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German Pages 321 [324] Year 1805
C.
M.
WIELANDS
SÄMMTLICHE W E R K E
ACHT
DAS
U N D
D R E Y S S I G S T E R
HEXAMERON
VON
BAND.
ROSENHAIN.
L E I P Z I G BEY
GEORG
JOACHIM
GÖSCHEN.
1805-
D
H
E
X
VON
A
A
S
M
E
R
O
N
ROSENHAIN.
H E R A U S G E G E B E N
VOW
C.
M.
W
L BEY
GEORG
E
I
I
E
P
Z
JOACHIM
L
I
A
N
D,
G GÖSCHEN.
1805.
VOR B E R I E I N E S
Das
U N G E N A N N T E N .
Zusammentreffen
zufalliger
Umstände
liehenem
Sommer
Gesellschaft
CHT
verschiedener
brachte eine
liebenswürdiger
bildeter Personen beiderley
in
ver-
auserlesene und
ge-
Geschlech-
tes auf dem Landsitz des Herrn von P. im **** zusammen. Einige von ihnen hatten sich schon zuvor gekannt, andere sahen sich zum ersten Mahle; man wollte ältere VerWIRUXDS
s. W. XXXV1H. B.
A
2
V O R B E R I C H T .
hältnisse enger zusammenziehen,
auch
mocht'
es
mit
dem
Finger
auf
darauf
ab-
anzuknüpfen,
da
gesehen unter
(wiewohl dem
seyn den
noch
Munde)
neue
Anwesenden
einige
junge
Leute w a r e n , über deren bisher
noch
freye Herzen Araor und Hymen, jeder mit Vorbehalt te,
sich in
seiner
besondern
Piech-
Güte zu vergleichen
nicht
ungeneigt schienen. Dafs wir die Leser nen , denen Hände
fallen
lichen und
diese
mit
topografischen,
Schlosses, der
Leserin-
Handschrift
könnte,
poetischen
oder
in
ausführ-
mahlerischen
Beschreibungen
Gärten,
die
des
des Parks und
der übrigen Umgebungen von P i o s e n h a i n verschonen, lich
mit
wiewohl
werden S i e hoffent-
gehörigem es
einem
Dank
erkennen,
Schriftsteller
von
V O I\ B E 11ICHT. Profession vielleicht •werden möchte.
übel
heit, sich das alles oder
tisch ,
in
so
ausgedeutet
Wir setzen dadurch
Ihre Einbildungskraft in reich,
3
volle
Frey-
so prächtig
lieblich
Griechischem
schem, Mohrischem oder
und
und
roman-
oder
Gothi-
Sinesischem,
in ihrem eigenen oder in. Ggar keinem D Geschmack, vorzustellen und auszumahlen, wie es Ihnen nur immer am gefalligsten seyn mag.
Man hat sich
an dergleichen Beschreibungen so
satt
gelesen, dafs die Neuheit selbst (wenn anders nach Mistrifs P i a d k l i f f e und nach J e a n
Paul
noch
etwas
Neues
in dieser Art möglich ist) kaum vermögend w ä r e , einige Aufmerksamkeit zu
ei regen.
Überhaupt
durfte
den
meisten Erzählern zu rathen seyn, diesem
und
ähnlichen
Fällen
in
ihren
4
V O R B E R I C H T .
Lesern lieher zu viel als zu wenig Einbildungskraft zuzutrauen. Eine vermischte,
ziemlich
zahlrei-
che Gesellschaft, welche mehrere
Wo-
chen auf dem Lande beysammen
lebt,
h a t , aufser den gewöhnlichen
Vergnü-
gungen des Landlebens, noch manche Mafsnehmungen schwerlichste
nöthig,
aller
um
bösen
die
be-
Feen,
die
Langeweile, von sich abzuhalten. Die Gesellschaft, von welcher hier die Rede ist, hatte bereits so ziemlich alle
andern
Hülfsquellen
als eine junge Dame,
die
erschöpft, wir
(weil
die wahren Nahmen hier nicht zu erwarten
sind)
Piosalinde
wollen, auf den alten, nachgeahmten
nennen
so oft
schon
Boccazischen
Ein-
fall k a m : dafs Jedes der Anwesenden, nach
dem
Beyspiel
des
berühmten
V O R B E R I C H T .
Dekamerone, rons
5
oder des H e p t a n i e -
der Königin
von
Navarra,
der Ileihe nach, Etwas einer Novelle,
oder,
iii
kleinen
Ermanglung
Bessern, wenigstens
einem
eines
Mährchen
ähnliches der Gesellschaft zum Besten geben sollte. Dieser Vorschlag fand Beyfall Widerspruch. Jüngsten
Die
Ältesten
erklärten
sich
und
sogleich
und die ganz,
entschieden, dafs sie, wenn der Vorschlag
durchginge,
geneigte
Zuhörer
zwar
sehr
abgeben,
aber,
gern im
Bewufstseyn ihrer Armuth an den nöthigen
Erfordernissen,
niemahls
eine
thätige Piolle bey dieser Art von Unterhaltung spielen würden. Die besagte junge Dame und zwey oder drey andere, welche sogleich auf ihre
Seite
getreten
waren,
wollten
6
VORBERICHT.
Anfangs eine Weigerung,
welche
sie
einem blofsen Ubermafs von
Beschei-
denheit zurechneten,
weniger
um
so
gelten lassen, da sie selbst, Fall alle Übrigen gleiche
nur
im
Gefahr
mit
ihnen laufen wollten, Muth genug in sich
zu
chen
fühlen
Witz
vorgaben,
und
Laune
ihr
auf
mifsliches Spiel zu setzen. Jene,
Ein Wendens
ihrer Weigerung ten , dafs es länger in
nüthig,
ungeachtet,
auf
ernstlich beharrgewesen
Gesellschaft
nach,
sich einige
so aber
unartig
endlich
ein Als
sie zu dringen,
Übrigen doch
so
Bifs-
von
wäre
gaben die
fanden der
Punkte
aber
ganzen auszube-
ding;en, D ' ohne welche sie sich schlechterdings in Nichts Eine der
dieser
junge
einlassen
Bedingungen,
Wunibald
von
könnten. worauf P.
mit
Volt
7
B E R I C H T .
einem beinahe komischen
Ernste
stand , und worin
er
groisen
unterstützt
Mehrheit
w a r : dafs alle
auch
von
beder
wurde,
empfindsame Familien-
geschichten , und alle sogenannte moralische Erzählungen, worin lauter in Personen
verwandelte
Tugenden
und L a s t e r , lauter Menschen Unschuldswelt, G iite, und
lauter
Edelmuth,
aus der
Ideale
von
Selbstverläugnung
grenzenloser Wohlthätigkeit,
geführt
werden,
ein
für
alle
aufMahl
ausgeschlossen seyn sollten. Ich bitte sehr, setze Herr bald
Wuni-
hinzu, mir diese Ausschliefsung
nicht so
auszulegen,
Dichtungen
dieser
als
Art,
ob
ich
woran
die wir,
denke ich, reicher sind als irgend ein Volk in der W e l t , dienst
zu
schätzen
nicht wisse.
nach
VerGewifs
8
V O R B E R I C H T .
haben auch sie, wie
alles unter
der
Sonne, ihren Werth und Nutzen; und ich gestehe gern, Ein Beyspiel
ich
(um
nur
zu nennen) in den inei-
sten
Erzählungen
sehr
angenehme
den hahe.
dafs
Aber
von
Starke
Unterhaltung
eine gefun-
man kann selbst des
Besten zu viel bekommen, Unschuld
und
nichts als
Unschuld
und immer
Wohlthätigkeit und
und
Wohlthätig-
keit geschildert zu sehen, könnte zuletzt
auch
dem
von
Unschuld
lästig w e r d e n ;
wärmsten imd
Wohlthätigkeit
zumahl,
stich der Menschen, mit in
unserm
ganzen
Liebhaber
da
der
Ab-
denen
wirs
Leben
zu
thun
h a b e n , von den Bürgern dieses herrlichen Landes N i r g e n d s w o
gar
zu
auffallend und schreyend ist. Vielleicht, sagte die Frau des Hau-
V O K B E R I C H T .
9
ses, liegt der Fehler blofs d a r a n , dafs man uns diese rein unschuldigen und durchaus lauter
immer
Verhältnissen
darstellt, aus
guten
worin
dieser
Menschen
und
sie
Welt
uns
der
Dichter
Umständen
wie
Menschen
aussehen
Da kommt es 1111s dann
sollen.
vor, als ob
wirklich
täuschen
und im Ernste überreden möchte, gebe
solche
in
empfindsame
es
Tischler
und Schneidergesellen, so edelgesinnte gewissenhafte Taglöhner so
holdselige,
zugleich
so
und
kunstlose,
Bettler,
und
feingebildete,
doch Madon-
nenartige Pfarrerstöchter,
und so un-
endlich
reiche
freygebige
und
Kammer - und Kommerzien - Räthe unserm
lieben
überall
vollauf;
Hofin
deutschen
Vaterlande
und
kann
wer
das weifs machen lassen?
sich
lO
V o K B E H I C H T .
Verzeihen S i e , gnädige F r a u , sagte die
junge
Am an d e
ihr
geistvolles
B.,
indem
sich
Gesicht mit einer
benswürdigen
Schamröthe
lie-
überzog,
diefs konnte
doch schwerlich die Mei-
nung
so
wie
eines Starke
Absicht,
verständigen
seyn.
uns desto
Sollte nicht die mehr
Personen zu g e w i n n e n , anschaulich
Mannes
gemachte
für
und durch die Möglichkeit,
auch in u n s e r n Verhältnissen und gut
zu seyn als j e n e ,
lebhafteres Verlangen,
seine
so edel
ein
desto
es in der That
zu w e r d e n , in seinen Lesern
zu er-
wecken,
die
sollte diese Absicht,
er
auf keine andere Weise so gut erreichen
zu können
glaubte,
nicht
hin-
länglich seyn ihn zu rechtfertigen? Ihre setzte
Bescheidenheit,
Frau
von
P.)
liebe B. (ververwandelt
in
V O R B E R I C H T ,
eine F r a g e ,
was
ausgemachtes
Ihnen
ist. die
Ich
Glauben
an
Güte
keit der
menschlichen
11
selbst
etwas
liebe
diesen
und
Bildsarn-
Natur,
woran
Ihr Herz und die Unerfahrenheit Ihres Alters gleich viel Antheil hat.
Möch-
ten Sie nie Ursache finden, Ihre gute Meinung von der Menschheit zu dern !
Immer
dünkt
mich
die Versetzung solcher schen
indessen,
Engel-Men-
in unsre Alltagswelt, wie viel
Lebensähnlichkeit Dichter
än-
ihnen
auch
ein
zu leihen weiTs,
diene
doch
nur dazu, uns desto gewisser zu machen ,
dafs
erzählt.
er
Meines
uns
hlol'se
Erachtens
Mährchen ist
eine
der Hauptursachen , warum wir G e f s n e r s Schäferinnen und Hirten so
na-
t ü r l i c h finden, weil er sie uns nicht für
unsre
Landesleute
und
Mitbür-
12
V O R B E R I C H T .
ger giebt, sondern für Bewohner eines idealischen machten
ausdrücklich
Arkadiens,
ihrer Unschuld und es
und
natürlich
knechte, in
ist,
sie
ge-
es
eben
so
wo
natürlich zugeht, wenn wohlgesittet
für
sie bey
Einfalt so
zartfühlig dafs
Stücken
das
artig,
sind,
unsre
Viehmägde und
allen
aller als
Schaf-
Gänsehirten vollständigste
Gegenbild von jenen darstellen. Da
gegen ö o
diese
Bemerkungo
der
Frau von P. (vermuthlich aus blofser Höflichkeit) det
wurde,
nichts so
von W u n i b a l d
weiter blieb
es
eingewenbey
dem
vorgeschlagenen
Ge-
billig
was
setz. Ich lasse mir den
Meisten
gefällt,
gefallen
sagte
N a d i n e,
eine von den jungen Personen, che
Piosalindens
Antrag
wel-
unterstützt
V O R B E R I C H T .
hatten. lische lische
A b e r , wenn wir
sentimenta,-
Alltagsgeschichtchen Familienscenen
13
und
idea-
ausschliefsen,
so hoffe ich, es w e i d e mir aus gleichem Rechte zugestanden werden, gegen das gesammte Feen- und GenienUnwesen ,
gegen
alle
Elementengei-
ster, Kobolde, Schlösser von
Otranto,
spukende Mönche und im Schlaf
wan-
delnde
kurz;
bezauberte
Jungfrauen,
gegen alles Wunderbare und Unnatürliche, womit wir seit
mehreren
Jah-
ren bis zur Überladung bedient worden sind, Einspruch zu thun. Diese zweyte Bedingung fand noch lebhaftem
die
erste.
Welcher Dichter oder Erzähler,
sagte
man,
wird
Widerstand sich
unerschöpfliche pfen
eine
als
so reiche und
Hiilfsquelle
lassen wollen?
Die
versto-
Liebe
zum
V O R B E R I C H T .
Wunderbaren ist nicht nur der
all-
g e m e i n s t e , sondern auch der m ä c h tigste
unsrer
angebornen
Triebe,
und kaum wird eine Leidenschaft zu nennen
seyn,
die
nicht,
ihrer gröfsten Stärke,
sogar
in
der Gewalt des
Wunderbaren über
unsre
Seele
chen miifste.
Hang
zum Wun-
Der
derbaren ist,
wei-
wie man's nimmt,
die
stärkste und die schwächste Seite
der
menschlichen
Natur;
der selbst wirkt;
jenes
für
den,
dieses für den, der
auf sich wirken läfst.
Wer auf kei-
ner andern Seite zugangbar ist,
dem
ist
Wie
auf
dieser
übel würde
beyzukommen.
also
Gesellschaft, die
die
Hälfte
es auf ihre Gefahr
übernähme die andre zu daran seyn,
unsrer
unterhalten,
wenn ihr gerade das ge-
wisseste Hülfsmittel, die Zuhörer bey
VORBERICHT.
15
Aufmerksamkeit und guter
Laune
zu
erhalten, untersagt wäre? Diese und
andere Gründe wurden
mit vieler Wärme gegen die vorgeblichen Freunde des N a t ü r l i c h e n
gel-
tend gemacht,
hin-
wieder
mit
aber
von
triftigen
diesen
Gegengründen
eben so eifrig bestritten : bis
endlich
Herr M . , ein grofser Bewunderer neuesten
Filosofie,
und
VorschlagO
die
den
ins
Mittel
der trat,
that : wenigstens Ö S c h u t z g e i s t e r von dem Bann,
welchen
Nadine
Geister- und chen hatte,
über das
Zauberwesen auszunehmen.
gesammte ausgesproDie neue-
ste Filosofie, versicherte e r , sey (gleich der alten P l a t o n i s c h e n schen
(eine
erklärte
Wunderbaren, fernt,
und
und
Stoi-
Gönnerin
des
so weit
ent-
Geistererscheinungen
für etwas
16
V
Ö R B E R I C H T .
unnatürliches
anzusehen, dafs viel-
mehr, ihr zu Folge, die ganze K ö r p e r w e i t nichts als eine b l o £ s e stererscheinung, auiser
den
und
Geistern
ge ohne
also
darauf
sich
an:
einer
schränkung ihrer
eigentlich
gar
Hede werthes vorhanden
nichts sey.
den
nehmen
wollten,
den Gebrauch,
der
Er
tra-
Erzählern,
ungebührlichen wohl
Ein-
hergebrachten
Dichterfreyheit anzumafsen, grofsen Spielraum,
Gei-
einen
so
als sie sich selber zu
gestatten,
und
den sie vom Wunder-
baren zu machen gedächten,
lediglich
ihrer eigenen Bescheidenheit und Klugheit anheim zu stellen. —
Herr M. zog
im Nahmen der neuesten Filosofie eine so Ehrfurcht gebietende Stirne sem Vortrag, dafs weder sonst Jemand
das
Herz
zu die-
Nadine
noch
hatte,
sich
V O R B E R I C H T .
dagegen denn
aufzulehnen;
auch
dieser
und
17
so
schien
vorläufige
Punkt
aufs Reine gebracht zu seyn. Die Ordnung, in welcher die Personen , die sich zur thätigen Rolle in diesem
Gesellschaftsspiel
ten, einander ablösen
erboten
sollten,
hat-
wurde
itzt durchs Loos entschieden, und zugleich die Abrede getroffen, dafs man sich
künftig,
dazwischen
so fern
käme,
nichts
alle
anders
Abende
eine
Stunde vor Tische in der grofsen Rosenlaube
oder
im
Gartensahle
zwungen
zusammenfinden wollte;
es dann jedesmahl tige
Stimmung
kommen
sollte,
auf die
der
man
diese oder eine andere Art ten wolle. de
dazu
wo
gegenwär-
Anwesenden
ob
unge-
sich
anauf
unterhal-
Denn blofs weil die Stungeschlagen,
WIELANDS S. W . X X X V I I T . B .
und
gleichsam B
i£
V O R B E R I C H T .
ziii" Frohne,
Mährchen
anhören
zu
müssen, schien E t w a s , das weder sich selbst noch andern zuzumuthen sey.
So weit geht in der Handschrift, — welche
dem
Herausgeber,
sehr
zier-
lich
auf Velinpapier
geschrieben
von
etlichen
mit
Zeilen
schritt
Iiosalinde
schickt
tind
begleitet, 7 D
zu beliebigem
überlassen worden — Die
der
Handschrift
und
UnterzugeO
Gebrauch
der Vorbericht.
selbst
führt
den
Titel DAS I I E X A M E R O N
und (oder
besteht
V O N
aus
Mährchen
ROSENIIAIN,
sechs
Erzählungen
wenn
man
lieber
V O R B E R I C H T .
19
•will) womit die Gesellschaft auf dem Schlosse viel
zu
schönen
Rosenhain
an
eben
so
Sommer - Abenden
von
sechs Personen, deren wahre Nahmen hinter romantische versteckt sind, unr terhalten wurde. Wofern sie nicht henden
einen
sehr
be-
Geschwindschreiber
bey
der
Hand
hatten,
so
dafs
jedes sein
ist zu
vermuthen,
Mährchen
selbst
zu
Papier gebracht und den andern Mitgliedern der Gesellschaft Abschrift davon
zu
nehmen
dessen gedachte schwerlich, Zeitkürzungen
erlaubt
Anfangs
man
aus
den
eines
habe.
Inwohl
anspruchlosen kleinen
Kreises
einander gefallender und daher leicht befriedigter Verwandten eine Unterhaltung machen.
für
und die
Freunde Welt
zu
Aber, was in ähnlichen Fäl-
20
len
V O R B E R I C H T .
schon
öfters
geschah,
begegnete
auch h i e r ; und, wie es immer damit zugegangen seyn mag, gewifs ist wohl, dafs die Handschrift dem
Herausgeber
nicht zugeschickt w u r d e , um sie unter sieben Siegeln in einzukerkern.
seinen
Schreibtisch
DAS H E X A M E R O N VON
ROSENHAIN.
D e r Abend w a r so a n m u t h i g ,
der Himmet
so heiter, die L u f t so mild u n d balsamisch, und der Anblick des Gartens im
Zauber-
licht des wachsenden Mondes aus den Fenstern des Speisesahls so e i n l a d e n d ,
dafs die
Gesellschaft sich zu einem gemeinschaftlichen L u s t w a n d e l entschlofs. M a n vertheilte sich zu zweyen und d r e y e n , entfernte sich, u n v e r m e r k t von e i n a n d e r , eben so unversehens
begegnete
wieder,
verlor
von n e u e m , und f a n d sich endlich,
sich sich ohne
A b r e d e , w i e d e r vollzjhlich in der Rosenl a u b e , die damahls eben in s t a n d , beysannnen.
voller Bluthe
24
D A S
HEXAMERON
VON
ROSENIIAIN.
