit zur Förderung der Mobilität sowohl für Studierende und Lehrende als auch für Verwaltungspersonal sowie die Förderung inter-europäischer Qualitätssicherungsmaßnahmen (geeignete Kriterien und Maßnahmen hierfür sind zum Zeitpunkt von Bologna noch nicht evaluiert) forciert (vgl. hierzu BolognaErklärung 1999). Unter Berücksichtigung der turnusmäßigen Evaluationen und Erweiterungen der in Bologna festgehaltenen Ziele bei den Folgetreffen der europäischen Hochschulminister 2001 in Prag, 2003 in Berlin, 2005 in Bergen, 2007 in London, 2009 in Leuven, 2010 in Budapest und Wien sowie zuletzt 2012 in Bukarest können die zentralen Aspekte des Bologna-Prozesses wie folgt dargestellt werden: Hochschulbildung wird weiterhin als öffentliches Gut angesehen, das einer diesbezüglich wahrzunehmenden Verpflichtung auf staatlicher Seite unterliegt. Bildung wird somit weiterhin als staatlich angesiedelte Aufgabe verstanden. Die Finanzierung der Hochschulen erfolgt dabei nicht ausschließlich aus öffentlichen Mitteln, sondern zusätzlich über private und selbstständige Finanzierungsmöglichkeiten (z.B. Spin-offs, Start-ups). Zur Ausweitung, Bildung und Sicherung eines europäischen Hochschulraums, der international wettbewerbsfähig ist, wird nicht nur eine stärkere Verknüpfung von Forschung und Lehre (Schaffung einer breiten Wissensbasis, Verbesserung der Qualität der Lehre) auf allen drei Stufen des Ausbildungssystems (Bachelorstudiengänge, Masterstudiengänge, Doktorandenausbildung) angestrebt, sondern darüber hinaus auch die Schaffung eines interdisziplinär ausgerichteten europäischen Forschungsraums forciert, was einer generellen Stärkung und Erweiterung der Forschung auch im Sinne von Exzellenz (Entstehung von Exzellenzclustern) bedarf. »[D]ie Qualität der Hochschulausbildung und -forschung [ist und sollte] eine wichtige Determinante der internationalen Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit Europas […] sein.« (Prager Kommuniqué 2001) »Die dazu erforderliche laufende Reform der Hochschulsysteme und -strategien wird […] den europäischen Werten der institutionellen Autonomie, der akademischen Freiheit und der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet sein und wird eine umfassende Mitwirkung der Studierenden und des wissenschaftlichen Personals erfordern.« (Leuvener Kommuniqué 2009)
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Die strukturellen Änderungen hin zum dreistufigen Studiensystem beinhalten dabei auf der sozialen Ebene einen geschlechterunspezifischen Zugang zu Hochschulbildung, einen generell gleichberechtigten, von der jeweiligen finanziellen und wirtschaftlichen Situation unabhängigen Zugang sowie die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit durch die Vermittlung von Kompetenzen für den Arbeitsmarkt (employability und in konsequenter Fortführung auch lebenslanges Lernen). Auf der sachlichen Ebene wird eine einheitliche Modularisierung der jeweiligen Studiengänge auf der Basis von Leistungspunkten gemäß dem European Credit Transfer System (ECTS) vollzogen. Durch diese Möglichkeit einer international transparenten und vergleichbaren Anerkennung von Studienleistungen soll nicht nur die grenzenüberschreitende Mobilität der Studierenden gefördert und erhöht, sondern auch ein allgemeiner Rahmen zur Sicherung von Qualitätsstandards als notwendige Voraussetzung dieser internationalen Vergleichbarkeit – anhand Akkreditierungs- und Zertifizierungsmaßnahmen, Evaluationsmechanismen und -kriterien etc. – implementiert werden.6 6
Die von der European Association for Quality Assurance in Higher Education (ENQA) entwickelten »Standards and Guidelines for Quality Assurance in the European Higher Education Area« (kurz: ESG) entstanden aus den Bestrebungen und Forderungen bzgl. Qualitätssicherungsmaßnahmen im Rahmen des Berliner Kommuniqués (2003). Ziel war die Entwicklung eines »›[…] agreed set of standards, procedures and guidelines on quality assurance‹ and ›to explore ways of ensuring an adequate peer review system for quality assurance and/or accreditation agencies or bodies‹« (ENQA 2009a: 6), wobei dies kein explizit europäisches Interesse widerspiegelt, sondern einem globalen Interesse unterliegt. Es geht somit um die Schaffung interner und externer Qualitätssicherungsmaßnahmen, »[which] are designed to be applicable to all higher education institutions and quality assurance agencies in Europe, irrespective of their structure, function and size, and the national system in which they are located« (ENQA 2009a: 12). Die Verantwortung bzgl. Qualität und Sicherung des Angebots obliegt hierbei – unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Interessen sowie im Sinne einer steten Entwicklung hinsichtlich der Studierendeninteressen – den Hochschulen selbst. Diese sollen hierfür eine effiziente und effektive Organisationsstruktur implementieren, welche zusätzlich den Kriterien der Transparenz, externer Expertise sowie Rechenschaftsablegung unterliegen, wobei »[the] processes used should not stifle diversity and innovation« (ENQA 2009a: 14). Um dies zu verwirklichen, müssen Hochschulen nicht nur formal gesehen Konzepte des Qualitätsmanagements einführen, sondern diese auch im Sinne einer Bewusstmachung der Notwendigkeit für alle Beteiligten auch als »Kultur« in die bestehende Struktur einbetten. Unter Berücksichtigung der Wahrung institutioneller Autonomie sind die Qualitätssicherungsmaßnahmen zudem stark an die Außenwelt der Institutionen gekoppelt; im Sinne einer nach außen gerichteten Anpassung hinsichtlich der Bedürfnisse der Studierendenschaft und potenzieller Arbeitgeber. Zu den angestrebten Maßnahmen zählen hierbei u.a. Moni-
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Die Verantwortung im Bereich der Qualitätssicherungskriterien, über den allgemeinen strukturell festgelegten Rahmen hinaus, obliegt hierbei der institutionellen Autonomie der Hochschulen, welche die Kriterien auch intern weiterzuentwickeln haben (vgl. zu diesem Abschnitt Bergen Communiqué 2005; Berliner Kommuniqué 2003; Bologna-Erklärung 1999; Budapest-Vienna Declaration 2010; Bucharest Communiqué 2012; Leuvener Kommuniqué 2009; London Communiqué 2007; Prager Kommuniqué 2001; Sorbonne Joint Declaration 1998). Die im Bologna-Prozess entwickelten Maßnahmen hinsichtlich des Ausbaus und der Stärkung der wettbewerbsfähigen Bildungsstruktur im intra-strukturellen Kontext des universitären Bereichs wurden im Zuge des sogenannten Kok-Berichts (Europäische Kommission 2004) bzgl. der strategischen Ausrichtung des Lissabon-Prozesses allerdings eher als parallel laufende Reformabsichten angesehen, was maßgeblich darauf zurückzuführen ist, dass die in der Lissabon-Strategie verankerten Maßnahmen hinsichtlich Einbindung und Verantwortlichkeit zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten zu breit gefasst erscheint (vgl. Alesi/Kehm 2010: 35f.). »Auf der Basis des Kok-Berichts legte die Kommission im Jahr 2005 dem Europäischen Rat eine Mitteilung vor, in der sie vorschlug, die Lissabon-Strategie thematisch zu verschlanken, die Verfahren deutlich zu vereinfachen und eine genauere Aufteilung von Zuständigkeiten zwischen Union und Mitgliedstaaten vorzunehmen.« (Alesi/Kehm 2010: 36)
Im Zuge der Neuausrichtung der Lissabon-Strategie wird weiterhin die zentrale Funktion der Universitäten bzgl. Lehre und Forschung betont. Allerdings muss für die Ausfüllung dieser zugewiesenen Rolle – unter Berücksichtigung steigender Einschreibraten, der Qualitätsaufrechterhaltung bzw. -verbesserung sowie der Ausbildung von Exzellenz – die Finanzierung der Hochschulen verbessert und effizienter genutzt werden. Hierzu ist eine enge strategische Partnerschaft zwischen jeweiliger politischer Administration und universitärer Institutionen unter Anhebung der institutionellen Autonomie anzustreben. Alesi/Kehm (2010: 42) zu Folge werden
toring-, Genehmigungs- und Überprüfungsverfahren hinsichtlich der Curricula und Abschlüsse, ein Katalog einheitlicher und öffentlich transparenter Bewertungskriterien für studentische Leistungen sowie die Sicherung der Qualität des Lehrpersonals durch Evaluationsmaßnahmen und die Bereitstellung notwendiger Ausstattungsmerkmale für eine qualitative Ausbildung. Diese internen Maßnahmen werden durch externe Qualitätssicherungsmaßnahmen – über externe Qualitätssicherungsagenturen, Akkreditierungsagenturen, Rechenschafts- und Selbstberichte, externe Rankings und Benchmarking – wiederum selbst geprüft und gesichert, wobei Rankings und Benchmarking bzgl. ihrer Erstellung auf internen Maßnahmen beruhen (vgl. hierzu Alphei/Michalk 2006; ENQA 2009a; siehe auch ENQA 2009b, 2012).
118 | CAMPUS S HOOTINGS »[d]ie Mitgliedstaaten […] aufgefordert, den richtigen Mix aus Grundlagenfinanzierung und Finanzierung nach wettbewerblichen und ergebnisorientierten Kriterien zu finden (z.B. durch die Einführung von Evaluationssystemen, diversifizierten Leistungsindikatoren sowie Indikatoren, die sich auf internationale Leistungsvergleiche beziehen).«
Um den neuen Anforderungen gerecht zu werden und zugleich eine effiziente Nutzung der finanziellen Mittel zu gewährleisten, müssen auf der strukturellen Ebene der Universitäten »effiziente Managementstrukturen und -verfahren« (Alesi/Kehm 2010: 38) etabliert und implementiert sowie das Dienstleistungsangebot für Studierende verbessert und ausgebaut werden (vgl. hierzu Alesi/Kehm 2010: 35-43). Die in der geänderten Fassung der Lissabon-Strategie angeführten Hauptaspekte weisen somit starke Parallelen zu den genannten Instrumenten des New Public Management auf (vgl. Kap. 2.1.3) und gelten für Universitäten ab dato – ganz im Sinne der Philosophie von Neoliberalismus und NPM – »als Voraussetzung für den Erhalt neuer Mittel […] [auf Basis des] Nachweis[es] eines effizienten Umgangs mit den bereits vorhandenen Ressourcen« (Alesi/Kehm 2010: 40).
3.2 D IE DER
POLITISCH INTENDIERTE AUSGANGSBASIS Ö KONOMISIERUNG IM AMERIKANISCHEN K ONTEXT »Certainly there are few areas of American life as important to our society, to our people, and to our families as our schools and colleges. […] This public awareness--and I hope public action--is long overdue.... This country was built on American respect for education. . . Our challenge now is to create a resurgence of that thirst for education that typifies our Nation’s history.« RONALD REAGAN, ZITIERT NACH NATIONAL COMMISSION ON EXCELLENCE IN EDUCATION (1983)
Einige Jahre vor den europäischen Reformbestrebungen lassen sich bereits in den USA Umstrukturierungen und Reformen des tertiären Bildungssektors konstatieren, die als maßgebend für die europäischen Prozesse angesehen werden können. Auch in den USA wird im Hinblick auf eine zukunftsfähige und globale Wettbewerbsfähigkeit die Bedeutung von Wissen und Forschung für den gesellschaftlichen Fortbestand erkannt und unter dem Schlagwort »knowledge for action« eine stärkere Kooperation sowie Einbindung von Universitäten und wissenschaftlichem Wissen in
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den privatwirtschaftlichen Sektor forciert, womit eine extern intendierte Orientierung der Universitäts- und Forschungslandschaft an Ziel- und Leistungsvorgaben von Politik und Wirtschaft verbunden ist. Auch die US-amerikanischen Universitätsreformen, die u.a. ebenfalls auf eine Qualitätsverbesserung der Lehre und die Schaffung einheitlicher und vergleichbarer Curricula (gemäß den Anforderungen aus Politik und Wirtschaft) abzielen, lassen sich auf die NPM-inhärenten Merkmale und Aspekte der Einführung von Qualitätssicherungsmaßnahmen und spezifischen Managementtechniken und -positionen zurückführen. Inter- und intra-universitär werden die Reformmaßnahmen dabei durch die Einführung gewisser Akkreditierungsstandards, die Einführung von Rechenschaftsberichten hinsichtlich der Einhaltung und Erreichung der extern vorgegebenen Ziel- und Leistungsvereinbarungen sowie eine öffentliche Transparenz der universitären Ausbildung und Dienstleitung(en) für die amerikanische Gesellschaft überwacht und kontrolliert. Aber nicht nur im europäischen Kontext lassen sich Reformen des höheren Bildungswesens erkennen. Bereits einige Jahre vor der europäischen Lissabon-Strategie und dem Bologna-Prozess, können in den USA ähnliche Bestrebungen, Schlagworte und Konzepte im Fokus einer Reformbewegung des tertiären Bildungssektors konstatiert werden. Ähnlich der europäischen Situation hat sich auch die ökonomische Situation der USA in den letzten vier Dekaden substanziell von der einstigen industriellen (rein materielle Waren produzierenden) Ausrichtung weg und zu einer postindustriellen Dienstleistungsökonomie hin bewegt (vgl. Gaffkin/Perry 2009: 118). Dieser strukturelle Wandel hatte nicht nur signifikante Auswirkungen auf die Beziehungen von Produktion und dem Raum- und Zeitverhältnis der nationalen Märkte, sondern zeitgleich wandelte sich auch der institutionelle Charakter der amerikanischen Gesellschaft auf globaler Ebene bzgl. der Vorrangstellung der Individuen als eigentliches unternehmerisches Zentrum einer Sozialordnung, welche in Privatrecht, Privatbesitz und freien Märkten wurzelt (vgl. Gaffkin/Perry 2009: 118). Eine Entwicklung, »[which; A.B.] refers to the virtually ubiquitous political culture since the 1980s that has elided with globalization and that posits the benign impact of self-regulating markets and the corollary of minimalist government intervention designed to support economic demand management and social protection. […] The visibility of this agenda was raised in the 1970s and took acute political expression in the 1980s in the transformative governments of Thatcher in the United Kingdom and Reagan in the United States.« (Gaffkin/Perry 2009: 119)
Im Zuge dieser Wandlungsprozesse zeigte sich, dass nicht nur die bisherigen wirtschaftlichen, politischen oder bildungsspezifischen Institutionen zu starr organisiert waren (vgl. Kap. 2.1), sondern auch die Bedeutung von Wissen und dessen Produktionsagenturen (Universitäten und Forschungseinrichtungen) für die weitere Wett-
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bewerbsfähigkeit der USA verstärkt in den Vordergrund politisch-administrativer Bestrebungen rückte (vgl. Business-Higher Education Forum 1983: 5f.). Eine Entwicklung, welche nicht nur analog zu den späteren Bestrebungen der LissabonStrategie im europäischen Kontext gesehen werden kann, sondern auch den späteren (wesentlichen) Reformbestrebungen Ronald Reagans im Hinblick auf die Implementierung von NPM-Maßnahmen im Bereich öffentlicher Verwaltungsstrukturen – und daraus folgend auch im Bereich von Universitäten – entgegenkommt. Denn auch in den USA wurde ausgehend von der eben dargestellten Situation und der wissensgesellschaftlichen Erkenntnis, dass Bildung ein »integral part of the larger social system« (Schwebel 1972: 92) ist, eine Reformbewegung ins Leben gerufen, die sich noch vor den europäischen Reformvorhaben auf das höhere Bildungswesen konzentrierte. Eines der (ersten) Probleme, das in diesem Kontext gelöst werden musste, bestand in dem bisherigen Einsatz und der Verteilung von (personellen und finanziellen) Ressourcen, um zum einen eine höhere gesellschaftliche Partizipation zu gewährleisten und zum anderen – aufgrund zunehmenden öffentlichen Drucks hinsichtlich der Bedeutung und Relevanz wissenschaftlicher Leistungen für gesellschaftliche Probleme – die staatlichen Ausgaben zu senken (vgl. Ewell 1991: 79; Mayhew 1972: 50). »During the late 1950s and the 1960s, the costs of higher education were increasing at almost double the rates of increasing costs for other services. For a time this was probably necessary, as past inequities were rectified and as higher education experimented with the kinds of services it could best provide. However, for the decades of the ’70s, ’80s, and ’90s, it seems clear that earlier rates of increase of costs will be intolerable. The Carnegie Commission on Higher Education has observed that, with proper economies, the total cost of higher education in 1980 should be approximately $41 billion instead of the $51 billion which would be the cost if tendencies during the 1960s were extrapolated into the future.« (Mayhew 1972: 50)
Das hiermit verbundene Ziel für die Universitäten bestand somit darin, die seit Beginn des Open Admission Program7 (bzw. der späteren Open Admission Policy) aufgrund eines gleichberechtigten Zugangs aller Gesellschaftsmitglieder ohne Sanktionierung durch die eigene wirtschaftliche Lage sowie infolge der Förderung sozialer Mobilität erhöhte Anzahl an Einschreibungen weiter zu bewältigen und 7
Ursprünglich war das Open Admission Program von der City University of New York (CUNY) ins Leben gerufen worden, um Nachholkurse zur Steigerung der tatsächlichen Abschlussquoten anzubieten, um den Zugang zum tertiären Bildungsbereich für alle ethnischen Schichten zu öffnen, die Qualität aller beteiligten Institute zu sichern und zu steigern und um einen ›reibungslosen Übergang‹ zwischen unterschiedlichen Studienprogrammen und angehörigen Teilhochschulen zu ermöglichen (vgl. Helms 1971: 61f.).
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durch interne Reformen den gesellschaftlichen Forderungen gerecht zu werden (Übertragung von Forschungsergebnissen und -fortschritt bzgl. des gesellschaftlichen Nutzens, wie in den 1950er/1960er Jahren), und dies unter der zusätzlichen Auflage, weniger Kosten zu verursachen (vgl. Brickman 1972: 41; Daniere 1972: 64ff.; Mayhew 1972: 46-50). Und dieser an die Hochschulen und die Wissenschaft gerichtete Imperativ »implies a greater emphasis on management techniques in the future and requires doing something anathema to the academic mind; that is, using an economic criterion as one of the major – although clearly not the major – criteria in judging the performance of colleges and universities. [Herv. A.B.]« (Mayhew 1972: 50)
Die wesentlichen Aspekte der Reformbemühungen können anhand unterschiedlicher in Auftrag gegebener Berichte rekonstruiert werden, wobei hier in Anlehnung an Ginsberg/Bennet (1989: 246-252) im Wesentlichen vier dieser Reports angeführt werden sollen: America’s Competitive Challenge. The Need for a National Response (Business-Higher Education Forum 1983), A Nation at Risk: The Imperative for Educational Reform (National Commission on Excellence in Education 1983), Involvement in Learning: Realizing the Potential of American Higher Education (Study Group on the Conditions of Excellence in American Higher Education 1984) und Time for Results. The governor’s 1991 report on education (National Governors Association 1986). Diese spiegeln nicht nur die unterschiedlichen Aspekte der Reformbemühungen wider, sondern umfassen sowohl den prozessualen Wandel auf individueller Ebene (das Verhältnis zwischen Studierenden und Dozierenden als Teil einer ersten Reformwelle) als auch strukturelle Komponenten (Exzellenz und Qualitätssicherung der Lehre). Der Bericht des Business-Higher Education Forum (1983) sollte dem damaligen Präsidenten Reagan als »set of recommendation designed to strengthen the ability of this nation to compete more effectively in the world marketplace« (Business-Higher Education Forum 1983: i) dienen. Zur Umsetzung dieses Ziels soll neben der Steigerung physischen Kapitals (z.B. Fabriken) und technologischer Investitionen vor allem auch eine zunehmende Investition in das Humankapital vorgenommen werden (vgl. Business-Higher Education Forum 1983: i). Darüber hinaus konstatiert der Bericht: »America’s public and private institutions – government, business, labor and education – have become barriers to the flexible response which is the key to future prosperity. […] America has yet to capitalize fully on the opportunity to organize knowledge for action. [Herv. i.O.]« (Business-Higher Education Forum 1983: 5f.)
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Neben vielfältigen Empfehlungen für den wirtschaftlichen oder technischen Sektor sind im Kontext dieser Arbeit vornehmlich jene Aspekte zu nennen, die sich auf den Bereich der Bildung beziehen. Diesbezüglich lassen sich folgende Kernelemente destillieren: Der Bereich der Forschung und Lehre sollte sich hinsichtlich der vermittelten Inhalte eher auf die entsprechenden Anforderungen der damaligen Situation beziehen (z.B. geeignete Managementtechniken, internationale [Handels-]Beziehungen, Produktivitätssteigerung etc.), eine stärkere Kooperation zwischen Industrie und Universitäten bzw. Forschungseinrichtungen sollte angestrebt und anwendungsbezogene Forschung nicht nur weiterhin unterstützt, sondern zusätzlich ausgebaut werden (vgl. Business-Higher Education Forum 1983: 12f.). Unter Rekurs auf die dargestellten Merkmale und Steuerungsinstrumente von NPM (vgl. Kap. 2.1.3) lassen sich hier somit die Entwicklung und letztlich auch die intendierte Etablierung externer Zielsetzungen im Sinne einer Kompetenzverteilung seitens der politischen Administration konstatieren. Die politisch-administrative Führung legt zunächst die neuen Rahmenbedingungen in Form der Ausrichtung und Erreichung der (strategisch günstigen) Ziele im Hinblick auf die (neuen) gesellschaftsrelevanten Bedarfe und Weiterentwicklungen fest – die Was-Komponente, innerhalb derer die Bildungsinstitutionen operieren. Die Umsetzung obliegt dabei, im Rahmen der von der Was-Komponente abgekoppelten und dezentralisierten Wie-Komponente, den Bildungsinstitutionen selbst, die darüber hinaus eine stärkere Kooperation bzw. Anpassung an den privatwirtschaftlichen Bereich der Industrie zu forcieren haben. Ähnlich wie der Bericht des Business-Higher Education Forum richtet sich auch der Report der National Commission on Excellence in Education (1983) auf Wissen und Lernen als Kernelemente der neuen gesellschaftlichen Entwicklung im Zuge der ökonomischen Veränderungen. »Knowledge, learning, information, and skilled intelligence are the new raw materials of international commerce and are today spreading throughout the world as vigorously as miracle drugs, synthetic fertilizers, and blue jeans did earlier. If only to keep and improve on the slim competitive edge we still retain in world markets, we must dedicate ourselves to the reform of our educational system for the benefit of all -- old and young alike, affluent and poor, majority and minority. Learning is the indispensable investment required for success in the ›information age‹ we are entering.« (National Commission on Excellence in Education 1983)
Ein wesentlicher Bestandteil des hier verankerten Reformbestrebens zielt auf exzellente Ausbildung ab. Im institutionellen Kontext der hochschulischen Ausbildung bedeutet dies, dass nicht nur klare und hohe Erwartungen an die Studierenden formuliert werden, sondern die Hochschulen auch selbst Hilfestellungen zum Erreichen der Ziele geben und somit – durch diese Art einer qualitativ hochwertigen Ausbildung – helfen, die USA als Gesellschaft wettbewerbsfähiger zu gestalten. In
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Kombination mit einem auf Gleichberechtigung ausgelegten Zugang zu tertiären Bildungsmaßnahmen »[these] twin goals of equity and high-quality schooling have profound and practical meaning for our economy and society, and we cannot permit one to yield to the other either in principle or in practice« (National Commission on Excellence in Education 1983). Neben der Qualitätssteigerung der Lehre wird aber auch der Aspekt des lebenslangen Lernens betont, der – ähnlich der Argumentation im europäischen Reformprozess – die Gesamtbevölkerung der USA nicht nur zu einer Learning Society transformieren soll, sondern ebenfalls die Bedeutung von Wissen und Bildung für den künftigen Erfolg im internationalen Wettbewerb betont (vgl. hierzu National Commission on Excellence in Education 1983). Diese Transformation ist allerdings nur dann möglich, wenn zur hierfür benötigten Schaffung und Ausweitung von Exzellenz im tertiären Bildungsbereich sowohl eine verstärkte Einbindung der Studierenden erfolgt als auch geeignete Assessment- und FeedbackMaßnahmen, als indirekte Mittel der Leistungsüberprüfung hinsichtlich der neuen Erwartungen, in die institutionelle Struktur implementiert werden (vgl. Study Group on the Conditions of Excellence in American Higher Education 1984: 17, 20). Hierbei handelt es sich also um das dem NPM-inhärente Steuerungselement der Feedback-Modelle, die, ausgehend von den bereits existenten, extern definierten oder noch zu definierenden Bedürfnissen, Zielsetzungen überprüfen oder erheben, die zum einen Einfluss auf die Ressourcenverteilung nehmen und zum anderen auch die hiermit verbundenen und geforderten Aktivitäten in Gang setzen, aus denen letztlich die Leistungen zur Erfüllung der gewünschten Ziele resultieren. Bezogen auf die aktive und vermehrte Einbindung der Studierenden bedeutet dies u.a. eine Qualitätsverbesserung der Lehre (durch eine forschungsnahe und damit aktuelle Ausrichtung), die Etablierung einer umfassenden Betreuung der Studierenden während des Studiums (ein Betreuungsangebot bspw. vergleichbar mit qualitativer Fachstudienberatung), die Einrichtung, Unterstützung und Bereitstellung der Ressourcen für den Aufbau zielgerichteter Lerngruppen sowie den Ausbau von Vollzeitlehrstellen im Gegensatz zu bisherigen Lehrstellen, die zu 50 Prozent von Dozierenden ausgefüllt werden, welche zusätzlich in anderen beruflichen Bereichen tätig sind (vgl. Study Group on the Conditions of Excellence in American Higher Education 1984: 27-36). Zur Umsetzung dieser an die Hochschulen herangetragenen Erwartungen müssen gewisse Akkreditierungsstandards (bspw. in Form klarer Festlegungen der Curricula) eingeführt werden, welche den inhärenten Anforderungen und Erwartungen der Universitäten an die Studierenden gerecht werden. Sprich es werden, ähnlich dem privatwirtschaftlichen Sektor, Qualitätssicherungs- und -managementelemente sowie entsprechende Maßnahmen im universitären Bereich etabliert. Darüber hinaus soll der Bereich berufsfeldqualifizierender und arbeitsmarktrelevanter Fähigkeiten und Fertigkeiten, in Kombination mit der Forderung nach lebenslangem Lernen, ausgebaut und verbreitert werden, denn: »the best preparation for the future is not narrow training for a specific job, but rather an edu-
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cation that will enable students to adapt to a changing world« (Study Group on the Conditions of Excellence in American Higher Education 1984: 43). Weiterhin benötigt auch das bisher bestehende Credit System eine dahingehende Modifizierung, dass die Bemessung der Leistungspunkte nicht nur auf die Prüfungen im Bereich des Hauptfachs und der abschlussrelevanten Prüfungen bezogen wird, sondern alle Lehr- und Lerninhalte des Studiums abdeckt und in der Gesamtmenge die Voraussetzung zur Verleihung des entsprechenden akademischen Titels bildet (vgl. hierzu Study Group on the Conditions of Excellence in American Higher Education 1984: 37-52). Die Entwicklung hierfür benötigter Bewertungsinstrumentarien (geeignete Curricula, ein Leistungspunktesystem, studentische Evaluationen zur Qualitätssicherung) obliegt in einem ersten Schritt den Universitäten selbst, wobei der damit verbundene Kostenaufwand in puncto Zeit und Unterstützungsleistungen im Rahmen seiner langwierigen Entwicklung einen höheren Profit verspricht (vgl. Ewell 1991: 78; Study Group on the Conditions of Excellence in American Higher Education 1984: 53-61). Eine Investition, die allerdings in Kauf genommen werden muss, da diese Maßnahmen als geeignetste Mittel zur Überprüfung und Aufrechterhaltung der Effektivität des Lehrbetriebs und der Leistungen angesehen wird (vgl. Study Group on the Conditions of Excellence in American Higher Education 1984: 53). In dieser Reformphase sollte allerdings noch gelten, dass »[s]tate and system-level officials […] minimize the intrusion of administrative and fiscal agencies into the daily and routine operations« (vgl. Study Group on the Conditions of Excellence in American Higher Education 1984: 67). Eine Empfehlung, welche nicht nur durch die Ergänzung dieser internen durch externe Assessmentmaßnahmen in den 1980er Jahren (vgl. Ewell 1991: 79) konterkariert wurde, sondern darüber hinaus auch in der aktuellen Entwicklung kaum mehr wahrgenommen wird. Maßgeblich für die Entwicklung externer Assessmentmaßnahmen ist der Bericht der National Governor’s Association (1986). Ausgehend von der situativen Beschreibung der sich wandelnden US-amerikanischen Wirtschaft konstatiert der Bericht, dass zur Sicherung und Erhaltung des Lebensstandards in den USA hochqualifizierte Facharbeiter sowie aktuelle Technologien und technologische Entwicklungen benötigt werden. Dies ist wiederum eng mit Reformen des Bildungswesens verbunden und zwar dahingehend, dass zumindest der bis dato existente, ungleichberechtigte Zugang zu tertiärer Bildung aufgehoben werden muss. Anhand dieses Bestrebens werden Maßnahmen entwickelt und eingefordert, die sowohl auf schulischer als auch auf hochschulischer Ebene implementiert werden sollen. Innerhalb dieser zweiten Reformwelle steht eine effektivere Gestaltung des Bildungswesens in struktureller und personeller Hinsicht im Vordergrund, wofür eine effektive Führung sowie klar definierte Erwartungen an und Ziele für das Personal benötigt werden. Zur Umsetzung dieser Forderungen gilt es – ähnlich der Privatwirtschaft – den Bereich der Personalentwicklung durch Managementkurse und Einführungskurse in finanzielle und rechtliche Belange zu stärken sowie Kontrolltechniken des Monitoring und der Eva-
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luation einzuführen (vgl. Ginsberg/Bennet 1989: 251; National Governor’s Association 1986: 51ff., 62). Vor allem Letzteres zielt auf die Überwachung und Rechenschaftsablegung der Führungspositionen innerhalb der Institutionen ab, da nicht nur im schulischen Kontext »Principals should be held accountable for school performance, especially if they are given the flexibility and ressources to meet the goals set for the school« (National Governor’s Association 1986: 64). Die Wichtigkeit derartiger Maßnahmen wird vor allem im Bereich der Universitäten und hinsichtlich der bisherigen Akkreditierungsmaßnahmen betont. Das tertiäre Bildungssystem als essenzielle Komponente der voranschreitenden ökonomischen Entwicklung, kulturellen Vitalität und des generellen Wohlstandes der USA erreichte trotz ausgiebiger finanzieller Mittelausstattung und ersichtlichen Erfolgen nicht die geforderte Effektivität (vgl. National Governor’s Association 1986: 189). Ein Grund dieser Ineffektivität wird in den bisherigen Akkreditierungsmaßnahmen gesehen. Wurden bis dato nur physische Ressourcen (Bibliotheken, Gebäude etc.) fokussiert, so gilt es nun, sich den Leistungen und Fähigkeiten der Studierenden zuzuwenden. Diesbezüglich ist ein reformgesteuerter staatlicher Eingriff erforderlich, der dafür Sorge trägt, dass derartige (externe) quantitative Messinstrumentarien nicht nur entwickelt, sondern auch implementiert werden. Die hiermit verbundene Abwendung von input- und prozessorientierten Betrachtungen hin zu einer Outputorientierung erfolgt über Assessmentverfahren – wie Evaluationen (als gestaltende Maßnahme), Rechenschaftsablegung und Qualitätssicherung (als abschließende Maßnahme) sowie Auditing- und Reportingverfahren –, mit deren Hilfe die Qualität hochschulischer Bildung und damit universitärer Ausbildung für Sponsoren, Öffentlichkeit und Staat transparent gemacht werden kann (vgl. Ewell 1991: 80ff., National Governor’s Association 1986: 190f.). Die Gefahr einer negativen Beeinflussung der als wichtig betonten Forschungskomponente der Universitäten wird hierbei nicht gesehen, denn: »Assessment and college quality are not incompatible with the research and graduate education functions of postsecondary institutions. In fact, a renewed emphasis on quality at the undergraduate level can revitalize the research and graduate missions of colleges and universities. Quality institutions will aid the cause of research and the creation and application of new knowledge. And better undergraduate students will be better graduate students and professionals.« (National Governor’s Association 1986: 196)
Im Zuge ihrer Funktion als »gateway to opportunity, enterprise, and individual growth« (National Governor’s Association 1986: 195) müssen somit innerhalb des tertiären Bildungswesens bestimmte Ziele und Grundsätze entwickelt werden, die den partikularen Zweck der jeweiligen Universität hervorheben und charakterisieren. Oder anders formuliert: Es geht um die Frage, welche Mission eine Universität zu erfüllen hat, um eine qualitativ hochwertige Lehre und Ausbildung im Sinne ei-
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nes kosteneffektiven Zuliefersystems für die Privatwirtschaft zu gewährleisten. Somit steht auch hier die – für den Erhalt der Gesellschaft geforderte – konsequente Fortführung universitärer Forschung in Kombination mit der Verbesserung der Lehrqualität durch aktive und stetige Einbindung von Forschungsergebnissen im Vordergrund, denn »undergraduate students benefit from the enrichment and example of faculty engaged in research and service activities« (National Governor’s Association 1986: 198; vgl. National Governor´s Association 1986: 196ff.). Darüber hinaus sind – und das auch und gerade in Bezug auf die Assessmentmaßnahmen – zusätzliche Finanzierungsstrategien zu konzeptionalisieren, welche die Hochschulen über die regulären finanziellen Zuwendungen hinaus absichern (vgl. National Governor’s Association 1986: 199). Somit können auf Seiten der staatlich forcierten US-amerikanischen Reformbestrebungen die Einführung von Rechenschaftsberichten, Auditing und Reporting sowie ein öffentlicher, transparenter und vergleichbarer Zugang hinsichtlich studentischer Leistungen als Kernelemente des übertragenen NPM angesehen werden, die letztlich dazu dienen sollten, zum einen die politische Administration über Leistung und Lage der universitären Institutionen zu informieren und zum anderen für die Studierenden und deren Angehörige einen guten Überblick bzgl. der Wahl einer geeigneten Universität zu schaffen (vgl. Ewell 1991: 80). Die Etablierung quantitativer Messkriterien wie Evaluationen (als gestaltende Maßnahmen) und Rechenschaftsablegungen bzw. Qualitätssicherungsmaßnahmen (als abschließende Maßnahmen) führen letztlich zu einer dezentralisierten Struktur als Kernstück auch später folgender Reformbestrebungen (vgl. Ewell 1991: 80ff.; Wohlstetter/McCurdy 1991: 391): »Decentralization is the popular centerpiece of the current wave of education reform. […] President Bush and the nation’s governors placed restructuring on the government’s agenda last fall at the 1989 Education Summit when they recommended improving schools by decentralizing management.« (Wohlstetter/McCurdy 1991: 391)
Die hier dargestellten Veränderungsmaßnahmen im Kontext der US-amerikanischen Reformbestrebungen repräsentieren somit (zumindest) eine strukturell gelungene Übertragung und Implementierung zentraler NPM-Steuerungselemente im universitären Kontext.
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INTENDIERTE ( ERSTE ) E BENE EINER Ö KONOMISIERUNG DER U NIVERSITÄTEN
Sowohl in den US-amerikanischen als auch in den europäischen Reformbestrebungen des Hochschulwesens sollen Universitäten effizienter, effektiver und wirtschaftlicher gestaltet werden. Zur Verwirklichung dieses Ziels werden Universitäten dabei einer top-down-implementierten politischen Steuerung unterzogen, welche die in den Reformprozessen definierten Maßnahmen und von den Universitäten zu erfüllenden Ziele sowie die daran gekoppelten Leistungserwartungen festlegt und zu einer institutionellen Differenzierung von Universitäten führt. Durch die politisch intendierte Gleichsetzung von Universitäten mit privatwirtschaftlichen Unternehmen resultiert hieraus zugleich eine Nebencodierung des Bildungsbegriffs, welche Bildung gemäß den geforderten Effizienz-, Effektivitäts- und Wirtschaftlichkeitskriterien in wirtschaftlich verwertbares Wissen transformiert. Der von der politischadministrativen Führung beschlossene und intendierte Prozess der Hochschulreformen erzeugt somit, aufgrund der Einführung intra-universitärer Managementstrukturen und -aufgaben, die Universitäten sowohl intern als auch extern überwachen und kontrollieren, in den Teilbereichen der Verwaltung, Lehre und Forschung einen Anpassungsdruck, auf den hinsichtlich der geforderten Ziel- und Leistungsvereinbarungen nur durch eine ökonomisch-rationale Verhaltensanpassung reagiert werden kann. Auf der strukturellen Ebene der Universitäten kann somit bzgl. der institutionellen Differenzierung von einer intendierten Ökonomisierung gesprochen werden. Werden die europäischen und US-amerikanischen Reformbestrebungen des Hochschulwesens zusammengeführt und auf den zuvor erarbeiteten theoretischen Rahmen (vgl. Kap. 2) rückbezogen, so lässt sich in einem ersten Schritt das in Abbildung 5 (s. S. 128) dargestellte Schaubild entwickeln. Die Reformbestrebungen und -entwicklungen, welche von Seiten der politischen Administrationen angehörigen Akteure initiiert wurden, spiegeln hierbei nur eine erste Ebene der Ökonomisierung der Universitäten wider: die über intendierte Handlungen erfolgte institutionelle Differenzierung von Universitäten als notwendiges Mittel zur Effizienz- und Wettbewerbssteigerung moderner Gesellschaften hinsichtlich des Fortbestehens in globalen Wirtschaftsmärkten.8
8
Die zweite Ebene einer Ökonomisierung von Universitäten wird in Kap. 5.4 (Abb. 10, S. 242) dargestellt und bezieht sich auf die nicht-intendierten Reformeffekte, die aus Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekten der Hochschulreformen resultieren. Somit ist der in Abb. 5 (s.S. 128) dargestellte Kasten »Zweite (nicht-intendierte) Ökonomisierungsebene« zunächst als Platzhalter zu sehen.
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Abbildung 5: Ökonomisierung der Universitäten – erste Ebene: intendierte institutionelle Differenzierung
Sowohl in der europäischen als auch in der US-amerikanischen Reformentwicklung bzgl. der Stärkung von Wissen und somit auch der Hochschulen als antreibende Kraft bzw. Katalysator hin zu leistungsstarken und wettbewerbsfähigen Gesellschaften im internationalen Kontext kann die wirtschaftliche Situation als Ausgangspunkt gesehen werden. Im Zentrum stehen die Fokussierung und der Ausbau wissensbasierter Ökonomien, zu deren Realisierung knowledge for action ein unabdingbarer Bestandteil ist. Das Ziel international und global wettbewerbsfähiger Gesellschaften, welches über die Reformvorhaben des tertiären Bildungswesens durch die politisch-administrative Führung ratifiziert werden sollte, vollzieht sich anhand der Triebkräfte einer »wirtschaftspolitische[n] Neuorientierung [hier: die wissensbasierte Wirtschaft, A.B.], den technisch-ökonomischen Strukturwandel und die Europäisierung« (Mayntz 2008: 113) über die trilaterale Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Diese Verflechtung ist dabei ein zentrales Merkmal von Wissensgesellschaften (vgl. Weingart 2003: 89-110, 2011: 127-231) und darüber hinaus mit der dargestellten Ausgangssituation moderner Gesellschaften als differenzierte Gesellschaften (vgl. Kap. 2.2.1) verbunden.
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Politik, Wirtschaft und Wissenschaft stehen sich als eigenständige, ausdifferenzierte Funktionssysteme gegenüber und ihre Aufgabe als Teil des gesellschaftlichen Ganzen besteht darin, dass sie für den Fortbestand desselben in der Lage sein müssen, spezifische Eigenleistungen auf die anderen Systeme, in Form eines Leistungsaustausches, zu übertragen (vgl. Münch 1996a: 77ff.). Im Kontext der wirtschaftlichen Situation sucht die Politik, im Sinne der kollektiven Zielverwirklichung, zunächst nach Veränderungen (die Einführung wissensbasierter Wirtschaften), die sie im ökonomischen Markt als erfolgreiche Innovationen implementieren will. Wissen als hierfür benötigtes Gut fällt in den Bereich der Wissenschaft und somit den Universitäten als potenziellen Produzenten bzw. Vermittlern dieses Gutes zu. Ein Ausbleiben bzw. Fehlen der innovativen Investition in Wissen würde als negative Folge eine rein nationale Wettbewerbsfähigkeit nach sich ziehen und der hierdurch geplante gesellschaftliche Nutzen würde in den globalen Verflechtungen gegen null tendieren. Damit die geplante Innovation tatsächlich erfolgversprechend implementiert werden kann, muss in erster Linie die Politik in diesen Prozess regelnd eingreifen (vgl. hierzu Mayntz 2008: 105f.), wobei der oben erwähnte (inter-systemische) Leistungsaustausch zu berücksichtigen ist. Ein erster Leistungsaustausch innerhalb der trilateralen Verflechtung kann zwischen Wirtschaft und Politik konstatiert werden: Politische Programme und Vorhaben – und somit auch die Reformen des Hochschulbereichs – sind an finanzielle Mittel gekoppelt, die im Sinne einer kollektiven Zielverwirklichung bzgl. des Fortbestandes und der Weiterentwicklung von Gesellschaften an eine ausgewogene Finanz- und Haushaltspolitik sowie Steuerund Wirtschaftspolitik gebunden sind. Über steuerpolitische Maßnahmen greift die Politik in den Bereich der Wirtschaft ein, Geld wird in puncto politischer Entscheidungsverfügbarkeit zur Subventionierung oder öffentlichen Mittelvergabe in politische Macht transformiert und bei der Mittelzuweisung anschließend wieder in den ökonomischen Kreislauf eingeführt. Die Effektivität politischer Maßnahmen ist also eng an die Wirtschaft gekoppelt. Im Gegenzug ist aber auch die wirtschaftliche Effizienz an politische Entscheidungen und politische Steuerung gebunden: nämlich dann, wenn es um »gesamtwirtschaftliche Zielsetzungen durch staatliche Wirtschaftsförderung in Form von Subventionen […] oder Forschungsinvestitionen« (Münch 1996a: 53) geht, die sowohl einer für das gesellschaftliche Wohl dienlichen Zielsetzung als auch sachpolitischen Entscheidungen hinsichtlich innovativer Förder- und Ausbaumaßnahmen unterliegen (vgl. hierzu Münch 1996a: 50-54). Darüber hinaus sind Wirtschaft und Politik auch basal über das Recht als Bestandteil des politischen Systems miteinander verbunden, da Entscheidungen innerhalb der Wirtschaft eine bestimmte vertraglich vereinbarte Vertrauenssicherheit und Absicherung benötigen, was mit der Ausbreitung globaler Märkte noch mehr an Bedeutung gewinnt, denn »[e]in entfalteter Wirtschaftsraum jenseits der Grenzen nationaler Solidarität kann […] nur ein rechtlich konstruierter sein, anderenfalls würde er nicht existieren« (Münch 2009b: 11; vgl. Münch 1984: 306, 2009b: 11).
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Gleichzeitig richtet sich der von den politisch-administrativen Führungen ausgehende und mit der Wirtschaft verbundene Input aber auch an die Wissenschaft. Die angestrebte wirtschaftliche Effizienzsteigerung durch das Modell der wissensbasierten Wirtschaft trägt dazu bei, dass Wissen für die Wirtschaft nun als »Quelle wirtschaftlichen Wohlstands und neuer technischer Entwicklungen […] [gilt]. Aufgrund dessen wird wissenschaftliches Wissen zu einem begehrten Gut, das die Privatwirtschaft zu kontrollieren sucht, um damit Profite zu machen.« (Weingart 2003: 103) Damit die wirtschaftliche Effizienzsteigerung gelingen kann, müssen Universitäten nun ihrerseits nicht nur das benötigte Wissen produzieren, sondern auch dafür Sorge und Rechnung tragen, dass die künftigen Träger des Wissens (die Studierenden) mit geeigneten Qualifikationen und Fähigkeiten für den Arbeitsmarkt ausgestattet sind (vgl. Weingart 2003: 103ff., 2011: 171-191). Somit müssen nicht nur employability-Aspekte seitens der Universitäten stärker auf- und ausgebaut werden, sondern dies muss gleichzeitig in Abstimmung mit dem wirtschaftlichen Sektor erfolgen. Der Anpassungsdruck geht hierbei wiederum von Seiten der politischen Administration aus: »Die Wissenschaftspolitik drängt die Universitäten, sich enger an den Bedürfnissen der Wirtschaft zu orientieren« (Weingart 2003: 104) und somit »wird Wissen zur Ware, die Wissenschaft gerät unter das Diktat von Markt und Kapital […]. In der Wissensgesellschaft bzw. einer auf Wissen beruhenden Wirtschaft wird die traditionelle Universität zur ›Wissensfabrik‹, zu einem Hauptmotor wirtschaftlichen Wachstums.« (Weingart 2011: 172) Damit Universitäten ihre Funktion als »Hauptmotor wirtschaftlichen Wachstums« aber tatsächlich ausfüllen können, sind sie wiederum eng an die Politik gebunden; und zwar über die Aspekte der Finanzierung, der Ausstattung mit Personal und der kollektiv verbindlichen Entscheidungen hinsichtlich der Lehrpläne, Prüfungsordnungen etc. Universitäten sind an öffentliche Mittelzuweisungen gebunden, deren Vergabe und Verwendungsmöglichkeit entlang der Befugnisse und Kompetenzen aus der an die Finanzund Haushaltspolitik bzw. Wirtschafts- und Steuerpolitik gekoppelten Bildungspolitik resultiert. Auch hier entstammen die zu vergebenden finanziellen Mittel zuvorderst dem Wirtschaftskreislauf und werden über Steuerpolitik dem politischen System nutzbar gemacht, welches u.a. über sachpolitische Entscheidungen (hier: Ausbau der Bildung) die Mittel in Form von Investitionen und Gehaltszahlungen wieder der Wirtschaft zurückführt (vgl. Münch 1996a: 50-56). Universitäten – als Bestandteil des Erziehungssystems – können dies nicht selbst leisten, da »[d]ie Eigentums- und Personalverwaltung […] kein Geschäft [ist], das in der Form erzieherischer Operationen ablaufen könnte« (Luhmann 2002: 119), weshalb »Fragen der Organisation, der Finanzierung und des Personaleinsatzes« (Luhmann 2002: 130) sowie die Gestaltung kollektiv verbindlicher Lehrpläne, Prüfungsordnungen etc. eben in der politisch-regulativen Umwelt des Erziehungssystems liegen (vgl. Luhmann 2002: 130).
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Über die finanz- und wirtschaftspolitische sowie bildungspolitische Kopplung hinaus sind Politik und Wissenschaft in der Wissensgesellschaft aber auch über die Aspekte der Verwissenschaftlichung von Politik sowie die Politisierung von Wissenschaft verflochten. Spätestens seit der aufkommenden Industrialisierung und Technisierung von Gesellschaften ist mit den voranschreitenden technischen und technologischen Entwicklungen nicht nur die Frage nach den gesellschaftlichen Auswirkungen bzw. Folgen verbunden, sondern auch eine Ausweitung politischadministrativer Funktionen, die vor allem in den Bereichen der Risikoprävention eine zunehmende Abhängigkeit politischen Handelns von wissenschaftlichem Wissen mit sich bringt.9 Die zunehmende wissenschaftlich-technische Komplexität und die hiermit verbundenen gesundheitlichen und/oder ökonomischen sowie ökologischen Risiken bedingen eine zusätzliche Legitimation hinsichtlich der gesellschaftsrelevanten politischen Entscheidungen. Eine Legitimation, die sich in Form wissenschaftlicher Beratung der politischen Entscheidungsträgerschaften durch Experten herauskristallisiert. »Im politischen Diskurs werden Experten gezwungen, ihre Erkenntnisse auf politische Problemstellungen – z.B. Arbeitslosigkeit oder technische Risiken – zuzuspitzen und mit Wahrheit zu begründen.« (Münch 1996a: 48) Wissenschaft, als Basis wahren Wissens, wird somit in die politischen Prozesse eingebunden. Die in zeitlicher Hinsicht längerfristige Folge wissenschaftlicher Beratung ist allerdings eine Inflationierung des Gebrauchs wissenschaftlichen Wissens. Für vielzählige Entwicklungen und ihre potenziellen Gefahren erhöht sich zunehmend die Anzahl wissenschaftlicher Expertenmeinungen, die darüber hinaus auf die politischen Bedürfnisse bzgl. der gesellschaftlichen Legitimation zugeschnitten werden müssen. Agieren Wissenschaftler somit in und aus der Sicht einer politischen Legitimation für die Öffentlichkeit, werden auch die Experten zusätzlich Mitglieder des politischen Umfeldes. Aus der einstigen Verwissenschaftlichung der Politik resultiert somit parallel die Politisierung der Wissenschaft (vgl. hierzu Martinsen 2010: 113ff.; Weingart 2003: 89-102, 2011: 127-170). In Wissensgesellschaften »gibt [es] keine Alternative zu wissenschaftlicher Expertise, um politische Entscheidungen mit einer instrumentell verlässlicheren Grundlage und damit einer höheren Legitimität zu versehen. Die Verbindung von Wissenschaft und Politik ist deshalb fest institutionalisiert und es ist nicht wahrscheinlich, daß sie sich grundlegend ändern wird.« (Weingart 2011: 169)
9
In Anlehnung an Luhmann (1991: 25-35) bezieht sich die hier angeführte Risikoprävention und damit der Risikobegriff auf potenzielle künftige Schäden, die – im Gegensatz zu hiervon unterscheidbaren Gefahren (Naturkatastrophen, Erdbeben o.Ä.), denen man einfach ausgesetzt ist – auf kontingente Entscheidungen zurückgeführt werden können bzw. in zeitlich längerfristiger Perspektive aus dem Produkt akkumulierter Entscheidungen und derer Effekte resultieren.
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Aufgrund der Einbindung wissenschaftlicher Experten in politische Entscheidungsprozesse wird zugleich auch deutlich, dass die politisch-administrativen Bestrebungen der universitären Reformen keine ad-hoc-Konstrukte sind, sondern auf einem längerem Prozess basieren, der durch die Mitarbeit unterschiedlicher Akteure in Kommissionen und Zusammenschlüssen entwickelt und abgestimmt wurde (vgl. Kap. 3.1 und 3.2). Durch die Einbindung der nationalen Regierungsvertreter im Europäischen Rat, der Bildungsminister, Studierender und Hochschulvertreter im Rahmen des Bologna-Prozesses sowie durch die Einigung innerhalb der Europäischen Kommission hinsichtlich der Hochschulfinanzierung als »Mix aus öffentlichen und privaten Quellen« (Alesi/Kehm 2010: 40) und auch durch die implizierte Einbindung der entsprechenden nationalen Wirtschafts- und Finanzminister sind nicht nur Experten in den Prozess involviert. Kombiniert mit einem zusätzlichen öffentlichen Interesse an den Hochschulreformen kann darüber hinaus – auf Basis der jeweiligen Interessen- und Einflusskonstellationen der beteiligten handlungsfähigen Akteure (siehe Schimank 1985, 1988, 1995a) – von einer kulturell legitimierten Mehrheitsentscheidung hinsichtlich der Hochschulreformen gesprochen werden (vgl. Münch 1996a: 47). Diese kulturell legitimierte Mehrheitsentscheidung bzgl. der Notwendigkeit von Hochschulreformen ist in gewisser Weise das Erkennen und die Reaktion auf ein beobachtetes Funktionsdefizit der Hochschulen im Kontext ihrer Leistung für die Erziehung (hier: Bildung). Nicht nur im Sinne einer Beobachtung zweiter Ordnung durch die unterschiedlichen Beteiligten aus den angrenzenden Bereichen der Wirtschaft und Politik wird erkannt, dass Bildung im bisherigen traditionellen Sinne den komplexen Globalisierungsprozessen und -tendenzen nicht mehr gerecht wird. Auch Vertreter aus dem Bereich der Wissenschaft – und dies vorwiegend auf der Basis der Integration in die Bereiche Politik und Wirtschaft via Expertentum (Beratung und Forschung) – nehmen die Inadäquanz von Hochschulen hinsichtlich der arbeitsmarkt- und produktivtechnologisch relevanten Ausbildung wahr. Da Wissenschaft aber zugleich auch ein zentraler Bestandteil von Universitäten ist10, kann das von außen konstatierte Funktionsdefizit auch von innen heraus wahrgenommen werden. Werden Universitäten aus systemischer Perspektive wiederum als zentraler Bestandteil der Erziehung gefasst, so scheint die dort gängige operative Unterscheidung von besser lernen/schlechter lernen eine Respezifizierung zu benötigen. Und diese resultiert aus der Nebencodierung des Erziehungssystems auf Basis der generativen Metapher des wirtschaftlichen Qualitätsbegriffs, was somit zu einer Ökonomisierung des Erziehungssystems führt und damit auch zu einer Ökonomisierung der Universitäten (vgl. Krönig 2007: 103-111). Denn:
10 Siehe für eine explizite Darstellung dieses Sachverhalts Kap. 4.3.
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»Qualität ist zu einem der leitenden Begriffe innerhalb des allgemeinen Bildungsdiskurses geworden und hat mittlerweile eine Prominenz erreicht, die durchaus derjenigen früherer Leitkonzepte wie etwa Kindgemäßheit, Chancengleichheit, Emanzipation oder Wissenschaftsorientierung entspricht. Nun sind derartige Leitkonzepte nie als präzise definierte, empirisch operationalisierte oder auch nur operationalisierbare Landmarken innerhalb des Diskursfeldes ›Bildung‹ zu betrachten, sondern viel eher als begriffliche Verdichtungen breit gefächerter Bündel von Argumenten, Zielsetzungen, Überzeugungen und Verfahrensvorschlägen. [Herv. i.O.]« (Terhart 2000: 809)
Wird Qualität demnach als neue Leitidee von Bildung betrachtet, so lässt sich dies nicht nur auf die komplexe Verflechtung der gesellschaftlichen Teilbereich Politik, Wirtschaft und Wissenschaft als »Triple-Helix« (Etzkowitz/Leydesdorff 2000) zurückführen, sondern auch auf die basale Ausgangslage der Übertragung und Etablierung des NPM und seiner Instrumentarien auf den Bereich öffentlicher und (ehemals) staatlicher Einrichtungen (vgl. Kap. 2 und 3.1). Und in diesem Kontext handelt es sich bei Qualität zunächst um einen (privat-)wirtschaftlich fundierten Begriff. Zwar unterliegt der Qualitätsbegriff in seiner Verwendung auch hier durchaus einer enormen Komplexität und Vielfalt (vgl. Kamiske/Brauer 2008: 176ff.; Kamiske/Umbreit 2008: 23ff.; Terhart 2000: 814f.), was eine allgemeingültige Definition erschwert, aber für die Erklärung der Ökonomisierung von Universitäten – eben im Rahmen einer Nebencodierung des Erziehungssystems – kann zumindest auf die im Kontext der Etablierung von NPM als Leitidee moderner Wissensgesellschaften normierte Auslegung nach DIN-Standard rekurriert werden. Anhand der Normierung des Qualitätsbegriffs auf nationaler und internationaler Ebene – hier ist auch der Einfluss bzw. die Verbindung zum Qualitätsmanagement als ein Instrument des NPM angelegt – wird Qualität verstanden »als das ›Vermögen einer Gesamtheit von Merkmalen eines Produktes, Systems oder Prozesses zur Erfüllung von Forderungen von Kunden und anderen interessierten Partnern‹« (Kamiske/ Umbreit 2008: 23). Oder anders formuliert: Qualität bezieht sich auf die von außen herangetragenen Leistungserwartungen, die alle Komponenten eines Produktes oder Bereiche eines Systems oder Prozesses zu erfüllen haben bzw. erfüllen müssen, um im Sinne dieser Leistungserwartungen qualitativ zu sein; wobei die Leistungserwartungen auf subjektiven und/oder korporativen Kriterien beruhen können. Die implizite Folgerung hieraus ist, dass für Leistungen, die in diesem Sinne qualitativ sind, die Bereitschaft des Zahlens besteht und vice versa. Somit geht es bei Qualität also um eine erwartete Bedürfnisbefriedigung und »[d]ie Befriedigung von Bedürfnissen kann […] als Leistung der Wirtschaft angesehen werden« (Luhmann 1994b: 63f.), die sich auf operativer Ebene »[i]n der modernen Wirtschaft […] auf den Gesamtcode der Wirtschaft und nur diesen Code […] [bezieht; A.B.], nämlich für Leistungen zu zahlen [Herv. i.O.]« (Luhmann 1994b: 47; vgl. Krönig 2007: 105). »[D]ie Verbindung des Qualitätsbegriffs zu der Codierung ›Zahlen-für-Leistungen/
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Nicht-Zahlen‹« (Krönig 2007: 105) kann letztlich darin gesehen werden, dass Qualität in der hier beschriebenen Auffassung durch »den Präferenzwert ›Zahlen-fürLeistungen‹ der Wirtschaft quantifiziert (!)« (Krönig 2007: 105) wird. Diese »›ökonomische‹ Form der Bestimmung von Qualität war [und ist; A.B.] innerhalb der privatwirtschaftlichen Erzeugung von Gütern oder Bereitstellung von Dienstleistungen immer selbstverständlich« (Terhart 2000: 812) und intrudiert nun auf Basis des hochschulreforminhärenten Qualitätsbegriffs das System der Erziehung und somit die Universitäten. Ergebnis dieser Ökonomisierung ist, dass Bildung zunächst scheinbar weiterhin entlang der Unterscheidung besser lernen/schlechter lernen aufgefasst wird, wobei »[d]iese Differenz […] nun durch einen Nebencode ergänzt [wird], der den äußerst abstrakten Präferenzwert ›besser-lernen‹ dahingehend moduliert, daß ›besser‹ nun als zugleich ›qualitativer‹ im Hinblick auf den Qualitätsbegriff des Qualitätsmanagements (Wirtschaft) bestimmt wird« (Krönig 2007: 104). Die Folge hiervon ist, dass Bildung von einem kulturellen Gut im Zuge der Ökonomisierung zu einem individuellen Gut transformiert wird, welches letztlich, getreu dem wirtschaftlichen Angebot-Nachfrage-Prinzip, auf einem globalen Markt gehandelt werden kann (vgl. Münch 2010: 50).11 Unter Berücksichtigung der akteurbasierten gesellschaftlichen Differenzierung (vgl. Kap. 2.2.1) können das grundlegende Reformvorhaben sowie dessen Umsetzung und die hieraus resultierende Ökonomisierung von Universitäten als innovationspolitisch geleitete politische Steuerung aufgefasst werden (vgl. Mayntz 1973a: 91f., 2005: 43f.): und zwar einerseits aufgrund der Einbindung »alle[r] Akteure […], die mit ihrem Handeln ein »öffentliches Interesse« vertreten und realisieren 11 Dies entspricht im Kontext des (ökonomisch basierten) Qualitätsbegriffs von Bildung in gewisser Weise auch der von Luhmann (1994b: 201) angesprochenen »Doppelexistenz [von Gütern; A.B.]: als Gut und als Geld« im Wirtschaftssystem: Die ursprüngliche Verfügung über Güter (Eigentum haben/kein Eigentum haben) als operativer Bestandteil eines lediglich auf Tausch beruhenden Wirtschaftssystems wandelt sich im Zuge einer fortschreitenden Monetarisierung – innerhalb derer das alte Medium Eigentum nicht nur durch das neue und abstrahierte Medium Geld substituiert wird, sondern Geld zugleich die Motivationsgrundlage zur Teilnahme und Inklusion in dieses System darstellt – zu einem marktbasierten System, in dem »Güter und Dienstleistungen […] zur Ware [werden], die für Geld […] zu bekommen ist« (Luhmann 1994b: 196f.), sodass die Unterscheidung zwischen zahlen/nicht-zahlen nun die Operationen innerhalb des Wirtschaftssystems bestimmen. Diese Zweitcodierung sorgt – in einer verkürzten Darstellung – für eine dem marktwirtschaftlichem System inhärente Differenzierung in Angebot und Nachfrage und als Resultat hiervon nicht nur für eine zweckorientierte Bedürfnisbefriedigung auf Basis der Selektion nach Leistung (Konsumenten), sondern auch für eine zweckorientierte Zuweisung bzw. Verteilung finanzieller Mittel an die Produzenten hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Effizienz (vgl. hierzu Krönig 2007: 104f.; Luhmann 1994b: 187-210).
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sollen« (Mayntz 2005: 44) und andererseits durch die intendierte Änderung der allgemeinen Programmziele von Universitäten auf Basis »generalisierter Erwartungen wichtiger Bezugsgruppen« (Mayntz 1973a: 92) wie Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit.12 12 Eine derartige Auffassung von politisch intendierter Steuerung der Hochschulen als Bestandteil des Erziehungs- und Wissenschaftssystems, wenn zugleich von einer Nebencodierung der Operationen die Rede ist, mutet im Kontext der systemtheoretischen Beschreibungen zunächst schwierig bzw. nahezu unmöglich an. Schließlich hat Luhmann (1989, 1994b: 324-349) selbst darauf verwiesen, dass auf der Ebene von Systemen (intendierte) Steuerung im Sinne einer Differenzminderung durch gleichzeitig ablaufende Vergleiche zwischen einem (gegenwärtigen) Soll- und einem (vergangenen) Ist-Zustand nur innerhalb eines Systems geschehen kann. »[E]ine Theorie selbstreferentiell-geschlossener Systeme [setzt] voraus, daß es um strukturdeterminierte Systeme geht, das heißt um Systeme, die ihre eigenen Strukturen nur durch eigene Operationen ändern können. Alle Steuerung ist daher immer eine Operation (oder ein Teilsystem von Operationen) neben vielen anderen in dem System, das dadurch reproduziert wird« (Luhmann 1994b: 331). In dieser Sichtweise können »[p]olitische Steuerungsintentionen […] nicht über Systemgrenzen hinweg kommuniziert werden, [da; A.B.] […] die zu steuernden Funktionssysteme […] in ihrer ›Resonanz‹ weiterhin auf die durch den eigenen Code definierten ›Frequenzbereiche‹ beschränkt« (Scharpf 1989: 11) und damit begrenzt bleiben. Krönigs (2007) systemtheoretische Erweiterung durch eine Theorie der Nebencodierung entspricht dieser Auffassung insofern, da auch hier Intentionalität keine Basis der Nebencodierung ist. Die Ökonomisierung der Gesellschaft ist schließlich ebenfalls das Resultat einer systeminternen Änderung der Operationen durch die nebencodierte Umwandlung analoger Umweltstörungen in digitale Informationen auf Basis einer generativen Metapher (vgl. Krönig 2007: 63). Was sich durch den Prozess der Nebencodierung letztlich innerhalb eines Systems ändert, ist das operative Leitkonzept. Oder anders formuliert: die strukturelle Rahmung, welche das Handeln prägt. Handeln im Bezug zu Systemen und im Rahmen einer Organisationsgesellschaft (vgl. Kap. 2.2.2) findet aber auf Ebene der Organisationen (z.B. über Strategien auf Basis von Entscheidungen) statt (vgl. Scharpf 1989: 13f.; Schimank 1985: 427). Und Organisationen als handlungsfähige Sozialsysteme lassen sich als korporativer Zusammenschluss einzelner Akteure fassen, deren Ziel aus der Abarbeitung von Intentionsinterferenzen resultiert. Da die Handlungsfähigkeit sozialer Systeme somit als Produkt aus der Integration formaler Organisationen (als spezielle Systemvarianten) in die handlungsprägenden Funktionssysteme angesehen werden kann, und formale Organisationen, wie Unternehmen, die politische Administration sowie Expertenverbände, diejenigen Instanzen sind, die den Prozess der Hochschulreformen maßgeblich (auf Basis der Abarbeitung von Intentionsinterferenzen) ins Leben gerufen und geprägt haben, ist die Auffassung einer subjektbasierten, intendierten politischen Steuerung durchaus gegeben: denn auch im Rahmen der Hochschulreformen ist das Ziel einer
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Allgemein soll durch Steuerung das entsprechend zu steuernde Objekt – dieses kann in differenzierten Gesellschaften auch selbst ein System sein – im Hinblick auf seine »autonome Dynamik gezielt geändert werden [Herv. i.O.]« (Mayntz 1997: 192). Bezogen auf Universitäten als Bestandteil des Erziehungssystems, welchem die gesellschaftlich wichtige Funktion der Selektion für Karrieren zukommt (vgl. Krause 2005: 50; Krönig 2007: 100; Luhmann 2009b: 188), bezieht sich die Steuerung auf Basis des Steuerungsinstruments ›Hochschulreform‹ auf die Veränderung einer bisher stabilen Struktur (vgl. Mayntz 1997: 191f.). Diese Strukturveränderung basiert auf der gesellschaftlichen Ökonomisierung durch das Prinzip des wirtschaftlichen Marktes und wird bzgl. des gesellschaftlichen Erhalts bewusst zur Steuerung der Selektion für Karrieren eingesetzt (vgl. Mayntz 1997: 190f.). Steht bis hierhin somit fest, was als Steuerungssubjekt, -objekt und -instrument im Kontext der Hochschulreformen aufgefasst werden kann, ist die Frage nach der Umsetzung dieses Vorhabens noch offen. Der Vorgang, der hiermit verbunden ist, ist die institutionelle Differenzierung der Hochschulen. »Von institutioneller Differenzierung wird immer dann gesprochen, wenn die einzelne Hochschule als handlungsfähige Einheit von Differenzierungsprozessen betroffen ist, sie gestaltet oder strukturell auf sie reagiert. [Herv. i.O.]« (Wissenschaftsrat 2010: 13)13 Ausgehend von den politischen Reformbemühungen hin zu mehr Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit durch Wissen werden Prozesse in der gesellschaftlichen Differenzierungsstruktur in Gang gesetzt, von denen Universitäten nicht nur in erster Linie betroffen sind, sondern in deren Folge sie auch strukturell auf neue Anforderungen reagieren müssen. Nicht nur im Bereich der Lehre, sondern vor allem im Bereich der Forschung müssen Universitäten ihre inhaltliche und thematische Ausrichtung ausweiten, um den Anforderungen aus Wirtschaft und Politik hinsichtlich breiter Anwendungs- und Einsatzszenarien gerecht zu werden – wobei mit Ersterem zusätzlich eine intensive und vielfältige Methobewussten gesellschaftlichen Veränderung hin zu Wissensgesellschaften Resultat politischen Handelns auf der Subjektebene (vgl. Mayntz 1997: 190; Scharpf 1989: 12, 18). Und schließlich ist auch in der systemischen Perspektive Münchs (1996a: 50-56) politische Effektivität hinsichtlich umzusetzender kollektiv verbindlicher Entscheidungen an einen inter-systemischen Leistungsaustausch gekoppelt, der wiederum nur durch unterschiedliche Mitglieder in den Interpenetrationszonen zwischen den Systemen (Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Erziehung) – eben als korporativer Akteurzusammenschluss – vollzogen werden kann (vgl. hierzu auch Kap. 2.2). 13 Die angesprochene Handlungsfähigkeit von Universitäten als organisationale Zusammenschlüsse innerhalb des wissenschaftlichen Systems verweist auf den Bereich der weiterhin gewährten institutionellen Autonomie und in diesem Sinne auch auf die in Kap. 5 folgenden Ausführungen bzgl. der organisationsinternen Maßnahmen zur Umsetzung der Reformvorhaben.
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denausbildung verbunden ist, die dem facettenreichen Arbeitsmarkt dienlich ist. Im Lehr- und Ausbildungsbetrieb muss die gesamte dreistufige Studienstruktur (Bachelorstudiengänge, Masterstudiengänge, Doktorandenausbildung) angeboten und bedient werden und Forschungsprojekte sowie -ergebnisse müssen systematisch auf die Lehre bezogen werden, wobei Letztere hiervon maßgebend geprägt werden soll. Im Zuge der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses gilt es Graduiertenschulen zu errichten und im Rahmen eines Exzellenzausbaus müssen Forschungscluster geschaffen werden, die nicht nur durch internationale Vernetzungen und Zusammenarbeiten gekennzeichnet sind. Auch Interdisziplinarität ist hier (sowie in der Lehre) ein anzustrebendes Ziel. Zudem fordert lebenslanges Lernen die Errichtung hochschulweiter Weiterbildungszentren, die darüber hinaus koordiniert werden müssen. Auch die Förderung sozialer Mobilität und die hiermit verbundenen Möglichkeiten der Anerkennung (international) erbrachter Studienleistungen erfordern zumindest die strukturelle Integration geeigneter Anlaufstellen für die Studierenden (vgl. hierzu Wissenschaftsrat 2010: 37-47). Um dem mit diesen Aspekten verbundenen personellen und verwaltungstechnischen Aufwand gerecht zu werden, müssen auch die Verwaltungsstrukturen der Hochschulen dynamisiert werden: Dezentralisierung sowie die Einführung und Implementierung effizienter Managementstrukturen scheinen somit für die Umsetzung der Reformforderungen unabdingbar. Dies geschieht im universitären Kontext meist unter Zuhilfenahme externer Unternehmensberatungen, welche (zumindest in theoretischer Hinsicht) in der Lage sind, die Aspekte eines effizienten, effektiven und wirtschaftlichen Agierens innerhalb der neu geschaffenen Quasi-Marktstrukturen in den universitären Strukturen zu implementieren (vgl. Münch 2009a: 93-112, 2011a: 68-93). In Anlehnung an Mayntz (1973a: 92-95) kann die Umgestaltung der Verwaltungsstruktur für Universitäten wie folgt beschrieben werden: Die offizielle Zieldefinition für Universitäten – sozusagen die durch Steuerung intendierte Neufassung der normativen Universitätsstrukturen – erfolgt (hier für die bundesrepublikanische Hochschullandschaft) über die im Bologna-Prozess festgelegten Bestrebungen, die vom Grundgesetz und Hochschulrahmengesetz flankiert werden und als Konglomerat »generalisierte[r] Erwartungen wichtiger Bezugsgruppen« (Mayntz 1973a: 92) die Neuausrichtung der Universitäten global formulieren. Dieser Prozess erzeugt zugleich neue Programmziele, und da Bildung Bestandteil des Programms des Erziehungssystems ist (vgl. Krause 2005: 50), ist dieser intendierte Eingriff auch für die Ökonomisierung der Universitäten aufschlussreich: Weil Programme »als vorgegebene Bedingungen für die Richtigkeit der Selektion von Operationen« (Luhmann 1990: 91) fungieren und die Ökonomisierung des Erziehungssystems auf Basis des Qualitätsbegriff zu einer wirtschaftlich orientierten Nebencodierung führen, resultiert auf Ebene der Universitäten – als Organisationen im Erziehungssystems – über die zusätzliche Beeinflussung der Programmstruktur eine Änderung der Organisationsstruktur, welche die Mitglieder der Universitäten mit neuen (intendierten) normativen Ver-
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haltensvorgaben konfrontiert (vgl. Schimank 2005c: 37).14 Im weiteren Verlauf des top-down-gesteuerten Prozesses der Handlungsanpassung von Universitäten an die intendierten Maßnahmen der Hochschulstrukturreformen wird die Umsetzung der operativen Ziele der universitären Leitungsebene übertragen. Neu in diesem Zusammenhang ist die Etablierung von Hochschulräten in den Leitungsinstanzen von Hochschulen. Hochschulräte nehmen bzgl. der Umsetzung der Zielerfüllung eine mit (in einigen Ländern auch über) dem Rektorat und Senat angesiedelte Position ein und deklarieren die extern formulierten Ziele als verbindliche universitätsinterne Zielstrukturen, sodass hieraus »eine explizit ausformulierte Zielstruktur [entsteht; A.B.] die Voraussetzung für die Maximierung der Zielverwirklichung bzw. der Effizienz ist« (Mayntz 1973a: 95; vgl. Bogumil et al. 2007; Fernández Darraz et al. 2010: 115-119; Hüther 2009). Diese ökonomisch basierte Rationalisierungsfunktion der formalisierten Zielstrukturen als operative Ziele wird dann an die unterschiedlichen universitären Teilbereiche der Hochschulverwaltung (Dezernate und Fakultäten) über die Mitglieder der Fakultäten (Institute und Fächer) bis hin zu den direkt betroffenen Akteuren im Bereich der Lehre und Forschung weitervermittelt. Diese institutionellen Differenzierungen wirken nach ihrer Umsetzung wieder auf die Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit von Gesellschaften im angestrebten internationalen Kontext zurück und führen im Rahmen dieser rekursiven Entwicklung wieder zu dem eingangs erwähnten trilateralen Geflecht von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Resultierend aus der Einbeziehung von Wissenschaft in die Bereiche staatlicher und industrieller Nutzen und Entscheidungsprozesse sowie der Einführung marktähnlicher Strukturen, werden Hochschulen letztlich einem erhöhten Konkurrenzdruck ausgesetzt. Die politisch intendierten Umstrukturierungen und Reformbestrebungen verlaufen allerdings nicht folgenlos. Denn in dem Maße, in dem Bildung zu einem individuellen Gut wird, welches auf einem globalen Markt nach dem Angebot-Nachfrage-Prinzip gehandelt werden kann und somit eine internationale Einheitlichkeit seiner Währung (quantitatives Wissen) durch die Strukturen selbst produziert und reproduziert, werden »Elemente des neuen Paradigmas […] angelagert, ohne dass die des alten beseitigt würden. Auf diesem Weg entstehen Hybride mit nichtintendierten Wirkungen.« (Münch 2009a: 60; vgl. Münch 2010: 50) Diese Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte, die sich im Kontext der Hochschulreformen im Rahmen des Zusammenfalls der zuvor getrennten Bereiche Wirtschaft und Wissenschaft und deren Verschmelzung konstatieren lassen (Kap. 5), resultieren dabei auch aus der komplexen Struktur des Reformobjekts Universität, welche zum besseren Verständnis der Entstehung der Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte zunächst dargestellt werden soll. 14 Dieser Aspekt und seine Bedeutung im Kontext von campus shootings wird an späterer Stelle (Kap. 7.1) noch einmal ausführlicher thematisiert.
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3.4 Z USAMMENFASSUNG Die Ökonomisierung von Universitäten ist, analog zu den Reformen im öffentlichen Sektor, mit der generellen wirtschaftlichen (Krisen-)Lage moderner Gesellschaften und deren zunehmender (kapitalistisch-)neoliberaler Entwicklung verbunden. Neben einer generellen Steigerung gesellschaftlicher Wettbewerbs- und Konkurrenzfähigkeit zeichnet sich im Zuge der Entstehung globaler (Wirtschafts-)Märkte und verbunden mit dem Schlagwort der Wissensgesellschaft eine weitere Entwicklungstendenz ab, die den Aus- und Aufbau wissensbasierter Wirtschaften forciert. Hierbei stehen vor allem eine Steigerung der Bedeutung und Produktion von wissenschaftlichem Wissen und Forschung sowie die Übertragung dieses Wissens auf die aktuellen und nachrückenden Generationen durch universitäre Ausbildung im Fokus. Wissenschaftliches Wissen und Forschung werden somit als Kern der künftig benötigten globalen technologischen und technischen Konkurrenz- und Wettbewerbsfähigkeit moderner Gesellschaften angesehen. Damit wissenschaftliches und innovatives Wissen für den gesellschaftlichen Fortbestand und die Weiterentwicklung allerdings von den Universitäten erzeugt und wirtschaftlich vermarktbar gestaltet werden kann, müssen sich diese an die dynamischen Umweltveränderungen und Prozesse anpassen, was nur durch eine Restrukturierung und Reform der Hochschullandschaft möglich ist. Denn im trilateralen wissensgesellschaftlichen Geflecht aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft wird Universitäten, als grundlegenden Produzenten und Vermittlungsinstanzen des wissenschaftlichen Wissens, ein Funktionsdefizit hinsichtlich dieser (neuen) dynamischen Umweltanforderungen wissensbasierter Wirtschaften attestiert: Dies beruht einerseits auf einem gesellschaftlichen Legitimationsdruck hinsichtlich der Bedeutung und Relevanz der wissenschaftlichen und universitären Leistungen für die gesellschaftlichen Problemlagen und Weiterentwicklungen – und zwar in Abhängigkeit von einer bisher (ausschließlich) staatlichen Finanzierung – sowie andererseits auf einer zu starren Bindung von Bildung an lokale Partikularitäten und einer vorwiegenden Berücksichtigung von Grundlagenforschung. Aufgrund einer – durch die bildungspolitisch verankerten Aspekte kollektiv verbindlicher Lehrpläne, Prüfungsordnungen und personeller wie finanzieller Ressourcenzuweisung bedingten – engen Bindung von Universitäten an die Politik basiert die intendierte Hochschulreform auf einem steuernden Eingreifen der Politik: und zwar im Hinblick auf die Definition und Festlegung der für wissensbasierte Wirtschaften erforderlichen und kollektiv umzusetzenden Ziele. Insofern legt die politisch-administrative Führung zunächst die neuen Rahmenbedingungen fest, innerhalb derer Universitäten operieren, was als die strukturell rahmende WasKomponente der Hochschulreformen angesehen werden kann. Dabei können die hiermit verbundenen politisch intendierten Struktur(ver)änderungen als ein Territorialgrenzen überschreitender Metawandel aufgefasst werden, innerhalb dessen sich
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Wissenschaft und Bildung nicht nur von den lokalen Partikularitäten lösen sollen, sondern die (europäische und US-amerikanische) Hochschullandschaft zugleich entgrenzt werden soll. Neben den generellen Anforderungen der Steigerung und des Ausbaus von Forschung und universitärer (Aus-)Bildung zur Herstellung von gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Konkurrenz- und Wettbewerbsfähigkeit auf globalen Märkten soll im Hinblick auf die Entgrenzung der Hochschullandschaft zur Schaffung eines einheitlichen europäischen bzw. US-amerikanischen Forschungsraums die Mobilität der Universitätsangehörigen (Studierende, Mitarbeiter und Professoren) erhöht werden. Dies soll nicht nur durch ein vergleichbares Leistungsbemessungssystem erreicht werden, sondern auch über die Schaffung vergleichbarer Studienstrukturen, Curricula (Modularisierung, einheitliche Regelstudienzeit) und Abschlüsse (Bachelor, Master). Eine zusätzlich intendierte Steigerung der Qualität der Lehre, die Vermittlung arbeitsmarktrelevanter Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie ein Rückzug staatlicher Finanzierung zugunsten einer wettbewerbsschaffenden Eigenfinanzierung von Hochschulen über private und/oder wirtschaftliche Kooperationen zielen auf die hiermit verbundene und geforderte Umgestaltung des Universitätswesens nach Maßgabe von Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit ab. Denn zur Erfüllung dieser Kriterien und Aufgaben, die sich vor allem auf die universitären Teilbereiche der Forschung und Lehre beziehen – z.B. im Sinne einer Qualitätsverbesserung der Lehre oder der Vermittlung arbeitsmarktrelevanter Fähigkeiten und eines auf angewandter Forschung beruhenden Wissens – , sind in Zeiten der steigenden staatlichen Kosten zusätzlich finanzielle Ressourcen vonnöten, die allerdings nicht von staatlicher Seite aufgebracht und getragen werden können. Und aus diesem Grund sind auch Universitäten, wie öffentliche Verwaltungen, auf eine zusätzliche Finanzierungsquelle angewiesen, die letztlich nur durch Partnerschaften und Kooperationen mit dem privatwirtschaftlichen Sektor erschlossen werden kann, wobei die effiziente Nutzung dieser extern erworbenen Mittel auf dem intra-universitären Auf- und Ausbau effizienter Managementstrukturen beruht. Die tatsächliche Umsetzung der reformintendierten Anforderungen und Maßnahmen obliegt somit, als von der strukturell rahmenden Was-Komponente abgekoppelte dezentralisierte Wie-Komponente der Hochschulreformen, den Universitäten selbst. Durch die politisch intendierten Reformen werden Universitäten letztlich einer institutionellen Differenzierung unterzogen, indem sie als handlungsfähige Einheiten auf die dynamischen Umweltanforderungen in einem neu gestalteten strukturellen Kontext über die Einführung interner Managementstrukturen und maßnahmen reagieren müssen. Die interne Reaktion sowie die externe Überwachung der universitären Zielverfolgung und Leistungserbringung erfolgen dabei über die NPM-typischen Elemente der Rechenschaftsablegung, der Einführung von Evaluationen, Controlling und einer leistungsorientierten Mittelzuweisung. In dem Zusammenspiel all dieser Faktoren vollzieht sich somit letztlich die eigentliche Ökonomisierung der Universitäten über die an dem Begriff der Qualität zu konsta-
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tierende Nebencodierung, die auf die doppelte Zugehörigkeit von Universitäten zum Wissenschafts- und Erziehungssystem zurückgeführt werden kann: Die interne Änderung des universitären Rationalitätskriteriums bzw. deren Leitdifferenz im Sinne der Intrusion durch den ökonomischen Primat vollzieht sich durch die zunehmende Quantifizierung universitärer Leistungen entlang des Qualitätsbegriffs. Qualität als universitäre Leitidee von (qualitativ guter) Bildung wird durch die Einführung von Management- und NPM-Steuerungselementen, gemäß dem privatwirtschaftlichen Qualitätsbegriff, als von außen fixierte Leistungserwartung umdefiniert. Universitäten und das von ihnen produzierte Gut Bildung bzw. Wissen müssen diese externen Leistungserwartungen erfüllen, um in diesem Sinne qualitativ und damit effizient, effektiv und wirtschaftlich zu sein. Diese Transformationen der universitären Leitidee von Bildung in ein individuell handelbares Gut, das auf einem globalen Angebot-Nachfrage-Markt gehandelt wird, führt zu der Intrusion des ökonomischen Primats in die Universitäten, da diese neue Leitidee von den Mitgliedern aufgenommen wird, intra-universitär handlungsprägend wirkt und durch die Handlungsfähigkeit von Universitäten im inter-universitären Leistungswettbewerb wiederum an den bereits ökonomisierten strukturellen Rahmen anschließt.
4. Zur komplexen Struktur des Reformobjekts Universität – oder: Universitäten als institutionalisierte Organisationen lose gekoppelter Teilbereiche
Was sich also in einem ersten Schritt der Ökonomisierung von Universitäten ändert, sind zunächst die Rahmenbedingungen bzw. die von außen an die Universität gerichteten Anforderungen als extern intendierte institutionelle Veränderungen. Im Sinne der bereits angeführten institutionellen Differenzierung von Universitäten, auf die diese gestalterisch oder strukturell reagieren müssen (vgl. Wissenschaftsrat 2010: 13), obliegt es somit (und auch aus Gründen der weiterhin zugesprochenen Autonomie) den Universitäten, einen geeigneten Umgang mit diesen Rahmenbedingungen zu finden. Diese Bedingungen beruhen dabei auf einem konsensuellen Bestreben seitens der politisch-administrativen Führungen und der bildungsministerialen Vertreter bzw. wissenschaftlichen Experten beteiligter Kommissionen sowie auf deren legitimatorischer Unterstützung durch die Öffentlichkeit (vgl. Kap. 3). Somit entspricht dieser Prozess einer externen Regelsetzung, welche die Bedingungen innerhalb der Bereiche, denen Universitäten angehören, als rationale Strukturen neu konstituieren. Diesbezüglich kann nach Meyer/Rowan (1977: 340ff.) auch von einem institutionellen Kontext gesprochen werden, innerhalb dessen Universitäten dazu aufgefordert werden, dieses neue Konzept zu übernehmen, was als eine Art Blaupause zugleich Auswirkungen auf die formale Struktur der Hochschulen als (institutionalisierte) Organisation hat. Im Hinblick auf Universitäten als zentrales Reformobjekt erweist es sich somit als »schwierig eine klare organisationstheoretische Einordnung und Erfassung« (Nickel 2007: 82f.) vorzunehmen. Denn Universitäten nehmen eine Doppelrolle bzw. -funktion ein: Einerseits wird von Universitäten als Institutionen (Kap. 4.1) gesprochen und andererseits als Organisationen (Kap. 4.2), wobei Universitäten als Organisationen zugleich dem Wissenschaftssystem (Forschung entlang der Codierung wahr/unwahr) und dem Erziehungs- bzw.
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Bildungssystem (die universitätsintern verankerte Lehrkomponente entlang sozialer Selektion durch Notengebung etc.) angehören (vgl. Luhmann 1994a: 186f., 190; Nickel 2007: 85, 93f.; Stichweh 2005: 123). Diese Besonderheiten werden im Folgenden aufgezeigt und zusammengeführt, da die nicht-intendierten Reformeffekte (Kap. 5) auch oder vor allem bzgl. ihrer Auswirkungen auf die beteiligten Akteure erst dann verständlich werden, wenn Universitäten als institutionelle Organisationen lose gekoppelter Teilbereiche aufgefasst werden.
4.1 U NIVERSITÄTEN
ALS I NSTITUTIONEN
Universitäten können aufgrund der historisch bedingten Ausdifferenzierung von Wissenschaft im Kontext der Entstehung moderner Gesellschaften als Institutionen angesehen werden, die eine Idee verkörpern welche nicht nur bestimmte Handlungsmaximen sozialen Handelns strukturiert, sondern aufgrund ihrer enormen gesellschaftlichen Bedeutung dauerhaft fixiert werden muss. Die Auffassung von Universitäten als Institutionen kann dabei (1) auf die basale Leitidee des Erkenntnisstrebens nach und -gewinns von wahrem Wissen, (2) die Ausbildung dieser allgemeinen und konsensual geteilten Leitidee zu einem spezifischen Rationalitätskriterium hinsichtlich der Handlungsausrichtung und -orientierung, (3) die Möglichkeit einer Sanktionierung bei Verstoß gegen das Rationalitätskriterium durch die wissenschaftliche Gemeinschaft, (4) die Auslagerung potenzieller Handlungskontingenzen aus dem spezifischen Kontext des Rationalitätskriteriums, sofern diese ihm nicht entsprechen, und (5) die Konfliktbewältigung unterschiedlicher Handlungsmaximen in den universitären Teilbereichen der Forschung, Lehre und Verwaltung im Hinblick auf das einheitlich zu verfolgende Ziel des Erkenntnisgewinns zurückgeführt werden. Diese Konfliktbewältigung verdeutlicht zugleich die Doppelstellung der Universität als handlungsprägende Institution und als handlungsfähige Organisation, da die Konfliktbewältigung von den intra-universitären Teilbereichen innerhalb des strukturellen Rahmens der Institution Universität vorgenommen wird. Werden Universitäten als Institutionen betrachtet, so kann dies in einer allgemeinen Näherung darauf zurückgeführt werden, dass »Universitäten primär die Verkörperung einer Idee dar[stellen], die wegen ihrer fundamentalen gesellschaftlichen Bedeutung dauerhaft verankert werden muss« (Nickel 2007: 82). Die hier angesprochene Idee bezieht sich auf das dem Wissenschaftssystem inhärente Streben nach Wahrheit und somit nach wahrem Wissen und dessen gesellschaftlicher Relevanz in puncto Fortbestand und Weiterentwicklung. Die Verkörperung dieser Idee sowie
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deren zeitliche Stabilität1 ist allerdings nur dann gegeben, wenn die Idee selbst in Institutionen verankert bzw. institutionalisiert wird. Denn: »Institution[en] als gesellschaftlich bedeutende Einheit[en]« (Luhmann 1992b: 90) fungieren als Vermittlungsinstanzen, die über einen Prozess der Institutionalisierung ursprünglicher Wertvorstellungen und Leitideen hin zu Handlungsmaximen soziales Handeln strukturieren (vgl. Lepsius 1995: 393ff., 1997: 57f.). Institutionen spezifizieren somit einerseits situativ konkrete Handlungskontexte, indem sie die grundsätzliche Kontingenzvielfalt sozialer Handlungen, Beziehungen und Aktionen durch die Schaffung von Erwartungssicherheit entlang der institutionalisierten Handlungsmaximen minimieren bzw. stabilisieren. Andererseits sind sie diesbezüglich aber abhängig von Akteuren (individuell oder korporativ bzw. kollektiv), da eine derartige Stabilisierung nur dann gewährleistet werden kann, wenn die allgemeine Gültigkeit der Handlungsmaximen durch Akzeptanz, Zustimmung und vor allem Internalisierung zu dauerhaft verfestigten Verhaltensmustern führt, welche eben dann die regulierende und orientierende Funktion der institutionalisierten Leitidee gewährleisten (vgl. hierzu Göhler 1997: 21, 28; Gukenbiehl 2002: 144f.; Lepsius 1995: 393ff., 1997: 57f.; Senge 2006: 37). Der Prozess der Institutionalisierung von Leitideen ist dabei, in Anlehnung an Lepsius (vgl. hierzu und im Folgenden 1997: 58-61), an fünf Dimensionen gebunden: (1) Zunächst muss in einem ersten Schritt aus einer spezifischen Wertvorstellung oder Leitidee eine mit Gültigkeitsanspruch versehene Maxime gebildet werden, welche dann in bestimmten Situationen als handlungsrelevantes Rationalitätskriterium – und somit als Handlungsrationalität – fungiert. Dies entspricht auch Schwinns (2001: 350) dreistufiger Auffassung von Institutionalisierung, wenn er hervorhebt, dass der ursprüngliche Wert über Interpretation zu einer Idee ausgebildet wird, die dann letztlich in einer anschließenden Regelformulierung institutionalisiert wird. Dies bedeutet wiederum, dass Interpretation als intersubjektive – und damit im Verlauf des Interpretationsprozesses akteurbasierte – Deutung des symbolischen Gehalts eines Wertes und Institutionalisierung nicht identisch sind. Letztere kommt der Schaffung einer normativ verankerten und damit ordnungstiftenden Ebene der Geltung bestimmter Sinnbezüge eines Wertes gleich, die dem interpretativen Variationscharakter von Werten nicht entspricht (vgl. Schwinn 2001: 350-352).
1
Im Verlauf der historischen Entwicklung sind das Streben nach Wahrheit und die Generierung wahren und neuen Wissens, und zwar unabhängig von den jeweiligen epochenspezifischen Erkenntnisinteressen, stets Bestandteil von Universitäten gewesen (siehe Prahl 1978; Ellwein 1985; Luhmann 1992a).
146 | CAMPUS S HOOTINGS »Aus den Wertperspektiven lassen sich Probleme, Sachverhalte, Phänomene ganz unterschiedlich betrachten. […] Diese immense Proliferation und Variation möglicher Bezüge ist nicht institutionalisierbar. Die Wert- oder Kulturebene kennt keine Unterscheidung zwischen Experten, Dilettanten und Laien, zwischen ›institutionalisiert‹ und ›nicht institutionalisiert‹. […] Die Unterscheidung zwischen Experten und Laien wird über entsprechende Rekrutierungsmechanismen […] und Selektionsmechanismen […] errichtet. Die Unterscheidung zwischen einer professionalisierten Orientierung an Werten und einer laienhaften ist für die Ordnungsbildung einer Sphäre zentral. Die institutionalisierte Form bietet in der Regel Verfahren und Standards an, die das Handeln intersubjektiv kontrollierbar machen.« (Schwinn 2001: 352f.)
