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German Pages 276 Year 2015
Simone Tosana Bildungsgang, Habitus und Feld
2008-04-29 14-15-25 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 033d177430334828|(S.
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Theorie Bilden Band 12
Editorial Die Universität ist traditionell der hervorragende Ort für Theoriebildung. Ohne diese können weder Forschung noch Lehre ihre Funktionen und die in sie gesetzten gesellschaftlichen Erwartungen erfüllen. Zwischen Theorie, wissenschaftlicher Forschung und universitärer Bildung besteht ein unlösbares Band. Auf diesen Zusammenhang soll die Schriftenreihe »Theorie Bilden« wieder aufmerksam machen in einer Zeit, in der Effizienz- und Verwertungsimperative wissenschaftliche Bildung auf ein Bescheidwissen zu reduzieren drohen und in der theoretisch ausgerichtete Erkenntnis- und Forschungsinteressen durch praktische oder technische Nützlichkeitsforderungen zunehmend delegitimiert werden. Dabei ist der Zusammenhang von Theorie und Bildung in besonderem Maße für die Erziehungswissenschaft von Bedeutung, ist doch Bildung nicht nur einer ihrer zentralen theoretischen Gegenstände, sondern zugleich auch eine ihrer praktischen Aufgaben. In ihr verbindet sich daher die Bildung von Theorien mit der Aufgabe, die Studierenden zur Theoriebildung zu befähigen. In dieser Schriftenreihe werden theoretisch ausgerichtete Ergebnisse aus Forschung und Lehre von Mitgliedern des Fachbereichs publiziert, die das Profil des Faches Erziehungswissenschaft, seine bildungstheoretische Besonderheit im Schnittfeld zu den Fachdidaktiken, aber auch transdisziplinäre Ansätze dokumentieren. Es handelt sich dabei um im Kontext der Fakultät entstandene Forschungsarbeiten, hervorragende Promotionen, Habilitationen, aus Ringvorlesungen oder Tagungen hervorgehende Sammelbände, Festschriften, aber auch Abhandlungen im Umfang zwischen Zeitschriftenaufsatz und Buch sowie andere experimentelle Darstellungsformen. Hannelore Faulstich-Wieland, Hans-Christoph Koller, Karl-Josef Pazzini, Michael Wimmer (Herausgeber im Auftrag des Fachbereichs Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg)
Simone Tosana (Dr. phil.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Bildungsmonitoring in Hamburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Bildungsgang, soziale Ungleichheit (insbesondere die Theorie Bourdieus) sowie empirische Methoden.
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Simone Tosana
Bildungsgang, Habitus und Feld Eine Untersuchung zu den Statuspassagen Erwachsener mit Hauptschulabschluss am Abendgymnasium
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Für meinen Vater
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Inhalt
Einleitung
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1. Perspektive und Forschungsstand 1.1 Die Perspektive Bourdieus 1.2 Statuspassagen im Bildungsgang 1.3 Geschichte und Forschungsstand: Der zweite Bildungsweg und das Abendgymnasium 1.4 Zusammenfassung und Spezifizierung der Fragestellung
17 18 37
2. Empirisches Vorgehen 2.1 Forschungsverständnis 2.2 Konkretes Vorgehen 2.3 Zusammenfassung
65 65 69 83
3. Analyseebenen des Bildungsgangs: Der Bildungsgang als doppelte Statuspassage 3.1 Anerkennungskontexte: Dimensionen im Bildungsgang am Einzelfall von Markus 3.2 Unterschiedliche Statuspassagen im Bildungsgang? 3.3 Analyseebenen der Untersuchung 4. Der Bildungsgang als Medium der Veränderung: »Das kann es nicht gewesen sein.« 4.1 Wege zum Abendgymnasium – Kurzporträts der Interviewten 4.2 Gesamtvergleich: Aspekte der sozialen Bezugnahme über das Abendgymnasium 4.3 Analyse des Gesamtvergleichs 5. Soziale Positionierung im Vorbereitungsjahr: »die zweite Chance« 5.1 Formen sozialer Bezugnahme auf den Unterricht im Vorbereitungsjahr 5.2 Gesamtvergleich: Aspekte der sozialen Bezugnahme auf den Unterricht am Abendgymnasium 5.3 Analyse des Gesamtvergleichs
47 59
85 85 92 95
99 99 111 131
143 144 157 161
6. Queranalyse: Inderdependenz zwischen sozialer Einbettung und sozialer Bezugnahme in der Schule 6.1 Parallelen der sozialen Bezugnahme in Habitus, Beziehungsform und Etablierung als Erwachsener 6.2 Bewährung als gemeinsames Thema 6.3 Veränderungen im sozialen Alltag 6.4 Zusammenfassung
167 167 171 172 177
7. Das Abendgymnasium als Feld 7.1 Strukturierung des Schulgeschehens: Feste Abläufe einer Regelschule zu anderen Zeiten? 7.2 Symbolische Aspekte 7.3 Zusammenfassende Analyse des Feldes
179
8. Belastungen des Schulsbesuchs: »…und immer dieser Druck…« 8.1 Beteiligungsmöglichkeiten im Unterrichtsgeschehen der Studienstufe 8.2 Moratoriumsbedingungen: Kontextfaktoren als Ressource für die Schule 8.3 Zusammenfassende Analyse der Belastungen
205 206
9. Resümee und Ausblick 9.1 Charakteristika des Bildungsgangs: Doppelte Statuspassage 9.2 Interdependenz zwischen Schule und Lebenskontext: eine Konkretisierung mit Hilfe Bourdieus 9.3 Forschungsausblick 9.4 Schlussfolgerungen für die Praxis
233 235
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
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Literatur
259
Danksagung
273
179 195 202
220 226
242 249 251
Einleitung
Bildung ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe. Insbesondere institutionelle Bildung in Schule und Hochschule stellt über die Bildungsabschlüsse die Weichen für den weiteren Lebensweg. Viele Berufe sind in der Regel nur über einen qualifizierten Bildungsabschluss erreichbar. Kein Abitur zu haben, bedeutet von bestimmten beruflichen Chancen ausgeschlossen zu bleiben. Auch soziale Netzwerke und Freundeskreise verbindet oft ein gemeinsamer Bildungshintergrund. Theoretisch zeigt sich dies in der Tatsache, dass der Schule neben der Qualifikationsfunktion auch eine Selektions- und Allokationsfunktion zugeschrieben wird (zuletzt Fend 2005). Die Schule vermittelt nicht nur Wissen; sie weist über die Bildungsabschlüsse auch einen gesellschaftlichen Platz zu. Diese zentrale Bedeutung von Bildung für die gesellschaftliche Teilhabe wurde von Pierre Bourdieu über das Konzept des »kulturellen Kapitals« verdeutlicht (2001a). Bildung schafft zentrale Ressourcen wie ökonomisches Kapital und soziale Netzwerke, Status und soziale Zugehörigkeit. Die Frage, wie sich Teilhabe an Bildung herstellt, ist somit auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Die Relevanz dieser Frage auch im gegenwärtigen 21. Jahrhundert hat u.a. die PISA-Untersuchung verdeutlicht (Baumert u.a. 2001a, 2001b; Prenzel 2005, PISA-Konsortium Deutschland 2006): Kinder aus Familien mit geringerem Bildungskapital, mit wenig ökonomischen Ressourcen oder mit Migrationshintergrund haben demnach deutlich schlechtere Aussichten, einen höheren Bildungsabschluss zu erlangen. Eine entscheidende Rolle spielt in diesem Kontext der Zugang zu einer weiterführenden Schule. Hier wirken sich offensichtlich die Bildungsressourcen des Elternhauses auf mehreren Ebenen aus: Zum einen scheinen sich Lehrerinnen und Lehrer bei ihren Übergangsempfehlungen nach der sozialen Herkunft der Kinder zu richten (Pietsch 2007; Gmolla/Radke 2002); zum anderen wählen Eltern mit einem niedrigeren Bildungsabschluss seltener das Gymnasium als weiterführende Schulform für ihre Kinder (Kirsten 1999, Becker 2000). Denkbar wäre nun die Annahme, für Erwachsene – die nicht mehr abhängig von den Entscheidungen der Eltern und Lehrer sind – könnten sich soziokulturelle Aspekte beim Zugang zu Bildung relativieren. Dies ist allerdings 7
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