In kurzen gab die lauschende S t i l l e , die ü b e r der Gesellschaft
zu s c h w e b e n schien,
das Z e i c h e n , dafs man sich zum Hören ges t i m m t f ü h l e , und R o s a l i n d e einer
so
schmeichelnden
wurde mit
Ungeduld
ihres
Versprechens e r i n n e r t , dafs sie sich der Erf ü l l u n g um so w e n i g e r entziehen
konnte,
da sie bereits z w e y oder drey T a g e darauf vorbereitet w a r .
S i e fing; also — nachdem
sie der j u n g f r ä u l i c h e n Gottin
der
Scham-
l i a f t i g k e i t durch die in solchen F ä l l e n gewöhnlichen
Entschuldigungen,
Nachsicht und dergleichen,
Bitten
um
das
schuldige
Opfer gebracht — ihre E r z ä h l u n g
folgender
M a f s e n an.
N A R C I S S U S
NARCISSUS
UHD
UND
NARCISSA.
25
NARCISSA.
Es war an einem Abend, der vielleicht so schön w a r als der h e u t i g e , als die Perise M a l i a d u f a , aus der dritten Ordnung der weiblichen Schutzgeister, sich auf einer au9 den süfsesten Düften des Frühlings zusammen geronnenen , leichtschwebenden W o l k e nieder l i e f s , um einige Augenblicke von einem langen F l u g auszuruhen und die Sorg e n , die ihr Gemüth verdüsterten, im Anblick der prächtig untergehenden Sonne aufzulösen. V e r z e i h u n g , sagte Nadine mit einer Verneigung gegen die ganze Gesellschaft, dai's ich die Erzählung gleich Anfangs unterbrechen mufs, um mir einen kleinen Unterricht auszubitten, was eine P e r i s e i s t , uud was ich mir bey der dritten Ordnung der weiblichen Schutzgeister zu denken h a b e ?
2.6
DAS
HEXAMERON
VON
ROSENIIAIN.
Kommen Sie mir zu Hülfe, lieber W u nibald , sagte Rosalinde, sich gegen den jungen P . . , ihren Verwandten und erklärten Liebhaber, wendend; ich inul's zu meiner Beschämung gestehen, dafs ich auf diese Frage nicht vorbereitet bin, und ich fürchte sehr —• Fürchten Sie nichts, fiel ihr Wunibald ins W o r t ; meine Kenntnifs der inneiii Verfassung der Geisterwelt ist zwar auch nicht weit her, denn ich habe sie gröfstentlieil^ nicht tiefer als aus Tausend und Einer Nacht geschöpft; aber Nadine wird sich auch genügen lassen, wenn ich ihr mit zwey Worten alles sage was ich selbst davon weifs; nehmlich, dafs unter den P e r i s , öder g u t e n G e n i e n ^ ein Geschlechtsunterschied Statt findet, und dafs sie gröistentlieils Schutzgeister der Menschen, und je nachdem sie entweder ganzen Völkern und Ländern j oder regierenden Königen und Fürsten, oder andern durch grofse persönliche Vorzüge und eine höhere Bestimmung über die gemeinen Menschenkinderemporragenden Personen zu Beschützerp ge-
N A R C I S S U S
B»D
N A R e i s SA.
2 7
geben sind, in eben so viele besondere Ordnungen abgetheilt werden. Diese. P e r i s heifsen auch D s c h i n n e n , und das Reich, w o sie zu Hause sind, und von einem unumschränkten Monarchen ihres Geisterstammes beherrscht w e r d e n , w i r d D s c h i n n i s t a n genannt. Dafs sie ' übrigens mit den Elementgeistern des Grafen G a b a l i s , wen S y l f e n , G n o m e n , O n d i n e n und S a l a m a n d e r n , nicht zu verwechseln sind, w i l l ich nur iin Vorbeygehen bemerkt haben.. Rosalinde nickte Wunibalden ihren Dunk mit einem etwas schalkhaften Lächeln .zu, und fuhr f o r t : W e n n Herr von P. nicht durch die alberne A r t , w i e ich meine.Erzählung a n f i n g , Gelegenheit bekommen hätt e , sich um uns alle durch Mittlieilung seiner Kenntnisse in diesem wichtigen Theil der Geisterlehre verdient zu machen, so könnt' ich mir selbst gram defswegen seyu, dafs ich — was doch so leicht gewesen w ä r e , — den Anlafs zu dieser Unterbrechung nicht vermieden habe. Denn wozu hatte ich denn nöthig die P e r i s e n und die d r i t t e O r d n u n g ins Spiel zu men-
2ß
DAS
HEXAMERON
VON
ROSENIIAIN.
g e n ? Brauchte ich doch nur zu sagen: der S c h u t z g e i s t Mahadufa habe sich auf die W o l k e niedergelassen, so war jedermann zufrieden. Das sind w i r auch jetzt, sagte Frau von P . , wenn Sie so gut seyn wolleit fortzufahren , ehe jemand in Versuchung geräth Sie durch eine neue Frage zu unterbrechen. W e n n die Rede von G e i s t e r n i s t , sagt der Filosof M . , mufs man nicht f r a g e n , sondern h ö r e n und g l a u b e n . Durch Fragen kommt man z w a r , wie das Sprüchwort s a g t , nach R o m ; aber das gilt nur von diesem groben planetarischen Erdklum-. p e n ; in der Geisterwelt kommt man durch Fragen uin kein Haarbreit vorwärts. Also wieder auf Ihre duftreiche Abendwolke, zur Schutzgeistin M a h a d u f a , wenn ich bitten d a r f , mein Fräulein! — Und icli, sagte der alte Herr von P . , verspreche Ihnen für uns a l l e , Sie sollen nicht wieder unterbrochen werden. Mahadufa hatte kaum einige Minuten von der W o l k e Besitz genommen , als X e ! r> I o ein mannlicher Genius aus derselben Or Vermuthlich würde das Herz die Oberhand behalten haben, wenn sie nicht in dem Blikk e , womit der Prinz, indem er sich vor ihr aufs rechte Knie niederliefs , ihre Augen bis auf den Grund zu durchforschen schien, den Triumf eines seiner Sache schon gewissen Siegers zu sehen geglaubt hätte. Darf ich mir schmeicheln, sagte er, dafs die schöne Heliane keinen Augenblick zweifelte, w e t die U n g e n a n n t e s e y , die allein mich in ein und dreyfsig Kämpfen zum Sieger machen konnte ? Empfanget, edler Ritter, antwortete Nai» cissa, indem sie ihm den Dank (eine auft goldnen Lorbeerblättern zierlich gewundne und mit Perlenschnüren durchflochtene Krone) aufsetzte, mit meinem Glückwunsch den Preis eurer Tapferkeit, und trauet mir so* viel Bescheidenheit zu, ein Geheimnifs, wo-
N A H C I S S U S
UND
N A R C I S S A .
69
f ü r Ihr so Viel w a g t e t , w e d e r erratben noch erforschen zu wollen. Sie sagte diefs mit einem Blick und einem Lächeln,
die ihren W o r t e n mehr als
die
H ä l f t e von ihrer Bitterkeit benehmen sollt e n : aber auf den stolzen Narcissus w i r k t e beides das Gegentheil; der s a n f t e Blick u n d das holde L ä c h e l n schienen ihm die Verapht u n g noch durch H o h n zu schärfen. E r raffte sich hastig a u f , w a r f einen Blick, der blofs zürnen sollte aber seinen Schmerz nicht verhehlen k o n n t e , auf Narcissen , u n d entfernte sich von ihr mit einer tiefen Verbeugung, w i e einer der n i c h t wieder zu kommen gesonnen ist, D a f s übrigens von dem goldnen
Ritter,
den N i e m a n d kennen w o l l t e , u n d von seinem eben so plötzlichen Erscheinen als Vers c h w i n d e n , bey H o f u n d in der Stadt etliche Tage lang viel gesprochen,
vermuthet
u n d gestritten w u r d e , ist leicht zu erachten. D a man aber immer w e n i g e r von der Sache begriff, je mehr man sie k e h r t e , so blieb die
auf
alle Seiten
allgemeine
Meinung
endlich bey der Voraussetzung s t e h e n ,
es
70
DAS
HEXAMERON
VON
ROSEKHAIN.
sey ein von Helianen angestellter Handel gewesen, um dem Prinzen eine Erklärung abzunöthigen , zu welcher er, aus Ursachen, die er selbst am Besten wissen müsse, sich nicht entschliefsen zu können scheine. Sobald unsre Selbstliebhaber sich wieder allein sahen, fand sich, dafs sie mit ihrem geliebten Selbst noch weniger zufrieden waren als eines mit dem andern. Dagobert machte sich Vorwürfe, dafs er, anstatt Helianen öffentlich für seine Dame zu erklären, es darauf habe ankommen lassen ob sie sich in der Ungenannten erkennen werde ; und w i e sehr er sich auch durch ihre unbezwingbare Gleichgültigkeit beleidigt fühlte, so waren doch die Augenblicke die häüfigsten, worin er sie entschuldigte, ja sogar rechtfertigte, und gegen sich selbst behauptete , sie habe sich ohne Verletzung alles Zartgefühls nicht anders benehmen können. Narcissa hingegen zürnte über sich selbst, dafs sie seine Erklärung bey Empfang des Preises in einem Ton beantwortet hatte, der, wofern er sie wirklich liebte, sein Herz empfindlich kränken, und, falls die Liebe
N A K C I S S U S
UND
N A H C X S S A .
71
seinen Stolz noch nicht völlig überwältigt h a t t e , für eine förmliche Abweisung aufgenommen
werden
mufste,
also einander eine Art
Beide von
glaubten
Genugthuung
schuldig zu seyn, nur war die Schwierigk e i t , wie diefs geschehen könne ohne vielleicht einen Schritt zuviel zu t h u n , und das, was jedes sich selbst schuldig zu seyn glaubt e , auf ein ungewisses Spiel zu setzen. Diese Bedenklichkeiten eines übertriebenen Zartgefühls gaben ihrem
gegenseitigen
Betragen eine Miene von zwangvoller
Un-
schlüssigkeit zwischen Annäherung und Zurückhaltung. Sie beobachteten einander mit einer Art von
mifstrauischer
Theilnahme,
welcher kein B l i c k , keine noch so leise vorübergehende Veränderung der Gesichtszüge entwischte, die aber immer geneigt war et-, was Zweydeutiges zu sehen,
und
immer
zweifelhaft von welcher Seite sie es nehmen sollte.
D a s Peinliche eines solchen Verhält-
nisses brachte sie nicht selten in einem Anfall von Ungeduld zum Entschlufs , es gänzlich abzubrechen;
aber bey jedem
Versuch
uberzeugten sie sich stärker von der Unmög-
72
DAS
HEXAMERON
VOM
ROSENHAIN.
lichkeit der Ausführung. Siegen oder Sterben schien itzt Beider Wahlspruch zu seyn, und wer kann sagen, w i e lange diese seltsame Art, die Liebe wie einen Zweykampf auf Leben und Tod zu behandeln, noch hätte dauern, und welche Folgen sie wenigstens für die zarter gebaute Heliane hätte haben können, wenn ihr Verhältnifs nicht durch eine zufällige Begebenheit eine andere Wendung bekommen hätte. Nicht lange nachdem in Trapezunt alles wieder seinen gewöhnlichen Gang zu gehen begonnen hatte, traf ein Fremder daselbst ein, der in kurzer Zeit die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog. Er kam, seinem Vorgeben nach, aus einem so weitentfernten L a n d e , dafs desseri Nähme schwerlich je» mahls zu Trapezunt gehört worden w a r ; und w e i l sein eigener etwas schwer auszusprechen s e y , sagte e r , so habe er ihn ins Griechische übersetzt, und nenne sich dermahlen S o f r a n o r , so w i e seine ihn begleitende Schwester, E u f r a s i a . Da sie sich einige Zeit zu Trapezunt aufzuhalten und auf einem ziemlich grofsen Fufs zu
N A R C I S S W S
UKD
N A R C I S S A .
73
lebdn gesonnen waren, so miethete Sofranor einen d i r schönsten Paläste der Stadt, nahm zu dem Gefolge, so er mitgebracht, noch eine Menge Hausbediente aller Art a n , und richtete sich» in allem so ein, als ob er immer da zu bleiben gedächte. Beide, Sofranor und seine Schwester, hatten in Gestalt und Anstand etwas zugleich anziehendes und Ehrfurcht gebietendes; und da sie ein prächtiges Haus machten , und (was, in ihrem Falle, das Wesentlichste ist) alles baar und ohne zu handeln in gutem blankem Golde bezahlten, so wurde ohne weiteres Nachforschen angenommen, dafs sie unfehlbar Personen von grofser Bedeutung seyn müfsten; was sie denn auch um so mehr w u r d e n , da sie sich mit einem Geheimnifs umgaben, welches immer die Hoffnung irgend einer wichtigen Entdeckung oder Entwicklung übrig liefs. Alle Abende versammelte sich bey Eufrasien eine Gesellschaft, die aus allem, was der Hof und die Stadt Ausgezeichnetes hatte, bestand, und in verschiedenen Sählen und Zimmern aufs angenehmste unterhalten wurde.
74
DAS
HEXAMERON
VOM
ROSENHAIN.
E u f r a s i a schien eine Person von dreyfsig Jahren zu s e y n ; keine eigentliche Schönheit; aber in ihrem W u c h s und Anstand w a r etw a s das an Majestät grenzte, und in ihrer Gesichtsbildung und ihrem A,uge so viel Geist, Anmuth und Ausdruck, dafs nur w e nige , die auf den A p f e l d e s P a r i s hätten Anspruch machen können, innern W e r t h genug besafsen, um neben ihr bemerkt zu werden. Es fiel sehr bald in die Augen, dafs es nur auf Sie angekommen w ä r e , sich aller Männerherzen in Trapezunt zu bemächt i g e n , und alle W e i b e r zur Verzweiflung zu b r i n g e n ; aber man überzeugte sich auch eben so b a l d , dafs sie nichts w e n i g e r im Sinne h a b e , als die Rolle einer R u h e s t ö r e r i n su spielen. Sie schien vielmehr einen unsichtbaren Zauberkreis um sich her gezogen zu haben , an dessen Rande die Männer alle, gern oder u n g e r n , stehen bleiben mufsten; und während Sie a l l e n , die den Zutritt in ihre Abendversammlungen h a t t e n , mit gleicher Achtung und Artigkeit begegnete, war k e i n e r , der sich der geringsten Auszeichnung rühmen konnte, welche nicht auf unbestrit-
N A R C I S S U S
U S D
N A R C I S S A .
75
tene Vorzüge des Geistes und des sittlichen Karaktiers gegründet gewesen wäre. D u r c h dieses Benehmen erwarb sich E u frasia — was so selten ist — zu gleicher Z e i t mit der Z u n e i g u n g u n d dem Vertrauen ihres eigenen Geschlechts die
Hochachtung
des A n d e r n , u n d erhielt dadurch die stillschweigende Erlaubnifs so liebenswürdig zu seyn als sie w o l l t e , ohne durch Vorzüge, deren sie sich nicht bewufst s c h i e n , die E i f e r s u c h t des E i n e n Geschlechts zu
reitzen,
oder vergebliche H o f f n u n g e n in dem Andern au erregen. W e i l die Abendgesellschaften in Sofranors H a u s e von N i e m a n d , der zur grofsen W e l t in T r a p e z u n t gehörte oder sich dazu rechnete , unbesucht b l i e b e n , so fanden sich auch Narcissus und Narcissa dabey e i n , u n d in ziemlich kurzer Zeit schien Jener an Sofran o r n u n d D i e s e an E u f r a s i e n soviel Anziehendes zu f i n d e n , dafs sie jeden T a g f ü r verloren schätzten, von welchem sie nicht einen grofsen T h e i l in ihrem Umgang zugebracht hatten.
S o f r a n o r , dem Ansehn nach
w e n i g älter als seine S c h w e s t e r , heitern und
76
DAS
HEXAMERON
VON
ROSEHHAIN.
lebhaften Geistes, wiewohl mit einem Ansatz von stiller Melankolie, der vielleicht Ursache w a r , warum er in den Zirkeln seiner Schwester meistens nur erschien um wieder zu verschwinden, Sofranor besafs tausend Vorz ü g e , wodurch sein Umgang einem fürstlichen Jüngling wie Dagobert eben so nützlich als angenehm seyn mulse.
E r redete bey-
nahe alle Sprachen, war in allen Wissenschaften bewandert, mit allem was Kunst heifst bekannt, hatte alles gesehen was auf dem ganzen Erdboden sehenswürdig ist, und auf seinen Reisen einen so grofsen Schatz von seltnen N a t u r - und
Kunsterzeugnissen
gesammelt, dafs beynahe sein ganzer Palast damit angefüllt war.
D i e Wifsbegierde des
von Natur edeln Jünglings fand also hier so reiche N a h r u n g , und so manche Morgenund Abendstunden wurden
zwischen ihm,
Sofranorn und einigen andern einheimischen oder fremden Männern von nicht gemeinen Verdienst mit lehrreichen Unterhaltungen zugebracht, dafs Narcissus , indem er so Vieles was ihm fehlte, und so V i e l e , die ihn an innerm Werth übertrafen,
kennen lernte,
N A R C I S S U S
UND
N A R C I S S A .
77
unvermerkt einen giofsen Theil des sich zu laut ankündenden u n d übermäfsigen G e f ü h l s seiner Vorzüge v e r l o r , o d e r , um Alles mit Einem W o r t e zu s a g e n , täglich immer w e niger Narcissus
wurde.
B e y der schönen N a r c i s s a , E u f r a s i e n s h o h e und eben
für welche
darum
so
an-
spruchlose L i e b e n s w ü r d i g k e i t eine ganz n e u e Erscheinung w a r ,
wirkte
der immer ver-
trautere U m g a n g mit einer so seltnen F r a u eben dieselbe glückliche Veränderung
noch
schneller.
ganz
I h r w a r als ob sich ein
neuer Sinn f ü r das wahre Schöne und G u t e in ihrer Seele a u f t h u e , ein S i n n , der bisher geschlummert h a t t e , oder v o n W a h n b e g r i f fen , E i t e l k e i t , u n d einer alles blofs auf das unächte Selbst beziehenden Vorstellungsart ü b e r t ä u b t w o r d e n war. So w i e ihre Anhäng« lichkeit an E u f r a s i a z u n a h m , nahm ihr bis« heriges W o h l g e f a l l e n an ihr selbst a b ;
an-
statt sich immer in ihrem eignen Bilde zu bespiegeln, verglich sie sich mit ihrer so viel vollkommnern F r e u n d i n ; u n d statt stolz darauf zu s e y n , oder n u r an sich selbst gew a h r zu w e r d e n , dafs sie ihr täglich
ähn»
78
DAS
HEXAMIROU
VON
ROSENIIAI*.
licher w u r d e , sah sie mit jedem Tage hell e r , wie viel ihr noch f e h l e , um dfcr guten. Meinung', welche Eufrasia von ihr zu hegen schien,
würdig zu seyn.
