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German Pages 704 [712] Year 1796
C. M.
WIELANDS
SÄMMTLICHE WERKE D R E Y
O
U N D
Z W A N Z I G S T E R
B VTT.
E -
XII.
R
o
B A N D
N
G E S A N G .
L E I P Z I G BEV
GEORG
JOACHIM
GÖSCHEN.
1 7 G ey siifsem Scherz u n d fröhlichem Durchwandern Des Palmentlials verfliegt ein Abend nach dem andern.
Ö'f
O
B
E
R
O
TT.
85Allein der Vorrath schwand; ein J a h r , ein Jahr mit Bley An Füfsen, braucht's ihn nieder zu ersetzen, U n d , ach! mit jedem Tag wird ihr Bedurfnifs neu. Arm kann die Liebe sich bey Wenig glücklich schätzen, Bedarf nichts aufser sich, als was Natur bedarf Den Lebensfaden fortzuspinnen; D o c h , fehltauch diefs, dann nagt der Mangel doppelt scharf, Und die allmächtige Bezaubrung
mufs
zer-
rinnen.
86.
Mit W u r z e l n , die allein der Hunger efsbar macht, Sind sie oft manchen Tag genöthigt sich zu nähren. Oft, wenn, vom Suchen matt, der junge Mann bey Nacht Zur Höhle wiederkehrt,
ist eine Hand voll
Beeren, Ein M e w e n - E y , geraubt im steilen Nest,
S i e b e
IV t e r
G e s a n g .
55
Ein halb verzehrter Fisch, vom gier'gen Wasserraben Erbeutet, alles, was das Glück ihn finden läfst, Sie,
die sein Elend theilt,
im Drang der
Noth zu laben. 37Doch dieser Mangel ist's nicht einzig der sie kränkt. Es fehlt bey Tag und Nacht an tausend kleinen Dingen, An deren Werth man im Besitz nicht denkt, Wiewohl wir , ohne sie , mit tausend Nolhen ringen. Und dann, so leicht bekleidet wie sie sind, W o sollen sie vor Regen, Sturm und Wind, Vor
jedem
Ungemach
des Wetters
sicher
bleiben, [Jnd
wie des Winters
Frost fünf Monden
von sich treiben?
88-
Schon ist der Bäume Schmuck der spätem Jahrszeit Raub, Schon klappert zwischen dürrem Laub
O
56
B
E
R
O
N.
Der rauhe W i n d , und graue Nebel hüllen Der Sonne kraflberaubtes Licht, Vermischen L u f t u n d M e e r ,
und ungestümer
brüllen Die Wellen am Gestad, das kaum ihr W ü t h e n bricht; Oft,
w e n n sie grimmbeschäumt
den
harten
Fesseln zürnen, Spritzt der zerstäubte Strom bis an der Felsen Sürnen. «9. Die Noth treibt unser Paar aus ihrer stillen Bucht N u n höher ins Gebirg.
Doch , w o sie hin sich wenden,
Umringet sie v o n allen E n d e n Des dürren Hungers Bild,
und
sperret
ihre
Flucht. E i n Umstand k o m m t dazu, der sie mit süfsen Schmerzen U n d banger Lust i n diesem Jammerstand Bald
ängstigt,
bald entzückt —
Amanda
trägt das P f a n d Von H ü o n s Liebe schon drey M o n d e n unterm Herzen.
S i e b e n t e r
GESANG.
90.
O f t , w e n n sie vor ihm steht, druckt sie des Galten Hand Stillschweigend an die Brust, u n d lächelnd halt sie T h r a n e n Zurück im ernsten Aug'.
Ein neues zartres
Band Webt zwischen ihnen sich.
Sie f ü h l t ein stilles
Sehnen Voll neuer Ahnungen den Mutterbusen d e h n e n ; Was innigers als was sie je empfand, Ein dunkles Vorgefühl der mütterlichen Triebe, Durchglüht,
durchschaudert sie, und
heiligL
ihre Liebe.
91* Diefs süfse Liebespfand ist ihr ein Pfand zugleich, Sie werde nicht vofi Dem verlassen werden, D e r was er schafft in seinem grofsen Reich Als Vater liebt.
Gern trägt sie die Beschwerden
Des ungewohnten Stands, verbirgt behutsam sie Vor H ü o n s Blick, und zeigt ihm ihren Kummer nie, W l E l AN BS W. XXIII. R
8
; ¡J
U
a
i
ii
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^
Lal'st lauter H o f f n u n g ihn im heitern
Auge
schauen, Und nährt in seiner Brust das
schmachtende
Vertrauen.
Zwar er vergafs des hohen Schwüret, nicht, Den er dem Himmel
und A m a n d e n
zuge-
schworen: Doch desto tiefer liegt das drückende Gewicht; D e n n Sorgen ist n u n doppelt seine Pflicht. Bedarf es mehr sein Herz mit
Dolchcn
zu
durchbohren, Als dieses rührende Gesicht? Zeigt die gehoffle H ü l f ' in k u r z e r Zeit sich nicht, So ist sein W e i b , sein K i n d , zugleich mit ihm verloren.
93Schon viele Wochen lang verstrich Kein T a g , an dem er nicht wohl zwanzigmahl den Kücken Der Felsenkluft bestieg ,
ins Meer hinaus zu
blicken,
S i e b e n t e r
GESANG.
59
Sein letzter T r o s t ! Allein vergebens stumpft' er sich Die Augen ab, im Schoofs der
grenzenlosen
Höhen Mit
angestrengtem
Blick
ein
Fahrzeug
zu
erspähen; Die Sonne k a m , die Sonne wich, Leer w ar das Meer, kein Fahrzeug liefs sich sehen. 94Itzt
blieb
ein
einzigs noch.
Es
schien
unmöglich zwar, Doch, was ist dem der um sein Alles kämpfet Unmöglich?
Wurde jedes Haar
Auf seinem Kopf ein T o d ,
sein Muth blieb'
ungedämpfet. Von diesem Fels,
worauf ihn O b e r o n verbannt,
War eine Seite noch ihm gänzlich unbekannt; Ein
fürchterlich Gemisch von Klippen Ruinen
Beschützte sie, die unersteiglich schienen. 95Itzt, da die Noth ihm an die Seele dringt, Itzt scheinen sie ihm leicht erstiegne H ü g e l ;
und
6'o
O
B
E
R
O
Und wärcn's Alpen auch,
so hat die Liebe
Flügel. Vielleicht, dafs ihm das Wagestück gelingt, Dafs sein hartnack'ger M u t h
durch alle diese
wilde Verschanzung
der
Natur
sich
einen
Weg
erzwingt, Der ihn in fruchtbare Gefilde, Vielleicht zu freundlichen mitleid'gen Wesen bringt.
96. Am an den
eine Last von Sorgen zu
er-
sparen, Verbirgt er ihr das ärgste der Gefahren, I n die er sich, zu ihrer beider Heil, Begeben will.
Sie selbst tragt ihren Theil
Von Leiden still.
Sie sprachen nichts
beym
Scheiden, Als, lebe w o h l ! so voll geprefst war beiden Das
Herz;
doch
zeigt sein Aug'
ihr
eine
Zuversicht, Die wie ein Sonnenstrahl durch ihren Kummer bricht.
S i r. r> f. x r i: n
G e s a w g.
fii
97Da steht er nun am Fufs der aufgebirgten Zacken! Sie liegen vor ihm da wie Trümmern
einer
Welt: Ein Chaos ausgebrannter Schlacken, In die ein Feuerberg zuletzt zusammen fällt, Mit
Felsen
lintermischt,
die,
tausendfach
gebrochen, In wilder ungeheurer Pracht, Bald tief bis ins Gebiet der alten finstern Nacht Herunter draun, bald in die Wolken pochen.
98Hier bahnet nur Verzweiflung einen W e g ! Oft mufs er Felsen an sich mit den Händen winden, Oft, zwischen schwindlig tiefen Schlünden, Macht er, den Gemsen gleich, die Klippen sich zum Steg; Bald auf dem schmälsten Pfad -verrammeln Felsenstücke Ihm W e g und L i c h t , er mufs, so müd' er ist, zurücke,
62
O
B
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O
N.
Bald wehrt allein ein Strauch, den mit zerrifsner Iland Er fallend noch ergreift, den Sturz von einei Wand. 99Wenn seine Kraft ihn schier verlassen will, Ruft die enlflohnen Lebensgeister A m a n d e n s Bild zuruck. Schwer athmend steht er still, Und denkt an S i e , und fühlt sich neuer Kräfte Meisler. Es bleibt nicht unbelohnt, diefs echte Heldenherz ! Allmählich
ebnet sich der Tfad vor seinen Tritten,
Und gegen das, was er bereits erstritten, Ist, was zu kämpfen ihm noch übrig ist, nur Scherz.
S i e b e n t e r
V
a
r
i
a
GESANG.
n
t
e
n
65
.
( a ) bezeichnet die e i s t e Ausgabe des O b e r 011, im D e u t s c h e n IVLnkur 1700. (c)
X
7Ü5-
zum
VIII.
• Und, dicht in Schatten eingcschleiert, lliegt Sie schnell dem Lager zu, w o zwischen Mandelbaunien ( D e r Knabe neben i h r ) die Königstochter liegt, Aus ihrem Schlaf von ahnungsvollen T r ä u m e n Oft aufgestört.
Titania
Die Brust der Schläferin
berührt (damit die
Unruh
schweige Die in ihr klopft) m i t ihrem Rosenzweige, Und raubt den Knaben weg, der nichts davon verspürt.
N e u n t e r
G e s a n g .
145
34-
Sie kommt zurück mit ihrem schönen Raube, Und spricht zu ihren Grazien: Das
grausame Gestirn,
Ihr seht
das ob
Amanden
steht! Eilt,
reitet
dieses Kind in meine schönste Laube,
Und pfleget sein, als Avar's mein eigner Sohn. Drauf zog sie aus dem Kranz um ihre Slirne Drey Rosenknospen aus, gab
jeder
holden
Dirne Ein Knöspchen hin, und sprach:
Hinweg, es
dämmert schon!
35-
Thut wie ich euch gesagt, und alle Tag' und Stunden Schaut eure R o s e n an; und wenn ihr alle drey Zu L i l i e n
werden seht,
so merket dran,
ich sey Mit O b e r o n versöhnt und wieder neu verbunden. Dann eilet mit A m a n d e n s S o h n WielakdsW.
XXiii. B.
herbey, a9
1 J.U
ü
B
i.
R
O
D e n n mit der meinen ist auch i h r e N o t h verschwunden. Die N y m f e n neigten sich, und flolm I n einem W ö l k c h e n schnell hinweg mit H ü o n s Sohn.
36Kaum war
der M o r g e n aufgegangen,
So sucht m i l bebendem u n r u h i g e m Verlangen Amanda
ihren F r e u n d , der seine Lagerstall,
Fern von A l f o n s
und i h r ,
in einem
Fel-
sen hat. So hastig eilL
sie
fort,
dafs sie (was
nie
geschehen Seitdem sieIVIuttcr w a r ) vor lauter Eil' vergifsi, Nach ihrem Sohn, der noch ihr Schlafgeselle ist, Und
ruhig (glaubt sie) schlaft, vorher
sich
umzusehen.
37Sie findet ihren M a n n , i m Garten irrend, auf, Und beide nehmen auf der Stelle, Was sie besorgen sich verbergend, nach der Zelle
N r, i; n r f, n
(J
T
3 a tj
Des alten Vaters ihren Lauf. Wie klopft ihr Herz, indem sie seinem Lager Sich langsam nahn! Er liegt, die Hände auf sein Herz Gefaltet, athemlos, sein Antlitz,
bleich
und
hager, Doch edel jeder Zug,
und rein, und
ohne
Schmerz.
38-
Er schlummert n u r , spricht R e z i a ,
und
legt Die Hand, so leicht dafs sie ihn kaum berühret, Auf seine Hand — und, da sie kalt sie spüret Und keine Ader mehr sich regt, Sinkt sie in stiller Wehmuth auf den blassen Eistarrten Leichnam hin; ein Strom von Thränen bricht Aus ihrem Aug' und badet sein Gesicht: O Vater, ruft sie aus, so hast du uns verlassen!
39-
Sie rafft sich auf, und sinkt an H ü o n s Brust, Und beide werfen nun sich bey der kalten Hülle
i 13
O
b
e
n
o
Der reinsten Seele h i n , in
n\ ehrfurchtsvoller
Stille, Und sättigen die schmerzlich süfse Lust Zu weinen, — drücken oft, um endlich -wegzugehen, Auf seine Hand der Liebe letzten Zoll, lind
bleiben
immer,
nie gefühlter Regung voll,
Bey dem geliebten Bild,
als wie bezaubert,
stehen.
40. Es war als sähen sie auf seinem Angesicht o Die Dämmerung von einem neuen Leben, Und wie von reinem Himmelslicht Den Widerschein um seine Stirne weben, Der schon zum geist'gen Leib den Erdenstoff verfeint, Und um den stillen Mund, der eben Vom letzten Segen noch sich sanft zu schliefsen scheint, Ein unvergängliches kaum sichtbar's Lächeln schweben.
N E r K T E n
G e s a n g .
14.9
i1 • Isl dir's nicht auch (ruft H ü o n , wie entzückt, W i n a n d e n zu, indem er aufwärts blickt) Als fall' aus jener Welt ein Strahl in deine Seele ? So fühlt' ich nie der menschlichen Natur Erhabenheit! noch nie diefs Erdenleben nur Als einen Weg durch eine dunkle Höhle Ins Reich des Lichts! nie eine solche Starke In meiner Brust zu jedem guten Werke!
42. Zu jedem Opfer, jedem Streit Nie diese Kraft, nie diese Munterkeit Durch alle Prüfungen mich männlich durchzukämpfen ! Lafs seyn, Geliebte, dafs der Trübsal viel Noch auf uns harrt — sie nähert uns dem Ziel! Niehls soll uns muthlos sehn, nichts diesen Glauben dämpfen! So spricht er, sich mit ihr von diesem heiligen Ort Entfernend — und ihn nimmt das Schicksal gleich beym Wort.
0
i5o
B
E
n
O
N.
43Denn, wie sie H a n d in H a n d n u n wieder Hervor gehn aus der Zell', u n d ihre Augenlieder Erheben — Gott! was f ü r ein Anblick stellt Sich ihren Augen dar! In welche fremde W e l t Sind sie versetzt!
Verschwunden,
ganz
ver-
schwunden Ist ihr E l y s i u m , der H a i n , die Blumenflur. Versteinert stehn sie da.
Ist's möglich? Keine
Spur, Sogar
die
Stätte
wird
nicht
mehr
davon
gefunden.
44Sie stehn an eines Abgrunds Rand, U m r i n g t , wohin sie schaudernd sehen, Von überhangenden gebrochnen Felsenhöhen; Kein Gräschen mehr, w o einst ihr Garten stand! Vernichtet
sind die lieblichen Gebüsche,
Der dunkle Nachtigallenwald Zerstört!
Nichts
übrig,
als
ein
gräfsliches
Gemische Von schroffen Klippen, s c h w a r z , u n d öd' u n d ungestalt!
N e u n t e r
G E S A N G .
45Z u welchen neuen
Jammerscenen
Bereitet sie diefs grause Schauspiel vor ? Ach, rufen sie, und heben, schwer vonThränen, Den kummervollen Blick zum lieil'gen Greis empor: „ I h m wurde diefs Gebirg in Frühlinasschmuck gekleidet, Diefs Eden Ihm gepflanzt; um Seinetwillen nur Genossen wir's ; und Schicksal und Natur Verfolgen uns aufs neu', so bald er von uns scheidet!" 46.
Ich bin gefafst, ruft R e z i a , und schlingt Ein Ach zuruck das ihrer Bi-ust entsteiget. Unglückliche ! der T a g , der all diefs Unglück bringt, Hat dir noch nicht das schrecklichste gezeiget! Sie eilt dem K n a b e n
z u , den sie vor kur-
z e m , süfs Noch schlummernd, (wie sie glaubt) verliefs; Er ist ihr letzLer Trost; des Schicksals hiirtsten Schlagen Geht sie getrost, mit ihm auf ihrem Arm, entgegen.
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B
E
R
O
X.
47Sie fliegt dem Lager zu, wo er An ihrer Seite lag,
und,
wie
vom
Blitz
getroffen, Schwankt, sie zurück —
der Knab' ist weg,
das Lager leer. „Hat er sich aufgerafft?
Fand er die Tliüre
offen Und suchte sie? O GÖLL! wenn er verunglückt war' ? Entsetzlich! —
Doch vielleicht hat um die Hütte her,
( S o denkt sie zwischen Angst und Hoffen) Vielleicht im Garten nur der Kleine sich verloffen? "
48Im Garten ? ach! der ist nun felsiger R u i n ! Sie stürzt hinaus,
und
ruft
mit
bebenden
Lippen Den Knaben laut beym Nahmen,
suchet ihn
Ringsum, mit Todesangst, in Höhlen und in Klippen. Der Vater, den ihr Schrey'n herbey gerufen, spricht
N E U N T E R
G E S A N G .
153
Umsonst den Trost ihr z u , woran's ihm selbst gebricht: „ E r werde sich gewifs in diesen Felsgewinden Gesund und frisch auf einmahl wieder finden."
49Zwey Stunden schon war alle ihre Müh Vergeblich.
Ach! umsonst, laut rufend, irren sie
Tief im Gebirg umher, besteigen alle Spitzen, Durchkriechen alle Felsenritzen, Und lassen sich, um wenigstens sein Grab Zu finden, kummervoll in jede Kluft hinab: Ach! keine Spur von ihm entdeckt sich ihrem Blicke, Und von
den Felsen
hallt ihr eigner
Ton
z.urücke. 5o. Das
Unbegreifliche des Zufalls,
dafs
ein
Kind Von seinem Alter sich verliere, An einem Ort, wo weder wilde Thiere Noch Menschen (wilder oft als jene) furchtbar sind, VVlELANDsW.
XXIII.
B,
20
154
O
B
E
Mehrt ihre .Angst;
K
O N.
doch nährt es auch ihr Hoffen:
„Es kann nicht anders seyn, er hat sich nur verloffen, Und schlief vielleicht auf irgend einem Stein, Vom
Wandern
mud,
in seiner
Unschuld
ein."
iiAufs neue wird der ganze Felsenrucken, Wird jeder W i n k e l , jeder Strauch Der ihn vielleicht versteckt, durchsucht mit Falkenblicken. Die Unruh treibt sogar, wie unwahrscheinlich auch Die Hoffnung ist ihn
dort lebendig
aufzu-
spüren, Sie bis zum Strand herab,
wo,
unter dem
Gemisch Von
aufgethürmtem
Sand
und
sumpfigem
Gebüsch, Sie endlich unvermerkt einander selbst verlieren.
N e u n t e r
GESANG.
155
Auf einmahl schreckt A m a n d e n s Ohr Ein ungewohnter Ton.
Ihr däucht, es glich
dem Schalle Von Stimmen.
Doch,
weil's
wieder
sich
verlor, Und sie bey einem Wasserfalle, Der mit betäubendem Getöse übern Rand Von einem hohen Felsenbogen Herunter stürzt, sich ziemlich nah befand, Glaubt sie, sie habe sich betrogen.
53Ihr schwanet nichts von gröfserer Gefahr, Ihr einziger Gedank' ist ihres Sohnes Leben: Und plötzlich, da sie kaum um einen Hügel, neben Dem Wasserfall, herum gekommen war, Sieht sie, bestürzt von einer rohen Schaar Schwarzgelber Männer sich umgeben, Und hinter einem hohen Riff Erblickt sie in der Bucht ein ankernd Ruderschiff.
156
O
B
E
R
O
N.
54Sie halten kurz z u v o r , u m Wasser
einzu-
nehmen, Vor
Anker
hier
gelegt,
und
waren
noch
damit Beschäftigt:
als,
mit
schnell
gehemmtem
Schritt, Auf einmahl eine Frau vor ihre Augen tiitt, Gemacht beym ersten Blick die schönsten zu beschämen. Erstaunen schien 'sie alle schier zu
lähmen.
An diesem öden O r t , den sonst der Schiffer fleucht, E i n junges Weib zu sehn, die einer Göttin gleicht.
Der
Schönheit Anblick macht sonst
rohe
Seelen milder, Und Tieger schmiegen
sich zu ihren Füfsen
hin: Doch
diese
fühlen nichts.
Ihr
Räubersinn
stumpfer
N e u n t e r . Berechnet
sich
den
GESANG. Werth
der
157
schönsten
Frauenbilder (Von Marmor oder Fleisch, gleich v i e l ! ) mit kaltem Blut Blofs nach dem Marktpreis, just wie andres Kaufmannsgut. Hier, ruft der Hauptmann , sind zehn tausend Sultaninen Mit Einem Griff, so gut wie hundert, zu verdienen.
56.
A u f , Kinder, greifet zu!
So ein Gesicht
wie diefs Gilt uns zu Tunis mehr als zwanzig reiche Ballen: Der König, wie ihr wifst, liebt solche Nachtigallen ; Und dieser wilden hier gleicht von den Schönen allen In seinem Harem nichts.
Ihr reicht A l m a n -
s a r is, Die Königin, so schön sie ist, gewifs
158
O
B
Das Wasser kaum.
E
R
O
N.
Wie wird der Sultan brennen!
Der Zufall hätt' uns traun! nicht besser führen können. 57-
Indefs der Hauptmann diefs zu seinem Volke sprach, Steht R e z i a , und denkt zwey Augenblicke nach Was hier zu wählen ist.
„Sind diese Leute
Feinde, So hilft die Flucht mir nichts, da sie so nahe sind: Vielleicht
dafs
Edelmuth
und
Bitten
sie
gewinnt. Ich geh' und rede sie als Freunde, Als Retter an,
die uns der Himmel
zuge-
sendet. Vielleicht ist's unser Glück, dafs sie hier angelandet." 58-
Diefs denkend, geht, mit unschuldsvoller Ruh Im offnen Blick, und mit getrosten Schritten,
N e u n t e r
GESANG.
159
Das edle schöne Weib auf die Korsaren z u : Allein
sie bleiben
taub
bey
ihren
sanften
Bitten. Die Sprache, die zu allen Herzen spricht, Rührt
ihre
eisernen
entmenschten
Seelen
nicht. Der Hauptmann w i n k t ;
sie wird
umringt,
ergriffen, Und alles lauft und rennt, die Beute einzwschiffen.
59Auf ihr erbärmliches Geschrey, Das durch die Felsen hallt, fliegt H ü o n voller Schrecken Den Wald herab, zu ihrer Hülf' herbey. Ganz aufser sich, so bald ihm was es sey Die Baume langer nicht verstecken, Ergreift er in der Noth den ersten knot'gen Stecken Der vor ihm liegt, und stürzt, wie aus der Wolken Schoofs Ein Donnerkeil, auf die Barbaren los.
lßo
O
B
E
R
O
N.
60. Sein holdes Weib zu sehn,
die mit blui-
rünst'gen Armen Sich zwischen Puiubertatzen sträubt, Der Anblick, der zu TiegerwuLh ihn treibt, Macht bald den Eichenstock
in seiner Faust
erwarmen. Die Streiche fallen hageldicht Auf Köpf' und Schultern ein mit stürzendem Gew icht. E r scheint kein Sterblicher; sein Auge spritzet Funken, Und sieben Mohren sind schon vor ihm hingesunken.
61. Bestürzung, Scham und Grimm , v o n einem einz'gen Mann Den schönen Raub entrissen sich zu sehen, Spornt alle andern a n , auf Hüon los zu gehen, Der sich,
so lang' er noch die Arme regen kann,
Unbändig w e h r t ; bis, da ihm i m Gedränge Sein Stock entfallt, die überlegne Menge
N
e
u n
r
e
k
G e s a n g .
161
(Wiewohl er rasend schlägt und stöfst und u m sich beifst) Ihn endlich übermannt und ganz zu Boden reifst.
Ca. Mit
einem
Schrey
gen
Himmel
sinkt
Amande In Ohnmacht,
da sie ihn erwürgt zu sehen glaubt.
Man schleppt sie nach dem Schiff, indefs das V o l k am Strande Auf den Gefallnen stürmt, und tobt und Rache schnaubt. Ihm einen schnellen T o d zu geben, Wär's auch der blutigste, däucht sie Gelindigkeit: Nein,
ruft
der Hauptmann
aus,
um desto
längre Zeit Der
Tode
grausamsten zu sterben, leben!
WitUJBS
W.
XXIII. B.
soll er
lGs
O
B
E
Ä
O N.
63. Sie schleppen ihn tief in den W a l d hinein, So weit vom Strand, dafs auch sein lautstes Schreyn Kein Ohr
erreichen kann,
und binden ihn
mit Stricken Um Arm und Bein, um Hals und Rücken, An einen Baum.
Der Unglücksel'ge blickt
Zum Himmel auf, verstummend und erdrückt Von seines Elends Last; und laut frohlockend fahren Mit ihrem schonen Raub nach T u n i s Barbaren.
die
V
a
r
i
a
n
t
e
n
.
In der ersten Ausgabe fängt hier der eilfte Gesang an.
Stanze 5 .
Vers 2.
Wie alles das um vierzig Sultaninen V. 3. ('
Er wiegt und wählt
aus
einem
Haufen
Speere Sich den , der ihm die meiste Schwere Z u haben scheint, schwingt ihn mit leichter Hand, Und stellt, voll Zuversicht, sich nun an seinen Stand. Wie klopft A m a n d e n s
Herz!
wie feurige
Gebete Schickt sie zu O b e r o n und allen Engeln ab, Als
itzt die schmetternde Trompete Den
Ungeduldigen
WIE t A N D « W .
zum
XXIII ii. gab!
Rennen
Urlaub ">9
O
ii
ü
K
O
87-
Dem Ritter,
der
bisher die Nebenbuhler alle
Die Erde küssen liiefs,
schwillt mächtiglich
die Galle, Dafs
er
gezwungen
wird,
auf
diese neue
Schanz Sein Glück und seinen R u h m zu setzen. Er v ar ein Sohn des D o o 1 i n v o n M a g a n z, Und ihm war Lanzenspiel kaum mehr
w ie
Hasenhetzen. E r stürmet,
wie ein Strahl
aus
schwarzci
Wolken Schoofs, in voller Wuth auf seinen Gegner los.
88Doch, ohne nur in seinem Sitz zu schwanken, Trifft H ü o n
ihn so kraftig vor die Brust,
Und wirft mit solcher Macht ihn seitwärts an die Planken Dafs alle Rippen ihm von seinem Fall erkranken. Zum Kampf vergeht ihm alle weit're L u s t ; Vier Knappen tragen ihn ohnmächtig aus den Schranken.
Z v»- 6 j. F T E R
G e s a n g .
5°7
Ein jubelnd Siegsgeschrey prallt an die Wolken an, Und H i i o n steht allein als Sieger auf dem Plan. 89-
Er bleibt am Ziel noch eine Weile stehen, Ob jemand um den Dank noch kämpfen will, zu sehen; Und da sich niemand zeigt, eilt er mit schnellem Trab \ m a n d e n zu, die, hoch auf ihrem schönen Rosse, Wie eine Göttin glänzt,
und führt sie nach
dem Schlosse. Sie langen an.
Er hebt gar höflich sie herab,
Und führt sie, unterm Viva trafen Des Volks, hinauf, die hohen Marmorstufen.
90.
Wie eine Silberwolk' umwebt Amandens
Angesicht ein undurchsicht'ger Schleier,
Durch den sich jedes Aug' umsonst zu bohren strebt.
Sog
O B E R
O
Voll Ungeduld, -wie sich diefs Abenteuer Entwickeln werde,
strömt die Menge ohne Zahl
Dem edeln Taare nach.
Itzt öilnct sich ein
Sahlj Hoch sitzt auf seinem Thron ,
von seinem
Furstenrathe Umringt, der alte Karl in kaiserlichem Staate.
•J1Herr H ü o n
nimmt den Helm von seinem Haupt,
Und tritt hinein, in seinen schönen Locken Dem Gott des Tages gleich.
Und alle sehn
erschrocken Den Schnell-erkannten an.
Der alte Kaiser
glaubt Des Ritters Geist zu sehn.
Und H ü o n ,
mit
Amanden An seiner Hand, naht ehrerbietig sich Dem Thron, und spricht: Mein Lehnsherr! siehe mich, Gehorsam meiner Pflicht,
zurück in deinen
Landen!
Z W Ö L F T E R
G E S A N G.
^OQ
D e n n , was d u z u m Beding gemacht Von m e i n e r W i e d e r k e h r , m i t Göll liab' ich's vollbracht! In diesem Kästchen sieh des Sultans Bart u n d Zahne, An die, o H e r r , nach deinem W o r t , ich Leih U n d Leben aufgesetzt —
u n d sieh in
dieser
Schöne Die E r b i n seines T h r o n s , u n d m e i n geliebtes Weib! M i t diesem W o r t e fallt v o n R e z i e n s
Ange-
sichte Der Schleier a b , u n d f ü l l t den Sahl mit n e u e m Lichte.
93Ein Engel
scheint,
in seinem
Himmels-
glanz, (Gemildert n u r , damit sie nicht v e r g e h e n ) Vor den E r s t a u n t e n da zu s t e h e n : So g r o f s , u n d doch zugleich so lieblich anzusehen, Glänzt R e z i a in i h r e m M y r t e n k r a n z
Und
silbernen Gewand.
Die Königin
der
Feen Schmiegt,
ungesehen,
sich an ihre Freun-
din an, Und alle Herzen sind ihr plötzlich unterthan.
94Der Kaiser steigt vom T h r o n , heifst freundlich sie willkommen An seinem Hof.
Die Fürsten drangen sich
Um Huon her, umarmen brüderlich Den edeln jungen M a n n , der glorreich heim gekommen Von einem solchen Zug.
Es stirbt der alte
Groll In K a r l s d e s G r o f s e n Brust.
Er schüt-
telt liebevoll Des Helden H a n d , und spricht: N i e es u n s e r m
fehl'
Reiche
A n e i n e m F ü r s t e n s o h n , der D i r an Tugend gleiche!
Z w ö L y T E n
V
a
r
i
a
G e s a n g .
n
t
e
n
511
.
In der ersten Ausgabe fängt hier der vierzehnte Gesang an.
Stanze 1 1 .
V . 4.
Die er, mit jedem Tag, dem 11. s. \v.
St. 29. V. 4. (c)
Verborgen blieb'! —
o litt' ich unbe-
-vveint St. 31.
Y 5.
Der mohnbekränzte Geist des Schlummers
-1 j
O
ii
E
r.
St. 56. (r/)
o
u.
V. 6.
Nur meine E h r e nicht, nur meine T u n nicht geben. St. 39.
(c)
Der
V. 5 — 8.
schöne Hassan, hiefs es,
waid im
Bade Vom Sultan mit Almansaris allein Gefunden, und w i r d morgen, ohne Gnad.', Im grofsen H o f ,
ein
l\aub
der
Flammen
seyn. St. 44. (a)
>. .5 — a
Almansor, spiicht sie, wenn mein Leben dir
Erhaltungswürdig scheint,
so lafs mich nie Iii.
vergebens Dir knieen —
Schwöre,
dafs
du
was ich
bitte mir Gewahren w i l l s t !
— St. 45.
(a)
V. 5.
Nichts ist zu v i e l ,
was
du
und ich zu geben
verlangst
Z
w
ö
l
f
t
e
r
G E S A N G .
St. 46.
(o)
Wie?
V.
313
1.
ruft der Sultan,
mil
bestürzter
Miene,
St. 50.
(a)
V. 3 —
6.
Hast du ein Herz mir das zu sagen?
E r , dem ein Wort von dir das Leben retten kann, Er
stirbt?
—
So ist es! wer des Harems Zucht verletzt,
Erwiedert
Mansor
kalt,
dem ist
der
Tod
gesetzt.
St.
6a.
Im gleichen Augenblick, da diefs Geschah,
zeigt
sich von f e r n ,
mit lautem
Schreyen, Almansor hier, und dort Almansaris. Sie eilen hastig a n ,
in zwey
verschiednen
Reihen, E r Zoradinen,
Sie den Hassan zu befreyen;
W I E I. A N n s W . XXIII. B.
514
O
Ii
i.
K
O N.
Und beiden folgt ein Trupp,
bewehrt
mil
Dolch und Spiefs. Auch stürzt mit blofsem Schwert durch die erschrockne Menge Ein schwarzer flittersmann u. s. w. St. 61. ^a)
—
—
—
V. 4.
und lockt den
lieblichsten
Ton
V- 7. 8Tanzt, ruft er, lanzt, bis euch der Tanz den Athem raubt! Diefs soll
die Rache seyn,
die Hiion sich
erlaubt.
St. 67.
V.
6,
— und schneller als Gedanken, St. (c)
6g.
V.
6.
Allmählich sich zur Erde nieder:
Z
v
ö
r. r
T E n St. 71.
(a)
G E S A N G .
315
V. 5.
Nicht mehr ein schöner Zwerg, ein Knablein , wie er ihnen
St. 72.
(oii,
ohne .Rück-
sicht auf Geburt, Stand uud Altei he/.! icl.iiL t. S o kommt das W 01t W i b vor,
wiewohl
beständig be\ den IM 1 u ¡1 e s a 11 g e 1 11 schon Y\ a l l i i e r
von
dei
Vostl-
w e i d e in einem seiner schönsten Liedei .sich sehr dailiber ereifert, dafs man zu semei Z e i t ( im igten j a l u hunderte) schon einen Unterschied zu machen anfing, weil
die vornehmem
Frowen
nicht
mehr W e i b e i
( F r a u e n ) heil'sen wollten.
noch itzt in
Obeldeutschland
sondern
Indessen
l'eisonen
um
sagen Stande,
w e n n von ihres gleichen die Rede; ist, — „ S i e ist ein schönes W e i b ; " suiache ist seine
und auSixAfj.aiv) genannt hatte? 2 ) — Oder w u r d e L u c i a n in seinen B i l d e r n , w o er alle Bildhauer, Mahler und Dichter zu H ü l f e rufL, u m die Schönheit der S m y r n e r i n P a n t h e a zu beschreiben, von dieser Frau als v o n einem W u n d e r reden? da sie doch am E n d e , selbst in seiner ekstatischen Beschreibung, nichts m e h r ist als ein schönes W e i b , wie m a n deren auch wohl dann u n d w a n n in Deutschland zu sehen bekommt. — „Als ich zu A t h e n w a r , — sagt K o t t a in C i c e r o ' s Dialogen v o n der Natur der Götter 3) — f a n d s i c h u n t e r g a n z e n H e r 2) Plutarch.
in
^) 1.1b. I. cap. 20.
Alexandre.
der
G r i e c h i s c h e n
Kunsti.er.
147
den von J ü n g l i n g e n k a u m einer und der a n d e r e , der schön g e n a n n t werd e n k o n n t e . " — Die schönsten Gestalten und das schönste Blut sah man unter den I o n i s c h e n Griechen; also nicht in der eigentlichen Hellas, sondern in Asien. Smyrna, eine der Hauptstädte Ioniens, war ihrer schönen Weiber wegen berühmt. Daher sagt der Smyrn e r , welchen Lucian beym Aufzug der schönen Fanthea unter den gaffenden Zuschauern stehen läfst, mit patriotischer Hoffart zu seinem Nachbar: Siehe, s o l c h e Schönheiten g i e b t s n u r z u S m y r n a ! — Ein gewisser Nymfodovus (der eine Reisebeschreibung durch Asien geschrieben, die nicht auf uns gekommen ist) versichert, nach dem A t h e n a u s ; 4) „dafs er in der ganzen Welt nirgends schönere Weiber angetroffen als zu T e n e d o s , " einer kleinen Insel nahe bey Troja. Und weder zu Smyrna noch zu Tenedos war jemahls eine Mahler schule! Doch, es wäre Überflufs, den Satz, dafs die Griechen überhaupt nicht schöner gewesen als eine Menge andrer Bewohner des gemäfsigten Theils der Erdkugel, durch mehr Zeugnisse zu bestätigen. Die Sache spricht, daucht m i c h , von sich selbst. Woher sollte 4) Deipnosoph.
IAbr.
XIII.
p. 609.
E.
