Blockbücher des 15. Jahrhunderts: Artefakte des frühen Buchdrucks 9783110561999, 9783110559194

The block books published in the Late Middle Ages are early examples of printed book media that served to disseminate kn

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German Pages 300 [288] Year 2018

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Table of contents :
Inhalt
Dank
Zusammenfassung
I Einleitung
II Vom Abecedarium bis zur Apokalypse: Das Themenspektrum der Blockbücher
III Wissensangebote und Wissensvermittlung in Blockbüchern: zwei Fallbeispiele
IV Zur räumlichen Lokalisierung des Blockbuchmarktes: Die Anfänge, Produktion und Nachfrage
V Das Blockbuch als Artefakt des spätmittelalterlichen Medienwandels
VI MedienrEvolution (?) im 15. Jahrhundert – Fazit
VII Bibliographie
VIII Anhang
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Blockbücher des 15. Jahrhunderts: Artefakte des frühen Buchdrucks
 9783110561999, 9783110559194

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Angelika Merk Blockbücher des 15. Jahrhunderts

Angelika Merk

Blockbücher des 15. Jahrhunderts Artefakte des frühen Buchdrucks

Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades des Doktors der Philosophie vorgelegt von Angelika Merk an der

Geisteswissenschaftliche Sektion, Fachbereich Geschichte und Soziologie, Konstanz 2015

Dieses Buch wurde gefördert mit Mitteln des im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes der Länder eingerichteten Exzellenzclusters der Universität Konstanz „Kulturelle Grundlagen von Integration“.

ISBN 978-3-11-055919-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-056199-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-055929-3 Set-ISBN 978-3-11-056200-2 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: Bayerische Staatsbibliothek München, Ars moriendi, Xyl. 19, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00048816-3 Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Dank 

 IX

Zusammenfassung 

 XI

 1 I Einleitung  I.1 Zum Forschungsgegenstand Blockbuch: ­Definition, ­Drucktechnik und Materialität   3 I.2 Methodik und theoretische Überlegungen   8 I.3 Forschungsüberblick   10 I.4 Quellenlage   12 II

Vom Abecedarium bis zur Apokalypse: ­Das Themenspektrum der Blockbücher   15 II.1 Das Themenspektrum   15 II.1.A Bibelwissen   16 II.1.B Typologische Schriften   16 II.1.C Religiöse Praxis   17 II.1.D Nicht-religiöse, didaktische Literatur   18 II.1.E Zeitberechnung, Astrologie und Vorhersage   18 II.1.F Fabel   19 II.1.G Kampfkunst   20 II.1.H Blockbücher des 16. Jahrhunderts   20 II.1.I Die Themen außerhalb des Spektrums   21 II.2 Quantitative Überlieferungsergebnisse: Übersicht der auflagenstärksten Titel   21 III

Wissensangebote und Wissensvermittlung in Blockbüchern: zwei Fallbeispiele   23 III.1 Die Ars moriendi – ein Wegweiser zum Umgang mit Glaubens­ zweifeln in der Sterbestunde   23 III.1.A Zur Quellenlage der „Ars moriendi“-Blockbücher   23 III.1.B Seelsorgepraxis und literarische Vorläufer   26 III.1.B.1 Grafik: Entwicklungsprozess der „Bilder-Ars“   30 III.1.C Teufel und Engel im Kampf um die Seele: die fünf Anfechtungen in der Sterbestunde vs. himmlischer Beistand   31 III.1.C.1 Die schwerste Anfechtung: Zweifel im Glauben   32 III.1.C.2 Die Versuchung zur schwersten Sünde der Verzweiflung   35

VI 

 Inhalt

III.1.C.3 Die Versuchung zur Ungeduld – das Problem der Theodizee   38 III.1.C.4 Die Versuchung der Frommen: eitler Ruhm und Hochmut   40 III.1.C.5 Die Versuchung für weltlich Gesinnte: Reichtum und Besitz   42 III.1.D Fegefeuer und Höllenqualen – die Sorge um das Seelenheil   44 III.1.D.1 Die Entwicklung des Purgatoriums als dritter Ort im Jenseits   45 III.1.D.2 Das Spektrum der Verfehlungen – von „lässlichen“ Sünden und den 7 Todsünden   53 III.1.D.3 Die Sterbestunde als Passageritual   61 III.1.E Der Schwarze Tod und seine sozialhistorischen Auswirkungen   62 III.1.E.1 Die Angst vor der „magna mortalitas“ – Hinweise in der „BilderArs“?   68 III.1.F Resümee   72 III.2 Die Planetenkinderbücher – Sternenglaube als populäres Kompendium   75 III.2.A Zur Quellenlage der Planetenkinderbücher   75 III.2.B Ursprung und Entwicklung der Sieben Planetengötter   78 III.2.B.1 Literarische und ikonographische Überlieferungsgeschichte   85 III.2.B.2 Grafik: Entwicklungsprozess der „Planetenkinderblockbücher“   93 III.2.C Die Sieben Planetengötter und ihre Kinder   93 III.2.C.1 Saturn   96 III.2.C.2 Jupiter   99 III.2.C.3 Mars   102 III.2.C.4 Sol/Sonne   104 III.2.C.5 Venus   107 III.2.C.6 Merkur   110 III.2.C.7 Luna/Mond   113 III.2.D Christliche Theologie vs. Sternenmystik – zur wechselhaften Bewertung der Astrologie durch die Kirche   115 III.2.E Resümee   128 IV

Zur räumlichen Lokalisierung des ­Blockbuchmarktes: Die Anfänge, Produktion und Nachfrage   131 IV.1 Die Anfänge: Ursprungsorte und Entwicklungsgeschichte der ersten bekannten Blockbücher   131 IV.2 Produktion: Orte und Regionen   141 IV.2.A Druckerwerkstätten   141 IV.2.B „Vernaculae linguae“, künstlerische Stilmerkmale und andere Hinweise zur Lokalisierung   145

Inhalt 

IV.3 IV.4 III.4.A IV.4.B V V.1 V.2

VI

Übersichtskarte zur räumlichen Verbreitung von Blockbüchern   151 Thesen zum Rezipientenkreis   152 Zu den Lesern/Rezipienten der „Bilder-Ars“   155 Gallus Kemli – ein spätmittelalterlicher Blockbuchbesitzer 

 VII

 159

Das Blockbuch als Artefakt des ­spätmittelalterlichen Medienwandels   166 Das 15. Jahrhundert – Experimentierphase der Buchproduktion   166 Zur Funktion des Blockbuchs und seiner Verortung im Kontext des Medienwandels   170 MedienrEvolution (?) im 15. Jahrhundert – Fazit 

 178

 191 VII Bibliographie  VII.1 Quellen und Editionen   191 VII.2 Kataloge   193 VII.3 Literaturverzeichnis   193 VII.4 Nachschlagewerke   205  207 VIII Anhang  VIII.1 Auswertung der bibliographischen Datensammlung   207 VIII.2 Deutschsprachige Blockbücher – bibliographische Datensammlung zur Lokalisierung   210 VIII.3 Bibliographische Materialsammlung zu den Blockbüchern der „Bilder-Ars“   212 VIII.4 Bibliographische Materialsammlung der Handschriften mit „QS-Text“   238 VIII.5 Bibliographische Materialsammlung zu den Planetenkinderbüchern   245 VIII.6 Abbildungsverzeichnis   251 VIII.6.1 Fallbeispiel 1 – Ars moriendi   251 VIII.6.2 Quellenauszug aus dem Seelenwurtzgarten   263 VIII.6.3 Fallbeispiel 2 – Planetenkinderbücher   266 VIII.6.4 Abbildungen aus dem Exercitium super Pater Noster   273 VIII.6.5 Abbildung aus der Biblia pauperum   274 VIII.6.6 Abbildung aus der Ars moriendi-Handschrift der WellcomeCollection   275

Dank Die vorliegende Dissertation wurde im Wintersemester 2015 vom Fachbereich Geschichte und Soziologie der Universität Konstanz angenommen. Für die Publikation wurde sie etwas überarbeitet. An der Entstehung einer solchen Forschungsarbeit sind stets mehrere Personen beteiligt, die diese unterstützen und die ich deshalb an dieser Stelle gerne nennen möchte. An erster Stelle danke ich meiner Doktormutter Prof. Dr. Dorothea Weltecke, die diese Arbeit begleitete und stets unterstützte. Ich profitierte sehr von ihrem profunden historischen Wissen und ihren konstruktiven Anmerkungen. Ihre Begeisterung und Interesse für Mediävistik und Religionsgeschichte wirkten stets ansteckend. Mein besonderer Dank gilt zudem Herrn Prof. Dr. Helmut Maurer, der meine Arbeit als Zweitgutachter schon früh mitbetreute und dessen Anregungen diese Arbeit bereichern. Auf seinen Rat und seine Unterstützung konnte ich immer bauen. Prof. Rudolf Schlögl danke ich für die Übernahme des Prüfungsvorsitzes. Auch meinen Mitstreitern am Lehrstuhl möchte ich für die bereichernden Diskussionen während unserer gemeinsamen Doktorandenkolloquien danken. Christina Abt, Susanne Härtel, Verena Krebs, Tina Raddatz, Markus Stich und Tim Weitzel haben mich als Kollegen am Lehrstuhl begleitet und waren interessierte, versierte und ermunternde Gesprächspartner. Nicht vergessen möchte ich an dieser Stelle Christa Gommel, die mir als Sekretärin am Lehrstuhl Weltecke bei administrativen Fragen stets kompetent und unkompliziert mit Rat und Tat weiterhalf. Weiterhin möchte ich meinen Korrekturlesern Daniela Jung und Dr.  Bernd Briechle danken, die sich auf der Suche nach Rechtschreib- und Grammatik­ fehlern durch das Manuskript gearbeitet haben. Nicht erst als Korrekturleser stand mir Bernd Briechle auch in schwierigeren Phasen der Promotion stets bei, dafür danke ich ihm besonders. Diese Arbeit hätte nicht ohne den Zuspruch meiner Freunde und Familie entstehen können. Ich danke vor allem meinen Eltern und Großeltern, die mich in den Jahren des Studiums und der Promotion immer unterstützt haben.

Zusammenfassung Der zentrale Forschungsgegenstand meiner Dissertation sind die im ausgehenden Mittelalter auftauchenden Blockbücher. Dieses frühe gedruckte Buch­medium diente der Reproduktion und Verbreitung von Texten und Illustrationen in Mitteleuropa zu einer Zeit in der die Entwicklung neuer Medienangebote (Einblattdruck, Blockbuch, Inkunabel, Flugschrift) sprunghaft voranschreitet. Kenzeichnendes Merkmal aller Blockbücher ist der Holzschnitt. Sowohl Bild als auch Text wurden für die Buchproduktion in Holztafeln geschnitten, die als Druckvorlage dienten. Lange Zeit wurde in der historischen Forschung die Annahme vertreten, dass das xylographische Druckverfahren nur ein primitiver Vorläufer auf dem Weg hin zum Druck mit beweglichen Lettern gewesen sei. Dieser Standpunkt konnte inzwischen stichhaltig durch die Untersuchung von Wasserzeichen revidiert werden, die ein annähernd zeitgleiches Auftreten, beider Druckverfahren ergab. Diese Gleichzeitigkeit dokumentiert eine Experimentierphase, in der verschiedene technische Mittel zur Buchherstellung erprobt wurden. Blockbücher stellen demzufolge eine im ausgehenden Mittelalter neuartige, drucktechnische Vervielfältigungsmöglichkeit zur Wissensverbreitung und Kommunikation dar, dennoch wurden sie in der kulturwissenschaftlichen Forschung bisher noch vergleichsweise selten untersucht.

I Einleitung „Eine puristische Ästhetik könnte das Blockbuch als das ideale illustrierte Buch hinstellen. Gewiß ward solche im Technischen ruhende vollkommene Einheit zwischen Text und Bild später nie wieder erreicht. Kein „Buchkünstler“ vermag den Schriftgießer, Setzer, Drucker, Zeichner, Holzschneider so zu regieren, daß das Postulat der Stileinheit erfüllt wird so wie im Blockbuch, wo Bild und Schrift von e i n e r Hand aus e i n e r Platte geschnitten werden.“ Max J. Friedländer, Der Holzschnitt, S. 30.

Das hier so prägnant beschriebene Blockbuch hat einen nur kurzen Auftritt auf der Bühne der Mediengeschichte. Nur ca. 100 Jahre währte die Zeitspanne seines Auftretens, bevor es wieder von der Bildfläche verschwand. Noch dazu scheint die Bedeutung der Blockbücher im Schatten der weitaus bekannteren Inkunabeln eher marginal, während dem Inkunabeldruck und ihrem Erfinder Johannes Gensfleisch von Gutenberg schon früh ein besonderer Stellenwert im Kanon der „(Medien-) Revolutionen“ zugesprochen wurde.1 Der Münsteraner Domdechant, Jurist und Polyhistor Bernhard von Mallinckrodt (auch: Bernhard von Malinkrot, *1591–†1664) verfasste 1640 zum „200 jährigen Jubiläum der Erfindung des Buchdrucks“ eines der ersten Inkunabelverzeichnisse,2 in das er alle Bücher, die im Offizin Gutenbergs und den Druckwerkstätten seiner Schüler und Nachfolger bis zum 1. 1. 15013 gedruckt worden sind, aufnahm. Mallinckrodt verwendete in seinen Schriften erstmals den Begriff incunabula4 und installierte eine formale und willkürlich gezogene Grenze, die weitgehend unhinterfragt von nachfolgenden Inkunabelverzeichnissen bis zum „Gesamtkatalog der Wiegendrucke“ (GW) übernommen und dadurch immer weiter verfestigt wurde.5 Durch diese Zeitschranke wurde eine klare Trenn-

1 Grampp, Sven & Wiebel, Eva: „Revolution in Permanenz“. Die Erfindung des Buchdrucks als Gründungsfigur der Neuzeit, in: Sven Grampp (Hg.), Revolutionsmedien, Medienrevolutionen, Konstanz, 2008, S. 97. 2 Mit dem Titel „Antiquorum impressionum a primaeve artis typographicae origine et inventione ad usque annum secularem MD deduction“ 3 Kritisch dazu: Frieder Schanze: Inkunabeln oder Postinkunabeln? Zur Problematik der >Inkunabelgrenze< am Beispiel von 5 Druckern und 111 Einblattdruckern, in: Einblattdrucke des 15. und frühen 16. Jahrhunderts, Tübingen 2000, S. 45–123 (bes. S. 45–47). 4 In Mallinckrodts 1639 in Köln publiziertem Traktat De ortu et progressu artis typographica, bezeichnete er die Zeitspanne seit der Erfindung Gutenbergs bis zum Jahr 1500 als prima typographiae incunabula – als die Zeitspanne, in der die Typographie noch in den „Windeln“ oder in der „Wiege“ lag. Siehe: Janzin, Marion & Günther, Joachim, Das Buch vom Buch – 500 Jahre Buchgeschichte, Hannover, 1995, S. 156. 5 Frieder Schanze, Inkunabeln oder Postinkunabeln?, S. 45–46.

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 Einleitung

linie gezogen, die den im Zeitraum von ca. 1455 bis zum 1. 1. 1501 gedruckten Inkunabeln eine herausragende Rolle in der Geschichte zukommen lässt. So gilt die Erfindung Gutenbergs als Gründungsfigur der Neuzeit und markiert damit den Epochenumbruch des endenden Mittelalters und der beginnenden Neuzeit. Auch im vorherrschenden Stufen- oder Phasenschema der Mediengeschichte markiert die Erfindung des Buchdrucks den Beginn bzw. den Umbruch zur zweiten Phase der Mediengeschichte.6 Mithilfe dieses Schemas wird Geschichte als eine Abfolge medientechnischer Erfindungen erzählt, in der sich die jeweils vorherrschenden Medien („Leitmedien“) möglichst eindeutig und flächendeckend abzulösen haben.7 Insbesondere die jüngere Mediengeschichte kritisiert an den retrospektiv ausgemachten Leitmedien und ihrer Abfolge, dass dies das Bild einer einfachen Ereignis- und steten Fortschrittsgeschichte vermittelt. Dabei entdeckt die Mediengeschichte neben den retrospektiv ausgemachten Leitmedien eine Vielfalt an Medien (sog. „dead media“)8, zu denen auch die Blockbücher gerechnet werden können. In der Forschung wurde den Blockbüchern im Vergleich zu den prominenten Inkunabeln wenig Beachtung geschenkt. Dies mag zum einen an der nur kurz währenden Zeitspanne ihres Auftretens gelegen haben, zum anderen lag dies auch daran, dass der Forschungsdiskurs über das Blockbuch mit der Diskussion über den Beginn der Typographie in Europa vermischt und auf diese Weise beide Diskussionen konfus vermengt wurden. Eine nicht sehr zielführende Vermischung, die der seit dem 16. Jahrhundert mehr oder weniger unbegründeten Annahme geschuldet ist, dass es sich beim Blockbuch um eine Art primitiven Vorläufer des Drucks mit beweglichen Lettern handeln müsse.9

6 Je nachdem, wo man den Beginn der Mediengeschichte ansetzt, exemplarisch dazu folgende Titel: Faulstich,Werner: Mediengeschichte von den Anfängen bis 1700, Göttingen 2006. & Kübler, Hans-Dieter: Mediale Kommunikation, Tübingen 2000. Während in Faulstichs Vier-PhasenModell die Druckmedien als „Sekundärmedien“ die „Primär- oder Mensch-Medien“ ablösen, markiert bei Kübler die Erfindung des Buchdrucks den Beginn der Mediengeschichte, da hier die erste „immense Beschleunigung, Verdichtung und Vervielfältigung der Medienentwicklung“ zu erkennen sei. 7 Grampp, Sven & Eva Wiebel: ‚Revolution in Permanenz‘, S. 95. 8 Siehe dazu das einführende Kapitel im Sammelband „Die Medien der Geschichte“, Fabio Crivellari, Kay Kirchmann, Marcus Sandl, Rudolf Schlögl (Hg.), Konstanz, 2004, S. 9–49. & Bickenbach, Matthias: Medienevolution – Begriff oder Metapher: Überlegungen zur Form der Mediengeschichte, in: Fabio Crivellari, Kay Kirchmann, Marcus Sandl, Rudolf Schlögl (Hg.), Die Medien der Geschichte, Konstanz, 2004, S. 109–137. 9 Needham, Paul: Prints in the Early Printing Shops, in: Peter Parsahll (Hg.), The Woodcut in Fifteenth – Century Europe, Washington 2009, S. 39–91. Hier: S. 45.

Zum Forschungsgegenstand Blockbuch: ­Definition, ­Drucktechnik und Materialität 

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Während die Inkunabel mit der anbrechenden Neuzeit und damit verbundenen positiven gesellschaftlichen Entwicklungen assoziiert wurde, wurde das Blockbuch noch dem Mittelalter zugerechnet und den damit einhergehenden negativen Assoziationen einer rückständigen und „dunklen“ Epoche. Dieses Mittelalterbild gilt, wie das einfache Stufenschema der Medien­ geschichte, inzwischen als überholt. Auch die Rolle des Blockbuchs muss im Zuge der Umformierung der Mediengeschichte neu überdacht werden, denn diese Medienform stellte nachweisbar eine neuartige, drucktechnische Vervielfältigungsmöglichkeit zur Wissensverbreitung und Kommunikation dar. Das ­annähernd zeitgleiche Auftreten der beiden grundlegend unterschiedlichen Techniken des typographischen und xylographischen Druckverfahrens ist auffällig und dokumentiert eine Experimentierphase, in der verschiedene neue Techniken zur Buchherstellung10 erprobt wurden. Dem entgegen steht das Paradigma der konventionellen Mediengeschichte, die beim Prozess des Strukturwandels, der mit der Ablösung des skriptographischen durch das typographsiche Medium einhergeht, von einer Medienrevolution spricht. In dieser Arbeit soll dieses revolutionäre Paradigma der Mediengeschichte wie auch das stereotyp überformte Bild des Blockbuchs hinterfragt werden und die Rolle des Mediums Blockbuch in dieser Experimentierphase des frühen Buchdrucks genauer untersucht werden. Um dies zu leisten muss der kulturhistorische Kontext rekonstuiert und das bereits von Friedmann im Eingangszitat angesprochene besondere mediale Verhältnis zwischen Bild und Text in Blockbüchern analysiert werden, denn nur so können Überlegungen zu den Funktionen, Gebrauchssituationen und Nutzungsräumen formuliert werden. Die Arbeit wird derart einen neuen Beitrag zur medien- und kulturgeschichtlichen Erforschung dieser Experimentierphase des frühen Buchdrucks leisten.

I.1 Zum Forschungsgegenstand Blockbuch: ­Definition, ­Drucktechnik und Materialität Der Begriff „Blockbuch“ ist gleich dem Terminus „Inkunabel“ keine Bezeichnung, die von Zeitgenossen für dieses Buchmedium verwendet wurde, sondern wurde erst im 19.  Jahrhundert installiert. Im englischsprachigen Raum ist der Begriff „blockbooks“ für gedruckte Bücher deren Text und/oder Illustrationen in Holzblöcken eingeschnitten wurden ab dem frühen 19.  Jahrhundert fassbar. Eingedeutscht verbreitete er sich in den 1880er Jahren auch in der deutschspra-

10 Näheres zum xylographischen Druckverfahren im nachfolgenden Kapitel.

4 

 Einleitung

chigen Forschungslandschaft und verdrängte die bis dato gängige Bezeichnung „Holztafeldrucke“.11 Die neuere historische Forschung12 definiert das „Blockbuch“ als eine im Holztafeldruck hergestellte Buchform, die in Mitteleuropa, insbesondere in den Gebieten der heutigen Beneluxländer und Deutschlands,13 Verbreitung fand. Die ersten, bekannten Blockbücher datieren aus der Mitte des 15.  Jahrhunderts;14 damit treten sie in etwa zeitgleich mit der Erfindung Gutenbergs in Erscheinung. Obwohl letztendlich die Inkunabeln die xylographischen Buchdrucke vom Markt verdrängten, war das Blockbuch mehr als nur eine Vorstufe der Inkunabel15.

11 Palmer, Nigel F.: Blockbooks: Texts and Illustrations Printed from Wood Blocks, in: Journal of the Printing Historical Society, (11/2008), S. 5. Vgl. von Rath, Erich: Blockbuch, in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. II, Stuttgart-Waldsee 1948, Sp. 916–924 (hier Sp. 916). Auch im spätmittelalterlichen Bücherverzeichnis des Gallus Kemli, der in Kapitel IV.4.B näher vorgestellt wird, findet sich keine derartige Bezeichnung. Siehe dazu den Abdruck von Kemlis Verzeichnis nach Zürich, ZB, Ms. A 135, f. 2r –13r in Lehmann, Paul: Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz, hg. Von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München. Erster Band: Die Bistümer Konstanz und Chur, München 1918 (Nachdruck 1969), S. 119–135. 12 Recht ausführlich dazu in folgenden Beiträgen: Mertens, Sabine: Was sind Blockbücher? Technik, Themen, Terminologie, in: Gutenberg-Gesellschaft und Gutenberg-Museum (Hgg.), Blockbücher des Mittelalters – Bilderfolgen als Lektüre, Mainz 1991 (im Besonderen hierzu die Seiten 13–14). Baurmeister, Ursula, Das Blockbuch – Vorläufer oder Konkurrent des mit beweglichen Lettern gedruckten Buches?, in: Peter Rück & Martin Bohardt: Rationalisierung der Buchherstellung in Mittelalter und Frühneuzeit, Marburg an der Lahn 1994, S. 147–157. Sowie Nigel F. Palmer in den beiden Aufsätzen: „Blockbooks. Texts and Illustrations Printed from Wood Blocks“ & „Latein und Deutsch in den Blockbüchern, in: Nikolaus Henkel und Nigel F. Palmer (Hgg.), Latein und Volkssprache im deutschen Mittelalter 1100–1500, Tübingen 1992, S. 310–337“. 13 Da xylographische Drucke nur in Einzelfällen Druckvermerke mit Angaben zu Herstellern oder Druckorten enthalten, werden zur Bestimmung von Druck- und Verbreitungsgebieten auch sprachliche Kriterien und kunsthistorische Untersuchungen hinzugezogen. Siehe dazu Kapitel IV. 14 Die Frage der zeitlichen Einordnung der Blockbücher konnte lange Zeit nicht eindeutig geklärt werden, da eine feste Datierung, wie etwa durch ein Kolophon, das sich des Öfteren bei Inkunabeln finden lässt, relativ selten ist. Dank Allan Stevenson, der 1966 eine Wasserzeichenuntersuchung unternahm und zu dem Ergebnis kam, dass Blockbücher nicht vor der Mitte des 15. Jahrhunderts hergestellt wurden, konnten ältere Thesen revidiert werden. Heute lassen sich einzelne Blockbücher bis in die Zeit um 1530 nachweisen. Nachzulesen bei: Stevenson, Allan: The Problem of the Blockbooks, in: Gutenberg-Gesellschaft und Gutenberg-Museum (Hgg.), Blockbücher des Mittelalters – Bilderfolgen als Lektüre, Mainz, 1991, S. 229–263. 15 Dies zeigt sich schon daran, dass beide Drucktechniken grundverschieden sind. Vgl. Febvre, Lucien auf S. 46 seiner Monographie The Coming of the Book (Norfolk 1976): „… the technique of the wood-cut did not in any sense inspire printing, which was the result of a quite different technique.“

Zum Forschungsgegenstand Blockbuch: ­Definition, ­Drucktechnik und Materialität 

 5

Gerade in ihrer Blütezeit ab ca. 1470 bis zum Ende des 15.  Jahrhundert stellen Blockbücher ein alternatives Druckmedium für spezifische literarische Themen und Wissensangebote dar. Die meisten Blockbücher sind verhältnismäßig schmale Werke, deren Um­fang zwischen 8 und 30 Blatt16 liegt, nur wenige Titel, wie bspw. der Speculum humanae salvationis umfassen bis zu 50 Blatt. Eine Ausnahme dieser Faustregel stellen die 92 Blatt umfassenden Mirabilia urbis Romanae dar, die jedoch auch aufgrund dessen, dass in ihnen der Text deutlich überwiegt und derselbe nur sehr selten von kleinformatigen Illustrationen unterbrochen wird, vom typischen Erscheinungsbild des Mediums Blockbuch abweichen. Üblicherweise wurde für den Druck xylographischer Bücher Papier verwendet, nur vereinzelt sind auf ­Pergament gedruckte Blockbücher überliefert.17 Das charakteristischste Merkmal des Blockbuches – die anopistographisch (= einseitig) bedruckte Seiten – resultiert aus der angewandten Technik des Reiberdruckes. Dazu legte der Drucker ein angefeuchtetes Papierblatt auf den mit einer wasserbasierten Tinte eingefärbten Druckstock. Dieses wurde dann im nächsten Arbeitsgang mittels eines Reiberwerkzeugs – meist ein mit Rosshaar gefüllter Lederballen – abgerieben. Der Nachteil bei diesem vor der Erfindung der Druckerpresse praktizierten Hochdruckverfahren, lag in der starken Strapazierung des Papiers. Die Zeichnung und Druckfarbe drückten auf der Rückseite durch, so dass die mit dem Reiber abgezogenen Blätter nur auf einer Seite bedruckt werden konnten.18 Um die fertigen Abzüge nahtlos in Buchform zu bringen wurden die Doppelseiten gefaltet, die leeren Rückseiten zusammengeklebt und die Blätter anschließend als Folge von Doppelblättern aneinandergereiht oder in Lagen zu einem Band geheftet. Als weitere Gemeinsamkeit kann für die meisten Blockbücher das

16 Baurmeister, Ursula: Das Blockbuch – Vorläufer oder Konkurrent des mit beweglichen Lettern gedruckten Buches, S. 147–164, hier: S. 148. 17 Der Buchdeckelfund einer 1468 in Süddeutschland gedruckten Ausgabe eines „Symbolum apostolicum“, die unter der Sigantur Ink. 2. D. 42 in der Österreichischen Nationalbibliothek verwahrt wird (Smital, Ottokar (Ed.): Symbolum apostolicum. A facsimile after the unique copy in the Vienna National Library, Paris 1927). Ursula Baurmeister nennt auf S. 148 zwei weitere, unvollständig erhaltene Titel: ein oberdeutsches „ABCedarium cum precibus“ sowie die Fragmente eines Blockbuchs ähnlichen Inhalts, das vermutlich ca. 1492–1498 in Gouda hergestellt wurde. 18 Nachzulesen bei: Mertens, Sabine: Was sind Blockbücher?, S. 14. Sowie im Artikel von Jürgen Dorka & Cornelia Schneider: „Vom Block zum Blockbuch – Fotodokumentation zur Entstehung eines Blockbuches“ ebenfalls erschienen im Sammelband „Blockbücher des Mittelalters – Bilderfolgen als Lektüre“ auf S. 19–26.

6 

 Einleitung

Folioformat (ca. 21–22 × 30–31 cm)19 ausgemacht werden. Da die meisten Blockbücher von eher geringem Umfang sind ergaben sich handliche Büchlein von meist maximal 40 Seiten, die sich auch in Sammelbänden mit anderen Handschriften oder Wiegendrucken gebunden fanden. Grundsätzlich sind drei unterschiedliche Herstellungsformen der Block­ bücher zu unterscheiden. Unter den heute noch erhaltenen Exemplaren bilden die rein xylographischen Blockbücher, bei denen sowohl Text als auch Illustration in einem Arbeitsgang von der gleichen Holztafel gedruckt wurden, die zahlenmäßig größte Gruppe. Aus diesem Grund wird vermutet, dass es sich hierbei um die „typische“ Variante eines Blockbuches handelt. An zweiter Stelle rangieren die im sogenannten chiroxylographischen Verfahren hergestellten Bücher. In diesem Fall handelt es sich um eine Kombination von figürlichen Holzschnittfolgen, die von einem nachträglich handschriftlich eingetragenen Text begleitet werden. „Eine oftmals angenommene Chronologie – erst die chiroxylographischen und dann die xylographsichen Exemplare – läßt sich nicht feststellen, da zum Teil handschriftliche Texte dazu verwendet wurden, um eine zusätzliche Ausgabe eines rein xylographischen Blockbuchs in eine andere Sprache zu übersetzen. Man geht heute davon aus, daß beide Gattungen nebeneinander existiert haben.“20 Als dritte und letzte Variante, welche allerdings nur vergleichsweise selten überliefert wurde, haben sich typoxylographische Blockbücher erhalten. In diesen Büchern wurde der Begleittext mit Typen in ölhaltiger Druckerschwärze gedruckt, während die Bildholzschnitte noch in der für Blockbücher üblichen braunen, auf Wasserbasis hergestellten Tinte gedruckt wurden. Im Unterschied zu Inkunabeln wurden die Buchseiten hier jedoch nur einseitig (= anopistographisch) bedruckt. Neben den zumeist einseitig im Reiberdruckverfahren hergestellten Blockbüchern existieren jedoch auch opistographisch (= beidseitig) bedruckte Blockbücher, deren Abzüge bereits mit einer einfachen und leicht zu bedienenden Druckvorrichtung hergestellt wurden.21 Spätestens ab 1470 wurden derartige Druckerpressen, wie sie auch zum Druck von Einzelholzschnitten verwendet wurden, im Blockbuchdruck gebraucht. Zu Recht kritisierte Paul Needham jedoch die etwas vage Trennschärfe dieser beiden letztgenannten Kategorien der Blockbuchforschung. Dies wird insbesondere evident bei der vergleichenden Betrachtung von chiroxylographischen

19 Needham, Paul F.: Prints in the Early Printing Shops, S. 49. 20 Mertens, Sabine: Was sind Blockbücher?, S. 13. 21 Derartige Pressen sind in einer archivalischen Quelle von 1465 nachgewiesen. Siehe: Hind, Arthur M.: An Introduction to a History of Woodcut with a detailed Survey of Work done in the Fifteenth Century, Vol. 1, London 1935, S. 83–84.

Zum Forschungsgegenstand Blockbuch: ­Definition, ­Drucktechnik und Materialität 

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Blockbüchern und Manuskriptcodices, in die zum Text zugehörige gedruckte Illustrationen eingeklebt wurden. Needham führt als Beispiel die in der Huntington Library befindlichen „Nonnenberg Passion“ an. Das Manuskript stammt aus einem Benediktinerinnenkloster bei Salzburg und enthält verschiedene katechetische Texte, darunter auch eine mit Holzschnitten illustrierte Passion. Wäre dieser Kodex im Laufe seiner Geschichte aufgelöst und die illustrierte Passion als singulärer Band behandelt worden, wäre dieser Passionstext vermutlich der Gruppe der chiroxylographischen Blockbücher zugeordnet worden. Aus diesem Grunde schlägt Needham den neuen Ordnungsbegriff der „Semi-Blockbücher“22 vor. Eine weitergehende Möglichkeit der Abgrenzung eben dieser Semi-Blockbücher, insbesondere von der im vorgenannten Beispiel angeführten Form xylographisch illustrierter Handschriftencodices, kann Needham nicht aufzeigen. Die komplexe Geschichte der Buchherstellung im spätmittelalterlichen Europa in der mit verschiedenen Techniken zur Text- und Bildvervielfältigung experimentiert wurde, scheint jedoch einen offeneren Begriff zu fordern um irrige Zuweisungen im Vorfeld zu vermeiden. Als determinierende Faktoren bleiben letztlich das Reiberdruckverfahren für den Großteil der Blockbücher und der Herstellungsprozess des Einschneidens von Holztafeln zur Herstellung der Druckstöcke für die klassischen Blockbücher. Anders als bei den illustrierten Inkunabeln tritt bei den im Holzschnittverfahren hergestellten Büchern eine weitaus engere Text-Bild-Symbiose zu Tage, welche wohl durch das Herstellungsverfahren und die Aufgabe der Illustrationen im Gesamtgefüge aus Bild und Text erklärt werden kann. Sowohl Text als auch Bild wurden im Normalfall eines xylographisch hergestellten Blockbuches von einem Holzschneider aus einer Holztafel, dem späteren Druckstock, geschnitten und waren damit untrennbar miteinander verbunden, ganz im Gegensatz zu den Wiegendrucken, deren Holzschnittillustrationen leicht ausgetauscht und an anderer Stelle wieder eingesetzt werden konnten. Bei der Untersuchung der Themata, die in Blockbüchern behandelt werden, ist ein eindeutig religiös-theologischer Schwerpunkt23 zu konstatieren. In diesem Punkt zeigen sich die Blockbücher noch ganz der inhaltlichen Tradition handschriftlicher Kodizes verhaftet.

22 Needham, Paul, S. 48–49, darunter fasst der Autor auch die relativ seltenen Fälle in denen andere graphische Verfahren, wie etwa Metallschnitte und Kupferstiche, zur Illustration verwendet wurden. Ein Beispiel ist das unikal überlieferte Passionsbuch der Leiden Christi in der Bibliothèque nationale de France (Rés. Xylo. 46), in der 6 Metallschnitte mit xylographischem Text kombiniert werden. 23 Auf die inhaltlichen Aspekte der Blockbücher, soll detailliert im nachfolgenden Kapitel II. eingegangen werden.

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 Einleitung

I.2 Methodik und theoretische Überlegungen Das Kommunikationsmedium „Blockbuch“ und seine spezifische Medialität sind zentraler Forschungsgegenstand und zugleich Ausgangspunkt für die Leitfragen dieser Arbeit. Gegenwärtig sind 44 unterschiedliche Buchtitel überliefert, die als Holz­tafel­ druck publiziert wurden. Dieser Befund legte eine erste Ordnung nach inhaltlichen Gesichtspunkten nahe, da dadurch ein Überblick über die Auswahl der als Blockbuch publizierten Texte geschaffen wird, der, insbesondere in Verbindung mit Angaben zu Auflagenhöhe einzelner Titel bzw. jeweiliger thematischer Gruppen, Rückschlüsse auf die zeitgenössische Nachfragesituation erlaubt. Eine weitere Übersicht24 beschäftigt sich im Anschluss daran mit den verwendeten Sprachen in xylographischen Drucken. Hier werden interessante Befunde aufgezeigt, da neben Latein auch Volkssprachen Verwendung finden. Dabei sind sowohl Titel, die nur auf Latein bzw. in einer „lingua vernacula“ als auch Parallelausgaben überliefert. Das thematisch weite Spektrum machte für die tiefergehende kulturgeschichtliche Analyse im Folgenden die Auswahl von Fallbeispielen notwendig. Anhand der beiden ausgewählten Titel der Ars moriendi und der Planetenkinderbücher wurde der historische Kontext rekonstruiert, um diese Holzschnittfolgen innerhalb einer aussagekräftigen Literaturlandschaft verorten und interpretieren zu können. Besonderes Augenmerk galt dabei der außergewöhnlich engen Verknüpfung von Bild und Text in Blockbüchern. In Erweiterung der klassischen historischen Quellkritik, bei der in der Regel Texte im Mittelpunkt stehen, wurden dabei kunsthistorische Methoden der Bildanalyse zur Untersuchung hinzuge­ zogen. Unter der Annahme, dass der Ort, die technologische und soziale Rahmung sowie die Materialität der Kommunikation entscheidenden Einfluss auf das Kommunizierte selbst und auf die Bedingungen seiner Rezeption haben, wurden diese Punkte entsprechend im folgenden Kapitel zu räumlichen Lokalisierung erörtert. Wo liegen die Ursprünge der ersten bekannten Blockbücher? In welchen Orten oder Regionen waren sie verbreitet und was ist über die Drucker dieser Bücher bekannt? Neben der Angebotsseite wird in diesem Kapitel auch die Nachfrageseite eruiert. Da nur in sehr seltenen Fällen die Besitzer bzw. Re­zi­pien­ten überliefert sind, wurde der Versuch unternommen, den Rezipientenkreis anhand inhaltlicher, formaler und materieller Anhaltspunkte zu rekonstruieren. Im

24 Die angesprochenen Übersichten finden sich in Kapitel II. „Vom Abecedarium bis zur Apokalypse. Das Themenspektrum der Blockbücher“ und als detaillierte Aufstellung im Appendix.

Methodik und theoretische Überlegungen 

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Weiteren wurde gesondert auf die Rezipienten der beiden Fallbeispiele eingegangen. Das letzte Kapitel geht schließlich auf die besondere Rolle des Blockbuchs als neue Medienform im ausgehenden 15. Jahrhundert ein. Bemerkenswert ist das fast zeitgleiche Auftauchen des Blockbuchs mit dem Letterndruckverfahren wie es Johannes Gensfleisch zu Gutenberg entwickelt hatte. Diese Möglichkeit, mittels neuer Vervielfältigungstechniken Bücher zu drucken, verdrängte jedoch nicht das ältere skriptographische Medium. Handschriften zirkulierten ebenso weiter auf dem Literaturmarkt. Dieser Befund scheint nicht in das althergebrachte Revolutionsparadigma der Mediengeschichte zu passen. Vielmehr scheint es sich beim Prozess der Entwicklung und Durchsetzung neuer Medien um einen evolutionären Vorgang zu handeln, bei dem mit verschiedenen Möglichkeiten experimentiert wurde. Schlussendlich setzte sich bekanntlich das typographische Buchmedium durch. Schon viele Forschungsarbeiten haben sich mit diesem Thema beschäftigt, dabei wurde das Blockbuch oftmals als simples Vorgängermedium abgetan, doch scheint diese Aussage viel zu einfach und der Komplexität der mediengeschichtlichen Entwicklung nicht gerecht zu werden. Um diese Frage zu klären wurden die beiden neuen Drucktechniken und die Funktion des Blockbuchs differenziert betrachet und das theoretische Instrumentarium der Evolutionstheorie Niklas Luhmanns hinzugezogen. Die Evolutionstheorie ist, neben der Gesellschaftstheorie und der Kommunikationstheorie, einer der drei Bausteine von Luhmanns Systemtheorie. Sowohl Gesellschaft als auch Kommunikation wandeln sich durch (soziokulturelle) Evolution, wobei das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Kommunikation zirkulär zu denken ist, auch in den evolutionären Veränderungen. Das eine „verursacht“ nicht das andere, sondern das eine „markiert“ das andere.25 Luhmann selbst bezeichnete seine Evolutionstheorie als „das eigentliche Theorieangebot der Soziologie für die Geschichte“.26 Im letzten Kapitel dieser Arbeit wird dieses Theorieangebot herangezogen um den Prozess des Medienwandels im 15.  Jahrhundert im Allgemeinen und die Rolle des Blockbuchs im Speziellen weitergehend zu hinterfragen.

25 Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1997, S. 13. 26 Luhmann, Niklas: Soziologische Aufklärung 2 – Evolution und Geschichte (4. Auflage), Opladen, 1991, S. 150–170, hier S. 150.

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I.3 Forschungsüberblick Ganz im Gegensatz zur Inkunabelforschung, die ein weitaus reicheres Spektrum liefert, ergibt sich bei der Recherche nach Forschungsliteratur zu Blockbüchern ein vergleichsweise spärliches Bild. Zwar befassten sich bereits im 19. Jahrhundert Publikationen mit dem Phänomen der Blockbücher, doch geschah dies meist noch im allgemeinen Bestreben die Anfänge des Druckwesens zu erforschen. Als wichtigstes Werk der älteren Forschungsliteratur sei an dieser Stelle der erste Bestandskatalog zur Druckgraphik „Manuel de l’amateur de la gravure sur bois et sur métal au XVe siècle“ erwähnt, der 1902 von Wilhelm Schreiber veröffentlicht wurde. Hierin finden sich bereits sehr genaue archivalische und ikonographische Beschreibungen sowie darauf fußende erste Klassifikationen der unterschied­ lichen Ausgaben. Kriterien hierfür waren etwa die Sprache der Texte, das Format der Ausgaben und die stilistischen Merkmale der Holzschnitte. Als Meilenstein der Blockbuchforschung ist der 1991 veröffentlichte Sammelband „Blockbücher des Mittelalters – Bilderfolgen als Lektüre“ zu bezeichnen. Herausgegeben von der Mainzer Gutenberg-Gesellschaft und dem GutenbergMuseum finden sich darin unter anderem grundlegende Beiträge zu den Themen, zur Herstellungstechnik und zu den Rezipienten von Blockbüchern. Überaus nützlich ist die dort publizierte grundlegende Aufstellung der Aufbewahrungsorte der verschiedenen Blockbuchexemplare sowie die an dieser Stelle teilweise ebenfalls gelieferten archivalischen Informationen, die jedoch noch weiterverfolgt und komplettiert werden müssen. Ebenfalls findet sich hier ein Katalog, in dem einige Blockbücher näher vorgestellt werden. Leider ist jedoch zu bemerken, dass dieser Katalog relativ punktuell ausfällt. Aufschlussreiche Forschungsresultate erzielte Nigel F. Palmer in seinen beiden Aufsätzen „Latein und Deutsch in den Blockbüchern“ in: Latein und Volkssprachen im deutschen Mittelalter 1100– 1500: Regensburger Colloqium 1988, sowie erst jüngst, im Jahre 2009 publiziert „Woodcuts for Reading: The Codicology of Fifteenth-Century Blockbooks and Woodcut Cycles“ in: The Woodcut in Fifteenth-Century Europe. In der Vergangenheit beschäftigten sich Wissenschaftler bereits des Öfteren mit den „Artes moriendi“. Als wichtigste Werke der älteren Forschungsliteratur seien auf deutschsprachiger Seite die 1957 erschienene Monographie von R. Rudolf „Ars Moriendi – Von der heilsamen Kunst des Sterbens“ genannt, auf englischsprachiger Seite die Publikation von Mary Catherine O’Connor „The Art of Dying Well: the Development of the Ars Moriendi“ aus dem Jahre 1942. Vor allem im Hinblick auf die Entwicklungsgeschichte der Ars moriendi-Bilder wurde in letztgenanntem Werk eine für die Forschung bahnbrechende Entdeckung publik gemacht. Daneben bietet O’Connor einen gut strukturierten Überblick über die

Forschungsüberblick 

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verwirrende Anzahl an unterschiedlichen Ars moriendi-Fassungen sowie Hypothesen zur Autorschaft und Genese der „Bilder Ars“-Texte, die bis heute nicht angezweifelt werden. Negativ zu bemerken ist allerdings, dass über lange Jahre hinweg eine Art gegenseitiges „Nicht-zur-Kenntnis-nehmen“ von Publikationen der deutschen und der englischen Forschungslandschaft auf diesem Gebiet konstatiert werden muss. So sind beispielsweise die bereits fünfzehn Jahre zuvor gewonnene Ergebnisse von Mary O’Connor nicht in die Arbeit von Rudolf eingeflossen. Im Gegenzug wurde dieser von späteren englischsprachigen Autoren nicht beachtet. Als Standardwerke jüngeren Datums – speziell zum hier behandelten Thema der Blockbuchtradition – sind die Forschungsergebnisse und Publikationen von Arthur E. Imhof zu nennen. Sie bieten sowohl einen kunst- als auch einen sozialhistorischen Einblick in diese Thematik. Des Weiteren soll an dieser Stelle Nigel F. Palmers oft in der Sekundärliteratur zitierter Aufsatz, „Ars moriendi und Totentanz: Zur Verbildlichung des Todes im Spätmittelalter“, Erwähnung finden. Dieser Beitrag, welcher 1993 im von Arno Borst herausgegebenen Sammelband „Tod im Mittelalter“ erschien, bietet einen sehr guten Überblick über Inhalte, Verbreitung und Kontext der häufigsten mittelalterlichen Sterbetrakte sowie eine umfangreiche und für den Einstieg in die Thematik überaus hilfreiche und informative Bibliographie zur Ars moriendi-Sekundärliteratur. Eine „historisch-pastoraltheologische Analyse“ bietet Peter Neher in seiner 1989 publizierten Dissertation „Ars moriendi – Sterbebeistand durch Laien“. Hierin werden fünf Sterbebüchlein – Johannes Gersons De arte moriendi, das Speculum artis bene moriendi, die „Bilder-Ars“ und die Sterbebüchlein des Stephan von Landskron und des Johannes Geiler von Kayserberg – nach inhaltlichen Gesichtspunkten vorgestellt und vergleichend gegenübergestellt. Grundlegende Arbeiten auf dem Gebiet der historischen Forschung zur Astro­ logie und ihrer Rezeption wurden in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts geleistet. Hier sind vor allem die Studien von Anton Hauber „Planetenkinderbilder und Sternbilder – Zur Geschichte des menschlichen Glaubens und Irrens“ (Straßburg 1916) sowie die der beiden Kunsthistoriker Aby Warburg und dessen Mitarbeiter Fritz Saxl zu nennen. Auf diesem Fundament baut die im Jahr 2000 in der Reihe der „Studien aus dem Warburg-Haus 3“ erschiene Monographie, „Regenten des Himmels“, des Kunsthistorikers Dieter Blume auf. Gleichzeitig möchte sich der Autor bewusst von den Vorbildern Warburg & Saxl abgrenzen, insofern diese die Kontinuität der Überlieferung und die archetypischen Grundstrukturen im Blick hatten, während Blume die Überlieferungsbrüche astrologischer und astronomischer Bilder in Mittelalter und Renaissance freilegen will. In Kapitel  16 behandelt Blume auch die Blockbücher der Planetenkinder als deren älteste Version er die in Basel entstandene Fassung identifiziert. Diese

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Basler Ausgabe datiert er aufgrund modischer Details in den Abbildungen und einer verwandten astronomischen Sammelhandschrift, bei der Blume im Bild des Saturn die Jahreszahl 1444 erkennen will, entgegen der Wasserzeichenuntersuchung, auf „die Jahre um 1430“. Beide genannten Datierungsverweise Blumes bieten Raum für begründete Zweifel,27 weshalb in dieser Arbeit an der Datierung auf die Jahre 1455/58 festgehalten wird, die anhand der Wasserzeichenuntersuchung ausgemacht wurde. Andere Autoren, wie etwa Markus Müller, übernehmen Blumes Datierung der Basler Ausgabe scheinbar unhinterfragt. In der 2000 publizierten Monographie Müllers „Beherrschte Zeit. Lebensorientierung und Zukunftsgestaltung durch Kalenderprognostik zwischen Antike und Neuzeit“ spielen die Planetenblockbücher nur eine Nebenrolle neben der Analyse des Passauer Kalenders; einer spätmittelalterlichen illustrierten Sammelhandschrift, die unter anderem auch laienastrologsich-prognostische Traktate enthält, in denen die Planetengötter und ihre Kinder auftreten. Der Autor zieht dabei für seine kunsthistorische Untersuchung die Holzschnitte der Planetenblockbücher als Vergleichsobjekte heran, wobei Müller deutliche Parallelen aufzeigen kann. Wie bei den vorgenannten Autoren sind die Planetenblockbücher auch in jüngeren Studien, wie dem 2003 erschienen Aufsatz von Blažekovic Zdravko, „Variations on the Theme of the Planets’ Children, or Medieval Musical Life According to the Housebook’s Astrological Imagery“, nicht der Hauptgegenstand der Forschungsarbeit. Auch hier wurden verschiedene Blockbuchausgaben als Vergleichsobjekte für die Untersuchung des sogenannten „Wolfegger Haus­buches“ herangezogen.

I.4 Quellenlage Grundlage dieser Arbeit sind die heute knapp 600 weltweit verstreut in Bibliotheken, Archiven, Museen und ähnlichen Institutionen aufbewahrten Exemplare. Auf Forschungsreisen nach München, Wien, Paris, Berlin und London konnten einige der Originale eingesehen werden. Überaus hilfreich war überdies der Umstand, dass viele Einrichtungen, wie die Bayerische Staatsbibliothek,28 im

27 Auf die Datierung Blumes wird noch im dritten Kapitel zu den Planetenkinderbüchern kritisch eingegangen. 28 Die Bayerische Staatsbibliothek verwahrt 49 Blockbücher und zählt damit zu einer der größten Sammlungen weltweit, zusammen mit der Bibliothéque nationale de France in Paris (ebenfalls 49 Exemplare) und der British Library in London (40 Exemplare). In bayerischen

Quellenlage 

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Laufe der letzten Jahre damit begonnen haben ihre Bestände dem Nutzer in digitaler Form auf ihren Internetportalen zugänglich zu machen. Doch ist zu beachten, dass dieser Fundus nicht als einfaches Abbild des ursprünglichen, spätmittelalterlichen Marktes für Blockbücher zu werten ist und insofern für den modernen Forscher irreführend sein kann. Wie auch bei Inkunabeln und Handschriften ist davon auszugehen, dass das Überleben von Blockbüchern primär von ihren frühen Besitzern abhing.29 Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Buch im Besitz einer Institution wie bspw. einem Konvent oder einem Kirchenkapitel die Zeit überdauert, ist ungleich höher, als die Überlieferungschance eines Buches im Besitz eines Privatmannes. Besonders niedrig sind die Überlieferungschancen von Blockbuchausgaben einzuschätzen, die für den Schulunterricht benutzt wurden, wie etwa die Lateingrammatik des Aelius Donatus.30 Derartige Bücher wurden genutzt, bis sie verschlissen waren und wurden danach weggeworfen. Paul Needham geht daher davon aus, dass diese Schul­bücher einen sehr viel größeren Anteil an der Gesamtproduktion der Blockbücher ausmachten, als die nur wenigen erhaltenen Exemplare vermuten lassen. Eine geringe Überlieferungschance hatten auch ungebundene Blockbücher, die bspw. in der Art eines Posters an der Wand aufgehängt wurden. Nigel Palmer konnte nachweisen, dass mindestens eine Biblia pauperum, die heute in der Bodleian Library in Oxford aufbewahrt wird, in dieser Weise verwendet wurde.31 Ein anderes Problem für die Forschung ergibt sich paradoxerweise aus der besonderen Wertschätzung, die dem Blockbuch seit dem 17.  Jahrhundert von Sammlern und Bibliothekaren entgegengebracht wurde. Insbesondere im späten 18. und 19. Jahrhundert wurden Blockbücher als außergewöhnliche, bibliophile Kostbarkeiten gehandelt und als solche aus ihren originalen Erhaltungszuständen in Sammelbänden herausgelöst, beschnitten und neu gebunden. Nigel Palmer geht davon aus, dass in Zuge dessen 90 % der originalen Blockbuchzu-

Sammlungen sind insgesamt etwa 90 Blockbücher vorhanden, die im Zuge eines großangelegten Projektes des Münchner Digitalisierungszentrums digitalisiert und online auf folgender Homepage einzusehen sind: www.bayerische-landesbibliothek-online.de/xylography, Abfrage vom: 12. 12. 2014. 29 Needham, Paul: Prints in the Early Printing Shops, in: Peter Parshall (Hg.), The Woodcut in Fifteenth-Century Europe, Washington 2009, S. 39–91, hier: S. 46. 30 Ebd. 31 Signatur: Douce 248 (Schreiber III); Bereits Thomas Hearne, der im frühen 18. Jahrhundert Forschungen zu den Blockbüchern in der Bodleian Library betrieb, vermutete, dass Blockbuchseiten in der Art von Postern verwendet wurden. Ausführlich nachzulesen bei: Palmer, Nigel: Woodcuts for Reading: The Codicology of Fifteenth-Century Blockbooks and Woodcut Cycles, in: Peter Parsahll (Hg.), The Woodcut in Fifteenth-Century Europe, Washington 2009, S. 93–117.

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stände zerstört wurden.32 Nur in Ausnahemfällen ist deshalb heute etwas über die ursprünglichen Provenienzen in Erfahrung zu bringen. Auch Originaleinbände sowie Vor- und Nachsatzblätter sind nur überaus selten erhalten.33 Durch das Zerstören der Sammelbände wurden historische Zusammenhänge unwiederbringlich zerstört.34

32 Ebd., S. 94. 33 Palmer, Nigel F.: Latein und Deutsch in den Blockbüchern, in: Nikolaus Henkel und Nigel Palmer (Hgg.), Latein und Volkssprache im deutschen Mittelalter 1100–1500, Tübingen 1992, S. 310–337. Hier S. 326. 34 Einige Sammelbände haben sich jedoch bereits in ihrem originalen Zustand erhalten. Die wichtigsten liegen heute in Berlin, Heidelberg und Rom. Palmer weist darauf hin, dass mit solchen Sammelbänden gewiß ein wichtiger spätmittelalterlicher Buchtyp erfasst wird; wie charakteristisch dieser für seine Zeit war, ist jedoch nur noch schwerlich einzuschätzen. In der Zusammensetzung der erhaltenen oder rekonstruierbaren Sammelbände liegt aber nach Palmer eine weitere Möglichkeit, einen Einblick in den Umgang mittelalterlicher Leser und Sammler mit diesem Buchtyp zu gewinnen. Siehe Palmer, Nigel F.: Latein und Deutsch in den Blockbüchern, S. 327.

II Vom Abecedarium bis zur Apokalypse: ­Das Themenspektrum der Blockbücher Gegenwärtig sind der Forschung 44 unterschiedliche Blockbuchtitel bekannt. Neben einem Schwerpunkt auf christlich-religiösen Themen existiert ein breites Spektrum an weiteren, heterogenen Themen. Die Bandbreite reicht von Schul­ büchern, über Totentänze und Kalenderausgaben bis zu hin zur Chiromantie – der Handlesekunst – oder dem sogenannten Ringerbuch. Erste Versuche diese verschiedenen Titel thematisch zu ordnen, wurden bereits in den Anfangstagen der Blockbuchforschung unternommen. So erarbeitete der deutsche Kunsthistoriker Wilhelm Ludwig Schreiber bereits eine ausführliche Katalogisierung, die er 1902 im vierten Band seines acht Bände umfassenden Korpuswerks „Manuel de l’amateur de la gravure sur bois es sur métal“ publizierte. Schreiber ordnete die Titel nach ihren Gegenständen in fünf Großgruppen: I. Méditations sur la Sainte Ecriture, II. Catéchisme, III. Passion de N.-S. et Livres d’oraisons, IV. Histoire légendaire, V. Ouvrages profanes. Schreibers Einteilung ist jedoch noch relativ grob und erlaubt noch wenige Rückschlüsse auf die Funktion von Blockbüchern. Vor dieser Fragestellung der Funktion erabeitete daraufhin Cornelia Schneider in ihrem Beitrag „Der Alltag der Blockbücher“35 eine neue Ordnung der Themen. Diese Ordnung von Cornelia Schneider wiederum wurde zum Ausgangspunkt der folgenden, weitergehenden Einteilung genommen.

II.1 Das Themenspektrum36 Der thematische Überblick dient der kulturhistorischen Einordung des Mediums, da sich anhand einer solchen Übersicht ablesen lässt, welche Themengruppen nachgefragt wurden und damit folglich von Interesse für das spätmittelalterliche Publikum waren. Am naheliegendsten erscheint zunächst die Unterscheidung nach religiösen und nicht-religiösen Themen. Diese beiden übergeordneten Gruppen enthalten alle bekannten Titel des 15. Jahrhunderts. Außen vor gelassen wurden die Blockbuchtitel des 16. Jahrhunderts, da in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts

35 Schneider, Cornelia: Der Alltag der Blockbücher, in: Blockbücher des Mittelalters – Bilderfolgen als Lektüre, Mainz 1991, S. 35–59. 36 Eine detaillierte Aufstellung aller Titel, geordnet nach Gruppen, findet sich im Anhang.

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 Vom Abecedarium bis zur Apokalypse: ­Das Themenspektrum der Blockbücher

nur noch vereinzelte Titel als Blockbuch aufgelegt wurden. Sie dokumentieren eine Zeit des Niedergangs des Blockbuchdrucks und müssen daher gesondert betrachtet werden. Auffallend ist, dass diese Phase des Niedergangs zeitlich in etwa mit dem Beginn der Reformation korreliert. Blockbücher sind daher eine Quelle für vorreformatorisches Wissen. Sie reflektieren ein Wissensspektrum, das in einem relativ engen Zeitfenster von ca. 100 Jahren ab der Mitte des 15. Jahrhunderts in Mitteleuropa verbreitet und nachgefragt wurde.37

II.1.A Bibelwissen Insgesamt übertreffen die religiösen Inhalte die weltlichen quantitativ bei weitem und verweisen damit auf die maßgebliche Rolle der Kirche für die Literaturproduktion im Mittelalter. Das grundlegende literarische Werk war daher die Bibel bzw. Auszüge daraus.38 Neben den beiden eschatologischen Texten der Offenbarung des Johannes und des Antichrist wurden mit dem Hohen Lied und der Geschichte von König David zwei Auszüge aus dem Alten Testament in Form eines Blockbuchs publiziert. Auch die gesamte Bibel wurde im Holztafeldruck umgesetzt (Biblia pauperum).

II.1.B Typologische Schriften Die sogenannte Armenbibel war ein besonders erfolgreiches Blockbuch, in dem Szenen aus dem Alten und Neuen Testament, nach den Vorgaben des theologischen Auslegungsverfahrens, aufeinander bezogen wurden. Nach dem gleichen typologischen Auslegungsverfahren gehen der Speculum humanae salvationis und die Oracula Sibyllina vor, wobei bei letzterem Titel die Weissagungen der zwölf mythologischen Sibyllen in Beziehung gesetzt werden zur Heilsgeschichte und den Sprüchen der zwölf Propheten im Alten Testament.39

37 Ausführlich zu den Themen Lokalisierung und Rezipientenkreis siehe in Kapitel IV. 38 Schneider, Cornelia: Der Alltag der Blockbücher, S. 36–37. 39 Heitz, Paul: Oracula Sibyllina, Faksimileausgabe mit einer Einleitung von W. L. Schreiber, Strassburg 1903.

Das Themenspektrum 

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II.1.C Religiöse Praxis In dieser Gruppe finden sich die meisten Titel dieser Gruppe. Insgesamt 20 Werke lassen sich dem Bereich der religiösen Praxis zuordnen. Da die religiöse Praxis jedoch ein relativ weites Feld ist, wurde eine weitergehende Differenzierung nach funktionalen Kriterien unternommen. So konnten drei Unterkategorien gebildet werden. Die größte Untergruppe ist die der „Katechetischen Literatur und Erbauungsbücher“, die 15 Titel enthält. Fast in der Hälfte dieser Titel werden elementare christliche Glaubensinhalte erläutert, wie bspw. die 10 Gebote (Decalogus), das apostolische Glaubensbekenntnis (Symbolum apostolicum) oder das Vaterunser (Exercitium super Pater Noster). Die übrigen Werke lassen sich den Gattungen der Erbauungs- und Andachtsliteratur zuordnen. So behandeln bspw. gleich mehrere Ausgaben den Leidensweg Christi. Auch Gebetbücher wie das Zeitglöcklein, das eine Anleitung zum franziskanischen Tagzeitengebet bietet, das auf die Passion Christi konzentriert ist,40 fallen in diese Kategorie. Die zweite Subkategorie enthält Werke, die in Zusammenhang mit dem Wallfahrts- und Pilgerwesen entstanden sind. Auch die beiden Hagiographien des heiligen Meinrad und des heiligen Servatius wurden diese Gruppe zugeordnet, da sie vermutlich im Kontext der Wallfahrten zu ihren Gedenkorten entstanden sind, wo sie als eine Art Andenken an Pilger verkauft wurden.41 Das dritte Buch in dieser Gruppe widmet sich der Reise an die christlichen Heilsstätten in Rom, die neben Jerusalem und Santiago de Compostela die wichtigsten Ziele für Pilger im Spätmittelalter waren. Im ersten Teil der Mirabilia Romae wird die Geschichte Roms von der Gründung bis zur Herrschaft Kaiser Konstantins erzählt. Der zweite Teil hat die sieben Hauptkirchen Roms sowie die übrigen 82 bzw. 83 Kirchen mit ihren jeweiligen Heiltümern zum Thema. Im dritten und letzten Teil werden die Kirchweihtage oder Heiligenfeste aufgezählt („Stationes“), die an bestimmten Tagen in den betreffenden Gotteshäusern stattfanden. Die Pilger und Gläubigen zogen in Prozessionen zu diesen Stationskirchen, um Ablass zu erhalten.42

40 Digitalisat unter: Staatsbibliothek Bamberg: sogenanntes Zeitglöcklein (Franziskanisches Tagzeitenblockbuch), Inc.typ.Ic.I.45-a#2, urn:nbn:de:bvb:22-dtl-0000001397 (zuletzt geprüft am 11. 12. 2014). 41 Zum Pilgerwesen im Zuge der Servatiuslegende siehe die Kurzartikel auf S. 181–183 (z.  T. von Cornelia Schneider, z.  T. ohne Autorenangabe) des Sammelbandes „Blockbücher des Mittel­ alters“. Zum Pilgerwesen im Zuge der Meinradslegende siehe: Bacher, Rahel: Meinradslegende, in: Bettina Wagner (Hg.), Vom ABC bis zur Apokalypse, Luzern, München 2012, S. 94–98. 42 Schneider, Cornelia: Mirabilia Romae, in: Gutenberg-Gesellschaft und Gutenberg-Museum (Hgg.), Blockbücher des Mittelalters, Mainz 1991, S. 180–181.

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 Vom Abecedarium bis zur Apokalypse: ­Das Themenspektrum der Blockbücher

Die dritte Untergruppe wird durch die Sterbethematik bestimmt. Nur zwei Werke, die Ars moriendi und der Totentanz, setzen sich auf sehr unterschiedliche Weise mit dem Thema Tod auseinander. Während in den sogenannten „BilderArs“ die letzte Stunde eines Sterbenden dargestellt wird, in der die himmlischen und teuflischen Mächte um seine Seele kämpfen, zeigt der Totentanz den Reigen der Toten, angeführt vom unbestechlichen, alle gleichmachenden Tod. Letzterer ist vor allem in Form von Wandgemälden auf Kirchen oder Beinhäusern bekannt. In der Form eines Blockbuchs haben sich nur zwei Unikate in München und Heidelberg erhalten.

II.1.D Nicht-religiöse, didaktische Literatur Nur vergleichsweise wenige Exemplare haben sich erhalten, deren Inhalt auf eine Nutzung als Unterrichtsmaterial in städtischen Schulen schließen lassen. Sehr wahrscheinlich liegt dies an der stärkeren Beanspruchung und der Nutzung dieser Schulbücher bis zu ihrem Verschleiß. Erhalten haben sich mehrere, zum Teil nur fragmentarische Ausgaben, der Lateingrammatik des spätantiken Autors Aelius Donatus. Sein für den Anfängerunterricht in lateinischer Sprache herausgegebenes Lehrbuch Ars minor war die am weitesten verbreitete Anfängergrammatik im Spätmittelalter.43 Von einem Rechenbuch ist gar nur ein einziges Exemplar in Bamberg überliefert. Neben Tabellen zum Einmaleins wurden hier auf 24 Tafeln Umrechnungen von Maßen und Aufgaben zum kaufmännischen Rechnen samt Lösungen zusammengestellt.44 Auch die xylographische Ausgabe der Sprüche Catos (Disticha Catonis), die im lateinischen Elementarunterricht verwendet wurden, ist nur in einem Blatt erhalten.

II.1.E Zeitberechnung, Astrologie und Vorhersage Nur drei Titel sind in dieser Gruppe versammelt, deren gemeinsames Thema die Zeit ist. Dazu gehören naturwissenschaftliche Werke wie der Kalender des Königsberger Mathematikers Johannes Müller (lat. Regiomontanus, nach seiner Heimatstadt). Sein Kalender enthält zahlreiche Tafeln und Tabellen, etwa zu den

43 Mertens, Sabine: Druckstock eines Donatus, in: Blockbücher des Mittelalters, S. 148–149. 44 Digitalisat unter: Staatsbibliothek Bamberg, Rechenbuch (sogenanntes „Bamberger Rechenbuch“), Inc.typ.Ic.I.44, urn:nbn:de:bvb:22-dtl-0000001384, (zuletzt geprüft am 12. 12. 2014).

Das Themenspektrum 

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Mondphasen, Sonnen- und Mondfinsternissen, einen Mond- und einen Festkalender, Schemata zum Errechnen der goldenen Zahl und des Sonntagsbuchstabens, zur Berechnung der Tagesstunden, Hinweise zum Bauen einer Sonnenuhr und vieles mehr.45 Damit schuf Regiomontanus ein überaus vielfältiges Kalenderwerk, dessen Tafeln für astronomische Berechnungen gebraucht werden konnten, die wiederum als Grundlage für astrologische Vorhersagen und Auslegungen gedient haben mögen, wie sie die Planetenkinderbücher zum Thema haben. In letzteren wird der Einfluss der sieben Planeten auf das Erdgeschehen erläutert. Je nachdem unter welchem Stern die Menschen geboren wurden, werden hier Prognosen zum zukünftigen Schicksal dieser Planetenkinder gemacht. In diese Richtung zielt auch das dritte Buch dieser Gruppe, die Chiromantie. Auch für die Kunst der Weissagung aus den Linien der Hand spielt die Astrologie eine Rolle. So wurde die Hand in Bereiche unterteilt und bestimmten Planeten zugeordnet und wie bei den Planetenkindern wurden bestimmte Eigenschaften der Planeten auf bspw. die Finger übertragen. So wurde etwa der Ringfinger von der Sonne beherrscht und symbolisierte damit Freundschaft, Macht und Ehre.46

II.1.F Fabel Nur eine einzige Fabelgeschichte findet sich unter den Blockbuchtiteln. Es ist die Reimpaarfabel des „kranken Löwen“ (auch „geschundener Wolf“ oder „Reinhart Fuchs“ genannt), von der zwei Exemplare in Berlin und Heidelberg verwahrt werden.47 Den Kern dieser Fabel bildet das seit dem 9. Jahrhundert überlieferte Motiv vom Hoftag des (kranken) Löwen,48 der die anderen Tiere zu sich ruft und sie anweist ihm ein Heilmittel zu bringen. Der Wolf spielt in dieser Fabel die Rolle

45 Schneider, Cornelia: Kalender des Regiomontanus, in: Blockbücher des Mittelalters, S. 193– 194. 46 Schneider, Cornelia: Chiromantie, in: Blockbücher des Mittelalters, S. 204–207. 47 Das Digitalisat des Heidelberger Exemplars, das als Sammelband im Verbund mit anderen Blockbüchern erhalten ist kann unter folgenden Link eingesehen werden: http://digi.ub.uniheidelberg.de/diglit/cpg438/0314, (zuletzt geprüft am 12. 12. 2014). Das Berliner Exemplar, das ursprünglich ebenfalls Teil eines Sammelbandes war, wurde im Rahmen einer Ausstellung von Richard Field eingehend kunsthistorisch untersucht und in einem Katalog publiziert: Field, Richard S.: The Fable of the Sick Lion – A Fifteenth Century Blockbook, Middletown 1974. 48 Knapp, F. P.: Tierepos, in: Lexikon der Literatur des Mittelalters, Bd.  1., Stuttgart, Weimar 2002, S. 462–463.

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 Vom Abecedarium bis zur Apokalypse: ­Das Themenspektrum der Blockbücher

des Schurken, der für seine bösen Taten vom Löwen bestraft wird, indem dieser ihn schindet und ihm das Fell über über die Ohren zieht. Im Blockbuch wird die Fabelgeschichte in neun kolorierten Bildtafeln erzählt, die kurze, deutschsprachige Spruchbänder enthalten. Ebenfalls deutschsprachige Texte auf den jeweils gegenüberliegenden Seiten erläutern das Bildgeschehen.