K u r z , sie nahm
es immer genauer mit sich selbst, und erröthete,
wenn
sie
sich
bey
irgend
einer
Anmafsung, einem erkünstelten Gefühlsausdruck, oder was sie etwa sonst des blofsen S c h e i n e n s wegen gesagt oder gethan hatte,
ertappte, beynahe
eben so
sehr,
als
wenn sie von tausend fremden Augen bey einer schlechten Handlung überrascht worden wäre. Eufrasia wufste, ohne den geringsten Z w a n g und ohne sich jemahls die
Miene
einer Lehrerin
geben,
oder Aufseherin zu
jeden Anlafs zu benutzen, Verstand
oder
das
wo sie auf den
Gemüth
ihrer
Freundin wohlthätig wirken k o n n t e , indem sie ihre eigene Begriffe und
jungen nicht Gesin-
nungen gleichsam in sie hinein s c h o b , sondern indem sie blofs mit leichter Hand und unvermerkt alles wegräumte, was Helianen bisher verhindert h a t t e , auf die Stimme ihres eigenen Herzens zu lauschen , und seinen reinsten Trieben und Gefühlen zu gehorchen.
NARCISSTJS
UND
NARCISSA.
79
Während Heliane und Dagobert, von ihren neuen Freunden täglich mehr bezaubert, lieh solchergestalt in ihrem Umgang und durch ihr Beyspiel von den Fehlern einer verkehrten Erziehung reinigten, hätte Jedermann , nach den äufserlichen Anscheinungen zu urtheilen, glauben müssen, das seltsame Verhältniis, worein sie seit dem Abenteuer des Lanzenstechens gerathen waren, habe «ich endlich in eine entschiedene Gleichgültigkeit aufgelöst. Sie sahen einander zwar alle T a g e , wiewohl nie anders als in grofser oder wenigstens in Eufrasiens Gesellschaft, schienen aber da so unbefangen und hatten einander so wenig besonderes zu sagen, dafs man deutlich zu sehen glaubte, sie würden sich nicht mehr zu sagen haben, wenn sie sich blofs selbander sähen. Allein das Wahre an der Sache w a r , dais der lebenskräftige, obschon noch unentfaltete Keim der Liebe, seitdem er von Stolz und Selbstsucht nicht mehr angefochten wurde, sich so tief in ihr Inneres eingesenkt hatte, dafs er von ihnen selbst nicht mehr gespürt w u r d e , aber, während er seine zarten Wurzeln im Verborgenen
GO
DAS
REXAMERON
VON
ROSENHAIW.
um alle Fasern ihres Herzens achlang, in kurzem nur desto kräftiger und fröhlicher aufschofs, um zu einer der schönsten Blumen zu werden, die jemahls in den Gärten der Grazien blühten. Helfen Sie mir nur getrost lachen , sagte Rosalinde indem sie sich selbst lachend unterbrach, über diesen plötzlichen Anfall von Schonrednerey, eine arme unschuldige Metafer zu einer vollständigen zierlichen Allegorie aufzublasen — Es soll mir nicht wiederbegegnen ! Ich falle 60gleich, w i e sichs gebührt, in meinen natürlichen Ton zurück, und sage in guter Prose: Es war wohl nicht anders möglich, als dafs der tägliche Umgang mit Sofranorn und Eufrasien, die auf beständigen Anschauen beruhende Uberzeugung in Dagoberten und Helianen hervorbringen mufste , dafs w a h r e L i e b e n s w ü r d i g k e i t , auf w a h r e s V e r d i e n s t gegründet, ihrer Natur nach b e s c h e i d e n und a n s p r u c h l ö s ist; und wie hätte diese innige Uberzeugung durch eine natürliche Folge nicht a u c h s i e immer bescheidener in ihrer Meinung von sich selbst, immer gemäisig-
N A R C I S S U S
UND
NARCISSA.
81
ter in ihren Forderungen an a n d e r e , u n d , sobald sie dieses w a r e n , auch geschickter u n d geneigter machen sollen, Jedes die Vorzüge des Andern zu s e h e n , zu schätzen, u n d ohne mifstrauisches , eifersüchtiges Abmessen und A b w ä g e n , ob man nicht einen Schritt zu viel t h u e oder ob das Andere nicht mehr von u n s empfange als w i r von i h m , sich blois dem reinen E i n d r u c k , den das L i e b e n s w ü r dige auf unsre Seele m a c h t , zu überlassen. D a s alles entwickelte sich itzt so leicht u n d natürlich aus e i n a n d e r , dafs s i e , anstatt über die Veränderung ihrer ehemaligen Sinnesart betroffen zu s e y n , sich vielmehr w u n derten , w i e es möglich g e w e s e n , alle die liebenswürdigen E i g e n s c h a f t e n , welche sie itzt täglich an einander e n t d e c k t e n , so lange zu übersehen oder zu verkennen. Sie sahen sich itzt öfters a l l e i n , und näherten
sich
einander immer mit dem Z u t r a u e n , welches die Gewifsheit zu gefallen
voraussetzt
ohne sie a n z u k ü n d i g e n.
I h r e Gespräche
waren zwangfrey,
lebhaft und
geistreich}
an Stoff k o n n t e es so gebildeten Personen, als beide w a r e n , in einem Hause wie SofraWIEI.ANDS s. W . X X X V I I I . B.
F
82
DAS
HEXAMERON
VON
ROSENHAIU.
Mors nie gebrechen; aber, wovon auch die Rede &eyn mochte, Dagobert wuIste ihm eine begeisternde Seite abzugewinnen, und nie Wurden w o h l , ohne das Wort Liebe jemahls zu n e n n e n , mehr in alle mögliche Gestalten und Einkleidungen vermummte Liebeserklärungen gethan, und ohne Verlegen» heit oder Ziererey mit einem feinern Zartgefühl beantwortet, als diejenigen, wovon Zelolo und Mahadufa täglich, wenn sie wollten , in den Gärten Sofranors Zeugen seyn konnten. Inzwischen war die Vertraulichkeit zwischen Sofranor, seiner Schwester und unsern Liebenden auf einen so hohen Grad gestiegen, dais jene sich nicht länger entbrechen konnten, aus dem Geheimnifs, worein sie ihren Stand und die Ursache ihres Aufenthalts in Trapezunt allen andern verbargen, für ihre jungen Freunde herauszu« treten. Ein reitzender Sommermorgen hatte sie einzeln in die Gärten herabgelockt, und alle Vier bey einem kleinen, mit Rosen - und Myrtenbüschen umgebenen Tempel, A m o r n
NARCISSUS
UND
NAUCISSA.
83
u n d P s y c h e n gewidmet, zusammentreffen lassen, Wo sie sich auf einer Moosbank dem lieblichsten aller Griechischen Dichterbilder gegenüber niederliefsen. Alle vier waren von der Schönheit des Morgens, der Anmuth des Orts und dem Vergnügen, sich ohne Abrede gerade hier, wo alles Liebe und Ruhe athmete, zusammengefunden zu haben, in eine sonderbare Stimmung versetzt. Eine gute W e i l e waren ihre mit Wohlgefallen auf einander ruhenden Blicke die einzigen Abieiter ihrer Empfindungen; sie fühlten zuviel um Worte zu machen, und doch war es als ob auf allen Lippen ein Geheimnifs schwebte, das sich nicht' länger verbergen lassen wollt e , und jeden Mund, gleich einer vollen, vom innern Drang aufberstenden Nelkenknospe, mit Gewalt zu sprengen schien. Sofranor konnte keinen günstigem Augenblick wählen. Es ist Zeit, meine liebenswürdige junge Freunde, sagte er, dafs w i r euch entdecken wer wir sind, und was uns bewogen hat, uns so lange an diesem fremden Orte aufzuhalten.
84
DAS
HEXAMEHON
VOM
RosEmiAtir.
W i r sind aus der heiligen Stadt B a l k h im Khorasan g e b ü r t i g , und als P a r s e n , oder G e b e r n ( w i e uns die rohen und unduldsamen Anhänger M u h a m m e d s nennen) in der uralten Religion erzogen, w e l che das F e u e r , die Quelle des Lichts und der W ä r m e , als das reinste Sinnbild des ewigen und unergründlichen U r w e s e n s , verehrt. Unsre S e e l e , als einen Funken jener allbelebenden, aber nur dem reinsten GeistesAuge sichtbaren allgemeinen S o n n e des unermefslichen W e l t a l l s , von allen Beflekkungen thierischer Begierden und stürmischer Leidenschaften rein zu erhalten, ist der Inbegriff aller Pflichten, zu welchen w i r von Kindheit a n , mehr durch Angewöhnung als mühsamen U n t e r r i c h t , angehalten werden. Jede Leidenschaft w i r d in einem jungen Parsen gleich im ersten Aufbrausen erstickt, und er lernt kaum eher aufrecht gehen und vernehmliche W o r t e aussprechen, als seine Naturtriebe mäfsigen, seinen Gelüsten Ge» walt anthun, seinen Zorn bändigen, und seinen liebsten Wünschen Stillschweigen gebieten
NAHCISSUS
UND
NAIVCISSA.
85
In diesem Geiste wurden a u c h w i r erzogen, und ich schmeichle weder meiner Schwester noch mir selbst, hoffe i c h , zu v i e l , wenn ich hinzusetze, w i r machten ungern Erziehern die Arbeit nicht schwer. D i e angeborne innige Sympathie, die uns vereiniget, zeigte sich schon in der ersten Frühe des Lebens. Kaum konnten wir unsre kleinen Arme ausstrecken, so streckten w i r sie gegen einander a u s , kaum die ersten Sylben stammeln, so stammelten w i r einander unsere L i e b e zu. Diese hielt nun mit dem Wachsthum des Körpers gleichen Schritt; sobald w i r gehen und reden konnten, w a ren w i r unzertrennlich , und kannten keinen Genufs, woran das Andere nicht seinen Antheil hatte. Schon als ein Knabe von drey oder vier Jahren war ich für einen Schmerz, den meine K a n t s a d e h (dieis ist der Parsische Nähme meiner Schwester) ausstehen mufste, viel empfindlicher als für meinen eigenen, und wufste von keinem gröfsern Vergnügen als etwas für sie zu l e i d e n , oder irgend eine Arbeit für sie zu verrichten; aber beides wurde mir nur selten zu Theil,
q6
DAS
HEXAMERON v o n
RO9ENHAIK.
weil Kantsadeh eben dieselben Gesinnungen für mich hatte , und immer nur darauf dach» t e , mir etwas zu lieb zu thun, oder etwas Unangenehmes von mir zu entfernen. Unser Vater sah leicht vorher, wohin das Alles führen würde, und sah es mit Vergnügen; denn die Ehe zwischen Bruder und Schwester ist bey uns nicht nur erlaubt, sondern wird als die reinste und heiligste aller ehlichen Verbindungen angesehen. Als wir uns aber den Jahren näherten, wo der Naturtrieb, den die Liebe zwar reinigt und adelt, der aber von den Meisten sehr irrig mit ihr verwechselt w i r d , sich stärker zu äufsern beginnt, hielt unser Vater, welcher in den tiefsten Geheimnissen der Magie des grossen Z e r d u s h t eingeweiht war , für nöthig, die Sterne über unsere künftigen Schicksale zu befragen. Er stellte also unser Horoskop, und erhielt die Antwort: dafs unsre Liebe von einem feindseligen Geiste bedrohet werde, und eine engere Verbindung unfehlbar grofses Unglück über uns bringen würde. Er säumte sich nicht, uns diesen strengen Schlufs des Schicksals anzu-
N A R C I S S U S
UND
N A R C I S S A .
87
k ü n d e n , und erhielt, vermöge der hohen Ehrfurcht die wir für ihn f ü h l t e n , von so lenksamen Kindern als w i r w a r e n , ohne grofse Mühe eine mit den heiligsten Schwüren bekräftigte Zusage, dafs w i r in jungfräulicher Reinigkeit und Zurückhaltung beysammen leben und auf jede nähere Vereinigung auf immer Verzicht thun w o l l t e n , wofern er nicht vielleicht in seinem erhabenen Wissenschaften ein M i t t e l , das angedrohte Unglück von uns abzuwenden, entdecken würde. Ich gestehe, dafs ich mir nicht verwehren kann zu denken, die Sterne könnten unsers guten Vaters gespottet, und gerade das Unglück und kein Anderes gemeint h a b e n , das er durch das M i t t e l über uns brachte, wodurch er uns den Streichen des Schicksals zu entziehen hoffte. Sein guter W i l l e gegen uns und sein Glaube an die Mysterien der M a g i e waren indessen so grofs, dafs er Tag und Nacht keine Ruhe hatte, bis er endlich herausbrachte: der Dämon, der unsre L i e b e verfolge, werde alle seine Gewalt über uns verlieren , sobald w i r noch z w e y Liebende, die anstatt ( w i e gewöhn-
88
DAS
HBXAMEIION
VON
ROSENHAI».
lieh) im Andern n u r s i c h S e l b s t zu lieben, sich Selbst n u r i m An dern*liebten, gefunden haben würden. Diese Bedingung schien uns, einer zweyfachen Schwierigkeit wegen, wenig oder keine Hoffnung zu lassen : denn, wofern auch auf dem ganzen Erdenrund noch ein Paar so rein liebende Sterbliche athmeten, was für ein Mittel hatten w i r es zu entdecken ? Unser Vater, von seiner Liebe zu uns angespornt, verwandte sieben ganzer Jahre auf die Erfindung eines solchen Mittels, und brachte endlich durch den hartnäckigsten Fleifs einen T a l i s m a n i s c h e n S p i e g e l zu Stande, der die wunderbare Tugend besitzt, reine Liebe von verkappter Eigenliebe durch ein untrügliches Zeichen zu unterscheiden. Und dieses Zeichen? — unterbrach ihn Dagobert mit einer Unruhe, welche deutlich genug verrieth, wie nahe seine Frage ihn selbst angehe. Wenn du Lust hast es durch dich Selbst zu erfahren, erwiederte Sofranor lächelnd, so gehen wir unverzüglich in den Sahl, der
N A R C I S S U S
UND
N A R C I S S A .
69
m i t den S c h i l d e r u n g e n aller w a h r e n u n d getreuen L i e b h a b e r ,
die u n s F a b e l u n d Ge-
schichte kennen l e h r t , hast nichts
weiter
geziert ist,
zu t h u n ,
u n d du
als in
eben
d e n s e l b e n S p i e g e l h i n e i n zu schauen , w o r i n du d i c h , w i e ich w o h l wetten wollte,
den Spiegel
selbst
g e w i f s s c h o n m e h r als ein-
m a h l b e s e h e n hast.
Dagobert
und Heliane
e r r ö t h e t e n b e i d e b e y diesen W o r t e n bis a n d i e F i n g e r s p i t z e n , u n d S o f r a n o r , o h n e dafs er es w a h r z u n e h m e n s c h i e n ,
f u h r in seiner
Erzählung fort. So l a n g e J e m a n d in
der P e r s o n ,
z u l i e b e n v e r m e i n t oder v o r g i e b t , n u r
dife er sich
s e l b s t l i e b t , k ö n n t ' er sein ganzes L e b e n d u r c h in d i e s e n Spiegel h i n e i n s c h a u e n , er würde
nie
selbst:
etwas
aber
anders
sehen
sobald d a s ,
fühlt, r e i n e L i e b e
was
als
sich
er f ü r sie
i s t , sieht i h m ,
statt
seiner eigenen G e s t a l t , das Bild d e r geliebten Person entgegen.
D i e s e r m a g i s c h e Spie-
gel w a r das l e t z t e W e r k unsers V a t e r s , u n d als er sich k u r z
darauf
f ü h l t e , b e f a h l er u n s :
seinem E n d e
nahe
sobald w i r ihm die
l e t z t e Pflicht e r s t a t t e t h a t t e n , K h o r a s a n zu
po
DAS
HEXAMERON
VON
ROSENMAIN.
verlassen, und so lange von einer grofsen Stadt zur andern zu reisen, bis w i r endlich diejenigen gefunden haben w ü r d e n , denen die Macht verliehen s e y , den Bann, der auf unsrer L i e b e l i e g e , aufzulösen. Es sind nun bereits zehn J a h r e , seitdem w i r , diesem Befehl zu F o l g e , in der W e l t umher schweif e n , ohne gefunden zu haben, was w i r , in der That mit wenig Hoffnung, suchten; bis uns endlich ein Traumgesicht in der berühmten Kaiserstadt Trapezunt das Ende unserer Wanderungen und die seligste Umwandlung unsers Schicksals versprach. W i r gehorchten , w i e Ihr sehet, diesem T r a u m , und es w i r d sich nun bald zeigen müssen, ob er uns getäuscht oder die W a h r h e i t gesagt hat. Dagobert und Heliane fanden diese Geschichte wunderbar genug, aber doch nicht wunderbarer als die Personen dieser aufserordentlichen Geschwister. Beide fühlten ein ungeduldiges Verlangen, den Talismanischen S p i e g e l , in welchen keines von ihnen seit mehr als zehen Tagen gesehen h a t t e , nun, da ihnen seine Wundertugend entdeckt wor-
N A R C I S S U S
UND
NAHCISSA.
91
den w a r , genauer in Augenschein zu nehmen: aber ein Rest von falscher Scham (wenn w i r es nicht lieber m i t ihnen Zartgefühl nennen w o l l e n ) hielt sie zurück, dieses Verlangen laut werden zu lassen. Indessen kehrte die klein^ Gesellschaft, Eufrasia an Dagoberts, Heliane an Sofranors A r m , unvermerkt in den Palast zurück, und eben so unvermerkt befanden sich alle Vier in dem S a h l d e r w a h r e n L i e b e n d e n . Dagobert und Heliane besahen mit grosser, w i e w o h l etwas zerstreuter, Aufmerksamkeit die schon oft betrachteten Gemähide, und baten Sofranorn bald um diese bald um jene E r k l ä r u n g , ohne dafs sie den Muth hatten einander anzusehen, geschweige einen verstohlnen Blick in den Spiegel zu t h u n ; und Sofranor wiederhohlte mit der gröfsten Gefälligkeit , was über die Gegenstände dieser Gemähide, über die Kunst der Ausführung, und über die Künstler selbst, zu sagen war. Aber welcher Sterbliche Schicksal entgehen ?
kann
seinem
W i e lange sie auch mit immer stärker klopfendem Herzen den entscheidenden Au-
92
DAS
HEXAMEROS
VON
ROSENHAIN.
g e n b l i c k a u f z u h a l t e n suchten , endlich m u f s t ' er doch k o m m e n ; u n d er k a m .
Unfreywil-
l i g , w i e von einer u n s i c h t b a r e n M a c h t angezogen,
f a n d e n sie sich e n d l i c h
beide v o r
dem Z a u b e r s p i e g e l , b l i c k t e n b e i d e zugleich hinein, und indem D a g o b e r t mit schauderndem
Entzücken
Dagoberten
und
Heliane
in der S t e l l e i h r e s
Helianen
eigenen
Bildes e r b l i c k t e n , sanken sie e i n a n d e r in die A r m e , u n d erst nach einer ziemlichen W e i l e , da sie die A u g e n w i e d e r a u f s c h l u g e n , sahen sie a n s t a t t S o f r a n o r s u n d
Eufrasiens
Lichtgestalten
hohe Decke
durch
die
zwey des
Sahls h i n w e g s c h w i n d e n ; — u n d ich , m e i n e l i e b e n F r e u n d e (setzte R o s a l i n d e
hinzu),
bitte demüthig mit meinem Mährchen
vor-
lieb zu n e h m e n ; d e n n es h a t , vielleicht z u I h r e m a l l e r s e i t i g e n V e r g n ü g e n , h i e r auf ein» m a h l ein E n d e ,
D A F
93
N I D I O N .
Rosalinde hatte zu geneigte Zuhörer, unt nicht im Voraus auf die Höflichkeiten rechnen zu können,
die
ihr nach
ihres Mährchens von allen wurden.