148
LT b e
die
Ideale
i h n e n w o h l diese hohe Schönheit g e k o m m e n seyn ? Gesunde L u f t , oder Leibesübungen u n d Bader machen es doch allein nicht aus. — W a r i h r e Sonne etwa w a r m e r u n d geistiger, oder ihre L u f t milder als i n den schönsten P r o vinzen von F r a n k r e i c h , Italien u n d Spanien? W a r nicht ein ziemlicher Theil von Griechenl a n d rauher u n f r u c h t b a r e r B o d e n ? W a r e n ihre ersten Eicheln fressenden Vorfahren etwa M e n schen v o n edlerer Art als die u n s r i g e n ? Oder genossen die Griechen z u Perikles Zeiten etwa reinere u n d gesundere N a h r u n g s m i t t e l als wir ? L e b t e n sie v o n Ambrosia u n d N e k t a r ? 5) Verderbte sich ihre J u g e n d nicht wenigstens so sehr als die heutige d u r c h alle Arten v o n Ausschweifungen ? Bey welchem Volke w u r d e n die von der schandlichsten u n d verderblichsten Gattung weiter getrieben? Auch die F x cesse der Tafel u n d das T r i n k e n über Bedürfnifs u n d V e r m ö g e n , das u n s e r n biedern Vorf a h r e n von den n ü c h t e r n e n U l t r a m o n t a n e n ehedem so sehr v o r g e w o r f e n w u r d e , ging zu Sokrates Zeiten bey den eleganten Athenern so sehr i m Schwange, dafs der Weiseste u n t e r 5)
Schweinefleisch, • gesalzene Fische,
Schalfische,
und allerley Alten von Kuchen waren die gemeinste Nahrung: zu Athen 6 ) Wer daran zweifelt, kann sich von Aristófanes belehren lassen.
o n
G r i e c h i s c h e n KÜNSTLER,
I yj
den Weisen selbst einmahl ( u n d wer weifs ob nur diefs einzige M a h l ? ) sich nicht erwehren konnte mit den Wölfen zu h e u l e n , u n d über seine Mitzeclier keinen andern Vortheil erhielt, als dafs er, während die übrigen weggetragen werden mufsten, auf seinen eignen Füfsen nach Hause taumelte. — Und k ö n n e n wir uns nicht aus dem H i p p . o k r a t e s belehren, dafs (die Pocken ausgenommen) beynahe alle Krankheiten der heutigen Europaer auch unter diesen angeblich schönern Menschen regiert, u n d den Ärzten so viel zu schaffen gemacht haben als bey u n s ? M a n könnte vielleicht sagen: die Griechen hatten diesen Vorzug der Schönheit wenigstens in der Zeit, da ihre Sitten u n d Lebensart noch reiner u n d einfaltiger gewesen , behauptet. Aber es ist wider die Erfahrung, dafs die Schönheit mit der Einfalt der Lebensart und SiLten in gleichem Verhältnifs gehe. W a r e diefs, so miifst' es nirgends schönere Menschen geben als in den kleinern Schwäbischen Reichsstädten, w o beides sich noch bis diesen Tag in hohem Grade erhalten hat. Überlingen, W a n g e n , B u c h h o r n , Bopiingen, Pfullendorf u. s. w. müfsten die grofsen T e m pel der Schönheit und die Akademien seyn, wohin unsre Ki'insLler, u m die schöne N a t u r 7Ai studieren, wallfahrten müfsten. Ich berufe
IJQ
UBER
DIE
I D E A L E
mich aber auf die wackern E i n w o h n e r dieser kleinen Republiken selber, ob sie v o n d i e s e r S e i t e auf einigen Vorzug Anspruch machen? — W e n n es sich aber auch so verhielte, was bewiese diefs f ü r den Satz: dafs die Ideale der Griechischen Künstler n u r K o p i e n der sie umgebenden schönen Natur gewesen ? — Als die grofsten Bildner u n d Mahler sich in Griechenland hervor thaten, w o war da die Einfalt u n d Reinheit ihrer alten Sitten? — Eine Zeit lang machte S p a r t a noch eine A u s n a h m e ; u n d gerade zu Sparta gab es ja keine Kunstler als Harnischmacher u n d Waffenschmiede !
5„Aber nicht nur schönere — auch b e s s e r e Menschen als das heutige Menschengeschlecht sollen die Griechen in dem goldnen J a h r h u n dert ihrer Künste gewesen seyn. " — Bessere Menschen? u n d wer sagt uns das? E t w a Piaton, Xenofon, Thucydides, Demosthenes, Plutarch? M a n n e r v o m ersten R a n g , die ihre Nazion gewifs besser k a n n t e n als wir, u n d Patrioten genug waren u m ihr kein Unrecht
DER
GRIECHISCHEN
K U S S T L E R ,
151
zu thun. — Wahrlich der Begriff, den wir von der s i t t l i c h e n K a l o k a g a t h i e d e r G r i e c h e n aus diesen, u n d überhaupt aus allen ihren Schriftstellern nach der grofsen Epoke des Medischen Krieges, bekommen, sagt ganz was andres. Nach den Sitten, die uns ( z u m Theil) im Homer so wohl gefallen oder nach einer kleinen Anzahl durch Jahrhunderte zerstreuter vortrefflicher Menschen oder nach einigen politischen Gebrauchen, Gesetzen u n d Instituten — wird man doch nicht die ganze Nazion günstiger beurtheilen wollen als a n d r e ? W o ist ein civilisiertes Volk im heutigen Europa, das seit drey oder vier h u n dert Jahren nicht eine beträchtliche Anzahl vortrefflicher Menschen hervorgebracht hätte? Wie fruchtbar war an solchen n u r allein die Zeit von F e r d i n a n d und I s a b e l l a in Span i e n ! die Zeit L u d w i g s d e s E i l f t e n u n d F r a n z d e s E r s t e n in Frankreich! die Zeit H e i n r i c h s d e s A c h t e n u n d der E l i s a b e t h in E n g l a n d ! die Zeit M a x i m i l i a n s d e s E r s t e n und K a r l s d e s F ü n f t e n i n Deutschland! — Oder mangelt es etwann in unsern monarchischen sowohl als f r e y e n Staaten an Gesetzen, Einrichtungen u n d Anstalten, die w i r der Griechen ihren kühnlich entgegen setzen d ü r f e n ? Es ist, denke ich, gar keine Frage, dafs die Polizey in den meisten Griechischen Städten unvollkommener w a r , u n d
I5_;
Ü B E R
DIL
I D E A L E
bey ihrem ewigen Schwanken zwischen Monar chie, Oligarchie und Demokratie, schlechter seyn mufste, als heutiges Tages in jeder mittelmäfsigen Stadt in Deutschland. Und was die S i t t e n d e r H o m e r i s c h e n Zeiter betrifft, waren diese nicht in gewissen Zeitpunkten die Sitten jedes Volkes in der Welt ? — Von dieser Seite also kann m a n , diuicht m i c h , den Griechen keinen betriiclulichen Voizug eingestehen. Aber, vielleicht war das, wat man den Urstoff und die Grundlage der Menschheit nennen k a n n , besser bey ihnen als bey andern? — Es wäre der Mühe werlh wenn jemand diefs erweisen wollte. Bis dahin halte ich mich an das was ich weifs. Die Griechen waren, als sittliche Menschen betrachtet, ein noch sehr rohes und allen Ausbrüchen der wildesten Leidenschaften überlassenes Volk, als die Geschichte ihrer kleinen Könige den spätem Theaterdichtern zu Athen Stoff zu vielen hundert Tragödien gab. Und als nach ihren Siegen über den X e r x e s Handelschaft und Reichthum ihre Lebensart verfeinerte, die Ungleichheit vergröfserte, die Begierden erhitzte, wurden sie (wie alle Völker der W e l t aus gleichen Ursachen) an Denkart und Sitten, Seele und L e i b , nach und nach in sehr kurzer Zeit ein so heilloses Volk als irgend ein Europäisches es jetzt ist. Ich berufe m i c h , wegen des
d e r
G r i e c h i s c h e n
K u n s t l e r .
Beweises dieser Beschuldigung — n i c h t a u f d e n A r i s t ó f a n e s , (wiewohl seine Komödien als historische Urkunden von der schandlichen Verdorbenheit der daniahligen Griechen, besonders der Athener, nicht zu verwerfen sind) sondern auf a l l e ü b r i g e n weniger unreinen Quellen unsrer Kenntnisse von diesem so iibermafsig erhobenen Volke. Ich ersuche zu bemerken, dafs ich hier nicht von a l l e n Griechen — sondern eigentlich und besonders von denen spreche, die sich durch Liebe der Künste und Verfeinerung des Geschmacks und der Sitten am meisten hervorgethan haben. Bleiben wir nur bey den A t h e n e r n stehen, die den T o n angaben! E i n e feine Zucht besserer Menschen zu den Zeiten, da sie sich bald von dem Gerber K l e o n , bald von dem Wildfang A l c i b i a d e s mifsregieren, bald von den Spartanern und ihren dreyfsig Tyrannen wie ein Pack feiger, nervenloser Memmen mifshandeln liefsen! — Und was braucht es weitern Zeugnisses dessen was sie waren, als die A r t , wie sie sich ihre besten M ä n n e r , v o n M i l t i a d e s b i s z u F o k i o n , vom Halse schafften? — Kann man nach so oft wiederhohlten Proben in der nehnilichen Art noch zweifeln, dafs der Karakter dieses Volkes nicht weniger leichtsinnig, auffahrend, wankehnuthig, ungerecht, undankWiEtANns
W . XXIV. B.
20
I;') F
UBER
DIE
IDEALE
bar, gewaltthätig, und also von dieser Seite wenigstens nicht besser gewesen als der Karakter irgend eines Pöbels in der Welt: so erwäge O O man nur die schändliche Art, wie sie die Reste ihrer Freyheit endlich gegen König F i l i p p von Macedonien verloren; und die noch zehnmahl schandlichere Art, wie sie sich, nach Alexanders Tod, gegen einen A n t i g o n u s , D e m e t r i u s P o l i o r k e d e s u. a. betragen haben. 7) Man hat keinen Begriff von einem tiefern Grade der Niederträchtigkeit. — Aber so mufste auch ein Volk seyn, das den edelsten und besten Mann seiner Zeit, F o k i o n , mit dem kältesten Blute hinrichlen liefs, um sich etliche Jahre darauf von dem sittenlosesten, schändlichsten Kerl seiner Zeit, einem S t r at o k 1 e s, und andern seines gleichen beherrschen zu lassen! Ich sage nicht, dafs das Volk zu Athen um dieser und aller seiner übrigen unzähligen Missethaten, Thorheiten, Bübereyen und Brutalitäten willen s c h l i m m e r gewesen sey als andrer Pöbel; aber ich sehe auch nicht, warum es, mit solchen Eigenschaften und bey einem 7 ) Man lese den Plutarch
im Leben des Deme-
trius, und vergesse nicht, dafs Plutarch einer von den Alten ist, die am meisten Gutes von den Athenern gesagt haben.
DEK
GRIECHISCHEN
KÜNSTLER.
155
solchen Betragen, b e s s e r sollte gewesen seyn als andrer Pöbel; oder warum w i r , in Vergleichung mit ihm, verdienen sollten H e f e n d e r Z e i t genannt zu werden. 8) — Doch genug, und vielleicht schon zu v i e l , um zu zeigen, warum ich mich nicht überreden kann, dafs die grofsen Bildner der Griechen blofs dadurch fähig gemacht worden ihre so genannten Ideale hervorzubringen, weil sie von einer höhern, vollkommnern Natur, von schönern und bessern Menschen umgeben gewesen als die neuern.
6. W a s war es flenn also — da doch ein Mensch nichts überall g a n z e r s c h a f f e n kann — was sie fähig machte schönere Werke hervorzubringen, als, nach der gemeinen Meinung, irgend einer von den neuern Künstlern ? Ehe ich meine Gedanken über diese Aufgabe sage, mufs ich die Frage selbst ein wenig 8 ) S. F y s i o g n o m . F r a g m e n t e , IIT. B. 1. Abschnitt, TV. Fragment.
156
Ü B E R
DIE
I D E A L E
anders wenden. Ich -\veifs zu Avenig davon, in wie fern die Werke der alten Griechischen und der neuern Europäischen Kunst so genau und unbefangen haben v e r g l i c h e n werden k ö n n e n , und wirklich verglichen worden sind, dafs man m i t G e w i f s h e i t sagen könnte: die Kunst habe nie etwas reiners und volllcommners hervorgebracht als die Griechischen Ideale. Ich wenigstens kann darüber nichts a u s e i gO n e m G e f ü h l e sagen. Die O M e d i c e i s c h e V e n u s , der V a t i k a n i s c h e A p o l l o , u. s. w . stehen zwar in — Gypsabgnssen vor mir — und diefs ist in Ermanglung der Originale doch etwas: aber von den vorzuglichsten Werken der neuern Bildhauer kenne ich nichts, das zur Vergleichung dienen könnte. — Und überdem finden sich verschiedene Ursachen, warum eine solche Vergleichung immer zum Nachtheil der Neuern ausfallen mufs, und gleichwohl zum Vortheil der Alten nichts entscheidet — wie * man in der Folge sehen wird. Ich stelle also die Frage lieber so: Woher mag es w o h l gekommen seyn, dafs Griechische Künstler diese schönen Werke, die man I d e a l e zu nennen pflegt, hervorbringen konnten, und was ist es eigentlich, wefswegen ihnen dieser D ' D Nähme zukommt ?
DER
G R I E C H I S C H E N
K Ü N S T L E R .
I',7
Mir däucht, man hat Unrecht, bey Wirkungen von so sehr zusammen gesetzten Ursachen, als d i e W e r k e d e r G ö t t e r u n d d e r M e n s c h e n sind, alles immer auf E i n vermeintes Princip reducieren, und aus E i n e r Ursache erklären zu wollen, was immer das Resultat von vielen ist. Es ist freylich die kürzeste Art sich aus der Sache zu ziehen. Aber man verfehlt auch die Wahrheit fast immer anf diesem Wege. Mehrere Ursachen, mehrere Umstände kamen zusammen, diesen Idealen das Daseyn zu geben, und zu machen, dafs sie gerade so und nicht anders wurden. Die Natur thats nicht allein — die Gelegenheit sie zu studieren thats nicht allein — der Genie des Kunstlers — die l i e b e womit er arbeitete — das Aufsireben nach mehr als menschlicl 1er Schönheit und Gröfse — der stolze Gedanke, etwas der öffentlichen Anbetung würdiges hervorzubringen — thats nicht allein: aber alle diese Ursachen zusammen genommen thatens. — So werden M e n s c h e n ; und so werden auch S t a t u e n !
155
TJBER
DIE
IDEALE
Fürs erste also: Die Griechischen Künstler hatten unstreitig s c h ö n e N a t u r vor und um sich. — Ob eine schönere als die unsriee? — wer kann diefs nih Gewifsheit bejahen, oder mit Gewifsheit verneinen? Wie konnten wir die Vergleichung so anstellen, dafs keinem Theil Unrecht g e s c h ä h e ? — Wenigstens scheint es, aus allen vorangefuhrten Gründen, ganz und gar nicht wahrscheinlich. Aber was wir mit Gewifsheit sagen können, ist diefs: sie hatten mehr Gelegenheit, mehr Freyheit, die Schönheiten, die ihnen die Natur und ihre Zeit darstellte, zu beschauen, zu studieren, zu kopieren — als die neuern Künstler je gehabt haben — und diefs macht einen sehr wesentlichen Punkt aus. Die Gymnasien, die öffentlichen Nazional - Kampfspiele, die Wettstreite um den Preis der Schönheit zu Lesbos, zu Tenedos, im Tempel der Ceres zu
DER
GRIECHISCHEN
Basiiis 9)
KÜNSTLER.
159
i n A r k a d i e n , die R i n g s p i e l e z w i s c h e n
n a c k e n d e n K n a b e n u n d M ä d c h e n z u Sparta, K r e t a , u. s. w . —
in
der berüchtigte Venustempel
z u K o r i n t h , (dessen j u n g e P r i e s t e r i n n e n z u bes i n g e n selbst P i n d a r n i c h t e r r ö t h e t ) die T h e s salischen T ä n z e r i n n e n , die an d e n 9 ) Nach dem A t h e r i ä u s
Gastmahlen
w a r u n w e i t einer von
dem Arkadischen König Kypselus vor Alters am Alfeus erbauten Stadt ein Tempel und heiliger Hain der Eleusinischen Ceres, den einige Parrhasische Familien gestiftet hatten.
U n d von eben diesen rührte auch der
Wettstreit um den Preis der Schönheit h e r , alle Jahre am Feste dieser Göttin daselbst wurde.
welcher aneestellt
Athenäus veisichert, diefs Institut habe zu
seiner Zeit noch gedauert, und man nenne die Frauenzimmer, die um den Preis stritten,
Chrysoforos.
Aus einer Stelle des Pausanias (in Arcadicis)
schliefse
ich, dafs dieser von Athenäus nicht benannte Ort Basil is geheifsen.
Pausanias sagt, zu seiner Zeit sey
nichts mehr davon übrig g e w e s e n als der Tempel und Hain der Ceres. nicht. seyn.
Des Instituts aber erwähnt er gar
Es mufs also nichts sehr berühmtes Vielleicht w a r
es eine Art
gewesen
von Rosenfest,
w o r a n nur die umliegenden Landmädchen Theil nahmen.
Indessen scheint doch das Stillschweigen
des
Pausanias ( w i e w o h l er ein Zeitgenosse des Athenaus w a r ) nichts gegen die positive Versicherung des letzt e r n , w a s die Existenz dieses Instituts beweisen.
betrifft, zu
16O
UBER
DIE
IDEALE
der Grofsen nacltend tanzten, l 0 ) — alle diese Gelegenheiten, die schönsten Gestalten , unverhüllt, in der lebendigsten Bewegung, v o m Wetteifer verschönert, in den mannigfaltigsten Stellungen und Gruppierungen zu sehen — mufsten die Imaginazion der Künstler mit einer Menge schöner Formen anfüllen, und d u r c h V e r g l e i c h u n g des S c h ö n e n mit dem S c h ö n e r n sie desto fähiger machen, sich zur Idee des S c h ö n s t e n zu erheben. Aufserdem hatte Griechenland, besonders d a s s c h ö n e A t h e n , seit dem Institut des weisen S o I o n 1 1 ) einen liberflufs an Frauenzimmern , die von den Renten ihrer Schönheit lebten, und bereit waren auch zur Beförderung der K u n s t das ihrige bevzutragen. Ein gewisser A r i s t ó f a n e s v o n B y z a n z (der ein räsoniertes Verzeichnifs dieser holden Dienstmadehen der Venus geschrieben hat) brachte ihrer nur allein aus Athen h u n d e r t u n d d r e y f s i g zusammen, die einen Nahmen hauen; und A t h e n a u s vermehrt diese Anzahl noch durch eine starke Nachlese. Alle diese Nymfen blühten in dem nehmlichen Jahrhundert da die Kunst blühte. L a i s , die schönste und berühmteste unter ihnen allen, machte 1 0 ) A t h e n ä u s , L. XIII. 11)
c. 9.
S. e b e n d e n s e l b e n , l. c. c. 3.
DER
G R I E C H I S C H E N
KU XSTI.HU.
161
sich eine Elire daraus, (wie uns eben dieser Autor versichert) ihren Hals und Busen den Mahlern zum Modell zu leihen. Dafs die schöne T h e o d o t a , die Lieblingsmätresse des Alcibiades, ehe sie zu diesem Vorzug gelangte, kein Bedenken getragen, „ a l l e s w a s s i e s c h ö n e s h a t t e " sowohl Mahlern als andern Dilettanten, die von der Gelegenheit profitieren wollten, zu zeigen — erzahlt uns X e n o f o n , ein A u g e n z e u g e ; denn ohne Zweifel war er einer von denen, welche Sokrates mit sich nahm, als er hinging diese Schönheit (die jemand in seiner Gegenwart u n b e s c h r e i b l i c h genannt hatte) in Augenschein zunehmen. Diefs oaa ycakujg e^oi des Xenofon ist in der Thiemischen Ausgabe gar zu ehrbarlich übersetzt: „was sie mit Anständigkeit zeigen konnte." Denn Xenofon sagt diefs nicht; so was versteht sich von selbst. Allein damahls herrschten in den reichslen und üppigsten Städten Griechenlandes ganz andre, und ungleich losere Begriffe vom Anständigen als bey uns. 1 2 ) 12) eine
Ich starke
Praxiteles,
finde b e y m P l i n i u s Ausnahme sagt e r ,
eine A n e k d o t e ,
hiervon
hatte
zu machen
zwey
Statuen
der
die
scheint. "Venus
g e m a c h t ; die eine n a c k e n d , ( u n d diefs w a r eben
die
nachmahls so berühmte Venus
K n i d i a ) die a n d e r e
bekleidet.
Kos,
Er
WIELANDS
liefs denen von
W. XXIV. B
die eine V e n u s
21
1J £ E IL
DIE
IDEALE
So w ü r d e es, z. B. höchst u n a n s t ä n d i g u n d gegen d e n R e s p e k t des Gerichts b e f u n d e n
wer-
d e n , w e n n ein heutiger A d v o k a t den s c h ö n e n Busen
seiner
Klientin
die R i c h t e r z u e i n e m führen.
entblöfsen w o l l t e ,
um
m i l d e n UrLhcil z u v e r -
E r m ö c h t e sich n o c h so l a u t auf das
bey ihm bestellt hatten, die W a h l unter beiden, und sie wählten
die
bekleidete,
cinerley w a r ; J everum
wiewohl
id ac p j i die
um
der Preis arbiit
an-
Ics.
Allein diefs ist vielleicht nur eine Veimutlumoo des Plinius. Fs ist eben so möglich, dals sie die be-
kleidete blols wählten, w e i l sie ihnen schönei vorkam. Kine bekleidete Venus, deren schone Formen untei dem Gewände nichts verlieren, sondern w i e dadurch liervoi leuchten, ist vielleicht ein grofseies Kunstwerk als eine nackte.
W e n n die nachmahls so berühmten
Seidenfabiiken der Inseln Kos und Keos, w o diese feinen Stoffe gearbeitet wurden, die den Damen (nach dem Ausdrucke des P l i n i u s ;
die Bequemlichkeit ver-
schallten nackend gekleidet zu seyn, damalils schon v oihanden w a r e n , so wurde meine Vermuthung desto wahrscheinlicher.
W i e dem aber auch seyn mochte,
die Knidier nahmen herzlich gern mit
der nackten
"V enus furlieb, die ihnen die Koer gelassen hatten, und befanden sich so wohl dabey, dals, als der König Nikomcdes sich erbot, alle Schulden ihrer Stadt ( d i e -sehr grofs w a r e n )
zu bezahlen, wenn sie ihm ilne
enus dafür geben wollten, sie sich erklarten, sie wollten es lieber aufs aufserste ankommen lassen.
D En G r i e c h i s c h e n
KVXSTLER.
165
Beyspiel des berühmten Athenischen Sachwalters H v p e r i d e s beiufen, der sich dieses Behelfs bey der schönen F r y n e mit bestem E r folg bediente: man w ü r d e das Präjudiz nicht gelten lassen, u n d er selbst sowohl als seine Klientin würden sich sehr übel dabey befinden, so geneigt auch die H e r r e n des Gerichts ingeheim seyn m ö c h t e n , sich in einem Tète (i Tète von der Gültigkeit der producierten Evidenz überzeugen zu lassen. I n Athen hingegen ärgerte sich leein Mensch an diesem wiewohl ungewöhnlichen Advokatenstreich, und die Dame wurde ohne weitere Untersuchung los gesprochen. — I m Vorbeygehen k a n n diese Geschichte auch z u m Beweis dien e n , dafs ein sehr schöner Busen nichts alltägliches zu Athen gewesen seyn mufs. Die Richter (sagt Athenäus) w u r d e n bey dessen Anblick so f r a p p i e r t , dafs sie, v o n einer heiligen Scheu (Deisidaemonia ) ergrifFen, es nicht über ihr G e w i s s e n bringen k o n n t e n , einer so schönen Priesterin der Venus das Leben abzusprechen.
Ü B E R
DIE
IDEATE
8-
D a die Rede hier von F r y n e ist, erinnere ich mich einer andern Anekdote, die von ihr erzahlt wird, u n d aus welcher ein historischer Beweis f ü r die M e i n u n g , die ich bestreite, „Fryne war (wie gezogen werden könnte. der angezogene Autor versichert) vorzuglich an denen Theilen schön welche bedeckt werden ; auch war es nichts leichtes, etwas von ihr entblöfst zu sehen; denn sie pflegte sich so knapp zu kleiden u n d so stark einzuhüllen , dafs nicht das mindeste von der blofsen H a u t sichtbar werden konnte, badete sich auch niemahls in öffentlichen B a d e r n . " J 3) —
Diefs ist, treulich u n d ohne Gefährde, der Sinn des Athenäus, beynahe wörtlich übersetzt. sich nun als möglich vorstellen, Ogle,
Esq.
W e r sollte
dafs Herr
Georg
diese Stelle so w i e folget hätte verfäl-
schen k ö n n e n ? — „Auch w a r es nicht leicht, sie ohne E m o t i o n nackend zu s e h e n ; u n d in Rücksicht dessen war ihr von
Obrigkeits
wegen verboten sich eines
öiFentlichen Bades zu bedienen." S. dessen of
Gems,
p. 76.
Collection
O des weisen M a n n e s , der sich
D E I\ G R I E C H T S C H 7 : N
KÜNSTLER,
I6 5
Indessen fand sie doch einst für gut, eine Ausnahme von dieser Regel zu machen, und an einem Feste des Neptuns zu Eleusis den mystischen Schleier von sich zu werfen, u m eine unendliche Menge Augen auf einmahl zum Anschauen dieser geheimen Schönheiten, die sie sonst so sorgfaltig vor profanen Blikken zu verbergen pflegte, zuzulassen. Unverblümt von der Sache zu sprechen — die Nymfe stieg vor allem Volke nackend ins Meer und nackend wieder heraus; und nach dem Modell, das sie bey dieser Gelegenheit den Griechischen Künstlern gab, arbeilete P r a x i t e l e s , einer ihrer begünstigten Liebhaber, die nachmahls so berühmte Knidische Venus. Diefs sagt A t h e n a u s ausdrücklich. Aber wenn er etwas andres damit sagen wollte, als dafs Fryne das Modell war, von dem sich Praxiteles z u s e i n e m I d e a l der Liebesgöttin erhob; wenn seine Meinung war, Praxiteles habe e i n ß i l d n i f s der F r y n e für e i n e Venus a u s g e g e b e n : so behaupte ich, diese Anekdote verdiene nicht um ein Haar mehr Aufmerksamkeit, als so viel tausend andre verdächtige Histörchen, womit man sich zu allen Zeiten, und in dem lügenhaften Griechenlande keine
andere U r s a c h e
nicht öffentlich b a d e t e , Polizeydirekzion
denken k o n n t e , w a r u m als w e i l es ihr v o n
verboten
worden
war!
Fryne
loblicher
lG6
Í'BER DI2
I d í a l e
mehr als sonst irgendwo, an berühmten Personen und ihren Werken und Handlungen zu versündigen pflegte. Die Verdorbenheit der Sitten war damahls noch nicht so grofs, dafs die Welt so etwas als eine m a h l c r i s c h e L i c e n z hatte passieren lassen. Wenn gleich (nach dem Ausdruck eines Romischen Dichters) ganz Griechenland vor der Thür e i n e r L a i s o d e r F r y n e l a g , so hatte man doch noch die gehörige Empfindung von der Makel, die solchen Kreaturen anklebt; und eben diese D e i s i d k m o n i e der Griechen, die sich ein Gewissen daraus machte den schönen Busen der Fryne zu zerstören, und sich dadurch an der G ö t t i n , in deren Diensten sie gleichsam war, z u v e r s ü n d i g e n , würde es noch weniger haben ertragen können, die Werkzeuge ihrer Unenthaltsamkeit auf Altare gestellt und in Gegenstände der öffentlichen Andacht verwandelt zu sehen. Doch, wir brauchen uns hier nicht mit Vermuthungen aufzuhalten, da wir ein Zeugnifs eines A u g e n z e u g e n haben, das dem Vorgeben des Athenäus, der nur von Hörensagen schrieb, deutlich genug widerspricht. P a u s a n i a s erzählt ausdrucklich: '4) „Man sehe zu Thespiä eine V e n u s und eine F r y n e 1 4 ) In Boeoticis,
cap.
27.
DEH
G R I E C H I S C H E N
K Ü N S T L E R .
1C7
von Marmor, beide von der Arbeit des P r a x i t e l e s . " — Diese beiden Statuen waren also v e r s c h i e d e n g e n u g , um — die eine für ein Bild der Schönheitsgöttin — die andre für das Bild der Fryne erkannt zu werden. Hatte Praxiteles je im Sinne gehabt, seiner Geliebten die Ehre der religiösen Anbetung zu verschaffen: so hatte er sie. gewifs nicht den Knidiern für eine Venus, und den Thespiern für das was sie w a r , für Fryne, verkauft. Viele Fremde, die nach Knidos reisten um seine Venus zu sehen, hatten wohl auch schon seine Fryne zu Thespien gesehen, und der Betrug wäre folglich nicht lange unentdeckt geblieben; ganz Griechenland hatte bald gewufst, dafs diese Knidische Göttin, die man unter die höchsten Wunder der Kunst zählte, weiter nichts als ein Bildnifs der Fryne sey; die Thespier hätten sich rühmen können das wahre Original dieser vorgeblichen Venus zu besitzen; die Knidier würden sich haben schämen müssen, ihre K o p i e in einem der berühmtesten Tempel der Liebesgöttin aufzustellen, und die Andacht der guten Griechen mit der p r o f a n e n N u d i t ä t einer ö f f e n t l i c h e n D i r n e zu betrügen; und als in der Folge der König Nilcomedes ihnen eine ungeheure Summe für ihre Venus anbieten liefs, würden sie gewifs keine Thoren gewesen sevn nein zu sagen.
ÜBER
UII.
I D E A L S
Ich weifs wohl, dafs eben diese F r y n e auch d e m A p e l l e s gesessen haben soll, da er seine berühmte wiewohl
Venus andre
Kampaspe
Anadyomene
sagen,
(von
die
schöne
welcher
bey
mahlte; Perserin
dieser
Gele-
genheit ein bekanntes Histörchen erzahlt w i r d ) habe z u m M o d e l l dabey gedient.
Gesetzt aber
a u c h , dafs diefs im strengsten Sinne der WorLe z u nehmen w ä r e :
so liefse sich davon
Schlufs auf G ö t t e r b i l d e r nlachen.
Denn
kein
d e r B i l d h a u ei-
es isL ( w i e
Winkelmann
bemerkt hat) nichL zu erweisen, dafs Gemahlde jemahls z u
Gegenstanden
der Religion
und
öffentlichen Andacht bey den Griechen gedient haben. W a s ich gegen das Vorgeben des Athenaus f ü r die Knidische Venus angeführt habe, k a n n also mit gutem Fug für alle berühmte Bilder der Götter irgend
und
Götterkinder
gelten.
Wenn
etwas handgreiflich ist, so ists
dafs K ü n s t l e r , die sich vermessen hatten
diefs: Göt-
t e r darzustellen,und nichtsbessers als K o p i e n und K a r i k a t u r e n
'5)
einzelner
Men-
s c h e n , also unvollkommener Individual - Naturen , hervorgebracht grofser
hatten,
Meister nie erlangt
den
haben
Nahmen könnLen;
15_) W i e es am oben angezogenen Orte der F y s i o gno mischen
Fragmente
heifst.
D M
Ckiechischiik
KÜNSTLER.
16. F i d i a s , Polyklet und Praxiteles hatten — w i e alle Meister i n welcher Kunst es sey — ihre Schüler und Nachahmer, unter deren Händen gar bald M a n i e r , H a n d g r i f f und Locus communis wurde, Avas bey jenen Genie, Gefühl, E r f i n d u n g , Eingebung des Augenblicks, oder W e r k der höchsten Anstrengung des Geistes gewesen war. Nicht nur der Kanon Polyklets wurde zum M o d e l l ; alle berühmten Bilder berühmter Meister wurden auf tausendfaltige Art nachgebildet. Die W e r k e dieser Nachahmer und KopisLen wurden kalt und k r a f t l o s ; man entfernte sich von der Natur, ohne sich über sie aufschwingen zi1 k ö n n e n ; und so war die Kunst im Abnehmen, als L y s i p p u s erschien, eine neue Bahn betrat, und Mittel f a n d , ohne mit einem seiner Vorgänger i n Kollision z u k o m m e n , sich den Vorzug über seine Zeitgenossen, die Gunst Alexanders des Grofsen, und einen R u h m zu erwerben, den keiner v o n seinen Nachfolgern zu verdunkeln vermochte. Ich habe schon oben bemerkt, dafs der Karakter, der ihm mit P r a x i t e l e s gemein war,
19 G
T'BER
DIE
IDEALE
(nehmlich, dafs sie sich der W a h r h e i t oder der N a t u r mehr näherten als ihre Vorganger) dem L y s i p p auf eine ganz besondere Weise zukam. Dieser Künstler scheint weder durch seinen Genie, noch durch den Zeitpunkt w o r i n er blühte und die Umstände w o r i n er die Kunst f a n d , aufgelegt oder auf'
O
O
gemuntert gewesen zu seyn, sich in die Sfare der Ileroen und Götter zu wagen, die schon mit den W e r k e n so mancher herrlichen Meister erfüllt war. Seine Fähigkeit und Neigung o t- ^ trieb ihn zu Gegenständen, wozu er die Originale alle Tage v o r sich sehen konnte. Ein A p o x y o m e n o s , ( e i n Mann der sich selbst im Bade Striegelle) eine b e t r u n k n e F l ö t e n s p i e l e r i n , haben ihn berühmter gemacht als sein Jupiter zu A r g o s , oder sein Kupido zu Thespien. Sein gröfster H e l d war A l e x a n d e r , den Cr in verschiednen Stellungen sehr oft und so sehr zum Vergnügen dieses gernseynwollenden Göttersohns arbeitete, dafs dieser ( w i e man sagt) von keinem andern Bildgiefser noch Bildhauer dargestellt seyn wollte. L y s i p p u s bildete auch den H e f a s t i o n , Alexanders Liebling, und seine übrigen Freunde a b , alle ( w i e Plinius sagt) mit vollkommens ter Ä h nlichkei t. Überhaupt entfernte er sich von der Manier der Alten. Er machte die Köpfe kleiner, arbci-
DEK
GRIECHISCHEN
KÜNSTLER.
197
tele die Haare fleifsiger, hielt sich in den einzelnen Theilen genauer an die Natur, machte seine Figuren schlanker, nicht so viereckig, u. s. AV. Als er anfing aus eignem Triebe sich auf die Bildnerey z u l e g e n , ( e r sollte Anfangs ein Grobschmid w e r d e n ) war d e r K a n o n P o l y k l e t s das Modell wonach er studierte. Diefs ist wenigstens der Sinn der A n t w o r t , die er jemanden gegeben haben soll, der ihn f r a g t e : wer sein Lehrmeister in der Kunst gewesen ? — D e r D o r y f o r u s , antwortete Lysipp. 33) Und vermuthlich war diefs Studium, w o d u r c h ihm die genaueste Beobachtung des schönsten Ebenmafses mechanisch geworden, die Ursache, w a r u m die sehr fleifsige Beobachtung der Symmetrie (wie P l i n i u s b e m e r k t ) eine der vorzüglichsten Schönheiten seiner Bilder war. In der Folge aber ermunterte ihn der Mahler E u p o m p u s , sein L a n d s m a n n , (beide waren von Sicyon) den ängstlichen W e g zu verlassen, auf dem er ewig ein blofser mechanischer Arbeiter geblieben wäre. Dieser Eupompus war einer der berühmtesten Mahler seiner Zeit, ein Rival des Timanthes u n d Lehrmeister des Pamfilus, welcher durch seinen Schüler A p e l l e s berühmter geworden ist als 53)
Cicero
de Clav.
Orator.
ß6.
19 s
l'EEH
1)1£
l D L A L t
durch seine eignen W e r k e . Der junge L v s i p p fragte o i h n ,' 34) welchen unter seinen Vorgana gern er sich eigentlich z u m Muster genomm e n ? E u p o m p -wies a u f e i n e M e n g e V o l k s , die eben auf einem Marktplatze vor ihren Augen w i m m e l t e : „ H i e r s i n d n i e i n e M o d e l l e , sagte der alte M a h l e r ; d i e N a t u r s e l b s t , n i c h t d e n M e i s t e r , mufs der Künstler n a c h a h m e n , der es verdienen will, dereinst selbst unter die Meister gezahlt zu w e r d e n . " I-ysipp liefs sichs gesagt seyn — aber die Nachbildung der NaLur war es doch nicht allein, was ihn in der Folge so bcruhmL u n d beliebt machte. W e n n ich alles, was uns von ihm gemeldet wird, zusammen nehme und vergleiche, so daucht mich es k o m m e so viel heraus: dafs er in seinen B i l d n i s s e n die Schönheit mit der Ähnlichkeit zu vereinigen gewufst, und in seinen übrigen f r e y e r n W e r k e n die individuelle Natur mehr in e i n z e l n e n s c h ö n e n T h e i l e n als im G a n z e n zum Modelle genommen. E r studierte die NaLur, ahmte 5'|.) Es finden sich bey dieser Anekdote kronologische Schwierigkeiten, auf die, meines W i s s e n s , noch niemand Acht gehabt hat.
Wenigstens mufs Eupomp,
als er dem Lysipp diese A n t w o r t gegeben, ein sehi alter M a n n gewesen seyn.
DEI\
G R I E C H I S C H E N
K Ü X S T I . E H .
199
sie nach, stellte sie dar — aber nicht wie sie w a r , sondern w i e e r s i e s a h und sehen w o l l t e ; liefs bey der Nachahmung das Fehlerhafte weg, oder wufste es zu verbergen; zeigte was an jedem das schönste war auf die Weise, die dem Ganzen die vorteilhafteste schien; kurz, v e r s c h ö n e r t e s e i n e O r i g i n a l e , und gab ihnen doch so viel von Wahrheit und Leben, dafs sie T ä u s c h u n g hervorbrachten, und also von jedem b e y m e r s t e n Anblick erkannt wurden. Diefs war ohne Zweifel der wahre Grund, warum er so viel Statuen nach der Natur zu machen bekam, und warum sich Alexander von niemand als v o n Lysipp b i l d e n , so wie er sich allein von Apelles, dem Mahler der Grazien, m a h l e n lassen wollte. Seine W e r k e waren also mit aller ihrer Natur dennoch e i n e A r t v o n I d e a l e n ; verschönerte einzelne Naturen, oder symmetrische Zusammensetzungen schöner Theile, aus verschiedenen Modellen z u e i n e m h o m o genen Ganzen zusammen geschmelzt. Dieser Kunst, das Individuelle zu idealisieren, (einer Kunst, wozu mehr Geschmack und Urtheil, als Hoheit und Feuer des Geistes erfordert w i r d ) hatte L y s i p p eigentlich seinen grofsen Ruhm zu danken. Denn D e m e t r i u s , der sich b l o f s a n d i e N a t u r hielt,
200
Ü B E R
DIE
I D E A L E
wurde gerade defswegen getadelt — nicht etwa weil seine Werke F l i c k w e r k e oder K a r i k a t u r e n , sondern weil sie z u w a h r , z u g e t r e u n a c h d e m L e b e n abgeformt, waren — tanquam jiimius in vcritalc. So gewifs ist es, dafs die Alten sich nichts davon träumen liefsen, dafs Kunslwerke desto s c h ö n e r würden, je mehr sie individuellen Naluren ahnlich waren!
l 7-
Ich habe also — beym Scheine des schwachen Lampchens, das uns die unvollständigen Nachrichten der alten Schriftsteller von ihren Künstlern
und Kunstwerken
Arten man —
von
Werken
vortragen
unterschieden,
in so fern als
Unvermögen, Meister,
—
sie alle,
A^ier denen
nicht
sondern aus V o r s a t z
aus ihrer
etwas andres als blofse Abbildungen
einzelner Naturen waren — den gemeinsamen Nahmen der I d e a l e beylegen kann, und die m a n , wie mich d ü n k t , diesem Geschlechtsnahmen A'ermengen
pflegt.
mit Unrecht mit
unter
einander
zu
der
G r i e c h i s c h e n
K ü n s t l e n.
