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German Pages 503 [467] Year 1797
C. M. W I E L A N D S
SÄMMTLICHE WERKE D R E Y S S I G S T E R
V E R M I S C H T E
BAND
AUFSÄTZE.
L E I P Z I G ELY
GEORC
JOACHIM
GÖSCHEN.
179"'
INHALT
DES
Die Aeropetomanie. Die Aeronauten.
XXX.
BANDES.
Seite 1.
S. 39.
Über die Rechte und Pflichten der Schriftsteller u. s. w .
S. 1 3 1 .
Das Geheimnifs des Kosmopoliten - Ordens. Nikons Flamel, von Brussa.
Paul
Lukas,
S. 14g.
und der Derwisch
3. 195.
Der Stein der Weisen.
S. 262.
Die Salamandrin und die Bildsäule.
S. 324.
Unterredungen mit dem Pfarrer von ***.
S. 409.
D i e Wunder unsers Jahrhunderts scheinen sich immer dichter an einander zu drängen, immer gröfser und schimmernder zu werden, je näher es zu Ende läuft. „Sagt mir n i c h t s v o n U n m ö g l i c h k e i t ! " r u f t vom Anblick der Zeichen, die vor seinen Augen geschehen, begeistert, ein poetischer Académicien de Marseille O aus: „dem h a r t n ä c k i g e n Fleifs ist nichts unmöglich. C o o k geht i m G r u n d e des Meers, Montgolfier fliegt gen Himmel: ö f f n e t mir die Hölle, und ich n e h m ' es a u f m i c h , i h r F e u e r a u s z u 1 ö s c h en. " Cook
marche au fond
des mers, M ont vole aux deux ;
Ouvrez moi les Enfers,
oI j ier
j en éteindrai les feux.
Es ist glücklich f ü r M o n s i e u r G u d i n d e l a B r e n e l l e r i e , dafs er die Heldenthat, die i ) Mr. G u d i n
Gcliclite sur
de la
le globe
B r e n e l l e r i e , in einem
ascendant.
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D I E
AEBOPETOMAKIE.
ihm in seiner ekstatischen Begeisterung nicht schwerer scheint, als Y o r i c k s Parisischem Haarkräusler e i n e L o c k e i n d e n O c e a n z u t a u c h e n , unter eine Bedingung gesetzt hat, die von seiner Behauptung, „dafs einem unabschreckbaren Fleifs nichts unmöglich sey," wenn sie auch sonst allgemein wahr wäre, immer die einzige A u s n a h m e bleiben würde; und dafs er also eben so wenig Gefahr läuft beym Worte genommen zu werden, als A r c h i m e d e s , da er sich anheischig machte die Welt aus ihrer Stelle zu rücken, wenn man ihm einen festen Standort im leeren Räume anweisen wollte. Ob n u n gleich die Einbildungskraft des Akademikers von Marseille, vermuthlich mit einer Menge brennbarer Luft angefüllt, die s t e i g e n d e K u g e l der Herren Gebrüder M o n t g o l f i e r weit überflogen zu haben scheint: so kann man doch nicht in Abrede seyn, dafs die ersten V e r s u c h e , wodurch dieser neumodische Cerf - volant die Köpfe zu Paris und Versailles seit kurzem aus dem Gleichgewichte gebracht hat, aufserordentlich genug sind, um sich der ganzen Aufmerksamkeit eines nach neuen Gegenständen so begierigen Volkes zu benieistern. Herr Montgolfier ist zwar selbst noch so wenig g e n H i m m e l g e f l o g e n , als der weltumsegelnde C o o k jemahls (unsers Wassens) auf dem Meeres-
Die
Aeeopetomäkie.
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gründe lustwandeln gegangen ist: aber wenigstens hat er doch schon einen H a m m e l , einen H a h n (das alte Sinnbild seiner Nazion) und eine E n t e , mit Hülfe eines frischen Westwindes, eine Luftreise von einer Französischen Viertelmeile machen lassen. Und wenn diefs auch einem kaltblütigen Mitgliede der Societät der "Wissenschaften zu L o n d o n nicht hinlänglich scheinen möchte die luftigen Hoffnungen zu rechtfertigen, die seit einigen Wochen, gleich eben so vielen aerostatischen Kügelchen, mit der Fantasie der Pariser empor flattern: so mufs man doch gestehen, dafs es ein gutes Theil mehr ist, als der berühmte K ö n i g S t r a u f s , der erhabene Erfinder des p a p i e r n e n D r a c h e n , (von den Franzosen der f l i e g e n d e H i r s c h genannt) jemahls geleistet hat; so viel ersieh auch auf diese Erfindung und auf den Einfall zu gute that, seinem fliegenden Hirsch auf seiner Luftreise ein paar Katzen zur Gesellschaft mitgegeben zu haben. Die Herren M o n t g o l f i e r , Gebrüder, deren Nähme durch diese Erfindung so berühmt geworden ist, waren vorher schon in ihrem Vaterlande, der eine als ein Mathematiker, der andere als ein geschickter Naturforscher und Chymiker, vornehmlich durch den hohen Grad von Vollkommenheit, wozu sie vermittelst dieser Wissenschaften die ihnen gemeinschaftlich
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Die
Aeropetomanie.
zugehörige Papierfabrik z u A n n o n a y erhoben hatten, rühmlich bekannt. Ein Versuch des berühmten S i r R o b e r t B o y l e über die S c h w e r e d e r L u f t , den sie mit einander anstellen wollten, brachte sie auf den Einfall, ein eben von Lyon ankommendes Stück Taft, wiewohl es zum Unterfutter' für ein Paar neue Kleider bestimmt gewesen war, zu diesem Experiment anzuwenden. Sie nähten den Taft zusammen, und füllten ihn mit vierzig Kubikfufs brennbarer L u f t ; und siehe da, das Ding entwischte unsern Naturforschern aus den Händen, und stieg bis an die Decke des Zimmers. Die Freude der Gebrüder Montgolfier über ein so unerwartetes Resultat war unbeschreiblich. Sie eilten, sich ihres Luftsacks wieder zu bemächtigen, und brachten ihn, um ihm freyern Spielraum zu geben, in den Garten, wo er sich sechs und dreyfsig Fufs hoch erhob, aber, weil die brennbare Luft durch den porosen Taft zu bald Ausgang fand, in zwey Minuten wieder zu Boden fiel. Dieser unverhoffte Erfolg munterte die Herren Montgolfier auf, noch mehrere Versuche zu Annonay anzustellen, und die Maschine, deren sie sich dazu bedienten, der zweckmäfsigen Vollkommenheit näher zu bringen. Die Sache wurde ruchtbar, und kam dem bekannten Fysiker F a u j a s d e St. F o n d
Die
Aeropetomanie.
