Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert: Beiträge zum literarischen Leben 1750-1880 9783110916362


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VORWORT
DER LESENDE LANDMANN. ZUR REZEPTION AUFKLÄRERISCHER BEMÜHUNGEN DURCH DIE BÄUERLICHE BEVÖLKERUNG IM 18. JAHRHUNDERT
SUBSKRIBENTEN- UND PRÄNUMERANTENVERZEICHNISSE ALS QUELLEN ZUR LESERGESCHICHTE
DER GERECHTFERTIGTE NACHDRUCKER? NACHDRUCK UND LITERARISCHES LEBEN IM 18. JAHRHUNDERT
DER DEUTSCHE BUCHMARKT IN OSTEUROPA IM 18. JAHRHUNDERT VORAUSSETZUNGEN UND PROBLEME
DAS LITERARISCHE LEBEN 1848-1880. MIT EINEM BEITRAG VON GEORG JÄGER: ,DIE HÖHERE BILDUNG‘
DER BUCHHANDEL
Der literarische Autor
Das literarische Publikum
DIE BIBLIOGRAPHISCHE SITUATION FÜR DIE ERFORSCHUNG DES LITERARISCHEN LEBENS IM 19. JAHRHUNDERT (1830-1880)
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Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert: Beiträge zum literarischen Leben 1750-1880
 9783110916362

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STUDIEN UND TEXTE ZUR SOZIALGESCHICHTE DER LITERATUR

Herausgegeben von Günter Hess, Georg Jäger, Dieter Langewiesche, Alberto Martino

Band 6

Reinhard Wittmann

Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert Beiträge zum literarischen Leben 1750-1880

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1982

Redaktion des Bandes: Alberto Martino

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Wittmann, Reinhard: Buchmarkt und Lektüre im 18. [achtzehnten] und 19. [neunzehnten] Jahrhundert : Beitr. zum literar. Leben 1750-1880 / Reinhard Wittmann. - Tübingen : Niemeyer, 1982. (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur ; Bd. 6) NE: GT ISBN 3-484-35006-7 ISSN 0174-4410 © Max Niemeyer Verlag Tübingen 1982 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. Satz und Druck: Maisch & Queck, Gerlingen. Einband: Heinr. Koch, Tübingen

Inhalt

VORWORT

VII

DER LESENDE LANDMANN

1

ZUR REZEPTION AUFKLÄRERISCHER BEMÜHUNGEN DURCH DIE BÄUERLICHE BEVÖLKERUNG IM 18. JAHRHUNDERT SUBSKRIBENTEN- UND PRÄNUMERANTENVERZEICHNISSE ALS QUELLEN ZUR LESERGESCHICHTE

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D E R GERECHTFERTIGTE NACHDRUCKER?

69

NACHDRUCK UND LITERARISCHES LEBEN IM 18. JAHRHUNDERT DER DEUTSCHE BUCHMARKT IN OSTEUROPA IM 18. JAHRHUNDERT VORAUSSETZUNGEN UND PROBLEME D A S LITERARISCHE LEBEN 1 8 4 8 - 1 8 8 0

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MIT EINEM BEITRAG VON GEORG JÄGER: ,DIE HÖHERE BILDUNG' DER BUCHHANDEL

111

Allgemeine Entwicklung S. 111. - Romanreihen S. 123. - Die Romanzeitung S. 129. - Das Klassikerjähr S. 130. - Prachtwerke S. 135. - Kolportage S. 138. - Die Leihbibliotheken S. 142. - Auflagenhöhen: Roman, Lyrik, Drama S. 145. - Die periodische Presse S. 149. Der literarische Autor 154 Die Situation vor 1848 S. 154. - Die Folgen der Revolution S. 157. - Die Rolle der Literaten S. 158. - Dilettantenpoesie S. 162. - Autorenhonorare für erzählende Prosa (Buchausgaben, Vorabdrucke) S. 166, für Lyrik und Versepik S. 173, für Dramen S. 175. - Organisationsbestrebungen S. 177. - Die Schillerstiftung S. 185. Das literarische Publikum 192 Sozialgeschichtliche Voraussetzungen S. 193. - Die Unterschichten: industrielle Arbeiterschaft S. 200, ländliche Bevölkerung S. 202, Dienstboten und Militär S. 204. - Der Mittelstand als literarisches Publikum S. 204. - Die höhere Bildung S. 210; humanistische und realistische Bildung S. 211; Die Konfessionen S. 216; Die literarische Bildung S. 218; Die höhere Töchterschule S. 223. - Großbürgertum und Adel S. 226. D I E BIBLIOGRAPHISCHE SITUATION FÜR DIE ERFORSCHUNG DES LITERARISCHEN LEBENS IM

19. JAHRHUNDERT (1830-1880)

232 V

Vorwort

Die in diesem Band gesammelten Beiträge zum Buchmarkt und literarischen Leben des 18. und 19. Jahrhunderts sind in den vergangenen zehn Jahren an verstreuten, zum Teil entlegenen Orten erschienen. Einige von ihnen wurden geschrieben, als die Erforschung solcher Themen von der etablierten Literaturwissenschaft noch mit Mißtrauen und Skepsis verfolgt wurde, andere, als das einige Zeit modische Interesse an dergleichen Randgebieten bereits wieder abzuflauen begann. Sie unterscheiden sich vom größten Teil der einschlägigen Untersuchungen sowohl durch ihren Gegenstand wie durch ihr Vorgehen. Denn deren Erkenntnisinteresse ist weitgehend auf nur zwei der drei gleichgewichtigen Konstituanten des literarischen Kommunikationssystems gerichtet: der »Emanzipation« des freien Schriftstellers seit der Aufklärung und der »Leserevolution« des 18. wie der »Demokratisierung« des Lesens im 19. Jahrhundert, der literarischen Produktion und Rezeption also, gilt besondere Aufmerksamkeit, wogegen das unverzichtbare Bindeglied zwischen beiden, nämlich die Materialisierung des Geistesgutes, seine Distribution durch den Buchhandel, bestenfalls eine marginale Rolle spielt. Die Folgen solcher Abstinenz sind nicht zu übersehen. In zahlreichen neueren Darstellungen, etwa über »Aufklärung und literarische Öffentlichkeit«, die mit vielfältigen Hypothesen zur Autorenemanzipation und bürgerlichen Lektüre aufwarten, wird auf eigene Forschungen, ja auch nur Überprüfung tradierter Lehrmeinungen zur Geschichte des Buchhandels verzichtet. Auf der Grundlage einer Kompilation älterer Sekundärliteratur wird beispielsweise gerade von »materialistischen« Literaturwissenschaftlern die überaus differenzierte Entwicklung des Buchmarktes im 18. Jahrhundert ausschließlich unter der Spitzmarke »Verwertungsinteresse des Verlagskapitals« oder »kommerzielles Ausschlachten« rubriziert. Dergleichen zweifellos eingängig wirkenden Klitterungen ist denn auch wohlwollend bescheinigt worden, daß an ihnen »nicht so sehr das Detail als die konsequent durchgeführte These wichtig« sei. 1 Dagegen verzichten die Arbeiten dieses Sammelbandes auf großflächige Interpretationsmodelle; sie konzentrieren sich vielmehr auf bisher fast unbeachtete Gebiete, beschränken sich auf die Bereitstellung neuer, lange übersehener oder die kritische Prüfung scheinbar bereits erschlossener Quellen. Solch hartnäckiges Verharren beim kruden empirischen Substrat mag freilich nur ein bescheidenes 1

So Gerhard Sauder zu Lutz Winckler: Kulturwarenproduktion. Frankfurt 1973 in seinem Forschungsbericht: Sozialgeschichtliche Aspekte der Literatur im 18. Jahrhundert. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur (IASL) 4, 1979, S. 197-241, hier S. 218.

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Reflexionsniveau erreichen gegenüber manch elegantem Thesenkatalog, mag als neopositivistisch und methodensynkretistisch getadelt werden, da ihm kein verbindliches Gesellschaftsmodell zugrundeliegt, sondern induktiv verfahren wird. Aber wenn überhaupt Geschichte des literarischen Lebens und Buchhandels eine Rolle als Organon einer Sozialgeschichte der Literatur beanspruchen will, so kann dies beim gegenwärtigen Forschungsstand nur geschehen mittels exemplarischer Pilotstudien, die ohne vorschnellen Anspruch auf gesicherte Ergebnisse die heterogenen, verstreuten Materialien sichten, prüfen und einzuordnen versuchen. Nicht als abschließende Darstellungen, sondern als vorläufige erste Modellstudien wollen die für diesen Band ausgewählten Aufsätze verstanden werden. Vier von ihnen befassen sich mit scheinbar abgelegenen Themen des 18. Jahrhunderts, zwei zum 19. Jahrhundert bieten dagegen den Versuch eines größeren Überblicks und eines bibliographischen Forschungsabrisses. Diese Zweiteilung kennzeichnet die derzeitige Forschungslage. Denn das literarische Leben des 18. Jahrhunderts stand in den letzten Jahren im Mittelpunkt vermehrter Aufmerksamkeit, wie die Forschungsberichte von Franklin Kopitzsch2 und Gerhard Sauer belegen; sogar ein »Elementarbuch« für Studenten ist vor einiger Zeit erschienen.3 Doch das erfreuliche Bild täuscht - weite und wichtige Gebiete sind nach wie vor unbeachtet geblieben. Das gilt etwa für die historisch-empirische Leserforschung, die zwar Rolf Engeisings These von der »Leserevolution« als einem Übergang von intensiver zu extensiver Lektüre inzwischen als communis opinio betrachtet, vor intensiven und aufwendigen Detailstudien zur standes-, berufs-, geschlechts- oder territorialspezifischen Lektüre aber zurückschreckt. Gleichermaßen hätte die buchhandelsgeschichtliche Forschung längst umfangreiche Korrekturen an jenem seit Jahrzehnten unkritisch tradierten Bild der Entwicklung des deutschen Buchmarktes seit der Aufklärungszeit anzubringen, wie es Anfang des Jahrhunderts das (noch immer unentbehrliche) Standardwerk von Kapp/Goldfriedrich4 gemalt hat: es konzentriert sich auf den sächsischen und norddeutschen Buchhandel und klammert die sehr abweichende Entwicklung des süd- und westdeutschen »Reichsbuchhandels« weitgehend aus. Hier hätten gerade unter territorialhistorischen Aspekten umfängliche Quellenstudien einzusetzen; ähnlich vermögen auch eine Anzahl bisher kaum bekannter und entlegener zeitgenössischer Dokumente manche mehrfach vorgebrachten Annahmen ins Wanken zu bringen.5 Am Beispiel der Leihbibliotheken des 18. und 19. Jahrhunderts, deren Erforschung man lange Zeit 2

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5

Franklin Kopitzsch (Hg.): Aufklärung, Absolutismus und Bürgertum in Deutschland. München 1976. Darin S. 11-169 der allzu bescheiden als >Einleitung< deklarierte vorzügliche Forschungsbericht und Problemkatalog (mit 718 Anmerkungen) des Herausgebers: Die Sozialgeschichte der deutschen Aufklärung als Forschungsaufgabe. Helmuth Kiesel / Paul Münch: Gesellschaft und Literatur im 18. Jahrhundert. Voraussetzungen und Entstehung des literarischen Markts in Deutschland. München 1977. Friedrich Kapp / Johann Goldfriedrich: Geschichte des Deutschen Buchhandels. 4 Bde. Leipzig 1886-1923. Quellen zur Geschichte des Buchwesens. Herausgegeben von Reinhard Wittmann. München 1981 (Reprintedition von 44 Werken sowie 2 Zeitschriftenreihen aus den Jahren 1658-1803).

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als undurchführbar und fruchtlos beiseitegeschoben hatte, ist kürzlich demonstriert worden, welch wichtige Aufschlüsse für die Leserforschung und Literaturgeschichte aus solchen Untersuchungen zu gewinnen sind.6 * 7

»Der lesende Landmann« ist ein Versuch, Rezeptionsforschung an einem denkbar ungeeigneten Objekt zu betreiben: trotz des völligen Fehlens unmittelbarer Lektürezeugnisse sollten durch die Untersuchung von Lesevoraussetzungen, -möglichkeiten, -motivationen und -hindernissen Ansätze zu einer »historischen Leserpsychologie« gewonnen werden. Die Studie ist insgesamt auf Zustimmung gestoßen; 8 Reinhart Siegert hat in seiner profunden Dissertation über Rudolf Zacharias Beckers >Noth- und HülfsbüchleinNoth- und HülfsbüchleinBothen< vorlas, und seine weisen Bemerkungen dazu machte. Alles sitzt unbeweglich, alles ist Ohr; nur eine dicke Dampfwolke von schwarzem Tabak überzeugt den Beobachter, daß diese zum Teil grotesken Figuren keine leblosen Bildsäulen 128

Vgl. dazu W. Fischer: Hohenlohe, S. 212; Lütge: Agrarverfassung, S. 213; Riehl: Die bürgerliche Gesellschaft, S. 87. 129 R. Z. Becker: Noth- und Hülfsbüchlein, Bd. II, S. 98. Natürlich werden die halbgebildeten Anstifter drakonisch bestraft und im Dorfe kehrt bald wieder Ruhe ein. Da aber die Mildheimer immerhin eine »Konstitution« erhalten, verwirft A. L. v. d. Marwitz das »Noth- und Hülfsbüchlein« als »demagogisch« (Jantke/Hilger: Eigentumslosen. S. 141). Dagegen spielt Schubart auf den reaktionären Charakter des Beckerschen Werkes an, wenn er zur Niederschlagung der sächsischen Bauernunruhen meint: »Der sächsische Bauer nimmt wieder den Katechismus und Beckers Noth- und Hülfsbüchlein zur Hand und lernt, sich unter Gesetz und Ordnung schmiegen« (Dt. Chronik, 96. St. 1790). 130 Zit. nach Hansen: Quellen, Bd. 1, S. 442, vgl. Bd. 2, S. 598, Anm. 8:1792 gehen in Mainz sogar »die Bauern [...] in den Klub und kaufen mit Begierde die Impressa«; zu Mecklenburg s. J. Nichtweiß: Bauernlegen, S. 140, zur Lausitz Wauer: Industriedörfer, S. 717ff. u. 782ff. (die Bauern kündigen ihrer Herrschaft den Dienst auf, weil sie dergleichen in aufrührerischen Zeitungen gelesen hätten); vgl. auch Grathoff: Dorfzeitungen, S. 51; Jentsch: Geschichte, S. 136f. 38

sind. Mit Ehrfurcht schweigt ein Jeder und erwartet den Augenblick, wo der Vorleser seine Brille abnimmt und das Blatt aus der Hand legt. Und nun gehen die politischen Zänkereien an, die nicht selten mit großer Hitze geführt werden. Die meisten ihrer Urteile sind freilich ganz verkehrt.«131 Weniger »drollig« fand solche aufrührerischen Konventikel die Obrigkeit. Die vorlesenden Multiplikatoren - Winkeladvokaten, entlaufene Studenten, unzufriedene Schulmeister und auch aufgeschlossene, reformerische Geistliche - waren geistig fortgeschrittener und deshalb weit gefährlicher als wirrköpfige Bauern. Aus Schlesien wurde Ende 1792 dem Minister Graf Hoym gemeldet, daß die Verbreitung von aufwiegelnden Blättern und Freiheitsliedern in zahllosen Abschriften von Pächtern, Wirtschaftern und Geistlichen besorgt werde und daß die Schullehrer sie in den Kretschams vorläsen.132 Man könnte hier freilich mit Peuckert relativieren: »Also [...] werden Flugblätter und dergleichen nicht auf dem Lande fabriziert; und wenn sie dort verbreitet werden, muß der Schullehrer sie erst vorlesen.«133 Doch darf als entscheidender Fortschritt nicht übersehen werden, daß die ländliche Bevölkerung plötzlich von ihrem engen traditionellen Lektürekanon abwich, sich freiwillig, ja begierig zum Vorlesen einfand, wenn Neues, Unbekanntes an sie herangetragen wurde. Zunächst noch in der Person des Vorlesenden verkörpert, erschien Lesenkönnen im extensiven Sinne erstmals als Mittel, über die bedrängte eigene Situation hinauszublicken. Daß tatsächlich die politischen Ereignisse und nicht etwa die gleichzeitigen Bemühungen der Aufklärer diese affektive Sperre gegenüber dem gedruckten Wort zu überwinden vermochten, wird durch übereinstimmende Reaktionen der Landbevölkerung in abgelegeneren Gebieten - wie etwa dem inneren Bregenzerwald in Vorarlberg - auf die Ereignisse von 1848 bestätigt.134 Die Richtung des bäuerlichen extensiven Leseinteresses, das nun erwachte, war eindeutig politisch: So hatte die »Braunschweigische Zeitung«, die in erster Linie für die bäuerlichen Schichten gedacht war, vor 1789 unter ihren Abonnenten nur 7,9% nicht näher differenzierte »Landleute«, 1794 jedoch 31,3%, nachdem sie unter dem Druck der Ereignisse sich von der belehrend-aufklärenden zur politischen Zeitung gewandelt hatte.135 131

F. E. v. Liebenroth: Fragmente aus meinem Tagebuche, insbesondre die sächsischen Bauernunruhen betreffend. Dresden 1791 (zit. n. Haun: Kursachsen, S. 205f.). 132 W. E. Peuckert: Volkskunde, S. 40f.: 1793 meldet aus Reichenbach der Steuerrat Heinrich, daß vor allem in den Weberdörfern die Leute nächtens zusammenkämen und aufrührerische Broschüren und Gesänge »mit vieler Begierde sich kommunizieren und lesen« ließen. 133 Ebenda. 134 Stadelmann/Fischer: Bildungswelt, S. 206 geben aus der Autobiographie von J. M. Feder das Beispiel, daß dort die Bauern nach 1848, als Gerüchte über die Revolution ins abseitige Tal drangen, die von Pfarrer, Lehrer und Ortsvorsteher gemeinsam gehaltene Zeitung zu lesen begehrten. Da der Pfarrer aber vor der Weitergabe alles heikle Politische ausschnitt, erlahmte das Interesse sehr bald wieder und flammte erst im Ersten Weltkrieg wieder auf. 135 Jentsch: Geschichte, S. 138f.

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Überall war eine solche, allerdings noch recht verschwommene, auf Sensationelles gerichtete Politisierung zu beobachten. Auf Drängen ihrer Leser mußte die bayerische »Bauernzeitung aus Frauendorf« politische Nachrichten aufnehmen;136 es wird von Dorflesegesellschaften berichtet, die sich politische Gazetten hielten,137 und die Glogauer Kammer erklärte 1804: »Die Erfahrung lehrt, daß die Bürger sowohl als die Bauern zu dem Ankauf dieser Flugschriften und Kupferstiche einen solchen Hang haben, daß sie ihren letzten Heller dazu verwenden und sich lieber notwendige Lebensbedürfnisse abbrechen.«138 Das Interesse am Sensationellen und Außerordentlichen begann sich bald auszuweiten. »Die Bauern lesen Zeitungen, kaufen sich Landcharten, um die Zeitungen zu verstehen, lesen geographische Bücher, um sich auf der Erde zu orientieren.«139 Von belletristischer Lektüre der ländlichen Bevölkerung ist jedoch nur in einem einzigen Zeugnis die Rede, bezeichnenderweise im schlesischen Raum, wo die besonders fortgeschrittene Industrialisierung offenbar bereits zu eskapistischem Lesebedürfnis stimulierte: »Nicht selten trifft man unter den dörflichen Einwohnern einzelne an, die ihre Zeit [...] den Zeitschriften, Journalen und Schauspielen widmen.«140 In den Landschulen war die wachsende Aufgeschlossenheit gegenüber dem Lesen besonders deutlich zu spüren. Die Bauern hatten nun Interesse daran, daß zumindest ihre Kinder Lesen bzw. Vorlesen beherrschten, und diese erkannten sehr schnell, welche Vorteile damit verbunden waren. »Der Zeitpunkt ist endlich gekommen, wo die Jugend des Landvolks - lesemündig - nach Büchern greift!«141 Obgleich die Mitwirkung der Volksaufklärer an dieser wachsenden Leselust nur eine mittelbare war, wurden sie im Zeichen der wachsenden Reaktion nach den Befreiungskriegen für die geistige Mobilität der ländlichen Unterschichten überall verantwortlich gemacht. »Alles, was von Seiten der Kirche und Schule geschehen, hat mehr des Volkes Kopf als sein Herz ausgebildet, hat in vielen Fällen so wenig den Charakter befestigt, daß dieser nicht selten in das Gegenteil umgeschlagen und ein verderbliches Wissen und ein williges Eingehen in den Geist der Zeit vermittelt hat.«142 Die staatliche Obrigkeit war der Ansicht, da in den Schulen die Volkslehrer »dem einfältigen Landvolk allerley Unsinn über politische Verhältnisse« beibrächten und sie zur Unzufriedenheit reizten, müsse die Bildung des gemeinen Mannes wieder radikal gedrosselt und dieser insbesondere von dem so 136

Füsser: Bauernzeitungen, S. 60. Ebenda, S. 23; Grathoff: Dorfzeitungen, S. 34. 138 Zit. n. Grathoff: Dorfzeitungen, S. 34; vgl. Hahnzog: Ueber Volksaufklärung. S. 42. 139 Hahnzog: Ueber Volksaufklärung, S. 83. 140 Schlesische Provinzialblätter, Jg. 1806, November, S. 435f. 141 J. E. Fürst: Simon Strüf (1817), Bd. 1, S. 503. Vgl. Bauerschubert: Volkspredigten, Bd. VI, S. 121ff. ; ähnlich verlief die Entwicklung in England, wo sich um 1800 die ärmeren Gutsbesitzer und die Bauern an den langen Winterabenden keine Gespenstergeschichten mehr erzählten, sondern von ihren Kindern Romane vorlesen ließen (A. S. Collins: The Profession of Letters, S. 83). 142 Α. ν. Lengerke: Arbeiterfrage, S. 173f. 137

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verderblichen selbständigen Lesen abgehalten werden.143 Die Lehrer sahen ein: »Von den Rechten des Volkes etwas sagen, das ist bedenklich, das führt zur Rebellion. Gerade die Ereignisse der neueren Zeit, von denen man sich einige Vortheile für die untersten Volksklassen versprach, haben ihre Lage verschlimmert. Man ist mißtrauisch geworden. Es herrscht unter den Ständen eine Art von Spannung.«144 Hatte der Staat vor den Ereignissen von 1789 den aufklärerischen Grundgedanken akzeptiert, daß Volksbildung immer nur Bildung zu Arbeitsamkeit und Gehorsam bedeute und deshalb deren Bemühungen maßvoll unterstützt, so glaubte er sich jetzt eines Schlechteren belehrt und setzte Volksbildung mit Bildung zur Emanzipation, zu Unbotmäßigkeit und Rebellion gleich. Die zentrale Rolle der Lektüre, der enge Zusammenhang von Leseinteresse und revolutionären Gedanken, die jeglicher Kontrolle zunehmend entglitten, wurden genau erkannt. Das gesamte Arsenal von Argumenten, Vorwürfen und Pressionen, dem sich wenige Jahrzehnte vorher die bürgerliche »Lesesucht« ausgesetzt sah, wurde nun mit wenigen Modifikationen, aber verstärktem antiemanzipatorischem Akzent gegenüber der Lektüre der unteren Klassen angewandt.145 Beim ländlichen und vor allem städtischen Arbeitsproletariat hatten solche Restriktionen freilich weniger Erfolg als bei der noch traditionell geprägten bäuerlichen Bevölkerung. Über die Auswirkungen dieser bildungsfeindlichen Haltung der Obrigkeit auf das Leseverhalten des einzelnen Landmanns kann jedoch nicht Bestimmtes ausgesagt werden. Damit wurden jedenfalls nicht nur Fortschritte der Elementarbildung in Frage gestellt, sondern mit dem Versuch der Unterdrückung extensiven Lesens in den ländlichen Schichten war auch jede Möglichkeit gesellschaftlicher Modernisierung und geistigen Wandels überhaupt gefährdet. Es bleibt somit der paradoxe Befund, daß die Entwicklung in gleichsam chiastischer Form verlief. Jahrzehntelang weigerte sich die ländliche Bevölkerung, die Lektüre anzunehmen, die ihr ein Heer wohlmeinender Aufklärer zur Erweiterung ihrer Arbeitskapazität und Festigung ihres Untertanengeistes aufdrängen wollte. Aber sobald sie nach dem Schock von 1789 diese Starrheit aufgab, Ansätze von extensiver Rezeptionsbereitschaft und geistiger wie politischer Bewußtwerdung zeigte, legte ihr eine inzwischen zum restaurativen staatlichen Hilfsorgan denaturierte Pseudoaufklärung kaum überwindbare Hindernisse in den Weg zur Mündigkeit. Doch die Tätigkeit der Volksbildungsvereine, die nach 1840 einsetzte und sich endlich auch der Erwachsenenbildung widmete, die liberale Ideologie des Bürgertums, das in der Landbevölkerung einen Verbündeten gegen das drohende 143

Zitat aus e. Gutachten d. österr. Grafen v. Rottenthan 1808 (zit. n. Kammel: Volkslehrer, S. 23); ähnlich Wessenberg: Elementarbildung, S. 91f. und 241; v. Massow's preußischer Nationalerziehungsplan von 1798 (s. König: Nationalerziehung, S. 309); insgesamt zur Gegenaufklärung nach der Frz. Revolution s. König ab S. 333 passim, v. a. S. 446ff.; Gagliardo: Pariah, S. 158ff. 144 Dinter: Kleine Reden ΠΙ. S. 248. 145 Zur staatlichen Propaganda gegen die »Lesesucht« vgl. v. a. Schenda: Volk, S. 54-63.

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Arbeitsproletariat erhoffte, und vor allem die Ausweitung des Buchmarktes durch billige Massenauflagen und Kolportagevertrieb - dies alles half dem lesenden Landmann im 19. Jahrhundert bei der Überwindung solcher Hindernisse. Das fast gänzliche Scheitern der zweifellos ehrenfesten und redlichen Volksaufklärer bei ihrem Bemühen, dem scheinbar unmündigen Bauern vorzuschreiben, was und wie er lesen solle, verdeutlicht jedoch, daß das Verhältnis des tatsächlichen und potentiellen Lesers zur Lektüre nicht ohne weiteres manipulierbar ist, sondern einen wesentlichen Bestandteil seines geistigen Selbstverständnisses bildet.

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Subskribenten- und Pränumerantenverzeichnisse als Quellen zur Lesergeschichte

1. Vorbemerkung Welch fundamentale Bedeutung die Erforschung des empirischen Lesepublikums für die Literaturwissenschaft besitzt, braucht heute nicht mehr eigens betont zu werden. Daß es dabei nicht um Marginales geht, sondern daß die Komponenten des literarischen Lebens insgesamt, vor allem aber die literarische Rezeption, unabdingbare Voraussetzung für jede historische Situierung von Literatur sind, beginnt sich auch bei der traditionellen Germanistik herumzusprechen. Der Leserforschung gilt dabei besonderes Interesse - scheint sie doch in den sicheren Port nüchterner Empirie und Faktizität zu leiten, die Klippen der hermeneutischen Methodenneurose zu umschiffen. Was - einem modischen Trend folgend sich derzeit auf diesem Gebiete tummelt, läßt zu einem nicht unbeträchtlichen Teil ein Wort Tucholskys variieren: »Soziologie ist der Mißbrauch einer nur zu diesem Zweck erfundenen Terminologie«. In all dies ist seit einigen Jahren auch eine Gruppe von Quellen einbezogen worden, die als ebenso leicht erreichbar wie auswertbar gelten, und die nichts Geringeres versprechen als die eindeutige Rekonstruktion der konkreten Leser eines bestimmten Buches: eben die Subskriptions- und Pränumerationsverzeichnisse. Ich kann hier keinen Forschungsbericht geben, obgleich er mager genug ausfallen müßte. Wie sehr die Beschäftigung mit diesen Verzeichnissen in Deutschland im Rückstand ist, beweist ein neidischer Blick auf das umfängliche und systematisch betriebene Projekt von Robinson und Wallis an der Universität Newcastle upon Tyne, die bereits mehrere Publikationen zu diesem Thema herausgebracht haben, 1 und mehr noch die Tatsache, daß sogar in Serbien die Matica Srpska in Neusatz/Novi Sad ein Verzeichnis aller serbischen Subskribenten vorbereitet. Hierzulande begann die detailliertere Beschäftigung mit einzelnen Subskribentenlisten, soweit ich sehe, mit der Klopstockforschung.2 Helmut Pape hat in seiner

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Neben zahlreichen Zeitschriftenbeiträgen v. a. F. J. G. Robinson, P. J. Wallis: Book Subscription Lists. A revised guide. Newcastle upon Tyne: H. Hill 1975. Vgl. dazu R. Wittmann: Ein neuer Weg der Leserforschung. In: Aus dem Antiquariat. H. 9, 1976, S. A 319-A 320. Außerdem Beri Kagan: Hebrew Subscription Lists. With a Index to 8.767 Jewish Communities in Europe and North Africa. New York 1975. Die Buchhandelsgeschichte hat sich mit diesen Listen nur sehr oberflächlich und lückenhaft beschäftigt; das gilt vor allem für die umfangreiche Sammlung von Hans Widmann

Dissertation3 einen ersten Überblick über die Subskribenten der Gelehrtenrepublik und der Altonaer Mess/as-Edition gegeben. Seitdem erfreut sich die Liste zur Gelehrtenrepublik wachsender Beliebtheit, deren vorläufiger Höhepunkt eine 1974 veröffentlichte Hauptseminararbeit ist, die unter dem wohlfeilen Titel: Bürgerliche Oppositionsliteratur zwischen Revolution und Reformismus behauptet, die Subskribenten der Gelehrtenrepublik seien größtenteils linksoppositionelle Gegner des Feudalregimes gewesen.4 Das ist nicht der einzige, in seinem Selbstvertrauen nur besonders rührende Versuch, Subskribentenlisten in ein ideologisches Korsett zu zwängen. Ernster zu nehmen ist die Auswertung der Liste zu Wielands zweiter Agathon- Ausgabe durch Wolfgang von Ungern-Sternberg.5 Die umfänglichen Bücher zur empirischen Leserforschung von Schenda und Engelsing haben sich mit der Subskription nicht näher beschäftigt.6 Es gibt bisher nur einen schüchternen Versuch, Grundsätzliches zu Theorie und Praxis der Subskription, den Motiven der Autoren, den Anzeigen und der Typologie der Kollekteure zu sagen - in einem Exkurs meiner 1973 erschienenen Untersuchung über die frühen Buchhändlerzeitschriften.7 Von den Rezipienten ist darin jedoch kaum die Rede. Ein Wolfenbütteler Projekt, systematisch die Materialbasis für eine Erforschung der Subskribentenlisten bereitzustellen, ist seit einigen Jahren in Vorbereitung. Bisher dilettierte praktisch jeder, der sich mit diesen Quellen befaßte, mit stupender Unbefangenheit, niemand stellte genauere methodische Vorüberlegungen an, niemand verglich mehr als höchstens drei bis vier zufällig herausgepickte Listen miteinander, niemand wußte über die historische Entwicklung und die Hintergründe des Phänomens Bescheid. Diese Mängel entwerten - ich möche das in aller Deutlichkeit betonen - alles bislang zu diesem Thema Erschienene in weitestgehendem Maße. Es scheint mir dringend notwendig, möglichst eindring-

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(Hrsg.): Der deutsche Buchhandel in Urkunden und Quellen. 2 Bde. Hamburg 1965. Einige kleinere Bemerkungen zu Listen in germanistischen Dissertationen (u. a. von Eva D. Becker und Marianne Spiegel) können hier übergangen werden. Der Aufsatz des Volkskundlers Dieter Narr: Vom Quellenwert der Subskribentenlisten. In: Württembergisch Franken, N. F. 40,1966. S. 159-168, ist ein verdienstlicher, aber noch sehr tastender Einstieg. Ähnliches gilt noch mehr für den Beitrag von Claude Miquet: Les Lecteurs en Allemagne dans le dernier tiers du XVIIP siècle. In: Dix-huitième Sieèlel, 1969. S. 311-316. Helmut Pape: Klopstocks Autorenhonorare und Selbstverlagsgewinne. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens (AGB). Bd. 10,1969. Sp. 1-268 (Teildruck einer Diss. Bonn 1961). U. Dzwonek, C. Ritterhoff, H. Zimmermann: Bürgerliche Oppositionsliteratur zwischen Revolution und Reformismus. In: Deutsches Bürgertum und literarische Intelligenz 1750-1800. Hg. von Bernd Lutz. Stuttgart 1974. S. 277-328. W. v. Ungern-Sternberg: C. M. Wieland und das Verlagswesen seiner Zeit. In: AGB. Bd. 14, 1974. Sp. 1211-1534. Rudolf Schenda: Volk ohne Buch. Frankfurt 1960; Rolf Engelsing: Analphabetentum und Lektüre. Stuttgart 1973. Ders.: Der Bürger als Leser. Stuttgart 1974. Dasselbe gilt für die zahlreichen Aufsätze Engeisings im AGB. R. Wittmann: Die frühen Buchhändlerzeitschriften als Spiegel des literarischen Lebens. Frankfurt 1973 (auch in: AGB. Bd. 13, Sp. 613-932).

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lieh darauf hinzuweisen, wie weit wir bisher noch von der adäquaten, differenzierten Auswertung solcher Quellen entfernt sind.

2. Definition. Historischer Überblick. Subskription literarischer Werke Da die beiden Formen der Vorausbestellung eines Buches nicht immer mit genügender Präzision unterschieden werden, seien sie zunächst kurz charakterisiert. Bei der Pränumeration, zuweilen auch als »pränumerirende Subscription« bezeichnet, verpflichtet sich der Interessent auf eine Anzeige hin, die in Zeitungen, Zeitschriften oder als (heute natürlich auffindbares) Flugblatt erschien, schriftlich dazu, den angegebenen Pränumerationspreis im voraus zu erlegen. Vom angebotenen Werk selbst kannte er dabei nicht viel mehr als Autor, Titel, Ausstattung und ungefähren Umfang. Nähere Angaben zum Inhalt sind in den Pränumerationsanzeigen keineswegs die Regel. Bis zu einem vereinbarten Termin (meist zur nächsten Buchmesse oder zum Ende des Halbjahres) mußte der Preis an den Autor selbst, eine von ihm bestimmte Buchhandlung oder an »Kollekteure« eingesandt werden. Diese, auch als »Sammler«, »Correspondenten« oder »Beförderer« bezeichnet, waren Freunde und Bekannte des Autors, die das herkömmliche buchhändlerische Distributionsnetz ergänzen oder ersetzen sollten. Über ihre Rolle wird noch mehrfach zu sprechen sein. Jeder von ihnen hatte ein bestimmtes Areal zu betreuen, bei allen dortigen Interessenten zu kassieren und die Gelder seinerseits samt Namenslisten dem Autor oder Verleger einzusenden. Zuweilen, vor allem in unruhigen Zeiten, wurden auch spezielle Münz- oder Währungssorten verlangt, insbesondere Louisd'ors. Als Gegenleistung erhielt der Pränumerant eine vom Autor oder Kollekteur unterschriebene Quittung, gegen deren Rückgabe er das Buch nach Erscheinen, postfrei bis zur nächstgelegenen größeren Stadt, zugesandt erhielt oder es auf der Messe durch einen Buchhändler abholen lassen konnte. Ich möchte dazu gleich den ersten von zahlreichen Exkursen einschalten, die an einzelnen Beispielen illustrieren sollen, welche bisher unbeachteten Auswertungsmöglichkeiten solche Listen bieten können. Und zwar enthält die 1778 bei Nicolai erschienene Übersetzimg von Thomas Amorys berüchtigtem Scandalosum Leben, Bemerkungen und Meinungen Johann Bunkels bei dem 20seitigen alphabetischen Pränumerantenverzeichnis neben den Namen der Vorbesteller auch die Nummern der eben genannten Pränumerationsquittungen, weil in der Reihenfolge der eingegangenen Bestellungen die Abdrucke der Chodowieckikupfer ausgegeben wurden. Davon abgesehen, daß diese Liste drei bisher unbekannte Lesegesellschaften belegt,8 lassen sich an ihr ausgezeichnet latente Querverbindungen von Gelehrtenzirkeln und Freundeskreisen verfolgen - so etwa, daß Kotzebue senior 8

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M. Prüsener: Lesegesellschaften im 18. Jahrhundert. In: AGB. Bd. 13,1973. Sp. 369-594 kennt nicht die Lesegesellschaften Amsterdam und Dillenburg und kann die Lesegesellschaft Brandenburg erst ab 1789 nachweisen.

zwar als Hauptmann zu Erlangen erscheint, aber seiner Nummer nach eindeutig zusammen mit dem Weimarer Zirkel um den Herzog, Knebel und Bertuch pränumeriert hat, daß dagegen in Göttingen Boie und Bürger miteinander bestellten, Lichtenberg jedoch später und separat - undsoweiter. Im Gegensatz zur Pränumeration wurde bei der Subskription keine Vorauszahlung gefordert, sondern nur die unterschriftliche Verpflichtung, das Werk nach dem Erscheinen zum Subskriptionspreis zu erwerben. Da die Geldbörse dabei nicht sofort belastet wurde und die Subskription überhaupt als unverbindlicher galt, hatte sie mehr Aussicht auf zahlreiche Besteller. Kollekteure sammelten weitaus lieber Subskribenten als Pränumeranten und gewitzte Autoren wußten über diverse Kniffe, auch bei Subskription das Geld herauszulocken, noch bevor das Buch erschienen war, genau Bescheid. Beide Verfahren hatten für den Autor und Verleger den wesentlichen Vorteil, daß sie eine risikolose Kalkulation erlaubten, den Kapitaleinsatz in Grenzen hielten und hohe Reingewinne versprachen; aber auch der Pränumerant bzw. Subskribent erhoffte sich wesentliche Vergünstigungen (zumindest theoretisch): er bezahlte eine erheblich geringere Summe als den späteren Ladenpreis, erhielt das Werk druckfrisch nach Erscheinen, bekam die besten Abzüge der Illustrationen und oft hatte er die Wahl zwischen verschiedenen Papierqualitäten (Velin, Schreib- oder Druckpapier), wogegen die spätere Ausgabe nur mehr auf Druckpapier erhältlich war. Auch hierzu eine kleine Nebenbemerkung: aus dem Verhältnis der Exemplare verschiedener Papiersorten zueinander läßt sich einiges erfahren über die soziale Zusammensetzung der Subskribenten. Üblich ist ein Prozentsatz der Velinexemplare (die fast ausschließlich vom höheren Adel und großbürgerlichen Mäzenen bestellt wurden) von etwa 6-7%, der Exemplare auf Schreibpapier von etwa 20% und derer auf gewöhnlichem Druckpapier von gut 70%. Wenn die prozentuale Verteilung hiervon eklatant abweicht, ist dies ein sicheres Indiz für eine besondere Rezeptionstruktur des Buches - etwa bei der Gesamtausgabe von Gerstenbergs Werken, die 1815-16 erschien und einen Anteil der gewöhnlichen Exemplare von nur 37% aufweist.9 Neben diesen äußeren Vorzügen war natürlich das attraktivste Moment für Subskribenten oder Pränumeranten, daß ihre Namen dem Buch als Förderer vorgedruckt wurden - doch dazu ausführlich später. Diese hier in groben Umrissen gegebene Charakteristik des Pränumerations- und Subskriptionsverfahrens müßte freilich einer Fülle von Modifikationen unterworfen werden - denn die historische Entwicklung des Subskriptionswesens spiegelt tiefgreifende Änderungen der sozialen und literarischen Kommunikationsstruktur. Während in Großbri-

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Von den insgesamt 491 subskribierten Exemplaren der Gesammelten Werke (Altona: Hammerich 1815-16) waren 104 Velinexemplare (21%), 202 auf Schreibpapier (41%) und 185 auf Druckpapier (37%) - allein 29 Velinexemplare (6% der Gesamtzahl) wurden vom dänischen Königshaus subskribiert. Zu den Folgerungen daraus s. R. Wittmann: Zur Verlegertypologie der Goethezeit. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik. Bd. 8, 1976, S. 99-130.

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tannien das Subskribieren bereits im 17. Jahrhundert in voller Blüte stand,10 ist im deutschsprachigen Raum kein Beleg vor 1700 bekannt, und auch für das erste Drittel des 18. Jahrhunderts sind mir nur spärliche Einzelfälle untergekommen.11 Allerdings ist bisher auch noch keine systematische Suche durchgeführt worden. Daß sich Subskription und Pränumeration jedoch bereits um diese Zeit großer Beliebtheit erfreuten, steht fest. 1740 schreibt ein Gelehrter: »Wären die praenumerationes nicht eingeführt, so würden wir fast gar kein großes Werk mehr zu sehen bekommen«,12 und in Broschüren von 1732 und 173313 wird das Pränumerationswesen bereits als Auswuchs eines neumodischen, unredlichen Spekulationsgeistes getadelt, der die Buchhändler befallen habe. Natürlich haben die Verleger hier nur auf Veränderungen innerhalb des Lesepublikums reagiert: einerseits begann der engumgrenzte, überschaubare Kreis von gelehrten Bücherkäufern sich zu erweitern, so daß die Auflagen erhöht werden mußten, andererseits aber waren die Bedürfnisse und Geschmackspräferenzen des neu hinzukommenden anonymen Publikums nicht im voraus berechenbar. Erstmals sah sich der Buchhandel deshalb gezwungen, auf spekulative Distributionsformen auszuweichen - nicht umsonst standen zur selben Zeit um 1730 auch die Bücherlotterien in voller Blüte. In diesem frühen Stadium des Pränumerationswesens kündigt sich bereits der Verfall des traditionellen Changeverkehrs an: da der Buchhändler seine auf Pränumeration erscheinenden Verlagswerke nicht mehr im bargeldlosen Meßverkehr mit den anderen Handlungen tauschen mußte, sondern sie direkt ans Publikum absetzte, war erstmals schnelle Kapitalbildung in größerem Umfang möglich. Ebenfalls schon zu dieser Zeit, lange bevor Klopstock seine scheinbar neue Idee eines nichtgewerblichen Verteilernetzes entwickelte, wurden solche auf Pränumeration erscheinenden Schriften nicht nur im herkömmlichen Sortiment, sondern auch durch nebenberufliche Kollekteure vertrieben.14 Offensichtlich haben sich bereits in diesem frühen Stadium all jene Mißbräuche eingebürgert, die schließlich den gesamten Vertriebsweg von Pränumeration und Subskription weitgehend disqualifizierten und in einigen Ländern sogar zum 10

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Robinson, Wallis: Book Subscription Lists, S. 1 nennen als früheste Liste die zu John Minsheus »Ductor in linguas« aus dem Jahr 1617. Auf einen Vorläufer weist D. L. Paisey in den Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte. Bd. 1, 1976. S. 79f. hin (Helmstedt 1684). Ebenda, S. 82 als bisher ältestes deutsches Subskribentenverzeichnis Thomas Lediard: Grammatica Anglicana Critica. Hamburg 1725, nachgewiesen. Ebenfalls in Hamburg erschien 1734 ein dreisprachiges Dictionary von Serenius mit einer dreiseitigen Liste. Der - nicht aufgefundene - Auf/richtige Medicus (Regensburg 1726f.) soll ebenfalls ein Subskribentenverzeichnis enthalten. J. Goldfriedrich: Geschichte des deutschen Buchhandels. Bd. 2. Leipzig 1908. S. 406. Charlatanerie der Buchhandlung. o.O. 1732; [J. A. Birnbaum]: Eines Aufrichtigen Patrioten Unpartheyische Gedanken über einige Quellen und Wirckungen des Verfalls der ietzigen Buchhandlungen. Schweinfurt 1733. Beides jetzt als Reprint in: Quellen zur Geschichte des Buchwesens. Hg. von R. Wittmann. Bd. 1/3. München 1981. J. Goldfriedrich: Geschichte, S. 406, nennt eine Edition von Arndts Wahrem Christenthum, die 1734 bei Jungnicol in Erfurt herauskam und von diesem über 94 Kollekteure vertrieben wurde, von denen etwa ein Drittel nicht Buchhändler waren.

völligen Verbot der Kollektur durch Nichtbuchhändler führten - etwa in Braunschweig, wo Herzog Carl 1755 eine entsprechende Verordnung erließ, die noch 1775 erneuert wurde. 15 Es ist festzuhalten, daß auch viele Pränumerationsunternehmen des regulären Buchhandels, nicht nur solche selbstverlegender Autoren, auf höchst unseriöse Weise durchgeführt wurden. Von den zahllosen Klagen zwischen 1730 und 1800 seien nur genannt: völlige Veruntreuung der vorbezahlten Gelder, Verzögerung des Erscheinungstermins über Jahre hinaus, nicht erhöhter, zuweilen sogar geringerer Ladenpreis, Anwachsen auf eine weit größere Bändezahl als vereinbart (etwa bei Nicolais Beschreibung einer Reise), so daß »Nachschuß« nötig wurde, schlechtere Ausstattung als versprochen, ja sogar das Erscheinen eines völlig anderen als des angekündigten Werkes. Die Formel vom »verhaßten und so gewöhnlichen Pränumeriren« 16 ist vor allem im letzten Jahrhundertdrittel üblich, und tatsächlich ist die Hochblüte des Pränumerations- und Subskriptionswesens auf die Jahrzehnte zwischen 1770 und 1810 anzusetzen, also genau jene Zeit, da sich der neuzeitliche Buchmarkt in Deutschland konstituierte. Wenn man die damaligen Zeitschriften durchblättert - und insbesondere die Umschläge nicht vergißt, die leider bei den Bibliotheksexemplaren meistens fehlen - , wird man feststellen, daß mindestens ein Sechstel aller angekündigten Bücher auf Pränumeration erschien. 17 Das mußten nicht immer Erstausgaben sein; bei vielen Buchhändlern setzte sich diese Gewohnheit auch für Neuauflagen durch. Der weitaus häufigste Rechtfertigungsgrund für dieses Verfahren ist im letzten Jahrhundertdrittel der Schutz vor dem Nachdruck: nur die Vorausbezahlung sichere dem Verleger sein eingesetzes Kapital, weil sonst jeder Interessent den weit billigeren Nachdruck erstehe. Daß dies auch zum Argument für Werke herhalten mußte, bei denen keinerlei Nachdruckgefahr bestand, ist verständlich. Übrigens scheuten sich die Nachdrucker zuweilen nicht, ungeniert auch die Subskriptionsverzeichnisse der Originalausgaben in ihre Raubeditionen zu übernehmen. Von etwa 1800 an wandelte sich die Argumentation entsprechend dem tatsächlichen Abflauen des Nachdrucks - jetzt wurde die Menschenfreundlichkeit des Verlegers vorgeschützt, der das Buch nur dadurch preiswerter kalkulieren und somit auch Unbemittelten den Ankauf ermöglichen könne. Das ist auch ein Indiz dafür, daß diese Form des Bücherkaufens kein schichtenspezifisches Privileg des Hofes und städtischen Bürgertums mehr bedeutete. Das öffentliche Interesse am Pränumerationswesen flaute jedoch im 19. Jahrhundert spürbar ab: manche Verleger sahen sich gezwungen, zusätzliche Attraktionen zu bieten, etwa jeden 15 16 17

Abgedruckt bei Widmann: Der dt. Buchhandel, Bd. 2, S. 131f. Deutsches Museum Jg. 1783, S. 203. Ob ein Buch tatsächlich eine Subskribenten- oder Pränumerantenliste enthält, ist nicht immer ohne Schwierigkeiten zu eruieren. Oft erschien der größere Teil der Auflage ohne dieses Verzeichnis und selbst die Autopsie mehrerer Exemplare kann keine völlige Gewißheit bringen - mir selbst ist dies u. a. bei den Sämtlichen Poetischen Werken (1768) von Uz, Bodes Übersetzung des Tristram Shandy und den Göschenschen und Cottaschen Gesamtausgaben von Goethes Werken begegnet.

