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German Pages 142 [150] Year 2008
Karl Hugo Pruys
Bis in die Puppen
Die 100 populärsten Redensarten
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
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ebook im be.bra verlag, 2012
© der Originalausgabe: edition q im be.bra verlag GmbH Berlin-Brandenburg, 2008 KulturBrauerei Haus 2 Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin [email protected] Lektorat: Robert Zagolla, Berlin Umschlag und Textillustration: Ansichtssache, Berlin ISBN 978-3-8393-2102-7 (epub)
ISBN 978-3-8393-2103-4 (pdf) ISBN 978-3-86124-617-6 (print)
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Zum Geleit
Gott sei Dank hat dieses Buch kein Germanist geschrieben!
Karl Hugo Pruys ist ein Journalist und Buchautor, der die deutsche Sprache liebt und sie pflegt wie ein Vier-Sterne-Koch sein Messer-Besteck. Im Kollegenkreis trägt er nicht von ungefähr den Spitznamen »die Feder«. Es ist immer sein Anliegen gewesen, die deutsche Sprache als Vehikel gleichermaßen zum Verständnis wie zum Lesevergnügen zu nutzen. Mit anderen Worten: Der Autor führt elegant den Galanterie-Degen des Wortspiels, statt mit dem schweren Kürassier-Säbel Kerben in den etymologischen Wortstamm zu schlagen.
Mit dem vorliegenden Buch werden Sie textsicher! Es ist ein Vademecum zum Gebrauch für jene, die sich auch am Computer – beim Abfassen von emails – der Farbigkeit der deutschen Sprache bedienen wollen. Ein Vademecum (»Geh mit mir!«) – so lehrt uns das elektronische Nachschlagewerk Wikipedia – ist die traditionelle Bezeichnung für ein Handbuch oder einen Ratgeber zu einem bestimmten Thema. Und genau diese Absicht steht hinter dem Büchlein: Nutzerfreundliche Informationen für den richtigen Gebrauch von Redewendungen im hektischen Alltag. Und da liegt der Hase im Pfeffer!
Heinz Schulte, im Februar 2008
Statt einer akademischen Einführung
»Here is, looking at YOU, Kid!«
»Ich seh dir in die Augen, Kleines!« – So und nicht anders lautet der berühmteste Satz im Jahrhundertfilm »Casablanca«.
Die Bemerkung »looking at you« hat ihren Platz mehrfach im Film als eine Art Toast auf das Liebespaar Ilsa und Rick, von letzterem gemeint als Auftakt zu einem privaten Besäufnis mit angenehmen Folgen. Diese Redensart wird freilich durchweg, nun sogar im Titel einer neuen Drehbuchanleitung, nicht nur falsch zitiert, sondern glatt auf den Kopf gestellt: »Schau mir in die Augen, Kleines!«
Auch das ist ein Grund, sich umzuschauen, wie es um die Zitierung und Interpretation der rund zehntausend deutschsprachigen Redewendungen und Redensarten steht. Ganze 100 wurden hier herausgegriffen, in der Hoffnung, dass auch ein größeres Lesepublikum diese als die populärsten gelten lassen wird. Der Ehrgeiz des Autors besteht nicht darin, mit akademisch ausgewiesenen Germanisten darin zu wetteifern, die jeweils zu hundert Prozent historisch richtige Ableitung chemisch rein aus dem Wust der einschlägigen Literatur herauszufiltern.
Es sollte lediglich ein ebenso lehrreiches wie unterhaltsames Buch entstehen, ein Brevier populärer Redensarten, dienlich als Lektüre auf einer Bahnfahrt, in einer Pause beim Wandern oder zur Entspannung vor dem Zubettgehen. Geschichten zu lesen, nichts als gute Geschichten, ist die heimliche Lust sowohl der Einsamen, als auch jener Leser, die mitten im Leben stehen, die Leselust mitbringen, die mitreden und ihrer Leidenschaft zum Gespräch in Gestalt schöner oder zumindest interessanter Metaphern Futter geben wollen.
Sprach- und schreibkundige Zeitgenossen räumen selbst ein, dass die fachliche Definition des Begriffs »Redensart« (oder »Redewendung«) ein einziges Chaos darstellt: Neben diesen beiden Begriffen existieren noch die Bezeichnungen »Ausdrucksweise«, »Floskel«, »fester Ausdruck«, »Phrase«, »Formel« und »stehende Wendung«. Weitere Auffächerungen ließen sich aufzählen, was aber hier bewusst unterbleiben soll. Eines wollen wir jedoch festhalten: Allen Redewendungen gemeinsam ist der Gebrauch von Sprachbildern, die etwas auszudrücken vermögen, was sich in dürren Worten nicht sagen ließe.
Wenn wir etwa laut fluchen, frei nach Goethes Götz von Berlichingen, dass uns einer »am Arsch lecken« kann, so meinen wir dies nicht im wörtlichen Sinne, sondern in einem übertragenen. Und wenn jemand mit »einem blauen Auge davonkommt«, ist sein Auge nicht wirklich in der typischen blauen Farbe geschwollen. Im übertragenen Sinne meint diese Floskel nichts anderes, als dass jemand aus einem heftigen Streit mit nur geringem Schaden hervorgegangen ist. Wenn einem »ein Licht aufgeht«, weist dieses hell-dunkle Wort aufbiblische Geschichten zurück, vornehmlich im Alten Testament, wo es unter anderem heißt: »Dem Gerechten muss das Licht immer wieder aufgehen.« Und wenn man einem nachsagt, er habe »ein Brett vor dem Kopf«, hält man diesen Menschen für einen, der blind für die Gegenwart dasteht.
Ein häufig zu hörender Ausruf größten Erstaunens – nach dem Motto: das ist ja nicht zu fassen! – ist die Redewendung »Da wird der Hund in der Pfanne verrückt!«. Ihr liegt eine Geschichte zugrunde, die man glauben kann oder nicht. Sie verweist auf einen Till-Eulenspiegel-Schwank, mit folgender Pointe: Till, stets zu einem knalligen Spaß aufgelegt, deutet die Anweisung des Braumeisters, Hopfen zu sieden, aus reinem Mutwillen falsch, indem er den »Hopf« genannten Hund des Meisters in die Braupfanne wirft. Kein Wunder, dass der Vierbeiner dafür wenig Verständnis hatte!
Worin unterscheidet sich nun ein Geistesblitz, ein kurzlebiger Einfall, von einer Redensart, die Jahrhunderte überdauern kann? Ganz einfach: der Geistesblitz taucht wieder unter, nachdem er dem Leser in die Augen gesprungen und schon
bei Beendigung der Lektüre entfallen ist. Ein schön formulierter Satz ist eben noch lange keine Redewendung, die sich gegen den mächtigen Strom alltäglicher Prosa zu bewähren hat.
Geistesblitze sind so selten wie dreibeinige Kamele in der Wüste Gobi. Redensarten aber gibt es wie Sand am Meer; wir werden niemals satt davon. Jeder redet in Floskeln und gebraucht Wendungen, die zur Umgangssprache gehören wie das Sonnenlicht zum Frühlingstag. Sie hellen unsere Sprache auf, um sie sogleich wieder ins Dunkel zu stürzen. Dann nämlich, wenn man nicht weiß, was hinter ihnen steckt. Mensch, was heißt das eigentlich: »Die Katze im Sack kaufen« oder: »Da beißt keine Maus den Faden ab«?
Wer es nicht wissen sollte, findet Aufklärung in diesem Büchlein.
Viel Vergnügen!
Karl Hugo Pruys
Jemanden in den April schicken
Hinter dieser Redewendung verbirgt sich ein meist gut gemeinter Scherz, mit dem schon im Barockzeitalter vertrauensselige Menschen getäuscht wurden. Heute beteiligen sich auch gern die Medien daran. Jemanden am 1. April »zum Narren zu halten« war in Bayern nachweislich seit 1618 ein beliebtes Volksvergnügen.
Mancherorts hat man dem Aprilscherz auch einen religionsgeschichtlichen Hintergrund verpasst: Man deutete beispielsweise das Herumschicken Jesu am Abend vor der Kreuzigung – von Kaiphas zu Pilatus und dann wieder zu König Herodes (↑Von Pontius zu Pilatus laufen) – als eine solche Verhöhnung. Weil das aber in den Augen eines guten Christen weder lustig noch nachahmenswert erscheint, bezeichnete man in Mecklenburg das In-den-April-Schicken konsequenter Weise als eine Sünde, der man sich lieber enthalten sollte.
In den April geschickt wird man üblicher Weise am 1. April, der in England deshalb auch »all fools day« heißt. Aber warum eigentlich ausgerechnet an diesem Tag? Der Grund dürfte eine Kalenderumstellung im 16. Jahrhundert gewesen sein: In Frankreich, galt der 1. April bis zum Jahr 1564 als Neujahrstag. Als der Jahreswechsel nun auf königlichen Befehl hin auf den 1. Januar vorverlegt wurde, entfielen die bislang üblichen Neujahrsgeschenke und wurden ersetzt durch scherzhafte Gaben und Neckereien. So schickte man jemanden zum Beispiel etwas abholen, was es gar nicht gab, und wenn er mit leeren Händen zurück kam, rief man »poisson d’avril«, also »Aprilfisch«.
Goethe hat zu diesem Thema übrigens gedichtet:
»Willst du den März nicht ganz verlieren,
So laß nicht in April dich führen.
Den ersten April mußt überstehn,
Dann kann dir manches Gute geschehn.«
Mit einem blauen Auge davonkommen
Wer mit einem blauen Auge davon gekommen ist, der konnte sich in einer wichtigen Angelegenheit – vor Gericht, bei einem Familienstreit oder beim Sport – mit einer nur geringen Strafe, Verletzung oder ähnlichem gerade noch einmal behaupten. Er hat also nur einen blauen Fleck, eine Prellung, neben dem Auge abbekommen, während das Auge selbst unverletzt blieb.
Die Augen gehören zu den empfindlichsten Stellen unseres Körpers, weil sie nur schwer gegen Außeneinwirkungen geschützt werden können. Schon die Bibel kennt daher den Ausdruck »wie seinen Augapfel hüten« als Bild für den größtmöglichen Schutz, den man jemandem angedeihen lassen kann. Während eine Verletzung des Augapfels schlimme Folgen haben kann, gehört das »blaue Auge« zu den verschmerzbaren, eher glimpflichen physischen Beeinträchtigungen. Doch schon die bloße Möglichkeit einer Augenverletzung stellt für den Menschen eine fortwährende Warnung dar: Dahin zielt die Variante: »Das hätte ins Auge gehen können!« Diese vorsorglich »ins Auge gefasste« Mahnung ist um 1900 sprichwörtlich geworden. Im Klartext bedeutet dies: alles was nicht das Auge selbst, sondern nur sein Umfeld beeinträchtigt, ist halb so schlimm.
Auf die lange Bank schieben
Diese Umschreibung für Aufschieben oder Verzögern stammt aus dem späten Mittelalter. Bereits Martin Luther klagte über ungezählte schriftliche Anfragen an ihn, die noch (unerledigt) auf der Bank lagen. In Amtsstuben wie in Pfarrhäusern wurden nämlich Schreibarbeiten statt auf Tischen oder in Schränken gern auf einer möglichst tragfähigen Bank abgelegt. Und je länger eine solche Bank war, und je dichter die Eingaben und amtlichen Schriftstücke diese Bank bedeckten, desto später wurden die im hinteren Teil der Ablage bearbeitet.
Es gilt als ziemlich sicher, dass die Redewendung im Gerichtssaal ihren Ursprung hat, wo nicht nur die Akten auf der Bank lagen, sondern auch die Schöffen auf einer solchen saßen. Der Sprachforscher Lutz Röhrich betont daher den Zusammenhang zwischen der »langen Bank« und der Schöffenbank. Wenn die Schöffen sich nicht einigen konnten, schoben sie häufig die Verhandlungstermine immer weiter hinaus oder verwiesen die Sache an ein höheres Gericht, das dann mit mehr Schöffen besetzt war, die zum Sitzen natürlich eine längere Bank benötigten. So heißt es in einem Dokument aus dem Jahre 1545: »... werden sie des urteils eins, so sollen sie es heraus sprechen, werden sie aber des urteils nicht eins, so mögen sie das urteil verschieben auf das nächste gericht.« Und dies bedeutete eben »ein Gericht mit langer Schöffenbank«.
Nebenbei: Auch die moderne Bürokratie versteht sich prächtig darauf, fällige Entscheidungen – ganz ohne lange Bank – immer weiter hinauszuschieben.
In Bausch und Bogen
Diese Redewendung stammt aus der Kaufmannssprache des 17. Jahrhunderts. Wer etwas in Bausch und Bogen berechnet, bezahlt (oder auch verdammt), der verzichtet darauf, einzelnes gegeneinander abzuwägen. Stattdessen bestimmt er den Wert nur nach einem groben Überschlag. Oder, wie es die »Oeconomische Encyclopädie« von Johann Georg Krünitz 1783 erklärte: man kauft oder verkauft unterschiedliche Sachen »alle zusammen auf Einmahl und zugleich«, bezahlt »für alles und jedes überhaupt eine gewisse Summe« und legt keinen besondern Preis für einzelne Stücke fest. Von daher stammt übrigens auch das Wort »pauschal«, das aus dem Wort Bausch (Pausch) abgeleitet worden ist. Ursprünglich bezeichnete »Bogen« eine einwärts gebogene, »Bausch« dagegen eine auswärts gebogene Fläche (daher auch der Begriff »aufgebauscht«). Beim Kauf von Grundstücken »in Bausch und Bogen« war damit klar, dass auf eine exakte Grenzabmessung verzichtet wurde; ein Zuviel durch etwa vorhandene Ausbuchtungen (Bausch) sollte durch Einbuchtungen (Bogen) auf der anderen Seite ausgeglichen werden.
Das Begriffspaar stammt also eindeutig aus der Geschäftswelt. Aber – wie ein Vers von Goethe zeigt – kann man es durchaus auch auf die angenehmen Seiten des Lebens anwenden:
»Nehmt nur mein Leben hin in Bausch Und Bogen, wie ich’s führe; Andre verschlafen ihren Rausch, Meiner steht auf dem Papiere.«
Übrigens handelt es sich bei »Bausch und Bogen« um eine »stabreimende Zwillingsformel«, ein Phänomen, das häufig in der deutschen Sprache anzutreffen ist, man denke nur an Feuer und Flamme sein, Gift und Galle spucken, Haus und Hof verlieren, Himmel und ↑Hölle in Bewegung setzen, Land und Leute kennen lernen, mit Mann und Maus untergehen, mit Stumpf und Stiel ausrotten, und so fort.
Blau machen
Wer am Montag blau macht, schmälert unweigerlich das Bruttosozialprodukt. Mit »blau machen« umschreibt der Zeitgenosse sein Fernbleiben vom Arbeitsplatz, ausgerechnet zum Wochenbeginn. Das hat allerdings eine lange Tradition, denn schon im Mittelalter beanspruchten vor allem Handwerksgesellen das Recht, an Montagen (zumindest an bestimmten) nicht für ihren Meister zu arbeiten, sondern sich eigener Arbeit oder auch geselligen Zusammenkünften zu widmen. Dieser ursprünglich »guter Montag« genannte freie Tag hieß seit dem 17. Jahrhundert »blauer Montag«. Der Obrigkeit (und natürlich den Arbeitgebern) war er schon immer ein Dorn im Auge. So geißelte der berühmte Prediger Abraham a Sancta Clara die fatalen Folgen, die ein so verlängertes Wochenende haben konnte: »Aus dem blauen Montag aber wird ein fauler Dienstag und darauf ein durstiger Mittwoch, aus diesem entsteht ein schläfriger Donnerstag, so geht’s die ganze Wochen durch.«
Die gängigste Erklärung dafür, warum der freie Montag ausgerechnet »blau« genannt wurde, ist die, dass am (arbeitsfreien) Rosenmontag, also dem Fastnachtsmontag, der Altar in den Kirchen mit blauen (eigentlich violetten) Tüchern bedeckt war. Diese Farbe wurde dann vermutlich später auch auf die anderen arbeitsfreien Montage übertragen. Freilich ist auch denkbar, dass die Handwerksgesellen nicht nur während des Karnevals, sondern auch an normalen Sonntagen so besoffen (also »blau«) waren, dass sie am Montag schlichtweg noch nicht wieder arbeiten konnten. Die an sich plausible These, dass der Ausdruck »blau machen« auf dieses Phänomen zurückgeht, wird jedoch von der Forschung bezweifelt.
Etwas durch die Blume sagen
Diese Redewendung blickt auf eine lange Tradition zurück. Sie bedeutet, etwas nicht direkt, sondern nur andeutend und umschreibend zu sagen. Die »Blumensprache« eignete sich dazu besonders, weil den einzelnen Blumenarten von jeher ganz bestimmte symbolische Bedeutungen zugeeignet wurden.
So kann man ja zum Beispiel noch heute mit einer Rose seine Liebe »verblümt« ausdrücken. Umgekehrt gab es früher auch Blumen, mit denen junge Frauen einen Heiratsantrag auf indirekte Art und Weise ablehnen konnten: Sie drückten dem ungeliebten Verehrer zu diesem Zweck meist Kornblumen, Klatschmohn oder auch Schabab, eine Ranunkelart, in die Hand.
Neben dieser ganz praktischen Art, etwas durch die Blume zu sagen, gibt es aber noch einen anderen Ursprung für die Redewendung. »Durch die Blume« hieß nämlich auch, eine Rede mit sprachlichem Zierat, mit »Redeblumen«, zu schmücken. Auf diese »Blümchen« (lateinisch »flosculus«) geht der heutige Begriff »Floskel« zurück, der allerdings meist abfällig verwendet wird. Schon Luther sah in der verblümten Rede etwas Schlechtes: »Mit Schreiben meinen sie die Sach zu blümen und die Leut zu schmehen«, heißt es bei ihm.
Eine sprachlich verwandte, doch in ihrer Bedeutung völlig andere blumige Redensart lautete lateinisch »sub rosa« (unter der Rose). Dies meinte, unter dem Siegel der Verschwiegenheit miteinander zu sprechen. Den Römern galt die Rose überhaupt als Sinnbild des Schweigens. Bedauerlicherweise ist diese Übung in unserer schwatzsüchtigen Medienwelt verloren gegangen.
Einen Bock schießen
... gilt leidenschaftlichen Jägern als krönender Abschluss eines Jagdvergnügens. Die Redensart freilich meint das Gegenteil: Wer einen Bock schießt, hat kräftig daneben gelangt und eine große Dummheit gemacht. Diese häufig verwendete Redensart geht auf den Brauch bei Schützengilden zurück, dem erfolglosesten Schützen als Trostpreis einen Ziegenbock zu überreichen. Dieser Brauch ist schon im Mittelalter nachweisbar, die Wendung »einen Bock schießen« dagegen erst seit dem späten 17. Jahrhundert.
Einen Fehler mit Tiernamen zu bedenken, ist übrigens in ganz Europa üblich: Der Franzose nennt einen überspringenden Trompetenton »Ente«, der Engländer einen schweren Fehlgriff einen »Stier«, der Deutsche spricht in diesem Fall vom »Bock«, aber gelegentlich auch von einer »Lerche« oder einem »Wolf«. Goethe beklagte eine verpfuschte Zeichnung als »verpudelt«.
Sogar »Schwein« kann als Synonym für einen Fehler stehen, was allerdings überrascht; denn ↑»Schwein haben« bedeutet doch wohl soviel wie »Glück haben«. Das hängt damit zusammen, dass auch das Schwein als Trostpreis bei Schützenfesten beliebt war: Wer also »Schwein hatte«, war vor allem deshalb glücklich, weil ihm etwas unverdient in den Schoß gefallen ist. Warum es aber dann nicht – parallel zum Bock – heißt: »ein Schwein schießen«, bleibt rätselhaft. Die Redewendung »Bock haben« dagegen gibt es, und zwar in der Jugendsprache des späten 20. Jahrhunderts. »Bock« steht hier allerdings nicht für »Glück«, sondern für »Lust« – vielleicht mit Blick auf die ältere Wendung »geil wie ein Bock«. Sprache ist und bleibt eben voller Überraschungen.