201
W e n n wir jedoch auf der andern Seite den Unterschied sowohl zwischen diesen verschiede n Arten selbst, als zwischen dem Grade des Genies, welcher einen Jupiter Olympius des Fidias, oder einen Doryforus des Polyklet, oder eine blofse N a c h a h m u n g dieses Doryforus hervorzubringen erfordert wurde, erwäg e n : so werden wir finden, dafs jener Nähme, in seiner edelsten u n d eigentlichsten Bedeutung, nur d e n B i l d e r n i d e a l i s c h e r Wesen, u n d auch unter diesen n u r denjenigen mit Recht zukomme, welche a u s d e m h ö c h s t e n Grade künstlerischer Begeisterung, aus der angestrengtesten Bestrebung sich über die schönste u n d erhabenste sichtbare N a t u r empor zu schwingen, entstanden, u n d — wie der Römische Plato in der oben angezognen Stelle sagt — nach einem i n der Seele des Künstlers erzeugten Urbilde mehr als menschlicher Vollkommenheit gebildet worden. Nach diesem Begriffe ist noch immer ein grofser Unterschied zwischen dem, was in Bild u n g der Griechischen Götter und anderer fabelhafter Naturen k o n v e n z i o n e l l , d. i. dem, was, nach den einmahl angenommenen Begriff e n , jeder Gottheit e i g e n u n d allen Göttern g e m e i n w a r , 36) u n d zwischen der Idee, ^ 5 ) Diefs allgemeine u n d besondere
Gotter-Ideal,
welches ich, ungeachtet es sich auf sehr richtige u n d W l C L A S D «
xv. XXIV.
B.
cfi
IBER D I E
200,
IDEALE
nach welcher ein Fidias unmittelbar seine Minerva oder seinen Jupiter bildete. Eine Statue des Jupiter, der Venus, des Apollo, u. s. w. konnte sehr gewissenhaft nach der "Vorschrift dessen was man G ö t t e r - I d e a l nennen kann gearbeitet seyn, und dem ungeachtet unter den grofsen Meisterstücken, die ich vorzugsweise Ideale nenne, keinen Platz verdienen. Diefs bedarf keines weitern Zeugnisses als des Augenscheins mancher antiker Apollo's und Bacchus und Dianen und Grazien und Vcnusbilder, welche, bey aller ihrer k o n v e n z i o n c l l e n D e i t ä t, sehr wenig geschickt sind, unsre Einbildungskraft in den Homerischen Olymp zu versetzen. feine
objektive Begriffe gründete,
die K ü n s t l e r ,
vermöge
einer
d a r u m w e i l es f ü r
stillschweigenden
Über-
e i n k u n f t , Gesetz w a r , k o n v e n z i o n e l l n e n n e , h a t W i n kelmann b e k a n n t e r M a f s e n i n der Geschichte der K u n s t eben so ausführlich als g e l e h r t u n d s c h a r f s i n n i g abgehandelt.
DEN
GRIECHISCHEN
K Ü N S T L E R .
205
i8A b e r — höre ich sagen —• auch i h r , mit allem was ihr uns schon in etlichen Bogen von Idealen und Urbildern vorsagt, habt uns noch immer keinen d e u t l i c h e n B e g r i f f davon gegeben, was ihr unter dieser I d e e , diesem U r b i l d , dieser eximia quadam specie pulchritudinis, die in der Seele des Fidias safs als er seinen Jupiter bildete, verstanden wissen wollt. Gebt der Wahrheit die Ehre und bekennet: dafs es entweder ein G e s p e n s t ist, das gerade so viel Grund in der Natur hat als andere Gespenster — Deutsch zu reden, dafs ihr und euer Cicero selbst nicht recht wifst was ihr sagt; oder dafs dieser so hoch gepriesne Jupiter Olympius — von dem ihr ohnehin gut Reden habt, da niemand hingehen und sehen kann was an der Sache ist — weder mehr oder weniger w a r , als „ e i n e Zusammenschmelzung von gesehen e n W i r k l i c h k e i t e n , und im Grunde doch nichts besser als K a r i k a t u r u n d u n b e f r i e d i g e n d e s N a c h h i n k e n der Kunst, d e r e w i g u n n a t ü r l i c h e n K u n s t , nach
20 F
Ü B E S
D I E
I D E A L E
der unendliche Mahl schönern Natur der schön e m und bessern Menschen, mit denen das Land der Pelasger in den goldnen Zeiten des Perikles geziert w a r . " 3 6 )
N u n , ja denn! wir wollen bekennen was zu bekennen ist. Am Ende — behalte auch Recht wer da kann — bleibt doch immer G o t t alle i n d i e E h r e , und niemand in der AVeit kann ein Interesse darunter haben, d i e K u n s t mit der N a t u r z u s a m m e n zu hetzen, oder die eine auf Kosten der andern z u erheben. Denn — was wir nicht vergessen wollen — auch die N a t u r , von der diese «ranze Zeit über die Rede war, ist ja wahrlich n i c h t d i e N a t u r s e l b s t , sondern blofs die Natur, w i e sie sich in u n f e r n A u g e n abspieg e l t — und diefs rückt Natur und Kunst um ein beträchtliches naher zusammen. Es wäre freylich ein lächerlich Beginnen, wenn ein Erdenklos sich hinsetzen und aus Thon oder Stein —3 6 ) Fysiognomische Fragmente l.• e.
der.
G r i e c h i s c h e n
K ü n s t l e r .
205
mit unserm Herrn Gott in die Wette Menschen machen wollte. Aber der Versuch, ein Schattenbild (und das sind doch wohl alle unsre Sinnenbilder?) nachzuzeichnen oder nachzubilden, hat nichts, das die Kraft der Menschheit übersteigt. Und dafs der menschliche Geist — Deus in nobis — fähig sey sich etwas schöneres, reineres und vollkoinmneres zu denken , als diese, durch die Peccata Mwidi von mehr als hundert Generazionen zerdrückten, angesteckten, verpfuschten und verhunzten Menschengesichter und Menschenleichname, wie sie nun bereits einige tausend Jahre auf diesem garstigen Erdklumpen herum kriechen — ist weder eine ungereimte noch gottlose und dem S c h ö p f e r d e r N a t u r — der (so viel ich weifs) auch der Schöpfer der K u n s i ist — zu nahe tretende Behauptung.
20.
Ich bekenne also vor allen Dingen, dafs es, wenn man von dem J u p i t e r O l y m p i u s des F i d i a s spricht, ein schlimmer Umstand ist, ihn nicht selbst gesehen zu haben. Da nun aber diesem Übel nicht abzuhelfen ist, so kommt
coG
Ü B E R
DIE
I D E A L E
es itzt nur darauf a n , •wie viel wir die Zeugnisse und Urtheile derjenigen, die das Gluck hatten ihn gesehen zu haben, gelten lassen wollen oder nicht; und hierin läfst sich freylich niemanden etwas vorschreiben. Aber diefs wenigstens ist gewifs, dafs unter allen , die von diesem Wunder der Kunst als E p o p t e n reden, keiner sich so ausdruckt, dafs man nur auf die Vermuthung kommen kann, er habe es für ein a u s N a c h b i l d u n g l e b e n d e r O r i g i n a l e entstandenes W e r k gehalten. Ware diefs der Fall gewesen : welcher unter allen Griechen, mit denen Fidias lebte, hatte mehr Anspruch machen können zum Modell eines Jupiter Olyinpius zu dien e n , als eben dieser P e r i k l e s O l y m p i u s , den die Theaterdichter seiner Zeit so gern — nicht zum Spott, sondern aus demokratischer Eifersucht — mit dem Beherrscher des Olymps zu vergleichen pflegten ? Und bedenken wir noch, dafs Perikles der Gönner, der Beschützer, der Freund unsers Künstlers w a r : wie g l a u b l i c h , dafs Fidias diese Gelegenheit ergriffen haben werde, ihm auf diejenige Art, die seinem Stolz am meisten schmeicheln mufste, die Cour zu machen! — Allein so glaublich es immer seyn mag, so gewifs können wir uns darauf verlassen, dafs F i d i a s der Mann nicht war, dem so ein Gedanke nur im Traum einfallen
DER
G R I E C H I S C II F. IST K Ü N S T L E R .
ÜO"
konnte. — Und dafs die Griechen, der kolossalischen Vergröfserung ungeachtet, den D o n n e r e r v o n A t h e n ersten Blicks erkannt haben würden, wenn ihm der O l y m p i s c h e n u r einiger Mafsen ähnlich gesehen hatte, dürf e n wir gleichfalls kecklich glauben. Hätten sie ihn aber erkannt, traun! sie würden die Entdeckung nicht verheimlicht haben. Jeder Komödienschreiber hätte geeilt, der erste zu seyn der seinen lieben Landsleuten ins Ohr sagte: „Sie möchten vor der Majestät dieses vermeinten Jupiter nicht zu sehr erschrecken; es sev nur Perikles des Xantippus Sohn, Schinokäfalos oder der Zwiebelkopf zubenahmset, neun - oder zehnniahl gröfser und dicker als er unter seinem eignen Nahmen zu seyn pflege, u n d , um die Griechischen Ganshäupter zum besten zu haben, i n einen Jupiter travestiert." — M a n sieht klärlich, es konnte das nicht seyn. Es bleibt also nichts weiter übrig, was uns die Erzeugung dieses Jupiters erklären kann, als — dafs wir annehmen, er sey entweder aus Z u s a m m e n s c h m e l z u n g entstanden, oder — nach einem G e s p e n s t e gebildet worden.
203
Ü b e r
DIE
I D E A L E
2 1.
W a s die Z u s a m m e n s c h m e l z u n g betrifft, so kann ich mir eine z w e y f a c h e A r t derselben denken. Es ists nehmlich entweder d e r K u n s t i e r , der die Operazion vornimmt, oder M u t t e r N a t u r verrichtet sie e i g e n h ä n d i g . — In jenem Falle k a n n w o h l so etwas wie der Doryforus des Polyklet oder ein L y s i p p i s c h e r Jupiter daraus w e r d e n : aber dafs ein solches Flickwerk, aus Fragmenten einzelner Griechenköpfe u n d Griechenkörper, so symmetrisch als man i m m e r w i l l , zusammen gesetzt, die grofse W i r k u n g hatte tliun können, die der Jupiter des Fidias (oben bemekleter Mafsen) gethan h a t , scheint mir so wenig glaublich, dafs ich ( w e n n kein ander Mittel ist) lieber annehmen will, die Natur selbst, in so fern sie in der Imaginazion der Menschenkinder ihr verborgnes W e r k u n d Wesen h a t , habe die Zusammenschmelzung vorgenommen. Dafs sie eine solche Schmelzerin ist, wird niemand läugnen: allein wie sie es dabey anfange, ist ein Geheimnifs, das uns (meines Wissens) noch kein Psycholog begreiflich gemacht hat.
DER
G R I E C H I S C H E N
KÜNSTLER,
COQ
Die Sache bleibt also noch immer so dunkel als zuvor; und wir mögen uns wenden und w inden wie wir wollen, so werden wir genötliigt seyn zu bekennen: dafs Fidias nach einer in seiner Seele schwebenden I d e e gearbeitet habe. W i e e r z u d i e s e r I d e e g e k o m m e n , wird dadurch nicht deutlicher wenn wir sagen : sie sey eine Zusammenschmelzung gesehener Wirklichkeiten. — Und im Grunde verlieren wir nichts dabey, wenn wir sie e i n G e s p e n s t schelten lassen, und gestehen, dafs wir von der Erscheinung dieser Art von Gespenstern in den Köpfen der Dichter, Bildner und Mahler eben so wenig verstehen, als von dem Gespenste das dem Brutus zu Filippi erschien, oder von irgend einem andern Gespenste, Geiste, Kobold oder andern Einwohner der unsichtbaren W e l t , wefs Nahmens, Standes und Würde er seyn mag, der jemahls einem Sterblichen erschienen ist vom Anbeginn der Dinge bis auf diesen Tag. Ich trage f ü r Herrn J o h a n n L o c k e und seinen grofsen Grundsatz, nil est in intellectu etc. alle gebührende Achtung. Die Epikuräer und viele andre ehrliche Leute haben ein paar tausend Jahre v o r i h m eben so viel davon gewufst als er. Aber, trotz diesem grofsen Axiom, womit man ( w i e m i t d e m E s k a l i b o r d e s K ö n i g s A r t u s ) auf einmahl so grofse Stücke herunterhauen kann, wird auch von der k l e i WiF-r. A S U S W. XXIV. B. 2 ~
2 tO
UBER
DIE
IDEALE
n e n W e l t i n u n s e r m H i r n k a s t e n ewig wahr bleiben, was Sliakspeares Hamlet v o n Himmel lind Erde sagt: „ E s giebt gar viele Dinge da, w o v o n sich unsre Filosofie nichts träumen läfst." — Es ist eitle M ü h e , alles, Avas in dem geheimnifsvollen Abgrund unsrer sich selbst so wenig bekannten Seele vorgeht, so mechanisch erklären und handgreiflich machen zu w o l l e n , wie man die Bewegung eines Bratenwenders erklaren kann. Ich erinnere mich noch sehr lebhaft, dafs ich als ein Knabe von vierzehn Jahren, und auch schon lange z u v o r , bey äufsern Veranlassungen, die auf tausend andre nichts dergleichen w i r k t e n , Gespenster und Erscheinungen aus der idealischen Welt in meiner Seele sah, die ich mir selbst weder aus Zusammensetzung oder Associazion meiner damahligen Sensazion e n , noch aus irgend einer andern Ursache erklären kann. D e n n K u n s t w ö r L e r , alte oder neu geschmiedete, er k l a r e n n i c h t s .
HEB
G r. I E c FF I s c I I E N
K Ü N S T L E R .
211
A b e r m ü s s e n Avir denn alles erklären w o l len?
und ist es nicht g e n u g , w e n n w i r wis-
sen,
so
ist
die
Sache? —
M a n sage m i r
nicht, das lieifse ohne N o t h die weislich verbannten
ßuahtates
occultos
zurück
berufen;
denn ich w i l l nichts damit erklären;
ich w i l l
nur, dafs m a n nicht durch unzulängliche Dala, und durch Heischesätze, denen man mehr Ausdehnung giebt als sie haben, z u erklären m e i n e was sich nicht des
Genies
erklären ist der
läfst.
fünfte
Der zu
W e g e n , die dem K ö n i g S a l o m o n derlich vorkamen. v. i ß .
19.)
(Sprichw.
Aristoteles
und
Weg
den zu
vier wun-
S a l . Kap. 30. zwanzig
andre
konnten w o h l über die W e r k e H o m e r s
filo-
sofieren; aber keiner v o n ihnen hat uns noch ein Recept geschrieben,
wie
man
eine
Ilias
machen könne, oder uns erklärt, w i e die Ilias in Homers Schädel entstanden ist.
Warum
sollte es m i t dem Jupiter des Fidias nicht eben so s e y n ? Ich habe oben schon, w i e billig, anerkannt, dafs die schöne ( w i e w o h l nicht eben s c h ö n e r e )
210
UBER
DIE
IDEALE
Griechische Natur , und die Gelegenheiten sie mehr zu ihrem Yortheile zu sehen, n o t w e n dig das ihrige zu den schönen Ideen der Griechischen Künstler beygetragen haben müssen. W as ich läugne, ist n u r , dafs dieser Umstand s o v i e l , dafs er a l l e s dabey gethan habe. Denn, that er alles: warum machten die andern Künstler nicht auch so herrliche Werke Avie Fidias? W a r u m gab es unter den Griechischen Bildnern und M a h l e r n , die doch alle dienehmliche Natur um sich hatten, nur einige wenige, deren W e r k e grofse Wirkung thaten? Man wird antworten: es verstehe sich von selbst, dafs der M a n n , der etwas grofses hervorbringen w o l l e , auch die Fähigkeit, die Natur zu empfinden, aufzufassen, ihre mannigfaltigen Schönheiten in seiner Seele zu koncentrieren und wieder in seinen Werken auszustrahlen, in einem hohen Grade haben müsse. Aber da sind w i r wieder in der Region der dunkeln Begriffe, und wissen vom W i e des Fanomens, das erklärt werden soll, gerade so viel als zuvor.
DER
G 1\ t E, r. H I S C H E N
Kt'ITSTlEn.
Soll ich mit aller Bescheidenheit meine Meinung von der Sache sagen? — Die I m a g i n a 7, i o n eines jeden Menschenkindes, und die Imaginazion der D i c h t e r und K ü n s t l e r insonderheit, i s t e i n e d u n k l e W e r k s t a t t g e h e i m e r K r ä f t e , von denen das A b c buch, das man P s y c h o l o g i e n e n n t , gerade so viel erklären kann, als die Monadologie von den Ursachen der Vcgetazion und der Fortpflanzung. Wir sehen Erscheinungen — Veranlassungen — Mittel — aber die wahren U rs a ch en, die K r ä f t e selbst, und w i e sie im Verborgnen wirken, — über diesem allen hängt der heilige Schleier der Natur, den kein Sterblicher je aufgedeckt hat. — „Hättens nicht die beiden kleinen hitzigen Hengste gethan und der Tollbrägen vom Postillion, der sie noch dazu antrieb, der Gedanke wäre mir nicht in den Kopf gekommen. — Er schnaubte daher wie ein Blitz " — sagt T r i s t r a m S h a n d y . 37) Diefs ist die allgemeine Geschichte, wie Dichter, 3 7 ) S. V . T h . ilischen
i . Kap. v o m A n f a n g ,
Ubersetzung.
nach der Bo»
fil f.
Ü B E J\ D I K
I D E A L E
bildende Künstler, Komponisten, und alle das Volk von scharfen behenden Sinnen, und feuerfangender Imagination, zu ihren schönsLen Ideen, ihren glücklichsten Erfindungen kommen. — Eine Veranlassung von innen oder aufsen ist freylich immer da; aber in neunzig Fallen unter hundert möchte ich d e n sehen, der mir erklärte, wie just d i e s e Wirkung aus d i e s e r Veranlassung, d i e s e r vermeinten Ursache entstehen k o n n t e ? entstehen mufste?
a/ f . Indessen läfst sich zuweilen doch wenigstens so viel h i s t o r i s c h begreiflich machen, wie es zugegangen, dafs die Seele des Mannes, der ein aufserordentliches Werk hervorgebracht, in diese ungewöhnliche Begeisterung, Erhitzung und Erhöhung ihrer Kräfte gesetzt worden , worin sie fähig seyn konnte, die Idee zu empfangen , wovon sein Werk die Nachahmung ist. — Und diefs ist, so viel ich weifs, auch der Fall beym Jupiter Olympius des Fidias.
DEE G r i e c h i s c h e n
KÜNSTLER.
215
Ehe ich mich in die Erzählung dieser Umstände einlasse, nuifs ich meine Leser bitten, bey dem Nahmen F i d i a s sich so lebendig als ihnen möglich ist einen M a n n zu denken, der mit dem Genie der Kunst g e b o r e n war — einen M a n n , der in Vergleichung m i t seinen Lehrmeistern e i n G o t t scheinen mufste — der nicht etwa ganz gemächlich von der neunzehnten Stufe zur zwanzigsten hinauf stieg, wozu es freylich nicht viel mehr braucht als dafs man den einen Fufs lüpfe u n d den andern nachziehe; sondern der den gewaltigen R a u m zwischen seinen Vorgängern und dem Gipfel der Kunst m i t zwey oder drey Riesenschritten verschlang — einen M a n n , der ein eben so groiser Architekt als Bildhauer war — der immer nichts als grofse W e r k e u n t e r n o m m e n u n d ausgeführt hatte, und dem es also, v o n Natur und Gewohnheits wegen, zuletzt wie mechanisch werden mufste, alles was er dachte u n d machte g r o f s zu denken u n d zu machen — k u r z , einen M a n n , dem es (wie Q u i n t i l i a n in der o b e n a n g e z o g n e n Stelle sagt) leichter war Götter zu bilden als M e n s c h e n ; u n d der zu allen den W u n d e r n , w o m i t er unter der Staatsverwaltung des Perikles die Stadt Athen verherrlicht hatte, keinen aufserordentlichen Anlauf zu nehmen, u n d u m selbst seine M i n e r v a , den Stolz der Athe-
2l6
U e e ä DIE
Ideale
n e r , hervorzubringen, nur seine gewöhnliche Starke anzuwenden brauchte. Und nun — wenn s o l c h e i n M a n n , von der edelsten Art von R a c h e angeflammt und in der angestrengtesten Eifersucht m i t s i c h s e l b s t , a l l e s e i n e K r ä f t e zus a m m e n n i m m t , ein W e r k zu schaffen, das alle seine vorherigen a u s l ö s e h e , -— welch ein W e r k mufste das werden! Die Athener hatten dem Künstler fiir alle Verdienste, die er sich um ihre Stadt gemacht, der Welt Lohn gegeben. E i n grofser Mann, ein Freund des Perikles, ein Mann, neben dem wenige stehen konnten, ohne um die Hälfte kleiner zu werden, als sie waren wenn sie unter ihres gleichen standen — das alles zu seyn, war freylich in einer so schwankenden D e m o k r a t i e Verbrechens nemig. O O Man mufste aber doch einen V o r w a n d haben. Man stiftete also einen gewissen M e n o n , der unter ihm gearbeitet hatte, auf, ihn öffentlich anzuklagen, dafs er von dem Golde, welches zu der kolossalischen Statue der Minerva gebraucht w orden, etwas unterschlagen habe. Allein bey der Untersuchung zeigte sich, dafs Fidias die Vorsicht gebraucht hatte — u n s c h u l d i g z u s e y n , und dafs gerade so viel Gold an der Statue w a r , als er den Athenern verrechnet
DER
GRIECHISCHEN
KÜNSTLER,
M I
hatte. Diefs setzte seine Feinde in die Verlegenheit, ihm zu einem Staatsverbrechen zu machen, „dafs einer von den Kriegsmánnern i n der A m a z o n e n - S c h l a c h t , die er in halb erhobener Arbeit auf den Schild der Minerva gearbeitet hatte, dem P e r i k l e s , und ein alter kahlköpfiger M a n n , der einen grofsen Stein mit beiden Händen aufhebt, i h m s e l b s t ähnlich sehe," — und weil es ihm hier nicht so leicht war das Gegentheil zu demonstrier e n , so wurde er ohne weiters verurtheilt, ins Gefangnifs g e w o r f e n , u n d vermuthlich einige Zeit darauf — ungefähr aus eben dem Grunde, w a r u m Plato die Dichter aus seiner Republik verbannt — des Landes verwiesen, oder er fand Mittel aus dem Gefangnisse zu entwischen. 38) Kurz, Fidias begab sich nach E l i s , u n d w u r d e Werkmeister des J u p i t e r Olympius. R o 11 i n s Behauptung, dafs er bey diesem erstaunlichen W e r k e die Absicht gehabt habe, Rache an den Athenern auszuüben, u n d ihre Minerva u m den R u h m zu bringen dafs sie das Gröfste sey was die Kunst jemahls hervor3 3 ) D i e f s sagt ein ungenannter Scholiast des tófanes. storben.
Plutarch
sagt,
D a s ist aber,
Aris-
er sey im Gefangnifs
aus verschiedenen
ge-
Gründen,
nicht glaublich. WIELANDS
W.
XXIV.
B.
2 8
IjiiEiv
DIE
IDEALE
gebracht — ist zwar eine blofse V e r m u t h u n g ; d e n n s i e b e r u h t , meines Wissens, a u f k e i11 e m Z e u g n i s s e : aber sie gehört unter die Veiniutliungen, die m a n f ü r so gewifs nehmen kann als ob sie gerichtlich erwiesen w a r e n ; d e n n sie b e r u h t auf der m e n s c h l i chen Natur. So beleidigt, wie Fidias von den Athenern w a r , rächt man sich ganz gewifs Avenn man k a n n ; u n d welche Rache h a u e er nehmen k ö n n e n , die zugleich f ü r ihn selbst ehrenvoller, u n d f ü r die herrschende Leidenschaft der Athener, i h r e E i t e l k e i t , empiindlirher gewesen w ä r e ?
Fidias entwarf also den Plan eines W e r kes, wodurch er alle Meisterstücke seiner Nebenbuhler in der Kunst und seine eignen zu verdunkeln hoffen k o n n t e — d e n V a t e r d e r Götter und der Menschen in seiner Herrlichkeit. Es war ein wahres P o e m a , u n d n u r den Gedanken davon zu fassen brauchte es schon eines so k ü h n e n u n d solcher Kräfte sich bewufsten Geistes wie der seinige. Aber da er seine Hand zur A u s f ü h r u n g ausstreckte, erschrak er vor seinem eignen Gedanken — fühlte dafs er n u r ein Mensch w a r , er der es wagen wollte den K ö n i g d e s H i m m e l s darzustellen — und sein M u t h verliefs ihn einen Augenblick.
DEI\
G R I E C H I S C H E S
H T S S T L E R .
21;)
In welcher Gestalt, mit welchen Zügen, in welcher
Stellung?
dafs jeder der ihn
sähe
schaudernd den gegenwartigen Gott, den Vater und König der Götter, fühlen und erkennen müfste! Seine Seele arbeitete Tag und Nacht an der grofsen Geburt; stieg vom gröfsten der Menschen zum Halbgott — vom Halbgott zum Gott auf — strebte noch höher empor — aber hier — hier sank sie immer wieder. Die Idee des Olympischen Vaters konnte nicht durch A b s t r a k z i o n noch Z u s a m m e n s e t z u n g gebildet werden; erschein e n mufste sie ihm. — Und sie erschien ihm, da er sichs am wenigsten versah, — da er einsL, über den Markt gehend, einen Rhapsodisten das erste Buch der Ilias singen hörte. I m Vorübergehen trafen sein Ohr die drey berühmten und uniibersetzlichen Verse, in welchen Zevs der flehenden Thetis die Gewährung ihrer Bitte mit einem Winke der Augenbraunen und des Hauptes, der den Olymp in seinen Tiefen erzittern macht, bestätiget. — Diese Verse trafen sein Ohr, oder vielmehr sein Innerstes, und siehe! auf einmahl stand die himmlische Erscheinung vor seinem Geist — und man schliefse auf die Vollkommenheit dieser I d e e von der Wirkung die sie, nach
ÜBER
DIE
IDEALE
allem was sie durch ihre Einlenkung in die Materie verlieren mufste, selbst in dem unvollkommenen Nachbilde noch immer auf alle Anschauenden machte! Der grofse Erz - Kritikus, J u l i u s C ä s a r S k a l i g e r , ist mir nirgends kleiner, und in seiner windigen Aufgeblasenheit verächtlicher, als wenn er diese Anekdote 59) lächerlich s,
oder die
haben i h n zum Narren, sagt der kunslrichterliche Julius Cäsar; ich dächte doch, Fidias hätte den Homer nicht dazu gebraucht, um zu wissen dafs Jupiter Augenbraunen und Haarlocken habe." — Was ist einem Menschen zu antworten, der alles innern Sinnes für Geist und Leben so ganz ermangelt? — Von d e m kann man wohl im eigentlichsten Verstände mit E u r i p i d e s sagen, e r v e r s t e h e n i c h t s v o n G ö t t e r s a c h e n . — Freylich halten zehn tausend und zehn tausendmahl zehn tausend Leute diese 3 9 ) Sie gründet sich
zwar nur auf die Erzählung
des Strabo, des Valerius Maximus und bius —
aber, wenn sie auch schlechtere Gewährsmän-
ner hätte, so ist, däucht mich, der innere indelebilis
des MakroCharacter
der Wahrheit in ihr, der diejenigen, wel-
che Augen zu sehen haben, stärker überzeugt als alles Ansehen fremder Zeugen.
o
DER
G R I E C H I S C H E N
KÜNSTLER.
221
nehmlichen Yerse singen gehört, ohne in die Kraft derselben einzugehen, oder — einen Jupiter Olympius zu machen. Aber von allen diesen Myriaden war auch keiner ein Fidias — und ein Fidias, der sich gerade in diesen eigensten Umständen, in diesem Drange der Seele, dieser Empfänglichkeit der Imaginazion befand, -wie E r in dem Augenblicke, da eine solche Wunderkraft aus Homers Genie in den seinigen überging.
OBER
d i j : IDE A I.E
Ü b r i g e n s k a n n ich zur Steuer der Wahrheit nicht umhin, zu erinnern, dafs die grofse "Wirk u n g , welche dieses in der alten Welt so ber ü h m t e Bild auf alle, die es — mit Menschenaugen ansahen, machle, nicht ganz allein der Vollkommenheit des geistigen Urbildes, v o n welchem es abgeformt w o r d e n , beygemessen werden könne. W e n n die Religion selbst (wie Quintilian sagt) durch die Majestät dieses Werkes g e w a n n : so ist nicht weniger zu glauben, dafs das religiöse Gefühl, womit es A'on den meisten angesehen wurde, hinwieder dem W e r k e Vortheil gebracht, u n d einen N i m b u s v o n G ö t t l i c h k e i t darüber hergezogen h a b e , den es, wofern es noch itzt stände, f ü r uns Ungläubige nicht haben würde. Es k o m m t so viel darauf an, in was f ü r einer Stimmung der Seele man ein Ding ansieht! — Auch die kolossalische Gröfse dieses Jupiters, und d a f s ( w e n n es erlaubt ist den Ausdruck eines Sehers des Gottes der Götter h i e r anzu-
DER
GRIECHISCHEN
KÜNSTLER.
225
wenden) s e i n S a u m d e n g a n z e n T e m p e l f ü l l t e — trug unfehlbar nicht wenig bey, den Anschauenden diesen schauervollen Eindruck der unmittelbaren Gegenwart des Gottes zu geben. Aber was diesen Eindruck nothvvendig bis auf den höchsten Grad der Möglichkeit treiben mufste, war diefs: dafs der Olympische Jupiter nicht etwa, wie die gewöhnlichen Bilder der Götter, a l l e i n da stand; sondern dafs er, wie mitten im Olymp, hoch auf seinem Throne sitzend, und umgeben von den übrigen himmlischen Gottheiten (deren Subordinazion unter ihn durch Stellung und verhaltnifsmafsige Gröfse sichtbar wurde) dargestellt war. Auch sogar die trockne Beschreibung, die uns Pausanias (der kälteste unter allen, die jemahls ihren Mund aufgethan haben von Kunstwerken zu sprechen) in seiner flachen Reisebeschreiber-Manier davon hinterlassen hat, ist hinlänglich, jedem Leser, dessen Einbildungskraft nicht eben so frostig ist, einige Ahnung von dem erstaunlichen Effekte zu geben, den das Ganze dieser gewaltigen Komposizion auf den ersten Blick machen mufste. 4°) 40)
Die
flache
Pausanias v o n
Art,
w i e der aufseist unpoetische
allen Hcriliclikeiten
des
Olympischen
Tempels spricht, ist darum kein B e w e i s , dafs er nicht
2 2-f
Üi£R
D1JL I U h A L i .
davon gerührt worden sey. mir ihn vor,
Im Gegentheil ich stelle
w i e er mit weit offnen Augen, seine
Schreibtafel in der Hand, da stand, und gaffte, und vor lauter Erstaunen
nicht wufste w o er anfangen
sollte, und seinem Leibe endlich keinen Rath fand, als alles, Stuck fiir Stück, in der nehmlichen Verwirrung die in seiner Seele herrschte,
aufzuschreiben.
W a s ihn am meisten am ganzen W e r k e geiührt zu haben scheint,
w a r die Kostbarkeit dei Materialien,
die Verschwendung von Gold,
Elfenbein, Ebenholz
und Edelsteinen, der schimmernde Thron u. s. w .
DER
GRIECHISCHEN
KÜNSTLER,
225
2b.
Doch — so wenijro ich auch vielleicht mit allem, was ich bisher über die Ideale der allen Künstler vorgebracht, gesagt haben mag — so viel ich selbst noch darüber zu sagen hätte, oder ein andrer, der des Alterthums und seiner Überbleibsel kundiger ist und Liefer sieht als ich, darüber sagen könnte, — es ist Zeit aufzuhören. Alles lauft am Ende doch in diesen Dingen auf Hypothese, und die besondere Art wie jeder sie sieht, fafst und zusammen stellt, hinaus. Drey oder vier Slatuen, von denen man gewifs wüfste sie seyen aus d e r E p o k e d e s P e r i k l e s , — blofs die N e m e s i s des A g o r a l c r i t o s , 4 1 ) die S o s a n d r a des Ka 1 a-
41 1 Die Geschichte dieser Nemesis liat etwas merkwut'Jioes. ö
Die Athener wollten ein Bild der Yenus
luben, um es in den so genannten G ä l t e n in einem
W l E U M i i W. XXIV. B.
29
LI B E R
DIE
IDEALE
ni i s , 4 2 ) und der A m o r und die V e n u s des P r a x i t e l e s , mit einem einzigen von den vielen Wunderwerken des F i d i a s , würden uns ganz a dre Aufschlüsse geben, als alles was man hzt a priori, oder aus den
Tempel der Venus Urania aufzustellen. ler des T'idias, Alkanienes u n d
Z w e y Schü-
Agorakiitos,
wovon
w a r ,7
der letzte sein Lieblingo arbeiteten in die W e t t e um diesen Preis: die Venus des Anorakritos verdiente o i h n ; aber die Athener, die einem Ausländer diese E i n e nicht g ö n n t e n , erkannten ihn dem Alkainenes, iiirein M i t b ü r g e r , zu.
.Agorakiitos empfand diese Ungerech-
tigkeit so hoch, dafs er sogar nicht mehr leiden konnte, dafs sein W e r k eine Venus heifsen sollte.
E r nannte
sie also N e m e s i s , und verkaufte sie mit der ausdrucklichen Bedingung, dafs sie nie nach Athen gebracht werden sollte.
V a r r o , der gewifs Kenner war, hielt
diese Nemesis f ü r das vollkommenste W e r k der Griechischen Kunst. — D e r U m s t a n d , dafs Fidias die letzte H a n d an die Venus des Alkamenes gelegt h a b e ,
ist
entweder ein Versehen des Plinius oder seiner Kopisten;
es ist
wider alle Wahrscheinlichkeit.
Wenn
Fidias einem von beiden h a l f , so w a r s gewifs dem, der ihm am liebsten war. 4 2 ) Z w e y Stellen L u c i a n s geben uns von dieser Sosandra
eine
diitten der Dialog.
grofse M e i n u n g . Mcret ric.)
D i e eine,
(im
w o die eifersuchtige
DER
noch
GRIECHISCHEM
vorhandenen
aus d e m w a s
alten
uns
schliefsen u n d
ACR
Kunstwerken,
und
die A u t o r e n
davon
vermuthen kann.
Absicht ist e r r e i c h t , Leser
K Ü N S T L E R ,
selbst ü b e r
wenn
—
sagen, Meine
ich einige m e i n e r
die Sache z u
denken ver-
anlafst h a b e ; u n d auch eine g r ü n d l i c h e W i d e r l e g u n g derjenigen v o n
meinen
Behauptungen,
Filinna sich gegen ilnc Mutter über die Auffuhrung ihres Liebhabers beklagt, der, in ihrer Gegenwart und um sie zu ärgern, die Thais wegen der Zierlichkeit ihres Tanzes, und ihres geschickten Ful'ses, und ihrer schönen Knöchel, und wegen tausend andrer Schönheiten ganz ausschweifend erhoben hatte. — „Nicht anders, (sagt s i e ) als ob die Rede von der dra des K a i a m i s
Sosan-
gewesen w ä r e , und nicht von
dieser T h a i s , von der w i r ja beide wissen w a s an ihr ist, da w i r mit ihr baden. " — D i e andre Stelle findet sich in den B i l d e r n , w o er nebst etlichen andern Statuen eben diese Sosandra auswählt,
um aus Zusammensetzung dessen w a s an
jeder das Schönste w a r das Bild seiner Pantliea, oder der vollkommnen Schönheit, zu entwerfen.
Lucian
nimmt von ihr den Ausdruck von holder Scham,
das
leise verborgne Lächeln und die Anständigkeit und ungesuchte Zierde in dem W u r f ihrer Kleidung. ( S . Winkelmanns
Geschichte der Kunst, S. 4Q2, nach
der W i e n e r Ausgabe.)
£28
UB.
D. I D E A L E
D.
GR.
KÜNSTLER.
die ich selbst als problematisch ansehe, würde mir Freude machen. Denn was für ein näheres Interesse haben wir, als unsrer Unwissenheit und Irrthümer entbunden zu werden, und Götter und Menschen in ihren Werken zu sehen wie sie sind?
D I E
PYTHAGORISCHEN FRAUEN.