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zu Ohren, den sie plötzlich in eine so grofse Begeisterung setzte, dafs er keine Ruhe hatte, bis er die Ehre dieser Erfindung mit den Gebrüdern Monlgolfier theilen könnte. Weder die Luftart, noch das Werkzeug, dessen sich diese Herren zu ihrem Experimente bedient hatten, war ihm bekannt: aber den Mangel der erstem ersetzte er durch die Vermuthung, dafs es wohl keine andre als die brennbare Luft seyn werde, die aus Eisenfeile und Vitriolsäure mit gemeinem Wasser gezogen wird; zu dem andern aber verhalfen ihm die Herren Gebrüder R o b e r t , ein paar junge Mechaniker von seltner Geschicklichkeit, von welchen er hörte, dafs sie das Geheimnifs besäfsen, das so genannte e l a s t i s c h e H a r z 2 ) aufzulösen, welches, gegen die Natur aller andern Harze, die sonderbare
2)
E s wird
verschiedenen
aus
einem
Gegenden
von
Baume
gezogen,
Südamerika,
der
um
in den
Amazonenflufs und in C a y e n n e , häufig anzutreffen ist. D i e I n d i e r nennen dieses Harz bereiten
Kautschuk,
daraus eine Art von Wasserstiefeln, weil es
so zäh und dehnbar als L e d e r ist, eindringen
läfst.
p.
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kein Wasser machen einen
dessen, wer Lust hat,
aus den Ree her ches Philosoph, 1.
und
Die I n d i e r i n n e n
andern Gebrauch davon,
T.
und
belehren itaini.
sur les
sich
Americains,
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Die
Aeropktomanie.
Eigenschaft hat, dafs es eine Art von Elasticität besitzt und sich im Weingeist nicht auflösen läfst. Aufser den Herren R o b e r t gesellte sich Herr F a u j a s auch noch den Herrn C h a r l e s , Professor der Naturlehre, und Herrn A r g a n d , einen Naturforscher aus Genf, bey seiner Unternehmung z u ; und da sich bald eine Anzahl von Liebhabern fand, welche sich zur Bestreitung der beträchtlichen Kosten unterzeichneten, so glaubten diese Herren (nachdem sie sich des Erfolgs durch allerley Arten von Versuchen vorher versichert hatten) im Stande zu seyn, das Publikum zum Experiment der Herren Montgolfier, ohne Zuziehung der ersten Erfinder, einzuladen. Die Neugierde der Pariser war auf einen so hohen Grad gespannt, dafs man sich genöthigt sah, das so genannte M a r s f e l d zum Theater eines Schauspiels zu erwählen, welches seit einiger Zeit der Inhalt aller Gespräche gewesen war. Der 2 7 ste August dieses Jahres war der grofse Tag, der die Herren F a u j a s de S a i n t F o n d und Konsorten vor den Augen alles Volkes entweder mit unsterblichem Ruhme krönen, oder in unauslöschlichem Spotte ersäufen sollte. Unter den Zuschauern befanden sich nicht wenige Ungläubige, und unter diesen auch einige Herren von der fysikalischen Gilde, die mit Schmerzen auf
D. i E
Aekofetomanie.
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die Verunglückung des Versuchs zu harren schienen, und der Maschine von der Reakzion der brennbaren Luft auf die atmosfärische wenig Gutes weissagten. Unglücklicher Weise kann (wie es scheint) zu Paris keine Unternehmung, von welcher einiger Ruhm oder Vortheil zu ernten ist, ohne Einmischung von Eifersucht, Parteygeist und Kabalen zu Stande kommen. Diefs war auch hier der Fall. Aber aufser diesem widrigen Umstände kamen noch verschiedene andre zusammen, wovon allem Ansehen nach die hauptsächliche Schuld an der Menge der Personen lag, die auch mit zur Sache sprechen und an der Ehre des Erfolgs Theil haben wollten. Die Herren erschwerten sich den Prozefs ohne alle Noth, und nachdem sie sich endlich mit unendlicher Mühe und Arbeit siebzehn Kubikfufs brennbarer Luft oder so genannten G a s verschafft hatten, so wollte ihr böser Genius, dafs sie zwey Tage vor dem Experiment allen ihren Gas unbemerkt wieder entwischen liefsen, indem einer von ihnen den Hahn der Maschine umdrehte, in der Meinung, dafs er offen sey, da er doch verschlossen war. Die Bestürzung der Unternehmer konnte nur durch die Schadenfreude ihrer Mifsgiinstigen übertroffen werden. Indessen belebte dieses Unglück den F.ifer der Subski i beulen WlEIASDS YV. A XX. II. 2
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A E R O F E T O
MANIE.
nur desto mehr, und verschiedene der letztern halfen den Unternehmern Tag und Nacht so fleifsig arbeiten, dafs der Verlust wenigstens nothdürftig ersetzt wurde, und das Experiment im M a r s f e l d e den cysten August angekündigter Mafsen vor sich gehen konnte. Zwey Kanonenschüsse verkündigten den grofsen Augenblick, dem so viele tausend Augen weit offen entgegen sahen. Die Kugel erhob sich, zu gerechter Beschämimg der Ungläubigen und der Unglücksprofeten, in die Luft, und verschwand nach zwey Minuten in einer Wolke. Zwey andere Kanonenschüsse feierten den Augenblick der Verschwindung. Bald darauf zerflofs die Wolke, und die Kugel wurde wieder sichtbar; erschien aber, wiewohl sie zwölf Fufs im Durchmesser hatte, so klein, dafs man dem blofsen Augenmafs nach urtheilen konnte, sie müfste zu einer beträchtlichen Höhe 3) gestiegen seyn. Hierauf verlor sie sich unter dem Händeklatschen der entzückten Zuschauer zum zweyten Mahl, und fiel endlich nach einer Luftreise von drey Viertelstunden bey G o n e s s e (einem vier Stunden von Paris entlegenen Flecken) nieder. Man bemerkte eine Öffnung an ihr, wodurch die g ) Diese Höhe w u r d e in der F o l g e durch die Berechnungen eines Mathematikers auf zwey tausend sieben hundert und zehn Fufs
angegeben.
