Bürgerkrieg / Bellum civile. Band I: Lateinisch und deutsch 9783534181445, 9783534229895, 9783534705931, 9783534705948, 3534181441


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German Pages 263 Year 2011

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Einleitung
Inhalt der Bücher 1–5
Marcus Annaeus Lucanus, Bürgerkrieg
Buch 1
Buch 2
Buch 3
Buch 4
Buch 5
Anmerkungen zu Buch 1
Anmerkungen zu Buch 2
Anmerkungen zu Buch 3
Anmerkungen zu Buch 4
Anmerkungen zu Buch 5
Über die Reihe
Über den Inhalt
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Bürgerkrieg / Bellum civile. Band I: Lateinisch und deutsch
 9783534181445, 9783534229895, 9783534705931, 9783534705948, 3534181441

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EDITION ANTIKE Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen und Martin Hose

LUCAN

Bürgerkrieg BAND I Lateinisch und deutsch Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Detlev Hoffmann, Christoph Schliebitz und Hermann Stocker

Verantwortlicher Bandherausgeber: Thomas Baier Die EDITION ANTIKE wird gefördert durch den Wilhelm-Weischedel-Fonds der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft

Wissenschaftliche Redaktion und Schriftleitung: Federica Casolari-Sonders (Ludwig-Maximilians-Universität München)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2011 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: COMPUTUS Druck Satz & Verlag, 55595 Gutenberg Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-18144-5 Gesamtnummer Band I und Band II: ISBN 978-3-534-22989-5 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-70593-1 eBook (epub): 978-3-534-70594-8

Inhalt Einleitung

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Inhalt der Bücher 1–5

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Marcus Annaeus Lucanus, Bürgerkrieg Buch 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Buch 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Buch 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Buch 4 .................................................... 137 Buch 5 .................................................... 179 Anmerkungen zu Buch 1

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Anmerkungen zu Buch 2

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230

Anmerkungen zu Buch 3

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Anmerkungen zu Buch 4

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248

Anmerkungen zu Buch 5

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Einleitung Lucan heute Lucans Werk über den Bürgerkrieg erfreute sich in Deutschland nicht immer der Wertschätzung, die ihm eigentlich gebührt. Es tauchte auch nicht im neuzeitlichen Bildungskanon der bedeutenden antiken Werke auf. Vermutlich ist es wegen seines schwer zu übersetzenden Lateins, das dem an klassischen Texten geschulten Geschmack sperrig gegenüber tritt, wenig beliebt. Die pathetischaufgeladene Sprache und seine betont ‹antivergilische› Tendenz wurden ebenfalls abgelehnt. Nicht so in den romanischen oder angelsächsischen Ländern, die Lucan entweder gerade wegen seiner rhetorischen Finesse oder seines republikanischen Bekenntnisses schätzten. Erst im Nachkriegsdeutschland erlebte Lucan eine Art Wiederentdeckung. Vielleicht findet der moderne Leser aufgrund der Gewaltexzesse des 20. Jahrhunderts eher einen Zugang zum Pathos der Apokalypse in seinem Werk. Das Bellum civile kann trotz seiner Zeitverhaftetheit als eine »empirische Fallstudie, als eine Anatomie der menschlichen Destruktivität« (Chr. Walde) gelesen werden und als Prototyp einer kulturellen Erinnerung an politische Katastrophen, die Generationen traumatisieren, gelten. Die Modernität der literarischen Ausdrucksmittel wird heute besser verstanden, so etwa: das subjektiv-emotionale Erzählen, die schonungslos detaillierten Gewaltdarstellungen, die psychologisch einfühlsamen Zeichnungen menschlicher Beziehungen und die emotional aufgeladenen Autorenkommentare. Bisweilen wird Lucan auch als Wegbereiter des literarischen Manierismus gesehen. Mit aller Vorsicht kann sogar vermutet werden, dass es sich bei seinem Bellum Civile um eines der ersten Werke der Weltliteratur mit deutlich pazifistischen Untertönen handelt. Lucans realistische Darstellung der Kriegsgräuel fordert den Vergleich mit moderner Antikriegsliteratur heraus. Sein Werk provoziert, lässt den Leser nicht unbeteiligt, sondern wühlt ihn auch heute noch auf – vielleicht heute sogar mehr denn je. Ausschweifende geographische und astronomische Exkurse sind Ausdruck hellenistischer Gelehrsamkeit und unterstreichen den weltumgreifenden Aspekt, unter den Lucan das Geschehen stellt. Zugleich belegen sie dessen tiefe Kenntnis stoischer Kosmologie und seinen künstlerischen Anspruch,

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Naturerkenntnis in dichterischer Form zu präsentieren. Mit diesem Erbe aus dem Lehrgedicht stellt sich Lucan sowohl in die Tradition des Heldenepos als auch in diejenige des wissenschaftlichen Sachepos.

Lucans Leben Marcus Annaeus Lucanus ist 39 n. Chr. im spanischen Corduba in eine wohlhabende und berühmte Familie hineingeboren worden. Sein Großvater war der Rhetor und Historiker Seneca der Ältere, sein Onkel der bedeutende Philosoph Seneca, der langjährige Erzieher und Berater des Kaisers Nero. Lucan hat die für die römischen Eliten typische Erziehung und Ausbildung in Rhetorik und Literatur genossen. Sowohl in Rom als auch in Athen hat er bei den bedeutendsten Lehrern seiner Zeit studiert. Nero lud den nur zwei Jahre jüngeren Lucan – vermutlich angeregt durch seinen Mentor und Berater Seneca – in seinen engsten Freundeskreis ein und verlieh ihm das Amt des Quästors und Auguren, obwohl Lucan noch nicht das erforderliche Mindestalter erreicht hatte. Dieser revanchierte sich mit einem Lobgesang auf den Herrscher, den er aus Anlass der Neronia im Jahre 60 n. Chr. vorgetragen haben soll. Bei seinem Regierungsantritt wurde Nero zunächst als Erneuerer und zweiter Augustus gefeiert und enthusiastisch verehrt. Die Hoffnung war verbreitet, dass sich unter seiner Regierung und der Beratung durch integre und fähige Männer wie den Philosophen Seneca ein zweites Goldenes Zeitalter entfalten könnte. Die Jahre am Hofe haben den jungen Lucan zu einer ungeheuren literarischen Produktion angeregt. Ihm werden mehrere Werke zugesprochenen: eine Reise durch die Unterwelt, eine epische Dichtung über Hektors Tod, Texte für 14 Pantomimen, eine Gedichtsammlung »Silvae«, eine unvollendete Medea-Tragödie und sein ebenfalls unvollendetes Hauptwerk über den Bürgerkrieg, das als einziges überliefert ist. Nach der Veröffentlichung der ersten drei Bücher des Bellum Civile (vermutlich im Jahre 62 oder 63) scheint er bei Nero in Ungnade gefallen zu sein. Denn im Jahre 64 n. Chr. untersagte Nero die öffentliche Rezitation der Werke Lucans und belegte ihn auch als Rechtsanwalt mit einem Berufsverbot. Die Gründe sind nicht bekannt. Antike Quellen vermuten einerseits die Eifersucht Neros auf Lucans literarischen Ruhm, andererseits unterstellen sie dem jungen Dichter Überheblichkeit und Respektlosigkeit gegenüber dem Prinzeps. Vielleicht spielte auch der erzwungene Rückzug seines Onkels aus dem politischen Leben eine Rolle. Im Frühjahr 65 n.Chr. war Lucan in die sogenannte Pisonische Verschwörung verwickelt – Sueton zählt ihn gar zu den führenden

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Köpfen. Tacitus berichtet, dass Lucan bei seinem theatralisch inszenierten Freitod Verse aus seinem Epos rezitiert haben soll.

Das Werk Bellum Civile Das Epos schildert den Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius als eine apokalyptische Destruktion der Zivilisation und als dauerhaften Verlust des Humanen. Die Handschriften überliefern den Titel De bello civili civili.. Allerdings wurde in der Antike häufig mit dem Werkbeginn zitiert. Im Falle dieses Epos ist auch der Name Pharsalia geläufig, da der Autor selbst im 9. Buch (980– 986) den ewigen Ruhm der von ihm besungenen und von Caesar gewonnenen Schlacht von Pharsalos voraussagt. Heftig umstritten ist die Bedeutung des Herrscherlobs im ersten Buch (I 33–45). Interpreten, die von Lucans Beteiligung bei der Verschwörung ausgehen und in seinem Werk ein grundsätzlich republikanisches Glaubensbekenntnis sehen, deuten die übertriebenen Schmeicheleien als beißende Ironie. Schon mittelalterlichen Kommentatoren schienen diese Verse doppelbödig. Sie vermuteten hinter einzelnen Formulierungen versteckte ironische Hinweise auf körperliche Gebrechen des Kaisers. Allerdings steht vieles, was späteren Lesern übertrieben scheint, im Einklang mit der Topik des antiken Herrscherlobs. Außerdem fällt auf, dass Lucan die Taten des Urgroßvaters von Nero, Domitius Ahenobarbus, deutlich günstiger zeichnet, als alle anderen historischen Quellen. Zu Zweifeln an der Aufrichtigkeit von Lucans Panegyrik berechtigt vor allem die Tatsache, dass der Bürgerkrieg als notwendige Voraussetzung eines Herrschers wie Nero im Kontext der sonstigen antimonarchischen Bewertung im Epos gewürdigt wird. Schon den Zeitgenossen ist aufgefallen, dass Lucan auf den im Epos gattungstypischen Götterapparat verzichtet. Seit den homerischen Epen erwarteten Zuhörer und Leser, dass die Götter parteiisch in die Handlung eingreifen. Bei Vergil erfüllt Aeneas das gottgewollte Schicksal, auch wenn sich ihm andere göttliche Mächte entgegenstellen. Bei Lucan sind die Götter nicht völlig verschwunden, aber zu reinen Komparsen oder diffusen Metaphern für das Schicksal verwandelt. Das entspricht auf den ersten Blick durchaus stoischer Gottesvorstellung. Lucan leidet aber an dem historischen Faktum, dass der skrupellose Glücksritter Caesar vom »Fatum« begünstigt wird. Es ist nur konsequent, dass die Begriffe »Fatum« und »Fortuna« in seinem Werk ineinander verschwimmen. Wer sich dem »Fatum« widersetzt, muss untergehen, das hat auch Turnus in der Aeneis schmerzlich erfahren. Bei Lucan behauptet aber Cato seine stoische Tugend gerade im Widerstand gegen das »Fatum«. An

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einer berühmten Stelle des Werkes stellt Lucan in selbstquälerischer Theodizee nicht nur die Existenz von Göttern, sondern auch das stoische Konzept einer sinnvollen Weltordnung in Frage (VII 445–455). In einem merkwürdigen Kontrast zu seiner sonst rationalistischen Weltschau stehen die vielen Szenen von Wahrsagerei, Prophetie, Eingeweideschau und Nekromantie. Das Interesse daran mag Lucan bei seinen Lesern in dem römischen Hang zu mysteriösem Spuk vorausgesetzt haben, entspricht aber auch der Bedeutung, die die Stoiker der Mantik und Divination beigemessen haben. Außerdem gehört Prophetie und Nekromantik zum festen Motivbestand des Epos. Kaum überhörbar sind aber seine Häme über Sextus Appius, der sich vom delphischen Orakel täuschen lässt (V 225–236), oder sein Abscheu über das thessalische Hexenwesen (VI 438–506). Cato, Inbegriff des stoischen Weisen, lässt er hingegen eine Befragung des berühmten Zeus-Ammon Orakels in der Oase Siwa ablehnen. Da der Krieg zentraler Stoff der großen Epen ist, gehört auch ein bestimmter Motivkanon zum Standard solcher Werke: Truppenkataloge, Schlachtvorbereitungen, Truppenansprachen, Massenszenen, Heldentaten einzelner Kämpfer (Aristien), Darstellung von Verwundung und Sterben, Belagerung und Eroberung. Es verwundert nicht, dass Lucan von diesem Motivbestand reichlich Gebrauch macht. Aus dem üblichen Rahmen jedoch fallen die häufigen und oftmals sehr umfangreichen Reden. Sie sind zum einen Ausfluss von Lucans rhetorischer Begabung, dienen ihm aber auch besonders als Mittel, den Charakter der Handelnden indirekt zu zeichnen, Gefühle und Affekte auszudrücken. Sie offenbaren die Entscheidungsschwäche des Pompeius ebenso wie die Machtgier und den Vernichtungswillen Caesars und lassen dessen geradezu dämonische Wirkung auf sein Heer erahnen. Besonders hervorstechend sind die minutiös geschilderten Details von Verwundungs-, Verstümmelungs- und Sterbeszenen. Mit diesen drastischen Schilderungen, die in der antiken Literatur ihres Gleichen suchen, steigert Lucan das Grauen ins Unerträgliche. Sie dienen offenbar nicht nur dazu, die Heldentaten der betreffenden Personen ins rechte Licht zu rücken oder wie bei Homer Mitleid für die Opfer zu wecken, sondern sollen Abscheu vor den entfesselten Leidenschaften der Zerstörung provozieren oder die übermenschliche Leidensfähigkeit der Helden demonstrieren (‹stoischer Kontrapost›). Ein Paradebeispiel dafür ist die libysche Schlangenepisode im neunten Buch (IX 890–949), welche die unendliche Leidensbereitschaft Catos demonstriert, der sich gegen den universalen Machtwillen der Tyrannei auflehnt. Ähnlich grausig und ekelhaft schildert Lucan die Leichenschau der Hexe Erictho im sechsten Buch (VI 570–830), um zu provozieren und Widerstand gegen die Umwertung aller menschlichen Orientierung beim Leser zu mobilisieren. Lucans Epos liefert genügend Anhaltspunkte dafür, in ihm ein Gedicht des

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Widerstandes gedeutet zu sehen. Es fällt auf, dass der Dichter Helden immer dann ausführlich und mit innerer Anteilnahme würdigt, wenn sie sich im Widerstreit gegen eine Übermacht bewähren. Dabei scheint es unerheblich, welcher Bürgerkriegspartei sie angehören. Dass Lucan dem Widerstand der griechischen Stadt Massilia gegen Caesar so viel Sympathie entgegenbringt, entspricht seiner allgemein caesarkritischen Tendenz. Anders verhält es sich bei den breit geschilderten Heldentaten der Opiterginer (IV 465–581) und der Aristie Scaevas (VI 144–262). Denn beide gehören Caesars Armee an. Warum verlässt Lucan bei der Schilderung dieser Taten seine sonst spürbare Parteinahme für die Sache der Republik? Offenbar haben diese Akteure seine Sympathie gefunden, weil sie in aussichtsloser Lage unbeugsamen Widerstand gegen eine erdrückende Übermacht leisten. Auch das Vermächtnis der Cornelia an die Söhne des Pompeius (IX 87–97) lässt sich als ein allgemeiner Aufruf zum Widerstand gegen Alleinherrschaft und Tyrannei lesen. Das Werk ist unvollendet geblieben, denn es bricht ganz unvermittelt in einer offenen Kampfsituation ab. Deshalb ist die Forschung nicht müde geworden, über den ursprünglich geplanten Umfang zu spekulieren. Die herrschende Meinung geht davon aus, dass das Epos vermutlich mit dem Tod Catos in Utica (46 v. Chr.) abschließen und schon wegen der durchgehenden Referenz zu Vergils Aeneis zwölf Bücher umfassen sollte.

Lucan und die historische Wahrheit In der Wirkungsgeschichte Lucans wird immer wieder diskutiert, ob Lucan als Dichter oder eher als Historiker verstanden werden soll. In diesem Zusammenhang tauchte auch die Frage nach der historischen Wahrheit seines Werkes auf. Wenn man seine Schilderung mit anderen historischen Quellen vergleicht, so lassen sich nur wenige deutliche Abweichungen feststellen, die meistens durch die literarische Gestaltung oder den besonderen Kunstwillen Lucans erklärt werden können. Als Beispiel für Raffung und Konzentration sei die Seeschlacht bei Massilia erwähnt. Nachweislich haben dort zwei Seeschlachten stattgefunden, die Lucan zu einer einzigen erzählerisch verdichtet. In einigen Fällen hat Lucan auch Ereignisse erfunden: Zuverlässigen Quellen zufolge befand sich Cicero zum Zeitpunkt der Schlacht bei Pharsalos nicht im Gefolge des Pompeius. Lucan lässt ihn die entscheidende Rede halten, die den zaudernden Pompeius zum Handeln provoziert (VII 63–86), um vermutlich eine besondere Autorität für diese verhängnisvolle Entscheidung verantwortlich zu machen. Ebenso kann man davon ausgehen, dass Cato auf seinem Zug durch die libysche Wüste nicht die Oase Siwa besucht hat (IX 511–586). Denn dann

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hätte er einen Umweg von ca. 1000 km in Kauf genommen. Lucan kann aber durch diese Episode eindrucksvoll darstellen, wie Cato aus stoischer Überzeugung jeder Versuchung widersteht, das Orakel über die Zukunft zu befragen. Die Darstellung der Seeschlacht von Massilia offenbart auch noch ein anderes künstlerisches Prinzip. Lucan lässt vielmals die Neutralität in der Darstellung vermissen. Er versteht sich in erster Linie als Dichter und nicht als Historiker. Er will die Ereignisse deuten und verbindet mit seiner Darstellung eine allgemeine Botschaft. Deshalb wird parteiisch einseitige Darstellung nicht überraschen. Zum Beispiel unterschlägt er bei der Erzählung der Ereignisse um Massilia, dass sich die griechische Stadt vor Caesars Ankunft mit Pompeius verbündet hatte und durch republikanische Truppen unterstützt wurde. Offenbar wollte er den Widerstandswillen dieser Stadt ungeschmälert herausheben. Ebenso stilisiert er Domitius (II 478–49, 510) zu Caesars heldenhaftem Gegner, während die anderen Quellen ihn eher als intrigant und feige charakterisieren.

Caesar Am stärksten spürt man den künstlerischen Gestaltungswillen in der Darstellung der Protagonisten. Mit der Person Caesars hat sich die Forschung eingehend befasst, da die anderen Gestalten – nur Cato ausgenommen – ganz in seinem Schatten stehen. Neben dieser titanischen Gestalt ist kaum Platz für Mitstreiter oder Gegenspieler. Kein Berater, kein Freund, kein Verwandter steht ihm nahe, selbst seine Legionen sind ihm fern. In kalter Einsamkeit setzt er seinen Machtwillen durch. Caesar treibt die Handlung voran, er ist der eigentliche Akteur, dabei aber selbst ein von seinen dunklen Affekten Getriebener. Von dem historischen Caesar bleibt bei Lucan nicht viel übrig. Lobten die Zeitgenossen ihn als Muster an Beherrschtheit, so stellt Lucan ihn als affektbesessenen Abenteurer dar, der hektisch von einem Kriegsschauplatz zum anderen hetzt, den Zorn und reine Machtgier treiben, ohne dass er sich irgendeiner Bindung an eine Idee oder Moral verpflichtet fühlt. Für die Würde des Menschen, die Vergils Aeneas auch seinen im Kampf unterlegenen Gegnern zuerkennt, hat Lucans Caesar nur Verachtung übrig. Die Menschen sind in seinen Augen nur Werkzeuge seiner Machtgier (V 343). Er geht im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen. Sein Hass verfolgt Widersacher auch über den Tod hinaus. Indem er den in der Schlacht von Pharsalos Gefallenen eine menschwürdige Bestattung verweigert (VII 797–803), verkörpert er den Zusammenbruch jeder humanen Konvention. Auch Caesars sonst so gerühmte clementia interpretiert Lucan in der Schonung des Domitius als infame

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Demütigung. Ohne Frage hat Lucan Caesar als satanische Verkörperung übermenschlichen Destruktionswillens stilisiert. Wie die Helden der senecanischen Tragödie ist er monoman und zur Kommunikation unfähig. Ist es ihm darüber hinaus gelungen, Caesar auch als überzeugende Figur zu gestalten? Lucan scheint von dieser Person selbst abgestoßen und zugleich auch fasziniert zu sein. Er lässt Caesar in einer Weise reden, dass seine dämonische Wirkung auf Menschen vom Leser nachvollzogen werden kann.

Pompeius und Cato Die beiden anderen Protagonisten des Epos, Pompeius und Cato (soweit das in dem erhaltenen Teil des Werkes sichtbar wird), sind keine ‹ebenbürtigen› Antipoden Caesars. Cato wird von Lucan zwar als moralisches Gegengewicht zu Caesar gestaltet, mehr noch, er stilisiert ihn zum Idealbild eines stoischen Weisen. Ob er Cato in einer sehr persönlichen Szene bei der Erneuerung der Ehebande mit seiner früheren Frau Marcia zeichnet (II 326–391) oder seine Heldentaten auf dem mörderischen Marsch durch die libysche Wüste (IX 444–949) erzählt, die Person Catos strahlt eine seltsam kühle Distanz aus. Cato verkörpert eher ein Prinzip, ruft bei dem Leser Bewunderung und Hochachtung hervor, ist als Person aber wenig lebendig. Er stellt sich dem Gang der Geschichte entgegen, weil er nur der Moral und nicht dem politisch-militärischen Erfolg verpflichtet ist. Pompeius geht unter. Die Logik der Handlung lässt ihn nur auf die Schachzüge Caesars reagieren, selten ist er eigenständiger Akteur – und auch nur dort, wo sein Handeln von Gefühlen wie Skrupel und Verantwortung für andere bestimmt wird. Im Unterschied zu Cato geht das Schicksal des Pompeius dem Leser auch menschlich nahe. Er überzeugt als Person, wenn er sich um das Wohl und die Rettung anderer kümmert. Ob er sich aus der Umarmung seiner Frau Cornelia losreißt, um sie nach Lesbos in Sicherheit bringen zu lassen (V 722–815), oder seine Truppen vom Fahneneid entbindet, als die Schlacht bei Pharsalos verloren scheint, um wenigstens ihr Leben zu retten (VII 654–685) – es ist vor allem die Sorge um andere, die sein Handeln bestimmt. In seinem verblassten Ruhm, in seiner Unentschlossenheit, in seiner mitsorgenden Menschlichkeit und in der Würde seines Todes darf Pompeius unseres Mitgefühls gewiss sein. Vielleicht kann man Lucan die Absicht unterstellen, mit Pompeius auch die Orientierung am Humanum untergehen zu lassen und nur noch die skrupellose Machtgier als Siegerin auf der Bühne des Weltgeschehens zu zeigen.

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Lucans Stil An dem Klassiker Vergil werden klare Struktur, Ausgewogenheit, Harmonie und dramatischer Spannungsbogen bewundert. Dramatische Elemente wie Antithese, Steigerung und Peripetie gestalten die großen Handlungslinien. Auch wenn die Komposition des Gesamtwerkes und seiner einzelnen Bücher nicht so transparent nachvollzogen werden kann wie bei der Aeneis Aeneis,, hat die Forschung auch bei Lucan eine klare Komposition herausgearbeitet. Die differenzierte Inhaltsstruktur ist in dem Abschnitt »Inhaltsübersicht« dargestellt. Trotz seiner immens raschen Arbeitsweise – immerhin hat Lucan neben all den nicht mehr erhaltenen Werken dieses eindrucksvoll umfangreiche Epos vor seinem sechsundzwanzigsten Lebensjahr geschaffen – hat er sein Werk mit einem motivischen Netzwerk von Quer- und Rückbezügen durchkomponiert. Bei Lucan erschließt sich diese Struktur jedoch nur dem genauen und analytischen Blick. Denn er verlagert das Schwergewicht von den großen Handlungszusammenhängen in die Ausgestaltung der Einzelepisode. Er verwischt dadurch die großen Linien einer allmählich sich steigernden Spannungskurve. Man hat sehr einleuchtend diesen Stil mit dem Kunstwillen barocker Architektur verglichen, der den groß angelegten Plan durch Betonung und Ausgestaltung der einzelnen Schmuckelemente verdeckt. So ist denn auch ein auffallendes Merkmal der lucanischen Erzähltechnik die Verzögerung oder Unterbrechung des Handlungsstroms durch Reden, Exkurse, Reflexionen und Kommentare. Lucans Dichtersprache wird durch zahlreiche unpoetische Wörter aufgeraut. Es geht ihm um Verblüffung, seine Wort- und Metapherwahl erzeugt eine ‹Mechanik des Effekts›. Bestimmte Schlüsselwörter tauchen häufig auf, bei den Substantiven: ruina (Zerstörung, Verfall), cadavera (Leichen), viscera (innere Organe, Herz, Eingeweide, Gedärme), sanguis (Blut, Blutbad), scelus (Verbrechen, Ruchlosigkeit), nefas (Frevel, Gräueltat), bei den Verben: spargere (zerreißen, zersplittern), calcare (mit Füßen treten, unterdrücken). Seine Farbpalette kennt vorherrschend Weiß, Schwarz und Rot. Zwischentöne tauchen selten auf. Der generelle Eindruck ist eher von Düsternis geprägt, die über das ganze Geschehen ausgebreitet ist. Selten findet man bei Lucan die musikalische Vielseitig- und Leichtigkeit der Vergilischen Verse. Sein Hexameter wirkt eher schwerfällig und sperrig. Wenn man unterstellt, dass Form, Inhalt und Intention eines Werkes sich auf einander beziehen, dann wird man die Vermutung anstellen können, dass es Lucan auf etwas völlig anderes ankam als Vergil, dass man Lucan sowohl vom Inhalt als auch der Form als ‹Gegenvergil› verstehen muss. Ging es Vergil um ein mythisch-begründetes Sendungsbewusstsein, um den Glauben an das Menschliche, so liest sich Lucans Werk eher als eine Verzweiflung an der

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Sinnlosigkeit, das Geschehen liefert nur noch die Bühne, auf der sich Leidenschaften wie Hass, Gier, schrankenloser Vernichtungswille und anmaßende Überheblichkeit austoben. In Lucans Werk sucht ein völlig verändertes Menschenbild seinen ästhetischen Ausdruck. Der ethisch kontrollierte Held Aeneas ist dem von irrationaler Gier getriebenen, skrupellosen Machtmenschen Caesar gewichen. Vergils Mythos vom Aufstieg des römischen Imperiums stellt Lucan ein Gedicht vom Untergang gegenüber. Lucan als Angehöriger einer vom Prinzipat enttäuschten Generation sucht in seiner kritischen Auseinandersetzung mit Vergil auch einen anderen ästhetischen Ausdruck. In seinem ‹modernen› Epos soll der tiefe Pessimismus dichterische Gestalt annehmen.

Nachwirkung Schon bei seinen Zeitgenossen ist Lucan in aller Munde gewesen (vgl. Martial 14,194). Sonst wäre auch Petrons Persiflage auf Lucans Bürgerkriegsepos nicht verstanden worden. Ein Archaist wie Quintilian (10,1,90) empfiehlt ihn vor allem seiner rhetorischen Brillanz wegen. Statius dagegen schätzte ihn literarisch höher als Vergil. Die späten Epiker Valerius Flaccus und Silius Italicus lassen Lucans Einfluss allenthalben erkennen. Die Beliebtheit Lucans setzte sich auch im Mittelalter fort. In den Listen der Schulautoren für den Grammatikunterricht taucht er seit dem Kanon des Walther von Speyer (975) kontinuierlich auf. Lucan wirkte vor allem durch seine emotionsgeladenen Darstellungen des Grauens und galt als »Mittler des antiken Pathos«. Dante reiht ihn in die »bella scuola« der fünf größten antiken Dichter ein. Dass Lucan als Virtuose des grausigen Pathos und Erzähler von Unterwelts- und Hexenspukgeschichten einigen Inferno-Darstellungen Dantes Pate gestanden hat, liegt nahe. Auch Petrarca und Boccaccio haben ihn sehr geschätzt. Mit seiner Übersetzung des ersten Buches ins Englische entsprach Christopher Marlowe offenbar einem Bedürfnis, Lucan auch einem breiteren elisabethanischen Publikum bekannt zu machen. Auch die französischen Barockdichter hat Lucan beeindruckt. Corneilles »Mort de Pompée« enthält fast wörtlich Zitate aus Lucans achtem Buch. Hölderlin übersetzte das erste Buch des Bellum Civile ins Deutsche. Auch wenn er nicht über Vers 590 hinausgekommen ist, wird seine Übertragung als kongenial eingeschätzt. Bekannter ist die Erictho im Faust II (7006–7008). Goethe hat sie jedoch zu einer weisen Prophetin umgedeutet und lässt sie sich selbst als »nicht so abscheulich, wie die leidigen Dichter mich im Übermaß verlästern«, darstellen. Ob man darin eine Abneigung gegenüber Lucan herausdeuten kann?

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Text und Übersetzung Der lateinische Text folgt der Ausgabe von J. D. Duff (1928; Nachdruck 1951) unter Heranziehung der Ausgabe von D. R. Shackleton Bailey (²1997). Eine Übersetzung eines antiken Dichtertextes in moderne deutsche Prosa, vorgelegt von gleich drei Verfassern, bedarf sicher einer Erklärung. Wir sind bei unserer Arbeit von dem Prinzip ausgegangen, dass jeder Übersetzungsvorschlag auch einer peinlich genauen Überprüfung durch die anderen Übersetzer standhalten musste. Die Übersetzung eines lateinischen dichterischen Textes in deutsche Prosa, ohne das Metrum und den Rhythmus des Originals nachzuahmen, ist nicht unumstritten. Wir teilen aber die vielfach vorgetragenen Bedenken gegen eine Versübertragung. Gute Verse schmieden zu wollen, die auch nur annähernd die inhaltliche Dichte und rhetorische Leuchtkraft des Originals durchschimmern lassen, wäre generell vermessen. Eine Prosaübersetzung muss deshalb nicht unbedingt leichter zu bewerkstelligen sein. Wenn dem Leser die sprachliche Gestaltung des Originals in Wortwahl, Satzstellung, rhetorischer Finesse und Bedeutungsschwere nachvollziehbar gemacht werden, die Sprache gleichzeitig verständlich bleiben soll, ist der Übersetzer vor fast unlösbare Probleme gestellt. Wir haben es versucht, diesen zugestanden schwierigen Text modern und verständlich ins Deutsche zu übertragen, den literarischen Abglanz des Originals aber dennoch gelegentlich durchschimmern zu lassen.

Inhalt der Bücher 1–5 Buch 1 1–182: Proömium, Proömium, gegliedert in 4 Abschnitte: 1–32: Thema: der Bürgerkrieg als menschengemachte Weltkatastrophe. 33–66: Herrscherlob: der Bürgerkrieg als Voraussetzung der Herrschaft Neros: 67–182: Ursachen des Bürgerkriegs: • Roms Leiden an seiner Größe (67–84); • das Triumvirat und dessen Ende nach dem Tod des Crassus (85–111); • der Tod Julias, Caesars Tochter und Gattin des Pompeius, (111–120); • die Rivalität zwischen Caesar und Pompeius und deren unterschiedliche Persönlichkeit (120–157); • die moralische und politische Dekadenz des römischen Volkes (158–182). 183 ff.: Einsatz der Erzählung Erzählung:: 183–227: Caesar überschreitet den Rubicon; die Erscheinung der Stadtgöttin Roma kann ihn nicht aufhalten. 228–261: Caesar marschiert in Ariminum ein. 261–295: Curio stößt zu Caesars Armee und fordert ihn in einer Rede zum Kampf um die Weltherrschaft auf. 296–396: Caesar hält vor seinen zögernden und unentschlossenen Soldaten eine Rede, doch erst eine Rede des Laelius bewirkt einen Stimmungsumschwung in der Truppe. 397–465: Caesar beruft seine Truppen aus Gallien ab; Katalog der Truppenverbände auf Caesars Seite. 466–522: In Italien kursieren wilde Gerüchte, in Rom bricht eine Panik aus. 523–583: Unheilvolle Vorzeichen zerstören alle Hoffnungen. 584–638: Der etruskische Seher Arruns ordnet eine Bittprozession an; eine Eingeweideschau verheißt Unheil.

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Inhaltliche Übersicht

639–672: Ein Horoskop des Astrologen Nigidius Figulus kündigt einen Bürgerkrieg an. 673–695: Eine Matrone prophezeit in Ekstase die entscheidenden Ereignisse des kommenden Bürgerkriegs.

Buch 2 1–15: Philosophischer Exkurs zu Determinismus oder Zufall in der Geschichte, Furcht und Hoffnung der Menschen. 16–392: Fortsetzung der Erzählung Erzählung:: 16–64: In Rom herrscht lähmender Schrecken und Verzweiflung. 65–233: Die Älteren erinnern an den Bürgerkrieg zwischen Marius und Sulla. 234–325: Brutus fordert Cato in einer Rede zum Kampf auf; Cato wählt in einer Rede die Seite des Pompeius als das kleinere Übel. 326–391: Marcia heiratet nach dem Tod ihres Gatten Hortensius zum zweiten Mal Cato; Charakter und Grundsätze Catos. 392–492: Pompeius zieht sich nach Kampanien zurück. 493–438: Geographischer Exkurs Exkurs:: der Appennin und die Flüsse Italiens. 439 ff.: Fortsetzung der Erzählung Erzählung:: 439–525: Caesar stößt in Eilmärschen nach Süden vor. Die Städte Italiens ergreifen für Pompeius Partei, kapitulieren aber sehr schnell vor Caesar. Domitius wird von den Einwohnern des belagerten Corfinium an Caesar ausgeliefert und von diesem begnadigt. 526–600: Pompeius hält eine wirkungslose Rede vor seinen furchtsamen Soldaten. 601–649: Pompeius zieht sich nach Brundisium zurück und lässt im Osten weitere Truppen anwerben. 650–736: Caesar belagert Brundisium und blockiert die Hafenausfahrt. Der Flotte des Pompeius gelingt der Durchbruch in die Adria.

Buch 3 1–45: Während der Überfahrt erscheint dem Pompeius im Traum seine verstorbene Gattin Julia. 46–103: Caesar stellt die Getreideversorgung der Bevölkerung sicher und marschiert in das verängstigte Rom ein.

Buch 2 – Buch 3 – Buch 4

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104–168: In Rom findet eine Sitzung der in der Stadt verbliebenen Senatoren statt. Metellus unternimmt einen erfolglosen Versuch, Caesars Leute an der Plünderung des Staatsschatzes zu hindern. 169–297: Die Pompeianer werben erfolgreich Truppen im Osten an. Katalog der Truppen des Pompeius 298–374: Die griechischen Einwohner von Massilia widersetzen sich Caesar bei seinem Marsch nach Spanien (gegen die Pompeianer Petreius und Afranius, vgl. Buch 4). 375–452: Caesar lässt Massilia durch einen Belagerungsring einschließen; zu diesem Zweck fällen Caesars Soldaten die Bäume in einem heiligen Hain. 453–508: Caesar marschiert weiter nach Spanien; die Belagerung Massilias wird in Caesars Abwesenheit fortgesetzt. 509–762: Caesars Marine siegt unter ihrem Admiral Brutus über die Griechen von Massilia in einer Seeschlacht.

Buch 4 1–47: Die Pompeianer Petreius und Afranius halten mit römischen, keltischen und iberischen Truppen eine verschanzte Stellung bei Ilerda besetzt. Caesar unternimmt einen ersten erfolglosen Angriff auf diese Stellung. 48–120: Infolge der Überschwemmungen und Unwetter während der Frühjahrsschneeschmelze kommen Caesars Truppen bei Ilerda in eine kritische Lage. 121–167: Das Wetter bessert sich, die Pompeianer rücken aus Ilerda ab und werden von Caesar verfolgt. 168–253: Die beiden Armeen lagern in unmittelbarer Nähe, und es kommt zu Verbrüderungsszenen, die aber nach einer Rede des Petreius in einem blutigen Gemetzel enden. 254–401: Caesar schließt die Pompeianer auf einem Hügel bei Ilerda ein. Nach einem verzweifelten Ausbruchsversuch zwingt Wassermangel Afranius zur Kapitulation. Die Pompeianer werden von Caesar ehrenhaft aus dem Bürgerkrieg entlassen. 402–581: Szenenwechsel: Caesars Legat Antonius ist mit seinen Soldaten auf der Adriainsel Curicta von der pompeianischen Flotte eingeschlossen, leidet unter einer Hungersnot und unternimmt einen erfolgreichen Ausbruch auf Flößen. Ein Floß wird durch die Pompeianer festgehalten. Nach einer Rede ihres Kommandanten Vulteius begeht die Besatzung kollektiven Selbstmord.

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Inhaltliche Übersicht

581–660: Erneuter Szenenwechsel: Curio landet bei Karthago und lässt sich den Mythos von Antäus und Herkules erzählen. 661–714: Curio erringt einen vorläufigen Sieg über den Republikaner Varus. 715–793: Curio wird von dem mit Pompeius verbündeten Numiderkönig Iuba in eine Falle gelockt und besiegt. 793–824: Freitod des Curio; Nachruf auf Curio.

Buch 5 1–64: Zu Jahresbeginn tritt der Senat im Exil in Epirus zu einer improvisierten Sitzung zusammen. Nach einer Rede des Lentulus wird Pompeius zum Oberbefehlshaber der republikanischen und verbündeten Truppen ernannt. 65–236: Appius befragt das delphische Orakel über den Ausgang des Krieges und wird durch den doppeldeutigen Orakelspruch getäuscht. 237–373: Caesars Truppen meutern auf dem Rückweg von Spanien. Nach einer Rede der Meuterer und der Gegenrede Caesars schlägt dieser die Meuterei nieder. 374–402: Caesar verlegt seine Truppen in Eilmärschen nach Brundisium und wird nach einer Wahlfarce in Rom zum Konsul und Diktator ernannt. 403–460: Durch widrige Witterungsbedingungen verzögert sich die Überfahrt von Caesars Truppen von Brundisium nach Epirus. 461–503: Caesar und Pompeius beziehen in Epirus dicht nebeneinander Stellung. Caesar wartet ungeduldig auf Verstärkung durch die Truppen des Antonius in Brundisium. 504–702: Der Versuch Caesars, mit dem Fischer Amyklas in einem kleinen Boot nach Italien überzusetzen, scheitert in einem Wintersturm. 703–721: Nach Wetterbesserung setzen die restlichen Truppen Caesars von Brundisium nach Epirus über; die Entscheidungsschlacht steht bevor. 722–815: Pompeius nimmt Abschied von seiner Gattin Cornelia und lässt sie gegen ihren Widerstand auf Lesbos in Sicherheit bringen.

MARCUS ANNAEUS LUCANUS BELLUM CIVILE (LIBRI I–V) LUCAN BÜRGERKRIEG (BÜCHER 1–5)

LIBER I Bella per Emathios plus quam civilia campos iusque datum sceleri canimus, populumque potentem in sua victrici conversum viscera dextra cognatasque acies, et rupto foedere regni certatum totis concussi viribus orbis in commune nefas, infestisque obvia signis signa, pares aquilas et pila minantia pilis. quis furor, o cives, quae tanta licentia ferri? gentibus invisis Latium praebere cruorem cumque superba foret Babylon spolianda tropaeis Ausoniis umbraque erraret Crassus inulta bella geri placuit nullos habitura triumphos? heu, quantum terrae potuit pelagique parari hoc quem civiles hauserunt sanguine dextrae, unde venit Titan et nox ubi sidera condit quaque dies medius flagrantibus aestuat horis et qua bruma rigens ac nescia vere remitti astringit Scythico glacialem frigore pontum! sub iuga iam Seres, iam barbarus isset Araxes et gens siqua iacet nascenti conscia Nilo. tum, si tantus amor belli tibi, Roma, nefandi, totum sub Latias leges cum miseris orbem, in te verte manus: nondum tibi defuit hostis. at nunc semirutis pendent quod moenia tectis urbibus Italiae lapsisque ingentia muris saxa iacent nulloque domus custode tenentur rarus et antiquis habitator in urbibus errat, horrida quod dumis multosque inarata per annos Hesperia est desuntque manus poscentibus arvis, non tu, Pyrrhe ferox, nec tantis cladibus auctor Poenus erit: nulli penitus descendere ferro contigit; alta sedent civilis volnera dextrae. quod si non aliam venturo fata Neroni invenere viam magnoque aeterna parantur regna deis caelumque suo servire Tonanti non nisi saevorum potuit post bella gigantum, iam nihil, o superi, querimur; scelera ipsa nefasque hac mercede placent. diros Pharsalia campos

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Buch 1 Von Kriegen auf emathischen1 Schlachtfeldern erzähle ich, schlimmer2 noch als Bürgerkriege, und von legalisierten Verbrechen und von einem mächtigen Volk, das seine siegreiche Hand gegen die eigenen Eingeweide gekehrt hat, von Schlachten, die Verwandte gegen Verwandte schlugen, und wie nach dem Bruch des Despotenbündnisses3 mit allen Kräften einer erschütterten Welt (5) gekämpft wurde bis zum gemeinsamen Verhängnis. Als Feldzeichen standen sich feindlich gegenüber die gleichen Adler und gegenseitig bedrohten sich römische Speere4. Welcher Wahnsinn, ihr Bürger, welche Zügellosigkeit der Waffen? Gefiel es euch, den uns feindlich gesonnenen Völkern das Schauspiel römischen Blutvergießens zu bieten, obwohl man dem unverschämten Babylon5 die ausonischen6 Trophäen hätte entreißen müssen (10) und Crassus’ Schatten ungerächt umherirrt. Gefiel es euch, Kriege zu führen, die keine Triumphe einbringen? Wehe, wie viele Länder und Meere hätten mit dem unter Römern vergossenen Blut erobert werden können in Gegenden, wo Titan7 aufgeht und die Nacht die Gestirne verbirgt, (15) wo der südliche Tag glüht in flirrenden Winden und wo der in Kälte erstarrte Winter, der durch keinen Frühling gemildert wird, das Eismeer in skythischem8 Frost fesselt. Unter das Joch wären schon Chinesen getreten und auch der wilde Araxes9, und wenn es ein Volk gibt, das die Quellen des Nil10 kennt, auch das. (20) Wenn du schon so eine Lust an einem verbrecherischen Krieg hast, Rom, richte deine Hand erst gegen dich, wenn du den ganzen Erdkreis unter römisches Recht gezwungen hast. Feinde fehlten dir nie. Aber dass jetzt die Mauern der Häuser einzustürzen drohen mit den halbzerfallenen Dächern, dass gewaltige Steine der Stadtmauern herumliegen, nachdem Italiens Städte zerstört sind, (25) dass selten nur ein Bewohner in den alten Städten herumirrt, dass Hesperien11 starrt von wildem Gesträuch und über viele Jahre schon ungepflegt daliegt und den fordernden Fluren die arbeitende Hand fehlt, für diese schrecklichen Niederlagen bist weder du, wilder Pyrrhus12 (30), noch der Punier die Ursache. So vernichtende Wunden zu schlagen gelang keinem: tief sitzen die Wunden von des Bürgerkriegs Hand. Wenn aber das Schicksal keinen anderen Weg gefunden hat für die Ankunft eines Nero13, die ewige Macht auch den Göttern nur um einen hohen Preis zuteil wird, und auch der Donnerer14 (35) den Himmel sich nicht dienstbar machen konnte ohne den Krieg gegen die grimmigen Giganten, dann klagen wir nicht mehr, ihr Himmlischen; solche ruchlosen Verbrechen sind durch diesen Lohn gerechtfertigt. Mag Pharsalia15 die schrecklichen Felder mit

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inpleat et Poeni saturentur sanguine manes, ultima funesta concurrant proelia Munda, his, Caesar, Perusina fames Mutinaeque labores accedant fatis et quas premit aspera classes Leucas et ardenti servilia bella sub Aetna, multum Roma tamen debet civilibus armis quod tibi res acta est. te, cum statione peracta astra petes serus, praelati regia caeli excipiet gaudente polo: seu sceptra tenere seu te flammigeros Phoebi conscendere currus telluremque nihil mutato sole timentem igne vago lustrare iuvet, tibi numine ab omni cedetur, iurisque tui natura relinquet quis deus esse velis, ubi regnum ponere mundi. sed neque in Arctoo sedem tibi legeris orbe nec polus aversi calidus qua vergitur Austri, unde tuam videas obliquo sidere Romam. aetheris inmensi partem si presseris unam, sentiet axis onus. librati pondera caeli orbe tene medio; pars aetheris illa sereni tota vacet nullaeque obstent a Caesare nubes. tum genus humanum positis sibi consulat armis inque vicem gens omnis amet; pax missa per orbem ferrea belligeri conpescat limina Iani. sed mihi iam numen; nec, si te pectore vates accipio, Cirrhaea velim secreta moventem sollicitare deum Bacchumque avertere Nysa: tu satis ad vires Romana in carmina dandas. fert animus causas tantarum expromere rerum, inmensumque aperitur opus, quid in arma furentem inpulerit populum, quid pacem excusserit orbi. invida fatorum series summisque negatum stare diu nimioque graves sub pondere lapsus nec se Roma ferens. sic, cum conpage soluta saecula tot mundi suprema coegerit hora antiquum repetens iterum chaos, (omnia mixtis sidera sideribus concurrent,) ignea pontum astra petent, tellus extendere litora nolet excutietque fretum, fratri contraria Phoebe ibit et obliquum bigas agitare per orbem

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Blut anfüllen und die Schatten der Punier16 sich am Blute sättigen; mögen die letzten Gefechte bei Munda17 (40) geschlagen werden; zu diesem Schicksal mögen, o Caesar, die Hungersnot von Perusia18, die Strapazen von Mutina19, die Flotten, denen das raue Leukas 20 zusetzte und die Sklavenkriege21 am brennenden Aetna noch dazukommen. Dennoch verdankt Rom viel dem Bürgerkrieg, weil für dich 22 dies alles geschah. Wenn dein Aufenthalt auf Erden beendet sein wird (45) und spät du die Sterne ansteuerst 23, dann wird dich der Palast des von dir bevorzugten Himmels aufnehmen und das Himmelsgewölbe wird jubeln. Mag es dir gefallen, das Szepter zu tragen oder den feurigen Wagen des Phoebus 24 zu besteigen und die Erde zu beleuchten mit wanderndem Feuer, die nichts fürchtet, obwohl der Sonnengott jetzt ein anderer ist. Dir wird jede Gottheit Platz machen (50) und die Natur wird dir die Entscheidung überlassen, welche Gottheit du sein und wo du dein Regiment über die Erde errichten willst. Aber weder am arktischen Pol noch dort, wo der heiße Himmel des Südwinds auf der anderen Seite sich neigt, sollst du deinen Sitz wählen, von wo du nur mit schrägem Licht dein Rom erblickst. (55) Wenn du nur einen Teil des unermesslichen Aethers berührst, dann wird die Himmelsachse dein Gewicht spüren 25. Halte daher mitten im Kosmos das Gewicht eines ausgewogenen Himmels; dieser Teil des heiteren Himmels möge ganz offen stehen und keine Wolken den Blick auf Caesar verhüllen. Dann möge sich das Menschengeschlecht um sich kümmern und die Waffen niederlegen (60) und die Völker sich gegenseitig lieben; und der Frieden über die ganze Welt mag die eisernen Tore des Krieg bringenden Ianus26 zuschließen. Aber für mich bist du schon Gott; und wenn ich dich als Seher in meinem Herzen annehme, dann will ich weder den Gott27, der die Geheimnisse von Delphi beeinflusst, bemühen noch den Bacchus von Nysa28 weglocken. (65) Du bist genug Inspiration für römische Lieder. Mich drängt es nun, die Ursachen 29 solch großer Ereignisse darzustellen; eine ungeheure Aufgabe tut sich auf zu erzählen, was das rasende Volk zu den Waffen rief und was den Frieden von der Erde verjagte: eine Serie von bösen Schicksalsschlägen (70), dazu die Tatsache, dass es gerade dem Mächtigsten nicht vergönnt ist, sich lange zu halten, der wegen des übergroßen Gewichtes schwere Fall und ein Rom, das sich selbst nicht mehr erträgt. Wie wenn der Bau der Welt sich auflöst, die letzte Stunde viele Jahrhunderte zusammendrängt und das alte Chaos wieder zurückholt; (75) alles wird zusammenstürzen, wenn Sterne mit Sternen zusammenstoßen; das Sternenfeuer30 wird ins Meer stürzen. Das Festland will verhindern, dass sich die Küsten ausdehnen, und wird das Meer abschütteln. Dann wird im Gegensatz zu ihrem Bruder Diana31 kommen und den Tag für sich begehren, unwillig das Zweigespann über den schrägen Horizont zu jagen, und eine in sich völlig widersprüchliche

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indignata diem poscet sibi, totaque discors machina divolsi turbabit foedera mundi. in se magna ruunt: laetis hunc numina rebus crescendi posuere modum. nec gentibus ullis commodat in populum terrae pelagique potentem invidiam Fortuna suam. tu causa malorum facta tribus dominis communis, Roma, nec umquam in turbam missi feralia foedera regni. o male concordes nimiaque cupidine caeci, quid miscere iuvat vires orbemque tenere in medio? dum terra fretum terramque levabit aer et longi volvent Titana labores noxque diem caelo totidem per signa sequetur, nulla fides regni sociis, omnisque potestas inpatiens consortis erit. nec gentibus ullis credite nec longe fatorum exempla petantur: fraterno primi maduerunt sanguine muri. nec pretium tanti tellus pontusque furoris tunc erat: exiguum dominos commisit asylum. temporis angusti mansit concordia discors paxque fuit non sponte ducum; nam sola futuri Crassus erat belli medius mora. qualiter undas qui secat et geminum gracilis mare separat Isthmos nec patitur conferre fretum, si terra recedat, Ionium Aegaeo frangat mare, sic, ubi saeua arma ducum dirimens miserando funere Crassus Assyrias Latio maculavit sanguine Carrhas, Parthica Romanos solverunt damna furores. plus illa vobis acie, quam creditis, actum est, Arsacidae: bellum victis civile dedistis. dividitur ferro regnum, populique potentis, quae mare, quae terras, quae totum possidet orbem, non cepit fortuna duos. nam pignora iuncti sanguinis et diro ferales omine taedas abstulit ad manes Parcarum Iulia saeva intercepta manu. quod si tibi fata dedissent maiores in luce moras, tu sola furentem inde virum poteras atque hinc retinere parentem armatasque manus excusso iungere ferro, ut generos soceris mediae iunxere Sabinae.

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Weltmechanik bringt die Gesetze der auseinander gerissenen Welt durcheinander. (80) Großes stürzt in sich zusammen: Den blühenden Dingen setzen die Götter eine Grenze des Wachstums. Nicht der Missgunst anderer Völker überlässt das Schicksal unser Volk, das Erde und Meer beherrscht. Du, Rom, warst selbst Ursache deiner Leiden (85), als du das gemeinsame Eigentum dreier Herren warst und Gegenstand eines todbringenden Bündnisses in einer wie nie zuvor auf mehrere verteilten Despotie32. Blind vor all zu großer Habgier und schrecklich zerstritten, was nützt es da, die Kräfte zu vereinen und die Welt in die Mitte zu nehmen? Solange die Erde das Meer und die Luft die Erde trägt, solange unendliche Mühen die Sonne über den Himmel rollen (90) und die Nacht am Himmel mit ebenso vielen Zeichen dem Tag folgt, so lange gibt es für die Bundesgenossen einer Tyrannei kein Vertrauen, und jeder Machthaber wird sich sträuben gegen einen Teilhaber. Sucht keine Beweise bei anderen Völkern und forscht nicht lange nach Beispielen für solche Schicksale: (95) Schon die ersten Mauern Roms troffen vom Bruderblut.33 Und der Preis für solches Rasen war damals nicht Besitz über Land und Meer: Nur eine kleine Zufluchtstätte34 ließ die Herren aneinander geraten. Nur kurze Zeit dauerte die zwieträchtige Eintracht35, und ein erzwungener Friede herrschte unter den Anführern; denn einzig, (100) dass Crassus zwischen ihnen stand, hielt den kommenden Krieg noch auf. Wie der schmale Isthmus die Fluten durchschneidet, zwei Meere trennt und nicht zulässt, dass die Meeresflut aufeinander prallt – wenn nämlich der Landstreifen verschwände, bräche das Jonische Meer in das Ägäische ein -, so löste die Niederlage im Partherland die römische Raserei aus, als Crassus, der die furchtbaren Waffen der zwei Anführer auseinanderhielt, durch seinen schmachvollen Tod das (105) assyrische Carrhae36 mit römischem Blut befleckte. In jener Schlacht habt ihr Arcasiden37 mehr vollbracht, als euch bewusst ist: Ihr habt bei den Besiegten den Bürgerkrieg ausgelöst. Das Reich wird mit dem Schwert aufgeteilt, und das Glück und der Wohlstand eines mächtigen Volkes, (110) die das Meer, die Länder und den ganzen Erdkreis umfassen, reichten nicht mehr aus für zwei. Denn das Unterpfand einer verwandtschaftlichen Verbindung und die Hochzeitsfackeln, die durch böse Vorzeichen zu Todesfackeln geworden waren, nahm mit sich in die Unterwelt Julia38, deren Lebensfaden von der grausamen Hand der Parzen zerschnitten worden war. Wenn dir aber das Schicksal erlaubt hätte, (115) länger unter der Sonne zu weilen, hättest allein du den rasenden Ehemann hier und dort den Vater zurückhalten können, hättest ihnen das Schwert aus den bewaffneten Händen gerissen und sie zum Handschlag vereinigt, wie sich die Sabinerinnen dazwischen warfen und die Schwiegersöhne mit den Schwiegervätern vereinten.

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morte tua discussa fides bellumque movere permissum ducibus. stimulos dedit aemula virtus. tu, nova ne veteres obscurent acta triumphos et victis cedat piratica laurea Gallis, Magne, times; te iam series ususque laborum erigit inpatiensque loci fortuna secundi; nec quemquam iam ferre potest Caesarve priorem Pompeiusve parem. quis iustius induit arma scire nefas: magno se iudice quisque tuetur; victrix causa deis placuit sed victa Catoni. nec coiere pares. alter vergentibus annis in senium longoque togae tranquillior usu dedidicit iam pace ducem, famaeque petitor multa dare in volgus, totus popularibus auris inpelli plausuque sui gaudere theatri, nec reparare novas vires, multumque priori credere fortunae. stat magni nominis umbra, qualis frugifero quercus sublimis in agro exuvias veteris populi sacrataque gestans dona ducum nec iam validis radicibus haerens pondere fixa suo est, nudosque per aera ramos effundens trunco, non frondibus, efficit umbram, et quamvis primo nutet casura sub Euro, tot circum silvae firmo se robore tollant, sola tamen colitur. sed non in Caesare tantum nomen erat nec fama ducis, sed nescia virtus stare loco, solusque pudor non vincere bello. acer et indomitus, quo spes quoque ira vocasset, ferre manum et numquam temerando parcere ferro, successus urguere suos, instare favori numinis, inpellens quidquid sibi summa petenti obstaret gaudensque viam fecisse ruina, qualiter expressum ventis per nubila fulmen aetheris inpulsi sonitu mundique fragore emicuit rupitque diem populosque paventes terruit obliqua praestringens lumina flamma: in sua templa furit, nullaque exire vetante materia magnamque cadens magnamque revertens dat stragem late sparsosque recolligit ignes.

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Durch deinen Tod wurde das Vertrauensverhältnis aufgelöst und die Anführer hatten freie Bahn, (120) den Krieg zu beginnen. Du, Magnus, fürchtest, dass die neuen Taten deine alten Triumphe in den Schatten stellen könnten und dass der Siegeslorbeer im Piratenkrieg dem Sieg über die Gallier nachstehen könnte. Dich hingegen erhebt deine lange Kriegserfahrung und dein Kriegsglück, das mit dem zweiten Platz nicht mehr zufrieden ist. (125) Ein Caesar kann keinen mehr über sich ertragen, und ein Pompejus keinen neben sich. Wer mit mehr Recht zu den Waffen greift, das zu fragen, steht uns nicht zu. Jeder der beiden steht unter dem Schutz eines hohen Richters: Die siegreiche Sache gefiel den Göttern besser, die besiegte dem Cato.39 Sie traten nicht einander ebenbürtig zum Kampf an. Der eine – seine Lebensjahre waren schon (130) der Altersschwäche nahe40, er war durch die lange Gewöhnung an die zivile Toga etwas bequem geworden – hatte im Frieden die Rolle eines Heerführers verlernt, strebte nach Geltung, tat viel für das Volk, ließ sich völlig von der Volksgunst treiben, freute sich über den Beifall in seinem Theater41 und vertraute, anstatt seine Kräfte aufzufrischen und zu erneuern, in der Hauptsache (135) auf sein altes Glück. Nur noch der Schatten eines großen Namens – so stand er da wie auf fruchtbarem Feld eine hoch ragende Eiche42, beladen mit den Trophäen eines längst vergangenen Volkes und den Weihegeschenken seiner Feldherren, aber sie haftet nicht mehr mit kräftigen Wurzeln im Boden, sie steht nur noch kraft ihres Gewichtes, sie streckt entblätterte Äste in die Lüfte (140) und nur noch mit ihrem Stamm, nicht aber mit ihrem Blätterwerk spendet sie Schatten, und obwohl sie beim ersten Lufthauch wanken und fallen wird und ringsum sich viele Wälder in fester Kraft erheben, wird dennoch sie allein verehrt. Aber auf Caesars Seite standen nicht nur sein Name und sein Ruf als Heerführer, sondern seine Tatkraft 43, die unfähig war, (145) bei dem Erreichten stehen zu bleiben, und er hatte einzig und allein Skrupel zu siegen, ohne Krieg geführt zu haben. Er war streitlustig und nicht zu bremsen, Hand anzulegen, wo ihn seine Hoffnung oder auch sein Zorn dazu rief, nie sein Schwert leichtfertig zu schonen, seine Erfolge voranzutreiben, die Gunst der Gottheit zu erzwingen, niederzuwerfen alles, was sich ihm beim Streben nach der höchsten Macht (150) in den Weg stellte, voller Freude, seinen Weg über Trümmer gebahnt zu haben. Wie der Blitz, von den Winden durch die Wolken gepresst, unter dem Donner der erschütterten Luft und dem Krachen des Firmaments hervorzuckt, das Tageslicht zerreißt, die zitternden Völker erschreckt, wenn er mit schrägem Strahl die Augen blendet: (155) Er schlägt in seine Tempel ein, keine Materie hindert ihn, wieder herauszufahren, und einschlagend oder wiederkehrend richtet er weithin eine große Zerstörung an und häuft die zerstreute Glut.

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hae ducibus causae; suberant sed publica belli semina, quae populos semper mersere potentis. namque, ut opes nimias mundo fortuna subacto intulit et rebus mores cessere secundis praedaque et hostiles luxum suasere rapinae, non auro tectisve modus, mensasque priores aspernata fames; cultus gestare decoros vix nuribus rapuere mares; fecunda virorum paupertas fugitur totoque accersitur orbe quo gens quaeque perit; tum longos iungere fines agrorum, et quondam duro sulcata Camilli vomere et antiquos Curiorum passa ligones longa sub ignotis extendere rura colonis. non erat is populus quem pax tranquilla iuvaret, quem sua libertas inmotis pasceret armis. inde irae faciles et, quod suasisset egestas, vile nefas, magnumque decus ferroque petendum plus patria potuisse sua, mensuraque iuris vis erat: hinc leges et plebis scita coactae et cum consulibus turbantes iura tribuni; hinc rapti fasces pretio sectorque favoris ipse sui populus letalisque ambitus urbi annua venali referens certamina Campo; hinc usura vorax avidumque in tempora fenus et concussa fides et multis utile bellum. iam gelidas Caesar cursu superaverat Alpes ingentisque animo motus bellumque futurum ceperat. ut ventum est parvi Rubiconis ad undas, ingens visa duci patriae trepidantis imago clara per obscuram voltu maestissima noctem turrigero canos effundens vertice crines caesarie lacera nudisque adstare lacertis et gemitu permixta loqui: ‘quo tenditis ultra? quo fertis mea signa, viri? si iure venitis, si cives, huc usque licet.’ tum perculit horror membra ducis, riguere comae gressumque coercens languor in extrema tenuit vestigia ripa. mox ait ‘o magnae qui moenia prospicis urbis

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Dies waren die Anführer, aber in einer Schicht darunter lagen die gesellschaftlichen Keime des Krieges, die schon immer mächtige Völker ins Unglück gestürzt haben44: (160) Denn als nach Eroberung der Welt das Kriegsglück allzu große Reichtümer brachte, die guten Sitten dem Wohlstand wichen, Beute und Raubzüge bei den Feinden zur Verschwendung reizten, da gab es kein Maß mehr beim Goldverbrauch und beim Häuserbau, die Fressgier sah verächtlich auf die Speisen von früher herab. Nach Kleidungsstücken, die zu tragen (165) sich kaum für junge Frauen schickte, griffen gierig jetzt die »Männchen«. Die Armut, die echte Männer hervorbringt, mied man, aus dem ganzen Erdkreis ließ man sich kommen, woran jedes Volk zu Grunde geht. Da legte man die Äcker zu großen Flächen zusammen, und weite Ländereien, die einst vom harten Pflug des Camillus 45 durchfurcht und von den altertümlichen Hacken der Curier 46 bearbeitet wurden, (170) breiteten sich jetzt unter fremdländischen Landarbeitern aus. Das war nicht mehr das Volk, das den ruhigen Frieden genoss, das sich seiner Freiheit freute und die Waffen ruhen ließ. Jetzt geriet man leicht in Wut und ein Verbrechen, zu dem bloße Gier verführt hatte, galt als eine unbedeutende Kleinigkeit, und (175) mehr Macht zu haben als das Vaterland – nach der man allerdings mit dem Schwert streben musste – galt als eine hohe Auszeichnung, und der Maßstab des Rechts war die persönliche Fähigkeit, Gewalt auszuüben. Von nun an wurden Gesetze und Volksbeschlüsse gewaltsam durchgesetzt und mit den Konsuln brachten die Volkstribunen die Rechtsnormen durcheinander. Von nun an riss man die höchsten Staatsämter für Bestechungsgeld an sich, das Volk selbst verkaufte seine Gunst, und der für den Staat tödliche Ehrgeiz (180) veranstaltete alljährliche Wahlkämpfe auf dem Marsfeld, wo für Geld alles zu haben war. Von nun an kam es zu gefräßigem Wucher, zu auf die Zahlungstermine gierigem Zins, die Vertrauensbasis war erschüttert und ein Krieg war für viele von Vorteil. Schon hatte Caesar im Eilmarsch die verschneiten Alpen überschritten47, hatte in Gedanken schon gewaltige politische Umwälzungen und den kommenden Krieg beschlossen.48 (185) Als er an den Lauf des Flüsschens Rubicon kam49, hatte der Feldherr eine Vision des angstbebenden Vaterlandes: Strahlend hell in dunkler Nacht mit tief betrübtem Antlitz, vom turmbekränzten Haupt ringelte sich das weiße Haar, das Haupthaar zerrauft, mit bloßen Armen stand es da (190) und unter Schluchzen sprach es: »Wohin wollt ihr denn noch? Wohin tragt ihr meine Feldzeichen, ihr Männer? Wenn ihr auf rechtmäßige Weise, wenn ihr als Bürger kommt, dann nur bis hierher (und nicht weiter).« Da durchlief ein Schaudern den Feldherrn, seine Haare sträubten sich, eine Lähmung hemmte seinen Schritt und hielt seinen Fuß am Rand des Baches fest50. (195) Darauf sprach er: »Oh du, der du auf die Mauern

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Tarpeia de rupe Tonans Phrygiique penates gentis Iuleae et rapti secreta Quirini et residens celsa Latiaris Iuppiter Alba Vestalesque foci summique o numinis instar Roma, fave coeptis. non te furialibus armis persequor: en, adsum victor terraque marique Caesar, ubique tuus (liceat modo, nunc quoque) miles. ille erit ille nocens, qui me tibi fecerit hostem.’ inde moras solvit belli tumidumque per amnem signa tulit propere: sicut squalentibus arvis aestiferae Libyes viso leo comminus hoste subsedit dubius, totam dum colligit iram; mox, ubi se saevae stimulavit verbere caudae erexitque iubam et vasto grave murmur hiatu infremuit, tum torta levis si lancea Mauri haereat aut latum subeant venabula pectus, per ferrum tanti securus volneris exit. fonte cadit modico parvisque inpellitur undis puniceus Rubicon, cum fervida canduit aestas, perque imas serpit valles et Gallica certus limes ab Ausoniis disterminat arva colonis. tum vires praebebat hiemps atque auxerat undas tertia iam gravido pluvialis Cynthia cornu et madidis Euri resolutae flatibus Alpes. primus in obliquum sonipes opponitur amnem excepturus aquas; molli tum cetera rumpit turba vado faciles iam fracti fluminis undas. Caesar, ut adversam superato gurgite ripam attigit, Hesperiae vetitis et constitit arvis, ‘hic’ ait ‘hic pacem temerataque iura relinquo; te, Fortuna, sequor. procul hinc iam foedera sunto; credidimus satis , utendum est iudice bello.’ sic fatus noctis tenebris rapit agmina ductor inpiger, et torto Balearis verbere fundae ocior et missa Parthi post terga sagitta, vicinumque minax invadit Ariminum, et ignes solis Lucifero fugiebant astra relicto. iamque dies primos belli visura tumultus exoritur; sed sponte deum, seu turbidus Auster inpulerat, maestam tenuerunt nubila lucem.

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der großen Stadt hinabschaust vom Tarpeischen Felsen, Donnerer, phrygische Penaten des Juliergeschlechts51, Geheimnisse des entrückten Quirinus52, Jupiter Latiaris53, thronend im hochragenden Alba, ihr Vestalinnen des Herdfeuers und du Roma, die du mir als höchste Gottheit giltst, (200) erweise dich gnädig meinem Beginnen: Ich verfolge dich nicht mit den Waffen wahnwitziger Raserei. Siehe, hier stehe ich, Sieger auf dem Land und zur See, Caesar, überall dein Soldat – und, wenn möglich, auch jetzt. Der, ja der wird der Schuldige sein, der mich zu deinem Feind gemacht hat.« Dann löste er dem Krieg die Fesseln und (205) trug die Feldzeichen eilig durch den angeschwollenen Fluss. So kauert sich auf den unbebauten Feldern des heißen Libyen zögernd der Löwe nieder, wenn er in der Nähe den Feind wahrgenommen hat, während er seinen ganzen Zorn sammelt; bald, nachdem er sich mit der Geißel seines wilden Schwanzes angespornt und die Mähne aufgerichtet und aus der gewaltigen Öffnung seines Rachens ein tiefes Gebrüll ausgestoßen hat, geht er dann, wenn die Lanze des gewandten Mauren geschleudert wird (210) und hängen bleibt oder die Jagdspieße unter die breite Brust treffen, doch weiter, unbekümmert um eine so schwere Wunde durch das Eisen. Der rötliche Rubicon54 geht von einer bescheidenen Quelle aus, fließt in spärlichen Wassermengen dahin, wenn der heiße Sommer erglüht, (215) schlängelt sich durch die tiefer gelegenen Täler und trennt als feste Grenzmark die gallische Flur von den Bauern Ausoniens55. Aber damals brachte der Winter ihm neue Kraft, und der dritte Regenmonat hatte mit regenbeladener Mondsichel das Wasser anschwellen lassen, und die Alpen schmolzen unter den feuchten Ostwinden. (220) Zuerst stemmte sich die Reiterei schräg dem Strom entgegen, um die Wogen aufzufangen; und die restliche Schar stürzte sich dann in die leicht zu bewältigenden Wellen des schon in seiner Kraft gebrochenen Flusses. Als Caesar den Strom überwunden und das andere Ufer erreicht hatte und auf den verbotenen Feldern Italiens Halt machte, (225) sagte er: »Hier lasse ich den Frieden zurück und das bereits aufgehobene Recht. Dir, Fortuna, folge ich. Von jetzt an soll keine Rede mehr von Verträgen sein. Wir haben lange genug auf sie vertraut, jetzt ist der Krieg als Richter zu wählen.«56 So sprach Caesar und führte schnell seine Truppen durch das Dunkel der Nacht, und schneller als die Kugel von der Balearischen Schleuder geschossen57 (230) und der Pfeil über die Schulter des Parthers geschickt wird, drang er drohend in das zunächst liegende Ariminum58 ein, und das Feuer der Sonne verjagte die Sterne, nur der Morgenstern blieb zurück. Der Tag brach an und sah schon die ersten Scharmützel des Krieges; (235) aber Wolken hielten das Trauer verkündende Licht zurück, sei es, weil die Götter es wollten, oder sei es, dass der

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constitit ut capto iussus deponere miles signa foro, stridor lituum clangorque tubarum non pia concinuit cum rauco classica cornu. rupta quies populi, stratisque excita iuventus deripuit sacris adfixa penatibus arma quae pax longa dabat: nuda iam crate fluentis invadunt clipeos curvataque cuspide pila et scabros nigrae morsu robiginis enses. ut notae fulsere aquilae Romanaque signa et celsus medio conspectus in agmine Caesar, deriguere metu, gelidos pavor occupat artus, et tacito mutos volvunt in pectore questus. ‘o male vicinis haec moenia condita Gallis, o tristi damnata loco! pax alta per omnes et tranquilla quies populos: nos praeda furentum primaque castra sumus. melius, Fortuna, dedisses orbe sub Eoo sedem gelidaque sub Arcto errantisque domos, Latii quam claustra tueri. nos primi Senonum motus Cimbrumque ruentem vidimus et Martem Libyes cursumque furoris Teutonici: quotiens Romam fortuna lacessit, hac iter est bellis.’ gemitu sic quisque latenti, non ausus timuisse palam: vox nulla dolori credita, sed quantum, volucres cum bruma coercet, rura silent, mediusque tacet sine murmure pontus, tanta quies. noctis gelidas lux solverat umbras: ecce, faces belli dubiaeque in proelia menti urguentes addunt stimulos cunctasque pudoris rumpunt fata moras: iustos Fortuna laborat esse ducis motus et causas invenit armis. expulit ancipiti discordes urbe tribunos victo iure minax iactatis curia Gracchis. hos iam mota ducis vicinaque signa petentes audax venali comitatur Curio lingua, vox quondam populi libertatemque tueri ausus et armatos plebi miscere potentes. utque ducem varias volventem pectore curas conspexit ‘dum voce tuae potuere iuvari, Caesar,’ ait ‘partes, quamvis nolente senatu traximus imperium, tum cum mihi rostra tenere

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Südwind sie hergetrieben hatte. Als die Truppen das Forum eingenommen hatten, anhielten und auf Befehl die Feldzeichen niederlegten, überlagerte sich der Lärm der Signalhörner, das Geschmetter der Trompeten mit dem dumpfen Klang des Hornes zu einem schaurigen Signal. Die Ruhe der Bevölkerung wurde gestört, und aufgeschreckt vom Lager (240) rissen die jungen Männer die Waffen von der Wand, die neben den heiligen Penaten59 aufgehängt waren, so wie sie ein langer Friede zurückgelassen hatte: Sie rissen Schilde an sich, deren ungeschütztes Flechtwerk schon zerfiel, und Wurfspieße, deren Spitze krumm war, und Schwerter, stumpf durch den Biss schwarzen Rostes. Sobald die bekannten Adler und römischen Feldzeichen erglänzten (245) und man Caesar erhoben mitten in seinem Heer erblickte, erstarrten sie in Furcht, Angst ergriff ihre eiskalten Glieder und unausgesprochene Klagen erwogen sie in schweigender Brust: »Wehe diesen Mauern, die zu unserm Unglück den Galliern benachbart erbaut wurden, wehe ihnen, die dazu verurteilt sind, uns Trauer zu bringen. Alle Völker leben in tiefem Frieden (250) und ungestörter Ruhe; wir aber sind Beute und erstes Kriegslager der Rasenden. Besser, Fortuna, hättest du uns einen Wohnsitz im Osten oder im kalten Norden oder die Wohnsitze von Nomaden zur Bewachung gegeben als den engen Durchgang nach Latium. (255) Wir haben als Erste den Zug der Senonen60 und der Kimbern61 erlebt, den Krieg aus Libyen62 und den rasenden Ansturm der Teutonen, wie oft auch immer das Schicksal Rom schlägt, hier hindurch nehmen die Kriege ihren Weg.« Jeder verharrte in schweigsamem Grollen und wagte es nicht, sich offen zu fürchten – keine Stimme wurde dem Schmerz gegeben –, sondern wie das Land schweigt, wenn der Winter die Vögel bedrückt (260) und mitten auf dem Meer absolute Stille herrscht, so groß war die Ruhe. Die Sonne hatte die kühlen Schatten der Nacht aufgelöst, da spornten die Fackeln des Krieges die noch zögernde Kriegsbereitschaft an, und das Schicksal durchbrach alle Hemmungen der Scham. Das Schicksal arbeitete darauf hin, die Rebellion Caesars zu rechtfertigen, (265) und erfand Gründe für den Krieg. Der Senat63 jagte die meuternden Volkstribunen unter Verletzung des Rechts aus der unsicheren Stadt, nachdem er ihnen wiederholt mit dem Schicksal der Gracchen64 gedroht hatte. Sie suchten das Lager des Führers auf, welches schon weit vorgerückt war und sich nahe bei Rom befand; der unverschämte Curio65 mit seiner käuflichen Zunge begleitete sie, einst (270) eine Stimme, die es gewagt hatte, die Freiheit des Volkes zu schützen und die bewaffnete Macht mit dem Volke zu einen. Und als er bemerkte, wie der Anführer allerlei Sorgen in seiner Brust bewegte, sagte er: »Als mit Worten deiner Sache geholfen werden konnte, Caesar, (275) habe ich die Zeit deines Kommandos verlängert, obgleich gegen den Willen

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ius erat et dubios in te transferre Quirites. at postquam leges bello siluere coactae pellimur e patriis laribus patimurque volentes exilium: tua nos faciet victoria cives. dum trepidant nullo firmatae robore partes, tolle moras: semper nocuit differre paratis. (par labor atque metus pretio maiore petuntur.) bellantem geminis tenuit te Gallia lustris, pars quota terrarum! facili si proelia pauca gesseris eventu, tibi Roma subegerit orbem. nunc neque te longi remeantem pompa triumphi excipit aut sacras poscunt Capitolia laurus: liuor edax tibi cuncta negat, gentesque subactas vix inpune feres. socerum depellere regno decretum genero est: partiri non potes orbem, solus habere potes.’ sic postquam fatus, et ipsi in bellum prono tantum tamen addidit irae accenditque ducem, quantum clamore iuvatur Eleus sonipes, quamvis iam carcere clauso inmineat foribus pronusque repagula laxet. convocat armatos extemplo ad signa maniplos, utque satis trepidum turba coeunte tumultum conposuit voltu dextraque silentia iussit ‘bellorum o socii, qui mille pericula Martis mecum’ ait ‘experti decimo iam vincitis anno, hoc cruor Arctois meruit diffusus in aruis volneraque et mortes hiemesque sub Alpibus actae? non secus ingenti bellorum Roma tumultu concutitur, quam si Poenus transcenderit Alpes Hannibal: inplentur validae tirone cohortes, in classem cadit omne nemus, terraque marique iussus Caesar agi. quid, si mihi signa iacerent Marte sub adverso ruerentque in terga feroces Gallorum populi? nunc, cum fortuna secundis mecum rebus agat superique ad summa vocantes, temptamur. veniat longa dux pace solutus milite cum subito partesque in bella togatae Marcellusque loquax et nomina vana Catones.