Endigung
Seiten
gesagt
Sie schien von der Aufrichtigkeit
dieser Lobsprüche nicht überzeugt genug, um sich viel darauf zu gute zu t h u n ,
und
konnte s i c h , da es ihr in der That nicht an Eitelkeit f e h l t , nicht enthalten mit gehöriger
Feinheit zu verstehen
zu
geben,
sie h a b e , um ihren Nachfolgern das Verdienst sie zu übertreffen desto leichter zu machen, ungefähr
eben
dieselbe
Vorsicht
gebraucht, w i e jener S c h n e l l f ü f s i g e in einem bekannten Feenmährchen, der, wenn er auf die J a g d g i n g , eine Art von Hemmkette um
seine
beiden
Füfse l e g t e ,
um
94
DAS
HEXAMERON
VON
ROSENHAIN.
dem Hasen nicht wider seinen Willen zu» vor zu laufen. W i e dem aber auch seyn mochte, die Gesellschaft fand diese Art sich zu einem guten derben Schlaf vorzubereiten angenehm genug, um an einem der nächsten Abende den jungen W u n i b a l d v o n P * * * freundlich zu erinnern, dafs ihn
das Loos zu
Rosalindens nächstem Nachfolger
ernannt
habe. Herr Wunibald erklärte sich sogleich bereit und willig.
Ich könnte mir, sagte
er, sich ein Ansehen von komischer Wichtigkeit gebend, ungestraft das Verdienst beyIegen, der Erfinder des sinn - und wunderteichen Mährchens zu seyn, womit ich die Gesellschaft zu bedienen gedenke; denn ich bin gewifs, dafs es noch in keiner Sprache gedruckt erschienen ist: aber ich bin
zu
Stolz mich mit fremdem Federn zu brüsten, und bekenne also von freyen Stücken, dafs ich es aus einer ziemlich starken Sammlung so betitelter M i l e s i s c h e r M ä h r c h e n ge-
D A F Ü I D I O « ,
95
nommen h a b e , welche durch einen Z u f a l l , der hier nichts zur Sache t h u t , in m e i n e Hände gekommen i s t , u n d deren U r h e b e r , vermuthlich weil sein Nähme seine M ä h r chen nicht besser gemacht h ä t t e , sich zu n e n nen nicht beliebt hat. Nach dem b e r ü h m t e n Mährchen von A m o r
und Psyche
(dem
einzigen M i l e s i s c h e n M ä h r c h e n , das v o n den Alten bis zu uns gekommen ist) erwarten Sie von dem Meinigen schon voraus, dafs es von der wunderbarsten Gattung sey. D a s ist es a u c h , u n d der E r f i n d e r , w e r er auch sey, hat daher w o h l g e t h a n ,
Thes-
s a l i e n zur Scene desselben z u m a c h e n . — Mein S o h n , sagte F r a u von
P. du läufst
Gefahr unsre E r w a r t u n g höher zu
spannen
als dir vielleicht lieb seyn d ü r f t e , w e n n du uns mit einer längern Vorrede aufhäist. Ich g e h o r c h e , versetzte Herr W u n i b a l d , und begann w i e folget.
DAS
HEXAMIHOS
VON
ROSENIIAI*.
D A F N I D I O N . Ein
Milesisches
Mährchen.
E i n Thessalischer J ü n g l i n g , dessen Familie ihr Geschlechtsregister bis in die Zeit e n , w o der goldlockige Apollo die Herden des Königs Admet h ü t e t e , hinauf f ü h r t e , und einen Kebssohn dieses Gottes zum Stammvater zu haben stolz w a r , — durchschlenderte in der vornehmen Geschäftslosigkeit
eines
blofs zum Verzehren gebornen Göttersohns, m i t einem Blaserohr in der H a n d , einen zu den grofsen Besitzthümern seines Vaters gehörigen W a l d am Fufse des Berges
Oeta,
um zum Zeitvertreib kleinen Vögeln Verdrufs zu m a c h e n : als er in einiger E n t f e r n u n g eine schlanke leichtbekleidete weibliche Gestalt durch das Gesträuch rennen sah, die ihn beym ersten Anblick ungewifs liefs»
D A F N I D I O N .
97
ob er sie für eine Sterbliche, oder für eine der Nymfen halten sollte, welche, nach den Dichtersagen und dem Volksglauben seiner Zeit, Berge, W ä l d e r , Quellen und Grotten zu bewohnen pflegten, und nicht leicht sichtbar wurden und flohen, wenn sie nicht die Absicht hatten gesehen und gehascht zu werden. Seit seinem göttlichen Urahnherrn Apollo hatte sich in seiner Familie die böse Gewohnheit, allen hübschen Mädchen, die vor ihnen flohen, nachzusetzen, von Vater und Sohn fortgeerbt, und F ö b i d a s (so hiefs der jüngste Sprößling dieses edeln Stammes) schlug nicht aus der Art. Die fliehende Nymfe, dem Ansehen nach ein Mädchen von sechzehn Jahren, hatte sich, indem sie Erdbeeren suchte, unvermerkt aus ihrem gewöhnlichen Bezirk in einen fremden verirrt, und war endlich aus Ermüdung im Gebüsch eingeschlummert, als sie vom raschelnden Aufflug eines von Föbidas getroffenen Vogels wieder aufgeweckt wurde. Erschrocken sah sie sich um, und w i e sie einen Jüngling, den sie seiner Schönheit wegen für einen der WIELANPS
s. W. XXXVIII. B.
G
98
DAS
HEXAMEHON
VON
RQSENHAIK.
ewig jugendlichen Götter, Merkur, Apollo oder Bacchus, ansehen mochte, kaum zehen Schritte weit von sich entfernt erblickte, raffte sie sich a u f , und rannte so schüchtern und schnellfiifsig, als ein aufgeschrecktes Reh, durch Büsche und Hecken davon. Föbidas, der ihr an Behendigkeit wenig nachgab, rief ihr vergebens eben so freundliche Worte nach, als O v i d seinem Stammvater der fliehenden Dafne zurufen läfst; Bleib> ich bitte dich, bleib, o Nymfe! nicht feindliches Sinnes Folg1 ich dir nach — Sie horchte eben so wenig auf seine Locktöne tind sah sich eben so wenig u m , als die keusche T o c h t e r des P e n e u s j und unbekümmert dafs ein Theil ihres leichten Gewandes an den Gebüschen, durch welche sie sich drängen mufste, hangen blieb , und dafs ihre Gefahr durch diesen Umstand nothwendig mit jedem Schritte gröfser werden mufste, lief sie so lange, bis sie endlich eine hohe, mit Efeu und leichtem Gesträuch umwebte Felsengrotte erreichte, in welche sie sich
D A F N I D I O N .
99
hineinstürzte, da kaum noch z w a n z i g Schritte fehlten, dafs sie von ihrem keuchenden Verfolger erhascht worden wäre. F ö b i d a s , der nun sicher zu seyn glaubte dafs sie
ihm nicht entgehen k ö n n e , hielt,
um wieder zu Athem zu k o m m e n ,
einige
Augenblicke still, und ging dann gelassenen Schrittes auf die Höhle z u ,
die er beym
Eintritt viel geräumiger f a n d , vorgestellt hatte.
Aber von
w a r keine Spur zu sehen.
als er sich
seiner
Nymfe
A n ihrer Statt
fand er im Eingang eine runzlichte A l t e , die aus D e u k a l i o n s
und P y r r h e n s
Zeiten
übrig geblieben zu seyn schien, b e y ihrem Spinnrocken sitzen, u n d , ohne zu ihm aufzusehen , so behend und zierlich nen,
dafs die
junge
fortspin-
N y m f e selbst es ihr
kaum hätte zuvor thun können.
Alte M u t -
ter, schrie sie der ungeduldige Jüngling etwas hastig a n , w o ist das junge Mädchen, das ich so eben in diese Höhle hinein rennen s a h ? W a s für ein junges M ä d c h e n , sagte die Alte, nend.
immer
ohne
aufzuschauen fortspin-
ioo
DAS
HEXAMERON
VON
ROSF.NHAIV.
„Ich sage dir j a , schrie Föbidas, 4a* Mädchen oder die Nymfe, die diesen Augenblick bey dir vorüber rannte." -»— W a s kümmert das D i c h ? versetzte die Alte, indem sie aus ihren hohlen Augen einen Blick von böser Vorbedeutung auf ihn schofs. ,,Tch mufs sie sehen, ich mufs mit ihr sprechen, sage ich dir." —» Ich sehe die N o t w e n d i g k e i t nicht, junger Mensch. „Ich w i l l sie aber sehen, schrie Föbidas, mit dem Fufs auf den Boden stampfend." Nur gelassen, sagte die Spinnerin; D u magst es wollen, aber I c h w i l l nicht. ,,Das wollen wir doch sehen! Weifst du wohl wer ich bin ? Die Alte sah ihn mit einem verächtlich spöttischen Blick an und spann fort. ,,Dafs ich der Sohn des Fürsten bin, dessen Eigenthum diese ganze Landschaft ist ? " Desto schlimmer für ihn und dich und die ganze Landschaft! denn du scheinst mir
D A F N I D I O N .
101
ein ungezogenes Burschen zu seyn. Aber ich w i l l versuchen ob noch was Besseres aus dir zu ziehen ist. Diese Rede der Alten und das Ganze ihres Benehmens brachte den Jüngling ein wenig zur Besinnung. Es könnte doch wohl mehr, dacht' er, hinter dieser alten G r ä e seyn als ihr Ansehen ankündigt; ich mufs einen sanftem Ton anstimmen. Verzeihe, wenn ich dich verkannt haben sollte, sagte er etwas höflicher, und sey meinem Verlangen nicht länger entgegen. Ich mufs die junge Nymfe sehen, die hieher geflohen i s t , oder ich sterbe zu deinen Füfsen. Weifst du auch, erwiederte die Alte, was es auf sich hat, junge Nymfen wider ihren Willen zu sehen ? Hast du nie gehört, dafs es nichts geringers als den Verstand, oder, in deinem F a l l , wenigstens die Augen kostet? Wenn sie dich hätte sehen wollen, so wäre sie nicht so hastig vor dir geflohen, dafs sie die Hälfte ihres Gewandes an den Hecken gelassen hat, und die andere Hälfte nur noch in Fetzen nachschleppte.
102
DAS
HSXAMSAON
von
ROSENHAIN.
,,Das pflegt nicht immer zu folgen, gute Mutter.
Aber was auch, bey der Sache zu
wagen seyn mag, auf m e i n e Gefahr! Sey nicht unerbittlich! Lais mich sie nur sehen und sprechen, wenn es auch nicht anders als in deiner Gegenwart geschehen könnte." D u bist ein ungestümer Mensch, erwiederte die Spinnerin. chen m i c h
an?
Was geht das Mäd-
Wenn sie herein gekom-
men ist, so wird sie noch da seyn;
die
Grotte ist grofs, suche sie meinetwegen. Föbidas ward itzt auf einmahl in der Vertiefung der Grotte
die Oeffnung eines
schmalen Gangs gewahr.
Er
zwängte sich
hinein, die Höhle wurde immer weiter und höher,
und theilte
sich
in
eine
Menge
schwach erleuchteter Kammern, die keinen andern Ausgang hatten als den, woher er gekommen war.
E r durchsuchte sie
nach der Reihe,
aber vergebens;
alle
er sah
und fühlte nichts als leere Wände. E r rief so laut er konnte: Höre mich, holde Nymfe!
Zeige dich mir nur
einen
Augenblick! — Umsonst! Nichts als seine eignen Worte hallten ihm vervielfältigt von
D
A
F
K I D
den öden Felsenwänden
103
I O I .
entgegen.
Immer
f i n g er wieder von neuem an zu suchen, verirrte sich zuletzt in dem heildunkeln L a byrinth , und fand nur mit grofser den schmalen Gang w i e d e r ,
Mühe
durch den er
gekommen war. E r w o l l t e nun seinen ganzen
Unmuth
über die alte Spinnerin ausgiefsen, welche, w i e er glaubte, seiner gespottet hätte: aber, siehe da! die A l t e w a r verschwunden, und eine schöne Frau von majestätischem Ansehen safs an ihrer Statt am R o c k e n , und spann mit einer G r a z i e , die den kältesten aller Stoiker bezaubert hätte. Was
suchst du
hier,
junger
Mensch,
fragte sie den bestürzten Föbidas in einem sanften T o n , aber mit einem Scharfblick in seine A u g e n , der w i e ein Blitz durch ganzes W e s e n
fuhr.
E i n glühendes
sein Roth
entbrannte plötzlich auf seinen W a n g e n , er wufste nicht was er antworten s o l l t e ,
und
verstummte. E i n gutes Z e i c h e n , sagte die D a m e , den Kopf
seitwärts drehend,
röthen.
er kann noch er-
104
DAS
HEXAMEHON
VON
ROSENHAIN.
Besser, w e n n er über nichts zu erröthen h ä t t e , antwortete eine unsichtbare Stimme, die nur einer der Musen angehören konnte, und durch ihren lieblichen Silberton den immer mehr
erstaunenden Jüngling
beynahe
noch mehr entzückte als die Gestalt der fliehenden N y m f e gethan h a t t e ,
w i e w o h l der
Sinn ihrer W o r t e nicht von der besten Vorbedeutung w a r .
A b e r zu sehr bestürzt über
alles was er in dieser wunderbaren
Grotte
sah und h ö r t e , könnt' er noch immer keine W o r t e auf seiner Zunge f i n d e n , und blieb, w i e in den Boden eingewurzelt, stumm und unbeweglich stehen. W o f e r n d u , w i e es scheint, hier nichts zu suchen h a s t , sagte die schöne Spinnerin, würdest du nicht übel thun dich zurückzuziehen. Dieses W o r t , in einem milderen T o n gesprochen als sein Inhalt und der B l i c k , der e» begleitete, versprach, gab ihm auf einmahl die Sprache wieder. W e n n du, w i e mich alles glauben heifst, eine Göttin b i s t , sagte e r , so sey gütig und verzeihe mir.
Ich bin meiner Selbst nicht
D
A F N I D I O H .
105
mächtig. Diesen Morgen, da ich im W a l d umher irrte, erblick' ich eine junge Nymfe, die, sobald sie mich gewahr wird, die Flucht ergreift. Es war mir unmöglich ihr nicht nachzusetzen. Sie läuft schneller als der W i n d , und ich verfolge sie durch Busch und W a l d , über Berg und T h a l , bis zu dieser Grotte, in welche sie sich hineinstürzt. Auch hieher folgt' ich ihr, aber sie war verschwunden, und — ,, — du fandest an ihrer Stelle eine alte Spinnerin an diesem Rocken sitzen, die dich nicht allzufreundlich anliefs ? Föbidas, in der Ungewifsheit, ob die schöne Dame, die er vor sich sah, und die Alte nicht eben dieselbe Person s e y , verstummte abermahls. Du bist ein wunderlicher Mensch, sagte die Dame. Gestehe mir aufrichtig wer bist du ? „Der Sohn des Thessalischen Fürsten, dem diese Landschaft angehört." Die Alte hatte Recht, versetzte die Dame; wenn dem so ist, desto schlimmer für dich! — Aber wo glaubst du zu seyn ?
IO6
DAS
HEXAMERON
VOM
ROSENHAIN.
„ W o anders als im Gebiete meines Vaters , welches sich vom Fufs des Oeta über die ganze Gegend um E l a t e i a e r s t r e c k t ? " Deine Nymfe hat dich weiter geführt als du glaubst. Diese Grotte ist ein Theil des Farnassus, und du bist im Gebiete — des Delfischen Gottes und seiner Schwester. ,,Ists möglich ? " rief Föbidas bestürzt. Einer thörichten Leidenschaft ist alles möglich, sagte die Dame. Du bist, w i e du siehest, in m e i n e m Gebiet; aber das würdest du auch im Gebiete deines Vaters seyn. Deine L e i d e n s c h a f t hat dich in meine Gewalt gegeben. ,,Tch unterwerfe mich ihr w i l l i g ; nur bitte i c h , bediene dich ihrer mit M i l d e . " W a s wünschest du von mir, Föbidas? „Du weifst es und vermagst hier alles. Ich beschwöre dich bey der Göttin, die dich geboren hat, lafs mich das liebliche Mädchen wiedeisehen, das mich mit unwiderstehlicher Gewalt bis hieher gezogen hat.' 4 Es giebt keine unwiderstehliche Gewalt, junger Mensch. Blofs deine Schwäche macht
D A F N I D I O N .
107
dich zu unserm Sklaven. Gebiete dir Selbst, so bist du f r e y ! „Ich w i l l nicht frey seyn, rief der Jüngling. Eben so leicht könnt* ich mir gebieten, denParnafs auf den Oeta zu setzen, als die Holde nicht zu lieben, die du mir entrissen hast." Zu l i e b e n , sagte die Dame ironisch lächelnd; du liebst also meine D a f n i d i o n ? ,,Sonst wufst* ich nicht was Liebe ist. Noch gestern glaubt' ich alle Mädchen zu lieben, die mir gefielen; es war lauter Spiel und Kinderey. W a s ich itzt f ü h l e , ist ganz was anders; es gilt Leben oder Tod." Diese Sprache führen alle deinesgleichen. Ich glaube an keine so plötzlich von blolsem Ansehen aufgebrausete L i e b e ; und du, lächerlicher Mensch, hast deine Geliebte sogar nur von Hinten gesehen. „Gleichviel, rief Föbidas; was ich sah hat ein unauslöschliches Bild in meiner Seele zurückgelassen, das nie aufhören wird sie auszufüllen bis ich Sie Selbst wiedersehe. Ich werde wahnsinnig darüber werden. Was-
IO8
DAS
HEXAMERON
VON
ROSENHAIM.
kannst du für eine Freude haben mich elend zu machen ? " Beynahe, sagte die Dame, könntest du mich verführen Mitleiden mit dir zu haben. Die Frage ist noch, ob er es verdient? sagte die unsichtbare Stimme. Das soll sich bald zeigen, erwiederte die Dame. Du verlangst deine Nymfe zu sehen und zu sprechen; du sollst sie sogar berühren , um gewifs zu seyn, dafs es keine liuftgestalt ist. Aber, merke wohl, mehr als Einen Sinn zu befriedigen ist dir nicht erlaubt. Es kommt auf dich an, ob du sie sehen willst ohne mit ihr zu reden, oder mit ihr reden ohne sie zu sehen, oder sie berühren ohne sie weder zu sehen noch zu hören. W ä h l e ! Föbidas, nicht gewohnt lange zu überlegen was er wollte, und vom Bilde der fliehenden Dafnidion erhitzt, dachte bey sich selbst: ich habe sie bereits gesehen und gehört; denn vermuthlich war die Stimme der Unsichtbaren die ihrige; aber berührt hab' ich sie noch nicht, und lief ich ihr denn aus einer andern Absicht so
D A F N I D I O )t.