Pythagoras ist einer von diesen ehrwürdigen Nahmen des Alterthums, die, wie die Nahmen Hermes, Orfeus, Zoroaster, Konfucius u. a. kaum den allerunwissensten gänzlich unbekannt sind; Nahmen, die aus den Fluten der Zeit, während sie von einer Generazion zur andern das Gedächtnifs so vieler Myriaden Menschen vom Erdboden hinweg schwemmt, immer in einerley Höhe empor ragen, und, gleich jenen unzerstörbaren Pyramiden des allen Ägyptens, mit Ehrfurcht angestaunt werden, wiewohl sie langst aufgehört haben zu einigem gemeinnützlichen Gebrauch zu dienen, und die hohe Weisheit, die ihnen einen so allgemeinen und dauernden Ruf verschafft hat, sogar f ü r die gelehrtesten und scharfsinnigsten Neuern zur Hieroglyfe geworden ist. Wie viel man auch immer hiervon auf die bekannte Eigenschaft der Z e i t — gewisse Gegenstande desto mehr in unsrer Einbildung
D I E
P I I H A G O H I S C H E N
FRAUEN.
zu vergröfsern, je weiter sie aus unsern Aueen rucken — schreiben will: so bleibt dochgewifs, dafs ein Ruhm, der sich durch mehr als zwey tausend Jahre an den Nahmen eines Mannes, A on welchem beynahe nichts in die Au"en fallendes übrig ist, so fest angehängt hat, einen grofsen Kai-akter, ungewöhnliche Verdienste, und' einen betrachtlichen Einllufs in seine eigene und die nächst folgenden Zeiten voraussetzt. Dafs diefs auf eine sehr vorzügliche Art von Pythagoras gelte, läfst sich meines Erachtens mit hinlänglichem Grunde behaupten, wiewohl wenige berühmte Personen des Alterthums genannt werden k ö n n e n , deren Geschichte ungewisser, durch Tradizion und Volkssagen mehr entstellt, und in spatern Zeiten durch absichtliche Beyniischung einer Menge unechter Zusätze und legendenmäfsiger Mährchen ärger verfälscht worden wäre als die seinige. In diesem Stücke hat PyLhagoras mit mehr als Einem aufserordentlichen Manne vor und nach ihm einerley Schicksal gehabt: man hat, um ihn zum Werkzeuge von Absichten, die er nie gehabt hatte, zu machen, ein so zwevdeutiges, wunderbares und geheimnifsvolles Wesen aus ihm g e m a c h t , dafs es, bey dem
D I E
PYTHAGORISCHEN
FRAUEN.
233
Abgang hinlänglicher und zuverlässiger Urkunden , beynahe unmöglich ist zu sagen, was er
Avar.
Das gewisseste indessen ist, dafs er, über vierzig Jahre lang, in dem untersten Theile von Iialien, welchen die Griechen d i e g r o f s e H e l l a s nannten, eine wichtige Rolle gespielt hat, und der Stifter einer Schule theoretischer und praktischer Weisheit, oder vielmehr einer merkwürdigen g e h e i m e n Gesellschaft gewesen ist, die sich durch alle Republiken dieses schönen Landes verbreitet, u n d , ihrer kurzen Dauer ungeachtet, noch Jahrhunderte nach ihrer Ausrottung wohlthatige Spuren ihres ehmahligen Daseyns in Italien und Griechenland zurück gelassen hat.
D i e s e Gesellschaft, von welcher Pythagoras die Seele w a r , scheint sich keinen geringem Zweck, als die sittliche und politische Reformazion oder W i e d e r g e b u r t jener gröfsten Theils sehr verderbten Republiken, vorgesteckt gehabt, und zu gewisserer Erzielung eines so WL ELANDS
W.
X X I V . B.
30
¡¡Z L
D I E
P Y T H A I J O R I S C H E K
FRAUEN.
grofsen Zwecks den Anfang damit gemacht zu haben, sicli selbst zu der höchsten moralischen Vollkommenheit auszubilden, deren die menschliche Natur fähig scheint. Man kann der Idee, die man sich von dieser e r s t e n Pythagorischen Gesellschaft oder Ordensverbindung und ihrem Einflufs auf die freven Städte in Grofs-Griechenland zu machen hat, vielleicht keine bessere Grundlage geben, als diese: dafs, selbst lange nachdem sie in ihrer ursprünglichen Gestalt nicht mehr vorhanden war, ein so ungemein vortrefflicher Mann wie A r c h y t a s v o n T a r e n t gleichsam aus ihrer Asche hervor ging; und dafs einer der gröfsten Staatsmänner und Kriegshelden und unstreitig der t u g e n d h a f t e s t e und v o l l k o m m e n s t e M e n s c h , den Griechenland aufzuweisen h a t , E p a m i n o n d a s , die Ausbildung, die ihn dazu machte, von einein unmittelbaren Schuler des Pythagoras, dem Lysis von Tarent, empfangen haLte. Sogar die fabelhafte Sage, die sich in spätem Zeiten entspann und zu einem gemeinen Volksglauben wurde, dafs einige berühmte Gesetzgeber, Z a l e u k u s von Lokri, C h a r o n d a s von Katana, und sogar der Römische König N u m a , die Weisheit, die ihnen einen so grofsen Nahmen gemacht, aus dem Unter-
D I E
P Y T H A G O R T S C H E N
F R A U E N .
rieht des (erst lange nach ihrem Tode gebornen) Pythagoras geschöpft haben sollten, bes t a l l t die Wahrheit dessen was ich von der grofsen Einwirkung des Pythagorischen Ordens auf seine Zeitgenossen behauptet habe; denn sie beweiset, nach einer sehr richtigen Bemerkung des C i c e r o , wie grofs der Nähme der rythagoräer und der Ruf ihres Instituts in Italien gewesen seyn müsse, da die spatern Römer, die aus den Erzählungen ihrer Voraltern sich von der "Weisheit und den Tugenden ihres Königs Numa den gröfsten Begriff machten , bey ihrer Unwissenheit in der Zeitrechnung nicht anders denken konnlcn, als, ein Mann, der alle seine Zeitgenossen an Weisheit übertraf, müsse ein Schüler des Pythagoras gewesen seyn.
Pythagoras war der erste öffentliche Volkslehrer und Sittenprediger unter den Griechen, und man schreibt seinen Predigten Wirkungen zu, deren sich schwerlich irgend ein neuerer Bufs-
256
DIE
PTTHAGORISCHEN
F R A U EX.
prediger rühmen kann. Als er nach K r o t o n O kam, sagt J u s t i n us, 2 ) fand er die Einwohner in Üppigkeit, Wollust und Hoffart versunken. — Ein gewöhnlicher Mensch , wie schon er auch immer sprechen könnte, würde solchen Leuten die Frugalilat lange vergebens anprei-
1) K r o t o n ,
oder K r o t o ,
(jetzt K o t e o n e ,
eine
k l e i n e S t a d t i n K a l a b r i a U l t r a ) w a r damahls eine der grölsten, Italien.
schönsten
u n d v o l k r e i c h s t e n Städte in g a n z
V o r z ü g l i c h r ü h m t e m a n die G e s u n d h e i t ihrer
L a g e u n d L u f t ( d i e z u dem S p r i c h w o i t , als K r o t o n , wohner
an
köiperlicher
Stärke
in den g y m n a s t i s c h e n Ü b u n g e n . ten e i n e
Gesunder
A n l a f s g a b ) und die V o i z u g e ilirr-i E i n -
so g r o f s e M e n g e
Sieger
und
Geschicklichkeit
W e n i g Städte konnin d e n
öffentlichen
K n m p f s p i e l e n z u O l y m p i a u. s. w . a u f w e i s e n ; und man pflegte
daher
zu
sagen,
(doch
vermuthlich
nur
/u
K i o t o n s e l b s t ) der letzte u n t e r den K r o t o n e r n ist n o c h i m m e r der erste u n t e r den u b i i g e n G r i e c h e n . 2 ) I m v i e r t e n K a p i t e l des z w a n z i g s t e n B u c h s seinei Auszuge
aus
einem
grofsen
historischen
Werke
des
T r o g us P o m p e j u s , der z u C ä s a r A u g u s t u s Z e i t e n lebte. Porfyiius
in s e i n e m
Roman
von
Pythagoras
beruft sich,
dieser f a s t u n g l a u b l i c h e n
Sittenverbesse-
r u n g der K r o t o n e r w e g e n , a u f das Z e u g n i f s des D i k äa r c h u s v o n M e s s i n a , eines b e r ü h m t e n
Schriftstellers
aus der A r i s t o t e l i s c h e n S c h u l e , w e l c h e n C i c e r o Lieblingsautor
( D e L i c i a s suas)
nennt.
seinen
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sen: aber Pythagoras, dem zu seiner hohen Weisheit und allen seinen übrigen Gaben noch eine seltne Schönheit und eine majestätische Gestalt zu Statten k a m , wufste sich Eingang zu veischaffen; und kurz, er liefs nicht nach, bis er eine so Ogrofse und allgemeine moralische BeO kehrung in dieser reichen und üppigen Stadt zuwege brachte, dafs „man sich gar nicht vorstellen konnte, die Krotoner, die man jetzt sah, hätten jemahls die Wollüstlinge seyn können, die sie ehemahls w a r e n . " — Der Apostel der Weisheit erleichterte sich dieses grofse W e r k nicht wenig dadurch, dafs er sowohl die männliche Jugend als die jungen Frauen b e s o n d e r s in die Kur nahm, und jedem Theile seine eigenen Tugenden und Pflichten so nachdrücklich ans Herz legte, dafs ein wahrer Wetteifer unter ihnen entstand, wer es dem andern darin zuvor thun möchte. Die Jünglinge wurden Muster der Sittsamkeit, und legten sich mit einem zu Kroton nie erhörten Fleifs auf Filosofie und schöne Wissenschaften: und die jungen Frauen (wird man es auch dem ehrlichen Trogus glaub e n ? ) „trugen alle ihre goldgestickten Kleider, Juwelen, Halsketten, Armbänder u. s. w. in den Tempel der Juno, legten sie der Göttin als ein Opfer der häuslichen Tugend zu Füfsen, und gaben zu erkennen, dafs Zucht und Keuschheit, nicht schimmernder Putz, die wahre Zierde ihres Geschlechtes s e y . "
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W e n n v i r auch, wie billig, der Obermacht des Pvthagorisclien Genius über die Seelen der J D
Krotoner nicht die ganze ausgedehnLe Wirkung zutrauen, die ihr Justins Erzählung zu geben scheint; wenn wir annehmen, dafs die jungen Frauen und edeln Matronen, die er gewonnen habe, ihren Mitbürgerinnen ein so schönes Beyspiel zu geben, bey weitem den kleinem Theil des schöncn Geschlechtes zu Kroton ausgemacht haben dürften: so bleibt diese Anekdote noch immer eines der rühmlichsten Denkmähler dessen, was die Weisheit über die zarten Seelen der sanfLern Hälfte des Menschengeschlechtes vermag, und die Geschichte hat einige ähnliche, aber wenig grofsere Triumfe der weiblichen Tugend aufzuweisen.
4Pythagoras hatte also auch J ü n g e r i n n e n , und unter diesen sogar mehrere, die zu seinem geheimen Unterricht zugelassen wurden, und als P y t h a g o r h e r i n n e n , in der engern Bedeutung des Wortes, hier und da von den Alten erwähnt werden. Ich weifs nicht, wie
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P I THACORISCHEN
FRAUEN.
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viel wir an des Athenischen Geschichtschreibers F i l o c h o r u s Verzeichnisse der H e r o i d e n oder P y t h a g o r i s c h e n F r a u e n verloren haben: wenig, wenn er sich auf einen blofsen Katalogen eingeschränkt hätte; viel, wenn er (wie aus der Benennung H e l d i n n e n zu vermuthen ist) Züge und Anekdoten aus ihrem Leben angeführt h a t , welche diesen erhabenen Nahmen rechtfertigen. Jamblie h u s , ein anderer romantischer Biograf des Pythagoras, der uns fünfzehn Filosofinnen aus der Schule dieses Weisen vorzählt, meldet nur von einer einzigen, die er T i m y c h a n e n n t , einen solchen heroischen Z u g ; aber das Ganze sieht einem übel zusammen hangenden Mährchen zu ähnlich, um selbst in dem Munde eines weit zuverlässigem Erzählers als Jamblichus ist Glauben zu verdienen. Um indessen nicht etwa bey meinen Leserinnen in den Verdacht zu k o m m e n , als ob ich ihr Geschlecht ohne zureichende Ursache einer H e l d i n berauben wolle, will ich ihm dieses Geschichtchen aus dem ein und dreyfsigsten Kapitel seines Lebens des Pythagoras nacherzählen. — Der Tyrann Dionysius von Syrakus (sagt er) kam auf den Einfall, einigen in den Pythagorischen Mysterien eingeweihten Personen, die zu gewissen Zeiten von Tarent nach Megapontum zu reisen pflegten, durch
2 ,j O Dil'. PYTHAGOR ISCHEN FkACEX, eine überlegene Anzahl Syrakuser aufpassen und die guten Leute mit Gewalt entfuhren zu lassen. Sein eigener Schwager E u r y m e n e s schämte sich nicht, sich zu diesem hafslichen Auftrage gebrauchen zu lassen. Er legte sich mit dreyfsig wohl bewaffneten Kriegsknechten in einen Hohlweg, den die Pythagoraer nothwendig passieren mufsten; und als diese, ungefähr zehen Personen stark, in ihrer Unschuld daher zogen, fiel er unversehens mit grofsem Geschrey über sie her. Die guten Leute, •wiewohl unbewaffnet, schlugen sich dennoch, wie es dem Pythagorischen Orderismuth geziemte, eine gute Weile mit den dreyfsig Soldaten h e r u m ; endlich aber, wie sie zu merken anfingen dafs die Parlie gar zu ungleich sey, g l a u b t e n sie der l u g e n d n i c h t s zu v e r g e b e n , wenn sie sich mit der Flucht zu retten suchten. Denn (sagt der weise Jamblichus) die gesunde Vernunft lehrt, dafs die Tapferkeit darin besteht, dafs man wisse, wann und wo man fliehen, und wann und wo man ausdauern soll. Sie würden auch, da sie leicht zu Fufs, die ihnen nachsetzenden Feinde hingegen schwer bewaffnet waren, glücklich entkommen seyn, wenn sie nicht auf der Flucht an ein grofses Bohnenf e l d , das bereits voller Schoten war, gerathen waren. Da ihnen nun das Pythagorische D o g m a nicht erlaubte, e i n e B o h n e
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a u c h n u r a n z u r ü h r e n , so blieben sie auf einmahl stehen, wehrten sich noch mit Steinen und Knitteln und allem was ihnen vor die Hand kam, so lange sie konnten, und liefsen sich zuletzt alle zusammen lieber todt schlagen, als dafs sie sich ergeben hätten. Eurymenes, sehr mifsmüthig darüber, dafs er auch nicht mit einem einzigen lebendigen Pythagoraer vor dem Tyrannen erscheinen sollte, liefs die Erschlagenen begraben, r i c h t e t e i h n e n e i n ] I e l d en d e n l c m a h l a u f , und zog mifsmüthig nach Hause. Unterwegs stiefs er auf einen andern Pythagoraer, M y l l i a s von Kroton, der mit seiiier i m zehnten Monat schwanger gehenden Ehegattin T i m y c h a von den ubrigen zurück gelassen worden war, weil die gute Frau, ihrer Bürde wegen, nicht gleichen Schritt mit ihnen halten konnte. Sogleich lafst sie der edle Eurymenes l e b e n d i g g e f a n g e n n e h m e n , tragt unterwegs grofse Sorge dafs ihnen nichts abgehe, und langt endlich wohlbehalten bey dem Tyrannen an. Dieser lafst sich den ganzen Hergang erzählen, bezeigt sich sehr betrübt darüber, und verspricht dem Pythagorischen Ehepaar, dafs er sie vor allen andern in hohen Ehren halten würde, w e n n s i e m i t i h t n r e g i e r e n w o l l t e n . Da aber Myllias und Timycha sich zu nichts verstehen wollten, fuhr D i o n y s i u s f o r t : Antwortet mir wenigstens nur auf eine 31 W l U i M i s W. XXIV. B.
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einzige F r a g e , so will ich euch unversehrt, und mit einer ehrenvollen Begleitung wieder nach Hause schicken. Was war die Ursache, Myllias, warum deine Freunde lieber sterben als durch ein Bohnenfeld entfliehen wollten'{ S i e , versetzte Myllias, wölken lieber sterben als auf Bohnen treLen: und i c h will lieber sterben , als dir die Ursache sagen, w a r u m wir auf keine Bohnen treten. Dionysius, dessen Neugier durch diese Anlwort aufs höchste stieg, liefs den Pythagoraer sogleich mit Gewalt wegführen, und befahl Torlur-Instrumente herbey zu bringen und die Timycha zu foltern, in Hoffnung, eine schwangere und der Unterstützung ihres Mannes beraubte Frau würde durch die Furcht der Marler leicht dahin zu bringen seyn, ihm das Geheimnifs zu entdecken. Aber die heldenmülhige F r a u , ohne sich lange zu bedenken, bifs sich selbst die Zunge ab und spie sie dem Tyrannen ins Gesicht, um ihm zu zeigen, Avenn auch die zär!ere weibliche Natur durch die Folter gezwungen werden könnte, etwas, das sie zu verschweigen schuldig sey, zu verralhen, so habe sie doch Muth genug, sich selbst des dazu erforderlichen Organs zu berauben, und ihr Geheimnifs dadurch in Sicherheit zu setzen. — Was man auch von dieser Erzählung halten mag, so daucht mich, Beyspiele einer weniger
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FKAI;EX.
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ungewöhnlichen Starke der Seele, Beispiele dei Mafsigung, der Selbstverleugnung, der Geduld, und der Standhaftigkeit in Gelegenheiten, die im gemeinen und hauslichen Leben häufig genug vorkommen, wurden den Pylhagorischen Frauen eben so viel Ehre gemacht haben, und f ü r den grofsern Theil ihres Geschlechtes zur Aufmunterung und Nachfolge dienlicher gewesen seyn, als dieses Beyspiel eines beynahe unnatürlichen Heroismus. Manche der Welt unbekannte Frau übL in dem en«;en Kreise ihres hauslichen Lebens unscheinbare Tugenden aus, zu welchen oft ein höherer Grad von Starke des Gemüths erfordert wird, als derjenige ist, womit auf dem grofsen Schauplatze der W e l t die Thalen gctlian werden, welche die Bewunderung der Menge erregen und die Federn der Geschichtschreiber beschiiftigen! Und beruht nicht gröfsten Theils auf jenen unscheinbaren Tugenden das Wohl der Familien, so wie auf diesen der Wohlstand des Staats? Pythagoras scheint mir — so viel ich aus den wenigen echten Überbleibseln seiner Filosolie und den beynahe ganz verloschnen Spuren seiner Lebensgeschichte schliefsen kann —• über alles dieses gedacht zu haben, wie derjenige denken mufs, der sich zum sittlichen Arzt verderbter Menschen und Staaten berufen f ü h l t ; und wenn auch das Wenige, was uns Justinus von seiner zu Kroton bewirkten Sitten-
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Verbesserung erzählt, das Einzige wäre was w i r v o n ihm w ù f s t e n , so wäre es genug uns z u überzeugen, dafs seine Filosofie nicht auf Schwärmerey, oder täuschende Gaukelkünste, ( w i e v i e l e , die ihre Meinung von ihm auf die. Autorität eines Porfyrius, Jamblichus und ihres gleichen stützen, von ihm urtheilen) sondern auf richtige u n d wahre Schätzung der menschlichen Dinge gegründet war.
5U n t e r den Pythagorischen Frauen scheint T h e a n o , die Gemahlin des Pythagoras, noch m e h r durch ihre persönlichen Vorzüge, als das Ansehen, welches ihr diese Verbindung m i t dem Haupte des Ordens gab, die erste u n d merkwürdigste gewesen zu seyn. Aber eben das Schicksal, das die ganze Pythagorische Gesellschaft nebst ihrem Stifter betroffen hat, hat uns der Mittel beraubt, auch mit dieser merkwürdigen Frau genauer bekannt zu werden. Etliche Briefe an F r e u n d i n n e n , die unter ihrem N a h m e n g e h e n , u n d einige einzelne
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PYTHACORIS
eins
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Züge, die uns von verschiedenen alten Schriftstellern aufbehalten worden, sind alles was den Menschenkenner in den Stand setzen kann, sich einige Vorstellung von ihrem Geist und Karakter zu machen. T h e a n o war, der wahrscheinlichsten Meinung zu Folge, die Tochter eines Krotoners: und ich glaube mich nicht irren zu können, wenn ich ihre Verbindung mit dem liebenswürdigen Weisen für eine Folge der enthusiastischen Hochachtung halte, die er sich unter den Einwohnern von Kroton erworben hatte. Denn es ist auf keine Weise wahrscheinlich, dafs • er vor seiner Niederlassung in GrofsGriechenland, d. i. in der ersten Hälfte seines Lebens, die er gröfsten Theils auf seine Reisen und seinen Aufenthalt in Ägypten verwendet hatte, schon vermahlt gewesen seyn sollte. Die Person, in welcher ein Pythagoras seine Hälfte erkannte, und die er so sehr liebte, dafs er von einem gewissen erotischen Dichter, H e r m e s i a n a x , (aus dessen verliebten Elegien an die berühmte H e t ä r e L e o n l i u m uns Athenäus ein ziemlich grofses Stück aufbehalten hat) beschuldigt w i r d , rasend in sie verliebt gewesen zu seyn, — diese Person mufs u m so gewisser alle Vorzüge und Tugenden ihres Geschlechtes in sich vereiniget haben, als es selbst für den Erfolg seines ganzen Instituts
24G
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PYTHAGOHISCHEK
FRAUEN.
•wesentlich w a r , dafs die Gemahlin desjenigen, der die Sitten einer ganzen Nazion verbessern wollte, würdig wäre, im Karakter einer Ehegattin und Mutter allen Frauen zum Voibild aufgestellt zu werden, ja selbst sowohl die Theilnehmerin seiner geheimsten Gedanken und Entwürfe als die Gehulfin ihrer Ausführung zu seyn. W i r befinden uns, wie gesagt, mit dieser Frau, welche aller Wahrscheinlichkeit nach eine der vorzüglichsten Personen ihres Geschlechtes war, in dem Fall eines Künstlers, der aus dem Bruchstuck eines Armes oder Fufses, einem Finger und einem zerstiimmelten Kopfe, die Bildsäule der Juno oder Venus eines Polyklet wieder herstellen sollte. Diefs zu versuchen ist hier meine Absicht nichL; ich begnüge mich meinen Leserinnen (denn für L e s e r i n n e n ist der gegenwärtige Aufsatz eigentlich bestimmt) diese Bruchstücke vorzulegen , w i e s i e zu uns gekommen sind; nicht zweifelnd, i h r e a n g e b o r n e D i v i n a z i o n s k r a f t werde sie daraus eben so gut, und vielleicht noch sicher e r , auf die ursprüngliche Schönheit des durch die Zeit zerstörten Götterbildes schliefsen lassen, als das Auge der Liebe aus dem zufallig entdeckten Anfang eines zierlichen Fufses oder der leisen Verrätherey einer unvermerkt gesprungnen Stecknadel die schönen Formen ahndet, woraus
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PYTHAGOKISCHEN
FRAUEN.
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Gewohnheit und konvenzioneller Wohlstand unter gesitteten Völkern weislich ein Geheimnifs macht.
ü. Ich fange mit den gröfsern Stücken, und also mit den B r i e t e n d e r T h e a n o a n , -welche der berühmte A l d u s M a n u z i u s , in seiner mit Hülfe des gelehrten Griechen M a r k u s M u s u r u s zu Stande gebrachten Sammlung v o n Briefen verschiedener Griechischen Filosofen, Redner, Dichter, und anderer berühmter Personen, zu Venedig im Jahre 1 4 9 9 zuerst durch den Druck bekannt gemacht hat. Die Frage, was von der Echtheit dieser Biiefe zu halten sey, ( w o i ü b e r die Meinungen der Gelehrten vermuthlich immer gelheilt bleiben werden) k a n n , bey Ermanglung zureichender Entscheidungsaründe, durch keine andere als i n n e r e Kennzeichen ausgemacht -werden; und am Ende w i r d wohl immer bey jedem gelehrten Leser ein gewisses Gefühl, das sich schwerlich ganz in deutliche Begriffe auf-
2,-F-O
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lösen läfst, den Ausschlag geben müssen. Wenn ich dem meinigen trauen darf, so finde ich in den drey Briefen, die ich meinen Leserinnen vorlege, nichts, was Verdacht bey mir erweckte, dafs sie nicht von einer Frau, und von einer Frau, wie ich mir die Gemahlin des Pythagoras vorstelle, geschrieben seyn könnten: im Gegentheil ich finde ihnen einen so sichtbaren Karakter von kunstloser weiblicher Einfalt im Styl, und von Pythagorischem Geiste in Gedanken und Vorstellungsart eingedrückt, dafs ich — ungeachtet aller Vermuthungen, welche die Aldinische Briefsammlung gegen sich hat — an ihrer Echtheit nicht zweifeln mag. —- Ober die Frage, ob diese Briefe nicht einer andern j u n g e m T h c a n o zuzuschreiben seyen, werde ich meine Meinung in der Folge s.igen. Zuerst also die Briefe selbst.
T h e a n o a n E u b u 1 a. Ich höre du ziehest deine Kinder gar zu zärtlich auf. Dein Wille ist, eine g u t e M u t t e r zu seyn: aber, meine Freundin, die erste Pflicht einer guten Mutter ist, nicht sowohl dafür zu
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PYTHAGORISCHEN
FRAUEN.
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sorgen, dafs sie ihren Kindern angenehme Empfindungen verschaffe, als sie so früh als möglich an das was die Grundlage jeder Tugend ist, an Mäfsigung und Bezähmung der sinnlichen Begierden, zu gewöhnen. D u hast dich also wohl vorzusehen, dafs die liebende Mutter nicht die Rolle einer Schmeichlerin bey ihnen spiele. Kinder, die von ihrem zartesten Alter an wollüstig erzogen sind, müssen nothwendig unvermögend werden, dem Reitz der Sinnenlust, der so machtig auf sie wirkt, jemahls widerstehen zu können. Es ist demnach Pflicht, meine Liebe, sie so zu erziehen, dafs ihre Natur keine verkehrte Richtung bek o m m e ; welches geschieht, wenn die Liebe zum Vergnügen in ihrer Seele die Oberhand gewinnt, und ihr Körper gewöhnt wird immer angenehme Gefühle zu verlangen, folglich d i e s e r übermäfsig weichlich und reitzbar, j e n e eine Feindin aller Arbeit und Anstrengung werden mufs. Daher ist nichts nöthiger, als dafs wir unsre Zöglinge in demjenigen am meisten üben, wovor sie sich am meisten scheuen, wenn sie gleich traurige Gesichter dazu machen und ihnen wehe dabey geschieht: es giebt kein besseres Mittel, zu machen, dafs sie, anstatt Sklaven ihrer Leidenschaften und eben so verdrossen zur Arbeit als nach Wollust gierig zu werden, eine frühzeitige Hochachtung für das was s c h ö n und edel ist bekommen, W u i A S D i w. XXIV". B. 32
2JO
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FRAUEN.
und jener sich enthalten, diesem sich ergeben lernen.
hingegen
Also, liebe Freundin, wenn du deine Kinder gar zu überflussig und köstlich nährst; vielen Aufwand machst, um ihnen bald dieses bald jenes Vergnügen zu verschaffen; sie immer spielen und Muthwillen treiben lassest; ihnen gestattest alles zu sagen und zu beginnen, was ihnen einfallt; immer befurchtest das liebe Kind möchte weinen, und dir Mühe giebst es lachen zu machen; lachst und deine Freude daran hast, wenn es nach seiner Wärteiin schlagt oder dir selbst garstige Nahmen giebl; ferner, wenn du so grofse Sorge trägst, die Kinder im Sommer immer kühl, im Winter zu immer recht warm und weich zugedeckt 1 C
halten: so erlaube mir zu sagen, dafs d u s e h r unrecht daran thust. Siehst du nicht, dafs armer Leute Kinder, die von diesem allen nichts wissen, dem ungeachtet leichter aufkommen, wachsen und gedeihen, und sich überhaupt weit besser befinden? Du hingegen ziehst deine Söhne wie lauter kleine S a r d a n a p a le-n a u f , und giebst ihrer männlichen jSatur durch diese Verzärtelung einen Knick, wovon sie sich nie wieder erhohlen kann. Ich bitte dich, was soll aus einem Knaben werden, der, wenn er nicht den Moment zu essen krie°t. weint? wenn er essen soll, immer nur das
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PYTHAGORISCHEN
FRAUEN.
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leckerhafteste verlangt? wenns heifs ist, gleich vergehen will, wenns kalt ist, schlottert? w e n n ihm etwas verwiesen w i r d , v i d e r b e l l t lind Recht haben will? w e n n man i h m nicht alles giebt was er verlangt, das Maul hängen lafst? w e n n er nicht immer geatzt w i r d , sich erbofst? — Was kann aus solchen verzärtelten K i n d e r n , w e n n sie zu männlichen J a h r e n k o m m e n , anders w e r d e n , als elende Sklaven ihr eigenen u n d fremder Leidenschaften? Mache dir also eine ernstliche Angelegenheit daraus, liebe F r e u n d i n , eine ganzliche Reform mit deiner Kinderzucht vorzunehmen, u n d anstatt dieser weichlichen eine strenge Erziehung in deinem Hause einzuführen. Lafs sie Hunger u n d D u r s t , Hitze u n d Kalte ausstehen l e r n e n , u n d gewöhne sie mit Geduld zu ertragen, w e n n sie von andern ihres Alters oder von ihren Vorgesetzten beschämt werden. — D e n n Abhärtung, Arbeit u n d Erduld u n g körperlichen Ungemachs sind f ü r junge Gemüther, was das Alaunwasser f ü r die Zeuge, die man in P u r p u r färben w i l l : je stärker sie damit getränkt worden sind, desto tiefer dringt die Farbe der Tugend ein, desto schöner, feuriger u n d dauerhafter wird sie. 3) Siehe also 3)
Die
Munde
Schicklichkeit
der Theano
dieses
Gleichnifsbildes
im
fällt desto mehr in die A u g e n ,
S52
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PYTHAGORISCHEN
FRAUEN.
z u , meine Liebe, dafs es deinen Kindern nicht ergehe, wie den Reben, die, von schlechten Säften genährt, nothwendig schlechte Trauben tragen; oder, wie sollte eine üppige und weichliche Erziehung bessere Früchte bringen können, als Leichtfertigkeit, Übermuth, und das Gegentheil von jeder Eigenschaft, wodurch ein Mensch sich selbst und andern nützlich ist?
Theano
an
Nikostrata.
Auch m i r , liebe Freundin, ist zu Ohren gek o m m e n , was von deinem Manne verlautet, der, wie es heifst, die Thorheil hat sich eine H e t ä r e 4 ) zu halten: aber mir isi leid, dafs wenn man w e i f s , dafs das Färben bey den Griechen unter die weiblichen häuslichen Geschäfte gehörte. 4.1
Ich bin genöthiget,
dieses gewisser Mafsen
unübersetzbaren Wortes wegen, mich auf meine erste Anmerkung zu den H e t ä r e n g e s p r ä ch e n im dritten Thcile L u c i a n s
zu beziehen.
Zwar hätte ich
h i e r statt Hetäre das W o r t M ä t r e s s e
gebrauchen
können: aber ist das eine nicht eben so wenig Deutsch als das andre?
D i e Hetären sind eigentlich so gut auf
DIE
PYTHAGORISCHEN
FRAUEN.
253
ich zugleich hören mufs, D u seyest schwach genug, eifersüchtig darüber zu seyn. Was deinen Gemahl betrifft, so kenne ich der Männer nur zu viele, die mit seiner Krankheit behaftet sind. Die armen Leute lassen sich, wie dumme Vögel, durch die Lockungen dieser Geschöpfe fangen; sie scheinen von dem Augenblick an, da sie ins Garn eingegangen sind, alle Besinnung verloren zu haben, und verdienen in dieser Rücksicht mehr Mitleiden als Unwillen. D u hingegen überlässest dich Tag und Nacht einer unmäfsigen Traurigkeit und Verzweiflung, und beschäftigst dich mit nichts, als wie du ihn beunruhigen und ihm den Genufs seiner neuen Liebschaft verkümmern wollest. Das solltest du n i c h t thun, meine Liebe! Die Tugend einer Ehefrau ist nicht, ihren Mann zu belauern und zu hüten, sondern sich in ihn zu schicken; und diefs thut sie, wenn sie seine Thorheiten mit Geduld ertragt. Zudem sieht er in seiner Hetäre blofs eine Person bey der er Vergnügen sucht, in seiner Frau hingegen eine Gattin die einerley Interesse mit ihm hat. Euer gemeinschaftliches Interesse aber ist, Übel nicht mit Übeln zu häufen; und wenn E r ein Thor ist, so ist Griechischem
Boden
gewachsen
wie
die
Filosofen:
w a r u m soll man also jenen ihren ursprünglichen u n d eigenen N a h m e n nicht eben sowohl lassen als diesen?
254.
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F R A U E N .
diefs kein Grund, dafs D u darum eine Thörin seyn mufst. Es giebt Leidenschaften , meine Freundin, die durch Vorwürfe nur mehr gereitzt, durch Schweigen und Geduld hingegen desto eher o gehoben werden: wie man zu sagen c pflegt, ein Feuer, das man ruhig brennen lasse, erlösche von sich selbst. 5) Eine F i a u , die ihrem Manne, wenn er seine Untreue vor ihr zu verbergen sucht, Vorwürfe macht, zieht die Decke weg, hinter welcher er heimlich zu sündigen hoffte; und was gewinnt sie damit? E r sündigt fort und lafst sie zusehen. W e n n du dir von mir raLhen lassen willst, Liebe, so denke nicht, seine Zuneigung zu dir sey nothwendig an die Unslraflichkeit seiner SiLten gebunden. Betrachte die Sache in einem andern Lichte. D e n k e , dafs deine Verbindung mit ihm eine Gemeinschaft für das ganze Leben ist, — dafs er zu seiner Hetäre nii. geht, weil er gerade nichts klügeres zu thun weifs, und sich die lange Weile bey ihr zu vertreiben hofft, — und dafs er immer wieder zu D i r zurück k o m m t , weil er mit keiner andern 5 ) Die Griechen in den Asiatischen Städten waren von diesem Axiom so uberzeugt,
dafs sie gar keine
Feueranstalten hatten, sondern ganz gelassen zusahen, wenn ihre Häuser und ihre vornehmsten Gebäude gelegentlich abbrannten. Pari.
III.
p.
58.
Recherch.esPhil,
sur les Grecs,
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FRAUEN.
£55
als dir zu leben wünscht. D i c h liebt er wenn die Vernunft Herr über ihn ist, j e n e aus Leidenschaft; aber die Leidenschaft dauert eine kurze Zeit, man wird ihrer bald satt, und sie \ ergeht eben so schnell wieder als sie entstanden ist. Ein Mann müfste ein ausgemachter Taugenichts seyn, den eine Hetäre auf lange Zeit fesseln könnte. Denn was ist thörichter als ein Genufs, wodurch w ir uns selbst Unrecht thun ? E s wird nicht lange anstehen, so wird er merken, welchen Schaden er seinem Vermögen und guten Nahmen dadurch zufügt. Kein Mensch, der seinen Verstand nicht gänzlich verloren hat, läuft mit sehenden Augen in sein Verderben. Sey also versichert, das Recht, das du an ihn hast, wird ihn dir zurück bringen. Er wird einsehen, wie nachtheilig eine solche Lebensart seinem Hauswesen ist; er wird die Schmach der allgemeinen Mifsbilligung nicht länger ertragen können; sein Gefühl für dich wird wieder erwachen, und er wird bald wieder anderes Sinnes werden. D u Hingegen, liebe Freundin, anstatt dich mit einer Hetäre messen zu wollen, zeige den grofsen Unterschied zwischen dir und einer solchen Dirne durch anständiges Betragen gegen deinen Mann, sorgfältige Führung deines Hauswesens, gutes Vernehmen mit deinen Bekannten, und wahre Mutterliebe zu deinen Kindern.
£¡56
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Erweise diesem Geschöpfe die Ehre nicht, mit ihr zu eifern. Denn n u r mit tugendhaften Personen zu eifern ist schön. Deinem Manne hingegen zeige dich immer zur Aussöhnung bereit. Ein edles Betragen gewinnt uns endlich sogar das Herz unsrer Feinde, und die Tugend, aber auch Sie allein, erwirbt uns die allgemeine Achtung. Durch sie kann eine Frau in gewissem Sinne über ihren Mann selbst Gewalt bekommen, und er wird immer lieber von einem solchen Weibe hochgeschätzt, als gleich einem Feinde belauert seyn wollen. Je mehr Achtung du ihm zeigst, desto beschämter wird er werden, desto eher sich mit dir auszusöhnen verlangen, und dich dann u m so stärker und zärtlicher lieben, wenn er, durch Betrachtung deiner untadeligen Aufführung und deiner Liebe zu i h m , zu einem so viel lebhafteren Gefühl seines Unrechts gegen dich gebracht worden ist. Euer Glück wird dann dieser kurzen Unterbrechung wegen nur desto gröfser seyn. Denn so wie nach einer überstandenen Krankheit nichts süfseres ist als das erste Gefühl der wiederkehrenden Gesundheit, so enden sich auch die Mifshelligkeiten unter Freunden in einer desto innigem Gemüthsvereinigung — Nun, meine Freundin, stelle diesem Rath die Eingebungen der Leidenschaft entgegen!
Die
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Fbaueií.
257
Diese rathet dir, weil E r krank ist, sollst D u dich durch Gram und üble Laune ebenfalls krank machen; weil E r gegen die Rechtschaffenheit sündigt, sollst D u wenigstens gegen die Anständigkeit sündigen; weil E r seinem Vermögen und Kredit Schaden zufugt, sollst D u das deinige auch dazu beytragen, indem du dich über ihn hinauf zu setzen scheinst, und dein Interesse von dem seinigen absonderst, Du glaubst i h n zu züchtigen, und strafst d i c h s e l b s t . D e n n , sage m i r , wie willst du dich an ihm rächen? Etwa dich von ihm scheiden? So wirst du, weil du doch noch viel zu jung bist verwittwet zu bleiben, es v ieder mit einem andern Manne versuchen, und, wenn dieser in den nehmlichen Fehler fallt, wieder mit einem andern •— oder dich entschliefsen müssen, dein Leben ledig und einsam zuzubringen. — Oder willst du dich nicht mehr um deine Haushaltung bekümmern, und, indem du alles drüber und drunter gehen lassest, deinen Mann zu Grunde richten? Würdest du dich dadurch nicht selbst zugleich mit ihm unglücklich und elend gemacht haben? — Du drohest der Hetäre mit deiner 6 ) Es ist nicht zu läugnen, dais der Gedanke, o h n e Mann
zu
leben,
erschreckliches
war.
fiir Griechische
Frauen
Diese Vorstellung
etwas
also muíste
¡lue Wiikung thun. W l t l A S D S
W.