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des Senates, damals als ich das Recht hatte, auf der Rostra66 zu sprechen und zweifelnde Quiriten67 auf deine Seite zu bringen. Aber nachdem die Gesetze, gezwungen durch den Krieg, verstummt sind, wurden wir aus der Heimat vertrieben, und wir ertragen das Exil gern; dein Sieg wird uns wieder zu Bürgern machen. (280) So lange die Parteien zittern und kraftlos sind, räume deine Bedenken bei Seite; ein Aufschub schadet immer denen, die bereit sind. Mühe und Furcht bleiben gleich, aber man nimmt sie um eines höheren Gewinnes willen auf sich. Gallien hat dich zweimal fünf Jahre im Krieg festgehalten. Was für ein kleiner Teil der Erde ist Gallien! Wenn du ein paar Kämpfe (285) mit glücklichem Ausgang geführt hast, wird dir Rom den Erdkreis zu Füßen legen. Wenn du jetzt aber umkehrst, wird dich weder die feierliche Pracht eines langen Triumphzuges empfangen noch wird das Kapitol einen geheiligten Lorbeerkranz für dich fordern; verzehrender Neid wird dir alles verweigern, und du wirst kaum ungestraft bleiben dafür, dass du Völker unterworfen hast. (290) Für deinen Schwiegersohn68 ist es eine beschlossene Sache, dem Schwiegervater die Herrschaft zu nehmen; du kannst die Welt nicht teilen, aber allein kannst du sie ganz besitzen.« Nachdem er so gesprochen hatte, flößte er Caesar, der ohnehin bereits zum Krieg entschlossen war, zusätzlich einen solchen Zorn ein und entflammte ihn so, wie ein Pferd in Elis69 durch Zuruf angefeuert wird, obgleich es schon in der geschlossenen Box (295) gegen die Türflügel drängt und nach vorne gestemmt die Riegel lockert. Sofort rief er die bewaffneten Manipel zu den Feldzeichen, und als er den ziemlich wirren Tumult beim Zusammenströmen der Schar mit seinem Blick gedämpft und mit der Rechten Schweigen geboten hatte, sagte er: »Kriegskameraden, zusammen mit mir tausendmal erprobt in den Gefahren des Mars, (300) siegreich schon im zehnten Jahr, ist dies der Lohn für das Blut, das auf den Feldern des Arktos70 vergossen wurde, für die Wunden, den vielfachen Tod und die Winterstrapazen, die wir am Fuße der Alpen erduldet haben? Nicht anders wird Rom von ungeheurem Kriegsgetümmel erschüttert, als ob der Punier Hannibal die Alpen überschreiten würde: Man füllt die Kohorten mit Rekruten zu voller Stärke auf; (305) für den Bau einer Flotte fällt jeglicher Wald; zu Lande und zu Wasser soll Caesar gejagt werden. Was wäre, wenn meine Feldzeichen nach einer Niederlage am Boden lägen, wenn die wilden Stämme der Gallier mir in den Rücken fielen? Doch jetzt werden wir herausgefordert, weil das Schicksal mich mit Glück bedenkt und die Götter mich zu höchsten Ehren rufen. (310) Mag er doch kommen, der Anführer, der durch langen Frieden verweichlicht ist, mit seinem hastig aufgestellten Heer, und seine für den Krieg in Ämter gehievte Parteigenossen, der Schwätzer Marcellus71 und Leute wie Cato, nichtige Namen! Werden die

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scilicet extremi Pompeium emptique clientes continuo per tot satiabunt tempora regno? ille reget currus nondum patientibus annis, ille semel raptos numquam dimittet honores? quid iam rura querar totum suppressa per orbem ac iussam servire famem? quis castra timenti nescit mixta foro, gladii cum triste micantes iudicium insolita trepidum cinxere corona atque auso medias perrumpere milite leges Pompeiana reum clauserunt signa Milonem? nunc quoque, ne lassum teneat privata senectus, bella nefanda parat suetus civilibus armis et docilis Sullam scelerum vicisse magistrum. utque ferae tigres numquam posuere furorem, quas, nemore Hyrcano matrum dum lustra secuntur, altus caesorum pavit cruor armentorum, sic et Sullanum solito tibi lambere ferrum durat, magne, sitis. nullus semel ore receptus pollutas patitur sanguis mansuescere fauces. quem tamen inveniet tam longa potentia finem? quis scelerum modus est? ex hoc iam te, inprobe, regno ille tuus saltem doceat descendere Sulla. post Cilicasne vagos et lassi Pontica regis proelia barbarico vix consummata veneno ultima Pompeio dabitur provincia Caesar, quod non victrices aquilas deponere iussus paruerim? mihi si merces erepta laborum est, his saltem longi non cum duce praemia belli reddantur; miles sub quolibet iste triumphet. conferet exanguis quo se post bella senectus? quae sedes erit emeritis? quae rura dabuntur quae noster veteranus aret, quae moenia fessis? an melius fient piratae, Magne, coloni? tollite iam pridem victricia tollite signa: viribus utendum est quas fecimus. arma tenenti omnia dat, qui iusta negat. nec numina derunt; nam neque praeda meis neque regnum quaeritur armis: detrahimus dominos urbi servire paratae.’ dixerat; at dubium non claro murmure volgus secum incerta fremit. pietas patriique penates

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niedrigsten und gekauften Gefolgsleute den Pompeius satt machen in einer schon so lang72 andauernden Tyrannei? (315) Wird er die Triumphwagen lenken, bevor er das gesetzliche Alter erreicht hat? Wird er niemals die einmal geraubten Ehrenämter aufgeben? Wo fange ich an mit meinen Klagen, dass er die Ackerfluren der ganzen Welt unterschlagen73 und sich den Hunger dienstbar gemacht hat? Wer denkt nicht an das Heerlager, das sich dem furchtsamen Forum zugesellte, (320) als die Schwerter, Unheil verheißend blinkend, die vor Angst schlotternden Richter umzingelten und die Feldzeichen des Pompeius den Milo74 einsperrten, weil die Soldaten gewagt hatten, mitten in die Verhandlung einzubrechen? Nun aber plant er, gewöhnt an Bürgerkriege, (325) ruchlose Kämpfe, damit ihn nicht, wenn er erst einmal kraftlos ist, ein ruhmloses Alter erwartet. Gelehrig im Verbrechen schickt er sich an, seinen Lehrmeister Sulla75 noch zu übertreffen. Und wie die wilden Tiger, die im hyrkanischen76 Wald der gründliche Bluttrunk gerissener Lasttiere gemästet hat, wenn sie den Lagerstätten ihrer Mütter folgten, niemals ihre Wildheit ablegen, so dauert auch dein Blutdurst, Magnus, an, der du gewohnt bist, (330) das Schwert Sullas abzulecken. Blut, einmal im Mund gekostet, lässt den besudelten Schlund niemals wieder zahm werden. Welches Ende wird die Gewalt finden, die so lange getobt hat? Welche Schranke finden die Verbrechen? Dein Sulla da möge dich wenigstens lehren, von deinem Tyrannenthron herunterzusteigen. (335) Nach den umherschweifenden Kilikiern77 und dem Krieg gegen den schlaffen König von Pontus78, der gerade mal durch barbarisches Gift vollendet worden ist, soll nun der Krieg gegen Caesar dem Pompeius als letztes Kommando gegeben werden, weil ich dem Befehl, die siegreichen Adler niederzulegen, nicht gehorchte? Wenn mir auch der Lohn für meine Mühen entrissen worden ist, (340) dann soll wenigstens denen hier ohne ihren Anführer Belohnung für langen Krieg gegeben werden. Der Soldat soll triumphieren, ganz gleich unter wem er gedient hat. Wohin wird sich sein kraftloses Alter nach den Kriegen begeben können? Welche Wohnsitze wird es für die Dienstentlassenen geben? Welche Äcker werden den Veteranen zum Pflügen gegeben werden? Welche Mauern den Erschöpften? (345) Oder sollen die Piraten als Siedler besser dran sein, Magnus? Hebt sie auf, die Feldzeichen, die schon längst siegreichen, hebt sie auf; wir müssen die Kräfte gebrauchen, die wir uns selbst geschaffen haben. Wer das von Rechts wegen Zustehende verweigert, gibt alles dem, der Waffen in der Hand hält. Und die Gunst der Götter wird uns nicht fehlen. Denn meine Waffen erstreben weder Beute noch Tyrannenmacht, (350) wir befreien lediglich die Stadt von den Herren, für die sie zu dienen bereit ist.« So seine Rede; aber die zweifelnde Masse – mit sich selbst uneins – antwortete mit unklarem Gemurmel. Ehrfurcht vor den väterlichen Penaten hielt

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quamquam caede feras mentes animosque tumentes frangunt; sed diro ferri revocantur amore ductorisque metu. summi tum munera pili Laelius emeritique gerens insignia doni, servati civis referentem praemia quercum, ‘si licet,’ exclamat ‘Romani maxime rector nominis, et ius est veras expromere voces, quod tam lenta tuas tenuit patientia vires conquerimur. deratne tibi fiducia nostri? dum movet haec calidus spirantia corpora sanguis et dum pila valent fortes torquere lacerti, degenerem patiere togam regnumque senatus? usque adeo miserum est civili vincere bello? duc age per Scythiae populos, per inhospita Syrtis litora, per calidas Libyae sitientis harenas: haec manus, ut victum post terga relinqueret orbem, Oceani tumidas remo conpescuit undas fregit et Arctoo spumantem vertice Rhenum: iussa sequi tam posse mihi quam velle necesse est. nec civis meus est, in quem tua classica, Caesar, audiero. per signa decem felicia castris perque tuos iuro quocumque ex hoste triumphos, pectore si fratris gladium iuguloque parentis condere me iubeas plenaeque in viscera partu coniugis, invita peragam tamen omnia dextra; si spoliare deos ignemque inmittere templis, numina miscebit castrensis flamma monetae; castra super Tusci si ponere Thybridis undas, Hesperios audax veniam metator in agros. tu quoscumque voles in planum effundere muros, his aries actus disperget saxa lacertis, illa licet, penitus tolli quam iusseris urbem, Roma sit.’ his cunctae simul adsensere cohortes elatasque alte, quaecumque ad bella vocaret, promisere manus. it tantus ad aethera clamor, quantus, piniferae Boreas cum Thracius Ossae rupibus incubuit, curvato robore pressae fit sonus aut rursus redeuntis in aethera silvae. Caesar, ut acceptum tam prono milite bellum fataque ferre videt, nequo languore moretur

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die Zorneswallung zurück, obwohl sie schon abgestumpft waren vom Töten. Aber die wilde Liebe zum Schwert und die Furcht vor ihrem Anführer rief sie zurück. (355) Dann rief Laelius, einer der ranghöchsten Offiziere, der eine hohe Auszeichnungen trug, nämlich das Eichenlaub, verliehen als Belohnung für die Rettung eines römischen Bürgers, laut aus: »Wenn es erlaubt ist, du wahrhaftiger Lenker des römischen Volkes, und es ein Recht gibt, die Wahrheit zu bekennen, (360) wir beschweren uns, dass deine zögerliche Geduld zu lange die Kräfte zurückgehalten hat. Hat dir etwa das Vertrauen zu uns gefehlt? Solange das heiße Blut diese begeisterten Männer antreibt und unsere tapferen Arme stark sind, die Speere zu schwingen, wirst du eine deiner nicht würdige Toga und die Tyrannei des Senates dulden? (365) Ist es denn so abscheulich, in einem Bürgerkrieg zu siegen? Führe uns nur durch die Völkerschaften Skythiens, durch die unwirtlichen Gestade der Syrte, durch die heißen Sandwüsten des dürstenden Libyens, so dass wir hinter unserem Rücken eine besiegte Welt zurücklassen: Diese meine Hand hier hat die schwellenden Wogen des Ozeans mit dem Ruder gezähmt (370) und die Gewalt des mit arktischem Strudel schäumenden Rheins gebrochen. Ich muss deinen Befehlen folgen, so sehr ich kann und will. Der ist für mich kein Mitbürger, gegen den ich deine Kriegstrompeten rufen höre. Bei deinen Feldzeichen, in zehn Kriegslagern glücklich, bei deinen Triumphen gegen jedweden Feind schwöre ich: (375) Wenn du befiehlst, dass ich das Schwert in die Brust meines Bruders oder in die Kehle meines Vaters stoßen soll oder in den Bauch der schwangeren Gattin, werde ich alles durchführen, auch wenn meine Rechte zurückschaudert. Wenn du befiehlst, die Götter zu plündern und ihre Tempel niederzubrennen, dann wird die Kriegsflamme die Götterbilder der Moneta79 (380) einschmelzen. Wenn du befiehlst, das Lager jenseits des etruskischen Tiber aufzuschlagen, dann werde ich verwegen in italisches Land kommen und dort die Felder vermessen. Welche Mauern du auch immer niederreißen willst, von diesen Armen getrieben wird der Rammbock die Steine auseinander reißen. Mag auch die Stadt, die nach deinem Befehl von Grund auf zerstört werden soll, (385) Rom sein!« Diesen Worten stimmten zugleich alle Kohorten zu und leisteten mit hoch erhobenen Armen den Eid, zu welchen Kriegen auch immer er sie rufen würde. Der Lärm erhob sich zum Himmel so laut, wie wenn der thrakische Nordwind in die Felsen des Fichten tragenden Ossa80 einfällt, es gab einen Ton, als ob die Wälder zu Boden gekrümmt würden (390) oder wieder zurück in den Himmel schnellten. Als Caesar sah, dass seine Soldaten den Krieg freudig begrüßten und das Schicksal ihn trug, kommandierte er, um nicht seinem Glück durch Untätigkeit

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fortunam, sparsas per Gallica rura cohortes evocat et Romam motis petit undique signis. deseruere cavo tentoria fixa Lemanno castraque quae Vosegi curvam super ardua ripam pugnaces pictis cohibebant Lingonas armis. hi vada liquerunt Isarae, qui, gurgite ductus per tam multa suo, famae maioris in amnem lapsus ad aequoreas nomen non pertulit undas. solvuntur flavi longa statione Ruteni; mitis Atax Latias gaudet non ferre carinas finis et Hesperiae, promoto limite, Varus; quaque sub Herculeo sacratus nomine portus urguet rupe cava pelagus: non Corus in illum ius habet aut Zephyrus, solus sua litora turbat Circius et tuta prohibet statione Monoeci: quaque iacet litus dubium quod terra fretumque vindicat alternis vicibus, cum funditur ingens Oceanus uel cum refugis se fluctibus aufert. ventus ab extremo pelagus sic axe volutet destituatque ferens, an sidere mota secundo Tethyos unda vagae lunaribus aestuet horis, flammiger an Titan, ut alentes hauriat undas, erigat Oceanum fluctusque ad sidera ducat, quaerite, quos agitat mundi labor; at mihi semper tu, quaecumque moves tam crebros causa meatus, ut superi voluere, late. tum rura Nemetis qui tenet et ripas Atyri, qua litore curvo molliter admissum claudit Tarbellicus aequor, signa movet, gaudetque amoto Santonus hoste et Biturix longisque leves Suessones in armis, optimus excusso Leucus Remusque lacerto, optima gens flexis in gyrum Sequana frenis, et docilis rector monstrati Belga covinni, Arvernique, ausi Latio se fingere fratres sanguine ab Iliaco populi, nimiumque rebellis Nervius et caesi pollutus foedere Cottae, et qui te laxis imitantur, Sarmata, bracis Vangiones, Batavique truces, quos aere recurvo stridentes acuere tubae; qua Cinga pererrat gurgite, qua Rhodanus raptum velocibus undis

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im Wege zu stehen, alle seine Kohorten, die über gallisches Land zerstreut waren, zu sich her (395) und wendete sich mit ringsumher in Marsch gesetzten Truppeneinheiten gegen Rom81. Sie verließen ihre Zelte in der Senke des Lemannus82 und ihr Lager, das hoch oben auf dem gewundenen Kamm des Vosegus83 die kampflustigen Lingonen84 mit ihren bunt bemalten Waffen in Schach hielt. Andere verließen die Furten der Isara85, die, nachdem sie in einem langen Lauf unter ihrem eigenen Namen geflossen ist, ihren Namen nicht bis zu den Wogen des Meeres beibehält, weil sie in einen berühmteren Fluss einmündet. (400) Die blonden Rutenen86 werden von langer Besatzung befreit; der sanfte Atax87 und der Varus88, die Grenze Italiens, seitdem es seine Grenze vorgeschoben hat, sind froh, nicht mehr römische Kiele tragen zu müssen; und wo ein unter dem Namen des Herkules geweihter Hafen (405) mit zerklüfteter Klippe gegen das Meer vorstößt – weder Nordwestwind noch Westwind hat gegen ihn ein Recht, nur der Circius89 wühlt seine Gestade auf und verhindert sicheres Ankern in Monoecus90 – und wo die Wattküste liegt, (410) die Land und Meer abwechselnd für sich beanspruchen, wenn der gewaltige Ozean sich hinein ergießt oder sich mit ebbenden Fluten wieder zurückzieht. Ob nun der Wind vom fernen Horizont das Meer so heranwälzt und es dann in seiner Bewegung sich selbst überlässt oder ob die Welle der unsteten Thetis91, angezogen von dem zweiten Gestirn92, je nach den Mondphasen aufwallt (415) oder ob der feurige Titan93, um die ihn nährenden Wogen zu verschlingen, den Ozean in die Höhe hebt und die Fluten zu den Sternen hochsaugt, das erforscht ihr, die ihr euch mit dem Wirken des Universums beschäftigt; aber mir bleibe die Ursache, was es auch sei, das solche häufigen Hin- und Herbewegungen erzeugt, nach dem Willen der Himmlischen für immer verborgen. Da setzte sich die Einheit in Marsch, die das Land des Nemes94 besetzt hielt und die Ufer des Aturus95, (420) wo der Tarbeller96 das sanft hereingeströmte Meer in Küstenbogen umschlossen hält, es freut sich der Santone97 und der Biturige98 über den Abzug des Feindes, die trotz ihrer langschaftigen Waffen leicht beweglichen Suessonen99, der Leuker100 und Remer101, Meister im Schwung des Armes102, (425) der Stamm der Sequaner103, hervorragend in der Pferdedressur104, und der Belger, gelehriger Schüler im Lenken des Sichelwagens, die Arverner105, die so unverschämt sind vorzugeben, sie seien Brüder latinischen Blutes, abstammend vom Volk Ilions106, der Nervier107, ziemlich aufsässig und vertagsbrüchig besudelt mit dem Blut des erschlagenen Cotta108, (430) die Vangionen109, die dich, Sarmate110, mit ihren schlotternden Hosen nachahmen, die wilden Bataver111, die sich von den schrillen Trompeten aus gekrümmtem Erz aufpeitschen lassen, wo die Cinga112 sich gurgelnd windet, wo der Rhodanus113

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in mare fert Ararim, qua montibus ardua summis gens habitat cana pendentes rupe Cebennas. [Pictones inmunes subigunt sua rura; nec ultra Instabiles Turones circumsita castra coercent. in nebulis, Meduana, tuis marcere perosus Andus iam placida Ligeris recreatur ab unda. inclita Caesareis Genabos dissolvitur alis] tu quoque laetatus conuerti proelia, Trevir, et nunc tonse Ligur, quondam per colla decore crinibus effusis toti praelate Comatae, et quibus inmitis placatur sanguine diro Teutates horrensque feris altaribus Esus et Taranis Scythicae non mitior ara Dianae. vos quoque, qui fortes animas belloque peremptas laudibus in longum vates dimittitis aevum, plurima securi fudistis carmina, Bardi. et vos barbaricos ritus moremque sinistrum sacrorum, Dryadae, positis repetistis ab armis. solis nosse deos et caeli numina vobis aut solis nescire datum; nemora alta remotis incolitis lucis; vobis auctoribus umbrae non tacitas Erebi sedes Ditisque profundi pallida regna petunt: regit idem spiritus artus orbe alio; longae, canitis si cognita, vitae mors media est. certe populi quos despicit Arctos felices errore suo, quos ille timorum maximus haut urguet leti metus. inde ruendi in ferrum mens prona viris animaeque capaces mortis, et ignavum rediturae parcere vitae. et vos, crinigeros Belgis arcere Caycos oppositi, petitis Romam Rhenique feroces deseritis ripas et apertum gentibus orbem. Caesar, ut inmensae conlecto robore vires audendi maiora fidem fecere, per omnem spargitur Italiam vicinaque moenia conplet. uana quoque ad veros accessit fama timores inrupitque animos populi clademque futuram intulit et velox properantis nuntia belli innumeras solvit falsa in praeconia linguas. est qui tauriferis ubi se Mevania campis

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den Arar114 aufnimmt und in schnellem Lauf ins Meer bringt, wo ganz oben auf den Bergen (435) auf steilen kalkweißen Felsen ein Volk die abschüssigen Cevennen bewohnt. (Die Pictonen115 bearbeiteten frei von Abgaben ihre Felder, nicht länger mehr kontrollierten rings umher angelegte Lager die unzuverlässigen Turonen. Der Andus, der es hasst, in deinen Nebeln, Meduana, zu schmachten, erfrischt sich nun in den sanften Wellen des Liger116. (440) Das berühmte Genabos117 war Caesars Reiterschwadronen los.) Auch du freutest dich, Treverer118, dass sich die Schlachten nun verlagerten, und der Ligurer119, jetzt mit ordentlichem Haarschnitt, der sich unter dem langhaarigen Gallien hervortat im Schmuck seiner über den Nacken herabwallenden Haarpracht; und die, deren grausamer Teutates120 sich mit grässlichem Blutopfer besänftigen lässt, (445) und Esus, der mit seinen barbarischen Altären Entsetzen erregt, und der Altar des Tanaris, der nicht menschlicher ist als der Altar der skythischen Diana121. Auch ihr Barden, die ihr die kühnen im Krieg gefallenen Helden durch Lobgesänge in ein langes Nachleben entlasst, ihr habt in der Sicherheit des Friedens zahlreiche Heldenlieder geschaffen. (450) Und ihr Druiden122 habt seit Niederlegen der Waffen eure barbarischen Riten und euren unheimlichen Opferbrauch wieder aufgenommen. Allein ihnen steht es zu, die Götter und die Himmelsmächte zu kennen – oder allein ihnen auch nicht123; ihr haust in tiefen Wäldern und abgelegenen Hainen; nach eurer Lehre suchen die Seelen der Verstorbenen (455) nicht den schweigenden Wohnsitz des Erebus124, nicht das fahle Reich des Dis125 in der Tiefe auf: (sondern) derselbe Lebensgeist lenkt die Glieder in einer anderen Welt; der Tod ist – wenn ihr sichere Erkenntnis verkündet – nur ein Zwischenspiel in einem langen Leben. Gewiss sind die Völker, auf die Arktos126 herabschaut, glücklich in ihrem Irrglauben, weil sie die größte aller Ängste, (460) die Furcht vor dem Tod, nicht quält. Folglich sind die Männer bereit, sich ins Schwert zu stürzen, sie bejahen innerlich den Tod und halten es für feige, ein Leben zu schonen, das immer wieder weitergehen wird. Auch ihr, die ihr eingesetzt wurdet, um die langhaarigen Chauken127 von den Belgern fernzuhalten, ihr marschiertet jetzt auf Rom, (465) verließet die wilden Ufer des Rheins und ließet damit den Erdkreis für fremde Volksstämme offen stehen. Durch die Ansammlung solch gewaltiger kampfstarker Truppenverbände zu noch größeren Wagnissen ermutigt, breitete sich Caesar über ganz Italien aus und besetzte die nächstgelegenen Städte. Fantastische Gerüchte kamen zu den begründeten Befürchtungen noch hinzu, (470) setzten sich in der Bevölkerung fest, machten eine kommende Katastrophe zur Gewissheit, und die Eilmeldung vom Blitzkrieg löste zahllose Zungen zur Verbreitung falscher Nachrichten. So meldete man, dass dort, wo sich Mevania128 auf

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explicat audaces ruere in certamina turmas adferat, et qua Nar Tiberino inlabitur amni barbaricas saevi discurrere Caesaris alas; ipsum omnes aquilas conlataque signa ferentem agmine non uno densisque incedere castris. nec qualem meminere vident: maiorque ferusque mentibus occurrit victoque inmanior hoste. hunc inter Rhenum populos Albimque iacentes finibus Arctois patriaque a sede revolsos pone sequi, iussamque feris a gentibus urbem Romano spectante rapi. sic quisque pavendo dat vires famae, nulloque auctore malorum quae finxere timent. nec solum volgus inani percussum terrore pavet, sed curia et ipsi sedibus exiluere patres, invisaque belli consulibus fugiens mandat decreta senatus. tum, quae tuta petant et quae metuenda relinquant incerti, quo quemque fugae tulit impetus urguent praecipitem populum, serieque haerentia longa agmina prorumpunt. credas aut tecta nefandas corripuisse faces aut iam quatiente ruina nutantes pendere domos, sic turba per urbem praecipiti lymphata gradu, velut unica rebus spes foret adflictis patrios excedere muros, inconsulta ruit. qualis, cum turbidus Auster reppulit a Libycis inmensum Syrtibus aequor fractaque veliferi sonuerunt pondera mali, desilit in fluctus deserta puppe magister navitaque et nondum sparsa conpage carinae naufragium sibi quisque facit, sic urbe relicta in bellum fugitur. nullum iam languidus aevo evaluit revocare parens coniunxve maritum fletibus, aut patrii, dubiae dum vota salutis conciperent, tenuere lares; nec limine quisquam haesit et extremo tunc forsitan urbis amatae plenus abit visu: ruit inrevocabile volgus. o faciles dare summa deos eademque tueri difficiles! urbem populis victisque frequentem gentibus et generis, coeat si turba, capacem humani facilem venturo Caesare praedam

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den Fluren ausbreitet, auf denen Stiere gezüchtet werden, verwegene Reiterschwadronen in Gefechte galoppierten, (475) und dass dort, wo der Nar129 in den Tiber mündet, Barbarenhorden des grausamen Caesar herumstreiften. Er selbst rücke mit allen Legionsadlern und den vereinten Feldzeichen nicht nur in einer einzigen Marschsäule in dicht gedrängten Marschlagern heran. Und sie stellten sich ihn nicht so vor, wie sie ihn in Erinnerung hatten, sondern größer und wilder (480) kam er ihnen vor und unmenschlicher als der von ihm besiegte Feind. Ihm folgten auf den Fersen angeblich Völker aus der Gegend zwischen Rhein und Elbe, aus ihrem nördlichen Gebiet und aus ihrer Heimat gerissen, und diese wilden Völkerschaften hätten den Befehl, Rom vor den Augen der Römer zu plündern. So verstärkte noch jeder aus Furcht (485) das Gerücht, und ohne dass jemand für diese Übel verantwortlich wäre, hatten sie Angst vor ihren eigenen Erfindungen. Und nicht nur die von grundlosem Schrecken in Panik versetzte Masse hatte Angst; sogar die Senatoren selbst in der Ratsversammlung sprangen von ihren Sitzen auf, und der Senat beauftragte schon im Davonlaufen die Konsuln mit unerfreulichen Kriegsmaßnahmen. Unentschlossen, welchen Schutz sie aufsuchen sollten und welchen Gefahren sie aus dem Weg gehen sollten, (490) drängte da jeder die Masse vorwärts, und in ununterbrochenem Zug stürzten lange Flüchtlingstrecks davon. Man hätte glauben können, ruchlose Brandstifter hätten die Häuser angezündet oder die durch Erdbeben schon wankenden Häuser (495) drohten einzustürzen: So rannte die vor Angst halb wahnsinnige Masse hastig durch die Stadt, als ob es in dieser Notsituation nur noch eine einzige Hoffnung gäbe: die Vaterstadt zu verlassen. Wie, wenn der stürmische Südwind von der libyschen Syrte das gewaltige Meer hertreibt (500) und die schwere Last des Segel tragenden Mastbaums bricht und erdröhnt, der Schiffsführer und die Seeleute das Schiff verlassen und in die Fluten herabspringen und, obwohl das Gefüge des Kiels noch nicht zersplittert ist, jeder für sich seinen Schiffbruch vollendet, so verlässt man die Stadt und flüchtet in den Krieg. (505) Keinen Sohn konnte ein schon durch das Alter müde gewordener Vater zurückrufen und keinen Gatten die Gattin mit Tränen, keinen hielten die häuslichen Laren130 zurück, bis sie auch nur fromme Wünsche für ihr im Ungewissen liegendes Schicksal empfangen hätten, und keiner blieb an der Schwelle hängen, und er ging weg, erfüllt vielleicht mit dem letzten Blick auf die geliebte Vaterstadt; unaufhaltsam raste die Menge davon. (510) O wie bereit sind die Götter, das Höchste zu geben, und wie wenig geneigt, es zu schützen! Die feigen Scharen ließen eine Stadt, die voll von Bürgern und den Angehörigen besiegter Völker war und die das ganze menschliche Geschlecht hätte fassen können, wenn es dort zusammengeströmt wäre, als leichte Beute dem nahenden Caesar zurück. (515) Wenn

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ignavae liquere manus. cum pressus ab hoste clauditur externis miles Romanus in oris, effugit exiguo nocturna pericula vallo, et subitus rapti munimine caespitis agger praebet securos intra tentoria somnos: tu tantum audito bellorum nomine, Roma, desereris; nox una tuis non credita muris. danda tamen venia est tantorum danda pavorum: Pompeio fugiente timent. tum, nequa futuri spes saltem trepidas mentes levet, addita fati peioris manifesta fides, superique minaces prodigiis terras inplerunt, aethera, pontum. ignota obscurae viderunt sidera noctes ardentemque polum flammis caeloque volantes obliquas per inane faces crinemque timendi sideris et terris mutantem regna cometen. fulgura fallaci micuerunt crebra sereno, et varias ignis denso dedit aere formas, nunc iaculum longo, nunc sparso lumine lampas. emicuit caelo tacitum sine nubibus ullis fulmen et Arctois rapiens de partibus ignem percussit Latiare caput, stellaeque minores per vacuum solitae noctis decurrere tempus in medium venere diem, cornuque coacto iam Phoebe toto fratrem cum redderet orbe terrarum subita percussa expalluit umbra. ipse caput medio Titan cum ferret Olympo condidit ardentis atra caligine currus involvitque orbem tenebris gentesque coegit desperare diem; qualem fugiente per ortus sole Thyesteae noctem duxere Mycenae. ora ferox Siculae laxavit Mulciber Aetnae, nec tulit in caelum flammas sed vertice prono ignis in Hesperium cecidit latus. atra Charybdis sanguineum fundo torsit mare; flebile saevi latravere canes. Vestali raptus ab ara ignis, et ostendens confectas flamma Latinas scinditur in partes geminoque cacumine surgit Thebanos imitata rogos. tum cardine tellus subsedit, veteremque iugis nutantibus Alpes

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das römische Heer in fremdem Gebiet vom Feinde bedrängt und eingeschlossen wird, schützt es sich vor den nächtlichen Gefahren durch einen winzigen Wall, und ein schnell errichteter Damm sorgt durch ein Bollwerk aus herausgeschnittenen Rasenstücken für sicheren Schlaf in den Zelten: Du, o Rom, wurdest verlassen, als nur der bloße Name des Krieges gehört wurde, (520) nicht für eine einzige Nacht hat man deinen Mauern vertraut. Eine Entschuldigung muss man allerdings geben für die Panik, man muss sie geben: sie fürchteten sich nämlich, weil Pompeius131 flüchtete. Dann, damit nicht irgendeine Hoffnung auf die Zukunft die zitternden Herzen tröstete, kamen handgreifliche Beweise für das schlimme Geschick hinzu, und die Götter (525) erfüllten das Land, den Himmel und das Meer mit drohenden Vorzeichen. Die dunklen Nächte sahen unbekannte Gestirne und das Firmament in Flammen erglühen und Sternschnuppen quer über den Himmel fliegen und das Haar des Furcht erregenden Gestirns und den Kometen, der die Herrschaft auf der Erde umstürzt. (530) Häufig mischten sich Blitze mit einem trügerisch heiteren Himmel, und das Feuer erzeugte vielfältige Formen am trüben Himmel, bald wie ein Wurfspeer in der Ferne, bald wie eine Fackel mit fächerartigem Schweif. Ohne irgendwelche Wolken leuchtete am Himmel ein stummer Blitz auf und brachte von der arktischen Gegend her Feuer (535) und traf die Hauptstadt Latiums, und die kleineren Sterne, die ihren Lauf gewöhnlich in der leeren Zeit der Nacht nehmen, erschienen mitten im Tag, und Phoebe132, als ihre Hörner vereinigt waren und sie das Licht des Bruders mit dem vollen Kreis zurückwarf, wurde plötzlich vom Schatten der Erde getroffen und wurde ganz bleich. (540) Titan133 selbst, als er sein Haupt mitten im Olymp aufrichtete, verbarg den erglühenden Wagen in schwarzer Dunkelheit und hüllte den Erdkreis in Finsternis und zwang die Völker, am Tag zu verzweifeln; wie das Mykene134 des Thyestes135 die Nacht in die Länge zog, als die Sonne nach dem Aufgang zurückfloh. (545) In Sizilien öffnete Mulciber136 weit den Mund des Aetna, und er trug die Flammen nicht in den Himmel, sondern der Scheitel beugte sich und das Feuer fiel auf die italische Küste. Die schwarze Charybdis137 wühlte das blutige Meer vom Grund her auf. Wilde Hunde bellten in weinerlichem Klageton. Das Feuer wurde vom Altar der Vesta138 gerissen, (550) und die Flamme, die das Ende des Latinischen Festes139 anzeigt, wurde in Teile zerrissen und erhob sich in einer Doppelspitze und ahmte so den Thebanischen Scheiterhaufen140 nach. Dann blieb die Erde in ihren Angeln stecken, und die Alpen zerstreuten den alten Schnee, als ihre

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discussere nivem. Tethys maioribus undis Hesperiam Calpen summumque inplevit Atlanta. indigetes flevisse deos, urbisque laborem testatos sudore Lares, delapsaque templis dona suis, dirasque diem foedasse volucres accipimus, silvisque feras sub nocte relictis audaces media posuisse cubilia Roma. tum pecudum faciles humana ad murmura linguae, monstrosique hominum partus numeroque modoque membrorum, matremque suus conterruit infans; diraque per populum Cumanae carmina vatis volgantur. tum, quos sectis Bellona lacertis saeva movet, cecinere deos, crinemque rotantes sanguineum populis ulularunt tristia Galli. conpositis plenae gemuerunt ossibus urnae. tum fragor armorum magnaeque per avia voces auditae nemorum et venientes comminus umbrae. quique colunt iunctos extremis moenibus agros diffugiunt: ingens urbem cingebat Erinys excutiens pronam flagranti vertice pinum stridentisque comas, Thebanam qualis Agauen inpulit aut saevi contorsit tela Lycurgi Eumenis, aut qualem iussu Iunonis iniquae horruit Alcides viso iam Dite Megaeram. insonuere tubae et, quanto clamore cohortes miscentur, tantum nox atra silentibus auris edidit. e medio visi consurgere Campo tristia Sullani cecinere oracula manes, tollentemque caput gelidas Anienis ad undas agricolae fracto Marium fugere sepulchro. haec propter placuit Tuscos de more vetusto acciri vates. quorum qui maximus aevo Arruns incoluit desertae moenia Lucae, fulminis edoctus motus venasque calentis fibrarum et monitus errantis in aere pinnae, monstra iubet primum quae nullo semine discors protulerat natura rapi sterilique nefandos ex utero fetus infaustis urere flammis. mox iubet et totam pavidis a civibus urbem ambiri et festo purgantes moenia lustro

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Gipfel ins Wanken gerieten. Thetys141 füllte den (555) Calpe142 im Westen mit ziemlich mächtigen Wogen und den Atlas bis zur höchsten Spitze auf. Uns wurde überliefert, dass die Götter des Landes geweint haben und die Laren das Leid der Stadt durch Schweiß bezeugt haben, die Geschenke in ihren Tempeln herab glitten und Unheil verkündende Vogelscharen die Sonne verdunkelten, dass die wilden Tiere in der Nacht die Wälder verlassen haben (560) und ohne Scheu ihr Nachtlager mitten in Rom aufgeschlagen haben. Dann wurden die Zungen der Tiere fähig, menschliche Laute zu murmeln, und es gab Geburten von Menschen, die monströs waren nach der Zahl und der Form der Glieder, und ihr eigenes Kind jagte der Mutter Schrecken ein, und Furcht erregende Lieder der Seherin von Cumae143 wurden unter dem Volk (565) verbreitet. Dann besangen die Galli144, welche die wilde Bellona145 bewegt, nachdem sie sich in die Arme geschnitten hatten, die Götter und, das blutige Haar drehend, schrieen sie den Bürgern laut traurige Kunde zu. Urnen, die voll sind von zusammengelegten Knochen, seufzten auf. Dann hörte man das Krachen von Waffen und laute Stimmen in der Weglosigkeit der Wälder (570) und Phantome, die miteinander ins Handgemenge gerieten. Diejenigen, die die Äcker nahe den Außenmauern bebauen, machten sich in alle Richtungen auf und davon: Eine unheimliche Erinnye146 schritt um die Stadt herum, die eine nach vorne geneigte Pinie mit brennendem Wipfel und die zischenden Haare schüttelte, wie eine Eumenide147 die Agave148 aus Theben (575) antrieb oder die Speere des wilden Lycurgus149 herumdrehte oder wie auf Befehl der ungerechten Juno der Alkide150 vor der Megäre151 zurückschreckte, obwohl er schon den Dis152 gesehen hatte. Die Trompeten erschallten, und die dunkle Nacht gab einen solchen Lärm von sich, wie wenn die Kohorten sich sammeln, obwohl kein Lüftchen wehte. (580) Mitten auf dem Marsfeld erhoben sich die Manen des Sulla und verkündeten Unheil, und die Bauern flohen vor dem Marius153, der sein Haupt erhob bei den kühlen Fluten des Anio154, nachdem sein Grabmal geborsten war. Deshalb beschloss man nach alter Sitte, (585) etruskische Seher herbeizuholen. Von diesen war der Älteste Arruns155, und er wohnte in den Mauern des abgelegenen Luca156, er war erfahren in den Bewegungen der Blitze und in dem warmen Inneren der Eingeweide und in den Mahnungen des in der Luft fliegenden Fittichs. Zuerst befahl er die Zerstörung der Ungeheuer, welche die in sich selbst uneinige (590) Natur ohne Samen hervorgebracht hatte, und ordnete an, die unerlaubten Früchte aus unfruchtbarem Schoß in unheilvollen Flammen zu verbrennen. Als Nächstes befahl er, dass die ganze Stadt von den ängstlichen Bürgern umschritten werde und dass die Priester, denen die Macht

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longa per extremos pomeria cingere fines pontifices, sacri quibus est permissa potestas. turba minor ritu sequitur succincta Gabino, Vestalemque chorum ducit vittata sacerdos Troianam soli cui fas vidisse Minervam. tum, qui fata deum secretaque carmina servant et lotam parvo revocant Almone Cybeben, et doctus volucres augur servare sinistras septemvirque epulis festus Titiique sodales et Salius laeto portans ancilia collo et tollens apicem generoso vertice flamen. dumque illi effusam longis anfractibus urbem circumeunt Arruns dispersos fulminis ignes colligit et terrae maesto cum murmure condit datque locis numen; sacris tunc admovet aris electa cervice marem. iam fundere Bacchum coeperat obliquoque molas inducere cultro, inpatiensque diu non grati victima sacri, cornua succincti premerent cum torva ministri, deposito victum praebebat poplite collum. nec cruor emicuit solitus, sed volnere laxo diffusum rutilo dirum pro sanguine virus. palluit attonitus sacris feralibus Arruns atque iram superum raptis quaesivit in extis. terruit ipse color vatem; nam pallida taetris viscera tincta notis gelidoque infecta cruore plurimus asperso variabat sanguine livor. cernit tabe iecur madidum, venasque minaces hostili de parte videt. pulmonis anheli fibra latet, parvusque secat vitalia limes. cor iacet, et saniem per hiantis viscera rimas emittunt, produntque suas omenta latebras. quodque nefas nullis inpune apparuit extis, ecce, videt capiti fibrarum increscere molem alterius capitis. pars aegra et marcida pendet, pars micat et celeri venas movet inproba pulsu. his ubi concepit magnorum fata malorum exclamat ‘vix fas, superi, quaecumque movetis, prodere me populis; nec enim tibi, summe, litavi, Iuppiter, hoc sacrum, caesique in pectora tauri

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zu opfern zustand, in einer festlichen Reinigung die Mauern entsühnten (595) und um die äußere Grenze des langen Pomeriums157 herumgingen. Es folgte eine Schar untergeordneter Priester, die Toga nach gabinischer Art158 gegürtet; den Reigen der Vestalinnen führte ein Priester mit einer Binde geziert, dem es allein erlaubt ist, das Götterbild der trojanischen Minerva zu schauen. Dann folgten das Kollegium, das die Weissagungen der Götter und die geheimen Orakelsprüche bewahrt159 (600) und die Kybele160 von ihrem rituellen Bad im kleinen Flüsschen Almo161 zurückholt, der Augur, der den Glück162 verheißenden Flug der Vögel deuten kann, das Sieben-Männer-Kollegium für die Ausrichtung der Festessen, die Titius-Priester163 und die Salier164, die die heiligen Schilde auf fröhlicher Schulter tragen, und der Flamen165, der auf seinem adligen Haupt die Priestermütze trägt. (605) Und während sie in großem Bogen die weiträumige Stadt umrundeten, sammelte Arruns die vom Blitz zersplitterten Hölzer, verbarg sie mit Unheil beklagendem Gemurmel in der Erde und weihte damit den Ort. Dann führte er den Altären einen Bullen zu, dessen Genick für das Opfer ausgewählt wurde. Schon hatte er begonnen Wein auszugießen (610) und das Opferschrot166 mit gebogenem Messer darüber zu streuen. Das Opfertier aber sträubte sich noch lange gegen das verwünschte Opfer, bis die hoch gegürteten Diener die bedrohlichen Hörner herunterdrückten; dann brach es in die Knie und bot den besiegten Nacken dar. Kein Blut quoll wie gewöhnlich hervor, (615) sondern ein grässlicher Schleim troff aus der klaffenden Wunde statt Blut. Arruns erbleichte, bestürzt von dem Unheil verkündenden Opfer, riss die Eingeweide heraus und suchte nach Zeichen für den Zorn der Götter. Schon die Farbe erfüllte den Priester mit Schrecken: Denn die bleichen Eingeweide waren übersät mit ekelhaften Flecken, durchtränkt von kaltem Blut, (620) über und über blau und mit Blutspritzern gesprenkelt. Er erblickte die Leber, von Fäulnis befallen, und sah, dass ihre Adern Feindliches drohend verkündeten. Der Lappen der keuchenden Lunge war verborgen, und eine dünne Membran trennte die lebenswichtigen Organe voneinander. Das Herz hatte aufgehört zu schlagen, die Eingeweide sonderten blutigen Eiter aus klaffenden Spalten ab, (625) und das Bauchfell gab die Eingeweide preis. Da sah er ein Vorzeichen, das niemals ohne ein Unheil in Eingeweiden zutage tritt, dass nämlich ein zweiter Lappen die Leber überwachsen hatte. Ein Teil hing krank und schlaff, während der andere bösartig glänzte und die Adern in schnellem Zucken bewegte. (630) Als er darin die Prophezeiung von großem Unglück wahrgenommen hatte, rief er aus: »Was ihr auch immer vorhabt, ihr Himmlischen, ich kann es eigentlich dem Volk nicht verkünden. Deine Gunst, höchster Jupiter, konnte ich mit diesem Opfer nicht erlangen: Die unterirdischen Götter haben den Körper

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inferni venere dei. non fanda timemus, sed venient maiora metu. di visa secundent, et fibris sit nulla fides, sed conditor artis finxerit ista Tages.’ flexa sic omina Tuscus involvens multaque tegens ambage canebat. at Figulus, cui cura deos secretaque caeli nosse fuit, quem non stellarum Aegyptia Memphis aequaret visu numerisque ntibus astra, ‘aut hic errat’ ait ‘nulla cum lege per am mundus et incerto discurrunt sidera motu, aut, si fata movent, urbi generique paratur humano matura lues. terraene dehiscent subsidentque urbes, an tollet fervidus aer temperiem? segetes tellus infida negabit, omnis an infusis miscebitur unda venenis? quod cladis genus, o superi, qua peste paratis saevitiam? extremi multorum tempus in unum convenere dies. summo si frigida caelo stella nocens nigros Saturni accenderet ignis, Deucalioneos fudisset Aquarius imbres totaque diffuso latuisset in aequore tellus. si saevum radiis Nemeaeum, Phoebe, Leonem nunc premeres, toto fluerent incendia mundo succensusque tuis flagrasset curribus aether. hi cessant ignes. tu, qui flagrante minacem Scorpion incendis cauda chelasque peruris, quid tantum, Gradive, paras? nam mitis in alto Iuppiter occasu premitur, Venerisque salubre sidus hebet, motuque celer Cyllenius haeret, et caelum Mars solus habet. cur signa meatus deseruere suos mundoque obscura feruntur, ensiferi nimium fulget latus Orionis? inminet armorum rabies, ferrique potestas confundet ius omne manu, scelerique nefando nomen erit virtus, multosque exibit in annos hic furor. et superos quid prodest poscere finem? cum domino pax ista venit. duc, Roma, malorum continuam seriem clademque in tempora multa extrahe civili tantum iam libera bello.’

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des geschlachteten Bullen schon befallen. Unausprechliches fürchten wir. (635) Aber es wird noch schlimmer kommen, als wir fürchten. Die Götter mögen das Geschaute zum Günstigen lenken und auf die Eingeweideschau sei kein Verlass! Der Begründer dieser Kunst, Tages167, möge das alles nur erfunden haben!« So verkündete der Etrusker die Vorzeichen, indem er sie verhüllte und mit vielen Umschweifen zudeckte. Aber Figulus168, dessen Aufgabe es war, die Götter und die Geheimnisse des Himmels zu kennen, dem in Sternenkunde und der astronomischen Mathematik nicht einmal das agyptische Memphis (640) gleichkam, sagte: »Entweder irrt der Kosmos für immer ohne Gesetz und die Gestirne irren umher auf ungewissen Bahnen oder, falls das Schicksal dahinter steht, droht der Stadt und (645) dem Menschengeschlecht rasches Verderben. Wird die Erde sich auftun, und werden die Städte versinken, oder wird glühende Luft unser mildes Klima zerstören? Wird der treulose Boden die Saaten verweigern? Wird alles Wasser von ausgeschüttetem Gift verseucht sein? Welches Unheil plant ihr, Götter, mit welcher Katastrophe zeigt ihr (650) eure Unbarmherzigkeit? Der letzte Tag wird für viele zur selben Zeit kommen. Wenn das kalte Gestirn des Saturn übelwollend am Zenith des Himmels sein düsteres Feuer entzünden würde, dann könnte Wassermann deukaleonische169 Regengüsse ausschütten, und die ganze Erde würde in den Fluten versinken. (655) Wenn du, Phoebus, mit deinen Strahlen den unheilvollen nemeischen Löwen170 jetzt bedrängtest, über die ganze Erde würden sich Brände ausbreiten und die Luft würde lodern, von deinem Wagen entfacht. Diese Gestirne sind im Moment nicht tätig. Du, Gradivus171, der du mit deinem brennenden Schweif die Scheren des drohenden Skorpions ansengst, (660) was hast du nur vor? Denn der gütige Jupiter geht unter im tiefen Westen, das heilsame Gestirn der Venus verliert seine Leuchtkraft, der schnelle Cyllenier172 steht still und Mars besitzt den Himmel allein. Warum haben die Gestirne ihre Bahnen verlassen und bewegen sich dunkel im Kosmos, warum leuchtet die das Schwert tragende Seite des Orion so sehr? (665) Es droht das Rasen der Waffen, die Macht des Schwertes wird mit Gewalt alles Recht über den Haufen werfen. Und dem ruchlosen Verbrechen wird der Name Tugend zuteil. Der Wahnsinn wird viele Jahre dauern. Was nützt es, von den Himmlischen das Ende zu fordern? (670) Frieden kommt nur mit einem Gewaltherrscher. Roma, führe die ununterbrochene Reihe der Leiden fort und ziehe die Niederlage weit in die Länge, nur im Bürgerkrieg bist du wirklich frei.«

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terruerant satis haec pavidam praesagia plebem, sed maiora premunt. nam, qualis vertice Pindi Edonis Ogygio decurrit plena Lyaeo, talis et attonitam rapitur matrona per urbem vocibus his prodens urguentem pectora Phoebum: ‘quo feror, o Paean? qua me super aethera raptam constituis terra? video Pangaea nivosis cana iugis latosque Haemi sub rupe Philippos. quis furor hic, o Phoebe, doce, quo tela manusque Romanae miscent acies bellumque sine hoste est. quo diversa feror? primos me ducis in ortus, qua mare Lagei mutatur gurgite Nili: hunc ego, fluminea deformis truncus harena qui iacet, agnosco. dubiam super aequora Syrtim arentemque feror Libyen, quo tristis Enyo transtulit Emathias acies. nunc desuper Alpis nubiferae colles atque aeriam Pyrenen abripimur. patriae sedes remeamus in urbis, inpiaque in medio peraguntur bella senatu. consurgunt partes iterum, totumque per orbem rursus eo. nova da mihi cernere litora ponti telluremque novam: vidi iam, Phoebe, Philippos.’ haec ait, et lasso iacuit deserta furore.

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Sattsam hatten diese Vorzeichen das furchtsame Volk erschreckt. Aber es sollte noch schlimmer kommen. Denn wie eine Edonin173 vom Gipfel des Pindus174, (675) erfüllt vom ogygischen175 Lyäus176, herabstürmt, so raste eine Matrone durch die bestürzte Stadt, befreite sich vom Druck des Phöbus177 in ihrer Brust und schrie die folgenden Worte: »Wohin werde ich getragen, o Päan178? In welches Land hast du mich gebracht, nachdem ich durch die Lüfte gerissen worden bin? Ich sehe das Pangäische Gebirge179, (680) weiß von schneebedeckten Graten, und Philippi180, hingebreitet am Fuße des felsigen Hämus181. Was ist das für ein Wahnsinn, sag mir Phöbus, der römische Schlachtreihen gegeneinanderhetzt in einem Krieg ohne äußeren Feind? An welche anderen Plätze werde ich noch getrieben? Du führst mich nach Osten, wo sich das Meer mit den Strudeln des lagischen182 Nil vermischt. (685) Ihn erkenne ich, der da grässlich verstümmelt 183 im Flusssand liegt. Ich werde über die Fluten zur trügerischen Syrte und zum trockenen Libyen184 getrieben, wohin die traurige Enyo185 die Schlachtreihen aus Emathien hat übersetzen lassen. Nun werde ich über die von Wolken bedeckten Gipfel der Alpen und über die luftigen Pyrenäen getragen. (690) Ich lande in meiner Vaterstadt, wo man den ruchlosen Krieg mitten im Senat 186 beenden wird. Wiederum erheben sich die Parteien zum Kampf, und ich ziehe wieder über den ganzen Erdkreis. Gib, dass ich neue Küsten und andere Länder sehe, Philippi habe ich bereits gesehen, Phöbus.« (695) Dies rief sie und stürzte, als der Anfall schwächer wurde, erschöpft zusammen.

LIBER II Iamque irae patuere deum manifestaque belli signa dedit mundus legesque et foedera rerum praescia monstrifero vertit natura tumultu indixitque nefas. cur hanc tibi, rector Olympi, sollicitis visum mortalibus addere curam, noscant venturas ut dira per omina clades? sive parens rerum, cum primum informia regna materiamque rudem flamma cedente recepit, fixit in aeternum causas, qua cuncta coercet se quoque lege tenens, et saecula iussa ferentem fatorum inmoto divisit limite mundum, sive nihil positum est, sed fors incerta vagatur fertque refertque vices et habet mortalia casus, sit subitum quodcumque paras; sit caeca futuri mens hominum fati; liceat sperare timenti. ergo, ubi concipiunt quantis sit cladibus orbi constatura fides superum, ferale per urbem iustitium; latuit plebeio tectus amictu omnis honos, nullos comitata est purpura fasces. tum questus tenuere suos magnusque per omnis erravit sine voce dolor. sic funere primo attonitae tacuere domus, cum corpora nondum conclamata iacent nec mater crine soluto exigit ad saevos famularum bracchia planctus, sed cum membra premit fugiente rigentia vita voltusque exanimes oculosque in morte minaces, necdum est ille dolor nec iam metus: incubat amens miraturque malum. cultus matrona priores deposuit maestaeque tenent delubra catervae: hae lacrimis sparsere deos, hae pectora duro adflixere solo, lacerasque in limine sacro attonitae fudere comas votisque vocari adsuetas crebris feriunt ululatibus aures. nec cunctae summi templo iacuere Tonantis: divisere deos, et nullis defuit aris invidiam factura parens. quarum una madentis

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Buch 2 Nun trat der Zorn der Götter offen zutage, und der Kosmos gab deutliche Vorzeichen für den Krieg. Die Natur stürzte in ihrer Vorahnung die Gesetze und Ordnungen der Dinge in einem grauenvollen Aufruhr um und kündigte verbrecherische Ungeheuerlichkeiten an. Warum nur schien es dir, du Lenker des Olymp, richtig, (5) den ohnehin schon beunruhigten Menschen die Sorge aufzubürden, durch böse Vorzeichen auch noch die kommenden Schicksalsschläge zu erfahren? Ob nun der Schöpfer der Welt die Kette der Ursachen, sobald er seinen formlosen Herrschaftsbereich und die noch rohe Materie nach dem Verlöschen der Flamme1 übernahm, bis in alle Ewigkeit festlegte, (10) sich selbst auch an das Gesetz hält, durch das er alles ordnet, und die Welt, so lange sie bestehen muss, durch die unverrückbare Grenze der vorherbestimmten Schicksale in eine feste Struktur gebracht hat. Oder ob nun nichts festgelegt ist, sondern das Schicksal planlos abläuft, mal hin und mal her, und der Zufall über alles Sterbliche herrscht: Es bleibe ein unerwartetes Ereignis, was immer du auch vorhast; der menschliche Geist bleibe blind für das zukünftige Schicksal (15), mag er sich auch fürchten, doch sei ihm erlaubt zu hoffen. Als man folglich begriff, welche Katastrophen für den Erdkreis die Verlässlichkeit2 der Götter bedeuten würde, lähmte eine tödliche Stille den Geschäftsbetrieb in der Stadt. Alle Inhaber eines Ehrenamtes blieben in bürgerlicher Kleidung daheim; kein Purpurträger folgte dem Rutenbündel. (20) Noch behielten sie ihre Klagen für sich, ein tiefer, wortloser Schmerz beherrschte sie alle. So verstummen im ersten Moment nach einem Todesfall wie betäubt die Angehörigen, wenn die Toten – noch nicht beweint – daliegen und die Mutter noch nicht mit aufgelöstem Haar ihre Mägde zu wilden Schlägen mit den Armen gegen die Brust auffordert. (25) Denn sie drückt noch die erstarrenden Glieder an sich, aus denen gerade das Leben entweicht, das leblose Gesicht, die im Tode starren Augen. Das ist noch nicht Schmerz und auch nicht mehr Angst: Unfähig, einen Gedanken zu fassen, liegt sie über dem Toten, kann das Unglück noch nicht begreifen. Die Frauen verzichteten auf ihre frühere gepflegte Erscheinung, Schwärme jammernder Frauen füllten die Heiligtümer. (30) Die einen benetzten die Götterbilder mit ihren Tränen, andere warfen sich mit der Brust auf den harten Boden, breiteten verzweifelt ihre zerrauften Haare auf den heiligen Schwellen aus und erfüllten mit ihrem wiederholten Wehklagen die Ohren, die gewöhnlich mit frommen Gebeten angerufen werden. Und sie lagen nicht alle nur im Tempel des Donnerers3: (35) Sie teilten die Götter unter sich auf, und an keinem Altar fehlte eine Mutter, die dem Gott ihren Hass androhte. Eine von ihnen, die

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scissa genas, planctu liventis atra lacertos, ‘nunc’, ait ‘o miserae, contundite pectora, matres, nunc laniate comas neve hunc differte dolorem et summis servate malis. nunc flere potestas dum pendet fortuna ducum: cum vicerit alter gaudendum est.’ his se stimulis dolor ipse lacessit. nec non bella viri diversaque castra petentes effundunt iustas in numina saeva querellas. ‘o miserae sortis, quod non in Punica nati tempora Cannarum fuimus Trebiaeque iuventus. non pacem petimus, superi: date gentibus iras, nunc urbes excite feras; coniuret in arma mundus, Achaemeniis decurrant Medica Susis agmina, Massageten Scythicus non adliget Hister, fundat ab extremo flavos Aquilone Suebos Albis et indomitum Rheni caput; omnibus hostes reddite nos populis: civile avertite bellum. hinc Dacus, premat inde Getes; occurrat Hiberis alter, ad Eoas hic vertat signa pharetras; nulla vacet tibi, Roma, manus. vel, perdere nomen si placet Hesperium, superi, conlatus in ignes plurimus ad terram per fulmina decidat aether. saeve parens, utrasque simul partesque ducesque, dum nondum meruere, feri. tantone novorum proventu scelerum quaerunt uter imperet urbi? vix tanti fuerat civilia bella movere ut neuter.’ talis pietas peritura querellas egerit. at miseros angit sua cura parentes, oderuntque gravis vivacia fata senectae servatosque iterum bellis civilibus annos. atque aliquis magno quaerens exempla timori ‘non alios’ inquit ‘motus tum fata parabant cum post Teutonicos victor Libycosque triumphos exul limosa Marius caput abdidit ulva. stagna avidi texere soli laxaeque paludes depositum, Fortuna, tuum; mox vincula ferri exedere senem longusque in carcere paedor. consul et eversa felix moriturus in urbe poenas ante dabat scelerum. mors ipsa refugit saepe virum, frustraque hosti concessa potestas

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tränenüberströmten Wangen zerkratzt, die Arme blau und schwarz von Schlägen, rief: »Jetzt, ihr armen Mütter, schlagt an eure Brust, jetzt rauft euch die Haare und verschiebt nicht den Schmerz (40) und spart ihn nicht auf für das größte Leid. Jetzt dürft ihr noch weinen, solange das Schicksal der Anführer noch in der Schwebe ist; wenn erst mal einer der beiden gesiegt hat, müsst ihr euch freuen!« Mit solchen Quälereien stachelte sich der Schmerz selbst an. Und auch die Männer, die in den Krieg und in die beiden feindlichen Feldlager zogen, erhoben gerechtfertigte Klagen gegen die grausamen Gottheiten: (45) »Oh, welch erbärmliches Los, dass wir nicht zur Zeit der Punischen Kriege4 geboren wurden als die jungen Kämpfer von Cannae und der Trebia. Wir bitten ja gar nicht um Frieden, ihr Götter: Bringt nur fremde Völker in Wut, stiftet Barbarenstädte zum Aufruhr an; soll sich doch die ganze Welt in Waffen gegen uns verschwören, sollen doch (50) vom achaemeneischen5 Susa6 die Mederzüge7 herströmen, soll doch die Donau im Skythenland die Massageten8 nicht länger aufhalten, soll doch vom hohen Norden her die Elbe und die unbezwungene Mündung des Rhein die blonden Sueben ausschwärmen lassen: Macht uns allen Völkern zu Feinden, aber wendet den Bürgerkrieg von uns ab! Mag uns von hier der Daker bedrängen, von dort der Gete9, dann soll der eine10 den Iberern11 entgegengehen, (55) der andere12 soll seine Feldzeichen gegen die morgenländischen Pfeilköcher wenden; dir, Rom, soll es an keiner Hand fehlen. Oder aber, wenn es euch gefällt, den Namen Hesperien13 auszulöschen, ihr Götter, dann möge der gesamte Himmel in Feuer verwandelt in Form von Blitzen auf die Erde niederstürzen. Grausamer Vater, triff beide Parteien und ihre Anführer gleichzeitig, (60) so lange sie es noch nicht verdient haben14. Durch eine solche Saat unerhörter Verbrechen wollen sie herausfinden, wer von beiden die Welt beherrscht? Bürgerkriege zu entfesseln ist fast ein zu hoher Preis dafür, dass es keiner von beiden wird.« Solche Klagen brachte eine Vaterlandsliebe hervor, die es bald schon nicht mehr geben sollte. Die armen Eltern dagegen quälte eine ganz eigene Sorge, (65) sie verfluchten ihr Los eines beschwerlichen und zählebigen Alters und die wieder mal für einen Bürgerkrieg aufgesparten Lebensjahre. Und einer, der für seine große Befürchtung nach Beispielen suchte, sprach: »Das Schicksal plante genau dieselben Wirren damals, als nach dem Triumph über die Teutonen und die Libyer15 (70) der Sieger Marius als ein Verbannter sein Haupt im Schilf verbarg. Tümpel im gierig saugenden Boden und schlammige Sümpfe verbargen deinen Günstling, Fortuna. Bald zehrten eiserne Fesseln und der Schmutz einer langen Kerkerhaft an dem alten Mann16. Weil ihm vorherbestimmt war, als Konsul und erfolgreicher Mann in der von ihm zerstörten Stadt zu sterben, (75) büßte er für seine Verbrechen schon im Voraus. Oft floh der Tod selbst vor diesem Mann, vergeblich war seinem Feind Macht

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sanguinis invisi, primo qui caedis in actu deriguit ferrumque manu torpente remisit. viderat inmensam tenebroso in carcere lucem terribilisque deos scelerum Mariumque futurum, audieratque pavens “fas haec contingere non est colla tibi; debet multas hic legibus aevi ante suam mortes: vanum depone furorem.” si libet ulcisci deletae funera gentis, hunc, Cimbri, servate senem. non ille favore numinis, ingenti superum protectus ab ira, vir ferus et Romam cupienti perdere fato sufficiens. idem pelago delatus iniquo hostilem in terram vacuisque mapalibus actus nuda triumphati iacuit per regna Iugurthae et Poenos pressit cineres. solacia fati Carthago Mariusque tulit, pariterque iacentes ignovere deis. Libycas ibi colligit iras. ut primum fortuna redit, servilia solvit agmina, conflato saevas ergastula ferro exeruere manus. nulli gestanda dabantur signa ducis, nisi qui scelerum iam fecerat usum adtuleratque in castra nefas. pro fata, quis ille, quis fuit ille dies, Marius quo moenia victor corripuit, quantoque gradu mors saeva cucurrit! nobilitas cum plebe perit, lateque vagatus ensis, et a nullo revocatum pectore ferrum. stat cruor in templis multaque rubentia caede lubrica saxa madent. nulli sua profuit aetas: non senis extremum piguit vergentibus annis praecepisse diem, nec primo in limine vitae infantis miseri nascentia rumpere fata. crimine quo parvi caedem potuere mereri? sed satis est iam posse mori. trahit ipse furoris impetus, et visum lenti quaesisse nocentem. in numerum pars magna perit, rapuitque cruentus victor ab ignota voltus cervice recisos dum vacua pudet ire manu. spes una salutis oscula pollutae fixisse trementia dextrae. mille licet gladii mortis nova signa sequantur, degener o populus, vix saecula longa decorum

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über sein verhasstes Leben gegeben. Der erstarrte nämlich gleich zu Beginn der Mordtat und er ließ das Schwert aus der gelähmten Hand fallen17. Er hatte nämlich eine gewaltige Lichterscheinung in dem düsteren Kerker, (80) die schauerlichen Rachegottheiten seiner Verbrechen und den zukünftigen Marius erblickt und angstbebend vernommen: ‹Du darfst diesen Hals nicht berühren; nach den Gesetzen dieses Zeitalters muss dieser hier noch viele töten, bevor er selbst getötet wird; lass also dein sinnloses Wüten. Wenn ihr den Mord und die Vernichtung eures Stammes rächen wollt, ihr Kimbern, dann schont diesen alten Mann. Dieser grausame Mann wird nicht geschützt durch die Gunst eines göttlichen Wesens, (85) sondern durch die ungeheure Wut der Himmlischen, und weil er dem Schicksal, das Rom vernichten will, in den Plan passt.› Vom stürmischen Meer wurde er in feindliches Land verschlagen, wurde durch verödete Nomadenzelte gehetzt, (90) lag danieder im ausgeplünderten Königreich des Jughurta, über den er triumphiert hatte, und schritt über die Asche der Punier18. Karthago und Marius fanden Trost in ihrem Schicksal, gemeinsam überwunden und am Boden liegend, verziehen sie den Göttern19. Dort geriet er in Libysche Wut20. Kaum war das Glück ihm wieder gewogen, setzte er Sklavenhorden in Freiheit, (95) Zuchthäusler schmiedeten sich Waffen und reichten ihm ihre grausamen Hände. Keiner durfte die Feldzeichen des Anführers tragen, der nicht schon Übung im Verbrechen hatte und der nicht schon schwere Schuld ins Lager mitbrachte21. Ach, welch Schicksal! Welch ein Tag, welch ein Tag war das, an dem Marius als Sieger die Mauern Roms überschritt, mit welch Riesenschritten raste das brutale Morden22! (100) Der Adel ging zusammen mit dem Volk zu Grunde, allenthalben wütete das Schwert, und das Eisen verschonte keine Brust. Blutlachen standen in den Tempeln, das Steinpflaster war von dem vielfachen Gemetzel gerötet und schlüpfrig. Das Alter bot niemandem Schutz: (105) Man schämte sich nicht, den letzten Tag der dahinschwindenden Lebenszeit eines Greises vorwegzunehmen, noch das im Entstehen begriffene Schicksal eines bejammernswerten Kindes auf der Schwelle des Lebens abzubrechen. Durch welches Verbrechen konnten denn kleine Kinder den Tod verdient haben? Aber es genügte schon, dass man sterben konnte. Die bloße Mordlust trieb sie an, (110) und es galt als Zeitverschwendung, nach einem Schuldigen zu suchen. Ein großer Teil starb, weil eine bestimmte Zahl erreicht werden sollte, und die blutbespritzten Sieger packten Köpfe, die sie vom Genick ihnen unbekannter Menschen gehauen hatten, weil sie sich schämten, mit leeren Händen zu kommen. Die einzige Hoffnung auf Rettung bestand darin, vor Angst bebend seine blutbesudelte Rechte zu küssen.23 (115) Du verkommenes Volk, mochten auch tausend todbringende Schwerter den neuen Zeichen folgen, es hätte sich doch kaum für Männer geziemt, auf diese Weise auch ein Jahrhunderte dauerndes

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sic meruisse viris, nedum breve dedecus aevi et vitam dum Sulla redit. cui funera volgi flere vacet? vix te sparsum per viscera, Baebi, innumeras inter carpentis membra coronae discessisse manus, aut te, praesage malorum Antoni, cuius laceris pendentia canis ora ferens miles festae rorantia mensae inposuit. truncos laceravit Fimbria Crassos; saeva tribunicio maduerunt robora tabo. te quoque neclectum violatae, Scaevola, Vestae ante ipsum penetrale deae semperque calentis mactavere focos; parvom set fessa senectus sanguinis effudit iugulo flammisque pepercit. septimus haec sequitur repetitis fascibus annus. ille fuit vitae Mario modus, omnia passo quae peior fortuna potest, atque omnibus uso quae melior, mensoque hominis quid fata paterent. iam quot apud Sacri cecidere cadavera Portum aut Collina tulit stratas quot porta catervas, tum cum paene caput mundi rerumque potestas mutavit translata locum, Romanaque Samnis ultra Caudinas speravit volnera Furcas! Sulla quoque inmensis accessit cladibus ultor. ille quod exiguum restabat sanguinis urbi hausit; dumque nimis iam putria membra recidit excessit medicina modum, nimiumque secuta est, qua morbi duxere, manus. periere nocentes, sed cum iam soli possent superesse nocentes. tum data libertas odiis, resolutaque legum frenis ira ruit. non uni cuncta dabantur sed fecit sibi quisque nefas: semel omnia victor iusserat. infandum domini per viscera ferrum exegit famulus, nati maduere paterno sanguine, certatum est cui cervix caesa parentis cederet, in fratrum ceciderunt praemia fratres. busta repleta fuga, permixtaque viva sepultis corpora, nec populum latebrae cepere ferarum. hic laqueo fauces elisaque guttura fregit, hic se praecipiti iaculatus pondere dura dissiluit percussus humo, mortesque cruento

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Leben zu erkaufen, und noch viel weniger die beschämend kurze Lebenszeit, bis Sulla zurückkam. Wer hätte noch die Zeit, das Sterben der großen Menge zu beweinen? Hat man doch kaum Zeit zu erzählen, wie du, Baebius24, bis auf die Eingeweide zerfetzt worden bist, (120) wie dich die zahllosen Hände des Pöbels in Stücke gerissen haben; oder von dir, Antonius25, du Prophet künftigen Unheils, dessen Haupt ein Soldat an den zerwühlten weißen Haaren trug und es bluttriefend auf den festlichen Tisch setzte. Fimbria26 verstümmelte und zerfleischte die Crassi 27, (125) und die schrecklichen Pfähle troffen von tribunizischem Blut. Dich auch, Scaevola,28 schlachteten sie direkt vor dem geschändeten Heiligtum und dem immer brennenden Herd der beleidigten Vesta ab; aber aus der Kehle des schwachen Greises floss nur wenig Blut und löschte die Flammen nicht. (130) Diesen Ereignissen folgte das siebte Jahr, in dem Marius wiederholt die Zeichen der Amtsgewalt trug.29 Jenes Jahr setzte dem Leben des Marius ein Ende, der alles erlitten hatte, was ein schlechtes Schicksal, und alles ausgekostet hatte, was ein gutes Schicksal zu bieten vermag, und der alle Möglichkeiten des menschlichen Geschickes durchmessen hatte. Wie viele sind dann gefallen bei Sacriportus30, (135) oder wie viele Erschlagene häuften sich in der Gegend um die Porta Collina31 damals, als beinahe die Hauptstadt der Welt32 und die politische Macht auf einen anderen Standort übertragen worden wäre33 und die Samniten darauf hofften, den Römern einen schlimmeren Schlag zuzufügen als den vom Caudinischen Joch34. Es kam Sulla, um das grenzenlose Gemetzel zu rächen. (140) Er schlürfte das bisschen Blut, das der Stadt noch geblieben war; doch indem er die schon faulenden Glieder zu großzügig abschnitt, überschritt seine Heilkunst das notwenige Maß, das Messer in der Hand des Chirurgen schnitt mehr heraus, als die Krankheit erforderte. Die Schuldigen gingen zu Grunde, obwohl zu dieser Zeit eigentlich nur noch überleben konnte, wer sich schuldig machte. (145) Da wurde dem Hass freie Bahn gegeben, und die Wut raste los, befreit von allen Fesseln der Gesetze. All das rechnete man nicht zur Schuld eines einzigen Mannes, sondern jeder beging Unrecht zu seinem eigenen Vorteil. Der Sieger hatte einmal einen Befehl gegeben, der dies alles ermöglichte. Der Sklave jagte skrupellos das Schwert in die Eingeweide seines Herrn, die Kinder besudelten sich (150) mit dem Blute ihres Vaters; und man stritt sich darum, wem das abgeschlagene Haupt des Vaters gehöre; und Brüder fielen zum Vorteil ihrer Geschwister. Die Gräber füllten sich mit Menschen auf der Flucht, noch lebende Körper mischten sich unter schon Begrabene, und die Schlupfwinkel wilder Tiere konnten die Menschen nicht fassen. Dieser strangulierte sich und brach sich das Genick mit der Schlinge, (155) jener stürzte sich kopfüber in die Tiefe und zerschellte auf dem harten Boden. So raubten sie dem

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victori rapuere suas; hic robora busti exstruit ipse sui necdum omni sanguine fuso desilit in flammas et, dum licet, occupat ignes. colla ducum pilo trepidam gestata per urbem et medio congesta foro: cognoscitur illic quidquid ubique iacet. scelerum non Thracia tantum vidit Bistonii stabulis pendere tyranni, postibus Antaei Libye, nec Graecia maerens tot laceros artus Pisaea flevit in aula. cum iam tabe fluunt confusaque tempore multo amisere notas, miserorum dextra parentum colligit et pavido subducit cognita furto. meque ipsum memini, caesi deformia fratris ora rogo cupidum vetitisque inponere flammis, omnia Sullanae lustrasse cadavera pacis perque omnis truncos, cum qua cervice recisum conveniat, quaesisse, caput. quid sanguine manes placatos Catuli referam? cum victima tristis inferias Marius forsan nolentibus umbris pendit inexpleto non fanda piacula busto, cum laceros artus aequataque volnera membris vidimus et toto quamvis in corpore caeso nil animae letale datum, moremque nefandae dirum saevitiae, pereuntis parcere morti. avolsae cecidere manus exsectaque lingua palpitat et muto vacuum ferit aera motu. hic aures, alius spiramina naris aduncae amputat, ille cavis evolvit sedibus orbes ultimaque effodit spectatis lumina membris. vix erit ulla fides tam saevi criminis, unum tot poenas cepisse caput. sic mole ruinae fracta sub ingenti miscentur pondere membra, nec magis informes veniunt ad litora trunci qui medio periere freto. quid perdere fructum iuvit et, ut vilem, Marii confundere voltum? ut scelus hoc Sullae caedesque ostensa placeret agnoscendus erat. vidit Fortuna colonos Praenestina suos cunctos simul ense recepto unius populum pereuntem tempore mortis. tum flos Hesperiae, Latii iam sola iuventus,

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blutigen Sieger die Gelegenheit, sie zu töten; ein anderer schichtete selbst das Holz für den Scheiterhaufen auf und sprang, bevor alles Blut verströmt war, in die Flammen; er gönnte sich eine Feuerbestattung, so lange das noch möglich war. (160) Die Köpfe der Führer wurden auf Spießen durch die angstbebende Stadt getragen und mitten auf dem Forum aufgehäuft; dort konnte man sehen, wer immer irgendwo gefallen war. Thrakien sah nicht so viel Verbrechen in den Ställen des bistonischen Tyrannen35 noch Libyen an den Toren des Antäus36 noch auch das trauernde Griechenland, (165) das so viele zermalmte Glieder im Hof von Pisa beklagte37. Wenn sie schon in Verwesung zerfielen und das entstellte Gesicht im Laufe der Zeit die bekannten Züge verloren hatte, sammelten die armen Eltern die Überreste, die man noch erkennen konnte, und schafften sie ängstlich wie Diebe weg. Ich selbst erinnere mich, wie ich das entstellte (170) Haupt meines erschlagenen Bruders auf den Scheiterhaufen bringen und – was verboten war – in die Flammen legen wollte, wie ich alle Leichen des Sullanischen Friedens überprüfte und alle kopflosen Körper daraufhin durchsucht habe, auf welchen Nacken das abgeschlagene Haupt passte. Was soll ich berichten, wie die Totengeister des Catulus38 blutig besänftigt wurden? Wie ein Marius39 als Opfertier eines grässlichen Sühneopfers an dessen unersättlichem Grab geschlachtet wurde, obwohl die Schattengeister des Toten (175) dieses traurige Totenopfer vielleicht gar nicht forderten? Wir sahen seine gefolterten Gelenke und mit Wunden übersäten Glieder und gleichwohl am ganzen ausgestreckten Körper keine tödliche Wunde und (180) den grauenhaften Brauch einer abscheulichen Grausamkeit, die den Sterbenden nicht den Tod gönnt. Seine abgehackten Hände fielen zu Boden, die herausgeschnittene Zunge zuckte noch und schlug die leere Luft mit stummer Bewegung. Der eine schnitt ihm die Ohren ab, ein anderer die Flügel der gebogenen Nase, (185) ein dritter presste ihm die Augäpfel aus den leeren Höhlen und stach ihm zuletzt die Augen aus, nachdem sie Zeuge all dessen waren, was mit seinen Körpergliedern geschah. Man wird ein so grausames Verbrechen kaum für wahr halten können, dass ein einzelner Mensch so viele Qualen hat erdulden müssen. So geraten die durch den Einsturz eines Hauses zerschmetterten Körperglieder unter dem ungeheuren Gewicht durcheinander, genau so formlos und verstümmelt gelangen Leichen an die Küste, (190) die mitten im Meer zu Grund gingen. Was hatten sie davon, den Beweis ihrer Tat zu vernichten und das Gesicht des Marius unkenntlich zu machen, als ob es keinen Wert hätte? Damit dieses Verbrechen und die als Beweis vorgeführte Leiche Sullas Beifall findet, hätte sie für ihn erkennbar sein müssen. Die Fortuna von Praeneste40 erlebte mit, wie all ihre Bürger gleichzeitig durchs Schwert umkamen, (195) wie ein ganzes Volk starb in der Zeit, die ein einzelner braucht, um zu sterben. Damals fiel die Blüte Italiens, was von der

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concidit et miserae maculavit ovilia Romae. tot simul infesto iuvenes occumbere leto saepe fames pelagique furor subitaeque ruinae aut terrae caelique lues aut bellica clades, numquam poena fuit. densi vix agmina volgi inter et exangues inmissa morte catervas victores movere manus; vix caede peracta procumbunt, dubiaque labant cervice; sed illos magna premit strages peraguntque cadavera partem caedis: viva graves elidunt corpora trunci. intrepidus tanti sedit securus ab alto spectator sceleris: miseri tot milia volgi non timuit iussisse mori. congesta recepit omnia Tyrrhenus Sullana cadavera gurges. in fluvium primi cecidere, in corpora summi. praecipites haesere rates, et strage cruenta interruptus aquae fluxit prior amnis in aequor, ad molem stetit unda sequens. iam sanguinis alti vis sibi fecit iter campumque effusa per omnem praecipitique ruens Tiberina in flumina rivo haerentis adiuvit aquas; nec iam alveus amnem nec retinent ripae, redditque cadavera campo. tandem Tyrrhenas vix eluctatus in undas sanguine caeruleum torrenti dividit aequor. hisne salus rerum, felix his Sulla vocari, his meruit tumulum medio sibi tollere Campo? haec rursus patienda manent, hoc ordine belli ibitur, hic stabit civilibus exitus armis. quamquam agitant graviora metus, multumque coitur humani generis maiore in proelia damno. exulibus Mariis bellorum maxima merces Roma recepta fuit, nec plus victoria Sullae praestitit invisas penitus quam tollere partes: hos alio, Fortuna, vocas, olimque potentes concurrunt. neuter civilia bella moveret contentus quo Sulla fuit.’ sic maesta senectus praeteritique memor flebat metuensque futuri. at non magnanimi percussit pectora Bruti terror et in tanta pavidi formidine motus pars populi lugentis erat, set nocte sopora,

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Jugend Latiums noch übrig war, und befleckte die Ovilia41 des bejammernswerten Rom. Dass so viele junge Männer einem unerbittlichen Tod erliegen, dafür waren oft eine Hungersnot, das Toben des Meeres, plötzlich zusammenstürzende Gebäude (200) oder Seuchen und Naturkatastrophen oder eine Niederlage im Krieg verantwortlich, niemals jedoch eine Hinrichtung. Inmitten der dicht gedrängten Masse der Leute und den bleichen, schon niedergemetzelten Scharen konnten die Sieger kaum ihre Hände bewegen. Die Ermordeten konnten kaum umfallen, sondern schwankten mit ihrem Nacken hin und her, unschlüssig, in welche Richtung sie umfallen sollten. Die Masse der Leichen erdrückte gar die Henker (205). Und so wurden die Ermordeten selbst zu Mördern: Das Gewicht der Leichen zerquetschte die lebendigen Körper. Von seinem erhöhten Platz betrachtete Sulla dieses Massaker, kalt und skrupellos; er hatte keine Bedenken, dass so viele unglückliche Menschen durch seinen Befehl zu Tode kamen. (210) Alle zusammengestapelten Opfer Sullas nahmen die Fluten des etruskischen Flusses auf42. Ins Wasser fielen die ersten, nur noch auf Leichen die letzten. Stromabwärts fahrende Schiffe blieben hängen. Unterbrochen in seinem Lauf floss nur der erste Teil des Flusses ins Meer, an der Masse der Leichen staute sich die folgende Welle43. Schon brach sich die Wucht (215) des Blutstromes Bahn, überschwemmte die ganze Ebene, stürzte mit jäher Flut in den Tiber und erhöhte den Druck der angestauten Wassermassen. Weder das Flussbett noch die Ufer konnten den Strom aufnehmen. So gab der Fluss die Kadaver dem Land zurück. Schließlich kämpfte sich mit Mühe der Fluss bis ins Tyrrhenische Meer (220) und teilte die blauen Wogen mit einem Blutstrom. Hat Sulla es deswegen verdient, Retter des Staates und Glücklicher44 genannt zu werden und sich mitten auf dem Marsfeld ein Mausoleum zu errichten? Solche Leiden stehen uns wiederum bevor, solchen Verlauf wird der Krieg nehmen, solches Ende steht Bürgerkriegen bevor. (225) Diesmal ist freilich noch größeres Unheil zu befürchten, mit noch größerem Schaden für die Menschheit wird man sich zu den Gefechten sammeln. Für die verbannten Marianer war der größte Preis des Krieges, Rom zurück zu gewinnen, Sullas Sieg gipfelte in der völligen Auslöschung der verhassten gegnerischen Partei: (230) Die Gegner heute, Fortuna, rufst du zu einem anderen Ziel, sie treffen aufeinander schon lange im Vollbesitz der Macht. Keiner von beiden würde einen Bürgerkrieg beginnen für das, mit dem Sulla zufrieden war.« So riefen die traurigen Greise unter Tränen die Erinnerung an das Vergangene wach und trugen ihre Befürchtungen für das Zukünftige vor. Furcht aber erschütterte nicht die Brust des hochgemuten Brutus45. (235) Bei dem allgemeinen panischen Schrecken gehörte er nicht zu denen, die in Tränen ausbrachen. In der Nacht, die sonst Schlaf spendet, als die

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Parrhasis obliquos Helice cum verteret axes, atria cognati pulsat non ampla Catonis. invenit insomni volventem publica cura fata virum casusque urbis cunctisque timentem securumque sui, farique his vocibus orsus: ‘omnibus expulsae terris olimque fugatae virtutis iam sola fides, quam turbine nullo excutiet fortuna tibi, tu mente labantem derige me, dubium certo tu robore firma. namque alii Magnum vel Caesaris arma sequantur, dux Bruto Cato solus erit. pacemne tueris inconcussa tenens dubio vestigia mundo, an placuit ducibus scelerum populique furentis cladibus inmixtum civile absolvere bellum? quemque suae rapiunt scelerata in proelia causae: hos polluta domus legesque in pace timendae, hos ferro fugienda fames mundique ruinae permiscenda fides. nullum furor egit in arma; castra petunt magna victi mercede: tibi uni per se bella placent? quid tot durare per annos profuit inmunem corrupti moribus aevi? hoc solum longae pretium virtutis habebis: accipient alios, facient te bella nocentem. ne tantum, o superi, liceat feralibus armis, has etiam movisse manus. nec pila lacertis missa tuis caeca telorum in nube ferentur: ne tanta in cassum virtus eat, ingeret omnis se belli fortuna tibi. quis nolet in isto ense mori, quamvis alieno volnere labens, et scelus esse tuum? melius tranquilla sine armis otia solus ages, sicut caelestia semper inconcussa suo volvuntur sidera lapsu. fulminibus propior terrae succenditur aer, imaque telluris ventos tractusque coruscos flammarum accipiunt; nubes excedit Olympus. lege deum minimas rerum discordia turbat, pacem magna tenent. quam laetae Caesaris aures accipient tantum venisse in proelia civem! nam praelata suis numquam diversa dolebit castra ducis Magni. nimium placet ipse Catoni,

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parrhasische Callisto46 ihre schräge Achse wendete, pochte er an das bescheidene Haus seines Onkels Cato. Er fand ihn, wie er schlaflos47 über das Schicksal des Staates (240) und den Niedergang der Stadt grübelte, ohne Sorge, was seine eigene Person betraf, in Furcht aber für das Ganze. Brutus begann das Gespräch mit folgenden Worten: »Du Hort der Tugend48, die aus allen Ländern vertrieben und schon längst in die Flucht geschlagen ist, die das Schicksal auch durch keinen Wirbelsturm von dir wegreißen wird, (245) lenke mich, der ich in meinen Entschlüssen schwanke und stärke mich Zweifelnden durch deine unerschütterliche Kraft! Andere mögen Pompeius oder den Waffen Caesars folgen, für Brutus gibt es nur einen Führer: Cato. Wirst du den Frieden beschützen und unerschütterlichen Kurs in einer unentschlossenen Welt halten? Oder hast du beschlossen, dich auf die Verbrecherbosse und den (250) Untergang des rasenden Volkes einzulassen und den Bürgerkrieg so zu rechtfertigen? Jeden treiben seine eigenen Gründe in die verbrecherische Schlacht: die einen ein entehrtes Haus und die Furcht vor den Gesetzen im Frieden, die anderen wollen Hunger mit dem Schwert vertreiben und ihren Kredit mit dem Untergang der Welt tilgen. Keinen treibt der blanke Hass zu den Waffen, bestochen durch die Hoffnung auf großen Gewinn ziehen sie ins Lager. (255) Sollte dir allein der Krieg um seiner selbst willen gefallen? Was hat es dir dann genützt, durch all die Jahre unbefleckt geblieben zu sein von den Sitten eines verdorbenen Zeitalters? Diesen Lohn nur wirst du für dein tugendhaftes Leben davontragen: Der Krieg wird die anderen als schon Schuldige antreffen, dich macht er erst dazu. (260) Ihr Götter, es soll den todbringenden Waffen nicht gestattet sein, deine Hände zur Tat verleitet zu haben! Nicht unbemerkt sollen die Speere, von deinen Armen geschleudert, in einer Wolke von Geschossen fliegen: Damit solche Tugend nicht vergeblich einhergeht, wird sich das ganze Kriegsgeschehen nach dir richten. Wer würde nicht wollen, dass er durch (265) dein Schwert stirbt und du, auch wenn er schon durch einen anderen verwundet strauchelt, für die Tat verantwortlich bist. Für dich allein ist es besser, ruhige Muße ohne Waffen zu leben. So wie die himmlischen Gestirne immer unerschütterlich in ihren Bahnen laufen. Die Luft, die näher der Erde ist, wird durch Blitze entflammt (270) und die tiefer gelegenen Teile der Erde sind Winden und blitzenden Flammenstreifen ausgesetzt, aus den Wolken aber ragt der Olymp. Nach dem Gesetz der Götter bringt die Zwietracht nur die unwichtigen Dinge durcheinander, die wichtigen bewahren den Frieden. Mit welcher Freude werden Caesars Ohren die Kunde empfangen, dass ein so bedeutender Bürger zu den Waffen geeilt ist. (275) Er wird sich niemals darüber ärgern, wenn du das Lager seines Feindes, Pompeius, vorgezogen hast. Er selbst wird ja von Cato gebilligt, wenn Cato den

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si bellum civile placet. pars magna senatus et duce privato gesturus proelia consul sollicitant proceresque alii; quibus adde Catonem sub iuga Pompei, toto iam liber in orbe solus Caesar erit. quod si pro legibus arma ferre iuvat patriis libertatemque tueri nunc neque Pompei Brutum neque Caesaris hostem, post bellum victoris habes.’ sic fatur; at illi arcano sacras reddit Cato pectore voces. ‘summum, Brute, nefas civilia bella fatemur, sed quo fata trahunt virtus secura sequetur. crimen erit superis et me fecisse nocentem. sidera quis mundumque velit spectare cadentem expers ipse metus? quis, cum ruat arduus aether, terra labet mixto coeuntis pondere mundi, complossas tenuisse manus? gentesne furorem Hesperium ignotae Romanaque bella sequentur diductique fretis alio sub sidere reges, otia solus agam? procul hunc arcete furorem, o superi, motura Dahas ut clade Getasque securo me Roma cadat. ceu morte parentem natorum orbatum longum producere funus ad tumulos iubet ipse dolor, iuvat ignibus atris inseruisse manus constructoque aggere busti ipsum atras tenuisse faces, non ante revellar exanimem quam te conplectar, Roma; tuumque nomen, Libertas, et inanem persequar umbram. sic eat: inmites Romana piacula divi plena ferant, nullo fraudemus sanguine bellum. o utinam caelique deis Erebique liceret hoc caput in cunctas damnatum exponere poenas! devotum hostiles Decium pressere catervae: me geminae figant acies, me barbara telis Rheni turba petat, cunctis ego pervius hastis excipiam medius totius volnera belli. hic redimat sanguis populos, hac caede luatur quidquid Romani meruerunt pendere mores. ad iuga cur faciles populi, cur saeva volentes regna pati pereunt? me solum invadite ferro, me frustra leges et inania iura tuentem.