nicht per se der Fall. Im Kontext der Erwachsenenbildung wird hier von der »Weiterbildungsschere« gesprochen: Erwachsene mit hoher Bildungsqualifikation pflegen – ganz im Sinne der »Wissensgesellschaft« – ihr Wissen durch Angebote der Erwachsenenbildung aufzufrischen und aktuellen Anforderungen anzupassen. Erwachsene mit niedrigeren Bildungsabschlüssen bilden sich hingegen signifikant weniger weiter (Bartz/Tippelt 2003). Faulstich erklärt dies als die »doppelte Selektivität« der Erwachsenbildung (1981). Für den zweiten Bildungsweg – das heißt einer Einrichtung, die ein Nachholen von Schulabschlüssen ermöglicht – zeigen empirische Befunde auf den ersten Blick ein vergleichbares Bild. Hinsichtlich der auf dem zweiten Bildungsweg erzielten Bildungsabschlüsse unterscheiden sich Erwachsene mit bildungsnahem von Erwachsenen mit bildungsfernem familiären Hintergrund. Soziokulturell besser gestellte Erwachsene verfügen somit nicht nur in der Regel über einen höheren Bildungsabschluss, sondern sie haben auch bessere Chancen, Bildung nachzuholen (Hillmert u.a 2005). Doch bei näherem Hinsehen zeigt sich ein differenzierteres Bild: Im Gegensatz zur sonstigen Erwachsenenbildung ergibt sich diese spezielle »Weiterbildungsschere« beim zweiten Bildungsweg erst über die erzielten Bildungsabschlüsse. Beim Schuleintritt nähern sich die Erwachsenen mit bildungsfernem den Erwachsenen mit bildungsnahem familiären Hintergrund an (Hillmert u.a. 2005). Den Versuch, Bildung auf dem zweiten Bildungsweg nachzuholen, unternehmen somit beide Gruppen nahezu in gleichem Ausmaß. Die Selektivität entsteht hier nicht schon beim Zugang, sondern erst im Verlauf des Bildungsweges selbst: Soziokulturell mit wenig Ressourcen ausgestattete Personen scheinen den Bildungsgang eher abzubrechen als besser gestellte. Es mangelt allerdings an Untersuchungen, die diese empirischen Beobachtungen für den zweiten Bildungsweg differenziert erklären könnten (vgl. Abschnitt 1.3, Forschungsstand). Eine zentrale Frage lautet deshalb: Wie kommt im Bildungsgang Teilhabe zustande? Mit Blick auf die Besonderheiten des zweiten Bildungswegs dürfte dabei die Motivation der Schüler von Interesse sein. Schließlich besteht – anders als für die allgemeinbildenden Schulen – für den zweiten Bildungsweg keine Schulpflicht. Ihm geht stets eine Entscheidung voraus, die der Bildungswillige trifft – in Rückbezug etwa auf sein jeweiliges soziales Umfeld. Weiter wird der Erwachsene nur dann in der Schule verbleiben, wenn sich das, was er dort für sich sucht, einstellt. Grundsätzlich ist also die Untersuchung der Motivationen wichtig – der Beweggründe der Schüler und der Bedeutung, die der Schulbesuch für sie und ihr soziales Umfeld hat. Diese Perspektive gewinnt an Brisanz, wenn man sich vor Augen hält, wie ungewöhnlich offensichtlich die Entscheidung für den zweiten Bildungsweg ist: Nur drei bis fünf Prozent der Hochschulzulassungen werden auf dem zweiten Bildungsweg erworben (vgl. Jüttemann 1991). Das Nachholen von Bildungs8
EINLEITUNG
abschlüssen scheint – trotz der Bedeutung, die lebenslangem Lernen zugeschrieben wird – faktisch eine äußerst geringe Rolle zu (Bund-LänderKomission 2004, Dohmen 1996) spielen. Es ist offenbar keineswegs selbstverständlich, diesen Weg zu wählen. Neben den Prämissen des Schulbesuches ist auch dessen Verlauf selbst zu hinterfragen; schließlich ist für den Schulerfolg insbesondere das Zurechtkommen in der Schule bedeutsam. Aus Sicht interaktionistischer bzw. kulturtheoretischer Ansätze (Goffman 1986, Bourdieu 1993, 1999) ist für den Verbleib in einem Kontext zweierlei wichtig: Erstens muss sich eine Person in einem Kontext wohlfühlen. Zweitens muss sie, um zu bleiben, »mitspielen« können – also Anerkennung bekommen und eine Chance haben, ihre Ziele zu erreichen. Für eine Klärung des ersten Aspekts ist vor allem die Sicht der Schüler interessant. Eine Besonderheit des zweiten Bildungsweg ist ja: Es handelt sich um Erwachsene, die wieder zu Schule gehen. Einige haben schon eine Berufsausbildung hinter sich und jahrelang gearbeitet. Inwieweit spielt das für sie im Unterricht eine Rolle? Für die Untersuchung des zweiten Aspekts – inwieweit es möglich ist »mitzuspielen« – sind die Regeln der Teilhabe in der Schule zentral. Hier geht es also nicht allein um die Sichtweise und das Verhalten des Schülers; vielmehr ist zunächst ein Blick auf den Schulkontext als Ganzes und seine Bedingungen sinnvoll. Der Schulbesuch z.B. am Abendgymnasium ist an strukturelle Bedingungen und gesellschaftliche Bedeutungszuschreibungen gekoppelt. So prägt beispielsweise die Möglichkeit BAföG zu erhalten für die Schüler die Zeit an der Schule. Weiter haben die Bedingungen der Schule selbst, wie die Unterrichtszeiten oder die Zeit, die für Lernen außerhalb des Unterrichts aufgebracht werden soll, Einfluss auf die Bedeutung des Bildungsgangs – wie auch beispielsweise das Renommee bestimmter Gruppen in der Schule. Gleichzeitig ist Teilhabe auch ein interaktives Geschehen, das in der konkreten Unterrichtssituation hergestellt wird. Aus Sicht einer interaktionistischen bzw. kulturtheoretischen Perspektive sind die Regeln der Organisation von Teilhabe in einem Feld für den jeweiligen Akteur in erster Linie dann erfahrbar, wenn er an die Grenzen stößt – wenn die eigene Position in Frage gestellt ist (Bourdieu 1993, 1999). Sinnvollerweise ist also auch zu fragen: Wann gerät der Verbleib der Schüler in die Krise und welche Gründe spielen hier eine Rolle? Generell hat man sich zu vergegenwärtigen: Der sogenannte zweite Bildungsweg ist kein homogenes Gebilde. Es gibt verschiedene Formen der Unterrichtsorganisation, die unter dem Oberbegriff zweiter Bildungsweg zusammengefasst werden, bspw. Angebote der Volkshochschule, Kollegs, freie Schulen etc. In dieser Untersuchung wird das Abendgymnasium in den Blick genommen. Der Grund dafür liegt in der Besonderheit, die das Abendgymnasium mit seiner Parallelität von außerschulischem Lebensumfeld und 9
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
Schule darstellt. Durch die besondere Verknappung der Lernzeit – es steht weniger Unterrichtszeit als an der Regelschule zur Verfügung – herrschen hier Bedingungen, die etwaige Schwierigkeiten deutlicher werden lassen als anderweitig. Zudem kann hier die Frage nach dem Wechselverhältnis zwischen außerschulischen und innerschulischen Bedingungen für die Teilhabe an Bildung gezielt untersucht werden. Denn neben dem Zugang zur weiterführenden Bildung ist der Bildungserfolg durch sowohl außerschulische als auch innerschulische Aspekte bestimmt, die die Teilhabe am Bildungsgang beeinflussen (vgl. Baumert 2001a). Über die Interaktion dieser Faktoren ist jedoch selbst für die Regelschule wenig bekannt. Für den zweiten Bildungsweg stellt diese Fragestellung Neuland dar. Das Abendgymnasium ist hier besonders spannend, da die Schüler auch nach ihrem Eintritt in die Schule weiterhin in ihren Berufen und ihrem sozialen Umfeld verbleiben. Die Aushandlung zwischen den unterschiedlichen Kontexten, in denen die Schüler agieren, ist für sie somit nicht nur zum Schulbeginn relevant, sondern während des gesamten Verlaufs des Schulbesuchs. Die Lebenslaufforschung spricht vor einem solchen Hintergrund von der Interdependenz verschiedener Lebensbereiche (Blossfeld/Huinink 2001, Heinz 1996). Um einige Beispiele zu nennen: Möglich ist etwa, dass die Familienplanung Berufsentscheidungen mitbestimmt oder dass ein Arbeitsplatzwechsel mit einem Umzug in eine andere Stadt – also mit weitreichenden sozialen Veränderungen – verbunden ist. Auch für den Schulkontext ist eine solche gegenseitige Bedingtheit von Schule und sozialem Umfeld zu erwarten. Durch die Fokussierung auf das Abendgymnasium kann also einer Frage nachgegangen werden, die für die Erforschung schulischer Teilhabe besonders relevant ist und über die bisher so gut wie keine Erkenntnisse vorliegen. Auch die Schüler stellen keine homogene Gruppe dar. Die Bedingungen der Teilhabe sind durch verschiedene Einflüsse differenziert. Eine besondere Rolle spielt der auf dem ersten Bildungsweg erworbene Abschluss. Er ist ausschlaggebend dafür, wie lange das Abendgymnasium besucht werden muss. Im Hinblick auf die Forschungsanliegen besonders interessant sind die Schüler mit Hauptschulabschluss. Sie müssen die längste Zeitspanne und auch die größte symbolische Distanz zum Abitur überbrücken. Sie sind insofern von ihrem Ziel am weitesten entfernt und es ist bei ihnen mit den meisten Schwierigkeiten zu rechnen. Daher wurde diese Gruppe in der vorliegenden Untersuchung schwerpunktmäßig in den Blick genommen. Gleichzeitig wird die soziokulturelle Differenz innerhalb dieser Gruppe im Blick behalten. Nur so lässt sich für das Abendgymnasium herausarbeiten, inwieweit soziale Unterschiede Einfluss auf die Möglichkeiten der sozialen Teilhabe haben. Daher ist ein Vorgehen notwendig, das es erlaubt, unterschiedliche Ressourcen, Haltungen und soziales Eingebundensein mit in den Blick zu nehmen.