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Pränumerationsschein zugleich als Los der herzoglichen Gothaischen Lotterie auszugeben18 - die Kenntnis solcher Zusatzleistungen ist notwendig, wenn man nach den Kaufmotivationen der Pränumeranten forscht. Wann die Blütezeit des Pränumerierens und Subskribierens zu Ende ging, ist mangels aller Quellenforschungen schwer abzuschätzen. Ich möchte jedoch vermuten, daß sie (von einzelnen Privat- und Luxusdrucken abgesehen) spätestens um 1840 beendet war. In diesem Jahr erscheint auch - und hier besteht ein literatursoziologisch bedeutsamer Zusammenhang - die früheste jener »Prachtausgaben«, die ja während der Gründerzeit das Pseudomäzenatentum des feudalisierten Bürgertums dokumentieren sollten, nämlich das Nibelungenlied bei Wigand in Leipzig - und zwar auf Subskription. Nach diesem allgemeinen Überblick soll im folgenden hauptsächlich von dem wohl interessantesten Sektor des Subskriptionswesens die Rede sein: den Uterarischen Werken, die oft zugleich im Selbstverlag erschienen, bei denen auf jeden Fall der Autor maßgeblich Anteil an der Organisation dieses Vertriebsweges hatte. Welches die früheste Subskriptionsliste in einem deutschsprachigen literarischen Werk gewesen ist, ist noch nicht bekannt. Zweifellos falsch ist jedoch, was seit Jahrzehnten jeder Antiquariatskatalog vom anderen abschreibt - daß nämlich Klopstocks Gelehrtenrepublik »das erste literarische Werk, das in Deutschland auf Subskription gedruckt wurde«, gewesen sei, »da damals für poetische Werke kein Honorar bezahlt wurde«. Nichts an diesem Satz ist richtig. Mir selbst sind unter anderem folgende wichtige frühere Listen bekannt, wobei außer acht bleiben muß, daß entsprechende Pläne etwa von Klopstock und Gleim schon in den fünfziger Jahren belegbar sind. Die früheste findet sich in Friedrich Wilhelm Zachariäs Sammlung seiner Poetischen Schriften, die ohne Ort und Verlag 1763-1765 in neun Bänden erschien. Zachariä hat - Genaueres darüber ist nicht bekannt - diese Ausgabe offensichtlich im Selbstverlag herausgebracht und der Braunschweigischen Waisenhausbuchhandlung, deren Aufsicht er innehatte, Druck und Kommissionsvertrieb überlassen. Die Liste umfaßt in zwei Abteilungen 496 Personen. Die bemerkenswert hohe Zahl von 37 Mitgliedern regierender Häuser (7,4%) übertrifft den bisher als besonders groß geltenden Anteil dieses Kreises am Verzeichnis zum Agathon des Adelslieblings Wieland deutlich.19 Ebenfalls ungewöhnlich sind die zahlreichen höheren Militärs, deren Anteil in keiner anderen der mir bekannten Listen erreicht wird - nämlich 19,6%. Wieweit dies mit dem eben beendeten Siebenjährigen Krieg zusammenhängt, wäre zu untersuchen. Ein Jahr später, 1764, erschien in Berlin die bekannte Edition der Auserlesenen Gedichte der Anna Louise Karschin, die Gleim zur Unterstützung der Autorin 18

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So der Buchhändler Steudel in Gotha bei der Pränumerationsausschreibung seiner Pragmatischen Geschichte der Europäischen Staaten (Zeitung für die Elegante Welt, Jg. 1810, Intelligenzblatt 5 u.ö.). Nach W. v. Ungern-Sternberg: Wieland, Sp. 1447f. gehörten 5,8% der /Igai/ion-Subskribenten dem Hochadel an, was damals als sehr außergewöhnlich galt.

veranstaltet hatte - die wohl erste literarische Benefizsubskription;20 von ihr wird später noch kurz die Rede sein, ebenso von der gut dreimal soviel Namen umfassenden Liste zur dreibändigen Edition von Michael Richeys Deutschen Gedichten, die ebenfalls 1764 bei Fritsch in Hamburg herauskam. Schließlich wäre die typographisch besonders reizvoll gestaltete Liste der prächtigen Luxusausgabe von Rabeners Satiren zu erwähnen, die 1765 in Bern bei Waithard erschien. Sie umfaßt 348 Namen, davon nur etwa 1% regierende Fürsten, 20% Geistliche und ein bemerkenswert vielfältiges Spektrum höfischer Bediensteter bis zu Kammerdienern und Mundköchen - was für eine so aufwendige und teure Edition desto auffallender anmutet, als Rabeners Werke auch in billigen Ausgaben des Originalverlages Dyck erhältlich waren. Die Gesamtzahl der literarischen Werke, die in den folgenden Jahrzehnten auf Subskription oder Pränumeration erschien, ist kaum zu schätzen; es dürften jedoch einige Tausend gewesen sein. Ich möchte die - bisher natürlich nicht belegbare - Vermutung wagen, daß der Anteil der einzelnen literarischen Gattungen an Subskriptionsausgaben sehr unterschiedlich gewesen ist. Der Prozentsatz war sicher am höchsten bei Gedichten, Versepen und Epyllien, geringer bei Gesammelten Werken und Zeitschriften, noch kleiner bei kritisch-prosaischen Schriften und Romanen und verständlicherweise am geringsten bei Dramen. Welche Motive lagen dieser deutlichen Vorliebe literarischer Autoren für Subskription und Pränumeration zugrunde?21 Natürlich spielten finanzielle Gründe eine wesentliche Rolle, aber es kamen einige wichtige Ursachen hinzu, deren Kenntnis auch Voraussetzung ist für eine adäquate Einschätzung der Rezeption dieser Werke. Auffälligerweise ist gerade zwischen 1770 und 1800 die Subskription sehr häufig mit dem Selbstverlag gekoppelt: beide bedeuteten für den literarischen Autor, der sich zum freien Schriftsteller emanzipierte, ein Symbol der Individualisierung seines Buches, der Absicht, das originäre Geisteswerk aus der anonymen Distribution des literarischen Marktes herauszuheben, es unmittelbar vom Produzenten ohne krämerische Zwischenstation dem kongenialen Rezipienten zukommen zu lassen. In jenem Stadium der Entwicklungsgeschichte des literarischen Marktes, da der Warencharakter des Kulturgutes Buch durch das Entstehen des anonymen Publikums eine neue Dimension gewann, sollten Selbstverlag und Subskription die Fiktion unmittelbarer Kommunikation zwischen Autor und mäzenatisch gesinntem Leser aufrechterhalten. Die Subskrip20

21

Die Liste wurde auch aufgenommen in den Faksimileneudruck, hrsg. von Alfred Anger, Stuttgart 1966 (Deutsche Neudrucke, Reihe 18. Jahrhundert). Vgl. zum folgenden vor allem R. Wittmann: Die frühen Buchhändlerzeitschriften, Sp. 849-914. Die dort ausführlich behandelten Probleme der Rolle des Autors beim Subskriptionswesen sind hier meist verkürzend zitiert. Insbesondere sei verwiesen auf die Untersuchung der Subskriptionsanzeigen. Sie belegt eine fast devote Haltung älterer Autoren, denen es peinlich ist, dem lesenden Gönner auf den Pelz rücken zu müssen, wogegen die recht homogene Gruppe empfindsamer jüngerer Autoren ihre Anzeigen geschickt mit irrationalistischem Vokabular ausstattet und den Freundschaftsbund AutorLeser besonders stark akzentuiert.

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tion ist dabei nichts anderes als die Sammelpatronage eines namentlich überschaubaren Kreises von Förderern, die ihr »Honorarium«, ihren Ehrensold, dem Dichter ohne gewerblichen Vermittler ungeschmälert zukommen lassen. Diese Idee des persönlichen Kontaktes zwischen Autor und Leser, den die Kollekteure als enge Freunde des Autors eher stimulierten als verhinderten, hatte nicht nur für den einzelnen Subskribenten wichtige psychische Kosenquenzen, von denen noch zu sprechen sein wird, sondern auch für den Schriftsteller, der um seine Freiheit auf dem literarischen Markt kämpfte. Obigeich er damit, daß er durch Selbstverlag und Subskription den größtmöglichen Gewinn aus seinem Geisteswerk zu schlagen versuchte, dessen Warencharakter anerkannte und sich der Kommerzialisierung des literarischen Lebens unterwarf, wollte er zugleich die Gesetze des neuen Marktes umgehen und seine Isolation in der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft aufheben. Das konnte in Einzelfällen glänzend gelingen - aber meist endete ein solcher Versuch mit totaler Desillusionierung auf beiden Seiten: man denke nur an die Gelehrtenrepublik oder Voß' Homerübersetzungen. Das bekannte Schiller'sche Wort: »Das einzige Verhältnis gegen das Publikum, das einen nicht reuen kann, ist der Krieg«22 bezeichnet ziemlich exakt den Zeitpunkt, da Selbstverlag und Subskription für den literarischen Autor keine Rolle mehr spielten. Die Entfremdung war unwiderruflich - der Weg zum anonymen Leser führte künftig nur mehr über die traditionellen Vermittlungsinstanzen des Buchmarktes, der Traum von der Kongenialität, der Kollektivpatronage und dem Mäzenatentum des Literaturkonsumenten war ausgeträumt, die Idee von einer unabhängigen dichterischen Existenz, die durch den Ehrensold einer verschworenen Gemeinde subskribierende Freunde ermöglicht wurde, zerstoben.

3. Zur Typologie der Pränumeranten- und Subskribentenverzeichnisse Sie werden vielleicht mit wachsendem Unwillen bemerkt haben, daß bisher von Autoren und Buchhändlern weit mehr die Rede war, als von unserem eigentlichen Thema, den Lesern. Aber gerade weil man bisher allzu leichtfertig diese Zusammenhänge übersehen und einzelne Verzeichnisse isoliert hat, war es notwendig, genauer darauf einzugehen. Das gilt auch für die folgenden Überlegungen. Die Ansätze zu vergleichender Betrachtung mehrerer Listen konnten bisher kaum zu brauchbaren Ergebnissen führen, weil die typologischen Unterschiede nicht beachtet wurden. Denn je nach dem Typus, dem ein Verzeichnis zuzuordnen ist, müssen sein Umfang, die Relation Exemplare-Subskribenten, das Erscheinen bestimmter Namen und Stände unterschiedlich bewertet werden. Die grobe Typologie, die ich hier zur Diskussion stellen möchte, hat natürlich nur vorläufige Behelfsfunktion, Überschneidungen einzelner Typen sind nicht selten. Der am einfachsten zu erkennende Typus ist die F a c h s u b s k r i p t i o n . Er umfaßt Werke, die sich an einen engumgrenzten und klar definierbaren Abneh22

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Zit. nach H. J. Haferkorn: Der freie Schriftsteller. In: A G B . Bd. 5, 1964, Sp. 523-711, hier Sp. 675.

merkreis richten, für die ein Bedarf nicht erst stimuliert, sondern nur gedeckt werden mußte: das können Wörterbücher, gelehrte Zeitschriften, aufwendige Tafelwerke sein, aber auch miszellistische Schriften bestimmter Spezialgebiete. Ihre Frequenz bleibt vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis ins erste Drittel des 19. mit nur langsam absinkender Tendenz unverändert. Von allen Erkenntnissen über gelehrte Zirkel, wissenschaftliche Kommunikation und dergleichen abgesehen, sind bei diesen Listen vor allem jene Namen aufschlußreich, die aus dem sonst relativ homogenen Rezipientenkreis herausfallen. Nehmen wir als Beispiel das 1791-93 in Würzburg erschienene Magazin zur Beförderung des Schulwesens im katholischen Deutschland, das laut Vorwort nicht allein den »Vorstehern des Schulwesens«, also der geistlichen Obrigkeit und den Lehrern gewidmet ist, sondern auch den »lesenden Aeltern«. Es ist ganz aufschlußreich, daß offensichtlich die fortschrittliche Pädagogik auch in den entlegensten Flecken des katholischen Süddeutschland auf reges Interesse von gut 400 Geistlichen, Alumnen, Kandidaten, Lehrern und immerhin auch sechs Lehrerinnen stieß; aber lesersoziologisch sind die subskribierenden Nichtfachleute bedeutsamer. Die minimale Zahl von 1,5%, nämlich vier Kaufleuten und zwei Obristwachtmeistern belegt, daß die familiäre Erziehungsstruktur im katholischen Süden weit traditionalistischer beschaffen war als im protestantischen Norden - man vergleiche die große Zahl von Eltern, die auf die Pädagogischen Unterhandlungen des Dessauischen Philantropinums (1784) pränumeriert hatten. Bei solchen Verzeichnissen ist eine Auswertung relativ risikolos möglich, obgleich auch hier von Fallstricken noch zu sprechen sein wird. Schwieriger erkennbar ist die L o k a l s u b s k r i p t i o n - Listen, die zu einem sehr großen Prozentsatz auf eine bestimmte Stadt und deren nächste Umgebung konzentriert sind, also auf die Heimat oder den Wirkungskreis des Autors. Dazu können auch Verzeichnisse gehören, bei denen der Löwenanteil der Subskribenten in zwei oder drei weit voneinander entfernten Orten zu finden ist; dahinter können sich der Geburtsort des Autors, sein derzeitiger Wohnsitz und der Aufenthaltsort seines engsten Freundes verbergen. Bei solchen lokal oder regional begrenzten Listen ist größtenteils die soziale Schichtung der Subskribenten sehr gemischt: hier können ebensosehr Angehörige des Hochadels auftauchen (etwa bei den lyrischen Poesien des Gymnasialrektors im Residenzstädtchen) wie des handwerklichen Kleinbürgertums, die sich dem Autor als gutem Kunden erkenntlich zeigen wollen. Besonders häufig sind solche Verzeichnisse bei poetae minores von etwa 1790 an bis ins erste Drittel des 19. Jahrhunderts - als Beispiel seien die Maiblumen und Bergfrüchte des Danziger Handwerkers und Gelegenheitspoeten Wilhelm Schumacher genannt, die 1835 erschienen. Er war ein stadtbekanntes Original und das Verzeichnis umfaßt neben sechs Seiten »Subskribenten in der Stadt Danzig und deren nächster Umgebung« auch drei Seiten »Von Danzig entfernt lebende Subskribenten« - die allesamt Pommern, West- und Ostpreußen entstammen, also ebenfalls dem engen regionalen Umkreis. Hier sind alle sozialen Schichten vertreten: vom Konsul zum Scharfrichter, vom Stadtrat zum Kornwerfer, vom 55

Fürstbischof zum Schornsteinfeger. Dieses Verzeichnis ist dennoch ziemlich homogen wegen des gemeinsamen lokalen Erwartungshorizontes der Subskribenten; über ihren literarischen Geschmack kann dagegen aus diesem Verzeichnis keine Erkenntnis gewonnen werden. Anders steht es mit der wohl frühesten literarischen Lokalsubskription, auf die bereits genannte Sammlung der Gedichte Michael Richeys, die 1764-66 erschien. Dieser Hamburger Schulrektor und enge Freund von Brockes, 1761 gestorben, war ein ständischer Poet par excellence, ein eng ins gesellschaftliche Leben seiner Heimatstadt verflochtener Autor. Die Liste der Subskribenten ist vielleicht die umfangreichste vor der Gelehrtenrepublik. Sie umfaßt 1038 Namen, darunter nur zwei regierende Fürsten (von Holstein); die gesamte Beteiligung des Adels (4%) wird noch übertroffen vom Anteil des bürgerlichen weiblichen Lesepublikums, der knapp 5% beträgt. Von den Subskribenten stammen aus Hamburg selbst 86,5% , aus der allernächsten Umgebung, dem Umkreis von etwa 50 km, weitere 11,5%. Aus dem gesamten restlichen Deutschland kam nur ein Prozent, ein weiteres knappes Prozent aus dem Ausland, nämlich Kopenhagen, Reval, London, Spanien und Portugal (natürlich Hamburger Weinkaufleute). Wenn man die Vermutung Engeisings akzeptiert, daß die Zahl der Leser im Deutschland des 18. Jahrhunderts ein Prozent der Gesamtbevölkerung nicht überschritten habe,23 so bedeutete dies auf Hamburg bezogen, daß das gesamte potentielle Lesepublikum der Stadt auf die Gedichtsammlung Richeys subskribiert hat - ein meines Wissens ziemlich einzigartiger Vorgang, der exemplarisch ist für das kulturelle Selbstverständnis dieser Stadt gerade im Vergleich zu ihren deutlich niedrigeren Subskribentenzahlen bei der Gelehrtenrepublik und Lessings Nathan. Sicherlich darf man bei Lokalsubskriptionen nicht so mutig wie bei den Fachsubskriptionen die ohnedies verfängliche Gleichung Subskribent = Leser aufstellen. Aus diesen Verzeichnissen ist jedoch mit ziemlicher Genauigkeit das soziale und kulturelle Umwelt eines Autors zu erkennen, jene Personen quer durch die ständischen Grenzen, mit denen er Kontakte pflegte oder die sich mit ihm identifizierten. Selbstverständlich sind dabei jene Personen auf lokalen Listen, die den regionalen Rahmen sprengen, sehr genau daraufhin zu überprüfen, ob es nicht nur vorübergehend auswärts Wohnende sind. Auch die Rolle der Verwandten innerhalb der Subskribenten aus dem privaten Umkreis des Autors darf nicht unterschätzt werden - mir ist es beispielsweise gelungen, den anonymen Autor eines Noth- und Hiilfsbiichleins für Freunde des Gesangs zu eruieren, weil aus der wenig bemerkenswerten Subskribentenliste zwei Herren gleichlautenden Namens herausragten, die stolze 22 Exemplare bestellten. Es waren augenscheinlich Vater und Bruder des Verfassers.24 23

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Rolf Engelsing: Wieviel verdienten die Klassiker? In: Neue Rundschau. Jg. 1976, Heft 1, S. 124-136, hier S. 124. Das 1801 in Göttingen bei Schröder in Kommission erschienene Buch trägt keinen Verfassernamen, es war bibliographisch nicht zu ermitteln. Der Autor signierte das Widmungsblatt »L. T.« Ein Thiele in Karlshafen subskribierte auf 12, ein anderer Thiele in Altona auf 10 Exemplare. Dies ist denn auch der Nachname des Verfassers.

Eine dritte Gruppe, die schwieriger abzugrenzen ist, sind die B e n e f i z S u b s k r i p t i o n e n . Sie können von Freunden des Autors zu seinen Gunsten veranstaltet werden, aber auch von diesem selbst ausgehen. Bekanntestes Beispiel für die erste Art ist die Ausgabe der Auserlesenen Gedichte der Karschin, die wir bereits erwähnten, für die zweite Art kann man die Autobiographie des Theologen Johann Salomo Semler nennen. Es kann sich bei solchen Editionen um Werke des zu Unterstützenden handeln, aber auch - und das ist häufiger - um Werke der Unterstützenden. Die Anzeigen - ohne deren Kenntnis man ja keine Liste interpretieren sollte - geben Rechenschaft darüber, wem der Reinerlös zur Verfügung gestellt werde, schwelgen in Schilderungen unschuldig erlittenen Unglücks und appellieren mit Phrasen wie: »Leser, kennst und liebt du auch nicht die Kunst, so ehre doch die Menschheit, unterstütze mein Unternehmen und ärndte dafür den Segen dieser Unglücklichen und den Beyfall der Gottheit.»25 Damit war das quasi als Entgelt für eine gute Tat gelieferte Buch zur Spendenquittung degradiert; aus der mäzenatischen Idee der Subskription wurde eine philanthropische Pflichtübung. Durch die wohltätige Absicht wurde auch jede Kritik an der Qualität des Gelieferten mehr oder minder unmöglich gemacht und es ist zu vermuten, daß nicht wenige junge Autoren und Dilettanten ihre literarische Produktion unter diesem Deckmantel auf den Markt brachten. Solche Benefiz-Subskriptionen besitzen meist unproportional große Listen. Dabei hat das Subskribentenverzeichnis mit dem tatsächlichen Lesepublikum eines Werkes recht wenig zu tun. Wenn beispielsweise das Leben des blinden Franz Adolf Sachse, von ihm selbst diktirt (Gera, im Selbstverlag 1801, 2 Bde.) eine enggedruckte Subskribentenliste von 64 Seiten enthält, mit mehr Namen als die Gelehrtenrepublik, so ist dies nur ein Beweis für die Menschenfreundlichkeit der Genannten, für nichts anderes. Die Frau Rath Göthe in Frankfurt, die sich bei solchen Unternehmen besonders hervortat und zwei Exemplare zeichnete, wie auch noch weichherzigere adelige Fräuleins mit je 8 Exemplaren, können deswegen noch nicht unbedingt zu den Lesern gezählt werden. Wie unergiebig ohne Kenntnis solcher Hintergründe eine Interpretation sein kann, zeigt das Beispiel der Karschin. Vor allem Gleim hatte für ihre Gedichte eine hektische Betriebsamkeit entfaltet. Dennoch war das Ergebnis vergleichsweise kläglich: 391 Subskribenten bestellten 620 Exemplare. Der Anteil der Frauen war - wie stets bei Benefizsubskriptionen - mit 18% besonders hoch; die starke Diskrepanz zwischen Subskribenten und Zahl der Exemplare ist ebenfalls 25

So C. G. Clodius 1782 in der Hamburger Buchhändlerzeitung, zit. nach R. Wittmann: Die frühen Buchhändlerzeitschriften. Sp. 866. Hingewiesen sei auf den m. W. einmaligen Sonderfall einer »militärischen« Benefizsubskription: die Gebrüder Grimm kündigten in einem Aufruf vom 10.12.1813 eine »Pränumeration zum Besten der Hessischen Freiwilligen« auf die von ihnen geplante Edition von Hartmann von Aues »Armen Heinrich« an. Da aber, als die Ausgabe 1815 erschien, »sich unser gesammtes Vaterland in seinem Blut von dem französischen Aussatz wieder geheilt« (so die Vorrede) hatte, wurde der eingelaufene Betrag von 194 Talern einem Frauenverein in Kassel überwiesen. Es waren 19 Exemplare auf Velin und 156 auf Druckpapier pränumeriert worden. (Hinweis von U. Rautenberg, Bochum).

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typisch für diese Gattung. Eine Werbung in Österreich wurde durch politische Gründe verhindert; deshalb ist die Folgerung, die Karschin sei in Österreich nicht gelesen worden, weil kein Subskribent auf der Liste erscheint, falsch.26 Sie übersieht einen Trattnerschen Nachdruck von 1769 und verschweigt außerdem, daß sogar von der Erstauflage nach Beendigung der Subskription noch über 3000 Exemplare verkauft wurden. Zeitlich umfassen die Benefizlisten den gesamten Bereich; es scheint, daß sie im 18. Jahrhundert stärker überregional betont waren, im ersten Drittel des 19. sind sie oft mit Lokalsubskription verbunden. Ein besonders bemerkenswertes Beispiel für diesen Mischtypus sind »Des Wagnergesellen E. Ch. Döbel Wanderungen durch einen Theil von Europa, Asien und Afrika in den Jahren 1830 bis 1836« (Eisenach 1837ff.). Obgleich alle drei Bände Subskribentenlisten enthalten, konnte ein großer Teil der Besteller nicht mehr berücksichtigt werden. Eine Zählung der Wohnorte ergibt 348 Städte, Marktflecken und kleinste Dörfer, womit die schon ungewöhnlich hohe Zahl bei Klopstocks Gelehrtenrepublik (253) weit übertroffen wird. Zwar haben sich auch hier regierende Fürsten und Fürstinnen eingezeichnet, doch stammt die überwältigende Mehrzahl der Besteller aus kleinbürgerlichen, ja bäuerlichen Kreisen sowie der Kaufmannschaft. Es wirft ein Schlaglicht auf die Lesebereitschaft auch in kleinsten Provinzorten, wenn beispielsweise der Flecken Ruhla im Thüringer Wald 73 Subskribenten aufbieten kann, darunter viele Heimarbeiter - war das Identifikationsbedürfnis mit dem abenteuernden Handwerksgesellen, das Fernweh so groß, daß man ein dreibändiges, wegen seiner Illustrationen nicht billiges Werk sich vom Munde absparte? Die drei großen Gruppen von Subskriptionsverzeichnissen sind meist einigermaßen leicht identifizierbar. Andere können nach dem heutigen Stand der Quellenforschung noch kaum als eigene Gattung erkannt werden; hier müßten vergleichende Auswertungen erst beginnen. Ich vermute jedoch, daß es auch einen ganz spezifischen Typus empfindsamer Subskriptionslisten gibt, die um 1775-1785 einen bestimmten Teil der bürgerlichen Jugend erreichten (beispielsweise die Liste zur unrechtmäßigen Erstausgabe von Höltys Gedichten, die Geisler 1782 herausbrachte), wie es auch Namen gibt, die nur auf Modelisten erscheinen - ob es patriotische Spenden wie für die Gelehrtenrepublik oder pikante Scandalosa wie John Bunkel betraf, wenn sie nur das Tagesgespräch bildeten. Hingewiesen sei noch auf eine sehr seltene Abart, die von Uneingeweihten nicht ohne weiteres durchschaut werden kann: und zwar gänzlich oder teilweise fingierte Subskribentenverzeichnisse. So taucht im bereits erwähnte frühen Subskribentenverzeichnis der Berner Rabeneredition von 1765 als einziger ausländischer Besteller unversehens auf: »Sir Tristram Shandey, and Sir Nockel Tobias Shandey. « In deutscher Sprache gab es damals erst eine wenig beachtete Teilübersetzung (Buch 1-6,1763) des Sterne'schen Werkes. Welch exzellenter Kenner der neuesten englischen Literatur sich diesen Scherz erlaubt hat, bleibt im Dunkeln. 26

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C. Miquet: Les Lecteurs, S. 313: »A. L. Karsch est très peu lue en Autriche-Hongrie«.

Wenig später erschienen zwei Listen, die als Mittel der literarischen Satire völlig fingiert waren: die zum ersten und dritten Stück der Bibliothek der elenden Scribenten (1768), das eine für, das andere gegen Klotz polemisierend. 27 Hier finden sich neben anderen auch folgende Pränumeranten: »Herr Schulhalter Götze zu Nürnberg, genannt Unkepunz«, »Die löbliche Commentarienschaft zu Bremen«, »Monsieur Schmid, Übersetzer eines Bogens Vergil«, »Hr. Flögel, ich weiß nicht wo«, »Herr Trappenschütz, Verfasser des Riedels« und natürlich auch »Hr. Geheimder Rath Klotz zu Halle, genannt der große Klotz, it. der theure Klotzius«. Das ist der wohl früheste Versuch, solche Listen ad absurdum zu führen. Doch damit genug der typologischen Exerzitien - ich habe es lange genug hinausgezögert, endlich einiges zum empirischen Leser und seiner Rolle in diesen Verzeichnissen zu sagen. Allein: auch wenn alle bisher besprochenen Barrieren beiseitegeräumt sind, ist man noch lange nicht am Ziel.

4. Der »empirische Leser« und Käufer. Sozialstatus und Motivation. Die Kollekteure. Schon eine Minimaldefinition dessen, was eine Subskribentenliste aussagt, ist problematisch: daß man nicht »Subskribent« und »Leser« gleichsetzen darf darüber braucht wohl nicht ernsthaft diskutiert zu werden. Aber man hat bisher geglaubt, die Liste bezeichne die Gesamtheit der subskribierenden Käufer oder gar der Käufer überhaupt. Auch dies kann nicht aufrechterhalten werden. Denn es gibt zahlreiche Möglichkeiten und Gründe dafür, daß tatsächliche Subskribenten oder Pränumeranten nicht in den Listen erscheinen; einige verboten es ausdrücklich. 28 Diese firmieren manchmal als »Ungenannte«, so daß wenigstens die Exemplarzahl vollständig ist, manchmal aber auch gar nicht. Ein Beispiel dafür, wer dem Interpreten dabei durch die Lappen gehen kann: zu den namentlich genannten Braunschweiger Subskribenten der Gelehrtenrepublik, die Ebert gesammelt hatte, gesellten sich am Schluß noch sechs Ungenannte, die natürlich bei einer Auswertung nicht berücksichtigt werden können. Zufällig wissen wir 27

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Das wohl von Riedel herausgegebene erste Stück (Frankfurt und Leipzig 1768) bemerkt zum Verzeichnis, daß dieses »alle die zuerst aufschlagen werden, die kein gut Gewissen haben. Man hat ihnen deswegen den Possen gethan, die Namen nicht nach dem Alphabet zu ordnen, damit sie das Verzeichniß ganz durchlesen müssen.« Die Liste enthält Gegner Klotzens. Das von den Angegriffenen Wilke und Wichmann herausgegebene 3. Stück (London und Halle, bey Dodsley und Compagnie 1769) glossiert die meisten Namen des fiktiven Verzeichnisses und bemerkt dazu: »Ein jeder wird sich freuen, den seinigen in der Reihe zu finden. Und wer bisher noch nicht berühmt gewesen ist, wird es doch hoffentlich als ein Pränumerant witziger Schriften. Denn es ist schon ein Verdienst, wenn man fremde Verdienste zu schätzen weiß.« Vgl. etwa die Anzeige Baumeisters in Wien zu den Gesammelten Werken von J. v. Sonnenfels: »Die Namen der Herren Pränumeranten, die es nicht ausdrücklich verbieten, werden dem Werk selbst beigedruckt werden.« (Deutsches Museum, Januar 1783, S. 96.)

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aber, daß dazu Zachariä gehörte und auch der damalige herzogliche Bibliothekar in Wolfenbüttel - nämlich Lessing.29 Nur in manche Listen wurden Nachzügler aufgenommen - zuweilen erschienen bei mehrbändigen Werken Nachtragslisten in späteren Bänden - , oft genug aber hat ein beträchtlicher Teil der Interessenten seine Namen erst nach der Drucklegung eingeliefert. Des weiteren ist belegbar, daß die Kollekteure ihre Listen oft sehr lücken- und fehlerhaft zum Druck einreichten, vielen Verzeichnissen ist nicht zu entnehmen, ob Buchhändler, die mehrere Exemplare weiterverkauften, auch angeführt werden, oder nur die privaten Beförderer. Das heißt also: keineswegs sind auf diesen Verzeichnissen tatsächlich alle subskribierenden Käufer zu finden. Aber es kommt noch das Gegenteil hinzu: Für diese sehr desillusionierende Tatsache, mit der man sich bisher wohlweislich noch nicht beschäftigt hat, aus mehreren Belegen nur zwei Zitate: Die Berlinische Monatsschrift schlägt 1788 vor: »Wenn ein berühmter Mann seinen Namen ohne sein Vorwissen unter den Sammlern oder Subskribenten gedruckt findet (ein Fall der sehr häufig ist) [...] so sollte ihm in gewissen Fällen eine Injurienklage freistehen. Der ehrwürdigste Gelehrte ist ja sonst nicht sicher, einmal mit unter den Beförderern eines Magazins von Zoten und Unsittlichkeiten zu stehen.«30 Und genauere Details über diese offenbar keineswegs so selten geübte Praxis gibt 1791 Johann G. Büschel: »Man kann sich oft nicht genug wundern, wenn man sieht, daß Schriften, die überall als elende Skarteken, und deren Verfasser oder Herausgeber als die abscheulichsten Schmierer bekannt sind, die Namen von einigen tausend Pränumeranten vorgedruckt sind, indeß Werke von bleibendem Werth bisweilen kaum hundert aufzuweisen haben [...] Die Verwunderung hört auf, so bald man hinter das Geheimniß gekommen ist, wie diese Herren es angefangen haben, so viele Pränumeranten zu finden. [...] Jene setzen ohne Bedenken ihren Schriften die Namen aller der Personen vor, die ihnen nur immer einfallen, vor allen andern solche, bei denen sie auch nur die allerentfernteste Hoffnung haben, daß ihre Absicht ihnen vielleicht gelingen möchte. Sie plündern auch wohl die Pränumeranten-Verzeichnisse anderer Bücher, und füllen das ihrige damit an. Dann werden die Exemplare den hohen Gönnern und Beförderern des Werks zugesandt, die gar nicht wissen, wie sie zu dieser Ehre kommen. Nun darf zwar der Herr Autor auch hier kaum auf den zehnten Theil rechnen, die wirklich den Betrag dafür entrichten, die übrigen halten sich nicht für verbunden, diese Art von Assignation zu honorieren, und senden entweder das Buch zurück, oder 29 30

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Helmut Pape: Klopstocks Autorenhonorare, Sp. 109. Ueber Pränumerazions- und Subskripzionsunfug. In: Berlinische Monatsschrift. Bd. 12, 1788. S. 439-459, hier S. 458f. Vgl. auch: Der Autor, ein Lustspiel in zwey Aufzügen, nach dem Englischen des Foote. Wien: Kurzböck 1783, S. 6, wo der »alte Bürger« Schmieder auf die Frage: »Alle eure Zeitungen wimmeln doch von Beförderern der schönen Künste und Wissenschaften?« die Antwort gibt: »Ja, Beförderern, die auf sämtliche Werke einen Gulden unterzeichnen, und deren gröster Theil das Geld nicht schickt und das Buch nicht abholen Iäßt, obwohl sie es einer hübschen Dame versprochen haben, deren Kammermädchen den Dichter gut kennt« (Hinweis von W. Martens).

werfen es hin ohne weiter daran zu denken. Doch außerdem, daß jener zehnte Theil schon ziemlich eine hinlängliche Entschädigung für den Verfasser ist, erreicht er durch die ungeheure Menge von Namen noch den Vortheil, [...] daß mancher, dem es von ungefähr in die Hände fällt, und sieht, wieviele Leute sich dasselbe auf den bloßen Ruf der Ankündigung angeschafft haben, eilt ein gleiches zu thun, ehe die Kostbarkeit ganz aufgekauft wird.«31 Für lesersoziologische Fingerübungen sind derlei Enthüllungen nicht unbedingt eine Ermunterung. Demgegenüber mutet eine - sicher nicht außergewöhnliche Begebenheit eher harmlos an, die 1782 aus Tübingen von der Pränumeration eines etymologischen Wörterbuchs berichtet wurde: »Als auf Fuldas Wurzellexikon pränumeriret wurde, sah ein Jäger das Avertissement davon beim Buchbinder seines Ortes, und weil er und seine Kollegen glaubten, dies Buch würde ihnen zur Kenntniß der Feld- und Waldwurzeln dienlich sein, so pränumerirten sie auf eine ziemliche Anzahl.«32 Da kann freilich ein gutgläubiger Literatursoziologe lange darüber nachdenken, weshalb württembergische Forstbediente des 18. Jahrhunderts nachweislich besonderes Interesse an früher Linguistik zeigten... Aber ernsthaft - gerade diese Anekdote verweist auf ein Problem, das bei allen bisherigen Untersuchungen ziemlich unbefangen mißachtet wurde:33 die Legitimierung der beliebten Aufgliederung der Subskribenten nach sozialen Schichten. Umfassende Kenntnisse der Sozialgeschichte des 18. Jahrhunderts in Deutschland wären dafür die Voraussetzung, die nach dem heutigen Forschungsstand aber kaum ein Historiker, geschweige denn Philologe, aufweisen kann. Wir alle haben doch nur sehr bescheidene Kenntnisse über Einkommen, Lebenshaltungskosten, Preise, Laufbahnen, Rangordnungen und Titulaturen dieser Zeit. Wer weiß denn schon - und das wäre ja für die soziale Situierung eines Subskribenten sehr bedeutsam - daß ein Bürgerlicher mit dem Titel »Stallmeister« ein besonderer Günstling des Fürsten sein mußte, wogegen die viel imposanter klingendenTitel »Burggraf« und »Truchseß« unterschiedslos an Adelige und Bürgerliche vergeben wurden? Wer weiß schon, daß die Würde eines »Kammerherrn« so begehrt war, daß auch Personen, die höhere Titulaturen führten, sich mit Vorliebe als solche bezeichneten - daß dagegen »Kammerjunker« ein sinnentleerter Titel ohne konkrete Macht bedeutet? Daß ein »Hoftrompeter« zwar dem Rang nach zu den niederen Bediensteten zählte, seine Bezahlung sich aber mit der höherer Chargen 31

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[Johann G. Büschel]: Ueber die Charlatanerie der Gelehrten seit Mencken. Leipzig 1791. S. 41f. Reprint München 1981 (Quellen zur Geschichte des Buchwesens 1/2). Deutsches Museum, März 1782, S. 284f. Besonders deutlich zeigt sich dies bei der Arbeit von Dzwonek, Ritterhoff, Zimmermann (vgl. Anmerkung 4), deren Verfasser sich kühn »detaillierte Kenntnisse des Publikums einiger Städte« (S. 316) - nämlich Hamburg, Frankfurt, Hannover und München bescheinigen, über das beim derzeitigen Forschungsstand noch keinerlei gesicherte Erkenntnisse vorliegen. Die spezifischen Voraussetzungen für eine hohe Zahl von studentischen Subskribenten in Göttingen (intensive Werbung durch den Hainbund) werden unzulässig verallgemeinert. 61

mindestens messen konnte? Wer kennt den Unterschied der sozialen Funktion und Stellung eines Kammerkonsulenten und Hofkriegsrates genau, wer beachtet, daß oft bürgerliche Personen im höheren, adelige dagegen im niedrigen Hofdienst standen? Und so geht es weiter: wer kennt die Rolle der Titulaturen an geistlichen Höfen und bei Reichsstiften, weiß zu beachten, daß in diesem und jenem Erzstift die Subskription von zehn »geistlichen Räten« noch gar nichts über den Lesegeschmack der Theologen aussagt, weil diese höchst weltlich-lebenslustige Hofleute sind? Wer würde nicht einen »Helfer« zum Bedienstetenproletariat rechnen, während er doch ein ehrwürdiger Theologe ist. Ein anderes Beispiel: in einer wichtigen Untersuchung wird nachdrücklich betont, daß auf C. F. Weißes Kinderfreund 1780 sogar ein Arbeiter pränumeriert habe - und zwar ein »Goldarbeiter aus Freiberg«. 34 Das ist nun freilich kein Angehöriger der Unterschicht, sondern ein vermögender Kunsthandwerker der Spitzenklasse, vielleicht Mitglied des Patriziates... Ein weiteres Gebiet, auf dem interpretatorisch gesündigt wird, ist die regionale Differenzierung. Auch hier sind bei der Betrachtung von nur einer oder wenigen Listen Fehlinterpretationen unvermeidlich. Immerhin - daß in Lissabon 36 Exemplare der Gelehrtenrepublik subskribiert wurden, in Leipzig dagegen nur 25, hat bisher noch niemand als exemplarisch für die Rolle der beiden Städte in der deutschen Literatur angesehen. Aber daß zum Beispiel Hermannstadt in Siebenbürgen einen Subskribenten der Gelehrtenrepublik verzeichnet, ist keineswegs so sensationell, wie Pape 35 glaubt - im Gegenteil: dort wird Blumauers Aeneis sechzehnmal pränumeriert, und selbst auf ein so ephemeres Skandalopus wie Amorys John Bunkel subskribierten dort fünf Personen. Der eine KlopstockSubskribent ist also keine positive, sondern eine negative Ausnahme. Ähnlich steht es später mit den Pränumerationen auf die erste und zweite Cotta'sche Gesamtausgabe von Goethes Werken - hier sind kleinere Orte nur deshalb überproportional vertreten, weil in den Städten längst die Pränumeration - wegen der Rührigkeit der Buchhandlungen - überholt war. Und wenn aus der Betrachtung einiger norddeutscher Listen immer wieder der Schluß gezogen wird, der minimale Anteil Österreich-Ungarns an Subskribentenverzeichnissen beweise dessen kulturelle Rückständigkeit, so sollte man umgekehrt einmal österreichische Listen betrachten: bei Blumauers Travestie der Aeneis36 etwa hat eine

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Wolfgang Martens: Die Botschaft der Tugend. Stuttgart 1968. S. 150. H. Pape: Klopstocks Autorenhonorare, Sp. 112. Vergils Aeneis travestirt von Blumauer. 3 Bde. Wien: Gräffer 1784-88. Alle drei Bände enthalten ein Verzeichnis der Pränumeranten. Ähnlich zusammengesetzt ist die Liste zu Blumauers Gedichten (Wien: Gräffer 1787). Wie C. Miquet: Les Lecteurs, S. 313 daraus die Folgerung ziehen kann, Deutschland sei »plus ouverte à l'influence autrichienne que l'Autriche ne l'est à l'influence allemande«, ist nicht verständlich. Offenbar sind ihm auch einige Auszählungsirrtümer unterlaufen: der Ort »Marburg« mit 10 Exemplare ist ζ. B. Marburg an der Drau in Krain, nicht M. in Hessen. Gerade bei Blumauer muß sicher auch die Rolle der »Lokalsubskription« berücksichtigt werden - so wurden von den 658 pränumerierten Exemplaren des ersten Bandes der Aeneis 53% in Wien bestellt.

beträchtliche Anzahl kleinster Provinzorte im Osten und Südosten mehr pränumerierte Exemplare aufzuweisen als die großen deutschen Metropolen des Nordens: 7 in Leipzig, 3 in Frankfurt, keines in Berlin oder Hamburg, aber 31 in Brünn, 49 in Innsbruck, 40 in Triest, 28 in Lemberg, 5 in Waidhofen an der Ybbs und ähnlichen Nestern. All dies könnte höchstens die These von zwei weitgehend getrennten Literaturgesellschaften nahelegen, erlaubt aber noch keine vergleichende Wertung. Eher noch wäre umgekehrt auf das deutlich höhere Interesse Österreichs an Klopstocks kühner, in Norddeutschland meist verständnislos bespöttelter Orthographiereform zu verweisen: als 1780 die Ausgabe letzter Hand des Messias sowohl in der traditionellen wie in der neuen Orthographie zur Subskription gestellt wurde, fanden sich für die letztere in ganz Hamburg nur 11 Interessenten, in Braunschweig 6, in Göttingen - wo einst die Gelehrtenrepublik 344 Subskribenten gefunden hatte - zeichneten sich 18 in die Messias-Liste ein, für die »neue« Ausgabe aber nur einer: ein Patrizier aus Ulm. In Berlin fand sich kein einziger Subskribent dafür, jedoch in Innsbruck 7 und in Wien gar 33. Schließlich kann auch aus der Tatsache, daß eine Liste außerordentlich klein ist, nur zum Teil auf das Desinteresse des Lesepublikums geschlossen werden. Das gilt etwa für J. J. Duschs Geschichte Carl Ferdiners, die zu den bemerkenswertesten Romanen dieses Zeitraums zählt. 37 Ihr vorgedruckt ist eine der kleinsten mir bekannten Subskribentenlisten von nur 59 Personen mit 63 Exemplaren. 38 Trotz dieses völligen Mißerfolges im Bekanntenkreis des Autors, erschienen aber nach der Erstausgabe (Breslau 1776-80) ein Schmiederscher Nachdruck des umfangreichen Werkes (1779-80) und ein weiterer Originaldruck mit Chodowieckikupfern fünf Jahre später (Breslau 1785). Das Buch hat also weite Verbreitung gefunden und war auch ein kommerzieller Erfolg. Gehen wir noch einen Schritt weiter - zu den mutmaßlichen Motiven der Pränumeranten und Subskribenten für ihren Entschluß, zu ihrem Erwartungshorizont, den Beweggründen dafür, aus der anonymen Masse des Lesepublikums herauszutreten und ihre Bindung an ein Buch namentlich zu besiegeln. Hier sind bisher kaum Ansätze zu einer historischen Leserpsychologie geleistet worden, 39 für die vor allem eine intensive Auswertung der gelehrten und freundschaftlichen Briefwechsel nötig wäre. Deshalb auch hier nur einige Mutmaßungen und Anregungen.

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Vgl. dazu Eva D. Becker: Der deutsche Roman um 1780. Stuttgart 1964. S. 92ff. und passim. Auch abgedruckt im Nachdruck Schmieders, Bd. 3, Teil 2. An bekannten Namen finden sich nur Boie, Klopstock und Giseke. In der Widmung an Gleim betont Dusch selbst, daß er für seinen Roman keinerlei Resonanz beim Publikum erwarte: »Um diese Erwartung mit der größten Wahrscheinlichkeit bestimmen zu können, bitt' ich Sie, nur die Namen der Subscribenten aufzuzählen, welche Sie diesem Buche beygedruckt finden: und dies Buch war gleichwohl ein Roman.« (S. 9.) Ansätze dazu vor allem bei R. Schenda, teilweise auch in den Arbeiten von R. Engelsing (vgl. Anmerkung 6). Als Rekonstruktionsversuch der Lesemotivationen bei nicht subskribierenden Schichten vgl. in diesem Band: Der lesende Landmann. S. 1-45.

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In zeitgenössischen Äußerungen wird vor allem ein Beweggrund immer wieder genannt - auf ihn verweist bereits 1744 das Zedlersche Universal-Lexikon: »Jezuweilen pfleget solchen Büchern das Verzeichnis der Subscribenten vorgedrucket zu werden, welches eine gedoppelte Absicht hat, die beyde zum Vortheil des Verlegers ausschlagen. Denn da finden sich so viele eitele Menschen, die, um nur ihren Namen in Schrifften gedruckt zu sehen, gern zwey, drey und mehr Thaler zahlen und die Anzahl der Subscribenten oder Pränumeranten aus dieser Einbildung vermehren. Hernach so locket auch manchen, der die Einsicht nicht hat, eines Buches Güte selbst einzusehen und zu beurtheilen, und also sich bloß lediglich von dem Ansehen großer Männer blenden lässet, ein solches Verzeichnis zur Erkauffung des Werckes an.«40 Und bis ans Ende des Jahrhunderts werden in zahlreichen Satiren immer wieder die »Gelehrten nach dem neuen Stil«, die »Petitmaitres« verhöhnt, die ihre Zugehörigkeit zur wissenschaftlichen oder literarischen Welt hauptsächlich bekundeten, indem sie auf alle Novitäten subskribierten und sich damit in Gesellschaft brüsteten.41 Für diesen Typus war offensichtlich weniger das literarische Werk selbst von Bedeutung, als vielmehr die soziale Selbstbestätigung und Repräsentation mitels des Räsonnements über Literatur. Nicht umsonst war ja die literarische Gesellschaftskultur des Bürgertums im 18. Jahrhundert ein Übungsfeld für die bürgerliche politische Öffentlichkeit. Aus denselben Gruppen rekrutierten sich zum großen Teil auch die Mitglieder der neu aufblühenden Lesegesellschaften. Vielleicht mag der Vergleich weit hergeholt erscheinen - aber ähnlich wie ein Jahrhundert später weite Kreise des Großbürgertums durch die möglichst demonstrative Staffage von Prachtwerken in ihren Wohnzimmern und Bibliotheken literarische Bildung zugleich demonstrierten und auf dieses äußere Attribut beschränkten,42 so dürfte auch hier die Rolle von Prestige und Renommée wesentlich gewesen sein. Schließlich wurde ja neben dem Namen auch der »Charakter« mitabgedruckt. Und der so abgefeimte Matthias Claudius begründete den Verzicht auf ein Verzeichnis bei seinen Sämtlichen Werken des Wandsbecker Bothen denn auch damit, daß sich mit solcher Kost ja ohnedies niemand brüsten könne.43 Natürlich ist dieses Motiv - das gerade bei Lokal- und Benefizsubskriptionen eine beträchtliche Rolle gespielt haben dürfte - auf einen Teil des Publikums 40

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[H. Zedier]: Großes vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste. 64 Bde. Halle 1732-54. Hier Bd. 40, 1744. Sp. 1573 (Artikel »Subscription«). Vgl. etwa [G. C. Westphal]: Portraits. 2 Bde. Leipzig 1779, Bd. 1, S. 79ff., S. 257. Vgl. dazu in diesem Band: Das literarische Leben 1848-1880. S. 136. Matthias Claudius: Asmus omnia sua secum portans oder Sämtliche Werke des Wandsbecker Bothen. I. und II. Theil. Hamburg: Bode 1775. S. 4-5 (aus der Subskriptionsanzeige): »Da ich nicht absehen kann, zu was Nutzen die Namen der Herren Subscribenten vor so ein Buch wie meins vorgedruckt werden sollten, so werd' ich sie hübsch in Petto behalten, es sey denn, daß jemand ausdrücklich anders begehrt. Ich war erst willens, alle Herren Subscribenten voran in Kupfer stechen zu lassen; man hat mir aber gesagt, daß dergl. seine Unbequemlichkeiten hat, und so hab ich's wieder aufgegeben.« [Kursivierung vom Verfasser.]