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Bürgerkrieg billigt. Ein großer Teil des Senates, der Konsul und andere Vornehme, die im Begriffe sind, unter der Führung eines Privatmannes49 Krieg zu führen, beunruhigen mich schon genug. Füge denen Cato unter das Kommando des Pompeius hinzu, dann wird Caesar als Einziger auf Erden tatsächlich frei50 sein. (280) Wenn du aber entschlossen bist, die Waffen nur für die Gesetze des Vaterlandes und zur Verteidigung der Freiheit zu führen, dann wirst du in Brutus, der jetzt weder ein Feind des Pompeius noch Caesars ist, nach dem Krieg einen Feind des Siegers haben.«51 So sprach er; aber Cato antwortete52 (285) ihm mit ehrwürdigen Worten aus der Tiefe seines Herzens: »Ich gebe zu, dass Bürgerkriege das schlimmste Unheil sind. Aber wohin das Schicksal sie treibt, wird die Tugend furchtlos folgen. Es wird den Göttern vorgeworfen werden, dass sie auch mich zum Schuldigen gemacht haben. Wer will selbst noch frei von Furcht sein, wenn er sieht, (290) wie Gestirne und die Welt untergehen? Wer will die Hände untätig im Schoß halten, wenn der Himmel jäh einstürzt und die Erde wankt unter dem Gewicht eines zusammenbrechenden Kosmos? Wenn fremde Völker und Könige, die jenseits des Meeres unter einem anderen Gestirn herrschen, sich der Raserei Italiens und dem Krieg Roms anschließen, (295) soll ich allein der Muße pflegen? Haltet den Wahnsinn, ihr Götter, von mir fern, dass ich sorglos zusehe, wie Rom fällt, während es die Daker und Geten53 durch seine Katastrophe anrührt! So wie der Schmerz selbst den Vater, der seiner Söhne durch den Tod beraubt wurde, auffordert, den langen Leichenzug zu den Begräbnisstätten anzuführen und wie es ihn treibt, die Hände in die traurigen Flammen zu strecken und die schwarz qualmenden Fackeln zu tragen, (300) wenn die Scheiterhaufen aufgeschichtet sind, so werde ich nicht weggerissen, Rom, bevor ich deinen leblosen Leib umarmt habe. Freiheit, ich werde deinem Namen und auch noch deinem kraftlosen Schatten folgen. So sei es: Die grausamen Götter sollen (305) reiche römische Sühneopfer erhalten, keinen Tropfen Blut wollen wir dem Krieg betrügerisch vorenthalten. Ach könnte ich auf dieses Haupt den Fluch der Götter des Himmels und der Unterwelt sammeln und für alle zur Sühne darbieten! Als Decius54 sich aufopferte, brachen Feindesscharen über ihn herein. Mich sollen beide Heere durchbohren, auf mich soll der Barbarenschwarm vom Rhein mit seinen Waffen zielen, (310) allen Lanzen ausgesetzt wollte ich mitten zwischen den Feinden alle Wunden dieses ganzen Krieges empfangen. Dies mein Blut soll die Völker loskaufen, mit diesem Tod möge abgebüßt werden, was die römische Sittenlosigkeit zu zahlen verdient hat.55 Warum sollen Völker zugrunde gehen, die sich leicht unters Joch beugen, die grausame Tyrannei geduldig ertragen? (315) Mich allein durchbohrt mit dem Schwert, mich, der ich Gesetze und Rechte, die nichts mehr gelten, vergeblich

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hic dabit hic pacem iugulus finemque malorum gentibus Hesperiis: post me regnare volenti non opus est bello. quin publica signa ducemque Pompeium sequimur? nec, si fortuna favebit, hunc quoque totius sibi ius promittere mundi non bene conpertum est: ideo me milite vincat ne sibi se vicisse putet.’ sic fatur, et acris irarum movit stimulos iuvenisque calorem excitat in nimios belli civilis amores, interea Phoebo gelidas pellente tenebras pulsatae sonuere fores, quas sancta relicto Hortensi maerens inrupit Marcia busto. quondam virgo toris melioris iuncta mariti, mox, ubi conubii pretium mercesque soluta est tertia iam suboles, alios fecunda penates inpletura datur geminas et sanguine matris permixtura domos; sed, postquam condidit urna supremos cineres, miserando concita voltu, effusas laniata comas contusaque pectus verberibus crebris cineresque ingesta sepulchri, non aliter placitura viro, sic maesta profatur: ‘dum sanguis inerat, dum vis materna, peregi iussa, Cato, et geminos excepi feta maritos: visceribus lassis partuque exhausta revertor iam nulli tradenda viro. da foedera prisci inlibata tori, da tantum nomen inane conubii; liceat tumulo scripsisse “Catonis Marcia”, nec dubium longo quaeratur in aevo mutarim primas expulsa an tradita taedas. non me laetorum sociam rebusque secundis accipis: in curas venio partemque laborum. da mihi castra sequi: cur tuta in pace relinquar et sit civili propior Cornelia bello?’ hae flexere virum voces, et, tempora quamquam sint aliena toris iam fato in bella vocante, foedera sola tamen vanaque carentia pompa iura placent sacrisque deos admittere testes. festa coronato non pendent limine serta, infulaque in geminos discurrit candida postes,

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zu schützen suche. Dieser Mord an mir wird den Völkern Hesperiens Frieden und ein Ende allen Elends bringen. Wer nach mir herrschen will, braucht dazu keinen Krieg mehr. Warum folgen wir nicht den Feldzeichen der Republik (320) und ihrem Anführer Pompeius? Wenn ihm das Kriegsglück hold ist, verspricht auch der sich die Herrschaft über die ganze Welt, das weiß man nur zu gut. So soll er denn siegen, indem ich für ihn kämpfe, damit er nicht glaubt, er habe den Sieg nur für sich selbst errungen.« Mit diesen Worten stachelte er den jungen Mann zu wilder Erbitterung an, ließ sein heißes Blut (325) zu der leidenschaftlichen Begierde wallen, am Bürgerkrieg teilzunehmen. Als inzwischen Phoebus die Kühle der Nacht vertrieb, ertönte ein Klopfen an den Türflügeln. Vom Scheiterhaufen des Hortensius kommend, stürzte noch in Trauer die ehrwürdige Marcia56 herein. Einst als Mädchen hatte sie das Lager eines besseren Ehemannes57 geteilt, (330) bald aber, als sie mit dem dritten Kind ihre eheliche Pflicht eingelöst hatte, wurde sie in ein anderes Haus gegeben, um es mit ihrer Fruchtbarkeit zu füllen und die beiden Häuser durch das gemeinsame mütterliche Blut zu verbinden. Aber nachdem sie nun die Aschereste58 in einer Urne beigesetzt hatte, eilte sie mit jammervoller Miene herbei, (335) das aufgelöste Haar raufend, die Brust von zahllosen Hieben zerschlagen, mit der Asche des Toten bestreut, dadurch aber für Cato erst recht anziehend, und sprach voller Trauer: »Solange noch Blut in mir floss, solange ich die Kraft zur Mutterschaft hatte, habe ich deine Aufträge erfüllt, Cato, habe zwei Gatten empfangen und wurde von ihnen schwanger; (340) jetzt ist mein Leib erschlafft, von den Entbindungen erschöpft, kehre ich zurück, um keinem weiteren Mann mehr übergeben zu werden. Gewähre mir vertrauensvoll den alten Ehebund, gewähre mir nur die Bezeichnung als deine Ehefrau; lass mich auf meinen Grabstein schreiben: ‹Marcia, Catos Gattin.› Und die Nachwelt soll nicht im Zweifel nachforschen, (345) ob ich die erste Ehe gegen eine zweite ausgetauscht habe, weil ich verstoßen oder weil ich nur weitergegeben wurde. Du empfängst mich nicht unter glücklichen Umständen als deine Gefährtin heiterer Tage; ich komme als Gefährtin deiner Sorgen und als Teilhaberin an deinen Mühen. Lass mich dir ins Feldlager folgen. Warum soll ich gesichert im Frieden zurückgelassen werden, eine Cornelia59 aber näher am Bürgerkrieg sein?« (350) Diese Worte stimmten den Mann um. Und obwohl die Zeitumstände wenig geeignet für eine Hochzeit waren, weil das Schicksal die Männer schon in den Krieg rief, war dennoch der Abschluss eines rechtmäßigen Ehebündnisses – allerdings ganz allein und ohne allen leeren Pomp – nach beider Sinn, und sie ließen nur die Götter als Zeugen der heiligen Feier zu. Keine festlichen Girlanden hingen über der bekränzten Türschwelle, (355) keine weiße Binde

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legitimaeque faces, gradibusque adclinis eburnis stat torus et picto vestes discriminat auro, turritaque premens frontem matrona corona translata vitat contingere limina planta; non timidum nuptae leviter tectura pudorem lutea demissos velarunt flammea voltus, balteus aut fluxos gemmis astrinxit amictus, colla monile decens umerisque haerentia primis suppara nudatos cingunt angusta lacertos. sicut erat, maesti servat lugubria cultus quoque modo natos hoc est amplexa maritum. obsita funerea celatur purpura lana, non soliti lusere sales, nec more Sabino excepit tristis convicia festa maritus. pignora nulla domus, nulli coiere propinqui: iunguntur taciti contentique auspice Bruto. ille nec horrificam sancto dimovit ab ore caesariem duroque admisit gaudia voltu (ut primum tolli feralia viderat arma, intonsos rigidam in frontem descendere canos passus erat maestamque genis increscere barbam: uni quippe vacat studiis odiisque carenti humanum lugere genus), nec foedera prisci sunt temptata tori: iusto quoque robur amori restitit. hi mores, haec duri inmota Catonis secta fuit, servare modum finemque tenere naturamque sequi patriaeque inpendere vitam nec sibi sed toti genitum se credere mundo. huic epulae vicisse famem, magnique penates summovisse hiemem tecto, pretiosaque vestis hirtam membra super Romani more Quiritis induxisse togam, Venerisque hic unicus usus, progenies: urbi pater est urbique maritus, iustitiae cultor, rigidi servator honesti, in commune bonus; nullosque Catonis in actus subrepsit partemque tulit sibi nata voluptas. interea trepido discedens agmine Magnus moenia Dardanii tenuit Campana coloni. haec placuit belli sedes, hinc summa moventem

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umwand die beiden Türpfosten. Die üblichen Fackeln, das Ehebett, unterstützt von Stufen aus Elfenbein, Decken, verziert mit Goldstickerei, eine Brautjungfer, den mit Türmen verzierten Kranz60 auf das Haupt gedrückt, trägt die Braut über die Türschwelle, damit sie es vermeidet, diese mit dem Fuß zu berühren – das alles gab es nicht. (360) Keine gelben Brautschleier, die die Schamröte der Braut zart bedecken sollen, verhüllten ihr gesenktes Gesicht, kein mit Edelsteinen verzierter Gürtel zog das wallende Gewand zusammen, keine anmutige Halskette zierte ihren Nacken, kein schmaler Schal, von den äußersten Enden der Schultern herabhängend, umschlang die nackten Arme. (365) So, wie sie war – sie behielt den düsteren Schmuck ihrer Trauerkleidung bei –, umarmte sie den Gatten so, wie sie ihre Kinder umarmt hätte. Bedeckt von trauerfarbener Wolle blieb der Purpur61 verborgen. Sie trieben nicht die üblichen Scherze, der ernste Ehemann bekam nicht nach sabinischer Sitte die zum Fest gehörenden Neckereien zu hören. (370) Keine Kinder des Hauses, keine Verwandten kamen zusammen. Schweigend schließen sie den Bund, zufrieden damit, dass Brutus ihr Trauzeuge war. Cato strich sich nicht die struppige Mähne aus seinem ehrwürdigen Antlitz, ließ kein Lächeln auf seinen ernsten Zügen aufkommen. Sobald er gesehen hatte, dass man zu den todbringenden Waffen griff, (375) ließ er zu, dass seine grauen Haare ungestutzt auf seine feste Stirn herab fielen und dass als Zeichen der Trauer ein Bart auf seinen Wangen sprosste. Ihm allein stand es zu, die ganze Menschheit zu betrauern, weil er frei war von Neigung und Hass – und er versuchte auch nicht, die alten Ehepflichten zu genießen, willensstark widerstand er auch der erlaubten ehelichen Liebe. (380) So war der Charakter, so das feste Lebensprinzip des strengen Cato: Maß halten, sein Ziel im Auge behalten, der Natur gehorchen62, sein Leben für das Vaterland opfern, daran glauben, dass man nicht für sich selbst, sondern für die ganze Welt da ist. Für ihn ist es schon ein Festmahl, bloß den Hunger besiegt zu haben, für ihn ist es schon ein großartiger Palast, mit einem bloßen Dach über dem Kopf den Winter von sich fernzuhalten, schon ein Prachtgewand, (385) bloß die kratzige Toga nach Art eines römischen Quiriten um seine Glieder zu legen, der einzige Sinn der Liebe, Nachkommen zu zeugen; für die Stadt ist er wie ein Vater, für die Stadt wie ein Ehemann; er ist ein Pfleger des Rechts, ein unbeugsamer Bewahrer des sittlich Guten, (390) für die Gemeinschaft ein hohes Gut. In keine seiner Handlungen schlich sich eigensüchtige Selbstsucht und nahm Teil daran. Inzwischen marschierte Magnus in Eilmärschen nach Süden und besetzte in Kampanien die Stadt der dardanischen Siedler63. Diese hielt er als Hauptquartier im Krieg für geeignet. Er beschloss, Capua zur Basis seines wichtigsten Feldzuges zu machen und von hier aus seine (395) Streitkräfte geordnet zu

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hostis in occursum sparsas extendere partis, umbrosis mediam qua collibus Appenninus erigit Italiam nulloque a vertice tellus altius intumuit propiusque accessit Olympo. mons inter geminas medius se porrigit undas inferni superique maris, collesque coercent hinc Tyrrhena vado frangentes aequora Pisae, illinc Dalmaticis obnoxia fluctibus Ancon. fontibus hic vastis inmensos concipit amnes fluminaque in gemini spargit divortia ponti (in laevum cecidere latus veloxque Metaurus Crustumiumque rapax et iuncto Sapis Isauro Senaque et Hadriacas qui verberat Aufidus undas; quoque magis nullum tellus se solvit in amnem Eridanus fractas devolvit in aequora silvas Hesperiamque exhaurit aquis. hunc fabula primum populea fluvium ripas umbrasse corona, cumque diem pronum transverso limite ducens succendit Phaethon flagrantibus aethera loris, gurgitibus raptis penitus tellure perusta, hunc habuisse pares Phoebeis ignibus undas. non minor hic Nilo, si non per plana iacentis Aegypti Libycas Nilus stagnaret harenas; non minor hic Histro, nisi quod, dum permeat orbem, Hister casuros in quaelibet aequora fontes accipit et Scythicas exit non solus in undas. dexteriora petens montis declivia Thybrim unda facit Rutubamque cavum. delabitur inde Vulturnusque celer nocturnaeque editor aurae Sarnus et umbrosae Liris per regna Maricae Vestinis inpulsus aquis radensque Salerni tesca Siler nullasque vado qui Macra moratus alnos vicinae procurrit in aequora Lunae). longior educto qua surgit in aera dorso, Gallica rura videt devexasque excipit Alpes. tunc Umbris Marsisque ferax domitusque Sabello vomere, piniferis amplexus rupibus omnis indigenas Latii populos, non deserit ante Hesperiam, quam cum Scyllaeis clauditur undis, extenditque suas in templa Lacinia rupes,

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verteilen und zu verbreiten, um den Feind zu treffen, wo der Apennin in Italien mit seinen schattenreichen Bergen sich aufrichtet. Die Erde türmt sich durch keinen Gipfel höher64 auf und kommt nirgendwo näher an den Olymp heran. Das Gebirge erstreckt sich mitten zwischen den doppelten Wogen (400) des unteren und des oberen Meeres65, und die Bergkette dämmt auf der einen Seite die tyrrhenischen Wogen, indem sie diese durch die Bucht bei Pisa brechen und im Osten bei Ancona, welches den dalmatinischen Fluten66 ausgesetzt ist. Aus gewaltigen Quellen lässt der Apennin mächtige Flüsse entlang der Wasserscheide strömen, die zu den zwei Meeren fließen. (405) Nach links67 stürzen sich der breite und flinke Metaurus68 und der Sapis69 zusammen mit dem Isaurus70 und dem Aufidus71, der die Wogen des Adriatischen Meeres peitscht; und von keinem Fluss wird mehr Erde in die Fluten gespült als vom Eridanus72, der in das Meer geborstene Wälder (410) wälzt und Italien mit seinen Wellen verschlingt. Von diesem erzählt die Legende, er habe als erster Fluss die Ufer mit einem Kranz von Pappeln umsäumt, und als Phaethon73 die Sonne nach unten lenkte auf einen verkehrten Weg und mit den brennenden Zügeln den Himmel in Brand setzte, habe dieser, nachdem alle Feuchtigkeit verschwunden war und die Erde verbrannt, (415) noch Wasser genug gehabt, um dem Feuer der Sonne gewachsen zu sein. Dieser Strom wäre nicht kleiner als der Nil, wenn dieser nicht über die Flächen des ebenen Ägypten den libyschen Sand überschwemmen würde, er wäre auch nicht kleiner als die Donau, wenn sie nicht noch Flüsse, die sonst in irgend einem Meer münden würden, auf ihrem Lauf durch den Erdkreis (420) aufnähme und so nicht allein in das Schwarze Meer mündet. Die Wasser, die ihren Weg durch die rechten74 Abhänge des Apennin suchen, bringen den Tiber hervor und den Rutuba75 in seiner tiefen Kluft. Von dort gleitet der Volturnus herab und der schnelle Sarnus76, der nächtliche Kühle bringt; und der Liris77, (425) angetrieben von den Vestinischen78 Wassern durch das Reich der Waldnymphe Marica79, und der Siler80, der die Einöde81 von Salerno bespült, und die Macra82, die auf ihrem seichten Gewässer keine Kähne duldet und in das Meer beim benachbarten Luna83 vorwärts strömt. Wo der Apennin spitz zuläuft und sich in den Himmel reckt, sieht er die Äcker Galliens und stößt an die Ausläufer der Alpen. (430) Von da an ist die Bergkette fruchtbar für die Umbrer84 und Marser85 und ist urbar gemacht durch die sabellische86 Pflugschar; mit seinen pinienbewachsenen Felsen umfängt sie die eingeborenen Völker von Latium87, und sie verlässt Hesperien88 nicht, bevor es mit den Fluten der Skylla89 abgeschlossen wird, und sie dehnt ihre Felsen aus bis zum Tempel der Juno Lacinia90.

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longior Italia, donec confinia pontus solveret incumbens terrasque repelleret aequor, at, postquam gemino tellus elisa profundo est, extremi colles Siculo cessere Peloro. Caesar in arma furens nullas nisi sanguine fuso gaudet habere vias, quod non terat hoste vacantis Hesperiae fines vacuosque inrumpat in agros atque ipsum non perdat iter consertaque bellis bella gerat. non tam portas intrare patentis quam fregisse iuvat, nec tam patiente colono arva premi quam si ferro populetur et igni. concessa pudet ire via civemque videri. tunc urbes Latii dubiae varioque favore ancipites, quamquam primo terrore ruentis cessurae belli, denso tamen aggere firmant moenia et abrupto circumdant undique vallo, saxorumque orbes et quae super eminus hostem tela petant altis murorum turribus aptant. pronior in Magnum populus, pugnatque minaci cum terrore fides, ut, cum mare possidet Auster flatibus horrisonis, hunc aequora tota secuntur, si rursus tellus pulsu laxata tridentis Aeolii tumidis inmittat fluctibus Eurum, quamvis icta novo, ventum tenuere priorem aequora, nubiferoque polus cum cesserit Euro vindicat unda Notum. facilis sed vertere mentes terror erat, dubiamque fidem fortuna ferebat. gens Etrusca fuga trepidi nudata Libonis, iusque sui pulso iam perdidit Vmbria Thermo. nec gerit auspiciis civilia bella paternis Caesaris audito conversus nomine Sulla. Varus, ut admotae pulsarunt Auximon alae, per diversa ruens neclecto moenia tergo, qua silvae, qua saxa, fugit. depellitur arce Lentulus Asculea; victor cedentibus instat devertitque acies, solusque ex agmine tanto dux fugit et nullas ducentia signa cohortes. tu quoque nudatam commissae deseris arcem, Scipio, Nuceriae, quamquam firmissima pubes

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(435) Der Bergzug war einst länger als das heutige Italien, bevor das einstürmende Meer den Isthmus durchtrennte und das Land zurückdrängte; aber nachdem das Festland von beiden Seiten durch das Meer durchbrochen war, waren die südlichsten Hügel des Apennin zum Pelorus91 in Sizilien geworden.92 Caesar, in rasender Kriegslüsternheit93, hatte nur seine Freude daran, seinen Weg durch Ströme von Blut zu bahnen. (440) Er betrat kein Gebiet Italiens ohne Feindberührung, brach in keine verlassenen Landstriche ein, freute sich, dass sein Marsch nicht vergeblich war, sondern Schlacht auf Schlacht ohne Unterbrechung folgte. Es behagte ihm weniger, durch offene Türen zu gehen als vielmehr in sie einzubrechen, weniger, (445) wenn sich die Landstriche ihm ergaben, als wenn er sie mit Feuer und Schwert verwüstete. Er schämte sich, einen erlaubten Weg zu gehen und als normaler Bürger wahrgenommen zu werden. Zu diesem Zeitpunkt zögerten die Städte Latiums und schwankten in wechselnder Gunst bald zu Caesar, bald zu Pompeius, und obgleich sie im ersten Schrecken den hereinstürzenden Krieg vermeiden wollten, (450) befestigten sie dennoch mit einem dichten Damm ihre Mauern, umgaben sie von allen Seiten mit steilen Palisaden, und sie legten auf den hohen Türmen der Mauern Steinkugeln und Wurfgeschosse bereit, welche von oben herab den Feind aus der Distanz treffen können. Das Volk war mehr dem Magnus zugeneigt, und die Zuneigung kämpfte gegen den drohenden Schrecken; wie wenn der Südwind das Meer beherrscht (455) mit seinen schaurig brausenden Stürmen und die Wellen ganz diesem gehorchen: wenn wiederum die Erde, geöffnet durch den Stoß des Dreizacks des Äolus94, den Südostwind auf die angeschwollenen Fluten schickt, das Meer, obgleich gepeitscht von dem neuen Wind, zu dem früheren Wind hält, und obwohl der Himmel dem regenbringenden Südost gewichen ist, (460) das Meer den Südwind noch wirken lässt. Aber der Schrecken ist erfinderisch, die Gesinnung der Menschen zu ändern, und das Schicksal brachte die Loyalität ins Wanken. Die Bevölkerung von Etrurien war schutzlos durch die überstürzte Flucht des Libo95, und Umbrien hatte schon durch die Vertreibung des Thermus96 seine Selbständigkeit eingebüßt. Und Sulla97 führte Bürgerkrieg nicht unter dem Glücksstern des Vaters, (465) er wandte sich zur Flucht, nachdem er nur den Namen Caesars vernommen hatte. Als die Reitergeschwader herangerückt waren und an die Pforten von Auximum98 pochten, stürzte Varus99 durch die Hintertür davon, da die Rückseite unbewacht war, und floh durch Wälder und Felsen. Lentulus100 wurde von der Burg von Asculum101 vertrieben; der Sieger blieb den Zurückweichenden auf den Fersen, (470) machte ihm seine Truppen abspenstig: Von der ganzen großen Streitmacht entkommen nur der General und die Feldzeichen, die keine Truppen mehr hinter sich haben. Du auch, Scipio102, lässt die Burg des dir anvertrauten Nuceria schutzlos zurück, obgleich sich eine bestens bewaffnete

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his sedeat castris, iam pridem Caesaris armis Parthorum seducta metu, qua Gallica damna supplevit Magnus, dumque ipse ad bella vocaret donavit socero Romani sanguinis usum. at te Corfini validis circumdata muris tecta tenent, pugnax Domiti; tua classica servat oppositus quondam polluto tiro Miloni. ut procul inmensam campo consurgere nubem ardentisque acies percussis sole corusco conspexit telis, ‘socii, decurrite’ dixit ‘fluminis ad ripas undaeque inmergite pontem. et tu montanis totus nunc fontibus exi atque omnis trahe, gurges, aquas, ut spumeus alnos discussa conpage feras. hoc limite bellum haereat, hac hostis lentus terat otia ripa. praecipitem cohibete ducem: victoria nobis hic primum stans Caesar erit.’ nec plura locutus devolvit rapidum nequiquam moenibus agmen. nam prior e campis ut conspicit amne soluto rumpi Caesar iter calida prolat ab ira ‘non satis est muris latebras quaesisse pavori? obstruitis campos fluviisque arcere paratis, ignavi? non, si tumido me gurgite Ganges summoveat, stabit iam flumine Caesar in ullo post Rubiconis aquas. equitum properate catervae, ite simul pedites, ruiturum ascendite pontem.’ haec ubi dicta, levis totas accepit habenas in campum sonipes, crebroque simillima nimbo trans ripam validi torserunt tela lacerti. ingreditur pulsa fluvium statione vacantem Caesar, et ad tutas hostis conpellitur arces. et iam moturas ingentia pondera turris erigit, et mediis subrepit vinea muris: ecce, nefas belli, reseratis agmina portis captivum traxere ducem, civisque superbi constitit ante pedes. voltu tamen alta minaci nobilitas recta ferrum cervice poposcit. scit Caesar poenamque peti veniamque timeri. ‘vive, licet nolis, et nostro munere’ dixit

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Mannschaft in diesem Lager aufhielt, die schon lange von den Truppen Caesars (475) abgezogen worden war aus Furcht vor den Parthern103. Diese hatte Magnus ihm als Ausgleich für die Verluste in Gallien geschickt. Er hatte seinem Schwiegervater diese Anleihe römischen Blutes gegeben, bis er selbst sie zum Kriege rief104. Du aber, kampfbereiter Domitius105, hattest das Kommando über die Stadt Corfinium106, die von starken Mauern umgeben war; unter deinem Kommando diente der Mann, (480) der einst als Rekrut sich dem verbrecherischen Milo107 entgegenstellte. Als er in der Ferne eine gewaltige Staubwolke sich vom Felde erheben sah und blitzende Schlachtreihen mit Speeren, die in der funkelnden Sonne geschwungen wurden, sagte er: »Kameraden, eilt hinab zu den Ufern des Flusses und versenkt die Brücke im Wasser. (485) Und du, reißender Bergbach, lass nun die Wassermassen auf einmal aus den Quellen hierher strömen, damit du schäumend die Holzkonstruktion auseinanderreißt und die Balken davon schwemmst. An dieser Grenze soll der Krieg gestoppt werden, an diesem Ufer soll der Feind, zur Untätigkeit verdammt, in Stellung gehen. Haltet hier den vorwärts stürmenden Anführer auf: Es wird schon ein Sieg für uns sein, (490) wenn Caesar hier zum ersten Mal stehen bleibt.« Ohne weitere Worte zu verlieren, führte er das Heer im Laufschritt von den Mauern herab, doch vergeblich. Denn Caesar hatte schon vorher erkannt, dass sein Vormarsch durch die freigegebenen Wassermassen gehindert würde. In heißem Zorn schrie er: »Ist es nicht genug, dass ihr hinter Mauern eure Angst versteckt habt? (495) Verbarrikadiert ihr auch noch die Ebene und wollt mich abwehren mit Hilfe von Flüssen, ihr Memmen? Nachdem Caesar einmal den Rubicon überschritten hat, wird er nun an keinem Strom stehen bleiben, auch nicht, wenn mich der Ganges mit geschwollenem Wirbel aufhalten wollte. Vorwärts marsch, ihr Reiterschwadrone, und auch ihr Fußsoldaten, stürmt vor und besetzt die Brücke, bevor sie auseinanderbricht.« (500) Nach diesen Worten sprengte die leichte Reiterei mit verhängten Zügeln ins Feld und kräftige Arme schleuderten die Speere wie einen dichten Platzregen über das Ufer. Nachdem der Wachtposten überrannt war, rückte Caesar an den unbesetzten Fluss vor und drängte die Feinde in ihre sichere Festung zurück. (505) Schon errichtete er Türme, die riesige Lasten schleudern konnten. Das Belagerungsgerüst bewegte sich langsam an die Mauern heran, die die Armeen trennten: Siehe da, welche Ausgeburt des Krieges, die Pforten wurden geöffnet und die Soldaten zerrten ihren Festungskommandanten als Gefangenen heraus. Er blieb stehen vor den Füßen des hochmütigen Bürgers108. Mit drohender Miene forderte (510) sein vornehmer Stand den Todesstreich und reckte den Nacken. Caesar wusste, dass die Strafe gewollt und Gnade gefürchtet war. Also sagte er: »Leb weiter, auch wenn du nicht willst. Ich schenke

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‘cerne diem. victis iam spes bona partibus esto exemplumque mei. vel, si libet, arma retempta, et nihil hac venia, si viceris, ipse paciscor.’ fatur et astrictis laxari vincula palmis imperat. heu, quanto melius vel caede peracta parcere Romano potuit fortuna pudori! poenarum extremum civi, quod castra secutus sit patriae Magnumque ducem totumque senatum, ignosci. premit ille gravis interritus iras, et secum ‘Romamne petes pacisque recessus degener? in medios belli non ire furores iam dudum moriture paras? rue certus et omnis lucis rumpe moras et Caesaris effuge munus.’ nescius interea capti ducis arma parabat Magnus, ut inmixto firmaret robore partis. iamque secuturo iussurus classica Phoebo temptandasque ratus moturi militis iras adloquitur tacitas veneranda voce cohortes. ‘o scelerum ultores melioraque signa secuti, o vere Romana manus, quibus arma senatus non privata dedit, votis deposcite pugnam, ardent Hesperii saevis populatibus agri, Gallica per gelidas rabies ecfunditur Alpes, iam tetigit sanguis pollutos Caesaris enses. di melius, belli tulimus quod damna priores: coeperit inde nefas, iam iam me praeside Roma supplicium poenamque petat. neque enim ista vocari proelia iusta decet, patriae sed vindicis iram; nec magis hoc bellum est, quam quom Catilina paravit arsuras in tecta faces sociusque furoris Lentulus exertique manus vaesana Cethegi. o rabies miseranda ducis! cum fata Camillis te, Caesar, magnisque velint miscere Metellis, ad Cinnas Mariosque venis. sternere profecto ut Catulo iacuit Lepidus, nostrasque securis passus Sicanio tegitur qui Carbo sepulchro, quique feros movit Sertorius exul Hiberos. quamquam, siqua fides, his te quoque iungere, Caesar, invideo nostrasque manus quod Roma furenti opposuit. Parthorum utinam post proelia sospes

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dir dein Leben. Du sollst die Hoffnung für deine Parteigänger sein, wenn sie besiegt sind, und ein Beispiel meiner Milde. Oder greif, wenn es dir beliebt, wieder zu den Waffen, und (515) ich selbst bedinge mir nichts aus an Gnade, falls du siegen solltest.« Nach diesen Worten befahl er, die Fesseln von den verschnürten Händen zu lösen. O, um wie viel besser hätte das Schicksal auf römisches Ehrgefühl Rücksicht nehmen können, wenn er hingerichtet worden wäre! Geschont zu werden war die denkbar größte Strafe für einen Bürger (520) dafür, dass er sich den Truppen der Heimat, dem Pompeius als Anführer und dem ganzen Senat angeschlossen hatte. Unerschrocken schluckte er den tiefen Groll und sagte bei sich: »Bist du so verkommen, dass du Rom um friedliche Entlassung bittest? Schickst du dich nicht an, mitten in die Kriegsgreuel zu stürzen, der du schon längst ein Todgeweihter bist? Geh ganz sicher zugrunde, (525) brich den Aufschub des Lebens ab und entfliehe Caesars Gnade!« Ohne zu wissen, dass sein General in Gefangenschaft geraten war, stellte Pompeius die Truppen auf, um mit vereinten Kräften die eigenen Reihen zu stärken. Schon am nächsten Tag wollte er zum Angriff blasen lassen und in der Absicht, den Kampfeswillen der Soldaten zu testen, bevor sie losmarschierten, (530) sprach er sie an mit Ehrfurcht gebietender Stimme, und die Kohorten schwiegen still: »Ihr Rächer der Freveltaten, die ihr den ehrenhafteren Feldzeichen folgt, ihr wahrhaft römische Schar, denen der Senat im offiziellen Auftrag die Waffen anvertraute, gelobt nun feierlich den Kampf. Italien brennt schrecklich verwüstet, (535) die gallische109 Tollwut ergießt sich über die eisigen Alpen. Schon hat Caesar die Schwerter mit Blut besudelt. Die Götter haben Besseres mit uns vor, dass wir als erste die Verluste des Krieges tragen. Haben die doch mit der Ruchlosigkeit angefangen, und jetzt soll Rom unter meiner Führung Strafgericht und Vollstreckung üben. Noch ziemt es sich nämlich nicht, (540) dies einen echten Krieg zu nennen, sondern Zorn des rächenden Vaterlandes. Noch ist es nichts anderes als das, was Catilina110 entfacht hat, als er Brandfackeln in die Häuser warf, und Lentulus, sein Genosse im Wahnsinn, und der zu allem entschlossene Haufen des Cethegus. Welch ein bedauernswerter Wahnsinn ihres Anführers. (545) Obwohl dich das Schicksal, Caesar, der Familie des Camillus111 und den großen Metellern112 zugesellen wollte, gehst du zu den Cinnas113 und zu Marius. Sicherlich wird es dich niederstrecken, wie Lepidus114 dem Catulus unterlag und wie Carbo115 meine Beile gespürt hat, den nun sein Grab in Sizilien bedeckt, und wie Sertorius116, der als Verbannter die wilden Iberer aufstachelte. (550) Ich vergleiche dich, Caesar, glaube mir, gleichwohl ungern mit jenen und bin nicht glücklich darüber, dass Rom meine Arme dir Rasendem entgegenstellt. Oh, wäre doch Crassus117 lebendig und als Sieger

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et Scythicis Crassus victor remeasset ab oris, ut simili causa caderes, quoi Spartacus, hosti. te quoque si superi titulis accedere nostris iusserunt, valet, en, torquendo dextera pilo, fervidus haec iterum circa praecordia sanguis incaluit; disces non esse ad bella fugaces qui pacem potuere pati. licet ille solutum defectumque vocet, ne vos mea terreat aetas: dux sit in his castris senior, dum miles in illis. quo potuit civem populus perducere liber ascendi, supraque nihil nisi regna reliqui. non privata cupis, Romana quisquis in urbe Pompeium transire paras. hinc consul uterque, hinc acies statura ducum est. Caesarne senatus victor erit? non tam caeco trahis omnia cursu teque nihil, Fortuna, pudet. multisne rebellis Gallia iam lustris aetasque inpensa labori dant animos? Rheni gelidis quod fugit ab undis Oceanumque vocans incerti stagna profundi territa quaesitis ostendit terga Britannis? an vanae tumuere minae quod fama furoris expulit armatam patriis e sedibus urbem? heu demens, non te fugiunt, me cuncta secuntur. qui cum signa tuli toto fulgentia ponto, ante bis exactum quam Cynthia conderet orbem, omne fretum metuens pelagi pirata reliquit angustaque domum terrarum in sede poposcit. idem per Scythici profugum divortia ponti indomitum regem Romanaque fata morantem ad mortem Sulla felicior ire coegi. pars mundi mihi nulla vacat, sed tota tenetur terra meis, quocumque iacet sub sole, tropaeis: hinc me victorem gelidas ad Phasidos undas Arctos habet, calida medius mihi cognitus axis Aegypto atque umbras nusquam flectente Syene, occasus mea iura timent Tethynque fugacem qui ferit Hesperius post omnia flumina Baetis, me domitus cognovit Arabs, me Marte feroces Heniochi notique erepto vellere Colchi, Cappadoces mea signa timent et dedita sacris

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nach der Schlacht gegen die Parther von den skythischen Küsten zurückgekehrt, damit du genauso ihm unterliegst wie Spartacus118! (555) Wenn aber die Götter befohlen haben, dass du zu meinen Erfolgen dazukommst, wohlan denn! Meine Rechte ist bereit, den Speer zu schleudern, das heiße Blut pulsiert wieder in dieser Brust. Du wirst lernen, dass die, die den Frieden zulassen konnten, im Krieg keine Feiglinge sind. Soll er mich doch (560) schlaff und verbraucht nennen, euch soll mein Alter nicht schrecken! Mag der Anführer in diesem Lager auch älter sein, so sind es doch die Soldaten bei ihm.119 Ich bin aufgestiegen, wohin das freie Volk einen Bürger erheben kann; darüber hinaus bleibt nichts als die Königswürde. Du bist kein Bürger mehr, wenn du mit allen Mitteln danach trachtest, in der Stadt Rom (565) Pompeius zu überholen. Bei mir werden beide Konsuln, bei mir eine Armee mit ordentlichen Offizieren sich aufstellen. Wird Caesar den Senat besiegen? Nein, in solch blinden Lauf wirst du, Schicksal, nicht alles treiben, du bist nicht so schamlos. Geben Gallien, das in zweimal fünf Jahren aufrührerisch war, und dass er eine Lebenszeit für die Unterwerfung brauchte, Caesar (570) diese Dreistigkeit? Oder weil er vor den kalten Wellen des Rheins floh und den Gewässern mit unsicherer Tiefe120 den Namen Ozean gab und erschrocken den Briten, die er doch eigentlich erobern wollte, den Rücken bot? Oder blähen sich deine leeren Drohungen nur auf, damit das Gerücht über dein Rasen die bewaffnete Stadt aus ihren väterlichen Häusern treibt? Welch ein Wahnsinn! Nicht vor dir flieht alles, mir folgt es. (575) Als ich die blinkenden Zeichen auf dem ganzen Meere trug, verließen die Piraten121, bevor Cynthia122 zweimal den Kreis ausfüllte und wieder verbarg, aus Furcht das ganze Meer und begehrten Heimstatt auf Land an kleinen Plätzen. Ebenso habe ich den unbeugsamen König123, der das Schicksal Roms hinauszögern wollte, als Flüchtling (580) durch die Meerenge des skythischen Pontus gejagt und glücklicher als Sulla zum Tode gezwungen. Kein Teil der Erde blieb mir verschlossen; die ganze Erde, unter welcher Sonne sie auch liegt, trägt meine Siegeszeichen: Der Norden kennt mich als Sieger an den kalten Fluten des Phasis. (585) Die südliche Achse ist mir bekannt in Ägypten durch das heiße Syene, das niemals die Schatten verändert. Der Westen fürchtet meine Macht und der spanische Baetis124, der südlich von allen Flüssen bei Ebbe in das Meer stößt. Der gezähmte Araber hat mich kennen gelernt, und die im (590) Krieg wilden Heniochen und Kolcher125, die berühmt sind, weil sie das Vließ gestohlen haben. Die Kappadoken fürchten meine Feldzeichen und Judaea,

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incerti Iudaea dei mollisque Sophene, Armenios Cilicasque feros Taurumque subegi: quod socero bellum praeter civile reliqui?’ verba ducis nullo partes clamore secuntur nec matura petunt promissae classica pugnae. sensit et ipse metum Magnus, placuitque referri signa nec in tantae discrimina mittere pugnae iam victum fama non visi Caesaris agmen. pulsus ut armentis primo certamine taurus silvarum secreta petit vacuosque per agros exul in adversis explorat cornua truncis nec redit in pastus, nisi cum cervice recepta excussi placuere tori, mox reddita victor quoslibet in saltus comitantibus agmina tauris invito pastore trahit, sic viribus inpar tradidit Hesperiam profugusque per Apula rura Brundisii tutas concessit Magnus in arces. urbs est Dictaeis olim possessa colonis, quos Creta profugos vexere per aequora puppes Cecropiae victum mentitis Thesea velis. hinc latus angustum iam se cogentis in artum Hesperiae tenuem producit in aequora linguam, Hadriacas flexis claudit quae cornibus undas. nec tamen hoc artis inmissum faucibus aequor portus erat, si non violentos insula Coros exciperet saxis lassasque refunderet undas. hinc illinc montes scopulosae rupis aperto opposuit natura mari flatusque removit, ut tremulo starent contentae fune carinae. hinc late patet omne fretum, seu vela ferantur in portus, Corcyra, tuos, seu laeva petatur Illyris Ionias vergens Epidamnos in undas. hoc fuga nautarum, cum totas Hadria vires movit et in nubes abiere Ceraunia cumque spumoso Calaber perfunditur aequore Sason. ergo, ubi nulla fides rebus post terga relictis nec licet ad duros Martem convertere Hiberos, cum mediae iaceant inmensis tractibus Alpes, tum subole e tanta natum cui firmior aetas adfatur. ‘mundi iubeo temptare recessus:

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das den Heiligtümern eines unbekannten Gottes huldigt, und das weichliche Sophene126. Die Armenier, die Kilikier und den Taurus habe ich unterworfen. (595) Welchen Krieg habe ich meinem Schwiegervater übrig gelassen außer einem Bürgerkrieg?« Auf die Worte des Anführers folgt kein Beifall seiner Anhänger, und sie verlangen nicht sofort das Signal zur versprochenen Schlacht. Auch Pompeius selbst verspürte Furcht; es erschien ihm besser, sich zurückzuziehen und ein Heer nicht in eine so große Entscheidungsschlacht zu führen, (600) das sich durch ein bloßes Gerücht, noch bevor Caesar in Sicht kam, schon besiegt fühlte. Wie ein Stier, der in seinem ersten Kampf aus der Herde verjagt wurde, abgelegene Waldstücke aufsucht und – aus der Herde vertrieben – in herrenlosen Gegenden seine Hörner gegen Baumstümpfe erprobt und nicht eher auf die Weide zurückkehrt, bis sein Nacken sich wieder erholt hat (605) und ihm seine strammen Muskelpakete gefallen; dann kehrt er siegreich zurück und führt die zurück gewonnene Herde gegen den Willen des Hirten in Weidegebiete ganz nach seinem Belieben – und die übrigen Stiere folgen ihm: So gab Pompeius der Große, weil er an Streitkräften unterlegen war, Hesperien auf, flüchtete durch Apuliens Ländereien und zog sich hinter die sicheren Mauern von Brundisium zurück. (610) Einst bewohnten Siedler aus Dikte127 diese Stadt, die kekropische Schiffe128 aus Kreta hierherbrachten, als die Segel fälschlich meldeten, Theseus sei besiegt worden129. Von hier aus schiebt das spitz zulaufende Süditalien eine schmale Landzunge ins Meer hinaus (615) und umschließt die Fluten der Adria mit zwei gebogenen Spitzen. Und dennoch würde das durch die Engstelle hineinflutende Meer keinen Hafen ermöglichen, würde nicht eine Insel mit ihren Felsen die wütenden Nordwestwinde auffangen und die Wogen gebrochen zurückfluten lassen. Auf beiden Seiten hat die Natur dem offenen Meer zerklüftete Bergfelsen entgegengestellt (620) und die Winde dadurch abgeschirmt, sodass die Schiffe hier ruhig an bebenden Tauen liegen. Von hier dehnt sich das offene Meer weithin aus, sei es dass die Schiffe Kurs nehmen auf deine Häfen, Korkyra130, oder nach links auf das illyrische Epidamnos131, das schon zum Ionischen Meer hin liegt. (625) Hierhin nehmen die Seeleute ihre Zuflucht, wenn die Adria alle ihre Kräfte entfesselt hat, wenn das keraunische Gebirge132 in Wolken verschwindet und Saso133 vor Kalabrien von schäumenden Brechern überspült wird. Da Pompeius den eben geräumten Gebieten nicht vertraute, und es auch nicht möglich war, den Krieg in das Land der harten Iberer zu tragen, (630) weil dazwischen die Alpen mit ihren unermesslichen Bergketten liegen, sprach er zum älteren seiner Söhne134: »Ich befehle dir, die abgelegensten Winkel der

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Euphraten Nilumque move, quo nominis usque nostri fama venit, quas est volgata per urbes post me Roma ducem. sparsos per rura colonos redde mari Cilicas; Pharios hinc concute reges Tigranemque meum; nec Pharnacis arma relinquas admoneo nec tu populos utraque vagantis Armenia Pontique feras per litora gentis Riphaeasque manus et quas tenet aequore denso pigra palus Scythici patiens Maeotia plaustri et—quid plura moror? totos mea, nate, per ortus bella feres totoque urbes agitabis in orbe perdomitas; omnes redeant in castra triumphi. at vos, qui Latios signatis nomine fastos, primus in Epirum Boreas agat; inde per arva Graiorum Macetumque novas adquirite vires dum paci dat tempus hiemps.’ sic fatur, et omnes iussa gerunt solvuntque cavas a litore puppes. at numquam patiens pacis longaeque quietis armorum, nequid fatis mutare liceret, adsequitur generique premit vestigia Caesar. sufficerent aliis primo tot moenia cursu rapta, tot oppressae depulsis hostibus arces, ipsa, caput mundi, bellorum maxima merces, Roma capi facilis; sed Caesar in omnia praeceps, nil actum credens cum quid superesset agendum, instat atrox et adhuc, quamvis possederit omnem Italiam, extremo sedeat quod litore Magnus, communem tamen esse dolet; nec rursus aperto vult hostes errare freto, sed molibus undas obstruit et latum deiectis rupibus aequor. cedit in inmensum cassus labor; omnia pontus haurit saxa vorax montesque inmiscet harenis, ut, maris Aeolii medias si celsus in undas depellatur Eryx, nullae tamen aequore rupes emineant, vel si convolso vertice Gaurus decidat in fundum penitus stagnantis Averni.

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Erde auszuforschen. Bringe die Menschen an Euphrat und Nil in Bewegung, wohin auch immer der Ruhm meines Namens gelangt ist, die Städte, in denen Rom (635) durch mich als Anführer populär geworden ist. Bringe die über das Hinterland verstreuten kilikischen Siedler wieder zurück ans Meer, rüttle die pharischen135 Könige auf und auch meinen Tigranes136; vergiss auch nicht die Waffen des Pharnakes137, rate ich dir, und auch nicht die Völker, die als Nomaden durch die beiden Teile Armeniens streifen, und die wilden Völkerstämme an den Gestaden des Schwarzen Meeres, (640) die riphaeischen138 Horden und die, die am trägen maeotischen Sumpfsee139 leben, der skythische Lastkarren trägt, wenn er zugefroren ist, und – aber was halte ich dich noch länger auf? Du wirst, mein Junge, durch den ganzen Osten meine Kriege tragen, auf dem ganzen Erdkreis wirst du die bezwungenen Städte aufhetzen. Alle, über die ich triumphiert habe, sollen in mein Lager kommen. (645) Euch aber, die ihr mit euren Namen den römischen Kalender ziert140, soll der erste Nordwind nach Epirus bringen; dann sammelt in den Gebieten der Griechen und Makedonen neue Streitkräfte, solange der Winter noch Zeit für den Frieden lässt.« So sprach er, alle führten seine Befehle aus und lösten ihre bauchigen Schiffe vom Ufer. (650) Doch Caesar, der niemals Frieden und längere Waffenruhe ertragen konnte, rückte, damit es dem Schicksal nicht möglich war, etwas zu ändern, dicht auf und folgte seinem Schwiegersohn auf dem Fuß. Anderen hätte es genügt, so viele Städte beim ersten Ansturm schon erobert zu haben, so viele Festungen nach Vertreiben der Feinde vernichtet zu haben, (655) Rom selbst, die Hauptstadt der Welt, den wichtigsten Kampfpreis im Krieg, mit Leichtigkeit einzunehmen; aber Caesar – in allem eine Länge voraus – meinte, nichts sei erledigt, wenn noch etwas zu erledigen übrig sei; er rückte unerbittlich vor, und obwohl er bis zu diesem Zeitpunkt schon ganz Italien in der Hand hatte, Magnus dagegen am äußersten Rand der Küste saß, (660) ärgerte er sich darüber, dass er es immer noch mit ihm teilte. Andererseits wollte er nicht, dass seine Gegner Zugang zu der offenen See hatten, sondern er sperrte die Wellen und das offene Meer durch Dämme ab und ließ Felsbrocken versenken. Die erfolglose Anstrengung erreichte ein riesiges Ausmaß; das gefräßige Meer verschlang alle Felsbrocken und ließ sie haufenweise im Sand versinken: (665) Wie wenn der hochragende Eryx141 mitten in die Wellen des aeolischen Meeres geworfen würde oder wie wenn der Gaurus142 nach Herausreißen des Gipfels in den Grund des Avernersees fiele, der weithin über die Ufer träte – und dennoch keine Klippe über die Wasserfläche herausragen würde.

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ergo, ubi nulla vado tenuit sua pondera moles, tunc placuit caesis innectere vincula silvis roboraque inmensis late religare catenis. talis fama canit tumidum super aequora Persen construxisse vias, multum cum pontibus ausus Europamque Asiae Sestonque admovit Abydo incessitque fretum rapidi super Hellesponti, non Eurum Zephyrumque timens, cum vela ratisque in medium deferret Athon. sic ora profundi artantur casu nemorum; tunc aggere multo surgit opus longaeque tremunt super aequora turres. Pompeius tellure nova conpressa profundi ora videns curis animum mordacibus angit, ut reseret pelagus spargatque per aequora bellum. saepe Noto plenae tensisque rudentibus actae ipsa maris per claustra rates fastigia molis discussere salo spatiumque dedere carinis tortaque per tenebras validis ballista lacertis multifidas iaculata faces. ut tempora tandem furtivae placuere fugae, ne litora clamor nauticus exagitet neu bucina dividat horas neu tuba praemonitos perducat ad aequora nautas praecepit sociis. iam coeperat ultima Virgo Phoebum laturas ortu praecedere Chelas, cum tacitas solvere rates. non anchora voces movit, dum spissis avellitur uncus harenis; dum iuga curvantur mali dumque ardua pinus erigitur, pavidi classis siluere magistri, strictaque pendentes deducunt carbasa nautae nec quatiunt validos, ne sibilet aura, rudentes. dux etiam votis hoc te, Fortuna, precatur, quam retinere vetas, liceat sibi perdere saltem Italiam. vix fata sinunt; nam murmure vasto inpulsum rostris sonuit mare, fluctuat unda, totque carinarum permixtis aequora sulcis

ergo hostes portis, quas omnis solverat urbis cum fato conversa fides, murisque recepti praecipiti cursu flexi per cornua portus

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Als folglich kein Damm im seichten Küstengewässer stehen blieb, (670) da beschloss er, ganze Wälder zu fällen, damit eine Sperre zu errichten und die Stämme durch endlose Ketten miteinander zu verbinden. Solch einen Weg, erzählt die Sage, soll der Perser über die wogende See gebaut haben143, als voll Wagemut er durch Brücken Europa mit Asien und Sestos mit Abydos verband (675) und über die Meerenge des reißenden Hellespont zu Fuß marschierte; er brauchte den Südostwind und den Westwind nicht zu fürchten, als er seine Segelschiffe mitten durch den Athos144 brachte. So wurde die Ausfahrt zur offenen See durch die Vernichtung ganzer Wälder verengt; darauf erhob sich mit viel Dammerde ein Befestigungswerk, und hohe Türme schwankten über der Wasserfläche. (680) Als Pompeius sah, dass durch das künstliche Erdreich die Ausfahrt aufs Meer eingeengt war, quälte ihn nagende Sorge, wie er den Zugang zum Meer entriegeln und den Krieg über die See ausbreiten könnte. Häufig schmetterten seine Schiffe, die vom Notus145 mit vollen Segeln und strammen Tauen direkt durch die Meeressperren getrieben wurden, die Enden des Dammes ins Wasser (685) und schufen so Raum für die Schiffe. Häufig schleuderte eine von starken Armen gespannte Wurfmaschine vielfach gespaltene Fackeln durchs Dunkel. Sobald er schließlich den Zeitpunkt für eine heimliche Flucht geeignet fand, befahl er seinem Gefolge, dass kein Seemannsgeschrei die Küste alarmieren solle, dass kein Trompetensignal die Stunden angeben solle, (690) dass kein Hornsignal die schon vorher instruierten Matrosen zum Meer rufen solle. Schon hatte der letzte Teil der Jungfrau angefangen, im Aufgang voranzugehen der Waage, die den Phoebus146 mit sich bringen würde, als sie in aller Stille die Schiffe vom Ufer lösten. Der Anker bot keinen Anlass zu einem Zuruf, während sein Haken aus dem zähen Sand herausgerissen wurde. (695) Während sich die Rahen am Mastbaum krümmten und der hochragende Fichtenstamm aufgerichtet wurde, schwiegen die Schiffsführer ängstlich. Und die Seeleute entrollten hoch oben in der Luft die Segel nach unten, ohne dass sie das starke Tauwerk bewegten, damit sie nicht im Wind flatterten. Der Führer betete sogar mit Gelübden zu dir, Fortuna147, (700) es möge ihm wenigstens erlaubt sein, Italien zu verlassen, das du ihn nicht behaupten lässt. Kaum erlaubte ihm dies das Geschick; denn das Meer, von Schiffsschnäbeln durchschnitten, ertönte in einem gewaltigen Dröhnen, die Wellen wogten hin und her, und die Fluten, durch so viele durcheinandergemischte Furchen der Kiele aufgewühlt, begannen zu sieden und schlugen dumpf dröhnend an die Küste148. Also wurden die Feinde durch die Tore, die alle eine zugleich (705) mit dem Schicksal gewandelte Loyalität der Stadt geöffnet hatte, in den Mauern aufgenommen, und sie eilten in rasendem Lauf über die Piers des gekrümmten

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ora petunt pelagusque dolent contingere classi. heu pudor, exigua est fugiens victoria Magnus. angustus puppes mittebat in aequora limes artior Euboica, qua Chalcida verberat, unda. hic haesere rates geminae, classique paratae excepere manus, tractoque in litora bello hic primum rubuit civili sanguine Nereus, cetera classis abit summis spoliata carinis: ut, Pagasaea ratis peteret cum Phasidos undas, Cyaneas tellus emisit in aequora cautes; rapta puppe minor subducta est montibus Argo vanaque percussit pontum Symplegas inanem et statura redit. iam Phoebum urguere monebat non idem Eoi color aetheris, albaque nondum lux rubet et flammas propioribus eripit astris, et iam Plias hebet, flexi iam plaustra Bootae in faciem puri redeunt languentia caeli, maioresque latent stellae, calidumque refugit Lucifer ipse diem. pelagus iam, Magne, tenebas non ea fata ferens quae cum super aequora toto praedonem sequerere mari: lassata triumphis descivit Fortuna tuis. cum coniuge pulsus et natis totosque trahens in bella penates vadis adhuc ingens populis comitantibus exul. quaeritur indignae sedes longinqua ruinae. non quia te superi patrio privare sepulchro maluerint Phariae busto damnantur harenae: parcitur Hesperiae. procul hoc et in orbe remoto abscondat Fortuna nefas, Romanaque tellus inmaculata sui servetur sanguine Magni.

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Hafens vorwärts zur Öffnung ins Meer, und sie erkannten zu ihrem Leidwesen, dass der Flotte der Weg auf das Meer geglückt war. Was für eine Schamlosigkeit, dass ein flüchtender Magnus149 für sie als Sieg zu gering war! Ein enger Gang ließ die Schiffe in das Meer, (710) enger als das Wasser von Euböa150 , das an Chalkis151 brandet. Hier blieben zwei Schiffe hängen, und die Soldaten, die auf die Flotte lauerten, griffen sie auf, und nachdem so der Krieg an die Küste gezogen war, wurde der Nerus152 zum ersten Male rot von Bürgerblut. Die restliche Flotte entkam, der letzten Schiffe beraubt: (715) So war es, als das Schiff von Pagasae153 nach dem Fluss Phasis154 segelte und die Erde die Cyanischen155 Felsen in das Meer schickte; zwar wurde das Heck weggerissen, aber die Argo kam – wenn auch verkürzt – unter den Felsen durch, und die Symplegaden schlugen vergeblich im leeren Meer zusammen, und von da an blieben sie fest stehen. (720) Schon mahnt die sich wandelnde Farbe des östlichen156 Himmels, dass sich die Sonne erheben werde, und das blasse Licht rötet sich und entreißt den näheren Sternen ihr Licht, und schon wird der Glanz der Pleiaden157 stumpf, und der Wagen des kreisenden Bootes158 kehrt erbleichend zurück in das Antlitz des reinen Himmels, und auch die größeren Sterne werden unsichtbar, (725) und selbst Lucifer159 zieht sich vor dem heißen Tag zurück. Schon hast du, Magnus, das offene Meer erreicht, allerdings nicht mit dem Erfolg, der dir zuteil wurde, als du über die Fluten im ganzen Meer die Seeräuber verfolgtest: Fortuna verließ dich, deiner Triumphe müde. Mit der Gattin und den Kindern vertrieben, führst du die Penaten160 in den Krieg mit, (730) und noch gewaltig in der Verbannung ziehst du dahin, mit Völkern in deinem Gefolge. Es wird ein Platz gesucht, der weit entfernt ist, für deinen unverdienten Untergang. Nicht weil die Götter es vorzogen, dich eines Grabes in väterlicher Erde zu berauben, wird der Sand Ägyptens zu deinem Grab bestimmt; vielmehr wird damit Italien geschont: Weit weg und in diesem abgelegenen Teil des Erdkreises (735) verbirgt Fortuna das Unrecht, und die römische Erde bleibt von dem Blute des Magnus unbefleckt.

LIBER III Propulit ut classem velis cedentibus Auster incumbens mediumque rates movere profundum, omnis in Ionios spectabat navita fluctus: solus ab Hesperia non flexit lumina terra Magnus, dum patrios portus, dum litora numquam ad visus reditura suos tectumque cacumen nubibus et dubios cernit vanescere montis. inde soporifero cesserunt languida somno membra ducis; diri tum plena horroris imago visa caput maestum per hiantis Iulia terras tollere et accenso furialis stare sepulchro. ‘sedibus Elysiis campoque expulsa piorum ad Stygias’ inquit ‘tenebras manesque nocentis post bellum civile trahor. vidi ipsa tenentis Eumenidas quaterent quas vestris lampadas armis; praeparat innumeras puppes Acherontis adusti portitor; in multas laxantur Tartara poenas; vix operi cunctae dextra properante sorores sufficiunt, lassant rumpentis stamina Parcas. coniuge me laetos duxisti, Magne, triumphos: fortuna est mutata toris, semperque potentis detrahere in cladem fato damnata maritos innupsit tepido paelex Cornelia busto. haereat illa tuis per bella per aequora signis, dum non securos liceat mihi rumpere somnos et nullum vestro vacuum sit tempus amori sed teneat Caesarque dies et Iulia noctes. me non Lethaeae, coniunx, oblivia ripae inmemorem fecere tui, regesque silentum permisere sequi. veniam te bella gerente in medias acies. numquam tibi, Magne, per umbras perque meos manes genero non esse licebit; abscidis frustra ferro tua pignora: bellum te faciet civile meum.’ sic fata refugit umbra per amplexus trepidi dilapsa mariti. ille, dei quamvis cladem manesque minentur, maior in arma ruit certa cum mente malorum,

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Buch 3 Als der Südwind die Flotte mit geblähten Segeln voran stieß und die Schiffe auf die offene See hinaustrieb, blickte jeder Seemann auf das Ionische Meer: Magnus allein wandte seine Augen nicht ab von Italien, (5) bis die Häfen seines Vaterlandes, die Küste, die er niemals wiedersehen sollte, und die von Wolken bedeckten Gipfel und Berge unscharf wurden und aus seinem Blickfeld verschwanden. Dann übermannte die erschöpften Glieder des Anführers ein tiefer Schlaf. Im Traum erschien ihm Julia1, ein Abbild voll drohenden Schreckens (10), sie schien ihr grausiges Haupt aus der klaffenden Erde emporzuheben und rasend auf dem brennenden Scheiterhaufen zu stehen. Sie kreischte: »Vertrieben aus dem elysischen2 Wohnsitz und dem Felde der Frommen, zieht es mich, da nun der Bürgerkrieg begonnen hat, in die stygische3 Finsternis und zu den schuldigen Seelen. Dort sah ich selbst die Eumeniden4, und in den Händen hielten sie (15) Fackeln, welche sie schwangen, um euern Streit anzufachen; der Fährmann des flammenden Acheron5 bereitet unzählige Boote vor; der Tartarus6 wird für vielerlei Strafen weiter ausgebaut. Die drei Schwestern7 werden trotz eifriger Hand mit ihrer Arbeit kaum fertig, die Schicksalsfäden ermüden die Parzen, die sie durchreißen. Magnus, (20) als ich deine Gattin war, hast du großartige Triumphe gefeiert, dein Schicksal hat sich gewandelt mit dem Ehebett; meine Rivalin, Cornelia8, durch das Schicksal dazu verurteilt, immer ihre mächtigen Ehegatten in die Katastrophe zu ziehen, ersetzte mich, ehe noch mein Scheiterhaufen kalt geworden war. Möge sie doch dir in deine Kriege und auf das Meer folgen, (25) wenn es mir nur erlaubt ist, deinen unsicheren Schlaf zu stören und euch keine Zeit für die Liebe zu lassen. Caesar beherrsche die Tage und Julia die Nächte! Mich, o mein Gatte, haben die Vergessenheitsgestade des Lethe9 dich nicht vergessen lassen, und die Könige der Toten (30) erlauben mir, dich zu verfolgen. Wenn du Krieg führst, werde ich mitten in das Treffen kommen. Immer wird mein Schatten, werden meine Manen dich dazu zwingen, der Schwiegersohn Caesars zu sein; vergeblich zerschneidest du mit dem Schwert das Liebespfand: Der Bürgerkrieg wird dich mir zu eigen machen10.« Mit diesen Worten entglitt der Schatten der Umarmung des zitternden Gatten. (35) Obgleich ihm die Götter und die Toten den Untergang androhten, stürzte er sich trotz des klaren Bewusstseins um das drohende Übel umso eifriger in den Krieg und sagte:

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et ‘quid’ ait ‘vani terremur imagine visus? aut nihil est sensus animis a morte relictum aut mors ipsa nihil.’ Titan iam pronus in undas ibat et igniferi tantum demerserat orbis quantum desse solet lunae, seu plena futura est seu iam plena fuit: tunc obtulit hospita tellus puppibus accessus faciles; legere rudentes et posito remis petierunt litora malo. Caesar, ut emissas venti rapuere carinas, absconditque fretum classes, et litore solus dux stetit Hesperio, non illum gloria pulsi laetificat Magni: queritur quod tuta per aequor terga ferant hostes. neque enim iam sufficit ulla praecipiti fortuna viro, nec vincere tanti, ut bellum differret, erat. tum pectore curas expulit armorum pacique intentus agebat quoque modo vanos populi conciret amores, gnarus et irarum causas et summa favoris annona momenta trahi. namque adserit urbes sola fames, emiturque metus, cum segne potentes volgus alunt: nescit plebes ieiuna timere. Curio Sicanias transcendere iussus in urbes, qua mare tellurem subitis aut obruit undis aut scidit, et medias fecit sibi litora terras: vis illic ingens pelagi, semperque laborant aequora ne rupti repetant confinia montes. bellaque Sardoas etiam sparguntur in oras. utraque frugiferis est insula nobilis arvis, nec prius Hesperiam longinquis messibus ullae nec Romana magis conplerunt horrea terrae. ubere vix glaebae superat, cessantibus Austris cum medium nubes Borea cogente sub axem effusis magnum Libye tulit imbribus annum. haec ubi sunt provisa duci, tunc agmina victor non armata trahens sed pacis habentia voltum tecta petit patriae. pro, si remeasset in urbem Gallorum tantum populis Arctoque subacta, quam seriem rerum longa praemittere pompa, quas potuit belli facies! ut vincula Rheno Oceanoque daret, celsos ut Gallia currus

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»Warum lassen wir uns schrecken durch die Erscheinung eines leeren Trugbildes? Entweder lässt der Tod den Seelen keine Empfindung (40) oder der Tod selbst ist nichts.«11 Titan12 tauchte schon in das Meer ein und hatte so viel seiner Feuer tragenden Scheibe verschwinden lassen, wie dem Monde zu fehlen pflegt, wenn er fast voll ist oder wenn er schon voll war: da gewährte die gastfreundliche Erde den Schiffen leichten Zugang; (45) sie holten das Tauwerk ein, legten den Mastbaum nieder und ruderten zur Küste. Als die Winde Caesar die entkommenen Schiffe geraubt hatten und das Meer sie ihm unsichtbar gemacht hatte, hatte er allein die Küste Italiens unter Kontrolle. Der Sieg über den vertriebenen Magnus erfreute ihn jedoch nicht: Er beklagte sich eher, dass die Feinde unbehelligt (50) über das Meer fliehen konnten. Kein Erfolg nämlich genügte nunmehr dem ungestümen Tatmenschen, und zu siegen war ihm nicht so viel wert, dass er dem Krieg eine Verschnaufpause gönnte13. Sodann schob er die Sorgen um die weitere Kriegsführung erst einmal bei Seite und beschäftigte sich zunächst angestrengt mit den Aufgaben des Friedens und mit dem Problem, auf welche Weise er die schwankende Gunst des Volkes gewinnen könne, (55) wohl wissend, dass der Getreidepreis von höchster Bedeutung sowohl für Hass wie auch Zuneigung ist. Denn Hunger allein macht Städte frei, und Respekt erkaufen sich die Machthaber, wenn sie das träge Volk ernähren: ein hungriges Volk ist unfähig zur Furcht. Curio erhielt den Befehl, nach den Städten Siziliens überzusetzen, (60) wo das Meer mit Wellen plötzlich das Land überschüttet oder abschneidet und Binnenland zur Küste umwandelt. Die Kraft des Wassers ist dort so ungeheuer, dass die Fluten ständig die auseinander gerissenen Berge daran hindern, sich wieder zu vereinen. Kriegerische Auseinandersetzungen werden auch an den Küsten Sardiniens ausgetragen.14 (65) Beide Inseln sind berühmt wegen ihrer ertragreichen Fluren. Keine anderen Länder haben Italien und die Getreidespeicher Roms mehr mit ausländischen Ernten gefüllt. An Fruchtbarkeit der Scholle übertrifft sie kaum Libyen, auch wenn die Südwinde ausbleiben und der Nordwind Wolken in die südlichen Gegenden treibt, (70) mit reichlichem Regen überschüttet und Libyen große Ernte hervorbringt. Als er dies alles vorsorglich in die Wege geleitet hatte, führte der siegreiche Feldherr dann die Truppen ohne Waffen, sondern unter dem Anschein des Friedens15, in seine Vaterstadt. Ach, wenn er in die Stadt zurückgekehrt wäre und hätte nur den Norden und die Völker Galliens unterworfen, (75) welche Reihe von Beutestücken, welche Szenen des Krieges hätte er in einem langen Siegeszug vorführen können! Dass er dem Rhein und dem Ozean Fesseln anlegte, dass das vornehme Gallien den hohen Wagen folgte

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nobilis et flavis sequeretur mixta Britannis. perdidit o qualem vincendo plura triumphum! non illum laetis vadentem coetibus urbes sed tacitae videre metu, nec constitit usquam obvia turba duci. gaudet tamen esse timori tam magno populis et se non mallet amari. iamque et praecipitis superaverat Anxuris arces, et qua Pomptinas via dividit uda paludes, qua sublime nemus, Scythicae qua regna Dianae, quaque iter est Latiis ad summam fascibus Albam; excelsa de rupe procul iam conspicit urbem Arctoi toto non visam tempore belli miratusque suae sic fatur moenia Romae: ‚tene, deum sedes, non ullo Marte coacti deseruere viri? pro qua pugnabitur urbe? di melius, quod non Latias Eous in oras nunc furor incubuit nec iuncto Sarmata velox Pannonio Dacisque Getes admixtus: habenti tam pavidum tibi, Roma, ducem fortuna pepercit, quod bellum civile fuit.‘ sic fatur et urbem attonitam terrore subit. namque ignibus atris creditur, ut captae, rapturus moenia Romae sparsurusque deos. fuit haec mensura timoris: velle putant quodcumque potest. non omina festa, non fictas laeto voces simulare tumultu, vix odisse vacat. Phoebea Palatia conplet turba patrum nullo cogendi iure senatus e latebris educta suis; non consule sacrae fulserunt sedes, non, proxima lege potestas, praetor adest, vacuaeque loco cessere curules. omnia Caesar erat: privatae curia vocis testis adest. sedere patres censere parati, si regnum, si templa sibi iugulumque senatus exiliumque petat. melius, quod plura iubere erubuit quam Roma pati. tamen exit in iram, viribus an possint obsistere iura, per unum Libertas experta virum; pugnaxque Metellus, ut videt ingenti Saturnia templa revelli mole, rapit gressus et Caesaris agmina rumpens ante fores nondum reseratae constitit aedis

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und die blonden Britannier! O welchen Triumph hat er verspielt, indem er mehr16 besiegte! (80) Die Städte empfingen ihn auf seinem Marsch nicht mit fröhlichem Gedränge, sondern gafften nur stumm vor Furcht. Nirgends eilte dem Anführer eine Menge entgegen. Ihn erfüllte es mit Genugtuung, dass er den Volksmassen Furcht einflößte, und er zog es gar nicht vor, von ihnen geliebt zu werden. Schon hatte er die Burg am Steilhang von Anxur17 hinter sich gelassen und (85) den Punkt, wo die feuchte Straße die pontinischen Sümpfe18 teilt, und den hoch gelegenen Hain, die Kultstätte der skythischen Diana, und die Stelle, wo der Weg der Konsuln19 zu den Albaner Bergen führt. Von hoch ragendem Felsen erblickte er schon in der Ferne die Stadt. Bewundernd betrachtete er die Stadt, die er seit dem Krieg im Norden nicht mehr gesehen hatte, und (90) sprach zu den Mauern seiner Vaterstadt Rom: »Haben dich, Wohnsitz der Götter, die Männer verlassen, obwohl sie kein Krieg dazu zwingt? Für welche Stadt wird man noch kämpfen? Dank sei den Göttern, dass nicht die vereinte Kriegswut des Ostens, Sarmatiens20 und Pannoniens21, der Daker22 und Geten23, die Küsten Latiums heimsucht! (95) Das Schicksal hat dich, Rom, geschont trotz eines Feiglings als Führer, weil nur Bürgerkrieg ist.« Mit diesen Worten betrat er die furchtgelähmte Stadt. Man nahm an, dass er nach der Eroberung Roms mit unheilvollen Feuern die Mauern niederreißen und die Tempel zerstören würde. (100) Maßstab für die Furcht war der Glaube, dass er willkürlich durchsetzen würde, wozu er die Macht hätte. Sie waren weder fähig zu feierlicher Begrüßung noch mit fröhlichem Auflauf Jubelrufe zu heucheln, kaum waren sie in der Lage zu hassen. Den Apollotempel auf dem Palatin füllte eine Schar Senatoren, ohne rechtliche Grundlage zusammengerufen, (105) herausgeführt aus ihren Schlupfwinkeln; die ehrwürdigen Sitze glänzten nicht, da die Konsuln fehlten, auch der Prätor, nach dem Gesetz die nachfolgende Amtsgewalt, war nicht anwesend. Die leeren Amtssessel wurden vom Platz weggeräumt. Caesar verkörperte alle. Die Kurie24 war versammelt, um der Stimme eines Privatmanns zu lauschen. Die Senatoren saßen da, bereit zuzustimmen, (110) auch wenn er die Königsherrschaft, Tempel für sich, Ermordung und Verbannung des Senates fordern würde25. Zum Glück zeigte Caesar mehr Scheu im Anordnen als Rom im Gehorchen. Dennoch wollte die Freiheit grimmig erproben, ob das Recht sich der Gewalt widersetzen könne, durch einen einzigen Mann: Der streitbare Metellus26 eilte herbei, (115) als er sah, dass die Menge den Saturntempel27 plündern wollte, brach durch Caesars Soldaten durch und stellte sich vor den Toren des Tempels auf, bevor sie aufgebrochen wurden. –

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(usque adeo solus ferrum mortemque timere auri nescit amor, pereunt discrimine nullo amissae leges set, pars vilissima rerum, certamen movistis, opes), prohibensque rapina victorem clara testatur voce tribunus. ‚non nisi per nostrum vobis percussa patebunt templa latus, nullasque feres nisi sanguine sacro sparsas, raptor, opes. certe violata potestas invenit ista deos; Crassumque in bella secutae saeva tribuniciae voverunt proelia dirae. detege iam ferrum; neque enim tibi turba verenda est spectatrix scelerum: deserta stamus in urbe. non feret e nostro sceleratus praemia miles: sunt quos prosternas populi, quae moenia dones. pacis ad exutae spolium non cogit egestas: bellum, Caesar, habes.‘ his magnam victor in iram vocibus accensus ‚vanam spem mortis honestae concipis: haud‘ inquit ‚iugulo se polluet isto nostra, Metelle, manus; dignum te Caesaris ira nullus honor faciet. te vindice tuta relicta est libertas? non usque adeo permiscuit imis longus summa dies ut non, si voce Metelli servantur leges, malint a Caesare tolli.‘ dixerat, et nondum foribus cedente tribuno acrior ira subit: saevos circumspicit enses oblitus simulare togam; cum Cotta Metellum conpulit audaci nimium desistere coepto. ‚libertas‘ inquit ‚populi quem regna coercent libertate perit; cuius servaveris umbram, si quidquid iubeare velis. tot rebus iniquis paruimus victi; venia est haec sola pudoris degenerisque metus, nullam potuisse negari. ocius avertat diri mala semina belli. damna movent populos siquos sua iura tuentur: non sibi sed domino gravis est quae servit egestas.‘ protinus abducto patuerunt templa Metello. tunc rupes Tarpeia sonat magnoque reclusas testatur stridore fores; tum conditus imo eruitur templo multis non tactus ab annis

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So sehr kann nur Liebe zum Gold Schwert und Tod nicht fürchten. Die Gesetze werden gebrochen und gehen sang- und klanglos unter. (120) Aber ihr Schätze, das nichtigste Gut, habt den Streit entfacht. Mit durchdringender Stimme hielt der Tribun den Sieger von der Plünderung ab: » Nur über meine Leiche wird euch der geschändete Tempel offen stehen. Und du wirst keine Schätze davontragen (125), du Räuber, ohne dass sie mit meinem sakrosankten28 Blute besudelt sind. Es ist sicher, dass die Verletzung dieser Amtsgewalt die Strafe der Götter findet. Die Verwünschungen der Tribunen, die Crassus schreckliche Schlachten androhten, sind ihm bis in den Krieg gefolgt29. Entblöße schon dein Schwert. Du brauchst keine Furcht vor vielen Zeugen des Verbrechens zu haben. Wir stehen in einer verlassenen Stadt. (130) Deinen Soldaten wird das Verbrechen an mir nicht reichlich belohnt. Es gibt Völker, es gibt andere Völker, die du unterwerfen kannst, und andere Mauern, die du ihnen übergeben kannst. Keine Bedürftigkeit zwingt dich dazu, den Frieden, den du beseitigt hast, auch noch zu plündern. Du hast doch den Krieg, Caesar.« Mit diesen Worten erregte er großen Zorn bei dem Sieger. Caesar rief aus: »Vergeblich machst du dir Hoffnung auf einen ehrenhaften Tod: Meine Hand wird sich nicht an deiner Kehle besudeln, Metellus. (135) Kein Ehrenamt wird dich für Caesars Zorn würdig machen. Ist mit dir als Beschützer die Freiheit sicher geworden? Der Zeiten Lauf hat nicht so sehr das Oberste zuunterst gekehrt, dass die Gesetze, (140) nicht lieber von Caesar aufgehoben werden wollen, als durch die Stimme des Metellus bewahrt zu werden.« Nach diesen Worten wuchs sein Zorn, als der Tribun immer noch nicht von den Toren wich. Er blickte umher nach verbrecherischen Schwertern und vergaß ganz, den friedlichen Aufmarsch vorzutäuschen, als Cotta Metellus drängte, von seinem allzu verwegenen Beginnen Abstand zu nehmen. (145) »Die Freiheit eines Volkes, von Tyrannei unterdrückt, geht mit sich selbst zugrunde. Du hast wenigstens ihren Schatten bewahrt, wenn du darauf eingehst, was dir befohlen wird. So viel Ungerechtes haben wir geschluckt, weil wir Besiegte sind. Entschuldigung für unsere Schande und unwürdige Furcht ist die Tatsache, dass wir nichts ablehnen konnten. (150) Schneller möge für Caesar die üble Saat eines grausigen Krieges aufgehen! Verluste machen Völkern was aus, die von ihren eigenen Gesetzen geschützt werden. Armut aber, die dient, fällt nicht sich selber zur Last, sondern dem Herrn.« Kaum hatte man Metellus abgeführt, stand der Tempel offen. Da ertönte der Tarpeische Felsen und (155) bezeugte mit lautem Knarren das Entriegeln der Türflügel; der römische Staatsschatz – geborgen in den Tiefen des Tempels und seit vielen Jahren unangetastet – wurde herausgezerrt, der Schatz, den die

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Romani census populi, quem Punica bella, quem dederat Perses, quem victi praeda Philippi, quod tibi, Roma, fuga Gallus trepidante reliquit, quo te Fabricius regi non vendidit auro, quidquid parcorum mores servastis avorum, quod dites Asiae populi misere tributum victorique dedit Minoia Creta Metello, quod Cato longinqua vexit super aequora Cypro. tunc Orientis opes captorumque ultima regum quae Pompeianis praelata est gaza triumphis egeritur; tristi spoliantur templa rapina, pauperiorque fuit tum primum Caesare Roma. interea totum Magni fortuna per orbem secum casuras in proelia moverat urbes. proxima vicino vires dat Graecia bello. Phocaicas Amphissa manus scopulosaque Cirrha Parnasosque iugo misit desertus utroque. Boeoti coiere duces, quos inpiger ambit fatidica Cephisos aqua Cadmeaque Dirce, Pisaeaeque manus populisque per aequora mittens Sicaniis Alpheos aquas. tum Maenala liquit Arcas et Herculeam miles Trachinius Oeten. Thesproti Dryopesque ruunt, quercusque silentis Chaonio veteres liquerunt vertice Selloe. exhausit totas quamvis dilectus Athenas, exiguae Phoebea tenent navalia puppes tresque petunt veram credi Salamina carinae. iam dilecta Iovi centenis venit in arma Creta vetus populis Cnososque agitare pharetras docta nec Eois peior Gortyna sagittis; tunc qui Dardaniam tenet Oricon et vagus altis dispersus silvis Athaman et nomine prisco Encheliae versi testantes funera Cadmi, Colchis et Hadriaca spumans Apsyrtos in unda; Penei qui rura colunt, quorumque labore Thessalus Haemoniam vomer proscindit Iolcon. inde lacessitum primo mare, cum rudis Argo miscuit ignotas temerato litore gentes

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Punischen Kriege30, den Perseus31, den die Beute nach dem Sieg über Philipp eingebracht hatte, das Gold, das dir, Rom, der Gallier32 auf seiner hastigen Flucht zurückließ, (160) für das dich Fabricius nicht dem König33 verkaufte, alles, was die sparsame Art unserer Vorfahren aufbewahrt, was die reichen Völker uns als Tributzahlungen geschickt, was das Minoische Kreta dem siegreichen Metellus34 ausgehändigt, was Cato weit übers Meer von Zypern hergeschafft hatte. (165) Da wurden der Reichtum des Orients und der letzte Hortschatz gefangener Könige, der in den Triumphzügen des Pompeius zur Schau gestellt worden war, herausgeschleppt; in einem skandalösen Raubzug wurden die Tempel geplündert, damals war Rom zum ersten Mal ärmer als Caesar35. Mittlerweile hatte überall in der Welt36 das hohe Ansehen des Pompeius Städte in den Kampf hineingezogen, (170) die gemeinsam mit ihm stürzen sollten. Griechenland, das am nächsten lag, schickte Streitkräfte zu dem Krieg im Nachbarland. Phokische Scharen schickten Amphissa37, das felsige Kirrha38 und der Parnassus39, seine beiden Gipfel waren dadurch entvölkert. Böotische Fürsten kamen zusammen, deren Gebiet der schnellfließende (175) Kephisos40 mit schicksalkündendem Wasser umströmt und die Kadmeische Dirke41, da waren Scharen aus Pisa42 und der Alpheus, der seine Wasser unter dem Meer hindurch den Völkern Siziliens schickt43. Da verließ der Arkadier das Maenalusgebirge44 und der Soldat aus Trachin45 den herkulischen Öta46. Thesproter 47 und Dryoper 48 strömen herbei und die alterfahrenen Seller 49 (180) verließen ihre verstummten50 Eichenwälder auf der chaonischen Höhe. Obwohl die Aushebung ganz Athen erfasste, liegen nur wenige Schiffe im Hafen des Phoebus51; drei Schiffe wollen glauben machen, die Geschichte von Salamis sei wahr. (185) Auch das von Jupiter geliebte alte Kreta eilte mit seinen hundert Völkern zu den Waffen, und Knossos, erfahren darin, den Köcher zu führen, und Gortyn, mit den Pfeilen nicht schlechter als die Leute aus dem Osten. Dann der, der das dardanische Orikos52 bewohnt, und der Athamane53, der verstreut in den Hochwäldern umherstreift, und die Enchelier, die mit ihrem altehrwürdigen Namen die Verwandlung des Kadmos im Tode bezeugen54, (190) der Mann aus dem von Kolchern besiedelten Apsyrtos55, der vom Adriatischen Meer umschäumten Insel; Männer, die das peneische Land56 bewohnen und die bei ihrer Arbeit mit dem thessalischen Pflug das haemonische57 Jolkos58 durchfurchen. (Von dort aus wurde zum ersten Mal das Meer herausgefordert, als die noch unerprobte Argo bisher unbekannte Völker miteinander in Verbindung brachte.