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EINLEITUNG
Der hier gewählte Ansatz orientiert sich an der Theorie Bourdieus. Nach dieser werden bei einem empirischem Vorgehen die Unterschiede zwischen den Akteuren durch eine Analyse ihrer Handlungen auf verschiedene Haltungen, Ressourcen und soziale Einbindung hin herausgearbeitet. Die für diese Untersuchung interessanten Handlungen der Schüler sind – wie schon dargestellt – ihre Entscheidung für den Schulbesuch sowie ihre Herstellung von Teilhabe am Unterricht. Im Falle der Entscheidung wird die geplante Handlung im eigenen Denken oder durch Gespräche mit anderen diskursiv vorbereitet und legitimiert. Der Schwerpunkt liegt auf einer eher sprachlich und zum Teil auch innerpsychisch vorgenommenen Aushandlung. Die Anmeldung an der Schule stellt hier nur den letzten Schritt dar. Für die Herstellung von Teilhabe am Unterricht durch die Schüler ist hingegen neben ihrer Einstellung zur Schule auch ihr tägliches Verhalten im Unterricht bedeutsam. Hieraus ergibt sich bei der Suche nach dem geeigneten empirischen Vorgehen zunächst die Frage: Kann man beide Kontexte gleich behandeln oder muss hier ein unterschiedlicher Ansatz gewählt werden? Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Habituskonzept Bourdieus (Kapitel 1.1) und den Interviews mit den Schülern (Kapitel 2) zeigte sich, dass es eine übergreifende Frage gibt, die für beide Kontexte passt: Wie nehmen die Schüler auf die Schule Bezug – und welche Rolle spielt dabei der jeweilige Kontext, das soziale Umfeld bzw. die Schule? Diese Frage nach der »sozialen Bezugnahme« der Schüler auf die Schule lässt sich als empirische Umsetzung von Bourdieus Habituskonzept begreifen (näher vgl. Abschnitt 1.1). Zentral ist dabei, dass unterschiedliche Dimensionen der Bedeutung der Schule für die Schüler als Teil sozialer Aushandlung herausgearbeitet werden können: Einerseits die Bedeutung der Schule im sozialen Umfeld, die zu einer Entscheidung für die Schule führt; andererseits die Bedeutung der Schule als konkreter Handlungskontext, in dem durch Handeln Teilhabe hergestellt wird. Um den Unterschieden zwischen Schülern Rechnung zu tragen, ist dabei der Einbezug unterschiedlicher Haltungen und Ressourcen wichtig, die die jeweilige Bedeutung der Schule mitbestimmen. Durch einen Rückgriff auf das Konzept der Statuspassage können diese Bedeutungsdimensionen näher konkretisiert werden. Moderne Statuspassagen werden als Übergänge im Lebenslauf definiert (vgl. Friebertshäuser 1992, S. 30ff., Heinz 1996, S. 54ff., Kohli 1985). Der Forschungsfocus liegt unter dieser Perspektive darauf, wie bei einem lebensgeschichtlichen Übergang – sei es bspw. durch den Eintritt in ein neues Handlungsfeld, durch Hochzeit oder den Übergang vom Kinder- zum Erwachsenenstatus – eine neue soziale Position mit dem damit jeweils verbundenen Status aufgebaut wird. Der Schulbesuch ist somit als Statuspassage für die Akteure beschreibbar. Die Frage, wie die Schüler auf die Schule Bezug nehmen, kann weiter differenziert werden: Wie wird bei dieser Bezugnahme eine »soziale Position« aufge11
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
baut? Welche Statuswechsel sind mit diesem Übergang jeweils verbunden? Ein zentrales Ergebnis dieser Arbeit ist: Der Schulbesuch lässt sich in seiner Bedeutung für die Akteure als »doppelte Statuspassage« kennzeichnen. Ich möchte dieses Ergebnis hier nur kurz andeuten: Zum einen soll durch die Weiterbildung langfristig die eigene soziale Position außerhalb der Schule verändert werden; zum anderen kommt der Eintritt in die Schule selbst einem Statuswechsel gleich, bei dem man in einem konkreten Feld eine soziale Position aufbauen muss (vgl. Abschnitt 1.2, Kapitel 3 sowie das Resümee). In dieser Arbeit wird nicht nur der Schuleintritt selbst und seine Bedeutung für die Schüler in den Blick genommen, sondern auch die Situation in der Schule zu einem späteren Zeitpunkt. Wie eingangs erwähnt, ist im Hinblick auf den Verbleib der Schüler an der Schule relevant, was die Schüler während ihres Schulbesuchs erleben und vor allem, ob und wann für sie der Schulbesuch in die Krise gerät. Ausgehend von der zentralen Bedeutung des Wechselverhältnisses zwischen außerschulischen und innerschulischen Faktoren für das Gelingen des Schulbesuchs ist es hier wichtig, beide Seiten in den Blick zu nehmen. Auch an diesem Punkt lässt sich die Frage der Bezugnahme und damit ein Forschungsansatz im Sinne Bourdieus aufgreifen: Wie nehmen die Schüler auf ihre Probleme Bezug? Worin zeigen sich diese Probleme? In welchem Zusammenhang stehen sie mit dem jeweiligen Kontext? Was erweist sich dabei als Ressource? Inwieweit unterscheiden sich diese Ressourcen von Schüler zu Schüler? Auf diese Weise können den Verlauf des Schulbesuchs betreffende Probleme herausgearbeitet werden. Prozessuale Aspekte sind in der Schulforschung bisher generell wenig erforscht, für den Zweiten Bildungsweg liegen hier noch keine Erkenntnisse vor. Auch in diesem Bereich möchte diese Arbeit die Forschung voranbringen, indem sie fragt: Inwieweit wechselt der Status an der Schule zu einem späteren Zeitpunkt, und mit welchen Bedingungen sowie Ressourcen geht dies einher? Jenseits des Herangehens der Schüler an den Schulbesuch spielen die Bedingungen der Schule und die strukturellen Voraussetzungen für den Bildungserfolg eine Rolle. Daher soll neben der Perspektive der Schüler – ihrer Motivation, ihrem Herangehen an den Unterricht und ihrer Probleme im Rahmen ihres Schulbesuchs – auch die Schule als Feld in die Untersuchung miteinbezogen werden. Zentral ist dabei Bourdieus Annahme, dass sich Teilhabe in wechselseitiger Aushandlung zwischen Feld und Akteuren herstellt. Entscheidend sind somit auch die Bedingungen der Schule, gekennzeichnet sowohl durch bestimmte Verhaltensregeln als auch durch in diesem Feld geteilte Wertvorstellungen und die Vergabe von Anerkennung. Auch diese Aspekte werden in die Untersuchung miteinbezogen (Kapitel 7). Durch einen Rückgriff auf die Lebenslaufforschung können zudem auch institutionelle Rahmenvorgaben berücksichtigt werden (vgl. Kohli 1985, Blossfeld/Huinink 2001, Heinz 2001, 5ff.). Der Fokus auf die Schule als Institution schärft den 12
EINLEITUNG
Blick für ihre Bedeutung im Lebensverlauf des Einzelnen und ihre normierenden Bedingungen (Abschnitt 1.2). Mit dem hier skizzierten Forschungsansatz ergänzt diese Arbeit das bisherige Herangehen an den »Bildungsgang« um eine weitere Perspektive1. »Bildungsgang« ist ein facettenreicher Begriff; er steht – je nach Verständnis – für die Beschreibung von institutionellen Bildungswegen, von biographischen Aspekten im Bildungsverlauf oder von didaktischen Ansätzen (vgl. Tosana 2007, Trautmann 2004, S. 7ff., Koller 2005). Was bislang noch aussteht ist ein Forschungsansatz, der es ermöglicht, den Bildungsgang als Ergebnis sozialer Aushandlungen sichtbar zu machen und dabei soziokulturelle Unterschiede zu berücksichtigen (vgl. Faulstich-Wieland 2001, S. 68ff., Gogolin 2001, S. 51ff., Tosana 2004, S. 137ff., Tosana/Faulstich-Wieland 2005, S. 145ff.). Diese Lücke möchte diese Arbeit schließen. Die Herstellung von Teilhabe wird folglich in dieser Arbeit untersucht werden, indem einerseits die Bedeutung des Schulbesuchs für die Schüler als Teil sozialer Aushandlung rekonstruiert wird. Zu diesem Zweck werden sowohl die außerschulischen Gründe für den Schulbesuch als auch die Strategien, sich in den Unterricht einzubringen, in den Blick genommen. Zudem werden im Verlauf des Schulbesuchs auftretende Probleme im Hinblick auf die Schule wie auf das soziale Umfeld analysiert. Andererseits wird die Schule als Feld auf ihre Regeln und Werthaltungen hin in den Blick genommen. Empirisch wird dabei folgendermaßen vorgegangen: Zunächst steht der Schulbeginn im Zentrum des Interesses. Die »außerschulische« Bedeutung wird anhand der Entscheidung für den Schulbesuch und ihrer Einbindung in den Freundeskreis näher betrachtet. Die »innerschulische« Bedeutungsaushandlung wird untersucht über die Herstellung von Teilhabe am Unterricht in der Schule und die Rolle, die der Erwachsenenstatus der Schüler dabei spielt. Um auch die strukturellen Aspekte des Schulbesuchs und seine besonderen Bedingungen im Vergleich zur Regelschule zu berücksichtigen, wird zudem eine Analyse des Feldes vorgenommen. Da das Verhältnis zwischen innerschulischen und außerschulischen Bedingungen nicht nur zu Beginn der Schulzeit von Interesse ist, werden möglicherweise später auftretende Probleme hinsichtlich der Rolle des sozialen Kontextes und hinsichtlich der Rolle der Schule erforscht. Die unterschiedlichen Aspekte der sozialen Bedeutung des Abendgymnasiums sowie die Bedingungen der Teilhabe bilden die Schwerpunkte der empirischen Rekonstruktion und den roten Faden für die Herangehensweise. Gleichzeitig begleiten diese Arbeit auch übergreifende Fragen; sie werden an