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beschränkt, der gegen das Jahrhundertende hin abnimmt bzw. sich zum Kleinbürgerlichen verlagert. Wichtiger ist vor allem in Randgebieten des deutschen Kulturund Sprachgebietes der Hunger nach intensiver Kommunikation und Konnexion mit dem literarischen Leben der Metropolen, aber auch ein besonders ausgeprägtes Solidaritätsgefühl und Mäzenatentum gegenüber anderen Mitgliedern der »Republique des lettres«. Das gilt im Raum des österreichisch-ungarischen Kaiserstaates für die Außenposten von Verwaltung, Militär und Erziehung in den Grenzorten von Galizien bis Kroatien; deutlicher noch in den baltischen Gebieten, allen voran Kurland mit seiner Residenz Mitau, das an zahlreichen Pränumerationsunternehmen weit überproportional beteiligt ist. Andere Motivationen kommen wohl für die weiblichen Subskribenten in Frage, deren rege Beteiligung auch bei moralisch bedenklichen Werken auf bemerkenswerte Emanzipationstendenzen von der geistlichen Bevormundung schließen läßt.44 Gerade die Rolle der adeligen »Fräulein« und bürgerlichen »Jungfern« wäre hier näher zu untersuchen. Bei mancher dürfte die Fiktion des empfindsamen Freundschaftsbundes mit dem Autor, die bereits erwähnt wurde, von besonderer Bedeutung gewesen sein. Das Nachdenken über die Motive von Subskribenten kann auch literarhistorisch reizvolle Perspektiven eröffnen - dafür ein Beispiel: die 1792 in Stuttgart anonym erschienenen Gedichte einer Wirtembergerin von Probata Möglin, haben ein kaum bemerkenswertes, lokal geprägtes Subskribentenverzeichnis. Völlig aus dem Rahmen fallen drei Tübinger Magister, die trotz ihrer sehr bescheidenen finanziellen Mittel insgesamt sieben Exemplare bestellten - es ist der Freundesbund der Stiftler Magenau, Neuffer und Hölderlin. Was kann den Dichter, der zur selben Zeit seine ersten Gedichte veröffentlichte, an dieser Dilettantin so fasziniert haben, die immerhin Zeilen schrieb, wie diese: »Nehmet mich auf am dämmernden Abend - geheiligte Gräber, Wo des Lebens Geräusch ruhig der Pilger verschläft. Dort schon sinkt sie hinab am blauen Olympos, die Sonne Nur noch ein röthlicher Strahl grüßet das Modergefild.«?45

Grundsätzlich ist die Subskription ja ein Zwischenstadium der literarischen Vermittlung und wendet sich an ein Publikum, das seinerseits im Übergang von intensiver zu extensiver Lektüre steht. Das läßt sich auch daran belegen, daß der Rückgang der intensiven Lektüre im Kleinbürgertum und dessen wachsende 44

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Der Anteil weiblicher Subskribenten am Verzeichnis der Klopstockschen Gelehrtenrepublik von 2,7% ist keineswegs, wie Pape annimmt (a.a.O., Sp. 117), außergewöhnlich hoch - im Gegenteil: auf Richeys Gedichte subskribierten 5% Frauen, und sogar auf Blumauers recht freimütige Aeneis ebenfalls 5%. Bei Benefizsubskriptionen (etwa der Karschin) war ihr Anteil noch deutlich höher. [P. Möglin]: Gedichte einer Wirtembergerinn. Stuttgart: gednikt bei den Gebrüdern Mäntler 1792. Hier S. 20. Der Hölderlin-Forschung ist diese Subskription bisher entgangen. Vgl. Ulrich Hötzer: Hölderlin als Subskribent auf einer Plutarch-Ausgabe. In: Hölderlin-Jahrbuch 1950. S. 120-26. Dort wird H. als Subskribent einer Plutarch-Edition von 1791 und von Conz's Gedichten 1792 (mit jeweils nur einem Exemplar!) genannt. 65

Beteiligung an Subskriptionsunternehmen parallel laufen. Dies ist auch ein Hauptgrund dafür, daß in den beiden kulturellen Metropolen Deutschlands, Berlin und Leipzig, stets nur eine lächerlich geringe Zahl von Subskribenten zu finden war. Hier war die Anonymisierung des Publikums, die Entfremdung zwischen Autor und Leser, der Übergang zur extensiven Lektüre soweit gediehen, daß die Berlinische Monatsschrift schon 1784 schreiben konnte: »Avertissements von Pränumerationen und Subskriptionen in der Tasche herumzutragen, wäre es auch auf den modischsten Roman, und auf den gepriesensten Dichter, ist hier in guten Gesellschaften schon lange lächerlich gewesen, und geschieht auch von keinem vernünftigen Menschen mehr; daher Sie sich denn nicht wundern müssen, warum in den Pränumerantenverzeichnissen Berlin meistentheils so arm an Namen ist, welches die Pränumerationsausschreiber gewöhnlich als ein Zeichen der Undienstfertigkeit und Unfreundschaftlichkeit der von ihnen gnädigst ernannten Kollekteurs anzusehen geruhen.« 46 Der letzte Halbsatz macht ein wenig stutzig - die Autoren sehen darin also nicht Desinteresse des Publikums, sondern nur ungenügenden Eifer der Kollekteure? Dies weist auf ein weiteres Element hin, dem wesentliche Bedeutung für die Interpretation der Verzeichnisse zukommt und das abschließend betrachtet werden soll: eben die K o l l e k t e u r e , auch Sammler, Correspondenten und Beförderer genannt. 47 Die Bedeutung dieser Multiplikatoren kann kaum überschätzt werden, jeder wichtige Autor des 18. Jahrhunderts hat sich irgendwann einmal als Kollekteur betätigt. Manche Gelehrte betrieben es als veritablen Nebenberuf und konnten mit Freiexemplaren und Provisionen einen beachtlichen Gewinn erwirtschaften. Für die meisten jedoch ging es eher um selbstverständliche Solidaritätsbeweise innerhalb der Schriftstellerwelt (vor allem den Kollekteuren in abgelegeneren Regionen) oder aber - und das gilt besonders für die jüngere Generation um 1780 - um eine enge partnerschaftliche Kommunikation mit dem Autor. Oft genug bildeten solche Kollekteure in Klein- und Mittelstädten Kristallisationspunkte literarischer Zirkel: »Die Kollekteurstätigkeit als potenziertes Leseerlebnis, das umschlug in die aktive Vermittlung nicht allein neuer Schriften, sondern auch neuer literarischer und geistiger Ideen, stellte ihren individuellen Freiheitsspielraum dar und verkörperte ihr Emanzipationsbestreben zum geistigen Weltbürger«. 48 Sie betrachteten ihre Aufgabe, wie es ein Klopstock'scher Kollekteur schön formulierte, als »eine geistige Heyraths Angelegenheit [...] eine Verheyrathung des Wercks mit seinem Leser«. 49 Eine echte Liebesehe kam dabei nicht in 46

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Ueber Berlin. Von einem Fremden. In: Berlinische Monatsschrift. Jg. 1784, Bd. 1. S. 142-164, hier S. 155. Zu ihnen bisher ausführlicher nur R. Wittmann: Die frühen Buchhändlerzeitschriften. Sp. 906-914. Für den jüdischen Buchvertrieb s. Bernhard Brilling: Israel Eibenschuetz as a Collector of Subscriptions. In: Studies in Bibliography and Booklore VI, 1964. S. 142-149. Ebda. Sp. 914. Brief des Advokaten Scheel aus Itzehoe an Klopstock 1781. Zit. nach H. Pape: Klopstocks Autorenhonorare, Sp. 158.

allen Fällen zustande. Der teilweise missionarische Eifer der Kollekteure schreckte vor keinem Mittel zurück. Aus dem Bürgerschen und Boieschen Briefwechsel vor allem lassen sich Maximen finden wie »Es muß alles hier subskribiren, was lesen kan und nicht«; oft genug wurde ein heißer Wettkampf ausgefochten, wer mehr Käufer einheimsen, wer einen regierenden Fürsten auf mehr als 10 Exemplare verpflichten konnte - und sogar Freundschaften zerbrachen an solchen Rivalitäten. 50 Das bedeutet für die Auswertung der Verzeichnisse: der prozentuale Anteil eines Ortes ist wesentlich von dem Eifer des dort tätigen Kollekteurs determiniert und deutet zunächst nicht auf eine dortige besondere literarische Geschmacksrichtung oder Lektürefrequenz. So hatte beispielsweise Ansbach in Franken keineswegs ein »public idéologiquement marqué«, 51 wie Miquet meint, weil dort eine völlig unverhältnismäßig große Zahl von Subskribenten auf die Gedichte der Karschin, Bürgers und Blumauers auftaucht - hier war nur Johann Peter Uz beheimatet, der auf diese Weise seinen Beitrag zur Ausbreitung der deutschen Literatur noch jahrzehntelang nach seinem Verstummen als Autor leistete. Es gibt Beweise dafür, daß sogar ganz spezialisierte Fachpublikationen auf diese Weise zu Subskribenten gelangen konnten. 52 Gerade bei Klopstocks Gelehrtenrepublik ist diese Rolle der Kollekteure evident; die Begeisterung konnte soweit gehen, daß ein einziger Darmstädter Kollekteur 103 Exemplare warb, ein anderer (Pastor Rosenberger in Mitau) 155, der Göttinger Hain sogar über Boie, bei dem dort die Fäden zusammenliefen, 414. Die Kehrseite dieses Enthusiasmus war freilich, daß bei Boie anderthalb Jahre nach Erscheinen der Gelehrtenrepublik noch 100 Exemplare unverkauft lagerten - was Papes These bestätigt, daß »der geringste Einblick in die geistige und formale Struktur des Werkes die meisten Leser von der Subskription ferngehalten hätte.« 53 Dies verweist jede Interpretation der Liste zur Gelehrtenrepublik in enge Grenzen. Ähnlich zeigte sich die Ernüchterung der Pränumeranten bei Nicolais Reisebeschreibung, die sogar zu einer scharfen literarischen Fehde mit Blumauer führte. 54 Die Enttäuschung des Publikums gegenüber dem Autor übertrug sich im Falle Klopstocks auch auf die Kollekteure, die sich scheuen mußten, wie Heinse 50 51 52

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Nachweise bei Wittmann: Die frühen Buchhändlerzeitschriften. Sp. 912f. C. Miquet: Les Lecteúrs, S. 315. So enthüllte Böttiger dem Herausgeber der Zeitschrift Braga und Hermode, F. D. Gräter, diese werde in Weimar nicht ihres Inhaltes wegen so rege subskribiert, sondern - »man habe es Herdern zu Gefallen gethan, von welchem eine schriftliche Aufforderung dazu herumgegangen sey ( . . . ) Man subscribirt selten für die Sache, sondern aus Freundschaft oder aus Mitleid für den armen subscriptionsbedürftigen Autor.« (Brief von Gräter an Wieland, 14.1. 1798, zit. nach: Württembergisch Franken, N. F. 42, 1968, S. 214). H. Pape: Klopstocks Autorenhonorare, Sp. 106ff., 133f. Blumauer schrieb das Pamphlet: »Prozeß zwischen Herrn Friedrich Nikolai, Buchhändlern in Berlin, an einem, dann denen 797 Pränumeranten, die auf besagten Herrn Nikolai neuesten Reisebeschreibung für baares Geld vornhinein bezahlten, andern Theils. ( . . . ) Allen Buchhändlern, die auf so eine Art reich werden wollen, zum schrecklichsten Beyspiel theilweis herausgegeben.« (Leipzig, d. i. Wien 1783-84).

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schrieb, »den Subscribenten darauf, das ist, fast allen denen, die in Deutschland lesen, unter die Augen zu treten«.55 Andere ambitionierte Projekte wie Voß' Homerübersetzung hatten darunter zu leiden.56 Die Prüfung des Typus, dem eine Liste angehört, die Kenntnis der Pränumerationsanzeige, der Begleitumstände, der regionalen und sozialen Besonderheiten, der Rolle der Kollekteure, die umfänglichen Vergleiche mit möglichst vielen anderen Listen und dergleichen - durch all dies ist bestenfalls die Oberfläche des Loch Ness der Subskribenten- und Pränumerantenverzeichnisse notdürftig vermessen worden. Das eigentlich interessierende anonyme Ungeheuer ist zwar dann und wann für wenige Momente vorbeigerauscht, aber es war nie in seiner ganzen Größe sichtbar. Es dingfest zu machen, reichen unsere groben Netze nicht aus. Mein skeptischer Rückblick auf die bisherige Forschung ist verbunden mit nur sehr vorsichtigem Optimismus für die Zukunft. Bevor nicht zuerst ein verbindliches methodisches Instrumentarium erarbeitet wird, bevor nicht konkrete Daten und Materialien über die soziale und ökonomische Struktur der deutschen Gesellschaft im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert vorliegen - solange werden wir über den bisherigen, zweifellos ehrenwerten, Dilettantismus nicht hinauskommen. Die Literaturwissenschaft hat sich hier sehr leichtsinnig auf eine Expedition begeben, für die sie völlig unzureichend gerüstet ist. Nur in interdisziplinärer Kooperation kann es vielleicht im Laufe mehrere Jahre gelingen, durch die Untersuchung einiger hundert Verzeichnisse zu überzeugenden lesersoziologischen Ergebnissen zu gelangen. Eines freilich ist trotz aller Skepsis unbezweifelbar: auch wenn die Erforschung der Pränumerations- und Subskriptionsverzeichnisse ein überaus steiniger und dorniger Weg ist, um das Lesepublikum des 18. Jahrhunderts kennenzulernen - es ist vielleicht der aussichtsreichste, der ans Ziel führen kann.

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Brief an Gleim vom 15. Februar 1976. In: Briefwechsel zwischen Gleim und Heinse. Hg. von Karl Schüddekopf. Weimar 1894-96. Bd. 2, S. 20. Vgl. dazu R. Wittmann: Die frühen Buchhändlerzeitschriften, Sp. 900-906. Möglicherweise ist dies auch eine Erklärung - will man nicht einen deutlichen Wandel des Publikumsgeschmacks annehmen - für die sehr unterschiedliche Reaktion auf G. A. Bürgers Gesammelte Gedichte: 1778 hatten auf die erste Ausgabe fast 2000 Interessenten pränumeriert (darunter 18 regierende Häupter), 1789 waren es bei der vermehrten zweiten nur mehr 439.

Der gerechtfertigte Nachdrucker? Nachdruck und literarisches Leben im achtzehnten Jahrhundert

1. Vorbemerkung Am 28. Juni 1785 enthielt das Journal général de l'Europe folgende Notiz: On nous annonce de Francfort sur le Main un ouvrage dont la mode n'existoit pas encore dans la littérature. C'est l'Almanach des contre-facteurs les plus infatigables de l'Europe. Leur nom, leur demeure y seront indiqués, leurs talens typographiques apprécies; et l'on y joindra leur portrait en taille-douce. Le volume sera considérable: car le nombre de ces messieurs n'est pas petit. 1

Diese - zweifellos fingierte - Ankündigung ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Sie belegt zunächst, daß der Raubdruck von Büchern im 18. Jahrhundert eine gesamteuropäische Erscheinung war: britische Originalverleger mußten mit ihm ebenso rechnen wie französische, die Räuber waren in den Niederlanden ebenso zuhause wie in Irland. Daß der Nachdruckeralmanach dennoch gerade in Frankfurt erscheinen sollte, hatte seinen Grund: denn nirgendwo kam dem Nachdruck eine solche Bedeutung für die Entwicklung des Buchwesens, des literarischen Lebens und der aufgeklärten bürgerlichen Öffentlichkeit insgesamt zu wie im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Die gesamte deutsche Buchhandelsgeschichte des 18. Jahrhunderts, des »Nachdruckzeitalters«, ließe sich an diesem zentralen Problem demonstrieren. Dies kann und soll in diesem Beitrag selbstverständlich nicht versucht werden. Dazu bedürfte es zunächst einer umfassenden Quellenbibliographie, wie sie bislang nur in - sehr unzulänglichen - Ansätzen versucht worden ist.2 Ein solches 1

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Zitiert nach: Bulletin mensuel Nr. 82 (1977) des Antiquariats Pierre-M. Gason, Verviers, S. 62. Die m. W. umfassendste neuere Spezialbibliographie stellte Hellmut Rosenfeld zusammen: Zur Geschichte von Nachdruck und Plagiat. Mit einer chronologischen Bibliographie zum Nachdruck von 1773-1824. In: Archiv fiir Geschichte des Buchwesens, XI (1971), Sp. 337-372. Darin Bibliographie Sp. 340-349. Sie stützt sich bis 1794 auf J. C. F. Roch: Materialien zur Geschichte des Buchhandels. Leipzig 1795. Von der verständlichen Lückenhaftigkeit abgesehen (es werden fast nur Schriften genannt, die im Titel das Stichwort Nachdruck führen), sind mehrere Titel ungenau erfaßt und Anonyma nicht aufgelöst, so im Jahr 1773 J. Α. H. Reimarus als Verfasser von Der Bücherverlag, in Betrachtung der Schriftsteller, der Buchhändler und des Publikums und Philipp E. Reich als Autor der anschließenden Gegenschrift. Die 1776 aufgeführten Episteln an den Bamberger Nachdrucker Göbhard stammen nicht von J. G. H. Feder, sondern von G. C. Lichtenberg. Das Pasquill: Der gerechtfertigte Nachdrucker (1774) wurde nicht von J. T. v. Trattner, sondern von Chr. Heinr. Wilcke verfaßt; Linguets Betrachtungen (1778) hat P. E. Reich übersetzt und vermehrt u. a.

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Verzeichnis könnte nachweisen, wie der Nachdruck über Jahrzehnte hinweg nicht nur Gegenstand juristischer Thesen und Traktate, nicht nur unerschöpfliche Quelle für bissige Pamphlete und Gegenpamphlete seiner Ankläger und Verteidiger, nicht nur unablässig variiertes Diskussionsthema aller literarischen und kulturellen Zeitschriften war, sondern auch an den entlegensten Stellen auftaucht - von der erbaulichen Predigt bis zum Räuberroman Rinaldo Rinaldini. Diese Funktion des Nachdrucks in der literarischen Öffentlichkeit wird nur verständlich, wenn man ihn nicht auf seine rechtliche Problematik reduziert, sondern ihn vielmehr als exemplarischen Modellfall für die Lage des deutschen Buchhandels im 18. Jahrhundert und darüber hinaus für die Möglichkeiten und Hindernisse der Verbreitung von Literatur überhaupt untersucht. Im folgenden soll daher die umfangreiche juristische Kontroversliteratur über Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks weitgehend unberücksichtigt bleiben; sie ist auch in ihrer Bedeutung für die Entwicklung des Urheberrechts bereits mehrfach gewürdigt worden. 3 Das Lesepublikum des 18. Jahrhunderts stand dem Gelehrtenstreit mit größter Gleichgültigkeit gegenüber, ebensowenig Auswirkungen hatte er auf die Legislative: alle Bemühungen um eine verbindliche strafrechtliche Erfassung des Tatbestandes blieben ergebnislos.4

2. Der »traditionelle« Nachdruck Bekanntlich ist der Nachdruck so alt wie Gutenbergs Erfindung und wurde bereits in der Inkunabelzeit (etwa von Schönsperger in Augsburg) mit großem Aufwand betrieben. Martin Luthers kräftige Schmähungen gegen die »reubischen Nachdrücker« wurden generationenlang immer wieder zitiert.5 Dabei hatten die Verleger bis zur Aufklärungszeit fast ausschließlich bei einer bestimmten Gattung von Büchern Nachdruck zu befürchten: den sogenannten »Brotartikeln«, also Bibeln, Gebet- und Erbauungsbüchern sowie Kalendern, Schul- und Wörterbüchern, deren Auflagen - bedingt durch intensive Lektüre und entsprechenden Verschleiß - sehr hoch gewesen sein dürften. In weit geringerem Maße wurde auch wissenschaftliche (meist theologische) und zuweilen schöne Literatur nachgedruckt, letztere insbesondere zur Barockzeit in den Niederlanden. 6 Von einer ernstlichen

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Vgl. dazu an neueren Untersuchungen Ludwig Gieseke: Die geschichtliche Entwicklung des deutschen Urheberrechts. (Göttinger rechtswissenschaftliche Studien 22). Göttingen 1957; Walter Bappert: Wege zum Urheberrecht. Frankfurt 1962; Martin Vogel: Deutsche Urheber- und Verlagsrechtsgeschichte zwischen 1450 und 1850. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens XIX (1978), Sp. 1-190. Vgl. L. Gieseke: Entwicklung, S. 105f. Luthers Auslassungen s. bei Hans Widmann (Hg.): Der deutsche Buchhandel in Urkunden und Quellen. Hamburg 1965, Bd. 2, S. 324-328. Vgl. Friedrich Kapp und Johann Goldfriedrich: Geschichte des deutschen Buchhandels. Leipzig, 1886-1923, Bd. 1, S. 494ff., Bd. 2, S. 436f„ Bd. 3, S. 3.

Störung des Buchmarktes, von empfindlichen Absatzeinbußen der Originalverleger durch solche unlautere Konkurrenz konnte dabei jedoch kaum die Rede sein. Man gewinnt den Eindruck, als sei Nachdrucken noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine Art von Kavaliersdelikt gewesen: der Buchhandel hatte ein relativ kleines und überschaubares Publikum und konnte seine Auflagen ziemlich genau kalkulieren. Wenn ein Buch überraschenderweise besonderen Erfolg erzielte, so schien es den Kollegen durchaus statthaft, an diesem zu partizipieren und den »unchristlichen Gewinn« auf das übliche bescheidene Maß zurückzuführen. Ein spätes Beispiel für diesen traditionellen Nachdrucktypus, der sich jedoch bereits auf ein Periodikum - also ein neues Objekt des Buchmarktes - richtete, sind David Fassmanns Gespräche in dem Reiche derer Todten, deren Originalausgabe in einem der kleinsten Leipziger Verlage, bei den »Cörnerischen Erben«, ab 1718 erschien. Diese Firma war von dem enormen Erfolg des Fortsetzungswerkes völlig überrascht und vermochte die steigende Nachfrage auch mit mehreren Neuauflagen nicht zu befriedigen. Bereits von der 3. Entrevue erschien ein Nachdruck mit dem Vermerk »Zu finden in Franckfurt/Leipzig/Hamburg und Nürnberg.«, der sich in der Paginierung dem Original genau anschließt. Und auf dem Titelblatt der »Dreyzehenden Entrevue« von 1720 steht ungeniert: »Die Exemplaria dieser Gespräche / worauf Nürnberg / Franckfurth, Leipzig und Hamburg stehet, sind ein sauberer und wohl corrigirter Nachdruck derjenigen Arbeit / welche zu Leipzig in Commission bey denen Cörnerischen Erben aufn Neuen Neu=Marckte zu haben«. 7 Ja, als der Leipziger Buchhandelsmatador Moritz Georg Weidmann den Cörnerschen Erben 1721 400 Exemplare (!) der 34. Entrevue, die er für schwedische Kunden benötigte, nicht zum gebotenen Spottpreis abkaufen konnte, druckte er selbst kurzerhand rund 1500 Exemplare unter der Cörnerschen Verlagsadresse nach. Solche rüden Usancen waren kein Einzelfall; 8 auch andere renommierte Leipziger Firmen wie J. F. Gleditsch bedienten sich dieser Wettbewerbsmethoden. Nicht immer spielten dabei kommerzielle Motive die Hauptrolle. Oft konnten private Zwistigkeiten einen Nachdruck als persönlichen Racheakt am Kontrahenten provozieren. Jedenfalls war in diesem Stadium ebensowenig die Rede von Autor und Urheberrecht wie von den Bedürfnissen des lesenden Publikums - das bezeugen auch die Prozeßakten. Bis gegen 1730 galt der Nachdruck im deutschen Buchhandel als zwar ungehörig, aber doch im Falle übermäßigen (»unchristlichen«) Gewinns eines Konkurrenten als verzeihlicher Versuch eines Marktregulativs oder auch - bei Auseinandersetzungen zweier Firmen - als Mittel der Notwehr gegen Anmaßung. Er war Angelegenheit der unmittelbar Beteiligten, kein ernsthaftes Problem für die gesamte Organisation des deutschen Buchhandels.

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Der Originalverleger wehrte sich gegen den »liederlichen und nichtswürdigen Nachdruck« mit einem Register zur 1.-16. Entrevue, das für den Nachdruck nicht zu verwenden war, da dieser durch engen Druck auf eine geringere Seitenzahl kam. Vgl. Albrecht Kirchhoff: Ein Verleger-Matador als Nachdrucker. In: Archiv für Geschichte des Deutschen Buchhandels XV (1892), S. 230-240. 71

3. Die Zerstörung des einheitlichen Buchmarktes Die fundamentalen Veränderungen des Buchmarktes, literarischen Lebens, ja des kulturellen Kommunikationssystems insgesamt, die sich in Mitteleuropa im Verlaufe des 18. Jahrhunderts vollzogen, sind seit einigen Jahren mehrfach Gegenstand eingehender Untersuchungen gewesen. 9 Hier kann nur ihr spezifisch buchhandelshistorischer Aspekt kurz skizziert werden. Eine »bibliopolische Zweiteilung Deutschlands« 10 hatte sich bereits Ende des 17. Jahrhunderts angedeutet. Der traditionelle, weitestgehend bargeldlose, Changeverkehr, bei dem jeder Buchhändler Verleger und Sortimenter in Personalunion sein mußte, war durch die von ihm mitverursachte Überproduktion minderwertiger Bücher in eine schwere Krise geraten. In den beiden Heimatländern der deutschen protestantischen Aufklärung, Sachsen mit den Universitäten Leipzig, Halle, Jena, Wittenberg, und in geringerem Maße auch Brandenburg-Preußen wurde der geistige Vorsprung immer deutlicher. So wichtigen und auch buchhändlerisch erfolgreichen Autoren wie Christian Wolff und Gottsched hatten die katholischen Territorien, deren Gelehrsamkeit noch einem barocken Polyhistorenideal huldigte und die überdies eher einer musikalisch-bildnerischen als einer verbal-literarischen Kultur zuneigten, wenig entgegenzusetzen. Das galt für alle Gebiete des Buchmarktes: für Philosophie ebenso wie für Jurisprudenz, für Naturwissenschaften ebenso wie für schöne Literatur. Altväterliche, mit lateinischen gelehrten Quisquillen angefüllte Folianten oder langatmige Erbauungsschmöker im Quartformat konnten einer lesenden Öffentlichkeit nicht mehr zugemutet werden, die durch Moralische Wochenschrifen und Popularphilosophen der Aufklärung bereits einen völlig anderen Erwartungshorizont besaß. Die ungeschickte kaiserliche Buchhandelspolitik und Zensur in der alten Messestadt Frankfurt am Main tat ein Übriges, um die Entfremdung zwischen dem fortschrittlichen, auf Ober- und Niedersachsen mit dem Zentrum Leipzig konzentrierten Aufklärungsbuchhandel und den traditionsverhafteten Firmen des sogenannten »Reichsbuchhandels« zu verstärken. Unter »Reichsbuchhandel« sind dabei die Firmen in den österreichischen Erblanden, der Schweiz und im bayerischen, schwäbischen, fränkischen, ober- und niederrheinischen Kreis zu verstehen insgesamt um die Mitte des 18. Jahrhunderts wohl nicht mehr als 70 bis 80 Buchhandlungen. Der Changehandel, der wechselseitige Tauschhandel aller Neuerscheinungen auf den beiden jährlichen Buchmessen in Frankfurt und Leipzig, hatte es ermöglicht, im zersplitterten, zentrifugalen und partikularistischen Deutschland dennoch eine optimale buchhändlerische Kommunikation zu gewährleisten: indem er den notwendigen Kapitaleinsatz begrenzte und dafür sorgte, daß auch an entlege-

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Die neueste, bisherige Forschungen zusammenfassende, allerdings nicht immer exakte Studie dazu ist H. Kiesel und P. Münch: Gesellschaft und Literatur im 18. Jahrhundert. München 1977. Auf ihre Bibliographie kann hier verwiesen werden. J. Goldfriedrich: Geschichte des deutschen Buchhandels, Bd. 2, S. 336.

nen Orten erschienene unscheinbare Schriften relativ leicht zugänglich waren. Nur ihm war das - im Vergleich zu Frankreich oder Großbritannien - ungewöhnlich engmaschige Netz von Buchhandlungen in Mitteleuropa zu verdanken. Der deutsche Buchhandel hat diese überalterte Distributionsform nicht vorsichtig und solidarisch zu reformieren versucht - dazu hätte es wohl einer auch nur rudimentären Standesorganisation bedurft. Stattdessen ergriff eine Minorität rigoros die Initiative und hat damit das gesamte System der Buchdistribution nachhaltig gestört, ja in mancher Hinsicht zerstört: sächsische, vor allem Leipziger Verleger führten den Netto- und Kontanthandel ein. Das bedeutete: Ablehnung des Tausches, Barzahlung mit vermindertem oder fehlendem Rückgaberecht, geringe Rabatte und erhöhte Preise. Vorkämpfer dieses Nettohandels war der Leipziger Verleger Philipp Erasmus Reich. Die Buchhandelsgeschichte hat diesen Prozeß bislang ausschließlich aus der Perspektive der Neuerer, der sächsischen »Reformer« gesehen, und den unterlegenen Reichsbuchhandel mit nicht immer verständnisvollen Worten bedacht. Wie einseitig eine solche Sicht ist, wird später noch genauer belegt. Hier muß zunächst nur betont werden, daß der Übergang zu der neuen Handelsform nicht allein im »Reich«, sondern auch im Norden auf Unverständnis und Erbitterung stieß. Allzu durchsichtig waren die Motive, die hinter der scheinbaren Reform standen: der Nettohandel, auf den Messeplatz Leipzig konzentriert, wo der gesamte deutsche Bücherverkehr abgewickelt wurde, war für die dort ansässigen Firmen überaus vorteilhaft. Sie sparten ohnedies sämtliche Transportspesen, hatten kaum Messeunkosten und konnten insgesamt billiger produzieren. Die sächsische Regierung begünstigte die ortsansässigen Firmen gegenüber den auswärtigen unverhüllt. Die Reaktion mancher außersächsischen Buchhändler kann nicht überraschen: sie druckten nach. Diese zweite Phase des Nachdrucks im 18. Jahrhundert ist bisher nicht als solche beachtet worden. Sie ist auch auf Grund der völlig fehlenden bibliographischen Erfassung schwer eingrenzbar, jedoch durch einige Kriterien gekennzeichnet: Firmennamen werden verschwiegen, als Ortsangaben fungieren das beliebte »Frankfurt und Leipzig«, oft auch nur »Frankfurt« allein und insbesondere »Amsterdam«. Nachdrucksobjekte sind während dieser Phase, die Ende der vierziger Jahre beginnt und bis etwa 1765 dauert, insbesondere Schriften der aufkeimenden Nationalliteratur: die Bremer Beiträger, Anakreontiker, Gleim, E. v. Kleist, Klopstock und vor allem Geliert. Im Gegensatz zum letzten Jahrhundertdrittel war diesen Nachdruckern eigen, daß sie sich »meistens verborgen halten und tausend Künste brauchen, ihren Schleichhandel zu treiben«.11 Es ist zu vermuten, daß diese anonymen Offizinen neben Holland in Norddeutschland standen; auf jeden Fall wurde dort lebhafter Handel mit ihren Erzeugnissen getrieben: kein geringerer als Friedrich Nicolai hat in Berlin Geliertnachdrucke vertrieben, und 11

(Philipp Erasmus Reich): Der Bücherverlag in allen Absichten genauer bestimmt, o. O. 1773 (Reprint München 1981), S. 20f. Diese These einer spezifischen nord- und mitteldeutschen Nachdrucksphase bedarf jedoch genauerer bibliographischer Überprüfung. 73

sogar in Leipzig hat Bernhard V. Breitkopf Nachdrucke von Gellerts Fabeln und Lustspielen an seine Kollegen vermittelt. 12 Der Reichsbuchhandel als Produzent und insgesamt der Süden als Absatzgebiet treten in diesem Stadium nach den zeitgenössischen Quellen nicht in Erscheinung. Diese Priorität des norddeutschen Nachdrucks ist für die weitere Entwicklung von Bedeutung. Denn erst daraufhin provozierte Philipp Erasmus Reich, um seine Leipziger Platzvorteile ungehemmter nutzen zu können, den Bruch mit dem Reichsbuchhandel: im Jahr nach dem Hubertusburger Frieden, der wieder geregelte Absatzverhältnisse erhoffen ließ, löste er auf der Frankfurter Messe von 1764 ostentativ sein Lager auf, erhöhte seine Bücherpreise bis zu 50 Prozent, bestand gegenüber dem süddeutschen Buchhandel auf Barzahlung und begann in Zirkularen den Kampf gegen den Nachdruck, noch bevor dieser überhaupt im Süden in nennenswertem Maße eingesetzt hatte. Es wäre denkbar, daß Reich diese Antwort auf sein Vorgehen nur befürchtete und seinen zeitlichen Vorsprung zu nutzen hoffte, um Nachdrucken auf jeden Fall den Zugang zu den Leipziger Messen zu sperren.

4. D a s »Nachdruckszeitalter« Nun erst, auf diese Kriegserklärung des sächsischen an den Reichsbuchhandel hin, beginnt das eigentliche »Nachdruckszeitalter«. Es ist in seiner Blüte zu fixieren auf die Jahre zwischen 1765 und etwa 1785. In dieser kurzen Zeitspanne gelingt es den Nachdruckerfürsten, vor allem Trattner in Wien und Schmieder in Karlsruhe, in umfänglichen Reihen- und Serienprojekten mit teilweise enzyklopädischem Anspruch, die wissenschaftlichen und literarischen Fortschritte des Nordens einem lese- und bildungshungrigen Publikum zu vermitteln, das ohne den Nachdruck kaum seinen Bücherhunger hätte stillen können. Der unberechtigte Nachdruck bedeutete für den größten Teil des Reichsbuchhandels die aussichtsreichste Überlebenshoffnung - also nicht nur für die selbst aktiv beteiligten Firmen, sondern für das gesamte buchhändlerische Distributionsnetz des Südens. Eine unvoreingenommene Betrachtung der Situation, die auf dem Buchmarkt nach der Einführung des Nettohandels entstand, erweist, daß neben der subjektiven Berechtigung des Nachdrucks auch teilweise eine objektive bestand. Sogar die vehementesten Gegner der Nachdrucks bezeichneten ihn als gerechtfertigt, wenn der Originalverleger überhöhte Preise bei geringen Rabatten verlangte und dadurch Kollegen wie Publikum schädigte, oder wenn der Nach12

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Vgl. dazu F. H. Meyer: Reformbestrebungen im achtzehnten Jahrhundert. In: Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels, XII (1889), S. 201-300, hier S. 240; A. Kirchhoff: Der Transit des Nachdrucks durch Leipzig. In: Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels, XV (1892), S. 284-294, hier S. 292f. Daß sogar Ph. E. Reich selbst Gellertnachdrucke angestiftet habe, als noch Wendler der Originalverleger war, wurde von den Nachdruckern behauptet; vgl. A. Schürmann: Die Entwicklung des Deutschen Buchhandels zum Stande der Gegenwart. Halle 1880, S. 78.

druck nur in Regionen vertrieben wurde, wohin das Original nicht gelangen konnte. Beides traf nach Meinung der Reichsbuchhändler in ihrem Falle zu. Tatsächlich empfand man Preisgestaltung und Geschäftsbedingungen der Leipziger Verleger allgemein als skandalös. Der Rabatt von höchstens 25 Prozent wurde oft genug - gerade beim Geschäftsverkehr mit süddeutschen Handlungen auf nur 16 Prozent herabgesetzt, und dies bei sofortiger Bezahlung. Die Gegenrechnung der Reichsbuchhändler jedoch sah so aus: für Transportkosten etwa 15 Prozent vom Ladenpreis, nicht eingerechnet allgemeine Meßunkosten (Reisespesen, Gewölbemieten, Emballage, Bezahlung der Meßhelfer), die mindestens weitere 5 Prozent verschlangen; vor allem aber hatten die auswärtigen Firmen auf den Messen, nachdem Philipp E. Reich die Abrechnung auf einen für Sachsen günstigeren Münz- und Währungsfuß umstellte, zwischen 15 und 25 Prozent Agiobzw. Währungsverluste hinzunehmen. 13 Damit konnte von einer Deckung der Unkosten, geschweige denn von angemessenen Gewinnen kaum mehr die Rede sein. Nur wenige Firmen durften wenigstens einen Teil ihrer eigenen Produktion tauschen und damit den Verlust lindern. F. Eckebrecht hat 1779 in seiner »Defensionsschrift« anhand einiger kalkulatorischer Beispiele dargelegt, daß der Handel auf den Leipziger Messen für den Reichsbuchhandel »eine Art von Lotto« darstellte. 14 Auch Johann Th. Trattner hat seine Nachdruckstätigkeit erst aufgenommen, nachdem ihm von Seiten der Leipziger Verleger für seine umfänglichen Bestellungen nur 16 Prozent Rabatt zugestanden wurden, wogegen allein seine Transportspesen 17 Prozent betrugen. 15 Indem auf diese Weise die Nettohändler das gesamte Risiko abwälzten, konnten sie erheblich gewinnbringender kalkulieren und somit freilich auch höhere Autorenhonorare zahlen und die Attraktivität ihrer Verlagsproduktion weiter erhöhen. Jedoch warnte schon 1761 ein anderer Leipziger Verleger: wenn Reich solch rigorose Usancen durchzusetzen versuche, müsse er damit rechnen, »daß Sie nicht den dritten Theil ihres bisherigen Absatzes haben werden. Des Nachdrucks Ihrer besten Bücher, dem Sie dadurch Thür und Thor öffnen, will ich nur im Vorbeygehen Ihnen zu Gemüthe führen«. 16 Um dennoch keine finanziellen Einbußen bei eventuell vermindertem Absatz zu erleiden, gab es ein probates Mittel: die Erhöhung der Bücherpreise. Zweifellos sind im Laufe des 18. Jahrhunderts Papierkosten und Druckerlöhne gestiegen, jedoch stand dies in keiner Relation zu den »übertriebenen Preiße(n) der neuen Bücher«, die selbst Philipp E. Reich 1765 zugab. Während ein Alphabet (23 Bogen) lange Zeit 4 bis 5 gr. gekostet hatte, verlangten die Leipziger Verleger nach 1760 16 gr., um 1785 war der Durch13

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Vgl. dazu Beispiele aus Prag (Goldfriedrich: Geschichte, Bd. 3, S. 98), Augsburg (K. Buchner: Aus den Papieren der Weidmannschen Buchhandlung. Berlin 1871, S. 94). Vgl. auch R. Wittmann: Der deutsche Buchmarkt in Osteuropa im 18. Jahrhundert. In diesem Band, S. 105. Vgl. Goldfriedrich: Geschichte, Bd. 3, S. 56f. F. H. Meyer: Reformbestrebungen, S. 235. A. Schürmann: Die Entwicklung, S. 43 (Teubner an Reich).

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schnittspreis gar auf einen bis anderthalb Taler (also 24 bis 36 gr.) gestiegen.17 Das bedeutet eine Verteuerung in etwa 35 Jahren um das Acht- bis Neunfache. Besonders die immer mehr begehrten literarischen Werke, die fast ausschließlich bei sächsischen Firmen erschienen, wurden von diesen Preissteigerungen betroffen. Jedes Absatzrisiko wurde weitestgehend vermieden. Nicht nur in Anklagen des Reichsbuchhandels war davon die Rede, sondern selbst die Leipziger Buchdrucker verrieten, daß die Kalkulation der Nettohändler darauf abzielte, »gleich in der ersten Messe bei einer mäßigen Abnahme die ganzen Verlags-Kosten herausbekommen« zu können. 18 Die zeitgenössischen Angaben über die Höhe dieser Deckungsauflage schwanken zwischen 100 und 600 Exemplaren. Auf jeden Fall war bereits mit dem Absatz in Sachsen selbst die Gewinnzone erreicht. Die Leipziger Nettohändler waren offensichtlich noch keine spekulativen Kaufleute; sie setzten sich nicht der Gefahr aus, möglicherweise einmal im Bedarf des stetig wachsenden anonymen Lesepublikums vorbeizuproduzieren. Daß ihre »Habgier ( . . . ) keine Grenzen« kenne, warfen selbst die Leipziger Universitätsprofessoren den dortigen Firmen vor. 19 Sie verlegten zwar neue Literatur - aber hüteten sich, dabei etwas zu riskieren. Von aufklärerischem Enthusiasmus waren sie nicht beseelt. Dieser wäre eher noch den Nachdruckern zuzuerkennen. Die Empörung der außersächsischen Buchhändler über die Preispolitik der »Fabriquanten« und Nettohändler war so groß, daß auf der Ostermesse 1775 viele auswärtige Firmen planten, deren Novitäten »auf gemeinschaftliche Kosten nachdrucken und selbige um die Hälfte des Preißes verkaufen« zu wollen.20 Auch wenn sich dies zerschlug: in zahlreichen Briefen von Reichsbuchhändlern artikulieren sich Empörung, Erbitterung - und das Gefühl der Hilflosigkeit, wollte man als redlicher Kaufmann sich mit dem Nachdruck nicht einlassen. Hatte nicht Philipp Erasmus Reich selbst zugegeben: »So ungerecht ein willkührlicher Nachdruck ist und bleibet, so gerecht wird er, wann die Beleidigung vorher gegangen«. 21 Zwei Belege seien aus der Vielzahl herausgegriffen. Der Mannheimer Buch17

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Vgl. F. H. Meyer: Reformbestrebungen, S. 265; A. Schürmann: Die Entwickelung, S. 109; Deutsches Museum (1783, I), S. 492; Goldfriedrich: Geschichte, Bd. 3, S. 93. Zit. nach F. H. Meyer: Reformbestrebungen, S. 265f. ; vgl. auch Neues Archiv für Gelehrte, Buchhändler und Antiquare. Erlangen, 1795 (Reprint München 1981), S. 94. Natürlich schwankte diese Deckungsauflage je nach Höhe der Gesamtauflage. Vgl. Goldfriedrich: Geschichte, Bd. 3, S. 26. Noch 1790 unternahm Kursachsen vergebliche Anstrengungen, aus der Wahlkapitulation Leopolds II. einen Passus streichen zu lassen, in dem neben dem Nachdruck auch die »Herstellung billiger Bücherpreise« als dringend zu lösendes Problem genannt wurde (s. Gieseke: Die geschichtliche Entwicklung, S. 112). F. H. Meyer: Reformbestrebungen im achtzehnten Jahrhundert II. In: Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels. XIII (1890), S. 213-244, hier S. 236. Auch in den Statuten der Reich'schen Buchhandlungsgesellschaft von 1765 wurde Nachdruck als korporatives Druckmittel ausdrücklich erlaubt. Ebenda, S. 226. Zur Erbitterung der Reichsbuchhändler vgl. auch R. Wittmann: Die frühen Buchhändlerzeitschriften als Spiegel des literarischen Lebens. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens, XIII (1973), Sp. 613-932, hier Sp. 759ff. und 799ff. sowie R. Wittmann: Nachwort zum Reprint von Johann Gg. Heinzmann: Über die Pest der

händler Schwan, einer der wenigen Reichsbuchhändler, die den Nachdruck grundsätzlich ablehnten, schrieb 1779 an Reich nach Leipzig: »Die ganz unmenschlichen Preise der sächsischen und brandenburgischen Bücher zum Theil haben viel Unheil angerichtet. Noch vor 3 Tagen geschähe mirs, daß Jemand Lessing's Trauerspiele verlangte. Ich gab ihm Vossens Edition 22 à 1 Rthlr.r. oder 1 fl. 48 kr. hiesig Geld. Man brachte mirs wieder mit dem Anhang, ob ich mich nicht schäme, 1 fl. 48 kr. für drei Schauspiele zu fordern, die man nach der Schmiederischen Auflage um 24 kr. haben könne. Hätte das Bändchen von Anfang an 1 fl. gekostet, wie es denn billig nicht mehr kosten sollte, wer weis, ob's nachgedruckt worden wäre.« 23 Und wie ein ehrenwerter Reichsbuchhändler reagieren mußte, wenn er vor der Alternative stand, Bankrott zu machen oder Nachdrucke zu vertreiben, schilderte A. F. Bartholomäi in Ulm: »Ich habe keine Freude am Nachdrucken (...) es ist aber auch eben so gewiß, daß ich Nachdrucke in meinem weitläufigten Negotio führen und doch ein ehrlicher Mann bleiben könnte, wenn ich wollte, denn wenn ich vor Geld und gute Worte die Originale nicht haben, oder wenn ich solche auch haben, dabey nichts profitiren kann, so kann und darf ich ohne Verletzung den von einem Nachdrucker mir angebottenen Artickel vor mein Geld erkauffen und mit Nutzen wieder verwerten, und habe mich um den Schaden nicht zu kümmern, der demjenigen daraus erwächset, welcher von mir praetendirt, ich soll sein Knecht umsonst seyn, und den Nutzen allein haben will.«24

5. D i e Rolle der staatlichen Buchhandelspolitik Neben und vor diese innerbuchhändlerischen Probleme, die den Nachdruck begünstigten, trat in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein weiterer wesentlicher Faktor: der Merkantilismus und Kameralismus, die territoriale Wirtschafts-

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deutschen Literatur: Appel an meine Nation. Bern, 1795 (Reprint Hildesheim 1977), S. 17-28. Daneben konnten übrigens auch, wie beim »traditionellen« Nachdruck, persönliche Animositäten eine wichtige Rolle spielen. So hatte der Frankfurter Buchhändler Franz Varrentrapp, der Vetter von M. G. Weidmann, dessen Witwe 1745 als Geschäftsführer den jungen Philipp Erasmus Reich empfohlen, der bei ihm den Buchhandel erlernt hatte. Als Reich zum Vorkämpfer des Nettohandels und Liquidator der Frankfurter Buchmesse sich aufschwang, kam es zwischen beiden zum Bruch: fortan war Varrentrapp treibende Kraft der Gegenwehr des Reichsbuchhandels, bis hin zur mißglückten Nachdruckermesse von 1775, dem »Hanauer Bücherumschlag«. Die 1772 erschienene Erstausgabe. Brief vom 25. 2. 1779, zit. nach K. Buchner: Aus den Papieren der Weidmannschen Buchhandlung, S. 17. Brief Bartholomäis an Reich vom 30.1.1772, zit, nach K. Buchner: ebda. S. 7f. Vgl. auch den ähnlich argumentierenden Brief des Frankfurter Verlegers Johann K. Deinet an Georg J. Decker in Berlin vom 30. 3.1775, zitiert in: Lesewuth, Raubdruck und Bücherluxus: Das Buch in der Goethe-Zeit. Ausstellungskatalog des Goethe-Museums Düsseldorf, 1977, S. lOOf.

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politik. Durch die Überlegenheit des sächsischen Verlagswesens, das nahezu ein Monopol auf alle attraktiven, in ganz Deutschland begehrten Neuerscheinungen besaß, 25 wurde die Außenhandelsbilanz gerade kleinerer Länder beeinträchtigt. Da das Buchgewerbe mit Druckereien, Papiermühlen usw. auch einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor darstellte, schenkte die Obrigkeit dem Nachdrucker willig Gehör, wenn er erklärte: »Der Nachdruck hat auch eine ausnehmende politische Wichtigkeit für die einzelnen Länder des Reichs. Das Geld, das alles durch eben soviel Röhren, als Bücher von Wichtigkeit verlegt werden, nach Sachsen geleitet würde, bleibt jetzt im Reich und macht, daß wir in der Handelsbilanz mit Sachsen nicht mehr, wie sonst, verliehren. Es ist dadurch ein neuer Zweig von Industrie, der so vielen und so vielerlei Arten von Bürgern Nahrung schafft und mit in die Kassen der Fürsten einfließt, eröfnet worden.« 26 Es entsprach ohnedies dem Selbstverständnis des absolutistischen Staates, seine Einwohner davor zu schützen, von ausländischen Monopolisten übervorteilt zu werden und für »gerechte« Warenpreise zu sorgen. Auch die preußische Regierung betonte 1765, der Nachdruck sei erlaubt, »wenn der rechtmäßige Verleger eines Buches die Käufer auf eine enorme Art laedirt, oder ein pretium injustum nimmt« 27 - deshalb wurde Pauli in Berlin zunächst auch der Nachdruck Gellerts zugestanden. Noch eindeutiger war die Situation in Österreich, das rechtlich »außerhalb des Schutzbereichs der deutschen Litteratur« 28 lag. Der um die Jahrhundertmitte desolate Zustand der österreichischen Buchproduktion hatte spürbare finanzielle Auswirkungen: allein die einzige Dresdner Firma C. G. Walther soll um 1765 jährlich mehr als 40000 Gulden mit dem Buchhandel in Österreich erlöst haben. So galt es als Gebot wirtschaftlicher Vernunft, die einheimischen Firmen geradezu zum Nachdruck zu animieren. Bei der ersten Audienz, die Maria Theresia Trattner gewährte, soll die Kaiserin ihn aufgefordert haben: »Unterdessen aber, lieber Trattner, sagen Wir ihm, daß es Unser Staatsprinzip sei, Bücher hervorbringen zu lassen, es ist fast gar nichts da, es muß viel gedruckt werden. Er muß Nachdrucke unternehmen, bis Originalwerke zustande kommen. Drucke er nach. Sonnenfels soll ihm sagen, was.«29 Es war nur konsequent, daß zeitweise zum

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Statistische Belege dafür bei R. Wittmann: Die frühen Buchhändlerzeitschriften, Sp. 829ff. (C. G. Schmieder), Wider und für den Büchernachdruck, aus den Papieren des Blauen Mannes. O. O., 1790 (Reprint München 1981), S. 50. F. H. Meyer: Reformbestrebungen, S. 246. Goldfriedrich: Geschichte, Bd. 3, S. 5; zur juristischen Situation vgl. Gieseke: Die geschichtliche Entwicklung, S. 106ff. Neben Österreich gab es auch Gebiete, die nicht zum Territorium des Heiligen Römischen Reiches gehörten und wo somit auch formaljuristisch ohne jede Einschränkung Nachdruck betrieben werden konnte, etwa die Schweiz, aber auch Schlesien, Ost- und Westpreußen. Zit. nach Ursula Giese: Johann Thomas Edler von Trattner: Seine Bedeutung als Buchdrucker, Buchhändler und Herausgeber. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens, III (1961), Sp. 1013-1454, hier Sp. 1019.

Schutz einheimischer Nachdrucke nach Österreich keine Originalausgaben der betreffenden Werke eingeführt werden durften. Ähnlichen Schutz ließ der Markgraf von Baden dem in seiner Residenz Karlsruhe ansässigen Christian Gottlob Schmieder angedeihen. 30 Insbesondere für manche kleineren Reichsstädte aber, deren Wirtschaftslage im 18. Jahrhundert teilweise höchst desolat war, stellte der Nachdruck eine »absolute Notwendigkeit«31 dar - man denke etwa an Reutlingen. Außerdem war auch Kulturpolitik mit im Spiel: für die schnelle und weitreichende, dabei den Staat finanziell nicht belastende Verbreitung von Aufklärung gab es kein besseres Mittel. Für Josef II. war der Nachdruck deshalb trotz aller Angriffe auch von Seiten österreichischer Gelehrter unentbehrlicher Faktor zur Durchsetzung seiner aufklärerischen Vorstellungen. Und als nach dem Ende des josephinischen Tauwetters am Jahrhundertende die österreichische Zensur wieder verschärft wurde, wurde der Nachdruck einst erlaubter Bücher zum wirksamsten Mittel, diese Restriktionen zu umgehen. Zweifellos haben gerade so aufgeklärte Fürsten wie der Markgraf von Baden oder der Bischof von Bamberg und Würzburg den Nachdruck aus ähnlichen Erwägungen unterstützt wie Josef II. Gegenbeispiel ist Bayern, das unter Max. III. Joseph von der Aufklärung noch kaum erreicht wurde und sich unter Karl Theodor dagegen sperrte: hier gab es (von einem unbedeutenden Einzelfall abgesehen) keinen industriösen Nachdrucker. Der wirtschaftliche und kulturelle Nutzen des Nachdrucks für die Territorien des »Reiches« stand außer Frage - daß dort alle Klagen über dessen Unrechtmäßigkeit auf taube Ohren stießen, war überdies in der juristischen Situation begründet: beim Fehlen eines einheitlichen deutschen Verlags- oder gar Urheberrechtes schützten zwar Privilegien der einzelnen Territorialhoheiten gegen den Nachdruck. 32 So wirkungsvoll diese aber innerstaatlich waren, so nutzlos blieben sie beim grenzüberschreitenden Buchhandel: sächsische Privilegien hinderten nicht den Nachdruck in Württemberg. Die »Centrifugalkraft der deutschen Staaten« 33 blieb auch hier stärker als ein - bestenfalls in Ansätzen vorhandenes Nationalgefühl. Die politischen und wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Länder waren überaus heterogen, ja oft genug diametral entgegengesetzt. Eine »bibliopolische« Einheit Deutschlands erwies sich als unmöglich, solange nicht die politische verwirklicht war. Der Patriotismus des einzelnen Bürgers betraf sein überschaubares politisches Gebilde, nicht eine gemeinsame Nation - und auch die

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Vgl. Bernd Breitenbruch: Der Karlsruhe Buchhändler Christian Gottlieb Schmieder und der Nachdruck in Südwestdeutschland im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens, IX (1969), Sp. 643-732, hier Sp. 672ff. Allerdings hat der Markgraf von Baden offenbar eine schwankendere Haltung als Josef II. eingenommen. So J. G. Heinzmann: Über die Pest der deutschen Literatur, S. 230. Die Rolle des Privilegienwesens im 18. Jahrhundert ist - auch im Zusammenhang mit dem Nachdruck - in den oben (Anm. 3) genannten Werken eingehend behandelt worden. Wegen der äußerst geringen Bedeutung des Privilegienschutzes gegen den Nachdruck in der buchhändlerischen Praxis wird er im vorliegenden Beitrag nur am Rande erwähnt. Goldfriedrich: Geschichte, Bd. 2, S. 446.