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primaque cum ventis pelagique furentibus undis conposuit mortale genus, fatisque per illam accessit mors una ratem. tum linquitur Haemus Thracius et populum Pholoe mentita biformem. deseritur Strymon tepido committere Nilo Bistonias consuetus aves et barbara Cone, Sarmaticas ubi perdit aquas sparsamque profundo multifidi Peucen unum caput adluit Histri, Mysiaque et gelido tellus perfusa Caico Idalis et nimium glaebis exilis Arisbe, quique colunt Pitanen, et quae tua munera, Pallas, lugent damnatae Phoebo victore Celaenae, qua celer et rectis descendens Marsya ripis errantem Maeandron adit mixtusque refertur, passaque ab auriferis tellus exire metallis Pactolon, qua culta secat non vilior Hermus. Iliacae quoque signa manus perituraque castra ominibus petiere suis, nec fabula Troiae continuit Phrygiique ferens se Caesar Iuli. accedunt Syriae populi; desertus Orontes et felix, sic fama, Ninos, ventosa Damascos Gazaque et arbusto palmarum dives Idume et Tyros in stabilis pretiosaque murice Sidon. has ad bella rates non flexo limite ponti certior haud ullis duxit Cynosura carinis. (Phoenices primi, famae si creditur, ausi mansuram rudibus vocem signare figuris: nondum flumineas Memphis contexere biblos noverat, et saxis tantum volucresque feraeque sculptaque servabant magicas animalia linguas.) deseritur Taurique nemus Perseaque Tarsos Coryciumque patens exesis rupibus antrum; Mallos et extremae resonant navalibus Aegae, itque Cilix iusta iam non pirata carina. movit et Eoos bellorum fama recessus, qua colitur Ganges, toto qui solus in orbe ostia nascenti contraria solvere Phoebo audet et adversum fluctus inpellit in Eurum, hic ubi Pellaeus post Tethyos aequora ductor constitit et magno vinci se fassus ab orbe est;

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(195) Als Erste setzte sie das Menschengeschlecht den Winden und den tobenden Wogen des Meeres aus; durch dieses Schiff kam zu den bisherigen Todesarten noch eine weitere Todesart hinzu.) Da wird der thrakische Haemus59 verlassen und Pholoe60, das sich Lügengeschichten von einem zwiegestaltigen Volk61 erzählt. Der Strymon62 wird verlassen, der regelmäßig (200) die bistonischen Vogelschwärme63 zum warmen Nil entsendet, und das barbarische Kone, wo eine Mündung des viel verzweigten Hister64 seine sarmatischen65 Wasser ergießt und das vom Meer besprühte Peuke umspült; und Mysien66 und das Idalische Land67, das vom kalten Caicus68 bewässerte Land, und Arisbe69 mit seinen allzu kümmerlichen Ackerschollen; (205) und die Bewohner von Pitane70 und Kelaenae71, die über dein Geschenk, Pallas, unglücklich sind und vom Sieger Phoebus verurteilt wurden72, wo der schnell fließende Marsya in geradem Lauf herabströmt, auf den sich windenden Maeander stößt und mit ihm vereint zurückfließt, wo die Erde aus Gold führenden Metalladern den Paktolos73 entspringen lässt, (210) wo der nicht weniger wertvolle Hermus74 die Fluren durchschneidet. Auch Scharen aus Ilion75 strebten in Übereinstimmung mit den Unglück verheißenden Vorzeichen zu den dem Untergang geweihten Feldzeichen und Lagern, und die Sage von Troja und Caesars Anspruch, ein Nachkomme des phrygischen Iulus76 zu sein, hielt sie nicht davon ab. Dazu kamen noch die Völker Syriens: Verlassen liegt der Orontes77 (215) und das reiche Ninos78 (so wenigstens die Sage), das windumtoste Damaskus, Gaza, Idume79 mit seinem reichen Palmenhain, Tyrus auf schwankendem Grund80 und das durch die Purpurschnecke reiche Sidon. Diese Schiffe führte in den Krieg auf schnurgeradem Kurs die Kynosura, für andere Schiffe gibt es keinen zuverlässigeren Leitstern81. (220) (Die Phoenikier wagten es als erste, wenn man der Sage Glauben schenken darf, mit primitiven Formen eine Sprache bleibend aufzuzeichnen. Memphis hatte noch nicht entdeckt, wie man am Fluss wachsende Papyrusstengel miteinander verwebt, und nur in Fels eingemeißelte Vögel, wilde Tiere und andere Lebewesen bewahrten ihre Zaubersprüche auf.) (225) Verlassen wird der Wald von Taurus82, das Tarsus des Perseus83 und Korykius, wo sich ausgewaschene Felsen zu einer Höhle öffnen84. Mallus85 und das weit entfernte Aegae86 hallen wider von den Schiffswerften, und der Kilikier, nicht länger mehr Pirat, fährt auf einem ordentlichen Schiff zur See. Die Kunde vom Krieg erregte auch den fernen Osten, (230) wo man am Ganges wohnt, der als einziger Fluss auf der ganzen Welt seine Mündung der aufgehenden Sonne zu öffnen wagt und seine Fluten dem Eurus87 entgegen wälzt, hier wo der Heerführer aus Pella88 halt machte89, nachdem er die Fluten der Tethys90 hinter sich gelassen hatte und sich von der Größenausdehnung der Welt geschlagen bekannte,

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quaque ferens rapidum diviso gurgite fontem vastis Indus aquis mixtum non sentit Hydaspen; quique bibunt tenera dulcis ab harundine sucos, et qui tinguentes croceo medicamine crinem fluxa coloratis astringunt carbasa gemmis, quique suas struxere pyras vivique calentis conscendere rogos. pro, quanta est gloria genti iniecisse manum fatis vitaque repletos quod superest donasse deis! venere feroces Cappadoces, duri populus non cultor Amani, Armeniusque tenens volventem saxa Niphaten. aethera tangentis silvas liquere Choatrae. ignotum vobis, Arabes, venistis in orbem umbras mirati nemorum non ire sinistras. tum furor extremos movit Romanus Orestas Carmanosque duces, quorum iam flexus in Austrum aether non totam mergi tamen aspicit Arcton lucet et exigua velox ibi nocte Bootes, Aethiopumque solum, quod non premeretur ab ulla signiferi regione poli, nisi poplite lapso ultima curvati procederet ungula Tauri, quaque caput rapido tollit cum Tigride magnus Euphrates, quos non diversis fontibus edit Persis, et incertum, tellus si misceat amnes, quod potius sit nomen aquis. sed sparsus in agros fertilis Euphrates Phariae vice fungitur undae; at Tigrim subito tellus absorbet hiatu occultosque tegit cursus rursusque renatum fonte novo flumen pelagi non abnegat undis. inter Caesareas acies diversaque signa pugnaces dubium Parthi tenuere favorem contenti fecisse duos. tinxere sagittas errantes Scythiae populi, quos gurgite Bactros includit gelido vastisque Hyrcania silvis; hinc Lacedaemonii, moto gens aspera freno, Heniochi saevisque adfinis Sarmata Moschis; Colchorum qua rura secat ditissima Phasis, qua Croeso fatalis Halys, qua vertice lapsus Riphaeo Tanais diversi nomina mundi

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(235) wo der Indus seine reißenden Quellwasser in getrenntem Lauf mit sich führend nicht bemerkt, wie sich der Hydaspes mit seinen mächtigen Wasserfluten vermischt. Es kamen die Männer, die süße Säfte aus weichen Rohrhalmen91 saugen und die ihr Haar mit einem safrangelben Mittel färben und ihre wallenden Baumwollgewänder mit farbigen Edelsteinen zusammenheften, (240) die Scheiterhaufen für sich selbst errichten und noch lebend die brennenden Holzstöße besteigen. Ach, welch ein Ruhm für ein Volk, dass es Hand an sein eigenes Geschick legt und nach einem erfüllten Leben den Rest den Göttern schenkt! Es kamen die wilden Kappadokier, das Volk, dem der Boden des Amanus92 für die landwirtschaftliche Nutzung zu hart ist, (245) und der Armenier, der am Felsbrocken wälzenden Niphates93 siedelt. Ihre den Himmel berührenden Wälder verließen die Choatrer94. In eine fremde Weltgegend kamen die Araber, und ihr wundert euch, dass die Schatten der Bäume nicht nach links95 fallen. Damals brachte der römische Wahnsinn die abgelegenen Orestae96 (250) und die Führer von Karmanien97 in Bewegung (deren Himmel sich nach Süden neigt, aber dennoch nicht das ganze Sternbild des Bären unter dem Horizont verschwinden sieht; dort leuchtet, wenn auch nur einen geringen Teil der Nacht, der Bootes98, zu schnellem Untergang bereit), und das Land der Aethiopier, das nicht bedeckt wird von irgendeinem Teil des gestirnten nördlichen Himmels, nur die letzte Klaue des gekrümmten Taurus99 zeigt sich noch, wenn das Knie schon entschwunden ist (255), und das Land, wo zusammen mit dem reißenden Tigris der mächtige Euphrat sein Haupt erhebt, welche die Persis100 aus Quellen entlässt, die nicht weit voneinander liegen, und es ist unsicher, welchen Namen die Fluten hätten, wenn die Erde die Ströme vereinigen würde. Aber der Euphrat, der sich über die Äcker verbreitet, (260) ist fruchtbar wie der Nil; dagegen den Tigris verschlingt die Erde plötzlich durch einen Spalt und deckt den verborgenen Lauf zu und lässt ihn dann in einer neuen Quelle wiedergeboren werden und verweigert ihn nicht den Wogen des Meeres. Zwischen den Truppen Caesars und den feindlichen Feldzeichen (265) hielten die kampferprobten Parther ihre Gunst unentschieden, sie waren zufrieden damit, aus drei Rivalen zwei gemacht zu haben101. Die nomadischen Völker Skythiens102, welche der kalte Baktros103 mit seiner reißenden Strömung und Hyrkanien104 mit weiten Wäldern umschließt, tauchten ihre Pfeile in Gift. Von dort kamen die Heniochi105, die von den Spartanern abstammen, ein gefährliches Volk, wenn man ihm die Zügel schießen lässt, von dort (270) kam Sarmatien106, das den wilden Moschi107 benachbart ist; es kamen auch Männer von dort, wo der Phasis108 das sehr reiche Land der Kolcher durchschneidet, wo der Halys109 fließt, der dem Krösus110 zum Schicksal wurde, und wo der Tanais111, vom Gipfel des Riphaeus112 herabstürzend, den beiden Ufern die Namen von

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inposuit ripis Asiaeque et terminus idem Europae, mediae dirimens confinia terrae, nunc hunc nunc illum, qua flectitur, ampliat orbem; quaque, fretum torrens, Maeotidos egerit undas Pontus, et Herculeis aufertur gloria metis, Oceanumque negant solas admittere Gadis; hinc Essedoniae gentes auroque ligatas substringens Arimaspe comas; hinc fortis Arius longaque Sarmatici solvens ieiunia belli Massagetes, quo fugit, equo volucresque Geloni. non, cum Memnoniis deducens agmina regnis Cyrus et effusis numerato milite telis descendit Perses, fraternique ultor amoris aequora cum tantis percussit classibus, unum tot reges habuere ducem, coiere nec umquam tam variae cultu gentes, tam dissona volgi ora. tot inmensae comites missura ruinae excivit populos et dignas funere Magni exequias Fortuna dedit. non corniger Hammon mittere Marmaricas cessavit in arma catervas, quidquid ab occiduis Libye patet arida Mauris usque Paraetonias Eoa ad litora Syrtis. acciperet felix ne non semel omnia Caesar, vincendum pariter Pharsalia praestitit orbem. ille ubi deseruit trepidantis moenia Romae agmine nubiferam rapto super evolat Alpem; cumque alii famae populi terrore paverent Phocais in dubiis ausa est servare iuventus non Graia levitate fidem signataque iura, et causas, non fata, sequi. tamen ante furorem indomitum duramque viri deflectere mentem pacifico sermone parant hostemque propinquum orant Cecropiae praelata fronde Minervae. ‘semper in externis populo communia vestro Massiliam bellis testatur fata tulisse conprensa est Latiis quaecumque annalibus aetas. et nunc, ignoto siquos petis orbe triumphos, accipe devotas externa in proelia dextras. at, si funestas acies, si dira paratis proelia discordes, lacrimas civilibus armis

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zwei Welten gibt und als dieselbe Grenze Asiens und (275) Europas, indem er benachbarte Gebiete in der Mitte der Erde zerreißt, jetzt den einen, jetzt den andern Erdteil vergrößert; je nach seinen Biegungen; und wo der Pontus113 die reißenden Wasser des maeotischen114 Meeres durch die Meerenge treibt und den Säulen des Herkules115 der Ruhm genommen wird, und man verneint, dass Gades116 allein den Weg zum Ozean freigibt. (280) Von hier kommen die essedonischen117 Völker und die Arimaspen118, welche ihr mit Gold umschlungenes Haar nach oben binden; von hier die tapferen Arier, und die Massageten119, die den langen Hunger nach einem Krieg mit den Sarmaten stillen mit ihren Pferden, auf denen sie fliehen, und die schnellen Gelonen120. So viele Könige hatte kein einziger Führer unter sich, weder als Kyros121 seine Heerscharen von dem Königreich des Memnon122 herabführte (285) oder als der Perser mit einer Armee anrückte (man zählte die Truppenstärke nach der Zahl der geschleuderten Wurfspeere), noch als der Rächer der verratenen Liebe seines Bruders123 das Meer mit so mächtigen Flotten durchpflügte. Und niemals kamen so viele in ihrer Kleidung verschiedene Völker zusammen, niemals gab es in einer Menschenmenge eine solche sprachliche Vielfalt. (290) Das Schicksal setzte so viele Völker in Bewegung, um sie als Begleitung für eine maßlose Katastrophe auszuschicken und gab sie als Begräbnisprozession, die dem Leichenbegängnis für Pompeius angemessen erschien. Nicht zögerte der gehörnte Hammon124, Truppen aus Marmarica125 in die Schlacht zu senden, was immer auch das ausgedörrte Libyen bereit hält von den Mauren im Westen (295) bis zu den ägyptischen Syrten126 an der östlichen Küste. Damit der glückliche Caesar alles auf einmal erhalte, gewährte ihm Pharsalos, die ganze Welt zugleich zu besiegen. Sobald Caesar die Wälle des angstbebenden Rom verlassen hatte, überquerte er in eiligem Marsch die wolkenbedeckten Alpen. (300) Andere Völker verfielen allein schon durch seinen Ruf in Schreckensstarre, dagegen wagte es die Phokaeische127 Jugend, nicht so wankelmütig wie die Griechen sonst, auch in gefährlicher Lage die Loyalität und die eingegangenen Verpflichtungen zu wahren und mehr dem Recht als dem Schicksal zu folgen. Dennoch versuchten sie zuerst den unbeugsamen Jähzorn und harten Sinn des Mannes (305) mit einem Friedensangebot zu besänftigen. Dem anrückenden Feind trugen sie das Laub der kekropischen128 Minerva129 entgegen und baten ihn mit folgenden Worten130: »Es ist in den Annalen Italiens bezeugt, dass Massilia in Kriegen gegen äußere Feinde immer das Schicksal mit dem römischen Volk geteilt hat. (310) Auch jetzt, wenn du Triumphe suchst in einem unbekannten Teil der Erde, nimm unsere Rechte an zum Kampf gegen Fremde, sie ist dir ergeben. Aber wenn ihr einen verheerenden Krieg, wenn ihr grausame Kämpfe in Zwietracht vor-

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secretumque damus. tractentur volnera nulla sacra manu. si caelicolis furor arma dedisset aut si terrigenae temptarent astra gigantes, non tamen auderet pietas humana vel armis vel votis prodesse Iovi, sortisque deorum ignarum mortale genus per fulmina tantum sciret adhuc caelo solum regnare Tonantem. adde quod innumerae concurrunt undique gentes, nec sic horret iners scelerum contagia mundus ut gladiis egeant civilia bella coactis. sit mens ista quidem cunctis, ut vestra recusent fata, nec haec alius committat proelia miles. cui non conspecto languebit dextra parente telaque diversi prohibebunt spargere fratres? finis adest scelerum, si non committitis ullis arma quibus fas est. nobis haec summa precandi: terribilis aquilas infestaque signa relinquas urbe procul nostrisque velis te credere muris excludique sinas admisso Caesare bellum. sit locus exceptus sceleri, Magnoque tibique tutus, ut, invictae fatum si consulat urbi, foedera si placeant, sit quo veniatis inermes. vel, cum tanta vocent discrimina Martis Hiberi, quid rapidum deflectis iter? non pondera rerum nec momenta sumus, numquam felicibus armis usa manus, patriae primis a sedibus exul, et post translatas exustae Phocidos arces moenibus exiguis alieno in litore tuti, inlustrat quos sola fides. si claudere muros obsidione paras et vi perfringere portas, excepisse faces tectis et tela parati, undarum raptos aversis fontibus haustus quaerere et effossam sitientes lambere terram et, desit si larga Ceres, tunc horrida cerni foedaque contingi maculato attingere morsu. nec pavet hic populus pro libertate subire obsessum Poeno gessit quae Marte Saguntum. pectoribus rapti matrum frustraque trahentes ubera sicca fame medios mittentur in ignis

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bereitet, dann haben wir Tränen für euren Bürgerkrieg und halten uns zurück. Unsere Hand wird keine verfluchten Wunden schlagen. (315) Wenn Raserei den Himmelsbewohnern Waffen gegeben hätte oder wenn die erdgeborenen Giganten131 die Sterne stürmten, so würde dennoch menschliche Frömmigkeit es nicht wagen, mit Waffen oder mit Gebeten dem Jupiter zu helfen. Die Sterblichen wären ohne Wissen über das Schicksal der Götter und würden nur aus den Blitzen erkennen, (320) dass allein der Donnerer noch im Himmel herrscht. Außerdem strömen schon unzählige Völker von allen Seiten zusammen, und die Welt schreckt nicht so untätig vor der Befleckung durch Verbrechen zurück, dass man Schwerter zum Bürgerkrieg zwingen müsste. Alle sollten eigentlich unsere Auffassung vertreten und sich weigern, euer Schicksal zu teilen, (325) und kein fremder Soldat sollte an diesen Kämpfen teilnehmen. Wessen Rechte wird nicht sinken, wenn er seinen Vater erblickt, und wen werden Brüder auf der Seite des Feindes nicht daran hindern, die Wurfspeere zu schleudern? Dieser verbrecherische Krieg ist zu Ende, wenn ihr denen keine Waffen in die Hand gebt, die sie eigentlich führen dürften132. Was uns betrifft, so ist dies der Kern unserer Bitte: (330) Lass die Adler, die uns einschüchtern sollen, und die gegen uns gerichteten Zeichen fern von der Stadt zurück und vertraue dich unsern Mauern an, erlaube uns, Caesar hereinzulassen und den Krieg draußen zu halten. Dies sei ein Ort, unbelastet von Verbrechen, sicher für Pompeius und sicher für dich, damit, wenn das Schicksal einem unbesiegten Rom gnädig ist (335) und ihr beschließt Friede zu schließen, es einen Ort gibt, wohin ihr unbewaffnet gehen könnt. Außerdem: wenn dich so dringende kriegswichtige Entscheidungen nach Spanien rufen, warum unterbrichst du hier deinen schnellen Weg? Wir haben kein Gewicht in den großen Affären und sind nicht von großer Bedeutung. Niemals hat unser Volk, seit wir aus der Heimat vertrieben wurden, erfolgreich Kriege geführt: (340) Die Burg des niedergebrannten Phokis133 haben wir hierhin überführt und fühlen uns an einer fremden Küste in unbedeutenden Mauern sicher, unsere Zuverlässigkeit ist unser einziger Ruhm. Wenn du aber vorhast, unsere Mauern durch eine Belagerung einzuschließen und unsere Tore im Sturm nieder zu brechen, so sind wir bereit, auf unsern Dächern Feuerbrände und Wurfgeschosse aufzufangen. (345) Wenn du uns die Quellen ableitest und uns das Wasser raubst, werden wir anderweitig suchen und durstig die aufgegrabene Erde auslecken. Wenn uns das Getreide ausgeht, dann sind wir bereit, unsere Lippen mit Dingen zu besudeln, die scheußlich anzusehen und eklig zu berühren sind. Dies Volk schreckt nicht davor zurück, für die Freiheit dasselbe heldenhaft zu erdulden (350) wie Saguntum134 im Punischen Krieg bei seiner Bestürmung. Die Kinder, die vergeblich an den Brüsten, ausgetrocknet vom Hunger, saugen, werden von den Brüsten der Müt-

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uxor et a caro poscet sibi fata marito, volnera miscebunt fratres bellumque coacti hoc potius civile gerent.’ sic Graia iuventus finierat, cum turbato iam prodita voltu ira ducis tandem testata est voce dolorem. ‘vana movet Graios nostri fiducia cursus. quamvis Hesperium mundi properemus ad axem Massiliam delere vacat. gaudete, cohortes: obvia praebentur fatorum munere bella. ventus ut amittit vires, nisi robore densae occurrunt silvae, spatio diffusus inani, utque perit magnus nullis obstantibus ignis, sic hostes mihi desse nocet, damnumque putamus armorum, nisi qui vinci potuere rebellant. sed, si solus eam dimissis degener armis, tunc mihi tecta patent. iam non excludere tantum, inclusisse volunt. at enim contagia belli dira fugant. dabitis poenas pro pace petita, et nihil esse meo discetis tutius aevo quam duce me bellum.’ sic postquam fatus, ad urbem haud trepidam convertit iter; cum moenia clausa conspicit et densa iuvenum vallata corona. haut procul a muris tumulus surgentis in altum telluris parvum diffuso vertice campum explicat: haec patiens longo munimine cingi visa duci rupes tutisque aptissima castris. proxima pars urbis celsam consurgit in arcem par tumulo, mediisque sedent convallibus arva. tunc res inmenso placuit statura labore, aggere diversos vasto committere colles. sed prius, ut totam, qua terra cingitur, urbem clauderet, a summis perduxit ad aequora castris longum Caesar opus, fontesque et pabula campi amplexus fossa densas tollentia pinnas caespitibus crudaque extruxit bracchia terra. iam satis hoc Graiae memorandum contigit urbi aeternumque decus, quod non inpulsa nec ipso strata metu tenuit flagrantis in omnia belli praecipitem cursum, raptisque a Caesare cunctis vincitur una mora. quantum est quod fata tenentur

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ter gerissen und mitten ins Feuer geschleudert; die Frau wird den eigenen Tod vom geliebten Gatten fordern; Brüder fügen sich gegenseitig Wunden zu und werden gezwungermaßen (355) eher solch einen Bürgerkrieg ausführen.« So hatten die Griechen ihre Rede geendet, als Caesars Wut135, die sich schon in seiner bestürzten Miene spiegelte, schließlich mit lauter Stimme seine Kränkung offenbarte: »Nichtiges Vertrauen auf unsre Eile bestimmt die Griechen. Auch wenn wir in den äußersten Westen der Welt eilen, (360) bleibt noch Zeit, Massilia zu zerstören. Freut euch, Kohorten: Das Schicksal bietet euch mitten auf dem Weg Gelegenheit zum Kampf. Wie der Wind an Kraft verliert, wenn ihm nicht dichte Wälder mit ihrer Festigkeit Widerstand bieten und er sich im leeren Raum auflöst, und wie ein großes Feuer ausgeht, wenn sich ihm nichts entgegenstellt, (365) so schaden mir die Feinde durch ihre Abwesenheit. Ich halte es für eine Vergeudung der Waffen, wenn keine Widersacher besiegt werden können. Wenn ich allein und ohne meine Armee, was unter meiner Würde wäre, käme, dann stehen mir die Häuser offen. Sie beabsichtigen mich also nicht nur auszuschließen, sondern eingesperrt zu haben. Aber sie wollen ja nicht mit dem schrecklichen Krieg in Berührung kommen. (370) Ihr werdet dafür büßen, dass ihr um Frieden batet, und ihr werdet lernen, dass nichts, so lange ich lebe, sicherer ist als der Krieg unter meiner Führung.« Als er so gesprochen hatte, wandte er sich gegen die Stadt136, die ihn nicht fürchtete, deren Mauern er geschlossen sah und gesichert von einer dichten Schar junger Leute. (375) Nicht weit von den Mauern gab es einen in die Höhe strebenden Erdhügel mit einer kleinen Fläche auf dem abgeflachten Gipfel. Dieses Plateau schien dem Feldherrn am geeignetsten für ein sicheres Lager, da es einen langen Befestigungswall zuließ. Der am nächsten gelegene Teil der Stadt erhob sich zu einer hoch ragenden Burg, (380) ebenso hoch wie der Hügel. Mitten zwischen den Befestigungen erstreckte sich flaches Gelände. Alsdann beschloss Caesar eine Sache, die unermessliche Mühe kosten würde, nämlich die entgegengesetzten Hügel mit einem gewaltigen Erdwall zu verbinden. Doch zunächst ließ Caesar, damit er die ganze Stadt von dem Gelände, das sie umgab, abschlösse, von der Höhe seines Lagers bis zum Meer (385) einen langen Belagerungswall ziehen. Und er umschloss Quellen und Weideland mit einem Graben und errichtete mit Rasenstücken und frischer Erde einen Seitendamm, den zahlreiche Mauerzinnen krönten. Schon dies ist erwähnenswert genug und gereicht der griechischen Stadt zum ewigen Ruhm, dass sie unerschrocken und ohne jede Furcht den jäh auf alles losstürzenden Lauf (390) des lodernden Krieges hemmte. Während alle von Caesar überrannt wurden, erzwang der Sieg über sie eine Verzögerung. Welche Großtat, dass das Schicksal aufgehalten wurde

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quodque virum toti properans inponere mundo hos perdit Fortuna dies! tunc omnia late procumbunt nemora et spoliantur robore silvae, ut, cum terra levis mediam virgultaque molem suspendant, structa laterum conpage ligatam artet humum, pressus ne cedat turribus agger. lucus erat longo numquam violatus ab aevo obscurum cingens conexis aera ramis et gelidas alte summotis solibus umbras. hunc non ruricolae Panes nemorumque potentes Silvani Nymphaeque tenent, sed barbara ritu sacra deum; structae diris altaribus arae omnisque humanis lustrata cruoribus arbor. siqua fidem meruit superos mirata vetustas, illis et volucres metuunt insistere ramis et lustris recubare ferae; nec ventus in illas incubuit silvas excussaque nubibus atris fulgura: non ulli frondem praebentibus aurae arboribus suus horror inest. tum plurima nigris fontibus unda cadit, simulacraque maesta deorum arte carent caesisque extant informia truncis. ipse situs putrique facit iam robore pallor attonitos; non volgatis sacrata figuris numina sic metuunt: tantum terroribus addit, quos timeant, non nosse, deos. iam fama ferebat saepe cavas motu terrae mugire cavernas, et procumbentis iterum consurgere taxos, et non ardentis fulgere incendia silvae, roboraque amplexos circum fluxisse dracones. non illum cultu populi propiore frequentant sed cessere deis. medio cum Phoebus in axe est aut caelum nox atra tenet, pavet ipse sacerdos accessus dominumque timet deprendere luci. hanc iubet inmisso silvam procumbere ferro; nam vicina operi belloque intacta priore inter nudatos stabat densissima montis. sed fortes tremuere manus, motique verenda maiestate loci, si robora sacra ferirent, in sua credebant redituras membra securis. inplicitas magno Caesar torpore cohortes

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und dass Fortuna in ihrer Hast, Caesar der ganzen Welt an die Spitze zu stellen, diese Tage einbüßte! (395) Dann legten sie weit und breit alle Haine nieder und beraubten die Wälder ihres Holzes: Das Holz sollte, wenn die leichte Erde und das Buschwerk den mittleren Wall locker machen würden, die so verbundene Erde durch eine feste Struktur an den Seiten zusammenbinden, damit der Wall nicht unter dem Gewicht der Türme zusammenstürze. Es gab einen Hain137, seit ewigen Zeiten niemals entweiht, (400) der Dunkelheit mit seinen ineinander verwachsenen Zweigen und kühle Schatten spendete, da das Sonnenlicht nicht von oben hinein gelangte. Den bewohnten kein ländlicher Pan138 und nicht Silvanus139, der Herrscher über die Wälder und keine Nymphen140, sondern Götter, die mit barbarischem Kult verehrt wurden. Altäre mit grausigen Altaraufsätzen141 waren dort errichtet (405) und jeder Baum mit menschlichem Blut entsühnt. Wenn etwa Altehrwürdigkeit die Götter staunend verehrt und damit Glaubwürdigkeit verdient, dann dort, denn sowohl die Vögel schreckten davor zurück, sich auf die Zweige zu setzen, als auch das Wild, sich in den sumpfigen Niederungen zu lagern. Kein Wind fuhr in diese Waldungen und keine Blitze zuckten aus schwarzen Wolken. (410) Den Bäumen, die keinem Lüftchen die Blätter boten, wohnte ein eigentümlich frommer Schauder inne. Damals floss reichlich Wasser aus düsteren Quellen und Unheil verkündende Götterbilder ragten kunstlos aus roh behauenen Baumstämmen hervor. Allein schon ihr Alter und die durch modriges Holz bleiche Farbe riefen (415) Entsetzen hervor. So fürchten die Menschen Gottheiten, die durch ungewöhnliche Darstellungen verehrt werden: Umso mehr steigert sich der Schauder, wenn er die Götter nicht kennt, vor denen er sich fürchtet. Es hielt sich das Gerücht, dass unterirdische Höhlen oft durch Erdbeben donnerten und schon umgefallene Eiben sich wieder aufrichteten, (420) dass die Wälder von Feuer loderten ohne zu brennen und Reptilien sich schmiegsam um die Baumstämme schlängelten. Nicht häufig näherte sich das Volk mit Verehrung jenem Ort, sondern mied die Götter. Wenn die Sonne am Mittagshimmel stand oder dunkle Nacht den Himmel umschloss, schreckte sogar der Priester davor zurück (425) den Wald zu betreten und fürchtete den Herrn des Haines zu überraschen. Diesen Wald befahl Caesar mit der Axt zu fällen. Denn er stand nahe an der Befestigungsanlage, unberührt von einem früheren Krieg, dicht bewachsen unter lauter entholzten Bergen. Aber die Hände selbst der Tapferen zitterten, beeindruckt von der ehrwürdigen (430) Erhabenheit des Ortes, und sie glaubten, dass sich die Beile, wenn sie die heiligen Stämme schlügen, gegen sie wenden würden. Als Caesar sah, dass die Kohorten von großer Erstarrung gefesselt waren,

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ut vidit, primus raptam librare bipennem ausus et aeriam ferro proscindere quercum effatur merso violata in robora ferro ‘iam nequis vestrum dubitet subvertere silvam credite me fecisse nefas’. tum paruit omnis imperiis non sublato secura pavore turba, sed expensa superorum et Caesaris ira. procumbunt orni, nodosa inpellitur ilex, silvaque Dodones et fluctibus aptior alnus et non plebeios luctus testata cupressus tum primum posuere comas et fronde carentes admisere diem, propulsaque robore denso sustinuit se silva cadens. gemuere videntes Gallorum populi, muris sed clausa iuventus exultat; quis enim laesos inpune putaret esse deos? servat multos fortuna nocentis et tantum miseris irasci numina possunt. utque satis caesi nemoris, quaesita per agros plaustra ferunt, curvoque soli cessantis aratro agricolae raptis annum flevere iuvencis. dux tamen inpatiens haesuri ad moenia Martis versus ad Hispanas acies extremaque mundi iussit bella geri. stellatis axibus agger erigitur geminasque aequantis moenia turris accipit; hae nullo fixerunt robore terram sed per iter longum causa repsere latenti. cum tantum nutaret onus, telluris inanis concussisse sinus quaerentem erumpere ventum credidit et muros mirata est stare iuventus. illinc tela cadunt excelsas urbis in arces. sed maior Graio Romana in corpora ferro vis inerat. neque enim solis excussa lacertis lancea, sed tenso ballistae turbine rapta, haut unum contenta latus transire quiescit, sed pandens perque arma viam perque ossa relicta morte fugit: superest telo post volnera cursus. at saxum quotiens ingenti verberis actu excutitur, qualis rupes quam vertice montis abscidit inpulsu ventorum adiuta vetustas, frangit cuncta ruens, nec tantum corpora pressa

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ergriff er als erster eine Doppelaxt und wagte es sie zu schwingen und eine hochragende Eiche mit dem Eisen zu fällen. (435) Er rief aus, als er das Eisen in den verletzten Baum geschlagen hatte: »Damit nunmehr keiner von euch zögert, den Wald zu vernichten, glaubt, dass ich die Freveltat verübt habe.« Dann gehorchte die ganze Schar den Befehlen, zwar keineswegs unbekümmert und frei von Furcht, sondern in Abwägung des Zornes der Götter gegen den Caesars. (440) Es stürzten die Bergeschen um, die knotige Steineiche fiel, der Eichenwald Dodonas142 und die Erle, geeigneter eigentlich für die Fluten143, und die Zypresse, Zeuge von adliger Trauer144, verloren damals zuerst ihre Blätter und dann entlaubt das Leben. Die umgehauenen (445) Stämme hielten sich selbst im Fallen aufrecht, so dicht stand der Wald. Als die Völker der Gallier das sahen, klagten sie laut, die von Mauern eingeschlossene Jugend aber frohlockte. Wer könnte glauben, dass man die Götter ungestraft derart beleidigt? Das Schicksal aber rettet viele Übeltäter, und die Götter können ihren Zorn nur an Unglücklichen austoben. (450) Als man genug Holz geschlagen hatte, requirierten sie auf dem Lande Wagen, um es weg zu schaffen; die Bauern, der Zugstiere beraubt, beweinten den Ausfall der Ernte, da der Boden vom gekrümmten Pflug nicht mehr bearbeitet werden konnte. Voll Ungeduld, dass der Krieg vor den Mauern stecken blieb, wandte sich Caesar der spanischen Front145 am Ende der Welt zu, befahl aber, (455) dass die Belagerung fortgeführt werde. Auf gekreuzten Balken wurde jetzt ein Erddamm errichtet. Er trug zwei Türme, die so hoch wie die Stadtmauern waren; diese wurden nicht mit Balken im Erdreich verankert, sondern sie bewegten sich über eine lange Strecke mit Hilfe eines verborgenen Antriebs. Wenn die hohe Konstruktion schwankte, glaubte die junge Mannschaft der Verteidiger, dass der Luftdruck die Hohlräume im Erdreich (460) auf der Suche nach einem Ausweg erschüttert habe, und wunderte sich, dass die Mauern noch stehen blieben. Von diesen Türmen fielen Geschosse auf die hochragenden Bollwerke der Stadt. Doch die Waffen der Griechen hatten gegen die Römer eine durchschlagendere Wirkung. Denn ihre Lanzen wurden nicht nur mit den Armen geschleudert, (465) sondern mit der gespannten Torsionskraft eines Katapults verschossen, und so ein Geschoss begnügte sich nicht damit, einen einzigen Körper zu durchschlagen, bevor es liegen blieb, sondern indem es sich einen Weg durch Schutzpanzer und Knochen bahnte, flog es weiter und ließ hinter sich Tod und Verderben. Wenn es Verwundungen verursacht hat, fliegt so ein Geschoss noch weiter. Und sooft ein Steinbrocken durch einen gewaltigen Schwung mit den Schleuderseilen abgeschossen wurde, (470) zerschmetterte er wie ein Felsblock, den die Verwitterung – unterstützt vom Ansturm der Winde – von einer Bergspitze abgespalten hat, alles und tötete nicht nur die zerquetschten Kör-

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exanimat, totos cum sanguine dissipat artus. ut tamen hostiles densa testudine muros tecta subit virtus, armisque innexa priores arma ferunt, galeamque extensus protegit umbo, quae prius ex longo nocuerunt missa recessu iam post terga cadunt. nec Grais flectere iactum aut facilis labor est longinqua ad tela parati tormenti mutare modum; sed pondere solo contenti nudis evolvunt saxa lacertis. dum fuit armorum series, ut grandine tecta innocua percussa sonant, sic omnia tela respuit; at postquam virtus incerta virorum perpetuam rupit defesso milite cratem singula continuis cesserunt ictibus arma. tunc adoperta levi procedit vinea terra, sub cuius pluteis et tecta fronte latentes moliri nunc iam parant et vertere ferro moenia; nunc aries suspenso fortior ictu incussus densi conpagem solvere muri temptat et inpositis unum subducere saxis. sed super et flammis et magnae fragmine molis et sudibus crebris et adusti roboris ictu percussae cedunt crates, frustraque labore exhausto fessus repetit tentoria miles. summa fuit Grais, starent ut moenia, voti: ultro acies inferre parant, armisque coruscas nocturni texere faces, audaxque iuventus erupit. non hasta viris, non letifer arcus, telum flamma fuit, rapiensque incendia ventus per Romana tulit celeri munimina cursu. nec, quamvis viridi luctetur robore, lentas ignis agit vires, taeda sed raptus ab omni consequitur nigri spatiosa volumina fumi, nec solum silvas sed saxa ingentia solvit, et crudae putri fluxerunt pulvere cautes. procubuit maiorque iacens apparuit agger. spes victis telluris abit, placuitque profundo fortunam temptare maris. non robore picto ornatas decuit fulgens tutela carinas, sed rudis et qualis procumbit montibus arbor

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per, sondern verstreute blutverschmierte Körperteile. Doch als Wagemutige, geschützt durch ein dicht geschlossenes Schilddach, (475) an die feindlichen Mauern heranrückten – die ganz vorne trugen Schutzschilde, die die Schilde überlappten, den Helm schützte ein großflächiger Schildbuckel –, schlugen die Geschosse, die vorher auf lange Entfernung Schaden anrichteten, jetzt hinter ihrem Rücken ein. Und für die Griechen war es dann sehr mühevoll, die Schussrichtung umzulenken und die Zielvorrichtung der Schleudermaschine, die auf weit reichende Geschosse eingestellt war, zu ändern. Sie begnügten sich mit dem Gewicht der Steinbrocken, (480) die sie mit bloßen Händen nach unten wälzten. Solange das Schilddach standhielt, ließ es alle Geschosse abprallen, wie vom herabprasselnden Hagel unbeschädigte Dächer dröhnen. Aber nachdem die Tatkraft erlahmte und (485) in dem geschlossenen Schilddach Lücken aufbrachen, weil die Soldaten erschöpft waren, gaben allmählich einzelne Schilde dem ununterbrochenen Geschosshagel nach. Nun rückte eine mit einer dünnen Erdschicht bedeckte »Weinlaube« vor, und die unter deren Schirmdächern und deren geschützter Vorderseite Verborgenen machten sich daran, die Mauerfundamente zu untergraben und mit Brechstangen umzulegen. (490) Jetzt versuchte ein Rammbock, der mit seinem aufgehängten Stoßbalken wirkungsvoller zuschlägt, den dichten Mauerverbund zu lockern und einen Stein unter den darüber liegenden herauszubrechen. Aber die von oben mit Feuer, Bruchstücken eines großen Felsbrockens, einem Hagel von Pfählen und feuergehärteten Eichenstämmen (495) zerschmetterten Schirmdächer gaben nach, und die Soldaten, von der vergeblichen Anstrengung erschöpft, zogen sich müde zu ihren Zelten zurück. Für die Griechen war es der höchste ihrer Wünsche, dass ihre Stadtmauern standhielten; aber jetzt bereiteten sie obendrein noch eine Offensive vor. In der Nacht verbargen sie lodernde Fackeln hinter ihren Schilden und eine mutige Schar (500) unternahm einen Ausfall146. Ihre Waffe gegen die römischen Männer war nicht die Lanze, nicht der todbringende Bogen, sondern das Feuer, und der Wind riss den Brand mit sich und trug ihn in schnellem Lauf durch die römischen Schutzbauten. Obwohl es sich mit grünem Holz abmühte, breitete sich das Feuer nicht etwa langsam aus, von jeder Fackel sprang es über. (505) Es folgten riesige Wolken von schwarzem Rauch, und nicht nur ganze Wälder verzehrte es, sondern sogar gewaltige Steinbrocken, raue Felsen lösten sich in mürben Staub auf. Der Damm sank in sich zusammen, und wie er so am Boden lag, wirkte er sogar noch größer. Zurückgeschlagen gaben die Römer die Hoffnung auf einen Sieg zu Lande auf. Es schien ihnen besser, (510) das Kriegsglück auf dem Meer zu suchen. Keine bunt bemalten Balken schmückten die Schiffe, keine schimmernden Schutzgottheiten zierten sie, sondern roh und so, wie der Baum auf den Bergen

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conseritur, stabilis navalibus area bellis. et iam turrigeram Bruti comitata carinam venerat in fluctus Rhodani cum gurgite classis Stoechados arva tenens. nec non et Graia iuventus omne suum fatis voluit committere robur grandaevosque senes mixtis armavit ephebis. accepit non sola viros, quae stabat in undis, classis: et emeritas repetunt navalibus alnos. ut matutinos spargens super aequora Phoebus fregit aquis radios et liber nubibus aether et posito Borea pacemque tenentibus Austris servatum bello iacuit mare, movit ab omni quisque suam statione ratem, paribusque lacertis Caesaris hinc puppes, hinc Graio remige classis tollitur: inpulsae tonsis tremuere carinae crebraque sublimes convellunt verbera puppes. cornua Romanae classis validaeque triremes quasque quater surgens extructi remigis ordo commovet et plures quae mergunt aequore pinus multiplices cinxere rates. hoc robur aperto oppositum pelago: lunata classe recedunt ordine contentae gemino crevisse Liburnae. celsior at cunctis Bruti praetoria puppis verberibus senis agitur molemque profundo invehit et summis longe petit aequora remis. ut tantum medii fuerat maris, utraque classis quod semel excussis posset transcurrere tonsis, innumerae vasto miscentur in aethere voces, remorumque sonus premitur clamore, nec ullae audiri potuere tubae. tum caerula verrunt atque in transtra cadunt et remis pectora pulsant. ut primum rostris crepuerunt obvia rostra, in puppem rediere rates, emissaque tela aera texerunt vacuumque cadentia pontum. et iam diductis extendunt cornua proris diversaeque rates laxata classe receptae. ut, quotiens aestus Zephyris Eurisque repugnat, huc abeunt fluctus, illo mare, sic, ubi puppes sulcato varios duxerunt gurgite tractus, quod tulit illa ratis remis, haec rettulit aequor.

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fiel, wurde er verarbeitet zu einer Plattform, auf der man im Schiffsgefecht stehen konnte. Die Flotte, die das turmbewehrte Schiff des Brutus147 geleitete, (515) war auch schon mit der Strömung der Rhone in das Meer gelangt und ankerte vor den Stoechadischen Inseln148. Die Griechen wollten nichts weniger als ihre gesamte Kraft in die Waagschale werfen und bewaffneten sogar betagte Männer und mischten sie unter die jungen Leute. Nicht nur die Flotte, die bereits im Wasser ankerte, wurde bemannt, (520) auch bereits ausgediente Kähne holten sie von den Werften. Die Sonne goss ihre Morgenstrahlen über dem Meer aus und spiegelte sich darin, der Himmel war wolkenlos, der Nordwind hatte sich gelegt, die Südwinde waren friedlich, das Meer lag ruhig da und wartete auf die Schlacht149. Da ließ von all den Ankerplätzen (525) jeder sein Schiff auslaufen; in gleichem Armzug lichteten hier die Schiffe Caesars die Anker, dort eine Flotte mit griechischen Ruderern. Die Kiele bebten unter dem Druck der Ruder, die raschen Ruderschläge rissen die hohen Schiffsaufbauten vorwärts. Die Flanken der römischen Flotte deckten Schiffe unterschiedlicher Bauart, mächtige Dreiruderer, (530) ferner solche, die eine sich übereinander erhebende vierfache Ruderreihe antreibt, und solche, die noch mehr Fichtenruder ins Meer tauchen. Dieser stärkste Teil der Flotte schirmte das offene Meer ab. Hinter dieser halbmondartigen Flottenformation manövrierten Liburnen150, die sich mit einem zweifachen Ruderaufbau begnügen. (535) Doch höher als alle bewegte das Flaggschiff des Brutus – von sechs Ruderreihen angetrieben – seine Masse über das Meer; die obersten Ruder reichten weit über die Wasserfläche. Als nur noch so viel freie Meeresfläche zwischen den beiden Flotten lag, wie jede von ihnen mit einem einzigen Ruderschlag durchlaufen konnte, (540) erfüllte ein Durcheinander zahlloser Schreie die Luft, das Geräusch der Ruder ging in dem Geschrei unter und kein Trompetensignal war mehr zu hören. Nun fegten sie durch die blaue Flut, warfen sich nach hinten in die Ruderbänke und zogen die Riemen gegen ihre Brust. Kaum waren Schiffsschnäbel gegen Schiffsschnäbel gekracht, (545) liefen die Schiffe über das Heck wieder zurück; dann bedeckte ein Hagel von Geschossen den Himmel und im Fallen die freie Meeresoberfläche. Und jetzt vergrößerte sich der Abstand zwischen den Schiffen, entblößte die Flanken und ließ feindliche Schiffe in den aufgelockerten Flottenverband eindringen. Wie die Wellen in die eine Richtung treiben und die Meeresströmung in eine andere, wenn die Flut gegen die Winde aus dem Westen und dem Osten drängt, (550) so drückte das eine Fahrzeug das Wasser wieder zurück, welches das andere mit den Rudern hinter sich geworfen hatte, wenn die Schiffe entgegen-

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sed Grais habiles pugnamque lacessere pinus et temptare fugam nec longo frangere gyro cursum nec tarde flectenti cedere clavo; at Romana ratis stabilem praebere carinam certior et terrae similem bellantibus usum. tunc in signifera residenti puppe magistro Brutus ait ‘paterisne acies errare profundo artibus et certas pelagi? iam consere bellum, Phocaicis medias rostris oppone carinas.’ paruit, obliquas et praebuit hostibus alnos. tum quaecumque ratis temptavit robora Bruti ictu victa suo percussae capta cohaesit; ast alias manicaeque ligant teretesque catenae, seque tenent remis: tecto stetit aequore bellum. iam non excussis torquentur tela lacertis nec longinqua cadunt iaculato volnera ferro, miscenturque manus. navali plurima bello ensis agit. stat quisque suae de robore puppis pronus in adversos ictus, nullique perempti in ratibus cecidere suis. cruor altus in unda spumat, et obducti concreto sanguine fluctus. et, quas inmissi traxerunt vincula ferri, has prohibent iungi conferta cadavera puppes. semianimes alii vastum subiere profundum hauseruntque suo permixtum sanguine pontum; hi luctantem animam lenta cum morte trahentes fractarum subita ratium periere ruina. inrita tela suas peragunt in gurgite caedes, et quodcumque cadit frustrato pondere ferrum exceptum mediis invenit volnus in undis. Phocaicis Romana ratis vallata carinis robore diducto dextrum laevumque tuetur aequo Marte latus; cuius dum pugnat ab alta puppe Catus Graiumque audax aplustre retentat, terga simul pariter missis et pectora telis transigitur: medio concurrit corpore ferrum, et stetit incertus, flueret quo volnere, sanguis, donec utrasque simul largus cruor expulit hastas divisitque animam sparsitque in volnera letum.

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gesetzte Kurse hielten. Die Griechen verfügten über leicht manövrierbare Schiffe, die sowohl im Angriff als auch in der Flucht die Richtung in einem kleinen Wendekreis ändern konnten (555) und die dem Ruder ohne Verzögerung beim Wendemanöver folgten. Ein römisches Schiff gewährte dagegen einen stabileren Bau und den Kämpfenden eine Plattform, die dem Kampf auf festem Boden ähnelte. Da rief Brutus151 dem Steuermann zu, der sich auf dem Flaggschiff aufhielt: »Willst du es zulassen, dass sich der Kampf über die See ausbreitet, (560) und wetteiferst du mit den Manövrierkünsten der Griechen auf dem Meer? Beginne sofort den Kampf und setze unsere Breitseiten den Spitzen der Phokäer152 entgegen.« Er gehorchte und bot den Feinden die Breitseiten. Danach blieb jedes Schiff, welches die hölzerne Bordwand des Brutus angriff, durch die Wucht seines eigenen Rammstoßes bezwungen an dem durchbohrten Schiff hängen; (565) die andern aber wurden durch Enterhaken und gedrehte Ketten eingeholt. Sie verhedderten sich durch die eigenen Ruder: Es entbrannte ein Nahkampf. Das Meer war nicht mehr sichtbar. Nicht länger wurden Speere mit den Armen geschwungen und weggeschleudert, und nicht länger schlugen aus der Ferne geschleuderte Geschosse Wunden, im Nahkampf wurde man handgemein. In der Seeschlacht (570) hatte das Schwert die Oberhand. Jeder Mann beugte sich über die Reling seines eigenen Schiffes nach vorne in die feindlichen Schläge, und keiner fiel tot auf das eigene Deck. Blut schäumte hoch auf dem Wasser, und die See war bedeckt von einem Blutfilm. (575) Wegen der dicht gedrängten Leichen im Wasser konnte man die Schiffe, die schon durch herüber geschleuderte Enterhaken gefesselt waren, nicht beiholen. Halbtote versanken in die unermessliche Tiefe und schluckten das mit dem eigenen Blut vermischte Wasser. Wieder andere, die im langsamen Todeskampf mit dem Atem rangen, gingen zu Grunde durch den plötzlichen Zusammenbruch der havarierten Fahrzeuge. (580) Wurfgeschosse, die eigentlich ihr Ziel verfehlt hatten, töteten unfehlbar im Wasser: Jedes Eisen, das mit seiner fehlgeleiteten Wucht herunter fiel, schlug mitten in den Wogen Wunden. Ein römisches Schiff, blockiert durch phokäische Fahrzeuge, beschützte Backbord und Steuerbord mit je einer Hälfte der Schiffsmannschaft (585) mit gleichem Erfolg. Catus153, der auf dem hohen Hinterdeck kämpfte und den Achtersteven der Griechen kühn umklammerte, wurde gleichzeitig im Rücken und in der Brust von Speeren durchbohrt; mitten in der Brust trafen die Eisenspitzen zusammen, und das Blut stockte, ungewiss, aus welcher Wunde es fließen sollte, (590) bis ein breiter Blutstrom beide Speere zugleich heraus spülte und sein Leben abschnitt und den Tod auf zwei Wunden verteilte.

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derigit huc puppem miseri quoque dextra Telonis, qua nullam melius pelago turbante carinae audivere manum, nec lux est notior ulli crastina, seu Phoebum videat seu cornua lunae, semper venturis conponere carbasa ventis. hic Latiae rostro conpagem ruperat alni, pila sed in medium venere trementia pectus avertitque ratem morientis dextra magistri. dum cupit in sociam Gyareus erepere puppem, excipit inmissum suspensa per ilia ferrum adfixusque rati telo retinente pependit. stant gemini fratres, fecundae gloria matris, quos eadem variis genuerunt viscera fatis: discrevit mors saeva viros, unumque relictum agnorunt miseri sublato errore parentes, aeternis causam lacrimis; tenet ille dolorem semper et amissum fratrem lugentibus offert. quorum alter mixtis obliquo pectine remis ausus Romanae Graia de puppe carinae iniectare manum; sed eam gravis insuper ictus amputat; illa tamen nisu, quo prenderat, haesit deriguitque tenens strictis inmortua nervis. crevit in adversis virtus: plus nobilis irae truncus habet fortique instaurat proelia laeva rapturusque suam procumbit in aequora dextram. haec quoque cum toto manus est abscisa lacerto. iam clipeo telisque carens, non conditus ima puppe sed expositus fraternaque pectore nudo arma tegens, crebra confixus cuspide perstat telaque multorum leto casura suorum emerita iam morte tenet. tum volnere multo effugientem animam lassos collegit in artus membraque contendit toto, quicumque manebat, sanguine et hostilem defectis robore nervis insiluit solo nociturus pondere puppem. strage virum cumulata ratis multoque cruore plena per obliquum crebros latus accipit ictus et, postquam ruptis pelagus conpagibus hausit, ad summos repleta foros descendit in undas vicinum involvens contorto vertice pontum.

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Hierhin auch steuerte der unglückliche Telo sein Schiff; keiner anderen Hand gehorchten die Schiffe bei stürmischer See mehr, und keiner konnte das Wetter des morgigen Tages besser voraussagen, (595) sei es aus der Beobachtung der Sonne oder der Mondsichel, um die Segel jeweils genau für die kommenden Winde zu setzen. Er hätte mit dem Sporn ein römisches Schiff breitseits gerammt, aber Wurfspieße trafen ihn mitten in die Brust und blieben zitternd hängen, und die Rechte des sterbenden Steuermanns lenkte das Schiff zur Seite. (600) Als Gyareus versuchte, auf das Schiff des Freundes empor zu klettern, traf ihn ein eisernes Geschoss in den Unterleib, und er hing, wie festgenagelt durch das Geschoß, vom Fahrzeug herab. Zwillingsbrüder, der Stolz der fruchtbaren Mutter, standen im Kampf. Derselbe Schoß hatte sie geboren zu verschiedenem Schicksal. (605) Ein grausamer Tod trennte die Männer, und den einen, der überlebt hatte, erkannten die bejammernswerten Eltern, nachdem jeder Irrtum ausgeschlossen war, zugleich als die Ursache für ewige Tränen; er bewahrte den Schmerz immer lebendig und die Trauernden sahen in ihm den verlorenen Bruder. (610) Einer der beiden wagte es, als die Ruder schräg ineinander verzahnt waren, von dem griechischen Schiff seine Hand auf ein römisches Schiff zu legen, aber ein schwerer Streich von oben her hieb sie ihm ab, doch durch die Anstrengung, mit der sie zugegriffen hatte, blieb sie hängen und, sich festhaltend mit verkrampften Muskeln, erstarrte sie leblos. (615) Im Unglück wuchs die Tapferkeit: Die Verstümmelung steigerte seinen heldenhaften Zorn und er erneuerte den Kampf mit der tapferen Linken. Er lehnte sich vor über das Wasser, um seine rechte Hand zu ergreifen. Auch die Linke wurde abgetrennt mit dem ganzen Arm. Ohne Schild und Lanze ließ er sich nicht im Innern des Schiffes bergen, stellte sich vielmehr an vorderster Front auf, (620) deckte den Bruder mit der bloßen Brust, hielt Stand und wurde durchbohrt von zahlreichen Lanzen. Die Speere, die viele seiner Kameraden tödlich treffen sollten, fing er auf, obwohl er längst schon das Recht auf den Tod verdient hatte. Dann sammelte er die durch die zahlreichen Wunden entfliehende Lebenskraft in den erschlafften Gliedern, er strengte sich mit der ganzen Kraft an, die ihm immer noch geblieben war, (625) und obwohl seine Muskeln die Kraft verloren hatten, sprang er auf das feindliche Schiff, um ihm durch sein bloßes Gewicht Schaden zuzufügen. Das Schiff war angefüllt mit erschlagenen Männern, es war überströmt von Blut. Es hatte auf der Breitseite häufige Rammstöße erhalten, und nachdem das Schiff leck geschlagen war und Wasser gezogen hatte, (630) versank es gefüllt bis zu den obersten Schiffsgängen in den Wogen, indem es das Wasser drum herum aufwirbeln ließ in drehendem Strudel.

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aequora discedunt mersa diducta carina inque locum puppis cecidit mare. multaque ponto praebuit ille dies varii miracula fati. ferrea dum puppi rapidos manus inserit uncos adfixit Lycidan. mersus foret ille profundo, sed prohibent socii suspensaque crura retentant. scinditur avolsus, nec, sicut volnere, sanguis emicuit lentus: ruptis cadit undique venis, discursusque animae diversa in membra meantis interceptus aquis. nullius vita perempti est tanta dimissa via. pars ultima trunci tradidit in letum vacuos vitalibus artus; at tumidus qua pulmo iacet, qua viscera fervent, haeserunt ibi fata diu, luctataque multum hac cum parte viri vix omnia membra tulerunt. dum nimium pugnax unius turba carinae incumbit prono lateri vacuamque relinquit, qua caret hoste, ratem, congesto pondere puppis versa cava texit pelagus nautasque carina, bracchia nec licuit vasto iactare profundo sed clauso periere mari. tunc unica diri conspecta est leti facies, cum forte natantem diversae rostris iuvenem fixere carinae. discessit medium tam vastos pectus ad ictus, nec prohibere valent obtritis ossibus artus quo minus aera sonent; eliso ventre per ora eiectat saniem permixtus viscere sanguis. postquam inhibent remis puppes ac rostra reducunt, deiectum in pelagus perfosso pectore corpus volneribus transmisit aquas. pars maxima turbae naufraga iactatis morti obluctata lacertis puppis ad auxilium sociae concurrit; at illis, robora cum vetitis prensarent altius ulnis nutaretque ratis populo peritura recepto, inpia turba super medios ferit ense lacertos. bracchia linquentes Graia pendentia puppe a manibus cecidere suis: non amplius undae sustinuere graves in summo gurgite truncos. iamque omni fusis nudato milite telis invenit arma furor: remum contorsit in hostem

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Als das Schiff sank, teilte sich das Meer, und an dem nun leeren Platz, wo das Schiff gewesen war, strömte es wieder zusammen. Das Schauspiel vieler seltsamer Todesarten in der Seeschlacht zeigte jener Tag. (635) Als die eisernen Krallen eines Enterhakens auf ein Schiff katapultiert wurden, wurde auch Lykidas davon erfasst. Er wäre ins Meer gesunken, aber die Kameraden wollten es verhindern und hielten die schwebenden Glieder fest. Er wurde auseinandergerissen. Das Blut quoll nicht wie aus einer Wunde langsam hervor: Es spritzte förmlich auf allen Seiten aus den geplatzten Adern, (640) und der Kreislauf des Lebens, das sonst in die verschiedenen Glieder strömt, wurde durch das Wasser abgeschnitten. Das Leben keines andern Getöteten ist durch eine derartig breite Wunde entflohen. Der untere Teil des Rumpfes übergab die Glieder ohne lebenswichtige Organe dem Tod; aber dort, wo die atmende Lunge lag, wo das warme Herz schlug, (645) dort hatte der Tod länger zu tun und kämpfte schwer mit diesem Teil des Mannes, bis er – mit einiger Mühe – sich des ganzen Körpers bemächtigt hatte. Eine allzu kampfeslustige Besatzung eines Schiffes warf sich auf die schon krängende Seite und verließ die leere Seite, an der sich keine Feinde befanden. Darauf schlug das Schiff wegen des Übergewichtes kieloben um. (650) Der geschwungene Kiel bedeckte Meer und Matrosen. Es gelang ihnen nicht, ins freie Wasser zu schwimmen, sondern sie starben in ihrem Meergefängnis. Damals konnte man eine beispiellos schreckliche Todesart beobachten, wenn zwei auf Rammkurs fahrende Schiffe einen zufällig dazwischen schwimmenden Mann mit ihren Rammspornen aufspießten. (655) Die ungeheuren Stöße spalteten die Brust mittendurch. Die Knochen wurden zermalmt, der Körper konnte kein Hindernis bieten, so dass die eisernen Spitzen zusammenkrachten. Der Unterleib wurde zerquetscht, und aus dem Mund spritzte Blut mit Eiter und Fleischfetzen vermischt. Nachdem sie die Schiffe mit den Rudern gestoppt hatten und die Schiffsschnäbel zurückzogen, (660) fiel der Kadaver mit durchbohrter Brust in das Meer und ließ das Wasser durch die Wunden hindurchschießen. Der größte Teil einer schiffbrüchigen Besatzung kämpfte mit rudernden Armen gegen den Tod und sammelte sich zur Rettung an einem verbündeten Boot. Als sie aber trotz Warnung die Reling mit den Armen oben erfassten, (665) das Boot krängte und unterzugehen drohte, wenn es alle aufnähme, hackte ihnen die skrupellose Besatzung mit dem Schwert von oben die Arme in der Mitte ab. Die Arme ließen sie hängend an dem griechischen Schiff zurück und fielen ohne Hände herunter: Die Wogen konnten die schweren verstümmelten Körper nicht halten und zogen sie in die Tiefe. (670) Schon waren alle Speere verschossen, die Soldaten ohne weitere Waffen, aber der Kampfesmut fand Waffen: Der eine schwang ein Ruder gegen

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alter, at hi totum validis aplustre lacertis avolsasque rotant expulso remige sedes. in pugnam fregere rates. sidentia pessum corpora caesa tenent spoliantque cadavera ferro. multi inopes teli iaculum letale revolsum volneribus traxere suis et viscera laeva oppressere manu, validos dum praebeat ictus sanguis et, hostilem cum torserit, exeat, hastam. nulla tamen plures hoc edidit aequore clades quam pelago diversa lues. nam pinguibus ignis adfixus taedis et tecto sulpure vivax spargitur; at faciles praebere alimenta carinae nunc pice, nunc liquida rapuere incendia cera. nec flammas superant undae, sparsisque per aequor iam ratibus fragmenta ferus sibi vindicat ignis. hic recipit fluctus, extinguat ut aequore flammas, hi, ne mergantur, tabulis ardentibus haerent. mille modos inter leti mors una timori est qua coepere mori. nec cessat naufraga virtus: tela legunt deiecta mari ratibusque ministrant incertasque manus ictu languente per undas exercent; nunc, rara datur si copia ferri, utuntur pelago: saevus conplectitur hostem hostis, et inplicitis gaudent subsidere membris mergentesque mori. pugna fuit unus in illa eximius Phoceus animam servare sub undis scrutarique fretum, siquid mersisset harenis, et nimis adfixos unci convellere morsus, adductum quotiens non senserat anchora funem. hic, ubi conprensum penitus deduxerat hostem, victor et incolumis summas remeabat in undas; sed, se per vacuos credit dum surgere fluctus, puppibus occurrit tandemque sub aequore mansit. hi super hostiles iecerunt bracchia remos et ratium tenuere fugam. non perdere letum maxima cura fuit: multus sua volnera puppi adfixit moriens et rostris abstulit ictus. stantem sublimi Tyrrhenum culmine prorae Lygdamus excussa Balearis tortor habenae glande petens solido fregit cava tempora plumbo.

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die Feinde, andere schleuderten mit kräftigen Armen eine ganze Heckverkleidung154 oder abgerissene Ruderbänke, nachdem die Ruderer verjagt waren. Sie zertrümmerten ihre Schiffe für den Kampf. Die zu Boden (675) gesunkenen toten Körper holten sie und beraubten sie der Waffen. Viele zogen in Ermangelung eines Wurfgeschosses das todbringende Geschoss aus ihren eigenen Wunden, drückten die Verletzung mit der Linken zu, so lang bis das Blut155 einen kräftigen Wurf erlaubte und erst dann wieder hervorbrach, wenn sie den feindlichen Speer geschleudert hatten. (680) Dennoch verursachte auf diesem Meer kein Unheil größeren Schaden als das dem Wasser entgegen gesetzte Element. Denn das Feuer breitete sich lebhaft aus, angefacht von den öligen Fackeln, die mit Schwefel überzogen waren. Leichte Beute boten den Flammen die Schiffe wegen des Pechs, bald beschleunigte das geschmolzene Wachs die Brände. (685) Die Wogen wurden der Flammen nicht Herr. Auch die schon auf dem Meer treibenden Schiffstrümmer beanspruchte das rasende Feuer für sich. Hier ließ man die Wogen eindringen, um mit dem Wasser den Brand zu löschen, andere hingen an brennenden Wrackteilen, um nicht unterzugehen. Unter den tausend Arten des Todes flößte nur die Furcht ein, (690) die einen anfangs bedrohte. Auch den Schiffbrüchigen wich nicht der Kampfesmut: Waffen, zerstreut auf dem Meer, lasen sie auf und gaben sie den Schiffsmannschaften oder führten unsichere Würfe mit schwachem Stoß aus dem Wasser aus. Bald benutzten sie, wenn es an ausreichend Eisen gebrach, auch das Meer selbst als Waffe: Grausam umschlang der Feind den Feind (695) und sie freuten sich, dass sie mit verschlungenen Gliedern sanken und starben, indem sie den anderen untertauchten. In jener Schlacht hat sich ein Phokäer besonders hervorgetan, den Atem anzuhalten und den Grund abzusuchen, wenn etwas im Sand hängen geblieben war, oder den Biss des Ankerhakens, der sich festgehakt hatte, loszureißen, (700) wenn der Anker nicht auf das Tau reagierte. Dieser kehrte, sobald er einen Feind ergriffen und ihn in die Tiefe gezogen hatte, als Sieger und unversehrt an die Oberfläche zurück; aber als er einmal glaubte, dass er im freien Wasser auftauchte, stieß er an einen Schiffskiel und blieb schließlich unter Wasser. (705) Andere streckten ihre Arme über die feindlichen Ruderer und hemmten damit die Flucht der Schiffe. Die größte Sorge war, nicht dem Tod zu entgehen: Manch einer hing sterbend seinen verwundeten Leib an das Heck und fing so die Stöße der Rammsporne auf. Tyrrhenus stand auf dem höchsten Punkt des Vorderdecks, (710) als Lygdamus, ein Meister der Balearenschleuder, mit einer Kugel auf ihn zielte und mit dem massiven Blei seine geschwungenen Schläfen zerschmetterte.

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sedibus expulsi, postquam cruor omnia rupit vincula, procurrunt oculi; stat lumine rapto attonitus mortisque illas putat esse tenebras. at postquam membris sensit constare vigorem ‘vos’, ait ‘o socii, sicut tormenta soletis, me quoque mittendis rectum conponite telis. egere quod superest animae, Tyrrhene, per omnis bellorum casus. ingentem militis usum hoc habet ex magna defunctum parte cadaver: viventis feriere loco.’ sic fatus in hostem caeca tela manu sed non tamen inrita mittit. excipit haec iuvenis generosi sanguinis Argus qua iam non medius descendit in ilia venter, adiuvitque suo procumbens pondere ferrum. stabat diversa victae iam parte carinae infelix Argi genitor, non ille iuventae tempore Phocaicis ulli cessurus in armis: victum aevo robur cecidit, fessusque senecta exemplum, non miles erat; qui funere viso saepe cadens longae senior per transtra carinae pervenit ad puppim spirantisque invenit artus. non lacrimae cecidere genis, non pectora tundit, distentis toto riguit sed corpore palmis. nox subit atque oculos vastae obduxere tenebrae, et miserum cernens agnoscere desinit Argum. ille caput labens et iam languentia colla viso patre levat; vox faucis nulla solutas prosequitur, tacito tantum petit oscula voltu invitatque patris claudenda ad lumina dextram. ut torpore senex caruit viresque cruentus coepit habere dolor, ‘non perdam tempora’ dixit ‘a saevis permissa deis, iugulumque senilem confodiam. veniam misero concede parenti, Arge, quod amplexus, extrema quod oscula fugi. nondum destituit calidus tua volnera sanguis, semianimisque iaces et adhuc potes esse superstes.’ sic fatus, quamvis capulum per viscera missi polluerit gladii, tamen alta sub aequora tendit praecipiti saltu: letum praecedere nati festinantem animam morti non credidit uni.