Jemanden ins Bockshorn jagen
Diese Redensart gehört wohl zu den rätselhaftesten, die es in der deutschen Sprache gibt. Der Sprachforscher Lutz Röhrich verzeichnet allein neun verschiedene Erklärungsmöglichkeiten, von denen keine gänzlich überzeugen kann. Doch lassen wir uns davon nicht ins Bockshorn jagen!
Die heutige Bedeutung ist klar: Jemand soll verblüfft, eingeschüchtert und in die Enge getrieben werden. Aber will man ihn dabei tatsächlich so klein machen, dass er in das spitz zulaufende Horn eines Bockes passt? Eine verwandte Redeform im Schwäbischen spricht davon, j emanden »in einen Strohhalm zu schwatzen«. Und im Mittelhochdeutschen sagte man: »er wird vor Angst so klein, dass er in ein Mäuseloch kriechen könnte.« Man könnte also auch das Bild vom Bockshorn durchaus wörtlich nehmen, zumal im 16. und 17. Jahrhundert auch die Variante »ins Bockshorn kriechen« verbreitet war. Das Horn wäre demnach ein Versteck, in das man sich zurückziehen kann, wenn es brenzlig wird. Gewisse Zweifel an dieser Theorie bleiben jedoch bestehen
Die Redewendung »in ein Bockshorn jagen« ist erstmals bezeugt beim Dichter Bartholomäus Ringwaldt (1585): »Ihr werdet eure Feinde, das mag ich sagen, für Leide in ein Bockshorn jagen.« Vorher hieß es dagegen meist »in ein Bockshorn treiben«, »stoßen« oder »zwingen«. Die Form »jagen« setzte sich schließlich durch, nicht zuletzt wohl deshalb, weil auch Martin Luther sie verwendethatte. In der Literatur findet man die griffige Redensart häufig, besonders eindrücklich im 18. Jahrhundert bei Gotthold Ephraim Lessing: »Kann man euch Hundsvötter so ins Bockshorn jagen?«
Einige Gelehrte haben behauptet, die Redewendung meine nicht, dass jemand ins Innere eines Horns gejagt werde, sondern vielmehr von außen den Hörnern eines wütenden Bockes entgegen. Daneben gibt es auch noch ganz andere
Deutungen, wie etwa die, dass jemand in ein Feld mit stinkendem Bockshornklee (in Tirol schlicht Bockshörndl genannt) oder durchs Osterfeuer (im Mittelalter »Bocks-Thorn«) getrieben wird. Auch der mittelalterliche Brauch des »Haberfelltreibens« wird zur Erklärung herangezogen, bei dem der Angeklagte vor Gericht in ein »Haberfell« (= Bocksfell = althochdeutsch »Bocksham« = Bockshorn) gesteckt wurde, bevor man ihm sein Sündenregister vorlas. Nun, wenn mit dieser Herleitung nicht jemand ↑einen Bock geschossen hat!
Da ist man fast geneigt, einer anderen Deutung zu folgen, die »Bockshorn« als volkstümliche Fluchformel und als Verballhornung des Ausdrucks »Gottes Zorn« begreift. Da der Name Gottes in unflätigem Zusammenhang nicht ausgesprochen werden durfte, fand der Volksmund ähnlich klingende Synonyme wie »Potz« (zum Beispiel in »Potztausend«) oder das heute aus der Mode geratene »Box«: »Boxhorn soll dich schänden, du dicke quadratische, viereckete Wampe«, heißt zum Beispiel ein eindrücklicher Fluch aus dem Jahr 1588. Aber das aus solchen Begriffen die Wendung »ins Bockshorn jagen« entstanden sein soll, ist doch recht unwahrscheinlich. »Potz Rinderzahn und Ochsenhorn!«
Trinken wie ein Bürstenbinder
Hinter dieser Redensart verbirgt sich deutsche Literaturgeschichte: Schon im 16. und 17. Jahrhundert haben die Schriftsteller Johann Fischart und Christoffel von Grimmelshausen, um nur zwei herauszugreifen, in ihren Dichtungen das Hohelied des Bürstenbinders als besonders trinkfestem Gesellen gesungen. Typisch deutsch und keineswegs lobenswert war diese Eigenschaft in den Augen von Abraham a Sancta Clara: Wären bei der biblischen Hochzeit zu Kanaa Deutsche zugegen gewesen, dann – so der strenge Prediger – »hätten sie wie die Bürstenbinder gesoffen, wie das die Gewohnheit dieses Volkes ist«.
Auf den ersten Blick überrascht es, dass man ausgerechnet die Bürstenbinder, also achtbare und ordnungsliebende Handwerker, mit übermäßigem Trinken in Verbindung gebracht hat. Das lag wohl daran, dass »bürsten« in übertragener Bedeutung für »trinken« oder eben »zechen« stand. Man dachte dabei vermutlich an das Ausputzen der Kehle und das Austrinken eines Glases bis zur Neige. Und von daher versteht man besser den Ausruf: »Trinkt mir zu, ich bin ein Bürstenbinder!« Zugleich sah man im Bürsten so etwas wie »Durst stillen«. So heißt es noch bei Ludwig Uhland:
»Nun macht die Jagd mich dürsten,
Drum tu mir das, Gesell,
Und gib mir eins zu bürsten,
Aus diesem Wasserquell.«
Der Schriftsteller Albert Richter schreibt dagegen in seinem 1892 erschienenen Buch, dieses Bürsten sei in einer scherzhaften Anlehnung an das lateinische »bursa« (Studentenheim) entstanden, woraus sich dann auch »Bursche« und »Börse« entwickelt habe. Im Studentenlied ist tatsächlich vom Bürsten die Rede, wie hier im Metzelsuppenlied:
»Es reimt sich trefflich: Wein und Schwein
Und paßt sich köstlich: Wurst und Durst,
Bei Würsten gilt’s zu bürsten.«
Arme Würstchen waren jedenfalls die zu Unrecht in Misskredit gebrachten Bürstenbinder: Ihr Ruf verschlechterte sich zusehends, bis im 19. Jahrhundert auch Redensarten aufkamen wie »fressen wie ein Bürstenbinder« oder gar »lügen wie ein Bürstenbinder«. Zugleich gingen im Zuge der Industrialisierung die Geschäfte mit den handgebundenen Bürsten immer schlechter. Heute wäre das Handwerk des Bürstenbindens vermutlich völlig in Vergessenheit geraten, gäbe es nicht noch die alte Redensart zu einer immer noch aktuellen Freizeitbeschäftigung.
Jemandem aufs Dach steigen
Diese Redewendung bedeutet, jemanden zurechtweisen oder bestrafen. Wenn in früheren Zeiten jemand auf das Dach eines anderen stieg, dann wollte er dort oben nämlich Hand anlegen und die Ziegel oder das Stroh herunterreißen. Dieses Abdecken des Daches war seit dem Mittelalter eine gängige Strafe für Schwerverbrecher und Geächtete. Hatte man zunächst noch das ganze Haus zerstört, so begnügte man sich später damit, das Dach zu entfernen, womit auch symbolisch ausgedrückt wurde, dass der Verurteilte nun »vogelfrei« war. Dieses archaische Strafritual lebte lange fort, wurde aber zuletzt nur noch bei sittenwidrigem Verhalten angewandt, vor allem, wenn ein Mann es zuließ, sich von seiner Frau schlagen zu lassen. Das galt als das ärgste Vergehen gegen Sitte und Anstand.
In diesem Zusammenhang findet sich die Redewendung bereits im 16. Jahrhundert. So heißt es in den Statuten der thüringischen Stadt Blankenburg: »Ist ein man so weibisch, daß er sich von seinem eigenen weibe raufen, schlagen und schelten läßt, der soll des rats beide stadtknechte mit wüllen gewand kleiden, oder da er’s nicht vermag, mit Gefängnis gestraft und ihm hierüber das Dach auf seinem Hause abgehoben werden.« Auch in Süddeutschland und in der Schweiz ist dieses Strafritual belegt; in Rheinhessen wurde es noch im 17. Jahrhundert vom »Bubenheimer Geckengericht«, einer Fastnachtsgesellschaft, ausgeübt. Die Strafe konnte aber hier vermieden werden, wenn der Ehemann sich mit einigen Fässern Wein loskaufte oder wenn seine Frau »sich gantz nackend aus(zog) und so nackend auf den Gipfel des Hauses (stieg), ein glaß wein aus(trank), und zwischen die beine hinabwarf«. Das war nun freilich eine besondere Art, sich selbst aufs Dach zu steigen!
»Das Dach abdecken« ist als Redewendung heute weniger gebräuchlich als »aufs Dach steigen«. Daraus mag man ableiten, dass mehr das Androhen der Strafe gemeint ist als die tatsächliche Ausführung. Andere Forscher behaupten ohnehin, die Redewendung stamme aus der Studentensprache. Nach dieser
Lesart wurde Dach synonym für den menschlichen Kopf gebraucht. Daher stammen ja auch Wendungen wie »etwas im Dach haben« (angetrunken sein) oder »eins aufs Dach kriegen« (gescholten werden, einen Schlag auf den Kopf bekommen). Parallel dazu könnte »jemandem aufs Dach steigen« also auch heißen: mit der Hand auf den Kopf fahren und vielleicht sogar einen Schlag versetzen.
(Wieder) auf dem Damm sein
War man eine zeitlang krank, kann man anschließend wieder auf dem Damm sein. Die Erklärung dafür ist ziemlich einfach: Ein Damm ist entweder ein Schutzwall gegen das Meer oder andere Gewässer oder eine Straßenaufschüttung, wie sie als Schutz gegen Sümpfe gedacht ist. Solange man dort ist, befindet man sich auf sicherem Gelände. Muss man diesen Schutz zeitweilig entbehren, ist dies gleichbedeutend mit krank sein. Kehrt man zum Vollbesitz seiner physischen Kräfte zurück, ist man wieder auf dem Damm.
Ein Damm bezeichnet seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch einen gepflasterten Fahrweg, auf dem man besser und sicherer vorankam als auf unbefestigten Sandwegen.
In diesem Sinne galt auch der Berliner Kurfürstendamm, der weltbekannte Prachtboulevard, für eine ebenso sichere wie angenehme Einrichtung der modernen Zeit, besonders für den Flaneur. Von daher kommt auch die Redewendung: »Der jehört uf’n Damm und nich uf’t Trottoir«. Will sagen: der zählt nicht zu unserer Gesellschaft.
Weil der Damm der schnellen Fortbewegung dient, sagt man auch: »Den habe ich ganz schön auf den Damm gebracht«, und meint damit: »Den habe ich fortgejagt«.
Jemandem den Daumen halten
Unter den fünf Fingern der Hand ist der Daumen etwas ganz Besonderes. Die Franken verehrten ihn sogar als »Gottesfinger«, den zu verletzen schwere Strafe nach sich zog. Er ist der stärkste Finger, weshalb man »einen Daumen auf etwas halten« sollte, wenn man es in der Gewalt behalten und beherrschen möchte. Zugleich ist der Daumen aber ein »Glücksfinger«, dem schon die Germanen übernatürliche Kräfte zuschrieben. Man bemühte sich, diese Kräfte in der (Volks-)Medizin zu nutzen – und in weniger seriösen Bezirken des Daseins, etwa beim Zaubern. Wer seinen Daumen unter den Schutz seiner Finger drückte, glaubte sich vor Hexen und Dämonen sicher. Das Einschlagen des Daumens galt als Bannzauber gegen dunkle Mächte, half gegen jede Art von Unheil und konnte sogar den Schlafenden vor Albdrücken und bösen Träumen bewahren. Aus diesem Grund hält (oder drückt) man noch heute jemandem den Daumen, wenn man ihn vor dem Versagen schützen und ihm Glückwünschen möchte. Ein Aberglaube, doch was soll’s?
Konkret wurde es freilich im alten Rom: Wenn das Publikum in der Arena die Daumen nach unten streckte, dann war der im Kampf unterlegene Gladiator dem Tode geweiht. Aber auch im Mittelalter ging es mit dem Daumen zuweilen blutrünstig zu. Die Redensart »jemandem den Daumen aufs Auge setzen« meint zum Beispiel, einem unterlegenen Gegner mit dem Ausdrücken seiner Augen zu drohen. Daher kommt übrigens auch die heute ganz harmlos anmutende Wendung »jemandem eins auswischen«, nämlich ein Auge!
Unter einer Decke stecken
In dem Film »Manche mögen’s heiß« war es für Marilyn Monroe und (den als Frau verkleideten) Jack Lemmon augenscheinlich ein diebisches Vergnügen, unter einer Decke zu stecken. In den guten alten Zeiten ging es freilich etwas seriöser zu: Damals musste ein jung vermähltes Paar sich zunächst unter die gemeinsame Bettdecke verkriechen, bevor es als regelrecht verheiratet galt. Dies geschah durchgängig im Beisein von Eltern und Verwandten. Damals lautete die Regel: »Ist das Bett beschritten, ist das Recht erstritten«, das heißt, dann erst wurde die vermögensrechtliche Einigung des Ehepaars vollzogen.
Aber nicht nur Eheleute pflegten unter einer gemeinsamen Decke zu schlafen. Auch die Helden in mittelalterlichen Ritterepen teilten sich häufig zu zweit ein Bett, zumal wenn größere Scharen zu Besuch auf einem Herrensitz eingetroffen waren. Folglich hat die Redewendung einen zweistufigen Sinn: Erstens »verheiratet sein«, zweitens »im Einverständnis leben«. Das alles war und ist also überhaupt nicht anstößig, es sei denn man »liegt mit dem Teufel unter einer Decke«, denn dann steht man mit dem Bösen im Bunde und hat sicher nichts Gutes im Sinn.
Einen Denkzettel verpassen
Im digitalen Zeitalter kann man Ermahnungen und Erinnerungen (an Versprechen, Vorhaben und Versäumnisse) auch per email oder SMS versenden. Der gute alte Denkzettel hat aber deshalb lange nicht ausgedient, denn Papier hält vermutlich immer noch länger als so manches Handy, und einen Zettel kann man zur Not auch an die Kühlschranktür oder den Badezimmerspiegel kleben, wo er sich nur mit Mühe ignorieren lässt.
Wenn man von einem Denkzettel spricht, meint man heute aber ohnehin nicht unbedingt etwas Geschriebenes, sondern eher eine fühlbare Erinnerung, die meistens durch Taten hervorgerufen wird. Unbeliebt waren Denkzettel schon im Mittelalter: Es handelte sich nämlich ursprünglich um die schriftliche Mitteilung eines Gerichts, etwa eine Vorladung oder die Übermittlung einer Klageschrift. Später bezeichnete man damit ganz allgemein schriftliche Anweisungen, die dienstbaren Geistern mitgegeben wurden, wenn man sie mit wichtigen Aufträgen losschickte. Die heutige Bedeutung prägte sich vermutlich in den Schulen des Jesuitenordens aus: Dort händigten die Lehrer ungehörigen Schülern einen Zettel aus, auf dem deren Verfehlungen aufgelistet waren. Diesen Denkzettel mussten die solchermaßen Geächteten stets bei sich führen und immer wieder lesen. Außerdem wurden sie dabei zuweilen auch ganz handgreiflich »ermahnt« und kräftig durchgeprügelt, weshalb der Name Denkzettel später auf die Folgen dieser Behandlung (zum Beispiel Narben oder ↑blaue Augen) übertragen wurde. Heute sind solche Formen vorsorglicher Bestrafung für den Fall galoppierender Vergesslichkeit zum Glück aus der Mode gekommen.
Es ist höchste Eisenbahn
Es ist höchste Zeit, die Herkunft dieser Redensart aufzuklären! Sie stammt aus dem schon etwas angestaubten Stück »Ein Heiratsantrag in der Niederwallstraße«, mit dem sich der Berliner Schriftsteller Adolf Glasbrenner in Erinnerung gehalten hat, und beruht auf einer Vertauschung zweier Wörter: Ein zerstreuter Briefträger und Bräutigam namens Bornike will sich eilig vom künftigen Schwiegerpapa verabschieden und stammelt hervor: »Es ist die allerhöchste Eisenbahn, die Zeit ist schon vor drei Stunden anjekommen.« Diese Wortverdrehung kam um die Mitte des 19. Jahrhunderts beim Publikum gut an und ist bis heute populär geblieben.
Eine sprachlich verwandte, in der Bedeutung aber völlig anders gemeinte Redensart findet sich in dem abschätzigen Ausdruck »jenseits der Eisenbahn«. Sie hat ihren Ursprung im amerikanischen Mittelwesten, wo der Verlauf der Eisenbahnschienen noch im späten 19. Jahrhundert zugleich die Klassengrenzen markierte. In den Stadtvierteln »jenseits der Eisenbahn« waren die Tagelöhner und ärmeren Volksschichten angesiedelt, diesseits lebte die (spieß-)bürgerliche Bevölkerung, die sich für etwas Besseres hielt.
Das dicke Ende kommt nach
Diese Redewendung warnt vor bösen Überraschungen: Man sollte sich nicht zu früh freuen, denn das Schlimmste kommt oft zuletzt, und auf eine harmlose Bestrafung folgt zuweilen noch eine heftigere.
Die Rede vom »dicken Ende« stammtvermutlich aus der Zeit, als das strafwütige Lehrpersonal – man sprach seinerzeit noch vom Schulmeister – gerne zur Rute oder Peitsche griff, um unbotmäßige Schüler zur Räson zu bringen (↑Denkzettel). Wenn der »Pädagoge« in besondere Wut geriet oder die Strafe noch verschärfen wollte, dann drehte er sein Zuchtwerkzeug zuweilen um, weil dessen »dickes Ende« größere Schmerzen verursachte. Nee, was waren das für raue Sitten!
Andere Erklärungsversuche verweisen auf einen harmloseren Hintergrund, nämlich auf die Schwierigkeit, einen am vorderen Ende dünnen, am hinteren jedoch dicken Gegenstand durch eine Öffnung zu ziehen, also zum Beispiel einen Faden durch eine Nähnadel. Noch größere Schwierigkeiten bekommt man bekanntermaßen, wenn man ein »Kamel durchs Nadelöhr« ziehen möchte, denn in diesem Fall ist das Ende allzu dick, der Versuch zum Scheitern verurteilt. Diese Redewendung geht auf das Matthäusevangelium (19, 24) zurück, wo es heißt: »Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher ins Reich Gottes komme.« Vermutlich liegt hier allerdings ein Übersetzungsfehler zugrunde, bei dem das griechische Wort für »Kamel« mit dem ähnlich klingenden für »Schiffstau« verwechselt wurde. Aber auch ein Schiffstau passt wohl kaum durch ein Nadelöhr, selbst wenn es kein dickes Ende hat.
Fersengeld geben
Bitte nicht mit der Teilnehmergebühr beim Marathon verwechseln! Diese Redewendung bedeutet »fliehen, sich davonmachen« und stammt keineswegs aus der Welt des Sports. Die Gelehrten streiten noch darüber, ob hier auf einen Flüchtigen angespielt wird, der seine Zeche nicht zahlen konnte, oder ob der Ursprung in jener Bibelstelle liegt, in der Jesus den Aposteln rät: »So geht heraus aus diesem Hause oder dieser Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen« (Matthäus 10, 14).
Historisch gesehen stammt der Begriff »Fersengeld« (»versengelt«) aus der Rechtssprache des Hochmittelalters, wo er eine Strafzahlung für das rechtswidrige Verlassen des Ehegatten bezeichnete. Offenbar gab es eine ähnliche Geldbuße auch für Krieger, die während einer Schlacht geflüchtet waren; und gerade in dieser militärischen Sphäre lebte später die Redensart weiter. Ein Kriegshandbuch aus dem 17. Jahrhundert nennt »Fersengeld geben« als Synonym zu »das Hasenpanier ergreifen«: Während das Panier (also das Banner) des Hasen sein Schwänzchen ist, das er bei der Flucht in die Höhe reckt, so zeigt derjenige, der Fersengeld gibt, den Zurückbleibenden eben seine Fersen.
Dieses Sprachbild wurde im volkstümlichen Scherz fortentwickelt, indem man die abwechselnd sichtbar werdenden Fersen eines fliehenden Zechprellers mit springenden Geldstücken gleichsetzte. Statt mit gültiger Münze zu bezahlen, zahlte er also mit Fersen»geld«. Eine etwas bemüht und konstruiert erscheinende Übertragung. Der allgemeine Zusammenhang zwischen Ferse und Flucht dagegen liegt nahe, dient doch dieser Körperteil traditionell der schnellen Fortbewegung – man denke nur an Redewendungen wie »sich auf die Fersen machen« oder »jemandem auf den Fersen bleiben«. Die Redensart »Fersengeld geben« ist daher auch ohne tiefgründige Erörterung verständlich. Sonst würde man sie wohl auch nicht mehr verwenden.