II.1.G Kampfkunst Im Berliner Kupferstichkabinett wird die einzige bekannte Ausgabe eines Blockbuchs verwahrt, in dem die Kunst des Ringens erläutert wird.49 Auf 22 kolorierten Bildtafeln stehen sich jeweils zwei Ringkämpfer gegenüber, die verschiedene Hebel- und Wurftechniken des Ringkampfes demonstrieren. Oberhalb der Kampfszenen finden sich kurze Beischriften in denen die Ausgangspositionen erläutert werden, die zu den gezeigten Techniken führen sowie die Bezeichnung der jeweiligen Technik. Der Historiker Sydney Anglo vermutet, dass es sich bei diesem Blockbuch um die früheste Druckausgabe eines deutschen Ringerbuchs überhaupt handelt.50

II.1.H Blockbücher des 16. Jahrhunderts Insgesamt sechs Titel wurden noch im 16. Jahrhundert als Blockbuch aufgelegt. Auch hierunter finden sich vor allem religiöse Inhalte, wie eine Dekalog-Ausgabe, Passio-Ausgaben und eine besonders prächtig bebilderte Bibel-Ausgabe mit dem Titel Opera nova contemplativa. Diese fällt nicht nur zeitlich aus dem üblichen Rahmen der Blockbuchproduktion, sondern auch hinsichtlich des Druckortes, da es sich hierbei um das einzige bekannte Blockbuch handelt, das in Venedig herausgegeben wurde.51

49 Ein vollständiges Digitalisat unter fogendem Link: https://talhoffer.wordpress.com/2013/ 06/17/1505-hans-wurm-ringerbuch-zu-landshut/, Abfrage vom 12. 12. 2014. Eine bibliographische und inhaltliche Beschreibung wurde 1844 von Sotzmann, J. D. F. in seinem Beitrag „Über ein unbekanntes xylographisches Ringerbuch“ in der Zeitschrift Serapeum (3, 1844, S. 33–44) publiziert. 50 Anglo, Sydney: The Martial Arts of Renaissance Europe, New Haven, London 2000, S. 187  f. 51 Dazu: Kristeller, Paul: Das italienische Blockbuch des Kupferstichkabinetts zu Berlin, in: Monatshefte für Bücherfreunde und Graphiksammler, Band 1, Leipzig 1925, S. 331–342.

Quantitative Überlieferungsergebnisse: Übersicht der auflagenstärksten Titel 

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II.1.I Die Themen außerhalb des Spektrums Aus dieser Übersicht der Themen geht indirekt auch hervor, welche Themen nicht als Blockbuch aufgelegt wurden. So finden sich bspw. keine Heldenepen, Sagen, Chroniken, Ritterromane oder ähnliche literarische Stoffe umgesetzt, die allgemein der Belletristik zugerechnet werden.52 Zwar dienten die Themen der Blockbücher sicherlich auch zur Unterhaltung, jedoch lässt sich aufgrund des thematischen Überblicks schlussfolgern, dass es sich bei den in Form von Blockbüchern publizierten Literaturformen um „Gebrauchsliteratur“ handelte. Die ausgemachten Themengruppen legen nahe, dass die Hauptfunktionen von Blockbüchern im didaktischen Bereich, sowohl zur Unterweisung von Schülern als auch zum Selbststudium, sowie im Bereich der religiösen Praxis liegen.

II.2 Quantitative Überlieferungsergebnisse: Übersicht der auflagenstärksten Titel53 Mit der thematischen Übersicht wurde das Spektrum der Inhalte aufgezeigt. Doch nicht alle Titel erfreuten sich einer regen Nachfrage auf dem Buchmarkt. Die Ermittlung der quantitativen Überlieferungswerte zu jedem Titel ergab, dass diese stark voneinander abweichen. Einige Titel sind nur als Unikat erhalten, während von anderen über 100 Exemplare überliefert sind. Hinsichtlich der Quantität an Exemplaren ist die Biblia pauperum mit 121 erhaltenen Exemplaren führend. An zweiter Stelle liegt die Apokalypse mit 83 Exemplaren, dicht gefolgt von der Ars moriendi, von der 82 Blockbücher bekannt sind. Wie jedoch bereits im einführenden Kapitel zur Quellenlage erläutert, war die Überlieferungschance sehr verschieden. Aufgrund der geringen Überlieferungsdichte sind auch zu den Auflagenhöhen der Titel nur unzureichende Rückschlüsse möglich.54 Trotzdem erscheint dieser Wert, angesichts der angesproche-

52 Ein Überblick über literarische Genres im Mittelalter findet sich bei Albrecht Classen (Hg.): Handbook of the Medieval Studies, Terms, Methods, Trends (Vol.1), Berlin, New York, 2010, S. 1605–1845. 53 Eine detaillierte Übersicht der Auflagenhöhe und der überlieferten Exemplaren der verschiedenen Titel findet sich im Anhang. 54 Generell können nur Schätzungen zu den Auflagenhöhen in der Zeit des frühen Buchdrucks angestellt werden. Siehe: Schmitt, Anneliese: Das Blockbuch – ein Volksbuch? Versuch einer Antwort, in: Gutenberg-Gesellschaft und Gutenberg-Museum (Hgg.), Blockbücher des Mittel­ alters – Bilderfolgen als Lektüre, Mainz, 1991, S. 216: „Wir wissen über die Auflagenhöhe in der

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 Vom Abecedarium bis zur Apokalypse: ­Das Themenspektrum der Blockbücher

nen ungleichen Überlieferungschance, aussagekräftiger für eine Rekonstruktion der Nachfragesituation. So sind bei der Betrachtung der Auflagenhöhe noch immer die drei genannten Titel in der Spitzengruppe, doch hat sich die Rangfolge etwas verändert. Die höchste Auflagenzahl erfuhr die Ars moriendi (20) gefolgt von der Biblia pauerum (15) und der Apokalypse (6). Dazu kommt ein weiterer Titel, der unter Beachtung der Auflagenhöhe, in den Fokus des Interesses rückt; die Lateingrammatik des Aelius Donatus. Dieses Werk hat sich größtenteils nur fragmentarisch erhalten. In der Forschung wird von mindesten 10 bis 14 Auflagen ausgegangen, die anhand der überlieferten Exemplare rekonstruiert werden konnten.55 Damit nimmt dieses Werk den dritten Platz in der Übersicht der Auflagenhöhe ein.

Frühdruckzeit lediglich, daß sie – auf heutige Unterhaltungsliteratur bezogen – gering waren; gegenüber der Handschrift – und nur dieser Vergleich kann für das 15. Jahrhundert vorgenommen werden – stellen sie jedoch eine bislang unbekannte Vervielfachung an Exemplaren dar, die innerhalb einer kurzen Herstellungszeit gleichzeitig im Angebot sind und die zudem schnell wieder nachgedruckt werden können.“ 55 Von 40 bekannten Exemplaren sind nur vier vollständig erhalten. Eine Klassifiaktion nach Auflagen wird dadurch stark erschwert und konnte nur bei einigen Exemplaren eindeutig festgemacht werden.

III Wissensangebote und Wissensvermittlung in Blockbüchern: zwei Fallbeispiele Aufgrund der im vorhergehenden Kapitel dargestellten thematischen Breite der 44 als Blockbuch erschienenen Titel und der Unmöglichkeit im Rahmen einer Dissertation alle diese heterogenen Titel eingehend wissenschaftlich zu untersuchen, wurden zwei Fallbeispiele herangezogen. Für die Auswahl der Exempel wurden folgende Kriterien angelegt: Da Blockbücher sowohl religiöse, als auch nicht-religiöse Themen behandeln, sollte jeweils ein Beispiel mit entsprechendem Inhalt ausgewählt werden. Als weitere Kriterien wurden die Auflagenhöhe und parallele lateinische und volkssprachliche Überlieferung herangezogen. Die sowohl auf Latein als auch auf Deutsch und Französisch überlieferten Ars moriendi sind noch vor der Biblia pauperum und der Apokalypse der auflagenstärkste Titel. In ihnen wird das theologische Problem des „heilsamen Sterbens“ dargestellt, während das zweite Exemplum der Planetenkinderbücher ein Thema der pragmatischen bzw. populärwissenschaftlichen Schriftlichkeit behandelt. Diese Planetenkinderbücher sind abgesehen von den oft nur fragmentarisch erhaltenen Donat-Ausgaben, der auflagenstärkste, nicht-religiöse Titel und wie die Ars moriendi sowohl auf Latein als auch Deutsch erhalten.

III.1 Die Ars moriendi – ein Wegweiser zum Umgang mit Glaubens­zweifeln in der Sterbestunde III.1.A Zur Quellenlage der „Ars moriendi“-Blockbücher Ausgangspunkt56 und Quellengrundlage für das erste Fallbeispiel in dieser Arbeit ist die erste deutschsprachige „Bilder-Ars“, welche um 1470 in Ulm gedruckt wurde57. Ausnahmsweise können für diese Ausgabe aufgrund einer Signatur auf dem letzten Holzschnitt – „ludwig ze ulm“ – Vermutungen über den Künstler, respektive den Holzschneider, dem als Vorlage die Holzschnitte der soge-

56 Zur Veranschaulichung und thematischen Illustration wurden als zusätzliche zweite Quelle Auszüge aus der 1488 von Konrad Dinckmut in Ulm gedruckten Inkunabel des Seelen-Wurtzgarten verwendet. Dieses Druckwerk wird in Kapitel III.I.D. näher vorgestellt. 57 Faksimile der deutschen Ausgabe des Blockbuches „Ars moriendi“, mit einem Nachwort von Dr. Ernst Weil, München1922. Digitalisat des Originals: Bayerische Staatsbibliothek, München, Xyl. 19, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00038639-9, (zuletzt geprüft am 04. 01. 2015).

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 Wissensangebote und Wissensvermittlung in Blockbüchern: zwei Fallbeispiele

nannten „Editio Princeps58“ dienten, angestellt werden. Fast nichts ist über den Ulmer Künstler bekannt, der in der Forschung mit einem Ludwig Maler identifiziert wird. „Neben dem Einzelholzschnitt von 1468 (Kat. Nr. I) ist die deutsche Ars moriendi das einzige signierte Werk Ludwig Malers. Dieses Blockbuch, das aufgrund seines Papiers um 1469 zu datieren ist, besteht aus insgesamt 24 Blatt, die einseitig (anopistographisch) bedruckt sind.“59 Diese Editio Princeps stellt die erste bekannte Ausgabe dieser – im Folgenden zur besseren Unterscheidung als „Bilder-Ars“ bezeichneten – im Holztafeldruck erstellten Blockbücher dar. Aufgrund des verwendeten Papiers wird für diese Erstausgabe niederländischer bzw. mittel- oder niederrheinischer Provenienz gemeinhin ein Entstehungszeitraum zwischen 1460 bis 1465 bzw. um das Jahr 1466 angesetzt.60 Lange Zeit wurde die Entwicklung dieses Konzepts eines Bildertextes in der Forschung kontrovers diskutiert. Weder der Holzschnittkünstler, noch der Verfasser des ursprünglich lateinischen Textes, welcher später mehrfach in europäische Volkssprachen übersetzt wurde, können zweifelsfrei identifiziert werden. Neben der Blockbuchtradition existieren drei Kupferstichfolgen, von denen die bekannteste die etwa zeitgleich entstandene Ars moriendi Folge des sogenannten Meisters E.S. ist. „Das Einzige, was den Meister E.S. aus der absoluten Anonymität rettet und zugleich einen Anhaltspunkt für die Rekonstruktion seines Oeuvres bietet, sind die Buchstaben E und S, mit denen er einige Blätter aus den Jahren 1466 und 1467 bezeichnet hat.“61 Aus diesem Zitat und dem vorher Gesagten zur Problematik der Blockbücher wird ersichtlich, weshalb ein jahrelanger Forschungsdiskurs über die zeitliche Priorität der Blockbücher oder dieser erwähnten Kupferstichfolge entstehen konnte, da beide Bilderfolgen undatiert sind.62 Obwohl jener Meister E.S. als einer der bedeutendsten Künstler der um die Mitte des 15. Jahrhunderts

58 „[…] Der Name „Editio Princeps“ rührt daher, daß Weigel […] annahm, es handle sich hierbei um die erste Ausgabe des häufig hergestellten Werkes. Weigel erwarb dieses im letzten Jahrhundert von einer Privatperson in Köln und verkaufte es 1872 an das Britische Museum in London weiter […].“ aus: Neher, Peter: Ars moriendi – Sterbebeistand durch Laien: eine historisch-pastoraltheologische Analyse, St. Ottilien 1989, S. 67. 59 Amelung, Peter: Der Frühdruck im deutschen Südwesten 1473–1500. Eine Ausstellung der württembergischen Landesbibliothek, Bd. 1, Stuttgart, 1979, S. 12. 60 Die Angaben zu Provenienz und Entstehungszeitraum konnten bisher nicht zweifelsfrei belegt werden. Bei der Recherche fanden sich etwas voneinander abweichende Informationen im Aufsatz von Nigel Palmer: Ars moriendi und Totentanz, in: Arno Borst (Hg.), Tod im Mittelalter, Konstanz 1993 auf S. 321 und im bereits zitierten Sammelband von Peter Amelung, S. 12. 61 Höfler, Janiz: Der Meister E.S. – Ein Kapitel europäischer Kunst des 15. Jahrhunderts, Regensburg 2007. 62 Mit dieser Frage verknüpft, wurde von Max Lehrs Ende des 19. Jahrhunderts gar die Hypothese vertreten, der Meister E.S. sei auch der Künstler der Holzschnitte gewesen. Eine These die

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neu entstehenden Kunst des Kupferstichs gilt, ist kaum etwas über seine Person bekannt. Aufgrund der beiden erwähnten signierten Blätter wird angenommen, dass er etwa im Zeitraum 1440 bis 1467 am Oberrhein tätig war. Verblüffend ist die fast identische künstlerische Gestaltung der Holzschnitte der „BilderArs“ und der etwas kleinformatigeren Kupferstichfolgen. Einziger Unterschied ist, dass letztere ohne Begleittext und Spruchbänder in den Bildern erschienen. Erst die bereits im Forschungsüberblick kurz angesprochene Entdeckung von Mary O’Connor – im selben Jahr, 1942, jedoch unabhängig von O’Connor, machte auch Fritz Saxl diese Entdeckung publik63 – brachte Licht in das Dunkel. In einer Londoner Sammelhandschrift, die nach ihrem Aufbewahrungsort in der Wellcome Historical Medical Library auch „Wellcome Handschrift“ genannt wird, findet sich eine Folge von elf Ars moriendi-Zeichnungen, die alle kompositorischen Muster enthält, welche in späteren Versionen zum Vorschein kommen. Diese auch als „Ur-Ars“64 bezeichnete Handschrift mit den enthaltenen, ebenfalls anonymen Zeichnungen, ist nach derzeitigem Kenntnisstand das früheste Beispiel dieser Art und „dürfte bald nach der Jahrhundertmitte in Thüringen entstanden sein“.65 Von dieser „Ur-Ars“ ausgehend entwickelten sich die wenige Jahre später entstandenen Formen der Blockbücher der „Bilder-Ars“, sowie einige handschriftliche Exemplare und Mischformen, wie bspw. Holzschnittfolgen mit handschriftlichem Begleittext und Spruchbändern, bzw. typographische Ausgaben die spätere Kopien (ca. 1504) nach den Kupferstichen des E.S. in Kombination mit Auszügen aus dem später näher vorgestellten Speculum artis bene moriendi enthalten. Die Blockbücher erschienen also zunächst in lateinischer Fassung, wurden aber in späteren Jahren mehrfach in die Volkssprachen übersetzt. So ist auch die dieser Arbeit zu Grunde liegende Quelle eine deutsche Übersetzung und Kopie nach der ursprünglich lateinischen Editio Princeps.66 Dabei ist zu beachten, dass der Bildertext eine von der Tradition der Holzschnitte bzw. Zeichnungen der „Ur-Ars“ unabhängige Entwicklungsgeschichte hat, auf die im folgenden Kapitel näher eingegangen werden soll.

von Mary O’Connor stichhaltig widerlegt werden konnte. Nachzulesen bei: O’Connor, Mary Catherine: The Art of Dying Well: the Development of the Ars moriendi, New York 1942, S. 122  ff. 63 Ebd., S. 68. 64 Peter Neher, wie auch bereits W.L. Schreiber 1895, äußert in einer Fußnote auf S. 70 die These, dass diese Handschrift in der Londoner Wellcome Library bereits selbst eine Kopie sei, ohne diesen Punkt jedoch näher auszuführen. Eine exemplarsiche Doppelseite findet sich im Abbildungsverzeichnis VII.6.6. 65 Palmer, Nigel: Ars moriendi und Totentanz, S. 324. 66 O’Connor, Mary Catherine, S. 124–129.

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 Wissensangebote und Wissensvermittlung in Blockbüchern: zwei Fallbeispiele

III.1.B Seelsorgepraxis und literarische Vorläufer Sucht man nach einem historischen Ausgangspunkt67 für die Kranken- und Seelsorge so ließe sich dieser, wie es auch Rainer Rudolf in seiner Monographie tat, auf das Jahr 836 festlegen. In diesem Jahr kam es in der in Aachen stattfindenden Synode zur offiziellen Ausbildung des Pfarrinstituts,68 zu welchem fortan die Betreuung von Kranken und Sterbenden als eine der zentralen Aufgaben eines Pfarrers gehörte. Dies beinhaltete bereits eine aktive Sterbebegleitung, bei der der Betroffene zu einem nach mittelalterlichem Verständnis guten Tod disponiert werden sollte. Ein Thema, dass fortan auch auf späteren mittelalterlichen Konzilien immer wieder aufgegriffen wurde. „Insbesondere aber seit dem für die Seelsorge an Kranken wichtigen 4. Laterankonzil (1215) beschäftigen sich zahlreiche Synoden mit den priesterlichen Aufgaben in der Betreuung der Kranken und Sterbenden.“69 Entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Sterbekunst nahm laut Rudolf das Anselm von Canterbury (*1034–†1109) zugeschriebene Werk Admonitio morienti et de peccatis suis nimis formidanti. Hauptsächlich bestehend aus zwei Fragenreihen, zum einen der sogenannten großen Mahnung, welche sich an Kleriker richtet und zum anderen den bei Laien zu stellenden Fragen der kleinen Mahnung. Dieses, gemeinhin auch „Anselminische Fragen“ genannte Werk war, „die wichtigste, wenn nicht die einzige Pastoralanweisung für die Krankenprovisur, die frühzeitig in die Ritualien Eingang fand.“70 Seit dem 12. Jahrhundert, ursprünglich aus und im klösterlichen Gebrauch heraus entstanden, „wurden sie bald auch für Laien verwendet, dementsprechend verändert und in Volkssprachen übersetzt.“71 Auch für den Text der „Bilder-Ars“ lässt sich eine ähnlich geartete Entwicklung nachzeichnen. Allgemein ist für das ausgehende Mittelalter eine massive Überlieferung an lateinischer und volkssprachlicher Literatur zur Todesthematik zu bemerken, welche „in erster Linie eine bestimmte Entwicklung in der spätmittelalterlichen

67 Gemeint ist hier ein eindeutiges Datum an dem sich eine offizielle kirchliche Richtlinie festmachen lässt. Sicher beruht auch dieser synodale Beschluss auf einer in der Bibel (Jak. 5,14–16) zu findenden – und damit natürlich sehr viel älteren – Anweisung zur Krankensalbung und Fürsorge. Außer Acht gelassen wurden hier auch einzelne, noch nicht übergreifende bischöfliche Berichte oder Kapitularien aus karolingischer Zeit. 68 Can.5 der Aachener Synode. Edition: Aquisgranese II – Can. 5, in: Mansi (14), Sp. 687–688. 69 Neher, Peter, Ars moriendi – Sterbebeistand durch Laien: eine historisch-pastoraltheologische Analyse, St. Ottilien 1989, S. 15. 70 Rudolf, Rainer: Ars Moriendi – Von der Kunst des heilsamen Lebens und Sterbens, Köln 1957, S. 59. 71 Ders. S. 117–118.

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Seelsorge, die zunehmend darauf zielte, Anweisungen für die Pfarrer sowie für deren Beichtkinder schriftlich zu kodifizieren“72 dokumentiert. Berühmte Beispiele sind etwa die Ars moriendi des Marquard von Lindau (†1392) und Heinrich von Seuses (*um 1295–†1366) Horologium sapientitiae oder Büchlein der ewigen Weisheit73. Beide Werke erreichten laut Nigel Palmer eine außerordentlich weite Verbreitung und sind sowohl in lateinischer als auch volkssprachlicher Fassung bekannt. Im Fall von Seuse ging gar die deutsche Version der lateinischen voraus. Hauptanstoß zur neuen Literaturgattung gab jedoch das um 1403 von Jean Charlier de Gerson (*1363–†1429), ursprünglich in französischer später in lateinischer Sprache, verfasste Opusculum tripartium bzw. La science de bien mourir.74 In dessen drittem Teil, De arte moriendi, gab „one of the most famous churchmen and prolific writers of the late Middle Ages, chancellor of the University of Paris, and zealous reformer within the Church“75 eine schriftliche Grundlage für die seelsorgerische Praxis im Umgang mit Sterbenden. Das französische Episkopat machte die gesamte Abhandlung, die in den beiden anderen Kapiteln Vorschriften und Beichte erörterte, gar zur Pflichtlektüre für Kleriker und verpflichtete diese Auszüge davon bei jeder Sonntagsmesse vorzutragen und zu thematisieren. Als einer der bedeutendsten Kirchentheologen seiner Zeit, war Gerson selbstverständlich auch Teilnehmer des in den Jahren 1414–1418 in Konstanz stattfindenden Konzils. Er wird den sog. Reformtheologen zugerechnet und setzte sich auf dem Konzil aktiv und energisch für die Überwindung des Kirchenschismas ein. Es ist davon auszugehen, dass diese Teilnahme am Konstanzer Konzil zu einer expansiven Verbreitung des Opusculum tripartium beitrug. Besonders in diesem Umfeld musste es auf fruchtbaren Boden fallen und so wurde das Opuscu­ lum über andere Teilnehmer rasch weitergetragen und bekanntgemacht76. Aus diesen Gründen ist es nicht verwunderlich, dass sich Gersons de arte moriendiKapitel ganz oder teilweise übernommen in den meisten der späteren Sterbe­ bücher wiederfindet.

72 Palmer, Nigel F.: Ars moriendi und Totentanz: Zur Verbildlichung des Todes im Spätmittel­ alter, in: Arno Borst (Hg.), Tod im Mittelalter, Konstanz 1993, S. 313–334, hier S. 315. 73 Edition: Heinrich Seuse, Deutsche Schriften, hrsg. von Karl Bihlmeyer, Stuttgart 1907, unveränderter Nachdruck Frankfurt a. Main 1961. 74 Andere Titel unter denen Gersons Werk überliefert sind: Si les vrais amis d’un malade und La medicine de l’âme aus: Neher, Peter, S. 32. 75 O’Connor, Mary, Catherine: The Art of Dying Well: the Development of the Ars moriendi, New York 1942, S. 21. 76 Dazu auch Mary O’Connor: „The popularity of the work is further indicated by the number of manuscripts and early editions in which it appeared, many of them translations. It is to be found in rituals as late as 1782“, S. 23.

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 Wissensangebote und Wissensvermittlung in Blockbüchern: zwei Fallbeispiele

Mary O’Connor nennt Gerson treffend auch ein Verbindungselement „be­ tween the celebrated compendia of faith of thirteenth and fourteenth centuries and the little conduct book which taught the fifteenth century how to die.“77 Bereits das Opusculum soll laut Begleitbrief des Verfassers insbesondere den einfachen Priestern und Seelsorgern, sowie ungelehrten Laien als eine Art christ­liches Basisprogramm dienen. Des Weiteren sollte es allgemeiner Unterrichtsinhalt in Schulen sein und ganz oder in Auszügen an öffentlichen Plätzen ausgehängt werden. Wie bereits erwähnt, hatte Gersons Abhandlung zum Thema de arte moriendi einen großen Vorbildcharakter für die spätere Sterbeliteratur. So finden sich auch im umfangreichsten und dabei außergewöhnlich weit in Gesamteuropa verbreiteten Text zu diesem Gegenstand, dem Speculum artis bene moriendi, mehrmals Zitate aus Gersons Traktat.78 Wahrscheinlich im zweiten Viertel des 15. Jahrhundert von einem anonymen Autor79 verfasst, sind zwei eng miteinander verwandte Versionen von unterschiedlicher Länge und inhaltlicher Ausrichtung vorhanden. Die längere wird aufgrund ihres Anfangssatzes  – „Cum de presentis exilii miseria mortis transitus […]“ – in der Forschung meist mit „CP-Speculum“ be­titelt, während die kürzere, die „QS-Variante“, mit den Worten „Quamvis secundum philosophum tercio ethicorum omnium terribilium mors corporis[…]“ beginnt. Das Verhältnis dieser beiden Texte zueinander galt in der älteren Forschung lange Zeit als unsicher. Eine ursprüngliche These von Weigel/Zestermann (1866), wonach der längere CP-Text eine erweiterte Fassung des QS-Textes sei, konnte Mary O’Connor mithilfe textgeschichtlicher Untersuchungen und handschriftlicher Befunde widerlegen.80 Der Inhalt des CP-Textes umfasst laut O’Connor schätzungsweise den fünffachen Umfang von Gersons de arte moriendi – Kapitel und gliedert sich in eine Einleitung gefolgt von sechs Hauptteilen (I. Vom Lob des Todes um dem

77 Ebd., S. 24. 78 Vgl. Palmer, Nigel F.: Ars moriendi und Totentanz, S. 314. 79 Dazu Peter Neher, S. 51: „In der Frage der Verfasserschaft weist die handschriftliche Tradition des Speculum (CP-Text) eine große Unsicherheit auf, denn die Schrift wird verschiedenen Theologen zugeschrieben bzw. erscheint anonym.“ Meist wird in der Literatur ein Mitglied des Dominikanerordens als Verfasser vermutet, v.  a. aufgrund der im Speculum zitierten Autoren. Eine zuerst von Rainer Rudolf und später des Öfteren bei anderen Forschern wiederzufindende Meinung benennt den Dominikaner Nikolaus von Dinkelsbühl als möglichen literarischen Schöpfer. Eine These, die jedoch nicht unbestritten blieb. Die Frage der Verfasserschaft ist eine noch immer offene Frage, genauso wie die genauere Eingrenzung des Entstehungszeitraums. 80 Siehe: O’Connor, Mary Catherine, S. 67–72.

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Wissen, wie man gut stirbt, II. Die Versuchungen des Sterbenden, III. Fragen, IV. Unterweisungen mit Beobachtungen, V. Ermahnungen und VI.  Gebete, die bei Sterbenden zu beten sind). Im Unterschied zu Gersons „einfachen Darstellungsweise […]“ zeichnet sich der Stil des Speculum durch „eine stark scholastisch geprägte Darstellungsweise“ aus, „welche reichlich die Bibel, kirchliche Schriftsteller und antike Philosophen zitiert.“81 In der erheblich kürzeren Version des QS-Speculum82 könnte man den gelungen Versuch eines „Rückschritts“ in die von Jean Gerson angestrebte, sich direkter auch an ein Laienpublikum zugewandte, Richtung sehen. Der Schwerpunkt wurde hier klar auf das zweite Kapitel des CP-Textes gelegt, indem nach einer zwei Seiten umfassenden Einleitung die fünf besonders schweren Anfechtungen für Sterbende behandelt werden. Dieser gekürzte Text, welcher im Gegensatz zum CP-Text in nur sehr wenigen Handschriften überliefert ist, fand in Kombination mit elf Holzschnitten unter dem Namen „Bilder-Ars“ weite Verbreitung, insbesondere in Form von Blockbüchern aber auch als typographische Ausgaben sowie Mischformen, wie etwa Holzschnitte in Kombination mit handschriftlichen Texten usw. „Neben der „Biblia pauperum“ gehören die Ausgaben der Bilder-Ars zu den am meisten verbreiteten Blockbüchern.“83 Bereits die farbigen Federzeichnungen der um 1430 entstandenen „Wellcome Handschrift“ werden durch einen schon verkürzten handschrift­ lichen CP-Text begleitet. Peter Neher vermutet, dass der Grund für die Entstehung der Bilder im älteren CP-Text selbst liegen könne, da hier gefordert werde, dem Kranken die Anfechtungen, wie sie sich im zweiten Kapitel beschrieben finden, vor Augen zu stellen, damit er sich wappnen könne.84 Somit wären die Bilder noch vor dem endgültig gekürzten, neuen Speculum Text QS, also vor 143085 entstanden. Da diese neue Textvariante aber vor allem bei den Blockbuchausgaben verwendet wurde, ist anzunehmen, dass er erst nach der Bebilderung auf Grund-

81 Neher, Peter, S. 51. 82 Zwar wandte sich auch das CP-Speculum explicit an „generaliter omnibus catholicis“, ganz allgemein gar an „hominem christianum“, doch sind „Die Adressaten des „Speculum artis bene moriendi […] in erster Linie Ordensleute: der Leser wird mit carissime frater angeredet.“ Aus: Palmer, Nigel, S. 318–319. 83 Ebd., S. 67. 84 Ebd., S. 70–71. 85 Neher folgt hier der These Zerners, die dieser 1971 in dem Artikel „L’art au morier“, in: Revue d l’Art 11. äußerte. Zerner vermutet, dass es sich bei der Welcome HS selbst bereits um eine Kopie eines verschollenen Originals handelt. Demzufolge wären die Bilder also irgendwann vor dem Jahr 1430 entstanden.

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 Wissensangebote und Wissensvermittlung in Blockbüchern: zwei Fallbeispiele

lage des CP entstand.86 Auf Grundlage des älteren CP-Textes wurde zunächst ein begleitendes Bildkonzept erdacht, mit dem von Anfang an eine Textkürzung einherging. Die „Ur-Ars“ wurde damit als Bildertext konzipiert, auch wenn die Bilder einen vermutlich anderen Autoren in den Jahren 1430–145087 dazu inspirierten einen weiteren, den Bildern angepassten Text, den QS-Speculum, zu verfassen, welcher sich schließlich für die späteren „Bilder-Ars“ durchsetzen sollte. III.1.B.1 Grafik: Entwicklungsprozess der „Bilder-Ars“

86 Ebd., S. 69–70. 87 Auf das Jahr 1450 wird die Kupferstichserie des Meisters E.S. datiert, der ein anderer Prototyp, einer undatierten Kupferstichserie des „Meisters mit dem Blumenrahmen“ vorausgeht, die bereits vom Text QS begleitet wird. in: Neher, Peter, S. 71.

Die Ars moriendi 

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III.1.C Teufel und Engel im Kampf um die Seele: die fünf Anfechtungen in der Sterbestunde vs. himmlischer Beistand Nicht umsonst wurde der im Titel dieses Kapitels genannte Name der „BilderArs“, Ars moriendi, zum Namen der gesamten Gattung der Sterbebücher. Oft sind deshalb gar nur die „Bilder-Ars“ gemeint, wenn in der Literatur von der spätmittelalterlichen Ars moriendi gesprochen wird.88 Auf eine didaktisch sehr eindrückliche Art und Weise werden dem Rezipienten die fünf schwersten Gefahren vorgestellt, denen er sich in seiner letzten Stunde zu stellen hat und auf die er sich deshalb möglichst früh vorzubereiten habe, um sie erfolgreich meistern zu können. Dabei wird als neues Formelement im Gegensatz zum älteren Text des Speculum bene artis moriendi den teuflischen Anfechtungen jeweils ein Gegenpart beigestellt. Auf jede der fünf Anfechtungen folgt die entsprechende Darstellung des himmlischen Beistands. Vor den Augen des Betrachters entfaltet sich so ein ganzes „innerliches Drama […]“, welches „in den assistierenden Gestalten von Gott selber (in Vater und Sohn), der Gottesmutter Maria, Engeln, Teufeln, Heiligen (zum Beispiel der hl. Petrus), weltlichen und geistlichem Sterbepersonal stark dramatisiert, emotionalisiert […] und so veräußerlicht“89 wird. Die entscheidende Phase in der „Kunst des heilsamen Sterbens“ wurde herausgegriffen und die Gefahren für das Seelenheil recht dramatisch und pointiert als Warnung dargestellt, nicht aber ohne ein gewisse beruhigende Hoffnung auch in dieser schwersten Stunde auf die Hilfe und den Beistand Gottes zählen zu können. Der wirkliche Grund für den Erfolg und die exzeptionelle Stellung der „Bilder-Ars“ gegenüber allen anderen Werken dieser Literaturgattung sind ihre elf ganzseitigen Holzschnitte. In der Einleitung selbst wird die Intention geliefert: „Aber d[a]z diese lere fruchtbar sii und nieman von ir betrachtung wird ussgeschlossen sunder haimlich lerne sterben so han ich diese lere nit allain in geschrifft • den geschrifft gelerten gegeben • sunder och in bildung gefiguneret dam layen und dem gelerten glich dienende für die augen geworfen • Die zwai also die gelich mitthellung haben daz man in als in ainem spiegel vergangne ding und kunftige als ob sy gegenwurtig syen • mag betrachten•“90

88 Ebd., S. 74. 89 Haas, Alois, M.: Didaktik des Sterbens in Text und Bild, in: Unimagazin – Die Zeitschrift der Universität Zürich, 2/97, S. 2. 90 Faksimile der deutschen Ausgabe der „Ars moriendi“ des Meisters Ludwig von Ulm um 1470. Mit einem Vorwort hrsg. von Ernst Weil, München 1922, S. 2 (v). Siehe im Anhang VIII.6.1; Vorwort der „Bilder-Ars“. In der spätmittelalterlichen deutschsprachigen Fassung wurde das lateinische Adverb „salubriter“ mit „heimlich“ übersetzt. Entgegen dem modernen Sprachgebrauch ist dieses Wort also im Sinne von „heilsam“ zu verstehen. Sehr oft wird „Ars moriendi“ deswegen mit „der Kunst des heilsamen Sterbens“ übersetzt.

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 Wissensangebote und Wissensvermittlung in Blockbüchern: zwei Fallbeispiele

Anders als bei den vorherigen Texten zur Sterbekunst, wurde dem in der Hauptsache illiteraten Laien ein direkter Zugang zur Thematik über die bildliche Darstellung der im Text erörterten Sachverhalte ermöglicht. Keine Vermittler und keinerlei Zwischenpositionen über Vorlesen oder Predigt waren mehr nötig, somit war auch dem Analphabeten theoretisch die Möglichkeit gegeben, sich im Selbststudium auf den eigenen Tod vorzubereiten. Der Aufbau der „Bilder-Ars“ gliedert sich entsprechend dem zweiten Teil des CP-Textes des Speculum. Dabei ist allen Holzschnitten als durchgängiges zentrales Motiv, des sich im Bett befindlichen Moribundus gemein, um den herum sich die übernatürlichen Gestalten in wechselnden Konstellationen gruppieren. Interessanterweise variiert die Darstellung eben dieser Figur des Sterbenden und auch seines Bettes auf jedem der Holzschnitte in kleinen Details, bspw. der Frisur oder des Kopfteils des Bettes. Offensichtlich soll ein Jedermann dargestellt und angesprochen werden, keine bestimmte Person und auch kein bestimmter Stand wird angesprochen. Das Buch sollte sich, wie in der Einleitung beschrieben, an jeden richten. Vergleichbar einem Mosaik verbildlichen die in ein kohärentes Ganzes gefügten Szenen und Figuren den Textinhalt, ergänzt durch einzelne im Bild integrierte Spruchbänder. III.1.C.1 Die schwerste Anfechtung: Zweifel im Glauben91 Die Reihe der Anfechtungen wird gleich mit der schlimmsten der fünf teuflischen Versuchungen eröffnet. Wer in letzer Minute seinen rechten Glauben verlor, dessen Seelenheil war verloren. Denn schon „bernhardus spricht Der gelöb ist ain anfang des menschlichen one den kain mensch zu der zale der gottes kinder mag gehörren […] Darumb der teufel ain fynd alles menschlichen geschlechtes sich übet mit gantzen krefften den menschen in dem todbett gantz darvon ze ziehen […]“. Und so sieht man den Moribundus, dessen Körper, soweit ihn das Laken freigibt, von Krankheit recht ausgezehrt erscheint und mit sorgenvoller Miene in der Bildmitte. Rechts und links an der Längsseite des Bettes steht je ein Teufel, während ein Dritter im Hintergrund das Bettlaken gerade soweit hochgezogen hat, um die heilsversprechende Gegenwart von Maria, Jesus und Gottvater vor dem Sterbenden zu verbergen. Zwischen ihm und einem vierten Teufel im linken, oberen Bildhintergrund ist auf einem der drei Spruchbänder zu lesen „O es ist kain hell“, während sich darunter eine disputierende Dreiergruppe von welt­

91 Die im Folgenden angeführten Bildausschnitte und Quellenzitate stammen aus dem Faksimile der deutschen Ausgabe der „Ars moriendi“ des Meisters Ludwig von Ulm um 1470 (Xyl. 19). Ein vollständiger Abdruck findet sich im Abbildungsverzeichnis (VIII.6.1). Das Digitalisat von Xyl. 19. hier: Bayerische Staatsbibliothek München, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00048816-3, (zuletzt geprüft am 04. 01. 2015).

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Abb. 1: Königspaar vor Götzenfigur und disputierende Dreiergruppe.

lichen Gelehrten, unter denen sich wohl zumindest eine Figur eines Juden92 befindet, darüber zu unterhalten scheint, ob es überhaupt so etwas wie ein Leben nach dem Tod geben kann. Da noch nie jemand zurückgekehrt ist, gibt es keine Beweise, weder für die Existenz eines Himmels noch einer Hölle. Auch der Teufel, der rechter Hand vom Kranken an dessen Bettkante steht, deutet auf diese männliche Dreiergruppe sowie auf ein am Fußende kniendes Königspaar, das eine Götzensäule anbetet, während auf der zugehörigen Banderole die Worte „die haiden glöben recht“ zu lesen sind. So soll der Glaube an die Lehren der Kirche erschüttert werden, während gleichzeitig die Anwesenheit der göttlichen Gestalten vor dem Sterbenden verborgen wird. Der Teufel an der linken Bettseite versucht ihn dar-

92 Die in der Mitte befindliche Figur trägt einen spitzen Judenhut, der, neben einem an der Kleidung angebrachten gelben Ring, die häufigste verwendete Kennzeichnung für Juden war. Entscheidend für eine solche Kennzeichnungspflicht war das 4. Laterankonzil von 1215. Dazu: Osiander, Wolfgang: Gelber Fleck, gelber Ring, gelber Stern – Kleidungsvorschriften und Kennzeichen für Juden vom Mittelalter bis zum Nationalsozialismus, in: Geschichte lernen, Heft 80 (2001), S. 26–29. Alois Haas vermutet auf S. 3. seines Aufsatzes zur Didaktik des Sterbens in Text und Bild, dass es sich um „eine Gruppe von drei Männern, wahrscheinlich Juden,[…]“ handele. Zum Vergleich siehe die Illustration im Abbildungsverzeichnis VII.6.1.

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Abb. 2: Heilige und ein Engel stehen dem Moribundus bei.

aufhin zum Selbstmord zu bewegen. Er deutet auf einen Mann im Vordergrund, der sich in eben diesem Moment mit einem Messer die Kehle durchschneidet. Ihm zur Seite gestellt ist eine, nur mit einem Lendenschurz bekleidete junge Frau, die eine Geißel sowie ein Rutenbündel in Händen hält. Haas deutet sie im bereits zitierten Aufsatz als Allegorie der „indiscretia penitentia“, der maßlosen Selbstdisziplinierung, die vom Teufel empfohlen wird.93 In eine ähnliche Richtung geht die Deutung der Figur als Darstellung einer Anhängerin der Geißlerbewegung, auf die an anderer Stelle näher eingegangen werden soll. Ein Selbstmord ist nach katholischer Lehre jedoch gleich einem Glaubensabfall zu werten, da das Leben als ein von Gott gegebenes Geschenk gedeutet wird und schließlich das Gebot „Du sollst nicht töten“ auch für das eigene Leben gilt. Doch die Hilfe ist nicht fern, ja war im Grunde auch nie völlig abwesend. Im zweiten Bild kommen dem arg Bedrängten die vorher hinterlistig verborgenen Gottvater und Sohn in Begleitung Mariens entgegen. Diesmal sind sie für den Sterbenden gut sichtbar direkt neben dem Bett dargestellt. Im Hintergrund sind unzählige weitere, nicht näher spezifizierbare Heilige zu erkennen. Aus dem Alten Testament ist auch Moses herbeigeeilt. Er befindet sich direkt neben Gottvater. Mittelalterliche Abbildungen zeigen ihn gerne mit zwei „Hörnern“, will sagen „Strahlen der Erleuchtung.“ Komplettiert wird die Dreigestalt Gottes durch den als Taube auf dem Baldachin sitzenden Heiligen Geist. Sie alle sind herbeigeeilt, um dem Moribundus beizustehen und die im Vordergrund zu sehenden, vorerst geschlagenen und eben fliehenden Teufel zu vertreiben. Insbesondere der auf der anderen Bettseite

93 Ebd.

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stehende Engel scheint den Sterbenden direkt anzusprechen. Mit erhobenem Zeigefinger ermahnt er ihn: „Bis vesten in dem glöben“. Alle Diskussionen über den Glauben sind nichtig, es gibt keine Möglichkeit den Glauben nach irgend gearteten, wirklich handfesten Beweisen festzumachen. Denn „ob du o[u]ch den mit den sinnen nit oder verstentnüß nit begriffen macht. Wann möchtestu den also begrifen so wer in kainen weg verdienlich nach spruch gregorii der haut kein verdienen. Wann die menschlich vernunft merklich betutnuß begrifet“. Auch wenn der Glaube also weder mit den Sinnen noch durch den Verstand ergründet werden kann, soll der Sterbende nicht verzweifeln, denn wie schon Gregor  I. anführte, wäre ein solcher Glaube schließlich auch kein wirklicher „Glaube“ mehr. Über Gott hinaus kann nicht gedacht werden. Die Hürde, der eigentliche Verdienst liegt darin, dies zu akzeptieren und dennoch unerschütterlich daran festzuhalten. Denn zeigen sich die eigentlichen Beweise nicht im festen Glauben selbst? Gott offenbart sich nur den wirklich Gläubigen, ja er steht ihnen sogar tatkräftig zur Seite in besonderen Situationen. Wie sonst wären all die Wunder der Heiligen möglich gewesen? „Im Glauben wandelte der heilige Petrus über dem Wasser, trank Johannes das für ihn bestimmte Gift ohne Schaden […] alle ding sind dem glöbenden menschen müglich“. III.1.C.2 Die Versuchung zur schwersten Sünde der Verzweiflung94 In einem zweiten Anlauf versuchen die Teufel nun den von Schmerzen und Krankheit Gezeichneten in die Verzweiflung zu treiben. Dieses Mal umzingeln gar sechs Teufel das Krankenlager und werfen ihm reihum seine schwersten bzw. noch nicht gebeichteten Sünden vor. So beschuldigt ihn der erste, ein kuhköpfiger Teufel,95 der direkt am Kopfende platziert ist, des Ehebruchs und verweist dabei auf ein junges Ehepaar. Offenbar verführte er die junge Frau einst zur Unkeuschheit und Untreue. Gleich daneben ist ein Teufel mit erhobenen Schwurfingern zu sehen, um ihn daran zu erinnern, dass er einst unter Eid ein falsches Zeugnis ablegte. Doch damit nicht

94 Die im Folgenden angeführten Bildausschnitte und Quellenzitate stammen aus dem Faksimile der deutschen Ausgabe der „Ars moriendi“ des Meisters Ludwig von Ulm um 1470 (Xyl. 19). Ein vollständiger Abdruck findet sich im Abbildungsverzeichnis (VIII.6.1). 95 Generell sind drei Formen der Verbildlichung von Teufelsepiphanien in der bildenden Kunst des Mittelalters zu unterscheiden. Zum einen menschengestaltige von meist schwarzer oder blauer Körperfarbe, reine Tiergestalten in oft biologisch nicht existenten Mischungen, sowie als kleine schwarze Eidolongestalten. Dabei entscheidet der Darstellungskontext über die Typenwahl, so sind bei Höllen- oder Fegefeuerdarstellungen v.  a. tiergestaltige Formen mit z.  T. menschlichen Zügen üblich. Dazu: Dinzelbacher, Peter: Angst im Mittelalter – Teufels-, Todesund Gotteserfahrung, Paderborn, München, Wien, Zürich, 1996, S. 114  f.

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Abb. 3: Teufel mit Sündenregister.

genug, der Kranke scheint sogar ein Mörder zu sein, der sein Opfer, ganz wie der Teufel im mittleren Vordergrund, mit einem Messer erstochen hat. Auch „die sechs werck der barmherzigkait“ habe er nicht erfüllt. So wird im rechten Vordergrund, auf einer Kiste sitzend, ein um Almosen bittender und in Lumpen gehüllter Bettler gezeigt, dem er eine milde Gabe verweigerte. Der Kranke erscheint als unbarmherziger und gieriger Geizhals, der den am Fußende sitzenden Mann um all seinen Besitz brachte und ihm sprichwörtlich bis auf sein letztes Hemd auszog. Mit in die Waagschale geworfen werden, neben den hier versammelten Todsünden des Mordes und Ehebruchs sowie seiner offensichtlichen Raffgier und Fixierung auf weltlichen Besitz, noch mehrere wahrscheinlich kleinere, jedoch ungebeichtete Sünden. Sie stehen auf seinem Sündenregister, welches der dritte Höllenbewohner an der rechten Bettseite hochhält. All diese Quälgeister wollen den Kranken in hoffnungslose Verzweiflung treiben angesichts der Schwere all seiner Vergehen, um ihn so schlussendlich der göttlichen Barmherzigkeit zu berauben. „Wan kain ding erzünet got so sers als verzwiflung“. Die einzige Sünde, welche Gott nicht vergibt ist die Verzweiflung: „und hettest getanso vil mort so vil diebstal so vil manschlacht als tropfen und send [sand] bin des meres sind darzu die sünd aller menschen und ob sie ouch nie getruewet noch gebichtet hettest und jetzt vor krankheit nit möchtest bichten: dannocht soltu nicht verzagen wann an solichen enden ist die innwendig reuw des hertzen genugsam als im psalmen […]“.

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Abb. 4: Maria Magdalena und Petrus am Bett des Moribundus.

Als Beleg werden im nun folgenden Holzschnitt einige der schwersten biblischen Sünder herbeizitiert, die letztlich doch auf die göttliche Gnade hoffen konnten und deren Seelen dadurch gerettet wurden. Die meisten der Teufel sind bereits geflohen, während einer eilig unter dem Bett verschwindet – nur mehr seine Beine sind zu erkennen – wirft ein zweiter niedergedrückter Dämon in Tiergestalt in der rechten vorderen Bildecke einen letzten Blick auf die Gestalt des Saulus/ Paulus in der gegenüberliegenden vorderen Bildecke. Er wird mitsamt dem Pferd dargestellt, über dessen Sturz er seine Wandlung von Saulus zu Paulus erfuhr. Ein weiterer Jünger Jesu ist ebenfalls zu sehen. Direkt zur Rechten des Siechen steht der Apostel Petrus. Erkennbar an seinem Attribut dem Schlüssel, deutet der Hahn auf dem Kopfende auf eine Stelle im Evangelium96 hin, in der Jesus ihm nach dem Abendmahl prophezeite, dass Petrus ihn dreimal verleugnen würde, ehe die Nacht vorüber und der Hahn dreimal krähen würde. Ihm zur Seite steht mit langem offenem Haar und Salbenbüchse in Händen Maria Magdalena. Die des Ehebruchs Beschuldigte zeigte ihre Reue, indem sie Christus mit ihren Tränen die Füße wusch, salbte und mit ihren gelösten Haaren trocknete. Im Hintergrund windet sich der gute Schächer Dimas am Kreuz. Da er als reuiger Sünder starb, verhieß ihm Jesus das Paradies. Der Engel schräg gegenüber von Maria Magdalena bestärkt den Siechen ebenfalls, selbst wenn er alle Sünden der Welt begangen hätte, muss

96 Matthäus 26,34.

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und darf er nicht verzweifeln. „Wie nütz die hoffnung sie / Wann sie ist ain anker unseres hailes: ain grundvest unnseres lebens: ain füring des wegs gen himel darr umb sy nummer ze verlassen ist durch kaine = lay su(e)nd“. Gottes Gnade und Barmherzigkeit sind mit menschlichen Maßstäben nicht zu messen. Deshalb darf der Mensch immer hoffen und eben diese Hoffnung ist ein Beleg des Glaubens an diesen gütigen Gott, wohingegen Verzweiflung einem Zweifel am Schöpfer gleichkommt. III.1.C.3 Die Versuchung zur Ungeduld – das Problem der Theodizee97 Doch noch immer muss der Leidende von Schmerzen und Krankheit geplagt auf sein Ende warten. Teuflische Einflüsterungen lassen ihn schließlich die Geduld verlieren. Warum muss er so lange leiden? Ist dies wirklich eine göttliche Prüfung? Aber wieso scheint nur der arme Moribundus dies ertragen zu müssen, während sich die anderen drei Besucher an seinem Krankenlager bester Gesundheit erfreuen? Sein Unmut und das Gefühl des zu Unrecht mit solch schwerer Strafe belegt Werdens, entlädt sich in einem Fußtritt gegen die nächststehende männliche Person an der rechten Bettseite. Er und die Frau an seiner Seite kamen zu einem Krankenbesuch, der vom Siechen, dank teuflischen Zutuns, nun als geheuchelte Anteilnahme zweier Erbschleicher interpretiert wird. Zuvor hat er bereits den Tisch im rechten Bildvordergrund umgestoßen. Alles darauf befindliche Essgeschirr liegt auf dem Zimmerboden. Ein Umstand, den die gerade an den Tisch tretende Frau mit nicht gerade erfreutem Blick zu Kenntnis nimmt, da sie eben im Begriff war, Speis und Trank für den aufgebrachten Kranken aufzutragen. Bezeichnenderweise ist dies der einzige Holzschnitt, auf dem der ansonsten unbewegte Bettlägerige aus seiner lethargischen Starre ausbricht und seinem Murren gegen die vermeintlich ungerechtfertigte göttliche Strafe in einer Aktion Ausdruck verleiht. Dabei war für diesen Ausbruch nur ein einziger Teufel von Nöten, was eventuell darauf hindeuten könnte, dass es sich hierbei um ein oft beobachtetes, weil sehr menschliches Verhalten, handelt. Als Antwort treten im folgenden Holzschnitt vier christliche Märtyrer im Gefolge des Engels in den Gesichtskreis des Sterbenden. In Händen halten sie die ihnen als Attribut zugeordneten Gegenstände ihres gewaltsamen Todes, den sie geduldig als Prüfung ihres wahren Glaubens auf sich nahmen. So trägt der am Fußende stehende heilige Stephan die Pflasterbrocken in der Schürze, mit denen er gesteinigt

97 Die im folgenden Abschnitt angeführten Bildausschnitte und Quellenzitate stammen aus dem Faksimile der deutschen Ausgabe der „Ars moriendi“ des Meisters Ludwig von Ulm um 1470 (Xyl. 19). Ein vollständiger Abdruck findet sich im Abbildungsverzeichnis (VIII.6.1).

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Abb. 5: Der Moribundus tritt seinen Besucher.

wurde. Zu seiner Rechten stehen die heilige Katharina, mitsamt dem Folterrad, auf das sie geflochten wurde und die heilige Barbara, welche als Zeichen den Turm in Händen hält, in dem sie eingesperrt wurde. Im Zwischenraum dahinter steht der heilige Laurentius, welcher bei lebendigem Leib auf Geheiß Kaiser Valerians auf einem Rost, den er in verkleinerter Form bei sich trägt, geröstet wurde. Sie sollen dem Leidenden als Vorbilder dienen. „Wann Gregorius spricht kain ungedultiger wirt empfahen daz rich des himmel. Dar umm hab nit verdriessen in den liden daz gegen diner missetät klain ist. Und doch alz ain fegfuer und ablegung diner suende / Wann da si gedultiklich williklich und in danckberkait liden wilt / Wann Greogorius spricht got der herr fügt uns zu zitlicher sträf die ewigen räch ze ver­miden“.

Das Leiden zu Lebzeiten wird positiv umgewertet. Um einer ewigwährenden jenseitigen Strafe in der Hölle zu entgehen, bestraft der Herr begangene Frevel und Vergehen gegen seine Gebote mit zeitlichen Sündenstrafen. An die Stelle der vielleicht ewigen Verdammnis für die Gesamtheit der Sünden eines Lebens, treten zeitlich begrenzte Strafen. Zum einen können diese im Jenseits auf den Sünder warten, in Form des Fegefeuers, zum anderen aber auch schon im Diesseits in Form von Unglück, Krankheit und Schmerzen eintreten, als von Gott gesandte Strafe aber auch als rüfung der Glaubensfestigkeit. Ein geduldiges Leiden kommt dem Fegefeuer vor dem Tod gleich und ist deshalb kein Zeichen für einen ungerechten Gott. Als weiterer Beweis wird im Bild auf den Akt des Martyriums Jesu hingewiesen. Am Kopfende des Bettes zu sehen, trägt er einen Nagel seiner Kreuzigung und einen Palmzweig bei sich, das Attribut, welches jedem Blutzeugen zur Unterscheidung von „gewöhnlichen“ Heiligen beigegeben wird. Auch er musste Leid ertragen, um in Herrlichkeit aufzuerstehen. An seiner linken Seite steht Gottvater selbst. In seinen Händen hält er eine Geißel und einen Pfeil, die wohl dahingehend zu deuten sind, dass er allein die Macht hat zu richten und zu strafen.

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Abb. 6: Gottvater und Jesus stehen dem Moribundus bei.

III.1.C.4 Die Versuchung der Frommen: eitler Ruhm und Hochmut98 Bei der nun folgenden Probe lassen die guten Kräfte den Moribundus nicht allein mit seinen dämonischen Versuchern. Während sich gleich fünf Teufel bemühen den Kranken durch Einschmeichelungen wie „Du bist stärk in gedult“ oder „Du bist stärk im glöben“ sowie dreier Kronen, die sie ihm als Auszeichnung seiner Standhaftigkeit im Glauben und seiner Leidensfähigkeit überreichen, zu eitlem Ruhm und Hochmut zu versuchen, bleiben Maria, Jesus und Gottvater gut sichtbar in der rechten hinteren Bildhälfte zu sehen. In ihrem Gefolge sind wiederum drei nicht näher bestimmbare Heilige ausschnitthaft im Hintergrund zu erkennen. Direkt auf Augenhöhe des Sterbenden sind außerdem drei gerettete Seelen dargestellt. In Form kleiner, unbekleideter Menschengestalten stehen sie zwischen zwei Teufeln an der rechten Bettkante. Sie stehen dabei direkt vor Jesus und Gottvater, der über ihnen die Hand zu einem Segensgestus erhoben hat. Besonders für „den gaistlichen andächtigen und gerechten menschen […]“ bergen solcherlei teuflischen Schmeicheleien die Gefahr zu Überheblichkeit, welche aber dringend zu meiden ist „[…] darumm daz sy den menschen dem teufel gelichet wann allein durch hochfart uß dem engel ist ain teufel worden“. Durch Hochmut wird

98 Die im folgenden Abschnitt angeführten Bildausschnitte und Quellenzitate stammen aus dem Faksimile der deutschen Ausgabe der „Ars moriendi“ des Meisters Ludwig von Ulm um 1470 (Xyl. 19). Ein vollständiger Abdruck findet sich im Abbildungsverzeichnis (VIII.6.1).

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Abb. 7: Sünder im Höllenschlund.

Gott geschmäht, weshalb der Sterbende durch seine Selbstgefälligkeit Gefahr läuft verdammt zu werden. Diesmal sind gleich drei Engel herbeigeeilt, um gegen diese Versuchung zu bestehen. Sie umstehen das Bett und ermahnen den Moribundus mit Gestik und Worten zu Demut. Einer der Engel, welcher an der linken Bettseite zu sehen ist, deutet auf das riesenhafte, weit aufgerissene Maul eines Monsters, bei dem es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um die Darstellung des Höllen­rachens oder Höllenschlundes handelt. Ein Motiv, dessen Ursprünge in der Exegese des Buches Ijob  40, 15–41, 26 liegen. Dort wird dieses Untier – an anderer Stelle auch „Leviathan“ genannt – mit dem Eingang in die Unterwelt verbunden. In der „Visio Tugnaldi“ wird dieses Motiv aufgegriffen. Hier ist von dem Rachen eines Ungeheuers die Rede, in den die Teufel die Seelen werfen. „Vund sein hals was im also weit uff gesperrt dz wol. ix. tusent gewappneter man dar in gingent Das selbig thier hat zwen grosser gewappneter risen in seinem halß ston / dem ein was dz haubt yber sich gekeret gegen den obern zenen des tieres dem andern warent die fuß gekeret gegen den ober zenen und dz habt gegen den undern die selben zwen risen stundent dem tier in seinem halß alß zwo sulen dar durch sein halß geteilt wart in glichnis drier porten.“

Das Untier in der „Bilder-Ars“ scheint Feuer zu speien. In dieser Flamme sind drei sich windende, nackte Gestalten zu erkennen, darunter auch ein anhand seiner Tonsur kenntlich gemachter Mönch. Mit dieser Strafe werden die Hochmütigen nach dem Tod traktiert. Die Muttergottes, Jesus und Gottvater haben den

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Kranken nicht verlassen. Erneut im Hintergrund stehend dargestellt, wird die Dreiergruppe ergänzt durch den Heiligen Geist in Form einer Taube. Als Sinnbild der Demut und Bescheidenheit wird exemplarisch der heilige Eremit Antonius im Bild angeführt. Unschwer an seinen beiden Kennzeichen, dem T-Kreuz und dem Glöcklein, erkennbar, galt er als das damals größte Vorbild der Selbsterniedrigung. III.1.C.5 Die Versuchung für weltlich Gesinnte: Reichtum und Besitz99 Obwohl sich die Dämonen bereits vier Mal geschlagen geben mussten, versuchen sie in einem letzten Anlauf in besonders heimtückischer Art, den Sterbenden von seinem Ziel abzubringen. Indem sie seine Gedanken auf die Personen und Gegenstände richten, die zu Lebzeiten den Mittelpunkt seines Lebens und den Fokus seines Arbeitens ausmachten. Auf dem einzigen Holzschnitt, der aus dem gewohnten Raumschema ausbricht, wird die ganze vordere Hälfte des Bildes vom Anwesen des Sterbenden eingenommen. Ein vogelköpfiger Teufel zu seiner Linken deutet auf diesen, seinen irdischen „schatz“, ein zweistöckiges Haus, samt Weinkeller und Pferd, welches eben von einem Knecht in die Stallungen geführt wird. Auch seine Angehörigen und Freunde werden von den Teufeln für ihre Zwecke missbraucht und dem Scheidenden schmerzlich in Erinnerung gerufen. Was wird mit ihnen passieren, nachdem er nun bald nicht mehr bei ihnen sein kann? Hat er wirklich ausreichend Vorkehrungen getroffen, um ihr Auskommen zu sichern? Doch die Engel ermahnen ihn, „du solt vergessen alles des daz dich irren mag andem haile diner sele / Wann der herr spricht / Es sii denn daz der mensch uff geb was er hab so mag er nit min iunger wesen […] Aber welcher sin hus /brüdern / schwestern • vatter• mutter / wib / kind / oder gut er durch minen willen verlässet / der wirt es hundertvalttiklich empfahen und daz ewig leben besitzen“. Auch wenn es schwer fällt, muss er nun seine ganze Kraft und Aufmerksamkeit auf das Heil seiner Seele lenken. Während ihn der eine Engel mit erhobenem Zeigefinger mit den Worten „Bis nit gytig“ ermahnt, nicht mehr habgierig an seine irdischen Güter zu denken, hält ein zweiter Engel ein Tuch ausgefaltet in seinen Händen, um die Angehörigen bzw. „frund“ des Sterbenden vor ihm zu verdecken und damit quasi für ihn auszublenden. Gott wird sich um sie kümmern und sie beschützen, wie er sich auch um die anderen Personen in der linken hinteren

99 Die im folgenden Abschnitt angeführten Bildausschnitte und Quellenzitate stammen aus dem Faksimile der deutschen Ausgabe der „Ars moriendi“ des Meisters Ludwig von Ulm um 1470 (Xyl. 19). Ein vollständiger Abdruck findet sich im Abbildungsverzeichnis (VIII.6.1).

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Abb. 8: Die Teufel wecken im Moribundus die Sorge um seine Angehörigen und seinen Besitz.

Abb. 9: Gleich dem Schäfer der sich um seine Schafe kümmert, wird sich auch Jesus um die Hinterbliebenen des Moribundus kümmern.

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Bildhälfte, auf die der ermahnende Engel deutet, kümmert. Wie die Schafe – in Analogie zum Hirten Jesus – neben ihnen, stehen sie unter dem Schutz des gekreuzigten Jesus. Auch er musste von seiner trauernden Mutter Maria, welche auf der gegenüberliegenden Seite zu sehen ist, Abschied nehmen. Ein einziger pferdefüßiger, verhältnismäßig kleiner Teufel ist geblieben. Mit abwehrend erhobener Hand sieht man ihn in der rechten vorderen Bildecke sitzen. „Ich kann nit mer“, sind seine Worte. Die Teufel sind geschlagen, die Proben bestanden.

III.1.D Fegefeuer und Höllenqualen – die Sorge um das Seelenheil Anders als bei den Totentanzdarstellungen fällt auf, dass der Tod selbst als Gestalt in der „Bilder-Ars“ keine Rolle spielt. Er ist der „grosse Abwesende […] Er, der im 14. und 15. Jahrhundert nahezu überall sichtbar anwesend war, wird hier als allegorische Figur nicht genutzt.“100 Sinn und Gegenstand sollte wirklich der Vorgang des „heilsamen Sterbens“ sein, nicht in erster Linie ein „Memento mori“, wie es sich in den Bildern des „Danse Macabre“ präsentierte oder in Mahnpredigten vorgetragen wurde. Bereits in der Einleitung der „Bilder-Ars“ wird das Ziel, das Erlernen der Kunst des heilsamen Sterbens, genannt. Nach mittelalterlicher Vorstellung ist der Tod etwas auf das man sich möglichst früh vorzubereiten hat, will man den teuflischen Anfechtungen, die einem Jeden bevorstehen erfolgreich meistern. Der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tod gehört zu den Grundfesten der christlichen Lehre. Das „heilsame Sterben“ ist im Sinne einer Erlösung aus dem diesseitigen Jammertal zu verstehen, hin zum wahren Leben in Jenseits. Alois Haas zufolge ist dies ein gängiger Topos, der sich während des ganzen Mittelalters hindurch finden lässt. „Der Tod hat im Mittelalter Zeichencharakter: Er verweist auf die Erlösung im Jenseits, das allein wahres Leben und Befreiung vom bitteren Tod dieses in Sünde und Schuld verstrickten Lebens garantiert.“101 Da sich in der Sterbestunde das jenseitige Schicksal entschied, erhielt diese enorme Bedeutung. Besonders gefürchtet wurde aus diesem Grund auch ein plötz­licher Tod, etwa durch einen Unfall oder eine rasch dahinraffende Seuche. Diese letzte Stunde, in der „Bilder-Ars“ dargestellt als ein Ringen um die Seele, ist die wichtige Schnittstelle zwischen Diesseits und Jenseits, ein Prozess,

100 Haas, Alois: M., Didaktik des Sterbens in Text und Bild, in: Unimagazin – Die Zeitschrift der Universität Zürich, 2/97, S. 3. 101 Haas, Alois, M.: Tod und Jenseits in der deutschen Literatur des Mittelalters, in: Himmel, Hölle, Fegefeuer – Das Jenseits im Mittelalter, Ausstellungskatalog des Schweizerischen Landesmuseums, Zürich, 1994 S. 69–79, S. 69.

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welcher laut Jacques Le Goff insbesondere durch die Entwicklung und Festigung der Fege­feuer­lehre bedingt ist, welche er für die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts konstatiert. „Denn wenn auch für den Großteil der Sterbenden die Chance, direkt in den Himmel einzugehen, seit langem verspielt war, so blieb ihnen doch noch Zeit, sich durchs Fegefeuer zu retten.“102 Anders als Phillip Ariès in seiner „Geschichte des Todes“, vertritt Le Goff die These, dass sich „bereits im 13.  Jahrhundert, das Schicksal der unsterblichen Seele im Augenblick des physischen Todes entschied’ und „daß das Fegefeuer eine der Hauptursachen für diese Dramatisierung der Todesstunde war.“103 In diesem letzten kurzen Zeitraum, der dem Menschen noch bleibt, kulminiert nach mittelalterlicher Vorstellung sein ganzes bisheriges Leben. Dies ist der Zeitpunkt, in dem bereits vor dem Jüngsten Gericht die Entscheidung darüber fällt, wie lange der Moribundus im jenseitigen Fegefeuer schmoren muss. Entscheidend hierfür ist die jeweilig individuelle Sündenbilanz. Je nachdem wie viele „lässliche Sünden“ begangen worden sind, muss der Sünder eine dementsprechende Zeitspanne im jenseitigen Reinigungsort verbringen – so zumindest der „Regelfall“. Ohne die Chance auf eine jenseitige Buße und damit die Möglichkeit trotz begangener Sünden schlussendlich in das himmlische Paradies zu gelangen, wäre auch die Vorbereitung auf einen guten Tod, wie sie die Ars Moriendi in ihrer Ausgangsszene beschreibt, nicht von Belang, da auf den Himmel nur hoffen konnte, wer vollkommen rein und ohne die geringste Verfehlung in seinem Sündenkonto verschied. Die Entwicklung des dritten Jenseitsortes neben Himmel und Hölle trug demzufolge entscheidend zur wachsenden Bedeutung der Todesstunde bei. Aus diesem Grund soll im Folgenden die theologische Verfestigung des Läuterungsraumes anhand der wichtigsten Stationen im Laufe der Geschichte nachgezeichnet werden. III.1.D.1 Die Entwicklung des Purgatoriums als dritter Ort im Jenseits Folgt man Jacques Le Goffs Argumentation, so wurde das Purgatorium als Ort der Reinigung erst Ende des 12.  Jahrhunderts benannt und lokalisiert. Dabei macht er die „Geburt“ des Fegefeuers an der Beobachtung fest, dass der Begriff „purgatorium“ erstmals in dieser Zeit in den Quellen auftaucht. Zu Recht wird Le

102 Le Goff, Jacques: Die Geburt des Fegefeuers, Augsburg, 1984, S. 354. 103 Ebd., S. 355. Eine These, welche generellen Konsens in der Forschungsliteratur findet und bereits vor Le Goffs Werk, etwa in der Monographie von Erich Fleischhack „Fegfeuer – Die christlichen Vorstellungen vom Geschick der Verstorbenen geschichtlich dargestellt“ aus dem Jahr 1969, dargelegt wurde.

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Goffs Argumentation an diesem Punkt kritisch in der Forschung diskutiert.104 Er selbst führt in seiner Monographie Autoren wie Augustinus oder Gregor  I. auf, bei denen unbestreitbar die Theorie eines dritten Ortes der Buße im Jenseits vor dem Jüngsten Tag diskutiert wird. Susanne Wegmann deutet diesen Vorgang „weniger als „Geburt“, sondern eher als Entwicklung […]. Wobei keine stringente, auf einen Zielpunkt ausgerichtete Entwicklung festzustellen ist und auch nicht erwartet werden kann.“105 Unbestritten ist allerdings, dass in die Blütezeit der Scholastik die Etablierung des Fegefeuers fällt. Dabei griffen die Scholastiker auf die Werke der anerkannten Kirchenväter zurück, den „Vätern des Fegefeuers“, wie sie Jacques Le Goff nennt. Von großem Einfluss sind dabei die Traktate des heiligen Augustinus (*354–†430) De Genesi contra Manicheos (398), Enarratio in Psalmum XXXVII (400–414) und De civitate Dei (425/426). In der frühesten hier genannten Schrift beschreibt er zwei Arten des jenseitigen Feuers. In ersterem wird die Seele des Verstorbenen zur ewigen Strafe verdammt, während das zweite reinigende Wirkung hat. Zwar bleibt die nähere Bestimmung des Reinigungs­ feuers für Augustin noch länger ungeklärt, „dennoch vertritt er in der Enarratio in Psalmum XXXVIII die These, die im Mittelalter, auf das Fegefeuer bezogen, ein breites Echo fand: „Zwar werden einige durchs Feuer gerettet werden, aber dieses Feuer ist furchtbarer als alles, was ein Mensch auf dieser Welt leiden kann.“106 Dabei beruft er sich auf die Bibelstellen in 1. Kor. 3,12–15 und auf das Matthäusevangelium.107 Ab dem Jahre 413 n. Chr. entwickelte der damalige Bischof von Hippo Regius laut Le Goff klarere und restriktivere Vorstellungen über das Schicksal der Verstorbenen, insbesondere auch über die Möglichkeit der Buße und Loslösung von der Schuld nach dem Tode. Augustinus’ Werke bejahen bereits ebenfalls die Wirksamkeit von Fürbitten für die Toten. Mit deren Hilfe könnte der Eintritt der Seelen in das Paradies beschleunigt werden. Für Verdammte allerdings seien solcherlei Suffragien nutzlos. Im Jahre 425/426 bekräftigt das Werk Vom Gottesstaat nochmals die Existenz eines endlich währenden Feuers, das er „zwar hauptsächlich im Zusammenhang mit dem Jüngsten Gericht“ sieht, „aber er zieht auch die

104 Etwa von Susanne Wegmann in ihrer Dissertation aus dem Jahr 2003 „Auf dem Weg zum Himmel – Das Fegefeuer in der deutschen Kunst des Mittelalters“. 105 Wegmann, Susanne: Auf dem Weg zum Himmel – Das Fegefeuer in der deutschen Kunst des Mittelalters, Wien, 2003, S. 6. 106 Le Goff, Jacques, S. 90. 107 „Darum sage ich euch: Alle Sünde und Lästerung wird dem Menschen vergeben; aber de Lästerung wider den Geist wird den Menschen nicht vergeben. Und wer etwas redet wider des Menschen Sohn, dem wird vergeben; aber wer etwas redet wider den heiligen Geist, dem wird’s nicht vergeben, weder in dieser noch in jener Welt.“ Matth. 12, 31–3.