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Aus ihren Höhlen gequetscht fielen die Augen heraus, nachdem das Blut alle Hindernisse gebrochen hatte. Er stand da erschrocken und des Augenlichtes beraubt und glaubte, es sei das Dunkel des Todes. (715) Als er aber bemerkte, dass den Gliedern noch Kraft übrig war, rief er: »Kameraden, die ihr gewohnt seid, die Wurfmaschinen zu bedienen, stellt mich geradewegs als Ziel für die abschussbereiten Geschosse auf. Was noch an Leben übrig ist, Tyrrhenus, setze es ein für die Zufälligkeiten des Krieges! Einen bedeutenden militärischen Zweck (720) hat auch der schon fast entseelte Körper noch: Du wirst anstatt eines Lebenden getroffen.« So sprach er und schleuderte zwar mit blinder Hand, aber nicht vergeblich, die Lanze. Sie traf Argus, einen jungen Mann vornehmen Geblütes, an der Seite, wo der Bauch in die Leisten mündet. (725) Er kippte nach vorne um und trieb das Eisen durch sein Gewicht noch weiter hinein. Am anderen Ende des besiegten Schiffes stand der unglückliche Vater des Argus; in seiner Jugend hätte er keinem in phokäischen Waffen nachgestanden, nun war die Kraft geschwunden, vom Alter bezwungen. Der erschöpfte Greis diente nur noch (730) als Vorbild, nicht mehr als Soldat. Als er den tödlich Verwundeten sah, eilte der Greis, oftmals strauchelnd über das Verdeck des langen Schiffes, zum Achterdeck und fand den noch atmenden Körper. Keine Tränen fielen auf seine Wangen, er schlug nicht die Brust, sondern erstarrte am ganzen Körper mit weit ausgebreiteten Armen. (735) Nacht beschlich ihn und ungeheure Dunkelheit verhüllte die Augen. Obwohl er sehen konnte, hörte er auf, den unglücklichen Argus wieder zu erkennen. Als der den Vater erblickte, hob er den sinkenden Kopf und den schon kraftlosen Hals ein wenig; kein Wort kam aus dem entkräfteten Schlund heraus. Nur mit schweigender Miene bat er um Küsse und (740) lud die Rechte des Vaters ein, ihm die Augen zu schließen. Als der Greis sich aus seiner Erstarrung gelöst hatte und blutiger Schmerz anfing zu erstarken, sagte er: »Ich werde die Zeit, die mir von den grausamen Göttern vergönnt ist, nicht vergeuden und die greise Kehle durchbohren. Verzeih dem armen Vater, Argus, (745) dass er Umarmungen und letzte Küsse flieht. Noch hat das warme Blut deine Wunden nicht ganz verlassen, du liegst halb entseelt und kannst mich noch überleben.« Mit diesen Worten stürzte er, obwohl er den Griff des Schwertes, das er sich durch die Eingeweide gestoßen hatte, schon bespritzte, (750) kopfüber in die Meerestiefe. Er vertraute das Leben, das so begierig war, dem Tode des Sohnes vorauszueilen, nicht einem einzigen Tod an.

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inclinant iam fata ducum, nec iam amplius anceps belli casus erat. Graiae pars maxima classis mergitur, ast aliae mutato remige puppes victores vexere suos; navalia paucae praecipiti tenuere fuga. quis in urbe parentum fletus erat, quanti matrum per litora planctus! coniunx saepe sui confusis voltibus unda credidit ora viri Romanum amplexa cadaver, accensisque rogis miseri de corpore trunco certavere patres. at Brutus in aequore victor primus Caesareis pelagi decus addidit armis.

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Die Schicksalswaage der Heerführer neigte sich, nicht länger war der Ausgang der Schlacht ungewiss. Der größte Teil der griechischen Flotte war gesunken, andere Schiff dagegen trugen, nachdem die Mannschaft ausgewechselt war, ihre Sieger. (755) Wenige Schiffe erreichten durch heillose Flucht die Werften. Welche Tränen wurden in der Stadt von den Eltern vergossen! Welch ein Wehklagen der Mütter an den Stränden! Oftmals umarmte eine Frau einen römischen Leichnam, weil sie das durch die Wellen verunstaltete Antlitz für ihren Gatten hielt. (760) Als die Scheiterhaufen brannten, stritten sich unglückliche Väter um verstümmelte Leichname. Aber Brutus fügte als Sieger auf dem Meere als erster Marineruhm den Streitkräften Caesars156 zu.

LIBER IV At procul extremis terrarum Caesar in oris Martem saevus agit non multa caede nocentem maxima sed fati ducibus momenta daturum. iure pari rector castris Afranius illis ac Petreius erat; concordia duxit in aequas imperium commune vices, tutelaque valli pervigil alterno paret custodia signo. his praeter Latias acies erat inpiger Astur Vettonesque leves profugique a gente vetusta Gallorum Celtae miscentes nomen Hiberis. colle tumet modico lenique excrevit in altum pingue solum tumulo; super hunc fundata vetusta surgit Ilerda manu; placidis praelabitur undis Hesperios inter Sicoris non ultimus amnis, saxeus ingenti quem pons amplectitur arcu hibernas passurus aquas. at proxima rupes signa tenet Magni, nec Caesar colle minore castra levat; medius dirimit tentoria gurges. explicat hinc tellus campos effusa patentis vix oculo prendente modum, camposque coerces, Cinga rapax, vetitus fluctus et litora cursu Oceani pepulisse tuo; nam gurgite mixto qui praestat terris aufert tibi nomen Hiberus. prima dies belli cessavit Marte cruento spectandasque ducum vires numerosaque signa exposuit. piguit sceleris; pudor arma furentum continuit, patriaeque et ruptis legibus unum donavere diem; prono cum Caesar Olympo in noctem subita circumdedit agmina fossa, dum primae perstant acies, hostemque fefellit et prope consertis obduxit castra maniplis. luce nova collem subito conscendere cursu, qui medius tutam castris dirimebat Ilerdam, imperat. huc hostem pariter terrorque pudorque inpulit, et rapto tumulum prior agmine cepit. his virtus ferrumque locum promittit, at illis ipse locus. miles rupes oneratus in altas nititur, adversoque acies in monte supina

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Buch 4 Weit weg an den fernsten Küsten der Erde führte Caesar unbarmherzig einen Krieg, der zwar nicht durch viel Blutvergießen verlustreich war, der aber von größter und entscheidender Bedeutung für die Anführer sein sollte. Gleichberechtigt kommandierten Afranius und (5) Petreius1 die dortigen Feldlager; einträchtig wechselten sie sich gleichmäßig im gemeinsamen Kommando ab, und die immer wachsamen Posten auf dem Lagerwall gehorchten der abwechselnden Parole. Die beiden verfügten außer über römische Truppen über den unermüdlichen Asturier, leichtbewaffnete Vettonen und Kelten, die als Flüchtlinge von einem alten Stamm (10) der Gallier gekommen waren und in den Iberern aufgegangen waren. Das fruchtbare Land wölbt sich zu einem mäßigen Hügel und bildet eine sanfte Anhöhe; darauf erhebt sich das vor alter Zeit gegründete Ilerda2. Mit sanftem Wellenschlag strömt der Sicoris3 daran vorbei, nicht der unbedeutendste unter den Flüssen Hesperiens4, (15) und eine Steinbrücke, stark genug, um den winterlichen Hochwassern standzuhalten, überspannt ihn in einem mächtigen Bogen. Auf einer Anhöhe in nächster Nähe stehen die Feldzeichen des Pompeius; auf einem ebenso hohen Hügel schlägt Caesar sein Lager auf; der Fluss dazwischen trennt die Zelte der beiden Lager. Von hier aus breitet sich das Land in offenen Flächen aus, (20) die das Auge kaum noch überschauen kann; doch grenzt die Flächen die reißende Cinga5 ein, die nicht zu der Küste und dem Ozean vorstoßen darf, denn der Hiberus6, der diesem Land den Namen gibt, mischt seine Fluten mit der Cinga und nimmt ihr den eigenen Namen. Der erste Tag dieses Feldzuges verging ohne viel Blutvergießen, (25) er stellte nur die Streitkräfte und die zahlreichen Feldzeichen der Anführer zur Schau. Noch schämte man sich des Verbrechens; ein Gefühl für das, was sich gehört, hemmte die Waffen der erbitterten Feinde, und sie schenkten dem Vaterland und den von ihnen gebrochenen Gesetzen noch einen Tag; doch als der Tag sich zur Nacht neigte, ließ Caesar seine Truppenverbände hastig mit einem Graben umgeben, (30) während die vorderste Kampflinie ihre Stellung beibehielt; und er täuschte so den Feind und tarnte das Lager durch die dicht davor aufgestellten Abteilungen7. Bei Tagesanbruch gab er den Befehl, im Laufschritt den Hügel zu erstürmen, der das befestigte Ilerda auf halber Strecke von seinem Lager trennte. Der Schreck und die Beschämung trieben den Feind ebenfalls dorthin (35) und in einem Sturmangriff nahm er als erster die Anhöhe. Mut und Kampfgeist verhießen diesen Ort Caesars Leuten, doch den anderen die Beschaffenheit des Geländes selbst. Die schwer bepackten Soldaten erklommen den hohen Felsen, die vorderste Kampflinie verbiss sich, nach hinten überhängend, an der

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haeret et in tergum casura umbone sequentis erigitur. nulli telum vibrare vacavit, dum labat et fixo firmat vestigia pilo, dum scopulos stirpesque tenent atque hoste relicto caedunt ense viam. vidit lapsura ruina agmina dux equitemque iubet succedere bello munitumque latus laevo praeducere gyro. sic pedes ex facili nulloque urguente receptus, inritus et victor subducto Marte pependit. hactenus armorum discrimina: cetera bello fata dedit variis incertus motibus aer. pigro bruma gelu siccisque Aquilonibus haerens aethere constricto pluvias in nube tenebat. urebant montana nives camposque iacentis non duraturae conspecto sole pruinae, atque omnis propior mergenti sidera caelo aruerat tellus hiberno dura sereno. sed postquam vernus calidum Titana recepit sidera respiciens delapsae portitor Helles, atque iterum aequatis ad iustae pondera Librae temporibus vicere dies, tum sole relicto Cynthia, quo primum cornu dubitanda refulsit, exclusit Borean flammasque accepit in Euro. ille suo nubes quascumque invenit in axe torsit in occiduum Nabataeis flatibus orbem, et quas sentit Arabs et quas Gangetica tellus exhalat nebulas, quidquid concrescere primus sol patitur, quidquid caeli fuscator Eoi inpulerat Corus, quidquid defenderat Indos. incendere diem nubes oriente remotae nec medio potuere graves incumbere mundo sed nimbos rapuere fuga. vacat imbribus Arctos et Notos, in solam Calpen fluit umidus aer. hic, ubi iam Zephyri fines, et summus Olympi cardo tenet Tethyn, vetitae transcurrere densos involvere globos, congestumque aeris atri vix recipit spatium quod separat aethere terram. iamque polo pressae largos densantur in imbres spissataeque fluunt; nec servant fulmina flammas quamvis crebra micent: extinguunt fulgura nimbi.

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steilen Bergflanke, und wenn sie nach hinten zu fallen drohte, wurde sie vom Schildbuckel der Nachfolgenden wieder hochgeschoben. (40) Keiner kam dazu, seinen Wurfspieß zu schleudern, während er noch unsicher stand und festen Halt suchte, indem er seine Wurflanze in den Boden stieß, sich an Felsgestein und Wurzelwerk festklammerte und sich mit dem Schwert einen Weg frei hieb, ohne auf den Feind zu achten. Caesar sah ein, dass seine Kampfverbände heruntergeworfen zu werden drohten und befahl der Reiterei, in das Treffen einzugreifen (45) und in einem kreisförmigen Schwenk links ihre Flanke zu schützen. So wurde die Infanterie mühelos zurückgezogen, niemand verfolgte sie dabei, und die Sieger behaupteten nach Abzug des Gegners weiterhin die Anhöhe, ohne irgendetwas damit erreicht zu haben.8 Bis zu diesem Zeitpunkt lag die Entscheidung bei den Waffen; der weitere Verlauf des Kampfes hing von den Schwankungen der unsicheren Wetterlage ab. (50) Der Winter, erstarrend in lähmendem Frost und trockenen Nordwinden, hielt die Niederschläge bei bedecktem Himmel in den Wolken zurück. Auf den Bergen lastete Schnee und die offenen Ebenen überzog Raureif, der – wenn sich die Sonne sehen ließ – bald wieder taute. Und das ganze Land nach der Himmelsrichtung hin, wo die Gestirne untergehen9, (55) war unter einem wolkenlosen Winterhimmel trocken und hart geworden. Aber nachdem der Träger der ins Meer gestürzten Helle10 – auf die Sternbilder zurückblickend – die wärmende Sonne empfing, und nachdem zum zweiten Mal11 die Tag- und Nachtzeiten sich nach ihrem Gewicht auf einer genauen Waage angeglichen hatten, da trat der Mond vor die Sonne (60) und hielt mit der Sichel, mit der sie fürs erste nur undeutlich leuchtete, den Nordwind fern und gewann leuchtenden Glanz im Südostwind. Dieser blies alle Wolken, die er in seiner Himmelsgegend fand, mit nabatäischem12 Wehen nach Westen und die Nebel, die der Araber spürt (65) und die das Land am Ganges aushaucht, was immer die aufgehende Sonne da sich zusammenbrauen lässt, was immer der Nordwestwind, der den morgenländischen Himmel verdunkelt, hergetrieben hatte, was immer den Inder vor der Sonne geschützt hatte. Die aus dem Osten vertriebenen Wolken ließen die Tagestemperaturen steigen, sie konnten sich unterwegs nicht in schweren Niederschlägen abregnen, (70) sondern rissen die Regengüsse in ihrer Flucht mit sich. Arctus13 und Notus14 bleiben ohne Regen, die feuchte Luft zieht nur nach Calpe15. Hier, wo schon das Gebiet des Westwindes ist und die äußerste Grenze des Olymp die Thetis16 berührt, ballten sich die Wolken, daran gehindert, weiterzuziehen, in dichten Massen, und der Raum, der die Erde vom Himmel trennt, (75) konnte kaum noch die angesammelten schwarzen Schwaden fassen. Dann, gegen das Himmelsgewölbe gepresst, verdichteten sie sich zu reichen Regenfällen und strömten in Wolkenbrüchen herab; und Blitze büßten ihre Flammen ein, obwohl sie zahlreich nieder zuckten: Die Regengüsse

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hinc inperfecto conplectitur aera gyro arcus vix ulla variatus luce colorem Oceanumque bibit raptosque ad nubila fluctus pertulit et caelo defusum reddidit aequor. iamque Pyrenaeae, quas numquam solvere Titan evaluit, fluxere nives, fractoque madescunt saxa gelu. tum quae solitis e fontibus exit non habet unda vias, tam largas alveus omnis a ripis accepit aquas. iam naufraga campo Caesaris arma natant, inpulsaque gurgite multo castra labant; alto restagnant flumina vallo. non pecorum raptus faciles, non pabula mersi ulla ferunt sulci; tectarum errore viarum fallitur occultis sparsus populator in agris. iamque comes semper magnorum prima malorum saeva fames aderat, nulloque obsessus ab hoste miles eget: toto censu non prodigus emit exiguam Cererem. pro lucri pallida tabes! non dest prolato ieiunus venditor auro. iam tumuli collesque latent, iam flumina cuncta condidit una palus vastaque voragine mersit, absorpsit penitus rupes ac tecta ferarum detulit atque ipsas hausit, subitisque frementis verticibus contorsit aquas et reppulit aestus fortior Oceani. nec Phoebum surgere sentit nox subtexta polo: rerum discrimina miscet deformis caeli facies iunctaeque tenebrae. sic mundi pars ima iacet, quam zona nivalis perpetuaeque premunt hiemes: non sidera caelo ulla videt, sterili non quicquam frigore gignit sed glacie medios signorum temperat ignes. sic, o summe parens mundi, sic, sorte secunda aequorei rector, facias, Neptune tridentis, et tu perpetuis inpendas aera nimbis, tu remeare vetes quoscumque emiseris aestus. non habeant amnes declivem ad litora cursum sed pelagi referantur aquis, concussaque tellus laxet iter fluviis: hos campos Rhenus inundet, hos Rhodanus; vastos obliquent flumina fontes. Riphaeas huc solve nives, huc stagna lacusque

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löschten ihren Feuerglanz aus. Darauf überspannte den Himmel in unvollständigem Kreis ein Regenbogen, (80) kaum ließ das Licht seine Farben unterscheiden, den Ozean sog er auf, zog die aufgesogenen Fluten zu den Wolken hoch und brachte dem Himmel das ins Meer herab geströmte Wasser wieder zurück. Nun schmolzen in den Pyrenäen die Schneeflächen, die die Sonne bisher nicht auftauen konnte, und die Felsen troffen unter dem aufbrechenden Eis. (85) Da17 fand das Wasser, das sonst aus seinen gewohnten Quellen entspringt, nicht mehr seinen Weg, solche reißenden Wasserfluten nahm jedes Flussbett auf und trat über seine Ufer. Schon schwamm Caesars Armee wie bei einem Schiffbruch auf dem Felde, sein Lager wankte unter dem Anprall der Wasserstrudel; bis oben zur Höhe des Lagerwalls stauten sich die Fluten. (90) Es war nicht mehr so leicht möglich, Vieh zu rauben, die überschwemmten Ackerfurchen gaben kein Futter mehr her; von den überfluteten Wegen getäuscht, irrten die Plünderer18 verstreut auf den unsichtbar gewordenen Feldern umher. Schon stellte sich auch, immer der erste Begleiter schwerer Katastrophen, wütender Hunger ein, und obwohl von keinem Feind belagert, (95) ging es den Soldaten schlecht; ohne verschwenderisch zu sein, kauften sie sich für ihren gesamten Sold nur ein bisschen Getreide. Wehe der bleichen Seuche der Gewinnsucht! Wenn Gold geboten wird, findet sich immer ein Verkäufer, auch wenn er selbst Hunger leidet. Schon sind Anhöhen und Hügel versunken, schon waren alle Flüsse in einem einzigen Sumpf aufgegangen und untergegangen in einem riesigen Wasserstrudel. (100) Darin verschwanden ganze Felsen, wurden die Schlupfwinkel der Tiere und gar diese selbst verschlungen. Er ließ dumpf brausende Wasser in plötzlichem Wirbel sich drehen und drängte mit überlegener Kraft die Brandung des Ozeans zurück. Die Nacht, die den Himmel bedeckte, sah nicht, wie der Tag sich erhob: (105) Ein gestaltloser Himmel und die Finsternis hoben die Unterschiede der Dinge auf. So liegt der unterste Teil der Welt da, den eine Zone aus Schnee und ewigem Winter bedeckt19: Er sieht keine Sterne am Himmel, in der starrenden Kälte erzeugt er nichts, aber durch sein Eis mäßigt er die Hitze unter den aequatorialen Gestirnen20. (110) So, höchster Vater der Welt, so, Neptun, der du kraft der zweiten Stellung21 in der Rangordnung der Götter Herr des ozeanischen Dreizacks bist, handle und gib den Himmel einem unaufhörlichen Regen hin, und verbiete, dass die Wogen zurückkehren, welche du immer ausgesandt hast. Die Flüsse sollen ihren Lauf nicht mehr nach unten zur Küste nehmen, (115) sondern zurückgetrieben werden von den Fluten des Meeres, und die Erde soll beben und den Weg für die Flüsse verbreitern. Der Rhein möge die einen Felder überfluten, die anderen die Rhone! Die Flüsse sollen ihre gewaltigen Quellen seitwärts abfließen lassen! Lass den riphäischen22 Schnee hier tauen, die Gewässer, Seen und die trägen Sümpfe,

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et pigras, ubicumque iacent, effunde paludes et miseras bellis civilibus eripe terras. sed parvo Fortuna viri contenta pavore plena redit, solitoque magis favere secundi et veniam meruere dei. iam rarior aer, et par Phoebus aquis densas in vellera nubes sparserat, et noctes ventura luce rubebant, servatoque loco rerum discessit ab astris umor, et ima petit quidquid pendebat aquarum. tollere silva comas, stagnis emergere colles incipiunt visoque die durescere valles. utque habuit ripas Sicoris camposque reliquit primum cana salix madefacto vimine parvam texitur in puppem caesoque inducta iuvenco vectoris patiens tumidum super emicat amnem. sic Venetus stagnante Pado fusoque Britannus navigat Oceano; sic, cum tenet omnia Nilus, conseritur bibula Memphitis cumba papyro. his ratibus traiecta manus festinat utrimque succisum curvare nemus, fluviique ferocis incrementa timens non primis robora ripis inposuit, medios pontem distendit in agros. ac, nequid Sicoris repetitis audeat undis, spargitur in sulcos et scisso gurgite rivis dat poenas maioris aquae. postquam omnia fatis Caesaris ire videt, celsam Petreius Ilerdam deserit et noti diffisus viribus orbis indomitos quaerit populos et semper in arma mortis amore feros et tendit in ultima mundi. nudatos Caesar colles desertaque castra conspiciens capere arma iubet nec quaerere pontem nec vada, sed duris fluvium superare lacertis. paretur, rapuitque ruens in proelia miles quod fugiens timuisset iter. mox uda receptis membra fovent armis gelidosque a gurgite cursu restituunt artus, donec decresceret umbra in medium surgente die; iamque agmina summa carpit eques, dubiique fugae pugnaeque tenentur. attollunt campo geminae iuga saxea rupes valle cava media; tellus hinc ardua celsos

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wo immer sie liegen, hierhin strömen (120) und entreiße so die bedauernswerten Länder dem Bürgerkrieg. Aber Fortuna gab sich mit ein paar angstvollen Sorgen ihres Günstlings zufrieden, kehrte mit voller Kraft zu ihm zurück. Und die Götter verteilten mehr Gunst als gewöhnlich und verdienten sich so seine Nachsicht23. Schon lichtete sich der Nebel. Die Sonne, den Fluten gewachsen, zerteilte die dichten Wolken in lockere Schäfchenwolken, (125) der nächtliche Himmel rötete sich, wenn der Tag sich näherte. Alles war wieder wie zuvor, und die Feuchtigkeit verließ die Sterne, und was immer an Wasser herunterkam, versickerte. Der Wald begann die Blätter aufzurichten, die Hügel begannen aus den Wassern aufzutauchen und die Täler beim Anblick des Sonnenlichtes trocken zu werden. (130) Sobald der Sicoris24 wieder Ufer und die Felder freigegeben hatte, wurden zuerst einmal Ruten der grauen Korbweide eingeweicht und zu kleinen Booten geflochten und mit der Haut eines geschlachteten Stiers überzogen, um Passagiere aufzunehmen und über den angeschwollenen Fluss zu flitzen. So fährt der Veneter auf dem überflutenden Po, so der Brite auf (135) dem sich weithin erstreckenden Ozean. So wird, wenn der Nil alles in Besitz genommen hat, das Boot des Bewohners von Memphis25 aus durstigem Papyrus zusammengefügt. In solchen Booten setzte eine Abteilung Caesars über und beeilte sich, auf beiden Ufern Bäume für den Brückenbau zu fällen. (140) Aus Furcht vor einem Anschwellen des wilden Flusses verankerten sie ihre hölzerne Brücke nicht ganz nahe am Ufer, sondern verlegten die Brückenauffahrten weiter weg in die Felder. Und damit der Sicoris nicht noch einmal wage anzuschwellen, wurde er in mehrere Arme aufgeteilt und für seine Überflutung bestraft mit der Aufspaltung seines Wassers in Kanäle. Als Petreius26 sah, dass alles zu Gunsten Caesars verlief, (145) verließ er das hoch gelegene Ilerda27, und da er den Streitkräften der bekannten Welt misstraute, suchte er Völker, die aus Todessehnsucht immer begierig auf Krieg wären, und strebte ans Ende der Welt. Caesar bemerkte, dass die Hügel und das Lager verlassen waren, und befahl, die Waffen zu ergreifen und weder nach Brücken oder nach (150) Furten zu suchen, sondern den Fluss mit starken Armen schwimmend zu überqueren. Man gehorchte, und die Soldaten, die sich in den Kampf stürzten, nahmen begierig einen Weg, vor dem sie sich auf der Flucht gefürchtet hätten. Schnell nahmen sie die Waffen wieder auf, trockneten ihren nassen Körper und belebten die vom kalten Wasser steifen Glieder im Lauf, bis der Schatten kürzer wurde, (155) als die Sonne in den Zenit aufstieg; und schon verwickelte die Reiterei Caesars die Nachhut des Petreius, die angehalten hatte, im Zweifel, ob sie fliehen oder sich zum Kampf stellen sollte, in Scharmützel. Zwei Felsen recken ihre steinernen Joche aus der Ebene in die Höhe und bilden ein Tal in der Mitte; von hier aus setzt sich das Gelände steil ansteigend in

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continuat colles, tutae quos inter opaco anfractu latuere viae; quibus hoste potito faucibus emitti terrarum in devia Martem inque feras gentes Caesar videt. ‘ite sine ullo ordine’ ait ‘raptumque fuga convertite bellum et faciem pugnae voltusque inferte minaces; nec liceat pavidis ignava occumbere morte: excipiant recto fugientes pectore ferrum.’ dixit et ad montis tendentem praevenit hostem. illic exiguo paulum distantia vallo castra locant. postquam spatio languentia nullo mutua conspicuos habuerunt lumina voltus, (hic fratres natosque suos videre patresque) deprensum est civile nefas. tenuere parumper ora metu, tantum nutu motoque salutant ense suos. mox, ut stimulis maioribus ardens rupit amor leges, audet transcendere vallum miles, in amplexus effusas tendere palmas. hospitis ille ciet nomen, vocat ille propinquum, admonet hunc studiis consors puerilibus aetas; nec Romanus erat, qui non agnoverat hostem. arma rigant lacrimis, singultibus oscula rumpunt, et quamvis nullo maculatus sanguine miles quae potuit fecisse timet. quid pectora pulsas? quid, vaesane, gemis? fletus quid fundis inanis nec te sponte tua sceleri parere fateris? usque adeone times quem tu facis ipse timendum? classica det bello, saevos tu neclege cantus; signa ferat, cessa: iam iam civilis Erinys concidet et Caesar generum privatus amabit. nunc ades, aeterno conplectens omnia nexu, o rerum mixtique salus Concordia mundi et sacer orbis amor: magnum nunc saecula nostra venturi discrimen habent. periere latebrae tot scelerum, populo venia est erepta nocenti: agnovere suos. pro numine fata sinistro exigua requie tantas augentia clades! pax erat, et castris miles permixtus utrisque errabat; duro concordes caespite mensas instituunt et permixto libamina Baccho;

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einer hohen Bergkette fort, zwischen denen sichere Wege (160) verborgen sind in schattiger Krümmung; Caesar erkannte, dass der Krieg, wenn sich der Feind dieser Schluchten bemächtigt hätte, seinen Händen in abgelegene Gebiete und zu wilden Völkern entgleiten würde. »Folgt ihnen ohne irgendeine Ordnung und holt den Krieg wieder hierher zurück, der uns durch ihre Flucht geraubt worden ist, zeigt ihnen das Gesicht des Krieges und eure drohenden Mienen! (165) Es soll diesen Angsthasen nicht vergönnt sein, einen feigen Tod zu sterben: Auch auf der Flucht soll sie das Eisen geradewegs in die Brust treffen.« Er sprach’s und kam dem Feinde, der nach den Bergen strebte, zuvor. Dort richtete man zwei Lager ein mit einem niedrigen Wall, die nur einen geringen Abstand voneinander hatten. Als sie auf Grund der kurzen Distanz sich gegenseitig ohne Anstrengung ins Gesicht sehen konnten (170) (hier sahen sie ihre Brüder und Söhne und Väter) 28, wurde das Unrecht des Bürgerkriegs offenkundig. Aus Furcht hielten sie eine Weile den Mund, nur durch Nicken und Bewegung der Schwerter grüßten sie einander. Bald aber, als mit stärkerem Drang die glühende (175) Zuneigung die Disziplin durchbrach, wagten die Soldaten, den Wall zu überschreiten und die ausgebreiteten Hände zur Umarmung auszustrecken 29. Der eine rief den Namen eines Gastfreundes, ein anderer einen Verwandten, Altersgenossen erinnerten sich an die gemeinsame Schulzeit; es war kein Römer dabei, der keinen Bekannten unter den Feinden hatte. (180) Die Waffen wurden feucht von Tränen, mit Seufzern unterbrachen sie die Küsse, und obwohl die Soldaten sich noch nicht mit Blut besudelt hatten, erschraken sie über das, was sie hätten tun können. Warum schlägst du dir an die Brust? Warum, du Törichter, seufzest du? Warum vergießt du vergebliche Tränen und bekennst nicht, dass du dem Verbrechen aus eigenem Antrieb gehorchst? (185) Fürchtest du ihn so sehr, den du selbst erst zu einem Furchtbaren gemacht hast? Lass ihn doch Trompetensignale geben, du aber missachte den wilden Schall; er soll die Standarten vorantragen, du aber bleib stehen, dann wird sehr bald die Geißel des Bürgerkrieges nicht mehr wüten, und Caesar wird als Privatmann seinen Schwiegersohn lieben. Nun, Eintracht, steh uns bei, die du alles mit einem ewigen Band umfasst, (190) du Heil und Eintracht einer bunten Welt, heilige Liebe des Erdkreises; jetzt hat unser Zeitalter die große Möglichkeit, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. So viele Verbrechen sind jetzt enttarnt, eine Entschuldigung gibt es für das schuldige Volk nicht mehr: Denn sie haben ihre Angehörigen erkannt. Verfluchtes Schicksal, das mit seiner unheilvollen Macht (195) eine kurze Ruhepause benutzt, um ein ohnehin großes Unglück noch zu vergrößern! Es herrschte Friede, und die Soldaten schweiften in beiden Lagern durcheinander gemischt umher; einträchtig richteten sie Mahlzeiten auf dem harten Rasen her und nahmen Opfergüsse vor mit vermischtem Wein; Herde aus

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graminei luxere foci, iunctoque cubili extrahit insomnis bellorum fabula noctes, quo primum steterint campo, qua lancea dextra exierit. dum quae gesserunt fortia iactant et dum multa negant, quod solum fata petebant, est miseris renovata fides, atque omne futurum crevit amore nefas. nam postquam foedera pacis cognita Petreio, seque et sua tradita venum castra videt, famulas scelerata ad proelia dextras excitat atque hostis turba stipatus inermis praecipitat castris iunctosque amplexibus ense separat et multo disturbat sanguine pacem. addidit ira ferox moturas proelia voces. ‘inmemor o patriae, signorum obliorum, non potes hoc causae, miles, praestare, senatus adsertor victo redeas ut Caesare? certe, ut vincare, potes. dum ferrum, incertaque fata, quique fluat multo non derit volnere sanguis, ibitis ad dominum damnataque signa feretis, utque habeat famulos nullo discrimine Caesar exorandus erit? ducibus quoque vita petita est? numquam nostra salus pretium mercesque nefandae proditionis erit: non hoc civilia bella, ut vivamus, agunt. trahimur sub nomine pacis. non chalybem gentes penitus fugiente metallo eruerent, nulli vallarent oppida muri, non sonipes in bella ferox, non iret in aequor turrigeras classis pelago sparsura carinas, si bene libertas umquam pro pace daretur. hostes nempe meos sceleri iurata nefando sacramenta tenent; at vobis vilior hoc est vestra fides, quod pro causa pugnantibus aequa et veniam sperare licet. pro dira pudoris funera! nunc toto fatorum ignarus in orbe, Magne, paras acies mundique extrema tenentis sollicitas reges, cum forsan foedere nostro iam tibi sit promissa salus.’ sic fatur et omnis concussit mentes scelerumque reduxit amorem. sic, ubi desuetae silvis in carcere clauso mansuevere ferae et voltus posuere minaces

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Rasensoden flackerten, und da sie beieinander lagerten, (200) erzählten sie sich in schlaflosen Nächten Geschichten darüber, wo sie zuerst im Feld gestanden hatten und wie stark sie die Lanzen geschleudert hatten. Während sie prahlten, was sie an Heldentaten begangen hatten, und dabei vieles übergingen, da erneuerten die Unglückseligen ihr Zutrauen und – das allein bezweckte das Schicksal – all ihre künftigen (205) Verbrechen wurden noch schrecklicher durch diese Zuneigung. Denn nachdem Petreius erkannt hatte, dass Frieden herrschte und seine Streitmacht verschachert war, stachelte er seine Sklaven zum ruchlosen Kampf an und trieb, von dieser Horde umringt, die unbewaffneten Feinde Hals über Kopf aus dem Lager, trennte mit dem Schwert die eben noch in Umarmung Verbundenen (210) und vereitelte mit großem Blutbad den Frieden. Sein wilder Zorn fügte Worte hinzu, die geeignet waren, zum Kampf anzustacheln: »Soldat, hast du das Vaterland vergessen und die Feldzeichen verraten? Kannst du dich nicht darin auszeichnen, dass du als Beschützer des Senats mit einem Sieg über Caesar zurückkehrst? Besiegen kannst du dich wenigstens lassen (215). Solange ihr noch Schwerter habt, der Ausgang des Krieges noch offen, und ihr noch Blut genug habt, das aus zahlreichen Wunden fließen könnte, werdet ihr zu dem Tyrannen überlaufen, die Feldzeichen, die euch verhasst waren, tragen und Caesar bitten, dass er euch genauso behandelt wie seine Sklaven? Habt ihr auch um das Leben eurer Anführer gebeten? (220) Niemals wird unser Leben Preis und Lohn eines schändlichen Verrates sein; wir machen keinen Bürgerkrieg, nur damit wir überleben. Unter dem Vorwand des Friedens will man uns überwältigen. Keinen Stahl würden die Völker aus schwer zugänglichem Metall gewinnen, keine Mauern die Städte befestigen, (225) kein wildes Schlachtross in den Krieg, keine Kriegsflotte mit turmbewehrten Schiffen aufs Meer eilen, wenn die Freiheit jemals im guten Sinne für den Frieden eingetauscht werden könnte. Meine Feinde allerdings binden die Eide, die sie dem ruchlosen Verbrechen geschworen haben. Umso wohlfeiler dagegen ist (230) euer Ehrenwort, weil ihr für eine gerechte Sache kämpft und deshalb auf Verzeihung30 hoffen könnt. Zur Hölle mit dem Ehrgefühl! Im Moment, Pompeius, hebst du, nichts ahnend, was vorgeht, überall auf der Welt Truppen aus, wiegelst Könige auf, die die äußersten Gegenden der Welt beherrschen, obwohl dir durch unser Zusammengehen (235) gerade mal das Leben versprochen ist.« Mit diesen Worten beeindruckte er alle und erneuerte ihr Verlangen nach Freveltaten. Wie bei wilden Tieren, wenn sie die Wälder verlassen haben und im Käfig eingesperrt zahm geworden sind, die drohenden Gebärden abgelegt haben

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atque hominem didicere pati, si torrida parvos venit in ora cruor, redeunt rabiesque furorque admonitaeque tument gustato sanguine fauces; fervet et a trepido vix abstinet ira magistro. itur in omne nefas, et, quae fortuna deorum invidia caeca bellorum in nocte tulisset, fecit monstra fides. inter mensasque torosque quae modo conplexu foverunt pectora caedunt; et quamvis primo ferrum strinxere gementes, ut dextrae iusti gladius dissuasor adhaesit, dum feriunt, odere suos, animosque labantis confirmant ictu. fervent iam castra tumultu, ac, velut occultum pereat scelus, omnia monstra in facie posuere ducum: iuvat esse nocentis. tu, Caesar, quamvis spoliatus milite multo, agnoscis superos; neque enim tibi maior in arvis Emathiis fortuna fuit nec Phocidos undis Massiliae, Phario nec tantum est aequore gestum, hoc siquidem solo civilis crimine belli dux causae melioris eris. polluta nefanda agmina caede duces iunctis committere castris non audent, altaeque ad moenia rursus Ilerdae intendere fugam. campos eques obvius omnis abstulit et siccis inclusit collibus hostem. tunc inopes undae praerupta cingere fossa Caesar avet nec castra pati contingere ripas aut circum largos curvari bracchia fontes. ut leti videre viam, conversus in iram praecipitem timor est. miles non utile clausis auxilium mactavit equos, tandemque coactus spe posita damnare fugam casurus in hostes fertur. ut effuso Caesar decurrere passu vidit et ad certam devotos tendere mortem, ‘tela tene iam, miles’, ait ‘ferrumque ruenti subtrahe: non ullo constet mihi sanguine bellum. vincitur haut gratis iugulo qui provocat hostem. en, sibi vilis adest invisa luce iuventus iam damno peritura meo; non sentiet ictus, incumbet gladiis, gaudebit sanguine fuso.

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und gelernt haben, dem Menschen zu gehorchen, (240) die Wildheit und Leidenschaft wieder erwachen, sobald ein kleiner Blutstropfen in ihr ausgetrocknetes Maul fällt. Sie reißen ihren Rachen auf, von dem gekosteten Blut aufgepeitscht, ihre Wut kocht und kaum verschonen sie ihren ängstlichen Dompteur. So kehrte man zu jeglicher Schandtat zurück und Scheußlichkeiten, die Fortuna durch den blinden Neid der Götter höchstens in der Dunkelheit der Schlacht geschehen ließe, (245) verübte nun offen die Dienstpflicht. Zwischen den Tischen und Sitzpolstern streckten sie die Männer nieder, die sie gerade noch freundschaftlich umarmt hatten. Und obwohl sie anfangs das Schwert noch unter Skrupeln zückten, hassten sie, sobald das Schwert, der Verleumder des Rechts, einmal in ihrer Hand lag, mit jedem Schlag ihre Feinde mehr und (250) flößten im Zustoßen ihren zwiespältigen Gefühlen Mut ein. Ein Tumult wogte augenblicklich durch das Lager. Und als ob ein Verbrechen, im Verborgenen verübt, gar nicht existiere, verübten sie alle Ungeheuerlichkeiten im Angesicht ihrer Anführer. Es machte ihnen Spaß, Übeltäter zu sein. Du, Caesar, erkanntest, obwohl du viele Soldaten verloren hast, (255) den Willen der Götter; dein Glück war nämlich weder auf den Feldern Emathiens31 größer, noch in den Wellen des phokäischen Massilia32, noch ist eine solche Tat in der Bucht von Pharos33 verübt worden, da du wenigstens bei dieser einen Bürgerkriegsgreueltat zum Verfechter der besseren Sache wirst. Die Anführer wagten es nicht nach dem heillosen Morden (260) das Lager in der Nähe von Caesar aufzuschlagen und wandten sich wieder zur Flucht in die Mauern des hochragenden Ilerda. Caesars Reiterei schnitt ihnen den Weg zur Ebene vollkommen ab und schloss den Feind in wasserlosen Hügeln ein. Eifrig wollte Caesar sie dann in ihrer Wassernot mit einem tiefen Graben einschließen (265) und verhindern, dass ihr Lager an ein Flussufer grenzt oder ergiebige Quellen um ihre Vorwerke fließen. Als sie den unvermeidlichen Tod vor Augen hatten, schlug Furcht in kopflosen Zorn um. Die Soldaten schlachteten die Pferde, da sie den Eingeschlossenen nicht mehr nützten. Schließlich waren sie so gezwungen, (270) alle Hoffnung fahren zu lassen, einen Fluchtplan zu verwerfen und sich auf die Feinde zu stürzen mit der Absicht, dabei umzukommen. Als Caesar sah, dass sie in ungeordnetem Sturmangriff wie Todgeweihte in ihren sicheren Tod eilten, rief er: »Halte den Spieß noch fest, Soldat, und richte das Schwert nicht gegen sie, die sich darauf stürzen wollen: keinen Blutstropfen soll der Kampf mir wert sein. (275) Nicht umsonst wird besiegt, der seinen Feind mit dem eigenen Leben herausfordert. Seht, diese Jugend will ihr verhasstes Leben achtlos wegwerfen und ihren sinnlosen Tod mir zum Vorwurf machen. Sie wird nicht mal den Schlag spüren, sich in unsere Schwerter stürzen und Freude daran haben, ihr Blut zu verspritzen. Dieses Fieber soll aus ihren Köpfen wei-

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deserat hic fervor mentes, cadat impetus amens, perdant velle mori.’ sic deflagrare minaces in cassum et vetito passus languescere bello, substituit merso dum nox sua lumina Phoebo. inde, ubi nulla data est miscendae copia mortis, paulatim cadit ira ferox mentesque tepescunt, saucia maiores animos ut pectora gestant, dum dolor est ictusque recens et mobile nervis conamen calidus praebet cruor ossaque nondum adduxere cutem: si conscius ensis adacti stat victor tenuitque manus, tum frigidus artus alligat atque animum subducto robore torpor, postquam sicca rigens astrinxit volnera sanguis. iamque inopes undae primum tellure refossa occultos latices abstrusaque flumina quaerunt; nec solum rastris durisque ligonibus arva sed gladiis fodere suis, puteusque cavati montis ad inrigui premitur fastigia campi. non se tam penitus, tam longe luce relicta merserit Astyrici scrutator pallidus auri. non tamen aut tectis sonuerunt cursibus amnes aut micuere novi percusso pumice fontes, antra nec exiguo stillant sudantia rore aut inpulsa levi turbatur glarea vena. tunc exhausta super multo sudore iuventus extrahitur duris silicum lassata metallis; quoque minus possent siccos tolerare vapores quaesitae fecistis aquae. nec languida fessi corpora sustentant epulis, mensasque perosi auxilium fecere famem. si mollius arvum prodidit umorem, pinguis manus utraque glaebas exprimit ora super; nigro si turbida limo conluvies inmota iacet, cadit omnis in haustus certatim obscaenos miles moriensque recepit quas nollet victurus aquas; rituque ferarum distentas siccant pecudes, et lacte negato sordidus exhausto sorbetur ab ubere sanguis. tunc herbas frondesque terunt, et rore madentis destringunt ramos et siquos palmite crudo arboris aut tenera sucos pressere medulla.

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chen, dieser Wahnsinn die Herzen verlassen, es verschwinde der irrsinnige Drang (280) zu sterben.« So ließ er den drohenden Ansturm ins Leere laufen, kühlte ihre Gemüter ab und ließ sie, da ihnen die Schlacht verwehrt wurde, immer mehr erschlaffen, bis die Nacht ihr Sternenlicht an die Stelle der untergegangenen Sonne setzte. Als es keine Gelegenheit mehr gab zu töten und zu sterben, schwand allmählich der wilde Hass und die Gemüter kühlten ab. (285) Wie Verwundete mutiger werden, so lange der Schmerz und die Wunde noch frisch sind und das warme Blut den Muskeln bewegliche Kraft bietet und die Haut noch nicht über die Knochen zieht, so steht der Sieger da, wenn er erkannte, dass sein Schwert getroffen hatte, und hält die Hände ruhig, kalte Erstarrung (290) fesselt die Glieder und sein Herz, wenn die Kraft gebrochen ist und das gerinnende Blut die langsam abtrocknenden Wunden schließt.34 Schon gruben sie jetzt aus Wassermangel die Erde um und suchten nach verborgener Flüssigkeit und versiegten Flüssen. Nicht nur mit Hacke und Karst, (295) sondern mit ihren Schwertern gruben sie in der Erde, aber das Grundwasser des ausgehöhlten Berges war bis auf das Niveau der bewässerten Ebene gesunken. So tief und lang würde sich nicht einmal der bleiche Goldsucher in Asturien35 unter Tage in der Erde vergraben. Dennoch ertönten keine Flüsse mit verborgenem Lauf noch (300) blinkten Quellen aus dem geborstenen Bimsstein, noch spendeten feuchte Höhlen spärliches Nass. Kein Kies wurde aufgewühlt, der durchzogen war mit einer winzigen Wasserader. Dann stiegen die jungen Leute erschöpft, schweißtriefend und geschwächt durch die harte Bergwerksarbeit nach oben. Die Suche nach Wasser hatte zur Folge, dass sie die trockene Hitze noch weniger ertragen konnten. (305) Und sie stärkten ihre erschöpften Körper nicht mit Speisen, Essen verschmähten sie und nahmen gegen den Durst den Hunger zu Hilfe. Wenn etwas weicherer Ackerboden Feuchtigkeit verriet, dann pressten sie mit beiden Händen die fetten Erdschollen (310) über dem Mund aus. Wo eine von schwarzem Schlamm getrübte Pfütze sich staute, da kämpften sie darum, die Soldaten stürzten sich auf diesen scheußlichen Trunk und tranken sterbend eine Brühe, die sie von sich gewiesen hätten, wenn sie noch hätten weiterleben wollen. Wie Tiere pressten sie die prallen Euter des Viehs aus, und wenn keine Milch mehr kam, (315) saugte man schmutziges Blut aus den erschöpften Zitzen. Pflanzen und Laub zerrieben sie, leckten Tautropfen von den Zweigen, pressten die Säfte aus den frischen Trieben eines Baumes oder aus dem zarten Mark einer Pflanze.

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o fortunati, fugiens quos barbarus hostis fontibus inmixto stravit per rura veneno. hos licet in fluvios saniem tabemque ferarum, pallida Dictaeis, Caesar, nascentia saxis infundas aconita palam, Romana iuventus non decepta bibet. torrentur viscera flamma oraque sicca rigent squamosis aspera linguis; iam marcent venae, nulloque umore rigatus aeris alternos angustat pulmo meatus, rescissoque nocent suspiria dura palato; pandunt ora tamen nociturumque aera captant. expectant imbres, quorum modo cuncta natabant inpulsu, et siccis voltus in nubibus haerent. quoque magis miseros undae ieiunia solvant non super arentem Meroen Cancrique sub axe, qua nudi Garamantes arant, sedere, sed inter stagnantem Sicorim et rapidum deprensus Hiberum spectat vicinos sitiens exercitus amnes. iam domiti cessere duces, pacisque petendae auctor damnatis supplex Afranius armis semianimes in castra trahens hostilia turmas victoris stetit ante pedes. servata precanti maiestas non fracta malis, interque priorem fortunam casusque novos gerit omnia victi, sed ducis, et veniam securo pectore poscit. ‘si me degeneri stravissent fata sub hoste, non derat fortis rapiendo dextera leto; at nunc causa mihi est orandae sola salutis dignum donanda, Caesar, te credere vita. non partis studiis agimur nec sumpsimus arma consiliis inimica tuis. nos denique bellum invenit civile duces, causaeque priori, dum potuit, servata fides. nil fata moramur: tradimus Hesperias gentes, aperimus Eoas, securumque orbis patimur post terga relicti. nec cruor effusus campis tibi bella peregit nec ferrum lassaeque manus: hoc hostibus unum, quod vincas, ignosce tuis. nec magna petuntur: otia des fessis, vitam patiaris inermis degere quam tribuis. campis prostrata iacere

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Glücklich, die ein barbarischer Feind auf der Flucht irgendwo auf dem Land getötet hatte, (320) indem er die Wasserstellen vergiftete! In diese Flüsse kannst du, Caesar, ruhig und unverhohlen Jauche, verwesende Tierkadaver und bleichen Wolfswurz36, der auf den Felsen Kretas wächst, werfen – die römische Jugend wird es trinken, ohne sich dabei einer Täuschung hinzugeben. Ihre Eingeweide werden von Feuer versengt, (325) ihr Mund wird austrocknen, rau, mit einer schuppigen Zunge. Schon sinkt der Blutdruck und von keiner Feuchtigkeit benetzt bietet die Lunge der ein- und ausgeatmeten Luft nur noch einen engen Weg. Das schwere Atmen schädigt den aufgesprungenen Rachen. Dennoch sperren sie den Mund auf und schnappen so nach Luft, obwohl das ihnen schaden wird. (330) Sie warten auf Regenfälle, unter deren Niederrauschen eben noch alles schwamm, und ihre Blicke hängen an den regenlosen Wolken. Und damit der Wassermangel die Armen noch mehr zermürbt – sie sitzen ja nicht auf der dürren Meroë37, unter dem Wendekreis des Krebses, wo die Garamanten38 nackt pflügen, nein, (335) zwischen dem trägen Sicoris und dem reißenden Ebro gefangen –, blickt das verdurstende Heer auf die nahen Flüsse. Da gaben sich die zwei Führer geschlagen; Afranius drängte auf ein untertäniges Friedensgesuch, verfluchte die Waffen, schleppte die halbtoten Scharen ins feindliche Lager (340) und blieb zu Füßen des Siegers stehen. Doch die Würde des Bittflehenden blieb gewahrt, vom Unglück nicht gebrochen. Im Widerspruch zwischen seiner einstigen Stellung und seinem jetzigen Sturz betrug er sich ganz wie einer, der zwar besiegt, aber dennoch ein Feldherr ist, und selbstbewusst forderte er Gnade: »Wenn mich der Wille der Götter einem unwürdigen Gegner hätte erliegen lassen, (345) hätte ich mit tapferer Hand den schnellen Tod gesucht. Doch jetzt gibt es für mich einen einzigen Grund, dich um Schonung zu bitten; ich glaube nämlich, dass es deiner würdig ist, mir das Leben zu schenken. Nicht Parteilichkeit treibt uns, und wir haben nicht die Waffen ergriffen, um uns gegen deine Absichten zu stellen. (350) Uns traf der Bürgerkrieg, kurz gesagt, als Führer an, und wir blieben der früheren Sache treu, solange es ging. Keineswegs stellen wir uns dem Lauf des Schicksals in den Weg. Wir übergeben dir die Völker des Westens, wir öffnen dir den Weg zum Osten und halten dir den Rücken frei. Kein Blut, auf den Feldern vergossen, hat dir diesen Krieg beendet, (355) kein Schwert und im Kampf ermattete Hände. Das eine nur verzeihe deinen Feinden, dass du der Sieger über uns bist. Nichts Großartiges erbitten wir von dir: dass du den Erschöpften Ruhe gewährst, dass du sie friedlich das Leben führen lässt, das du ihnen schenkst. Gehe mal davon aus, unsere Armee läge

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agmina nostra putes; nec enim felicibus armis misceri damnata decet, partemque triumphi captos ferre tui: turba haec sua fata peregit. hoc petimus, victos ne tecum vincere cogas.’ dixerat; at Caesar facilis voltuque serenus flectitur atque usus belli poenamque remittit. ut primum iustae placuerunt foedera pacis, incustoditos decurrit miles ad amnes, incumbit ripis permissaque flumina turbat. continuus multis subitarum tractus aquarum aera non passus vacuis discurrere venis artavit clausitque animam; nec fervida pestis cedit adhuc, sed morbus egens iam gurgite plenis visceribus sibi poscit aquas. mox robora nervis et vires rediere viris. o prodiga rerum luxuries numquam parvo contenta paratis et quaesitorum terra pelagoque ciborum ambitiosa fames et lautae gloria mensae, discite quam parvo liceat producere vitam et quantum natura petat. non erigit aegros nobilis ignoto diffusus consule Bacchus, non auro murraque bibunt, sed gurgite puro vita redit. satis est populis fluviusque Ceresque. heu miseri qui bella gerunt! tunc arma relinquens victori miles spoliato pectore tutus innocuusque suas curarum liber in urbes spargitur. o quantum donata pace potitos excussis umquam ferrum vibrasse lacertis paenituit, tolerasse sitim frustraque rogasse prospera bella deos! nempe usis Marte secundo tot dubiae restant acies, tot in orbe labores; ut numquam fortuna labet successibus anceps, vincendum totiens; terras fundendus in omnis est cruor et Caesar per tot sua fata sequendus. felix qui potuit mundi nutante ruina quo iaceat iam scire loco. non proelia fessos ulla vocant, certos non rumpunt classica somnos. iam coniunx natique rudes et sordida tecta et non deductos recipit sua terra colonos.

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hingestreckt auf dem Schlachtfeld. Es ist nämlich nicht gut, wenn sich (360) die Verlierer unter die glücklichen Sieger mischen, Kriegsgefangene in deinem Triumphzug mitmarschieren. Diese Schar hier hat nämlich ihr Schicksal vollendet. Darum bitten wir dich, dass du die Besiegten nicht zwingst, gemeinsam mit dir zu siegen.«39 So hatte er gesprochen, Caesar aber ließ sich leicht und mit heiterer Miene umstimmen und erließ ihnen den Kriegsdienst und eine Bestrafung. (365) Sobald ein förmlicher Friedensvertrag geschlossen war, rannten die Soldaten hinunter zum unbewachten Fluss, warfen sich am Ufer zu Boden und wühlten das Wasser auf, zu dem ihnen Zutritt gewährt wurde. Das plötzliche und ununterbrochene Schlürfen des Wassers ließ nicht Luft in die leeren Adern strömen, (370) verengte und verschloss die Atemwege. Und der glühende Durst wich immer noch nicht, vielmehr forderte die Mangelkrankheit, obwohl der Leib schon voll Wasser war, noch weiteres Wasser. Bald darauf aber kehrte die Stärke in die Muskeln und die Kraft in die Männer zurück. O verschwenderischer Luxus40, der nie zufrieden ist mit dem, was mit bescheidenen Mitteln zubereitet wird, (375) du eitle Gier nach Leckerbissen, die zu Lande und im Meer gesucht werden, und du Protzerei mit einer reich gedeckten Tafel, lernt daraus, mit wie wenig man sein Leben fristen kann und wie wenig nur unsere Natur erfordert. Kein edler Tropfen, abgefüllt unter einem Konsul, den keiner mehr kennt, stellte diese Kranken wieder her, (380) sie tranken nicht aus einem Gold- oder Achatgefäß, sondern mit dem reinen Wasser kehrte das Leben in sie zurück. Es genügen der Menschheit Flusswasser und die Gabe der Ceres41. Ach die Armen, die noch Krieg führen müssen! Diese Soldaten überließen ihre Waffen dem Sieger, ohne Brustharnisch zerstreuten sie sich in Sicherheit, unbehelligt und sorgenfrei in ihre Städte. (385) O wie sehr gereute es sie jetzt, nachdem ihnen der Frieden geschenkt wurde, jemals eine eiserne Waffe in den ausgebreiteten Armen geschwungen zu haben, Durst ertragen zu haben und die Götter vergeblich um einen glücklichen Kriegsverlauf angefleht zu haben. Denn auf die, die sich eines freundlich gesonnenen Mars erfreuten, warteten noch so viele Schlachten mit ungewissem Ausgang, so viele Strapazen auf dem Erdkreis; mag auch nie das Kriegsglück wanken, das in seinem Fortschreiten doch so ungewiss ist – (390) sie müssen so oft noch siegen! Sie müssen noch in allen Ländern ihr Blut vergießen und Caesar durch so viele Wendungen seines Schicksals folgen. Glücklich, wer jetzt schon wissen konnte, wo er ruhig liegt, wenn die Welt zusammenzubrechen droht. Keine Schlachten rufen mehr die Kriegsmüden, (395) keine Trompetensignale unterbrechen mehr den ruhigen Schlaf. Jetzt nimmt sie die Gattin auf, die noch unerfahrenen Kinder, die ärmliche Behausung und der eigene Grund und Boden – und sie werden nicht als

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hoc quoque securis oneris fortuna remisit, sollicitus menti quod abest favor: ille salutis est auctor, dux ille fuit. sic proelia soli felices nullo spectant civilia voto. non eadem belli totum fortuna per orbem constitit, in partes aliquid sed Caesaris ausa est. qua maris Hadriaci longas ferit unda Salonas et tepidum in molles Zephyros excurrit Iader, illic bellaci confisus gente Curictum, quos alit Hadriaco tellus circumflua ponto, clauditur extrema residens Antonius ora cautus ab incursu belli, si sola recedat, expugnat quae tuta, fames. non pabula tellus pascendis summittit equis, non proserit ullam flava Ceres segetem; spoliarat gramine campum miles et attonso miseris iam dentibus arvo castrorum siccas de caespite volserat herbas. ut primum adversae socios in litore terrae et Basilum videre ducem, nova furta per aequor exquisita fugae. neque enim de more carinas extendunt puppesque levant, sed firma gerendis molibus insolito contexunt robora ductu. namque ratem vacuae sustentant undique cupae quarum porrectis series constricta catenis ordinibus geminis obliquas excipit alnos; nec gerit expositum telis in fronte patenti remigium, sed, quod trabibus circumdedit aequor, hoc ferit et taciti praebet miracula cursus, quod nec vela ferat nec apertas verberet undas. tum freta servantur, dum se declinibus undis aestus agat refluoque mari nudentur harenae. iamque relabenti crescebant litora ponto: missa ratis prono defertur lapsa profundo et geminae comites. cunctas super ardua turris eminet et tremulis tabulata minantia pinnis. noluit Illyricae custos Octavius undae confestim temptare ratem, celeresque carinas continuit, cursu crescat dum praeda secundo, et temere ingressos repetendum invitat ad aequor pace maris. sic, dum pavidos formidine cervos

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Wehrbauern irgendwo angesiedelt. Das Schicksal nahm den Unbekümmerten auch diese Last ab: Ihnen blieb die Gewissensqual erspart, zu wem sie halten sollten: Der eine hat sie verschont, der andere war ehemals ihr Führer. (400) Und so schauten nur sie allein wunschlos glücklich dem Bürgerkrieg zu. Nicht überall herrschte das gleiche Kriegsglück, sondern Fortuna wagte auch einmal etwas gegen die Partei Caesars zu unternehmen. Wo die Woge des Adriatischen Meeres an die lang gestreckte Stadt Salona42 schlägt, (405) und wo sich das milde Iader den sanften Westwinden öffnet43, dort wurde Antonius44, der auf den kriegerischen Stamm der Curicten45 vertraute, die auf einer Insel, umspült vom Adriatischen Meer, wohnten, mit seinem Lager direkt an der Küste eingeschlossen. Gegen einen bewaffneten Angriff war er sicher, wenn nur der Hunger nicht gewesen wäre, (410) der auch uneinnehmbare Festungen erobert. Nicht einmal Futter für die weidenden Pferde brachte die Erde hervor, die goldene Ceres verweigerte jegliches Getreide; die Soldaten hatten die Flur schon ihres Grases beraubt, in ihrem Elend die Grasnarbe mit den Zähnen schon abgenagt und die trockenen Halme von den Rasenstücken des Lagers ausgerupft. (415) Als sie an der Küste des gegenüberliegenden Festlandes ihre Bundesgenossen und ihren Anführer Basilus46 erblickten, erfanden sie neue Schliche für die Flucht über das Meer. Sie bauten keine Schiffsrümpfe und spannten darüber das Deck, wie es gewöhnlich geschieht, sondern banden starke Planken in ungewohnter Anordnung wie zum Transport schwerer Lasten zusammen. (420) Leere Fässer stützten von allen Seiten das Floß, trugen, mit langen Ketten in Doppelreihen zusammengebunden, die Planken, die quer auf ihnen lagen. Keine Ruderbänke waren darauf, die den Wurfspeeren in offener Flanke ausgesetzt waren, (425) sondern sie schlugen das Wasser, geschützt zwischen den Balken. Das verschaffte dem Gefährt eine rätselhafte, unsichtbare Bewegung, weil keine Segel es antrieben und die Wogen nicht sichtbar geschlagen wurden. Dann beobachteten sie das Meer, bis sich die Flut zurückzog und die einsetzende Ebbe den Sand sichtbar machte. Als das Meer sich zurückzog und der Strand sich ausdehnte, (430) ließen sie die Fahrzeuge vom Stapel, glitten schnell mit der Strömung vorwärts, von zwei Begleitschiffen flankiert. Über alles ragte steil ein Turm empor und eine Brustwehr, die mit schwankenden Mauerzinnen drohte. Octavius47, der das illyrische Meer beobachtete, wollte das Floß nicht sofort angreifen und (435) hielt die schnellen Schiffe zusammen, bis die Beute sich durch günstigen Verlauf noch vermehrt hätte. Als sie so auf gut Glück ihre Fahrt begonnen hatten, verleitete er sie dazu, eine zweite Fahrt auf das Meer zu versuchen, indem er das Meer frei hielt. So geht der Jäger vor: Bis er die Hirsche

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claudat odoratae metuentis aera pinnae aut dum dispositis attollat retia varis, venator tenet ora levis clamosa Molossi, Spartanos Cretasque ligat, nec creditur ulli silva cani, nisi qui presso vestigia rostro colligit et praeda nescit latrare reperta contentus tremulo monstrasse cubilia loro. nec mora, conplentur moles, avideque petitis insula deseritur ratibus, quo tempore primas inpedit ad noctem iam lux extrema tenebras. at Pompeianus fraudes innectere ponto antiqua parat arte Cilix, passusque vacare summa freti medio suspendit vincula ponto et laxe fluitare sinit, religatque catenas rupis ab Illyricae scopulis. nec prima nec illam quae sequitur tardata ratis, sed tertia moles haesit et ad cautes adducto fune secuta est. inpendent cava saxa mari, ruituraque semper stat, mirum, moles et silvis aequor inumbrat. huc fractas Aquilone rates summersaque pontus corpora saepe tulit caecisque abscondit in antris; restituit raptus tectum mare, cumque cavernae evomuere fretum contorti verticis undae Tauromenitanam vincunt fervore Charybdim. hic Opiterginis moles onerata colonis constitit; hanc omni puppes statione solutae circumeunt, alii rupes ac litora conplent. Vulteius tacitas sensit sub gurgite fraudes (dux erat ille ratis); frustra qui vincula ferro rumpere conatus poscit spe proelia nulla incertus qua terga daret, qua pectora bello. hoc tamen in casu quantum deprensa valebat effecit virtus: inter tot milia captae circumfusa rati et plenam vix inde cohortem pugna fuit, non longa quidem; nam condidit umbra nox lucem dubiam pacemque habuere tenebrae. tum sic attonitam venturaque fata paventem rexit magnanima Vulteius voce cohortem:

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einpfercht, die durch eine Vogelscheuche48 ängstlich gemacht wurden, weil sie Angst haben vor dem Duft der stark riechenden Federn, oder bis er die Netze aufgestellt hat an aufgerichteten Stützbalken, (440) so lange hält er dem flinken Molosser die Schnauze zu, damit er nicht bellt, und hält die Hunde von Sparta und Kreta mit der Leine zurück; er lässt keinen Hund frei in den Wald, außer wenn er mit der Nase nach unten den Spuren nachschnüffelt und nicht daran denkt zu bellen, wenn er die Beute gefunden hat, zufrieden damit, durch einen zitternden Riemen den Schlupfwinkel gezeigt zu haben. (445) Nun gab es kein Halten mehr, die unförmigen Flöße wurden bemannt. Mit den eifrig bemannten Fahrzeugen verließ man schleunigst die Insel, zu einer Zeit, in der das letzte Tageslicht die Dämmerung noch daran hinderte zur Dunkelheit der Nacht zu werden. Aber die Kilikier im Sold des Pompeius bereiteten sich in alter Geschicklichkeit darauf vor, im Meer eine Falle zu legen. (450) Sie ließen die Oberfläche des Meeres frei, spannten Taue unter Wasser, ließen sie locker treiben und banden sie mit Ketten an den Klippen der illyrischen Küste fest. Weder das erste noch das folgende Floß wurde festgehalten, aber das dritte Fahrzeug hing fest und lief auf die Riffe, als das Tau zusammengezogen wurde. (455) Ausgehöhlte Felsen hängen dort über dem Meer, und ihre Masse, immer im Begriff einzustürzen, steht wunderbarerweise fest und überschattet mit ihren Bäumen das Meer. Hierhin spült das Meer oft die vom Nordwind zerschmetterten Wracks und die Körper der ertrunkenen Männer und verbirgt sie in den unsichtbaren Höhlen; die Flut, die die Felsen unterspült, gibt den Raub zurück. Wenn die Höhlen (460) das Wasser ausspeien, übertreffen die Strudel an Wucht die Charybdis bei Tauromenium49. Hier strandete das Fahrzeug, beladen mit Männern aus Opitergium in Transpadanien50 und alle Schiffe, vom Ankerplatz gelöst, schlossen es ein, während andere Feinde die Felsen und die Küste besetzten. (465) Der Kapitän des Fahrzeuges, Vulteius51, erkannte die unsichtbare Falle unter dem Strudel und versuchte vergeblich die Taue mit seinem Schwert zu durchschneiden. In hoffnungsloser Lage rief er zum Kampf auf, ohne dass er wusste, nach welcher Seite er den Rücken, nach welcher Seite er die Brust dem Kampfe bieten sollte. Dennoch bewirkte in dieser Lage (470) die Tapferkeit so viel, wie sie, in eine gefährliche Situation hineingerissen, bewirken konnte: Eine Schlacht tobte zwischen so vielen Tausenden, die das gefangene Floß umringten, und den Männern dort, deren Anzahl kaum eine Kohorte52 ausmachte, allerdings nicht lange. Denn die Nacht überdeckte mit ihrem Schatten die Dämmerung, und die Finsternis brachte eine Verschnaufpause. Da richtete (475) Vulteius die niedergeschlagenen und das nahende Schicksal fürchtenden Männer mit hochgemuten Worten auf:

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‘libera non ultra parva quam nocte iuventus, consulite extremis angusto in tempore rebus. vita brevis nulli superest qui tempus in illa quaerendae sibi mortis habet; nec gloria leti inferior, iuvenes, admoto occurrere fato. omnibus incerto venturae tempore vitae par animi laus est et, quos speraveris, annos perdere et extremae momentum abrumpere lucis, accersas dum fata manu: non cogitur ullus velle mori. fuga nulla patet, stant undique nostris intenti cives iugulis: decernite letum, et metus omnis abest. cupias quodcumque necesse est. non tamen in caeca bellorum nube cadendum est aut cum permixtas acies sua tela tenebris involvent. conferta iacent cum corpora campo, in medium mors omnis abit, perit obruta virtus: nos in conspicua sociis hostique carina constituere dei; praebebunt aequora testes, praebebunt terrae, summis dabit insula saxis, spectabunt geminae diverso litore partes. nescio quod nostris magnum et memorabile fatis exemplum, Fortuna, paras. quaecumque per aevum exhibuit monimenta fides servataque ferro militiae pietas, transisset nostra iuventus. namque suis pro te gladiis incumbere, Caesar, esse parum scimus; sed non maiora supersunt obsessis tanti quae pignora demus amoris. abscidit nostrae multum fors invida laudi, quod non cum senibus capti natisque tenemur. indomitos sciat esse viros timeatque furentis et morti faciles animos et gaudeat hostis non plures haesisse rates. temptare parabunt foederibus turpique volent corrumpere vita. o utinam, quo plus habeat mors unica famae, promittant veniam, iubeant sperare salutem, ne nos, cum calido fodiemus viscera ferro, desperasse putent. magna uirtute merendum est, Caesar ut amissis inter tot milia paucis hoc damnum clademque vocet. dent fata recessum emittantque licet, vitare instantia nolim.

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»Soldaten, die ihr nicht länger frei seid als eine kurze Nacht, fasst in dieser eng begrenzten Zeit einen Entschluss für diese extreme Situation. Keiner hat ein zu kurzes Leben, der in ihm noch die Zeit hat, seinen eigenen Tod zu suchen; und der Ruhm des Freitodes ist nicht (480) geringer, Soldaten, wenn man einem Schicksal entgegengeht, das schon nahe gerückt ist. Da allen Menschen die Dauer des Lebens unbekannt ist, ist der Ruhm, wenn du Jahre, auf die du gehofft hast, verlierst, gleich groß wie der, wenn du den Augenblick des letzten Lichtes verkürzt, sofern du das Geschick mit eigener Hand herbeiholst. Keiner ist gezwungen, (485) sterben zu wollen. Für uns gibt es aber keine Flucht, von allen Seiten umzingeln uns unsere Mitbürger und wollen uns an die Kehle gehen. Entscheidet euch für den Tod, und es gibt keine Furcht mehr. Was immer notwendig ist, nehmt es in euern Willen auf53. Und dennoch müssen wir nicht in dem blinden Durcheinander des Krieges fallen oder wenn die eigenen Speere die in einander verhakten Schlachtreihen mit Finsternis (490) bedecken. Wenn die Leichen dicht gehäuft auf dem Schlachtfeld liegen, verschwindet der einzelne Tod inmitten einer großen Zahl, und die Tapferkeit geht in der Masse unter. Uns haben die Götter auf ein Schiff gestellt im Angesicht von Freund und Feind. Das Meer, das Land und die Insel mit den höchsten Felsen werden uns Zeugen bieten, die beiden Parteien werden von den entgegengesetzten Küsten zusehen. (495) Irgendein großes und denkwürdiges Beispiel bereitest du, Fortuna, durch unser Schicksal vor. Was die Treue und der militärische Gehorsam jemals geleistet haben, unsere junge Mannschaft hätte es überboten (500). Denn wir wissen, Caesar, für dich sich in die eigenen Schwerter zu stürzen, ist nicht genug; uns Umzingelten aber bleibt kein größeres Pfand übrig, unsere Ergebenheit zu beweisen. Viel von unserem Ruhm hat der missgünstige Zufall entrissen, weil wir nicht zusammen mit den Greisen und Kindern wie Gefangene gehalten werden. Der Feind soll wissen, (505) dass die Männer unbezähmbar sind, er soll ihre Kampfeswut und ihren Todesmut fürchten und soll sich freuen, dass nicht mehr Schiffe gestrandet sind. Sie werden sich anschicken, uns mit Friedensangeboten zu attackieren, und werden uns mit einem schimpflichen Leben bestechen wollen. Oh wenn sie doch (510) Straflosigkeit versprächen, damit unser einmaliger Tod mehr an Ruhm gewinnt, und uns aufforderten, Rettung zu erhoffen, damit sie nicht annehmen, wir hätten aus lauter Verzweiflung unsere Gedärme mit dem warmen Stahl durchbohrt! Mit großer Tapferkeit muss man sich verdienen, dass Caesar beim Verlust so weniger unter all den Tausenden dies aber Verlust und Niederlage nennt. Mag das Schicksal mir Rückzug (515) und Rettung vergönnen, ich will mich der drohenden Gegenwart nicht entziehen.

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proieci vitam, comites, totusque futurae mortis agor stimulis: furor est. agnoscere solis permissum, quos iam tangit vicinia fati, victurosque dei celant, ut vivere durent, felix esse mori.’ sic cunctas sustulit ardor mobilium mentes iuvenum. cum sidera caeli ante ducis voces oculis umentibus omnes aspicerent flexoque Vrsae temone paverent, idem, cum fortes animos praecepta subissent, optavere diem. nec segnis vergere ponto tunc erat astra polus; nam sol Ledaea tenebat sidera, vicino cum lux altissima Cancro est; nox tum Thessalicas urguebat parva sagittas. detegit orta dies stantis in rupibus Histros pugnacesque mari Graia cum classe Liburnos. temptavere prius suspenso vincere bello foederibus, fieret captis si dulcior ipsa mortis vita mora. stabat devota iuventus damnata iam luce ferox securaque pugnae promisso sibi fine manu, nullique tumultus excussere viris mentes ad summa paratas; innumerasque simul pauci terraque marique sustinuere manus: tanta est fiducia mortis. utque satis bello visum est fluxisse cruoris versus ab hoste furor. primus dux ipse carinae Vulteius iugulo poscens iam fata retecto ‘ecquis’ ait ‘iuvenum est cuius sit dextra cruore digna meo certaque fide per volnera nostra testetur se velle mori?’ nec plura locuto viscera non unus iam dudum transigit ensis. conlaudat cunctos, sed eum cui volnera prima debebat grato moriens interficit ictu. concurrunt alii totumque in partibus unis bellorum fecere nefas. sic semine Cadmi emicuit Dircaea cohors ceciditque suorum volneribus, dirum Thebanis fratribus omen; Phasidos et campis insomni dente creati terrigenae missa magicis e cantibus ira cognato tantos inplerunt sanguine sulcos, ipsaque inexpertis quod primum fecerat herbis

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Ich habe mein Leben längst hingeworfen, Kameraden, und fühle mich ganz von Todesverlangen getrieben. Nur denen, die die Nähe des Todes berührt, ist es vergönnt zu erkennen, dass (520) Sterben glücklich macht. Denen, die weiter leben wollen, verheimlichen die Götter dies, damit sie das Leben ertragen.« So rissen seine leidenschaftlichen Worte die Herzen der wankelmütigen Jugend mit. Während sie vor der Rede des Anführers alle die Sterne am Himmel mit feuchten Augen angestarrt hatten und fürchteten, die Deichsel des Großen Wagens könnte versinken, wünschten sich nun dieselben, als die Anfeuerungen ihren Herzen den Mut zurückgegeben hatten, (525) den Tag herbei. Damals war die Himmelsachse nicht träge, die Sterne im Meer zu versenken. Denn die Sonne beherrschte die Gestirne der Leda54, wenn ihr Licht am Zenith neben dem Sternbild des Krebses strahlt.55 Nur eine kurze Nacht bedrängte damals das Sternbild des thessalischen Schützen56. Das Morgenlicht ließ die Istrier, die sich auf den Klippen postiert hatten, erkennen und die (530) kampfbereiten Liburnen57 auf See zusammen mit der griechischen Flotte. Zunächst schoben sie das Gefecht auf und versuchten, mit Friedensangeboten zu siegen, ob den Gefangenen das Leben allein schon durch den Aufschub des Todes süßer würde. Aber die dem Tod geweihte Jugend stand trotzig da, hatte ihr Leben schon aufgegeben und war unbekümmert wegen des Kampfes, (535) da sie versprochen hatten, selbst Hand an sich zu legen. Kein Schrecken konnte die Männer, die zum Äußersten entschlossen waren, erschüttern. Die kleine Schar widerstand den zahllosen Angreifern zu Lande und zur See zugleich. So groß war die Zuversicht auf den sicheren Tod. Als genug Blut im Kampf geflossen zu sein schien, (540) nahm die Kampfeswut des Feindes ab. Als erster rief der Anführer des Floßes, Vulteius, indem er schon die Gurgel entblößte und den Tod forderte: »Ist einer von den Soldaten hier, dessen Rechte würdig meines Blutes ist und der unter Beweis stellen will, dass er ohne allen Zweifel bereit ist zu sterben, wenn er mir Wunden beibringt?« Und bevor er mehr sprechen konnte, hatte (545) bereits mehr als ein Schwert seine Gedärme durchbohrt. Er lobte sie alle, aber den, dem er die ersten Wunden verdankte, streckte er sterbend mit einem dankbaren Hieb nieder. Andere eilten hinzu und verübten das ganze Grauen des Bürgerkrieges innerhalb einer Partei. So schoss aus dem Samen des Kadmos58 die (550) dirkäische59 Streitmacht hervor und fiel durch die Wunden, die ihr die eigenen Leute beibrachten, ein schreckliches Omen für die thebanischen Brüder60. Und im Land des Phasis61 erfüllten die aus den wachsamen Zähnen geborenen Erdensöhne die Furchen mit dem Bruderblut, als sie von magischen Gesängen in Zorn versetzt waren. Medea (555) sogar war entsetzt über ihre erste Tat, die sie mit bisher unbekannten Kräutern

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expavit Medea nefas. sic mutua pacti fata cadunt iuvenes, minimumque in morte virorum mors virtutis habet. pariter sternuntque caduntque volnere letali, nec quemquam dextra fefellit cum feriat moriente manu. nec volnus adactis debetur gladiis: percussum est pectore ferrum et iuguli pressere manum. cum sorte cruenta fratribus incurrunt fratres natusque parenti, haud trepidante tamen toto cum pondere dextra exegere enses. pietas ferientibus una non repetisse fuit. iam latis viscera lapsa semianimes traxere foris multumque cruorem infudere mari. despectam cernere lucem victoresque suos voltu spectare superbo et mortem sentire iuvat. iam strage cruenta conspicitur cumulata ratis, bustisque remittunt corpora victores, ducibus mirantibus ulli esse ducem tanti. nullam maiore locuta est ore ratem totum discurrens Fama per orbem. non tamen ignavae post haec exempla virorum percipient gentes quam sit non ardua virtus servitium fugisse manu, sed regna timentur ob ferrum et saevis libertas uritur armis, ignorantque datos, ne quisquam serviat, enses. mors, utinam pavidos vitae subducere nolles, sed virtus te sola daret. non segnior illo Marte fuit, qui tum Libycis exarsit in arvis. namque rates audax Lilybaeo litore solvit Curio, nec forti velis Aquilone recepto inter semirutas magnae Carthaginis arces et Clipeam tenuit stationis litora notae, primaque castra locat cano procul aequore, qua se Bagrada lentus agit siccae sulcator harenae. inde petit tumulos exesasque undique rupes, Antaei quas regna vocat non vana vetustas. nominis antiqui cupientem noscere causas cognita per multos docuit rudis incola patres. ‘nondum post genitos Tellus effeta gigantas terribilem Libycis partum concepit in antris. nec tam iusta fuit terrarum gloria Typhon

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verübt hatte. So fielen die jungen Soldaten, verpflichtet zu gegenseitigem Tod. Und beim Tod dieser Männer verlangte das Sterben selbst am wenigsten Tapferkeit. Sie streckten nieder und fielen gleichermaßen durch eine tödliche Wunde. Und die Rechte verfehlte keinen, (560) auch wenn sie mit sterbender Hand geführt wurde. Und kein geschwungenes Schwert verfehlte eine Wunde. Die Brust selbst stürzte sich ins Schwert und die Kehlen drängten den Hieben entgegen. Als vom blutigen Schicksal angetrieben der Bruder den Bruder und der Sohn den Vater angriff, zögerte ihre Rechte dennoch nicht, sondern (565) führte die Schwerter mit voller Wucht. Es gab für die Schlächter nur eine Barmherzigkeit, den Schlag nicht zu wiederholen. Schon halb entseelt zogen sie ihre hervorquellenden Eingeweide über die lange Reling und ließen Ströme von Blut ins Meer fließen. Es machte ihnen Freude, das Licht, das sie zuvor verachtet hatten, zu sehen, mit Stolz auf ihre Sieger zu blicken (570) und den Tod zu fühlen. Schon sah man das Floß von bluttriefenden Leichnamen bedeckt. Die Sieger überließen die Leichname den Scheiterhaufen. Die Anführer staunten, wie viel ein Anführer gelten konnte. Die Fama lobte kein Schiff mit lauterer Stimme und lief über den ganzen Erdkreis.62 (575) Aber trotz dieser beispielhaften Männer werden feige Völker es nicht verstehen, wie wenig Tatkraft es erfordert, durch eigene Hand der Sklaverei zu entfliehen, sondern Gewaltherrschaften werden wegen ihrer Waffen gefürchtet, Freiheit brennt nieder durch schreckliche Waffen. Sie wissen nicht, dass die Schwerter dazu da sind, dass keiner zum Sklaven wird. Tod, wenn du es doch ablehnen würdest, die Furchtsamen dem Leben zu entreißen, (580) die Tapferkeit allein möge dich schenken63. Nicht weniger untätig wütete der Krieg in Libyen. Denn der tollkühne Curio64 lichtete die Anker an der Küste von Lilybäum65 und machte an dem bekannten Ankerplatz fest zwischen der halb verfallenen Burg des großen Karthago (585) und Clipea, nachdem ein kräftiger Nordwind die Segel gefüllt hatte. Das erste Lager schlug er weit weg vom grauen Meer auf, wo der Bagrada66 sanft fließt und den trockenen Sand durchwühlt. Von dort strebte er nach dem Hügelland und den allenthalben ausgehöhlten Felsen, (590) die eine glaubwürdige alte Sage das Reich des Antäus67 nennt. Als er gerne die Gründe für diesen alten Namen erfahren wollte, erzählte ihm ein ungebildeter Eingeborener die Sage, die von Generation zu Generation überliefert wird: »Nach der Geburt der Giganten war Mutter Erde noch nicht erschöpft und gebar ein Ungeheuer in den libyschen Höhlen. (595) Weder Typhon68, Tityos69

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aut Tityos Briareusque ferox; caeloque pepercit quod non Phlegraeis Antaeum sustulit arvis. hoc quoque tam vastas cumulavit munere vires Terra sui fetus, quod, cum tetigere parentem, iam defecta vigent renovato robore membra. haec illi spelunca domus; latuisse sub alta rupe ferunt, epulas raptos habuisse leones; ad somnos non terga ferae praebere cubile adsuerunt, non silva torum, viresque resumit in nuda tellure iacens. periere coloni arvorum Libyae, pereunt quos appulit aequor; auxilioque diu virtus non usa cadendi terrae spernit opes: invictus robore cunctis, quamvis staret, erat. tandem volgata cruenti fama mali terras monstris aequorque levantem magnanimum Alciden Libycas excivit in oras. ille Cleonaei proiecit terga leonis, Antaeus Libyci; perfudit membra liquore hospes Olympiacae servato more palaestrae, ille parum fidens pedibus contingere matrem auxilium membris calidas infudit harenas. conseruere manus et multo bracchia nexu; colla diu gravibus frustra temptata lacertis, inmotumque caput fixa cum fronte tenetur, miranturque habuisse parem. nec viribus uti Alcides primo voluit certamine totis, exhausitque virum, quod creber anhelitus illi prodidit et gelidus fesso de corpore sudor. tum cervix lassata quati, tum pectore pectus urgueri, tunc obliqua percussa labare crura manu. iam terga viri cedentia victor alligat et medium conpressis ilibus artat inguinaque insertis pedibus distendit et omnem explicuit per membra virum. rapit arida tellus sudorem; calido conplentur sanguine venae, intumuere tori, totosque induruit artus Herculeosque novo laxavit corpore nodos. constitit Alcides stupefactus robore tanto, nec sic Inachiis, quamvis rudis esset, in undis desectam timuit reparatis anguibus hydram.