Sein Fett abkriegen
Will sagen: Einen berechtigten Tadel einstecken müssen, verdientermaßen gerügt werden. Die Herkunft dieser Wendung lässt sich aus dem gemeinsamen Schweineschlachten erklären, bei dem man in alten Zeiten den beteiligten Bauern jeweils gleich starke Portionen Fett zuteilte, folglich jeder sein Fett abbekam. In Thüringen sagt man: »Er wird schon sein Lammfett kriegen.«
Während die Zuteilung des Fettes ursprünglich etwas durchaus Vorteilhaftes war, bekam sie später eine ironische Note und wurde dadurch ins Gegenteil verkehrt. So will auch die Redensart »einen Schinken bei jemand im Salze haben« zum Ausdruck bringen, dass derjenige einen Tadel oder gar eine Strafe zu erwarten hat. Mit der Doppeldeutigkeit beider Begriffe spielte der Sturm-und-DrangDichter Friedrich Müller im 18. Jahrhundert: »Der Amtmann soll dir sein Fett kriegen, hat ohnehin schon etwas bei mir im Salze.«
Aus dem Bereich der altertümlichen Landwirtschaft stammt übrigens auch die Wendung »bei jemandem ins Fettnäpfchen treten«. Das bedeutet im übertragenen Sinn, es sich durch eine Ungeschicklichkeit mit jemandem zu verderben. Im wörtlichen Sinn war gemeint, in einen am Boden gelagerten Napf mit Speisefett zu treten und dieses dadurch zu verschütten oder zu verunreinigen, was natürlich für die Hausfrau höchst ärgerlich war und für den Unglücksraben Schimpf und Schande im Gefolge hatte.
Ähnlich heißt es im Elsässischen »bei jemandem das Öl verschütten« und im Schweizerischen »den Kübel umstoßen«.
Flöten gehen
Ob etwas in die Pilze, Wicken, Erbsen, Rüben oder Nüsse geht – stets endet es dabei in den Binsen, verschwindet also, geht verloren oder kaputt. Trauriger Fall, möchte man meinen!
Die oft gebrauchte Redewendung »Flöten gehen« meint etwas Ähnliches. Warum sie das tut, lässt sich aber kaum schlüssig und verbindlich erklären.
Die Gebrüder Grimm bringen die Wendung in ihrem berühmten Wörterbuch mit dem Verhallen von Flötentönen, die in der Luft dahinschwinden, in Zusammenhang. Andere Gelehrte wollten die Bedeutung darin erkennen, dass jemand seine Flöte nahm und als Musikant in die Welt zog.
Prosaischer (und sogar wahrscheinlicher) ist dagegen die Herleitung von: »pissen gehen«. »Flöte« steht sprachsymbolisch häufig für »Penis«, und im Niederländischen heißt »fluiten« sogar direkt »urinieren«. Und wer »sich verpisst«, der ist weg – das leuchtet ein, daher stammt auch die niederdeutsche Redensart »ga wat pissen« im Sinne von: »Hau ab!«
Manche beziehen »flöten gehen« auch auf finanzielle Dinge. So geht es im Norddeutschen tatsächlich vor allem ums Geld, wenn etwas »fluiten gaan« ist. Auch für diese Erklärung gibt es Argumente: Man flötet ja auch und überhaupt oft auf dem letzten Loch. Und woran sollte man dabei denken, wenn nicht an das Geld, das man nicht (mehr) hat!
Sich mit fremden Federn schmücken
Wer hat sich nicht schon einmal mit den Verdiensten anderer geschmückt? Die Fabel kennt für diese verbreitete Unsitte das Bild von der hässlichen Krähe, die sich des besseren Aussehens halber mit farbenprächtigen Pfauenfedern schmückt. Gotthold Ephraim Lessing beschrieb das so: »Eine stolze Krähe schmückte sich mit den ausgefallenen Federn der farbigen Pfaue und mischte sich kühn, als sie genug geschmückt zu sein glaubte, unter diese glänzenden Vögel der Juno. Sie ward erkannt, und schnell fielen die Pfaue mit scharfen Schnäbeln auf sie, ihr den betrügerischen Putz auszureißen. – ›Lasset nach!‹ schrie sie endlich, ›ihr habt nun alle das Eurige wieder.‹ Doch die Pfaue, welche einige von den eigenen glänzenden Schwingfedern der Krähe bemerkt hatten, versetzten: ›Schweig, armselige Närrin; auch diese können nicht dein sein!‹ – und hackten weiter«.
Die Krähe musste also »Federn lassen«, wie eine verwandte Redewendung das Erleiden eines Schadens umschreibt. Weniger unangenehm war der Brauch des »Federlesens«, bei dem unterwürfige Schmeichler höhergestellten Persönlichkeiten die Federchen von den Kleidern »lasen« (im ursprünglichen Wortsinn von aufklauben, aufsammeln). Diese Tätigkeit galt nicht nur als verächtlich, sondern auch als Akt übertriebener Reinlichkeit und damit als »nutzlose Zeitverschwendung«, auf die man lieber verzichten sollte. Und das tut auch heute noch im übertragenen Sinne, wer »nicht viel Federlesens macht«.
Gang und gäbe
An Stelle dieser Redewendung könnten wir auch schlicht sagen: etwas sei gebräuchlich, üblich, allseits akzeptiert – eben gang und gäbe. Man versteht dies auch heute noch ohne jegliche Erklärung, obwohl die Herkunft dieser »stabreimenden Zwillingsformel« (↑Bausch und Bogen) in mittelalterlichem Dunkel liegt. »Gang« hieß damals: »was unter den Leuten umläuft«, und »gäbe« bedeutete soviel wie »gültig«. Beides zusammen bezeichnete die gerade in Umlauf befindliche, gültige Währung. Diese Bedeutung verwandte auch noch Luther in seiner Bibelübersetzung, wo es heißt »vierhundert Lot Silber nach dem Gewicht, das im Kauf gang und gäbe war« (1. Moses 23,16). In der Geschäftssprache erweiterte sich die Bedeutung bald auf jegliche Art von Waren, die gebräuchlich und üblich waren; heute kann man damit alles bezeichnen, was gerade aktuell oder in Mode ist.
Im Hinblick auf unsere Münzen und deren Missbrauch hat sich seit damals nicht viel geändert. Einiges ist und bleibt wohl immer gang und gäbe …
Den Glatten machen
Dies ist eine neuere, vielleicht eine Wendung jüngster Prägung: Wer sich in der Politik um erkennbare Konturen herumdrückt, folglich aalglatt gibt, »macht den Glatten«. Es handelt sich also um die Charakterisierung von Politikern, die ohne Bekennermut den täglichen Publikumsbedarf an Schmeichelei und Heuchelei zu decken suchen, und dabei nicht zu fassen sind. Eben weil sie so entsetzlich glatt erscheinen und wohl auch sind. Wenn das mal glatt geht …!
Die Gretchenfrage stellen
In Goethes »Faust« stellt Gretchen ihrem angebeteten Heinrich die Frage nach seiner Haltung zur Religion. Der Dialog, von Gretchen selbst eingeleitet, lautet wie folgt:
»Margarete: Versprich mir, Heinrich!
Faust: Was ich kann!
Margarete: Nun sag: Wie hast du’s mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.«
Mit der Gretchenfrage will man heute – ganz unabhängig von der Religion – jemanden dazu bringen, seine wahren Meinung in einem wichtigen Punkt zu bekennen. Es ist also eine bedeutende Frage, eine Gewissensfrage, von deren Beantwortung viel abhängt.
In Goethes Tragödie stellt Fausts Antwort das tief religiöse Gretchen allerdings nicht zufrieden, denn er bekennt sich zwar allgemein zum Glauben, aber eben
nicht zum christlichen:
»Wenn man’s so hört, möcht’s leidlich scheinen,
Steht aber doch immer schief darum;
Denn du hast kein Christentum.«
Auch in der Politik spricht man häufig von der »Gretchenfrage«: Hier geht es dann vor allem darum, die entscheidende Antwort beim Gegner herauszulocken, eine endgültige Klarstellung zu erzwingen und eine umstrittene Sache zum Ende zu bringen.
Angesichts des durchschnittlichen kulturellen Niveaus von Parlamentariern darf man allerdings bezweifeln, dass sich einer finden wird, der bei der Gretchenfrage an eine verbindliche Auskunft zur Religion denkt – oder der gar die Herkunft dieser Floskel zu nennen vermag.
Am grünen Tisch verhandeln
Wichtige Dinge werden auch heute noch gern »am grünen Tisch« verhandelt. Was dabei herauskommt, ist meist wohldurchdacht, in der Praxis jedoch oft undurchführbar. Die Redewendung geht darauf zurück, dass Verhandlungstische traditionell mit grünem Filz bedeckt waren. Der Filz wirkt geräuschdämpfend, was zuweilen dem Verlauf der Verhandlungen zugute kommen mag.
Ob die Farbe Grün gewählt wurde, weil sie für die Hoffnung steht – was auch auf politische Friedensgespräche ge_ münzt werden könnte –, ist nicht belegt, aber wahrscheinlich. Schon im allgemeinen verbindet man mit der Farbe Grün die sprießende und aufblühende Natur, also auch das Prinzip Hoffnung: »Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühn«, heißt es im Musical »My Fair Lady«.
Bei manchen Verhandlungen hat man aber auch den Eindruck, das nichts neues sprießt, sondern das »dasselbe in Grün« herauskommt, also das gleiche wie zuvor. Diese Redensart geht auf eine Anekdote zurück, die wir bei der Schriftstellerin Johanna Schopenhauer um 1800 belegt finden:
»Dieselbe Couleur, aber in Grün, forderte (…) ein Dienstmädchen einst in einem Laden und reichte ein Pröbchen rosarotes Band dem Kaufmann hin.«
Nun, wenn das keine ↑Milchmädchenrechnung war!
Haarspalterei
Die Neigung zu dieser Tätigkeit sagt man nur Leuten mit unendlicher Geduld und der Fähigkeit nach, kleinste Unterschiede zu bemerken. Ein bisschen schwingt da der Vorwurf von Spitzfindigkeit und Kleinkariertheit mit. Das Spalten von Haaren ist natürlich eigentlich eine Unmöglichkeit, weshalb ein Gedicht aus dem 16. Jahrhundert es mit anderen Dingen aufzählt, die gleichfalls kaum auszuführen sind:
»Eyn glatten aal beym schwantz kan halten,
Vnd in vier teyl ein härlin spalten,
Das graß hört auß der erde wachßen,
Steckt vier reder an eyne achsen …«
Nach Auffassung von Sprachgelehrten stehen Haare durchweg für Kleinigkeiten. Was »an einem Haar hängt«, ist folglich vom kleinsten Umstand abhängig. Wobei solche Details durchaus von Bedeutung sein können, weshalb man zuweilen etwas »haargenau untersucht« oder sich »haarklein erzählen« lässt. Haare können aber auch für etwas Geringwertiges stehen; daher kommt die sprichwörtliche Redensart von den kurzen Haaren, die bald gebürstet sind, also von einer unbedeutenden Angelegenheit, die schnell erledigt ist. Man sollte nur nicht »gegen den Strich bürsten«, denn diese falsche Behandlung führt schnell zu Unbehagen und Gereiztheit. In Thomas Manns Buddenbrooks wird das von solchen Menschen gesagt, die von Widerspruchsgeist erfüllt sind.
Haare auf den Zähnen haben
Wer das von jemandem sagt, meint es zumeist nicht gut mit ihm. Vor allem bei Frauen wird es nicht gern gesehen, wenn sie sich nichts gefallen lassen und energisch ihr Recht gegen alle Anfeindungen verteidigen. Nichts anderes meint aber die Redewendung von den Haaren auf den Zähnen (oder auf der Zunge).
In früheren Zeiten war das eine durchaus anerkennende Beschreibung für raubeinige Männer, für haarige Kerle, die in voller Manneskraft standen. Die Haare waren gewissermaßen ein Symbol für Männlichkeit, und je mehr »mann« davon hatte, desto besser. So heißt es zum Beispiel in Schillers Drama »Die Räuber«: »Du bist ein entschlossener Kerl – Soldatenherz – Haar auf der Zunge!«
Dass Haare ein Symbol für männliche Kraft sind, wird auch in der biblischen Geschichte von Simson deutlich, der wehrlos wurde, nachdem seine Geliebte Delila ihm die Haare geschoren hatte. In Frankreich nennt man die Frontkämpfer aus dem Ersten Weltkrieg wegen ihrer Tapferkeit heute noch »poilu«, was nichts anderes heißt als »behaart«. Kein Wunder also, dass es nicht gerade schmeichelhaft gemeint ist, wenn einer Frau »Haarigkeit« zugeschrieben wird.
Wenn jemanden der Hafer sticht
… ergeht es ihm wie dem Pferd, das bei zu guter Fütterung und ohne gehörigen Auslauf übermütig wird. Was dem Gaul recht war, wurde dem Gecken billig. Folglich stach bald auch den Jüngling der Hafer, selbst wenn er ihn nicht verzehrte. Seltsam genug, denn anders als Roggen- oder Gerstenstroh sticht der Hafer eigentlich überhaupt nicht. Daher füllte man von je her mit ihm die Strohsäcke, die als Matratzen dienten. So lässt sich ein Hintersinn vermuten, über den man nicht lange rätseln muss. Nebenbei: Ein Bündel Heu würde einem Liebespaar ebenfalls ausreichen.
Der Hafer prägte übrigens mehr Redensarten als manch andere Getreidesorte. Mit der bereits genannten in engem Zusammenhang stehen »seinen wilden Hafer noch nicht gesät haben« (im Sinne von: sich die ↑Hörner noch nicht abgestoßen haben) und »den Hafersack höher hängen«. Letzteres meint, dass man den Übermut eines »vom Hafer gestochenen« Pferdes oder Menschen bremst, indem man ihn mit Nahrung (oder anderen Genüssen) knapp hält.
Die Wendung »Hier ist gut Hafer säen« will dagegen zum Ausdruck bringen, dass in der Gesellschaft Ruhe eingetreten ist. Denn den leichten Hafersamen konnte der Bauer nur bei absoluter Windstille säen …
Hahn im Korb sein
Wer »Hahn im Korb« ist, muss sich keine Sorgen um sein Ansehen bei Frauen machen. Der Mann, dem diese Rolle zufällt, ist der einzige unter vielen Ladies und dementsprechend die Hauptperson – genau wie der Hahn auf dem Hühnerhof oder eben im Korb, in dem man ihn zum Markt trug. In diesem Korb konnte er auch mit männlichen Artgenossen sitzen, deshalb sagte man früher auch: »der beste Hahn im Korb«.
Die erotischen Anspielungen in dieser Redensart sprechen übrigens Bände: Hahn steht nämlich synonym für Penis, von daher heißt es auch: »den Hahn krähen lassen« (= koitieren) oder »den Hahn rechtzeitig zudrehen« (= coitus interruptus). Und da der Korb wiederum ein Synonym für Bett ist, ergibt »Hahn im Korb« auch die Bedeutung »der beste Mann im Bett«.
Neben dem »Hahn im Korb« gibt es noch die abgewandelte Redensart vom »Hahn im Dorf«. Das bedeutet im Grunde das gleiche. Mag der Besitz noch so klein sein, jeder Hahn kräht stolz auf seinem Mist.
Unter den Hammer kommen
Das klingt brachial und gewalttätig, ist aber gar nicht so gemeint. Der Hammer (aus Holz) kommt in zivilisierten Gesellschaften ausschließlich bei Verkäufen oder Gerichtsverhandlungen ins Spiel. Bei öffentlichen Versteigerungen wird der »Zuschlag« mit dem Hammer erteilt. Was unter den Hammer kommt, wird also versteigert – nicht selten aus wirtschaftlicher Not des Besitzers.
Der Hammer war seit jeher ein Rechtssymbol, mit dem zum Beispiel die Gemeinde einberufen oder ein Gericht angesagt wurde. Bei Grundsteinlegungen der dreifache Schlag mit dem Hammer bekräftigen, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Auch bei Grenzbestimmungen diente er als gerichtsnotorisches Symbol: durch einen Wurf mit dem Hammer (oder mit dem Beil) bestimmte man die Ausdehnung eines Grundstücks.
Wer heute sagt: »Das ist ein Hammer!«, hat von dieser alten Bedeutung sicher keine Ahnung. Er meint damit, dass etwas großartig ist und alle Erwartungen übertrifft.
Hand und Fuß haben
Wenn man dies von einer Sache behaupten kann, dann ist sie in Ordnung und bestens durchdacht und geplant. Denn was »Hand und Fuß hat«, dem fehlt nichts Wesentliches. In alten Zeiten galt ein Mann als kriegstüchtig, wenn er seine rechte Hand und den linken Fuß noch besaß: Mit der rechten Hand konnte er das Schwert führen und mit dem linken Fuß in den Steigbügel treten; das war die Grundvoraussetzung zur Teilnahme an einer Schlacht. Dementsprechend gab es im Mittelalter eine Vielzahl von Strafbestimmungen, die das Abschlagen gerade dieser beiden Extremitäten vorsahen.
Auch damals war es natürlich trotzdem am besten, über zwei Hände und zwei Füße zu verfügen, wie es anatomisch ja die Regel ist. Und dementsprechend gab es die Redensart von »Hand und Fuß« auch im Plural. In Schillers historischem Drama zum Beispiel spricht Wallenstein von einem Brief, der »Hände und Füße« habe. Warum diese schon im Altertum bekannte Form heute nur noch selten gebraucht wird, ist nicht bekannt. Vielleicht klingt es einfach besser. Mit beiden »Händen und Füßen« dagegen kann man auch heute noch »reden« oder auch »sich wehren«, es sei denn, man ist an denselben »gebunden«.
Jemandem das Handwerk legen
Wer das tut, der hindert jemanden an der Ausübung einer Tätigkeit, zumeist einer verbotenen oder zumindest unerwünschten. So heißt es in den von Goethe und Schiller gemeinsam verfassten »Zahmen Xenien«, an die Adresse der Schwätzer und Schmierer gerichtet:
»Treibet das Handwerk nur fort, wir können’s euch freilich nicht legen, / Aber ruhig, das glaubt, treibt ihr es künftig nicht mehr.«
Die Bedeutung dieser Redewendung liegt auf der Hand, wenn man bedenkt, dass das Verbum »legen« hier im Sinne von »niederlegen, beenden« verwendet wird. Wer im Mittelalter gegen die Innungsvorschriften verstoßen hatte, dem konnte die Ausübung seines Handwerks kurzerhand verboten werden.
Von daher kommt auch der abschätzige Beiklang: Wem »das Handwerk gelegt« wurde, der hatte es zuvor nicht richtig ausgeübt, war also kein ehrenwerter Zeitgenosse. Heute bezieht man die Redewendung fast nur noch auf Menschen mit kriminellen oder zumindest unlauteren Absichten; dementsprechend sind nicht mehr die Innungen oder gar die Industrie- und Handelskammer dafür zuständig, jemandem »das Handwerk zu legen«, sondern die Polizeibehörden.
Da liegt der Hase im Pfeffer
Wer weiß, »wie der Hase läuft«, der weiß Bescheid; und wer weiß, »wo der Hase liegt«, hat’s ebenfalls begriffen. Und zumeist liegt der Hase eben »im Pfeffer«, was soviel heißt wie: das ist der Punkt, auf den es ankommt, oder auch: da liegt die Schwierigkeit.
Ihre ungebrochene Popularität verdankt diese Redensart vielleicht Schillers Drama »Kabale und Liebe«, das ja noch immer zur Schullektüre gehört. Darin ruft nämlich der Stadtmusikant Miller gleich im ersten Akt aus:
»Da liegt der Has’ im Pfeffer.«
Der Hase, der im Pfeffer liegt, schlägt jedenfalls keine Haken mehr. Stattdessen schwimmt er in einer stark gewürzten Brühe, die man in alten Zeiten kurz und bündig einen »Pfeffer« zu nennen pflegte. Mit solcher Brühe versetztes Hasenklein heißt in Schwaben heute noch »Hasenpfeffer«. Will sagen: das ist, woraufes ankommt. Oder, wie es in einem alten Text heißt: »Keiner aber weiß, wo der Has im Pfeffer liegt, als der ihn angerichtet«. Das Fleisch ist halt das beste an der Suppe, man muss es nur zu finden wissen!