Im Falle der modernen Universität kann die Generierung neuen Wissens auf Basis des Erkenntnisstrebens und -gewinns als Leitidee angesehen werden, welche u.a. durch Theoriebildung, Kriterien methodischer Überprüfbarkeit der Aussagen oder das Prinzip der Werturteilsfreiheit im Sinne der Ausbildung von normativen Strukturen zur Abgrenzung der Wissenschaft von Nicht-Wissenschaft führt (vgl. Lepsius 1995: 396; Schwinn 2001: 350; Stichweh 1994: 9, 16f., 28, 59ff.; siehe Ellwein 1985; Prahl 1978; Luhmann 1992a). Darauf aufbauend wird (2) die bestimmte Situation, in der das Kriterium Anwendung finden soll, als eigenständiger »Geltungskontext aus anderen Handlungssituationen ausgegliedert« (Lepsius 1997: 59). Dieser Vorgang ist wiederum verbunden mit dem Prozess gesellschaftlicher Differenzierung, innerhalb derer sich evolutionär eigene Handlungsräume entwickelt haben. Je konkreter eine Handlungssituation durch Ausdifferenzierung des entsprechenden Geltungskontextes bestimmt ist, desto weniger wird die ursprüngliche Leitidee durch andere Leitideen beeinflusst. Bezogen auf die Leitidee des Wissenschaftssystems ist die Universität »als institutionelle[r] Ort der disziplinären Struktur der modernen Wissenschaft [Herv. weggelassen]« (Stichweh 1994: 18) der spezifische Geltungskontext, innerhalb dessen das Rationalitätskriterium Gültigkeit erfährt. Eine Entwicklung, welche an die erst im (frühen) 19. Jahrhundert stattfindende (funktionale) Differenzierung von Wissenschaft als autopoietischem System2 gekoppelt ist und flankiert durch den Prozess einer zusätzlichen internen Disziplinendifferenzierung auf Basis kognitiver Spezialisierungen (und somit auch kognitiver Unterschiede) eine institutionelle Integration von Wissenschaft durch intra- und interdisziplinäre Hierarchisierung sowie durch transdisziplinäre Konzepte ermöglicht (vgl. Stichweh 1994: 28-42, 57ff., 91f.). Zusätzlich erfolgt die Integration auch auf kognitiver Ebene und zwar in der Hinsicht, dass die Handlungen, im durch die normative Struktur eingeschränkten Geltungskontext, über den Vorgang der Habitualisie2
Stichweh (1979, 1994: 57ff., 91f.) zufolge wurde der Differenzierungsprozess durch den Wandel innerhalb der Erkenntnisproduktion hinsichtlich Hinterfragung und Selbstproduktion von Wissen und weg von der reinen Reproduktion bestehenden Wissens bedingt.
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rung zu Routinen ausgebildet werden, die im Laufe der Sozialisation – im Falle der Universität über das Studium – internalisiert werden und somit die eindeutige Verhaltensanforderung über Rollenstrukturen stützen (vgl. Gukenbiehl 2002: 149). Darüber hinaus wird der leitideespezifische Geltungskontext auf der normativen Ebene in modernen Gesellschaften zum einen grundrechtlich verankert, wie bspw. die in Art. 5, Abs. 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland garantierte Freiheit von Wissenschaft in Lehre und Forschung (vgl. Lepsius 1995: 396; Schwinn 2001: 350f.). Diese generelle normative Ebene wird zum anderen aber auch durch universitätsinterne Regelungen spezifiziert: »Die Geltungskraft wissenschaftlicher Rationalitätskriterien wird vielmehr im einzelnen bestimmt durch die Universitätsverfassungen, durch den Kompetenzraum der den Universitäten eingeräumten akademischen Selbstverwaltung und die Art, wie diese ausgeübt, welche Gremien in welcher Zusammensetzung über den als ›Wissenschaft‹ geltenden Bereich in Universitäten beschließen und welche Verbindlichkeit diese Beschlüsse für den einzelnen Wissenschaftler haben.« (Lepsius 1995: 396)
In diesen Kontext fallen schließlich auch die oben erwähnten Rekrutierungs- und Selektionsmechanismen im Sinne universitätsinterner Regelungen der Zugangsund (auf Wissenschaftskarrieren bezogenen) Aufstiegsberechtigung, die wiederum auch im folgenden Punkt Bedeutung erlangen. Denn damit (3) die angesprochene Gültigkeit der spezifischen Handlungsrationalität innerhalb des jeweiligen Handlungskontextes auch tatsächlich durchgesetzt und bewahrt werden kann, bedarf es Sanktionierungsmöglichkeiten. Verglichen mit der Wirtschaft – hier beruht die Leitidee auf Gewinnstreben und der inhärente Mechanismus des Marktes fungiert als Sanktionsmacht – sind Sanktionierungsmöglichkeiten innerhalb der Wissenschaft in puncto genereller Wirkungsmacht eher weniger konkret (vgl. Lepsius 1995: 396; Schwinn 2001: 351): »Generelle Sanktionsmittel stehen kaum zur Verfügung, wenn man einmal von Plagiatsprozessen absieht. Andere Sanktionen sind unmittelbar personengebunden, finden ihren Ausdruck in Rekrutierungsprozessen, Reputationsverteilung, Anerkennung von Forschungsergebnissen.« (Lepsius 1995: 396f.) Eine generelle Sanktionsmöglichkeit könnte höchsten in einem Verstoß gegen die in §37, Abs. 1 im Hochschulrahmengesetz festgelegte Regelung der Pflichterfüllung bzgl. der persönlichen Mitwirkung an der akademischen Selbstverwaltung gesehen werden, der u.U. zu einer (vollständigen) Exklusion führen könnte – wobei auch hier zu erwähnen ist, dass die allgemein festgehaltene Pflichterfüllung Variationen in Abhängigkeit von der jeweiligen Funktion wie Qualifikation und Verantwortung unterliegt, womit die letztliche Entscheidung bei Verstoß sicher wieder der Universität obliegt. (4) »Ist eine Leitidee durch die Ausbildung von Rationalitätskriterien, die Ausdifferenzierung ihres sozialen Geltungskontextes und die verfügbaren eigenen Sanktionsmittel institutionalisiert, so wird sie eine hohe Verhaltens-
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relevanz beanspruchen können.« (Lepsius 1997: 60) Hiermit verbunden ist die Auslagerung potenzieller Handlungskontingenzen aus dem spezifischen Handlungskontext, sofern diese nicht dem Rationalitätskriterium – und damit auch den hiermit verbundenen Rollenanforderungen – folgen. »Eine institutionalisierte Leitidee ist umso wirkungsvoller, je mehr es ihr gelingt, die Kontingenzen, die mit ihrer Geltung verbunden sind, erfolgreich zu externalisieren und sich gegen die daraus entstehende Opposition zu immunisieren.« (Lepsius 1997: 61) In einem letzten Schritt geht es (5) um die »Strukturierung des Konfliktpotentials zwischen Institutionen« (Lepsius 1997: 61). Die gesellschaftlich institutionalisierten Handlungsrationalitäten sind in Abhängigkeit von ihren spezifischen Handlungs- und Geltungskontexten qua Ausdifferenzierung (inkompatible) opponierende Maximen. So stehen sich bspw. Wissenschaft, Politik und Wirtschaft als Handlungsrationalitäten gegenüber, betreffen aber – und dies zeigt das Beispiel der Hochschulreformen – durchaus zugleich ein und denselben Bereich auf Ebene der Organisationen, sodass Konflikte der institutionalisierten Rationalitätskonzepte entweder in oder zwischen Organisationen strukturiert ausgetragen werden müssen. Im Falle der Universität betrifft dieser Institutionenkonflikt zunächst die Universität selbst (Institutionenkonflikt in der Organisation), aber aufgrund ihrer Konstitution basierend auf den »Loosely Coupled Systems« (Weick 1976) Lehre, Forschung und Verwaltung innerhalb der Bildungsorganisation eben auch die Konfliktbewältigung zwischen diesen einzelnen Bereichen (vgl. Nickel 2007: 87f.). Institutionen sind also über intersubjektive Interpretation abgestimmte Verkörperungen eines spezifischen Bereichs der Variation eines Wertes, welcher durch die normative Schaffung eines Geltungskontextes mit vorhandenen Sanktionsmöglichkeiten die ursprüngliche Leitidee einer Ordnungsbildung und -stiftung unterzieht, sodass über das Moment dieser institutionalisierten Ordnung die Institution letztlich das Zentrum der Ordnung bildet, an der sich soziale Aktionen und Aktivitäten entlang spezifischer Erwartungssicherheiten ausrichten und orientieren (vgl. Schwinn 2001: 350-354). Institutionen können somit als handlungsprägende Instanzen der Gesellschaft angesehen werden, die im Zuge der Etablierung ihrer spezifischen Handlungsrationalitäten vom Handeln einzelner Akteure abhängig sind (vgl. Schimank 2004: 293). Aufgrund ihrer – durch den Prozess gesellschaftlicher Differenzierung bedingten – Separierung und Opposition müssen sich die einzelnen Institutionen für den Erhalt und Fortbestand der Gesellschaft aber koordinieren, was einerseits konstitutiv für die Sozialordnung ist und andererseits wiederum nur dann gewährleistet werden kann, wenn ein Austausch zwischen den einzelnen institutionalisierten Ordnungen möglich ist. Dieser Austausch beruht nicht zuletzt auf der Interdependenz hinsichtlich der Koordination von Leistungsbezügen zwischen den einzelnen Institutionen. So benötigt Wissenschaft finanzielle Ressourcen, Wirtschaft qualifiziert ausgebildetes Personal und Politik wiederum wissenschaftliches Wissen in Form von problemlösenden Expertisen und finanzielle Ressourcen zur
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Umsetzung der gesellschaftlich relevanten kollektiven Zielverwirklichung. Und diese Aufgabe wird, wie oben in Punkt 5 bereits dargelegt, in den Bereich institutionszugehöriger Organisationen ausgelagert, denen somit eine wichtige Integrationsfunktion hinsichtlich der Koordination der Leistungsbezüge zukommt (vgl. hierzu Schwinn 2001: 354-359). »Eine Institution erstreckt sich […] über das gesamte Aggregatspektrum. Ihre Aufgabe, Verhaltenserwartungen zu spezifizieren und Handlungskriterien festzulegen, kann eine Institution nur leisten, wenn sie dies auch situativ und auf der Rollenebene vermag. Organisationen sind ein Aspekt oder Mechanismus von Institutionen, der […] besonders eindrücklich die institutionellen Kriterien verhaltenswirksam umsetzt.« (Schwinn 2001: 356)
Organisationen können somit – wie bereits auf gesellschaftlicher Ebene erwähnt (vgl. Kap. 2.2.2) – auch auf Ebene der Institutionen als Leistungsträger angesehen werden, die nicht nur in der Lage sind, institutionelle Kriterien wirksam umzusetzen, sondern eben auch den Aspekt der Integration über spezifische Rollenanforderungen im gegebenen Handlungskontext situativ integrieren, was auf ihre vermittelnde Funktion bzw. ihren intermediären Status zwischen akteurbezogener Interaktion und kommunikativer Erreichbarkeit der Gesellschaft zurückzuführen ist (vgl. Luhmann 1975a; Schimank 2005c: 20-23; Schwinn 2001: 356). Organisationen vermitteln also nicht nur zwischen Akteuren und Systemen, sondern auch zwischen Akteuren und Institutionen. Dieser Brückenschlag wird möglich, wenn erneut auf die Unterscheidung zwischen handlungsprägenden und handlungsfähigen Systemen rekurriert wird. Zur Erinnerung: »Die Gesellschaft und ihre primären Teilsysteme, wie Wirtschaft, Politik, Wissenschaft sind eindeutig handlungsprägende, aber keine handlungsfähigen Sozialsysteme. […] [Es gibt] keinerlei Instanz […], die befugt wäre, im Namen eines dieser Teilsysteme oder gar der Gesellschaft zu handeln. [Herv. i.O.]« (Schimank 1985: 428f.)
Die handlungsprägende Komponente sozialer Systeme basiert auf ihrer konzeptionell verankerten Konstitution qua Definition3, die zugleich eine Analogie entlang 3
An dieser Stelle kann auf Münch (1996b) verwiesen werden, der bzgl. der analytischen Dimension sozialer Systeme von »Autopoiesis per Definitionem« spricht, womit letztlich der definitorisch angelegte Grenzziehungsaspekt sozialer Systeme im Unterschied zur Grenzen durchdringenden empirischen Wirklichkeit (Luhmanns strukturelle Kopplung) dargelegt wird. Auf analytischer Ebene – und so werden Systeme hier im Kontext der Handlungsprägung auch verstanden – können Systeme als für sich abgeschlossene und autopoietische Einheiten gelten, was auf der tautologisch widersprüchlichen Definition basiert.
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der oben genannten Dimensionen zum Begriff der Institution zulässt: Das bei Institutionen erwähnte Rationalitätskriterium als normativ ausgebildete Leitidee, und damit die grundlegende ordnungstiftende Funktion hinsichtlich der Handlungsorientierung, ist vergleichbar mit der binären Codierung sozialer Systeme. Auch Systeme strukturieren ihre jeweilige Handlungsfähigkeit entlang der Orientierung über den systemspezifischen Code, der zum einen Komplexität und damit Kontingenzvielfalt innerhalb des Systems reduziert und andererseits die für den Systemerhalt notwendige Kommunikation anschlussfähig hält.4 In Kombination mit den über die Codestruktur zwangsläufig verbundenen Programmen wird zugleich der bei Institutionen erwähnte Geltungskontext der Leitidee eingegrenzt, denn Codes und Programme eines Systems erzeugen und bedingen dessen operative Schließung als Voraussetzung der autopoietischen Systemstruktur. Auch kann von einer hohen Verhaltensrelevanz in Kombination mit der Externalisierung von Handlungskontingenzen gesprochen werden, da der Code eines Systems der Devise ›So und nicht anders!‹ folgt. Dementsprechend werden alle der Codierung nicht entsprechenden Handlungen – also diejenigen Handlungen, die der negativ konnotierten Codeseite entsprechen – in die Umwelt eines Systems und somit in ein anderes Teilsystem verlagert. Des Weiteren stehen sich die Systeme – um auf die letzte Institutionalisierungsdimension zu sprechen zu kommen – im Hinblick auf den erforderlichen Leistungsaustausch gegenüber, der aus Gründen der spezifischen Leistungs- bzw. Funktionserfüllung für die Gesellschaft als Ganze ebenfalls koordiniert werden muss, aber bezüglich der operativen Geschlossenheit der Systeme keiner direkten Kooperation unterzogen werden kann – ein Code kann nicht in einen anderen Code übersetzt werden. In seiner Darstellung der luhmannschen Systemtheorie als Differenzierungstheorie verweist Schimank (2007a: 167-181) hinsichtlich der hierfür benötigten »Integration der polykontexturalen Gesellschaft« auf die Bedeutung und Funktion der strukturellen Kopplung via Programmstruktur, durch welche Systeme in der Lage sind, die in der Umwelt existenten Informationen und Einwirkungen, denen sie ausgesetzt sind und sich anpassen müssen, so weit in die eigene Struktur miteinzubeziehen, dass sie »vom System noch verarbeitbar sind und es nicht zerstören […]. Strukturelle Kopplung sorgt so für das erforderliche Minimum an gesellschaftlicher Systemintegration.« (Schimank 2007a: 173) Unter Rekurs auf Luhmann (1990: 91) fungieren Programme »als vorgegebene Bedingungen für die Richtigkeit der Selektion von Operationen«, sodass ein System »[d]urch die Differenzierung von Codierung und Programmierung […] die Möglichkeit [gewinnt,] als geschlossenes und als offenes System zu gleich [sic!] zu operieren [Herv. weggelassen]«.
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Auf den Aspekt der Komplexitäts- und Kontingenzreduktion (im Sinne von Erwartungssicherheit) als Funktion von Institutionen verweist Schimank (2004: 294).
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Und diese Offenheit innerhalb eines Systems verweist auf die Komponente der Handlungsfähigkeit formaler Organisationen als Teilelemente der Gesellschaftsysteme: »Diese Sozialsysteme – formale Organisationen im einen, Gruppen im anderen Falle – können nicht nur das Handeln konditionieren, sondern auch als Systeme selbst im landläufigen Sinne des Wortes ›handeln‹ – z.B. eine Strategie verfolgen. Diese handlungsfähigen Sozialsysteme können nicht nur das Handeln von Akteuren regulieren, sondern selbst als Akteure auftreten – was nichts anderes heißt, als daß ihnen Handeln zugerechnet werden kann.« (Schimank 1985: 427)
Und »[d]ie positive Auswahl des tatsächlich realisierten Handelns geschieht dann durch die Interaktion handlungsfähiger Sozialsysteme, nämlich durch die sich zwischen ihnen aufbauenden Interessen- und Einflusskonstellationen« (Schimank 1985: 431). Somit wirken auch hier Organisationen – ähnlich ihrer Rolle im Kontext von Institutionen als »Mechanismus […], der […] die institutionellen Kriterien verhaltenswirksam umsetzt« (Schwinn 2001: 356) – als integrative Elemente, die innerhalb der sie umfassenden Systemrationalität zu Aushandlungsprozessen fähig sind. Und ebenso wie Organisationen über die Funktion der Mitgliedschaft zwischen Systemen und Akteuren vermitteln, können sie dies auch zwischen Akteuren und Institutionen, denn auch Institutionen unterscheiden sich entlang der Parameter handlungsprägend/handlungsfähig: »Alle Institutionen sind handlungsprägend; aber einige sind darüber hinaus selbst handlungsfähig, besitzen Akteurstatus.« (Schimank 2004: 293) Oder anders formuliert: »manche Institutionen prägen nicht nur das Handeln individueller Akteure, sondern handeln selbst« (Schimank 2004: 300). Die konstatierte Handlungsfähigkeit von Institutionen lässt somit, unter Rekurs auf die eingangs angeführte Beschreibung von Universitäten als Institutionen, nun auch den Perspektivenwechsel zu Universitäten als Organisationen zu (Kap. 4.2). Zuvor können aber die obigen Ausführungen zu Universitäten als Institution anhand des Vergleichs zwischen Systemen und Institutionen noch erweitert werden. Aus den einleitenden Ausführungen ging hervor, dass Universitäten als Institution entlang ihrer normativ und kognitiv ausgebildeten Struktur eine zeitlich dauerhafte, sozial verbindliche und, bezogen auf die Prozesse innerhalb der Universität, sachlich beeinflussende Orientierung und stabile Gültigkeit bieten, sodass sie Wissenschaft entlang dieser Dimensionen maßgeblich beeinflussen und somit als Institution einen (funktionalen) Beitrag für die Gesellschaft und gesellschaftliche Prozesse leisten (vgl. Göhler 1997: 21, 28; Gukenbiehl 2002: 144f., 149; Lepsius 1995: 393397, 1997: 57-61; Luhmann 1992b: 90; Nickel 2007: 82; Schwinn 2001: 350-359; Senge 2006: 35ff., 45). Unter Rekurs auf Schimank (2004: 293f.) kann insofern eine Erweiterung vorgenommen werden, als die normativen und kognitiven Komponenten um eine evaluative ergänzt werden können: »Eine Institution ist ein Zusam-
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menhang wechselseitig aufeinander verweisender und einander wechselseitig tragender normativer, kognitiver und evaluativer Handlungsorientierungen.« Die normative Komponente besteht in der rechtlichen Fixierung der Anforderungen und bildet damit die Dimension eines »was soll ich« ab, wohingegen die kognitive Komponente über die spezifischen Rollenstrukturen die Dimension des »was kann ich« abbildet. Über die im Vergleich von Institution und System angesprochene Ebene der teilsystemischen Codierungen können diese beiden Dimensionen durch eine evaluative Dimension des »was will ich« ergänzt werden, denn »[a]ls generelle Richtungsvorgaben des Wollens werden die Codes […] im tagtäglichen Handeln ebenso wie in der Reflexion darüber, etwa bei schwierigen Entscheidungen oder in Krisensituationen, völlig selbstverständlich und alternativlos zugrundegelegt« (Schimank 2004: 300). Und genau an dieser Stelle ist die Doppelstellung der Universität als Institution und Organisation zu sehen: Die Universität ist als handlungsprägende Institution zugleich an ihre eigene Handlungsfähigkeit als Organisation gebunden. Denn die organisationale Handlungsfähigkeit wird hier in Anlehnung an Schimank (2004: 300) als Ressourcenzusammenlegung durch Bündelung individueller Einflusspotenziale von Akteuren auf der Basis ausgehandelter und verbindlicher Vereinbarungen verstanden, wobei diese Vereinbarungen letztlich den institutionellen Rahmen widerspiegeln. Unter dieser durchaus paradoxen Prämisse können Universitäten eben sowohl als Institutionen wie auch als Organisationen angesehen werden, da sich die Organisation Universität – entlang ihrer horizontal und vertikal differenzierten Bereiche Lehre, Forschung und Verwaltung als Zusammenschlüsse lose gekoppelter korporativer Akteure – hinsichtlich ihrer Zielverfolgung zugleich an den normativen, kognitiven und evaluativen Rahmenvorgaben der Institution Universität – als formale Struktur der Organisation Universität – orientiert.
4.2 U NIVERSITÄTEN ALS ( INSTITUTIONALISIERTE ) O RGANISATIONEN Die Auffassung von Universitäten als Organisationen ist aufgrund der spezifischen Doppelrolle von Universitäten an die institutionalisierte Umwelt der Institution Universität gebunden. Die Institution Universität definiert dabei über die institutionalisierten Regelsetzungen der hierarchischen Struktur – gemäß der von außen legitimierten Auffassung eines rationalen (effizienten und effektiven) Organisationshandelns und der spezifischen Funktion der wissensbasierten gesellschaftlichen Fortbestandssicherung und Weiterentwicklung – die formale Struktur der Organisation Universität, deren Rationalitätskriterium (die institutionalisierte universitäre Leitidee) sowie deren Ziele und Zwecke im Sinne einer Blaupause. Da die dieser Blaupause zugrunde liegende Statik der formalen Organisationsstruktur den dyna-
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mischen Umweltbedingungen und -anforderungen allerdings nicht gerecht wird und dementsprechend als ein Mythos aufgefasst werden kann, können Universitäten als diesen Mythos zur eigenen und gesellschaftlichen Legitimation aufrechterhaltende institutionalisierte Organisationen verstanden werden. Dabei unterliegt die Organisation Universität hinsichtlich der Zielerfüllung (Lehre und Forschung) einem internen, auf Kompromissbildung basierenden, dynamischen Prozess des Organisierens, der auf einem ebenfalls dynamischen Abgleich der lose gekoppelten Teilbereiche (Lehre, Forschung und Verwaltung) und deren inhärenter akteurbasierter Koordinationszusammenschlüsse zur Interessenbündelung, Interessendurchsetzung sowie der erforderlichen Abarbeitung der spezifischen Intentionsinterferenzen zur Erreichung der universitären Ziele beruht. Bei der Betrachtung von Universitäten als Organisationen kann grundlegend davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei um soziale Gebilde handelt, welche sich – wie auch für andere Arten von Organisationen charakteristisch – institutionell verselbstständigt haben und dementsprechend spezifische Ziele verfolgen bzw. bestimmte Zwecke erfüllen (vgl. Mayntz 1963: 18). Des Weiteren zeichnen sich »[d]iese verselbstständigten und spezifisch zweckorientierten oder zielgerichteten Gebilde […] durch eine horizontal ebenso wie vertikal differenzierte Struktur aus, die ein dem einzelnen vorgegebenes Rollensystem darstellt und von den jeweiligen konkreten Mitgliedern abhebbar ist. Ein entscheidendes Merkmal dieser sozialen Gebilde ist schließlich ihre Rationalität. Das bedeutet nicht, daß Organisationen tatsächlich nach ausschließlich rationalen Gesichtspunkten aufgebaut sind und das Handeln in ihnen ausschließlich rational bestimmt ist, sondern nur, daß eine solche Orientierung als Leitbild oder Richtungsweiser gilt. [Herv. i.O.]« (Mayntz 1963: 18f.)5
Dient eine rationale Orientierung Organisationen somit als Richtungsweiser oder Leitbild ihrer Tätigkeit und ihres Handelns, das allerdings nicht immer diesem (wie auch immer gearteten) Rationalitätskriterium entsprechen muss (vgl. Mayntz 1963: 18f.), kann berechtigterweise die Frage gestellt werden, woher die Auffassung dessen, was als rationales Leitbild für Organisationen angesehen wird, resultiert. Unter Rekurs auf die vorangegangenen Ausführungen (vgl. Kap. 4.1) kann davon ausgegangen werden, dass ein derartiges Rationalitätskriterium (1) aus einem interaktionalen Gefüge intersubjektiver Interpretationen einer spezifischen Wertvorstellung oder Leitidee entsteht, die sich (2) im Kontext intersubjektiv geteilter Gültigkeit zu 5
In Anlehnung an Schimank (2004: 299) kann hier auch davon gesprochen werden, dass die ursprünglichen (institutionell basierten) Handlungsrationalitäten innerhalb der Organisationen eher zu Rationalitätsfiktionen mutieren, an denen letztlich nur noch eine grobe Orientierung erfolgt bzw. für Organisationen mehr Handlungsspielraum entsteht.
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einer Maxime ausbildet und somit (3) in einer bestimmten Situation – mit der Schaffung von Erwartungssicherheit, Reduktion von Komplexität und Handlungskontingenz – als (normativ verankerte) richtungweisende Handlungsanleitung hinsichtlich der Verfolgung eines spezifischen Zwecks bzw. Ziels anzusehen ist, wobei (4) die Stabilität und dauerhafte Gültigkeit dieser Handlungsmaxime durch den Prozess der Institutionalisierung erfolgt (vgl. hierzu Göhler 1997: 21, 28; Gukenbiehl 2002: 144f., 149; Lepsius 1995: 393ff., 1997: 57-61; Luhmann 1992b: 90; Nickel 2007: 82; Senge 2006: 37; Schwinn 2001: 350-354). Denn: »Institutionalisierung als Prozess bezieht sich auf den Vorgang, durch den sich soziale Beziehungen und Handlungen zu Selbstverständlichkeiten entwickeln, die nicht mehr hinterfragt werden […] [, sodass; A.B.] soziale Strukturen, Zwänge, Verpflichtungen und Gegebenheiten produziert und reproduziert werden. [Herv. weggelassen]« (Walgenbach 2006: 355)
Hierdurch wird aus dem ursprünglichen Prozess der Institutionalisierung zugleich ein Zustand, in dem »die von den Mitgliedern einer Gesellschaft geteilten Deutungssysteme, obwohl sie durch Interaktion zwischen Menschen geschaffen wurden, von den Mitgliedern dieser Gesellschaft als objektive und externe […] Strukturen [als Institutionen; A.B.] betrachtet werden« (Walgenbach 2006: 355). Das Organisationen inhärente Rationalitätskriterium als Richtungsweiser ihrer spezifischen Zielerfüllung bzw. Zweckfunktion stammt dieser Argumentation nach somit aus der institutionellen Umwelt der Organisation (vgl. Walgenbach 2006: 358). Dies kann ebenfalls unter Rekurs auf die vorherigen Ausführungen (vgl. Kap. 4.1) verdeutlicht werden. Zur Erinnerung: Institutionen, die als dauerhaft verankerte handlungsprägende Instanzen innerhalb von Gesellschaft eine bedeutende Funktion erfüllen, haben im Zuge ihrer gesellschaftlichen Etablierung spezifische Handlungsrationalitäten ausgebildet. In differenzierten Gesellschaften stehen sich die einzeln ausgebildeten Institutionen gegenüber und unterliegen bzgl. des gesellschaftlichen Fortbestands einem gewissen Koordinationsdruck. Die Koordination der Institutionen, als wichtiger Elemente des gesellschaftlichen Fortbestandes und Erhalts, vollzieht sich über den Austausch spezifischer Leistungsbezüge, welcher im Bereich der den Institutionen zugehörigen Organisationen stattfindet. Denn Organisationen als intermediäres Element sind nicht nur in der Lage, die spezifischen Handlungskriterien der Institutionen über Mitgliedschaften und Rollenanforderungen zu vermitteln – Organisation als Mittler zwischen akteurbezogener Interaktion und kommunikativer Erreichbarkeit der Gesellschaft –, sondern sie sind die Leistungsträger der Institutionen (vgl. hierzu Luhmann 1975a, 1992b: 90; Nickel 2007: 82; Schimank 2004: 293, 2005c: 20-23; Schwinn 2001: 350-359). Damit die Koordination des Leistungsaustauschs der unterschiedlichen Institutionen in differenzierten Gesellschaften über Organisationen aber de facto funktioniert, benötigen Organisationen für die Erfüllung dieser Aufgabe eine bestimmte institutionalisierte Regelsetzung, wie sie
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bspw. Weber (2005: 157-266) in der bürokratischen Verwaltungsstruktur sah, die durch ihre hierarchische Struktur in Kombination mit einem (gesellschaftlich) legitimierten Status einer formalen Organisationsstruktur entspricht. Denn im Rahmen differenzierter Gesellschaften ist die Entwicklung und Entstehung formaler Organisationsstrukturen ein notwendiger Vorgang zur Koordination der gesellschaftlichen Teilbereiche (vgl. Meyer/Rowan 1977: 342, 346; Walgenbach 2006: 360).6 Unter Rekurs auf Meyer/Rowan (1977: 340ff.) können diese Notwendigkeit sowie die Einbindung formaler Strukturen von Organisationen in einen institutionalisierten Kontext – d.h. in einen Kontext, der auf Basis gesellschaftlicher Legitimation die rationale Auffassung effizienten bzw. effektiven Organisationshandelns in Form generalisierter Blaupausen bzgl. der formalen Struktur einer Organisation definiert – konstatiert werden: »Because the need for coordination increases under these conditions, and because formally coordinated work has competitive advantages, organizations with rationalized formal structures tend to develop.« (Meyer/Rowan 1977: 342) »Formal organizations are generally understood to be systems of coordinated and controlled activities that arise when work is embedded in complex networks of technical relations and boundary-spanning exchanges. But in modern societies formal organizational structures arise in highly institutionalized contexts. […] organizations are driven to incorporate the practices and procedures defined by prevailing rationalized concepts of organizational work and institutionalized in society. Organizations that do so increase their legitimacy and their survival prospects, independent of the immediate efficacy of the acquired practices and procedures.« (Meyer/Rowan 1977: 340)
Werden Universitäten demnach als Organisationen betrachtet, so ist diese Auffassung zugleich mit ihrer bereits angesprochenen Doppelrolle verbunden. Die Organisation Universität erhält ihr Rationalitätskriterium – hinsichtlich der spezifisch gesellschaftlichen Funktion in puncto Fortbestandssicherung und Weiterentwicklung dieser durch Lehre und Forschung – aus dem Kontext, welcher der Universität als Institution – eben als institutionalisierte Leitidee des Strebens nach Wahrheit sowie wahren Wissens als Erkenntnisproduktion – eingeschrieben ist: »Research and development is an institutionalized category of organizational activity which has meaning and value in many sectors of society […].« (Meyer/Rowan 1977: 341) Institutionalisierung bedeutet somit die Übertragung sozialer Prozesse, Bedeutungen, Werte oder Verbindlichkeiten in einen Status normativer institutioneller Re6
Schließlich entsteht erst in differenzierten Gesellschaften das Bedürfnis nach einer Koordination von Leistungen aufgrund formal getrennter Bereiche, deren einzelne funktionale Leistungen im Kontext immer komplexer werdender Austauschbeziehungen für den Gesamterhalt der Gesellschaft koordiniert werden müssen.
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geln, die in der Gestaltung der formalen Struktur von Organisationen zugleich einen Effekt auf die – von außen wahrgenommene, definierte und legitimierte – Arbeitsweise der Organisation haben (vgl. Meyer/Rowan 1977: 341). Ausgehend von der modernen Universitäten immer noch inhärenten und gesellschaftlich verankerten und legitimierten Auffassung des humboldtschen Diktums von Lehre und Forschung als verpflichtenden Auftrags von Universitäten, der zugleich im Sinne einer Blaupause als deren formale Organisationsstruktur (u.a. festgelegte hierarchische Zuständigkeiten) angesehen werden kann, bildet diese institutionalisierte Typisierung allerdings eine Statik aus, die im Rahmen dynamischer Umweltveränderungen – wie sie am Beispiel der deklarierten wissensbasierten Wirtschaft und der Forderungen der Hochschulreformen konstatiert werden können – eher den Status eines hochgradig rationalisierten Mythos einnimmt (vgl. Meyer/ Rowan 1977: 340-345). Aus Gründen der eigenen Legitimation für die weitere Existenz innerhalb der Gesellschaft müssen Organisationen diesen Mythos insofern aufrechterhalten, als dieses mythische Element den Bereich der formalen Organisationsstruktur widerspiegelt (vgl. Abraham/Büschges 2009: 57). Durch die Aufrechterhaltung formaler Organisationsstrukturen zeigt eine Organisation also nach außen, dass sie auf kollektive Wertzwecke – die von außen an die Organisation herangetragenen Erwartungen bzgl. ihrer Funktion für die Gesellschaft – in angemessener Weise reagiert (vgl. Meyer/Rowan 1977: 349). Dies verweist wiederum auf den eingangs erwähnten Aspekt der spezifischen Zweckerfüllung bzw. spezifischen Zielverfolgung (vgl. Mayntz 1963: 58f.; Preisendörfer 2005: 18). Ziele und Zwecke sind allerdings keine unterschiedlichen bzw. voneinander getrennten Aspekte einer Organisation, wie es die allgemeinsprachlich verankerte differenzierte Betrachtung der Termini nahelegen würde, sondern verweisen in ihrer Verwendung eher auf einen beobachterabhängigen analytischen Perspektivenwechsel, in dem Zwecke auf eine externe (von der Gesellschaft ausgehende) Beobachtung verweisen und Ziele bei einer organisationsinternen Beobachtung angesiedelt sind (vgl. Mayntz 1963: 58). Da beide Begriffe aber synonym verwendet werden können, bezeichnen Organisationsziele einerseits die der Organisation extern zugewiesene (statische) Funktion – sprich die Funktion, die ihr hinsichtlich ihrer gesellschaftlich relevanten Wirkung »innerhalb des sie umfassenden Systems der Gesellschaft [zugeschrieben wird] bzw. [aus dem] […] Beitrag, den sie zu einem vom Betrachter als Norm gesetzten wünschenswerten Zustand dieses umfassenden Systems leistet« (Mayntz 1963: 58). Andererseits bezeichnen Organisationsziele aber auch die intern entwickelte (dynamische) Funktion einer Organisation (vgl. Mayntz 1963: 58; siehe auch Abraham/Büschges 2009; Miebach 2012; Preisendörfer 2005). Die statische Komponente entspricht demnach dem gesellschaftlich verankerten institutionellen Mythos hinsichtlich der Zielerfüllung der Organisation nach (scheinbar) effizienten Rationalitätskriterien, wohingegen die dynamische Komponente auf das von der starren Struktur entkoppelte, aktive Handeln der Organisation in komplexen Umwelten
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zur Überlebenssicherung verweist (vgl. Meyer/Rowan 1977: 348-360). Und in diesem Kontext kann Meyer/Rowan (1977) folgend von Universitäten als institutionalisierten Organisationen gesprochen werden. Für die Ziele und Funktionen dieser institutionalisierten Organisationen bedeutet das wiederum, dass sie nicht immer deckungsgleich sein müssen, obwohl dies bei Universitäten zunächst der Fall zu sein scheint: denn Lehre und Forschung decken sich mit der gesellschaftlichen Funktion der Wissensvermittlung im Sinne von Bildung (vgl. Mayntz 1963: 58ff.). Obwohl sich die beiden universitären Ziele der Lehre und Forschung aber durchaus bedingen (z.B. die geforderte Aktualität der Lehre anhand von Forschungsergebnissen oder das Einführen in wissenschaftliche Forschung durch entsprechende Lehrveranstaltungen), handelt es sich de facto um zwei intern voneinander getrennte Ziele – und somit auch um zwei unterschiedliche Teilbereiche der Organisation Universität, zwischen denen ein Kompromiss im Sinne eines sowohl-als-auch bzgl. der Zielverfolgung geschaffen werden muss (vgl. Houben 2013). Diese Kompromissfindung ist notwendig, um einen Zielkonflikt zu verhindern, weil dieser einerseits die geforderte Leistungsfähigkeit bzw. -qualität mindern und im Extremfall andererseits dazu führen kann, dass der Konflikt auch durch die divergierenden Rollenanforderungen an die Mitglieder bzgl. der Zielverwirklichung negative Auswirkungen auf das Verhalten der beteiligten Akteure erzeugt (vgl. hierzu Mayntz 1963: 74ff.). »[V]or allem wenn es darum geht, die immer knappen Mittel – Zeit, Energie, Geld – dem einen oder dem anderen Ziel zuzuteilen […] [entsteht Konfliktpotenzial; A.B.] […], denn die Universität verfolgt ja tatsächlich beide Ziele nebeneinander, aber dieses Nebeneinander verbietet doch, daß eines der beiden rücksichtslos maximiert wird.« (Mayntz 1963: 74f.)7
Die beiden klassischen Teilbereiche der Forschung und Lehre werden in modernen Universitäten aber darüber hinaus noch durch den dritten Bereich der Verwaltung flankiert, sodass die Sichtweise von Universitäten als institutionalisierte Organisationen zusätzlich auf einer komplexen trilateralen Verbindung dieser lose gekoppelten Teilbereiche basiert (vgl. Nickel 2007: 87f.).8 Der Zusammenschluss dieser 7
Das Problem einer internen (mindestens) doppelten Zielverfolgung verweist zugleich auf die Schwierigkeit, Universitäten tatsächlich als eine einheitliche Organisation anzusehen, denn Lehre und Forschung sind formal zwei voneinander getrennte Bereiche, die dennoch für den Erhalt des Ganzen koordiniert werden müssen.
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Auch Meyer/Rowan (1977) verweisen bei ihrer Beschreibung institutionalisierter Organisationen an einigen Stellen auf den Aspekt des »loose coupling« (Weick 1976). So bspw. zu Beginn ihrer Ausführungen, wenn sie konstatieren: »Institutionalized products, services, techniques, policies and programs function as powerful myths, and many organizations adopt them ceremonially. But conformity to institutionalized rules often conflicts
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Teilbereiche verweist in einer Beobachtung von außen auf die Existenz der Gesamtheit der komplexen Organisation Universität und somit – im Sinne der statischen Komponente – auf die von außen festgelegte Pflichterfüllung des sozialen Gebildes Universität mit ihrer gesellschaftlich relevanten (rationalen) Funktion. Dies entspricht dem bereits oben angesprochenen institutionellen Rahmen, in dem sich sowohl die personenunabhängie formale Struktur der Organisation als auch deren gesellschaftlich zugeschriebenes rationales Handeln für das komplexe soziale Ganze verorten lässt (vgl. Meyer/Rowan 1977: 340-345; Miebach 2012: 11f.). Innerhalb der losen Kopplung der Teilbereiche lässt sich hingegen eine dynamische Komponente der Organisation verorten, da es hier um interne Abstimmungsprozesse geht, welche zugleich die spezifischen – sozusagen intra-organisationalen – Funktionen (re)definieren und spezifizieren. Die angesprochene lose Kopplung resultiert dabei aus den reformbedingten Dezentralisierungsprozessen und den nicht strikt definierten Grundvoraussetzungen der einzelnen Bereiche, wie bspw. aus der hohen Autonomie im Bereich der Forschung, den weiterhin autonomen, aber doch strikter vorgegebenen Bedingungen in der Lehre durch jeweilige Curricula und der im Verhältnis wesentlich strikteren Definition der Verwaltungsanforderungen (vgl. Weick 1976: 5). Darüber hinaus bezieht sich die Auffassung der lose gekoppelten universitären Bereiche darauf, dass »coupled events are responsive, but that each event also preserves its own identity and some evidence of its physical or logical separateness [Herv. i.O.]« (Weick 1976: 3). D.h., die interne dynamische Komponente der institutionalisierten Organisation Universität basiert im Wesentlichen auf dem Prozess des Abstimmens und somit des Organisierens der lose gekoppelten Bereiche (Weick 1976, 1985). Die bisherigen Ausführungen zusammenfassend lässt sich demnach konstatieren, dass Universitäten als Organisationen einer gesellschaftlich verankerten und legitimierten, extern zugewiesenen Zielerfüllung gegenüberstehen, zu deren Erfüllung sie allerdings aktive intra-organisationale Abstimmungsprozesse – im Sinne einer Anpassung an die zunehmend komplexeren Umweltanforderungen sowie der Kompromissfindung zwischen den Teilbereichen Forschung, Lehre und Verwaltung zur Vermeidung interner Zielkonflikte – durch Vorgänge der Selbstorganisation vollziehen muss, was den von Meyer/Rowan (1977) konstatierten Prozessen entspricht, die es zulassen, von Universitäten als institutionalisierten Organisationen zu sprechen. sharply with efficiency criteria and, conversely, to coordinate and control activity in order to promote efficiency undermines an organization´s ceremonial conformity and sacrifices its support and legitimacy. To maintain ceremonial conformity, organizations that reflect institutional rules tend to buffer their formal structures from the uncertainties of technical activities by becoming loosely coupled, building gaps between their formal structures and actual work activities.« (Meyer/Rowan 1977: 340f.)
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Weitere Hinweise darauf, dass Universitäten in differenzierten Gesellschaften eher als Organisationen denn als Institutionen anzusehen sind, finden sich auch bei Luhmann (1992b) oder Weick (1985). Bezogen auf die angesprochenen internen Dynamiken der Universität gleichen diese in Anlehnung an Luhmann (1992b) einem »Milieu« bzw. einem »organisierte[n] Soziotop« (1992b: 94), welches somit »gegen Institution und für Organisation optiert« (1992b: 98) hat. Dies kann unter Rekurs auf Weick (1985: 11) bekräftigt werden, der Organisation als Resultat einer »Tätigkeit des Organisierens [versteht; A.B.], welche definiert ist als durch Konsens gültig gemachte Grammatik für die Reduktion von Mehrdeutigkeit mittels bewußt ineinandergreifender Handlungen. Organisieren heißt, fortlaufend unabhängige Handlungen zu vernünftigen Folgen zusammenzufügen, so daß vernünftige Ergebnisse erzielt werden. [Herv. i.O.]« (Weick 1985: 11)
Der von Weick verwendete Terminus »Grammatik« dient hierbei als Analogie für das Entstehen normativer Grundlagen in Form von Regeln und Konventionen aus dem Zusammenschluss mehrerer Akteure und deren wechselseitigen Handlungen auf Basis von Interessenkonstellationen, der Bündelung von Ressourcen sowie der Abarbeitung von Intentionsinterferenzen, sodass aus diesem Prozess feste (konsensuale) Strukturen hervorgehen, die zugleich die Komplexität dieses neu entstandenen überindividuellen Gebildes hinsichtlich seiner Handlungsausrichtung reduzieren (vgl. Weick 1985: 11ff., 130-173). Weick (1985: 130-173) begründet die hieraus resultierende Entstehung von Organisationen mithilfe des von ihm beschriebenen »doppelten Interaktes« als Sequenz »bedingte[r] Reaktionsmuster, […] in denen die Handlungen eines Akteurs A eine spezifische Reaktion in Akteur B hervorruft […], auf die Akteur A dann seinerseits reagiert« (Weick 1985: 130) – oder anders formuliert: auf Basis doppelter Kontingenz. Entlang dieser zirkulär verflochtenen und ineinandergreifenden Verhaltensweisen werden über die basale Übereinstimmung zu bündelnder Mittel Strukturen ausgebildet, die letztlich das gemeinsame Ziel – bzw. bei zunehmender Komplexität der Organisationsstruktur auch unterschiedliche Ziele – konstituieren. Die erforderliche Koordination der Mitglieder basiert hierbei auf einer (relativ) dauerhaft angelegten kooperativen Interdependenzsituation bzgl. des Handlungserfolges in Abhängigkeit von den unterschiedlich verteilten Interessen und Ressourcen sowie der situationsspezifischen indirekten sozialen Kontrolle über Belohnung und Bestrafung für das erfolgreiche und beständige Funktionieren der koordinierten sozialen Handlungen.9 Diese Merkmale deuten in gewisser Weise auf ein Muster organisationaler Prozesse hin, wie es (zumindest) in definitorischer Hinsicht u.a. auch bei Barnard (1968), March/Simon (1993) oder 9
Ein Prozess, der aus spieltheoretischer Sicht auch an Axelrods (1987) Strategie des Titfor-Tat zur Koordinationsschaffung und -erhaltung erinnert.
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Schimank (u.a. 2004) zu finden ist und das zugleich eine Möglichkeit eröffnet, die in den bisher angeführten (neo-)institutionalistischen Ansätzen vorhandene Ablehnung von Akteuren wieder zu integrieren: die Auffassung von Organisationen als akteurbasierte Koordinationszusammenschlüsse.10 10 So ist bspw. nach Barnard (1968: 73, 79) eine formale Organisation »a system of consciously coördinated [sic!] activities or forces of two or more persons«, was zur Folge hat, dass »the efforts of five men become coördinated [sic!] in a system, that is an organization, there is created something new in the world that is more or less than or different in quantity and quality from anything present in the sum of the efforts of the five men«. Barnard verweist hier also auf das Moment der Handlungsfähigkeit von Akteuren zur Bildung von Organisationen, die allerdings nach ihrer Entstehung – eben aufgrund der für Organisationen konstitutiven Bedeutung der koordinierte Mittel und nicht der hierfür notwendigen Akteurzusammenschlüsse – ein personenunabhängiges Stadium erreichen (vgl. Barnard 1968: 83; Nickel 2007: 91; Scott 2004: 2f.; Weick 1985: 138). Auch March/ Simon (1993) beschreiten einen ähnlichen Weg und charakterisieren die Entstehung von Organisationen über das ursprüngliche Moment eines Akteurzusammenschlusses. Organisationen sind hier zu verstehen als »systems of coordinated action among individuals and groups whose preferences, information, interests or knowledge differ« (March/Simon 1993: 2), was auf eine prozessuale bzw. dynamische Komponente der Bildung von Organisationen auf Basis von Intentions- und Interessenabarbeitung hinweist (vgl. Miebach 2012: 12f.). Aus dem Zusammenschluss und den koordinierten Handlungen der Akteure resultieren spezifische Ziele, die innerhalb der Organisation verfolgt werden sollen. Auch hier wird also in einem ersten Schritt die Struktur der Organisation aus einer Akteurkonstellation heraus gebildet, welche in einem zweiten Schritt – entlang der von der Organisation kontrollierten Aspekte der Bereitstellung von Handlungsalternativen für die Individuen, deren antizipierten Konsequenzen sowie der individuellen Bewertung der alternativen Handlungskonsequenzen – auf die Leistungsmotivation der Mitarbeiter als »Kongruenz zwischen individuellen Einstellungen und organisationalen Anforderungen [Herv. i.O.]« (Miebach: 2012: 23) bzgl. der organisationalen Zielverfolgung rückwirkt (vgl. hierzu March/Simon 1993: 2f., 53-102; Miebach 2012: 12f., 22f.; Preisendörfer 2005: 123). Beide Ansätze weisen insoweit das oben angesprochene Muster organisationaler Prozesse auf, als die Bildung von Organisationen in erster Linie auf einem akteurbasierten (bottom-up) Zusammenschluss beruht. Dies deckt sich wiederum mit der oben angedeuteten Sichtweise von Schimank (2004: 300ff.) hinsichtlich der Entstehung von Interessenorganisationen: Interessenorganisationen kennzeichnen sich über die Zusammenlegung gemeinsamer Interessen und individueller Einflusspotenziale – bündeln also die Ressourcen der Mitglieder in einer organisierten Form – und führen in Anbetracht zunehmender Komplexität, neben der Vermeidung von Konkurrenz durch Kooperation, durch die gemeinsam von unten (basisdemokratisch) festgelegten Ziele und Ausrichtungen zu arbeitsteiligen Spezialisierungen, die eine hierarchische Struktur ausbilden.
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Die akteurfundierte Auffassung der Organisationsbildung sowie der Prozess des Organisierens als zentrales Element innerhalb von Universitäten lassen sich anhand eines universitätshistorischen Rückblickes verdeutlichen. Als Vorläufer der modernen Universitäten können die akteurbasierten Zusammenschlüsse unterschiedlicher Gelehrter zwecks Interessen- und Ressourcenbündelung angesehen werden, wie sie im Mittelalter aus pragmatischen Gründen vollzogen wurden. Betraf dieser Zusammenschluss, der in historischer Betrachtung paradigmatisch im Bildungskontext der Pariser Universität im 13. Jahrhundert gesehen werden kann, zunächst die räumliche Bündelung mehrerer, aus Interessengründen stark frequentierter Scholarengemeinschaften, so resultierte letztlich aus diesem Zusammenschluss ein in sich abgeschlossenes Gebilde mit eigenen hierarchischen Leitungsinstanzen und funktionalen Strukturen (Zugangsvoraussetzungen, Stimmberechtigungen bei Wahlen, prüfungsrechtliche Regelungen etc.). Im Rahmen dieser ursprünglich losen Zusammenschlüsse einzelner Gelehrter wurde darüber hinaus erkannt, dass durch Koordination auch wesentlich mehr Einfluss auf die politische Administration ausgeübt werden konnte, was letztlich zunächst über vereinzelte Privilegien zu der universitätsspezifischen, durch eigene Satzungen fixierten und später in Verfassungen integrierten Freiheit und Autonomie führte. Eine Entwicklung, die über den Pariser Kontext hinaus auch ähnliche Entwicklung im europäischen – und später auch amerikanischen – Raum beeinflusst und als Grundmuster universitärer Gründungen angesehen werden kann (vgl. hierzu Prahl 1978: 65-76). Zwar verweisen die Entwicklung eigener Satzungen und die spätere Aufnahme bzw. Übernahme der universitären Autonomie in die Staatsverfassungen durchaus auf ein institutionelles Element in der Form, dass »[d]ie Verfassung […] das Eigenleben der Universität als Institution für Forschung und Lehre [garantiert]. Dies kann aber offenbar nicht wirksam verhindern, daß sich auf der Ebene der Organisation andere Realitäten einspielen« (Luhmann 1992b: 97). Galt einst noch die Einheit von Lehre und Forschung als Kennzeichen von Universitäten, nahm die Komplexität innerhalb von Universitäten im Rahmen ihrer Entwicklung stetig zu (siehe Ellwein 1985; Prahl 1978; Stichweh 1994), was zugleich auch deren Binnendifferenzierung, im Sinne der Ausbildung der nebeneinander existierenden Teilbereiche (Lehre, Forschung, Verwaltung) mit unterschiedlichen Funktionen für die Erfüllung des Gesamtzweckes der Universität, erzeugte. Nicht zuletzt wurde dieser Prozess durch die Ausdifferenzierung von Wissenschaft als eigenständigem Funktionssystem und damit die Entwicklung von der Fremdorganisation der Universitäten hin zur Selbstorganisation begleitet (vgl. hierzu Stichweh 1994: 91f., 174ff.). Die spätestens seit dem 20. Jahrhundert entstandenen strukturellen Teilbereiche der Lehre, Forschung und Verwaltung können in diesem Kontext ebenfalls als (ursprünglich) interessenbasierte Ressourcenzusammenlegung aufgrund von Komplexitätsreduktion der steigenden Anforderungen (Disziplinvielfalt, steigende Studierendenzahlen etc.) aufgefasst werden.
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Um auf Weicks (1985: 11) Aspekt des Organisierens zurückzukommen, zeigt sich anhand der universitätshistorischen Entwicklung, dass hier aus den ursprünglichen Handlungen einzelner Akteure durch Prozesse der Koordination und Abstimmung ein neues Gebilde resultiert, welches nicht nur die vorherige (subjektiv basierte) Vielfalt, z.B. im Bereich der Lehre und Ausbildung, sinnvoll bündelt, sondern dadurch neue (konsensuale) Ist- bzw. Soll-Zustände hinsichtlich eines einheitlichen (sozialen) Gebildes generiert werden. Dieses historisch neue Konstrukt Universität als universitas kann somit, entsprechend den vorherigen Ausführungen hinsichtlich der Ausbildung formaler Strukturen, hierarchischer Organisation, Prüfungsrecht, Ausbildung von Mitgliedsrollen mit unterschiedlichen Anforderungen, Rekrutierung von Mitgliedern, einer spezifischen Sozialisation und eigenständigen Sanktionierungsmöglichkeiten11 als (institutionalisierte) Organisation angesehen werden. Diese Organisation sah sich vor den Reformbestrebungen insofern einer komplexen intra-organisationalen Umwelt gegenüber, als die von Mayntz (1963: 74ff.) angesprochene gegenseitige Anpassung der Teilbereiche, im Sinne der Vermeidung von internen Zielkonflikten durch Kompromissfindung, zum Erhalt der Organisation bewältigt werden musste. Spätestens im Zuge der Reformbestrebungen ändern sich allerdings auch die Außenbeziehungen der Universität hinsichtlich zunehmender Komplexität. Mit der zunehmenden Verwissenschaftlichung gesellschaftlicher Teilbereiche (wie Politik und Wirtschaft) im Kontext der Wissensgesellschaft, der von außen geforderten aktiven Teilnahme an gesellschaftlich relevanter Produktion (wissensbasierte Wirtschaft), der Forderung nach mehr Effizienz und verwertbarem Forschungswissen sowie der Einführung extern intendierter Sanktionierungsmechanismen (leistungsorientierte Mittelvergaben, Evaluationen etc.) werden Universitäten intensiv in den ökonomischen Marktmechanismus gedrängt (vgl. Kap. 3). Die Folge hiervon ist eine Änderung des institutionellen Rationalitätskriteriums durch die Beeinflussung aus den unterschiedlichen Umweltbereichen der Politik und Wirtschaft. Die Reformforderungen bzgl. universitärer Umstrukturierungen können insofern als veränderte institutionelle Rahmenbedingungen bzw. als geändertes institutionalisiertes Rationalitätskriterium aufgefasst werden, als sie (sowohl auf Ebene der europäischen als auch US-amerikanischen Bestrebungen) nicht nur gesetzlich verankert und somit politisch legitimiert wurden – was eine hohe Stabilität und allgemeine Gültigkeit bedingt –, sondern auch aus Gründen der Erfordernisse für Fortbestand und Erhalt der Wissensgesellschaften (und wissensbasierten Wirtschaften als Bestandteil derselben) gesellschaftliche Legitimation erfah11 Die Rekrutierung von Mitgliedern, der Aspekt einer organisationsspezifischen Sozialisation und die Gestaltung der Rahmenbedingungen in Form von (sozialen) Kontrollmechanismen sind weitere notwendige Aspekte zur Verwirklichung des Organisationsziels – im Sinne von Mitteln zur Zweckumsetzung – und zugleich zusätzliche Merkmale einer Organisation (vgl. Abraham/Büschges 2009: 46-50).
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ren haben.12 Diese Situation führt somit dazu, dass das einstige Rationalitätskriterium, das ursprüngliche (rein wissenschaftlich basierte) Streben nach Wahrheit und die Produktion von Erkenntnis, durch die vom NPM getragenen Reformforderungen in puncto mehr Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit einer Änderung unterliegt. Pointiert formuliert geht es nun um die gewinnbringende Produktion von Erkenntnis und das Streben nach wirtschaftlich verwertbarer Wahrheit; eben um die Komponenten, die in einer wissensbasierten Wirtschaft gefordert (und letztlich auch [finanziell] gefördert) werden. In Anlehnung an Walgenbach (2006: 375f.) bedeutet dies für Universitäten, dass sich diese als Organisationen »durch Erwartungen in ihren institutionellen Umwelten […] gezwungen [sehen], teilweise inkompatible strukturelle Elemente und Managementpraktiken zu adoptieren. Die Inkonsistenzen, die aus den unterschiedlichen institutionalisierten Konzepten resultieren, erschweren die Bemühungen um eine effiziente Produktion und machen eine enge Steuerung und Koordination der Aktivitäten durch formale Strukturen problematisch.«
4.3 U NIVERSITÄTEN ALS INSTITUTIONALISIERTE O RGANISATIONEN LOSE GEKOPPELTER T EILBEREICHE Universitäten sind hinsichtlich der Vermeidung interner Zielkonflikte und der Erreichung extern definierter Ziele auf Selbstorganisation und Selbststeuerung angewiesen. Die Selbstorganisation beruht dabei auf einem interaktional-rekursiven Handlungszusammenschluss einzelner Wissenschaftler zu Forschungsgruppen, die als handlungsfähige Organisationen das Ziel der internen Bearbeitung externer Umweltproblematiken zur Generierung wissenschaftlichen Wissens verfolgen. Über diese rückkoppelnden Umweltanpassungsprozesse entstehen Randzonen, in denen gruppenspezifische Entscheidungen hinsichtlich der Verwendung von Umweltinformationen und deren Relevanz für die Produktion wissenschaftlichen Wissens, als Selbststeuerung, stattfinden. Über die Rückwirkung von Umweltinformationen auf die Forschungsgruppen bilden sich gestaltete Umwelten und weitere wissenschaftliche Handlungsfelder als wissenschaftliche Institutionen aus. Hierzu gehören auch Universitäten, die, verglichen mit anderen wissenschaftlichen Institutionen, direkter spezifischen Umweltanforderungen und Einflussnahmen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft unterliegen, die wiederum in unterschiedlicher Art und Weise die Teilbereiche Lehre, Forschung und Verwaltung beeinflussen. Da Universitäten –
12 An dieser Stelle sei an den in Kap. 3.1 und 3.2 dargestellten öffentlichen Druck und die Forderung nach mehr Gesellschaftsrelevanz der Forschung bzgl. der Mittelzuweisung erinnert.
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trotz reformintendierter Dezentralisierungsmaßnahmen – extern weiterhin als eine Organisation wahrgenommen werden, müssen diese aus Legitimationsgründen somit dem externen Mythos als institutionalisierte Organisationen nachkommen, wobei die interne Arbeitsweise aber auf der dynamischen Selbststeuerung der lose gekoppelten Teilbereiche beruht. »[W]aren Universitäten bis vor kurzer Zeit staatliche Anstalten« (Pellert 2006: 47), wird im Zuge der NPM-orientierten Hochschulreformen die staatliche Verantwortung hin zu mehr Wettbewerb externalisiert und Universitäten müssen sich ab dato als (extern intendierte) profitorientierte Wissensproduzenten nicht nur im trilateralen Geflecht aus Politik-Wirtschaft-Wissenschaft behaupten, sondern stehen nun auch stärker als zuvor einer inter-universitären Konkurrenzsituation gegenüber, was eine erhöhte Selbstorganisation erforderlich macht (vgl. Pellert 1999: 72, 115; Ridder 2006: 101). Diese Selbstorganisation ist dabei an die Voraussetzung vielfältig stattfindender Interaktionen unter den Angehörigen der Organisation gekoppelt, wobei die Interaktionen und die in ihnen stattfindenden wechselseitigen Anpassungen zwar »nicht aus den Organisationszielen und den Organisationsstrukturen abgeleitet werden können« (Luhmann 2000b: 255), sich aber im Rahmen der gesellschaftlich relevanten Organisationsziele bewegen und sich somit wechselseitig ermöglichen (vgl. Luhmann 2000b: 255). Im Falle der Universität beziehen sich diese wechselseitigen Anpassungen über Interaktionen auf den traditionellen Zusammenschluss epistemischer Gemeinschaften, die (in ihrer universitätsspezifischen Vielfalt der professional und scientific communities) transorganisational organisiert und global vernetzt sind (vgl. Stichweh 2005: 126). »Die Universität ist seit Jahrhunderten von epistemischen Communities geprägt. Zunächst sind dies die professionellen communities der Ärzte, Juristen und Theologen, die dem akademischen Wissenssystem, das sie kultivieren, und zugleich einer berufsbezogenen Handlungspraxis verpflichtet waren und die in dieser doppelten Zuständigkeit immer eine transorganisatorische, oft transnationale Gemeinschaftsbildung verkörperten. Die moderne Universität des 19. und 20. Jahrhunderts wurde zunehmend durch einen zweiten Typus epistemischer Communities geprägt: Dabei handelt es sich um die um ein disziplinäres Wissenssystem gebildeten scientific communities […], deren wachsendes inneruniversitäres Übergewicht gegenüber den professionellen Communities die fortschreitende Akademisierung der Universität verrät. Auch diese scientific communities sind immer transorganisatorisch, und sie sind heute zunehmend global, d.h. sie eröffnen einen weltweiten Kommunikationszusammenhang. [Herv. i.O.]« (Stichweh 2005: 126)
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Das Konzept der epistemischen Gemeinschaften bezieht sich hierbei auf den wichtigen Aspekt bzw. die wichtige Rolle »that networks of knowledge-based experts – epistemic communities – play in articulating the cause-and-effect relationships of complex problems, helping states identify their interests, framing the issues for collective debate, proposing specific policies, and identifying salient points for negotiation.« (Haas 1992: 2)
Diese Expertennetzwerke beruhen dabei in erster Linie auf starken gemeinschaftsinternen und intersubjektiv ausgehandelten bzw. konzeptionalisierten Bindungen normativer und kognitiver Art entlang einer gemeinsamen Wertbasis, spezifischen theoretischen und methodischen Bewertungskriterien hinsichtlich der Gültigkeit des vorhandenen und anzuwendenden Wissens und bearbeiten unterschiedliche Probleme aus der externen Umwelt, um intern Lösungen für spezifische gesellschaftlich relevante Sachthemen zu generieren (vgl. Haas 1992: 3; Stichweh 2005: 126). Die interne Bearbeitung externer Umweltprobleme zur Generierung von Lösungen gesellschaftsrelevanter Thematiken verweist dabei nicht nur auf einen rückkoppelnden Bezug von Umwelteinflüssen und epistemischen Gemeinschaften, sondern aufgrund der wissensgesellschaftlich inhärenten Position und Bedeutung derartiger Expertennetzwerke im Hinblick auf die Sicherung des Fortbestandes einer Gesellschaft und ihrer künftigen Entwicklung auf konkurrierenden Märkten – eben durch die Einbindung wissenschaftlicher Experten in die Bereiche der Politik und Wirtschaft – auch auf eine gewisse Dynamik, die zugleich einen Hinweis auf die Selbstorganisation und Selbststeuerung von Forschung und Wissenschaft gibt. Ausgangspunkt der Selbstorganisation von Forschung und Wissenschaft ist zunächst der interaktionale rekursive Handlungszusammenschluss einzelner Wissenschaftler, die mit der Absicht der Generierung neuen Wissens handeln und durch den rekursiven Interaktionsprozess ein erstes Netzwerk erzeugen (vgl. Krohn/Küppers 1989: 28-34). »[Aus diesem Netzwerk; A.B.] bildet sich eine soziale Organisation, die […] Forschungsgruppe […]. […] [Hier findet] die Selbstorganisation der Forschung […] statt, also die Art von rekursiven Interaktionen, durch die ein Forscher zum Element (composite unit) einer Organisation wird und seine Handlungen durch Wechselwirkung mit den Handlungen anderer zum Ausgangspunkt seiner weiteren Handlungen werden. [Herv. i.O.]« (Krohn/Küppers 1989: 31f.)
Die Forschungsgruppe ist durch die Art ihrer Selbstorganisation weitgehend autonom und zugleich »über Aufgabenstellung und Leistungserwartungen funktional integriert in die arbeitsteilige Gesellschaft, von der auf die eine oder andere Weise die Kosten der Forschung aufgebracht werden« (Krohn/Küppers 1989: 32). Damit sich
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allerdings ein derartiger Zusammenschluss dauerhaft erhalten kann – und schließlich auch das größere Netzwerk der epistemischen Gemeinschaft als Konglomerat mehrerer Forschungsgruppen entstehen kann –, ist nicht nur ein spezifisches Ziel (eine Absicht) erforderlich, sondern auch ein aus Eigenwerten resultierendes normatives Gerüst entlang geteilter Überzeugungen und Einstellungen. Bestandteile dieser Überzeugungen und Einstellungen sind gruppenspezifische Komponenten kognitiver, sozialer, emotionaler und reflexiver Art (vgl. hierzu und im Folgenden Krohn/Küppers 1989: 36-40). Die kognitive Komponente bezieht sich hierbei auf die Ausbildung eines theoretischen und methodologischen kollektiven Denkstils im Sinne eines Standardrepertoires guter Forschung. Anders formuliert bezieht sich die kognitive Komponente demnach auf eine mit Gültigkeitsanspruch versehene, handlungsrelevante Maxime als Rationalitätskriterium bzw. als Handlungsrationalität, die normative Strukturen zur Abgrenzung der Wissenschaft von Nicht-Wissenschaft, also institutionalisierte »Verfahren und Standards […], die das Handeln intersubjektiv kontrollierbar machen« (Schwinn 2001: 353), im Sinne einer auf dem Abbau von Intentionsinterferenzen beruhenden Dimension des Wollens etabliert (vgl. Lepsius 1995: 396, 1997: 58-61; Schwinn 2001: 350; Schimank 2004: 293; Stichweh 1994: 9, 16f., 59ff.). Die soziale Komponente verweist auf die Stabilisierung des Gruppenverhaltens durch Regulierung des Verhaltens der Mitglieder, wobei sich die Gruppe durch die Einbindung individuell abweichender Verhaltensweisen zugleich die Anpassung an geänderte Erkenntnisbestände ermöglicht. Die emotionale Komponente beinhaltet die Verstärkung der normativen Grundlagen durch persönliches Engagement (bei positiver Wahrnehmung der Gruppe von außen) sowie die Entstehung eines erhöhten Pflichtgefühls der Gruppe gegenüber, »je spezifischer die Interaktion einer Gruppe durch Ausprägung ihrer Überzeugungen, Arbeitsweise und Einstellungen ist« (Krohn/Küppers 1989: 39). In genereller Hinsicht handelt es sich also bei der sozialen und emotionalen Komponente um relative Sanktionierungsmöglichkeiten zur Regulierung des Mitgliederverhaltens, die zugleich eine hohe Verhaltensrelevanz auf Seiten der beteiligten Akteuren beanspruchen und eine gemeinsam definierte Dimension des Sollens repräsentieren (vgl. Lepsius 1995: 396, 1997: 60f.; Schwinn 2001: 351; Schimank 2004: 293). Durch die Bildung und Aufrechterhaltung von Forschungsgruppen wird aber nicht nur eine eigenständige – aufgrund der dauerhaften rekursiven Interaktion als basalem Merkmal für zeitlich kontinuierliche Anpassungsprozesse – sich selbstorganisierende, autonome und handlungsprägende Organisation geschaffen, sondern es entstehen auch Randzonen und Umweltgrenzen, in welche die Forschungsgruppe eingebettet ist und mit denen sie in Kontakt treten muss. Denn das Ziel bzw. die Absicht der Forschungsgruppe besteht, über die allgemeine Formel der Generierung neuen Wissens hinaus, in der sich über die interne Bearbeitung externer Umweltprobleme vollziehenden Produktion von Erkenntnis, deren Ergebnisse über Präsentationen, Vorträge, Patente, Publikationen etc. letztlich der differenzierten Gesellschaft selbst
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zugutekommen sollen (vgl. hierzu Krohn/Küppers 1989: 36-40). Die Entstehung von Randzonen und Umweltgrenzen ist dabei aber nicht nur auf den Kommunikationsaspekt wissenschaftlicher Erkenntnis zurückzuführen, sondern beruht im Wesentlichen auch auf der reflexiven Komponente der Überzeugungen und Einstellungen der Forschungsgruppe, welche die Ausbildung und Schärfung der Gruppenidentität durch den (notwendigen) reflexiven Abgleich von Fremd- und Selbstbild, im Sinne einer auf die Forschungsgruppe bezogenen Können-Dimension, beinhaltet (vgl. Krohn/Küppers 1989: 36-40; Schimank 2004: 293). »Fremd- und Selbstbild definieren dort, wo sie zusammenfallen, eine Grenze zwischen System und Umwelt. Ihre Nicht-Koinzidenz konstituiert dagegen eine Randzone als sozialen Raum, über den weder die Forschungsgruppe noch die Umwelt vollkommen verfügen kann. In dieser Randzone werden die Divergenzen zwischen Selbst- und Fremdbild verhandelt und als Randbedingungen formuliert, d.h. die Differenz zwischen System und Umwelt wird als soziale Vereinbarung über Zuständigkeiten festgelegt. Entscheidend für die Theorie selbstorganisierender Systeme ist, daß die Randbedingungen in einem rückkoppelnden Bezug zur Systemdynamik stehen.« (Krohn/Küppers 1989: 43f.)
Der Verweis auf den rückkoppelnden Bezug von Umwelteinflüssen auf die Dynamik des Systems bzw. der Forschungsgruppe gibt zugleich einen Hinweis auf den Vorgang der (akteurbasierten) Selbststeuerung der Forschung, welcher mit der reflexiven Komponente in Verbindung gebracht werden kann. Die reflexive Komponente bildet und schärft durch den (notwendigen) Abgleich von Fremd- und Selbstbild die Identität einer Forschungsgruppe. Diese Identität, als Identität einer auf gemeinsamen Interessen beruhenden Organisation, ist dabei – ähnlich wie bei individuellen Akteuren – über den Abgleich des Fremd- und Selbstbildes als ein prozessual dynamisches Interaktionskonstrukt zu verstehen, das im Hinblick auf die (erfolgreiche) Entstehung von Identität eine geeignete Balance zwischen Selbstbild und Fremdbild herstellen muss; und zwar auf Basis eines erfolgreichen Abgleichs des Wollens, Sollens und Könnens. Die für den weiteren Fortbestand der Gruppe notwendige Behauptung der Identität kann dabei als Handlungsantrieb angesehen werden, der in diesem Sinne auf eine Selbststeuerung hinsichtlich der erfolgreichen Identitätsbalance verweist. Denn ohne Selbststeuerung im Sinne einer erfolgreichen, ausbalancierten rekursiven Verflechtung von Selbstbild (Selbstwahrnehmung auf Basis der Wollen- und Sollen-Dimension) und Fremdbild (soziale Bestätigung entlang der Können-Dimension) kann die Identität der Forschungsgruppe nicht ausgebildet und aufrechterhalten werden (vgl. hierzu Schimank 2000: 125ff.; Mayntz/ Scharpf 1995: 56f.; siehe auch Abels 2010; Krappmann 2000). Ist in diesem Kontext dabei vor allem die Identitätsaufrechterhaltung und -behauptung als Handlungsantrieb der Forschungsgruppe anzusehen, so verweist dieser Aspekt auch auf die angeführte Handlungsfähigkeit von Organisationen (vgl. Kap. 2.2.1) und die
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hiermit verbundene Abarbeitung von Intentionsinterferenzen in den von Krohn/ Küppers (1989: 43f.) angeführten Randzonen. Diese Randzonen können als Interpenetrationszonen angesehen werden, innerhalb derer die jeweiligen Organisationsmitglieder, als aktive Rollenspieler in den Akteurkonstellationen der Interpenetrationszonen, ihre Interessen in Abhängigkeit von den unterschiedlichen Einflusspotenzialen und auf Basis der Motivation ihres Einzelhandelns (Wollen-Dimension) sowie der fiktionalisierten Als-ob-Konstruktionen der kontingenzreduzierenden Rationalitätsprinzipien ihrer Organisation (Sollen-Dimension) gegenüber anderen durchzusetzen versuchen (Können-Dimension). Dies entspricht in gewisser Weise dem identitätsbehauptenden Balanceakt zwischen Selbst- und Fremdbild (vgl. hierzu Kron 2004a: 45ff.; Münch 1984: 7-20; 1991: 285-288, 360f., 1996a: 48-56; Schimank 1985: 427-430; 1988: 633ff.). Dass die von Krohn/Küppers (1989: 43f.) angeführten Randzonen hier tatsächlich als Interpenetrationszonen aufgefasst werden können, innerhalb derer in Akteurkonstellationen eine Abarbeitung von Intentionsinterferenzen stattfindet, kann darauf zurückgeführt werden, dass die Handlungen von Forschern eben nicht nur in der Forschungsgruppe stattfinden, sondern auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen (vgl. Krohn/Küppers 1989: 44), wobei diese Umwelten »[f]ür eine Forschungsgruppe […] nicht erst außerhalb der Wissenschaft [beginnen; A.B.], sondern außerhalb der Forschungsgruppe; es gibt also wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche sowie hybride Umwelten« (Krohn/ Küppers 1989: 68). Die wissenschaftliche Umwelt setzt sich u.a. aus anderen Forschungsgruppen zusammen, was aus einer historischen Betrachtung, wie sie bspw. bei Luhmann (1992a) oder Stichweh (1979, 1994) bzgl. der Ausdifferenzierung von Wissenschaft vorliegt, hervorgeht. Darüber hinaus stehen Forschungsgruppen auch einer nicht-wissenschaftlichen Umwelt gegenüber, wie dies u.a. am Beispiel der notwendigen externen Finanzierung der Forschung durch Politik und Wirtschaft in Form von staatlichen und/oder privaten Angebotsentscheidungen und Nachfrageorientierungen oder dem generellen Legitimationsdruck der Wissenschaft gegenüber der Öffentlichkeit (die gesellschaftliche Relevanz und den gesellschaftliche Nutzen wissenschaftlicher Leistungen und Produkte betreffend) deutlich wird (vgl. Krohn/Küppers 1989: 70, 87-95, 109-121). Als Beispiel für hybride Umwelten können u.a. die unterschiedlichen beruflichen Tätigkeitsfelder in der wissensbasierten Wirtschaft angesehen werden, da hier »die Verwertung des wissenschaftlich erzeugten Wissens […] in Praxisfeldern statt[findet], die zwar unabhängig von der Wissenschaft existieren, aber mehr oder weniger stark unter ihrem Einfluß stehen [Herv. i.O.]« (Krohn/Küppers 1989: 100f.). Da also jedes Mitglied der Forschungsgruppe auch stets über die Grenze der eigenen Forschungsgruppe hinaus in die Umwelt hinein handelt – wobei diese Handlungen dann eben nicht primär den rekursiven gruppeninternen Interaktionen zuzurechnen sind –, existiert auch ein Einfluss dieser Umwelthandlungen auf das eigene Forschungshandeln, und zwar insofern, als »[j]eder Forscher [selbst] entscheidet […], welche der [aus der Umwelt;
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A.B.] […] gewonnenen Informationen er als Input in der Gruppe verwendet, und die Gruppe entscheidet dann über ihre normale Mechanismen über die Verwendung dieser Informationen« (Krohn/Küppers 1989: 44). Und dies eben über das Handeln der spezifischen Rollenspieler in den systemgrenzenvermischenden Interpenetrationszonen, wobei die dort stattfindenden Austausch- und Intentionsabarbeitungsprozesse in den Akteurkonstellationen, aufgrund der pluralen Organisationszugehörigkeit der Mitglieder als Resultat der Organisationsgesellschaft, wiederum organisationsintern weiterkommuniziert und -verarbeitet werden und sich die Forschungsgruppe aufgrund der so generierten Handlungsfähigkeit eben selbststeuern kann. Selbststeuerung bezieht sich somit auf den Prozess der gruppenspezifischen (eigenen) Entscheidungsgewalt über die Verwendung von Umweltinformationen bzgl. der (potenziellen) Relevanz für die Produktion von Erkenntnis. Also über ([nicht-] wissenschaftliche) Rückkopplungsprozesse auf Basis der prozessualen Konstruktion von Randzonen zwischen den einzelnen Bereichen (Systemen), die kognitiv – im Sinne eines problem- und lösungsorientierten Handelns bzw. der Anregung eines solchen – auf den Forschungsprozess rückwirken (sog. Umweltschleifen) (vgl. Krohn/Küppers 1989: 66f.). Hinter diesem Prozess steht die grundsätzliche Annahme, dass »alle sozialen Interaktionen der Wissenschaftler« – gemeint sind hier sowohl Forschungshandeln, als interdependente Interaktion in Forschungsgruppen mit der Absicht, Wissen zu erzeugen, sowie Wissenschaftshandeln, als umweltbezogenes Handeln zur Sicherung der Fortsetzung der wissenschaftlichen Arbeit – »Rückwirkungen auf die Art haben, sich wissenschaftlich mit einer Sache zu befassen« (Krohn/Küppers 1989: 68). Und dies ist auch der »grundlegende Mechanismus« bzgl. der Strukturierungsprozesse zur Wahrung der Autonomie von Forschungsgruppen, denn diese kann nur dann weiterhin gewährleistet werden, wenn durch Strukturierungsprozesse zwischen den Forschungsgruppen bzw. dem Wissenschaftsbereich und den Umwelten neue soziale Randbedingungen – eben durch Rückkopplung und Umweltschleifen – geschaffen werden: »Die Wissenschaftler einer Forschungsgruppe handeln in die Umwelt hinein, um die Bedingungen der Fortsetzbarkeit ihrer Forschungsarbeiten zu sichern. Daher versuchen sie ständig, ihre Umwelt durch Erhöhung des eigenen Einflusses für sich günstig zu gestalten sowie die eigenen Forschungen auf die erwarteten Umweltbedingungen einzustellen. Dieses Umwelthandeln […], das wir […] Wissenschaftshandeln nennen […], unterscheidet sich von den rekursiven Interaktionen des Forschungshandelns. Die entsprechenden Handlungsfelder sind nicht die der Wissensproduktion, sondern solche des Publikationswesens, der Wissenschaftspolitik, spezielle Praxisfelder etc. Da andere Wissenschaftler und Nichtwissenschaftler mit entsprechenden und konkurrierenden Absichten in diesen Umwelten operieren, ergeben sich wieder ›Ränder‹, über die keiner verfügen kann, die aber ihrerseits eine gewisse Autonomie ausbilden. […] Da die Umwelt sozialer Systeme wieder aus sozialen Systemen besteht, wird im sozialen Rand der Kompromiß zwischen den in einem Bereich um Gestaltungskompetenz
170 | CAMPUS S HOOTINGS konkurrierenden Systemen ausgehandelt. In der Wissenschaftspolitik z.B. werden die Ansprüche der Politik an die Wissenschaft und umgekehrt die der Wissenschaft an die Politik formuliert, aufeinander bezogen und als soziale Randbedingungen festgelegt. Da keines der beiden Systeme über den Rand allein verfügen kann, entwickelt dieser seine eigene Dynamik und ist in diesem Sinn autonom. […] Durch die Randbedingungen werden beide Systeme entsprechend strukturiert – die Wissenschaft muß politischen Bedürfnissen Rechnung tragen, die Politik muß die Belange der Wissenschaft berücksichtigen. Im Sinne dieser Umweltstrukturierung wird das eine System zur günstig gestalteten Umwelt, zum Milieu des anderen. [Herv. i.O.]« (Krohn/Küppers 1989: 71f.)
Die hier angesprochenen Handlungsfelder des Publikationswesens, der Wissenschafts- bzw. Forschungspolitik, die Anbindung an den Arbeitsmarkt durch spezielle Praxisfelder oder auch die Bildung wissenschaftlicher Gemeinschaften, welche als Produkt aus dem umweltübergreifenden Wissenschaftshandeln und den hieraus entstehenden Randzonen zwischen den Systemen entstehen, entsprechen also gestalteten Umwelten und unterliegen spezifischen Bedingungen. Diese Bedingungen basieren auf einer interaktiven Aushandlung der beteiligten Akteure auf Basis der durch Kompromiss ausgehandelten Organisation der Kooperation der an der Randzonenbildung beteiligten Bereiche; sprich auf dem Prozess des Organisierens (vgl. hierzu Krohn/Küppers 1989: 43f., 73-95, 100-109; Weick 1985: 11). Die in den Randzonen entstehenden wissenschaftlichen Handlungsfelder als autonome Gebilde sind dabei in Anlehnung an Münch (1984: 7-20) nichts anderes als aus dem Konglomerat der interpenetrierenden Subsysteme entstehende Institutionen als Vermittlungssysteme, die über die Ausbildung spezifischer institutioneller Muster wiederum einen Orientierungsrahmen für das (weitere) Handeln der Akteure generieren.13 Institutionen vermitteln zwischen den beteiligten Bereichen und definieren über die Setzung der spezifischen Randbedingungen den Kontext der sozialen Handlungen (Wissenschaftshandeln und Forschungshandeln) der beteiligten Akteure, indem der Kontingenzraum der Handlungen über Erwartungen und Erwartungserwartungen reduziert wird. Ähnlich dem Bildungsprozess von Forschungsgruppen werden auch hier die spezifischen Randbedingungen über die rekursiven Interaktionen der Akteure bzgl. der Aushandlung dieser in zeitlicher Hinsicht relativ stabilen und dauerhaften Bedingungen ausgebildet. Somit kann hier von einer institutionalisierten Regelsetzung gesprochen werden, derzufolge die entstandenen Milieus im Wissenschaftsbereich eben als wissenschaftliche Institutionen angesehen werden können, die aufgrund der fundamentalen Bedeutung für den Wissenschaftsbereich – durch 13 Der Akteurbezug resultiert hierbei aus der von Krohn/Küppers (1989: 72) gegebenen Definition des Randes als »soziale[r] Raum […], in dem die System-Umwelt-Beziehungen durch Konsensbildung zwischen den im Rand handelnden Personen als Randbedingungen festgelegt werden«.
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die stetige und konsequente Vernetzung unterschiedlicher wissenschaftlicher und nicht-wissenschaftlicher Umwelten – dauerhaft verankert werden müssen (vgl. hierzu Krohn/Küppers 1989: 42ff.; Lepsius 1995: 393ff., 1997: 57f.; Luhmann 1992b: 90; Nickel 2007: 82; Schwinn 2001: 350). Die Bildung wissenschaftlicher Institutionen aus den Zusammenschlüssen, Interaktionen und Vernetzungen der organisierten Forschungsgruppen verweist zugleich auf deren Wechselwirkung: »[Betrachtet man; A.B.] das Wissenschaftssystem aus der Perspektive der Forschungsgruppen […] [können] [d]ie in die Umwelt der Forschung gerichteten Aktivitäten der Forscher (Wissenschaftshandeln) […] als Wechselwirkungen zwischen den Forschungsgruppen verstanden [werden], deren Träger die Institutionen der Wissenschaft sind. [Herv. i.O.]« (Krohn/ Küppers 1989: 128f.)
Die wissenschaftlichen Institutionen des Publikationswesens, der Wissenschaftsbzw. Forschungspolitik, der Anbindung an den Arbeitsmarkt über Praxisfelder, der scientific community (Kongresse, Tagungen etc.) stellen hierbei Agenturen für die Wechselwirkungen der Forschungsgruppen dar (vgl. Krohn/Küppers 1989: 129). »Betrachtet man das Wissenschaftssystem […] aus der Perspektive der Institutionen, [die] […] ähnlich wie die Forschungsgruppen selbst aktive Komponenten sind […] läßt sich auch über diese Institutionen das Wissenschaftssystem konstruieren. Bei den Wechselwirkungen zwischen den Institutionen treten nun die Forschungsgruppen als deren Träger auf und vermitteln die Vernetzung der Konstruktionen des Institutionensystems. Als Agenturen leisten die Forschungsgruppen dabei die Kopplung zwischen den Institutionen: Sie nehmen etwa den Impuls für eine Beteiligung an einem Forschungsprogramm auf und erzeugen als Produkte Publikationen, die in den einschlägigen Institutionen erscheinen […]. [Herv. i.O.]« (Krohn/ Küppers 1989: 129f.)
Neben den bisher genannten wissenschaftlichen Institutionen ist auch der Bereich der Lehre als eine derartige wissenschaftliche Institution anzusehen und über die lose Kopplung dieser Komponente mit dem Bereich der Forschung letztlich auch die Universität, als ein auf Organisation der Teile beruhendes »Milieu« (Luhmann 1992b). Dabei resultiert Lehre als wissenschaftliche Institution aus den wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Umweltschleifen sowie Rückkopplungen aus den Bereichen der Forschung, der Politik und der Wirtschaft. In klassischtraditioneller Weise liegt der wesentliche Bereich der universitären Lehre in der Ausbildung von Fachkräften, welche in historischer Betrachtung primär in den Bereichen des Rechtswesens, der Medizin, der Industrie und dem schulischen Erziehungswesen benötigt wurden (vgl. Ellwein 1985: 21-105; Krohn/Küppers 1989: 101f.). Die praxisbezogenen Anforderungen an diese Berufe stammen aus Politik und Wirtschaft, also aus nicht-wissenschaftlichen Umwelten. Das Fachwissen bzgl.
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der Ausbildung dieses qualifizierten Personals entstammt hingegen der Wissenschaft. Genauer: dem spezifischen Wissen einzelner Disziplinen, die wiederum als Zusammenschluss einzelner Forschungsgruppen angesehen werden können; also aus wissenschaftlichen Umwelten. Die benötigte Vermittlung des Fachwissens durch Lehre unterscheidet sich allerdings deutlich vom gängigen Forschungshandeln der einzelnen Forschungsgruppen einer Disziplin. Kurz gesagt geht es nicht mehr um Spezialwissen, um die Erforschung einzelner Probleme und deren Lösung, sondern um die Vermittlung der fachlichen Grundlagen, die zunächst einmal geordnet und sortiert – gewissermaßen katalogisiert (z.B. in Definitionen, Theorie[-systemen], Methoden usw.) – werden müssen (vgl. Krohn/Küppers 1989: 97). »[D]ie für die Forschung zentralen Dokumente der Aufsätze und Fachbeiträge [verblassen] und an ihre Stelle rücken die grundlegenden Werke« (Krohn/Küppers 1989: 98), wie Hand- oder Lehrbücher, Formelsammlungen, kommentierte Ausgaben etc. An dieser Stelle wandelt sich Forschungshandeln zu Wissenschaftshandeln, da sich die Ausbildung durch Lehre auf einen Personenkreis außerhalb des Forschungssystems und der Wissenschaft bezieht – Studierende werden schließlich erst im Verlauf des Studiums zu einem (zeitlich befristeten) Bestandteil der Wissenschaft – und somit ein Handeln in die Umwelt repräsentiert. Da aber auch hier »Wissenschaftler und Nichtwissenschaftler mit entsprechenden und konkurrierenden Absichten in diesen Umwelten operieren, ergeben sich wieder ›Ränder‹ über die keiner verfügen kann, die aber ihrerseits eine gewisse Autonomie ausbilden [Herv. i.O.]« (Krohn/Küppers 1989: 71). Das Zusammentreffen der unterschiedlichen Bereiche der Politik, Wirtschaft und Wissenschaft bzw. Forschung erzeugt also den Bereich Lehre als einen neuen sozialen Handlungsraum entlang der jeweiligen Ränder, sodass Lehre zu einer wissenschaftlichen Institution mit spezifischen Randbedingungen wird. »In den Universitäten ist besonders im 20. Jahrhundert die Ausbildung strukturiert und formalisiert worden [Die Darstellung der universitären Reformbemühungen zeigt allerdings, dass dies auch noch im 21. Jahrhundert mehr als aktuell ist; A.B.]. War anfangs das Prinzip des forschenden Lernens maßgeblich, ist es immer stärker durch eine curriculare Durchgestaltung der Lehre ergänzt, wenn nicht ersetzt worden. […] Wie in […] anderen […] Umweltschleifen hat also die relative Verselbstständigung des Umwelthandelns zugenommen. Dem eigenständigen wissenschaftlichen Zeitschriftenmarkt, Kongreßgeschehen und Ring programmentwerfender Institutionen entspricht in der Lehre die umfangreiche Curriculumplanung. Hier werden Lehrpläne und Prüfungsordnungen, Zulassungsprüfungen und Bewertungskataloge entworfen […].« (Krohn/Küppers 1989: 99)
Aber auch hier sind wiederum kognitive Rückkopplungen in den Bereich der Forschung existent: sei es durch neue Ideen, die im Laufe von Lehrveranstaltungen entstehen und als Input die Fokussierung neuer Forschungsbereiche bedingen können, oder durch die neue Publikationsmöglichkeit von Lehrbüchern, die den Bereich the-
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oretischer Forschung sowie der Theoriearbeit nicht nur als »ein selbstständiges Tätigkeitsfeld der Forschung« (Krohn/Küppers 1989: 97) hervorruft, dessen »Ausdruck […] die für viele Disziplinen charakteristische Spaltung in theoretische und experimentelle Zweige [ist,] die sich über weite Strecken unabhängig voneinander entwickeln können, weil die Ziele der axiomatischen Grundlegung und der Entdeckung neuer Tatsachen divergieren.« (Krohn/Küppers 1989: 97f.)
Generell lässt sich somit anhand der kognitiv rückwirkenden Umweltschleifen – und dies über die Lehre hinaus auch für die anderen gestalteten Umwelten (z.B. Publikationswesen, Wissenschafts- bzw. Forschungspolitik, Verknüpfung mit dem Arbeitsmarkt durch spezielle Praxisfelder, Bildung von scientific communities) – ein durchaus symmetrisches Verhältnis zwischen Forschungsgruppen und wissenschaftlichen Institutionen bzgl. der Konstruktion des Wissenschaftsbereichs konstatieren. Diese symmetrische Behandlung von Forschungsgruppen und wissenschaftlichen Institutionen bzw. Forschungshandeln und Wissenschaftshandeln verweist aber nicht nur auf den Prozess der Selbstorganisation der Wissenschaft, sondern aufgrund einer hyperzyklischen Verwobenheit von Organisationen (Forschungsgruppen) und Institutionen des Wissenschaftssystems auch auf die lose Kopplung der spezifischen Teilbereiche der institutionalisierten Organisation Universität (vgl. Krohn/Küppers 1989: 122-131). »Ein Hyperzyklus ist die zyklische Verknüpfung selbstorganisierter Systeme, so daß der Output des einen zum Input des anderen wird. Wegen ihrer Zyklizität sind Hyperzyklen wieder operational geschlossen. […] Die Komponenten eines sozialen Hyperzyklus sind […] in ihrer Reaktion unvorhersehbare Umwelten. Entsprechend sind die Verarbeitungsmechanismen der Komponenten für unscharfe Inputs entwickelt: Es sind die Interpretationsleistungen gegenüber ›von außen‹ eingeschleusten Informationen, versehen mit einem breiten Verarbeitungsinstrumentarium hinsichtlich der Immunisierung oder Transformation für eigene Zwecke […]. Der Funktionsgewinn dieses aus Rückkopplungen mit jeweils großen Unschärfen zusammengefügten Hyperzyklus ist die […] höhere Dynamik.« (Krohn/Küppers 1989: 125f.)