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Diese Arbeit wurde im Rahmen des Graduiertenkollegs »Bildungsgangforschung« verfasst, das von Oktober 2002 bis März 2008 an der Universität Hamburg bestand. 13
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
verschiedenen Stellen in die Auswertung miteinbezogen: Was sind die teils besonderen Bedingungen des Abendgymnasiums und wie lassen sie diese »Charakteristika« des Feldes zusammenfassen? Wie lassen sich die soziokulturellen Unterschiede, die sich in den unterschiedlichen Ressourcen und habituellen Herangehensweisen zeigen, herausarbeiten? Worin zeigt sich das Wechselverhältnis zwischen »außerschulischen« und »innerschulischen« Bedingungen? Diese Forschungsfragen stellen in mehrfacher Hinsicht Neuland dar. Um ihren gerecht zu werden, wählt diese Studie einen explorativen Ansatz. Neun Schüler eines Abendgymnasiums wurden mittels themenzentrierter Interviews zu ihrem Bildungsgang, ihren bisherigen Schulerfahrungen und ihrem sozialen Umfeld befragt. Zum besseren Verständnis ihrer Erfahrungen wurde zudem die Schule selbst durch Unterrichts- und Feldbeobachtungen in die Untersuchung einbezogen. Grundlage der Auswertung bildet das Verfahren der Grounded Theory, da es dem explorativen Vorhaben angemessen ist. Vorgegangen wurde allerdings nicht theorieabstinent; vielmehr wurden bestehende Metatheorien als »sensibilisierende Konzepte« genutzt. Nach diesem Verständnis sind die zentralen Gegenstände der empirischen Untersuchung zunächst theoretisch einzuordnen. Das empirische Vorgehen wird im dritten Kapitel ausführlich dargestellt – an dieser Stelle möchte ich lediglich die Entscheidung erläutern, die aus meiner Sicht die Arbeit und ihr Vorgehen zentral prägen: Die erste zentrale Auswahlentscheidung ist: Diese Arbeit fokussiert auf Schüler, die mit Hauptschulabschluss in die Schule eintreten. Es hätte den Rahmen der Arbeit gesprengt, neben dem multiperspektivischen Ansatz hinsichtlich Kontexten und Zeitpunkten auch die Bedingungen verschiedener Gruppen in den Blick zu nehmen. Die zweite zentrale Auswahlentscheidung – die Wahl des weiteren Untersuchungszeitpunktes neben dem Schulbeginn – ergab sich aus den besonderen Bedingungen dieser Schüler. Im Laufe der Interviews zeigte sich, dass der Übergang in die sog. Studienstufe von den Schülern als besonders relevant empfunden wird. Jenseits des bisherigen Klassenverbandes mussten sie sich hier erneut eine soziale Position aufbauen, was mit Schwierigkeiten verbunden war. Spezifische Reibungspunkte mit dem schulischen Kontext, die für sie die Teilhabe beeinflussen, wurden durch diese Schwierigkeiten besonders deutlich. Dadurch wurde es möglich die Bedingungen zu rekonstruieren, durch die ihre Beteiligung am Unterricht in Frage gestellt wird (vgl. Kapitel 8). Das erste Kapitel führt den theoretischen Rahmen sowie den bisherigen Forschungsstand zum Zweiten Bildungsweg näher aus. Die unterschiedlichen Aspekte des Bildungsgangs werden mit der Perspektive Bourdieus erschlossen und zentrale Begriffe der Theorie Bourdieus dabei erklärt. Das Kapitel macht zudem deutlich, wie die Theorie durch Rückbezug auf andere Ansätze 14
EINLEITUNG
im spezifischen Kontext angewandt und differenziert wird. Die in dieser Einführung schon kurz erläuterten Begriffe der sozialen Bezugnahme und der Statuspassage werden theoretisch ausgeführt. Nach einer kurzen Schilderung der Besonderheiten des Abendgymnasiums und des Forschungsstandes mündet das Kapitel in die Ausformulierung der in dieser Einführung skizzierten Forschungsfragen anhand eines Schaubildes. Das empirische Vorgehen ist der Schwerpunkt des zweiten Kapitels. Wichtig war mir, hier zunächst das Forschungsverständnis insbesondere im Hinblick auf das Wechselverhältnis zwischen Theorie und Empirie zu klären. Das konkrete Vorgehen wird anhand des Ablaufs, der Auswahlentscheidungen, der Datenerhebung und der Aspekte der Auswertung aufgezeigt. Ab dem dritten Kapitel entspricht der Aufbau dem spezifischen empirischen Vorgehen dieser Arbeit und ist somit erklärungsbedürftiger. Das dritte Kapitel stellt eine Art Vorauswertung der empirischen Daten dar. Ausgehend von der zentralen Frage, wie die Schüler auf die Schule Bezug nehmen, wird hier ein Einzelfall dargestellt und differenziert. Die rekonstruierten Ebenen der Bezugnahme – der Bildungsgang als Medium der Veränderung im bisherigen sozialen Umfeld sowie der Bildungsgang als Kontext sozialer Positionierung – werden anhand des Konzepts der Statuspassage zudem kurz theoretisch eingebettet. Die beiden nachfolgenden Kapitel leiten sich aus diesen beiden rekonstruierten Ebenen ab: Im vierten Kapitel wird der Bildungsgang anhand der empirischen Auswertung als Medium der Veränderung beschrieben; im fünften Kapitel steht der Bildungsgang als Kontext sozialer Positionierung im Zentrum. Nach der Rekonstruktion zentraler – über den Einzelfall hinausgehender – Aspekte anhand des Gesamtvergleiches münden beide Kapitel jeweils in eine weitergehende Analyse. Hier werden die Ergebnisse auf zwei der übergreifenden Themen der Arbeit hin ausgewertet: Welche Positionen und Ressourcen für die Teilhabe am Bildungsgang lassen sich anhand der Daten ausmachen? Welche spezifischen Charakteristika des Feldes – des Abendgymnasiums – lassen sich herausarbeiten? Diese übergreifende Frage nach dem Wechselverhältnis zwischen außerschulischen und innerschulischen Bedingungen auf Grundlage der Erkenntnisse der beiden Kapitel 4 und 5 wird im sechsten Kapitel analysiert. Weiter steht – in den nachfolgenden beiden Kapiteln – die Frage im Zentrum: Auf welche Bedingungen stoßen die Schüler an der Schule? Und insbesondere: In welcher Weise wandelt sich ihre Situation zwischen Schulbeginn und Studienstufe? Es wird zunächst eine Analyse des Feldes im Hinblick auf seine symbolischen und strukturierenden Aspekte vorgenommen (Kapitel 7). Dann stehen die veränderten Bedingungen der Teilhabe in der Studienstufe im Zentrum der Auswertung (Kapitel 8). Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Frage nach den die Teilhabe bedingenden Ressourcen. Da die notwendigen 15
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Ressourcen schon Schwerpunkt der Rekonstruktion selbst sind, stehen in der zusammenfassenden Analyse dieser beiden Kapitel die Charakteristika des Feldes Abendgymnasium im Zentrum. Im Resümee wird es zunächst um die Verknüpfung der zuvor rekonstruierten Besonderheiten des Bildungsgangs am Abendgymnasium anhand des Konzeptes der doppelten Statuspassage gehen. Weiter werden Analysekategorien für die Interdependenz zwischen außerschulischen und innerschulischen Faktoren entwickelt. Am Ende steht dann die Frage nach praktischen Schlussfolgerungen – sowohl für die Teilhabe am Abendgymnasium als auch für die Forschung.