Der Schriftsteller Albert Richter macht darauf aufmerksam, dass »Pfeffer« in früheren Jahrhunderten aufgrund seiner Wichtigkeit zur Bezeichnung von Gewürz überhaupt gebraucht wurde. Belege dafür sind außer dem erwähnten Begriff »Pfeffer« für Gewürzbrühe die sogenannten Pfefferkuchen und Pfeffernüsschen, zu deren Bereitung ja ganz andere Gewürze als Pfeffer benötigt werden.
Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts
Wer weiß, wo der Hase im Pfeffer liegt, es aber lieber nicht verraten möchte, der sagt zuweilen: »Mein Name ist Hase.«
Die weithin bekannte Floskel geht zurück auf einen Studenten namens Viktor Hase, den Sohn des Konsistorialrats und Garnisonpredigers Karl Alfred von Hase, der die Geschichte in dem Buch »Unsere Hauschronik« selbst erzählt hat: Viktor Hase musste sich im Wintersemester 1854/55 vor dem Heidelberger Universitätsgericht verantworten, weil ein Kommilitone, der im Duell einen anderen erschossen hatte, mit Hilfe von Hases Studentenausweis aus der Stadt geflohen war.
Der Missbrauch von Studentenausweisen war streng verboten – und die Unterstützung von Gewaltverbrechern natürlich ohnehin. Bei der Untersuchung des Falles gab sich der angehende Jurist jedoch ahnungslos. Seine Aussage beschränkte sich auf den Satz: »Mein Name ist Hase, ich verneine die Generalfrage, ich weiß von nichts.«
Diese Schlagfertigkeit gefiel seinen Mitstudenten. Hases Antwort machte schnell die Runde an den deutschen Universitäten – und so kommt es, dass auch heute noch mancher gern Hase heißt, wenn ihm brenzlige Fragen gestellt werden.
Aus dem Häuschen sein
»Warum bist du gleich außerm Haus,
Warum gleich aus dem Häuschen?«
So fragte schon Goethe in einem seiner Gedichte. Meistens gibt es einen freudigen Anlass, wenn jemand »völlig aus dem Häuschen ist«; wird man dagegen von Kummer und Schmerz geplagt, ist man eher »außer sich«.
Der Sinn beider Redensarten ist sehr ähnlich, denn das Haus (Häuschen) steht symbolisch für den menschlichen Körper, in dem ja die Seele wohnt. Entsprechend nennt man ja einen guten Freund auch mal »altes Haus« oder einen klugen Menschen »gelehrtes Haus«.
Die Metapher »aus dem Häuschen sein« spricht demnach für sich selbst: Wir reißen symbolisch die häusliche Enge unseres Körpers nieder, um ungehemmt und frei zu jubeln.
Allerdings sagte man im 18. Jahrhundert zu ausgelassenen Menschen auch: »Der Narr ist aus dem Häusel kommen«, um damit auf das örtliche Narren- oder Tollhaus anzuspielen.
Aber selbst, wenn es tatsächlich etwas närrisch wirken sollte, so tut es doch gut, gelegentlich völlig aus dem Häuschen zu sein. Zumindest muss man in diesem
Zustand nicht fürchten, das einem ↑jemand aufs Dach steigt.
Jemandem heimleuchten
Will sagen: zurechtweisen, abweisen, vielleicht sogar: verprügeln! Die Erklärung für diese Redewendung ist im Vergleich eher harmlos: In Zeiten, in denen man noch keine Straßenbeleuchtung kannte, gab der Gastgeber einem späten Besucher Diener mit, die ihm mit Fackeln oder Laternen den Weg nach Hause beleuchten (ihm »heimleuchten«) sollten.
Eine verwandte Sitte war es, die Gäste nach durchzechter Nacht »heimgeigen« zu lassen. Das hieß: Musikanten begleiteten sie lautstark bis zu ihren Wohnungen. Wie so oft bei Redensarten wurde der Sinn am Ende ein ganz anderer als der ursprünglich gemeinte. »Du kannst dir heimgeigen lassen!« heißt heute soviel wie: »Mach das du fortkommst!« Mit diesen Worten verhöhnten allerdings schon im 17. Jahrhundert die Bürger von Nürnberg den kaiserlichen General Wallenstein, als dessen Truppen nach erfolgloser Belagerung abziehen mussten: »Geh, laß dich geigen heim!«
Heimgeleuchtet dagegen wurde nach einer alten Chronik dem Landgrafen Konrad von Thüringen nach seiner vergeblichen Belagerung der Stadt Fritzlar: Die Bürger entzündeten Fackeln und gaben ihm so den Heimweg zu erkennen. Man könnte also auch von einem beleuchteten Rückzug sprechen.
Der Himmel hängt voller Geigen
So oder ähnlich klangen die Titel von Unterhaltungsfilmen der frühen 1950er Jahre; man könnte auch von Schnulzen reden. Da wurde zuweilen gegeigt, bis einem die Ohren wehtaten. Die Redewendung kommt aber bereits in einem sehr alten Kärntner Weihnachtsspiel vor, in dem es heißt:
»Potz tausend, Bue! Was spricht so toll,
Was hör i nit für Klang!
Der Himmel hängt mit Geigen voll,
Es ist a Engelsgsang.«
Wem der Himmel voller Geigen hängt, dem offenbart sich himmlische Glückseligkeit, der kennt keine Sorgen, dem geht es gut.
Zumindest glaubt er das. Schon früh war die Redensart mit Mahnungen verbunden. »Mancher meinet, der Himmel hang voller Geigen, so seynds kaum Nußschalen«, hieß es etwa im 17. Jahrhundert. Und im Mecklenburgischen sagt der Volksmund von jemandem, der noch keine Enttäuschung erfahren hat: »Dem hängt der Himmel noch vull Fideln«.
Der Ursprung des Sprachbildes liegt wohl in der Malerei der Spätgotik und der Frührenaissance, in der häufig musizierende Engel (mit Geigen) den Himmel bevölkerten. Zuweilen hört man wohl auch »die Engel im Himmel singen«; doch das ist dann nicht mit fröhlichen Gefühlen verbunden, sondern ein Ausdruck für großen Schmerz.
Jemandem die Hölle heiß machen
Der Sinn ist klar: Jemanden in die Enge treiben, ihm Angst machen. Ursprünglich taten das die Priester, die in ihren Predigten die Qualen der Hölle in »glühenden« Farben schilderten, um die Gläubigen auf den Rechten Weg zu bringen.
In diesem Sinne sagte schon Martin Luther: »sie machen uns die hellen heis und den teufel schwarz«.
Eine andere Erklärung sieht in der Hölle etwas eher Harmloses, nämlich die gleichnamige Nische hinter einem Stubenofen. Dort stand in alten Bauernhäusern die »Höllbank«, auf der es naturgemäß schön warm wurde, wenn der Hausherr kräftig einheizte. Das klingt nach Idylle und gutbürgerlicher Zufriedenheit, war aber wohl ganz anders gemeint, wenn hier tatsächlich der Ursprung der Redensart liegt.
Das Wort Hölle ist übrigens grenzüberschreitend, sprachlich international. Es stammt vom gotischen »halja« ab, und heißt im Altnordischen »hel«, im Angelsächsischen »hell«, im Altsächsischen »hellia«, im Althochdeutschen »hella« und schließlich im Mittelhochdeutschen »helle«.
Wenn das kein Zufall ist. Zur Hölle damit!
Auf dem Holzweg sein
Klarer Fall von denkste!? Heißt es doch in Goethes Faust: »Es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden«. Holzweg nannte man in alten Zeiten die schmalen Pfade im Wald, die allein zur Beförderung des Holzes angelegt wurden, und die zu keinem Ziel führten. Der Wanderer tat gut daran, solche Wege nicht zu betreten. Deshalb bescheinigen wir jenen Leuten, die sich im Irrtum befinden, sie seien »auf dem Holzweg«. Sehr plastisch schrieb der Straßburger Prediger Geiler von Kaysersberg im Jahr 1495: »Man findt under tausent nicht einen, der dem rechten weg nachtrachtet, sondern sie gehn alle dem holzweg nach und eilen heftig, biß sie zu der hellen (↑Hölle) kommen.«
Sich die Hörner abstoßen
Mit dem Abstoßen der Hörner wird der Jüngling zum Mann, er sammelt Erfahrungen, vor allem in Liebesdingen.
Allerdings sollte er aufpassen, dass er dabei nicht einem anderen Mann »Hörner aufsetzt«, denn betrogene Ehemänner neigen dazu, ihren Nebenbuhlern die ↑Hölle heiß zu machen.
Die Redensart entstammt vermutlich einem studentischen Brauch, mit dem im 16. und 17. Jahrhundert die Neulinge an den Universitäten in Deutschland empfangen wurden:
Die älteren Studenten verkleideten sie als Bock mit Hörnern und sägten diese Hörner dann mit einer besonderen Zeremonie ab, oder sie ließen sie mit dem Kopf gegen eine Tür rennen, damit sie sich die Hörner symbolisch abstießen.
Indirektes Vorbild hierfür waren wohl Ziegenböcke, Widder und Hirsche, die im Kampf gegeneinander ihre Hörner einsetzen – und sie dabei nach und nach abstoßen. Wer sich diesem Ritual entziehen möchte, kann nicht erwachsen werden.
Das Abstoßen der Hörner signalisiert zugleich die Bereitschaft, sich in die gesellschaftlichen Verhältnisse einzufügen.
Ausgehen wie das Hornberger Schießen
Wenn ein Vorhaben mit großem Aufwand vorbereitet und mit viel Lärm angekündigt wird, dann aber kläglich scheitert und sich in Rauch auflöst, dann »geht es aus wie das Hornberger Schießen«. Die Bewohner der kleinen Stadt Hornberg im Schwarzwald sind heute noch stolz darauf, dass ihre Vorfahren diese Redensart – wohl schon im 16. Jahrhundert – begründet haben. Die Stadt ging damit nicht nur in die Literaturgeschichte ein (und brachte es bis in Schillers Drama »Die Räuber«), sondern sie wurde auch zum Ziel zahlreicher Touristen, die sich vor Ort ein Bild davon machen wollen, wie denn nun das Hornberger Schießen tatsächlich vonstatten gegangen sein mag.
Die Geschichte wird in verschiedenen Varianten erzählt. Die prosaischste ist diese:
Die Hornberger wollten einst ein großes Schießen veranstalten, zu dem alles was Beine hatte, herbeiströmte. Nur: Die Bürger hatten zwar alles gewissenhaft vorbereitet und an alles gedacht, was zu einem Schießen notwendig ist, eines aber vergaßen sie in der Aufregung: das Pulver nämlich! Weil soviel Vergesslichkeit kaum glaubhaft ist, gibt es noch eine andere Überlieferung: Danach hätten die Hornberger das Schießen vorbereitet, weil sie fürstlichen Besuch erwarteten; um sich nicht zu blamieren, probten sie sehr gründlich die Böllerschüsse – so gründlich, dass sie zum Schluss, als der Landesvater endlich eintraf, kein Pulver mehr hatten. Nach einer dritten Version begannen sie ihr Schießen bereits, als die Vorhut in Sichtweite kam, und konnten daher, als der Herzog selbst einige Zeit später folgte, keine Begrüßungssalven mehr abfeuern.
Das Ergebnis ist in allen drei Fällen das gleiche: Dem Ereignis war kein Segen beschieden, die großen Vorbereitungen waren sinnlos verpufft. Und so geht ja heute noch manches aus, was einen gravierenden Mangel aufweist. Wer genauer
wissen will, wie es in Hornberg zuging, hat übrigens jedes Jahr von Juni bis September die Möglichkeit, das Hornberger Schießen als Historienspektakel in der städtischen Freilichtbühne mitzuerleben.
Ein Hühnchen zu rupfen haben
Diese Redewendung spielt auf einen unerledigten Streit an, der noch ausgetragen werden soll. Wer mit jemandem noch ein Hühnchen zu rupfen hat, der will ihn zur Rede stellen. So jedenfalls drückt man es seit dem frühen 19. Jahrhundert aus. Das Bild stammt von einer Tätigkeit her, die heute kaum noch jemand selbst ausüben muss: das Entfernen der Federn an einem geschlachteten Huhn.
Dass es sich dabei um eine recht rabiate Handlung handelt, ist selbst dem modernen Städter noch bewusst – und so erfreut sich die Redensart heute größerer Beliebtheit als die ebenfalls der Küchensprache entlehnten Formen »noch ein Ei mit jemandem zu schälen« oder »eine Rübe zu schaben haben«. Die übertragene Bedeutung ist natürlich jeweils: schimpfen, schelten, kritisieren. »Lass mich ungerupft!« heißt es schon beim mittelalterlichen Dichter Hans Sachs.
Auf den Hund kommen
Die Erklärungsversuche sind Legion, doch nur einer erscheint plausibel: In Geld- und Schatztruhen pflegte man früher den Boden mit dem Bild eines (Wach-)Hundes zu versehen – als Mahnung und Abschreckung gegenüber Dieben. War das verwahrte Geld verbraucht und der Blick auf den Vierbeiner frei, dann hieß das: Du bist auf den Hund gekommen.
Im Klartext: Du bist heruntergekommen, verarmt. Andere Deutungen verweisen auf ein altes Würfelspiel, bei dem der »Hundswurf« (vier Einsen) als schlechtester Wurf galt. Wiederum andere meinen, es sei wie bei Hans im Glück, der von einem wertvolleren Tiere in den Besitz eines wertloseren kommt, also vom Pferd auf den Esel, vom Esel auf den Hund. Tatsächlich ist überliefert, dass verarmte Bauern zuweilen einen Hund an Stelle eines Pferdes als Zugtier verwenden mussten.
Wer auf den Hund gekommen ist, der weiß übrigens deshalb nicht unbedingt, wo der Hund begraben liegt – aber das ist eine andere Geschichte (↑Hase im Pfeffer).
Vom Hundertsten ins Tausendste kommen
Diese Redewendung bezeichnete ursprünglich einen Rechenfehler, der aus dem falschen Umgang mit einem bis ins 17.Jahrhundert hinein gebräuchlichen Rechenschieber herrührte.
Johann Agricola, der Herausgeber der ersten hochdeutschen Sprichwortsammlung (1528-1548), erklärte »das hundert in tausend werfen« so: »Wer nun hundert zu tausent wirfft, und rechnet nicht darzwischen die andern hundert, als zwey, drey, vier, funff, sechß, sieben, acht, neun hundert (…), der macht es also, daß niemand weyß, was er rechnet oder redet. Darumb wirt dies wort gebrauchet widder die, so vil gewesch machen, und sagen vil, sie aber selbs wissen nicht, wo es hat angefangen und wo sichs endet, die es hören, auch nicht.«
Auch als der Rechenschieber längst vergessen war, lebte die Redensart fort. Nur dachte man nicht mehr an Mathematik, sondern an die Vielzahl der Dinge (erst hundert, dann tausend), von denen jemand redet, der abschweift, den Faden verliert (↑Da beißt keine Maus den Faden ab) und zum Schluss gar nicht mehr weiß, was er eigentlich sagen wollte.
In diesem Sinne haben die Literaten der Aufklärung sie verwendet – jeweils leicht abgewandelt. Immanuel Kant etwa schrieb: »Die Einbildungskraft geht vom Hundertsten aufs Tausendste«, und Gotthold Ephraim Lessing prägte die Floskel um in »Das Hundertste ins Tausendste schwatzen«. Wieder einmal war es Goethe, der die dauerhafteste Fassung geprägt hat: »Vom Hundertsten ins Tausendste kommen.«
Unter aller Kanone
Mit Geschützen hat diese Redewendung nichts zu tun. Sie stammt nämlich nicht aus der Sprache der Militärs, sondern vielmehr aus jener der Gelehrten: Der lateinische Kanon (»canon«) ist hier gemeint, also der Maßstab, die Richtschnur, die Regel.
Besonders schlechte Schularbeiten wurden von den strengen Lehrern im 19. Jahrhundert (↑Das dicke Ende kommt nach) mit dem Ausdruck »sub omni canone« benotet, was soviel hieß wie: unterhalb jedes Bewertungsmaßstabs. Die Schüler machten sich insgeheim über dieses Urteil lustig, indem sie das lateinische Wort »canon« mit dem deutschem »Kanone« übersetzten.
Der Sinn blieb aber derselbe: Auch was »unter aller Kanone« ist, ist schlecht, wertlos, absolut mies. Um das zu erkennen, muss man kein Latein können.
Die Katze im Sack kaufen
Diese Redensart beflügelt seit jeher Fantasie und Aberglauben. Dabei ist ihr Sinn ganz einfach: Wer die »Katze im Sack« kauft, handelt leichtsinnig, denn er verzichtet darauf, den Inhalt des Sacks zu besehen und zu prüfen! Während heute große und bunt bedruckte Kartons das bevorzugte Mittel zur Verbrauchertäuschung sind, wurden in früheren Zeiten viele Waren (insbesondere Tiere) in Säcken zum Kauf angeboten. Und weil man in den Sack nicht ohne Weiteres hinein sehen konnte, war die Furcht verbreitet, dass statt der gewünschten Sache etwas Wertloses darin stecken könnte – zum Beispiel eine Katze. Dieses Tier erscheint in diesem Zusammenhang erstmals im Volksbuch von Till Eulenspiegel: Statt eines Hasens steckte hier eine Katze im Sack. Daraus entwickelte sich auch die Redensart: »Die Katze aus dem Sack lassen«. Spätestens nämlich, wenn der Sack geöffnet wurde, ließ sich die Wahrheit nicht mehr verheimlichen …
In späteren Zeiten gebrauchte man die Redensart auch gern als Rechtfertigung für vorehelichen Geschlechtsverkehr, der gewissermaßen als Probe für die Hochzeitsnacht galt (»Ich kaufe doch nicht die Katze im Sack«). Thomas Mann dagegen betrachtete die Frage auf höherem Niveau und stellt in seinem Roman »Die Entwicklung des Dr. Faustus« folgende Lebensregel auf: »Ist es leichtsinnig, ›die Katze im Sack zu kaufen‹, so ist, sie darin zu verkaufen, noch weniger empfehlenswert.« Da liegt wohl der Hund begraben!
Etwas auf dem Kerbholz haben
Das »Kerbholz« war das früheste Instrument schriftlicher Buchführung. Bis ins 19. Jahrhundert hinein protokollierten Handwerker, Kaufleute und Bauern die Lieferung von Waren oder das Erbringen einer Leistung durch das Einkerben eines solchen Holzstückes. Zumeist bestand es aus zwei Teilen, von denen jeder Geschäftspartner eines behielt. Bei der Abrechnung mussten die Kerben dann auf beiden Teilen deckungsgleich sein, um akzeptiert zu werden. Wie populär die Sache war, wird bei Schiller in »Wallensteins Lager« deutlich: Da sagt die Marketenderin, als der Wachtmeister ein Glas auf General Piccolominis Wohl leeren will: »Das kommt nicht aufs Kerbholz. Ich geb’ es gern.«
War eine Rechnung beglichen, wurden die beiden Teile des Kerbholzes »abgekerbt«, indem man die Striche mit Hobel oder Feile tilgte. Manchmal wurde jedoch nicht abgerechnet; dann blieb etwas auf dem Kerbholz stehen. Und daher hat die Redensart ihre Bedeutung – zunächst im Sinne von: große Schulden haben, später auch im weiteren Sinne von: nicht schuldlos sein, ein Verbrechen begangen haben. Auch wenn das Kerbholz aus der Mode gekommen ist, der Name lebt in der Redewendung fort. Bekannter sind heute allerdings die Kreidestriche, mit denen man beim Wirt seine Rechnung »anschreiben« lassen konnte (von daher: »In der Kreide stehen«, »jemandem etwas ankreiden«). Auch in Zeiten des bargeldlosen Zahlungsverkehrs haben sich manche alten Sitten erhalten …
Über den grünen Klee loben
Diese häufig verwendete Redensart bedeutet, etwas in übertrieben hohen Tönen zu loben. Sie ist in geradezu floskelhaftem Gebrauch, ohne dass sich jemand Gedanken darüber machen würde, woher sie eigentlich stammt.