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Möglichkeit in Erwägung, daß in der Zeit zwischen Tod und Jüngstem Gericht die Verstorbenen im Feuer geprüft oder gereinigt werden können: „[…] Sieh, so ist, wie ich meine, das Feuer gefunden, das keinem Verdammnis bringt, wohl aber dem einen Gewinn, dem andern Schaden, und das beide prüft. […] Denn beide müssen durch das Feuer geprüft werden, von dem es heißt: ‚Denn der Tag wird es ans Licht bringen, denn im Feuer wird es enthüllt werden, und welcher Art eines jeglichen Werk sei, wird das Feuer erproben.‘ [1. Kor. 3.13]Wenn also das Feuer beide erproben wird und der, dessen Werk, also das, was er aufgebaut hat, nicht vom Feuer verzehrt wird, Lohn empfängt, während der andere, dessen Werk verbrennt, Schaden leidet, dann ist hier gewiß nicht vom ewigen Feuer die Rede. Denn in dieses werden durch die letzte und endgültige Verdammung lediglich die zur Linken verwiesen, während jenes die zur Rechten nur prüft. […] In der Zwischenzeit übrigens zwischen dem Tode dieses Leibes bis zu jenem letzten Tag des Gerichts […], mögen immerhin Geister von Verstorbenen ein derartiges Feuer erdulden, das die nicht spüren, welche während ihres Erdenwandels nicht so lebten und liebten, daß es Holz, Heu und Stroh zu verzehren gäbe, während die anderen es zu spüren bekommen, die ein Bauwerk weltlicher Art, das jedoch keine Verdammnis heraufbeschwört, mit sich führen und also, sei es nur dort, sei es hier und dort, sei es bloß hier und nicht auch dort, ein zerstörendes Feuer vorübergehender Trübsal zu erwarten haben. Ich habe nichts dagegen, denn vielleicht ist es wahr. […]“.108

Damit hatte der Kirchenvater Augustinus die Grundsteine zur späteren Fege­feuer­ lehre gelegt, welche von Gregor dem Großen im 6.  Jahrhundert affirmiert und weiter ausgebaut wurden. Der 590 n. Chr. zum Papst gewählte Gregor  I. erwies sich als wegweisender eschatologischer Hirte, der – überzeugt von der bevorstehenden Apokalypse – zahlreiche Schriften verfasste. Im Hinblick auf das Fegefeuer ist besonders das 4.  Buch der Dialogi wichtig. Darin werden anhand von Exempla – Beispielerzählungen, bei denen es sich in den Dialogi meist um Visionen handelt – Grundelemente der christlichen Lehre vermittelt. Die Existenz eines Reinigungsfeuers bejaht Gregor und beruft sich dabei wiederum, wie schon Augustinus, auf das Matthäusevangelium. Anders als Augustinus standen in den päpstlichen Schriften allerdings weniger theoretische Fragen zum Ort der Reinigung und der Art der Strafen im Fokus des Interesses, als vielmehr die Möglichkeiten inwiefern den Verstorbenen im Fegefeuer Fürbitten und Seelenmessen helfen könnten.109 Als wichtigste Neuerung benennt Le Goff jedoch den Fakt, dass in den Dialogi Geschichten von Wiedergängern auftauchen, die an den Ort ihrer Schuld zurückkehren. Das wohl bekannteste Exempel in diesem Zusammenhang ist das

108 Wegmann, Susanne, S. 7–8. Wegmann zitiert nach Augustinus: Gottesstaat, Ausg. Thimme 1978, Bd. 2, S. 734–735. 109 Nachzulesen in Ebd. S.  9 sowie bei Le Goff, Jacques, S.  110–119 und Fleischhack, Erich, S. 37  ff.

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sogenannte „Badehaus-Exempel“ über einen Priester namens Johannes, der an den Quellen der Badeanstalt Tauriana den Geist des einstigen Besitzers traf, der nach seinem Tod seine Sünden an diesem Ort abbüßen musste, indem er dem Priester seine Dienste als Diener anbot. Zum Dank erbat sich der Geist Meßfeiern, welche ihn schlussendlich erlösten. Nach Gregor gibt es also nicht nur einen Ort der Reinigung im Jenseits. Die Toten können ihre Strafe auch im Diesseits verbüßen. Auch wenn sich dieser Aspekt in der offiziellen kirch­lichen Theologie nicht durchsetzte, blieben die Vorstellungen von Wiedergängern dennoch präsent und „bildeten die Grundlage und Rechtfertigung für die Entstehung vieler Gespensterund Wiedergängergeschichten, die von der Kirche nur mit Mühe im Zaum gehalten werden konnten.“110 Zwischen Gregor dem Großen und dem 12. Jahrhundert ist kaum eine theologische Weiterentwicklung der Purgatoriumstheorien zu verzeichnen. In der aufblühenden Visions- und Mystikerliteratur allerdings nehmen Beschreibungen des Jenseits, insbesondere der Hölle und des Läuterungsfeuers, einen verhältnismäßig großen Anteil ein. Oft stehen die Traum- oder Nahtodberichte über das Jenseits in Widerspruch zur offiziellen kirchlichen Lehrmeinung. Ein frühes Beispiel für eine Vision in der jenseitige Strafen beschrieben werden, findet sich in der Historia Ecclesiastica Gentis Angelorum (731) des northumbrischen Benediktinermönchs und Gelehrten Beda Venerabilis (*672/3–†735). In diesem Werk ist der Bericht über einen Mönch namens Drythelm enthalten, laut Le Goff der erste Bericht dieser Art in der eine Stätte der Reinigung in der anderen Welt beschrieben wird. Seine Vision erschien Drythelm so furchteinflößend, dass er danach das Mönchsgelübde ablegte. In dieser Geschichte wird der Held von einer Engelsgestalt durch eine Region im Jenseits geführt, in der die unglücklichen Seelen von Hitze und Kälte gar so sehr gequält werden, dass Drythelm sich in der Hölle glaubt, doch belehrt ihn sein Führer durch die Unterwelt eines Besseren. Dies seien Seelen, die sich in ihrer Todesstunde reuevoll ob ihrer Sünden gezeigt hätten und deshalb an diesem Ort gereinigt würden, um am Jüngsten Tag in den Himmel eingehen zu können. In der Kirchengeschichte der Angelsachsen und in seinen Homilien, die Beda in den Jahren zwischen 730 und 735 n. Chr. verfasste, gibt der angelsächsische Theologe „eine klare Definition derjenigen, die zum Reinigungsfeuer verurteilt sind, und versichert eindringlich die Wirksamkeit der Fürbitten der Lebenden, der treuen Freunde, aber vor allem zeigt er die Dauer der im „Fegefeuer“ zu verbringende Zeit auf: Von der Periode, die sich maximal vom Tode bis zur Wiederauferstehung erstreckt, kann man durch Fürbitten einen Nachlaß erwirken.“111 Die Art der Bestrafung in der Geschichte Drythelms, wie

110 Wegmann, Susanne, S. 10. 111 Le Goff, Jacques, S. 127.

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auch in vergleichbaren anderen Visionen, beispielsweise der Mechthilds von Magdeburg, ähnelt dabei der Höllenpein von Verdammten. Einen wichtigen Zwischenschritt stellt das um die Wende vom 11. zum 12. Jahr­hundert erscheinende Traktat De vera et falsa penitentia dar. Das Augustinus zugeschriebene Werk hat bereits im 12. Jahrhundert großen Erfolg und wird von Gratian und Petrus Lombardus zitiert. Neu ist der Gedanke einer gültigen „Notbeichte“ bei einem Laien im Falle, dass in Todesgefahr kein Kleriker zu erreichen ist. Zwar kann der Laie keine Absolution erteilen, aber das Beichtbedürfnis und die Reue, welche in diesem Akt zum Ausdruck kommen, können eine Absolution von der Schuld erwirken, zumindest insoweit, als dass im Todesfall nicht die ewige Verdammnis, sondern „nur“ das Fegefeuer auf den Sünder wartet.112 Dieser Gedanke der „Notbeichte“ wird insbesondere für die hier behandelten Ars moriendi wichtig, da hier eben dieser Ernstfall der Sterbestunde ohne priester­ lichen Beistand behandelt wird und als eine Art Leitfaden das Sterben ohne einen Kleriker, im günstigsten Fall jedoch mit einem guten Freund oder Verwandten an seiner Seite, dargestellt wird. Auch dieser könnte also die letzte Beichte des Moribundus abnehmen und seiner Seele Erleichterung verschaffen. Die Fegefeuertheorie des überaus geachteten Theologen Thomas von Aquin (*um 1225–†1274) wird schließlich zu einem der häufigsten Ausgangspunkte und doktrinäres Fundament spätmittelalterlicher Erläuterungen zum dritten Sonderraum im Jenseits. Der Heilige bedient sich der dialektischen Methode, um auf die Frage der jenseitigen Buße einzugehen. Am ausführlichsten liefert er in der Summa Theologica eine Beschreibung dessen, was nach dem Tod mit der Seele geschieht.113 Thomas wendet sich gegen die Meinung der Griechen und Armenier, die eine Art Schwebezustand der Seele vermuten, bevor am Jüngsten Tag die Trennung in Himmel und Hölle erfolge. Wie bereits Augustinus wendet sich Thomas von Aquin gegen die von Origenes vertretene Position, alle jenseitigen Strafen seien Reinigungsstrafen und am Ende würde allen vergeben werden.114 Nach ihm gibt es drei Optionen, die sich einem Jedem nach seinem Tod eröffnen. Wer ohne Eintragung auf seinem Sündenkonto stirbt, dem ist das Paradies sicher, für die anderen gilt, je größer ihre persönliche Schuld, desto tiefer gelegen wird ihr zukünftiger Platz in der Unterwelt sein. Am tiefsten Punkt liegt die Hölle,

112 Ebd., S. 260  f. 113 Thomas von Aquin, Die Auferstehung des Fleisches, kommentiert von Adolf Hoffmann, die deutsche Thomas-Ausgabe, vollständige, ungekürzte, deutsch-lateinische Ausgabe der Summa Theologica, hg. von P. Heinrich M. Christmann, Band 35, Supplement 69–86, Heidelberg, Graz, Wien, Köln 1958. 114 Fleischhack, Erich, S. 64  ff.

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aus ihr kann es kein Entkommen geben. Am höchsten gelegen sind die Limben der Väter – seit Christi Abstieg in die Hölle steht dieser leer – und der ungetauft verstorbenen Kinder, denen ebenfalls keine Hoffnung auf eine Errettung bleibt, da sie mit der Erbsünde belastet sind. Dazwischen liegt das Purgatorium, die einzige Region aus der die Seelen entkommen können. Einerseits am Tag des Jüngsten Gerichts, bei dem sie in den Himmel auffahren, andererseits ist es ihnen möglich zur Belehrung von Lebenden kurzzeitig den Ort ihrer Marter zu verlassen um den Lebenden zu erscheinen und sie um Suffragien zu bitten. Laut Thomas von Aquin sind dafür am besten jene Werke geeignet, „die am meisten zur Mitteilung der Liebe beitragen“, die also die Gemeinschaft zwischen den Lebenden und den Toten herstellen. Das Sakrament der Eucharistie wird von ihm hervorgehoben, da es „in besonderer Weise zur Liebe“ gehört und „da es das Sakrament der kirchlichen Einheit ist und denjenigen birgt, in welchem die ganze Kirche geeint und gefestigt wird, nämlich Christus“115. Auch Spenden für Bedürftige und Gebete für die oder den Verstorbenen, wie auch andere gute Werke, sind von Nutzen. Die überaus schreckliche und grauenvolle Pein des Purgatoriums besteht seiner Meinung nach aus der Entziehung der Gottesschau – die Strafe, welche auch die Kinder im Limbus ertragen müssen – und der Strafe durch das Feuer. Wer allerdings die ausführende Hand der Strafen ist, bleibt etwas unklar, da weder Engel noch Teufel dafür zuständig sind. Im zweiten Konzil von Lyon (1274) wurde die offizielle päpstliche Definition des Fegefeuers schließlich festgelegt. Im Grunde finden sich hier die bereits von Thomas von Aquin beschrieben Punkte wieder. So dient das Fegefeuer der Läuterung der Seelen, die ihre Buße zu Lebzeiten nicht vollenden konnten. Um diesen Verstorbenen zu helfen, kann der Gläubige „Meßopfer, Gebete, Almosen und andere Werke der Frömmigkeit, die von den Gläubigen entsprechend den Anordnungen der Kirche andere Gläubige gewöhnlich verrichtet werden“116 einbringen. Im Unterschied zu der aquinischen Definition, wird jedoch die Lage des Purgatoriums nicht beschrieben, ja das Wort „purgatorium“ wird überhaupt nicht genannt, genauso wenig wie das Feuer erwähnt wird, wie Le Goff kritisch

115 Thomas von Aquin, Die Auferstehung des Fleisches, kommentiert von Adolf Hoffmann, Band 35, Supplement 69–86, Quaestio 71, 9, S. 108. Vgl. Wegmann, Susanne, S. 12. 116 Edition: Kaiser Michael  VIII, Palailogogos, 2. Konzil von Lyon, 4. Sitzung, Brief an Papst Gregor X., 6.  7. 1274, in: Denzinger 1991, Nr.  856. (Die offiziell festgelegte Definition des Fegefeuers ging auf einen Text von Papst Clemens IV (1265–1268 n. Chr.) zurück, den dieser 1267 an den byzantinischen Kaiser Michael VIII Palailogos sandte. Der Kaiser fügte diese Definition in das Glaubensbekenntnis der griechischen Kirche ein, das er 1274 an Clemens’ Nachfolger Papst Gregor X (1271–1276) sandte und so in den Anhang der Konzilsbestimmungen einging). Vgl. Wegmann, Susanne, S. 15.

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bemerkt. In den nachfolgenden Konzilien von Florenz im Jahr 1438 und Trient im Jahr 1564 kommt es zu einer weiteren und weitestgehend abschließenden Institutionalisierung des Fegefeuers. Das ausgehende Mittelalter bringt laut Susanne Wegmann keine neuen Ansätze mehr für die Vorstellung vom Fegefeuer. In der Predigt- und Erbauungsliteratur blieb Thomas von Aquin „die maßgebliche Autorität, auf die man sich häufig namentlich berief. Aber auch andere Meinungen, die durchaus im Widerspruch zu Thomas oder der kirchlichen Lehrmeinung stehen konnten, wurden tradiert und mehr oder weniger in den Vordergrund gestellt.“117 Als vergleichendes Beispiel soll an dieser Stelle die spätmittelalterliche Inku­nabel des Seelen-Wurtzgarten118 angeführt werden. Wie die dieser Arbeit als Quelle für die „Bilder-Ars“ zugrunde liegende Ulmer Ausgabe, wurde der Seelen-Wurtzgarten in Ulm gedruckt und beinhaltet einen, deutlich längeren, volkssprachlichen Text. Auch zeitlich liegen beide Exemplare nahe beieinander. Während die „Bilder-Ars“ auf um 1470 datiert wurden, vermerkt das Kolophon der Inkunabel das genaue Druckdatum, den 18. Dezember 1488. Diese Exempelsammlung, welche in nur insgesamt zwei Handschriften und neun Drucken – in leicht gekürzter Fassung – vollständig erhalten ist, liefert unter anderem einen interessanten und relativ ausführlichen Einblick in die zeitgenössischen Vorstellungen zu Fegefeuer und Hölle. So wird gleich zu Beginn des zweiten Teils davor gewarnt „das etlich ketzer gewesen sind […] dy srechen das kain fegfuͤ r sey · dann wann got dem / menschen dy sünd vergeb so vergeb / er pein und schuld mit einander · Und / darumb ain yetlicher der do sterb der kumb von stund an in dy hell · Und dar tzwischen ist mi / tel. Aber das ist nit war und ist ketzerey“119. Die Leugnung des dritten Ortes im Jenseits wird an dieser Stelle als Irrlehre verurteilt. Bereits Augustinus bezog in seinen Schriften diesen Standpunkt, indem er die Lehren der sogenannten „Mitleidigen“, einer christlichen Strömung zu Zeiten des Bischofs von Hippo, welche er zu Nachfolgern des Origenes (185–

117 Wegmann, Susanne, S. 21. 118 Seelen-Wurtzgarten, Ulm, gedruckt von Konrad Dinckmut, 1488. Für diese Arbeit wurde das bis dato nicht edierte Exemplar der Leopold-Sophien-Bibliothek in Überlingen verwendet. Sign.: Bd 1036. Laut Werner Williams-Krapp entstand das ursprüngliche Manuskript dieses Traktates in den Jahren 1466/67 im Benediktinerstift Komburg bei Schwäbisch Hall. Im Auftrag des Abtes Ehrenfried II von Vellberg (1449–1473 n. Chr.) wurde diese Exempelsammlung von vornherein in der Volkssprache konzipiert. Wiliams-Krapp, Werner, Exempla im heilsgeschichtlichen Kontext, in: W., Haug & B. Wachinger (Hgg.), Exempel und Exempelsammlungen, Tübingen, 1991, S. 208– 222.; Einige kurze Zitate sind auch bei Wegmann, Susanne auf den Seiten 23–26 enthalten, wobei der Autorin eine frühere Ausgabe von 1483 desselben Druckers vorlag. 119 Anhang VIII.6.2.A Transkription Bl. 50 (r).

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254 n. Chr.) erklärte, strikt ablehnte.120 Der Autor des Seelen-Wurtzgarten bezieht sich in seinem Text auf den geachteten Theologen und Papst, Gregor I., dessen Argumentation und Lehrmeinung zum Fegefeuer an dieser Stelle als Affirmation für die Existenz des Fegefeuers angeführt wird: „[…] dann Christus hat selbs gespr / ochen als Matheus schreibt · Wellicher ain wort / redt wider den hailigen gaist dem wirt nit vergeben we / der hie in dieser welt noch in der künftigen welt · Und dar / umb als Gregorius spricht so muͦ sz ain andere stat sein do / es vergeben werd ·und das ist aber nit in dem himel · so ist / es auch nit in der hell / darumb so muͦ sz ain andere stat sein do / es vergeben werd · darumb so muͦ sz es sein in dem fegfuͤ r“121.

Wohl im Sinne eines „Generalbelegs“ werden eine Zeile später zudem „all cristenlich lerer“ erwähnt, denn die Meinung aller christlichen Gelehrten und Autoritäten der Kirche kann unmöglich fehlgeleitet sein da, „dy cristenlich kirch wirt gere / girt durch den heiligen gaist“122. Die Gnade der jenseitigen Buße wird dabei dem Sünder gewährt, „wellicher in teglichen sünden stirbt / Und kain totsünd auff ym hat der wirt nit verlorn · er mag / nit von stund an gen himel kumen ·Darumb so muͦ sz ain mitel sein dar inn er genuͦ g thuͦ “123. Wer also mit lediglich „teglichen“, sprich kleinen „alltäglichen“ oder sogenannten lässlichen Sünden, im Unterschied zu den wirklich schweren Verfehlungen der Todsünde verstirbt, wird nicht zu ewigen Höllenqualen verdammt. Doch auch noch für die letztere Gruppe eröffnet sich die Chance auf das Fegefeuer, denn: „Es ist ze wissen das man für dy todsünd dy / man hie auff dieser erden gebeicht hat und nit gar ge / buͤ st hat · und auch für dy teglichen sünd in dem feg / fur gar grosse pein leiden muͦ sz · Allso schreib / ent uns Gregorius und auch Augustinus dy heiligen lerer / […] das / man für klain sünd und das wir nit für sünd haben gar / grosse pein und marter in dem fegfuͤ r leiden muͦ sz“124.

An dieser Stelle wird ein interessanter Punkt für den Leser zur Sprache gebracht, denn selbst wenn eine Todsünde begangen wurde, welche eigentlich mit ewiger Verdammnis bestraft wird, besteht doch noch die Möglichkeit die Strafe abzumildern. Dies ist der Fall, wenn der Sterbende Reue zeigt und seine Todsünde beichtet, jedoch keine Absolution mehr erhält. Dies würde bedeuten, dass im beschriebenen Fall die Beichte nicht bei einem Priester, sondern bei einem Laien abgelegt

120 Le Goff, Jacques, S. 90  f. 121 Anhang VIII.6.2.A Transkription Bl. 50 (r). 122 Ebd. 123 Ebd., Bl. 50 (r) und 50 (v). 124 Ebd., Bl. 50 (v).

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würde, welcher dem Sterbenden keine Absolution erteilen kann. Grundlegend für diese Idee ist, wie bereits an anderer Stelle erläutert, das anonyme Traktat De vera et falsa penitentia. Illustriert wird die Lehre vom Purgatorium im SeelenWurtzgarten durch mehrere Exempel. Angeführt werden auch zwei Erzählungen, welche ob ihrer offensichtlichen Bekanntheit nur kurz ausgeführt werden. Zum einen das „Badehaus-Exempel“ aus „dem buͦ ch Dyalogorum […]“ von Gregor I., in dem dieser definierte, dass „das fegfuͤ r und das / hellisch fuͤ r an einander gleich sind an der hitz an der mar / ter und an der pein · Doch so ist in dem fegfuͤ r ain grosser / trost und hoffnung der erloͤ sung · Und dieselb hoffnung ist / nit in der hell“ und das „Buch Sancti Patricii von / dem feguͤ r in Hibernia“125. Das „Fegefeuer des heiligen Patrick“, welches der Legende nach dem Mis­ sio­nar bei der Bekehrung der Iren gedient haben soll, war bis ins 17. Jahrhundert hinein eine berühmte Pilgerstätte auf einer kleinen irischen Insel. Hier konnten die Besucher in einer Art visionärer Schau, welche mit Fasten und Beichte verbunden war, einen Einblick in das Jenseits bekommen. Infolge dessen kam es zu wiederholten Beschreibungen der Visionen, von denen die berühmteste und früheste die des Ritters Owein ist. Sein Bericht wurde 1189 von einem Mönch aus Saltrey aufgezeichnet.126 Der anonyme Autor gibt in diesem Teil des Seelen-Wurtzgarten die wichtigsten Elemente der Fegefeuerlehre wieder, welche für den Leser mit diversen Exempeln anschaulich illustriert werden. Derart will das Werk zur moralischen Bereicherung, als eine „Würze für die Seele“ des Rezipienten, beitragen. III.1.D.2 Das Spektrum der Verfehlungen – von „lässlichen“ Sünden und den 7 Todsünden Die Entwicklung der Idee eines dritten Ortes in der Unterwelt, eines Sonderraumes, setzt zum einen eine gewisse „Werteskala“ der Sünden zum anderen ein Gericht gleich nach dem Tod voraus. Auch in den Werken des schon mehrfach genannten Augustinus finden sich Le Goff zufolge drei Arten der Sünde. Der Heilige gibt bereits eine Abstufung der Sünden von schweren über mittlere bis zu leichten Sünden127. Eine Abstufung, welche „die Theologie seit jeher […]“ beschreibe, indem sie „Sünde nicht einfach gleich als Sünde wertet, sondern

125 Ebd. 126 Blöcker, Susanne: Studien zur Ikonographie der sieben Todsünden in der niederländischen und deutschen Malerei und Graphik von 1450–1560, Münster, Hamburg, 1993, S. 198. 127 Le Goff, Jacques, S. 92–93. Vgl. Augustinus, Der Gottesstaat, XXI, 16, 26. Die lateinische Fassung der Bibliotheca Augustina ist online einsehbar unter: http://www.hs-augsburg.de/~harsch/ Chronologia/Lspost05/Augustinus/aug_cd00.html, (zuletzt geprüft am 27. 06. 2016).

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sowohl Gradunterschiede in der Schwere der verschiedenartigen Sünden annimmt, als auch eine Unterscheidung zwischen schwerer Sünde (peccatum grave, mortale) und lässlicher Sünde (peccatum leve, veniale)“128. Dabei sind insbesondere die „peccata mortalia“ oder Todsünden gefährlich für das Seelenheil. Zeigt der Sterbende in einem solchen Fall keine Reue und bittet um Vergebung ist ihm die Hölle sicher. Der bekannte Kanon der sieben Todsünden ist Susanne Blöcker zufolge ein Produkt der Scholastik, der in engem Kontext mit der Beichtund Bußlehre des 12. Jahrhunderts entstand. Dieser Kanon umfasst alle Sünden, die zur Verdammnis, also zum ewigen Tod, des Sünders führen. Die Ursprünge einer Trennung von guten und bösen Kräften lassen sich bis in persisch-babylonische Zeit zurückverfolgen. Im Zuge der Einverleibung des persischen Großreiches in den Herrschaftsraum Alexander des Großen werden diese Vorstellungen mit anderen Kulten und Glaubensrichtungen vermischt. Dieser Synkretismus wiederum „prägt auch die größte sektiererische Bewegung der Zeit: den Gnostizismus, dessen Einflüsse bis in die frühchristlich-koptische Kultur Ägyptens zu spüren sind.“129 Im frühen ägyptischen Mönchtum werden diese dämonischen Kräfte als spirituelle Gefahren für die meist als Eremiten lebenden Mönche erstmals spezifiziert. Durch Kenntnis dieser Anfechtungen wollte man sich – wie auch in den spätmittelalterlichen Ars moriendi – besser vorbereiten können und somit möglichst wirksam schützen. Die erste Aufstellung eines Sündenkanons findet sich laut Böckler bei Evagrius von Pontus (345–399 n. Chr. in Ägypten). Sein Schüler Johannes Cassianus (um 360–435 n. Chr. in Südgallien) entwickelte diese noch acht Laster umfassende Aufstellung weiter und trägt sie in den Westen nach Marseille. Diese Achtlasterlehre lieferte das Fundament für Papst Gregor I., der 200 Jahre später das bekannte Schema der sieben Hauptsünden entwickelte. Dieses umfasst sowohl fleischliche Versuchungen, wie Völlerei und Wollust, als auch Trägheit (sowohl körperlich als auch geistig), Zorn, Geiz und den Stolz. Seit dem 12. Jahrhundert wird, über den Weg der Predigt und der zunehmenden Lehrtätigkeit von Klöstern in außerklerikalen Bereich, die Verbreitung dieses Konzeptes auch in Laienkreisen gefördert. „Diese Entwicklung wird durch die Einführung der obligatorischen Beichte durch das IV. lateranische Konzil (1215–1216 n. Chr.) noch verstärkt. Durch die auf den Kardinalsünden fu­ ßen­den Beichtfragen, die dem Priester in einer großen Auswahl konfessioneller

128 Vordermayer, Helmut, Die Lehre vom Purgatorium und die Vollendung des Menschen – Ein moraltheologischer Beitrag zu einem umstrittenen Lehrstück aus der Eschatologie, Innsbruck, Wien, 2006, S. 79. 129 Blöcker, Susanne, S. 5. Ausführlicher bei Bloomfield, Morton W., The Seven Deadly Sins, Michigan, 1967, S. 16.

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Abb. 10: Personifikation der „Superbia“ aus dem Seelen-Wurtzgarten.

Handbücher zur Verfügung gestellt werden, erfährt der Beichtende nicht nur das Wesen der Sünde. Er erkennt auch die aus ihr resultierende Gefahr für sein Seelenheil.“130 In Folge dessen taucht der Terminus „Todsünde“ auch immer häufiger in der Bußliteratur auf. Ursprünglich waren die „Todsünden“ eng mit der Übertretung der zehn Gebote verknüpft. Im Laufe dieser Entwicklung wird nun der „Todsünden“-Begriff mit den sieben schwersten Sünden, den „Hauptsünden“, verbunden, was in einer letztendlichen Verschmelzung dieser beiden Termini in der Renaissance mündet. Auch die bildende Kunst trägt wesentlich bei zur Verbreitung des Todsündenkanons, der „auf jede nur erdenkliche Weise ins Bild gesetzt …“ wurde. „Das Motiv findet man sowohl in der kleinformatigen Graphik als auch in der großflächigen Tafelmalerei“131. Bereits im gregorianischen Sündenkatalog wird dabei der Stolz, die „Superbia“, als Wurzel aller anderen Sünden, der den im Neuen Testament postulierten Idealen der Demut und Selbstlosigkeit entgegensteht, aufgeführt. In der Regel führt sie deshalb den Zyklus der sieben Todsünden an. Auch in der Illustration aus dem Seelen-Wurtzgarten die zu Beginn des Kapitels über die jenseitigen Straf­ orte steht, ist die Darstellung der „Superbia“ annähernd in der Bildmitte verortet.132 Zu sehen sind hier die personifizierten, schwersten Sünden umgeben von einem Flammenmeer, in dem sie von Teufeln entsprechend ihrer Verfehlung gequält werden. Wie in Darstellungen des 15. Jahrhunderts üblich ist der weib­

130 Ebd., S. 8. 131 Ebd., S. 17. 132 Siehe Abbildungsverzeichnis VIII.6.2.B – Illustration der sieben Todsünden aus dem SeelenWurtzgarten.

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Abb. 11: Die Bestrafung des Neidischen.

lichen Personifikation des Stolzes133 ein Spiegel sowie ein Kamm beziehungsweise in diesem Fall eine Haarbürste beigegeben. Beide gelten als Symbole narzisstischer Körperpflege und können als Warnung vor der Vergänglichkeit aller Dinge, wie auch physischer Schönheit gedeutet werden. Auch der Neid steht im fundamentalen Gegensatz zu einem der wichtigsten christlichen Grundprinzipien, der Nächstenliebe. Wie im Falle des Stolzes wurde der Ursprung der „Invidia“ im Paradies verortet, da durch die Eifersucht des Teufels das erste Menschenpaar zu Fall gebracht wurde. Wie der Stolz wird deshalb auch der Neid des Öfteren als eine Wurzel der Sünden genannt und deshalb an die Spitze der Sündenfolge gestellt. Da „bei keiner anderen Todsünde […] das Wesen so sehr von inneren Faktoren bestimmt“ wird, stellte „die Verbildlichung dieser abstrakten Charaktereigenschaften die größten Anforderungen an die Künstler […]“.134 Die Geste der Selbstzerfleischung, etwa durch das Zerbeißen der eigenen Hand oder des Verschlingens des eigenen Herzens, sind gebräuchliche Darstellungsmotive. Im Falle des Neidischen im Seelen-Wurtzgarten wird dieser von einem schwarzen Hund zerfleischt. Der Hund gilt, wie etwa das Pferd und auch der Löwe, als Reittier der „Invidia“. Folgt man den Ausführungen von Susanne Böckler, so wurden „Invidia“ und „Ira“, der Zorn, bereits in mittelalterlichen Moraltraktaten miteinander verknüpft. Zum einen weil beide zur Kategorie der geistigen Sünden gezählt wurden, zum anderen weil sie vielfach zu den Töchtern der „Superbia“ gezählt wurden.

133 Das Geschlecht der Todsünde „Stolz“ ist im 15. Jh. von der Betonung bestimmter „Superbia“Komponenten abhängig. Männliche Personifikationen sollen Machtgier und Überhebung über Gott darstellen, während dem weiblichen Stolz, Eitelkeit und Prunksucht vorgehalten wird. Nachzulesen bei: Blöcker, Susanne, S. 59. 134 Ebd., S. 70.

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Abb. 12: Darstellung der „Ira“.

Verleumdung und Rachebedürfnis gelten für beide Todsünden, weshalb sich auch der Zornige entschieden gegen das Gebot der Nächstenliebe stellt. Und doch scheint der Zorn noch gefährlicher für den Menschen, da er ihn von sich selbst entfernt und bis zum Äußersten, dem Tod eines anderen bzw. der eigenen Person, treiben kann. Im Seelen-Wurtzgarten wird deshalb die Personifikation der „Ira“ von einer Teufelsgestalt mit einem Schwert durchbohrt. Direkt über der Gestalt der „Ira“ findet sich die Darstellung des gequälten „Acedia-Sünders“. Zur Strafe für sein Vergehen wird sein Kopf in einen Schraubstock eingespannt. Auch in diesem Fall wurde zur Verbildlichung ein symbolisches Hilfsmittel gewählt. Während zur Entstehung des Todsündenkonzepts vor allem der Aspekt der „Verzweiflung, deren Hauptopfer in erster Linie Kleriker sind“135 maßgeblich war, wandelte sich dies im Spätmittelalter. In dieser Zeit wird das Bild der „Acedia“ in ihrer Ikonographie im Wesentlichen von der physischen Faulheit bestimmt. Gleich einem Schraubstock umfängt die Trägheit den allzu bequemen Menschen und hält ihn so von der Erfüllung seiner Pflichten ab. Insbesondere die Vernachlässigung der christlichen Pflichten ist eine für Laien wie

135 Ebd., S. 87. Blöcker begründet dies, indem sie anführt, dass Zweifel am Klosterleben und damit einhergehende geistige Trägheit nach dem Denken der frühen Klostergemeinschaften zu den typischen Kennzeichen dieses Lasters gehörten.

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Abb. 13: Darstellung des „Acedia“-Sünders.

Abb. 14: Die Bestrafung des Geizigen.

Kleriker gefährliche Folge. Aus der Trägheit ergeben sich viele andere Untugenden, so ist der Müßiggang sprichwörtlich „aller Laster Anfang“. Ebenfalls durch Trägheit gekennzeichnet ist die Todsünde der „Avaritia“, denn der geldgierige Wucherer lässt entgegen des biblischen Ausspruchs in Genesis 3,19 „im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen“, „das Geld für sich arbeiten, ein nach mittelalterlichem Empfinden unnatürlicher Prozess, der sich gegen Gott selbst richtete.“136 Zur Strafe muss der verblendete Geizige im Seelen-Wurtzgarten das schlucken, was er Zeit seines Lebens unrechtmäßig angehäuft hat. Ein Teufel schüttet ihm aus einem Geldsack die Goldmünzen in den Mund. Andere Darstellungen zeigen mitunter auch den gegenteiligen Fall, in dem der Wucherer in der Hölle sein Geld wieder ausspucken muss. In der Illustration des Seelen-Wurtzgarten folgen nun die beiden Todsünden der „Gula“ und „Luxuria“. Im Gegensatz zu den fünf vorher genannten Verfehlungen werden sie der Kategorie der fleischlichen Todsünden zugerechnet, die laut Cassian den menschlichen Bedürfnissen entspringen. Der Bestrafung des Geizi-

136 Ebd., S. 96. Der typische Wucherer betreibt ein Gewerbe, das den mittelalterlichen Moralisten als eine der schlimmsten Plagen der aufkommenden Kapitalwirtschaft galt. Dabei wird nicht der Kaufmannsstand an für sich verurteilt, selbst Zinsnahme wird bis zu einem gewissen Grad toleriert. Verurteilt wird der überhöhte Wucherzins. Vgl.: Ebd., S. 100.

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Abb. 15: Die Qualen des „Gula“-Sünders. Abb. 16: Darstellung der „Luxuria“.

gen sehr ähnlich sind in der Darstellung der Ulmer Inkunabel die Qualen des „Gula“-Sünders, des Trunkenbolds und Völlers. So wird der übermäßige Durst des Trinkers durch einen Teufel gestillt, der ihm unaufhörlich einen Becher an die Lippen hält. In der anderen Hand des Peinigers ist eine Art Keule, vielleicht eine Fleischkeule – neben dem Trinkhorn ein gängiges Attribut der „Gula“ – zu erkennen. Keine andere Todsünde wird laut Böckler derart oft in spätmittel­ alterlichen Traktaten behandelt wie die der Trunksucht und Völlerei. Gleichsam nicht weiter verwunderlich gehören sie auch in mittelalterlichen Schwänken und Trinkliedern zu den gängigen Stereotypen. Beide Todsünden sind nach mittelalterlicher Vorstellung von jeher eng miteinander verwandt. Neben einer allegorischen Personifikation, die als weibliche Verführerin die „Wollust des Herzens“ darstellt, welche in einem zweiten Schritt zur „Wollust des Körpers“ führt, findet sich – als Abbild eben jener körper­lichen Wollust – die Darstellung eines Paares. Im hier gezeigten Beispiel scheinen Mann und Frau zu streiten, während die Geschlechtsteile des Paares durch eine Schlange miteinander verbunden sind. Die Todsünden werden auch in den spätmittelalterlichen „Bilder-Artes“ thematisiert. Einzelne der genannten Verfehlungen tauchen sowohl in Bild als auch Text auf, wenn auch nicht in der klassischen, allegorischen Form der gequälten Personifikationen, wie sie im Seelen-Wurtzgarten dargestellt wurden, sondern als teuflische Anfechtungen. Zwei dieser Versuchungen widmen sich den Todsünden. Einerseits soll der Moribundus in der vierten Versuchung zum Stolz, zur „gaistlichen hochvart“, verleitet werden. Eine insbesondere für „den gaistlich- / en andächtigen und gerechten menschen“137 gefährliche Anfeindung. Die den Ster-

137 Anhang VIII.6.1.G – Versuchung zu eitlem Ruhm und Hochmut

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benden umgebenden Teufel bieten ihm Kronen an, um ihn für seinen starken Glauben auszuzeichnen. Doch indem der Mensch sich selbst bekrönt, sich selbst über andere erhebt, setzt er sich in Widerspruch zu den christlichen Idealen der Demut und Selbstlosigkeit. Denn „als gregorius spricht wer sich uff erhebet der vall- / let vor dem vatter der barmherczigkait“.138 Auch die folgende fünfte und letzte Versuchung hat eine Todsünde zum Thema. Hierin wird der Leser vor der Todsünde der „Avaritia“ gewarnt. Dem Sterbenden werden seine irdischen Besitztümer, sein Haus und Hof samt Pferd und Weinkeller vorgeführt. Besitztümer, an die sich der Geizige bereits zu Lebzeiten zu sehr klammerte und die er ständig rastlos und unersättlich strebte weiter zu vermehren. Die Geldgier bestimmt sein ganzes Denken entgegen den Mahnungen: „Du / solt vergessen alles des daz dich irren mag an dem haile / diner sele. […] Du solt och beden / ken die armut xpi der um dich dem crutz hangend […]“.139

Gleich mehrerer Todsünden wird der Kranke in der zweiten Anfechtung durch Verzweiflung bezichtigt: „So  / häst du gelebt in hochfart: Gytigliche[n]: In unkainschhait, fräß-  / hait. In zorn In haß und Traggkait. Und hast doch wol hören pre- / digen das der mensch von ain todsünd verdamnet wirt“140.

Einige der Todsünden finden sich auch in nebenstehender Tafel verbildlicht, so war der Kranke zu geizig, um einem Bettler Almosen zu spenden. Eine Anspielung auf den verurteilten Wucher könnte man in der Figur des unbekleideten Mannes sehen, dessen letztes Hemd ein Teufel in Händen hält. Vielleicht trieb der unerhört hohe Wucherzins, den der Sterbende erhob, diesen Mann in die Armut. Der Teufel an der rechten Bettkante bezichtigt den Sterbenden des Ehebruchs. Er war wollüstig und begehrte neidisch seines Nächsten Weib. Somit findet sich bei genauerer Betrachtung der gesamte Todsündenkanon in der „Bilder-Ars“ wieder. Wenn auch nicht im übertragenen Sinne der Allegorie, so werden sie doch dem Betrachter in Form von beispielhaften Szenen vor Augen geführt, um ihn derart vielleicht direkter anzusprechen.

138 Ebd. 139 Anhang VIII. 6.1.I – Versuchung im weltlichen Besitz 140 Anhang VIII.6. 1.C – Versuchung zur Verzweiflung

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III.1.D.3 Die Sterbestunde als Passageritual Das Ringen um das Seelenheil steht in der Ars moriendi-Literatur von Anfang an im Mittelpunkt. Die Sterbestunde wird dabei als fundamentale Gefährdung und letzte Herausforderung gedeutet.141 Sowohl „kunftige“ Dinge, welche den Menschen im Jenseits erwarten, als auch „vergang – / ne ding“, sollen ihm „als in einem spiegel“142 vorgehalten werden. Vergangenes, Unbekanntes und Zukünftiges wird beschrieben. Je nach dem, wie sich der Sterbende letztendlich verhält, wird er von Teufeln gemäß seiner Sünden gequält bzw. im besten, obgleich nur sehr seltenen Fall der völligen Sündenfreiheit, gleich den himmlischen Boten in das Paradies gelangen. Wie bereits an anderer Stelle kurz angeführt, war die Ausbildung der Vorstellung eines Gerichts direkt nach dem Tod ein notwendiger Schritt in der Genese des Fegefeuers, welches wiederum die Bedeutung der Sterbestunde enorm steigerte. Zu Anfang stand dabei die Frage, was direkt nach dem Tod mit den Verstorbenen geschieht.143 Die Antwort darauf lieferte die Vorstellung eines vorgezogenen Partikulargerichts, welches in den Anfechtungen und der schlussendlichen Entscheidung im letzten Holzschnitt „aus den unermesslichen Räumen des Jenseits in eine greifbare Nähe gerückt“ wurde, „ins Zimmer des Sterbenden“.144 So ist im elften und letzten Holzschnitt zu sehen wie die Seele des Verstorbenen in Gestalt eines kleinen nackten Menschen seinen Körper verlässt und von Engeln am Kopfende des Bettes in Empfang genommen wird. Sechs wütende und tobende Teufel geben sich geschlagen – „wir haben die sel v(er)lor(en)“! Das Spiel ist entschieden, die Augen des Verstorbenen sind geschlossen während ihm ein Mönch noch eine brennende Kerze in die Hand zu drücken versucht. Dort, wo sonst immer der Kopf des Moribundus zu sehen war, fällt der Blick auf das Kreuz des Erlösers. Als Fürbitter für die Seele der Verstorbenen stehen neben anderen, nicht näher spezifizierbaren Heiligen, rechts die Gottesmutter und Maria Magdalena sowie links der Lieblingsjünger Christi, Johannes.145 In elf Schritten werden dem

141 Neher, Peter: Ars Moriendi, Sterbebeistand durch Laien, St. Ottilien, S. 79. 142 Anhang VIII.6.1 – Vorwort der „Bilder-Ars“ 143 In der Bibel finden sich dazu die beiden Konzepte des Matthäus (25,31  ff.) und des Johannes (5,24–29), welche beide von einem Weltgericht am Jüngsten Tag sprechen. Die Frage, was mit den Verstorbenen bis dahin passiert wird erst mit der Verfestigung der Lehre vom Fegefeuer und damit verknüpft der Idee eines Partikulargerichts beantwortet, bei dem die Toten bereits vorab in Himmel, Hölle oder Fegefeuer verbannt werden. Doch erst am Jüngsten Tag fäll die wirklich endgültige Entscheidung. Vgl.: Jezler, Peter: Jenseitsmodelle und Jenseitsvorsorge – Eine Einführung, in: Himmel, Hölle, Fegefeuer – Das Jenseits im Mittelalter, Ausstellungskatalog des Schweizerischen Landesmuseums, Zürich, 1994, S. 13–27. 144 Pennington, Margot, Memento Mori – Eine Kulturgeschichte des Todes, Stuttgart, 2001, S. 56. 145 Diese Darstellung eines guten Todes in der „Bilder-Ars“ folgt einer gängigen Bildtradition.

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Rezipienten die wesentlichen Momente des Überganges – vergleichbar mit „rites de passage“ – vom Diesseits in das Jenseits in didaktisch einprägsamer Art und Weise vorgestellt. Neu gegenüber früheren Ars moriendi-Schriften ist die Pro- und Contra-Formel, welche laut Alois Haas, als konfrontierende Abwägung zweier Haltungen dem Sterben gegenüber gedeutet werden kann. Zum einen als Ergebung in den göttlichen Willen, zum anderen die Auflehnung dagegen. Letztlich entscheidet der Herr über ewige Verdammnis oder Paradies und doch ist das Verhalten des Menschen, seine Standhaftigkeit oder seine Nachgeben den teuflischen Einflüsterungen gegenüber, ausschlaggebend für das jenseitige Schicksal.146

III.1.E Der Schwarze Tod und seine sozialhistorischen Auswirkungen Bereits Rainer Rudolf sieht Zusammenhänge zwischen dem Auftreten des „Schwarzen Todes“147 in den Jahren 1348/49 und der Entstehung der Ars moriendi. Eine These, die auch von späteren Autoren zum Thema immer wieder aufgegriffen und bestätigt wurde. So sei es „kein Zufall […], daß der erste in Deutschland entstandene Ars moriendi-Traktat, der in Seuses „Büchlein der ewigen Wahrheit“ [sic!] enthalten ist, von den unbereiten, erschrokenlichen tǒde, dero die stette und kloͤ ster vol sint berichtet, also mit einem Massensterben in Zusammenhang steht.“148 Über die Ursprungsregion der Pest – Inner Asien, vermutlich China oder

Insbesondere der Tod Mariens galt als „schöner Tod“. Auf diesen Darstellungen wird die Gottesmutter ruhig und gefasst, wie zum Schlaf im Bett ruhend gezeigt. In ihren Händen hält sie eine brennende Kerze, während Jesus die Seele seiner Mutter in Gestalt einer kleinen Person aufnimmt. Mittelalterliche Künstler hatten sich bei der Gestaltung der Seele als kleine, unbekleidete Person von einem Motiv der Genesisgeschichte inspirieren lassen. So wie Gott dem Menschen das erste Leben eingehaucht hatte (Gen. 2,7), so hauchte der Mensch diesen Odem wieder aus. Dies wurde in bildlicher Form als kleine Person, die aus Mund oder Nase entweicht, umgesetzt. Diese friedliche Szenerie wird noch ergänzt durch die 12 Apostel die das Sterbebett umstehen. Vgl.: Ohler, Norbert: Sterben und Tod im Mittelalter, Düsseldorf, 2004², S. 58  f. & 158. 146 Dazu: Haas, Alois M.: Didaktik des Sterbens in Text und Bild, in: Unimagazin – Die Zeitschrift der Universität Zürich (2/97), S. 2. 147 Die Bezeichnung „Schwarzer Tod“ für die Epidemie in der Mitte des 14. Jh., setzte sich erst seit dem 17. Jh. durch. Die Zeitgenossen sprachen von der „magna mortalitas“. Siehe: Wilderotter, Hans: „Alle dachten, das Ende der Welt sei gekommen“ – Vierhundert Jahre Pest in Europa, in: Hans Wilderotter (Hg.), Das große Sterben – Seuchen machen Geschichte, Berlin, 1995, S. 16. 148 Palmer, Nigel F.: Ars moriendi und Totentanz, S.  316. Seues Ars moriendi Traktat ist im „Büchlein der ewigen Weisheit“ enthalten. Vgl. Heinrich Seuse, Deutsche Schriften, hrsg. von Karl Bihlmeyer, Stuttgart 1907, unveränderter Nachdruck Frankfurt a. Main 1961, S. 280.

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die Mongolei149 – herrscht in der Forschungsliteratur Konsens. Über die Halbinsel Krim verbreitete sich die Seuche zunächst 1347 von Kaffa ausgehend über Konstantinopel nach Kairo und Messina. Über die Seehandelswege wurde die Pest in Europa zunächst nach Italien getragen, – das berühmte Dekameron Giovanni Boccacios150 beschreibt die Verwüstung von Florenz im April 1348 – wo sie sich rasant verbreitet zu haben scheint. Bald darauf folgten die Küsten Spaniens, Frankreichs und Englands. Etwas langsamer verlief der Verbreitungsweg der Pest über den Landweg nach Mitteleuropa. Unklarheiten bestehen jedoch hinsichtlich der tatsächlichen Bevölkerungsverluste. Hierzu können nur Schätzungen anhand der Angaben in Quellen etwa in Steuerlisten, Bürgerverzeichnissen, Testamenten oder Personalverzeichnissen von Mitgliedern weltlicher und geistlicher Ämter151 angestellt werden. Als ungefähre Größe wird meist eine Opferzahl zwischen 20 bis 25  Mio. angegeben, was etwa einem Drittel der damaligen Bevölkerung Europas entsprach. Dabei ist zu beachten, dass dies ein Mittelwert ist. Während laut Herlihy die Bevölkerung Englands und Italiens in Städten und Dörfern um bis zu 70 bis 80 % zurückging,152 bemerkt Manfred Vasold, dass weite Teile Euro-

149 „Gemäß der heute weithin akzeptierten Rekonstruktion war das ursprüngliche Reservoir der mittelalterlichen Krankheit eine Population wilder Nager – besonders Murmeltiere oder eine Art großer Murmeltiere namens Tarbagan –, die die trockene Hochebene Zentralasiens bewohnten, das Gebiet, das der Sowjetrepublik Turkestan entsprach.“ Aus: Herlihy, David, Der Schwarze Tod und die Verwandlung Europas, Berlin, 1997, S. 14. 150 Wie andere seiner Zeitgenossen behauptet auch Boccaccio nur recht vage, die Pest sei aus dem Osten gekommen. Genauer äußert sich Gabriele de Mussis aus Piacenza, in seinem „Bericht über die Krankheit oder Seuche, die im Jahre des Herrn 1348 auftrat“. Dort berichtet de Mussis, dass die Seuche bereits 1346 unter vielen Stämmen der Tartaren und Sarazenen grassiert habe. Auch unter dem tartarischen Heer, das 1346 die Stadt Kaffa belagert habe, sei die Pest ausgebrochen, weshalb die Belagerung abgebrochen werden musste. Vor ihrem Abzug jedoch hätten die Tartaren Pestleichen mit Katapulten in die Stadt geschleudert. Obwohl diese Leichen von den Bewohnern ins Wasser geworfen worden seien, sei die Pestilenz ausgebrochen. In Panik hätten die Genuesen ihren befestigten Handelsposten auf dem Seeweg verlassen und derart die Pest nach Europa getragen. Vgl. Wilderotter, Hans: „Alle dachten, das Ende der Welt sei gekommen“, S. 12–13. 151 Anhand der aufgeführten Quellen können größtenteils nur vage Aussagen über die Todesrate unter den vergleichsweise vermögenden Bevölkerungsschichten angestellt werden. Doch „schon zeitgenössische Beobachter vermerkten, daß es vor allem die ärmeren Schichten der Bevölkerung waren, die von der Pest besonders betroffen wurden“, eine Feststellung, welche die ohnehin nur sehr ungenauen Schätzungen zu den Opferzahlen der Pest weiter erschwert. Vgl. Graus, František: Pest – Geissler – Judenmorde. Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit, Göttingen, 1987, S.  25. Sowie: Bulst, Neithard: Der „Schwarze Tod“ im 14.  Jahrhundert, in: Mischa Meier (Hg.), Pest – Die Geschichte eines Menschheitstraumas, Stuttgart, 2005, S. 144. 152 Ebd., S. 7.

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pas, ins-besondere das heutige Deutschland, von der Seuche verschont geblieben seien.153 Trotz dieser Relativierung behält Imhofs Charakterisierung der spätmittelalterlichen Entstehungszeit der Sterbeliteratur als Periode geprägt, von „Pest, Hunger und Krieg“ ihre Aussagekraft. Die erste große Pestwelle endete zwar 1353, die Seuche flackerte aber in einzelnen Regionen Europas immer wieder auf, bis es im Jahr 1400 zu einem zweiten, wenngleich nicht so verheerenden Ausbruch kam. Die letzten Pestausbrüche Mitteleuropas sind für das frühe 18. Jahrhundert vermerkt. Hinzu kamen weitere Epidemien – vor allem Pocken, Grippe und Masern, sowie seit dem 15. Jahrhundert das der Pest sehr ähnliche Fleckfieber. Alle diese seuchenbildenden Infektionskrankheiten wurden in den Berichten als „Pest“ bezeichnet154. Natürlich machten sich die massiven Verluste auch im Bereich des Klerus empfindlich bemerkbar. Insbesondere der geistliche Berufsstand, zu dessen Hauptaufgaben die Betreuung von Kranken und Sterbenden gehörte und gehört, hatte einen hohen Blutzoll zu entrichten.155 Nicht genug, dass in der Todesstunde oft kein geistlicher Beistand zu erwarten war, wurden die Infizierten aus Furcht vor einer Ansteckung meist von all ihren Angehörigen im Stich gelassen. Das Zerbrechen familiärer Bindungen, entgegen jeglichen elementaren sittlich-moralischen Geboten, findet sich in zahlreichen Pestschilderungen. Recht eindringlich bezeugt dies zum Beispiel der bekannte Bericht des Giovanni Boccaccio oder Johannes de Mussis in seiner Chronik von Piacenza: „Allein in seinem Elend lag der Kranke in seiner Behausung. Kein Verwandter wagte ihm zu nahen, kein Arzt seine Wohnung zu betreten. Selbst der Priester reichte ihm nur mit Entsetzen das Sakrament. Mit herzzerreißendem Flehen riefen Kinder ihre Eltern, Väter und Mütter ihre Söhne und Töchter, ein Gatte die Hilfe des anderen an. Vergebens! Und selbst die Leichen der Ihrigen wagten sie nur zu berühren, weil sich niemand fand, der sich um Lohn den letzten Pflichten unterzog. Weder die Stimme des Herolds noch der Schall der Posaune, nicht Glockenklang noch Totenamt versammelten Freunde und Verwandte zur Leichenfeier.“156

153 Für ganz Deutschland geht er „für den gesamten Zeitraum des Schwarzen Todes“ von „einem knappen Zehntel aus“. Auch seien ganze Regionen in Frankreich und Brabant, die südlichen Niederlande, sowie Teile Böhmens und Schlesiens verschont geblieben. Aus: Vasold, Manfred: Die Pest – Ende eines Mythos, Stuttgart, 2003, S. 101–125. 154 Vgl.: Imhof, Arthur E.: Ars Moriendi – Die Kunst des Sterbens einst und heute, Böhlau, Wien, Köln 1991, S. 34 und Herlihy, David, S. 9. 155 Bulst, Neithard, S. 144. Der Autor führt als historisches Beispiel die englische Diozöse Ely an, in der in den Jahren der großen Pestwelle von etwa 170 bepfründeten Priestern knapp die Hälfte starb. In manchen Klöstern seien sogar alle Mitglieder an der Pest verstorben. 156 Goez, Werner: Die Einstellung zum Tode im Mittelalter, in: Der Grenzbereich zwischen

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Auf diese bange Angst in der Sterbestunde allein allen Anfechtungen des Teufels widerstehen zu müssen, versuchten die „Artes moriendi“ zu antworten und eine Hilfestellung – im Falle der „Bilder-Ars“ auch explizit für Leseunkundige – anzubieten, wenn kein geistlicher und/oder sonstiger helfender Begleiter in der Nähe war. Insbesondere das Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber der Plötzlichkeit des Seuchentodes und der extrem geringen Überlebenschancen Infizierter157 sind also als Beweggründe für die Entstehung zu sehen. Die konkrete Frage nach Hinweisen auf die Pest und ihren Begleiterscheinungen in der „Bilder-Ars“ lässt sich affirmativ beantworten. Als Anhaltspunkt könnte in dieser Hinsicht die im ersten Bild im Vordergrund gezeigte halbnackte Gestalt dienen. Anders als in den später nach ihrem Vorbild entstandenen Holzschnitten, sind auf der Federzeichnung der Wellcome Handschrift deutliche Spuren der Geißelung auf dem Oberkörper der männlichen Person – wohingegen der Holzschnitt eine Frau158 zeigt – zu erkennen. Höchstwahrscheinlich wird hier ein Mitglied der Flagellanten-Bewegung gezeigt.159 Nicht zufällig taucht diese Figur im negativen Kontext der teuflischen Anfechtung auf. Laut Martin Erbstösser, war „der Flagellantismus des Jahres 1349 […] eine spontane sozial-religiöse Massenerscheinung, die eine wenn auch schwach entwickelte Form der Volksopposition gegen die feudale Kirche zum

Leben und Tod: Vorträge gehalten auf der Tagung der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Hamburg am 9. und 10. Oktober 1975, Göttingen, 1976, S. 138. Der Autor zitiert aus folgender Edition: Johannes de Mussis, Chronicon Placentium, bei L. A. Musratori, Scriptores rerum Italicarum 16. 157 Im Fall der Beulenpest ist von einer Inkubationszeit von 2–5 Tagen und einem Mortalitäts­ risiko von etwa 60 % (ohne Behandlung) auszugehen. Bei der Lungenpest ist gar mit einer 100 % Todesrate bei einer Inkubationszeit von 1–5  Tagen zu rechnen. Aus: Lancaster, H.O.: Expectations of Life – A study in the demography, statistics and history of world mortality, N.Y., Berlin, 1990, S. 97–98. 158 Hinsichtlich dieser geschlechtlichen Wandlung der Figur können nur Thesen aufgestellt werden. So führt Graus auf S. 39 aus: „Übereinstimmung herrscht in den Quellen, daß Frauen zunächst strikt von den Geißelübungen ausgeschlossen, ihre bloße Anwesenheit in den Reihen der Büßenden als verunreinigend empfunden wurde …“. Im Verlauf der Geißlerzüge veranstalteten dann angeblich auch Frauen eigene Geißelungen, sehr zum Mißfallen der Berichterstatter. Alois Haas deutet auf S. 3 seines Aufsatzes „Didaktik des Sterbens in Text und Bild“ diese weibliche Figur, welche eine Rute und eine Peitsche in Händen hält, als „Beispiel für die indiscretia penitentia (maßlose Selbstdisziplinierung), die vom Teufel empfohlen wird.“ Jedoch kann auch diese Lesart die These einer Geißlerfigur nicht völlig entkräften. 159 Obschon laut Graus auf S.  43 Geißelungen als Bußübung auch in einigen Mönchsorden ­üblich waren, zeigen sich, im Vergleich mit zeitgenössischen Darstellungen von Mitgliedern der Geißler-Bewegung, nicht von der Hand zu weisende Parallelen. Zum Vergleich wurden die beiden Illustrationen der „Ur-Ars“ und aus der Weltchronik angefügt.

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Abb. 17: Geißlerfigur aus der sogenannten „Ur- Ars“/ „Wellcome-Handschrift“.

Abb. 18: Zeitgenössischer Holzschnitt zweier Flagellanten aus der Weltchronik des Hartmann Schedel von 1493.

Ausdruck brachte.“160 Auch wenn andere Autoren, wie František Graus, der Geißlerbewegung von 1349 keine offene Kritik an Kirche und Klerus zuerkennen, ja nicht einmal ein auch nur entfernt anklingendes soziales Unruhepotential zu beobachten sei und in diesem Fall auch nicht von einer Bewegung sozialer „Unterschichten“ gesprochen werden kann, ist doch festzuhalten, dass es sich bei den Flagellanten größtenteils um Laien handelte. Vereinzelt schlossen sich auch Kleriker den Büßern an, doch durften sie innerhalb der Gruppe keine führende Rolle übernehmen. „Zwar tauchen in den authentischen Quellen keinerlei offen kirchenfeindliche Forderungen auf […], der Klerus wird nicht einmal in dem Ausmaß kritisiert, wie dies im 14. Jahrhundert gang und gebe [sic!] war“161 und doch wurden die sich selbst öffentlich geißelnden Gruppen von den Obrigkeiten verboten, wenn auch nicht häretisiert. Besonders aufgrund ihrer, der Kirche oppositionell entgegengestellten Bußpraxis der öffentlichen Selbstgeißelung, welche einer Selbstabsolution gleichkam, wurde diese Bewegung von offiziell kirchlicher Seite verboten. Papst Klemens VI. wies in dieser Bulle vom 20. Oktober 1349 auf die Gefahren hin, die die Geißler angeblich für die öffentliche Ruhe und

160 Erbstößer, Martin: Sozialreligiöse Strömungen im späten Mittelalter – Geißler, Freigeister und Waldenser im 14. Jahrhundert, Berlin 1970, S. 67. 161 Graus, František, S. 56.

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Ordnung darstellten. Wenig später folgten ihm König Karl IV. und Phillip VI. von Frankreich sowie einige Städte. Bereits seit dem ersten Auftreten von Flagellanten im Zuge der Pestwelle Mitte des 14.  Jahrhunderts, erhoben viele Geistliche warnend und äußerst kritisch ihre Stimmen. Obwohl diese bußfertigen Laien nie offen antiklerikale Positionen vertraten, übten sie doch unbewusst Kritik an den Geistlichen, untergruben sie doch die Funktion und gesellschaftliche Stellung des Klerus. „Noch im Jahre 1417 hielt der Kanzler der Pariser Sorbonne, Gerson die Geißlerbewegung für eine Gefahr nicht nur für die Kirche, sondern für die gesamte Gesellschaft, so daß er in einer besonderen Schrift vor dieser „Sekte“ warnte.162 Eben jener „Cancellarius parisiensis“, der im Vorwort der „Bilder-Ars“ erwähnt wird und dessen drittes Kapitel De arte moriendi aus seinem Werk Opusculum Tripartium von so entscheidendem Einfluss für die gesamte Literaturgattung der Sterbebüchlein gewesen ist. Auch Jean Gersons Schriften wurden beeinflusst von den Pestausbrüchen seiner Tage. „Es fällt auf, daß das Schrifttum Gersons zu den Themen Sterben und Tod, einmal abgesehen von den Predigten, die er um Allerheiligen/Allerseelen hält, vor allem während und unmittelbar nach dem Erlebnis einer Epidemie in Brügge und der damit verbundenen Erfahrung seiner eigenen Erkrankung, sowie kurz vor seinem Tod entsteht.“163 Desgleichen berichete der bereits erwähnte Konstanzer Mystiker Heinrich Seuse, bei dem es sich ebenfalls um einen wichtigen Autor eines Sterbetraktats handelt, von dem unbereiten, erschrokenlichen tǒde, dero die stette und kloͤ ster vol sint.164 Zwar wird im Text der „Bilder-Ars“ aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert das Massensterben im Zuge der großen Pestepidemie nicht mehr erwähnt,165 doch lassen sich in den Bild­ tafeln, neben der Geißlerfigur, weitere mögliche Hinweise erkennen.

162 Ebd. S. 49 163 Neher, Peter, S. 47. 164 Heinrich Seuse: Deutsche Schriften, hrsg. von Karl Bihlmeyer, Stuttgart 1907, unveränderter Nachdruck Frankfurt a. Main 1961, S. 279–280. 165 Ein Sachverhalt, zu dessen Erklärung nur Hypothesen angestellt werden können. Einen möglichen Ansatz nennt Graus auf S. 30 im Kontext seines ersten Kapitels: Die verheerende Pestwelle in der Mitte des 14. Jahrhunderts „wirkte wie ein Menetekel – entscheidend ist jedoch die Frage, wie lange die Schockwirkung andauerte und wie tiefgehend sie nachwirkte. Zwar wiederholten gelegentlich, auch in gewissem zeitlichen Abstand, Chronisten die drastischen Pestschilderungen ihrer Vorlagen, aber bald folgten nach 1349/50 weitere Seuchenwellen und man ging notgedrungen dazu über, sie einfach zu zählen.“

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III.1.E.1 Die Angst vor der „magna mortalitas“ – Hinweise in der „Bilder-Ars“? Auch wenn das auslösende Ereignis für die Laienbewegung der Flagellanten im Jahre 1349 eine verheerende Pestepidemie war, wollten die Geißler mit ihrer zugleich theatralisch wie drastisch anmutenden öffentlichen Buße nicht nur die Pest abwenden. In den überlieferten Geißlerliedern wird deutlich, dass die Angst um das Seelenheil ebenfalls eine Hauptsorge der sich selbst kasteienden Gruppen war, die von Stadt zu Stadt zogen. Um dem jähen Tod, ohne kirchliche Gnadenmittel, zu entgehen, nahmen sie dieses harte Gelübde der 33 ½ Tage währenden Bußzeit – entsprechend der Lebensjahre Christi – auf sich.166 Auf der Suche nach Ursachen und Erklärungsansätzen schienen den Zeitgenossen mehrere Antwortmöglichkeiten plausibel. Neben ersten Anstößen die Pest auf medizinisch-naturwissenschaftliche Weise zu erklären167, werden Sündenböcke für die scheinbar unerklärliche Seuche gesucht. Insbesondere der Randgruppe der Juden wird die Vergiftung des Trinkwassers vorgeworfen. Da die Seuche mit damaligen medizinischen Mitteln jedoch nicht bekämpft werden konnte, schien das Strafgericht Gottes den meisten Zeitgenossen der vordringlichste Grund zu sein, den es beispielsweiße durch Buße, wie sie die Geißler in extremer Form übten, zu besänftigen galt. Letztere Ursache erschien auch aufgrund der zahlreichen biblischen Belege sehr einleuchtend und so „gilt die Strafe nicht als die einzige Ursache der Pest; sie ist unter den möglichen Ursachen lediglich die erst und nämlichst“.168 Neben Hunger und Krieg gilt die Pest – im Sinne der Krankheit par excellence – als eine der drei Geißeln Gottes. Auch zur Frage, wie Gott diese Strafe auf die Erde schickt, lassen sich Hinweise in der Bibel finden. So zum Beispiel im Buch Habakuk,169 in dem von der Pest als pfeilgesandte Gottesstrafe die Rede ist:

166 Graus, František, S. 55–56. 167 Ein vergleichsweise frühes Beispiel ist ein vom französischen König, schon wenige Monate nach dem ersten Auftreten der Pest im Oktober 1349, an der Pariser medizinischen Fakultät in Auftrag gegebenes Gutachten. Die Pariser Magister kamen in dieser Schrift zum Ergebnis, dass vergiftete Luft, das sogenannte Miasma, welches durch eine ungünstige Planetenkonstellation entstanden sei, die Ursache für die Seuche sei. Vgl.: Bulst, Neithard, S. 147–148. Sowie Wilderotter, Hans, S. 22. 168 Esser, Thilo: Pest, Heilsangst und Frömmigkeit – Studien zur religiösen Bewältigung der Pest am Ausgang des Mittelalters, Altenberge, 1999, S. 31–32. 169 Ebd., S.  232, der Autor führt an dieser Stelle noch weitere Zitate aus der Bibel an, die in dieselbe Richtung verweisen. Dabei lässt sich das Motiv göttlicher Pfeile als Symbole für die Pest laut Neher auf S. 181 bis in die Antike zurückverfolgen.

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„Die Seuche zieht vor ihm her, die Pest folgt seinen Schritten. […] Herr, ist dein Zorn gegen die Flüsse entbrannt […] und dein Groll gegen das Meer, daß du mit deinen Rossen heranstürmst und mit deinen siegreichen Wagen? Du hast den Bogen aus der Hülle genommen, du hast die Pfeile auf die Sehne gelegt (Hab 3,5.8.9).“

Bei der Vorstellung vom Krankheitsprojektil dominieren die beiden Distanzwaffen Speer und Pfeil.170 Fernwaffen zeichnen sich dadurch aus, dass sie aus dem Hinterhalt angewandt werden können, ohne dass das Opfer des Schützen überhaupt gewahr werden musste.171 Der Gedanke, dass die plötzlich auftretende und schnell zum Tod führende Pest durch eine solche Distanzwaffe hervorgerufen wurde, lag demnach nicht allzu fern.172 Auch in der „Bilder-Ars“ könnte sich demnach auf der sechsten Bildtafel – dem himmlischen Beistand gegen die Ungeduld – eine Anspielung auf die Pest verstecken. Gottvater hält auf der Wellcome-Zeichnung, wie auch auf den Holzschnitten, eine Geißel sowie einen Pfeil in Händen. Entsprechend den seit dem späten 14. bis ins 18.  Jahrhundert verbreiteten sog. Pestbildern,173 können die Geißel, sowie insbesondere der Pfeil als Allegorie der von Gott gesandten Strafe bzw. Prüfung interpretiert werden. Wie bereits im vorhergehenden Kapitel erläutert, sind Krankheiten, Leid und Schmerz nach Vorstellung der genannten theologischen Autoritäten des Mittelalters durchaus positiv zu werten. Nur der Herr hat die Macht zu strafen und zu richten, demzufolge ist auch eine Seuche wie die Pest also nicht vom Teufel, sondern vom Herrn geschickt worden. Zum einen um die Glaubensstandhaftigkeit der Menschen zu prüfen, zum anderen um ihnen durch diese Form eines vorweggenommenen Fege­feuers bereits einen Teil der irdischen Sünden zu erlassen. Auch in den Dialogi von Papst Gregor I., der ebenfalls im Text der „BilderArs“ Erwähnung findet, ist von den göttlichen Pestpfeilen zu lesen, die 590 n. Chr. Rom trafen. „Die Legenda aurea nahm dies auf und machte es weiten Teilen der Bevölkerung bekannt. Im Kapitel „Von Sanct Gregorius“ heißt es über die Pestepidemie: „Und man sah mit leiblichen Augen Pfeile vom Himmel fliegen, und wen

170 Im relativen Vergleich zeigt sich für die spätmittelalterliche Ikonographie jedoch, dass das Pfeilmotiv laut Esser (S. 235) das am häufigsten verwandte ist. 171 Dazu: Esser, Thilo, S. 234 und Dinzelbacher, Peter: Angst im Mittelalter – Teufels-, Todesund Gotteserfahrung: Mentalitätsgeschichte und Ikonographie, Paderborn, München, Wien, Zürich, 1996, S. 211. 172 Vgl. Esser, Thilo, S. 234. 173 Dinzelbacher, Peter: Pestbilder, in: Enzyklopädie der Medizingeschichte, Berlin, 2004, S. 1128.