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1. Perspektive und Forschungsstand
Wie in der Einleitung schon deutlich geworden ist, liegt dem Herangehen an die Frage, wie es im Bildungsgang zu Teilhabe kommt, eine bestimmte Perspektive zugrunde. Diese Herangehensweise ist einerseits für die empirische Auswertung zentral, andererseits prägt sie auch den Blick auf den Forschungsstand. Daher möchte ich als Erstes die Perspektive, die auf die Teilhabe am Bildungsgang eingenommen wird, näher erläutern. Ausgangspunkt ist hierbei die Theorie Pierre Bourdieus. Um dem Bildungsgang am Abendgymnasium gerecht zu werden, ergänze ich sie aber durch andere theoretische Ansätze, insbesondere durch das Moratoriumskonzept von Jürgen Zinnecker (2000) und den Imagebegriff von Erving Goffman (1986). Dabei behalte ich Bourdieus Unterscheidung zwischen Feld und Habitus noch bei (Abschnitt 1). Bourdieus Perspektive ist mit dem Blick auf Schule als Feld zunächst allerdings recht statisch. Da es sich beim Bildungsgang als solchen aber um einen Verlauf handelt, der in einen gesellschaftlichen Kontext eingebettet ist, gehe ich im zweiten Abschnitt der Frage nach, wie man der sozialen Bezugnahme im Bildungsgang theoretisch gerecht werden kann. Zusammen mit dem Forschungsstand (Abschnitt 3), den ich in diesem Kapitel ebenfalls kurz darstelle, bietet dies die Grundlage, die Forschungsfragen näher auszuführen (Abschnitt 4)1.
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Mit dieser Reihenfolge durchbricht diese Arbeit die gängige Abfolge, bei der in der Regel mit dem Forschungsstand begonnen wird. Ausgangspunkt für die gewählte Darstellungsform ist die Idee der Grounded Theorie, dass die gewählte Metatheorie auch den Blick auf den Forschungsstand beeinflusst (vgl. Kapitel 2). Für diejenigen, die dies stört, besteht die Möglichkeit zunächst den Abschnitt über das Abendgymnasium zu lesen (Abschnitt 3) und dann erst die Abschnitte 1 und 2 anzuschließen. 17
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
1 . 1 D i e P e r s p e k t i ve B o u r d i e u s Die Frage nach der Herstellung von und den Bedingungen für Teilhabe ist eine der Grundfragen von Bourdieus Werk. Das Hinterfragen des Wechselverhältnisses zwischen Individuum und Gesellschaft, Akteur und Feld nimmt dabei einen zentralen Stellenwert ein. Eine wesentliche Grundannahme Bourdieus besteht im relationalen Charakter des Sozialen (Bourdieu 1998, S. 15ff.). Soziale Phänomene sind demnach nicht isoliert zu betrachten, sondern erschließen sich erst in ihren jeweiligen Kontexten und Zusammenhängen: »Eine Wissenschaftsphilosophie, die man insofern relational nennen könnte, als dass sie vom Primat der Relationen ausgeht […], findet in der Sozialwissenschaft nur allzu selten Anwendung, wohl weil sie in sehr direktem Gegensatz zu den Routinen des gewöhnlichen […] Nachdenkens steht, das sich lieber an substantielle »Realitäten«, Individuen, Gruppen usw. hält als an objektive Relationen, die man nicht herzeigen und nicht anfassen, sondern durch wissenschaftliches Arbeiten erobern muss.« (Bourdieu 1998, S. 7)
Zentrale These ist, dass ein sozialer Gegenstand nicht unabhängig von seiner Einbindung existiert. Dies schließt eine Abgrenzung von einem dualistischen Denken, das zwischen Individuum und Gesellschaft unterscheidet, mit ein (vgl. Rieger-Ladich 2002, S. 298). Dieses Denken schafft nach Bourdieu eine künstliche Auftrennung der sozialen Welt, indem es den sozialen Gegenständen eine kontextunabhängige Realität zuschreibt, und dabei den Blick auf die Praxis ihrer Hervorbringung verstellt (Bourdieu 1992a, S. 139, Rieger-Ladich 2002, S. 286). Welche Alternative bietet Bourdieu hier an? Die Alternative liegt für ihn in einer Forschungshaltung, die soziale Phänomene wie Individuum und Gesellschaft in ihrer gegenseitigen Bedingtheit in den Blick nimmt und dadurch ein substanzielles Denken durchbricht. Wesentlich hierfür ist der Begriff der Praxis in der Theorie Bourdieus: Dieser stellt die Herstellung sozialer Phänomene und ihrer Bedeutung in den Vordergrund. Im Zentrum dieses u.a. unter dem Stichwort »Praxeologie«2 gefassten Forschungsansatzes steht eine Theorie des Handelns – Handeln verstanden als sinnlich-menschliche Tätigkeit oder Praxis (Bourdieu 1998, S. 7, Bourdieu 1992a, S. 31). Menschen werden dabei primär als Akteure in einem bestimmten Handlungsraum
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In Bourdieus Werk finden sich verschiedene Bezeichnungen für seine Theorie: beispielsweise Theorie der Praxis (Bourdieu 1993, S. 97), Philosophie des Handelns (Bourdieu 1998, S. 8), genetischer Strukturalismus (Bourdieu 1992a, S. 31), auch strukturalistischer Konstruktivismus bzw. konstruktivistischer Strukturalismus (Bourdieu, 1992a, S. 135) sowie ein »praxeologisches« Erkenntnismodell (vgl. Rieger-Ladich, S. 288).
PERSPEKTIVE UND FORSCHUNGSSTAND
betrachtet. Bezugspunkte ihrer Handlungen sind ihre Werthaltungen, Erfahrungen und Praktiken. Diese werden den Akteuren allerdings nicht als substanzielle Eigenschaften zugesprochen; Vielmehr sind sie eng verknüpft mit dem Handlungsraum und stehen für Bourdieu in einem Wechselverhältnis zur jeweiligen Möglichkeit der Beteiligung, die auf Grundlage der für diesen Handlungsraum relevanten Güter, über die eine Person verfügt, gegeben ist. Für die Teilhabe an Schule bedeutet das, dass die Art und Weise, wie Schüler Teilhabe herstellen, nicht unabhängig von den konkreten Bedingungen des Feldes besteht. Praxis setzt nach Bourdieu somit Beteiligung von Akteuren in einem spezifischen sozialen Handlungsraum3 voraus. Dies bringt er mit dem Begriff des »Interesses« auf den Punkt, das er folgendermaßen kennzeichnet: »dabeisein, teilnehmen, also annehmen, dass das Spiel das Spielen lohnt und dass die Einsätze, die aus dem Mitspielen und durch das Mitspielen entstehen, erstrebenswert sind. Es heißt, das Spiel anzuerkennen und die Einsätze anzuerkennen.« (Bourdieu 1998, S. 141)
In Anspielung auf den lateinischen Wortsinn von »inter-esse« als »dazwischen sein« betont er hier das Involviertsein der Akteure in der Praxis. Diese sind somit keine neutralen Beobachter der Praxis, sondern halten diese durch ihre Beteiligung aufrecht. Durch ihr Dabeisein wird das Spiel erst möglich und anerkannt. Praxis fasst im Sinne der Bourdieuschen Relationalität ein dynamisches Wechselspiel zwischen Akteuren und Feld (Bourdieu 1999, S. 97ff.). So definiert Boudieu Praxis auch als »Ort der Dialektik von opus operatum und modus operandi, von objektivierten und einverleibten Ergebnissen der historischen Praxis, von Strukturen und Habitusformen.« (Bourdieu 1993, S. 98) Wesentlich ist dabei zunächst, dass das Soziale immer als zugleich durch andere soziale Gegebenheiten bedingt wie für diese bedingend aufgefasst wird. Diese doppelte Bestimmung des Sozialen als strukturierte Struktur (oder opus operatum) wie strukturierende Struktur (oder modus operandi) ist allen wesentlichen Begriffen Bourdieus zu eigen, sei es sozialer Raum, Feld, Kapital oder Habitus (Bourdieu 1985, S. 10ff. u. S. 22, Bourdieu 1993, S. 107ff., Bourdieu 1997a, S. 49ff., Bourdieu 1999, S. 98). Man kann hierin eine Grundkonstante seiner Denkweise sehen. Die Art und Weise der Teilhabe an der Praxis entsteht dabei in einem dialektischen Verhältnis zwischen der Struktur des Handlungsraums, von Bour-
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»Raum« ist dabei nicht allein räumlich zu verstehen, sondern meint auch symbolischen Raum, also gemeinsam geteilte Bedeutungskontexte (vgl. Bourdieu 1993, Bourdieu 1985). 19