DIE
AEKOPETOMANIE.
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brennbare Luft, nachdem die Kugel eine Höhe erreicht, wo die atmosfärische weniger Widerstand that, sich mit Gewalt in Freyheit gesetzt hatte. Was die Zuschauer dieser aerostatischen Lustbarkeit nicht wenig befremdete, war, dafs weder Herr F a u j a s , wiewohl der erste Beweger der ganzen Unternehmung, noch der eine von den Gebrüdern M o n t g o l f i e r , der bey dem Versuch im Marsfelde gegenwärtig war, in den innern Kreis, wo der Professor C h a r l e s mit Zuziehung der Gebrüder Rob e r t sich der alleinigen Direkzion anmafste, eingelassen wurden. Dieser Umstand erregte das Mifsvergnügen der Ausgeschlossenen, deren Meinung von der Mehrheit der übrigen überstimmt worden war; und mancherley widrige Urtheile und Gerüchte im Publikum waren die natürlichen Folgen davon. Man sprach von der Sache, als ob der Erfolg der Erwartung nicht zugesagt hätte. Die Explosion der brennbaren Luft wurde als etwas, das gar nicht hätte geschehen sollen und wodurch die Glorie der ganzen Unternehmung ausgelöscht würde, dem Herrn C h a r l e s zur Last gelegt, der bey Ladung des Ballons nicht gehörig zu Werke gegangen seyn sollte. In wenig Tagen brach die Mifshelligkeit zwischen ihm und seinen Assistenten, den Gebrüdern R o b e r t , an einem, und Herrn F a u j a s de St, F o n d am
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A E R O P E T O M A N
IE.
andern Theil, öffentlich aus, und die Herren R o b e r t manifestierten sich den i4ten Sept. in No. 257. des Journal de Paris: „Dafs Herr C h a r l e s der einzige sey, der alle ihre Operazionen dirigiert habe; dafs dem Herrn F a u j as kein anderer Antheil an den im Marsfelde erfochtnen Lorbern gebühre, als dafs er sich viele Mühe gegeben Subskribenten zusammen zu bringen, die Liste darüber zu führen und die Einlafsbilliets inx Marsfelde auszutheilen; dafs er hingegen an dem Bau der Kugel, an den Berechnungen , welche demselben vorgehen müssen, und besonders an dem ersten Gedanken, von dem mit elastischem Harz überzognen Taft Gebrauch zu machen, nicht den geringsten Antheil gehabt, sondern alles das von Herrn C h a r l e s und i h n e n , Gebrüdern R o b e r t , vorgesehen, kombiniert und ausgerechnet worden sey; und dafs endlich die Explosion des Ballons eigentlich blofs dem gröfsern und unaufgeklärtesten Theile der Herren Subskribenten zur Last falle, als welche, alles Einwendens von Seiten der Herren C h a r l e s und R o b e r t ungeachtet, darauf bestanden hätten, dafs man den Ballon (welchen Herr C h a r l e s blofs zu interessanten Beobachtungen bestimmt und zu diesem Ende hätte befestigen wollen) sich selbst und den Winden überlassen sollte. Da sie n u n gezwungen gewesen hierin wider Willen nachzugeben,
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A E R O P E T O MANIE.
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so hätten sie auch den Ballon nothwendig stärker laden müssen; aus gerechter Besorgnifs, der damahls sehr heftige Wind möchte sich, wenn er weniger geladen wäre, in den Höhlen desselben fangen, und ihn gegen die Bäume und Häuser werfen. Uberdiefs hätten sie noch die Nebenabsicht dabey gehabt, besagten Ball dem Publikum unter e i n e r a n g e n e h m e m F o r m darzustellen, u . s . w . " — ein Gedanke, der dem Nazionalkarakter allzu gemäfs ist, als dafs er nicht allein schon hinlänglich seyn sollte, die volle Ladung des Ballons vollkommen zu rechtfertigen. Herr F a u j a s de St. F o n d konnte dieses Manifest nicht unbeantwortet lassen. E r erklärte sich also den löten September in No. 261. des Journal de Paris: „Seine und seiner sännntlichen Subskribenten Absicht bey der ganzen Unternehmung sey nicht auf eigne Eine, sondern blofs darauf gegangen, d u r c h W i e d e r h o h l u n g des g l ä n z e n d e n Experiments der H e r r e n M o n t g o l f i e r die „ G l o i r e " dieser Herren, als der einzigen wahren Urheber desselben, auf eine authentische Art vor den Augen der ganzen Hauptstadt zu befestigen. Nun komme alles lediglich auf die Frage an: wie die „1)hysiciens executans," ( d . i . Herr C h a r l e s und Konsorten) welchen die Ausführung der Sache anvertrauet w o r d e n , diese Absicht erfüllt hätten ?