Klee gilt heute wohl niemandem als besonders schönes oder imposantes Gewächs. Im Mittelalter aber hatte das Grüngewächs einen hohen Rang, galt es doch als Inbegriff des Frühlings, des Frischen und Lebendigen, ja auch der jungen Liebe. Die kleebedeckte Wiese wurde daher auch zum bevorzugten Aufenthaltsort der Liebenden. So heißt es im späten 18. Jahrhundert beim Dichter Johann Heinrich Voß: »Rotwangig, leichtgekleidet saß sie neben mir auf Klee und Gras.«
Dass die Dichter seit dem Mittelalter so gerne und häufig ihr Loblied auf den Klee und seine grüne Farbe sangen, fand später mancher übertrieben. Und wenn etwas nicht nur »wie der grüne Klee«, sondern sogar »über den grünen Klee« gelobt wurde, dann war das folglich der Gipfel der Übertreibung.
Mit Kind und Kegel
Zu einem Ausflug »mit Kind und Kegel« kommt für gewöhnlich die ganze Familie mit. Was Kinder sind, steht dabei außer Frage. Aber warum »Kegel«?
Ursprünglich meinte diese »stabreimende Zwillingsformel« (↑Bausch und Bogen) schlicht die ganze Schar der ehelichen und unehelichen Kinder. Im Zeitalter der Patchwork-Familie macht man hier zwar keinen Unterschied mehr, aber die Redewendung ist nach wie vor ↑gang und gäbe.
Allerdings streiten die Gelehrten bis auf den heutigen Tag darüber, wie und warum »Kegel« zur Bedeutung »uneheliches Kind« kam. Im Mittelhochdeutschen bezeichnete das Wort eigentlich einen Knüppel oder Stock, ähnlich wie der »Bengel« – und da sieht man schon etwas klarer. Die mittelalterlichen Zunftordnungen behandelten einen Bengel (oder eben Kegel) herzlos-stiefmütterlich; so war es Handwerkern nicht erlaubt, uneheliche Kinder als Lehrlinge aufzunehmen. Es handelt sich folglich um eine abschätzige Bezeichnung für ein Kind, das nicht nach den gängigen Moralvorstellungen gezeugt war. Aber daran wird bei einem fröhlichen Familienausflug heutzutage niemand mehr denken.
Kinkerlitzchen machen
Dieser Ausdruck lässt sich schwer übersetzen, aber durchaus erklären. Er will soviel sagen wie: dummes Zeug machen, unentschlossene Hampeleien vorführen. Vermutlich ist er dem französischen »quincaillerie« (Flitterkram, Haushaltswaren) abgelauscht, dem dann gleich zwei deutsche Verkleinerungs silben angehängt wurden, nämlich -litz und -chen. Im thüringischen »Trillerlitzchen« oder im sächsischen »Donnerlitz« finden wir ähnliche Formen.
Der Wortstamm Kinker- lässt sich auch vom Verbum kinkern (oder kunkeln) ableiten, was »schimmern«, »blenden«, »täuschen« bedeutet. Kinkerlitzchen wären demnach wertloser Putz und Flitterkram, Blendwerk, Flausen, Flunkereien. Von daher ist es verständlich, dass es meistens heißt: »Mach keine Kinkerlitzchen!«
Verwandte Bedeutung hat übrigens »Sperenzchen machen« – das vom italienischen Wort »speranza« (Hoffnung) abgeleitet ist und ursprünglich wohl die leere Hoffnung meinte, die Männer gelegentlich jungen Frauen aufs Heiraten machen. Die klangliche Ähnlichkeit zu »sich sperren« führte später zu der Bedeutung: Umstände oder Schwierigkeiten machen.
Jemanden über die Klinge springen lassen
Das klingt irgendwie elegant, als handle es sich um eine extravagante Sportart. Der Sinn ist aber ein ganz anderer, ein ernster, ein todernster sogar – denn die Redewendung meint ursprünglich »jemanden töten«.
Als die Henker bei Hinrichtungen noch nicht so pingelig waren, konnte Luther darüber schreiben: »… die ihm den Kopf über eine kalte Klinge hatten hüpfen lassen«. – Ja, das war’s: Man hat lange nicht die ganze Wahrheit und den grausigen Humor erkennen wollen, der hier verborgen liegt.
Es ist der abgeschlagene Kopf eines Hingerichteten, der da über die Klinge des Henkers springt. In diesen Kontext fügt sich die Redensart: Er muss herhalten, nämlich seinen Kopf (↑Kopf und Kragen) !
Es geht also um das Endgültige, Unausweichliche, und das soll auch gesagt sein. Im heutigen Sprachgebrauch wird die Redewendung trotzdem nur noch im übertragenen Sinne gebraucht. Die Todesstrafe ist ja bei uns auch schon seit einiger Zeit außer Gebrauch …
Den (alten) Kohl wieder aufwärmen
Darf man so respektlos vom einstigen Bundeskanzler reden? Vermutlich hätte Helmut Kohl gegen das Aufwärmen gar nichts einzuwenden. Einmal Politiker, immer Politiker!
Denn beim »aufgewärmten Kohl« oder auch »alten Kappes« geht es um etwas, was auch in der Welt der Politik häufig anzutreffen ist, nämlich um alte Geschichten, die längst erledigt sind, und die man tunlichst nicht wieder auftischen sollte.
Gemüse, noch dazu mehrfach aufgewärmtes, war offenbar noch nie besonders beliebt – und sei der »Kohldampf« noch so groß. Der Philologe Lutz Röhrich zitiert in diesem Zusammenhang das Kinderlied:
»Die Rüben, die Rüben,
Die haben mich vertrieben,
Hätt’ meine Mutter Fleisch gekocht,
Dann wär’ ich noch geblieben.«
In Norddeutschland, wo man kräftig und deftig zu essen gewohnt ist, hört man zuweilen auch die Redensart: »Das macht den Kohl auch nicht fett«. Diese Umschreibung für »das nützt nichts« ist schon ziemlich alt; bereits Martin Luther verwendete sie an mehreren Stellen seiner Schriften.
Um Kopf und Kragen
Der Kopf kann nicht nur über die ↑Klinge springen, er kann auch in der Schlinge stecken oder einem vor die Füße gelegt werden. Weil beim Enthaupten auch der Kragen zu schaden kam, hat der Volksmund in dieser Redewendung einen wohlklingenden Stabreim gebildet. Wenn der Tod so elegant daher kommt, dann klingt die ernste Sache auch gleich weniger erschreckend.
Wer leichtsinnig handelt und dadurch »seinen Kopf aufs Spiel« setzt, der bringt sich heutzutage ohnehin nur noch im übertragenen Sinn »um Kopf und Kragen«. Wobei »Kragen« ursprünglich nicht den Hemdkragen meinte, sondern in alter Bedeutung für »Hals« stand (↑beim Kragen nehmen).
Bis ins 18. Jahrhundert hinein war das freilich anders. Damals waren Hinrichtungen mit dem Schwert noch an der Tagesordnung. Die damit in Verbindung stehenden Redensarten »kopflos umherlaufen« oder »den Kopf unterm Arm tragen« gehen auf den Volksglauben zurück, dass Märtyrer bei ihrer Hinrichtung ihren abgeschlagenen Kopf auffangen und ihn noch eine Weile mit sich herum tragen konnten. Eine ziemlich blutige Parallelen zu dem einfachen Gedanken, jemand laufe ohne Sinn und Verstand durch die Gegend und verhalte sich folglich kopflos.
Sich einen Korb holen
Wenn eine Frau einen Heiratsantrag nicht ↑»durch die Blume« abweisen möchte, dann kann sie ihrem Verehrer auch einen »Korb geben«. Der Ursprung dieser Redewendung liegt darin, dass im Mittelalter manche verliebte junge Dame ihren Freier heimlich mit einem Korb zu sich heraufziehen ließ, um den öffentlichen Zugang über das Treppenhaus zu meiden. Begehrte jedoch ein Verehrer Einlass, der ihr nicht genehm war, so lockerte sie einfach den Boden des Korbes, sodass er »durchfiel« – was bekanntlich auch in Bezug auf Prüfungen ganz anderer Art zu einem geflügelten Wort wurde. Das gilt ebenso für die Redensart, jemand sei »unten durch«.
Auch in der profanen Dichtung des Mittelalters hat die Redewendung vom Korb ihren Niederschlag gefunden. So leitet in einer heute nicht mehr bekannten »Comödia von der schönen Phaenicia« die lustige Person Jan den zweiten Akt mit den Versen ein:
»Ich weiß wohl, was ihr also lacht,
Daß man mich hat naß gemacht,
Und ich durch den Korb gefallen bin.«
So weit konnte es kommen, dass der ungebetene Freier nicht nur durch den Korb fiel, sondern ihm zugleich eine kalte Dusche verabreicht wurde. Ähnlich erging es übrigens Bäckern, die zu kleine Brötchen gebacken hatten, oder anderen betrügerischen Handwerkern – sie wurden zur Strafe öffentlich in einem Korb
ins Wasser getaucht.
In späteren Zeiten kam die Praxis des Hochziehens im Korb bei Brautwerbern aus der Mode – es blieb jedoch die Sitte, einem unerwünschten Verehrer einen Korb ohne Boden zu schicken – in dessen Augen natürlich eine »bodenlose Gemeinheit«! In Sachsen pflegt man noch heute auf die Mitteilung, jemand habe einen Korb erhalten, zu antworten: »Nun, wenn er nur einen Boden hatte, so darf er noch einmal nachfragen.«
Jemanden beim Kragen nehmen
Wenn einem »der Kragen platzt«, nimmt man seinen Gegner gelegentlich auch »beim Kragen«, um ihn zur Rede zu stellen oder ihn anzugreifen. Der Kragen kommt in der Alltags- und Umgangssprache häufig vor (↑um Kopf und Kragen), allerdings meist ohne dass die Herkunft dieser Redensarten bekannt wäre. Denn was wir heute unter Kragen verstehen, den Hemdkragen nämlich, war ursprünglich gar nicht gemeint. Es ging vielmehr um den Hals selbst, der vom Kragen nur halb bedeckt wird. Im Mittelhochdeutschen bedeutete Hals ganz einfach »krage«. So kann man statt »Geizhals« auch »Geizkragen« sagen, und anstatt jemandem »den Hals umzudrehen« kann man ihm auch »den Kragen umdrehen«. Im übertragenen Sinne natürlich nur! Die Drohung, die in der Redewendung »beim Kragen nehmen« zum Ausdruck kommt, ist also bitter ernst gemeint und verdient keinen Spaß.
Das geht auf keine Kuhhaut
Sagt man, wenn etwas so umfangreich ist, dass es sich gar nicht vollständig aufzählen oder beschreiben lässt. Wollte man es aufschreiben, würde selbst die größte verfügbare Schreibfläche nicht ausreichen. Da die Wendung aus dem Mittelalter stammt, als man auf Tierhäuten zu schreiben pflegte, ist hier nicht von Papier die Rede, sondern von Pergament. Normaler Weise wurden damals nur die Häute von Schafen oder Kälbern zu Pergament verarbeitet – die Nennung der Kuhhaut sollte also verdeutlichen, dass selbst die Haut des größten Tieres als Schreibfläche nicht ausreichen würde.
Die mittelalterlichen Legenden erzählten sich noch, der Teufel werde einem Sterbenden dessen irdische Vergehen von einem aus Kuhhaut gefertigten Pergament verlesen. Später verlor die Redensart ihren Bezug zum Teufel. So schrieb Hans Jakob Behaim aus Nürnberg, der als Söldner in die Ferne gezogen war, im Jahr 1644 an seinen Vater: »Mich wundert, daß meine Schwester Susanna, welcher alles, was bei uns verlaufet, bekannt, ihrem Bruder die Mucken aus dem Kopf zu treiben, nicht eine Kuhhaut voll neuer Zeitungen (= Nachrichten) berichtet.« Und die Schwester antwortet: »Daß ich Dir nit eine Flöhhaut voll wüßt.« Na, dann …
Den Kürzeren ziehen
Wer sein Glück nicht vom Abzählen der Westenknöpfe abhängig machen möchte, sollte es mit dem berühmten Strohhalm versuchen. Wenn er dabei »den Kürzeren zieht«, hat er freilich Pech gehabt. Im altdeutschen Rechtsleben diente das Losen mit Gras- oder Strohhalmen als Gottesurteil: Wer den kürzeren Halm zog, war im Unrecht; ging es um einen Besitzstreit, erhielt er den geringeren Anteil. Daher benutzt man diese Redewendung noch heute, wenn jemand benachteiligt oder übervorteilt wird. Auch der Brauch selbst wird noch gepflegt, allerdings ist es inzwischen üblich, Streichhölzer zu benutzen. Dem Ergebnis tut dies keinen Abbruch.
Beim Minnesänger Walther von der Vogelweide findet man auch einen Beleg für das dem Halmziehen verwandte Halmmessen, bei dem die Knoten des Halms gezählt wurden, um etwas über die Zukunft zu erfahren. Diese Tradition lebt im berühmten Abzählvers »Er liebt mich – er liebt mich nicht« fort, bei dem man die Blätter einer Blüte auszählt.
Nach allen Regeln der Kunst
Gemeint war ursprünglich die »Tabulatur« der Meistersinger, ein Handbuch, in dem die strengen Konventionen der Gesangskunst verzeichnet waren. Diese Tabulatur (auch »Kunst« genannt) war nicht nur für die Mitglieder dieser berühmten Sängerschule verbindlich. Jeder, der im 15. und 16. Jahrhundert zur besseren Gesellschaft gehören wollte, bemühte sich, sein Singen und Tanzen – letztlich sein ganzes Auftreten – nach den Regeln dieser »Kunst« zu gestalten. Nach der jüngsten Bayreuther Inszenierung von Richard Wagners Oper »Die Meistersinger von Nürnberg« im Jahr 2007 erscheint diese Deutung allerdings nicht mehr aktuell. Sie stellte nämlich den Wagnerschen Kanon schlicht auf den Kopf (↑Unter aller Kanone).
Absolut banal ist die Verwendung der Redensart im modernen Sprachgebrauch: Man zieht jemandem beim Kartenspiel nach allen Regeln der Kunst das Geld aus der Tasche oder tranchiert nach allen Regeln der Kunst einen Gänsebraten … Wenn das Richard Wagner noch erfahren hätte!
Durch die Lappen gehen
Diese Redewendung kommt aus der Jägersprache. Sie bedeutet im herkömmlichen Sprachgebrauch soviel wie »entkommen«, »entwischen«. Bei der Jagd bedeutete es konkret: »eine Absperrung durchbrechen«. Um auf Treibjagden ein Ausbrechen des Wildes aus dem Jagdrevier zu verhindern, befestigte man seit dem 16. Jahrhundert gefärbte Tücher (also Lappen) zwischen den Bäumen. Diese Prozedur hat der Schriftsteller Albert Richter minutiös beschrieben. Sie ist noch heute interessant, nicht nur für Jäger: »Reichten die leinenen Tücher nicht aus, oder war es an sumpfigen oder felsigen Stellen nicht möglich, die schweren auf Wagen liegenden Tücher herbeizuschaffen, so begnügte man sich mit dem sogenannten Einlappen. An Seilen waren in ungefähr schrittgroßer Entfernung Leinenlappen angenäht, die mindestens eine Elle im Geviert groß und meist mit dem Wappen oder Namenszug des Jagdherrn und mit der Jahreszahl verziert waren.« Es genügte, dass der Wind diese Lappen in flatternde Bewegung setzte, um das fliehende Wild wieder in den Jagdbezirk zurück zu scheuchen. Ein einzelnes Wild durchbrach eine solche Einstellung selten; ein ganzes Rudel ließ sich jedoch manchmal weder von den flatternden Lappen noch vom Geschrei der Treiber aufhalten. Sie brachen durch und gingen also »durch die Lappen«.
Auf Menschen und ihr Verhalten wurde diese Redewendung erst seit dem 18. Jahrhundert übertragen. Der Dichter Wilhelm Raabe verwendet das Sprachbild in seiner Novelle »Prinzessin Fisch«, wo es heißt: »… als ich Eltern, Geschwistern (…) durch die Lappen ging«.
Jemandem die Leviten lesen
»Jemandem die Leviten lesen« heißt im Volksmund: ihn kräftig schelten, niedermachen oder abkanzeln. Letzteres führt direkt zum Ursprung dieser Redewendung, nämlich der Kirche. Theologischer Dreh- und Angelpunkt war das dritte Buch Moses, auch Leviticus genannt, aus dem seit dem 8. Jahrhundert bei den allfälligen Bet- und Bußübungen in Klöstern vorgelesen wurde. Das war für vorgesetzte Geistliche eine treffliche Gelegenheit, dem priesterlichen Nachwuchs auf die Finger zu klopfen. Von daher versteht man unter dem (Vor)Lesen der Leviten zumeist eine Strafpredigt oder mindestens eine Zurechtweisung. Auch heute wird der Begriff noch in diesem Sinne gebraucht.
Mit Levit benannte die mittelalterliche Kirchensprache übrigens einen Geistlichen, dem kirchliche Hilfsdienste – und obenan das Vorlesen aus der Bibel – aufgetragen waren. Dabei hat die Redensart einen merkwürdigen Tausch vorgenommen: Sie übertrug die Rolle des Lesenden (Levit) auf das Gelesene (Buch Leviticus). Streng genommen müsste es ja heißen: »jemandem den Leviticus lesen« …
Liebe auf den ersten Blick
Wenn die Erkenntnis, dass man für einander geschaffen ist, ganz plötzlich und heftig über einen kommt, dann spricht man von der Liebe auf den ersten Blick. Diese heftige Gefühlregung, die sich ohne Rücksicht auf nähere Umstände in eine feste Neigung steigern möchte, ist eine von Beginn an heikle Angelegenheit, bei der man auf Sicherheit und Verläßlichkeit von vornherein verzichten muss. Salica Landmann erzählt in ihrem Buch »Als sie noch lachten – Das war der jüdische Witz« folgendes Bonmot: »Vater zum verliebten Sohn: ›Was heißt Liebe auf den ersten Blick? Das ist, als ob me kauft e Papier ohne Kurszettel!‹«
Dem Blick wird von jeher eine besondere Kraft zugeschrieben, zumeist freilich eine negative, wie es sich in der Angst vor dem »bösen Blick« ausdrückt. Allerdings ist es auch in positivem Sinn möglich, jemanden mit Blicken zu bezaubern. Und wenn das gelingt, dann ist es eben Liebe auf den ersten (oder auch auf den zweiten) Blick. Der Philosoph und Soziologe Niklas Luhmann hält Liebe ohnehin für die ganz normale Unwahrscheinlichkeit. Das sollte allerdings niemanden daran hindern, weiterhin an sie zu glauben. Dabei hilft es natürlich, dass Liebe bekanntlich »blind macht«. Und so ist es auch nicht völlig ausgeschlossen, in der Liebe trotz aller Widerstände einen Treffer zu landen …
Liebe geht durch den Magen
Gutes Essen ist der Sex im Alter, sagt man. Statt sexueller Höchstleistungen Rinderfilet im Teigmantel mit Rosenkohl à la Meyer. Sich an einem köstlichen Mahl zu erfreuen, ist ab 70 wichtiger als sexuelle Stimulierung. Deshalb geht die Liebe im Alter nicht mehr durch die dafür bestimmten Glieder, sondern ganz banal durch den Magen.
Ein mit guten Speisen gefüllter Magen kann aber auch bei jüngeren Menschen anregend für die Liebe sein. Sich den Magen voll zu schlagen, wäre dagegen von Übel und hätte den gegenteiligen Effekt.
Der Magen ist ohnehin ein gefühlsempfindliches Organ. Unangenehme Ereignisse »schlagen auf den Magen«, »auf nüchternen Magen« ist man nicht sehr belastbar und wer »einen im Magen hat«, der ist zornig. So ist es umgekehrt nur recht und billig, wenn auch ein angenehmes Gefühl wie Liebe »durch den Magen geht«.