Entlang der bisherigen Ausführungen ist diese höhere Dynamik charakterisiert durch das Nebeneinander unterschiedlicher Teilbereiche, die sich zum einen selbststeuern und zum anderen durch ihren Zusammenschluss vielfältige Randzonen generieren, die selbst wiederum autonom sind. Für Universitäten bedeutet dies somit, dass sie intern durch eine plurale Autonomie dezentralisierter Einheiten charakterisiert sind, die sich aufgrund ihrer Autonomie zum einen selbststeuern, aber zum anderen – aufgrund der Erfüllung der extern zugewiesenen Funktion der Forschung und Lehre entsprechend dem gesellschaftlich legitimierten, institutionalisierten Rationalitätskriterium – organisieren müssen, um dann als von außen wahrgenommene
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(institutionalisierte) Organisation den externen Anforderungen gerecht werden zu können. Das Zusammenspiel der einzelnen Faktoren und die Auffassung von Universitäten als institutionalisierte Organisationen lose gekoppelter Teilbereiche können abschließend wie folgt veranschaulicht werden (vgl. Abb. 6). Abbildung 6: Universität als institutionalisierte Organisation lose gekoppelter Teilbereiche
Vgl. Krohn/Küppers 1989
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Ausgangspunkt dieser Beschreibungen ist zunächst der Bereich der Wissenschaft. Durch den interaktionalen und rekursiven Zusammenschluss einzelner Wissenschaftler entstehen vielfältige Forschungsgruppen als Teilbereiche der sie umfassenden wissenschaftlichen Umwelt. Wissenschaft als eigenständiger Bereich differenzierter Gesellschaften zeichnet sich durch eine operative Geschlossenheit über Kommunikationen bzgl. des wahren Gehalts von Aussagen, Erkenntnissen, empirischen Befunden etc. (kurz: Informationen) aus. Damit dieser Prozess aber tatsächlich funktioniert, bedarf es eines gewissen gemeinsamen Verständnisses, eines Regelkanons hinsichtlich dessen, was als wahr bzw. nicht-wahr definiert wird. Diese Definition unterliegt wiederum einer gemeinsam geteilten Auffassung hinsichtlich bestimmter Kriterien, die eine einheitliche Betrachtung von Forschungsergebnissen – über Aspekte der Theoriebildung, entsprechende (anerkannte) Methoden, empirische Überprüfbarkeit etc. – gewährleisten. Eine derartige Regelsetzung muss im Sinne einer allgemeinen Gültigkeit innerhalb der Wissenschaft von allen Mitgliedern der scientific community (als des transorganisationalen inneruniversitären Verbandes epistemischer Gemeinschaften) geteilt werden und benötigt, um in zeitlicher Hinsicht relativ (stabil) zu sein, eine dauerhafte Verankerung. Über den vernetzten und zu koordinierenden Zusammenschluss der einzelnen Wissenschaftler und ihrer Forschungsgruppen muss ein Rationalitätskriterium als Richtungsweisung des Forschungshandelns institutionalisiert werden, auf dessen Basis im weiteren Verlauf andere wissenschaftliche Institutionen entstehen, die konstitutiv für den Wissenschaftsbereich sind, wie bspw. die Entwicklung des Publikationswesens als zentrale Plattform wissenschaftlicher Kommunikation. Aber auch andere Umwelten beeinflussen in gewisser Weise das Feld der Wissenschaft. Allgemein kann hier jede Art von nicht-wissenschaftlichen Umwelteinflüssen genannt werden, da die Suche nach und Produktion von wahrem Wissen und neuer Erkenntnis auf äußere Einflüsse angewiesen ist. Ohne äußere Einflüsse, die als Input in den Wissenschaftsbereich gelangen, würde die Produktion von Erkenntnis, ähnlich der mittelalterlichen Situation, lediglich eine Reproduktion sein. Der Umwelteinfluss auf die Erkenntnisproduktion resultiert aus der Tatsache, dass Wissenschaftler bzgl. ihrer Handlungen auch in andere gesellschaftliche Teilbereiche eingebunden sind. Die entscheidenden Umwelteinflüsse stammen allerdings aus den Bereichen der Politik und der Wirtschaft, da diesen aufgrund des trilateralen Geflechts Wissenschaft-Politik-Wirtschaft eine bedeutende Rolle bzgl. direkter Einflussnahme zukommt. Nicht zuletzt durch die Forderung wissensbasierter Wirtschaften nach universitären Reformmaßnahmen wird eine starke Einflussnahme bedingt, die sich ebenfalls in der Bildung wissenschaftlicher Institutionen, aber diesmal aus dem Zusammenfall wissenschaftlicher und nicht-wissenschaftlicher Umwelten im Bereich dieser neu entstandenen Randzonen bilden, wie bspw. der Bereich (gezielter) Forschungspolitik oder die Einbindung wissenschaftlichen Wissens in den produktiven Arbeitsmarkt. Hier werden ebenfalls Randbedingungen durch
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Prozesse des Organisierens der Intentionsinterferenzen hin zu Koordination und (weitestgehendem) Konsens geschaffen, die wiederum über eine andauernde Beeinflussung als institutionalisiert angesehen werden können. Entlang der bisherigen Ausführungen betrifft diese – aus dem Zusammenspiel von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft resultierende – institutionalisierte Randbedingung eine wissenschaftliche Institution in besonderer Weise: die Universität. Die extern intendierten Anforderungen, als institutionalisiertes Rationalitätskriterium hinsichtlich der Zielsetzung der Universität, beruhen hierbei auf einer an Leistung und Effizienz gekoppelten Zuweisung finanzieller Mittel (Politik), der Definition dessen, was im Rahmen der Ausbildung als wünschenswert zu erachten ist (das employability-Kriterium der Wirtschaft) und wie dies im Rahmen der Organisation umzusetzen ist (die Rahmensetzung der Lehre durch die [Bildungs-]Politik), sowie der gesteuerten Vergabe gezielter, gesellschaftlich nützlicher und wirtschaftlich produktiver Forschungsaufträge. Diese Kriterien sind insofern als institutionalisiertes Rationalitätskriterium anzusehen, als die Erfüllung bzw. Verfolgung dieses extern intendierten Ziels gesellschaftlich legitimiert verankert ist. Das geforderte effiziente und effektive Handeln der institutionalisierten Organisation Universität hat sich über die gesellschaftlich relevanten Outputs der Nachwuchsausbildung samt employability, der Produktion technisch verwertbaren Wissens sowie wissenschaftliche Politikberatung zu vollziehen. Aufgrund der auch Universitäten inhärenten, aber durchaus gestaffelten pluralen Autonomie – die hohe Autonomie im Bereich der Forschung, die weiterhin autonome aber doch strikter vorgegebenen Bedingungen in der Lehre durch jeweilige Curricula und die im Verhältnis wesentlich striktere Definition der Verwaltungsanforderungen (vgl. Weick 1976: 5) – erhält diese als extern wahrgenommene Organisation die Erfüllung des institutionalisierten Rationalitätskriteriums insofern aufrecht, als sie darauf mit Dezentralisierung und somit Entkopplung von der starren statischen externen Struktur reagiert, was wiederum mit einer internen losen Kopplung (basierend auf der dezentralisierten internen Zielsetzung durch die einzelnen Teilbereiche) verbunden ist. Intern erfordert die Dezentralisierung in unterschiedliche Teilbereiche ebenfalls einen Prozess des selbstgesteuerten Organisierens, der aufgrund der losen Kopplung der Bereiche Lehre, Verwaltung und Forschung wiederum mit Rückkopplungseffekten durch die internen Umweltschleifen einhergeht. So beeinflusst der Bereich der Lehre bspw. in Form neuer Ideen oder nachrückenden wissenschaftlichen Nachwuchses den Bereich der Forschung, wobei dieser aufgrund der externen wie internen Anforderungen vor allem auf die Nachwuchsausbildung bspw. mit der Produktion von Lehrbüchern zu reagieren hat. Weiterhin beeinflusst der Bereich der Lehre aber den Bereich der Verwaltung, da erbrachte Leistung durch eine Prüfungsverwaltung etc. koordiniert werden muss. Und die Verwaltung – als von außen intendiert steuerbarer Bereich der Universität – wirkt auf die Lehre im Hinblick auf die Implementierung und Kontrolle der Umsetzung von Cur-
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ricula u.Ä. ein. Aber auch die Verwaltung ist an den Bereich der Forschung gebunden. Dies resultiert u.a. aus dem Sachverhalt, dass (und dies auch in historischer Betrachtung) Wissenschaftler Bestandteil der Forschung sind und letztlich über die Wahl von Kollegen zum Aufbau der Verwaltungs- und formalen Struktur von innen beitragen. Hier könnte in diesem Kontext auch davon gesprochen werden, dass die formale Struktur der Organisation Universität ein historisch bedingter Prozess der Institutionalisierung des Organigramms ist. Und auch die Verwaltung ist in gewisser Weise auf die Rückkopplungseffekte der Forschung (als primärer Angehörigkeitsbereich der Wissenschaftler) angewiesen, nämlich dann, wenn universitätsintern Fragen zu Zugangsberechtigungen oder Prüfungsmodalitäten geklärt werden müssen – dies geschieht zwar wiederum in bestimmten Gremien, die Entscheidung wird hier aber durch Wissenschaftler (meist in Form professoraler Vertreter) getroffen und nicht von reinen Verwaltungsangestellten. Angesichts dieses komplexen Geflechts, aus dem Universitäten als institutionalisierte Organisationen lose gekoppelter Teilbereiche hervorgehen, kann somit abschließend konstatiert werden: »[Universitäten; A.B.] […] sind in ein komplexes Netzwerk wechselseitiger Abhängigkeiten und Bedingungen eingebettet, aus dem – mindestens für den außenstehenden Beobachter – eine im Grunde unberechenbare diachrone wie synchrone Dynamik erwächst. Und so entstehen außer den intendierten Folgen externer Interventionen eine große Zahl nicht-intendierter Wirkungen.« (Clement 2003: 17)
4.4 Z USAMMENFASSUNG Die politisch intendierten Maßnahmen der Hochschulreformen, die auf eine effiziente, effektive und wirtschaftliche Produktion wissenschaftlichen Wissens abzielen und Universitäten somit als profitorientierte Wissensproduzenten auffassen, zielen – in Form der extern fixierten Rahmenbedingungen der Was-Komponente der Hochschulreformen – vor allem auf eine Veränderung des institutionellen Kontextes von Universitäten ab. Aufgrund der komplexen Struktur des Reformobjekts Universität ist die ausschließliche Auffassung derselben als Institution, auf die direkt steuernd eingegriffen werden kann, allerdings problematisch. Denn Universitäten nehmen in der Gesellschaft eine Doppelrolle ein: Aufgrund ihrer fundamentalen gesellschaftlichen Bedeutung hinsichtlich der Ausbildung der wissenschaftlichen Leitidee des Strebens nach Wahrheit und wahrem Wissen sowie der ihrem Erziehungs- und Bildungsauftrag inhärenten Leitidee von qualitativ guter Bildung (besseres Lernen) als einem gültigen handlungsprägenden Rationalitätskriterium kann Universitäten einerseits der Status von Institutionen zugesprochen werden. Andererseits sind Universitäten als (wissenschaftliche) Institutionen aber auch das Pro-
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dukt einer aus dem Zusammenspiel von Wissenschaft und anderen gesellschaftlichen Teilbereichen entstehenden gestalteten Umwelt, die aus dem Zusammenschluss mehrerer Forschungsgruppen und deren Einbettung in andere gesellschaftliche Teilbereiche resultiert. Angesichts der (akteurbasierten) Selektion externer Umweltprobleme zur internen wissenschaftlichen Bearbeitung und Erkenntnisproduktion bilden Forschungsgruppen in den dynamisch rückkoppelnden Randzonen der Wissenschaft somit nicht nur das konstitutive Element der Institution Universität, sondern – im Hinblick auf die Selektion der relevanten Umweltaspekte zur Erfüllung der wissensgenerierenden (Forschung) und -vermittelnden (Lehre) gesellschaftlichen Funktion – sind Forschungsgruppen, aufgrund ihrer Handlungsfähigkeit als organisierter Zusammenschluss von Akteuren, zentraler Bestandteil von Universitäten. Und insofern kann Universitäten auch der Status von (handlungsfähigen) Organisationen zugesprochen werden: eben auf Basis eines akteurbasierten Prozesses des Organisierens, innerhalb dessen durch die Abarbeitung von Intentionsinterferenzen und Interessenkonflikten normative Verhaltensvorgaben ausgebildet werden, die den komplexen Kontingenzraum der Handlungen reduzieren und aufgrund dieser handlungsprägenden Struktur die Ausrichtung der Mitglieder auf die Ziele der Forschung und Lehre ermöglichen. Und die für den Strukturerhalt notwendige Konfliktbewältigung dieser zwei gleichermaßen zu verfolgenden Ziele kann dabei nur aufgrund der Handlungsfähigkeit von Akteuren und deren Zusammenschluss in organisationalen Teilgebilden – die universitätsintern getrennten, aber lose gekoppelten Teilbereiche der Forschung und Lehre – erfüllt werden. Dabei ist die Handlungsfähigkeit der Organisation Universität zugleich an das institutionalisierte Rationalitätskriterium der Institution Universität und deren institutionalisierte Regelsetzung gebunden. Diese institutionalisierte Regelsetzung fungiert gleichzeitig als von außen wahrgenommene und gesellschaftlich legitimierte rationale Arbeitsweise von Universitäten, die im Hinblick auf deren formale Struktur als (statische) Blaupause angesehen werden kann. Die in den Hochschulreformen beschlossenen und angestrebten, auf Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit ausgerichteten Restrukturierungsmaßnahmen der Was-Komponente zielen dabei auf eine Veränderung dieser statischen formalen Struktur zur Anpassung an die dynamischen Umweltanforderungen. Die tatsächliche Umsetzung obliegt in der WieKomponente der Reformen aber den Universitäten selbst. Und hier kommen die Komplexität des Reformobjekts Universität und die hieraus resultierende Problematik einer als extern aufgefassten direkt regelbaren politisch intendierten Steuerung von Universitäten zum Tragen: Denn entgegen den von außen wahrgenommenen, festgelegten und gesellschaftlich legitimierten (statisch-)hierarchischen Zuständigkeiten hinsichtlich der formalen Struktur von Universitäten zeichnen sich diese intern durch eine enorme Dynamik aus, die aus der akteurbasierten Selbststeuerung und Selbstorganisation im Hinblick auf die unterschiedlichen externen Anforderungen von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sowie der internen Verflechtung der
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dezentralisierten, lose gekoppelten und jeweils autonomen Teilbereiche der Forschung und Lehre resultiert. Denn bei der Verfolgung und Erfüllung des auf der institutionalisierten Regelsetzung beruhenden Ziels der auszubauenden und wirtschaftlich vermarktbar zu gestaltenden Forschung und Lehre handelt es sich nicht wie von außen wahrgenommen um ein Ziel, sondern de facto um zwei Ziele. Und zwischen diesen beiden Zielen muss universitätsintern ein, die Leistungsfähigkeit der Organisation minimierender, Zielkonflikt durch Schaffung eines Kompromisses vermieden werden. Im Kontext der zu implementierenden Managementstrukturen und Steuerungselemente zur effizienten Umsetzung der externen Zielvorgaben und der hierfür zusätzlich extern zu akquirierenden und intern zu verteilenden Mittel wird diese Kompromissbildung aber gleichzeitig durch den dritten Teilbereich der Verwaltung, als nach den externen Zielvorgaben über Rechenschaftsablegung, Controlling und Evaluationen (intern) steuerndes Element, flankiert. Während universitätsintern demnach die extern intendierten und geforderten Ziel- und Leistungserfüllungen von wirtschaftlich vermarktbarer (Auftrags-)Forschung und (ökonomisch qualitativ) vermitteltem Wissen einen enormen Aufwand des Organisierens, Abstimmens und Aushandelns der autonomen, aber über Rückkopplungseffekte voneinander abhängigen Teilbereiche der Lehre, Forschung und Verwaltung erfordern, müssen Universitäten dem extern definierten Mythos einer auf Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit beruhenden Organisation mit klar vorhandener hierarchischer, formaler Struktur aus Legitimitätsgründen weiterhin nachkommen. Da Universitäten aufgrund ihrer spezifischen Doppelrolle aber weder gänzlich als eine Institution noch als eine Organisation aufgefasst werden können, sondern als den gesellschaftlichen Mythos einer rationalen Arbeitsweise erfüllende institutionalisierte Organisation lose gekoppelter Teilbereiche verstanden werden müssen, resultieren aus diesem Geflecht vielfältiger (interner wie externer) reziproker Abhängigkeiten und deren inhärenter Dynamik intra-universitäre Inkonsistenzen hinsichtlich des extern intendierten direkt steuerbaren Reformobjekts Universität: Aufgrund der Komplexität von Universitäten als institutionalisierten Organisationen lose gekoppelter Teilbereiche ermöglicht und begünstigt diese Komplexität die Entstehung nichtintendierter, auf dem Aspekt indirekter Steuerung beruhender Reformeffekte.
5. Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte der Hochschulreform »Universities are increasingly said to be run like businesses […]. Business-related concepts such as ›efficiency‹, ›performance measurement‹ and ›auditing‹ have invaded the academic lexicon […]. Their advancement fits the ideology of managerialism, which rests on the assumption that better (or more?) management – rather than better policies and technologies – is indispensable for safeguarding and enhancing the social contribution of public organizations, including universities […]. Many university research organizations now put greater pressure on their researchers and seek ways to manage them effectively. The concept of research performance and its appraisal has appeared as a beacon to direct these efforts […].« CÉLIO A.A. SOUSA/WILLEM F. DE NIJS/PAUL H.J. HENDRIKS (2010: 1440)
Anhand der bisherigen Ausführungen zur Ökonomisierung der Gesellschaft (vgl. Kap. 2) und den grundlegenden Reformmaßnahmen zur Ökonomisierung der Universitäten (vgl. Kap. 3) lässt sich nun eine Skizze derjenigen Folgen anfertigen, welche auf mit den Reformmaßnahmen verbundene Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte hinweisen. Diese Effekte, die einerseits auf den Kernannahmen des NPM und andererseits auf den in den Reformmaßnahmen integrierten Bestrebungen einer Hochschulstrukturreform basieren, sind den Bereichen intendierter und nicht-intendierter Effekte zuzuordnen, welche als Nebenfolgen des gesellschaftlichen und universitären Ökonomisierungsprozesses angesehen werden können.
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Aufgrund des kosmopolitischen Reformcharakters (u.a. die traditionelle Auflösung der Trennung Wissenschaft und Ökonomie bzw. eigene Bildungsstruktur und andere Bildungsstruktur) sind die nicht-intendierten Wirkungen bzw. Nebenfolgen der Reformmaßnahmen das Resultat des Territorialgrenzen überschreitenden MetaWandels der entgrenzten Hochschullandschaft, in dessen Zuge sich sowohl die jeweils (bildungs-)kulturellen Komponenten als auch Organisations- und Verfahrensabläufe gemäß der Restrukturierung verändern und wandeln (vgl. Beck 2004: 18ff.; Beck/Bonß/Lau 2001: 22-31; Steinert 2010). Im Kontext der (internationalen) Umstrukturierung der Hochschullandschaft lässt sich ein ontologischer Wandel konstatieren, in dem die Trennung zwischen Wissenschaft (Bildung als Kulturgut) und Ökonomie (Investition in Kapital und Renditenauszahlung) durch die Dominanz des ökonomischen Rationalitätsprinzips in der Wissenschaft u.a. in Form des neuen Paradigmas des »Humankapitals« oder des neuen Qualitätsbegriffs von Bildung und wissenschaftlichem Wissen (vgl. Kap. 3.3) aufgehoben wird (vgl. Beck/Bonß/ Lau 2001: 26-30, 37f.; Becker 1993; Münch 2009a, 2011a). »In diesem […] Rahmen verliert die Bildung zwangsläufig ihre feste Bindung an nationale Traditionen, sie muss sich von lokalen Partikularitäten befreien und universell verwertbar sein. Das Paradigma ›Humankapital‹ erfüllt diese Bedingung weit besser als das Paradigma ›Bildung als Kulturgut‹.« (Münch 2009a: 36)
Dieser Umstrukturierungsprozess verläuft allerdings nicht folgenlos, denn in dem Maße, in dem Bildung zu einem individuellen Gut wird, das auf einem globalen Markt nach dem Angebot-Nachfrage-Prinzip gehandelt werden kann und somit eine internationale Einheitlichkeit seiner Währung (quantitatives Wissen) durch die Strukturen selbst produziert und reproduziert (vgl. Münch 2010: 50), werden »Elemente des neuen Paradigmas […] angelagert, ohne dass die des alten beseitigt würden. [Es; A.B.] […] entstehen Hybride mit nichtintendierten Wirkungen.« (Münch 2009a: 60) Die so entstehenden Hybride werden hier in definitorischer Hinsicht als Zusammenfall zweier zuvor getrennter Bereiche aufgefasst, aus deren »Verbindung« oder »Mischung« eine neue Form (der Hybrid) resultiert, wobei im gleichen Zug die ursprünglichen Formen nicht (zwangsweise) ersetzt werden, sondern weiter bestehen bleiben (können) (vgl. Evers/Ewert 2010: 103; Latour 1993: 78; Nederveen Pieterse 1994: 165).1 Mit dieser Definition ist zugleich eine gewisse Neutralität hin1
Diese Definition des Terminus Hybrid ist zugegebenermaßen recht basal angesiedelt, scheint aber zugleich auch den ›gemeinsamen Nenner‹ unterschiedlicher Konzepte in Unabhängigkeit von ihrem weiteren theoretischen Fokus zu bilden (siehe Kron 2015). Auch Latour (1993: 78), als wohl prominentester Begründer eines soziologischen Hybriditätsbegriffes, fasst Hybride als »mixture of […] two pure forms [Herv. i.O.]« auf. An
R ESTRUKTURIERUNGS-
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sichtlich der gesellschaftlichen Anerkennung und Akzeptanz von Hybriden verbunden: Hybride können somit zunächst einmal gesellschaftlich anerkannt als auch nicht anerkannt sein.2 Ein weiterer Vorteil dieser grundlegenden (neutralen) Auffassung von Hybriden besteht darin, dass sie auch mit dem Konzept globaler moderner Gesellschaften und somit auch mit den bereits in den vorherigen Teilen der Arbeit angesprochenen gesellschaftlichen (strukturellen) und universitären (organisationalen) Ökonomisierungsprozessen kompatibel sind (vgl. Beck 2008; Beck/Bonß/Lau 2001: 11-59; Brandsen/van de Donk/Putters 2005: 749-758; Evers/Ewert 2010: 103; Nederveen Pieterse 1994: 165ff.). Die Anbindung von Hybriden an globale moderne Gesellschaften ist hier insofern möglich, da die im Kontext der Hochschulreformen entstandenen strukturellen und organisationalen Hybride – wie sie im Folgenden an den Aspekten der Einführung von Quasi-Märkten (Kap. 5.1) und dem Konzept der unternehmerischen Universität (Kap. 5.2) exemplifiziert werden – das Resultat gescheiterter Institutionalisierungsgestaltungen sind. Das Scheitern der einstigen Institutionalisierungen (als bewerteter Effekt) und die Wahrnehmung des Scheiterns durch die politischen Akteure beruhen hierbei auf transintentionalen Gestaltungsbemühungen, deren retrospektive Anerkennung und Bewertung die etablierten Strukturen und Prozesse außer Kraft setzen und die Entscheidungsträger dazu zwingen, neue Strukturen und Prozesse zu entwickeln, die im Kontext moderner globaler Gesellschaften einer integrierenden, Grenzen aufhebenden (kosmopolitischen) sowohl-als-auch-Lösung entsprechen (vgl. Kron 2003a: 72-76, 2003b: 408dieser Stelle soll aber darauf verwiesen werden, dass eine an Latour angelehnte Vorgehensweise zur Beschreibung von Hybriden in dieser Arbeit nicht vorgenommen wird. Dies soll keineswegs bedeuten, dass eine Betrachtung der gesellschaftlichen und universitären Ökonomisierungsprozesse, welche gemäß der zugrundeliegenden These eine (potenzielle) Bedingung zur Begehung von Amokläufen an Hochschulen darstellen, gemäß der latourschen Vorgehensweise und über Aspekte der Actor-Network-Theory (ANT) nicht möglich wäre. Denn letztlich braucht man nach Latour (2007: 245) in jenem Bereich, in dem sich aus dem Zusammenfall von Grenzen neue Formen (Hybride) bilden, die ANT. Aus Gründen andersartig gelagerter theorieimmanenter Prämissen, die sich eben nicht explizit auf individuelle menschliche Akteure beziehen – wie es hingegen in der vorliegenden Arbeit durch eine handlungstheoretische Einbettung der Fall ist –, wird eine ANT-gelagerte Analyse von campus shootings nicht vorgenommen. 2
In gewisser Weise ist hier eine weitere Abgrenzung zum latourschen Hybridbegriff zu sehen, da sich Latour (1993, 2007) vor allem auf die gesellschaftlich inhärente NichtAnerkennung von Hybriden bezieht, was bei ihm in letzter Konsequenz auch zu der Aussage »We Have Never Been Modern« führt. Diese negativ konnotierte Auffassung von Hybriden im Kontext gesellschaftlicher Akzeptanz resultiert daraus, dass diese nicht eindeutig kategorisierbar sind, weshalb in modernen Gesellschaften ein steter Reinigungsprozess dieser »mixtures« erfolgt.
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411, 2010: 161ff.; Schimank 2003a: 246-251). Lösungen, die sowohl aus alten als auch aus neuen Elementen bestehen können und damit hybriden Charakter annehmen. Strukturelle und organisationale Hybride können somit auch, gemäß der hier vertretenen Auffassung, als aus dem steten Modernisierungsprozess hin zu Wissensgesellschaften resultierende, nicht-intendierte »Nebenfolgen zweiter Ordnung [Herv. i.O.]« (Beck/Bonß/Lau 2001: 32), auf Basis der transintentionalen Gestaltungsbemühungen, angesehen werden (vgl. Schimank 2003a: 247). Diese sind nicht nur aus dem gesellschaftlichen Entwicklungsprozess selbst entstanden, sondern können zugleich auch als anerkannte, positiv konnotierte und gesellschaftlich legitimierte Lösungen der bis dato von innen heraus in Frage gestellten Funktionalität gesellschaftlicher Institutionen angesehen werden (vgl. Beck 1996: 26f., 69; Beck/ Bonß/Lau 2001: 32f.; Böschen/Kratzer/May 2006: 13f.; Heidbrink 2010: 5; Kron 2010: 160). Übertragen auf den Gegenstandsbereich der Universitäten wird deren Funktionskrise im Rahmen der gesellschaftlichen Weiterentwicklung und der Problematik einer konstatierten statischen allgemeinen Struktur öffentlicher Verwaltungen und Einrichtungen als Nebenfolge erkannt, woraus die Übertragung von NPM auf diese Strukturen resultierte. Universitäten mussten somit in eine neue Struktur eingebettet werden, um das produzierte wissenschaftliche Wissen auf dem globalen Markt nutz- und verwertbar sowie wettbewerbsfähig zu machen. Die hieraus entstehende Struktur des Quasi-Marktes (Kap. 5.1) kombiniert dementsprechend die traditionellen Strukturen universitärer Wissensproduktionen mit denen des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs, der Konkurrenz und einer zielgerichteten Steigerung der Qualität im Sinne einer erwarteten Bedürfnisbefriedigung bzgl. des ›gesellschaftlichen Profits‹ – und dies bedingt durch die externen Anforderungen der innovationspolitisch eingeführten Steuerung des Wissenschafts- und Universitätsbetriebes; eben aufgrund des erkannten Funktionsdefizits der bisherigen Strukturen (vgl. Kamiske/ Umbreit 2008: 23; Krönig 2007: 103-111; Mayntz 1973a: 91f., 2005: 43f.; Münch 2010: 50; Terhart 2000: 809). Im Kontext dieses durch den Zusammenfall der zuvor getrennten Bereiche Wirtschaft und Bildung bzw. Wissenschaft neu entstandenen Hybrids auf der strukturellen Ebene resultierte letztlich auch die intendierte Umstrukturierung der Universitäten hin zu ökonomisch orientierten Unternehmen (vgl. Münch 2011a: 68ff.). Auf der organisationalen Ebene zeigt sich dieser Prozess exemplarisch an der Form der »unternehmerischen Universität« (Maasen/Weingart 2006; Kap. 5.2). Deren hybrider Charakter zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass »es sich nicht mehr um reine Organisationsstrukturen, aber auch nicht um bloße Marktkontrakte [handelt], sondern um eigentümliche Mischgebilde, die für das Business der Zukunft charakteristisch sind« (Bolz 2012: 2; vgl. Brandsen/van de Donk/Putters 2005). Die prozessuale Entstehung dieser beiden Hybridformen ist also zunächst das Resultat nichtintendierter Nebenfolgen als Effekt des gesellschaftlichen Modernisierungsprozes-
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ses hin zu wissensbasierten Gesellschaften, in dessen Verlauf Funktionsdefizite erkannt und gelöst werden mussten. Die tatsächliche Implementierung dieser Hybride – auf Basis des NPM-gelagerten »drei-E-Modells« der Effizienz, Effektivität, Wirtschaftlichkeit – kann dann aber im weiteren Verlauf als durchaus positiv konnotierte, intendierte Nebenfolge angesehen werden, da das ursprüngliche »Unwissen über die Folgen [nun; A.B.] in den Dienst ihrer erwünschten Nützlichkeit gestellt [wird]. Die neoklassische Gleichgewichtstheorie der Märkte und der unternehmerischen Förderung des Gemeinwohls funktionieren nach diesem Gesetz der gewollten Nebenwirkungen von eigeninteressierten Handlungen.« (Heidbrink 2010: 6)
Dies ist wiederum kompatibel mit den Basisprämissen des NPM und den Hochschulstrukturreformen, was in Kapitel 3.3 als intendierte (erste) Ebene einer Ökonomisierung der Universitäten dargestellt wurde. Aus dem komplexen Geflecht »wechselseitiger Abhängigkeiten und Bedingungen« (Clement 2003: 17), in das unternehmerische Universitäten innerhalb des Quasi-Marktes sowie im Rahmen der trilateralen Verflechtung aus Wirtschaft-Politik-Wissenschaft eingebunden sind, »entstehen außer den intendierten Folgen externer Interventionen eine große Zahl nicht-intendierter Wirkungen« (Clement 2003: 17). Diese lassen sich nicht nur auf der organisationalen Ebene, z.B. die Bedrohung der akademischen Profession durch formal strukturelle Managementtechniken bzw. die Professionalisierung von Management, sondern auch auf der individuellen Ebene der Akteure ansiedeln. Der auf dieser Ebene entstehende (nicht-intendierte) Hybrid des »Homo academicus oeconomicus« (Peter 2010: 215; Kap. 5.4) ist es dann auch, welcher, gemäß der hier verfolgten These, im Geflecht der strukturellen, organisationalen und individuellen Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte Identitätsbedrohungen erfährt, die letztlich zu einem campus shooting (Kap. 6 und 7) führen können.3
3
Die folgende Darstellung der Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte anhand der ausgewählten Konzepte des Quasi-Markts, der unternehmerischen Universität und des homo academicus oeconomicus erhebt keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit bzgl. aller potenziell denkbaren (Aus-)Wirkungen einer ökonomisierten Hochschullandschaft. Dennoch können diese Effekte als durchaus gängig diskutierte Aspekte innerhalb des Forschungsdiskurses aufgefasst werden (siehe bspw. Schimank 2005d; Münch 2009a, 2011a; Maasen/Weingart 2006; Clark 1998, 2001; Slaughter/Leslie 1999; Le Grand 1991, 2007; Krücken/Meyer 2006). Die Schilderung des gesamten Komplexes der Restrukturierungseffekte würde aber wahrscheinlich einer Lebensaufgabe gleichkommen, da sich diese Diskussion im Verlauf der letzten Jahre im ganzen Bereich der kritischen Publikationen zu Bologna und dessen Folgen niederschlägt.
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5.1 U NIVERSITÄTEN IM Q UASI -M ARKT Im Zuge der Ökonomisierung von Universitäten wird Bildung zu einem Gut, das auf globalen Märkten individuell nach dem Angebots- und Nachfrageprinzip gehandelt wird. Dies beruht auf der hochschulreformbedingten Annahme der Implementierung eines marktbasierten universitären Wettbewerbs zur Lösung der extern konstatierten Ineffektivität von Universitäten, die zur Steigerung ihrer Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit selbst marktverwertbar gestaltet werden müssen. Die intendierte Einbettung von Universitäten in einen tatsächlichen, durch Angebot und Nachfrage sowie durch den Preismechanismus regulierten Markt erweist sich im hochschulischen Kontext, aufgrund nicht ausschließlich privater und profitorientierter Universitäten, einer weiterhin staatlichen Grundfinanzierung und einer Ausrichtung an extern vorgegebenen Ziel- und Leistungsvorgaben, allerdings nicht als realisierbar. Als Folge hieraus werden Universitäten in das hybride Gebilde des Quasi-Marktes eingebettet, der sich aus Elementen eines tatsächlichen ökonomischen Marktes sowie einer Planwirtschaft zusammensetzt und der eigentlichen Funktionsweise eines Marktes, aufgrund der Konkurrenz profitorientierter und nicht-profitorientierter Organisationen um begrenzte staatliche Mittel, nicht entspricht. Als Nebenfolge lässt sich eine Homogenisierungstendenz konstatieren, die auf der solitären Fokussierung auf Forschung als tatsächlich international vergleichbarer Leistungskategorie zur Verteilung finanzieller Ressourcen beruht. Der im Konzept der Wissensgesellschaft angelegte Gedanke des gesellschaftlichen Fortbestandes und der Weiterentwicklung aufgrund global wettbewerbsfähiger technologischer Weiterentwicklungen durch eine »systematic application of scientific knowledge to production of goods has greatly increased the value of education« (Becker 1993: 24). Hierdurch wird Bildung selbst zu einem individuellen und handelbaren Gut auf globalen Märkten nach dem Prinzip des Angebots und der Nachfrage (vgl. Münch 2010: 50). »Schaut man sich […] [diese Auffassung von Bildung und wissenschaftlichem Wissen als handelbare Güter auf einem globalen Markt; A.B.] allerdings einmal etwas genauer an, dann stellt man schnell fest, dass der Begriff ›Markt‹ meist ein Etikettenschwindel ist. […] Markt bedeutet […] oftmals nur, dass irgendein Wettbewerb um beschränkte Mittel stattfindet.« (Binswanger 2012: 39f.)
Unter »Wettbewerbsenthusiasten« (Binswanger 2012: 46), wie sie u.a. auch im Bereich der Vertreter und Verfechter des NPM zu finden sind, wird diese Annahme eines marktbasierten Wettbewerbs aber weiterhin zur Lösung der Ineffektivität staatlicher und öffentlicher Organisationen herangezogen und auf alle Bereiche im
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privaten und öffentlichen Sektor übertragen (siehe Bartlett/Roberts/Le Grand 1998; Le Grand 2007; Le Grand/Bartlett 1993), obwohl diese nicht dem direkten und freien Markt ausgesetzt werden können (vgl. Binswanger 2012: 44f.). Da auch den Universitäten, wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln beschrieben, eine Ineffizienz in Form einer Funktionskrise sowie mangelnde gesellschaftliche Legitimation hinsichtlich der Aufgabenerfüllung für den gesellschaftlichen Fortbestand und die Weiterentwicklung im Rahmen aufkommender knowledge societies attestiert wurde, wurde der »Wettbewerbsenthusiasmus« ebenfalls auf das Hochschulwesen als Bestandteil des öffentlichen Sektors übertragen. In Kombination mit den NPMSchlagworten Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit sowie einer Umstellung der Ressourcenverteilung im öffentlichen Sektor dringt die Formel »Wir brauchen mehr Wettbewerb […] [als; A.B.] beschwörendes Mantra in der zeitgenössischen Sozial- und Wirtschaftspolitik [Herv. i.O.]« (Rosa 2006: 82) im Zuge der Hochschulreformen in die universitäre Landschaft ein (vgl. Binswanger 2012: 44; Rosa 2006: 82). Ziel war und ist eine Schaffung und Steigerung von Wettbewerb unter den Universitäten, und zwar nicht nur bzgl. Bildung, Wissen oder etwa berufsqualifizierender Fähigkeiten und Fertigkeiten, sondern vorrangig um die im Rahmen der Restrukturierung zu verteilenden finanziellen Ressourcen. Mit dem Wegfall einer überwiegend staatlichen Finanzierung hin zu einem »Mix aus öffentlichen und privaten Quellen« (Alesi/Kehm 2010: 40) konkurrieren Universitäten somit um die Versorgung mit »öffentlichen Grundmitteln« (Lanzendorf/Pasternack 2009: 22) und darüber hinaus um zusätzliche finanzielle Ressourcen; z.B. in Form von (öffentlichen oder privaten) Drittmitteln oder eigenständiger (markttauglicher) Finanzierung bspw. in Form von Spin-offs und Start-ups (vgl. Clark 2001: 13). Mehr Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit sind in diesem finanziell gesteuerten Wettbewerb gleichzusetzen mit einer intendierten Konkurrenzzunahme unter den Beteiligten. Ein Konkurrenzgedanke, der sich zum einen auf die Überlegenheit von Märkten gegenüber der Ineffizienz von Staaten bezieht und zum anderen das Konzept einer »vertikalen Differenzierung« von Hochschulen als »hierarchisierende Unterscheidung der Hochschulen nach Gesichtspunkten ihrer Leistungsfähigkeit und Qualität« (Wissenschaftsrat 2010: 12) fruchtbar integrieren kann (vgl. Binswanger 2012: 23, 29). Spielt es laut Rosa (2006: 83) bei einer allgemeinen Betrachtung von Wettbewerb (-sfähigkeit) zwar »zunächst keine Rolle, ob diese Wettbewerbsfähigkeit darin besteht, eine bestimmte, objektiv messbare und sozial geforderte Leistung zu erbringen (Leistungswettbewerb), oder darin, sich erfolgreich gegen andere durchzusetzen (agonaler Wettbewerb) [Herv. i.O.]«, so beziehen sich Wettbewerb und Wettbewerbsfähigkeit im hochschulischen Bereich aber deutlich auf den Leistungswettbewerb. Dies resultiert sowohl aus dem Konzept der vertikalen Differenzierung als auch aus der definitiven Erfüllung gesellschaftlich und politisch geforderter Leistungen: nämlich technologischer Fortschritt durch wissenschaftliches Wissen zur Erhaltung und Steigerung der gesellschaftlichen Existenz auf globalen Märkten.
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Nun ist Wettbewerb innerhalb der Universitätslandschaft kein Novum, denn der »Wettbewerb zwischen Forschern ist seit jeher die Regel und ein grundlegender Motor dafür, dass der Erkenntnisfortschritt stetig vorangetrieben wird« (Münch/ Pechmann 2009: 67). Ebenso ist auch Konkurrenz kein Aspekt, der erst extern intendiert in den Bereich der Hochschulen und Wissenschaft implementiert werden muss, da »Konkurrenz keine genuin wirtschaftliche Form [ist]« (Kieserling 2010: 259). Diese Erkenntnis kann bereits auf Simmel (1995b) zurückgeführt werden, bei dem Konkurrenz als soziale Form in viele Bereiche der Gesellschaft (z.B. Wirtschaft, Liebe, Religion) eingeschrieben und relevant ist – eine klare und eindeutige Zuordnung zur Wirtschaft kann somit nicht konstatiert werden (vgl. Kieserling 2010: 259; Simmel 1995b: 221-225). »Tausch oder Konkurrenz […] müssen daher auch nicht aus der Wirtschaft übernommen werden, ehe sie in anderen Funktionszusammenhängen genutzt werden können. Sie sind vielmehr immer schon da, und zwar nicht etwa als Fremdkörper, eingeschleust durch neoliberale Politikideen, sondern aus eigenem Recht.« (Kieserling 2010: 259)
Konkurrenz als vergesellschaftendes Element, das sich nach Simmel (1995b: 224) durch die Verbindung subjektiver antagonistischer Ziele in der Menge der Mitkonkurrenten als Mittel zur Erreichung hiervon abgekoppelter höherer sozialer Werte als gesellschaftlicher Zweck charakterisieren lässt, kann somit auch als steter Bestandteil der Wissenschaft angesehen werden. Denn: »[D]ie Wissenschaft [ist] ein Inhalt der objektiven Kultur und als solcher ein selbstgenugsamer [sic!] Endzweck der gesellschaftlichen Entwicklung, der sich durch das Mittel des individuellen Erkenntnistriebes verwirklicht« (Simmel 1995b: 225). Und auch Bourdieu (1988) verweist im Kontext von intra- und inter-universitären Beziehungen auf Wettbewerb und Konkurrenz. Worauf sich diese Auffassungen von Wettbewerb und Konkurrenz innerhalb der Wissenschaft – und durch die Einbindung wissenschaftlicher Akteure in eine Organisation somit auch in Universitäten – beziehen, sind primär die klassischen Elemente von Reputation und symbolischem Kapital, die aus qualitativen Leistungen in Form von wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn und dem intrinsisch motivierten Streben nach Wahrheit sowie der Anerkennung dieser Leistungen innerhalb der community resultieren (siehe Bourdieu 1988; Luhmann 1992a; Münch 2007, 2009a, 2010, 2011a). Was sich also durch die Rahmenbedingungen der Hochschulreformen, des NPM und dem Wissensgesellschaften inhärenten Konzept der »Triple-Helix« ändert, ist nicht die Einführung von Wettbewerb und Konkurrenz in den Bereich von Universitäten und Wissenschaft, sondern eine Transformation dieser hin zu (international vergleichbaren) markttauglichen Wettbewerbs- und Konkurrenzformen auf Basis international einheitlicher und vergleichbarer Leistungen. Diese Transformation ist das Resultat der bereits dargestellten Ökonomisierung der Universitäten entlang der Nebencodierung des wissenschaftlichen Quali-
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tätsbegriffs durch einen wirtschaftlich verwendbaren Qualitätsbegriff. Und insofern muss der bislang reputationsgebundene Wettbewerb in traditioneller Hinsicht weichen und den neuerlichen wirtschaftlichen Rationalitätskriterien folgen (vgl. Pasternack 2008: 197). Sprich: Die qualitative Leistung von Universitäten und damit auch die Universitäten selbst müssen marktverwertbar gestaltet werden, damit Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit im Zuge des intendierten marktwirtschaftlichen Wettbewerbs tatsächlich erfasst werden können. Damit dies aber letztlich möglich ist, muss die bisherige qualitative Leistung in eine quantitativ messbare Leistung überführt werden, da im Kontext des künstlich geschaffenen Marktes und somit auch in Bezug auf eine internationale Vergleichbarkeit Zahlen die vorherrschende Sprache bilden (vgl. Binswanger 2012: 15). Dabei sind Zahlen in diesem Kontext nicht nur als Zahlen im Sinne von (Kenn-)Ziffern zu verstehen. Gemäß der Doppeldeutigkeit des Wortes kann Zahlen hier auch im Sinne einer geldbasierten Transaktion über die Zahlungsbereitschaft für ein spezifisches Gut aufgefasst werden. Die beschriebene Nebencodierung des Wissenschaftssystems (vgl. Kap. 3.3) ist mit dieser Transformation aufs engste verbunden, da durch die Intrusion des ökonomischen Qualitätsbegriffs in den Bereich der Wissenschaft auch die traditionelle wissenschaftliche und damit auch universitäre Qualität in eine externen Anforderungen entsprechende Produktqualität umgewandelt wird, wodurch wissenschaftliche und universitäre Qualität nun auf die Bedürfnisbefriedigung der externen Anforderungen umgestellt und durch die Kopplung an die qualitätsgebundene Zahlungsbereitschaft quantifiziert wird (vgl. Krönig 2007: 105; Luhmann 1994b: 47; Terhart 2000: 812; Vogel 2006: 451). Damit aber Zahlungsbereitschaft für die Qualität eines Produktes hergestellt werden kann, muss darüber hinaus auch die Summe der Produkteigenschaften bestimmt werden, die wiederum deren Qualität tatsächlich messbar werden lässt. Und dies geschieht im Bereich der Hochschulen u.a. über indikatorengestützte Mittelvergaben, welche nicht nur Qualität quantitativ bestimmbar werden lassen, sondern auch eine Vergleichbarkeit zwischen den Universitäten zulassen. Ein zentrales Instrument dieser indikatorengestützten Mittelvergabe sind Evaluationen der universitären Leistungen: Diese konzentrieren sich dabei auf unterschiedliche Teilbereiche, wie bspw. Absolventenzahlen, Anzahl eingeworbener Drittmittel, Anzahl der Publikationen sowie deren Stellenwert und Zitation im internationalen Kontext, die Anzahl abgeschlossener Promotionen oder auch die Anzahl der außerwissenschaftlichen Beziehungen zur Wirtschaft (vgl. Hornbostel 2006; Jaeger 2009; Münch 2007: 73-111; Teichler 2006). Anhand dieser Indikatoren wird die traditionelle wissenschaftliche Qualität quantifiziert, was somit (zumindest theoretisch) die Einführung von Marktstrukturen ermöglicht. Denn klassischerweise zeichnet sich ein freier und direkter (Güter-)Markt durch die Teilnahme privater Produzenten, die ein Gut anbieten, aus, wobei die Menge und Qualität des Gutes durch die Nachfrage der Konsumenten (hier politisch-administrative Führung, Wirtschaft und Gesellschaftsmitglieder) und deren Zahlungs-
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bereitschaft in Form eines an der Leistung gemessenen und bestimmten Preises (hier die tatsächliche Mittelzuwendung) spezifiziert wird. Dieser Preismechanismus sorgt schließlich für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage (Marktgleichgewicht) sowie für eine breit akzeptierte (minimale) Qualität des gewünschten Produktes – die Nichteinhaltung der Qualität wird ebenfalls durch den Preismechanismus sanktioniert und kann zu einem Marktausschluss der Produzenten führen (vgl. Siebert/Lorz 2007: 83f.; Wildmann 2010: 21ff.). Und lediglich vor diesem Hintergrund kann bezüglich der Einführung des marktbasierten Wettbewerbs(-gedankens)4 und der Konkurrenz im inter-universitären Bereich von einem Novum gesprochen werden, da der hiermit verbundene Leistungswettbewerb de facto ein marktwirtschaftlicher Leistungswettbewerb ist. Schließlich wird die Leistung (z.B. Forschungsprojekte, Absolventen- und Publikationszahlen) von Universitäten finanziell vergütet und mehr Leistung, z.B. in Form von Drittmittelvolumen oder Reputation, führt zu einem höheren Ranking5 in der Hierarchie der vertikalen Universitätsdifferenzierung. Höhere Ranglistenplätze wiederum werden durch höhere finanzielle Ausstattungen bzw. Zuweisungen belohnt. Allerdings erweist sich diese intendierte Implementierung einer tatsächlichen ›reinen‹ Marktstruktur im Kontext der Hochschulstrukturreformen und der damit einhergehenden Umstellung der Finanzierung von Leistung als nicht realisierbar. Dass das Prinzip eines direkten und freien Marktes im Bereich von Bildung und damit letztlich auch im Bereich wissenschaftlichen Wissens in Form von Lehre und For4
Der hiermit verbundene Grundgedanke einer staatlichen Ineffizienz und einer ausschließlich wirtschaftlich basierten Effizienz des Marktes prägt diesen Wettbewerbsgedanken, der allerdings auch nur unter der Annahme eines idealen Marktes zutrifft (vgl. Binswanger 2012: 23, 29, 44). Binswanger (2012: 30ff.) weist diesbezüglich zu Recht darauf hin, dass diese Auffassung hinsichtlich des inhärenten Zusammenfalls von Wettbewerb und Markt in der Realität de facto nicht haltbar ist: Markt und Wettbewerb fallen nur unter bestimmten Prämissen der ökonomische Theorie zusammen. Diese Prämissen sind jene des idealen Marktes, innerhalb dessen die vier Bedingungen (1) des unbeschränkten Markteintritts (vollständige Konkurrenz), (2) der vollständigen Information (vollständige Transparenz), (3) der nicht vorliegenden sachlichen und/oder persönlichen Präferenzen gegenüber anderen Marktteilnehmern (nur der Preis entscheidet) sowie (4) eines strikt rationalen Verhaltens aller Marktteilnehmer (das Idealbild des homo oeconomicus) erfüllt sein müssen (vgl. Binswanger 2012: 30f.). Eine Annahme, die bereits aufgrund der damit verbundenen und unterstellten perfekten Rationalität in sachlicher, sozialer und zeitlicher Hinsicht nicht zu realisieren ist (vgl. Schimank 2005b: 193f.).
5
In allgemeiner definitorischer Hinsicht handelt es sich bei Rankings um »lists of certain groupings of institutions (usually, but not always, within a single national jurisdiction), comparatively ranked according to a common set of indicators in descending order« (Usher/Savino 2006: 5).
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schung als an Universitäten produziertes Gut realiter nicht umsetzbar ist, kann folgendermaßen begründet werden: Wie bereits erwähnt, ist ein freier und direkter (Güter-)Markt durch die Teilnahme ausschließlich privater Produzenten, die ein Gut anbieten, gekennzeichnet, wobei die Menge und Qualität des Gutes durch die Nachfrage der Konsumenten und deren Zahlungsbereitschaft in Form eines bestimmten Preises spezifiziert wird. Dieser Preismechanismus sorgt schließlich für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage (Marktgleichgewicht) sowie für eine breit akzeptierte (minimale) Qualität des gewünschten Produktes – die Nichteinhaltung der Qualität wird ebenfalls durch den Preismechanismus sanktioniert und kann zu einem Marktausschluss der Produzenten führen (vgl. Siebert/Lorz 2007: 83f.; Wildmann 2010: 21ff.). Übertragen auf Universitäten könnte also nur dann von einem direkten Markt gesprochen werden, wenn ausschließlich private – d.h. vollständig eigenfinanzierte – Universitäten existent wären, die wissenschaftliches Wissen als Gut zu einem bestimmten Preis (bspw. über Studiengebühren6) anbieten, der wiederum durch den Preismechanismus die Qualität bestimmen würde (vgl. Le Grand 1991: 1260). Die Folge hiervon wäre, dass (zumindest) quantitativ hochwertige Bildung durch den festgesetzten Marktpreis nicht mehr für alle zur Verfügung stünde, da Qualität über die Zahlungsbereitschaft generiert wird und diejenigen, die den Preis qualitativer Bildung nicht bezahlen können, nur weniger qualitative Bildung in Anspruch nehmen können. Ein Effekt, der den Konzepten eines gleichberechtigten Zugangs zu Bildung unabhängig von der persönlichen finanziellen und wirtschaftlichen Situation sowie der flächendeckenden Investition in Humankapital zur Bedarfsdeckung einer steigenden und qualitativ hochwertigen Beschäftigung zum Erhalt der Gesellschaft, wie sie explizit in den europäischen und amerikanischen Hochschulstrukturreformen angelegt sind (vgl. Kap. 3.1 und 3.2), entgegensteht. Da die dem Marktprinzip inhärente Wettbewerbsfähigkeit – gemäß dem innovations- und wachstumsfördernden Credo der ›drei-E-Formel‹ (Effizienz, Effektivität, Wirtschaftlichkeit) zur Leistungsverbesserung aller gesellschaftlichen Bereiche – aber weiterhin das zentrale Moment von wissensbasierten Gesellschaften und NPM ist, »versucht man, künstliche Wettbewerbe zu inszenieren, um so auch Bereiche wie Wissenschaft, Bildung oder Gesundheitswesen auf Effizienz zu trimmen« (Binswanger 2012: 46; vgl. Binswanger 2012: 44). Diese künstlichen Wettbewerbe beruhen allerdings nicht auf der Schaffung und Regulierung durch den von Angebot und Nachfrage gesteuerten Preismechanismus, sondern auf einer 6
Die tatsächliche Einführung von Studiengebühren kann sicherlich als Tendenz zur Implementierung von realen Marktstrukturen angesehen werden. Aber in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass Studiengebühren auf Seiten der Konsumenten des Gutes ›wissenschaftliches Wissen‹ keine dauerhaften Anreizstrukturen geschaffen haben, da die Vorstellung eines preisbasierten Gutes nicht identisch ist mit der gleichzeitig vermittelten Auffassung von sozial gerechtem Bildungszugang an Hochschulen.
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externen (staatlichen) Setzung von Leistungszielen, die den Wettbewerb unter den Teilnehmern eben künstlich erzeugen und die Belohnung oder Sanktionierung des jeweiligen Anbieters über die externen Finanzierungen steuern; und eben nicht über die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten (vgl. Binswanger 2012: 51; Bode 2005: 253). Hier zeigt sich auch der hybride Charakter dieser strukturellen Änderung innerhalb der Universitätslandschaft, und zwar in der Form des Quasi-Marktes. In einem Quasi-Markt greift die Funktionsweise des wirtschaftlichen Marktes nicht vollständig, da eben auch externe staatliche Mittel zur Verfügung gestellt werden, deren Vergabe wiederum an extern vorgegebene Ziele und Leistungen gekoppelt ist. Und in dieser Hinsicht werden im Hybrid des Quasi-Marktes die beiden ›reinen‹ Formen des wirtschaftlichen Marktes und der Planwirtschaft zusammengeführt (vgl. Binswanger 2012: 46-51; Münch 2007: 95-101). Quasi-Märkte sind somit zwar einerseits »›markets‹ because they replace monopolistic state providers with competitive independent ones« (Le Grand 1991: 1259), aber andererseits sind diese Märkte eben nur »›quasi‹ because they differ from conventional markets in a number of key ways« (Le Grand 1991: 1259f.). Diese Unterschiede finden sich sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite: Auf der Angebotsseite existieren Non-profit-Organisationen (Universitäten), die teilweise mit – der staatlichen Grundförderung nicht unterliegenden – profitorientierten Organisationen (z.B. der VDI Technologiezentrum GmbH) um öffentliche und privatwirtschaftliche Aufträge konkurrieren. Das Monopol rein staatlicher Anbieter von wissenschaftlichem Wissen wird also durch den Wettbewerb ersetzt. Auf der Nachfrageseite wird die Kaufkraft der Konsumenten von wissenschaftlichem Wissen nicht in Geld gemessen, sondern eher in Form eines bereitgestellten und zweckgebundenen Budgets, das bzgl. des Erwerbs dieses spezifischen Gutes begrenzt ist (vgl. Le Grand 1991: 1260; Le Grand/Bartlett 1993: 10). Die Begrenzung der bereitgestellten finanziellen Mittel fördert zwar gemäß der Intention einer vertikalen Differenzierung die Konkurrenz und den inter-universitären Wettbewerb, als Nebenfolge lässt sich hieraus aber ein struktureller Homogenisierungseffekt von Universitäten konstatieren. Die Messung der Leistung von Universitäten, übertragen in Kennziffern zur indikatorengebundenen Mittelzuweisung, hat vor allem den Zweck, Transparenz herzustellen und Rechenschaftsablegung bzgl. der externen Anforderungen und der gesellschaftlichen Legitimation von Universitäten zu fördern. Somit geht es nach außen hin um die Sichtbarkeit der Leistungen und deren Bewertung nach Qualität, die gemäß spezifischen Kennziffern u.a. in Rankings transportiert wird. »Universitäten sollen ihre Qualität in einem globalen Benchmarking-Prozess unter Beweis stellen und steigern. Benchmarking mittels Rankings ist unter dem Regime des Wettbewerbs […] zu einem maßgeblichen Instrument […] geworden.« (Münch 2011a: 53f.) Sind derartige Rankings durch die Implementierung im Zuge der Restrukturierungsprozesse zwar ein relativ neues Phänomen, so hat sich deren Funktion zur Sichtbarmachung der qualitativen Leistungsunterschiede (z.B. im Bereich der Lehre
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oder Forschung) als Entscheidungshilfe für Eltern und Studierende sowie als ›Messkriterium‹ für die finanzielle Versorgung in der Öffentlichkeit, trotz Kritik7, etabliert (vgl. Stensaker/Kehm 2009: viif.). »One of the main causes of institutional unease is the tendency of institutional ranking schemes to use weighted aggregates of indicators to arrive at a single, all-encompassing quality ›score‹, which in turn permits institutions to be ranked against one another. By selecting a particular set of indicators and assigning each a given weight, the authors of these rankings are imposing a specific definition of quality on the institutions being ranked. The fact that there may be other legitimate indicators or combinations of indicators is usually passed over in silence. To the reader, the author’s judgement is in effect final.« (Usher/Medow 2009: 3)
Sind Rankings demnach in der Öffentlichkeit nicht nur etabliert, sondern fungieren auch de facto als Kriterium öffentlicher Leistungsvergleiche von Hochschulen, so ist die Frage, welche der gemessenen Indikatoren im internationalen und nationalen Vergleich tatsächlich für die Leistungsbewertung ausschlaggebend sind, schwierig zu beantworten. Je nach spezifisch nationalem bzw. internationalem Ranking herrscht eine Vielfalt an Indikatoren vor, welche die Vergleichbarkeit der einzelnen Ranglisten bzgl. eines einheitlichen ›Maßstabs‹ – dessen Indikatoren darüber hinaus noch gleich gewichtet sein müssten – für einen praktischen Nutzen nahezu unmöglich macht (vgl. Usher/Savino 2006: 14; Usher/Medow 2009: 6). Um trotz der enormen Schwierigkeit eine Vergleichbarkeit der Rankings herzustellen, lassen sich nach Usher/Savino (2006: 14f.) und Usher/Medow (2009: 8f.) allerdings sieben Kategorien von vergleichbaren Leistungsindikatoren herausfiltern: Forschung, Reputation, individuelle Eigenschaften und Fähigkeiten neuer Studierender, Bildungsinvestitionen in Form von personeller, finanzieller und materieller Ausstattung der Universitäten, Bildungserträge (z.B. Abschlussquoten) sowie individuelle und für den gesellschaftlichen Erhalt und Fortbestand als wichtig angesehene Kompetenzen (Endergebnisse). Interessanterweise können diese Faktoren – mit Ausnahme der in-
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Eine Übersicht über allgemeine kritische Einschätzungen von Hochschulrankings bieten bspw. Engel (2001), Borgwardt (2011) oder Kehm/Stensaker (2009). Das prominenteste Beispiel, zumindest im Bereich einer soziologischen Diskussion, dürfte der Diskurs über das CHE Hochschulranking darstellen, welchem durch den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (2012: 459) »gravierende methodische Schwächen und empirische Lücken« attestiert wurden, die – ähnlich wie bei Studierendenbefragungen als Evaluationsinstrument – keine objektive Erfassung, Messung und Aussage über universitäre Qualität zulassen (vgl. Großmann 2012: 443, 456; Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2012; siehe hierzu auch Münch 2012a, 2012b, 2012c, 2012d).
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dividuellen Eigenschaften und Fähigkeiten neuer Studierender8 – unter Rekurs auf die bereits angesprochene neue Finanzierung von Hochschulen und im Rahmen einer internationalen Vergleichbarkeit aber auf den Faktor Forschung zurückgeführt werden (vgl. Abb. 7). Abbildung 7: Forschung als zentrales Kriterium der Leistungswahrnehmung in Quasi-Märkten
Vgl. Usher/Savino 2006: 15
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Die individuellen Eigenschaften und vor allem Fähigkeiten neuer Studierender sind im Zuge einer Einbettung in das Bildungssystem vorwiegend abhängig von den vermittelten Kompetenzen im schulischen Bereich. Sicherlich trägt wissenschaftliches Wissen auch hier dazu bei, das schulische – über den Lehrplan vermittelte – Wissen zu ändern, eine derartige Verbindung wird hier allerdings nicht zugrunde gelegt. Insofern wird der Bereich der individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten neuer Studierender im Rahmen der Argumentation ausgeklammert.
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Forschungsvorhaben und eingeworbene Drittmittel sind im Quasi-Markt diejenigen finanziellen Einnahmequellen von Universitäten, welche für den Ausbau von Leistungen tatsächliche Relevanz besitzen. Eine reine Grundversorgung sorgt nicht für eine erhöhte Konkurrenz, erhöhten Wettbewerb und damit verbundene, qualitativ bessere Leistungen – das »drei-E-Modell« des NPM. Reputation und Forschung können somit als diejenigen Parameter angesehen werden, welchen im Bereich einer internationalen Vergleichbarkeit von Leistungen ein höherer Stellenwert zukommt – nicht zuletzt geht es auch im Zuge der Etablierung und Implementierung eines Europäischen Forschungsraumes um die Konkurrenzfähigkeit europäischer Hochschulen mit asiatischen und/oder (nord-)amerikanischen Universitäten. Reputation war in der traditionellen Hochschullandschaft vorwiegend verbunden mit dem Ausmaß qualitativer Leistungen aufgrund von neuen und/oder bahnbrechenden Ideen hinsichtlich des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns und -fortschritts, und zwar in Form symbolischen Kapitals (vgl. Bourdieu 1988). In Zeiten der Quasi-Märkte und des damit verbundenen »Academic Capitalism« (Slaughter/Leslie 1999) wird diese einstige Form symbolischen Kapitals aber in finanzielles Kapital transformiert. Zwar geht es weiterhin um den symbolischen Wert der Universitäten und damit auch um die Sichtbarkeit auf dem Quasi-Markt, aber diese Sichtbarkeit ist nun an das Einkommen der Hochschulen gebunden. Einen guten Ruf zu haben, exzellent zu sein oder gar beides zugleich ist verbunden mit dem Umfang an finanziellem Kapital, welches u.a. dazu eingesetzt wird, um Spitzenkräfte ›einzukaufen‹, das Forschungsvolumen zu erhöhen oder die Kontakte zur privaten Wirtschaft auszubauen, was im zirkulären Schluss wiederum die Sichtbarkeit und damit die ›Reputation‹ der Universitäten erhöht (vgl. hierzu Münch 2009a: 149-164, 2011a: 75-93). Damit dies allerdings alles umgesetzt werden kann, sind zusätzliche Einnahmen erforderlich. Und diese können in Zeiten der staatlichen Grundversorgung wiederum nur durch finanzielle Mehreinnahmen u.a. auf Basis von Drittmitteln akquiriert werden. In ähnlicher Weise lässt sich dies auch für die beiden Bereiche der Bildungsinvestition konstatieren: Sowohl zusätzliche personelle Ressourcen als auch zusätzliche materielle sowie finanzielle Mittel (z.B. für eine bessere Ausstattung der Lehrund Lernräume) können nur über ein generell höheres zur Verfügung stehendes Finanzvolumen der Universitäten abgedeckt werden. Über den Aspekt der zusätzlichen personellen Kapazitäten sind darüber hinaus auch die Bildungserträge an eine Erhöhung dieses Finanzvolumens gekoppelt. Denn auch höhere Absolventenzahlen können das Ergebnis eines größeren und zusätzlichen Beratungs-, Betreuungs- und Hilfeleistungsangebots sein, was wiederum nur dann sichergestellt werden kann, wenn die entsprechenden personellen Ressourcen dafür frei gemacht bzw. zur Verfügung gestellt werden können. In allen drei Bereichen beziehen sich somit die notwendigen bzw. benötigten größeren finanziellen Ressourcen auf solche Ressourcen, die über die reine Grundversorgung herausgehen und auf anderen Wegen ak-
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quiriert werden müssen. In Zeiten eines Quasi-Markt-Systems eben u.a. über die zusätzliche private und/oder öffentliche Co-Finanzierung durch Drittmittel. Und auch die Endergebnisse in Form von gesellschaftlich gewinnbringendem Wissen der Absolventen sind in gewisser Weise abhängig von Forschung, da dieses Wissen über den Aspekt der Lehre innerhalb der Universität vermittelt wird und Lehre wiederum einer Kopplung mit dem Bereich der Forschung unterliegt (vgl. Kap. 4.3 und Abb. 6, S. 174): sei es aufgrund der (teilweisen) Personalunion des Lehr- und Forschungspersonals oder aufgrund neuer Lehrbücher sowie Publikationen, die auf den aktuellen Stand der Forschung und neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse rekurrieren. Einen weiteren Anhaltspunkt dafür, dass Forschung die scheinbar stärkste Kategorie der öffentlichen Wahrnehmung universitärer Leistung ist, kann in der Konstruktion der wohl prominentesten beiden internationalen Hochschulrankings – des Academic Ranking of World Universities (ARWU) der Shanghai Jao Tong University und des World University Ranking der Times Higher Education (THE) – gesehen werden (vgl. Usher/Savino 2006: 6; Usher/Medow 2009: 4). Beide legen bei den Indikatoren und deren Gewichtung einen enormen Fokus auf den Bereich der Forschung: So nimmt Forschung im THE-Ranking einen Stellenwert von 62,5 Prozent9 und im ARWU einen Stellenwert von 90 Prozent10 ein. Auch wenn dem 9
Die 62,5% des THE-Ranking setzen sich wie folgt zusammen: 30% entfallen auf den Indikator Research, der durch die Subkategorien Volume (Veröffentlichungen von Forschungsergebnissen in Fachzeitschriften; 6%), Income (tatsächliches Forschungseinkommen einer Universität in Relation zum vorhandenen Personal; 6%) und Reputation (Wahrnehmung exzellenter Forschung im Kreis der wissenschaftlichen peers; 18%) gebildet wird. Weitere 30% entfallen vollständig auf den Indikator Citations, welcher den Forschungseinfluss bzgl. der Verbreitung des wissenschaftlichen Wissens und der neuen Ideen einer Universität auf andere – eben anhand von Zitationen – misst. Schließlich entfallen noch weitere 2,5% auf den Indikator Industry Income. Bezogen auf die Aspekte Wissenstransfer und Beratungstätigkeiten für die Privatwirtschaft, wird hier letztlich der innovative Aspekt einer Universität – in Form der Zuweisung von Forschungsgeldern durch die Industrie – gemessen (vgl. Times Higher Education 2012).
10 Die 90% des ARWU-Ranking ergeben sich aus der prozentualen Verteilung der drei Hauptkategorien Quality of Education, Quality of Faculty und Research Output: die Quality of Education wird anhand des Anteils derjenigen Absolventen (Bachelor, Master, Doktoranden) einer Universität berechnet, die den Nobelpreis oder die Fields-Medaille – eine Auszeichnung für hervorragende Forschungen und Leistungen im Bereich der Mathematik (vgl. Fields Institute 2013) – gewonnen haben. Diesem Indikator fallen im Ranking 10% zu. Mit jeweils 20% werden die beiden Unterkategorien der Quality of Faculty gemessen: (1) Personal einer Universität, das einen Nobelpreis im Bereich der Physik, Chemie, Medizin oder der Wirtschaftswissenschaften und/oder die Fields-Medaille ge-
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ARWU methodische Mängel attestiert werden können, die sich u.a. auf eine Überbetonung der Natur- und Ingenieurwissenschaften oder die sehr einseitige Fokussierung auf den Bereich der Forschung beziehen, so ist seine Bedeutung für die öffentliche Wahrnehmung der Leistungen von Universitäten nicht zu unterschätzen. Denn: »Trotz aller methodischen Mängel orientiert sich die Welt der Wissenschaft an diesem Ranking. Es wirkt zunehmend als eine soziale Tatsache […].« (Münch 2011a: 55) Aus dieser wissenschaftlichen und auch öffentlichen Fokussierung auf Forschung als nahezu solitären Bereich zur Einschätzung und (Be-)Messung der Leistungen der Universitäten resultiert letztlich auch der angesprochene Homogenisierungseffekt. Dieser folgt aus der Tatsache, dass sich die gewinnbringende (vorwiegende) Auftragsforschung an den externen Anforderungen der Politik bzw. der Wirtschaft orientiert und an deren Bedürfnisse angelegt ist, sodass der eigentliche (traditionelle) Kern des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns – nämlich innovativer Erkenntnisgewinn auf Basis der autonomen Suche nach Problemen und Lösungen – hierdurch konterkariert wird. »Die Ersetzung dieses offenen Marktes durch ein System der zentralen Zuweisung von Ressourcen nach Erfüllung von zentral definierten Kennziffern bedeutet, dass nun alle Anbieter um die Gunst eines einzigen, zentralen Nachfragers konkurrieren, dem sie sich vollkommen unterwerfen müssen, um Ressourcen zu erhalten. Die zentrale Instanz verfügt über totale Macht, mit der sie sich die Forscher gefügig machen kann. An die Stelle der Vielfalt von Nachfrage tritt eine einseitig in spezifischen Kennziffern von der zentralen Instanz definierte Nachfrage. […] Im Vergleich zum Markt erfolgt eine radikale Einschränkung auf das Standardmäßige, weil das Standardmäßige immer größere Chancen hat als das Außergewöhnliche und damit Abweichende […]. Wird außerdem noch gezielt die Einwerbung von Drittmitteln aus der Industrie gefördert, dann sorgt das zwar für praktische Relevanz, aber auch für das Aussortieren von Kreativität, die aus dem Rahmen des unmittelbar praktisch Verwertbaren fällt. Innovationen sind aber gerade auf die Proliferation einer Vielzahl von zunächst weit von praktischer Verwertbarkeit entfernten Ideen angewiesen. Wird die Forschung direkt auf praktische Verwertbarkeit ausgerichtet, dann schrumpft der Pool an Ideen für Innovationen zusammen, so dass der Gesellschaft die notwendigen Ressourcen für Erneuerung fehlen.« (Münch 2007: 100f.)
wonnen hat und (2) die Anzahl der am häufigsten zitierten Wissenschaftler im Bereich der Fachjournale. Die restlichen 40% entfallen auf die Kategorie des Research Output, wobei dieser ebenfalls in zwei Bereiche unterteilt wird: (1) Veröffentlichungen im Bereich der Natur- und Ingenieurwissenschaften (20%) und (2) die Anzahl der Veröffentlichung nach Impact Faktor (20%), gemäß Science Citation Index (SCI) und Social Science Citation Index (SSCI) (vgl. Shanghai Jiao Tong University 2012).
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Der Homogenisierungseffekt, im Sinne einer Anpassung wissenschaftlicher Forschung an externe industrielle und politische Standards, ist somit eine nicht-intendierte Nebenfolge der Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte auf der strukturellen Ebene. Finanzielles Kapital als notwendiges Mittel zur Sicherung und zum Ausbau des eigenen Platzes in der Hochschullandschaft schlägt mit den hiermit verbundenen und eben beschriebenen Problemen und Folgen aber auch auf die Bereiche der Organisationen und der Akteure durch. Auf organisationaler Ebene werden diese strukturellen Auswirkungen an der unternehmerischen Universität als Resultat der quasi-marktlichen Restrukturierung deutlich.
5.2 D IE
UNTERNEHMERISCHE
U NIVERSITÄT
Die extern intendierten Reformmaßnahmen und die damit einhergehende Forderung nach wettbewerbsfähigen und leistungsorientierten Universitäten führen zu einer Transformation des Verständnisses von Universitäten. Eingebettet in die Struktur des Quasi-Marktes und in ein extern gefordertes zunehmend unternehmerisches Agieren von Universitäten werden diese nun von außen als »echte Organisationen« – entsprechend der Wahrnehmung privatwirtschaftlicher Unternehmen – aufgefasst. Hieraus entsteht das hybride Gebilde der »unternehmerischen Universität« als Mischform aus strategisch ausgerichteten und marktorientierten Unternehmen sowie der traditionellen Universität. In diesem Kontext wird nicht nur Wissen zu einer handelbaren Ware, sondern über den geforderten Aspekt der ökonomischen Verwertbarkeit des wissenschaftlichen Wissens werden gleichzeitig vier typische Elemente marktwirtschaftlicher Organisationen in die universitären Strukturen implementiert: die Rechenschaftsablegung, die Definition und Festlegung der Ziele, die Weiterentwicklung und der Ausbau formaler Strukturen sowie der Ausbau eines professionellen Managements. Dies hat eine Autonomieeinschränkung von Lehre und Forschung durch die Entstehung synoptischer Überwachungsstrukturen entlang der ökonomischen Leistungserbringung, einen Homogenisierungseffekt hinsichtlich der von den Universitäten verfolgten Ziele sowie eine verstärkte Machtzunahme der managerialen Verwaltungseinheiten zur Folge, was – aufgrund der unabdingbaren Zunahme eines generellen Leistungsmanagements auf Ebene der Akteure – Management zu einer Profession werden lässt, die die akademische Profession zunehmend verdrängt. Im Zuge der intendierten institutionellen und vertikalen Differenzierung von Hochschulen, als Ergebnis der NPM-inhärenten und politisch intendierten Prozesse zur generellen Schaffung von Wettbewerbsstrategien öffentlicher Organe auf der strukturellen Ebene, findet auch ein »Regimewechsel im Rollenverständnis der moder-
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nen Hochschule« (Maasen/Weingart 2006: 21) statt. Die von außen gesetzte Forderung einer erhöhten marktorientierten Produktionsleistung von Universitäten – im Hinblick auf qualitativ hochwertiges Lehren samt der Vermittlung arbeitsmarktrelevanter Fähigkeiten sowie die Stärkung universitärer Forschung im Sinne marktwirtschaftlicher Verwertbarkeit der Ergebnisse – führte zu einer Transformationen des Verständnisses von Universitäten als »real organizations« (Krücken/Meier 2006: 247), gemäß der Auffassung von Unternehmen im privatwirtschaftlichen Bereich. Das Verständnis unternehmerisch agierender Universitäten ist dabei nicht nur »auf ausgewählte Bereiche akademischer Aktivitäten beschränkt, etwa auf den Technologietransfer, sondern restrukturiert alle wesentliche[n] universitären Prozesse« (Maasen/Weingart 2006: 21). »Forschungsprojekte, Lehrveranstaltungen, Prüfungen, Evaluationen, Kreditpunkte, Stellen, Räume, Instrumente, Bücher, Telefone, Rechner, Reinigungsdienste: Was von der Universität angeboten oder nachgefragt wird, muss als marktförmige Ressource erscheinen und sich mit professioneller Kompetenz ›managen‹ lassen.« (Maasen/Weingart 2006: 21)
Diese externe Auffassung von Universitäten als »real organizations« (Krücken/ Meier 2006: 247) ist es letztlich auch, die hinsichtlich der »Neuordnung des Verhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft« (Maasen/Weingart 2006: 21) unabdingbar zu sein scheint, wenn Wissen die zentrale Antriebskraft wettbewerbsfähiger Gesellschaften auf globalen Märkten ist. Wird Wissen in dieser Perspektive somit selbst zu einer handelbaren Ware des neu geschaffenen Unternehmens Universität, so beinhaltet dies in der vollständigen Erfassung und Durchdringung der unternehmerischen Komponente auch die gesellschaftliche Transparenzanforderung der absolvierten Leistung in Form von Rechenschaftsberichten (vgl. Maasen/Weingart 2006: 21). Der Auffassung von Hochschulen als echten Organisationen folgend, wird die Transformation der einstigen ›speziellen‹ Organisation Universität (gekennzeichnet durch die interne professorale und die externe staatliche Kontrolle) durch die Übernahme vier typischer Elemente marktwirtschaftlicher Organisationen bedingt: (1) Rechenschaftsablegung (Kap. 5.2.1), (2) Definition und Festlegung der Ziele (Kap. 5.2.2), (3) Weiterentwicklung und Ausbau formaler Strukturen (Kap. 5.2.3) sowie (4) Management als Profession (Kap. 5.2.4). Dies führt zum einen eine Schwächung der bisherigen traditionellen Kontrollfunktion (interne professorale Kontrolle) mit sich und zum anderen wird eine neue Profession hinsichtlich der internen universitären Kontrolle hervorgebracht: das universitäre Management als Kernbestandteil des expandierenden Verwaltungsapparates. Ähnlich wie beim Quasi-Markt wird dann auch hier der hybride Charakter der unternehmerischen Universität deutlich: Im Zuge der Einbettung in die Strukturen des Quasi-Marktes und der Forderung nach mehr Effizienz und Wettbewerb müssen Universitäten in zunehmendem Maße als Unternehmen agieren, um vor allem ihre finanzielle Versorgung
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über die Grundmittel hinaus sicherzustellen. D.h., der Aufgabenbereich der Universität beinhaltet nicht mehr nur den traditionellen Teil der Lehre und Forschung (im Sinne von Ausbildung), sondern nun auch den neuen Aspekt der ökonomischen Verwertbarkeit des wissenschaftlichen Wissens als handelbares Gut, was gleichzeitig ein erhöhtes Aufkommen von und einen erhöhten Bedarf an strategischer Managementausrichtung bedingt (vgl. Etzkowitz 2003; Joldersma/Winter 2002; Mouwen 2000). Der Hybrid der unternehmerischen Universität ist somit die neu entstandene Mischform aus strategisch ausgerichteten und marktorientierten Unternehmen sowie der traditionellen Universität. Eine hybride Form also, die nun zu den ursprünglichen zwei Zielen und Aufgaben der Forschung und Lehre noch das dritte Ziel des »economic and social development« (Etzkowitz 2003: 110) erfüllen und verfolgen muss (vgl. Etzkowitz 2003: 110). Als Folge hiervon entstehen »changes in the structure and culture that added up to substantially revised, even new, overall organisational character« (Clark 2001: 12). Die bereits erwähnten Merkmale oder Elemente der Transformation von Universitäten hin zu echten Organisationen bzw. unternehmerischen Universitäten, die im Folgenden dargestellt werden, beziehen sich dabei auf die eingangs genannten vier Aspekte der »organizational accountability, mainly through the establishment of evaluation procedures; the tendency toward defining ›own‹ organizational goals through mission statements, in which the organizational self is created and openly displayed to others; the ongoing elaboration and expansion of formal technical structures around these goals; and the transformation of university management into a profession.« (Krücken/Meier 2006: 243)
Lassen sich demnach diese Merkmale als charakteristische Elemente der unternehmerischen Universität konstatieren, so ist dennoch darauf hinzuweisen, dass die getrennte Betrachtung der einzelnen Aspekte der Rechenschaftsablegung, die Definition und Festlegung der Ziele, die Änderungen in der formalen Struktur sowie das Aufkommen einer Managementprofession nur analytisch möglich ist. Empirisch lassen sich diese Bestandteile sehr schwer voneinander losgelöst betrachten, da sie in das komplexe Geflecht der Außen- und Innenbeziehungen von Universitäten eingebettet sind. Nicht nur die Wissenschaft als Bestandteil der Universität ist in den internen Bereichen der Forschung, Lehre und Verwaltung integriert, sondern auch Politik und Wirtschaft sind durch das Konzept der »Triple-Helix« im Rahmen von Input- und Output-Beziehungen mit der Universität verwoben (vgl. Kap. 4.3 und Abb. 6, S. 174). Aus diesem Grund werden sich auch in den folgenden Ausführungen, trotz ihrer Orientierung an der analytischen Trennung, Überschneidungen mit später folgenden Aspekten und Redundanzen nicht gänzlich vermeiden lassen.
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5.2.1 Rechenschaftsablegung Die Einführung von Rechenschaftsablegung im Kontext der universitären Umstrukturierung hin zu unternehmerischen Universitäten implementiert einen top-downgesteuerten Prozess, der durch die Ausbreitung von Qualitätssicherungsmaßnahmen, Evaluationen und Akkreditierungsstandards, deren Relevanz durch den Ausbau intra-universitärer strategischer Management- und/oder Qualitätsmanagementabteilungen, als prozessbegleitende Institutionen zur internen Umsetzung der extern definierten Ziel- und Leistungsvorgaben, gestützt wird. Im Zuge dieser Restrukturierung wird den zentralen Instanzen der Hochschulverwaltung und deren neuen Abteilungen des Controlling aufgrund eines erhöhten Stellenwerts strategischen Managements zur Überwachung und Kontrolle der Ziel- und Leistungserreichung bzw. der Generierung und Aufrechterhaltung der finanziellen Ressourcen mehr Autonomie zugesprochen. Der hieraus resultierende Restrukturierungseffekt führt dabei zu einer Autonomieeinschränkung in anderen Bereichen (z.B. Forschung und Lehre), welche durch die Einführung eines hiermit verbundenen interund intra-universitären synoptischen Überwachungsprinzips hinsichtlich der ökonomisch definierten Leistungserbringung auch Auswirkungen auf die individuellen Akteure hat. Durch die Einführung der NPM-basierten quantifizierten Leistungsstandards, als maßgebliche Kriterien einer individuellen (rationalen) Handlungsausrichtung wissenschaftlicher Akteure, erfolgen in gewisser Weise eine Entindividualisierung der akademischen Profession und eine damit verbundene Schwächung ihrer Einflussnahme und Entscheidungsmacht im universitären Kontext. Zentrale Merkmale für die zunehmende Rechenschaftsablegung von Universitäten sind die Ausbreitung von Qualitätssicherungsmaßnahmen, Evaluationen und Akkreditierungsstandards (vgl. Krücken/Meier 2006: 247). Die Relevanz dieser zu implementierenden NPM-Instrumente in Universitäten wird zusätzlich durch die Einrichtung spezieller (Sub-)Bereiche, wie bspw. universitätsinternen Qualitätsmanagementabteilungen, gestützt. Für Universitäten bedeutet dies zum einen eine Erhöhung ihrer Autonomie im Bereich der managementbezogenen operativen Tätigkeit, was zum anderen aber notgedrungen mit einer Autonomieeinschränkung der anderen Bereiche einhergeht (siehe Schimank 2005d). Diese Autonomieeinschränkung resultiert aus dem mit der Rechenschaftsablegung gekoppelten Aspekt der Sichtbarmachung von Hochschulen in der öffentlichen, politischen und wirtschaftlichen Wahrnehmung. Hiermit verbunden ist nicht nur eine Stärkung und Betonung der universitätsspezifischen Schwerpunkte, sondern auch eine strategische Ausrichtung der jeweiligen Hochschule, die wiederum nur durch unternehmerische Aspekte eines strategischen Managements in der geforderten Art und Weise der gesellschaftlichen und politischen Legitimation möglich ist (vgl. Dörre/Neis 2010: 61). Denn:
202 | CAMPUS S HOOTINGS »Veränderungen erfordern zunächst die Bestimmung von Zielen, ihre adäquate Übertragung in erkennbare und akzeptable Aufgaben und die Beantwortung der Frage, mit welchen Unterstützungssystemen diese Aufgaben bewältigt werden können. Das Management von Veränderungen erfordert im Verständnis eines fortgeschrittenen New Public Management eine langfristige strategische Planung und eine kurzfristige Orientierung an Leistungserfordernissen. Eine Universität, in der gemeinsame Ziele vage sind, Fakultäten weitgehend voneinander abgeschottet sind, und auch die Verwaltung der Universität nach eher eigenen Regeln lebt, bedarf einer Institution, die den Wandel professionell nach den Mustern ihres Eigenlebens zielorientiert begleitet.« (Ridder 2006: 109)
Das hier angesprochene Problem der intra-universitären Vagheit im Hinblick auf organisatorische Entscheidung(en) lässt sich auf die traditionelle hohe Autonomie der wissenschaftlichen Angehörigen der Akademia und ihrer Selbstorganisation zurückführen (vgl. Ridder 2006: 109), welche als »eine wesentliche Wurzel für die organisatorische Schwäche von Universitäten« (Nickel 2007: 70) angesehen werden kann. Denn das Problem der Vielfältigkeit innerhalb von Universitäten führt zu einer »demand-response imbalance« (Clark 1998: 131, 2001: 10) und konterkariert, kombiniert mit der autonomen Selbstverwaltung, die Kooperation sowie Koordination der einzelnen Mitglieder und Teile einer Universität (z.B. Rektorat, Fakultäten, Institute und Lehrstuhlinhaber) hinsichtlich einer einheitlichen Zielerfüllung zum ›Wohl des Ganzen‹ (vgl. Clark 1998: 129ff., 2001: 10f.; Nickel 2007: 71). Zur Lösung dieses Problems kann entweder ein selbstbewussteres Auftreten und kooperatives Verhalten der Mitglieder von innen heraus angestrebt werden, welches im Idealfall eine externe Kontrolle unnötig machen würde (siehe Clark 1998, 2001), oder eine prozessbegleitende Institution ins Leben gerufen werden, welche von außen versucht, die benötigte Kooperation zur gemeinsamen Zielverfolgung herzustellen (vgl. Ridder 2006: 109). Letzteres scheint im Kontext der Hochschulreformen allerdings das gängige Mittel zu sein. Spricht Ridder (2006: 109) hier zwar von einer »Institution«, die den Wandel gemäß der neuen geforderten Zielorientierung begleiten soll, so sollte an dieser Stelle vielleicht besser von (Leitungs-)Gremien oder Instanzen gesprochen werden. Zwar könnten Hochschulräte, die zumindest im deutschsprachigen Raum als Mittlerinstanz bzgl. der Zielumsetzung zwischen den externen und internen Prozesse fungieren, einer derartigen »Institution« entsprechen, allerdings variieren deren Kompetenzen und Funktion auf Landesebene zu stark, um tatsächlich von einer Institution sprechen zu können (vgl. Bogumil et al. 2007; Fernández Darraz et al. 2010: 115-119; Hüther 2009). Zumindest ist in diesem Kontext der Aspekt des konsensualen Gültigkeitsanspruchs als basales Element einer Institution (vgl. Lepsius 1997: 58f.; Schwinn 2001: 350ff.) äußerst fragwürdig. Unabhängig von solch einer terminologischen Diskussion kann aber festgehalten werden, dass bzgl. der zu erfüllenden externen Anforderungen ein top-downgesteuerter Prozess in Gang gesetzt wird, welcher für »eine explizit ausformulierte
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Zielstruktur die Voraussetzung für die Maximierung der Zielverwirklichung bzw. der Effizienz ist« (Mayntz 1973a: 95) und strategisches partizipatives Management unabdingbar macht. Denn »eine Organisation [ist] umso erfolgreicher […], je mehr es ihr gelingt, eine Übereinstimmung zwischen ihren eigenen Zielen und denen ihrer MitarbeiterInnen zu erreichen« (Nickel 2007: 78). Und da »das erklärte Ziel der Hochschulreform, die [Steigerung der; A.B.] Erwartungssicherheit wissenschaftlicher Leistungen sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht« (Nickel 2007: 78f.) ist, wird auf Zielvereinbarungen als ein zentraler Bestandteil des NPM zurückgegriffen, um die externen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Anforderungen auch intern in den Universitäten zu verankern. »Nur hoch motivierte OrganisationsteilnehmerInnen können bestmögliche Leistungen hervorbringen. Um dieses Engagement zu gewährleisten, müssen Organisationen ihre Mitglieder an der Entscheidungsfindung beteiligen. Dies geschieht im Wesentlichen durch FeedbackSysteme, kooperative Aufgabengestaltung, Mitwirkung an Planungsprozessen sowie durch das Management by Objectives (MbO), also das Führen mit Zielvereinbarungen.« (Nickel 2007: 78)
Für die traditionelle akademische Profession bedeutet dies, wie oben angesprochen, in gewisser Weise einen Verlust ihrer einstigen Autonomie. Damit alle Teile und Mitglieder der Universität im Hinblick auf die extern vorgegebene Zielerreichung und -erfüllung koordiniert werden können, wurde eine hierarchisch organisierte Steuerung in Universitäten eingeführt, die nicht nur den zentralen Instanzen (Senat, Präsident/Rektor, Kanzler, zentrale Verwaltung sowie der neuen Instanz der Hochschulräte) mehr Befugnisse in Hinblick auf die Zielerreichung und die damit verbundenen internen Zielvereinbarungen sowie Mittelzuweisungen zuspricht, sondern auch im Bereich der einzelnen Fakultäten eine andere Hierarchisierung mit sich führt (vgl. Reichwald 2000: 315-335; Schimank 1995b: 222-258, 2005d: 151). Forschung und Lehre sind innerhalb der Fakultäten zu zwei gesondert gesteuerten Bereichen evolviert, wovon Letzterer durch den Studiendekan einer Fakultät den geforderten Rechenschaftsablegungen anhand von Evaluationen bzgl. des qualitativen Aspekts der Lehre unterzogen wird. Der Bereich der Forschung obliegt samt der Mittelzuweisung sowie der Weiterleitung und Überwachung der universitären Ziele für die einzelnen Institute dem Dekan, wobei dieser wiederum im Bereich der Leistungsvereinbarungen an die (einem Aufsichtsrat ähnliche) Funktion des Fachbereichsrates gekoppelt ist (vgl. Reichwald 2000: 327). Sowohl auf den oberen Leitungsebenen als auch auf den hierarchisch untergeordneten Ebenen der Fakultäten nimmt das strategische Management der universitären Ziele einen zentralen Stellenwert ein. Schließlich müssen auch hier über das NPM-Instrument der leistungsorientierten Mittelvergabe die Ziele und Leistungen koordiniert und überwacht werden, damit zum einen die Universität als Ganzes keinen Mittelkürzungen der
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Grundversorgung unterliegt und zum anderen auch die einzelnen Fachbereiche in finanzieller Hinsicht keiner intra-universitären finanziellen Sanktionierung unterliegen. Überwacht und extern sowie intern transparent gemacht – und damit der Anforderung der Rechenschaftsablegung entsprechend – werden die intra-universitären Entwicklungen und Einhaltungen der Ziele durch die Verwaltungen der Hochschulen und deren neue Abteilungen des Controlling. Und aus dieser Neuorganisation der nun weniger dezentralen Hierarchien resultiert die Autonomieschwächung der Profession. Die frühere Autonomie der Selbststeuerung – vor allem jene der Lehrstuhlinhaber als »kleine Geschäftsleute, die nicht Bankrott gehen können« (Schimank 2005d: 149) – unterliegt der nun größeren Autonomie und Entscheidungsgewalt der neuorganisierten unternehmerischen Universität als Gesamtkomplex (vgl. Schimank 1995b: 222-258, 2005d). »Mit der Schaffung der Fachbereiche als Arbeitseinheiten der Hochschulen ging also auch eine Kompetenzerweiterung der zentralen Hochschulgremien – Rektor und Senat – einher. Die Leitungsebene erhielt Befugnisse der Ressourcenzuteilung und hat so seitdem zusammen mit den Fachbereichen Befugnisse wahrgenommen, die früher das Ministerium innegehabt hatte. Unterhalb der Ebene des Fachbereichs gibt es oftmals nach wie vor Institute, die jedoch im Vergleich zu den früheren, einem Lehrstuhl angegliederten Instituten in vielerlei Hinsicht eine deutlich geringere Autonomie genießen.« (Schimank 1995b: 229f.)
Der hieraus resultierende Restrukturierungseffekt fällt somit auch mit den von Power (1997) konstatierten Effekten der Audit Society zusammen. Im Kontext einer seit den 1980er und 1990er Jahren zunehmenden Überprüfbarkeit bzw. Prüffähigkeit individueller und organisationaler Leistungen müssen alle Aktivitäten durch formalisierte Strukturen überwacht werden, sofern sie als (gesellschaftlich) legitimiert gelten sollen. Und Legitimation bezieht sich in ökonomisierten Gesellschaften auf ökonomisch rationale Verhaltensweisen: »[…] accountability and account giving are part of what it is to be […] rational […]« (Power 1997: 1). Bezogen auf die Umwelt der Universitäten kann Rechenschaftsablegung als »360-Grad-Feedback« bzgl. der jeweiligen Leistungen und deren Legitimation angesehen werden, welches auf den ökonomisch kalkulierenden und nutzenmaximierenden Aspekten einer ökonomisierten Gesellschaft basiert (vgl. Münch 2011a: 94-123). Und so sind es nun die Universitäten als von außen aufgefasste echte Organisationen im unternehmerischen Sinne, welche sich als eigenständiger (korporativer) Akteur nun aber nicht nur erklären oder Fragen beantworten müssen, sondern sich vor allem in puncto der Mittelzuweisungen rechtfertigen müssen (vgl. Krücken/Meier 2006: 242, 248; Maasen/Weingart 2006: 22; Trow 1996: 310). In Anlehnung an Foucault (1976: 256-263) kann hier von Rechenschaftsablegung auch als Überwachen und Strafen gesprochen werden, da im Sinne des benthamschen Panoptikums nun vor allem Wirtschaft und Politik als maßgebliche finanzielle Versorger der Universitä-
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ten den zentralen »Turm« bilden, von dem aus die einzelnen Universitäten in der Peripherie kontrolliert und überwacht werden können. Die potenzielle Bestrafung bei Nichteinhaltung der politisch-administrativen Zielvorgaben kann in einer Kürzung der indikatorengesteuerten Mittelverteilung resultieren. Wenn Foucault (1976: 259) hinsichtlich der panoptischen Konstruktion von Gefängnissen konstatiert, dass »[d]iese Anlage […] deswegen so bedeutend [ist], weil sie die Macht automatisiert und entindividualisiert«, so lässt sich dies auch auf die restrukturierten Universitäten übertragen. Die Entindividualisierung bezieht sich hierbei auf den Autonomieverlust der akademischen Profession zugunsten der Autonomieerhöhung der managerialen Verwaltungsstrukturen. Denn: »Zielscheibe des ›new public management‹ an Universitäten ist insbesondere die ›academic oligarchy‹. Da […] Marktkräfte sowie organisatorische Hierarchien sehr viel stärker werden, gibt es in diesem Schauspiel […] nur einen großen Verlierer: die akademische Profession. Ihre Schwächung ist es, um die sich beim ›new public management‹ alles dreht, auch wenn dieses Ziel nirgends explizit formuliert ist.« (Schimank 2005d: 151f.)