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dieu Feld genannt4, und dem Habitus der Akteure. Das jeweilige Feld und der Habitus der Akteure bestimmen sich dabei wechselseitig (Bourdieu 1993, S, 122, Bourdieu 1985, S. 69ff.). Ihr Verhältnis ist nicht statisch, sondern eingebunden in einen Prozess der Aushandlung, für den sowohl die Struktur dieses Feldes, als auch die Akteure mit ihrem jeweiligen Habitus bedeutsam sind. Für die Schule kann man hier beispielsweise festhalten, dass die Praxis in der Institution – und damit auch das Feld – einerseits durch die Akteure strukturiert ist, die diese Praxis durch ihr Handeln hervorbringen. Andererseits wirkt die Struktur des Feldes auch auf das Verhalten der Akteure zurück und setzt den Rahmen für deren Praxis. Der Bildungsgang ist unter dieser Perspektive zunächst eine Form sozialer Praxis – ein soziales Phänomen, das durch das Wechselverhältnis zwischen Feld und Akteuren hergestellt wird. Wesentlich für diese Praxis ist das »Beteiligtsein« der Akteure, das ein gemeinsames Interesse im Sinne eines geteilten Spieleinsatzes voraussetzt. Dies beinhaltet nicht unbedingt ein bewusstes Interesse im Sinne eines verfolgten Kalküls. Dem Handeln ist vielmehr eine »praktische Logik« zu eigen, die »selten völlig schlüssig und selten völlig zusammenhangslos« ist (Bourdieu 1999, S. 28f.). So meint Bourdieu auch: »Es ist nicht leicht über Praxis anders als negativ zu reden.« (Bourdieu 1999, S. 147)
Zum Verständnis des Praxisbegriffs ist somit wesentlich, dass Bourdieu sich von einem subjektivistischen wie von einem objektivistischen Standpunkt abgrenzt. Besonders die Abgrenzung zu einer subjektivistischen Sichtweise hebt er im Zusammenhang mit dem Praxisbegriff immer wieder hervor. Die Logik der Praxis entzieht sich seiner Ansicht nach einer rein rationalen Bestimmung. Hierfür ist die von ihm benutzte Metapher des Spiels kennzeichnend. Mit der Terminologie Bourdieus kommt der Eintritt in die Schule dem Eintritt in ein spezifisches Praxisfeld bzw. in einen bestimmten Handlungsraum gleich. Die Schüler treten in dieses Feld mit ihrem jeweiligen sozialen 4
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Der Strukturbegriff ist in seiner Verwendung bei Bourdieu m.E. etwas verwirrend. Einerseits wird der Begriff der Struktur dem Begriff des Habitus gegenüber gestellt. Dabei werden mit Struktur in Anlehnung an den Strukturalismus soziale Strukturen bezeichnet, während der Seite der Akteure mit Habitus ein eigener Begriff zugeordnet wird. Andererseits kann man Struktur auch übergreifender verstehen, wie das beispielsweise in der Begriffsverwendung von strukturierter Struktur und strukturierender Struktur der Fall ist. Unter diesem Blickwinkel ist dann auch dem Habitus Struktur zu eigen. Um hier Verwirrung zu vermeiden, werde ich im Folgenden Struktur nur in ihrer übergreifenden Bedeutung verwenden und im Folgenden entweder von der Dialektik zwischen Feld und Akteur oder der Struktur des Feldes und dem Habitus sprechen.
PERSPEKTIVE UND FORSCHUNGSSTAND
Gewordensein ein, was bestimmte Werthaltungen, Handlungsmuster, Körperhaltungen, Lebensstile etc. umfasst. Bourdieu nennt dies Habitus. Teilhabe wird dabei weder alleine durch die Schule bestimmt noch ist sie allein vom Habitus der Schüler abhängig. Das Verständnis dieser beiden Begriffe – Feld und Habitus – ist somit zentral, um herausarbeiten zu können, von welchen Aspekten die Teilhabe am Bildungsgang abhängig ist. Auf beide Begriffe, die ich an verschiedenen Stellen durch weitere theoretische Ansätze ergänzt habe, gehe ich daher in den beiden folgenden Abschnitten näher ein.
Schule als Praxisfeld Felder sind nach Bourdieu »Handlungsräume« (Bourdieu 1997a, S. 13), in denen spezielle Spielregeln herrschen und bestimmte Ressourcen zur Positionierung in diesem Feld beitragen. Sie sind durch bestimmte soziale Praxisformen bestimmt, die sich in ihnen herausbilden (Schwingel 1995, S. 77). Zentral ist dabei das »Spiel« um jeweilige gemeinsame Interessensobjekte – also eine spezifische Form der Praxis. Felder lassen sich demnach danach differenzieren, welche zentrale Ressource in ihnen jeweils auf dem Spiel steht und das gemeinsame Interessensobjekt bildet. Zur genaueren Bestimmung gesellschaftlicher Ressourcen hat Bourdieu diese anhand der Ausdifferenzierung in verschiedene »Kapitalien« näher spezifiziert. Das Feld Schule ist zentral an den Erwerb von kulturellem Kapital gekoppelt. Daher möchte ich die anderen von Bourdieu hervorbehobenen Kapitalien an dieser Stelle zunächst vernachlässigen und die unterschiedlichen Formen des kulturellen Kapitals näher erläutern. Bourdieu unterscheidet das kulturelle Kapital in »inkorporiertes«, »institutionalisiertes« und »objektiviertes« Kulturkapital (Bourdieu 1997, S. 53ff., Bourdieu 2001a, S. 112ff.). Das »inkorporierte« kulturelle Kapital definiert er als die Form, »die man auf französisch ›culture‹, auf deutsch ›Bildung‹, auf englisch ›cultivation‹ nennt« (Bourdieu 2001a, S. 113). Wesentlich ist hierbei die Aneignung von Bildungsinhalten durch Verinnerlichung bzw. Lernen. Diese Verinnerlichung kann bestimmtes kognitives Wissen beinhalten, aber auch Handlungswissen oder implizites Regelwissen. Das jeweilige Wissen ist dabei an den Körper der Person gebunden und bedarf zu seiner Aneignung Zeit. Zeit spielt als vermittelnde Ressource für das inkorporierte kulturelle Kapital somit eine entscheidende Rolle (Bourdieu 2001a, S. 113f., Bourdieu 1997, S. 55ff.). Die Schule verleiht Bildungstitel in Form von Schulabschlüssen, kulturelles Kapital wird hierdurch »institutionalisiert«, d.h. über eine Praxis der Institution in einer solchen Form legitimiert. Nach erfolgreich absolvierten Prüfungen hat die Person den Bildungstitel auch unabhängig vom entsprechenden inkorporierten kulturellen Kapital inne. Er wird gesellschaftlich insofern 21
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anerkannt, als er eine Zugangsvoraussetzung für bestimmte Berufswege darstellt (Bourdieu 2001a, S. 118ff., Bourdieu 1997, S. 61f.). Schule ist somit nicht nur auf den Erwerb von inkorporiertem Wissen, sondern auch auf den Erwerb von Bildungstiteln ausgelegt, die der Legitimierung durch die Institution bedürfen Diese Ausrichtung der Schule ist durch die Vergabe von Noten lange vor den eigentlichen Abschlussprüfungen Teil des Schulalltages. Das »objektivierte« kulturelle Kapital schließlich, das in Form von Büchern oder Kunstwerken erworben werden kann, ist z.B. in der Schulbibliothek oder als Unterrichtsinhalt in verschiedenen Fächern präsent. Für das Verständnis dieser Kapitalform ist es wesentlich, seine Beziehung zum inkorporierten kulturellen Kapital zu berücksichtigen. Ein Buch ist zwar, ähnlich wie Geld, unabhängig vom Körper übertragbar, sein Verständnis und seiner Aneignung stehen aber in engem Zusammenhang zu den vorhandenen Fähigkeiten und Wissensbeständen der Person – also zu ihrem inkorporierten kulturellen Kapital (Bourdieu 2001a, S. 117, Bourdieu 1997, S. 59ff.). Kulturelles Kapital stellt das gemeinsame Interessensobjekt in der Schule dar und spiegelt sich auch in der Praxis des Feldes, in die allerdings auch historische Prozesse der Aushandlung einfließen. Beteiligung am Bildungsgang ist somit zunächst davon abhängig, ob für eine Person kulturelles Kapital attraktiv ist. Das gemeinsame Interessensobjekt ist zudem gekoppelt an bestimmte Praxisformen, die sich in einer Grundausrichtung des Feldes widerspiegeln. Bourdieu spricht hier von einer gemeinsamen »illusio«, einem »grundlegenden Glauben an den Sinn des Spiels und den Wert dessen, was auf dem Spiel steht« (Bourdieu 2001b, S. 19). Dem Interessensobjekt – also im Fall von Schule dem kulturellen Kapital – wird im Feld somit auch Bedeutung zuerkannt und es ist mit einer bestimmten Haltung verknüpft. Bourdieu fasst diese Haltung für das Feld der Schule als Ausrichtung an der »scholé«, der Muße (Bourdieu 2001b, S. 23). Scholé kennzeichnet nicht nur den Aspekt der zur Verfügung stehenden Zeit, die, wie oben schon erwähnt wurde, die Voraussetzung für den Erwerb von inkorporiertem kulturellem Kapital bildet. Darüber hinaus wird damit ein bestimmtes Herangehen an Bildungsinhalte gekennzeichnet, dass Bourdieu als zentral für die Schule ansieht. Wesentlich ist hierfür das Sich-Einlassen auf den spielerischen Charakter des Erwerbs. In der Schule als Institution sieht Bourdieu dabei einen »Ort und ein[en] Zeitpunkt der sozialen Schwerelosigkeit, an dem die gewöhnlich geltende Alternative zwischen Spiel und Ernst außer Kraft gesetzt ist und man ernsthaft spielen kann« (Bourdieu, 2001b, S. 23).