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Abb. 19: Illustration aus der „Ur-Ars“/„WellcomeHandschrift“. Abb. 20: Zeitgenössische Illustration des strafenden Gottes aus dem Pesttraktat des Heinrich Laufenberg: Ein tractat contra pestem Preservative und regiment Straßburg, gedruckt von Batholomäus Kistler 1500. (aus Esser, Thilo, S. 413)

sie trafen, der war tot.“174. Geht man, wie wohl die Mehrheit der Gläubigen im ausgehenden Mittelalter, vom göttlichen Zorn als Krankheitsborn aus, scheint es nur logisch, dass die Ratschläge und Therapieversuche der Mediziner wirkungslos bleiben mussten. Nur die Flucht175 und Werke der Frömmigkeit schienen hilfreich. Letzteren lag laut Esser der Grundgedanke der Werkgerechtigkeit zu Grunde. Jede Sünde verlangte nach einer ausgleichenden Sühne, doch reichten gute Taten allein nicht aus, um das Maß der göttlichen Beleidigung wieder gut zu machen. Aus diesem Grund war der Gläubige auf die Fürsprache der Heiligen angewiesen. Die Verdienste der Heiligen sind die eigentliche „Arznei“ zur Tilgung der Sündenstrafen. Sie werden im Gebet angefleht vor Gott mit ihren Verdiensten für die Menschen einzutreten. So stellt beispielsweise die Trauer der Gottesmutter

174 Esser, Thilo, S. 233. 175 Ihrer eigenen Hilflosigkeit bewusst, priesen Ärzte vor allem anderen die Flucht als einzige einigermaßen verlässliche Präventivmaßnahme. Doch ist davon auszugehen, dass nur die oberen Gesellschaftsschichten gemäß der Empfehlung des Hippokrates „cito, longe, tarde“ („Fliehe bald, fliehe fern, komme spät zurück“), die Pestflucht ergreifen konnten. Fast gänzlich unbeachtet in der heutigen Literatur über die Pest ist die seit dem Schwarzen Tod bis ins 18 Jh. geführte Diskussion ob, ein Christ, insbesondere ein Priester oder Arzt, sich der Seuche – die gemeinhin als Strafe Gottes galt – entziehen dürfe. Dazu: Dormeier, Heinrich, Die Flucht vor der Pest als religiöses Problem, in: Klaus Schreiner (Hg.), Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter, München, 1992, S. 331–399.

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einen Verdienst Mariens vor Gott dar.176 In der Folge wurde Maria als wirkmächtige Fürbitterin in der 1348 vom Papst eingeführten Pestmesse „Zur Errettung vor der Pest“ angerufen. Der prominenteste Pestpatron ist sicherlich der Heilige Sebastian. Der Kult um diesen christlichen Märtyrer wurde erst mit dem Schwarzen Tod wirklich populär. „Als Pestheiliger bot er sich an, weil seine Verfolger vergeblich versucht hatten, ihn mit Pfeilen zu erschießen177. Daneben wurde der Heilige Rochus als Helfer gegen die Pest angerufen. Dieser soll angeblich Anfang des 14. Jahrhunderts während einer Pilgerreise nach Rom Pestkranke gepflegt haben und dabei selbst erkrankt sein. Auf wundersame Weise wurde er jedoch laut Legende von einem Engel geheilt. Laut Neithard Bulst war Rochus ein Heiliger, dessen Kult in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts neu kreiert wurde. Damit war die Pest – so der Autor im Folgenden – „wohl die einzige Katastrophe in der Geschichte des christlichen Mittelalters, die ihren eigenen Heiligen schuf.“178 Zwar tauchen die beiden letztgenannten Heiligen in der „Bilder-Ars“ nicht auf, doch sind sie bei weitem nicht die einzigen Intercessoren, die gegen die Pest in Anspruch genommen wurden. Heinrich Dormeier liefert in seinem Aufsatz zum Thema der Schutzpatrone und frommen Abwehrzauber eine Übersicht der verschiedenen Gruppen von Schutzheiligen gegen die Pest. Neben den beiden genannten klassischen Pestpatronen nennt er die vierzehn Nothelfer sowie Diozösan-, Stadt- und Kirchenpatrone. Interessant ist, in Hinblick auf die untersuchte Quelle, die Gruppe der Nothelfer, da diese überregional verehrt wurde. Heilige dieser Gruppe wurden aus unterschiedlichen Gründen zu Pesthelfern auserkoren, wobei meist ihr Zuständigkeitsbereich erweitert wurde. So findet sich zum Beispiel der Heilige Antonius in der „Bilder-Ars“ in der achten Bildtafel gegen die Versuchung zur Hochmut.179 Auch wenn seine Verehrung laut Thilo Esser in Pestmessen nachgewiesen werden konnte, bleibt die Verbindung zur Pest als nicht leicht zu klärender Sachverhalt bestehen. Wahrscheinlich „wegen der Ähnlichkeit der Symptome von Pest und Antoniusfeuer, auf das sich sein Patronat primär erstreckt, wurde der heilige Antonius oft während Pestzeiten zum Schutz

176 Esser, Thilo, S. 39–46. 177 Bulst, Neithard, S. 150. 178 Ebd., S. 153. Dazu auch: Dormeier, Heinrich: „Ein geystliche ertzeney für die grausam erschrecklich pestilenz“ – Schutzpatrone und frommer Abwehrzauber gegen die Pest, in: Hans Wilderotter (Hg.), Das große Sterben – Seuchen machen Geschichte, Berlin, 1995, S. 73–74. 179 Dazu: Peter, Neher, S. 132 „gegen die Pest und sonstige epidemische Krankheiten werden vor allem der Hl. Sebastian und der Hl. Antonius angerufen […]“ Dormeier nennt in oben angeführtem Aufsatz auf S. 73 hingegen den Hl. Sebastian und den Hl. Rochus als die „wichtigsten“ Pestpatrone.

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angerufen.“180 In dem Holzschnitt der „Bilder-Ars“, in dem der Heilige Antonius auftaucht, wird vor der Sünde des eitlen Ruhms und der Hochmut gewarnt, welche Gott nebst den anderen Sünden mit Krankheit bestraft. Sicherlich kann man die Anwesenheit des Hl. Antonius an dieser Stelle stichhaltiger als Mahnung zur Demut interpretieren und doch könnte das Auftauchen eines Pestpatrons an dieser Stelle auch einen Hinweis auf die Pest, quasi im Sinne einer Ergänzung, implizieren. Resümierend ist festzuhalten, dass es einerseits bei mindestens zwei für die mittelalterliche Sterbeliteratur maßgeblichen Autoren – Heinrich Seuse und Jean Gerson – klare Erwähnungen des „großen Sterbens“ gibt und sich auch in der hier untersuchten „Bilder -Ars“ Hinweise dahingehend finden lassen. Andererseits muss einschränkend konstatiert werden, dass diese Anhaltspunkte keine zweifelsfreien Belege darstellen. Wie im Falle von Bildinterpretationen unvermeidlich, können andersgehende Auslegungen nicht ausgeschlossen werden.

III.1.F Resümee Um der ursprünglichen zentralen Fragestellung nachzugehen, ob die hier un­ter­such­ten Blockbücher der „Bilder-Ars“ tatsächlich einen handfesten Beleg für Glaubenszweifel im Mittelalter darstellen, wurden weitere Faktoren mit in Betracht gezogen. Faktoren, die wichtige Informationen zum Kontext liefern und zur Beantwortung der für Historiker grundlegenden Fragen nach dem Wo, Wann, Wer, Wie und Warum beitragen. Die „Bilder-Ars“ stellen einen gewissen medialen Schlusspunkt einer langen literarischen Vorläuferkette dar, von der in dieser Arbeit die einflussreichsten Eckpunkte kurz vorgestellt und skizziert wurden. Als wichtigste unmittelbare Quelle ist der Speculum artis bene moriendi zu nennen. Stark verkürzt und didaktisch prägnant dargestellt wurde aus diesem Quelltext das für den mittel­alterlichen Menschen offensichtlich wichtigste Kapitel der Anfechtungen in der Sterbestunde herausgegriffen und in einer Dialogform erweitert. Beim Betrachter mag dieses Hin und Her der teuflischen Versuchungen und himmlischen Eingebungen fast schon den Eindruck erwecken, als sei die eigentlich Hauptperson, der Moribundus, ein passiver Spielball übernatürlicher Mächte im Kampf um die unsterbliche Seele, eine letzte Prüfung des Gläubigen. Zwar entscheidet schlussendlich der göttliche Richtspruch über ewige Verdammnis

180 Esser, Thilo, S. 260.

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oder Paradies, doch ist das Verhalten des Menschen, seine Standhaftigkeit oder sein Einlenken in die teuflischen Versuchungen, richtungsweisend für sein jenseitiges Schicksal. Als wichtigste Innovation in Relation zu allen vorherigen Werken der Sterbe­ literatur wurde der Text mit großformatigen Holzschnitten ergänzt, womit der Rezipientenkreis beträchtlich erweitert werden konnte, da nun auch wenig geübten Lesern bzw. Analphabeten ein Zugang zur Thematik ermöglicht wurde. Des Weiteren wurde das relativ neue Medium des Blockdruckverfahrens genutzt, welches einen großen Verbreitungsgrad erreichen konnte. Zwar gehörten auch Blockbücher nicht zu den alltäglichen Gebrauchsgegenständen, doch sind diese im Vergleich zum anderen, sich Mitte des 15.  Jahrhunderts neu entwickelnden Druckmedium der Typographie, zunächst weniger kostenintensiv in der Herstellung. Das Thema der Ars mo­riendi sollte also einem möglichst breiten Publikum näher gebracht werden. Doch ohne Nachfrage ist kein entsprechendes Angebot wahrscheinlich. Es ist davon auszugehen, dass ein Drucker bzw. Auftraggeber das Kostenrisiko nur bei einer bewährten Vorlage respektive einem Thema, bei dem mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ein Erfolg zu verzeichnen ist, auf sich nahm. Offenbar bestand also eine Bedarfssituation seitens der Bevölkerung, auf die die „Bilder-Ars“ antwortete. Als eine der Hauptursachen ist die Angst vor einem plötzlichen Tod, sei es durch Unfall, Krankheit oder einem plötzlich auftretendes Massensterben, zu nennen. Denn nach mittelalterlicher Vorstellung beginnt das eigentliche „Leben“ erst im Jenseits, entsprechend groß war die Sorge um das persönliche Seelenheil. Da das individuelle Sündenkonto über Verdammnis, Fegefeuer oder Himmel entschied, galt es sich täglich auf den Tod vorzubereiten, indem man einen – den Regeln der kirchlichen Dogmatik entsprechend – frommen Lebenswandel pflegte und sich insbesondere auf die zu erwartenden letzten Anfechtungen des Teufels in der Todesstunde vorbereitete. Die „BilderArs“ sind dementsprechend als didaktisch einprägsamer Leitfaden zu verstehen, in denen diese schwersten Gefährdungen für das Seelenheil dem Betrachter vorab vor Augen gestellt werden, damit er die „Kunst des heilsamen Sterbens“ erlerne. Als einschneidende Erfahrung für das Denken der Menschen prägte sich die verheerende Pestwelle Mitte des 14. Jahrhunderts ein. Auch wenn die Opferzahlen inzwischen in neuerer Forschung etwas revidiert wurden und insbesondere für das Gebiet des heutigen Deutschland nach unten korrigiert wurden, bleibt dennoch die Angst vor der Pest als einer der wichtigsten Beweggründe der spätmittelalterlichen Sorge um das Seelenheil bestehen. Die Angst vor einer unkontrollierbaren und scheinbar plötzlich hereinbrechenden Gefahr, für die es kein wirksames Heilmittel zu geben schien. Niemand war vor ihr sicher, auch nicht die Geistlichkeit, und so sahen sich viele Menschen in ihrer letzten Stunde allein mit

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ihren Zweifeln, Sorgen und Nöten konfrontiert. Zweifel, die von klerikaler Seite als die letzten teuflischen Versuchungen interpretiert wurden! Die „Bilder-Ars“ entstand aus dem Kontext der Seelsorge heraus und spiegelt die Erfahrungen der Priester wider, deren Aufgabe es war/ist den Sterbenden auf diesem letzten Gang zu begleiten. In der Ars moriendi finden sich die fünf schwersten Zweifel dargestellt, die immer wieder aufkeimen und die nicht einfach beiseite zu schieben sind: Was, wenn es keinen Gott und damit auch kein Leben nach dem Tod gibt? Kann Gott mir meine Sünden überhaupt verzeihen oder ist jegliche Hoffnung auf ein himmlisches Paradies vergeblich? Warum bestraft mich Gott mit einem derartigen Leiden, wenn er doch angeblich gerecht und gütig ist? In den letzten beiden Versuchungen werden abschließend die für das Seelenheil ebenfalls gefährlichen Untugenden des Hochmuts und des irrealen Festhaltens an weltlichen Reichtümern behandelt. Demut, Selbsterniedrigung und Abschiednehmen werden gefordert. Auf all diese Gefahren galt es sich möglichst früh vorzubereiten. Nur so konnte diese letzte Prüfung auch allein gemeistert werden und das jenseitige Schicksal gesichert werden. Resümierend kann nach eingehender Betrachtung der genannten Punkte damit die eingangs gestellte Frage positiv beantwortet werden. In den Blockbüchern der „Bilder-Ars“ spiegeln sich nachweisbar die Glaubenszweifel der spätmittelalterlichen Gesellschaft oder doch zumindest von großen Teilen der Bevölkerung wider. Im Gegensatz zu den „klassischen“ Quellen, den Inquisitionsakten, die zu Untersuchung religiöser Devianz häufig herangezogen werden, zeigen die medial weit verbreiteten Blockbücher damit, dass Zweifel an der kirchlichen Lehre nicht nur eine mehr oder minder kleine Gruppierung betrafen, sondern durchaus das Denken weiter Teile der Bevölkerung zu beschäftigen schienen. Damit widersprechen sie dem modernen, stereotyp überformten Bild, von einer spätmittelalterlichen Gesellschaft in der scheinbar jeder Winkel des Alltags und Lebens von der Kirche bestimmt wurde und in der offen geäußerten Zweifeln an der kirchlichen Dogmatik mit drakonischen Sanktionen begegnet wurde.

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III.2 Die Planetenkinderbücher181 – Sternenglaube als populäres Kompendium III.2.A Zur Quellenlage der Planetenkinderbücher Insgesamt sind heute 13 Blockbuchausgaben der Planetenkinder bekannt. Davon gelten zwei als verschollen. Die übrigen werden in verschiedenen europäischen Bibliotheken und Sammlungen aufbewahrt. Diese erhaltenen Exemplare sind jedoch in ihrer Gestaltung und Sprache nicht einheitlich. Neben zwei lateinischen Exemplaren – bei einem davon handelt es sich um eine Mischausgabe182 – weisen alle Planetenkinderbücher deutsche Texte mit süddeutscher Dialektfärbung auf. Hinsichtlich der Gestaltung von Bild und Text lassen sich ebenfalls zwei Gruppen ausmachen. Zum einen die Gruppe A, bei der Text und Bild auf einer Seite auftreten, jedoch klar voneinander getrennt und die Gruppe B, bei der Bilder und Verse auf jeweils getrennten Seiten auftauchen. In der Gruppe A befinden sich nur deutschsprachige Exemplare. In der deutlich kleineren Gruppe B ist dahingegen die einzige lateinische Ausgabe (Kopenhagen, Königliche Bibliothek, Kupferstichsammlung, keine Sign., ca. 1460) sowie die Berliner Mischausgabe (ca. 1466) enthalten. Auch hinsichtlich des Bildaufbaus unterscheiden sich die beiden Typen A und B deutlich voneinander. Beim Typus A sind die Planetengötter von ihren Planetenkindern getrennt auf zwei Seiten dargestellt, während beim Typ B die Planetengötter am Himmel über ihren Schützlingen dargestellt wurden.183 Nur ein Unikat in der Schwabacher Kirchen-Kapitelsbibliothek (Sign.: 33/121, ca. 1465)

181 Die behandelten Blockbuchausgaben tragen weder einen zeitgenössischen Titel noch werden sie in der Sekundärliteratur einheitlich benannt. Im Folgenden werden diese Blockbücher als Planetenbücher oder Planetenkinderbücher bezeichnet, da dies die beiden geläufigsten Bezeichnungen sind. Eine Übersicht aller bis dato bekannten Ausgaben siehe im Anhang VIII.5. 182 Der ursprünglich lateinische Text des Exemplars in Berlin (Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett; Cim. 10 d) ist nur noch fragmentarisch erhalten. Vermutlich bereits im 15. Jahrhundert wurde dieser bei der Herstellung des Sammelbandes abgeschnitten und durch deutsche Verse ersetzt. 183 Die Blockbücher der Gruppe  A sind abgesehen von den genannten Einteilungskriterien nicht einheitlich. Innerhalb dieses Typus lassen sich vier Subgruppen ausmachen, die sich bspw. hinsichtlich der Dialektfärbung leicht unterscheiden. Am deutlichsten unterscheiden sich die identischen Ausgaben in Heidelberg und Schweinfurt von den übrigen der Gruppe A. Zum einen gibt es ikonographische Unterschiede, so baumelt bspw. im Bild der Saturnkinder ein Schwein am Galgen, während das einzige andere erhaltene Saturnkinderbild (Graz, Steiermärkische Landesbibliothek, 55784) eine erhängte Person zeigt und im Bild des Sol ist ein Stabspringer zu sehen. Zum anderen wird im Text des Mars der „stiher“ genannt, obwohl im Bild richtig

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durchbricht diese Einteilung. Bei dieser nur fragmentarisch erhaltenen, deutschsprachigen Ausgabe184 tauchen Bild und Text auf einer Seite auf, unter Hinzunahme ikonographischer Gesichtspunkte und des Bildaufbaus ist diese Ausgabe jedoch eindeutig dem Typus B zuzurechnen. Die drei Ausgaben der Gruppe B sind sehr eng miteinander verwandt, doch nur die in Kopenhagen erhaltene, chiro-xylographische Ausgabe ist noch vollständig. Die in Berlin verwahrte Fassung ist im erhaltenen Zustand ebenfalls als chiro-xylographisches Blockbuch mit handgeschriebenen deutschen Textseiten einzuordnen.185 Im ursprünglichen Zustand befand sich jedoch ein xylographischer, lateinischer Text jeweils unterhalb der Bildseite.186 Die Blätter wiesen damit ein ungewöhnliches, längliches Format auf (ca. 400 × 186 mm), so dass sie schwerlich als Bestandteil eines Codex gedient haben können: es waren entweder Wandplakate oder Einzelblätter in der Art der Einblattdrucke. Aufgrund der engen Verwandtschaft der drei Ausgaben vermutet Nigel Palmer, dass die beiden übrigen ebenfalls als ähnliche Plakatfolgen anzusehen sind.187 Kunsthistoriker erkennen in den Blockbüchern der Gruppe B stilistische Merkmale, die auf eine Entstehung in den Niederlanden hindeuten.188 Dieser Bildertext ist zuerst in einer italienischen Fassung bezeugt, die in zwei großformatigen, florentinischen Kupferstichen des Britischen Museums erhalten ist.189 Die erste Fassung wird um 1460, die zweite, auf Grund eines Eintrags in dem beigegebenen Kalender, auf 1464/65 datiert. Die Textfragmente des Berlin-Breslauer Sammelbandes und die handschriftlichen Einträge der Kopen-

der Widder als eines seiner Tierkreiszeichen abgebildet ist. Dieser Fehler taucht nicht in den übrigen Block­büchern der Gruppe A auf. 184 Inc.: Saturnus ain stern bin ich genant… Das Digitalisat dieser Ausgabe kann unter folgenden Link eingesehen werden: urn:nbn:de:bvb:12-bsb00036393-4, (zuletzt geprüft am 30.  12. 2014). 185 Palmer, Nigel: Apokalypse, Ars moriendi [u.  a.]. Die lateinisch-deutschen Blockbücher des Berlin-Breslauer Sammelbandes, München 1992. S.  40. Der nachträglich eingefügte deutsche Text ist identisch mit der in Schweinfurt verwahrten, in Basel gedruckten Ausgabe der Gruppe A. 186 Wie beim Exemplar in Schwabach. Die lateinischen Textfragmente im Berliner Planetenbuch sind identisch mit dem Text der in Kopenhagen erhaltenen Ausgabe. 187 Palmer, Nigel: Apokalypse, Ars moriendi [u.  a.], S. 38. 188 Ebd., S.  40. Wilhelm Schreiber lokalisiert die Berliner Ausgabe in die ober- oder niederrheinische Region, nach niederrheinischer Vorlage, der Text wurde in Basel geschrieben. Siehe: Schreiber, Wilhelm: Handbuch der Holz- und Metallschnitte des XV. Jahrhunderts, IV², Stuttgart, Nendeln 1969, S. 418. 189 Lippmann, Friedrich, Die Sieben Planeten, Berlin, Paris, London, New York 1895. Siehe dazu auch: Hind, Arthur M.: Early Italian Engraving, Part I, London 1938.

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hagener Ausgabe liefern den italienischen Begleittext in einer lateinischen Version.190 Die früheste datierte Ausgabe aus dem Jahr 1455/58191 ist ein Blockbuch der Gruppe A,192 das sich heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg befindet (Sign.: Cod. Pal. Germ. 438). Diese nur fragmentarische Ausgabe ist wiederum identisch mit einem auf 1465–70193 datierten Exemplar in der Bibliothek OttoSchäfer in Schweinfurt (Sign: Xylo-G). Aufgrund des in der Ausgabe abgebildeten Basler Stadtwappens kann das Schweinfurter Exemplar (und damit auch das in Heidelberg befindliche) zudem eindeutig regional verortet werden. Für die nachfolgende inhaltliche Analyse wurde das heute in Schweinfurt befindliche Exemplar gewählt, da es sich hier um eine vollständige, volkssprachliche Ausgabe handelt, die nach aktuellem Erkenntnisstand die älteste datierte Version darstellt.194

190 Ebd., S. 18–19. Die Bilder des Berliner Sammelbandes gelten nach Lippmanns Untersuchungen als niederländische Kopien nach der zweiten Serie der florentinischen Kupferstiche. 191 Der Kunsthistoriker Blume datierte diese vermutlich in Basel entstandene Holzschnittfolge auf um 1430 (S. 207–209). Er begründet dies unter anderem mit einer astronomischen Sammelhs. (Rom, Vat. Pal. Lat. 1369), in deren Planetengötterillustrationen er Ähnlichkeiten zur Basler Ausgabe erkennt und die vier Zeilen aus den Gedichten der Holzschnitte zitiere. Im Bild des Saturn will Blume eindeutig die Jahreszahl „1444“ erkennen. Die auf dem Zähltisch des Saturn dargestellten Ziffern können jedoch laut Ott, Norbert (Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters, Band 1, München 1991, S. 441) nur „eventuell“ als Datierung gelesen werden. Sicher belegt ist dagegen der Vorbesitzer Johannes Virdung von Haßfurt (1463– 1538/40). Zudem deutet Blume modische Einzelheiten in den Holzschnitten „auf einen Zeitpunkt deutlich vor der Jahrhundertmitte“ (S. 208). Bei dieser recht ungenauen Datierung anhand modischer Details bleibt jedoch immer Raum für Spekulationen (bspw. mögliche regionale Unterschiede). Daher hält diese Arbeit an der Datierung auf die Jahre 1455/58 fest, die anhand einer Wasserzeichenuntersuchung festgestellt wurde. 192 Wilhelm Schreiber (Handbuch der Holz- und Metallschnitte des XV. Jahrhunderts, IX, Stuttgart 1969, S. 417–427) erkennt innerhalb der volkssprachlichen, xylographischen Ausgaben (Gruppe A) drei Entwicklungsstufen. Als erste Ausgabe identifiziert er die Heidelberger Edition, die zweite Stufe wird durch die heute in London und Wien befindlichen Exemplare gebildet, während er die Grazer Ausgabe als dritte Edition bezeichnet. Nach heutigen Erkenntnissen zur Datierung ist die Grazer Ausgabe jedoch bereits 1460 entstanden, während die Ausgaben der zweiten Edition erst um 1470 gedruckt worden sind. Daher sind wohl die Ausgaben in London und Wien in der Entwicklungsstufe nach der Grazer Ausgabe anzusiedeln. 193 Die beiden Datierungen zeigen, dass diese Ausgabe über Jahre hinweg in mehreren Auflagen gedruckt wurde. 194 Die Autorin hat abweichend von der unvollständigen Klassifikation von Wilhelm Schreiber (Handbuch IX²) eine Neuklassifikation der erhaltenen Planetenkinderbücher vorgenommen. Siehe dazu die bibliographsiche Materialsammlung im Anhang VIII.5.

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III.2.B Ursprung und Entwicklung der Sieben Planetengötter Das System der sieben Planeten wurzelt in der altbabylonischen Astronomie des zweiten vorchristlichen Jahrtausends.195 Neben den fünf eigentlichen Wandelsternen wurden auch Sonne und Mond zu den Planeten gezählt. Diese Himmelskörper lassen sich aufgrund ihrer Helligkeit und Eigenbewegung im Gegensatz zum Fixsternhimmel auch ohne technische Hilfsmittel am Firmament beobachten. Anders als die Fixsterne, die in regelmäßigen Bahnen um den Polarstern kreisen, scheinen sich die Planeten frei zu bewegen, weshalb ihnen ein selbständiger Wille zugesprochen wurde.196 Die Babylonier erkannten in diesen Himmelserscheinungen Manifestationen ihrer Gottheiten. Der Codex des babylonischen Königs Hamurabi (um 1700 v. Chr.) nennt den Mondgott Sin als Herrn des Pflanzen-wachstums, der zudem die Zeiten und die Geschicke der Menschen bestimmt. Der Sonnengott Schamasch ist der Herr des Lebens und der Gerechtigkeit, der alles sieht und hört und daher auch Gott der Weissagung ist. Die mit der Venus verbundene Göttin Ischtar wurde im vorderen Orient am meisten verehrt. Sie galt als Kriegsgöttin und Göttin der Liebe. Im „weißen Stern“ (Jupiter) manifestierte sich Marduk, der Schutzgott von Babylon und Weltschöpfer. Sein Sohn Nabu (Merkur) ist Herr der Wissenschaften und aller mantischen Künste. Der unheimlich rotleuchtende Mars wurde mit dem unheilbringenden Unterweltgott Nergal verbunden. Er galt als Rachegott und Herr der Waffen der überdies das Geschick der Toten lenkt. Von Saturn glaubten die Babylonier, er sei eine müde gewordene Sonne. Er verkörpert Ninurta, den Sturm- und Jagdgott und Stern der Gerechtigkeit, Beständigkeit und Ordnung. Unter dem Einfluss persischer Astrallehren erhielt er später einen negativen, dämonischen Charakter.197 Die Entstehung der Individual- und Geburtshoroskopie wurde erst in späterer Zeit durch mathematische Erkenntnisse des 5. Jahrhundert v. Chr. begünstigt. Ein Keilschrifttext aus dem Jahr 419 v. Chr. belegt erstmalig die Errechnung eines Maßkreises, der den Tierkreis in 12 gleiche Teile zu je 30° teilt. Zusammen mit der Kenntnis über Bahnelemente und Planetenstellungen konnten die Stellungen des Mondes und der Planeten vorherberechnet werden.198

195 Rapp Buri, Anna & Stucky-Schürer, Monica: Die Sieben Planeten und ihre Kinder – Eine 1547–1549 datierte Tapissieriefolge in Basel, Basel 2007, S.  12 & Müller, Markus: Beherrschte Zeit – Lebensorientierung und Zukunftsgestaltung durch Kalenderprognostik zwischen Antike und Neuzeit, Kassel 2006, S. 202. 196 Boll, Franz & Bezold, Carl: Sternenglaube und Sterndeutung – Die Geschichte und das Wesen der Astrologie, Leipzig, Berlin 1931, S. 45. 197 Knappich, Wilhelm: Geschichte der Astrologie, Frankfurt am Main 1988², S. 30–32. 198 Ders., S. 39  f.

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Die Grundlage der modernen Astrologie wurde jedoch im hellenistischen Griechenland gelegt, als orientalische Gestirnslehren, ägyptische Tempelweisheit,199 babylonische Sternforschung, griechische Mathematik und Naturphilosophie zu einem Lehrgebäude zusammengefasst wurden.200 Ab dem 8. Jahrhundert drangen die Griechen in östlich gelegene Siedlungsund Handelsräume vor, wodurch der Kontakt der Hellenen zur chaldäischen Kultur vermehrt wurde. Dies geschah insbesondere während der Regentschaft Nebukadnezars in Babylonien (7.–6. Jh. v. Chr.).201 Die Griechen, deren ursprüngliche Religion kaum Elemente von Gestirnverehrung enthielt,202 übernahmen von den Chaldäern astrologische Techniken und damit verbundene religiöse Vorstellungen.203 Auch die sieben mesopotamischen Planetengötter wurden in die griechische Kultur übernommen und gemäß dem tradierten Archetyp durch einheimische Gottheiten ersetzt.204 Ein Schüler Platos – Philipp von Opus – nennt im 4. Jh. v. Chr. erstmals die Namen der Planetengötter, mit dem Hinweis, dass die Planeten gewissen Göttern als Sitz oder Eigentum zugeordnet wurden (der Saturn

199 Dazu ausführlicher bei von Stuckrad, Kocku: Geschichte der Astrologie, München 2003, S. 70–77: Die Funde zur ägyptischen Astrologie stammen fast ausschließlich aus der Zeit hellenistischer bzw. römischer Vormacht in Ägypten. Die für die Astrologie wirkungsmächtigste Verknüpfung griechischer mit ägyptischer Mythologie und Traditionsbeständen war die des ägyptischen Gottes Thot mit dem griechischen Hermes (Hermes-Thot oder Hermes Trismegistos). Da beide Gottheiten mit der priesterlich bedeutsamen Kunst des Schreibens und der Offenbarung okkulter Wahrheiten zu tun hatten, lag eine Verbindung nahe. Diesem Gott wurden 42 Bücher zugeschrieben, von denen vier der Sternenkunde gewidmet gewesen sind. Knappich erwähnt außerdem auf S. 49, dass diese älteste Form der Astrologie im ptolemäischen Ägypten als Offenbarungsliteratur eine reine Tempelwissenschaft war. 200 Ebd., S. 46. 201 Bara, Joelle-Frédérique: Astrology II: Antiquity. In: Dictionary of Gnosis and Western Esotericism, Leiden 2006, S. 110–119, hier S. 111. 202 Klibansky, Raymond, Panofsky, Erwin & Saxl, Fritz: Saturn und Melancholie, Frankfurt am Main 1990², S. 214. Sowie Boer, E., Astrologie, in: Lexikon der alten Welt, Zürich, München, 1965, Sp. 355. 203 Bara, Joelle-Frédérique, S.  111. Dazu auch Knappich, Wilhelm, S.  47: „Viele griechische Astro­logen wie Epigenes von Byzanz, Apollonios von Myndos und Kritodemos behaupten, daß sie ihr Wissen von den Chaldäern erhalten haben.“ 204 Die Verbindung der Planeten mit Göttern des Landes – zuerst babylonisch, dann griechisch und schließlich die bis heute verwendete römische Namensgebung – wirkt bis heute in den Namen der Wochentage nach. Jedem der sieben Planetengötter wurde die Regentschaft über einen Tag der Woche zugesprochen: Lundi = dies luna = Montag, mardi = dies martis = Dienstag, mercredi = dies mercurii = Mittwoch, jeudi = dies iovis = Donnerstag, vendredi = dies veneris = Freitag, samedi = dies saturni = Samstag, dimanche = Tag des Herrn/dies solis = Sonntag. Ausführlicher bei Knappich, Wilhelm: S. 56. Sowie bei Boer, E., Astrologie, in: Lexikon der alten Welt, Sp. 354.

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hieß bspw. „Stern des Kronos).205 Dem Einfluss der stoischen Philosophie206 ist es zu verdanken, dass sich Vorstellung von den Planeten als Sitze der Götter wandelte und die Planeten selbst als Gottheiten angesehen wurden.207 Seit dem Ende der römischen Republik ist die Nennung der Planeten ohne besitzanzeigenden Genitiv belegt, wodurch die Planeten – nun selbst Götter und nicht mehr nur Eigentum oder Göttersitz – die Geschicke der Menschen beeinflussen oder gar lenken können.208 In der Astrologie werden Raum und Zeit auf sehr spezielle Weise miteinander verbunden.209 Wilhelm Knappich erklärt, dass bereits in archaischer Zeit Festkalender nicht nur astronomisch-chronologische Daten wiedergeben, sondern die heilige (qualitative) Zeit berücksichtigt wird, „indem sie die für jeden Tag gültigen Zeremonien angegeben haben, die an das erinnern sollten, was die Götter in „illo tempore“ getan oder erlitten haben. Jeder Tag hatte also eine bestimmte günstige oder ungünstige Qualität, die sowohl für ein geplantes Vorhaben als auch für das Schicksal der an diesem Tag Geborenen bedeutsam war.“210 Eine derartige „Vergöttlichung der Zeiträume“ ist ein besonderes Kennzeichen der ägyptischen Denkweise, in der jeder Zeitraum eine bestimmte, meist personifizierte Qualität besaß.211 Diese qualitative Auffassung von Zeit und Raum zeigt sich auch im astrologischen Verständnis des kosmologischen Sphärenmodells, in dem die plane-

205 Knappich, Wilhelm, S. 52. 206 Der hellenistische Philosoph Zenon von Kition gilt als Begründer der Stoa im 4. Jh. v. Chr. Die stoischen Philosophen des 3. Jh. stammten meist aus Kleinasien, weshalb sie mit der orientalischen Gestirnlehre wohl vertraut waren. Sie wollten den aristotelischen Dualismus zwischen Geist und Stoff durch einen monistischen Pantheismus ersetzen. Sie sahen alle Dinge untereinander in einem festen Wirkungszusammenhang. Alles geschehe nach einer inneren Notwendigkeit, die vom Standpunkt des Schöpfers aus als Vorsehung, vom Standpunkt des Geschöpfs aus als Schicksal erscheint. Aus dieser Determiniertheit des Naturgeschehens und der Unvermeidbarkeit des vorbestimmten Schicksals, folgt auch die Möglichkeit Zukünftiges vorherzusagen. Siehe: Ebd., S. 47–48. 207 Ebd., S. 54. 208 Seznec, Jean: Das Fortleben der antiken Götter, München 1990, S.  33–34 & Mitscherling, Maria: Medizinisch-astrologischer Volkskalender, Leipzig 1981, S. 16. 209 von Stuckrad, Kocku: Das Ringen um die Astrologie: Jüdische und christliche Beiträge zum antiken Zeitverständnis, Berlin u.  a. 2000, S. 71. 210 Knappich, Wilhelm, S. 8. 211 Ebd., S. 13. Die vier Tagesabschnitte im Lauf der Sonne wurden etwa mit den 4 Lebensaltern verglichen und so war die Morgensonne eine Kind, die Mittagsonne ein Mann, die Abendsonne ein Greis und die Mitternachts-sonne mit der Leichnam Chum oder Osiris in der Unterwelt.

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taren Umlaufbahnen räumliche Abschnitte darstellen, die bestimmte qualitative Eigenschaften der Planetengötter und Zodiakzeichen besitzen.212 Das im Mittelalter – bis zu seiner Widerlegung durch Nikolaus Kopernikus – dominierende Modell des Kosmos gründete auf antiker griechischer Astronomie, die seit dem 4. Jh. v. Chr. zwei etwas unterschiedliche geozentrische Systeme213 entwickelt hatte, die jedoch laut Rudolf Simek schon in der Spätantike und besonders im Mittelalter zu einem nicht immer konsequenten, jedoch verständlichen und allgemein akzeptierten Kosmosbild homogenisiert wurden.214 Der griechische Astronom Hipparch von Nikaia215 (2. Jh. v. Chr.) sowie insbesondere der Mathematiker Klaudios Ptolemäus im 2. Jh. n. Chr. entwickelten es von einem überwiegend symbolischen zu einem astronomischen System und brachten es zu universaler Gültigkeit.216 In diesem Weltsystem ist der Kosmos in konzentrischen Kreisen – Sphären – aufgebaut, die sich aus den Bahnen der sieben hier beschriebenen Planeten und dem Fixsternhimmel (Firmament) zusammensetzen. Der Erdball bildet hierin das Zentrum. Da das Firmament nach dieser Vorstellung am schnellsten um die Erde rotierte (einmal in 24 Stunden), während die Planeten verschieden lange Umlaufzeiten aufweisen, wurde vermutet, das Kraftzentrum für die Bewegung läge jenseits des Firmaments und aller Planeten; dieser erste Beweger (im Bildbeispiel aus der Schedelschen Weltchronik als „primum mobile“ bezeichnet) wurde laut Simek als unsichtbare neunte oder zehnte Sphäre oder aber mit Gott selbst iden-

212 Mosimann, Martin, Die „Mainauer Naturlehre“ im Kontext der Wissenschaftsgeschichte, Tübingen, Basel 1994, S. 43. 213 Das ältere homozentrische Sphärenmodell des Eudoxos von Knidos (*ca.408–†350 v. Chr.) ging von konzentrischen, aneinander gekoppelten Kugelschalen aus, die sich um die Erde drehen. Aristoteles erhob die Sphärentheorie zur physikalischen Realität, indem er die Sphären als aus Äther bestehend annahm und vereinigte die Sphärensysteme der einzelnen sieben Planeten zu einem einheitlichen geozentrischen System. Das andere Modell baute auf die Epizykel- und Exzentertheorie auf, die die Unregelmäßigkeiten der Planetenbahnen durch Sphären mit ungleichen Mittelpunkten und die Epizykeltheorie – ein Nebenkreis (Epizykel = eigentliche Planetenbahn) dessen Mittelpunkt auf der Peripherie des Hauptkreises verläuft (Erde als Mittelpunkt des Hauptkreises) – zu erklären versuchte. Dazu: Sambursky, S.: Astronomie, in: Lexikon der alten Welt, Sp. 360. Sowie Simek, Rudolf: Erde und Kosmos im Mittelalter – Das Weltbild vor Kolumbus, München 1992, S. 16–17 & 30. 214 Simek, Rudolf: Erde und Kosmos im Mittelalter, S. 16. 215 Über Hipparch und seine Werke ist nur sehr wenig überliefert. Außer einem Frühwerk sind seine Schriften sämtlich verlorengegangen, doch sind wir über seine wichtigsten Arbeiten durch Ptolemäus unterrichtet, dessen Werke vielfach auf den Ergebnissen des Hipparch fußen. Nachzulesen bei Sambursky, S., Hipparchos von Nikaia, in: Lexikon der alten Welt, Sp. 1301. 216 Simek, Rudolf, S. 16–17.

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tifiziert.217 „Das ptolemäische Kosmossystem war in seiner einfachen Form (mit acht Sphären) das ganze Mittelalter hindurch gültig und fand seinen bildlichen Ausdruck im sog. Weltallbild […]“.218 Auf dem spätmittelalterlichen Bildbeispiel wurde die Erde gemäß einer gängigen ikonographischen Tradition, als schematische Zeichnung einer Landschaft dargestellt, die mit dem Wort terra zusätzlich gekennzeichnet wurde. Sie ist zunächst umgeben von der Sphäre des Wassers, der Luft und des Feuers.219 Über der Feuersphäre drehen sich die sieben Sphären der Planeten. In die erdfernste der sieben Planetensphären versetzte man den Planeten Saturn, in die zweite Jupiter, in die dritte Mars, in die vierte, mittlere Sphäre die Sonne, in die fünfte Venus, in die sechste Merkur, in die siebente und der Erde am nächsten gelegene Luna. Der Sphäre des Saturn folgt das Firmament mit den zwölf Sternbildern, der „Krystallhimmel“220 und das „Primum mobile“. Das „Primum mobile“, das erste Bewegliche, wird bereits von Aristoteles in seinen naturwissenschaftlichen Schriften („Vom Himmel“ und „Vom Werden und Vergehen“) beschrieben. Zwar lehnte Aristoteles in seiner Metaphysik die Astrologie ab, doch vertrat er in seinen naturwissenschaftlichen Werken die Meinung, dass alles Werden und Vergehen von der Bewegung abhängig sei. Die Gottheit als erster Beweger gebe den Anstoß auf das erste Bewegliche und von da weiter auf die Planeten. Aus der unveränderlichen Region der Sterne kommen daher alle Kräfte und Wirkungen, sie erzeugen durch ihre Bewegung das Warme und Kalte, Trockene und Feuchte und durch diese vier Urqualitäten bewirken sie alles Werden und Vergehen in der vergänglichen Welt. Damit legte Aristoteles die Grundlage für eine physisch-rationale Fundierung der Astrologie.221 Der

217 Ders., S. 17–18. 218 Ders., S. 19. Dieses sog. Weltallbild ist bereits im frühen 8. Jh. in Beda Venerabilis (*672/673– †735) Werk De natura rerum zu finden (Ebd. S. 19). 219 Die vier Elemente liegen nicht nur vermischt als Bestandteile aller irdischen Körper vor, sondern bilden auch Sphären, die die Erde ummanteln. Dazu: Nobis, Heribert: Zeitmaß und Kosmos im Mittelalter, in: Mensura- Mass, Zahl, Zahlensymbolik im Mittelalter, (2.ter Halbband), S. 261–267, hier: S. 262. Eine sehr kurze Erwähnung findet sich auch bei Simek, Rudolf auf S. 127. 220 Aus der Genesis (1,7) hergeleitete Sphäre, die als die gewissermaßen gefrorenen himmlischen Wasser gedeutet wurden. Jenseits dieses geschöpflichen Kosmos, im „coelum empyreum“, dachte man sich den Wohnort Gottes mit seinem Hofstaat und derer, die nach ihrem irdischen Leben „in den Himmel gekommen“ waren. Siehe dazu: Hübner, Jürgen: Die Gedanken Gottes denken? Zum naturphilosophischen Ansatz Johannes Keplers, in: http://www.theologie-naturwissenschaften.de/startseite/leitartikelarchiv/gottes-gedankendenken.html, (zuletzt geprüft am 04. 03. 2014). 221 Knappich, Wilhelm, S. 50.

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Abb. 21: Weltallbild aus dem buch Der Croniken unnd geschichten, (Augsburg, 1496) des ­Hartmann Schedel.

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Philosoph Poseidonios von Apameia (*135–†51 v. Chr.) krönte das griechischastrologische Lehrgebäude, indem er in seiner religiös eingestellten Naturphilosophie oder „Physik“ an Stelle des rein stofflichen, atomistischen Naturgefüges den krafterfüllten Organismus setzte. Die Gestirne wirkten infolge der allgemeinen kosmischen Sympathie gemäß ihren Kräften und Mischungen auf alles Irdische ein, sie handeln aber auch zweckmäßig als göttliche Macht und bringen durch ihre Stellungen den göttlichen Willen zum sichtbaren Ausdruck.222 Damit schuf Poseidonios das „seltsame Gebilde einer wissenschaftlichen Gestirnreligion“.223 Auch die älteste erhaltene systematische Gesamtdarstellung der hellenistischen Astrologie, die Tetrabiblos des Claudius Ptolemäus, beruht im Wesent­ lichen auf den Lehren des Poseidonios.224 Die Tetrabiblos ist ein Kompendium der spezifischen Bedeutungen und Einflüsse der Planeten und Fixsternkonstellationen auf das Menschenleben und irdische Vorgänge im Allgemeinen.225 Der Inhalt gliedert sich in vier Bücher und beginnt mit einer Verteidigung der Astrologie. Im zweiten Buch werden die kosmischen Einflüsse auf die Völker und das Wetter behandelt. Das dritte und vierte Buch beschreiben die aus den Horoskopen erschlossenen Einflüsse auf das Menschenleben. Zwar sind diese vier Bücher nicht das im Mittelalter am weitesten verbreitete Werk über Astrologie, doch bilden sie den Kern späterer astrologischer Technik.226 Für die Auslegung des Geburtshoroskops orientierte sich Ptolemäus an der babylonischen Deutungsmethode, die sich, im Gegensatz zur ägyptischen Methode, nicht schwerpunktmäßig nach den Tierkreiszeichen richtet, sondern sich an den Planeten und ihrer Stellung im Tierkreiszeichen und zu den anderen Planeten orientiert. Nach Ptolemäus sind vier Grundsätze bei der Beurteilung eines Horoskops zu beachten. Zum einen, welcher Planet für das Ereignis bedeutsam ist (später „Signifikator“ genannt) und zum anderen, welcher Planet an diesem Ort die größte Macht inne hat (später „Promissor“ genannt). Danach gilt es, die Größe und Art der Wirkung zu bewerten, bevor abschließend die zeitliche Komponente abzuwägen ist (d.  h., ob das Ereignis rasch oder erst allmählich eintreten, kurzoder langandauernd sein wird).227 Aus der sorgfältigen Bewertung, Abwägung

222 Ebd. 223 Ders., S. 51. 224 Ebd. 225 Sambursky, S.: Ptolemaios, in: Lexikon der alten Welt, Sp. 2479. 226 North, J.D. /van der Waerden, B. L.: Astrologie, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. I, München, Zürich 1980, Sp. 1136. 227 Knappich, Wilhelm, S. 68.

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und Mischung dieser vier Kriterien entstand ein Gesamtbild der Person. Dabei berücksichtigte er auch das elterliche Milieu, um von außen kommende Zufälle und Stadien im Lebenslauf schildern zu können. Im Ganzen präsentiert sich das ptolemäische Deutungssystem somit als recht kompliziert, weshalb insbesondere in der Laienastrologie einfachere Methoden genutzt wurden, die das Schicksal der Person aus dem Sonnenstand im Tierkreis, dem Alter des Mondes (sogenannte Mondlaufbücher oder Selenodromien) oder dem Planeten ableiteten, der den jeweiligen Wochentag der Geburt regierte.228 Derartige Listen, die das System der Aufteilung der Planeten auf die Woche erklären, sind bereits von den antiken römischen Autoren Vettius Valens (*120–†175 n. Chr.) und Cassius Dio (*163–†229 n. Chr.) überliefert.229 Auch die spätmittelalterlichen Planetenkinderbücher orientieren sich an dieser eher einfachen astrologischen Zuordnung der Tages- bzw. Stundenherrschaft.230 Jeder Tag der Woche wird dabei von demjenigen Planeten beherrscht, dem die erste Stunde des Tages zukommt; die folgenden Stunden beherrschen die Planeten nacheinander in der Reihenfolge der Sphären des ptolemäischen Weltbildes.231 Die Reihung beginnt mit dem erdfernsten Planeten Saturn, der den Samstag beherrscht. Nach 24 Stunden folgt gemäß der Abfolge die Sonne als Regent der 25.  Stunde. Sie beherrscht damit den Sonntag, der Mond den Montag usw. Der Zeitpunkt der Geburt ist in den Planetenkinderbüchern der ausschlaggebende Faktor für die Zuordnung zu einem der Wandelsterne. Dabei liegt dem Konzept der Planetenkinder kurzgefasst folgende Vorstellung zugrunde: „bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten eines antiken Gottes (babylonisch, griechisch, römisch) und die von ihm erzählten Mythen gehen auf den zugeordneten Planeten über und werden zur Ausdeutung jeder Konstellation verwendet, in der der Planet eine besondere Rolle spielt, das heißt: der Planet, der nach dem Gott Kronos – Saturn benannt ist, muß Menschen wie Kronos selber formen.“232 III.2.B.1 Literarische und ikonographische Überlieferungsgeschichte Die Überlieferungsgeschichte der spätmittelalterlichen Planetenkinderbücher ist recht kompliziert, da sich mehrere, zum Teil ineinander verwobene Überliefe-

228 Ders., S. 69. 229 Stegemann, Viktor: Planeten, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Sp. 44. 230 Ob bei den Blockbüchern der Planetenkinder der Tages- oder Stundenregent der bestimmende Planet ist, wird in der Quelle nicht deutlich bestimmt. 231 Ebd., Sp.44–45. 232 Becker, Udo: Lexikon der Astrologie, Freiburg 1997, S. 219.

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rungsstränge von bildlicher Tradition und Textgeschichte auftun. Zudem gibt es keine gleichverlaufende ikonographische Überlieferungskette der Planetengötter und ihrer Kinder, da sich Darstellungen letzterer erst seit dem 15.  Jahrhundert finden, wohingegen Planetengötterdarstellungen eine sehr viel längere Tradition haben.233 Die ikonographische Entwicklungsgeschichte der mittelalterlichen Planetengötterdarstellungen wird maßgeblich durch zwei Einflüsse geprägt. Zum einen durch eine okzidentale Tradition, die auf beschreibende Texte zurückgeht und zum anderen durch eine orientalische Tradition, die bildliche Vorbilder als Prototypen lieferte. Diese beiden Stränge treffen im Spätmittelalter aufeinander und verschmelzen allmählich.234 Daraus entsteht ein neuartiger ikonographischer Typus, der nicht mehr den antiken Vorbildern ähnelt.235 Erst in der Frührenaissance beginnt sich die Ikonographie der Planetengötter wieder den antiken Götterfiguren anzunähern.236 Diese neue, mittelalterliche Planetengötterikonographie lässt sich seit dem 12.  Jahrhundert in abendländischen Manuskripten beobachten. Als Quellen dienten die späten, heidnischen oder christlichen Mythographen und Scholiasten wie Macrobius, Servius, Lactantius Placidus, Martianus Capella oder Fulgentius sowie orientalische Vorlagen.237 Die orientalischen Planetengottdarstellungen entstammten vermutlich dem religiösen Gedankengut der harrânischen Ssabier, deren heidnischer Planetenkult einerseits auf die babylonischen Astralgöttervorstellungen zurückgeht und andererseits durch griechisches Gedankengut beeinflusst wurde. Die Planetendarstellungen der lange Zeit isoliert lebenden Ssabier wurden vom Islam wiederentdeckt und übernommen.238 Das arabische Buch Ghâya, ein im 11.  Jahrhundert entstandener kompilatorischer Text zu Magie und Astrologie, gilt als wichtigster Beleg für eine ununterbro-

233 Hauber, Anton: Planetenkinder und Sternbilder, Straßburg 1916, S. 8 & 212–214. 234 Müller, Markus: Beherrschte Zeit, S. 247–248. 235 Die klassische, antike Götterikonographie wird im westlichen Kulturkreis am längsten in karolingischen Kopien des von Cicero übersetzten Gedichts des Aratos tradiert. Der Aratea-Bilderzyklus verschwindet jedoch im 13.  Jahrhundert. Nur sehr isoliert sind Abschriften aus dem 14. Jahrhundert überliefert. Vgl. Seznec, Jean: Das Fortleben der antiken Götter, München 1990, S. 116–117. 236 Büttner, Frank & Gottdang, Andrea: Einführung in die Ikonographie, München 2006, S. 182. 237 Seznec, Jean, S. 125. Sowie Klibansky, Raymond, Panofsky, Erwin & Saxl, Fritz: Saturn und Melancholie: Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst, Frankfurt a. M. 1992, S. 298  f. 238 Saxl, Fritz: Beiträge zu einer Geschichte der Planetendarstellungen im Orient und im Okzident, in: Der Islam 3 (1912), S. 151–177.

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chene Texttradition, die sich auf die rituellen babylonischen Planetenbilder bezieht.239 Dieser Text wurde Mitte des dreizehnten Jahrhunderts am Hof Alphons X. zunächst ins Spanische übersetzt. Diese spanische Übersetzung diente wiederum als Vorlage für eine lateinische Ausgabe mit dem Titel Picatrix (vermutlich eine Deformation von „Hippokrates“), die bis zum Ende des Mittelalters zu einem der meist verbreiteten astrologischen Handbücher avanvierte.240 Laut Fritz Saxl ist das Buch Picatrix241 das entscheidende Bindeglied zwischen Orient und Okzident und erklärt die Verwandtschaft zwischen dem europäischen und dem babylonischen Bildprogramm,242 denn der Picatrix war, neben anderen arabischen Werken zur Astrologie, eine wichtige Quelle für Michael Scotus,243 den Hofastrologen von Kaiser Friedrich II. in Sizilien, der zwischen 1243 und 1250 astrologische Handschriften nach islamischen Vorlagen anfertigte.244 Dabei entkleidete er einerseits die Planeten teilweise ihres antik-heidnisch-mythologischen Gehalts und christianisierte diese, indem er bspw. Merkur zum Bischof und Jupiter zum Geistlichen machte,245 andererseits bleibt jedoch der babylonische Archetypus erhalten. So entspricht etwa der fromme und gelehrte Merkur charakterlich Nebo, dem Schreiber-Gott.246 Auch die Ikonographie der Planetenkinderblockbücher weist Besonderheiten auf, die durch den Einfluss der Scotushandschriften erklärt werden können.247 So wird bereits bei Scotus Saturn als alter Kämpe mit Schild und Sichel dargestellt, während Jupiter als Gelehrter am Esstisch gezeigt wird.248

239 Seznec, Jean, S. 120. 240 Ders., S. 44–46. Sowie Büttner, Frank & Gottdang, Andrea, S. 179. 241 Im Picatrix werden 50 Beschreibungen für Abbildungen von Fixsternen, Planeten und Tierkreiszeichen gegeben, die als beschreibende Vorlage für Edelsteingravuren dienten. Ursprünglich diente diese Praktik der magischen Unterstützung bei der Anrufung der Sterngottheiten. Seit dem 7. Jh. finden sich derart präparierte Steine jedoch auch in den Gemmen- und Kammeensammlungen großer Abteien. Dazu: Seznec, Jean, S. 45–46. 242 Saxl, Fritz: Beiträge zu einer Geschichte der Planetendarstellungen im Orient und im Okzident, S. 172–173. 243 Büttner, Frank & Gottdang, Andrea, S. 179. 244 Der astronomische Teil dieses illustrierten, astronomisch-astrologischen Traktats des ­Michael Scotus ist in über dreißig Manuskripten überliefert. Nachzulesen bei: Seznec, Jean, S. 118–119. 245 Stegemann, Viktor: Planeten, Sp. 270. 246 Seznec, Jean, S. 120. 247 Auf diese ikonographischen Elemente wird in den folgenden Kapiteln bei der Analyse der jeweiligen Planetengötter näher eingegangen. 248 Stegemann, Viktor: Planeten, Sp. 270–274.

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Diese Planetengötterdarstellungen unterscheiden sich jedoch noch immer in einem wesentlichen Merkmal von den Illustrationen der Blockbuchausgaben, denn in letzteren werden die Götter als aufrecht stehende, unbekleidete Figuren gezeigt, mit einem Gestirn über der Scham und den zugehörigen Tierkreiszeichen zu ihren Füssen. Eben dieses Bildprogramm lässt sich in einer Reihe von Handschriften beobachten, die seit dem ersten Viertel des 15. Jahrhunderts, insbesondere im süddeutschen Raum (Elsass, Basel, Bodenseeraum, Mittelrhein), verbreitet waren.249 Der Kunsthistoriker Bruno Fuchs vermutet bei den deutschen Planetengötterdarstellungen im ausgehenden Mittelalter einen französischen Einfluss, da sich vergleichbare Darstellungen in französischen Enzyklopädien finden.250 Dieser ikonographische Typus des nackten Planetengottes, wie er sich in den Blockbüchern findet, ist zugleich der am häufigsten in den astrologischen Handschriften beobachtbare.251 Wie bereits angesprochen tauchen abendländische Planetenkinderdarstellungen nicht vor dem 15. Jahrhundert auf. Die Tradition der Zuordnung bestimmter Berufsgruppen und Charaktere zu einem Planeten, etwa als deren Schutzgott, lässt sich jedoch bis in die Antike zurückverfolgen.252 Die endgültige Form der Planetenkinderikonographie – herausgelöst und für sich genommen in einem einheitliche Landschaftsraum – scheint zunächst ausschließlich in der Buchkunst und Graphik stattgefunden zu haben.253 Als Vorläufer wird allenfalls der monumentale Freskenzyklus im Riesensaal (Salone) des Gerichts- und Ratspalastes (Palazzo della Ragione) zu Padua genannt, dessen Ausmalung zu Beginn des 14. Jahrhunderts durch Giotto erfolgte

249 Ott, Norbert H.: Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters, Band  1, München 1991. Der Kunsthistoriker Bruno Fuchs vermutet, dass die Planetengötterdarstellungen des späten 15. und beginnenden 16.  Jahrhunderts durch französische Vorbilder ­(Enzyklopädien) angeregt wurden. 250 Fuchs, Bruno Archibald, Die Ikonographie der 7 Planeten in der Kunst Italiens bis zum Ausgang des Mittelalters, München 1990, S. 15–16. 251 Gross, Hilde-Marie: Illustrationen in medizinischen Sammelhandschriften: Eine Auswahl anhand von Kodizes der Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte des „Arzneibuches“ Ortlofs von Baierland, in: Gundolf Keil (Hrsg.), ein teutsch puech machen, S. 172–348, hier: S. 189–191. Eine Vergleichsabbildung findet sich hier: Von den Himmeln, den sieben Planeten und vier Elementen, Werkstatt Diebold Lauber, UB Heidelberg, Cod. Pal. Germ. 300, 36v. http://digi.ub.uniheidelberg.de/diglit/cpg300/0088, (zuletzt geprüft am 04. 07. 2014). 252 Gundel, Wilhelm: Individualschicksal, Menschentypen und Berufe in der antiken Astrologie, in: Jahrbuch der Charakterologie 4 (1927), S. 135–193, hier: S. 184. 253 Hartlaub, Gustav Friedrich: Astrologie im Spiegel der Kunst, in: Norbert Miller (Hrsg.), Kunst und Magie: Gesammelte Aufsätze, Hamburg, Zürich 1991, S. 35–46. Hier S. 40.

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(die Fresken wurden 1420 beschädigt und wurden 1428 durch Ersatzmalereien ersetzt).254 Kunsthistoriker vertreten die schlüssige These, dass für die Planetenkinbilder das ikonographische Schema der Monatsbilder in Gebetsbücherder­ kalendarien zu Beginn des 15.  Jahrhunderts übernommen wurde.255 Französische Buchminiaturen, wie die Illustrationen in den Epistre d’Othea Christine de Pizan (1400–1401) aus den Jahren um 1400 zeigen den Typus der Planeten­ kinder bereits halbwegs ausgebildet. Diese Miniaturen beweisen, dass die Anordnung den alten Monatsbildern nachgebildet wurde und lassen zugleich vermuten, dass auch dieses Bildprogramm – wie auch die spätmittelalterliche Planetengötterikonographie – von Frankreich aus in den deutschsprachigen Raum gelangte.256 Planetengedichte sind laut Markus Müller in allen westlichen Ländern bekannt gewesen und könnten in Anlehnung an die gelehrten arabischen Werke im 14. und 15. Jahrhundert zunächst in Latein und später in die Volkssprachen übertragen worden sein.257 Deutschsprachige astrologisch-astronomische Schriften lassen sich seit dem 14. Jahrhundert fassen. Jedoch ist die Textüberlieferung im gesamten Bereich der deutschen Sternkunde nur selten an Autorenpersönlichkeiten gebunden und noch seltener mit Werktiteln zu identifizieren.258 Innerhalb des Korpus der deutschsprachigen Planetentraktate und ihrem Beiwerk (thematisch verwandtes Schriftgut, das entweder voran- bzw. nachge-

254 Ebd., S. 37. Angeblich wurden Giotto hierbei vom berühmten Magus Peter von Abano inspiriert. Des Weiteren ist ein arabischer Einfluss in den italienischen Fresken zu erkennen, da sich jenes Schema getrennter Einzelbilder von Planeten und Planetenberufen bereits in arabischen Handschriften findet. Dazu: Stegemann: Planeten, Sp. 279. 255 Grasshoff, Kurt: Leibesübungen in Planetenkinderbildern des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Stadion 2 (1976), H. 2, S. 218–232. Hier: S. 221–222. In den Monatsbildern erscheinen die Tierkreiszeichen neben der Sonne und kennzeichnen so die Jahresabschnitte, während die Menschen darunter bei der Verrichtung der jeweils jahreszeittypischen Verrichtung gezeigt werden. Als Beispiel können die Monatsbilder aus dem Stundenbuch Tres Riches Heures des Jean de Berry (nach 1417) angeführt werden. 256 Hartlaub, Gustav Friedrich: S. 40. Dazu auch Blume, Dieter (Regenten des Himmels, Berlin 2000) auf S. 154: „Man gewinnt den Eindruck, daß in Frankreich erst die humanistischen Bemühungen in den Jahren um 1400 zu ernsthaften Versuchen geführt haben, astrologische Zusammenhänge zu illustrieren und die >>Regenten des Himmels: die zwiegehörnte Königin der Sterne, Horaz, Carm, saec. 35).“339 Aufgrund der Gestaltveränderungen des Mondes in seinen verschiedenen Phasen, spielte Selene im Volksglauben eine erhebliche Rolle im Sinne von

338 Die im folgenden Abschnitt angeführten Bildausschnitte und Quellenzitate stammen aus der in der Bibliothek Otto Schäfer in Schweinfurt (Signatur Xylo-G) aufbewahrten Ausgabe. Ein Abdruck des Digitalisats findet sich im Abbildungsverzeichnis (VIII.6.3). 339 Lücke, Hans-Karl & Lücke, Susanne, S. 147.

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Werden und Vergehen, Wachstum und Fruchtbarkeit.340 Das sehr häufig verwendete Attribut der Mondsichel befindet sich in dieser Illustration nicht auf dem göttlichen Haupt, sondern wurde statt eines Sterns an die Stelle der Scham gesetzt. Wie im einführenden Kapitel zu den Planetenbüchern erwähnt, findet sich diese Ausnahme in den Planetenblockbüchern sonst nur bei der Darstellung des zweiten lichtgebenden Gestirns, dem Sonnengott und mythologischen Bruder der Luna. Wie bei Sol wird der Luna ebenfalls nur ein Tierkreiszeichen, das des Krebses zugeordnet. Als weitere ikonographische Besonderheit fallen zwei Wagenräder im Wolkenband zu Füßen der Mondgöttin auf, die es bei keiner anderen Planetengottheit zu beobachten gibt. Dies ist ein Relikt des Wagens der Selene/Luna, mit dem sie der Sage zufolge von Rindern oder Pferden gezogen, über den Himmel fuhr.341 Da das Element Wasser im Kontext des Mondes eine wichtige Rolle spielt, scheint die Szenerie der Mondkinder an den Rand eines Binnengewässers verlegt worden zu sein. Diese Verbindung ihres Planeten zum Wasser lässt die Mondkinder oft Berufe ergreifen, die in irgendeiner Art und Weise mit diesem Element zu tun haben. Sie sind „lewfer kewkeler342 fysscher marner343  / Farnde schuler fogeler molner344 bader / Und was sich mit wasser dwnert / den yst des monden scheyn bescheret“. An einem Bach im linken Vordergrund ist eine Mühle zu sehen an dem sich ein von Wasserkraft angetriebenes Mühlrad dreht. Ein Müller treibt einen bepackten Esel auf die Mühle zu. Direkt hinter ihm sitzt ein Gaukler,345 der auf einem Würfeltisch346 seine Spielutensilien ausgebreitet hat. Beide wenden den Blick auf den mit Helm und Speer gerüsteten Boten oder Läufer, der seine Hand zum Redegestus erhoben hat. An seiner rechten Schulter trägt er das Wappen seines Herrn. Direkt hinter der Personengruppe um den Spieltisch sind ein Badender und ein Fischer zu sehen, der die Fische mit einem Stock in seine Reuse treibt. Links im

340 Herder Lexikon, Griechische und römische Mythologie, S. 198. 341 Herder Lexikon, Griechische und römische Mythologie, S. 198 & Lücke, Hans-Karl & Lücke, Susanne, S. 147. 342 „Gaukler“ 343 Aus dem Mittellateinischen „marinarius“ = „Seemann, Schiffsherr“. Siehe: von Lexer, Mathias: Mittelhoch-deutsches Handwörterbuch, Bd. 1, Sp. 2051–2052. 344 „Müller“ 345 Das Ausnutzen der Leichtgläubigkeit der Leute als Marktschreier, Taschenspieler oder Betrüger ist ein weiterer Zug der Mondkinder. Siehe: Schönfeldt, Klaus: S. 84 346 Dreibeinige, runde Tische werden in der Ikonographie des 15. Jahrhunderts normalerweise mit Spielern verbunden. Siehe: Blažekovic, Zdravko, S. 279.

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Abb. 36: Ein Gaukler am Würfeltisch und ein Bote.

Hintergrund versteckt sich ein Vogelfänger, der eben einen Vogel in seiner Leimrute gefangen hat. Damit wurden fast alle im Gedicht genannten Berufsgruppen und Tätigkeiten im Bild umgesetzt. Da der Mond in seinem schnellen Lauf um die Erde und in den verschiedenen Phasen selbst „[…] unstete wunderlich“ ist, sind auch seine Kinder unstet und reiselustig. Unter ihnen finden sich deshalb auch umherziehende „Farnde“, Gaukler, Seefahrer, Boten und „schuler“ bzw. Studenten.

III.2.D Christliche Theologie vs. Sternenmystik – zur wechselhaften Bewertung der Astrologie durch die Kirche Wenngleich auch die Bibel über Himmelserscheinungen, wie den Stern von Bethlehem, der die drei Magier zum Ort von Jesu Geburt führte,347 berichtet, fiel das Urteil der frühen christlichen Gemeinschaft über die Kunst der Sterndeutung

347 Mt 2,1–9, als anderes Beispiel kann die Verfinsterung des Himmels beim Tod Christi angeführt werden: Mt 27,45, Mk 15,33 und Lk 23,44.

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negativ aus.348 Eine insofern nachvollziehbare Schlussfolgerung, als in der Astrologie die von christlicher Seite abgelehnten heidnischen Göttern – personifiziert als Planeten am Firmament – als maßgebliche Sternenmächte gedeutet wurden, die das Schicksal der Menschen lenken sollten. Diese Vorstellung schien unvereinbar mit der christlichen Vorstellung von der göttlichen Gnade des einen Gottes und der Verantwortung des Gläubigen vor dem Weltenrichter am Tag des Jüngsten Gerichts.349 Der Hauptvorwurf der Kirchenväter richtet sich gegen den unterstellten, umfassenden Fatalismus, der aus der astrologischen Prognostik resultiere.350 Bezeichnend und zugleich bestimmend für die Position der Kirche in den folgenden Jahrhunderten sind die Argumente des Augustinus von Hippo (*354–†430) gegen die Astrologie, die er unter anderem in seinen Schriften De civitate Dei und De doctrina christiana zusammengestellt hat.351 Augustinus konzentriert sich in seiner antiastrologischen Polemik ganz auf das Problem des freien Willens, dem seiner Meinung nach kein Raum gelassen wird, wenn das Schicksal von den Sternen bestimmt wird. Sein zentrales Argument ist die offensichtliche Verschiedenheit vieler Zwillinge, die er anhand der biblischen Protagonisten Esau und Jakob illustriert.352 Obwohl unmittelbar nacheinander geboren, so dass der jüngere Jakob „mit seiner Hand die Ferse des Esau“353 hielt, verlief ihr Leben und ihre charakterliche Entwicklung vollkommen unterschiedlich. Damit führt Augustinus zugleich die Bibel als höhere Autorität ins Feld, deren Wahrheitsgehalt nicht angezweifelt werden könne. Bei seiner Kritik konzentriert sich der Bischof von Hippo ganz auf die Relevanz der Geburtshoroskopie, andere Aspekte wie den Einfluss der Sterne auf die Natur streift er nur in sporadischen Randbemerkungen.354 Die Astrologie ist für ihn nichts als eine „vana scientia“355, ein nutzloses Wissen und keine wert-

348 Blume, Dieter, S. 8. In mehreren Bibelstellen wird die Astrologie negativ beurteilt. Beispiele finden sich etwa bei 3. Mose 19,26, 5. Mose 18, 9, 12 & 14, Daniel 2, 27–28 oder Jesaja 47, 13–15. 349 Blume, Dieter, S. 8. 350 Laistner, M.W.L.: The Western Church and Astrology during the Early Middle Ages, in: M. W. L. Laistner (Hg.), The Intellectual Heritage of the Early Middle Age, New York 1972, S. 57–82, hier: S. 65–66. 351 Vgl. Blume, Dieter: S. 8 sowie Reichel, Ute: Astrologie, Sortilegium, Traumdeutung – Formen von Weissagung im Mittelalter, Bochum 1991, S. 33. 352 Blume, Dieter, S. 8. Und Laistner, M.W.L., S. 65. 353 1. Mose, 25,26. Bei Augustinus in De civitate Dei, V, 4 angeführt: „Nati sunt duo gemini antiqua patrum memoria […] sic alter post altrum, ut posterio plantam prioris tenerent.“ 354 In De civitate Dei, V, 6. Vgl. Blume, Dieter: S. 8. 355 Augustinus wählt diesen Begriff in der Überschrift von Buch V, 5 (De civitate Dei). Siehe: Blume, Dieter: S. 9.