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Diese Frage beantworte sich von selbst, wenn man erwäge, dafs Herr C h a r l e s geradezu gegen die Absicht seiner Obern und Kommittenten gehandelt, indem er sich alles Verdienst dieses Experiments allein zugeeignet, und sogar kein Bedenken getragen habe, dem anwesenden Herrn M o n t g o l f i e r den Eintritt in den innern Kreis zu versagen. Was ihn, Herrn F a u j a s , persönlich betreffe, so sey seine Meinung nie gewesen, sich das mindeste von der Ehre, die den ersten Entdeckern ganz allein gebühre, zuzueignen. Indessen könne er mit genügsamen Zeugen beweisen, dafs E r es sey, der die Subskripzion in Gang gebracht; dafs e r s e l b s t , mit einem von den Subskribenten, in Person d e n T a f t z u m Ü b e r z u g d e s B a l l o n s e i n g e k a u f t ; dafs er gleich in den ersten Versammlungen der Unterzeichner d i e b r e n n b a r e L u f t in Vorschlag gebracht, und dieses Mittel dem Herrn C h a r l e s vorgeschlagen; dafs er bey e i g e n h ä n d i g e r Ladung des Globus inehrmahlen s e i n e P e r s o n g e w a g t , tagtäglich über alle Operazionen g e w a c h t habe, u. s. w . An dem Unglück, dafs der Ball ein Loch bekommen , hätten die Herren R o b e r t ganz allein Schuld, w e i l s i e s o l c h e n m i t a t m o sfärischer Luft vollends angefüllt h ä t t e n . Diefs hätten sie ihm den folgenden T a g , da sie ihre Bezahlung bey ihm abge-
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A E R O P E T O MANIE.
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höhlt, in Gegenwart vieler Zeugen selbst gestanden, nicht ohne Unruhe, dafs ihnen wegen des darüber verspürten Mifsvergnügens an ihrem Honorar etwas möchte abgezogen werden : nun aber, da sie ihr Geld in der Tasche hätten, stimmten sie einen ganz andern Ton a n , und machten den Unterzeichnern einen Vorwurf daraus, dafs sie die Kugel dem Wind und nicht vielmehr der Diskrezion der Herren Physiciens assistans überlassen; gleich als ob man, um a u f g e k l ä r t zu seyn, ihnen mit der Kugel ein Geschenk hätte machen soll e n , " und was dergleichen mehr war. Während die E i t e l k e i t dieser Herren — welche von der Entdeckung der Gebrüder Montgolfier den Vortheil ziehen wollten, der Welt auch ihr eignes Daseyn mit Geräusch und Lösung der Kanonen zu manifestieren — dem Publikum zu Paris einige Tage lang auf ihre Kosten zu schwatzen und zu lachen gab, liefs sich d i e F r a n z ö s i s c h e I n d u s t r i e , die ( z u ihrem Ruhm sey es gesagt) immer den Augenblick zu benutzen weifs, nicht langsam finden. Schon den Josten August verkaufte Herr L e N o i r , königlicher KupferstichLieferant , um zwölf Sols einen Kupferstich, der das im Marsfelde angestellte Experiment, und bald darauf einen andern, der den Fall der Kugel zu Gonesse vorstellte. Den ^fen September eröffnete Herr R o u l a n d , Deiaon-
iß
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strator der Experimentalfysik auf der Universität zu Paris, eine Unterzeichnung auf eine Anzahl öffentlicher Vorlesungen über die Eigenschaften der brennbaren L u f t und den verschiedenen Gebraucli, der davon zu machen sey. Den 7ten September kündigte Herr P i l a t r e d e R o z i e r , in dem feierlichen Tone, den die Gröfse des Gegenstandes zu erfordern schien, einen n e u e n K u p f e r s t i c h a n , unter dem Titel: yJllcgorie destinee a Jixer l epuque de la decouverte de la Machine Aerostatique, dediee ¿1 Mssrs. de Montgolfier, der v o n den g r ö f s t e n K ü n s t l e r n gezeichnet und gestochen werden soll, und dessen Poesie zu aufserordentlich und zu karakteristisch ist, als dafs w i r sie den Lesern vorenthalten könnten. Dieses Kupfer sollte also vorstellen: 1 ) „ Z u r L i n k e n den Ä o l u s , der dieses „süperbe" Experiment begünstiget, indem er die W i n d e in seiner Höhle fesselt, die durch k l e i n e G e n i e n , welche mit Gewalt zu entwischen suchen, vorgestellt werden. 2) „ Z u den Füfsen dieses Gottes werden auf einer Rolle Papier die Virgilianischen Verse, celsa sedet Aeolus arce, sceptra tenens etc. zu lesen seyn. 3) „ Z u r Rechten wird sich, auf einem von Pfauen gezogenen W ä g e n , J u n o , die Göttin des Luftkreises, präsentieren, wie sie, aus Unwillen ihre Geheimnisse v o n einem
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A e r o p e t o m a n i e .
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Sterblichen errathen zu sehen, den ersten, der sich erkühnen würde ihr zu nahen, 4) bedroht. 4 ) „Ein wenig weiter unten, wird man, unter der Figur der Göttin des Ruhms, D e i opeen, d i e s c h ö n s t e d e r N y m f e n , erkennen, wie sie Junons Hof verläfst, um die H e r r e n M o n t g o l f i e r zu begleiten, welche, in Gestalt M e r k u r s , majestätisch auf einem Ballon sich erheben, der sie in die himmlischen Gegenden trägt. 5 ) „Daselbst entdeckt man auf einem Adler sitzend J u p i t e r n , der den neuen Himmelsgästen eine schützende Hand reicht. Fama wird in der einen Hand ihre Trompete halten, und ein Papier mit der Aufschrift: II a de la p esanteur enfin rompu la chaine, 5) und in der andern eine Lorberkrone, welche sie den Herren M o n t g o l f i e r aufsetzen wird. 6 ) „In der Ferne wird N e p t u n zu sehen seyn, wie er voller Verwunderung den W a s sern b e f i e h l t , sich in die A t m o s f ä r e zu e i g i e f s o n , u m d e n E r f o l g d i e s e r E n t d e c k u n g zu b e g ü n s t i g e n . 4) Diefs war vermuthlich auf Herrn Charles gemünzt. 5)
Aus dem oben angezogenen Gedichte des Herrn
G u d i n de la YV 1
E T A K D
Brenellerie.
s VAr. XXX. B,
Z
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MANIE.