XXIV.
B.
>r.
2 58
Iii
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Fl',AUl,K.
Rache? Sie w i r d sich vor dir in Aclit z u nehm e n wissen; und wolltest du es bis zu einem persönlichen Angriff treiben, so rechne darauf, dafs ein Weib, die der Scham entsagt hat, streitbar ist. — Haltst du es f ü r etwas schönes, alle Tage mit deinem Manne in Zank u n d Hader zu gerathen, so bedenke, dafs alles Keifen und Schelten seinen Ausschweifungen kein Ziel setzt, sondern blofs euere Zwietracht i m m e r unheilbarer macht. Oder w i e ? solltest du etwa gar m i t Anschlägen gegen seine Person umgehen ? Nein, meine F r e u n d i n ! da würde die Tragödie, CT > die uns die Verbrechen einer M e d e a in ihrem ganzen Zusammenhang darstellt, ihren Zweck sehr an dir verfehlen; l) denn sie lehrt uns die Eifersucht zu b e z a h m e n , nicht ihr den Zügel schiefsen zu lassen. Die Krankheit, an der du leidest, gleicht in diesem Stücke den Augenkrankheiten; man mufs schlechterdings
7)
Diese Beziehung
wurde
mir
die Echtheit
auf die M e d e a der T r a g ö d i e dieses schönen
und
einer
T h e a n o so w ü r d i g e n B r i e f e s verdächtig gemacht haben, w e n n ich mich nicht erinnert h ä t t e , dafs
Aschylus,
ein Zeitgenosse des Pythagoras, eine M e d e a ben haben
soll;
nichts v o n
Thespis
und
geschrieFryni-
c h u s zu sagen, die schon eine geraume Z e i t v o r A s c h y lus «den Stoff zu aus
ihren
monologischen
der alten Heldengescliichte
nahmen.
Dramen
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F R A U E N .
259
die Hände davon zurück halten: Geduld und Sündhaftigkeit sind das einzige Mittel, wodurch du sie zu heilen hoffen kannst.
Theano
an K a l l i s t o .
D i e Gesetze haben euch jungen Frauen zwar die Gewalt gegeben, euer Hausgesinde zu regieren so bald ihr heirathet: aber w i e ihr regieren sollt, überlassen sie euch von den altern zu lernen, die ohnehin so gern von Ökonomie sprechen und gute Lehren geben. Es ist eine schöne Sache, das, was man nicht weifs, zu lernen, und den Alten zuzutrauen, dafs sie durch ihre Erfahrenheit am geschicktesten sind uns guten Rath zu geben. Eine Person, die noch erst so kürzlich aus dem jungfraulichen Stand in den häuslichen getreten ist, kann nicht früh genug anfangen, ihre junge Seele mit solchen Dingen zu nähren. — Das erste, was eine Frau in ihrem Hause zu regieren hat, sind ihre Mägde; und hierbey, meine Liebe, kommt alles darauf an, es dahin zu bringen, dafs sie dir mit gutem Willen dienen. Die Herzen unsrer Sklavin-
s6o
D I E
P Y T H A GORISCHEN
F R A U I X .
nen werden nicht zugleich mit ihren Personen gekauft: jene mufs eine versLandige Herrschaft sich erst durch ihr Beiragen zu eigen machen; und diefs geschieht, wenn man ihnen nicht mehr zumuthet als recht ist, und sie so behandelt, dafs sie weder unter zu vieler Arbeit einsinken, noch aus Mangel an hinreichender Nahrung unvermögend werden müssen. Denn sie sind Menschen wie wir. Es giebt Frauen, die zu ihrem gröfsten Schaden viel dabey zu gewinnen glauben, wenn sie ihre Magde recht ubel halten, sie mit Arbeit überladen, und ihnen so viel sie nur immer können an ihrem nothdiirftigen Unterhalt abbrechen. Böser Wille, Untreue, und heimliche Zusammenverschwörung des Gesindes gegen das Interesse der Herrschaft sind die natürlichen Folgen daA'on; um etliche Dreyer im Einzelnen zu ersparen, zieht man sich einen Schaden zu, der zuletzt ins Grofse läuft. Um nicht in diesen Fehler zu verfallen, meine Liebe, wirst du am besten thun, deinen Sklavinnen etwas Gewisses und Festgesetztes, nach Proporzion der Wolle, die sie gesponnen oder verarbeitet haben, zu ihrem täglichen Unterhalt zuzumessen, so dafs sie desto besser leben können, je ileifsiger sie gewesen sind. Was aber ihre Vergehungen betrifft, so siehe dabey hauptsächlich auf das, was dir selbst anständig ist. Strafe deine Mägde, je nachdem sie mehr oder
D I E
P Y T H A G O J I S C H E N
FRAÜEK.
G(>I
weniger verschuldet haben, ohne Zorn u n d ohne Grausamkeit; denn was dir jener an deiner W ü r d e benommen h a t , k a n n durch diese nicht wieder ersetzt weiden. W e n n du immer deiner selbst mächtigO bleibest,' so kannst du ihnen n u r desto besser zeigen, dafs du entschlossen seyest, keine Unarten noch Bosheiten an ihnen zu dulden. Sind ihre Laster unverbesserlich , so mache lieber dafs du ihrer auf einmahl los wirst u n d verkaufe sie; denn was soll dir die Herrschaft über ein Ding, das dir u n n ü t z ist? In allem diesem aber n i m m immer die V e r n u n f t zur Ralhgeberin; sie wird dich nicht n u r belehren , ob wirklich gefehlt worden i s t , damit du nicht einem Unschuldigen Unrecht t h u s t , sondern auch wie grofs der Fehler sey, damit du die Strafe dem Vergehen proporzionieren kannst. Oft ist Nachsicht u n d Verzeihung die vernünftigste Mafsregel, die eine Frau nehmen k a n n , u m gröfsern Schaden zu verhüten , und ihr Ansehen, worauf i n den hauslichen Verh itnissen so viel ankommt, beyzubehalten. Manche Frauen können so grausam seyn, ihre Sklavinnen zu geifseln, und i n einem Anfall von Zorn oder Eifersucht ihren G r i m m auf eine unmenschliche Art an ihnen auszulassen, u m , wie sie sagen, ein abscheuliches Exempel an den armen Geschöpfen zu statuieren. Aber was ist der Vortheil, den sie von einem so strengen Hausregiment h a b e n ?
-62
D I E
P Y T H A C O R I S C H E K
FT.AÖEX.
Die einen gramen sich über das Marterleben, das sie f u h r e n müssen, vor der Zeit zu T o d e ; andere suchen ihr Heil in der Flucht; noch andere haben sogar aus Verzweiflung ITand an sich selbst gelegt. W e n n sich dann zuletzt die Frau in ihrem Hause allein sieht, und mit ihrem Schaden die Unklugheit ihrer hauslichen Regierung bejammert, dann k o m m t die Sinnesänderung zu spat. Erinnere dich, meine junge F r e u n d i n , der Saiten auf einem Instrum e n t e , die, zu wenig gespannt, keinen T o n von sich geben, und, zu hoch gespannt, springen. Gerade so verhalt es sich zwischen einer Frau u n d ihrem Gesinde. Durch zu viel Nachsicht verliert die Frau ihr Ansehen und die Magde vergessen ihre Schuldigkeit; zu viel Strenge hingegen kann die Natur nicht aushalten. Und so gilt auch hier der goldne Spruch: Der Mittelweg ist überall der beste.
DIE
PYTHACOSISCH];},'
FRAUEN.
D i e f s sind die drey Briefe der T Ii e a n o , die aus einer vermuthlich weit gröfsern Anzahl 8) durch die Gunst des Zufalls dem Schicksal der übrigen entronnen sind, u n d von deren Echtheit ich meines Orls überzeugt bin. 9) Verschiedene alte Autoren e r w ä h n e n noch einer jungern T h e a n o , die von den meisten (nach der gewöhnlichen Ungenauigkeit der Griechen in solchen D i n g e n ) immer mit der altern, so wie diese mit jener, vermengt wird. Mir scheint es Jamblichus am besten getroffen zu
8 ) So beruft sich z. B. P o l l u x
eines Wortes w e -
g e n auf e i n e n Brief der T h e a n o an T i m a r e t e , n i c h t mehr vorhanden 9) einer
Der
gelehrte
Handschrift
der
ist.
Lukas
Holstenius
der V a t i k a n i s c h e n
hat
Bibliothek
aus vier
andie kleine Briefe,
oder Fragmente v o n B r i e f e n be-
kannt gemacht,
den
Theano auf
den
die
an der Stirne ersten Blick
z u unterscheiden sind.
Nahmen
fuhren,
der
weisesten
aber v o n den e c h t e n
so l e i c h t als K u p f e r v o n
Gold
2 0 ¡.
DIE
P Y X'II A G O J\ I S C H E A' F K A U E N .
liaben, nach welchem die eine mit dem Pythagoras selbst, und die andere mit
Brontinus,
einem seiner vornehmsten Anhänger zu Kroton, vermahlt war.
Diese letztere macht eine unge-
nannte Biografie des Pythagoras
10
) (die von
der andern nichts zu wissen scheint) zu einer Tochter
dieses W e i s e n ;
scheinlich ,
dafs
die
Frauenzimmer
und mir ist wahr-
V er m ah n u n g e n
und
an
die D e n k S p r ü c h e
verschiedener Personen aus dem Pythagorischen Orden, werden,
die
ihr von
nichts
Suidas
anders
als
zugeschrieben Sammlungen
waren, die diese jüngere Theano theils von den Briefen ihrer Mutter und anderer Frauen des Ordens, theils von sogenannten A p o f t e g m e n , oder
denkwürdigen O
Sprüchen
Sinn - und
derselben,
die ihr
Sitten-
aufbehaltens-
wurdig schienen, gemacht hatte; Sammlungen, aus welchen vermuthlich theilten B r i e f e ,
sowohl die mitge-
als folgende Apoftegmen sich
als Fragmente zufalliger Weise erhalten haben.
Theano wurde einst gefragt, wodurch sie berühmt zu werden gedächte? 10)
Die w i r blök
sich davon in befinden.
—
Die Frage
aus den Auszügen kennen, die
der Bibliothek
des
Fotius
N o . 260.
D I E
P Y T H A G O R I S C H E N
F R A U E N .
265
sollte vielleicht eine Schlinge seyn. — Sie antwortete mit dem H o m e r i s c h e n V e r s e : u ) Fleifsig
die Spinde]
diehend und meines E h e b e t t s wartend.
Einer andern Person, welche von ihr wissen w o l l t e , worin der Inbegriff dessen, was einer Frau ziemt, bestehe, antwortete sie: Ganz f ü r ihren eigenen Mann zu leben. Meines unmafsgeblichen Erachtens wiegen diese beiden kurzen Antworten alle g o l d n e n S p r ü c h e des Pythagoras a u f , und enthalten (\we sehr auch der Geist, worin Theano sie gab, aus der Mode gekommen seyn m a g ) den Text zu einer sehr vollständigen Sitten - und Pflichtenlehre der einen Hälfte des menschlichen Geschlechts. W i r würden bald bessere Zehen sehen, und es würde in weniger als einem halben Jahrhundert eine wunderbare R e g e n e r a z i o n aller unsrer ihrem Untergang zueilenden Europäischen Staaten erfolg e n , wenn ein Trichter erfunden werden könnte, allen jetzt lebenden Frauen und J u n g frauen die Sinnesart einzugiefsen, die in die-
11)
Ilias
I.31.
Agamemnon
sagt
dem alten
Priester C h r y s e s , dafs diefs zu Argos das L o o s seiner Tochter seyn sollte: T h e a n o wandte den V e r s , durch blofses W e g l a s s e n z w e y e r n, auf sich selbst an, WIUAKDS
W. XXIV. B.
3 j.
¿¡{IÖ
D I E
FITHAGÜI\ISCHI;\
F R AU E X .
sen einfaltigen AnLworten der schönen Theano atlimet. Die Griechischen Frauen, die in den M y s t e r i e n d e r C e r e s eingeweiht w a r e n , sahen sich durch die Gesetze derselben genölhiget, neun Tage, theils vor theils wahrend der Begehung der Thesmoforien, von ihren Männern abgeschieden zu leben. W e n n die Meinung, die uns Herr von P a u w von dem feurigen Temperament der Griechischen Damen beybringen möcliLe, gegründet v a r e , so niüfsten ihnen allerdings diese neun Tage und Nächte etwas lang vorgekommen seyn. Ein Spötter könnte vielleicht eine mitleidige Rücksicht auf diesen Umstand in der Antwort finden , •welche Theano einer jungen Frau gab, von welcher sie gefragt w u r d e , nach w i e langer Zeit eine F r a u , die sich einem Manne genähert habe, rein genug sev, um den Thesmoforien beywohnen zu k ö n n e n ? „ S o g l e i c h , wofern es ihr eigener ist, antwortete Theano; und ist es ein anderer, n i e m a h l s . " — I c h s e h e i n dieser Antwort nichts als eine mit wenig W o r ten sehr viel sagende Belehrung einer jungen Person, die (nach ihrer Frage zu urtheflen) von der ehelichen Verbindung und von den Thesmoforien gleich unrichtige Begriffe hatte. Die Mysterien der ersten ( w o l l t e die eben so aufgeklärte als tugendhafte Theano sagen) sind
DIE P i T H A c o R i s c H i A ' FRAUEN.
26"
zu heilig, als (lafs eine Ehefrau, die ihren Pflichten getreu ist', jemahls durch sie verunreiniget werden könnLe; und die andern sind es so sehr, dafs eine Frau, die j e n e zu profanieren fähig ist, durch keine Absdneriztage rein genug werden kann, sie jemahls ohne Entheiligung begehen zu können. Es geschah einst zufalliger W e i s e , dafs einer ihrer Bekannten, ohne dafs sie es gewahr wurde, Gelegenheit bekam, ihren Arm bis über den Ellenbogen entblöfst zu sehen. Welch ein schöner A r m ! rief er aus. — Aber nicht für jedermann, {all' u dcmosios) sagte Theano. — Man begreift nicht gleich, was an diesem Worte so w itziges oder besonderes seyn soll, dafs es von einem Moralisten, zwey Kirchenvätern und einer kaiserlichen Prinzessin 1 2 ) als ein gar merkwürdiges ApofLegma citiert worden ist. Um den ganzen Nachdruck des Wortes dcmosios auszudrucken , hatte ich eigentlich übersetzen sollen: A b e r e r g e h ö r t n i c h t d e m P u b l i k u m an. Man sieht, dafs ein zwar indirekter, aber ziemlich scharfer Verweis in der Wendung dieser Antwort liegt. W e n n ich (will sie sagen) eine Bildsaule wäre, die an einem öffentlichen Platze stände und 12)
Plutarch,
Klemens
von
Alexandrien»
T l i e o d o r e t u s , und Anna K o w n e n a .
A(¡5
D I E
P Y T H A G O R I S C H E N
FRAUEN.
ih ren Arm zeigte, so wäre jedermann berechtigt, ihn anzusehen und in so laute Ausrufungen über seine Schönheit auszubrechen als ih m beliebte; denn da gehörte er dem Publikum an. Bey einer Hetäre oder öffentlichen Tänzerin war' es eben dasselbe. Aber es war unschicklich und gegen die Ehrerbietung, sich eine solche Ausrufung zu erlauben, wenn man durch ein Ungefähr den Arm der Gemahlin des PyLhagoras unverhullt zu sehen bekommen hatte : wenn die Bescheidenheit in einem solchen Falle auch den Augen erlaubt, sich die Gunst des Zufalls zu Nutze zu machen, so sollte sie wenigstens den Mund verschliefsen.— Freylich erfordern die heutigen Begriffe von Galanterie gerade das Gegen th e i l ; und nach diesen kam Theano mit der blofsen Ausrufung 1 Ö des unbescheidenen Zuschauers noch leicht genug davon: aber sie nahm es, wie man sieht, etwas schärfer mit dem was sich für eine ehrliche Frau s c h i c k t ; und vielleicht las sie auch in den Augen dieses Profanen etwas, das eine Antwort, die ihn sogleich in seine Schranken zurück wies und vermuthlich mit keinem sehr anziehenden Lächeln besleitet war, nothwendig machte. Eine Petite Maitresse hatte sich freylich anders benommen! Die Alten schreiben ihr auch ein Buch über die religiöse Frömmigkeit ( E u s e b i a ) zu,
DIE
PYTHAGORIS CHEN
FRAUEN.
269
aus welchem vermuthlich der folgende, von K l e m e n s A l e x a n d r i n u s angezogene Gedanke genommen ist: „Dieses Leben wäre eine wahre Lustpartie für die Lasterhaften, wenn die Seelen nicht unsterblich w ä r e n , und der Tod wäre in diesem Falle für sie Gewinn. " — Ein Gedanke,' der zwar keine scharfe Prufungo aushalt, aber doch, in ein gewisses Licht gestellt, für die meisten etwas so einleuchtendes hat, dafs Plato selbst kein Bedenken trug Gebrauch von ihm zu machen. Nach dem Zeugnisse des Didymus soll Theano auch Verse gemacht, und ( w i e Theodoretus, ich weifs nicht aus welcher Quelle, berichtet) nach dem Tode des Pythagoras gemeinschaftlich mit ihren Söhnen, T e l a u g e s und M n e s a r c h e s , der Schule, oder, lichtiger zu reden, der geheimen Gesellschaft desselben vorgestanden haben.
D I E
FYTHAGORISCHEN
F R I U E N
3U n t e r den Fythagorischen Frauen werden A r i g n o t e , D a m o , und M y i a als Töchter des Fvthagoras und der Theano O genannt. Die * o beiden erstem sind wenig bekannt; aber von der letztern wird als etwas, das sie mit Einem Zuge karakterisiert, angemerkt: dafs sie wahrend ihres jungfräulichen Standes bey festlichen Gelegenheiten den K o r der Jungf r a u e n , und als Ehefrau den K o r der F r a u e n g e f u h r t h a b e . Sie war mit dem berühmten Athleten M i l o v o n Krotona vermahlt, den seine ungewöhnliche Leibesstarke und die gymnastischen Übungen nicht verhinderten, ein Freund und Jünger des Pythagoras zu seyn. Man hat nichts von ihr übrig, als einen Brief an eine junge Mutter, über die W a h l einer A m m e , der durchaus so verständige 0 0Regeln enthält,7 dafs Sokrates und Hippokrates gemeinschaftlich nichts weiseres über diesen Gegenstand hätten sagen können. Es ist meines Erachtens merkwürdig, dafs sich in diesem Briefe (an dessen Echtheit nicht
D I E
PYTHAGORISCHLN
FRAUEK,
271
zu zweifeln ist) auch nicht die geringste Spur zeigt, dafs M y i a — die doch als eine Tochter des Pythagoras und der Theano die Grundsätze der reinsten Moral unmittelbar aus der Quelle eingesogen hatte — das S e l b s t s t i l 1 en der Kinder für eine N a t u r p f l i c h t d e r M u t t e r gehalten hatte. In der That überwiegen (seltene Ausnahmen abgerechnet) die Gi uride, welche es den Müttern aus den h o h e m Klassen auch sogar des bürgerlichen Standes m i i s r a t h e n , bey weitem diejenigen, die unsre populären Moralisten, bis auf die trivialsten Fiomanschreiber herab, seit mehrern Jahren chii^en auslandischen Deklamatoren nach^ehalk haben. Eine Amme, die mit allen den k ö r p e r l i c h e n und s i t t l i c h e n T u g e n d e n begabt A v ä r e , welche die weise Myia mit grofsLem Rechte für u n e n t b e h r l i c h e E r fordernisse zu diesem Dienste halt, dürfte in unsern Tagen nicht viel leichter zu finden seyn, als eine M u t t e r , welche die Stelle einer so vollkommnen Amme s e l b s t einnehmen konnte. Und so werden denn wohl Ziesen. Kuhe oder Eselinnen (bey denen man aller Besorgnisse ihres moralischen Karakters halber überhoben ist) in den meisten Fallen die tauglichsten Ammen seyn — welches hier nur im Vorbeygehen gesagt, und den Muttern — die über die Frage, „ w i e eine Sache gethan wird," nicht so gleichgültig sind als die gute Madam
2J2
DIE
PÏTHAGORISCHEN
S h a n d y , Tristrams Mutter — Beherzigung empfohlen wird.
FRAUEN.
zu
näherer
Neben dieser Pythagorischen Tochter finden sich unter einer ziemlichen Anzahl andrer Frauen dieses Ordens, deren Nähme das einzige ist was sich von ihnen erhalten hat, noch drey, welche jenen gewöhnlich beygefugt werden, wiewohl, aufser einigen Überbleibseln ihrer Schriften, weder von der Zeit wenn sie gelebt, noch von ihren Umstanden das geringste bekannt ist. Ihre Nahmen sind F i n t y s , P e r i k t i o n e und M e l i s s a . Von den beiden ersten hat uns ein gewisser J o h a n n e s v o n S t o b a , der Kompilator einer schätzbaren Blumenlese aus ungefähr f ü n f hundert poetischen und prosaischen Schriftstellern des Alterthums, J3) einige Fragmente aufbehalten. Das erste ist aus einer Schrift der F i n t v s gezogen, worin sie von der Tugend, die ihrem Geschlechte besonders und eigens zukomme.' D von der weiblichen S o f r o s y n e , handelt — ein W o r t , dessen ganze Bedeutung zu erschöpfen mir keines in unsrer Sprache geschickt scheint. Denn es umfafst alle dio besondern Tugenden, die ein wohl geordnetes 13)
E r selbst l e b t e
ten J a h r h u n d e r t s
in der andern H ä l f t e des viei-
nach C h r i s t i G e b u i t .
D I E
P YTH AGORISCHEN
F R A U E N .
273
Gennith zur Quelle haben: eine Seele, die über ihre Sinne, Begierden und Leidenschaften Herr ist, und sich gern iiji den engen Kreis der hauslichen Pflichten und der aus ihrer Erfüllung entspringenden Glückseligkeit einschränkt. Sie setzt diese w e i b l i c h e S o f r o s y n e , in welcher eigentlich die moralische Schönheit des Weibes bestehe, hauptsächlich in die Keusch' heit nnd eheliche Treue; in Reinlichkeit und äufserste Simplicitat in Kleidung und Putz; in Entfernung von allem, was auch nur den leisesten Verdacht der Koketterie und Begierde, andern Männern als ihrem eigenen zu gefallen , auf sie werfen könnte; in die geflissenste Einschränkung in ihr Hauswesen; in Zärtlichkeit und Sorge für ihren Mann, ihre Kinder und ihr Hausgesinde; und in eine von aller abergläubischen oder schwärmerischen Neigung zum Aufserordentlichen und Geheimnifsvollen gereinigte religiöse Frömmigkeit. Die Fragmente aus den Schriften der P e r i kt i o n e sind gröfsten Theils nichts als Wiederhohlung und Bestätigung eben derselben sittlichen Begriffe, Grundsatze nnd Maximen, auf welche die Pythagorische Schule d i e F i l o s o f i e d e r F r a u e n hauptsächlich einschränkte. Periktione eifert sehr gegen Luxus, Hoffart und Wollust; sie geht hierin beynahe so weit als der strengste Cyniker oder Anachoret, ohne W1 e L A N o» W. XXIV. B. 35
27F
D I E
PYTHAGORISCHEN
FRAUEN.
dafs man sie mit Grund beschuldigen könnte z ii -weit zu gehen. Wie ungefällig auch ihre Moral gegen die gemeinsten Schwachheiten ihres Geschlechts ist, so kann man sich doch nicht erwehren, ihr völlig Recht zu geben, wenn sie behauptet: dafs nur eine F r a u , die über alle diese Schwachheiten, über alle Eitelkeit, Sinnlichkeit und Hang zu Müfsiggang und Wollust erhaben ist, nur eine durchaus vernünftige, gesetzte, sich selbst genügsame, und allen ihren Pflichten unverrückt getreue Frau, in deren Kopf und Herzen, Innerlichem und Aufserlichem, kurz, in deren ganzem Leben und Wesen alles zusammen stimmt, a l l e s H a r m o n i e i s t , — dafs nur eine solche Frau fiihig sey, ihren Mann, ihre Kinder, ihr ganzes H a u s , und, wofern das Schicksal sie zu der hohen Bestimmung einer Fürstin oder Königin berufen hatte, ganze Staaten und Völker glucklich zu machen. —
In einem andern Fragmente schärft sie eine andere Rubrik von Pflichten ein, auf welchen das Wohl der Familien, und also mittelbarer Weise das Wohl der Staaten, beruht, „die Pflichten der Kinder gegen die A l t e r n . " Auch diese treibt sie — so wie die Pflichten der Ehefrau gegen den Mann — auf die äufserste Spitze, ohne dafs man ihr zumu-
D I E
P Y T H A G O R I S C H E N
F R A U E N .
275
then könnte, auch nur das geringste von ihren Forderungen nachzulassen. Von M e l i s s a ist nichts auf uns gekommen, als ein kleiner Brief an eine junge Dame, die sich einige Belehrung von ihr ausgebeten hatte, was eine vernünftige Frau in Absicht auf ihren Putz zu beobachten habe ? Ich hoffe meinen Leserinnen durch die Mittheilung desselben Vergnügen zu machen, wiewohl sie daraus sehen werden, dafs die Frauen des Pythagorischen Ordens zu den Hauptartikeln eines Modejournals ihrer Zeit, wofern ein solches schon damahls zu Kroton, Tarent oder Syba1 is heraus gekommen w ä r e , wenig Beyträge geliefert haben würden.
276
D I E
PTTHAGOBISCHEN
Melissa
an
FRAUEN.
Klearete.
D u scheinst mir von selbst und vermöge einer glücklichen JVaturanlage so voll schöner und guter Gesinnungen zu seyn, dafs dein so ernstlich bezeigtes Verlangen, etwas über den Putz einer Frau von mir zu hören, mir desto gewissere Hoffnung giebt, du werdest durch alle Stufen des Alters eine getreue Anhängerin der Tugend seyn. Eine verstandige und edel denkende Frau mufs sich dem M a n n e , mit dem sie gesetzmäfsig verbunden ist, immer in einem stillen unscheinbaren Putze nähern, aber keineswegs prächtig, kostbar und mit entbehrlichen Auszierungen überladen: in einer ganz einfachen, reinlichen weifsen Kleidung wird sie immer geputzt genug seyn. Durchsichtige, »4) ganz purpurne und mit Gold
durchwirkte Kleider müssen aus ihrer
1 4 ) D e r g l e i c h e n Z e u g e wurden vorzüglich z u T a r e n t fabriziert.
A n f a n g s w u r d e n sie w o h l nur v o n
Hetä-
r e n getragen; aber nach und nach gefielen sich auch
DIE
PYTHAGORISCHEN
FRAUEN.
277
Garderobe ganzlich ausgeschlossen seyn. Die H e t ä r e n , die darauf ausgehen so viele Männer als möglich in ihr Garn zu ziehen, mögen solcher Anlockungen nöthig haben: aber der Schmuck einer Frau, die nur einem einzigen gefallen -will und soll, besteht in ihren Sitten, nicht in ihren Kleidern. An einer e h r l i c h e n F r a u ist nichts schöner, als wenn sie ihrem eigenen Manne angenehm zu seyn sucht, unbekümmert ob sie einem jeden, der ihr vor die Augen kommt, gefalle oder nicht. Statt der Schminke diene dir die naliirliche Rothe, die ein Zeichen der haftigkeit ist, und Rechtscliaffenheit, digkeit und Sittsamkeit statt goldner und Edelsteine.
schöne SchamAnstänKetten
Eine Frau, der die Erfüllung ihrer Pflichten am Herzen liegt, zeigt ihre Liebe zum Schönen nicht in einem kostbaren Aufzuge, sondern in der guten Einrichtung ihres Hauswesens; und sie ist gewifs, dafs sie ihrem Manne durch nichts besser gefallen k a n n , als die
ehrlichen Frauen
d a r i n , und zuletzt
war
(wie
auch heut zu Tage in grol'sen Städten) z w i s c h e n einer ehrlichen Frau und einer Hetäre kein Unterscheidungszeichen mehr — innerliches,
äufserliches
bey vielen auch kein
278
DIE
PYTHAGCRISCHEK
FRAUEN.
•wenn sie alles nach seinen AVunschen anordnet und ausführt. Denn die Wünsche des Mannes müssen das u n g e s c h r i e b e n e G e s e t z seyn, nach welchem eine wohl geartete Frau ihr ganzes Leben fuhrt. Sie mufs glauben, dafs ihre Tugend und ihr gutes Betragen die reichste Mitgift sey, die sie ihrem Manne zugebracht habe, und dafs sie sich weit mehr auf die Schönheit und den Reichthum der Seele als auf aufserliche gute Gestalt und Vermögen zu verlassen habe. Denn d i e s e kann uns eine Krankheit oder die Mifsgunst der Menschen und des Schicksals rauben: j e n e hingegen bleiben uns bis in den Tod, weil sie einen Theil, und unstreitig den besten Theil, v o n uns selbst ausmachen.
W a s denken nun meine Leserinnen von den Frauen des Pythagorischen Ordens? Sie sind freylich zu alt, um Frauen nach der heutigen W e l t und Mode zu seyn: auch mufs man den Umstand nicht ganz aus den Augen lassen , dafs sie sämmtlich in R e p u b l i k e n lebten, deren Verfassung den grofsen Unterschied der Stände und Kondizionen nicht zuliefs, der bey den meisten Völkern des heu-
D I E
P Y T H A G O R I S C H E N
FRAUEN.
C79
tigen Europa die Grenzen des Schicklichen und Anstandigen für einige so sehr erweitert hat. Bey dem allen dürfte doch schwerlich zu läugnen seyn, dafs wir in der Entfernung von der Pythagorischen S o f r o s y n e unvermerkt bis an den aufsersten Rand der andern Extremität gekommen sind, wo einer oder zwey Schritte mehr in unwiederbringliches Verderben stürzen würden. Wir werden also doch wohl, je eher je besser, ieder umkehren müssen; und leider ! haben wir einen nur gar zu langen Weg z u machen, bis wir der gegenseitigen Extremität (wenn anders einige, die dieses zu lesen Geduld genug gehabt haben, die Sinnes - und Lebensart einer T h e a n o , M e l i s s a und P e r i k t i o n e mit diesem Nahmen belegen sollten) so nahe gekommen sind, dafs wir, ohne uns selbst zu schaden, stille stehen dürften. Indessen freue ich mich, hinzu setzen zu können , dafs ich, sogar in den höchsten Ständen , mehr als Eine kenne, die, es sey als Jungfrau oder Vermählte, eben so würdig als die Tochter des Pythagoras gewesen wäre, den Kor der Jungfrauen und Frauen zu führen. Und da mein glückliches Loos mich selbst seit ein und dreyfsig Jahren mit einem Weibe
CßO
D I E
PYTHAGORISCHEN
FRAUEN.
vereinigt hat, die als Ehefrau und Mutter, und in jedem andern reinen menschlichen Yerhaltnifs, von jenen Pythagorischen Frauen für i h r e S c h w e s t e r erkannt worden wäre: so sey mir .erlaubt, I h r , zu einem öffentlichen Denkmahl der Dankbarkeit für das Glück meines Lebens, das ich Ihrer Liebe und Ihren Tugenden schuldigD bin,7 und u n s e r n T ö c h O f e r n , zur Aufmunterung einer solchen Mutter immer ahnlicher zu werden, diesen kleinen Aufsatz hiermit besonders zuzueignen.
E H R E N R E T T U N G DREYER
BERÜHMTER
FRAUEN
DER ASPASIA,
JULIA
WIELA1.DS W. XXfV. B.
UND
FAUSTINA.
ÌÙ
283
1. •V S
P
A
S
I
A.
D i e so genannten Cours d' Amour oder Ger i c h t s h ö f e f ü r L i e b e s s a c h e n , welche vermuthlich unsern meisten Leserinnen (wenigstens dem Nahmen nach) bekannt sind, gehören unter die sonderbarsten Ausgeburten jener seltsamen Mischung von Rohheit u n d Galanterie, Barbarey u n d Verfeinerung, die den Hauptzug im Karakter der Zeiten der K i t t e r s c h a f t u n d der K r e u z z ü g e ausmachen. Ihr eigentlicher Sitz war das m i t t ä g l i c h e F r a n k r e i c h , wiewohl sie nach u n d nach auch in die nördlichen Provinzen übergingen, wo sie den Nahmen Gieux sous V Orinel, S p i e l e u n t e r d e m U l m b a u m , führten, weil sie gewöhnlich im May auf freyem Felde
A S T A S I A .
unter dem Schatten einer grofsen Ulme gehalten w u r d e n . Die unter dem Nahmen der T r o u b ad o u r s oder T r o u v e r e n bekannten Poeten, oder ( w e n n man lieber will) Reimer dieser Zeilen, scheinen durch eine Art von Dichterey, Triisons u n d Jeiix-partis g e n a n n t , — worin es immer u m die Entscheidung eines zwischen zwey Damen oder H e r r e n , oder unter zwey Verliebten entstandenen Streites über eine problematische Frage aus der Filosofie oder JYechtsgelehrsamkeit d e r L i e b e zu thun -war — zur E r r i c h t u n g dieser lachcrlich ernsthaften h ö c h s t e n R e i c h s g e r i c h t e des Liebesg o t t e s Gelegenheit gegeben zu haben. Da die Produkte einer noch ziemlich barbarischen Muse, deren Fruchtbarkeit aber keine Grenzen hatte, damahls einen sehr wesentlichen Theil der Unterhaltungen ausmachten, w o m i t sich die Damen auf ihren schwemmthigen u n d thurmreichen Schlössern die lange Weile vertrieben: so kam der Fall sehr oft, dafs die F r a u e n , oder ihre Ritter, ( d e n n in diesen Zeiten mufste jede Dame ihren Flitter und jeder Rilter seine Dame haben) mit der A r t , wie der Dichter irgend eine mehr oder weniger e r h e b l i c h e oder s p i t z f i n d i g e Frage entschieden hatte, nicht zufrieden waren, und eine R e v i s i o n s e i n e s U r t h e i l s vor-
A S P A S I A .
285
nahmen, die nicht selten zu neuen Streitigkeilen Gelegenheit gab. Diese vermehrten sich nach und nach dergestalt, dafs man endlich auf den Einfall kam, eine Art von G e r i c h t s h ö f e n zu errichten, denen man das Recht zugestand, sowohl über alle diese e r o t i s c h e n Fragen und Zweifel, als über alle Arten von Zwistigkeiten, die unter Verliebten entstehen könnten, in letzter Instanz zu urtheilen. Die Richter, aus welchen eine solche Cour d' Auiour bestand, wurden aus dem Mittel der Damen, Ritter und Dichter des Distrikts et wählt, und bestanden immer aus Personen, denen man ihrer Scharfsinnigkeit und Erfahrenheit wegen eine vorzügliche Einsicht in Liebes - und Ehrensachen zutrauen konnte. Die Damen brachten dieses neue Institut, — das sich mit den Gegenständen, die für den gröfsten Theil ihres Geschlechts die interessantesten sind, beschäftigte, und das ihnen so viele und mannigfaltige Gelegenheit gab, die Feinheit ihrer Empfindungen, die Schärfe ihres W i t z e s , und ihre wundervollen Gaben für die Verwicklung der einfachsten und die Entwicklung der verworrensten Sachen schimmern zu lassen, — die Damen, sage i c h , brachten dieses neue Institut, wovon sie natürlicher Weise die Seele waren, gar bald in solche
A S P A S I A .
A u f n a h m e , dafs sich diese Gerichtshöfe d e r L i e b e , besonders in der Provence u n d in L a n g u e d o k , — „in diesen lustigen Ebenen und unter dieser freudigen S o n n e , wo bey jedem Schritte, den man thut, der Verstand v o n der E i n b i l d u n g s k r a f t überrascht wird, und Viva la joya aus allen Augen funkelt und auf allen L i p p e n s c h w e b t , " ' ) — unglaublich vervielfältigten. In k u r z e m dehnten sie ihre Gerichtsbarkeit über das ganze Reich der L i e b e u n d der G a l a n t e r i e a u s ; unzahlige Handel dieser Art wurden bey ihnen anhangig g e m a c h t ; die Parleyen unterwarfen sich ohne M i n i e n ihren richterlichen S p r ü c h e n , oder Arrcts d' Amour, ( w i e sie i m Kanzleystyl dieser seltsamen Gerichtshöfe genannt w u r d e n ) u n d aus diesen Entscheidungen formierte sich nach u n d nach eine Art von Gesetzbuch, dessen Autorität in ganz Frankreich anerkannt wurde. Personen v o m ersten R a n g präsidierten in diesen Gerichten, und die berüchtigte Königin I s a b e l l e v o n B a y e r n , z ) unter welcher 1) T r i s t r a m S h a n d y ,
im letzten B u c h e des sie-
benten u n d im ersten des achten Thcils. 2)
Gemahlin
des unglücklichen
Sechsten von Frankreich.