Die Schwächung der akademischen Profession ist aber nicht nur mit der starken Zunahme der Marktkräfte und der Ökonomisierung der Universitäten verbunden, sondern auch mit einer durch den Reformprozess einhergehenden Transformation des oben angeführten panoptischen Überwachungsprinzips hin zu einem Synoptikum (siehe Bauman/Haugaard 2008; Mathiesen 1997). Wird Bildung zwar weiterhin als staatliche Aufgabe im Sinne der Was-Komponente der Zielsetzung für den gesellschaftlichen Fortbestand (vgl. Kap. 2) verstanden, so obliegt die Umsetzung und Erfüllung dieses Ziels in der Wie-Komponente doch den Universitäten und wissenschaftlichen Akteuren innerhalb des neu eingeführten Quasi-Marktes und den dort herrschenden staatlich deregulierten ökonomischen Prinzipien und Rationalitäten. Für die beteiligten Akteure und damit auch für die akademische Profession bedeutet dies, dass sie gleichzeitig Vermarkter von Waren und die vermarkteten Waren selbst sind. Dabei wird das universitäre und wissenschaftliche Leben nicht nur der ökonomischen Leistungserwartung und -erbringung des Konsumgedankens unterworfen, sondern es wird selbst zum Konsum, innerhalb dessen die teilnehmenden (korporativen und individuellen) Akteure (zwangsweise) auf (globale) Profite abzielen (vgl. Bauman 2009: 13; Baum/Kron 2012: 347). Und in dieser Struktur, in der sich der Staat aus der Regulation des ›Bildungsmarktes‹ zurückzieht und in der die Marktkräfte stetig zunehmen und stärker werden, überwacht und straft somit nicht mehr der Staat die Leistungen der beteiligten Akteure (die Überwachung Vieler durch Wenige im Panoptikum), sondern der Markt und damit alle hierin involvierten Instanzen (Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und letztlich die Gesellschaft selbst) auf der Grundlage quantitativ bestimmbarer und messbarer Standards – sowohl für Universitäten (z.B. durch Rechenschaftsablegung, Akkreditierungen, Ab-
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solventenzahlen etc.) als auch für die beteiligten Akteure (z.B. durch leistungsorientierte Mittelvergabe, Publikationsoutput, Drittmitteleinwerbungen etc.) (vgl. Winkler 2010: 122). »[Diese; A.B.] Standards [sollen] eine Art Perspektivfunktion übernehmen, auf welche hin und in welcher sich die Subjekte selbst ausrichten sollen. Standards sollen also Gewissheit geben sowie Sicherheit vermitteln und zugleich die Subjekte dazu bringen, sich an den Maßstäben auszurichten, die mit den Standards formuliert werden.« (Winkler 2010: 122)
Und im Kontext dieser einheitlichen, unter dem generellen Schlagwort der (individuellen und korporativen) Rechenschaftsablegung subsumierbaren, standardisierten Bemessungskriterien werden nun Wenige (Universitäten und wissenschaftliche Akteure) durch Viele (Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft) – eben im Sinne eines Synoptikums – hinsichtlich der Leistungserbringung überwacht und bestraft (vgl. Junge 2006: 35f., 121; Baum/Kron 2012: 347). Das auf Reziprozität basierende synoptische Überwachungssystem (siehe Mathiesen 1997), als diejenige »Kontrollform, die der Konsumgesellschaft [und in diesem Sinne der ökonomisierten Gesellschaft; A.B.] angepasst ist« (Junge 2006: 35), wirkt sich dabei nicht nur auf inter- und intra-universitärer Ebene aus, sondern auch auf Ebene der Akteure. Denn auch hier erfolgt die Überwachung einzelner Akteure anhand der erbrachten Leistungen durch eine Vielzahl von Kollegen, wenn bspw. mit individuell zusätzlich akquirierten Mitteln eine Steigerung der finanziellen Reputation eines Instituts oder gar eines Fachbereichs verbunden ist, die im intra-universitären Benchmarking Auswirkung auf die Verteilung neuer Haushaltsmittel hat. Oder wenn die individuelle Reputation – und damit auch die individuelle akademische Karriere – von der Leistungsbemessung der scientific community abhängig ist, wie dies bspw. interuniversitär im Kontext von Publikationen oder bei Berufungsverfahren der Fall sein kann. Aufgrund der durch NPM implementierten quantitativen Leistungsstandards als maßgeblichen Kriterien zur persönlichen Ausrichtung und der mit der Ökonomisierung der Universitäten verbundenen Zunahme und Autonomieerhöhung managerialer Verwaltungsstrukturen fehlt den wissenschaftlichen Akteuren und der wissenschaftlichen Profession durch die reziprok angelegten und dezentralisierten Machtstrukturen des Synoptikums »die gesellschaftlich-politische Macht, die soziale Ordnung und vor allem die ökonomische Rationalität als Maßstab in Frage zu stellen« (Baum/Kron 2012: 348). Die Folge dieses Entindividualisierungsprozesses ist somit die Schwächung der Einflussnahme und Entscheidungsmacht der akademischen Professionen im universitären Kontext, die als nicht-intendierter Nebeneffekt der Reformmaßnahmen und der intendierten Rechenschaftsablegung entsteht.
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5.2.2 Definition und Festlegung der Ziele Die Definition und Festlegung von Organisationszielen ist keine Neuheit im universitären Kontext, resultiert aber, aufgrund der hochschulreforminhärenten notwendigen Präzisierung der extern intendierten, auf Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit ausgerichteten Zielsetzung sowie der Erfüllung des gesellschaftlichen Nutzens aus Gründen der Aufrechterhaltung der Legitimation, in einem Restrukturierungseffekt, der tatsächlich als reine rationale Mythenver- bzw. -befolgung der institutionalisierten Organisation Universität angesehen werden kann: Denn während sich auf der Hinterbühne der universitären Darstellung Zielkonflikte und Steuerungsprobleme hinsichtlich der Arbeitsweise und losen Kopplung der Teilbereiche Lehre, Forschung und Verwaltung konstatieren lassen, die u.a. zu einem Verlust des Stellenwertes von Lehre zu Gunsten der Forschung führen, vermittelt die auf universitären Leitbildern beruhende Sichtbarmachung, Transparenz und Einhaltung der extern vorgegebenen Ziele den Eindruck einer den externen Konventionen und Normen der Blaupause formaler Organisationsstrukturen und -ziele entsprechenden, funktionierenden direkten Steuerung von Universitäten. Dieser Eindruck muss aus Gründen der gesellschaftlichen Legitimation von Universitäten auf der Vorderbühne aufrechterhalten werden, führt aber gleichzeitig zu einer universitären Homogenisierungstendenz bzgl. der in den Leitbildern definierten und fixierten Ziele, sodass die nach außen (scheinbar) funktionierende Be- und Verfolgung der externen Zielvorgaben, bei intern zu konstatierenden Zielkonflikten und Steuerungsproblemen, eben einem Mythos gleicht. Die Definition von Organisationszielen ist zwar kein Novum innerhalb von Universitäten (vgl. Mayntz 1963: 58ff.), aber der durch die Restrukturierung hervorgerufene nicht-intendierte Effekt zeigt sich in einer Art und Weise, die tatsächlich als rein rationale Mythenver- bzw. -befolgung der von außen an die Universitäten als institutionalisierte Organisationen herangetragenen Anforderungen aufzufassen ist (vgl. Meyer/Rowan 1977: 348-360). Die traditionellen Ziele der Lehre und Forschung als gesellschaftliche Funktion der Wissensvermittlung (Bildung als Kulturgut) werden den neuen Anforderungen der wissensbasierten Gesellschaft nicht mehr gerecht, da sich der hierauf beruhende, gesellschaftlich verankerte und legitimierte sowie (wirtschafts-)politisch angestrebte und im Rahmen von NPM durchgesetzte, neue institutionelle Mythos der Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit als rationales Kriterium zielerfüllender Organisationen eben mehr auf Kriterien von Bildung als Humankapital stützt. Dies zeigt sich vor allem im Bereich der organisationalen Zielsetzung auf Basis des gesellschaftlichen rationalen Mythos, wie echte Universitäten im Zuge der Reformmaßnahmen gestaltet sein sollten und wie sie ihre Arbeiten als Dienst für die gesellschaftlichen Bedürfnisse zu verrichten haben.
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Die einstigen Ziele der Forschung und Lehre sind ihrer traditionellen Definition nach nicht mehr aktuell. Zwar geht es im Kern immer noch um diese Komponenten, diese erfahren aber im Zuge globaler Änderungs- und Anpassungsprozesse Modifikationen, wie bspw. international vergleichbare Curricula auf Basis eines einheitlichen Credit-Systems zur Bewertung und Messung der Studienleistungen oder die überwiegende Ausrichtung der Forschung an anwendungsbezogenen Themenfeldern statt an Grundlagenforschung – was nicht zuletzt eine Folge der zusätzlichen externen Finanzierungsmaßnahmen ist (vgl. Kap. 3.1). Insofern müssen die ursprünglichen Ziele zum einen präzisiert werden. Zum anderen ist es für Universitäten aber auch notwendig, die Frage nach dem gesellschaftlichen Nutzen und somit der Legitimation zu beantworten. Dies wird durch Transparenz erreicht, indem nach außen Tätigkeiten, Arbeits- und Wirkungsweisen der Universitäten durch das System der Rechenschaftsberichterstattung vermittelt werden – das »360-Grad-Feedback« der Audit Society. Als Folge hiervon werden nun auch die Organisationsziele der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, und zwar über das Internet als modernes Medium der Transparenz. Die Ziele der Universität werden in diesem Kontext in Leitbildern ausgedrückt, welche für »[d]ie Positionierung von Universitäten als Organisationen im Wettbewerb« (Hasse/Krücken 2012: 39) unabdingbar sind (vgl. Krücken/Meier 2006: 248ff.; Meier 2009: 140; Meyer-Guckel/Mägdefessel 2010). Und hier zeigen sich die oben bereits angesprochene tatsächliche Mythenbefolgung der Universitäten sowie der nicht-intendierte Effekt der Homogenisierung: Universitäre Ziele, als Leitbilder definiert, greifen die in der Wissensgesellschaft von außen gestellten politisch-administrativen und gesellschaftlich legitimierten Anforderungen auf, wobei sich die spezifischen Leitbilder im Bereich der zentralen Merkmale und Aussagen jedoch nicht voneinander unterscheiden (vgl. Meyer-Guckel/ Mägdefessel 2010). So kann in Anlehnung an Gregersen (2011: 48ff.)11 festgehalten werden, dass Schlagworte der Reformmaßnahmen, wie Interdisziplinarität, Internationalisierung, Drittmittelfinanzierung, qualitativ hochwertige Lehre etc., bei allen betrachteten Leitbildern zugleich als Ziele der Universitäten definiert werden. Und auch ein Vergleich der bundesdeutschen Hochschulleitbilder von 65 Universitäten und 123 Fachhochschulen durch den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft kommt zu einem ähnlichen Ergebnis (vgl. Meyer-Guckel/Mägdefessel 2010):
11 Gregersen (2011: 48) sondierte textanalytisch die Leitbilder derjenigen Hochschulen, »die im Rahmen der ersten Stufe des Antragsverfahrens im Rahmen der Exzellenzinitiative der Deutschen Forschungsgemeinschaft bei der Förderlinie zu den ›Zukunftskonzepten‹ ausgewählt wurden«.
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»Im Wesentlichen werden in den Leitbildern Ziele und Aufgaben beschrieben, die durch das jeweilige Hochschulgesetz an anderer Stelle ohnehin festgelegt sind: In den universitären Leitbildern finden sich besonders häufig Bekenntnisse zur Einheit von Forschung und Lehre (80%), zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (94%), zur Internationalität (85%) und zur Interdisziplinarität (82%). Fast ebenso oft folgen Abschnitte zur Kooperation mit außeruniversitärer Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft (82%).« (Meyer-Guckel/ Mägdefessel 2010)
Zugespitzt formuliert kommen Meyer-Guckel/Mägdefessel (2010) dann auch zu dem Schluss, dass Leitbilder »[z]ur differenziellen Abgrenzung gegenüber anderen Hochschulen oder Hochschultypen […] nicht geeignet [sind]«, denn: »Liest man ein Leitbild, kennt man alle«. Leitbilder als Ausdruck der öffentlich transparenten organisationalen Ziele, die im Einklang mit den Anforderungen an und Auffassungen von der Funktion der echten Organisation Universität stehen, dienen also der Mythenbefolgung zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Legitimation von Universitäten. Die nichtintendierte Nebenfolge hieraus ist der bereits erwähnte Restrukturierungseffekt der Homogenisierung, wobei sich dies – im Einklang mit der von Meyer/Rowan (1977: 348-360) konstatierten Mythenbefolgung – in erster Linie auf die öffentliche Außenwahrnehmung bezieht. Dieser Effekt ist allerdings nicht allzu verwunderlich innerhalb des gesellschaftlichen Schauspiels der Hochschulreform. Goffmans (2011) bekannte Metapher des Theaterspiels aufgreifend sind Universitäten die Hauptdarsteller in diesem Stück, die sich in der szenischen Komponente der strukturellen Gegebenheiten der Reformmaßnahmen präsentieren und ihre »persönliche Fassade« als »Ausdrucksmittel […], die wir am stärksten mit dem Darsteller selbst identifizieren und von denen wir erwarten, daß er sie mit sich herumträgt« (Goffman 2011: 25), in der abstrakten Darstellung an die durch die Reformen extern geforderten und erwarteten Erwartungsmuster anpassen (vgl. Goffman 2011: 23-27). Die durch die externen Anforderungen »vorgegeben[e] soziale Fassade [kann] dazu geeignet sein […], auf der Grundlage der abstrakten stereotypen Erwartungen, die sie erweckt, institutionalisiert zu werden, womit sie eine Bedeutung und eine Stabilität annimmt, die unabhängig von den spezifischen Aufgaben ist, die zu einem gewissen Zeitpunkt in ihrem Namen erfüllt werden. Die Fassade wird zu einer ›kollektiven Darstellung‹ und zum Selbstzweck.« (Goffman 2011: 28)
Die kollektive Darstellung entspricht somit der von Meyer/Rowan (1977: 348-360) konstatierten gesellschaftlich definierten externen Erwartungs-Blaupause institutionalisierter Organisationen und der Selbstzweck entspricht der organisationalen Erfüllung und Aufrechterhaltung dieser Erwartungen zugunsten der organisationalen Legitimation. Da sich der Einzelne (hier: Universitäten als korporative Akteure) im
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Rahmen des Agierens auf der Bühne »bei seiner Selbstdarstellung vor anderen darum bemühen [wird], die offiziell anerkannten Werte der Gesellschaft zu verkörpern und zu belegen« (Goffman 2011: 35), kann somit in der Terminologie Meyer/ Rowans (1977) von der Befolgung des extern generierten Mythos hinsichtlich der besten Funktionsweise institutionalisierter Organisationen gesprochen werden (vgl. Goffman 2011: 35; Krücken/Meier 2006: 249; Meyer/Rowan 1977: 348-360). Ein derartiges Verhalten kommt letztlich auch den Anforderungen der Rechenschaftsablegung entgegen, da die Selbstdarstellung gemäß den gesellschaftlich legitimierten Verhaltensweisen im Sinne der Transparenz und Sichtbarmachung der Leistungen verstanden werden kann. Zugleich verweist die Theatermetaphorik auch auf ein weiteres Phänomen im Kontext der Hochschulreformen: Sichtbarmachung, Transparenz und Einhaltung bzw. Erfüllung der extern vorgegebenen Ziele finden im Kontext der öffentlichen und politischen Wahrnehmung auf der Vorderbühne statt und vermitteln dort ein anständiges, den externen Konventionen und Normen entsprechendes Verhalten (vgl. Goffman 2011: 100f.): »In the presentation of the organizational self the ingredients of such ›frontstage‹ statements are not randomly selected. Universities enact globally institutionalized scripts of what a higher education organization is expected to be.« (Krücken/Meyer 2006: 249) Die entscheidenden Vorgänge zur Erfüllung der externen Anforderungen – nach Goffman (2011: 105) »die entscheidenden Geheimnisse des Schauspiels« – finden allerdings auf der Hinterbühne, als einem vom Publikum abgetrennten Bereich, in dem das tatsächliche Funktionieren der Darstellung gewährleistet wird, statt (vgl. Goffman 2011: 104f.). Im Gegensatz zur Vorderbühne als Ort der geregelten Darstellung können auf der Hinterbühne Probleme auftreten, die zwar dem Publikum entgehen bzw. vorenthalten werden, aber die Arbeitsweise des Ensembles betreffen bzw. beeinflussen können (vgl. Goffman: 2011: 106-111). Übertragen auf Universitäten besteht die Hinterbühne hier in der von der politischen und öffentlichen Außenwahrnehmung abgeschotteten Arbeitsweise der lose gekoppelten Teilbereiche des Ensembles Lehre, Forschung und Verwaltung. Werden nach außen im Schauspiel der ›guten, normkonformen Universität‹ Zielverfolgung und Zielerfüllung als gut funktionierend dargestellt, so müssen intern (eben auf der Hinterbühne) Steuerungsprobleme und Zielkonflikte gelöst werden. Bezogen auf den Aspekt der Steuerung wird dem Publikum auf der Vorderbühne der Schein einer funktionierenden Steuerung vermittelt. Die Funktionalität der Universitäten wird durch spezifische Indikatoren erfasst und insofern diese Indikatoren erfüllt sind, wird in der Außenwahrnehmung keine Steuerungsproblematik erkennbar.12 Intern besteht die Problematik einer top-down-orientieren Steuerung aller12 Möglicherweise liegt in der Außenwahrnehmung aber auch kein Interesse an derartigen Sachverhalten vor, da im Kern nur die Output-Leistungen der Universitäten gesellschaftliche Relevanz besitzen und die Erbringung derselben sowie die damit verbundenen in-
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dings darin, dass eine direkte Einflussnahme der Hochschulleitung als Steuerungsinstanz aufgrund der (relativ) losen Kopplung der Teilbereiche sowie der Diskrepanz zwischen extern intendiertem strategischem Management und der »Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Fakultäten« (Esdar et al. 2011: 196) nicht umsetzbar ist (vgl. Esdar et 2011: 196f.). Vielmehr wird durch (u.a. mittelbasierte) Anreizsysteme und zusätzliche Einrichtungen, wie Abteilungen für Qualitätssicherung, Hochschuldidaktik, Nachwuchs- und Forschungsförderung, versucht, die externen Zielvorgaben zu kommunizieren, zu koordinieren und indirekt – eben über extrinsische Motivationen, die im Idealfall mit der intrinsischen Motivation der Beteiligten zusammenfallen – zu steuern (Esdar et al. 2011: 194-197; Esdar/Gorges/Wild 2013: 31). Verbunden mit dieser Steuerungsproblematik ist auch der Aspekt der mittelbasierten Zielvorgaben. Trotz homogenisierter und den externen Anforderungen entsprechender Ziele auf der Vorderbühne sind auf der Hinterbühne vor allem Zielkonflikte zwischen Forschung und Lehre existent. Obwohl sich diese beiden Ziele bedingen (z.B. die geforderte Aktualität der Lehre anhand von Forschungsergebnissen oder das Einführen in wissenschaftliche Forschung durch entsprechende Lehrveranstaltungen), gestaltet sich die Kompromissfindung bzgl. der Zielverfolgung im Zuge der Hochschulreformen als zunehmend schwierig. Das grundsätzliche Konfliktpotenzial bei der Verfolgung von Lehre und Forschung als universitäre Ziele ist zwar nicht neu, aber der von Mayntz (1963: 47ff.) konstatierte Befund, dass das Nebeneinander von Forschung und Lehre keine rücksichtslose Maximierung eines der beiden Ziele mit sich führen sollte, ist im Kontext der Restrukturierungen äußerst fragwürdig. Ein wesentlicher Grund hierfür ist in der Änderung der finanziellen Mittelzuweisung zu sehen. Aufgrund der Reduzierung der staatlichen Finanzierung von Hochschulen müssen diese zusätzliche Mittel akquirieren, was »eine stärkere Finanzierung durch (Forschungs-)Drittmittel notwendig [macht; A.B.]« (Esdar et al. 2011: 197). Eine Zusatzfinanzierung, die gemäß den Restrukturierungen explizit gewünscht und intendiert ist. Andererseits ist aber auch der Ausbau einer qualitativen Lehre als Ziel in den Reformvorhaben verankert. »Auf organisationaler Ebene sehen sich Hochschulen angesichts schrumpfender Grundmittelfinanzierungen gezwungen, auf externe Anreize vor allem im Bereich Forschung zu reagieren, um Möglichkeiten der Aufstockung finanzieller Ressourcen wahrzunehmen. Gleichzeitig fordern weitere Stakeholder (z.B. Studierende, politische Akteurinnen und Akteure, Medien) in öffentlichen Debatten Anstrengungen und Verbesserungen im Bereich Lehre, für deren Einlösung keine verlässliche Zusatzfinanzierung in vergleichbarer Höhe in Aussicht steht.« (Esdar et al. 2011: 200)
ternen Problematiken durch die den Universitäten zugesprochene höhere Autonomie als Organisationen bewusst nach innen verlagert wurden.
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Aufgrund des finanziellen Mehrwertes der Forschung bzgl. der finanziellen Absicherung der Universität und der jeweiligen Fachbereiche kann der hieraus resultierende nicht-intendierte Restrukturierungseffekt darin gesehen werden, dass der von Schimank (1995b) konstatierte Befund der Hochschulforschung im Schatten der Lehre ins Gegenteil verkehrt wird. Hinweise auf diesen Zielkonflikt und eine Überbewertung der Forschung zu Lasten der Lehre lassen sich zumindest auf der Ebene der beteiligten Akteure, vor allem im Bereich des wissenschaftlichen Nachwuchses, erkennen: Die intrinsische Motivation von Nachwuchswissenschaftlern ist hinsichtlich einer guten und qualitativen Lehre recht ausgeprägt – was möglicherweise auf eigenen Erfahrungen aus dem Studium beruht – und wird zusätzlich von den universitären (Teil-)Leitungsebenen vorausgesetzt. Im weiteren Verlauf der Karriereplanung zählt bei Stellenbesetzungs- und Berufungsverfahren aber weniger die Lehrerfahrung, sondern mehr die eigene(n) Qualifikationsarbeit(en) sowie Veröffentlichungen, welche für die einstellenden Universitäten einen höheren Gewinnfaktor versprechen. Bei der Karriereplanung können aufgrund dieser Zielkonflikte somit subjektive Belastungen entstehen, die im Gegensatz zur organisationalen Ebene auf der individuellen Ebene dem Faktor Zeit unterliegen (z.B. wöchentliche Arbeitszeit der Lehrvorbereitung vs. qualifikationsbezogene ›Freizeit‹ oder Lehrzeit vs. ›6-Jahres-Frist‹). Und die geeignete Strategie hinsichtlich dieser Zielkonfliktbewältigung besteht letztlich in einem pragmatischen Ansatz der Lehrausübung im Sinne eines ›Zurückfahrens‹ des Aufwands zu Gunsten der extrinsisch motivierten Anreizstrukturen forschungsbasierter Arbeit (vgl. hierzu Esdar et al. 2011; Esdar/Gorges/Wild 2013). Lehre verliert somit ihren Stellenwert auf der Ebene der Akteure, und aufgrund deren Einbindung in die Universität als Mitglieder ist auch auf der organisationalen Ebene mit einem Bedeutungsverlust zu rechnen. 5.2.3 Formale Struktur Die formale Struktur von Universitäten verdeutlicht in nach außen transparent gestalteten Organigrammen nicht nur die generellen, sondern im Kontext der Hochschulreform vor allem die gesellschaftlich verankerten und legitimierten (als rational definierten) spezifischen Funktionsweisen von Universitäten. Um im wissensgesellschaftlichen trilateralen Geflecht aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft die extern definierten Ziel- und Leistungsvorgaben umsetzen zu können, zeigt sich in dem enormen Auf- und Ausbau managerialer Verwaltungseinheiten ein weiterer Restrukturierungseffekt. Im Rahmen intra-universitärer Differenzierungsprozesse entlang der Aspekte Qualitätsmanagement, Controlling, Strategieentwicklung, Forschungsförderung und Technologietransfer entstehen zahlreiche Verwaltungseinheiten, die sich ausschließlich den extern geforderten Bedarfen anpassen und somit Aufgaben und Ziele verfolgen, die nicht zum traditionellen Kern von Universitäten
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gehören. Innerhalb der losen Kopplung von Lehre, Forschung und Verwaltung führt dies zu einer erhöhten Stellung der managerialen Verwaltungseinheiten, die als Folge hieraus – aufgrund ihrer Schnittstellenfunktion zwischen externer Mittelzuweisung und diesbezüglich geforderten internen wirtschaftlich verwertbaren universitären Leistungen – über ein starkes Maß an sanktionierender Macht verfügen. Dies resultiert nicht nur in einer engeren Kopplung der universitären Teilbereiche, sondern führt letztlich auch zu einer Übertragung des synoptischen Überwachungsund Kontrollprinzips auf die wissenschaftlichen Akteure; und zwar in Form einer enormen Erhöhung individueller strategisch-managerialer Fähigkeiten. Ein weiterer Restrukturierungseffekt innerhalb des hybriden Gebildes der unternehmerischen Universität lässt sich im Bereich der formalen Struktur von Hochschulen konstatieren. Die formale Struktur einer Organisation und somit auch von Universitäten wird (idealiter) durch Organigramme verdeutlicht und ist zugleich als Blaupause der organisationalen Aktivitäten anzusehen, die mit der festgelegten Zielsetzung zusammenfallen. Diese Blaupause dient zugleich der nach außen sichtbar transportierten Funktionsweise einer Organisation, und zwar entsprechend der gesellschaftlich verankerten und legitimierten Vorstellung einer geeigneten und guten Funktionsweise spezifischer Organisationen (vgl. hierzu Meyer/Rowan 1977: 342f.). Insofern erfolgt die Mythenbefolgung von Universitäten in Zeiten der Restrukturierungsmaßnahmen nicht nur über die Befolgung der extern vorgegebenen Ziele, sondern auch über die transparente Darstellung des universitären Aufbaus nebst Organisation. Bezogen auf die unternehmerischen Universitäten zeigt sich der Restrukturierungseffekt in einer zunehmenden Differenzierung der formalen Strukturen im Einklang mit den von außen festgelegten und erwarteten Zielen der auf dem Quasi-Markt operierenden Hochschulen: »An additional element of the new, empowered university is the ongoing elaboration, expansion and differentiation of a fine-grained formal organizational structure, which is centered on explicit organizational goals.« (Krücken/Meyer 2006: 250) Zwar sind Differenzierungsprozesse im Kontext von Universitäten kein neues Phänomen, sondern auch steter Bestandteil ihrer Entwicklungsgeschichte (siehe Stichweh 1979, 1994), aber die mit den Reformen einhergehenden Differenzierungsprozesse im Bereich der formalen Struktur lassen sich auf die Besonderheiten und Veränderungen im Kontext der wissensbasierten Gesellschaft sowie die hiermit verbundenen Aspekte des Wissenstransfers zur wirtschaftlichen Produktivitätssteigerung zurückführen. Noch einmal zur Erinnerung: »Unternehmerisch geführte Universitäten müssen […] in erster Linie an Tätigkeiten interessiert sein, die Geld einbringen, und zwar mehr, als vorher verausgabt wurde.« (Münch 2011a: 78) Und diese erforderliche Profitmaximierung – basierend auf der Akkumulation ökonomischen und symbolischen Kapitals – orientiert sich an Forschungsgeldern, Drittmittelprojekten, Fundraising sowie auch an Renommeeauf- und -ausbau (vgl. Münch
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2009: 148-164, 2011a: 75ff.). Derartige Veränderungen, eine Verdrängung von Grundlagenforschung als spezifisches traditionelles Element hochschulwissenschaftlicher Forschung (sogenannter Mode 1 der Wissensproduktion) hin zur Verschmelzung dieser mit überwiegenden Aspekten angewandter Forschung (sogenannter Mode 2 der Wissensproduktion) zur gesellschaftlichen Nutzbarmachung wissenschaftlichen Wissens, können zwar als relativ neues Phänomen im Kontext der europäischen Umstrukturierung von Universitäten angesehen werden, entsprechen aber den universitären Veränderungsprozessen im wissenschaftlichen System der USA (vgl. Etzkowitz/Leydesdorff 2000; Gibbons et al. 1997; Münch 2011a: 8992; Schimank 1995b: 19). Stand auch zu Beginn der Etablierung von Hochschulen in den USA die traditionelle Wissensvermittlung im Vordergrund der universitären Aufgaben, sind hier spätestens seit den beiden Weltkriegen strukturelle und organisatorische Veränderungen in der Hochschullandschaft erkennbar (vgl. Etzkowitz/ Leydesdorff 2000: 109-111; Trow 1988: 16; Jacobson/Butterill/Goering 2004: 249f.). Die Einbeziehung von Wissenschaft in die Bereiche staatlicher und industrieller Entscheidungsprozesse führte auch hier zur Einführung quasi-marktähnlicher Strukturen, in deren Folge die Hochschulen im trilateralen Netzwerkgeflecht aus Wissenschaft, staatlichem Nutzen und Wirtschaft einem erhöhten Konkurrenzdruck ausgesetzt waren und sind (vgl. Etzkowitz/Leydesdorff 2000: 109-111; Jacobson/ Butterill/Goering 2004: 250). Der entscheidende Wandel vom Mode 2 der Wissensproduktion hin zur Wissensproduktion innerhalb der »Triple-Helix« aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft setzte, beginnend in den USA und mittlerweile auch im europäischen Kontext, einen weiteren Differenzierungsprozess in Gang, der sich vor allem entlang der Aspekte Qualitätsmanagement, Controlling, Strategieentwicklung, Forschungs- und Nachwuchsförderung sowie dem Technologietransfer auf die formale Struktur der Universitäten auswirkt. »A good example of the trend toward the differentiation of the university’s formal structures is the institutionalization of technology transfer offices. Begun around 1980, the establishment of such offices has been hailed as ›a watershed in the history of technology transfer in the universities in the United States and Europe‹ (Gibbons et al. 1994: 87; zitiert nach Krücken/Meyer 2006: 250). The direct transfer of knowledge and technology between academic researchers and industry has a long history. But with the creation of transfer offices what was previously regarded as an activity of the individual researcher, carried out in addition to his or her main tasks of teaching and research, is now an institutional mission of the university itself. Informal and personal ties between academic researchers and industry are now explicitly complemented by formal, organized links, while the responsibility for technology transfer shifted from the individual to the organization.« (Krücken/Meyer 2006: 250)
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Die intra-universitäre Entstehung und organisationale Eingliederung von Wissensund Technologietransferbereichen in Kombination mit der Produktion wissenschaftlichen Wissens unterliegt somit ebenfalls dem breiteren Rationalisierungsdiskurs hinsichtlich einer effektiven und effizienten Umgestaltung der Hochschullandschaft (vgl. Krücken/Meyer 2006: 205). Inwiefern sich tatsächlich die im Kontext der Restrukturierungen fokussierten Aspekte eines stärkeren Forschungsausbaus und eines damit einhergehenden Wissens- und Technologietransfers auf die formale Struktur unternehmerischer Universitäten auswirken, wird anhand von Tabelle 2 (s.S. 216) deutlich. Auf Basis der im Rahmen der zweiten Programmphase der Exzellenzinitiative für ihre Zukunftskonzepte geförderten elf Universitäten13 (vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft 2012; Wissenschaftsrat 2012) wurden deren formale Organisationsstrukturen, anhand der auf den jeweiligen Homepages frei verfügbaren Informationen, hinsichtlich der reformrelevanten Schlagworte Technologietransfer, Nachwuchsförderung, Forschungsförderung, Strategieentwicklung, Controlling und Qualitätsmanagement (bzgl. Lehre und Forschung) analysiert. Die Auswahl dieser elf Universitäten begründet sich durch den Stellenwert, welcher der zweiten Programmphase von DFG-Präsident Matthias Kleiner zugewiesen wurde: »›Auch diese zweite Phase der Exzellenzinitiative macht deutlich: Dieser Wettbewerb hat das deutsche Wissenschaftssystem nachhaltig verändert und den Forschungsstandort im internationalen Vergleich erheblich gestärkt und wird es weiterhin tun – mit zukunftsweisenden Forschungsthemen und innovativen Modellen der Forschungsorganisation und Nachwuchsausbildung, die es ansonsten nicht gäbe‹ […]. ›Und: Die bewilligten Projekte kommen von mehr als einem Drittel der Universitäten. Das zeigt, dass Spitzenforschung in Deutschland breit und vielfältig aufgestellt ist‹ […].« (Deutsche Forschungsgemeinschaft 2012)
Es geht hier also um jene (deutschen) Universitäten, welche die externen Anforderungen an unternehmerische Universitäten im Kontext des Quasi-Marktes und hinsichtlich des universitären Beitrags zum Auf- und Ausbau einer international wettbewerbsfähigen Forschungslandschaft exzellent erfüllt haben. Und dies spiegelt sich auch in deren formaler Struktur wider, wobei die Auflistung sowohl der zentral in der Hochschulverwaltung oder der Leitungsebene angesiedelten als auch der dezentral angesiedelten Organisationseinheiten in Tabelle 2 (s.S. 216) hierbei lediglich der analytischen Darstellung dient. 13 Zu den elf Universitäten gehören die Freie Universität Berlin, die Humboldt-Universität Berlin, die Ludwig-Maximilians-Universität München, die Technische Universität München, die Eberhard Karls Universität Tübingen, die Rheinisch Westfälische Technische Hochschule Aachen, die Technische Universität Dresden, die Universität Bremen, die Universität Köln, die Universität Konstanz, sowie die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (vgl. Wissenschaftsrat 2012).
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Tabelle 2: Differenzierte formale Struktur deutscher Eliteuniversitäten gemäß den Reformanforderungen (zentrale und dezentrale Zuständigkeiten)
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Bereits auf den ersten Blick wird deutlich, dass sich im Bereich der formalen universitären Struktur zahlreiche Dezernate mit Unterabteilungen, Sachgebieten, Referaten, Teams sowie Stabsstellen und Zentren etabliert haben, die sich im Rahmen ihrer Zuständigkeit ausschließlich den Bedarfen der unternehmerischen Universität in puncto Forschung, Vermarktlichung, Qualitätsmanagement und Kennziffernprüfung sowie -einhaltung widmen.14 Ohne im Detail auf die einzeln aufgeführten Bereiche der jeweiligen Universitäten einzugehen15, zeigt sich, dass sich die formale Struktur von Universitäten nicht nur den externen Anforderungen und Bedarfen angepasst hat, sondern sich auch in erhöhtem Maße Bereichen und Aufgaben widmet, die in traditioneller Hinsicht nicht zu ihrem Geschäftsalltag gehörten. Bewältigt werden diese Aufgaben gemäß der Verortung in den jeweiligen Organigrammen der Eliteuniversitäten aber nicht von den universitären Teilbereichen der Forschung und Lehre, sondern in erster Linie von der Verwaltung, deren traditionelle Funktion der Wahrnehmung curricularer oder prüfungsrelevanter Aufgaben somit erweitert wird (siehe Ellwein 1985; Prahl 1978). Der hiermit verbundene Restrukturierungseffekt führt somit zu einer erhöhten Bedeutung der Rolle der Verwaltung innerhalb der Universität. Lehre und Forschung, als ursprüngliche Primärbereiche von Universitäten, werden nun durch die 14 An dieser Stelle ist darauf zu verweisen, dass die in Tab. 2 (s.S. 216) dargestellten Teile der formalen Struktur keinen Anspruch auf absolute Gültigkeit erheben. Zwar sind die Organigramme der jeweiligen Universitäten über deren Webauftritte transparent verfügbar, bei einigen der elf Hochschulen war es aber aufgrund fehlender Detailinformationen bzgl. einer kurzen Tätigkeitsbeschreibung oder Aufgabenpräzisierung der Dezernate, Abteilungen, Sachgebiete etc. nicht immer möglich, die Hauptinformationen gegenzuprüfen. Dies soll aber keineswegs bedeuten, dass die vorliegende, eigenständig recherchierte und erstellte Auflistung spekulativen Charakter besitzt. Als Hauptreferenzpunkt der Zuweisung diente das jeweilige Organigramm, und soweit möglich wurden diese Angaben durch Zusatzinformationen evaluiert und verfeinert bzw. bestätigt. In Fällen, in denen weder klare Informationen aus den Organigrammen noch aus den homepagebasierten Zusatzinformationen über Aufbau, Gliederung und Struktur hervorgingen, wurde auf eine Zuweisung verzichtet. Aus diesem Grund sind einige Spalten mit dem Hinweis »nicht eindeutig spezifizierbar bzw. zuweisbar anhand des Organigramms« versehen. Auch soll Tab. 2 (s.S. 216) keineswegs eine Präferenz oder normative Wertung einzelner Universitäten darstellen. Die Gliederung und Ordnung innerhalb der Tabelle entspricht einer rein deskriptiven und alphabetisch geordneten Darstellung der elf deutschen Eliteuniversitäten. 15 Eine Beschreibung der tatsächlichen empirischen Abläufe innerhalb dieser Einheiten kann nicht gegeben werden, da der Prozess des Organisierens (Weick 1985) aus der Blaupause der formalen Struktur nicht abgelesen werden kann. Oder mit Goffman (2011: 104ff.) gesprochen: Die Hinterbühne bleibt dem Zuschauer verborgen.
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gestärkte Stellung des Verwaltungsapparates flankiert, was diesen zu einem gleichgewichtigen Teil innerhalb der losen Kopplung werden lässt.16 Dies hat allerdings auch Auswirkungen auf die interne dynamische Komponente der institutionalisierten Organisation Universität: Die lose Kopplung der universitären Teilbereiche Lehre, Forschung und Verwaltung wird nun im Kontext der besonderen Stellung der Verwaltungseinheiten einer Transformation hinsichtlich der zur Außenanpassung notwendigen, aktiven intra-organisationalen Abstimmungsprozesse unterzogen. Zwar sollen im Kern weiterhin Zielkonflikte zwischen den universitären Teilbereichen durch Kompromissfindung im Zuge der Selbstorganisation vermieden werden, aber da Organisieren (1) bedeutet, dass »fortlaufend unabhängige Handlungen zu vernünftigen Folgen […] [zusammengefügt werden müssen; A.B.], so daß vernünftige Ergebnisse erzielt werden« (Weick 1985: 11), und die Selbstorganisation der Universität (2) durch die gestärkte Rolle der Verwaltung nicht mehr nur den wissenschaftlichen Akteuren obliegt (vgl. Waugh 2003: 85)17, entsprechen die ›vernünftigen‹ Ergebnisse den externen Anforderungen des markbasierten Denkens. Die Verwaltungseinheiten als Schnittstelle zwischen den externen, indikatorengesteuerten finanziellen Zuweisungen und den hierfür geforderten internen, wirtschaftlich verwertbaren Leistungen verfügen über ein gewisses Maß an negativer (sanktionierender) Macht, da sie bspw. die intra-universitären Parameter bzgl. einer leistungsorientierten Mittelzuweisung an Fakultäten, Institute etc. evaluieren. Sie verfügen aber auch zugleich über ein gewisses Maß an positiver (belohnender) Macht, nämlich dann, wenn im Bereich der Forschungsförderung oder des Technologietransfers das ›Expertenwissen‹ dieser spezifischen Verwaltungseinheiten dazu beitragen kann, Drittmittelprojekte oder andere innovative Ideen, wie bspw. Patente, gewinnbringend zu vermarkten. Unter Rekurs auf Weicks (1985: 130-173) doppelten Interakt kann diese neuartige Beziehung zwischen den lose gekoppelten universitären Teilbereichen der Forschung und Verwaltung als zentrales Merkmal des 16 Dies kann auf das von Etzkowitz (2003: 110) konstatierte dritte zu erfüllende Ziel unternehmerischer Universitäten zurückgeführt werden: »economic and social development«. 17 Im Zuge der Bedeutungszunahme von Verwaltungseinheiten lässt sich aus rein logischen Gründen auch ein Anwachsen des hierfür notwendigen Personals konstatieren, welches sich – verglichen mit den Ausführungen in Kap. 4.3 – nun aber nicht mehr ausschließlich aus den Mitgliedern unterschiedlicher Forschergruppen zusammensetzt, sondern eben auch aus nichtwissenschaftlichen Akteuren. Nach Waugh (2003: 85) sieht das derzeitige Besetzungsmuster von administrativen Positionen so aus, dass die Verwaltung von Universitäten nicht mehr als fakultätsangetriebener, dezentralisierter Prozess aufzufassen ist, sondern dass es einen zunehmenden Druck gibt, externe Personen für das Management einzustellen. Diese zeichnen sich dann zwar durch enorme Kompetenzen im Bereich des Managements aus, haben aber wenige bis gar keine Erfahrungen innerhalb der akademischen Landschaft (vgl. Waugh 2003: 85).
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neu entstanden Hybrids der unternehmerischen Universität angesehen werden, welches darüber hinaus zu einer engeren Kopplung der dennoch losen Teilbereiche beiträgt (vgl. Nickel 2012: 284-287). Die reziproke und zirkulär verflochtene Beziehung der lose gekoppelten Teilbereiche Verwaltung und Forschung hinsichtlich der Zuweisung, Kürzung und Generierung finanzieller Ressourcen entspricht einem Prozess »bedingte[r] Reaktionsmuster, […] in denen die Handlungen eines Akteurs A [hier Forschung; A.B.] eine spezifische Reaktion in Akteur B [hier: Verwaltung; A.B.] hervorruft […], auf die Akteur A dann seinerseits reagiert« (Weick 1985: 130). Entlang dieser zirkulär verflochtenen und ineinandergreifenden Verhaltensweisen der lose gekoppelten Teilbereiche werden auf Basis der externen Anforderungen einer zunehmenden Forschungsförderung und eines wirtschaftlich notwendigen Wissens- und Technologietransfers eben jene formalen Strukturen ausgebildet, die letztlich der Erfüllung und Erreichung dieser Ziele dienlich sind. Die erforderliche Koordination basiert hierbei auf einer (relativ) dauerhaft angelegten kooperativen Interdependenzsituation bzgl. des Handlungserfolges in Abhängigkeit von den unterschiedlich verteilten Interessen und Ressourcen sowie auf der situationsspezifischen, indirekten sozialen Kontrolle über Belohnung und Bestrafung für das erfolgreiche und beständige Funktionieren. Die Gewährleistung des erfolgreichen Funktionierens obliegt dabei allerdings nicht nur den reinen Verwaltungseinheiten innerhalb von Universitäten, sondern auch den jeweiligen Leitungseinheiten in den Teilbereichen der Lehre und Forschung, die als weitere Schnittstelle hinsichtlich der Rechenschaftsablegung innerhalb der formalen Struktur fungieren, da »Erfolge und Misserfolge in Lehre und Forschung […] nun nicht mehr nur der individuellen Leistungsfähigkeit einzelner Wissenschaftler zugerechnet, sondern als eine Gemeinschaftsleistung der gesamten Institution gesehen [werden]. […] Um diese wahrnehmen zu können, braucht es Leitungskräfte, die dafür sorgen, dass innerhalb der Organisation die nötigen Entscheidungen getroffen und Maßnahmen ergriffen werden.« (Nickel 2012: 285f.)
Und da die »Ergebnisverantwortung [im Hinblick auf die externen Anforderungen in Kontext der Hochschulreformen; A.B.] bei der Hochschule als Ganzes [liegt]« (Nickel 2012: 285), resultiert aufgrund der Einbindung der teilbereichspezifischen Leitungsebenen die oben angesprochene engere, wenn auch immer noch lose Kopplung der Bereiche Forschung, Lehre und Verwaltung (vgl. hierzu Nickel 2012: 284287). Die stärkere Autonomie des Verwaltungsapparates und der Leitungsebenen führt letztendlich auch dazu, dass das synoptische Prinzip des Überwachens und Strafens zusätzlich von der nach außen wirkenden Rechenschaftsablegung auch in die intra-universitären Bereichen übertragen wird. Gemäß dem Durchschlagen formaler Strukturen auf alle intra-universitären Ebenen wird strategisches Management letztlich nicht nur auf den Leitungsebenen der Verwaltung bedeutsam, son-
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dern eben auch im Bereich der Forschung und Lehre aufgrund der nicht (immer) auflösbaren Verwobenheit der Rolle und Funktion wissenschaftlicher Akteure zu einem überlebenswichtigen Faktor für alle Beteiligten – Management wird zur Profession. 5.2.4 Management als Profession Aufgrund der Implementierung von Quasi-Märkten, der Rechenschaftsablegung, der Ausrichtung an extern definierten und festgelegten Zielen sowie einer Differenzierung der formalen Struktur von Universitäten verlagert sich der akademische Schwerpunkt auf die Erfüllung von Leistungskriterien und führt somit zur Professionalisierung von Management. Für ein erfolgreiches Funktionieren und an externe Mittelakquise gebundenes Bestehen von Universitäten wird Wissenschaftsmanagement in allen universitären Teilbereichen zu einer hinreichenden Bedingung hinsichtlich der extern geforderten Zielerreichung und Leistungsvorgaben. Die hiermit verbundene Koordination der Teilbereiche beruht auf einem kontinuierlichen Abgleich der Individual- und Gruppenleistungen einzelner Akteure mit den Organisationszielen, was zu einer zunehmenden Bedeutung von Leistungsmanagement auf Seiten der Akteure führt; vor allem hinsichtlich der auf finanzieller Sanktionierung beruhenden intra-universitären leistungsorientierten Mittelvergabe. Im Zuge der Vermischung universitärer und privatwirtschaftlicher Anforderungen muss sich die akademische Profession somit dem Effizienz- und Produktivitätsdruck im Bereich der Lehre und Forschung anpassen, um Mitarbeiter und die organisationale Teileinheit im Hinblick auf den Erhalt (zugewiesener) leistungsorientierter Mittel zielstrebig zu führen. Das reine traditionelle forschungsanleitende Erkenntnisinteresse wird hierdurch von strategischen Managementtechniken flankiert und als Folge dieses Restrukturierungseffekts wird Management zur Profession. Durch die Einbindung in Quasi-Märkte, die Implementierung von Rechenschaftsablegungen, die Ausrichtung der universitären Ziele an den externen Anforderungen der Wissensgesellschaft und die Änderung im Bereich der formalen Struktur, welche als einzelne Faktoren im Wesentlichen der Steigerung von Forschungsleistungen zur gesellschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit dienen, verlagert sich der akademische Schwerpunkt auf die Erfüllung von Leistungskriterien (siehe Parsons/Platt 1990; Schimank 2005d; Slaughter/Leslie 1999). Dieses »profound blurring of the roles of universities and private industry« (Powell/Owen-Smith 1998: 272) führt nicht nur zu den bereits konstatierten Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekten außerhalb und innerhalb der unternehmerischen Universität, sondern auch zur Entstehung von Management als Profession innerhalb von Hochschulen. Wie eben dargestellt wurde, ist mit den externen Anforderungen eines Forschungsausbaus so-
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wie dem hiermit verbundenen Technologie- und Wissenstranfer eine Zunahme von Verwaltungseinheiten verknüpft, welche sich mit der zielübereinstimmenden strategischen Ausrichtung von Wissenschaft beschäftigen. Das hiermit verbundene Wissenschaftsmanagement dient nicht nur der Ausrichtung auf attraktive externe Finanzierungen z.B. im Bereich der Forschungsförderung, sondern auch der Sicherung externer Finanzierungen durch strategische Wirtschaftskooperationen und Produktplatzierungen (z.B. Patententwicklungen) im Bereich des Technologietransfers, u.a. durch angegliederte Forschungszentren (vgl. Stahler/Tash 1994: 541, 545, 549f.). Innerhalb dieser Prozesse ist eine Koordination der universitären Teilbereiche aber nicht nur eine notwendige, sondern für das Funktionieren externer Mittelakquirierung auch eine hinreichende Bedingung. Denn: Forschung impliziert im reformierten Universitätssystem zusätzliche finanzielle Ressourcen und diese bedingen aufgrund der implementierten Leistungsvergütung wiederum weitere Forschung. Leistung im universitären Kontext muss nun aber gemanagt werden und dies eben nicht nur auf der Ebene der Hochschulleitungen sowie der neu entstandenen organisationalen Verwaltungseinheiten, sondern auch von den am Forschungsprozess beteiligten Akteuren. In erster Linie bezieht sich dies auf die professoralen Vertreter einer Universität, da diese über die leistungsorientierte Mittelvergabe – im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Mitarbeitern oder den Studierenden – stärker an das Leistungsmanagement gebunden sind. Allgemein definiert sich Leistungsmanagement über die Verbindung des Arbeitsverhaltens von Individuen und Gruppen mit der Effektivität der Organisation, wobei diese Effektivität durch die strategischen Ziele der Organisationen identifiziert wird und dabei auf der Annahme gründet, dass die Definition eines berechenbaren und belohnbaren Arbeitsprogramms zum Erfolg der Organisation beiträgt (vgl. Sousa/de Nijs/Hendriks 2010: 1443). Dieser dauerhafte Abgleich zwischen akteurbezogenem (individuellem oder gruppenbezogenem) Arbeitsprogramm und den Zielen der Organisation kann somit als ein kontinuierlicher Prozess aufgefasst werden, in dessen Verlauf die individuellen und/oder gruppenbezogenen Leistungen identifiziert, gemessen und evaluiert werden, um dann letztlich mit den Zielen der Organisation auf Übereinstimmung oder Abweichung abgeglichen zu werden (vgl. Sousa/de Nijs/Hendriks 2010: 1443). »This implies that performance management is not just about products and services (the outcome side), but also primarily about individual and group behaviour that leads to these products and services (the input and transformation sides […]). […] All three elements, input (e.g. skills and competencies), transformation (e.g. work processes) and outcomes (usually approached via output) are indispensable for the combined effectiveness and efficiency focus that defines performance.« (Sousa/de Nijs/Hendriks 2010: 1443)
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Da beim Leistungsmanagement also auch vorwiegend das effiziente und effektive Verhalten der beteiligten Akteure eine Rolle spielt, muss dieses ebenfalls organisiert werden, damit es in Einklang mit den organisationalen Zielen steht. Die interund intra-universitären Anforderungen definieren somit neue Handlungsorientierungen (z.B. über die personengebundene leistungsorientierte Mittelvergabe), die eine Reaktion der akademischen Akteure zur Folge haben, welche gemäß der weickschen (1985: 130) Abfolge des Prozesses des Organisierens im Kontext der Universität wiederum finanziell sanktioniert oder belohnt werden. Da aber individuelle Akteure aufgrund der asymmetrischen Beziehung zu formalen Organisationen in erhöhtem Maße von Letzteren abhängig sind und die individuellen Lebenschancen auf der Effektivitäts- und Effizienzsteigerung der Organisation beruhen (vgl. Kap. 2.2.2; vgl. Coleman 1982; Schimank 2005c: 31, 2007b: 247-251), ist seitens der Akteure eine (finanzielle) Belohnung einer (finanziellen) Sanktionierung vorzuziehen. Und vor diesem Hintergrund muss eine Anpassung der traditionellen akademischen Profession an die neue ›feindliche‹ Umgebung des Managements, eben als ›überlebensnotwendige‹ Reaktion auf die Adaption der neuen externen Anforderungen, erfolgen (vgl. Waugh 2003: 85). Auch Krücken/Meier (2006: 251) konstatieren diese Entwicklung im Rahmen ihrer Ausführungen zur Entstehung von Management als Profession im Kontext der »real organization« Universität: »This tendency can be observed with regard to the academic profession: professors are nowadays more and more involved in a variety of rationalized administrative tasks beyond teaching and research, including personnel management, accounting, and quality control. More importantly, since it is assumed that only a professionalized staff will have the ability to successfully achieve stated management goals, professional management of the university is established in parallel with the formal statement of university goals. [Herv. A.B.]«
Ausgangspunkt dieser Entwicklung als weiterer Restrukturierungseffekt ist also erneut das strukturell verankerte »drei-E-Modell« des NPM, denn: »Pressures for efficiency and productivity encourage academic administrators to focus on management processes. […] Unfortunately, the evidence is that the professionalization of academic administration is resulting in more attention to management goals and less attention to academic goals.« (Waugh 2003: 89)
Die einstige Autonomie der Professorenschaft hinsichtlich der Selbstorganisation ihrer Handlungsziele weicht somit (in Teilen) der – dem Marktdenken inhärenten – solitären Autonomie der Universität als Organisation, und verbunden mit einem
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Verlust intra-universitärer Handlungsautorität18 ändern sich die Handlungsanforderungen und -vorstellungen im Hinblick auf die akademischen Akteure (vgl. Aghion/ Tirole 1997; Croissant/Rhoades/Slaughter 2001; Leicht/Fennell 2008: 432f; Pellert 2006: 47f.; Slaughter/Leslie 1999: 68-71). Leistungserfüllung steht im Zentrum dieser Transformation und ist neben dem bereits erwähnten Aspekt der Forschung auch in der Lehre verankert. Für die professoralen Akteure bedeutet dies, dass sie sich hinsichtlich der Zielerreichung und -erfüllung Merkmale des strategischen Managements aneignen müssen, um ihre Mitarbeiter und sich selbst zielstrebig führen zu können. Elemente der Hochschuldidaktik, eine strategische Planung und Betreuung von Publikationen und Qualifikationsarbeiten sowie der Karrieremöglichkeiten unterliegen den quantitativen Kriterien der Leistungsbestimmung und -messung und können nur dann adäquat erreicht werden, wenn das eigene Verhalten und das der Mitarbeiter ressourcenorientiert und zeitoptimiert gemanagt werden. Aufgrund dieser neuen Anforderungen (strategischer) Managementtechniken und deren tatsächlicher Übernahme von den Akteuren zur Bewältigung der organisationalen Ziele und zum Erhalt der bisherigen bzw. der zusätzlichen Finanzierung lässt sich somit ein grundlegender Wandel innerhalb der universitären Praktiken und des bisherigen Wertesystems konstatieren, der ausgehend von den Veränderungen in der formalen Struktur der Universität über die lose Kopplung der Teilbereiche Forschung, Lehre und Verwaltung Auswirkungen auf die akademische Profession hat (vgl. Scott 2005: 136). Das reine forschungsanleitende Erkenntnisinteresse wird flankiert von strategischen Ausrichtungen und Managementtechniken, die den Glauben an den gesellschaftlichen Nutzen von Wissenschaft und Universitäten über die Aspekte wirtschaftlich vermarkt- und verwertbarer, effektiver und effizienter Leistungen umdefinieren. Managementtechniken und strategisches Management per se verkörpern somit durch die Restrukturierung in Gang gesetzte und mittlerweile implementierte universitätsinterne institutionelle Mittel, die im Kontext des NPM- und marktbasierten Glaubens sicherstellen, dass die Anwendung und der Einsatz dieser Mittel eine gesellschaftsrelevante Funktion und Bedeutung haben 18 In Anlehnung an Aghion/Tirole (1997) kann insofern ein Verlust professoraler Autorität innerhalb von Universitäten konstatiert werden, da die Professoren im Kontext der Restrukturierungen nicht mehr im Besitz der effektiven Verfügungsgewalt und Entscheidungskontrolle über die finanziellen Ressourcen sind. Diese obliegt primär der Hochschulleitung und den hierarchisch angegliederten Fakultätsleitungen (diese verfügen über »echte Autorität«), wobei hier – aufgrund der hierarchischen Struktur und der damit verbundenen unterschiedlichen Verfügung über autoritätssteigernde Kontrollfaktoren der Leistungsmessung und -beurteilung – auch Abstufungen hinsichtlich des Ausmaßes »echter Autorität« existieren. Auf Seiten der eigentlichen wissenschaftlichen Akteure, z.B. in Form der Lehrstuhlinhaber, kann Autorität dann lediglich als »formale Autorität« im Sinne einer reinen Kontrolle der Ressourcen angesehen werden.
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(vgl. Parsons 1968b: 536). Und es sind genau diese »institutional means of making sure that such competence will be put to socially responsible uses«, die Parsons (1968b: 536) als zentrales Kriterium bei der Ausbildung einer »full-fledged profession« anführt. Da Management im Verlauf der historischen Entstehung auch auf fundierte wissenschaftliche Diskurse und Erkenntnisse (z.B. Webers Facharbeitertum) sowie qualitätsgesicherte und anerkannte (hochschulische) Ausbildungen zurückgeführt werden kann (siehe u.a. Drucker 2011; von der Oelsnitz 2009) und sich über die Ausbildung gesellschaftlicher Relevanz im Hinblick auf Unternehmensführung auch eine spezifische Managementkultur (z.B. NPM) herausgebildet hat, können damit auch die beiden anderen parsonsschen (1968b: 536) Punkte – die institutionalisierte Überprüfung formal technischer Ausbildungen und die Entstehung bzw. Etablierung einer mit spezifischen Kompetenzen verbundenen Kultur – zur Entstehung von Professionen berücksichtigt werden (vgl. Stock 2005: 75). Im Kontext der Hochschulreformen ist Management somit zu einer Profession evolviert, deren Auswirkung für Universitäten sich auch an anderen Aspekten zeigt: »One indicator of this trend toward the professionalized management of universities is the emergence of specialized journals on higher education management like the Journal of Higher Education Policy and Management, Tertiary Education and Management, Higher Education Management and Policy, or Planning for Higher Education. Another – perhaps even more important – indicator is the establishment of academic programs and courses on higher education management. [Herv. i.O.]« (Krücken/Meier 2006: 252)
5.3 U NIVERSITÄRER I SOMORPHISMUS ALS R AHMENBEDINGUNG FÜR ÄNDERUNGEN IM R OLLENBILD WISSENSCHAFTLICHER AKTEURE Der universitäre Isomorphismus als Rahmenbedingung für Änderungen im Rollenbild wissenschaftlicher Akteure basiert auf den hochschulreformbedingten, erzwungenen Strukturänderungen (Restrukturierungen der formalen Struktur von Universitäten zur intra-universitären Bewältigung der externen Anforderungen), den interuniversitären Nachahmungs- und Homogenisierungseffekten (Einschränkung der Variationsvielfalt organisationaler Ziele durch die extern fixierten Zielvorgaben) und einem auf Ebene der Akteure anzusiedelnden normativen Druck (Professionalisierung von Management). Im Hinblick auf die Änderung der Rahmenbedingungen des Rollenbilds wissenschaftlicher Akteure, nämlich über die Änderung der universitären Organisationskultur, nimmt vor allem der normative Druck eine besondere Stellung ein: Mit dem Einzug und dem Ausbau von Management in Universitäten hin zu einer Profession auf Ebene der Akteure, den extern fixierten und definierten
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Strategien und Zielen sowie mit den Forderungen nach wirtschaftlicher Verantwortlichkeit von und profitabler Güterproduktion durch Universitäten konterkarieren die Aspekte der Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit die grundlegenden Basisannahmen und Werte des traditionellen Wissenschaftsethos. Aufgrund einer zirkulären Verflechtung mit den normativen Vorstellungen über das Verhalten von Universitätsmitgliedern und der neuen, als rational definierten, wirtschaftlich ausgerichteten formalen Struktur von Universitäten führt dies zu einer Änderung der gesamten universitären Organisationskultur und somit zu einer Änderung des internen und externen Rollenbildes wissenschaftlicher Akteure. Der umfangreiche Katalog an Anforderungen und umzusetzenden Maßnahmen, der von außen durch die politisch-administrativen Führungen an die Universitäten in Form der europäischen und amerikanischen Reformmaßnahmen herangetragen wird (vgl. Kap. 3.1.1 und 3.1.2), erzeugt gewissermaßen einen intendierten »(institutionellen) Isomorphismus« (DiMaggio/Powell 1983, 2000). Die intendierte Transformation von Bildung als Gut in Bildung als Ware und das damit verbundene Vorhaben der Anpassung von Universitäten an privatwirtschaftliche Unternehmen zur geforderten effektiven und effizienten Umsetzung dieser Transformation sowie die zum gesellschaftlichen Erhalt notwendige Orientierung und Ausrichtung an externen (nicht-staatlichen) Ressourcen unterziehen Universitäten einem Angleichungsprozess: Universitäten als »real organizations« (Krücken/Meier 2006: 247) werden zum einen den gleichen Umweltbedingungen im Sinne einer wettbewerblichen Marktsituation wie privatwirtschaftliche Unternehmen ausgesetzt und zum anderen werden somit der wettbewerbliche Druck und der Kampf um gesellschaftliche Legitimation zwischen Universitäten erhöht (vgl. DiMaggio/Powell 2000: 151f.).19 »Organizational characteristics are modified in the direction of increasing compatability [sic!] with environmental characteristics […]. […] [I]somorphism can result because nonoptimal forms are selected out of a population of organizations […]. The concept of institutional isomorphism is a useful tool for understanding the politics and ceremony that pervade much modern organizational life.« (DiMaggio/Powell 1983: 149f.)
Die steigende Kompatibilität bzgl. der umweltbezogenen Charakteristika, denen Organisationen gegenüberstehen, sowie die nicht-optimalen Organisationsformen, die zugunsten optimalerer Formen aussortiert werden, sind Elemente, die in den vorangegangenen Ausführungen (vgl. Kap. 2 und 3) sowohl für die breite gesellschaftliche als auch für die spezifische Ebene der Universitäten bereits ausführlich dargestellt wurden. Die extreme Statik bisheriger Verwaltungsstrukturen gegenüber 19 Dies entspricht den bereits in Kap. 5.1 und 5.2 dargestellten Hybridisierungs- und Restrukturierungseffekten des Quasi-Marktes und der unternehmerischen Universität.
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Veränderungsprozessen muss im Kontext der wissensbasierten Gesellschaft und aus Gründen des hiermit verbundenen gesellschaftlichen Fortbestands in Zeiten globaler Wettbewerbsfähigkeit einem dynamischen Verwaltungsmodell auf Basis des NPM weichen. Insofern kann NPM auch als das von DiMaggio/Powell (1983: 150) angesprochene Element angesehen werden, welches das moderne organisationale Leben durch politische Bestrebungen als Form des Reforminstrumentariums moderner Gesellschaften durchzieht. Basierend auf (1) der stärkeren Abhängigkeit von Universitäten bzgl. finanzieller Ressourcen aus dem privatwirtschaftlichen Bereich, (2) der stärker zentralisiert gesteuerten Versorgung mit diesen (leistungsorientierten) Finanzmitteln, (3) der Verfolgung mehrerer (paralleler) Ziele zur Wahrung der universitären Legitimität, (4) der stärkeren Abhängigkeit von diesen unabhängigen Quellen zum organisationalen Überleben, (5) der stärkeren Einbindung in den Austausch mit staatlichen, wirtschaftlichen und politischen Organisationen im Bereich Forschung, wissenschaftliche Beratung und Technologietransfer sowie (6) dem Mangel an Alternativen bzgl. der hybriden Organisationsstruktur der unternehmerischen Universität im Kontext von Quasi-Märkten scheint das Konzept des institutionellen Isomorphismus geeignet, um die Veränderungen im universitären Bereich im Zuge der Restrukturierungsmaßnahmen – eben als universitären Isomorphismus – beschreiben zu können (vgl. DiMaggio/Powell 1983: 154f.; Hackett 1990: 246).20 Hierbei können sowohl die intendierten Effekte einer Restrukturierung des Hochschulwesens als auch die nicht-intendierten Nebeneffekte mit den von DiMaggio/Powell (1983: 150) beschriebenen Mechanismen des Zwangs, der Nachahmung und der normativen (Ver-)Änderung »through which institutional change occurs« erklärt werden. Vor allem der Bereich der intendierten Veränderung der Universitätslandschaft, auf Basis der vom NPM inspirierten und beeinflussten europäischen und amerikanischen Prozesse der Hochschulreformen, kann als erzwungener (»coercive«) Isomorphismus aufgefasst werden. Als Folge politischer Einflussnahme und der Legitimationsfrage betreffend den gesellschaftlichen Beitrag von Universitäten (vgl. DiMaggio/Powell 2000: 153) resultiert der »[c]oercive isomorphism 20 Bei den angeführten Aspekten handelt es sich um jeweils drei der von DiMaggio/Powell (1983: 154ff.) angeführten »Prädiktoren isomorphen Wandels« (DiMaggio/Powell 2000: 161), welche die Entstehung eines institutionellen Isomorphismus entlang der Mechanismen des Zwangs, der Nachahmung und der normativen Veränderung im Kontext organisations- und umweltspezifischer empirischer Befunde vorhersagen können (vgl. DiMaggio/Powell 2000: 161-166). Die angeführten Aspekte entsprechen hierbei den formulierten Hypothesen A-1, A-2, A-4 auf Ebene der Organisation und den Hypothesen B-1 bis B-3 auf der Ebene der Umweltbeziehungen. Letztere sind insofern relevant, »[d]a der Effekt des institutionellen Isomorphismus in wachsender Homogenisierung besteht« (DiMaggio/Powell 2000: 164) und die angeführten Aspekte (4), (5) und (6) die in Kap. 5.1 und 5.2.2 dargestellten Homogenisierungstendenzen verdeutlichen.
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[…] from both formal and informal pressures exerted on organizations by other organizations upon which they are dependent and by cultural expectations in the society within which organizations function« (DiMaggio/Powell 1983: 150). Anders formuliert: Der erzwungene Isomorphismus ist das Resultat der intendierten Restrukturierungen des Hochschulwesens im Kontext der trilateralen Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, welche intra-universitär, durch den Auf- und Ausbau formaler Strukturen zur Bewältigung der externen Anforderungen mithilfe der Implementierung managender Verwaltungseinheiten, gestützt werden. »Federal regulations are a coercive force, which mandate affirmative action officers […] and which contribute to the creation of grants management and government relations offices on campuses. Such offices and their employees, in turn, promulgate rules and standards that change the way academic science operates. They also change the balance of power on campuses. [Herv. i.O.]« (Hackett 1990: 246)
Erzwungene Änderungen sind aber nicht der einzige Mechanismus, welcher einen universitären Isomorphismus begünstigt, denn »auch Ungewißheit kann die treibende Kraft sein, welche die Nachahmung fördert, da Organisationen dazu neigen, sich andere zum Vorbild zu nehmen« (DiMaggio/Powell 2000: 155). Aufgrund der konstatierten Homogenisierungstendenzen und -effekte im universitären Restrukturierungskontext (vgl. Kap. 5.1 und 5.2.2) ist der Mechanismus der Nachahmung somit ein weiterer wichtiger Bestandteil des universitären Isomorphismus: »Mimesis plays a part, too, as universities are constantly surveying the field, modelling themselves on the successful programs of their competitors by adopting innovative educational programs and forms of organization. [Herv. i.O.]« (Hackett 1990: 246) Universitäten übernehmen somit nicht nur den ›technischen‹ Druck von außen und die externe Auffassung bzgl. der gesellschaftlich erwarteten Anforderungen als mythenbefolgendes Ritual, um legitim operieren zu können (vgl. Boxenbaum/Jonsson 2008: 78; DiMaggio/Powell 1983: 151), sondern auch interne Programmstrukturen und Organisationsformen. Die Übernahme von Programmstrukturen und Organisationsformen anderer Universitäten im Wettbewerb generierenden Quasi-Markt lässt sich darauf zurückführen, dass Organisationen im Allgemeinen »tend to model themselves after similar organizations in their field that they perceive to be more legitimate or successful« (DiMaggio/Powell 1983: 152). Empirisch zeigt sich diese Mimesis einerseits an der Anpassung und Nachahmung amerikanischer Universitätsmodelle – wie dies bspw. in den europäischen Hochschulreformen entlang der Umstellung auf Bachelor-Master-Strukturen, der Etablierung von Graduiertenschulen sowie des Auf- und Ausbaus von Forschungszentren in puncto Technologieund Wissenstransfer verankert ist – und andererseits an der in Kapitel 5.2.2 und 5.2.3 konstatierten Homogenisierung der universitären Leitbilder und formalen
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Strukturen.21 Dass es hier kaum noch Unterschiede zwischen einzelnen Universitäten gibt, ist darauf zurückzuführen, »daß trotz der intensiven Versuche, sich von anderen zu unterscheiden, nur eine relativ kleine Bandbreite möglicher Variationen existiert« (DiMaggio/Powell 2000: 156). Denn eingebettet in die strukturellen Rahmenbedingungen des Quasi-Marktes und die gesellschaftlich definierte Blaupause der unternehmerischen Universität, als dasjenige Organisationskonzept gut funktionierender Hochschulen, sowie die durch die Reformen erzeugten und standardisierten Anforderungen – z.B. an die Struktur der Studiengänge bzgl. Modularisierung und Punktevergabe, an die generell gleichberechtigte Aufnahme Studierender oder auch die immer wieder im Fokus stehenden (relativ) gleichverteilten Ressourcen der Grundversorgung – existieren keine allzu großen Variationen mehr. Auch im Hinblick auf die zu erfüllenden Schlagworte Technologietransfer, Nachwuchsförderung, Forschungsförderung, Strategieentwicklung, Controlling sowie Qualitätsmanagement und deren formalstrukturelle Einbettung in bestehende oder neue Verwaltungsstrukturen ist nicht viel Spielraum vorhanden.22 Im Gegensatz zu den beiden Merkmalen des erzwungenen und mimetischen Isomorphismus auf der strukturellen und organisationalen Ebene nimmt der hiermit verbundene normative Druck, welcher u.a. mit der Professionalisierung von Management einhergeht, eine besondere Stellung im universitären Isomorphismus ein. »The professionalization of administrators of higher education and the increasing representation of existing professions (such as law, accounting, and even such arrivistes as organizational planning and development) bring to campuses a force for normative isomorphic change as their professional standards of correct procedure replace the amateur criteria of the traditional academic administrator. [Herv. i.O.]« (Hackett 1990: 246f.)
Dieser normative Druck betrifft aber nicht nur die von Hackett (1990: 246f.) angeführten wissenschaftlichen Verwaltungsbereiche, sondern aufgrund der losen Kopplung auch die anderen universitären Teilbereiche der Lehre und Forschung. Lassen sich nach Hackett (1990: 248f.) die wohl augenfälligsten Mechanismen der Restrukturierung in den »changes in the social organization of academic science, mar21 Eine weitere Nachahmung kann im Bereich des Exzellenzwettbewerbs gesehen werden. Auch hier hat die Anzahl der Bewerber stetig zugenommen und die eingereichten Konzepte, Ziele und Maßnahmen unter den Bewerbern gleichen sich ebenfalls im weitesten Sinne – z.B. der Auf- und Ausbau von Graduiertenkollegs oder spezifische Maßnahmen bzgl. des Qualitätspakts Lehre. 22 Dies hat Tab. 2 (s.S. 216) bereits verdeutlicht: Formalstrukturell sind alle Schlagworte entsprechenden Organisationseinheiten zugewiesen und angegliedert; die einzige Variation besteht in der Nomination der Verwaltungseinheiten, deren Personalausstattung und der Entscheidung bzgl. einer zentralen oder dezentralen organisationalen Angliederung.
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ked by new structures (adminstrative offices and centers), new roles (the academic marginal, the entrepreneur, the professor-employer), and new processes (changing relations within research teams and altered standards of scientific practice« auffinden, so sind die hiermit verbundenen Änderungen des wissenschaftlichen und akademischen Wertekanons hingegen weniger augenfällig, aber dennoch äußerst bedeutsam. »Thus, changes in the university’s connections with its environment have had consequences for its internal structure and functioning. Less apparent are the consequences of such changes for the culture of academic science. The ›received‹ values of academic scientists – those values acquired during their education and professional socialization – are in conflict with the values embodied in and required by their new conditions of work. Values most strongly affected have to do with criteria for choosing research problems, appropriate working relationships with students, and standards for determining when a piece of scientific research is complete and publishable.« (Hackett 1990: 249)
Der von Hackett (1990: 249) beschriebene Wertewandel im Kontext der »culture of academic science« lässt sich demnach auf die Veränderungen im strukturellen (»new conditions of work«) und organisationalen (»criteria for choosing research problems«) Bereich zurückführen und hat gleichermaßen Auswirkungen auf die wissenschaftlichen Akteure (»determining when a piece of scientific research is complete and publishable«) innerhalb der Universität. Dass vor allem die ersten beiden Veränderungen auf die Akteure rückwirken und damit in gewisser Weise auch das mertonsche (1942: 270-273, 1985a: 90-93) Ethos der Wissenschaft einem Wandel unterziehen, was letztlich mit einer Änderung der Rollenauffassung wissenschaftlicher Akteure verbunden ist (Kap. 5.4), kann unter Rekurs auf Scheins (2010) Begriff der Organisationskultur exemplifiziert werden. Ausgangspunkt ist hierbei zunächst ein grundlegender Kulturbegriff, den Schein (2010: 18) definiert als: »a pattern of shared basic assumptions that was learned by a group as it solved its problems of external adaption and integral integration, that has worked well enough to be considered valid and, therefore, to be taught to new members as the correct way to perceive, think, and feel in relation to those problems. [Herv. weggelassen]« (Schein 2010: 18)
Kultur ist in diesem Sinne also ein sehr weit gefasster Begriff, der auf die Basis bestimmter Glaubensgrundsätze und Wertideen zurückgeht, welche im Verlauf ihrer erfolgreich wiederholten Implementierung so selbstverständlich geworden sind, dass sie nicht mehr hinterfragt werden und in gewisser Weise als alternativlos gelten (vgl. Schein: 2010: 23ff.). Dieser umfassende Kulturbegriff kann somit in Anlehnung an Junge (2009: 10) auch als Lebensweise verstanden werden, wobei diese
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wiederum an bestimmte Wertideen, als Vorstellungen und festgelegte Glaubenssätze einer als wertvoll betrachteten empirischen Wirklichkeit, gebunden ist. Und in diesem Sinne der Wertidee und der Kultur kann auch das mertonsche (1942) Wissenschaftsethos gesehen werden. Nämlich als: »[…] that affectively toned complex of values and norms which is held to be binding on the man of science. The norms are expressed in the form of prescriptions, proscriptions, preferences, and permissions. They are legitimized in terms of institutional values. These imperatives, transmitted by precept and example and reinforced by sanctions are in varying degrees internalized by the scientist, thus fashioning his scientific conscience […]. Although the ethos of science has not been codified, it can be inferred from the moral consensus of scientists as expressed in use and wont, in countless writings on the scientific spirit and in moral indignation directed toward contraventions of the ethos.« (Merton 1942: 269)
Somit stehen auch hier bestimmte Grund- und Glaubenssätze im Vordergrund, die sich im Laufe ihrer wiederholten Anwendung auf die empirische Wirklichkeit als relativ feste Wertideen ausgebildet haben.23 Und da nach Weber (1985: 175f.) »[d]er Begriff der Kultur […] ein Wertbegriff [ist]«, der aus denjenigen Bestandteilen der Wirklichkeit hervorgeht, die aufgrund bestimmter Wertideen erst als wertvoll erachtet werden und diesen spezifische Bedeutung verleihen (vgl. Junge 2009:
23 Gilt »Mertons Schema des wissenschaftlichen Ethos […] [zwar; A.B.] seit langem als eine überholte Beschreibung der Wissenschaft bzw. Erklärung des Handelns von Wissenschaftlern« (Weingart 2003: 17), so wird an dieser Stelle der Auffassung von Radder (2011) gefolgt und entgegen der Kritik an Mertons Ethos (siehe u.a. Mitroff 1974; Radder 2011: 89-94; Weingart 2003: 18) – als einem starren Katalog von Normen, welcher der universitären Entwicklung seit dem 19. Jahrhundert keineswegs mehr entspricht – werden die Bestandteile des mertonschen Ethos als Werte angesehen, »die dadurch spezifiziert werden sollten, dass man konkretere Normen darüber hinzufügt, wie diese Werte zu realisieren sind« (Radder 2011: 100). Denn: »Trotz ihrer ziemlich allgemeinen und vagen Art sind mertonianische Werte aus zwei Gründen bedeutsam. Erstens dienen sie dazu, ein Gemeinschaftsgefühl zu fördern, das der Instandhaltung eines angemessenen Maßes von Vertrauen, sowohl unter den Wissenschaftlern selbst als auch zwischen Wissenschaft und breiterer Öffentlichkeit, zuträglich ist. Zweitens besitzen mertonianische Werte, wie alle (allgemeinen) Begriffe, eine nicht-lokale Bedeutung, die als heuristische Quelle für die Artikulierung neuer wissenschaftlicher Normen ausgeschöpft werden kann, die in neuartigen Situationen fruchtbar angewandt werden können.« (Radder 2011: 101) Darüber hinaus ist die Auffassung des Wissenschaftsethos als grundlegende Wertideen oder Basisannahmen in der Lage, den Ausgangspunkt der Institutionalisierung von Wissenschaft und somit auch der Entstehung von Universitäten als Organisationen zu fassen.
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10), kann das mertonsche Ethos24 nicht nur als Basisannahme der Wissenschaftskultur angesehen werden, sondern auch als Basisannahme der hierüber institutionalisierten Universitäten; eben die von Schein (2010: 23) konstatierte erste Ebene einer Organisationskultur. Aufgrund des dreistufigen Ansatzes von Schein zur Bestimmung der Organisationskultur, in Abhängigkeit von der Sichtbarkeit dieser drei Stufen für den Beobachter, bilden die grundlegenden Basisannahmen (basic underlying assumptions) den Kern der Organisationskultur, auf den die beiden anderen Stufen der anerkannten Werte (espoused beliefs and values) und Artefakte (artifacts) aufbauen (vgl. Schein 2010: 23f.). Denn »the essence of a group’s culture is its pattern of basic underlying assumptions, and after you understand those, you can easily understand the other more surface levels and deal appropriately with them« (Schein 2010: 32). Die weniger beobachtbaren Basisannahmen bilden also den Grundstein für die Kultur einer Organisation, die erst im Gesamtkomplex mit den anerkannten Werten und Artefakten an der Oberfläche sichtbar wird. Am sichtbarsten für den Beobachter sind nach Schein (2010: 23f.) die Artefakte einer Organisation, wie bspw. die formale Struktur oder die produzierten Technologien und Güter auf der obersten Stufe der Organisationskultur (vgl. Miebach 2012: 51). Die Artefakte resultieren hierbei aus der vorgelagerten zweiten Stufe der anerkannten Werte. Hierbei handelt es sich nicht nur um die Strategien, Ziele und Leitbilder der Organisation, die als »certain value domains« (Schein 2010: 26) aus der Verflechtung mit den Umwelteinflüssen resultieren, sondern auch um normative Vorstellungen über das Verhalten der Organisationsmitglieder aufgrund sich verfestigender Vorstellungen von einem »shared value or belief [Herv. i.O.]« hin zu »shared assumptions [Herv. i.O.]« (Schein 2010: 26; vgl. Miebach 2012: 51f.; Schein 2010: 25f.). Diese Entwicklung kann auch im Bereich der Universitäten nachvollzogen werden: Aus dem von Merton konstatierten Ethos der Wissenschaft (Scheins basic underlying assumptions), in gewisser Weise als transparenter Kanon von Werten, die der öffentlichen Rechtfertigung im Zuge der universitären und wissenschaftlichen Entwicklung dienten (vgl. Merton 1985a: 86ff.), entstand die Ausbildung formaler Strukturen, eines Prüfungswesens etc. (Scheins espoused beliefs and values), woraus letztlich die formale Struktur von Universitäten und das produzierte Gut der wissenschaftlichen (Fach-)Ausbildung für unterschiedliche gesellschaftliche Belange und Bedarfe (Scheins artifacts) sichtbar wurden.
24 Mertons Ethos der Wissenschaft vollzieht sich entlang der (1) Allgemeingültigkeit und Objektivität wissenschaftlicher Erkenntnis (»Universalism«), der (2) freien, keinem persönlichen Gewinnstreben unterliegenden Verfügbarkeit dieser Erkenntnis (»›Communism‹«), der (3) Verifizierbarkeit und Wahrheit des Wissens (»Disinterestedness«) und des (4) kritischen Reflexionsvermögens (»Organized Skepticism«) (vgl. Merton 1942: 270-278, 1985a: 90-99; Münch 2011b: 512).
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Der oben angesprochene Wandel des mertonschen Ethos der Wissenschaft – im Sinne der basic underlying assumptions innerhalb von Universitäten als Bestandteil der Wissenschaft – vollzieht sich (vor allem) aufgrund der Verwobenheit mit den Strategien, Zielen und normativen Verhaltensvorstellungen (den espoused beliefs and values) innerhalb von Universitäten. Diese Stufe der Organisationskultur fungiert als Schnittstelle mit der Umwelt einer Organisation und ist somit mit den Anforderungen aus Politik, Wirtschaft und gesellschaftlicher Legitimation konfrontiert. Um weiterhin gesellschaftlich legitimiert operieren zu können, werden im Kontext der Reformen die äußeren Anforderungen universitätsintern in die restrukturierten Ziele und Leitbilder übersetzt, womit letztlich auch eine Restrukturierung der artifacts – z.B. als Wandel der formalen Struktur – einhergeht (vgl. Kap. 5.2.1, 5.2.2 und 5.2.3). Da sich die Organisationskultur aber aus allen drei Bereichen zusammensetzt und diese miteinander verwoben sind bzw. aufeinander aufbauen und zurückwirken (vgl. Abb. 8), wirken die extern gestellten Anforderungen somit nicht nur auf die anerkannten Werte und die Artefakte, sondern eben auch auf die Basisannahmen ein. Abbildung 8: Das Stufenmodell der Organisationskultur
Vgl. Miebach 2012: 51; Schein 2010: 23-35
Der Grund für diesen Wandel liegt im normativen Druck als »dritte Quelle isomorpher Veränderungen von Organisationen« (DiMaggio/Powell 2000: 157), welcher aus Professionalisierungsprozessen resultiert (vgl. DiMaggio/Powell 2000: 157f.). Die von außen gestellten Anforderungen an Universitäten führen, wie bereits dargestellt, nicht nur zur Änderung organisationaler Leitbilder und formaler Strukturen, sondern hiermit einhergehend zu einem Ausbau strategischer Managementstrukturen. Diese Professionalisierung von Management innerhalb von Universitäten (vgl.
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Kap. 5.2.4) vollzieht sich auf der Ebene der Akteure und konterkariert in gewisser Weise das mertonsche Ethos im Sinne der basic underlying assumptions. In Anlehnung an Hackett (1990: 251-265) resultiert der durch Professionalisierung entstehende normative Druck u.a. aus der internen leistungsorientierten Mittelvergabe sowie der externen finanziellen Ressourcenabhängigkeit. Diese ändern nicht nur das Forschungsverhalten, sondern lassen das Mittel Geld zum tatsächlichen Zweck werden. Die eigentlichen Prinzipien und Verhaltensweisen der klassischen Akademia werden somit in ökonomischer Weise transformiert, was ebenfalls zur Veränderung der wissenschaftlichen Qualität – über die Evaluation finanzieller und wirtschaftlich verwertbarer (also: messbarer) Qualität – führt. Die hiermit verbundenen normativen Verhaltensanforderungen (espoused beliefs and values) an die beteiligten Akteure – nun als strategische Manager – sind in der Konsequenz nicht mehr mit den Aspekten des mertonschen Ethos in Einklang zu bringen. Als Folge hiervon lassen sich Ambivalenzen im Bereich dieser grundlegenden Basisannahmen konstatieren: »[…] the new circumstances of academic work […] are accompanied by underlying ambivalences or tensions among university scientists, ambivalences that reflect fundamental changes in the culture of academic science« (Hackett 1990: 265). Merton (1985b) selbst erkannte bereits derartige Ambivalenzen, wenn er sich u.a. mit dem unbewussten Plagiieren (Kryptomnesie), der Problematik von Mehrfachentdeckungen und dem persönlichen Anspruch auf Priorität befasst. Sind diese Ambivalenzen aber Teil der Handlungsausrichtung von Akteuren und damit vorwiegend persönlichen Werten zuzuschreiben, können sie nicht mit den grundlegenden Basisannahmen in Form unpersönlicher Werte, wie Mertons Ethos hier verstanden wird, kontrastiert werden. Auch die im Rahmen der Kritik an Mertons Ethos bspw. von Mitroff (1974) entwickelten »Counter-Norms« des »Particularism«, der »Solitariness«, der »Interestedness« und des »Organized dogmatism« oder die von Hackett (1990: 265-269), in Anlehnung an Merton (1942) und Mitroff (1974), entwickelten Gegensatzpaare (»Freedom/Autonomy vs. Accountability/Dirigisme«, »Producing research results vs. Educating students«, »Local orientation vs. Cosmopolitan orientation«, »Quality vs. Quantity«, »Specialization vs. Generalization«, »Competition vs. Cooperation« und »Efficiency vs. Effectiveness«) als Beispiele für einen Wandel der akademischen Kultur scheinen nicht geeignet, um den Wandel des wissenschaftlichen Ethos als unpersönliche Basisannahmen zu beschreiben. Denn sowohl Mitroff als auch Hackett beziehen sich bei ihrer Kritik auf die »[…] seit langem überholte Beschreibung der […] Erklärung des Handelns« (Weingart 2003: 17), wie sie aus der Betrachtung des mertonschen Ethos »als empirische Beschreibung des Verhaltens von Wissenschaftlern und deren Motivation« (Weingart 2003: 18) resultiert.25 Trotz aller Kritik, die an Mertons Ethos 25 Siehe bzgl. der an Mertons Ethos geübten Kritik auch die Zusammenfassung von Felt/ Nowotny/Taschwer (1995: 60ff.).
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der Wissenschaft geübt wurde, erweisen sich die Dimensionen des Universalismus, des geistigen Kommunismus, der Uneigennützigkeit und des organisierten Skeptizismus in gewisser Weise aber dennoch als »Spezifik wissenschaftlichen Wissens […] [, denn; A.B.] welcher Art [wäre] das Wissen, wenn die Prinzipien des Ethos überhaupt kein Geltung besäßen?« (Weingart 2003: 21) Zusätzlich konstatiert Weingart (2003: 21): »Die pauschale Zurückweisung des Ethos erweist sich im übrigen als etwas voreilig, wenn man z.B. die Reaktion der institutionalisierten Wissenschaft auf spektakuläre Fälle von wissenschaftlichem Betrug und Zweifel an der Funktionsfähigkeit des peer review-Systems betrachtet […]. Sie haben in den führenden Wissenschaftsnationen zu Kodifizierungen des wissenschaftlichen Ethos geführt, die den Formulierungen Mertons sehr nahe kommen […]. Auch Mertons Hinweise auf die Gefährdungen des Wissenschaftssystems durch eine Überbetonung der Konkurrenz und die drohende Geheimhaltung des Wissens haben in jüngster Zeit an Aktualität gewonnen. [Herv. i.O.]«
Vor allem der Hinweis auf das peer review-System und damit auf das Publikationswesen als das zentrale Organ wissenschaftlicher Kommunikation stärken die Vermutung, dass das mertonsche Ethos einen Bestandteil grundlegender Basisannahmen einer wissenschaftlichen und – aufgrund der Tatsache, dass Universitäten auch zentrale Produktionsstätten wissenschaftlicher Publikationen sind – universitären Kultur bildet. Geht es im Kern aber um einen Wandel dieser grundlegenden Basisannahmen, so muss sich dieser dennoch an divergierenden Paaren des Ethos festmachen lassen. Interessanterweise erkennt Merton (1942: 270-278, 1985a: 90-99) selbst innerhalb der von ihm aufgestellten Dimensionen ambivalente Gegenpaare, wenn er dem Universalismus den Partikularismus (universalism vs. particularism), dem geistigen Kommunismus die Geheimniskrämerei (communism vs. secrecy), der Uneigennützigkeit eigene Vorteile (disinterestedness vs. competition) und dem organisierten Skeptizismus die zunehmende Kontrolle außerwissenschaftlicher Institutionen über die Wissenschaft (organized skepticism vs. control over science) gegenüberstellt. Anhand von Abbildung 9 (s. S. 235) kann am Beispiel des Publikationswesens aufgezeigt werden, wieso letztlich die mertonschen Gegenpaare im Kontext der und in Abhängigkeit von den Umweltbeziehungen an Bedeutung gewinnen.26 26 Die linke Darstellung in Abb. 9 (s.S. 235) charakterisiert die ›klassische‹ Universität (Akademia) vor den Reformprozessen und Restrukturierungsmaßnahmen. Da sich die hierbei zugrunde liegenden zentralen Charakteristika im Rahmen der Reformprozesse aber wandeln und in gewisser Weise ›verblassen‹, wird hierauf nicht näher eingegangen. Die Darstellung dient lediglich dazu, die kontrastierten Umweltbedingungen grafisch nachvollziehen zu können.
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Ausgangspunkt sind hierbei zunächst die Umweltbeziehungen der Universität als soziale Kräfte, die überhaupt Veränderungen im Bereich der Werte erzwingen (vgl. Hackett 1990: 244). Abbildung 9: Änderung der universitären Organisationskultur
Vgl. Binswanger 2012: 148-173; Glenna et al. 2007: 147; Merton 1942: 270-278; Mayntz 1999, 2000; Münch 2011b: 512; Schimank 2010a: 236f.