7) „Zwischen den Wolken wird man einige G e n i e n v o n J u p i t e r s H o f e anbringen, welche Lorberzweige und Eichenlaub auf die für die Götter bezeichnete Bahn herab streuen." Man mufs gestehen, der Künstler, der alles diefs zeichnen und zusammen setzen soll, mufs ein zweyter R u b e n s oder noch ein wenig mehr seyn, wenn das Blatt die Anschauer nicht zweifelhaft lassen soll, ob es mit diesem Hommage auf Spafs oder Ernst abgesehen sey. Indessen hofft Herr P i l a t r e d e R o z i e r : „pu'07i voudra bien par tager la gloire de cet hommage, quon s'efforcera de rendre digne du noble desinteressement de Messieurs de Montgolßerund das Publikum wird sich ohne Zweifel dazu desto williger finden lassen, da das Kupfer den Subskribenten nur e i n e n g r o f s e n T h a l e r kosten, und der Profit blofs auf eine Maschine von einer n e u e n F o r m verwendet werden soll, auf welcher sich H e r r P i l a t r e s e l b s t z u e r h e b e n h o f f t ; die aber, „weil das Mittel in der Atmosfäre zu steuern noch unbekannt i s t , " zu mehrerer Sicherheit des neuen Ikarus, nicht anders als an einem tüchtigen Seile los gelassen werden soll. Den 1 iten September machte der berühmte B a r o n v o n B e a u m a n o i r bekannt, dafs er (nach seinem eignen Ausdruck) ein Mini•
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in um der aerostatischen Maschine der Herren Montgolfier zu Stande gebracht habe; nehmlich einen Ball von anderthalb Fufs im Durchmesser, der nicht mehr als Drachmen gew o g e n , und ein Luftvolumen v o n 21 Drachmen verdrängt, folglich (die brennbare L u f t , w o m i t er geladen w o r d e n , z u Drachmen gerechnet) sich mit einer Kraft von 12 Drachmen erhoben habe. Der Herr Baron lud zugleich die Liebhaber e i n , an besagtem Tage auf den Schlag eilf Uhr Vormittags ein neues Experiment dieser Art in seiner W o h n u n g zu sehen. Der Versuch ging in Gegenwart vieler Naturforscher und Liebhaber glücklich v o n Statten. Der B a l l , der aus einem dazu präparierten Ochsendarm verfertigt war, erhob sich, nachdem er mit brennbarer L u f t aus der Soluzion v o n Eisen und Vitriolsäure gefüllt worden, gegen f ü n f z i g Fufs hoch, setzte sich aber, weil der Überzug nicht fest genug verschlofs und der Gas sich also nach und nach verlor, gar bald mit der äufsern L u f t ins Gleichgewicht. Nachdem die Maschine ausgebessert worden, wurde das Experiment noch an selbigem Abend wiederhohlt: aber kaum war der Bindfaden, der sie festhielt, abgeschnitten, so erhob sie sich bis zu einer sehr grofsen Höhe, nahm den W e g nach N e u i l l y , und wurde ijicht mehr gesehen.
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Alle diese Versuche setzten das Publikum so sehr in den Geschmack der neumodischen L u f t k u g e l n , dafs jeder Liebhaber, wie billig, seine eigne zu haben wünschte. Dieses n e u e B e d ü r f n i f s zu befriedigen, machte B l o n d y , Portier de la Cour au Cul-de-sac de Rouen, den l/ften September bekannt: dafs kleine aerostatische Kugeln, von acht Zoll im Durchmesser, das Stück zu einem grofsen Thaler, bey ihm vorräthig seyen. Und da die Liebhaber sehr bedauerten, dafs sie sich nicht auch gleich mit brennbarer L u f t bey ihm versehen könnten; so avisierte er den lyten: dafs er von nun an auch mit d i e s e m Bedürfnifs, von extrafeiner Qualität, und zwar in Blasen, welche man um die Ballons zu laden nur zu drücken brauche, aufwarten könne, und dafs eine gefüllte Blase nur z w e y L i v r e s kosten würde. Während der müfsige Theil von Paris sich solcher Gestalt mit achtzolligen Luftkiigelchen amüsierte, machte die G e g e n p a r t e y des Herren C h a r l e s mit immer zunehmendem Geräusche Anstalt, die E h r e , die er sich am Josten August im Marsfeld erworben hatte, durch e i n n e u e s E x p e r i m e n t auszulöschen, welches Herr M o n t g o l f i e r in eigner Person zu geben versprach. Alles vereinigte sich diesem letztern einen glänzenden Sieg über seinen Nebenbuhler zu versprechen.
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AEROPETO MANIE.
ei
Er war der erste Urheber der wundervollen Entdeckung, die dem dringendsten Bedürfnifs der Pariser Welt, dem Durst nach neuem Zeitvertreib, so glücklich zu Statten kam. Ein Fremder hatte sich eingeschlichen, und ihm den Ruhm eines so wichtigen Verdienstes, in seiner eignen Gegenwart, gleichsam vor dem Munde wegfischen wollen. Unglücklicher Weise für Herrn C h a r l e s war seine Maschine zu Gonesse gefallen; und dieser Umstand, wiewohl man alle Ursache hatte darauf gefafst zu seyn, war von den Mifsvergnügten sogleich benutzt worden, die Meinung im Publikum zu erregen, als ob das Experiment der Herren Montgolfier unter seinen Händen verunglückt sey. C h a r l e s wurde nun für einen Pfuscher ausgegeben, und man erwartete einen ganz andern Erfolg, wenn d e r M e i s t e r s e l b s t auftreten und seine Kunststücke machen würde. Um das neue Experiment, welches die Herren M o n t g o l f i e r ankündigten, noch mehr zu verherrlichen, wurde V e r s a i l l e s zum Schauplatz desselben auserkohren. Ihre Maschine war aus drey Stücken zusammen gesetzt: aus einer P y r a m i d e von vier und zwanzig Seiten, einem eben so vielseitigen P r i s m a , und einer a b g e k ü r z t e n Pyramide. Die ganze Maschine sollte, einer von Herrn F a u j a s Tages zuvor gemachten Ankündigung
SÄ