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sächsischen Nettohändler, die den Nachdruck als Bruderkrieg verdammten, waren nur auf die Durchsetzung eigener Interessen bedacht, nicht auf ein imaginäres Allgemeinwohl. Unter diesen Voraussetzungen sollte man auch das oft bespöttelte Selbstverständnis der Nachdrucker als »Verbreiter der Aufklärung« nüchtern betrachten: da in einem aufgeklärten Staatswesen jeder Bürger verpflichtet ist, zum gemeinen Besten beizutragen, tut auch der Nachdrucker nur seine Untertanenpflicht; er verhindert ein schädliches auswärtiges Büchermonopol, setzt das einheimische Gewerbe in Kontribution und bringt nützliche Bücher wohlfeil in die Hände der weniger begüterten Bevölkerung. Die zahlreichen Bekundungen von Nachdruckern wie Schmieder, Trattner, Mäcken, Strobl, Beecke, daß sie sich aus Patriotismus um ihr Vaterland verdient machen wollten, sind nicht allein plumpe Schutzbehauptungen. Sie werden durch die Resultate ihrer Tätigkeit - von denen anschließend zu sprechen sein wird - bestätigt. Und davon abgesehen - ist es nicht schon für einen Kaufmann verdienstlich genug, »eine seinem eigenen Vaterlande nützliche Speculation derjenigen eines Ausländers, der blos seine eiserne Kiste auf Unkosten unsrer schwindsüchtigen Beutel noch voller machen will, entgegenzustellen? 34 Diese rhetorische Frage stammt nicht, wie man vermuten könnte, von einem Nachdrucker, sondern von Christoph Martin Wieland, der gegen den Nachdruck kämpfte wie kein anderer Autor. Der scheinbare Widerspruch löst sich auf, weil Wielands Argumentation einer Form des Nachdrucks gilt, die überall in Deutschland enthusiastischer Aufnahme sicher sein konnte: dem fremdsprachiger Literatur. Hier sind unversehens die Fronten aufgehoben, hier bestimmt plötzlich ohne juristische Vorbehalte subjektives Interesse die scheinbar objektive Argumentation. Für Johann S. Pütter ist es nur »löblich«, wenn »ein Englisches Buch in Teutschland, oder ein Teutsches in England nachgedruckt wird, oder überhaupt wenn dergleichen zwischen entfernten Nationen, die in keinem Bücherverkehr miteinander stehen, vorgehet«. 35 Folgerichtig stößt auch die Tätigkeit der Basler Firma Johann Jacob Thurneysen d. J. bei den Zeitgenossen auf einhelliges Lob. Zwar waren auch seine Ausgaben britischer Autoren nicht billig, aber immerhin kosteten sie nur etwa ein Viertel dessen was für englische Originale auf dem Kontinent verlangt wurde. Selbst Gibbon konnte nicht umhin, dem Thurneysenschen Raubdruck seiner History of the decline and fall of the Roman Empire zu bescheinigen: »I am both glad and sorry to inform you, that the type is neat, the paper tolerable and the text wonderfully correct«. 36

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Etwas zum Behuf des Nachdrucks (Von einem Ungenannten eingeschickt) mit Anmerkungen des Herausgebers. In: Teutscher Merkur, II (1785), S. 85-96, hier S. 96. Johann Stephan Pütter: Der Büchernachdruck nach ächten Grundsätzen des Rechts geprüft, Göttingen, 1774 (Reprint München 1981) S. 40, ähnlich S. 102. Edward Gibbon an den Londoner Originalverleger, zit. nach Martin Germann: Joh. Jak. Thurneysen der Jüngere 1754-1803 (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft, Bd. 128) Basel, 1973, S. 70. Die Göttingischen Gelehrten Anzeigen rühmten Thurneysens Tätigkeit mit den Worten: »Die Verbreitung einer so gemeinnützigen Lektüre ist ein wahres Verdienst um unsere Mitmenschen« (zit. nach Germann, S. 116). Dagegen wurde ein anderes Unternehmen, das sich um die Verbreitung englischer Literatur in Deutschland

6. Die Folgen des Nachdrucks Im ersten Teil mußte mit gebotener Ausführlichkeit den Vorbedingungen nachgegangen werden, die den Nachdruck als unvermeidliche Reaktion auf neue Formen der Buchdistribution, die monopolistischen Tendenzen des sächsischen Buchhandels und auch auf territoriale kameralistische Wirtschaftspolitik entstehen ließen. Im folgenden soll versucht werden, die Auswirkungen des Nachdrucks auf Buchmarkt und literarisches Leben zu skizzieren. Auch hier gilt: zeitgenössische Äußerungen sind fast ausnahmslos polemischer Natur. Es bedarf eingehender Quellenkritik, um zu einigermaßen belegbaren Hypothesen zu gelangen. Der angebliche Schaden des Nachdrucks betraf alle drei Bereiche des literarischen Kommunikationssystems: Buchhandel, Autoren und Publikum. a) Buchhandel Daß der Hauptvorwurf gegen den Nachdruck, er habe die überhöhten Bücherpreise verschuldet, die chronologische Abfolge außer Acht läßt, wurde bereits betont. Die Verteuerung war vielmehr Wirkung des konsequenten Nettohandels: beim traditionellen Changeverkehr war ein fester Absatz mittlerer Größenordnung die Regel, dagegen mußte der Nettohändler frei kalkulieren, ohne den potentiellen Bedarf des Lesepublikums zu kennen. Um das Risiko denkbar klein zu halten, wählte er eine möglichst geringe Deckungsauflage - und dies wiederum erhöhte die Preise. Nur sehr selten wagte ein Nettohändler, durch bescheidenere Ausstattung und höhere Auflage den Preis einer Neuerscheinung zu verringern darüber hatte auch Wieland gegenüber seinem Verleger Reich zu klagen. In größerem Umfang sind billige Ausgaben von Originalverlegern auf literarischem Gebiet bis gegen 1790 nur bei Geliert und Rabener nachzuweisen - aber obgleich allein diese beiden ihren Verlegern mindestens eine halbe Million Taler einbrachten, war der Bedarf an preiswerten Editionen nur durch Nachdrucke zu befriedi-

bemiihte, unter die Nachdrucker gerechnet, obgleich es kaum mit dieser Kategorie allein zu fassen ist: die »Gesellschaft der Herausgeber der ausländischen schönen Geister und klassischen Schriftsteller«. Sie wurde nach 1778 in Mannheim vom kurpfälzischen Hofrat Anton von Klein, dem Edelknabenprofessor Gabriel Eckert und einem Hofrat Beecke betrieben; den Druck ihrer Verlagswerke besorgte Gegel in Frankenthal. Mit Vorliebe legten sie ihren Editionen fremde Übersetzungen zugrunde, die sie dann verbesserten, jedenfalls überarbeiteten - so im Falle von Pope, Milton, Young und Sterne, Ossian und vor allem Shakespeare. Die bei Orell, Geßner, Füßli in Zürich erschienene ShakespeareÜbersetzung, die Wieland begonnen und Eschenburg fortgeführt hatte, wurde von ihnen »korrigiert« - wobei Eschenburgs »Fehler« ungeniert im ausführlichen Vorbericht aufgespießt wurden. Die daraufhin ausbrechenden Streitigkeiten zwischen Eschenburg (vgl. R. Wittmann: Die frühen Buchhändlerzeitschriften, Sp. 712, 721f.), dem Originalverlag und den Mannheimern führten zu mehreren Rechtfertigungsbroschüren aller Beteiligten, die einer eigenen Untersuchung wert wären. Als die Mannheimer übrigens Tassos Gerusalemme liberata in der Übersetzung Wilhelm Heinses als Originalausgabe herausbrachten, wurde ihnen diese prompt 1782 von Orell als Vergeltung nachgedruckt.

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gen. Da bereits beim relativ mühelosen Absatz der Deckungsauflage in Sachsen und Preußen der Gewinn gesichert war, zeigten sich die norddeutschen Verleger an intensiven Geschäftskontakten mit den Reichsbuchhändlern ohnedies wenig interessiert, die als »arme Verwandte« hochmütig abgewiesen oder skrupellos übervorteilt wurden. 37 Ernsthafte Anstrengungen, den Bücherabsatz in die kaufkraftärmeren Provinzen zu steigern, wurden nicht unternommen - Schwans Projekt einer »Mannheimer freien Niederlage« scheiterte nicht zuletzt am Desinteresse der angesprochenen Verleger. 38 Friedrich Perthes erinnerte sich später an die Verhältnisse um 1780: »Als ich vor 40 Jahren zum Buchhandel kam, existierte Oesterreich für denselben noch nicht; Nürnberg im südlichen, Frankfurt im westlichen Deutschland, waren (mit Ausnahme von Tübingen und Zürich) die letzten Grenzorte, die mit dem Verein am Stapelplatz Leipzig in Verbindung standen.« 39 Ein geregeltes Vertriebssystem für Originalausgaben bestand somit beim »Reichsbuchhandel« nicht. Wer sie unbedingt haben wollte, mußte sie oft unter erheblichen finanziellen Aufwendungen und mit zeitlichen Verzögerungen von mehreren Monaten direkt in Leipzig bestellen. Da Anfang der sechziger Jahre im gesamten Süden des deutschen Sprachraums noch kaum Nachfrage nach neuer Literatur erkennbar war, gingen die Nachdrucker zunächst ein nicht geringes Risiko ein, da sie den potentiellen Bedarf ihres regionalen Umkreises nur vermuten konnten. Um ihre Produktion abzusetzen und jeden möglichen Käufer zu erreichen, waren sie gezwungen, ein neues Vertriebsnetz aufzubauen. Erst als diese Spekulation aufging, als scheinbar literarisch öde Provinzen plötzlich in größerem Umfang bücherhungrig zu werden begannen, erkannten die Nettohändler ihre verpaßten Chancen - ohne jedoch nun durch stark erniedrigte Preise den Nachdruckern auf ihrem eigenen Terrain Konkurrenz zu machen. Daraufhin waren auch, wie aus den oben zitierten Buchhändlerbriefen hervorgeht, Firmen bereit, Nachdrucke weiterzuverbreiten, die lieber mit Originalausgaben gehandelt hätten. Allein dieser mit manchen Skrupeln betriebene Handel ermöglichte ihnen das geschäftliche Überleben. Daß das relativ dichte Netz von Buchhandlungen im »Reich« die Periode des strengen Nettohandels überstehen und nach der »Nürnberger Schlußnahme« von 1788 seine Situation durch die neuentwickelte Handelsform des »Konditionswesens« konsolidieren konnte - dies ist nicht zuletzt ein Verdienst des Nachdrucks gewesen. Neben den herkömmlichen Wegen der Buchverbreitung haben die Nachdrucker auch neue Vertriebsmethoden entwickelt: in Gebieten ohne stationäre Buchhandlung knüpften sie Verbindungen mit Buchbindern, Kleinhändlern, Hausierern aller Art, aber auch Predigern, Hofmeistern, Studenten, Lehrern. Gerade die letzteren waren als Multiplikatoren von außerordentlichem Wert für die Verbrei37 38 39

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Vgl. zeitgenössische Schilderungen bei A. Schürmann: Die Entwickelung, S. 48ff. Vgl. dazu Goldfriedrich: Geschichte, Bd. 3, S. 73f. Brief von F. Perthes an F. A. Ebert vom 21.11.1825, zit. nach: Reliquien von F. Perthes. In: Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels, I (1878), S. 205ff.

tung der Nachdrucke - aber auch deren aufklärerischer Inhalte. Davon wird noch die Rede sein. Auf diese Weise wurden von den Nachdruckern Regionen für die Anfänge einer neuzeitlichen Lesekultur erst erschlossen, um die zuvor sich niemand gekümmert hatte. Hier ist vor allem Johann Thomas von Trattner zu nennen, der Filialen und Depots in folgenden Orten Mittelost- und Südosteuropas besaß: Agram, Brünn, Budweis, Cilli, Görz, Graz, Hermannstadt, Innsbruck, Königgrätz, Kremsier, Laibach, Lemberg, Linz, Marburg a. d. Drau, Neusohl, Ödenburg, Olmütz, Pançzowa, Pest, Plan, Postegga, Prag, Raab, Temeschburg, Teschen, Triest, Troppau, Warschau und Wischau.40 In all diesen verschlafenen und entlegenen Provinzflecken, teilweise weit außerhalb des deutschen Sprachgebietes, war Trattners gesamtes Nachdrucksprogramm erhältlich, das einen »eisernen Bestand« an neuerer Literatur und wissenschaftlichen Novitäten garantierte. Gefährlicher als der florierende Absatz der Nachdrucke in den Reichslanden, um den die Originalverleger sich ohnedies nicht bemühten, war der Vertrieb von Raubausgaben in den norddeutschen Ländern. Weshalb sich diese auch dort regen Zuspruchs erfreuten, bedurfte keiner Begründung: »Da alles theuer und das Geld rar ist, so fängt man an, die Bücher unter den Luxus zu zählen und kauft nichts oder nur wenig und will noch wohlfeil kaufen. Die Leser in ganz Deutschland unterstützen die Nachdrucker, nur um wohlfeilere Bücher zu haben.« 41 Beispielsweise hatte Trattner Kontaktleute in Magdeburg (Hechtel) und Wolfenbüttel (Meißner), ein Hamburger Postsekretär vertrieb die Schmiederschen und Fleischhauerschen Nachdrucke und ein Tabakshändler in Dresden verteilte ein über 100 Bände umfassendes Verzeichnis der bei ihm erhältlichen Raubeditionen; 42 mehr oder minder verblümte Anzeigen dieser Art finden sich in zahlreichen Intelligenzblättern Norddeutschlands. Durch diesen Einbruch in ihre ureigenste Interessensphäre wurden die Originalverleger zweifellos um einen Teil ihres möglichen Gewinns gebracht - aber auch hier dürfte der Schaden nicht allzugroß gewesen sein. Jene Firmen florierten am sichtbarsten, denen am meisten nachgedruckt wurde: Weidmanns Erben und Reich, Weygand, Dycks Witwe, Vandenhoeck. Mir ist kein einziger Fall bekannt, daß ein Originalverleger durch den Nachdruck in seiner geschäftlichen Existenz bedroht gewesen wäre. Freilich hat das Vordringen des Nachdruckvertriebes auch in Mittel- und Norddeutschland dazu beigetragen, daß sich der konsequente Nettohandel (Barzahlung ohne

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Vgl. dazu R. Wittmann: Der deutsche Buchmarkt, S. lOlff. So der Zürcher Buchhändler Heidegger an Ph. E. Reich 1772, zit. nach K. Buchner: Aus den Papieren, S. 36. Vgl. R. Wittmann: Die frühen Buchhändlerzeitschriften, Sp. 716f.; F. Herrn. Meyer: Reformbestrebungen II, S. 229. Die Berechnungen, die B. Breitenbruch: Der Karlsruher Buchhändler C. G. Schmieder, Sp. 646, über die Verbreitung Schmieder'scher Nachdrucke in Norddeutschland anstellt, sind wenig stichhaltig, da er dafür den Zentralkatalog für Nordrhein-Westfalen zugrundelegt - und dabei übersieht, daß damit im wesentlichen der niederrheinische Kreis erfaßt ist, der ja zum »Reichsbuchhandel« und damit originären Absatzgebiet der Nachdrucker zählte.

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Rückgaberecht bei geringen Rabatten) auf die Dauer nicht halten konnte und dem vom Reichsbuchhandel entwickelten Konditionsverkehr weichen mußte. Umgekehrt ist zu betonen, daß beim Nachdruck offenbar keineswegs, wie von seinen Gegnern immer wieder behauptet wurde, exorbitante Gewinne zu erzielen waren. Denn der stets angeführte Trattner taugt als Beispiel wenig: er war Inhaber eines gewerblichen Großbetriebes mit 200 Angestellten und bis zu 37 Pressen, und bestritt den weitaus größten Teil seiner Tätigkeit mit Originalverlag. Sogar der unverdächtige Friedrich Nicolai gab zu, daß seine Nachdrucke »nur ein ganz geringer Theil« seiner umfangreichen Gesamtproduktion gewesen seien. 43 Der andere »Nachdruckerfürst«, Christian Gottlieb Schmieder, besaß in Wirklichkeit ein »Zwergunternehmen« 44 und konnte, nachdem er um 1808 seinen Verlag aufgegeben hatte, keineswegs ein behagliches Privatiersleben führen; er starb 1827 als subalterner Ministerialkanzlist. b) Schriftsteller und Nachdruck Der Nachdruck stellte ein wesentliches Hindernis der Autorenemanzipation dar, weil er dem freien Schriftsteller bitter notwendige Honorare entzogen, sein geistiges Eigentum mißachtet und die Texte in verstümmelter Form verbreitet habe - so lassen sich die bis heute üblichen Vorwürfe zusammenfassen. Auch hier muß jedoch differenziert werden. Jeder Kenner der zeitgenössischen Diskussion wird bestätigen, daß kritische Äußerungen literarischer Autoren des 18. Jahrhunderts gegenüber ihren Originalverlegern und den »habgierigen Buchhändlern« insgesamt weit zahlreicher sind als jene gegen die Nachdrucker. 45 Wieland und Johann Gottwerth Müller bilden hier Ausnahmen. Denn es war allzu offenkundig, daß der Schutz des geistigen Eigentums, die Rechte der Autoren auch für die Originalverleger nur selten eine Rolle spielten - und Schriftsteller, die es wagten, sich mit Selbstverlagsunternehmungen den üblichen Distributionswegen zu entziehen, fürchteten nicht ohne Grund die Rache der sächsischen Monopolisten. Lessing argwöhnte, daß Philipp Erasmus Reich Drahtzieher des Nachdrucks seiner Hamburgischen Dramaturgie sei und Reich hat tatsächlich später gegenüber Klopstocks Gelehrtenrepublik mit Vergeltungsmaßnahmen gedroht. Ebenso wurde die kurzlebige Dessauer »Buchhandlung der Gelehrten« auf den Leipziger Messen für zwei Jahre boykottiert. Freilich: der angeblich drohende Nachdruck diente oft genug als willkommener Vorwand, dem Autor das vorausbezahlte Festhonorar zu kürzen. Man weiß noch zu wenig über Verlagskalkulationen im 18. Jahrhundert, um sich hier ein gesichertes Urteil bilden zu können; an ein verkaufsabhängiges Honorar, das die realen Einbußen durch den Nachdruck bewiesen hätten, dachten die Originalverleger offenbar nicht. Eine solche »marktwirtschaftliche« Beteiligung am Risiko (und eventuellen Gewinn) ist bisher nur 43 44 45

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Zit. nach B. Breitenbruch: Der Karlsruher Buchhändler C. G. Schmieder, Sp. 647. Ebenda. Vgl. dazu das Kapitel: Das Nachdruckwesen in der Sicht der Buchhändler und Autoren in R. Wittmann: Die frühen Buchhändlerzeitschriften, Sp. 720ff.

von der »Buchhandlung der Gelehrten« bekannt. Jedenfalls verwies Adolph von Knigge, der ebenso wie Joh. A. Reimarus zu den Verteidigern des Nachdrucks zählte, darauf, daß von seinem Buch Über den Umgang mit Menschen trotz mehrerer Nachdrucke in drei Jahren bei vernünftiger Preisgestaltung drei Originalauflagen erscheinen konnten. 46 Manche Autoren mußten auch zugestehen, daß sie bei den Nachdruckern besser »betreut« wurden als bei ihren Originalverlegern. Bekanntlich ist die erste Goethe-Gesamtausgabe von 1775 eine Nachdruckerspekulation gewesen. Und nach Heilmann übernahmen die Raubdrucker Himburg, Waithard, Schmieder und Fleischhauer in mehreren Auflagen diese Sammlung, ehe 1787 die erste »ächte« Gesamtausgabe bei Göschen erschien. Ebenso wurden Klopstocks Trauerspiele, Lessings, Weißes und Engels Lustspiele und Zachariäs Poetische Werke erst von Schmieder in Karlsruhe gesammelt dem Publikum zugänglich gemacht. Seine Sammlung der besten deutschen prosaischen Schriftsteller und Dichter war über Jahre hinweg der einzige Ort, an dem »die Schriften bestimmter Autoren greifbar waren, und für manche ist sie es bis heute«. 47 Was allerdings nicht wenige Autoren mit Recht erboste, war die wegen des billigen Preises nötige karge Ausstattung, das oft graue und lappige Papier und besonders der schlechte, platzsparende Druck. Während in den sechziger Jahren manche Nachdrucke wie etwa Walthards bekannte Bibliothek für den guten Geschmack und einige Trattnereditionen in ihrer gefälligen Ausstattung durchaus mit den Originalausgaben konkurrieren konnten und diese sogar manchmal übertrumpften, war die Produktion der Raubdrucker vom Ende der siebziger Jahre an großteils unansehnlich und wenig attraktiv. Hinzu kamen zahlreiche Druckfehler, die zuweilen den Sinn entstellten, aber auch - was Johann Georg Zimmermann besonders erbitterte - sprachliche Anpassungen an den oberdeutschen Lautstand, ja gar stilistische »Verbesserungen«. Auch sind Fälle bekannt, daß nachgedruckte Werke aus konfessionellen Rücksichten »entschärft« und verändert wurden. Hier reagierten viele Autoren erbost, weil sie ihr eben erst erwachendes schriftstellerisches Selbstbewußtsein verhöhnt sahen, die Integrität ihres Geistesproduktes mißachtet wurde. All diese Nachteile überwog jedoch der Nutzen, den gerade die literarischen Autoren indirekt vom Nachdruck hatten: Nur durch ihn wurden ihre Werke in Süd- und Südwestdeutschland bekannt, nur durch ihn gewannen sie auch dort ein stetig zunehmendes Lesepublikum.

c) Nachdruck und Entwicklung des Lesepublikums »So lange die Welt stehet, sind keine Erscheinungen so merkwürdig gewesen als in Deutschland die Romanleserey, und in Frankreich die Revolution. Diese zwey 46

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Goldfriedrich: Geschichte, Bd. 3, S. 91. Zu Verlagskalkulationen vgl. Herbert G. Göpfert: Bücherpreise: Kalkulationen und Relationen. In: Jahrbuch für internationale Germanistik, Bd. 8, 2 (1976), S. 78-94. Breitenbruch: Der Karlsruher Buchhändler C. G. Schmieder, Sp. 693.

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Extreme sind ziemlich zugleich miteinander großgewachsen.« 48 Mit dieser bemerkenswerten Parallelisierung verwies 1795 Joahnn G. Heinzmann auf die enorme soziale und kulturelle Bedeutung der Entstehung eines anonymen Lesepublikums in Deutschland. Diese inzwischen in den Sprachschatz der Literatursoziologen eingegangene »Leserevolution«, dieser vielzitierte Übergang von der »intensiven« zur »extensiven« Lektüre 49 ist bislang jedoch erst an seiner Oberfläche notdürftig erforscht. Weitestgehend unklar ist noch immer die regional äußerst unterschiedliche Entwicklung in Mittel- und Nordwest-, sowie Teilen von Südwestdeutschland einerseits und in Süddeutschland, Österreich und am Niederrhein andererseits. Daß sich um die Jahrhundertmitte im »Norden« bereits ein neues Lesepublikum herausbildete, während im Süden davon noch nicht die Rede sein konnte, ist bekannt - und daß kaum 50 Jahre später dieser Vorsprung aufgeholt war und ein relativ einheitlicher Lektüregeschmack den deutschen Buchmarkt beherrschte, ebenfalls. Wie aber diese »Leserevolution« gerade im Süden vor sich ging, wurde bislang noch kaum untersucht. Daß der Nachdruck hier eine, wenn nicht die entscheidende Rolle bei der Stimulation wie Befriedigung des Bedarfs an Lektüre gespielt hat, steht außer Frage. Er bildete das einzige funktionsfähige System der Buchdistribution. Gerade die sorgfältige Auswahl des Angebotes neuer Literatur in den »klassischen« Nachdrucksjahren von 1765-1785 erweiterte den Erwartungshorizont der Publikums wesentlich. Es ist bisher nicht ausreichend erforscht, welches Programm die Nachdrucker besaßen - solange die bibliographische Erfassung der Produktion gerade kleinerer Nachdrucksfirmen noch nicht begonnen hat, 50 fehlen wichtige Anhaltspunkte für den sich verändernden Lesegeschmack, dem sich die Nachdrucker nicht allein anpaßten, sondern den sie auch zu steuern versuchten. Neben Trattner ist hier insbesondere Schmieder zu nennen, dessen Sammlung »bestimmt nicht ohne volkspädagogische Absicht veranstaltet« 51 wurde und geradezu enzyklopädisches Format besaß. Auch wenn nur bescheidene Nachfrage bestand, strebte er nach Vollständigkeit der vertretenen Autoren - was J. G. Müllers Vorwurf gerade gegen Schmieder widerlegt, er wage sich »ohne die allerentschiedenste Gewißheit des Absatzes«52 kaum an ein Buch. Für seinen Wagemut und Einfallsreichtum spricht auch, daß er seiner Sammlung deutscher Autoren eine ähnliche, allerdings weniger erfolgreiche, von französischen folgen 48

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J. G. Heinzmann: Über die Pest der deutschen Literatur, S. 139. Zu Heinzmanns Folgerungen daraus vgl. das Nachwort zum Reprint, S. 33ff. Vgl. dazu insbesondere die einschlägigen Veröffentlichungen von R. Engelsing. Zureichende Bibliographien sind bislang nur für Schmieder/Fleischhauer (Breitenbruch) und B. L. Waithard (Walthard/Weigelt) vorhanden. Die Trattner-Bibliographie von U. Giese ist gerade hinsichtlich der Nachdrucke sehr lückenhaft, für andere Firmen ist m. W. noch keine bibliographische Erfassung begonnen worden. Wichtig wäre insbesondere eine Untersuchung auch jener Nachdruckfirmen, die sich auf theologischem, juristischem, medizinischem und philosophischem Gebiet spezialisiert hatten. Breitenbruch: Der Karlsruher Nachdrucker C. G. Schmieder, Sp. 689. Johann Gottwerth Müller: Wider die Räuberzunft der Nach- und Schleichdrucker, aus Bd. 5 des Emmerich (Göttingen, 1788; Reprint Heidelberg, 1976), S. 12.

ließ: den 1778 begründeten Recueil des Oeuvres choisies des beaux esprits de la France tant prosaïques que poétiques. Seine bedeutendste Leistung bleibt aber die Sammlung der besten deutschen prosaischen Schriftsteller und Dichter. Ihre ersten hundert Teile bieten einen vollständigen Überblick über die wichtige Literatur der Aufklärungszeit (wobei auch die Reihenfolge aufschlußreich ist): Geliert (Teile 1-10), Rabener (11-15), Hagedorn (16-18), Gessner (19-21), Klopstock (22-29), Ε. v. Kleist (30), Uz (31-32), Cronegk (33-34), Wieland (35-59), Lessing (60-62), Zachariae (63-68), C. F. Weisse (69-78), Goethe (79-81), A. v. Haller (82-86), Dusch (87-95), Gleim (96-97), Mendelssohn (98-100), Ramler (101-103), Jacobi (104-106). Aus dem Zeitpunkt einer Neuauflage bei Schmieder selbst oder seinem Partner Fleischhauer in Reutlingen lassen sich dabei manche Indizien für verspätete, intensive oder fehlende Rezeption eines Autors ablesen. 53 Um 1780 scheint die erste Phase von Schmieders Tätigkeit abgeschlossen: dank eines teilweise hektisch anmutenden Bücherausstoßes hat er binnen weniger Jahre alle Schriftsteller von Rang und Namen abgedruckt. Für sein Qualitätsbewußtsein spricht, daß er nun nicht den etablierten Reihentitel wahllos mit minderer Ware anfüllt, sondern unterscheidet: Trivialromane wie Millers Bey trag zur Geschichte der Zärtlichkeit druckt er zwar nach, jedoch außerhalb seiner »Sammlung«. Der größte Nachholbedarf seines Publikums scheint befriedigt, nun führt er die Reihe mit Namen wie Stolberg und Claudius weiter, muß jedoch bereits auf Minderdichter wie Blum, Michaelis, Weppen, Willamov, Niemeyer und Kretschmann zurückgreifen, von denen es keiner zu Neuauflagen bringt. 54 Eine ähnliche Sättigung des Nachholbedarfs an schöner Literatur läßt sich in Österreich vermuten: während Trattners Nachdrucksprogramm von 1765 ausschließlich Dichter nennt (Geliert, Geßner, Hagedorn, Haller, Kleist, Klopstock, Rabener und Zachariae), trägt sein 1785 veröffentlichter ambitionierter »Plan zur allgemeinen Verbreitung der Lektüre in den k. k. Staaten durch wohlfeile Lieferung der Bücher für alle Fächer der Wissenschaften« keine literarische Prägung mehr. Die dürftige Rubrik »Gedichte« enthält nur Vermischtes von C. H. v. Nicolai, Stolberg, Goeckingk, Weisse, Michaelis, Voß, J. E. Schlegel, Blum, Gleim, Zachariae, Ramler, und Wielands Goldenen Spiegel?5 Es hat den Anschein, als sei durch die Aufhebung der Zensur 1781 das österreichische Lesepublikum der Surrogatfunktion norddeutscher Literatur vorübergehend überdrüssig geworden.

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Auffallend ist u. a., daß A. v. Hallers Gedichte, die im Göttinger Originalverlag letztmals 1768 erschienen waren und nur in Hallers Heimatstadt Bern noch zwei verspätete Auflagen 1772 und 1777 erlebten, bei Schmieder/Fleischhauer nach der Erstauflage von 1777/78 nochmals 1785 und 1788 aufgelegt werden; ebenso erscheint Hallers Alfred, von dem es nur eine Originalausgabe (1773) gibt, 1779 bei Schmieder und noch 1783 bei Fleischhauer. J. G. Müller: Wider die Räuberzunft, gerät denn auch in Schwierigkeiten, seine Behauptung zu belegen, daß Schmieders Auslese der »besten« deutschen Dichter willkürlich und stümperhaft sei - ihm fallen als übergangen nur A. Gallisch und F. H. Unger ein (S. 88f.). Vgl. U. Giese: J. T. v. Trattner, Sp. 1109-1181. 87

Die Programme der Sammlungen Trattners von 1765 und vor allem Schmieders von 1774 beweisen, daß der Vorwurf oberflächlicher, nur auf den Publikumsgeschmack spekulierender Verlagsräuber nicht stichhaltig war. Die Tatsache, daß ein Werk des Nachdrucks für würdig befunden wurde, galt vielmehr als Gütesiegel für den Inhalt, und auch der Umkehrschluß, ein nicht nachgedrucktes Buch sei des Anschaffens der Originalausgabe erst recht nicht wert, war verbreitet. Die deutsche Literatur der Aufklärungszeit war somit auch in den Nachdrucksregionen für Interessenten jederzeit greifbar. Die Bemerkung Engeisings, daß in vielen Gegenden des Südens »die Leser Neuerscheinungen nur über eine Leipziger Fernleihbücherei erhalten« konnten, 56 trifft nur für die Originalausgabe zu - die Texte selbst waren nach wenigen Monaten präsent. Das entscheidende Moment jedoch für den außerordentlichen Erfolg der Nachdrucker waren natürlich die Bücherpreise - für den größten Teil des deutschen Lesepublikums ließen sie den Kauf eines Buches überhaupt erst denkbar werden. Die Originalverleger konnten bei ihrer Preisgestaltung nur mit einem kleinen Kreis begüterter Kenner in den mittel- und norddeutschen Residenz-, Universitäts- und Handelsstädten rechnen. Die Einkommensverhältnisse des lesehungrigen Bürgertums jedoch waren gerade in den Reichslanden so beschaffen, daß Bücherkauf einen außerordentlichen Luxus bedeutete. Vergleicht man zeitgenössische Angaben über Lebenshaltungskosten und Einkommensverhältnisse, so dürfte ein jährliches Bücher-Budget von 10 bis 20 Talern bereits für die meisten Angehörigen des Mittelstandes die Obergrenze gewesen sein,57 bei Studenten, Hofmeistern, Lehrern, Predigern konnte es spürbar darunter liegen. Ob sich ein Lese- und Bildungshungriger lieber 8-10 Originalausgaben oder 40-50 Nachdrucke anschaffen wollte, war keine Frage. Auch wenn wir uns absichtlich auf den literarischen Nachdruck beschränken, darf nicht übersehen werden, daß ja weit mehr wissenschaftliche als literarische Werke nachgedruckt wurden. Der berühmte österreichische Arzt Anton von Störck betonte 1790, daß allein die preiswerten Nachdrucke medizinischer Schriften zahllose Landphysici, Wundärzte und angehende Mediziner in den Stand versetzt hätten, sich die Fortschritte der Medizin anzueignen und damit gerade in entlegenen Provinzen die Gesundheit der Bevölkerung nachhaltig zu verbessern. 58 Und im Kleinbürgertum hieß die Alternative einfach: ein Nachdruck oder gar kein Buch. Auf dieser rudimentären Stufe der Lesekultur, wo der Besitz und die Lektüre eines billig erstandenen Buches überhaupt erst die Bewahrung des Lesefähigkeit ermöglichten, ist der Nutzen des Nachdrucks gar nicht abzuschätzen. 56

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R. Engelsing: Analphabetentum und Lektüre. Stuttgart, 1973, S. 64. Engeisings Behauptung ebda., daß noch bis ans Jahrhundertende die Lektüre Gellerts, Rabeners und Wielands in Bayern und Österreich bestraft werden konnte, ist so pauschal allein schon durch Trattners offiziöses Nachdrucksprogramm, in dem alle drei Autoren vertreten sind, widerlegbar. Vgl. die Angaben bei Goldfriedrich: Geschichte, Bd. 3, S. 90ff.; H. Kiesel/P. Münch: Gesellschaft und Literatur im 18. Jahrhundert, S. 56ff. Vgl. U. Giese: J. T. v. Trattner, Sp. 1148f.

Auch wenn die Behauptung eines Zeitgenossen wohl übertrieben ist: »In Oestreich, Bayern, Franken, Schwaben, der Schweiz und dem ganzen Rheingau werden mehr Nachdrücke als Original-Editionen in dem ganzen übrigen Deutschland verkauft«, 59 so bildete der Nachdruck doch das Fundament eines regen literarischen Lebens. Es erscheint daher nur konsequent, daß er gegen Ende des 18. Jahrhunderts zum Sündenbock für die Ausbreitung der extensiven Lektüre, der Modeskriblerei, der Broschürenflut - kurz: eines modernen Buchmarktes gestempelt wurde. 60 Diese Ehre freilich gebührt, wie mehrfach betont, den sächsischen Nettohändlern. 61 Allerdings offenbarte sich ab etwa 1785-1790 der Dualismus in der Entwicklung von literarischer Bildung und Lesegeschmack auch auf dem Nachdruckmarkt. Die klassische deutsche Literatur schlug einen Höhenweg ein, auf dem ihr nur ein geringer Teil des Publikums zu folgen vermochte und auch die bisher erwähnten Nachdrucker waren an klassischer und romantischer Dichtung kaum mehr interessiert. Schmieder druckt nach 1790 nicht mehr Goethe und Schiller, geschweige denn Jean Paul oder Tieck nach, sondern wendet sich den spätaufklärerischen Popularphilosophen und Historikern zu. Die schöne Literatur hat nun ihre Funktion als Übungsfeld des geselligen Räsonnements für ein emanzipationswilliges Bürgertum weitgehend verloren, sie bietet für einen Nachdrucker mit aufklärerischem Selbstverständnis kein sinnvolles und nutzbringendes Betätigungsfeld mehr. Die »Nachdruckerfürsten« resgnieren und danken ab, nachdem der von ihnen selbst geweckte Bedarf nach abwechslungsreicher, zerstreuender Lektüre ihre Rolle überflüssig macht. Jetzt tritt eine neue Generation von Nachdruckern auf den Plan: sie kehrt sich ab von den großen Namen der Aufklärungsliteratur und zieht die Konsequenz aus dem neuen, auf Konsum gerichteten Lesegeschmack. Zwar vergreift sie sich auch an den Werken der Weimarer Dioskuren, aber wie die sächsisch-preußischen Originalverleger wendet sie sich vor allem trivialer Tagesware zu, die wiederum ihrer Natur nach dauerhafte Verkaufserfolge ausschließt. Nun wird der Nachdruck immer spekulativer, immer hektischer: an die Stelle der ambitionierten Sammlungen renommierter Autoren treten Trivialromanreihen wie Wallisshausers Wienerische Landbibliothek. Auch ist der Name des Nachdruckers kein Qualitätskennzeichen mehr - jetzt heißen die Offizinen anonym »Verlags-Comtoir«, oder etwa (wie Schmieders Nachfolgefirma) »Bureau der deutschen Classiker«. Aber diese Tendenz des Buchmarktes ist nicht den Nachdruckern der ersten Generation anzurechnen. Gerade was die Periode zwischen 1765 und 1785 betrifft, gerade über bislang stets verketzerte Namen wie Trattner, Schmieder und Konsorten, sollte künftig gerechter geurteilt werden. Die derzeitige Meinung der Forschung, daß aus dem Kampf 59

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Augsburger Buchhändlerzeitung 1789, zit. nach R. Wittmann: Die frühen Buchhändlerzeitschriften, Sp. 763. Aus der umfänglichen Kontroversliteratur sei nur genannt: (Joh. F. Ganz), Kurze Übersicht der Gründe der Schädlichkeit des Büchernachdrucks für die Litteratur, den Buchhandel und das lesende Publikum im teutschen Reich. (O. O., 1790), S. 2. Vgl. die ausführliche Darstellung in meinem Nachwort zum Reprint von J. G. Heinzmann: Über die Pest der deutschen Litteratur, vor allem S. 21-27.

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des Originalverlegers gegen die »obskuren nachdruckenden Berufskollegen« der erstere, »mit gestärktem Selbstbewußtsein und einem festen Berufsbild« hervorging, 62 ist oberflächlich und historisch nicht fundiert. Ein Resumée der Folgen des Büchernachdrucks für die geistige Entwicklung in Süddeutschland und Österreich am Ende des 18. Jahrhunderts ist nirgendwo prägnanter gezogen worden als in der bedeutendsten Buchhändlerzeitschrift jener Jahre, dem Neuen Archiv für Gelehrte, Buchhändler und Antiquare: Der Nachdrucker, der seine Nachdrücke nicht zur Messe bringen durfte, und also solche nicht auf dem gewöhnlichen Wege ins Publikum bringen konnte, mußte sich Nebenwege suchen. Diese fand er bald. Er nahm Hausirer an, welche Dörfer und kleine Städte durchstrichen; suchte durch diese oder auf eine andere Art, Landgeistliche, Schulmeister, Buchbinder und hundert andere Personen in sein Interesse zu ziehen. Dies gelang ihm bekanntlich nur zu gut; und so drangen die Nachdrücke in wenigen Jahren bis in die entferntesten Winkel aller Provinzen, wohin nie ein Buchhändler mit aller Mühe gekommen war und mit dem besten Willen nicht kommen konnte. Der wohlfeile Preiß, und die Auswahl der besten Bücher, lokten die Liebhaber herbey, und Mancher, dem es sonst in seinem ganzen Leben nicht eingefallen seyn würde, ein Buch zu kaufen, schafte sich nach und nach eine kleine Sammlung an. (...) So viel tausend Menschen in den verborgensten Winkeln Teutschlands, welche unmöglich, der theuren Preise wegen, an Bücher kaufen denken konnten, haben nun nach und nach eine kleine Bibliothek mit Nachdrücken zusammen gebracht. Hierdurch zuerst ans Lesen gewöhnt, blieben sie nicht dabey stehen, sondern ihre Begierde dazu wuchs so wie das Bedürfniß selbst immer größer wurde. (...) So wurde der Geschmack im allgemeinen immer mehr veredelt (...) Mit einem Wort: so rückte die Nation im Ganzen in der Cultur weiter fort, und machte grössere und schnellere Fortschritte.63

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So der Ausstellungskatalog Lesewuth, Raubdruck und Bücherluxus (s. Anm. 24), S. 89. Ähnlich schief ist auch die daran anschließende versuchte Analogie von Nachdruck und Trivialliteratur. Neues Archiv für Gelehrte, Buchhändler und Antiquare. (Erlangen, 1795), S. 102ff. (Zwei Sätze vom Vf. vorgezogen).

Anhang

Deutsche Nachdrucker 1750-1800 Die folgende Liste stellt m. W. den ersten Versuch eines Überblicks der deutschen Nachdrucksfirmen zwischen 1750 und 1800 dar. Der »traditionelle« Nachdruck wurde dabei ebenso ausgeklammert wie die nach 1800 einsetzende Hochblüte des spekulativen Nachdrucks und Firmen, die ausschließlich fremdsprachige (vor allem englische und französische) Werke nachdruckten, wie Thurneysen in Basel oder Richter in Altenburg. Das Verzeichnis beruht zum größten Teil auf Autopsie von Exemplaren, zum geringeren Teil auf Angaben in Antiquariatskatalogen. Ein Fragezeichen hinter einer Ortsangabe bedeutet, daß dort nach zeitgenössischen Quellen ein bisher noch unidentifizierter Nachdrucker ansässig war. Selbstverständlich ist diese Liste unvollständig, obgleich sie den weitaus größten Teil der eruierbaren Namen enthalten dürfte. Für ergänzende Mitteilungen bin ich dankbar.

1. Nord- und Mitteldeutschland Hamburg: »Ascetische Gesellschaft«; Buchenröder, Ritter. Schwerin/Güstrow: »Ascetische Gesellschaft«. Berlin: Joachim Pauli; Christian Fr. Himburg (bisher nur als Raub-, nicht Nachdrucker von Goethes Werken nachgewiesen). Leipzig: Engelhard Benjamin Schwickert (»Dodsley & Compagnie«). Magdeburg: Daniel C. Hechtel (auch nachgewiesen in: Hamburg, Helmstädt, Frankfurt a. M.). Goslar: Hechtel (Vorname unbekannt, Bruder des obigen). Gießen/Marburg: Krieger. Danzig: ? Königsberg: ?

2. Territorien des »Reichsbuchhandels« a) Geistliche Staaten Erzbistum Erzbistum Erzbistum Erzbistum b)

Bamberg: Tobias Göbhardt; F. X. Rienner (Würzburg). Mainz: Sartorius; Voigt (Bingen). Köln: Abshoven; Ferdinand Rommerskirchen (Bonn);? Salzburg: Mayr.

Reichsstädte

Worms: Bender. Speyer: ? Heilbronn: F. Eckebrecht. Frankfurt am Main: Franz Varrentrapp; Bayrhoffer; Göllner. Augsburg: Joseph Wolff; J. B. Bürglen. Weißenburg/Fr.: Johann Gg. Jacobi. Reutlingen: J. G. Fleischhauer; Grötzinger; J. Mäcken sen.; J. Mäcken jun. Kempten: Typographische Gesellschaft (?) 91

c)

Duodezherrschaften

Markgrafschaft Ansbach: Mitzier (Schwabach); Lübeck's Erben (Bayreuth). Fürstentum Neuwied: ? Fürstentum Isenburg: ? (Offenbach) d) Hessen Hessen-Nassau: »Gesellschaft zur Beförderung der Gottseligkeit« (Usingen). Hessen-Darmstadt: Wilh. Krämer. Hessen-Homburg: ? e) Baden Karlsruhe: Christian Gotti. Schmieder. f ) Bayern München: Johann B. Strobl. g) Kurpfalz Mannheim: Tobias Löffler; »Herausgeber der ausländischen schönen Geister« (A. v. Klein, G. Eckert, H. Becke). Kreuznach: Ludwig Chr. Kehr. Frankenthal: J. F. Enders; Ludwig Bernhard Fr. Gegel. h) Württemberg Stuttgart: Druckerei der Karlsschule (im Auftrag von F. Übel). Tübingen: Wilhelm Heinr. Schramm; L. G. Frank; Johann Ulrich Cotta; Gottfried Christian Cotta; J. F. Balz. i) Elsaß Straßburg: Franz Levrault. k) Schweiz Schaffhausen: Benedikt Hurter; Jacob Joh. Altdörffer. Biel: Joh. Christoph Heilmann. Basel: Beat L. Waithard; Brandmüller. Zürich: Heidegger. I) Österreich Wien: Johann Thomas v. Trattner; F. Hartmann; Joseph Kuhn; Schmidt; Baumeister; Jahn; Karl v. Grandmenil (Zeitungsnachdruck); B. Ph. Bauer; Franz Haas; Joh. David Hummel; Joh. Bapt. Wallishausser; F. A. Schrämbl; Funk; Schmidtbauer; Rehm; Oehler; Rötzl; Ochß; Ludwig; Schulz. Prag: Andreas Gerle; J. v. Schönfeld; Diesbach; Eman; k. k. Normalschulbuchdruckerey. Preßburg: Weber. Brünn: Jos. Sylvester Siedler. Troppau: Trassier. Graz: J. A. Kienreich; Caspar Zaunrith; F. X. Miller. Linz: Trattner (Filiale). Innsbruck: Trattner (Filiale). Bregenz: ?

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Der deutsche Buchmarkt in Osteuropa im 18. Jahrhundert Voraussetzungen und Probleme

Um die sozialen und ökonomischen Voraussetzungen des deutschen Buchmarkts im östlichen Mitteleuropa befriedigend darstellen zu können, fehlt es an Vorarbeiten, vor allem auch an übergreifenden Darstellungen der sozialen und ökonomischen Geschichte des 18. Jahrhunderts in Mittel- und Osteuropa, und - zumindest im deutschsprachigen Bereich - an buchhandelsgeschichtlichen Arbeiten. Dabei hat der mittel- und osteuropäische Buchmarkt während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen fundamentalen Wandlungsprozeß durchgemacht; unmittelbar damit verbunden war das Entstehen eines neuzeitlichen literarischen Lebens und Kommunikationssystems, eines anonymen bürgerlichen Lesepublikums und die Emanzipation des literarischen Autors zum freien Schriftsteller. Dies ist seit einigen Jahren wohlbekannt; alle Versuche jedoch, diese unbestreitbaren Fakten zu differenzieren und in ein kausales Verhältnis zu bringen, haben mit der Schwierigkeit zu kämpfen, daß jede monokausale Interpretation dem verwirrenden und kaum überschaubaren Geflecht von Bezügen nicht gerecht werden kann. Es bedarf noch mühevoller Kleinarbeit, um die Voraussetzungen für eine spätere Zusammenschau zu liefern. Hier kann nur versucht werden, eine rohe Entwurfsskizze und einen Fragenkatalog zu liefern, wobei ich mich auf die Rolle des deutschen Buchhandels in Nordost- und Südosteuropa konzentriere.

Der Wandel des Buchmarktes im 18. Jahrhundert Der Buchhandel - dieses Wort sei künftig im Sinne der Zeit sowohl für Verlag als auch Sortiment verwendet - des 18. Jahrhunderts war von einer Grundvoraussetzung abhängig: der merkantilistischen Wirtschaftsdoktrin der Territorialstaaten. Ihr Glaubenssatz hieß: Rang und Macht eines Staates beruhen auf seiner größtmöglichen Autarkie, dem Verbleiben des gesamten Geldes im Lande. Gerade innerhalb des in zahllose Einzelstaaten zersplitterten deutschen Sprachgebietes hätte der seiner Natur nach internationale Buchmarkt unter dem Merkantilismus schwer zu leiden gehabt, wenn nicht eine von den übrigen europäischen Ländern, etwa Italien, England, Holland, Frankreich, völlig verschiedene Handelsform das Problem elegant umgangen hätte: der Tausch- oder Changehandel, wie er bereits im 15. Jahrhundert begann und sich teilweise noch bis ins 19. Jahrhundert halten konnte. Dabei wurde jeder Geldverkehr weitestgehend vermieden: Auf den Messen in Frankfurt und Leipzig tauschten die einzelnen Buchhändler ihre 93

gesamte Produktion - zunächst nur als bedrucktes Papier ohne Rücksicht auf Inhalt und Bedeutung des Buches. Wer 10000 Bogen seiner theologischen und juristischen Verlagsnovitäten mitbrachte, konnte dafür ebensoviele Bogen gleichen Formats an neuen Kalendern, medizinischen Werken oder Romanen mit nach Hause nehmen. Wenn Ausstattung und innerer Wert der Bücher allzusehr differierten, wurde im Verhältnis 1:2, manchmal auch 1:3 oder 1:4 verrechnet. Jeder Buchhändler mußte, um überhaupt auf dem Buchmarkt eine Rolle spielen zu können, deshalb Verleger und Sortimenter in Personalunion sein, Produktion und Distribution unmittelbar verbinden. Für die Buchzirkulation wurde dabei kein Betriebskapital benötigt und man hat den Buchhandel der Tauschhandelszeit treffend bezeichnet als »gewissermaßen einen einzigen großen Genossenschaftsverlag und zugleich dessen Vertriebsfilialnetz (...) Die Messe war die Genossenschafterversammlung, auf der jeder seine Erzeugung vorlegte und einlieferte und seinen Anteil aus der Gesamterzeugung für den Vertrieb auswählte und übernahm«. 1 Damit war theoretisch das beste der Dezentralisation Deutschlands entsprechende Vertriebsnetz gewährleistet. Noch am Ende der Tauschhandelszeit, als neue Verkehrsformen schnell an Boden gewannen, sang Goethes Schwager Schlosser ein Loblied auf ihre Vorzüge: »Wie wäre es möglich, daß ein Buchführer, wenn er Papier immer mit baarem Geld bezahlen müßte, noch ein nur etwas vollständiges Sortiment haben könnte? Gerade der Tausch ists, der dieses überbesetzte Commerz in seinem Schwung erhält; gerade die Pièce du jour, der kleine Roman, die unbedeutende Operette, die leichte Anekdoten-Sammlung, das Buch für jedermann, gerade das ist noch die Schmiere, die dieses Rad laufen macht. Gerade dadurch wird noch der Leser am Bodensee mit dem Autor am Belt bekannt.« 2 Es ist tatsächlich bedenkenswert, daß beispielsweise Königsberg seine Rolle als literarisches Zentrum ersten Ranges gerade zu jener Zeit spielte, als sich einerseits schon ein neues literarisches Leben entwickelte, das vom gelehrten Buchmarkt deutlich abstach, zugleich aber noch der Tauschhandel es erlaubte, auch die oberflächliche Tagesneuigkeit, das kleine Pamphlet rentabel an diesen relativ entlegenen Ort zu bringen. Die Briefwechsel Hamanns und J. G. Scheffners erweisen, welch wichtige stimulierende Rolle diese Möglichkeit der freien Buchzirkulation spielte. Als der Tauschhandel endlich verdrängt wurde, hatte das literarische Leben Ostpreußens eine wesentliche Voraussetzung verloren. Ähnliches gilt für andere Städte und Regionen. Freilich: Das Ende des Tauschhandels kam nicht ohne Grund. Es würde zu weit führen, hier zu erörtern, weshalb in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Übergewicht des norddeutschen Buchhandels immer spürbarer wurde. Zweifellos haben religiös-kulturelle Ursachen dabei ebenso eine Rolle gespielt wie wirtschaftliche. Das katholische 1 2

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G. Menz: Der deutsche Buchhandel. Gotha 1925, S. 74f. F. G. Schlosser: Etwas zur Apologie des Meß-Catalogus. In: Journal von und für Deutschland, Jg. 1789, H. 9, S. 202f.