109
l a n g e bis mir der A t h e m ausblieb n a c h , als u m sie zu erhaschen ? —
Ich wähle
das
l e t z t e r e , sprach der U n b e s o n n e n e . D a s h a t dir dein böser D ä m o n g e r a t h e n , denn es ist das g e f ä h r l i c h s t e , sagte die D a m e m i t einem b e y n a h e u n s i c h t b a r e n
Lächeln;
i c h r a t h e dir n i c h t d a z u ; aber du bist f r e y n a c h deinem eigenen Belieben zu w ä h l e n . So bleibts b e y m e i n e r ersten W a h l , rief Föbidas; und kaum
war
das letzte
Wort
über seine L i p p e n g e k o m m e n , so v e r b r e i t e t e sich ein l i e b l i c h dämmerndes R o s e n l i c h t d u r c h die G r o t t e , w o r i n alles Sichtbare, sogar s e i n e eigene G e s t a l t sich a u f z u l ö s e n u n d zu zerfliessen s c h i e n ; er sah n i c h t s m e h r , er h ö r t e n i c h t s m e h r , er g l a u b t e die Sprache v e r l o r e n su haben;
aber i n d e m er die r e c h t e
a u s s t r e c k t e , b e r ü h r t e er eine k l e i n e
Hand niedli*
che, l i e b l i c h w a r m e H a n d , w e i c h e r als S c h w a nenflaum u n d s a n f t e r als
die
Blätter
der
S a m m e t h l u m e . E i n z u c k e n d e r Schauer b l i t z t e d u r c h alle seine N e r v e n ;
er d r ü c k t e seinen
b r e n n e n d e n M u n d auf die liebliche
Hand,
die sich n i c h t z u r ü c k z o g . Glücklich w e n n er, w i e von einem zarter f ü h l e n d e n L i e b h a b e r
iio
DAS
HEXAMERO»
VOM
ROSEMHAIN.
zu erwarten w a r , sich an dieser Seligkeit genügen liefs! Vielleicht würde er, zur Belohnung seiner Bescheidenheit, sie auch noch zu sehen bekommen haben. Aber die Thessalischen Jünglinge jener Zeit waren nicht bescheiden genug um so genügsam zu seyn. Allmählich immer kühner und lüsterner schlug er endlich seinen linken Arm um ihre Hüfte, und — mit einem furchtbaren Donnerschlag schwand die schöne Nymfe, w i e L u f t , aus seiner Umarmung dahin; er taumelte w i e ein Trunkner vorwärts, seine Arme ins Leere ausstreckend; der Tag erleuchtete die Grotte w i e d e r , und die dürre Alte safs wieder an ihrem Rocken und spann. Tragt ihn an seinen Ort, sagte sie, ohne ihn anzusehen, zu zwey langöhrigen Knaben mit ungeheuren Rabenflügeln, die ihr zur Seite standen; und sie ergriffen den armen, sich vergebens sträubenden Föbidas, und in wenig Augenblicken befand er sich wieder an demselben Platz, w o er die reitaende Nymfe zuerst gesehen hatte. Verblüfft und betäubt von einem so seltsamen
D A F N I D I O N .
111
Abenteuer blieb er eine gute Weile ohne Besinnung auf der Erde liegen, wo ihn die Knaben mit den langen Ohren hingelegt hatten, und als er wieder zu sich selber kam, würde er alles, was ihm begegnet w a r , f ü r einen Traum gehalten haben, wäre das Bild der fliehenden Nymfe und die Erinnerung an den Augenblick, wo er sie in seinem Arm gefühlt hatte, nicht so lebendig in ihm gewesen, dafs er eher an seinem eignen Daseyn, als an der Wahrheit dessen was er gefühlt und gesehen, hätte zweifeln können. Das Verlangen die schöne Dafnidion , allen magischen Spinnerinnen zu Trotz, in seine Gewalt zu bekommen, wurde nun in kurzer Zeit so heftig, dafs er bereit war, die Befriedigung desselben um jeden Preis zu erkaufen. Er bestimmte sich also, nach mehr als Einem E i n f a l l , den er als unausführlich wieder verwerfen mufste, zuletzt als ein ächter Thessalier, seine Zuflucht zur Zauberkunst zu nehmen , welche (wie jedermann weifs) von uralten Zeiten her in dieser griechischen Provinz einheimisch war. Haben sie sich nicht, dacht* er, zauberischer
112
DAS
HEKAMERON
VON
ROSENHAIN,
Gaukeleyen gegen m i c h bedient? Warum sollt' ich Bedenken tragen, sie mit ihren eignen Waffen zu bekämpfen? Auf einer der Spitzen des Berges Oeta wohnte damahls ein M a n n , der im ganzen Lande für einen grofsen Meister in den geheimen Wissenschaften der Magie gehalten wurde. Zu diesem öffnete er sich den Zutritt durch ein ansehnliches Geschenk, entdeckte ihm sein Anliegen, und bat i h n , dafs er ihm durch seine Kunst zum Besitz der widerspenstigen kleinen Dafne verhelfen möcht e , bevor sie ihm etwa, w i e ihre Vorfahrerin seinem Urahnherrn, den Streich spiele, sich in einen Lorberbaum oder in irgend einen andern Baum oder Strauch verwandeln zu lassen. H i p p a l e k t o r (so nannte man den Schwarzkünstler) rühmte sich, vielleicht ohne Grund, im Besitz des berühmten m a g i s c h e n B i l d e r b u c h s zu seyn, welches viele Jahrhunderte später in der Geschichte der schönen A l i n e und ihres W i d d e r » eine so wichtige Rolle spielt. Aber bevor man etwas gegen die kleine Dafne und ihre
DAF
NIDION.
Beschützerinnen u n t e r n e h m e n k o n n t e , m u f s t e man wissen w e r sie w ä r e n , u n d H i p p a l e k t o r g e s t a n d , dafs er wenigstens drey T a g e n ö t h i g h a b e , um den Schleyer zu z e r r e i f s e n , den die Spinnerin,
w e l c h e er unter ihren beiden
Gestalten n u r f ü r E i n e P e r s o n h i e l t , u m sich h e r g e w e b t habe. Föbidas mufste sich also auf den vierten T a g vertrösten l a s s e n , u n d inzwischen selbst auf M i t t e l bedacht s e y n , die peinliche U n g e duld , die ihn zu so u n g e b ü h r l i c h e n M a f s r e geln t r i e b , einzuschläfern. Während buch,
Hippalektor
in seinem
oder ( w a s w e n i g s t e n s
Bilder-
eben so w a h r -
scheinlich i s t ) in der N a c h b a r s c h a f t des O r t s , w o die G e g e n s t ä n d e seiner W i f s b e g i e r d e w o h n t e n , nach Aufschlüssen f o r s c h t e , w a r D ä m o n a s s a ( s o hiefs die w e i s e und mächtige Beschützerin der jungen D a f n i d i o n ) nicht w e n i ger b e s c h ä f t i g t , diese i h r e ,
w i e ihr
Kind g e l i e b t e , N i c h t e vor den gen des leichtsinnigen benden
jungen
eigenes
Nachstellun-
u n d sich alles erlau-
Centauren
zu
sichern.
E i n i g e talismanische R i n g e , die sie von ihrem V a t e r geerbt und dieser von einem Persischen Wienands s. w . XXXVIII. e.
H
N 4
DAS
Weisen,
HEJCAMEROM
welchem
VON
ROSENHAI».
er zufälliger W e i s e
das
L e b e n gerettet h a t t e , zum Geschenk empfangen , gaben ihr über das gemeine Z a u b e r v o l k in Thessalien
eine entschiedene
Obermöcht:
aber die N a t u r selbst hatte sie mit z w e y angebornen
Talismanen
versehen,
die
in
den
meisten F ä l l e n den Gebrauch der k ü n s t l i c h e n u n n ö t h i g machen. blick,
D i e s e waren ein S c h a r f »
dem nichts e n t g i n g was zu
u n d eine B e s o n n e n h e i t ,
sehen,
die immer
auf
der Stelle das Beste f a n d , w a s zu t h u n w a r . Dämonassa z w e i f e l t e n i c h t , dafs Föbidas, g e w o h n t der Befriedigung seiner Gelüste u n d L a u n e n alles a u f z u o p f e r n , den kürzesten W e g einschlagen, und die Z a u b e r k ü n s t e seines N a c h bars H i p p a l e k t o r zu H ü l f e n e h m e n w e r d e , u m ihre D a f n i d i o n in seine G e w a l t zu men.
hekom-
H ä t t e sie darauf rechnen k ö n n e n , dafs
er sich keiner andern Mittel als der g e w ö h n lichen V e r f ü h r u n g s k ü n s t e gegen sie bedienen w ü r d e , so w ä r e Sie i h r e n t w e g e n ganz r u h i g g e w e s e n ; denn D a f n i d i o n w a r ein verständiges M ä d c h e n ,
und d e s s e n ,
w a s das
Weib
sich selbst schuldig i s t , sich sehr lebhaft bew u f s t , v o n i h r selbst e r z o g e n , u n d überdief»
D A F H X D I O N .
seit einiger Zeit von einem jungen M a n n e ,
liebenswürdigen
dessen Gut
an
das
ihrige
grenzte, zur E h e h e g e h r t , dem sie wenigstens nicht abhold s c h i e n , w i e w o h l sie noch immer eine gröfsere Neigung z e i g t e , sich nach dem Beyspiel
ihrer Besshützerin dem Dienst der
jungfräulichen Göttin A r t e m i s Eine solche Person
hat von
zu widmen. gewöhnlichen
Nachstellungen nichts zu besorgen; aber h i e r w a r es n ö t h i g , sie gegen hinterlistige und gewaltsame Unternehmungen sicher zu stellen. Dafnidion hatte in dem A u g e n b l i c k ,
da,
sie sich vor dem nachsetzenden Föbidas in die Grotte f l ü c h t e t e , einen R i n g von Dämonassen empfangen, w e l c h e r ,
an der rechten
Hand
g e t r a g e n , nichts weiter als ein unscheinbares goldenes Reifchen war, aber unsichtbar machte, sobald er an den Goldfinger der linken Hand gesteckt w u r d e .
Itzt beschenkte Dämonassa
sie noch mit einem andern, der die T u g e n d h a t t e , jedes Zaubergebilde, sobald es mit dem darein gefafsten Stein berührt w u r d e , in seine natürliche Gestalt zurückzuzwingen.
M i t die-
sen beiden R i n g e n konnte die schöne Dafnidion
allen Zauberern
und Hexen
in
ganz
lió
DAS
HEXAMERON
VON
ROSENHAIN.
Thessalien Trotz bieten; und so überliefs sie sich dann auch ihren gewöhnlichen Geschäften und Ergötzungen mit der ruhigsten Unbefangenheit. Inzwischen hatte Hippalektor sich in den Stand g e s e t z t ,
seinem edeln Schützling bey
ihrer nächsten Zusammenkunft
hinreichende
Nachrichten von seiner Unbekannten zu ertheilen. der
Oämonassa Parnassischen
Spröfsling
eines
ches von sehr
( d i e schöne Spinnerin in Grotte) edeln
war
der
letzte
Geschlechts,
wel-
alten Zeiten
her nahe bey
D e l f i am F u f s des Parnassus begütert
war.
S i e hatte einen T h e i l ihres beträchtlichen Erbgutes der jungfräulichen
Zwillingsschwester
des Delfischen Gottes g e h e i l i g t , und bewohnte an der Spitze einiger der Göttin
geweihter
J u n g f r a u e n die zu ihrem Tempel
gehörigen
Gebäude.
D a s benachbarte
L a n d v o l k ver-
ehrte sie als eine heilige und von der Göttin hochbegünstigte P e r s o n ,
die durch Dianens
unmittelbaren Beystand alles v e r m ö g e ;
und
m der T h a t , sagte H i p p a l e k t o r , muís sie im Besitz grofser Geheimnisse s e y n , da sie sich, ohne zu unserm Orden
zu g e h ö r e n ,
allen
D a f n i d i o n .
117
Genossen der magischen Kunst furchtbar gemacht hat.
Jeder Versuch mit Gewalt e t w a s
gegen
auszurichten,
sie
würde
vergeblich
seyn. D a s giebt schlechte Aussichten, sagte 1 Föbidas.
Aber in welchem Verbältnifs steht meine
Dafnidion mit dieser furchtbaren Dianenpriesterin ? oder
Sollte vielleicht der Delfische Gott,
einer seiner Priester in
seinem
Nah-
men — ? Es fehlt nicht an Beyspielen eine solche Vermuthung zu rechtfertigen , erwiederte Hipp a l e k t o r ; aber Dafnidion ist wirklich die Tochter einer schon lange verstorbenen Schwester Dämonassens, und zur Erbin der a n d e r n H S l f t e i h r e s Vermögens von ihr bestimmt, •wofern sie sich entschliefst die Gattin eines g e w i s s e n Terpsion zu w e r d e n ,
dessen Güter an die
ihrigen stofsen und der in der That für einen L a n d m a n n liebenswürdig genug ist. Ich für meine Person finde ihn sehr hass e n s w ü i d i g , sagte Föbidas ; könnten w i r ihm nicht durch ein kleines heroisches Mittelchen die L u s t zum heirathen vergehen machen ? Auch Terpsion
steht unter Dämonasseng
LIß
DAS
HEXAMEROS
VON R O S E N H A I N .
und ihrer Göttin Schutz, versetzte der Schwarzk ü n s t l e t , und ich wollte dir nicht rathen dich an ihm au vergreifen.
M i t L i s t werden w i r
w e i t e r kommen. W e n n w i r nicht selbst überlistet werden, sagte Föbidas;< di'e heilige Friesterin ist eine verschmitzte P e r s o n ,
das kannst du mir auf
mein W o r t glauben. ,, HcSre mich nur an und thue dann w a s du willst.
Ich habe ausfindig g e m a c h t , dafs
die ganze Sicherheit des Mädchens auf einem R i n g e beruht,
der alle Zauberey an ihr un-
kräftig macht.
Sie trägt ihn am kleinen Fin-
ger der rechten H a n d , und sie ist d e i n ,
so
bald du ein M i t t e l findest dich des R i n g s zu bemächtigen. u j Es w i r d s c h w e r halten ihr so nfche zu k o m m e n , sagte Föbidas; w e n n du nicht glücklicher im Erfinden bist als ich — ,, So höre n u r ! das Mittel ist bereits gefunden.
M o r g e n Abends wird Dämonassens
Geburtsfest von allfcn dazu eingeladenen jungen Dirnen
der Gegend
Spielen gefeyert werden.
mit
Tänzen
und
Ich gebe d i r , w e n n
du es zufrieden b i s t , die Gestalt eines hüb-
D
A
i
Ü
i s i o
N.
sehen Delfiscben IVIadcbehs, und begleite dich in Gestalt..ihrer Mutter. Es wird dann d e i n e Sache s e y n , dich so artig gegen Dafnidion zu benehmen, dafs sie dir gut w i r d , und.dich in den Reihentänzen, einmabl wenigstens, zu ihrer Mittänzerin wählt. Dafs ein. Mädch,en ein anderes in einer Anwandlung V9n Zärtlichkeit umarmt, ist nichts so ungewöhnliches, dafs Dafnidion, wenn sie in einem schicklichen Augenblick einen solchen Beweis ihrer Liebenswürdigkeit von dir e r h ä l t s i c h dadurch befremdet finden könnte. Im Gegentheil, sie wird deine Umarnmng erwiedern, und ich müfste dir wenig Gewandtheit zutrauen, wenn dq dich bey dieser Gelegenheit des Rings, den sie am kleinen Finger der rechten Hand trägt, nicht solltest bemächtigen können. Von dem Augenblick a n , da diefs geschiebt, ist sie in deiner Gewalt, und so wie du die drey magischen Worte /lxia tuxil Tiaxum aussprichst, wirst du mit ihr emporgehoben und in einer verbergenden Wölk e pfeilschnell durch die Lüfte in meine Wohnung auf der Spitze des Öta getragen werden."
120
DAS
HEXAMERON
VOM H O S E N H A I N .
Kann man sich darauf verlassen, alter Eis» bart,
dafs alles so erfolgen
wird? fragte
Föbidas- mit einer angenommenen ungläubigen Miene. „ W e n n du alles, was ich gesagt habe, genau beobachtest, nichts durch deine eigene Schuld verderbst, und vornehmlich die drey mächtigen
Worte
nicht vergissest,
Axia so
tuxil
steh
Leben für den Erfolg.*
9
naxtim
ich- mit meinem
4
Föbidas wiederholte diese drey Zauberworte so o f t , dafs er eher seinen eigenen Nahmen hätte vergessen können, u n d , wie» wohl er den Freygeist hatte spielen wollen, fiel ihm doch nicht ein, sich zu verwundern, dafs er drey Zauberworte, welche ein einziges Mahl ausgesprochen ein solches Wunder wirken sollten, mehr als hundert Mahl hinter einander hersagen konnte, ohne dafs nur ein welkes Rosenblatt stieg.
davon in die Höhe
Sein Glaube an Axia
tuxil
naxum
nahm mit jedem Mahle, dafs er diese Worte wiederholte, zu, und er konnte den Abend, da sie die reizende Dafnidion in seine Arme zaubern sollten, kaum erwarten.
121
D A F N I D I O » .
Während dieser frevelhafte Anschlag gegen die
liebenswürdige
Dafnidion
getftfhmiedet
w u r d e , machte Dämonassa die Überlegung, dafi ein sö verwegener und sittenloser Fürstensohn wie Föbidas, von einem Rathgebet w i e Hippalektor unterstützt, leicht auf
den
Einfall geräthen k ö n n t e , die Gelegenheit ihres Festes auf die eine oder andere Art zu seinen Absichten zu benutzet!; und w i e w o h l si6 sich die M ü h e nicht nehmen wollte die Art und W e i s e zu errathen, so däuchte ihr doch das
Sicherste,
die
Anschläge
des
Feindes
durch eine Mafsnehmung
au vereiteln,
auf
gleich
alle
mögliche
Fälle
die
gut passe.
Sie redete also, kurz zuvor ehe die Jungfrauen sich zum Tanz versammelten, mit ihrer Nichte ab,
dafs sie ihre Nymfengestalt und ihren
zauberlösenden Ring auf einige Stunden gegen das rothbackigte Vollmondsgesicht, die muskeligen Arme und Beine und den reichbegabten Busen einer jungen Bauerdirne, M y k a l e g e n a n n t , der Tochter eines ihrer Freygelafsn e n , vertauschen sollte, so dafs Föbidas auf alle Fälle Mykale für Dafnidion halten, sie selbst aber in Gestalt der Mykale unter mehr
¿22
DAS H b x a m e r o n vom I\OSENHAIK.
I»J» fünfzig Landmädcben keiner Aufmerksamkeit; vverth. achten würde. Nach diesen auf beiden Seiten getroffen e n Anstalten erwartete die schöne Dafnidion ruhig.,., Föbidas mit ungeduldig Herzen , die Stunde des Festes.
klopfendem Sie kam upd
der jung« Thessalier erschien mit seiner utl.^prgeschobenen Mutter ais eine schöne jungß R e l f i e r i n , zierlich zuiq.Tatiz geschmückt, und «eine R o l l e , wie er sich schmeichelte, so gut ¿pietet^d , dafs alle 'Anwesenden , Tänzerinnen u n d Zuschauende, dadurch getäuscht werden jmifs^en..
In der Tbat. war auch Niemand,
der den mindesten Zweifel h e g t e ,
da£s er
nicht T i m a n d r a , Menalippsns Tochter sey, ¡welche den meisten Anwesenden,nicht. unbekannt w a r , da man sie vor Kurzem an einem grofsen Feste zu P e l f i im Chor der Jungfrauen., die d e n . P ä a n sangen, hen hatte.