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volle Wissenschaft, deren zutreffende Voraussagen nur mit Hilfe böser Geister möglich seien: „Wenn man dies alles betrachtet, wird man füglich zu dem Glauben kommen, daß, wenn die Astrologen erstaunlicherweise viel Wahres kundtun, dies der geheimen Eingebung böser Geister zuzuschreiben ist, die darauf aus sind, solch falsche und schädliche Meinungen über Sternenschicksale in die menschlichen Seelen zu pflanzen und sie darin zu bestärken, aber nicht etwa der angeblichen Kunst, das Horoskop zu stellen und zu deuten, die gänzlich nichtig sind.“356

Die Vorhersagen der Astrologen sind laut Augustinus durchaus als „potentiell wahr“ einzustufen, allerdings seien die Astrologen mit Dämonen und bösen Geistern im Bund, weshalb dieser Aberglaube wie andere heidnische und häretische Bräuche behandelt werden sollte. Diese negativen Vorzeichen des angeblichen Dämonenkultes oder des Teufelsbündnisses der Astrologen tauchen laut Blume in den Vorwürfen der Theologen noch bis weit in die Neuzeit hinein auf.357 Überhaupt sei die Beobachtung der Sterne von keinerlei Nutzen für die Auslegung der Heiligen Schrift – ausgenommen die Beobachtung des Mondumlaufes für die Berechnung des Osterfestes – weshalb er in De doctrina Christiana vor der Sternkunde warnt, die mit einem der verderblichsten Irrtümer, der Wahrsagerei, auf das engste verbunden sei.358 Ein Großteil der augustinischen Polemik, wie auch die anderer Kirchenväter, richtet sich hier gegen volkstümliche Wahrsagepraktiken, die oft auch astrologische Elemente enthielten. Gerade diese volkstümlichen Praktiken scheinen

356 Schlusssatz von De civitate Dei, V, 7: „His omnibus consideratis non immerito creditur, cum astrologi mirabiliter multa vera respondent, occulto instinctu fieri spirituum non bonorum, quorum cura est has falsa et noxias opiniones de astralibus fatis inserere humanis mentibus atque firmare, non horoscopi notati et inspecti aliqua arte, quae nulla est.“ Zitat der deutschen Übersetzung aus Augustinus, Aurelius: Vom Gottesstaat, Buch 1–10, ed. Wilhelm Thimme, Zürich 1978, S. 232. 357 Vgl. Blume, Dieter, S. 9. 358 Augustinus, De doctrina Christiana, II, 29:“ Siderum autem cognescendorum non narration sed demonstration est, quorum per pauca Scriptura commemorate. Sicut autem plurimis notus est lunae cursus, qui etiam ad passionem Domini anniversarie celebrandum solemniter adhibetur; sic paucissimis caeterorum quoque siderum velt ortus, vel occasus, vel alia quaelibet momenta sine ullo sunt errore notissima. Quae per se ipsam cognitio, quamquam superstition non alliget, non multum Scripturarum, et infructuosa intentione plus impedit; et quia familiaris est perniciosissimo errori fatua fata cantantium, commodious honestiusque contemnitur.“, Eine englische Übersetzung findet sich in Shaw, J. F.: On Christian Doctrine, in: Phillip Schaff (Hg.), Nicene and PostNicene Fathers, Series I, Volume 2, Edinburgh 1988, S. 550.

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äußerst langlebig gewesen zu sein, wie einschlägige Konzilsbeschlüsse und Bußkataloge zeigen.359 Das Traktat De magicis artibus360 des Hrabanus Maurus (*um 780–†856) sowie der dies-bezügliche Abschnitt in den Etymologien361 des Isidor von Sevilla (*um 560/70†–um 636) gelten als repräsentative Stellungnahmen zur Definition und Einschätzung der Astrologie im Frühmittelalter.362 Beide Autoren lassen dabei deutlich den Einfluss der früheren Polemiken der Kirchenväter, insbesondere des heiligen Augustinus, erkennen. Wie bei Augustinus fiel daher auch das Urteil des Erzbischofs von Sevilla zur Sterndeutung nicht sehr positiv aus. Allerdings war sein Blick auf die Astrologie differenzierter. Auf Isidor geht die im Frühmittelalter übliche Definition und Unterscheidung zwischen einer abergläubischen, und daher verdammungswürdigen Sternweissagung und Geburtshoroskopie, der „astrologia superstiosa“, sowie der bloßen Himmelsbeobachtung, der „astrologia naturalis“, die notwendig ist zur Erstellung des kirchlichen Festkalenders, zurück.363 Hrabanus Maurus gibt in De magicis artibus eine umfassendere Stellungnahme zu den im Heidentum wurzelnden, verwerflichen Formen der Weissagung in Kontrast zur christlichen, von Gott gewollten Weissagung der Prophetie. Nach Hrabanus liegt der grundsätzliche Unterschied der heidnischen und der christlichen Weissagung in ihrer jeweiligen moralischen Qualität. Die christlichen Orakel sind sittlich gut, weil sie dazu dienen, den Willen Gottes in der Welt kundzutun und zu verwirklichen, während sich die paganen Wahrsager aufgrund ihrer Verwurzelung im Heidentum indifferent gegenüber sittlichen Grundsätzen zeigen. Die heidnischen Wahrsager gelangen dabei mit Hilfe von Dämonen zu ihren Prophezeiungen. Die Dämonen werden von Hrabanus als gefallene Engel definiert, die dem Satan unterstehen, sie sind Luftgeister und werden mit den heidnischen Göttern gleichgesetzt.364 Die Dämonen gelangen durch aufmerksames Beobach-

359 Blume, Dieter, S.  9. Sowie Minois, Georges: Geschichte der Zukunft, Düsseldorf, Zürich 1998, S. 380–383 & 390–391. 360 Hrabanus Maurus, De magicis artibus, in: Migne, Patrologiae cursus completes, Series latina Tomus 110, Band 4, Paris 1864, Sp. 1095–1109. 361 Isidorus, Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla, übersetzt und mit Anmerkungen ver­ sehen von Lenelotte Möller, Wiesbaden 2008. 362 Reichel, Ute: Astrologie, Sortilegium, Traumdeutung, S. 17. 363 Ebd., S. 19–20. Sowie Blume, Dieter, S. 9. Und von Stuckrad, Kocku: Geschichte der Astrologie, München 2007, S. 188. 364 Vgl. Reichel, Ute: S.  20–24. In diesem Text des Hrabanus Maurus hat die Sterndeutung ihre spezifischen Merkmale verloren und ist in die Gemeinschaft aller mantischen Disziplinen

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ten ihrer Umwelt und Kombinieren der Möglichkeiten zu ihren Schlüssen, die trotzdem immer unsicher bleiben, da nach dem Willen Gottes jederzeit alles ins Gegenteil verkehrt werden kann. Die Dämonen selbst haben keine Möglichkeit, die Naturphänomene nach ihrem Belieben zu verändern.365 Wie bereits Augustinus argumentiert auch Hrabanus Maurus, dass Gott diese heidnischen Kulte weiter zulasse, um den Menschen Entscheidungsfreiheit zu lassen. Denn wie sehr der Einzelne vom christlichen Glauben durchdrungen ist, kann sich nur zeigen wenn er in Versuchung geführt wird. Indem der Gläubige mit heidnischer Weissagung konfrontiert wird und sie bewusst ablehnt, entscheidet er sich für die christliche Botschaft.366 Ute Reichel bewertet folgerichtig diesen frühmittelalterlichen Ansatz zur Bekämpfung der Astrologie und allen anderen heidnischen Weissagungsformen als nicht durchgreifend. Indem Hrabanus Maurus eine Gruppe von Orakeln als mit dem christlichen Glauben vereinbar definiert, bereitet er den Weg zur Akzeptanz der Sterndeutung im Hochmittelalter.367 Insbesondere die Schule von Chartres, die die arabischen Wissensbestände aufnahm und mit der christlichen Glaubenslehre zu verbinden suchte, wurde zu einem geistigen Zentrum und Sammelpunkt für Gelehrte.368 Diesem Kreis stand auch der Theologe Pierre Abbeilard nahe (*um 1100–† 1140), der durch die Methode der scholastische Dialektik bekannt wurde. Er vertrat die Meinung, dass die Astrologie zwar die „naturalia“, d.  h. die in natürlichen Ursachen begründeten Veränderungen zum Nutzen der Landwirtschaft und der Medizin, vorhersagen könne, nicht aber die „contingentia“, d.  h. die vom Willen Gottes, vom freien Willen der Menschen oder vom Zufall abhängigen Dinge. Über Jahrhunderte hinweg sollte diese Lehre, die auch von dem an der Klosterschule zu Paris leh-

zurückgesunken, die ihren Einfluss nur durch das Zutun dämonischer Kräfte haben können. Sowie: Caroti, Stefano: Astrologie im Mittelalter, in: Loris Sturlese (Hg.), Mantik, Schicksal und Freiheit im Mittelalter, Köln, Weimar, Wien 2011, S. 13–31, hier: S. 15. 365 Ausführlicher dazu Reichel, Ute: S. 25. Hier bezieht sich Hrabanus auf Augustinus der bereits in De divinatione daemonum betont, dass Dämonen (=gefallenen Engel) auf Grund ihrer Natur eine viel höhere Sensibilität besitzen, der man Schnelligkeit und ihr hohes Erfahrungsalter hinzuzählen muss. Aus diesen Gründen können sie die Zeichen der Natur schneller und einfacher interpretieren und so den Eindruck erwecken sie könnten in die Zukunft blicken. Vgl. Augustinus, De divinatione daemonum, III, ed. Jaques-Paul Migne, P.L. 40, Sp. 584–585. 366 Ebd. S. 26–27. 367 Ebd. S. 27. 368 Knappich, Wilhelm: S. 156. Sowie von Stuckrad, Kocku: Geschichte der Astrologie S. 192.

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renden Hugo von Sankt Viktor (†1141) vertreten wurde, die offizielle Position der Kirche repräsentieren.369 Während das Denken im frühen Mittelalter vom Primat der Theologie vor der Philosophie geprägt war und das Studium der Natur dazu diente, die Glaubenswahrheit Gottes aus der materiell offenbarten Natur herauszulesen, begann um 1250 eine neue geistesgeschichtliche Entwicklung, in der sich die Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie änderte. Die Philosophie war nicht mehr länger die „Magd der Theologie“ sondern trat nun gleichberechtigt neben die Theologie. In der Scholastik wurde die kritische Auseinandersetzung mit dem von arabisch-neuplatonischen Irrtümern „gereinigten“ Aristoteles gesucht und versucht diesen mit dem eigenen christlichen Weltbild zu vereinen.370 Die drei wichtigsten Vertreter Albertus Magnus, Thomas von Aquino und Roger Bacon bezogen auch explizit Stellung zur Astrologie. Der Dominikaner Albertus Magnus (*um 1193–†1280) gilt als einer der umfassendsten Gelehrten des Mittelalters. Nach ausgedehnten Studien und Reisen nahm er Lehrtätigkeiten in Köln und Paris auf. Albertus setzte sich im Anschluss an Aristoteles für eine systematische Trennung von Theologie und wissenschaftlicher Forschung ein. Auch hinsichtlich der Astrologie folgte der Dominikaner dem Vorbild des antiken Philosophen und betrachtete die Sterne als Werkzeuge des „ersten Bewegers“, die als Glieder eines Ganzen tätig sind.371 Da die vier Elemente durch die Bewegung der Himmelskörper entstehen, werden alle Veränderungen der sublunaren Welt durch die Bewegung der Gestirne verursacht. Diese Veränderungen erstrecken sich jedoch nur auf die generellen und universellen Einflüsse, auf den Erdkörper als Ganzes, auf Kriege, Katastrophen, Seuchen usw., nicht aber auf das Individuelle im Menschen, da dies einen zweifachen Ursprung

369 Knappich, Wilhelm: S. 156–157. Sowie von Stuckrad, Kocku, S. 192. 370 Knappich, Wilhelm: S. 159. Sowie von Stuckrad, Kocku, S. 199–200. Dazu Caroti, Stefano: S. 18. „Das neue Bild der Astrologie wird sich erst nach und nach auf Grund der vielen Übersetzungen arabischer und in geringem Maße griechischer Texte […] im 12. Jahrhundert bilden. Dieses Bedürfnis nach neuen Texten geht mit einer neuen Naturanschauung, welche sich im 12. Jahrhundert durchsetzt und sich mehr auf die physische und natürliche Wirklichkeit begründet, als auf die allegorischen und moralischen Auslegungen, einher.“ 371 Das 1260 verfasste und dem Albertus Magnus zugeschriebene Werk Speculum astronomiae gilt laut Kocku von Stockrad (S.  201) als eine der wichtigsten mittelalterlichen Schriften zur Astro­logie. Siehe dazu die 1977 in Pisa erschienene Edition von Paola Zambelli, Stefano Caroti, Michela Pereira und Stefano Zamponi. Eine englische Übersetzung von C. Burnett, K. Lippincott, D. Pingree und P. Zambelli findet sich in: Zembelli, Paola, The speculum astronomiae and its enigma, Dordrecht, London, Boston 1992.

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in der Natur und im freien Willen habe. Je weniger der Mensch seine Triebe unter Kontrolle habe, desto mehr gerate er unter die Herrschaft der Natur. Weiter stellt Albertus Magnus fest, dass kein gelehrter Astrologe behauptet habe, das menschliche Verhalten werde durch die Sterne determiniert. Daher sei die Kunst der Astrologie durchaus mit dem Christentum vereinbar.372 Um die Sternkunde als wissenschaftliche Disziplin zu begründen, besteht er, wie bereits Isidor von Sevilla, auf einer Trennung der magischen Anwendungsmöglichkeiten der Astrologie von der wissenschaftlichen Erforschung der astralen Zusammenhänge (Astronomie). Wird die Astrologie als Methode zur Deutung der Sterne, der körperlichen Werkzeuge Gottes, begriffen, die zur Vorhersage der Zukunft benutzt wird, sieht er darin sogar eine wichtige Disziplin der frommen Erkenntnis, da die Astrologie den Menschen zu Gott, dem unbewegten Beweger aller Veränderungen, führe.373 Sein wohl berühmtester Schüler und Ordensbruder, Thomas von Aquin (*um 1225–†1274), gilt, obwohl sein Werk bis zu seinem frühen Tod umstritten war, als einer der einflussreichsten Denker der Scholastik.374 In der Zeit zwischen 1261– 1272 erschienen die Hauptwerke des Thomas von Aquin, die Kommentare zu Aristoteles und die beiden „Summen“. In diesen Summa theoligae beschäftigt er sich unter anderem auch mit dem Thema der Wahrsagung aus den Sternen“375. Hierin argumentiert der Dominikaner, dass die Vorhersage aus den Sternen erlaubt sein müsse, weil es grundsätzlich erlaubt sei, aus der Beobachtung der Ursachen auf die Wirkungen zu schließen und die Bewegungen der Himmelskörper, nach Ansicht des Gelehrten, die Ursache für mundane Veränderungen seien. Die Erkenntnis des Zukünftigen aus der Analyse von Vergangenem und Gegenwärtigen sei sodann ein Akt der Vernunft, der Klugheit und gewissenhaftes Vergleichen erfordere. Ein Akt der nach Thomas nicht nur erlaubt, sondern überaus verdienstvoll sei, da er zur Vorhersage künftiger natürlicher Dinge führe, die zwangsweise eintreten, wie etwa Finsternisse, Seuchen und Katastrophen. Wie sein Lehrer Albert, vertritt er außerdem die Ansicht, dass zwei Arten von zukünftigen Ereignissen nicht vorhergesagt werden können. Zum einen alle Ereignisse, die inner-

372 Knappich, Wilhelm, S. 159–160. Sowie von Stuckrad, Kocku, S. 200–201. 373 von Stuckrad, Kocku, S. 201. 374 Obwohl im Jahr 1276 wichtige Lehrsätze offiziell verurteilt wurden, wirkte der Einfluss der Schriften des Thomas von Aquin fort. Im 19. Jahrhundert genoss Thomas von Aquin schließlich höchste kirchliche Anerkennung. Dazu: von Stuckrad, Kocku, S. 201. 375 Thomas Aquinas, Summa Theologica, Benzinger Bros. Edition 1947, Translated by the Fathers of the English Dominican Province, online zur Verfügung gestellt von der Christian Classics Ethereal Library, http://www.ccel.org/ccel/aquinas/summa.pdf, (zuletzt geprüft am 21. 06. 2016), First Part, Quaestio 115, Art. 3–6, S. 1255–1263 und First Part of the Second Part, Quaestio 9, Art. 5, S. 1418–1419.

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halb der Natur absichtslos oder zufällig geschehen und zum anderen alles was von der Vernunft und dem freien Willen des Menschen abhängig ist. Aus diesem Grund sei die Nativitätsstellerei, die behauptet den gesamten Verlauf eines Lebens vorhersagen zu können, unerlaubt und oft ein Werk des Teufels. Die Sterne seien bloße Zeichen, nicht aber wirkende Ursachen. Aufgrund ihrer physischen Natur könnten sie nur auf körperliche Dinge Einfluss nehmen, wie den Leib des Menschen und all jene Triebe, die mit ihm in Verbindung stehen. Da Vernunft und freier Wille jedoch nicht körperlicher Natur sind, seien sie unabhängig von astralen Impressionen bzw. könnten allenfalls indirekt beeinflusst werden.376 Auch der Franziskaner Roger Bacon (*um 1214–†ca. 1294) führte die Tradition Isidors von Sevilla fort, indem er die unerlaubte von der erlaubten Himmelskunde trennt. „Manifesta quomodo mathematica necessaria est sapientiae tam divinae quam humanae, adhuc necesse est ad certificationem praecedentium […] Theologi igitur multa invenerunt a sanctis effuse contra mathematicos, et aliqui eorum propter igorantiam mathematicae verae et mathematicae falsae nesciunt distinguere veram a falsa […].377

Während jedoch für Isidor nur die Astronomie (Sternkunde) eine legitime Beschäftigung mit den Sternen darstellt und er alle anderen Formen der Astrologie (Sterndeutung) ablehnt, geht Bacon in seiner Definition und Argumentation differenzierter vor. Für den Franziskaner, der zeitlebens für eine strikte Trennung zwischen Theologie und philosophisch-naturwissenschaftlicher Forschung eintrat, beinhaltet die erlaubte Astronomie („…verae mathematicae scribi per t aspiratum, et ab hoc nomine mathesis…“)378 neben der Himmelsbeobachtung

376 Ebd. Vgl. Knappich, Wilhelm, S. 160–162. Sowie bei von Stuckrad, Kocku, S. 202–203. Gegen diese dominikanisch, christianisierte Interpretation des Aristoteles regte sich Widerstand. Ein Kreis von Philosophen an der Pariser Universität versuchte die „ursprüngliche“ aristotelische Lehre in der Interpretation des Ibn Rushd (lat. Averroes, *1126–†1198) wiederherzustellen. Der wesentliche Unterschied der averroistischen Lehre liegt in der Leugnung der unsterblichen Seele. Nur die Weltseele, die eine Emanation des ewigen Gottes sei, bestehe ewig. Die göttliche Vernunft durchflute und bewege alle Teile des Kosmos, weshalb auch die menschliche Seele deterministisch bestimmt werde. Es gibt keinen Zufall, da alles Teil der göttlichen Vorsehung sei. Daher gäbe es auch keine unabhängige Vernunft und keinen freien Willen. Diese würden durch die Sterne, oder vielmehr die dahinter stehende Intelligenz, gelenkt. Bereits Thomas von Aquin hatte gegen die „Averroisten“ eine Streitschrift verfasst. Bischof ÈtienneTempier von Paris brandmarkte 1270 und 1277 an der Sorbonne zahlreiche ihrer Thesen als häretisch. Vgl. Ebd. 377 Roger Bacon, Opus maius, herausgeg. von John Henry Bridges, Oxford, London 1897–1900, (unverändert nachgedruckte Edition Frankfurt a. M., 1964), S. 238  f. Vgl. Reichel, Ute, S. 28 und Caroti, Stefano, S. 23. 378 Roger Bacon, Opus maius I, S. 239.

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auch Aspekte der Astrologie.379 Bacon, der sich hebräische, griechische und arabische Sprachkenntnisse aneignete, um im Gegensatz zu Thomas die betreffenden Texte im Urtext lesen zu können, rezipiert ausführlich die Werke des Ptolemäus, des Albumasar, Ali ben Ragel und anderer. Unter Bezugnahme auf ihre Argumentation postuliert er, dass kein gelehrter Astrologe jemals den Schicksalszwang der Sterne gelehrt habe. Dies täten nur Ignoranten und laienhafte Astrologen oder Geschäftsastrologen, deren „execrable Praktiken“ er aus eigener Erfahrung kenne.380 Bacon vertritt die Meinung, dass zwar der Körper dem Einfluss der Sterne unterliegt, die Seele diesem Einfluss jedoch widerstehen könne und der Wille des Individuums unbeeinflusst sei von den Gestirnen381 Bei Menschenmassen könne der Einfluss der Gestirne jedoch nicht verhindert werden. Nur so könnten Massenphänomene wie Kriege und Seuchenepidemien erklärt werden.382 Hinsichtlich der Geburtshoroskopie erläutert der gelehrte Franziskaner, dass man keine vernünftige Prognose für den gesamten Lebenslauf erstellen könne, da die Menschen nicht in nur einem Moment für das ganze Leben geprägt werden. Vielmehr müsse man für jede neue Unternehmung und jede Entscheidung die jeweiligen Konstellationen am Firmament beobachten und in Rechnung stellen.383 Roger Bacon, der „doctor mirabilis“, tritt in seinem Opus maius für eine „astrologia sana“ ein, die auf Erfahrung und Experiment beruhen soll. Er gilt als einer der stärksten Verteidiger der Astrologie und verlangte gar, die Kirche solle die Führung und Förderung einer solchen „gesunden Astrologie“ übernehmen um derart die Autorität der heidnischen Sterndeuter zu brechen.384

379 Reichel, Ute, S. 29–30 und von Stuckrad, Kocku, S. 204. Als verbotene Astrologie („mathēsis“) bezeichnet Bacon die Magie, welche er in die Bereiche Mantik (=Weissagung), Mathematik (=Astrologie), Zauberei, Losweissagung und Verwünschung unterteilt. Nachzulesen bei Ute Reichel, S. 36–38. 380 Knappich, Wilhelm, S. 163 sowie von Stuckrad, Kocku, S. 205. 381 Roger Bacon, Opus maius I, S. 249: Sed in rebus humanis veri mathematici non praesumunt certificare, sed considerant quomodi per coelum alteratur corpus, et alterato corpore excitatur anima nunc ad actus privatos nunc publicos, salva tamen in omnibus arbitrii libertate. Quamvis enim anima rationalis non cogitur ad actus suos,[…]. 382 Roger Bacon, Opus maius I, S. 251: Quapropter potest astronomus peritus non solum in naturalibus sed in humanis rebus multa considerare de praesenti et futuro et praeterito, et ideo saltem super regna et civitates potest judicare per coelestia et secunda coelestium quae per virtutes speciales coelorum renovantur, […].Vgl. von Stuckrad, Kocku S. 206 und Caroti, Stefano, S. 24. 383 von Stuckrad, Kocku, S. 204. 384 Ebd., S. 205 und Knappich, Wilhelm, S. 163.

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Den Schlusspunkt der Debatte der mittelalterlichen Theologen über die Legitimation der Astrologie setzte schließlich Pierre d’Ailly (*1350–†1420), der als Almosenier und Beichtvater des französischen Königs Karl VI. eine aktive politische Rolle spielte. In den Jahren 1389–1395 hatte er das Amt des Kanzlers der Pariser Universität inne, zu dem er durch den avignonesischen Papst Clemens  VII. berufen wurde. Als er 1395 vom neuen avign. Papst Benedikt XIII. zum Bischof von Le Puy ernannt wurde, folgte ihm sein Schüler Jean Gerson im Amt des Universitätskanzlers nach. Nach seiner Teilnahme am Konzil von Pisa im Jahr 1409, wurde er von Johannes XXIII, einem der drei rivalisierenden Päpste mit Sitz in Bologna und Lodi, 1411 zum Kardinal ernannt. Wie sein Schüler Jean Gerson, gilt auch d’Ailly als einer der Hauptakteure des Konstanzer Konzils (1414–1418), zu dem er als Vertreter des französischen Königs entsandt wurde. Hier setzte er sich für eine Kirchenreform ein und unterstützte die Position der Suprematie des Konzils über der des Papstes.385 In seinem 1414 fertiggestellten Werk über die Übereinstimmung des christlichen Glaubens mit der Astrologie (concordantia astronomiae cum theologia oder Vigintiloquium)386 rehabilitiert der Kardinal nun „offiziell“ die astrologische Lehre.387 Auch in Predigten, wie der vor dem Konstanzer Konzil zu Allerheiligen, tritt Pierre d’Ailly öffentlich als Verteidiger der Astrologie auf.388 Diese Traktate und Predigten, in denen der Kardinal klar für die Astrologie als unerlässliche Ergänzung zur inspirierten Prophetie votiert, markieren einen deutlichen Meinungswandel im Werdegang des Theologen, der noch bis in die zweite Hälfte der 1380er Jahre als Gegner der Astrologie agierte.389 In diesen frühen Jahren seiner Karriere, in denen er die eschatologischen Ängste seiner Zeitgenossen teilte, wurde das Milieu der Theologen an der Universität von Paris vom Werk des tschechischen Priesters Matthias von Janov über den Antichristen in Aufruhr

385 Minois, Georges, Geschichte der Zukunft: S. 319. Sowie Ouy, G.: d’Ailly, Pierre, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, München 2003, Sp. 239. 386 Ein Digitalisat des Nachdrucks von Erhart Ratdolt aus dem Jahr 1490 kann hier eingesehen werden: http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/inc-ii-353, (zuletzt geprüft am: 01.  11. 2015). Sowie auf der Homepage des Warburg Institute – Bibliotheca Astrologica Latina, Bibliographie: http://warburg.sas.ac.uk/library/digital-collections/bibliotheca-astrologica/, Digitalisat: http:// warburg.sas.ac.uk/pdf/fah1620p.pdf, (zuletzt geprüft am: 28. 06. 2014). 387 Hamel, Jürgen: Die Geschichte der Astronomie, Basel, Boston u.  a. 1998, S. 105. 388 Minois, Georges: S. 323. Natürlich achtet Pierre d’Ailly auch darauf den „abergläubischen“ Teil der Astrologie auszuschließen. Diese unterteilt er in die Rubriken: der Glaube an ein von den Sternen verursachtes unabwendbares Schicksal, die Vermischung von Magie und Astrologie, die Einschränkung des freien Willens durch die Macht der Gestirne. Siehe Ebd. 389 Ackerman Smoller, Laura, History, Prophecy and the Stars – The Christian Astrology of ­Pierre d’Ailly 1350–1420, Princeton, New Jersey1994, S. 36–37.

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versetzt.390 Auch Pierre d’Ailly glaubt die Vorzeichen der nahenden Apokalypse zu erkennen und verweist auf gleichlautende Prophezeiungen, wie etwa die der Hildegard von Bingen. Noch im Jahr 1385 lehnte er in einer Predigt eine Zuhilfenahme der zweifelhaften Kunst der Sterndeutung zur Festigung der prophetisch vorhergesagten Ankunft Christi ab. Doch die strikte Haltung des Franziskaners begann ab 1386 zu wanken, wie sich anhand seiner Werke aus dieser Periode bis 1409 aufzeigen lässt.391 Zum einen sind die geweissagten Prophezeiungen des Jüngsten Tages nicht eingetreten und zum anderen wird sich d’Ailly der unerwarteten subversiven Folgen der eschatologischen Prophezeiungen bewusst, als er von den um sich greifenden sozialen Bewegungen, wie den Begarden, Lollarden, Brüdern des Freien Geistes und Taboriten erfährt und unmittelbar mit Anhängern einer solchen Häresie, den, „homines intelligentiae“, in seiner Diözese Cambrai in Kontakt kommt.392 Am 12. Juni 1411 verhört er selbst einen ihrer Anführer, Wilhelm von Hildernissen, der ihm ihre konfuse Doktrin darlegt, die in Teilen auf den Joachismus zurückgreift. Die „homines intelligentiae“, glaubten im sogenannten Zeitalter des Geistes zu leben, was alle heiligen Schriften und kirchlichen Lehren hinfällig mache. Alle Menschen würden gerettet, Gebete, Sakramente und Beichten seien überflüssig und auch die freie Liebe sei in diesem Zeitalter erlaubt. Pierre d’Ailly ist beunruhigt und teilt in einem Brief am Vorabend des Konzils in Konstanz Johannes XXIII. seine Befürchtungen in Bezug auf das Anwachsen der häretischen Sekten mit.393 Auch im Hinblick auf eine Überwindung des Schismas sind die Gerüchte über das Nahen des Endchristus hinderlich, denn einerseits wird der Streit um die Legitimation der Kirchenführung selbst als Zeichen der angekündigten Katastrophe gedeutet und andererseits ergibt es wenig Sinn, sich um eine Beendigung des Schismas zu bemühen, wenn das Ende der Welt ohnehin nahe ist. Aus diesen Gründen wird aus dem einstigen Gegner ein Fürsprecher der Astrologie, der in insgesamt drei Werken (Vigintiloquium de concordantia astronomice veritatis cum theologia, De concordantia astronomice veritatis et narra­tio­

390 DuBulay, César Egasse, Historia Universitatis Parisiensis IV, S. 584: „hoc anno (1380) Mathias Parisiensis natione Bohemus valde prolixum librum de Antichristo editit; docuitque p ­ ublice eum iam natum esse: ab eo omnes Universitates et eruditorum collegia seducta fuisse, ita ut iam nihil, quod sanum esset et vere catholicum docerent.“ Dazu ausführlicher: Ackermann Smoller, History, Prophecy, and the Stars, S. 96 sowie Wadstein, Die eschatologische Ideen­gruppe: Antichrist – Weltsabbat – Weltende und Weltgericht, in den Hauptmomenten ihrer christlichmittelalterlichen Gesamtentwicklung, Leipzig 1896, S. 87. 391 Minois, Georges: S. 321. 392 Ebd. 393 Ebd., S. 323–324.

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nis historice und Elucidarium astronomice concordie cum theoligica et historica veritate)394 versucht eine Eintracht zwischen geschichtlichen Ereignissen, einschließlich der Herkunft und dem Verfall der Religionen, und astrologischen Berechnungen herzustellen.395 D’Ailly greift die Argumentationen von Thomas von Aquin und Roger Bacons auf, indem er erklärt, dass die Sterne einen direkten Einfluss auf den menschlichen Körper haben und mittels dieses Umweges auch auf den Geist einwirken können. Die Masse der Bevölkerung folge ihren körperlichen Antrieben somit seien Voraussagen über das Verhalten der Masse eher möglich, als über das eines Individuums. Falsche astrologische Vorhersagen erklären sich laut Pierre d’Ailly einzig mit der Schwierigkeit genauer Beobachtung und Berechnung. Sie würden die Prinzipien der Astrologie in keiner Weise entkräften.396 Die Geschichte bestätige die astrologische Wahrheit und Gott sei der „höchste Astrologe“ wie der Kardinal in einer Predigt von 1416 verlautbart.397 Als Beleg führt er große Ereignisse der Antike und des Mittelalters an, vom Fall Trojas, über Sintfluten und Seuchenepidemien bis zur Gründung der Bettelorden und dem abendländischen Schisma, die sich durch Planetenkonjunktionen erklären ließen, dabei erläutert er diese Beziehungen mit einer solchen Freiheit, dass er mit dieser Methode absolut allem Rechnung tragen konnte.398 Daher „stellen diese Traktate“ für Laura Ackermann Smoller „einen bemerkenswerten Versuch d’Aillys dar die Astrologie zu rechtfertigen […]. In diesen Traktaten ist er von der Astrologie völlig überzeugt und will dieser Wissenschaft eine feste empirische Grundlage geben“, denn „mit der ungemein langen Zeitspanne, die er einer Konjunktion einräumt, bis sie ihre Wirkungen ausübt, gibt er den astrologischen Vorhersagen eine unbegrenzte Chance sich als richtig zu erweisen.“399 Auch für die Berechnung der prophezeiten Ankunft des Antichristen lässt sich die Sterndeutung nutzen und so berechnet d’Ailly das Eintreten dieser Katastrophe für das Jahr 1789. Damit bleibt der Kirche noch genügend Zeit sich zu reformieren. Die Astrologie wird in der Logik des Kardinals zur Unterstützung der Prophetie, als eine Art „Feinjustierung“ benutzt. Das allgemeine Schema bleibt jedoch wie Minois schreibt traditionell und beruht auf der Offenbarung. Insbesondere die

394 The Warburg Institute – Bibliotheca Astrologica Latina, Digitalisat: http://warburg.sas.ac. uk/pdf/fah1620p.pdf, (zuletzt geprüft am: 28. 06. 2014). 395 Caroti, Stefano, S. 29. 396 Minois, Georges, S. 323. 397 Ebd., S. 323–324. Und Ackermann Smoller, Laura: History, Prophecy and the Stars, Princeton 1994. S. 61. 398 Minois, Georges, S. 324. Und Ackermann Smoller, Laura: History, Prophecy and the Stars, S. 61–74. 399 Ackermann Smoller, Laura, S. 74 & 76.

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Judiziarastrologie lehnt er weiter ab. Grundsätzlich besteht für ihn jedoch kein Widerspruch zwischen Theologie und Astrologie, da die göttliche und mensch­ liche Freiheit bewahrt werde.400 Auch Theologen, die der deutschen Mystik zugerechnet werden beschäftigen sich mit den sieben Planetengöttern und trugen zu ihrer Christianisierung bei.401 So knüpft etwa Meister Eckhardt (*um 1260–†1328) in einer Predigt an das antike Motiv der Himmelsreise der Seele an und sagt: „Ist die Seele zu einem seligen Himmel geworden, so ziert sie unser Herr mit den sieben Sternen, die Sankt Johannes schaute, im Buch der Geheimnisse, da er den König über alle Könige sitzen sah auf dem Throne seiner göttlichen Herrlichkeit „und hatte sieben Sterne in seiner Hand“. So merket denn: es ist der erste Stern, Saturnus, ein Läuterer; der zweite, Jupiter, ein Begünstiger; der dritte, Mars, ein Furchterwecker, der vierte, die Sonne, ein Erleuchter, der fünfte, Venus, ein Liebebringer; der sechste, Merkurius, ein Gewinner; und der siebente, der Mond, ein Läufer. So geht denn am Himmel der Seele Saturnus auf, als ein Läuterer zu Engelsreinheit; und bringt als Gabe das Schauen der Gottheit […]“402. Deutsche Mystiker sind es auch, die Wilhelm Knappich zufolge, die sieben Planetengötter mit den sieben Gaben des Heiligen Geistes verknüpfen und nach dem Polaritätsprinzip auch mit den sieben Todsünden verbinden.403 Andere Theologen wie der franziskanische Prediger Bertold von Regensburg (*1210–†1272) verknüpften die sieben Planeten und ihre vorbildhaften „kosmischen Verhaltensweisen“ mit den sieben Tugenden.404 Auch andere geistige Schemata wie bspw. die sieben Sakramente, die sieben freien Künste oder die sieben Lebensalter wurden auf diese Weise mit den Planeten verbunden.405

400 Minois, Georges, S. 326. 401 Knappich, Wilhelm, S. 178. 402 Meister Eckhart: Meister Eckharts Schriften und Predigten – aus dem Mittelhochdeutschen übersetzt und herausgegeben von Herman Büttner, Zweiter Band, Jena 1917, S. 137. Zu den Textzeugen: Quint, Josef: Die Überlieferung der deutschen Predigten Meister Eckharts, Bonn 1932, S. 616–618. Quint zweifelt hier die Echtheit der Predigt an, kann diese Annahme jedoch nicht belegen. 403 Knappich, Wilhelm, S. 178. 404 Boll, Franz/Bezold, Carl/Gundel, Wilhelm: Sternglaube und Sterndeutung: Die Geschichte und das Wesen der Astrologie, Leipzig, Berlin 1931, S. 40. 405 Hartlaub, Gustav: Astrologie im Spiegel der Kunst, in: Norbert Miller (Hg.), Kunst und Magie, Hamburg u.  a. 1991, S. 36. Und Kemp, W.: Götter, heidnisch, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 2, Rom u.  a. 1970, Sp. 176.

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 Wissensangebote und Wissensvermittlung in Blockbüchern: zwei Fallbeispiele

Überhaupt werden der planetaren Siebenergruppe in der Vorstellungswelt des ausgehenden Mittelalters weitreichende Einflussmöglichkeiten zugesprochen. So beherrschen die Planeten die Himmelsphären und Klimazonen. Außerdem werden ihnen bestimmte Edelsteine, Metalle, Pflanzen- und Tiergruppen und Körperteile zugeordnet. Viele dieser Bezüge wie etwa zu den Lebensaltern, Tugenden oder Klimata lassen sich auch in den Blockbüchern der Planetenkinder wiederfinden.

III.2.E Resümee Das kulturgeschichtliche Narrativ der Planetenkinderbücher reicht bis in altbabylonische Zeit zurück. Hier wurden die astrologischen Grundsteine gelegt, die sich trotz mehrfacher griechischer, römischer, arabischer und christlicher Überformungen noch immer in den Blockbüchern des ausgehenden Mittelalters finden. Bereits die altbabylonischen Astrologen verknüpften die mit bloßem Auge erkennbaren Wandelsterne mit bestimmten Gottheiten und ihrem Mythos und auch an der im zweiten vorchristlichen Jahrtausend festgelegte Siebenzahl des Planetengötterpantheons wurde bis zum ausgehenden Mittelalter nichts verändert. Schließlich hat die Sieben als Zahl auch starke religionsgeschichtliche Bedeutung und wurde mit Vollkommenheit und Abgeschlossenheit assoziiert.406 Im zweiten nachchristlichen Jahrhundert verfassten römische Autoren wie Vettius Valens und Cassius Dio die ältesten überlieferten laienastrologischen Planetenkindertexte über die Auswirkungen der planetaren Konstellation auf die Menschen. Vergleichbar mit den „Bilder Ars“ stehen auch die Planetenblockbücher am Schluss einer langen Überlieferungskette, deren Entwicklungsstränge anhand der wichtigsten literarischen und ikonographischen Bausteine nachgezeichnet wurden. Als Kerntext der spätmittelalterlichen Planetenverse gilt das sogenannte „astronomische Lehrbüchlein A“, dessen älteste datierte, deutschsprachige Fassung 1404 in Ulm entstanden ist. In den Blockbüchern vereinen sich die literarischen und ikonographischen Entwicklungsstränge erstmals, da hier die Planetenverse mit Abbildungen der Planetengötter und ihrer Kinder gemeinsam auftreten. Die Planetenblockbücher veranschaulichen das deutliche Interesse einer spätmittelalterlichen Gesellschaft an astrologischen und kosmologischen Sach-

406 Dinkler, E./von Schubert: Sieben, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 4, Rom, Freiburg u.  a. 1972, Sp. 154.

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verhalten, die hier stark vereinfachend umschrieben und bildlich aufgearbeitet wurden, um ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Die kurzen Texte und die Holzschnitte ermöglichen es auch Menschen mit wenig bis kaum astrologischem Vorwissen, sowie Rezipienten mit schlechter Lesekompetenz, die Inhalte zu erfassen. Wie die anderen Blockbücher zeichnen sich auch die Planetenkinderbücher durch eine enge inhaltliche Verzahnung von Text- und Bildinhalten aus. Besonders auffällig tritt dies in den Abschnitten in denen die Planetenkinder beschrieben werden zu Tage. Fast schon glaubt man eine Art Bilderrätsel vor sich zu haben, in denen der Leser die in den Versen beschriebenen Eigenschaften im dicht gedrängten Getümmel unterhalb der Texte bildlich umgesetzt findet. Die Nacktheit der Planetengötter ist ihr auffälligstes ikonographisches Merkmal. Mithilfe dieser Bildformel wurde dem spätmittelalterlichen Betrachter kommuniziert, dass die dargestellten Planeten Personifikationen aus der antiken, paganen Mythenwelt sind. Man gab den Figuren damit einen bewusst antikisierenden Anstrich und verwies zudem auf die heidnische Herkunft der Götter, die das Schicksal ihrer Kinder lenken sollten. Diese bewusste gedankliche Verknüpfung scheint jedoch nicht so recht in das moderne, stereotype Bild einer allgegenwärtigen mittelalterlichen Kirche zu passen, die heidnisches und damit häretisches Gedankengut unerbittlich zu verfolgen suchte. Dennoch repräsentieren die Planetenblockbücher eine populäre, literarische Werkform, die keineswegs kirchlich sanktioniert wurde. Ganz im Gegenteil findet sich unter ihren Lesern auch ein namentlich bekannter Mönch aus St. Gallen.407 Zwar wurde die Sterndeutung und damit auch die Planetengötter noch von den Kirchenvätern als pagane Häresie verurteilt, doch wandelte sich das Urteil der Theologen bis zum Ende des Mittelalters hin zu einer positiven Beurteilung. Zwischen Astrologie und Theologie besteht zur Zeit des Drucks der Blockbücher kein Widerspruch mehr und selbst angesehene Kirchenmänner, wie Kardinal Pierre d’Ailly, verfassen astrologische Traktate, in denen sie den Einfluss der Sterne erläutern. Den Planeten wird in diesen Traktaten ein direkter Einfluss auf den menschlichen Körper zugesprochen sowie mittels dieses Umweges auch auf den menschlichen Geist. Da die Masse der Bevölkerung ihren körperlichen Antrieben folge, seien Voraussagen über das Schicksal großer sozialer Einheiten eher möglich als über Einzelpersonen. Zudem ist das durch die Sterne beeinflusste Schicksal nicht unabwendbar. Es liegt in der Hand eines jeden sich dem stellaren Horoskop zu widersetzen oder ihm zu folgen. Die Sterne werden als bloße Zeichen angesehen, nicht aber als wirkende Ursachen. Vernunft und freier Wille

407 Die Person des Gallus Kemli wird in Kapitel IV.4.B eingehend vorgestellt.

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 Wissensangebote und Wissensvermittlung in Blockbüchern: zwei Fallbeispiele

des Menschen sind davon unabhängig bzw. nur indirekt mittels des Körpers beeinflussbar. Zudem steht über den Planeten Gott als oberste Instanz und Lenker des Weltgeschehens. Auch in den Blockbüchern wird mehrfach auf Gott und seine Heiligen verwiesen, indem etwa Heiligenschreine und fromme Christen beim Gebet gezeigt werden. Resümierend kann festgehalten werden, dass die Planetenblockbücher eine populäre Form astrologischer Literatur repräsentieren, in der das präsentierte Wissen didaktisch einprägsam in Bild und Text aufbereitet wurde. Letztlich sind die Planetenkindererzählungen familiär bzw. genealogisch geprägt. Die Menschen werden in Gruppen aufgeteilt. Es wird gegliedert und auch klassifiziert, da mit jeder Gruppe von Planetenkindern moralische Qualitäten verbunden werden.408 Mithilfe der Planetenblockbücher gewinnt das Individuum Material zur Deutung seines Wesens. Erneut kann an dieser Stelle eine Verbindung zu den „Bilder-Ars“ gezogen werden, die einen Leitfaden für den guten Tod bieten und damit das individuelle Schicksal im Jenseits zum Gegenstand haben. Die Planetenblockbücher widmen sich dem Schicksal des Individuums in dieser Welt. Sie sind eine Art Kompendium mit denen sich jeder selbst über den schicksalhaften Einfluss der Planeten auf sein Leben informieren kann.

408 Stegemann: Planeten, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. VII, Sp. 68.

IV Zur räumlichen Lokalisierung des ­Blockbuchmarktes: Die Anfänge, Produktion und Nachfrage IV.1 Die Anfänge: Ursprungsorte und Entwicklungsgeschichte der ersten bekannten Blockbücher Die frühesten Zeugnisse des Buchdrucks datieren aus dem Zeitraum zwischen 1446 und 1451. Paul Needham führt vier zerstreute Zeugnisse aus dieser Periode an, die als Hinweise auf zahlreiche Buchkopien bzw. Materialien, die für die Herstellung von gedruckten Büchern verwendet wurden, gedeutet werden können.409 Aus den Quellen lässt sich jedoch nicht sicher schließen, um welche Art von gedruckten Büchern es sich dabei handelt. Die erste Quelle ist das Notizbuch des Abtes der Augustiner von Cambrai, Jean le Robert, das für den Januar 1446 und den November 1451 zwei Einträge enthält, die die Käufe von drei „doctrinals“ in Brügge und Valenciennes dokumentieren. Der Abt beschreibt diese Bücher etwas obskur mit dem Begriff „jeté en moule“410. Die zweite Quelle datiert vom Februar 1447 und bezeugt die Investition des Zan Andrea Barbarigo aus Venedig über 200 Dukaten in ein Projekt mit „Mistro Zuane de Biaxio bidelo e miniador da Bologna“ und „Berndardo Zierra e compagnia“ bei dem es um „alcune forme da stampar donadi e salterij“411 gehen sollte. Das Todesbuch der Brüder vom gemeinsamen Leben in Köln ist die dritte Quelle. Es verzeichnet im Jahr 1450 den Tod von Wynandus de Roremundis, dessen Nachlass einen Kommunionsbecher und gedruckte Bücher („qui dedit nobis urceum ad communionem fratrum cum libris impressis valore xx florenorum“) enthält. Das Nachlassinventar eines Kanonikers aus Maastricht, Petrus Everdey, das im Dezember 1451 aufgezeichnet wurde, enthält ebenfalls einen Vermerk, der auf ein „Doctrinale in pergameno scriptum et impressum“ verweist sowie eine Bemerkung über gewisse Holzstücke, die für die Herstellung eines Paternosters benötigt würden.412 Alle diese Quellen sind unabhängig voneinander überliefert und keines der dort genannten Bücher oder Holzstöcke kann mit einem heute existenten phy-

409 Needham, Paul: Prints in the Early Printing Shops, in: Peter Parshall (Hg.), The Woodcut in Fifteenth-Century Europe, Washington 2009, S. 39–91, hier: S. 44. 410 Frei übesetzt: aus der Form geworfen. 411 Frei übersetzt: einige Formen zum Drucken von „donadi“ (=?) und Psalter. 412 Zu all diesen genannten Beispielen siehe Needham S. 44. Der Autor geht hierin auch erläuternd auf die Begrifflichkeiten „imprimere“, „stampare“ und „jeter en moule“ ein.

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sischen Überrest verbunden werden. Als weitere Schwierigkeit kommt hinzu, dass diese Textzeugen aus einer Zeit stammen, in der es noch kein festgelegtes Vokabular für die Unterscheidung zwischen „gedruckten“ Büchern und Büchern im bis dato herkömmlichen Sinne, als handschriftliche Kodizes, existiert. Jedoch hält es Needham für plausibel, dass zumindest eine dieser Quellen von frühen Blockbüchern berichtet, da diese in der genannten Zeitspanne von 1446–1451 beginnen, eine signifikante Rolle in der europäischen Buchwelt zu spielen. Insbesondere die im zuletzt genannten Maastrichter Nachlass genannten Holzstücke zur Herstellung eines Paternosters können als Hinweis auf ein frühes Blockbuch, das Exercitium super Pater Noster, gedeutet werden. Dieses Werk hat, wie der Titel bereits andeutet, die Sätze des Paternoster zum Thema, die durch umschreibende Texte erläutert und durch bildliche Darstellungen veranschaulicht werden. Bei der Lektüre wird der Rezipient von zwei Figuren begleitet. Zum einen von der Figur eines Mönchsbruders, „de broeder“ und zum anderen von der geflügelten Figur des „de bode“, die den Bruder durch eine Serie von allegorischen Tafeln führt und ihn dabei über den Sinn des Gebetes belehrt und ihm die Bedeutung des Vaterunsers enthüllt. So zeigt er ihm bspw. Christus und die Heiligen als Fürbitter vor Gott-Vater sowie den Himmel, die Hölle und die Erlösung der Seele aus dem Fegefeuer.413 Das Exercitium super Pater Noster ist in vier unterschiedlichen Exemplaren erhalten. Von der ältesten Fassung I ist nur ein fragmentarisches Unikat (8 von 10 Blättern) bekannt, das in der Bibliothèque nationale de France unter der Signatur Rés. Xylo 31 verwahrt wird. Dabei handelt es sich um eine zweisprachige, chiro-xylographische Ausgabe, deren Bildinschriften auf Latein eingefügt wurden, während der erläuternde Text unter den Illustrationen auf Niederländisch bzw. Flämisch414 verfasst wurde. Die Bilder dieser ersten Ausgabe dienten als Vorlage für die zweite Fassung, von der wiederum zwei Exemplare in Paris (BnF, Sign._ Rés. Xylo. 32) und in Bergen (Université de l’Etat, Sign.: Fonds anciens 1797-B*) verwahrt werden. Im Unterschied zur älteren Fassung wurde bei diesen beiden Exemplaren Bild und Text in Holz geschnitten, wobei nur die lateinischen

413 Zwei Seiten aus dem Exercitium super Pater Noster im Abbildungsverzeichnis  VII.6.4 (Abb. aus der von Paul Kristeller 1908 edierten Faksimileausgabe, nach der in der Bibl. Nationale in Paris befindlichen ältesten Ausgabe mit der Signatur Rés. Xylo. 31). 414 Paul Kristeller bezeichnet die Sprache auf S. 3 seiner Faksimileausgabe des Exercitium Super Pater Noster (Berlin 1908) als niederländisch, wohingegen Wilson, Adrian & Wilson Lancaster, Joyce auf S. 94 ihrer Monographie „A Medieval Mirror“ (Berkeley, Los Angeles, Oxford 1985) von „flemish“ sprechen. Damit folgen sie Schreiber, der in seinem Grundlagenwerk – „Handbuch der Holz- und Metallschnitte des XV. Jahrhunderts“ – von der Edition „flamande-latine“ spricht (Stuttgart, Nendeln 1962², S. 247).

Die Anfänge 

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Spruchbänder übernommen wurden. Der erläuternde Text unterscheidet sich von Version I und ist nunmehr neben niederländisch auch auf Latein ausgeführt. Zudem sind beide Exemplare uneinheitlich, da bei der älteren Ausgabe in Paris (ca. 1461–1466) der Streifen mit dem niederländischen Text unterhalb der Illustrationen abgeschnitten wurde, der in der Ausgabe in Bergen (ca. 1470–1475) vorhanden ist. Obwohl die Wasserzeichenuntersuchung für das Bergener Exemplar also eine jüngere Datierung ergab, ist davon auszugehen, dass diese Kopie den originalen Zustand dokumentiert, während die Pariser Kopie eine abgeleitete Form darstellt.415 Ein Fragment in Kremsmünster (Stiftsbibliothek, nur ein Blatt erhalten) wurde nach der zweiten Fassung geschnitten. Wie die vorhergehenden Versionen ist auch die dritte Fassung ein anopistographischer Druck, bei dem der niederländische Text der zweiten Auflage durch eine deutsche Übersetzung mit bayerischer Dialektfärbung416 ersetzt wurde. Die unbedruckten Recto-Seiten des Pariser Exercitium super Pater Noster II enthalten den handschriftlichen Text eines Henricus Pomerius (auch Hendrik Uten Bogaerde).417 Dieser Text ist keine autonome Schrift, die für sich selbst stehen kann, sondern ist als direkter Kommentar zu den gedruckten Seiten zu verstehen.418 Weitere Indizien führen zu der Annahme, dass es sich bei diesem Henricus Pomerius tatsächlich um den Autor des Exercitium super Pater Noster handelt. So verwahrt die Biblioteca Apostolica Vaticana zwei Kodizes in denen verschiedene Kommentare von Pomerius zum Vaterunser gesammelt wurden. In einem der beiden Kommentarsammlungen (Sign. Vat. lat. 1310) ist ein Dokument enthalten, mit dessen Hilfe die Entstehungsgeschichte des Exercitium super Pater Noster rekonstruiert werden kann. Dieses Manuskript, das als Geschenk an Papst Nikolaus V (1447–1455) in den Vatikan gelangte, enthält einen Einleitungstext in dem Pomerius erläutert, dass er seine Ausführungen über das Vaterunser mit Illustrationen ergänzte:

415 Schepers, Kees: A very old fly in Exercitium super Pater Noster II in the Bibliothèque nationale de France, in Quarendo 29 (1999), S. 79–95, hier: S. 80. 416 Schreiber, Wilhelm Ludwig: Handbuch der Holz- und Metallschnitte des XV. Jahrhunderts, S. 246. 417 Dieser handschriftliche Text wurde anhand seiner Eingangsworte als „Quia orans“ – Glosse identifiziert. Diese Glosse ist ein Text von Henricus Pomerius, wie ein Katalogeintrag aus dem frühen 16. Jahrhundert aus dem Kloster Zevenborren belegt. 418 Schepers, Kees, S. 81

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 Zur räumlichen Lokalisierung des ­Blockbuchmarktes

„[…] visum est michi vigilanti et anxie in spiritu meditanti, quod istud solitum exercitium non solum scripturis literaliter, verum etiam picturis figuraliter quantum possem conuenientiu publicarem […]“419

Leider äußert sich Pomerius nicht näher zur Art der „pictura“, bei denen es sich bspw. auch um Miniaturmalereien handeln könnte. Der Text kann über seinen ersten Satz datiert werden, in dem die Krönung von Papst Nikolaus V erwähnt wird. Die Entstehungszeit der ältesten Kopie in Paris wurde aufgrund eines mangelhaften Wasserzeichens in die 1450er Jahre datiert, sehr wahrscheinlich vor 1450.420 Unter Hinzunahme von Pomerius eigenen Angaben lässt sich diese Datierung weiter auf die Jahre 1447–1450 verfeinern. Damit ist das Exercitium super Pater Noster nach heutigem Kenntnisstand das älteste Blockbuch.421 Entstanden ist es in einem klösterlichen Kontext. So kam der Autor Henricus Pomerius (*1382–†1469) um 1411/12 in das südlich von Brüssel gelegene Kloster Groenendaal, in dem er sein berühmtes Geschichtswerk über dieses Kloster und seinen ersten Prior Jan van Ruusbroec422 (*1293–†1381) verfasste. Das Kloster Groenendaal, wie auch das nicht weit davon entfernte Kloster Zevenborren, in dem er von 1421–1431 als Prior diente, gehörten dem Orden der Augustinerchorherren an, die im Geist der „Devotio moderna“-Bewegung reformiert worden waren.423 Nach seiner Zeit als Prior in Zevenborren kehrte er für ein Jahr als Prior

419 Zitat aus Schepers, Kees, S. 85 420 Palmer, Nigel F.: Blockbooks: Texts and Illustrations Printed from Wood Blocks, in: Journal of the Printing Historical Society (11/2008), S. 5–23, hier: S. 7. 421 Wenngleich es sich auch um ein Semi-Blockbuch bzw. chiro-xylographisches Blockbuch handelt. 422 Ruysbroek, war ein flämischer Theologe, der seine Werke in mittelniederländischer Sprache verfasste. Er wurde im Jahr 1317 zum Priester geweiht und zog sich 1343 mit mehreren Gleichgesinnten nach Groenendaal zurück, wo sie zunächst eine geistliche Gemeinschaft ohne Regel gründeten. Daraus entstand eine Gemeinschaft von Augustinerchorherren, deren erster Prior er wurde. Ruysbroek übte starken Einfluss auf Geert Groote aus (*1340–†1384), den Gründer der Gemeinschaft der „Brüder und Schwestern vom gemeinsamen Leben“, deren Bewegung von Zeitgenossen als „Devotio moderna“ bezeichnet wurde. Siehe: Alvin, Louis: Sur le manuscrit intitué: spirituale pomerium, Brussel 1864 S.  6. Sowie Stupperich, Robert: Brüder vom gemeinsamen Leben, in: Theologische Realenzyklopädie, Band 7, Berlin, New York 1991, S. 220. Und Schäfer, Joachim: Johannes van Ruysbroek, in: Ökumenisches Heiligenlexikon, http://www.heiligenlexikon. de/BiographienJ/Jan_Johannes_von_Ruysbroek.htm, (zuletzt geprüft am: 05. 08. 2014). 423 Siehe Schepers, Kees auf S. 88. Hier bezeichnet er beide Klöster als „monastery of regular Canons of St. Augustine“. Thomas Kock, der in seiner 1999 veröffentlichen Monographie „Die Buchkultur der Devotio moderna“ untersucht, behandelt unter anderem auch die Tischlesungsanweisungen aus Zevenborren und die Tischlesungspraxis in Groenendaal.

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nach Groenendaal zurück, bevor er ab 1432–1446 zum Pfarrer des Chorfrauenkonvents St. Barbara in Tienen berufen wurde. Ab 1447 bis zu seinem Tod 1469 lebte Pomerius schließlich wieder in Zevenborren. Pomerius beschäftigte sich lange Jahre mit dem Vaterunser und verfasste mehrere lateinische Schriften,424 in denen er seine Gedanken dazu festhielt. Als erste Schrift lässt sich der im Jahr 1444 verfassten Text Devota meditacio fassen, dessen Inhalt die scholastische Gelehrsamkeit seines Autors bezeugt. Wenige Jahre später folgt auf diese doktrinäre Abhandlung die Schrift Figuralis exposito (1447) sowie bis 1450 das Exercitium I in denen er die Inhalte der Devota meditacio in zugänglicherer Form aufbereitete und narrative Illustrationen entwickelte.425 An dieser Stelle soll ein weiteres Werk des Henricus in die Überlegung miteinbezogen werden, da es Hinweise auf die weitere Entwicklungsgeschichte des Exercitium super Pater Noster liefert. Dieses Werk mit dem Titel Pomerium spirituale ist eine allegorische Erzählung, deren Inhalt zur Meditation über die zwölf Tugenden an den zwölf Stundengebeten anregen soll. Die Bibliothèque Royale in Brüssel verwahrt ein solches Manuskript aus dem Jahr 1440, auf dessen Seiten Holzschnittillustrationen eingeklebt wurden, deren Materialität und künstlerischer Stil augenscheinliche Ähnlichkeiten zu der zweiten Fassung des Exercitium aufweisen. Dies führte bereits mehrere Autoren426 zu der schlüssigen These, dass beide Werke von ein und demselben Künstler oder einer Werkstatt, die der Autor mit der Umsetzung seines Werkes beauftragt hatte, hergestellt worden seien. So ergaben die Recherchen von Louis Lebeer von der Académie des Beaux Arts in Brüssel, der das Exercitium super Pater Noster  II und das Pomerium spirituale einer vergleichenden Analyse unterzogen hatte, dass die Grafiken beider Bücher von der Hand des Vrancke van Stockt (†1495)427 stammen.428 Dieser Künstler war

424 Im Werkverzeichnis des Henricus Pomerius werden fünf Schriften genannt. Siehe Kristeller, Paul (Hg.): Exercitium super Pater Noster, Berlin 1908, S. 4. 425 Ebd., S. 88–89. 426 So bereits 1887 Conway, M. W. der diese These in seinem Aufsatz „Exercitium super Pater Noster“ äußerte, der in der Reihe „Antiquarity“ (15) erschienen war. Auch Allan Stevenson ist der Meinung, dass beide Bücher am selben Ort hergestellt wurden („The Problem of the Blockbooks“, S. 240). Und Wilson, Adrian & Wilson Lancaster, Joyce, S. 94. 427 Aufgrund der stilistischen Nähe des Vrancke van der Stockt zu Rogier van der Weyden kommt auch letzterer als Künstler in Betracht. Dies jedoch nur, wenn beide Werke bereits um 1440 angefertigt wurden. Siehe: Wilson, Adrian & Wilson Lancaster, Joyce, S. 98. 428 Stevenson, Allan, S. 260. Stevenson vermutet außerdem, dass van der Stockt auch einige der Bilder in der „Biblia pauperum“ und im „Speculum humanae salvationis“ entwarf.

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 Zur räumlichen Lokalisierung des ­Blockbuchmarktes

ein Schüler Rogier van der Weydens, dem er, nach dessen Tod im Jahr 1464, als offizieller Maler der Stadt Brüssel nachfolgte.429 Das zweite Blockbuch in der Chronologie der Blockbücher ist nach heutigem Kenntnisstand die erste Ausgabe der Offenbarung des Johannes. Auch diese Ausgabe ist nur als Unikat erhalten und befindet sich in der John Rylands Library in Manchester (Sign.: 3103). In diesem Blockbuch wird dem Betrachter auf 48 Folioseiten in einer Sequenz von 96 narrativen Szenen und lateinischen Kurztexten innerhalb des Bildraumes die Vision des Johannes auf der Insel Patmos erzählt. Allan Stevenson fand bei seiner Untersuchung heraus, dass für diese Ausgabe zwei Papierchargen verwendet wurden. Die erste Papiercharge weist als Wasserzeichen Ochsenköpfe nach burgundischer Art auf, für die der Autor keine Referenzpapiere finden konnte. Die zweite Charge zeigt ein gotisches „P“ mit Kreuzblume (Briquet 8587). Referenzpapiere aus dem Jahr 1451 konnten im Rijksarchief in Utrecht gefunden werden.430 Der künstlerische Stil dieser Apokalypseausgabe verweist auf die südlichen Niederlande, während die angewandte Holzschnitttechnik und die Art des Drucks auf den Brabanter Raum als Entstehungsort hindeuten.431 Unter Bezugnahme der übrigen erhaltenen Blockbücher, des künstlerischen Stils und der Herstellungstechnik der ersten Apokalypsenausgabe sowie eines aufschlussreichen Dokuments aus der Stadt Löwen postulierte Allan Stevenson eine interessante These zur Person des Künstlers der Holzschnitte.432 Er identi-

429 Hulin de Loo, G.: „Vrancke van der Stockt“ in: Biographie Nationale de Belgique, Band XXIV, Brüssel 1926–1929, Sp. 66–67. Rogier van der Weyden soll das Kloster Groenendaal mehrfach als Besucher aufgesucht haben und stand in regem Austausch mit diesem. Dazu auch: Conway, M.W.: S. 10 und Wehrli-Johns, Martina: „Abgeschiedenheit, Innigkeit, Einigkeit“ – Zur Sakralisierung des privaten Rückzugs in Kunst und Literatur des Mittelalters, in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte, Band 61 (2004) Heft 4, S. 189–198, hier: S. 194. Vielleicht wurde über diese persönliche Verbindung des Lehrers mit dem Kloster Groenendaal der Kontakt zu van Stockt hergestellt. Eine bis dato rein spekulative Vermutung, für die sich noch keine Quellen finden ließen. 430 Stevenson, Allan, S. 240. 431 Der Autor Delen, Adrien Jean Joseph verweist auf S.  43 seiner Monographie „Histoire du livre et de l’imprimerie en Belgique des origines à nos jours, Band 2, Brüssel 1930“ zudem auf die berühmten Wandteppiche von Anger, die um 1380 von Nicolaus Bataille angefertigt wurde. Als Vorlage dienten ihm die Miniaturmalereien des flämischen Künstlers Jean Bandol (auch Hennequin des Bruges), der am französischen Hof von Karl V. als Miniaturmaler und Entwerfer von Wandteppichen tätig war. 432 Stevenson, Allan, S. 240. Stevenson bezieht sich hierbei auf Arthur Hind der bereits zuvor in Band I seines Buches „An Introduction to a History of Woodcut, Dover, New York 1963“ geäußert hatte, dass Jan van den Berghe der Künstler von Blockbüchern sei, ohne ihm jedoch konkrete Titel zuzuweisen (S. 227).

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fizierte diesen als Jan van den Berghe, dessen Person mehrfach in Dokumenten aus dem Jahr 1452, 1457 und 1480 belegt ist. Das im Kontext der Apokalypse interessante Schriftstück bezeugt einen Disput der im Jahr 1452 dem Stadtrat von Löwen vorgetragen wurde. Abgesandte der Zünfte der Stellmacher („Rademakers“), Tischler („Scrynmakers“), Dreher („Draeyers“) und Böttcher („Cuypers“) forderten, dass der Holzstockschneider („Printsnyder“) Jan van den Berghe der Zunft der Tischler beitreten solle. Dieser entgegnete, dass seine Kunst nicht in den Bereich der regulären Zünfte der Stadt Löwen falle und mehr den Klerus betreffe („[…] een sunderlinge const […] ende ginghe eensdeels meer der Clerckgien aan […]“). Seine Arbeit sei das Ausschneiden von Buchstaben und Bildern („letteren ende beeldeprynten“). Dennoch wurde er gezwungen, der Zunft der Tischler beizutreten.433 Das zweite Dokument aus dem Jahr 1457 belegt, dass van den Berghe zu dieser Zeit noch immer in Löwen lebte und hier ein Haus besaß.434 Zusammenfassend lässt sich daraus schließen, dass Jan van den Berghe das Blockbuch der Offenbarung des Johannes 1451/1452 in der Stadt Löwen435 geschnitten hat. Weiterhin lässt sich aufgrund des Stils und der Drucktechnik vermuten, dass dieses Buch wahrscheinlich auch hier entworfen und gedruckt wurde.436 Damit ist dieses Blockbuch das älteste in den Beneluxländern entstandene xylographische Buch, dessen Illustrationen und Texte vollständig gedruckt sind. Mit dem dritten Blockbuch in dieser Reihe der frühesten xylographischen Bücher verlassen wir den Raum der Beneluxländer, da dieses Buch im süddeutschen Raum entstanden ist. Die einzig vollständige Ausgabe dieses dritten Blockbuches mit dem Titel der Antichrist und die 15 Zeichen vor dem Jüngsten Gericht wurde lange Zeit im Benediktinerkloster St. Mang in Füssen (Bayern) aufbewahrt und befindet sich heute in der Sammlung Otto Schäfer in Schweinfurt (Sign. Xylo A = OS 372). Die Blockbücher aus der Bibliothek des Otto Schäfer in Schweinfurt wurden im Rahmen eines DFG-Projektes an der Bayerischen Staatsbibliothek zur Erschließung von Blockbüchern in bayerischen Sammlungen437 untersucht. Hin-

433 Van Even, Edward: L’ancienne école de peinture de Louvain, Brüssel, Löwen 1870. S. 100– 102. Abdruck des Originaltextes. 434 Ebd., S. 102. 435 Die heute belgischen Städte Löwen und Brüssel, in deren Nähe wiederum das Kloster Groenendaal lag, liegen nur knapp 28 km voneinander entfernt. 436 Stevenson, Allan, S. 241. 437 Im Rahmen dieses seit 2009 geförderten Projektes werden die Blockbücher aus 14 bayerischen Sammlungen digitalisiert und bearbeitet. Von den etwa 600 weltweit erhaltenen spätmittelalterlichen Blockbüchern befinden sich derzeit 87 Exemplare in Bayern. Ausführlicher nachzulesen bei: Wagner, Bettina: „Blockbücher in bayerischen Sammlungen“ Ein DFG-Projekt zur institutionenübergreifenden Erschließung seltener Frühdrucke, in: Bettina Wagner (Hg.),

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sichtlich der Datierung des Antichrist konnte dabei ca. 1450 (nicht nach 1467) als Druckdatum ermittelt werden. Diese Datierung wird durch die Fragmente eines zweiten Exemplars, das von denselben Druckstöcken abgezogen wurde, verifiziert, da das Papier dieses fragmentarischen Exemplars aus den Jahren 1449– 1450 datiert.438 Die Sprachfärbung beider Exemplare verweist laut Nigel Palmer auf den zentral bayerischen Raum, eine Feststellung, die durch die Recherchen der Bayerischen Staatsbibliothek Bestätigung findet, die in den Raum Franken verweisen und die Stadt Nürnberg als möglichen Druckort ergaben.439 Für eine Herstellung in Nürnberg spricht auch, dass der zeitgenössische Besitzer dieser Ausgabe, Konrad Riegg (†1496) als Vikar des St. Kunigunden-Altars in der Stadtpfarrkirche St. Sebald in Nürnberg tätig war.440 Der bayerische Bildertext441 des Antichrist, auf den die Blockbücher zurückgehen, wurde um 1430 von einem unbekannten Autor unter Verwendung unterschiedlicher Quellen kompiliert.442 Er benennt diese Quellen und stützt sich für seine Erzählung über die Vita des Antichristen vor allem auf das Compendium der theologischen Wahrheit des Straßburger Dominikaners Hugo Ripelin (*1200/10– †1268) sowie das Buch der Tugend, womit die Schrift Libellus de ortu et tempore Antichristi des Abtes Adso von Montier-en-Der (*910/915 –†992) gemeint ist.443 Die Hauptquelle für den Text der fünfzehn Zeichen, die das Jüngste Gericht ankündi-

Blockbücher des 15. Jahrhunderts. Eine Experimentierphase im frühen Buchdruck, Wiesbaden 2013, S. 7–13. 438 Palmer, Nigel F.: Blockbooks: Texts and Illustrations Printed from Wood Blocks, S.  7. Die Fragmente des zweiten Exemplars werden in der Graphischen Sammlung Albertina in Wien und in der Bibliothèque Sainte-Geneviève in Paris verwahrt. 439 Dazu folgender Link: urn:nbn:de:bvb:12-bsb00039823-0, (zuletzt geprüft am: 07. 08. 2014). Der spätgotische Einband der heute in Schweinfurt befindlichen Ausgabe wurde in Nürnberg gefertigt. Siehe: Hausler, Veronika: Der Antichrist und die fünfzehn Zeichen vor dem Jüngsten Gericht, in: Bettina Wagner (Hg.), Vom ABC bis zur Apokalypse. Leben und Sterben in spätmittelalterlichen Blockbüchern, Luzern, München 2012, S. 112–122, hier S. 113. 440 Siehe: http://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/xylographa-provenienz#riegg, (zuletzt geprüft am 07. 08. 2014). 441 Zur Sprache des Textes: Veronika Hauser spricht von einem bairischen Bildertext (S. 113), während Christoph Burger auf S. 18 in seinem Aufsatz „Endzeiterwartungen im späten Mittelalter, in: Der Antichrist und die Fünfzehn Zeichen vor dem Jüngsten Gericht; 2. Kommentarband zum Faksimile, Hamburg 1979, S. 18–79“ nicht näher auf die Sprachfärbung eingeht und nur von einem deutschen Text spricht. 442 Burger, Christoph Peter: S.  18. Dazu auch: Steer, Georg: Antichrist, in: Verfasserlexikon, Band 1 (1978), Sp. 400–401, datiert aufgrund der Kleidertracht auf 1440–1450. Der Bildertext ist höchstwahrscheinlich ein Exzerpt aus der „Konstanzer Weltchronik“ (Ende 14. Jh.). Siehe: Steer, Georg: Antichrist, in: Verfasserlexikon, Band 11 (2004), Sp. 121. 443 Hausler, Veronika: Der Antichrist und die fünfzehn Zeichen vor dem Jüngsten Gericht, S. 112.