Buchangebot des Südens war noch immer lateinisch-gelehrt-konfessionell, als in den Handels- und Universitätsstädten des Nordens moralische Wochenschriften und aufklärerische Literatur in der Nationalsprache längst dem Geschmack des Lesepublikums neue Attraktionen boten. Die Zensurunterschiede taten ein übriges. Je breiter das Buchangebot insgesamt wurde, desto deutlicher zeigten sich die enormen Qualitätsunterschiede in der Produktion. Da der Tauschhandel ja Zwang zum eigenen Verlag bedeutete, erschienen immer mehr wertlose und kaum absetzbare Schriften auf dem Markt. Schließlich kam es soweit, daß die angesehensten und finanzkräftigsten Firmen Norddeutschlands, insbesondere Leipzigs, ihre Verlagswerke nur mehr mit wenigen befreundeten Handlungen gegen Bücher gleicher Qualität tauschten, von allen übrigen aber Barzahlung verlangten - und dies zunächst ohne Rückgaberecht, also »Netto«-handel betrieben. Gerade den Leipziger Verlegern wuchs in der Entwicklung des deutschen Buchhandels im 18. Jahrhundert eine Schlüsselrolle zu. Seit Jahrhunderten in Konkurrenz mit Frankfurt um den Rang des Meßplatzes, hatte die sächsische Metropole ihre Rivalin am Beginn des Jahrhunderts endgültig überrundet. Die oft kleinlich-schikanöse Zensur der kaiserlichen Bücherkommission in Frankfurt und ihre exzessiven Pflichtexemplaransprüche beschleunigten diese Entwicklung. Da nach altem Brauch sämtlich Bücher frachtfrei an den Meßort Leipzig geliefert werden mußten, hatten die dortigen Firmen einen erheblichen finanziellen Vorteil gegenüber auswärtigen. Sie produzierten billiger, setzten mehr ab, konnten den Autoren attraktivere Konditionen und Honorare bieten und wurden überdies von der sächsischen Regierung in jeder Beziehung unterstützt. Diese ohnehin allen anderen deutschen Firmen überlegenen Leipziger Handlungen waren es, die den deutschen Buchhandel in eine Krise stürzten, aus der er Anfang des 19. Jahrhunderts weitgehend verändert hervorging. Mit dem Nettohandel, gleichsam dem Übergang von der Naturalien- zur Geldwirtschaft, 3 begann die Anonymität des buchhändlerischen Warenverkehrs, entstand eigentlich erst das moderne kapitalistische Konkurrenzdenken im Buchhandel mit all seinen Konsequenzen. Zu seinen wichtigsten Folgen gehörte auf lange Sicht die Trennung von Verlag und Sortiment: Da mit dem Ende des Tauschhandels auch der Zwang zu eigener Produktion aufhörte, konnte sich der einzelne Händler spezialisieren. Das gesamte Geschäftsrisiko wurde beim reinen Nettohandel, wie ihn einige Leipziger Verleger praktizierten, ausschließlich dem Sortimenter aufgebürdet. Er mußte auf gut Glück seine Bestellungen treffen, bar bezahlen und konnte unabsetzbare Ware nicht mehr zurückgeben. Der radikalste Nettohändler war Philipp Erasmus Reich, zweifellos eine der interessantesten Buchhändlerpersönlichkeiten seiner Zeit, über den es bisher leider noch keine Monographie gibt. 4 Mit seinem demonstrativen Auszug von der Frankfurter Ostermesse 1764 und der gleichzeitigen Verschärfung seiner Handels3

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Vgl. R. Wittmann: Die frühen Buchhändlerzeitschriften als Spiegel des literarischen Lebens. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens XIII (1973) Sp. 623-932, hier Sp. 630. Ebenda Sp. 630.

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bedingungen (Barzahlung, fester Bezug, geringer Rabatt) provozierte er die Trennung zwischen norddeutschem, auf Leipzig konzentrierten, und süddeutschösterreichischem Buchhandel, dem sog. »Reichsbuchhandel«. Nicht ohne Grund erfolgte seine Abkehr vom Tauschhandel so kurz nach dem Hubertusburger Frieden (1763), der den Siebenjährigen Krieg beendete und damit wieder normale Marktverhältnisse schuf. Mit dieser internen buchhändlerischen Entwicklung parallel und sie stimulierend entstand ein eigentlicher literarischer Markt. Über die Ausweitung des lesenden Publikums im 18. Jahrhundert, die sogenannte »Leserevolution«, ist damals eine große Zahl von Schriften entstanden und auch neuere Untersuchungen zu diesem Vorgang mehren sich. An dieser Stelle interessieren uns nur seine Folgen für den Buchmarkt. Solange es noch keine einigermaßen zuverlässigen Bibliographien für das 18. Jahrhundert gibt, ist man bei seiner Abgrenzung auf Schätzungen vor allem anhand der Meßkataloge angewiesen; nur für den Zeitraum um 1780 liegt eine davon unabhängige, detaillierte Untersuchung vor. 5 Insgesamt ist die deutsche Buchproduktion zwischen 1700 und 1800 auf 170000 Titel geschätzt worden. 6 Der Meßkatalog nennt im Jahr 1700 etwa 950 Werke, für das Jahr 1800 4000. Der Anteil der lateinisch geschriebenen Werke am gesamten Büchermarkt hatte 1650 71% betragen, 1740 immerhin noch 27%, 1770 14% und ist 1800 auf eine verschwindend kleine Zahl von knapp 4% geschrumpft. Das Buch wird vom Instrument einer privilegierten Minderheit zum Massenmedium in der Volkssprache. 7 Da die Meßkataloge nur einen Teil der tatsächlich erscheinenden Bücher erfaßten, kann man davon ausgehen, daß am Ende des 18. Jahrhunderts die deutschsprachige Buchproduktion bei jährlich 5000 Titeln gelegen hat. 8 Das bedeutete natürlich eine enorme Intensivierung des Buchmarktes, wobei sich auch die Relationen der einzelnen Sachgebiete völlig wandelten: 1740 war noch fast die Hälfte aller erscheinenden Bücher theologischer oder erbaulicher Natur gewesen, 1800 nur mehr ein gutes Zehntel. Die klassischen Disziplinen Jurisprudenz und Medizin stellten während dieser Zeit ziemlich unverändert 5-8% der Neuerscheinungen, dagegen nahm der Anteil der schönen Literatur außerordentlich zu - proportional zum Rückgang der religiösen Schriften und damit Gradmesser für die fortschreitende Aufklärung. 1740 waren nur knapp 5% aller Neuerscheinungen literarischer Natur gewesen, 1800 jedoch mehr als 20%. Insbesondere die Gattung des Romans erlebte einen steilen Anstieg der Produktion. Es ist bezeichnend, daß etwa ein Drittel aller deutschen Romane, der erfolgreichsten Buchgattung also, in Leipzig erschien; denn während das Entstehen eines bürgerlichen Lesepublikums von Wien bis Hamburg, von Zürich bis Königsberg zu beobachten war, während also die

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Ebenda Sp. 825«. Hans-J. Koppitz: Zur Bibliographie der deutschen Buchproduktion des 18. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. 9 (1962), S. 18-30, hier S. 22. R. Wittmann: Die frühen Buchhändlerzeitschriften, Sp. 837. Ebenda Sp. 829.

Nachfrage im gesamten Gebiet fast gleichmäßig stark anstieg, war die Produktionsverteilung äußerst unterschiedlich. Ich habe für die Jahre 1780-1782 eine genauere Untersuchung mit folgendem Ergebnis durchgeführt: 70% aller Bücher erschienen in Norddeutschland, 19% in Süddeutschland, 7% in Österreich und 3% in der Schweiz.9 Der Markt wurde also völlig vom Norden beherrscht; fast ein Sechstel der gesamten deutschen Buchproduktion stammte aus Leipzig! Diese Vormachtstellung erscheint nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, wie sehr Leipzig auch Zentrum der deutschen Schriftstellerwelt war. Ohnedies hatte sich parallel mit der »Leserevolution« auch die Sucht der »Vielschreiberei« ausgebreitet. Man schätzt, daß sich allein in den 15 Jahren zwischen 1773 und 1787 die Zahl der deutschen Schriftsteller von 3000 auf 6000 verdoppelt habe. 10 1790 kam in Deutschland durchschnittlich auf 4000 Einwohner ein Schriftsteller natürlich mit starken regionalen Unterschieden: in Ostpreußen waren es 9400, in Kursachsen 2700 Einwohner. In Böhmen soll es 1790 nach derselben Quelle 127 deutsche Autoren gegeben haben, in Mähren 28, Ungarn und Siebenbürgen 29. Das hatte natürlich direkte Konsequenzen für die Verlagsproduktion der dort ansässigen Firmen. In Leipzig kam ein Autor auf 170 Einwohner, die beiden anderen bedeutenden Städte mußten sich mit 675 (Berlin) und 800 (Wien) begnügen. Unter diesen Voraussetzungen war der Buchhandel südlich der Mainlinie in einer ziemlich schwierigen Situation. Was er an Verlagswerken hervorbrachte, fand auf der Leipziger Messe kaum Abnehmer, dagegen war er gezwungen, auf eigene Verantwortung die teuren Bücher der Nettohändler, nach denen sein Kundenkreis vielleicht verlangte, bar zu kaufen. In dieser Situation beginnt sich der Merkantilismus unmittelbar auf den Buchhandel auszuwirken. Mit dem Ende des genossenschaftlichen Tauschsystems und dem Entstehen der freien Konkurrenz gewinnt das Privilegienwesen verstärkt an Bedeutung, für den Staat eine willkommene zusätzliche Einnahmequelle an Sporteln und Freiexemplaren. Ein Privilegium sollte Schutz gegen Nachdruck innerhalb seines Geltungsbereiches gewähren, was zunächst nur für klassische Autoren, Wörterbücher, theologische und juristische Standardwerke etc. von Wichtigkeit war, und bedeutete zugleich Monopolisierung gegenüber jeder Konkurrenz bei angedrohten drakonischen, aber kaum je verhängten Strafen für jeden Nachdrucker. Als wichtigstes Privilegium galt das kaiserliche, dessen Geltung sich auf das gesamte Reichsgebiet erstreckte. Freilich waren in Wirklichkeit die Erblande davon ausgenommen, und auch in den einzelnen Staaten konnten ihm landesfürstliche Privilegien entgegenstehen. Im Grunde genommen war das kaiserliche Privileg hauptsächlich Meßprivileg für die Frankfurter Büchermesse und als solches von großer Bedeutung, solange Frankfurt das Zentrum des deutschen Buchhandels bildete. Mit deren Verfall aber verlor auch das kaiserliche Privileg an 9 10

Genaue Zahlen befinden sich ebenda. Vgl. J. Goldfriedrich: Geschichte des deutschen Buchhandels. Bd. 3, Leipzig 1909, S. 249.

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Bedeutung und seine Reichweite erstreckte sich zunehmend nur auf Süddeutschland und die Reichsstädte; zudem verkehrte sich der eigentliche Sinn der Privilegierung oft ins Gegenteil, weil nicht den Leipziger Originalverlegern, sondern ihren süddeutschen Nachdruckern kaiserliche Privilegien gewährt wurden. So konnten auf Werke Gellerts, deren rechtmäßiger Verlag Weidmanns Erben und Reich in Leipzig waren, für das Reichsgebiet die berüchtigten Nachdrucker Schmieder und Fleischhauer und für die Erblande Trattner kaiserliche Privilegien erhalten. Parallel zum Rangverlust der kaiserlichen Privilegien wuchs die Bedeutung der preußischen und vor allem kursächsischen. Einen entscheidenden Einschnitt bildete hier das kursächsische Buchhandelsmandat vom 18. Dezember 1773. Es Schloß sämtliche Nachdrucke vom Vertrieb sowie Transit auf den Leipziger Messen aus und begünstigte unverhüllt die sächsischen, vor allem Leipziger Firmen. Der Bruch zwischen nördlichem und südlichem Buchhandel war damit weitestgehend vollzogen und im Süden konnte der Nachdruck seinen Siegeszug antreten. Er hat zwei Wurzeln: eine innerbuchhändlerische und eine staatliche. Daß die Nettohändler mit ihren hohen Bücherpreisen, geringen Rabatten und mit der Verweigerung des Tausches die Selbsthilfemaßnahmen des Nachdrucks geradezu provozierten, kann nicht geleugnet werden. Aber aus einer anfänglichen Notwehr wurde der Nachdruck bald zum wirkungsvollen Instrument merkantilistischer Finanzpolitik. Auf prächtig naive Weise wird dies deutlich an den Worten, die Maria Theresia dem aufstrebenden jungen Trattner bei seiner ersten Audienz gesagt haben soll: »Unterdessen aber, lieber Trattner, sagen Wir ihm, daß es Unser Staatsprinzip sei, Bücher hervorbringen zu lassen, es ist fast gar nichts da, es muß viel gedruckt werden. Er muß Nachdrucke unternehmen, bis Originalwerke zustande kommen. Drucke Er nach. Sonnenfels soll ihm sagen, was.«11 Diese Unterstützung der heimischen Wirtschaft ging so weit, daß nach Österreich keine Originaldrucke eingeführt werden durften, sofern es von diesen Werken auch inländische Nachdrucke gab, 12 und daß Trattner jene Bücher zollfrei importieren durfte, die er im Tausch gegen seine Nachdrucke im Ausland erhielt. Der Erznachdrucker C. G. Schmieder betonte: »Der Nachdruck hat auch eine ausnehmende politische Wichtigkeit für die einzelnen Länder des Reichs. Das Geld, das alles durch eben soviel Röhren, als Bücher von Wichtigkeit verlegt werden, nach Sachsen geleitet würde, bleibt jetzt im Reich und macht, daß wir in der Handlungsbilanz mit Sachsen nicht mehr, wie sonst, verliehren. Es ist dadurch ein neuer Zweig von Industrie, der so vielen und so vielerlei Arten von Bürgern Nahrung schafft und mit in die Kassen der Fürsten einfließt, eröfnet worden.« 13 Dergleichen Argumente mögen heute merkwürdig klingen. Es muß jedoch betont 11

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Zitiert nach U. Giese: Johann Thomas Edler von Trattner. Seine Bedeutung als Buchdrucker, Buchhändler und Herausgeber. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens III (1969), Sp. 1013-1454, hier Sp. 1019. Ebenda Sp. 1112. Für und wider den Büchernachdruck, aus den Papieren des blauen Mannes. O. O. 1790 (Reprint München 1981) S. 50.

werden, daß ihnen oft keinerlei Unrechtsbewußtsein zugrunde lag. Interterritoriales, reichseinheitliches Verlagsrecht gab es nicht. Von einem Autoren- oder Urheberrecht konnte keine Rede sein, der Begriff des geistigen Eigentums existierte noch nicht. Natürlich konnte der Nachdrucker, da er keinerlei Autorenhonorar zahlte und nur Papier- und Druckkosten berechnen mußte, erheblich billiger als der Originalverleger kalkulieren. Dem Lesepublikum war es ziemlich gleichgültig, ob es einen rechtmäßigen oder einen Nachdruck erhielt: Hauptsache, das Buch war billig. Während es im Süden außerordentlich langwierig und kostspielig war, einen norddeutschen Originaldruck zu bekommen, da kaum ein Buchhändler sie von der Messe mitbrachte, dehnten die Nachdrucker trotz aller Prozesse, Konfiskationen und Zollsperren ihr Absatzgebiet weit in den Norden hinauf aus, meist über nichtbuchhändlerische Zwischenträger. Überall waren sie verbreitet, und sogar Friedrich II. privilegierte den Nachdrucker Pauli in Berlin auf Gellerts Werke, weil ihm der Preis des Originalverlegers Reich in Leipzig zu hoch schien. Daß Friedrich II. außerdem auf sämtliche österreichischen Bücher einen Sonderzoll von 50% erheben ließ, sei hier nur nebenbei bemerkt. Über den Nachdruck enthält dieser Band eine eigene Abhandlung, hier müssen Andeutungen genügen. Zweifellos wurden durch ihn die Originalverleger geschädigt, ihr Absatzgebiet eingeschränkt und ihre Kalkulation erschwert, wozu allerdings bemerkt werden muß, daß die norddeutschen Bücherpreise meist vorsorglich so hoch angesetzt wurden, daß kein eventueller Nachdruck ihnen schaden konnte; sicher hat der Nachdrucker auch die Autoren beraubt, weil er keine Honorare zahlte. Andererseits aber hat er sich an Qualität gehalten: Bis in die neunziger Jahre, als Wiener Nachdrucker - wie ζ. B. Wallisshauser in seiner Reihe »Wienerische Landbibliothek« - begannen, jeden Trivialroman aus Leipzig prompt nachzudrucken, haben Männer wie Trattner, Traßler, Schmieder und Fleischhauer ein bemerkenswert hohes literarisches Niveau ihres Programms einzuhalten versucht. Immerhin sind die ersten Gesamtausgaben von Goethe, Gerstenberg und anderen durch Nachdruckerinitiative zustande gekommen. Insbesondere hat der Nachdruck aber völlig neue Publikumsschichten erschlossen und neue Distributionswege beschritten.14 In unserem Zusammenhang muß die Reaktion der Schriftsteller sowohl auf Nachdruck als auch auf Nettohandel außer acht bleiben, obgleich sie im literarischen Leben des 18. Jahrhunderts eine sehr wichtige Rolle spielte: Der Selbstverlag der Autoren und, meist damit verbunden, die Subskription oder Pränumeration, die das individuelle Geisteswerk auf eine nichtkommerzielle, nichtanonymisierte Weise an sein Publikum bringen wollten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen - etwa Lessings »Hamburgische Dramaturgie« und »Nathan der Weise«, sowie Klopstocks »Gelehrtenrepublik« - war der Erfolg der Selbstverlagsbestrebungen nicht allzu überwältigend. Als ernsthafte Konkurrenz oder als Störfaktor 14

Vgl. Neues Archiv für Gelehrte, Buchhändler und Antiquare. Erlangen 1795 (Reprint München 1981) S. 102.

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für den etablierten Buchhandel - und nur dies ist hier für uns von Bedeutung spielten Selbstverlag und Subskription keine Rolle. Für die Emanzipation des literarischen Autors und seine Beziehung zum lesenden Publikum allerdings sind sie, das sei nochmals betont, von fundamentaler Wichtigkeit.15 Aber der Nachdruck blieb nicht die einzige Antwort des süddeutsch-österreichischen Buchhandels auf die Verdrängung des Changierens durch den Nettovekehr. Da die Leipziger Messe nicht mehr Mittelpunkt des Tauschverkehrs war, hielt der Süden an ihm auf andere Weise fest. Die Geschäftspartner reisten nicht mehr zur Messe und tauschten dort persönlich, sondern verkehrten über den sogenannten Konditionshandel; das heißt: Die einzelnen Buchhändler schickten einander das ganze Jahr hindurch und nicht nur zu den Meßterminen ihre Neuerscheinungen zu, und zwar unverlangt und kostenlos. Wenn das Buch verkauft wurde, mußte es zur nächsten Ostermesse dem Verleger bezahlt werden, wenn nicht, konnte es ein Jahr später remittiert, also ohne weiteres zurückgeschickt werden, oder aber es wurde für ein weiteres Jahr »disponiert«, das heißt noch aufbehalten. Damit wurden die Vorteile des einstigen Tauschhandels mit denen des neuen Nettohandels verbunden. Das Geschäftsrisiko lag nicht mehr beim Sortimenter, sondern bei dem Verleger, der jedoch die Gewähr hatte, sämtliche nur erreichbaren Buchhandlungen als Vertriebsstationen zu besitzen. Auch wurde das Publikum kontinuierlich das ganze Jahr über mit den aktuellen Neuerscheinungen versorgt und nicht nur jeweils zu den Messeterminen. Gerade in kleineren Städten konnten sich jetzt ohne größeres Anfangskapital Sortimentshandlungen mit kleinem Verlag niederlassen, hatten nicht mehr ein umfangreiches Lager an Ladenhütern, die man eintauschen mußte, nötig, sondern konnten sich auf die jeweiligen Neuerscheinungen und wenige gangbare ältere Werke konzentrieren. Da sich die Bücher nun nicht mehr wie beim Tauschhandel sozusagen »selbst« verkauften, sondern gezielt abgesetzt werden mußten, entstanden auch neue Werbemittel und Distributionswege. Der norddeutsche Buchhandel hat übrigens die Vorteile dieses Konditionsverkehrs bald erkannt, und gegen das Ende des 18. Jahrhunderts wurde ein Kompromiß zwischen Norden und Süden erreicht, der den Konditionshandel über Leipzig institutionalisierte, wie er im 19. und bis ins 20. Jahrhundert hinein üblich war. Die Entwicklung des Tauschhandels, der zum Nettohandel im Norden und dem Konditionshandel im Süden führte, der Nachdruck und das Privilegienwesen haben die Situation des einzelnen Buchhändlers in Mittel- und Osteuropa bestimmt, allerdings in höchst unterschiedlicher Weise.

P r o b l e m e buchhändlerischer K o m m u n i k a t i o n Es ist nicht ohne weiteres möglich, sich einen umfassenden Überblick über Namen, Standort und Bestehensdauer, geschweige denn Verlagsprogramm oder 15

Vgl. R. Wittmann: Die frühen Buchhändlerzeitschriften, Exkurs III, sowie in diesem Band S. 46-68.

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Sortimentsschwerpunkte der deutschen Buchhandlungen im 18. Jahrhundert zu verschaffen; das gilt für vergleichsweise zentrale Regionen wie Schlesien ebenso wie für so entfernte Provinzen wie Galizien oder Siebenbürgen. Ein besonderes Problem stellt dabei die Abgrenzung des eigentlichen Buchhandels von den zahllosen Mischformen mit anderen Gewerbebetrieben oder privaten Distribuenten verschiedenster Art dar. Eine erste Differenzierung nach dem Grade der Bedeutung für die literarische und aufklärerische Kommunikation könnte folgende Gruppen unterscheiden: Firmen, welche regelmäßig die Leipziger Buchmesse besuchen; solche, die dies nur in unregelmäßigen Abständen tun; Handlungen, die nicht selbst in Leipzig erscheinen, jedoch dort durch einen festen Kommissionär vertreten sind; solche, die am Meßhandel überhaupt nicht teilnehmen, aber mit dem Reichsbuchhandel durch Konditionsverkehr und Vertrieb von Nachdrucken in regem Kontakt stehen, auch Dulten und Jahrmärkte besuchen; Ordens- oder konfessionelle Buchdruckereien, die keineswegs nur ihre eigenen Verlagserzeugnisse vertreiben; Firmen, welche de facto nur Filialbetriebe einer größeren Handlung sind (wie bei Trattner) und von deren Geschäftsprogramm abhängen; Buchdrucker und Buchbinder mit kleinem eigenen Verlag an Gebetund Schulbüchern sowie lokalen Quisquillen für den örtlichen Vertrieb, die jedoch oft auch Nachdruckern als Stützpunkte dienen; Wanderbuchhändler, die auf eigene Rechnung oder im Auftrag bestimmter Firmen (etwa Groll, Walther, Klett) über Land ziehen; Kaufleute aller Art, die neben ihrem Hauptmetier, etwa Galanteriewaren, Perücken, u.a., auch einige Bücher vertreiben und schließlich Privatleute, vor allem Landpfarrer und Lehrer, Postbedienstete und Ärzte, die nicht nur als Kollekteure für private Subskriptionsunternehmen dienen, sondern auch Original- und Raubdruckern gerne gegen Provision deren Ware vertreiben. Diese Aufzählung erfaßt nur die gröbsten Typen; Zwischenformen könnten noch genannt werden. Der Überblick macht deutlich, welche Fülle von Distributionsmöglichkeiten dem Buch im 18. Jahrhundert zur Verfügung stand. Bei genauer Betrachtung erweist es sich als besonders wichtig, welche Firmen sich auf den Leipziger Messen zu Ostern und zu Michaelis einfanden, dem mittelund osteuropäischen Zentrum für den Originalverlag. Da Meßreisen stets recht kostspielig waren, oft monatelang dauerten und mit Gefahren für Leib und Leben verbunden sein konnten, darf man annehmen, daß aus entfernteren Gebieten nur Buchhändler mit sehr regem Geschäftsverkehr sich dieser Mühsal unterzogen. Aus einer detaillierten Topographie der meßbesuchenden Firmen um 1780,16 seien hier nur einige Daten genannt. Insgesamt besuchten in den Jahren 1778-1784 etwa 235 Firmen die Ostermessen, 1785 jedoch sind es plötzlich 325. Nicht der alleinige Grund, aber doch ein wesentliches Moment für diese auffallende Zunahme dürfte die Lockerung der Zensur in der Habsburger Monarchie 1784 durch Joseph II. gewesen sein. Es ist eindrucksvoll, wie schnell der Buchhandel auf diese staatliche Maßnahme reagierte. Bis 1784 war aus Prag nur eine einzige Firma zur Messe gekommen, nämlich Gerle. 1785 sind es sieben: Gerle, 16

Ebenda Sp. 813-824.

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Gröbl, Höchenberg, Mangold, Samm, von Schönfeld und Widtmann. Aus Preßburg kommt bis 1782 nur Löwe, 1783 außerdem Benedict; aber 1785 erscheinen Benedict, die Gebrüder Doli, Löwe, Mahler, Weber & Korabinsky. Auch aus Pest (Weingand und Köpf), Graz, Linz und Klagenfurt nutzen jetzt Firmen die neue Möglichkeit, den Hunger ihres Publikums nach aktueller aufklärerischer Literatur zu stillen. Und die Meßverzeichnisse belegen auch, wie unhaltbar das noch immer grassierende Klischee von Wien als Nachdruckernest ohne wesentlichen Originalverleger ist. Nach Berlin steht es 1785 mit 16 Firmen an zweiter Stelle der auswärtigen Verlagsorte, deren Handlungen in Leipzig vertreten sind, und zwar Bader, Gasler, Gerold, von Gehlen, Gräffer, Hörling, Jahn, Krauß, Krüchter, Kurzböck, Mössle, Stahel, Wappler und Weingand - und ganz ungeniert auch Trattner senior und Trattner junior. Aus dem Norden erscheinen regelmäßig Hinz aus Mitau (1778-1780), Hartknoch aus Riga, natürlich Härtung und Kanter aus Königsberg, Albrecht und Iiiig aus Reval, Hartmann aus Elbing (1785), Groll aus Warschau und Logan aus St. Petersburg (1782-1785). Aus Breslau kommen ebensoviele Firmen wie aus Hamburg oder Augsburg, nämlich Löwe, Meyer, Gutsch, Korn senior und Korn junior, aus Danzig reisen Brückner, Flörke und Wedel an; und diese Aufzählung könnte noch lange fortgesetzt werden. Das alles belegt, daß sich von Sachsen nordostwärts ein überraschend dichtes Netz von messebesuchenden Buchhandlungen spannte mit einem regionalen Schwerpunkt etwa in der Oberlausitz. Wenn man umgekehrt fragt, was denn diese Buchhandlungen ihrerseits auf der Leipziger Messe an Eigenproduktionen zu bieten hatten, welchen Beitrag also die östlichen Verleger zum deutschen Buchmarkt leisteten, so kommt man ebenfalls zu respektablen Ergebnissen, 17 die hier nur angedeutet seien, und zwar anhand einer Quelle zum Buchverkehr über Leipzig 1780-1782 außerhalb der Messen. Von insgesamt etwa 7600 Büchern kamen zum Beispiel 115 in Prag heraus - die böhmische Metropole war damit eine der produktivsten Städte des mitteleuropäischen Buchmarktes überhaupt - Preßburg lieferte 9 Werke, Pest 8 Titel, meist lateinische Koproduktionen mit dem Leipziger Großverlag Weidmanns Erben und Reich, Warschau 16 Werke, wobei die polnischsprachigen Schriften, u.a. 11 Dramen, 4 Romane und 6 Gedichtsammlungen, nicht mitgezählt sind. Mit 26 Titeln aus St. Petersburg und 7 aus Moskau hat Rußland die Priorität vor sämtlichen anderen außerdeutschen Ländern Europas. Schlüsselt man diese Verlagsproduktion nach Sachgebieten auf, so bieten sich bemerkenswerte Einblicke: Der Anteil von St. Petersburg allein an der deutschsprachigen Romanproduktion zwischen den Buchmessen 1780 und 1782 betrug z. B. 0,7%. Das erscheint erst dann in seiner wahren Bedeutung, wenn man dagegen den Anteil der gesamten Schweiz von nur 2% hält. Bleiben wir bei den Eidgenossen als Vergleichsgröße: Moskau und St. Petersburg bringen doppelt soviel Schriften des Sachgebietes »Handlung und Manufakturen« auf den Leipziger Buchmarkt wie die Schweiz; 17

Vgl. die Statistik zum Leipziger Buchmarkt anhand des »Magazins des Buch- und Kunsthandels« (1780-1782) ebenda Sp. 825-849.

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und bei der Rubrik »Philologie, Sprachen, Kritik« entfallen auf die beiden russischen Städte 1,6% des Gesamtmarktes, also ebensoviel wie auf Wien. Auch diese Daten seien hier nur als Anhaltspunkte genannt. Doch war der Leipzig besuchende Buchhandel, der einigermaßen vollständig überblickt werden kann, nur die Spitze eines Eisberges. Die meisten gerade der für unsere Forschungen bedeutsamen Handlungen mußten den Leipziger Messen aus finanziellen Gründen fernbleiben. Aus Laibach etwa reiste niemals eine Firma nach Sachsen; und trotzdem bestand dort seit 1728 die Buchhandlung Reichardt, Heptner und Eger, 1767 kam als Verleger Raab dazu, 1768 Bernbacher, ebenso Promberger, Kleinmayr und eine Filiale von Gottlob Korn.18 Auch aus Hermannstadt konnte sich niemand die beschwerliche Meßreise leisten, obwohl dort Martin Hochmeister der Ältere ab 1778 ein blühendes Geschäft betrieb und zwei Jahre später eine Konkurrenzfirma mit anspruchsvollerem literarischem Programm entstand, die aber schon 1792 wieder einging, nämlich Gromen, Barth und Gänselmayer.19 Was übrigens an diesen beiden Beispielen schon deutlich wurde, müßte einmal in größerem Zusammenhang untersucht werden: Es ist gerade für den Buchhandel in kleineren Städten und Grenzregionen typisch, daß im letzten Jahrhundertviertel neben einem alteingesessenen verschlafenen Stadt- oder Landschaftsbuchdrucker und kleinen Sortimenter plötzlich eine oder mehrere ambitionierte Firmen aufschießen, die der Markt nicht verkraften kann und die sich in erbitterten Rivalitäten verschleißen und wieder eingehen. In Städten wie Laibach und Hermannstadt bestanden florierende deutsche Verlags- und Sortimentshandlungen, obwohl sie beide weitgehend außerhalb des buchhändlerischen Kommunikationssystems mit dem Leipziger Zentralpunkt standen. Aber das Netz ist noch viel engmaschiger. Ein Beispiel sei herausgegriffen: Johann Thomas von Trattner veröffentlichte 1786 eine Liste seiner Kommissionäre und Geschäftsfreunde, bei denen man auf seine werbende Zeitschrift »Allgemeine Wiener Büchernachrichten« pränumerieren konnte.20 Darin erscheinen seine eigenen Filialen in Agram, Brünn, Graz, Innsbruck, Linz, Pest, Prag und Triest, nicht jedoch die in Warschau, Görz, Hermannstadt, Olmütz und Panöevo, aber auch Buchhändler, -drucker und -binder, die heute völlig verschollen sind: Skupina in Kremsier, Knays in Königgrätz, Pfarr in Lemberg, Tümmler in Neusohl (Beszterczebánja), Pfundtner in Ödenburg, Müller in Raab (Györ), Slowatschek in Temeschburg, Weber in Teschen, Meyer in Troppau, Merzinger in Marburg a.d. Drau, Jenko in Cilli (Celje), Christeck in Wischau (Vyäkov), Stupaniwsky in Budweis, Wunderling in Plan und andere, die wir bereits kennen wie Hochmeister in Hermannstadt und Promberger in Laibach. Bei diesen Firmen in den kleinsten Außenposten des Reiches konnte ein Interessent das gesamte 18

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20

Vgl. P. v. Radies: Geschichte des Deutschen Buchhandels in Krain. In: Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels. Bd. 4, Leipzig 1881, S. 72-93, hier S. 88f. Vgl. F. Teutsch: Geschichte des Deutschen Buchhandels in Siebenbürgen. III. Von 1700 bis zur Gegenwart. In: Archiv für Geschichte des Deutschen Buchhandels. Bd. 15, Leipzig 1892, S. 103-188. Vgl. U. Giese: Trattner, Sp. 1219. 103

Trattnersche Verlagsprogramm bestellen, einschließlich aller Nachdrucke, die einen vorzüglichen Überblick über die aktuelle deutsche Literatur lieferten. Das ist wohlgemerkt nur das Vertriebsnetz des agilen Trattner. Seine erbitterten Konkurrenten wie Kurzböck, der wohl als erster deutscher Verleger mit dem angefeindeten Autorenverlag der »Buchhandlung der Gelehrten« kooperierte, besaßen zweifellos ähnlich ausgedehnte Verbindungen in der gesamten Monarchie und über diese hinaus. Aber auch damit sind noch nicht alle Formen buchhändlerischer Kommunikation und Distribution im 18. Jahrhundert erschöpft. Meines Wissens bisher weitestgehend unerforscht blieb die Rolle der Ordensverlage und -druckereien in Ostund Südosteuropa, vor allem die der Jesuiten. Sie hatten unter anderem Offizinen in Lemberg bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, von 1717 bis 1795 in Warschau, wo sie den Piaristen Konkurrenz machten, und in Lublin, aus der später die königliche und republikanische Druckerei wurde. In Prag bestand die akademische Druckerei der Jesuiten neben jener der Normalschule, die seit 1776 in nationaltschechischem Sinn arbeitete und der Schönfeldschen Universitätsdrukkerei. Vor allem die rege Druck- und Verlagstätigkeit der Jesuiten in Ungarn war Trattner und anderen ein Dorn im Auge; wiederholt wurde bei Hofe heftige Klage darüber geführt, daß sie neben ihren Druckereien in Tyrnau, Kaschau und Klausenburg, die später von Landerer übernommen wurde, auch mit Büchern handelten und »ganz Hungarn verlegten«. 21 Tatsächlich hatten die Jesuiten in Tyrnau eine eigene Schriftgießerei und brachten neben wissenschaftlichen lateinischen Werken auch volksaufklärende ungarische Kalender heraus. Im Jahr 1773 wurde der Jesuitenorden in der Habsburger Monarchie aufgelöst, und aus der Offizin ging die Universitätsdruckerei in Ofen hervor. Und noch ein letzter kaum faßbarer, aber überaus bedeutsamer Faktor der buchhändlerischen Kommunikation: der Wanderbuchhandel, die Hausierer und »Kraxentrager«, die besonders von Augsburg, Nürnberg, Salzburg und Wien aus über alle Grenzen bis nach Galizien und Krain, Siebenbürgen und Pommern kamen und sich allen Zensurmaßnahmen erfolgreich entzogen. Wieder war es Trattner, der sich am Kaiserhof beschwerte, daß diese »das Land Theils mit denen der Religion höchstgefährlich als dem Staate schädlichen Büchern überschwemmen, ja halbe Exploratores des Lands und Pastoren der versteckten Lutheraner und Kalviner machen«. 22 Über ihre Tätigkeit jedoch gibt es fast keine zeitgenössischen Belege. 23 Die Absicht dieser Aufzählung war es, die üblichen Behauptungen von weiten buchhändlerisch verödeten Landstrichen Ost- und Südosteuropas durch ein Bild von höchst komplexer Vielfalt allein des deutschen Buchmarktes in diesen Regionen zu korrigieren. Freilich hatte der Buchhandel als Kommunikationsmedium und Vehikel der Aufklärung hier mit besonders schweren Bedingungen der 21 22 23

Ebenda, Sp. 1019. Ebenda, Sp. 1114. Vgl. R. Wittmann: Der lesende Landmann. In diesem Band, S. 1-45, hier S. 19f.

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Produktion u n d Distribution zu kämpfen. Vor allem zwei Probleme waren es, die ihn h e m m t e n : die Bücherpreise und die außerordentlich h o h e n Geschäftsunkosten. Beide resultieren letztlich aus der großen E n t f e r n u n g vom Leipziger Zentralplatz und den schlechten Verkehrs Verhältnissen, aber auch aus dem ziemlich rigorosen Gruppenegoismus der mächtigen sächsischen Verlagsherren. Als beispielsweise Trattner am Beginn seiner Karriere in den fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts gegen Barzahlung größere E i n k ä u f e auf der Leipziger Messe tätigen wollte, gestanden ihm die dortigen Verleger nur einen R a b a t t von 16% zu. A u c h sein Hinweis, daß allein die Transportkosten von Leipzig nach Wien 17% betrugen und er f ü r seine umfänglichen Bestellungen wohl den (heute üblichen) R a b a t t von 33ιλ fordern könne, half nichts. D a ß ihm daraufhin der Nachdruck als einziger Ausweg erschien, ist nur verständlich. Auch die Reichsbuchhändler klagten immer wieder, d a ß »wir Reisespesen und theuere Frachten hin u n d her aufzuwenden hatten, da die H e r r e n Leipziger ganz ruhig zu H a u s e saßen u n d sich die W a a r e franco in ihren Laden liefern ließen«. 2 4 Hinzu kamen für alle außersächsischen Firmen teilweise erhebliche Währungsverluste bei den komplizierten Umrechnungsverhältnissen der verschiedenen Münzsorten. Siegert aus Liegnitz wies nach, d a ß er an Meßunkosten neben 10% Fracht bis zu 25% Disagio durch Kursschwankungen hinnehmen m u ß t e , also sogar bei einem Drittelrabatt noch verlor. D a b e i gaben die Nettohändler üblicherweise nur 25% R a b a t t , mißliebigen Firmen wie Trattner gar nur 16%. A u ß e r d e m kamen die exorbitanten Preiserhöhungen hinzu, die bei Philipp Erasmus Reich bis zu 50% betrugen. Von den zahlreichen kleineren Spesen wie Reisekosten, U n t e r k u n f t , Miete des Meßgewölbes, Bezahlung der Meßhelfer, der Wiegegelder, der Emballage u n d natürlich mehrfacher Transitzölle, die sich die Leipziger und sächsischen Firmen fast völlig sparen k o n n t e n , sei hier gar nicht die R e d e . Die Erbitterung des Reichsbuchhandels und der österreichischen Firmen gegen die sächsischen Monopolisten ist unter diesem A s p e k t auch sehr begründet gewesen. W e n n diese Firmen ihre höheren Kosten zu decken und deshalb höhere Verkaufspreise durchzusetzen versuchten, stießen sie fast immer auf Unverständnis und E m p ö r u n g ihrer K u n d e n . Schließlich war die Auswahl der Novitäten, die man von der Messe mitbrachte, f ü r jeden Buchhändler ein Vabanquespiel. O f t m u ß t e er von den Leipziger Nettohändlern W e r k e fest abnehmen, von denen er nur den Titel kannte, o h n e d a ß sich zuhause ein Käufer fand. 1784 stieß ein Händler den Stoßseufzer aus: »Mit Schrecken sehen wir die fürcherlichen Ballen bedruckten Papiers ankomm e n ; wir wissen ja wohl, daß der größte Theil darunter Makulatur ist, und doch müssen wirs n e h m e n - so sonderbar ist die Lage keines Kaufmannes.« 2 5 D a s Publikum konnte eine von Verleger und Zeitschriften hochgepriesene Novität, von der man sich dreißig Exemplare fest auf der Messe bestellt hatte, zum

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25

Brief v. 21. 1. 1761 des Nürnberger Buchhändlers Monath an Ρ. E. Reich, zitiert nach A. Schürmann: Die Entwickelung des deutschen Buchhandels zum Stande der Gegenwart. Halle 1880, S. 39. R. Wittmann: Die frühen Buchhändlerzeitschriften, Sp. 632. 105

unverkäuflichen Ladenhüter werden lassen, aber auch begierig nach einem Buch verlangen, um das man sich in Leipzig nicht gekümmert und es liegen gelassen hatte. Für die Buchhändler und ihre ungeduldigen Kunden in Randprovinzen gab es darüber hinaus noch genügend weitere Gründe zur Klage, weitere Störfaktoren der literarischen Kommunikation. Ein überaus plastisches Bild dieser Probleme am Beispiel des Buchhandels in Kurland und Livland bietet der Briefwechsel des Mineralogen Ferber mit dem Berliner Verleger Nicolai.26 Anscheinend konnten gerade kleinere Firmen, an denen die Leipziger Kommissionäre wenig verdienten, ihre Meßgüter nur mit erheblichen Verzögerungen bekommen. Ende August 1778 hatte Hinz in Mitau nur einen Teil seiner Ostermeßbestellungen erhalten, und sogar Hartknoch in Riga wartete auf seine Einkäufe von der Michaelismesse noch im Frühjahr, also nach einem halben Jahr. 27 Man muß sich diese erhebliche Behinderung der gelehrten und literarischen Kommunikation immer wieder vor Augen halten, um die fundamentale Rolle verstehen zu können, die einerseits umfassende Rezensionsorgane wie die »Allgemeine deutsche Bibliothek« und andererseits der intensive Briefwechsel über Bücherneuigkeiten für die Intelligenzschicht in Ost- und Südosteuropa einnahmen. Bestes Beispiel dafür sind die Korrespondenzen von Hamann und Scheffner. Auch der Transport war ungemein umständlich und verlustreich. Von Leipzig oder Berlin kamen die Bücher nach Kurland auf dem Landwege über Lübeck, dann zu Schiff nach Libau und schließlich mit dem Fuhrmann nach Mitau. Allzu oft wurde die Fracht durch betrügerische Fuhrleute und bestechliche Zöllner erheblich verzögert und verteuert. Ähnliche Probleme hatte der Buchhandel in Siebenbürgen. Nur einmal im Monat ging der Postwagen von Wien nach Hermannstadt und die Hochmeistersche »Quartalschrift« klagte: »Unsere Entlegenheit von den vornehmsten Büchermärkten setzet uns mit Glasgow und Petersburg in eine Parallele, die wir aber in Ansehung der Kunst und der äußeren Vollkommenheit nicht halten können. Ja die Fracht ist noch beschwerlicher, da keine Schiffahrt den langen Weg abkürzet..« 28 Ein vielleicht von Hartknoch selbst verfaßter Aufsatz »Wegen der Bücher-Preise in Liefland« 29 resümiert die besonderen Bedingungen und Hemmnisse der buchhändlerischen Kommunikation im Osten für die oft verständnislosen Kunden eindringlich: »Der Buchführer muß zur Messe reisen, ein großes Kapital zum Ankauf der Bücher anlegen, die theure Fracht und Assekuranz bezahlen: von den mitgebrachten Büchern sezt er etwa den vierten Theil ab, aber gemeiniglich auf Credit; die Bezahlung erfolgt erst nach geraumer Zeit, wohl gar mit einigem Verlust. Manches Buch liegt mehrere Jahre unverkauft. Und dennoch wundert man sich, wenn er einen billigen Vortheil bey

26

27 28 29

Vgl. Johann Jacob Ferber: Briefe an Friedrich Nicolai aus Mitau und St. Petersburg. Hrsg. Heinz Ischreyt. Herford, Berlin 1974 = Schriftenreihe Nordost-Archiv, Bd. 7. Ebenda S. 64, 108. F. Teutsch: Siebenbürgen, S. 120. Nordische Miscellaneen. Stück 11/12. Riga 1786, S. 448-452.

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seiner Handlung sucht, von welcher er gleichwohl seinen Unterhalt nehmen, zu derselben Betreibung Leute halten, einen weitläuftigen Briefwechsel führen, seinen Commissionären einen Rabat zugestehen, und für die im Land umher versandten Bücher Fracht bezahlen muß. Wenn er keinen Buchladen unterhielt, sondern jedem Liebhaber blos die aufgegebenen Bücher verschrieb und gegen baare Bezahlung ablieferte; so würde er mit einer kleinen Provision zufrieden seyn; auch überhaupt die Preise weit niedriger ansetzen, wenn er seinen Käufern nichts als elende Nachdrücke in die Hände spielte.« Unter diesen Voraussetzungen bedurfte es für den deutschen Buchhandel im Osten und Südosten oft erheblich größerer Anstrengungen für die Distribution seiner Produkte als in Deutschland. Da die Buchhandlungen zwar in günstigem Falle Treffpunkt der ortsansässigen Gelehrten und Literaten waren - man denke an das berühmte Beispiel Kanters in Königsberg - , aber auf diese Weise doch nur einen Bruchteil der potentiellen Kunden erfassen konnten, mußten die Bücher den Lesern auf andere Weise nahegebracht werden. Neben den erwähnten Hausierern und Kolporteuren sind die regionalen Jahrmärkte, Messen und Dulten hier von enormer Wichtigkeit. Es ist beispielsweise bekannt, daß Hochmeister in Hermannstadt regelmäßig seinen Stand bei den Jahrmärkten in Kronstadt, Debrecen, Vásárhely hatte, daß Groll in Warschau zu den Messen in Niéswiez, Zelwe, Swislocz reiste, daß Nürnberger Handlungen und C. G. Walther aus Dresden die Prager Lichtmeß-, St. Veit- und St. Wenceslausmärkte regelmäßig besuchten und dafür eigene deutsche und französische Kataloge druckten. Kataloge gehörten überhaupt zu den wichtigsten Werbeträgern des Buchhandels, und selbst kleinste Firmen brachten sie heraus. Vielen Kunden wurden die neuesten Meßkataloge unentgeltlich mitgebracht, aber auch eigene für das spezielle örtliche Publikum zusammengestellt. So gibt es einen Katalog von C. F. Bietsch in Wilna mit deutschen Büchern aus dem Jahr 1805 - darunter auch eine achtbändige Goetheausgabe. Germain Klostermann in St. Petersburg brachte neben französischen auch deutsche Kataloge heraus, und der Katalog der Gromen-Barth-Gänselmayerschen Handlung in Hermannstadt von 1782 verzeichnet erstaunlicherweise nur Originalausgaben, etwa von Lessing, Haller, Lavater, Ramler, Voltaire und auch die Originalausgabe von Goethes »Götz von Berlichingen«. Es ist dieser Firma übrigens schlecht bekommen, daß sie mit ihren teuren Originaldrucken gegen die Trattnersche Nachdruckniederlage Hochmeisters konkurrierte: Sie machte nach kurzer Zeit bankrott. Um den potentiellen Kundenkreis eines Verlagsprojektes möglichst genau bestimmen zu können, war gerade für Firmen in Ost- und Südosteuropa die Ausschreibung eines Buches zur Subskription oder Pränumeration - also Vorausbestellung oder Vorausbezahlung - von besonderer Bedeutung. Das Absatzrisiko wurde dadurch erheblich vermindert und die Kalkulation erleichtert. Daß die solchen Werken vorgedruckten Subskribenten- oder Pränumerantenverzeichnisse bisher noch kaum ausgeschöpfte Fundgruben für die historische Rezeptionsforschung sind, ist allgemein bekannt (vgl. in diesem Band. S. 46-68). Eine systematische Durchforschung dieser sehr verstreut erschienenen Anzeigen würde 107

außerdem wichtige Indizien für das aufklärerische Selbstverständnis der jeweiligen Buchhändler liefern. Schließlich seien neben den jetzt aufkommenden Anzeigen in Journalen und Intelligenzblättern als neuartiges Werbe- und Distributionsmedium des Buchhandels noch die frühen Buchhändlerzeitschriften erwähnt. Korn in Breslau brachte 1784 »Bücher-Nachrichten und Bemerkungen« in 41 Stücken heraus, sein Sohn 1798 »Monaths-Blätter« und vor allem Trattner war unermüdlich im Projektieren solcher werbender Zeitschriften. 30 Eine Anzahl ähnlicher Blätter mag heute verschollen sein. Die wichtigsten dieser Zeitschriften freilich wuchsen über die Funktion des Werbemediums hinaus und sind bedeutsame Quellen für das literarische Leben des 18. Jahrhunderts. Von ihnen kann hier jedoch nicht die Rede sein.

Lesepublikum und Rezeption Das zweifellos heikelste und schwierigste Kapitel dieses Überblicks sei abschließend wenigstens kurz behandelt. Voraussetzung für jede Kommunikationsfunktion des Buchhandels ist ja das Lesepublikum. Über Leser- und Rezeptionsforschung zum 18. Jahrhundert, ihre immensen methodischen Schwierigkeiten und Quellenprobleme wäre eine eigene Abhandlung nötig, zumal das Lesepublikum Mittel- und Osteuropas nicht auf einen Generalnenner gebracht werden kann, wie es für den Buchhandel insgesamt bei allen Unterschieden im Detail doch einigermaßen möglich ist. Nur knappe Andeutungen werden also diesem Komplex gelten. Als Annäherungswert kann man vermuten, daß um 1800 von Nordost- bis Südosteuropa etwa 80% der erwachsenen Bevölkerung des Lesens und Schreibens nicht mächtig waren, wobei die höheren Grade des Semianalphabetismus nicht eingerechnet sind. Ein beträchtlicher Teil der meist rudimentären Schulbildung dürfte im Laufe des illiteraten Lebens eingebüßt worden sein - und auch wer seinen Namen kritzeln konnte und zur Not den Katechismus stockend entzifferte, gehörte noch längst nicht zum potentiellen Lesepublikum. 31 Die Schätzung, daß etwa 20% der Bevölkerung lesen könnte, dürfte eher noch zu hoch gegriffen sein. Neben den sehr unterschiedlichen schulischen Bildungsvoraussetzungen spielen hier auch Sprachbarrieren eine wesentliche Rolle; das deutschsprachige Buch im Osten war weitgehend in seinen Verbreitungsmöglichkeiten auf die nicht autochthonen Schichten beschränkt. Will man eine generelle schichtenspezifische Differenzierung des Lesepublikums für das deutsche Buch in Osteuropa versuchen, so scheiden die Unterschichten bis hin zum Ackerbürgertum wohl aus. Für Kleinstadthonoratioren, ja sogar einen Großteil der gebildeten Mittelschicht (Pfarrer, Lehrer, Ärzte, Advokaten, Beamte) dürfte der Erwerb eines Buches nur in Sonderfällen möglich gewesen sein, denn die Relation zwischen den allgemeinen Lebenshaltungskosten und den Bücherpreisen war ausgesprochen ungünstig und verschlechterte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts fortwährend. Nach einer 30 31

Vgl. R. Wittmann: Die frühen Buchhändlerzeitschriften, Sp. 772-775. Vgl. R. Wittmann: Der lesende Landmann, S. 4ff.