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Auf der obersten Ebene beziehen sich die Umweltbeziehungen auf das Konzept der »Triple-Helix«, welches im Zuge einer wissensgesellschaftlich adäquaten Funktionsweise den Erhalt und Fortbestand der Gesellschaft als Ganzes sichern soll. Im Kontext dieser Verflechtung entstanden die intendierten Reformmaßnahmen des Universitätswesens und führten auf struktureller Ebene zur Implementierung des Quasi-Markts und auf organisationaler Ebene zur unternehmerischen Universität als eines der zentralen Leitkonzepte der Umstrukturierung. Dem Konzept der unternehmerischen Universität inhärent sind die Aspekte der eigenen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verantwortlichkeit, die Produktion vermarktbarer Güter und die Erzielung von Profiten gemäß der monetären Orientierung, die Erfüllung spezifischer Aufgaben und Fokussierung auf spezifische Objekte im Bereich der angewandten und Entwicklungsforschung und des Wissens- und Technologietransfers sowie eine auftragsbezogene, ressourcensparende, schnelle Bewältigung innerhalb der Forschung.Wie bereits dargestellt, wirken diese Kriterien auf die wirtschaftlichere Ausrichtung der universitären Strategien, Leitbilder und Ziele. Dieses externe Einwirken auf die universitären espoused beliefs and values wirkt wiederum durch die in Gang gesetzten Änderungsprozesse auf die universitären artifacts in Form der Veränderung bzw. des Ausbaus der formalen Strukturen im Bereich der Verwaltung, um den Forderungen nach und Bedarfen an Forschungsförderung sowie dem Technologie- und Wissenstransfer gerecht zu werden. Aufgrund der zirkulären Verflechtung der drei Stufen der Organisationskultur (vgl. Abb. 8, S. 232) wirken die Änderungsprozesse im Bereich der artifacts auf die espoused beliefs and values zurück – strategisches Management wird an dieser Stelle obligat. Wie ebenfalls bereits aufgezeigt wurde, wird das strategische Management in diesem Kontext für alle an der Hochschule agierenden Akteure relevant und ebenfalls obligat; besonders für die Professoren bzgl. leistungsorientierter Mittelvergaben und die wissenschaftlichen Mitarbeiter bzgl. strategischer Karriereplanung. Und an dieser Stelle treten die erwähnten Ambivalenzen im Bereich der grundlegenden Basisannahmen des Wissenschaftsethos auf. Dies kann anhand des Publikationswesens verdeutlicht werden: Publikationen bilden das zentrale Kommunikationsmittel wissenschaftlichen Wissens und wirken über das peer reviewVerfahren zugleich selbststeuernd nach innen und legitimierend nach außen (vgl. Weingart 2011: 285ff.). Im Kontext der Reformmaßnahmen nimmt aber aufgrund der (teilweise) durchaus politisch motivierten (Forschungs-)Förderung der externe Einfluss auf dieses Steuerungs- und Kommunikationsorgan zu und bedroht in Teilen die einstige wissenschaftliche Autonomie (vgl. Weingart 2011: 291). Der externe Einfluss zeigt sich hierbei ebenfalls entlang der Aspekte der Rechenschaftsablegung und der Leistungsevaluation, welche im Bereich des Publikationswesens auf das produzierte wissenschaftliche Wissen und den Erkenntnisgewinn abzielen. Evaluiert werden diese Leistungen auf Basis von Zitationsindizes, die als quantitative Marker Aussagen über die Qualität publizierten Wissens geben sollen und zugleich
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als Bewertungskriterien der Leistung – nach dem Motto: je mehr einzelne Arbeiten zitiert werden, desto höher scheint die Qualität und damit die Leistung – der wissenschaftlichen und letztlich auch universitären Legitimation dienen. Die Leistungsbewertung wird demnach über dieses Instrumentarium externalisiert und obliegt nicht mehr explizit der (selbststeuernden) scientific community (vgl. hierzu Weingart 2011: 312-315). »[Ein Nebeneffekt; A.B.] […] der Externalisierung der Leistungsbewertung ist epistemischer Natur und betrifft die wissenschaftliche Kommunikation selbst. […] Da an die Einführung der Indikatoren Steuerungsintentionen, das heißt Belohnungen und Bestrafungen, gebunden sind und da die bibliometrischen Indikatoren Repräsentationen des wissenschaftlichen Kommunikationsprozesses sind, reagieren die Wissenschaftler strategisch. [Herv. i.O.]« (Weingart 2011: 320)
Das einstige Publikationswesen als formelles Kommunikationsmittel wissenschaftlicher Erkenntnis und Wahrheit über die Grenzen des Wissenschaftssystems hinaus (vgl. Felt/Nowotny/Taschwer 1995: 66f.) wird pervertiert. Die nicht subjektiver Willkür unterliegende Objektivität bei der Suche nach wissenschaftlicher Wahrheit (universalism), der Verzicht auf persönliche Verfügungsrechte und die Auffassung wissenschaftlichen Wissens als gemeinsames Gut (communism), die Forderung nach der Verifizierbarkeit als zentrales Kriterium (disinterestedness) oder das kritische Reflexionsvermögen gegenüber unüberprüfbarem Wissen (organized skepticism) (vgl. Merton 1942: 275ff., 1985a: 96ff.; Münch 2011b: 512) werden durch die, u.a. von Glenna et al. (2007: 147) diagnostizierten, Dimensionen der externen Anforderungen hinsichtlich wirtschaftlicher Verantwortlichkeit, Produktion vermarktbarer Güter, monetär orientiertes Profitstreben, spezifische Auswahl von Forschungsobjekten und Aufgaben, aufgrund der vermehrten Ausrichtung auf angewandte und Entwicklungsforschung, konterkariert. Die extern intendierte Forderung wirtschaftlicher Verantwortlichkeit und profitabler Produktion von Gütern, die aufgrund der Verflechtung von Wissenschaft und Universitäten mit Bereichen der Wirtschaft einer extern bedingten Fokussierung auf spezifische – eben wirtschaftlich relevante – Objekte unterliegt, kann in Anlehnung an Merton (1942: 270ff., 1985a: 90ff.) als »wirtschaftlicher Ethnozentrismus« aufgefasst werden, der sich als eine Variante des Partikularismus nicht mit dem Konzept des Universalismus verträgt. Die hierbei implizit integrierte Forderung nach der Produktion wahren Wissens (im Sinne finanziell verwertbaren Wissens) hat im Bereich der formellen wissenschaftlichen Kommunikation zu vermehrten Betrugsfällen, eben aufgrund des ökonomischen Produktivitätsdrucks, geführt (vgl. Binswanger 2012: 169). Historisch prominente Skandale wissenschaftlichen Fehlverhaltens und Betrugs, wie z.B. die Baltimore/Imanishi-Kari-Affäre 1986, der Hermann/ Brach-Skandal 1995 oder ein Skandal im Max-Planck-Institut für Züchtungsfor-
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schung 199727, haben mit ihrer Manipulation von Daten und somit der subjektiven Konstruktion wissenschaftlicher Wahrheit »dem Wahrheitsgehalt wissenschaftlicher Aussagen, ihrer Objektivität oder Zuverlässigkeit geschadet« (Mayntz 1999; vgl. Mayntz 1999; Weingart 2011: 292-299). Verantwortlich sind hierbei aber nicht nur der Produktionsdruck auf Seiten der Produzenten derartiger Ergebnisse, sondern auch die – ebenfalls dem Produktionsdruck unterliegende – Ressourcenknappheit und der Zeitmangel auf Seiten der Gutachter, die durch teilweise lediglich oberflächliches Lesen ebenfalls zum Verlust der Zuverlässigkeit beitragen (vgl. Mayntz 2000; Schimank 2010a: 236f.). Bedingt durch diese externen Anforderungen und den inhärenten Produktionsdruck nehmen partikularistische Tendenzen eine erhöhte Stellung innerhalb von Universitäten als Produktionsstätten (wahren) wissenschaftlichen Wissens ein. »Die Annahme, dass wissenschaftliche Hochschulen der Wahrheitssuche verpflichtet sind […], ist heute weitgehend Fiktion. Universitäten fühlen sich nur noch der ›Exzellenz‹ verpflichtet und diese erhält man nicht mit Wahrheitssuche, sondern mit Publikationen. So ist es kein Wunder, dass in letzter Zeit vermehrt Betrugsfälle an die Öffentlichkeit gelangten.« (Binswanger 2012: 169)
Ebenfalls bedingt durch den Produktionsdruck wird der Aspekt des communism konterkariert. Aufgrund der nun auch persönlich stärkeren finanziellen Abhängigkeit durch leistungsorientierte Mittelvergaben bei der Produktion von Publikationen wird der vorher rege Austausch unter Kollegen auf Basis der informellen Kommunikation – verbale, nicht schriftlich fixierte wissenschaftliche Diskurse oder das halböffentliche Zirkulieren von Manuskripten – aus Furcht vor Ideendiebstahl minimiert (vgl. Felt et al. 1995: 67f.). Führte der Aspekt der informellen Kommunikation bis dato »zu einer Beschleunigung der Verbreitung von Ideen und damit bisweilen zu einem schnelleren Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnis« (Felt/ Nowotny/Taschwer 1995: 67f.), so werden die Informationen über neue Erkenntnisse zuweilen nur noch zerstückelt und formell kommuniziert (vgl. Weingart 2011: 321). Im Bereich des Publikationswesens wird diese »sachlich suboptimale Publikationspraktik« (Schimank 2010a: 237) vor allem an der sogenannten ›Salami-Taktik‹ deutlich; dem Veröffentlichen von least publishable units oder dem Aspekt der Mehrfachveröffentlichungen einer Idee unter anderem Namen oder in einer anderen Sprache (vgl. Mayntz 2000; Schimank 2010a: 237; Weingart 2011: 321). Dem einstigen Wert des communism wird als Folge des ständigen Drucks nach Lieferung 27 In allen angeführten Fällen ging es um die Manipulation von Daten, die zu fehlerhaften Ergebnissen und somit auch zu fehlerhaft publizierter wissenschaftlicher Erkenntnis führten. Eine Übersicht über die angeführten Fälle und eine recht ausführliche Schilderung finden sich bei Mayntz (1999) und Weingart (2011: 292-299).
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neuer Erkenntnisse sowie der Zunahme von Wettbewerb und Konkurrenz der Wert der Geheimniskrämerei (secrecy) entgegengestellt. Über den Produktionsdruck und die verstärkte monetäre Orientierung als Mittel einer extrinsischen Anreizstruktur sowie die subjektiv notwendige schnelle Publikation von Ergebnissen nehmen auch der Wettbewerb und der hiermit verbundene Eigennutzgedanke immer mehr zu. Competition wird somit der einstigen Uneigennützigkeit (disinterestedness) gegenübergestellt, was im Bereich der formellen wissenschaftlichen Kommunikation über das Publikationswesen mit einem Rückgang der Zuverlässigkeit wissenschaftlichen Wissens verbunden ist (vgl. Schimank 2010a: 237; siehe Mayntz 2000). Aus Gründen der Ressourcenknappheit und des Konkurrenzdrucks führt dies zu kurzfristig orientierten Forschungen und Erkenntnissen, sodass nach Binswanger (2012: 156) die Form wissenschaftlicher Publikationen wichtiger wird als der Inhalt. »Banale Ideen werden zu hochkomplexen formalen Modellen aufgeblasen, welche das technische oder mathematische Know-how der Autoren demonstrieren und Wichtigkeit vortäuschen sollen. […] Mit der Formalisierung entfernen sich die Wissenschaften aber auch immer mehr von der Realität, da vorgetäuschte Präzision wichtiger wird als tatsächliche Relevanz.« (Binswanger 2012: 156)
Durch die externe Festlegung dessen, was als vermarktbares Produkt angesehen werden kann – also wirtschaftlich-gesellschaftlichen Nutzen hat –, und die Fokussierung auf angewandte und Entwicklungsforschung, aus Gründen der vorwiegenden Finanzierung derselben, kann in kritischer Hinsicht auch ein Rückgang des kritischen Reflexionsvermögens hinsichtlich des existenten (teilweise) unüberprüfbaren Wissens konstatiert werden. Der von Merton (1942: 278, 1985a: 99) kritisch angemerkte Aspekt einer control over science, welche das Resultat einer Ausdehnung der Kontrolle anderer Institutionen über die Wissenschaft ist (die »TripleHelix«) und dem organized skepticism diametral entgegensteht, zeigt sich im Bereich des Publikationswesens in Teilen an einer Hoheitsmacht einzelner Koryphäen, die zugleich als Herausgeber von führenden und hochgerankten Journals tätig sind und dafür Sorge tragen, dass keine bzw. kaum Erkenntnisse, Methoden und Theorien veröffentlicht werden, die nicht dem derzeitigen Mainstream entsprechen (vgl. Binswanger 2012: 155). Als Folge hiervon sind »[e]inige Wissenschaften (z.B. die Ökonomie) […] auf diese Weise zu einer Theologie verkommen, wo Häresie in etablierten Zeitschriften nicht mehr geduldet wird. Diese findet nur noch in ein paar wenigen, auf abweichende Theorien spezialisierten, randständigen Zeitschriften statt, wo Publikationen aber kaum zum Ansehen eines Wissenschaftlers beitragen.« (Binswanger 2012: 155)
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Pointiert formuliert führt kritisches Reflexionsvermögen innerhalb der formellen wissenschaftlichen Kommunikation zu keinem ertragreichen Gewinn mehr und im Gegenzug wird dem Dogmatismus des Mainstreams folgend »immer mehr Unsinn produziert, der nichts zu einem echten wissenschaftlichen Fortschritt beiträgt« (Binswanger 2012: 170). Werden über das Publikationswesen, als zentralem Bestandteil der legitimitätssichernden formellen Kommunikation der Wissenschaft mit ihrer Umwelt, demnach die Ambivalenzen zwischen dem klassischen Wissenschaftsethos und den neuen Werten erzeugt, so fällt hiermit, zumindest im Bereich der Forschung, eine Überbetonung dieser neuen Werte zusammen. Denn es sind particularism, secrecy, competition und control over science, welche explizit den Transformationen der universitären Strategien, Ziele, Leitbilder sowie den Änderungen innerhalb der formalen Struktur und der Forderung nach Wissens- und Technologietransfer dienlich sind und somit zum Wandel der Organisationskultur beitragen.28 Der normative Druck, als letzter integraler Bestandteil des universitären Institutionalismus, ist es dann auch, der im Gesamtkomplex eine zentrale Funktion einnimmt. Über den Wandel der universitätsinternen Werte im Bereich der Organisationskultur, den normativen Druck sowie den extern erzwungenen und mimetischen Isomorphismus resultiert eine Änderung des Rollenbildes der wissenschaftlichen Akteure.
5.4 D ER H OMO A CADEMICUS O ECONOMICUS Die hochschulreformbedingten Änderungsprozesse, die sich politisch intendiert auf die strukturellen Rahmenbedingungen und die organisationale Ebene – gemäß dem Schlagwort »mehr Wettbewerb« und dem Effizienz-, Effektivitäts- und Wirtschaftlichkeitscredo des NPM als generalisierten Rationalitätsprinzipien für Universitäten – fokussieren, sind hinsichtlich ihrer Umsetzung und Durchführung aber auch auf die universitär beteiligten (wissenschaftlichen) Akteure angewiesen. Verbunden mit der Änderung des universitären Wertekanons und damit der universitären Organisationskultur unterliegen diese Akteure hinsichtlich der an sie herangetragenen Erwartungen einem Wandel des klassisch-traditionalen Rollenbilds, der sich als nicht-intendierte Nebenfolge in dem Akteurmodell des homo academicus oeconomi-
28 Dies soll aber in keiner Weise bedeuten, dass die klassischen mertonschen Werte ganz aus dem universitären und wissenschaftlichen Bereich verdrängt werden bzw. zurücktreten (zumindest bis dato). Die Ambivalenzen bleiben weiter bestehen, denn in gewisser Weise ist das klassische Wissenschaftsethos aus dem Bereich der Forschung zwar nahezu verschwunden, im Bereich der Lehre dürfte es aber noch weiterhin Relevanz besitzen.
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cus zeigt. Diese hybride, aus der Vermischung der Akteurtypen des homo academicus und des homo oeconomicus hervorgehende Vorstellung von und Verhaltenserwartung an wissenschaftliche Akteure ist das Resultat einer Durchdringung des klassischen homo academicus mit der Ökonomisierungslogik der NPM-gelagerten Hochschulreformen. Als Folge hieraus steht für wissenschaftliche Akteure dieses neuen Typs nicht mehr die traditionelle Erkenntnisproduktion, die akademische Ehre und Leidenschaft im Fokus ihrer Handlungen, sondern das ökonomisierte und quantifizierte Sammeln und Erfüllen von Leistungspunkten sowie die geforderte Profitmaximierung im Hinblick auf universitäre und individuelle Finanzgewinne. Die strukturellen und organisationalen Veränderungen hin zu einem Marktgebilde, innerhalb dessen die klassische wissenschaftliche Kultur mertonscher Prägung durch Konkurrenzaspekte des Wettbewerbs eine Ablösung erfahren, führt nicht nur zu einer Restrukturierung des bisherigen status quo in der Universitätslandschaft (vgl. Münch 2011a: 94). Auch die im und am System beteiligten Akteure unterliegen diesem Meta-Wandel, wie dies exemplarisch bereits im Bereich des zunehmenden Managements (vgl. Kap. 5.2.4) dargestellt wurde. Anhand des universitären Isomorphismus wurde deutlich, wie die Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte des Quasi-Markts und der unternehmerischen Universität, in Abhängigkeit von den extern steuernden Umwelten (Wirtschaft und Politik), auch auf die Kultur der Universitäten einwirken und dort entlang der Priorisierung von Forschungsleistungen und des damit verbundenen zentralen internen und externen Kommunikationsorgans des Publikationswesens eine Veränderung der grundlegenden Basisannahmen generieren. In der Zusammenschau all dieser prozessualen Restrukturierungseffekte lässt sich somit konstatieren, dass der letzte hier anzuführenden Restrukturierungs- bzw. Hybridisierungseffekt im Bereich der wissenschaftlichen Akteure anzusiedeln ist: Denn Akteure sind zentrale Bestandteile von Organisationen und damit auch von Universitäten (vgl. Kap. 2.2.1, 2.2.2 und 4.3). Der Änderungsprozess auf der Ebene der Akteure, der durch die strukturellen und organisationalen Restrukturierungen begleitet bzw. bedingt wird und in gewisser Weise einen Mutationseffekt (siehe Meister-Scheytt/Scheytt 2006) in der Rollenvorstellung akademischer Akteure hervorruft, welcher letztlich in dem veränderten Rollenbild des hybriden homo academicus oeconomicus (Peter 2010) mündet, lässt sich anhand von Abbildung 10 (s.S. 242) darstellen. Unter Rekurs auf die Ausführungen zur gesellschaftlichen Differenzierung (vgl. Kap. 2.2.1), zu den Hochschulreformprozessen (vgl. Kap. 3 und Abb. 5, S. 128) und zur Auffassung von Universitäten als institutionalisierte Organisationen lose gekoppelter Bereiche (vgl. Kap. 4.3 und Abb. 6, S. 174), können die hier aufgezeigten nicht-intendierten Restrukturierungsprozesse – als zweite universitäre Ökonomisierungsebene – die Änderung im Rollenbild akademischer Akteure verdeutlichen.
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Abbildung 10: Ökonomisierung der Universitäten – zweite Ebene: nicht-intendierte Restrukturierungseffekte
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Aus der Abarbeitung von Intentionsinterferenzen auf Ebene der politisch-administrativen Führung in Abhängigkeit von der für den gesellschaftlichen Fortbestand als unzureichend definierten Hochschulsituation resultieren in Form der Hochschulreformmaßnahmen Strukturen, die zugleich ein intendiertes Handeln nach sich zogen. Aus der Intention der Erhöhung der Attraktivität von Universitäten und der Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch Wissen, als antreibende und zukunftssichernde Kraft in der neu entstandenen »Triple-Helix« der Wissensgesellschaft, bestand das intendierte Handeln in der Implementierung NPM-inhärenter Strategien (u.a. Einführung von Qualitätssicherung, Rechenschaftsablegung und Evaluationsmaßnahmen) in die Universitätslandschaft, was zu einer institutionellen Differenzierung der Universitäten führte und auf die Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Gesellschaften im internationalen Kontext zurückwirkt. Die hiermit verbundene Forderung hinsichtlich eines vermehrten Wissens- und Technologietransfers sowie der Ausbau von Forschungsleistungen zur zusätzlichen finanziellen Absicherung der Universitäten wirken als eine von außen gesetzte neue Struktur auf die beteiligten Universitäten. Das Schlagwort »mehr Wettbewerb« (Rosa 2006: 82) als Resultat des NPMinhärenten ›(drei-E-)Credos‹ der Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit und als neu herausgebildetes, generalisiertes Rationalitätsprinzip für Universitäten benötigt wiederum Akteure, die für den Aufbau und Erhalt dieser Restrukturierung verantwortlich sind (vgl. Schimank 2000: 179). Diese Aufgabe obliegt zunächst den wissenschaftlichen Akteuren, da aus ihrem Zusammenschluss in Forschungsgruppen – aufgrund der Selbststeuerung der Wissenschaft (vgl. Kap. 4.3, Abb. 6, S. 174) – Universitäten als wissenschaftliche Institutionen, eben als handlungsfähige Sozialsysteme, entstehen und aufrechterhalten werden. Der Wettbewerbsgedanke muss somit einerseits intra-universitär implementiert und gemäß dem ›drei-E-Credo‹ umgesetzt werden, damit andererseits inter-universitärer Wettbewerb, als treibende Kraft des gesellschaftlichen Erhalts und Fortbestands bzgl. des geforderten Wissens- und Technologietransfers sowie der verstärkten Forschungsausrichtung, resultiert. Neben den hieraus entstehenden nicht-intendierten Nebenfolgen auf der interuniversitären Ebene – u.a. die in Kapitel 5.1, 5.2.2 und 5.3 als mimetische Bestandteile des universitären Isomorphismus geschilderten Homogenisierungseffekte – lassen sich aber auch nicht-intendierte intra-universitäre Nebenfolgen konstatieren. Ausgangspunkte hierbei sind die Aspekte der Rechenschaftsablegung (vgl. Kap. 5.2.1), der Zieldefinition gemäß den externen Anforderungen (vgl. Kap. 5.2.2) sowie die Änderung der formalen Strukturen (vgl. Kap. 5.2.3), welche die Stellung der Verwaltung innerhalb von Universitäten stärken. Dies folgt aufgrund der den Verwaltungseinheiten neu zugewiesenen Kontrollfunktion hinsichtlich der Marktorientierung und der Sicherung der Durchsetzung der festgelegten Ziele über die Gestaltung interner panoptischer bzw. synoptischer Rechenschaftsablegung in Form von leistungsorientierten Mitteln (LOM). Intra-universitär führen die intern zur
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Überwachung und Einhaltung der Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit eingesetzten NPM-Instrumentarien zu einer Erhöhung der extrinsischen Motivation. Hiermit verbunden ist die Verlagerung von qualitativer zu quantitativer Reputation, welche die intrinsische Motivation der beteiligten Akteure übersteigt (siehe Esdar/ Gorges/Wild 2013; Jaeger 2009) und aufgrund einer vermehrten Ausrichtung an dieser finanziell basierten Reputation Zielkonflikte zwischen Forschung und Lehre erzeugen kann. Intra-universitär prallen somit unterschiedliche Interessen- und Einflusskonstellationen aufeinander, was innerhalb der Akteurkonstellationen eine Abarbeitung dieser Intentionsinterferenzen erfordert. Da im Zuge der Restrukturierungen aber eine allgemein verstärkte finanzielle Ausrichtung von Universitäten entlang zunehmender vermarktbarer und gewinnbringender Forschung zu konstatieren ist, nimmt der Produktionsdruck auf die Akteure zu. Die Sichtbarkeit der produktiven Leistungen der universitären Akteure, welche gleichzeitig auch der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Legitimation sowie der zusätzlichen externen Finanzierung dienen, vollzieht sich über das Publikationswesen als formelles Kommunikationsorgan mit der Umwelt von Universitäten (vgl. Felt/Nowotny/Taschwer 1995: 66ff.). Das Publikationswesen ist einerseits zunächst selbst das Produkt der scientific community – als weitere aus dem Forschungsprozess und der Interaktion von Forschergruppen resultierende wissenschaftliche Institution (vgl. Kap. 4.3) –, wirkt aber andererseits durch seine zentrale Stellung als wissenschaftsinternes wie externes Kommunikationsorgan auf die »Triple-Helix« und damit auf potenzielle Geldgeber zurück. Aufgrund der weiterhin extern fokussierten Ausrichtung auf wirtschaftlich vermarktbare Forschungsergebnisse, deren ›Qualität‹ in den quantitativen Kennzahlen der Zitationsindizes innerhalb des Publikationswesens gemessen und bewertet wird, und gestützt von dem intra-universitären Ökonomisierungs- und Produktionsdruck entlang der leistungsorientierten Mittelvergabe wandeln sich universitätsintern die grundlegenden Basisannahmen des wissenschaftlichen Ethos sowie universitätsextern die Vorstellungen hinsichtlich der Anforderungen an die akademischen Akteure. Aus der Kombination dieser beiden Stoßrichtungen entsteht als nicht-intendierte Nebenfolge der Restrukturierungsprozesse der oben bereits angesprochene neue (und hybride) Akteurtypus des homo academicus oeconomicus. Der hybride Charakter dieses Akteurs resultiert, der hier zugrunde liegenden Definition und der Auffassung von Peter (2010) folgend, aus der Mischung der getrennten Typen des homo academicus und des homo oeconomicus. Ausgangspunkt zur Beschreibung und zum Verständnis dieser neuen Sozialfigur (siehe Moebius/Schroer 2010) des hybriden homo academicus oeconomicus ist, aufgrund der traditionellen Verankerung im wissenschaftlichen System, der homo academicus. Dieser befindet sich bereits vor den Hochschulreformen innerhalb der strukturellen Gegebenheiten in einer durch Wettbewerb und Rangordnungskämpfe charakterisierten »Stätte permanenter Konkurrenz um Wahrheit« (Bourdieu 1988: 11), die zwar wie alle anderen gesellschaftlichen Bereiche generellen ökonomi-
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schen und politischen Machtfeldern unterliegt, aber aufgrund der inhärenten Logik wissenschaftlicher Autonomie und Erkenntnisproduktion vorwiegend durch den Besitz symbolischen Kapitals, universitärer sowie wissenschaftlicher Macht gekennzeichnet ist (vgl. Bourdieu 1988; Peter 2010: 207f., 212). Zur Erlangung, Festigung und Reproduktion der spezifischen Machtstellung im universitären Raum kämpft der homo academicus mit den ihm zur Verfügung stehenden ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapitalressourcen, deren Konglomerierung zu symbolischem Kapital – durch publikationsbedingtes Renommee, Verbindungen zu außeruniversitären Forschungseinrichtungen, verantwortungsträchtige Funktionen innerhalb der universitären Institution, internationale Aufenthalte sowie sonstige rege wissenschaftliche Tätigkeiten (Konferenzen, Kongresse etc.) – einer zeitintensiven Akkumulation unterliegt (vgl. Bourdieu 1988, 2001: 311; Peter 2010: 208). Innerhalb dieses Kapitalkonglomerates kann dem sozialen und kulturellen Kapital eine leicht erhöhte Bedeutung beim Eintritt und der späteren Positionierung im akademischen Raum zugesprochen werden. So ist die Verfügung über soziales Kapital (netzwerkartige institutionalisierte Beziehungsstrukturen) einer universitären Karriere und der späteren Positionenbesetzung bzw. -verbesserung nicht nur dienlich, sondern ein zentrales Merkmal des universitären und wissenschaftlichen Machtaufund -ausbaus (vgl. Bourdieu 1983, 1988). Und schließlich fordert auch die stete Akkumulation wissenschaftlichen Prestiges und intellektuellen Kapitals – zur Erhöhung des individuellen symbolischen Kapitalwertes – eine fortwährende Investition in inkorporiertes (z.B. Habitusausbau durch Wissensanhäufung und -vermehrung) sowie objektiviertes Kulturkapital (Publikationen) (vgl. Bourdieu 1983, 1988).29 Somit wird für die Sozialfigur des homo academicus ersichtlich, »daß die Stellung im universitären Raum, definiert anhand rein universitärer Kriterien und Eigenschaften [Herv. i.O.]« (Bourdieu 1988: 209) eben nicht abhängig ist von marktwirtschaftlich basierten ökonomischen Handlungszwängen, da die Position der Akteure im hochschulwissenschaftlichen Raum »vor allem auf dem Besitz von kulturellem Kapital […] in klarem Gegensatz zu den Industrie- und Handelsunternehmern« gründet (Bourdieu 1988: 82). Durch die ökonomisierte Umstrukturierung des wissenschaftlichen Betriebes an Hochschulen kommt es aber auch auf Seiten des homo academicus zu einer Verdrängung bisheriger traditionaler Vorstellungen und Eigenschaften, wie sie anhand der aus dem normativen Druck resultierenden Änderung des Wissenschaftsethos als grundlegende Basisannahmen der universitären Organisationskultur (vgl. Kap. 5.3) exemplarisch geschildert wurde (vgl. Münch 2011a: 94). Die strukturbedingte Zerlegung der universitären Welt in Kennziffern, »die 29 Selbstredend spielt auch institutionalisiertes Kapital eine entscheidende Rolle innerhalb des akademischen Raumes, aber eine immer weiter zunehmende Akkumulation akademischer Titel kann mit Erreichen des Professorenstatus – und ohne Berücksichtigung ehrenhalber verliehener Titel – im Regelfall sicherlich ausgeschlossen werden.
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schnell zu einer Realität sui generis werden, sich der handelnden Subjekte bemächtigen und deren Freiheitsräume schrumpfen lassen [Herv. i.O.]« (Münch 2011a: 99), führt auf der Ebene der Akteure zu einem Erfüllungsdruck hinsichtlich der in Kennziffern ausgedrückten Leistungen (vgl. Münch 2011a: 94-99; Steinert 2010). Dies kann auf die zusätzlich eingeführten Evaluations- und Akkreditierungsverfahren sowie ständiges Auditing zurückgeführt werden, was wiederum in dem panoptischen »360-Grad-Feedback« mündet, aber diesmal synoptisch auf die Akteure selbst angewendet wird und so in einer ökonomisch kalkulierenden, nutzenmaximierenden Handlung resultiert, welche eben von der bisherigen Vorstellung des homo academicus divergiert (vgl. Münch 2011a: 94-123). Als nicht-intendierte Folge hieraus werden »Eigennutz maximierende Akteure erzeugt, die es in diesem Sinne im Kontext einer vitalen akademischen Gemeinschaft nicht gab« (Münch 2011a: 127f.). Am Beispiel der Werteveränderung innerhalb des Publikationswesens wurden die auf Eigennutz basierenden Handlungen bereits geschildert. Diese ökonomisch geprägten neuen Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata führen zu einer Veränderung des Habitus der am und im System beteiligten Akteure, gemäß dem Modell des homo oeconomicus. Nicht mehr Erkenntnisproduktion, akademische Ehre und Leidenschaft stehen hierbei im Zentrum der Bestrebungen der Akteure, sondern nur noch das Sammeln von Punkten, die Erfüllung von Kennziffern und Profitmaximierung (vgl. hierzu Münch 2009: 74-87, 2011a: 128).30 In Anlehnung an die eingangs angeführte Definition des hier verwendeten Hybridbegriffs prallen somit diese zwei unterschiedlichen Formen – der homo academicus und der homo oeconomicus – aufeinander, vermischen sich und generieren, entlang der sich zeitgleich ändernden externen Rollenanforderungen im Sinne der handlungsprägenden Systeme, den neuen Akteurtypus des homo academicus oeconomicus. »Inzwischen hat sich die Physiognomie des Homo academicus erheblich verändert. Ein Prozess der Hybridisierung hat begonnen, in dessen Verlauf seine traditionellen Merkmale mit persönlichen Eigenschaften, Handlungsmustern und Wertorientierungen verschmelzen, die durch neue, übergreifende gesellschaftliche Prozesse der Modernisierung und Ökonomisierung hervorgebracht werden, von denen auch die Universitäten nicht unberührt bleiben. Es entsteht ein neuer Typ des Homo academicus, den man besser als Homo academicus oeconomicus bezeichnen sollte. [Herv. i.O.]« (Peter 2010: 214f.)
30 Dass eine Veränderung hin zum Modell des homo oeconomicus resultiert, ist keine reine Besonderheit des wissenschaftlichen Systems, sondern entspricht, aufgrund eines zunehmenden sozialen Interdependenzdrucks, wachsender Leistungsansprüche, Interessenkalkulation und Interessenverfolgung, einer generellen Entwicklungstendenz innerhalb moderner differenzierter Gesellschaften (vgl. Schimank 2000: 158-167).
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Der Hybrid des homo academicus oeconomicus findet sich nun, bedingt durch die ökonomisch basierten strukturellen Reformen, in den »sozialen Arenen [der Universitäten], in denen erbarmungslos um knappe Ressourcen gekämpft wird« (Peter 2010: 207), wieder. Dieser Ressourcenkampf spiegelt auch einen personellen Konkurrenzdruck wider, welcher auf messbaren Kriterien des akademischen Qualitätsmanagements basiert – z.B. Prämierung internationaler Publikationen, Prämierung von peer reviewed Artikeln in Zeitschriften mit hohem Impact-Faktor, finanziellem Förderungsvolumen persönlicher Forschung, Zugehörigkeit zu Exzellenz-Institutionen, Summe eingeworbener Drittmittel und Anzahl erfolgreicher Forschungsprojekte (vgl. Münch 2011a: 128f., 132-180; Peter 2010: 215f.; Steinert 2010: 314f.). Die »gesamte Persönlichkeit [des homo academicus oeconomicus] wird [somit] von einer Ökonomisierungslogik durchdrungen, für die nichts anderes zählt als Siege auf dem akademischen Markt« (Peter 2010: 215). Der Konkurrenz- und Ressourcenkampf betrifft hierbei allerdings nicht nur die oberen Hierarchien und Statuspositionen (Professorenschaft), sondern wird, in Kombination mit prekären Beschäftigungsverhältnissen auf Ebene des akademischen Mittelbaus31, nach unten weitergegeben und durch die hier verankerte (personelle) Kapazitäten-Kompensation gesteigert (vgl. Steinert 2010: 314). Aber auch auf Seiten der Studierenden findet sich dieser Konkurrenzdruck wieder: So wirken bspw. die strukturell implementierten sechs- bzw. viersemestrigen Regelstudienzeiten im Bachelor- bzw. Masterstudium sowie die über Modulkataloge u.Ä. vermittelte strenge und strikte Studienstruktur quasi wie ein ›Korsett‹, das ein ›Ausbrechen‹ oder ›Abweichen‹ von diesen Vorgaben kaum möglich erscheinen lässt. Dies wird einerseits daran ersichtlich, dass die überwiegende Mehrheit von Studierenden tatsächlich einen Studienabschluss innerhalb der Regelstudienzeit anvisiert, wobei die scheinbare ›Unmöglichkeit‹ eines ›andersartigen‹ Studienverhaltens andererseits auch für die subjektive Selbsteinschätzung eines effizienten Studiums gemäß der gesellschaftlich-ökonomisierten Leistungsanforderungen, die (nicht nur, aber vor allem) bereits auf schulischer Ebene erlernt werden, gilt (vgl. Bargel et al. 2009: 56; Clausen 2003; Meyer auf der Heide 2010; Multrus/Ramm/Bargel 2010; Münch 2009a). Ein weiterer Aspekt, vor allem im Hinblick auf den subjektiven Anspruch zur Einhaltung der Regelstudienzeit, ist dabei auch die Finanzierung des Studiums: Die überwiegende Mehrheit der Studierenden finanziert sich während des Studiums zusätzlich selbst über Erwerbsarbeiten, bei denen der wöchentliche Arbeitsaufwand bei ca. ein bis zwei kompletten Arbeitstagen pro Woche liegt (vgl. Bargel et al. 2009: 4; Meyer auf der Heide 2010: 70; Multrus/Ramm/Bargel 31 Dass im Bereich des akademischen Mittelbaus (von der Promotionsphase bis hin zur Berufung auf eine Professur) von einer prekären Beschäftigungssituation gesprochen werden kann, lässt sich u.a. anhand des durch die Initiative der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ins Leben gerufenen Templiner Manifests nachvollziehen.
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2010: 27ff.). In Kombination mit dem durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitsaufwand für ein Studium (ca. 40 Stunden bei 30 ECTS pro Semester) führt dies somit zu einer wöchentlichen Gesamtstundenbelastung von ca. 50 Stunden. In Abhängigkeit der individuellen Finanz- und Arbeitssituation erhöht sich dadurch letztlich auch die Dauer des Studiums, was in Anbetracht dieser aus ökonomischer Perspektive negativ zu wertenden ›individuellen Ineffizienz‹ den subjektiven und gesellschaftlichen Druck auf Studierende erhöhen kann (vgl. Meyer auf der Heide 2010; Münch 2009a). Neben dem subjektiven Druck existiert gewissermaßen aber auch ein objektiver Druck, der sich in den schriftlich fixierten semesterbezogenen Arbeitsaufwänden (workload in ECTS) und den zu erreichenden Leistungen niederschlägt (vgl. Meyer auf der Heide 2010; Oppermann 2011). Exemplarische Studienverläufe und (empfohlene) Auslandsaufenthalte werden in Teilen ebenfalls als zeitlich gesetzt und absolvierbar betrachtet. Dabei erreichen fast 50 Prozent der Bachelorstudierenden kaum die gemäß Regelstudienzeit und Modulplänen empfohlenen 60 ECTS innerhalb der hierfür vorgesehenen drei bis vier Semester. Ein zusätzlicher Druck ist auch im Bereich der zu absolvierenden Anzahl an Prüfungen und der hiermit verbundenen Noten existent. Das durchschnittliche Prüfungsaufkommen im Bachelorstudium liegt bei ca. vier bis fünf Prüfungen am Ende eines Semesters, wobei sich die Situation des Drucks dadurch verschärft, dass alle erreichten Noten ausschlaggebend für die Gesamt- und damit Abschlussnote des Studiums sind. Bezogen auf die individuellen Karrierechancen hinsichtlich eines direkten (reibungslosen) Berufseinstiegs nach dem Bachelorstudium oder eines anschließenden (weiterqualifizierenden) Masterstudiums, erhöht sich die hierdurch entstehende Konkurrenz- und Leistungsdrucksituation weiter. Vor allem im Hinblick auf die numerus clausus beschränkten Masterstudiengänge kommt bereits im Bachelorstudium ein Leistungsdruck bzgl. der später potenziell zu ergatternden Studienplätze im Master auf, was insofern auch den Konkurrenzdruck erhöht, als dass sich Studierende ständig mit Kommilitonen vergleichen, um zu sehen ›wer wo steht‹ und wer welche Noten erreicht hat (vgl. hierzu Meyer auf der Heide 2010: 69-72; Multrus/Ramm/Bargel 2010: 6-17; Tegeler 2010). Letztlich geht es hierbei also darum, die potenzielle Konkurrenz um einen Masterplatz zu evaluieren und die eigenen Leistungen diesbezüglich zu verbessern bzw. zu erhöhen. Denn schließlich stehen auch Studierende (international) unter dem Druck, durch Investitionen in das persönliche Profil, bspw. durch Auslandsaufenthalte oder außerordentliche Leistungen, die Chance auf eine Weiterqualifizierung (z.B. Masterstudium) oder einen ›reibungslosen‹ Berufsein- und -aufstieg zu erhöhen (vgl. Münch 2010: 48f.). Diese Konkurrenz- und Leistungsdrucksituationen tragen letztlich auch dazu bei, dass Täuschungen und Betrugsversuche unter Studierenden zunehmen, um diesem Druck standzuhalten (vgl. Herb/Kovac 2012). So wird in Teilen das fragmetarische oder gar vollständige Plagiieren nicht als Verstoß gegen die wissenschaftliche Praxis verstanden (vgl.
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Herb/Kovac 2012; McCabe 2005; McCabe et al. 2001), sondern gewissermaßen durch die Einführung des Credit-Systems gestützt: Denn individuelle Leistungen und Abschlüsse werden nicht mehr primär durch das Verfassen von Qualifikationsarbeiten erreicht, sondern durch die Akkumulation der für die Leistung berechneten Punkte (vgl. Trow 1988: 18). Die nicht-intendierte Nebenfolge des Hybridisierungseffektes auf Ebene der Akteure ändert somit nicht nur die Vorstellungen über einen (ideal-)typischen akademischen Akteur, sondern generiert – gepaart mit den strukturellen und organisationalen Restrukturierungsprozessen – auch zunehmende Konkurrenzsituationen zwischen diesen Akteuren. Innerhalb dieser Konkurrenzsituationen und -verhältnisse entstehen weitere Effekte, die alles andere als reformintendiert sind. »Überall wird um die Durchsetzung der eigenen Interessen gekämpft, überall müssen externe Kontrollen für Sicherheit sorgen, weil sich niemand vor Angriffen jeglicher Art sicher sein kann, jeder einem jeden misstraut. Es herrscht der hobbessche Kampf aller gegen alle […]. Ausbrüche der brutalen Gewalt, wie in den sich häufenden Fällen von Amokläufen […], sind nur der extremste Ausdruck dieses alltäglichen Kampfes in der Allianz von entfesseltem Wettbewerb, grenzenlosem Egoismus und totaler Kontrolle.« (Münch 2011a: 113)
Diese von Münch konstatierte Gefahr von Amokläufen als extremstem Ausdruck der individuellen Konkurrenzkämpfe, als Folge der mit den Hochschulreformen einhergehenden Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte, ist wohl als die gravierendste Folge der gesamten Änderungsprozesse einzustufen. Denn als universitätsspezifische Art solcher Amokläufe entstehen campus shootings als neuer, hybrider und nicht-intendierter Restrukturierungseffekt der Hochschulreformen.
5.5 Z USAMMENFASSUNG Im Kontext der politisch intendierten Hochschulreformen lassen sich auf struktureller, organisationaler und individueller Ebene Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte konstatieren, die auf einer zweiten, nicht-intendierten Ebene der Hochschulreformen anzusiedeln sind. Als Hybridisierungseffekte sind dabei solche Nebenfolgen der Hochschulreformen anzusehen, die aus der Mischung zweier ursprünglicher (konträrer) Formen unter Entstehung einer neuen Form resultieren, die sowohl Elemente beider Ursprungsformen beinhaltet als auch die ursprünglichen Formen hinsichtlich ihrer Existenz nicht auflöst. Auf der strukturellen Ebene lässt sich ein solcher Hybridisierungseffekt an der Entstehung eines Quasi-Marktes konstatieren: Ausgehend von der Schaffung und Steigerung inter-universitären Wettbewerbs auf Basis der finanziellen Ressourcenzuweisungen beruht die hiermit ver-
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bundene intendierte Konkurrenzzunahme auf der Vorstellung einer Überlegenheit von freien Märkten, innerhalb derer sich eine hierarchische Unterscheidung hinsichtlich der Leistung und Qualität von Universitäten – und damit (wirtschaftliche) Konkurrenz – fruchtbar implementieren lässt. Im Zuge des hier inhärenten Konkurrenzgedankens zur effizienten und wirtschaftlichen Umgestaltung von Universitäten werden die einstigen universitären Konkurrenzparameter der Reputation und des hiermit verbundenen symbolischen Kapitals dahingehend transformiert, dass Konkurrenz nun auf einem international vergleichbaren Leistungswettbewerb beruht, innerhalb dessen die universitären Leistungen, durch die Einführung von quantitativen Leistungsindikatoren zur Berechnung der einstigen qualitativen Leistungen, tatsächlich wirtschaftlich vergleichbar gemessen und erfasst werden können. Über diesen Prozess ist die grundsätzlich intendierte Einbettung von Universitäten in eine Marktstruktur möglich, so die Annahme. Da im Kontext der Hochschulreformen allerdings weiterhin eine staatliche Grundfinanzierung und eine Ausrichtung an extern vorgegebenen Zielen stattfindet, können aufgrund dieser durchaus planwirtschaftlichen Elemente in der Praxis keine echten Marktstrukturen im universitären Kontext eingeführt werden. Als Nebenfolge hieraus können lediglich künstliche Wettbewerbe inszeniert werden, die aufgrund des Zusammenfalls und der Vermischung der Elemente eines reinen Marktes (Leistungswettbewerb) und planwirtschaftlicher Aspekte (weitere staatliche Finanzierung und externe Zielvorgaben) in der hybriden Form des Quasi-Marktes resultieren. Als nicht-intendierte Nebenfolge der strukturellen Einbettung von Universitäten in diesen Quasi-Markt, der dabei weiterhin die Entstehung und Schaffung von Konkurrenz und Wettbewerb ermöglicht, lassen sich zudem Homogenisierungseffekte konstatieren, die auf der in Kennziffern und Indikatoren übertragenen Leistungsbemessung zur Mittelvergabe beruhen. Die inter-universitäre Homogenisierung ist dabei das Resultat einer Anpassung wissenschaftlicher Forschung an die extern geforderten industriellen und politischen Standards, da Forschung im Kontext der Leistungsbemessung einen zentralen Stellenwert im Bereich der Mittelzuweisung einnimmt. Das ursprünglich vielfältige forschungsantreibende wissenschaftliche Erkenntnisinteresse wird somit durch die identischen externen Anforderungen aus Industrie und Politik verdrängt. Aber auch auf organisationaler Ebene lassen sich, verbunden mit der strukturellen Einbettung von Universitäten in Quasi-Märkte, Restrukturierungseffekte konstatieren. Diese sind mit dem vorgelagerten Hybridisierungseffekt der Entstehung unternehmerischer Universitäten verbunden, welcher mit der Transformation des Verständnisses von Universitäten hin zu echten Organisationen – entsprechend privatwirtschaftlichen Unternehmen – einhergeht und sich gemäß der geforderten Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit auf die intra-universitäre Übernahme von vier typischen Elementen marktwirtschaftlicher Organisationen (Rechenschaftsablegung, Definition und Festlegung der Ziele, Ausbau formaler Strukturen und professionelles Management) zurückführen lässt. Im Kontext der generellen Forderung
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nach Transparenz universitärer Leistungen werden die intra-universitär definierten und festgelegten Ziele, gemäß den externen Reformanforderungen, der Öffentlichkeit in Leitbildern zugänglich gemacht. Auch hier lässt sich ein Homogenisierungseffekt konstatieren, der in keinerlei von außen feststellbaren Unterschieden hinsichtlich der zu erbringenden Ziele und Aufgaben zum Ausdruck kommt. Insofern lässt sich unternehmerischen Universitäten – zumindest auf der Vorderbühne ihrer Darstellung in Quasi-Märkten – eine reine Mythenbefolgung hinsichtlich der extern intendierten Ziele attestieren. Die ebenfalls an die Forderung nach Transparenz zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Legitimation gekoppelte Rechenschaftsablegung bezieht sich, als weiteres Element, auf eine strategische Ausrichtung von Universitäten hinsichtlich der extern geforderten Ziele und Leistungsvorstellungen. Die Implementierung der Rechenschaftsablegung in Universitäten basiert dabei auf einer top-down-gesteuerten Einführung strategischer Managementstrukturen, die im Rahmen explizit ausformulierter Zielstrukturen die maximale Zielverwirklichung und somit den Erfolg von Universitäten im Sinne der Effizienz sichern soll. Der effiziente, auf finanzieller Mittelzuweisung beruhende Erfolg von Universitäten bedarf allerdings nicht nur der Einführung strategischer Managementstrukturen, sondern auch ihres Auf- und Ausbaus, was zu einer Weiterentwicklung der formalen Struktur innerhalb der unternehmerischen Universität führt. Entlang der zur eigenen Profitmaximierung benötigten Aspekte des Qualitätsmanagements, Controllings, der Strategieentwicklung, Forschungs- und Nachwuchsförderung sowie des zu forcierenden Technologietransfers nimmt die intra-universitäre Bedeutung und Autonomie der Verwaltungseinheiten zu Lasten der Bereiche Lehre und Forschung als nicht-intendierte Nebenfolge zu, was als Restrukturierungseffekt in eine engere Kopplung und ein stärkeres Abhängigkeitsverhältnis der universitären Teilbereiche mündet. Hiermit einher geht auch ein weiterer Restrukturierungseffekt, der in Form einer fortwährenden »360-Grad«-Leistungsüberwachung mit finanzieller Sanktionierungsmöglichkeit durch interne und externe Instanzen in der Entstehung synoptischer Überwachungsstrukturen resultiert. Innerhalb dieser werden allerdings nicht nur Universitäten auf Grundlage der quantitativen Leistungsmessung durch den Markt und alle hier verankerten Teilnehmer hinsichtlich der zu erbringenden Leistungen überwacht, sondern durch die hiermit verbundene Verlagerung des akademischen Schwerpunktes auf die Erfüllung dieser Leistungskriterien – basierend auf dem effizienten und effektiven Verhalten der Akteure – flankiert die Ausrichtung an strategischem Management zur organisationalen Zielerreichung zugleich das einstige reine forschungsanleitende Erkenntnisinteresse und führt somit auf der individuellen Ebene zu dem nicht-intendierten Effekt der Professionalisierung von Management. Und zwar zu Lasten der Bedeutung und Einflussnahme der akademischen Profession, die hierdurch geschwächt wird. Basierend auf den extern intendierten – und somit gewissermaßen erzwungenen – Reformanforderungen, den nicht-intendierten Homogenisierungseffekten in Form von Nachahmung und dem
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reforminhärenten normativen Druck hinsichtlich einer wirtschaftlichen, effektiven und effizienten Ziel- und Leistungserfüllung auf der strukturellen, organisationalen und individuellen Ebene lässt sich – unter Rekurs auf NPM, welches als Steuerungsmodell alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt – somit im Kontext der Hochschulreformen von einem universitären Isomorphismus als weiterem Restrukturierungseffekt sprechen. Dieser universitäre Isomorphismus kann dabei als Rahmenbedingung für einen Wandel des Rollenbildes wissenschaftlicher Akteure angesehen werden. Denn vor allem im Kontext des normativen Drucks unterliegen die grundlegenden Basisannahmen der universitären Kultur – im Sinne des (mertonschen) Wissenschaftsethos – einer durch die Intrusion des ökonomischen Rationalitätskriteriums bedingten Änderung, die aufgrund der rekursiven Verflechtung dieser Basisannahmen mit den organisationalen Zielen und der formalen Struktur in einer neuen Soll-Erwartung hinsichtlich der Rollenanforderung akademisch-wissenschaftlicher Akteure resultiert: die Anforderung an wirtschaftlich vermarktbares Wissenschaftshandeln. Diese Erwartung führt letztlich auf der individuellen Ebene zu einem weiteren Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekt, der in der hochschulreformbedingten Entstehung der neuen Sozialfigur des homo academicus oeconomicus zum Ausdruck kommt. Ein Akteur, der als Mischform aus dem homo oeconomicus und dem homo academicus angesehen werden kann und dessen Handeln, auf Basis der Durchdringung mit der handlungsprägenden Ökonomisierungslogik, explizit an dem (quantifizierten) Sammeln und Erfüllen von Leistungspunkten sowie der geforderten Profitmaximierung im Hinblick auf universitäre und individuelle Finanzgewinne ausgerichtet ist, statt an der traditionellen Erkenntnisproduktion und der akademische Ehre in Form qualitativer Reputation und symbolischen Kapitals.
6. Amoktaten im Kontext von Hochschulen: Campus Shootings als hybride und eigenständige (neue) Subform von Amok »Sozialisation, Berufsethik, professionelle Gemeinschaft, intrinsische Motivation, Selbstverantwortung, sorgfältige Personalrekrutierung, Vertrauen, spontanes Lob und auch bürokratische Verfahren sind vielfältige soziale Formen, die vor der Einführung der totalen Qualitätssicherung der Erzeugung einer Vielfalt von Leistungen gedient haben und je nach Aufgabenstellung zum Einsatz gekommen sind. […] Totales Qualitätsmanagement droht diese traditionellen Formen der Sicherung von Qualität und der Förderung von Originalität zum Verschwinden zu bringen und durch eine Einheitsform der externen, genau spezifizierten Kontrolle zu ersetzen. Wo es im Rahmen der eingelebten Praxis eine Kultur des Vertrauens gab, herrscht jetzt eine ubiquitäre Kultur des Misstrauens […] deren Auswüchse überall sichtbar werden, in den Schulen genauso wie in den Universitäten, Verwaltungen und privatwirtschaftlichen Betrieben. […] Es herrscht der hobbessche Kampf aller gegen alle […]. Ausbrüche der brutalen Gewalt, wie in den sich häufenden Fällen von Amokläufen […], sind nur der extremste Ausdruck dieses alltäglichen Kampfes in der Allianz von entfesseltem Wettbewerb, grenzenlosem Egoismus und totaler Kontrolle.« RICHARD MÜNCH (2011A: 111FF.)
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Der zunehmende Konkurrenzdruck auf Ebene der Akteure, welcher auch ein Ergebnis des allgemein zunehmenden intra- und inter-organisationalen Produktionsdrucks ist, führt, wie Münch (2011a: 113) konstatiert, nicht nur zu einem »hobbessche[n] Kampf aller gegen alle«, sondern als Resultat hieraus zu der extremen Gewaltform von Amokläufen. Eine Begründung bzw. Erklärung, wieso Amokläufe gewissermaßen als Resultat der NPM-gelagerten Hochschulreformen angesehen werden können, führt Münch (2011a) allerdings nicht an. Während Münch dieser Erklärung somit in gewisser Weise ›schuldig bleibt‹, wird im Folgenden (Kap. 6 und 7) explizit ein derartiger Erklärungsansatz entwickelt. Die hierbei zugrunde liegende These, dass sich im Kontext einer generellen gesellschaftlichen und einer damit einhergehenden universitären Ökonomisierung derartige Amoktaten auch im Kontext von Hochschulen ereignen, mag allerdings auf den ersten Blick etwas irritierend erscheinen. Denn wenn sich derartige Taten an Bildungsinstitutionen vollziehen, dann an Schulen – zumindest der öffentlichen und medialen Wahrnehmung nach. Aber trotz der in den letzten Jahren in der medialen und öffentlichen Wahrnehmung gestiegenen Präsenz derartiger school shootings lassen sich auch Amoktaten an Universitäten empirisch nachweisen (Kap. 6.2). Dass Amokläufe an Universitäten als eigenständiger Bereich von Akten extremer Gewalt dabei eher unbekannt sind, kann auch auf die etwas ›undurchsichtige‹ Forschungslage zurückgeführt werden. Campus shootings, wie Amokläufe an Universitäten in dieser Arbeit terminologisch gefasst werden, tauchen innerhalb der Forschung als eigenständige Form nicht auf. Dies bedeutet keineswegs, dass derartige Vorfälle im Rahmen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung ignoriert würden. Allerdings lässt sich eine Subsumierung unter allgemeine Gewaltakte und unter solche Vorfälle konstatieren, die sich generell auf Geländen mit vielfältigen Gebäudekomplexen im Bereich von Bildungsinstitutionen (Schulen, Berufsschulen etc.) beziehen. Dieser Befund lässt sich u.a. an der hiermit verbundenen Verwendung des Terminus campus als räumlicher Begriff gemäß der lateinischen Bezeichnung für Feld oder Fläche sowie der entsprechenden angloamerikanischen Prägung großflächiger bildungsinstitutioneller Gebäudekomplexe festmachen. Ein zweiter Aspekt könnte auch in der niedrigen Fallzahl bestehen, welche eine empirische Analyse hinsichtlich campus shootings als eines eigenständigen Phänomens erschwert. So weisen bspw. Newman/Fox (2009: 1303) darauf hin, dass in Anbetracht einer generell größeren Fallzahl und Auftrittshäufigkeit von Amoktaten an Schulen verglichen mit solchen Vorfällen im weiterführenden Bildungsbereich »it is not surprising that the most of the scholarly attention among those studying rampage school shootings has been directed at the high school episodes«. Dementsprechend konstatieren auch Scheithauer/Bondü (2008: 22) bzgl. der aktuellen Forschungssituation: »Ein eigener Begriff wie beispielsweise »Uni(versity) Shooting« konnte sich hierfür bislang noch nicht etablieren, so dass diese Taten […] unter die School Shootings gefasst werden.« Erste Anzeichen für eine fokussierte Betrachtung von Amoktaten an Universitäten lassen
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sich innerhalb der Forschung dennoch konstatieren. So kann exemplarisch für den nordamerikanischen Raum zum einen auf die Studie von Drysdale/Modzeleski/Simons (2010) verwiesen werden, welche sich unter dem Titel »Campus Attacks« mit zielgerichteten Gewalttaten an universitären Bildungsinstitutionen und dem Aspekt des Bedrohungsmanagements befasst. Neben Vorfällen allgemein bedrohlichen und gewalttätigen Verhaltens oder Stalkings werden hier auch Amoktaten im Kontext höherer Bildungsinstitutionen wie Colleges oder Universitäten analytisch integriert. Allerdings herrschen bzgl. der Tatorte und Täter Variationen vor, die sich nicht nur auf Akte innerhalb des universitären Geländes beziehen, sondern auch außerhalb begangene Taten berücksichtigen1 sowie auch Nicht-Universitätsangehörige2 als Täter einbeziehen. Diese Aspekte der räumlichen Verlagerung derartiger Gewaltakte in den privaten Bereich der Institutionsangehörigen sowie der Ausweitung der Tätergruppe auf Nicht-Institutionsangehörige stehen zumindest dem dieser Arbeit zugrunde liegenden Verständnis von campus shootings entgegen (Kap. 6.2). Zum anderen kann für den nordamerikanischen Raum auf die Studie von Newman/Fox (2009) verwiesen werden, die sich im Gegensatz zu Drysdale/Modzeleski/Simons (2010) zwar explizit Amoktaten im weiterführenden Bildungsbereich widmen, deren analytische Betrachtungen von Vorfällen an US-amerikanischen Colleges und Universitäten aber letztlich wieder definitorisch in die Gruppe der (rampage) school shootings subsumiert werden. Und dass, obwohl Newman/Fox (2009: 1303f.) auf eindeutige Unterschiede zur Subform der school shootings verweisen, wie z.B. ein höheres Täteralter, ein geringerer Integrationsbedarf in die sozial integrativ wirkende(n) peer group(s) zur Bildung und Aufrechterhaltung eines sozialen Netzwerks sowie eine damit verbundene nicht priorisierte Suche nach Anerkennung in den altersspezifischen Gruppen und Netzwerken. Eine Betrachtung von Amoktaten an Universitäten als tatsächlich eigenständiger Bereich extremer Akte zielgerichteter Gewalt kann hier aber letztlich nicht konstatiert werden. Ähnliches zeigt sich auch für den deutschsprachigen Raum. Auch hier scheint die Betrachtung von Amoktaten an Universitäten als eigenständiger Bereich, gemäß dem von Scheithauer/Bondü (2008: 22) konstatierten Befund, bis dato ebenfalls nicht existent. Dies begründet sich einerseits auf dem Faktum, dass, aufgrund einiger Ähnlichkeiten mit school shootings und gleichzeitiger Unterschiede, gezielte Studien vonnöten sind, um Amoktaten an Universitäten als eigene Subform zu etablieren (vgl. Scheithauer/Bondü 2011a: 27). Andererseits kann dies sicherlich auch 1
Wie z.B. ein Vorfall zwischen einem Studenten und einem Professor, der sich auf dem Privatgelände des Professors ereignete (vgl. Drysdale/Modzeleski/Simons 2010: 32).
2
Wie z.B. ein Fall eines 21-jährigen Täters, der als Nicht-Angehöriger der für die Tat ausgewählten Bildungsinstitution – d.h. weder Angestellter, Mitarbeiter, Professor noch eingeschriebener oder ehemaliger Student – nach Sachbeschädigungen willkürlich das Feuer auf vor Ort anwesende Personen eröffnete (vgl. Drysdale/Modzeleski/Simons 2010: 31).
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darauf zurückgeführt werden, dass sich derartige Vorfälle in Deutschland noch nicht (bewusst wahrgenommen) ereignet haben. Allerdings kann auch in der deutschen Forschungslandschaft eine wissenschaftliche Betrachtung dieses spezifischen Phänomens extremer Gewalt nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Ähnlich der Situation im nordamerikanischen Forschungsraum (siehe u.a. Baum/Klaus 2005; Carr 2005; Fremouw/Westrup/Pennypacker 1997) lässt sich auch für Deutschland zum einen in genereller Hinsicht eine Fokussierung auf bedrohliches und gewalthaftes Verhalten an Universitäten konstatieren. Exemplarisch hierfür kann auf die Studie von Hoffmann/Blass (2012) verwiesen werden, die am Beispiel einer deutschen Universität Aspekte des Stalkings, Gewaltverhaltens und -androhens analysieren. Zum anderen liegt mit einer von Rau et al. (2013) durchgeführten Studie zu »Zielgerichtete[r] Gewalt von Studierenden an Hochschulen« auch seit Kurzem eine Studie zu Amoktaten an Universitäten aus dem deutschsprachigen Raum vor. Allerdings zeigt sich auch hier letztlich eine Subsumierung derartiger Taten in den definitorisch eingegrenzten Bereich der school shootings, was im Wesentlichen darauf zurückgeführt werden kann, dass sich Rau et al. (2013: 4) einerseits an der Studie und den Ergebnissen von Newman/Fox (2009) orientieren und andererseits, aufgrund einer solitären Betrachtung studentischer Täter, zu dem Schluss kommen, »dass sich die Vorfälle in beiden Einrichtungen [Universitäten und Schulen; A.B.] insgesamt stark ähneln« (Rau et al. 2013: 5). Dabei sollen hier keineswegs die als wegweisend einzustufenden Analysen und Ergebnisse der Studien von Rau et al. (2013) sowie von Newman/Fox (2009) in irgendeiner Art und Weise diskreditiert werden, aber die bisherigen Befunde zusammenfassend, lässt sich (auch weiterhin) eine explizite und eigenständige Betrachtung von Amoktaten an Hochschulen –im Sinne von campus shootings – innerhalb der derzeitigen Forschungsdiskurse nicht konstatieren. Denn wie gezeigt, werden diese Akte extremer Gewalt an Universitäten, wenn überhaupt, entweder definitorisch in den Bereich von school shootings integriert (siehe Newman/Fox 2009; Rau et al. 2013) – was sicherlich auf die von Studierenden ausgeführten Taten zurückgeführt werden kann – oder bei der Betrachtung von Gewalttaten an Bildungsinstitutionen im Allgemeinen als weitere Ausprägung von campus attacks (Drysdale/Modzeleski/Simons 2010; siehe Hoffman/Blass 2012) subsumiert. Die Integration von Amoktaten an Universitäten in den gesamten Bereich gewalthafter Übergriffe und Angriffe im Kontext von Hochschulen, wie intern und extern stattfindende physische (z.B. Schlägereien), psychische (z.B. Drohungen, Mobbing) und sexuelle Übergriffe (z.B. Belästigungen, Vergewaltigungen) sowie Stalking (vgl. Drysdale/Modzeleski/Simons 2010; Hoffmann/Blass 2012), erweist sich hinsichtlich einer definitorischen Eingrenzung allerdings wie im Kontext der workplace violence als schwierig.3 Zwar werden zumin3
Siehe hierzu die in Kap. 1 dargestellte Problematik der facettenreichen Vielfalt von workplace violence bzgl. interner, externer, tödlicher und nicht-tödlicher Gewaltformen.
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dest im Bereich der Täter die für Amoktaten an Hochschulen relevanten Bezugsgruppen der Studierenden, wissenschaftlichen Mitarbeiter und Professoren analytisch integriert, die Komplexität der hierunter fallenden Gewaltakte und deren unterschiedliche (physische, psychische wie sexuelle) Ausprägungen können aber zu einer empirischen Verzerrung hinsichtlich der analytisch nicht direkt abgrenzbaren Gewalttaten physischer Art mit einer zugrunde liegenden intentionalen Tötungsabsicht führen. Vor allem wenn, wie im Bereich der workplace violence, externe und interne Gewaltakte nicht getrennt betrachtet werden. Und auch eine Integration in den Bereich der school shootings ist als schwieirg zu werten. Neben Aspekten eines höheren Täteralters, anders gelagerter beruflicher Status und einem Täterpool, der sowohl Studierende, wissenschafliche Angestellte und Professoren beinhaltet (Kap. 6.2 und 6.3), existieren grundlegende organisationale und strukturelle Unterscheide zwischen Schulen und Hochschulen4, sodass sich (zumindest) die empirischen Befunde aus dem Bereich der school shootings »nur bedingt auf Hochschulen übertragen lassen« (Rau et al. 2013: 4; siehe Newman/Fox 2009). Da es sich bei Amoktaten an Universitäten aber bis dato noch nicht um eine weitere spezifische Subform des Phänomens Amok handelt, müssen campus shootings zunächst einmal definitorisch gefasst und vor allem als erkennbare und abgrenzbare Fallgruppe konzeptionalisiert werden. Anders formuliert: Das hier im Fokus des Interesses und der Analyse stehende Forschungsobjekt muss zunächst einmal als solches erkennbar werden, um dann in Abgrenzung zu den bisher gängigen Subformen des ›klassischen‹ Amoklaufs, der school shootings und der workplace violence als eigenständiger Bereich gefasst werden zu können. Aus diesem Grund wird es in einem ersten Schritt darum gehen, campus shootings als speziellen Fall zu fassen und zu definieren (Kap. 6.1), damit Amoktaten an Universitäten im Rahmen einer hieran anschließenden deskriptiv-empirischen Fallbeschreibung von den anderen Subformen abgegrenzt und darüber hinaus als neue, eigenständige und hybride Subform gefasst werden können (Kap. 6.2). Werden campus shootings im Rahmen dieses Vorgehens als eigenständige hybride Form gefasst und bestimmt, wird es anschließend im Sinne des Zusammenfügens aller bisherigen Vorarbeiten darum gehen, diese extreme Form individueller Gewalt als nicht-intendierte Nebenfolge der Hochschulreformen zu erklären (Kap. 7).
4
So z.B. hinsichtlich der unterschiedlichen organisationalen Ziele und gesellschaftlich relevanten Funktionen: Das primäre Ziel von Schulen und damit auch zugleich ihre gesellschaftliche Funktion basiert explizit auf Bildung. Demgegenüber verfolgen Universitäten nicht nur ausschließlich Bildung als Ziel und gesellschaftliche Funktion, sondern ebenso Forschung – zwei (gleichrangige) Ziele und Funktionen, die vor allem im Kontext der Hochschulreform(en) aufs engste miteinander verbunden sind.
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6.1 V OM P HÄNOMEN A MOK ZUR S UBFORM DER C AMPUS S HOOTINGS – E RSTER S CHRITT : C AMPUS S HOOTINGS ALS SPEZIELLER F ALL UND DER P ROZESS DES C ASING Zur Konzeptionalisierung von campus shootings als eigenständiger (empirisch und theoretisch hergeleiteter), analyserelevanter Fall und damit als neue und eigenständige Subform des Phänomens Amok wird zunächst nach einer charakteristischen Einheit gesucht, die im Rahmen eines von mehreren Beobachtern konstatierten, zeitlich kontinuierlichen Auftretens und einer damit einhergehenden räumlich bestimmbaren Eingrenzung als beobachterunabhängiges Phänomen beschrieben und als analytische Kategorie zur Unterscheidung von speziellen Fällen dieses Phänomens herangezogen werden kann. Aufgrund vielfältiger zunächst beobachterabhängiger historischer und wissenschaftlicher Beschreibungen und einer hieraus resultierenden beobachterunabhängigen (konsensualen) Grundcharakteristik von Amoktaten als individuelle, intentional homizidal-suizidale Gewaltakte innerhalb öffentlicher Räume und einer begrenzten Zeitspanne ist dies für Amok gegeben. Trotz des einheitlichen empirischen Analyserahmens des Phänomens Amok lassen sich in theoretischer Hinsicht aber unterschiedliche Aspekte und Ausprägungen konstatieren, die eine Aufteilung in verschiedene Subformen rechtfertigen. Zur Konzeptionalisierung von campus shootings als speziellem Fall von Amok werden empirisch ähnliche Fälle aufgefunden, die auf Basis des Zusammenspiels mit den forschungsanleitenden Interessen und Ideen (casing) den Untersuchungsgenstand campus shootings in empirischer und theoretischer Hinsicht als speziellen Fall aus dem allgemeinen Phänomen Amok herausdestillieren. Der erste Schritt hin zu einer definitorischen Eingrenzung von campus shootings als eigenständige Subform des Phänomens Amok ist in der Klärung dessen zu sehen, was diese spezielle Gruppe von Amoktaten ausmacht. Anders formuliert: Wenn es um die Begründung und Etablierung von Amoktaten an Universitäten als eigenständige Subform des Phänomens Amok geht, steht zunächst die Grundlegung des forschungsrelevanten Objektes als Analysegegenstand im Vordergrund. Oder kürzer: die kontextspezifische Frage »What is a case?« (Ragin/Becker 1992) In einer ersten Annäherung kann hierbei unterschieden werden, ob es sich bei dem zu untersuchenden Fall um einen spezifischen oder allgemeinen Gegenstand handelt und ob das Vorkommen bzw. die Existenz dieses Gegenstandes in der Realität tatsächlich (begrenzt) empirisch aufgefunden werden kann oder ob es sich um ein bloßes theoretisches Konstrukt handelt, wobei eine Kombination zwischen den Fallkonzepten (Spezifisch vs. Allgemein) und dem Verständnis von Fällen (empirische Einheiten vs. theoretische Konstrukte) ebenfalls möglich ist (vgl. Ragin 1992a: 9). So vage
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diese Annäherung durch den Aspekt der – die konzeptionellen Dichotomien auflösenden – Kombination auch erscheinen mag, so kann dennoch festgehalten werden, dass »[i]mplicit in most social scientific notions of case analysis is the idea that the objects of investigation are similar enough and separate enough to permit treating them as comparable instances of the same general phenomenon« (Ragin 1992a: 1). Zur Konzeptionalisierung von campus shootings als eigenständige analyserelevante Form und damit als spezieller Fall im Bereich der breiten Kategorie der Amoktaten lässt sich das hier zugrunde liegende Vorgehen als Kombination zwischen spezifisch vorliegenden empirischen und theoretisch hergeleiteten Fällen beschreiben. Die im obigen Zitat angeführte implizite Annahme hinsichtlich der Fallanalyse verweist im weiteren Verlauf auf die genannte theoretische Herleitung und den Aspekt, dass campus shootings als hybride (und damit neue) Form von Amoktaten anzusehen sind. Hinsichtlich der Frage nach der tatsächlichen Existenz von campus shootings als Subform amokartiger Handlungen und damit in gewisser Weise als beobachterabhängiger spezieller Fall von Amoktaten »[one; A.B.] must be able to identify a charateristic unit, whose unity is given (at least initially) in concrete historical experiences« (Wieviorka 1992: 160). Diese charakteristische, aus historischen Erfahrungen gewachsene Einheit lässt sich im Bereich der Amokforschung auf die vielzähligen Reiseberichte zu Beginn des 15. Jahrhunderts im indonesischmalaiischen Archipel und auf die fortwährende (wissenschaftliche und mediale) Beschreibung und Schilderung derartiger Taten bis ins derzeitige Jahrhundert zurückführen. Ein historisches Phänomen an sich repräsentiert dabei allerdings noch keinen Fall, sondern wird zunächst über die Aspekte einer von mehreren Beobachtern konstatierten zeitlichen Kontinuität und räumlich bestimmbaren Eingrenzung sowie der fortwährend reproduzierten Existenz des Phänomens lediglich zu einer charakteristischen Einheit, welche einen quasi beobachterunabhängigen Gegenstand ausbildet, der im weiteren Verlauf – durch tatsächlich systematisch auffindbare empirische Vorfälle – als analytische Kategorie zur Unterscheidung von Fällen verwendet werden kann (vgl. Luhmann 1992a: 70f.; Wieviorka 1992: 71, 166-169).5 Die aus dem Konglomerat der beobachterabhängigen (historischen) Beschreibungen und systematisch-wissenschaftlichen Betrachtungen von Amok resultierende beobachterunabhängige (konsensuale) Grundcharakteristik dieser individuellen Gewaltakte als prozesshafte Entwicklungen hin zur Begehung einer intentionalen homizidal-suizidalen Tat innerhalb eines bestimmten öffentlichen Raumes und ei5
So sind bspw. Krankheiten, Konflikte, Terrorismus und auch Amoktaten derartige historisch gewachsene Phänomene, die eine charakteristische Einheit ausbilden, deren Existenz von unterschiedlichen Beobachtern wohl kaum bestritten wird. Zu deren Erklärung bzw. zu dem Wissen über diese Gegenstände generiert die alleinige historisch rückführbare Existenz allerdings keinen konkreten wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn (vgl. Luhmann 1992a: 70f.; Wieviorka 1992).
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ner abgrenzbaren Zeitspanne lässt Amoktaten somit einerseits zu einem historisch ›gewachsenen‹ Phänomen werden. Dessen Existenz als analytische Kategorie und damit andererseits als allgemein vorliegende Fälle extremer Gewalthandlungen wird durch die empirische Beobachtbarkeit aufgetretener homizidal-suizidaler Handlungen gemäß der allgemeinen – aus der wissenschaftlich-systematischen Betrachtung erwachsenen – Definition im Sinne allgemein auffindbarer empirischer Objekte bekräftigt (vgl. Ragin 1992a: 9f.). Empirisch betrachtet gehören demnach auch homizidal-suizidale Gewaltakte an Hochschulen dem Phänomen der Amoktaten an. Nun wird innerhalb der Amokforschung aber darauf verwiesen, dass Amok nicht gleich Amok ist. Denn trotz der basalen analytischen Bezugseinheit des Zusammenfalls einer tateinheitlichen Homizidalität und Suizidalität lassen sich Aspekte konstatieren, die ähnliche Handlungen (die reine Tat im Sinne einer Tötung und Verletzung anderer) im Hinblick auf die strukturellen und individuellen Einflussmomente voneinander separieren.6 Unabhängig von statistisch auffindbaren Unterschieden, wie rein logischen Differenzen im Bereich des Alters oder des Familienstandes7, die eine Unterscheidung hinsichtlich des homizidal-suizidalen Tatmerkmales in empirischer Hinsicht nicht rechtfertigen, basiert demnach die Aufteilung in unterschiedliche Subformen und damit in unterschiedliche Fälle von Amoktaten im Wesentlichen auf theoretischen Überlegungen. Denn: »Cases claim to represent general categories of the social world, and that claim implies that any identified case comes from a knowable universe [dem (historischen) Phänomen; A.B.] from which a sample might be drawn. The case is one point in a sampling frame, and cases are made prepossessing by the universal characteristics [die basale definitorische Einheit; A.B.] which they represent. […] [But; A.B.] [c]ases come wrapped in theories. They are cases because they embody causal processes operating in microcosm. At bottom, the logic of case study is to demonstrate a causal argument about how general social forces take shape and produce results in specific settings.« (Walton 1992: 121f.)
6
Siehe hierzu die in Kap. 1 erwähnten und dargestellten unterschiedlichen Ansätze mit ihren unterschiedlichen Fokussierungen hinsichtlich der Erklärung von ›klassischen‹ Amokläufen, school shootings und workplace violence.
7
School shooter sind z.B. alleine aufgrund ihres sozialen Status als Schüler nun mal jünger als erwachsene Täter und in der Gruppe adoleszenter Täter eben nicht verheiratet, wie dies aus dem durchschnittlichen Heiratsalter von Männern und Frauen innerhalb der EU und in den USA hervorgeht (die folgenden Zahlen beziehen sich hierbei auf Erhebungen aus dem Jahr 2010): das durchschnittliche Heiratsalter von Männer in der EU liegt zwischen 27,5 und 34,6 Jahren und das durchschnittliche Heiratsalter von Frauen in der EU zwischen 25,6 und 31 Jahren. Das durchschnittliche Heiratsalter in den USA liegt für Männer bei 28,2 Jahren und für Frauen bei 26,1 Jahren (vgl. UNECE 2013).
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Es ist also das dem Forschungsprozess inhärente Zusammenspiel der Betrachtung empirischer Phänomene und deren theoretisch geleiteter Analyse und Erklärung, welche durch den Prozess des casing (Ragin 1992b) einen Untersuchungsgegenstand zu einem Fall werden lassen und dementsprechend vergleichbare analytische Objekte innerhalb desselben Phänomens als differente Komplexe – eben als unterschiedliche Fälle im Sinne von Subformen – separieren (vgl. Ragin 1992a: 1). Casing bezeichnet somit einen Prozess, in dessen Verlauf aus den forschungsanleitenden Ideen und Fragestellungen in Kombination mit der Suche nach den Bedingungen, welche den analyserelevanten Gegenstand in theoretischer Hinsicht erklären können, ein Zusammenspiel aus Ideen und Hinweisen bzw. Anhaltspunkten entsteht, das in empirischer und theoretischer Hinsicht einen Fall aus dem Komplex eines Phänomens herausdestilliert (vgl. Ragin 1992b: 217). »For these reasons [die wechselseitige Abhängigkeit von Ideen und Anhaltspunkten; A.B.], consider cases not as empirical units or theoretical categories, but as the products of basic research operations. Specifically, making something into a case or ›casing‹ it can bring operational closure to some problematic relationship between ideas and evidence, between theory and data. […] Usually a problematic relation between theory and data is involved when a case is declared.« (Ragin 1992b: 218)
Übertragen auf das hier im Fokus stehende Analyseobjekt der campus shootings und in Anlehnung an Ragin (1992b: 221-224) kann das hier vorliegende casing auf dem Weg hin zur Konzeptionalisierung von campus shootings als spezifische neue Subform von Amoktaten wie folgt beschrieben werden: (1) Auf einer allgemeinen Ebene bezieht sich das hier vorliegende Forschungsinteresse auf Amoktaten, welche aufgrund einer nachweislichen historischen Existenz und durch die fortwährende wissenschaftliche Thematisierung seit Beginn des 20. Jahrhunderts sowie anhand eines generellen Mindestmaßes an charakteristischen Elementen als »largest relevant universe of observations« (Ragin 1992b: 221) angesehen werden können: also als eigenständiges Phänomen und als analyserelevante Kategorie. (2) Eine Ebene tiefer bezieht sich das Forschungsinteresse aber nicht auf den generellen Komplex der Amoktaten, sondern auf den speziellen Bereich der Bildungsinstitutionen, der gemäß dem Forschungsstand aber nicht gleichzusetzen ist mit ›klassischen‹ Amokläufen und workplace violence, sondern der Subform der school shootings entspricht. Dies bringt wiederum eine zeitliche Einschränkung auf den Bereich moderner Gesellschaften mit sich. In empirischer Hinsicht sind hiermit also eine Abgrenzung von historischen Amokläufen und eine Beschränkung auf solche Amoktaten verbunden, die sich im Kontext von Bildungsinstitutionen abspielen. Vor diesem Hintergrund wurde (3) ein Desiderat innerhalb der aktuellen Forschung ersichtlich, welches Bildungsinstitutionen nicht weiter unterteilt, sodass alle an Bildungsinstitutionen stattfindenden Amoktaten als school shootings beschrieben werden. Dies
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verweist einerseits auf eine definitorische Problematik und somit andererseits auf die von Ragin (1992b: 218) konstatierte problematische Beziehung zwischen Theorie und Empirie als Ansatzpunkt neu erklärter Fälle: Amoktaten an Hochschulen, die wohlgemerkt im Bereich der school shootings nicht gänzlich ignoriert, sondern (zumindest) teilweise integriert werden, können aus logischen Gründen nicht von aktuellen oder ehemaligen Schülern der Institution begangen werden. Vor allem dann nicht, wenn es sich um Angestellte der Institution handelt – also über einen (graduierte wissenschaftliche Mitarbeiter) oder mehrere (Post-Doktoranden und Professoren) berufsqualifizierende Abschlüsse verfügende Personen. Und auch in theoretischer Hinsicht werden Probleme erkennbar, wenn Bestandteile der Erklärungsansätze auf die Taten an Universitäten übertragen werden sollen: Die bei school shootings betonte Anerkennungsproblematik aufgrund spezifisch adoleszenter und schulischer Exklusionsprozesse, die zu der Begehung von Amoktaten Jugendlicher aus der Mittelschicht an Schulen führt, scheint für die Taten an Hochschulen insofern irrelevant, als Studierende, Mitarbeiter und Professoren diesen Lebensabschnitt bereits hinter sich gelassen haben. Hiermit ist (4) ein weiterer Aspekt des hier vorliegenden casing verbunden, nämlich die explizite Fokussierung auf denjenigen Personenkreis innerhalb von Universitäten, der primär im Bereich der Lehre und Forschung angesiedelt ist. Dies ist wiederum an das zusätzliche Forschungsinteresse der Hochschulreformen gekoppelt, die gemäß dem dortigen Forschungsstand Auswirkungen auf den genannten Personenkreis haben; u.a. in Form quantitativ messbarer und überwachter wissenschaftlicher Leistungen. In theoretischer Hinsicht geht es hierbei um organisationale Veränderungen, die im generellen Kontext der seit den 1990er Jahren entstehenden Wissensgesellschaften anzusiedeln und mit einer gesellschaftlichen Ökonomisierungstendenz – der Restrukturierung öffentlicher Institutionen – verbunden sind. Theoretisch somit mit der Subform der workplace violence verbunden, ist dies in empirischer Hinsicht aber insofern nicht übertragbar, als hier weder explizit auf Amoktaten im universitären Kontext verwiesen wird, noch rein intra-organisationale extreme Gewaltakte von extern bedingten Taten in empirischen Analysen differenziert werden. Aus diesen Gründen wurde (5) in empirischer Hinsicht zunächst nach solchen Fällen aus dem Bereich der generellen Amoktaten gesucht, welche in zeitlicher Hinsicht mit den theoretischen Konzepten der Wissensgesellschaft und der internationalen Hochschulreformen in Einklang zu bringen sind und sich in räumlicher Hinsicht – gemäß den inhärenten theoretischen Annahmen – zum einen auf moderne Gesellschaften westlicher Prägung und zum anderen auf rein intra-universitäre Örtlichkeiten beziehen.
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6.2 E IN Z WISCHENSCHRITT : Z UR D EFINITION VON C AMPUS S HOOTINGS UND DEREN CHARAKTERISTISCHEN M ERKMALEN Die im Rahmen des casing aufgefundenen Gemeinsamkeiten empirisch vorhandener Fälle lassen in einem Zwischenschritt bereits die Definition von campus shootings anhand gemeinsamer charakteristischer Merkmale zu. Dabei handelt es sich um extreme (homizidal und suizidal angelegte) Akte zielgerichteter individueller Gewalt, die von aktuellen oder ehemaligen Nicht-Verwaltungsangehörigen einer Universität aus den organisationalen Teilbereichen Lehre und Forschung (Studierende, wissenschaftliche Mitarbeiter, Professoren) begangen werden. Die Taten richten sich hierbei bewusst gegen spezifisch ausgewählte universitätsinterne Opfergruppen (Studierende, wissenschaftliche Mitarbeiter sowie Professoren) und/oder auch gegen einzelne Personen als paradigmatische Vertreter der hochschulreformbedingten institutionalisierten organisationalen Strukturen (z.B. im Bereich der Leitungsebenen). Hinsichtlich der charakteristischen Merkmale von campus shootings lässt sich konstatieren, dass diese überwiegend von männlichen Tätern begangen werden, die mehrheitlich ledig, aber auch verheiratet oder geschieden sind. Hinsichtlich des beruflichen Status lässt sich, verglichen mit Tätern aus dem der Lehre und Forschung zugehörigen Bereich wissenschaftlich Beschäftigter, eine relative Mehrheit studentischer Täter nachweisen. Die durchschnittlich ca. 33,18 ± 10,14 Jahre alten Täter verwenden mehrheitlich Schusswaffen und die unter zehn Minuten bzw. bis zu zwei Stunden dauernden Taten führen zu einer Opferzahl die zwischen 5,45 ± 8,53 Toten und 6,20 ± 8,78 Verletzten (bzw. 2,8 ± 1,72 Toten und 1,8 ± 1,17 Verletzen) liegt. Hinsichtlich des Tatausgangs lässt sich konstatieren, dass campus shootings relativ gleichverteilt entweder mit dem Suizid des Täters oder dessen Verhaftung enden. Im Rahmen des vorangegangenen casing-Prozesses und der damit verbundenen Suche nach Gemeinsamkeiten der empirisch auffindbaren Fälle kristallisieren sich auch bereits definitorische Elemente von campus shootings heraus, sodass campus shootings – neben der spezifischen Eingrenzung auf die bereits genannten Berufsgruppen und der expliziten Betrachtung rein intra-universitär bedingter Vorfälle – in der vorliegenden Arbeit wie folgt definiert werden: Bei einem campus shooting handelt es sich um extreme (homizidal und suizidal angelegte) Akte zielgerichteter individueller Gewalt, die von aktuellen oder ehemaligen Nicht-Verwaltungsangehörigen einer Universität aus den organisationalen Teilbereichen Lehre und Forschung (Studierende, wissenschaftliche Mitarbeiter sowie Professoren) begangen werden. Die Taten richten sich hierbei bewusst gegen spezifisch ausgewählte universitätsinterne Opfergruppen (Studierenden, wissenschaftliche Mitarbeiter sowie
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Professoren) und/oder auch gegen einzelne Personen als paradigmatische Vertreter der hochschulreformbedingten institutionalisierten organisationalen Strukturen (z.B. im Bereich der Leitungsebenen). Anhand dieser Definition und auf der Basis einer eigenständigen Recherche unterschiedlicher Presse- und Medienberichterstattungen sowie in einzelnen Fällen von offiziellen Untersuchungsberichten konnten die in Tabelle 3 dargestellten Fälle von campus shootings gesammelt werden. Tabelle 3: Fälle von campus shootings (1991-2012)
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Für den Zeitraum von 1991-2012 lassen sich international demnach elf campus shootings konstatieren, die in zeitlicher Hinsicht mit dem Beginn der Hochschulreformen im US-amerikanischen und europäischen Raum zusammenfallen. Zwischen 1991 und 2008 ereignete sich die absolute Mehrheit (n = 7) der campus shootings im nordamerikanischen Raum, wohingegen sich im Zeitraum von 2009-2012 ein erstes und leicht gehäuftes Aufkommen von campus shootings im europäischen Raum konstatieren lässt: Von den vier verbleibenden Taten fand ein campus shooting in Ungarn (2009), eines in Frankreich (2010) und eines in Spanien (2012) statt. Bei der vierten Tat handelt es sich wiederum um einen US-amerikanischen Vorfall.8 Aufgrund der durchaus schwierigen Situation hinsichtlich der vorhandenen Datenquellen in Form von überwiegend internationalen Presse- und Medienberichten sowie der hierauf basierenden (ebenfalls schwierigen) Datenerhebung und der niedrigen Fallzahlen (siehe Robertz 2004: 75; Newman/Fox 2009: 1303) ist darauf zu verweisen, dass die Darstellung der Fälle in empirisch-quantitativer Hinsicht keineswegs als repräsentativ anzusehen ist, sondern lediglich dazu dient, zunächst einen Überblick über campus shootings als neue Subform des Phänomens Amok zu geben. Spricht die in Anbetracht der kontinentalen Auftrittshäufigkeit schiefe Verteilung der aufgefundenen Fälle zwar eher für eine US-amerikanische Besonderheit bzgl. der Existenz von campus shootings, so sollte daraus nicht geschlossen werden, dass es sich bei den europäischen Ereignissen lediglich um Ausnahmefälle handelt, wie sich dies z.B. irrtümlicherweise anfänglich bei den ersten deutschen school shooting Vorfällen abzeichnete. Ähnlich der Situation bei school shootings sollte somit auch im Bereich von campus shootings eine (potenzielle) künftige Zunahme derartiger universitätsspezifischer zielgerichteter Gewaltakte im europäischen und deutschen Raum angenommen bzw. zumindest nicht ausgeschlossen werden. Dass tatsächlich eher von einer potenziellen Zunahme ausgegangen werden sollte, zeigt sich u.a. im Bereich registrierter Amokdrohungen an Hochschulen: Al8
An dieser Stelle ist auf die Besonderheit des spanischen Falles zu verweisen. Im Gegensatz zu den anderen zehn Taten wurde dieses campus shooting nicht ausgeführt, was auf das vorzeitige Eingreifen und die Verhaftung des Täters durch die Polizeibehörden zurückgeführt werden kann: Der Täter wurde bei der Entgegennahme bzw. Abholung der zum Bombenbau für das campus shooting geplanten Chemikalien von der Polizei gestellt und verhaftet. Gilt das spanische campus shooting somit zwar als im Vorfeld vereitelt, wird es dennoch berücksichtigt, da aufgrund nachweislicher Planung und konkreter Hinweise – wie Tagebucheintragungen, einer fünfmonatigen polizeilichen Überwachung im Vorfeld sowie der tatsächlich akquirierten Chemikalien für den Bombenbau – anhand der Indizienlage und Beweislast davon ausgegangen werden kann, dass diese geplante Tat ohne frühzeitiges polizeiliches Einschreiten tatsächlich in die Realität umgesetzt worden wäre.
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leine im bundesrepublikanischen Kontext lassen sich für Nordrhein-Westfalen insgesamt fünf Amokandrohungen an Hochschulen in der Zeit von 2009-2010 konstatieren (vgl. Abb. 11), auf die von polizeilicher Seite reagiert wurde.9 Abbildung 11: Anzahl von Amokdrohungen an Universitäten in NRW (2009-2010)
Vgl. Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW
Der bis hierhin beschriebene Prozess des casing sowie die elf Fälle internationaler campus shootings (vgl. Tab. 3, S. 264), die der zugrunde liegenden Definition entsprechen, beziehen sich somit auf die eingangs konstatierten Ähnlichkeiten des im Analysefokus stehenden Forschungsgegenstandes als erster Schritt zur Begründung spezifischer Objekte als Fall. Ob es sich bei campus shootings aber letztlich tatsächlich um einen Fall und damit um eine spezifische Subform des Phänomens Amok handelt, kann nur durch den kombinatorischen zweiten Schritt festgestellt werden, d.h. durch die Abgrenzung von anderen Fällen (sprich: anderen Subformen). Die einfachste Art eines solchen Abgrenzungsversuches besteht in erster Linie in einem Abgleich mit den jeweils charakteristischen Tätermerkmalen aus dem Bereich des ›klassischen‹ Amoklaufs, der school shootings und der workplace violence. 9
An dieser Stelle gilt mein Dank dem Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) NRW und dem Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, welche mir freundlicherweise die hierfür verwendeten Daten zur Verfügung stellten. Aus Datenschutz- und Geheimhaltungsgründen ist allerdings darauf zu verweisen, dass die betroffenen Hochschulen sowie die Personen, denen mein Dank gilt, hier nicht namentlich genannt werden.
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Aus diesem Grund werden zunächst die gemeinsamen Tätermerkmale aller bis dato gängigen Subformen und anhand der aufgefundenen elf internationalen Fälle (vgl. Tab. 3, S. 264) die Merkmale eines campus shootings zusammengetragen, bevor der Abgleich aller vier Subformen von Amoktaten im nächsten Kapitel hinsichtlich des hybriden Charakters von campus shootings und somit dessen Grundlage als eigenständige (neue) Subform von Amoktaten herausgestellt wird. Wichtig hierbei ist, dass es sich bei allen folgenden Darstellungen keineswegs um ein Täterprofil handelt (vgl. O’Toole 1999: 1), sondern tatsächlich lediglich um charakteristische Merkmale, die in unterschiedlichen Ausprägungen und Kombinationen vorhanden sein können. Diese Art der Vorgehensweise und Darstellung der charakteristischen Beschreibung bietet den Vorteil einer weitgefassten Skizzierung der unterschiedlichen Tätergruppen von Amokläufern. Den bisherigen Erkenntnissen aus dem Bereich der Erforschung ›klassischer‹ Amokläufe folgend, lässt sich ein ›klassischer‹ Amokläufer in (westlichen) modernzivilisierten Gesellschaften wie folgt charakterisieren: Es handelt sich überwiegend um einen männlichen Täter10 zwischen 32 und 35 Jahren – wobei bei der Betrachtung bekannter Amokläufe zwei Altersmaxima bei ca. 20-24 Jahren und 40-45 Jahren vorzuliegen scheinen –, dessen Familienstand in Abhängigkeit von der Altersstruktur erwartungsgemäß in die beiden Ausprägungen ledig und verheiratet eingruppiert werden kann11 (Adler 2000: 54, 56; Adler et al. 2006: 584; Lübbert 2002: 62ff.; Scheithauer/Bondü 2008: 38, 40; Schmidtke et al. 2002: 94, 97). Weiterhin handelt es sich bei ›klassischen‹ Amokläufen um relativ kurze (≤ zwei Stunden), überwiegend geplante Taten, was u.a. auf eine bevorzugte Verwendung von Schusswaffen und deren Beschaffung zurückzuführen ist und, verbunden mit einer überwiegenden Ausübung in städtischen Gebieten, zu einer durchschnittlichen Opfer-
10 Ein minimaler Prozentsatz (< 5%) weiblicher Täter ist nachweisbar, wird aber im aktuellen Forschungsdiskurs – mit Ausnahme der Arbeit von Lübbert (2002) – als eher irrelevant für die Erklärung derartiger Taten eingestuft. 11 Angaben über den beruflichen Status bzw. die berufliche Situation eines Amokläufers werden in dieser Darstellung nicht aufgenommen, da hier durchaus Widersprüche in den einzelnen Untersuchungen aufzufinden sind. Um dennoch einen groben Überblick über diesen Aspekt zu geben, kann festgehalten werden, dass es sich bei Amokläufern um Angehörige unterschiedlicher sozialer Schichten mit unterschiedlichen Bildungsniveaus (die aber vorwiegend im Bereich einer guten beruflichen Qualifikation liegen) handelt, die zum Tatzeitpunkt sowohl eine Festanstellung bzw. ein Ausbildungsverhältnis aus dem Bereich sogenannter blue-collar-Tätigkeiten aufweisen als auch der Gruppe der Arbeitslosen angehören können (vgl. Adler 2000: 56ff.; Adler et al 2006: 585; Scheithauer/ Bondü 2008: 46).