Den Löwenanteil davontragen
Es ist eine alte Geschichte: Der Mächtige übervorteilt den Schwachen. Die Redewendung entstammt einer Fabel des griechischen Dichters Äsop. In Martin Luthers Fassung heißt es: »Ein Löwe, Fuchs und Esel jagten miteinander und fingen einen Hirsch. Da hieß der Löwe den Esel das Wildbret teilen. Da machte der Esel drei Teile. Des ward der Löwe zornig und riß dem Esel die Haut über den Kopf, dass er blutrünstig dastand, und hieß darauf den Fuchs das Wildbret teilen. Der Fuchs stieß die drei Teile zusammen und reichte sie dem Löwen dar. Des lachte der Löwe undsprach: Wer hat dich so teilen gelehrt? Der Fuchs zeigte auf den Esel und sprach: Der Doktor da im roten Barett.«
Im römischen Recht hieß dementsprechend ein Vertrag, bei dem ein Teil alle Vorteile zieht, der andere alle Nachteile auf sich nehmen muss, »societas leonina«, also »Vereinbarung nach Löwenart«.
Lunte riechen
Diese Redensart stammt aus militärischem Zusammenhang. Die Lunte ist eine Zündschnur oder ein brennender Docht, der vor Einführung neuer Techniken zum Entzünden von Gewehr- und Geschützladungen diente. Wenn man den brenzligen Geruch wahrnahm, der beim Anstecken der Lunte entstand, dann war Gefahr im Verzug. Trotz moderner (nahezu geruchsloser) Waffentechnik, bedeutet »Lunte riechen« auch heute noch: eine Gefahr, einen drohenden Hinterhalt beizeiten wittern. Den gleichen Ursprung hat übrigens der Ausdruck »es wird brenzlig«.
Manschetten haben
Wer Manschetten hat, der hat nicht nur Ärmelaufschläge am Hemd, sondern er ist auch feige und furchtsam. Die Erklärung für diese Bedeutungsübertragung liegt in der modischen Entwicklung. Im 18. Jahrhundert waren Manschetten weit üppiger ausgeprägt als heute, sie ragten über das Ende des Ärmels hinaus und bedeckten fast die ganze Hand. Mit einer solchen Bekleidung konnte ein Mann allerdings seinen Degen nicht mehr ordentlich führen. Wer solche Manschetten trug, zeigte seiner Umgebung damit an, dass er nicht kämpfen wollte oder konnte.
Nicht bei allen Zeitgenossen waren solche verzärtelten Mode-Gecken beliebt. Rahel Varnhagen zum Beispiel, die um 1800 in Berlin einen Salon betrieb, zu dem sich Berühmtheiten aus ganz Europa trafen, äußerte ihre Verachtung gegenüber Diplomaten in großer Deutlichkeit wie folgt: »Diese Kerle mit Manschetten!«
Auch heute noch gilt diese Auffassung: Wer Manschetten hat, weicht vor einer klaren Haltung in gesellschaftlichen wie politischen Fragen zurück; er oder sie zieht es vor, einer beherzten Meinung ängstlich auszuweichen und keinerlei Bekennermut zu beweisen. Dabei ist es dann auch egal, welche Art von Hemd er trägt.
An der Nordseeküste sagt man übrigens von einem solchen Menschen, vor allem wenn er neben mangelndem Bekennermut über wenig Ausstrahlung verfügt: »Der zieht keinen Hering vom Teller.«
Den Mantel nach dem Winde hängen
Ursprünglich war diese Redensart nicht abwertend gemeint, sondern als Empfehlung für eine sachgerechte Orientierung an den herrschenden Verhältnissen. »Man soll den Mantel dahin kehren, woher der Wind weht«, so lautete eine mittelalterliche Lebensweisheit. Ein Mantel war damals ein ärmelloser Umhang, den man bei stürmischem Wetter jeweils auf der Seite trug, von der Wind und Regen kamen.
Schon im 15. Jahrhundert wurde diese »wetterwendische« Verhaltensweise jedoch zur Beschreibung von Charakterlosigkeit benutzt. »Ich schleife die Schere und drehe geschwind / Und hänge mein Mäntelchen in den Wind«, heißt es in einem Gedicht aus dieser Zeit. Bis heute bezeichnet man damit das Verhalten eines Opportunisten, der sich zu seinem Vorteil rasch den geänderten Verhältnissen anzupassen versteht.
Eine verwandte, aber nicht ganz so häufig gebrauchte Redewendung ist die Floskel »den Mantel auf beiden Schultern tragen«. Die Leute, denen man das nachsagen kann, möchten sich mit allen gut stellen, sind auf jegliche Möglichkeit bedacht. Wer den Mantel schulterte, zeigte schon im Mittelalter seine Waffenlosigkeit und damit seine friedliche Absichten – so steht es im berühmten Sachsenspiegel, dem bekannten Rechtsbuch aus dem frühen 13. Jahrhundert.
Der Mantel ist darüber hinaus in Religion und politischer Rede eine Metapher von hohem Rang: Etwas »mit dem Mantel der christlichen Nächstenliebe« zu bedecken, heißt nichts anderes, als eine unglückliche oder nicht ganz saubere Angelegenheit dem (gnädigen) Vergessen anheim zu geben.
Unter solcher Bemäntelung verschwand so manches, was das Tageslicht scheute. Reichskanzler Otto von Bismarck, einer der wortmächtigsten Politiker des 19. Jahrhunderts, entdeckte bei seinen politischen Gegnern »den Mantel der gekränkten Unschuld, in dem man sich einhüllt, wenn man sachlich nichts zu sagen weiß«.
Matthäi am letzten
Wenn bei jemandem »Matthäi am letzten ist«, dann ist er finanziell am Ende, stehtvor dem materiellen oder gesundheitlichen Ruin.
Der berühmte Philologe Georg Büchmann bezieht diese Redewendung auf die letzten Zeilen des Matthäus-Evangeliums (28,19–20), wo es heißt: »Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.«
Über diese Stelle heißt es in Martin Luthers Katechismus: »Da unser Herr Jesus Christus spricht Matthäi am letzten: (…)«. Damit prägte der Reformator den Begriff, den der Volksmund vor allem mit den letzten drei Worten der Bibelstelle in Verbindung brachte: »der Welt Ende«.
Eine beliebte Ballade von Gottfried August Bürger trug im späten 18. Jahrhundert einiges zum Weiterleben der Redewendung bei:
»Doch wann’s Matthä am letzten ist
Trotz Raten, Tun und Beten,
So rettet oft noch Weiberlist
Aus Ängsten und aus Nöten.«
Diese Verse vermitteln die beruhigende Gewissheit, dass der persönliche Ruin nicht unbedingt gleich den Untergang der Welt bedeuten muss.
Da beißt keine Maus den Faden ab
Diese Redewendung wird oft gebraucht in der Bedeutung: hier ist nichts mehr zu ändern, es ist endgültig. Der Sprachforscher Lutz Röhrich verwirft alle rationalen Deutungsversuche, etwa die Vorstellung einer großen Hungersnot, bei der nicht einmal die Mäuse einen Faden zu nagen oder zu beißen gehabt hätten. Er hält dagegen eine historische Ableitung für naheliegend, die auf die Heilige Gertrud von Nivelles zielt. Diese Heilige wurde vornehmlich zur Abwehr von Ratten- und Mäuseplagen angerufen. Wenn am Gertruden-Tag, also am 17. März, noch gesponnen wurde, so behauptete man, werde der Flachs von den Mäusen zerfressen oder der Faden abgebissen. Dazu lautete das Sprichwort: »Gertrud hört mit Spinnen auf, sonst läuft die Maus den Faden auf und beißt ihn ab«.
Der Kern des ganzen war die Mahnung, dass nach dem 17. März, dem damaligen Frühlingsanfang, nicht mehr gesponnen werden sollte – denn Spinnen war eine Wintertätigkeit. In zahlreichen Bauernkalendern wird der Gertrudentag daher auch durch zwei Mäuse auf einer Spindel symbolisiert.
Auf des Messers Schneide
Wenn eine Entscheidung »auf des Messers Schneide« steht, dann fällt sie äußerst knapp aus, sie steht auf dem allerschmalsten Grat und kann von kleinsten Umständen beeinflusst werden. Das Sprachbild ist seit jeher in der Weltliteratur verankert gewesen, so schon in den altindischen Weisheiten der Upanischaden.
Das betreffende Zitat, das zu einer stehenden Redewendung wurde, hat der englische Schriftsteller William Somerset Maugham seinem vielleicht berühmtesten Roman, »Auf Messers Schneide« (»The Razor’s Edge«), vorangestellt:
»Es ist schwierig, über die scharfe Schneide eines Messers zu laufen: Daher ist, wie die Weisen sagen, der Weg zum Heil mühsam.«
Der schwierige Held dieses Entwicklungsromans kehrt von seiner Weltreise mit einer bescheiden anmutenden Weisheit in seine Heimat zurück; jedoch nicht, um es sich in der gewohnten Umgebung bequem zu machen, sondern um gelassen, nachsichtig, mitleidend, selbstlos und maßvoll von seiner Hände Arbeit zu leben.
Eine Milchmädchenrechnung aufmachen
Das wirft so mancher Parlamentarier bei Finanzdebatten seinem politischen Gegner vor. Gemeint ist eine Rechnung, die jenseits kalkulatorisch vernünftiger Überlegungen aufgemacht wird und die deshalb nicht stimmen kann.
Der Ausdruck geht womöglich auf den französischen Dichter Jean de La Fontaine zurück. In der Fabel »Das Milchmädchen und der Milchtopf« erzählt er, wie das Mädchen Lisette in die Stadt geht und auf dem Wege dahin bereits von dem Geld träumt, das sie damit zu erlösen hofft. Dabei hüpft sie vor Freude, vergießt die Milch – und alle ihre Pläne sind dahin.
Das Sprichwort »Es ist das Milchmädchen in der Fabel« meint daher eine törichte Person, die Hoffnungstürme und Luftschlösser baut.
Auf den Nägeln brennen
So bildkräftig diese Redewendung auch scheinen mag, so banal ist ihr historischer Hintergrund: Wenn Mönche in früheren Jahrhunderten noch vor Sonnenaufgang zur Frühmesse gingen, setzten sie winzige Kerzen auf ihre Fingernägel, um Lieder- und Gebetstexte besser lesen zu können. Wenn der Wachs dann zur Neige ging, begann es auf den Nägeln zu brennen. Da hieß es, sich mit der Messe zu beeilen. Was im übertragenen Sinne der heutigen Bedeutung gleichkommt, nämlich: eine Sache drängt, muss in letzter Minute erledigt werden.
Goethe übertrug die Bedeutung von Zeitnot auf Geldnot und dichtete:
»Der Dichter freut sich am Talent,
An schöner Geistesgabe;
Doch wenn’s ihm auf den Nägeln brennt,
Begehrt er irdischer Habe.
Mit recht soll der reale Witz
Urenkeln sich erneuern;
Es ist ein irdischer Besitz –
Muß ich ihn doch versteuern.«
Eine Kuriosität am Rande: Die FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher pflegte davon zu sprechen, dass etwas unter den Nägeln brenne, was doch verdammt weh getan haben muss – und uns heute noch weh tut.
Mit dem Nürnberger Trichter einflößen
Diese Methode, jemandem etwas auf sehr grobe Weise beizubringen, könnte der letzte Versuch sein, Deutschlands Schüler von den schlechten PISA-Noten zu befreien. Das Bild vom Trichter als Gerät zum Einfüllen von Wissen ist seit dem 17. Jahrhundert belegt. Bekannt ist auch die Redensart »auf den Trichter kommen« im Sinne von: »eine Sache (endlich) begreifen«.
Die Rede vom »Nürnberger Trichter« geht auf den Nürnberger Dichter Georg Philipp Harsdörffer zurück, der im 17. Jahrhundert ein Buch mit dem viel versprechenden, doch kaum zu haltenden Titel publizierte: »Poetischer Trichter. Die Teutsche Dicht- und Reimkunst ohne Behuf der lateinischen Sprache in sechs Stunden einzugießen.«
Das mit den sechs Stunden war nicht wörtlich gemeint, sondern bildlich gesprochen. Denn der Autor riet selbst dazu, sich die sechs Abschnitte seines Buches nicht in unmittelbarer Folge vorzunehmen, sondern mit gehörigem Nachdenken auf mehrere Tage zu verteilen. Der »Nürnberger Trichter« versteht sich als eine Warnung davor, sich das Sprachstudium nicht allzu leicht vorzustellen.
Mit besseren Aussichten bei den nächsten PISA-Studien ist deshalb wohl nicht zu rechnen.
Es faustdick hinter den Ohren haben
… meint: gerissen und durchtrieben sein, ohne danach auszusehen. Die in Literatur und Umgangssprache häufig vorkommende Redensart geht auf den Volksglauben zurück, wonach sich hinter den Ohren ein böser Schalk (oder ein anderer kleiner Dämon) verborgen hielt. Menschen mit besonders ausgeprägten Wülsten hinter den Ohren wurden dabei besonders häufig der Verschlagenheit verdächtigt.
Das Ohr spielt in der Geschichte der Redensarten eine bedeutsame Rolle. In Literatur und Umgangssprache findet man zahlreiche Variationen rund um dieses Sinnesorgan, darunter »jemanden übers Ohr hauen«, »noch nicht trocken hinter den Ohren sein«, »lange Ohren machen«, »einen bei den Ohren nehmen«, »einem sein Ohr leihen«, »tauben Ohren predigen«, »mit den Ohren schlackern« und so weiter.
Die Redewendung »einen bei den Ohren nehmen« will übrigens sagen: einen Schüler oder Untergebenen schelten, zur Rechenschaft ziehen. Man kann sich aber auch »etwas hinter die Ohren schreiben«, symbolisch versteht sich.
Der historische Hintergrund ist in diesem Zusammenhang fast wörtlich zu nehmen: Beim Abschluss eines Vertrages oder bei der Festsetzung von Grenzmarkierungen wurden junge Burschen als Zeugen hinzugezogen. Damit sie sich möglichst lange erinnerten, machte man ihnen das Bedeutsame dieser Handlung durch Ohrenkneifen oder auch durch Ohrfeigen klar und unvergesslich. Dieser Rechtsbrauch war lange in Franken üblich, und in Bayern galt er bis hoch ins 18. Jahrhundert.
Die Ohrfeige hat übrigens nichts mit der Feigenfrucht zu tun; einst lautete das Wort Ohrveeg (veeg = Streich oder Hieb). Auch das biblische Feg(e)feuer soll daran noch erinnern, meint der Sprachforscher Lutz Röhrich.
Unter dem Pantoffel stehen
Kaum einer unter Deutschlands Ehemännern wird zugeben wollen, er stehe bei seiner Frau »unter dem Pantoffel«. Und doch ist es oftmals der Fall: Die Ehefrau nimmt, eh sich’s der Mann versieht, die Zügel in die Hand.
Pantoffeln sind eine Fußbekleidung für zu Hause, daher galten sie früher als Zeichen der Hausfrau, die wohl zuweilen auch ganz buchstäblich »den Pantoffel schwang« und ihrem Gatten über den Kopf zog, falls der nicht tat, was er sollte. Das konnte durchaus schmerzhaft sein, vor allem dann, wenn es sich um einen Holzpantoffel handelte.
Ein Ehemann, der sich von seiner Frau schlagen ließ, setzte sich jedoch der größten Schande aus (↑aufs Dach steigen), daher war auch das Unter-demPantoffel-Stehen eine verächtliche Sache und »Pantoffelheld« ist heute noch keine Ehrenbezeichnung.
Eine Mär, die auch häufig mit dem Pantoffel in Zusammenhang gebracht wird, ist unausrottbar, nämlich dass der Teil der Eheleute, der vor dem Traualtar dem anderen Teil auf den Fuß tritt, sich die Oberhand in der Ehe sichern werde. Getreten wurde und wird dabei aber keineswegs mit Pantoffeln an den Füßen, denn hinter dieser Legende steckt eine andere Geschichte:
Von alters her war es der Brauch, dass ein Freier seiner Braut zur Hochzeit ein paar Schuhe übersandte. Dieser Brauch ist offensichtlich längst passé. Geblieben ist nur der oben erwähnte Tritt auf den Fuß. Dies ist das ganze Geheimnis.
Mit Pauken und Trompeten
… kann man festlich empfangen werden, aber häufiger noch beim Spiel oder beim Examen durchfallen. Und zwar in vollem Umfang, oder: ganz und gar. Will sagen: schlimmer geht’s nimmer. Merkwürdig immerhin, dass eine Redewendung, die eigentlich auf Triumph und Tralala gestimmt ist – eben mit Pauken und Trompeten! – tatsächlich meist nur Unheil verkündet. Zudem will der Doppelvers »Mit Pauken und Trompeten, / Das ist die Art, wie sie beten« scheinheiliges Posieren und heuchlerisches Gehabe brandmarken. Da weiß man am Ende doch woran man ist, jedenfalls genauer als zuvor.
Von Pontius zu Pilatus laufen
Diese Floskel meint das oft nervtötende und meist ergebnislose Hin- und Herrennen zwischen bürokratischen Instanzen.
Historisch richtig wäre allerdings die Redewendung »von Herodes zu Pilatus laufen«, die auch tatsächlich hier und da noch gebräuchlich ist. Der Volkswitz sah freilich über die Geschichtswissenschaft großzügig hinweg und blieb bei »von Pontius zu Pilatus«, was sich auch besser anhört.
Der Witz liegt darin, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt, nämlich um Pontius Pilatus, jenen römischen Statthalter, der den Prozess gegen Jesus Christus führte und zum Schluss »seine Hände in Unschuld wusch«, womit er gleich eine zweite Redewendung prägte.
Nebenbei: die römische Geschichtsschreibung war auch nicht ohne Scherz und Ironie! Der Historiker Sueton schrieb in seinem Werk über Caesars Leben: Die beiden Konsuln hätten Julius und Caesar geheißen – denn Caesars Mitkonsul Bibulus sei doch eine Null gewesen.
Bis in die Puppen
Früher riefen junge Männer zuweilen den gleichaltrigen Mädels nach: »Puppe, hast du Zeit für mich?« Doch das ist eine andere Geschichte.
»Bis in die Puppen« heißt heute vor allem: sehr weit oder sehr lange. Wer »bis in die Puppen feiert«, der will sagen: Bis zum letzten, heute machen wir einen drauf, wir schauen nicht auf die Uhr, der Morgen kommt eh zu früh, und so weiter und so fort.
Wie ist man aber bei dieser Redensart auf die Puppen gekommen?
Das hat mit der deutschen Hauptstadt Berlin zu tun. Im Tiergarten gibt es einen Platz, den man den »Großen Stern« nennt. Von diesem Platz, der heute vor allem durch die in seiner Mitte stehende Siegessäule bekannt ist, ging acht Wege aus.
Und an deren Mündungen waren einst antike Göttergestalten aufgestellt, die dem Berliner wegen ihrer barocken Steifheit wie Puppen erschienen.
Weil es vom Vergnügungsviertel der Stadt aus betrachtet ein langer, allzu langer Weg bis zu diesen »Puppen« war, hieß es eben »bis in die Puppen« gehen, wenn etwas lange dauerte – weshalb man auch heute noch »bis in die Puppen« feiert, trinkt, arbeitet, schläft und was sich sonst und mit wem denken ließe.
Den Rang ablaufen
Heute hat man vergessen, dass in dieser Redewendung mit »Rang« eigentlich das ältere Wort »Rank« gemeint ist. Damit wurde einst eine Krümmung bezeichnet, namentlich die eines Weges. Auch Girlanden, die in Windungen aufgehängt werden, sind gleichbedeutend mit Ranken. Folglich handelt es sich bei Rang = Rank(e) ursprünglich nicht um eine gesellschaftliche oder berufliche Stellung, die man jemandem streitig macht, sondern um eine Abkürzung, bei der man eine Wegbiegung abschneidet, um dadurch rascher zum Ziel zu gelangen. Im übertragenen Sinne kommt es auf das Gleiche hinaus, weshalb »den Rang ablaufen« noch immer eine populäre Redewendung ist.
Rank ist heute nur noch in der Mehrzahl »Ränke« geläufig, wobei die Ableitung noch einmal deutlich wird: So ist mit »Ränke schmieden« ja gemeint, sich Listen und Tücken auszudenken, die anderen Schwierigkeiten bereiten sollen. Ebenso listig verhält sich derjenige, der durch treffsicher gewählte Abkürzungen schneller sein Ziel erreicht als durch Abschreiten biegungsreicher Wege. Alles klar?