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zu Folge, die Form eines Z e l t e s bekommen, Co Fufs hoch und 40 breit, der Grund Azur, der Pavillion und die Auszierungen Goldfarbe. Sie sollte mit 40,000 Kubikfufs G a s (welchen Herr Montgolfier, anstatt aus Eisen und Vitriolsäure , mit weit geringem Kosten aus verbranntem nassem Stroh gezogen hatte) geladen werden, und imStande seyn 1 2 0 0 Pfund zu heben; jedoch wollte man, zumahl da sie selbst wenigstens 7 bis 300 Pfund schwer sey, sie diefsmahl nur mit 600 Pfund belasten. Das war nun freylich ein anderes Werk als der Glob ulus von 1 2 Fufs im Durchmesser , womit Herr C h a r l e s vor drey Wochen im Marsfelde so vielen Spuk gemacht hatte! Die Sache ward ernsthaft; und man mufs gestehen, eine Maschine von mehr als 1000 P f u n d , die ohne Anwendung irgend einer sichtbaren Kraft über 200 Klafter hoch steigt, kann allerdings f ü r eine Erfindung gelten, womit eine Nazion sich etwas zu gute thun kann. Die Französische läfst es bey solchen Gelegenheiten nicht an der lebhaftesten Theilnehmung fehlen. Das Experiment ging den igten September im ersten Hofe des Schlosses zu Versailles unter einem unglaublichen Zusammenflufs von Zuschauern von Statten. E i n Stückschufs kündigte den Augenblick an, w o der Anfang mit Ladung der Maschine
DIE
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„ u n t e r den B e f e h l e n des H e r r n M o n t g o l f i e r " gemacht w u r d e ; ein andrer ungefähr 1 o Minuten darauf, den Moment w o man damit fertig w a r ; und ein dritter denjenigen, w o die Stricke, womit sie befestigt war, abgehauen wurden. Sie erhob sich sogleich z u allgemeinem Erstaunen der Zuschauer, und stieg dem Ansehen nach ungefähr 200 Klafter. Man hatte (vermuthlich um zu versuchen wie eine solche Luftreise lebendigen Wesen bekommen würde) unten an die Maschine einen grofsen Korb gehängt, worin ein Hammel, eine Ente und ein Hahn eingesperrt waren. A n dem Korbe hing, den Fysikern zu Ehren, ein Barometer. Der W e s t w i n d nöthigte diese ungeheure Maschine einen horizontalen Lauf z u n e h m e n , der nicht länger als 27 S e k u n d e n dauerte; nach diesem fing sie an merklicher zu sinken, und fiel im Gehölze v o n V a u c r e s s o n , eine halbe Stunde weit v o n dem Ort ihres Aufsteigens, zu Boden. Herr P i l a t r e d e R o z i e r , der die Ehre hatte, unter den Naturae Cu ?i osis, welche ihrem Laufe f o l g t e n , der erste z u seyn der an Ort und Stelle kam, fand den Ballon oder das Zelt durch einen Stöfs H o l z , worauf es gestürzt war, v o n dem Korbe abgetrennt. Der Halm und die Ente schienen sich nicht übel zu befinden ; der Hammel frafs in seinem Käfig; der Barometer war zwar umgeworfen, jedoch ohne
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ANIE.
Bruch; aber der Ballon hatte in seinem obern und untern Theile ziemlich grofse Risse bekommen. Z w e y Herren von der Akademie der Wissenschaften, Herr J e a u r a t und Herr L e G e n t i l , hatten den Lauf dieses seltsamen Fremdlings in den ätherischen Höhen beobachtet. Der erste auf der Plnte-forme des königlichen Observatoriums, w o er fand, dafs die Maschine 293 Klafter über das Rez - de - Chaussee der Sternwarte gegangen s e y ; der andre, der sie mit einem Quadranten v o n drey Schuh beobachtete, brachte heraus, dafs sie sich zu einer Höhe v o n cßo Klaftern über dem zweyten Stock der Sternwarte erhoben hatte. W i e sehr auch dieses Experiment des Herrn M o n t g o l f i e r jenes im Marsfeld angestellte durch die Gröfse der Maschine und andre die Augen der Zuschauer bestechende Umstände verdunkelt hatte, so konnte man doch nicht umhin zu bemerken: dafs der Ballon des Herrn C h a r l e s sich zu einer weit beträchtlichem Höhe erhoben, und einen Raum v o n 8 bis 9 Französischen Meilen durchlaufen hatte. Dieses waren w e s e n t l i c h e Vorz ü g e , welche dem letztern den T r i u m f z u versichern schienen. Allein die Partey des Herrn M o n t g o l f i e r wandte dagegen ganz bescheiden e i n : „Seine Absicht sey blofs gewesen , d a s E x p e r i m e n t v o n Annonay
D I E
AEROPETOMANIE.
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in der Hauptstadt zu w i e d e r h o h l e n ; und die Akademie der Wissenschaften habe auch nichts andres verlangt, da der G a s , dessen sich Herr Montgolfier zu Ladung seiner Maschine bediene, ein ganz und gar neues Fänomen darstelle. Auch lasse sich von dieser erhabenen Entdeckung k e i n e nützliche A n w e n d u n g erwarten, als mit Hülfe des G a s des Herrn Montgolfier, den er blofs durch Verbrennung nassen Strohs mit einer gewissen Quantität Wolle oder einer andern animalischen Substanz erhalte. Aus diesen Materien lasse sich f ü r 40 S o u s binnen 1 0 Minuten 40,000 Kubikfufs G a s ziehen; da hingegen eine gleich grofse Quantität von der flogistischen L u f t des Herrn C h a r l e s 8 bis 10 Tage Arbeit und 8 bis 10,000 Livres Unkosten erfordern würde. Wenn die aerostatische Maschine z. B. angewandt würde, die S c h w e r e g r o f s e r M a s s e n zu v e r m i n d e r n , so sey es unnöthig dafs sie sich ganze Stunden in der L u f t erhalte: wolle man sie aber zu Erfahrungen von längerer Dauer gebrauchen, so sey nichts leichter, als aus verbranntem Stroh wieder neuen G a s zur Ladung zu schaffen ; da hingegen nichts schwerer seyn würde, als sie mit L u f t aus der Eisensoluzion zu unterhalten, u. s. w . " Endlich wurde auch Hoffnung gemacht, dafs Herr Montgolfier noch n e u e Versuche WiiiAsss
W. X X X . B.
4
26
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AEROPETOMANIE.