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zahl von ca. drei Toten und vier Verletzen pro Amoklauf führt12 (vgl. Adler 2000: 58-63; Adler et al. 2006: 584, 586; Lübbert 2002: 70-73; Scheithauer/Bondü 2008: 63-66; Schmidtke et al. 2002: 94f.). Für den Amokläufer selbst lässt sich ein leicht erhöhter Tatausgang in Form der Stellung und Verhaftung des Täters durch Dritte konstatieren, wobei dies oft erst nach (erheblichem) Widerstand erfolgt (Adler 2000: 81-86; Adler et al. 2006: 587; Lübbert 2002: 74; Schmidtke et al. 2002: 96). Der Tat vorangehende Auslöser bzw. Ereignisse, die sich als ursächliche Motivlagen beschreiben lassen, sind hauptsächlich kränkende Ereignisse, die vorwiegend auf Rachemotiven im privat-familiären oder beruflichen Bereich basieren – politische oder ideologische Motivlagen finden sich hingegen nur bei einem minimalen Prozentsatz der Täter (vgl. Adler 2000: 64-68; Adler et al. 2006: 585; Knecht 1998: 682, 1999: 144f.; Lübbert 2002: 67f.; Scheithauer/Bondü 2008: 46, 58-62; Schmidtke et al. 2002: 95). Analog zu den Befunden aus dem Bereich der ›klassischen‹ Amokläufe und gemäß dem aktuellen Forschungsstand werden auch school shootings überwiegend von männlichen Tätern verübt (vgl. Band/Harpold 1999: 14; Bannenberg 2010: 65; Faust 2010: 32; Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle 2007: 4; Langman 2013: 132f.; Leary et al. 2003: 208f.; Madfis/Levin 2013: 83f.; McGee/DeBernardo 1999: 16, 2001: 1-4; Meloy et al. 2001: 720; Moore et al. 2003: 256; Robertz 2004: 75; Robertz/Wickenhäuser 2007: 20; Scheithauer/Bondü 2008: 37-41, 2011a: 41-45).13 Aufgrund der expliziten definitorischen Eingrenzung der Täter auf derzeitige oder ehemalige Schüler und unterschiedlicher Grundgesamtheiten in den einzelnen Studien variiert das Alter der Täter zwischen 11 und 27 Jahren14, wobei das 12 Dieser Befund schließt allerdings einen Tatausgang mit keinen getöteten oder verletzten Personen bzw. extreme Fälle mit Opferzahlen im zweistelligen Bereich nicht aus. 13 Ebenfalls analog zu den Befunden aus dem Bereich der ›klassischen‹ Amokläufe lässt sich auch hier ein minimaler Prozentsatz weiblicher Täter konstatieren (ca. 5%) (vgl. Robertz 2004: 75; Robertz/Wickenhäuser 2007: 20), auf den aber interessanterweise eher in den deutschsprachigen Untersuchungen verwiesen wird. In Studien aus dem amerikanischen Raum (siehe Band/Harpold 1999; McGee/DeBernardo 1999, 2001; Newman et al. 2004; Madfis/Levin 2013; Vossekuil et al. 2000, 2002) scheint dieser Sachverhalt hingegen nahezu ignoriert zu werden. 14 Diese Diskrepanz im Bereich der Altersausprägungen kann darauf zurückgeführt werden, dass bei den bisherigen Arbeiten und Studien zu school shootings in Teilen eben auch Vorfälle an Universitäten integriert werden, da diesen eine gewisse Analogie zu Taten an Schulen unterstellt wird. Hierbei handelt es sich in Anlehnung an Harding/Fox/Mehta (2002: 177f.) um die Problematik hinsichtlich der Definition dessen, was unter einem relevanten Fall von school shooting verstanden wird. Im Bereich studentischer Täter kann dies unter Umständen auch nachvollzogen werden, aber sobald sich die Täterschaft auf Angestelltenverhältnisse im Bereich des akademischen Mittelbaus oder im professoralen
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durchschnittliche Alter von school shootern in Übereinstimmung mit dem Forschungsstand innerhalb einer Spanne von 16-17 Jahren angegeben werden kann (vgl. Böckler et al. 2013: 13; Faust 2010: 32; McGee/DeBernardo 1999: 17, 2001: 7, 12; Langman 2009: 49-51, 2013: 132f.; Leary et al. 2003: 208f.; Meloy et al. 2001: 720; Moore et al. 2003: 256; Robertz 2004: 81; Robertz/Wickenhäuser 2007: 21; Vossekuil et al. 2000: 5, 2002: 19). Geografisch betrachtet konzentrieren sich derartige Gewaltakte von Jugendlichen an Schulen zunehmend in ländlichen oder vorstädtischen Regionen anstatt in (groß-)städtischen Ballungsräumen (vgl. Faust 2010: 31; McGee/DeBernardo 1999: 17, 2001: 7, 12; Scheithauer/Bondü 2008: 43, 2011a: 46f.). Deutliche Unterschiede liegen hingegen im Bereich der familiären Situation vor, da die familiären Verhältnisse und Konstellationen zwischen ›regulärtraditionellen‹ Familienformen (die biologischen Eltern leben zusammen), Patchworkfamilien und alleinerziehenden Elternteilen sowie hinsichtlich der Geschwisterzahl (von Einzelkind bis mehrere Geschwister) variieren (vgl. Bannenberg 2010: 74; Faust 2010: 32; McGee/DeBernardo 1999: 17, 2001: 7, 12; Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle 2007: 4; Moore et al. 2003: 258f.; Twemlow et al. 2002: 476; Vossekuil et al. 2000: 5, 2002: 19). Ähnlich der familiären Situation der Täter weist auch deren sozialer Status kein homogenes Bild hinsichtlich einer konkreten Deskription auf. Der soziale Status der Täter wird meist zwischen den beiden Polen sozial isoliert und beliebt beschrieben und auch hinsichtlich der schulischen Leistungen kann eher eine Normalverteilung zwischen den Extrema ›(sehr) schlechter‹ und ›(sehr) guter‹ Schüler konstatiert werden (vgl. Bannenberg 2010: 80; Faust 2010: 33; Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle 2007: 4; Scheithauer/ Bondü 2011a: 48; Twemlow et al. 2002: 476; Vossekuil et al. 2000: 5, 2002: 20). Verglichen mit den bisher angeführten sozialstrukturellen Charakteristika von school shootern lassen sich hingegen auf der Ebene der tatrelevanten Faktoren deutlichere Gemeinsamkeiten auffinden: So sind school shootings entgegen der landläufigen öffentlichen und medial verbreiteten Auffassung keineswegs spontane Akte individueller Gewalt, sondern unterliegen einer in zeitlicher Hinsicht variierenden Tatplanung zwischen (mindestens zwei) Tagen, mehreren Wochen, Monaten oder sogar Jahren (vgl. Bannenberg 2010: 128-134; McGee/DeBernardo 1999: 17, 2001: 12; Meloy et al. 2001: 722; Robertz/Wickenhäuser 2007: 33f.; Scheithauer/ Bondü 2008: 63-66, 2011a: 62-66; Twemlow et al. 2002: 476; Vossekuil et al. 2000: 3, 2002: 27). Auch im Bereich der für die Tat gewählten und verwendeten Bereich verlagert, wird die analoge Sichtweise von school und campus shootings problematisch: Denn dann handelt es sich nicht mehr nur um aktuelle oder ehemalige Lernende, sondern auch um Lehrende. Und dieses Spezifikum berücksichtigend, wird in der vorliegenden Arbeit eine Trennung von school und campus shootings zugrunde gelegt, und zwar einhergehend mit der Einführung und dem Versuch der Etablierung von campus shootings als eigenständiger Fall und neue Subform von Amoktaten.
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Waffen lässt sich – in Übereinstimmung mit der definitorisch verankerten Terminologie – eine eindeutige Präferenz von Schusswaffen konstatieren, welche die Täter in überwiegendem Maße aus dem Elternhaus oder dem näheren familiären Umfeld (Verwandte und Bekannte) beschaffen (vgl. Band/Harpold 1999: 14; Hoffmann 2007a: 31; McGee/DeBernardo 1999: 17, 2001: 5, 12; Meloy et al. 2001: 722; Newman et al. 2004: 259ff.; Robertz 2004: 76; Twemlow et al. 2002: 476; Vossekuil et al. 2000: 6, 2002: 26).15 Ebenso lassen sich bei der überwiegenden Mehrheit der school shootings prädeliktische Kommunikationen mit und/oder innerhalb der peer group oder gegenüber Erwachsenen konstatieren, wobei diese als leaking16 bezeichneten Warnsignale in Form von Drohungen oder sonstigen verba15 Die primäre Verwendung von Schusswaffen schließt den Gebrauch oder das Mitführen anderer Waffenarten, wie Stich-, Hieb- oder Schlagwaffen, bis hin zu unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV) nicht aus. Bei einigen Fällen wurde sogar ein ganzes Waffenarsenal bei der Tat mitgeführt. Als prägnantester Fall ist hier das school shooting an der US-amerikanischen Columbine High School (1999) zu nennen, bei dem die Täter mehrere Schuss- und Stichwaffen sowie USBV mit sich führten. 16 Leaking bezeichnet das »Durchsickern« oder »Leckschlagen« von Informationen, die im Vorfeld eines school shootings gegenüber spezifischen (zumeist Gleichaltrige aus der peer group) oder allgemeineren (bspw. in Chatrooms oder Online-Foren) Personenkreisen beiläufig geäußert oder bewusst mitgeteilt werden. Bei dieser Art von prädeliktischen Warnsignalen kann neben den unterschiedlichen Kommunikationsarten (verbal, schriftlich oder grafisch) auch zwischen direkten und indirekten Äußerungen unterschieden werden. Während sich indirektes prädeliktisches leaking meist auf ein gesteigertes Interesse an Waffen, gewalthaften Medien und/oder vergangenen Amoktaten bezieht, kann direktes leaking mit konkreten verbalen, schriftlichen oder grafischen Äußerungen und/ oder Warnhinweisen verbunden werden, wobei hier wiederum zwischen flüchtigen (situativ verankert, keine dauerhafte Intentionalität) und substanziellen Drohinhalten (spezifische Details, dauerhafte Intentionalität erkennbar, repetitiver Gebrauch) unterschieden werden kann. Im Hinblick auf die Einschätzung akuter und konkreter Tatplanungen bzw. bevorstehender Taten ist leaking ein zentrales Element bei der Intervention und Prävention von school shootings. Angelehnt an das US-amerikanische Bedrohungs- und Risikomanagement, welches bereits von O’Toole (1999) und Vossekuil et al. (2000, 2002) für den Einsatz schulischer Präventions- und Interventionsmöglichkeit im Kontext von school shootings empfohlen wurde, ist es mithilfe der Etablierung schulischer Krisenteams – ein Zusammenschluss schulischer, schulpsychologischer und polizeilicher Vertreter zur Analyse und Einschätzung bekannt gewordener Warnsignale – und spezieller Software möglich, potenzielle school shootings frühzeitig zu erkennen und tatverhindernd einzugreifen. Ohne an dieser Stelle weiter ins Detail zu gehen, sei darauf verwiesen, dass sowohl das Berliner Leaking Projekt als auch das Projekt NETWASS (NETWorks Against School Shootings) sowie die softwareseitig gestützte Einschätzung von
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len, schriftlichen und grafischen (gewalthaften) Äußerungen im Vorfeld nicht immer als solche realisiert und gedeutet werden (vgl. Borum et al. 2010: 31; Hoffmann 2007a: 32; McGee/DeBernardo 2001: 5, 10; Meloy et al. 2001: 722; Newman et al. 2004: 253-259; O´Toole 1999: 6-9; Robertz/Wickenhäuser 2007: 34; Scheithauer/Bondü 2008: 67-74, 2011a: 66-71; Twemlow et al. 2002: 475f.; Vossekuil et al. 2000: 3f., 2002: 25). Die motivationalen Beweggründe zur Planung und zur Begehung eines school shootings lassen sich allerdings nicht auf solitäre Faktoren zurückführen, sondern unterliegen einem multifaktoriellen Zusammenspiel mehrerer unterschiedlicher Motivlagen. Neben psychologischen (u.a. suizidale Tendenzen, depressive Verstimmungen, wahrgenommene Ausweglosigkeit) und psychopathologischen (u.a. Schizophrenie, Psychosen, Paranoia, Narzissmus) Motiven spielen auch individuell basierte Auslöser (z.B. Verlusterfahrungen in Form von Schulverweisen, Zurückweisungen von der peer group oder durch das weibliche Geschlecht, Rache- und/oder Hassgedanken) und soziale bzw. interaktionale Beweggründe (z.B. Spott, Demütigungen, physische Schikanen und/oder Quälereien sowie Defizite im Bereich sozialer Anerkennung) eine Rolle (vgl. Band/Harpold 1999: 14; Bannenberg 2010: 117-122; Böckler/Seeger/Heitmeyer 2011: 266f., 281ff.; Hoffmann 2007a: 28, 31f.; Langman 2009: 54-175; Leary et al. 2003; McGee/DeBernardo 1999, 2001: 1, 8f.; Meloy et al. 2001: 721f.; Newman et al. 2004; O´Toole 1999: 17-21; Robertz/Wickenhäuser 2007: 31-34; Scheithauer/Bondü 2011a: 61f., 2011b: 301f.; Twemlow et al. 2002: 476; Vossekuil et al. 2000: 7, 2002: 21). Hinsichtlich des Tatverlaufs sowie des Tatausgangs lässt sich entgegen der medial verbreiteten und öffentlich vorherrschenden Meinung konstatieren, dass es sich bei school shootings keineswegs um solch gravierende Taten handelt, die stets Opfer im zweistelligen Bereich fordern – wie dies zumeist paradigmatisch unter Rekurs auf die Taten in Columbine (10 Tote) oder Erfurt (16 Tote) vermittelt wird (vgl. Robertz/Wickenhäuser 2007: 19). Auch wenn innerhalb einzelner Studien und Analysen aufgrund der variierenden Fallzahlen Schwankungen bzgl. der durchschnittlichen Opferzahlen17 (Tote und Verletzte) existent sind, kann unter Rekurs auf Robertz (2004: 76) school shootings mittels DyRiAS-Schule (Dynamisches Risiko Analyse System-Schule) gute Erfolge im präventiven und interventiven Bereich zeigen (vgl. hierzu Bondü et al. 2013; Hoffmann 2007b: 117-125; Hoffmann/Roshdi 2013; Hoffmann/Roshdi/Robertz 2009: 202; Leuschner et al. 2011; Scheithauer/Bondü 2008: 67-74, 2011a: 66-71). 17 So kann bspw. in den Studien von McGee/DeBernardo (1999, 2001) eine durchschnittliche Verteilung von 2,4 ± 1,3 Toten und 4,6 ± 6,2 Verletzten (1999; n = 12) bzw. 2,9 ± 3,4 Toten und 6,1 ± 7,3 Verletzen (2001; n = 16) pro school shooting nachgezeichnet werden, während bei Madfis/Levin (2013; n = 12) ein Verhältnis von 5,6 ± 5,8 Toten zu 6,8 ± 6,3 Verletzten vorliegt und bei Langman (2013; n = 35) sowie Meloy et al. (2002; n = 27) ohne die Angabe der Standardabweichung ein durchschnittliches Verhältnis von 4 Toten zu 13 Verletzten bzw. 4,7 Toten und 3,1 Verletzten pro school shooting aufzufinden ist.
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und Robertz/Wickenhäuser (2007: 19), deren Untersuchung von 99 school shootings im Zeitraum von 1974-2002 bis dato die umfassendste Aufarbeitung jugendlicher Amokläufe an Schulen darstellt, die durchschnittliche Zahl getöteter und verletzter Personen mit 1,3 Toten bzw. 3,2 Verletzten pro school shooting angegeben werden. Ebenfalls entgegen der landläufigen Meinung lässt sich auch kein vorwiegender Suizid der Täter nach Beendigung des school shootings konstatieren. Das Verhältnis von Tätersuiziden bzw. Tötungen der Täter durch Dritte (der sogenannte suicide by cop) und Verhaftungen der Täter am Ende der Tat kann unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Analyseergebnisse als relativ gleichverteilt betrachtet werden (vgl. Hoffmann/Roshdi/Robertz 2009: 198; Madfis/Levin 2013: 83f.; McGee/DeBernardo 2001; Robertz 2004: 77; Robertz/Wickenhäuser 2007: 20; Vossekuil et al. 2002: 27f.).18 Im Unterschied zu den anderen beiden Subformen des ›klassischen‹ Amoklaufs und der school shootings gestaltet sich die Rekonstruktion charakteristischer Merkmale im Kontext von workplace violence etwas schwieriger. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass in Studien, die sich explizit dieser Form von Amoktaten widmen, eher Erklärungsmodelle im Vordergrund stehen. Zum anderen besteht die Problematik deskriptiver Tätermerkmale darin, dass gemäß der definitorischen Vielfalt in empirischen Studien keine explizite Trennung zwischen intern und extern bedingten Vorfällen der workplace violence vorherrscht. Beide Bereiche werden unter dem allgemeinen Begriff der Homizide geführt. Insofern ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die nachfolgenden Charakteristika keinen absoluten Anspruch auf Gültigkeit erheben, aber dem Zweck der Illustration potenzieller täterspezifische Merkmale dennoch gerecht werden: Bei einem Amokläufer am Arbeitsplatz handelt es sich überwiegend um einen männlichen Täter – je nach analysierter Fallzahl liegt der Anteil männlicher Täter bei 80-90 Prozent – in der mittleren Altersspanne von 18-49 Jahren, wobei das durchschnittliche Alter bei ungefähr 33-35 Jahren liegt. Die Taten selbst sind zielgerichtet, werden vorwiegend mit Schusswaffen begangen (wobei Hieb-, Stich- und Schlagwaffen ebenfalls häufig verwendet werden) und sind hinsichtlich des ausgewählten Opferpools bewusst geplant, was u.a. auch aus im Vorfeld der Tat getroffenen Äußerungen und/oder Informationen gegenüber Kollegen und Mitarbeitern (leaking) geschlossen werden kann. Die Motivlage betreffend lassen sich diese auf einschneidende Erlebnisse, 18 So lässt sich bspw. bei Hoffmann/Roshdi/Robertz (2009: 198; n = 7), Langman (2013: 140; n = 35) und Madfis/Levin (2013: 83f.; n = 12) etwa ein Verhältnis von zwei Dritteln (Suizide bzw. Tötungen) zu einem Drittel (Verhaftungen) rekonstruieren, wohingegen dieses Verhältnis bei McGee/DeBernardo (2001; n = 16), Robertz (2004: 76f.; n = 99), Robertz/Wickenhäuser (2007: 19f.; n = 99) und Vossekuil et al. (2002: 27f.; n = 37) in umgekehrter Weise – ein Drittel (Suizide bzw. Tötungen) zu zwei Dritteln (Verhaftungen) – rekonstruiert werden kann.
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wie bspw. berufliche Unsicherheiten oder die bevorstehende bzw. bereits vollzogene Kündigung in Zeiten einer sich verschlechternden wirtschaftlichen Situation ohne andere berufliche Perspektiven, Rache, zunehmend geforderte berufliche und private Mobilität sowie auf Streitigkeiten innerhalb des Kollegenkreises zurückführen, wobei die Taten in Teilen auch ohne Motiv verübt werden können. Klinische oder geistige Erkrankungen spielen ebenso wie psychopathologische Störungen eine als gering einzustufende Rolle. Die sich vorwiegend innerhalb von Organisationen, die nicht dem Einzelhandel zuzuordnen sind, ereignenden Amoktaten am Arbeitsplatz enden nur in wenigen Fällen mit dem Suizid des Täters (vgl. hierzu Baxter/Margavio 1996: 291; Cooper/Smith 2011; Fox/Levin 1994; Hoffmann 2010: 20, 2011: 165; Kinney/Johnson 1993: 21, 42; Lankford 2013: 261, 265; Neuman/Baron 1998: 400; Scalora et al. 2003: 312, 317). Während die bis hierhin dargestellten charakteristischen Merkmale anhand des jeweiligen Forschungsstandes erarbeitet und dargestellt wurden, wird aufgrund der Besonderheit von campus shootings, als bis dato nicht eigenständig geführter Subform von Amoktaten, zur Erarbeitung charakteristischer Merkmale auf die eigene Datenlage zurückgegriffen. Anhand der aufgeführten elf internationalen Fälle von campus shootings (vgl. Tab. 3, S. 264) kann somit festgehalten werden, dass Amoktaten an Universitäten ebenfalls überwiegend von männlichen Tätern (n = 10) begangen werden. Hinsichtlich des Familienstandes lassen sich campus shooter sowohl im Bereich der ledigen als auch der verheirateten wie geschiedenen Täter verorten, wobei die Gruppe der ledigen Täter (n = 7) eine (relative) Mehrheit innerhalb der elf Fälle bildet. Campus shootings verteilen sich auf alle Statusgruppen im organisationalen Bereich der Forschung und Lehre, wobei hier die Gruppe des wissenschaftlichen Personals (Post-Docs, n = 1; Juniorprofessuren, n = 1; Professuren, n = 1) im Gegensatz zu Studierenden eher gering vertreten ist. Das durchschnittliche Alter der Täter liegt bei ca. 33,18 ± 10,14 Jahren. Aufgrund mangelnder Informationen können Aussagen zur Tatplanung nicht weiter spezifiziert werden – die schwierige Situation hinsichtlich der Datenquellen lieferte nur konkrete Informationen für drei der elf Fälle, bei denen eine Tatplanung festgestellt werden konnte. Da die Mehrheit der Taten (n = 9) allerdings mit Schusswaffen verübt wurde – in vier Fällen sogar mit mehr als einer Schusswaffe –, kann jedoch hinsichtlich der Waffenbeschaffung zumindest eine geringe Vorbereitungs- und Planungszeit vermutet werden. Die eine relativ breite Ausführungszeitspanne aufweisenden Taten – unter zehn Minuten bzw. bis zu zwei Stunden19 – führen durchschnittlich zu 5,45 ± 8,53
19 Eine genaue Berechnung der hierfür in Frage kommenden sieben Fälle – der spanische Vorfall wird hier ebenso wie die Taten, bei denen keine Informationen vorlagen, ausgeklammert – liefert eine durchschnittliche Tatdauer von 41,29 ± 42,27 Minuten. Ein Ergebnis, das aus Gründen der nicht vollständig vorhandenen Informationen und der breiten
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Toten und 6,20 ± 8,78 Verletzten, wobei diese Verteilung durch das bisher gravierendste campus shooting in Blacksburg verzerrt wird.20 Werden die diesbezüglichen Opferzahlen der Toten und Verletzten herausgerechnet, stellt sich die Verteilung so dar, dass durchschnittlich 2,8 ± 1,72 Personen getötet und 1,88 ± 1,17 Personen verletzt wurden. Was den Ausgang der Tat für den Täter betrifft, so lässt sich konstatieren, dass campus shootings relativ gleichverteilt entweder mit dem Suizid des Täters oder dessen Verhaftung enden.21
6.3 V OM P HÄNOMEN A MOK ZUR S UBFORM DER C AMPUS S HOOTINGS – Z WEITER S CHRITT : C AMPUS S HOOTINGS ALS HYBRIDE ( NEUE ) S UBFORM VON A MOK Die Begründung von campus shootings als eigenständige hybride (neue) Subform des Phänomens Amok resultiert aus dem Auffinden derjenigen Unterschiede, die campus shootings von den bisher existenten Subformen des ›klassischen‹ Amoklaufs, der school shootings und der workplace violence abgrenzen. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine klare (trennscharfe) Abgrenzung, sondern um eine Abgrenzung im Sinne der Integration und Vermischung unterschiedlicher Aspekte und Merkmale der bis dato gängigen drei Subformen, aus deren Konglomerat campus shootings als hybride und – sich insofern von den anderen Subformen separierende – eigenständige (neue) Subform des Phänomens Amok hervorgehen. Scheinen Zuordnungen in die bisherigen Subformen zwar naheliegend, so zeigt sich bei genauer Betrachtung, dass ein derartiges theoretisches Vorgehen den tatsächlichen empirischen Fällen nicht gerecht wird. So scheitert eine vollständige Zuordnung zu school shootings bereits (aus logischen Gründen) an den Merkmalen des Täteralters und des beruflichen Status, während eine vollständige Zuordnung zur workplace violence aufgrund der Aspekte des ›Nicht-Angestellten-Status‹ von Studierenden und des spezifisch universitären Angestelltenverhältnisses wissenschaftlich Beschäftigter und Professoren scheitert. Diese nehmen – entgegen dem fallspezifischen Merkmal von workplace violence – keine ausschließlich administrativen und/oder Dienstleis-
Streuung keine allzu große Aussagekraft besitzt. Zumindest nicht mehr Aussagekraft, als dass campus shootings eben zwischen wenigen Minuten und Stunden dauern. 20 Der spanische Vorfall wurde hier aufgrund seiner Vereitelung im Vorfeld – und damit einer Gesamtopferzahl von Null – bei der Berechnung nicht berücksichtigt. 21 Wird der spanische Vorfall, der im Vorfeld vereitelt wurde, bei der Betrachtung des Tatausgangs ausgeklammert, lässt sich das Verhältnis von Suiziden zu Verhaftungen mit Vier zu Sechs angeben.
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tungstätigkeiten wahr. Auch eine vollständige Subsumierung in die Gruppe der ›klassischen‹ Amokläufe erweist sich aufgrund einer willkürlichen Tatausführung und einer Integration aller möglichen beruflichen Status als nicht zweckdienlich. Der zweite Schritt zur Begründung spezifischer Objekte als Fall und damit die Begründung von campus shootings als eigenständige Subform von Amoktaten resultiert letztlich aus dem Auffinden derjenigen Unterschiede, die Amoktaten an Universitäten von den bisher existenten Subformen des ›klassischen‹ Amoklaufs, der school shootings und der workplace violence abgrenzen, wobei bereits an dieser Stelle etwas vorgegriffen werden kann: Campus shootings zeichnen sich gegenüber den anderen Subformen von Amoktaten nicht durch eine klare (trennscharfe) Abgrenzung aus. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine eingangs erwähnte hybride Subform von Amoktaten, die sich gemäß der Definition (vgl. Kap. 5) dadurch charakterisieren lässt, dass sie Elemente der vorherigen Subformen integriert und sich durch die (Ver-)Mischung derselben zugleich von ihnen separiert. Campus shootings als Subform von Amok sind also aufgrund ihres hybriden Charakters ab dato als ein neuartiges Gebilde und damit als eigenständige Variante von Amoktaten anzusehen. Um die bereits angesprochene Hybridisierung allerdings nachvollziehen und konzeptionalisieren sowie konstatieren zu können, müssen somit die bisher existenten und etablierten Subformen von Amoktaten mit dem Fall von campus shootings verglichen werden. Die bereits in Kapitel 1 angesprochene und innerhalb der Forschung bis dato gängige Integration von campus shootings in den Bereich der school shootings scheint auf den ersten Blick naheliegend: Beide Formen ereignen sich schließlich an Bildungsinstitutionen. Werden school shootings allerdings per definitionem ausschließlich von ehemaligen oder aktuellen Schülern der bewusst für die Tat ausgewählten Schule begangen (vgl. Newman/Fox 2009: 1287; Newman et al. 2004; Robertz 2004: 20; Robertz/Wickenhäuser 2007: 10), zeichnen sich campus shootings gemäß der hier vorgestellten Definition und der empirischen Befunde hingegen durch unterschiedliche statusbezogene Zugehörigkeiten der Täter innerhalb von Universitäten aus: Die Täter gehören eben nicht nur dem Bereich der Studierenden an, sondern finden sich auch unter den Angestellten im organisationalen Teilbereich der Lehre und Forschung (vgl. Tab. 3, S. 264). Könnte somit zwar aufgrund des gemeinsamen Merkmals der angeleiteten Ausbildung und Erlangung von Wissen durch dafür vorgesehene und eingestellte Lehrkräfte in theoretischer Hinsicht die Übereinstimmung von campus und school shootings auf der Ebene von Schülern und Studierenden also weiterhin behauptet werden, so führt das Festhalten an dieser theoretischen Konstruktion allerdings zu einer (mehr oder weniger bewussten) Ausblendung empirisch relevanter Fälle. Sicherlich könnte an dieser Stelle wiederum eingewendet werden, dass Amoktaten von wissenschaftlich Angestellten einer Universität nicht gänzlich aus dem Bereich der Amoktaten herausfallen würden,
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sondern in die Gruppe der workplace violence integriert werden könnten – schließlich würde es sich ja durch die Exklusion studentischer Täter in definitorischer Hinsicht um Vorfälle von Amoktaten am Arbeitsplatz handeln. Eine derartige Vorgehensweise mag zwar in theoretischer Hinsicht eine scheinbar adäquate Lösung sein, das empirische Faktum vorhandener Fälle, die durch auffindbare Gemeinsamkeiten zu einem (weiteren) Fall eines Phänomens werden, wird hierbei allerdings vernachlässigt oder gar ignoriert. Campus shootings lassen sich hinsichtlich ihrer definitorischen Besonderheit der unterschiedlichen beruflichen Status also weder vollständig der Gruppe der school shootings noch vollständig den Amoktaten am Arbeitsplatz zuordnen. Denn eine derartige Subsummierung exkludiert Teile der spezifischen Täterschaften von Amoktaten an Universitäten. Campus shootings müssen demnach also eher beiden Subformen im Sinne eines sowohl-als-auch zugewiesen werden. Und an dieser sowohl-als-auch-Zuordnung zeigt sich bereits, dass campus shootings die beiden Subformen des school shootings und der workplace violence vermischen. Hinsichtlich der bis dato aber gängigen Integration von Amoktaten an Universitäten in die Subform der school shootings ist noch eine weitere, rein logische Diskrepanz existent, die eine solche Subsumierung ad absurdum führt: das Alter der Täter. School shooter sind gemäß dem Forschungsstand im Alter von 15-17 Jahren (vgl. u.a. Band und Harpold 1999: 14; McGee und DeBernardo 1999: 17; 2001: 12; Meloy et al. 2001: 720; Robertz/Wickenhäuser 2001: 21). Studierende und wissenschaftlich Beschäftigte sind demgegenüber aus rein logischen Gründen – und darüber hinaus auch (quasi) de jure – einer anderen Altersgruppe zuzurechnen: statt um adoleszente Täter handelt es sich hierbei um (junge) Erwachsene.22 Dieser logische Widerspruch widerlegt somit die Annahme, bei campus shootern handele es sich um school shooter. Demgegenüber legt die Fokussierung auf das durchschnittliche Alter der Täter aber Gemeinsamkeiten mit den beiden anderen Subformen des ›klassischen‹ Amoklaufs und der workplace violence nahe. Gemäß der aufgefunden Fälle von Amoktaten an Universitäten lässt sich das durchschnittliche Alter der Täter mit ca. 33 Jahren angeben. Sowohl beim ›klassischen‹ Amoklauf als auch bei der workplace violence – im hier verwendeten Sinne intern bedingter Amoktaten am Arbeitsplatz – liegt das durchschnittliche Täteralter zwischen 32 und 35 bzw. 33 und 35 Jahren (vgl. Adler 2000: 54ff.; Adler et al. 2006: 584; Baxter/Margavio 1996: 291; Cooper/Smith 2011; Fox/Levin 1994; Hoffmann 2010: 20, 2011: 165; Kinney/Johnson 1993: 21, 42; Lankford 2013: 261, 265; Lübbert 2002: 62ff.; Neuman/Baron 1998: 400; Scalora et al. 2003: 312, 317; Scheithauer/Bondü 2008: 38ff.), sodass hier eher eine Gemeinsamkeit der einzelnen Subformen vorzu22 Gemäß der international rechtsverbindlichen und von der UN-Generalversammlung am 20.11.1989 verabschiedeten und am 02.09.1990 in Kraft getretenen Convention of the Rights of the Child bezieht sich der Status »nicht-Erwachsener« nach Artikel 1 auf »every human being below the age of eighteen years [Herv. A.B.]« (UNICEF 2013: 2).
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liegen scheint. Dieser Verdacht scheint sich zudem noch zu erhärten, wenn das sozialstrukturelle Merkmal des Familienstandes berücksichtigt wird. Bei allen drei Formen (›klassischer‹ Amoklauf, workplace violence und campus shooting) verteilt sich der familiäre Status (mehr oder weniger) auf die Gruppe der Ledigen und beim ›klassischen‹ Amoklauf sowie der workplace violence auch auf die Gruppe der Verheirateten. Dies würde aber im gleichen Zug die Frage aufwerfen, wieso die etablierte Subform der workplace violence dann überhaupt von der Subform des ›klassischen‹ Amoklaufs unterschieden wird. Das im Kontext der Forschung angeführte Argument zur Abgrenzung von ›klassischen‹ Amokläufen und workplace violence ist hier empirischer Natur und auch für die Abgrenzung von campus shootings und ›klassischen‹ Amokläufen nützlich: Ein zentraler und wesentlicher Unterschied zwischen ›klassischen‹ Amoktaten und Amoktaten am Arbeitsplatz besteht im Hinblick auf die Tatausführung. ›Klassische‹ Amokläufe (ohne die Berücksichtigung intraund inter-familiärer Taten) ereignen sich meist ohne spezifische Auswahl des Opferpools (siehe Adler 2000; Adler et al. 1993; Adler et al. 2006; Lübbert 2002; Schünemann 1992). Im Gegensatz dazu zeichnen sich Amoktaten am Arbeitsplatz – wie im Übrigen auch school shootings – durch eine bewusste und damit zielgerichtete Auswahl der Opfer (Kollegen, Mitarbeiter, Vorgesetzte oder die Organisation selbst in Form personengebundener Vertreter) aus (siehe Baxter/Margavio 1996; Baron/Neuman 1996; Cooper/Smith 2011; Fox/Levin 1994; Hoffmann 2007a, 2010, 2011; Kinney/Johnson 1993; Lankford 2013; Neuman/Baron 1998; Robertz 2004; Robertz/Wickenhäuser 2007; Scalora et al. 2003; Scheithauer/Bondü 2008, 2011a). Dieses zentrale Argument für eine Abgrenzung der Subformen der school shootings und der workplace violence kann somit auch für die Abgrenzung von campus shootings gegenüber ›klassischen‹ Amokläufen vorgebracht werden. Auch Amoktäter an Universitäten gehen während der Durchführung ihrer Tat zielgerichtet vor. Gemäß den Datenquellen, die den ausgewählten Fällen zugrunde liegen, richteten sich auch campus shootings stets gezielt gegen Kommilitonen und/oder Lehrpersonal (aus studentischer Sicht) sowie (aus Sicht der wissenschaftlich Angestellten) gegen Kollegen (vgl. Tab. 3, S. 264). Der Aspekt einer zielgerichteten und bewussten Opferwahl lässt somit, trotz des gemeinsamen Merkmals des Alters, eine Abgrenzung gegenüber ›klassischen‹ Amokläufen zu.23 Auch hier handelt es sich in gewisser Weise um eine sowohl-als-auch-Beziehung zwischen campus shootings und ›klassischen‹ Amokläufen, bei der Amoktaten an Universitäten in Teilen sowohl als ›klassische‹ Amokläufe aufgefasst werden könnten als auch nicht. Denn wären campus shootings tatsächlich als reine ›klassische‹ Amokläufe zu verstehen, so müssten sich die Überschneidungen beider Subformen auf alle Merkmale beziehen, was 23 Auf die potenzielle Gemeinsamkeit mit school shootings bzgl. der zielgerichteten und bewussten Opferauswahl wird aufgrund der bereits gezeigten Abgrenzung aus Gründen logischer Widersprüchlichkeiten nicht weiter eingegangen.
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allerdings nicht der Fall ist (vgl. Abb. 12, S. 281). Lassen sich Amoktaten an Universitäten also auch von ›klassischen‹ Amokläufen in Teilen abgrenzen, scheint weiterhin eine Verwandtschaft zur workplace violence vorzuliegen, wie dies bereits angedeutet wurde. Erneut stellt sich hier allerdings das Problem der Besonderheit hinsichtlich der organisationalen Zugehörigkeit und des damit verbundenen Status der Mitgliedschaft innerhalb von Universitäten. Wissenschaftlich Beschäftigte und Professoren sind analog zu Angestellten anderer Organisationen zwar Mitglieder qua Beruf und damit auch direkt finanziell von der Organisation abhängige Mitglieder.24 Studierende sind dies allerdings nicht. Zwar sind diese auch qua Status Mitglied der Organisation Universität (eben Studierende), stehen aber in der Regel in keiner direkten finanziellen Abhängigkeit von der Organisation.25 Die studentische Mitgliedschaft beruht in erster Linie auf Freiwilligkeit, mit der darüber hinaus noch finanzielle Abgaben für (Studiengebühren, Sozialabgaben, Semesterticket etc.) statt Einkünfte von der Organisation (Gehaltszahlungen) verbunden sind.26 Während Studierende also für universitäre Leistungen (z.B. Qualität der Lehre) bezahlen, werden wissenschaftlich Beschäftigte und Professoren aufgrund von Leistungen bezahlt. Im professoralen Bereich kann dies paradigmatisch an der Einführung leistungsorientierter Mittelvergaben gesehen werden. Ein Aspekt also, der sich von der Situation im Bereich der workplace violence – in Form von Amoktaten am Arbeitsplatz – zumindest graduell unterscheidet, denn hier sind die Mitglieder einer Organisation solitär Angestellte und Beschäftigte (vgl. Fox/Levin 1994: 16; Harrell 2011: 1f.; siehe Beale/Hoel 2010). Hinzu kommt auch, dass wissenschaftlich Be24 Wenn an dieser Stelle und im Folgenden von einer direkten finanziellen Abhängigkeit die Rede ist, so bezieht sich dies explizit auf mit dem beruflichen Status verbundene Gehaltszahlungen. Etwaige finanzielle Abhängigkeiten im Hinblick auf durch Bildung und Bildungsabschlüsse potenziell steigerbare künftige Einkommenschancen werden nicht hierunter gefasst. Diese wären dem hier zugrunde liegenden Verständnis nach indirekte finanzielle Abhängigkeiten von einer Organisation. 25 Eine direkte finanzielle Abhängigkeit von Studierenden liegt in Einzelfällen über die Beschäftigung als Hilfskraft vor. 26 Dies schließt keineswegs aus, dass auch die Mitgliedschaft wissenschaftlich Beschäftigter und Professoren auf Freiwilligkeit beruht, da die Entscheidung hinsichtlich der Berufswahl und die weitere Entscheidung eines privatwirtschaftlichen oder universitären Werdegangs freiwillig (aber sicherlich auch unter rationalen Aspekten) getroffen wird. Dennoch werden angestellte Mitglieder einer Organisation für ihre Leistungen in finanzieller Hinsicht über das Einkommen vergütet und dies nicht nur während ihrer aktiven Phase (Erwerbsarbeit), sondern auch in der sich anschließenden, wenn man so möchte, passiven Phase des Ruhestandes. Die Passivität bezieht sich hierbei dann auf die nicht mehr zwangsweise direkte Leistung für die Organisation. Indirekte Leistungen, z.B. in Form von Beratertätigkeiten, sind darüber hinaus weiter denkbar.
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schäftigte und Professoren keineswegs rein administrative und solitäre Verwaltungsaufgaben bzw. Dienstleistungsaufgaben im Rahmen ihrer Angestelltentätigkeit wahrnehmen, wie dies bei Angestellten einer Organisation im Bereich der workplace violence generell der Fall ist (siehe u.a. Fox/Levin 1994; Beale/Hoel 2010). Und selbst wenn versucht würde, einen Vergleich zwischen Studierenden und Auszubildenden innerhalb einer Organisationen zu ziehen, was sicherlich über die Komponente der angeleiteten Ausbildung und Erlangung von Wissen durch eigens dafür zuständige Betreuer (Ausbilder bzw. Lehrkräfte) möglich wäre, so bleibt die erwähnte direkte finanzielle Abhängigkeit weiterhin bestehen. Auch Auszubildende stehen in einem direkten finanziellen Verhältnis zu ihrer Organisationen über die Zahlung des vorgesehenen Gehalts.27 Wird also im Bereich der workplace violence davon ausgegangen, dass alle Amoktäter am Arbeitsplatz zumindest bei den hier relevanten intern bedingten Amoktaten Angestellte einer Organisation sind, dann müssten auch alle Studierenden Angestellte dieser Organisation sein. Dies trifft für Studierende lediglich dann zu, wenn sie – gemäß dem hier zugrunde liegenden Verständnis einer vorausgesetzten direkten finanziellen Abhängigkeit von der Universität über Gehaltszahlungen – als Hilfskräfte innerhalb der Universität beschäftigt sind. Ist dies theoretisch zwar denkbar, so gleicht es hingegen empirisch einer Utopie. Allein am Beispiel der RWTH Aachen müsste dies in Konsequenz bedeuten, dass alle eingeschriebenen 44.876 Studierenden (Stand Wintersemester 2012/2013; vgl. RWTH Aachen 2013a: 35) als Hilfskräfte beschäftigt sein müssten, um gemäß den definitorischen Elementen als Angestellte der Organisation zu gelten. Dies entspricht aber keineswegs der tatsächlichen Beschäftigtenzahl von insgesamt 8.065 Personen (vgl. RWTH Aachen 2013b). Sind und können demnach auch nicht alle Studierenden innerhalb von Universitäten beschäftigt werden, so sind Studierende hinsichtlich ihrer Organisationszugehörigkeit also sowohl Angestellte (Einzelfälle) als auch Nicht-Angestellte (Regelfall). Und insofern läge auch hier ein rein logischer Widerspruch vor, würden Studierende als Teilmenge von campus shootings in die Subform der workplace violence eingegliedert. Ebenso wie im Fall von school shootings erweist sich also eine Zuordnung zur workplace violence aus rein logischen Gründen als nicht möglich, da dies die Auffassung und das Verständnis von workplace violence ad absurdum führen würde. Auch hier zeigt sich erneut, dass campus shootings zwar auf Teilelemente der workplace violence zurückgeführt werden können, die notwendige Übereinstimmung aller Merkmale aber nicht gegeben ist. Campus shootings sind auch hier sowohl Fälle von workplace violence als auch nicht, wobei Letzteres im 27 Die weitere denkbare Alternative im Sinne einer analogen Behandlung von Studierenden als ›Schüler‹, die bekanntermaßen ebenfalls nicht direkt finanziell von der jeweiligen Schule abhängig sind, ist wegen der bereits angeführten logischen Widersprüchlichkeiten (weiterhin) nicht möglich.
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Wesentlichen auf die Besonderheit zurückgeführt werden kann, dass eben alle Mitglieder des organisationalen Teilbereichs der Lehre und Forschung als Täter in Frage kommen können. Rekurrierend auf den eingangs angeführten Hinweis, dass zur Konstituierung eines Forschungsobjektes als spezieller Fall eines Phänomens sowohl genug Ähnlichkeiten vorliegen müssen als auch die Möglichkeit der Abgrenzung gegenüber anderen Objekten bestehen muss, um spezielle Fälle als eigenständig betrachten zu können (vgl. Ragin 1992a: 1), können campus shootings gemäß den bisherigen Ausführungen somit zunächst tatsächlich als eigenständige und neue Subform des Phänomens Amok aufgefasst und betrachtet werden. Die logischen Widersprüchlichkeiten hinsichtlich einer vollständigen Eingruppierung in die Subformen der workplace violence, der school shootings und der ›klassischen‹ Amokläufe im Bereich der Tatausführung belegen dies. Trotz der möglichen (graduellen) Abgrenzung gegenüber den bisher gängigen Subformen von Amok aufgrund logischer Widersprüchlichkeiten, lassen sich im Hinblick auf campus shootings aber auch wie geschildert Teilelemente aus den Bereichen der ›klassischen‹ Amokläufe, school shootings und workplace violence auffinden. Diese verweisen auf den erwähnten hybriden Status von Amoktaten an Universitäten, im Sinne der (Ver-)Mischung einzelner Elemente. Diese gehen zwar nicht zwangsweise aus den zugrunde liegenden jeweiligen Definitionen und Auffassungen der anderen Subformen hervor, stehen aber in Verbindung mit den jeweils spezifischen Merkmalen, die ›klassische‹ Amokläufe, school shootings und Akte der workplace violence charakterisieren. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um die sozialstrukturellen Aspekte des Geschlechts, des Alters, des beruflichen und des familiären Status sowie um die tatbzw. täterrelevanten Aspekte der Tatwaffe(n) und der Tatausführung, deren graduelle Überschneidungen mit campus shootings und den drei weiteren Subformen des Phänomens Amok in Abbildung 12 (s. S. 281) dargestellt werden.28 28 Im Rahmen der Analyse und des Vergleichs der jeweils spezifischen Tat- und Tätermerkmale lassen die statistischen Befunde zwar auch Überschneidungen bzgl. der Aspekte des Tatausgangs, der Tatdauer sowie der Anzahl der Toten und Verletzten ersichtlich werden, diese werden hier allerdings aufgrund ihrer zu spezifischen situativen Abhängigkeit nicht berücksichtigt. So unterliegt bspw. die potenzielle Opferzahl bei allen vier Subformen von Amoktaten einer zu stark variierenden Wahrscheinlichkeit bzgl. sich situativ aktuell befindender Personen an öffentlichen Bereichen, in der Schule, am Arbeitsplatz oder vielleicht nur innerhalb eines Hörsaals. Und auch die Dauer einer Tat und der Ausgang unterliegen einer zu großen, situativ variierenden Wahrscheinlichkeit: nämlich im Hinblick auf die Zeitspanne bis zum Eintreffen von Polizeibeamten, die entweder sehr schnell oder weniger schnell vor Ort sind und somit die Amoktaten sehr zeitnah oder eben nicht sehr zeitnah unterbinden und den Täter stellen können, weshalb sich die potenzielle Dauer sowie die Möglichkeit des Tätersuizids erhöhen können. Darüber hinaus kann auch der
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Abbildung 12: campus shootings als hybride Subform von Amoktaten
Campus shootings werden mehrheitlich mit Schusswaffen und von männlichen Tätern begangen, die auch bei den anderen drei Subformen zu den präferierten Tatwaffe(n) und der überwiegenden Tätergruppe gehören (vgl. Kap. 6.2). Das durchschnittliche Alter der Täter sowie deren vorwiegend lediger und verheirateter familiärer Status weisen hingegen auf Parallelen zu den Subformen des ›klassischen‹ Amoklaufs und der workplace violence hin, ebenso wie die mehr oder weniger stark ausgeprägten Aspekte des beruflichen Angestellten-Status; dieser ist bei Amoktaten am Arbeitsplatz rein definitorisch und beim ›klassischen‹ Amoklauf über den Aspekt der white-collar-Tätigkeiten intergiert. Die Schwierigkeit des Vergleichs des Angestellten-Status bei ›klassischen‹ Amokläufen, workplace violence und campus shootings wird in Abbildung 12 durch die gestrichelten Linien repräsentiert.
Aspekt der Zivilcourage anwesender Personen dazu führen, dass Amoktaten schnell beendet werden können und Tätersuizide unwahrscheinlicher werden: nämlich dann, wenn diese Zivilpersonen aktiv in das Geschehen eingreifen; dies hat zumindest in empirischer Hinsicht bei school shootings und ›klassischen‹ Amokläufen bereits Erfolge gezeigt.
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Beziehen sich white-collar-Tätigkeiten aus dem Bereich der ›klassischen‹ Amokläufe tatsächlich auf reine Angestelltenverhältnisse, so geht aus der Literatur und dem Forschungsstand zur workplace violence hervor, dass hier unter Angestellten prinzipiell alle Berufsgruppen innerhalb einer Organisation zusammengefasst werden (können). Dementsprechend kann sich der Angestellten-Status bei workplace violence also sowohl auf reine Angestelltenverhältnisse (z.B. Leitungs- und Führungspositionen) als auch auf Arbeitsverhältnisse (Tätigkeiten im direkten Produktionsbetrieb) beziehen. Aus diesem Grund ist eine direkte Gleichsetzung mit den wissenschaftlich Beschäftigten und Professoren innerhalb von Universitäten nicht vollständig möglich. Hinsichtlich der zielgerichteten Vorgehensweise und der bewussten Auswahl von Tatort und Opfern ähneln campus shootings hingegen zwar weniger der willkürlichen Tatausführung bei ›klassischen‹ Amokläufen, aber dafür umso mehr der ebenfalls zielgerichteten und bewussten Vorgehensweise bei school shootings und Amoktaten am Arbeitsplatz. Anhand der unterschiedlichen Überschneidungen graduell variierender Zugehörigkeiten im Bereich der sozialstrukturellen wie tat- und täterrelevanten Merkmale (vgl. Abb. 12, S. 281) zeigt sich erneut der hybride und damit eigenständige Charakter von campus shootings als (neue) Subform des Phänomens Amok. Amoktaten an Universitäten wären ohne eine analytische Abgrenzung in Teilen sowohl ›klassische‹ Amokläufe, school shootings und Akte der workplace violence als auch nicht. Jede dieser möglichen Zuordnungen und Subsumierungen unter eine der bis dato bestehenden Subformen von Amoktaten würde den empirischen Fällen dabei aber nicht vollständig gerecht, denn die Gruppe der Studierenden würde in jedem Fall und die Gruppe der Hochschulbeschäftigten aus den organisationalen Teilbereichen der Lehre und Forschung würde bei school shootings analytisch ausgeschlossen werden müssen. Diese möglichen Folgeprobleme einer verzerrten empirischen Abbildung und Analyse werden aber durch die theoretisch-analytisch basierte Einführung von campus shootings als neue, eigenständige und hybride Subform des Phänomens Amok umgangen, wenn nicht sogar gänzlich vermieden. Der hier postulierte hybride Charakter von campus shootings zeigt sich allerdings nicht nur im Bereich der genannten relevanten Merkmale, denn neben diesen aufgezeigten Überschneidungen und (Ver-)Mischungen lässt sich die Integration von Bestandteilen der drei in der Forschung vorherrschenden Subformen auch hinsichtlich der beeinflussenden Faktoren und erklärenden Elemente (strukturelle und organisationale Veränderungen sowie Identität; vgl. Kap. 1) aufzeigen. Dieser Aspekt, der in den Bereich eines Erklärungsansatzes von Amoktaten an Universitäten fällt, wird im Folgenden (Kap. 7) entwickelt.
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6.4 Z USAMMENFASSUNG Amoktaten im Kontext von Hochschulen unterliegen zwar in empirischer Hinsicht einer relativ niedrigen Fallzahl, lassen sich unter Rekurs auf eine ergänzende theoretische Perspektive aber dennoch als eigenständige und vor allem neue Subform des Phänomens Amok konzeptionalisieren. Hierbei schließen campus shootings in analytischer Hinsicht eine Lücke innerhalb der Amokforschung, da derartige Gewaltakte im Kontext Hochschule bis dato einer (vorwiegenden) Subsumierung in die Bereiche der Amoktaten an Schulen unterliegen, die zwangsweise zu einer verzerrten Darstellung dieses speziellen Falls von Amok führen. Darüber hinaus zeichnen sich campus shootings als neue Subform von Amoktaten vor allem durch einen hybriden Charakter aus, der aus der Mischung und Kombination unterschiedlicher Elemente der gängigen Subformen des ›klassischen‹ Amoklaufs, der Amoktaten an Schulen (school shootings) und der Amoktaten am Arbeitsplatz (workplace violence) resultiert. Um Amoktaten an Universitäten als neue, eigenständige, hybride Form in die Forschungslandschaft einführen und konzeptionalisieren zu können, ist eine Kombination aus einer theoretischen und empirischen Herleitung derselben als speziellem analyserelevanten Fall des allgemeinen Phänomens Amok vonnöten. Anhand unterschiedlicher historischer und wissenschaftlicher Beschreibungen und einer hieraus hervorgehenden grundlegenden Beschreibung von individuellen, intentionalen homizidal-suizidalen Gewaltakten, die sich innerhalb öffentlicher Räume im Rahmen einer begrenzten Zeitspanne ereignen, kann Amok zunächst als charakteristische Einheit (als Phänomen) aufgefasst werden, innerhalb derer, trotz der gemeinsamen Charakteristika, verschiedene Aspekte und Ausprägungen existieren, die eine Aufteilung des Phänomens in unterschiedliche Subformen rechtfertigt. Im Rahmen des forschungsanleitenden Interesses hinsichtlich Amoktaten im universitären Kontext lassen sich in empirischer Hinsicht bestimmte Amokvorfälle auffinden, die sich trotz des gemeinsamen Mindestmerkmals des tateinheitlichen Zusammenfalls von Homizidalität und Suizidalität allerdings von den bis dato existenten Subformen des ›klassischen‹ Amoklaufs, der school shootings und der workplace violence unterscheiden und insofern de facto als spezieller Fall des Phänomens Amok und damit als eigenständige neue Subform anzusehen sind. Die Unterschiede gegenüber den bisherigen Subformen sind hierbei allerdings nicht als klare, trennscharfe Abgrenzung anzusehen, sondern beruhen auf einer graduellen Integration unterschiedlicher (theoretisch basierter) subformspezifischer Merkmale, aus deren Konglomerat campus shootings letztlich als hybride Form hervorgehen. Zwar scheint aus Gründen dieses spezifischen Hybridcharakters von Amoktaten an Universitäten in Teilen auch weiterhin eine theoretische Zuordnung zu den anderen Subformen möglich, ein derartiges Vorgehen beruht allerdings auf einer bewussten Selektion hinsichtlich einzelner Tätergruppierungen (z.B. nur Studierende oder nur
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Angestellte der Universität), die der Gesamtmenge der Täter im Spezialfall campus shooting in empirischer Hinsicht aber keineswegs gerecht werden. Denn in empirischer wie definitorischer Hinsicht lassen sich campus shootings als extreme (homizidal und suizidal angelegte) Akte zielgerichteter individueller Gewalt beschreiben, die von aktuellen oder ehemaligen (Nicht-Verwaltungs-)Angehörigen einer Universität aus den organisationalen Teilbereichen Lehre und Forschung (Studierende, wissenschaftliche Mitarbeiter, Professoren) begangen werden, wobei sich die Taten bewusst gegen spezifisch ausgewählte universitätsinterne Opfergruppen (Studierende, wissenschaftliche Mitarbeiter sowie Professoren) und/oder auch gegen einzelne Personen als paradigmatische Vertreter der hochschulreformbedingten institutionalisierten organisationalen Strukturen (z.B. im Bereich der Leitungsebenen) richten. Campus shootings werden in dieser Hinsicht überwiegend von männlichen Tätern begangen, die mehrheitlich ledig, aber auch verheiratet oder geschieden sind. Hinsichtlich des beruflichen Status lässt sich zwar eine relative Mehrheit studentischer Täter nachweisen, das durchschnittliche Alter liegt aber dennoch bei 33,18 ± 10,14 Jahren. Im Rahmen einer präferierten Verwendung von Schusswaffen führen die bis zu (maximal) zwei Stunden dauernden Taten durchschnittlich zu 5,45 ± 8,53 Toten und 6,20 ± 8,78 Verletzten und enden relativ gleichverteilt mit dem Suizid des Täters oder dessen Verhaftung.
7. Campus Shootings als nicht-intendierte Nebenfolge der Hochschulreform: Von den Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekten zur Bedrohung der Identität
Anhand der vorangegangenen Ausführungen wurde deutlich, dass campus shootings, aufgrund ihrer Gemeinsamkeit bzgl. des allgemeinen Phänomens Amok und deren Abgrenzbarkeit gegenüber den bis dato gängigen Subformen des ›klassischen‹ Amoklaufs, der school shootings und der workplace violence, tatsächlich als hybride und damit als (neue) eigenständige Subform von Amoktaten gefasst werden können. Inwiefern Amoktaten an Universitäten aber gemäß der These als nichtintendierte Nebenfolge im Kontext der Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte der Hochschulreform(en) angesehen werden können, soll auf der Basis des Zusammenfügens aller bisherigen Darstellungen und Ausführungen im Folgenden aufgezeigt werden. Damit ist zugleich die Konzeptionalisierung eines soziologischen Ansatzes zur Erklärung derartiger individueller und extremer Gewaltakte im universitären Kontext verbunden. Noch einmal auf Münchs (2011a: 113) Aussage rekurrierend, dass der zunehmende, gesellschaftlich verursachte intra- und inter-organisationale Produktionsund Konkurrenzdruck auf den gesellschaftlichen Ebenen in der extremen Gewaltform von Amokläufen resultiert, muss vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen Ökonomisierung und im Kontext der Ökonomisierung von Universitäten auch davon ausgegangen werden, dass diese Aspekte ebenso die Begehung von campus shootings als nicht-intendierte Nebenfolge der Hochschulreformen begünstigen, wenn nicht sogar fördern können. Denn wie im Rahmen der vorangegangenen Kapitel ausgeführt, führen die intendierten Maßnahmen der Hochschulreformen ebenfalls zu einem steigenden intra- und inter-universitären Produktionsdruck, der darü-
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ber hinaus vielfältige Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte sowohl außerhalb (Bildung eines Quasi-Markts) als auch innerhalb von Universitäten (Entstehung der unternehmerischen Universität) als prozessuale »Nebenfolgen zweiter Ordnung [Herv. i.O.]« (Beck/Bonß/Lau 2001: 32) entstehen ließ. Wie bereits dargestellt, wirken die hiermit verbundenen nicht-intendierten strukturellen und organisationalen Effekte aber auch auf die Ebene der universitären Akteure zurück (Entstehung des homo academicus oeconomicus). Aus der Etablierung und Implementierung der reformbedingten ökonomisierten normativen Erwartungen – als bezugsgruppenspezifische neue Rollen- und Verhaltenserwartungen – an den homo academicus oeconomicus und der gleichzeitigen Einbettung in ein rein finanziell basiertes Leistungs- und Belohnungssystem (Kap. 7.1) resultiert eine Einschränkung der subjektiven Gestaltungsspielräume, was in gewisser Weise mit dem organisationsgesellschaftlichen negativen Moment der Verschlechterung individueller Lebenschancen durch zunehmende Machtlosigkeit und Entfremdung in Verbindung gebracht werden kann: Aufgrund der immer stärker erforderlich werdenden wissenschaftlichen Flexibilität und der damit einhergehenden finanziellen Leistungsabhängigkeit der akademisch-universitären Akteure von den Universitäten und externen Geldgebern (außer-universitäre relevante Organisationen) erzeugt »[d]ie Organisationsgesellschaft […] orientierungslose, frustrierte Zwangscharaktere« (Schimank 2005c: 32), deren versprochene Freiheit einer individuelleren Lebensgestaltung in differenzierten Gesellschaften durch den flexiblen Kapitalismus und die organisationale Abhängigkeit unterwandert wird (vgl. Sennett 2000: 11). Entgegen der versprochenen Freiheit und durch die Einschränkung der subjektiven Gestaltungsmöglichkeiten im universitären Kontext resultiert aus den ökonomisierten Leistungs- und Erwartungsstrukturen der Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte der Hochschulreformen auf Seiten der akademisch-universitären Akteure eine Verengung der Handlungsalternativen, die u.a. in der Bedrohung der einstigen universitären Autonomie durch die zunehmende Professionalisierung von Managementkompetenzen und einer geforderten ökonomisierten Handlungsausrichtung gesehen werden kann. Die Möglichkeit und Fähigkeit der subjektiven Gestaltung individueller Handlungen innerhalb eines normativen Erwartungsrahmens bzw. die Verengung von Handlungsalternativen im Kontext des ökonomisierten Erwartungsrahmens ist aufgrund des reziproken Interaktionsprozesses zwischen den Bezugsgruppen und den akademisch-universitären Akteuren auch mit dem Aspekt der subjektiven Identitätsbildung verbunden (Kap. 7.2). Denn Identität geht »aus der Auseinandersetzung mit sozialen Erwartungen aufgrund ›eigener‹ Erwartungen hervor« (Krappmann 2000: 11), wobei eine erfolgreiche Identitätsausbildung und -erhaltung an die ausgewogene Balance der subjektiven Vorstellungen und normativen Erwartungen sowie an den erfolgreichen Abgleich dieser beiden gebunden ist (siehe Goffman 1975; Krappmann 2000; Mead 1968). Dabei kann die Identität akademisch-universitärer Akteure – bzw. die unterschiedlichen Identitätstypen des homo academicus oeco-
C AMPUS S HOOTINGS ALS NICHT - INTENDIERTE N EBENFOLGE DER HOCHSCHULREFORM
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nomicus – nicht nur vielfältig ausgeprägt sein, sondern aufgrund des notwendigen Abgleichens der drei genannten Komponenten auch bedroht werden (Kap. 7.3). Nämlich dann, wenn der Abgleich der unterschiedlichen gesellschaftlichen, bezugsgruppenspezifischen und subjektiven Anforderungen als Bestandteil der identitätsbehauptenden Arbeit von Akteuren nicht zur subjektiven bzw. kollektiven ›Zufriedenheit‹ führt, oder wenn bspw. die geforderte Flexibilität der normativen Erwartungen hinsichtlich individueller Ausgestaltungs- und Interpretationsmöglichkeiten nicht gegeben ist (vgl. Krappmann 2000: 132). Im Rahmen dieser Bedrohung(en) der individuellen Identität, welche ebenfalls als prozessuale Entwicklung hin zu einer Verengung der Handlungsalternativen angesehen werden kann, stellt die Begehung von campus shootings – in Anlehnung an die Ergebnisse aus dem bisherigen Forschungsstand (vgl. Kap. 1) – eine extreme Variante einer identitätsbehauptenden Strategie dar (Kap. 7.4). Die Identitätsbedrohungen im universitären Kontext, die aus dem komplexen Geflecht der nicht-intendierten Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte der Hochschulreformen resultieren bzw. durch diese bedingt werden, sind dabei selbst als nicht-intendierte Nebenfolge dieser Prozesse aufzufassen. Denn die Entstehung, Begünstigung und Begehung von campus shootings war im Rahmen der Reformbestrebungen sicherlich nicht einkalkuliert, geschweige denn intendiert. Aber dennoch sind campus shootings in die gesellschaftlichen und universitären Entwicklungsprozesse im europäischen und US-amerikanischen Kontext eingebettet und können – pointiert formuliert – als negativ konnotierte individuelle Lösung der von innen heraus in Frage gestellten universitären Effizienz-, Effektivitäts- und Wirtschaftlichkeitsentwicklung angesehen werden, welche dem NPM sowie dem sozial- und wirtschaftspolitischen Credo »Wir brauchen mehr Wettbewerb [Herv. i.O.]« (Rosa 2006: 82) als Motor gesellschaftlicher Leistungssteigerung eingeschrieben ist.
7.1 D ER H OMO A CADEMICUS O ECONOMICUS , NORMATIVE E RWARTUNGEN UND DAS B ELOHNUNGSSYSTEM DES AKADEMISCHEN K APITALISMUS Das hybride Konzept des homo academicus oeconomicus kann aufgrund der Implementierung eines spezifischen Belohnungsmodells des Akademischen Kapitalismus und einer generellen Einbettung des rationalen Kalküls in die gesellschaftliche Kultur als geänderte Soll-Erwartung an die Rolle akademisch-wissenschaftlicher Akteure angesehen werden. Auf Basis des aus dem privatwirtschaftlichen Sektor übernommenen, intra- und inter-universitär implementierten Prinzipal-AgentenModells intrudieren die an Leistung und Zielerreichung orientierten finanziellen Sanktionierungsmaßnahmen und deren inhärente ökonomische Handlungsrationali-
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tät die Handlungsausrichtung der einzelnen Akteure. Dabei fungieren die in der Was-Komponente des Belohnungsmodells integrierten Aspekte der Rechenschaftsablegung, des Monitoring und Auditing sowie die leistungsorientierte (indikatorengesteuerte) Mittelvergabe als Rahmenbedingungen der Verhaltenserwartungen akademisch-wissenschaftlicher Akteure, die durch die intendierte Forcierung und Aufrechterhaltung der Bezugsgruppen im trilateralen Geflecht aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu normativen Erwartungen umdefiniert und durch die finanzielle Sanktionierung gesellschaftlich fixiert werden. Als nicht-intendierte Folge der Hochschulreform(en) wird effizientes Wissenschaftshandeln dabei tatsächlich als neue Soll-Erwartung in Form des homo academicus oeconomicus konstruiert, wobei den Akteuren im Bereich der Wie-Komponente noch eine gewisse Teilautonomie zugesprochen wird, sodass im Sinne von role-making auch ein gewisser Spielraum zur Gestaltung dieser Rolle existiert. Die Umstrukturierung des Universitätswesens mit der Einführung der NPM-basierten Effizienz-, Effektivitäts- und Wirtschaftlichkeitskriterien (»drei-E-Modell«) führt im Zuge einer generellen leistungsbezogenen inter- und intra-universitären Belohnungsstruktur sowie über die damit verbundene Änderung der in der Organisationskultur verankerten spezifischen Werte auf der Ebene der Akteure zu der neuen hybriden Sozialfigur des homo academicus oeconomicus (vgl. Peter 2010; vgl. Kap. 5). Eine Sozialfigur (Moebius/Schroer 2010), die zwei bisher getrennte Akteurvorstellungen miteinander kombiniert: Zum einen den klassischen Akteur des Wissenschaftsbereichs, den homo academicus, und zum anderen den klassischen Akteur der Wirtschaft(-swissenschaft), den homo oeconomicus. Durch diese (Ver-)Mischung, welche innerhalb der Hochschulreformen durchaus als nichtintendierte Nebenfolge anzusehen ist, dringen die ›drei-E-Kriterien‹ in die bisherige Rollenerwartung von wissenschaftlich-universitären Akteuren ein. Im Kontext der Restrukturierung des wissenschaftlichen Systems werden demnach die strukturinternen Anforderungen an die Akteure – im Sinne normativer Erwartungen, die durch die Bezugsgruppen von außen als Handlungsantrieb bestimmt werden und als geteiltes Wissen aller Beteiligten Geltung erfahren – neu gestaltet (vgl. Dahrendorf 1967: 152-160, 1974: 42-52; Joas 1978: 17f.; Schimank 2000: 146f., 151), denn die strukturell implementierten »new systems of audit […] are disciplinary technologies […] aimed at instilling new norms of conduct into the workforce« (Shore 2008: 283). Das Rollenbild der wissenschaftlichen Akteure unterliegt somit, basierend auf dem mit den ›drei-E-Kriterien‹ einhergehenden Leistungs- und Konkurrenzdruck, im dahrendorfschen (1967: 146-149, 1974: 38f.) Sinne einer Änderung der Soll-Erwartung1 und somit einer Änderung der normativen Erwartungen. Denn 1
Zwar unterliegen auch Aspekte der strukturinternen Anforderungen, wie bspw. die in Ziel- und Leistungsvereinbarungen festgehaltene leistungsorientierte Mittelvergabe, einer
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der im Wissenschaftssystem klassisch-traditionell verankerte und an qualitativem Renommee orientierte homo academicus, dessen zeitintensive Akkumulation intellektuellen Kapitals – in Form von inkorporiertem und kulturellem Kapital – sich deutlich von der solitär finanziellen Kapitalart der (Privat-)Wirtschaft abgrenzt und unterscheidet, kann seine Position im universitären Raum nicht mehr explizit »anhand rein universitärer Kriterien und Eigenschaften [Herv. i.O.]« (Bourdieu 1988: 209) definieren (vgl. Bourdieu 1988). Vielmehr sieht sich der homo academicus nun in struktureller Hinsicht eingebettet in die reformbedingten, quasi-marktwirtschaftlich basierten, ökonomischen Handlungszwänge. Und mit dieser Intrusion des ökonomischen Primats in den wissenschaftlichen Bereich an Hochschulen ist eine Verdrängung dieser Vorstellungen und Eigenschaften verbunden, die aus der strukturbedingten Zerlegung der universitären Welt in Kennziffern resultiert, »die […] sich der handelnden Subjekte bemächtigen und deren Freiheitsräume schrumpfen lassen« (Münch 2011a: 99). Gestützt durch Monitoring, Rechenschaftsablegung, Evaluations- und Akkreditierungsverfahren sowie die synoptische Überwachung des »360-Grad-Feedbacks« eines ständigen Auditing rücken auf Seiten der Akteure ökonomisch kalkulierende und nutzenmaximierende Handlungen in den Vordergrund (vgl. Münch 2011a: 94-123). Als nicht-intendierte Folge hieraus werden »Eigennutz maximierende Akteure erzeugt, die es in diesem Sinne im Kontext einer vitalen akademischen Gemeinschaft nicht gab« (Münch 2011a: 127f.). Die Erwartungshaltungen an den homo academicus werden dementsprechend mit den aus den Wirtschaftswissenschaften stammenden Erwartungshaltungen eines rationalen, nutzenmaximierenden Akteurs ergänzt, die paradigmatisch im Akteurmodell des homo oeconomicus verankert sind.2 Ein Akteur, der in idealtypischer Weise auf der Basis individuell vorhandener knapper Ressourcen und anhand subjektiv zu erwartender positiver (Nutzen) und negativer Konsequenzen (Kosten) seine Ziele abwägt, bewertet und verfolgt (vgl. Coleman 1990: 27-44; Esser 1999a: 231-239, 1999b: 247293; Lindenberg 1985: 100; Meckling 1976: 548f.; Schimank 2000: 71-80). Ein Akteur also, von dem erwartet wird, dass er – im Sinne einer wirtschaftlichen, efrechtlichen Fixierung (was zunächst für eine Muss-Erwartung sprechen würde), allerdings findet bzgl. der hierin verankerten Aspekte der Drittmitteleinwerbung und Promotionen auf Seiten der Akteure auch eine Erhöhung des symbolischen Kapitals innerhalb der scientific community statt, was durchaus als positive Sanktionierung im neuen Akademischen Kapitalismus anzusehen ist – ein Aspekt, der in Muss-Erwartungen nicht impliziert ist und hier zugunsten einer Soll-Erwartung ausgelegt wird (vgl. Dahrendorf 1967: 146149, 1977: 19f.; Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen 2007a, 2007b; Münch 2011a; Schimank 2000: 47f.). 2
Ein guter Überblick über die Entstehungsgeschichte des homo oeconomicus innerhalb der Wirtschaftswissenschaften und dessen Weiterentwicklung im Bereich der Sozialwissenschaften findet sich bei Kirchgässner (2000).
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fektiven und effizienten Handlungsausrichtung – situativ rational handelt und eben nicht auf Basis einer vergleichsweise zeitaufwendigen, nicht zwangsweise (direkt) gewinnversprechenden, auf symbolisches Prestige abzielenden Handlungsausrichtung. Die Änderung dieser Erwartungshaltung geht dabei auch mit der strukturell integrierten Änderung hinsichtlich der positiven wie negativen Sanktionierungsmöglichkeiten der Bezugsgruppen im Kontext der trilateralen Verflechtung von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft sowie dem neuen Belohnungssystem des »Academic Capitalism« (Slaughter/Leslie 1999) einher. Denn das neue Sanktionierungsmodell der »unternehmerischen Universität« (Maasen/Weingart 2006) beruht nicht mehr auf dem klassischen Reputationssystems des symbolischen Kapitals (vgl. Bourdieu 1988), sondern auf dem Prinzipal-Agenten-Modell (vgl. Abb. 13, S. 291), welches im Kontext der »New Institutional Economics«3 (Williamson 1975) entstand und sich im Bereich der Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft auf das Delegationsproblem hinsichtlich der Frage »how non-scientists get scientists to do what we all, as citizens, have decided« (Guston 1996: 229) bezieht (vgl. Braun/Guston 2003; Guston 1996, 2003). In allgemeiner Weise erteilt hierbei ein Auftraggeber (Prinzipal) einem Auftragnehmer (Agent) einen Auftrag, den der Auftraggeber nicht selbst direkt ausführen kann und der seinerseits bzgl. der Umsetzung mittels vertraglicher Regelungen (Festlegung von Leistungsstandards) zur Kostenkontrolle bzw. -senkung sowie mithilfe unterschiedlicher Instrumentarien kontrolliert und überwacht wird (vgl. Braun 1993: 135-138; Grossman/Hart 1983: 7f.; Guston 1996: 231; Maskin/Tirole 1990: 379f.; McAfee/McMillan 1986: 326f.; Sherstyuk 2000: 725f.; Sobel 1993: 259). 3
In ihren (vereinfacht dargestellten) Grundannahmen beruht die Neue Institutionenökonomik auf der Annahme, dass individuelle Handlungen aus Gründen unvollständiger Information und begrenzter mentaler Kapazitäten unter Unsicherheit stattfinden und das Sammeln von notwendigen Informationen Transaktionskosten mit sich führt. Die entstehenden Kosten und potenziellen Risiken werden dabei durch die Einführung von formalen (u.a. rechtliche Rahmenordnungen, Regulationen und Verträge) und informalen (u.a. Verhaltensregeln, Verhaltens- und Denkgewohnheiten) Institutionen reduziert und zwar insofern, als in den formalen und informalen Institutionen Arten von Organisationsprinzipien implementiert sind, die wiederum unterschiedliche Anreize für die Handlungsmotivation der, in diesem Sinne profitmaximierend denkenden, rationalen Akteure bereitstellen. Anhand dieser Prinzipien und Regelungen, wie dies am Beispiel von Verträgen und deren Einhaltung gesehen werden kann, versuchen die formal und informal geschaffenen Institutionen die Dilemmata in den auf Unsicherheit beruhenden Interaktionssituationen zu lösen (vgl. hierzu Braun/Guston 2003: 303; Furubotn/Richter 1991; Homann/Suchanek 2005: 36ff.; Ménard/Shirley 2005a: 1f.). Ein guter Überblick über die Entstehung sowie die Anwendungsbereiche der Neuen Institutionenökonomik findet sich bei Ménard/ Shirley (2005b) sowie bei Richter/Furubotn (2003).
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Abbildung 13: Das allgemeine Prinzipal-Agenten-Modell im universitären Kontext
Vgl. Guston 1996: 230f.
Übertragen auf den universitären Bereich entspricht der Prinzipal – gemäß den vorangegangenen Darstellungen der Hochschulreformen (vgl. Kap. 3 und 4) und den damit einhergehenden Restrukturierungen des wissenschaftlichen Komplexes (vgl. Kap. 5) – der trilateralen Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, welche vor allem im und aus dem Bereich der Wissenschafts- und Forschungspolitik die Anforderungen an die aus Politik und Privatwirtschaft stammenden zu vergebenden Aufträge festlegt (vgl. Guston 1996: 231; van der Meulen 1998: 399).4 Diese externen, bereits vor der Vergabe von Aufträgen fixierten Anforderungen umgehen insofern das dem Prinzipal-Agenten-Verhältnis inhärente Delegationsproblem hinsichtlich asymmetrisch verteilter bzw. vorherrschender Informationen zwischen den Vertragspartnern und potenzieller Zielkonflikte, als die relevanten Ziele einer wissenschaftlichen und forschungsbezogenen Weiterentwicklung entlang politischer Entscheidungsprozesse (die US-amerikanischen und europäischen Reformpläne) im Sinne einer (strategischen) gesellschaftlichen Entwicklung bereits im Vorfeld eindeutig festgelegt wurden (vgl. Guston 1996: 233): Nämlich die notwendige und unbedingt auszubauende globale wirtschaftliche und technologische Wettbewerbsfähigkeit zum Erhalt und zur Fortbestandssicherung der Wissensgesellschaften des 20. Jahrhunderts (vgl. Kap. 3). Die bereits angesprochenen Kontroll- und Überwachungsinstrumentarien des Monitoring, der Leistungsevaluation, der Rechenschaftsablegung und des Controlling innerhalb dieses reziproken Prozes-
4
In einer allgemeineren Sichtweise kann der Prinzipal auch als ›Gesellschaft‹ aufgefasst werden, die u.a. durch den Unmut hinsichtlich der aufzubringenden Kosten für das Universitäts- und Wissenschaftssystem und der hierfür erhaltenen Gegenleistungen – gleichzeitig mit den wahrgenommenen Finanzierungsschwierigkeiten im öffentlichen Verwaltungssektor – eine gesellschaftsrelevantere und wirtschaftlichere Umstrukturierung des Universitäts- und Wissenschaftsbereichs von der Politik als Agent forderte (vgl. Kap. 3).
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ses zwischen dem Prinzipal und den Hochschulen als Agenten widmen sich hierbei ebenfalls einem weiteren Problem: der potenziellen Gefahr eines subjektiven Risikos, welches der Prinzipal in gewisser Weise immer auf Seiten des Agenten unterstellen kann. Das subjektive Risiko kann in Betrug oder generellen »produktionsschädlichen« Verhaltensweisen in Bezug auf die zu erbringende Leistung gesehen werden und soll durch die Einführung von Kontroll- und Überwachungsinstrumentarien verringert werden (vgl. Braun/Guston 2003: 303f.; Guston 1996: 231, 236). Derartig überwacht und kontrolliert erfolgt letztlich die positive oder negative Sanktionierung des Auftragnehmers über finanzielle Mittelzuweisungen, die eben je nach Leistungserbringung stagnieren, steigen oder gekürzt werden können. Die finanzielle Sanktionierung stützt hierbei ebenfalls in gewisser Weise den Versuch, leistungsschädliches Verhalten auf Seiten des Agenten zu vermeiden: eben durch Mittelzuweisungen und -steigerungen als Komponenten einer extrinsischen Motivation, die auf die zugrunde liegende Auffassung eigennutzmaximierender Akteure abzielen (vgl. Coleman 1990: 152). Da es sich aber auch auf Seiten des Prinzipals, gemäß der Prämisse des Modells, um einen eigennutzmaximierenden Akteur handelt, muss letztlich der gesamte reziproke Prozess so abgestimmt werden, dass beide Seiten von dem Ergebnis profitieren. Die Komplexität dieses Abstimmungsprozesses fasst Coleman (1990: 153) wie folgt zusammen: »The principal’s net income is the value of the product minus the policing costs and the compensation he must pay to the agent. The agent’s utility increases with the compensation he receives but decreases with his work effort. The agent’s work effort, in turn, is an increasing function of the level of policing. […] The principal’s utility increases with his net income. His task, then, is to set the levels of policing and compensation in such a way as to maximize his utility, given that the agent will put forth work effort so as to maximize his own utility.« (Coleman 1990: 153)
Dieser komplexe Prozess findet allerdings nicht nur auf der Ebene zwischen dem trilateralen Geflecht Wirtschaft-Politik-Wissenschaft (Prinzipal) und Universitäten (Agenten) bzw. der übergeordneten Ebene zwischen Gesellschaft (Prinzipal) und Politik (Agent) statt, sondern auch auf den darunterliegenden intra-universitären Ebenen zwischen Hochschulleitung (Prinzipal) und den vorwiegend im organisationalen Teilbereich der Lehre und Forschung eingebetteten Akteuren (Agenten). Denn die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel eines einzelnen Akteurs (Professor) werden nicht direkt durch den Prinzipal (Hochschulleitung) vergeben, sondern indirekt5, wie aus dem spezifizierten Prinzipal-Agenten-Modell in Abbildung 14 (s.S. 293) hervorgeht. 5
Die angesprochene indirekte Mittelvergabe bezieht sich hierbei auf das jährliche Finanzvolumen des Haushaltes eines Lehrgebiets bzw. eines über Lehrgebiete subsumierten In-
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Abbildung 14: Das spezifizierte Prinzipal-Agenten-Modell im universitären Kontext
Die Zielvorstellungen der politisch-administrativen Führung (Prinzipal) werden – ebenso wie die hierfür über Indikatoren und Kennziffern ermittelten und zur Anreizsteigerung zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen (Globalhaushalt für Universitäten) – an die Universitäten (Agent) weiter delegiert. Die Universitäten bzw. die Hochschulleitungen delegieren diese Ziele und ihre zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel (Globalhaushalt von Universitäten), über welche sie die Verfügungsgewalt haben, wiederum intra-universitär weiter an die einzelnen Fachbereiche, wobei diese die ihnen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel zur Anstitutes und nicht auf die persönlichen Mittelverhandlungen der (professoralen) Akteure im Kontext von Neuberufungen, Bleibe- oder Nachverhandlungen. Bei diesen ist die Hochschulleitung direkt(er) involviert. Über den Aspekt der Forschung sind die beiden Arten der direkten und indirekten Mittelvergabe allerdings verbunden; z.B. über die Anzahl an Publikationen oder das eingeworbene (bzw. einzuwerbende) Drittmittelbudget, als zusätzlicher Maßstab der indikatorengestützten Mittelvergabe.
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reizschaffung ebenfalls über eine indikatorengestützte Vergabe erhalten (Globalmittel-Vergabe). Eingebettet in die komplexen Delegationsstufen des intra-universitären Prinzipal-Agenten-Geflechts delegieren und verteilen die Fachbereiche wiederum die allgemeinen – von der politisch-administrativen Führung gesetzten – Zielvorgaben und nutzen zur Anreizsteuerung der Akteure auf Ebene der Institute wiederum eine indikatorenbasierte Finanzverteilung (leistungsorientierte Mittelvergabe). Auch wenn es scheinbar keine Patentlösung für das Austarieren der einzelnen, auf Eigeninteresse ausgerichteten Nutzenmaximierungen gibt, »in which the employee’s actions are made wholly consistent with the principal’s« (Coleman 1990: 153), kann die im Belohnungssystem des Akademischen Kapitalismus inhärente Ambivalenz zwischen leistungsorientierter Mittelvergabe und Gewährung einer Verfügungsautonomie hinsichtlich des Einsatzes dieser Mittel zur Umsetzung des Auftrags als durchaus erfolgreich angesehen werden. Allerdings ist diese Verfügungsautonomie nur eine zugestandene Teilautonomie der Akteure, da das Was (Ziele) und Womit (Mittel) – in Anlehnung an die strukturell implementierten Zielvorgaben – hierbei weiter durch den Prinzipal (die Hochschulleitung) vorgegeben ist und auch weiterhin durch die identischen Kontrollinstrumentarien in Bezug auf eine adäquate Leistungsumsetzung intra-universitär überwacht wird. Das Wie (mittelbezogene Verfügungsautonomie) obliegt hingegen den Akteuren (Agenten), wobei deren teilautonomer Handlungsspielraum durch die vorgegebene Was-Komponente eingeschränkt wird, sodass die gesamte Beziehung zwischen Prinzipal und Agent einem quasi-austarierten System der beidseitigen Nutzenmaximierung entspricht (vgl. hierzu Coleman 1990: 153-156). Zwar könnte an dieser Stelle auch der Einwand angeführt werden, dass aufgrund der Eigennutzmaximierung auf Seiten der Agenten leistungsschädigende Effekte bzgl. der vom Prinzipal definierten Ziel- und Leistungsvorgaben auftreten können. Aber die Kontroll- und Überwachungsinstrumentarien sowie der intra- und inter-universitäre Leistungsvergleich (Benchmarking), die als kontinuierliche Elemente in die gesellschaftliche und organisationale Struktur eingebettet wurden, tragen im neuen auf Wettbewerb und Konkurrenz ausgerichteten System zur Verringerung derartiger Probleme bei. Denn aus spieltheoretischer Perspektive handelt es sich bei der Belohnung oder Bestrafung der jeweiligen Agenten über finanzielle Mittel nicht um ein einfaches Spiel, sondern um ein sich wiederholendes – in gewisser Weise unendliches – Spiel mit Sanktionen und Reziprozitätsnormen. Der Aspekt der Wiederholung in Kombination mit Sanktionsdrohungen und dem tatsächlichen Vollzug der Sanktionierung, die nicht nur Folgen für den Auftraggeber (z.B. bei Betrug durch den Auftragnehmer), sondern auch für den Auftragnehmer hat (nämlich die tatsächliche Kürzung der finanziellen Mittel), bettet das Spiel einerseits in eine ›Wie Du mir, so ich Dir‹-Situation auf zeitlich unendliche Sicht ein und etabliert andererseits über die institutionalisierten Leistungsvergleiche (Benchmarking) Reputationssysteme, die das kooperative Verhalten auch in Zukunft be-
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lohnen (siehe Mertons [1968a] »Matthäus-Effekt«), sodass sich auf Dauer kooperative Verhaltensweisen und damit nicht-leistungsschädigendes Verhalten einstellt (vgl. hierzu Axelrod 1987; Buskens/Weesie 2000; Diekmann 2004, 2009: 59-66, 200-227; Diekmann/Wyder 2002; Fehr/Gächter 2002; Fehr/Fischbacher 2003; Gintis 2009: 201-228; Voss 1985: 173-215 ). Allerdings handelt es sich hier in gewisser Weise um formale nicht-leistungsschädigende Verhaltensweisen, die sich eben vorwiegend auf die Was-Komponente der Zielvorgaben konzentriert und somit tatsächlich in der reinen Erfüllung der in den Kennziffern festgelegten und durch diese ausgedrückten Ziele niederschlägt. Anders formuliert geht es hier um kooperatives Verhalten im Sinne der durch die Nebencodierung umdefinierten guten (Aus-)Bildung und Qualität als quantitative mess- und erfassbare Effektivität und Effizienz. So kann bspw. jemand in der Lehre gut sein, was anhand von Lehrevaluationen quantitativ gemessen wird, und somit zu einer hohen Absolventenquote beitragen. Ob diese Lehre, im Sinne einer vertiefenden qualitativen Wissensvermittlung, allerdings tatsächlich gut ist, bleibt dahingestellt. Gemäß dem finanziellen Belohnungssystem wird aber bei der Umsetzung und Erfüllung (quantitativ) ›guter‹ Lehre die positive Reputation in der Außenwahrnehmung gestärkt. Sorgen also bspw. gute Evaluationen für eine gute Bewertung, anhand derer die Erreichung der Zielvorgabe gemessen und letztlich positiv sanktioniert wird, fördert dies ein rationales Verhalten der Akteure. Die Vorbereitung einer auf qualitativer Wissensvermittlung ausgerichteten Veranstaltung mit ausgefeilten didaktischen Konzepten und der Zusammenstellung eines umfassenden Textapparates ist ein zeitlich nicht zu unterschätzender Faktor, der im Kennziffernsystem allerdings nicht berücksichtigt wird und somit nicht zu einer Nutzenmaximierung beiträgt. Demgegenüber sind umfassende Textsammlungen, die als verpflichtende Veranstaltungslektüre eingestuft werden, auf Seiten der Studierenden nicht immer gern gesehen, da diesen oftmals die Zeit (in einigen Fällen auch sicherlich die Lust) für eine umfassende Vorbereitung fehlt. Denn der studentische Stundenplan sieht in Zeiten der Bachelorund Masterstudiengänge ein höheres (verpflichtendes) Veranstaltungspensum vor, als dies vorher der Fall war. Zugespitzt formuliert entsteht hieraus folgende Situation: Studierende werden die umfassende Textsammlung nur sporadisch lesen, die Qualität der Veranstaltung wird darunter leiden, die Veranstaltung wird von Studierenden aufgrund des Arbeitsaufwandes und schleppender Textdiskussionen nicht ›gut‹ evaluiert und der Dozent reagiert hierauf mit einer ›Ausdünnung‹ des Textapparates und folglich auch mit einer ›Ausdünnung‹ hinsichtlich der Wissensvermittlung als rationale Reaktion auf das schlechte Evaluationsergebnis. Denn nur ›zufriedene‹ Studierende produzieren gute Evaluationen, die wiederum zu einer finanziell positiven Sanktionierung führen. Die im Modell des homo academicus integrierten Erwartungen werden also durch das rationale Kalkül des homo oeconomicus intrudiert und gewandelt: und zwar durch die Erwartungen der unterschiedlichen Bezugsgruppen. Also durch jene Gruppen der politisch-administrativen Füh-
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rung, der Hochschulleitungsowie der Fachbereiche (und auch der Studierenden), zu denen der einzelne wissenschaftliche Akteur aufgrund seiner Position als Universitätsangehöriger (im Sinne der Zugehörigkeit zu dem Teilbereich der Lehre und Forschung) notwendigerweise in Beziehung steht, wobei es sich bei diesen Gruppen aber nicht nur um Fremdgruppen (z.B. Studierende oder den Verwaltungsstab der Hochschulleitung), sondern auch um jene Gruppen handeln kann, denen der Akteur selbst angehört (z.B. die Gruppe der Kollegen auf der Ebene der Fachbereiche oder Institute) (vgl. Dahrendorf 1967: 153-156, 1974: 45; Joas 1978: 17). In Kombination mit einer steten (spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg erfolgenden) quantitativen Zunahme der Masse wissenschaftlicher Akteure verschärfen sich zusätzlich auch die Konkurrenz- und Wettbewerbsbedingungen zwischen Akteuren. Diese waren zwar auch stets Bestandteil des wissenschaftlichen und universitären Betriebs (vgl. Bourdieu 1988), werden aber durch die strukturellen Veränderungen in Form der intendierten Reformen und des Belohnungsmodells forciert werden (vgl. Merton 1968b: 329ff.). Dies führt ebenfalls zu einer Veränderung der klassisch-traditionellen Wettbewerbssituation, da nun auch persönliche Rivalitäten stärker in den Vordergrund rücken und somit die direkte Konkurrenz unter den Akteuren intensivieren, sodass die klassischen wissenschaftlichen Werte ebenfalls durch die ökonomischen Rationalitätskriterien intrudiert werden (vgl. Kap. 5.3). Denn »as always with intense direct competition, this may elicit competitive behaviors that evade – if they do not actually violate – the norms of science« (Merton 1968b: 331). Im Kontext dieser intensivierten direkten Wettbewerbs- und Konkurrenzbedingungen werden u.a. Arbeiten, Ideen und Ergebnisse von Kollegen ›überwacht‹, um diese aus Gründen der persönlichen Nutzenmaximierung abfangen und frühzeitig(er) publizieren zu können oder um an erfolgreiche Veröffentlichungen und Forschungen anzuschließen (vgl. hierzu Merton 1968b: 332).6 Auslöser für derartige Entwicklungen ist neben der organisationalen Veränderung der Wissenschaftsstrukturen nach rationalen Gesichtspunkten, die zu einer Entfremdung der Akteure von den bisherigen Erwartungsstrukturen des homo academicus und damit auch zu einer gewissen Anomie innerhalb des wissenschaftlich-universitären Bereichs führt, auch das Problem der eigenen Sichtbarkeit im Wettbewerb um zusätzlich Mittel; z.B. im Sinne einer öffentlichen Identitätsentwicklung durch Publikationen (vgl. Merton 1968b: 332). Diese wird vor allem in Bezug auf eine weitere wissenschaftliche Karriereentwicklung von der eigenen Bezugsgruppe (scientific community) erwartet. Allerdings nicht mehr anhand erstklassiger, hochwertiger (qualitativer) Publikationen in high impact journals, wie Merton (1968b: 332f.) dies noch im Zuge seiner Ausführungen zum Wandel bzw. der Weiterentwicklung der 6
Anders formuliert wird das eigene Publikationsverhalten, wie bereits in Kap. 5.3 dargestellt, rationaler (z.B. ›Salami-Taktik‹, Mehrfachautorenschaft, Mehrfachpublikation eines Artikels in unterschiedlichen Sprachen).
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wissenschaftlichen Verhaltensmuster prognostizierte, sondern lediglich anhand der quantitativ nachweisbaren Zahl von Publikationen. Das quantitativ geprägte Motto publish or perish kann somit als paradigmatisch für eine rationale(re) Ausbildung der Erwartungen an die wissenschaftlichen Akteure angesehen werden. Die bisherigen Darstellungen resümierend erfolgt die Intrusion der rationalen Verhaltensweisen in den wissenschaftlich-universitären Bereich also durch die unterschiedlichen und einzelnen Anforderungen und Erwartungshaltungen der vielfältigen Bezugsgruppen des homo academicus oeconomicus. Dabei sind die Bezugsgruppenerwartungen rationalen Verhaltens das Resultat gesellschaftlicher Differenzierung im Sinne der gesellschaftlichen Ökonomisierung, die durch Intrusion in die anderen gesellschaftlichen Teilbereiche zugleich als gesellschaftlich legitimierte soziale Normierungen angesehen werden können und im neuen Belohnungssystem des Akademischen Kapitalismus Einzug halten (vgl. Popitz 1972: 8-11). Dass es sich hierbei auch tatsächlich um fixierte Rollen- bzw. Quasi-Rollennormen7 und damit um geänderte Soll-Erwartungen für die wissenschaftlichen Akteure handelt, geht aus der sanktionierbaren, positionsgebundenen und spezialisierten Ausbildung dieser Erwartung (quantitativ vermarktbare wissenschaftliche ›Qualität‹) und aus dem zunehmenden Hierarchisierungsprozess der finanziellen (Was und Womit) Verfügbarkeit hervor, innerhalb dessen die politisch-administrative Führung nicht nur diese neuen Verhaltensnormen von der Wissenschaft forderte, sondern im trilateralen Geflecht aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft auch für deren Umsetzung sorgte (vgl. Dahrendorf 1967: 146-149, 1974: 38f.; Popitz 1972: 14). Eingebettet in die gesellschaftliche Kultur in Form von das gesellschaftliche Leben bestimmenden Verhaltensweisen und -erwartungen hat sich das rationale Kalkül des ökonomisch orientierten Effektivitäts-, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitsstrebens, welches im universitären Bereich durch das neue Belohnungssystem des Akademischen Kapitalismus repräsentiert wird, somit tatsächlich in einer neuen Soll-Erwartung manifestiert. Denn als zentraler Bestandteil der Kultur differenzierter Gesellschaften westlicher Prägung sind Effektivität, Effizienz und Wirtschaftlichkeit nicht nur bloße Wertorientierungen, sondern über ihre gesellschaftliche Manifestation auch normativ in die gesellschaftlichen Teilbereiche integriert (vgl. Bauman 2009; Sennett 2000, 2007). Die normativen (rationalen) Handlungsorientierungen werden hierbei über Organisationen und auf Basis der organisationalen Mitgliedschaften als generalisierte Erwartungshaltungen in Form institutionalisierter Rollen unausweichlich an die Akteure herangetragen und besitzen im Hinblick auf Karrieremöglichkeiten 7
Als Quasi-Rolle kann eine Rolle dann angesehen werden, wenn zwar im Kontext eines zunehmenden Hierarchisierungsprozesses in Gruppen von der Spitze neue Verhaltensnormen definiert und gefordert werden, deren Umsetzung aber noch nicht als institutionalisiert – also als von konkreten Personen abgekoppelt – angesehen werden kann (vgl. Popitz 1972: 14).