Das Einlassen auf diesen »scholastischen Denkmodus« des »So-Tun-als-ob« ist gleichzeitig auch die Voraussetzung für den Schulerfolg (Bourdieu 2001b, S. 23f.). Es spiegelt sich in unterschiedlichen Einstellungen zu Bildung – sei 22
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es als Selbstzweck oder als Berufsausbildung (vgl. Bourdieu/Passeron 1971, S. 69ff.). Dieser Aspekt von Schule, ihre Kopplung an die Möglichkeit von Muße und der Haltung des »Als-ob«, hat sich im empirischen Teil der Arbeit als ein wesentlicher Aspekt der Schule herausgestellt, der insbesondere hilft, die Unterschiede zwischen einzelnen Akteuren am Abendgymnasium besser zu akzentuieren. Obwohl Bourdieu scholé als zentrale Ausrichtung der Schule benennt, bleibt diese bei ihm relativ wenig ausformuliert und wird kaum in eine historische Entwicklung eingebunden. Daher lohnt es sich, das Konzept des »pädagogischen Moratoriums« von Jürgen Zinnecker an dieser Stelle zur Erweiterung der Bourdieuschen Perspektive heranzuziehen. Moratorien sind für Zinnecker Zeiten der gesellschaftlichen »Entpflichtung« im Alltag oder im Lebenslauf. Man kann hier auch von Zeiten der Muße sprechen (vgl. Zinnecker 2000, S. 38). Schule als Institution ist dabei nach Zinnecker eng an die Vorstellung des Moratoriums gekoppelt (vgl. S. 47ff.). Sie ist daran gebunden, für bestimmte Zeiten im Lebenslauf von bestimmter Verantwortung ausgenommen zu sein. Die Freisetzung von gesellschaftlichen Aufgaben zielt darauf, Zeit und Energie für die Lerntätigkeit zur Verfügung zu stellen. Dies kann als familiäre und gesellschaftliche Strategie zur Reproduktion von kulturellem Kapital angesehen werden (Stecher 2003, S. 202).5 Zinnecker (2000) zeigt auf, dass die Verknüpfung von Schule und entpflichteter Zeit in eine historische Entwicklung eingebettet ist. Kennzeichnend ist dabei die Kontroverse zwischen dem rationalen Leistungs- und Laufbahnenmodell der Aufklärung einerseits und der romantischen Idee von Eigenrecht und Mußezeit (S. 41f.) andererseits. Im rationalen Leistungsmodell wird das Moratorium erst durch die Zukunft des Erwachsenseins legitimiert und seine Modellierung orientiert sich an der Frage der Optimierung. Dem steht eine Betonung eines eigenständigen Freiraums gegenüber, der weitgehend frei von Effizienzfragen ist (Zinnecker 2000, S. 41f.).6 Diese Auseinandersetzung um verschiedene Formen der Ausgestaltung des Morato-
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Die Kopplung von Schule an einen bestimmten Lebensabschnitt – bei Zinnecker ebenfalls ein zentraler Aspekt – wird anhand des Konzepts der Normalbiographie in dieser Arbeit noch aufgegriffen (vgl. Abschnitt 1.2). Das Konzept des Moratoriums ist auch für diesen Aspekt von Bildungsgängen anschlussfähig. Reinders und Wild (2003) stellen dem Begriff des Moratoriums den Begriff der Transition gegenüber. Mit Transition beschreiben sie dabei eine normative Zukunftsorientierung, mit Moratorium die Eigenzeit. In dem hier vorgestellten Begriff von Zinnecker handelt es sich um die beiden dargestellten diskursiven Aspekte des Moratoriums, die jeweils mit bestimmten zeitlichen Dimensionen verbunden sind. Diesem Ansatz wird hier der Vorzug gegeben, da er die komplexe zeitliche Struktur in einem Begriff beherbergt. Allerdings werden im Integrationsvorschlag von Reinders und Wild beide Dimensionen in ähnlicher Weise zusammengebracht (vgl. Reinders/Wild 2003, S. 28). 23
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riums ist bis heute aktuell (Zinnecker 2000, S. 54). Bezogen auf diese Zeit der Muße lassen sich also zwei unterschiedliche diskursive Richtungen ausmachen: Die eine ist gekennzeichnet durch eine spielerische Haltung, die der Schule einen Eigenwert zubilligt und die Bourdieu mit dem Begriff der scholé betont; dieser kann man mit Zinnecker eine zweite Haltung gegenüberstellen, die die zeitliche Entpflichtung mit einer rationalen Zukunftsorientierung verbindet.7 Beiden Orientierungen ist gemeinsam, dass sie die Schulzeit mit einer Entpflichtung von Verantwortung und der Notwendigkeit von Muße koppeln. Ein ähnlichen »Doppelcharakter« von Bildungseinrichtungen betont auch Weber, wobei er zwischen der Ausrichtung auf die Schulung zum »kultivierten« Menschen und der Schulung zum »Fachmenschen« unterscheidet. Beide Ausrichtungen betrachtet er als widerstreitend. Während es sich bei ersterer eher um die Vermittlung allgemeiner Werte handelt, die mit einem eher zweckfreien Lebensstil verbunden sind, stehen bei der zweiten Funktionalität und Fachwissen im Zentrum (vgl. Bremer 2006, S. 10f.). Eine wesentliche Ergänzung zu Bourdieu ist zudem das bei Zinnecker herausgearbeitete, mit der Entpflichtung einhergehende, Generationenverhältnis. Voraussetzung hierfür war nach Zinnecker die historische Herausbildung eines Erwachsenenstatus. Pädagogisch qualifizierte Erwachsene dienen im pädagogischen Moratorium als Grenzwächter und Vermittler zwischen dem Bereich der Kinder und dem der Erwachsenen. Kinder werden dabei als unmündig angesehen und bedürfen einer pädagogischen Hinführung an die Mündigkeit (Zinnecker 2000, S. 39), wobei der Lehrer zunächst in bestimmten Bereichen für sie Verantwortung übernimmt. Schule als Moratorium ist demnach auch an die Vorstellung gekoppelt, Kinder durch einen qualifizierten Erwachsenen an die Übernahme von Verantwortung heranzuführen. Die Grundausrichtung eines Feldes bestimmt aber nicht nur dessen Praxisformen und Interaktionsarrangements mit, sie ist nach Bourdieu auch mit spezifischen Ausblendungen verbunden. Für die Schule konstatiert Bourdieu, dass der Zusammenhang zwischen der Muße und dem mit ihr verbundenen Herangehen an Inhalte einerseits und den sonstigen Bedingungen der Existenz andererseits verdeckt ist. Dies liegt sowohl an einer engen Verknüpfung dieser Haltung mit dem Habitus, als auch an der Praxis, die mit dieser Grundhaltung einhergeht und die zu ihrer Reproduktion beiträgt (Bourdieu 2001b, S. 23). Es existiert für die Schule eine »Illusion der Chancengleichheit«, die Lernen und schulischen Erfolg allein mit individueller Leistung und Kompetenz in Verbindung setzt, deren Bedingungen aber ausblendet. So treten die habituellen und wissensbezogenen Unterschiede, welche die Schüler aufgrund der
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Eine ähnliche Polarisierung findet sich auch in der Gegenüberstellung von Allgemeinbildung und beruflicher bzw. spezieller Bildung (vgl. Abschnitt 1.3).