K ö n i g s Karls des
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287
die e h e m a h l i g e F r i v o l i t ä t der Französischen Nazion ihre höchste Stufe erreichte, trieb die Sache so weit, dafs sie für die Cour d' Amour, die sie am königlichen Hofe selbst errichtete, Präsidenten, Räthe, Requetenmeister, Auditeurs, Geheimschreiber, Gens du Roi, kurz alle Arten von Officianten, die bey den höchsten Gerichtshöfen zu Paris vorkommen, anordnete; und so weit ging damahls die Ehrfurcht vor den Damen und die Gefälligkeit gegen d e n M u t h w i l l e n e i n e r K ö n i g i n , w e l c h e F r a n k r e i c h an den R a n d des U n t e r g a n g s b r a c h t e , dafs Prinzen von Geblüte, und andere von den gröfsten Herren des Reichs, ja sogar gravitätische Magisti-atspersonen und angesehene Geistliche, sich nicht schämten, diese lacherlichen Würden zu bekleiden. Eine T h a t s a c h e , die, nach der Vorstellungsart und den Sitten unsrer Zeit zu urtheilen, so unglaublich ist, dafs der ausgelassenste Poet es kaum wagen würde, in einem Possenspiel etwas ähnliches zu erdichten. Aber was man sich am wenigsten träumen lassen sollte, und was unstreitig das Abenteuerliche dieser ritterlichen und romantischen Zeiten am stärksten schildert, ist der Umstand, dafs sogar P ä p s t e die Liebesgerichtshöfe in ihren Schutz nahmen; dafs die Zeit, da diese Häupter der Christenheit zu A v i g n o n Hof
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hielten, gerade die Epoke w a r , wo die Cours d' Amour in der Provence u n d den angrenzenden Ländern in ihrem höchsten Flore standen , und dafs I n n o c e n z d e r S e c h s t e die damahls mächtigen G r a f e n v o n V e n t i m i g l i a u n d von T e n de, als sie i h m einen Besuch m a c h t e n , unter andern auch m i t dem Schauspiel einer glanzenden Cour d' Amour regalierte. Ich sehe, dafs mich diese seltsame Erfindung eines dem J a h r h u n d e r t des P e r i k l e s sehr unähnlichen Zeitalters beynahe zu weit von A s p a s i e n weggeführt hat. Aber die besagten weiblichen Gerichtshöfe des vierzehnten Jahrhunderts k a m e n m i r ziemlich natürlich in den S i n n , da ich mich anschicken w o l l t e , als Sachwalter der s c h ö n e n A s p a s i a aufzutreten u n d eine Revision des strengen, oder vielmehr ungerechten Urtheils zu verlangen, welches die Nachwelt, auf einseitige Beschuldigungen verdächtiger Ankläger u n d auf blofse Anscheinungen hin, allzu leichtsinnig über diese Frau ausgesprochen hat, welche, meines Erachtens, eine Zierde ihres Geschlechts gewesen ist. Gab' es, dachte i c h , noch irgendwo eine Cour d' Amour, die in besserm R u f e stände als der Hof der K ö n i go i n I s a b e a u ,7 so w ü r d e ich die Gerechtigkeit derselben a n r u f e n , u m
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den so viele Jahrhunderte lang gekränkten Iluhm meiner Klientin, der nunmehr, da er sie selbst nichts mehr angeht, ein Eigenthum ihres ganzen Geschlechts geworden ist, w ieder herzustellen. Da mir aber dieser W e g nun einmahl abgeschnitten ist, warum sollte ich mir nicht alle meine Leserinnen in eine Cour cl' Ainour, oder vielmehr in eine Art von ehrwürdigem weiblichem A r e o p a g u s , versammelt denken können, und die gute Sache der Griechischen Dame, zu deren Fürsprecher ich mich aufwerfe, auf ihren gerechten Ausspruch ankommen lassen?
Ich habe nicht zu besorgen, dafs irgend jemand so verwegen seyn werde, weder die G e h ö r i g k e i t noch die U n p a r t e i l i c h k e i t dieses Richters anzufechten. D e n n , wenn es auch scheinen könnte, als ob das, was der Ruhm Ihres Geschlechts dabey zu gewinnen hat, Sie verleiten möchte die Gelindigkeit der Strenge vorwalten zu lassen: so ist auf der andern Seite zu bedenken, dafs Ihnen e b e n so v i e l daran gelegen ist, die Ehre, die nur der Tugend gebührt, 7 mit keiner Unwürdigen zu thei& O len, a l s nicht zuzugeben, dafs sie derjenigen, die einen gerechten Anspruch an sie hat, entzogen werde. O W i n i A M » W XXIV, B.
V b
X' A ri l
Auch auf m i c h kann hofFentlicli kein Verdacht einiger Parteylichkeit, Bestechung oder Hoffnung einiges Gewinns bey dieser Sache fallen; und wie gütig und gefällig gegen mein Geschlecht gewisse Lasterzungen nieine erhabene Klientin auch immer abgeschildert haben mögen, so ist doch nur zu gewifs, dafs es nicht mehr in ihrer Gewalt sLeht, den Dienst, den ich ihr erweisen werde; auch nur mit der kleinen Belohnung zu vergelten, welche die Liebesgottin bey einem alten Idyllendichter demjenigen verspricht, der ihr den entlaufnen Amor wiederbringen würde. Da ich also hiermit vor meinen edlen und gutherzigen, aber in Behauptung der Rechte der Tugend unbestechlichen Richterinnen erscheine, mich des durch unzahlige altere und neuere Schriftsteller und Buchmacher gröblich gemifshandelten guten Nahmens einer Dame, welcher ihre Verleumder selbst die gröfsten Vorzüge einzugestehen genöthiget sind, anzunehmen, hätte ich die schönsLe Gelegenheit, zvvey der hafslichsLen Untugenden zu rügen, die fast allgemein und die Quelle unzahliger Ungerechtigkeiten sind, deren man sich im täglichen Leben schuldigÖ macht: nelimlich,' die C Geneigtheit allem, Avas zum Xachtheil und zur Verldeinerung vorzüglicher Personen in der Well, erzählt wird, Gehör zu geben; und die
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A.
agi
Gewohnheit, in allen Fällen, wo das Betragen einer solchen Person einen Anschein von Zweydeutigkeit hat, lieber ohne genauere Untersuchung dem b ö s e n S c h e i n zu glauben, als auf eine günstige Auslegung der Sache zu denken, wie viele Ursache wir auch finden könnten, unser Urtheil mehr auf diese Seite zu neigen als auf jene. Aber die Sache, die ich zu führen übernommen habe, ist so gut, dafs ich kein Bedenken trage, mich dem strengen Gesetze zu unterwerfen, an welches der weise S o l o n alle diejenigen band, die vor demAreopagus als Klager oder Fürsprecher zu reden hatten, und vermöge dessen ihnen alle rednerischen Kunstgriffe, die Richter zum voraus einzunehmen, ihre Aufmerksamkeit von der Hauptsache abzuleiten, oder ihr Gemüth zu Gunsten der einen und zum Nachtheil der andern Partey in Bewegung zu setzen, schlechterdings verboten waren. Eben so wenig werde ich mich des berühmten Mittels bedienen, wodurch der Redner H y p e r i d e s die Lossprechung der schönen F r y n e vor dem furchtbaren Gericht der H e l i a s t e n zu Athen bewirkte. Ich werde die Richterinnen weder durch die Schönheit noch die übrigen aufserordentlichen Talente meiner Klientin zu bestechen suchen. Ich setze also alles was hierüber zu sagen wäre als bekannt voraus, und komme zur Hauptsache.
-92
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Die gemeine, oder vielmehr die allgemein angenommene Meinnng setzt die A s p a s i a von M i l e t in eine Klasse von Frauenzimmern, die (aus Gründen, wovon hier nicht die l\ede seyn k a n n ) durch die Gesetze S o l o n s zwar geduldet und beschützt, aber nichts desto weniger allezeit, selbst in den Zeiten der grofsten Sittenverderbnifs zu Athen, als Personen, die eine unehrbare Lebensart trieben, ansesehen. und von allem Umgang mit ehrlichen Frauen abgeschniuen waren, — mit Einem WorLe, in die Klasse der H e t ä r e n . Die Geschichte b e r ü h m t e r F r a u e n z i m m e r , nach alfab e t i s c h e r O r d n u n g , (deren erster Theil i m Jahre 1 7 7 2 zu Leipzig bey Böhmen heraus gekommen ist) eine aus dem Dictionaire historique portatif des Feimncs celcbres und den Memo') rs of the most illustrious Ladies of all A^es and Nalions zusammen getragene Kompilazion, die ich statt aller andern aus eben diesem Tone singenden Autoren anfuhren will, drückt sich über Aspasien folgender Mafsen aus. „Aspas i a , eine der berühmtesten B u h l e r i n n e n t
i m allen Griechenlande, war v o n Milet gebürtig, — und stammte aus einer e d e l n F a m i l i e . — Wahrscheinlicher Weise mag sie in Megara angefangen haben sich d u r c h i h r H a n d w e r k einen Nahmen zu machen. Sie w a r übrigens in verschiedenen Befrachtungen eine sehr schatzbare Person: denn sie besafs
A á
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A
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A.
bey einem ungemeinen Verstand eine grofse Gabe der Beredsamkeit, welche sie durch sorgfaltiges Studium der Redekunst zur Vollkommenheit gebracht hatte; eine Kunst, "worin sie es dem P r o d i k u s und G o r g i a s gleich that. Nächst dem verstand sie sich sehr gut auf die Filosoiie, und hatte besonders in demTheile der Moral, der von der Regierung und SLaatsklugheit handelt, aufserordentliche Einsicht, u. s. w. So war Aspasia beschaffen, als ihr der Gedanke einkam, Athen wäre der einzige Schauplatz, der ihrer -würdig sev; worauf sie auch m i t e i n e m Gefolge von j u n g e n M ä d c h e n , welche sie in der Kunst ihre Reitzungen geltend zu machen unterrichtet hatte, dahin ging, um e i n e S c h u l e d e r B e r e d s a m k e i t zu eröffnen, und e i n e A k a d e m i e d e r L i e b e 7,u halten. Diefs war in der That ein Mittel i i a n z A t h e n a n s i c h z u l o c k e n . Einige o kamen hin, weil sie aus ihren Unterredungen über die Kunst der Beredsamkeit und über mancherley filosofische Materien Unterricht zu schöpfen suchten; andere fanden sich ein, weil ihnen daran gelegen w a r , i h r e und i h r e r S c h ü l e r i n n e n U m a r m u n g e n z u gen i e f s e n . Sie hatte auch in der That berühmte S c h ü l e r , und machte gar ansehnliche Eroberungen. Sie u n t e r r i c h t e t e d e n S o k r a t e s i n d e r R e d e k u n s t ; sie flöfste dem P e r i k 1 e s, einem grofsen Filosofen und Redner
A S P A S I A .
in A t h e n , 3) clie lebhafteste Liebe ein, u n d hielt b e i d e n z u gOl e i c h V ö r i e s u n gOe n über die Staatsklugheit. Diefs berichlen uns von ihr P l a t o , P I u t a r c Ii u n d A t h e n ä u s . " u . s . w . In einem eben so platten Styl, und in eben diesem waschhaften T o n e fährt der Verfasser dieser aus den ungleichartigsten Materialien, aus wahren Zügen, Vermuthungen, Sa^en u n d Verleumdungen zusammen gestoppelten Geschichte der Aspasia fori, die Umstände ihrer Verheirathung mit dem P e r i k l e s und ihres häuslichen Lebens mit ihm vorzutragen. Er versichert uns, sie habe ihm „oftmahls, Avenn es ihm gar zu sehr an Zeit gefehll habe, ganze Reden gemacht, die er dann öffentlich zu halten nicht das mindeste Bedenken eetracen. O D Aber (fahrt er forL) sie leistete i h m , w i e m a n s a g t , auch noch eine andere Art v o n Diensten. Vor ihrer Verheirathung brachten die M ä n n e r , die sich am fleifsigsten zu ihren V o r l e s u n g e n e i n f a n d e n , auch ihre Weiber zu i h r , damit sie ihre Reden u n d Gespräche hören sollten. Dieses gute Zutrauen — nahm noch m e h r zu, als sie die Gemahlin des Perikles 3 ) Eine lächerliche Art den Perikles zu karakterisieren!
Gerade so, als wenn einer, bey Erwähnung des
Nahmens P i t t , hinzu setzte, ein grofser Filosof und Redner in London.
A
S V A S I
A.
= 95
•wurde. Da n u n Perikles, so zärtlich er auch Aspasien liebte, gleichwohl oftmahls andere fluchtige Neigungen hatte, so w a r sie ihm in seiner Liebe zu denjenigen von den W e i b e i n der Bürger, die ihm gefielen, b e y r ä t h i g u n d beförderlich." — lind so wäre denn A s p a s i a , die Freundin eines Sokrates, die J u n o des Athenischen J u p i t e r s , (wie sie von den Komödienschreibern g e n a n n t w u r d e ) mit etlichen Federzügen in eine B u h l e r i n , S c h u l h a l t e r i n u n d K u p p l e r i n verwandelt! — Es ist Schande, auch f ü r den gemeinsten Buchfabrikanten unsers J a h r h u n d e r t s , mit so Avenig Sinn u n d Beurtheilung zu s c h r e i b e n ; es ist schändlich, m i t einer so gefühllosen Plumpheit den Karakter einer Person zu besudeln, die ein Gegenstand der Bewunderung u n d Hochachtung der edelsten Menschen ihrer Zeit w a r : aber es ist ganz unerträglich, zu Beglaubigung ungereimter Verleumdungen sich auf P l a t o u n d P l u t a r c h zu berufen, u n d den gröfsten Theil der L e s e r , denen der dreiste T o n des Erzählers seine Zuverlässigkeit zu verbürgen scheint, zu dem irrigen W a h n zu verleiten, als ob alle die I n f a m i e n , die er Aspasien so zuversichtlich nachsagt, auf dem Zeugnifs eines Plato beruheten , oder durch das Ansehen eines Plularchs aufser allem Zweifel gesetzt w ü r d e n .
A b
X'
A
S
X
A.
Das Verhör der siimmtlichen Zeugen, die in Sachen meiner schönen Klientin axiftrelen sollen, wird uns ganz andere Resxiltate geben. "Wir werden sehen, aus was für schlammigen Quellen die Verleumdungen geflossen sind, womit Aspasiens Karakter schon bey ihrem und l'crikles Leben angeschmitzt wurde, ohne dadurch in den Augen ihrer edelsten Zeitgenoso o
scn etwas von seinem Glänze zu verlieren; wir werden durch die wenigen m i t s i c h s e l b s t ü b e r e i n s t i m m e n d e n Nachrichlen und Karakterzüge, die uns (aufser einem l'aar ehrwürdiger Schriftsteller ihrer Zeit) der einliehe, wiewohl schwatzhafte und leichtgläubige I ' l u t a r c h von ihr hinterlassen hat, hinlängliches Licht erhalten, um uns die Entstehung jener Verleumdxingen erklären zu können: und v,enn einige Griechische Autoren, fünf und mehrere hundert Jahre nach Aspasien, die Sarkasmen cQicher zügelloser Komödienschreiber für einen hinlänglichen Grund genommen haben, auf eine unwürdige Art von ihr zu sprechen; so werden wir sehen, dafs diese Herren mit unserm Französischen Biografen und seinem Dollmetscher in Eine Klasse gehören , und gerade so viel Achtung und Gehör verdienen als diese. Unter denen, die das Glück hatten mit Aspasien zu leben, sind nur z w e y , die ihrer
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in ihren Schriften, zwar n u r i m Vorbeygehen, aber auf eine ehrenvolle Art e r w ä h n e n , P 1 a t o und X e n o f o n : der erste i n einem seiner schönsten Dialogen, M e n e x e n u s betitelt; der andere im dritten Kapitel der Unterredung zwischen Sokrates u n d Kritobulus übcr die Ökonomie. I m Menexenus spricht S o k r a t e s mit einem jungen Athener dieses Nahmens von dem Vorhaben des Senats, den B ü r g e r n , die zu Anfang des berühmten Peloponncsischen Krieges ihr Leben f ü r das Vaterland gelassen h a t t e n , eine feierliche Leichenrede halten zu lassen. M e n e x e n u s m e i n t , derjenige, auf den die W a h l des Senats falle, werde, wegen '
'
D
Mangel an Zeit sich dazu vorzubereiten, sehr verlegen s e y n , und wohl gar aus dem Stegreife reden müssen. — W i e ? sagt S o k r a t e s , denkst du nicht, dafs ein jeder von diesen Herren seine Rede auf diesen Anlafs schon lange fertig liegen hat ? Und am Ende, was ist denn auch so schweres d a r a n , dafs es einer grofsen Vorbereitung dazu b e d ü r f t e ? J a , w e n n einer die Athener im Peloponnesus, oder die Peloponnesier zu Athen zu loben hätte, da möchte w o h l ein grofser Redner dazu gehören, u m sich Beyfall zu verschaffen und seine Zuhörer zu ü b e r z e u g e n : aber w e n n man diejenigen, die m a n l o b t , zu Pächtern h a t , da ist es keine YV i F L A N I n s YV. XXIV. R
r
A
S
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A
s 1
A.
Kunst gut zu sprechen. — D u getrautest dir also, sagt M e n e x e n u s , diese Rede zu halten, w e n n es dir \ o n i Senat aufgetragen w ü r d e ? — W a r u m nicliL, erwiedert S o k r a t e s , da ich das Gluck gehabt habe, eine Lehrmeisterin in der Redekunst zu h a b e n , die viele andre zu sehr guten Rednern gemacht h a t , und darunter einen der unter allen Griechen nicht seines gleichen hat, den Perikles? — W e r -wäre diese, versetzt M e n e x e n u s , w e n n du nicht A s p a s i e n meinst? — Keine andere! Sie und Konnus, des Metrobius Sohn, sind ja beide meine Lehrmeister, jener in der Musik, 4) Aspasia in der Rhetorik. Es ist also kein Wunder, -nenn ein M a n n , der einer solchen Erziehung genossen h a t , gut zu sprechen weifs. — Und was hattest du denn zu sagen, w e n n du die Leichenrede halten müfstest? fragt M e n e x e n u s . — Vielleicht nichts, antwortet S o k r a t e s , w e n n ich aus m i r selbst reden müfste; aber zu gutem Gluck hörte ich erst gestern z u , als Aspasia, da von dem Vorhaben, eine solche Rede halten zu lassen, gesprochen wurde, sich über diesen Gegenstand vernehmen liefs, und uns auf der Stelle zeigte, was darüber zu sagen w ä r e ; so
4)
D i e Musik w a r gerade das, w o i i n Sokrates am
wenigsten
gethan hatte; und diefs macht hier eben
die Ironie auffallender.
A
s
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a
s
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a
.
dafs die Leichenrede, die vom Perikles gehalten A - u i r d e , meines Bedunkens, blofs aus den Bruchstucken, die ihm von Aspasiens Rede im Gedachtnifs geblieben waren, zusammen geleimt •war. — E r i n n e r n du dich dessen noch was Aspasia sagte? fragt M e n e x e n u s . — Ich liaLte sehr Unrecht, wenn ich es laugnen wollte, antwortet Sokrates; denn sie gab sich M u h e genug es mir beyzubringen, und es fehlte wenig, dafs ich nicht Schlage von ihr bekommen hatte, weil ich so viel davon wieder vergessen hatte. — „Was hindert dich also, es mir v o r z u t r a g e n ? " — Meine Lehrmeisterin könnte ungehalten auf mich werden, wenn ich ihre Rede öffentlich bekannt machte. — „ D a s hast du ganz und gar nicht zu besorgen, Sokrates! Thue mir den Gefallen, sage mir die Rede her; ob es die von Aspasien, oder von w elchem andern sie ist, gilt mir gleich! nur die R e d e ! " — D u wirst mich vielleicht auslachen, dafs ich in meinem Alter noch Spafs treibe? — „Ganz und gar nicht, Sokrates; mir ist alles recht, wenn ich nur die Rede b e k o m m e . " — N u n , so werde ich dir denn wohl zu Willen seyn müssen, sagt S o k r a t e s : müfste ichs doch, wenn du haben wolltest, dafs ich mich ausziehen und tanzen sollte, da wir doch beide hier allein sind. So höre denn. — Und nun fangt er a n , seinem Freunde die vorgebliche Rede der Aspasia
Soo
A S P A S I A .
vorzutragen, 5) die dieser Dame alleidings grofse Ehre machen wurde, wenn wir nicht Ursache hatten zu glauben, dafs sie nicht mehr Recht an dieselbe habe, als D i o t i m a an die schwärmerisch -metafysische Theorie der Liebe, die ihr in Plalons G a s t m a h l in den Wund gelegt wird. — Wie er fertig damit isL, setzt er hinzu: Und diefs, Freund Menexenus, wäre also die Rede der Aspasia von Milet. — ßeym Jupiter, ruft Menexenus aus, du giebst mir einen grofsen Begriff von dieser Aspasia, wenn sie im Stande ist, solche Reden abzufassen. Wer sollte das von einer Frau erwarten? — Wenn du es nicht glaubst, erwiedert Sokrates, so komm mit m i r , du sollst sie selbst reden hören. — O mein guter Sokrates, versetzt jener, ich bin oft genug in Aspasiens Gesellschaft gewesen, um zu wissen, was von ihr zu erwarten ist. — Wie so? fragt Sokrates. Du bewunderst sie also nicht, und weifst ihr keinen Dank für ihre Rede? — Im GegenLheil o y 5)
Diese Rede
ist,
wenige
Zuge
ausgenommen,
gänzlich von derjenigen verschieden, die vom Perikles wirklich g e h a l t e n ,
und
ten B u c h e
Geschichte
seiner
vom Thucydides dem zweydes
Peloponnesischen
Krieges einverleibt worden ist, und die den Athenern so w o h l gefiel, dafs sie alle J a h r e an dem Gedächtnifstage der in
besagtem
Iiiiege
öffentlich recitiert wurde.
umgekommenen
Burger
A S P A S I A .
301
dem, von welchem du diese Bede hast, einen sehr grofsen D a n k , antwortet Menexenus, es sey nun dafs ich ihn i h r oder einem andern schuldig bin. — Gut, sagt Sokrates: aber dafs du mir nichts ausplauderst! D u würdest dich dadurch um viele andere gar schöne politische Diskurse von ihr bringen, die ich dir in der Foige miLtheilen will. — Diefs ist alles Avas P l a t o in seinen Werken von Aspasien sagt. In der Stelle, wo X e n o f o n ihrer erwähnt, ist die Rede davon, w ie viel eine Hausfrau zum Wohlstand oder zum Schaden ihres Hauswesens beytragen könne, und wie nölhig es sey, dafs der Mann, der eine junge unwissende und unerfahrne Person (wie alle Griechischen.Mädchen vermöge ihrer Erziehung gewöhnlich waren) geheirathet habe, sie auf eine verständige °ute Hausmutter C Art zu bilden,' und eine Ö aus ihr zu ziehen wisse. — Du glaubst also, sagt Kritobulus zum Sokrates, die guten Frauen, deren du vorhin erwähntest, seyen von ihren Männern dazu gebildet worden ? — Ich denke es wird sich so befinden, wenn wir genauer nachsehen, antwortet Sokrates. Übrigens empfehle ich dir die A s p a s i a , die dir über diese ganze Materie mit viel gröfserer Sachkenntnifs sprechen kann als ich. Man erlaube mir nun über diese beiden Stellen einige Anmerkungen zu machen.
A s p a s i a .
302
In der ersten herrscht offenbar ein gewisser T o n v o n Scherz und I r o n i e , der den eigentlichen Sinn und Z w e c k Piatons etwas z w e y d e u tig macht.
Indessen
allem diesem Scherze
meint P l u t a r c h ,
unter
sey doch so ^ e l histo-
rische Wahrheit, dafs man z u glauben Ursache habe, der U m g a n g , den viele Athener mit dieser Frau gepflogen , habe keine andre Absicht gehabt, Kunst
als v o n ihrer Geschicklichkeit in der zu
reden VorLheile
zu
ziehen.
Diefs
k o n n t e geschehen, ohne dafsAspasia im eigentlichen Wortverstande eine S c h u l e
der Rhe-
torik gehalten, einem M a n n e v i e Ferikles seine B e d e diktiert,
oder
einem Sokrates
(der u m
die Zeit, w o v o n hier die Rede i s t , über vierz i g Jahre alt w a r )
Ohrfeigen
gegeben
halte,
w e i l er seine L e k z i o n nicht recht gelernt halle. Indessen scheint es auch unter den damahligen Athenern solche Strohköpfe gegeben zu haben, die sich schöne
nicht und
vorstellen
konnten,
geistvolle F r a u
die
w i e eine
Demagogen
v o n Athen z u bessern R e d n e r n und geschickt e m Staatsmännern machen k ö n n e , ohne ihnen Vorlesungen
über R h e t o r i k und Politik z u
h a l t e n ; oder w i e sie einem Perikles Ideen zu seiner Ehrenrede auf die B ü r g e r , die im Peloponnesischen Kriege zuerst gefallen waren, hätte geben k ö n n e n ,
ohne i h m die ganze Rede zu
m a c h e n : u n d über diese L e u t e spottet der r i a tonische
Sokrates augenscheinlich.
Übrigens
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505
ist der ganze Dialog so gut eine Fikzion als alle andere Platonische Dialogen. „ Aber was f ü r eine Ursache k o n n t e er haben, eine Rede, deren Verfasser er ohne Zweifel selbst w a r , auf Aspasiens R e c h n u n g zu s e t z e n ? " Es f a l l t , d ü n k t m i c h , ziemlich stark in die Augen, ( z u m a h l w e n n man seine Rede mit der des Perikles vergleicht) dafs sie gemacht war die letztere auszulöschen. Aber die Rede des Perikles galt n u n einmahl bey den Athenern f ü r ein so grofses Meisterstück, dafs etwas unpopuläres u n d verhafstes darin war, sich die Miene zu geben, als ob man etwas besseres machen k ö n n e . W a s konnte er n u n , u m diesem Vorwurf zu entgehen, f ü r eine artigere W e n d u n g n e h m e n , als sich die gemeine Mein u n g von Aspasiens Starke in der Rhetorik u n d Politik zu Nutze zu m a c h e n , u n d seine Rede f ü r das w a h r e O r i g i n a l dieser grofsen Meisterin zu geben, wovon die Rede des Perikles n u r als eine ungetreue Kopie anzusehen sey? Das Verhafste des Unternehmens, den Athenern zu zeigen, wie diese Leichenrede hätte lauten m ü s s e n , u m des g r o ß e n Aufhebens das man davon machte würdiger zu seyn, fiel auf diese Art nicht geradezu auf Plato, u n d er hatte dennoch hinlänglich dafür gesorgt, dafs sich kein
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A.
verständiger Leser über den wahren Verfasser irren konnte. So wie in dem, was Plato den Sola ates von Aspasien sagen läfst, etwas übertriebenes nnd ironisches ist : so ernsthaft ist hingegen der Ton, worin X e n o f o n s Sokrates in dem ganzen Gespräche mit dem Kritobulus, und also auch in der Stelle, wo er ihn an Astasien verweiset, spricht. Hier ist nicht nur kein Schatten von Zweydeutigkeit, sondern sogar der Schlüssel zu d e m , was P i n t a i c h von den Athenischen Herren meldet, die kein Bedenken trugen , ihre Gemahlinnen zu Aspasien zu führen, damit sie von den Gesprächen dieser aufserordentlichen Frau profitieren möchten. E s ist wahr, Plutarch setzt unmittelbar hinzu: ungeachtet sie ein Gewerbe trieb, das eben nicht das anständigste w a r ; „denn sie unterhielt Mädchen in ihrem Hause, die sich dem Vergnügen der Mannspersonen widmeten." — Sie mül'ste also dieses unehrbare Gewerbe s e h r h e i m l i c h getrieben haben. Denn dafs angesehene Männer von ALhen ihre Frauen in ein s o l c h e s Haus geführt haben sollten, oder dafs Athenische Frauen sich zum Umgang mit einer Fremden, die eine solche Profession getrieben hätte, verstanden haben sollten, war
A s p a s i a .
den Sitten der Athener so schnurgerade entgegen , dafs es sich gar nicht denken lafst. I n einer von Terenz übersetzten Komödie des M e n a n d e r macht sich der Athener Kremes ein Bedenken, n u r das W o r t H e t ä r e in Gegenwart seiner Frau auszusprechen: u n d die edelsten Manner von Athen sollten sich nicht geschämt haben, ihre Ehefrauen selbst in ein berüchtigtes Haus zu f ü h r e n , u m v o n einer Kupplerin Weisheit und Tugend zu lernen ? Ein Sokrates sollte mit einer solchen Person öffentlich umgegangen seyn ? sollte (wie er beym Xenofon tliut) einen wackern M a n n an eine solche Person gewiesen haben, u m v o n ihr zu l e r n e n , wie ein M a n n seine Ehegattin bilden müsse? Ein Perikles sollte in einem schon ziemlich vorgerückten Alter fähig gewesen seyn, sich von seiner Gemahlin, einer edeln A t h e n e r i n , zu scheiden, um ein solches Weibsstück zu heirathen? Und (was nicht das Widersinnigste ist) eine Person v o n e d l e r A b k u n f t , welche, nach Plularchs eigenem Vorgeben, reitzend und liebenswürdig genug w a r , einem Perikles eine wahre Leidenschaft, eine Liebe, die sich auch nach seiner Vermahlung mit ihr immer in gleicher Starke erhielt, einzuflöfsen, sollte ein Gewerbe getrieben haben, wodurch eine L a i s oder F r y n e ihre eigenen Reitzungen zu beschimpfen geglaubt hätte? —• Es w ü r d e unbegreiflich s e y n , wie der gute WIE l a k d s
W.
XXIV. B.
39
A S P A S I A .
Plutarch den Komödienschreibern, deren Frechheit ihm b e k a n n t genug war, so offenbare Ungereimtheiten habe nachsprechen mögen, w e n n seine Lebensbeschreibungen nicht so häufige Beweise enthielten, dafs es ihm nicht schwer fiel sich die unglaublichsten Dinge als möglich vorzustellen , u n d dafs , bey allem seinem guten Verstände, seine Feder nicht immer v o n einer richtigen Beurtheilung geleitet wurde. Frey lieh erlaubten sich die A r i s t ó f a n e s , K r a l i n u s , E u p o 1 i s u n d ihres gleichen, auch gegen Aspasien, vías sie sich sosar gegen Sokrates, was sie sich gegen die gröfsten Manner der Republik u n d ge^en Pcrikles selbst erlauben durften. Eine Frau, die durch ihren Geist, ihre Talente, ihre Kenntnisse, die Eleganz der Sitten u n d die freyere Lebensart des Ionischen Frauenzimmers, w o v o n sie den Athenern das erste u n d vollkommenste Modell an sich selbst zeigte, gegen die áufserst einfach erzogenen , u n w i s s e n d e n , langweiligen, u n d fast immer in ihrem Gynäceon vegetierenden Athen e r i n n e n so gewaltig abstach, mufste ja w o h l diesen zügellosen W i t z l i n g e n , die nichts zu scheuen hatten, u n d Götter u n d Menschen so lacherlich machen d u r f t e n als sie wollten u n d k o n n t e n , manche Blöfse geben, sie v o n Seiten ihrer Sitten a n z u g r e i f e n ; u n d Aristófanes war kein M a n n , der eine solche Gelegenheit unben u t z t liefs, zumahl da er, indem er seine Pfeile
A S T A S I A .
auf Aspasien abdrückte, den Perikles selbst (der desto mehr Neider und Feinde hatte, je gröfser er war ) ungestraft verwunden konnte. Nicht zufrieden also, sie seine O m f a l e und D e j a n i r a , und, nachdem er sie geheirathet hatte, seine J u n o zu nennen, ging Aristófanes so weit, der Feindschaft des Perikles gegen die Megarer und dem Peloponnesischen Krieg eine Ursache zu geben, die, indem sie Aspasiens Sitten und Karakter anschmitzte, zugleich ein verächtliches und verhafstes Licht auf den Perikles selbst fallen liefs. — „Etliche von unsern jungen Leuten, sagt er, gehen in trunknem Muthe nach Megara und entfuhren die 1 1 * r * S i m ä t h a ; die Megarer erbofsen sich darüber, und entfuhren, sich zu r ä c h e n , der Aspasia z w e y H * r * n ; und so sind d r e y MeLzen die saubere Quelle des Kriegs, der über die ganze Hellas ausgebrochen ist! Das ists, warum der Olympier Perikles so gewaltig blitzt und donnert, und in ganz Griechenland alles zu unterst zu oberst k e h r t , " u. s. w. 6 ) So konnte ArisLofanes seinen D i k ä o p o l i s sprechen lassen: aber Plutarch, der die wahren Ursachen des Dekrets gegen Megara und des Peloponnesischen Krieges aus seinem T l i u c y d i d e s wissen konnte, hatte Unrecht, die Berufung der Megarer auf diese Verse des Aris6 ) Aristófanes in den A c h a m e r n, Akt 2. Scene^.
A S P A S I A .
tofanes für einen hinlänglichen Grund zu halten, „warum es gar schwer sey, hinter die wahren Ursachen des Peloponnesischen Krieges zu k o m m e n . " Übrigens k o n n t e , Aspasiens Ehre unbeschadet, etwas W a h r e s an der Anekdote seyn. Aspasia hatte ohne Zweifel sehr arlige junge Madchen unter ihren Sklavinnen, ohne dafs sie darum das Schimpfwort verdienten, v\omit Dikaopolis sie belegt; die jungen Megarer k o n n t e n , um sich wegen der Entfuhrung der S i m ä t h a zu rächen, ein paar schöne Sklavinnen aus Aspasiens Hause entfuhrt haben, und Aspasia konnte eine solche Verwegenheit sehr übel finden, ohne dafs diefs die Ursache des Krieges wurde, -wiewohl es naturlicher Weise nicht geschickt w a r , die Megarer dem Peiikles angenehmer zu machen.
,,Aber, (wird vermuthlic.h der Advocatus diaboli, den ich mir bey dieser Rechtfertigung Aspasiens gegenwärtig denke, einwenden) böse Gerüchte, noch vier, fünf oder mehr hundert Jahre nach ihrem T o d e , ( w o alle mögliche Ursachen sie verleumden zu wollen langst aufgehört hatten) von einem so gutherzigen Manne wie Plutarch, und von so unbeschollnen Leuten wie Athenäus, Suidas, Synccl-
A S P A S I A .
Ins u. a. so zuversichtlich fortgepflanzt, können doch wohl n i c h t o h n e a l l e n G r u n d sevn." In der T h a t , so denke ich auch; und ich habe schon so viel davon angedeutet, dafs es nicht schwer seyn wird, dieses Rathsei aufzulösen. Aspasia war ein Frauenzimmer aus I o n i e n , und die Ionierinnen standen — vermuthlich wegen des freyern Umgangs, der in diesem schönen Lande unter beiden Geschlechtern Statt f a n d , und wovon eine lebhaftere Begierde zu gefallen, mehr Geschicklichkeit ihre Reitze geltend zu machen, und mehr Sorge fur innerliche und aufsere Verschönerung durch Talente, Geschmack, Putz, Artigkeit der Sitten und Manieren, die naturliche Folge bey den Damen war — die Ionierinnen, sage ich, standen zu Athen in so bösem Rufe, dafs der Filosof Aschines sie in einem seiner Dialogen durch die Bank fur Koketten und etwas noch ärgers erklärte. Aspasia lebte zu Athen wie sie zu Milet oder Smyrna gelebt hätte. „Eine F r a u , die mit allem, Avas wir Männer bey ihrem Geschlechte suchen, Eigenschaften verband, welche wir als ein Eigenthum des unsrigen anzusehen gewohnt sind, war in Athen eine Art von "Wunder. Sie erregte die allgemeine Aufmerksamkeit, und wurde in kurzem ein Gegenstand der Bewunderung für die
3
A s p a s i a .
1 0
e i n e n , u n d der M i f s g u n s t f ü r die a n d e r n . " 7 ) Sie h a t t e ( w i e es scheint, u n d w i e es sich f ü r ihre
edle
Abkunft
und
für
ihre
Umstände
schickte ) verschiedene artige Madchen, Aufwärterinnen, I o n i s c h e r Sitte i n
mitgebracht,
der M u s i k
als i h r e
die
und
nach
Tanzkunst
geübt w a r e n ,
u n d ( w a s i c h , ohne des Gegen-
theils
versichert
positiv
unmöglich
erklären
zu
seyn,
möchte)
nicht
für
-vielleicht
e i n e m K l o s t e r v o n J u n g f r a u e n der D i a n e
in
oder
Vesta n i c h t i n i h r e m E l e m e n t e gewesen -waren. B e y aller D e c e n z u n d Sittlichkeit, die in e i n e m Hause
unfehlbar
Weisen
besucht
herrschen wurde,
niufste,
das
von
u n d w o h i n die v o r -
n e h m s t e n A t h e n e r ihre j u n g e n F r a u e n f ü h r t e n , läfst sich allenfalls b e g r e i f e n , Schleier
des
Alcibiades
Geheimnisses
oder
dafs unLer zwischen
Axiochus
und
dem einem
einem
sol-
c h e n K a m m e r m ä d c h e n diefs u n d jenes v e r h a n delt
werden
konnte,
wovon
Aspasia
Aveder
L u s t h a t t e n o c h sich v e r b u n d e n glaubte b e s o n dere Kundschaft zu nehmen.
A b e r w ä r e diefs
auch nicht gewesen,
so b r a u c h t es n u r
sehr
von
um
mäfsigen
Grad
einen
Menschenkenntnifs,
e i n z u s e h e n , dafs sie sich d a r u m n i c h t w e -
niger
hätte
nachsagen
lassen
müssen,
sie
l o c k e die e d e l s t e n u n d v ichtigsten M a n n e r z u A t h e n d u r c h d e n R e i t z des V e r g n ü g e n s in ihr 7 ) A g a t h o n , III. Theil, S. 523.
A S P A S I A .