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zugleich motivationalen Charakter (vgl. hierzu Luhmann 1964: 29-53, 2000a: 81122, 2000b: 94-107, Parsons 1996: 12-40). Die organisational implementierte Möglichkeit einer von der Individualität von Personen unabhängigen, fremddeterminierten Ausführung von Verhaltensweisen bündelt demnach die heterogenen Motivunterstellungen der ökonomischen Nutzenkalkulation, der vertraglichen Normbindung und des individuellen Karriereinteresses (vgl. Luhmann 2000b: 84, 110f.). Somit »beschaffen formale Organisationen durch die Mitgliedsrolle eine generalisierte Konformitätsbereitschaft« (Schimank 2005c: 36) bzgl. der allgemeinen ökonomisierten Wertorientierungen – und dies eben auch in Universitäten. Die Erzeugung der Konformitätsbereitschaft bei den Organisationsmitgliedern bzgl. der kulturell verankerten, in den gesellschaftlichen Teilbereichen normierten und über die Organisationen vermittelten Wertvorstellungen – und damit der rationalen Handlungsorientierungen und Verhaltensweisen als Form gesellschaftlich definierter Rollenerwartungen – entspricht dabei auch einem Lernprozess im Sinne von Sozialisation. Denn: »the acquisition of the requisite orientations for satisfactory functioning in a role is a learning process, but it is not learning in general, but a particular part of learning. This process will be called the process of socialization […]. [Herv. i.O.]« (Parsons 1959: 205) Der Sozialisationseffekt, der sich auf ein ausgewogenes Verhältnis der gegenseitigen Bedürfnisbefriedigung konzentriert, bezieht sich auf »the integration of ego into a role complementary to that of alter(s) in such a way that the common values are internalized in ego’s personality, and their respective behaviors come to constitute a complementary role-expectationsanction system« (Parsons 1959: 211). Übertragen auf den Kontext der Universitäten entspricht Ego dabei den jeweiligen Agenten – von den Leitungsinstanzen bis hin zu den einzelnen Akteuren – innerhalb der komplexen Prinzipal-AgentenBeziehungen und Alter dem jeweiligen Prinzipal. Der Prinzipal ist dabei innerhalb des Sozialisationsprozesses aufgrund der im neuen Belohnungssystem des Akademischen Kapitalismus implementierten Verfügungsgewalt über die finanzielle Belohnung und/oder Bestrafung im Besitz der Kontrolle über die Handlungen der Agenten. Aufgrund der Erfahrungen bzgl. einer positiven oder negativen Sanktion des Verhaltens auf Seiten der Agenten wird das leistungsorientierte finanzielle Belohnungssystem aber auch auf der Ebene der einzelnen Akteure (Professoren) nachgeahmt (vgl. hierzu Parsons 1959: 211ff.). Etwa wenn befristete Personalverträge vor einer potenziellen Verlängerung anhand von getroffenen Ziel- und Leistungsvereinbarungen evaluiert werden und sich die Entscheidung über eine Verlängerung an der Leistungsevaluation bemisst. Oder wenn die geforderten studentischen Leistungen aufgrund der Festlegung eines in Punkten fixierten workloads ebenfalls quantitativ – im Sinne von Noten als weiteren Kennziffern einer erbrachten Leis-
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tung – gemessen werden.8 Durch diese subjektive Übernahme der leistungsorientierten Sanktionierung auf Basis quantifizierter Kriterien wird letztlich die intendierte Strukturänderung verinnerlicht, sodass eine Identifikation mit den rationalen Handlungsanweisungen stattfindet (vgl. Parsons 1959: 211ff.). Diese Identifikation findet auf der personalen Ebene dann sowohl auf Seiten der Professorenschaft und der wissenschaftlich Angestellten als auch bei den Studierenden statt. So lernen bspw. die wissenschaftlich Angestellten über das Sanktionsmittel der Vertragsverlängerung, dass die effektive Erfüllung der subjektiv getroffenen Ziel- und Leistungsvereinbarungen wirtschaftlich in Bezug auf die eigene Existenzsicherung ist, und verinnerlichen dies. Und die Studierenden lernen im Laufe ihres Studiums, dass letztlich die Kennziffern in Form von ECTS-Punkten über ihren Studienverlauf und -abschluss entscheiden und nicht zwangsweise das persönlich erworbene Wissen.9 Wird im Anschluss an das Studium eine wissenschaftliche Karriere angestrebt, ist die notwendige rationale, an Kennziffern orientierte Verhaltensweise bereits internalisiert und wird im weiteren Verlauf nicht mehr hinterfragt. Die rational-quantitative Verhaltensanforderung wird somit zu einer akzeptierten und gängigen Handlungsorientierung. Auch wenn diese Ausführungen als hypothetische Vermutungen abgetan werden könnten, so belegt doch nicht zuletzt die tatsächliche, von Peter (2010) konstatierte Existenz des neuen homo academicus oeconomicus eine generelle, internalisierte Identifikation mit den normativen Erwartungen der ökonomisierten Universitäten. Denn als eigenständige und neuartige Sozialfigur der Gegenwart (siehe Moebius/Schroer 2010) hat sich diese einstige Quasi-Rolle im Rahmen der Entstehung des Akademischen Kapitalismus im Sinne von Popitz (1972: 14) »als normatives Subsystem von den beteiligten Einzelpersonen […] [abgelöst, sodass; A.B.] […] wir von der Entstehung neuer Rollenstrukturen sprechen [können; A.B.]«. Dabei sagt »[d]er Begriff der sozialen Rolle […] aber nichts darüber aus, wie der einzelne sich zu seiner sozialen Rolle verhält, ob und wie er sie reflektiert« (Popitz 1972: 6). Er ist lediglich »ein analytisches Mittel zur Erfassung sozialer Handlungszusammenhänge und zugleich ein Konstruktionsmittel zur abstrahierenden Darstellung 8
So kann bspw. der im workload ausgedrückte Arbeitsaufwand für die Vor- und Nachbereitung von Veranstaltungen als Gradmesser für das potenziell verlangbare Wissen – und das in Abhängigkeit vom Semester spezifisch vorauszusetzende generelle Wissensniveau – hinsichtlich des Anfertigens einer Hausarbeit in die Benotung der Leistung einfließen bzw. diese beeinflussen.
9
So werden bspw. freiwillig besuchte Veranstaltungen aus Gründen einer subjektiven Wissenserweiterung nicht oder nur selten automatisch in das technisch erstellte Transcript of Records aufgenommen. Oder benotete Prüfungsleistungen werden, abgekoppelt von dem tatsächlich bedeutsamen Inhalt, ausschließlich im Hinblick auf die – die Gesamtnote des Studienabschlusses beeinflussende – Notengebung kritisiert.
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sozialer Strukturen« (Popitz 1972: 6). Aber »[d]urch die Verbindung von Rollen und Bezugsgruppen wird es […] möglich, eine schwerwiegende Form des sozialen Konflikts, den Konflikt innerhalb von Rollen, schärferer Analyse zugänglich zu machen« (Dahrendorf 1974: 52). Was Dahrendorf an dieser Stelle anspricht, ist ein Intra-Rollenkonflikt bzw. das Vorhandensein einer Rollenambiguität, die aus den widersprüchlichen Erwartungen an eine Rolle resultiert. Die widersprüchliche Erwartung kann hierbei im hybriden Konzept des homo academicus oeconomicus gesehen werden, der ja sowohl die rational-quantitativen Erwartungen des homo oeconomicus als auch die symbolisch-reputativen (qualitativen) Erwartungen des homo academicus beinhaltet. Die Bewältigung der Spannungen, die hierbei entstehen können, geht aufgrund der von Popitz (1972: 6) angesprochenen Passivität von Rollen aber über den Bereich des reinen role-taking hinaus und muss im Bereich der subjektiven Rollengestaltungsmöglichkeiten bewältigt werden. Die durch die neuen rational geprägten Soll-Erwartungen fixierten generellen Erwartungsmuster hinsichtlich der Handlungsausrichtung der Akteure repräsentieren zwar die normierte und normative Was-Komponente, aber die Interpretation und Wahrnehmung dieser Erwartungen, die in gewisser Weise auch den Grad der Identifikation mit dem normativen Rahmen angeben, obliegt im Rahmen des Interaktionsprozesses auch den Akteuren selbst. Denn trotz der von außen an die Akteure herangetragenen und generierten Erwartungen, die zur Übernahme der Rolle führen, ist das Handeln nicht gänzlich fremddeterminiert, sondern kann vor allem auch im wissenschaftlichen Bereich anhand von spontanen oder bewussten Eigenhandlungen oder Erfahrungen aus anderen Rollenerwartungen innerhalb des Erwartungsrahmens gestaltet werden (vgl. hierzu Mead 1968: 177-206, 258ff.). Die Möglichkeit des graduellen subjektiven Gestaltungsspielraums innerhalb des normativen Erwartungsrahmens ist auch im neuen Belohnungssystem des Akademischen Kapitalismus selbst verankert: nämlich über die (weiter) bestehende Teilautonomie hinsichtlich der Umsetzung dieser Erwartungen in der Wie-Komponente. So kann bspw. ein wissenschaftlicher Akteur die in den Ziel- und Leistungsvereinbarungen geforderte Menge an Publikationen quantitativ weiter erfüllen, aber dennoch qualitative Artikel produzieren – sei es aus Gründen eines guten Zeitmanagements, aufgrund eines reichen Erfahrungsschatzes oder aufgrund eines sehr gut auf- und ausgebauten Renommees. Die Möglichkeit und Fähigkeit der subjektiven Gestaltung der individuellen Handlungen innerhalb des normativen Erwartungsrahmens verweist aufgrund des reziproken Interaktionsprozesses zwischen Prinzipal(en) und Agent bzw. zwischen Bezugsgruppe und Akteur damit auch auf den Aspekt der Identitätsbildung.
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7.2 I DENTITÄT ( EN ) IM REFORMIERTEN UNIVERSITÄREN K ONTEXT – I DENTITÄTSTYPEN DES H OMO A CADEMICUS O ECONOMICUS Der im Belohnungsmodell des Akademischen Kapitalismus verankerte subjektive Spielraum zur Ausgestaltung der Rolle lässt im Kontext der normativ verankerten Rahmenbedingungen einen Rückschluss auf unterschiedliche Identitätstypen des homo academicus oeconomicus zu. Aufgrund der den Akteuren weiterhin zugesprochenen Teilautonomie haben diese die Möglichkeit zur Reflexion und Interpretation der normativen Rahmenbedingungen, anhand derer sie letztlich ihre eigenen Handlungen vornehmen. Insofern kann hier von einer normativen (homo academicus/ homo oeconomicus) und evaluativen (subjektive Handlungsinterpretation) Komponente gesprochen werden, die zur Verwirklichung der eigenen Ziele in Übereinstimmung mit den organisationalen Zielen der Universität gemäß dem neuen Belohnungsmodell des Akademischen Kapitalismus (kognitive Komponente) abgeglichen werden müssen. Diese Komponenten lassen sich im Kontext soziologischer Identitätskonzeptionen den für den Aufbau und Erhalt von Identität(en) relevanten Aspekten einer Ich-Identität, einer sozialen Identität und einer diese beiden kombinierenden Identitätsbalance zuordnen. Aufgrund eines generell vorhandenen Identitätspluralismus und einer gleichbleibenden normativen Rahmung im Kontext der Hochschulreform lassen sich insgesamt vier unterschiedliche Identitätstypen des homo academicus oeconomicus konstatieren, die entlang der dichotomen Ausprägungen klassisch-qualitativen und ökonomisch-quantitativen Wissenschaftshandelns im Bereich der evaluativen und kognitiven Komponente variieren. Die neu entstandenen Soll-Erwartungen an die Rolle des homo academicus oeconomicus können also nicht nur als generelles Erwartungsmuster für die beteiligten Akteure aufgefasst werden, sondern auch als Rahmen, innerhalb dessen die jeweiligen Akteure aufgrund eigener Erfahrungen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen oder graduell subjektiver Interpretationen und Variationen dieser Rahmenbedingungen eine Gestaltungsmöglichkeit der Rolle haben. Aus diesem Grund können die von außen oktroyierten neuen Rollenerwartungen, die durch das formale Kennziffernsystem der Audit Society (Power 1997) als Folge des Qualitätsmanagements und spezifische Eigenheit der »unternehmerischen Universität« (Maasen/Weingart 2006) kontrolliert werden, auch Auswirkungen auf die Identität der Akteure haben. Denn der subjektive Selbstanspruch muss mit den normativen Erwartungshaltungen der Bezugsgruppen abgeglichen werden, wohingegen der positive oder negative Abgleich dieser beiden Komponenten aus der Bestätigung durch das Belohnungsmodell des Akademischen Kapitalismus resultiert (vgl. hierzu Etzkowitz/Leydesdorff 2000: 109-111; Münch 2011a: 96f.; Schimank 2010b: 143-146; Shore 2008:
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281). Identität ist dabei aber nicht als ein starres, einheitliches Konstrukt aufzufassen (siehe Abels 2010; Krappmann 2000), sondern gleicht etwas Prozessual-Dynamischem, das in Interaktion mit anderen und den eigenen Vorstellungen hergestellt und reproduziert wird (vgl. Krappmann 2000: 9). So ist bspw. für Mead (1968: 177-221) Identität (das Self) bzw. deren Herstellung von Geburt an in einen Entwicklungsprozess eingebunden, der »innerhalb des gesellschaftlichen Erfahrungs- und Tätigkeitsprozesses, das heißt im jeweiligen Individuum als Ergebnis seiner Beziehung zu diesem Prozeß als Ganzem und zu anderen Individuen innerhalb dieses Prozesses« (Mead 1968: 177) stattfindet. Identität als gesellschaftlicher Prozess ist dabei das Resultat des reziproken und interaktiven Zusammenspiels der Übernahme von extern definierten Erwartungshaltungen als normativem Rahmen (das me) und der subjektiven Reaktion darauf durch den jeweiligen Akteur (das I). Im Verlauf der Sozialisation erlernen Akteure im frühkindlichen Spiel zunächst die bloße unreflektierte, weil rein nachgeahmte, Übernahme von gesellschaftlichen Erwartungen in Form von gesellschaftlich fixierten Rollen (role-playing), und ihre Identität entspricht einer reinen Objekt-Identität (vgl. hierzu Krappmann 2000: 39f.; Mead 1968: 191-265; Schneider 2008: 213-220).10 Im Weiteren Entwicklungsverlauf findet ein Wechsel von der bloßen Rollenübernahme (role-playing) zur Rollengestaltung (role-gaming) statt, wobei Letzteres nicht ohne Ersteres zu denken ist. Analog zu einem Wettkampf lässt sich dieser Prozess folgendermaßen verdeutlichen: In der Situation eines Wettkampfes oder eines Wettspiels müssen Akteure in der Lage sein, auf andere zu reagieren. Role-gaming ist im Vergleich zum bloßen role-playing ein interaktionaler Prozess, bei dem Akteure in der Lage sein müssen, auf die Erwartungen und Handlungen der anderen Teilnehmer zu reagieren. Diese Reaktion setzt zugleich die Antizipation der ›gegnerischen‹ Erwartungshaltungen hinsichtlich des eigenen und gesamten Handelns der Gruppe voraus (vgl. Krappmann 2000: 58ff.; Mead 1968: 192-196; Schneider 2008: 213220).
10 Der Bezug auf das Spiel, als ersten Schritt hin zur Ausbildung von Identität, verweist durchaus auch auf Whites (2008) Konzept der Identitätsbildung: Meads Rollenübernahme im Spiel kann in gewisser Weise mit der Spielplatzmetapher von White (2008: 4ff.) verglichen werden, die nach Schmitt (2014) eine zentrale Rolle in der theoretischen Konzeption Whites einnimmt. Whites (2008) Konzeption von Identität(en) als Netzwerk läuft aus methodologischen Gründen allerdings der hier vorliegenden theoretischen Rahmung bzgl. der zentralen Bedeutung von Akteuren als subjektiven Entitäten sowie dem in Kap. 7.4 verfolgten handlungstheoretisch basierten Erklärungsversuch von campus shootings entgegen (vgl. Fuhse 2008, 2009; White 2002, 2008: 1-19; White/Godart 2007). Aus diesem Grund kann und wird die whitesche Konzeption von Identität hier und im Folgenden nicht weiter verfolgt werden.
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»[Der Akteur; A.B.] […] muß wissen, was alle anderen tun werden, um sein eigenes Spiel erfolgreich spielen zu können. […] Diese Reaktionen [gemeint sind hier die antizipierten Erwartungen und Handlungen der anderen Akteure; A.B.] müssen in gewissem Ausmaß in der eigenen Handlung präsent sein.« (Mead 1968: 193f.)
Der Wettkampf, dessen sich Mead zur Beschreibung der interaktional basierten Identitätsbildung bedient, beruht aber nicht nur auf den antizipierten Handlungen und Erwartungen, sondern auch auf bestimmten Regeln für das eigene Verhalten und Handeln, die aus der organisierten Verhaltenserwartung der anderen an den Akteur herangetragen werden (der generalisierte Andere) und als situativer Rahmen seine Handlungs- und Reaktionsmöglichkeiten festlegen – und aufgrund der interaktional basierten Identitätsentstehung auch die individuelle Identität des Akteurs (vgl. Mead 1968: 194ff.). »Damit ein menschliches Wesen eine Identität im vollen Sinn des Wortes entwickelt, genügt es nicht, daß es einfach die Haltungen anderer Menschen gegenüber sich selbst und untereinander innerhalb des menschlichen gesellschaftlichen Prozesses einnimmt und diesen Prozeß als Ganzen nur in dieser Hinsicht in seine individuelle Erfahrung hereinbringt: es muß ebenso, wie es die Haltungen anderer Individuen zu sich selbst und untereinander einnimmt, auch ihre Haltungen gegenüber den verschiedenen Phasen oder Aspekten der gemeinsamen gesellschaftlichen Tätigkeit oder der gesellschaftlichen Aufgaben übernehmen, in die sie, als Mitglieder einer organisierten Gesellschaft oder gesellschaftlichen Gruppe, alle einbezogen sind; und es muß dann, indem es diese individuellen Haltungen der Gruppe als Ganzer verallgemeinert, im Hinblick auf verschiedene gesellschaftliche Projekte, die es zum jeweiligen Zeitpunkt verwirklicht, oder auf die verschiedenen längeren Phasen des allgemeinen gesellschaftlichen Prozesses handeln, die sein Leben ausmachen und dessen spezifische Manifestationen diese Projekte sind. Dieses Hereinholen der weitgespannten Tätigkeit des jeweiligen gesellschaftlichen Ganzen oder der organisierten Gesellschaft in den Erfahrungsbereich eines jeden in dieses Ganze eingeschalteten oder eingeschlossenen Individuums ist die entscheidende Basis oder Voraussetzung für die volle Entwicklung der Identität des Einzelnen: nur insoweit er die Haltungen der organisierten gesellschaftlichen Gruppe, zu der er gehört, gegenüber der organisierten, auf Zusammenarbeit beruhenden gesellschaftlichen Tätigkeiten, mit denen sich die Gruppe befaßt, annimmt, kann er eine vollständige Identität entwickeln und die, die er entwickelt hat, besitzen.« (Mead 1968: 197)
Identität ist nach Mead somit das Zusammenspiel der einzelnen genannten Faktoren. Eine vollentwickelte Identität – im Sinne des Bewusstwerdens der (Hinter-) Gründe der eigenen Reaktionen auf die Reaktionen der anderen (vgl. Abels 2010: 273f.) – ist hierbei das Resultat der subjektiven Antizipation und Reaktion auf die Erwartungen der sozialen Identität (der generalisierte Andere) auf Basis der IchIdentität (die im me repräsentierte Rollenübernahme), die in den jeweiligen situati-
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ven Interaktionen mit- und aufeinander abgeglichen werden (vgl. Joas 1980: 106110; Mead 1968: 207-221). Identität als interaktiver gesellschaftlicher Prozess besteht also aus dem Abgleich der normativen Erwartungen mit den subjektiven Vorstellungen und Erfahrungen sowie der letztlich bewussten Evaluation dieser Komponenten (vgl. Schimank 2000: 123ff.). Dieses Verständnis von Identität als Resultat ständiger Interaktionsprozesse, innerhalb derer Identität letztlich »aus der Auseinandersetzung mit sozialen Erwartungen aufgrund ›eigener‹ Erwartungen hervor[geht]« (Krappmann 2000: 11), findet sich auch bei Goffman (1975). Im Rahmen seines »dramaturgischen Ansatzpunkt[s]« (Goffman 2011: 219) konzeptionalisiert Goffman Identität als Selbstdarstellung, wobei sich Identität aus den drei Elementen der sozialen, der persönlichen und der Ich-Identität zusammensetzt (vgl. Goffman 1975). Die Selbstdarstellung einer Person, auf Basis der Übernahme spezifischer Rollen, ist hierbei zunächst an die aktuelle Situation der Interaktion und die hiermit verbundenen situativen Gegebenheiten gekoppelt. Oder anders formuliert: an den die Situation definierenden primären sozialen Rahmen, der aufgrund der implementierten Maßstäbe, die einen Verständnishintergrund für die spezifische Situation liefern, Akteuren innerhalb ihrer Interaktion eine Handlungsorientierung bietet (vgl. Goffman 1977: 31f.). Insofern handelt es sich hier um gesellschaftliche und institutionell generierte Attribute und Merkmale bzw. um ein situativ variierendes, vorbestimmtes Handlungsmuster, dessen Erwartungen durch soziale Rollen definiert und festgelegt sind (vgl. Goffman 1977: 31-35, 2011: 18). Die Erwartungen, die an diese Rolle geknüpft sind, können als soziale Identität gefasst werden. Denn soziale Identität bezeichnet gesellschaftliche und institutionell generierte Attribute und Merkmale von Personen in bestimmten Rollen, die von anderen antizipiert und durch die Antizipationen in normative Erwartungen gewandelt werden. Diese unbewusste Zuschreibung von Attributen und die normativen Erwartungen, die affektiv einzelnen Akteuren unterstellt werden, bezeichnet Goffman als virtuale soziale Identität. Die tatsächlich vorhandenen Attribute und Merkmale einer Person sind hingegen als aktuale soziale Identität aufzufassen (vgl. hierzu Goffman 1975: 9f.). Beide Dimensionen der sozialen Identität beziehen sich hierbei also auf die jeweils situativ spezifischen und variierenden Antizipationen und normativen Vorstellungen, die von Personen als Mitgliedern oder Angehörigen bestimmter Kategorien erwartet werden, wobei »[d]er Terminus ›Kategorie‹ […] vollkommen abstrakt [ist] und […] auf jedes ›Ensemble‹ angewandt werden [kann]« (Goffman 1975: 34). Damit beziehen sich die in der sozialen Identität integrierten Komponenten der extern affektiv zugeschriebenen, normativen Erwartungen (virtuale soziale Identität) und der extern wahrgenommenen, tatsächlichen Merkmale von Akteuren (aktuale soziale Identität) auf jegliche Einzeldarstellungen und Gruppen von Individuen, die im Rahmen ihrer korporativen Interaktion eine bestimmte Situationsdefinition durch rollenkonformes Handeln aufrechterhalten (vgl. Goffman 2011: 74-97).
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Neben der sozialen Identität existiert bei Goffman (1975: 67-131) auch die persönliche Identität. Persönliche Identität bezieht sich auf klar vorhandene Kennzeichen einer Person – bspw. deren Aussehen, Namen oder physische Merkmale wie Alter oder Fingerabdrücke im kriminologischen Sinn des Identifizierens – oder auf nicht eindeutig von außen erkennbare persönliche (Charakter-)Eigenschaften, die durch die Biografie einer Person bestimmt und kommuniziert werden. Im Rahmen der Kommunikation bestimmter biografischer Merkmale, die die aktuale soziale Identität einer Person im Gesamtbild präzisieren können, obliegt es allerdings der Person selbst, welche Informationen sie preisgeben möchte oder nicht. Diese Art der Informationskontrolle über spezifisch persönliche Eigenschaften, Verhaltensweisen oder Erfahrungen – die im Bereich der Ich-Identität angesiedelt werden können und von dort (in Teilen) steuerbar sind – kann aber auch geschickt zur Gestaltung der Identität in der Außenwahrnehmung genutzt werden, z.B. durch Täuschen oder Geheimhaltung von Informationen in sozialen Interaktionen, die auf gegenseitiger Unbekanntheit der Teilnehmer beruhen (vgl. Goffman 1975: 67-131). Sowohl die soziale als auch die persönliche Identität entsprechen, aufgrund ihrer von außen wahrgenommenen Ausprägung hinsichtlich des den gesellschaftlichen Normen und Konventionen adäquaten Verhaltens, der Darstellung auf der für alle Interaktionsteilnehmer sichtbaren Vorderbühne und können somit nicht als Bestandteil der subjektiven Identität angesehen werden (vgl. Goffman 2011: 100f.). Denn die subjektive Identität, als bewusste subjektive Reflexion der externen Angelegenheiten (vgl. Goffman 1975: 132), ist Bestandteil der auf der Hinterbühne stattfindenden und von außen nicht sichtbaren Ich-Identität. »Soziale und persönliche Identität sind zuallererst Teil der Interessen und Definitionen anderer Personen hinsichtlich des Individuums, dessen Identität in Frage steht. Im Falle persönlicher Identität können diese Anteilnahmen und Definitionen sogar entstehen, bevor es geboren ist, und fortdauern, nachdem es begraben ist, sie existieren also zu Zeiten, zu denen das Individuum selbst überhaupt keine Empfindungen haben kann, geschweige denn Empfindungen von Identität. Auf der anderen Seite ist Ich-Identität zuallererst eine subjektive und reflexive Angelegenheit, die notwendig von dem Individuum empfunden werden muß, dessen Identität zur Diskussion steht.« (Goffman 1975: 132)
Ich-Identität, als drittes Element der Identitätskonzeption, bezeichnet also nach Goffman (1975: 132-155) die Reaktion auf die in der sozialen Identität fixierten normativen Verhaltenserwartungen; und zwar gemäß der subjektiv bewussten Definition davon, wie man sich selbst sieht. Die Ich-Identität unterliegt hinsichtlich dieser Anforderungen durchaus Ambivalenzen bzgl. der unterschiedlichen Anforderungen der eigenen, direkt zugehörigen In-Group (das Ensemble) und der anderen Bezugsgruppen (das Publikum bzw. die Out-Group). Im Gegensatz zur Vorderbühne als Ort der geregelten Darstellung können somit auf der Hinterbühne Probleme
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auftreten, die zwar den Interaktionspartnern oder -zuschauern entgehen bzw. vorenthalten werden, aber die Arbeitsweise des Einzelnen (oder des ganzen Ensembles) betreffen bzw. beeinflussen können (vgl. Goffman 2011: 106-111). Die Herstellung von Identität, bei der die Komponente der Ich-Identität aus Gründen der Differenzierung von der Masse eine zentrale Rolle einnimmt, erfordert also immerzu einen »Balanceakt: eine Identität aufzubauen, die scheinbar den sozialen Erwartungen voll entspricht« (Krappmann 2000: 72). Auch wenn die sozialen Erwartungen nie in Gänze erfüllt werden können, verfügen Akteure über ein bestimmtes Repertoire an Techniken (Kap. 7.3), um die fortwährende »Schein-Normalität« (Goffman 1975: 152) durch Identitätsarbeit zu managen bzw. Identität zu behaupten (vgl. Krappmann 2000: 72-79; Kron 2003a: 90f.; siehe Goffman 1975, 1977). Denn die Aufrechterhaltung der Balance zwischen »›social identity‹ [sozialer Identität; A.B.] und ›phantom normalcy‹ [»Schein-Normalität«; A.B.] […] als auch von ›personal identity‹ [persönlicher Identität; A.B.] und ›phantom uniqueness‹ [»Schein-Einzigartigkeit«; A.B.] […] ist die Bedingung für Ich-Identität« (Krappmann 2000: 79).11 Innerhalb dieses prozessualen Reagierens auf die jeweiligen gruppenspezifischen Anforderungen in den Interaktionsprozessen bezieht sich Ich-Identität also auf eine subjektiv bewusste und reflektierende Anpassung des eigenen Bildes bzw. der eigenen Vorstellung, wie man ist, auf die außen herangetragenen Vorstellungen, wie man zu sein bzw. sich zu verhalten hat. Wie bei Mead (1968) wird somit auch bei Goffman (1975) Identität als interaktiver Prozess gefasst, der aufgrund des Abgleichs der normativen Erwartungen mit den subjektiven Vorstellungen und Erfahrungen als aktiv anzusehen ist und in eine anschließende Evaluation des Zusammenspiels von sozialer, persönlicher und Ich-Identität mündet, um die Identität von Akteuren zu erzeugen und analytisch fassbar zu machen. Die grundlegenden Gedanken von Mead (1968) und Goffman (1975) aufgreifend plädiert auch Krappmann (2000) für eine aktive und dynamische Sichtweise von Identität, wobei hier vor allem der Balanceakt zwischen Ich-Identität sowie der sozialen und persönlichen Identität – als in Rollenerwartungen vorgegebene normative Erwartungen – im Vordergrund steht. Entgegen gängigen Vorstellungen aus der soziologischen Rollentheorie und damit verbundenen Identitätskonzeptionen geht Krappmann (2000: 84-131) nicht davon aus, dass die gesellschaftlich definierten normativen Erwartungen als handlungsprägende und -orientierende Leitmuster in der heutigen Zeit als unhinterfragt gelten und stabile Identitäten erzeugen kön11 Den Begriff der »phantom uniqueness« als der »Schein-Normalität« entgegengesetzten Begriff der »Schein-Einzigartigkeit« übernimmt Krappmann (2000: 77) aus unveröffentlichten Notizen von Habermas, der damit, im Kontext eines Seminars zur Rollentheorie und Identitätsproblematik, auf die »nur scheinbare Übernahme der zugeschriebenen Einzigartigkeit und Kontinuität« verweisen und somit eine Lücke »im Goffmanschen Begriffsapparat« schließen wollte.
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nen. Identität, als situativ reflexive und antizipierende, zwischen Erwartungen und subjektiver Wahrnehmung bzw. Erfüllung balancierende Ich-Identität benötigt zwar weiterhin »sozialstrukturelle Bedingungen […], die die Ausbildung einer Ich-Identität begünstigen« (Krappmann 2000: 129). Aber derart »[e]inseitige Anforderungen an das Individuum« (Krappmann 2000: 67) sind im Zuge gesellschaftlicher Differenzierung, aufgrund der zahlreichen Möglichkeiten und Anforderungen, eben nicht mehr eindeutig und konsistent (vgl. Abels 2010: 291; Krappmann 2000: 7984). Diesbezüglich nehmen auch bei Krappmann die Interaktionsprozesse eine bedeutende Rolle ein. Denn: »Die Möglichkeit des Individuums für balancierende Ich-Identität werden in Interaktionsprozessen gefördert, in denen das Individuum die zahlreichen Anforderungen, zwischen denen es als identisches sich behaupten muß, sichtbar machen und zur Diskussion stellen kann. Da auch die anderen Partner in einer derartigen relativ ungezwungenen Interaktionssituation in der Lage sind, ihre Erwartungen zu präsentieren und um Anerkennung nachzusuchen, bestehen dann in besonderer Weise die für eine Identitätsbalance günstigen Voraussetzungen vielfältiger und in Konkurrenz stehender Erwartungen, die interpretationsbedürftig sind.« (Krappmann 2000: 81)
Wie gesagt, spielen aber auch weiterhin die sozialstrukturellen Bedingungen eine Rolle bei der Ausbildung von Identität, sodass beiden Elementen – Struktur und Individuum – gewisse Merkmale und Fähigkeiten abverlangt werden. »Wenn das Individuum in der Lage sein soll, hinreichend jene Ich-Identität zu entwickeln, die der erfolgreiche Fortgang des Interaktionsprozesses verlangt, muß eine Reihe von gesellschaftlichen und individuellen Bedingungen erfüllt sein. Voraussetzungen auf der Seite der Gesellschaft sind flexible Normensysteme, die Raum zu subjektiver Interpretation und individueller Ausgestaltung des Verhaltens, zu ›role-making‹, offenlassen, sowie Abbau von gesellschaftlicher Repression, der verbürgt, daß diese Um- und Neuinterpretation von Normen und ihre Übersetzung nicht negativ sanktioniert werden. Vom Individuum auf der anderen Seite wird gefordert, daß es sowohl aktive Fähigkeiten, wie Antizipation von Erwartungen anderer, Interpretation von Normen und Präsentation eigener Erwartungen, als auch passive, wie Toleranz für Erwartungsdiskrepanzen und für unvollständige Bedürfnisbefriedigung, besitzt.« (Krappmann 2000: 132)
Zur Etablierung, Aufrechterhaltung und Förderung der eigenen Identität müssen Akteure also zunächst in der Lage sein, »sich Normen gegenüber reflektierend und interpretierend zu verhalten« (Krappmann 2000: 133), um aufgrund bisheriger Erfahrungen aus anderen Situationen und Rollen Modifikationen vornehmen zu können, bei denen zwar die normativen Erwartungen internalisiert werden und sind, aber eben »aufgrund seiner [der Akteur; A.B.] Biographie und seiner Beteiligung an
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anderen Interaktionssystemen interpretiert« (Krappmann 2000: 142) werden (vgl. Krappmann 2000: 132-142). Darüber hinaus werden aber auch empathische Fähigkeiten von den Akteuren verlangt, um hinsichtlich der subjektiven Interpretation in Interaktionssituationen die über das reine role-taking hinausgehenden Erwartungshaltungen der anderen Akteure antizipieren zu können. Die hierbei potenziell auftretenden Widersprüchlichkeiten müssen daran anknüpfend darüber hinaus bewältigt werden, indem sie in gewissem Maße toleriert oder gar abgelehnt werden (können). Identität bedarf somit einer ständigen aktiven Arbeit und Behauptung, bevor sie subjektiv adäquat und von außen ›akzeptiert‹ dargestellt werden kann (vgl. hierzu Krappmann 2000: 142-173). Diese Aspekte sind in gewisser Weise im neuen Belohnungsmodell des Akademischen Kapitalismus verankert. Zumindest im Bereich der Umsetzung des erteilten Auftrags, also der Wie-Komponente, haben die Akteure die Möglichkeit, die an sie gestellten Anforderungen zu reflektieren und zu interpretieren, um daran anschließend ihre Handlungen und Entscheidungen vorzunehmen bzw. anzupassen. Stellt sich innerhalb dieses Prozesses, wie bereits beschrieben, dauerhaft kooperatives Verhalten ein, gibt dies auch Hinweise auf die passiven Elemente der Toleranz für Erwartungsdiskrepanzen und unvollständige Bedürfnisbefriedigung. Da allerdings die strukturinhärente Komponente der negativen Sanktion weiterhin bestehen bleibt, werden vermehrt diese passiven Fähigkeiten von den Akteuren verlangt, sodass dem Aspekt der arbeitsintensiven Identitätsbehauptung, aufgrund der ungleichgewichteten Anforderungen zur Balance der (Ich-)Identität, eine höhere Gewichtung zukommt. Bei der Betrachtung dieser auf Dynamik, Reziprozität und subjektiver Aktivität beruhenden Komponenten von Identität lässt sich somit festhalten: »Damit ist insgesamt klar, daß die Identität einer Person keine bloße Beschreibung ihres momentanen Ist-Zustandes darstellt und sich auch nicht in einer vergangenheitsorientierten lebensgeschichtlichen Rekonstruktion erschöpft, sondern diese vergangenheits- und gegenwartsbezogene Sinngestalt des eigenen Lebens in die Zukunft ausrichtet.« (Schimank 2000: 125)
Unabhängig vom jeweiligen theoretischen Fokus der hier skizzierten Identitätskonzepte lassen sich analytisch zumindest drei Elemente destillieren, aus denen sich Identität zusammensetzt: Im Bereich des I oder der Ich-Identität sind die subjektiven Vorstellungen der Akteure angesiedelt, die Informationen darüber bereithalten, wie ein Akteur sein will (evaluative Komponente). Im Gegensatz dazu bezieht sich das me oder die soziale Identität auf die normativen Erwartungen, die an das Verhalten und Handeln der Akteure als gesellschaftlich oder von den Bezugsgruppen definierte Erwartungen in Form eines Sein-Sollens an die Akteure herangetragen werden (normative Komponente). Die bei Goffman (1975) und Krappmann (2000) in der Ich-Identität bzw. in der balancierenden Ich-Identität integrierte antizipato-
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rische, selbst-reflektierende Fähigkeit zur Bewältigung von Ambivalenzen zwischen dem Sein-Wollen und Sein-Sollen verweist darüber hinaus auf einen kognitiven Aspekt der eigenen Identitätsdarstellung, der als So-Sein bezeichnet werden kann (kognitive Komponente) (vgl. hierzu Schimank 2000: 123ff.). Dementsprechend kann also konstatiert werden, »daß die Identität einer Person niemals auch nur annähernd die Gesamtheit ihres Sein-Wollens und -Sollens in Relation zum SoSein abbildet, sondern eine höchst selektive Selbstimplifikation ist […]« (Schimank 2000: 125).12 12 Die hier dargestellte analytische »Einheitlichkeit« von Identität, als Konglomerat der evaluativen, normativen und kognitiven Identitätskomponenten, steht folglich also keineswegs im Widerspruch zum konzeptionellen prozessual-dynamischen Charakter von Identität. Die mit (post-)modernen und zeitgenössischen Auffassungen von Identität – als aktive subjektive Gestaltungsmöglichkeit individueller Lebensentwürfe im Kontext der Freisetzung von Akteuren aus den starren Gesellschaftsstrukturen – verbundene Kritik an einem auf konzeptioneller »Einheitlichkeit« beruhenden Identitätsverständnis, das sich im Sinne gesellschaftlich bzw. sozialstrukturell bestimmter biografischer Lebensentwürfe vor allem durch »Festigkeit, […] Eindeutigkeit und Kontinuität« (Bauman 1999: 158) auszeichnet und ein »einheitliches, eindeutiges, lebenslang gültiges Selbstbild« (Eickelpasch/Rademacher 2004: 15) generiert, wird dabei weiterhin aufrechterhalten (vgl. Bauman 2003: 7-23, 2007: 109-143; Dreyfus/Rabinow 1982: 243-252; Lyotard 1986, 1993: 45-48; Sennett 2000, 2007; siehe auch Bauman 2004; Eickelpasch/Rademacher 2004; Hitzler 1994, 2003; Hitzler/Honer 1994; Keupp 2008; Keupp/Höfer 1997; Keupp et al. 1999). Dass im Kontext (post-)moderner bzw. zeitgenössischer Identitätskonzepte tatsächlich von einer analytischen »Einheitlichkeit« von Identität – eben als Konglomerat der auf dynamisch-prozessualer Identitätsarbeit beruhenden Balance evaluativer (subjektiver Selbstanspruch), normativer (Erwartungen) und kognitiver (bestätigender Abgleich) Identitätskomponenten – gesprochen werden kann, kann durch weitere, mit dieser Auffassung kompatiblen, Ansätze exemplifiziert werden: So beruht bspw. das (post-)moderne Konzept der Bastel-Identität, als »sozusagen reflexive Form des individualisierten Lebensvollzugs […] [innerhalb dessen ein Akteur; A.B.] […] subjektiv hinlänglich, aus heterogenen symbolischen Äußerungsformen seine Existenz [gestaltet]« (Hitzler/Honer 1994: 311), auf einer subjektiven Auswahl aus dem vielfältigen ›Sinn‹-Angebot postmoderner Gesellschaft (subjektiver Selbstanspruch) und einer normativen Komponente bzgl. des stetigen Wechsels zwischen und innerhalb von Gruppenorientierungen (vgl. Hitzler 2003: 44f.; Hitzler/Honer 1994: 310f.), die kognitiv in Einklang gebracht werden (müssen). Auch das (post-)moderne Konzept der Patchwork-Identität, das sich auf die situativ abhängige »Identitätsarbeit als kontinuierliches matching von innerer und äußerer Welt [Herv. i.O.]« Eickelpasch/Rademacher 2004: 27) fokussiert, verweist zwar auf die »Dekonstruktion klassischer Identitätsvorstellungen« (Keupp 2008: 292) und eine hiermit verbundene notwendige subjektive Selbstkonstitution bzw. -organisation (subjektiver
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Setzt sich Identität also aus den evaluativen, normativen und kognitiven Komponenten zusammen und besitzen Akteure aufgrund der unterschiedlichen Zugehörigkeiten zu Interaktionssystemen in der Gesellschaft nicht nur eine, sondern gewissermaßen vielfältige Identitäten, die eben auch durch die unterschiedlichen Bezugsgruppen beeinflusst werden können, so kann auch im Falle des homo academicus oeconomicus davon ausgegangen werden, dass mit dieser neuen Rollenvorstellung von Wissenschaftlern13 ein Identitätspluralismus verbunden ist bzw. unterschiedliche Identitätstypen dieses Hybriden herausgearbeitet werden können. Bezogen auf die ursprünglichen Formen des homo academicus und des homo oeconomicus sowie dem hieraus entstehenden Hybrid des homo academicus oeconomicus lassen sich anhand der unterschiedlichen zugrunde liegenden evaluativen, normativen und kognitiven Identitätskomponenten folgende mögliche Ausprägungen erkennbarer Identität(en) in der universitären Landschaft angeben:
Selbstanspruch) (vgl. Keupp et al. 1999: 72f.), kommt aber ebenfalls nicht gänzlich ohne Rekurs auf Bezugsgruppenerwartungen (normative Komponente) und den kognitiven Abgleich dieser Komponenten aus (vgl. Keupp 2008; Keupp/Höfer 1997; Keupp et al. 1999). Ebenso findet sich eine derart analytisch gedachte »Einheitlichkeit« von Identität entlang der evaluativen, normativen und kognitiven Identitätskomponenten auch in den zeitgenössischen theoretischen Konzeptionen Sennetts (2000, 2007) oder Baumans (u.a. 2004, 2009). Auch hier sind die im flexiblen Kapitalismus (Sennett 2000, 2007) bzw. die in der Konsumgesellschaft der flüchtigen Moderne (Bauman 2003, 2009) zur Ware transformierten Subjekte hinsichtlich ihrer Lebensgestaltung von Bezugsgruppenerwartungen, eigenem (ökonomisierten) Lebensanspruch und sozialer Bestätigung abhängig: So z.B. bei Bauman (2003: 233ff., 2009: 144-149) durch den »Drang, eine Wahl zu treffen, und die Bemühungen, die Wahl öffentlich deutlich zu machen, die die Selbstdefinition des flüchtig-modernen Individuums ausmachen [Herv. weggelassen]«, durch die zeitlich befristete Zugehörigkeit zu Scheingemeinschaften (cloakroom communities) und durch die stets auf die Probe gestellte soziale Bestätigung auf Basis der vom Markt produzierten und gelieferten Kennzeichen bzw. Abzeichen hinsichtlich der Zugehörigkeit zu den Scheingemeinschafen. 13 Unter dem Terminus Wissenschaftler werden im Folgenden nicht nur Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter verstanden, sondern auch Studierende. Zwar verfügen Studierende zu Beginn des Studiums über keinen akademischen Grad, der sie als beruflich qualifizierte Wissenschaftler ausweisen würde, dennoch sind sie im Bereich des Lernens, wissenschaftlicher Diskussionen in Veranstaltungen und über das Verfassen von Hausarbeiten in den Prozess der Suche nach und Produktion von Wissen und Erkenntnis – sprich: wissenschaftlicher Wahrheit – aktiv eingebunden. Im Hinblick auf dieses zentrale Merkmal von Wissenschaft werden Studierende im Rahmen der nachfolgend konzeptionalisierten universitären Identität(en) ebenfalls als Wissenschaftler angesehen.
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der dem homo academicus inhärente evaluative Selbstanspruch, ein qualitativ (das Wissen betreffend) guter Wissenschaftler zu sein e1 der eher dem homo oeconomicus inhärente evaluative Selbstanspruch, ein quantitativ (die Finanzen betreffend) guter Wissenschaftler zu sein e2 der dem homo academicus inhärente normative Selbstanspruch einer qualitativen Wahrheitssuche (Streben nach Wahrheit und Erkenntnisgewinn) n1 der eher dem homo oeconomicus inhärente normative Selbstanspruch einer quantitativen Wahrheitssuche (finanzielle Vermarktung von Forschungsergebnissen) n2 die dem homo academicus inhärente kognitive Selbsteinschätzung einer sozialen Bestätigung durch die community in Form von qualitativer Reputation (Symbolisches Kapital) k1 die eher dem homo oeconomicus inhärente kognitive Selbsteinschätzung einer sozialen Bestätigung durch die unternehmerische Universität in Form quantitativer Reputation (Ökonomisches Kapital/Belohnungssystem des Akademischen Kapitalismus) k2
Aus der Anzahl dieser möglichen Kombinationsmöglichkeiten lassen sich somit in allgemeiner Hinsicht die potenziell erkennbaren Identitäten im universitären Kontext konstruieren, wie sie nachfolgend in Tabelle 4 (s.S. 312) dargestellt werden. Unter Berücksichtigung der im Laufe der Reformjahre angestrebten, durchgesetzten und aktuell fest implementierten Strukturänderung der normativen Anforderungen und des finanziellen Belohnungssystems (z.B. in Form indikatoren- oder leistungsorientierter Mittelvergaben) scheiden für den homo academicus oeconomicus allerdings jene Kombinationen aus, die nicht die Merkmalsausprägung der ökonomisierten Universitätslandschaft (n2) aufweisen. Denn die negative Sanktionierung des neuen Belohnungsmodells lässt bis dato keinen (großen) Spielraum für Um- und Neuinterpretationen seitens der Akteure. Somit verbleiben die in Tabelle 5 (s.S. 312) dargestellten vier Identitätstypen der Sozialfigur des homo academicus oeconomicus, die ihre Identität im System der »unternehmerischen Universität« (Maasen/Weingart 2006; siehe Clark 1998, 2001) bzw. des »Academic Capitalism« (Slaughter/Leslie 1999) behaupten müssen und deren Identität durch die Widersprüchlichkeiten in Form der Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte der Hochschulreformen bedroht werden kann.
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Tabelle 4: Potenziell erkennbare Identitäten im universitären Kontext
Tabelle 5: Identitätstypen der Sozialfigur des homo academicus oeconomicus
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7.3 I DENTITÄTSBEDROHUNG ( EN ) UND - BEHAUPTUNG ( EN ) IM UNIVERSITÄREN K ONTEXT Die Identität(en) akademisch-wissenschaftlicher Akteure, im Sinne der zuvor dargestellten vier Identitätstypen des homo academicus oeconomicus, kann bzw. können bei Vorliegen von subjektiv negativ beurteilten Diskrepanzen zwischen den jeweiligen evaluativen, normativen und kognitiven Identitätskomponenten bedroht werden. Liegen derartige Identitätsbedrohungen vor, so können diese unter Zuhilfenahme der Strategien der Rolleninszenierung, Rollendistanz, Rollendevianz und des Ausstiegs aus der Rolle – im Hinblick auf einen balancierten Ab- und Ausgleich der drei Identitätskomponenten – behauptet werden. Durch die grundsätzliche Einbettung von Akteuren in Akteurkonstellationen können diese Strategien dabei mit den konstellationsrelevanten, auf Beobachtung und Beeinflussung beruhenden Medien Geld, Moral und Macht zur Behauptung der Identität kombiniert werden. Unter den vier Identitätstypen des homo academicus oeconomicus lassen sich im Hinblick auf potenzielle Diskrepanzen zwischen den jeweiligen Identitätskomponenten im universitären Kontext vornehmlich bei den beiden Identitätstypen II und IV derartige Identitätsbedrohungen konstatieren, auf die mit den unterschiedlichen Strategien der Identitätsbehauptung und den entsprechenden Einflussmedien reagiert werden kann. Die subjektiv negativ wahrgenommenen Diskrepanzen beruhen hierbei auf Abweichungen einer qualitativ orientierten evaluativen Komponente von den quantitativ orientierten normativen und kognitiven Komponenten (Identitätstyp II) sowie auf einer potenziellen Abweichung der quantitativen Komponenten von den ebenfalls quantitativ orientierten evaluativen und normativen Komponenten (Identitätstyp IV). Identitäten können gemäß den vorherigen Ausführungen (vgl. Kap. 7.2) also nicht nur vielfältig ausgeprägt sein, sondern aufgrund des notwendigen Abgleichens der drei Komponenten (Sein-Wollen, Sein-Sollen, So-Sein) auch bedroht werden. Denn die von Krappmann (2000) angesprochene Identitätsbalance beruht schließlich auf einem sorgfältigen Abgleich der unterschiedlichen gesellschaftlichen, bezugsgruppenspezifischen und subjektiven Anforderungen als Bestandteil der identitätsbehauptenden Arbeit von Akteuren, und wenn dieser Abgleich nicht zur subjektiven bzw. kollektiven ›Zufriedenheit‹ führt oder wenn bspw. die geforderte Flexibilität der normativen Erwartungen hinsichtlich individueller Ausgestaltungs- und Interpretationsmöglichkeiten (vgl. Krappmann 2000: 132) nicht gegeben ist, dann kann die Behauptungsarbeit gefährdet und letztlich auch bedroht werden. Die Identität eines Akteurs kann also bspw. dann bedroht werden, wenn Diskrepanzen zwischen der Soll-Erwartung einer Rolle (normative Komponente) auf der einen und dem Aspekt des individuellen Wollens (evaluative Komponente) auf der anderen Seite
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entstehen, die sowohl aus der Perspektive des Akteurs als auch aus der Perspektive der Bezugsgruppen negativ oder positiv bewertet werden können (vgl. Schimank 2000: 121-143, 2010b: 142-165). »Daß Identität und Rolle divergieren können« (Schimank 2000: 132) – also Diskrepanzen zwischen der normativen und evaluativen Komponente auftreten können –, ist hierbei keine neue Erkenntnis innerhalb der Soziologie. Diese Diskrepanzen können paradigmatisch an Intra-Rollenkonflikten oder Stigmatisierungen ersichtlich werden. Also im Bereich von Erwartungskonflikten infolge unterschiedlicher und vor allem widersprüchlicher Erwartungen der in Frage kommenden Bezugsgruppen (als Normsender) an die Gestaltung einer Rolle, die von einem Akteur (Normadressat) eingenommen wird (Intra-Rollenkonflikt), die sich, aufgrund der spezifischen Verteilung der Sanktionsmacht und des Erwartungsdrucks der Normadressaten, in nicht-intendierten Verhaltensabsichten (abweichendem Verhalten) des adressierten Akteurs manifestieren können (vgl. hierzu Dahrendorf 1974: 76f.; Dreitzel 1980: 136; Popitz 1972: 5, 23f.; Schimank 2000: 57f.). Z.B. ein Professor, der die Erwartungen seiner Studierenden vernachlässigt oder ignoriert, weil diese weniger Sanktionspotenzial besitzen als die Hochschulleitung. Oder im Bereich der nicht-intendierten Abweichung einzelner Personen von gesellschaftlich und sozial fixierten normativen Erwartungen aufgrund körperlicher und/oder phylogenetischer (ethnische Herkunft, Religion etc.) Merkmale sowie aufgrund individueller Charakterzüge, die in der (stereotypen) Außenwahrnehmung unterschiedlicher Gesellschaftsmitglieder oder -gruppen von den normativen Erwartungen in konstatierter oder interpretierter Art und Weise negativ abweichen und den betreffenden Akteur in Interaktionsprozessen so weit diskreditieren, dass er als Abweichender von diesen Erwartungen letztlich stigmatisiert – (dauerhaft) negativ wahrgenommen und bezeichnet – wird (vgl. Goffman 1975: 9-14). Derartige Diskrepanzen zwischen Identität und Rolle sowie die subjektive Reaktionsmöglichkeit auf diese Diskrepanzen, wie sie im Bereich der Ich-Identität und dem notwendigen Balanceakt zwischen Ich-Identität, sozialer und persönlicher Identität zu sehen ist (vgl. Goffman 1975: 132-155; Krappmann 2000: 84-131), verweisen aber letztlich darauf, »daß Identitätsbehauptung einen Handlungsantrieb darstellt, der nicht schon beiläufig durch Normkonformität, rationale Nutzenverfolgung oder das Ausleben von Emotionen mitbedient wird, sondern dem Handeln eine eigenständige Signatur aufprägen muss. Mehr noch: […] ein Handeln, das im Sinne […] [eines den rein normativen Erwartungen folgenden Akteurs; A.B.] […] ausfällt, [kann] gerade identitätsbedrohend sein und einen entsprechend gesteigerten Selbstdarstellungsbedarf des Akteurs hervorrufen.« (Schimank 2000: 132)
Identität, oder genauer gesagt Identitätsbehauptung als Handlungsantrieb resultiert dabei aus der Bewertung der wahrgenommenen und/oder existenten Diskrepanzen zwischen den unterschiedlichen Komponenten bzw. Modi der Identitätsbildung und
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-gestaltung, die sowohl positiv als auch negativ bewertet werden können (vgl. Schimank 2000: 125). Identitätsbehauptung, als prozessual-dynamische Arbeit bezogen auf die zu erreichende Identitätsbalance aus dem Abgleich der evaluativen, normativen und kognitiven Bestandteile subjektiver Identität(en), reagiert also in gewisser Weise auf die potenziellen Ambivalenzen hinsichtlich der Ich-Identität und der als »Identitäts-Standards« (Goffman 1975: 133) aufzufassenden normativen Erwartungen (vgl. Goffman 1975: 133; Krappmann 2000: 132, 151). Kann die positive Bewertung einer derartigen Diskrepanz eine Anpassung einer der beiden Anspruchsdimensionen ermöglichen bzw. nach sich ziehen, sodass über den Prozess der Anpassung alle drei Modi der identitätsbildenden Selbstbeschreibung in Einklang gebracht werden können und die Ambivalenzen, denen man grundsätzlich nicht entfliehen kann, aufgehoben werden können, führt die negative Bewertung hingegen zu einer Selbsteinschätzung im Sinne eines fehlerhaften Verhaltens oder Versagens (vgl. Goffman 1975: 138; Krappmann 2000: 152; Schimank 2000: 125). Dies ist »dann der Fall […], wenn die Person sich eigentlich in der Lage sieht, den entsprechenden Selbstansprüchen zu genügen, ihr dies aber dennoch aufgrund innerer oder äußerer Faktoren nicht gelingt« (Schimank 2010b: 146). Somit unterliegt die negative Bewertung der Diskrepanz zwischen Selbstansprüchen und Selbsteinschätzung einem individuellen Zuschreibungsprozess bzgl. der Verantwortlichkeit interner oder externer Faktoren. Im Rahmen der struktur- und bezugsgruppenverankerten Konkurrenzbedingungen der Soll-Komponente des homo academicus oeconomicus und des Belohnungsmodells des Akademischen Kapitalismus ist davon auszugehen, dass seitens der akademisch-wissenschaftlichen Akteure intra-individuelle Diskrepanzen »massive und dauerhafte, also nicht bloß vorübergehende Infragestellungen der evaluativen und normativen Selbstansprüche […] [entstehen lassen, so dass die] […] Realisierung dieser Ansprüche […] problematisch oder gar definitiv unmöglich [wird]« (Schimank 2010b: 152). Hieraus resultiert dann eine aktuelle oder antizipierte Bedrohung der Identität, die in Form eines identitätsbehauptenden Handelns minimiert werden muss. Der Zuschreibungsprozess bzgl. der Verantwortlichkeit externer oder interner Faktoren verweist in diesem Kontext auf eine spezifisch substanzielle Identitätsbedrohung, deren Auslösemomente sowohl auf Defiziten der eigenen Identitätskonstruktion und Diskrepanzen im Handlungsantrieb basieren können als auch auf Rollenzwängen (vgl. Schimank 2010b: 152, 156). Sind Erstere Bestandteil (Akteur-)interner Störfaktoren, wie bspw. Stigmatisierungen körperlicher Art, psychopathologische Erkrankungen oder im einfacheren Fall subjektive Fehleinschätzungen des eigenen Könnens, entsprechen Letztere, aufgrund ihrer spezifischen Beschaffenheit des Verbots einer individuellen und eigenständigen Handlungsausrichtung, externen Faktoren einer Identitätsbedrohung (vgl. Goffman 1975; Krappmann 2000: 174-198; Schimank 2010b: 138, 152-156). Während auf internen Faktoren basierende, spezifisch substanzielle Identitätsbedrohungen begrenzte Probleme widerspiegeln, die – unter der Prämisse, dass aus der
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spezifisch substanziellen Identitätsbedrohung ein Handlungsantrieb resultiert – von den einzelnen Akteuren bspw. durch »Umdefinition« oder Umgebungswechsel gelöst werden können, verweist der Bereich externer Faktoren auf eine höhere Problematik. Im Bereich interner Faktoren kann sich bspw. ein wissenschaftlicher Akteur, »der unter seinen Kollegen kein hohes wissenschaftliches Ansehen genießt, durch besondere Anstrengungen in der Lehre darum bemühen, von Seiten seiner Studenten eine entsprechende Anerkennung zu erhalten« (Schimank 2010b: 158) und vice versa aus Studierendenperspektive – wobei diese Art der Umdefinition dem Erhalt des Selbstbildes zugutekommt. Und auch ein potenzieller Wechsel der sozialen Umgebung (z.B. das Wechseln der Institution) wäre immer noch von dem ursprünglichen Handlungsantrieb, ein guter Wissenschaftler zu sein bzw. zu werden, gekennzeichnet. Diesbezüglich besteht also bei einer negativen, auf internen Faktoren beruhenden Bewertung der Diskrepanz zwischen Selbstanspruch und Selbsteinschätzung insgesamt die Möglichkeit, den ursprünglichen Handlungsantrieb weiter zu verfolgen. Die Auswahl einer Handlungsalternative im Sinne der Begehung eines campus shootings scheint somit äußerst unwahrscheinlich. Im Gegensatz hierzu lässt sich die höhere Problematik externer Faktoren darauf zurückführen, dass sich diese, aufgrund der reziproken Verwobenheit des individuellen Handelns mit der Struktur, einer direkten Einflussnahme seitens der Akteure entziehen (vgl. Schimank 2000: 132-139). Im Kontext von Amoktaten an Universitäten kommt den externen Faktoren somit eine besondere Bedeutung zu: Denn als global existentes Produkt der neuen Anreiz- und Belohnungsstruktur des »Academic Capitalism« (Slaughter/Leslie 1999) und des homo academicus oeconomicus ist die spezifisch substanzielle Identitätsbedrohung als individuell empfundener Rollenzwang flächendeckend vorhanden. Ein Umgebungswechsel scheidet hier somit als mögliche Strategie der Identitätsbehauptung, wie im Falle interner Bedrohungsfaktoren, aus. Da die identitätsbehauptende Handlung somit in die gesamte Bezugsgruppe als Akteurkonstellation eingebunden ist, müssen andere Strategien der Identitätsbehauptung herangezogen werden. Diese Strategien sind dabei aber, aufgrund der Tatsache existierender Intentionsinterferenzen der jeweiligen Mitglieder innerhalb einer Akteurkonstellation, an die konstellationsrelevanten Faktoren der Beobachtung und Beeinflussung gebunden. Denn nur durch eine Beobachtung der jeweils vorherrschenden Intentionen und Interessen und den Versuch einer auf Abarbeitung derselben abzielenden Beeinflussung zum eigenen Vorteil kann eine Lösungsstrategie bzgl. der die Identität behauptenden, individuellen Anpassung an die Erwartungen der Bezugsgruppe entwickelt werden (vgl. Schimank 2000: 142f., 247-257). Der Prozess der Identitätsbehauptung unterliegt vor allem im Hinblick auf die Beendigung der Identitätsbedrohung einer (hohen oder niedrigen) zeitlichen Flexibilität, je nachdem, wie schwerwiegend der Grad der Identitätsbedrohung ist und wie effektiv darauf mit den unterschiedlichen Identitätsbehauptungsstrategien der Rolleninsze-
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nierung, Rollendistanz, Rollendevianz und dem Ausstieg aus der Rolle reagiert werden kann. Erweisen sich bspw. individuelle Versuche eines wechselseitig angepassten handelnden Zusammenwirkens als dauerhaft nicht erfolgreich, nimmt der Grad der Identitätsbedrohung so lange zu, bis nur noch ein Rollenausstieg als geeignete Strategie der Identitätsbehauptung in Frage kommt (vgl. hierzu Schimank 2000: 141ff.). Aufgrund der grundsätzlichen Einbettung und Einbindung in Akteurkonstellationen und der hiermit verbundenen Aspekte der Beobachtung und Beeinflussung lassen sich den jeweiligen Strategien der Identitätsbehauptung aber auch die spezifischen Medien der Einflussnahme – Geld, Moral und Macht – in diesen Interaktionssituationen zuordnen. Die Verbindung der jeweiligen Strategien zur Identitätsbehauptung sowie die ihnen zugeordneten Medien der Einflussnahme in Interaktionssituationen orientiert sich hierbei – bezogen auf die jeweils einzelnen Teile der Behauptungsstrategien und der Einflussmedien – an der konzeptionellen Betrachtung Schimanks (2000: 141ff., 247-257). Allerdings werden hier konträr zur schimankschen Vorgehensweise die potenziellen Einflussmedien aus dem Bereich der Einflusskonstellationen und die Techniken der Identitätsbehauptung aus dem eigentlichen Bereich der Beobachtungskonstellationen nicht getrennt betrachtet, sondern direkt miteinander kombiniert. Schließlich geht es bei Akteurkonstellationen um die Abarbeitung von Intentionsinterferenzen, die in empirischer Hinsicht – und damit im Kontext ihrer Bedeutung für die Begehung eines campus shooting – eine strikte Trennung von Beobachtung und Beeinflussung nicht logisch erscheinen lassen. Weiterhin ist auch darauf hinzuweisen, dass das »Trichtermodell der Identitätsbehauptung« (vgl. Abb. 15, S. 318), welches die Verbindung der Identitätsbehauptungsstrategien mit den Einflussmedien darstellt, die mit zunehmender Identitätsbedrohung Erfolg versprechen, keineswegs als striktes one-way-Modell anzusehen ist. Denn zum einen sind die unterschiedlichen Strategien hierbei nicht als klar voneinander getrennt zu betrachten, sondern als graduell ineinander übergehende Möglichkeiten, die in Abhängigkeit von der Bedrohung mehr oder weniger eingesetzt werden können.14 Zum anderen besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass sich ein Akteur bei erfolgreicher Identitätsbehauptung – und damit bei Aufhebung der Identitätsbedrohung – wieder am Anfang des Trichters befindet oder dass er auch stets auf die anderen vorhandenen Strategien zurückgreifen kann, um die Identitätsbedrohung situativ angepasst aufzuheben.
14 Die Gradualität der unterschiedlichen Strategien führt auch Schimank (2000: 142f.) selbst an, wenn er bspw. davon spricht, dass »[w]enn weder die Rolleninszenierung noch die Rollendistanz […] genügend Möglichkeiten zur Identitätsbehauptung biete[n], […] [ein] Schritt weiter zur Rollendevianz« gegangen werden muss oder dass »[d]er Ausstieg aus der Rolle […] stets als letzte Möglichkeit vorhanden [ist], mit Identitätsbedrohungen fertig zu werden [Herv. i.O.]«.
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Abbildung 15: Trichtermodell der Identitätsbehauptung
Die bereits angesprochene Verbindung zwischen den einzelnen Strategien der Identitätsbehauptung und den zur Verfügung stehenden Medien der Einflussnahme lassen sich dabei wie folgt beschreiben: Bei der Rolleninszenierung geht es um die »Selbstdarstellung einer Person in der Rolle« (Schimank 2000: 141), wobei nicht nur die normativen, gesellschaftlich anerkannten Werte und Erwartungen an die Rolle befolgt werden, sondern innerhalb einer idealisierten Darstellung – über die Nutzung bestimmter Freiräume, wie z.B. das individuelle Übertreffen der Anforderungen in Form übermäßigen (zeitlichen) Engagements – auch überbetont werden (vgl. Goffman 2011: 35; Schimank 2000: 141). Die hiermit verbundene Bestätigung der normativen Erwartungen in Interaktionsprozessen kann dabei auch als ritualisierte Erneuerung der an die Rolle gekoppelten Verhaltensanforderungen angesehen werden, die dem sozialen und beruflichen Aufstieg des Akteurs darüber hinaus dienlich sind. Denn: »wenn der Darsteller erfolgreich sein will, muß er so spielen, daß die extremsten Klischeevorstellungen des Publikums [in diesem Kontext die Bezugsgruppen; A.B.] […] angesprochen werden« (Goffman 2011: 40) – auch wenn mit der überbetonten idealisierten Darstellung persönliche Opfer verbunden sind (vgl. hierzu Goffman 2011: 36, 40). So kann ein übermäßiges zeitliches Engagement für das Übertreffen der bezugsgruppenspezifischen Anforderungen (z.B. das Verfassen und Publizieren einer Vielzahl von Aufsätzen) die Erfüllung anderer Rollenerwartungen durchaus konterkarieren: nämlich dann, wenn durch das Verfassen und Publizieren von Aufsätzen das Zeitkontingent zur Erfüllung familiärer oder partnerschaftlicher Erwartungen reduziert wird. Das Opfer, das mit dem potenziellen beruflichen und sozialen Aufstieg (z.B. das Erreichen einer Professur) verbunden ist, muss dann also im Privaten erbracht werden. Denn: »Wenn jemand mehreren Idealen gerecht werden muß und für ihn gleichzeitig eine geglückte Selbstdarstellung wichtig ist, wird er einige die-
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ser Ideale nur durch den Verzicht auf andere vor der Öffentlichkeit aufrechterhalten können.« (Goffman 2011: 42f.) Neben der Möglichkeit einer reinen Befolgung und Verkörperung der normativen Erwartungen und einer hiermit verbundenen »friedlichen Koexistenz von Rolle und Identität« (Schimank 2000: 141) kann die Rolle aber auch aufs engste mit der eigenen Identität verbunden sein, was ebenfalls zu einer besonderen Überbetonung und einem Übertreffen der Rollenerwartungen führen und sich in einem hohen Engagement ausdrücken kann (vgl. Schimank 2000: 141f.). Im Kontext der idealisierten Inszenierung der Rolle kann dies z.B. darin gesehen werden, dass »Darsteller häufig den Eindruck erwecken wollen, sie hätten ideelle Motive dafür gehabt, ihre Rolle zu übernehmen, und seien nicht gezwungen worden« (Goffman 2011: 44), die normativen Erwartungen zu erfüllen. Im hier vorliegenden Bezugsrahmen könnte dies darin gesehen werden, dass eine (teilweise nur postulierte) intrinsische Motivation zur Erfüllung der ökonomisierten Anforderungen an den homo academicus oeconomicus vorliegt und Rollenzwänge durch die Restrukturierungen nicht gegeben sowie Anpassungsschwierigkeiten bzw. (umfangreiche) Balanceprozesse zwischen personaler und sozialer Identität nicht existent waren. Denn im Rahmen einer derartigen Rolleninszenierung wird der Akteur »häufig […] den Eindruck zu erwecken versuchen, als habe er seine gegenwärtige Sicherheit [hier der unproblematische Umgang mit den ökonomisierten Anforderungen an Wissenschaft; A.B.] und seine Fähigkeiten schon immer besessen und nie eine mühsame Lehrzeit durchmachen müssen« (Goffman 2011: 45). Und insofern ist Rolleninszenierung auch mit der von Goffman (2011: 48-54) angesprochenen Ausdruckskontrolle (impression management) verbunden, da Inszenierung der Rolle als identitätsbehauptende Strategie an die »notwendige Stimmigkeit des Ausdrucks« (Goffman 2011: 52) und damit an die Kontrolle durch interne und externe Faktoren gebunden ist: intern an die Kontrolle der eigenen Erwartungen und den Balanceakt zur Ausgestaltung der Ich-Identität, z.B. als ausgezeichneter und/oder guter Wissenschaftler, und extern an die Kontrolle und (Aus-)Nutzung der bestimmten Freiräume innerhalb der normativen Erwartungen und bestimmter zur Verfügung stehender Ressourcen. Neben Zeit als angesprochener Ressource kann dabei auch Geld Relevanz besitzen, nämlich dann, wenn einerseits bspw. durch eine Vielzahl hochrangiger Publikationen oder Drittmittelprojekte und die hiermit verbundene höhere Mittelausstattung der Eindruck eines erfolgreichen (quantitativ guten) Wissenschaftlers aufrechterhalten werden kann (vgl. Schimank 2000: 249). Geld ist somit ein wichtiges Einflussmedium im Bereich der interaktionalen Prozesse der eigenen Identitätsbehauptung und zugleich auch bei der Abarbeitung von Intentionsinterferenzen in Akteurkonstellationen. Denn Geld kann andererseits auch als externes, in den normativen Erwartungen an den homo academicus oeconomicus über das Belohnungsmodell des Akademischem Kapitalismus implementiertes Medium zur Anreizsteigerung einer Rolleninszenierung, im Sinne der expliziten Befolgung und Verkörperung der normativen Erwartungen, verwendet werden. Vor al-
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lem, wenn die hiermit verbundenen Anreize der subjektiven Verbesserung von Karrierechancen (zumindest bis zur Erlangung einer Professur und Verbeamtung) dienen (vgl. hierzu Schimank 2000: 249ff.). Rollendistanz bezieht sich auf eine »relativierende Kommentierung der eigenen Rollendarstellung« (Schimank 2000: 142). Rollendistanzierung kann dabei in zwei Formen auftreten: Zum einen kann sich die Distanzierung auf die mit der Rolle verbundene Position innerhalb von Gruppen beziehen, wobei die zur Rollendistanz führende Reflexion über die normativen Anforderungen an die Rolle und die spezifische Situation, innerhalb derer die Rolle eingenommen und gespielt wird, zu abweichendem Verhalten führen kann, um sich »vom Zwang der Positionspflichten [Herv. weggelassen]« (Dreitzel 1980: 133) zu distanzieren. Zum anderen bezieht sich der Aspekt der Rollendistanz aber auch auf eine Distanzierung von den Rollenerwartungen im Hinblick auf die eigene Identifikation mit der Rolle und in diesem Sinne auch auf eine Distanzierung der subjektiven Vorstellungen von den normativen Erwartungen einer Rolle (vgl. hierzu Dreitzel 1980: 132ff.; Goffman 1973: 121-125; Joas 1978: 57ff.). Diese zweite Variante der Rollendistanz ist im hier betrachteten universitären Kontext von größerer Bedeutung, da z.B. die »Positionspflichten« des Publizierens, der Forschung und der Lehre, als bereits historischtraditionell verankerte Anforderungen an akademische Akteure und zentrale Elemente der Suche nach und der Generierung von (neuem) Wissen und Erkenntnis, sicher nicht angezweifelt werden. Hingegen kann zu der geforderten Art der Umsetzung, im Sinne eines rein quantitativ messbaren und ökonomisch vermarktbaren Vorgehens bei der Suche nach und Erzeugung von Wissen und Erkenntnis, durchaus auf Distanz gegangen werden. So kann man bspw. über ironische Kommentare auf die subjektiv wahrgenommene ›verzerrte‹ Anforderung der Rolle verweisen – z.B. Kollegen für einen besonders guten Aufsatz loben, dessen Inhalt aber schon mehrfach publiziert wurde – und durch eine »Überbetonung der Rollenhaftigkeit des Verhaltens« (Dreitzel 1980: 138) auf die subjektiv empfundenen Absurditäten der normativ fixierten Erwartungen verweisen, die aus der subjektiven Perspektive nicht geteilt werden (vgl. Dreitzel 1980: 134, 137f.; Goffman 1973: 118-125; Schimank 2000: 142). Identitätsbehauptend ist diese Strategie insofern, als über das Moment der Reflexion normativer Erwartungen (das I bzw. soziale Identität), deren subjektive Interpretation (das me bzw. personale Identität) und die anschließende Sichtbarmachung der eigenen ausbalancierten Gestaltung zwischen Erwartung und Interpretation (Ich-Identität) nicht nur die Voraussetzung von Identitätsbildung an sich erfüllt wird, sondern darüber hinaus auch nur über diese Distanzierung als »Korrelat der Bemühungen um Ich-Identität« (Krappmann 2000: 138) der Balanceakt zwischen sozialer und personaler Identität – im Hinblick auf die subjektiv zu bewältigenden multiplen Rollenanforderungen – tatsächlich fortwährend behauptet werden kann (vgl. Krappmann 2000: 133-142). Dabei ist der Grad der individuellen Rollendistanz – und damit der Grad der tatsächlich erfolgreichen Behauptung von
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Identität – auch abhängig von der Sanktionsmächtigkeit der jeweiligen Bezugsgruppen: Je stärker die Sanktionsmächtigkeit und Verhaltenskontrolle einer Bezugsgruppe ist, desto geringer ist die Möglichkeit, Rollendistanz nach außen zu zeigen und zu signalisieren, was die Behauptung einer von außen wahrnehmbaren IchIdentität zumindest erschweren, wenn nicht sogar gänzlich verhindern kann (vgl. Dreitzel 1980: 137-141) – z.B. im Falle von totalen Institutionen wie Gefängnissen oder Psychiatrien (vgl. Goffman 1981). Eingebettet in interaktionale Kontexte zwischen Bezugsgruppen und Akteur kann das Medium zur Einflussnahme im Bereich dieser Strategie – über die ironisch, humorvoll oder auch non-verbal (z.B. gegenüber einem Interaktionspartner, ohne dass dies ein weiterer sieht) geäußerte und kommunizierte Absurdität der subjektiv wahrgenommenen normativen Erwartungen – in über Sprache kommunizierten Appellen an die Moral der Beteiligten gesehen werden (vgl. Dreitzel 1980: 137f.; Joas 1978: 77; Schimank 2000: 249). Das Medium der Moral dient hierbei insofern als Mittel sozialer Einflussnahme, als mit der Kommunikation der subjektiv wahrgenommenen Absurdität der normativen Erwartungen (zumindest) versucht werden kann, auf die Umgestaltung und Reformulierung der Bezugsgruppenerwartungen, im Sinne ›besserer‹/›richtigerer‹ Anforderungen, hinzuwirken – eben Einfluss zu nehmen (vgl. Schimank 2000: 249). Die dritte Strategie der Identitätsbehauptung bezieht sich auf den Aspekt der Rollendevianz, bei der es sich um abweichendes Verhalten bzgl. der Rollenkonformität im Sinne einer »Selbstdarstellung gegen die Rolle [Herv. i.O.]« (Schimank 2000: 142) handelt (vgl. Schimank 2000: 142). Rollendevianz kann dabei grundsätzlich alle Mitglieder einer bestimmten Gruppe umfassen, »die einige Werte miteinander teilen und an einer Reihe sozialer Normen hinsichtlich Verhaltens und hinsichtlich persönlicher Attribute festhalten« (Goffman 1975: 172), wobei letztlich das Individuum, welches sich nicht an den geteilten Wertekanon hält, als Deviantes angesehen werden kann (vgl. Goffman 1975: 172). Wichtig ist in diesem Kontext, dass es sich bei Rollendevianz als von den normativen Bezugsgruppenerwartungen abweichendem Verhalten und als Selbstdarstellung gegen die Rolle nicht zwangsweise um ein sozial abweichendes Verhalten, im Sinne einer vollständigen Abweichung von einer oder mehreren Rollen oder »irgendeiner Art kollektiver Ablehnung der sozialen Ordnung« (Goffman 1975: 176), handelt. Diese Möglichkeit ist als extreme Variante dieser identitätsbehauptenden Strategie zwar sicherlich auch gegeben15, stellt aber nicht den ›Regelfall‹ der Rollendevianz dar. Denn Rollendevianz 15 Zumindest dann, wenn Individuen ihre Identität in gewisser Weise als diejenige sozialer Abweichler – im Sinne von Außenseitern – gänzlich umdefinieren und soziale Bestätigung nur noch »innerhalb der ökologischen Grenzen ihrer Gemeinschaft« (Goffman 1975: 177) der kollektiv von der sozialen Ordnung Abweichenden erhalten, wie dies bspw. Becker (1973) paradigmatisch an der subjektiv akzeptierten devianten Rolle des Marihuana Konsumenten aufgezeigt hat.
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bezieht sich in erster Linie auf ein Verhalten, das als »normal deviant [Herv. i.O.]« (Goffman 1975: 162), also zwischen Rollenkonformität und partiellen Abweichungen in bestimmten Teilbereichen der normativen Erwartungen einer oder auch mehrerer Rollen liegend, angesehen werden kann und sich somit weder vollständig gegen die soziale Ordnung einer Gesellschaft richtet noch eine Devianz von allen Rollen, die eine Person innehat, bezeichnet (vgl. Goffman 1975: 156-160, 172-180; Schimank 2000: 143). Denn die Devianz von normativen Erwartungen bezieht sich hierbei vor allem auf eine Abweichung von Identitätsnormen: also auf eine Abweichung von denjenigen Erwartungen, die an die Komponente der sozialen Identität als Fremdbild der mit dem Selbstbild der personalen Identität auszubalancierenden Ich-Identität gebunden sind und damit nicht auf reine »statische Statusattribute […], sondern [auf; A.B.] die Nichtaufrechterhaltung der vielen kleineren Normen, die in der Etikette unmittelbarer Kommunikation wichtig sind« (Goffman 1975: 159). Im universitären Kontext kann Rollendevianz somit nicht (zwangsweise) als Abweichung von den normativen Erwartungen des Forschens und Lehrens und damit von der normativen Was-Komponente gesehen werden, sondern als Abweichung von den Anforderungen der Wie-Komponente. Es handelt sich also um Abweichungen hinsichtlich der Umsetzung der Erwartungen, die bspw. eben nicht im Sinne der ökonomisierten Vorgehensweisen in puncto massenhafter (quantitativer) Publikationen und/oder Drittmittelprojekte erfüllt werden, sondern möglicherweise eher durch weniger (qualitative) Leistungen. Rollendevianz bezieht sich also auf den Sachverhalt, dass »[d]er Akteur aus der Rolle [fällt] – ohne daß er sich jedoch einem weiteren Verbleib in der entsprechenden Position zwangsläufig verweigern muß« (Schimank 2000: 142). Identitätsbehauptend kann diese Strategie allerdings nur dann sein, wenn sie innerhalb wenig sanktionsfähiger Bezugsgruppen ausgeübt wird, oder wenn sich der Akteur aufgrund besonderer Fähigkeiten, Wissens oder Fertigkeiten unentbehrlich macht (vgl. Schimank 2000: 142f.). Wenn also bspw. das subjektiv weiter verfolgte qualitative Vorgehen im Bereich der Forschung aufgrund eines bereits erreichten hohen Reputationsniveaus eines Akteurs dessen Position im universitären Kontext so festigt bzw. gefestigt hat, dass aufgrund des Renommees, das durch den Akteur auch der Universität zu Gunsten kommt, starke finanzielle Sanktionen seitens der Hochschule unterlassen werden. Vor allem dieser Aspekt verweist dabei auf Macht als Einflussmedium von Akteuren innerhalb der Akteurkonstellationen und bzgl. der Abarbeitung von Intentionsinterferenzen. Zumindest auf Macht im Sinne einer informellen, nicht formal in einer Hierarchiestruktur eingebetteten und/oder rechtlich fixierten Macht: Denn wer unentbehrlich für eine Organisation oder ein Unternehmen im Allgemeinen und für eine Universität im Speziellen ist, kann durch die Nutzung dieser Macht gegenüber den anderen beteiligten Akteuren seine Identität weiterhin behaupten – trotz abweichenden Verhaltens bzgl. der normativ erwarteten Konformität (vgl. hierzu Schimank 2000: 247ff.).
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Als vierte und damit letzte Möglichkeit einer identitätsbehauptenden Strategie kann der Ausstieg aus der Rolle angesehen werden, denn »[m]anchmal hilft es dem Akteur […] erst, wenn er die identitätsbedrohende Rolle ganz hinter sich lässt, also demonstrativ ›aussteigt‹, wie es z.B. immer wieder Wissenschaftler getan haben, die ihre Forschungsarbeiten nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten« (Schimank 2000: 143). Der vollständige Ausstieg aus der Rolle und damit das Verlassen der subjektiv als Rollenzwänge wahrgenommen normativen Erwartungen ist somit aus rein logischen Gründen eine identitätsbehauptende Strategie, da mit Aufgabe der Rolle schließlich auch die die subjektive Ich-Identität bedrohenden Anforderungen der sozialen Identität sozusagen ad acta gelegt werden, was den Balanceakt der Identitätserhaltung erleichtert. Aber der Ausstieg aus der Rolle muss nicht immer tatsächlich vollzogen werden, sondern kann auch »[i]n dem Maße, in dem ein Akteur als Rolleninhaber unersetzbar ist« (Schimank 2000: 143), als Drohmittel eingesetzt werden, um Identitätsbedrohungen sozusagen präventiv zu begegnen (vgl. hierzu Schimank 2000: 143). Bezogen auf den universitären Kontext und unter Rekurs auf die angeführten Identitätstypen des homo academicus oeconomicus (vgl. Kap. 7.2) lässt sich der (schrittweise verlaufende) Prozess der Identitätsbedrohung und -behauptung – und damit die potenziellen Bedrohungskonstellationen, die ein campus shooting begünstigen können – nun in idealtypischer Weise wie folgt beschreiben und darstellen: Identitätstyp I (e1 + n2 + k1) Bei dem ersten hier anzuführenden Identitätstyp handelt es sich in idealtypischer Hinsicht um einen klassisch-traditional sozialisierten akademisch-wissenschaftlichen Akteur, dessen intrinsische Motivation auf den klassischen Werten des Strebens nach Wahrheit und der Generierung neuer Erkenntnis beruht (siehe Ellwein 1985; Luhmann 1992a; Prahl 1978; Stichweh 1979, 1994) und der mit den normativen Bezugsgruppenerwartungen aus dem trilateralen Geflecht der Wissensgesellschaft hinsichtlich eines effizienten, effektiven und wirtschaftlichen Handelns im Kontext der wissensbasierten Wirtschaft konfrontiert wird. Die letztlich erbrachten Leistungen des Akteurs werden dabei aber im Kontext einer auf Qualität ausgerichteten Reputation und anhand symbolischen Kapitals abgeglichen und bestätigt. Aufgrund einer an den Vorstellungen des homo academicus angelehnten Ausrichtung der evaluativen und kognitiven Komponente, welche beide an den klassischtraditionalen Elementen qualitativer Wissenschaft und Wissensproduktion orientiert sind, aber auf Ebene der normativen Erwartungen von den quantitativen, dem homo oeconomicus inhärenten Aspekten einer ökonomisch-rational orientierten Handlungsausrichtung flankiert werden, handelt es sich bei diesem Identitätstypus um eine Variante des homo academicus oeconomicus, die zu Beginn der Hochschulreformen anzutreffen war. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass das zentrale Element der auf Quantität beruhenden Belohnung und Bestätigung der wissen-
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schaftlichen Leistungen in Form des neuen Belohnungsmodells des Akademischen Kapitalismus – und hier im Sinne der personenbezogenen leistungsorientierten Mittelvergabe – in der Anfangsphase der Hochschulreformen noch nicht (vollständig) in den universitären Strukturen implementiert war und somit dessen negative finanzielle Sanktionsmächtigkeit bei erbrachten qualitativen Leistuntgen trotz quantitativer Anforderungen noch nicht die spätere Wirkmächtigkeit aufwies. In empirischer Hinsicht handelt es sich hierbei somit um die politisch intendierte (erste) Ebene der Ökonomisierung von Universitäten, die sich auf die Reform der formalen universitären Strukturen im Sinne der angestrebten institutionellen Differenzierung von Hochschulen zur Schaffung eines auf Vergleich beruhenden Wettbewerbs fokussiert. Zwar lässt sich auch hier, ganz im Sinne der normativen Erwartung an ein effizientes, effektives und wirtschaftliches Handeln, bereits die Einführung indikatorenbasierter Leistungsbemessungen und Mittelvergaben konstatieren, diese beziehen sich aber – entsprechend dem allgemeinen Prinzipal-AgentenModell (vgl. Abb. 13, S. 291) zwischen dem trilateralen Geflecht der Wissensgesellschaft als Prinzipal und der Hochschule als Agent – auf die Leistungen der Universitäten, die gemäß den externen Zielvorgaben zunächst über die subjektunabhängigen, allgemeinen inter-universitären Indikatoren zur wettbewerbsfähigen Profilbildung (z.B. Ausstattung, Personalkapazität, Studierendenzahlen, Lehr- und Forschungsevaluationen etc.) erhoben und im Sinne des Globalhaushalts für Universitäten finanziell belohnt werden (vgl. Dörre/Neis 2010: 122ff.; Müller-Böling 2004: 8). Eine spezifisch personenbezogene leistungsorientierte Mittelvergabe ist zu Beginn dieser intendierten Umstrukturierung, welche sich im europäischen bzw. bundesdeutschen Kontext ab 2002 abzeichnet, flächendeckend noch nicht existent. Zwar wurde 2002 mit dem Professorenbesoldungsreformgesetz auf Bundesebene auch die individuelle leistungsorientierte Mittelvergabe – ganz im Sinne der externen, auf die wirtschaftliche Vermarktung von Wissen abzielenden, normativen ökonomisch-rationalen Vorgaben – de jure eingeführt, da die eigentliche Umsetzung dieser Reform allerdings in die Kompetenzen der Länder fällt, kann eine flächendeckende und damit die vollständige Implementierung des hierauf beruhenden neuen (solitär quantitativ) ausgerichteten Belohnungssystems des Akademischen Kapitalismus de facto erst für das Jahr 2005 konstatiert werden (vgl. Biester 2013: 9; Bogumil et al. 2013: 73; Heinrichs 2010: 54ff.). Und vor diesem Hintergrund kann für den hier vorliegenden Identitätstypus die (noch) vorwiegend klassisch-traditionale Bestätigung des Wissenschaftshandelns (qualitative Reputation/symbolisches Kapital) in der Anfangsphase der Hochschulreformen begründet werden.16 Hinsichtlich 16 Ähnlich der hier dargestellten Situation im bundesdeutschen Kontext lässt sich diese Entwicklung auch in den USA konstatieren. Ausgehend von den ersten Reformbestrebungen zu Beginn der 1980er Jahre wurden ebenso zunächst Restrukturierungen forciert, die sich auf die strukturellen Anpassungen der Universitäten zur Wettbewerbsschaffung
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identitätsbedrohender Struktureffekte können in diesem Kontext zwar Diskrepanzen zwischen der evaluativen und normativen Komponente entstehen, da zu Beginn der Reformen allerdings weiterhin qualitative Wissensproduktion belohnt – oder zumindest (noch) nicht finanziell sanktioniert – wird, ist davon auszugehen, dass die hieraus – zumindest in theoretischer Hinsicht – potenziell entstehenden Identitätsproblematiken und -bedrohungen minimal und äußerst selten sind. Denn im Identität generierenden Abgleich und Balanceakt mit den normativen Rahmenbedingungen stößt der evaluative Selbstanspruch, ein qualitativ guter Wissenschaftler zu sein – und dies trotz der intendierten und bereits in Teilen implementierten ökonomischrationalen Verhaltensanforderungen –, letztlich auch auf eine qualitativ basierte Bestätigung der wissenschaftlichen Leistungen im Bereich der kognitiven Selbsteinschätzung. Die Existenz gravierender Identitätsbedrohung(en) ist insofern nicht als virulent einzustufen und auch der allgemeine Prozess der Identitätsbehauptung erfordert hier, hinsichtlich der als positiv einzustufenden Identitätsbalance, einen geringen Arbeitsaufwand. Bezogen auf den Kontext der Amoktaten an Universitäten weist dieser Identitätstypus auch in empirischer Hinsicht keine Relevanz auf, da die in Kapitel 6.2 aufgefundenen und angeführten Fälle von campus shootings (vgl. Tab. 3, S. 264) zeitlich erst mit der Existenz der vollständig ökonomisierten Universitäten – und zwar auf struktureller, organisationaler und vor allem individueller Ebene – zusammenfallen.17 und -steigerung bezogen (vgl. Ginsberg/Bennett 1989: 245-252; Business Higher Education Forum 1983; National Commission on Excellence in Education 1983; Study Group on the Conditions of Excellence in American Higher Education 1984). Mitte der 1980er Jahre wurden, auf Basis des von der National Governors’ Association (1986) herausgegebenen Berichts Time for Results. The governor’s 1991 report on education, diese ersten Wellen der Hochschulreformen dann von einer zweiten Reformwelle flankiert, die sich auf die personenbezogene Leistungsbemessung und -finanzierung konzentrierten (vgl. Ginsberg/Bennett 1989: 245-252; National Governors’ Association 1986; Slaughter/ Rhoades 2004: 25; siehe auch Slaughter/Leslie 1999). Eine Entwicklung, deren paradigmatischer Charakter vor allem im Bereich der anwendungsorientierten Forschung sichtbar wird, da hier Professoren und wissenschaftliches Personal nun als kapitalnehmende Unternehmer verstanden werden und auch aufgrund einer an Entwicklungen und Forschungsoutput gebundenen Finanzzulage unternehmerisches Handeln letztlich zum Handlungsantrieb avancierte (vgl. Gaffkin/Perry 2009: 119ff; Greenwood 2012: 121; Slaughter/Rhoades 2004: 157-180). Insofern kann somit auch im US-amerikanischen Hochschulkontext von einer Anfangsphase der Reformen ausgegangen werden, in welcher dieser Identitätstypus ebenfalls aufgefunden werden kann. 17 Der erste in Tab. 3 (s.S. 264) konstatierte Fall, der im US-amerikanischen Reformkontext anzusiedeln ist, ereignete sich 1991 und damit im Bereich der dort angeführten individu-
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Die tatsächlichen identitätsbedrohenden Effekte und Auswirkungen der Hochschulreformen betreffen insofern eher den folgenden zweiten Identitätstypus des homo academicus oeconomicus, da dieser im weiteren Verlauf der Reformen den vollständig implementierten und umgesetzten Effizienz-, Effektivitäts- und Wirtschaftlichkeitsgedanken hinsichtlich einer solitär quantitativ ausgerichteten, ökonomisch verwertbaren Wissensproduktion unterliegt. Und dies – im Unterschied zum hier dargestellten Identitätstypus I – sowohl auf Ebene der normativen als auch auf Ebene der kognitiven Identitätskomponente. Identitätstyp II (e1 + n2 + k2) Ähnlich dem ersten Identitätstypus handelt es sich auch hier um einen Akteur, der im klassisch-traditionalen System der Wahrheitssuche und des Erkenntnisinteresses wie -strebens sozialisiert wurde. Reputation in Form von qualitativer (fachlichsachlicher) Anerkennung der erbrachten Leistungen ist auch hier das handlungsantreibende Moment (siehe Ellwein 1985; Luhmann 1992a; Prahl 1978; Stichweh 1979, 1994). Im Zuge der Restrukturierungen des Universitätswesens ist dieser Akteur nun allerdings mit dem vollständig ökonomisch intrudierten und auf Effizienz und Effektivität ausgerichteten Handlungsanspruch konfrontiert, an dessen Ende die wirtschaftlich vermarktbare Generierung von Wissen steht, die nun vollständig einer rein finanziell – und damit quantitativ – ausgerichteten Belohnungsstruktur unterliegt (siehe Etzkowitz 2003; Etzkowitz/Leydesdorff 2000; Münch 2011a; Slaughter/Leslie 1999). Der u.a. hiermit verbundene Publikationsdruck von außen fordert eine schnellere und quantitativ höhere Produktion von Wissen (mehr Aufsätze, Forschungsanträge etc.), als dies im klassisch-traditionalen System üblich war (siehe Binswanger 2012; Mayntz 2000; Schimank 2010b; Weingart 2011). Hier kann also eine Diskrepanz zwischen der evaluativen (Reputation in Form von symbolischem Kapital/Qualitätsanspruch) und der normativen sowie kognitiven Komponente (in der Summe: Effizienzstreben und Reputation in Form von ökonomischem Kapital) auftreten, welche eine Identitätsbedrohung darstellt. Aufgrund der generellen Ausrichtung an einem finanziell orientierten Belohnungssystem kann sich der Akteur dem Produktionsdruck zumindest in Teilen beugen, wenn er für die geforderte Zielerreichung – in Abhängigkeit von seinem persönlichen qualitativen Anspruch und seiner Identifikation als (guter) Wissenschaftler – mehr Zeit in die nötige Arbeit investiert (Rolleninszenierung). Hierdurch kann er die notwendige finanzielle Reputation erzielen, welche als Einflussmedium dieser Strategie der Identitätsbehauptung dienlich ist. Kann dieser Zustand dauerhaft aufrechterhalten werden, ist die Identität behauptet. Greift diese Strategie allerdings nicht dauerhaft, nimmt also die Identiellen Leistungsbemessung auf Basis der zweiten Reformwellen, sodass hier bereits eine vollständige Ökonomisierung im Bereich der normativen (n2) und kognitiven (k2) Identitätsmodi vorliegt.