Die Anfänge 

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gen, bildet die Legenda aurea des Genueser Dominikaners Jacobus de Voragine (*1228/30–†1298).444 Die beiden Narrative der fünfzehn Zeichen und der Vita des Antichristen wurden vom Autor mit grundlegenden Ausführungen zu Beginn und zum Ende der jeweiligen Erzählung versehen, die der Verknüpfung und der Einbindung in die Gesamtschau der Letzten Dinge dienten.445 Von diesem Bildertext wurden im Laufe des 15. Jahrhunderts mehrere Abschriften angefertigt. Heute sind neun Handschriften überliefert, die zum Teil etwa gleichzeitig mit den Blockbuchausgaben entstanden sind.446 Die erste Blockbuchausgabe des Antichrist und die 15 Zeichen vor dem Jüngsten Gericht wurde bereits opistographisch, vermutlich sogar mittels einer frühen Druckerpresse, hergestellt. Die Texte wurden jedoch noch handschriftlich hinzugefügt, erst in den beiden nachfolgen Auflagen wurden auch die begleitenden Texte in Holz geschnitten. Aufgrund dieser drei frühesten bekannten Blockbücher, des Exercitium super Pater Noster, der Apokalypse und des Antichrist folgerte Nigel Palmer überzeugend, dass das xylographische Druckverfahren im Gebiet der heutigen Beneluxländer und im südlichen Deutschland, kurz vor Erfindung des typographischen Druckverfahrens, entwickelt wurde.447 Die Untersuchung der Entwicklungsgeschichte des ältesten Blockbuches zeigt, dass dieses aller Wahrscheinlichkeit nach auf Bestreben des kreativen Autors Henricus Pomerius hin, in einem klösterlichen Kontext entstanden ist. Pomerius verfasste mit dem Exercitium eine didaktisch eindrückliche und klare Erläuterung des Vaterunsers und dessen theologischer Einbettung. Nach der ersten Ausarbeitung in Holzschnittillustrationen und kurzen Versen suchte er für die Ausführung der zweiten Auflage offensichtlich professionelle Unterstützung in Form eines Künstlers bzw. dessen Werkstatt, die er vermutlich in der Person des Vrancke van Stockt bzw. der Werkstatt des Rogier van der Weyden fand, dessen Schüler und Nachfolger als Stadtmaler von Brüssel, van Stockt ist. Die Klöster Groenendaal und Zevenborren, denen Pomerius im Laufe seines Lebens angehörte, folgten der Regel des Augustinus und waren im Geist der spätmittelalterlichen „Devotio moderna“-Bewegung reformiert worden. Diese Reformbewegung, deren Anhänger von den Zeitgenossen auch „Brüder und Schwestern vom gemeinsamen Leben“ genannt wurden, zeichnete sich durch Schriftstudium

444 Ebd., S. 113. Und Burger, Christoph Peter, S. 21. 445 Burger, Christoph Peter: S. 18 446 http://www.handschriftencensus.de/werke/2980, (zuletzt geprüft am: 07. 08. 2014). 447 Palmer, Nigel: Blockbooks: Texts and Illustrations Printed from Wood Blocks, S. 7.

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und Schriftmeditation aus. Ihre Frömmigkeit stellte sich als ein durch strenge Lebensführung genährtes Streben nach Gott dar, in der die Seele des Menschen als Schauplatz der Begegnung von Gott und Mensch ist.448 Dieses Ziel der individuellen, christlichen Vervollkommnung versuchten die „Devotio“-Anhänger durch die persönliche Nachfolge des demütigen Christus – der „Imitatio Christi“ – zu erreichen. Zudem richtete sich ihr Impetus auf die religiöse Bildung des Volkes.449 Ausgehend von den beiden ersten Häusern in Zwolle und Deventer (1394) entstanden in den folgenden Jahren zahlreiche weitere Häuser in den Niederlanden. Im Laufe des 15. Jahrhunderts fasste die Bewegung auch in den übrigen europäischen Nachbarländer Fuß. Insbesondere in Deutschland und hier wiederum vermehrt im Rheinland, Westfalen und Württemberg fand die „Devotio moderna“ ihre Anhänger.450 Die von Gerhard Groote (*1340–†1384) begründete „moderne Bewegung“ entfaltet sich in zwei Zweigen. Zum einen in den schon erwähnten gelübdefreien Gemeinschaften der „Brüder und Schwestern vom gemeinsamen Leben“ und zum anderen in den Augustiner-Chorherrenstiften der Windesheimer Kongregation.451 Die Bruderschaften lebten nicht vom Bettel, den Groote abgelehnt hat, sondern von Arbeit, insbesondere dem Abschreiben und Binden von Büchern.452 Erwähnenswert in diesem Kontext ist auch die erste Klosterdruckerei, die 1468 von „Brüdern vom gemeinsamen Leben“ im Kloster Marienthal in Geisenheim eingerichtet wurde.453 Bereits des Öfteren wurde in der Forschung die These geäußert, dass die Gemeinschaft der „Brüder vom gemeinsamen Leben“ als Auftraggeber und Förderer

448 Stupperich, Robert: Brüder vom gemeinsamen Leben, in: Theologische Realenzyklopädie, Band 7, Berlin, New York 1991, S. 220–225. Sowie Dinzelbacher, Peter: Devotio moderna, in: Wörterbuch der Mystik, Stuttgart 1989, S. 109–111. 449 Wahl, Karl Heinz: Marienthal als frühe Druckstätte, 2: die Offizin der Brüder vom gemeinsamen Leben und ihre Wiegendrucke, in: Rheingau-Forum, Band 20 (2011), H. 1, S. 2–9. Hier S. 2. 450 Stupperich, Robert, S. 221–223. Und Dinzelbacher, Peter: Devotio moderna, S. 109. 451 Laut Thomas von Kempen hatte Groote im Anschluss an seinen Besuch bei Ruysbroek in Groenendaal an die Gründung eines Kanonikerstifts für die Brüder gedacht, die zum Kloster­ leben neigten. Die Augustinerregel bot sich dazu als die passendste an. Von Deventer aus kam es zur Gründung des Chorherrenstifts Windesheim bei Zwolle (1387). Vorher hatten sich die neuen Chorherren in dem 1382 von Groenendaal aus gegründeten Kloster Emstein mit den Gewohnheiten der Augustiner vertraut gemacht und waren mit der Spiritualität des Jan van Ruysbroek in Berührung gekommen. Ausführlicher nachzulesen bei: Iserloh, Erwin: Thomas von Kempen und die Devotio Moderna, Bonn 1976, S. 12–14. 452 Iserloh, Erwin, S. 8. 453 Wahl, Karl Heinz, S. 2–9.

Produktion: Orte und Regionen 

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von Blockbüchern auftraten,454 sichere Belege dafür konnten bisher noch nicht gefunden werden, doch erscheint diese These nicht abwegig, insbesondere die Entstehungsgeschichte des Exercitium super Pater Noster lässt sich hierbei exemplarisch ins Feld führen. Für diese These spricht zudem, dass Blockbücher häufig aus Regionen stammen, die von der „Devotio moderna“ geprägt waren.455 Auch Nürnberg, der Ort an dem die älteste Antichrist-Ausgabe aller Wahrscheinlichkeit nach entstanden ist, liegt in einer solchen Region. Über die Umstände und konkreten Gründe der Entstehung dieser Ausgabe können wir bis dato keine Aussagen treffen, da die Quellen dazu schweigen. Allerding wird vermutet, dass in Nürnberg einer der bis dato ältesten bekannten Einblattdrucke – eine Darstellung des Marientodes (gedruckt vor 1422) – gedruckt worden ist. Zudem wurde vor den Toren der Stadt Nürnberg an der Pegnitz am 24. Juni 1390 die erste Papiermühle in Deutschland in Betrieb genommen. Zwar war der Betrieb 1463 bereits wieder eingestellt worden, aber schon wenige Jahre später wurden im Nürnberger Landgebiet entlang der Pegnitz neue Papiermühlen errichtet, von denen zu Ende der Nürnberger Zeit als Reichsstadt im Jahr 1806 noch elf in Betrieb waren.456 Damit waren zwei Grundvoraussetzungen des xylographischen Buchdrucks, die Fertigkeit des Holzschnitts und die Ressource Papier, hier schon vergleichsweise früh gegeben.

IV.2 Produktion: Orte und Regionen IV.2.A Druckerwerkstätten Wir wissen nur sehr wenig über den Berufsstand der Blockbuchhersteller. Gesicherte urkundliche Belege über die Künstler/Drucker/Verleger sind nicht bekannt.457 Hinweise in Quellen tauchen allenfalls in Form von Bemerkungen oder Rechtsstreitigkeiten auf, wie etwa im bereits geschilderten Fall des Jan van

454 Stevenson, Allan, S. 261. 455 Siehe dazu das folgende Kapitel IV.2 „Produktion“. Dinzelbacher, Peter: Devotio moderna, S. 109. Sowie Baurmeister, Ursula: Das Blockbuch – Vorläufer oder Konkurrent des mit beweglichen Lettern gedruckten Buches?, in: Peter Rück & Martin Boghardt (Hgg.), Rationalisierung der Buchherstellung in Mittelalter und Frühneuzeit, Marburg an der Lahn 1994, S. 147–164, hier S. 150. 456 Maué, Herrmann: Der Nürnberger Buchdruck – Erste Anfänge und Standortvorteile, in: Germanisches Nationalmuseum (Hrsg.), Quasi Centrum Europae – Europa kauft in Nürnberg 1400–1800, Nürnberg 2002, S. 273–283, hier S. 273. 457 Mertens, Sabine: Was sind Blockbücher?, S. 14.

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den Berghe, von dem Allan Stevenson vermutet, dass er der Künstler der ersten Apokalypsen-Ausgabe sei und dessen Person mehrfach durch Quellen aus der Stadt Löwen belegt ist.458 In diesen Quellen werden verschiedene Handwerksberufe wie der „printsnyder“, „prieftrucker“ oder der „impressor“ genannt, doch ist die Aufgabenteilung bei der Herstellung von mittelalterlichen Holzschnitten nicht belegt. Erst für das 16. Jahrhundert können verschiedene Berufszweige ausgemacht werden, die bei der Herstellung von Holztafeldrucken beteiligt waren. Sie werden im berühmten Ständebuch aus dem Jahr 1568, das von Jost Ammann illustriert wurde, beschrieben. Einige wenige Drucker haben ihre Namen und weitere Angaben wie den Ort und das Datum des Drucks in den von ihnen hergestellten Blockbüchern, vergleichbar mit einem Kolophon wie es in Inkunabeln gebräuchlich wird, vermerkt:459 – Lavrens Iansz Koster // van Haerlem ghedruckt – Ars moriendi ca. 1467 (Schreiber II) – Ludwig ze Vlm – Ars moriendi, mehrere deutsche Ausgaben: ca. 1469 (Schreiber VII), ca. 1468–1469 (Schreiber VIIA), ca. 1460 (Schreiber IV; hergestellt bis ca. 1475/1490) – Hanns Prieffmaler (Hans Sporer) Nürnberg – Antichrist ca. 1470/72 (Schreiber II); Biblia pauperum, gedruckt in Nürnberg 1471 (Ed. Spoerer); Ars moriendi 1473 (Schreiber VIII); mehrere deutsche Kalenderausgaben 1474–1476 – Friedrich Walther[n] mauler und Hans Hurning zu Nördlingen – Biblia pauperum, 1470, dt. Ausgabe (Schreiber  IA); Franciscus de Retzas Defensorium inviolatae virginitatis Mariae, 1470 (Schreiber I) – Lienhart czu Regenspurck – Salve Regina, 1470 – Johannes Eysenhut impressor zu Regensburg: Franciscus de Retzas Defensorium inviolatae virginitatis Mariae, 1471 (Schreiber II) – Günther Zainer aus Augsburg – Ars moriendi ca. 1472 (Schreiber IVA) – Friedrich Creussner aus Nürnberg – Ars vitae contemplativae 1473 – Nicolaus Götz aus Köln – Ars moriendi ca. 1475 (Schreiber II)460 sowie die Ausgaben Schreiber IVA (ca. 1472) und IV C (keine Angabe zur Datierung)

458 Siehe im Kapitel  IV.1. „Früheste Blockbücher? – Ursprungsorte und Entwicklungsgeschichte“ 459 Palmer, Nigel F. nennt auf S. 311 seines Aufsatzes „Latein und Deutsch in den Blockbüchern“ viele Drucker samt Ort und Blockbuchtitel. Diese Sammlung wurde mit eigenen Ergebnissen aus Katalogrecherchen ergänzt. Die Angabe in Klammern bezieht sich auf die Untersuchungen von Wilhelm Ludwig Schreiber, der die unterschiedlichen Ausgaben je nach Zustand klassifizierte und eine Abfolge der Ausgaben erstellt. 460 Laut Paul Needham benutzte der Drucker Nikolaus Götz die Holztafeln der Ars moriendi –

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– Eggestein Heinrich aus Straßburg (*1415) – Ars moriendi 1475 (Schreiber IX) – Cunradum dinckmut Vlmensis Oppidi Ciuem – Donatus 1476/77 – Iorg Schapff zu Augspurg: mehrere Ausgaben von Hartliebs Chirmomantie 1478, 1480 und 1485/95? – Cunradt Kachelouen zu Leipzig461: mehrere Kalenderausgaben 1488, 1489, 1491, 1493? – Hans Wurm zu Landshut – Ringerbuch 1500 – Giovanni Andrea Vavassori in Venedig – Opera nova contemplativa ca. 1510, ca.1530/1 Nigel Palmer vermutet, dass Augsburg und Ulm Zentren der Blockbuchproduktion gewesen sind.462 Diese Vermutung Palmers könnte angesichts der überlieferten Druckerwerkstätten durch Nürnberg als drittes Zentrum im süddeutschen Raum ergänzt werden. Nicht ausgeschlossen ist zudem, dass Drucker, wie bspw. Hans Sporer, von einer Stadt zur nächsten wanderten um dort ihre Drucke zu verbreiten. Hans Sporer (auch Spörer, Junghanns priffmaler, Meister Hans puchtrucker, Hans Buchdrucker von Nürnberg und Kübelhans genannt) wird ab 1471 im Nürnberger Bürger- und Meisterbuch aufgeführt. Bereits sein Vater arbeitete aller Wahrscheinlichkeit nach als Holzschneider. Das Nürnberger Bürgerbuch bezeugt für die Jahre von 1449 bis 1492 einen „Hans formsneider“. Um sich von seinem Vater zu unterscheiden signiert Hans Sporer mit „junghans priffmaler“463. In dem Kolophon der zweiten xylographischen Ausgabe nach der chiroxylographischen Urausgabe des Antichrist führt Sporer an, dass er „das puch […] hat“, in der Art eines Verkäufers oder Verlegers. „Er war aber ohne Zweifel auch der Drucker des Buches, das er nach damaliger Sitte selbst vertrieb.“464 Im Gegensatz zur Urausgabe, die bereits mit Hilfe einer Druckerpresse hergestellt worden war, wandte Sporer für seine Nachdrucke das Reiberdruckverfahren ohne eine Presse an.

Blockbuchausgabe (Schreiber II) um zwei typographische Ausgaben (GW 2571 und 2572) zu illustrieren. 461 Konrad Kachelofen ist auch als Drucker und Verleger mehrerer Inkunabeln (ca. 1483–1516) in Leipzig bekannt. Ursprünglich als Kaufmann für Papier, Spezereien und Wein tätig, nutzte er sein gewonnenes Kapital um zu einem der bedeutendensten Leipziger Bürger aufzusteigen. Siehe: Lülfling, Hans: Konrad Kachelofen, in: Neue Deutsche Biographie, Band 10, Berlin 1974, Sp. 718  f. 462 Palmer, Nigel: Latein und Deutsch in den Blockbüchern, S. 312. 463 Mummenhof, Ernst: Sporer, Hans, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Band  35, 1835 S. 271–273. 464 Ebd., S. 271.

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Sporer tritt noch mehrfach als Drucker/Verleger von Nachschnitten deutscher Blockbücher in Erscheinung. So erscheint 1471 sein Nachdruck der deutschen Biblia pauperum, die ein Jahr zuvor von Friedrich Walther und Hans Hürning in Nördlingen gedruckt worden ist. Zwei Jahre später bringt Sporer 1473 seine deutsche Ars moriendi-Ausgabe heraus. Abb. 37: Kolophon des 1472 von Hans Sporer nachgedruckten Antichrist.

Von 1475 bis 1487 sind keine Druckwerke von ihm erhalten, im letztgenannten Jahr tauchte er in Bamberg auf, wo er sich in der Frauengasse eine Druckerei einrichtete. Im Unterschied zu seinen vorherigen Werken begann er nun deutsche Inkunabeln zu drucken. Darunter auch ein Spottlied auf Herzog Albrecht von Sachsen und seinen Sohn Friedrich. Um einer Strafe zu entgehen, verließ Sporer 1495 Bamberg und wandte sich nach Erfurt wo er bei „den Eynsideln bei Sant Veit“ Unterkunft fand.465 In Erfurt druckte er bis 1504 und wanderte dann zurück nach Franken in die Stadt Augsburg. Gegen 1519 siedelte er nach Worms über und betrieb dort sein Officin bis 1521. Unterdessen hatte er sich zur lutherischen Glaubenslehre bekannt und druckte Reformationsschriften. Daneben vertrieb er auch reformatorische Schriften aus anderen Druckereien. 1522 tauchte er in Stuttgart auf um unter den Augen der katholischen Regierung Schriften Luthers durch Druck und Buchhandel zu verbreiten. Das letzte Lebenszeichen Sporers findet sich 1526 in Reutlingen.466 Das Beispiel des Hans Sporer zeigt die wechselhaften Stationen eines Buchproduzenten in der Ära des frühen Buchdrucks. Er vereinigt gleich mehrere Funktionen bzw. Fertigkeiten in seiner Person. So schneidet er die Holztafeln seiner Bücher nach Vorlage von vorhergehenden Drucken. Er ist Drucker und Verleger seiner Werke und vertreibt zudem Druckerzeugnisse anderer Druckwerkstätten.

465 Ebd., S. 272. 466 Rudolf Schmidt: Sporer, Hans, in: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 5. Berlin/Eberswalde 1908, S. 913.

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IV.2.B „Vernaculae linguae“, künstlerische Stilmerkmale und andere Hinweise zur Lokalisierung Neben den im Kapitel zuvor genannten Druckerwerkstätten, die klare Hinweise zur regionalen Verortung von Blockbüchern liefern, gibt es weitere inhaltliche Merkmale, die ebenfalls auf bestimmte Regionen oder Orte hindeuten, in denen diese Bücher entstanden sind. In der hier bereits eingehend besprochenen deutschsprachigen Ausgabe der Planentenkinder taucht im Holzschnitt der Venuskinder das Wappen der Stadt Basel auf, was darauf schließen lässt, dass dieses Blockbuch aller Wahrscheinlichkeit nach in dieser Stadt hergestellt wurde. Weitere Hinweise zur räumlichen Verortung können auch die Inhalte selbst liefern. So behandeln die beiden Blockbücher der Servatius-Legende und der Meinrads-Legende neben den Viten der Heiligen auch wundersame Begebenheiten nach dem Tod der Heiligen, die die Entstehung der Wallfahrtsorte Maastricht und Einsiedeln nach sich zogen. Das Blockbuch der Servatius-Legende zeigt zudem auf vier Holztafeln die vier Gänge der Heiltumsweisung in Maastricht467 in denen die Reliquien feierlich dem Publikum vorgezeigt wurden. Es ist daher davon auszugehen, dass beide Blockbücher sicher in Beziehung zu diesen Wallfahrten entstanden sind.468 Das deutschsprachige Blockbuch der Meinrads-Legende, das in nur zwei Kopien in der Bayerischen Staatsbibliothek (Sign. Xyl. 47) und im Stiftsbibliothek Einsiedeln (Sign. Inc. 495/A. DB 5) überliefert ist, wurde vermutlich im Auftrag des Stifts Einsiedeln kurz vor 1466 in Basel gedruckt.469 Bei der Ausgabe der Servatius-Legende, von der lediglich eine Kopie im Kupferstichkabinett der Bibliothèque Royale in Brüssel (Sign. MS 18.972) erhalten ist, handelt es sich um einen opistographischen Druck, der mit einem handschriftlichen französischen Text versehen wurde. Der Kunsthistoriker Paul Kristeller vermutet, dass es in den Jahren 1461 oder 1468 am Wallfahrtsort Maastricht entstanden ist.470 Bei dem dritten Blockbuch aus der Gruppe „Hagiographie und Pilgerführer“, den deutschsprachigen Mirabilia Romae, ist es bislang nicht möglich, die Frage

467 Hymans, Henri: Die Servatius-Legende. Ein niederländisches Blockbuch, Berlin 1911, Taf. XXI–XXIV. 468 Schneider, Cornelia: Der Alltag der Blockbücher, S. 49. 469 Bayerische Staatsbibliothek München, Xylogr. 47, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00038684-3, (zuletzt geprüft am: 18. 08. 2014). Auf der Homepage des Stiftarchivs Einsiedeln ist vermerkt, dass diese Ausgabe evtl. vom Basler Drucker Lienhard Isenhut in den Jahren 1450–1464 gedruckt wurde. http://www.klosterarchiv.ch/e-archiv_professbuch_literatur.php#9, (zuletzt geprüft am: 18. 08. 2014). 470 Kristeller, Paul: Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten, Berlin 1911, S. 86.

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des Druckortes zweifelsfrei zu klären, da zwei Möglichkeiten in Betracht kommen. Aufgrund des Inhaltes vertritt Wilhelm Ludwig Schreiber die These, dass dieser Reiseführer zu den heiligen Stätten Roms in Rom selbst gedruckt worden sei.471 Allerdings ergab die Untersuchung des in der Bayerischen Staatsbibliothek erhaltenen Exemplars, dass die Druckschrift der Mirabilia Romae derjenigen der xylographischen Drucke des Hans Sporers ähnelt.472 Die Frage des Druckortes dieses allein schon aufgrund seines Umfanges von 182 Holzschnitttafeln außergewöhnlichen Blockbuches bleibt daher unklar. Vorstellbar ist sowohl ein Erwerb zur Vorbereitung einer Pilgerreise nach Rom in der Heimat – dafür spräche auch die Sprache des Druckes – als auch der Kauf vor Ort. Auch die Art der künstlerischen Gestaltung, Stilelemente und die Technik des Holzschnitts können dazu dienen bestimtme regionale Produktionsräume auszumachen. Überaus augenfällige künstlerische Stilmerkmale finden sich beispielsweise in der Biblia Pauperum, bei der die Prophetenfiguren und biblischen Geschehnisse von Säulen- und Pfeilerdarstellungen umrahmt werden,473 die charakteristisch sind für die flämisch-burgundische Schule. Jan van Eyck (*1390–†1441) verwendet als einer der ersten Vertreter der altniederländischen Malerei Säulen- und Pfeilerelemente (bspw. auf den Flügeln des Ghenter Altars im geschlossenen Zustand oder in der sog. Madonna des Kanzlers Rolin) in seinen Gemälden. Insbesondere in den Werken von Rogier van der Weyden (*1399/1400–†1464) taucht dieses architektonische Stilelement häufig auf (bspw. in der sog. Lukas-Madonna oder im Miraflores-Altar).474 Unbestritten ist in der Blockbuchforschung daher, dass die erste Ausgabe der Biblia Pauperum im Einflussgebiet dieser flämisch-niederländischen Schule entstanden ist. Allan Stevenson vermutet weiter, dass der Künstler aus den südlichen Niederlanden stammen könnte.475 Aller Wahrscheinlichkeit nach wurden die ersten Auflagen (zumindest die ersten drei Druckauflagen in der Aufstellung des Wilhelm Schreiber bis ca. 1460/63) in den Niederlanden gedruckt, spätere Ausgaben erschienen im süddeutschen Raum (bspw. die bereits erwähnte deutsche Ausgabe des Fried-

471 Schreiber, Wilhelm Ludwig: Handbuch Handbuch der Holz- und Metallschnitte des XV. Jahrhunderts, Band IX², S. 396. 472 Wagner, Bettina: Mirabilia Romae, in: Bettina Wagner (Hrsg.), Vom ABC bis zur Apokalypse – Leben, Glauben und Sterben in spätmittelalterlichen Blockbüchern, Luzern München 2012, S. 86–94, hier: S. 91. 473 Siehe Abbildung im Abbildungsverzeichnis  VII.6.5 (Biblia pauperum, Niederlande, ca. 1460/63, Schreiber Ed. III, München, Bayerische Staatsbibliothek, Xyolg. 26) 474 Stevenson, Allan, S. 247. 475 Ebd., S. 248.

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rich Walther und Hans Hurnung aus Nördlingen und die Nachdrucke das Hans Sporer).476 Säulen und Pfeiler finden sich auch im Speculum humanae salvationis, von dem zudem zwei Auflagen in niederländischer Sprache erhalten sind. Ein Befund, der die kunsthistorische Lokalisierung bestätigt. Bereits frühe Blockbuchforscher untersuchten die unterschiedlichen Blockbuchtitel unter kunsthistorischen Gesichtspunkten. Grundlegend hierfür ist noch immer die Arbeit von Wilhelm Ludwig Schreiber. Neben den schon erwähnten Titeln der Biblia pauperum, des Speculum humanae salvationis und den im Kapitel zu den frühesten Blockbüchern behandelten Werken der Apokalypse, des Pomerium Spirituale und des Exercitium super Pater Noster, ergaben kunstgeschichtliche Untersuchungen, dass die ersten Auflagen der Ars moriendi und des Canticum canticorum ebenfalls im Einflussgebiet der sogenannten „altniederländischen Malerei“ – d.  h. in den burgundischen Niederlanden des 15. Jahrhunderts, dem Kernstück des Herzogtums Burgund sowie Brabant und Flandern mit den beiden wirtschaftlich bedeutenden Städten Brügge und Antwerpen477 – entstanden sind.478 Als weiterer geographischer Produktionsraum konnte zudem das „Rheinland“ identifiziert werden. Auch diese Annahme stützt sich auf die kunsthistorsichen Untersuchungen von Schreiber, der ganze Blockbuchgruppen als rheinländischen Ursprungs klassifiziert wie bspw. eine Gruppe von 19 Ars moriendi-Exempla­ren („Le Groupe Rhénan“), die vermutlich um 1465 gedruckt wurden.479 Abgesehen vom Exercitium super Pater Noster sind alle der genannten Erstauflagen in lateinischer Sprache erschienen. Erst unter den nachfolgenden Druckauflagen finden sich landessprachliche Ausgaben. Neben inhaltlichen und kunststi-

476 Schreiber, Wilhelm Ludwig: Handbuch IX², S. 2–105. 477 Wolf, Norbert: Kunstepochen – Trecento und Altniederländsiche Malerei, Stuttgart 2002, S. 120–121. 478 Siehe: Schreiber, Wilhelm Ludwig: Handbuch IX². Sowie: Hind, Arthur: An Introduction to a History of Woodcut, Vol. 1, New York 1973. Und: Wilson, Adrian & Wilson Lancaster, Joyce: A Medieval Mirror, Berkeley, Los Angeles, Oxford 1985. 479 Siehe Schreiber, Wilhelm Ludwig: Handbuch IX², S. 257–261. Allerdings verzichtet Schreiber auf eine Definition des geographischen Raumes „Rhénan“. Meyers grosses Taschenlexikon bezeichnet das Rheinland als „Gebiete beiderseits des Mittel- und Niederrheins, besonders die ehem. preuß. Rheinprovinz.“ (hrsg. und bearb. von Meyers Lexikonredaktion, Mannheim 1998 (6. Auflage), S. 6323). Für die Markierung dieser genannten Landesteile in der Übersichtskarte wurden die Daten des LVR – Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte (Bonn, 2010; http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Test_Kartographie/Kreise_heute_600p.png, zuletzt ge­ prüft am: 23. 09. 2014) herangezogen.

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listischen Gesichtspunkten sind diese Landesprachen die dritte Möglichkeit zur Eruierung des Entstehungs- und Absatzraumes. Insgesamt sind 609480 Blockbücher bekannt, von denen 584 Exemplare bis zum Ende der Blockbuchära im 15.  Jahrhundert gedruckt worden sind. Von dieser Gesamtzahl der spätmittelalterlichen Drucke bilden die lateinischsprachigen die größte Gruppe mit 375 überlieferten Exemplaren (bzw. einem Anteil von 64 %).481 Dieses Verhältnis verschiebt sich jedoch zu Gunsten der Vernakularsprachen bei Betrachtung der Auflagenzahlen. So sind von den insgesamt 117 erhaltenen und rekonstruierten Blockbuchauflagen aus dem 15.  Jahrhundert482 die Hälfte (59), mit lateinischen Texten versehen worden. Von den übrigen 50 % sind, bis auf zwei, zu denen keine Angaben hinsichtlich der Sprache gefunden werden konnten, alle in einer „vernacula lingua“ publiziert worden bzw. es handelt sich um Mischausgaben (d.  h. bilinguale Ausgaben in denen Latein und eine Volkssprache vorkommen483) oder Auflagen, die sowohl auf Latein als auch in einer Volkssprache gedruckt worden sind.484 Die größte Gruppe innerhalb der Vernakularsprachen bilden deutschsprachige Blockbücher. So weisen 41 (= 35 %) Blockbuchauflagen deutsche Texte auf und vier weitere Auflagen wurden bi­lingual, als lateinisch-deutsche Mischausgaben publiziert.

480 Darunter befinden sich auch einige wenige Exemplare, die noch zu Beginn des 20.  Jahrhunderts als existent verzeichnet wurden, die jedoch heute, bedingt bspw. durch die Wirren der beiden Weltkriege, als verschollen gelten. 481 Weitere erhaltene volkssprachliche Exemplare: 115 deutsch: 20 %; 12 niederländisch = 2 %; französisch: 3; flämisch: 1; lateinisch-deutsch: 2; lateinisch-flämisch: 2; lateinisch-französisch: 1; keine Angabe: 63 482 Siehe dazu die Liste im Anhang unter VII. Alle statistischen Angaben stützen sich auf die Materialsammlung von Schreiber, Wilhelm: Handbuch der Holz- und Metallschnitte des XV. Jahrhunderts, Band IX.² sowie auf den Blockbuch-Kurzzensus im Sammelband „Blockbücher des Mittelalters“ und ergänzende, eigene Recherchen. Alle Zahlen sind jedoch bis auf weiteres als provisorisch anzusehen. Als vergleichende Studie sei auf Palmer, Nigel und seine Ergebnisse in seinem Aufsatz „Latein und Deutsch in den Blockbüchern“ von 1992 verwiesen. 483 Ein Beispiel für eine solche bilinguale Mischausgabe ist die zweite Ausgabe der Ars moriendi des Ulmer Druckers Ludwig. Dieser brachte zunächst eine deutschsprachige Ausgabe heraus. Für die zweite, lateinische Ausgabe verwendete er erneut die Bildtafeln seiner ersten Ausgabe, die mit deutschsprachigen Spruchbändern versehen war und kombinierte diese mit lateinischen Texttafeln. 484 Einschränkend sollte jedoch erwähnt werden, dass von vielen der volkssprachlichen Blockbücher nur ein singuläres Exemplar erhalten ist. Weitere erhaltene volkssprachliche Auflagen: niederländisch: 3, lateinisch-flämisch: 2, französisch: 1, lateinisch & französisch: 1, lateinischfranzösisch: 1.

Produktion: Orte und Regionen 

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Neben dieser größten Gruppe tauchen nur wenige andere Landessprachen auf. So sind drei niederländische Auflagen, eine Biblia pauperum und zwei Auflagen des Speculum humanae salvationis, bekannt sowie französische Blockbücher, eine Ausgabe der Ars moriendi und die Servatiuslegende und die beiden flämischlateinischen Ausgaben des Exercitium super Pater Noster. Innerhalb der deutschsprachigen Gruppe ist zu beobachten, dass viele der Texte süddeutsche,485 zumeist schwäbische, Sprachfärbungen aufweisen, was sich wiederum mit dem Ergebnis der Druckerwerkstättensammlung im vorhergehenden Kapitel deckt.486 Unter Beachtung der zeitlichen Komponente kann für die Entwicklung der Blockbücher eine Art Wellenschema beobachtet werden, in dem die Drucker­ tätigkeit nach einer Anlaufzeit (acht Blockbuchauflagen gedruckt von 1447 bis ca. 1455/1460) exponentiell stark ansteigt. Auf die frühe Anlaufphase folgt eine erste Blütezeit in den Jahren 1460–1470, in der insgesamt 32 Blockbuchauflagen mit deutlich höheren Stückzahlen487 erscheinen. In den Jahren 1470–1500 folgt eine Phase der weiteren regionalen Expansion. Im Unterschied zur ersten Blüte­ zeit, in der die Blockbücher noch in etwa zu gleichen Teilen im Raum Niederlande-Flandern-Brabant und den deutschen Regionen an Nieder- und Oberrhein sowie dem Sprachraum Schwaben stammen, lässt sich für die Expansionsphase eine räumliche Verschiebung beobachten, da die Blockbücher dieser Phase nun mehrheitlich im deutschsprachigem Raum entstehen.488 Dieser Periode der Expansion folgt eine Phase des Niedergangs, von 1500 bis ca. zur Mitte des 16. Jahrhunderts (letzte bekannte Blockbuchdrucke) in der nur noch vereinzelt Block­ bücher gedruckt werden.489

485 Mit zwei Ausnahmen, einer „Passio-Ausgabe und bei den Septimania poenalis, die Schreiber als „schweizerdeutsch“ einstuft. (Siehe: Handbuch IX²) 486 Als Orientierung für der Kennzeichnung der schwäbische Sprachregion auf der Über­sichts­ karte dienten zum einen die Forschungsergebnisse des Alemannischen Instituts (Karte online: http://www.alemannisches-institut.de/html/img/pool/alemannischer_sprachraum.jpg& imgrefurl=http://www.alemannisches-institut.de/cms/website.php?id%3Dderalemannische raum.htm&h=382&w=365&tbnid=JG_6cKQQtrrNtM:&zoom=1&tbnh=91&tbnw=87&usg=__ H7Cn0jHxi1YS3ZTqXFrgZ4sYO2Y=&docid=fsof3ySOH5pbAM&client=firefox-a&sa=X&ei=K-4KV PeAEcGuO_asgLgI&ved=0CDgQ9QEwAw&dur=2788, zuletzt geprüft am: 05. 09. 2014) zum anderen diente die Einteilung der bayerischen Landkreise als Orientierung, d.  h. die „schwäbischen“ Landesteile Bayerns und Baden-Württembergs wurden entsprechend markiert. 487 So zumindest lässt sich aufgrund der erhaltenen Exemplare schließen. 488 Für 28 Ausgaben wird ein deutschsprachiger Entstehungsraum angenommen, wohingegen für lediglich drei Ausgaben ein niederländisch-flandrischer Hintergrund angenommen wird. 489 Siehe im Anhang die Übersicht zu den Blockbüchern des 16. Jahrhunderts.

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Die hier dargestellten Forschungsergebnisse zur Ausbreitung des Blockbuchdrucks bestätigen die Beobachtung des Germanisten und Medienhistorikers Horst Wenzels zur allgemeinen Entwicklung des frühen Drucks, in der „der Druck […]“ sich „aus der Nähe zu traditionellen Zentren der Schriftproduktion (Bischofssitzen, religiösen Konventen, Universitäten),“ löst „und […] ganz zum gewinnorientierten Gewerbe“ wird, „das die vielfältige und wachsende Nachfrage einer differenzierten, vorwiegend urban geprägten Gesellschaft mit ihren teils antagonistischen Interessen erfüllen musste.“490 Vor allem in den wirtschaftlich prosperierenden Städten der Niederlande, Flanderns und in Brabant sowie in Süddeutschland und entlang des Rheins, der die beiden Großräume als Handels- und Verkehrsweg verband, fanden die Blockbücher Verbreitung. Neben ihrer wirtschaftlichen Stärke ist zu bemerken, dass in eben diesen drei Regionen die spätmittelalterliche Reformbewegung der „Devotio Moderna“ in ihren verschiedenen Ausformungen besonders stark Fuß fassen konnte. Diese Strömung beförderte eine Frömmigkeit, die sich im persönlichen, individuellen Gebet und privater Andacht äußerte und die auch andere Kunstgattungen wie das Stundenbuch oder den Hausaltar hervorbrachte.491

490 Wenzel, Horst: Mediengeschichte vor und nach Gutenberg, Darmstadt 2008², S. 20. 491 Ott, Norbert: Leitmedium Holzschnitt: Tendenzen und Entwicklungslinien der Druckillustration in Mittelalter und früher Neuzeit, in: Vorstand der Maximilian-Gesellschaft und Barbara Tiemann (Hgg.), Buchkultur im 15. und 16. Jahrhundert, Band 2, Hamburg 1999, S. 163–252, hier S. 168.

Übersichtskarte zur räumlichen Verbreitung von Blockbüchern 

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IV.3 Übersichtskarte zur räumlichen Verbreitung von Blockbüchern

Abb. 38: Die Orte und Regionen wurden jeweils nach dem ersten bekannten Auftreten von Blockbuchdrucken einer zeitlichen Periode zugewiesen und entsprechend farblich markiert. Der Raum Niederlande-Flandern-Brabant sowie das Rheinland sind geographische Räume, die aufgrund kunsthistorischer Untersuchungen als Produktionsräume eruiert werden konnten. Der im südlichen Deutschland gelegene farblich markierte Raum umfasst die Regionen in denen schwäbische Dialekte gesprochen werden.

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IV.4 Thesen zum Rezipientenkreis Die wenigen bekannten spätmittelalterlichen Provenienzen der Blockbücher bilden eine leider nur sehr schmale empirische Ausgangsbasis für die Frage nach dem/den eigentlichen Lesern/Rezipienten/Besitzern der unterschiedlichen Blockbuchtitel. Nichtsdestotrotz können anhand bestimmter materieller und solzialhistorischer Faktoren schlüssige Thesen zum intendierten Publikum im Allgemeinen und zu den beiden bereits vorgestellten Fallbeispielen im Besonderen formuliert werden. Unter dem Aspekt des Kaufpreises kommen „entweder begüterte Bevölkerungsschichten (Adlige, wohlhabende Bürger) oder aber Besitzer in Frage, die Bücher zur Ausübung ihres Berufs benötigten (Geistliche, Schulmeister).“492 Zwar kosteten Blockbücher weniger als illustrierte Handschriften, dennoch waren sie kein Alltagsgegenstand. Nach Cornelia Schneider blieben auch Blockbücher, wenngleich günstiger als Handschriften oder Inkunabeln, für die meisten Menschen unerschwingliche Luxusgüter. Bedenkt man allerdings, dass Bücher selten nur einer Person (dem Käufer), zur Verfügung standen, sondern im Gegenteil auch von anderen Personen eines Haushalts gelesen wurden und zudem das Vorlesen zu den üblichen gemeinschaftlichen Beschäftigungen gehörte – somit also auch Analphabeten Anteil an Büchern hatten – erweitert sich der Rezipientenkreis beträchtlich.493 Auch die Gestaltung, respektive Aufbereitung der Inhalte, gibt Hinweise auf das intendierte Zielpublikum. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, ist die Dominanz der Bilder in Relation zum begleitenden Text ein charakteristisches Merkmal der meisten xylographischen Bücher. Sicherlich dienten diese einprägsamen und anschaulichen Visualiserungen der im Text erläuterten Sachverhalte den weniger geübten Lesern als eine Art Verständnishilfe, wodurch die Texte einem grundsätzlich breiteren Publikum zugänglich wurden. Zudem sind neben lateinischen Texten in Blockbüchern auch volkssprachliche Fassungen – zumeist in Deutsch oder auch Niederländisch – erhalten. „Als Leser kamen demnach auch jene in Betracht, die kein Latein beherrschten. Im späten Mittelalter konnten das Bürger sein, die eine Schule besucht hatten, Laienbrüder, die im Kloster lesen und

492 Schneider, Cornelia: Der Alltag der Blockbücher, in: Gutenberg-Gesellschaft und Gutenberg-Museum (Hgg.), Blockbücher des Mittelalters – Bilderfolgen als Lektüre, Mainz 1991, S. 35. 493 Engelsing, Rolf: Analphabetentum und Lektüre, Stuttgart 1973, S. 22: „In breiten Schichten fand im 15. Jahrhundert Lektüre in drei Hauptformen statt, in der des Lesens selbst, in der des Zuhörens und des Schauens. […] doch muß zur näheren Erläuterung bemerkt werden, daß in zahlreichen volkstümlichen Büchern des 15.  Jahrhunderts Lesen und Hören als gleichwertige Formen der Aufnahme dargestellt wurden.“

Thesen zum Rezipientenkreis 

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schrei­ben gelernt hatten, oder niedere Geistliche, deren Lateinkenntnisse über die üblichen kirchlichen Formeln nicht hinausgingen.“494 Allgemein beobachtet die historische Forschung eine rund 50 Jahre andauernde, explosionsartige Entwicklung im Buchwesen ab dem zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts, an der der Blockdruck einen nicht unwesentlichen Anteil hat.495 Allein die Tatsache, dass ein bestimmtes Werk als Blockbuch erschien, spricht laut Cornelia Schneider bereits für eine Verbreitung über den traditionellen Leserkreis hinaus, da davon auszugehen ist, dass ein Geschäftsmann das Risiko der Publikation nur bei einer Vorlage, deren Absatzfähigkeit durch eine gute handschriftliche Verbreitung unter Beweis gestellt worden war auf sich nehmen würde. Ein Gewinn war erst ab einer gewissen Auflagenhöhe zu erzielen, da im Vorfeld einige nicht unerhebliche Unkosten anstanden. Die Ausgaben für die Anfertigung der Holzblöcke, Materialkosten für Papier und Druckerfarbe sowie die Löhne für die Arbeitskräfte mussten zuvor kalkuliert werden und sollten im Vergleich zu den erwartbaren Einnahmen geringer ausfallen, um die Auflage schlussendlich nicht zu einem Verlustgeschäft werden zu lassen. Ohne eine entsprechende Nachfrage seitens einer Ende des 15.  Jahrhunderts anwanchsenden Leserschaft496 hätten sich die neuen Techniken der Buchherstellung wohl gar nicht erst entwickelt. Weitere Anhaltspunkte zur Frage des möglichen Leserkreises von Block­ büchern liefern inhaltlicher Gesichtspunkte. Im Fall der bekannten Biblia pauperum beispielsweise, ist in der Forschung gemeinhin die These Konsens, diese habe sich vornehmlich an Geistliche gerichet, welche sich eine vollständige Bibel­ ausgabe nicht leisten konnten. Generell fällt bei der Betrachtung der Inhalte ein nicht zu übersehendes Übergewicht religiöser Themen auf. Laut Cornelia Schneider kann das spätmittelalterliche Publikum anhand dieser inhaltlich-thematischen Aspekte in drei Gruppen unterteilt werden. So haben haben die religiösen

494 Ebd., S. 35. Obgleich einschränkend zu bemerken ist, dass die Lesekompetenz im 15. Jahrhundert noch keineswegs weit verbreitet war. 495 Schmitt, Anneliese, Das Blockbuch – ein Volksbuch? Versuch einer Antwort, in: GutenbergGesellschaft und Gutenberg-Museum (Hgg.), Blockbücher des Mittelalters – Bilderfolgen als Lektüre, Mainz, 1991, S. 215–220, hier: S. 216. 496 Neben den traditionellen klösterlich-kirchlichen Schulen entwickelten sich seit dem 12. Jhd. auch neue Schulformen, wie die städtisch-bürgerlichen Latein- oder Schreibschulen, in denen in der Landessprache unterrichtet wurde. So belegen Universitätsmatrikel aus dem 15. Jh., dass nicht mehr nur Söhne von Adligen, sondern ebenso Bürger von Städten diese besuchten. Demzufolge gab es einen relativ hohen Anteil Lesekundiger unter Kaufleuten und Handwerkern. Zwar erhielten Mädchen keinen Schulunterricht, mit Ausnahme weiblicher Adliger für die Lesen und Schreiben zur guten Erziehung gehörte, dennoch konnten wohl auch Frauen des bürgerlichstädt. Milieus mind. z.  T. Lesen und Schreiben. Wie sonst hätten sie die Geschäfte ihrer verstorbenen Männer weiterführen können? Aus: Schneider, Cornelia, S. 35–57.

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Inhalte oftmals veranschaulichenden, pädagogischen Charakter. „Deshalb stellt man sie sich zuerst in den Händen von Laien vor, die durch sie mit religiösen Glaubensinhalten und -praktiken vertraut gemacht werden sollten.“497 Daneben finden sich auch Blockbücher aus Klosterbeständen. Es ist zu vermuten, dass diese insbesondere in Nonnenklöstern498 und zum Unterricht sogenannter „Konversen“ in Männerklöstern zum Einsatz kamen. Diese „Bekehrten“ schlossen sich Klöstern an und übernahmen dort v.  a. die alltäglichen Pflichten. Im Unterschied zu den Mönchen erstrebten sie jedoch keine Weihegrade. Im Unterricht an klösterlichen Schulen sollten sie mit den grundlegenden Elementen der christlichen Lehre vertraut gemacht werden. Als weiterer Zweig innerhalb des klösterlichen Zielpublikums werden die „Laienbruderschaften“499 genannt, welche sich im späten Mittelalter etablierten. Sie hatten sich die Alphabetisierung des weltlichen Standes zum Ziel gesetzt, um ihnen so ein privates Studium christlicher Texte zu ermöglichen. Als dritte Gruppe werden Pfarrer an Pfarr- oder Titelkirchen identifiziert. Auch sie hatten Verwendung für pädagogisch wirksame Blockbücher mit christlichen Inhalten, da zu ihren Aufgaben das Recht und die Pflicht zur Predigt gehörten. Somit wäre Alois Haas’ These nicht gefehlt, der als Rezipienten ganz allgemein den „spätmittelalterlichen Bürger“ konstatiert. Erweitert werden sollte diese Annahme allerdings um die zuvor genannten Gruppen innerhalb des geistlichen Standes und Leser bzw. vornehmlich Leserinnen – wie Cornelia Schneider feststellt – aus adligen Kreisen. Im folgenden Kapitel soll nun der Versuch unternommen werden, auf diese recht allgemeinen Hypothesen der modernen Forschung zum Rezipientenkreis empirisch weiter einzugehen, indem anhand der beiden bereits vorgestellten Fallbeispiele der „Bilder-Ars“ und der Planetenkinderbücher Einzelanalysen zu den Rezipienten bzw. einem konkreten Besitzer vorgestellt werden.

497 Ebd., S. 37. 498 Cornelia Schmitt begründet diese These damit, dass den Nonnen nicht dieselbe Ausbildung zukam, wie in Männerklöstern üblich. Daher sei deren Lektüre allgemein weniger wissenschaftlich als die der Mönche gewesen. Vgl. Ebd., S. 38. 499 Schmitt bedient sich auf S. 38 ebendieser Begrifflichkeit zur Unterscheidung von den vorher genannten „Konversen“. Irritierenderweise taucht in der Forschungsliteratur der Begriff des „Konversen“ auch synonym für „Laienmönch“ auf. Vgl.: Rüther, A.: Konversen, in: LexMa, Bd. 5, München, 1991, Sp. 1423–1424. Vielleicht könnte an dieser Stelle treffender der Begriff der „Tertiarier“ eingesetzt werden (?). Vgl. Barone, G.: Tertiarier, in: LexMa, Bd. 8, München, 1997, Sp. 556–559.

Thesen zum Rezipientenkreis 

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III.4.A Zu den Lesern/Rezipienten der „Bilder-Ars“ Ausgehend von der Fragestellung, ob sich anhand der „Bilder-Ars“ tatsächlich Glaubenszweifel im Spätmittelalter belegen lassen, stellt sich indirekt auch die Frage nach dem Adressaten dieser Werke. Für wen wurden die Sterbebüchlein geschaffen, oder anders formuliert, wessen Glaubenszweifeln sollte begegnet werden und mit dieser Art Anleitung zur „heilsamen Kunst des Sterbens“ „kuriert“ werden? Um dieser Frage nachzugehen wurden zunächst archivalische und bibliographische Daten der überlieferten „Bilder-Ars“-Ausgaben gesammelt, die Rückschlüsse auf den Rezipientenkreis erlauben.500 In einer zweiten Aufstellung wurden die entsprechenden Daten zu den Handschriften gesammelt, die den lateinischen QS-Text enthalten501. Wie bereits im Kapitel zur Seelsorgepraxis und den literarischen Vorläufern der Ars moriendi erläutert, wurde dieser QS-Text auf Latein sowie in auch volkssprachlichen Übersetzungen, in den Blockbüchern der „Bilder-Ars“ verwendet. Auch die bereits mehrfach erwähnte „Ur-Ars/Wellcome-Handschrift“, wurde in dieser Sammlung mit aufgenommen, da dieses Manuskript zwar noch nicht den vorgenannten Text mit dem Incipit, Quamvis secundum philosohum tercio ethicorum…, dafür aber eine bereits gekürzte Variante des in der Entwicklungsgeschichte früher anzusiedelnden CP-Textes enthält. Zudem sind hier erstmals die elf Illustrationen der teuflischen Versuchungen und himmlischen Eingebungen dokumentiert, deren Ikonographie klare Ähnlichkeiten zu den späteren Holzschnitten erkennen lässt. Bis dato ist keine der „Ur-Ars“ ähnliche Handschrift bekannt, die sowohl Bild als auch Ars moriendi-Text in dieser Version enthält. Dass diese Federzeichnungen der „Ur-Ars“ bereits in Hinblick auf eine Holzschnittserie angefertigt und dem Text beigegeben wurden erscheint nicht abwegig. Eine These, die auch Peter Neher vertritt, da dieser ältere CP-Text bereits die Forderung nach bildlicher Darstellung der Anfechtungen vertrete.502 Da mit dieser Illustration von Anfang an eine Kürzung des Textes einherging, könnte im Weiteren vermutet werden, dass die hier beschriebene Verkürzung und bildliche Ergänzung bereits mit der Intention vorgenommen wurde, die Inhalte auf diesem Wege einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Optimiert wurde diese Entwicklung in einem nächsten Schritt von dem unbekannten Autor, der den QS-Text schuf. Als Grundlage

500 Siehe die bibliographische Materialsammlung zu den „Bilder-Ars“ im Anhang. 501 Der QS-Text ist in insgesamt 17 Handschriften enthalten. Siehe dazu die entsprechende bi­ blio­graphische Materialsammlung im Anhang. 502 Neher, Peter: Ars moriendi – Sterbebeistand durch Laien, St. Ottilien 1989, S. 70–71.

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diente ihm zwar noch immer das ältere Werk, doch scheint dieser Text, laut Peter Neher, den Bildern angepasster. Bemerkenswert zu beobachten ist jedoch, dass sich bei der Recherche zwei Fälle fanden, in denen sowohl der CP-Text als auch der QS-Text in jeweils einer Sammelhandschrift vereint worden sind.503 Diese beiden Datensammlungen bilden die empirische Grundlage für die folgenden Hypothesen hinsichtlich der zeitgenössischen Rezipienten/Leser/Besitzer der „Bilder-Ars“, denen man sich auf drei Wegen annähern kann. Zuvorderst bieten sich inhaltliche Gesichtspunkte an. Können im Text der „Bilder-Ars“ selbst oder in den Illustrationen Indizien auf einen bestimmten Leserkreis gefunden werden? Einzig der bereits zitierte Satz auf der zweiten Seite des Vorwortes scheint in dieser Hinsicht hilfreich zu sein, da hier als Zielpublikum „layen“ und „geschrifft gelerte“ genannt werden. Mithilfe der „Bilder-Ars“ sollen sie „haimlich lerne sterben“504. Mit der für Blockbücher typischen engen Verknüpfung von Text und großformatiger Bebilderung, wird auch in diesem Fall den weniger geübten Lesern bzw. auch Analphabeten ein Zugang ermöglicht. Allerdings lassen sich weder anhand der Holzschnitte, noch über den Inhalt konkrete Hinweise finden, die auf eine bestimmte soziale Gruppe als intendierter Rezipientenkreis sprechen. Gezeigt wird ein Jedermann in der einen letzten Extremsituation, die jeden erwartet und auf die es sich vorzubereiten gilt. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt wurde der Text im Vergleich zu seinen literarischen Vorläufern stark zugespitzt und behandelt fokussiert den Höhepunkt des Kampfes um das Seelenheil, in dem sich das ganze weitere jenseitige Schicksal entscheidet. Anhand dieser wenigen inhaltlichen Anhaltspunkte scheinen Peter Nehers Thesen zum Adressatenkreis der „Bilder-Ars“ schlüssig. So führt Neher aus, dass „mit den Leseunkundigen … insbesondere der niedere Seelsorgeklerus, die des Lateinischen unkundigen Laienbrüder und -schwestern, sowie die weltlichen Laien angesprochen“ seien. „Sie waren es ja auch, an die sich Holzschnittausgaben ganz generell wandten.“505 Auch Beobachtungen zur Materialität können Hinweise auf den intendierten Käuferkreis liefern. Ein Merkmal ist hierbei etwa das Format. So ist zu bemerken, dass für den weitaus überwiegenden Teil der erhaltenen „Bilder-Ars“-Ausga-

503 Dies ist der Fall in der Handschrift Helmst. 808 der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel und der Handschrift (Sign.152) in der Bibliothek Municipale in Metz. Den bibliographischen Beschreibungen zufolge sind diese jedoch nicht illustriert. 504 Anhang VII.6.1 Vorwort der „Bilder-Ars“. 505 Neher, Peter, S. 73.

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ben ein Folioformat gewählt wurde,506 nur vier Exemplare wurden im kleineren Oktavformat hergestellt. Nigel Palmer vermutet jedoch, dass diese kleinformatigeren Hefte weniger häufig die Zeit überdauerten obgleich anzunehmen ist, dass diese Variante im dritten Viertel des 15. Jahrhunderts genauso verbreitet war wie die großformatigeren Ausgaben der „Bilder-Ars“ und dass diese bekannten Oktavformate der Ars moriendi nur deswegen erhalten sind, weil sie als Einzelligate in umfangreicheren Privatgebetbüchern in der Bibliothek einer religiösen Institution verwahrt wurden.507 Insgesamt ist zu bemerken, dass sich kaum eine der „Bilder-Ars“ in einem Sammelband findet, wohingegen dies im Fall der Handschriften mit QS-Text der Regelfall ist.508 Mit nur einer Ausnahme wurden die Manuskripte mit anderen religiösen Werken zu Textkonvoluten zusammengebunden. Auch wenn bei einigen der Blockbücher zu dieser Frage keine Antwort gefunden werden konnte, scheint doch eine deutlich Tendenz zum Einzelband ablesbar. Diese Beobachtung ist vermutlich darin begründet, dass die „BilderArs“ als Einzeltitel vermehrt nachgefragt wurden, weshalb auf eine gezielte Nachfrage nach diesem Titel geschlossen werden kann. Da davon ausgegangen werden kann, dass das einzelne, nur 24 Seiten umfassende Blockbuch im Erwerb preisgünstiger war als ein umfangreicheres (Sammel-) Werk spielt hierbei sicherlich auch der wirtschaftliche Aspekt eine Rolle. Als dritte Möglichkeit mehr über die Käufer/Leser der „Bilder-Ars“ herauszufinden, wurde gezielt nach Spuren der Benutzer gesucht. Randnotizen oder gar Hinzufügungen in das Sündenregister auf Blatt 4 (v), finden sich exemplarisch in der Ausgabe 7 Xylogr. der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. Sowohl der gedruckte Text als auch die Notizen des Lesers sind in lateinischer Sprache verfasst. Dabei sind einige Abbreviaturen erkennbar, welche auf einen geübten Schreiber schließen lassen.

506 Von den insgesamt 82 aufgeführten Exemplaren sind zehn heute nicht mehr nachweisbar bzw. deren Aufenthaltsort ist nicht mehr bekannt. 507 Palmer, Nigel F.: Ars moriendi – Das ist die Kunst des heilsamen Sterbens. Das deutschsprachige Blockbuch der Donaueschinger Hofbibliothek (Faksimile hrsg. von Heribert Tenschert mit einem Vorwort von Nigel F. Palmer), Ramsen/Schweiz, 1995, S. 9–10 und S. 14. Diese These Palmers lässt sich nach eingehender Recherche zumindest für die beiden Exemplare in Mainz und Basel bestätigen. 508 Siehe im Anhang. Dazu auch Palmer, der vermutet, dass bei nur 4 Ausgaben davon ausgegangen werden kann, dass sie vermutlich von Anfang an in einem Sammelband befanden. Ebd., S. 6–13.

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Abb. 39: Ausschnitt aus Blatt 4 (v). Wolfenbüttel Hzg. August Bibl.

Abb. 40: Ausschnitt aus Bl. 5 (r). Wolfenbüttel, Hzg. August Bibl.

Auch Besitzvermerke können wertvolle Hinweise liefern. Jedoch konnten nur bei verhältnismäßig wenigen Blockbüchern diesbezügliche Angaben zu Provenienz gefunden werden. Wo die Herkunft jedoch bekannt war, stammten diese Bücher relativ häufig aus Bibliotheken kirchlicher Einrichtungen. Da bei Kloster- und Konventsbibliotheken allgemein deutlich weniger Besitzwechsel beobachtbar sind als bei privaten Sammlungen kann geschlussfolgert werden, dass sich diese Exemplare wahrscheinlich seit geraumer Zeit, mutmaßlich bereits seit ihrem Druck, im Besitz dieser kirchlichen Einrichtung befinden. Dabei ließ sich kein bestimmter Orden ausmachen, in dessen Bibliotheken sich besonders häufig Ausgaben der „Bilder-Ars“ fanden. So fanden sich Exemplare im bayerischen Zisterzienser Kloster Langheim (heute in der Staatsbibliothek Bamberg), in der Basler Kartause (heute UB Basel), dem Benediktinerkloster von St. Peter & Paul in Erfurt (heute in der Forschungsbibliothek Gotha), einem nicht näher bestimmten bayerischen Kloster (heute in der Stadtbibliothek Memmingen), dem Birgittenkloster Altomünster und dem Terziarinnen Kloster der FranziskanerReformatoren in Püttrich. Daneben befanden sich zwei Ausgaben auch in den Bibliotheken der Augustiner-Domherren in Beyharting (heute in der Bayerischen

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Staatsbibliothek in München) und in der Bibliothek der Domherren in Polling (heute UB München). Resümierend bestätigen diese Rechercheergebnisse damit die gängigen Thesen der Forschungsliteratur zum Rezipientenkreis von Blockbüchern im Allgemeinen und der „Bilder-Ars“ im Speziellen.

IV.4.B Gallus Kemli – ein spätmittelalterlicher Blockbuchbesitzer Nur in vergleichsweise seltenen Fällen können die zeitgenössischen Besitzer von Blockbüchern eindeutig ausgemacht werden und noch sehr viel seltener ist über diese Besitzer mehr bekannt als ihr Geburts- und Sterbedatum und der Ort an dem sie (zeitweise) lebten und wirkten. Umso außergewöhnlicher ist daher der Fall des Gallus Kemli, der als zeitgenössischer Besitzer gleich dreier Blockbücher belegt ist und deswegen an dieser Stelle exempalrisch näher vorgestellt werden soll. Neben zwei lateinischen Exemplaren, einer Biblia pauperum und den nur als Unikat erhaltenen Sybillen Weissagungen, befand sich auch eine deutschsprachige Ausgabe der hier als Fallbeispiel besprochenen Planetenkinderbücher in Kemlis Besitz. Vor dem Hintergrund, dass heute oftmals vergleichsweise wenig über Blockbuchprovenienzen – wenn sie denn überhaupt für das Spätmittelalter dokumentiert sind – bekannt ist, ist der Fall Kemli deshalb so bemerkenswert, weil seine Person und die Stationen seines Lebens anhand von Selbstzeugnissen und anderen Quellen außergewöhnlich gut dokumentiert sind.509 So legte Gallus Kemli in den Jahren 1466/67 eigenhändig auf Latein ein Verzeichnis seines Bücherbesitzes510 an und verfasste eine Autobiographie.

509 Bereits mehrere Autoren haben sich mit Gallus Kemli, seiner Vita und seinem Schriftkatalog unter verschiedenen Fragestellungen beschäftigt, darunter seien insbesondere folgende Autoren erwähnt: Gamper, Rudolf/von Scarpatetti, Beat Matthias/Stähli, Marlis: Gallus Kemly, Kemli OSB, in: Peter Ochsenbein, Jean-Pierre Bodmer, Rolf Max Kully, Peter Wegelin (Hgg.), Katalog der datierten Handschriften in der Schweiz in lateinischer Schrift von Anfang des Mittelalters bis 1550, Band III, Dietikon, Zürich 1991, S. 289–291. Holtorf, Arne: Kemli, Gallus, in: Verfasserlexikon 4, 1983, Sp. 1107–1112. Boesch, Bruno: Die deutschen Schriften des St. Galler Mönches Gallus Kemli, in: Otto P. Clavadetscher, Helmut Maurer, Stefan Sonderegger (Hgg.), Florilegium Sangallense, St. Gallen, Sigmaringen 1980, S. 123–147. Schützeichel, Rudolf: Zur Bibliothek eines wandernden Konventualen: Gall Kemli aus St. Gallen, in: Rudolf Schützeichel & Ulrich Fellmann (Hgg.), Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters, Bonn 1979, S. 643–665. Henggeler, Rudolf, Professbuch der fürstlichen Benediktinerabtei der Heiligen Gallus und Otmar zu St. Gallen (um Helvetiae 1), Zug 1929, S. 234–236. 510 Siehe: Zentralbibliothek Zürich, Ms. A 135: http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/zbz/ A0135, (zuletzt geprüft am: 28. 01. 2011). Abgedruckt bei Lehmann, Paul: Mittelalterliche Biblio­

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Angehörige der Familie Kemli sind für das 15. Jahrhundert verschiedentlich in St. Gallen bezeugt.511 Gallus Kemli wurde am 18. November 1417 in St. Gallen geboren. Als Elfjähriger tritt er im darniederliegenden Kloster zu St. Gallen dem Benediktinerorden bei. Dieses ist zum damaligen Zeitpunkt bis auf einen Konventualen verlassen und hat soeben mit dem Sanblasianer Konventualen Eglolf Blarer von Wartensee-Gyrsberg einen neuen Abt bekommen, den Papst Martin V. eingesetzt hat.512 Schon 1430 ruft Abt Eglolf sieben Mönche aus Hersfeld in die leere Abtei, die den Ritus nach der Bursfelder Kongregation einführen. Der junge Gallus Kemli hat diese innere Reform des Benediktinerordens am Kloster St. Gallen miterlebt und diese, ebenso wie die weiteren Reformversuche seines Abtes, festgehalten. Blarer schafft in der Folgezeit die Gebräuche der Hersfelder Mönche wieder ab und unterstellt die St. Galler Mönche der Observanz des Klosters Kastl in der Oberpfalz. Nach kurzer Zeit werden auch diese Reformen wieder abgeschafft und durch solche aus dem schwäbischen Kloster Wiblingen ersetzt.513 Nach seiner Autobiographie wird Gallus 1441 zum Priester geweiht und erlebt kurz darauf den Wechsel des Klostervorstandes. Von dem neuen Abt Kaspar von Breitenlandenberg (1442–1457/1463) ist er jedoch tief enttäuscht. Er wirft ihm Misswirtschaft und und Ungerechtigkeit vor und verlässt daraufhin 1443 das Kloster St. Gallen. Gemäß seiner Entlassungsurkunde vom 23. Juni 1443 soll Gallus im Kloster Erlach am Bielersee (Kt. Bern) die Regel des heiligen Benedikt annehmen.514 Eine andere Urkunde des Basler Konzils von 1443 verfügt, dass er in das Kloster Erlach oder

thekskataloge Deutschlands und der Schweiz, hg. Von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München. Erster Band: Die Bistümer Konstanz und Chur, München 1918 (Nachdruck 1969), S.  119–135. Die Blockbücher sind hierin jedoch nicht zweifelsfrei zu identifizieren. So nennt Kemli bspw. mehrere Bibelausgaben sein eigen, darunter etwa ein „Liber figurarum veteris et novi testamenti“ (f. 2r) oder auch ein „libro qui intitulator ‚Biblia pauperum cum aliis materiis‘“ (f. 4 r.). Da die Bezeichnung „Biblia pauperum“ für die Blockbuchausgabe jedoch kein ursprünglicher Titel ist bleibt unklar, bei welcher der im Verzeichnis genannten Bibeln es sich um das Blockbch handelt. Zur Bezeichnung „Armenbibel“ im Kontext der Blockbücher siehe: Schneider, Cornelia: Biblia pauperum, in Blockbücher des Mittelalters, S. 154. 511 So ist etwa belegt, dass die Familie 1438 und 1470 Häuser in der Stadt St. Gallen besaß. Vgl.: Schützeichel, Rudolf: Gall Kemli, S. 643. 512 Gamper, Rudolf /von Scarpatetti, Beat Matthias/Stähli, Marlis, S. 290. 513 Boesch, Bruno, S.  124. Sowie Ochsenbein, Peter: Spuren der Devotio om spätmittelalter­ lichen Kloster St. Gallen, in: Studien und Meitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 101, 1990, S. 475–496, hier: S. 480–481. 514 Ebd. (UB SG IV, 4494. Das Original in der Hs. 1396, D 36.)