N u r Dämonassa
glänzen-geseentdeckte
den
Betrug beym ersten Blick in die leichtfertigen Augen des vorgeblichen Mädchens, und wurde, j e länger Sie dieselbe beobachtete, durch tausend kaum merkliche Kleinigkeiten, die den
D A F N I D I Ö S .
verkappten Centftur v e r r i e t h e n , in ihrer Vei*tnutbuDg bestärkt. Föbidas, ob er sich schon gegen die vermeinte Dafnidion sehr ehrerbietig und anständig zu betragen g l a u b t e , konnte sich doch nicht so gut zurück halten, dafs eine Andere als M y k a l e nicht ein w e n i g A r g w o h n
hätte
schöpfen m ö g e n : aber die gute D i r n e
thst
«ich so viel auf die P e r s o n , die sie vorstellte, zu g u t , und fühlte sich durch die u n g e w o h n ten Schmeicheleyen
und L i e b k o s u n g e n ,
die
ihr von der unächten Timandra gesagt
und
gemacht w u r d e n ,
so g l ü c k l i c h , dafs sie den
von Dämonassa empfangenen Unterricht, w i e sie sich zu verhalten h a b e , unvermerkt verg a f s , und in Dafnidions Gestalt so ziemlich ihre eigene Person zu spielen anfing. D e r verkappte Föbidas, anstatt e t w a s auffallendes in ihrem Betragen ' z u f i n d e n , eitel g e n u g ,
alles,
war
w'as einen w a h r e n und
Kartfühlenden Liebhaber befremdet h ä t t e , z u seinem Vortheil zu deuten. er,
spreche h i e r ,
wickle,
durch
und
eine
Die Natur, meinte die Sympathie ent-
geheime
Ahnung
der
X24
DAS
HEXAMERON
VON
ROSENHAIN.
Gegenwart eines L i e b h a b e r s , Gefühle i n ¡hr, die ihr vermuthlich zu neu s e y e n , als dafs sie sich ihnen nicht ohne alles Mifstrauen überlassen sollte.
Diese Gedanken und die durch
den Tanz sich immer mehr belebenden und erhöhenden R e i z e der schönen N y m f e , w i r k ten endlich so stark auf i h n ,
dafs er den
ersten A u g e n b l i c k , w o es mit einiger Schicklichkeit geschehen k o n n t e , ergriff,
und in-
dem er die vermeinte
Dafnidion
liebkosend
umarmte, ihr z u g l e i c h ,
w i e w o h l mit zittern-
der H a n d , den gefährlichen R i n g vom F i n g e r zu ziehen suchte. Ob die ehrliche M y k a l e w i r k l i c h ,
ohne
es zu wollen und zu w i s s e n , e t w a s sympathetisches in diesem Augenblick f ü h l t e ,
oder
ob sie nur Höflichkeit mit Höflichkeit e r w i e dern w o l l t e ,
genug sie gab der
verkappten
Timandra ihre L i e b k o s u n g mit der treuherzigsten W ä r m e z u r ü c k : aber sobald sie merkte, dafs es blofs auf den R i n g , dessen B e w a h rung ihr sehr ernstlich eingeschärft worden w a r , abgesehen s e y , und dafs Timandra sich dessen mit G e w a l t bemächtigen w o l l e , wandelte
sich
ihre
getäuschte
ver-
Zärtlichkeit
D
A
r» i
D
i o ».
125
plötzlich in Ingrimm, und sie setzte sich so tapfer zur W e h r , dafs der talismanische Stein seine Wirkung zugleich an beiden that, tind, bevor Föbidas sein Axia tuxil naxum anbringen konnte, zu gröfstem Erstaunen der ganzen zahlreichen Versammlung, in der schönen Timandra einen kräftigen Jüngling, und in der vermeinten Dafnidion die bochgebrüStete Mykale darstellte, in einem unbegreiflichen Zweykampf begriffen, der beynahe in ebendemselben Augenblick anfing und aufhörte, und den eben so bestürzt als beschämt zurückprallenden Thessalier einem allgemeinen Gelächter Preis gab. Aber dieses verwandelte sich, nur zu bald für ihn, in laute Ausbrüche des stärksten Unwillens ; und während tausend zugleich erschallende Stimmen die Bestrafung eines so unerhörten Frevels forderten, fielen mehr als zwanzig derbe Bauermädchen über den unglücklichen, bald um Gnade bittenden, bald mit Faust uud Ferse sich wehrenden Sunder her, und würden ihn wahrscheinlich das klägliche Schicksal des O r f e u s und P a n t h e u s haben erfahren lassen, wenn Hippalektor (den
I2Ö
DAS
HEXAMBRON
VON R O S E N I I A I N .
qlle seine Zauberkünste in diesem furchtbaren Augenblick im Stiche l i e f s e n ) sich der Priesterin nicht zu Füfsen g e w o r f e n , und um Gnade für seinen Schützling und sich selbst gebeten hätte.
Dämonassa
w a r zu menschlich,
um
dem Gedemüthigten nicht zu verzeihen. gebot von dem Jüngling
abzulassen;
Sie glück-
licher W e i s e für ihn noch früh g e n u g , er,
einige
Mähler,
Schrammen,
Beulen
und
dafs blaue
und ein Paar Hände voll a u s g e r i f i -
ner Haare abgerechnet, mit allen seinen Gliedm a ß e n davon k a m , von welchen einige der edelsten in grofser Gefahr g e w e s e n w a r e n . Dämonassa liefs den jungen Thessalier und seinen
Rathgeber
die
in dieser
Geschichte
offen genug zu T a g e liegende Moral
selbst
daraus z i e h e n , und begnügte sich, beiden die Betretung
ihres Dianen geheiligten
und jeden f e r n e m Versuch auf
Bodens
ihre kleine
D a f n e scharf genug zu u n t e r s a g e n , um ihnen die L u s t dazu auf immer vergehen zu machen. Aber, w i e w o h l Föbidas durch die schmachvolle Vereitlung Todesangst,
seines
Anschlags
und
die
die er unter den Nägeln vom
127
D A F N I D I O » .
z w a n z i g grimmigen Dorfnymfen ausgestatteten, f ü r seine Leichtfertigkeit hart genug geziiehtiget schien , so konnte oder w o l l t e die Priesterin doch der öffentlichen Stimme nicht entgegen s e y n , Welche v e r l a n g t e , denken dieser Begebenheit
dafs das An-
erhalten und
zu
einem warnenden Beyspiel für die künftigen Zeiten aufgestellt werden sollte.
Sie verord-
nete a l s o , oder liefs es ( w a s mir wahrscheinlicher i s t ) blofs g e s c h e h e n , d a f s , so oft der Jahrstag derselben w i e d e r k e h r t e ,
alle
Mäd-
chen der Gegend auf einem grofsen Rasenplatz am Eingang des H a i n s , den sie Dianen geheiligt h a t t e , sich unter den Augen ihrer M ü t t e r zu fröhlichen Spielen und Tänzen versammelten, und wenn der letzte grofse R u n d tanz geendigt w a r , einen aus Lumpen zusammengeflickten und mit gehacktem Stroh ausgestopften P o p a n z , d e r F ö b i d a s
genannt,
unter grofsem Jubel so lange mit Hasenpap« peln peitschten , bis er ihnen in lauter einzelnen Fasern um die Köpfe flog. wohnheit
soll
Diese Ge-
mehrere Jahrhunderte
durch
in Übung geblieben s e y n ; und w e n n einer von den vielen gelehrten und forschlustigen
DA9
HEXAIWERON
Wandersmännern,
VON
ROSEKHAIN.
welche seit einiger Zeit
Griechenland nach allen möglichen Richtungen bereisen und durchforschen, falls er ra diese Gegend kommt, Nachfrage thun w i l l , «"O wird sich
vielleicht finden, dafs sie sich bis auf
diesen Tag erhalteu hat. Ob übrigens der wirkliche Föbidas sich die auf eigene Kosten erworbene E r f a h r u n g , und die jährliche Züchtigung seines leblosen Stellvertreters zur Besserung habe dienen lassen , ist nicht b e k a n n t , dürfte aber aus mehrern Ursacheu, deren Anführung den Scharfsinn meiner Zuhörer beleidigen w ü r d e , mit gutem Fug bezweifelt werden.
DIE
129
ENTZAUBERUNG.
D i e E r z ä h l u n g , womit die Gesellschaft zu Rosenhain
am
dritten
Abend
unterhalten
werden sollte, w a r durchs L o o s dem Fräulein A m a n d a v o n B * * * , einer entfernten Verwandtin des H a u s e s , zugetheilt worden. Alle Glieder des freundschaftlichen Kreises zeigten ihr so unverhohlen, w i e viel Vergnügen man sich von diesem Abend verspreche, dafs auch eine viel weniger bescheidene j u n g e Person , als Amanda , ein w e n i g verschüchtert hätte werden mögen.
Ich bedarf Aufmunte-
r u n g , sagte s i e , und S i e machen mich durch E r w a r t u n g e n zittern , die ich zu erfüllen nicht hoffen kann.
Bedenken S i e , w i e sehr ich
schon dadurch im Nachtheil b i n , auf Herrn von P. folge.
dafs ich
Der Abstich wird —
schwerlich zu meinem Vortheil s e y n , fiel ihr dieser ins W o r t , — aber auf jeden Fall ist es um keinen W e t t s t r e i t , sondern um eine blofse WiELiUDi s. W. XXXVIII. B.
I
130
DAS
HEXAMERON
VON
ROSENIIAIN.
Unterhaltung zu t h u n , die »uf beiden Seiten gleich anspruchlos ist.
W i r geben w a s w i r
h a b e n , und unsre Zuhörer, in billiger E r w a r t u n g , dafs w i r unser Bestes t h u n , sind bereit mit d e m , w a s w i r g e b e n , vorlieb zu nehmen.
Auf diese B e d i n g u n g , sagte Fräulein Amanda l ä c h e l n d ,
kann
ich es um so getroster
w a g e n , Ihnen sogar ein Feenmährchen zum Besten zu geben.
DIE
DIE
Rosalie
EHTZAUBEBUNG.
»3»
E N T Z A U B E R U N G .
von
Eschenbach,
ein lie-
b e n s w ü r d i g e s j u n g e s M ä d c h e n , w e l c h e s seine Altern schon in der K i n d h e i t verloren h a t t e , w a r u n t e r den A u g e n einer bejahrten u n d begüterten V a t e r s s c h w e s t e r , zu deren E r b i n sie bestimmt w a r , mit allen Vortheilen u n d Nachtheilen einer ländlichen E r z i e h u n g , fern von der H a u p t s t a d t auf einer alten R i t t e r b u r g in einer
wildanmuthigen
erzogen worden.
romantischen
Gegend
Von ihren f r ü h e s t e n J a h r e n
an w a r L e s e n ihr angenehmster Z e i t v e r t r e i b ; das gute K i n d hatte aber nichts zu lesen als R i t t e r b ü c h e r und F e e n m ä h r c h e n ,
wovon
die
alte T a n t e selbst eine grofse L i e b h a b e r i n w a r , u n d deren sie eine ziemliche M e n g e besafs, w e l c h e , nebst einigen Andachtsbüchern einer
mit
silbernen
Buckeln
und
beschlagenen
grofsen K u p f e r b i b e l , die ganze Bibliothek des Schlosses ausmachte.
I m L e s e n u n d Schrei-
I38
DAS
HEXAMEHON
VON
ROSENHAIK.
ben hatte das Fräulein von dem Pfarrer des Orts, in der M u s i k von dem Kantor eines benachbarten Städtchens, in weiblichen Arbeiten
von
einer
ziemlich
geschickten
j u n g f e r , und im Tanzen von einem
Hausgewese-
nen Kammerdiener ihres V a t e r s , einem alten Hausrathsstück des Schlosses, Unterricht bekommen.
Von der A u s b i l d u n g ,
diese W e i s e
erhielt,
so sie auf
w a r eben kein
hoher
Grad von Vollkommenheit zu e r w a r t e n : aber die Natur hatte das Beste bey ihr g e t h a n , und da Fähigkeit und innerer Trieb Sie in allen w e i t über ihre Lehrmeister hinaus f ü h r t e , so fand sich's, dafs S i e , den M ä n g e l n ihrer Erziehung zu T r o t z , mit einer sehr einnehmenden Gesichtsbildung, Wuchs,
einem nymfenmäfsigen
einer festen blühenden
Gesundheit
und einer sanften, gutlaunigen und gefälligen Gemüthsart, in ihrem sechzehnten Jahr das reizendste und liebenswürdigste Fräulein auf z w a n z i g M e i l e n in die R u n d e war. Alles diefs, mit dem nicht unbedeutenden Zusatz
der gewissen Anwartschaft auf
ein
ansehnliches V e r m ö g e n , machte Rosalien zum Gegenstand der Bewerbung aller heirathslusti-
DIE E n t z a u b e r u n g .
133
gen J ü n g l i n g e , Hagestolzen und W i t t w e r ihres Standes w e i t umher.
A b e r unter den W e n i -
gem, w e l c h e von, irgend
einer
Seite
Mittel
gefunden hatten einige Auszeichnung von ihr zu e r h a l t e n , w a r doch nur ein e i n z i g e r , der sich schmeicheln
Konnte
mit einer A c h t u n g
v o n ihr begünstiget zu werden , die den K e i m einer geheimen, vielleicht ihr selbst noch ver-, b o r g e n e n , N e i g u n g zu verrathen schien. D i e s e r Glückliche w a r A l b e r i c h , Art
von irrendem R i t t e r
lichen den,
Gestalt,
von
der
eine fröh-
dem die besondern G n a -
w o r i n er bey den Schönen s t a n d ,
und
die V o r t h e i l e , so er daraus au ziehen w u f s t e , einen glänzenden Nahmen des L a n d e s gemacht hatten.
in der Hauptstadt E r w a r mehrere
J a h r e lang im Besitz des R u f s gewesen , dafs seinen R e i z u n g e n , und seiner G e w a n d t h e i t in den K ü n s t e n der V e r f ü h r u n g nicht zu widerstehen sey.
D i e s e r R u f w i r d ( w i e ich höre)
o f t so w o h l f e i l
e r k a u f t , dafs seine
Besitzer
w e n i g Ursache haben stolz auf ihn zu seyn. Ob diefs auch bey Alberichten der Fall w a r , ist mir u n b e k a n n t , g e n u g , nach einigen J a h ren hatte der A u f w a n d , den er a u B e h a u p t u n g
134
HEXAMEHON
VON
ROSENHAIN.
desselben machte, von seinem sehr mäfsigen Erbgut so viel a u f g e z e h r t , dafs er sich genöthigt s a h , aus dem K r e i s e , w o r i n er bisher geschimmert h a t t e , herauszutreten, und sich in die P r o v i n z , w o Rosalie w o h n t e , zurückzuziehen,
in der A b s i c h t ,
reiche Erbin
zu w e r b e n ,
um irgend die ihn
eine
in
den
Stand setzen k ö n n t e , mit neuem Glanz in der Hauptstadt zu erscheinen, und seine gewohnte Lebensart fortzusetzen. Unter d e n e n ,
die er zu dieser
Absicht
tauglich f a n d , schien ihm Rosalie von Eschenb a c h , durch ihre Unerfahrenheit,
Unschuld
und w e n i g e W e l t k e n n t n i f s diejenige zu s e y n , deren Eroberung die w e n i g s t e M ü h e kosten w ü r d e ; und da sie zugleich die reichste und schönste w a r ,
so hatte er durch
bedeutende
Empfehlungen aus der Hauptstadt sich um so leichter Zutritt bey der alten Tante verschafft, da er aus einer w o h l b e u r k u n d e t e n ,
obgleich
e t w a s entfernten Verwandtschaft seines Hauses mit dem Ihrigen sich eine ganz besondere E h r e machte, und der unbegrenzten
Gefäl-
l i g k e i t , die er f ü r ihre Eigenheiten und Grillen z e i g t e , durch seine persönlichen Vorzüge
D I E
einen
desto
135
ENTZAUBERUNG.
höhern W e r t h in ihren Augen
zu geben wufste.
Denn
ungeachtet
w a s einige Hauptstädte
dessen,
Ritter
Alberich,
Europens von seiner Blüthe a b g e s t r e i f t , w a r noch immer der schönste M a n n , den sie je gesehen
hatte,
und,
wären
nicht
vierzig
w o h l g e z ä h l t e J a h r e zwischen ihnen
gestan-
den ,
bedacht
sie
w ü r d e sich
nicht
lange
haben ihn für sich selbst zu behalten. So leicht w a r nun freylich die j u n g e , zartf ü h l e n d e , und ihres eignen W e r t h s sich nicht ganz unbewufste Rosalie nicht zu g e w i n n e n . Indessen hatte doch die blendende Aufsenseite des Ritters ihre Augen , — die geschmeidige L e i c h t i g k e i t , womit er sich in den unbedeutendsten
Dingen
nach
ihrer
Denkart
und
ihrem Geschmack richtete, ihre Eigenliebe,— und die vorgebliche Übereinstimmung
ihrer
Gemüther, die er mit der feinsten Schauspielerkunst zu heucheln w u f s t e , ihr H e r z ,
zu
seinem Vortheil bestochen; und w e n n gleich das,
was
Sie
für ihn f ü h l t e ,
noch
nicht
L i e b e w a r , so schien es doch das nahmenlose E t w a s zu s e y n , woraus, mit Zeit, Geduld, und unablässiger Sorgfalt es fein w a r m
zu
136
DAS
halten,
HEXAMERON
VON
ROSENIIAIN.
zuletzt unversehens L i e b e hervorge-
b r o c h e n kommt. U n t e r Rosaliens übrigen V e r e h r e r n ,
die
nicht bedeutend genug sind, um uns in n ä h e r e B e k a n n t s c h a f t mit ihnen zu s e t z e n , w a r n u r einer, der eine Ausnahme zu verdienen scheint. E s w a r der einzige Sohn Landmanns, Vermögen
eines
gehabt h a t t e ,
und
das
seinem Sohn
eine
bessere E r z i e h u n g zu g e b e n , als chen g e w ö h n l i c h erhalten. nannte
begüterten
w e l c h e r den W i l l e n
man
den jungen
einem h e l l e n , r u h i g e n , schimmernden
Seinesglei-
Hulderich Mann)
m e h r gründlichen als
Verstand ein so w a r m e s
gefühlvolles H e r z ,
(so
besafs z u
als je in der B r u s t
und des
adelichsten aller Ritter der T a f e l r u n d e schlug. Sein Äufseres w a r eben so w e n i g
blendend
als das Innere ; doch k o n n t e er, sogar neben dem schönen A l b e r i c h , f ü r einen
wohlgebildeten
M a n n g e l t e n , u n d (wessen sich dieser nicht z u rühmen
hatte)
sein Blut w a r rein
wie
seine Sitten , und sein K ö r p e r so gesund u n d u n g e s c h w ä c h t w i e seine Seele.
In der T h a t
hatte er n u r einen einzigen F e h l e r , der ihm aber gröfsern
Schaden t h a t , als
Alberichen
DIE
137
E N T 2 A U B ER U NG.
alle seine Laster.
Eine Bescheidenheit,
die
zuweilen an Schüchternheit g r e n z t e , warf auf seine ohnehin nicht schimmernden Verdienste einen Schatten,
der sie den A u g e n
derjeni-
gen e n t z o g , die ihn nur eines flüchtigen Anblicks w ü r d i g t e n ;
und
unglücklicher W e i s e
w a r Rosalie eine dieser Unachtsamen. Hulderichs Vater hatte z u einem hübschen Gut, reyen
das sein Eigenthum der
alten
Dame
war,
die Lände-
gepachtet.