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tätsbedrohung über die Zeit zu, kann der Akteur versuchen, seine Identität über die Strategie der Rollendistanz zu behaupten. So kann er bspw. über ironische oder sarkastische Kommentare gegenüber der (für ihn relevanten) Leitungsebene (Prinzipal) an die Moral des klassisch-traditionalen Systems appellieren. Gelingt dies dauerhaft, ist die Identität ebenfalls behauptet. Gelingt dies nicht dauerhaft – von diesem Zustand ist im Kontext des ökonomisierten Hochschulsystems auszugehen –, dann ist eine erfolgreiche Identitätsbehauptung ebenfalls auszuschließen. Rollendevianz als dritte Strategie der der Identitätsbehauptung scheidet bei diesem Identitätstypus aus: Rollendevianz setzt die »ansonsten geleistete Rollenkonformität« (Schimank 2000: 143) voraus. Diese ist aufgrund der ausschlaggebenden Identitätsbedrohung auf Basis der Diskrepanz zwischen der evaluativen und der normativen wie kognitiven Komponente in diesem Fall nicht gegeben. Die letzte Strategie der Identitätsbehauptung wäre dann der Ausstieg aus der Rolle, denn: »Manchmal hilft es dem Akteur […] erst, wenn er die identitätsbedrohende Rolle ganz hinter sich lässt, also demonstrativ ›aussteigt‹, wie es z.B. immer wieder Wissenschaftler getan haben, die ihre Forschungsarbeiten nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten« (Schimank 2000: 143). Identitätstyp III (e2 + n2 + k1) Im Gegensatz zu den beiden vorherigen Identitätstypen I und II handelt es sich bei diesem Identitätstypus in idealtypischer Hinsicht um einen Akteur, der bereits im reformierten Universitätssystem sozialisiert wurde und im Rahmen der evaluativen Komponente über einen effizienzorientierten Selbstanspruch, im Sinne eines quantitativ (finanziell) guten Wissenschaftlers, verfügt.18 Da der Akteur bereits im reformierten Kontext sozialisiert wurde, ist die normative Verhaltensanforderung der Bezugsgruppen ebenfalls im Sinne der ökonomisch rationalen Handlungsorientierung vollständig in der inter- und intra-universitären Struktur verankert. Was in diesem Kontext hingegen zunächst etwas irritierend erscheinen mag, ist, dass die Bestätigung – und damit der Abgleich der ökonomisch basierten normativen und evaluativen Identitätskomponenten – im Rahmen der kognitiven Komponente des Belohnungssystems auf qualitativen Aspekten beruht. Diesbezüglich handelt es sich um den bereits angesprochenen Sonderfall des homo academicus oeconomicus (vgl. Tab. 5, S. 312). Zwar bezieht sich qualitative Belohnung auf die dem homo academicus inhärenten Aspekte von Reputation und symbolischem Kapital, diese unterliegen im Kontext der reformierten Universitätslandschaft allerdings einem pa18 Trotz der idealtypischen Annahme eines bereits im Reformsystem sozialisierten Akteurs schließt der hiermit verbundene effizienzorientierte Selbstanspruch allerdings nicht aus, dass auch klassisch-traditional sozialisierte Wissenschaftler in diese Kategorie fallen (können), da eine persönliche (Um-)Orientierung hinsichtlich eines effizienzorientierten Selbstanspruchs hier durchaus im Rahmen des Möglichen ist.
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radoxen Transformationsprozess, der sich innerhalb des Akademischen Kapitalismus auf eine rekursive Re-Transformation von Qualität und Quantität bezieht: Wie anhand der bisherigen Ausführungen (vgl. Kap. 3 und 5) dargestellt, wird Qualität innerhalb des Akademischen Kapitalismus lediglich im Sinne quantifizierbarer und quantifizierter Wissenschafts- und Forschungsleistungen gemessen. Diese sind aufgrund der neuen leistungsbemessenden Kennziffernhoheit unabhängig von den tatsächlichen qualitativen Inhalten und legen den Fokus explizit auf den vermarktbaren und (finanziell) gewinnbringenden Output, also auf messbare Quantität. Qualitativ basierte Reputation und symbolisches Kapital, in Form klassisch-traditionalen Wissenschaftshandelns und anerkannten -outputs, werden somit nicht länger belohnt, sondern finanziell sanktioniert. In diesem Kontext bezieht sich Reputation somit auf den Gesamtumfang quantitativ vermarktbarer Leistungen, die sich nun in der Transformation hin zu symbolischem Kapital äußert, sodass Reputation an einem überdurchschnittlichen (individuell generierten) Finanzvolumen gemessen wird statt an überdurchschnittlichen qualitativen Wissenschaftsleistungen (siehe Münch 2007, 2009a, 2010, 2011a, 2011b; Münch/Pechmann 2009). Und dieses Finanzvolumen trägt im Sinne des in dieser Form ebenfalls transformierten mertonschen (1968a) »Matthäus-Effektes« nun dazu bei, dass diejenigen wissenschaftlichen Akteure, welche ein solches überdurchschnittliches Finanzvolumen aufweisen können, mit weiteren (enormen) Mittelzuweisungen finanziell gefördert werden, woraus letztlich deren Reputation, im Sinne eines hohen Ansehens bzgl. der Anerkennung des Finanzoutputs, hervorgeht. »[T]he Matthew Effect consists of the accruing of greater increments of recognition for particular scientific contributions to scientists of considerable repute and the withholding of such recognition from scientists who have not yet made their mark« (Merton 1968a: 446) – und dies geschieht eben nun ganz im Sinne der angesprochenen rekursiven Re-Transformation von Qualität und Quantität. Zeichnet sich dieser Sonderfall des homo academicus oeconomicus also durch die Rückführung eigentlich qualitativer Belohnung (Reputation) in quantitative (finanzielle) Belohnung aus und sorgt ein einmal derart erreichter Status, pointiert formuliert, für ein sorgenfreies Leben im Akademischen Kapitalismus – aufgrund eines hiermit verbundenen zukünftig geringen Aufwandes der Kapitalakkumulation sowie einer damit einhergehenden zeitlich stabilen Bestätigung des evaluativen Selbstanspruchs in Übereinstimmung mit den normativen Erwartungen –, so ist in diesem Kontext nicht von einer Identitätsbedrohung auszugehen. Denn über den Matthäus-Effekt ist auch bei potenziellem Rückgang der individuellen Leistungen eine negative Sanktionierung durch das Belohnungssystem des Akademischen Kapitalismus, aufgrund einer hiermit verbundenen Konstruktion fester, unhinterfragter, stratifizierter Statushierarchien auf Basis der quantitativen ›Messerfolge‹ (vgl. Merton 1968a: 457f.; siehe Münch 2008), auszuschließen. Zugespitzt formuliert: Die auf die Konstellation e2 + n2 + k1 zurückzuführende Identität behauptet sich selbst. Und selbst wenn eine Identitätsbedrohung entstehen sollte,
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kann diese unter Rückgriff auf die Rolleninszenierung und das hiermit verbundene Einflussmedium Geld aufgrund des über die quantitative Reputation erlangten Status und der hiermit verbundenen enormen finanziellen Bedeutung für die Universität sehr schnell abgewehrt werden. Identitätstyp IV (e2 + n2 + k2) Ebenso wie beim vorangegangenen Identitätstyp III handelt es sich auch bei diesem Identitätstypus in idealtypischer Hinsicht um einen Akteur, der bereits im Reformsystem sozialisiert wurde und somit über einen effizienzorientierten Selbstanspruch bzgl. eines (guten) Wissenschaftlers verfügt (evaluative Komponente).19 Auf den ersten Blick scheint es bei der vorliegenden Kombination der drei Identitätskomponenten keine Diskrepanzen zu geben – alle drei entsprechen den reforminduzierten ökonomisierten Anforderungen und Erwartungen in struktureller (Belohnungssystem/kognitive Komponente), normativer (homo oeconomicus) und evaluativer Hinsicht. Bei diesem Identitätstypus kann es allerdings dann zu Identitätsbedrohungen kommen, wenn Diskrepanzen bzgl. des Belohnungssystems auftauchen. Sprich: wenn die erbrachten Leistungen negativ sanktioniert und somit nicht ökonomisch belohnt werden.20 Die Strategien, die in diesem Fall zur Identitätsbehauptung eingesetzt werden können, sind relativ identisch mit jenen des Identitätstyp II.21 Ähnlich dem Identitätstypus II kann auch dieser Akteur zunächst versuchen, mehr Zeit in die nötige Arbeit zu investieren (Rolleninszenierung), um die notwendige (und geforderte) finanzielle Reputation zu erzielen. Bei erreichtem und dauerhaftem Erfolg ist die Identität behauptet. Greift diese Strategie allerdings nicht über längere Zeit, nimmt die Bedrohung ebenfalls zu und es erfolgt ein Wechsel hin zur Strategie der Rollendistanz als identitätsbehauptender Maßnahme. Auch dieser Akteur kann über ironische oder sarkastische Kommentare gegenüber der (für ihn relevanten) Leitungsebene (Prinzipal) an die Moral appellieren. Am Beispiel des Publikationswesens könnte dies in einem Hinweis auf die dennoch guten Leistungen bestehen, die möglicherweise nur an den falschen Gutachtern gescheitert sind. Gelingt dies dauerhaft, ist die Identität ebenfalls behauptet. Gelingt dies nicht dauerhaft – auch hier ist davon auszugehen, dass moralische Appelle im und am ökonomisierten System schei19 Die bereits erwähnte (Um-)Orientierung klassisch-traditional sozialisierter Wissenschaftler ist allerdings auch in diesem Fall nicht auszuschließen und liegt hinsichtlich eines effizienzorientierten Selbstanspruchs ebenso im Rahmen des Möglichen. 20 Im Gegensatz zu der besonderen Situation beim Identitätstyp III (e2 + n2 + k1), ist eine Transformation der erbrachten Leistungen in symbolisches Kapital und damit in eine dauerhafte positive Belohnung in Unabhängigkeit von der tatsächlich erbrachten individuellen Leistung bei diesem Fall nicht gegeben. 21 Aufgrund der Ähnlichkeiten sind Redundanzen im Folgenden nicht vermeidbar.
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tern –, dann ist eine erfolgreiche Identitätsbehauptung ebenfalls auszuschließen. Im Gegensatz zum Identitätstypus II scheidet Rollendevianz als dritte Strategie der Identitätsbehauptung hier allerdings nicht per se aus: Die »ansonsten geleistete Rollenkonformität« (Schimank 2000: 143) als Voraussetzung für diese Strategie ist bei diesem Akteur gegeben. Allerdings ist eine Identitätsbehauptung aufgrund von Rollendevianz sicherlich ein Spezialfall, denn Macht als Einflussmedium – bezogen auf die individuelle Unersetzbarkeit aufgrund von besonderen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissens – ist im universitären Kontext nur wenigen Personen vorbehalten; z.B. ausgewiesenen Experten, die aber aufgrund der hiermit verbundenen Reputation kaum in die Lage einer Identitätsbedrohung auf Basis externer Faktoren geraten sollten. Unterstellt man also an dieser Stelle eine extreme Seltenheit hinsichtlich der möglichen Anwendung dieser Strategie, verbleibt ebenfalls der Ausstieg aus der Rolle als letztmögliche Alternative zur Behauptung der Identität. Anhand der bisherigen Darstellungen der einzelnen Identitätstypen des homo academicus oeconomicus und der aufgezeigten unterschiedlichen Identitätsbedrohungen, die durch die jeweiligen Diskrepanzen zwischen den unterschiedlichen Identitätskomponenten hervorgerufen werden, wird ersichtlich, dass im Wesentlichen nur die Identitätstypen II und IV einer Bedrohungskonstellation ausgesetzt sind. Diese bilden zugleich die Ausgangsbasis für den folgenden Erklärungsansatz, innerhalb dessen campus shootings als Form identitätsbehauptenden Handelns dargestellt werden.
7.4 AMOKTATEN AN U NIVERSITÄTEN ALS NICHT - INTENDIERTE N EBENFOLGE DER R ESTRUKTURIERUNGS - UND H YBRIDISIERUNGSEFFEKTE DER H OCHSCHULREFORM ( EN ) – C AMPUS S HOOTINGS ALS F ORM IDENTITÄTSBEHAUPTENDEN H ANDELNS Die durch die Reformprozesse hervorgerufenen Identitätsbedrohungen können aufgrund der Tatsache, dass die Identitätsbedrohungen und der Versuch der -behauptung seitens der Akteure diese Prozesse selbst in Frage stellen, als nicht-intendierte interne Nebenfolgen der Nebenfolgen der Hochschulreformen angesehen werden. Da campus shootings als eine extreme identitätsbehauptende Variante des Rollenausstiegs betrachtet werden können, innerhalb derer die potenziellen Täter versuchen, über den Einsatz einer zuvor subjektiv gerechtfertigten, alternativlos erscheinenden und als subjektiv positiv einzustufenden physischen Gewalt Einfluss auf die von den Prinzipalen und spezifischen Bezugsgruppen definierten normativen Erwartungen und die damit einhergehenden finanziellen Leistungssanktionierungen
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zu nehmen, handelt es sich auch bei campus shootings um eine nicht-intendierte Nebenfolge (der Nebenfolgen) der Hochschulreformen. Die Auffassung von campus shootings als identitätsbehauptendes Handeln kann unter Rekurs auf Popitz dadurch begründet werden, dass ein gewalthafter Angriff auf den Machtausübenden (die Prinzipale und spezifischen Bezugsgruppen) die einzige Chance für den Machterleidenden darstellt, aus dem – über die normativen ökonomisch-rationalen Erwartungen und das Belohnungsmodell des Akademischen Kapitalismus implementierten – dauerhaften vollkommenen Machtgefüge auszubrechen. Dabei ist die Begehung eines campus shooting für den Täter die letzte Möglichkeit, über sein Leben, welches hierbei im Sinne einer durch die Identitätsbedrohung hervorgerufenen und bedingten dauerhaften Verminderung der sozialen Teilhabe im akademischwissenschaftlichen Kontext aufgefasst wird, wieder selbst bestimmen zu können; sprich seine Identität durch das Begehen eines campus shooting zu behaupten. Die im »Trichtermodell der Identitätsbehauptung« (vgl. Abb. 15, S. 318) dargestellte prozessuale Entwicklung des Schweregrads von Identitätsbedrohungen – und damit einhergehender potenzieller Strategien zur Identitätsbehauptung mit hierfür zur Verfügung stehenden spezifischen Einflussmedien – verweist auf die bereits angesprochene »schrittweise Verengung von Handlungsalternativen im Verlauf einer biographischen Krise« (Hoffmann 2003: 409; vgl. Kap. 1), die zu der Begehung einer Amoktat im Allgemeinen und hier zur Begehung eines campus shooting im Speziellen führen kann. Dass Identität eine bzw. aus soziologischer Perspektive die zentrale Rolle bei der Erklärung von Amoktaten an Universitäten einnimmt, lässt sich auf den in Kapitel 1 angeführten Forschungsstand zum Themenkomplex der Amoktaten und die dargestellten soziologisch basierten Erklärungsansätze aus den Bereichen der ›klassischen‹ Amokläufe, der school shootings und der workplace violence zurückführen. Bei allen drei Subformen kann resümierend konstatiert werden, dass soziologische Erklärungen – neben der Berücksichtigung gesellschaftlicher und organisationaler Veränderungsprozesse im Sinne eines zunehmenden Leistungsdrucks (z.B. bei school shootings) und einer auf Effizienz und Effektivität basierenden Restrukturierung sowie Dezentralisierung formaler und hierarchischer Strukturen (z.B. bei workplace violence) – auf Anerkennung und den hiermit verbundenen Auf- und Ausbau von Identität rekurrieren (vgl. Baillien/De Witte 2009; Baron/Neuman 1996; Beale/Hole 2010; Brumme 2011; Faust 2010; Fox/Levin 1994; Fox/Spector/Miles 2001; Hoffmann 2010, 2011; Hutchinson 2012; Jacobs/ Scott 2011; Kormanik 2011; Lankford 2013; Lübbert 2002; Mullgn 1997; Neuman/ Baron 1998; Newman et al. 2004; Scalora et al. 2003; Salin 2003; Spry 1998; Tobbin 2001; Waldrich 2007; Weilbach 2004, 2009). Die beiden zentralen Aspekte der gesellschaftlichen und organisationalen Veränderung im Hinblick auf eine effizienz-, effektivitäts- und wirtschaftlichkeitsbasierte Restrukturierung der Universitäten mit einhergehender Zunahme des individuellen Leistungsdrucks wurden in
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den vorangegangenen Kapiteln zur Ökonomisierung der Gesellschaft (vgl. Kap. 2), der Ökonomisierung der Universitäten (vgl. Kap. 3) sowie den hieraus resultierenden Hybridisierungs- und Restrukturierungseffekten (vgl. Kap. 5) bereits ausführlich dargestellt. Und auch deren Auswirkungen auf die beteiligten Akteure wurden – über die Implementierung des neuen Belohnungsmodells des Akademischen Kapitalismus (vgl. Kap. 7.1), dessen Auswirkungen auf die Identität(en) der beteiligten Akteure (vgl. Kap. 7.2) bis hin zu diesbezüglichen identitätsbedrohenden Effekten (vgl. Kap. 7.3) – bereits beschrieben. Dabei geht aus den bisherigen Ausführungen hervor, dass hinsichtlich der im Folgenden darzustellenden Erklärung von campus shootings als Form identitätsbehauptenden Handelns – und damit im Hinblick auf Identität als drittes zentrales Element soziologisch basierter Erklärungen von Amoktaten – grundsätzlich von einem dynamischen Prozess auszugehen ist, welcher sowohl auf einer Fremd- als auch auf einer Eigendynamik beruht. Während die Fremddynamik diesbezüglich auf die intendierten strukturellen und organisationalen Reformmaßnahmen hin zu einer Ökonomisierung der Gesellschaft und der Universitäten zurückzuführen ist, ist die Eigendynamik das Resultat der hieraus entstandenen (nicht-)intendierten Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte sowie der damit einhergehenden Identitätsbedrohung. Denn die aus dem Prozess der Hochschulreformen resultierenden – und durch die hybriden Konzepte des QuasiMarkts sowie der unternehmerischen Universitäten bedingten – Änderungen der normativen und kognitiven Identitätskomponenten führen nicht nur zu der Änderung der Soll-Erwartung an die akademisch-wissenschaftlichen Akteure, sondern verselbstständigen sich in der nicht-intendierten hybriden Sozialfigur des homo academicus oeconomicus, sodass die Ökonomisierung der Universitäten letztlich auch rückwirkend durch diese bedingt wird und sich somit eigendynamisch, also in gewisser Weise losgelöst von den ursprünglich intendierten Reformmaßnahmen vollzieht (vgl. hierzu Mayntz/Nedelmann 1987). Die in diesem Prozess entstehenden Identitätsbedrohungen können, aufgrund der hieran maßgeblich beteiligten nicht-intendierten Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte, nach Mayntz/ Nedelmann (1987: 660f.) als typische Folgen dieses eigendynamischen Prozesses angesehen werden, die so selbst zum Gegenstand der Reformprozesse werden. Dabei werden die Identitätsbedrohungen aber nicht nur selbst zum Gegenstand der Reformprozesse, sondern stellen auf Seiten der Akteure – eben durch die reformbedingten subjektiv erfahrenen Identitätsbedrohungen aufgrund der Balanceprobleme im Hinblick auf die ökonomisierten normativen und kognitiven Identitätskomponenten – in gewisser Weise die ursprünglich intendierten strukturellen und organisationalen Restrukturierungs- und Anpassungsprozesse von innen heraus in Frage22, 22 Dass die politisch intendierten Hochschulreformen und die damit einhergehenden »[provozierten] institutionelle[n] Anpassungsreaktionen« (Böschen 2009: 123) von den beteiligten akademisch-wissenschaftlichen Akteuren auch in genereller Hinsicht – also ohne
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sodass die (spezifisch) reformbedingten Identitätsbedrohungen als nicht-intendierte »interne Nebenfolgen der Nebenfolgen [Herv. i.O.]« (Beck 1996: 27) anzusehen sind (vgl. Beck 1996: 26f.; Beck/Bonß/Lau 2001: 32f.; Böschen 2009: 123; Böschen/Kratzer/May 2006: 13f.). Lässt sich somit für die reformbedingten Identitätsbedrohungen konstatieren, dass diese nicht-intendierte Nebenfolgen der Nebenfolgen der Hochschulreformen sind, so trifft dies auch für campus shootings als (extreme) Form identitätsbehauptenden Handelns zu. Denn campus shootings sind kein Bestandteil der politisch intendierten Reformbestrebungen: Sie lassen sich nicht auf die Intentionen und transintentionalen Gestaltungsbemühungen der am Reformprozess beteiligten Akteure und Akteurkonstellationen zurückführen. Als extreme Strategie zur Aufhebung von Identitätsbedrohungen sind campus shootings ebenfalls in den Komplex der intendierten und stetig reproduzierten Ökonomisierungsprozesse von Universitäten eingebettet, welche im Kontext der transintentionalen Gestaltungsbemühungen zur angemessenen Reaktion auf das extern konstatierte Funktionsdefizit von Universitäten als nicht-intendierte »Nebenfolgen zweiter Ordnung [Herv. i.O.]« (Beck/Bonß/Lau 2001: 32) beitragen sollten. Die hierbei vor allem auf individueller Ebene entstehenden Diskrepanzen zwischen subjektiver Erfahrung und externer Erwartung in Form der Identitätsbedrohungen – basierend auf den NPM-gelagerten Restrukturierungsprozessen auf struktureller (Quasi-Markt), organisationaler (unternehmerische Universität) und individueller (homo academicus oeconomicus) Ebene – führen als weitere Nebenfolgen des Reformprozesses, wie im Folgenden dargestellt wird, in Extremfällen zu der Begehung von Amoktaten an Universitäten. Sind die spezifisch reformbedingten Identitätsbedrohungen bereits das Resultat der nicht-intendierten internen Nebenfolge der Nebenfolgen des universitären Ökonomisierungsprozesses und lassen sich campus shootings als Resultat einer extremen Strategie zur Aufhebung jener Identitätsbedrohungen auffassen, so lässt sich für Amoktaten an Universitäten konstatieren, dass diese – aufgrund der spezifischen Rückbindung an die reformbedingten Identitätsbedrohungen und einer generell weniger an finanziellem Gewinn, sondern an persönlicher Sicherheit und stabiler Identität orientierten Handlungsausrichtung (vgl. Schmid 2009: 58) – ebenfalls eine nicht-intendierte interne Nebenfolge der (wiederum internen) Nebenfolgen sind (vgl. hierzu Beck 1996: 26f.; Beck/Bonß/Lau 2001: 29, 32f.; Böschen 2009: 123; Böschen/Kratzer/May 2006: 13f., 25; Pelizäus-Hoffmeister 2011: 28; Schmid 2009: 58). spezifischen Rekurs auf die hierdurch bedingten potenziellen Identitätsbedrohungen – in Frage gestellt werden, kann anhand der vielzähligen internationalen wissenschaftlichen Diskurse über die Probleme und Problematiken der Hochschulreformen, wie sie u.a. von Clark (1998, 2001), Krücken/Meier (2006), Kühl (2012), Maasen/Weingart (2006), Münch (2007, 2009a, 2010, 2011a, 2011b), Schimank (2005d, 2010a), Slaughter/Leslie (1999) und Slaughter/Rhoades (2004) diskutiert wurden und werden, konstatiert werden.
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Damit die zentrale Frage, wieso identitätsbehauptendes Handeln in der Extremform eines Rollenausstiegs zu der Begehung eines campus shooting führt, und somit die These von campus shootings als nicht-intendierte Nebenfolge der Hochschulreformen im Folgenden erklärt werden kann, bedarf das zuvor dargestellte »Trichtermodell der Identitätsbehauptung« (vgl. Abb. 15, S. 318) allerdings noch zweier Ergänzungen. Denn zum jetzigen Zeitpunkt ist eine Erklärung von campus shootings als Form identitätsbehauptenden Handelns aus dem Modell nicht zu entnehmen – scheint doch der bisher geschilderte Ausstieg aus der Rolle eine Strategie zu sein, welche keine Anzeichen für die Ausführung einer Amoktat liefert. Die erste Ergänzung bezieht sich auf ein weiteres Einflussmedium innerhalb von Akteurkonstellationen: Gewalt (vgl. Schimank 2000: 247, 249). Die Verbindung der identitätsbehauptenden Strategie des Rollenausstiegs mit dem Medium der Gewalt wurde bereits in Kapitel 7.3 implizit angedeutet: nämlich hinsichtlich der potenziellen Drohmöglichkeit mit dem Ausstieg aus der Rolle, welche in diesem Sinne als Variante psychischer und damit indirekter Gewalt aufgefasst werden kann (vgl. Galtung 1975: 10, 1993: 53; Nunner-Winkler 2004: 21, 38). Allerdings ist Gewalt als Medium der Einflussnahme nicht auf den indirekten Aspekt der Drohung in Form psychischer Gewalt begrenzt, sondern kann sich über dieses erweiterte Verständnis von Gewalt hinaus auch in der definitorisch ursprünglichen und direkten Form physischer Gewalt äußern, welche im Kontext der Begehung von campus shootings eine bzw. sogar die extremste Variante des Rollenausstiegs im universitären Kontext darstellt und dabei auf die Beeinflussung struktureller und organisationaler Faktoren im Prozess hin zur Begehung der letztlich individuell ausgeübten Amoktat – aufgrund der inhärenten Tötungsabsicht als extreme Form physischer Gewalt – zurückgeführt werden kann (vgl. Galtung 1975: 10, 1993: 53; Nedelmann 1997: 61f., 71-74; Nunner-Winkler 2004: 21; siehe Collins 2011; Reemtsma 2008; Sofsky 1996). Wird Gewalt als Einflussmedium und damit als Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen im Kontext der den Akteurkonstellationen inhärenten Interaktionsprozesse zur Abarbeitung von Intentionsinterferenzen angesehen, so kann physische Gewalt des Weiteren als erweiterte Form von Macht – als deren direkteste Form, im Sinne einer Aktionsmacht – aufgefasst werden (vgl. Nedelmann 1997: 61; Popitz 1986: 68; Weber 2005: 38). Und insofern geht die physische Gewalt als Einflussmedium über den Aspekt von Drohungen hinaus, da »die Macht, anderen in einer gegen sie gerichteten Aktion Schaden zuzufügen […] keine dauerhaft überlegenen Machtmittel voraus[setzt]« (Popitz 1986: 68), wie dies bspw. beim Einsatz von Macht im Bereich der Rollendevianz notwendig ist. Die zweite Ergänzung betrifft eine Erweiterung des »Trichtermodells« selbst. Wie bereits mehrfach erwähnt, ist der Ausstieg aus der Rolle die letzte Strategie und Möglichkeit einer identitätsbehauptenden Handlung. Im Falle einer vollkommenen Identifikation mit dem Selbstanspruch, ein (guter) Wissenschaftler zu sein, und einer Schuldzuweisung an bestimmte, für die Bedrohung verantwortlich gemachte
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Personen oder die Struktur selbst (subjektive Umdefinitionen von erfahrenen Nichtbestätigungen) – oder auch bei fehlenden Berufs- bzw. Existenzalternativen (z.B. zu hohes Alter, schlechter Stellenmarkt o.Ä.) – erweist sich der Rollenausstieg im Sinne der Aufgabe dieser Rolle und eines alternativen Wechsels aber als keine wirkliche Strategie der Identitätsbehauptung: »Am unkritischsten sich selbst gegenüber ist man bei Dingen, die einem am Herzen liegen« (Schimank 2000: 131). Und ist Wissenschaft ein solches »Ding«, liegt also eine starke Identifikation und intrinsische Motivation vor. Eine selbstkritische Haltung bzgl. der Aufgabe dieser Rolle ist dann äußerst unwahrscheinlich. Ein letzter Versuch einer identitätsbehauptenden Einflussnahme kann dann in der Anwendung der eben genannten physischen Gewalt gesehen werden. Die Verbindung zwischen Identitätsbehauptung und der Anwendung physischer Gewalt lässt sich über das von Gavin de Becker (1997: 110ff.) entwickelte, ebenfalls als prozessual aufzufassende JACA-Modell zur Analyse von Gewalttaten herstellen, welches den Aspekt des Rollenausstiegs im »Trichtermodell« insofern erweitert, als hier die Begründung zur Anwendung physischer Gewalt und damit auch die Begehung eines campus shooting verortet werden kann (vgl. Abb. 16). Abbildung 16: Erweitertes Trichtermodell der Identitätsbehauptung
Bevor physische Gewalt de facto als letzte Alternative erscheint, steht gemäß dem JACA-Modell zuerst die Frage nach der subjektiven Rechtfertigung des Einsatzes von Gewalt als Mittel (Justification) im Raum. Kann die Anwendung von Gewalt subjektiv gerechtfertigt werden, erfolgt anschließend eine subjektive Evaluation möglicher Alternativen (Alternatives). Hier wird auf Seiten des potenziellen Täters abgewogen, ob noch andere Alternativen zur Gewaltanwendung vorhanden und ob diese evtl. besser geeignet sind (vgl. hierzu de Becker 1997: 110ff.; Braun 2013: 15). Hier kann auf den Aspekt der potenziellen Rückwärtsorientierung bei den Stra-
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tegien der Identitätsbehauptung verwiesen werden: Der identitätsbedrohte Akteur kann noch einmal die anderen zur Verfügung stehenden Behauptungsstrategien in Betracht ziehen, wie bspw. die Rollendevianz, oder er kann die tatsächliche Aufgabe der Rolle erwägen, was allerdings nur dann eine geeignete Alternative sein dürfte, wenn hinsichtlich der persönlichen finanziellen Lebensstandsicherung andere Optionen vorhanden sind. Sprich, wenn ein Wechsel in nicht-universitäre Berufszweige erfolgversprechend zu sein scheint und hinsichtlich der hohen subjektiven Identifikation und intrinsischen Motivation, ein guter Wissenschaftler zu sein, tatsächlich eine selbstkritische Reflexion, im Sinne einer Umdefinition der evaluativen Identitätskomponente, zu der grundlegenden Bereitschaft einer beruflichen Umorientierung beiträgt. Liegen aus subjektiver Sichtweise tatsächlich derartige andere Alternativen vor – in diesem Fall wäre der ›einfache‹ Ausstieg aus der Rolle die tatsächlich durchgeführte Form der Identitätsbehauptung – oder greifen andere Identitätsbehauptungsstrategien im universitären Kontext, wird Gewalt nicht ausgeübt. Sind allerdings keine Alternativen zur Ausübung von Gewalt existent, also weder anderweitige berufliche Perspektiven noch eine selbstkritische Reflexion der persönlichen Identitätskomponente, werden in einem dritten Schritt die zu erwartenden Konsequenzen subjektiv eingeschätzt (Consequences). Diese Einschätzung entspricht einer situationsabhängigen Abwägung zu erwartender positiver oder negativer Konsequenzen in Abhängigkeit von der getroffenen Alternativenwahl. Der positive Aspekt ist hierbei aus der Perspektive des späteren Täters zu sehen und bezieht sich auf die mittels Anwendung von Gewalt verfolgte Strategie der (aus subjektiver Sicht) letztmöglichen Identitätsbehauptung. Der letzte Schritt innerhalb des JACAModells bezieht sich schließlich auf die subjektive Befähigung (Ability), die geplante Gewalttat durchzusetzen. An dieser Stelle können strukturelle Opportunitäten förderlich sein, wie bspw. die persönliche Erfahrung hinsichtlich Gewaltausübung und -anwendung und/oder der Zugang zu Waffen, welche eine verstärkende Wirkung ausüben. Sind diese Faktoren vorhanden und/oder leicht zugänglich, steht am Ende des Prozesses die oben bereits angesprochene Verengung der Handlungsalternativen: die Anwendung von Gewalt bzw. die Begehung eines campus shooting (vgl. hierzu de Becker 1997: 110ff.; Braun 2013: 15).23 Dass ein campus shooting im Kontext von Identitätsbehauptung(en) tatsächlich eine subjektiv akzeptierte Identitätsbehauptungsstrategie ist, kann unter Rekurs auf Popitz (1986: 68-87) verdeutlicht werden. Ausgangspunkt ist hierbei zunächst das 23 Selbstverständlich ist die Anwendung von Gewalt hier nicht automatisch mit der Begehung einer Amoktat gleichzusetzen. Dass allgemeine Gewaltanwendung und -ausübung im universitären Bereich aber generell durchaus gängige Alternativen sind, belegen u.a. die Studien von Baum/Klaus (2005), Carr (2005), Fremouw/Westrup/Pennypacker (1997) und Hoffmann/Blass (2012), welche neben physischer Gewalt auch Stalking, Vergewaltigung sowie in Extremfällen Amoktaten anführen.
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Konzept der bindenden Aktionsmacht, welche aufgrund einer implementierten und beständigen Sanktionsfähigkeit des Machtinhabers ein dauerhaftes Machtgefüge repräsentiert, das die Unterwerfung der Machterleidenden zum Ziel hat (vgl. Popitz 1986: 72). Der Begriff der Aktionsmacht bezieht sich dabei grundsätzlich auf »die Macht, anderen in einer gegen sie gerichteten Aktion Schaden zuzufügen« (Popitz 1986: 68), wobei der zugefügte Schaden als intendiert anzusehen ist (vgl. Popitz 1986: 68). Übertragen auf den universitären Kontext lassen sich diese von Popitz angeführten Aspekte wie folgt beschreiben und darstellen: Die bindende Aktionsmacht, welche ein dauerhaftes, durch Sanktionen aufrechterhaltenes Machtgefüge bezeichnet, das den Machterleidenden im Falle der Nichtunterwerfung absichtlich schädigt, entspricht im Kontext der Hochschulreformen dem Belohnungsmodell des Akademischen Kapitalismus, in dem die spezifischen Bezugsgruppen und Prinzipale (die Machtinhaber) die Agenten (die Machterleidenden) bei »Nichtunterwerfung« unter den ökonomischen Primat und die damit verbundenen Effizienz-, Effektivitäts- und Wirtschaftlichkeitskriterien finanziell sanktionieren und somit auch – gemäß der gesellschaftlich und politisch legitimierten und intendierten universitären und subjektiven Leistungsforderung – in gewisser Weise absichtlich schädigen.24 Dass die finanzielle Sanktionierung dabei als absichtliche Schädigung angesehen werden kann, kann darauf zurückgeführt werden, dass »[d]er Geschädigte seine Konkurrenzfähigkeit verlieren [soll]« (Popitz 1986: 71), denn diese ist im Kontext des trilateralen Geflechts der Wissensgesellschaft und der wissensbasierten Wirtschaft zentrales Merkmal und zentrale Anforderung an die beteiligten akademischwissenschaftlichen Akteure (siehe Bauman 2009; Sennett 2000, 2007). Im Sinne der gesellschaftsweiten Intrusion des ökonomischen Primats und der vollständigen Ökonomisierung der Universitäten kann die bindende Aktionsmacht darüber hinaus somit auch als vollkommene Macht angesehen werden, die im popitzschen (1986: 79) Sinne als vollkommene Macht über Leben und Tod zu denken ist. Zwar liegt der Fokus vollkommener Machtausübung im universitären Kontext nicht realiter auf der tatsächlichen (physischen) Macht über Leben und Tod, aber im übertragenen Sinne haben auch hier Prinzipale und Bezugsgruppen – im Sinne der hochschulischen Leitungsebenen und der spezifischen Bezugsgruppen – über die finanzielle Mittelvergabe und vor allem die leistungsorientierte Zuweisung dieser Mittel in gewisser Weise »das Leben der Beherrschten buchstäblich ›in [der] Hand‹« (Popitz 1986: 79): und zwar in Form der Macht über die soziale Teilhabe akademischwissenschaftlicher Akteure im Sinne der aus der Identitätsbalance resultierenden 24 Und dies sowohl im institutionellen Gefüge zwischen Politik und Universität als auch im intra-universitären Machtgefüge zwischen den Leitungsebenen und den beteiligten akademisch-wissenschaftlichen Akteuren sowie gewissermaßen innerhalb der scientific community, wenn z.B. Manuskripte oder Forschungsanträge nicht publiziert bzw. genehmigt werden und damit die finanzielle Vergütung dieser Leistung nicht vorgenommen wird.
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Entscheidung und Beeinflussung hinsichtlich intra- und inter-universitärer sozialer Inklusionsprozesse. Diese externe Macht über die Inklusionsprozesse bezieht sich hierbei auf den auf Fremdselektion beruhenden Bestandteil der öffentlichen Symbolisierung von Karrieren und betrifft somit in gewisser Weise das Leben der akademisch-wissenschaftlichen Akteure: Denn im Hinblick auf die individuelle SelbstEntwicklung, in Form eines auf Karrieren beruhenden Lebenslaufes als Zeichen erfolgreicher gesellschaftlicher Integration, muss nicht nur der eigene Handlungsantrieb (die Selbstselektion) öffentlich symbolisiert werden, sondern eben im Einklang damit auch die besagte Fremdselektion (vgl. Luhmann 2000b: 84, 94-111). Diese beiden Komponenten von Karrieren entsprechen hinsichtlich des öffentlich symbolisierten eigenen Handlungsantriebs und der ebenfalls öffentlich symbolisierten Fremdselektion im Sinne sozialer Bestätigung den evaluativen und kognitiven Identitätsmodi und, aufgrund der in der Fremdselektion implementierten Befolgung der organisationalen Handlungsorientierungen, auch dem normativen Identitätsmodus, wobei die letzten beiden (in der Fremdselektion integrierten) Modi hinsichtlich des Auf- und Ausbaus von Identitäten eine bedeutende Funktion für die Identitätsbalance ausüben: Denn ist eine soziale Bestätigung durch die Bezugsgruppen nicht vorhanden bzw. kann diese nicht mit den evaluativen Anforderungen in Einklang gebracht werden, liegt eine Identitätsbedrohung vor, die abgewehrt werden muss (siehe Abels 2010; Goffman 1975; Krappmann 2000; Schimank 2000: 122-142, 2010b: 142-165). Und fehlt eine dauerhafte soziale Inklusion bspw. in Form sozialer Bestätigung durch die Bezugsgruppe – liegt also eine nicht abwendbare Identitätsbedrohung vor –, wird der betroffene Akteur in seiner persönlichen Freiheit stark eingeschränkt bzw. wird diese Freiheit unterbunden. In diesem Sinne üben somit die spezifischen Prinzipale und Bezugsgruppen der akademisch-wissenschaftlichen Akteure, auf Basis der ökonomisch-rational zu erfüllenden Erwartungshaltungen und deren finanzieller Sanktionierungsmöglichkeit, als Machtausübende vollkommene Macht über das Leben der einzelnen Akteure als Machterleidende aus. Dieser vollkommenen Macht kann der Machterleidende nur entgehen, wenn er den Machtausübenden tötet, da nur auf diese Weise das dauerhafte Machtverhältnis aufgelöst bzw. beendet werden kann (vgl. Popitz 1986: 83-87): »Die Tötung des Machthabers trifft auch immer die Macht an sich.« (Popitz 1986: 84) Mit der Tötung des Machthabers wird das dauerhafte Machtgefüge aufgelöst und der ehemals Machterleidende erlangt die Verfügungsgewalt über sein Leben zurück. Im übertragenen Sinne entspricht also die zielgerichtete Tötung des Machthabers zur Aufhebung des dauerhaften Machtgefüges der Behauptung der eigenen Identität. Zwar kann der Machthaber im universitären Kontext nicht direkt angegriffen und getötet werden – hierbei handelt es sich letztlich um gesellschaftliche Teilsysteme und organisationale Teileinheiten bzw. im gänzlich abstrakten Sinne um NPM und den ökonomischen Primat –, aber durchaus Individuen als Repräsentanten des ökonomisierten Systems, bei denen es sich gemäß der Definition von campus shootings so-
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wohl um spezifische einzelne Personen als paradigmatische Vertreter der hochschulreformbedingten institutionalisierten organisationalen Strukturen (z.B. im Bereich der Leitungsebenen) als auch um Mitglieder der relevanten Bezugsgruppen aus den organisationalen Teilbereichen Lehre und Forschung (Studierende, wissenschaftliche Mitarbeiter, Professoren) handeln kann. Ein campus shooting ist somit aus Perspektive der potenziellen Täter die letzte Möglichkeit, sich der subjektiv empfundenen und identitätsbedrohenden dauerhaften Unterwerfung unter das Machtgefüge des ökonomischen Primats zu entziehen. Aufgrund der definitorisch inhärenten Intentionalität von Homizidalität und Suizidalität ist ein campus shooting letztlich die extreme Variante der identitätsbehauptenden Strategie des Ausstiegs aus der Rolle. Ergänzend zu diesen theoretischen Ausführungen zur Entstehung bzw. Begehung von campus shootings als Form identitätsbehauptenden Handelns kann eine Beschreibung von vier Fallbeispielen aus den in Tabelle 3 (s.S. 264) dargestellten elf Fällen, in Übereinstimmung mit den eingangs angeführten Identitätstypen und der prozessualen Zunahme von Identitätsbedrohungen, diese theoretischen Darstellungen auch empirisch untermauern: Fallbeispiel I (Professor) Identitätstyp II (e1 + n2 + k2)25 Am 24.08.1992 erschießt ein 52-jähriger Professor an der kanadischen Concordia University vier Kollegen und verletzt einen weiteren schwer, nachdem er zwei seiner Kollegen als Geiseln genommen hatte.26 Innerhalb der 90 Minuten dauernden Tat entwaffnet eine der Geiseln den Täter, während dieser mit der Polizei in Verhandlungen tritt. Der Täter wird anschließend von den Einsatzkräften verhaftet und später zu einer lebenslänglichen Haftstrafe (25 Jahre) ohne die Aussicht auf eine vorzeitige Haftentlassung verurteilt. Der Täter – ein russischer Immigrant – arbeitete seit 1979 an der Universität von Concordia und hatte sich, da er bei seiner Einwanderung in Kanada trotz seines Studiums über Arten der Elektrik in Russland seinen Doktortitel nicht nachweisen konnte, hocharbeiten müssen, um schließlich eine Stelle als Dozent in der Abteilung Mechanik zu bekommen – er war Experte für Elastizitätstheorie. Während seiner wissenschaftlichen Karriere verfasste der verheiratete Vater von zwei Kindern zwei Werke über Mechanik sowie 121 Aufsätze und erhielt eine Vielzahl an Forschungsgeldern. Der Täter führte an der Concordia University einen Kreuzzug gegen das, was er als Ungerechtigkeit ansah: Er 25 Vgl. hierzu die gesondert aufgeführten Quellen im Literaturverzeichnis (s.S. 400). 26 Zu den Tatwaffen gehörten drei Schusswaffen. Eine davon war eine halbautomatische Pistole Typ MEB (Kal. 6.35), für die der Täter eine Genehmigung hatte. Die anderen beiden Waffen ließ sich der Täter von seiner Frau beschaffen, die zuvor einen ›Schießkurs‹ belegen musste, weil trotz seiner Mitgliedschaft in einem Schützenverein die Universität von Concordia keine Bürgschaft übernahm.
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wollte die Interessenkonflikte von Professoren beenden, die Forschungsarbeiten für die Regierung und private Unternehmen durchführten, und verlangte von ihnen, dass sie aufhören sollten, die von anderen verfassten Publikationen als ihre auszugeben. Der Täter selbst gehörte nicht zu diesem – seiner Meinung nach korrupten – Kreis und schrieb im Vorfeld mehrere Protestbriefe. Bereits 1989 verfasste er erste Todesdrohungen gegen Kollegen und Mitglieder der Direktion und hatte am 25.08.1992 einen Termin vor Gericht, weil er den Kanzler der Universität bezichtigte, er habe in zwei Fällen eines vom Täter aufgedeckten Plagiatsvorwurfes die korruptesten Prüfer herangezogen. Die beiden unter Plagiatsverdacht stehenden Autoren hatten nach Aussage des Täters seine Arbeiten als die ihren ausgegeben. Die Plagiatsvorwürfe wurden 1994 in einem von der Universität in Auftrag gegebenen Bericht einer Untersuchungskommission bestätigt, was zur Folge hatte, dass der Rektor entlassen wurde. Zwei weitere Ereignisse können als zentral für die Begehung der Tat angesehen werden: Zum einen wollte die Concordia University dem Täter dessen Professorentitel aberkennen und zum anderen wurde ein Forschungsfreisemester abgelehnt. Die hier vorliegende Identitätsbedrohung beruht auf einer Diskrepanz zwischen dem qualitativ orientierten evaluativen Selbstanspruch und den quantitativ orientierten normativen wie kognitiven Komponenten einer produktionsorientierten Wissenschaftskultur – hier paradigmatisch an den gewinnversprechenden Forschungsarbeiten qua Plagiat zu erkennen. Im zeitlichen Verlauf versucht der Täter zunächst, seine Identität über die Strategien der Rollendistanz (das Verfassen der Protestbriefe als Hinweis auf die subjektiv empfundene Absurdität dieses Vorgehens) und der Rollendevianz (die Abweichung von der sozialen Identitätsnorm durch die Anzeige des Rektors) zu behaupten. Die letzte – in zeitlicher Hinsicht allerdings als dauerhaft gescheitert einzustufende – Strategie zur Identitätsbehauptung bestand in der Auflösung des vorhandenen vollkommenen Machtgefüges, und zwar über die Tötung der subjektiv als verantwortlich erkannten Personen (extreme Form des Rollenausstiegs). Die bei dieser Tat verwendeten, (prinzipiell) legal erworbenen Tatwaffen (strukturelle Opportunität) lassen den Rückschluss zu, dass der Einsatz von Gewalt hier einerseits, nach Scheitern anderer Alternativen, subjektiv gerechtfertigt war und andererseits als subjektiv positiv eingestuft wurde. Fallbeispiel II (Student) Identitätstyp II (e1 + n2 + k2)27 Am 14.02.2008 tritt ein 28-jähriger Täter von einem angrenzenden Flur aus die Tür zum Cole Hall Auditorium (Hörsaal) auf dem Campus der Northern Illinois University ein, betritt während einer Vorlesung das Podium, eröffnet das Feuer und tötet innerhalb von sechs Minuten fünf der anwesenden 120 Studierenden und verletzt 27 Vgl. hierzu die gesondert aufgeführten Quellen im Literaturverzeichnis (s.S. 401).
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21 weitere Personen – unter anderem den Professor, der die Vorlesung hielt, und seinen wissenschaftlichen Assistenten –, bevor er sich im Anschluss an die Tat suizidiert.28 Bei dem Täter handelt es sich um einen ehemaligen Studierenden der Northern Illinois University, der 2002 sein Studium der Soziologie mit Schwerpunkt Kriminologie am dortigen Department of Sociology aufnahm und dieses 2006 mit Auszeichnung und dem Erhalt des Bachelorgrades abschloss. Während seiner Zeit am Department of Sociology war der Täter ein ausgezeichneter Student, arbeitete dort als studentische Hilfskraft und Tutor und war bei den Professoren und Kollegen aufgrund seiner exzellenten wissenschaftlichen Leistungen angesehen und galt als äußerst begabt. Im Rahmen seines Studiums sowie innerhalb seiner Lehrtätigkeit (Tutorien) wies der Täter einen besonderen Ehrgeiz hinsichtlich eines qualitativ orientierten Wissenserwerbs auf, wobei er in gewisser Weise an seinen Kommilitonen verzweifelte, da diese im Vergleich zu ihm eher an dem einfachen (quantitativen) Erlangen von Prüfungsnachweisen interessiert waren – dies äußerte der Täter auch gegenüber Kollegen. Nach Beendigung seines Bachelor- und kurz vor Beginn seines Masterstudiums fanden ein Wechsel auf der Leitungsebene des Departments und eine damit verbundene Umstrukturierung statt, die den Schwerpunkt von der Kriminologie auf den Bereich der Gender- und Rassenungleichheit verlegte: Eine Umstrukturierung, die zur Folge hatte, dass der Täter die ihm für seinen Master mit Schwerpunkt Kriminologie noch fehlenden Kurse nicht mehr belegen konnte und sich somit gezwungen sah, diesen an einer anderen Universität zu absolvieren (2006/2007) – der von ihm angestrebte Master in Kriminologie wurde nicht mehr länger angeboten. Entscheidend kommt bei diesem Fallbeispiel hinzu, dass der Täter seit Beginn seines Studiums eine starke Identifikation mit den dortigen Angestellten und späteren Kollegen aufwies, die während seines Aufenthaltes von 20022006 zu einer Ersatzfamilie wurden. Die familiäre Situation des Täters war vorwiegend durch Ablehnung seitens der Eltern und seiner Schwester gekennzeichnet.29 Die Akzeptanz und soziale Bestätigung, die der Täter während seines Studiums er28 Vor Betreten des Hörsaals hatte sich der Täter im Flur mehrfach bewaffnet. Zu den mitgeführten Waffen zählten eine abgesägte mehrschüssige Schrotflinte, zwei Pistolen, ein Revolver, ein Messer mit feststehender Klinge sowie ein Pfefferspray. Alle Waffen hatte der Täter ab 2007 legal erworben. 29 Gemäß der offiziellen Berichterstattung zeigte der Täter schon vor der Aufnahme des Studiums psychische Verhaltensauffälligkeiten in Form von Depressionen, Angststörungen und suizidalen Tendenzen, die – nach Auffassung zweier voneinander unabhängiger psychologischer Gutachter – während seines Studiums aufgrund der starken Identifikation und der neuen ›Ersatzfamilie‹ nicht mehr vorhanden zu sein schienen. Ob die grundlegend konstatierten psychischen Verhaltensauffälligkeiten dabei in irgendeiner Art und Weise als motivational für die Begehung der Tat anzusehen sind, wird innerhalb der offiziellen Berichterstattung als rein spekulativ betrachtet.
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halten und erfahren hatte, war nach der Umstrukturierung des Departments – der Täter hatte sich gegenüber seinen Kollegen und Kommilitonen mehrfach gegen die neue Leitung und deren Pläne sowie gegen die aus seiner Perspektive rein quantitativ wissensorientierten Kommilitonen in durchaus abfälliger Wortwahl in E-Mails geäußert – und mit dem Wechsel des Studienortes nicht mehr gegeben. Eine derartige soziale Akzeptanz konnte der Täter an der neuen Universität nicht (mehr) erreichen. Die Verantwortung hierfür liegt dabei aus subjektiver Täterperspektive bei den Restrukturierungsmaßnahmen innerhalb des Departments, da diese ihn (mehr oder weniger) dazu gezwungen haben, dieses ehemals identitätsbestätigende Gefüge zu verlassen. Die Wahl des Tatorts lässt sich diesbezüglich auch zum einen mit einer subjektiv starken Bindung an diesen Hörsaal begründen – hier fanden die ersten Soziologiekurse seines Studiums statt – und zum anderen kannte sich der Täter hier sehr gut aus, da er seine Lehrveranstaltungen in diesem Hörsaal abhielt. Im Verlauf seines Studiums an der Northern Illinois University versucht der Täter seine hier gestaltete Identität30 durch die Strategien der Rolleninszenierung (erhöhtes Engagement; auch bereits vor dem Wechsel), der Rollendistanz (die sarkastischen und abfälligen Kommentare über seine quantitativ orientierten Kommilitonen) und der Rollendevianz (die Abweichung von dem rein quantitativen Wissenserwerb) zu behaupten. Mit dem zwangsweisen Wechsel des Studienortes – bedingt durch die neue, hierfür verantwortlich gemachte Department-Leitung – musste der Täter aus dieser Rolle zwangsweise aussteigen, was in diesem Fall allerdings nicht der Behauptung seiner Identität dienlich war. Über die Zuschreibung der Verantwortlichkeit hinsichtlich dieses unfreiwilligen Rollenausstiegs – und da nach den abfälligen Äußerungen über die Entwicklungen an der Universität auch die soziale Bestätigung der früheren Kollegen fehlte – kam aus seiner Perspektive nur der selbst gewählte Ausstieg aus der Rolle als identitätsbehauptende Strategie in Frage. Hinsichtlich der legal erworbenen Schusswaffen kann auch hier davon ausgegangen werden, dass physische Gewalt und somit die Begehung eines campus shooting die subjektiv gerechtfertigte Lösung zur Abwehr dieser Identitätsbedrohung war. Fallbeispiel III (wissenschaftlicher Mitarbeiter/Postdoc) Identitätstyp IV (e2 + n2 + k2)31 Am 01.11.1991 erschießt ein 28-jähriger männlicher Täter (Doktor der Physik) während eines Fachbereichstreffens des Department of Physics and Astronomy der University of Iowa innerhalb von zehn Minuten fünf Personen und verletzt eine weitere. Die Opfer (alle Professoren) werden vom Täter methodisch ausgewählt
30 Und dies tatsächlich unabhängig der vorhanden psychischen Verhaltensauffälligkeiten. 31 Vgl. hierzu die gesondert aufgeführten Quellen im Literaturverzeichnis (s.S. 403).
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und mit einem Revolver (Kal. 38) erschossen.32 Nach der Tat richtet sich der Täter selbst. Dieser war ein brillanter, intelligenter und hochbegabter Physikstudent, der im Mai 1991 seinen Doktortitel erhalten hatte. Im Gegensatz zu seinen Kollegen war er ein außenstehender Wissenschaftler im Bereich der theoretischen Astrophysik, äußerst kompetent und lebte isoliert. Er scheute den Kontakt mit anderen Studenten und Mitarbeitern und hatte sich in den Monaten vor der Tat besonders unter Druck gesetzt gefühlt. Auch nach der Erlangung des Doktorgrades hielt er sich stets in den Laboratorien des Fachbereichs auf, da er der Meinung war, seine hervorragenden Ergebnisse und sein Doktortitel seien keine Garanten für seine Stelle. Mögliches Motiv bzw. Auslöser für die Tat war seine Verärgerung darüber, dass er einen hochdotierten Wissenschaftspreis nicht gewann, was für ihn, neben dem Verlust des Preisgeldes, vordergründig den Verlust seines herausragenden Ansehens bedeutete. Die Tatsache, dass er den Preis nicht erhalten hatte, führte der Täter auf eine unfaire Behandlung seiner Person durch Fakultätsmitglieder und einige Leiter des Lehrstuhls zurück. Der Täter, der sich selbst zu Erfolg und Zerstörung antrieb, hatte bereits im Vorfeld seiner Tat detaillierte Pläne bezüglich der Anwendung tödlicher Gewalt gegenüber Angestellten der Universität geschmiedet und glaubte, dass Waffen für die Abschaffung von Missständen eine wichtige individuelle Bedeutung hätten. Die hier vorliegende Identitätsbedrohung lässt sich somit auf die nicht erfolgte fortwährende finanzielle Bestätigung der wissenschaftlichen Leistung, bei mangelndem Erfolg einer auf Rolleninszenierung (erhöhtes Engagement) und Rollendevianz (partielle Abweichung von der Erwartung der Teilnahme an der community) beruhenden Identitätsbehauptung, rückbeziehen. Auch hier sind die strukturellen Opportunitäten in Form des Waffenbesitzes gegeben und das Scheitern der anderen Identitätsbehauptungsstrategien lässt in diesem Fall ebenso den Schluss zu, dass der Einsatz von Gewalt (Ausstieg aus der Rolle) in Form des campus shooting als subjektiv gerechtfertigt und identitätsbehauptend angesehen werden kann. Fallbeispiel IV (Juniorprofessorin) Identitätstyp IV (e2 + n2 + k2)33 Am 12.02.2010 erschießt eine 45-jährige Juniorprofessorin (assistant professor) innerhalb weniger Minuten während eines Fachbereichstreffens des Department of Biological Sciences der University of Huntsville den Vorsitzenden und zwei Kollegen und verletzt drei weitere Kollegen, bevor sie nach Verlassen des Gebäudes von
32 Der Täter führte zudem eine zweite Waffe mit sich, eine Pistole Kaliber .22, die allerdings nicht eingesetzt wurde. Beide Tatwaffen hatte er legal erworben, war jedoch lediglich zu deren Kauf berechtigt gewesen (und nicht zum Tragen der Waffen). 33 Vgl. hierzu die gesondert aufgeführten Quellen im Literaturverzeichnis (s.S. 404).
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Einsatzkräften verhaftet wird.34 Die Täterin, eine in Harvard promovierte Neurobiologin, war bereits seit 2003 an der University of Huntsville als Juniorprofessorin tätig und unterlag dem in den USA üblichen tenure process als Voraussetzung für die Besetzung einer ordentlichen Professur. Sie hatte in dieser Zeit bereits mehrfach Forschungsgelder und Drittmittel eingeworben und mehrere Patente angemeldet, die der Universität selbst auch zusätzliche finanzielle Mittel zufallen ließen. Die Täterin war auf ihrem Forschungsgebiet eine angesehene Wissenschaftlerin, war gut vernetzt und konnte in Form der eingeworbenen Drittmittel und Patente mehrere Erfolge vorweisen. Das seit 2003 mit Beginn der Anstellung laufende Prüfverfahren hinsichtlich der Eignung für eine Überführung in eine ordentliche, unbefristete Professur war ein Jahr vor der Tat im April 2009 beendet worden: Der späteren Täterin wurde mitgeteilt, dass sie nicht überführt werden würde. Gründe für die Ablehnung des tenure track waren eine zu geringe Anzahl an Publikationen, fehlende Publikationen in high impact journals sowie schlecht ausgefallene Lehrevaluationen. Aufgrund dieser Entscheidung wurde ihr geraten, sich nach einer neuen Anstellung umzusehen – bei zunächst weiterer Finanzierung durch die Universität bis zum Ende ihres Vertrages im Jahr 2010. Die Täterin folgte diesem Ratschlag nicht und legte bzgl. der Entscheidung über ihr tenure track Berufung ein. Die verheiratete Mutter von vier Kindern äußerte gegenüber vielen Kollegen im Zeitraum 2009-2010 ihren Unmut über diese Entscheidung und verwies scheinbar mehrfach darauf, dass sie trotz allem gute wissenschaftliche Leistungen erbracht habe. Am Morgen vor der Sitzung des Fachbereichs wurde ihr mitgeteilt, dass das Verfahren endgültig (mehrheitlich) abgelehnt worden war. Die Identitätsbedrohung in diesem Fallbeispiel rührt ebenfalls von einer finanziellen Nicht-Bestätigung der erbrachten wissenschaftlichen Leistungen her, und zwar in Form der Ablehnung einer Entfristung durch die Zusage einer tenure. Die eingeworbenen Forschungs- und Drittmittelgelder sowie die Patentierung unterschiedlicher Erfindungen lassen zunächst auf die identitätsbehauptende Strategie der Rolleninszenierung schließen – dies auch im Hinblick auf das Bewusstsein um die spezifischen Anforderungen eines tenure track. Im Zuge der Information über die Ablehnung der Überführung in eine ordentliche Professur und im Kontext der Nicht-Befolgung des Ratschlags, sich nach einer anderen Anstellung umzusehen, werden auch die identitätsbehauptenden Strategien der Rollendistanz und -devianz ersichtlich: nämlich zum einen über den Aspekt der relativierenden Kommentierung der Entscheidung über den ständigen Verweis auf die Güte der eigenen wissenschaftlichen Leistungen in Gesprächen mit Kollegen und zum anderen über den Aspekt der nicht ins Auge gefassten Suche nach einer anderen Anstellung, z.B. bei
34 Wochen vor der Tat hatte die Täterin bereits damit begonnen, auf einer nahe gelegenen Schießanlage zu trainieren.
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anderen Universitäten.35 Im zeitlichen Verlauf erwiesen sich diese Identitätsbehauptungsstrategien ebenfalls nicht als dauerhaft erfolgreich, sodass – unter Rekurs auf das mehrere Wochen vor der Tat begonnene Schießtraining – davon ausgegangen werden kann, dass der Einsatz von Gewalt subjektiv gerechtfertigt war und, begünstigt durch die strukturellen Opportunitäten, das campus shooting die letzte Alternative war, sich der subjektiv wahrgenommenen vollkommenen Macht und der hiermit verbundenen Unterwerfung unter das dauerhafte Machtgefüge (hier speziell die Anforderungen des tenure track) endgültig zu entziehen (Ausstieg aus der Rolle). Die angeführten Fallbeispiele untermauern somit die vorherigen theoretischen Ausführungen und verdeutlichen nicht nur, dass Identitätsbedrohungen bei den angeführten Identitätstypen generell auftreten können, sondern dass die Begehung eines campus shooting als identitätsbehauptende Strategie des Rollenausstiegs – unter Verwendung von Gewalt als Medium der Einflussnahme – tatsächlich als letzte Strategie der prinzipiell wählbaren Alternativen der Identitätsbehauptung gewählt wird und damit die letzte Möglichkeit zur Behauptung der eigenen Identität darstellt. Da die in den Fallbeispielen verdeutlichten Prozesse der Behauptung der bedrohten Identität die aus den Hochschulreformen resultierenden nicht-intendierten Nebenfolgen der Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte tatsächlich von innen heraus in Frage stellen, kann somit auch in empirischer Hinsicht die Auffassung von campus shootings als nicht-intendierte Nebenfolge bestätigt werden.
7.5 Z USAMMENFASSUNG Die im Kontext der gesellschaftlichen und universitären Ökonomisierung intendierten und implementierten Reformmaßnahmen sowie die hieraus resultierenden Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte des Quasi-Markts, der unternehmerischen Universität und des homo academicus oeconomicus führen zu einem steigenden inter- und intra-universitären Produktionsdruck, der auf Seiten der beteiligten akademisch-wissenschaftlichen Akteure die subjektiven Gestaltungsspielräume einschränkt und zu einer Verengung der Handlungsalternativen führt. Diese Handlungsalternativenverengung ist dabei das Resultat der bezugsgruppenspezifischen normativen Erwartungen, die im Sinne des zugrunde liegenden ökonomisch-rationalen Effektivitäts-, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitsstrebens den Handlungsantrieb der Akteure extern bestimmen. Die im ursprünglichen Modell des homo academicus inhärente normative Erwartung eines qualitativ orientierten Wissenschaftshandelns
35 Scheinbar äußerte die Täterin gegenüber anderen, dass sie zwar Möglichkeiten habe, an anderen Universitäten zu arbeiten, diese aber nicht wahrnehmen werde aufgrund der für sie subjektiv erwarteten Genehmigung des Tenure.
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wird dabei einerseits durch das rationale Kalkül der externen bezugsgruppenspezifischen Erwartungen, welche den normativen Erwartungen des homo oeconomicus entsprechen, intrudiert und andererseits durch das parallel intendiert eingeführte finanzielle Belohnungssystem des Akademischen Kapitalismus, in Form des aus der Institutionenökonomie stammenden Prinzipal-Agenten-Modells, gestützt. Die Einführung dieses auf positiver oder negativer finanzieller Sanktionierung von wissenschaftlichen Leistungen beruhenden Belohnungsmodells soll durch die finanziellen Mittelzuweisungen und (potenziellen) -steigerungen dabei extrinsisch motivieren und gleichzeitig dafür sorgen, dass die akademisch-wissenschaftlichen Akteure den externen Ziel- und Leistungsanforderungen gerecht werden und – aufgrund der in den normativen Erwartungen verankerten Nutzenmaximierung – kein diese Vorgaben schädigendes Verhalten verfolgen. Sowohl im inter- als auch intra-universitären Beziehungsgeflecht zwischen Prinzipal und Agent erfolgt dies auf Basis der extern definierten und fixierten Ziel- und Leistungsvorgaben, die durch Monitoring, Leistungsevaluation und Rechenschaftsablegung ständig überwacht und kontrolliert werden, und einer – hinsichtlich der Umsetzung dieser Ziele – zugestandenen (mittelbezogenen) Teilautonomie. Aus der normativ erwarteten und fixierten Handlungsorientierung im Sinne des homo oeconomicus und der damit einhergehenden (finanziellen) Sanktionierung des Verhaltens der Akteure resultiert somit einerseits die in der Sozialfigur des homo academicus oeconomicus integrierte neue SollErwartung an das Rollenhandeln der Akteure, wobei die hiermit verbundenen widersprüchlichen Erwartungen eines zugleich akademischen und ökonomisch rationalen Handelns, aufgrund der in der Teilautonomie zugestandenen subjektiven Ausgestaltungsmöglichkeit dieser Erwartungen, über den Aspekt eines reinen roletaking hinausgehen. Denn die durch die Teilautonomie bedingte Möglichkeit und Fähigkeit der subjektiven Gestaltung der individuellen Handlung innerhalb des normativen Erwartungsrahmens verweist auf die Möglichkeit eines role-making und – auf Basis der reziproken Interaktion zwischen Prinzipal und Agent bzw. Bezugsgruppen und Akteuren – damit auch auf den Auf- und Ausbau von Identität(en) des homo academicus oeconomicus im universitären Kontext. Hinsichtlich der Ausbildung und Aufrechterhaltung der Identität(en) des homo academicus oeconomicus fungieren die normativen Erwartungen der Bezugsgruppen (das trilaterale Geflecht aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft sowie die spezifisch intrauniversitären Bezugsgruppen) als Rahmen, innerhalb dessen die akademischwissenschaftlichen Akteure subjektive Interpretationen und Variationen hinsichtlich ihrer Handlungsausrichtung vornehmen können. Die Einschätzung eines erfolgreichen oder missglückten Abgleichs zwischen den eigenen Erwartungen der Akteure und den normativen Erwartungen der Bezugsgruppen erfolgt hierbei letztlich anhand der positiven oder negativen Bestätigung durch das Belohnungsmodell des Akademischen Kapitalismus. Dieser auf Bestätigung oder Ablehnung der subjektiven Handlungsvorstellungen in Abhängigkeit von den normativen Erwartungshal-
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tungen beruhende Abgleich entspricht somit einem Balanceakt bzgl. der in diesem Prozess integrierten Komponenten einer subjektiven Vorstellung des Sein-Wollens (evaluative Komponente), der normativen Rahmung des Sein-Sollens (normative Komponente) und des auf positiver oder negativer (finanzieller) Bestätigung beruhenden So-Seins (kognitive Komponente), was dem dynamischen Prozess der Identitätsgestaltung und -aufrechterhaltung entspricht. Aufgrund eines generellen – auf die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bezugsgruppenzugehörigkeiten von Akteuren rückführbaren – Identitätspluralismus und der prinzipiellen Ausprägungsmöglichkeiten einer eher dem homo academicus oder dem homo oeconomicus entsprechenden Ausrichtung der evaluativen, normativen und kognitiven Identitätskomponenten lassen sich somit auch für die hybride Sozialfigur des homo academicus oeconomicus unterschiedliche Identitätstypen konzeptionalisieren, die aus den unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten der beiden ursprünglichen Formen des homo academicus und des homo oeconomicus resultieren. Aufgrund einer flächendeckend verankerten ökonomisch-rationalen Erwartungshaltung an die beteiligten Akteure im restrukturierten universitären Kontext lassen sich letztlich vier Identitätstypen des homo academicus oeconomicus konstatieren, die entsprechend der notwendigen Identitätsbalance der jeweiligen sozial bestätigenden, bezugsgruppenspezifischen und subjektiven Anforderungen nicht nur fortwährend behauptet werden müssen, sondern auch bedroht werden können. Das Vermeiden dieser aus Diskrepanzen zwischen den evaluativen, normativen und kognitiven Komponenten resultierenden Identitätsbedrohungen lässt den Prozess der Identitätsbehauptung dabei zu einem Handlungsantrieb werden, der wiederum auf der positiven oder negativen Bewertung dieser Diskrepanzen beruht. Während eine positive Bewertung derartiger Diskrepanzen eine Anpassung der divergierenden Identitätskomponenten nach sich ziehen kann, führt die negative Bewertung seitens eines Akteurs zu einem subjektiv eingeschätzten, internen oder externen Faktoren zugeschriebenen, fehlerhaften Verhalten oder Versagen. Hinsichtlich der Begehung eines campus shooting als identitätsbehauptende Reaktion auf eine dauerhafte Identitätsbedrohung nehmen hierbei vor allem die subjektiv negativ bewerteten externen Faktoren der ökonomisch-rationalen normativen Erwartungen und deren positive wie negative Bestätigung in Form des Belohnungsmodells eine zentrale Rolle ein. Im Zuge einer diesen Bedrohungen entgegenwirkenden Identitätsbehauptung können die akademischwissenschaftlichen Akteure auf unterschiedliche Strategien in Kombination mit unterschiedlichen Einflussmedien zur Behauptung ihrer Identität in den jeweils vorliegenden Akteurkonstellationen zurückgreifen. In Abhängigkeit von Dauer und Schweregrad der vorliegenden Identitätsbedrohungen erweisen sich die graduell ineinander übergehenden Identitätsbehauptungsstrategien der Rolleninszenierung, der Rollendistanz, der Rollendevianz und des Rollenausstiegs unter Zuhilfenahme der Einflussmedien Geld, Moral, Macht und Gewalt als geeignete Maßnahmen zur Abwendung der Bedrohung. Unter Rekurs auf die unterschiedlichen Identitätstypen
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des homo academicus oeconomicus kristallisieren sich vor allem zwei dieser Identitätstypen heraus, bei denen solche dauerhaften Identitätsbedrohungen vorliegen können, welche die Begehung eines campus shooting als extreme Form des identitätsbehauptenden Rollenausstiegs begünstigen können. Greifen bei klassischtraditional sozialisierten akademisch-wissenschaftlichen Akteuren, deren subjektiver Anspruch eines auf Qualität beruhenden Wissenschaftshandelns mit den ökonomisch-rationalen normativen Erwartungshaltungen und dem diese finanziell sanktionierenden Belohnungssystem des Akademischen Kapitalismus konfrontiert wird (Identitätstyp II), die identitätsbehauptenden Strategien der Rolleninszenierung, -distanz und -devianz nicht dauerhaft, so kann diese von dem Akteur subjektiv wahrgenommene Situation vollkommener Macht und der hiermit verbundenen Unterwerfung unter das Diktum des ökonomischen Primats – bei fehlenden Alternativen und einer subjektiv gerechtfertigten Anwendung physischer Gewalt – nur durch die Tötung der diesen »Machthaber« symbolisierenden Personen aufgehoben werden. Ähnliches gilt auch für einen akademisch-wissenschaftlichen Akteur, der bereits in der ökonomisierten Universitätslandschaft sozialisiert wurde, die hiermit verbundenen ökonomisch-rationalen normativen Erwartungen bereits inkorporiert hat, dessen Leistungen allerdings durch das Belohnungssystem vorwiegend negativ sanktioniert werden (Identitätstyp IV). Auch hier wird die Anwendung physischer Gewalt – bei erfolglosem dauerhaftem Einsatz der anderen Identitätsbehauptungsstrategien, fehlenden Alternativen sowie einer subjektiv gerechtfertigten Gewaltanwendung – zur letztmöglichen Art der Abwendung der Identitätsbedrohung, indem die Begehung eines campus shooting als identitätsbehauptende Handlung in Form eines endgültigen Ausstiegs aus der Rolle das subjektive Gefüge vollkommener Macht ebenfalls durch die Tötung stellvertretender Personen aufgehoben wird. Die der Begehung eines campus shooting zugrunde liegenden Identitätsbedrohungen sind dabei nicht nur das Resultat der fremddynamisch wirkenden intendierten strukturellen und organisationalen Reformmaßnahmen in Form der Ökonomisierung der Universitäten und der hieraus entstandenen (nicht-)intendierten Restrukturierungsund Hybridisierungseffekte, die zusammengenommen nicht nur zur Änderung der Soll-Erwartung an die akademisch-wissenschaftlichen Akteure führen, sondern sich in der nicht-intendierten Sozialfigur des homo academicus oeconomicus verselbstständigen, sodass die Ökonomisierung der Universitäten auch hierdurch rückwirkend bedingt und somit – als Folge dieser eigendynamischen Komponente – selbst zum Produkt der Reformprozesse wird. Als Gegenstand und Bestandteil der Reformprozesse stellen die Identitätsbedrohungen, durch die reformbedingten subjektiv erfahrenen Identitätsbedrohungen aufgrund der Balanceprobleme im Hinblick auf die ökonomisierten normativen und kognitiven Identitätskomponenten – dabei seitens der Akteure die ursprünglich intendierten strukturellen und organisationalen Restrukturierungs- und Anpassungsprozesse von innen heraus in Frage, sodass die (spezifisch) reformbedingten Identitätsbedrohungen als nicht-intendierte interne
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Nebenfolgen der Nebenfolgen anzusehen sind. Basierend auf dieser Tatsache und darauf, dass campus shootings als eine (extreme) Strategie zur Aufhebung jener Identitätsbedrohungen aufgefasst werden können, lässt sich somit für Amoktaten an Universitäten konstatieren, dass es sich hierbei (ebenfalls) um nicht-intendierte interne Nebenfolgen der (wiederum internen) Nebenfolgen der Hochschulreformen handelt.
8. Schlussbetrachtung
Campus shootings, wie Amoktaten an Universitäten hier terminologisch gefasst werden, sind eine nicht-intendierte Nebenfolge der Hochschulreform. Mit dieser Auffassung ist zugleich die Annahme verbunden, dass es sich bei campus shootings entgegen der landläufigen Meinung nicht um barbarische Akte der Gewalt handelt, die als Pathologien den Zivilisationsaspekt moderner Gesellschaften unterwandern, sondern dass campus shootings – als nicht-intendierte Nebenfolge der Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte der Hochschulreform(en) – vor allem ein Produkt moderner zivilisierter Gesellschaften sind. Diese Annahme beruht, wie in Abbildung 17 (s.S. 352) zusammenfassend dargestellt, zunächst auf dem Ausgangspunkt einer gesellschaftlichen Ökonomisierung, die sich ausgehend von einer intendierten Restrukturierung öffentlicher Verwaltungen – im Sinne einer angestrebten Anpassung an privatwirtschaftliche Unternehmen und der Implementierung einer am New Public Management (NPM) orientierten effizienten, effektiven und wirtschaftlichen Produktionsweise von Gütern – ab den 1970er Jahren im europäischen und US-amerikanischen Raum konstatieren lässt. Eingebettet in den wesentlich auf Organisationen als Leistungsträger moderner Gesellschaften beruhenden Kontext differenzierter Gesellschaften vollzieht sich die hierbei intendierte Änderung handlungsprägender Leitdifferenzen maßgeblich in den auf Leistungsaustausch basierenden organisationalen Interpenetrationszonen, innerhalb derer – im Kontext der Abarbeitung von Intentionsinterferenzen und Interessenkonflikten der beteiligten Akteure in Akteurkonstellationen – über den Prozess der Nebencodierung eine ›brauchbare‹ Transformation der bisherigen handlungsprägenden Leitdifferenzen hin zu ökonomisch rationalen Leitdifferenzen stattfindet. Dies kann am Beispiel der Ökonomisierung der öffentlichen Verwaltungen durch die Transformation der ursprünglichen Leitdifferenz sozial = kein Gewinn in die wettbewerbsorientierte und damit ökonomische Formel sozial = Gewinn exemplifiziert werden.
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Abbildung 17: campus shootings als nicht-intendierte Nebenfolge der Hochschulreformen
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Aufgrund pluraler Organisationszugehörigkeiten von Akteuren und der Durchdringung ihrer Handlungsorientierungen mit dem ökonomischen Primat und den NPMinhärenten Prämissen der Effektivität, Effizienz und Wirtschaftlichkeit diffundiert das ökonomische Rationalitätskriterium auch in weitere gesellschaftsrelevante Bereiche, sodass hieraus die (vollständige) Ökonomisierung der Gesellschaft auf der individuellen, organisationalen und strukturellen Ebene resultiert. Integriert in diesen Kontext und konfrontiert mit der zunehmenden Entstehung globaler Wirtschaftsmärkte müssen moderne Gesellschaften hinsichtlich ihres Fortbestands auch international wettbewerbs- und konkurrenzfähig sein, was durch den Auf- und Ausbau wissensbasierter Wirtschaften, innerhalb derer (wissenschaftliches) Wissen und die hiermit verbundene Entwicklung neuer Technologien auf Basis technologisch orientierter und wirtschaftlich vermarktbarer Forschung zur treibenden Kraft werden, möglich ist. Universitäten kommt hierbei als Produzenten und als über Ausbildung vermittelnde Instanzen des zum Aus- und Aufbau der wissensbasierten Wirtschaften benötigten Wissens eine zentrale Funktion zu, die sie aufgrund ihrer bisherigen Struktur und Organisation und des damit einhergehend konstatierten Funktionsdefizits seitens des wissensgesellschaftlichen trilateralen Geflechts aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft im Hinblick auf die sich ändernden dynamischen Umweltanforderungen allerdings nicht adäquat erfüllen können. Im Zuge europäischer und US-amerikanischer politischer Reformbestrebungen wurde somit eine Reform der Hochschullandschaft forciert, welche über die Aspekte der Schaffung universitären Wettbewerbs, der Einführung einer dezentralisierten finanziellen Mittelzuweisung auf Basis einer universitätsinternen Umsetzung und Erfüllung der nun extern definierten und fixierten Ziel- und Leistungsvorgaben sowie einer Überwachung der intern zu erfüllenden Aufgaben über die Einführung von Qualitätssicherungsmaßnahmen und die NPM-inhärenten Steuerungselemente und Managementtechniken der Rechenschaftsablegung, der Leistungsevaluation, des Auditing und Controlling – im Rahmen einer ersten Ökonomisierung – zu einer institutionellen Differenzierung der Universitäten führte. Im Kontext der wettbewerbssteigernden institutionellen Differenzierung und der nun vorwiegend an externen (privatwirtschaftlichen) Kooperationen orientierten Akquirierung finanzieller Mittel wird dabei ein Druck zur Anpassung der universitären Teileinheiten der Lehre, Forschung und Verwaltung an die extern geforderten Effizienz-, Effektivitätsund Wirtschaftlichkeitskriterien erzeugt, der durch den Prozess der Nebencodierung des nun am wirtschaftlichen Qualitätsbegriff orientierten Verständnisses von Bildung in einer intendierten Ökonomisierung der Universitäten resultiert. In Folge dieser Ökonomisierung richten Universitäten alle ihre Leistungen an den ökonomisch-rationalen Effizienz-, Effektivitäts- und Wirtschaftlichkeitskriterien aus, um den externen Ziel- und Leistungsvereinbarungen gerecht zu werden und um somit ihre finanzielle Versorgung sicherzustellen. Im Rahmen dieses politisch intendierten, top-down-implementierten und gesteuerten Ökonomisierungsprozesses lassen
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sich auf einer zweiten Ökonomisierungsebene allerdings auch nicht-intendierte Restrukturierungs- und Hybridisierungseffekte konstatieren, die u.a. auf der komplexen Struktur des Reformobjekts Universität als institutionalisierter Organisation der lose gekoppelten Teilbereiche Lehre, Forschung und Verwaltung und der diesbezüglich wechselseitigen Abhängigkeiten und internen Dynamiken der Selbststeuerung und Selbstorganisation basieren. So lassen sich in dem auf struktureller Ebene entstandenen hybriden Gebilde des Quasi-Marktes Homogenisierungstendenzen konstatieren, die auf der Fokussierung auf Forschung als stärkste finanzielle Einnahmequellen von Universitäten beruhen, wobei sich die hier verfolgte Ausrichtung an den gewinnbringenden externen politischen und industriellen Bedarfen orientiert und somit in gewisser Weise den traditionellen wissenschaftlichen Kern des autonomen Erkenntnisgewinns konterkariert. Auf organisationaler Ebene führt die extern intendierte Ausrichtung auf Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit in Kombination mit der intra-universitären Implementierung von Rechenschaftsablegung, Zieldefinition und -festlegung, dem Auf- und Ausbau formaler Strukturen zur externen Leistungserfüllung mit einhergehender Professionalisierung von Management zu der Entstehung unternehmerischer Universitäten. Die Entstehung hiermit verbundener nicht-intendierter Nebenfolgen geht vorwiegend auf den zur eigenen Profitmaximierung benötigten Ausbau der formalen Struktur (Qualitätsmanagement, Strategieentwicklung, Forschungs- und Nachwuchsförderung sowie der extern intendiert zu forcierende Technologietransfer) zurück, welcher zu Lasten der Bereiche Lehre und Forschung zu einer Autonomieerhöhung der Verwaltungseinheiten führt und somit in einer engeren Kopplung der universitären Teilbereiche und einem stärkeren Abhängigkeitsverhältnis von Lehre und Forschung von den managerialen Verwaltungseinheiten resultiert. Hiermit verbunden ist darüber hinaus eine dauerhafte, finanziell sanktionierbare, synoptische Leistungsüberwachung auf Basis der über die Rechenschaftsablegung eingeführten indikatoren- und kennziffernbasierten quantitativen Leistungsbemessung, was zu einer zwangsweisen Verlagerung des akademischen Schwerpunktes auf die Ausrichtung an strategischem Management und der Erfüllung dieser Leistungskriterien führt, das einstige reine forschungsanleitende Erkenntnisinteresse flankiert und durch die nicht-intendierte Professionalisierung von Management die Bedeutung und Einflussnahme der akademischen Profession schwächt. Als Folge dieser extern intendierten und erzwungenen Reformanforderungen und -maßnahmen sowie der eingetretenen nichtintendierten inter- und intra-universitären Homogenisierungseffekte und des grundlegenden normativen Drucks hinsichtlich einer ökonomischen und auf Wirtschaftlichkeit, Effektivität und Effizienz beruhenden Ziel- und Leistungserfüllung lässt sich im Kontext der Hochschulreformen schließlich ein universitärer Isomorphismus konstatieren, innerhalb dessen letztlich auch die grundlegenden Basisannahmen der universitären Kultur einer Intrusion des ökonomischen Rationalitätskriteriums unterliegen, sodass der universitäre Isomorphismus als Rahmenbedingung für
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den Wandel des Rollenbildes wissenschaftlicher Akteure hin zu der hybriden Sozialfigur des homo academicus oeconomicus angesehen werden kann. Als Mischform aus den beiden Akteurmodellen des homo oeconomicus und des klassischtraditionellen homo academicus handelt es sich hierbei um einen Akteur, dessen Handeln explizit an dem (quantifizierten) Sammeln und Erfüllen von Leistungspunkten sowie der geforderten Profitmaximierung im Hinblick auf universitäre und individuelle Finanzgewinne ausgerichtet ist. Gerahmt von den auf Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit beruhenden normativen Erwartungen der universitären Bezugsgruppen an die akademisch-wissenschaftlichen Akteure und einer hiermit einhergehenden Implementierung eines ausschließlich auf finanzieller Sanktionierung beruhenden Modells der Belohnung quantitativer wissenschaftlicher Leistungen wird das – dem homo academicus oeconomicus inhärente – effiziente Wissenschaftshandeln als weitere nicht-intendierte Nebenfolge der Hochschulreformen tatsächlich zu einer neuen Soll-Erwartung an die Rolle akademisch-wissenschaftlicher Akteure. Aufgrund einer weiterhin zugesprochenen Teilautonomie der Akteure in Bezug auf die individuelle Umsetzung der extern definierten und fixierten Ziel- und Leistungsvorgaben handelt es sich bei der Befolgung der neuen Rollenerwartungen allerdings nicht um ein striktes role-taking, sondern um eine subjektiv gestaltbare Rolle (role-making), was zugleich Rückschlüsse auf unterschiedliche Identitäten bzw. Identitätstypen des homo academicus oeconomicus zulässt. Der subjektive Gestaltungsspielraum entspricht dabei einem evaluativen Selbstanspruch der Ausgestaltung der Rolle, der von den prinzipiell im homo academicus oeconomicus vorhandenen normativen Erwartungsausprägungen einer sowohl auf ökonomischen (homo oeconomicus) als auch auf klassisch-traditionell wissenschaftlichen Rationalitätskriterien (homo academicus) beruhenden Handlungsausrichtung gerahmt wird und in Übereinstimmung mit den universitären Zielen entsprechend dem Belohnungsmodell abgeglichen werden muss. Gemäß soziologischen Identitätskonzeptionen handelt es sich bei diesen drei Komponenten um die für den Erhalt und Aufbau von Identität(en) relevanten Aspekte der Ich-Identität, der sozialen Identität und einer diese beiden Komponenten kombinierenden und bestätigenden Identitätsbalance. Da die letztlich bestätigende Identitätsbalance auf dem Prozess der Behauptungsarbeit von Identität beruht und Identität(en) aufgrund subjektiv negativ wahrgenommener Diskrepanzen zwischen den jeweiligen Komponenten auch bedroht werden können, kann hinsichtlich des subjektiven Handlungsantriebs der Identitätsbehauptung auf unterschiedliche Strategien in Kombination mit unterschiedlichen Mitteln der Einflussnahme in den identitätsbedrohenden Akteurkonstellationen zurückgegriffen werden. Innerhalb des durch die Hochschulreformen bedingten Akademischen Kapitalismus lassen sich derartige Identitätsbedrohungen vor allem für zwei Identitätstypen des homo academicus oeconomicus konstatieren. Dabei unterliegen beide Identitätstypen den normativ fixierten, ökonomisch-rationalen Bezugsgruppenerwartungen und dem identitätsbestätigenden finanziellen Belohnungsmo-
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dell, unterscheiden sich allerdings hinsichtlich eines qualitativ bzw. quantitativ ausgeprägten Selbstanspruchs bzgl. wissenschaftlichen Handelns. Gelingt es diesen beiden Varianten des homo academicus oeconomicus bei dauerhaft vorliegenden und im Zeitverlauf zunehmenden Identitätsbedrohungen nicht, diese Bedrohungen mithilfe der Strategien der Rolleninszenierung, -distanz und -devianz dauerhaft abzuwenden und somit ihre Identität zu behaupten, verbleibt als letzte Möglichkeit der Ausstieg aus der Rolle. Liegen hierbei keine Alternativen im Sinne eines ›einfachen‹ Rollenausstiegs vor – wie bspw. ein erfolgversprechender Wechsel in nichtuniversitäre Berufszweige – oder trägt eine selbstkritische Reflexion hinsichtlich der starken subjektiven Identifikation und intrinsischen Motivation, ein guter Wissenschaftler zu sein, im Sinne einer Umdefinition der evaluativen Identitätskomponente nicht zu der grundlegenden Bereitschaft zu einer beruflichen Umorientierung bei und wird im Hinblick auf die Identitätsbehauptung der Einsatz von Gewalt subjektiv gerechtfertigt, dann wird die Begehung eines campus shooting zur letzten identitätsbehauptenden Option im Sinne eines extremen Rollenausstiegs. Aus subjektiver Perspektive ist dies die einzige Möglichkeit, das vorliegende dauerhafte vollkommene Machtgefüge des Akademischen Kapitalismus durch die Tötung des Machthabers zu durchbrechen. Zwar kann der Machthaber im universitären Kontext nicht direkt angegriffen und getötet werden – hierbei handelt es sich letztlich um gesellschaftliche Teilsysteme und organisationale Teileinheiten bzw. im gänzlich abstrakten Sinne um NPM und den ökonomischen Primat –, aber durchaus Individuen als Repräsentanten des ökonomisierten Systems, bei denen es sich gemäß der Definition von campus shootings sowohl um spezifische einzelne Personen als paradigmatische Vertreter der hochschulreformbedingten institutionalisierten organisationalen Strukturen (z.B. im Bereich der Leitungsebenen) als auch um Mitglieder der relevanten Bezugsgruppen aus den organisationalen Teilbereichen Lehre und Forschung (Studierende, wissenschaftliche Mitarbeiter, Professoren) handeln kann, die im Rahmen des extremen (homizidal und suizidal angelegten) individuellen Gewaltaktes des campus shooting gezielt und bewusst als Opfer(-gruppen) ausgewählt werden. Die einem campus shooting vorangehenden Identitätsbedrohungen stellen auf Seiten der Akteure – eben durch die reformbedingten, subjektiv erfahrenen Identitätsbedrohungen aufgrund der Balanceprobleme im Hinblick auf die ökonomisierten normativen und kognitiven Identitätskomponenten – in gewisser Weise die ursprünglich intendierten strukturellen und organisationalen Restrukturierungsund Anpassungsprozesse von innen heraus in Frage, sodass die (spezifisch) reformbedingten Identitätsbedrohungen als nicht-intendierte interne Nebenfolgen der Nebenfolgen der Hochschulreformen anzusehen sind. Lässt sich somit für die reformbedingten Identitätsbedrohungen konstatieren, dass diese nicht-intendierte Nebenfolgen der Nebenfolgen der Hochschulreformen sind, so trifft dies auch für campus shootings als (extreme) Form identitätsbehauptenden Handelns zu. Denn sind die spezifisch reformbedingten Identitätsbedrohun-
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gen bereits das Resultat der nicht-intendierten internen Nebenfolgen der Nebenfolgen des universitären Ökonomisierungsprozesses und lassen sich campus shootings als Resultat einer extremen Strategie zur Aufhebung jener Identitätsbedrohungen auffassen, so lässt sich auch für Amoktaten an Universitäten konstatieren, dass diese ebenfalls eine nicht-intendierte interne Nebenfolge der (wiederum internen) Nebenfolgen sind. Und insofern sind campus shootings als nicht-intendierte Nebenfolge der Hochschulreform(en), wie eingangs erwähnt, vor allem ein Produkt moderner zivilisierter Gesellschaften.
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