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zeitgenössischen Berechnung hat sich der Durchschnittspreis eines Buches im Umfang eines Alphabets (23 Bogen) zwischen 1750 und 1800 von 4 Groschen auf VA Reichsthaler, also 36 Groschen erhöht. Dem entsprach jedoch keine vergleichbare Steigerung der Einkommen: Immanuel Kant hat um 1780 als Königsberger Universitätsprofessor beispielsweise 400 Thaler im Jahr verdient und ist damit durchaus repräsentativ für die gelehrte Oberschicht seiner Zeit. Aus der Diskrepanz zwischen Einkommen und Lesebedürfnis fand sich der Ausweg der Leihbibliothek, also des kommerziellen Unternehmens eines Buchhändlers, oder aber der auf privater, nichtkommerzieller Basis geführten Lesegesellschaft. Es ist bezeichnend, daß gerade in Nordost- und Südosteuropa zahlreiche Buchhandlungen ihrem Sortiment eine Leihbibliothek bereits im 18. Jahrhundert angliedern. So kündigt die schon mehrmals genannte Buchhandlung Gromen, Barth und Gänselmayer in Hermannstadt in ihrem Katalog an: »Man wird die meisten Bücher aus dieser Handlung denen Liebhabern gegen Einlage des Werthes zu lesen überlassen, wenn es denenselben beliebet wöchentlich 6 oder monatlich 20 Xr für das Lesen zu bezahlen«. Das gesamte Sortiment stand also zur Ausleihe bereit. 3 2 Wichtiger aber noch als die Leihbibliotheken, die ihre eigentliche Blütezeit im Osten erst im 19. Jahrhundert erlebten, waren für die literarische Kommunikation die Lesegesellschaften, Zentren bürgerlicher Emanzipation und aufklärerischer Bestrebungen, Vorformen politischer Öffentlichkeit. Es seien nur einige Lesegesellschaften aus den uns hier interessierenden Regionen genannt: mehrere in St. Petersburg und Königsberg, in Re val und Riga, einzelne in Oberpahlen und Insterburg, in Mitau und Libau, in Gumbinnen sowie zahlreiche kleinere Predigerlesekonventikel in Ostpreußen. In Hermannstadt werden nach 1784 zwei Lesegesellschaften gegründet, 3 3 ebenso in Sächsisch-Regen und Mühlbach in Siebenbürgen; in Schlesien und der Lausitz sind zahlreiche Institute dieser Art bekannt. Ihre Buchbestände waren oft von erstaunlichem Umfang und Qualität. Falls tatsächlich einmal ein literarisches Ereignis ersten Ranges auf den Buchmarkt kam, konnten gerade im Osten die Interessenten zu Opfern bereit sein: Auf Klopstocks nicht gerade billige »Deutsche Gelehrtenrepublik« pränumerierten unter anderem 20 Personen in St. Petersburg, und der baltische Raum hatte besonders viele Pränumeranten aufzuweisen, nämlich 300, wovon allein der Mitauer Pastor Rosenberger 155 gesammelt hatte. Dies wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Gruppenmentalität der Gelehrtenrepublik gerade in diesen Randprovinzen. 3 4 P a ß sich auch die Buchhändler ihrem Selbstverständnis nach zu 32 33

34

F. Teutsch: Siebenbürgen, S. 140. Vgl. Heinz Stanescu: Deutschsprachige wissenschaftliche und Lesegesellschaften der achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts in Siebenbürgen und im Banat. In: Wissenschaftspolitik in Mittel- und Osteuropa. Wissenschaftliche Gesellschaften, Akademien und Hochschulen im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. Hrsg. Erik Amburger, Michal Ciesla und László Sziklay. Berlin 1976, S. 187-195. Vgl. Heinz Ischreyt: Ich bliebe aber gerne in Deutschland. Bemerkungen zur Gruppenmentalität in der »Gelehrenrepublik«. In: Deutsche Studien, H. 46, 1974, S. 116-126.

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dieser Gelehrtenrepublik und intellektuellen Elite zählten, ist naheliegend. Darüber hinaus aber konnten sie ihre soziale und geschäftliche Stellung erheblich durch Zugehörigkeit oder Querverbindungen zu anderen exklusiven Gruppen fördern: Das livländische und kurländische Verlagswesen des 18. Jahrhunderts war eng mit der Freimaurerei verflochten. 35 Dem entspricht das rege Interesse, das zahlreiche Buchhändler der Habsburger-Monarchie dem merkwürdigen Projekt der »Deutschen Union« von Bahrdt entgegenbrachten, die den gesamten Buchmarkt unter ihre Kontrolle zu bringen trachtete. Vor allem Georg Philipp Wucherer in Wien warb für die »Deutsche Union« in Ungarn, Illyrien und Siebenbürgen, ihr gehörten Hochmeister ebenso an wie Penzel in Krakau, der später Professor der Beredsamkeit in Laibach wurde. Für die Bibliotheken solcher Logen und Zirkel wurden oft erhebliche Beträge ausgegeben. Doch davon abgesehen, waren größere Summen für Bücherankäufe nur beim Adel verfügbar. Tatsächlich scheint der allergrößte Teil der deutschen literarischen Sortimentsbestände im Osten in Adelsbibliotheken gewandert zu sein. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein galten die baltischen und ungarischen Landedelleute als verläßlichste Abnehmer deutscher Belletristik. Aber all dies ist im einzelnen hier nicht nachzuweisen und zu belegen. Denn so sehr man die Voraussetzungen für das aufklärerische Wirken des Buchhandels als Kommunikationsmedium im Mittel- und Osteuropa des 18. Jahrhunderts andeuten und umreißen kann - seine konkrete Arbeit und ihre Ergebnisse aufzuzeigen, muß detektivischer Kleinarbeit vorbehalten bleiben.

35

Vgl. Heinz Ischreyt: Die Königsberger Freimaurerloge und die Anfänge des modernen Verlagswesens in Rußland zu Beginn der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Rußland und Deutschland (Festschrift für Georg von Rauch). Hrsg. U. Liszkowski. Stuttgart 1974, S. 108-119. = Kieler Historische Studien, Bd. 22.

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Das Literarische Leben 1848 bis 1880

Der Buchhandel

In der Entwicklung des herstellenden und vertreibenden Buchhandels (Verlag und Sortiment) zwischen etwa 1830 und 1880 markiert das Jahr 1848 zwar einen deutlichen Einschnitt, es steht jedoch nicht am Beginn gänzlich neuer Tendenzen. Das Buchwesen vom Vormärz bis zur Gründerzeit erscheint von zwei fundamentalen Problemen geprägt: der Auswertung technischer Innovationen, die jetzt erst ermöglichten, Buch und Presse zum - vorerst einzigen - Massenkommunikationsmedium werden zu lassen, und den sehr heterogenen und differenzierten Versuchen, die breitgefächerten Lesebedürfnisse eines anonymen, sich stetig ausdehnenden Publikums zu befriedigen. Schon das Entstehen einer deutschen Nationalliteratur im 18. Jahrhundert, die »Leserevolution«, von der insbesondere bürgerliche und später auch kleinbürgerliche Schichten erfaßt wurden, sowie die Emanzipation des freien Schriftstellertums hatten den seit Jahrhunderten kaum veränderten Buchhandel stark beeinflußt. Mit dem Übergang vom Tausch- zum Netto- und Konditionshandel und der damit verbundenen allmählichen Trennung von Verlag und Sortiment war bereits vor 1800 eine Vielzahl von Bedrohungen des traditionellen literarischen Marktes aufgetreten, etwa Nachdruck, Subskriptions- und Pränumerationsunwesen, Selbstverlagsbestrebungen, Überproduktion, Marktbeherrschung der Leipziger Großverleger und Niedergang der Provinzfirmen vor allem des Südens. Abhilfe erhoffte man sich von einer korporativen Gliederung des deutschen Buchhandels, die nach langen Vorbereitungen 1825 endlich mit der Gründung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig erreicht schien. Doch als 1834 die erste Nummer des Fachorganes Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel herauskam, mußte der programmatische Eröffnungsartikel von F. C. Perthes eingestehen, daß an seinem Stande, dem »Träger deutscher Wissenschaftlichkeit, Gründlichkeit und Gediegenheit« sich neuerdings erschreckende Verfallserscheinungen bemerkbar machten: »Es ist das Versinken in den Dienst der Seichtigkeit, der Oberflächlichkeit, der Vielwisserei, des Bilderkrames unter der täuschenden Firma der Volksbildung nur um des Geldes willen!«1 1

[Friedrich Christoph Perthes): Die Bedeutung des deutschen Buchhandels, besonders in der neuesten Zeit. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 1834, Nr. 1 (zit. nach F. C. Perthes: Der deutsche Buchhandel als Bedingung des Daseins einer deutschen Literatur, hg. G. Schulz. Stuttgart 1967, S. 52).

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Was dem großen alten Mann des deutschen Buchhandels und mit ihm der konservativen Mehrzahl seiner Berufskollegen so bedrohlich erschien, waren die Konsequenzen, die einige unternehmende Verleger aus der technischen Entwicklung und den sozialen Umwälzungen zogen. Erstmals seit Gutenberg besaß der Buchhandel nun die Möglichkeit, seine Erzeugnisse, die bisher einer intellektuellen Minderheit vorbehalten waren, relativ billig in großen Auflagen einem potentiell unbegrenzten Publikum zu verkaufen - er trat in seine hochkapitalistische Phase. Die allgemeine Ursprungsphase der Industrialisierung in Deutschland bezeichnet auch den Beginn einer eigentlichen Kulturindustrie. Während die literarische Produktion scheinbar noch gänzlich individuelle Tätigkeit bleibt, werden bereits Ansätze sichtbar, das einzelne Werk unter dem Aspekt seiner Marktchancen zu standardisieren und seine Distribution zu rationalisieren. Die Buchherstellung wird in allen ihren Bereichen industrialisiert. 1818 wird in Berlin die erste Papiermaschine mit Dampfbetrieb aufgestellt, die die zehnfache Tagesproduktion herkömmlicher Papiermühlen bei verbesserter Qualität und billigerem Preis erreicht. 1844 löste die Holzschliffbereitung das Rohstoffproblem des steigenden Papierbedarfs, senkte freilich teilweise die Qualität des Produktes. Die fünfziger und sechziger Jahre sind berüchtigt für die stark holzhaltigen, schnell zerfallenden und vergilbenden Papiere, mit denen zahlreiche Verleger ihre Herstellungskosten wesentlich reduzierten. Erst mit der Einführung der Zellulose in den siebziger Jahren wurde die Papierqualität allgemein wieder besser - die weitgehende Geringschätzung der Ware und des Kulturgutes Buch zwischen 1848 und den Gründerjahren ist auch daran zu erkennen. Das Ansteigen des Papierbedarfes läßt sich an der Zahl der Beschäftigten in der papiererzeugenden und -verarbeitenden Industrie ablesen: von 23000 Personen im Jahr 1849 stieg sie bis 1861 auf 45000 und bis 1882 auf 102000. 2 Die Verarbeitung dieses billigen und nun erst in fast unbegrenzten Mengen vorhandenen Papiers wurde durch die Erfindung der König'schen Schnellpresse wesentlich erleichtert: in den zwanziger Jahren in Deutschland eingeführt, ermöglichte sie eine Vervielfachung der Druckgeschwindigkeit und wurde fortwährend in ihren Leistungen verbessert. Stereotypie und Galvanoplastik, neue Illustrationsverfahren wie Lithographie, Stahlstich und Photographie neben dem zu neuer Blüte kommenden Holzschnitt sowie die stete Weiterentwicklung des Zeitungsdruckes (1872 erste dt. Rotationspresse) sind weitere Stichworte für die potenzierten technischen Kapazitäten des Buchgewerbes im Zeichen der Industrialisierung. Die spekulative Anwendung dieser neuen Möglichkeiten ist exemplarisch sichtbar bei drei vormärzlichen Verlegern, deren Wirkung teilweise bis ans Ende des

2

Zahlen nach W. Hoffmann: Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1965, S. 197. Die Gesamtzahl der in Industrie und Handwerk Beschäftigten stieg im selben Zeitraum von 3396000 auf 5580000. Zur technischen Entwicklung im Buchwesen des 19. Jahrhunderts vgl. ausführlich Joachim Kirchner: Das deutsche Zeitschriftenwesen II (1962), S. 431^150.

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Jahrhunderts reichte: Friedrich A. Brockhaus mit seinem Conversationslexikon, Carl. J. Meyer mit seiner Groschenbibliothek und F. G. Franckh mit seinen Übersetzungsreihen. Daß das Brockhaus'sche Conversationslexikon Bildung als Mittel sozialen Aufstiegs zu einem niedrigen Preis gerade von der Zeit der Befreiungskriege an bot, als das ständische System sich allmählich auflöste, das Bürgertum sein politisches Selbstbewußtsein erlangte und intellektuelle Hilfen suchte, trug zu seinem Erfolg entscheidend bei. Während die erste Auflage in sechs Bänden 1809 nur 2000 Exemplare betrug, belief sich die 5. von 1818-23 auf 32000 Exemplare, der zahlreiche in ähnlichem Umfang folgten. Nach Absatz der 11. Auflage in 15 Bänden (1864-68) war das Werk in insgesamt über 300000 Exemplaren verbreitet. 3 Erstmals hatte damit ein mehrbändiges Werk anspruchsvolleren Inhalts Massenauflagen erreicht. Zahlreiche Nachahmungen und Konkurrenzunternehmen erzielten ähnliche Erfolge. Welche Schichten diese Lexika und Realenzyklopädien hauptsächlich rezipierten, ist nicht mehr zu belegen; Rückschlüsse lassen sich jedoch aus einer Statistik vom Ende des Jahrhunderts ziehen, die als Abnehmer beim Kolportagevertrieb des Meyer'schen Conversationslexikons 38% Beamte, 15% Militärs, 13% Lehrer, 17% Kaufleute, 5% Gutsbesitzer, 3% Künstler, 3% Privatiers, je anderthalb Prozent Ärzte und Studierende sowie 1% Rechtsanwälte nennt, 4 also ausschließlich Bildungs- und Besitzbürgertum. Über die mit den Konversationslexika angesprochenen Kreise hinaus reichte der Erfolg der 1826 begründeten Miniaturbibliothek deutscher Classiker von Carl J. Meyer (1796-1856). Ähnliche nur notdürftig kaschierte Nachdrucksunternehmen - die Klassiker waren ja noch bis 1867 (s. u.) verlagsrechtlich geschützt - , denen auf Grund der komplizierten juristischen Verhältnisse nur schwer beizukommen war, hatte es bereits zuvor vereinzelt gegeben. 5 Aber erst die unkonventionellen Verbreitungsmethoden Meyers, vom soliden Buchhandel mit Neid und Entrüstung abgelehnt, wandten sich ausdrücklich an »alle Stände«, nicht nur an ein literarisch vorgebildetes Publikum: ein äußerst billiger Preis des Einzelbändchens (2 gGr.), das liberale Motto »Bildung macht frei!« auf jedem Umschlag und vor allem der erste massive Einsatz moderner Reklamestrategie. Durch ein Heer 3

Vgl. Johann Goldfriedrich: Geschichte des Deutschen Buchhandels vom Beginn der Fremdherrschaft bis zur Reform d. Börsenvereins im neuen Deutschen Reiche (1805-1889). (Friedr. Kapp/Joh. Goldfriedrich: Geschichte d. Dt. Buchhandels IV) Leipzig 1913, S. 202f.; R.J. George: Deutsche Buchhändler. 8. F. A. Brockhaus. In: Deutsche Buchhändler-Akademie 3 (1886), S. 241-257, 307-322, 356-373, 497-512, hier S. 317ff. 4 Karl Heinrici: Die Verhältnisse im dt. Colportagebuchhandel. In: Untersuchungen über die Lage des Hausiergewerbes (Schrr. d. Vereins für Sozialpolitik 79), Leipzig 1899, S. 183-234, hier S. 197f. 5 Z . B . die »Etui-Bibliothek der deutschen Classiker« (1815-27), die unter Deckfinnen erschien und wohl von Schumann in Zwickau herausgebracht wurde. Sie umfaßte 100 Bändchen zu je 130-160 Seiten im winzigen 32°-Format, die jeweils 9 gGr kosteten. Nicht angreifbar waren »Auswahl«-Ausgaben, die keine kompletten Werke enthielten. Auch Meyers Edition trug eher anthologischen Charakter. 113

von Kolporteuren wurden Anzeigen »zu Millionen von Haus zu Haus verbreitet und fast jede dritte oder vierte Anzeige kam mit einer Bestellung zurück«. 6 Das Lieferungswerk selbst erschien auf Subskriptionsbasis in einer geschätzten Auflage von mehreren hunderttausend Exemplaren. Bis in die fünfziger Jahre folgen mit ähnlich hohen Auflagen nach demselben Erfolgsrezept eine Groschen-, Cabinetts-, Hand- und Familien-Bibliothek (diese mit dem Motto: »Deutsche Hausmannskost dem deutschen Geiste«), Damit hatte Meyer den Beweis erbracht, daß das potentielle literarische Publikum einen beträchtlichen Teil der Gesamtbevölkerung umfaßte - und daß diese meist dem unteren Mittelstand bzw. aufstiegshungrigen Kleinbürgertum entstammenden Leser vom herkömmlichen Buchhandel nicht erreicht werden konnten. Unterhalb des traditionellen buchhändlerischen Distributionssystems, teilweise auch mit diesem verflochten (s. das Kapitel »Kolportage«), entstand ein bislang kaum erforschter Bereich von Unterhaltungsund Bildungskommunikation, der nach 1848 auch politische Implikationen erhielt (sozialdemokratische Kolportage). Meyers »Bibliographisches Institut« in Hildburghausen war der erste kapitalistische buchgewerbliche Großbetrieb, sein Gründer der Protoyp eines neuzeitlichen »speculativen« - so die übliche abschätzig-neidvolle Bezeichnung - Verlegers, der sich nicht auf Bedarfsdeckung beschränkte. Als Zentrum dieser »speculativen Richtung« des Verlagshandels galt im Vormärz auf Grund der großzügigen württembergischen Gesetzgebung Stuttgart. Dort brachten 1827, ein Jahr nach dem Beginn der Meyerschen Miniaturbibliothek, die Gebrüder Franckh eine Ausgabe von Walter Scotts Romanen in Lieferungsbändchen zu je 8 Bogen heraus, die einzeln 2Ά Sgr. kosteten. Ein ganzer Roman war somit für 15-20 Sgr. zu haben, während er bisher 3-5 Thaler gekostet hatte. Leute die früher nie Bücher gekauft hatten, wurden dadurch verlockt; es war ein ordentliches Drängen und Stürmen nach den Buchläden und Franckh soll in Folge dieser Speculation in der nächsten Ostennesse einen Nettogewinn von mehr denn 100000 Gulden gehabt haben. 7

Da Übersetzungen wegen fehlender internationaler Urheberrechtsvereinbarungen mit keinerlei Autoren- oder Lizenzhonoraren belastet waren, konnte Franckh den Erfolg mit mehreren anderen ähnlichen Reihen fortsetzen, darunter einer von Carl Spindler 1843-1865 herausgegebenen Kabinettsbibliothek der classischen Romane aller Nationen mit dem Gesamtitel Das belletristische Ausland. Auch hier kostete jeder Band mit ca. 100 Seiten nur 6 xr. oder 2 Ngr. - weniger als dessen Ausleihe in einer Leihbibliothek. Die insgesamt 3618 Nummern fanden bis zu 15000 Subskribenten. Darunter befanden sich u. a. Werke von den beiden Dumas, Eugène Sue, George Sand, Alfred de Vigny, Α. Lamartine, Charles Dickens, George Eliot, W. M. Thackeray, Harriet Beecher-Stowe, Alessandro 6

[August Prinz]: Der Buchhandel vom Jahre 1815 bis zum Jahre 1843. Altona: VerlagsBureau 1855, S. 16. 7 Ebda., S. 14.

114

Manzoni und Hendrik Conscience. Mehrere andere Verleger brachten ähnliche Reihen auf den Markt: so ließ auch Anton Philipp Reclam 1844-47 eine Wohlfeile Unterhaltungsbibliothek für die gebildete Lesewelt in Bänden zu 5 Ngr. erscheinen, die leichteste Kost à la E. M. Oettinger und Paul de Kock enthielt. Der überwiegende Teil des verlegenden und verbreitenden Buchhandels, aber auch die literarische Kritik sahen solche billigen belletristischen Übersetzungsreihen mit Argwohn: Jedes Nähtermädchen kann sich für ein paar Thaler eine Bibliothek klassischer Romane anschaffen. Unnatürlich schnell hat sich die Sucht nach dieser Art von Dichtungen verbreitet, und hunderttausend Menschen haben jetzt durch diese Groschenbibliotheken einen Maßstab erhalten, nach welchem sie eigensinnig unsere deutschen Produkte messen.8

Das entscheidende Problem ist hier angedeutet: die deutsche Originalliteratur mußte gegenüber dem billigen Ausstoß solcher Übersetzungsfabriken ins Hintertreffen geraten. Bis zum Berner internationalen Urheberrechtsabkommen von 1886 blieben Übersetzungen meist konkurrenzlos preiswert - und die Versuche deutscher Romanreihen zu billigen Preisen (s. u.) nur selten erfolgreich. Die Folgen für die Situation des literarischen Autors waren dementsprechend ungünstig. Im Zeichen wachsender Politisierung des öffentlichen Lebens zur vormärzlichen Zeit traten neben die billige Belletristik eine Flut von Broschüren, Flugschriften, Pfennigmagazinen und Journalen (s. u.), aber auch Rottecks erst jetzt erfolgreiche, in einer Volksausgabe (Hefte à 5 Sgr.) erscheinende Weltgeschichte, deren erste Auflage mehr als 20000 Exemplare umfaßte und illustrierte populärwissenschaftliche Lieferungswerke aller Art - stets in spekulativer Absicht: Auflagen, die man früher auf 1000 oder 1500 beschränkte, erhöhte man jetzt gleich von vornherein, und wir sahen Auflagen von 15000 bis 20000 Exemplaren machen.10

Wie entwickelte sich dieser grob skizzierte vormärzliche Buchmarkt nach 1848 weiter? Welche Wirkung übten die politischen, sozialen und ökonomischen Umwälzungen auf Buchproduktion und -distribution bis 1880 aus? Eine erste Antwort auf solche Fragen bietet der folgende statistische Überblick: er stellt erstmals die Gesamtzahl der jährlich erschienenen Werke neben die Produktionsziffern der Schönen Literatur - Romane, Dramen, Lyrik - und der Volksschriften, 11 die ab 1851 ermittelt werden konnten. 8

Wilh. Hauff: Die Bücher und die Lesewelt (Sämtüche Werke, hg. Gustav Schwab, Stuttgart 1877, Bd. 4, S. 278). 9 [A. Prinz]: Der Buchhandel, S. 25f. 10 Ebda., S. 41. 11 Als Quelle diente die alljährliche von der J. C. Hinrichs'schen Buchhandlung im »Börsenblatt für den deutschen Buchhandel« veröffentlichte »Systematische Übersicht der literarischen Erzeugnisse des deutschen Buchhandels«. Die deutschsprachige Buchproduktion Österreich-Ungarns und der Schweiz ist dabei eingeschlossen, soweit sie über Leipzig vertrieben wurde, also auch im Deutschen Reich Absatz fand.

115

Die deutsche Buchproduktion 1840-1880

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Jahr

Gesamtzahl

Schöne Literatur

1840 10808 1841 993 11080 1842 12509 1843 14039 1844 13119 1845 13008 1846 10536 1847 10684 1848 9942 1849 8197 1850 9053 1851 829 8326 1852 844 8857 1853 8750 908 1854 8705 848 1855 8794 887 1856 8540 945 1857 950 8699 1858 8672 888 1859 8666 913 1860 9496 936 1861 9566 908 1862 9779 916 1863 956 9889 1864 9564 971 1865 9661 935 1866 704 8669 1867 9855 852 1868 10563 958 1869 11305 999 1870 10108 739 1871 10669 950 1872 11127 998 1873 11315 948 1874 12070 912 1875 1061 12516 1876 13356 1070 1877 1126 13925 1878 13912 1181 1879 14179 1170 1880 14941 1209 1881 15191 1226 1882 14794 1260 1883 14802 1207 (zum Vergleich Bundesrepublik einschl. Berlin-West:) 1979 62082 12453

Volksschriften

167 175 171 158 168 134 135 135 209 224 195 205 214 196 212 165 212 237 335 271 236 209 205 388 471 547 540 715 642 657 639 654 724

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Der Buchhandel befindet sich zwischen 1848 und 1880 offensichtlich in einer schweren Absatzkrise: erst 1879 wird der 1843 bereits erreichte Stand von Neuerscheinungen wieder eingeholt und übertroffen. Schon in den Jahren unmittelbar vor der Revolution scheint sich im Rückgang der Produktionsziffern vorzubereiten, was die Ereignisse von 1848/49 für das Lektüreverhalten bedeuteten: Privatleute, welche sonst größere Summen auf Bücher verwandten, kauften nichts und lasen nur Zeitungen. Hierdurch trat nicht nur eine momentane Stockung ein, sondern auch das Schlimmste, daß die Käufer sich des Kaufens für längere Zeit entwöhnten und erst später anfingen Anschaffungen zu machen. Die reichen Leute, welche sonst Bücher kauften, hielten ihr Geld fest, da sie stets einen Umsturz erwarten, der sie am Ende nöthigen könnte, das Land zu verlassen [ . . . ] Die Zeitungspresse nahm Alles in Anspruch, es hatte Niemand Zeit etwas Anderes zu lesen als Zeitungen [ . . . ] . 1 2

Während die Wirtschaft in der Reaktionszeit bereits einen ersten »Gründerrausch« erlebt, vermag sich der Buchhandel nur sehr langsam zu erholen: im gesamten folgenden Jahrzehnt steigt die Produktion kaum an. Entsprechend niedrig liegen Autorenhonorare und Auflagenziffern vor allem der Schönen Literatur (s. u.). Der schnelleren Ausweitung des Marktes mit dem Beginn der Neuen Ära in Preußen setzt erst der Preußisch-Österreichische Krieg ein Ende, der die Krisenanfälligkeit der Buchproduktion erneut bewies und »die in Decennien mühsam entwickelte vortreffliche Organisation unseres Standes mit eherner Ferse zermalmt und auf die primitiven Zustände des vorigen Jahrhunderts zurückgeschleudert« hat. 13 Doch bereits vom folgenden »Klassikerjähr« 1867 an beginnt der Anstieg erneut und scheint auch vom Krieg 70/71 und den Gründerkrisen nur unwesentlich gehemmt zu werden. Während des gesamten Zeitraums nimmt die Schöne Literatur der Titelzahl nach mit etwa 8 bis 10% Anteil am Gesamtbüchermarkt den vierten Rang unter den einzelnen Sachgebieten ein: in den fünfziger Jahren ist die Vorherrschaft der theologischen und erbaulichen Werke noch immer ungebrochen - fast jedes sechste erscheinende Buch zählt zu ihnen. Ihnen folgen die Pädagogica (Erziehungs- und Schulbücher, Jugendschriften etc.) mit etwa einem Achtel der Neuerscheinungen sowie Jurisprudenz und Literatur mit etwa gleichen Anteilen. Erst ab 1872 ändert sich diese Rangordnung: die pädagogische Literatur hat die religiöse überflügelt, Jurisprudenz (mit Politik und Statistik) rückt auf den zweiten Platz vor und die Schöne Literatur liegt nur knapp hinter der Theologie an vierter Stelle. Über die Relation der Auflagenhöhen ist freilich nichts mehr zu ermitteln. Diesem - verglichen mit den Zuwachsraten anderer Sparten während der »industriellen Revolution« - relativ bescheidenen Produktionsanstieg stand eine sehr starke Ausweitung des herstellenden und vertreibenden Buchhandels gegenüber. Die Zahl der Sortimentshandlungen (teilweise mit eigenem Verlag und 12

13

[A. Prinz]: Der Buchhandel vom Jahre 1843 bis zum Jahre 1853. Hamburg u. Altona: Verlags-Bureau 1855, S. 26f. und 28. Vgl. J. Goldfriedrich: Geschichte, S. 294. Otto Mühlbrecht: Die politisch-historische Literatur d. J. 1866. In: Börsenblatt f. den deutschen Buchhandel 1867, Nr. 17, S. 158.

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angegliederten Leihbibliotheken, Antiquariaten, Schreib Warenhandlungen etc.) stieg von 887 im Jahr 1843 auf 1325 im »Klassikerjahr« 1867 und auf 3375 bis 1880. Die eigentlichen Buchverlage vermehrten sich allein zwischen 1865 und 1880 von 668 auf 1238. 1869 gab es in Berlin 99 Sortimentshandlungen, in Leipzig 88, Hamburg 36, Wien 35, Breslau 26, Dresden und Prag je 24, Frankfurt/M. 22, München 20 und Stuttgart 19. Von den insgesamt 1515 deutschen Sortimentshandlungen im selben Jahr besaß Preußen 826 (54,5%), das Königreich Sachsen 207 (13,6%) und das Königreich Bayern 152 (10,0%). 14 Am Ende des hier behandelten Zeitraums -1880 - bietet sich folgendes Bild der wichtigsten buchhändlerischen Geschäftszweige: 1238 reine Buchverlage, 218 Kunstverlage, 120 reine Antiquariate, 3375 Sortimentshandlungen, teilweise mit beträchtlichem eigenem Verlag, großenteils mit angegliedertem Antiquariats-, Kunst-, Musikalien-, Landkarten- und Papierwarenhandel, 1056 Leihbibliotheken, 642 Journal-Lesezirkel, 704 Kolportagesortimenter, zum Teil mit Kolportageverlag und 152 reine Kolportage Verleger. Diese strukturelle Unausgewogenheit des Buchmarktes - Distribution einer relativ geringen Produktion durch eine Überzahl leistungs- und kapitalarmer Kleinfirmen an eine weitgehend kaufkraftschwache, zurückhaltende Käuferschicht - war zu einem beträchtlichen Teil in der Organisation der buchhändlerischen Usancen und Betriebsformen begründet. Bis gegen 1880 bestand zwischen Verleger und Sortimenter der Verkehr pro novitate bzw. à condition: jede Neuerscheinung wurde vom Verlag sämtlichen Buchhandlungen, sofern sich diese die Belieferung nicht ausdrücklich verbeten hatten, zugesandt, die ihrerseits die erhaltenen Exemplare größtenteils an ihre Kunden als Ansichtssendung weitergaben. Was der Sortimenter nicht verkaufte, konnte er zu einem vereinbarten Termin (meist der folgenden Messe) entweder remittieren oder für eine weitere Frist disponieren. Von den Frachtspesen abgesehen, war dieser Verkehr zunächst völlig bargeldlos. Für den Verleger - und Autor - schien damit ohne Werbeaufwand eine optimale Verbreitungschance gewährleistet: Die Sitte der Versendung pro novitate ist der stärkste Pfeiler eines ächt republicanischen Geistes in unserer Gelehrtenwelt, denn jedem jungen Schriftsteller, auch den namenlosen, wird hiedurch die Möglichkeit gegeben mit seinem Werke an die Einsicht des gesammten urtheilsfähigen Publicums zu appelliren.15

Der Sortimenter seinerseits benötigte wenig Betriebskapital, riskierte nichts als die Transportkosten für die Remission, konnte aber ohne größeren finanziellen Aufwand bei Absatz des Exemplares den Rabatt verdienen. Nahezu einzige Vertriebsform des üblichen Sortiments war die Ansichtssendung - der Anteil der

14

Zu den Zahlen vgl.: Allgemeine Preß-Zeitung IV (1843), Nr. 22, Sp. 689ff.; Heinr. Pfeil: Archiv für Buchhändler 1 (1868), S. 76f. ; Ad. Büchting: Zur Statistik des Buchhandels. In: Börsenblatt f. d. deutschen Buchhandel 1869, Nr. 208, S. 2870; J. Goldfriedrich: Geschichte, S. 491f. 15 Die Organisation des deutschen Buchhandels. In: (Augsburger) Allgemeine Zeitung 1852, Beil. 217, S. 3456-66, hier 3465.

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Ladenverkäufe war gering und bestand meist aus Geschenkliteratur und Gebetbüchern. Insbesondere in Klein- und Mittelstädten wurde jeder potentielle Bücherkäufer des gehobenen Bürgertums mit unverlangten Sendungen »zur gefälligen Einsicht« eingedeckt, nicht selten von mehreren Firmen gleichzeitig. Dabei kamen die Bücher natürlich oft aufgeschnitten bzw. gelesen zurück, ohne jedoch bestellt zu werden. Zwar sollen noch Mitte der sechziger Jahre etwa drei Fünftel des Sortimentsabsatzes allein durch Ansichtssendungen erzielt worden sein,16 aber diese Vertriebsmethode wurde immer weniger gewinnbringend: Man hat nachgerechnet, daß ein bedeutender Gelehrter [ . . . ] mehrere Jahre hindurch Bücher im Betrage von 500-600 Thaler zugeschickt erhielt [ . . . ] Von diesen behielt er jährlich etwa für 15-20 Thaler und verband damit den Anspruch, daß ihm die bibliographischen Hilfsmittel gratis verabfolgt würden. 17

In den Gründerjähren machten immer mehr Sortimenter davon Gebrauch, ihren Bedarf an Neuerscheinungen durch sog. »Wahlzettel« selbst zu bestimmen und mit den Verlegern als Rechnungsart Festbezug (das gelieferte Buch war dann auf der folgenden Messe zu bezahlen) oder Barbezug (Zahlung nach Erhalt) zu vereinbaren. Das brachte günstigere Rabattsätze mit sich: statt 15-20% bei Konditionsbezug (bei gangbaren Werken oft nur 10%, teilweise wurden mutmaßliche >Bestseller< nur gegen Festbestellung abgegeben) waren bei Festbezug Viertelrabatt (25%) und bei Barbezug Drittelrabatt (33/3%) üblich, wozu noch Freiexemplare und günstige Partiepreise bei größeren Bestellungen kamen. Der Sortimenter, beim Konditionsverkehr wenig mehr denn Büchervermittler zwischen Verleger und Käufer, war nun bei der Zusammenstellung seines Angebotes weitgehend auf den eigenen Spürsinn und vor allem die Reklame der erst jetzt zu Werbemaßnahmen größeren Umfangs genötigten Verleger angewiesen. Gleichzeitig verlor die langfristige Lagerhaltung wegen der verbesserten Verkehrs- und Transportverhältnisse bei Eisenbahn und Post an Bedeutung. Zahlreiche Sortimenter gingen dazu über, nur mehr ein kleines Lager von gängigen Artikeln, Schulbüchern und Geschenkliteratur zu halten und alles übrige auf Anforderung des Kunden zu bestellen. Die ab 1852 aufkommenden Barsortimente verstärkten diesen Trend, indem sie die von den Verlegern durchwegs nur broschiert gelieferten Exemplare (Innungszwang und fehlende Gewerbefreiheit verhinderten großenteils bis gegen 1870 den Verlegereinband) auf eigene Kosten in großen Partien binden ließen und dann den Sortimentern anboten. Da solche Barsortimente meist von den Leipziger Kommissionären betrieben wurden - die den noch immer über die Buchhandelsmetropole Leipzig laufenden Geschäftsverkehr zwischen Verleger und Sortimenter mit umfangreichen Lagern betreuten - , bildete sich eine wachsende Monopolisierung des Kommissionswesens und eine starke Abhängigkeit sowohl des herstellenden wie vertreibenden Buchhandels von diesen Zwischen- und Großhändlern heraus.

16

Vgl. J. Goldfriedrich: Geschichte, S. 384, S. auch [A. Prinz]: Der Buchhandel v. J. 1815 bis z. J. 1843, S. 52. 17 J. Goldfriedrich: Geschichte, S. 443.

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Bedrohlicher noch war für den traditionellen Buchhandel das Entstehen einer nach rein kommerziellen Prinzipien aufgebauten Konkurrenz: der »modernen Antiquariate« und »Schleuderer«. Die technischen Möglichkeiten relativ billiger Massenauflagen verführten die Verleger zu deren exzessiver Anwendung, was durch den nach 1848 vorherrschenden Konditionsverkehr mit der Versendung an sämtliche deutsche Buchhandlungen unterstützt wurde: Jeder hoffte den Verlust des vorhergehenden Unternehmens durch das neue zu decken und ritt sich immer weiter hinein. 18

Die Zahl von Remittenden und unverkauften Auflagenresten wuchs. Die früher übliche Makulierung solch toten Kapitals brachte (nicht zuletzt wegen der schlechten Qualität des Holzpapiers) wenig Ertrag; immer mehr Verlage gingen dazu über, Restauflagen zu Spottpreisen an Büchertrödler und Antiquare abzugeben, so daß meist nach Ablauf des »Novitätenjahres«, ja oft schon wenige Monate nach Erscheinen der Ladenpreis praktisch aufgehoben war. Angesichts der hohen Bücherpreise richteten sich die Käufer sehr schnell darauf ein - zum Schaden des Sortiments: Der gemeine Buchhändler ist der Hauptsache nach nur dazu da, die neuen Bücher durch Versendung bekannt zu machen. Was seinem Kunden davon gefällt, notirt sich dieser und bestellt es sich vom Antiquar, sobald er es in einem antiquarischen Cataloge findet. 19

Auch renommierte Verlage wie Brockhaus und Cotta gewöhnten sich daran, den Absatz eines beträchtlichen Auflagenteils durch die modernen Antiquariate von vornherein fest mit einzukalkulieren. Verglichen mit der im wesentlichen auf Ansichtssendungen an feste Kunden beschränkten Verkaufswerbung des traditionellen Sortiments suchten die modernen Antiquare den Absatz ihrer Bücher mit unkonventionellen Mitteln zu steigern: Geschickt aufgemachte Inserate, Kataloge in hohen Auflagen, Massenversendungen von Circularen in Zusammenarbeit mit dem Verleger usw. Nicht nur Privatkunden, sondern auch Leihbibliotheken - die Hauptabnehmer für Belletristik - deckten ihren Bedarf oft auf diesem Weg. Aber auch bei Neuerscheinungen wurde der allgemeingültige feste Ladenpreis immer deutlicher zur Fiktion. Die seit langem geübte Gewohnheit mehr oder minder hoher Kundenrabatte von 10-20% wurde von großstädtischen »Schleuderern« konsequent weiterentwickelt. Auf der Basis massenhaften Absatzes bei höchstem Rabatt - nach 1867 unterstützt durch besonders günstige Pakettarife der Post expandierten vor allem Leipziger und Berliner Firmen entweder durch unmittelbaren Versand oder über ein Filialnetz von Buchbindern ihr Absatzgebiet bis in die entlegensten Provinzen. Solch umsatzintensive Firmen versandten umfangreiche Kataloge, worin Neuerscheinungen mit Rabatten von 20 und 25% angeboten wurden, ja teilweise aufgrund größerer Partiekäufe unterhalb des sonstigen Buchhandelsnettopreises.20 18 19

20

[A. Prinz]: Der Buchhandel v. J. 1854 bis z. J. 1855. Hamburg und Altona 1856, S. 37. Ernst Namenlos: Sein und Werden im dt. Buchhandel. Altenburg 1866 (zit. nach J. Goldfriedrich: Geschichte, S. 443). Vgl. J. Goldfriedrich: Geschichte, S. 498.

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So sehr Verleger und Käufer von diesen gründerhaften Geschäftsusancen zu profitieren schienen, so hilflos war die überwiegende Zahl der Sortimentshandlungen, die nicht selten aus Konkurrenzgründen Bücher unter ihrem eigenen Einstandspreis verkauften und die entstandenen Verluste durch Angliederung einer Leihbibliothek, Buchbinderei, Schreibwarenhandlung oder eines Kolportagevertriebs aufzufangen suchten. Die Zahl der Bankrotte und Fallissements im Buchhandel stieg abrupt an. Die Einführung der Gewerbefreiheit Ende der sechziger Jahre ermöglichte jedem Spekulanten ohne großen Kapitaleinsatz und Vorkenntnisse am Buchmarkt teilzunehmen. Gerade in der Provinz eröffneten auf Kosten der etablierten Firmen Kleinhandwerker »Buchhandlungen« wie diese in den Friedberger Wetterauer Nachrichten annoncierte: Der Unterzeichnete beehrt sich hiermit anzuzeigen, daß er neben seiner Schuhmacherei eine Buchhandlung betreibt [...] Die Schuhmacherei erleidet dadurch keinen Nachtheil und wird dieselbe in der seitherigen Weise weitergeführt [...] Auch alle socialistischen Schriften können, wenn verlangt, unter Discretion bezogen werden.21

Der herkömmliche Sortimenter, seinem Selbstverständnis nach uneigennütziger Vermittler deutscher Geisteskultur, war der Oligopolisierung durch straff organisierte Großfirmen, deren Reingewinn trotz niedrigster Preise ständig stieg, Jahrzehnte hindurch fast hilflos ausgesetzt und schien unfähig, sich dem Eindringen liberalistisch-kapitalistischer Strukturen in seinen Stand und dem industrialisierten Buchmark anzupassen. Dies drohte zur allmählichen Zerstörung des dichten Netzes konkurrenzfähiger Buchhandlungen im Reich zu führen. Der größte Teil des Umsatzes mit gangbaren »Brotartikeln« und Bestsellern wurde von den Versandgroßfirmen erzielt, die anspruchsvollere und wissenschaftlichere Literatur jedoch mußte weiterhin im individuellen Kundenkontakt distribuiert werden. Erst nach langwierigen Vorarbeiten, zahlreichen Fehlschlägen und endlosen Debatten einigten sich Verleger, Sortimenter und Großfirmen. Mit der sog. »Kröner'schen Reform« 1887 wurden ein in ganz Deutschland gültiger einheitlicher Ladenpreis für allgemein verbindlich erklärt und Zuwiderhandelnde von sämtlichen Verlagslieferungen und allen Einrichtungen der Standesorganisation ausgeschlossen.22 Dieser allgemein gehaltene, notwendigerweise oberflächliche Überblick über die wichtigsten Tendenzen des Buchmarktes zwischen 1848 und 1880 soll im folgenden differenziert und an Hand von exemplarischen Problemen vertieft werden: Versuche des traditionellen Buchhandels, neue Käuferschichten zu gewinnen und die bisherigen zu intensiverer Nachfrage zu stimulieren (»Bibliotheken« der 50er Jahre, Romanzeitung, Büchercollectionen, Klassikerjahr 1867, Prachtausgaben) 21

Zit. nach: Börsenblatt f. d. deutschen Buchhandel. 1878, Nr. 7, S. 93. Vgl. J. Goldfriedrich: Geschichte, S. 474f. und 490. 22 Zu diesem Komplex zahlreiche Artikel in fast jedem Jahrgang des Börsenblattes nach 1870, vor allem 1878/79 sowie die Aktenpublikation: Die Reformbewegung im Deutschen Buchhandel 1878-1889 (Publikationen d. Börsenvereins d. Deutschen Buchhändler XI). 3 Bde. Leipzig 1908-12.

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sowie die für das literarische Leben und den Buchmarkt dieser Zeit ebenso bedeutsame zweite Ebene literarischer Kommunikation: Leihbibliothek und Kolportagevertrieb. Die sehr prekäre Quellensituation und das fast völlige Fehlen von Vorarbeiten 23 erlauben auch hier nur ein Umreißen, nicht ein Aufarbeiten der einzelnen Aspekte.

Romanreihen Die Situation der Belletristik auf dem literarischen Markt der Reaktionszeit nach 1848 ist gekennzeichnet durch Versuche liberaler Verleger, dem Bildungsbürgertum als Kompensation des politischen Scheiterns literarischen Trost zu bieten, da die vormärzlichen Ideale ihre Refugium nur in den Büchern gefunden zu haben schienen. Würde uns auch das Bücherleben gestört, dann wäre der letzte Reiz, der höchste Genuß des Daseins genommen, und das Leben verlöre das letzte Interesse. Die edelsten Geister Deutschlands wenden von Neuem ihre Thätigkeit dem Schaffen einer neuen Welt- einer Bücherwelt zu. Hier schildern sie ihre eignen Schmerzen, Leiden und bittern Erfahrungen; hier finden sie einigen Trost für so große Verluste und schmerzliche Entbehrungen.24

- mit diesen resignierten Worten leitete 1852 der bedeutende vormärzliche Verleger der Linksliberalen und Linkshegelianer, Otto Wigand, den ersten Band seiner Bibliothek Deutscher Original-Romane ein, Johannes Scherrs Grazieila. Doch bereits der programmatisch gegen die billigen belletristischen Übersetzungsreihen, die vor 1848 den Markt beherrscht hatten, gerichtete Sammlungstitel weist auf die Überwindung solcher Resignation: die Beschränkung auf deutsche Gegenwartsprosa bedeutet gleichzeitig einen Akt bürgerlicher Besinnung »auf unser einziges, wirklich großes und schönes Nationalbesitzthum, auf unsere Literaturl«25 Die ideelle Einheit der Nation in der und durch die Poesie, das Ziel des Wigand'schen Unternehmens, ist aber ebenso eine der Kernthesen des programmatischen Realismus. 26 Ein Vergleich des Markterfolges solcher Sammlungen mit jenem von ähnlichen Buchreihen klassizistischer Tendenz zeigt deutlich, daß die intendierten Käufer dem Traditionell-Epigonalen den Vorzug gaben. Zwar ist über Wigands Bibliothek Deutscher Original-Romane nichts Genaueres zu ermitteln, aber desto aufschlußreicher ist der Verlauf des wohl wichtigsten und vergleichsweise anspruchsvollsten belletristischen Projektes der fünfziger Jahre: der im Verlage von Carl 23

Noch immer repräsentiert Goldfriedrichs Geschichte, 1913 erschienen, im wesentlichen den erreichten Forschungsstand - mit Ausnahme der Leihbibliotheken (s. u). 24 Otto Wigand: Einleitung. In: Johannes Scherr: Graziella. Memoiren-Novelle. Erster Theil (Bibliothek Deutscher Original-Romane 1). Leipzig: Wigand 1852, S. 5-12, hier S. 11. Vgl. den ähnliche Tenor von Gutzkow's Vorrede zu den »Rittern vom Geist«. 25 Ebda., S.7. 26 Helmuth Widhammer: Realismus und klassizistische Tradition. (Studien z. dt. Lit. 34) Tübingen 1972, S. 53.

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Meidinger zu Frankfurt/M. erschienenen Deutschen Bibliothek. Sammlung auserlesener Originalromane.27 Sie wurde ediert von einem Herausgebergremium unter Leitung Otto Müllers, zu dem Ludwig Bechstein, Heinrich König, Hermann Kurz, Theodor Mügge, Robert Prutz, Leopold Schefer, Levin Schiicking und Georg Schirges zählten und sollte in Reihen zu je 6 Bänden erscheinen, wobei jeder Roman (üblicherweise aus Rücksicht auf die Leihbibliotheken meist auf 4-5 Bändchen gedehnt) nur einen stattlichen Oktavband ausmachte. Die Sammlung konnte abonniert werden und zeichnete sich durch gute Ausstattung und Billigkeit aus: statt des sonst für deutsche Romane gewohnten Preises von etwa 5 Rthlr. kosteten die einzelnen Bände nur 1 Thlr. 5 Ngr. Erst diese radikale Herabsetzung machte die Reihe konkurrenzfähig mit den Produkten der Übersetzungsfabriken: Bekanntlich standen bisher für die deutschen Original-Romane die höchsten Buchhändlerpreise fest, höhere als verhältnismäßig selbst für wissenschaftliche und artistische Prachtwerke. Man machte kleine Auflagen mit splendidem Druck und sehr hohen Preisen, und rechnete wesentlich nur auf den Absatz an Leihbibliotheken und Lesegesellschaften. Dagegen druckte man die übersetzten Romane so compact und billig wie möglich und rechnete auf den Absatz an das Publicum aller Classen. Schon aus diesem ganz äußerlichen Grund mußte der ausländische Roman in Deutschland populärer werden als der deutsche. 2 8

Vor allem lag das Niveau der erscheinenden Werke weit über dem, was andere Reihen wie Kobers Album (s. u.) bieten konnten. Bei progressiv-realistischer Grundtendenz halten historische und Zeitromane etwa gleichen Anteil am Gesamtprogramm. Die Mehrzahl der Werke zählt zu den bemerkenswertesten Romanen, die im Jahrzehnt nach 1848 überhaupt erschienen. Der psychologische Realismus der Otto Ludwig'schen Erzählungen, die ebenfalls bei Meidinger herauskamen, wurde den Abonnenten der Deutschen Bibliothek allerdings nicht zugemutet. In der Reihenfolge des Erscheinens enthielt die Gesamtserie: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

27

Theodor Mügge: A f r a j a Otto Müller: Charlotte Ackermann Ludwig Bechstein: Der Dunkelgraf Hermann Kurz: Der Sonnenwirth Gustav Kühne: Die Familie A m m e r Ernst Willkomm: Die Freimaurer Victor Scheffel: Ekkehard

Eine Einzeluntersuchung der Meidinger'schen Reihe wäre dringend zu wünschen. Sie ist bisher nur von Hartmut Eggert: Studien zur Wirkungsgeschichte des deutschen historischen Romans 1850-1875. Frankfurt/M. 1971, S. 30f. kurz erwähnt worden. Insbesondere wäre dem in einigen Rezensionen erwähnten, bisher nicht auffindbaren Programm der Gesamtreihe nachzuforschen, sowie das gesamte Verlagsprogramm Meidingers zusammenzustellen. E r brachte auch Otto Ludwigs »Heiterethei und ihr Widerspiel« (Thüringer Naturen I. 1857) heraus, Ludwig Büchners Materialistenbibel »Kraft und Stoff« (1855) sowie Werke von J. Moleschott und A . Zeising. 28 Litterarische Notizen. In: (Augsburger) Allg. Zeitung 1853, Beilage 280 vom 7. Oktober, S. 4473-74, hier 4473.