Dieser
Umstand hatte dem S o h n , von früher Jugend an,
häufige
Gelegenheit
verschafft,
Schlofs zu k o m m e n , und R o s a l i e n , sie noch
in das so lange
unter vierzehn Jahren w a r ,
öfters
zu sehen und zu sprechen; und so hatte sich das Bild nach
tief
ihrer Liebenswürdigkeit in
sein Gemüth
nach
eingesenkt.
und Ihr
inunteres, sanftes und holdseliges W e s e n , die G ü t e ihres H e r z e n s , und die Anlage zu allen weiblichen T u g e n d e n , die er darin aufkeimen sah, hatte sich des seinigen unvermerkt dergestalt bemächtigt, Seele liebte, däuchte, nehmen ,
dafs
er
Sie
wie
seine
und dafs ihm nichts so schwer
dafs er es nicht für Sie zu unternichts- so k o s t b a r ,
dafs er's
Ihr
1J8
DAS
HEXAMERON
VON
ROSENHAIN.
nicht aufzuopfern, nichts so peinvoll, dafs er's nicht für Sie zu leiden bereit war. Gesinnung innig mit
f ü r Ilosalien verwebte seinem
ganzen W e s e n ,
noch immer in gleicher Stärke
Diese sich
so
dafs sie
fortdauerte,
als Rosaliens Ubergang in das Alter der aufblühenden Jungfrau ihm beynahe alle Gelegenheit entzog, ein paar W o r t e mit ihr zu wechseln, oder sie nur in der Nähe zu sehen. E r fühlte diesen Verlust schmerzli.ch;
aber,
da er es schon f ü r Verbrechen gehalten hätte, sich ihren Besitz
nur als etwas Mögliches
zu denken, so genügte ihm daran , sie schweigend und von fern zu lieben; und es würde i h m , glaubte e r , nichts zu wünschen übrig geblieben seyn, wenn Si'e ihm nur zuweilen durch Einen gütigen Blick hätte zu erkennen gebön w o l l e n , dafs Sie seinem Herzen Gerechtigkeit widerfahren und sich eine Liebe gefallen lasse,
welche
in der T b a t ,
mehr
von der andächtigen Inbrunst eines frommen D
Einsiedlers au der Königin des Himmels, als von dem irdischen Feuer einer eigennützigen Leidenschaft für eine Sterbliche, in sich hatte. Aber Ilosalie schien seit ihrem fünfzehnten
DIE
Jahre,
ESTZAUEUUBC.
und noch
mehr seit ihrer
139
Bekannt-
schaft mit Alberich, nicht die mindeste K e n n t ni£s mehr von dem armen Hulderich z u n e h men.
D a f s es nicht stolze Verachtung w a r ,
d a f ü r bürgt uns die G ü t e des H e r z e n s , w o v o n sie täglich b e y allen Gelegenheiten die u n z w e y d i u t i g s t e n Beweise g a b ; auch w a r e s wirklich
welter
nichts,
als dafs
Hulderich
gänzlich aus ihrem innern Gesichtskreise ver-, schwunden,
oder wenigstens in den tiefen
Schatten zurückgetreten w a r , w o r i n T a u s e n d andere von i h r u n b e m e r k t e M e n s c h e n
stan-
d e n , mit denen
Ihres
Sie,
weil sie w e d e r
M i t l e i d e n s , noch I h r e r W o h l t h ä t i g k e i t n ö t h i g h a t t e n , Sich aufser allem Verhältnifs glaubte. Alles diefs, meine gnädigen D a m e n u n d H e r r e n , mufste ich vorausschicken, bevor iph z u dem Abenteuer fortgeben k o n n t e , welches der eigentliche Stoff meiner E r z ä h l u n g ist. I c h sagte gleich A n f a n g s , aus Mangel nichts
eines B e s s e r n ,
als Ritterbücher
gelesen habe.
dafs
Rosalie,
von Kindheit a n
u n d Feenmährchen
Aus diesen Quellen hatte sie
eine A r t von idealischer
W e l t - und
Men-
140
DAS
HEXAMERON
VON
ROSEMHAIN,
schenkenntnifs g e s c h ö p f t , die mit dem w i r k lichen L a u f
der W e l t und
dem
L a s s e n der wirklichen M e n s c h e n
Thun
und
einen star-
k e n Abstich m a c h t e , und sehr vieler Berichtigungen
und
auch n u r f ü r
Zusätze bedurfte, den
engen
und
wenn
sie
einförmigen
K r e i s , w o r i n sie l e b t e , zureichen sollte; a b e r auf keine W e i s e so beschaffen w a r , dafs Sie auf
einem gröfsern L e b e n s - Schauplatz
eine
anständige R o l l e glücklich h ä t t e spielen, oder den vielfältigen Gefahren und U n f ä l l e n gehen
können,
denen
Sie
sich
ent-
durch
so
manche täuschende Einbildungen und E r w a r t u n g e n ausgesetzt befand. E s w a r also nicht m e h r als b i l l i g , dafs, bey E n t s t e h u n g m i t t e l , die F e e n annahmen, kindische
andrer g e w ö h n l i c h e r
Hülfs-
sich des guten M ä d c h e n s
u n d was sie durch kindliche u n d Spielwerke
der
Fantasie
an
der
natürlichen Gesundheit ihres Verstandes eingebüfst h a t t e , durch a n d e r e , auf W i e d e r h e r stellung
derselben abzweckende Spiele
ihrer
Z a u b e r k u n s t zu vergüten suchten. Bey einem jungen M ä d c h e n , s a g e n , u n t e r lauter F e e n
das,
so zu
und F e e r e y aufge-
D I E
E N T Z A U B E R U N G .
141
kommen w a r , scheint, unter den mancherley wunderlichen W ü n s c h e n , welche jungen Mädchen durch den Kopf keiner natürlicher
flattern
zu
zu s e y n ,
pflegen,
als d e r ,
sich
wirklich einmahl in dieses F e e n l a n d
ver-
setzt zu sehen, von dessen Herrlichkeiten sie so viel gehört und gelesen hatte.
Rosalie
hing diesem fantastischen Gedanken seit einiger Zeit so häufig n a c h , dafs sie ihn zuletzt gar nicht wieder los werden konnte. Einsmahls, da s i e , bey Aufgang der Sonne, um die Natur im Erwachen zu belauschen und dem Morgenjubel der Lerchen und Nachtigallen
zuzuhören,
in
den
Gebüschen
des
Schlofsgartens umherschlich, gab der Zauber, unter welchen diese liebliche N a t u r - E r s c h e i nungen alle ihre Sinne setzte, jenem Gedanken eine solche S t ä r k e , dafs er auf einmahl laut w u r d e , und in W o r t e ausbrach, w o v o n sie keine Zeugen zu haben glaubte. Plötzlich sah sie eine hohe Gestalt vor sich stehen, die eher einer Göttin als einer Sterblichen ähnlich sah.
Ein
begeisterndes
Feuer w a l l t e in ihren grofsen schwarzen Augen,
142
DAS
HEXAMERON
VON
ROSENHAIN.
u n d die üppigste Fülle goldner Haare flofs in langen Ringeln um ihren schönen Kopf und den blendenden Liliennacken.
Sie w a r
in
ein schimmerndes G e w a n d von tausend durch einander gewebten F a r b e n gekleidet, und t r u g ein
dünties Stäbchen
von
rosenfingrigen H a n d .
Ebenholz
in
der
D e i n W u n s c h sey dir
g e w ä h r t , sagte sie zu Rosalien und b e r ü h r t e sie mit ihrem Stäbchen. I n demselben Augenblick lag Rosalie w i e schlummernd
auf
einem
prächtigen
Ruhe-
b e t t e ; ein Schwärm
von
h o b es e m p o r ,
s c h w e b t e mit der schö-
und
gaukelnden Z e f y r n
nen L a s t so leicht durch die L ü f t e h i n , als ob sie nur ein flockichtes A b e n d w ö l k c h e n v o r sich her h a u c h t e n . Rosalie e r w a c h t e in den Zaubergärten der Feenkönigin. Grofse immergrüne R a s e n p l ä t z e ; Blumenstücke, wetteiferten,
wo
Florens
schönste
Kinder
das Auge mit ihren Bildungen
u n d Farben , und den Geruch mit dem süfsen Balsam ihrer vermischten D ü f t e zu e n t z ü c k e n ; Citronenwäldchen
und Gebüsche aller Arten
blühender u n d duftender S t r ä u c h e , von spie-
D I E ENTZAUBERUNG.
J43
g e l h e l l e n , über Goldsand und Perlen flüchtig hinweg
rieselnden
Bächen
durchschlängelt;
liebliche Thäler und A n g e r , mit silberwollichtenHeerden bedeckt, und an allmählich emporsteigende W ä l d e r g e l e h n t ;
in
die
Wolken
aufstrebende B ä u m e , die mit der Schöpfung gleiches Alters zu seyn schienen; Ferne eine Kette
von
in tiefer
ungeheuren
Felsen,
zwischen welchen aus den W o l k e n herabstürzende Ströme,
bald in f u n k e l n d e Staubregen
a u f g e l ö s t , bald in ungeheuren
Schaum-Mas-
sen durch die geborstnen Klippen sich dräng e n d , u n z ä h l i g e W a s s e r f ä l l e bildeten, deren D o n n e r aus der w e i t e n Entfernung in Schlafeinladendes Rauschen sich v e r l o r ; k u r z , Alles, w a s Natur
und
Kunst
in
den
Halbzirkel
eines w e i t ausgedehnten Gesichtskreises Prächt i g e s , Erhabenes,
Schönes und Anmuthiges
zusammenzaubern k ö n n e n , w a r hier mit verschwenderischer Üppigkeit und in einer anscheinenden U n o r d n u n g , die im ganzen zur schönsten Harmonie w u r d e ,
vereinigt,
um
die Seele in einen einzigen reinen, entzückenden Genufs aufzulösen. Rosalie schwamm in W o n n e ; ihr w a r als
144
HEXAMERON
VON
ROSENHAIN.
«rinnere sie sich dunkel, w i e eines v e r s c h w e b ten T r a u m s , dafs sie schon an einem solchen O r t gewesen s e y : aber dafs sie hier v e r w i r k licht s a h , w a s ihr vormahls nur in matten, in einander zerrinnenden L u f t g e s t a l t e n erschienen w a r ,
das eben w a r es was
ihr
keinen
Zweifel l i e f s , dafs sie sich wirklich im L a n d e der Feen befinde. I n diesem w u n d e r v o l l e n L a n d e geht alles nach einer andern R e g e l , tagswelt,
wo
als in unsrer All-
w i r armen E r d e n k i n d e r ,
R a u m und Zeit g e f e s s e l t , nicht O r t zum a n d e r n , zurückzulegen,
o h n e den
noch
von
an
einem
Zwischenraum
vom Abend zum M o r -
gen kommen k ö n n e n , ohne die ganze N a c h t dazwischen
durchlebt z u h a b e n ,
ohne
dafs
auch nur eine einzige M i n u t e daran erlassen wird. Rosalie
erhielt
in
einen neuen B e w e i s ,
wenig
Augenblicken
dafs sie im F e e n l a n d a
s e y ; denn auf einmahl verschwanden die Z a u bergärten ,
und
sie
befand
sich
in
einem
grofsen prächtig erleuchteten Saal, der jenem wenig
nachgab,
derssoho
den der glückliche
Aladdin,
in
den
Scbnei-
Arabischen
Dia
E
145
m t z a v i> e b u n g .
M ä h r c h e n , mit H ü l f e des Genius der L a m p e und
seiner G e s e l l e n ,
Sultans
zu grofser F r e u d e des
seines Schwiegervaters
in einer ein-
zigen N a c h t zu Stande bringt.
D i e s e r Saal
w a r mit und
einer
unendlichen
Menge
zierlicher D a m e n und H e r r e n
schöner angefüllt,
die in buntschimmerndem G e w i m m e l ,
Paar-
u n d G r u p p e n w e i s e , durch eihan'deir 'schwärmten , und ansah,
d e n e n man
auf
den
ersten
dafs sie nichts zu thun
w u f s t e n , als e w i g dem
Blick
hatten noch
vor ihnen
her flie-
henHeii V e r g n ü g e n nachzujagert, R o s a l i e e r k a n n t e ' s o g l e i c h den holden Alberifch', der sich mit U n t e r h a l t u n g einiger Schönen»
die
ihn
umringten,
zu
beschäftigen
s c h i e n , a b e r , sobald er die D a m e seines H e r zens e r b l i c k t e , Entzücken,
auf sie zueilte, u n d ihr sein
Sie hier zu f i n d e n , in den leb-
haftesten F i g u r e n und W e n d u n g e n ausdrückte. Rosalie f ü h l t e sich u n t e r einer Art von Z a u b e r , dem sie Jucht widerstehen k o n n t e , vielleicht weil es ihr an — W i l l e n zum W i d e r stehen' fehlte.
I h r w a r als ob sie nicht ganz
dieselbe s e y ,
die sie immer
gewesen;
sie
s u c h t e sich in sich s e l b s t , u n d erstaunte über V\
1 K 1 . A M M
S.W.
X X X V I I I . B.
K
146
D A S HEXAMERON VON ROSEKHAIN.
die neuen G e f ü h l e , die sich in ¿hr regten, und ihr zwar fremd, aber zu angenehm waren, um sich ihnen nicht sorglos zu
überlassen.
Noch nie hatte Alberich ihr so liebreizend geschienen , nie die zärtlichen Schmeicheleien, die er ihr sagte, nur halb so viel Eindruck auf sie gemacht, und sie mufste sich Gewalt anthun* um es ihm nicht auf die lebhafteste Art zu erkennen zu geben.
Kein W u n d e r ,
dafs der arme H u l d e r i c h ( d e r , mit seiner gewohnten Schüchternheit, um nicht bemerkt zu werden, hinter einem mit Kränzen
um-
wundenen Pfeiler stand und ganz in ihrem Anschauen verloren s c h i e n , ) kaum eines von ungefähr sich zu ihm verirrenden flüchtigen Blicks gewürdiget wurde. E i n e durch den Saal erschallende und zum Tanz einladende Musik stimmte Sie plötzlich auf einen andern Ton. Arm,
Sie ergriff Alberichs
und flog mit der Leichtigkeit
N y m f e , kaum den Boden berührend, den Saal mit ihm dahin.
einer durch
Ermüdet sanken sie
endlich auf die weichen, hoch aufgeschwell« ten Polster, womit eine von reichen Tapeten
E
D I E
147
N T Z A 0 B B H U I» G .
schimmernde E s t r a d e dende B e l e u c h t u n g
belegt w a r .
des Saals
D i e blen«
verlor
sich
in
ein allmählich immer matter werdendes D ä m merlicht,
und
die rauschende M u s i k
in
die
sanft verschwebenden T ö n e
eines sich selbst
immer leiser nachahmenden
Echo.
Rosalie
e r s c h r a k , da sie sich plötzlich mit Albeiichen allein und von einem seiner Arme umschlungen sah.
V e r g e b e n s suchte S i e sich v o n ihm
los zu w i n d e n , als plötzlich eine groise maje* statische Krone
Frau,
auf
mit
einer
kleinen
goldnen
ihrem zusammengeflochtnen
Haar
und einem s c h w a r z e n Stäbchen in der H a n d , v o r ihnen stand. sie,
Alberichen
Sogleich
Folge mir, mit ihrem
schwand
er
R o s a l i e , sagte
Stabe
berührend.
aus Rosaliens
Augen,
und sie stand auf und f o l g t e der D a m e ,
E i n e grofse elfenbeinerne P f o r t e that sich vor
ihnen
auf.
Feenkönigin;
Gehe vorwärts,
entsetze
sagte dia
dich v o r N i c h t s ,
das
dir begegnen w i r d , und vertraue auf meinen Beystand.
S o w i e R o s a l i e über die S c h w e l l e
der elfenbeinernen P f o r t e geschritten w a r , f u h r ihr die F e e mit leiser H a n d ü b e l das G e s i c h t
148
DAS
HEXAMEBON
und verschwand.
VON
RosemrAiN.
Eine kaum sichtbare Flam-
m e , die aus der Hand der Fee »u fahren schien, verbreitete auf einen Augenblick eine fliegende Hitze über ihr ganzes Gesicht; aber alle ihre
Sinnen
beruhigten sich,
und
sie
glaubte sich auf einmahl selbst wieder gefunden zu haben, wiewohl sie eine kleine W e i l e in die dickste Finsternifs eingehüllt stand. bald diese verschwunden w a r ,
So-
sah sie sich
wieder auf eben der Stelle des Gartens, w o ihr die Fee mit den goldnen Haaren erschienen war. Von einer seltsamen Mattigkeit befallen, warf sie sich auf die nächste B a n k , als sie Alberichen ganz nahe vor ihr vorbeygehen sah.
Er schielte einen flüchtigen Blick auf
sie und ging vorüber. rück.
Rosalie rief ihn zu-
W a s wollen Sie meiner ? fragte er —
„ W e l c h e Frage? W e r bin ich d e n n ?
Seit
wann kennen Sie mich nicht mehr , Herr Alberich ? " —
Alberich erschrak i t z t , da er sie
genauer ansah, so h e f t i g , dafs er die Sprache nicht gleich wieder finden konnte. Verzeihen Sie, Fräulein, stammelte er endlich in gröfster Verwirrung; ich mufs bezau-
D I E
E N T Z A U B E R U N G .
»49
bert seyn. — Ich höre Ihre Stimme, ich sehe I h r e Gestalt, I h r e K l e i d u n g ; aber Ihr Gesicht ist so wenig Ihr e i g e n e s ,
dafs ich zehnmahl
b e y Ihnen hätte vorbeygehen
mögen,
ohne
Fräulein Rosalie von Eschenbach in Ihnen zu erkennen. ,, In der T h a t , Herr A l b e r i c h ,
Sie sind
b e z a u b e r t , — oder e t w a s noch schlimmeres. Vor w e n i g e n Minuten sagten S i e mir noch die schmeichelhaftesten, zärtlichsten
Sachen
von der W e l t . — W a s ist mit Ihnen vorgegangen ?
Ich besorge s e h r ,
ganz mit I h n e n ,
es steht nicht
w i e es s o l l t e , Herr Albe-
rich ! " — Ich fürchte v i e l m e h r , — sagte dieser, hielt aber plötzlich inne. — B e y m H i m m e l , Fräul e i n , es ist etwas Unbegreifliches an dieser S a c h e , fuhr er f o r t , indem er einen kleinen Taschenspiegel hervorzog und I h r h i n r e i c h t e ; aber sehen Sie s e l b s t , und Sie werden mir Gerechtigkeit widerfahren lassen. Rosalie blickte in den S p i e g e l , und erschrak nicht viel Spuren,
w e n i g e r als A l b e r i c h ;
denn die
die der elektrische S c h l a g ,
so sie
150
DAS
HEXAMERON
VON
ROSENHAIN.
v o n der F e e e m p f a n g e n , zurückgelassen hatte, w a r e n in der T h a t auffallend.
Alle
u n d R o s e n ihres Gesichts w a r e n
verschwun-
den,
und statt eines Paars holdseliger Grüb-
c h e n , die ihrem L ä c h e l n einen lichen
Lilien
Z a u b e r gegeben
unwidersteh-
hatten,
waren
ihre
feinen Gesichtszüge von einer M e n g e t i e f e r , Pockengruben
ähnlicher F u r c h e n u n d braun-
r o t h e r Flecken so e n t s t e l l t , dafs ein L i e b h a ber w i e Alberich w i r k l i c h zu war,
wenn
er sie auf den ersten Blick f ü r
eine A n d r e ansah. das W o r t
der
Aber,
es sey n u n ,
Feenkonigin
Sinne k a m , oder d a f s , Täuschung
entschuldigen
Ihr
dafs
wieder
zu
durch eine natürliche auch
die Jläfs-
lichste sich selbst immer schöner
der E i g e n l i e b e ,
vorkommt
als allen andern M e n s c h e n , — g e n u g , Rosalie fafste
sich sogleich
A l b e r i c h , indem
wieder,
und
sagte
zu
sie ihm seinen Spiegel
zu-
rückgab:
W e n n I h r Spiegel mich nicht ver»
läumdet,
so ist in der T h a t etwas mit mir
vorgegangen,
das ich nicht begreife.