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ein anderes reformiertes Kloster übersiedeln soll.515 Kemlis Bericht über einen spanischen Universalgelehrten in Heidelberg lässt vermuten, dass er sich 1446 in Heidelberg aufhält. 1451 begibt er sich ins Trierer Kloster St. Maximian und voll­endet dort eine Abschrift des Alten Testaments in der Vulgatafassung.516 Zwei Jahre später finden wir ihn als Kaplan des Benediktinerklosters Sponheim/Rheinhessen erwähnt. Noch im selben Jahr 1453 belegen Quellen außerdem seinen Aufenthalt in Mainz,517 wo er am 7. August von einem Gesandten des Königs von Cypern einen Ablassbrief empfängt. Wie entsprechende Universitäts­ matrikel belegen, nimmt er wenige Jahre später, im Wintersemester 1460/1461, ein Studium in Heidelberg auf. Mit dem Jahr 1463 – als er die Misstände bei der Wiederbesetzung der vakanten Bischofssitze von Mainz und Trier kritisiert – verliert sich Kemlis Weg im Dunkeln. Er taucht erst wieder 1470 in den Quellen auf, als ihm nach offenbar einigen Anstrengungen gelingt wieder in das Kloster St. Gallen aufgenommen zu werden.518 Nach seiner Rückkehr verdirbt er es sich jedoch schon bald mit dem neuen Abt Ulrich Rösch (1463–1491) und verlässt St. Gallen bereits ein Jahr später, angeblich wegen der dort herrschenden sittenlosen Zustände, wie er in seiner Autobiographie schreibt. Er wandert ins Kloster Allerheiligen in Schaffhausen, in dem er jedoch nur 32 Wochen bleibt, angeblich weil er betrogen wurde.519 Von 1473 an übernimmt Kemli verschiedene geistliche Funktionen an Ordenshäusern und Dorfkirchen, vornehmlich des innerschweizererischen Raums, so z.  B. 1474 an einer unbekannten Johanniter-Kommende „Lot“. 1475 wird er Pfarrer und Beichtiger bei Lollardenschwestern in Nessental und noch im selben Jahr Pleban bei Johannitern in Freiburg im Üechtland. So wandert er unstet von Ort zu Ort ohne lange zu verweilen. Häufig gerät er in Streit mit seiner Umwelt, da der unbequeme Zeitgenosse Gallus Kemli seine Kritik an dem seiner Meinung nach falschen und unmoralischen Lebenswandel seiner Umwelt, gleich welchen Standes sein Gegenüber ist, offen äußert.520

515 Gamper, Rudolf /Scarpatetti, Beat Matthias von /Stähli, Marlis, S. 290. (StiB SG Cod. 1396 IV, 30.) und Stärkle, Paul, Beiträge zur spätmittelalterlichen Bildungsgeschichte St. Gallens, St. Gallen 1939, S. 191. 516 Boesch, Bruno, S. 125. (Hs. Nr. 5 der Trierer Stadtbibliothek) 517 Gamper, Rudolf / Scarpatetti, Beat Matthias von /Stähli, Marlis, S. 290 und Boesch, Bruno, S. 125. Die Hs. 972 b S. 216 bringt eine Notiz Kemlis wonach er sich im Kloster Sponheim aufhielt. Mainz erwähnt er mehrfach in der der Hs. C 101. 518 Ebd. und Boesch, Bruno, S. 125. 519 Boesch, Bruno, S. 125. 520 Holtorf, Arne, Sp. 1108.

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Um 1480 kehrt er zum zweiten Mal in sein schweizer Heimatkloster zurück. Schon bald jedoch befindet er sich erneut mit Abt Ulrich im Streit, den er einen „Tyrannen“ nennt. Der Abt lässt ihn daraufhin ins Klostergefängnis werfen. Doch Gallus fühlt sich ungerecht behandelt und wendet sich hilfesuchend an seine Verwandten und die Kurie um seine Freilassung zu erwirken. Eine entsprechende Breve mit der Bitte um die Freilassung des „Gallus Raemerli“ (= Kemli) ist die letzte Erwähnung seiner Person in den Quellen, sein baldiger Tod unter diesen Bedingungen scheint wahrscheinlich.521 Der Verbleib seiner Bibliothek in St. Gallen spricht ebenfalls dafür, dass er in seinem Heimatkloster verstarb.522 Trotz seines unsteten Lebens, in dem er sich jahrzehntelang auf Wanderschaft befand, gelang es Kemli doch, sich eine ansehnliche Bibliothek von bislang etwa dreißig identifizierbaren Sammelhandschriften523 anzulegen, die er zum Großteil ganz oder zumindest teilweise selbst geschrieben und angelegt hat. Seine Sammlung lässt die folgenden drei inhaltlichen Schwerpunkte erkennen: – ein benediktinisch-klosterfrömmigkeitlicher St. Galler Bereich mit Hymnen, Textsammlungen zur Schriftlesung und Meditation, Ordensriten, Benediktinerregel (darunter auch das „St. Galler (mittelrheinische) Passionsspiel“ und die St. Galler Klostergeschichte); – ein Bereich praktischer Theologie und Seelsorge mit Predigttexten und -märlein, Legenden, Gebeten, Beichtbüchern und biblischer Unterweisungsliteratur in Vers und Prosa (darunter auch mehrere Bibliae pauperum, eine davon als Blockbuch524, und mehrere Texte aus dem Komplex des Speculum humanae salvationis, der auch als Blockbuch publiziert worden ist);

521 Ebd. und Gamper, Rudolf/von Scarpatetti, Beat Matthias/Stähli, Marlis, S. 290. 522 Holtorf, Arne, Sp. 1108–1109. Erst nach dem zweiten Villmergerkrieg von 1712 wurde der gesamte Bestand der St. Galler Stiftsbibliothek als Kriegsbeute unter Bern und Zürich aufgeteilt. Im Jahre 1718 erstattete Bern seinen Anteil zurück, mit Ausnahme einiger Manuskripte und gedruckter Bände. Zürich besitzt noch heute viele von Kemlis Handschriften, während sich nur noch zwei in Bern befinden. Der Großteil wird heute in St. Gallen aufbewahrt. Dazu: Schützeichel, Rudolf, Gall Kemli, S. 646. 523 Rudolf Schützeichel publizierte eine übersichtliche Auflistung sämtlicher überlieferter Kodizes Kemlis. Er bemerkt jedoch auch, dass seine Auflistung nicht vollständig oder richtig sein muss, da der eine oder andere Kodex bei näherer Untersuchung doch wieder aussortiert werden müsse bzw. sich im Bestand von St. Gallen und Zürich noch weitere Handschriften Kemlis befinden könnten, die ihm bislang noch nicht zugeordnet wurden. Siehe: Vgl. Schützeichel, Rudolf, Gall Kemli, S. 646–654. 524 40-blättrige, vollständige Blockbuchausgabe in der Stiftsbibliothek St. Gallen (Sign.: BB l IV 9). Verzeichnet bei: Scherrer, Gustav: Verzeichnis der Incunabeln der Stiftsbibliothek von St. Gallen, St. Gallen 1880 S. XV–XVI.

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– ein Bereich geistlicher und weltlicher Gebrauchstexte mit einer Ars memorativa, medizinischen und naturwissenschaftlichen Rezepten und kurzen Traktaten, Praktiken, Traumdeutungen, astronomischen Traktaten, Anweisungen für den Haushalt, Segensformeln, Bettel- und Ablassbriefen, Liedern und Sprüchen usw. (hier ist der Anteil volkssprachlicher Texte besonders hoch).525 In Gall Kemlis Sammlung tauchen, wie bereits eingangs erwähnt, auch einige der zu seiner Zeit neuartigen, druckgraphischen Erzeugnisse auf. Neben über 40 Einblattholz- und Metallschnitten526 (vorwiegend aus dem Bereich „Frömmigkeit“) besaß der Benediktiner auch drei Blockbücher, die er aller Wahrscheinlichkeit nach wie seine übrigen Manuskripte behandelte und in die Sammelbände integrierte.527 Dass er sich intensiv mit diesen xylographischen Büchern auseinandergesetzt hat, zeigen Benutzerspuren von seiner Hand in den Originalen. So versah Kemli in der Biblia pauperum einige der dargestellten Personen mit Namensbezeichnungen in schwarzer Tinte. Bei den Oracula Sibyllina verbesserte Gallus an mehreren Stellen den Text und fügte zudem auf der letzten Seite eigene lateinische Ausführungen an.528 Im Gegensatz zu diesen beiden in St. Gallen befindlichen Blockbüchern, ist das in Zürich aufbewahrte Planetenkinderblockbuch in seinem originalen Zustand, d.  h. in diesem Fall im Verbund mit anderen Texten, erhalten. Der Sammelband

525 Holtorf, Arne, Sp. 1110–1111. 526 Der ehemalige Stiftsbibliothekar Ildephons von Arx hat die kolorierten Frühdrucke aus Gall Kemlis Handschriften 1824 in einem eigenen Sammelband zusammengetragen und so vor dem leicht möglichen Verlust bewahrt. Die Einblattdrucke hat er den Bänden entnommen, in die sie wahrscheinlich wie Merkzeichen einfach eingelegt waren. Nur im Kodex Sangallensis 309 fanden sich an zwei Stellen Spuren, dass die Bilder ursprünglich eingeklebt waren. Nachzulesen bei: Schützeichel, Rudolf: S.  654–655. Erstmals veröffentlicht wurden die Einblattdrucke 1906 von Adolf Fäh „Kolorierte Frühdrucke aus der Stiftsbibliothek in St. Gallen. Mit 43 handkolorierten Tafeln in Hochätzung und Lichtdruck, Einblattdrucke des 15. Jahrhunderts 3.“ 527 Sicher lässt sich dies heute nur noch für das Planetenkinderblockbuch sagen, das sich noch im ursprünglichen Verbund seines Besitzers Kemli befindet und in Zürich aufbewahrt wird. Die beiden heute in St. Gallen befindlichen Blockbücher wurden offensichtlich neu gebunden. Die Biblia pauperum erhielt zu Anfang des 19. Jahrhunderts einen neuen Einband. Die Blätter der Sibyllen Weissagung wurden auseinandergeschnitten, auf leere Papierseiten geklebt und mit einem Exemplar des 1517 von Th. Anselm in Hagenau gedruckten Rationarium Evangelistarum zusammengebunden. Nachzulesen bei: Heitz, P (Hg.): Oracula Sibyllina (Faksimile). Mit einer Einleitung von W. L. Schreiber, Straßburg 1903, S. 17. Und bei: Scherrer, Gustav: S. XVI. 528 Diese handschriftlichen Ergänzungen werden von Gustav Scherrer auf den Seiten VX und XVIII kurz beschrieben. Die Verfasserin dieser Arbeit konnte diese beiden Blockbücher zudem in der Stiftsbibliothek St. Gallen einsehen.

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mit dem Titel Diversarius multarum materiarum529 umfasst 178 Blätter und enthält Traktate, Verse, Notizen und Exzerpte verschiedensten Inhalts, die Gallus Kemli in Teilen auch selbst verfasst hat, darunter Rezepte, Anweisungen für den liturgischen Gesang, Exorzismen, Schreibregeln, Ablässe, Rithmi cuiusdam Petri Damiani und ein Kalender mit deutschem Cisioianus. Der zuletzt genannte Kalender nimmt die Seiten 2r–7v vor den Holzschnitten der Planetenkinder ein, denen wiederum ein lateinischsprachiger Computus Cyrometralis folgt, in dem ebenfalls astronomische Sachverhalte behandelt werden. Da das Blockbuch offenbar zu groß war für den Kodex, beschnitt Kemli die kolorierten Holzschnitte und klebte die Bilder der Planetengötter und ihrer Kinder eng übereinander auf die Verso-Seiten des Buches ein. Den zugehörigen Text schrieb er in brauner Tinte auf die jeweils zugehörige Recto-Seite. Wie bereits bei den beiden anderen Blockbüchern Kemlis finden sich auch hier kurze Eintragungen in schwarzer Tinte. So sind die Planetengötter mit ihren Namen überschrieben worden, wobei diese Namensbezeichnungen inkonsequenter Weise teils auf Deutsch und teils auf Latein eingetragen wurden. Im Kemlis deutscher Abschrift finden sich zudem kurze Anmerkungen auf Latein, so wird bspw. erwähnt, um den wievielten Planeten es sich in der Abfolge handelt. Zudem findet sich über dem ersten Satz der Planetenkinder jeweils das lateinische Wort „Influere“, das den Beginn des Textabschnittes markiert, in dem der Einfluss der Planetengötter auf ihre Kinder beschrieben wird.530 Die beiden in St. Gallen befindlichen Blockbücher aus Kemlis Besitz lassen sich etwa auf die Jahre 1460 bis 1475 datieren;531 das in Zürich aufbewahrte Planetenkinderblockbuch war Wilhelm Schreiber nicht bekannt, im Katalog der Züricher Zentralbibliothek findet sich nur die Datierung „15.  Jahrhundert“. Wann Kemli diese Bücher während seiner Wanderjahre erwarb kann daher leider nicht näher

529 Digitalisat: http://www.e-codices.unifr.ch/de/description/zbz/C0101, (zuletzt geprüft am: 11. 09. 2014). Ein Abdruck findet sich bei Werner Jakob (Hg.): Beiträge zur Kunde der lateinischen Literatur des Mittelalters aus Handschriften gesammelt, Aarau 1905, S. 152–183. 530 Zu diesen Anmerkungen finden sich keine Informationen auf der Kodex-Beschreibung der Zentralbibliothek Zürich. Bei der Schrift handelt es sich ebenfalls um eine Bastarda. Da sich ganz ähnliche Anmerkungen auch bei den beiden anderen Blockbüchern Kemlis finden, handelt es sich dabei vermutlich ebenfalls um Anmerkungen Kemlis selbst. 531 Die Oracula Sibyllina können nicht später als 1468–1470 entstanden sein: Heitz, P (Hg.): Oracula Sibyllina (Faksimile), S. 19. Die Entstehungszeit der Biblia pauerpum wurde von Gustav Scherrer (S. XV) auf die Jahre 1460–1475 geschätzt, während Wilhelm Ludwig Schreiber (Handbuch IX², S. 3) sie der ersten niederländischen Gruppe zuschreibt, die auf 1464/1465 datiert wird. Die Verfasserin fand bei der Untersuchung der Biblia pauerpum ein Ankerwasserzeichen mit einem einkonturigen Kreuz ähnlich wie Piccard 117522, 117539, 117542 die von 1471–1477 datieren.

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bestimmt werden. Nur spekulativ lässt sich aufgrund der allgmeinen räumlichen Verbreitung von Blockbüchern vermuten, dass er diese während seiner Jahre im Rheinland oder in Heidelberg erworben hat.532 Als Kleriker eines nicht sehr hohen Standes, der aus dem Milieu des städtischen Bürgertums stammt passt Gallus in den eingangs skizzierten Personenkreis, der Blockbuchrezipienten und bestätigt die These, dass Geistliche grundsätzlich eine Zielgruppe der Blockbücher waren. Auf seinen Reisen war Gall Kemli genötigt zum Erwerb seines Lebensunterhalts geistliche Beschäftigungen zu übernehmen, zudem war er zeitweise offenbar auch als Lohnschreiber tätig.533 Diese Tätigkeiten ermöglichten es ihm wohl seine Bibliothek anzulegen, die seine offensichtlich sehr vielfältigen Interessen an verschiedensten Wissensgebieten dokumentiert.534 Zudem zeigt dies jedoch außerdem, dass auch nicht sehr vermögende Personen gleich mehrere Block­ bücher erwerben konnten. Das wiederholte Erleben kirchlicher Missstände und die Unwürdigkeit vieler Kleriker, denen er im Laufe seines Lebens begegnete, waren prägend für Kemlis ungewöhnliche Vita. Zum einen machte er sich über die Misstände lustig, indem er Sprüche und Spottverse535 verfasste, zum anderen waren sie aber auch der Grund für die unstete Wanderschaft des überaus eigenwilligen und streitbaren Benediktiners. Trotzdem kehrte er doch nie der Kirche den Rücken, sondern blieb als Priester im Amt. Ganz im Gegenteil entwickelte Kemli ein starkes Interesse an praktischer Theologie und Frömmigkeit, wie die Texte seiner Bibliothek dokumentieren.536 Kemli sammelte unter anderem Texte von Thomas von Kempen und Heinrich von Kalkar, in denen die Tradition der „Devotio moderna“ deutlich wird. „Die Wirkungen gerade dieser Strömung in ihrem theologischen Praxisbezug und ihrer Volksnähe ist wohl einer der bemerkenswertesten Grundzüge der Handschriften Gallus Kemlis.“537

532 Vorstellbar wäre auch, dass wandernde Drucker ihre Waren direkt in Klöstern oder Konventen zum Verkauf anboten. Dass der Literatursammler Kemli gleich mehrere Blockbücher erwarb scheint angesichts seiner Biographie nicht weiter verwunderlich. 533 Gamper, Rudolf/von Scarpatetti, Beat Matthias/Stähli, Marlis, S.  290 und Schützeichel, ­Rudolf, S. 658. 534 Schützeichel, Rudolf, Gall Kemli, S. 659. 535 Einige abgedruckt bei Werner, Jakob: Beiträge zur Kunde der lateinischen Literatur des Mittelalters aus Handschriften gesammelt, 2.A. Olms 1905 S. 152  ff. und Schützeichel, Rudolf (Hg.), Das Mittelrheinische Passionsspiel der St. Galler Handschrift 919, Tübingen 1978, S. 37  ff., S. 49. 536 Schützeichel, Rudolf, Gall Kemli, S.  659–660. Praktische Theologie zeigt sich bspw. in Abschriften von Bibelversen, in der Ausschöpfung großer Predigt- und Exempelsammlungen, Predigtabschriften und -entwürfen, in den Aufzeichnungen von liturgischen Formeln, Hymnen, Benediktionen und Exorzismen usw. 537 Schützeichel, Rudolf, Gall Kemli, S. 661.

V Das Blockbuch als Artefakt des ­spätmittelalterlichen Medienwandels V.1 Das 15. Jahrhundert – Experimentierphase der Buchproduktion Die historische Forschung zum Medienwandel des 15.  Jahrhunderts wurde in der Vergangenheit entscheidend durch Elizabeth Eisensteins 1979 in Cambridge erschienenen Monographie „The Printing Press as an Agent of Change: Communications and Cultural Transformations in Early Modern Europe“ geprägt, in der sie das Diktum der „print culture“ einführte. Ein Begriff der seitdem derart oft in vielen verschiedenen Zusammenhängen gebraucht wurde, dass Eisenstein 2002 selbst befürchtete, er werde zu einem bedeutungslosen Klischee herabsinken.538 Um dieses Klischee zu umgehen und die europäische Buchwelt des 15. Jahrhunderts genauer zu kartieren, führte der Buchhistoriker und Bibliothekar Paul Needham die folgenden, überaus nutzbringenden Arbeitsbegriffe ein: „scribal craft“ (Handschriften inklusive Buchmalerei und Zeichnung), „print craft“ (Holz- und Metallschnitte, Stich) und „printing craft“ (Typographie).539 Alle drei genannten Termini beschreiben spezifische Handwerke bzw. Kunstfertigkeiten, die jedoch nicht als unverbundene Zünfte gedacht werden sollten. Laut Needham sollten im Gegenteil gerade auch die verschiedenen Möglichkeiten der Überschneidung und Interaktion dieser drei „crafts“ überdacht werden. Zudem entwickelte jedes genannte Handwerk eine eigene, mehr oder weniger spezifische Kultur.540 Der Buchmarkt des 15. Jahrhunderts unterscheidet sich daher entscheidend von dem der vorhergehenden und nachfolgenden Jahrhunderte, in denen ent-

538 Eisenstein, Elizabeth: An Unacknowledged Revolution Revisited, in: American Historical Review, vol. 107, no.1 (Februar 2002), S. 87–105, hier: S. 88. 539 Needham, Paul: Prints in the Early Printing Shops, in: Peter Parshall (Hg.), The Woodcut in Fifteenth-Century Europe, Washington 2009, S. 39–91, hier: S. 40. 540 „Kultur“ wird an dieser Stelle von Needham – im Gegensatz zur allgegenwärtigen und allumfassenden „print culture“ – in einem engeren Sinn beschrieben als Tendenz sozialer Gruppen (in diesem Fall dem Personenkreis, der mit einer dieser Fertigkeiten zu tun hat) eine anerkannte Gemeinsamkeit zu entwickeln, die aus den Konditionen und Erfahrungen ihrer Aktivitäten rührt. Die Gruppenmitglieder erkennen und reflektieren diese Gemeinsamkeit selbst wenn sie in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen.

Das 15. Jahrhundert – Experimentierphase der Buchproduktion 

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weder das handschriftliche oder das typographische Buch541 dominiert, wohingegen im 15. Jahrhundert mit verschiedenen Produktionsarten für Bücher experimentiert wurde und die drei durchaus interagierenden „crafts“ in mehr oder weniger großen Anteilen an der Buchproduktion beteiligt waren. So entwickelten sich bspw. mit der wachsenden Schar der Lohnschreiber im Laufe des 15. Jahrhunderts (als Vertreter der „scribal craft“) neue Buchschriften, wie etwa die niederländische Hybrida, die Antiqua oder die gotische Kursive (Bastarda), die als Vorlagen für die Entwicklung der Drucktypen dienen.542 Needham betont diese außergewöhnliche Situation der Buchproduktion im ausgehenden Mittelalter und fasst „das Buch“ des 15. Jahrhundert als „peculiarly rich and diverse concept“543 zusammen. In der Dekade vor der Erfindung des typographischen Drucks sowie konkurrierend mit den frühen Jahren europäischer Typographie, stieg die Produktion handschriftlicher Bücher merklich an. So verzeichnet der „Catalogue of Dated Manuscripts“544 einen stetigen Anstieg an Manuskripten, beginnend bei 361 Exemplaren aus den Jahren 1426–1430 bis zu 1035 Exemplaren aus den Jahren 1466–1470. Danach beginnen die Zahlen bis auf 309 Manuskripte zu sinken, die aus den Jahren 1486 bis 1490 datieren. Der Beginn dieses Abwärtstrends in der Produktion handschriftlicher Bücher korreliert dabei mit der zeitgleich anwachsenden Produktion an gedruckten Büchern.545 Diese Zahlen verdeutlichen aber auch, dass das von Hand geschriebene Buch nicht plötzlich mit dem Auftauchen der neuen, gedruckten Bücher um die Mitte des 15.  Jahrhunderts verschwand, sondern dass noch mindestens ein halbes Jahrhundert lang alle genannten „crafts“ koexistierten.

541 Abgesehen von kleinen Nischenbereichen in denen im 16.  Jahrhundert handschriftliche Bücher, wie bspw. die prächtig illuminierten Stundenbücher, fortbestanden. Dazu: Needham, Paul, S. 40. 542 Ebd. S. 40 sowie Wendehorst, Alfred: Wer konnte im Mittelalter lesen und schreiben?, in: Johannes Fried (Hg.), Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittel­ alters, Stuttgart 1986, S. 9–35, hier: S. 31. 543 Needham, Paul, S. 40. 544 Eine Projekt des Comité international de paléographie latine (Homepage: http://www. palaeographia.org/cipl/cipl.htm, zuletzt geprüft am: 01.  01. 2015). Ausführlicher nachzulesen bei Paul Needham auf S. 42. Zum Vergleich: Neddermeyer, Uwe: Von der Handschrift zum gedruckten Buch, Wiesbaden, 1998, S.  380. Auch Neddermeyers Untersuchungen zeigen einen deutlichen Anstieg der Handschriftenproduktion, der schon im 14. Jahrhundert begann und im Laufe der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kulminierte. 545 Needham, Paul, S. 42.

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Die Thesen zur Erklärung der wachsenden Literaturproduktion im 15. Jahrhunderts, die sich zuerst in der steigenden Zahl an Manuskripten niederschlägt, sind vielfältig. Als grundlegend kann die bereits um die Mitte des 14.  Jahrhunderts, während der Regierungszeit des römisch-deutschen Kaisers Karls  IV. beschleunigt voranschreitende „Entwicklung zur Schriftlichkeit der Kommunikation“546 angesehen werden. Zudem löst sich das Schulwesen zunehmend aus der kirchlichen Aufsicht. Die neuen, nicht-kirchlichen Lateinschulen, in denen Lesen, Schreiben und Rechnen Unterrichtsinhalte sind, werden zumeist von der kaufmännischen Oberschicht ins Leben gerufen. Diese Entwicklung ist zunächst in den großen Handelsstädten bzw. ökonomisch starken Regionen, bspw. in Flandern seit dem Ende des 12. Jahrhunderts oder in Lübeck etwa seit der Mitte des 13. Jahrhunderts, zu beobachten. Im 14. Jahrhundert existieren dann auch in vielen Mittelstädten Lateinschulen. Seit dem Beginn des 15.  Jahrhunderts beginnen sich städtische, deutsche Schulen in rasch anwachsender Zahl zu verbreiten, die von Lehrern in Eigenregie betrieben werden. In diesen Schulen stand die Aneignung der Elementarkenntnisse Lesen und Schreiben stärker im Vordergrund als in den Stifts- und Klosterschulen und der Rechenunterricht diente nicht mehr in erster Linie der Komputistik, sondern dem Erlernen des kaufmännischen Rechnens.547 In der historischen Forschung zu diesem Thema wird angenommen, dass zu Beginn der Reformation im Reich 10 % bis 30 % der städtischen Bevölkerung sowohl lesen als auch schreiben konnte.548 Diese These wird auch durch die anwachsende Anzahl an überlieferten, „selbstgeschriebenen“ Manuskripten aus dem 15.  Jahrhundert unterstützt. Als Beispiel sei auf den bereits im Kapitel zu den Rezipienten vorgestellten Gallus Kemli verwiesen, der seine eigenhändigen Abschriften und gesammelten Manuskripte durch Einblattdrucke und Blockbücher ergänzte. Die Kolophone dieser selbstgeschriebenen Manuskripte bergen weitere Informationen zu ihren Schreibern, die Studenten in Basel, Kaufbeuren, Memmingen, Pforzheim, Stendal, Ulm usw. waren.549 Needham vermutet des Weiteren, dass einer der Gründe für die wachsende Manuskriptproduktion im Einfluss der monastischen Reformbewegungen, wie bspw. der Melker-Kongregation, zu suchen sei, wendet aber selbst ein, dass ein

546 Wendehorst, Alfred, S. 29. 547 Ebd., S. 29–30. Auch einige der Blockbuchtitel wie die Lateingrammatik des Aelius Donatus oder das Rechenbuch waren Bücher für den Schulunterricht. 548 Ebd., S. 32. 549 Ebd., S. 42.

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solcher Einfluss eher lokal wäre und das Phänomen nur teilweise begründen könne. Als allgemein anerkannter ökonomischer Faktor, der die Buchproduktion, insbesondere auch des gedruckten Buches, beflügelte, wird die Expansion des europäischen Papiermarktes ab dem späten 14.  Jahrhundert bis zur Mitte des 15. Jahrhundert ins Feld geführt, da durch das steigende Papierangebot die Materialkosten für die Buchproduktion merklich sanken.550 Aus der bereits erwähnten wachsenden Zahl an Handschriften aus dem 15. Jahrhundert kann auf eine zunehmende Nachfrage nach Literatur geschlossen werden. Dabei führte insbesondere die Nachfrage nach Bilderhandschriften zu einer verstärkten Arbeitsteilung und einer gewissen Standardisierung in den Schreib- und Buchmalerwerkstätten, in denen Illustrationen nach Vorlagen oder schriftlichen Anweisungen serienweise hergestellt wurden. In einem nächsten Schritt boten Buchmaler in Brügge in den 1430er Jahren auch Miniaturen auf Einzelblättern zum Verkauf an, die beliebig in Handschriftenbände eingefügt werden konnten.551 Diese letztgenannten Entwicklungen geben wahrscheinlich den Anstoß für die Entstehung der „print culture“ im engeren Sinne, zu der auch die Blockbuchdrucker gehören. Zwar ist die Technik des Holzschnitts bereits länger bekannt und wurde bereits Ende des 14.  Jahrhunderts für das Bedrucken von Textilien genutzt, doch bezeugen nur sehr seltene Funde, dass diese Technik in den ersten 40  Jahren des 15.  Jahrhunderts, auch für das Bedrucken von Papier verwendet wurde.552 Etwa um die Mitte des 15.  Jahrhunderts wurde nun damit begonnen statt der Miniaturen Holzschnitte, Kupferstiche oder Metallschnitte in eigens für Illustrationen ausgesparten Raum in Handschriften einzukleben.553 Der Kunsthistoriker Peter Schmidt untersuchte die Geschichte des Holzschnitts und konnte drei Perioden in der Entwicklung dieses Mediums finden. In seiner Analyse beginnt die frühe Periode in den Jahrzehnten vor 1440, aus der einige wenige Einblattholzschnitte überliefert sind. Dieser folgt die zweite Periode

550 Zur Entwicklung des Buchpreises: Neddermeyer, Uwe, S. 368–377. 551 Baurmeister, Ursula: Das Blockbuch – Vorläufer oder Konkurrent des mit beweglichen Lettern gedruckten Buches?, in: Peter Rück und Martin Boghardt (Hgg.), Rationalisierung der Buchherstellung in Mittelalter und Frühneuzeit, Marburg an Lahn 1994, S. 147–164, hier S. 147. 552 Laut Needham (S. 41) nur 50–60 von den insgesamt um die 5000 Drucken des 15. Jahrhunderts. Dazu auch Peter, Schmidt, der auf S. 47 seines Aufsatzes „Das vielfältige Bild“ (in: Peter Parshall, Rainer Schoch et al. (Hgg.), Die Anfänge der europäischen Druckgraphik, Nürnberg 2005) von einem rasanten Anstieg an erhaltenen Holzschnitten nach dem Jahr 1440 spricht. 553 Baurmeister, Ursula, S. 147.

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ab ca. 1440 bis in die frühen 1470er Jahre, in der die Möglichkeiten des neuen Mediums entdeckt wurden und die mit einem rapiden Produktionsaufschwung verbunden ist. In dieser zweiten Periode erweitert sich die Gruppe des „print craft“ um den Metallschnitt und den Stich, die als Kunstfertigkeiten neben dem Holzschnitt auftreten. In diesen Zeitabschnitt fällt auch die Blütezeit der Blockbücher. Ab den frühen 1470er Jahren beginnt sich nach und nach das typographische Buch mit Holzschnittillustrationen als Erfolgsmodell durchzusetzen.554

V.2 Zur Funktion des Blockbuchs und seiner Verortung im Kontext des Medienwandels Der Forschungsdiskurs über europäische Blockbücher wurde in der Vergangenheit oftmals mit der Diskussion über den Beginn der Typographie in Europa vermischt. Bereits im 16.  Jahrhundert kursierte die mehr oder weniger instinktive Annahme, dass das Blockbuch der Vorläufer der Inkunabel sei, eine einfachere Form der Buchherstellung, die sich weiterentwickelte. In der Tat haben jedoch beide Herstellungstechniken nichts miteinander zu tun, wenngleich es auch von einem weniger determinierten Standpunkt aus Verbindungen zwischen den beiden Buchformen gibt.555 Im folgenden Kapitel soll deshalb nun auf die Rolle des Blockbuchs in dieser Experimentierphase eingegangen werden. Die Unterschiede im Prozess der Buchherstellung bei den drei von Needham beschriebenen „crafts“ des 15.  Jahrhunderts sind evident. Während durch das Abschreiben eines Buches immer nur eine Kopie entsteht, ermöglichen das typographische und das xylographische Druckverfahren das Erstellen multipler Kopien einer Vorlage. Da beim typographischen Verfahren jede Seite neu gesetzt werden muss, können innerhalb eines bestimmten Zeitraumes, bspw. eines Tages, viele Abzüge dieser gesetzten Seiten entstehen. Ist eine genügende Anzahl an Abzügen gedruckt worden, werden die Typen gereinigt und aus dem Setzrahmen gelöst. Die entscheidende Innovation der ersten typographischen Medien ist jedoch nicht der Druck selbst, sondern die Erfindung des Gießinstruments und der beweglichen metallenen Lettern.556

554 Peter, Schmidt, S. 47. 555 Needham, Paul, S. 45. 556 Ott, Norbert: Leitmedium Holzschnitt, in: Barbara Tiemann und der Vorstand der Maximilian-Gesellschaft (Hg.), Die Buchkultur im 15. und 16.  Jahrhundert, Band  2, Hamburg 1999, S. 163–252, S. 175.

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Der Herstellungsprozess eines Blockbuches unterscheidet sich von dem beschriebenen Prinzip der Typographie grundlegend. Sind die Druckstöcke erst einmal fertiggeschnitten, können immer wieder beliebig viele Abzüge gemacht werden, solange die Druckträger nicht durch die mechanische Belastung verschlissen sind und immer mehr Abnutzungsspuren aufweisen.557 Dieses Verfahren erlaubte es dem Blockbuchdrucker seine Produktion überaus flexibel der jeweils aktuellen Nachfrage nach einem bestimmten Titel anzupassen, weshalb die jeweilige Auflagenhöhe stark variieren konnte. Typischerweise finden sich daher auch unterschiedliche Papiere in verschiedenen Kopien einer Blockbuchausgabe. Ein Befund der die Annahme eines solchen „print-on-demand“-Verfahrens unterstützt, denn lag eine signifikante Pause zwischen der Herstellung verschiedener Kopien, ist davon auszugehen, dass der Blockbuchdrucker Papiere aus unterschiedlichen Beständen kaufte, wie sich wiederum anhand der Wasserzeichen belegen lässt. Für die Anfertigung der Druckstöcke verwendeten „die Holzschneider der Blockbücher meist einheimische Hölzer von Obstbäumen, aber auch von Eichen, Nuß- oder anderen Laubbäumen“.558 Derartige Holztafelstöcke waren langlebig und konnten durchaus über mehrere Jahre oder Jahrzehnte in Gebrauch sein.559 Dieser technische Herstellungsprozess liefert, neben dem „print-on-demand“Verfahren und den damit verbundenen stark variierenden Auflagenhöhen, auch die Erklärung für das zweite, phänomenologische Merkmal von Blockbüchern, denn typischer Weise verschränken sich hier Bild und Schrift zu einer Einheit. Weder ist der Text bloße Beischrift der Illustration, noch das Bild nur ein schmückendes Element. Beide Elemente sind immanent wichtig zum Verständnis des Inhalts. Gleichzeitig jedoch sind Blockbücher in der Regel derart reich bebildert, dass die Bilder in Relation zum Text zu dominieren scheinen, weshalb das Blockbuch auch als ein mit Texten versehenes Bildmedium bezeichnet wird, während

557 Bei diesen Abnutzungsspuren handelt es sich um sogenannte „Ausbrüche“, d.  h. dass nach und nach Teile der erhabenen Stege, welche die Farbe auf das Papier übertragen, ausbrechen. Mithilfe dieser Spuren können verschiedene Druckzustände von einzelnen Ausgaben und ihre zeitliche Abfolge rekonstruiert werden. Ausführlicher nachzulesen bei: Wagner, Bettina & Bacher, Rahel: Von Abecedarium bis Zeitglöcklein, in: Bibliotheksmagazin – Mitteilungen aus den Staatsbibliotheken in Berlin und München (1/2011), S. 13–17. 558 Dorka, Jürgen & Schneider, Cornelia: Vom Block zum Blockbuch, in: Gutenberg-Gesellschaft und Gutenberg-Museum (Hgg.), Blockbücher des Mittelalters, Mainz 1991, S. 19–26, hier S. 19. 559 Needham, Paul: S. 50 & Wagner, Bettina & Bacher, Rahel: Von Abecedarium bis Zeitglöcklein, S.  13–17. Die beiden Autorinnen rekonstruieren in diesem Aufsatz exemplarisch die verschiedenen Druckzustände einer Speculum humanae salvationis-Ausgabe mithilfe von Abnutzungsspuren an den Druckstöcken. Diese Druckstöcke wurden über Jahre verwendet.

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es sich bei der bebilderten Inkunabel, um ein mit Bildern versehenes Textmedium handelt.560 Abgesehen von diesem allgemeinen Charakteristikum ist jedoch zu bemerken, dass es kein einheitliches Schema für die Seitengestaltung und das Verhältnis von Bild und Text auf einer Seite bzw. auf einer Doppelseite gibt. Die unterschiedlichen Titel wurden unterschiedlich aufgearbeitet, wobei vier grundsätzliche Layout-Typen ausgemacht werden können.561 In der ersten Layout-Gruppe lassen sich Titel fassen in denen mehrere Einheiten von Bild und Text auf einer Seite zusammengestellt sind. Als Beispiele können das Defensorium inviolatae virginitatis Mariae des Franz von Retza oder die Antichrist-Ausgaben genannt werden. In diesen Beispielen wurden zwei oder mehr Text-Bild-Einheiten auf einer Seite abgedruckt. Auch der überwiegende Teil des Antichrist gehört in diese Gruppe, jedoch finden sich hier auch einige Blätter auf denen nur ein Bild mit dazugehörigem Text auftaucht. Diese Art von Layout kennzeichnet den zweiten Typus, in dem Bild und Text auf einer Seite eine Einheit bilden, wie bspw. im Fall der Biblia pauperum. Die drei Hauptbilder mit den Szenen aus dem Neuen und Alten Testament werden flankiert von vier Prophetenbildern. In die Bilder sowie darüber bzw. darunter sind kurze Texte, zugehörige Spruchbänder, Prophetenweissagungen und Prosaerläuterungen eingefügt. Alle Bilder und Texte auf einer Seite beziehen sich dabei aufeinander und sind deshalb zusammengehörig. In den Blockbüchern der dritten Gruppe bilden die Bilder und Texte einer Doppelseite je eine Einheit (bzw. eine Verso- und eine Rectoseite). Typische Vertreter dieser Kategorie sind die Ars moriendi oder der Speculum humanae salvationis. In der letzten Gruppe schließlich lassen sich all diejenigen Titel zusammenfassen, die nur Text enthalten bzw. nur vereinzelte Illustrationen in den Lauftext integriet wurden, wie etwa in der Mirabilia Romae. In dieser, kleinsten Gruppe finden sich auch Schulbücher, wie der Donat oder das Rechenbuch.

560 Ott, Norbert: Leitmedium Holzschnitt, in: Barbara Tiemann und der Vorstand der Maximilian-Gesellschaft(Hg.), Die Buchkultur im 15. und 16.  Jahrhundert, Band  2, Hamburg 1999, S. 163–252, hier. S. 168–169. Und Palmer, Nigel F.: Latein und Deutsch in den Blockbüchern, in: Nikolaus Henkel und Nigel F. Palmer (Hgg.), Latein und Volkssprache im deutschen Mittelalter 1100–1500, Tübingen 1992, S. 310–337, hier 313. Es gibt wenige Ausnahmefälle wie die Mirabilia Romae, den Donat oder das Rechenbuch, die gesondert zu erklären sind, jedoch das Gesamtbild nicht stören. Zu den Layout-Typen siehe auch im Anhang VIII.1. 561 Dazu auch Palmer, Nigel: Latein und Deutsch in Blockbüchern, S. 315.

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Die meisten Blockbücher, egal welchen Layout-Typs, operieren mit einem Verweissystem, bei dem die Illustrationen auf den Text oder Textteile verweisen und umgekehrt.562 Fast alle der über 40 Blockbuchtitel wurden bereits in handschriftlicher Form tradiert. Die Blockbuchproduzenten schöpften bei der Herstellung und Gestaltung der Druckstöcke aus diesen Überlieferungstraditionen. Die formale Erscheinung, die ikonographischen Modelle und der enge Text-Bild-Bezug wurden bereits im Handschriftenbereich entwickelt und ausgebildet.563 Die Blockbuchproduzenten passten die vorgegebenen Einrichtungstypen von Bild und Text jedoch den technischen Aspekten des Holzschnittes an und optimierten diese. Oftmals erscheint die Seitengestaltung des Blockbuchs im Vergleich zur Handschrift etwas klarer, wie bspw. im Falle der „Bilder-Ars“ und ihrem vermutlich direkten Vorläufer der „Wellcome Handschrift“.564 Die Anordnung von Schrift und Illustration sowie Stil und Aufbau der bildlichen Elemente und die Schriftgestaltung spiegeln im Grunde den Versuch wider eine Handschrift mit den Mitteln der neuen Technik herzustellen.565 Anzunehmen ist, dass bei der Auswahl der Vorlage neben der Absatzfähigkeit eines Titels auch die Überlegung der Umsetzbarkeit der Handschrift im neuen Medium eine Rolle spielte. So fällt auf, dass die letztgenannte Layout-Kategorie, bei der der Text nur von wenigen Bildern unterbrochen wird, zwar im Bereich der illustrierten Handschrift sehr häufig vorkommt, ja fast der Regelfall ist, aber nur verhältnismäßig wenige Blockbuchtitel in dieser Gruppe sind. Dahingegen sind die beiden erstgenannten Gestaltungsvarianten zwar besonders charakteristisch für Blockbücher, tauchen aber etwas seltener in Handschriften auf. Beide mise-en-page-Varianten gehen deutlich auf die Praxis mittelalterlicher Handschriftenillustration zurück. Die dritte Form des Layouts, bei der Bild und Text regelmäßig synoptisch angeordnet wurden, wurde laut Nigel Palmer vermutlich von Blockbuchproduzenten neu eingeführt.566

562 Ebd., S. 316. 563 Dazu auch Ott, Norbert: S. 173. 564 Als Bildbeispiel wurde wurde im Abbildungsverzeichnis VII.6.6 eine Seite abgedruckt (Digitalisat: http://wellcomeimages.org/indexplus/image/L0017380.html, zuletzt geprüft am: 05. 01. 2015) 565 Ott, Norbert, S. 173. 566 Nachzulesen bei Palmer, Nigel: Latein und Deutsch in den Blockbüchern, S.  316. Palmer räumt jedoch ein, dass es kaum vorstellbar sei, dass dieser Anordnungstyp in der vorangehenden Handschriftenüberlieferung gänzlich unbekannt war. Michael Curschmann erwähnt auf S. 682 seines Aufsatzes Wort – Schrift – Bild (in: Michael Curschmann (Hg.), Wort – Bild – Text,

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Der überwiegende Teil aller erhaltenen Blockbuchtitel behandelt christlichtheologische Themen, die in Wort und Bild, didaktisch prägnant, dem Leser/ Betrachter näher gebracht werden sollten. Dieser Befund lässt sich, wie bereits in Kapitel IV erwähnt, durch die sich im Spätmittelalter herausbildende neue Form der persönlichen Frömmigkeit erklären, die sich in individuellem Gebet und privater Andacht äußerte und die Entwicklung neuer Kunstgattungen wie Stundenbuch, Hausaltar, Einblattdruck und auch Blockbuch entscheidend befördert.567 Vor dem Hintergrund des Themenschwerpunkts vieler Blockbücher und ihrer medialen Aufarbeitung ist die Beobachtung Michael Curschmanns überaus aufschlussreich, der von einer Sonderkategorie des religiösen Schrifttums spricht, in der das bildliche Element vielfach schon im Text angelegt ist und der gleichzeitige Appell an die Sinne zugleich die Anteilnahme und Andacht der Benutzer(innen) über den Text erheben soll. Die visuelle Vergegenwärtigung ist ein wesentlicher Faktor von Andacht und religiöser Versenkung, die im Spätmittelalter völlig aus dem liturgischen Zusammenhang gelöst und weiter ausgedehnt wird auf erbauliche Unterweisung in der Volkssprache.568 Dieser Prozess beginnt bereits im 12. Jahrhundert mit der immer intensiveren und systematischeren künstlerischen Ausgestaltung von Kirchengebäuden, in Form einer Bilderwelt, die in andächtiger Vorstellung verinnerlicht und neu versprachlicht wurde. Als Beispiel für eine derartige Praxis der visuellen Erfahrung religiöser Kunst zur Kontemplation führt Curschmann den Dominikaner und Mystiker Heinrich Seuse (*1295/1297–†1366) an, dessen zumeist volkssprachigen Werke weite Verbreitung fanden. Seuse praktizierte selbst eine bildbezogene Andacht und leitete seine Umgebung zu einer solchen an. Bisweilen empfing er in der Kontemplation vor einem Bild auch Visionen, die er visuell festhielt und den Leserinnen der Frauenkonvente, in denen er zu Lebzeiten wirkte, zur Kontemplation weiterreichte. Seuse selbst hat deshalb auch seine Schriften zur Bebilderung vorgesehen.569 Auch funktional unterscheidet sich das Medium Blockbuch daher vom Medium des typographischen Buches, in dem es sich nur bedingt fortsetzt. Blockbücher sind Vehikel der Andacht und Kontemplation. Aufgrund der einprägsamen Umsetzung in Bild und Text bleiben die gezeigten Inhalte leichter im Gedächtnis haften und können für das Eigenstudium und die Unterweisung genutzt

Studien zur Medialität des Literarischen in Hochmittelalter und früher Neuzeit, Band 2, Baden – Baden, 2007, S. 661–753) die Handschrift Liber ad honorem Augusti des Peter von Eboli. Eine vom Autor zwischen 1194 und 1197 selbst entworfene Text-Bild-Komposition, bei der den ein-, zweioder dreizonigen Bildseiten die entsprechenden Textseiten jeweils direkt gegenüberliegen. 567 Ott, Norbert, S. 168. 568 Curschmann, Michael, S. 727. 569 Ebd., S. 722–727.

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werden oder dienen auch nur zur Unterhaltung. Norbert Ott betont insbesondere, den weit direkteren und stärker in öffentliche Zusammenhänge integrierten Gebrauchscharakter des xylographischen Buches in Relation zur vorhergehenden Handschrift und dem nachfolgenden gedruckten Buch. Die teils mündlichen, teils schriftlichen Vollzugsrahmen, in denen das Publikum mit den Text-BildEinheiten der Blockbücher umging, reichten vom privaten Gebet bis zur öffentlichen Schaustellung mit oder ohne mündlichen Kommentar und konnten unter Umständen auch, vor allem in der seelsorgerischen Praxis, mit älteren Formen öffentlicher bildgestützter Unterweisung kombiniert werden. Hier zeigt sich eine unmittelbare, direkte und in die Alltagspraxis einbezogene Gebrauchssituation, wie sie für das danach folgende Buch nie mehr galt.570 Die dargelegten Merkmale des Blockbuchs in Herstellungstechnik, Produkt, Absatz und Funktion definieren den Forschungsgegenstand und zeigen deutlich, dass es sich beim Medium Blockbuch nicht um einen primitiven Vorläufer des Inkunabeldrucks handelt, sondern um eine eigenständige Medienform. Zugleich jedoch soll an dieser Stelle nochmals betont werden, dass die Begrifflichkeiten von „Blockbuch“ und „Inkunabel“571 sowie die damit verknüpften medien- und kulturgeschichtlichen Differenzierungen retrospektiv installiert wurden und nicht dem Sprachgebrauch des zeitgenössischen, spätmittelalterlichen Nutzers entspringen. Vielmehr waren, wie bereits eingangs erläutert, in der skizzierten Experimentierphase des 15. Jahrhunderts die drei „crafts“ in mehr oder weniger großen und sich verändernden Anteilen an der Buchproduktion beteiligt. Die Grenzen zwischen den drei Fertigkeiten und damit zwischen den drei Medienarten waren nicht starr, vielmehr bestand ein produktives Nebeneinander der verschiedenen Überlieferungs- und Vervielfältigungsmedien. Blockbuch,

570 Ott, Norbert, S. 175. 571 1640 veröffentlichte Bernhard von Mallinckrodt (1591–1664), Münsteraner Domdechant, Jurist und Polyhistor zum „200 jährigen Jubiläum der Erfindung des Buchdrucks“ eines der ersten Inkunabelverzeichnisse unter dem Titel Antiquorum impressionum a primaeve artis typographicae origine et inventione ad usque annum secularem MD deductio. Mallinckrodt verwendete in seinen Schriften erstmals den Begriff incunabula und installierte eine formale und willkürlich gezogene Inkunabelgrenze, die weitgehend unhinterfragt von nachfolgenden Inkunabelverzeichnissen bis zum „Gesamtkatalog der Wiegendrucke“ (GW) übernommen und dadurch immer weiter befestigt wurde. Seit Mallinckrodt werden alle Bücher, die im Offizin Gutenbergs und den Druckwerkstätten seiner Schüler und Nachfolger bis zum 1. 1. 1501 entstanden sind, unter den Begriffen „Inkunabel“ oder „Wiegendruck“ gefasst. Dazu: Frieder Schanze, Inkunabeln oder Postinkunabeln? Zur Problematik der >Inkunabelgrenze< am Beispiel von fünf Druckern und 111 Einblattdruckern, in: Einblattdrucke des 15. und frühen 16.  Jahrhunderts, Tübingen 2000, S. 45–123 (besonders S. 45–47).

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Einblattdruck, Bilderbogen, Handschrift und typographischer Buchdruck beeinflussten sich wechselseitig in einem vielfach verzweigten Traditionsstrom.572 Der Speculum humanae salvationis ist ein außergewöhnliches Zeugnis dieses produktiven Nebeneinanders und des Experimentierens mit den beiden neuen Drucktechniken. Wie die Biblia pauperum behandelt auch der Heilspiegel die Präfiguration des Neuen im Alten Testament und fand bereits in handschriftlicher Form sehr weite Verbreitung.573 Vier illustrierte Ausgaben in niederländischer und lateinischer Sprache werden den Blockbüchern zugerechnet, da die Holzschnittillustrationen mit der für Blockbücher üblichen Druckfarbe abgezogen wurden und die Seiten nur auf einer Seite bedruckt wurden. Die unter den Bildern stehenden Texte wurden jedoch mit beweglichen Typen und mit Druckerschwärze gedruckt. Aufgrund dieser Mischtechnik werden diese Druckausgaben des Speculum auch als „typoxylographische Blockbücher“574 bezeichnet. In der zweiten lateinischen Ausgabe von 1473–1474 wurde zudem der Text von zwanzig Blättern durch eine xylographische Kopie nach der ersten Ausgabe ersetzt. Über die Gründe für diesen Rückgriff auf den Holztafeldruck kann nur spekuliert werden, so vermutet Ursula Baurmeister, dass vielleicht versehentlich von einem Teil der Auflage nicht genügend Exemplare gedruckt worden sind oder die bereits gedruckten Bogen waren aus irgendeinem Grund unbrauchbar geworden. Auf jeden Fall scheint es dem Drucker nicht möglich gewesen zu sein, diese Seiten mittels des typographischen Verfahrens herzustellen.575 Wo der Holztafeldruck im Fall dieser genannten Ausgabe des Heilspiegels wohl als eine Art Notbehelf zu verstehen ist, zeigen andere Beispiele, dass noch in den 1480er und 1490er Jahren, in denen die Blütezeit der Blockbücher eigentlich

572 Ebd., S. 176. 573 Ausführlich nachzulesen bei Wilson, Adrian & Wilson Lancaste, Joyce: A medieval mirror – Speculum Humanae Salvationis, Berkeley, Los Angeles, Oxford 1995. Bettina Wagner nennt auf S. 58 ihres Beitrags „Speculum humanae salvationis“ (in: Bettina Wagner (Hg.), Vom ABC bis zur Apokalypse, Altusried-Krugzell 2013, S. 54–62.) 328 lateinische Handschriften. 574 Robbe, Jost: Zur Genese der niederländischen Typoxylographie des „Speculum humanae salvationis“, in: Bettina Wagner (Hg.), Blockbücher der 15.  Jahrhunderts, Wiesbaden 2013, S. 311–329. 575 Baurmeister, Ursula: Das Blockbuch – Vorläufer oder Konkurrent des mit beweglichen Lettern gedruckten Buches?, in Peter Rück und Martin Boghardt, Rationalisierung der Buchherstellung im Mittelalter und Frühneuzeit, Marburg an der Lahn 1994, S. 147–164, hier: S. 155. Auch Allan Stevenson äußert sich auf S.  225 seines Aufsatzes „The Problem of the Blockbooks“ zu diesem Befund und vermutet, die Ausgabe könnte typographisch gedruckt und dann in eine andere Druckerei verschickt worden sein, wobei einige Blätter beschädigt wurden. Diese wären dann durch eine xylographische Kopie ersetzt worden.

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vorüber war, ganze Ausgaben nach typographischen Vorlagen in Holz geschnitten wurden. Dabei handelt es sich im Allgemeinen um wenig umfangreiche Texte, für die eine wiederholte, größere Nachfrage bestand und die meist keine Illustrationen oder nur Schmuckinitialen enthielten.576 Vor allem die Lateingrammatik des Aelius Donatus ist hier zu nennen. Neben Ausgaben mit handschriftlichem Duktus, darunter eine um 1475 geschnittene Ausgabe des Konrad Dinckmut aus Ulm, der ab 1477 als Inkunabeldrucker belegt ist,577 haben vier Ausgaben Inkunabeln als Vorlage. Eine davon ist der Schriftform zufolge in den Niederlanden entstanden. Bei zweien konnten die typographischen Vorlagen identifiziert werden, die von Michael Wenssler in Basel und Friedrich Creussner in Nürnberg in den Jahren 1485–1490 gedruckt worden waren. Außer diesen Abzügen sind drei Holzstöcke einer Donatausgabe erhalten, die den Druck des Basler Jacob Wolff kopieren.578 Ursula Baurmeister vermutet, dass es sich bei diesen Nachdrucken vielleicht nicht um Kopien anderer Briefmaler und Formschneider handelt, sondern, dass die Drucker selbst möglicherweise die Druckstöcke anfertigen ließen. Diese Hypothese erscheint vor dem Hintergrund, dass ein bekannter und bedeutender Inkunabelrucker wie Konrad Dinckmut bis in die 1480er Jahre einen xylographischen Donat herausgab und Friedrich Creussner 1473 in seiner Ars vitae contemplativae Typendruck und xylographischen Druck kombinierte nicht ganz abwegig.579 Im Falle von Büchern mit wiederkehrenden, gesicherten Nachfragesituationen hatte die Kopie eines Textes in einer „fixierten“ Druckform durchaus Vorteile, da die bei einer Neuauflage anfallenden Kosten für Neusatz und Korrektur entfielen. Außerdem musste nicht auf Vorrat gedruckt und im Voraus in Papier investiert werden. Immer dann, wenn bspw. neue Schüler die Ars minor des Donatus für den Unterricht benötigten, konnten beliebig viele Abzüge, auch in kleineren Auflagen, hergestellt werden.580

576 Ebd., S. 155. 577 Duntze, Oliver: Die Blockbuchausgaben der „Ars minor“ des Aelius Donatus, in: Bettina Wagner (Hg.), Blockbücher des 15. Jahrhunderts, Wiesbaden 2013, S. 131–161, hier: S. 136. 578 Duntze geht auf den Seiten 144–148 sehr detailliert auf diese Donat-Gruppe nach süddeutschen typographischen Vorlagen ein. Da diese Blockbücher offenbar sehr exakt nach den typographischen Drucken kopiert wurden, kann mit typenkundlichen Hilfsmitteln die Schrift der Vorlage bestimmt werden. Erwähnung finden diese Ausgaben auch bei Baurmeister, Ursula, S. 155. 579 Ebd. 580 Duntze, Oliver, S. 150.

VI MedienrEvolution (?) im 15. Jahrhundert – Fazit In seiner profunden Arbeit mit dem Titel „Leitmedium Holzschnitt“ resümiert Norbert Ott, dass die Wissenschaft gerne dazu neige jegliche Neuerung als endgültigen Bruch mit dem Vorangegangenen zu sehen, das Andere im Neuen überzubetonen und dabei eventuelle Kontinuitäten aus dem Blick zu verlieren. Als bekanntes Exempel hierfür nennt er die Renaissanceforschung, die in Bezug auf die Entdeckung des Individuums einerseits das im Mittelalter bereits Vorbereitete übersah und andererseits Traditionslinien, die in der frühen Neuzeit noch nicht abgerissen waren, nicht mehr sehen wollte. Auch die ältere und jüngere Druckforschung geht zumeist von der These des Umbruchs und der Medienrevolution aus.581 Die Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern revolutionierte unbestritten entscheidend die geistige und gesellschaftliche Situation des Menschen, dennoch war die Erfindung des Buchdrucks kein plötzlicher Umsturz, „vor allem nicht in den Köpfen ihrer Erfinder und im Bewußtsein ihres Publikums, sondern ein prozeßhafter Vorgang […].“582 Während dieser Übergangsphase wurde mit neuen Druckmedien und Reproduktionstechniken experimentiert und im Grunde versucht, das alte, skriptographische Medium in Schriftgestaltung, Layout und ­Illustration zu imitieren.583 Dieses Ergebnis steht dem revolutionären Paradigma der Mediengeschichte entgegen, in dem der Medienwandel mit der Abfolge von sogenannten Leitmedien erklärt wird. Die mediale Differenz der Leitmedien der Kultur bestimmt in diesem Schema den Unterschied der Kulturen und Epochen der Mediengeschichte.584 Doch Mediengeschichte lässt sich weder als zunehmende Funktionalisierung oder Effizienz technischer Kommunikation, noch als Weg zum „wirklichkeits­näheren“ Wissen darstellen. Ein solches Modell, in dem die Geschichte der Medien in Form einer einfachen Ereignis- und Fortschrittsgeschichte konstruiert wird, bietet im

581 Ott, Norbert, S. 176. 582 Ebd. 583 Ebd. Dies gilt nicht nur für Blockbücher. Auch Inkunabeln orientierten sich in ihrer äußeren Erscheinungsform am Medium Handschrift, wie der Autor Norbert Ott stichhaltig mit Quellenmaterial belegen kann (S. 176–191) 584 Bickenbach, Matthias: Medienevolution – Begriff oder Metapher?, in: Fabio Crivellari, Kay Kirchmann, Marcus Sandl, Rudolf Schlögl (Hgg.), Medien der Geschichte – Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive, Konstanz 2004, S. 109–137. Schrift, Buchdruck, Computer oder Literalität, Gutenberg-Galaxis, Turing-Universum gelten als solche Epochen der Mediengeschichte und als „Leitmedien“ der Kultur. Hier: S. 116.

MedienrEvolution (?) im 15. Jahrhundert – Fazit 

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Grunde nur eine Chronologie von Erfindungen und Epochenabgrenzungen. Diese Form der Narration wechselnder Leitmedien birgt jedoch kein Modell der Mediengeschichtsschreibung, das ihrer Komplexität Rechnung trägt.585 Das einfache Modell kann die Vielfalt, Plötzlichkeit und verzögerte Wiederaufnahme, das Vergessen und das Experiment, die Variation und die Gleichzeitigkeit von Medien nicht erklären. Diese „Probleme“ der Mediengeschichte können jedoch mithilfe eines anderen, evolutionären Modells gelöst werden.586 Die gedankliche Grundlage liefert die Evolutionstheorie des Soziologen Niklas Luhmann, die er als Teil seiner universellen Systemtheorie formuliert.587 Als spezifisch soziokulturelle Form der Strukturveränderung sozialer Systeme588 gehört eine von der Biologie unabhängige Evolutionstheorie zum genuinen Reflexionspotential der Systemtheorie. „Gesellschaft“ und „Kommunikation“589 sind die beiden anderen Bausteine der Systemtheorie Luhmanns, die zirkulär miteinander verbunden sind. Gesell-

585 Ebd., S. 116–117. 586 Ebd., S.  118. Unter der Prämisse, dass unter Evolution ganz allgemein nicht-lineare, von Kontingenz geprägte, nicht-zielgerichtete Entwicklungen angesprochen werden. 587 Zur Entwicklung der Evolutionstheorie führt Bickenbach auf S. 125 aus: „Eine von der Biologie unabhängige Evolutionstheorie ist schon von früh an, seit 1975, ein Thema in Niklas Luhmanns Theorie der Gesellschaft.“ 588 Nach Luhmann gibt es verschiedene Arten von Systemen. Neben dem zentralen systemtheoretischen Gegenstand der „sozialen Systeme (Bspw. die Gesellschaft), gibt es „biologische“ Systeme (bezogen auf lebende Organismen, Zellen, Nervensysteme, Immunsysteme) und „psychische“ Systeme (bezogen auf das menschliche Bewusstsein). Man könnte sogar Maschinen einbeziehen (sofern sie nur diskriminieren, das heißt unterscheiden, das heißt beobachten können). Menschen sind keine Systeme, auch mehrere Menschen bilden kein System. Vielmehr ist der Mensch ein Konglomerat autopoietischer (d.  h. sich selbst erzeugend und erhaltend), eigendynamischer, nichttrivialer Systeme. Sein Körper ist ein biologisches, sein Bewusstsein ein psychisches System. Ausführlich erläutert bei: Berghaus, Margot: Luhmann leicht gemacht – Eine Einführung in die Systemtheorie, Köln, Weimar, Wien 2011, S. 32–33. Grundlegend für den Systembegriff ist die Differenz zwischen Innen und Außen, denn ein System kann immer nur ein System im Unterschied zu seiner Umwelt sein. Alle Systeme existieren nur, indem sie operieren, wobei soziale Systeme operieren indem sie kommunizieren. Sie bestehen aus Kommunikationen, die an Kommunikationen anschließen und so weitere Kommunikationen provozieren. Dieses selbstreferentielle Muster bezeichnet Luhmann als „Autopoiesis“. Nachzulesen bei: Schuldt, Christian: Systemtheorie, Hamburg 2003, S. 21–39. 589 Kommunikation ist der Faktor, der bei den unüberschaubaren vielen, in den äußeren Erscheinungsformen extrem unterschiedlichen sozialen Systemen immer gleich bleibt. Luhmann definiert Kommunikation als „eine Synthese aus drei Selektionen. Sie besteht aus Information, Mitteilung und Verstehen. Jede dieser Komponenten ist in sich selbst ein kontingentes Vorkommnis.“ (Zitiert aus: Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1997, S. 190.) Kommunikation heißt, aus verschiedenen Möglichkeiten wählen zu müssen, wobei

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schaft und Kommunikation wandeln sich durch evolutionäre Veränderungen. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, „verursacht“ die Evolution der Gesellschaft nicht die Evolution der Kommunikation oder umgekehrt sondern „markiert“ diese lediglich.590 Soziokulturelle Evolution darf demnach nicht als eine Art gesetzmäßig ablaufender Kausalprozeß begriffen werden, in der der vorige Zustand Ursache für den nächsten ist. Sie ist vielmehr Teil und Gegenstand kultureller Kommunikation und unterscheidet sich dadurch von der biologischen Evolution.591 Luhmann sprengt die Gleichsetzung von Evolution und historisch ablaufendem Kausalprozess, betont jedoch, dass für die Beobachtung soziokultureller Evolution die beobachtbare Gesellschaftsgeschichte von besonderer Relevanz ist.

jede Selektionsentscheidung kontingent, d.  h. „auch anders möglich“ ist. (Siehe: Berghaus, Margot: S. 78) Üblicherweise wird davon ausgegangen, dass Kommunikation aus zwei Aktionen besteht, nämlich senden und empfangen. Auch Luhmann identifiziert zwei Instanzen oder Akteure, die er „Alter“ und „Ego“ nennt. Diese beiden Instanzen können sowohl soziale als auch psychische Systeme sein. Im dreiteiligen Kommunikationsschema kommen dem „Anderen“ oder „Alter“ die ersten beiden Selektionsprozesse der Information und Mitteilung zu. Alter beurteilt einiges seiner Umwelt als Information, anderes wiederum nicht und entscheidet, ob und welche dieser Informationen er mitteilt. Die dritte Selektion liegt beim Ego, er kann die Mitteilung – als Mitteilung – verstehen oder nicht. Erst mit diesem letzten und wichtigsten Akt kommt Kommunikation zustande. (Siehe: Ebd., S. 76–78) Beim letzten Punkt ist zudem wichtig, dass Ego zwischen Mitteilung und Information unterscheidet und diesen Unterschied auch versteht. (Siehe: Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 97.) Ego muss erkennen, dass mitgeteilte Informationen bereits durch Alter, bspw. durch Massenmedien, selegiert wurden. Dies bedeutet, dass eine erfolgreiche Kommunikation nach Luhmann nicht dann erfolgt ist, wenn sie Einigkeit erzielt, sondern dann, wenn sie erfolgt und Anschlusskommunikation nach sich zieht. Denn eine Kommunikation ist zwar mit dem Verstehen abgeschlossen, „zur Mitteilung von Annahme, Ablehnung oder Unschlüssigkeit“ ist jedoch „eine weitere Kommunikation erforderlich […]. Denn gerade das Verstehen einer Kommunikation ist ja Voraussetzung dafür, dass sie angenommen oder abgelehnt werden kann; und welchen Pfad die Kommunikation an dieser Stelle wählt, kann nur durch eine weitere Kommunikation verdeutlich werden.“ (Zitiert aus: Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 226.) Kommunikation ist ein vollständig geschlossenes, autopoie­tisches System, das die Elemente aus denen es besteht fortlaufend selbst erzeugt und zu Strukturen verbindet. Kommunikation ist ein Sachverhalt sui generis, sie „hat keinen Zweck […] sie geschieht, oder geschieht nicht – das ist alles, was man dazu sagen kann.“ (Zitiert aus: Luhmann, Niklas: Soziologische Aufklärung 6 – Kapitel: Was ist Kommunikation?, Opladen 1995, S. 119) 590 Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 13. 591 Bickenbach, Matthias (S. 126): „Auf biologische Evolution kann nur rückgeschlossen werden, wenn auch Laborversuche an einfachsten Lebensformen, ihrer Mutation und Generationenfolge, Evolution in vitro zeigen können.“ Von der biologischen Evolution unterscheidet sich die soziokulturelle Evolution durch ihr Medium Kommunikation.

MedienrEvolution (?) im 15. Jahrhundert – Fazit 

 181

„Statt als einheitlicher Kausalprozeß ist Evolution zu begreifen als eine Form der Veränderung von Systemen, die darin besteht, daß Funktionen der Variation, der Selektion und der Stabilisierung differenziert, das heißt durch verschiedene Mechanismen wahrgenommen und dann wieder kombiniert werden. Als Evolution ist dann der historische Zusammenhang derjenigen Strukturänderungen zu bezeichnen, die durch das Zusammenspiel dieser Mechanismen ausgelöst werden – wie immer sie im gesellschaftlichen Leben bewertet werden. […] Eine Theorie der soziokulturellen bzw. gesellschaftlichen Evolution (im Unterschied zu: physisch-chemischer, proto-organischer und organischer Evolution) hätte danach zu zeigen, auf welche Weise Gesellschaftssysteme in der Lage sind, diese Mechanismen zu differenzieren und zu rekombinieren.“592 Der Systemtheorie folgend bestehen auch die Mechanismen der Differenzierung und Rekombination aus Kommunikation.593 Zwar bezeichnet Luhmann die Evolutionstheorie „als das eigentliche Theorie­ angebot der Soziologie an die Geschichte, doch erinnert er ebenfalls daran, dass „Die Evolutionstheorie […], wie bereits gesagt, keine kausalgesetzlichen Aussagen für „den“ historischen Prozeß des gesellschaftlichen Wandels“ formuliert. „Ihr Erkenntnisinteresse liegt primär in der Formulierung von Bedingungen und Folgen der Differenzierung evolutionärer Mechanismen“.594 Auch hinsichtlich einer Anwendung seiner Theorie zur Epochenabgrenzung in der Mediengeschichte bleibt Luhmann selbst reserviert, denn eine solche Einteilung kommt nicht zustande. Zwar können „evolutionäre Errungenschaften“ in den „fundamentalen Strukturen der Gesellschaft“ für „den Beobachter“, den „Eindruck bestimmter Gesellschaftsformationen“ ergeben, „die sich deutlich voneinander unterscheiden“. „Mit sehr groben Vereinfachungen kann er dann schriftlose und literarische Kulturen unterscheiden oder deutlich stratifizierte Gesellschaften von segmentären Gesellschaften […]. Da es aber zwei Bereiche solcher Unterscheidung gibt, Kommunikationsmedien und Differenzierungsformen, kommt auch keine eindeutige Epochenabgrenzung zustande. Man kann sagen, die moderne Gesellschaft beginne im 15. Jahrhundert mit dem Übergang von den spätmittelalterlichen durchorganisierten Großwerkstätten der Manuskriptproduktion zu einer Anfertigung von Texten mit Hilfe der Druckerpresse.

592 Luhmann, Niklas, Evolution und Geschichte, in: ders., Soziologische Aufklärung 2, S. 150– 169, hier: S. 150  f. Hervorhebungen in Fettdruck durch die Verfasserin. 593 Bickenbach, Matthias, S. 128. 594 Luhmann, Niklas, Soziologische Aufklärung 2 – Evolution und Geschichte, S. 150 & 152.

182 

 MedienrEvolution (?) im 15. Jahrhundert – Fazit

Oder man kann sagen, die moderne Gesellschaft beginne im 18. Jahrhundert mit der Beobachtung des Zusammenbruchs der Stratifikation und der Neuformierung operativ geschlossener Funktionssysteme. Der Sachverhalt gibt keine eindeutigeren Zäsuren her.“595 Luhmanns ablehnende Haltung gegenüber einer globaltypischen Evolutionsgeschichte schließt jedoch die Möglichkeit einer Anwendung seiner Evolutionstheorie auf konkrete historische Situationen und Kontexte der Medienentwicklung nicht aus.596 Dies erfordert jedoch eine Verschiebung der Mediengeschichte, von einer Ereignis- und Fortschrittserzählung der Leitmedien, zu einer Geschichte der historischen Intermedialität, als einem relationalen und in den Horizont von Möglichkeit und Wirklichkeit eingebundenen kulturellen Geflechts der Medien.597 Insbesondere die Frühphasen neuer Techniken sind dem Philosophen und Medientheoretiker Bernard Stiegler zufolge gerade nicht Phasen, die von zielgerichteter Planung und Fortschritt begleitet werden, sondern die von Verwirrung oder ursprünglicher Desorientierung geprägt werden.598 Erst unter evolutionstheoretischen Gesichtspunkten kann deutlich werden, dass neue Medien nicht als solche in ihrem historischen Kontext ab origine auftreten und sich infolge ihrer Funktionen (bspw. ihrer technischen Funktionalität) stabilisieren bzw. durchsetzen, sondern, dass die Funktionen aufgrund kultureller Selektion entstehen. Die Versprechungen der Medien und ihre Funktionen sind Verhandlungssache kultureller Kommunikation, bei der ihre Vor- und Nachteile, ihr Name und auch ihre Funktion zunächst semantisch variieren und entsprechend formiert werden. Sie unterliegen einem kulturellen Auswahlprozess, in dem diskursiv verhandelt wird, was Erfolg verspricht. Sozusagen ein kultureller, aus Kommunikation bestehender, „trial-and-error-Prozess“, der die Ausgangslage der Medienevolution bildet.599 Dabei ist entscheidend, dass die Zirkularität der evolutionär wirksamen Mechanismen Gesellschaft und Kommunikation in Rechnung gezogen wird. Soziale Systeme sind nach Luhmann

595 Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 516. Auf Seite 515 erklärt Luhmann die beiden Unterscheidungen: „Verbreitungsmedien der Kommunikation (erweitert durch Schrift, dann durch die Druckpresse und heute durch Telekommunikation und elektronische Datenverarbeitung) und die Formen der Systemdifferenzierung (Segmentierung, Zentrum/Peripherie-Differenzierung, Stratifikation, funktionale Differenzierung). 596 Luhmann, Niklas: Soziologische Aufklärung 2 – Evolution und Geschichte, S. 150–170. Und Bickenbach, Matthias, S. 132. 597 Bickenbach, Matthias, S. 132. 598 Stiegler, Bernard: Technics and Time, 2: Desorientation, Stanford 2009. 599 Ausführlicher dazu bei Bickenbach, Matthias, S. 121–132.