Haus; und ohne Zweifel war es gerade das Gesetz, das sie sich gemacht hatte, ihre T h ü r nur Personen vom ersten Rang oder v o n ausgezeichneten Verdiensten offen zu halten, was d e n A u s g e s c h l o f s n e n Anlafs und Vor»wand gab, ihre Sitten zu lästern. Vermuthlich hatte soaar der R u f , dafs sie eine Schule der Beredsamkeit, Staatskunst und Sittenlehre halte, keinen andern Grund, als der Freyheit, womit ihr Haus von M ä n n e r n besucht wurde, das Anstöfsiae zu benehmen, das die Eiferer für die gute alte SiLte darin finden mochten. Im Grunde aber war es, aller Wahrscheinlichkeit nach. eine Art von Akademie der schönen Geister, und der Vereinigungspunkt. der besten Gesellschaft von Athen. „Staatsmänner besuchten es, um im Schoofse der Musen und Grazien auszuruhen; die Anaxagoras und Sokrates, um ihre Filosofie aufzuheitern; die Fidias und Zeuxis, u m schöne Bilder und Ideen aufzuhaschen; die Dichter, um ihren Werken die letzte Politur zu geben; die edelste Jugend von Athen, um sich zu bilden, oder sich wenigstens r ü h m e n zu können, in Aspasiens Schule gebildet worden z u s e y n . " 8) W e n n diefs auch nichts mehr als Hypothese wäre, so ist es doch die einzige, die das o ) A g a t h o n , III. Thcil, S. 324.
"12
A S P A S I A .
W i d e r s p r e c h e n d e in den Nachrichten der Alten v o n dieser aufserordentlichen F r a u v e r e i n iog t ;' die einzige, die u n s begreiflich m a c h t , w i e die einen so viel rühmliches, die andern so viel nachtheiliges v o n ihr sagen k o n n t e n ; die aber eben dadurch z u m e h r als einer blofsen H y p o these w i r d . Sie setzt alles, w a s d u n k e l u n d z w e i f e l h a f t an i h r e m K a r a k t e r , oder u n g l a u b lich an i h r e r w i r k l i c h e n Geschichte ist, in ein so helles L i c h t , als m a n nach m e h r als 7.wey tausend J a h r e n n u r i m m e r verlangen k a n n . N u r durch s i e erklart sich, w a r u m e i n X e n o f o n u n d F l a t o , m i t so vieler Z u r ü c k h a l t u n g , dennoch nichts als was ihr r ü h m l i c h ist von i h r sagen; wie sie einem Perikles so l i e b , so u n e n t b e h r l i c h , w i e sie sogar seine Gemahlin w e r d e n k o n n t e ; w a r u m die einen eine W e i s e , die andern eine H e t ä r e aus ihr m a c h t e n ; u n d wie es z u g i n g , dafs ein Plularch, der das G e f a l l i g e v o n d i e s e m Karakter m i t dem S o l i d e n v o n j e n e m in ihr vereinigt sah, zwischen dem w a s sie w a r, was sie s c h i e n, u n d was m a n i h r a n d i c h t e t e , zweifelhaft, sich nicht besser zu helfen wufste, als dafs er alles, wie übel es auch z u s a m m e n pafste, in E i n disparates Bild v e r e i n i g t e , d a s , Avie jenes b e y m I i o r a z , v o n oben einen schönen Madchenkopf auf e i n e m b u n t befiederten Pferdehalse z e i g t , u n d u n t e n sich in einen häfslichen Fischschwanz endigt.
A s p a s i a . Und doch wie leicht war es, w e n n er sich lebendig genug in Aspasiens Zeit, Umstände u n d Verhältnisse, und in die wesentlichsten Karakterziige, die er selbst ihr beylegt, hinein gedacht hatte, wie leicht war es, sich alle anscheinende Widersprüche zu e r k l ä r e n , u n d die unarligen Ausfalle eines Kratinus u n d Aristófanes, (wobey es im Grunde doch blofs d a r u m zu thun w a r , dem P e r i k l e s bey dem Volke Schaden zu t h u n ) wofern er ihrer auch erwähn e n wollte, wenigstens f ü r das was sie waren, f ü r MuLhwillen und Verleumdung, u n d nicht f ü r Zeugnisse zu halten, die der Aufmerksamkeit eines Geschichtschreibers würdig seyen! M a n braucht nichts, als diese Verleumdungen der frechsten und ausgelassensten Satire a b z u r e c h n e n , u n d das Vorurtheil zu ber i c h t i g e n , das der Kontrast zwischen einer Ionischen Dame u n d einer Athenerin dem Póbel zu Athen gegen Aspasien beybringen m u í s t e : so ist alles übrige, was uns Plutarch von ihrem Geist, ihren Talenten und ihrer Lebensgeschichte sagt, — wie wenig es auch unser Verlangen, mit einer so seltenen Person recht genau bekannt zu w e r d e n , ganz befriedigen k a n n — doch hinlänglich, uns zu überzeugen , dafs sie eine schöne u n d grofse Rolle zu Athen gespielt habe. Aber hätte sie diefs gekonnt, „ w e n n sie nicht vorsichtig in ihrem WltLAKDS W. XXIV. B.
/+0
A S P A S I A .
Betragen, und aufmerksam gewesen wäre sich die Hochachtung derjenigen zu erwerben, deren Beyfall für den öffentlichen Bürge ist? Oder können wir glauben, dafs Perikles sich hätte einfallen lassen, sie zu seiner Gemahlin zu machen, wenn er nur hätte vermuthen dürfen , dafs sie um einen andern Preis zu haben seyn k ö n n t e ? " 9) Mehr zur Rechtfertigung meiner edeln Klientin zu sagen, würde ein unbilliges Mifstrauen in die Weisheit, Gerechtigkeit und Humanität unsrer Richterinnen verrathen, und selbst der Achtung zu nahe treten, die ein Schriftsteller dem schönen Geschlechte schuldig ist. W i r unterwerfen uns also, mit aller R u h e , die uns das Bewufstseyn einer guten Sache giebt, ihrem entscheidenden Ausspruche: und sollten Avir j a , gegen alle Vermuthung, einen s c h w a r z e n Stein zu viel bekommen, so möge M i n e r v a s e l b s t ihren A v e i f s e n hinzu legen, und dadurch die Lossprechung 9 ) A g a t h o n , IIT. Theil, S. 325. 1 0 ) Wenn eine vor dem A r e o p a g u s
angeklagte
Person eben so viel weilse als schwarze Steine bekam, so wurde sie los gesprochen, w e i l , w o die Wage der Gerechtigkeit
in völligem Gleichgewicht steht,
Billigkeit sich auf
die Seite der Humanität
die neigt.
Damit aber doch dem Gesetze, kraft dessen die mth-
A S P A S I A .
315
einer Sterblichen bewirken, die einst, mit allen ihren Gaben überhäuft, den Dienst der Grazien mit dem ihrigen so gut zu verbinden wufsle! r e m Stimmen entscheiden, kein Abbruch geschehe, so wurde, wenn dieser Fall eintrat, i m N a h m e n Minerva,
der
ein weifser Stein hinzu gelegt, und da-
durch die Majorität zu Gunsten des Beklagten hergestellt.
II.
J Lasar
U
L
I
Augusts
A Tochtc
Wiewohl ich die zärtliche Achtung, die man dem schönen Geschlechte in so vielerley Rücksichten schuldig ist, nicht so weit treiben möchte als der berühmte B o c a c c i o , der — in einem Buche, y ) das zu seiner Zeit in den Händen aller Florentinischen Damen war — sogar von einer M e s s a l i n a als von einer liebenswürdigen Unglücklichen spricht, und die Schuld ihrer Unthaten auf den unvermeidlichen Einflufs der S t e r n e 1 1 ) De betitelt. Eva
claris mulieribus Es fangt mit
(von berühmten Frauen)
unsrer
allgemeinen
Mutter
an, und hört mit der Konigin J o h a n n a der
Zvveyten von Neapel auf.
J
U
L
I
A
.
317
schiebt, unter welchen s i e und i h r e L i e b h a b e r geboren worden: so kann ich mich doch nicht cntbrechen, einer andern Dame jener Zeiten das W o r t zu reden, f ü r welche der Nähme einer schönen Unglücklichen sich besser zu schicken scheint, und gegen welche die Geschichtschreiber und die Nachwelt eine Harte beweisen, die sie, einer sehr grofsen Wahrscheinlichkeit nach, wenigstens in d i e s e ru Grade nicht verdient hat. Arme J u l i a ! war es nicht genug, dafs du einen so grofsen Theil deiner besten Jahre in den Felsen der verhafsten Insel Pandataria hinschmachten mufstest? Nicht g e n u g , der Politik und Schwache eines argwöhnischen und immer für seine usurpierte Alleinherrschaft zitternden Vaters, den geheimen Verfolgungen einer grenzenlos herrschsüchtigen Stiefmutter, und der kaltblütigen langsamen Rache eines Unmenschen wie Tiberius , aufgeopfert zu werden? Mufstest d u , um das Mafs deines Schicksals voll zu machen, auch noch von Geschieht - und Romanschreibern 1 2 ) 12)
I c h stelle unter diesen den Herrn
von
v i e z mit seiner Iiis Loire des Imperatrices und den Verfasser der Alemoires guste billig oben a n , da sie — Artikel J u l i e
de la Cour
S el-
Romaines d'
Au-
um hier nur bey dem
stehen zu bleiben —
in ihrer Erzäh-
318
J
U
L
I
A
.
als ein Geschöpf, das sogar dem weiblichen Nahmen Schande gemacht habe, mit den schmählichsten Beywörtern gebrandmarkt nnd der Verachtung u n d dem Abscheu aller Zeiten Preis gegeben w e r d e n ? W e n n die unglückliche Julia eine solche Behandlung v o n der Nachwelt n i c h t verdient hätte: wäre es dann nicht mehr als grausam, das Unrecht von einem Jahrhundert zum andern, in jedem Buche, w o r i n von ihr die Rede ist, fortzusetzen? Oder w e n n es auch n u r z w e i f e l h a f t wäre, ob sie die verächtliche Kreatur gewesen sey, wozu so viele Biicherschreiber ( u m ihren Eifer f ü r die Tugend in die Wette an ihr auszulassen) sie gemacht haben: forderte nicht die Humanitat von uns, den weifsen Stein der M i n e r v a , dessen bey Gelegenheit Aspasiens erwähnt worden ist, zu den schwarzen, wodurch sie verurtheilt w ü r d e , zu legen, u n d lieber zu billig als ungerecht von ihr urtheilen zu w o l l e n ? W e n n aber sogar Gründe von nicht geringem Gewicht es wahrscheinlich machten, dafs lung der kritisch-historischen Wahrheit nichts weniger als treu geblieben sind.
J
U
L
I
A
.
319
sie vielmehr das Opfer einer abscheulichen Kabale als ihrer eigenen Ausschweifungen gewesen sey: würde da nicht, wenn wir sie auch nicht von allen Verirrungen, die unter den Römerinnen ihrer Zeit und ihres Standes so gemein Avaren, frey sprechen können, doch die Gerechtigkeit selbst erfordern, dafs man sie, nach einer billigen Schätzung ihrer schönen Eigenschaften, wenigstens mit der eben so liebenswürdigen M a r i a v o n Schottl a n d (gegen welche doch die Nachwelt endlich unparteyisch wird) in dieselbe Linie stelle? Wäre es nicht Pflicht der Menschlichkeit, das, was ein ungewöhnlich strenges Schicksal und die von ihrer Unbesonnenheit Yortheil ziehende Bosheit ihrer Feinde an i h r s e l b s t in ihrem Leben verschuldeten,7 wenigÖ stens an i h r e m A n d e n k e n zu vergüten, und (wenn ich hier nach Altrömischer Weise reden darf) ihren seufzenden Schatten durch eine Thrane, die von der Tugend selbst nicht verdammt werden kann, zu versöhnen und zu beruhigen? Ehe ich die Gründe, die der Tochter Augusts bey einer Revision ihres Prozesses zu Statten kommen, in einiges Licht zu setzen versuche, sey mir erlaubt, das nöthigste von ihren Lebensumständen,' und einige O karakterisLische Züge, die uns sowohl ihren Geist als
32O
J
U
L
I
ihre Sinnesart anschaulich voran zu schicken.
A
.
machen
können,
Sie war Augusts einzige Tochter, und wurde i h m , da er noch Oktavianus Casar hiefs, von seiner zweyLen Gemahlin S k r i b o n i a geboren, welche er im Jahre der Stadt Rom 7 1 2 oder 1 3 (politischer Verhältnisse wegen, die von kurzer Dauer waren) geheirathet hatte, und drey bis vier Jahre hernach seiner heftigen Leidenschaft für die jüngere und schönere Gemahlin des Tiberius Klaudius Nero, die berühmte L i v i a , aufopferte, die von ihm selbst durch Adopzion mit dem Geschlechtsnahmen J u l i a , und von den Kömern in der Folge mit dem erhabenen Titel A u g u s t a beehrt wurde; eine Frau, welche die Gewalt, die sie in ihrem achtzehnten Jahre durch ihre blendende Schönheit über den ausschweifenden O k t a v i a n erhielt, über den Herrn der Welt A u g u s t u s vierzig Jahre lang durch die Feinheit und Geschmeidigkeit ihres Geistes, und die Obermacht ihres Genius über den seinigen, in immer zunehmender Starke zu erhalten wufste. J u l i e n s Unglück war — eine s o l c h e Frau zur S t i e f m u t t e r zu haben; oder, wenn diefs nun ja einmahl nicht zu andern w a r , ihr an K l u g h e i t und Gew a l t ü b e r s i c h s e l b s t so wenig gewachsen zu seyn.
J u l i a .
321
Julia war noch ein Kind, als sie im Jahre 7 1 7 mit dem Neffen und präsumtiven Erben Augusts, M a r c e l l u s , einem Knaben von zehn Jahren, vermählt, oder, nach unsrer Weise z u r e d e n , verlobt wurde) und sie mochte etv\a sechzehn oder siebzehn Jahre haben, als er in seinem vier und zwanzigsten, (nicht ohne dafs der Verdacht seines Todes auf L i v i e n fiel) zu grofsem Leidwesen der R ö m e r , aus der Welt ging. Es ist also eine seltsame Art zu reden, wenn Herr d e S e r v i e z sagt: „Marcellus habe Juliens Herz (in einem A l t e r , w o sie kaum wufste ob sie ein Herz habe!) nicht f i x i e r e n k ö n n e n , und vielleicht habe er es gar n i e besessen." — Diefs kann sehr möglich seyn, ohne dafs es billig wäre, Julien ein Verbrechen daraus zu machen. Kaum war sie wieder frey, so wurde sie, ohne dafs i h r H e r z darum befragt worden wäre, zum zweyten Mahle das Opfer der Politik ihres Vaters, indem er sie mit M . Vipsanius A g r i p p a vermählte; einem Manne v o n niedriger H e r k u n f t , aber an Verdiensten dem ersten Mann in R o m , und welchem, nebst dem M ä c e n a s , August alles was aus ihm geworden war zu danken hatte. Agrippa, der damahls in seinem zwey und vierzigsten Jahre stand, war unstreitig der gröfste Feldherr und Staatsmann seiner Zeit: aber sind diefs die i V m A s n s W. A.AIV. 1!. 41
.1
V
L.
I
A.
E i g e n s c h a f t e n , die eine j u n g e äufserst lebhafte u n d leichtsinnige W i t t w e v o n siebzehn Jahren an d e m zu
Manne
seyn
sucht,
Avünscht?
von
Julie
dem
sie
wufsie
geliebt
unfehlbar
sehr gut, dafs A g r i p p a nicht s i e s e l b s t ,
son-
dern die einzige T o c h t e r des H e r r n der damaligO e n W e l t heirathete:' u n d dafs die "Wahl ihres VaLers nicht defswegen auf A g r i p p a f i e l , -w eil er Julien durch
einen l i e b e n s w ü r d i g e n
Mann
g l ü c k l i c h machen w o l l t e , sondern w e i l er ( v i e i h m Macenas sagte) den Agrippa schon so hoch erhoben hatte, blieb,
dafs n u n nichts andres
als ihn entv\ eder zu
aus
dem "Wege
zu
Schwiegersohn
zu
räumen,
oder
machen.
Aujrust betrachtete seine T o c h t e r als O
einen E f f e k t ,
seinem
übrig
den er m i t m ö g l i c h s t e m
Vor-
theil z u negoeiieren s u c h t e ; u n d A j j r i p p a schlofs den K o n t r a k t ,
er i n der ganzen W e l t kei-
Aveil
n e n bessern H a n d e l treffen konnte. Und doch
wenn
mit
nun
niemand
m i t sich selbst — sem H a n d e l
die kleine J u l i e — näher
A'erwandt
var
die als
ihr H e r z , w o r a u f bey die-
so w e n i g
Rücksicht
genommen
w u r d e , f ü r einen E f f e k t angesehen hätte, -worüber m a n lasse, —
ihr
selbst
zu
disponieren über-
wäre
es ihr w o h l
so sehr
Julia
hatte
richtiges
z u ver-
denken? Aber von dem,
was
der
ein
so
Gemahlin
eines
Gefühl Agrippa
J
U
I.
I
A.
geziemte, dafs auch .Agrippa hinwieder billig genug war, mit den unbesonnenen Lebhaftigkeiten ihres Alters u n d Temperaments Nachsicht zu tragen. Diese leichtsinnigen, dem Rang und Karakter ihres Gemahls eben s o w e n i g als der Tochter Augusts geziemenden Unbesonnenheiten in ihrem Betragen, machten dem Publikum — das entweder nach dem hufserlichen Schein oder gar nicht urtheilen mùfste — ihre Sitten v e r d a c h t i g ; man wunderte sich, w ie die Kinder, die sie dem Agrippa gebar, ihrem präsumtiven Vater so ähnlich Seyen : und u m dieses vorgebliche Rathsei aufzulösen, làfst m a n sie ein unartiges Bon-mot sagen, das aus dem M u n d einer Schifferin zu Ostia natürlicher 13) Was ich liier sage, v e r g i f t e t der Verfasser ¿1er Wiemoires de la Cour cV Auguste folgenderMafsen : vigrippa 11e tarda pas à s' appercevoir mens secrets,
de ces deregle-
(dachte man nicht, dieser Autor wäre
sein und ihr Vertrauter gewesen ? ) il aima souffrir
en silence,
mieux
que de publier son infamie
un coup d' éclat, qui ne i eut peutèlre pas
par
corrigée.
Man vergesse aber nicht, dafs diefs alles blofse V e r m u t u n goe n des Herrn B l a c k m o r e sind. Meines Wissens ist es nur dann erlaubt, das schlimmste von einer Person zu v e r m u t h e n ,
wenn es, unter den
gegebenen Umständen, a b s u r d wäre etwas andres als m ö g l i c h anzunehmen ; und diefs ist hier schwerlich der Fall.
J
U
L
I
A
.
H i n g e , als aus dem Munde der ersten Prinzessin der damahli«en Welt. Aber so lancrp f* man mir den Mann nicht nennen wird, der es a u s J u l i e n s e i g e n e m M u n d e gehört zu haben versichert, werde ich mir die Freyheit nehmen, es für den Einfall irgend eines platten Römischen Witzlings zu halten, den die Welt (wie sie in solchen Fällen immer sehr gutig ist) unvermerkt auf Juliens Rechnung setzte. Die Tythagoräcrin Fintvs hielt es für keinen schlechten Beweis der Tu°end ö einer Ehefrau, wenn sie Kinder bringe, die iln em Manne cleich sehen. 'Warum sollte dieser Beweis nicht auch zum VorLheil der armen Julia gelten? oder warum soll der S c h e i n nur dann aufhören betrnglich zu seyn, wenn er g e g e n s i e ist? CJ
„Julia, sagt M a k r o b i u s , »4) liebte die schönen Wissenschaften und hatte einen sehr ausgebildeten Geist; dabey war sie von einer leutseligen und gutherzigen Gemüthsart, ohne den mindesten Zug von Härte und Grausamkeit; auch wurde sie defswegen allgemein und aufserordentlich geliebt." — Mit einem solchen Herzen konnte viel Leichtsinn und Hang zum Vergnügen verbunden seyn; und eine junge Prinzessin , die aufser ihrer Stiefmutter 1 4 ) M a h r ob. Saturnal. Gespräche, B. II. Kap. 5.
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5-5
keine Person ihres Geschlechts in der ganzen Römischen Welt ü b e r s i c h sah, die in dieser Grofse aufgewachsen w ar, der alles schmeichelte, alles zu Gebot stand, — k o n n t e in beidem nur zu leicht über die Grenzen der Klugheit und Anständigkeit ausschweifen, n u r zu leicht die Begriffe ihres Vaters von d e m , was sich f ü r die Tochter des Augustus schicke, f ü r allzu streng halten, und sich einbilden, dafs der jungen Gemahlin des Agrippa mehr erlaubt sey, als der immer ernsthaften, immer auf ihrer H u t stehenden Julia Augusta. August liebte seine einzige T o c h t e r , wie ein Mann von seiner Art lieben k a n n , d. i. er liebte s i c h s e l b s t in ihr. Sie war i n ihrer Kindheit ziemlich streng erzogen worden, u n d er sah vermuthlirh, dafs es, nachdem sie unter die Gewalt und Aufsicht des Agrippa gekommen war, nöthig sey, einen solchen Karakter mit Nachsicht zu behandeln, und dafs ihr Gemahl nicht so Unrecht habe, ihr mehr Freyheit zulassen, als die bedenkliche L i v i a verniuthlich bey Gelegenheit gut heifsen mochte. Ks ist ganz wahrscheinlich, dafs e r , so lange Agrippa lebte, über diesen P u n k t seiner eigenen Neigung und den weisen Maximen seines Schwiegersohns mehr Gehör gab als seiner Gemahlin. E r betrachtete das, was an der Auff u h r u n g seiner Tochter die Miene von Leicht-
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I-,
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fertigkeit und A u s s c h w e i f u n g "Wirkung eines leichten
hatte,
als
die
f r ö h l i c h e n Gemüthes,
das sich seiner muntern L a u n e und Lebhaftigkeit arglos überlasse,
1
unbekümmert
5)
wie
ihr diese Freyheiten, die i n ihren eigenen A u g e n unschuldig waren,7 v o n andern w ü r d e n aus^eD
deutet w e r d e n ; und v e r m u t h l i c h sah er Julien, so lange er so v o n ihr dachte, in dem Lichte, w o r i n er sie immer hätte sehen sollen. Indessen
ist
gevifs,
Wohlgefallen
an
seiner
welches
er an
ihr
dnfs
gefunden
w e n n ihre fluchtige Sinnesart (um
die
Sache m i t
Augustus
Tochter
ihrem
nie
haben und
das
hatte, w ürde,
Koketterie
rechten
Nahmen
z u n e n n e n ) ihr erlaubt haue, sich mehr nach seinem Sinne zu bequemen.
Sie w a r nie völ-
lig so, w i e die Tochter A u g u s l s , seinen Begriffen n a c h , seyn sollte; und der Kontrast, den sie in ihrem Aufserlichen und in ihrer ganzen A r t zu leben mit der p r ü d e n w a r ihr in seinen A u g e n Seitdem
er
Augustus herrschte,
unter die
dem
Li via
immer
geheiligten Welt
Nahmen allein
be-
hatte er (aus B e w e g g r ü n d e n ,
die
15) M a k r o b .
Römische
machte,
naehtheilig.
am angeführten Orte.
„Augustus
pflegte zu sagen: er habe z w e y Töchter, die mit vieler Schonung behandelt seyn w o l l t e n , die Republik und seine Julia."
J u l i a .
3=7
nicht hierher gehören) nichts angelcgeners, als das Andenken der abscheulichen Zeiten des Triumvirats auszulöschen, und die Römer, denen er den ganzen aufserlichen P r u n k der Republik wieder gegeben hatte, mit einer so grofsen Mafsigung und Bescheidenheit zu beherrschen, dafs sie nicht gewahr werden sollten, dafs sie einen Herren hatten. Schon dam a h l s , als das Reich noch zwischen ihm u n d A n t o n i u s getheilt war, machte er sichs zum Gesetz, in Absicht auf seine eigne Person u n d Lebensweise der völlige Antipode von seinem Nebenbuhler um die Alleinherrschaft zu s e y n ; und diese Art zu leben w u r d e ihm in der Folge, da er sich so wohl dabey befand, endlich zur andern Natur. Er war als das Oberhaupt des Staats, als der Mann, in welchem das Vertrauen der R ö m e r , die Politik seiner Minister, u n d das Gluck des Casaiischen Hauses alle Zweige der höchsten Gewalt vereinigt hatten, der unumschränkteste M o n a r c h : in seinem Hause und in seinem Privatleben hingegen aflektierte er, vor dem geringsten Senator nichts voraus zu haben. Und so wiö er sich selbst nichts zu erlauben schien, was als ein Eingriff in die Gesetze, oder eine Beleidigung der guten Silten, die er sich die Miene gab wieder herstellen zu wollen, ausseiest werden k o n n t e : ' C o so wollte er auch, dafs seine ganze Familie, seine Gemahlin, seine Tochter, u n d ihre Kinder,
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die er adoptiert halte, in allen Stücken untadelig s e y n , als lauter Muster aller Vollkommenheiten u n d Tugenden hervor glänzen, u n d um dieser hohen personlichen Vorzüge willen von jedermann des erhabenen Gipfels, worauf das Glück sie gestellt, würdig geachtet werden sollten. Es fehlte viel, dafs seine Julia ihm diese Zufriedenheit gegeben hatte: und wiewohl er vielleicht viele Jahre lang nichts schlimmeres von ihr e r f u h r , als was er selbst an ihr zu tadeln f a n d ; so war es doch, weil sie über diese P u n k t e unverbesserlich blieb, mehr als genug, u m der ganzen Maschinerie, wodurch ihre Feinde endlich ihren Fall bewirkten, in seinem Gemüthe zur Unterstützung zu dienen. Julia ei schien einst in einem etwas freyen Anzüge vor ihrem Valer. l b ) Sie bemerkte 16) Makrobius, aus welchem diese Anekdote genommen ist, bedient sich ia seiner Sprache des Ausdrucks: licentiore setzt habe. (V Auguste,
habitu,
den ich wörtlich über-
Dei Verfasser der Memoires
de la Cour
der sich gegen .Julien alles für eilaubt.
halt, übersetzt diese Worte : vetue dl une rohe d' etojje des Indes si transparente,
qu Auguste
en Jut
choque.
Wer wird glauben, dafs Julia in einem durchsichtigen Ostindischen Ilabit vor ihrem Vater erschienen sev ?
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sein Mifsfallen darüber, wiewohl er nichts saate. Den folgenden Tag besuchte sie ihn in einer andern anstandigern Kleidung, u n d umamite iiin mit einer eben so ernsthaften Miene, als diejenige, w o m i l er sie empfing, heiter war. So, sagte August, gefällst du m i r ! Diefs ist ein An/.ug, der sich f ü r Augusts Tochter schickt! — Geslern, erxviederte Julia, hatte ich mich f ü r meinen M a n n geputzt, heute f ü r meinen Vater. Livia und Julia waren einst beide bey einem Gladiator-Spiel erschienen. Sie zogen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, u n d man machte die Bemerkung, was f ü r ein Unterschied in ihrem Gefolge sey. Livia haue lauter ehrwürdige gravitätische M a n n e r u m sich, da hingegen Julia von einem Schwärm junger H e r r e n , w o v o n die meisten F ü n f z i g Jahre später w i r f t zwar Seneka eine so ausschweifende Unverschämtheit den Römischen D a m e n vor:
aber zu Augusts Zeiten waren die Sitten noch
anständiger.
D o c h dieser romanhafte Geschichtschrei-
h e r , der aus der armen Julia einen ihres
Geschlechtes"
„Schandfleck
machen w o l l t e , konnte ja
w o h l nicht weniger thun als sie im Kostüm einer . . . ihrem Vater unter
die Augen treten zu lassen! —
W i e viel kommt doch in allen Dingen auf e i n c h e n m e h r oder w e n i g e r an!
Blis-
M a n kann es nicht
7.u oft erinnern.
W i t U M i s w. XXIV. B.
4-
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für ziemlich ausschweifend passierten, umdrängt war. August schrieb in seine Schreibtafel, „sie möchte sehen, welch ein Unterschied zwischen den zwey ersten Frauen in Rom w ä r e , " und schickte sie ihr zu. Julia schickte sie ihm sogleich wieder mit der darunter geschriebenen Antwort zurück: Mit der Zeit werden wir auch alt werden. Ich bitte zu bemerken, dafs die ehrwürdigen alten Herren um Livia eben so wenig f ü r die Keuschheit dieser Dame, als die jungen Stutzer und Schwärmer um Julien g e g e n die letztere beweisen. Alles was sich daraus folgern lafst, ist: dafs Livia die gehörige Rücksicht auf das Schickliche und Anständige nalim, Julia hingegen sich der Fröhlichkeit eines leichten Jugendsinnes überliefs, gern einen bunten Schwärm von Verehrern um sich herum gaukeln sah, und das alles so natürlich fand, dafs ihr vermuthlich gar nicht einfiel, wie man so etwas übel deuten könne. Indessen sind diese zwey Anekdoten hinlänglich, uns zu zeigen, dafs August und seine Tochter über diese Punkte niemahls gleiches Sinnes werden konnten. Der Tod des Agrippa, welcher im Jahre Roms 742 erfolgte, brachte in Juliens Umständen eine Veränderung hervor, die durch ihre eigenen Unbesonnenheiten, und den tief ange-
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legten Plan einer Stiefmutter, deren Ehrgeitz vor keinem geheimen Verbrechen zitterte, zu ihrem Verderben ausschlug. Es war einer von Augusts angelegensten Wünschen, die Oberherrschaft über die Römische Welt in seiner Familie zu erhalten. Da er sich selbst ohne einen Sohn sah, so hatte er die beiden Söhne seiner Tochter von Agrippa, K a j u s und L u c i u s , schon bey Lebzeiten ihres Vaters, in die Casarische Familie versetzt und zu seinen e i g e n e n gemacht. Beide wurden als seine künftigen E r b e n und N a c h f o l g e r betrachtet; aber sie waren noch Kinder, und Augustus, der nicht ohne einen Regierungsgehülfen, dessen Interesse so enge als möglich mit dem seinigen verbunden wäre, leben konnte, fand dazu keinen geschicktem, als den altern Sohn seiner Gemahlin Livia, T i b e r i u s N e r o , der, damahls in seinem zwey und dreyfsigsten Jahre, durch das angeborne Talent, den abscheulichsten Karakter, den vielleicht die ganze alte Geschichte kennt, unter einer täuschenden Aufsenseite zu verbergen, Mittel gefunden hatte, seinem Stiefvater eine grofse Meinung von seinen Fähigkeiten, und der Welt von seiner Klugheit und Mäfsigung und von der Untadelhaftigkeit seiner Sitten beyzubringen.
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W enn in einer Sache, die ihrer Nafuj" nach keine Gewifsheit zulafst, jemahls etwas höchst wahrscheinlich gewesen i s t , so ist es dieses: dafs der P l a n , ihren geliebten Sohn Tiberius zum Nachfolger Augusts zu m a c h e n , schon damahls tief in Liviens stolzer Seele la Eine Ö grenzenlose Anibizion u n d Regiersucht war der Hauptzug des Karakters der Mutter u n d des Sohnes. Aber sie hatten es mit einem, bey aller seiner Schwäche, äufserst f e i n e n , mifstrauischen und auf seine höchste Auloriiät unendlich eifersüchtigen M a n n e zu thun. So wenig August merken d u r f t e , dafs er von liivien regiert w e r d e , so wenig d u r f t e auch n u r der Schatten eines Argwohns in ihm aufsteigen, dafs sie oder ihr Sohn sich einfallen lassen könnten, die natürlichen Erben Augusts, die Söhne seiner einzigen u n d selbst mit allen ihren Fehlern geliebten T o c h t e r , von der Regierungsfolge verdrängen zu wollen. Es mufste also lange u n t e r G r u n d gearbeitet w e r d e n ; alles, was einen so grofsen, so unwahrscheinlichen , aber der Mutter u n d dem Sohne so angelegenen Ausgang der Sachen v o n f e r n e vorbereiten u n d nach u n d nach u n v e r m e r k t herbey bringen konnte, mufste l a n g e z u v o r , auf die natürlichste und unverdächtigste Art eingeleitet worden seyn; u n d sowohl der Plan selbst, als seine Räder u n d Springfedern, mufsien so geheim angelegt seyn, dafs Augus-
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tus, wenn er sich endlich genöthigt sehen würde, den Sohn der L i \ i a zu seinem Erben zu ernennen, hlofs d e m S c h i c k s a l n a c h z u g e b e n glauben, und sich noch glücklich schätzen miifste , den einzigen Mann in ihm zu finden, der den ersten Platz in der Welt an seiner Statt mit Würde zu behaupten fällig wäre. Der erste Schritt zur Realisierung dieses grofsen Entwurfs war die Vermahlung des Tiberius mit der jungen Wittwe des Agripjm; eine Verbindung, die, ohne dem Rechte der jungen Casarn nachtheilig zu seyn, den Tiberius auf das engeste mit August und seiner Familie verkettete, ihm Gelegenheit gab seine Talente immer mehr zu seinem Vortheil schimmern zu lassen, und ein Mittel Avurde, das Herz des alternden, immer strenger, mürrischer und mifsLrauischer werdenden Augustus, unvermerkt, und auf eine Art, dafs die Schuld alles Mifsvergnügens allein auf Julien fiel, immer mehr von der letzlern abzuwenden. E s ist kein Zweifel, dafs die J u n o L i v i a bey Stiftung dieser unglücklichen Heirath so fein zu Werke ging, dafs Augustus glauben mochte, er habe diesen Gedanken selbst gehabt, und — indem er sich dadurch der Treue und Anhänglichkeit eines jungen Mannes, den er geneigter war zu fürchten als zu lieben, zu
13 ~ f
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versichern glaubte — sich schmeichelte, eine C7
sehr staatskluge Mafsregel genommen zu haben. Wie es aber auch damit war, so viel ist gewifs, dafs Juliens N e i g u n g bey dieser d r i t t e n p o l i t i s c h e n V e r m a h l u n g weniger als jemalils zu Rathe gezogen wurde. Das Vorgeben der Romanschreiber, als ob sie den Tiberius schon bey Lebzeiten des Agrippa geliebt, oder wenigstens in ihr Netz zu ziehen gesucht habe, gründet sich zwar auf eine nichts beweisende Stelle im Sueton, ) verdient aber, bey näherer Beleuchtung, keine Aufmerksamkeit. Nie sind wohl zwey Personen in der Welt gewesen, die einander vermöge einer natürlichen Antipathie in einem höhern Grade zuwider seyn mufsten, als die leichtsinnige, arglose und allen ihren Fantasien in der Fröhlichkeit ihres Herzens sich úberlasseqde Julia, und der finsLere, in sich selbst verschlossene, gravitätische, die behutsamste Weisheit und Moralität in seinem Betragen affektierende Heuchler Tiberius. Suetonius und Dion Kassius stimmen überein, dafs er sich nur mit der gröfsten Muhe entschlossen habe, seine Gemahlin Agrippina der Verbindung mit der Tochter Augusts aufzuopfern. Allein, wer den Karakter des Tiberius mit 1 7 ) S. dessen T i b e r i u s ,
Kap. 7.
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einiger Aufmerksamkeit erwogen hat, wird sich leicht mit mir uberzeugen, dafs diese Gritnassen des abscheulichen Menschen blofs zur Absicht hallen, dem August Slaub in die Augen zu werfen, und ihn glauben zu machen, als ob er dem tugendhaften, von allen ehrgeitzigen W ü n schen weit enlfernten Tiberius für das Opfer seiner ehelichen Zärtlichkeit zu Agrippinen noch grofse Verbindlichkeiten schuldig sey. Ganz gewifs kostete dieses Opfer dem gefühllosen Menschen sehr wenig; ganz gewifs war damahls nichts Avas seinem EhrgeiLz mehr schmeichelte, als sich an den Platz eines Agrippa erhüben zu sehen: aber er hafste oder liebte Julien darum weder mehr noch weniger; und wenn er ( w i e natürlich, und von einem Menschen , dessen ganzes Leben eine immer währende Verstellung war, nicht anders zu erwarten ist) sich stellte, als ob er, auf seiner Seite, alle Pflichten, die ihm diese neue Verbindung auflegte, aufs pünktlichste zu erfüllen gedenke, so hatte sich doch Suelonius dadurch nicht verleiten lassen sollen zu sagen, er habe anfanglich mit Julien einträchtig und in wechselseitiger Liebe gelebt; denn man mufs nichts ungereimtes sagen. Es war eben so unmöglich, dafs Julia den Tiberius hätte lieben sollen , als dafs Tiberius irgend etwas hätte lier ben können. Indessen ist leicht zu glauben, dafs beide eine Zeit lang den äufserlicheu
.)