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8. 9. 10. 11. 12.

Ferdinand Kürnberger: Der Amerikamüde Theodor Mügge: Erich Randal Hermann Marggraff: Fritz Beutel Ernst Willkomm: Rheder [!] und Matrose Max Ring: John Milton und seine Zeit

Die literarische Kritik stand dem Unternehmen, das ein »nach Möglichkeit vollständiges Gesamtbild der vaterländischen Roman-Litteratur« zu verheißen schien, in allen Lagern äußerst wohlwollend gegenüber.29 Von Gutzkow's Unterhaltungen am häuslichen Herd bis zur Augsburger Allgemeinen Zeitung und den Blättern für literarische Unterhaltung, in denen Zeising sich grundsätzlich zum deutschen Nationalroman äußerte, wurde der Konnex zwischen Nationalbewußtsein und Originalpoesie eingehend erörtert. In Schweigen verharrten merkwürdigerweise einzig die Freytag/Schmidt'schen Grenzboten. Der Verleger selbst war fest vom Erfolg der Serie überzeugt; dafür spricht die sehr gewagte Auflage von 10000 Exemplaren pro Band - mehr als das Zehnfache der üblichen Romanauflagen. Doch das Unternehmen wurde nach hoffnungsvollem Beginn ein völliger Fehlschlag, auch für damalige Verhältnisse so ungewöhnliche Werbemittel wie Preisausschreiben bewirkten keine Absatzsteigerung. Daß wie üblich fast ausschließlich Leihbüchereien die Käufer bildeten, ist an den Titeländerungen abzulesen, die zu eigenem Erwerb der Bände stimulieren sollten. Aus der Deutschen Bibliothek wurde die Belletristische Hausbibliothek der besten deutschen Originalromane und für den Export nach Österreich die Oesterreichische Familienbibliothek. Dennoch machte die Firma Meidinger & Co. 1857 Konkurs, mußte den überwiegenden Teil der Auflage billigst an Antiquare verkaufen und wohl auch einen Teil des Lagers makulieren. Aus der Konkursmasse übernahm später der rührigste belletristische Verleger der sechziger Jahre, Otto Janke, die Verlagsrechte der meisten literarischen Werke. Erst unter seiner Ägide begann der Siegeszug des Ekkehard.30 29

Vgl. an Rezensionen: [Karl Gutzkow]: Eine neue deutsche Original*Roman»Bibliothek. In: Unterhaltungen am häuslichen Herd 1 (1853), S. 112. Litterarische Notizen. In: (Augsburger) Allg. Zeitung (s. Anm. 28). Deutsche Bibliothek (Sammelrez.) In: (Augsburger) Allg. Zeitung 1855, Beilage 71 vom 12. März und 74 vom 15. März, S. 1129f. und 1177f. Der Rezensent der A Z wünschte die Deutsche Bibliothek zu einer Bibliothek der Weltliteratur erweitert zu sehen, u. a. mit Übersetzungen Dickens' durch Hackländer und Balzacs durch Kühne. A. Zeising: Deutsche Originalromane. In: Blätter für literar. Unterhaltung, 1854/1, S. 285-292. Abgedruckt in: Realismus und Gründerzeit. Manifeste und Dokumente zur dt. Literatur 1848-1880. Hg. von Max Bucher/Werner Hahl/Georg Jäger/Reinhard Wittmann. 2 Bde. Stuttgart 1975-76. Bd. 2, S. 630-633. (Künftig abgekürzt als RuG2). 30 Vgl. zum Niedergang der Firma Meidinger und der Übernahme der Belletristik durch Janke [A. Prinz]: Der Buchhandel v. Jahre 1857 bis 1858 . . . Hamburg 1859, S. 17; Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler, Deutsche Buchdrucker. Bd. 3 (Berlin 1905), S. 512. Daß von Kümbergers »Amerika-Müdem« tatsächlich die gedruckten 10000 Exemplare abgesetzt wurden, ist unter diesem Aspekt äußerst unwahrscheinlich (vgl. dessen Brief zur geplanten Neuauflage an Otto Janke vom 11.3. 1878. In: Gesammelte Werke, hg. O. E. Deutsch, Bd. 4, S. 587).

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Erfolgreicher war dagegen die von Niveau wie Auflagenhöhe her vorsichtiger kalkulierte Serie der Prager und Wiener Verleger Kober und Marggraff, später von Günther in Leipzig übernommen: Album. Bibliothek deutscher OriginalRomane. Sie erschien von 1845 bis 1870 in Jahresreihen zu vierundzwanzig Kleinoktav-Bänden, die für Subskribenten je 45 Kreuzer kosteten, bei Einzelabnahme wesentlich mehr. Die Auflage, die Anfang der sechziger Jahre um 3000 Exemplare betrug, 31 wurde zu etwa drei Vierteln an Leihbüchereien, Lesezirkel und Gesellschaftsbibliotheken abgesetzt, an die sich die Inserate des Verlages gezielt wandten. Immerhin konnte die ungewöhnliche hohe Zahl von ca. 700-800 Exemplaren an Privatkäufer geliefert werden. Vor allem in der k. u. k. Monarchie war ein romankaufendes Publikum - meist Adel und höhere Beamte in entlegeneren Provinzen - vorhanden, das bei der Kalkulation im Gegensatz zum reichsdeutschen als feste Größe berücksichtigt werden konnte. Nach 1866, als das Album von einem Leipziger Verleger übernommen wurde, begann sein schneller Abstieg. Mitarbeiter waren u. a. Gerstäcker, Hackländer, Hoefer, Holtei, Meißner, Louise Mühlbach, Prutz, Josef Rank, Max Ring, Scherr, Levin Schücking, Willkomm, Zeising und - mit einem Werk - Wilhelm Raabe (Der heilige Born). Die Serie verstand sich als »Encyclopädie der Unterhaltung«, ihr Schwerpunkt lag auf historischen, humanistischen und Familienromanen unter »Ausschluß des sittlich Anstößigen«, das Programm war ein moralisierender Trivialrealismus: Dem Leben gebührt im Romane vor allem das meiste Recht. [...] Die Erscheinungen im Album sollen die tausend Verirrungen, Schwächen, Fehler und Laster des menschlichen Herzens und der menschlichen Gesellschaft wohl schildern, aber nicht um dem Publicum darin eine eigene Art von Reiz, eine gewisse kitzelnde und prickelnde Genugthuung zu verschaffen, sondern um damit den Gemüthern und den socialen Verirrungen der Gegenwart ein mahnendes Spiegelbild entgegenzuhalten.32

Obgleich Meidingers Deutsche Bibliothek vom Preis her durchaus mit dem Koberschen Album konkurrieren konnte, blieb sie erfolglos. Der Grund für die mangelnde Anteilnahme des literarischen Publikums der fünfziger Jahre an diesem Projekt kann also kein finanzieller sein; die Abneigung der schon weitgehend auf eskapistischen Romankonsum eingestellten Leser gegen ambitionierte Werke flüchtete sich in Ausreden wie diese: Nicht bloß zierlichen Frauenhänden wiegt der dicke, hohe Band [sc. der M.sehen Serie, R. W.] zu schwer, sondern auch gediegene Männer verwahren sich gegen denselben, weil er weder im Bett noch im Eisenbahnwagen für Hand und Tasche bequem sey, bekanntlich den beiden einzigen Orten, wo ein viel beschäftigter Staatsbeamter oder Geschäftsmann noch zu lesen pflegt. Vielleicht ist's aber auch nur eine Ausrede - eine von den vielen womit man bei sich selbst, wenn nicht bei andern den zeitgemäßen und grundsätzlichen Abscheu vor aller schöngeistigen Leetüre zu entschuldigen sucht [.. ,]33

31

W. Raabe, Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe, hg. K. Hoppe. (Braunschweiger Ausgabe), Bd. 2, (1970) S. 615. 32 Zitat aus der Subskriptionseinladung zum Jg. 1866. In: General-Anzeiger für die Belletristik des In- und Auslandes 1 (1866), Nr. 1, S. 6-7, hier S. 6. Vgl. auch Nr. 12, S. 61. 33 Deutsche Bibliothek (Sammelrez. - s. Anm. 29), S. 1129, Anmerkung.

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Diese Beobachtung eines Rezensenten läßt vermuten, daß ein spezifisches Publikum für anspruchsvollere belletristische Neuerscheinungen fehlte: daß die literarische Öffentlichkeit entweder bedenkenlos und rasch konsumierbares Lesefutter von der Art des Koberschen Album verlangte und der zeitgenössischen Literatur damit ausschließlich Unterhaltungsfunktion zuwies oder aber (und das betrifft insbesondre den in Kapitel Publikum skizzierten, vom humanistischen Gymnasium geprägten Lesegeschmack) für echte oder präsumptorische Befriedigung intellektueller und schöngeistiger Lesebedürfnisse »klassische« bzw. klassizistischepigonale Literatur bevorzugte. Der bedeutende deutschsprachige Roman der fünfziger Jahre - und das gilt ebenso für die Meidinger'schen Ausgaben wie für Kellers Grünen Heinrich, Otto Ludwigs Werke, Raabes Chronik der Sperlingsgasse und Stifters Nachsommer - hatte keine adäquaten Rezipienten, die sowohl genügend ästhetische Vorbildung besaßen, um die Originalität der großen realistischen Erzähler zu würdigen, als auch von diesen klassizistisch-idealistischen Normen ihrer Erziehung zu abstrahieren vermochten. Wer humanistische oder sonst »höhere« Bildung durchlaufen hatte bzw. diesen Eindruck erwecken wollte, las nicht die Meidinger'sche Bibliothek, auch das Kobersche Album bestenfalls verstohlen in der Sommerfrische - er abonnierte die Cotta'sche Volksbibliothek deutscher Classiker (Deutsche Volksbibliothek), den konservativen Gegenpol der bisher erwähnten Reihen. Sie erschien von 1853 bis 1862 in drei Reihen zu 518 Lieferungen, eine vierte folgte erst ab 1878. Der Preis betrug je Lieferung 12 xr. rhein. (4 Sgr.). Jede Reihe konnte nur geschlossen abgenommen werden, Einzelhefte wurden nicht verkauft. Cottas hochtönende Anzeigen dieses Unternehmens verwenden die üblichen volksbildnerischen Leerformeln, die gewohnten Seitenhiebe gegen den überfremdeten Geschmack des Publikums, die obligaten Topoi für die Einigung der Nation im Geiste der classischen Poesie: Wir gedenken durch eine Auswahl bewährter Schriften aus dem Schatze unserer wissenschaftlichen, dichterischen und belletristischen Nationalliteratur den weitesten Bildungskreisen eine Fülle gediegenen Lesestoffs zu erschließen, die sonst nur einem vergleichsweise kleinen Publikum offenlag. Wir griffen darum nach Altem und Neuem, mannichfaltig in Form und Inhalt, nach Allem, welches sich erprobt hatte für alle Zeiten oder doch wenigstens in seiner Zeit, nach Neuem, welches mit dem frischen Hauch der Gegenwart die Zeitgenossen anmutet. [...] Möge das aufstrebende Nationalbewußtseyn unserer Tage an der deutschen Gedanken- und Formkraft dieser trefflichen Werke sich erfrischen und erbauen, statt, wie vordem so oft geschah, sich selber in Banden zu schlagen durch die sklavische Hingabe an fremdländische Unterhaltungsliteratur.34

Hinter diesen Worten verbarg sich freilich höchst prosaisches Vermarktungsgeschick: Cotta nützte sein hohes Ansehen als der Klassikerverlag schlechthin bewußt aus, um sämtliche nur irgend vertretbare Autoren seiner Firmen Cotta

34

Anzeige der dritten Reihe in: (Augsburger) Allg. Zeitung, Jg. 1860, Beilage 301 vom 27. Oktober, S. 4994; vgl. auch: Die Volksbibliothek deutscher Classiker. In: Allg. Zeitung Jg. 1853, Beil. 287 vom 14. Oktober, S. 4585f.

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und Göschen buntgemischt in die Reihen aufzunehmen: neben Vossens Übersetzung des Homer, der Kudrun, den Nibelungen und Wolfram von Eschenbach, neben echten Klassikern wie Goethe, Schiller, Lessing, Wieland, Herder, Hebel und Klopstock, neben neueren Verlagsautoren wie Platen, Lenau, A. v. Humboldt, Auerbach und Riehl fanden sich Hippel, Pfeffel, Thümmel, Johannes von Müller, Namen, an denen kaum noch Interesse bestand: Alxinger, Iffland, Jünger, Houwald, Pyrker und Steigentesch. Wer Herders Werke suchte, mußte auch den Doolin von Mayntz mit in Kauf nehmen, mußte »die Knochenbeilage sich gefallen lassen, wenn [er] das Fleisch haben wollte«.35 Wer freilich keinen Ballast mitzuerstehen bereit war, konnte nur auf Cottas Miniatur-Bibliothek classischer Dichter und Dramatiker ausweichen, deren Einzelpreise bedeutend höher waren. Schillers Don Carlos, den Reclam im Klassikerjahr 1867 nach Ablauf der Schutzfrist broschiert für 2 Groschen anbot, mußte zuvor im Originalverlag für das Dreißigfache gekauft werden: für 2 Rthlr. 36 Die Volksbibliothek deutscher Classiker wurde ungeachtet ihres unterschiedlichen Qualitätsniveaus sehr erfolgreich. Der Verlagsname schien dafür zu bürgen, daß man nur anerkannte Bildungswerte erwarb, das Wagnis einer geistigen Auseinandersetzung mit Neuem nicht eingehen mußte: »Die Sache reussirte; es gingen jene Bändchen rasend ab. Man ließ stereotypiren und druckte fabelhafte Auflagen.« 37 Mindestens einige zehntausend Exemplare dürften abgesetzt worden sein, zum großen Teil wohl auf ähnliche Weise wie ein Grenzboten-Artikel 1882 schilderte: Der Verfasser dieser Zeilen, der in den fünfziger Jahren noch auf der Schulbank saß, hat damals - natürlich aus dem Geldbeutel seines guten Vaters - sämmtliche 518 Lieferungen mit gehalten und [ . . . ] 69 Thaler dafür bezahlt. Wir schenkten damals unserm Deutschlehrer, der in der obersten Klasse des Gymnasiums den deutschen Unterricht erteilte, aber natürlich nicht entfernt imstand war, aus eignen Mitteln sich Goethes Werke anzuschaffen, zum Geburtstage ein in Halbfranz gebundenes Exemplar der vierzigbändigen Ausgabe, und wir bezahlten es [ . . . ] mit 26 Thalern!«38

Es ist zu vermuten, daß die außerordentlich hohen Preise der Cotta'schen Buchhandlung für Klassikerausgaben einen großen Teil jener Kaufkraft abgeschöpft haben, die für Bücheranschaffungen des Bildungsbürgertums überhaupt zur Verfügung stand. Erst nach Freigabe der Klassiker (s. u.) konnte sich dies ändern.

35

Die deutschen Classiker und der Buchhandel. In: Börsenblatt f. d. deutschen Buchhandel Jg. 1867, Nr. 221, S. 2370-2373, hier 2372. 36 Vgl. die Verlagsanzeige der »Miniatur-Bibliothek« in: (Augsburger) Allg. Zeitung Jg. 1863, Beilage 174 vom 23. Juni, S. 2887. 37 W. v. W. [ = Christian W. Wurst]: Kreuz und Querzüge in Sachen deutscher Classiker. Freiburg 1868, S. 12. 38 Neue Klassikerausgaben. In: Die Grenzboten 41/1 (1882), S. 552-558, hier S. 556. Die (Augsburger) Allgemeine Zeitung (Jg. 1860, Beilage 301 vom 27. Okt., S. 4989-90) merkte an, daß der Verkauf der teuren Einzelausgaben durch deren Erscheinen in der Volksbibliothek nicht gestört, sondern im Gegenteil gesteigert worden sei.

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Die Romanzeitung Der Belletristik-Konsum zwischen 1848 und 1880 konzentrierte sich fast ausschließlich auf die Leihbibliotheken (s. u.) und in wachsendem Maße auf die Vorabdrucke in der periodischen Presse, die dem Autor vergleichsweise gute Honorare und hohe Auflagen bieten konnten (s. u.) und den Lesegewohnheiten des Publikums entgegenkamen. Für eine auf die Primärfunktion rasch konsumierbaren Lesestoffs reduzierte Belletristik war die mit Bildungs- und Prestigeassoziationen behaftete Publikationsform des Buches nicht mehr Voraussetzung. Der Berliner Verleger Otto Janke zog die Konsequenz aus den veränderten Rezeptionsgewohnheiten des Romanpublikums: er lieferte belletristische Ware, wie sie die Leihbibliotheken anboten, im äußeren Gewand eines Periodikums und gründete 1863 die Deutsche Roman-Zeitung. Es erschien wöchentlich ein Heft mit fünf doppelspaltig bedruckten Quartbogen auf gutem Papier für vierteljährlich einen Thaler. Das bedeutete, wie eine Verlagsanzeige betont: Zu diesem geringen Preis (6 Pfennige für den glänzend ausgestatteten Zeitungsbogen, oder nur 254 Pfennig für den gewöhnlichen Romanbogen!! also für den üblichen Leihbibliotheks-Abonnements-Preis) werden dem Publicum die Romane der anerkanntesten und beliebtesten Schriftsteller, welche, wenn sie in gebräuchlicher Buchform erschienen, circa 50-60 Thaler kosten würden, den Abonnenten der Roman-Zeitung dargeboten!! Die Verlagshandlung will durch dieses zeitgemäße Unternehmen den Deutschen Roman, welcher sonst des theuern Preises wegen nur für größere Leihbibliotheken oder reiche Privat-Leute vorhanden war, dem großen Publicum zu eigen machen.39

Bereits im ersten Jahr erschienen neben zahlreichen Novellen und Humoresken 12 Romane von Luise Mühlbach, Georg Hesekiel, Alfred Meißner, Edmund Höfer, Spielhagens Röschen vom Hofe, eine Neuauflage von Scheffels Ekkehard und Raabes Hungerpastor. Von Raabes nicht allzu erfolgreichem Roman (die Einzelausgabe wurde ein finanzielles Fiasko) abgesehen, lag das Niveau der Beiträge nur Werke bereits eingeführter und renommierter Autoren - nicht höher als beim Koberschen Album, die Auflage betrug bald mehr als 15000 Exemplare. Die Romanzeitung war damit die erste, aber auch auf Jahre hinaus die einzige ernsthafte Bedrohung des belletristischen Monopols der Leihbibliotheken, das von den anderen Verlegern resigniert in Kauf genommen wurde. Die Kontroverse zwischen dem Besitzer der größten österreichischen Leihbibliothek, Albert Last, und dem Verleger der Romanzeitung, ob diese den literarischen Konsum gefährde oder stimuliere, bietet einen weiteren Beleg für die desolate Situation des deutschen Romans auf dem literarischen Markt, deren Auswirkungen vor allem die Autoren trafen.

39

(Augsburger) Allg. Zeitung, Nr. 276 vom 2. Oktober 1864. Nachahmungen der Romanzeitung kamen erst später auf den Markt - etwa Hallbergers 1873 begründete Romanbibliothek in Wochenheften zu je 80000 Exemplaren. Zur Kontroverse zwischen Janke und dem Leihbibliothekar Last s. RuG 2, S. 635-641.

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Das Klassikerjahr Der 9. November 1867 war ein von Verlegern und Literaten sehnsüchtig herbeigewünschtes Datum: an diesem Tage wurden gemäß einem Beschluß der Bundesversammlung von 1856 sämtliche Werke aller vor dem 9. November 1837 verstorbenen Autoren frei von jeglicher urheber- oder verlagsrechtlicher Bindung. Dies bedeutete vor allem das Erlöschen des fast uneingeschränkten Monopols einer einzigen Firma: der J. G. Cottaschen Verlagshandlung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen wie Jean Paul, Kleist und Tieck, war fast die gesamte »klassische« deutsche Literatur der Goethezeit in ihrer Hand. In den fünfziger und vor allem sechziger Jahren mehrten sich die kritischen Stimmen, die sowohl Cottas sehr hohe Preise als auch die durchgängige Inkorrektheit seiner Editionen scharf bemängelten: während ihm selbst, wie Jacob Grimm betonte, »ein alles masz überschreitender gewinn« zufloß,40 füge er dem gesamten Geistesleben der deutschen Nation schweren Schaden zu, indem er dem Volke seine bedeutenden Autoren praktisch vorenthalte. 41 Seine Entschuldigung, die beträchtlichen Honorarzahlungen an Goethes und Schillers Erben ließen ihm keine andere Wahl,42 erschien angesichts seiner Preispolitik bei drohenden Nachdrucken fragwürdig. Schon Jahre vor dem Freigabetermin begannen einzelne Firmen, ihre zum Stichtag erscheinenden billigen Ausgaben mit großem Werbeaufwand anzukündigen und verwickelten sich darob in heftige Kontroversen mit Cotta. Die enormen Gewinne, die bisher nur ein einziger Verlag aus dem Hunger des Publikums nach seinen Klassikern schöpfen konnte, schienen nun endlich jedem spekulativen Unternehmer zugänglich. Es mußten nicht in Unkenntnis des zu erwartenden Absatzes gewagte überhöhte Auflagen veranstaltet werden, sondern hier bestand ein längst vorhandenes, in breiten Schichten lang aufgestautes Bedürfnis nach billigen Massenauflagen von Werken, die kaum Unkosten bei der Herstellung verursachten. Neben renommierten Verlagen wie Brockhaus, Hempel und Meyers Bibliographischem Institut, beteiligten sich auch weniger kapitalkräftige wie Reclam, Payne, Prochaska, Winiker, Göbel und Grote an dem Wettrennen - aus dem der Originalverlag Cotta ziemlich schnell ausschied, weil er sich dem gewandelten Markt nach 1867 nicht anzupassen vermochte. Von Goedekes historisch40

Jacob Grimm: Rede auf Schiller. Gehalten in der feierlichen Sitzung d. Kgl. Akademie d. Wissenschaften am 10. November 1859. Berlin 1860, S. 39. 41 Vgl.: Die deutschen Classiker und der Buchhandel. In: Börsenblatt für d. deutschen Buchhandel, Jg. 1867, Nr. 221, S. 2370-73, hier S. 2371. Die neuesten Sammelausgaben der dt. Classiker. In: Allgem. literar. Anzeiger für d. evangelische Deutschland 3 (1869), S. 145-154, hier S. 152f. Die deutschen Bibliotheken. In: Unsere Zeit 2/24 (1868) S. 881-915, hier S. 888. Adolph Ensslin: Unsere Classiker und die Verlagsrechte. In: Der Salon für Literatur, Kunst und GeseUschft 2 (1868), S. 109-119, hier S. 117f. Zu Cottas hohen Preisen vgl. die Zahlen bei J. Goldfriedrich: Geschichte, S. 471, s. auch Karl Gutzkow: Dionysius Longinus. Stuttgart 1878. S. 18. 42 Neue Klassikerausgaben (s. A. 38), passim. Zu Cottas Marktstrategie s. RuG2, S. 647-649.

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kritischer Schilleredition abgesehen, die im Laufe von zehn Jahren erschien (1867-76) und nur in 1000 Exemplaren gedruckt wurde, kamen die wichtigen Projekte von anderer Seite. Das bemerkenswerteste von ihnen war Gustav Hempels Nationalbibliothek sämtlicher deutscher Classiker, die - bei beachtlichem Bemühen um sorgfältige Textrevision - nichts weniger sein wollte als eine erste vollständige Gesamtausgabe sämtlicher »classischer« deutscher Autoren. Seit Jahrzehnten war kein buchhändlerisches Projekt mit solchen Kapitalinvestitionen, solchem Werbeaufwand und solch herstellungstechnischem Umfang betrieben worden. Hatte Cotta für seine Volksbibliothek 4 Sgr. verlangt, so kostete jede Lieferung bei Hempel nur 2Vi Sgr. Mit insgesamt 714 Lieferungen sollte die Ausgabe abgeschlossen sein, was freilich erst 1879 eintrat. Statt der Cotta'sehen Ladenhüter vom Schlage Alxinger, Pyrker und Steigentesch umfaßte diese Edition auch die Werke Bürgers, Gellerts, Körners, Musäus', Chamissos, Hauffs, Kleists, Seumes und Jean Pauls. Die Startauflage von 150000 Exemplaren bei den ersten Lieferungen sank allerdings bald; eine beträchtliche Zahl der Subskribenten dürfte im Laufe der Jahre abgesprungen sein.43 Von den frappanten Anfangserfolgen abgesehen, die vor allem durch intensive, in solchem Umfang zuvor unbekannte Werbung, durch die starke publizistische Unterstützung und nicht zuletzt durch die günstige Terminierung (Weihnachtsgeschäft!) bedingt waren, sind sämtliche groß angekündigten Klassikereditionen spekulativen Charakters nach dem Abflauen des ersten Käuferinteresses mehr oder minder bescheiden zu Ende geführt worden - mit Auflagen, die jene Cottas vor 1867 nicht wesentlich übertrafen. Eine Ausnahme bildet gerade ein Unternehmen, das im Trubel des Klassikerjahres kaum beachtet und von manchen Rezensenten erst nach Jahren mit einigen Zeilen abgefertigt wurde, 44 freilich als einziges bis heute überdauert hat: die Reclam'sche Universalbibliothek. Diese Reihe setzte sich über jede zeitliche oder nationale Beschränkung von Anfang an hinweg und lieferte als einzige abgeschlossene Einzelwerke, ohne Verpflichtung zur Gesamtabnahme. Neben der Nummer eins, Goethes Faust, der nach wenigen Monaten eine Auflage von 20000 erreichte, waren unter den ersten Titeln ohne falsche Prätension auch unterhaltende, keineswegs »classische« Schriften von Michael Beer, Angely und Moreto zu finden.45 In dieser Mischung von Bildung und Unterhaltung, im niedrigen Preis von 2 Sgr. und dem großen Angebot lagen die Gründe für den Erfolg Reclams. Auch rein belletristisch-unterhaltende Reihen, für die die Klassikerfreigabe von 1867 eigentlich ohne Bedeutung war, häufen sich von diesem Zeitpunkt an und sind - teils broschiert erschienen, von den späteren Gründerjahren an zunehmend auch in festem Einband - schon durch ihre programmatischen Reihentitel gekennzeichnet, die entweder an ein möglichst breites

43

Zu Hempel's Nationalbibliothek vgl. Adalbert Brauer: Dümmler-Chronik. Bonn: Dümmler 1958, S. 158ff. Vgl. RuG2, S. 649-651. 44 Vgl. die wenigen Zeilen bei »Die neuesten Sammelausgaben...« (s. A. 41), S. 151 sowie Blätter f. lit. Unterhaltung 1870/11, Nr. 40, S. 638. 45 Vgl. 100 Jahre, Reclams Universal-Bibliothek 1867-1967. Leipzig: Reclam 1967, S. 40f.

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soziales Spektrum appellierten oder sich auf eine möglichst kleine Zielgruppe beschränkten: beispielsweise eine Familienbibliothek fürs deutsche Volk (H. Klein/ Barmen ab 1874), Für Palast und Hütte (Entrich/Berlin, nach 1877), Für den Feierabend (Agentur des Rauhen Hauses, Hamburg, ab 1872), Deutsche Volksbibliothek für Lesevereine und Haus (Niedner/Wiesbaden, 1872ff.) und eine Deutsche Handwerker-Bibliothek (Abenheim/Stuttgart, ab 1878). Otto Janke brachte ab 1870 neben seiner Romanzeitung eine Nationalbibliothek neuerer deutscher Dichter in 234 Oktavlieferungen à 30 Pfg. heraus. Sie bestand aus Gutzkows Rittern vom Geist und Zauberer von Rom, Otto Ludwigs, Brachvogels und Spielhagens gesammelten Werken und Heribert Raus Mozart. Wenige Jahre darauf ließ er auch eine Hausbibliothek (à 50 Pfg. im Sedez) erscheinen, die jeweils auf mehrere Bändchen verteilt u. a. Werke von Otto Ludwig, Alexis (Die Hosen des Herrn von Bredow), Hesekiel, aber auch Bret Harte und Ibsen (Stützen der Gesellschaft) enthielt. Erst am Ende unseres Zeitraums beginnen die eigentlichen »Bücher-Collectionen«, die gebundene Exemplare mit guter Ausstattung bei billigem Preis aufweisen, mit der Deutschen Hand- und Hausbibliothek, die unter dem Namen Collection Spemann berühmt wurde. Jeder der ab 1881 erscheinenden Oktavbände mit etwa 250 Seiten kostete in blaues Leinen mit Goldprägung gebunden nur eine Mark. Bis 1883 kamen 81 Bände mit einer Gesamtauflage von mehr als 550000 Exemplaren heraus, die freilich bald mit der Konkurrenz der Engelhorn'sehen allgemeinen Romanbibliothek zu kämpfen hatten. 46 In diesem Zusammenhang ist auch die wohl früheste deutsche Buchgemeinschaft zu nennen: 1873 konstituierte sich unter dem Protektorat des Großherzogs Karl Alexander von Sachsen und des Prinzen Georg von Preußen ein Allgemeiner Verein für Deutsche Literatur. Die Mitglieder hatten einen Jahresbeitrag von dreißig (später achtzehn) Mark zu entrichten, wofür sie sieben (später vier) Bände in eleganter Ausstattung erhielten - eine darüber hinausgehende Auswahlmöglichkeit bestand nicht. Der Verein wollte nach eigenem Bekunden das Prinzip der Kunst vereine auf die Literatur übertragen. Zur Teilnahme an diesem fürstlich protegierten Zirkel, der die literarischen Bedürfnisse ohne Qual der Wahl zu befriedigen versprach, entschlossen sich bereits im ersten Jahr 2360 Personen wie sich die Beitrittsentwicklung weiter gestaltete, ist anhand bisher vorliegender Quellen nicht festzustellen. Jedenfalls bestand der Verein bis in die neunziger Jahre trotz Ablehnung von seiten der meisten Sortimenter (die nur einen Rabatt von 20% erhielten) und auch mancher Rezensenten, die den gründerhaften Gedanken tadelten, »auf rein geistige Interessen wie die der höheren Literatur und Lektüre gewerbliche Schemata wie das der Aktiengesellschaft« anzuwenden. 47 Das Programm entsprach überdies dem Vereinsnamen nur sehr beschränkt: das Schwergewicht der Publikationen lag auf Essay- und Skizzensammlungen, populärwissenschaftlichen Aufsätzen und Reiseberichten. Die ersten drei Serien 46 47

Adolf Spemann: Wilhelm Spemann. Stuttgart 1943, S. 152ff. (Alfred Dove): »Allgemeiner Verein für deutsche Literatur«. In: Im neuen Reich 4/2 (1874), S. 317-20, hier S. 320.

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boten unter 21 Werken noch Gedichte von Heyse (an denen sonst kein Verleger interessiert war), Bodenstedts Hafisische Lieder und Aus dem Nachlasse Mirza Schaffy's sowie Gutzkows Rückblicke auf mein Leben und Auerbachs Tausend Gedanken des Collaborators - die Serien vier bis zwölf dagegen enthielten von drei literaturkritischen Sammelwerken abgesehen nur mehr Hans Hopfens Lyrische Gedichte und Novellen in Versen als eigentlich »literarisches« Feigenblatt. Bezeichnenderweise findet sich über fünfzehn Jahre hinweg kein einziger Roman. Auf dem Buchmarkt spielte der Verein nur eine sehr geringe Rolle, seine Bedeutung für die literarische Rezeption dürfte ebenso bescheiden gewesen sein. 48 So stimulierend der 9. November 1867 auf den Buchhandel wirkte, bedeutsamer ist die literarische und ideologische Diskussion, die sich an der Klassikerfreigabe entzündete. Einen »Wendepunkt in der Entwicklung des Jahrhunderts« erhofft sich die nationalliberale Publizistik von jenem Tage, der »dem deutschen Volke die Werke ihrer [!] Heroen in hunderten und tausenden von Canälen zuführen wird, wo die Hand des Arbeiters nach seinem Schiller, seinem Lessing greifen wird.«49 Der ideologische Hintergrund des Bildungsenthusiasmus ist in diesen Worten zu ahnen: die politische Emanzipation der Unterschichten soll durch die ideelle Einigung der Nation in der Klassikerverehrung gedrosselt werden. Indem dem Arbeiter der Zugang zu den heiligsten Bildungsgütern der Nation eröffnet wird, wird seiner Forderung nach materiellen Gütern begegnet. Bei Rudolf Gottschall und anderen ist im Zusammenhang mit der Klassikerfreigabe immer wieder die Rede davon, daß »erst der Besitz der Werke [...] ein intimeres Verhältnis zu den Schriftstellern und Dichtern [schafft] [ . . . ] - und in diesen Besitz wird jetzt die Mansarde und der Salon sich theilen.«50 Die genuin bourgeoise Ideologie des untrennbaren Konnexes von Besitz und Bildung wird hier zur Abwehr sozialer Ansprüche verwendet. Tatsächlich bildeten vor der Reichsgründung insbesondere handwerklich geprägte Arbeiter die Mitgliedschaft der sozialdemokratischen Partei, also potentielle Kleinbürger. Für sie mußte die »Idee des einheitlichen Nationalstaates als Integrationsleitbild«, 51 wie sie sich bereits auf den Schillerfeiern von 1859 schichtenübergreifend dokumentiert hatte, eine Versuchung darstellen, die politische Emanzipation zurückzustellen. Die 1867 sichtbaren Bemühungen liberaler Publizisten, eine Interessenharmonie zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft im gemeinsamen Rückgriff auf die literarischen Wurzeln des Nationalbewußtseins, deren gemeinsamen Besitz und die politische Umsetzung dieses klassischen Erbes zu erreichen, laufen parallel zu den Bemühungen 48

Vgl. dazu auch Herbert G. Göpfert: Lesefrüchte. In: Beiträge zur Geschichte d. Buches u. seiner Funktion in d. Gesellschaft. Festschrift H. Widmann. Stuttgart 1974, S. 70-78, hier S. 74ff. 49 Die deutschen Classiker und der Buchhandel (s. A. 41), S. 2371. 50 Rudolf Gottschall: Die Classiker als Nationaleigenthum. In: Börsenblatt für den dt. Buchhandel, Jg. 1867, Nr. 261, S. 2870; abgedruckt in RuG2, S. 654-656. 51 Werner Conze/Dieter Groh: Die Arbeiterbewegung in der nationalen Bewegung (Industrielle Welt 6). Stuttgart 1966, S. 124. 133

des Genossenschaftsideologen Schulze-Delitzsch um das Kleinbürgertum und die Arbeiterbildung. Der Klassikerbegriff mußte jedoch einer genauen Revision unterzogen werden. Denn die buchhändlerische Spekulation hatte durch Aufnahme in ihre Nationalbibliotheken zum Klassiker erhoben, wie Gottschall maliziös bemerkt, »jede[n] namhafte[n] Schriftsteller, der vor dem 9. November 1837 das Zeitliche gesegnet hat«. 52 Daß klerikal-konfessionelle Kreise die Forderung nach editiones castigatae erhoben und sich gegen die Verbreitung »heidnischer Gedankengänge im Volke« wandten, mag verständlich erscheinen. Desto verwunderlicher muten die Argumente des maßgeblichen gründerzeitlicher Literaturkritikers Karl Frenzel 53 an. Nicht nur Hermes und Bahrdt (die meines Wissens nicht neu aufgelegt wurden), nicht nur Klopstock, Geliert und Gessner werden für veraltet und stickig erklärt, sondern mit erstaunlicher Engstirnigkeit auch Wieland, Heinse, Tieck und Kleist zugunsten von Dumas und Auerbach, ja Retcliffe und Samarow verworfen, 54 weil ihnen »jeder für die Gegenwart nährende Stoff« fehlte. Die rein stoffliche Aktualisierbarkeit eines Werkes gilt also als wichtigstes Kriterium seiner Klassizität. Ein vordergründiger eklektischer Traditionalismus unter ideologischen Vorzeichen, Prüderie und ein antihistorischer Geschichtsbegriff lassen Frenzeis Artikel als ein frühes Beispiel für die synkretistische Verwässerung ästhetischer Theoreme des programmatischen Realismus in der Gründerzeit erscheinen. Die Empfindlichkeit Frenzeis bei der Verteidigung seiner heilen Klassik ist kein Einzelfall. Ähnliches ist ist zu beobachten an einer eher grotesken Polemik, der zweifellos handfeste kommerzielle Motive zugrundelagen. Sie entzündete sich an der Schiller-Ausgabe innerhalb der Hempel'schen Nationalbibliothek. In Keils Gartenlaube, die kurz zuvor gerügt hatte, daß Hempels Bürger-Gesamtausgabe wegen Unterdrückung des erotischen Gedichtes Golkonde inkomplett sei, wurde massives Geschütz gegen Hempels Vollständigkeitsbestreben bei der Aufnahme aller Schillerschen Lyrik aufgefahren. Indem er Jugendgedichte aus der Anthologie auf das Jahr 1782 aufnehme, vernichte er Schillers »Glorienschein von Reinheit und Keuschheit [...] um des Geschäftes willen«. Der prompt von der Allgemeinen Zeitung des Hempel-Konkurrenten Cotta weiter verbreitete Artikel endete mit dem Appell: Seine Ausgabe von Schillers Gedichten darf man der Jugend nicht in die Hand geben, und es wäre sehr zu wünschen, daß derselben der Eingang in jedes deutsche Haus, in jede deutsche Familie gewehrt würde, ja, daß das ganze deutsche Volk laut und öffentlich mit 52

[R. Gottschall]: Die Aufhebung der Verlagsmonopole und die deutschen Nationalbibliothfeken. In: Unsere Zeit 4/11 (1868), S. 870-877, hier S. 873f. 53 Karl Frenzel: Die Classiker frei! In: Die Presse, Nr. 304, S. 11. 1867. Abgedruckt in RuG2, S. 657-661. 54 Ähnlich legt die »Nationalzeitung« Bedenken gegen die Klassizität Jean Pauls an den Tag und bezweifelt, »ob der brave Armen-Advocat Siebenkäs [...] die Gabe besitzt, sich den Platz eines überall gern gesehenen Hausfreundes zu erringen.« (Zit. nach Börsenblatt f. d. deutschen Buchhandel 1867 - vgl. A. 41 - , S. 2372).

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Entrüstung seinen >Schiller< zurückwiese, denn es ist nicht der, welchen dasselbe an seinem hundertsten Geburtstage mit Jubel gefeiert hat.55 Die Einhelligkeit, mit der fast die gesamte restliche Presse die plump-durchsichtige Prüderie der Gartenlaube zurückwies, ist bemerkenswert: 56 Nicht Hempel ziehe den nationalen Heros Schiller in den Schmutz, sondern die Gartenlaube, indem sie für eine potentielle Zensur plädiere, lautete das Hauptargument. Wie die verlegerische Betriebsamkeit, so flauten auch die kritischen Debatten in der liberalen Presse sehr schnell wieder ab. Nach den Ereignissen von 1870/71 war das »Klassikerjahr« vergessen. Man hatte eingesehen, daß die erhoffte Kausalitätskette: billige Ausgaben - Erweiterung des Lesepublikums nach unten Hebung der allgemeinen Bildung und ideologische Fraternisierung naives Wunschdenken war. 1880 zog Hans Herrig das sozialdarwinistisch getönte Resumée der enttäuschten Hoffnungen auf die Einheit der Nation in der Klassikerlektüre: Vor allem [...] versprach man sich Wunders welche Wirkungen für die allgemeine Bildung, wenn erst Schiller und Goethe in jeder Hütte zu finden sein würden. Jetzt ist die Fluth der billigen Ausgaben zu einem solchen Strome angeschwollen, daß er das ganze Land befruchten könnte. [...] Ob indessen die Wogen jenes Stromes sich so viel Boden erobert haben, wie man hoffte, dürfte mehr wie fraglich sein [...] Man nehme den Arbeiterstand. Nicht die deutschen Geisteshelden sind bei ihm zu Worte gekommen, sondern die socialistischen Agitatoren. Zu ihrem Besten hat der Arbeiter wohl oft in einem Monate mehr ausgegeben, als für seine ästhetische Erziehung im Laufe des Jahres, ja mehrerer Jahre. [...] Man drehe sich wie man wolle: die Kunst ist und bleibt ein Luxus.57

Prachtwerke Illustrierte Prachtwerke im engeren Sinn sind eine typische Erscheinung der frühen und mittleren Gründerzeit. Von der repräsentativen Ausgabe des Nibelungenliedes mit Illustrationen im Verlage der Gebrüder Wigand zu Leipzig (1840), die bezeichnenderweise noch auf Subskription herausgegeben wurde 58 und einigen 55

A. Diezmann: Schiller und der Buchhändler Hempel. In: Die Gartenlaube Jg. 1868, Nr. 37, zit. nach: Allg. Zeitung 1868, Beilage 261 vom 17. Sept., S. 3958. Der Verlauf der Polemik wird dokumentiert, teilweise in Faksimiles, bei A. Brauer: Dümmler-Chronik, S. 160-74. 56 Vgl. neben den bei Brauer erwähnten Artikeln auch: Ein neuer Schiller-Streit. In: Blätter für lit. Unterhaltung 1868. II. Nr. 52, S. 830. 57 Hans Herrig: Billige Ausgaben. In: Die Gegenwart 17 (1880), S. 87-89, hier S. 87. Vgl. ähnlich unter konfessionellen Aspekten [C. W. Wurst]: Kreuz- und Querzüge, S. 29. Zum Klassikerjahr siehe auch Birgit Sippell-Amon: Die Auswirkung der Beendigung des sogenannten ewigen Verlagsrechts am 9.11. 1867 auf die Editionen deutscher »Klassiker«. In: Archiv für Geschichte d. Buchwesens XIV (1974), Sp. 349-416. 58 Aufschlußreich wäre eine Untersuchung der sozialen Schichtung der Subskribenten. Ansätze dazu bei C. P. Magill: The development of the German reading public 1840-48 (Thesis Ph. D. masch, London 1938), S. 426f.: hauptsächlich mittlerer Adel, Kaufleute, Bankiers und Fabrikanten sowie höhere Verwaltungsbeamte. 135

anderen aufwendigen Illustrationswerken abgesehen, beginnt die Verbreitung eigentlicher Prachtausgaben etwa parallel mit den Versuchen, durch billige Reihen breitere Publikumsschichten zum eigenen Buchbesitz zu animieren. »Nachdem Schiller und Goethe zum >profanen< Eigenthum auch der niederen Volksklassen geworden sind und der Besitz dieser Classiker dem Bücherschrank kein vornehmes Air mehr zu geben vermag«, 59 benötigte der wachsende Bildungsaristokratismus des Besitzbürgertums aufwendigere Belege seiner kulturellen Führungsrolle. Die erste große literarische Prachtausgabe war dem Lieblingsdichter der Bourgeoisie gewidmet. Cotta brachte 1864 eine illustrierte Edition der Schillerschen Lyrik heraus, deren Aufmachung bereits völlig gründerhaft anmutet. Zitate aus dem Werbetext: Schillers Gedichte. Jubiläums-Prachtausgabe. Mit 16 großen und 27 kleinen, dem Text eingefügten Photographien nach Zeichnungen von Böcklen [!], Kirchner, Karl Piloty, Ferd. Piloty, Ramberg, Schwind und andern. Ferner mit einer Titel-Photographie nach einem Basrelief von Scheffauer und zahlreichen Anfangs- und Schluß-Vignetten in Holzschnitt, gezeichnet von Julius Schnorr. [ . . . ] in Prachteinband in stark en relief gepreßtem Chagrinleder in den Farben anilinroth, anilinviolett, braun und grün, mit einer Unterlage von Sammet für das Medaillon und folgenden in Bronze ausgeführten, auf galvanischem Weg echt vergoldeten Ornamenten: auf der Vorderseite: a) 4 Rosetten (Knöpfe), b) Großes Medaillon, Schillers Büste, c) Einrahmung. Auf der Kehrseite: 4 Rosetten (wie oben). Auf dem Rücken: 1 vergoldeter Schild, 2 kleinere Rosetten. 60

Der veräußerlichte, wesentlich auf die Vermittlung von Sozialprestige gerichtete Bildungsgriff der frühen Gründerjahre zeigt sich hier gekoppelt mit dem unverhohlenen Stolz auf die Leistungsfähigkeit nationalen Gewerbefleißes und zeitgemäßer technischer Errungenschaften. Neue Reproduktions- bzw. Illustrationsverfahren (der Unterschied bleibt gänzlich unreflektiert) wie die Photographie werden funktional gleichberechtigt neben die alten gestellt und imitieren diese. Auch die Einbandgestaltung ist gekennzeichnet durch den Dualismus von (falscher) Historisierung - Rosetten und Reliefpressungen waren zu Schillers Zeit durchaus unüblich - und gleichzeitiger Verwendung aktuellster technischer Entwicklungen (Anilinfarben) ohne funktional-ästhetische Rücksichten. Dabei tritt der eigentliche Text in den Hintergrund als nur mehr initiierendes Moment einer von ihm losgelösten Prunkentfaltung; doch bleibt die trivialklassizistische Grundhaltung durch die Wahl jener Autoren gewahrt, die einer Prachtausgabe für würdig befunden werden. Eine systematische Statistik auch unter Gattungsaspekten würde hier aufschlußreiche Ergebnisse bringen - jedenfalls gab es keine Raabe-, Keller-, Storm-, Fontane-, ja nicht einmal Heyse-Prachtausgaben, dafür desto mehr Freytag, Scheffel, Julius Wolff, etc. gewidmete. Natürlich wurden solche Editionen kaum zu Lektürezwecken gekauft. Sie dienten als »Staubfänger auf dem Sophatisch« und »Bilderbücher für große Kinder, die eigentlich nur da zu sein scheinen, um auf dem Weihnachtstisch unter dem Christbaum oder zum

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R. Gottschall: Die Classiker und der dt. Buchhandel. In: Blätter für lit. Unterhaltung 1867, Nr. 50, S. 798-99, hier S. 799. 60 Anzeige in der (Augsburger) Allgemeinen Zeitung 1864, Nr. 15 v. 15. Jan., S. 244.

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Durchblättern für >Besuch< in das Salonzimmer gelegt zu werden«. 61 Daß nur eine kapitalkräftige Elite in den Genuß solcher Prestigesteigerung gelangen konnte, dafür sorgten bis Anfang der siebziger Jahre die Preise solcher Ausgaben. Die genannte Cottasche Schilleredition kostete 42 Thaler 42 Ngr. bzw. 73 fl. Das entsprach etwa dem Lohn von anderthalb Arbeitsjahren einer schlesischen heimarbeitenden Weberfamilie zur selben Zeit oder mehr als einem Viertel des durchschnittlichen jährlichen Arbeitseinkommens der damals in Industrie und Handel Beschäftigten. 62 Doch ein offensichtlich sehr starker Nachfragestoß führte zur Publizierung von Prachtausgaben-Surrogaten mit Preisen, die auch dem oberen Mittelstand erschwinglich schienen. Auch bei ihnen war wichtigste kaufstimulierende Eigenschaft die pseudoluxuriöse Ausstattung, was sich bald im Verkaufsarrangement niederschlug: So haben denn die Buchhändlerläden ein ganz eigentümlich buntes Aussehen bekommen, und der Ladentisch flimmert in Roth, Blau, Grün, in Gold und Silber. Während früher in schlichter Reihe die Bücher nebeneinander aufgestellt waren, giebt's jetzt eine ganz besondere Kunst in geschmackvollen Arrangements, die brillanten Einbände nach den Farben und dem Formate aufzustellen. 63

Zahlreiche Verlage begannen sich auf »Prachtwerke und Geschenk-Literatur« so die übliche Rubrizierung - zu spezialisieren. Ein Verzeichnis von VerlegerAdressen nennt 1879 26 wichtige Verlage für Schöne Literatur, 24 für Prachtausgaben. 64 Allerdings war gerade der Handel mit solchen Luxusartikeln extrem krisenanfällig. Nach dem Gründerkrach von 1873 und der Depression von 1877 konnten sie auf dem Weihnachtsmarkt kaum abgesetzt werden. 65 Eine genauere Untersuchung der Bedeutung von Prachtausgaben für das kulturelle Selbstverständnis der Gründerzeit müßte sich vor allem mit der Verlagswerbung befassen. So fällt beispielsweise auf, daß sie nicht allein an den Repräsentationsdrang ihrer Käufer appelliert, sondern auch mit Vorliebe einen säkularisierten religiösen Wortschatz verwendet. Eine Hallbergersche Prachtausgabe von 61

Gerhard von Amyntor: Reform der illustrirten Prachtwerke. In: Börsenblatt für d. deutschen Buchhandel 1881, Nr. 270, S. 5311; Gustav Moldenhauer: Zum Kapitel der Bücherausstattung. In: Deutsche Buchhändler-Akademie 1 (1884), S. 503-510, 589-599, 635-643, hier S. 636. 62 Vgl. die Angaben zum Arbeitslohn bei Lothar Schneider: Der Arbeiterhaushalt im 18. und 19. Jahrhundert (Beitrr. z. Ökonomie von Haushalt und Verbrauch 4) Berlin 1967, S. 34, 112. 63 Heinr. Pfeil (Hg.): Archiv für Buchhändler 1 (1868), S. 183. Im selben Jahr bringt Cotta seine Schiller-Prachtausgabe broschiert in 12 Lieferungen für 7 Thaler 6 Ngr. heraus (Anzeige in der Allg. Zeitung 1868, Außerord. Beilage 317, o. P.). 64 J. H. Wehle: Das Buch. Technik der SchriftsteUerei. Wien: Hartleben 1879, 21890. S. 204ff. Die Anzahl der Kunstverlage nahm zwischen 1865 und 1869 von 97 auf 154 zu (Gerh. Menz: Deutsche Buchhändler. Leipzig 1925, S. 276). Die Herstellungs- und Vertriebsstrategie der oft in Lieferungen erscheinenden und auf dem Kolportageweg verbreiteten Prachtwerke dokumentiert am Beispiel der »Germania« mit einer Auflage von 16000 Exemplaren A. Spemann: Wilhelm Spemann, S. 103ff. 65 E. Höfer: Der Literaturfreund 2 (1873), Nr. 3, S. 37; Das Weihnachtsgeschäft 1877. In: Börsenblatt f. d. deutschen Buchhandel, 1878, Nr. 11, S. 159.