Aber
S i e , H e r r A l b e r i c h , S i e , der mir vor w e n i g Augenblicken schwor,
noch
die feurigste L i e b e
zu-
der mich mit den Augen der L i e b e
D I E
E N T Z A U B E R U N G .
151
sehen SöHte, S i e hätten diese Veränderung gar nicht gewahr werden sollen. •"• Ich verstehe Sie nicht, gnädiges Fräulein, erwiederte Alberich, der sie mit immer größerer Bestürzung anglotzte, weil er sich in dem Gedanken bestätigt s a h , dafs ihr Kopf bey dieser unerklärbaren Verwandlung gelitten haben müsse; erlauben Sie, dafs ich zu einem Arzt, eile, der h i e r , wie es scheint, ganz allein Rath schaffen kann.— Mit diesen W o r ten entfernte sich der getreue Schäfer so schnell er konnte, nicht um einen Arzt aufzusuchen, sondern sich in der Stille mit sich selbst zu berathen, was für einen Entschlufs er bey diesem seltsamen Unfall zu nehmen habe. Das Fräulein hatte ihn kaum aus den Augen verloren, so kam Hulderich, (den die alte Dame seit kurzem zum Aufseher über ihre Gärten bestellt h a t t e , ) mit einem prächtigen Blumenstraufs in der Hand von einer andern Seite heran, und schien einen AusenD
blick zweifelhaft, ob er sich nähern und Rosalien die Blumen, die er alle Morgen für Sie zu pflücken pflegte, selbst überreichen, oder,
I52
DAS
HEXAMERON
VON
ROSENHAIN.
( n a c h bisheriger G e w o h n h e i t ) durch ihr M ä d chen auf ihren Putztisch legen lassen sollte. Sobald ihn Rosalie erblickte, erinnerte sie sich der S t e l l u n g , worin
sie ihn im P a l a s t
der Feenkönigin g e s e h e n , und befahl ihm in einem freundlichen T o n e , kommen.
näher herbey zu
Ein milder gütiger Blick
ihm die Erlaubnifs zu g e b e n ,
schien
ihr seine Blu-
men selbst zu überreichen, und er that es mit einer
so ehrerbietigen und
bescheidnen
A r t , dafs Sie i h m , in der Stimmung w o r i n sie w a r ,
beynahe D a n k dafür wufste.
S c h l e y e r , den Sie über ihren Kopf
Der
gezogen
hatte , liefs von ihrem Gesichte w e n i g mehr als die Augen" s e h e n , und der einzige B l i c k , den der bescheidene J ü n g l i n g zu ihr zu erheben g e w a g t h a t t e , entdeckte ihm nichts an i h r , w a s ihn hätte befremden können.
Aber
itzt schlug das Fräulein den Schleyer zurück, sah ihm scharf ins Gesicht und s a g t e :
Wir
sind alte B e k a n n t e , guter H u l d e r i c h ; betrachte mich w o h l , und sage m i r , w i e ich dir vorkomme. — , , S i e h a b e n , w i e ich s e h e , w ä h rend ich von Eschenbach abwesend w a r , die Blattern g e h a b t , gnädiges F r ä u l e i n ;
Gottlob!
E N T Z A U B E R U N G .
dafs es so .glücklich a b g e g a n g e n , I h r e schönen Augen
nichts
153
und dafs
dabey
gelitten
haben! R e d e w i e dir's um's Herz i s t ; du findest mich: also nicht so gar häfslich ? Häfslich? (rief Hulderich) der H i m m e l , gnädiges F r ä u l e i n !
das verhüte In meinen
Augen können Sie nie häfslich w e r d e n ,
das
ist unmöglich. —
wie
Er wurde feuerroth,
diefs W o r t über seine L i p p e n gekommen w a r , w e i l er fürchtete e t w a s gesagt zu haben, das ihm nicht gezieme. R o s a l i e dankte ihm für seine Blumen und seinen guten W i l l e n gegen s i e , ihn mit einem L ä c h e l n ,
und entliefs
w o b e y ihm w a r als
ob sich der Himmel a u f t h u e , und aus jeder Grube ihres Gesichts ein Engelsköpfchen hervorlächle. D a s Fräulein kehrte ins Schlots
zurück,
und da es unmöglich w a r ihrer Base die leidige V e r ä n d e r u n g ,
die ihr Gesicht erlitten
h a t t e , zu v e r h e h l e n , so hüllte sie sich, um ihr das Unangenehme der Überraschung
zu
ersparen, in ihren Schleyer e i n , und berich-
154
D A S HEXAMEROS
VON
ROSENIIAIN.
tete Ihr umständlich, Avas ihr diesen M o r g e n mit den beiden wunderbaren Damen begegnet war.
D i e Alte glaubte zu stark an das F e e n -
w e s e n , um in der Ü b e r z e u g u n g , dafs e» F e e n g e w e s e n , nicht hinlänglichen Grund zur Beruhigung zu finden.
Sie haben ganz gewifs,
Trotz dem widrigen A n s c h e i n , e t w a s Gutes mit dir v o r , sagte s i e ;
befahl dir die Feen-
königin nicht a u s d r ü c k l i c h , dich vor nichts zu entsetzen, und auf ihren Beystand zu vertrauen ? Aber da die gute R o s a l i e sich nicht enthalten
konnte,
von Zeit
zu Zeit einen
verstohlnen Blick in einen grofsen Venezianischen Spiegel zu w e r f e n , über h i n g ,
der ihr
gegen
so w a r es ihr nicht w o h l mög-
l i c h , sich, mit allem ihrem R e s p e k t vor den F e e n , eines kleinen Grolls gegen die L a u n e n dieser Halbgöttinnen zu e r w e h r e n , und sie konnte sich selbst nicht überreden, die Pockengruben und L e b e r f l e c k e n , die sie ihr angezaubert h a t t e n , für ein Unterpfand zu nehm e n , dafs sie viel Gutes mit ihr im Sinne hätten. Tante und Nichte besprachen sich noch über diese seltsamen Ereignisse, als der ersten
D I E E N T Z AUB ER U N G.
155
ein Brief gebracht w u r d e , der ihr ankündigte, dafs sie, duTch den plötzlichen Fall eines der ersten {Randeishäuser in der Hauptstadt um den gröfsten Theil ihres Vermögens gekommen sey.
Die gute Dame klebte noch
zu
stark am Irdischen, als dafs ihr eine solche Nachricht hätte gleichgültig seyn können, und die Reihe war nun an der Nichte, die jammernde Tante zum Vertrauen auf den guten Willen der Feen aufzufordern.
Wem geht
es schlimmer dabey als d i r , sagte die Alte; ich habe wenig Ansprüche mehr an die W e l t ; du allein dauerst mich. lich ,
Aber ich glaube wirk-
du wärest leichtsinnig g e n u g ,
wenn
die Feen es auf deine W a h l ankommen liefsen, deine
Pockennarben
und
Leberflecken
mit
meinem ganzen Vermögen abzukaufen. M a n mufste nun auf grofse Einschränkungen d e n k e n ; denn auiser dem Gute Eschenbach, dessen Ertrag . nicht sehr beträchtlich w a r , blieb unsern beiden Damen nichts als die alte B u r g , und was etwa an Silbergeräthe, Kleinodien, vergoldeten Fokalen, alten Schaupfennigen und dergleichen, von Grofs-
156
DAS
HEXAMEION
VON R O S B N H A I N .
müttern und Altermüttern aüf sie vererbt w o r den w a r .
M i t allem diesem w a r Rosalia frey^
lieh keine reiche Erbin m e h r , un4 der edle Ritter Alberich, der sehr lebhaften
Antheil
an diesem neuen Unfall n a h m , mufste gestehen ,
dafs es ein hartes Schicksal
liebenswürdige
Rosalie s e y ,
für an
die
einem
und demselben T a g e Schönheit und Vermögen s u verlieren.
E r liefs es indessen vor der
Hand nicht an schönen Trostgründen fehlen, womit er sich aus einer alten
Ubersetzung
des S e n e k a bewaffnet h a t t e ; u n d , w i e w o h l er sehr ernstlich auf seinen baldigen Abzug bedacht w a r , so hatte er doch zu viel Artigkeit und Gefühl des Schicklichen,
um das
Schlofs, w o ihm seit einigen T a g e n ein Zimmer eingeräumt worden w a r , zu verlassen.
auf der Stelle
Dieser Umstand gab ihm Gele-
g e n h e i t , seinen Karakter in einem noch blendendem L i c h t e zu zeigen.
Der Unstern der Damen von Eschenbach hatte seinen höchsten Punkt noch nicht erreicht.
In der Nacht, die auf diesen Unglücks-
tag f o l g t e , k a m , um die Zeit da alles iin
D
I E
E
N T Z A U B E B U S'G.
157
ersten Schlafe lag , F,e,uer im Schlofft aus.
Die
Flamme griff schnell uin sich, und die w i n k ' lichte altfränkische^Bauart dieser Ritterburg maichte die Gefahr der Bewohner um so viel grpfser.' < D e r edle Alberich, des klugen Spruchs» eingedenk, „ J e d e r ist sich selbst der nächste,", w a r d e r ' e r s t e , d e r — se.ine eigene Person in. Sicherheit
brachte;
doch:, vergafs er
beym Abschied den kopflos^ durch
nicht,:
einander
rennenden Bedienten die. Rettung ihrer Gebie-> terin.nen, bestens zu empfehlen. lein hatte bereits Frau .gesorgt,
Für das Fräu-
eine grofse majestätische
die gleich A n f a n g s , als. das
Feuer ausbrach, von Mehrern gesehen worden w a r , wie sie die widerstrebende Rosalie auf ihren Armen davon t r u g , und sie durch die Versicherung zu beruhigen suchte, dafs f ü r die; Tante bereits gesorgt sey.
Diefs ,schien
indessen keineswegs der Fall zu seyn.
Denn
während die Hausbedienten ( w i e in solchen Fällen gewöhnlich i s t , ) beschäftigt waren, die geringfügigsten Sachen zu retten,., hatte das Feuer das Schlafzimmer der alten Dame ergriffen , die, vom Rauch halb erstickt, um H ü l f e schrie, ohne dafs jemand den gefähr-
153
DAS
HEXAMERON
VON
ROSENHAIN.
liehen Versuch w a g e n w o l l t e , sie den immer näher zückenden Flammen zu entreifsen. In dieser äufsersteh Noth kam plötzlich ein keuchender J ü n g l i n g herbeygerawnt,
der
sich mit Armen und Beinen durch das Gedräng Platz machte, u n d , in ein um sich h e r ge^ schlagenes nasses T u c h g e h ü l l t , steh in den brennenden Flügel des Schlosses stürzte.
Es
•war kein anderer als der bescheidene schüchterne H u l d e r i c h , der aber bey Gelegenheiten, w o die M e i s t e n Herz und Kopf verlieren , die Besonnenheit aeigte.
und den M u t h
Jedermann
eines Helden
schrie ihm z u , dafs er
verloren s e y , und sein alter V a t e r ,
der mit
Gewalt zurückgehalten werden mufste,
ihm
nicht zu f o l g e n , rang die H ä n d e in trostlosem J a m m e r , — als H u l d e r i c h , mit der alten ohnmächtigen Dame im A r m ,
so unbeschä-
digt aus- dem Feuer zurück k a m ,
dafs auch
nicht ein Haar an seinem lockichten Haupte versengt w a r .
Im nämlichen Augenblick er-
losch das Feuer auf Einmahl von sich selber, w i e w o h l zu s p ä t , als dafs , aufser den Schlofshewohnern,
etwas
steinerkien M a u e r n
anders und
als
einige
die
dicken
angebrannte
DIE
ENTZAUBERUNG.
IÖ9
Balken^von der ganzen B u r g übrig geblieben wäre. Die ^^rettete und gleichfalls völlig unversehrte D a m e w u r d e sogleich in die benachbarte Pachterswohnung getragen , w o Rosalia mit ihren Kammerleuten und Hulderich
mit
seinem' Vater geschäftig w a r e n , sie zu sich selbst 'zu b r i n g e n , zu pflegen und zu trösten so viel in ihrem Vermögen w a r .
Das letz-
tere gelang ihnen um so l e i c h t e r , da die alte D a m e , gegen alles E r w a r t e n , eine Standhaftigkeit und Ergebung z e i g t e , die den A n w e senden ¿beb so viel Ehrfurcht als einflöfste. kam,
Mitleid
Sobald sie w i e d e r zu sich "selbst
w a r ihre erste F r a ^ e ,
w ö ist Albe-
rich ? — Vermuthlich bey- gutem W o h l s e y n , sagte einer der Hausbedienten; sobald er F e u e r rufen hörte, w a r f
er sich in seine Kleider,
eilte in den S t a l l , sattelte seinen Gaul eigenhändig,
und sprengte in vollem Gallop zum
T h o r hinaus. — Ohne sich um uns zu bekümmern ? rief die Dame. —
Um
Verzeihung,
s.agte ein A n d e r e r ; er empfahl uns als er fortritt sehr nachdrücklich, rinnen anzunehmen.
uns unsrer Gebiete-
i6o
DAS
HEXAMERON
von
ROSEKIIAIN.
• ,, t J n d wem bin ich denn meine Rechnung^ schuldig ? " — Hulderich,
sagte Rosalie erröth'end
und
mit Thränen im A u g e , Hulderich w a g t e sein L e b e n für Sie. D i e alte Dame schlug die Augen starr zum iJimme,l a u f , und schien auf einige Augenblicke B e w e g u n g
und Sprache verlorfen
zu
haben ; sie fafste sich aber bald wieder-, um* sich mit sichtbarer R ü h r u n g nach ihrem R e t ter umzusehen,
der sich in einer Eckp des
Zimmers hinter Anderen verborgen h i e l t , upd von den Lobsprüchen und D a n k s a g u n g e n , die. ihm seine T h a t von allen Seiten z u z o g , eher beschämt
und
gekränkt
als
geschmeichelt
scbien. Hulderichs Vater
entfernte i t z t ,
aufser
Rosalien und seinem S o h n , alle übrigen aus dem Gemach, warf sich dann der Frau von Escbenbach z u F ü f s e n , und bat s i e , mit einer H e r z l i c h k e i t , welche Rosalien bis zu Thränen r ü h r t e , von diesem Augenblick an alles w a s er
besitze
als
Ihr
Eigenthum
M e i n e Vorältern und ich selbst,
anzusehen. sagte
er,
DIE
ENTZAUBERUNG.
161
h a b e n das M e i s t e im D i e n s t I h r e r g u t e n fahren e r w o r b e n ; Ihnen dig,
u n d ich f ü h l e
mich g l ü c k l i c h ,
i t z t i m S t a u d e bin ,
des
gerührt
von
wackern A l t e n ,
Frau
der
erwarten
kann,
u n d v o n so
schen
den
edelgesinnten
Menschen
und
aber
und
Umständen
was
ihre
sie
alle
des S t a n d e s
unfähig
zu regeln
Inzwischen dem, noch
zu erkennen,
grofsmüthigen
machen,
und ihre
sind,
Anerbieten Bedürfnisse
die
zur
zwi-
Ungleichverschwin-
von
einem
Gebrauch nach
ihren
f ü h l t e n sich beide D a m e n Hulderichen
unendlich M a h l
zu
wissen.
mehr
schuldig
von
waren,
gerührt und
k l e m m t , als v o n d e m e d e l n B e n e h m e n Vaters.
Nichte
w i e man v o n edeln Seelen
Gleichheit
macht,
beantwor-
Scham verllindert w e r d e n , die
heit der Geburt
allzu
mancherley
geprefst,
die v o n k e i n e r f a l s c h e n ,
stolzen
natürliche
alten
Biederherzigkeit
von Eschenbach
dieses A n e r b i e t e n ,
Unzeit
dafs ich
—
unerwarteten Ereignissen teten
Vorschul-
einen Theil unsrer
Schuld abzutragen. Innig
sind w i r alles
be-
seines
Seiner Entschlossenheit, seiner Selbst-
WIBXIANDI s. W . XXXVIII. B.
L
IÖ2
D A S HEXAMERON
VON R O S E N I I A I S T .
aufopferung hatte die Tante ihr L e b e n , Rosal i e die Erhaltung ihrer z w e y t e n M u t t e r danken.
zu
W o m i t konnten Sie ihm eine solche
W o h l t h a t v e r g e l t e n ? Es w a r u n m ö g l i c h , aber gleich unmöglich unter der Bürde einer solchen Verbindlichkeit zu leben.
Beide spra-
chen öfters hierüber mit e i n a n d e r , ohne zu einem A u s w e g gelangen zu können. H u l d e r i c h , sagte die Base einst zur Nichte, scheint e t w a s f ü r dich zu empfinden, dafs er in seinem innersten Herzen verschlossen trägt. Fast glaube ich es s e l b s t , liebe M u t t e r , erwiederte R o s a l i e . W e n n er von Geburt w ä r e , — murmelte die Alte in sich h i n e i n , als ob sie sich nicht g e t r a u t e , ihren Gedanken ganz auszusprechen. E r ist zu einem Menschen geboren
wie
es nicht viele geben m a g , sagte R o s a l i e ; — A b e r — auch ohne den U m s t a n d , worauf S i e z i e l e n , w i e könnt' ich ihn belohnen, ich die Alles verloren h a t ?
Wenn
ich noch
wäre
w a s ich w a r — vielleicht — doch w o z u diese R e d e n ? E s ist nicht daran zu denken.
D I E
E N T Z A U B E R U N G .
163
Und dennoch dachte sie oft genug daran, und konnte sich selbst nicht verbergen, dafs Hulderich ihr alle T a g e liebenswürdiger vorkam.
W a s ich nicht begreife, sagte sie zu
sich selbst,
ist,
wie
ein so
verächtlicher
M e n s c h als Alberich mir jemahls die Augen verblenden kann. D e r arme Hulderich dachte noch öfter an d a s , woran Rosalie nicht denken w o l l t e , wiewohl er sein Möglichstes t h a t , um sich solche Gedanken aus dem Sinn zu schlagen.
Denn
seitdem er T a g und Nacht von ihnen angefochten
w u r d e , w a g t e er es immer weniger,
die Augen
zu Rosalien
aufzuschlagen.
Sie
kam ihm alle T a g e liebreizender v o r , und er hätte nicht viel Geld dafür g e n o m m e n ,
dafs
sie eine einzige Pockennarbe weniger gehabt hätte.
Sie s o ,
w i e Sie w a r ,
sein
nennen
zu k ö n n e n , war das höchste G l ü c k , so sich denken konnte.
er
Abef sich einzubilden,
dafs es ihm jemahls erreichbar seyn könne, w ü r d e ihn nur uuglücklicher gemacht haben, und er war es schon s o s e h r , d a f s , wie viel Müh* er sich auch g a b ,
heiter und
ruhig
164
DAS
HEXAMEROTT
VON
ROSESIIAIN.
a u s z u s e h e n , ihip doch jedermann a n s a h , dafs ein geheimer W u r m an seinem H e r z e n nagte. Es
war Zeit,
goldnen K r ö n c h e n
dafs die D a m e auf
mit
dem
dem K o p f e sich ent-
s c h l o f s , einen K n o t e n ,
den
sie selbst h a t t e
v e r w i c k e l n h e l f e n , wieder aufzulösen oder — zu z e i h a u e n . E i n e s A b e n d s , da R o s a l i e , die alte T a n t e , H u l d e r i c h und sein V a t e r , in stummer T h e i l n e h m u n g an einander , nachsinnend und t r a u rig beysammen s a f s e n , trat sie p l ö t z l i c h , ihr s c h w a r z e s Stäbchen in der H a n d , mitten u n t e r sie u n d sprach : W e n n ich J e d e s u n t e r Eu