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noch der wilde Briareus70 brachten mit Recht der Mutter Erde so viel Ruhm wie er. Sie schonte den Himmel, als sie Antäus von den Phlegraischen Feldern71 fernhielt. Die ohnehin unermesslichen Kräfte ihrer Leibesfrucht vergrößerte Terra mit dem Geschenk, dass, sobald er seine Mutter berührte, (600) seine schon schwach werdenden Glieder neue Kraft schöpften und erstarkten. Diese Höhle war seine Behausung; unter diesem hohen Felsen, sagt man, hielt er sich versteckt und er verspeiste Löwen, die er hierher schleppte; zum Schlaf boten ihm nicht Tierfelle eine Bettstatt an, nicht die Wälder ein Polster aus Laub, er sammelte Kräfte, (605) indem er auf dem bloßen Erdboden lag. Die Einwohner Libyens und alle, die das Meer dort antrieb, fanden durch ihn den Tod. Lange Zeit machte er dank seiner Kraft keinen Gebrauch von dem Hilfsmittel des Hinfallens, er verschmähte die Hilfe seiner Mutter: Durch seine Kraft blieb er für alle unbesiegbar, auch wenn er stand. Schließlich lockte die weit verbreitete (610) Kunde von diesem blutrünstigen Scheusal den mutigen Alkiden72, der Länder und Meere von Ungeheuern befreite, an die libysche Küste. Er warf das Fell des cleonäischen Löwen73, Antäus das eines libyschen Löwen ab; der fremde Ankömmling rieb seine Glieder nach dem auf dem olympischen Sportplatz üblichen Brauch mit Öl ein; (615) Antäus streute, weil er nicht recht darauf vertraute, seine Mutter nur mit den Füßen zu berühren, als Hilfsmittel heißen Sand auf seine Glieder. Sie verschränkten Hände und Arme in vielfältigen Ringergriffen; mit muskelbepackten Armen erprobten sie lange vergeblich den Nacken des anderen zu beugen. Die Köpfe blieben unbewegt, Stirn gegen Stirn gepresst; (620) sie stellten erstaunt fest, dass es einen gab, der ihnen gewachsen war. Doch der Alkide wollte nicht seine gesamte Kraft gleich zu Beginn des Kampfes einsetzen, und so macht er den Kerl erst mal müde; das verriet ihm sein häufiges Keuchen und sein kalter Schweiß auf dem erschöpften Körper. Immer wieder gerüttelt, gab der Nacken jetzt nach, jetzt die Brust von der Brust des anderen gedrängt, (625) und jetzt knickten die Beine unter Handkantenschlägen ein. Schon packte der Sieger den nachgebenden Rücken des Kerls und schnürte ihn in der Mitte ein, indem er ihm das Gedärm zusammenquetschte, er schob die Füße zwischen seine Schenkel, spreizte sie auseinander und streckte den Kerl Glied für Glied zu Boden. Die trockene Erde sog gierig seinen Schweiß auf: (630) Und sofort füllten sich seine Adern mit warmem Blut, die Muskelpakete schwellten, sämtliche Glieder strafften sich und mit neuer Körperkraft lockerte er die herkulischen Klammergriffe. Erschrocken über eine derartige Körperkraft hielt der Alkide ein. Obwohl er noch unerfahren war, hatte er an den Fluten des Inachus74 (635) vor der Hydra75 keine solche Angst empfunden, als ihr die Schlangenhäupter nachwuchsen, nachdem er eins abgehauen hatte. Gleich stark kämpften sie nun gegeneinander, der eine im

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conflixere pares, Telluris viribus ille, ille suis. numquam saevae sperare novercae plus licuit: videt exhaustos sudoribus artus cervicemque viri, siccam cum ferret Olympum. utque iterum fessis iniecit bracchia membris non expectatis Antaeus viribus hostis sponte cadit maiorque accepto robore surgit. quisquis inest terris in fessos spiritus artus egeritur, Tellusque viro luctante laborat. ut tandem auxilium tactae prodesse parentis Alcides sensit, ‘standum est tibi,’ dixit ‘et ultra non credere solo, sternique vetabere terra. haerebis pressis intra mea pectora membris: huc, Antaee, cades.’ sic fatus sustulit alte nitentem in terras iuvenem. morientis in artus non potuit nati Tellus permittere vires: Alcides medio tenuit iam pectora pigro stricta gelu terrisque diu non credidit hostem. hinc, aevi veteris custos, famosa vetustas, miratrixque sui, signavit nomine terras. sed maiora dedit cognomina collibus istis Poenum qui Latiis revocavit ab arcibus hostem Scipio; nam sedes Libyca tellure potito haec fuit. en, veteris cernis vestigia valli. Romana hos primum tenuit victoria campos.’ Curio laetatus, tamquam fortuna locorum bella gerat servetque ducum sibi fata priorum, felici non fausta loco tentoria ponens indulsit castris et collibus abstulit omen sollicitatque feros non aequis viribus hostis. omnis Romanis quae cesserat Africa signis tum Vari sub iure fuit; qui robore quamquam confisus Latio regis tamen undique vires excivit, Libycas gentis, extremaque mundi signa suum comitata Iubam. non fusior ulli terra fuit domino: qua sunt longissima, regna cardine ab occiduo vicinus Gadibus Atlans terminat, a medio confinis Syrtibus Hammon; at, qua lata iacet, vasti plaga fervida regni distinet Oceanum zonaeque exusta calentis.

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Vertrauen auf die Kräfte der Tellus76, der andere im Vertrauen auf die eigenen. Niemals durfte sich seine unversöhnliche Stiefmutter77 größere Hoffnungen machen: Schweißüberströmt und erschöpft sah sie Glieder des Mannes und seinen Nacken, der trocken geblieben war, obwohl er den Olymp trug78. (640) Wie er noch einmal seine Arme um die erschöpften Glieder seines Gegners schlang, wartete Antäus gar nicht erst eine Kraftanstrengung seines Gegners ab, ließ sich absichtlich fallen und erhob sich noch stärker mit frischen Kräften. Alles, was an Lebenskraft in der Erde steckte, schoss in die erschöpften Glieder, Tellus mühte sich für den kämpfenden Kerl ab. (645) Als der Alkide schließlich merkte, dass sein Gegner durch Berührung mit seiner Mutter Hilfe erhielt, sagte er: ‹Jetzt wird gestanden! Vertrau nicht länger mehr dem Boden! Sich auf die Erde schmeißen ist verboten! Du wirst gleich mit zusammengepresstem Körper an meiner Brust baumeln. Dahin wirst du jetzt nämlich fallen, Antäus.› Und mit diesen Worten (650) stemmte er den zur Erde strebenden jungen Kerl in die Höhe. Tellus konnte in die Glieder ihres sterbenden Sohnes keine neuen Kräfte mehr schicken: Der Alkide hielt die Brust seines Gegners, die schon von lähmender Todeskälte gestreift wurde, in die Luft und ließ seinen Gegner lange Zeit nicht auf die Erde. Seitdem bezeichnet eine ruhmreiche Tradition, Hüterin einer vergangenen Zeit (655) und voller Bewunderung für sich selbst, dies Land mit diesem Namen79. Aber bedeutendere Beinamen gab diesen Hügeln Scipio, der den Punier80 von den Burgen Latiums zurückrief; denn dies war sein Standquartier, als er sich des libyschen Bodens bemächtigt hatte. Da siehst du noch die Spuren des alten Lagerwalls. (660) Der erste römische Sieg nahm dieses Gelände in Besitz.« Curio freute sich, als ob das an dieser Stelle haftende Kriegsglück den Krieg entscheiden und die Erfolge früherer Führer hier für ihn aufbewahren würde. Er ließ auf dem Glück verheißenden Ort die unglückseligen Zelte aufschlagen, verließ sich allzu sehr auf dieses Lager, nahm dadurch den Hügeln ihre günstige Vorbedeutung (665) und reizte grausame Feinde zum Kampf mit Streitkräften, die diesen nicht gewachsen waren. Ganz Afrika, soweit es sich den römischen Feldzeichen gebeugt hatte, stand damals unter der Verwaltung des Varus81. Obwohl sich dieser auf Truppen aus Latium stützte, rief er dennoch von überall her Streitkräfte zu Hilfe, libysche Volksstämme und Truppenverbände von den äußersten Enden der Welt, (670) die ihrem König Iuba folgten. Ein ausgedehnteres Land hat kein Herrscher jemals besessen82. In seiner Längsausdehnung begrenzt im Westen der Atlas dicht bei Gades83 sein Reich, in der Mitte Hammon84, angrenzend an die Syrten, doch dort, wo es sich in der Breite ausdehnt, (675) trennt eine glühend heiße Region des Riesenreiches den Ozean85 von dem verbrannten Land der heißen Zone.

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sufficiunt spatio populi: tot castra secuntur, Autololes Numidaeque vagi semperque paratus inculto Gaetulus equo, tum concolor Indo Maurus, inops Nasamon, mixti Garamante perusto Marmaridae volucres, aequaturusque sagittas Medorum, tremulum cum torsit missile, Mazax, et gens quae nudo residens Massylia dorso ora levi flectit frenorum nescia virga, et solitus vacuis errare mapalibus Afer venator ferrique simul fiducia non est vestibus iratos laxis operire leones. nec solum studiis civilibus arma parabat privatae sed bella dabat Iuba concitus irae. hunc quoque quo superos humanaque polluit anno lege tribunicia solio depellere avorum Curio temptarat, Libyamque auferre tyranno dum regnum te, Roma, facit. memor ille doloris hoc bellum sceptri fructum putat esse retenti. hac igitur regis trepidat iam Curio fama et quod Caesareis numquam devota iuventus illa nimis castris nec Rheni miles in undis exploratus erat, Corfini captus in arce, infidusque novis ducibus dubiusque priori fas utrumque putat. sed, postquam languida segni cernit cuncta metu nocturnaque munera valli desolata fuga, trepida sic mente profatur: ‘audendo magnus tegitur timor; arma capessam ipse prior. campum miles descendat in aequum dum meus est; variam semper dant otia mentem. eripe consilium pugna: cum dira voluptas ense subit presso, galeae texere pudorem, quis conferre duces meminit, quis pendere causas? qua stetit inde favet; veluti fatalis harenae muneribus non ira vetus concurrere cogit productos, odere pares.’ sic fatus apertis instruxit campis acies; quem blanda futuris deceptura malis belli fortuna recepit.

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Die Völkerschaften entsprechen diesem Raum: So viele folgten ins Lager ihres Königs, Autoler86, nomadische Numider und der Gaetuler87, auf seinem wilden Pferd immer zum Kampf bereit, dann der Maure88, von gleicher Hautfarbe wie der Inder, der ärmliche Nasamone89, (680) flinke Marmariden90 vermischt mit den sonnengebräunten Garamanten91, der Mazaker92, der den Bogenschießkünsten der Meder93 gleichkommt, wenn er den schwirrenden Pfeil verschießt, der massylische94 Volksstamm, der auf dem nackten Rücken seines Pferdes hockt, dessen Maul keine Zügel kennt und das er nur mit einer dünnen Rute lenkt, und der afrikanische Jäger, der durch leere Hütten zu streifen und, (685) wenn er seiner eisernen Waffe nicht vertraut, die wütenden Löwen in seine weiten Gewänder einzuwickeln pflegt. Iuba95 griff nicht nur als Parteigänger im Bürgerkrieg zu den Waffen, sondern er führte Krieg gereizt durch eine persönliche Verärgerung. Curio hatte nämlich in dem Jahr96, in dem er Götter und Menschen schändete, versucht, ihn (690) mit Hilfe eines tribunizischen Gesetzes vom Thron seiner Vorväter zu stoßen97 und Libyen damit einem Tyrannen zu entreißen, während er gleichzeitig dich, Rom, in ein Königreich verwandeln wollte. Iuba hatte diese Kränkung nicht vergessen und hielt diesen Krieg jetzt für eine Frucht seines erfolgreich behaupteten Königszepters. Aufgrund dieser Nachrichten über den König war Curio schon beunruhigt, (695) auch weil seine Jungmannschaft der Sache Caesars nie ganz ergeben und die Soldaten nicht an den Wellen des Rheins erprobt worden waren98. Sie waren vielmehr in der Festung von Corfinium99 gefangen genommen worden, vertrauten ihren neuen Führern so, wie sie schon unter ihren vorigen unzuverlässig waren, und sahen beide Seiten im Recht. Aber als Curio bemerkt hatte, (700) dass alle in lähmender Furcht tatenlos herumgammelten und die nächtlichen Wachtposten auf dem Lagerwall durch Desertion verlassen wurden, sprach er stark beunruhigt: »Große Furcht überdeckt man, indem man etwas wagt. Ich will als erster angreifen. Die Soldaten sollen in die Ebene hinunterrücken, solange sie mir noch gehorchen. Untätigkeit bringt sie immer nur auf dumme Gedanken. (705) Beende ihr Pläneschmieden durch den Kampf. Wenn sie erst mal zum Schwert gegriffen haben und die Mordlust wächst, wenn die Helme ihre Schamröte verdecken, wer denkt dann noch daran, die Führer zu vergleichen, die eine Sache gegen die andere abzuwägen? Jeder kämpft dann für die Seite, auf der er gerade steht. Wie ja auch bei den tödlichen Spielen im Sand der Arena nicht eine alte Feindschaft die Kämpfer gegeneinander treibt, (710) sie hassen einfach ihre Gegner.« So sprach er und stellte die Schlachtreihen in der offenen Ebene auf; und das Kriegsglück empfing ihn trügerisch lächelnd, in der Absicht, ihn umso schlim-

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nam pepulit Varum campo nudataque foeda terga fuga, donec vetuerunt castra, cecidit. tristia sed postquam superati proelia Vari sunt audita Iubae, laetus quod gloria belli sit rebus servata suis, rapit agmina furtim, obscuratque suam per iussa silentia famam hoc solum incauto metuentis ab hoste, timeri. mittitur, exigua qui proelia prima lacessat eliciatque manu, Numidis a rege secundus, ut sibi commissi simulator Sabbura belli; ipse cava regni vires in valle retentat: aspidas ut Pharias cauda sollertior hostis ludit et iratas incerta provocat umbra obliquusque caput vanas serpentis in auras effusae tuto conprendit guttura morsu letiferam citra saniem; tunc inrita pestis exprimitur faucesque fluunt pereunte veneno. fraudibus eventum dederat fortuna, feroxque non exploratis occulti viribus hostis Curio nocturnum castris erumpere cogit ignotisque equitem late decurrere campis. ipse sub aurorae primos excedere motus signa iubet castris, multum frustraque rogatus ut Libycas metuat fraudes infectaque semper Punica bella dolis. leti fortuna propinqui tradiderat fatis iuvenem, bellumque trahebat auctorem civile suum. super ardua ducit saxa, super cautes, abrupto limite signa; cum procul e summis conspecti collibus hostes fraude sua cessere parum, dum colle relicto effusam patulis aciem committeret arvis. ille fugam credens simulatae nescius artis, ut victor, mersos aciem deiecit in agros. ut primum patuere doli, Numidaeque fugaces undique conpletis clauserunt montibus agmen, obstipuit dux ipse simul perituraque turba. non timidi petiere fugam, non proelia fortes, quippe ubi non sonipes motus clangore tubarum saxa quatit pulsu rigidos vexantia frenos

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mer zu täuschen. Denn er trieb den Varus100 vom Feld und hieb von hinten auf die ungedeckt und feige Fliehenden ein, bis ihr Lager ihn daran hinderte. (715) Als Iuba101 aber von der jämmerlichen Schlappe des Varus erfuhr, freute er sich, dass der Kriegsruhm seinen Waffen vorbehalten blieb. Hastig und in aller Heimlichkeit marschierte er los. Er tarnte seine Bewegungen, indem er absolutes Schweigen befahl, weil er nur dies eine befürchtete102, dass der unvorsichtige Feind vor ihm auf der Hut war. (720) Saburra103, bei den Numidern nach dem König der zweite Mann, wurde ausgeschickt, um den Gegner mit einer kleinen Schar zu ersten Gefechten herauszufordern. Er sollte so tun, als sei ihm das Kommando im Krieg übertragen worden. Der König selbst hielt die Hauptstreitmacht seines Königreichs in einem Talgrund in Reserve. (725) So hält ein Feind104, der geschickter ist als sie, die ägyptischen Schlangen mit seinem Schwanz zum Narren, bringt sie mit seinem hin und her huschenden Schatten in Wut, dreht seinen Kopf zur Seite, wenn die Schlange ins Leere vorstößt, und packt dann mit sicherem Biss ihre Kehle, ohne dass ihr tödliches Gift ihm schaden kann. Wirkungslos verspritzt sie ihr Gift, und mag ihr Schlund auch triefen, das Gift ist vertan. (730) Das Schicksal gewährte dem Täuschungsmanöver Erfolg: Ohne die Stärke des versteckten Feindes ausgekundschaftet zu haben, zwang der Draufgänger Curio105 die Reiterei, noch bei Nacht aus dem Lager auszubrechen und in dem unbekannten Gelände weit auszuschwärmen. Beim ersten Schein der rötlichen Morgendämmerung (735) ließ er selbst die Feldzeichen der Infanterie aus dem Lager ausrücken. Vergeblich wurde er wiederholt gewarnt, er solle sich in Acht nehmen vor libyschem Betrug und der punischen Kriegführung, die immer von Arglist durchsetzt sei. Das Los eines frühen Todes hatte den jungen Mann seinem Untergang ausgeliefert, und der Bürgerkrieg raffte auch seinen eigenen Urheber mit sich fort. Über steile (740) Felsen und Klippen führte er seine Leute auf gefährlichem Pfad, als man plötzlich von den Bergeshöhen aus in der Ferne die Feinde erblickte. Die zogen sich, entsprechend ihrer eigenen Hinterlist, ein wenig zurück, bis er die Höhe verlassen und seine Truppen auf der offenen Ebene in lockerer Schlachtordnung aufgestellt hatte. Curio, der ihre Flucht als bare Münze nahm und nichts von ihrem Täuschungsmanöver ahnte, (745) stürmte mit seinem Heer wie ein Sieger in die Ebene. In dem Augenblick aber, als die Kriegslist offenkundig war, die nur zum Schein geflohenen Numider106 die Anhöhen besetzten und das römische Heer von allen Seiten einschlossen, packte lähmendes Entsetzen selbst den Kommandeur und seine todgeweihte Schar. Die Feigen suchten nicht ihr Heil in der Flucht, und die Tapferen nicht im Kampf. (750) Denn hier setzte sich kein Pferd mehr durch das Schmettern der Signaltrompeten in Bewegung, zerstampfte die Steine, biss auf die har-

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ora terens spargitque iubas et subrigit auris incertoque pedum pugnat non stare tumultu: fessa iacet cervix, fumant sudoribus artus oraque proiecta squalent arentia lingua, pectora rauca gemunt, quae creber anhelitus urguet, et defecta gravis longe trahit ilia pulsus siccaque sanguineis durescit spuma lupatis. iamque gradum neque verberibus stimulisque coacti nec quamvis crebris iussi calcaribus addunt: volneribus coguntur equi; nec profuit ulli cornipedis rupisse moras, neque enim impetus ille incursusque fuit: tantum perfertur ad hostis et spatium iaculis oblato volnere donat. at, vagus Afer equos ut primum emisit in agmen, tum campi tremuere sono, terraque soluta, quantus Bistonio torquetur turbine, pulvis aera nube sua texit traxitque tenebras. ut vero in pedites fatum miserabile belli incubuit, nullo dubii discrimine Martis ancipites steterunt casus, sed tempora pugnae mors tenuit; neque enim licuit procurrere contra et miscere manus. sic undique saepta iuventus comminus obliquis et rectis eminus hastis obruitur, non volneribus nec sanguine solum, telorum nimbo peritura et pondere ferri. ergo acies tantae parvum spissantur in orbem, ac, siquis metuens medium correpsit in agmen, vix inpune suos inter convertitur enses; densaturque globus, quantum pede prima relato constrinxit gyros acies. non arma movendi iam locus est pressis, stipataque membra teruntur; frangitur armatum conliso pectore pectus. non tam laeta tulit victor spectacula Maurus quam Fortuna dabat; fluvios non ille cruoris membrorumque videt lapsum et ferientia terram corpora: conpressum turba stetit omne cadaver. excitet invisas dirae Carthaginis umbras inferiis fortuna novis, ferat ista cruentus Hannibal et Poeni tam dira piacula manes. Romanam, superi, Libyca tellure ruinam

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ten Trensen, die an seinen Lefzen zerrten, schüttelte die Mähne, richtete die Ohren auf und wollte unruhig mit den Hufen stampfend nicht stille stehen. Der Nacken senkte sich vielmehr müde, die Glieder troffen von Schweiß, (755) das Maul war ausgetrocknet und staubbedeckt, die Zunge hing heraus, die Brust ächzte heiser unter heftigem Schnauben, die erschöpften Flanken bebten unter schwerem Herzschlag und der trockene Schaum verkrustete am blutigen Zaum. Obwohl man sie mit Peitschenhieben und Stacheln zwang, (760) obwohl man sie immer wieder mit den Sporen dazu aufforderte, liefen sie nicht schneller. Man schlug sie wund; aber es nützte keinem Reiter etwas, den Widerstand seines Pferdes zu brechen, denn hier war kein Vorstoß und Angriff mehr möglich: Der Reiter wurde lediglich als lebende Zielscheibe für die Wurfspieße näher an den Feind getragen. (765) Aber als die Kavallerie der afrikanischen Nomaden den Feind angriff, da erbebte das Feld unter ihrem Getrappel, die Erde lockerte sich, und eine Staubwolke bedeckte wie ein thrakischer107 Tornado den Himmel mit Finsternis. Denn als das jammervolle Schicksal des Krieges über die Fußsoldaten (770) hereinbrach, war der Ausgang nicht mehr zweifelhaft, Mars zögerte nicht länger: Die Schlacht entwickelte sich zu einem einzigen Gemetzel. Es war nämlich unmöglich, nach vorne zu stürmen und mit dem Feind handgemein zu werden. Von allen Seiten umzingelt, wurde die junge Mannschaft von nah und fern mit Speeren kreuz und quer (775) überschüttet, und nicht durch Wunden und Blut allein, sondern durch den Hagel von Speeren und das bloße Gewicht des Eisens ging sie zu Grunde. Folglich wurde ein so großes Heer in einem kleinen Kreis zusammengepfercht, und wenn sich einer ängstlich in die Mitte des Heeres verkroch, konnte er sich zwischen den Schwertern der Kameraden kaum ungestraft umdrehen; (780) und das Gedränge wurde immer dichter in dem Maße, wie die erste Reihe zurückwich und den Kreis verengte. Zusammengepresst fanden sie keinen Platz, um die Waffen zu bewegen, die dicht gedrängten Glieder wurden eingequetscht, und eine gepanzerte Brust erdrückt, weil sie mit einer anderen zusammenstieß. So, wie das Schicksal ihn darbot, konnten die siegreichen Mauren den Anblick nicht einmal richtig genießen (785), denn sie sahen ja nicht die Ströme von Blut, die stürzenden Leiber und wie die Leichen auf der Erde aufschlugen: Denn jeder Tote blieb, im Gedränge eingekeilt, aufrecht stehen. Soll doch Fortuna die verhassten Geister des schrecklichen Karthago für diese neuen Totenopfer zum Leben erwecken, sollen doch der grausame (790) Hannibal und seine toten Punier108 dieses schreckliche Totenopfer empfangen. Aber es ist einfach unerträglich, ihr Götter, dass eine römische Katastrophe auf libyschem Boden dem Pompeius und den Wünschen des Senats nützt. Lieber soll uns Afrika in seinem eigenen Interesse besiegen.

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Pompeio prodesse nefas votisque senatus. Africa nos potius vincat sibi. Curio, fusas ut vidit campis acies et cernere tantas permisit clades conpressus sanguine pulvis, non tulit adflictis animam producere rebus aut sperare fugam, ceciditque in strage suorum inpiger ad letum et fortis virtute coacta. quid nunc rostra tibi prosunt turbata forumque unde tribunicia plebeius signifer arce arma dabas populis? quid prodita iura senatus et gener atque socer bello concurrere iussi? ante iaces quam dira duces Pharsalia confert, spectandumque tibi bellum civile negatum est. has urbi miserae vestro de sanguine poenas ferre datis, luitis iugulo sic arma, potentes. felix Roma quidem civisque habitura beatos, si libertatis superis tam cura placeret quam vindicta placet. Libycas, en, nobile corpus, pascit aves nullo contectus Curio busto. at tibi nos, quando non proderit ista silere a quibus omne aevi senium sua fama repellit, digna damus, iuvenis, meritae praeconia vitae. haut alium tanta civem tulit indole Roma aut cui plus leges deberent recta sequenti; perdita tunc urbi nocuerunt saecula, postquam ambitus et luxus et opum metuenda facultas transverso mentem dubiam torrente tulerunt, momentumque fuit mutatus Curio rerum Gallorum captus spoliis et Caesaris auro. ius licet in iugulos nostros sibi fecerit ensis Sulla potens Mariusque ferox et Cinna cruentus Caesareaeque domus series, cui tanta potestas concessa est? emere omnes, hic vendidit urbem.

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Als Curio seine Reihen in der Ebene niedergemacht sah und der blutgetränkte Staub es erlaubte, (795) das ganze Ausmaß der Niederlage zu erkennen, ertrug er es nicht, diese Katastrophe noch länger zu überleben oder gar auf Flucht zu hoffen. Bereit zu sterben und mit dem Mut der Verzweiflung fiel er mitten unter dem Leichenhaufen seiner Leute. Was nützt es dir nun, auf der Rednertribüne auf dem Forum den Aufruhr geschürt zu haben, (800) wo du auf dem Bollwerk tribunizischer Macht als Bannerträger der Plebs den Völkern die Waffen in die Hand gabst? Was hast du jetzt davon, dass du die Rechte des Senats verraten hast und dass du Pompeius und dessen Schwiegervater zum Krieg aufgehetzt hast? Du bist schon gefallen, noch bevor die grausamen Pharsalischen Felder109 die beiden Führer einander gegenüber stellen, und das Schauspiel des Bürgerkrieges ist dir vorenthalten. (805) Dies ist die blutige Strafe, die ihr eurem unglücklichen Vaterland zahlen müsst, ihr Mächtigen: Mit eurem Leben sühnt ihr euren Waffengang. Glücklich wäre Rom und es hätte glückliche Bürger, wenn sich die Götter so um die Freiheit kümmerten wie um die Strafe. Siehe, (810) Curio110, ein edler Leichnam, ernährt jetzt – von keinem Grabhügel bedeckt – die libyschen Vögel. Aber es wäre sinnlos, das zu verschweigen, was der ihm eigene Ruhm für alle Zeit jung hält. Und so spenden wir dir, junger Mann, für deine Lebensleistung das verdiente Lob. Rom hat niemals einen Bürger von solcher Tüchtigkeit hervorgebracht (815) oder einen, dem die Gesetze mehr Dank schulden, so lange er auf dem richtigen Wege war. Aber als die Stadt unter der Sittenlosigkeit der Zeit111 litt, da rissen Ehrgeiz, Luxusleben und die furchtbare Macht des Reichtums wie in einem Strudel seine wetterwendische Sinnesart mit. Curio, (820) betört von der Beute aus Gallien und dem Gold Caesars, gab den Anstoß zu einer schlimmen Entwicklung. Mag auch der mächtige Sulla, der wilde Marius, der grausame Cinna112 und die ganze Reihe der Nachfolger Caesars113 sich das Recht des Schwertes gegen unser Leben verschafft haben, wem ist eine so große Macht zugestanden worden wie Curio? Sie alle haben doch die Stadt gekauft, Curio aber hat sie verkauft.

LIBER V Sic alterna duces bellorum volnera passos in Macetum terras miscens adversa secundis servavit fortuna pares. iam sparserat Haemo bruma nives gelidoque cadens Atlantis Olympo, instabatque dies qui dat nova nomina fastis quique colit primus ducentem tempora Ianum. dum tamen emeriti remanet pars ultima iuris consul uterque uagos belli per munia patres elicit Epirum. peregrina ac sordida sedes Romanos cepit proceres, secretaque rerum hospes in externis audivit curia tectis. nam quis castra vocet tot strictas iure securis, tot fasces? docuit populos venerabilis ordo non Magni partes sed Magnum in partibus esse. ut primum maestum tenuere silentia coetum, Lentulus e celsa sublimis sede profatur. ‘indole si dignum Latia, si sanguine prisco robur inest animis, non qua tellure coacti quamque procul tectis captae sedeamus ab urbis cernite, sed vestrae faciem cognoscite turbae, cunctaque iussuri primum hoc decernite, patres, quod regnis populisque liquet, nos esse senatum. nam vel Hyperboreae plaustrum glaciale sub Ursae vel plaga qua torrens claususque vaporibus axis nec patitur noctes nec iniquos crescere soles, si fortuna ferat, rerum nos summa sequetur imperiumque comes. Tarpeia sede perusta Gallorum facibus Veiosque habitante Camillo illic Roma fuit. non umquam perdidit ordo mutato sua iura solo. maerentia tecta Caesar habet vacuasque domos legesque silentis clausaque iustitio tristi fora; curia solos illa videt patres plena quos urbe fugavit: ordine de tanto quisquis non exulat hic est. ignaros scelerum longaque in pace quietos bellorum primus sparsit furor: omnia rursus membra loco redeunt. en, totis viribus orbis Hesperiam pensant superi: iacet hostis in undis

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Buch 5 So steckten die Anführer wechselweise Blessuren des Krieges ein. Das Schicksal mischte Siege mit Niederlagen, hob sie als Gleichstarke für das Land der Makedonen1 auf. Schon hatte der Winter den Hamus2 mit Schnee überzogen, die Tochter des Atlas3 verschwand vom kalten Himmel, (5) der Tag stand vor der Tür, der den Kalender eröffnet und als erster4 den Monatspatron Ianus verehrt. Noch kurz vor ihrer schon auslaufenden Amtszeit beriefen die beiden Konsuln5 die durch den Kriegsdienst verstreuten Senatoren nach Epirus ein. Ärmlich und in der Fremde boten die Amtssessel den (10) hoch gestellten Persönlichkeiten Roms Platz. Als Gäste unter fremdem Dach berieten die Senatoren die Staatsgeheimnisse. Wer mag so viele rechtmäßige Amtsinsignien von Beilen und Liktorenbündeln nur ein Heerlager nennen? Das ehrwürdige Gremium belehrte die Völker, dass sie nicht Parteigänger des Pompeius waren, sondern Pompeius einer von ihnen. (15) Sobald die Versammlung betrübt in Schweigen verharrte, erhob sich Lentulus von seinem erhöhten Sitz und sprach zu der Versammlung: »Wenn euren Herzen noch die Kraft innewohnt, die der latinischen Abstammung würdig ist, und das Blut eurer Väter, dann schaut nicht darauf, in welchem Land wir uns versammelt haben und wie weit entfernt von den Häusern der besetzten Stadt wir tagen, (20) sondern macht euch den Anblick eures Gremiums bewusst und bestätigt, mit der Machtvollkommenheit alles zu entscheiden, Senatoren, was den Regierenden und Völkern offenbar ist, dass wir der Senat sind. Denn ob uns das Schicksal unter den gefrorenen Wagen des hyperboreischen6 Bären verschlüge oder dorthin, wo die trockene Zone und der von schwülem Dunst verhangene Himmel (25) nicht duldet, dass Tage und Nächte unterschiedlich lang sind, die höchste Staatsmacht wird uns begleiten mit der Befehlsgewalt im Gefolge. Als das tarpejische7 Gelände von den gallischen Fackeln niedergebrannt war und Camillus8 sich in Veji nieder gelassen hatte, war eben dort Rom. Niemals hat dieser Stand seine Rechte eingebüßt, (30) auch wenn er den Platz gewechselt hat. Caesar beherrscht nur trübselige Behausungen, verwaiste Paläste, schweigende Gerichte und wegen unerfreulichem Stillstand der Rechtsprechung geschlossene Foren. Die Kurie dort sieht nur die Senatoren, die sie vertrieben hatte, als die Stadt noch voll bewohnt war. Wer aus dem hoch gestellten Gremium kein Verbannter ist, ist hier anwesend. (35) Wir sind der Freveltaten unkundig und lebten lange in Ruh und Frieden. Uns hat das erste Wüten des Bürgerkrieges versprengt. Alle Glieder kehren erneut an ihren Platz zurück. Seht, die Götter wiegen uns Hesperien mit allen Streitkräften der Welt auf: Der Feind liegt am Grund des Illyrischen Meeres9,

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obrutus Illyricis, Libyae squalentibus arvis Curio Caesarei cecidit pars magna senatus. tollite signa, duces, fatorum inpellite cursum, spem vestram praestate deis, fortunaque tantos det vobis animos quantos fugientibus hostem causa dabat. nostrum exhausto ius clauditur anno: vos, quorum finem non est sensura potestas, consulite in medium, patres, Magnumque iubete esse ducem.’ laeto nomen clamore senatus excipit et Magno fatum patriaeque suumque inposuit. tunc in reges populosque merentis sparsus honor, pelagique potens Phoebeia donis exornata Rhodos gelidique inculta iuventus Taygeti, fama veteres laudantur Athenae, Massiliaeque suae donatur libera Phocis; tum Sadalam fortemque Cotyn fidumque per arma Deiotarum et gelidae dominum Rhascypolin orae conlaudant, Libyamque iubent auctore senatu sceptrifero parere Iubae. pro tristia fata! et tibi, non fidae gentis dignissime regno, fortunae, Ptolemaee, pudor crimenque deorum, cingere Pellaeo pressos diademate crinis permissum. saevum in populos puer accipis ensem, atque utinam in populos! donata est regia Lagi, accessit Magni iugulus, regnumque sorori ereptum est soceroque nefas. iam turba soluto arma petit coetu; quae cum populique ducesque casibus incertis et caeca sorte pararent, solus in ancipites metuit descendere Martis Appius eventus, finemque expromere rerum sollicitat superos multosque obducta per annos Delphica fatidici reserat penetralia Phoebi. Hesperio tantum quantum summotus Eoo cardine Parnasos gemino petit aethera colle, mons Phoebo Bromioque sacer, cui numine mixto Delphica Thebanae referunt trieterica Bacchae. hoc solum fluctu terras mergente cacumen eminuit pontoque fuit discrimen et astris. tu quoque vix summam, seductus ab aequore, rupem extuleras, unoque iugo, Parnase, latebas.

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(40) Curio10, ein mächtiger Teil des Cäsarischen Senates ist auf den öden Fluren Libyens gefallen. Lasst die Feldzeichen aufrichten und bringt den Lauf des Schicksals in Schwung, zeigt den Göttern eure Zuversicht. Und das Glück möge euch so viel Selbstvertrauen geben, wie ihr damals Veranlassung hattet vor dem Feind zu fliehen. Unsere Amtszeit endet, wenn das Jahr sich erschöpft hat; (45) ihr aber, deren Machtbefugnis kein Ende sehen wird, sorgt für das Gemeinwohl und wählt Pompeius zum Anführer11.« Mit freudigem Applaus hörte der Senat die Namensnennung und bürdete Pompeius die Verantwortung für das Schicksal des Vaterlandes und ihr eigenes auf. (50) Huldigungen wurden dann verteilt an Könige und verdiente Völker. Mit Geschenken überhäuft wurden das das Meer beherrschende Rhodos, die Insel Apollos, und die raubeinige Jugend des kalten Taÿgetos12. Das altberühmte Athen wurde geehrt und Phokis13 mit der Freiheit beschenkt wegen seiner Tochterstadt Massilia14. Dann empfingen Sadala und der tapfere Kotys15 Anerkennung, der treue Verbündete (55) Deiotarus16 und Rhaskypolis17, der Herr der eisigen Gestade. Libyen sollte auf Senatsbeschluss dem Szeptertragenden König Iuba gehorchen. Und – schreckliche Schicksalsfügung – dir, Ptolemäus, höchst geeignet, ein treuloses Volk zu regieren, du Schandfleck des Schicksals und Verächter der Götter, dir wurde (60) gestattet, deine Haare mit dem schweren Diadem aus Pella18 zu bekränzen. Der Knabe zückte das Schwert ruchlos gegen das eigene Volk. Ach wäre es nur gegen das Volk gewesen! Als ihm die Königswürde des Lagos19 überantwortet wurde, kam auch noch das Leben des Pompeius20 dazu. Der Schwester21 wurde die Herrschaft entrissen und dem Schwiegervater kam er im Verbrecherischen zuvor. Nachdem die Versammlung sich aufgelöst hatte, (65) eilte die Schar sofort zu den Waffen. Während die Volksscharen und ihre Anführer sich für den Waffengang rüsteten, in Unkenntnis des Ausgangs und blind für ihr Schicksal, erfüllte die Ungewissheit über den Ausgang des Krieges allein Appius22 mit ängstlicher Ungeduld. Er versuchte, den Göttern den Ausgang der Geschehnisse zu entlocken, und ließ (70) das über viele Jahre geschlossene delphische Heiligtum des wahrsagenden Gottes Apollo öffnen. Von dem westlichen Wendepunkt genauso weit entfernt wie vom östlichen strebt der Parnass mit Doppelgipfel in den Äther, ein Berg dem Phöbus23 und dem Bromios24 geweiht. Ihn verehren die Bacchanten aus Theben und begehen alle drei Jahre ein Fest für die beiden Götter gemeinsam. (75) Nur diese Bergspitze ragte heraus, als die Sintflut25 das Land überschwemmte, und war die Scheidewand zwischen Meer und Himmel. Auch du, Parnass, geteilt von den Fluten, hattest gerade einmal die höchste Spitze herausragen lassen, während der andere Gipfel verborgen blieb.

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ultor ibi expulsae, premeret cum viscera partus, matris adhuc rudibus Paean Pythona sagittis explicuit, cum regna Themis tripodasque teneret. ut vidit Paean vastos telluris hiatus divinam spirare fidem ventosque loquaces exhalare solum, sacris se condidit antris, incubuitque adyto vates ibi factus Apollo. quis latet hic superum? quod numen ab aethere pressum dignatur caecas inclusum habitare cavernas? quis terram caeli patitur deus, omnia cursus aeterni secreta tenens mundoque futuri conscius, ac populis sese proferre paratus contactumque ferens hominis, magnusque potensque, siue canit fatum seu, quod iubet ille canendo, fit fatum? forsan, terris inserta regendis aere libratum vacuo quae sustinet orbem, totius pars magna Iouis Cirrhaea per antra exit et aetherio trahitur conexa Tonanti. hoc ubi virgineo conceptum est pectore numen, humanam feriens animam sonat oraque vatis solvit, ceu Siculus flammis urguentibus Aetnam undat apex, Campana fremens ceu saxa vaporat conditus Inarimes aeterna mole Typhoeus. hoc tamen expositum cunctis nullique negatum numen ab humani solum se labe furoris vindicat. haud illic tacito mala vota susurro concipiunt, nam fixa canens mutandaque nulli mortales optare vetat; iustisque benignus saepe dedit sedem totas mutantibus urbes, ut Tyriis, dedit ille minas inpellere belli, ut Salaminiacum meminit mare; sustulit iras telluris sterilis monstrato fine, resolvit aera tabificum. non ullo saecula dono nostra carent maiore deum, quam Delphica sedes quod siluit, postquam reges timuere futura et superos vetuere loqui. nec voce negata Cirrhaeae maerent vates, templique fruuntur iustitio. nam, siqua deus sub pectora venit, numinis aut poena est mors inmatura recepti aut pretium; quippe stimulo fluctuque furoris

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Dort hatte Päan26 als Rächer seiner Mutter den Drachen Python27, der sie verfolgt hatte, als die bevorstehende Geburt ihren Leib bedrängte, (80) mit bisher noch ungeübtem Pfeil und Bogen niedergestreckt. Damals hatte Themis28 die Herrschaft über den Dreifuß29 inne. Als Päan sah, dass der riesige Erdspalt göttliche Wahrheit aushauchte und der Boden sprechende Lüfte, verbarg er sich selbst in den geweihten Grotten (85), nistete sich in dem Kultraum ein und wurde der Sehergott Apollo. Wer von den Göttern ist hier verborgen? Welche Gottheit, vom Himmel herabgestiegen, lässt sich darauf ein, dass sie eingeschlossen in den unergründlichen Höhlen wohnt? Welcher Gott des Himmels, der über alle Geheimnisse des ewigen Laufs der Dinge waltet und auf der Erde die Zukunft kennt, erträgt das Erdendasein (90) und ist trotz seiner Größe und Macht bereit, sich den Völkern zu offenbaren und den Kontakt mit Menschen auszuhalten, sei es dass er das Schicksal verkündet oder selbst das Schicksal verkörpert in dem, was er durch seine Prophezeiung anordnet? Vielleicht30 offenbart sich ein bedeutender Teil der göttlichen Macht Jupiters, die der Erde verbunden ist, um sie zu lenken, und sie im leeren Weltall im Gleichgewicht hält, (95) durch die Grotten von Kirrha31 und dort strömt aus, was mit dem himmlischen Donnerer verbunden ist. Sobald das göttliche Wesen sich in der Brust einer Jungfrau verbirgt, erschüttert es ihre menschliche Seele und öffnet den Mund der Seherin, so wie der Gipfel des Ätna in Sizilien vom Feuer getrieben überkocht oder wie Typhoeus32, (100) der, unter der ewig lastenden Masse von Inarime33 begraben, die kampanischen Felsen dumpf tosend mit Dampf einhüllt. Obwohl diese göttliche Einrichtung allen offensteht und keinem verschlossen ist, hält sie sich dennoch allein frei von den unheilvollen Einflüssen des menschlichen Wahnsinns34. Dort werden nicht mit leisem Gemurmel üble Verwünschungen (105) formuliert, denn sie verkündet, was schon feststeht, was keiner ändern kann, und sie verbietet den Sterblichen, sich etwas zu wünschen; den Gerechten ist sie gnädig. Oft wies sie denen, die ganze Städte verlassen mussten, einen Wohnsitz an, wie etwa den Tyriern, sie befähigte dazu, die Drohungen eines Krieges abzuwehren, wie das Meer bei Salamis noch weiß35. Sie beseitigte den Zorn eines unfruchtbaren Erdbodens, (110) indem sie aufzeigte, wie man diesem Zorn ein Ende machen könne, sie löste verpestete Ausdünstungen auf. Kein größeres Geschenk der Götter muss unser Zeitalter entbehren als dies, dass das Delphische Orakel verstummte, nachdem die Könige anfingen, die Zukunft zu fürchten und den Göttern untersagten zu reden36. Doch die kirrhäischen Prophetinnen sind nicht traurig über dieses Redeverbot, (115) und die Tempel sind froh über diese Betriebsunterbrechung. Denn wenn der Gott von irgendeiner Brust Besitz ergriff, ist die Strafe oder der Lohn für die Übernahme göttlichen Wissens ein frühzeitiger Tod, denn unter dem »Kick«

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conpages humana labat, pulsusque deorum concutiunt fragiles animas. sic tempore longo inmotos tripodas vastaeque silentia rupis Appius Hesperii scrutator ad ultima fati sollicitat. iussus sedes laxare verendas antistes pavidamque deis inmittere vatem Castalios circum latices nemorumque recessus Phemonoen errore vagam curisque vacantem corripuit cogitque fores inrumpere templi. limine terrifico metuens consistere Phoebas absterrere ducem noscendi ardore futura cassa fraude parat. ‘quid spes’ ait ‘inproba veri te, Romane, trahit? muto Parnasos hiatu conticuit pressitque deum, seu spiritus istas destituit fauces mundique in devia versum duxit iter, seu, barbarica cum lampade Python arsit, in inmensas cineres abiere cavernas et Phoebi tenuere viam, seu sponte deorum Cirrha silet farique sat est arcana futuri carmina longaevae vobis conmissa Sibyllae, seu Paean solitus templis arcere nocentis, ora quibus solvat, nostro non invenit aevo.’ virginei patuere doli, fecitque negatis numinibus metus ipse fidem. tum torta priores stringit vitta comas, crinesque in terga solutos candida Phocaica conplectitur infula lauro. haerentem dubiamque premens in templa sacerdos inpulit. illa pavens adyti penetrale remoti fatidicum prima templorum in parte resistit atque deum simulans sub pectore ficta quieto verba refert, nullo confusae murmure vocis instinctam sacro mentem testata furore, haud aeque laesura ducem cui falsa canebat quam tripodas Phoebique fidem. non rupta trementi verba sono nec vox antri conplere capacis sufficiens spatium nulloque horrore comarum excussae laurus inmotaque limina templi securumque nemus veritam se credere Phoebo

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und dem Rausch der Ekstase kommt das innere Gefüge des Menschen ins Wanken, und der wuchtige Ansturm der Götter (120) erschüttert die zerbrechliche Seele des Menschen. So schreckte Appius nach langer Zeit37 die reglosen Dreifüße38 und das Schweigen in der riesigen Felshöhle wieder auf, indem er nach dem letzten Schicksal Italiens forschte. Als der Oberpriester aufgefordert wurde, die ehrwürdige Stätte zu öffnen und eine Prophetin zu den Gottheiten hineinzuschicken – auch wenn sie Angst davor hatte – , packte er Phemonoë39, (125) die bei der kastalischen Quelle40 in einem abgelegenen Hain frei von unbegründeten Sorgen umherwandelte, und zwang sie, durch die Flügeltüren den Tempel zu betreten. Die Phoebuspriesterin fürchtete sich davor, die entsetzliche Schwelle zu betreten, und versuchte, den General von seinem brennenden Wunsch, die Zukunft zu erfahren, (130) durch eine List abzubringen – doch vergeblich: »Welche unsinnige Hoffnung, die Wahrheit zu erfahren, treibt dich, Römer, hierher? Der Erdspalt hier schweigt, und der Parnass ist verstummt; er hat den Gott in sich verschlossen, sei es nun, dass der Geist diesen Schlund hier verlassen und den Weg in eine abgelegene Weltgegend genommen hat oder (135) dass Asche in die unendlich weiten Höhlengänge fiel und den Weg des Phoebus blockierte, damals als Python41 von den Fackeln der Barbaren in Flammen aufging, sei es, dass Kirrha nach dem Willen der Götter schweigt und es genügt, dass die euch anvertrauten Orakelsprüche der uralten Sibylle42 die Geheimnisse der Zukunft offenbaren, sei es, dass Päan, der schuldbeladene Leute von seinen Tempeln fernzuhalten pflegt, (140) in unserem Zeitalter niemanden mehr findet, für den er die Lippen öffnet43.« Die List der Jungfrau war leicht zu durchschauen, und gerade ihre Furcht bestätigte die Macht der Gottheit, die sie leugnete. Eine gewundene Kopfbinde fasste nun ihre Stirnhaare zusammen, die frei über den Rücken herabwallenden Haare bündelte eine weiße Wollbinde mit phokäischem Lorbeer. (145) Als sie noch unentschlossen zögerte, schob sie der Priester vorwärts und stieß sie in den Tempel. Voller Furcht vor dem schicksalskündenden Raum des verborgenen Allerheiligsten bleibt sie im vorderen Teil des Tempels stehen, und indem sie eine göttliche Eingebung vortäuschte, sprach sie ruhigen Herzens frei erfundene Worte aus; kein Gelalle wirrer Worte bezeugte, (150) dass ihr Geist von heiliger Raserei befeuert wurde. Sie schadete dadurch nicht so sehr dem Anführer, dem sie Falsches verkündete, als vielmehr dem Dreifuß und dem Glauben an Phoebus. Ihre Worte wurden nicht durch einen schrillen Schrei unterbrochen, ihre Stimme reichte nicht aus, den Raum der weiten Höhle zu füllen. (155) Der Lorbeer, vom gesträubten Haar nicht herabgeschüttelt, die unbewegte Schwelle des Tempels und der heitere Hain verrieten, dass sie davor zurückscheute, sich Phoebus hinzugeben.

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prodiderant. sensit tripodas cessare furensque Appius ‘et nobis meritas dabis, impia, poenas et superis, quos fingis,’ ait ‘nisi mergeris antris deque orbis trepidi tanto consulta tumultu desinis ipsa loqui’. tandem conterrita virgo confugit ad tripodas vastisque adducta cavernis haesit et insueto concepit pectore numen, quod non exhaustae per tot iam saecula rupis spiritus ingessit vati; tandemque potitus pectore Cirrhaeo non umquam plenior artus Phoebados inrupit Paean mentemque priorem expulit atque hominem toto sibi cedere iussit pectore. bacchatur demens aliena per antrum colla ferens, vittasque dei Phoebeaque serta erectis discussa comis per inania templi ancipiti cervice rotat spargitque vaganti obstantis tripodas magnoque exaestuat igne iratum te, Phoebe, ferens. nec verbere solo uteris et stimulis flammasque in viscera mergis: accipit et frenos, nec tantum prodere vati quantum scire licet. venit aetas omnis in unam congeriem, miserumque premunt tot saecula pectus, tanta patet rerum series, atque omne futurum nititur in lucem, vocemque petentia fata luctantur; non prima dies, non ultima mundi, non modus Oceani, numerus non derat harenae. qualis in Euboico vates Cumana recessu indignata suum multis servire furorem gentibus ex tanta fatorum strage superba excerpsit Romana manu, sic plena laborat Phemonoe Phoebo, dum te, consultor operti Castalia tellure dei, vix invenit, Appi, inter fata diu quaerens tam magna latentem. spumea tum primum rabies vaesana per ora effluit et gemitus et anhelo clara meatu murmura, tum maestus vastis ululatus in antris extremaeque sonant domita iam virgine voces: ‘effugis ingentes, tanti discriminis expers, bellorum, Romane, minas, solusque quietem Euboici vasta lateris convalle tenebis’.

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Appius merkte, dass der Dreifuß sich nicht rührt, und rief wütend: »Das wirst du mir und den Göttern, die du hier vortäuschst, büßen, wie du es verdienst, du unverschämtes Weibsstück, wenn du nicht in die Höhle heruntersteigst und – (160) über diesen gewaltigen Aufruhr einer angstbebenden Welt befragt – nicht aufhörst, mit deinen eigenen Worten zu sprechen.« Endlich wich die Jungfrau eingeschüchtert zurück zu dem Dreifuß, näherte sich den weiträumigen Höhlen, blieb stehen und empfing in ihrem Inneren, das mit dieser Erfahrung noch nicht vertraut war, die Gottheit, die der Geist des nach so vielen Jahrhunderten noch immer nicht erschöpften Felsgesteins (165) der Seherin eingab44. Und endlich bemächtigte sich Päan des Inneren der kirrhäischen Seherin, und niemals zuvor befiel er in solchem Umfang einen delphischen Körper; er trieb ihre frühere Gesinnung aus und zwang diesen Menschen, sich mit ganzer Seele hinzugeben. Ganz von Sinnen raste sie durch die Höhle, (170) ihr Nacken gehörte nicht mehr zu ihr, die Kopfbinde des Gottes und der phöbische Lorbeerkranz wurden aus ihrem gesträubten Haar geschleudert; sie warf ihren Kopf hin und her und wirbelte über die leeren Flächen des Tempels, sie schleuderte die Dreifüße auseinander, die ihr bei ihrem Umhertoben im Wege standen, sie loderte innerlich in einem gewaltigen Feuerbrand, denn sie war besessen von dir, Apoll, in deinem Zorn.45 Aber du benutzt nicht nur die Peitsche (175) und stößt brennende Sporen in ihren Leib, sondern du legst ihr auch Zügel an, und sie darf nicht alles verkünden, was sie weiß. Die gesamte Zeit der Welt ballte sich zusammen, so viele Jahrhunderte bedrängten ihr armes Inneres, eine lange Reihe von Ereignissen lag ihr offen zu Tage und die gesamte Zukunft (180) drängte ans Licht, Schicksale, die nach Worten rangen, kämpften miteinander. Da fehlte weder der erste noch der letzte Tag der Welt, weder das Ausmaß des Ozeans noch die Zahl aller Sandkörner. Wie in ihrer Grotte im euböischen Cumae46 die Prophetin – verärgert darüber, dass ihr Außer-sich-Sein so vielen Völkern dienen soll – (185) aus der übergroßen Masse der Schicksale mit strenger Hand nur die römischen heraussortiert, so mühte sich Phemonoë – des Gottes Phoebus voll – lange damit ab, über dich, Appius, der du den in der kastalischen Erde verborgenen Gott um Rat fragst, etwas herauszusuchen, denn du bleibst unter bedeutenden Schicksalen verborgen. (190) Dann endlich ergoss sich das heilige Rasen aus ihrem schäumenden Mund; ein Ächzen und unter keuchendem Atem ein lautes Stammeln, dann ein düsteres Heulen und endlich tosten auch Worte durch das weite Gewölbe, als die Jungfrau bezwungen war: »Römer, du nimmst an den großen Entscheidungsschlachten nicht teil, (195) du entkommst den ungeheuerlichen Drohungen des Krieges und wirst einsam in einem weiten Tal an der euböischen Küste Ruhe finden47.«

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cetera suppressit faucesque obstruxit Apollo. custodes tripodes fatorum arcanaque mundi tuque, potens veri Paean nullumque futuri a superis celate diem, suprema ruentis imperii caesosque duces et funera regum et tot in Hesperio conlapsas sanguine gentis cur aperire times? an nondum numina tantum decrevere nefas et adhuc dubitantibus astris Pompei damnare caput tot fata tenentur? vindicis an gladii facinus poenasque furorum regnaque ad ultores iterum redeuntia Brutos, ut peragat fortuna, taces? tum pectore vatis inpactae cessere fores, expulsaque templis prosiluit; perstat rabies, nec cuncta locutae quem non emisit, superest deus. illa feroces torquet adhuc oculos totoque vagantia caelo lumina, nunc voltu pavido, nunc torva minaci; stat numquam facies; rubor igneus inficit ora liventisque genas; nec, qui solet esse timenti, terribilis sed pallor inest; nec fessa quiescunt corda, sed, ut tumidus Boreae post flamina pontus rauca gemit, sic muta levant suspiria vatem. dumque a luce sacra, qua vidit fata, refertur ad volgare iubar mediae venere tenebrae. inmisit Stygiam Paean in viscera Lethen, quae raperet secreta deum. tum pectore verum fugit et ad Phoebi tripodas rediere futura, vixque refecta cadit. nec te vicinia leti territat ambiguis frustratum sortibus, Appi; iure sed incerto mundi subsidere regnum Chalcidos Euboicae vana spe rapte parabas. heu demens, nullum belli sentire fragorem, tot mundi caruisse malis, praestare deorum excepta quis Morte potest? secreta tenebis litoris Euboici memorando condite busto, qua maris angustat fauces saxosa Carystos et, tumidis infesta colit quae numina, Rhamnus, artatus rapido fervet qua gurgite pontus

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Alles weitere unterdrückte Apollo und verschloss ihr die Kehle. Ihr Dreifüße, Wächter über die Schicksale, ihr Geheimnisse der Welt, du, Päan48, Herr über die Wahrheit, dem kein zukünftiger Tag (200) von den Göttern verheimlicht wird, warum scheust du dich, den endgültigen Zusammenbruch des Reiches, die Ermordung der Anführer49, den Tod von Königen und den Untergang so vieler Völker im Blut Hesperiens zu offenbaren? Oder haben die Götter eine derartige Untat noch gar nicht beschlossen und sind so viele Schicksale immer noch in der Schwebe, weil die Gestirne zögern, (205) Pompeius zum Tode zu verurteilen? Oder schweigst du, damit das Schicksal die glorreiche Tat des rächenden Schwertes ins Werk setzen kann, dass rasender Ehrgeiz bestraft werde und dass einmal mehr eine tyrannische Herrschaft der rächenden Tat eines Brutus begegne? Nun wichen die Tore vor der Brust der Seherin zurück. Es trieb sie hinaus und sie stürzte davon (210), doch die Ekstase dauerte an. Den Gott hatte sie nicht abgeschüttelt, er beherrschte sie weiterhin, da sie nicht alles verkündigt hatte. Sie verdrehte immer noch wild die Augen und ließ ihre Blicke über den ganzen Himmel kreisen, bald mit ängstlicher, bald mit schrecklich drohender Miene; ihr Gesicht fand keinen Augenblick Ruhe, eine feurige Röte überzog ihr Antlitz und (215) ihre bleichen Wangen. Ihre Blässe zeugte nicht von Furcht, sondern rief Furcht hervor, und ihr ermattetes Herz kam nicht zur Ruhe, sondern unartikulierte Seufzer erleichterten die Seherin, so wie das aufgepeitschte Meer noch rauscht, auch wenn der stürmische Nordwind sich gelegt hat. Als sie vom heiligen Licht, in dem sie das zukünftige Schicksal gesehen hatte, (220) ins gewohnte Tageslicht zurückkehrte, fiel sie in Ohnmacht. Denn Päan flößte ihr die stygische Lethe50 ein, die ihr die Geheimnisse der Götter raubte. Da floh die Wahrheit aus ihrer Brust, und das Wissen um die Zukunft kehrte zum Dreifuß des Phoebus zurück. Sie sank nieder, kaum dass sie sich erholt hatte. Aber dich, Appius, (225) getäuscht durch den zweideutigen Orakelspruch, schreckte die Nähe des Todes nicht; während der Herrschaftsanspruch über die Welt noch nicht entschieden ist, schickst du dich an, von leerer Hoffnung verführt, die Herrschaft über Chalcis auf Euböa an dich zu reißen. Armer Tor! Wer von den Göttern außer dem Tod kann dafür bürgen, dass du keinen Kriegslärm hören und verschont bleiben wirst von all den Übeln der Welt? (230) Du wirst einen einsamen Platz an der Küste von Euböa finden, in einem denkwürdigen Grabmal, zwischen dem felsigen Karystus 51 und Rhamnus52, Kultort einer Göttin, die die Übermütigen hasst53, wo das beengte Meer in rasendem Strudel aufschäumt

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Euripusque trahit, cursum mutantibus undis, Chalcidicas puppes ad iniquam classibus Aulin. interea domitis Caesar remeabat Hiberis victrices aquilas alium laturus in orbem, cum prope fatorum tantos per prospera cursus avertere dei. nullo nam Marte subactus intra castrorum timuit tentoria ductor perdere successus scelerum, cum paene fideles per tot bella manus satiatae sanguine tandem destituere ducem, seu maesto classica paulum intermissa sono claususque et frigidus ensis expulerat belli furias, seu, praemia miles dum maiora petit, damnat causamque ducemque et scelere inbutos etiamnunc venditat enses. haud magis expertus discrimine Caesar in ullo est quam non e stabili tremulo sed culmine cuncta despiceret staretque super titubantia fultus. tot raptis truncus manibus gladioque relictus paene suo, qui tot gentis in bella trahebat, scit non esse ducis strictos sed militis enses. non pavidum iam murmur erat nec pectore tecto ira latens; nam quae dubias constringere mentes causa solet, dum quisque pavet, quibus ipse timori est, seque putat solum regnorum iniusta gravari, haud retinet. quippe ipsa metus exsolverat audax turba suos: quidquid multis peccatur inultum est. effudere minas. ‘liceat discedere, Caesar, a rabie scelerum. quaeris terraque marique his ferrum iugulis animasque effundere viles quolibet hoste paras; partem tibi Gallia nostri eripuit, partem duris Hispania bellis, pars iacet Hesperia, totoque exercitus orbe te vincente perit. terris fudisse cruorem quid iuvat Arctois Rhodano Rhenoque subactis? tot mihi pro bellis bellum civile dedisti. cepimus expulso patriae cum tecta senatu, quos hominum vel quos licuit spoliare deorum? imus in omne nefas manibus ferroque nocentes, paupertate pii. finis quis quaeritur armis? quid satis est, si Roma parum est? iam respice canos

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(235) und wo der Euripus, wenn er seine Strömungsrichtung wechselt, die Schiffe von Chalkis nach Aulis treibt, das keinen geeigneten Hafen bietet. Inzwischen hatte Caesar Spanien bezwungen und befand sich auf dem Rückmarsch, um die siegreichen Adler in eine andere Weltgegend zu tragen, als die Götter seiner vom Schicksal begünstigten Erfolgsserie (240) beinahe eine schlimme Wendung beschert hätten. Denn, im Kriege unbesiegt, fürchtete der Feldherr, inmitten seiner Lagerzelte die Früchte seiner Verbrechen einzubüßen, da die Scharen, welche ihm durch so viele Kriege die Treue bewahrt hatten, schließlich satt vom Blut, beinahe von ihrem Anführer abgefallen wären54; sei es, dass die Fanfaren (245), deren Unheil verkündender Klang eine Weile verstummte, und das in der Scheide kalt gewordene Schwert ihnen die Kriegswut ausgetrieben hatten, oder sei es, dass die Soldaten in ihrer Gier nach höherem Sold den Anführer und seine Sache verdammten und sich mit ihren vom Morden besudelten Schwertern jetzt noch feil bieten wollten. In keiner Gefahr hat Caesar deutlicher erkannt (250), wie unsicher und schwankend das Podest war, von dem er auf die Welt herabsah. Gleichsam ein Torso, durch den Verlust so vieler Hände und so gut wie nur auf sein eigenes Schwert angewiesen, erkannte er, der so viele Völker in den Krieg gezogen hatte, dass einmal gezückte Schwerter nicht dem Anführer, sondern den Soldaten gehören. Das war kein Murren mehr hinter ängstlich vorgehaltener Hand und keine unterdrückte Wut (255); denn das, was sonst Wankelmütige zwingt, sich zu beherrschen, gegenseitiges Misstrauen und der Glaube eines jeden, nur er allein leide unter dem ungerechten Verhalten der Anführer, das gab es hier nicht mehr. Schon die große Zahl der Aufrührer nahm ihnen die Furcht: (260) Was immer von vielen verbrochen wird, bleibt unbestraft. Sie stießen offen ihre Drohungen aus: »Erlaube, Caesar, dass wir mit diesem verbrecherischen Irrsinn aufhören. Du suchst zu Land und zu Wasser nach Schwertern für diese unsere Kehlen, und du bist bereit, unsere wertlosen Leben wegzuwerfen, gleichgültig vor welchem Feind: Einen Teil unserer Kameraden hast du in Gallien (265) eingebüßt, einen Teil bei den harten Kämpfen in Spanien, ein anderer Teil liegt in Italien begraben, auf dem ganzen Erdkreis geht das Heer zu Grunde, während du siegst. Was nützt es uns, dass wir in nordischen Ländern unser Blut vergossen haben, als wir Rhone und Rhein eroberten? Als Lohn für so viele Kriege hast du uns den Bürgerkrieg beschert. (270) Als wir den Senat vertrieben und unsere Vaterstadt eingenommen hatten, welche Menschen oder welche Götter sollten wir da plündern? Schuldig sprechen uns bei all den Untaten, zu denen wir schritten, unsere Hand und unser Schwert, frei von Schuld aber unsere leeren Beutel. Was soll denn bei diesen Kriegen herauskommen? Was wird dir genug sein, wenn dir Rom zu wenig ist? Denk nur an unsere grauen Haare

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invalidasque manus et inanis cerne lacertos. usus abit vitae, bellis consumpsimus aevum: ad mortem dimitte senes. en inproba vota: non duro liceat morientia caespite membra ponere, non anima galeam fugiente ferire atque oculos morti clausuram quaerere dextram, coniugis inlabi lacrimis, unique paratum scire rogum; liceat morbis finire senectam; sit praeter gladios aliquod sub Caesare fatum. quid velut ignaros ad quae portenta paremur spe trahis? usque adeo soli civilibus armis nescimus cuius sceleris sit maxima merces? nil actum est bellis, si nondum conperit istas omnia posse manus. nec fas nec vincula iuris hoc audere vetant: Rheni mihi Caesar in undis dux erat, hic socius; facinus quos inquinat aequat. adde quod ingrato meritorum iudice virtus nostra perit: quidquid gerimus fortuna vocatur. nos fatum sciat esse suum. licet omne deorum obsequium speres, irato milite, Caesar, pax erit.’ haec fatus totis discurrere castris coeperat infestoque ducem deposcere voltu. sic eat, o superi: quando pietasque fidesque destituunt moresque malos sperare relictum est, finem civili faciat discordia bello. quem non ille ducem potuit terrere tumultus? fata sed in praeceps solitus demittere Caesar fortunamque suam per summa pericula gaudens exercere venit; nec dum desaeviat ira expectat: medios properat temptare furores. non illis urbes spoliandaque templa negasset Tarpeiamque Iovis sedem matresque senatus passurasque infanda nurus. vult omnia certe a se saeva peti, vult praemia Martis amari; militis indomiti tantum mens sana timetur. non pudet, heu, Caesar, soli tibi bella placere iam manibus damnata tuis? hos ante pigebit sanguinis? his ferri grave ius erit, ipse per omne fasque nefasque rues? lassare et disce sine armis

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(275), sieh dir unsere entkräfteten Hände und die ausgezehrten Arme an. Unser Leben ist nutzlos verstrichen, wir haben unsere Tage in Kämpfen verbraucht: Entlasse uns Greise in den Tod. Sieh, wie unverschämt unsere Bitten sind: Erlaube uns wenigstens, dass wir unsere sterbenden Glieder nicht auf den harten Rasen betten, dass der entfliehende letzte Hauch nicht an den Helm stößt (280) und dass die Augen nicht vergeblich nach einer Hand suchen, die sie im Tode schließen würde. Wir möchten in die Tränen der Gattin hineinsinken und wissen, dass es einen Scheiterhaufen gibt, der für uns allein errichtet ist; und vergönne es uns, das Alter durch Krankheit zu beenden; es soll doch ein Ende ohne Schwerter unter Caesar geben. Warum verlockst du uns mit Hoffnungen, als ob wir nicht wüssten, zu welchen Schrecknissen wir herhalten sollen; (285) sind wir die einzigen im Bürgerkrieg, die bis jetzt nicht wissen, für welches Verbrechen es den größten Lohn gibt? Nichts haben wir in allen Kriegen erreicht, wenn Caesar noch nicht begriffen hat, dass diese unsere Hände zu allem fähig sind. Nicht göttliches Gesetz noch die Bande des Rechtes verbieten uns, dies zu wagen: An den Wogen des Rheins war Cäsar (290) unser Führer, hier ist er unser Spießgeselle; das Verbrechen macht diejenigen gleich, die es befleckt. Es kommt noch hinzu, dass unsere Tapferkeit umsonst war, wenn ein undankbarer Richter sie beurteilt: Alles, was wir vollbringen, wird sein Glück genannt. Caesar soll wissen, dass wir sein Schicksal sind. Du magst auf die ganze Nachgiebigkeit der Götter hoffen; doch, wenn die Soldaten zornig sind, (295) wird es Friede geben.« Dies sagten sie und begannen im ganzen Lager hin und her zu rennen und den Führer mit feindseliger Miene herauszufordern. So soll es gehen, ihr Götter: Wenn es kein Pflichtgefühlt und keine Gefolgschaftstreue mehr gibt und als einzige Hoffnung nur noch Bosheit übrig bleibt, dann soll Meuterei dem Bürgerkrieg ein Ende bereiten! (300) Welchen Anführer hätte dieser Aufruhr nicht erschrecken können? Caesar55 dagegen, gewohnt sein Geschick besinnungslos aufs Spiel zu setzen und mit Freude sein Glück in höchster Gefahr zu erproben, erschien, ohne abzuwarten, bis sich die Wut ausgetobt hätte; er beeilte sich, das rasende Treiben auf seinem Höhepunkt herauszufordern. (305) Städte, Tempel und den tarpeïschen Sitz Jupiters56 zu plündern und den Müttern und Töchtern der Senatoren unaussprechliches Leid zuzufügen, hätte er ihnen nicht untersagt. Er wollte ja, dass sie von ihm alle Grausamkeiten forderten, er wollte, dass sie nach Kriegsbeute gierten. Er fürchtete bei seinen zügellosen Soldaten nur den gesunden Menschenverstand. (310) Schämst du dich nicht, Caesar, dass dir allein Kriege gefallen, die doch von deinen Handlangern schon geächtet worden sind? Sollten sie des Blutvergießens früher überdrüssig sein? Wird ihnen das Regiment des Schwertes beschwerlich, während du dich rastlos über alles

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posse pati; liceat scelerum tibi ponere finem. saeve, quid insequeris? quid iam nolentibus instas? bellum te civile fugit. stetit aggere fulti caespitis intrepidus voltu meruitque timeri non metuens, atque haec ira dictante profatur: ‘qui modo in absentem voltu dextraque furebas, miles, habes nudum promptumque ad volnera pectus. hic fuge, si belli finis placet, ense relicto. detegit inbelles animas nil fortiter ausa seditio tantumque fugam meditata iuventus ac ducis invicti rebus lassata secundis. vadite meque meis ad bella relinquite fatis. invenient haec arma manus, vobisque repulsis tot reddet Fortuna viros quot tela vacabunt. anne fvgam Magni tanta cvm classe secuntur Hesperiae gentes, nobis victoria turbam non dabit, inpulsi tantum quae praemia belli auferat et vestri rapta mercede laboris lauriferos nullo comitetur volnere currus? vos despecta senes exhaustaque sanguine turba cernetis nostros iam plebs Romana triumphos. Caesaris an cursus vestrae sentire putatis damnum posse fugae? veluti, si cuncta minentur flumina quos miscent pelago subducere fontes, non magis ablatis umquam descenderit aequor, quam nunc crescit, aquis. an vos momenta putatis ulla dedisse mihi? numquam sic cura deorum se premet, ut vestrae morti vestraeque saluti fata vacent: procerum motus haec cuncta secuntur; humanum paucis vivit genus. orbis Hiberi horror et Arctoi nostro sub nomine miles Pompeio certe fugeres duce. fortis in armis Caesareis Labienus erat: nunc transfuga vilis cum duce praelato terras atque aequora lustrat. nec melior mihi vestra fides, si bella nec hoste nec duce me geritis. quisquis mea signa relinquens non Pompeianis tradit sua partibus arma, hic numquam vult esse meus. sunt ista profecto curae castra deis, qui me committere tantis non nisi mutato voluerunt milite bellis.

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Recht und Unrecht hinwegsetzt? Gib Ruhe und lerne, ein Leben ohne Waffen akzeptieren zu können; lass es zu, dass den Freveltaten ein Ende gesetzt wird. (315) Grausamer, was willst du erreichen? Warum bedrängst du sie, die schon nicht mehr wollen? Der Bürgerkrieg entgleitet dir. Er stellte sich auf einen Wall aus befestigten Rasenstücken, mit unerschrockenem Blick, furchtlos, aber selbst Furcht einflößend, schrie er heraus, was der Zorn57 ihm diktierte: »Soldaten, ihr habt euch gegen mich in meiner Abwesenheit mit Gesten und geballten Fäusten empört, (320) hier habt ihr meine entblößte und für Wunden bereite Brust. Lasst hier euer Schwert stecken und flieht, wenn ihr den Krieg beenden wollt. Meuterer, die nichts mit Tapferkeit wagen, und eine Jugend, die nur auf Flucht sinnt, erschlafft von den Erfolgen ihres unbesiegten Anführers, entpuppen sich als kriegsuntauglich. (325) Geht nur und überlasst mich meinem Schicksal, den Krieg weiterzuführen! Es werden Hände diese Waffen hier finden und Fortuna wird mir, wenn ich euch fort gejagt habe, ebenso viele Männer zur Verfügung stellen, wie Waffen unbenutzt sind. Wird etwa nicht der Sieg, wenn die Völker Italiens den Pompeius auf der Flucht mit starker Flotte begleiten, mir Gefolgsleute verschaffen, (330) die nur die Früchte eines Krieges, den andere in Bewegung gesetzt haben, davontragen und den Lohn eurer Mühen ernten und ohne irgendeine Wunde neben meinem lorbeerbekränzten Wagen herlaufen? Ihr aber, eine verachtete Schar alter Männer, blutleer und erschöpft, werdet bloß als römischer Mob meinen Triumph begaffen. (335) Glaubt ihr, dass Cäsars Siegeslauf durch eure Desertion überhaupt spürbaren Verlust erleiden kann? Wenn sich gleichsam alle Flüsse, die sich mit dem Meere mischen, weigerten, ihr Quellwasser herabzusenden, dann würde die Meeresfläche nie stärker absinken, als sie jetzt steigt. Glaubt ihr denn, dass ihr für mich wirklich ausschlaggebend seid?58 (340) Niemals wird die Fürsorge der Götter sich so erniedrigen, dass mein Schicksal vom Tod oder Überleben Euresgleichen abhängig sein wird; diese Welt folgt den Impulsen führender Persönlichkeiten. Nur um dieser wenigen willen existiert das menschliche Geschlecht. Ihr Soldaten wart unter meinem Namen der Schrecken Spaniens und des Nordens, (345) unter der Führung des Pompeius wärt ihr davon gerannt. Labienus59 war mächtig im Waffenrock Cäsars, jetzt streift er als wohlfeiler Überläufer mit dem Herrn, den er mir vorgezogen hat, durch die Länder und auf den Meeren herum. Und eure Loyalität wird mir nicht mehr bedeuten, wenn ihr unter mir oder unter meinem Feind Krieg führt. Wer auch immer meine Feldzeichen verlässt, auch wenn er (350) seine Waffen nicht der Partei des Pompeius anbietet, will jedenfalls nicht mein Gefolgsmann sein. Dieses Lager steht unter der Huld der Götter, die nicht wollten, dass ich einen so bedeutenden Krieg beginne, ohne die Soldaten auszutauschen.