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Schillers Werken wird als ein Buch gepriesen, das »in Deutschland den Ehrenplatz neben der Bibel beanspruchen darf«, 66 andere als »Buch der Bücher« und »weltlich' Evangelium« 67 - religiöse Formeln werden vor allem mit nationalen Inhalten gefüllt. Die Kulturideologen des Kaiserreichs legitimierten die illustrierten Prachtwerke ähnlich als Mittel bürgerlicher Bildungsmission wie 1867 die erhoffte Popularisierung der Klassiker; indem der von ihnen repräsentierte kulturelle Gründergeist in immer breitere Schichten des Publikums eindringe, würden sie zu einem »Elemente der Volkserziehung« und führten durch ihre ideologische Präformation zu einer »nicht zu unterschätzendefn] Bereicherung des nationalen Empfindens«. 68 Tatsächlich manifestiert sich in den Prachtwerken ein neuer, spezifisch gründerzeitlicher, potentiell alle sozialen Schichten umfassender Geschmackstrend im Verhalten gegenüber dem Buch: neben seine inferiore Rolle als gesellschaftlich irrelevantes Verbrauchsgut ohne jeglichen materiellen Wert tritt die des relativ billigen Ausweises der Zugehörigkeit zur bürgerlichen Kultur - aber dies nicht mehr als Medium geselligen Räsonnements, sondern als veräußerlichtes Konsumattribut, dessen materieller Besitz von der geistigen Bewältigung zugleich kündet und dispensiert. Ein tatsächliches Lektürebedürfnis war damit nicht verbunden und hierin liegt auch der Fehler des auf den ersten Blick bestechenden Vergleichs, den das Magazin für den deutschen Buchhandel zwischen diesen literarischen Erzeugnissen für die besitzenden Schichten und jenen für die unteren anstellte: die Prachtwerke seien Gründerliteratur für den Weihnachtstisch, Colportageliteratur für das >bessere Publicum d. h. Leute mit Geld, deren Mittel es zweifellos gestatteten, ihr Daheim künstlerisch würdig auszuschmücken, für deren Schönheitssinn und Gefühl aber solche >Prachtwerke< mehr Verständnißinniges haben. Es herrscht hier genaue Analogie: genauso wie der Colportageroman mit seinen Sensationstiteln und seiner in allen Floren blühenden und duftenden Darstellungsweise bei dem herzenseinfältigen, von der höheren Geistescultur noch nicht beleckten Colportage-Publicum ein erstes literarisches Bedürfnis anregt, geradeso wird mit den >Prachtwerken< dem Gründer und was ihm im geistigen Horizonte und im Geld gleich steht, ein seiner Bildungsstufe angepaßter künstlerischer Salonschmuck gegeben. 69

Kolportage Der Kolportage-Vertrieb von Schriften aller Art durch wandernde, ortsungebundene und systematisch ganze Regionen durchstreifende Hausierer war schon seit Gutenbergs Erfindung in mehr oder minder großem Umfang praktiziert worden. 66

(Westermanns) Jahrbuch d. Illustrierten Deutschen Monatshefte 43/3 (1878), Nr. 65, S. 547-50, hier S. 550. 67 Anzeige in Börsenblatt f. d. dt. Buchhandel 1882, Nr. 240, S. 4460. 68 Otto v. Leixner: Weihnachtliche Rundschau. In: Dt. Rundschau 21 (1879), S. 496-503, hier S. 496. 69 Magazin für den dt. Buchhandel, hg. A. Schümann 1 (1874), H. 2, S. 32.

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Im 18. Jahrhundert hatten Kalender, Flugblätter und die katholische Traktätchenund Devotionalienliteratur ihre Abnehmer fast auschließlich auf diesem Wege gefunden. Auch hier war es erstmals C. J. Meyer, der systematisch durch den einzelnen Kolporteur seine Verlagserzeugnisse unter Umgehung des üblichen Sortiments-Buchhandels von Haus zu Haus vertrieb. Selbst Cotta soll 120000 Exemplare seiner billigen Schillerausgabe 1839 über Kolporteure abgesetzt haben. Damit konnten völlig neue Käuferschichten erschlossen werden, die bislang sowohl aufgrund äußerer Verhältnisse (weite Entfernungen etc.) als auch wegen latenter »Schwellenangst« vor dem Betreten einer Buchhandlung nicht als Rezipienten in Erscheinung getreten waren, dabei aber intensives Leseinteresse und einen mit der Hoffnung auf sozialen Aufstieg gekoppelten Bildungshunger besaßen: Angehörige der ländlichen und kleinstädtischen Mittelschichten, Handwerker und Gewerbetreibende, Subalternbeamte, in den Städten im letzten Jahrhundertdrittel insbesondere Angehörige der Unterschichten in Industrie und häuslichen Diensten. Das System des Lieferungsvertriebes im Abonnement, das jeweils mit dem Erhalt eines Heftes die Bezahlung des folgenden koppelte, bot sowohl dem Verleger eine sichere Kalkulationsbasis als auch den kaufkraftarmen Bestellern eine scheinbare Zahlungserleichterung. Während noch bis in die fünfziger Jahre viele Kolportageverleger die gesammelten Abonnenten der nächstgelegenen Sortimentshandlung überließen, 70 erwies sich der Kolportagehandel im weiteren Verlauf zunehmend als ernste Konkurrenz des traditionellen Sortiments gerade bei gängigen Artikeln. Wenngleich bei diesem besonders spekulativen Gewerbe die Zahlen stark fluktuieren, ist doch erkennbar, daß um 1880 ein beträchtlicher Teil der Sortimenter auch oder ausschließlich zum Kolportagehandel überlief. 1882 befassen sich von insgesamt 5686 deutschen Buchhandlungen 1079 mit Kolportage, 71 also beinahe ein Fünftel. Hier schien ein Ausweg aus der Misere des bisherigen Buchvertriebs gefunden. Ähnlich wie die Nachdrucker des 18. Jahrhunderts inbesondere im Süden Deutschlands einen bedeutenden Anteil an der Verbreitung der sich konstituierenden Nationalliteratur hatten, übernahmen die Kolporteure vor allem nach 1860 die vom herkömmlichen Sortiment meist nicht bewältigte oder verschmähte Aufgabe der individuellen Leserbetreuung und Lesererziehung.72

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Vgl. J. Goldfriedrich: Geschichte, S. 465. Friedrich Kapp: Zu dem neuen Gesetzentwurf, den buchhändlerischen Colportagehandel betreffend. In: Börsenblatt f. d. deutschen Buchhandel 1882, S. 4583-85, hier S . 4 5 8 4 . Die Behauptung H. Eggerts (Studien zur Wirkungsgeschichte, S. 36): 1870 habe es erst 7(!) Kolportagebuchhandlungen gegeben, ist falsch. J. Goldfriedrich: Geschichte, S. 492 zählt bereits 1869 219 Kolportageverleger und -Sortimenter! Zur Bedeutung der Kolporteure um 1800 für die populären Lesestoffe s. Rudolf Schenda: Volk ohne Buch (Frankfurt 1970), Kap. IV passim. Eine erste Materialiensammlung zum Kolportagebuchhandel im 19. Jahrhundert bietet Friedrich Eisner: Beiträge und Dokumente z. Geschichte des werbenden Buch- und Zeitschriftenhandels Bd. 1. Köln 1961. Vgl. auch Rolf Engelsing: Massenpublikum und Journalistentum im 19. Jahrh. in Nordwestdeutschland, Berlin 1966, S. 78ff. zur sozialdemokratischen Kolportage.

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Die mittels Kolportage vertriebenen Werke lassen sich in drei Gruppen gliedern: 1. Periodica. Der weitaus größte Teil der nichtwissenschaftlichen Zeitschriften ist im letzten Jahrhundertdrittel durch Kolportageabonnements abgesetzt worden (zu den allgemeinen Auflagenhöhen vgl. S. 151). Die »Verzehnfachung der Abnehmerzahl« der unterhaltenden und populärwissenschaftlichen Presse seit dem Vormärz ist wesentlich darauf zurückzuführen. 73 Ein Beispiel: der Stuttgarter Verleger Schönlein hatte seinen Zeitschriften-Vertrieb über das Sortiment nach unbefriedigenden Ergebnissen ausschließlich auf Kolportage umgestellt, ohne aber sonstigen Werbungsaufwand zu betreiben. Daraufhin erschien seine zuvor unrentable Chronik der Zeit in den siebziger Jahren mit einer Auflage von etwa 200000 Exemplaren. 74 Eine einzige Kolportagevertriebsfirma betreute 24000 Abonnements der Gartenlaube, 5000 von Über Land und Meer, 4000 des Schönleinschen Buchs für alle, 6000 der Chronik der Zeit, aber auch 3000 des Meyerschen Conversationslexikons und mehr als 1000 der verschiedenen Klassikereditionen. 75 Die Firma behauptete, daß solch hoher Absatz letztlich nur durch den Kolportageroman ermöglicht werde, da jeder neugewonnene Kunde zunächst ausschließlich an möglichst spannendem Lesefutter interessiert sei und jedes andere Lektüreangebot hartnäckig zurückweise - aber »Thatsache ist, die jeder Colporteur und Bote bestätigen wird, daß der größte Theil solcher zum Lesen gewonnenen Abonnenten nach einigen Jahren den Roman verläßt und auf bessere Leetüre wie Zeitschriften u. a. subscribirt«.76 Dies ist ein bedeutsamer Beleg für die Entwicklung des individuellen Leseverhaltens in den Unterschichten der Gründerjähre: zuerst wird die intensive, weitestgehend unreflektierte Lektüre eskapistischer Fiktion bevorzugt, erst danach öffnet sich der Zugang zu extensivem Konsum aktueller, situative Erkenntnis vermittelnder Periodica durch das »Hinauflesen«. 2. Auch im regulären Buchhandel erhältliche Schriften, deren geringer Preis oder Attraktivität für ein größeres Publikum oder bestimmte Zielgruppen den Kolportagevertrieb lohnend erscheinen ließen - so fast alle nach dem Klassikerjahr 1867 erschienenen Sammelwerke und Serien, Collectionen und Reihen, aber auch Lexika, Brehms Tierleben (dessen Herstellungskosten von 2 Millionen Goldmark ohne Kolportagevertrieb nicht hätten aufgebracht werden können), kostspielige Fachliteratur für Gewerbetreibende sowie Prachtausgaben. 3. Artikel, die ausschließlich für den Kolportagevertrieb hergestellt wurden; die Auswahl, die ein Kolporteur mit sich führte, reichte von Kalendern, Traktätchen, Occulta und klerikalen Volksschriften bis zu sozialdemokratischer Agitation, von Eroticis bis zu hurrapatriotischen Kriegsschilderungen, von populär- und 73

Heinrich Wuttke: Die deutschen Zeitschriften und die Entstehung der öffentlichen Meinung. 3. Aufl. (maßgebl.!) Leipzig: Krüger 1875, S. 259. 74 Ebda. 75 Weiteres in Sachen der Colportageromane. In: Börsenblatt f. d. dt. Bh. 1875, Nr. 194, S. 2978f. (Notiz d. Firma Burmester & Stempell, Berlin). 76 Ebda., S. 2979.

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pseudowissenschaftlichen medizinischen Werken und reichillustrierten Reiseschilderungen bis zum Kolportageroman. Die Auflagen solcher Schriften waren außerordentlich hoch; vor allem von den ersten Lieferungen wurden oft mehrere hunderttausend Exemplare gratis verteilt, so daß bis zum Schluß des Erscheinens noch immerhin mindestens 30-40000 Abnehmer blieben. Die Kolporteure selbst erhielten im allgemeinen die ersten Lieferungen gratis zur Verteilung und darüber hinaus je nach Höhe der Abnahme hohe Rabatte, so bei 100 Exemplaren 60%. Da jedes Werk auf eine sehr stattliche Zahl von Lieferungen, oft 150-200, gestreckt wurde, kam es trotz des täuschend niedrigen Preises für das Einzelheit insgesamt weit teurer zu stehen als ähnliche Schriften im Sortimentsvertrieb. 77 Über die Zudringlichkeit und Skrupellosigkeit der Kolporteure wurde häufig Klage geführt; oft mußten sich Gerichte mit ihren Täuschungsmanövern befassen, durch die sie vor allem auf dem platten Land Abonnentenfängerei betrieben. 78 Im Zentrum der Kritik stand allerdings jahrzehntelang der Kolportageroman - mit ihm begann nicht selten bei den städtischen und ländlichen Unterschichten der Eintritt ins Reich der Lektüre. Aus den Erinnerungen führender Sozialdemokraten des Kaiserreichs ist ersichtlich, daß auch sie in ihrer Jugend diese Romane verschlangen79 und bekanntlich hat Karl May seine Karriere mit solchen Produkten eröffnet. Besonders aufschlußreich für die Mentalität der Rezipienten ist das Prämiensystem, das einen zusätzlichen Anreiz zum Abonnement bieten sollte. Während sich in den ersten Gründerjähren solche Prämien auf Kunstblätter, Uhren, billigen Schmuck und Bestecke beschränkten, ist im Verlauf der siebziger Jahre auch hier eine groteske »Feudalisierung« zu erkennen: bei Prämienverlosungen geht es nun um Villen, Pianinos und Equipagen und die Anpreisung der Prämien steht in bezeichnendem Gegensatz zur Tendenz der Romane selbst. Der Verlag R. Otto in Leipzig bietet zu seinen Gesammelten Volks-Erzählungen von Chrys. [!] Krause als Prämie völlig gratis zwei Oeldruckbilder von wunderbarer Schönheit, welche einer fürstlichen Gemäldegallerie zur Zierde gereichen, in kostbaren massiven englischen tiefgekehlten Goldleisten-Rahmen.

Die Vereins-Verlagsbuchhandlung in Heidelberg und Zürich gab zu dem Roman: Die Selbstmörder oder die Feinde redlicher Arbeit. Ein Bild der Verkommenheit in den höheren Gesellschaftsclassen als Gratisprämie ein prachtvolles Kaffee-Service von sehr feinem Porcellan mit ächtem Gold- und Farbendecor [ . . . ] welches die feinste Familie auf dem Tische präsentiren kann. 80 77

Über den Unfug der Colportage. In: Börsenbl. f. d. deutschen Buchhandel 1880, Nr. 242, S. 4318-20, hier S. 4319. Generell im Börsenblatt zwischen 1870 und 1885 zahlreiche Artikel gegen den Kolportagehandel. Sehr materialreich Otto Glagau: Der ColportageRoman. In: Der Salon 6 (1870), S. 51-59. Abgedruckt in R u G 2 , S. 661-669. 78 Vgl. Börsenblatt 1876, Nr. 286, S. 4634; Böbl. 1875, S. 4184. 79 Vgl. Johannes Langfeldt: Zur Geschichte des Büchereiwesens. In: Handbuch des Büchereiwesens, hg. Joh. Langfeldt Bd. I, Wiesbaden 1973, S. 57-786, hier S. 377f. 80 Die Volkslitteratur. In: Neuer Anzeiger für Bibliographie und Bibliothekswissenschaft, hg. J. Petzholdt, Jg. 1875, S. 163-166, 194-198, hier S. 196.

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Diese Romane, deren Auflagen eine halbe Million überschreiten konnten, 81 übernahmen oft die Funktion der früheren erbaulichen Konsolationslektüre, gingen »in manchen Familien, namentlich bei der ärmeren Landbevölkerung von Kind auf Kindeskind über« und bildeten »oft jahrelang die einzige Leetüre für die Familie und ihre befreundeten Nachbarn, und die hierin enthaltenen Behauptungen werden von allen Familienmitgliedern als maassgebend angesehen und als die ihrigen adoptirt«. 82 In Berlin gehörten die fliegenden Verkäufer von Schauerliteratur (die sich ausschließlich diesem Genre widmeten) in Destillen und Budiken, auf Hinterhöfen und Fabrikfluren zu den gern gesehen Gästen: Man konnte kaum die Fortsetzung erwarten und der >Hintertrepplerkennten ihre ClassikerBildungsphilister< miterzeugt, den Nietzsche als Typus der reichsdeutschen Bildung karikiert hat.109 Der Trivialidealismus, der das Erbe der Klassik zu verwalten meint, mißt seinen geistigen Horizont aus. Die Klassiker und die Gartenlaube, das ist hier die Losung. »In der Jugend die Classiker, nachher die Gartenlaube, in welcher es ja nicht an begeisterten Schilderungen aus den goldenen Tagen Weimars fehlt.«110 Das Gymnasium hat die triviale und epigonale Tagesliteratur, die für uns nur kulturhistorischen Wert besitzt, den Klassikern im Ernst an die Seite gestellt. Diese Wertung, die für das Verständnis der Kritik und des literarischen Lebens wichtig ist, läßt sich eindringlich veranschaulichen. Kluges erfolgreiche Schulliteraturgeschichte kennt - in der 15. Auflage 1884 - Otto Ludwig, Storm, Keller, Raabe oder C. F. Meyer nicht, läßt sich aber ζ. T. ausführlich über Kinkel, Redwitz, Roquette, Scheffel, Jordan, Ebers, Dahn, Julius Wolff, Baumbach oder Weber aus. Noch in der 34. (!) Auflage 1903 erhält Ebers »gut anderthalb Seiten, d. h. mehr Raum, als Friedrich Hebbel, Otto Ludwig, Theodor Storm, Gottfried Keller, Klaus Groth, K. F. Meyer und Eduard Mörike, kurz, als die sämtlichen Großen unsrer neueren Literatur zusammen«.111 - Die Aufsatzsammlung desselben Verfassers - in der 7. Auflage 1894 - führt an Vorschlägen aus der neueren Literatur an: zwölf Themen zu

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H[ermann] Wedewer: Die Literatur und die christliche Jugendbildung, Frankfurt/M. 1868. Zit. n. Wolfgang Menzels Literaturblatt 1868, S. 120. Menzel bespricht die einschlägigen Veröffentlichungen von konservativer u. christlicher Seite. 107 Hans Herrig: Das Classicitätsdogma. In: Neue Monatshefte für Dichtkunst und Kritik 2 (1875), S. 133-40. Hier S. 137. 108 Ebd. S. 137. 109 Friedrich Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen. Erstes Stück: David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, Leipzig 1873. 110 Herrig: Das Classicitätsdogma, S. 138. 111 Hermann Kluge: Geschichte der deutschen National-Litteratur, 15. verb. Aufl. Altenburg 1884. Der Verriß der 34. Aufl. stammt von Ferdinand Avenarius. In: Der Kunstwart 17/1 (1903/04), S. 94-96. Hier S. 95 (Hinweis Günter Hess, München).

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Freytag (davon elf über die Ahnen), sieben zu Ebers, vier zu Weber, zwei zu Jordan und Scheffel, je einen Aufsatz über Geibel, Kinkel und Redwitz.112

Die Stoffgläubigkeit des Positivismus hat es erleichtert, die Gründerzeitprodukte mit stoff- oder motivgleichen klassischen Dichtungen zu parallelisieren und als ihr legitimes Erbe auszugeben.113 Die deutsche Bildung hat damit die Rezeption der konsequenteren realistischen und naturalistischen Literatur des Auslandes bis um 1880 nahezu verhindert. Als der Naturalismus auch im Reich Fuß faßte, hat sich die Schule in ihrem Trivialidealismus eingeigelt. »Fernzuhalten ist all das Widerwärtige und Häßliche, das mit der getreuen Schilderung der sozialen und sittlichen Verkommenheit unserer Zeit zusammenhängt, wie sie bei den Naturalisten beliebt ist, während die Poesie doch über das Alltägliche erheben, von dem Druck des Daseins freimachen und das Leben verklären soll.«114 Die Philologen haben mit Vorliebe Freytag als gesunden Nationalautor ausgespielt.115 Der Literaturunterricht - der ja nur den Geschmack des Bildungsbürgertums reproduzierte scheint dabei nicht ohne Erfolg gewesen zu sein. Uhde-Bernays kann vom »Freytag-Enthusiasmus« seiner Gymnasialjahre berichten.116 Meinecke kaufte sich vor seinem Abitur (1882) Wolffs Wilden Jäger, »denn das hielt ich damals für große Poesie«, und unternahm als junger Student in Bonn Sonntagswanderungen nach Godesberg, »wo das viel gefeierte Ännchen von Godesberg, angeblich das Urbild der Baumbachschen Lindenwirtin, am Klavier saß und unsere Lieder begleitete«. »Noch waren wir völlig unberührt von der großen naturalistischen Wetterwende, die sich in Norwegen, Rußland und Frankreich damals vollzog, bewunderten die Epigonen unserer Klassiker beinahe ebenso wie diese selbst.«117 Die höhere Schule hat den Historismus, der die Kultur der Gründerzeit prägt, voll und ganz mitgetragen. Die Fülle der oft wertlosen Produkte, welche die Schule in ihren Unterricht zog, kann eine Liste für die Obersekunda, die der Zeitschrift für den deutschen Unterricht entnommen ist, andeuten: So kann man in Obersekunda im Anschluß an die Behandlung des Nibelungenlieds berichten lassen etwa über Hebbels Nibelungentrilogie, Jordans Nibelunge, Geibels und Waldmüllers Brunhild, Wilbrandts Kriemhild, Markgraf Rüdiger von'Dahn, Siegfrieds Tod und Kriemhilds Rache von Siegert - natürlich nicht in jedem Schuljahr über sämtliche der genannten Dichtungen, - ferner über Linggs Völkerwanderung, Kinkels Otto der Schütz, Webers Dreizehnlinden, Freytags Ahnen, Gerhard von Amyntors Gerke Suteminne, Ernst Wicherts Heinrich von Plauen u. a.118

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Hermann Kluge: Themata zu deutschen Aufsätzen und Vorträgen, 7. verb. Aufl. Altenburg 1894. 113 Wie der Deutschunterricht die Gründerzeitliteratur an klassische Dichtungen motivlich anschloB, zeigt Heinrich Gloël: Die nachgoethische Litteratur in den oberen Klassen. In: Zeitschrift für den deutschen Unterricht 11 (1897), S. 22-43. Hier S. 37/38. 1,4 Ebd. S. 25. 115 Gerald Trageiser: Gustav Freytag als >Kulturfaktorkommen Sie, Cohnantique< bezeichnen; aber wie Jemand die Wand >mit Büchern tapezieren< kann, das will ihnen nicht in den Sinn. In irgend einem Schranke, der sonst auch noch alles mögliche andere verwahrt, stehen ein Paar Bände der Gartenlaube oder der Illustrirten Zeitung, irgend eine billige Schillerausgabe und was sonst etwa zum notdürftigsten literarischen Comfort gehört; alle Bedürfnisse, die darüber hinausliegen, kann man ja für wenige Pfennige in der Leihbibliothek befriedigen. Und selbst Gebildetere, die

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Nymphenburger Ausgabe Bd. 20, S. 409f. W. Langenbucher: Das Publikum im lit. Leben des 19. Jahrhunderts, S. 1864 zitiert dieses Gedicht nach E. K. Bramstedt ohne Bezug auf das jüdische Publikum. 145 Abgedruckt in RuG 2, S. 626-630. 146 Vgl. A. Meißner: Ueber deutsche Schriftsteller-Misère. In: Neue Freie Presse. Wien 1865, Nr. 199 vom 19. März; (R. Gottschall:) Die Aufhebung der Verlagsmonopole und die deutschen Nationalbibliotheken. In: Unsere Zeit N. F. 4/11 (1868), S. 870-77, hier S. 872; Wer in Deutschland Bücher kauft. In: Die Grenzboten 42/4 (1883), S. 164f. 228

noblere Passionen haben, werden noch eher auf Bilder und Antiquitäten, auf eine schöne Bibliothek aber gewiß zu allerletzt verfallen.147

Wenn kulturelles Interesse gleichzeitig mit gesellschaftlicher Aktivität verbunden werden konnte - beim Besuch von Konzerten, Theateraufführungen, Opern, Gemäldegalerien - , also repräsentativen Wert besaß, spielten finanzielle Gesichtspunkte keine Rolle. Das Buch aber, obgleich Requisit des täglichen Lebens, hatte keine kommunikative Kraft mehr - von seiner allweihnachtlichen Funktion als billigstes »gebildetes« Geschenk abgesehen. Die Leihbibliotheken, deren »beschmuzte Bände man in den feinsten Boudoirs findet«,148 befriedigten die im Wortsinne kapitalistische, auf möglichst wohlfeile Beschaffung eines anonymen Konsumgutes ausgerichtete Einstellung der Oberschichten zum Buch, besonders zum literarischen, fast völlig. Das ist in den fünfziger Jahren bereits ebenso festzustellen149 wie um 1880. Nicht anders stand es beim deutschen Adel in den Jahren zwischen 1848 und 1880, dessen Leseverhalten bisher allerdings weitgehend unerforscht ist. So homogen auf den Außenstehenden die Aristokratie noch wirken mußte, so stark waren die sozialen und ökonomischen Differenzierungen. Das Verhältnis zur Literatur aber scheint sich vom großbürgerlichen kaum unterschieden zu haben; gleich war die Abneigung gegen das Bücherkaufen. Daß der Kundenkreis der Leihbüchereien noch oben hin mit dem Kleinadel zu begrenzen sei,150 ist sicherlich falsch. In der Berliner Firma Borstell zählten zu den Benutzern hohe Offiziere, die Hofgesellschaft, Fürst und Fürstin Bismarck, die Prinzessin Friedrich Karl von Preußen und Prinzen,151 in der größten Wiener Leihbücherei von Albert Last war beispielsweise die Kaiserin Elisabeth ein häufiger Kunde - ebenso wie Grillparzer.152 Der literarische Geschmack des niederen und mittleren Adels dürfte im wesentlichen mit jenem des nationalkonservativen Bürgertums identisch gewesen sein: Memoiren belegen, daß in den sechziger Jahren zu den Favoriten der preußischen Aristokratie Freytag und Auerbach, Spindler, Gutzkow, Schücking, Henriette Paalzow, Luise Mühlbach, Ida Hahn-Hahn und natürlich Hesekiel gehörten.153 Daß sie dagegen Fontane auch später bestenfalls als patriotischen Balladendichter schätzte, ist bekannt. Über die Illiterarität der märkischen und ostelbischen Junker äußert ein Kritiker 1874, ihre Bildung bestehe darin, 147

Gustav Wustmann: Der deutsche Buchhandel auf der Weltausstellung in Philadelphia. In: Die Grenzboten 35/1,1 (1876), S. 321-330, hier S. 330. Ähnlich: Über die >Powerteh< im Buchhandel. In: Deutsche Buchhändler-Akademie, hg. H. Weißbach 2 (1885), S. 647f. 148 (R. Gottschall:) Die Aufhebung der Verlagsmonopole, S. 872. 149 Hamburgs geistiges Leben II. In: Die Grenzboten 16/11,4 (1857), S. 421. 150 So H. Eggert: Studien zur Wirkungsgeschichte, S. 37. Leider übernimmt F. Martini: Nachwort zur 3. Auflage von »Deutsche Literatur im bürgert. Realismus«, S. 962f., dies als gesicherte Erkenntnis. 151 Vgl. Der literarische Verkehr 5 (1874), Nr. 1/2, S.2f.; Börsenblatt f.d. deutschen Buchhandel Jg. 1957, Nr. 38, S. 582. 152 Vgl. Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, 21. Lieferung, Wien 1970, S. 36. 153 Fedor v. Zobeltitz, zit n. Eggert, S. 37.

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gar nichts zu lesen, wie unsere Rittergutsbesitzer in Pommern oder Mecklenburg, die, wenn sie auch einen Theil ihrer Jugend auf Universitäten verkneipt haben, nur dann zu einer Zeitung greifen, wenn sie die Geburt eines gesunden Jungen oder einen Viehmarkt annoncirt haben, aber zu einem Buche - nie, nie!154

Der umfängliche exemplarische Briefwechsel einiger Aristokratinnen am bayerischen und österreichischen Hofe zwischen 1835 und 1865, in dem eingehend von musikalischen und theatralischen Aufführungen die Rede ist, enthält nicht eine einzige Zeile über Buchlektüre einer der beteiligten Damen.155 Eine Ausnahme scheinen dagegen die Landedelleute in Ostpreußen, dem Baltikum und Ungarn gewesen zu sein, die umfangreiche Bibliotheken anlegten, Vorleseabende und Liebhaberaufführungen arrangierten und bei denen Vertrautheit mit den literarischen Novitäten zum guten Ton gehörte. Bei der Hocharistokratie lassen sich Zeugnisse für Mäzenatentum gegenüber den bildenden Künsten und der Musik in bemerkenswerter Zahl finden - mit der Unterstützung der Literatur stand es dagegen sehr bescheiden. Die »hochgemuten Freundschaften einzelner Standesherren oder standesherrlicher Familien mit Vertretern des geistigen Deutschland«, die H. Gollwitzer aufzählt, beschränken sich mit Ausnahme Rilkes und Ferdinand von Saars auf Schriftsteller vom Range eines Franz Xaver Kraus, Odilo Rottmanner, J. J. Wagner, Christoph von Schmid und Karl Egon Ebert - es ist nicht zu leugnen, daß »in dem präintellektualistisch geformten Lebenskreis des Adels der Bildungsbegriff im Verständnis des 19./20. Jahrhunderts nicht im Mittelpunkt stehen konnte.156 Die Lektüre der regierenden Häuser und ihr Verhältnis zur Literatur insgesamt bedürfen noch genauerer Untersuchung und können nicht auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Das von klassizistischen Bildungsidealen getragene Mäzenatentum Max. II von Bayern dessen Münchner Kreis der Nordlichter wohl die homogenste Dichtergruppe der Zeit darstellt, fand an anderen Höfen keine Nachahmung, ebensowenig die Theaterleidenschaft des Meininger Fürsten. Allerdings waren die Repräsentanten der nationalliberalen Dichtung an vielen Höfen gern gesehene Gäste: Auerbach wurde zu Vorlesungen und ausgedehnten Gesprächen an den Höfen von Sachsen-Weimar, Sachsen-Coburg-Gotha, Berlin und bei der verwitweten Großherzogin von Baden empfangen, Gustav Freytag verband eine enge politische wie persönliche Freundschaft mit Herzog Ernst II. von Coburg, dem er auch Soll und Haben widmete.157 Der Geschmack des preußi154

S. Gätschenberger: Die unwürdigen Literaturzustände im neuen deutschen Reiche und die Mittel, durch welche Deutschland auch ein geistiges Uebergewicht erringen könnte. Ein kleines Surrogat für den verunglückten Weimarer Dichtertag. London [= Würzburg] 1874, S. 11. Auf einem mecklenburgischen Rittergut, wo Meinecke 1886/87 Hauslehrer war, war das Vorlesen nach den Abendmahlzeiten noch im Gebrauch, beschränkte sich aber auf Stoffe der konservativen christlich-germanischen Glaubenswelt. (Friedrich Meinecke: Erlebtes 1862-1901, Leipzig (1941), S. 129.) 155 Richard Kühn (Hg.): Hofdamenbriefe um Habsburg und Wittelsbach. Berlin 1942. 156 Heinz Gollwitzer: Die Standesherren. Die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815-1918. Stuttgart 1957, S. 306ff. 157 Abdruck der Widmung in RuG 2, S. 323-324.

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sehen Hofes in den fünfziger Jahren läßt sich aus der Autobiographie Louis Schneiders erkennen, der 1848 als Nachfolger Tiecks von Friedrich Wilhelm IV. zum Vorleser bestellt wurde. Der Hauptakzent lag neben Schneiders eigener Produktion und Werken zur vaterländischen Geschichte bei konservativ-nationalen, vor allem natürlich preußischen Autoren. Bevorzugt wurden Garnisonsgeschichten und Militärhumoresken, Grusel- und Kriminalnovellen, daneben O. v. Redwitz's Amaranth und Dramen von Griepenkerl, Mosenthal, Raupach, Tempeltey und der Birch-Pfeiffer.158 Aus heutiger Sicht ist die Auswahl von bemerkenswerter Belanglosigkeit; sie dürfte jedoch den Lektüregeschmack der gebildeten Schichten ziemlich genau umreißen. Autoren wie Keller, Stifter, Storm, Mörike, Otto Ludwig, Raabe blieben bis in die Gründerjahre Randerscheinungen im Bewußtsein der lesenden Öffentlichkeit. Nicht als Überblicksskizze, sondern eher als Problemkatalog sollen diese wenigen Hinweise zur Struktur des literarischen Publikums zwischen 1848 und 1880 verstanden werden. Gerade ihre Unschärfe und Vorläufigkeit verweisen um so dringender auf die Erforschung des Lesers als eine der wichtigsten Aufgaben der Literaturwissenschaft.

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Louis Schneider: Aus meinem Leben. Bd. II, Berlin 1879, S. 362-66.

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Die bibliographische Situation für die Erforschung des Literarischen Lebens im 19. Jahrhundert (1830-1880)

Auf das Reizwort »Literarisches Leben« reagiert der zünftige Literaturwissenschaftler heute noch eher zurückhaltend. Solche Distanz einer nach wie vor weitgehend auf das auratische Kunstwerk fixierten Philologie gegenüber einem diffus organisch klingenden Begriff ist nicht ganz unbegründet. Während sich auf der Höhe des aktuellen Trends wähnen darf, wer »Sozialgeschichte der Literatur« oder »historische Rezeptionsforschung« als sein Arbeitsterrain deklariert, rangiert eine Beschäftigung mit dem Literarischen Leben in der Hierarchie des Faches noch immer weit unten, gilt als »subsidiäre Außenbetrachtung«,1 als halbseidene Hilfswissenschaft. Bestes Indiz dafür ist ihr Rang in den germanistischen Bibliographien: bei Köttelwesch findet sich zwar eine buntscheckige Rubrik dieses Namens, doch erhalten Beiträge zur historischen Leserforschung ihren Platz inkonsequenterweise unter der seriöser klingenden Spitzmarke »Literatursoziologie«; 2 das Referatenorgan >Germanistik< lädt auch differenzierte und materialreiche Untersuchungen, sofern sie sich nicht direkt einem Autor oder einer Epoche zuordnen lassen, zuweilen auf der Abfallhalde »Vermischtes« ab; und die einschlägige Epochenbibliographie von Roy C. Cowen 3 erwähnt »Literarisches Leben« im Sachregister nicht einmal - geschweige denn zwischen »Brunnen-

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Vgl. Bernhard Zimmermann: Literaturrezeption im historischen Prozeß. Zur Theorie einer Rezeptionsgeschichte der Literatur, München 1977, S. 17. So beispielsweise Alberto Martinos Beitrag: Die deutsche Leihbibliothek und ihr Publikum. In: Literatur in der sozialen Bewegung, hrsg. von Alberto Martino, Tübingen 1977, S. 1-26, dessen Ansatzpunkt keineswegs ein »soziologischer«, sondern ein historischempirischer ist. Noch merkwürdiger mutet die Systematik in Köttelwesch's kumulierendem »Bibliographischen Handbuch der deutschen Literaturwissenschaft 1945-1969« (Bd. 1, Frankfurt 1973) an. Hier wird eine Sachgruppe »Literatur und Literarisches Leben« (Inhaltsverzeichnis, S. VIII) aufgeteilt in Gruppen wie »Sozialistische Literatur«, »Kongresse«, »Literatur-Preise«, »Literarisches Leben« (worunter ausschließlich literarische Akademien und Gesellschaften subsumiert werden!), »Verlagswesen« und schließlich »Weitere Themen des literarischen Lebens« (ein Kunterbunt, in dem zwischen Sachgebieten wie Honorar und Kitsch, Mystifikations-Literatur und Plagiat auch mit ganzen sechs Titeln »Der Leser« auftaucht). Im Band 2 (1945-1972, Frankfurt 1976), der von 1830 bis zur Gegenwart führt, taucht eine Rubrik »Literarisches Leben« überhaupt nicht mehr auf. Dafür wird unter »Literatursoziologie« fürs 19. Jahrhundert ein völlig unzureichendes Quodlibet von 17 Titeln (darunter ein Teil zur Trivalliteratur) dargeboten. Roy C. Cowen: Neunzehntes Jahrhundert (1830-1880), Bern 1970 (Handbuch der deutschen Literaturgeschichte, Abteilung Bibliographien, Bd. 9).

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gedieht« und »Buddhismus« den Buchhandel. Doch genug der (vermehrbaren) Exempel. Was ist der Grund für solche (nicht nur bibliographische) Mißachtung? Literarisches Leben kann schlicht definiert werden als das historische Umfeld, in dem Literatur entsteht, verbreitet und gelesen wird. Dazu gehören sowohl die am literarischen Kommunikationsprozeß unmittelbar beteiligten Faktoren (nämlich Produzenten, Distribuenten und Rezipienten von Literatur), als auch Einflüsse politischer, sozialer, ökonomischer und insgesamt kultureller Art, die von »außen« her an diesem Prozeß mitwirken.4 Was Rudolf Schenda für sein Modell einer Sozialgeschichte der Literatur betont hat,5 gilt ebenso für das Forschungsfeld Literarisches Leben: es handelt sich um ein »ständiges prozessuales Miteinander der literarischen Fakten und der gesellschaftlichen Determinanten, ein Geflecht gegenseitiger Bedingungen und Abhängigkeiten, in welchem jedes Element jedes andere konditionieren oder von jedem anderen konditioniert werden kann«. Eine bibliographische Annäherung an das Literarische Leben hat somit davon auszugehen, daß es sich (im Unterschied zu den übrigen Forschungsgebieten der Literaturwissenschaft) um ein extrem »multizentrisches« Phänomen handelt, das nicht auf einen einzigert Brennpunkt hin orientiert ist, sondern ein System mehrerer, einander teilweise schneidender und überlagernder Kreise6 heterogenen Materials darstellt. Eine adäquate Berücksichtigung sämtlicher Konstituanten dieses Systems bleibt zweifellos utopische Idealvorstellung. Dennoch muß eine bibliographische Sichtung zumindest tendenziell alle beteiligten Faktoren berücksichtigen. Welche Gefahren hier lauern, ist unschwer zu erkennen. Bibliographische Scheuklappen jedoch sind mitschuldig an einem auf kasuistische Quisquillen fixierten Neopositivismus oder aber (noch häufiger) einem ideologischen Vorver4

Zur Definition des Literarischen Lebens vgl. Eva D. Becker/Manfred Dehn: Literarisches Leben. Eine Bibliographie, Hamburg 1968, (Schriften zur Buchmarktforschung 13), S. 7f. sowie Paul Raabe; Die Geschichte des Buchwesens als Aufgabe der Germanistik. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik Jg. VIII/2, 1976, S. 95-106, hier S. 98 (dort ist auch W. Kaysers Definition zitiert). Eher irritierend erscheint, daß Karl S. Guthke seiner kundigen Essaysammlung zur Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts den Titel: »Literarisches Leben im achtzehnten Jahrhundert in Deutschland und in der Schweiz« (Bern 1975) gegeben hat. Er versucht in Abwendung vom literatursoziologischen bzw. sozialhistorisch fundierten Zugriff eine »mehr geisteswissenschaftliche Untersuchung« des »Fluidum(s) der Anschauungen über Rang, Verantwortung und Leistungsvermögen von Literatur« - dargestellt an Literaturkritik, Theater, stilistischen und weltanschaulichen Positionen. Eine solche »Geistesgeschichte der Literatur«, die sich in Methoden und Selbstverständnis innerhalb der traditionellen Literaturwissenschaft ansiedeln läßt, scheint mir jedoch als Konkurrenz zur Sozialgeschichte der Literatur, als Konstituante des Literarischen Lebens wenig nützlich das ohnedies ausufernde Forschungsfeld wird dadurch noch mehr in eine Beliebigkeit der Themen und des Zugriffs gedrängt, die seine spezifischen Probleme verwischt und die Proportionen verschiebt.

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Rudolf Schenda: Volk ohne Buch. Studien zur Sozialgeschichte der populären Lesestoffe 1770-1910. Frankfurt a. M. 1970 und München 1977 (danach zitiert), S. 28. Vgl. die graphische Darstellung ebda., S. 29.

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ständnis, das ein kompliziertes Beziehungsgeflecht auf wenige Stränge, bzw. einen einzigen roten Faden reduziert.7 Ein Versuch, bibliographische Ergebnisse und Desiderata darzulegen, ist für das Literarische Leben deshalb besonders heikel. Einen Forschungsbericht, auf den zur generellen Orientierung verwiesen werden könnte, gibt es nicht - er sei als dringendstes Desiderat gleich vorweggenommen. Wegen der erdrückenden Materialfülle und dem beschränkten Raum dieses Referats müssen eigentlich unverzichtbare Bereiche ausgeklammert werden, so das Theater, die Literaturkritik, vor allem das sozioökonomische Umfeld; andere wie die periodische Presse und die Zensur können nur gestreift werden. Dieser Überblick beschränkt sich auf die drei wesentlichen Faktoren: die Produktion, Distribution und Rezeption von Literatur zwischen 1830 und 1880. Besonderer Nachdruck wird dabei auf den gesellschaftlichen Ort literarischer Vermittlung zu legen sein, der - auch und gerade bibliographisch - am schwierigsten in die traditionelle Germanistik zu integrieren ist. Jede Erforschung des Interaktionsfeldes Literarisches Leben käme aber zu verzerrten Ergebnissen, wenn sie die gleichrangige Interdependenz all seiner Faktoren verkennen und etwa der Erforschung des Vermittlungsprozesses ausschließlich Hilfsfunktion für die Rezeptionsanalyse zubilligen würde.8 Zu fragen ist somit zweierlei: 1. Wie steht es um die Erschließung und die bibliographische Erfassung der Quellen zur Produktion, Distribution und Rezeption von Literatur 1830-1880? 2. Wie steht es um die bibliographische Erfassung der Forschungsliteratur zu diesem Thema? Die zweite Frage ist zunächst zu beantworten - die Probleme der ersten werden auf diese Weise genauer zu fassen sein. Auch wer immer sich nur kursorisch zu einzelnen Problemen des Literarischen Lebens informieren will, stößt auf das zentrale Desiderat: es gibt keine umfassende retrospektive Bibliographie, die alle Forschungsliteratur zum Schriftstellertum, zum Buchwesen und zur Geschichte des Lesens in ihrer historischen Entwicklung versammelt. Der vor einigen Jahren in Wolfenbüttel gegründete »Arbeitskreis für Geschichte des Buchwesens« hat als eine Hauptaufgabe seiner bei der Herzog-August-Bibliothek eingerichteten

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Als Beispiel einer Darstellung, die den literarischen Markt weitestgehend unter der Diktatur des »Verwertungsinteresses des Verlagskapitals« deutet, s. Lutz Winckler: Entstehung und Funktion des literarischen Marktes, in: ders.: Kulturwarenproduktion, Frankfurt a. M. 1973, S. 12-75; vgl. auch Hannes Schwenger: Literaturproduktion, Stuttgart 1979 (Sammlung Metzler 183). Vgl. Gunter Grimm: Rezeptionsgeschichte. Grundlegung einer Theorie. Mit Analysen und Bibliographie, München 1977. Er sieht als Aufgabe der Rezeptionsforschung den »Aufweis der Mechanismen des Literaturbetriebs, der Literaturvermittlung, der gesellschaftlichen Kommunikation« (S. 80), beschränkt sie also nicht auf den Leser, sondern vereinnahmt (S. 105ff.) für sie u. a. eine sozialhistorische Analyse der Distributionsmechanismen.

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Arbeitsstelle die Anfertigung einer solchen Bibliographie vorgesehen. Dieses zweifellos höchst mühsame und aufwendige Unternehmen wird zu seiner Vollendung sicher noch einige Jahre brauchen. Einen nur unvollkommenen Ersatz bietet das bekannte Auswahlverzeichnis von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, das Eva D. Becker und Manfred Dehn 1968 unter dem Titel: »Literarisches Leben. Eine Bibliographie«9 herausgegeben haben. Diese rund 200 Seiten umfassende Bibliographie hat der Forschung wichtige Anregungen vermittelt und vieles Entlegene bereitgestellt. Für alle Arbeiten zum Literarischen Leben des 19. Jahrhunderts ist dieses (spärlich annotierte) Verzeichnis nach wie vor unentbehrlich. Es konzentriert sich freilich auf Dissertationen und selbständige Schriften und bietet an unselbständigen Publikationen nur eine Auswahl aus literarischen Zeitschriften nach dem Marbacher Schlagwortkatalog, schließt überdies Autobiographien, Briefsammlungen und dergleichen aus. Neben speziellen Bibliographien zu einzelnen Nachbar- und Sonderbereichen des Literarischen Leben, wie jener von H. Schmidt zur literarischen Erziehung10 oder der von Volker Spieß zur Publizistik,11 ist man zur Ergänzung des bei Becker/ Dehn dargebotenen Materials auf unselbständige Literaturverzeichnisses einschlägiger Untersuchungen angewiesen. Am brauchbarsten sind die »Tausend Titel zum Thema«, die Rudolf Schenda seinem >Volk ohne Buch< beigegeben hat,12 obgleich sie eine kunterbunte alphabetische Titelhalde darstellen, sowie einzelne Auswahlbibliographien zu Dissertationen und Monographien im »Archiv für Geschichte des Buchwesens< und anderen Publikationen.13 Als eine der Literaturwissenschaft weitestgehend unbekannte Bibliographie sei »hors concours« genannt: der Katalog des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig, der die Bestände dieser Spezialbibliothek 9 10

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Vgl. Anm. 4. H. Schmidt: Bibliographie zur literarischen Erziehung. Gesamtverzeichnis 1900-1965, Zürich 1967. Darin u. a. ausführlich zur bibliothekarischen Buchvermittlung. Volker Spieß: Verzeichnis deutschsprachiger Hochschulschriften zur Publizistik 1885-1967, Berlin 1969. Vgl. Anm. 5. Schendas Vorbemerkung zu dieser Bibliographie beklagt mit Worten wie »Zeitvergeudung« und »Sklavenarbeit« die Tatsache, daß rund ein Fünftel des gesamten Arbeitsaufwandes für sein Buch auf bibliographische und Bestellarbeiten entfiel - eine für alle solche Untersuchungen leider repräsentative Relation. Archiv für Geschichte des Buchwesens (AGB). Herausgegeben von der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e . V . Bd. Iff., Frankfurt 1956ff. An hierher gehörigen Beiträgen nach 1968 seien genannt: Rudolf Schenda: Tausend deutsche populäre Drucke aus dem 19. Jahrhundert. In: AGB XI, 1971, Sp. 1465-1652. Dieter Barth: Das Familienblatt - ein Phänomen der Unterhaltungspresse des 19. Jahrhunderts. In: AGB XV, 1975, Sp. 121-316. Rudolf S. Balzer: Aus den Anfängen schriftstellerischer Interessenverbände. Joseph Kürschner: Autor-Funktionär-Verleger. In: AGB XVI, 1976, Sp. 1457-1648. Bei Hugo Aust: Literatur des Realismus, Stuttgart 1977 (Sammlung Metzler, 157) sind Probleme des literarischen Lebens mit berücksichtigt. 235

auf fast anderthalbtausend Seiten verzeichnet.14 Er endet freilich bereits 1901 und enthält ausschließlich selbständige Veröffentlichungen, darunter zum großen Teil auch Primärquellen. Als Überblick über die frühe Forschungsliteratur, insbesondere zum Buchwesen und zur Zensur des 19. Jahrhunderts, ist er jedoch sehr nützlich. Dies gilt um so mehr, als eine nicht geringe Zahl der damals ausgewerteten Quellen inzwischen durch die beiden Weltkriege und ihre Folgen vernichtet und nur mehr in dieser älteren Forschungsliteratur überliefert ist. All diesen retrospektiven Auswahlbibliographien sind freilich einige entscheidende Nachteile gemeinsam: sie geben der unselbständigen Literatur nur marginalen Raum, üben Selektion unter nicht immer nachprüfbaren Kriterien und berücksichtigen fast ausschließlich nur den engeren Kreis von Produktion, Distribution und Rezeption ohne Einbeziehung relevanter sozial-, wirtschafts-, technikhistorischer, volkskundlicher und ähnlicher Darstellungen. Der Literaturhistoriker, der etwa Grundlagenforschungen über die soziale Schichtung des literarischen Publikums im 19. Jahrhundert, über die der Bücherzensur zugrundeliegenden Rechtsvorstellungen, über Zusammenhänge zwischen Wirtschaftskonjunkturen und Situation des Buchmarktes sucht, ist weiterhin auf ziemlich archaische Kümmerund Ersatzformen des Bibliographierens zeitraubendster Art angewiesen. Der Hauptnachteil schließlich, wenn man ihn so nennen will, der am schmerzlichsten ist: die Titel bei Becker/Dehn und auch Schenda reichen nur bis etwa 1968. Aber gerade in den folgenden Jahren hat ja die intensivere Erforschung des Literarischen Lebens erst eigentlich eingesetzt und neben manchen modischen Flachheiten sind wichtige Darstellungen erschienen. Doch zwischen 1968 und 1975 klafft eine Lücke, die weder durch die germanistischen Allgemeinbibliographien noch durch andere Teilverzeichnisse15 zu schließen ist. Wenn schon die zuvor erwähnte retrospektive Gesamtbibliographie in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, wäre eine erweiterte und bis 1975 fortgeführte Neuauflage der Auswahlbibliographie von Becker/Dehn desto dringender zu wünschen. Seit 1975 gibt es eine periodische Gesamtbibliographie zur Buchgeschichte im engeren Sinn und darüber hinaus zu den Bereichen Autor/Zensur/Presse/Leser: sie bildet den Hauptbestandteil der dreimal jährlich herauskommenden >Wolfenbütteler Notizen zur BuchgeschichteBuchhandelsgeschichteArbeiterfreund. Zeitschrift des Central-Vereins für das Wohl der arbeitenden Klassen< (1861ff.) erwähnt, in dem wichtiges Material zur Lektüre der Unterschichten und zur Kolportage zu finden ist. Das ungemein aufwendige Durchforsten »auf Verdacht« unzähliger solcher Zeitschriftenbände in den Magazinen von Universitätsbibliotheken ist eine Tätigkeit, die auf absehbare Zeit kaum ein Bibliograph dem Forscher erleichtern kann. Ähnliches gilt für die Tageszeitungen - allen voran die Augsburger > Allgemeine ZeitungBörsenblatt