anstellen, und den verschiedenen Gebrechen, die dem Interesse des Experiments vom igten September nachtheilig gewesen, abzuhelfen wissen würde. Die Herren C h a r l e s und Gebrüder R o b e r t hatten, wie es scheint, erst den Erfolg des Montgolfierischen Schauspiels abwarten wollen, ehe sie sich auf das oben extrahierte zweyte Manifest des Herrn F a u j a s de St. F o n d öffentlich vernehmen lassen wollten. Da nun dieser Erfolg eben nicht so ausgefallen w a r , dafs sie Ursache gehabt Latten den Muth ganzlich zu verlieren: so traten die Gebrüder R o b e r t den 2 3sten September wieder auf, und bewiesen nicht nur d u r c h eine Q u i t t u n g des K a u f m a n n s Perr a u l t , A v e l c h e r den Taft zu ihrem Rall geliefert hatte, dafs er besagten Taft dem ältefn Herrn Robert ganz allein verkauft und die Ehre gar nicht habe den Herrn F a u j a s de St. F o n d zu kennen; sondern rechtfertigten sich auch gegen die verschiedenen Vorwürfe desselben mit einem anscheinenden Bewufstseyn ihrer gerechten Sache. Sie versicherten: „ E s sey ihnen nie eingefallen, d a s E x p e r i m e n t v o n A n n o n a y zu wiederhohlen; und es habe also nie ihre Absicht seyn können , den Herren Montgolfier etwas von ihrem Ruhme zu entwenden. Ihre aerostatische Maschine habe mit der Montgolfierischen
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AEROPETO MANIE.
sj
weder in der Theorie noch i n der Ausführung das mindeste gemein. M a n habe zwar bisher affektiert, mit einer f ü r die Künste sehr abschreckenden Parteylichkeit beide mit einander zu vermengen: allein sie würden sich dadurch nicht irre machen lassen, sondern gedächten m i t T h a t e n z u s t r e i t e n , um das Publikum auf eine bessere Meinung zurück zu bringen. Eine neue und -viel beträchtlichere Unterzeichnung ihrer Bekannten und Freunde werde sie in den Stand setzen mit mehr Ruhe n e u e V e r s u c h e zu machen; und sie hofften in kurzem d e r N a z i o n w e i t k o s t b a r e r e und i n t e r e s s a n t e r e Erf a h r u n g e n v o r w e i s e n zu k ö n n e n . " Überhaupt ergiebt sich aus dieser Erklärung der Herren R o b e r t , dafs Herr C h a r l e s und Konsorten am einen, und Herr F a u j a s mit seinen Freunden am andern Theile, vom Anfang an einander nicht recht verstanden, und dafs weder C h a r l e s ein blofser Physicien assistant, noch die Gebrüder Robert blofse Handlanger u n d Tagelöhner von einem Manne zu seyn gemeint waren, der ein so grofses Verdienst darein setzte, den Taft zum Oberzug der aerostatischen Maschine eingekauft zu haben. So viel ist übrigens gewifs, dafs der „Globe ascendant" zwey Part e y e n zu Paris hervorgebracht hat; und ver-
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AEROPETOMANIE.
muthlich wird sich n u n , nachdem von M o l i n i s t e n und J a n s e n i s t e n nicht mehr die Rede ist, und auch der Eifer der G l u c k i s t e n und P i c c i n i s t e n ziemlich nachgelassen hat, das zahlreiche Heer der Liebhaber des experimen talischen Zeitvertreibs in M o n t g o l f i a n e r und R o b e r t a n e r spalten, deren aerostatischer Bürgerkrieg den gleichgültig zuschauenden Bewohnern von Europa (wenigstens bis zum Ausbruch des bevorstehenden Türkenkrieges) eine sehr angenehme Unterhaltung verspricht. In der That hätte die seltsamste Dichtungskraft kein so wunderbares Schauspiel ersinnen können, als zwey Armeen von Naturforschern, die in freyer Luft und auf den Wolken des Himmels Zelte gegen einander aufschlagen, sich mit ícoopfündigen Luftkugeln herum schiefsen, und einander mit immer gröfsern und unerhörtem Experimenten entweder aus dem Felde zu schlagen oder (wie man jetzt in England spricht) zu B o u r g o y n i s i e r e n suchen. Inzwischen, lind während sich beide Parteyen mit der gröfsten Hitze zu diesem wunderbaren Kriege rüsten, scheint die Partey der Herren Montgolfier auch die minder edeln, aber desto schärfer verwundenden Waffen des L ä c h e r l i c h e n nicht zu verschmähen, und unter der Hand aus den Theatern auf den
DIE
AEttOPETOMANIE.
2
9
Boulevards, als aus einem sichern Hinterhalt, Ausfälle auf die R o b e r t i s c h e Partey zu thun, welche der letztern, ohne einen baldigen entscheidenden S i e g i n d e n L ü f t e n , tödtlich werden könnten. Schon am ersten September gaben die grands Dause urs du Roi eine Pantomime mit Maschin e n , genannt Le Naufrage d' A rletf uin Pilote du Vaisseau volant, und seit dem lösten September ist auf eben diesem Theater Guillot Physic i e 11, „ ou la chute du globe volantschon über vierzehnmahl, und seit dem 3osten im Ambigu Comique die Comedie - Parade, Gilles et Crispin Me caniciens, ou L' Aer ostatimanie, ebenfalls mehrmahls aufgeführt worden; und wiewohl das Lächerliche gewisser Mafsen beide Parteyen trifft, so scheint doch offenbar genug, dafs es hauptsächlich auf die Nachahmer und Nebenbuhler der Herren Montgolfier abgesehen ist. Nichts war natürlicher, als dafs gleich beym ersten L ä r m , den der steigende Globus machte, die Hoffnung, das schon so lange mit so vielem Geräusch angekündigte L u f t s c h i f f des Herrn B l a n c h a r d auf eine andre Manier endlich realisiert zu sehen, bey vielen wieder neu belebt wurde. Von Dichtern versteht sich das von selbst. Der vor-, belobte Herr G u d i n de la B r e n e l l c r i e
jO
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AEROPETOMANIE.
sah in der ersten Entzückung, worein ihn der Versuch des Herrn C h a r l e s setzte, schon das ganze Element der Luft seiner Nazion unterthan. Aufser sich von diesem stolzen Gedanken, ruft er aus: D'un De
nouvel
Océan
Colomb
Suivez
ce
Argonautes
et de Cook
nouveaux,
surpassez
les
M o n t g o l f i e r , qui
travaux!
d'une
main
certaine A de la pesanteur
enßn brisé
Partez,
volez,
cherchez
Un
moins
variable,
air
Glissez
d'un
Jouez-vous
vol
dans
la
chaîne.
les plaines
un horizon
leger sur les glaces
au milieu
des
fiammes
d ' Azur
plus
pur.