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heu, quantum Fortuna umeris iam pondere fessis amolitur onus! sperantis omnia dextras exarmare datur, quibus hic non sufficit orbis: iam certe mihi bella geram. discedite castris, tradite nostra viris ignavi signa Quirites. at paucos, quibus haec rabies auctoribus arsit, non Caesar sed poena tenet. procumbite terra infidumque caput feriendaque tendite colla. et tu, quo solo stabunt iam robore castra, tiro rudis, specta poenas et disce ferire, disce mori.’ tremuit saeva sub voce minantis volgus iners, unumque caput tam magna iuventus privatum factura timet, velut ensibus ipsis imperet invito moturus milite ferrum. ipse pavet ne tela sibi dextraeque negentur ad scelus hoc Caesar: vicit patientia saevi spem ducis, et iugulos, non tantum praestitit ensis. nil magis adsuetas sceleri quam perdere mentis atque perire tenet. tam diri foederis ictu parta quies, poenaque redit placata iuventus. Brundisium decumis iubet hanc attingere castris et cunctas revocare rates quas avius Hydrus antiquosque Taras secretaque litora Leucae, quas recipit Salpina palus et subdita Sipus montibus, Ausoniam qua torquens frugifer oram Delmatico Boreae Calabroque obnoxius Austro Apulus Hadriacas exit Garganus in undas. ipse petit trepidam tutus sine milite Romam iam doctam servire togae, populoque precanti scilicet indulgens summo dictator honori contigit et laetos fecit se consule fastos. namque omnis voces, per quas iam tempore tanto mentimur dominis, haec primum repperit aetas qua, sibi ne ferri ius ullum, Caesar, abesset, Ausonias voluit gladiis miscere secures addidit et fasces aquilis et nomen inane imperii rapiens signavit tempora digna maesta nota; nam quo melius Pharsalicus annus consule notus erit? fingit sollemnia Campus et non admissae dirimit suffragia plebis

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Ach, welch großes Gewicht wälzt das Schicksal von den Schultern, die schon unter der Last erschlafft sind. (355) Es besteht die Chance, Arme zu entwaffnen, die nach allem gieren und denen die Welt hier nicht genug ist. Nun werde ich gerade um meiner selbst willen den Krieg führen. Weicht aus dem Lager, übergebt, ihr feigen Quiriten60, die Zeichen richtigen Männern. Die wenigen Rädelsführer dieser Tollheit (360) hält nicht Caesar, sondern die Strafe hier fest. Werft euch auf den Boden und beugt eure treulosen Häupter und Nacken zum Schlage. Und ihr noch unerfahrenen Rekruten, die ihr allein den Kern des Heeres ausmachen werdet, schaut euch die Hinrichtung an, lernt zu töten und lernt zu sterben.« Unter seinen herausgebrüllten Drohungen erzitterte (365) die reglose Masse. Einen einzigen Mann, den sie seines Kommandos berauben wollten, fürchtet eine so gewaltige handlungsfähige Armee, als ob er den Schwertern befehlen könnte, dass sich das Eisen auch gegen den Willen der Soldaten bewegt. Caesar selbst fürchtete, dass sich die Waffen und Hände dieser Untat verweigern würden. Doch ihre Duldsamkeit übertraf die Erwartungen des grausamen Anführers (370). Sie boten sich als Opfer an, nicht nur ihre Schwerter. Nichts verbindet Menschen, die sich an Verbrechen gewöhnt haben, mehr als töten und getötet werden. So stellte das schreckliche Versöhnungsopfer die Ruhe wieder her, und die Mannschaft kehrte durch die Exekution ernüchtert zur Disziplin zurück61. Er befahl den Soldaten, Brundisium in neun Tagesmärschen zu erreichen (375) und alle Schiffe zu sammeln, die das abgelegene Hydrus62, das alte Taras63, die einsame Küste von Leuka64, die salapinischen Sümpfe65 und das an Berge geschmiegte Sipus66 bereithalten, wo sich der fruchtbare (380) apulische Garganus67 an der italischen Küste entlangschlängelt und sich weit in die Adria vorschiebt, so dass er dem Nordwind aus Dalmatien und dem Südwind aus Apulien ausgesetzt ist. Caesar selbst strebte sicher auch ohne Soldaten ins eingeschüchterte Rom, das gelernt hatte, einem Zivilisten zu dienen. Den Bitten des Volkes gab er selbstverständlich nach, nahm als Diktator die höchste Staatsgewalt an und beglückte mit sich als Konsul den Kalender68. (385) Alle verlogenen Bezeichnungen, die wir schon so lange für unsere Herren benutzen, erfand zuerst dieses Zeitalter, in dem Caesar wollte, dass die Ausonischen Beile mit Schwertern gemischt werden, damit er überhaupt das Recht auf Waffen hatte, und fügte den Adlern die Rutenbündel zu. Indem er den entleerten Namen (390) dieses Amtes an sich riss, drückte er der traurigen Zeit einen bezeichnenden Stempel auf. Denn mit welchem Konsulnamen wird das Jahr von Pharsalos besser bezeichnet werden? Auf dem Marsfeld wurden ordentliche Wahlen vorgetäuscht, die Stimmen des Volkes, das gar nicht zugelassen war, wurden dennoch gezählt,

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decantatque tribus et vana versat in urna. nec caelum seruare licet: tonat augure surdo, et laetae iurantur aves bubone sinistro. inde perit primum quondam veneranda potestas iuris inops; tantum careat ne nomine tempus menstruus in fastos distinguit saecula consul. nec non Iliacae numen quod praesidet Albae, haud meritum Latio sollemnia sacra subacto, vidit flammifera confectas nocte Latinas. inde rapit cursus et, quae piger Apulus arva deseruit rastris et inerti tradidit herbae, ocior et caeli flammis et tigride feta transcurrit, curvique tenens Minoia tecta Brundisii clausas ventis brumalibus undas invenit et pavidas hiberno sidere classes. turpe duci visum rapiendi tempora belli in segnes exisse moras, portuque teneri dum pateat tutum vel non felicibus aequor. expertis animos pelagi sic robore conplet: ‘fortius hiberni flatus caelumque fretumque, cum cepere, tenent, quam quos incumbere certos perfida nubiferi vetat inconstantia veris. nec maris anfractus lustrandaque litora nobis, sed recti fluctus soloque Aquilone secandi. hic utinam summi curvet carchesia mali incumbatque furens et Graia ad moenia perflet, ne Pompeiani Phaeacum e litore toto languida iactatis conprendant carbasa remis. rumpite quae retinent felices vincula proras: iam dudum nubes et saevas perdimus undas.’ sidera prima poli Phoebo labente sub undas exierant et luna suas iam fecerat umbras, cum pariter solvere rates, totosque rudentes laxavere sinus et flexo navita cornu obliquat laeuo pede carbasa summaque pandens sipara velorum perituras colligit auras. vix primum levior propellere lintea ventus incipit exiguumque tument, et reddita malo in mediam cecidere ratem, terraque relicta

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man leierte die Stimmbezirke herunter und schüttete ihre Stimmzettel in leere Urnen. (395) Auch sollte keiner auf die Himmelszeichen achtgeben69: Es donnerte, aber der Augur war taub. Und es werden Glück verheißende Vögel beschworen, obwohl ein Uhu zur Linken erschien. Von da an verfiel die einst so ehrwürdige Amtsgewalt und wurde bedeutungslos. Einzig, dass der Zeit nicht die Bezeichnung mangelt, teilen Konsuln Monat für Monat70 die Jahrhunderte in Kalenderperioden ein. (400) Die Gottheit71, die das Ilische Alba72 beschützt, die wegen des unterjochten Latium das jährliche Opfer nicht verdiente, sah das Ende der Latinerfeste beim nächtlichen Feuerwerk. Von dort reiste er hastig ab; die Gebiete, die der träge73 Apulier nicht mehr mit der Hacke bestellte, sondern dem wertlosen Unkraut überließ, durcheilte er (405) schneller als der Blitz oder eine trächtige Tigerin. In dem halbkreisförmigen minoischen Brundisium angekommen, trifft er das Meer durch eisige Winde unbefahrbar an und die Flotten in Furcht vor der winterlichen Jahreszeit. Dem Anführer erschien es unerträglich, die Gelegenheit zu einem schnellen Kriegszug (410) in untätigem Abwarten vergehen zu lassen, im Hafen festgehalten zu werden, bis das Meer auch den nicht so vom Glück Begünstigten gefahrlos offen steht. Seinen Leuten, die mit dem Meer nicht vertraut sind, flößt er Mut ein: »Wenn die Winterstürme Himmel und Meer beherrschen, halten sie beständiger an als die, (415) denen die trügerische Unbeständigkeit des wolkenverhangenen Frühjahres ein beständiges Wehen verbietet. Wir müssen nicht in Sichtweite der Buchten und Küstenlinien segeln, sondern können mit Hilfe des Nordwindes die Fluten schnurgerade durchschneiden. Der soll sich mit voller Wucht auf uns stürzen, die Spitzen des Mastes biegen und uns zu den Städten Griechenlands blasen, (420) damit die Pompeianer nicht von der gesamten Küste der Phäaken74 aus unsere schlaffen Segel mit dem Schlag ihrer Ruder überholen75. Kappt die Taue, die unsere erfolgreichen Schiffe noch festhalten; lange genug haben wir die Wolken und die rasenden Wogen nicht genutzt.« Die Sonne versank im Meer, die ersten Sterne (425) erschienen am Himmel, und der Mond warf Schatten, als die Schiffe gleichzeitig die Anker lichteten, Taue entrollten die gerefften Segel, die Matrosen brassten mit dem Backbordschot die Segel an gekrümmter Rahe und die obersten Topsegel entfaltend fingen sie Luftströmungen auf, die sonst ungenutzt bleiben würden76. (430) Kaum fing eine anfangs noch leichte Brise an, die Segel nach vorn zu treiben, sie blähten sich schon ein bisschen, als sie schlaff an den Mast schlugen und mittschiffs herunter sanken; und als das Land hinter ihnen versunken war, war

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non valet ipsa sequi puppes quae vexerat aura. aequora lenta iacent, alto torpore ligatae pigrius inmotis haesere paludibus undae. sic stat iners Scythicas astringens Bosporos undas, cum glacie retinente fretum non inpulit Hister, inmensumque gelu tegitur mare; conprimit unda deprendit quascumque rates, nec pervia velis aequora frangit eques, fluctuque latente sonantem orbita migrantis scindit Maeotida Bessi. saeva quies pelagi, maestoque ignava profundo stagna iacentis aquae; veluti deserta regente aequora natura cessant, pontusque vetustas oblitus servare vices non commeat aestu, non horrore tremit, non solis imagine vibrat. casibus innumeris fixae patuere carinae. illinc infestae classes et inertia tonsis aequora moturae, gravis hinc languore profundi obsessis ventura fames. nova vota timori sunt inventa novo, fluctus nimiasque precari ventorum vires, dum se torpentibus unda excutiat stagnis et sit mare. nubila nusquam undarumque minae; caelo languente fretoque naufragii spes omnis abit. sed nocte fugata laesum nube dies iubar extulit imaque sensim concussit pelagi movitque Ceraunia nautis. inde rapi coepere rates atque aequora classem curva sequi, quae iam vento fluctuque secundo lapsa Palaestinas uncis confixit harenas. prima duces iunctis vidit consistere castris tellus, quam volucer Genusus, quam mollior Hapsus circumeunt ripis. Hapso gestare carinas causa palus, leni quam fallens egerit unda; at Genusum nunc sole nives nunc imbre solutae praecipitant. neuter longo se gurgite lassat, sed minimum terrae vicino litore novit.

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die Brise nicht einmal stark genug, den Schiffen zu folgen, die sie in Fahrt gebracht hatte77. Die Wasserfläche lag träge da, in tiefer Reglosigkeit erstarrt (435) bewegten sich die Wellen weniger noch als in zähem Morast. So still steht der Bosporus, wenn er die skythischen Gewässer gefrieren lässt, wenn – weil das Eis sie aufhält – die Donau sich nicht mehr ins Meer ergießt und das Meer von einer unendlichen Eisfläche bedeckt ist. Das gefrorene Wasser umklammert jedes Schiff, das es überrascht hat, (440) und ein Reiter nur bewältigt die für Segelschiffe nicht mehr befahrbare Fläche. Die über der verborgenen Flut dumpf knackende Fläche des mäotischen Meeres78 überzieht die Wagenspur der nomadischen Besser79. Schauerlich ist diese Stille auf dem Meer, die träge Fläche des über der dunklen Tiefe daliegenden Wassers. Die Wasserfläche döst vor sich hin, als wäre sie von den Naturgewalten verlassen worden, das Meer vergisst, seinen alt gewohnten Wechsel (445) beizubehalten, es strömt nicht mehr mit der Flut hin und her, es kräuselt sich nicht in leichtem Erschauern, es flimmert nicht im Spiegelbild der Sonne. Unzähligen Gefahren waren die bewegungslosen Schiffe ausgesetzt: Von der einen Seite die feindlichen Flotten, die möglicherweise mit ihren Rudern die träge Wasserfläche aufwühlen könnten, von der anderen Seite kam möglicherweise der Hunger, während sie von der Windstille auf dem Meer belagert wurden. (450) Ganz ungewöhnliche Gebete erfanden sie in dieser ungewöhnlichen und Angst einflößenden Situation, sie erflehten Wogen und Stürme von gewaltiger Kraft, Hauptsache, die Welle machte sich aus diesem erstarrten Gewässer frei und war wieder ein Meer. Doch nirgendwo waren Wolken und bedrohliche Wogen zu sehen. Himmel und Meer blieben bewegungslos, (455) jegliche Hoffnung, auch die auf einen Schiffbruch, schwand. Doch als das Nachtdunkel gewichen war, ließ der Tag eine durch Wolken getrübte Sonne aufgehen, wühlte allmählich die Tiefen des Meeres auf und ließ für die Seeleute die keraunischen80 Felsen schwanken. Da nahmen die Schiffe Fahrt auf, und die Wogen rollten mit der Flotte dahin, die schon bald mit günstigem Wind und günstiger Strömung (460) dahingleitend am Sandstrand von Paläste vor Anker ging. Der erste Ort81, der die zwei Anführer Seite an Seite ihr Lager aufschlagen sah, ist die Stelle, die der rasch fließende Genusus82 und der ruhiger dahinströmende Hapsus mit ihren Ufern im Halbkreis umfließen83. Der Hapsus ist schiffbar auf Grund eines Sumpfsees, den er in sanfter Strömung unmerklich entwässert. (465) Den Genusus dagegen machen die bald von der Sonne, bald vom Regen aufgelösten Schneemassen zu einem reißenden Gewässer. Keiner von beiden ermüdet sich in einem langen Lauf, sondern er kennt nur einen kleinen Teil des Landes, denn bis zur Küste ist es nicht weit.

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hoc fortuna loco tantae duo nomina famae conposuit, miserique fuit spes inrita mundi posse duces parva campi statione diremptos admotum damnare nefas; nam cernere voltus et voces audire datur, multosque per annos dilectus tibi, Magne, socer post pignora tanta, sanguinis infausti subolem mortemque nepotum, te nisi Niliaca propius non vidit harena. Caesaris attonitam miscenda ad proelia mentem ferre moras scelerum partes iussere relictae. ductor erat cunctis audax Antonius armis iam tum civili meditatus Leucada bello. illum saepe minis Caesar precibusque morantem evocat. ‘o mundi tantorum causa laborum, quid superos et fata tenes? sunt cetera cursu acta meo, summam rapti per prospera belli te poscit fortuna manum. non rupta vadosis Syrtibus incerto Libye nos dividit aestu. numquid inexperto tua credimus arma profundo inque novos traheris casus? ignave, venire te Caesar, non ire iubet. prior ipse per hostes percussi medios alieni iuris harenas: tu mea castra times? pereuntia tempora fati conqueror, in ventos inpendo vota fretumque. ne retine dubium cupientis ire per aequor: si bene nota mihi est, ad Caesaris arma iuventus naufragio venisse volet. iam voce doloris utendum est: non ex aequo divisimus orbem; Epirum Caesarque tenet totusque senatus, Ausoniam tu solus habes.’ his terque quaterque vocibus excitum postquam cessare videbat, dum se desse deis ac non sibi numina credit, sponte per incautas audet temptare tenebras quod iussi timuere fretum, temeraria prono expertus cessisse deo, fluctusque verendos classibus exigua sperat superare carina.

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An diesem Ort führte das Schicksal die zwei Träger hochberühmter Namen zusammen. Doch die Hoffnung der unglücklichen Welt war vergebens, (470) die zwei Anführer, die nur durch eine kleine Strecke Gelände voneinander getrennt waren, könnten die Freveltat verdammen, die ihnen so nahe gerückt war. Denn es war jedem möglich, die Gesichtszüge des anderen zu sehen und seine Stimme zu hören, und der von dir, Magnus, viele Jahre lang geliebte Schwiegervater sah dich, nach dem Tod des so bedeutenden Pfands eurer Verbindung84, nach dem Tod der unglücklichen Blutsverwandten, dem Tod der Enkelkinder85, (475) nur noch einmal aus nächster Nähe – auf dem Sandstrand des Nils. Caesar, wild entschlossen, eine Schlacht zu beginnen, zwangen die zurückgelassenen Truppenteile dazu, einen Aufschub dieser Greueltat zu dulden. Kommandeur aller dieser Truppenverbände war der verwegene Antonius86, der damals schon für den Bürgerkrieg ein Leukas87 plante. (480) Weil er zögerte, rief ihn Caesar immer wieder mit Drohungen und Bitten her: »Der du für die Welt die Ursache so vieler Leiden bist, was hältst du die Götter und das Schicksal auf? Alles Übrige habe ich in meinem Sturmlauf erledigt, das Schicksal fordert jetzt für den Abschluss eines von Erfolg zu Erfolg führenden Krieges dein Eingreifen. Zwischen uns liegt doch nicht die von flachen (485) Syrten unterbrochene Küste Libyens mit ihrer unberechenbaren Brandung. Vertrauen wir etwa deine Armee einem Meer an, das ich selbst nicht erprobt habe, wirst du zu ganz neuartigen Abenteuern verführt? Feigling! Caesar befiehlt dir nur nachzukommen, nicht vorzurücken. Ich selbst bin vor dir mitten durch die Feinde hindurch an einen Strand vorgestoßen, der von den anderen kontrolliert wird. (490) Und du fürchtest dich vor meinem befestigten Lager? Zu meinem Verdruss verstreicht die günstige Gelegenheit, ich bete zu den Winden und zum Meer. Halte du nicht Männer zurück, die das gefährliche Meer durchfahren wollen. Wenn ich diese Männer richtig kenne, wollen sie zu Caesars Armee stoßen, auch wenn sie dabei einen Schiffbruch riskieren. Ich muss einmal in aller Deutlichkeit sagen, was mich ärgert: (495) Die Welt ist zwischen uns nicht gerecht aufgeteilt; Caesar mit dem gesamten Senat hat nur Epirus, und du hast ganz Italien für dich allein.« Drei- bis viermal hatte er ihn mit solchen Worten aufgefordert. Als er sah, dass der immer noch zögerte, während er selbst überzeugt war, dass er jetzt den Göttern fehle und nicht die Götter ihm, (500) wagte er sich aus freiem Entschluss in der ungewissen Dunkelheit aufs Meer, vor dem sich die fürchten, die das auf Befehl tun. Er hatte nämlich die Erfahrung gemacht, dass Wagnisse gelingen, wenn einem eine Gottheit gewogen ist, und er setzte deshalb darauf, die Meeresfluten, vor denen sogar ganze Flotten Respekt haben, in einem kleinen Boot zu bezwingen.

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solverat armorum fessas nox languida curas, parva quies miseris, in quorum pectora somno dat vires fortuna minor; iam castra silebant, tertia iam vigiles commoverat hora secundos: Caesar sollicito per vasta silentia gressu vix famulis audenda parat, cunctisque relictis sola placet Fortuna comes. tentoria postquam egressus vigilum somno cedentia membra transsiluit questus tacite, quod fallere posset, litora curva legit, primisque invenit in undis rupibus exesis haerentem fune carinam. rectorem dominumque ratis secura tenebat haud procul inde domus, non ullo robore fulta sed sterili iunco cannaque intexta palustri et latus inversa nudum munita phaselo. haec Caesar bis terque manu quassantia tectum limina commovit. molli consurgit Amyclas quem dabat alga toro. ‘quisnam mea naufragus’ inquit ‘tecta petit, aut quem nostrae fortuna coegit auxilium sperare casae?’ sic fatus ab alto aggere iam tepidae sublato fune favillae scintillam tenuem commotos pavit in ignes, securus belli: praedam civilibus armis scit non esse casas. o vitae tuta facultas pauperis angustique lares! o munera nondum intellecta deum! quibus hoc contingere templis aut potuit muris, nullo trepidare tumultu Caesarea pulsante manu? tum poste recluso dux ait ‘expecta votis maiora modestis spesque tuas laxa, iuvenis: si iussa secutus me vehis Hesperiam, non ultra cuncta carinae debebis manibusque inopem duxisse senectam. ne cessa praebere deo tua fata volenti angustos opibus subitis inplere penates.’ sic fatur, quamquam plebeio tectus amictu, indocilis privata loqui. tum pauper Amyclas ‘multa quidem prohibent nocturno credere ponto. nam sol non rutilas deduxit in aequora nubes concordesque tulit radios: Noton altera Phoebi,

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Die Nachtruhe hatte den von den Strapazen des Krieges Erschöpften Entspannung gebracht, (505) eine kurze Ruhepause für die armen Soldaten. Ihre unbedeutende Stellung schenkt ihnen im Schlaf innerlich neue Kräfte. Schon herrschte Stille im Lager; um die dritte Stunde war schon die zweite Nachtwache88 aufgezogen. Da streifte Caesar unruhig durch das tiefe Schweigen und bereitete sich vor, etwas zu tun, was selbst untergeordnete Dienstgrade kaum hätten wagen dürfen; er ließ alle hinter sich (510) und wählte einzig sein Glück zum Begleiter. Er verließ den Bereich der Zelte, sprang über die Leiber der vom Schlaf übermannten Posten und ärgerte sich im Stillen, dass er unbemerkt entkommen konnte. Er folgte der gekrümmten Küstenlinie und fand im seichten Uferwasser ein Boot89, das an einem ausgehöhlten Felsen vertäut war. (515) Der Schiffer und Eigentümer des Bootes hatte nicht weit davon eine Behausung, die ihm Schutz bot, sie war nicht mit starken Balken gezimmert, sondern aus trockenen Binsen und Sumpfrohr geflochten, und eine Seite war geschützt durch ein umgekipptes Boot. Diesen Bau rüttelte Caesar zwei- oder dreimal am Eingang, (520) sodass der ganze Bau ins Wanken geriet. Amyklas erhob sich von dem weichen Lager, welches ihm das Seegras gewährte. »Welcher Schiffbrüchige sucht bei mir Obdach? Oder wen zwang das Schicksal, auf Hilfe aus meiner Hütte zu hoffen?« Mit diesen Worten nahm er aus dem hohen, schon erkalteten Aschehaufen ein Stück Taurest90 und fachte (525) den schwachen Funken an, bis er eine Flamme aus ihm herausgeholt hatte, ohne einen Gedanken an den Krieg; denn er weiß, dass Hütten nicht zur Beute des Bürgerkriegs werden. Wie sicher ist doch das Leben der Armen in ihrer bescheidenen Wohnung! Ein Geschenk der Götter, von dem sie nicht einmal etwas wissen. Welche Tempel (530) oder Mauern sind so glücklich, nicht zittern zu müssen, wenn Caesars Faust ans Tor schlägt? Als der Eingang sich dann öffnete, sagte der Anführer: »Junger Mann, mach dich auf eine Belohnung gefasst, die deine bescheidenen Wünsche noch übersteigt. Wenn du meinem Befehl folgst und mich nach Italien bringst, wirst du nicht länger in allem auf dein Boot und die Arbeit deiner Hände angewiesen sein. Und man wird nicht von dir sagen, dass du (535) unter Tränen in bitterer Armut alt geworden seiest91. Zögere nicht, einem Gott dein Schicksal anzuvertrauen, der dein armes Heim mit plötzlichem Reichtum füllen will.« So sprach er, und obgleich er mit einem einfachen Umhang bekleidet war, verstand er sich nicht darauf, wie einfache Leute zu reden. Der arme Amyklas entgegenete: (540) »Vieles hält mich davon ab, mich heute Nacht der See anzuvertrauen; denn die Sonne versank nicht im Abendlicht hinter rötlichen Wolken im Meer und zeigte keinen einheitlichen Strahlenring, sondern ihre Lichtstrahlen waren geteilt, der eine Teil ruft den Südwind,

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altera pars Borean diducta luce vocabat. orbe quoque exhaustus medio languensque recessit spectantis oculos infirmo lumine passus. lunaque non gracili surrexit lucida cornu aut orbis medii puros exesa recessus, nec duxit recto tenuata cacumina cornu, ventorumque notam rubuit; tum lurida pallens ora tulit voltu sub nubem tristis ituro. sed mihi nec motus nemorum nec litoris ictus nec placet incertus qui provocat aequora delphin, aut siccum quod mergus amat, quodque ausa volare ardea sublimis pinnae confisa natanti, quodque caput spargens undis, velut occupet imbrem, instabili gressu metitur litora cornix. sed, si magnarum poscunt discrimina rerum, haud dubitem praebere manus: vel litora tangam iussa, vel hoc potius pelagus flatusque negabunt.’ haec fatur, solvensque ratem dat carbasa ventis; ad quorum motus non solum lapsa per altum aera dispersos traxere cadentia sulcos sidera, sed summis etiam quae fixa tenentur astra polis sunt visa quati. niger inficit horror terga maris, longo per multa volumina tractu aestuat unda minax, flatusque incerta futuri turbida testantur conceptos aequora ventos. tum rector trepidae fatur ratis ‘aspice saevum quanta paret pelagus: Zephyros intendat an Austros incertum est; puppem dubius ferit undique pontus. nubibus et caelo Notus est; si murmura ponti consulimus, Cori veniet mare. gurgite tanto nec ratis Hesperias tanget nec naufragus oras: desperare viam et vetitos convertere cursus sola salus. liceat vexata litora puppe prendere, ne longe nimium sit proxima tellus.’ fisus cuncta sibi cessura pericula Caesar ‘sperne minas’ inquit ‘pelagi ventoque furenti trade sinum. Italiam si caelo auctore recusas me pete. sola tibi causa est haec iusta timoris,

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der andere Teil den Nordwind. Auch war die Mitte ihrer Scheibe ausgehöhlt und matt, als sie unterging, und ließ es (545) mit ihrem schwachen Licht zu, dass die Augen in sie hineinschauten. Und als der Mond aufging, lag kein Glanz auf seiner Sichel, die Rundung dazwischen war nicht sauber ausgeschnitten und mit den zulaufenden Spitzen bildete er keine richtigen Hörner. Er war rot, ein Zeichen für Sturm; dann wurde er bleich und undeutlich, (550) als sein Gesicht sich verdüsterte und hinter einer Wolke verschwand. Mir gefällt auch nicht das Rauschen in den Wäldern und das Tosen der Brandung, und es gefällt mir nicht, wenn der Delphin mit wechselndem Kurs die See aufpeitscht oder ein Tauchvogel das trockene Land aufsucht, wenn der Reiher es wagt, in die Höhe zu fliegen, indem er dem Flügel vertraut, der sich sonst an das Wasser hält, und (555) wenn der Rabe sich mit Wasser besprengt, als wolle er dem Regen zuvor kommen, und unruhig am Strand hin und her hüpft. Aber wenn die Entscheidung über große Dinge es erfordert, will ich nicht zögern, meine Hand zu bieten: Ich werde die befohlene Küste anfahren, oder das Meer und der Wind werden das eben nicht zulassen.« (560) Mit diesen Worten machte er das Boot los und öffnete die Segel den Winden, bei deren Toben nicht nur die durch den hohen Himmel gleitenden Sternschnuppen Funken sprühende Streifen hinter sich herzogen, wenn sie fielen, es schien vielmehr, als würden auch die Sterne erschüttert, die ganz oben am Himmelsgewölbe festgeheftet sind. Schaurige Dunkelheit (565) breitete sich auf der Meeresfläche aus, in vielen Wellenbergen, die in langer Dünung einer nach dem anderen folgten, brodelte drohend das Wasser, und das Meer, unsicher, woher der nächste Windstoß kommen würde, bezeugt durch seinen Aufruhr, dass es Sturmwinde in sich birgt. Da sagte der Steuermann des schwankenden Bootes: »Sieh dir an, was das tobende Meer da zusammenbraut; (570) noch ist unsicher, ob es uns den Westwind oder den Südwind schicken will; von allen Seiten treffen wechselnde Strömungen auf unser Boot. In den Wolken und am Himmel herrscht der Süd vor; wenn wir aber auf das Rauschen des Meeres hören, wird die Strömung dem Nordwestwind folgen. In einem derartigen Gewirbel wird weder ein Boot noch ein Schiffbrüchiger die Küste Italiens erreichen. Die einzige Rettung besteht darin, die Hoffnung auf eine Überfahrt aufzugeben und von dem uns verbotenen Kurs abzudrehen. Erlaube mir, mit dem hart mitgenommenen Boot auf die Küste (575) zuzuhalten, damit wir nicht allzu weit vom zunächst liegenden Land abkommen.« Im Vertrauen darauf, dass alle Gefahren vor ihm zurückweichen würden, sagte Caesar: »Kümmere dich nicht um die Drohungen des Meeres und richte das geblähte Segel in den rasenden Sturm. Wenn du nicht nach Italien willst, weil es der Himmel verbietet, (580) so tu es für mich. Du hast nur einen ein-

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vectorem non nosse tuum, quem numina numquam destituunt, de quo male tunc fortuna meretur cum post vota venit. medias perrumpe procellas tutela secure mea. caeli iste fretique, non puppis nostrae labor est: hanc Caesare pressam a fluctu defendet onus. nec longa furori ventorum saevo dabitur mora: proderit undis ista ratis. ne flecte manum, fuge proxima velis litora; tum Calabro portu te crede potitum cum iam non poterit puppi nostraeque saluti altera terra dari. quid tanta strage paretur ignoras: quaerit pelagi caelique tumultu quod praestet Fortuna mihi.’ non plura locuto avolsit laceros percussa puppe rudentis turbo rapax fragilemque super volitantia malum vela tulit; sonuit victis conpagibus alnus. inde ruunt toto concita pericula mundo. primus ab oceano caput exeris Atlanteo, Core, movens aestus. iam te tollente furebat pontus et in scopulos totas erexerat undas: occurrit gelidus Boreas pelagusque retundit, et dubium pendet, vento cui concidat, aequor. sed Scythici vicit rabies Aquilonis et undas torsit et abstrusas penitus vada fecit harenas. nec perfert pontum Boreas ad saxa, suumque in fluctus Cori frangit mare, motaque possunt aequora subductis etiam concurrere ventis. non Euri cessasse minas, non imbribus atrum Aeolii iacuisse Notum sub carcere saxi crediderim; cunctos solita de parte ruentis defendisse suas violento turbine terras, sic pelagus mansisse loco. nam priva procellis aequora rapta ferunt; Aegaeas transit in undas Tyrrhenum, sonat Ionio vagus Hadria ponto. a quotiens frustra pulsatos aequore montis obruit ille dies! quam celsa cacumina pessum tellus victa dedit! non ullo litore surgunt tam validi fluctus, alioque ex orbe voluti a magno venere mari, mundumque coercens

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zigen gerechtfertigten Grund für deine Furcht: Du kennst nämlich deinen Passagier noch nicht, den die himmlischen Mächte niemals im Stich lassen und um den sich Fortuna übel verdient macht, wenn ich sie erst bitten muss, bevor sie kommt. Fahre nur ruhig mitten durch den Sturm, in meinem Schutz bist du sicher. Dieser Sturm betrifft den Himmel und das Meer, (585) nicht unser Boot: Caesar hat es betreten, und diese Fracht wird es retten vor der Flut92. Die wilde Raserei der Winde wird nicht mehr lange dauern: Dieses Boot hier wird der See nützliche Ruhe bringen. Wende das Steuer nicht, entferne dich mit vollen Segeln von der zunächst liegenden Küste; glaube mir, erst dann wirst du es zu einem kalabrischen Hafen geschafft haben, (590) wenn sich kein anderes Land mehr unserem Boot zu unsrer Rettung bieten wird. Du hast ja keine Ahnung, was sich in diesem Durcheinander anbahnt. In diesem Tumult des Himmels und des Meeres sucht Fortuna nämlich nach einer Gelegenheit, mir etwas Gutes zu tun.« Bevor er weiter sprach, (595) traf ein rasender Wirbelwind das Boot, riss das zerfetzte Tauwerk weg und trug die flatternden Segel über den zersplitterten Mastbaum davon; das Boot ächzte, als die Fugen nachgaben. Und jetzt brachen Gefahren, aus allen Himmelsrichtungen aufgescheucht, über sie herein. Als erster erhobst du, Nordwestwind, vom Atlantischen Ozean her dein Haupt und wühltest die Fluten auf; und bald raste, aufgepeitscht durch dich, (600) das Meer und hätte alle Wogen bis in die Felsenklippen hochgejagt; doch der kalte Nord warf sich ihm entgegen und trieb die Flut wieder zurück, und es schwankte unschlüssig, welchem Winde es nachgeben sollte. Aber das Toben des skythischen Nordwindes gewann die Oberhand, drehte die Wellen im Kreise und verwandelte den tief verborgenen Sandgrund in ein Watt. (605) Und der Nord konnte das Meer nicht bis ans felsige Ufer treiben. Die Kraft seiner Wellen brach sich an den Fluten des Nordwestwindes. Selbst wenn die Winde abflauen würden, könnten die in Bewegung gesetzten Wassermassen auch so aufeinanderprallen. Ich könnte mir vorstellen, dass auch die Schrecken des Südostwindes nicht untätig gewesen sind und dass der Südwind, schwarz von Regenwolken, nicht ruhig im felsigen Gelass des Äolus93 liegen geblieben ist. (610) Alle rasten aus ihren angestammten Ecken der Welt hervor, um ihre Länder mit ungestümen Orkanen zu schützen. Deshalb verharrte das Meer an seinem Platze. Abgesonderte Meeresgebiete wurden freilich von den Orkanen erfasst und in Bewegung gesetzt: das Tyrrhenische Meer strömte in die Ägäis, die heimatlos gewordene Adria donnerte im Ionischen Meer. (615) Wie viele Berge, die bisher vergeblich von den Fluten berannt worden waren, überspülte jener Tag! Welche hoch ragenden Gipfel gab die Erde besiegt auf! An keinem Strand brachen sich solch starke Wellen, sie rollten heran aus anderen Erdteilen und vom Ozean, hielten die Welt im Griff

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monstriferos agit unda sinus. sic rector Olympi cuspide fraterna lassatum in saecula fulmen adiuvit, regnoque accessit terra secundo, cum mare convoluit gentes, cum litora Tethys noluit ulla pati caelo contenta teneri. tum quoque tanta maris moles crevisset in astra ni superum rector pressisset nubibus undas. non caeli nox illa fuit: latet obsitus aer infernae pallore domus nimbisque gravatus deprimitur, fluctusque in nubibus accipit imbrem. lux etiam metuenda perit, nec fulgura currunt clara, sed obscurum nimbosus dissilit aer. tum superum convexa tremunt atque arduus axis intonuit motaque poli conpage laborant. extimuit natura chaos; rupisse videntur concordes elementa moras rursusque redire nox manes mixtura deis. spes una salutis, quod tanta mundi nondum periere ruina. quantum Leucadio placidus de vertice pontus despicitur, tantum nautae videre trementes fluctibus e summis praeceps mare; cumque tumentes rursus hiant undae vix eminet aequore malus. nubila tanguntur velis et terra carina. nam pelagus, qua parte sedet, non celat harenas exhaustum in cumulos, omnisque in fluctibus unda est. artis opem vicere metus, nescitque magister quam frangat, cui cedat aquae. discordia ponti succurrit miseris, fluctusque evertere puppem non valet in fluctum: victum latus unda repellens erigit, atque omni surgit ratis ardua vento. non humilem Sasona vadis (non litora curvae Thessaliae saxosa pavent) oraeque malignos Ambraciae portus, scopulosa Ceraunia nautae summa timent. credit iam digna pericula Caesar fatis esse suis. ‘quantusne evertere’ dixit ‘me superis labor est, parva quem puppe sedentem tam magno petiere mari! si gloria leti est pelago donata mei bellisque negamur, intrepidus quamcumque datis mihi, numina, mortem accipiam. licet ingentis abruperit actus

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(620) und trieben Furcht erregende Buchten in das Land. So behalf sich der Lenker des Olymps94, als sein Blitzstrahl erschöpft war, mit des Bruders Dreizack im Kampf gegen die damals lebende Generation von Menschen95. Die Erde näherte sich dem zweiten Weltalter, als das Meer die Menschen überrollte und Tethys96 kein Gestade duldete, sich erst zufrieden gab, als sie an den Himmel stieß. (625) Auch jetzt wäre die Masse des Meeres so gewaltig bis an die Sterne angeschwollen, hätte der Herrscher der Götter die Wogen nicht mit den Wolken niedergedrückt. Es herrschte nicht nur die Dunkelheit des nächt-lichen Himmels; der Himmel hüllte sich mit den fahlen Farben der Unterwelt ein und wurde von der Wolkenlast gequetscht, so dass aus den Wolken der Regen direkt in die Fluten strömte. (630) Auch das sonst Furcht einflößende Wetterleuchten erstarb, keine Blitze zuckten hell, sie spalteten dunkel den wolkenverhangenen Himmel. Die Himmelsgewölbe der Götter erzitterten, die hochragenden Pole krachten, die Welt ging fast aus den Fugen und befand sich in großer Not. Die Natur befürchtete das Chaos. Es schien, als hätten (635) die Elemente ihre harmonische Ruhe durchbrochen und es kehre die Urnacht zurück, die Ober- und Unterwelt durcheinander mischen wollte. Für die Götter gab es nur noch eine Hoffnung auf Rettung: dass sie auch solche Weltkatastrophe bisher überlebt hatten. Wie man vom Gipfel des Kap Leukas97 auf eine ruhige See blickt, so blickten die Seefahrer voller Schrecken (640) von den Wogenkämmen in die jäh abstürzenden Wellentäler hinab. Und wenn die Sturzseen dann wieder aufklafften, dann schaute kaum der Mastbaum aus der Flut. Die Segel streiften die Wolken, und der Kiel den Grund. Denn das Meer bedeckte, wo es sank, nicht mehr den Sand, es türmte sich dann mit allen Wassermassen zu Monsterwellen auf. (645) Die Navigationskunst hatte keine Chance gegen das nackte Entsetzen, der Steuermann wusste nicht, welche Welle er schneiden, welcher er ausweichen musste. Der Kampf der Wellen kam den Bedrängten zu Hilfe; nahmen die Wellen sich doch gegenseitig die Kraft, das Boot zum Kentern zu bringen. Aus der Schlagseite richtete der Gegendruck der nächsten Dünung das Boot wieder auf, weil die Winde von allen Seiten gleichzeitig bliesen. (650) Seeleute fürchten nicht das flache Sason98 mit seinen Untiefen, nicht die felsige Küste des zerklüfteten Thessaliens oder die widrigen Häfen im ambrakischen Golf so sehr wie das klippenreiche keraunische Kap99. Nun glaubte sogar Caesar, dass die Gefahr groß genug sei, ihm zum Verhängnis zu werden, und rief: »Welch großen Aufwand (655) betreiben die Götter, mich zu vernichten, dass sie mich in einem winzigen Kahn mit solch einer See bestürmen? Wenn der Ruhm des Todes mir auf dem Meere zukommen und das Schlachtfeld mir versagt bleiben soll, dann werde ich den Tod, den ihr Götter mir zugedacht habt, unerschrocken annehmen. Auch wenn

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festinata dies fatis, sat magna peregi. Arctoas domui gentes, inimica subegi arma metu, vidit Magnum mihi Roma secundum, iussa plebe tuli fasces per bella negatos; nulla meis aberit titulis Romana potestas, nec sciet hoc quisquam nisi tu, quae sola meorum conscia votorum es, me, quamvis plenus honorum et dictator eam Stygias et consul ad umbras, privatum, Fortuna, mori. mihi funere nullo est opus, o superi: lacerum retinete cadaver fluctibus in mediis, desint mihi busta rogusque, dum metuar semper terraque expecter ab omni.’ haec fatum decumus, dictu mirabile, fluctus invalida cum puppe levat, nec rursus ab alto aggere deiecit pelagi sed pertulit unda scruposisque angusta vacant ubi litora saxis inposuit terrae. pariter tot regna, tot urbes fortunamque suam tacta tellure recepit. sed non tam remeans Caesar iam luce propinqua quam tacita sua castra fuga comitesque fefellit. circumfusa duci flevit gemituque suorum et non ingratis incessit turba querellis. ‘quo te, dure, tulit virtus temeraria, Caesar, aut quae nos viles animas in fata relinquens invitis spargenda dabas tua membra procellis? cum tot in hac anima populorum vita salusque pendeat et tantus caput hoc sibi fecerit orbis, saevitia est voluisse mori. nullusne tuorum emeruit comitum fatis non posse superstes esse tuis? cum te raperet mare, corpora segnis nostra sopor tenuit. pudet, heu! tibi causa petendae haec fuit Hesperiae, visum est quod mittere quemquam tam saevo crudele mari. sors ultima rerum in dubios casus et prona pericula morti praecipitare solet: mundi iam summa tenentem permisisse mari tantum! quid numina lassas? sufficit ad fatum belli favor iste laborque Fortunae, quod te nostris inpegit harenis? hine usus placuere deum, non rector ut orbis nec dominus rerum, sed felix naufragus esses?’

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(660) dieses Datum, vom Schicksal zu früh bestimmt, gewaltige Taten abrupt verhindert, habe ich doch genug Großes vollendet. Die Völker im Norden100 habe ich gezähmt. Mit Einschüchterung habe ich die feindlichen Armeen nieder gehalten. Rom sah Magnus als zweiten neben mir. Auf Geheiß des Volkes trug ich die Konsulwürde, die mir durch Krieg verwehrt worden war. Kein römisches Amt, das ich nicht bekleidet hätte. (665) Und keiner außer dir, Fortuna, die du allein meine Pläne kennst, wird wissen, dass ich, obwohl ich mit allen Ehren als Diktator und Konsul zu den stygischen Schatten gehe, doch als Privatmann sterbe. Ich brauche kein Begräbnis, ihr Götter; lasst den zerschmetterten Körper (670) mitten in den Fluten zurück, ich kann auf Grabmal und Scheiterhaufen verzichten, wenn ich nur immer gefürchtet werde und mein Erscheinen von allen Ländern erwartet wird.« Kaum hatte er dies gesagt, als die zehnte101 Welle wie ein Wunder das gebrechliche Boot in die Höhe hob; aber die Woge stürzte es nicht wieder vom hohen Wellenkamm hinab, sondern trug es an Land (675), wo ein schmaler Sandstrand sich zwischen den schroffen Felsen auftat. Indem er festen Boden berührte, gewann er gleichermaßen so viel Macht, so viele Städte und auch sein Glück zurück. Bei seiner Rückkehr am nächsten Tag bereits gelang es Caesar nicht, sein Heer und seine Offiziere so wie bei seiner heimlichen Abreise zu täuschen. (680) Scharenweise umringten sie den Heerführer, vergossen Tränen. Die Seufzer seiner Männer wie ihre Vorwürfe kamen ihm nicht ungelegen. »Wohin hat dich, hartherziger Caesar, deine leichtsinnige Verwegenheit geführt, oder zu welchem Geschick hast du unser unwürdiges Leben zurückgelassen, als du dich der Gefahr aussetztest, von den widrigen Orkanen zerschmettert zu werden? (685) Da das Leben und das Glück so vieler Völker an diesem einen Leben hängen und ein so großer Teil des Erdkreises sich dich zum Oberhaupt auserkoren hat, ist es eine unverantwortliche Tollkühnheit, sich in tödliche Gefahr zu begeben. Hat es etwa keiner deiner Gefährten verdient, dir im Tode voran zu gehen? Während das Meer dich fortriss, hielt uns (690) ein lähmender Schlummer umfangen. Welche Schande! Du wolltest deshalb Italien persönlich erreichen, weil es dir zu grausam erschien, irgendjemand auf das tobende Meer zu schicken. Nur, wer nichts zu verlieren hat, pflegt sich dem Spiel der Zufälle und todbringenden Gefahren auszusetzen. Du beherrschst schon fast die Welt (695) und gibst dem Meer solche Macht über dich. Warum strapazierst du die Götter? Reicht dir diese Gunst und Anstrengung der Fortuna nicht für dein Kriegsglück, dass sie dich auf unseren Strand getrieben hat? Möchtest du gerne die Götter dazu gebrauchen, dass du nicht Lenker der Welt und Herr aller Dinge, sondern glücklich geretteter Schiffbrüchiger bist?«

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talia iactantis discussa nocte serenus oppressit cum sole dies, fessumque tumentis conposuit pelagus ventis patientibus undas. nec non Hesperii lassatum fluctibus aequor ut videre duces, purumque insurgere caelo fracturum pelagus Borean, solvere carinas. quas ventus doctaeque pari moderamine dextrae permixtas habuere diu, latumque per aequor, ut terrestre, coit consertis puppibus agmen. sed nox saeva modum venti velique tenorem eripuit nautis excussitque ordine puppes. Strymona sic gelidum bruma pellente relinquunt poturae te, Nile, grues, primoque volatu effingunt varias casu monstrante figuras; mox, ubi percussit tensas Notus altior alas, confusos temere inmixtae glomerantur in orbes, et turbata perit dispersis littera pinnis. cum primum redeunte die violentior aer puppibus incubuit Phoebeo concitus ortu, praetereunt frustra temptati litora Lissi Nymphaeumque tenent: nudas Aquilonibus undas succedens Boreae iam portum fecerat Auster. undique conlatis in robur Caesaris armis summa videns duri Magnus discrimina Martis iam castris instare suis seponere tutum coniugii decrevit onus Lesboque remota te procul a saevi strepitu, Cornelia, belli occulere. heu, quantum mentes dominatur in aequas iusta Venus! dubium trepidumque ad proelia, Magne, te quoque fecit amor; quod nolles stare sub ictu fortunae quo mundus erat Romanaque fata, coniunx sola fuit. mentem iam verba paratam destituunt, blandaeque iuvat ventura trahentem indulgere morae et tempus subducere fatis. nocte sub extrema pulso torpore quietis dum fovet amplexu gravidum Cornelia curis pectus et aversi petit oscula grata mariti, umentis mirata genas percussaque caeco volnere non audet flentem deprendere Magnum.

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(700) Mit solchen vorwurfsvollen Reden verging die Nacht, bis der heitere Tag sie mit der Sonne überraschte. Die Winde ließen nach und das erschöpfte Meer glättete die hoch gehenden Wellen. Als Caesars Generäle in Italien sahen, dass das Meer der Wogen müde war und dass ein klarer Nordwind am Himmel aufzog, (705) der die See bändigen würde, lichteten sie die Anker. Der Wind und kundige Hände der Steuermänner hielten die Schiffe lange auf gleichem Kurs dicht beieinander, und Bordwand an Bordwand zog die Marschformation dicht gedrängt wie auf dem festen Land über das breite Meer. Aber die unheilvolle Nacht (710) nahm den Seeleuten den gleichmäßigen Wind und die gerade Richtung des Segelkurses und warf die Schiffe aus der Ordnung des Geschwaders. So bilden Kraniche, weil die Winterkälte sie vertreibt, wenn sie den eiskalten Strymon verlassen, um aus dir, Nil, zu trinken, anfangs auf ihrem Flug verschiedene Formationen, wie der Zufall sie ihnen eingibt; bald aber, wenn etwas höher der Südwind ihre ausgebreiteten Flügel trifft, (715) ballen sie sich in zufällig gebildeten wirren Haufen, und die Form eines Buchstabens102 löst sich auf, wenn sich die Vögel zerstreuen. Sobald bei Tagesanbruch eine ziemlich steife Brise, die sich bei Sonnenaufgang erhob, die Schiffe traf, segelten sie an der Küste von Lissus103 vorbei, an der sie vergeblich zu landen versuchten, (720) und nahmen Kurs auf Nymphäum104. Der Südwind, der jetzt dem Nord folgte, hatte das den Nordwinden ungeschützt ausgesetzte Gewässer in einen geeigneten Landeplatz verwandelt. Damit waren von allen Seiten her jetzt die Streitkräfte Caesars zu voller Stärke zusammengezogen, und Magnus erkannte, dass nun die letzte Entscheidungsschlacht in diesem grausamen Krieg seinem Lager bevorstand. (725) Er entschloss sich daher, seine Gattin, die ihm teure Bürde, in Sicherheit zu bringen und dich, Cornelia, auf dem entfernten Lesbos weit weg vom wüsten Lärm des Krieges zu verstecken. Wie mächtig herrscht doch echte eheliche Liebe über gleichgestimmte Herzen! Die Liebe machte dich, Magnus, sogar angesichts der Schlacht unsicher und besorgt. Was du einem Schicksalsschlag nicht aussetzen wolltest, (730) dem doch die Welt und das Los Roms ausgesetzt war, war einzig und allein deine Gattin. Schon war er entschlossen, doch ihm fehlten die Worte. Er zögerte, was kommen musste, noch hinaus und genoss es, sich einem verführerischen Aufschub hinzugeben und dem Verhängnis noch ein wenig die Zeit zu stehlen. Es war gegen Ende der Nacht, die Schlaftrunkenheit war schon von ihr gewichen, (735) als Cornelia seine sorgenschwere Brust umarmte und ihren Gatten liebevoll zu küssen suchte, doch der wandte sich ab. Sie wunderte sich über seine tränenfeuchten Wangen und betroffen von seinem stummen Schmerz wagte sie es nicht, Magnus beim Weinen zu überraschen.

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ille gemens ‘non nunc vita mihi dulcior,’ inquit ‘cum taedet vitae, laeto sed tempore, coniunx, venit maesta dies et quam nimiumque parumque distulimus; iam totus adest in proelia Caesar. cedendum est bellis, quorum tibi tuta latebra Lesbos erit. desiste preces temptare: negavi iam mihi. non longos a me patiere recessus; praecipites aderunt casus: properante ruina summa cadunt. satis est audisse pericula Magni; meque tuus decepit amor, civilia bella si spectare potes. nam me iam Marte parato securos cepisse pudet cum coniuge somnos, eque tuo, quatiunt miserum cum classica mundum, surrexisse sinu. vereor civilibus armis Pompeium nullo tristem committere damno. tutior interea populis et tutior omni rege late, positamque procul fortuna mariti non tota te mole premat. si numina nostras inpulerint acies, maneat pars optima Magni, sitque mihi, si fata prement victorque cruentus, quo fugisse velim.’ vix tantum infirma dolorem cepit, et attonito cesserunt pectore sensus. tandem vox maestas potuit proferre querellas. ‘nil mihi de fatis thalami superisque relictum est, Magne, queri: nostros non rumpit funus amores nec diri fax summa rogi, sed sorte frequenti plebeiaque nimis careo dimissa marito. hostis ad adventum rumpamus foedera taedae, placemus socerum. sic est tibi cognita, Magne, nostra fides? credisne aliquid mihi tutius esse quam tibi? non olim casu pendemus ab uno? fulminibus me, saeve, iubes tantaeque ruinae absentem praestare caput? secura videtur sors tibi, cum facias etiamnunc vota, perisse? ut nolim servire malis sed morte parata te sequar ad manes, feriat dum maesta remotas fama procul terras, vivam tibi nempe superstes. adde quod adsuescis fatis tantumque dolorem, crudelis, me ferre doces. ignosce fatenti, posse pati timeo. quod si sunt vota, deisque

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Seufzend sprach er: »Meine liebe Frau, mir lieber als mein Leben, nicht jetzt, (740) wo ich des Lebens überdrüssig bin, sondern in froher Zeit, jetzt ist der traurige Tag gekommen, den wir zu lange und doch nicht lange genug hinausgezögert haben. Mit seiner ganzen Streitmacht steht Caesar zur Schlacht bereit. Wir müssen uns dem Krieg fügen. Lesbos wird dir davor ein sicherer Zufluchtsort sein. Versuche nicht, mich umzustimmen, ich habe mir selbst schon »nein« gesagt. (745) Du wirst keine lange Trennung von mir ertragen müssen; die Entscheidung wird schnell fallen; was bei einer nahenden Katastrophe ganz oben ist, fällt nämlich schnell. Es sei dir genug, von der gefährlichen Lage des Magnus nur zu hören; wenn du nämlich beim Bürgerkrieg zusehen kannst, habe ich mich in deiner Liebe getäuscht. Ich schäme mich, jetzt, wo Mars zur Schlacht bereitsteht, (750) sorglos mit meiner Frau zu schlafen, mich aus deiner Umarmung zu erheben, während die Trompetensignale die bejammernswerte Welt durchschmettern. Ich scheue mich, einen durch keinerlei Opfer betrübten Pompeius dem Bürgerkrieg auszusetzen105. Sicherer als die Völker und sicherer als jeder König bleibe du inzwischen verborgen, (755) in der Ferne soll dich das Schicksal deines Gatten nicht mit voller Wucht treffen. Wenn die Götter unsere Schlachtreihen zu Fall bringen, soll der beste Teil des Pompeius erhalten bleiben und mir, wenn das Schicksal und der blutdürstige Sieger mich bedrängen, der Ort sein, wohin ich meine Zuflucht nehmen will.« Kaum hatte das schwache Weib einen derartigen Schmerz empfunden, (760) da schwanden der Erschütterten die Sinne. Schließlich ihrer Stimme wieder mächtig, vermochte sie ihre schmerzlichen Klagen zu äußern: »Nichts habe ich, Magnus, über das Schicksal unserer Ehe und über die Götter zu klagen, unsere Liebe stört nicht der Tod und nicht die Fackel, die zuletzt an den grausigen Scheiterhaufen gehalten wird, sondern durch ein ganz gewöhnliches und (765) gemeines Los106 verliere ich den Gatten: Er schickt mich weg! Bei der Ankunft des Feindes sollen wir unseren Ehebund auflösen, deinen Schwiegervater107 damit versöhnen? Ist es das, was du über meine Treue denkst, Magnus? Glaubst du denn, dass irgendetwas für mich sicherer sein kann als für dich? Sind wir nicht längst schon von ein und demselben Schicksal abhängig? (770) Verlangst du von mir, dass ich den Blitzen einer derartigen Katastrophe fern von dir den Kopf hinhalte? Scheint es dir ein harmloses Los, dass ich schon zugrunde gegangen bin108, während du jetzt noch um Erfolg betest? Wollte ich mich dem Unheil nicht beugen, sondern zum Tod gerüstet dir in die Unterwelt folgen, müsste ich allerdings dich solange überleben, bis die Trauernachricht (775) in den so weit entfernten Ländern eintrifft. Dazu kommt noch, du Grausamer, dass du mich an Schicksalsschläge gewöhnt hast und mich lehrst, einen so großen Schmerz auch zu ertragen. Verzeih mir, wenn ich offen spreche: Ich fürchte, ihn ertragen zu können. Wenn aber Gebete etwas taugen, wenn

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audior, eventus rerum sciet ultima coniunx. sollicitam rupes iam te victore tenebunt, et puppem quae fata feret tam laeta timebo. nec solvent audita metus mihi prospera belli, cum vacuis proiecta locis a Caesare possim vel fugiente capi. notescent litora clari nominis exilio, positaque ibi coniuge Magni quis Mytilenaeas poterit nescire latebras? hoc precor extremum: si nil tibi victa relinquent tutius arma fuga, cum te commiseris undis, quolibet infaustam potius deflecte carinam: litoribus quaerere meis.’ sic fata relictis exiluit stratis amens tormentaque nulla vult differre mora. non maesti pectora Magni sustinet amplexu dulci, non colla tenere, extremusque perit tam longi fructus amoris, praecipitantque suos luctus, neuterque recedens sustinuit dixisse vale, vitamque per omnem nulla fuit tam maesta dies; nam cetera damna durata iam mente malis firmaque tulerunt. labitur infelix manibusque excepta suorum fertur ad aequoreas, ac se prosternit, harenas, litoraque ipsa tenet, tandemque inlata carinaest. non sic infelix patriam portusque reliquit Hesperios, saevi premerent cum Caesaris arma. fida comes Magni vadit duce sola relicto Pompeiumque fugit. quae nox tibi proxima venit, insomnis; viduo tum primum frigida lecto atque insueta quies uni, nudumque marito non haerente latus. somno quam saepe gravata deceptis vacuum manibus conplexa cubile est atque oblita fugae quaesivit nocte maritum! nam quamvis flamma tacitas urente medullas non iuvat in toto corpus iactae cubili: servatur pars illa tori. caruisse timebat Pompeio; sed non superi tam laeta parabant: instabat miserae, Magnum quae redderet, hora.

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die Götter mich erhören, dann wird als Letzte deine Gattin vom Ausgang der Ereignisse Kenntnis erhalten. (780) Wenn du schon längst Sieger bist, werde ich voller Unruhe in den Felsen109 festsitzen und mich vor dem Schiff fürchten, das die frohe Kunde bringen wird. Doch die erfreuliche Nachricht wird meine Angst vor dem Krieg nicht zerstreuen, denn in einer verlassenen Gegend ausgesetzt kann mich selbst ein flüchtender Caesar noch gefangen nehmen. Diese Gestade (785) werden durch das Exil einer so prominenten Person in aller Munde sein, und wenn erst mal die Gattin des Pompeius dort untergebracht ist, kennt doch jeder diesen Schlupfwinkel in Mytilene. Ich habe nur diesen letzten Wunsch: Wenn du im Kampf besiegt bist und dir nichts mehr Sicherheit bietet als die Flucht und wenn du dich dann dem Meer anvertraust, dann lenke dein Unglücksschiff irgendwohin, (790) denn an dem Gestade, wo ich mich aufhalte, wird man dich suchen.« Mit diesen Worten sprang sie wie außer sich von ihrem Lager auf, denn sie wollte nicht durch einen Aufschub ihre Qualen verlängern. Sie drückte nicht die Brust des niedergeschlagenen Magnus in zärtlicher Umarmung an sich, sie umschlang nicht seinen Nacken, und die letzte Gelegenheit, eine so lange währende Liebesbeziehung zu genießen, verstrich ungenutzt. (795) Sie beeilten sich, ihren Schmerz zu enden, keiner der beiden brachte sich abwendend ein »Lebe wohl!« zustande; ihr ganzes Leben lang war kein Tag so traurig wie dieser, denn alle weiteren Verluste ertrugen sie mit schon abgehärteten und durch Unglück gefestigten Herzen. Die Unglückliche wankte, doch sie wurde in den Armen ihrer Dienerinnen aufgefangen. (800) Man brachte sie zum Meeresstrand. Dort warf sie sich hin, klammerte sich am Boden fest. Schließlich brachte man sie an Bord. So unglücklich war sie nicht einmal damals, als sie die Heimat und die Häfen Italiens verließ, weil die Heere des brutalen Caesar sie drängten. Die unzertrennliche Gefährtin des Magnus verließ ihren Feldherrn, ging ganz allein davon, (805) ja sie floh den Pompeius. Was für eine Nacht war die nächste für dich: schlaflos! Da lag sie zum ersten Mal allein fröstelnd auf dem Bett, in ihrer Einsamkeit war die Stille für sie ungewohnt, und kein Gatte schmiegte sich an ihre entblößte Hüfte. Wie oft umschlang sie vom Schlaf übermannt die leere Lagerstätte, doch ihre Hände wurden enttäuscht; (810) wie oft tastete sie im Dunkel der Nacht nach ihrem Gatten, denn sie vergaß, dass sie auf der Flucht war. Doch obwohl in ihrem schweigenden Herzen Flammen loderten, mochte sie nicht ihren Körper über die ganze Lagerstätte ausstrecken: Sein Teil des Bettes blieb für ihn frei. Sie fürchtete, Pompeius verloren zu haben; doch so Erfreuliches hatten die da oben nicht mit ihr vor: (815) Der Beklagenswerten stand die Stunde bevor, die ihr den Magnus zurückgeben sollte110.

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Alter Name für Makedonien. Die Bedeutung dieser Formulierung ist umstritten: • Einmal könnte darin gemeint sein, dass nicht Bürger gegen Bürger gekämpft haben, sondern auch Verwandte: Pompeius war Caesars Schwiegersohn. • Eine zweite Deutung betont, dass dieser Bürgerkrieg die ganze Welt erfasst habe (als Weltkatastrophe), was schon in den folgenden Versen anklingt (I 5 ff.) und immer wieder von L. betont wird (z. B. I 70 ff.). • Eine dritte Interpretation sieht hinter dieser Formulierung L.s Würdigung dieses Krieges als eigentlichen Untergang der republikanischen Freiheit und politischen Systemwechsel zum Prinzipat (vgl. VII 440 f., 640–646). Das 1. Triumvirat zwischen Pompeius, Caesar und Crassus (60 v. Chr.). Das Pilum ist die typische römische Waffe. Crassus’ Niederlage und Tod bei Carrhae gegen die Parther (53 v. Chr.). Alte Bezeichnung für Mittel- und Süditalien. Bezeichnung des Sonnengottes als Sohn des Titanen Hyperion. Nomadenvolk nördlich der Donau, sinnbildlich für den hohen Norden. Fluss in Armenien. Quellen des Nil, erst 1867 durch Livingston entdeckt. Eigentlich Land im Westen, aus der Perspektive der Römer dann Italien. Krieg gegen Pyrrhus, den König von Epirus (280–275 v. Chr.). Pyrrhus und Hannibal waren der Inbegriff der Erzfeinde Roms. Nero, römischer Kaiser 54–68 n. Chr. Widmung des Werkes an Nero. Die Deutung dieser nach modernem Geschmack sehr überzogenen Kaisereloge ist umstritten: Wollte L. dem Kaiser schmeicheln, um die Herausgabe seines Werkes zu sichern? Die Ernsthaftigkeit dieser Lobhudelei wird durch den republikanischen Charakter des Werkes infrage gestellt. Ist die Passage ironisch gemeint? Neben verdeckten negativen Anspielungen findet sich auch immer ganz offene Kritik am System des Prinzipates. Hat sich L.s Auffassung gewandelt, da die Forschung in den Büchern IV–X eine klarere Kritik an den politischen Verhältnissen unter Nero herausliest?

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Anmerkungen zu Buch 1

Jupiter. Gegend von Pharsalos in Thessalien, wo Caesar 48 v. Chr. Pompeius besiegte. Die Schlacht bei Thapsus gegen Cato (46 v. Chr.) fand in der Nähe von Karthago statt, das 146 v. Chr. von Publius Cornelius Scipio Aemilianus erobert und zerstört worden war. Schlacht bei Munda in Spanien (46 v. Chr.). Perusinischer (heute Perugia) Krieg (41–40 v. Chr.) gegen die Caesarmörder. Schlacht bei Mutina (heute Modena) gegen Brutus (43 v. Chr.). Kap Leukas, hier gleichgesetzt mit der Bucht von Actium in der Nähe von Kap Leukas, wo Octavian die Flotte des Marcus Antonius besiegte (31 v. Chr.). Sklavenkrieg in Sizilien (104–100 v. Chr.). Gemeint ist Nero. Die Apotheose römischer Kaiser war ein übliches Motiv, auf vielen Grabmälern und Vasen dargestellt. Romulus soll nach der Legende als erster Römer zu den Göttern aufgestiegen sein. Beiname Apolls als Sonnengott. … und damit aus dem Gleichgewicht geraten. Die Tore des Ianustempels waren während des Friedens geschlossen, während des Krieges offen. Gemeint ist Apollo als Gott der Dichtkunst. Stadt in Karien (Westanatolien), wo Dionysos von Nymphen aufgezogen wurde. Mit diesen Worten reiht sich L. mehr in die Zunft der Historiker ein, die nach den Ursachen forschen, als in das Selbstverständnis des epischen Dichters wie Vergil, der sich als Deuter der Geschehnisse sieht. Das Weltuntergangsszenario entspricht der stoischen Auffassung vom Weltuntergang (Ekpyrosis). Diana als Mondgöttin. Gemeint ist das erste Triumvirat zwischen Pompeius, Crassus und Caesar 60 v. Chr. (vgl. I 4, IX 266 ff.). Hinweis auf den Mord des Romulus an seinem Bruder Remus. Die früheste römische Siedlung des Romulus bot Flüchtlingen eine Heimstatt. Berühmtes Oxymoron, auch bei anderen Autoren beliebt, versteht das Bündnis als vernunftgesteuert trotz verschiedener Interessen. Niederlage und Tod des Crassus bei Carrhae gegen die Parther 53 v. Chr.

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Herrscherdynastie der Parther. Caesars Tochter und Ehefrau des Pompeius, starb 54 v. Chr. zusammen mit dem Kind im Wochenbett. Berühmter Vers, oft zitiert. L. widmet Cato längere Passagen seiner Erzählung (vgl. II 275–391, IX 19–949). Pompeius, 106 v. Chr. geboren, also nur 6 Jahre älter als Caesar. Pompeius gab das erste aus Stein erbaute Theater Roms in Auftrag, Bauzeit von 61 v. Chr. bis 55 v. Chr. An die Eiche hingen die Römer ihre Kriegstrophäen. Der Vergleich des Pompeius mit einer alten Eiche soll nicht so sehr den Altersunterschied herausstellen als die Tatsache, dass die große politische Zeit des Pompeius der Vergangenheit angehört. Caesar wird schon hier als der dynamische skrupellose Machtpolitiker charakterisiert. Er trägt alle Züge eines rücksichtslosen Tyrannen (vgl. II 265 ff.). Der Sittenverfall wird von vielen römischen Historikern als die Ursache der politischen Dauerkonflikte beschrieben (vgl. Sallust). Camillus, der Retter und zweite Gründer Roms nach der Invasion der Gallier 387 v. Chr. Manius Curius Dentatus, Konsul 290 v. Chr., und C. Fabricius Luscinus, Konsul 282 und 278 v. Chr.; beide werden von Cicero (vgl. Paradoxa 50) ständig als typische Beispiele römischer Tüchtigkeit erwähnt. Mit der Erwähnung der Alpenüberschreitung weckt L. Assoziationen an Hannibal. L. verschweigt, dass erhebliche Verhandlungen voraus gingen, Caesar bis zum Schluss verhandlungsbereit war (vgl. Plutarch, Caesar 32). Vermutlich hat Caesar am 10. oder 11. Januar 49 v. Chr. den Rubicon erreicht. Von der Erscheinung der Roma wissen die anderen Überlieferungen nichts, lediglich von einem bösen Traum (Plutarch, Caesar 31), L. lässt die Erscheinung den Rechtsbruch Caesars formulieren. Caesar rechtfertigt sich mit persönlichen Motiven, dass man ihm trotz seiner Siege die dignitas aberkennt. (Caesar, b. c. I 9). Das patrizische Geschlecht der Iulier stammte aus Alba Longa und führte sich auf Iulus, den sagenhaften Sohn des Aeneas, zurück; aus der gens Iulia stammte Caesar. Quirinus: altrömischer kriegerischer Gott; später wurde der zu den Göttern entrückte Romulus als Quirinus verehrt.

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Anmerkungen zu Buch 1

Jupiter Latiaris wurde auf dem Albaner Berg als Gott des Latinerbundes verehrt. Kleiner Fluss, der die Grenze zwischen Italien und der Provinz Gallia Cisalpina bezeichnete. Dichterische Bezeichnung Italiens. L.s Version der berühmten Worte: »Die Würfel sind gefallen.« Die Bewohner der Balearen werden im Altertum als tapfere und geschickte Schleuderer gerühmt. Heute Rimini. Die Einnahme von Rimini war die erste Etappe des Bürgerkrieges, L. stellt die Chronologie der Ereignisse auf den Kopf: Nach der Zustimmung seiner Soldaten (bei L. erst 296 ff.), besetzt Caesar Rimini, dort stoßen die Volkstribune zu ihm (L. 265 ff.). Die Schutzgötter des Hauses und der Familie; ihre Bilder befinden sich am Herd des Hauses. Keltischer Volksstamm, von dem ein Teil im 4. Jh. v. Chr. in Italien einwanderte. Marius hatte 102 v. Chr. die Teutonen bei Aquae Sextiae geschlagen und schlug im Jahre 101 v. Chr. die Kimbern bei Vercellae. Krieg aus Libyen: Gemeint ist die Invasion Hannibals im Zweiten Punischen Krieg. Hannibal war über die Alpen gezogen, um von Norden her in Italien einzufallen. Caesar wird also mit den schlimmsten Bedrohungen Romas verglichen. In der Sitzung vom 7. Januar 49 v. Chr. wurden Caesars Forderungen abgelehnt, er wurde aufgefordert, seine Provinz Gallien an den designierten Konsul L. Domitius Ahenobarbus abzugeben und seine Truppen zu entlassen, die Volkstribunen (M. Antonius und Q. Cassius Longinus) legten ihr Veto ein und wurden daraufhin mit dem Tode bedroht. Unter Begleitung von C. Scibonius Curio stießen sie in Rimini zu Caesar. Tiberius und Gaius Gracchus verloren bei dem Versuch einer Landreform 133 v. Chr. bzw. 121 v. Chr. ihr Leben. Curio hatte ursprünglich gegen den Konsul Caesar agitiert, setzte sich aber als Volkstribun für seine Interessen ein. Nach Beendigung des Tribunats begab er sich zu Caesar. Rednertribüne auf dem Forum. Römische Vollbürger. Pompeius. Landschaft im westlichen Peloponnes, in der Olympia liegt. Sternbild des großen Bären, Symbol für den Norden.

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M. Claudius Marcellus und L. Cornelius Lentulus Crus waren Konsuln im Jahre 49 v. Chr. (vgl. V 1–14). Pompeius hatte als Ritter 79 v. Chr. einen Triumph feiern dürfen, obwohl er, unter 30 Jahre alt, kein Amt bekleidete und auch nicht Senator war (vgl: II 583 f., VI 817 f., VII 14–19, VIII 25). Pompeius wurde im Jahre 57 v. Chr. die Getreideversorgung mit prokonsularischer Amtsgewalt für 5 Jahre übertragen. Seine politischen Gegner warfen ihm künstliche Verknappung der Vorräte vor, um sich zu bereichern. T. Annius Milo, 57 v. Chr. Volkstribun, wurde des Mordes an P. Clodius angeklagt und trotz der Verteidigung durch Cicero 52 v. Chr. zur Verbannung verurteilt. L. Cornelius Sulla, von 82 bis 79 v. Chr. Diktator, bekannt durch seine Proskriptionen politischer Gegner, legte 79 v. Chr. aus eigenen Stücken sein Diktatorenamt nieder. Gegend im Norden Irans, an der Küste des Kaspischen Meeres. Die Kilikier stellvertretend für die Seeräuber, die Pompeius im Jahre 67 v. Chr. besiegte. Krieg gegen Mithridates, König von Pontus, 66–64 v.Chr, der sein Leben durch Selbstmord beendete. Juno Moneta, so genannt, weil in ihrem Tempel auf dem Kapitol die römische Münze untergebracht war. Gebirge in Nordgriechenland gegenüber dem Olymp. Die Aufzählung der Verbände folgt teils einem geografischen, teils einem ethnischen Schema. Seit dem berühmten Schiffskatalog bei Homer (Ilias 2. Buch) sind solche Kataloge in der Dichtung üblich. Genfer See. Vogesen. Keltisches Volk um Langres. Isère, Nebenfluss der Rhone. Volk im keltischen Gallien und in der Provence. Küstenfluss im narbon. Gallien. Var, Grenzfluss zwischen Italien und Gallien. Nordwestwind; ist der Mistral gemeint? Monaco; der Hafen des heutigen Monaco war dem Herkules Monoikos geweiht. Meton. für Meer. Mond. Gemeint ist Helios, der Sonnengott bzw. die Sonne.

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Anmerkungen zu Buch 1

Völkerschaft im belgischen Gallien in der Gegend des heutigen Speyer. Adour, ein Fluss im Gebiet der Tarbeller in Aquitanien. Aquitanisches Volk von den Pyrenäen bis zum Adour. Volk in der Landschaft der Saintonge im aquitanischen Gallien. Völkerschaft im aquitanischen Gallien, im heutigen Berry in der Gegend von Bourges und in der Gegend von Bordeaux. Gallische Völkerschaft in der Gegend des heutigen Soissons. Völkerschaft im belgischen Gallien in der Gegend des heutigen Lüttich. Belgische Völkerschaft zwischen der Matrona (Marne) und Axona (Aisne). D. h.: Meister im Umgang mit Wurfwaffen. Gallischer Stamm in der heutigen Franche-Comté und im heutigen Burgund. Wörtl.: in den im Kreis gelenkten gezäumten Rossen. Gallischer Volksstamm in der heutigen Auvergne; nach Caesars Bellum Gallicum waren nicht die Arverner, sondern die Haeduer Bundesgenossen der Römer. Troja. Belgischer Volksstamm zwischen den heutigen Flüssen Schelde und Sambre. Die Eburonen, nicht die Nervier, begingen das Verbrechen an Cotta. Germanischer Volksstamm in der Gegend des heutigen Worms. Bewohner des polnisch-russischen Tieflandes. Germanisches Volk auf den Inseln der Rheinmündung. Damit dürfte schwerlich der Nebenfluss des heutigen Ebro gemeint sein. Rhone. Saône. Volksstamm im heutigen Poitou. Loire. Auch Cenabum, das später civitas Aurelianorum genannte heutige Orléans an der Loire. Keltisch-germanisches Mischvolk beim heutigen Trier. Volksstamm in der Gegend des heutigen Genua. Die Römer haben Teutates, Esus und Tanaris als Mars, Merkur und Jupiter identifiziert. Die skythische Diana wurde auf Tauris durch Menschenopfer verehrt. Zur Lehre der Druiden vgl. auch Caesar, b. g. VI 14.

Anmerkungen zu Buch 1

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123 Gemeint ist, dass sich die Lehre der Druiden von allen anderen Religionen unterscheidet, die ihrerseits nach L.s Ansicht in den wesentlichen Punkten miteinander mehr oder weniger übereinstimmen. Entweder sind diese Religionen wahr oder die Lehre der Druiden. 124 Gott der Finsternis, Sohn des Chaos. 125 Pluto, der Gott der Unterwelt. 126 Die beiden Bären am nördlichen Sternenhimmel. 127 Die germanischen Ostfriesen. 128 Städtchen in Umbrien. 129 Nera, schwefelhaltiger Nebenfluss des Tiber in Umbrien. 130 Laren sind die Götter des Hauses, verehrt in der Nähe des Herdes. 131 Mit Pompeius hatten Caesar und Crassus im Jahre 60 v. Chr. das erste sogenannte Triumvirat geschlossen, im Jahre 56 v. Chr. wurde das Bündnis erneuert, Crassus verlor jedoch im Kampf gegen die Parther im Jahre 53 v. Chr. sein Leben, so dass Pompeius und Caesar die beiden maßgebenden Männer im Staat blieben. Ihr Verhältnis entwickelte sich zu einer Rivalität im Kampf um die Macht. 132 Beiname der Diana als Mondgöttin, hier: der Mond. 133 Sonnengott Helios als Sohn des Titanen Hyperion, hier: die Sonne. 134 Stadt in Argolis auf der Peloponnes. 135 Thyestes und Atreus, zwei Brüder, stritten sich um den Besitz von Mykene. Um dem Atreus zur Macht zu verhelfen, ließ Zeus zum Zeichen seines Willens die Sonne im Westen aufgehen. 136 Vulcanus: der Gott des Feuers und der Schmiedekunst. 137 Meeresstrudel in der Straße von Messina. 138 Göttin des Herdfeuers, der Häuslichkeit und des Familienlebens. 139 Fest des latinischen Bundes. 140 Als sich die Brüder Eteokles und Polyneikes im Kampf um Theben getötet hatten und auf einem Scheiterhaufen verbrannt wurden, teilte sich die Flamme in zwei Spitzen. 141 Meeresgöttin, hier: das Meer. 142 Berg an der Meerenge von Gibraltar. 143 Stadt an der Küste Neapels; die Seherin oder Wahrsagerin von Cumae ist die bekannte Sibylle von Cumae. 144 Kastrierte Priester der Großen Mutter Kybele. 145 Römische Kriegsgöttin. 146 Rachegöttin, Furie. 147 Die Wohlgesinnte, ein anderer Name für die Erinnye, mit dem die Rachegöttin gleichsam beschworen werden soll.

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Anmerkungen zu Buch 1

148 Mutter des Königs Pentheus von Theben, die im Wahnsinn mit anderen Frauen ihren Sohn zerreißt. 149 König der Edoner in Thrakien, der im Wahnsinn seinen eigenen Sohn mit einer Axt tötete. 150 Herkules. 151 Eine der Erinnyen. 152 Gott der Unterwelt (Hades). 153 Marius war der Sieger über die Teutonen und Kimbern (102, 101) und als Führer der Volkspartei ein Gegner Sullas. 154 Nebenfluss des Tiber. 155 Etruskischer Vorname der nachgeborenen Söhne. 156 Stadt in Etrurien, heute Lucca. 157 Das längs der Stadtmauer von Rom durch Steine abgegrenzte, außerhalb und innerhalb frei gelassene Gebiet, das das Stadtterritorium vom Land trennte. Machtbefugnisse militärischer Art waren erst vom Pomerium an gültig. 158 Bei Opferzeremonien wurde die Toga geschürzt, der über die linke Schulter zurückgeschlagene Zipfel unter der Brust um den Körper verknotet. 159 Das 15-Männerkollegium hatte die Aufsicht über die Sibyllinischen Bücher. 160 Phrygische Muttergottheit, Symbol der Fruchtbarkeit, in Rom als Magna Mater verehrt. 161 Flüsschen, das südlich von Rom in den Tiber mündet, heute Aquataccia. 162 Eigentlich heißt »sinister« unglücklich, aber in der Augurensprache wird es euphemistisch umgedeutet. 163 Von dem Sabinerkönig Titius Tatius herrührend. 164 Zwei altrömische Priesterkollegien, die bei der Feier des Mars am 1., 15. und 19. März Waffentänze aufführten. 165 Priester einer bestimmten Gottheit, z. B. Flamen Dialis (Jupiter), Martialis (Mars) usw. 166 Gesalzenes Schrotmehl zum Bestreuen der Opfertiere. 167 Sohn des Jupiter, hat die Etrusker die Wahrsagekunst gelehrt. 168 Nigidius Figulus, Freund Ciceros und Anhänger des Pompeius, gelehrter Grammatiker und Philosoph. 169 Deukalion, Sohn des Prometheus, der griechische Noah, Neuschöpfer der Menschheit nach der Sintflut. 170 Bei Nemea soll Herkules den Löwen getötet haben. Hier ist das Sternbild Löwe gemeint, in dessen Zeichen die Sonne am 21. Juli tritt.

Anmerkungen zu Buch 1

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171 Beiname des Mars: »der im Kampf voranschreitet«. 172 Cyllene, Randgebirge in Arkadien, Geburtsstätte Merkurs. 173 Die Edoner sind ein Volk in Thrakien. Weil Bacchus seinen Siegeszug in Griechenland in Thrakien begonnen hatte, wurden seine Begleiterinnen, die Bacchantinnen, nach diesem Volk benannt. 174 Gebirge in Griechenland in der Nähe Thebens, spielt auf die Sage an, dass Bacchantinnen den König von Theben, Pentheus, zerrissen, weil er Bacchus nicht in die Stadt gelassen hatte. 175 Ältester König in Theben. 176 »Sorgenbrecher« (Beiname des Bacchus). 177 Phöbus Apollo, Gott der Weissagungen. 178 Beiname des Apollo. 179 Gebirge in Makedonien. 180 Offenbar meint L. von der zeitlichen Abfolge hier Pharsalos (48 v. Chr.); Philippi (42 v. Chr. Schlacht zwischen den Caesarmördern und Marcus Antonius) taucht auch noch im Vers 694 auf. 181 Gebirge zwischen Nordgriechenland und Bulgarien, heute Balkan. 182 Lagos, Vater des ersten Königs in Ägypten nach der Eroberung durch Alexander, Ptolemäus’ I. (vgl. VIII 443, 803). 183 Pompeius wurde auf Befehl des ägyptischen Thronprätendenten Ptolemäus XIII. enthauptet und Caesar der Kopf und Siegelring als Empfangsgeschenk überreicht (vgl. VIII 712 ff.). 184 Schlacht bei Thapsus (46 v. Chr.). 185 Kriegsgöttin, lat.: Bellona. 186 Anspielung auf Caesars Ermordung (44 v. Chr.).

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Nach der Philosophie der Stoa entsteht die Welt aus dem Urfeuer. Auf die Vorherbestimmung des Schicksals durch die Götter ist Verlass. L. nimmt die Erzählung über die Prodigien, Opferschau und prophetischen Ereignisse im ersten Buch auf. Vgl. I 522–695. Jupiter wird oft als Donnergott dargestellt. Deshalb benutzt L. die Bezeichnung »Donnerer«. Die drei Kriege, die Rom gegen Karthago geführt hat: 264–241 v. Chr., 218–201 v. Chr., 149–146 v. Chr. Bei Cannae (216 v. Chr.) und an der Trebia (218 v. Chr.) siegte Hannibal über die Römer. Persisch oder parthisch. Hauptstadt der persischen Landschaft Susiane, Winterwohnsitz der persischen Könige. Meder = Perser, Assyrer, Parther. Volk östlich vom Kaspischen Meer in der Mongolei. Daker, Geten: Völker aus dem heutigen Ungarn östl. der Theiß, Siebenbürgen, Bukowina, nördl. Rumänien. Caesar. Stamm in Spanien. Pompeius. Abendland, d. h. Italien. D. h., solange sie noch nicht an Rom schuldig geworden sind. Marius siegte 106 v. Chr. über den Numiderkönig Jughurta, 102 v. Chr. über die Teutonen bei Aquae Sextiae (heute Aix-en-Provence), 101 v. Chr. über die Kimbern bei Vercellae. Nach Sullas Marsch auf Rom war Marius zum Staatsfeind erklärt worden. Er floh unter abenteuerlichen Umständen, wurde in den Sümpfen von Minturnae gefasst und gefangen gehalten. Während seiner Haft 88 v. Chr. sollte Marius von einem kriegsgefangenen Kimber im Auftrag des Kreises um Sulla ermordet werden. Man hatte dazu offensichtlich einen Kimber ausgewählt, der dadurch auch Gelegenheit hatte, die Vernichtung seines Stammes durch Marius zu rächen. Nach dieser Vision wurde Marius abgeschoben, flüchtete nach Afrika und gelangte u. a. auch nach Karthago. Diesen Vergleich benutzt auch Pompeius auf seiner Flucht nach der Schlacht von Pharsalos in seiner Aufmunterungsrede vor seinen Gefährten (VIII 269 ff.). D. h., Marius und Karthago trösteten sich gegenseitig über den Verlust ihrer einstigen Macht.