MedienrEvolution (?) im 15. Jahrhundert – Fazit 

 183

selbstreferen­tielle, autopoietische Systeme, die zugleich geschlossen und offen gegenüber ihrer Umwelt sind. Evolution wird nur durch „[…] die Differenz von Umwelt und System ermöglicht […]. Anders gesagt: Kein System kann aus sich heraus evoluieren. Wenn nicht die Umwelt stets anders variierte als das System, würde die Evolution in einem >>optimal fitArs minor< des Aelius Dona­tus, in: Bettina Wagner (Hg.), Blockbücher des 15. Jahrhunderts, Wiesbaden 2013, S. 131– 161. Die Angabe der 10–14 unterscheidbaren Ausgaben beruht ebenfalls auf diesem Beitrag. 643 Die verschiedenen Auflagen wurden von der Autorin dieser Arbeit neu klassifiziert. Siehe die biliograph. Materialsammlung „Planetenkinderbücher“ im Anhang VII.5.

210 

 Anhang

F Fabel –

Fabel vom kranken Löwen (2 Auflagen) [dt.]:3. Layout-Typ: 3.

G Kampfkunst –

Die Kunst des Ringens [dt., 1500]:1. Layout-Typ: 2.

H Blockbücher des 16. Jahrhunderts – – – – – –

Ars moriendi et vita aeterna (gedr.1561) [dt.]: 1 Decalogus (gedr. ca. 1540–60; Süddeutschland (Franken, Bayern)) [dt.]: 1 Kalender (bretonischer Kalender des 16. Jh., ca. 1550) [bretonisch, frz. engl.]: 3 Monumenta antiqua urbis et agris Brixiani (gedr. 1564; Künstler Sebastiano Arragonensi) [lat.]: 4 Opera nova contemplativa (gedr. 1520/30; Venedig; ital. Bearbeitung der Biblia pauerpum 22) [ital.]:17; [k.A.]: 5 Passio (ca. 1540–60) [dt.]: 3

VIII.2 Deutschsprachige Blockbücher – bibliographische Datensammlung zur Lokalisierung644 Antichrist: ∙ Chiroxylograph. Ausgabe: Franken / Nürnberg?, ca. 1450 / nicht nach 1467 ∙ I: Süddeutschland (Schwaben?), ca. 1465?, vor 1470 ∙ II: Edition des Hans Briefmaler (Sporer), Nürnberg, 1470/72 Ars moriendi: ∙ VII: Edition des Ludwig von Ulm, ca, 1469 ∙ VIIA: Edition des Ludwig von Ulm, um 1475–1480 ∙ X: handschriftl. Text, in den Bodenseeraum lokalisiert, um 1470 ∙ XI: Ausg. siehe W.L.Schreiber, Manuel IV², S. 265–266. ∙ XII: vermutlich Augsburg, beidseitig auf einer Buchdruckerpresse bedruckte Blätter, um 1475 – Biblia pauperum: ∙ Ed. Walther: Drucker Friedrich Walther und Hans Hurnung, Nördlingen, 1470 ∙ Ed. Spoerer: Drucker Hans Sporer, Nürnberg, 1471 – Chiromantie: ∙ Ausg. siehe W.L.Schreiber, Manuel IV², S. 429, Joerg Schapf, Augsburg, ca. 1485–1495? – –

644 Alle Angaben stützen sich Kataolgrecherchen zu jeweiligen Titel sowie die Materialsammlung von Wilhelm Ludwig Schreiber, Manuel IV und sind als provisorisch anzusehen.

Deutschsprachige Blockbücher 

– – – – – – – – – – – – – I: –

 211

∙ Keine Angaben hinsichtlich des Entstehungsraumes zu den übrigen 3 von Schreiber verzeichneten Druckzuständen. Confessionale: heute verschollenes Unikat. Fabel vom kranken Löwen: zwei Auflagen, nur eine davon ist bei Schreiber, Manuel IV², auf S. 444 verzeichnet. Laut Schreiber evtl. Alemannische Sprachfärbung. Kalender Meinradslegende: Süddeutsch oder Ostschweiz, vielleicht von Lienhard Isenhut in Basel gedruckt, ca. 1450–64 / 1466? Mirabilia Romae: Ausg. siehe Schreiber, Manuel IV², S. 396  f, Druckort Nürnberg? Rom?, ca. 1471–1484, 1475? Passio: ∙ III: Süddeutschland, ca. 1540–1560 ∙ IV: Ausg. siehe Schreiber, Manuel IV², S. 336 schwäbische Sprachfärbung, Ulm? ∙ V: Ausg. siehe Schreiber, Manuel IV², S. 338 alemannisches Sprachfärbung, Ulm? ∙ VI: Ausg. siehe Schreiber, Manuel IV², S. 340 schweizerdeutsche Sprachfärbung Planetenbuch:645 Zu den Sprachfärbungen siehe Schreiber Manuel IV², S. 417  f. ∙ 1: Basler Druck, erste Ausgabe 1455/58; zweite Ausgabe 1465/70 ∙ 2: alemannisches Sprachfärbung, um 1460 ∙ 3: schwäbische Sprachfärbung, um 1470 ∙ 4: Provenienz Gallus Kemli (St. Gallen), vor 1481 ∙ 5: schwäbische Ausgabe, ca, 1465 Rechenbuch: Süddeutschland, 1471–82 Ringerbuch: Hans Wurm zu Landshut, 1500 Salve Regina: Lienhart von Regensburg, 1470 Septimania poenalis: schweizerdeutsche Sprachfärbung (lt. Schreiber Manuel IV², S. 349), 1455–60 Symbolum apostolicum: ∙ III: Süddeutschland (Landshut?), vor 1470? ∙ Eine bei Schreiber nicht verzeichnete weitere detusche Ausgabe (Fragment in der Bayerischen Staatsbibliothek, Cgm 7248 Beibd. 1): Süddeutschland, um 1470? Totentanz: Ostmitteldeutsche Sprache, Holzschnitte laut kunsthistorischer Beurteilung aus Basel,646 ∙ 1455/58 ∙ II: Süddeutschland?, ca. 1455–1465? Sog. Zeitglöcklein (Franziskanisches Tagzeitenblockbuch): Süddeutschland (Schwaben?), ca. 1475

645 Die verschiedenen Auflagen wurden von der Autorin neu klassifiziert. Siehe VII.5 Bibliographische Materialsammlung zu den Planetenkinderbüchern 646 „Die vor allem in der kunsthistorischen Literatur konstatierte Herkunft der Holzschnitte aus Basel und die ostmitteldeutsche Schreibsprache der deutschen Textteile lassen sich nicht in Einklang bringen.“ Aus: Wissenschaftliche Beschreibung von Cod. Pal. Germ. 438, „Heidelberger Bilderkatechismus, Biblia Pauperum u.  a.: http://www.ub.uni-heidelberg.de/digi-pdf-katalogisate/sammlung2/werk/pdf/cpg438.pdf, Abfrage vom 27. 08. 14.

Baltimore – the Walters Art Gallery

Bamberg – Staats­ bibliothek

1

2

Bibliothek

Inc. Iv. 16/3

A 991/ 91.1267

Sign.

11 Bl.

12 Bl.

Umfang

2o (folio)

29 × 20,5

Format

um 1475

ca. 1475

Dat.

Dreiberg darüber Kreuz,

k. A.

Wasserzeichen

Ludwid von Ulm?; Druckort Süddeutscland (Ulm?); Kloster Langheim bei Bamberg 1673 (Zisterzienserabtei St. Maria, St. Johannes Evangelist, St, Nikolaus)

Drucker Nicolaus Götz in Köln; (No. A 1114 bei Goff);erworben von Henry Walters (Samml. = Grundlage d. WAG)

Provenienz

lat.

lat.

Sprache

ja

nein

Sbd.?

SB u.  a. mit den Werken der Hroswitha von Gandersheim; hg. durch Conrad Celtis 1501; unkoloriert, Bl. zweiseitig bedruckt, schwarze Drucktinte

bei Inka Tübingen zu finden → wahrschl. Typograph. Mischform

Inhalt/Rechercheergebnisse

VIII.3 Bibliographische Materialsammlung zu den Blockbüchern der „Bilder-Ars“

IV

k. A.

HTS

212   Anhang

3

Basel – Universitätsbibl.

Bibliothek

Mscr. A IX 23a

Sign.

14 Bl.

Umfang 8° (Oktav)

Format um 1470

Dat. k. A.

Wasserzeichen Basler Kartause

Provenienz dt.

Sprache ja

Sbd.?

HTS

koloriert; ursprl. (na. XI Bl. 33) zusammengeb. mit HS A X 23 (aus d. Basler Kart.); versch. Hände 15. Jh.: 1. Kalender d. Kartäuserordens; 2. Gebet d. Mönche vor od. nach dem Pater Noster; 3. lt. Inhaltsverz. ursprl. Ars m., jetzt Gebete d. Conversen d. Kartäuser; 4. Regel d.  hl. Benedikt; 5.Gebete d. Laienbrüder zu den 7 Zeiten; 6. Legende d.  hl. Benedictus, Abt von Montecassino; 7. S. Bernardus, 8 Verse (Gebte); Xylo-chirographisch

Inhalt/Rechercheergebnisse

Bibliographische Materialsammlung zu den Blockbüchern der „Bilder-Ars“   213

Berlin – Staatl. Museen Preuß. Kulturbesitz, Kupferstichkab.

 

Berlin – Staatl. Museen Preuß. Kulturbesitz

4

5

6

Bibliothek

Lib. iImpr. rar. fol. 142

heute nicht mehr nachweisbar

Cim. 2

Sign. 28 × 19,8 cm

Format

24 Bl.

28 × 19 cm

nur Bl. 12, k. A. 13, 15, 16, 17, 19, 20–23

 

Umfang

um 1470

k. A.

um 1476

Dat.

k. A.

k. A.

k. A.

Wasserzeichen

aus der Bibl. des Grafen Stephan v. Méjan in München, seit 1847 Bibl. Berlin

k. A.

vermutl. Samml. Weitsch Berlin, erworben 1841 über von Nagler vermutl. Niederländ. od. Oberrheinisch

Provenienz

lat.

lat.

lat.

Sprache

k. A.

?

nein

Sbd.?

vollständig, einige Tafeln koloriert, einseitig bedruckt; lt. Katalog „Bestand erfragen / Kriegsverlust möglich“

Blätter beschädigt

S. 2 – 7 fehlen (im 19. Jhdt. durch Federzeichnungen u. handschrift. Text ergänzt) koloriert; anopistographisch mit brauner Tinte (Reiberdruck) gedruckt (die leeren Rückseiten waren ursprl zusammengeklebt)

Inhalt/Rechercheergebnisse

III

V

II

HTS

214   Anhang

Biddesden, Samml. Alfred Huth

Breslau (Wroclaw) Universitätsbibl.

Brügge, Stadtarchiv

Cambridge, GB, Univ. Library, Trinity College

 

7

8

9

10

11

Bibliothek

1 Bl.

k. A.

k. A.

Umfang

4246; entspr. Inc. 3

24 Bl.

Vl.18.20.C 6 Bl.

Reeks 540

heute nicht mehr nachweisbar

heute nicht mehr nachweisbar

Sign.

28, 3 × 19,7 cm folio

fol.

18 × 29 cm

k. A.

k. A.

Format

k. A.

ca. 1475

2.te Hälfte 15. Jh.

k. A.

k. A.

Dat.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

Wasserzeichen

Benediktinerstift Göttweig, 1946 von R.E. Hart gekauft

Drucker Nikolaus Götz; Köln (Vgl. Wolfenbüttel)

k. A.

k. A.

k. A.

Provenienz

lat.

lat.

lat

lat.

 

Sprache

?

nein

?

?

?

Sbd.?

unkoloriert; u­ngebunden

unvollständig; in der Sek.lit. wird diese Ausg. Nicht aufgeführt. Evtl. handelt es sich aber um ein Exemplar das erst nach 1991 nach Cambridge kam.

unvollständig; QS-Text

vollständig

 

Inhalt/Rechercheergebnisse

IV

k.A.

k.A.

IV

II

HTS Bibliographische Materialsammlung zu den Blockbüchern der „Bilder-Ars“   215

 

15

B. 6.2

B. 6.2

Dublin, Trinity College Library

14

heute nicht mehr nachweisbar

Mscr. Dresd. G 150 s A

Dresden, Sächs. Landesbibl.

Sign.

13

12

Bibliothek

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

Umfang

k. A.

k. A.

27, 3 × 20,3 cm

k. A.

Format

k. A.

k. A.

Nicht vor 1480

k. A.

Dat.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

Wasserzeichen

k. A.

k. A.

k. A.

Franziskaner – Bibl. Meissen

Provenienz

k. A.

lat.

lat.

lat.

Sprache

 

ja (?)

nein

?

Sbd.?

Frag. von Bl. 2 einer Ars moriendi & Fragm. Eines Canticum canticorum

Blätter 1–6 & 14–16 vorhanden, dazugebunden wurde ein Fragment von Bl. 2 der Ars moriendi & 3 Frag. einer Ausg. des Canticum Canticorum

vollständig; im Katalog findet sich folgende Sign: Mscr. Dresd.g.150.s; Expl. von 1514 aus Landshut (?); 7. Ausg.; zweiseitig gedr.; leicht beschädigt

 

Inhalt/Rechercheergebnisse

I

I

IV

II

HTS

216   Anhang

Ermlitz bei Leipzig

Frankfurt/ Main, Stadt- & Universitätsbibl.

Franzesberg, W. L. Schreiber

Genf, Bibl. Bod-meriana

16

17

18

19

Bibliothek

ohne Sign.

k. A.

Ausst. 87

heute nicht mehr nachweisbar

Sign.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

Umfang

2o

k. A.

18,1 × 25,6 cm

k. A.

Format

ca. 1470

k. A.

nach 1465

k. A.

Dat.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

Wasserzeichen

aus der UB Heidelberg, 2. erworben durch Martin Bodmer bei Maggs, London 1934; Druckort Augsburg

k. A.

aus dem Besitz von Zacharias Konrad von Uffenbach, gest. 1735

ehemalige Samml. Dr. Apel

Provenienz

lat.

dt.

lat.

lat.

Sprache

nein

?

unbek. ob früher in einem SB

?

Sbd.?

Blätter einseitig bedruckt, zusammengeklebt

das 7. Bl. fehlt, koloriert

nur Bl. 16, 18 & 19. S. 19 ist koloriert; Ränder braun

Satz in einem Block

Inhalt/Rechercheergebnisse

IV A

X

II

II

HTS Bibliographische Materialsammlung zu den Blockbüchern der „Bilder-Ars“   217

Gotha, Forschungsbibl., Schloß Friedenstein (ehem. Herzogl. Bibl.)

Haarlem, Stadsbibliothek

20

21

Bibliothek

Inv. II No 3

k. A.

Sign.

16 Bl.

k. A.

Umfang

2o

27,4 × 19,5 cm

Format

ca. 1467

k. A.

Dat.

k. A.

k. A.

Wasserzeichen

Druckort Niederlande („ … By LAVRENS IANSZ. KOSTER // van HAERLEM ghedruckt // Omtrent den Jaere MCCCC XXVIII“); keine weiteren Angaben zur Provinienz

fraglich, bereits im 18. Jh. Im Bestand der Gothaer Bibl.

Provenienz

lat.

lat.

Sprache

nein

?

Sbd.?

unvollständig, Bl. 1, 12 – 15, 19, 20 und 23 fehlen

unvollständig, Bl. 1. Bl. des Vorwortes fehlt

Inhalt/Rechercheergebnisse

II

IV

HTS

218   Anhang

Hannover, Niedersächs. Landesbibl. (ehem. kgl. öffentl. Bibl.)

Heidelberg, Univ. bibl.

Köln, Stadt- & Univ.bibl.

Kórnik, Polen, Biblioteka Kórnicka PAN

22

23

24

25

Bibliothek

Inc. F. 167

k. A.

Cod. Pal. germ. 34

Ink. 3

Sign.

13 Bl.

k. A.

k. A.

22 Bl

Umfang

28 × 19 cm

k. A.

k. A.

ca. 22 × 16,6 cm

Format

Wasserzeichen

k. A.

ca. 1465

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

ca. k. A. 1480–85

Dat.

bereits 1832 im Besitz des Grafen Tytus Szialynski, Stifter der Bibl. Kórnicka

dieselben Holzstöcke wie bei der 1475 von Nikolaus Götz in Köln gedruckten typograph. Ars moriendi-Ausgabe

k. A.

1749 von Jugler in Lüneburg gekauft

Provenienz

k. A.

lat.

dt.

lat.

Sprache

?

nein

ja

nein

Sbd.?

 

Text in 2 Kolumnen gesetzt

1. Tafel fehlt, Text nicht vollständig erhalten, koloriert

nur 22 Bl., die beiden Bl.ätter des Vorwortes fehlen

Inhalt/Rechercheergebnisse

k.A.

II

II

V

HTS Bibliographische Materialsammlung zu den Blockbüchern der „Bilder-Ars“   219

Lille, Le Comte de Waziers

London, British Library

 

 

26

27

28

29

Bibliothek

I B. 23

I A. 23

I B. 18

k. A.

Sign.

13 Bl.

k. A.

24 Bl.

k. A.

Umfang

folio

k. A.

folio

k. A.

Format

1470?

k. A.

1465?

k. A.

Dat.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

Wasserzeichen

1846 gekauft; Ursprungsort Deutschland

aus Samml. Bright, 1846 gekauft

Ursprung „District of Rhine“; aus Samml. Weigel, gekauft 1872 (lt. Weigel „Fundort Köln“; aus Privatbesitz erworben. D.  h. vermutet W. Köln ebenfalls als Ursprungsort)

k. A.

Provenienz

lat.

lat.

lat.

frz.

Sprache

nein

?

nein

?

Sbd.?

unvollständig, es fehlt das letzte Bl., das durch ein Faksimile von Harris ersetzt wurde; QS-Text; opistographisch (beidseitig) beduckt

 

Vollständig; QS-Text; anopistographisch (einseitig) bedruckte Blätter

vollständig

Inhalt/Rechercheergebnisse

IV A

II

I

I

HTS

220   Anhang

 

 

 

 

30

31

32

33

Bibliothek

I B. 21; en placard

I A. 24

I A. 19

I B. 20

Sign.

2 Bl.

2 Bl.

24 Bl.

1 Bl.

Umfang

folio

Oktav

4o (Quart)

folio

Format

1475 ?

1470?

1470?

1473

Dat.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

Wasserzeichen

aus Samml. Weigel, gekauft 1872; Ursprungsort Germany

aus Samml. Weigel, gekauft 1872; Ursprungsort Germany

aus der Samml. Bright, erworben 1845; Ursprung „District of Rhine“;

Drucker Hans Sporer (Germany); aus Samml. Weigel, gekauft 1872

Provenienz

dt.

dt.

lat.

dt.

Sprache

nein

nein

nein

nein

Sbd.?

nur 2 Blätter (ohne Text; auf Bl. 1 Moribundus umgeben von 5 Teufeln & 5 Engeln die ein Spruchband tragen, auf Bl. 2 Weltgerichtsdarst.)

nur Bl. 5 & 10

die letzte Seite fehlt; QS-Text; anopistographisch

Fragm. von Bl. 18

Inhalt/Rechercheergebnisse

k.A.

XII

IX

VIII

HTS Bibliographische Materialsammlung zu den Blockbüchern der „Bilder-Ars“   221

London, Lambeth Palace Library

Mainz, Gutenbergmuseum

Manchester, John Rylands Library

34

35

36

Bibliothek

Umfang

16120

GM Ink 1019

26 Bl.

26 Bl.

(ZZ) k. A. 1473.2.03

Sign.

27 × 20 cm

13,9 × 9,9 cm

k. A.

Format

k. A.

ca. 1460/ um 1475

ca. 1465

Dat.

k. A.

k. A.

k. A.

Wasserzeichen

Spencer Collection

vermutl. Entstehungsort Augsburg

Druckort: „District of Rhine“

Provenienz

lat.

dt.

lat.

Sprache

?

ja

ja

Sbd.?

 

vollständig, koloriert; beidseitig auf einer Buchdrucker-Presse gedruckt;im 19. Jhd. einer deutschen Gebetbuchhandschrift entnommen, die für den privaten Gebrauch bestimmt war; bis 1995 in Donaueschingen, Fürstl. Fürstenbergische Hofbibliothek (Inc. 56)

am Ende eines SB mit 2 anderen Werken des Thomas a Kempis „Soliloquium animae (1473)“, „Prognostica (na. 1473)“. Beide lat.; lt. Stevenson älter als die E.P. im British Museum

Inhalt/Rechercheergebnisse

IV

XII

I

HTS

222   Anhang

 

Memmingen, Stadtarchiv

München, Bayerische Staatsbibl.

37

38

39

Bibliothek

Xyl. 15

ohne Sign.

10123

Sign.

k. A.

k. A.

22 Bl.

Umfang

k. A.

k. A.

18,7 × 13 cm

Format

um 1475– 80

ca. 1475

1475

Dat.

Ochsenkopf darüber 2 Kreuze

k. A.

k. A.

Wasserzeichen lat.

Sprache

wahrschl. ebenfalls eine Ulmer Ausg. des Ludwig von Ulm; Druckort: Süddeutschland (Ulm?); Niederaltaich, Benediktiner-abtei St. Mauritius

dt. / lat.

Druckort: Rheinlat. land (Niederrhein, Köln, Mainz?); 1. aus einem Kloster in der Oberpfalz, 2. 1729 v. dem russ. Staatsrat Jakob von Stählin (1709– 1785) erworben, 3. 1766 der Stb. Memmingen geschenkt

Drucker Eggestein Heinrich aus Strassburg * ca. 1415; Spencer Collection

Provenienz

k.A.

nein

nein

Sbd.?

die ersten beiden Textseiten sind dt. -> Mischexemplar: Bl. 1–2 Ausg. VIII, Bl. 3–15 Ausg. IV

nur die Bl. 1,2,8,10,20,22 u. 24

Vorwort fehlt, koloriert; CP – Text! Blockbuch

Inhalt/Rechercheergebnisse

IV A& VII

XIII

IX

HTS Bibliographische Materialsammlung zu den Blockbüchern der „Bilder-Ars“   223

 

 

40

41

Bibliothek

Xyl. 17

Xyl. 16

Sign.

k. A.

k. A.

Umfang

k. A.

k. A.

Format

ca. 1475

Herstellung ca. 1475 (?), Druck bis um 1491

Dat.

Agnus Dei; Dreiberg darüber Kreuz

Ochsenkopf darunter 5-blättrige Blume mit Schlange; Ochsenkopf darüber 7-blättr. Blume mit Schlan­ge

Wasserzeichen

Bibl. d. Augustiner-Domherren in Beyharting; 1. Ulmer Ausg. „Ludwig ze Ulm“

Druckort: Süddeutschland (Ulm?); Ludwig von Ulm?; Tegernsee, Benediktinerabtei St. Quirin

Provenienz

lat.

lat.

Sprache

?

k.A.

Sbd.?

 

sorgfältig koloriert

Inhalt/Rechercheergebnisse

IV C

IV A

HTS

224   Anhang

 

 

 

42

43

44

Bibliothek

Xyl. 19

Xyl. 18

Xyl. 14

Sign.

24 Bl.

k. A.

k. A.

Umfang

k. A.

k. A.

k. A.

Format

ca. 1469/ um 1475– 80

um 1475

ca. 1470

Dat.

Buchstabe „p“ darüber 4-blätt. Blatt

Buchstabe „p“ darüber Wappen der Stadt Landsberg am Lech

Buchstabe „p“ darüber vierblättr. Blume

Wasserzeichen

spätere Ulmer Ausg, „Ludwig ze Ulm“

Druckort: Ulm, Ludwig [von Ulm]; Kloster Altomünster (Birgittenkloster; Augustinerregel)

Bibl. Zwickau

Provenienz

dt.

dt.

lat.

Sprache

k. A.

?

?

Sbd.?

vollständig

Fragment

vollständig; 2 zusätzliche Holzschnitte (Erzengel Michael als „Seelenwäger“ und „ein Menschenleben“ (Faksimile von 1910; keine Benutzerspuren des Originals zu sehen)

Inhalt/Rechercheergebnisse

VII

VII A

IV D

HTS Bibliographische Materialsammlung zu den Blockbüchern der „Bilder-Ars“   225

 

München, Staatl. Graphische Sammlung

 

45

46

47

Bibliothek

10773D

10773C

Xyl. 13

Sign.

k. A.

vollst.

k. A.

Umfang

k. A.

28 × 19,5 cm

k. A.

Format

ca. 1475

?

ca. 1475

Dat.

Dreiberg darüber Kreuz, Agnus Dei, Wappen

 k. A.

Glocke, Einhorn, Anker darunter Kreuz, Bischofsstab

Wasserzeichen

Ludwig von Ulm (?), vermutlich in Süddeutschland (Ulm) gedruckt

Püttricher Kloster, München?

Druckort: Rheinland (Niederrhein, Köln, Mainz?) lt. Schreiber aus der Herzog-AugustBibl. Wolfenbüttel

Provenienz

lat.

lat.

lat.

Sprache

k. A.

nein

?

Sbd.?

unkoloriert, schwarze Druckfarbe

koloriert

es fehlen die Bl. 1,19,20 & 24

Inhalt/Rechercheergebnisse

IV

IV

XIII

HTS

226   Anhang

München, Univ.-bibl.

New York, Pierpont Morgan Library

48

49

Bibliothek

 

Xyl. IX entspr. Cim. 51

Sign.

9 Bl.

22 Bl.

Umfang

k. A.

Folio, 20,5 × 28,5 cm; 2o

Format

1465 – 1470

ca. 1460/ ca. 1475

Dat.

k. A.

Marke, Wappen, Dreiberg darüber Kreuz

Wasserzeichen

Vorbesitzer Richard Bennett (1844 – 1900), Manchster; Ursprung „Germany“

Ludwig von Ulm (?), vermutlich in Süddeutschland (Ulm) gedruckt; Bibl. der Domherren in Polling (ursprl. Benediktinerspäter Augustiner Chorherrenstift Hl. Kreuz, St. Salvator) ges. Bestände (über 88.000 Bd.) gingen 1803 im Zuge der Säkul. zu einem geringen Teil an die UB

Provenienz

?

lat.

Sprache

nein

nein

Sbd.?

 

1. Bl. fehlt, Bl. 17 & 18 rot koloriert; anopistographisch, schwarze Druckfarbe, die Druckstöcke wurden oft schräg aufgesetzt; lat. Randglossen mit Abbreviaturen eines spätmittelalterlichen Lesers/Schreibers.

Inhalt/Rechercheergebnisse

II

IV

HTS Bibliographische Materialsammlung zu den Blockbüchern der „Bilder-Ars“   227

 

 

 

 

50

51

52

53

Bibliothek

 

 

 

 

Sign.

12 Bl.

14 Bl,

6 Bl.

24 Bl.

Umfang

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

Format

ca. 1478

ca. 1470

1470

1465 – 1470

Dat.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

Wasserzeichen

Ursprung „Region of Lake of Constance“

Ursprung ­„Augsburg?“

Richard Bennett,Manchster

Ursprung „Augsburg?“; Vorbesitzer 1. Huth (Verkauf 1917) 2. Murray Charles Fairfax (1849 – 1919)

Provenienz

dt.

lat.

lat.

lat.

Sprache

nein

nein

nein

nein

Sbd.?

kolorierte Holzschnitte

2 zusätzl. Holzschnitte angehängt (Jesus als Intercessor; Adam & Eva)

unvollständig, nur Bl. 1–3 & 6–8, QS – text

unkoloriert

Inhalt/Rechercheergebnisse

X

IV

IV

IV

HTS

228   Anhang

New York, Public Library, Lennox Collection

 

 

Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum

54

55

56

57

Bibliothek

Inc. 15014

k. A.

Kb 1475

Kb 1472

Sign.

die ersten 3 Bl.

k. A.

k.A

k.A.

Umfang

2o

k. A.

fol.

fol.

Format

ca. 1470 / ca. 1475

k. A.

k. A.

ca. 1472

Dat.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

Wasserzeichen

Druckort: Süddeutschland (Ulm?), Ludwig von Ulm; seit 1859 im Germ. Nat. Museum

k. A.

Drucker Nicholaus Götz aus Köln;viel. dasselbe Expl.,das sich früher im Besitz von Bottfield befand

Drucker Günther Zainer aus Augsburg; viel. dasselbe Expl.,das 1. 1889 bei Buchhändler Tross in Paris & 2. bei Renourd war

Provenienz

lat.

lat.

lat.

lat.

Sprache

nein

?

?

k.A.

Sbd.?

 

 

 

Da die Signaturangaben in der Sek.lit. fehlten, kann eine sichere Zuordnung der Angaeben nicht garantiert werden. Hinweise lieferten nur die spärl. OnlineKatalogangaben und die Klassifikation nach Schreiber

Inhalt/Rechercheergebnisse

IV B

V

IV C

IV A

HTS Bibliographische Materialsammlung zu den Blockbüchern der „Bilder-Ars“   229

Paris, Bibl. Nationale

 

 

 

 

58

59

60

61

62

Bibliothek

Rés. Xylo. 24

Rés. Xylo. 23

Rés. Xylo. 22

Rés. Xylo. 20

Ea. 5 Rés. Boite 13 od. Xylo. 26

Sign.

14 Bl.

14 Bl.

24 Bl.

24 Bl.

24 Bl.

Umfang ca. 1467

Dat.

2° ca. (29,0 × 1480 – 19,4 cm) 1485

2° ca. (29,7 × 1480 – 20,0 cm); 1485 folio

2° ca. (27,5 × 1475 19,0 cm)

2° ca. (26,7 × 1475– 19,3 cm) 1480

folio

Format

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

Wasserzeichen

Rheinland (Straßburg od. Basel?)

Süddeutschland

Süddt. (Ulm?) als Druckort vermutet; evtl auch Ludwig von Ulm

Nordniederlande od. Rheinland (Köln?) als Druckort vermutet

Geschenk von Joseph-Hyppolyte Roman 1875; Südniederlande als Druckort vermutet

Provenienz

lat.

lat.

lat.

lat.

frz.

Sprache

nein

nein

nein

nein

nein

Sbd.?

nicht koloriert, Xylogr. Mit Druckerpresse gedruckt; opistographisch

nicht koloriert; schwarze Tinte/Druckfarbe; xylogr. Reiberdruck; opistographsich

Xylographie mit Druckerpresse gedruckt; anopistographisch

Bl. 8 – 19 vorhanden; graue Tinte/Druckfarbe; xylogr. Reiberdruck; anopistographisch

2 Bild- & 2 Textseiten vorhanden; braune Tinte/Druckfarbe; xylogr. Reiberdruck; anopistographisch

Inhalt/Rechercheergebnisse

IV D

IV C

IV A

III

IB

HTS

230   Anhang

 

 

 

 

63

64

65

66

Bibliothek

Rés. Xylo. 18

Rés. Xylo. 19

Rés. Xylo. 21

Rés. Xylo. 25

Sign.

2 Bl./24 Bl. (?)

24 Bl.

24 Bl.

24 Bl.

Umfang ca. 1468– 1469

Dat.

2° ca. (26,5 × 1470 18,8 cm; Folio)

2° ca. (29,0 × 1470 19,5 cm; Folio)

4 ° (19 × ca. 1465– 14 cm; Quart) 70?

2 ° folio

Format

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

Wasserzeichen

Rheinland (Köln? Mainz?)

Nicolaus Yemeniz, Ambroise Firmin Didot vermutl. Druckort Rheinland

1738 durch PierreJean Mariette; Südniederlande od. frz. (Lyon od. Burgund?) als Ursprung vermutet

Druckort: Ulm (?), Ludwig [von Ulm]; Schreiber vermutet, daß es aus dem Besitz des Grafen Pertusati stammt

Provenienz

lat.

lat.

lat.

dt.

Sprache

nein

nein

nein

nein

Sbd.?

unvollständig, nur Bl. 19 & 20; nicht koloriert; graue Tinte/Druckfarbe, xylogr. Reiberdruck; anopistographisch

koloriert; graue Tinte/ Druckfarbe; xylogr. Reiberdruck

vollständig, nicht koloriert; xylograph. Reiberdruck; graue Tinte/Druckfarbe; anopistographisch

nicht koloriert, vollständig; Xylogr. mit Druckerpresse gedruckt

Inhalt/Rechercheergebnisse

XIII

XIII

IX

VII A

HTS Bibliographische Materialsammlung zu den Blockbüchern der „Bilder-Ars“   231

 

Pommersfelden, Schloß Weissenstein, Graf von Schön` bornsche Schloßbibl.

67

68

Bibliothek

LXV/GK 5 (Glaskasten 5)

Rés. Xylo. 37 [1]

Sign.

15 Bl.

2 Bl.

Umfang

k. A.

27,6 × 19,9 cm

Format

ca. 1467– 69

16. wenn nicht sogar 17. Jh.; post 1561; ca. 1620– 25?

Dat.

k. A.

k. A.

Wasserzeichen

Druckort: Niederlande; aus der Bibl. des Lothar Franz v. Schönborn (1655 – 1729), der als Fürstbf. Des Bistums Bamberg (1693–1729) und Erzbf. des Bistums Mainz (1695– 1729) wirkte.

Papier aus der Papiermühle Ravensburg; süddt. Druckort vermutet

Provenienz

lat.

dt.

Sprache

?

nein

Sbd.?

kursorisch koloriert; handschriftl., Kurze, lat. Randglosssen eines spätmittelalterlichen Lesers.

nicht koloriert; schwarze Tinte/Druckfarbe; Xylogr. Mit Druckerpresse gedruckt

Inhalt/Rechercheergebnisse

IV

k.A.

HTS

232   Anhang

Rouen, Dutuit

San Marino, Cal., USA, Huntington Library

Stuttgart, Württemberg. Landesbibl.

Washington, Library of Congress, Rosenwald Collection

69

70

71

72

Bibliothek

Incun. X. A 874

 

RB 144968

heute nicht mehr nachweisbar

Sign.

24 Bl.

24. Bl.

24 Bl.

k. A.

Umfang

11 illus. 28,7 cm

k. A.

k. A.

k. A.

Format

ca. 1470

ca. 1469

ca 1465

k. A.

Dat.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

Wasserzeichen

Exlibris von A. S. Renouard – L.J. Rosenwald; D. als Druckort

Ulmer Ausgabe „Ludwig ze Ulm“; aus der Bibliothek Zwiefalten

erworben bei der Versteigerung der Pembroke Library bei Sotheby`s in London am 27. Juni 1914; Rheinland als Druckort vermutet

Expl. Bei Weigel erwähnt (Nr. 235)

Provenienz

lat.

dt.

lat.

lat.

Sprache

ja (?)

k. A.

nein

?

Sbd.?

eingefügt sind Bl. 18 einer Biblia pauperum (Nördlingen; 1470; dt.) & 2 Holzschnitte einer anderen Biblia puperum Ausg.; schwarze Druckfarbe

letzte Texttafel fehlt

nur die Bl. 1 – 18; Wilton Earl of Pembroke-Ausg.

es fehlen die Bl. 6,7,24 u. 25;koloriert

Inhalt/Rechercheergebnisse

IV A

VII

I

IV

HTS Bibliographische Materialsammlung zu den Blockbüchern der „Bilder-Ars“   233

 

 

Washington, National Gallery of Art, Rosenwald Collection

Wien, Graphische Sammlung Albertina

Wien, Österreichische Nationalbibl.

73

74

75

76

77

Bibliothek

Ink. 2. D. 39

 

 

Incun. X. P 27

Incun. X. A 873

Sign.

21 Bl.

11 Tafeln

 

14 Bl.

14 Bl.

Umfang

k. A.

k. A.

k. A.

11 illus. 13,9 cm

illus. 35 cm

Format

3.tes Viertel 15. Jh.

k. A.

k. A.

ca. 1475

ca. 1470

Dat.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

Wasserzeichen lat.

Sprache

Deutschland

k. A.

Rosenwald Collection

lat.

 

dt.

1. Fürst Galitzin, dt. Moskau, 2. 1930 von Rosenbach Company an Sotheby`s verkauft, 3. L. J. Rosenwald; D. als Druckort

L. J. Rosenwald

Provenienz

?

?

?

ja

nein

Sbd.?

die ersten 3 Blätter fehlen; koloriert

Textseiten fehlen ganz

nur die Bl. 22 & 23; koloriert

das 1. leere Bl. fehlt, koloriert, zusammengebunden mit einer Passio

Text von Ausg. IV A auf 3 Seiten eingefügt; braune Druckfarbe

Inhalt/Rechercheergebnisse

V

VI

VII

XII

k.A.

HTS

234   Anhang

Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek

 

 

78

79

80

Bibliothek

7 Xylogr.

8 Xylogr

9 Xylogr.

Sign.

24 Bl.

14 Bl.

12 Bl.

Umfang

ca. 1480/ 85

ca. 1475

Dat.

ca. 22,5 × 16,5 cm; 1470 2 o (Folio)

21 × 16 cm

2o (Folio)

Format

k. A.

k. A.

k. A.

Wasserzeichen

2.te Ausg. Maler Ludwig *1461 – *1491(Sign. „ludwig ze ulm“); Erscheinungsort Ulm (Druckpapier = wiederverwendete lat. HS)

vermutl. am Oberrhein erschienen

Druckort Köln (Drucker Götz)

Provenienz

lat. – dt.

lat.

lat.

Sprache

nein

nein

nein

Sbd.?

vollständig; einseitig bedruckt; lat. QS-Text; dt. Spruchbänder! Unkoloriert; Benutzerspuren erkennbar: Kurze lat. (?) Randvermerke; in Sündenreg. wurde etw. hinzgefügt (!)

vollständig; unkoloriert; Text zur Versuchung& Ermahnung gg. den Geiz versehentl. vertauscht; lat. QS-Text; 2 HZ angefügt (s. Schreiber-Klass.) Erzengel Michael als Seelenwäger & eine Art Lebenslauf (Heirat, Tod, Mahlzeit und ein Mord? abgebildet)

Text in 2 Kolumnen; beidseitig bedruckt, vollständig; handschriftl. Text

Inhalt/Rechercheergebnisse

VII B

IV D

II

HTS Bibliographische Materialsammlung zu den Blockbüchern der „Bilder-Ars“   235

Aufbewahrungsort bei Schreiber unbekannt

Aufbewahrungsort bei Schreiber unbekannt

82

83

 

 

heute nicht mehr nachweis-bar

Sign.

k. A.

k. A.

k. A.

Umfang

k. A.

k. A.

k. A.

Format

k. A.

ca. 1470

k. A.

Dat.

k. A.

k. A.

k. A.

Wasserzeichen

Slg. Weigel, Nr. 236

ehemals im Besitz des Müncher Antiquars L. Rosenthal

k. A.

Provenienz

?

lat.

dt.

Sprache

Klassifikation der Holztafelsätze nach Schreiber (HTS): I A: Lat. Text. Niederländisch bzw. Mittel-od. Niederrhein; „Editio princeps“ & Ausg. des Earl of Pembroke I B: Frz. Text II–VIII: direkte Kopien der „Editio princeps“ (selbes Format, nur minimale Unterschiede in Details) II A: Kopie von I; Holzschnitte etw. weniger kunstvoll in der Ausführung. wahrschl. niederländisch II B – D: Varaitionen der selben Edition mit plumperen Holzschnitten. II C mit handschriftl. Text; II D mit typograph. Text III: wahrschl. eine Kopie von II; plumpere Holzschnitte. Niederländisch oder deutsch IV A–D: vermutl. Kopien von I A. Entstehung in Deutschland; IV A&C wahrschl in Augsburg gedruckt

Zwickau, Ratsschulbibliothek, Ed. Spoerer

81

Bibliothek

?

?

?

Sbd.?

 

vollständig

vollständig

Inhalt/Rechercheergebnisse

IV

II

 

HTS

236   Anhang

Recherchequellen: – Sammelband: Blockbücher des Mittelalter – O’Connor, Mary: The Art of Dying Well – Informationen aus Sammlungskatalogen & Online-Recherche – Auskunftsanfragen bei Aufbewahrungsorten

XIII: selbes Format wie I – VIII; ca. 1470

IX–XII: kleineres Format: IX (13,6 × 9,8 cm); X,XI & XII (oktav, 9,8 × 8cm) keine Spruchbänder & verkürzter CP-Text! X: handschriftl. Text; in den Bodenseeraum lokalisiert; ca. 1470; XI: Kopie von X XII: Kopie von X aber xylograph. Text

IV C enthält 2 zusätzl. Holzschnitte (Jesus als Intersessor & „Cration and Fall“); vglw. früher Druck IV D vglw. später Druck; 2 zusätzl. Holzschnitte (Erzengel Michael mit Seelenwaage & „Cours du monde“) VII A: allg. auf ca. 1470 datiert; dt. Text & dt. Spruchbänder; Signatur „Ludwig ze Ulm“ VII B: dieselben Bildstöcke wie VII A, ebenfals in Ulm gedruckt; lat. Text VIII: grobe Kopie von VII A; lat. Text aber dt. Spruchbänder; Sigantur „Hans Sporer 1473“

Bibliographische Materialsammlung zu den Blockbüchern der „Bilder-Ars“   237

2

1

Germ. Fol.19

Sign.

Göttingen –Univ. bibl.

Theol. 200 i

Cambridge – F. 4.13 Magdalena College Library

Berlin – Staatsbibl.

Bibliothek

21 × 15 cm

7,5 × 4,5 in.

?

Format

?

Pergament

Papier

Beschreibstoff

372 Bl./ 254 Bl.

ii + 244  ff.

Umfang

1517

1518

ca. 1448

Dat.

Aus dem Bestand des Bendediktinerklosters Petrus & Paul, Diozöse Magdeburg

?

Keine Angabe

Provenienz

lat.

lat.

dt.

Sprache

ja

ja

ja

Sammelhs.?

VIII.4 Bibliographische Materialsammlung der Handschriften mit „QS-Text“

1. „Vita S. Elizabeth,“ in der Reinhardsbrunner Bearbeitung u.W. zur Vita der Heiligen und ihrer Kanonisation 2. „Icipit libellus de regularibus disciplinis“. 3. „Sermo de vestigiis J. Christi …“ 4. „Epistula fratris Humberti …“ 5. QS-Text 6. „Augustinus de pugna anime“ & „Psalterium Augustini“ 7. Sprüche und Verse; QS-Text (gleicher Text wie eine 1514 in Landshut gedruckte Ausg.) Ff. 155–166 b

Ff. 136 b – 38a: De morte anime (lt. O`Connor enthält dieser Text Teile sowohl aus CP als auch QS die planlos verbunden wurden)

„Buch von den vierundzwanzig Alten“ im Anschluss an die Ars moriendi.; diese HS datiert auf 1448 (lt. Wasserzeichen ist sie älter als die Ars); Selber Text wie das Ulmer Blockbuch! Illustriert mit Tusche- und Federzeichnungen (nur eine davon zur Ars moriendi)

Inhalt/Rechercheergebnisse

238   Anhang

Heidelberg Univ. bibl.

Wien – Nationalbibl.

3

4

Bibliothek

Cod. 3021

Salem VII, 99

Sign.

Beschreibstoff

8 °; (Oktav)

Papier

15,4 × Papier 21,7 cm Oktav

Format

Umfang

15. Jh.

15. Jh.

Dat.

Keine Angabe

?

Provenienz

dt.

Sprache

ja

ja

Sammelhs.?

1. Johann Tucher, Reise ins hlg. Land (Abschrift d. Druckes 1482, Augsburg) 2. Myst. Lehren für Mönche 3. Regel für Laienbrüder d. Benediktiner 4. Kunst zu Sterben 5. Von 5 Anfechtungen 6. Gebet zum hlg. Geist; 7. Gebete zum Gebrauch Hzg. Wilhelms von Bayern (1432) 8. Rezepte geg. Grieß und den Stein 9. Gebete; Zwei dt. Ars moriendi-Texte im Verbund mit weiteren Werken. (1.QS-Text; 2. Text evtl. wie in Xyl. X – XIII.)

zusammen mit anderen Werken zum Thema Sterben, inkl. Gerson`s Opus Tripartium

Inhalt/Rechercheergebnisse

Bibliographische Materialsammlung der Handschriften mit „QS-Text“   239

Helmst. 808

6

Wolfenbüttel – Herzog August Bibl.

Cod. 3391/ Cod. 3390 (HS zu Krönungsordn.)

Sign.

5

Bibliothek Papier

Beschreibstoff

21 × Papier 14,5 cm

Quart

Format

299 Bl.

581 Bl.

Umfang

1434

um 1500/ 1520

Dat.

Keine Angabe

Entstehungsort Burgund

Provenienz

lat.

frz.

Sprache

ja (von versch. Händen)

ja

Sammelhs.?

1. Thomas a Kempis `de imitatio Christi´; 2.Exicatorium monachale;3. Thomas a Kempis soliloquium 4. floretus de flosculis theologye …; 5. Auctoritates pulchre sanct. Patrum; 6. Summula de summa Raymundi; 7. A.M. (CP); 8. Alia A.M. (QS); 9.Gerson `opusclulum tripartium de preceptis de confessione et de scientia mortis; 10.Penitentiarius metrice; CP-Text (Ff 256 – 62) & QS-Text (263 – 66)!!

SHS mit lat. & frz. Werken; enthält u.  a. Erbauungsbücher,Traktate zu philios. Themen; kurze Werke über König & Adlige; Gerson,Opus tripartium gallice cum rubrica „La doctrine de bien vivre en ce monde“ (vor der A.M.); Dichterische Werke, bspw. „Carmen gallicum“; Ff. 451a-469b: Les temptations de Lhomme → sehr seltene frz. HS mit QS-Text

Inhalt/Rechercheergebnisse

240   Anhang

Metz – Bibl. Municipale

Paris – Bibl. de l`Arsenal

London – British Museum (jetzt British Library)

8

9

11

Bibliothek

Add. 22, 086

2117

152

Sign.

12 ° Duodez.

19,3 × 13,3 cm

Quart 4°

Format

Pergament& Papier

Papier

Beschreibstoff

45  ff.

Umfang

15 Jh.

16 Jh.

15 Jh.

Dat.

?

?

Provenienz

lat.

lat-frz.

lat.

Sprache

ja

ja

ja

Sammelhs.?

Theolog. & andere Trakte, denen ein Kalender vorangestellt wurde. 1. QS-Text(Ff. 15 – 42); 2. „Confessionale bonum pro religiosis“ 3. [Laurentii de Dacia] „Stella clericorum“ 4. Extracts from decretals 5. Notes on the planets and signs of the zodiac 6. On the seven hours of the Passion 7. „Medicationes et oraciones de passione Domini nostri Jesu Christi“

1. Ff. 1–19: lt. O`Connor eine Variante des QS-Textes in Lat. & Frz., illustriert mit 11 Miniaturen (Kopien der Blockbuchbilder von 2 Künstlern); 2. Ff. 19–45 eine weitere A.M. auf frz.; nicht dem QS-Text ähnlich und inhaltl. Nicht mit der vorherigen A.M. verbunden (3 Miniaturen: 1&2 Seele am Gericht; 3 Teufel die einem Sterbenden den Höllenschlund zeigen)

QS-Text (Ff. 4 – 6) & CP (F.6) in einer HS

Inhalt/Rechercheergebnisse

Bibliographische Materialsammlung der Handschriften mit „QS-Text“   241

Ms. 49/2

London – Wellcome Historical Medical Library

Oxford – Bodleian Library

13

14

Add. A 268

Harl. 3183

Sign.

12

Bibliothek

8 3/4 × 6 5/8 inch

16 × 12 inch.

6 × 4,4 in

Format

Papier & Pergament

Pergament

Pergament

Beschreibstoff

ii + 164 ff

212 ff

Umfang

frühes 15. Jh

15 Jh.; ca. 1420

Dat.

Keine Angabe

Provenienz

Lat. – engl

lat.

catalan

Sprache

ja

ja

Sammelhs.?

Ff. 1–11: QS-Text; 1. QS-Text; 2. „De gaudiis celi“, 3. „Incipit speculum peccatoris secundum Augustinum et secundum Bernardum“, 4. The latter part of the Speculum Christiani (latin and engl. Treatise, some theological notes follow.

Ff. 29 – 32: verkürzter CP-Text mit 11 Federzeichnungen; 1. Apocalypse s. Johannis cum glossis (26  ff.); 2.Ars moriendi(4  ff.); 3. Anatomical and Medical Texts etc (11,5  ff.).; 4. Moral, Theological, Allegorical and Symbolical Extracts and ‚Exempla‘, etc. (10  ff.)

sehr nahe Übersetzung des QSTextes (aber anders als in BB); 3 ganzseitige Miniaturen in schlechtem Zustand (Versuchungen zur Verzweiflung,zur Ruhmsucht & Geiz)

Inhalt/Rechercheergebnisse

242   Anhang

Rawl. C 662

53

16

17

Oxford – University College Library

Bodl. 636

Sign.

15

Bibliothek



4o

8 1/8 × 5 7/8 inch

Format

Papier

Papier & Pergament

Papier & Pergament

Beschreibstoff

224  ff.

304  ff.

ii + 224 ff

Umfang

15 Jh.

15 Jh.

15 Jh.

Dat.

Keine Angabe

1602 Sir Walter Cope

Provenienz

lat.

lat.

lat – engl

Sprache

ja

ja

ja

Sammelhs.?

Codex chartaceus, enthält 18 versch. Werke mit größtenteils klerikalen(theolog., kirchengeschichtl. & kirchenrechtl.) Inhalten (Bsp. Nr.4. Excerptum ex historia Judaerum sub Maabaeis; 14. Decretum concilii Basiliensus); Bl. 422 – 435: QS-Text

Ff. 297 – 304: QS-Text; die ersten 4 folios enthalten kurze Verse mit relig. Inhalten

Versch. Theolog. Werke wie die Passio (fol 80 – 91) oder „Ashort treatise on the vices and Virtues (fol 214 – 219) Ff. 144 – 52: QS-Text; Ursprünglich zwei Handschriften

Inhalt/Rechercheergebnisse

Bibliographische Materialsammlung der Handschriften mit „QS-Text“   243

Car. C 141

Zürich – Zentralbibl.

Beschreibstoff

20,8 × Papier 14,8 cm; Oktav

Format

Umfang

Recherchequellen:  – O’Connor: The Art of Dying Well. – Informationen aus Sammlungskatalogen & Online-Recherche

Sign.

Bibliothek 1503

Dat. ?

Provenienz lat.

Sprache ja(?)

Sammelhs.?

Bl. 1–88 „Epitome alias Compendium theolgice veritatis (Druckerkolophon „Hebrici Quentell … Martii 1503“) HS: 1. Messerklärung 2. Ex oratcione Jodoci Gallici … 3. QS-Text 4. Trialogus divinorum beneficiorum 5. thomas a Kempis, Imitatio Christi, 6. Versch. Notizen und Auszüge in Prosa und Versen.; Sammelband der versch. handschriftliche Traktate und Drucke enthält; ohne Illustrationen; enthält Gersons „de arte moriendi“

Inhalt/Rechercheergebnisse

244   Anhang

Bibliothek

Basel – UB

Berlin – Staatl. Museen Preuß. Kulturbesitz, Kupferstich-kabinett

 

1

2

Cim. 10 d

ANV 37a

Sign.

vollständig

10 von 14 Bl.

Umfang

28,2 × 20 cm

20,8 × 14,5 cm

Format

1468

1450– 1470/ 1465?

Dat.

 

k.A.

Wasserzeichen

dt

dt. („ziemlich reines Alemannisch“ Gebiet BaselStraßburgFreiburg)

Sprache

ja, Sbd. „BerlinBreslau“ mit Blockbuchern

ja, Sbd. mit HSS

Sbd.?

koloriert in Hellgelb, Hellbraun, Blaßviolett, Minium und Grün; Text wie bei der Kopie in Schweinfurt (nur die „y“ wurden durch „i“ ersetzt.) Bildtypus wie in der Kopenhagener Ausgabe; dazu sind 7 handschriftl. dt. Verse eingefügt

koloriert; gleiche Ausgabe wie London Brit. Library & Wien ÖNB

Inhalt/Rechercheergebnisse

VIII.5 Bibliographische Materialsammlung zu den Planetenkinderbüchern

6

3

NK

B

A

BTS Bibliographische Materialsammlung zu den Planetenkinderbüchern   245

Bibliothek

 

Graz – Steiermärk. LB

 

3

4

unvollständig (2 Bl., mittig durchgeschnitten & in veränderter Folge wieder zus.geklebt)

Umfang

55.784 14 Bl.

Cim. 10b

Sign.

k.A.

14,3 × 19,1 cm

Format

um 1460

1468

Dat.

k. A.

k. A.

Wasserzeichen

dt

lat.

Sprache

ja

 

Sbd.?

Sbd. wurde Ende 19. Jh. aufgelöst. Nur eine vage Angabe zu anderen atrolog. Texten.

der ursprl. lat. Text ist nur noch fragmentarisch erhalten & wurde durch den oben angegebenen dt. Text ersetzt; ursprl. Zu Cim 10 d gehörig.

Inhalt/Rechercheergebnisse

2

6

NK

A

B

BTS

246   Anhang

Bibliothek

Heidelberg – UB

Kopenhagen – Kgl. Bibl., Kupferstichsamml.

London – British Library

 

5

6

7

IA. 27

k. A.

Cod. Pal. Germ. 438

Sign.

es fehlen die Blätter 3 &6

mit 7 Bl. vollständig

Bl. 6–9

Umfang



27 × 18,5 cm

19,5– 19,8 × 12,2– 12,3 cm, 12 zeiliger Text

Format

1470?

k. A.

1455/ 1458

Dat.

Sprache

k. A. 

k. A.

dt.

lat.

Ochsendt kopf mit einkonturiger Stange mit dopp. Kreuz mit Beizeichen, ähnl. Piccard 2, Typ. XIV/81 (Burgau 1458)

Wasserzeichen

k.A.

k. A.

ja

Sbd.?

koloriert in Rot, Gelb, Grün & Braun; schwarze Tinte, beidseitig bedruckt

Text handschriftl. auf der Rückseite, koloriert in Rot, Grün, gelb, Violett, Grau und Braun. Bildtypus wie in der Berliner Ausgabe

koloriert, anopistographisch; Sbd.: 1 HS, 7 BB: 1. Heildelberger Bilderkatechismus[lat. HS], 2. Biblia Pauperum [lat., chiroxylo chiroxylo.], 3. Oberdeutscher, 4-zeiliger Totenzanz, 4. Symbolum Apostolicum [lat.], 5. Septima Poenalis [dt.], 6. Planetenbuch 7. Geschundener Wolf [Fabel vom kranken Löwen], 8. Dekalog

Inhalt/Rechercheergebnisse

3

6

1

NK



B

A

BTS

Bibliographische Materialsammlung zu den Planetenkinderbüchern   247

Bibliothek

Pavia – Conte Malaspina

Schwabach – Kirchen-Kapitels-bibl.

Schweinfurt – Bibl. Otto Schäfer

Wien – Österreich. Nationalbibl.

 

8

9

10

11

unvollst.; 2 Fragm. in Vorder& Rückspiegel eingebunden

nur 3 von 7 Bl.

Umfang

Ink. 2. D. 41

Fragm. 1& 6–9, (14 Tafeln, Verse mit 12 Zeilen)

Xylo-G vollständig

33 / 121

heute nicht mehr nachweisbar

Sign.



k.A.

k.A.

k. A.

Format

um 1470

ca. 1465–70

ca. 1465

k. A.

Dat.

 

k.A.

k.A.

k. A.

Wasserzeichen

dt.

dt.

dt.

k. A.

Sprache

 

k.A.

k.A.

k. A.

Sbd.?

HS: Bl. 1a auf unbedruckter Seite 7 lat. Verse zum Einfluß der Planeten (braune Tinte, mit grüner Tinte darüber „Saturnus“, Bastarda, um 1500). koloriert, mit Presse beidseitig bedruckt; Gleiche Ausgabe wie Basel UB & London Brit. Libr.

unkoloriert, mit Presse beidseitig bedruckt, Handschriftl. Lat. Vermerk im Anschluß an die BB

koloriert, Eingeklebt in die Inkunabel: Leonardus : Sermones aurei de sanctis. Ulm, 1475 (GW M17903)

 

Inhalt/Rechercheergebnisse

3

1

5

?

NK

A

A

A2

?

BTS

248   Anhang

Zürich – Zentralbibl.

Aufbewahrungsort bei Schreiber unbekannt

12

13

k. A.

k. A.

Sign.

vollständig

7 Bl.

Umfang

 

 

Format

 

15. Jh. (vor 1481)

Dat.

 

 

Wasserzeichen

dt.

dt.

Sprache

 

ja

Sbd.?

Neuklassifikation (NK): 1 Basler Druck; erste Ausgabe 1455/58; zweite Ausgabe 1465/70 2 alemannisches Idiom 3 London & Wien (lt. Schreiber eine Auflage); schwäbisches Idiom; um 1470 4 Provenienz Gallus Kemli; dt. Verse auf Rückseite; vor 1481 5 schwäbische Ausgabe, ca, 1465. Ikonographische Verwandtschaft zu Typus 6 6 lat. Ausgaben; erste Ausgabe Kopenhagen ca. 1460, mit handschriftl. Text. Zweite Ausgabe Berlin um 1468–70, mit nachträglich hinzugefügtem, handschriftl. dt. Text Statt des ursprl. lat. Textes

Bibliothek

 

 

xylo-chirographisch (ursprl. Text abgeschnitten); in Ms. C. 101 (folio 8v-15r eingeklebt); Sammelhs. von Gallus Kemli mit einer Vielzahl unterschiedl. abgeschriebener & selbst verfasster Texte in lt. & dt. Sprache. In die HS eingeklebt: 12 kolorierte Einblattdrucke des 15. Jh.

Inhalt/Rechercheergebnisse

 

4

NK

?

B (evlt. Ursprl. A2)

BTS

Bibliographische Materialsammlung zu den Planetenkinderbüchern   249

Recherchequellen: – Sammelband: Blockbücher des Mittelalters – Informationen aus Sammlungskataloge & Online-Recherche – Palmer, Nigel F.: Apokalypse, Ars moriendi [u.  a.].

Bild-Text-Schema /Gruppen (BTS): A: Bild & Text auf einer Seite > Planeten getrennt von ihren Kindern abgebildet A2: Bild & Text auf einer Seite aber Planeten oberhalb der Planetenkinder B: Bild & Text getrennt auf 2 Seiten > Planeten oberhalb ihrer Kinder abgebildet

250   Anhang

Abbildungsverzeichnis 

VIII.6 Abbildungsverzeichnis VIII.6.1 Fallbeispiel 1 – Ars moriendi

 251

252 

 Anhang

VII.6.1.A Versuchung im Glauben

Abbildungsverzeichnis 

VII.6.1.B Inspiration im Glauben

 253

254 

 Anhang

VII.6.1.C Versuchung zur Verzweiflung

Abbildungsverzeichnis 

VII.6.1.D Inspiration wider die Verzweiflung

 255

256 

 Anhang

VII.6.1.E Versuchung zur Ungeduld

Abbildungsverzeichnis 

VII.6.1.F Inspiration wider die Ungeduld

 257

258 

 Anhang

VII.6.1.G Versuchung zu eitlem Ruhm & Hochmut

Abbildungsverzeichnis 

VII.6.1.H Inspiration wider eitlen Ruhm & Hochmut

 259

260 

 Anhang

VII.6.1.I Versuchung mit weltlichem Besitz

Abbildungsverzeichnis 

VII.6.1.J Inspiration wider das Festhalten an weltlichem Besitz

 261

262 

 Anhang

VII.6.1.K Sterbestunde

Abbildungsverzeichnis 

 263

VIII.6.2 Quellenauszug aus dem Seelenwurtzgarten VII.6.2.A Transkription

Provenienz: Handschriftlicher Vermerk: Diss buoch hett uns geben der frum vast junckher claus staff reber in das closter zofingen zuo ainem almusen. Got geb ihm das ewig leben. Dis buch gehört gen Zoffingen von disem orden Kolophon: Gedruckt zu Ulm ۰ von Conrad Dinck-/mut ۰ Im iar als man zalt nach unsers her۰-/ren geburt ۰ M ۰cccc ۰ und ۰lxxxviii ۰ iar Am / Dornstag vor Sant thomas tag ۰ – Ausgabe der Leopold-Sophien-Bibliothek-Überlingen; Signatur: Bd 1036 – Anmerkung: Die in folgender Transkription unterstrichenen Worte wurden auch im Originaltext durch Unterstreichungen hervorgehoben

Bl. 50 r. (Beginn von Teil 2, 1. Kapitel):

Der Annder Tayl / hie nach merck von dem Fegfuͤ r mit etlichen Exempeln۰/ Nun ist fürbasz ze wissen von dem feg / fuͤ r ۰ Und von ersten so ist zemercken / das etlich ketzer gewesen sind۰ [der] man / noch erwe vil vindt۰ dy sprechen das / kain fegfuͤ r sey ۰ dann wann got dem / menschen dy sünd vergeb so vergeb / er pein und schuld mit einander ۰ Und / darumb ain yetlicher der do sterb der kumb von stund an / in das paradisz ۰ Oder ist ym dy synd nit vergeben so kumd / er von stund an in dy hell ۰ Und dar tzwischen ist kain mit / tel. Aber das ist nit war und ist ketzerey ۰ das mag man be / wern durch dy heiligen geschrifft ۰ auch durch treffenlich / ursach ۰und auch durch merckliche exempel۰/ Von ersten so wirt bewert durch dy heiligen geschr / ifft das ain fegfuͤ r ist ۰ dann Christus hat selbs gespr / ochen als Matheus schreibt ۰ Wellicher ain wort / redt wider den heiligen gaist dem wirt es nit vergeben we / der hie in dieser welt noch in der künfftigen welt ۰ Und dar / umb als Gregorius spricht so muͦ sz ain andere stat sein do / es vergeben werd ۰ und das ist aber nit in dem himel ۰ so ist / es auch nit in der hell ۰ darumb so muͦ sz es sein in dem fegfuͤ r ۰/ Auch so halten und schreiben all cristenlich lerer ۰ das ain / fegfuͤ r sey ۰ auch so helt es dy cristenlich kirch ۰ Es wer an / derst umb sunst auff gesetzt das man für dy toten bitten sol / te۰ Und allso muͦ st auch dy cristenhait irren ۰ das mag ab / er mit nichten gesein ۰ dann dy cristenlich kirch wirt gere / girt durch den heiligen gaist ۰ Darumb so sind dy all ketzer / dy nit glauben woͤ llen das ain fegfuͤ r sey۰/ Te[n] es wirt auch durch ursach bewert das ain feg / fuͤ r sey ۰ Dann wellicher in teglichen sünden stirbt

Bl. 50 (v.):

Und kain totsünd auff ym hat der wirt nit verlorn ۰ er mag / nit von stund an gen himel kumen ۰ Darumb so muͦ sz ain / mittel sein dar inn er genuͦ g thuͦ ۰ das ist nichtz anderst dann / das fegfuͤ r / Tem ainer der an sein letsten zeiten so er sterben muͦ sz bei / cht all sein totsünd und hat reü und laid darüber ۰ der wirt / nit verlorn und muͦ sz genuͦ g thuͦ n für dy sünd ۰ das mag er / aber hie nit thuͦ n dann er stirbt von stunden ۰ darumb so / muͦ sz er dort genuͦ g thun ۰ Und das mag anderst an kainer / stat geschehen dann im fegfuͤ r ۰ item es wirt bewert durch /

264 

 Anhang

etliche exempel das ain fegfuͤ r ist ۰ als dann got der almech/tig der heiligen cristenhait solichs zuͤ beweren und zuͦ ain / er befestung desz glaubens mangerley von dem fegfuͤ r ge / offenbart hat ۰ als man hat im buͦ ch sancti Patricii von / dem fegfuͤ r in Hibernia ۰ als hie hernach gesagt wirt ۰ Au / ch so hat man in der legent sancti Marcialis vil grausen / licher offenbarung von dem fegfuͤ r und sunst manigfaltig / klich ۰Item es ist ze wissen das dy mainung sancti Grego / rii ist in dem buͦ ch Dyalogorum das das fegfuͤ r und das / hellisch fuͤ r an einander gleich sind an der hitz an der mar / ter und an der pein ۰ Doch so ist in dem fegfuͤ r ain grosser / trost und hoffnung der erloͤ sung ۰ Und dieselb hoffnung ist / nit in der hell ۰ Aber das etwen dy selen in anndern peinen / erscheinen dann im feür ۰ das ist durch dy schickung gotes / und uns zenutz ۰ als Gregorius schreibt das der Cardinal / Pascasius in aim bad erschin aim bischoff ۰ Als man desz / gleichen vil vindt in der geschrifft ۰ das geschicht alles uns / zuͦ ainer warnung ۰auch erwen darumb das sy unser hilff / oder in andern dingen das wir nit für hitz noch für fuͤ r sche / zen so ist doch solche erscheinung gewonlich allweg in gro / ser hitz ۰ Und desz hat man auch gar vil exempel۰

Bl. 51 (r) (2. Teil, 2. Kapitel):

Ain Exempel Das ii Capitel. Man list wy ains mals ain Abt lag und solt sterbent / und der bat sein münich das sy seiner schwester sun / der auch ain münich was zuͦ ainem abt erwelen sol / ten nach sein tod. Und das verhiessen sy ym und geschach / auch. Und do der selb neü abt ains mals allain gieng in ai / nem garten darinn ain brunn was ۰ do hoͤ rt er ain kleg / lichs seüffzen und ain brunn wunderlich iemerlich geschray aus / dem brunnen ۰ do gieng der abt zuͦ dem brunen und besch / wuͦ r den wainenden den hoͤ rt und fragt yn wer er wer ۰ do sprach dy sel im brunnen ۰ O ich bin dy sel deins oͤ heims / der vor dir ain abt ist gewesen ۰ und darumb das ich durch / leipliche freüntschafft geraten und gebeten hab das man / dich zuͦ aim abt welen solt ۰ so muͦ sz ich unaussprechliche / pein und marter leiden ۰ Do sprach der abt ۰ wy magstu gros / se pein und hitz leiden so doch der brunn kalt ist Do sprach dy / stim ۰ Gedenck und bring den küpffrin leüchter hinder den al / tar۰ Das thet er und warff yn inn brunnen ۰ als bald das geschach do zerschmaltz der leüchter von stund in aller masz / als das wachs im fuͤ r ۰ Do der abt das sach do erschrack er ۰/ und gab dy abtey auff und wolt nit mer abt sein ۰ Darnach / hoͤ rt er dy stim nit mer im brunnen ۰ Das iii Capitel Es ist auch ze wissen das man für dy todsünd dy / man hie auff dieser erden gebeicht und nit gar ge / buͤ st hat ۰ und auch für dy teglichen sünd in dem feg / fur gar grosse pein und marter leiden muͦ sz ۰ Allso schreib / ent uns Gregorius und auch Augustinus dy heiligen lerer / und on zweifel so man dy heiligen geschrifft und offenbar / ung durch got list so kan man nit anderst finden dann das / man für klain sünd und das wir nit für sünd haben gar / grosse pein und marter in dem fegfuͤ r leiden muͦ sz ۰ Als // […]

Abbildungsverzeichnis 

 265

VII.6.2.B Illustration der 7 Todsünden aus dem Seelenwurtzgarten (Bl. 49 v.)

266 

 Anhang

VIII.6.3 Fallbeispiel 2 – Planetenkinderbücher VII.6.3.A Saturn

Abbildungsverzeichnis 

VII.6.3.B Jupiter

 267

268 

 Anhang

VII.6.3.C Mars

Abbildungsverzeichnis 

VII.6.3.D Sol/Sonne

 269

270 

 Anhang

VII.6.3.E Venus

Abbildungsverzeichnis 

VII.6.3.F Merkur

 271

272 

 Anhang

VII.6.3.G Luna/Mond

Abbildungsverzeichnis 

VIII.6.4 Abbildungen aus dem Exercitium super Pater Noster

 273

274 

 Anhang

VIII.6.5 Abbildung aus der Biblia pauperum

Abbildungsverzeichnis 

 275

VIII.6.6 Abbildung aus der Ars moriendi-Handschrift der Wellcome-Collection