Australes, Boreales
etc.
Am Schlüsse seines Gedichtes ruft er die Herren C h a r l e s und R o b e r t auf, zueilen, lim das grofse Werk zu vollenden, und ihr L u f t s c h i f f mit R u d e r n oder S e g e l n auszurüsten. „ F ü r c h t e t , sagt er, d a f s i r g e n d ein v e r w e g e n e r Engländer e u c h d i e E r f i n d u n g s t e h l e , " — und er meint: „ d i e s e s V o l k , d a s s i c h d e n V o r z u g d a s M e e r zu b e h e r r s c h e n entrissen sehe, werde nun bald alles v e r s u c h e n , u m H e r r von der L u f t z u w e r d e n . " Wie gesagt, von der raschen Einbildungskraft eines Französischen Dichters war nicht weniger zu erwarten. Aber auch
DIE
AEROPETOM.ANIE.
die prosaischen
Köpfe
flogen
31
in Gedan-
ken m i t ; und schon am 5 ten September
ver-
sicherte
von
Paris:
einer
von
ihnen
im
Journal
E r sey so überzeugt, dafs es n u n zur
völligen
Erfindung
noch e i n e n
der
Schritt
Luftschiffahrt
brauche,
hiermit erboten haben w o l l e ,
die erste M a -
schine dieser A r t ,
die der vereinigte
der Herren Fysiker
und
auf
ihre eignen Kosten)
haben
würde,
Mechaniker
Fleifs (jedoch
zu Stande gebracht
in Person zu besteigen,
eine andere Belohnung zu verlangen, Ehre
der
erste
zu seyn. — Manne
nur
dafs er sich
Luftschiffer
ohne als die
gewesen
Eine E h r e , die diesem wackern
gleichwohl den 1 9 ten September v o n
einem blofsen H a m m e l geraubt w u r d e ; vermuthlich
zu
seinem
desto gröfsern
Mifsver-
g n ü g e n , da der glückliche H a m m e l , wie verlautet, eine Art von Pension von Sr. Majestät erhalten haben soll, die er jedoch mehr durch seine Geduld
und Gleichgültigkeit als
die Gröfse seines Muthes
durch
verdient zu haben
scheint. Das Publikum Ungenannten
konnte das Anerbieten des
für Scherz
Herr B l a n c h a r d ,
aufnehmen.
Aber
der im verwichenen Jahre
so viel Aufsehens mit seinem
verunglückten
Luftschiffe gemacht hatte, nahm es f ü r E r n s t , und
bat
sich
in
einer A n t w o r t
vom
6 ten
September von dem Ungenannten die Erlaub-
32
D I E
AEKOPETO
MANIE.
iiifs aus, ihm die E h r e , der erste Luftbesegier zu seyn, streitig zu machen. „ I n wenigen Tagen werde ich, sagt Herr Blanchard, im Stande seyn, eine a e r o s t a t i s c h e M a s c h i n e zu zeigen, welche auf und nieder steigen, und jede beliebige Horizontallinie halten wird. Ich selbst werde darin s e y n , und ich habe Vertrauen genug zu meinem Verfahren, um mir vor dem Loos eines neuen I k a r u s nicht bange seyn zu lassen." Das wäre doch Etwas, — wofern das liefe Stillschweigen, das Herr Blanchard seit dieser Zeit beobachtet, nicht vermuthen liefse, dafs ihm diese neue Gaskonnade nur von irgend einem losen Vogel angedichtet worden sey; vielleicht von eben dem, der einige Zeit darauf, unter dem Nahmen P e r s e u s , in einem drolligen Briefe an die Herren Luftschiffer den Vorschlag that, dem neu erfundenen Luftschiffe die Form d e s F l ü g e l p f e i d s d e r D i c h t e r zu geben. Die Herren M o n t g o l f i e r selbst und ihre Freunde in der königlichen Akademie scheinen zur Zeit noch weit entfernt zu seyn, so hoch fliegende Hoffnungen erwecken zu wollen. Man spricht zwar von n ü t z l i c h e r A n w e n d u n g ihrer Maschine: aber man schränkt sie noch mit grofser Bescheidenheit
DIE
AEHOPF.TOMANIE.
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auf l e i c h t e r e E r h e b u n g g r o f s e r M a s s e n , und höchstens auf a t m o s f ä r i s c h e B e o b a c h t u n g e n ein, 6) zu deren Behuf
6)
Der D u c
de Crillon - M a h o n ,
Iinaginazion die glühenden Kugeln von noch immer zu spielen scheinen,
iu dessen Gibraltar
hat b e y
Gelegen-
heit des prächtigen Festes, das er am ersten Oktober wegen der Geburt der beiden Infanten von im Boulogner - Holze gD a b ,' D brauch
der
chen die
aerostatischen
ersten
noch
einen
Kugeln
Erfinder
nicht
Spanien
andern
gezeigt, gedacht
Ge-
an w e l zu
haben
scheinen; indem er seinen Gästen nach dem Souper einen aerostatischen Ballon von 6 F u f s 4 Z o l l Besten g a b , auf mit
an welchem ein Transparent
dessen beiden Seiten ein vivt
deutlich
Charles', zu
lesen
vive war.
zum hing,
Quatrain,
das sich
Louise/
anfängt, o '
Nachdem
der
Ingenieur,
der den Globus verfertigt, ihn einige M i n u t e n
lang
in einer Höhe von 2 bis 3 Klaftern erhalten, und verschiedene beliebige B e w e g u n g e n hatte machen lassen,
liefs
man
ihm
endlich seine Freylieit.
Globus erhob sich unter dem Schall einer Musik,
majestätisch,
in
Luft;
die
welches
sclneiber dieser Fite glauben that. — s