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W o h l s t a n d gegen einander beobachtet haben w e i d e n ; u n d diefs ist bey Personen von ihrem Rang alles, was m a n gewöhnlich zu verlangen pilegt. W a r e Augustus nicliL von L i v i e n , wie durch den Zauber eines unwiderstehlichen Talismans, beherrscht w o r d e n ; halte er bey dei W a h l eines dritten Schwiegersohnes sich, anstatt durch den Einilufs dieses U l y s s e s i m l a n g e n R o c k e , ( w i e sie ihr eigener Urenkel Kaligula n a n n t e ) vielmehr durch die Neigung seiner T o c h t e r , ja durch seine eigene leiLen lassen: so w ü r d e er vielleicht den Sohn des T r i u m v i r A n l o n i u s , J u l u s A n t o n i u s , der vor allen andern jungen R ö m e r n v o n der ersten Klasse seine Hoffnungen bis zu der Tochter AugusLs zu erheben berechtigt -war, jedem andern vorgezogen haben. E r selbst halte diesen jungen M a n n , der an Geburl, Rcicht h u m u n d persönlichen Vollkommenheiten wenige seines gleichen sah, u m sich in ihm mit dem Schatten seines Vaters auszusöhnen, mit Beweisen seiner Huld ü b e r h ä u f t ; u n d Julia hatte schon seit einigen Jahren eine Neigung zu ihm gefafst, die sich endlich in Leidenschaft verwandelte u n d beiden verderblich w u r d e . W a r u m w u r d e n u n auf Juliens eigene W ü n sche gar keine Rücksicht g e n o m m e n ? W a r u m mufste sie sich, auch als die WiLtvre desAgrippa
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und die Multer zweyer junger Cäsarn, noch immer wie einen blofsen Handlungsartikel des Cäsarisc.hen Hauses traktieren lassen? W a r u m einem Menschen aufgedrungen w e r d e n , den sie verabscheute, und der, aller Wahrscheinlichkeit nach, schon am Vermahlungstage mit Anschlagen u m g i n g , wie er sie zu Grunde richten wollte? W u r d e wohl, w e n n ihre Mutter Skribonia ihren Platz der ehrgeitzigen Livia nicht hatte abtreten müssen, jemahls n u r die Rede von Tiberius gewesen seyn ? Und ist es billig, der unglücklichen Julia daraus, dafs sie ein Herz hatte, das sich den grenzenlosen E n t w ü r f e n der Neronen nicht aufopfern lassen Avollte, ein so grofses Verbrechen z u machen ? M a n kann sich bey einem so falschen u n d schlauen Menschen wie Tiberius darauf verlassen, dafs E r es nicht w a r , der jemahls gegen Aueustus Klagen über seine Tochter f ü h r t e : Ö D aber man darf es ihm auch z u t r a u e n , dafs er die Kunst besafs, einer Frau von Juliens Lebhaftigkeit und Leichtsinn , mit allem kalten Blute von der W e l t , tausend Mortifikazionen zu geben, die n u r von i h r bemerkt u n d gefühlt w u r d e n ; u n d dafs es ihm in w e n i g Jahren glückte, sich so sehr von ihr verabscheuen zu machen als er n u r wünschen konnte. Aber, was f ü r sie das schlimmste w a r , mit einem M a n n e von d i e s e m Schlage mufste eine Frau W i i u n d i W. XXIV. B. 4',
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von dem ihrigen in den Augen der W e l t immer Unrecht haben. Tiberiiis beklagte sicli noch i m m e r n i c h t ; aber, ehe man sichs versah, bat er sich von August, abwesend (damit es zu keiner n ä h e r n Explikazion k o m m e n k ö n n t e ) die Erlaubnifs aus, sich nach Rhodus zurückziehen zu dürf e n ; ein Schritt, der den August, wiewohl er ihm seine Bitte zugestand, eben so sehr befremdete, als es das ganze Römische P u b l i k u m intriguierle, die wahre Ursache davon zu errathen. Einige schrieben diesen Schritt auf Rechn u n g seiner Staatsklugheit: er s o l l t e , saglen sie, den jungen Cäsarn, Juliens S ö h n e n , — die n u n die Jünglingsjahre angetreten halten, zu F ü r s t e n d e r J u g e n d erklart und zu Konsuln designiert worden w a r e n , k u r z als Söhne u n d präsumtive Nachfolger Augusts eine öffentliche Rolle zu spielen anfingen, u n d von den R ö m e r n bis zur Ausschweifung geliebt •wurden — aus dem Wege gehen, und der ganzen Welt zeigen, wie entfernt er von dem Gedanken sey, sich des Ansehens seiner Mutter und seiner eigenen bisherigen Vielvermögenheit u n d Wichtigkeit im Staate z u m Nachtheile der Enkel seines Stiefvaters überheben zu wollen. Andere setzten den geheimen Beweggrund h i n z u , August selbst habe i h n m e r k e n lassen, er w ü r d e es gern sehen, w e n n er sich
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v o n R o m entfernte. Noch andere glaubten, Tiberius habe dadurch sein Mifsvergnügen, dafs er nicht auch in die Familie der Casarn aufgenommen w o r d e n , zu erkennen geben wollen. Endlich fehlte es auch nicht an solchen, die keinen andern Beweggrund dieser plötzlichen E n t f e r n u n g von den Geschäften und von R o m sahen, als dafs i h m Julia und ihr Betragen gegen ihn unausstehlich geworden sey. Selbst der tief sehende Tacitus will keinen andern zulassen; wie wahrscheinlich es auch immer ist, dafs ein so argwöhnischer M a n n als Tiberius, an August, dessen Zuneigung zu seinen E n k e l n damahls in ihrer gröfsten Lebhaftigkeit war, einige Veränderungen zu bemerken glauben mochte, die es ralhsam machten, sich so lange zurückzuziehen, bis man seine Abwesenheit f ü h l e n und selbst wieder nach ihm verlangen würde. Aber die Ursache, die in seinem u n d seiner würdigen MuLter Herzen am allertiefsten lag, war w o h l diese: dafs die Zeit n u n immer näher kam, wo die Mine, die man der unglücklichen Julia grub, springen sollte; u n d dafs die GegenwarL des Tiberius, aus mehr als E i n e m Grunde, clabey unschicklich gewesen wäre. Ich habe — da es meine Absicht nicht ist, Julien f ü r unschuldiger auszugeben als sie schon so viel v o n der Flüchtigkeit wai- —
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ihrer Sinnesart u n d der Lebhaftigkeit ihrer Leidenschaften zugestanden, dafs man nichts natürlicher finden w i r d , als dafs sie ihren Liebeshandel mit dem Sohne des Antonius mit zu wenig Vorsicht getrieben haben werde, u m der Nachrede nicht so viel Stoff zu geben, als ihre geheime Feindin n u r i m m e r wünschen konnte. Julia, die sich n u r zu oft erinnerte, dafs sie Augusts Tochter war, that sich in ihrer Lebensweise u m so weniger Z w a n g a n , da sie sich schon seit geraumer Zeit alles nahern Umgangs mit ihrem Gemahl entschlagen hatte, und aus ihrem Abscheu gegen ihn kein Geheimnifs machte. W i e weit sie in dieser Freyheit gegangen sey, lafst sich, da alle alten Autor e n , die von ihr sprechen, stich n u r in mehr oder weniger starken a l l g e m e i n e n Redensarten ausdrücken, mit keiner Zuverlässigkeit beslimmen. Ich begnüge mich also zu sagen: dafs, w e n n auch ihie ganze Schuld in blofsen Unbesonnenheiten bestanden hätte, ihre Feinde doch, nach der Art und Weise wie ihr der Frozefs gemacht w u r d e , eben so leicht die schandlichsten Verbrechen daraus hätten machen können. W ä r e dieser Prozefs vor dem ordentlichen Richter gesetzmäfsig geführt worden, so w ü r d e vermuthlich eine Sache, wobey die Ehre des erhabensten Hauses der damahligen W e l t so unmittelbar belroffen w a r , von den Geschichtschreihern f ü r wichtig genug gehalten worden
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seyn,
in
einer
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.
umständlichem
und
genug-
thuenden Erzählung auf die N a c h w e l t gebracht zu werden. marisch
Aber
oder
die Sache w u r d e so sum-
vielmehr
so tumultuarisch
be-
handelt, dafs bis auf den heutigen T a g niemand mit Gevvifsheit sagen k a n n ,
ob auch nur ein
einziges Verbrechen, das eines solchen L ä r m s und solcher Strafen w ü r d i g gewesen wäre, auf Julien und ihre Mitschuldigen hinlänglich erwiesen worden sey. Das Ungewitter brach im Jahre 7 5 2 sie aus.
„Augustus,
(so
erzählt
über
uns
Dion
Kassius
diesen Handel im zehnten Abschnitt
des
und fünfzigsten
fünf
schichte) dafs seine
der zwar Tochter
Buchs
schon nicht
seiner
Ge-
zuvor vermuthete, ordentlich
lebe,
es
aber doch immer nicht glauben wollte, erfuhr, dafs sie in der Ungebundenheit so w e i t
gegan-
gen sey, sogar das F o r u m
und die
z u m Schauplatz
Schmause
Gelage
nächllicher
zu m a c h e n , und gerieth
Rostra und
darüber in
den heftigsten Z o r n . " —
U n d w e r w a r denn
wohl
oder
in
ganz R o m
der
diejenige,
die
sich hätten einfallen lassen, um eines an sich so w e n i g bedeutenden Excesses w i l l e n , die so allgemein geliebte Tochter Augusts, die M u t t e r der jungen Cäsarn, angebetet w u r d e n , zu verklagen, —
die v o m
Volke
beynahe
bey ihrem Vater so heftig
w e n n es nicht die weise und
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tugendhafte L i v i a war, die am besten wufste, wo man den alten H e r r n berühren mufste u m i h n schreyen zu machen, wie aufserst empfindlich er über den P u n k t des W o h l s t a n d e s u n d der W ü r d e s e i n e s H a u s e s war, u n d wie wenig er es erlragen k o n n t e , dafs eine Person, die ihn so nahe anging, sich unziemliche Freyheiten gegen gute Zucht und Ordn u n g heraus nehmen sollte? W e r anders als Livia hatte eine solche Angabe wagen d ü r f e n ? W e r halte ein so groises Interesse, Julien aus dem Herzen ihres Valers zu vertilgen ? W e r halte das Herz dieses in seinen Leidenschaften so unmafsigen Mannes mehr in seiner Gewalt als Livia? Und wer sonst als Livia konnte — seitdem kein Agrippa, kein Macenas mehr lebte, der ihn bald wieder zu sich selbst u n d auf die einzige M a f s n e h m u n g , die in diesem Falle schicklich war, gebracht haben w ü r d e — sich sicherer versprechen, ihn in der ersten Hitze zu Schrittefi treiben zu k ö n n e n , die e r , w e n n er sie auch lebenslänglich bereuen würde, doch nie, ohne sich selbst zu entehren, zurück machen k ö n n t e ? Eine F r a u , deren erste Triebfeder die Herrschsucht ist, ist eines jeden Verbrechens fähig. Zwischen Livien u n d dem T h r o n e der Welt war niemand mehr als J u l i a und i h r e Sohne. August hatte bereils über sechzig
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J a h r e , u n d versprach kein so hohes Alter als er wirklich erreichte. Livia, die über ihren Sohn alles zu vermögen hoffte, hatte hingegen gutes Vertrauen zu ihrem Genius, noch eine lange Reihe von Jahren als J u l i a A u g u s t a die Welt regieren zu helfen. Aber da stand ihr eine a n d e r e , so viel jüngere J u l i a i m W e g e , die ein unbestrittenes Recht hatte, so bald Augusten etwas Menschliches begegnete, N O D ' mit ihrem Sohne Kajus Casar den erhabenen Platz e i n z u n e h m e n , den jene sich selbst u n d ihrem gelieblen Tiberius so anständig fand Diese fatale Julia mufstealso aus ihrem W e g e geschafft, mufste bey Augusten, beym Senate, beyin Volke, bey der ganzen Römischen W e l t so arg angeschwärzt, so unwiederbringlich beschimpft u n d entehrt werden, dafs k ü n f t i g gar nicht m e h r die Rede von ihr seyn könnte. Es war keine Zeit dabey zu verlieren. Man ergriff also die erste Gelegenheit eines ziemlich öffentlichen Skandals, welches Julia u n d der mullrwillige H o f , den sie u m sich zu haben pflegte, durch eine, vermuthlich aus irgend einer besondern Veranlassung vorgen o m m e n e nächtliche Schwärmerey, der ganzen Stadt gegeben hatte. Ich überlasse es meinen Leserinnen selbst, sich die Miene, die Geberd e n , den bestürzten Ton, die stockenden Vorreden, die heuchlerischen W e i g e r u n g e n — e i n e n
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Gemahl, einen Vater mit so schrecklichen E n t deckungen von den Schandthaten seiner einzigen u n w ü r d i g e n Tochter nicht u m s Leben bringen zu wollen, — k u r z , alle die Kunstgriffe sich vorzustellen, deren eine Livia fähig ist, u m , in den Augenblicken selbst, w o sie dem Gemahl u n d der Tochter den giftigsten Dolch i m Herzen unikehrt, sich die Miene einer zärtlichen Gattin und Mutter zu geben, die unglückliche Beklagte durch die Art sie zu entschuldigen noch schuldiger scheinen zu machen, und den aufgebrachten Richter, selbst i n d e m man ihn zu besänftigen sucht, noch mehr aufzubringen. Alles was seit zwanzig Jahren her gegen Julien gesammelt worden Avar, alle Blöfsen, die sie durch ihre Unvorsichtigkeit gegeben hatte, alles was in ihrem Betragen zweydeulig, an ihrem Putze zu kokett, in ihren Manieren oder Reden zu f r e y war, ihre Vertraulichkeit mit jungen Mannsleuten, denen man über einen gewissen P u n k t alles zutrauen konnte, ihre wahren oder vermutheten oder n u r angeschuldeten Liebeshändel mit e i n e m S e m p r o n i u s G r a c c h u s , e i n e m J u 1us A n t o n i u s , einem K r i s p i n u s , Appius K1 a u d i u s, S c i p i o , u . s . w . alles w u r d e in das verhafsteste Licht gestellt, alles gehend gem a c h t , das Abscheuliche des öffentlichen Unfugs, der das Fundament der Klage ausmachte, z u erhöhen. August erstaunte, wie es mög-
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lieh gewesen sey, dafs die väterliche Liebe ihn so lange bey offnen Augen habe verblenden können; er gerieth in die heftigste Wuth, fafste die raschesten Entschlüsse — aber er hatte noch nicht das ärgste gehört. Die für sein theures Leben so zärtlich besorgte Livia sparte ihm noch eine schrecklichere Entdckkung auf. „Das geheime Verständnils seiner unwürdigen Tochter mit seinem undankbaren Günstling J u l u s A n t o n i u s hatte, aller Wahrscheinlichkeit nacli, oder vielmehr nur allzu gewifs, tiefere, abscheulichere Absichten. Von einem Weibe, das schon längst alle Schain abgeschworen hatte, von einem jungen Ehrsüchtigen, in dessen Adern das wilde Blut des Antonius und der Fulvia schäumte, konnte, mufste man das ärgste erwarten. Eine abscheuliche Verschwörung gegen Augustus selbst — ihre Zunge erstarrte es auszusprechen — aber man hatte die stärksten Anzeigen — nur nicht gar redende Beweise — es war keine Zeit zu verlieren — man mufste sich der Schuldigen unverzüglich bemächtigen, und einer so gefährlichen Schlange wie Julia, einem beym Volke so beliebten Mitschuldigen Avie Julus Antonius, keine Zeit lassen sich in Verfassung zu setzen. Man wird mich fragen, welcher Gott oder Genius mir diese geheime Scene zwischen WiCLAMti
W.
X X I V . B.
4-4
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Livien u n d August geoffenbart habe? Ich gestehe gern, dafs vt eder der schändliche Schmeichler des Tiberius u n d der Livia, P a t e r k u l u s , — noch S u e t o n i u s , der diese ganze, doch wahrlich nicht triviale Kalastrofe der Familie Casars n u r in wenigen Zeilen berührt u n d von Julus Antonius D gar nichts sagt, — G " noch T a c i t u s , der eben so wenig von dem l e t z t e m weifs — noch D i o n , der noch kürzer ist, am glimpflichsten von Julien spricht, u n d von dem Komplol ( w o v o n der Verfasser der Mcmoircs de In Cour d' sh(°uste als von einem ausgemachten historischen F a k t u m so viele W o r t e macht) nichts weiter sagt, als d a f s es i h m h a b e z u r L a s t g e l e g t w e r d e n w o l l e n •— keiner von diesen allen hat sich auch n u r einfallen lassen, die D i v a J u l i a A u g u s t a in diese Tragödie einzumischen. Aber in Sachen dieser Art kenne ich keinen bessern G e n i u s , u m uns auf die Spur der W a h r h e i t zu bringen, als denjenigen, der uns fähig m a c h t , nach Vergleichung aller gegebenen Umstände uns so lebendig als möglich in die Entstehung einer Begebenheit, und in den Geist, den Karakter u n d das Interesse der handelnden Personen hinein zu denken, und, w o die Geschichtschreiber uns im Dunkeln lassen oder v e r w i r r e n , im Reiche der W a h r scheinlichkeiten die Bedingungen aufzusuchen, unter welchen sich eine geschehene Sache am
J u l i a .
347
deutlichsten begreifen läfst. V o n Julien läfst sich alles glauben, w o z u flüchtiges Blut, leichter S i n n , ein warmes Temperament und ein Überflufs an Gesundheit eine junge Person von hohem Stande, guter Erziehung und glänzenden Glucksumständen bringen können: aber solche Abscheulichkeiten, wie ihr von ihrem Vater in seiner Anzeige an den Senat Schuld gegeben wurden, >8) sind nur alsdann zu glauben, wenn sie aufs schärfste b e w i e s e n worden sind. AVer hingegen von einer Frau, die für ihre eigene und ihres Sohnes Ambizion alles zu unternehmen fähig w a r , einer Frau, die man in sehr wahrscheinlichem Verdacht hatte, den Tod des Marcellus, der jungen Cäsarn und zuletzt des Augustus selbst befördert und beschleunigt zu haben, um dem Ungeheuer, womit sie die Welt belästigt hatte, den W e g zur Regierung zu öffnen — wer von einer s o l c h e n Frau vermuthet, dafs sie
iß)
Sie sind s o ,
dafs sie sich nur auf Lateinisch
sagen lassen: „ A d m i s s o s gregatim pererratam forum
nocturnis
ipsum
Li.dia.num ad tera tiae
commessationibus
ac rostra
de Beließe.
in
stupra
Marsyam
in q uae s t uar iam sub
ignoto VI.
versa, j us
cum ex omnis
petaret.
os,
civitatem,
placuisse,
concursum,
adultero 32.
adulter
quoadullicenSeneca
3 f8
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auch Julien u n d ihre Freunde ihrem herrschsüchtigen Plane aufgeopfert habe, zuniahl w e n n sich das Geschehene ohne diese Voraussetzung kaum als möglich denken läfst, — der k a n n schwerlich beschuldiget werden, dafs er seiner Einbildungskraft mehr erlaube als billig ist. W a r u n i , w e n n Livia nicht die geheime u n d erste Bewegerin aller dieser tragischen Begebenheiten war, w a r u m wurde alles so übereilt u n d unförmlich betrieben? Warum wurde nicht Sorge getragen, dafs W e l t u n d Nachwelt sich von der Gerechtigkeit eines so strengen Verfahrens gegen die Beschuldigten überzeugen k ö n n e ? W a r u m war Augustus Richter in seiner eigenen Sache? Und w a r u m w u r d e Julus Antonius so eilfertig und ingeheim aus der W e l t geschafft? Man kann sich vorstellen, was f ü r eine W i r k u n g es im Senat machen mufsLe, als ein Ouästor in voller Versammlung ein N o t i f i k a z i o n s s c h r e i b e n des Imperators ablas, worin dieser dem Senat mit der Beredsamkeit eines wüthenden Zorns alle die Schändlichkeiten seiner Tochter entdeckte, die ich in der Note aus dem Seneka angeführt habe, u n d vernmthlich auch zugleich anzeigte, wie er diese Unihaten an ihr u n d ihren Mitschuldigen zu bestrafen f ü r gut befunden habe — denn, dafs in dieser ganzen Sache g e s e t z - u n d
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ordnunasmafsia O O verfahren worden sey, davon findet sich nirgends eine Spur. — Was mufsten sie von ihrem beynahe schon in seinem Leben vergötterten Augustus denken, der, ohne alle Noth und gegen a l l e n Menschensinn, die Schande seines eigenen Hauses , wovon man, wenn sie auch bekannt gewesen wäre, kaum zu murmeln sich erkühnt hätte, eigenhändig und schriftlich dem Römischen Senat und dem anzen Erdkreise kund und zu wissen that! "n Ohne Zweifel erkannte ein jeder in diesem unnatürlichen Verfahren die schwere Hand einer Stiefmutter, die dem Hause Cäsars Verderben drohte: aber so gebrochen war schon in diesen Zeiten der ehemahlige Römische Geist, dafs es niemand wagte, sich durch eine Vorbitte verdächtig zu machen, geschweige gegen das Verfahren selbst etwas einzuwenden. Julia wurde in die kleine Insel Pandataria, (jetzt S a n t a M a r i a ) unweit Ischia, verbannt, und mit einer empörenden Harte behandelt. Der einzige Trost, der ihr in dieser Grausamen Verwandlung ihres Schicksals gegönnt wurde, war, dafs es Skribonien erlaubt wurde, ihrer unglücklichen Tochter freywillig ins Elend zu folgen. Nach einiger Zeit, sagt Seneka, liefs sichs Augustus nicht wenig gereuen, dafs er in der ersten Hitze (ein brausender Jüngling von —
350
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V
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z w e y u n d sechzig J a h r e n ) so weit gegangen, u n d dessen, was er seiner W ü r d e u n d der E h r e seines Hauses schuldig war, so gröblich vergessen hatte; u n d da soll i h m sogar die A u s r u f u n g e n t f a h r e n s e y n : Von dem allen w ä r e m i r nichts b e g e g n e t , w e n n Agrippa oder Macenas noch lebten! — L i v i a war w o h l nicht zugegen , wie er diese W o r t e v o n sich hören liefs: aber sie w a r zu g u t b e d i e n t , als dafs sie ihr unb e k a n n t geblieben seyn sollten; u n d m a n k a n n sich leicht v o r s t e l l e n , ob sie irgend etwas vergessen haben w e r d e , was den ohnehin v o n N a t u r g r a u s a m e n Alten in der Partey, die er n u n einmahl gegen seine Tochter ergriffen hatte, bestarken k o n n t e . E r blieb also selbst gegen die d r i n g e n d e n Bitten des Volkes u m Juliens Z u r u c k b e r u f u n g u m so unerbittlicher, je u n a n g e n e h m e r es der stolzen Livia seyn mufste, ihre A'erhafsLe R h a l i n so aligemein geliebt u n d so öffentlich bedauert zu sehen. Alles was endlich v o n i h m zu erhalten w a r , ( u n d auch diefs erst, nachdem er seine Tochter f ü n f J a h r e lang in d e m elenden Pandataria hatte schmachten lassen) w a r , dafs er ihr einen etwas e r t r ä g l i c h e m Aufenthalt zu Reggio anwies, o h n e auf die i m m e r bis z u m U n g e s t ü m wiederhohlten Bitten des Volkes, i h r gänzlich zu verzeihen u n d sie nach R o m z u r ü c k zu b e r u f e n , eine andere A n t w o r t zu g e b e n , als dafs er den R ö m e r n öffentlich solche W e i b e r u n d T ö c h t e r wünschte.
J u l i a .
551
W e n n noch ein Zweifel möglich wäre, dafs Livia und ihr Sohn die geheimen Beweger der ganzen Maschinerie, wodurch Julia zu Grunde gerichtet wurde, waren, so müfste er verschwinden , so bald man hört, Avie Tiberius sich benahm, als die Nachricht nach Rhodus kam, was sich mit seiner Gemahlin zugetragen habe, und dafs seine Ehe mit ihr von Augustus aus eigener Machtgewalt aufgelöset worden sey. Er stellte sich, als ob er von allen diesen Begebenheiten nicht die geringste Ahndung gehabt habe, affektierte sehr betrübt darüber zu seyn, und ermüdete den August mit den Vorbitten, die er in allen seinen Briefen für sie einlegte. Wenigstens, bat er, mochte er ihr doch alles lassen, was er, Tiberius, ihr jemahls geschenkt haue, um doch ihr trauriges Schicksal in etwas zu erleichtern. Aber wie ernst es ihm mit allen diesen Grimassen gewesen sey, bewies er, so bald er nach Augusts Tode zur Regierung kam. Der harlherzige Vater hatte der Unglücklichen eine kleine Pension, wovon sie nothdurftig leben konnte, ausgeworfen, die ihr, so lange er selbst lebte, richtig bezahlt wurde. Tiberius Cäsar liefs es eine der ersten Handlungen seiner Regierung seyn, diese Pension — einzuziehen; er nahm ihr überdiefs noch ein kleines Eigenthum, das ihr der Vater gelassen hatte, schlofs sie zu Reggio in ein Haus ein, woraus ihr kein Schritt zu thun erlaubt war,
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verbot allen Menschen Umgang mit ihr zu haben, und liefs sie in diesen Umständen, nachdem er sie durch die Ermordung ihres dritten Sohnes, Agrippa Posthumus, ihrer letzten Hoffnung beraubt hatte, im Jahre 767 vor Elend und Mangel umkommen. Die schönen Lehren, welche sich L e i c h t s i n n und gutes- H e r z aus dieser Geschichte ziehen können, machen sich zu leicht von selbst, als dafs ich mich dabey aufhalten sollte. Ich würde zufrieden seyn, wenn dieser kleine Versuch die Wirkung hätte, das Andenken Juliens von der Schande, womit es siebzehn hundert Jahre lang so unbilliger Weise belastet worden ist, zu erleichtern, und einen Theil derselben auf die erhabene L i v i a zu wrälzen, die, mit aller ihrer Rechtfertigkeit, in den Augen aller guten Menschen eine ganz andere Sünderin war als die schöne und unglückliche J u l i a , und wenn sie auch (was doch ohne allen Grund von einigen vermuthet wird) die K o r i n n a des leichtfertigen O v i d i u s gewesen wäre.
III. FAUSTINA
DIE
JÜNGERE.
U n d auch d u , schöne F a u s t i n a , auch D u möchtest in besserm Andenken bey der spaten Nachkommenschaft dieser Markomannen, Quader und Hermundurer stehen, die dein erhabener Gemahl so oft besiegte und nie bezwang ? Auch Du verlangst eine Ehrenrettung? W e r könnte diesem arglosen, offnen, Liebe alhmenden Gesichte etwas abschlagen? Ich, mit dem du blofs durch dein kaltes G y p s b i 1 d sprichst, ja, ich begreife, ich fühle es, dafs es unmöglich seyn müfste nein ^u dir zu sagen. W I E I A M> s W. XXIV. B.
46
354
F A U S T IN A
D I E
JL'KGEHE.
Auch dir, schönste unter allen A u g u s t e n d e s a l t e n R o m s , haben die Laster zungen deiner eigenen Zeit und die undenkenden Zusamnienstoppler der unsrigen übel mitgespielt | Aber gewifs hat keiner von diesen Unglücklichen weder dich selbst noch deine Büste gesehen! W e m könnte bey diesen sanften gutartigen Zügen, bey dieser beynahe kindlichen Unwissenheit, dafs etwas Süfscs s c h ä d l i c h , etwas Angenehmes u n r e c h t seyn könne, die aus deinem ganzen reitzvollen Gesichte spricht, Arges von dir denken? Wer könnte so unbillig seyn, dich dafür zu bestrafen, dafs die W e i s h e i t vielleicht z u w e n i g , die G r a z i e n beynahe z u v i e l für dich gethan haben ? D o c h , schon dieses V i e l l e i c h t ist mehr als irgend ein Zweifler zum Nachtheil der schönen Faustina b e w e i s e n könnte; es wäre denn, dafs es — um den Ruhm einer Tochter des A n t o n i n u s P i u s , einer Gemahlin des M a r k u s A u r e l i u s , auf i m m e r z u vernichten — genug wäre, wenn so ein Erdensohn wie J u l i u s K a p i t o l i n u s , oder ein historischer Romanschreiber wie S e r v i e z, ohne Beweis, ohne Wahrscheinlichkeit, ja sogar gegen die entscheidende Stimme eines unver-
FAUSTINA
DIE
JÜNGERE.
355
werflichen Zeugen, so -viel schändliche Dinge von ihr sagte als er Lust hatte. Es wäre mehr als unbillig, wenn wir einem elenden V o l k s g e r ü c h t e (denn diefs ist doch der einzige Grund, worauf die Verleumdungen beruhen, womit das Andenken der schönen Faustina befleckt worden ist) so viel Gewicht beylegen wollten, dafs ein blofses „ e s g i n g d i e R e d e " '!)) in einer Sache, wo der stärkste gerichtliche Beweis kaum zureichend ist, statt alles Beweises dienen könnte. Das in jeder Betrachtung unwahrscheinliche Vorgeben des D i o n K a s s i u s , als ob Faustina die Empörung des Avidius Kassius gegen ihren Gemahl nicht nur heimlich befördert habe, sondern sogar die Anstifterin derselben gew esen sey, hat schon der Römische Senator und Konsul V u l k a z in seinem Leben des Avidius so gut widerlegt, daf$ es Überflufs wäre, hier mehr davon zu sagen. Aber als eine Probe, wie weit in jenen guten Zeiten der A n t o n i n e die Freyheit des eemeinen Volkes,1 von seinen Fürsten alles zu O 19)
Sermo
erat,
des Kaisers L u c i u s
sagt K a p i t o l i n u s V e r u s , Kap.
10.
im
Leben
356
FAUSTINA
DIE
JÜNGERE.
schwatzen was ihm einfiel, gehen durfte, und \ias die einen zu l ü g e n und die andern zu g l a u b e n fähig w a r e n , sey mir erlaubt dieses einzige Beyspiel anzuführen. Faustina, sagte m a n , sah einmahls einen T r u p p Gladiatoren vorbey ziehen, und verliebte sich in einen von ihnen so heftig, dafs sie krank davon w u r d e , und sich zuletzt genöthiget f a n d , ihr Anliegen ihrem Gemahle zu entdecken. Der Kaiser brachte die Sache vor die K a I d a e r . Diese w e i s e n M e i s t e r gaben ihm den R a t h : er sollte den Gladiator abwürgen lassen, Faustina sollte sich in dem warmen Blute desselben baden, u n d unmittelbar darauf ihrem Gemahl bej liegen. Der Fiath vturde befolgt, die Kaiserin fand sich von ihrer Liebeskrankheit entledigt, w u r d e schwanger, gebar aber anstatt eines Prinzen einen — G l a d i a t o r ; und so eiklarle sich das Volk die Möglichkeit,7 wie O
von Markus Auvelius und Faustinen ein K o m m o d u s habe entspringen können. Kapitolinus gesteht z w a r , dafs er diese schöne Geschichte f ü r ein Mahrchen halte; hingegen erröthet er n i c h t , Faustinen eines Geschmacks an Bootsknechten und Gladiatoren zu beschuldigen, der sich kaum von einer M e s s a l i n a , und auch von dieser n u r , weil sie die Gemahlin eines K l a u d i u s w a r , den-
F A U S T I N A
R I E
J Ü N G E R E .
Iccn läfst. Ja, was beynahe noch ärger ist, ei schämt sich nicht zu glauben, es habe Leute eC eO e e b e n , die sich unterstanden hätten dem Kaiser Markus Aurelius zu rathen, er sollte Faustinen wenigstens verstofsen, w e n n er sie ja nicht umbringen lassen wollte; und der Kaiser habe ihnen geantwortet: „ W e n n wir unsre Gemahlin verstofsen, so müssen w i r auch ihre Mitgift (nehmlich das Reich) zurück geben." — Als ob ein Mann von seinen Grundsätzen sich jernahls hätte einfallen lassen k ö n n e n , das Komische Reich f ü r ein E i g e n t h u m des Antoninus Pius zu halten, das dieser seiner Tochter habe m i t g e b e n k ö n n e n ; oder als ob Markus dadurch Kaiser geworden sey, w e i l er Faustinen geheirathet, u n d nicht vielmehr umgekehrt blofs darum Antonins Schwiegersohn geworden sey, weil er zu seinem Nachfolger am Reiche erklärt war! 1
W e r einen M a r k u s A u r e l i u s s o reden lassen k a n n , wie sollte Der Glauben verdienen , w e n n er eine Faustina unter die verächtlichsten Kreaturen ihres Geschlechtes herab würdigen w i l l ? — WTie k o n n t e der M a n n so bald wieder vergessen, dafs er selbst kurz vorher a l s e i n t r a u r i g e s L o o s d e r F ü r s t e n angemerkt halte, „dafs keiner von ihnen
353
FAUSTINA
DIE
JÜNGERE.
hoffen dürfe von bösen Nachreden verschont zu bleiben, da sogar Markus sich habe nachsagen lassen müssen, dafs er seinen Bruder Lucius Verus v e r g i f t e t h a b e ? " D o c h , warum halte ich mich bey diesen n e g a t i v e n B e w e i s e n der Unschuld der schonen Faustina auf, da ich einen Zeugen derselben aufstellen kann, dessen positive Aussage von solchem Gewichte ist, dafs sie kaum die Möglichkeit eines Zweifels übrig lafst? W e r hatte mehr Gelegenheit Fauslinen kennen zu lernen, und wer war geschickter richtig von ihr zu urtheilen, als M a r k u s A u r e lius selbst? Würde dieser, wenn er auch nur die geringste Ursache gehabt hatte an ihrer Tugend zu zweifeln, in seinem berühmten D e n k b u c h e unter den Glückseligkeiten seines Lebens, wofür er den Göttern den gröfsten Dank schuldig sey, auch diese angeführt haben: ,,Dafs ihm e i n e s o l c h e Gemahlin, so gefällig; und leicht zu lenken, so zärtlich gegen o ' o o ihren Mann und ihre Kinder, so einfach, genügsam und kunstlos in ihrem Betragen und in allem was ihre Person angehe, zu Theil geworden s e y ? " 2 0 ) — Was in aller W e l t hatte ihn bewegen können, in einem blofs zu seinem 2 0 ) Mark.
Aurel.
L.
zu Ende,
FAUST INA
DIE
JÜNGERE.
559
eigenen Gebrauch geschriebenen Denkbuche s o von seiner Gemahlin zu schreiben, wenn er nicht aus Gefühl und Uberzeugung geschrieben hatte? — „ E r wufste Faustinens liederliche Aufführung nicht, oder er dissimulierte sie," sagt Kapitolinus. — Wie hatte er, der «;ewifs nichts weniger als ein s c h w a c h e r Mann w a r , sich so unbegreiflich in dem Karakter einer Person irren können, die so selten von seiner Seite kam, ihn sogar auf seinen Feldzügen begleitete, sogar im Lager bey ihm lebte? Und, falls etwas zu dissimulieren war, wer dissimuliert g e g e n s i c h s e l b s t ? Ich müfste mich sehr irren, oder der Karalct e r , den der Kaiser Markus seiner Gemahlin beylegt, und wefswegen er sich selbst in ihrem Besitz glücklich preiset, kann nicht der Karakter einer Frau seyn, die sich zu Kajeta Bootsknechten und Gladiatoren Preis 0 iebt: und wenn ich sehe, wie schön ihr Brustbild Z u g für Z u g das Bild bestätiget, das der Mann, der sie am besten kennen mufste, von ihrer Sinnesart und ihren Sitten macht, und wie auffallend es hingegen von M e s s a l i n e n s Bildnifs absticht; so könnte ich mich eben so leicht bereden lassen, dafs Markus seinen Bruder vergiftet habe, als dafs F a u s t i n a mit einem solchen Karakter und einer solchen
360
FAUSTINA
Fysionomie
eine
DIE
JÜNGERE.
z w e y t e
M e s s a l i n a
gewesen sey. nach
Wenn
scheinlichkeil Übergewicht
einer
noch
so v o l l g ü l t i g e n
etwas
nöthig
gänzlich z u m
benswürdigen
Faustina
Vorlheil
zu
Wahr-
wäre,
das
der
lie-
entscheiden,
so
waren es, dunkt m i c h , die aufserordentlichen Ehrenbezeigungen, die ihr der Kömische Senat nach ihrem T o d nur
neben
erwies.
ihrem
der G ö t t i n
Er
Gemahl
R o m
liefs ihr
in
dem
eine silberne Bildsäule,
sondern auch einen Altar errichten, chem
alle
nicht
Tempel
Römischen
auf wel-
Jungfrauen
an
ihrem H o c h z e i t t a g e
opfern mufsten. A u c h
veranstaltete e r ,
so oft der
Theater k a m ,
dafs,
Kaiser ins
eine auf einem Lehnstuhle siL-
zende goldene Bildsaule der Faustina auf den ersten P l a t z , siLzen
nehmsten safsen.
da w o
sie i n ihrem Leben z u
pflegte, gesetzt Römischen
wurde,
und
Damen
ihr
die zur
vorSeile
21)
U n d diefs that eben der
Senat,
der den
M u t h gehabt hatte, sich der Vergötteruug des Kaisers H a d r i a n u s in den f r e y e n 21) D i o n
zu
widersetzen!
glücklichen
that es
Zeiten
K a s s i u s , B . I I . Kap. 5 1 .
der
FAUSTINA
DIE
JÜNGERE.
A n t o n i n e , unter der Regierung des
361 milde-
sten, bescheidensten, populärsten Fürsten, der jemahls gewesen
ist!
Läfst es sich auch nur a l s möglich denken, dafs dieser Senat — dem eben diese Antonine alle seine W ü r d e wieder gegeben hatten — der Niederträchtigkeit, der allen Begriff übersteigenden Schamlosigkeit fähig gewesen wäre, die öffentliche Ehrbarkeit, die Ehre ihrer Jungfrauen und M a t r o n e n , die Ehre des Kaisers und ihre eigene, so gröblich zu schänden, und von freyen Stücken s o l c h e öffentliche Beweise der innigsten Liebe und Verehrung an das Andenken einer Person z u verschwenden, deren blofser Anblick das Auge einer Jungfrau und Matrone verunreiniget hatte, w e n n sie das gewesen w ä r e , w o z u die Unbesonnenheit einiger Historienschreiber sie 7,11 machen gesucht hat? W a s müfste der Römische Senat gewesen seyn, u m einer z w e y ten Messalina nach ihrem Tode solche Ehren zu erweisen? Oder was der Kaiser Markus, um es zu dulden? Man
erlaube mir noch h i n z u z u setzen:
welch ein trauriges Gefühl mufs der Gedanke an die unselige Geneigtheit zu und der
Verleumdung G e h ö r
W i e l a n d e W. XXIV. B.
verleumden zu
geben, /+6
362
F A U S T I N A
DIE
JÜNGERE.
die ein so häfslicher Flecken an der menschlichen Natur ist, in einem jeden erwecken, der nicht auf eine ganzliche Vergessenheit bey der Nachwelt rechnen k a n n , — wenn blofse S a g e n und G e r ü c h t e mehr Glauben finden, als solche Zeugnisse!
ENDE
DES
XXIV.
BANDES.
L e i p z i g , gedruckt
bey
G e o r g J o a eh i m
Göschen.