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D. h., in die Wut eines Hannibal auf Rom. Über Etrurien kam Marius, unterstützt von unzufriedenen nordafrikanischen Zwangsarbeitern und freigelassenen Sklaven, unter Mithilfe von Cinna nach Rom zurück. Während seiner Schreckensherrschaft 87 v. Chr. in Rom ließ Marius zahlreiche Aristokraten, in denen er Anhänger Sullas vermutete, ermorden. Gemeint ist die Hand des Marius. M. Baebius wurde an Haken über das Forum geschleift. M. Antonius war im Jahr 99 v. Chr. Konsul, 97 Zensor, Augur bis 87. Im Jahr 87 wurde er durch die Marianer ermordet. Er ist der Großvater des berühmten Marcus Antonius, der 31 v. Chr. in der Entscheidungsschlacht von Actium von Octavianus, dem späteren Kaiser Augustus, besiegt wurde. C. Flavius Fimbria, Anhänger des Marius und Cinnas, versuchte bei dem Begräbnis des Marius (86 v. Chr.) den Pontifex Q. Mucius Scaevola zu ermorden. Scaevola wurde dabei jedoch nur verwundet und später von dem jüngeren Marius im Heiligtum der Vesta (82 v. Chr.) ermordet. P. Licinius Crassus, Vater des späteren Triumvirn, beging auf die Nachricht vom Tode eines seiner Söhne Selbstmord. Scaevola war 95 Konsul, ein hervorragender, von Cicero gelobter Redner, Herausgeber der ersten systematischen Abhandlung über das Zivilrecht; er wurde 82 v. Chr. von Anhängern des Marius ermordet. Von 104 bis 100 v. Chr. war Marius ohne Unterbrechung Konsul. Im Jahr 100 v. Chr. wurde er zum sechsten Male Konsul. Hohen römischen Magistraten wurden Fasces (Rutenbündel) vorangetragen als Zeichen ihrer Amtsgewalt. Ortschaft in der Nähe von Palestrina. Dort wurde der jüngere Marius im Frühjahr 82 v. Chr. von Sulla geschlagen. Stadttor im Nordosten der Stadt, wo im Jahr 82 v. Chr. die Truppen des Marius endgültig von Sulla geschlagen wurden. Dort und in Sacriportus sollen fast 70 000 Menschen ermordet worden sein. Rom wird von L. auch in II 255 als Hauptstadt der Welt bezeichnet. Telesinus, der Anführer der Samniten im Bundesgenossenkrieg (91–88 v. Chr.) hatte gedroht, er werde Rom ausradieren und eine andere Stadt zur Hauptstadt Italiens machen. Und so wurde Corfinium, eine Stadt im Aternustal, zur Hauptstadt gegen Rom gewählt. Im Jahre 321 v. Chr. musste sich das römische Heer bei den Caudinischen Pässen ergeben und durch ein Joch aus Speeren abziehen.

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Der thrakische König Diomedes, der seine Stuten mit Menschenfleisch nährte, denen er selbst von Herkules zum Fraß vorgeworfen wurde. Antäus, ein Riese und König in Libyen, forderte die Fremden zum Ringkampf auf und tötete sie. Die Erde war seine Mutter. Wenn er die Erde berührte, gewann er neue Kraft. Herkules hob ihn in die Höhe und tötete ihn. L. erzählt die Sage ausführlich in IV 591–651. Stadt in Elis, wo die olympischen Spiele stattfanden. Der König Oinomaos forderte die Bewerber um seine Tochter Hippodameia zum Wagenrennen auf und tötete die Besiegten. Q. Lutatius Catulus, der zusammen mit Marius die Kimbern besiegt hatte (101 v. Chr.), wurde nach der Einnahme Roms durch Marius und Cinna geächtet und nahm sich das Leben. Hier handelt es sich um den Adoptivsohn M. Marius Gratidianus, den Sulla auf ausgesucht grausame Weise am Grab des Catulus hinrichten ließ. Fortuna Primigenia hatte in Praeneste (heute: Palestrina) ein großes und berühmtes Orakelheiligtum. Dort schaute Sulla dabei zu, als auf seinen Befehl die ganze Bürgerschaft hingerichtet wurde (82 v. Chr.). Die Stadt wurde geschleift und an einem weiter unterhalb gelegenen Platz durch Ansiedlung von Veteranen Sullas neu errichtet. Ein abgeschlossener Bezirk auf dem Marsfeld, wo Wahlen stattfanden. Der Tiber entspringt in Etrurien. L. ahmt hier eine berühmte Stelle aus Homers Ilias nach, wo die von Achill erschlagenen Trojaner den Fluss Skamander stauen (vgl. Il. XXI 217–238). Kommentatoren lesen aus dieser ironischen Kritik an Sulla auch einen Bezug zu Augustus heraus, der ähnliche Titel trug und auch ein Mausoleum an dieser Stelle hatte erbauen lassen. M. Iunius Brutus, der Caesarmörder, Spross aus der berühmten gens Iunia. Sein Urahn L. Iunius Brutus soll Rom von dem Tyrannen Tarquinius befreit haben. Brutus ist Neffe des Cato und sein Schwiegersohn, da er mit dessen Tochter Porcia verheiratet war. Nach der Schlacht bei Philippi (42 v. Chr.) verübte er Selbstmord. Vgl. VII 586–596, X 342. Jagdgenossin der Diana, Stammmutter der Arkadier, von Juno in eine Bärin verwandelt, die Diana versehentlich erlegte, von Jupiter später in das Sternbild Großer Bär an den Himmel versetzt. Das Motiv der sorgenvollen Schlaflosigkeit verwendet Vergil sehr häufig für Aeneas (z. B. Vergil, aen. IV 200,252; V 806; VIII 19); es ist bezeichnend, dass L. diese Eigenschaft der zentralen Heldenfigur aus der Aeneis auf seinen Cato anwendet.

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Cato ist in den Augen L.s Inbegriff des stoischen Weisen, der nur nach Gerechtigkeit und Wahrheit handelt, niemals jedoch aus Opportunismus (vgl. den berühmten Vers I 128). Eine ausführliche Würdigung erfährt Cato durch L. im Neunten Buch, das Catos Marsch durch die libysche Wüste erzählt (IX 19–949). Pompeius hatte zu diesem Zeitpunkt kein Staatsamt inne. Scheinbares Paradoxon. Offenbar meint L., dass Caesar auch außerhalb der Gesetze steht. Diese Bemerkung weist auf die Ermordung Caesars an den Iden des März 44 v. Chr. unter Beteiligung von Brutus voraus. Interpreten sehen in diesem Gespräch zwischen Brutus und Cato einen Bezug auf die berühmte Szene in Homers Ilias. Wie Cato überredet dort Hektor Paris, sich am Kampf zu beteiligen. Und wie Brutus später an der Ermordung Caesars beteiligt ist, tötet Paris schließlich den Hauptfeind der Troer, Achill (vgl. Il. VI 321 ff.). Daker: skythischer Stamm an der Südostseite des Kaspischen Meeres, Geten: thrakisches Volk am Unterlauf der Donau. P. Decius Mus vollbrachte als Militärtribun im ersten Samnitenkrieg (343 v. Chr.; vgl. Livius VII 34 f.) legendär heroische Taten. 340 v. Chr. sicherte er als Konsul in einer Schlacht gegen die Latiner den Sieg der Römer, indem er sich selbst und die Feinde in einer devotio den Unterirdischen weihte, sich dann auf die Feinde stürzte und dabei den Tod fand. (Livius VIII 9). Sein Sohn Publius Decius Mus, Konsul 312, 308, 297, 295 v. Chr., Zensor 304 v. Chr. fiel nach seiner devotio in der Schlacht von Sentinum (259 v. Chr.; vgl. Livius X 28). Dieser Gedanke eines Sühne- und Opfertodes als Erlösungstat für ein ganzes Volk dürfte bei den Mönchen in den Schreibstuben der christlichen Klöster auf ganz besonderes Interesse gestoßen sein. Nachdem sich seine erste Frau, Antistia, als treulos erwiesen hatte, heiratete Marcus Porcius Cato Uticensis in zweiter Ehe Marcia, Tochter des Lucius Marcius Philippus (Konsul 56), der – mit Atia, Caesars Nichte und Witwe des C. Octavianus verheiratet – Stiefvater des Octavian ist. Cato »lieh« dann seine Frau Marcia an Quintus Hortensius Hortalus, den forensischen Rivalen Ciceros, aus, der sie in zweiter Ehe heiratete. In erster Ehe war Hortensius mit Lutatia, Tochter des Quintus Catulus, verheiratet gewesen. Aus dieser ersten Ehe stammt sein Sohn Quintus, der – anfänglich ein Anhänger Caesars – später Brutus unterstützte und in der Schlacht bei Philippi fiel. Nach dem Tod des Hortensius 50 v. Chr. kehrte Marcia zu ihrem ersten Ehemann Cato zurück. Cato.

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Anmerkungen zu Buch 2

Hortensius. Cornelia ist die Tochter des Quintus Caecilius Metellus Scipio, der in der Schlacht bei Pharsalos das Zentrum der Truppen des Pompeius kommandierte, nach Africa entkam und dort im Bellum Africanum gegen Caesar Oberkommandierender war. 55 v. Chr. hatte sie in erster Ehe Publius Crassus, den Sohn des Triumvirn, geheiratet, der gemeinsam mit seinem Vater im Krieg gegen die Parther ums Leben kam. 52 v. Chr. heiratete sie Pompeius, nachdem dessen erste Frau Julia, die Tochter Caesars, 54 v. Chr. gestorben war. Cornelia begleitete Pompeius nach der Niederlage von Pharsalos nach Ägypten, wo sie Augenzeuge der Ermordung des Pompeius wurde. Eine derartige, mit Türmen verzierte Mauerkrone ist das Attribut der Magna Mater (Kybele), der Fortuna und der Italia; vermutlich ein Fruchtbarkeitssymbol. Der Purpurstreifen an der Toga. Gemäß der Vernunftnatur des Menschen leben und bei der Befriedigung der natürlichen, das Leben aufrecht erhaltenden Bedürfnisse jeden unnötigen und unvernünftigen Aufwand vermeiden, das ist Grundprinzip der stoischen Lehre. Capua wurde der Sage nach von Capys, einem Gefährten des Aeneas, gegründet (Vergil, aen. X 145). Gran Sasso (mit 2912 m kommt der Gran Sasso in der Tat sehr nahe an die Höhe des Olymps mit 2918 m heran). Mit dem »unteren Meer« meint L. das Tyrrhenische Meer, mit dem »oberen« die Adria. Küste Dalmatiens. D. h., nach Osten. Fluss in Umbrien, heute Meturo. Flüsschen südlich von Ravenna, heute Savio. Fluss in Picenum, heute Foglia. Fluss in Apulien in Süditalien, heute Ofanto. Poetischer Name für den Po. Phaeton war der Sohn des Sonnengottes Helios, von dem er die Erlaubnis erbat, den Sonnenwagen einen Tag lang zu lenken. Zu schwach, die Sonnenrosse zu zügeln, kam er der Erde zu nahe und steckte Teile davon in Brand. Zeus erschlägt ihn mit einem Blitz. Er stürzt in den Eridanus, den die Griechen ursprünglich im fernen Nordwesten dachten, erst später setzte man ihn mit dem Po gleich. D. h. westlichen. Fluss in Ligurien, heute Roya.

Anmerkungen zu Buch 2

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Flüsse in Kampanien, heute Volturno, Sarno. Fluss in Latium, heute Garigliano. Volk in Italien an der Adria. Altitalienische Nymphe, der bei Minturnae am Liris, etwa 120 km südöstlich von Rom, ein Eichenhain geweiht war. Fluss, südlich von Salerno, heute Sele. tesca Heinsius: tecta oder culta MSS. Fluss zwischen Ligurien und Etrurien, heute Magra. Stadt in Etrurien, heute Luni. Stamm zwischen Tiber und Adria. Völkerschaft in Latium um den Fucinersee östlich von Rom. Ursprünglich die kleineren mittelitalischen Völkerschaften sabinischer Abstammung, Synonym für Sabiner. Landschaft in Mittelitalien. Italien. Klippe auf der italienischen Seite der sizilischen Meerenge. Vorgebirge in Süditalien mit einem Tempel der Juno. Nordostspitze Siziliens. Der geografische Exkurs trennt die beiden Erzählstränge von der Verschanzung des Pompeius in Kampanien und dem Einmarsch Caesars nach Mittelitalien. Er soll in seiner Ausführlichkeit nicht nur die Gelehrsamkeit des Autors beweisen, sondern auch den Leser die Kostbarkeit der italienischen Halbinsel, um die der Bürgerkrieg jetzt tobt, vor Augen führen. L. nimmt hier den Erzählfaden von Caesars Vormarsch in Italien (I 466 ff.) wieder auf. Beherrscher der Winde. Im Folgenden erzählt L. das Verhalten von sieben hohen Offizieren, die Teile der Streitmacht des Pompeius in Norditalien befehligten: L. Scribonius Libo floh kampflos aus Arretium (heute: Arezzo). Q. Minucius Thermus zog sich aus Iguvinum (heute: Gubbio) nach Kampanien zurück, büßte dabei einen Teil seiner Truppen ein. Faustus Cornelius Sulla, Sohn von L. Cornelius Sulla, Schwiegersohn des Pompeius, bildet einen Kontrast zu seinem erfolgreichen Vater (vgl. II 221). Heute: Osimo, dort besaß Pompeius große Landgüter und große Anhängerschaft. P. Attius Varus fiel in der letzten Entscheidungsschlacht des Bürgerkriegs bei Munda (45 v. Chr.).

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Anmerkungen zu Buch 2

100 P. Cornelius Lentulus Spinther floh mit zehn Cohorten nach Corfinium, wo er sich ergeben musste (II 478–525). 101 Stadt in Picenum in der Nähe von Ancona, heute: Ascoli. 102 Q. Caecilius Metellus Pius Scipio Nasica floh aus Nuceria, heute: Nocera. 103 Mächtiges Reich vom Euphrat bis zum Indus, ständige Bedrohung für die Ostgrenze des römischen Reiches. 104 53 v. Chr. hatte Pompeius Caesar eine Legion geliehen, die dessen Verluste in Gallien ausgleichen sollte. Diese Männer wurden 50 v. Chr. nach Italien zurückbeordert. 105 L. Domitius Ahenobarbus, Vorfahre Neros, wird von L. heldenhafter dargestellt als sonst historisch verbürgt. 106 Alte Hauptstadt der Päligner in Samnium (Mittelitalien), heute: Pelino. 107 T. Annius Milo hatte im Jahre 52 v. Chr. den P. Clodius, einen Parteigänger Caesars, im Straßenkampf in Rom erschlagen. Milo wurde von Cicero in einer berühmten Verteidigungsrede vor Gericht vertreten. 108 Caesar begleitete zu dieser Zeit kein offizielles Amt, deshalb wird er hier »Bürger« genannt im Gegensatz zu dem General Domitius. 109 Spielt sowohl auf Caesars Feldzug in Gallien (58–51 v. Chr.) an als auch auf die eingewurzelten Ängste aus der Frühzeit Roms, das dreimal von gallischen Einfällen bedroht war. 110 Der geplante Staatsstreich des Catilina wurde 63/62 v. Chr. vom Konsul Cicero aufgedeckt und vereitelt. 111 Kriegsheld der frühen Republik; 396 v. Chr. erobern die Römer unter seiner Führung Veji, 394 v. Chr. Falerii. Sieg über die Gallier 389 v. Chr. Bis zu seinem Tod (364 v. Chr.) war M. Furius Camillus fünfmal Diktator. Er trug den Beinamen »zweiter Gründer Roms«. 112 Die Meteller waren eine berühmte Familie plebejischen Adels. Wahrscheinlich ist hier Q. Caecilius Metellus, der 148 v. Chr. Makedonien unterwarf und 142 v. Chr. den Aufstand der Keltiberer im Innern von Spanien niederschlug, gemeint. Denn die zeitgenössischen Meteller waren eher Gegner des Pompeius. 113 Anhänger des Marius, Konsul 87 und 86 v. Chr. 114 M. Aemilius Lepidus machte als Konsul 78 v. Chr. den vergeblichen Versuch, die Einrichtungen Sullas umzustürzen, wurde vor Rom von dem Prokonsul Catulus unter Pompeius’ Hilfe aus Italien vertrieben. 115 Cn. Papirius Carbo, führender Parteigänger des Marius, floh nach dem Sieg Sullas nach Italien. Als er 82 v. Chr. nach Sizilien kam, wurde er gefasst und von Pompeius hingerichtet.

Anmerkungen zu Buch 2

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116 Q. Sertorius, Anhänger des Marius, kämpfte 82–72 v. Chr. in Spanien gegen Sulla und Pompeius. 117 M. Licinius Crassus, 53 v. Chr. im Kampf gegen die Parther bei Carrhae umgekommen. Vgl. I 103 ff. 118 Die aufständische Armee aus Sklaven und Gladiatoren unter Führung von Spartacus wurde 71 v. Chr. von Crassus besiegt. 119 Vgl. dazu I 129 ff. und II 11 ff. 120 L. spielt entweder auf Ebbe und Flut im Ärmelkanal oder die Wattenmeere in der Nordsee an. Pompeius spielt auf Caesars erste BritannienExpedition an (55 v. Chr.). 121 Im Seeräuberkrieg 67 v. Chr. hatte Pompeius in knapp drei Monaten das östliche Mittelmeer von der Piratenplage befreit (vgl: I 336 ff., VI 419 ff., VIII 26 ff., 256). 122 Gemeint ist die Göttin Diana, die auf dem Berg Kynthos auf der Insel Delos geboren wurde, hier metonymisch für den Mond genannt. 123 Mithridates, König von Pontus, wurde von Pompeius 63 v. Chr. auf die Krim gejagt, wo er starb. 124 Guadalquivir. 125 Völker am Südrand des Kaukasus. 126 Landschaft in Armenien. 127 Ein Berg auf Kreta, auf dem Jupiter in einer Grotte heimlich geboren und erzogen wurde, poetisch auch als Bezeichnung für ganz Kreta gebraucht. 128 Athenische Schiffe nach Kekrops, dem mythischen Gründer Athens. 129 Catull erzählt den Mythos in c. 64,212 ff. 130 Insel in der Adria, heute: Korfu. 131 Stadt im griech. Illyrium, später Dyrrachium genannt, heute: Durres. 132 Die sog. »Donnerhöhen«, ein hohes, sich längs der epirotischen Küste hinziehendes Gebirge, durch häufige Gewitter berüchtigt; besonders dessen ins Adriatische Meer ragende Vorgebirge Acroceraunium (promonturium) war dann den Schiffen sehr gefährlich. 133 Kleine Insel vor der illyrischen Küste, dem Vorgebirge Acroceraunium nördlich gegenüber; vgl. V 650. 134 Die Söhne hießen Cnaeus und Sextus; Cnaeus war der ältere der beiden. 135 Nach dem berühmten Leuchtturm von Pharos, einem der sieben Weltwunder, synonym für ägyptisch. 136 König von Armenien. 137 König in Pontus, Sohn des Mithridates, von Caesar später besiegt. 138 Bezeichnung einer Gegend im äußersten Sarmatien oder Skythien. 139 Asowsches Meer.

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Anmerkungen zu Buch 2

140 Gemeint sind die beiden Konsuln Lucius Cornelius Lentulus Crus und Caius Claudius Marcellus. Die Jahre wurden im römischen Kalender in der Regel nach den beiden Konsuln des Jahres benannt. Daneben gab es – weniger häufig gebraucht – die Jahreszählung vom legendären Gründungsdatum der Stadt Rom an (753 v. Chr.). Die christliche Jahreszählung von Christi Geburt an kommt erst im 6. Jh. n. Chr. allmählich in Gebrauch. 141 Ein hoher Berg und die gleichnamige Stadt auf seinem Gipfel, an der Nordwestspitze Siziliens gelegen. 142 Ein Berg in Kampanien, nördlich des Avernersees. 143 480 v. Chr. ließ der Perserkönig Xerxes zwischen Sestos und Abydos an der schmalsten Stelle des Hellespont eine Schiffsbrücke bauen, um mit seinem Heer die Meeresenge zu überschreiten. 144 Xerxes ließ die vom Athos gekrönte Landzunge durchstechen, um seiner Flotte eine sichere Durchfahrt zu gewähren. 145 Südwind. 146 Sonne. 147 Fortuna = Schicksals- = Glücksgöttin. 148 Von »aufgewühlt« an bis »Küste« handelt es sich um eine Konjektur von Housman. 149 Magnus ist der Beiname des Pompeius. 150 Insel an der Küste von Böotien (Mittelgriechenland). 151 Hauptstadt von Euböa. 152 Meeresgott. 153 Pagasae, Seestadt in Thessalien; Pagasaea ratis ist die Argo, das Schiff der Argonauten, die nach Kolchis segelten, um das Goldene Vlies zu holen. 154 Fluss in Kolchis. 155 Zwei Inseln im Bosporus, die Symplegaden. Nach dem Mythos zwei kleine Felseninseln, die vor der Einfahrt in den Bosporus zusammenschlagend alles zermalmten, bis sie seit der Durchfahrt der Argo feststanden. 156 Morgenstern. 157 Das Siebengestirn. 158 Ochsentreiber, Sternbild am nördlichen Himmel, der Große Wagen, Bär. 159 Morgenstern, Planet Venus. 160 Gemeint ist der gesamte Hausrat des Pompeius.

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Julia ist die ehemalige Gattin des Pompeius und Tochter Caesars, war in erster Ehe mit Servilius Caepio verheiratet, ließ sich scheiden, um Pompeius zu heiraten. Sie soll eine glückliche Ehe mit Pompeius geführt haben, starb aber im Kindbett (vgl. I 111 ff.). Diese Traumvision ist in anderen Quellen nicht überliefert, also eine Erfindung L.s Traumvisionen sind in der epischen Dichtung verbreitet. Interpreten sehen in dieser Passage eine Parallele zu Aeneas’ Traumgesicht von Dido (aen. IV 554–570). Der Traum mag dem schlechten Gewissen des Pompeius entspringen. Auf den Traum mit seiner klaren Todesprophetie reagiert Pompeius mit Todesverachtung, damit wertet L. ihn, den sonst Zögerlichen, moralisch auf. Vgl. VIII 102 ff. Sitz der Seligen. Fluss der Unterwelt: stygisch, unterweltlich. Rachegöttinnen, eigentlich ein Euphemismus: die Wohlwollenden. Fluss der Unterwelt, dessen Ufer verbrannt waren. Strafort in der Unterwelt. Die Parzen, die den Schicksalsfaden des Menschen spinnen. Cornelia war vorher mit P. Crassus verheiratet. Er fiel, wie auch sein Vater, bei Carrhae, einer Stadt in Mesopotamien (vgl: I 103 ff., III 126 ff.). Pompeius heiratete sie erst zwei Jahre nach dem Tode Julias; so ist der Vorwurf Julias reichlich übertrieben. Strom der Vergessenheit in der Unterwelt. Die Seelen der Verstorbenen vergessen das Vergangene, wenn sie aus ihm trinken. Vorausdeutung, dass Pompeius in diesem Krieg sterben wird. Pompeius verkündet hier einen stoischen Gedanken (vgl. Seneca, ep. 65,2). Hier der Sonnengott Helios, der Sohn des Titanen Hyperion. Caesars ungezügelten dynamischen Charakter stellt L. bei vielen Gelegenheiten heraus (vgl. I 145 ff.). Cato hatte bereits Sizilien geräumt und der Statthalter von Sardinien, M. Aurelius Cotta, war ebenfalls abgezogen (Caesar, b. c. I 30). L. verzerrt die Realität, um Caesar in schlechtem Licht zu zeigen. In Wirklichkeit ließ Caesar in Rom seine bekannte clementia (Milde) walten (vgl. Plutarch, Pomp. 62). Gemeint ist hier der Erfolg im Bürgerkrieg. Heute Terracina, südlich von Rom. Bekannt als »Pontinische Sümpfe«. Schon Caesar hatte geplant, das umfangreiche Sumpfgebiet südlich von Rom trockenzulegen. Im Mittel-

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Anmerkungen zu Buch 3

alter war die Gegend wegen der Malaria nahezu entvölkert. 1938 ließ Benito Mussolini die Sümpfe trockenlegen. Jährlich wurde das Fest des Jupiter Latiaris von dem Bund der 47 latinischen Städte gefeiert. Sarmaten wurden die Bewohner des osteuropäischen Tieflandes von der Ostsee bis zur Wolga genannt. Spätere römische Provinz, das Gebiet Ungarns, Slawoniens, Teile von Bosnien und Kroatien umfassend. Volk aus der Gegend des heutigen Rumänien. Volk südöstlich der Daker an beiden Ufern der Donau von der Theiß bis zum Delta. »Curia« ist eigentlich der Ort, wo der Senat tagt, hier gleichbedeutend mit Senat. L. verkürzt die Ereignisse und stellt sie einseitig dar. Nicht alle anwesenden Senatoren folgten Caesar kritiklos, außerdem hatten die beiden Volkstribunen M. Antonius und Q. Cassius Longinus die Sitzung rechtmäßig einberufen. Selbst in dieser Sitzung zeigte sich Caesar noch kompromissbereit. Die Metellus-Episode ist historisch verbürgt, allerdings macht L. daraus eine pathetische Rede. Metellus will nicht weichen, erst Cotta überredet ihn dazu. Andere Autoren beschreiben das ängstliche Ausweichen des Metellus vor Caesars Gewaltandrohung (vgl. Plutarch, Caesar 35, Pomp. 62). Im Saturntempel war die Staatskasse deponiert. Volkstribunen waren sakrosankt. Volkstribun C. Ateius Capito hatte Crassus vor seinem Partherfeldzug 55 v. Chr. verflucht. Nach den verlorenen zwei Punischen Kriegen musste Karthago hohe Kriegsentschädigungen an Rom zahlen. Perseus, Sohn Philipps V., letzter König von Makedonien, war 168 v. Chr. bei Pydna von Aemilius Paullus geschlagen worden. Im überlieferten Text stand »Pyrrhus«. Das ist schon durch Housman zu »Gallus« umgeändert worden. Gemeint ist Brennus, Anführer der senonischen Gallier, er hatte die Römer an der Allia besiegt und am 18. Juli 390 oder 387 v. Chr. Rom eingenommen; weil die Veneter in Oberitalien einfielen, musste er sich kampflos wieder zurückziehen. Pyrrhus, König von Epirus, hatte versucht, den römischen Gesandten C. Fabricius Luscinus, Konsul 282 und 278 v. Chr., zu bestechen. Q. Caecilius Metellus Creticus, Sieger im Seeräuberkrieg.

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Später, vor allem unter Augustus, kam es oft vor, dass der Staat ärmer war als sein Regent. Das Verzeichnis der Hilfsvölker und Verbündeten, die Pompeius sammelte (vgl. Caesars Angaben in b. c. III 3 ff.), korrespondiert mit dem Truppenkatalog Caesars (I 396–466) als Bestandteil einer epischen Dichtung (vgl. dieses Verzeichnis mit dem Katalog bei Vergil, aen. VII 641 ff.). Es fällt auf, dass kaum römische Kontingente erwähnt werden, sondern eher eine bunt gemischte Völkervielfalt. Bei der Aufzählung der Städte und Landschaften werden auch weniger militärisch relevante Details angesprochen, sondern Buntheit und Exotik herrschen vor. L. will wohl das Bild vermitteln, dass fast die ganze Welt wegen seiner früheren Verdienste auf Seiten des Pompeius stand. Alte Hauptstadt der Lokrer. Stadt an der Mündung des Pleistos, die Hafenstadt von Delphi und daher dem Apollo geweiht. Hoher zweigipfliger Berg in Phokis, an dem Delphi und der kastalische Quell liegen, Phoebus Apollo und den Musen heilig. Ein Fluss in Phokis und Böotien, der bei Liläa in Phokis entspringt und in den See Kopais strömt. Die Quelle Dirke nordwestlich von Theben in Böotien; meton. für Böotien und seine Bewohner, die aus den von Kadmos gesäten Drachenzähnen entstandenen Menschen. Stadt in Elis am Flusse Alphëus, wo die olympischen Kampfspiele abgehalten wurden. Der Alphëus, der Hauptstrom der Peloponnes, der nach antiker Überlieferung als Bach bei Phylake entsprang, im Gebiet von Tegea verschwand, bei Äsäa wieder zum Vorschein kam, hier mit dem Eurotas sich vereinigte, nach einstündigem Lauf sich mit diesem in einer Erdkluft verlor und bei Pejä in Arkadien wieder herauskam. Durch viele kleine Flüsse und Bäche verstärkt und für Boote schiffbar, trat er oberhalb von Olympia in Elis ein, durchfloss den Hain der Diana Alphionia und ergoss sich ins Ionische Meer. Sein öfteres Erscheinen und Verschwinden gab wohl zu dem Mythos Veranlassung, er habe sich als Flussgott (Sohn des Okeanos und der Thetis) aus Liebe zu Arethusa unter dem Meeresgrund bis zur Quelle Arethusa auf Ortygia im Hafen von Syrakus fortgewühlt und dort sich mit dieser vereinigt. Gebirge in Arkadien, das sich von Megalopolis bis Tegea erstreckt und dem Pan heilig war. Stadt in der thessalischen Landschaft Phyotis am Öta, Todesort des Herkules, später Heraclea genannt.

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Anmerkungen zu Buch 3

Gebirgskette in Thessalien, die sich von Thermopylä bis an den Pindus und von da südwestlich bis zum ambrakischen Meerbusen erstreckt, wo sich Herkules verbrannte. Einwohner einer Landschaft in Epirus, von Chaonia bis zum ambrakischen Meerbusen. Pelasgischer Volksstamm, der zuerst ein kleines Gebiet am Öta bewohnte, von da an den Peloponnes zog und, von dort vertrieben, sich in Messenien niederließ. Ureinwohner von Dodona in Epirus. Das Orakel von Dodona war zerstört worden, deshalb schwieg es. Es muss sich um einen Hafen von Athen handeln, von denen allerdings nicht bekannt ist, ob einer davon dem Apollo geweiht war. Orikos liegt in Epirus, dem mythischen Reich des Trojaners Helenos und der Andromache. Eine die Landschaft Athamania bewohnende thessalische Völkerschaft. Kadmos, der sagenhafte Gründer Thebens, wurde in eine Schlange verwandelt; ἔγχελυς ist eigentlich ein Aal. Zwei dicht nebeneinander liegende Inseln an der illyrischen Küste. Penëus, Hauptfluss Thessaliens und überhaupt ganz Griechenlands, der auf dem Pindus entspringt und zwischen dem Olymp und dem Öta in den thermäischen Busen mündet. Haemonia, ein alter Name für Thessalien. Stadt in der thessalischen Landschaft Magnesia, Heimat des Jason, der dort sein Schiff Argo erbaute. Heute Balkan. Waldreiches Gebirge in Arkadien. Die Kentauren hatten einen menschlichen Oberkörper und den Unterleib eines Pferdes. Einer der wichtigsten Flüsse in Thrakien, der auf dem Hämusgebirge entspringt, heute Struma. Kranichschwärme, die regelmäßig von Thrakien über Griechenland nach Süden flogen. Donau. Die Sarmaten waren eine Völkerschaft im heutigen Polen und in den angrenzenden Gebieten. Landschaft in Kleinasien. Der Ida ist ein hohes Gebirge, das in Phrygien beginnt und sich durch Mysien und die Landschaft Troas erstreckt; der höchste Gipfel ist der Gargaros, berühmt als Verehrungsstätte der Kybele. Fluss in Großmysien, heute Bakhir Tschai.

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Stadt in der Troas. Stadt in Argolis in Kleinasien mit zwei Häfen. Stadt in Großphrygien in der Nähe des Mäanders. Pallas Athene hatte die Flöte erfunden und wieder weggeworfen, weil sie beim Spielen das Gesicht entstellt. Der Satyr Marsyas aus Kelaenae nahm die Flöte auf und forderte Phoebus Apollo zu einem musikalischen Wettbewerb heraus; er wurde besiegt und Apollo zog ihm zur Strafe die Haut ab (Ovid, met. VI 383; fast. VI 705 f.). Fluss in Lydien, der Goldsand mit sich führte. Hauptfluss in Lydien, der Goldkörner mit sich führte. Troja. Caesar führte seinen Stammbaum auf Julus, sonst Ascanius genannt, den Sohn des Trojaners (Phrygers) Aeneas, zurück. Hauptfluss Syriens, heute: Nahr el Asi. Ninos (Niniveh) war schon längst zerstört. Palästina. Tyrus war bekannt für seine häufigen Erdbeben. Die Cynosura ist der kleine Bär. Die Phönikier orientierten sich auf See an diesem Sternbild. Die Griechen nutzten den Polarstern im Sternbild des großen Bären als Leitstern. Hoher Gebirgszug in Asien, der die West- und Südküste von Kleinasien durchzieht und sich am Euphrat nordostwärts nach Kolchis wendet. Tarsus war die Hauptstadt von Kilikien, der Sage nach von Perseus erbaut. Felshöhle am südlichen Abhang des Parnassusgebirges, die den Nymphen und dem Pan geweiht war. Stadt in Kilikien. Stadt in Kilikien. Ostwind. Stadt in Makedonien, Geburtsort und Residenz Alexanders des Großen. Tatsächlich hat Alexander den Ganges nicht erreicht. Meergöttin, Gemahlin des Okeanos. Zuckerrohr. Der Teil des Taurusgebirges, der sich von Nordosten nach Südwesten bis zum Meerbusen von Issus hinzieht und Kilikien von Syrien trennt. Teil des Tigrisflusses. Ein durch seine Zauberkünste berüchtigtes Volk am Asowschen Meer; vgl. Val. Flacc. VI 151. D. h. nach Süden, wenn man sich von Osten nach Westen bewegt. Ein Volk im westlichen Makedonien.

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Anmerkungen zu Buch 3

Landschaft am Persischen Meerbusen. Sternbild am nördlichen Himmel. Sternbild des Stiers. Landschaft am Persischen Golf. M. Licinius Crassus hatte im Jahr 60 mit Caesar und Pompeius einen Dreibund geschlossen. Er war im Jahr 53 in Mesopotamien von den Parthern bei Carrhae besiegt und getötet worden. Zwischen Don, Donau und Asowschem Meer. Nebenfluss des Oxos (Amur-Darja). Baktrien ist das Land zu beiden Seiten des oberen und zum Teil auch des mittleren Oxos. Landschaft am Südostufer des Kaspischen Meeres. Reitervolk am Kaukasus. Nomadenvolk zwischen Weichsel und Wolga. Großer Stammesverband im südlichen Gebirgslande von Kolchis. Fluss in Kolchis, einer Landschaft am östlichen Südufer des Schwarzen Meeres, in dem Gold ausgewaschen wurde, heute: Poti. Grenzfluss zwischen dem Lyderreich und dem Perserreich, heute: Kızıl Irmak. König von Lydien, soll durch einen Orakelspruch getäuscht worden sein: »Wenn du über den Fluss Halys gehst, wirst du ein großes Reich zerstören.« Es war sein eigenes Reich. Don. Sagenhaftes, in Finsternis gehülltes Gebirge am Nordrand der Erde. Schwarzes Meer und Landstriche um das Schwarze Meer. Das Asowsche Meer soll einen Zugang zum arktischen Meer gehabt haben. Herkules musste bei seiner zehnten Arbeit, die er auf Befehl des Orakels von Delphi im Dienste des Eurystheus ausführte, durch die Meerenge von Gibraltar reisen und errichtete zu beiden Seiten je eine Säule. Phönizische Kolonie im südwestlichen Spanien, heute: Cadiz. Skythisches Volk. Einäugiges Volk im skythischen Norden. Sie hatten Gold, das ursprünglich von Greifen bewacht war, diesen geraubt. Skythenvolk am Kaspischen Meer. Skythisches Volk am Dnjepr. Gründer des Perserreiches, 429 v. Chr. Memnon war ein mythischer König der Äthiopier und wurde vor Troja von Achilles getötet.

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123 Agamemnon, unter dessen Führung die Griechen bei Troja kämpften, nahm Rache für seinen Bruder Menelaus, den seine Gattin Helena verlassen hatte, um mit Paris nach Troja zu ziehen. 124 Die Römer verehrten den widderköpfigen Orakelgott Amun als Zeus Hammon. 125 Landschaft zwischen Ägypten und den Syrten, heute: Barca. 126 Zwei große Buchten mit Flachwasser an der Nordküste Afrikas, die Große Syrte östl., die Kleine Syrte westlich von Tripolis. 127 Diese Seestadt in Ionien war die Mutterstadt von Massilia, heute: Marseille. 128 Kekrops war der älteste König von Attika, hier: attisch, athenisch. 129 Tochter Jupiters, später der griechischen (athenischen) Athene gleichgesetzt. 130 L. schildert die Unterredung in weitgehender Übereinkunft mit Caesar in seinem Bericht (b. c. I 35). Von einer spontanen Gegenmaßnahme erwähnt Caesar nichts, lediglich von seiner Erbitterung, dass die Massilioten aufrüsteten und sich auf eine längere Belagerung vorbereiteten. Die pathetische Rede der Massilioten und Caesars jähzornige Reaktion nutzt L., um deutlich Caesars Gewalttätigkeit zu zeigen. Die Struktur des Dialogs lässt an den berühmten Melierdialog bei Thukydides (V 84–116) denken: Nicht nur die Situation ist parallel, die Bedrängten bieten ihre Neutralität an. Caesar wird außerhalb politischer und propagandistischer Notwendigkeit als noch skupelloserer Gewaltmensch demaskiert als die athenische Gesandtschaft bei Thukydides. 131 Schlangenfüßige Riesen, Söhne der Erde, wollten den Olymp stürmen und wurden von den Göttern besiegt. 132 Weil sie keine römischen Bürger sind. 133 Hier liegt eine Verwechslung mit Phokaea in Ionien vor (vgl. V 53). 134 Stadt in Spanien nahe Valencia, griechische Gründung (Zakynthos), von Hannibal im 2. Punischen Krieg 218 v. Chr. eingenommen und zerstört. 135 Den Affekt des Zorns stellt Seneca als treibende Kraft eines tyrannischen Wesens heraus (De ira II 12,69). L. wird nicht müde, diesen Charakterzug an Caesar herauszuarbeiten: I 146 f.; III 136; VII 802, 809; VIII 134, 643, 765; X 443. Höhepunkt von L.s Hasstirade gegen Caesar: VII 551. 136 Die Belagerung vom Frühjahr bis zum Herbst 49 wurde mit den damals modernsten Belagerungstechniken durchgeführt. Daher das Interesse L.s an einer detaillierten Schilderung. 137 Die Abholzung eines heiligen Haines in der Nähe von Massilia ist wohl eine Erfindung L.s, um Caesars Hybris darzustellen (vgl. III 432–437).

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Die Szene erinnert deutlich an die Zerstörung des heiligen Hains der Ceres bei Ovid (met. VIII 738–838). Sohn des Hermes und einer Nymphe, Gott des Waldes der Hirten und Herden, oft dargestellt mit Hörnern, Schwanz und Bocksfüßen. Römische Entsprechung des griechischen Pan. Der antike Volksglaube stellte sich die Natur belebt von allerlei Naturdämonen vor, darunter Pan, die Satyrn und Nymphen, mädchengestaltige Naturgottheiten. Auf einem festen Altarsockel wurden kleinere Altäre aufgesetzt, die die Opfergaben trugen. Das Attribut dirus deutet offenbar grausige Opferbräuche an. Stadt in Epirus, berühmt wegen des uralten Eichenwaldes, der gleichzeitig als Orakel des Zeus galt. Aus Erlen wurde Kähne gebaut. Der Knabe Kyparissus war über den Verlust eines Lieblingshirsches so sehr betrübt, dass er sich in den Baum verwandelte, der nun seinen Namen trägt. Pompeius hatte versucht, Caesar durch einen Zweifrontenkrieg zu schwächen. Caesar hatte etwa einen Monat lang vor Massilia die Belagerung geleitet, dann zog er mit drei Legionen über die Pyrenäen nach Spanien. Der Legat C. Trebonius übernahm sein Kommando (Caesar, b. c. II 1). L. schildert die Vorgänge fast identisch wie Caesar (b. c. II 14,1–6). D. Iunius Brutus Albinus ist Caesars Admiral, nicht zu verwechseln mit dem bereits erwähnten M. Brutus. Er ließ in knapp einem Monat zwölf Schiffe bauen. Die Iles d’Hyères südöstlich von Toulon. Die Schilderung der Seeschlacht ist eine der ersten in der römischen Literatur. Sie bezieht sich mit manchen Anklängen auf die berühmte Erzählung Vergils von der Schlacht bei Actium, die Augustus 31 v. Chr. gegen M. Antonius und Kleopatra ausfocht (aen. VIII 671–713). Jedoch übertrifft L. Vergil an Realismus und detaillierter Schilderung der Kriegsgräuel bei weitem. Die Drastik der minutiös erzählten Todesarten sucht ihresgleichen in der Literatur und beabsichtigt, Krieg als Wahnsinn und Verbrechen anzuprangern. – Historisch sind zwei Seeschlachten zu unterscheiden: die erste zwischen Caesars Flotte und den Flottenverbänden der Massilioten, verstärkt durch Domitius bei den Iles d’Hyères (Caesar, b. c. II 5), die zweite zwischen den Caesarianern und den vereinten Flotten der Massilioten und L. Nasidius, und zwar in der Nähe des kleinen Stützpunktes von Massilia Tauroeis (Caesar, b. c. II 7). Letztere scheint

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die Entscheidung herbeigeführt zu haben. L. lässt beide Schauplätze verschmelzen. Niedrig gebaute, schnelle Schiffe der römischen Kriegsmarine nach dem Vorbild der Seeräuberschiffe der Liburner, die die Küste Kroatiens bewohnten. Decimus Iunius Brutus Albinus war der Flottenbefehlshaber vor Massilia. Mutterstadt von Massilia (Marseille), das von den ionischen Phokäern um 600 v. Chr, gegründet wurde. Anders als Vergil in seiner Seeschlachtbeschreibung erzählt L. Einzelschicksale. Es fällt auf, dass nur wenige Opfer auf römischer Seite detailliert beschrieben werden. L. widmet vor allem Einzelschicksalen auf griechischer Seite seine Aufmerksamkeit und erzeugt dadurch besonders viel Empathie für die Massilioten, die Caesar Widerstand leisteten. Interpreten sehen darin auch eine indirekte Kritik an Rom, das sich widerstandslos Caesar überantwortet hatte. Antike Schiffe verfügten am Achterdeck über eine meist aus geschwungenen Holzteilen gebaute Schmuckverkleidung. Das Bild verbindet die realistische Bedeutung »Blut« mit der Metapher Blut als Lebenskraft, Vitalität; vgl. IV 286–287. Die Erzählung übergeht die folgende Belagerung durch C. Trebonius und die offizielle Kapitulation Massilias, zu der Caesar eigens aus Spanien anreiste.

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L. Afranius und M. Petreius waren Parteigänger und Legaten des Pompeius; Afranius floh nach der Schlacht bei Pharsalos nach Afrika, wollte sich nach der Schlacht bei Thapsus mit 1500 Reiten nach Spanien retten, wurde aber gefangengenommen, an Caesar ausgeliefert und von den Soldaten Caesars bei einem Auflauf getötet, nach anderen Berichten auf Caesars Befehl ohne Verhör hingerichtet. Eigentlich leistete auch noch M. Terentius Varro im Süden Widerstand gegen Caesar (Caesar, b. c. II 17). Ihn übergeht L. Heute: Lerida; vgl. Caesar, b. c. I 41 ff. Heute: Segre, Nebenfluss des Ebro; vgl. Caesar, b. c. I 40; I 48,3; I 62,3. Hesperien bedeutet bei L. sonst eigentlich das Abendland; L. benutzt Hesperien sehr häufig für Italien im Gegensatz zum östlichen Mittelmeer, hier ist Spanien gemeint. Heute: Cinca, Nebenfluss des Ebro; vgl. Caesar, b. c. I 48,3. Heute: Ebro; vgl. Caesar, b. c. I 60,2. Caesar schiebt also sein Lager weiter nach vorn und verbirgt diese Truppenbewegung vor dem Feind. Vgl. Caesars Schilderung in: b. c. I 46. Himmel im Westen. Phrixus, Sohn des Athamas und der Nephele floh mit seiner Schwester Helle auf dem Widder mit dem goldenen Vlies vor ihrer Stiefmutter Ino nach Kolchis. Helle stürzte auf der Flucht herab und ertrank in dem Meer, das daher den Namen Hellespont erhielt; Ovid, fast. III 857 ff. Der Widder wurde als Sternbild im Tierkreis an den Himmel versetzt. Nach der Tag-und-Nacht-Gleiche im Frühjahr. Nabatäer, nordarabisches Volk, hier: »morgenländisch«, d. h. aus dem Osten. Großer und Kleiner Bär, zwei Sternbilder am nördlichen Himmel; hier: der Norden. Südwind; hier: der Süden. Hoher Berg an der Meerenge von Gibraltar, der mit dem afrikanischen Vorgebirge die sogen. Säulen des Herkules bildet. Tochter des Meergottes Nereus; hier: das Meer. Auch Caesar berichtet von dem Unwetter und den Überschwemmungen (b. c. I 48). Gemeint sind die Fouragiertrupps, deren Aufgabe es ist, Mannschaft und Vieh mit Nahrung zu versorgen.

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Gemeint ist die Antarktis. Schon der griechische Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.) nahm an, dass einer grundlegenden Symmetrie der Natur zufolge es zu der Landmasse, die im Norden unter dem Sternbild des Bären (griech. »arktos«) liegt, als Gegengewicht eine ausgleichende Landmasse auf der entgegengesetzten Seite (»anti-arktos«) der Kugel geben müsse. Später greift der römische Geograf Pomponius Mela mit seiner Weltkarte (43–44 n. Chr), die einen fiktiven Kontinent im Süden zeigt, die Idee der Antarktis als notwendige ausgleichende Landmasse wieder auf. Die Hitze unter den aequatorialen Gestirnen: die Hitze im Gebiet des Aequators. Als Bruder von Jupiter steht Neptun in der Rangordnung der Götter an zweiter Stelle. Sagenhaftes, in Finsternis gehülltes Gebirge am Nordrand der Erde. Das Wirken der Götter wird von L. ironisch ad absurdum geführt. Sie erscheinen quasi als Günstlinge Caesars. Nebenfluss des Ebro. Stadt in Ägypten. L. erzählt in dieser Passage ausschließlich von Petreius, Afranius taucht erst bei den Kapitulationsverhandlungen auf (337 ff.), offenbar hatte Petreius an diesem Tag das Kommando. Alte Ibererstadt, die am Sicoris liegt. Der Vers ist durch die Handschriften nicht gut bezeugt, deshalb in manchen Ausgaben getilgt. Dieses Verbrüderungsszene erwähnt auch Caesar (b. c. I 74). Bei Caesar im Falle seines Sieges. Alter Name für Makedonien und Thessalien, gemeint ist der Sieg Caesars gegen Pompeius (48 v. Chr.) bei Pharsalos, vgl. I 1. Massilia ist von der Stadt Phokaia gegründet worden. Vgl. III 728. Der Leuchtturm Pharos war Wahrzeichen von Alexandria, wo Pompeius 48 v. Chr. auf der Flucht ermordet wurde. Vgl. VIII 613 ff. Das Bild stammt wohl aus dem Gladiatorenkampf. In Spanien gab es ergiebige Goldminen, vgl. VII 741. Blauer Eisenhut ist die giftigste Pflanze Europas. Bereits im Altertum war die Giftigkeit der Pflanze bekannt. Alle Pflanzenteile enthalten giftige Wirkstoffe, die höchste Konzentration ist aber in Wurzeln und Samen zu finden. Bereits kleinste Mengen reichen aus für eine Vergiftung. Nilinsel in Äthiopien. Oasenbewohner im Inneren Afrikas.

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Caesar gibt die Rede des Afranius zwar kürzer, aber im Sinn vergleichbar wieder. Er bewertet das Verhalten von Afranius als äußerst unterwürfig (b. c. I 84). Demgegenüber ist Caesars Erwiderung, die L. nur kurz zusammenfasst, in b. c. I 85 breit ausgeführt. Als Stoiker nutzt L. die Gelegenheit, gegen Luxus und Verschwendungssucht zu wettern (vgl. Seneca, ep. 119,4). Brot, Getreide. Bedeutende Stadt in Dalmatien. Der Kaiser Diocletian errichtete in ihrer Nähe einen Palast. Am Kriegsschauplatz in der Adria sind nach dem Seesieg der vereinten Geschwader des Pompeius unter dem Kommando von M. Octavius und L. Scribonius Libo über Caesars Admiral P. Cornelius Dolabella die Verbände des C. Antonius auf der Insel Krk eingeschlossen. Stadt in Dalmatien (Zara). C. Antonius, Bruder des Triumvirn, befehligte eine Einheit von Caesars Truppen auf der Insel. Curicta ist eine Insel an der Küste von Illyrien, heute: Krk. L. Minucius Basilus hatte das Kommando über eine Truppe Caesars auf dem Festland. M. Octavius, Admiral des Pompeius, blockierte mit seiner Flotte die Küste. formido war der Name für gefärbte Federn, die Tiere daran hinderten, auszubrechen. Stadt in Sizilien, heute Taormina. Diese Männer wurden jenseits des Po für Caesar ausgehoben, in Opitergium (heute: Oderzo) in Transpadanien. Die Schiffe, von denen dann die Rede ist, gehören zu Octavius. C. Vulteius Capito, überredet die Opiterger zum kollektiven Selbstmord. Schon mittelalterl. Kommentatoren betonen den Kontrast zum Verhalten des Afranius (III 397 ff.; IV 338 ff.), der sich ebenfalls in aussichtsloser Lage befand. Ebenso wie Petreius kann er durch seine Rede die Soldaten völlig umstimmen (vgl. III 212 ff.). Die Bewohner von Opitergum sollen später von Caesar reich entschädigt worden sein. L. erzählt diese Heldentat, auch wenn sie von Caesars Leuten geleistet wurde, als Exempel für den bedingungslosen Freiheitskampf (vgl. IV 575 ff.). Eine Kohorte hatte eine Sollstärke von 600 Mann. Eines der Kernprinzipien stoischer Moral. Sternbild Zwillinge: Kastor und Pollux sind die Brüder von Leda. Die Sonne durchquert dieses Sternbild zwischen dem 21. Juni und 20. Juli. Am 20. Juli wandert die Sonne in das Sternbild Krebs. Das Sternbild Krebs markierte vor rund 2000 Jahren die Sommersonnenwende. Daran

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erinnert heute noch die Bezeichnung »Wendekreis des Krebses« für den nördlichen Wendekreis. In diesem Sternbild soll nach einer Überlieferung Chiron, der heilkundige, weise Lehrer von Äskulap, verewigt sein. Chiron aus Thessalien war der Lehrer vieler Helden und Göttersöhne. Er gilt als Erfinder von Pfeil und Bogen und war nach der Sage der erste Schütze. Er war unsterblich, verletzte sich aber an einem vergifteten Pfeil sehr schwer. Er litt so große Schmerzen, dass er sich den Tod wünschte. Zeus versetzte ihn dann als Sternbild Schütze an den Sternenhimmel. Das Sternbild kann man am besten in den Sommermonaten Juli und August über dem südlichen Horizont sehen. Leichtes, zweirangiges und bewegliches Kriegsschiff (Bireme). Die Römer übernahmen den Schiffstyp von den illyrischen Liburnern. In der Schlacht bei Actium bestand die von M. Vipsanius Agrippa kommandierte Flotte Oktavians (des späteren Augustus) überwiegend aus Liburnen. Kadmos erschlug einen wilden Drachen. Als er dessen Zähne auf ein Feld säte, wuchsen bewaffnete Krieger aus dem Acker, die sich gegenseitig umbrachten, als Kadmos sie mit Steinen beworfen hatte. Dirke, Quellnymphe in der Nähe von Theben, Synonym für die Stadt Theben. Die Brüder Eteokles und Polyneikes stritten um die Krone ihres Vaters Ödipus und kamen beide im Zweikampf ums Leben. Spielt auf die Sage der Argonauten an: Medea half in Kolchis, am sagenhaften Fluss Phasis gelegen, Jason mit ihrem Zaubermittel, den Drachen und die Streitmacht aus der Drachensaat zu besiegen. Caesar erwähnt die Episode mit keinem Wort, sondern berichtet nur über die Kapitulation des C. Antonius auf der Insel Krk. Nach mittelalterl. Kommentaren soll L. diese Ereignisse bei Livius (in den nicht erhaltenen Büchern) gelesen haben. L. benutzt diese Episode als Exempel für den Widerstand gegen Despotie für die Freiheit. Er durchbricht deshalb auch seine sonst parteiliche Wertung gegen Caesar. Ähnlich ist Scaevas Heldentat (VI 169–251) zu verstehen. C. Scribonius Curio (vgl. I 268 ff.), hatte im Oktober Sizilien verlassen und landete in der Nähe Karthagos, schickte die Flotte voraus nach Utica, ließ die Infanterie am Fluss Bagrada, rückte selbst mit der Kavallerie nach Castra Cornelia vor (Caesar, b. c. II 23). Hafenstadt karthagischen Ursprungs an der Westküste Siziliens. Größter Fluss an der nordtunesischen Küste, heute Medscherda.

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Gewaltiger Riese, Sohn des Neptun und der Mutter Erde, von Herkules im Ringkampf getötet. Riesiger Sohn der Erde und des Tartarus, mit hundert Feuer speienden Drachenköpfen und hundert Armen, im Streit von Jupiter mit Blitzen besiegt und unter dem Ätna begraben. Sohn der Erde, Riese auf Euböa, der Leto Gewalt antun wollte, deshalb in der Unterwelt von Geiern an seiner ständig nachwachsenden Leber zerfleischt wird. Hundertarmiger Riese, Sohn des Uranus. Ort in Thrakien, dort fand der Kampf zwischen Göttern und Giganten statt. Herkules: Alkeus war der Sohn des Perseus, Vater des Amphitryon und Großvater des Herkules. Cleonae war ein Städtchen an der Straße von Korinth nach Argos, südöstlich von Nemea, in dessen Nähe Herkules den Löwen erwürgte. Die Tötung des Löwen von Nemea ist die erste der zwölf kanonischen Heldentaten des Herkules. Auf bildlichen Darstellungen ist Herkules meist mit dem Fell dieses Löwen zu sehen. Flussgott und erster König von Argos, Sohn des Okeanos und der Thetis. Die Wasserschlange im See von Lerna, die Ernten und Herden des Landes vernichtete. Ihre Tötung gehört zu den zwölf kanonischen Heldentaten des Herkules. Immer, wenn er ihr einen Kopf abschlug, wuchsen an dieser Stelle zwei neue nach. Herkules tötete das Ungeheuer, indem er die Stellen, wo die Köpfe nachwuchsen, ausbrannte. Die Erde als nährende Gottheit. Die Stiefmutter des Herkules ist Juno, die Gattin des Jupiter. Der sterbliche Vater des Herkules ist Amphitryon, seine Mutter dessen Ehefrau Alkmene. Sein wirklicher Vater aber ist Jupiter, der die Abwesenheit des Amphitryon nutzte, um sich in dessen Gestalt mit Alkmene zu vereinigen. Die von Jupiter betrogene Juno verfolgte in ihrem Zorn den Herkules und versuchte schon das Kind durch zwei riesige Schlangen zu töten. Herkules hatte dem Titanen Atlas die Last des Himmelsgewölbes abgenommen, damit dieser ihm inzwischen die goldenen Äpfel aus dem Garten der Hesperiden holte. Vgl. IV 589 f. Hannibal. Indem Scipio Karthago direkt angriff, zwang er Hannibal, Italien zu räumen und nach Nordafrika zurückzukehren. Vgl. II 466.

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L. schreibt dem König Juba ein Reich von phantastischer Ausdehnung zu, um durch Aufzählung der darin lebenden Völkerschaften das Ausmaß der Bedrohung zu steigern. In Wirklichkeit herrschte Juba damals nur über die Numider. Genauso phantastisch wie die angebliche Ausdehnung des Reiches des Juba sind L.s geographische Angaben: Gades liegt nicht in der Nähe des Atlas. Eine ägyptisch-libysche Gottheit, die u. a. in einer Oase der libyschen Wüste verehrt wurde. Diese Oase liegt allerdings nicht in der Nähe der Syrten, wie L. behauptet. Ähnlich abenteuerliche Geografie IX 515 ff. Hier kann nur der Ozean westlich von Marokko gemeint sein, denn im Süden liegt die Sahara. Ein gätulisches Volk an der Westküste von Afrika, nördlich und südlich des Atlas. Volk im Nordwesten Afrikas. Einwohner einer Landschaft in Afrika an der Küste des Mittelmeeres, zwischen dem Atlantischen Ozean und Numidien. Völkerschaft an der großen Syrte, südwestlich von Kyrenaika; vgl. IX 439, 444. Afrikanische Völkerschaft zwischen Ägypten und den Syrten. Volksstamm aus dem Inneren Afrikas. Bedeutendes und sehr streitlustiges Volk in Mauretanien. Völker Vorderasiens (Perser, Assyrer, Parther). Die Massylier waren ein Volk im östlichen Numidien. Juba: König Juba von Numidien war der Nachfolger seines Vaters Hiempsal II. Er unterstützte im Bürgerkrieg wegen einer alten Gastfreundschaft seines Vaters mit Pompeius und wegen einer persönlichen Feindschaft gegen Caesar und Curio den Senat. Nach dem Sieg Caesars in Afrika über die Pompeianer beging er in seiner Hauptstadt Zama Selbstmord, denn er durfte sich keine Begnadigung durch Caesar erhoffen. Seine Grausamkeit und Arroganz waren sprichwörtlich. C. Scribonius Curio wurde zum Volkstribun für das Jahr 50 v. Chr. gewählt. In seinem Tribuniziat hatte Curio versucht, Juba abzusetzen (Caesar, b. c. II 25,5). Sie gehörten also nicht zu Caesars Kerntruppen, die sich in den Kämpfen mit den Galliern und Germanen bewährt hatten. Es handelte sich um die Soldaten, die als Rekruten 52 v. Chr. in den Prozess gegen Milo eingegriffen hatten (vgl. I 323; II 479 ff.). Vgl. II 478.

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100 Vgl. II 466 und IV 667. 101 Vgl. den Aufmarsch des Juba IV 670 ff. Das Täuschungsmanöver erwähnt auch Caesar mit ähnlichen Details (b. c. II 38). 102 Lesart MSS.: Metuens incauto. 103 Saburra war ein Feldherr Jubas, des Königs von Numidien. 104 Es handelt sich um den Ichneumon, eine in Ägypten heimische, auch in Marokko vorkommende wieselähnliche Schleichkatze, die in Ägypten als überlegener Feind einer Giftschlange und des Krokodils galt. 105 C. Scribonius Curio war zunächst Anhänger des Pompeius, ließ sich dann aber durch Caesar ingenti mercede (Sueton, Caesar 29,1) gewinnen. Er verteidigte nun Caesars Interessen und erhielt das Kommando in Sizilien und für den Kampf in Afrika. Vgl. I 269 ff. 106 Bewohner von Numidien: das Land westlich und südlich des Gebietes von Karthago. 107 Thrakien liegt östlich von Makedonien bis zum Schwarzen Meer, zwischen Donau im Norden und Ägäischem Meer und Marmarameer im Süden. 108 Punier = Karthager. 109 Pharsalia ist das Gebiet von Pharsalos, einer Stadt in Thessalien, wo Caesar 48 v. Chr. über Pompeius siegte. 110 Der Nachruf für Curio ist interessant, da L. ihn eigentlich moralisch verurteilt. Gleichwohl ist er von seiner Tatkraft und dem politischen Genie fasziniert. 111 Vgl. I 269. 112 Marius, Sulla und Cinna haben in Bürgerkriegen vor Caesar eine Rolle gespielt. 113 Eine der ersten Stellen, wo L. ganz offen eine Parallele zwischen der Tyrannei Caesars und der nachfolgenden Kaiser formuliert.

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Offenbar ist die Entscheidungsschlacht bei Pharsalos gemeint, das aber geografisch in Thessalien lag. Makedonien wird hier als Metonymie für Nordgriechenland benutzt. Gebirge in Thrakien, heute Balkan. Pleiaden, in der Astronomie das »Siebengestirn« genannt, verschwinden im November vom sichtbaren Teil des nördlichen Himmels. 1. Januar 48 v. Chr. P. Cornelius Lentulus Crus und C. Claudius Marcellus, Konsuln des Jahres 49 v. Chr., vgl. I 313. Hyperboreer, sagenhaftes Volk, im äußersten Norden vermutet. Felsen auf dem Kapitol, von dem Verurteilte hinabgestürzt wurden. M. Furius Camillus, Eroberer der etruskischen Stadt Veji, besiegt die Gallier, die zuvor Rom und das Kapitol (389 v. Chr.) erobert hatten. Vgl. IV 404 ff., 433 ff. Niederlage des C. Curio in Africa, vgl. IV 582 ff. Der Konsul Lentulus stellt den Antrag, Pompeius zum Diktator zu wählen. Gebirge im Süden der Peloponnes, gemeint sind die Spartaner. Landschaft in Mittelgriechenland, fälschlicherweise für Phokäa, die Mutterstadt Massilias benutzt (vgl. III 340). Hinweis auf den heldenhaften Widerstand der Stadt Massilia gegen Caesar, vgl. III 300 ff. Sohn des thrakischen Königs Kotys. Fürst von Galatien, später von Pompeius als König von Armenien eingesetzt, nach Caesars Sieg von Cicero vor Gericht verteidigt (45 v. Chr). Einflussreicher Thraker, vgl. Caesar, b. c. III 4,4. Der Begründer der ptolemäischen Dynastie stammt aus Pella, der Hauptstadt Makedoniens. General unter Alexander dem Großen, Begründer der ptolemäischen Herrschaft in Ägypten. Diese Passage ist quasi ein »oraculum ex eventu«, denn L. nimmt den Mord an Pompeius, den der junge ägyptische König Ptolemäus XIII. nach der verlorenen Schlacht bei Pharsalos 48 v. Chr. befahl, vorweg. Kleopatra. Appius Claudius Pulcher Censorinus, Praetor 57 v. Chr., Konsul mit L. Domitius Ahenobarbus 54 v. Chr., Prokonsul in Kilikien 53–51 v. Chr, Zensor 50 v. Chr., folgte 49 v. Chr. Pompeius und wurde von diesem als Befehlshaber in Griechenland eingesetzt. Appius’ Befragung

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des delphischen Orakels mit unklarer Auskunft wird kontrastiert von Catos Weigerung, das berühmte Ammonorakel in Afrika zu befragen (IX 570 ff.). Die stoische Grundhaltung lehnt Prophetie ab. So führt L. die in der epischen Tradition typische Weissagung ad absurdum. Am deutlichsten in der grotesken Nekromantie des Sextus Pompeius bei der Hexe Erictho (VI 413 ff.). Beiname des Apollo. Beiname des Dionysos (Bedeutung: der rasende Schwärmer). Gemeint ist die sog. Deukalionische Flut. Als Zeus aus Verbitterung über die Untaten der Menschen die Welt in einer großen Flut ertränkte, überlebten nur Deukalion und Pyrrha auf dem Gipfel des Parnass. Ursprünglich unabhängiger Heilgott, später Beiname des Apollo. Hera befahl in Eifersucht gegen ihre Nebenbuhlerin dem delphischen Drachen Python, Leto, die mit Apollo und Artemis schwanger ging, zu verfolgen. Die erste Tat des jungen Apollo war, deswegen Python zu bestrafen. Die Titanin Themis hatte als Erdgottheit das Orakel von Delphi inne (vgl. Aischylos, Eumeniden 6 ff.). Dreifüßiger Stuhl, Sitz der Priesterin Pythia in Delphi, Metonymie für das Orakel. Der stoisch gebildete L. stellt interessante Reflexionen über Prophetie und göttliches Wirken an. Hafen von Delphi, heutiger Name: Itea. Typhoeus oder Typhon, riesiger Sohn der Gäa und des Tartaros mit hundert Feuer speienden Drachenköpfen, stritt mit Jupiter um die Herrschaft der Welt, von dessen Blitzen besiegt. Heute die Insel Ischia, unter der Typhon begraben liegt (Homer, Il. II 783). Bedeutung: Das Heiligtum lässt sich nicht für den Bürgerkrieg instrumentalisieren. Auf Anraten des Orakels von Delphi leisteten die Athener Xerxes hinter »hölzernen Mauern« Widerstand. Themistokles deutete den Orakelspruch im Sinne seiner Seemachtpolitik und schlug die persische Flotte 480 v. Chr. in der Seeschlacht bei Salamis. Anspielung auf Nero, vgl. V 140. In hellenistischer Zeit hatte Delphi seine Bedeutung weitgehend verloren und litt unter Invasionen barbarischer Völker. Was vom ursprünglichen Reichtum noch übrig war, wurde von Sulla skrupellos geplündert. Unter Hadrian wurde eine künstliche Wiederbelebung versucht. Aber in Konkurrenz mit der Astrologie und anderen Orakelstätten erlangte

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Delphi nie wieder seine alte Bedeutung. Das Christentum als offizielle Religion unter Konstantin brachte dann den endgültigen Verfall. Die weissagende Priesterin saß auf einem Dreifuß. Phemonoë ist der Name einer Tochter Apollos; sie war dessen erste Priesterin zu Delphi (Plinius, X 7 u. 21). Nach ihr werden gelegentlich die Prophetinnen und Weissagerinnen in Delphi insgesamt so benannt. Die kastalische Quelle ist eine dem Apollo und den Musen geheiligte Quelle am Parnass, deren Wasser man bei den heiligen Handlungen in Delphi gebrauchte. Alter Name von Delphi. Python ist ursprünglich der Name einer von Gaia geborenen Riesenschlange, die in der Nähe von Delphi das Orakel der Gaia hütete. Apollo tötete sie, weshalb er den Beinamen Pythius erhielt, (Ovid, met. I 438). 279 v. Chr. steckten die Gallier den Tempel von Delphi in Brand. Die Sibylle von Cumae, die dem römischen König Tarquinius Priscus drei ihrer Bücher mit Orakelsprüchen verkauft hatte. Sie wurden im Tempel des Jupiter auf dem Kapitol aufbewahrt und in Krisensituationen von einem besonderen Kollegium auf Senatsbeschluss befragt. Anspielung auf Nero, der das Orakel um eine Auskunft ersucht hatte, die ihm aber als Muttermörder verweigert wurde. Er hatte daraufhin untersagt, das Orakel weiterhin zu befragen. Vgl. Plutarch (De defectu oraculorum 432 E), wo ein Stoiker über den prophetischen Geist spricht, der als göttliche Kraft aus der Erde steigt, in die Seele der Prophetin eindringt und sie warm und feurig macht. Vgl. hierzu die Ekstase der Sibylle von Cumae bei Vergil, aen. VI 45 ff. Mit welchen Mitteln der ekstatische Zustand der Prophetinnen von Delphi erzeugt wurde, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit bestimmen. Ausgrabungen machen die spätere Theorie unwahrscheinlich, dass giftige Gase, die einst aus dem Gestein drangen, dabei eine Rolle spielten. Cumae im Westen des Golfs von Neapel wurde der Sage nach von Chalkidiern aus Euböa gegründet. Appius missversteht den Orakelspruch, denn er wird noch vor der Entscheidungsschlacht von Pharsalos sterben und auf Euböa begraben werden. Beiname des Gottes Apollo. Pompeius wird am 28.9.48 v. Chr. auf der Flucht vor Caesar nach Ägypten auf Befehl Ptolemaios’ XIII. ermordet; Caesar wird am 15.3.44 v. Chr. von Brutus ermordet.

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Styx, Fluss in der Unterwelt; Lethe, ein Gewässer in der Unterwelt, aus dem die Toten Vergessen tranken. Stadt an der Südküste von Euböa. Stadt an der Nordküste Attikas, heute: Ouriokatro. Berühmtes Heiligtum der Nemesis, der Göttin der Vergeltung. Vergeltung. L. fasst mehrere Meutereien zusammen. Hier ist vor allem die Meuterei der 9. Legion in Piacenza gemeint. Bezeichnend für L.s Erzähltechnik ist, dass er Caesar vor allem in höchst kritischen Momenten charakterisiert. Hier kommt das kaltblütige, dämonische, von rasendem Ehrgeiz getriebene, ruhelose Wesen eindrücklich zur Geltung. Gegenstück zu dieser Charakteristik ist die gefährliche Sturmfahrt des Caesar über die Adria (vgl. V 508 ff.). Tarpëischer Felsen am Südabbruch des Kapitolhügels; metonymisch für das Kapitol mit dem wichtigsten Heiligtum, dem Jupitertempel. Zorn ist der Affekt, der typisch für ein tyrannisches Wesen ist (vgl. III 354). Caesars Hybris. T. Attius Labienus, Volkstribun 63 v. Chr; erfolgreicher Heerführer unter Caesar in Gallien, 50 v. Chr. zum Statthalter von Gallien durch Caesar ernannt, 49 v. Chr. zu Pompeius übergetreten, 45 v. Chr. bei Munda gefallen. Eigentlich ehrenvolle Anrede der römischen Bürger im Frieden bei Volksversammlungen; für Soldaten hatte diese Anrede etwas Schimpfliches. Ursprünglich hatte Caesar gedroht, die ganze 9. Legion zu entlassen. Von den 120 Rädelsführern ließ Caesar schließlich 12 hinrichten. Stadt in Apulien, heute Otranto. Heute Taranto in Kalabrien. Griechische Insel in der Adria. Alte Stadt an der Ostküste Apuliens in sumpfiger Gegend, heute Ortsteil von Trinitapoli bei Foggia. Heute Siponto. Halbinsel und Gebirge Gargano. Caesar verbrachte elf Tage in Rom, legte den Diktatortitel nieder und ließ sich zusammen mit P. Servilius Vatia zum Konsul wählen. Betrachten der Himmelserscheinungen durch Auguren bei offiziellen Anlässen. Die kürzere Amtszeit von Konsuln als ein Jahr ist erst in der Kaiserzeit üblich. Jupiter Latiaris, Beschützer des Latinerbundes.

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Spielt auf die Gründung durch den aus Troja (Ilion) geflohenen Aeneas an. Zeichen des Bürgerkrieges, da die Apulier sonst als arbeitsames Volk bekannt waren. Die Phäaken waren der Sage nach Bewohner der Insel Scheria, die in der Antike und gewöhnlich auch von modernen Homerinterpreten mit Korfu gleichgesetzt wird. Caesars Truppentransporter waren Segelschiffe, während dagegen die im Adriatischen Meer patrouillierenden Kriegsschiffe des Pompeius auch durch Ruder fortbewegt werden konnten. Caesar stach am 4. Januar 48 v. Chr. in See; an Bord waren sieben Legionen (vgl. Caesar, b. c. III 6). Wie Caesar in b. c. III 8,1 schildert, überraschte diese Windstille die Schiffe erst in der Nacht nach der geglückten Landung am Strand von Paläste bei der Rückfahrt nach Brundisium. Bibulus, der im Auftrag von Pompeius mit Kriegsschiffen im Adriatischen Meer patrouillierte, fing diese Leerschiffe während der Flaute ab und steckte etwa dreißig von ihnen in Brand. Nach einem skythischen Volk am Asowschen Meer. Eine weitverzweigte, den ganzen Hämus bis zum Pontus Euxinus bewohnende Völkerschaft in Thrakien. Das keraunische Gebirge an der Küste von Epirus. L.s epische Technik verkürzt den historischen Zusammenhang, indem er die Bewegungen der beiden Heere übergeht. Fluss in Illyrien, heute: Tjerma, Interpreten sehen in dem reißenden Fluss ein Symbol für Caesar und in dem gemächlich fließenden für Pompeius, die Namen hat L. vermutlich aus Caesar, b. c. III 75,4. Die Stelle ist etwa auf halber Strecke zwischen dem Landeplatz Paläste und Dyrrhachium gelegen. Julia, die Tochter von Caesar und Cornelia, hatte im April 59 v. Chr. Pompeius geheiratet, der dadurch enger an Caesar gebunden werden sollte. 55 v. Chr. hatte Julia eine Fehlgeburt. Im Jahr darauf starb sie bei der Geburt eines Kindes, das wenige Tage später ebenfalls starb. M. Antonius, später mit Octavian und Lepidus Triumvir im zweiten Triumvirat von 43 v. Chr., befehligt die Verstärkungs- und Versorgungskontingente, ohne die Caesar die Entscheidungsschlacht nicht beginnen kann. Das schlechte Wetter hielt aber die Schiffe des Antonius in Brundisium fest. Trotz schriftlicher Befehle trifft er nicht in Illyrien ein.

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Anmerkungen zu Buch 5

Gemeint ist die Seeschlacht bei Actium 31 v. Chr., in der Antonius und Kleopatra von Octavian geschlagen wurden. L. will mit dieser Anspielung offensichtlich andeuten, dass Antonius schon jetzt, im Jahre 48 v. Chr., von langer Hand seine selbstsüchtigen Ziele gegen Caesar und dessen Erben Octavian verfolgte. Die Zeit der Nachtwache zerfiel in vier Nachtwachen, die je nach der Nachtdauer verschieden lang waren (prima, secunda, tertia, quarta). Die abenteuerliche Überfahrt Caesars ist auch sonst überliefert, L. steigert den Effekt aber, indem er von einem kleinen Boot spricht, während bei Plutarch von einem normalen Schiff die Rede ist (Plutarch, Caesar 38). Der Fährmann benützt das Tau als eine Art Fackel. Die Stelle »inportunamve fereris pauperiem deflens« (534, 535) geht auf eine Konjektur von Housman zurück. Dies scheint ein verbürgtes Zitat zu sein und wird fast wörtlich auch in anderen Quellen überliefert (z. B. Plutarch, Caesar 38). Windgott, Herrscher über die Äolischen Inseln, nördlich von Sizilien. Gemeint ist Jupiter, der statt seines angestammten Blitzbündels auch noch den Dreizack seines Bruders Neptun benutzt. Bei der »Deukaleonischen Flut« vernichteten die olympischen Götter die Menschen (vgl. Sintflut des AT). Tochter des Uranus und der Gäa, Gattin des Okeanos, Mutter vieler Meernymphen und Stromgottheiten. Insel im Jonischen Meer, hohes Kap, erster Landkontakt bei einer Reise übers offene Meer von Italien nach Griechenland. Insel vor Otranto. Kap an der Nordwestküste von Epirus, heute bei Gijokaster in Albanien, selbst bei normalem Wetter eine gefürchtete Passage. Caesar nimmt Bezug auf seinen Gallischen Feldzug (58–51 v. Chr.), dabei hat er die Germanen bei Besançon besiegt, zweimal den Rhein überschritten, zweimal Invasionen nach Britannien durchgeführt. Die Seefahrer in der Antike glaubten, dass jede zehnte Welle die stärkste in der Reihe sei. Sohn des Königs Nauplios von Euboia, soll das griechische Alphabet erfunden haben, indem er die Flugformationen von Kranichen nachbildete. Das heutige Alessio im südlichen Dalmatien unweit der Mündung des Flusses Drilon. Hafenort in Illyricum, nördlich von der Mündung des Drin und von Lissus, heute: Capo di Redeni.

Anmerkungen zu Buch 5

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105 Er glaubt, ein persönliches Opfer bringen zu müssen, um die Götter gnädig zu stimmen. 106 »Gemeines Los« im Sinne von »weitverbreitetes Los«. Scheidungen kamen in der frühen und mittleren Republik selten vor. Im ersten vorchristlichen Jahrhundert wurden Scheidungen erheblich häufiger. Eine Ehe konnte in beiderseitigem Einverständnis oder durch eine einseitige Willenserklärung eines Partners geschieden werden. Eine Begründung war formal ebenso wenig erforderlich wie die Einschaltung einer staatlichen oder juristischen Instanz. Cornelia empfindet die Trennung von Pompeius als Scheidung. 107 Pompeius hatte 59 v. Chr. Caesars Tochter Julia geheiratet. Nach dem Tod der Julia 54 v. Chr. heiratete er Cornelia, die Tochter des Metellus Scipio. 108 Durch die Trennung von ihrem Gatten. 109 Von Lesbos. 110 Vgl. auch die Vorausdeutungen auf den Tod des Pompeius in V 63 und 475.

Über die Reihe Edition Antike Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen und Martin Hose Die Edition Antike bietet zweisprachige Leseausgaben wichtiger Texte der antiken Literatur mit modernen Übersetzungen und in einer zeitgemäßen Ausstattung. Autoren und Werke werden eingangs kurz vorgestellt. Ein knapper Sachkommentar am Ende des Bandes erleichtert die Lektüre und das Verständnis der Texte. Thomas Baier ist Professor für Klassische Philologie (Latinistik) an der Universität Würzburg. Kai Brodersen ist Professor für Alte Geschichte und Präsident der Universität Erfurt. Martin Hose ist Professor für Klassische Philologie (Gräzistik) an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Über den Inhalt Marcus Annaeus Lucanus (39–65 n. Chr.) ist der nach Vergil bedeutendste römische Epiker. Von seinen Werken ist leider nur ein einziges erhalten: der unvollendet gebliebene „Bürgerkrieg“, ein groß angelegtes Epos, das in eindrucksvoller Weise den Kampf zwischen Caesar und Pompeius um die Vorherrschaft in Rom schildert. Dabei beschreibt Lucan die historischen Ereignisse mit großer Sympathie für die Gegner Caesars, den er als Urbild des Tyrannen darstellt. Dieser politische Blickwinkel macht die Darstellung besonders reizvoll.

Eingeleitet, übersetzt und kommentiert Detlev Hoffmann ist Lateinlehrer und Studienleiter am Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung, Freiburg/Breisgau.