In den Sack stecken
Wer jemandem – in geistiger oder körperlicher Hinsicht – deutlich überlegen ist, der kann ihn »in den Sack stecken«. Bei den zahlreichen Erwähnungen in der mittelhochdeutschen Literatur ist kaum daran zu zweifeln, dass dieser Redewendung ein verbreiteter Brauch zugrunde lag. In einer Chronik aus dem Jahre 1573 findet sich der Bericht über das Ende eines Ringkampfes, der tatsächlich damit endet, dass jemand in den Sack gesteckt wird: »Ein Ritter von drei und ein halb Ellen lang, Andreas Eberhard Rauber zu Talberg und Reineck, hatte einen doppelt geflochtenen Bart bis auf die Erde: der schob in Gegenwart des Kaysers Maximilian II. einen Spanier auf öffentlichem Kampf-Platz in den Sack.« Wie und wann diese merkwürdige Wettkampfart entstanden ist, bleibt allerdings unklar.
Wer jedoch solcherart einen Kampf gewann, der hatte nicht nur seinen Gegner »im Sack«, sondern meist auch einen Preis. Und damit war er allemal besser dran, als einer, der die ↑Katze im Sack gekauft hatte …
Sein Schäfchen ins Trockene bringen
Wer unmittelbar vor der Pleite steht, hat meistens längst »sein Schäfchen ins Trockene« gebracht, das heißt seinen Gewinn gesichert. Das betrifft Bares ebenso wie Sachwerte, und hat mit der Wolle eines Schafes nichts zu tun.
Nicht zu hundert Prozent gesichert ist die Herkunft dieser Redewendung: Vermutlich stammt sie aus der bäuerlichen Welt. Einst trieb man nämlich die Schafe gern auf höher gelegene (also trockene) Weiden – nicht, weil sie empfindlich gegen Feuchtigkeit waren (ihre Wolle ist ja im Gegenteil Wasser abweisend), sondern um sie vor dem in sumpfigen Gebieten lauernden Leberegel zu bewahren, der eine gefährliche Seuche übertrug. Hatte man sie also ins Trockene gebracht, waren sie – zumindest vor dieser Gefahr – in Sicherheit.
»Auf dem Trockenen sitzen« meint übrigens das genaue Gegenteil: Wem das passiert, der hat alle seine Reserven verbraucht, er ist wirtschaftlich am Ende und weiß nicht aus noch ein. In einer alten Chronik zur Frankfurter Messe lauteten die tröstlichen Verse für Kaufleute, die zu ihrem Vorteil schon mehrmals bankrott gemacht hatten:
»Kannst ein guter Gesell wohl bleiben,
Wenn du auch kein Gewerb mehr tust treiben.
Wirst gelobt, dass du beim Handel bist,
So wohl vorgestanden jeder Frist,
Hast dein Schaf ins trockene gebracht,
Keiner ist, der dich drum veracht.«
Jemanden am Schlafittchen packen
Ein Polizeigriff? Eine Festnahme? Beides könnte gemeint sein. Wer die Herrenmode alter Zeiten kennt, denkt an wehende Rockschöße, wenn er diese Redensart hört. Der Arm des Gesetzes muß ja irgendwo zugreifen können!
»Schlafittchen« kommt jedoch von »Schlagfittich«, womit die Schwungfedern eines Vogels bezeichnet werden. Tatsächlich gab es früher auch den gleichbedeutenden Ausdruck »jemanden beim Flügel packen«.
Langlebiger war aber die Verkleinerungsform von Schlagfittich, eben jenes noch heute gebräuchliche »Schlafittchen«. In einigen Gegenden bildete sich auch eine Mischform aus dieser Form und der Redensart »beim Wickel kriegen« heraus: das hieß dann »jemanden beim Schlawickel kriegn«.
Der Sinn ist in allen Fällen der gleiche, nämlich: jemanden festhalten, erwischen.
Sich freuen wie ein Schneekönig
Der Schneekönig ist keine Märchengestalt aus dem hohen Norden und auch nicht verwandt mit Schneewittchen. Es handelt sich vielmehr um einen Vogel, den die meisten unter dem Namen Zaunkönig kennen. Mit einer Größe von nur knapp zehn Zentimetern zählt er zu den kleinsten Singvögeln Europas. Seinen Zweitnamen trägt er wohl, weil er auch im Winter seinen Gefilden in Deutschland treu bleibt und nicht in die wärmeren Gebiete des Südens zieht. Obwohl sehr klein, ist er ein großer Sänger – selbst im bitteren Frost singt und pfeift er munter vor sich hin. Wegen dieser Fähigkeit zu unbekümmerter Fröhlichkeit sagt man: »sich freuen wie ein Schneekönig«.
Ein Schnippchen schlagen
…heißt so viel wie: jemandem übel mitspielen, seinen Plan vereiteln. Der Ausdruck selbst kommt vom Schnalzen mit Finger und Daumen, und will eigentlich nur sagen, dass der Betreffende kaum ein Fingerschnalzen wert sei. Man brachte damit ursprünglich Verachtung und Spott gegen jemanden zum Ausdruck, der einen geärgert hatte oder einem sonstwie auf die Nerven ging.
»Ich geb’ nicht ein Schnippchen drum« hieß soviel wie: das bedeutet mir nichts, das kümmert mich nicht. Und wenn man vor jemandem keine Angst hat, dann kann man mit ihm machen, was man will, also auch ihm einen Streich spielen.
Vom großen Schauspieler der deutschen Klassik, August Wilhelm Iffland, stammt übrigens der pathetische Ausruf: »Schlagen Sie der gemeinen Welt ein Schnippchen!«
In den Schoß fallen
Der Schoß steht von alters her für Geborgenheit. Nicht umsonst sagt man: »so sicher wie in Abrahams Schoß«, wenn man größtmöglichen Schutz vor Gefahr meint. Mit dem weiblichen Schoß verbindet »mann« zudem erotische Gedanken.
Alles in allem bezeichnet die Redewendung ein Glück, das ohne jede Anstrengung erlangt wird, das einem zufällt wie eine reife Frucht. Wem auf diese Weise etwas »in den Schoß fällt«, dem bereitet das Leben kaum oder keine Schwierigkeiten. Daher sprach man früher auch vom »Schoßkind des Glücks«, wenn jemand vom Glück begünstigt war.
Von echtem Schrot und Korn
Wer hierbei an einen guten Schnaps denkt, liegt falsch. Die Wendung entstammt dem Münzwesen. »Schrot« bezeichnete ursprünglich das von einem Metallbarren abgeschnittene Stück, später generell das Gewicht einer Münze. Schroten bedeutete nämlich »zersägen«. Mit »Korn« bezeichnete man den Feingehalt einer Münze, das heißt das Gewicht des in ihr enthaltenen Goldes oder Silbers. Sagte man daher von einem Mann, er sei »von echtem Schrot und Korn«, dann galt er als zuverlässig, rechtschaffen und – natürlich – von Wert. Mehrdeutig allerdings gibt sich Mephistopheles im Zweiten Teil von Goethes »Faust«, wenn er die Teufel anspricht:
»Ihr Herrn vom graden, Herrn vom krummen Horne,
Vom alten Teufelsschrot- und Korne.«
Es schwant mir
Will sagen: Ich ahne nichts Gutes, ich habe böse Vorahnungen… Schon das klassische Altertum hatte in seinen Göttersagen dem Schwan die prophetische Gabe zugeschrieben, vor allem düstere Ereignisse vorherzusehen. Mit seinem Schwanengesang verkündete er sogar den eigenen Tod. Selbst die Germanen haben diese Legenden später übernommen und etwa im Nibelungenlied gepriesen.
Der wahre Ursprung der Redensart soll jedoch in der gelehrten Sphäre liegen. Gewitzte Studenten, so die Erklärung, hätten das »olet« in der lateinischen Floskel »olet mihi« (»es ahnt mir«) zu »olor« (»Schwan«) verdreht, also: »es schwant mir«. Solche Scherzübersetzungen waren ja früher ↑gang und gäbe (↑unter aller Kanone).
Bleibt nur zu sagen: »Mein lieber Schwan!« Dieser erstaunte Ausruf ist übrigens ein mit Augenzwinkern verwendetes Zitat aus Richard Wagners Oper »Lohengrin« (»Nun sei bedankt, mein holder Schwan«).
Schwein haben
Eine doppelbödige Angelegenheit, deren Wurzeln man in den Bräuchen bei Schützenfesten zu suchen hat: Vormals wurden nämlich die Preise für die Wettschützen in Gestalt von Nutztieren vergeben; erst viel später traten an ihre Stelle silberne Becher, Ringe oder Münzen. Der letzte Preis bestand häufig aus einem Schwein oder auch einem Bock (↑einen Bock schießen). Wer diese Prämie einheimste, der war dessen eigentlich nicht würdig, er hatte also unverdientes Glück. Deshalb: (noch mal) Schwein gehabt!
Eine andere Deutungen weist in Richtung Kartenspiel: Einst wurde nämlich das As im Spiel wohl auch »Sau« genannt, wobei auf der entsprechenden Spielkarte das Abbild eines Schweins zu sehen war. Nachweislich hat der Kanzelredner und Volksschriftsteller Abraham a Sancta Clara seinen Bannfluch gegen das Kartenspiel gesprochen, indem er eiferte: »So sind in den Karten vier Säu: Eichel-Sau, Schellen-Sau, Herz-Sau, Gras-Sau, und weil die Säu mehr gelten als der König, so ist ja das ein säuisch Spiel.«
Sau und Schwein sind in Redensarten ohnehin oft austauschbar: So kann man sowohl ein »Sauglück« als auch ein »Schweineglück« haben, man kann »schwitzen wie eine Sau« oder »schwitzen wie ein Schwein«, und so weiter. Oder, wie es in einem bekannten Lied heißt: »Kein Schwein ruft mich an, keine Sau interessiert sich für mich.«
Seinen Senf zu etwas geben
Meint: Ungefragt seine Meinung sagen, überflüssige Bemerkungen zu einer Sache abgeben. Die verwandte Redensart »Senf machen« bedeutete seit jeher: nichtige Worte äußern. In Gebrauch ist gleichfalls die Wendung »einen langen Senf über etwas machen«. Bei dem Sprachforscher und Lexikographen Johann Adelung – er schrieb im 18. Jahrhundert den fünfbändigen Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der hochdeutschen Mundart – finden wir zu diesem Thema die Erklärung: »Senf stehet für Senfbrühe, und lang bedeutet, wie in anderen Fällen, mit vielem Wasser verdünnet.« Gemeint ist also auch hier: viele unnütze Worte machen.
Daraus wird deutlich: Senf ist ein Gewürz, das gern zu vielen Gerichten hinzugefügt wird, das aber keineswegs immer passt. Oft ist er einfach überflüssig, selbst wenn es sich um »gelehrten Senf« handelt.
Das kommt mir Spanisch vor
Jedem, der spanisch kann, muss diese Redewendung eigentlich spanisch vorkommen. Denn sie wird heutzutage in dem Sinne gebraucht: das ist mir unverständlich, schleierhaft, befremdlich. Aus dieser Bedeutung könnte man folgern, dass sie zu einer Zeit in Gebrauch gekommen sein muss, als Spanisch hierzulande noch keine Trendsprache war.
Allerdings war ursprünglich gar nicht die Unverständlichkeit der spanischen Sprache gemeint (anders als bei den sprichwörtlichen »böhmischen Dörfern«, deren Namen dem deutschen Ohr so fremd klangen), sondern die Fremdheit der spanischen Kultur. »Das kommt mir spanisch vor«, sagte man erstmals im 16. Jahrhundert unter der Regierung von Kaiser Karl V., der nicht nur deutscher Kaiser, sondern zugleich auch König von Spanien war. Der erzkatholische Monarch hatte mit der Inquisition die protestantischen Kreise in Nordeuropa gegen sich aufgebracht, weshalb sie bald gegen alles, was aus Spanien kam, allergisch wurden und einen tiefen Groll gegen spanische Sitten und Bräuche hegten.
Den Protestanten – insbesondere den deutschen, die von Karl V. besonders drangsaliert wurden – kam folglich alles, was der ungeliebte Kaiser und seine Höflinge taten, »spanisch« vor.
Den Stab über jemandem brechen
Der Stab als Zeichen höchster Gewalt kann auf eine lange Tradition zurück blicken. Bekannt ist er heute noch vor allem aus dem Bereich der politischen Macht (Zepter) oder der militärischen Befehlsführung (Offiziersstab). Von seiner rechtlichen Bedeutung ist vor allem diese eine Redewendung geblieben: Wer »über jemandem den Stab bricht«, verkündet ihm ein hartes, unwiderrufliches Urteil. Diese Bedeutung stammt aus dem alten Brauch, dass der Richter bei Verkündung eines Todesurteils über dem Kopf des Angeklagten seinen Richterstab zerbrach. Die zerbrochenen Teile warf er ihm dann mit den Worten vor die Füße: »Nun helf dir Gott, ich kann dir nicht ferner helfen.« Dieser Brauch geht auf die »Constitutio Criminalis Carolina« zurück. Man nannte dieses erste allgemeine deutsche Strafgesetzbuch aus dem Jahre 1532 auch »Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V.« (↑Das kommt mir spanisch vor).
Jemandem die Stange halten
Diese Redewendung ist aus der mittelalterlichen Rechtsordnung hergeleitet: Bei einem gerichtlichen Zweikampf hatten beide Kontrahenten ihren Sekundanten zur Seite, der notfalls mit der Stange eingreifen konnte, wenn die Regeln dies erforderten. Später hielten Turnierwächter (so genannte Stängler) über einen gefallenen Ritter die Stange, um ihn vor unerlaubten Angriffen des Gegners zu schützen. Wer also heutzutage einem Freunde die Stange hält, erweist ihm einen willkommenen Dienst, nimmt ihn in Schutz, tritt für ihn ein.
Einen ähnlichen Sinn, wenn auch eine ganz andere Herkunft, hat die Redensart »bei der Stange bleiben«. Sie meint: jemandem oder einer Sache treu bleiben, standhaft ausharren. Hier ist die Fahnenstange gemeint, hinter der die Soldaten zum Angriff marschierten und um die sie sich wieder sammelten, falls der Angriff zurück geschlagen wurde. Nur Feiglinge ergriffen in dieser Situation das Hasenpanier und machten sich aus dem Staub (↑Fersengeld). Um solche Formen der Fahnenflucht zu unterbinden, entwickelte man übrigens zahlreiche Methoden, um die Soldaten »bei der Stange zu halten«. Aber das ist eine andere Geschichte
Ein Steckenpferd reiten
Wenn jemand »ein Steckenpferd reitet«, dann handelt es sich heute zumeist um einen Erwachsenen, der seiner Lieblingsbeschäftigung nachgeht (oder lang und ausdauernd über diese spricht). In früheren Jahrhunderten war es dagegen in den allermeisten Fällen ein Kind, das sich aus einem langen Stock (= Stecken) und etwas Stoff und Stroh ein »Pferd« gebastelt hatte.
Erst im späten 18. Jahrhundert machte der englische Schriftsteller Laurence Sterne mit seinem Roman »The life and opinions of Tristram Shandy« die Bezeichnung »Steckenpferd« im heutigen Sinne von »Lieblingsbeschäftigung« populär.
Auch in Deutschland setzte sich diese Redensart durch, zunächst in deutscher Übersetzung, später dann im englischen Original: Denn »Steckenpferd« heißt übersetzt nichts anderes als »hobby-horse«!
Während »Hobby« heute nicht nur modern klingt, sondern auch ohne Werturteil verwendet werden kann, haftet dem »Steckenpferd« ein leicht abschätziger Beigeschmack an. Das hat seine Ursache wohl darin, dass das Bild eines erwachsenen Menschen mit einem solchen Kinderspielzeug zwischen den Beinen früher als Symbol für Narretei galt.
Ähnlich verhält es sich übrigens mit der »Marotte«, bei der es sich ursprünglich um eine Puppe am Stock handelte, bevor sie zum Narrenzepter und schließlich zur Bezeichnung von schrulligen Eigenarten umgedeutet wurde… Schon Goethe empfahl daher, das Wort »Marotte« sparsam zu gebrauchen: »Sodann haben wir, um übertriebene Eigenheiten zu bezeichnen, das höflichere Wörtchen
Steckenpferd, bei dessen Gebrauch wir einander mehr schmeicheln als verletzen.«
Einen Stein im Brett haben
Diese Redensart geht auf das bereits im Mittelalter beliebte Tricktrack-Spiel zurück. Wer seine hölzernen Steinchen auf dem Brett so geschickt nebeneinander zu platzieren weiß, dass sie vom Gegner nicht leicht übersprungen werden können, der befindet sich in einer guten Position. Dazu genügen meist zwei nebeneinander liegende Steinchen. In einer alten Sprichwörtersammlung findet sich dazu die Bemerkung, dass man »mit einem guten Stein im Brett« das Spiel schon halb gewonnen habe. Im übertragenen Sinne hieß das schon damals: von jemandem sehr geschätzt werden, bei ihm eins gut haben.
Stein und Bein schwören
In der Symbolsprache des Mittelalters stand der Stein für Festigkeit und Verlässlichkeit. Und so dichtete noch im 18. Jahrhundert Christian Fürchtegott Gellert, Goethes Lehrmeister für Poesie an der Universität Leipzig:
»Die Frau schwört Stein und Bein,
Ihr Leben lang nicht mehr zu frein.«
Was nichts anderes sagen wollte, als dass die Frau ihren Entschluss mit einem heiligen Eid bekräftigte. Deutlicher und verbindlicher als »Stein und Bein« kann man bis heute nichts beschwören. Aber woher stammt dieses Begriffspaar eigentlich? Der Ursprung liegt im frühen Christentum: »Stein« steht hier für den Altar, und »Bein« bezeichnet in seiner ältesten Bedeutung (»Knochen«) die Gebeine eines Heiligen. Wenn jemand beim Schwören diese heiligen Gegenstände berührte, dann galt sein Schwur als besonders glaubwürdig.
Die ›stabreimende Zwillingsformel‹ (↑Bausch und Bogen) wird übrigens formelhaft auch in anderen Zusammenhängen gebraucht: Während »Stein und Bein leugnen« sich dabei noch auf die gleiche schwurbekräftigende Wirkung bezieht, so haben »Stein und Bein frieren« oder »Stein und Bein klagen« nur noch eine allgemein verstärkende Bedeutung.
Jemanden im Stich lassen
Bei dieser Redewendung standen die ritterlichen Turnierspiele Pate: Wer seinem Gegner »einen Stich versetzen« wollte, der führte die Lanze gegen dessen gepanzerte Brust, um ihn aus dem Sattel zu heben, auf den Sand zu setzen und ihn damit »auszustechen«.
Später übertrug sich die Bezeichnung vom ritterlichen Sport auf die immer populärer werdenden bürgerlichen Schützenfeste (↑Einen Bock schießen; ↑Schwein haben). Der Streit um den Sieg beim Wettschießen und um den Gewinn des Preises wurde hier »Stechen« genannt.
Jemanden »im Stich lassen« bedeutete in beiden Fällen, ihm im entscheidenden Augenblick, beim Kampf um die Siegestrophäe, nicht zu helfen, ihn in der Gefahr zu verlassen.
Es gibt noch andere Erklärungsversuche, aber keiner davon erscheint »stichhaltig«. Auch dieser Ausdruck stammt übrigens aus der Turniersprache: Ein Brustpanzer, der den Stich mit der Lanze nicht aushielt, hatte die Probe nicht bestanden, er war nicht »hieb- und stichfest« und damit nicht zuverlässig.
Genauso wenig wie ein Freund, der einen im Stich lässt…
Jemandem den Stuhl vor die Tür setzen
Das ist eine uralte Floskel aus dem Eigentumsrecht. Einst wurde der Raum, den ein dreibeiniger Stuhl einnahm, als Maß für den kleinsten Grundbesitz bestimmt. Man konnte eine Immobilie in rechtlich verbindlicher Weise in Besitz nehmen, indem man sich vor Zeugen mitten im Haus auf einen Stuhl setzte. Damit ist klar: Wem man den Stuhl vor die Tür setzt, dessen Eigentumsrecht wird damit aufgehoben. Übertragene Bedeutung, vor allem im Berufsleben: Du hast hier nichts mehr verloren, du bist deiner Funktionen beraubt, du kannst gehen.
Tacheles reden
Stammt aus dem Jiddischen, wo Tachles (hebräisch Tachlit) soviel heißt wie Ziel oder Zweck. Die Redewendung meint: zur Sache kommen, offen sprechen. Am häufigsten wird sie gebraucht in langen Streitereien, die man endlich zu Ende bringen möchte, im Sinne von: »Nun reden wir endlich Tacheles«. Salcia Landmann vertritt in ihrem Buch »Der jüdische Witz« die Auffassung, es müsse durchgängig »Tachless« heißen, weshalb es in der deutschen Umgangssprache oft falsch zitiert werde.
Die Tafel aufheben
Diese Redensart bezeichnet heute das Einverständnis aller, die bei Tische saßen und nun das Mahl für beendet erklären möchten. In Zeiten, als Personal noch bezahlbar war, eilten daraufhin Bedienstete herbei, um die auf Stelzen abgelegte Tischplatte aufzuheben und mit allem Geschirr, samt Gläsern und Speiseresten in die Wirtschaftsräume zu tragen, wo dann die Reste abgeräumt und das Geschirr gewaschen wurde.
Uns bleibt nur der sehnsüchtige Gedanke an diesen ebenso schönen wie praktischen Brauch…
Die üblichen Verdächtigen festnehmen
In der vorletzten Sequenz des Kinoklassikers »Casablanca« (↑Einführung) erteilt der Polizeichef der nordafrikanischen Hafenstadt den Befehl, »die üblichen Verdächtigen« zu verhaften (eigentlich: festzunehmen).
Diese Bemerkung ist längst zu einer stehenden Redewendung geworden. Obwohl juristisch zweifelhaft, wirkt die zynische Bemerkung des Polizeibeamten auf den Zuschauer dennoch befreiend, weil durch sie die Hauptfiguren des Films von drohender Strafverfolgung ausgenommen werden.
Es lohnt, sich anhand des Drehbuchtextes die entscheidende Szene vor Augen zu führen, die Anlass für diese Redewendung gab:
»(Am Flughafen von Casablanca)
Rick Blaine (Humphrey Bogart) hat sich von seiner ehemaligen Geliebten Ilsa Lund (Ingrid Bergmann) verabschiedet und ihrem Mann Victor Laszlo (Paul Henreid) unterdessen die Transitvisa zur Flucht vor den Nazis ausgehändigt. Die beiden gehen eiligen Schrittes auf das Flugzeug zu, dessen Propeller bereits laufen.
Der französische Polizeioffizier Renault (Claude Rains) tritt auf Rick Blaine zu.
Renault: ›Ich hatte also recht: Sie sind sentimental.‹
Rick Blaine: ›Bleiben Sie stehen. Ich weiß nicht, wovon Sie reden.‹
Renault: ›Davon, was Sie für ihn getan haben. Und von dem Märchen, das Sie über Ilsa erfunden haben. Ich verstehe etwas von Frauen, mein Freund. Sie ist mitgegangen, aber sie wußte, dass Sie lügen.‹
Rick Blaine: ›Ich danke Ihnen jedenfalls, dass Sie mir geholfen haben.‹
Renault: ›Es ist Ihnen wohl klar, dass die Sache für uns beide nicht sehr angenehm wird. Besonders für Sie. Ich werde Sie natürlich verhaften müssen.‹
Rick Blaine: ›Sobald die Maschine in der Luft ist, Louis.‹
(Nazi-)Major Strasser (Conrad Veidt) erscheint auf der Szene: ›Was hatte dieser Anruf zu bedeuten?‹
Renault: ›Victor Laszlo sitzt in der Maschine.‹
(Wir sehen, wie das Flugzeug zur Startbahn rollt)
Major Strasser: ›Was stehen Sie hier herum? Warum halten Sie ihn nicht auf?‹
Renault: ›Fragen Sie Monsieur Rick.‹
(Strasser nimmt die Sache selbst in die Hand, schreitet energisch zum Telefon)
Renault: ›Bleiben Sie von dem Telefon weg!‹
Strasser: ›Ich würde Ihnen raten, sich nicht einzumischen.‹
Rick Blaine: ›Ich hätte Capitaine Renault erschossen, ich würde auch Sie erschießen.‹
Strasser (spricht ins Telefon): ›Hallo!?‹
Rick Blaine: ›Weg mit dem Hörer!‹
Strasser: ›Verbinden Sie mich mit dem Kontrollturm!‹
Rick Blaine: ›Legen Sie auf!‹
(Major Strasser bleibt am Telefon, zieht eine Pistole. Rick ist schneller, schießt auf den Major, der tödlich getroffen niedersinkt. Ein Wagen mit sechs Polizisten fährt vor, die rasch aussteigen und vor Capitaine Renault salutieren)
Renault: ›Major Strasser ist erschossen worden.‹
(Rick Blaine und Renault schauen einander an)
Renault zu den Polizisten gewandt: ›Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen!‹«
In die amerikanische Umgangssprache hat die Floskel von »den üblichen Verdächtigen«, in Anlehnung an den Dialog aus »Casablanca«, schon vor Jahrzehnten Eingang gefunden: 1995 gab es sogar einen Spielfilm mit dem Titel »The usual suspects« (Regie: Bryan Singer).
Er gewann ein Jahr darauf den Oscar für das beste Drehbuch (Christopher McQuarrie) und für den besten Schauspieler (Kevin Spacey).
Die Uhr ist abgelaufen
Wessen Uhr abgelaufen ist, dessen Zeit ist um: Er muss sterben. So heißt es schon in Friedrich Schillers Drama »Wilhem Tell«: »Mach deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt! Fort mußt du, deine Uhr ist abgelaufen.«
Ein Blick auf die Sanduhr verrät, wovon die Rede ist: In ihr »läuft« tatsächlich ein Zeitmaß »ab«, nämlich aus dem oberen Teilstück durch eine trichterförmige Öffnung in das untere. Ist die Zeit abgelaufen, kann die Uhr neu gestellt werden, indem man sie auf den Kopf dreht. Wird sie nicht umgedreht, dann weiß man (um in der Uhrensprache zu bleiben), dass »das letzte Stündlein geschlagen hat«.
Mit den Wölfen heulen
…tun Leute, die den unwiderstehlichen Drang verspüren, sich der übermächtigen Mehrheit anzupassen. Ludwig Körner, Präsident des Deutschen Bühnenklubs Berlin, reimte:
»Mit den Wölfen muß man heulen,
Eine alte Weisheit spricht,
Aber mit dem Schwein zu grunzen,
Braucht man drum noch lange nicht.«
Die entschuldigende Formel, man »müsse« mit den Wölfen heulen, weist bereits darauf hin, dass es eine schlechte Gesellschaft ist, in der man sich befindet; doch Feigheit lehrt uns brav zu sein.
Wer unter die Wölfe gerät, muss fürchten gefressen zu werden, wenn er nicht lautstark so tut, als sei er ihresgleichen.
Noch heute beachtenswert ist der Rat, den der Dichter Johann Peter Hebel in seinem 1811 erschienenen »Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes« gab:
»Erstlich, du sollst dich nicht unter die Wölfe mischen, sondern ihnen aus dem Weg gehen. Zweitens, wenn du ihnen nicht entweichen kannst, so sollst du sagen: ›Ich bin ein Mensch und kein Wolf. Ich kann nicht so schön heulen wie ihr‹. Drittens: Wenn du meinst, es sei nimmer anders von ihnen loszukommen, so will dir der Hausfreund erlauben, ein- oder zweimal mitzubellen, aber du sollst nicht mit ihnen beißen und anderer Leute Schafe fressen. Sonst kommt zuletzt der Jäger, und du wirst mit ihnen erschossen.«
Nachwort
Die Literatur über Redewendungen und Redensarten ist kaum überschaubar. Die folgende Auswahl zählt nicht nur die einschlägigen Titel der letzten 20 Jahre auf, sondern sie möchte den Leser auch anregen, vielleicht doch das eine oder andere ältere Buch zur Hand zu nehmen, das nur noch in Bibliotheken oder antiquarisch greifbar ist. Es lohnt sich immer. Vor allem beim Thema Redewendungen, bei dem man auf eine lange und tatsächlich windungsreiche Sprachgeschichte zurück blickt. Das gelingt oft nur mit älteren Schriften, die den Quellen noch ein wenig näher stehen als die Bücher des späten 20. Jahrhunderts.
So unübersichtlich und vielfältig die Buchtitel zu den Redewendungen sind, so verwirrend erscheint oft deren Verknüpfung mit sprachtheoretischen Fragen, die ihnen nahe stehen, doch mit ihnen nicht identisch sind. Solche Verzahnungen kommen selbst noch in den neuesten Groß-Publikationen dieser Art vor, etwa bei dem reichhaltigsten Oeuvre dieser Art aus der Feder von Altmeister Lutz Röhrich. Der Professor für Volkskunde und Germanische Philologie wählte für sein fast 2000 Seiten umfassendes Werk den Titel »Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten«. Unter uns: Damit wird die Sache nicht klarer. Eine Redewendung will kein Sprichwort sein – und umgekehrt!
Laut (Sprach-)Brockhaus (1996) ist eine Redensart eine formelhafte Verbindung von Wörtern, die meist als selbstständiger Satz gebraucht wird. Ein Sprichwort indessen wird definiert als kurzer, einprägsamer Satz, der eine praktische Lebensweisheit enthält. Redewendungen oder Redensarten wollen farblose Sätze in Reden oder Unterhaltungen schmücken, ohne vorgeben zu müssen, dem Zuhörer eine Lebensweisheit zu vermitteln. Insofern erscheint der von Röhrich gewählte Buchtitel problematisch, zumal sein kenntnisreiches Werk fast ganz auf Redewendungen im eigentlichen Sinne abgestellt ist.
Er selbst erklärt in der Einleitung zur 6. Auflage seines Werkes (1994) die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Sprichwörtern und Redensarten: Die sprichwörtlichen Redensarten gehören in die Nähe der Sprichwörter; und doch sind sie keine. Die Unterschiede bestehen vor allem in Form, Struktur und Funktion. Ein Sprichwort hat die Form eines abgeschlossenen Satzes in fester und unveränderlicher Formulierung, zum Beispiel: »Hunger ist der beste Koch«. Eine Redensart dagegen ist ein verbaler bildhafter Ausdruck, wie etwa »für jemand die Kastanien aus dem Feuer holen«, oder: »einen ins Bockshorn jagen«. Solche Redensarten müssen erst in einen Satz eingefügt werden, um eine feste Aussage zu ergeben.
Einen schönen Beleg dafür, dass man beides – Wendungen und Sprichwörter – nicht ohne weiteres miteinander verknüpfen oder gegeneinander austauschen sollte, liefert auch die umfängliche Fleißarbeit von Karl Simrock: »Die deutschen Sprichwörter«. An welcher Stelle man auch das 630 Seiten umfassende Standardwerk aufschlägt, wird man nichts als solche Sprichwörter finden (die man auch Spruchweisheiten nennen könnte). Beispiele: »Jeder ist sich selbst der Nächste«, oder: »Dein Pferd, dein Weib und dein Schwert leih nicht her«. Sprichwörter haben ihren eigenen Wert; sie gehören jedoch nicht eigentlich zu den Redewendungen, die – wie der Franzose sagt – nur eine façon de parler darstellen und dabei vorrangig die Sprache um Bilder bereichern.
Zum Weiterlesen
Agricola, Erhard: Wörter und Wendungen. Wörterbuch zum deut schen Sprachgebrauch, Leipzig 1962. Neudruck München 1970.
Appel, Andrea: Die Katze im Sack kommt mir Spanisch vor. Redensarten auf den Grund gegangen. Berlin 1987.
Birlinger, Anton: So sprechen die Schwaben. Sprichwörter, Redensarten, Reime, Berlin 1868. Neudruck Stuttgart 1982.
Borchardt, Wilhelm Gustav: Die sprichwörtlichen Redensarten im deutschen Volksmund. Nach Sinn und Ursprung erläutert, Leipzig 1888. Immer wieder neu aufgelegt; u. a. von G. Wustmann. Jüngste Ausgabe (in 7. Auflage 1955).
Böttcher, Kurz, Karl Heinz Berger, Kurt Krolop und Christa Zimmermann: Geflügelte Worte. Zitate, Sentenzen und Begriffe in ihrem geschichtlichen Zusammenhang, Leipzig 1981.
Braun, J. M. : Sechs Tausend Deutsche Sprüchwörter und Redensarten, Stuttgart 1840.
Büchmann, Georg: Geflügelte Worte. Der Zitatenschatz des deutschen Volkes, Berlin 1864. 33. Auflage, Frankfurt am Main 1986.
Dittrich, Hans: Redensarten auf der Goldwaage. Herkunft und Bedeutung in einem munteren ABC erklärt, Bonn 1970.
Dröscher, Vitus B.: Mit den Wölfen heulen. »Fabelhafte« Spruchweisheiten aus dem Tierreich, Düsseldorf 1978.
Fink-Henseler, Roland W.: Hausbuch deutscher Sprichwörter. 5000 Redensarten und Sprichwörter für alle Lebenszeiten, Bayreuth 1983.
Genthe, Arnold: Deutscher Slang. Eine Sammlung familiärer Ausdrücke und Redensarten, Straßburg 1982.
Gööck, Alexandra: Das sagt man so. Kleines Lexikon der Redensarten, Gütersloh 1974.
Görner, Herbert: Redensarten. Kleine Idiomatik der deutschen Sprache, Leipzig 1979.
Hamacher, Gustav: Kölsche Redensarten und Sprichwörter, Köln 1986.
Holm, Hans Hennig: Da bist du platt! Unterhaltsames Sammelsurium niederdeutscher Wörter und Redensarten, Neumünster 1972.
Koster, Monika: Großes Handbuch der Zitate, Sprichwörter und Redensarten, Köln 1983.
Krack, Karl Erich: 1000 Redensarten unter die Lupe genommen, Stuttgart 1965.
Krüger-Lorenzen, Kurt: Deutsche Redensarten und was dahinter steckt, München 1983.
Küpper, Heinz: Deutsch zum Anfassen. Moderne Redewendungen von »Abseilen« bis »Zoff«, Wiesbaden 1987.
Lautenbach, Ernst: Goethe. Zitate, Redensarten, Sprichwörter, Hanau 1986.
Leon, Bernd: Mit schönen Worten kocht man keinen Brei. Reichlich 600 kulinarische Sprüche, Berlin 1989.
Meyer, Hans Georg: Der richtige Berliner in Wörtern und Redensarten, Berlin 1878 (fortgeführt von S. Mauermann und für die 10. Auflage bearbeitet und ergänzt von W. Kiaulehn), München 1965.
Raab, Heinrich: Deutsche Redewendungen. Von Abblitzen bis Zügel schießen lassen, Wien 1964.
Richter, Albert: Deutsche Redensarten. Sprachlich und kulturgeschichtlich erläutert, Leipzig 1889 (5. Auflage 1930).
Röhrich, Lutz: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, 3 Bde., Taschenbuchausgabe beim Herder-Verlag.
Ruelius, Hermann: Auf der Palme. Bilder in der Sprache, Frankfurt am Main 1961.
Sandvoss, Franz: So spricht das Volk. Volkstümliche Redensarten, Berlin 1860.
Scheffler, Heinrich: Wörter auf Wanderschaft. Schicksale von Wörtern und Redensarten, Pfullingen 1986.
Schmitt, Richard: Deutsche Redensarten. Quiz- und Übungsbuch, Stuttgart 1975.
Schomburg, Eberhard: 176 gebräuchliche Redensarten und ihre Bedeutung, Kassel 1979.
Tendlau, Abraham Moses: Sprichwörter und Redensarten deutschjüdischer Vorzeit, Frankfurt am Main 1860 (Neudruck Hildesheim 1980).
Weber, Paul: Woher der Ausdruck? Deutsche Redensarten und ihre Erklärung, Heidelberg 1961.
Stichwortliste
A
Jemanden in den April schicken
Mit einem blauen Auge davonkommen
B
Auf die lange Bank schieben
In Bausch und Bogen
Blau machen
Etwas durch die Blume sagen
Einen Bock schießen
Jemanden ins Bockshorn jagen
Trinken wie ein Bürstenbinder
C
Jemandem aufs Dach steigen
(Wieder) auf dem Damm sein
Jemandem den Daumen halten
Unter einer Decke stecken
Einen Denkzettel verpassen
E
Es ist höchste Eisenbahn
Das dicke Ende kommt nach
F
Fersengeld geben
Sein Fett abkriegen
Flöten gehen
Sich mit fremden Federn schmücken
G
Gang und gäbe
Den Glatten machen
Die Gretchenfrage stellen
Am grünen Tisch verhandeln
H
Haarspalterei
Haare auf den Zähnen haben
Wenn jemanden der Hafer sticht
Hahn im Korb sein
Unter den Hammer kommen
Hand und Fuß haben
Jemandem das Handwerk legen
Da liegt der Hase im Pfeffer
Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts
Aus dem Häuschen sein
Jemandem heimleuchten
Der Himmel hängt voller Geigen
Jemandem die Hölle heiß machen
Auf dem Holzweg sein
Sich die Hörner abstoßen
Ausgehen wie das Hornberger Schießen
Ein Hühnchen zu rupfen haben
Auf den Hund kommen
Vom Hundertsten ins Tausendste kommen
K
Unter aller Kanone
Die Katze im Sack kaufen
Etwas auf dem Kerbholz haben
Über den grünen Klee loben
Mit Kind und Kegel
Kinkerlitzchen machen
Jemanden über die Klinge springen lassen
Den (alten) Kohl wieder aufwärmen
Um Kopf und Kragen
Sich einen Korb holen
Jemanden beim Kragen nehmen
Das geht auf keine Kuhhaut
Den Kürzeren ziehen
Nach allen Regeln der Kunst
L
Durch die Lappen gehen
Jemandem die Leviten lesen
Liebe auf den ersten Blick
Liebe geht durch den Magen
Den Löwenanteil davontragen
Lunte riechen
M
Manschetten haben
Den Mantel nach dem Winde hängen
Matthäi am letzten
Da beißt keine Maus den Faden ab
Auf des Messers Schneide
Eine Milchmädchenrechnung aufmachen
N
Auf den Nägeln brennen
Mit dem Nürnberger Trichter einflößen
O
Es faustdick hinter den Ohren haben
P
Unter dem Pantoffel stehen
Mit Pauken und Trompeten
Von Pontius zu Pilatus laufen
Bis in die Puppen
R
Den Rang ablaufen
S
In den Sack stecken
Sein Schäfchen ins Trockene bringen
Jemanden am Schlafittchen packen
Sich freuen wie ein Schneekönig
Ein Schnippchen schlagen
In den Schoß fallen
Von echtem Schrot und Korn
Es schwant mir
Schwein haben
Seinen Senf zu etwas geben
Das kommt mir Spanisch vor
Den Stab über jemandem brechen
Jemandem die Stange halten
Ein Steckenpferd reiten
Einen Stein im Brett haben
Stein und Bein schwören
Jemanden im Stich lassen
Jemandem den Stuhl vor die Tür setzen
T
Tacheles reden
Die Tafel aufheben
U
Die üblichen Verdächtigen
Die Uhr ist abgelaufen
W
Mit den Wölfen heulen
Danksagung
An den Vorarbeiten und der Vollendung des Buches hat Dr. Robert Zagolla als Lektor nicht nur lebhaften Anteil genommen, sondern auch tatkräftig mitgewirkt. Ihm habe ich daher für ungezählte Einfälle zu danken.
Der Leser wird daraus seinen Nutzen ziehen. Das Buch strebt gleichwohl nicht Vollständigkeit des Themas Redensarten / Redewendungen an, sondern möchte durch gezielte Auswahl ein Schlaglicht werfen auf die Vielfalt unserer Ausdrucksmöglichkeiten – in Schrift und Rede.
Karl Hugo Pruys, im Februar 2008
Zum Autor
Karl Hugo Pruys, geboren 1938, war in den 1970er Jahren Sprecher des CDUBundesvorstands und verfasste 1995 eine Helmut-Kohl-Biografie, die vom »Economist« als Standard-Werk gepriesen wurde. Pruys ist Mitherausgeber des »Handbuchs der Massenkommunikation« sowie Autor sprach- und literaturkritischer Bücher. Zuletzt erschienen von ihm »Die Bibliothek. 44 Bücher, die man gelesen haben muss« und »Christian Wulff. Deutschland kommt voran«.