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differierenden Praxen ihrer Herkunftsmilieus mitbringen, in den Hintergrund (Bourdieu/Passeron, 1971). Auch die ökonomischen Voraussetzungen, denen der Schulbesuch unterliegt, werden kaum beachtet (vgl. Bourdieu 1997a, S. 48ff.). Die Verknüpfung des kulturellen Kapitals mit den normalen Existenzbedingungen – beispielsweise den ökonomischen Voraussetzungen, um entpflichtete Zeit zur Verfügung zu haben – wird insbesondere auch dadurch außer Acht gelassen, dass Bildung als quasi transzendent angesehen wird (Bourdieu 2001b, S. 23ff.). Die Illusion der (Chancen-)Gleichheit wird durch den scheinbar gemeinsamen Status aller Schüler weiter gefördert.8 Das heißt mit Bourdieu auch, dass in der Schule durch bestimmte, alltägliche Praxen Einheitlichkeit hergestellt wird.9 Wesentlich hierfür ist die »doxa«: In der Schule gibt es spezielle Spielregeln, die charakteristisch für dieses Feld sind. Die Kenntnis dieser Spielregeln ist die Voraussetzung, um sich am Spiel beteiligen zu können. Sie sind nicht beliebig, sondern Produkt der Geschichte dieses Feldes, die in den Spielregeln akkumuliert und teilweise auch institutionalisiert ist. So gibt es in der Schule eine Vielzahl von Regeln, die teilweise – wie zum Beispiel die Zeiteinteilung – explizit festgelegt, teilweise aber auch ungeschriebene Gesetze sind und sich beispielsweise im »heimlichen Lehrplan« der Schule widerspiegeln (vgl. Zinnecker 1975, Faulstich-Wieland 1987). Durch den Modus der Selbstverständlichkeit werden diese Beteiligungsregeln oft nicht bewusst wahrgenommen und als im Hintergrund wirkendes, quasi ›natürliches‹ Gesetz – eben als doxa – unhinterfragt übernommen (Bourdieu 1993, S. 107ff.). Diese unhinterfragten Regeln sind nicht losgelöst von der Ausrichtung des Feldes auf kulturelles Kapital, auf scholé und die damit verknüpfte Illusion der Chancengleichheit zu betrachten (vgl. Bourdieu/Passeron 1971, S. 92ff.). Wesentlich ist darüber hinaus auch, dass ein bestimmtes habituelles Verhalten erwartet und mit Leistung gleichgesetzt wird. Diese Spielregeln sind allerdings nicht statisch, sondern werden unter Beteiligung der Akteure immer wieder aktiv hergestellt.10 Die Praxis des Feldes ist somit an ein gemeinsames Interessensobjekt gekoppelt, das mit Bedeutung aufgeladen ist und eine historisch gewachsene 8
Bourdieu macht dies anhand des Studentenstatus deutlich, der den Eindruck vermittelt, während der Zeit in der Bildungseinrichtung Universität seien alle gleich (Bourdieu/Passeron 1971). 9 Durch die Betonung von Heterogenität und individualisiertem Lernen könnte hier ein Umschwung stattfinden. Es ist somit fraglich und untersuchenswert, inwieweit dies noch für Schulen gilt und an welchen Stellen evtl. Transformation stattgefunden hat. Für das konkrete Abendgymnasium wird die Lernhaltung von Seiten der Schule in Kapitel sechs rekonstruiert. 10 Eine interessante Fragestellung ist, inwieweit diese Ausrichtung des Feldes durch eine Individualisierung des Lernens verändert wird. Hierzu liegen aber m.E. bisher keine Untersuchungen vor. 25
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Grundausrichtung impliziert, die bestimmte Ausblendungen beinhaltet. Die Praxis beinhaltet Handlungen und Regeln, die den Alltag strukturieren und zumeist nicht weiter hinterfragt werden. Darüber hinaus ergeben sich durch die Praxis und die Art und Weise, wie sich die Akteure an dieser beteiligen können, auch bestimmte Positionen im Feld. Bourdieu spricht, in Anlehnung an Newtons Gravitationstheorie, auch von Feldern als »Kräftefeldern« (Bourdieu 1985, S. 10 u. S. 71ff.). Zentral sind dabei die benötigten Ressourcen – nach Bourdieu »Kapital« – die für das Feld eine Rolle spielen. »Kapital« kennzeichnet also nicht nur das gemeinsame Interessensobjekt, um das gespielt wird, sondern auch die Ressourcen, über die die Akteure im Feld verfügen. Diese Ressourcen sind unterschiedlich verteilt und bilden eine für das jeweilige Feld typische Verteilungsstruktur, über die die Beteiligung am Spiel und die »Gewinnchancen« geregelt werden. »Gleich Trümpfen in einem Kartenspiel« bestimmt das Kapital die (Profit-) Chancen in einem bestimmten Feld (Bourdieu 1985, S. 10). Man kann somit sagen, dass ein Akteur mit dem Eintritt per se an der Praxis eines Feldes beteiligt ist; durch die Kapitalien und deren Anerkennung wird aber bestimmt, inwieweit er an den Verteilungsprozessen teilhaben kann. Kapital wird bestimmt als: »Verfügungsmacht über das in der Vergangenheit erarbeitete Produkt (insbesondere die Produktionsmittel) wie zugleich die Mechanismen zur Produktion einer bestimmten Kategorie von Gütern.« (Bourdieu 1985, S. 10)
Anhand des Kapitals lassen sich somit die Chancen einer Person im gesellschaftlichen Austauschprozess näher eingrenzen. Diese sind abhängig von den in der Vergangenheit erworbenen Möglichkeiten über Ressourcen zu verfügen. Um die Gesamtheit der gesellschaftlichen Austauschprozesse, die für die soziale Position einer Person relevant sind, nicht allein auf die ökonomischen Voraussetzungen zu reduzieren, hat Bourdieu zwischen verschiedenen Kapitalsorten unterschieden. Das kulturelle Kapital, als zentraler Spieleinsatz des schulischen Feldes, wurde hier schon ausführlich beschrieben. Darüber hinaus benennt er zudem ökonomisches Kapital sowie soziales Kapital. Ökonomisches Kapital beschreibt die wirtschaftlich-finanziellen Ressourcen, die einer Person zur Verfügung stehen. Es handelt sich um die Ressource, die Bourdieu zusammen mit dem kulturellen Kapital als zentrale »Achse« gesellschaftlicher Machtverteilung beschreibt (vgl. Bourdieu 1982, S. 212f., Bourdieu 1998, S. 13ff., Vester 2001, S. 43ff.). Soziales Kapital fasst das Renommee durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, welches Bourdieu auch »soziale Kreditwürdigkeit« nennt. Die Kapitalien sind allerdings durch Transformationsprozesse, durch die eine Kapitalform in eine andere verwandelt werden kann, miteinander verbunden (vgl. Bourdieu 26
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1997a, S. 70ff.). Beispiele hierfür sind, dass das Bereitstellen von NachhilfeErwerb von inkorporiertem kulturellem Kapital – und der Zugang zu Büchern – zu objektiviertem kulturellem Kapital – an ökonomisches Kapital gekoppelt sind. Somit stellt ökonomisches Kapital für den Erwerb von kulturellem Kapital eine bedeutsame Größe dar. Die Position, die eine Person aufgrund ihrer ökonomischen, sozialen und kulturellen Ressourcen in einem Feld einnimmt, korrespondiert nach Bourdieu mit der Anerkennung, die einer Person im Feld zukommt – also ihren Chancen auf Teilhabe. Bourdieu verwendet hierfür den Begriff des »symbolischen« Kapitals, dem in seiner Theorie eine besondere Stellung zukommt: »Jede Art Kapital (ök., kult., soz.) tendiert (in unterschiedlichem Grad) dazu, als symbolisches Kapital zu fungieren (so dass man vielleicht genauer von den symbolischen Effekten des Kapitals sprechen sollte), wenn es explizite oder praktische Anerkennung erlangt: die Anerkennung als Habitus, dessen Strukturen den Strukturen des Raums entsprechen, in dem er sich hervorbrachte. Mit anderen Worten: Das symbolische Kapital […] ist nicht eine besondere Art Kapital, sondern das, was aus jeder Art von Kapital wird, das als Kapital, das heißt als (aktuelle oder potentielle) Kraft, Macht oder Fähigkeit zur Ausbeutung verkannt, also als legitim anerkannt wird.« (Bourdieu 2001b, S. 311)
Symbolisches Kapital spielt eine zentrale Rolle für die Praxis in einem Feld. Bourdieu nennt symbolisches Kapital auch »die soziale Bedeutung und die Lebensberechtigung« (Bourdieu 2001b, S. 309). Man kann also sagen, dass das »Überleben« in einem Feld vom symbolischen Kapital abhängig ist. Für die Anerkennung in einem bestimmten Feld – in diesem Fall in der Schule – ist es relevant, inwiefern die spezifischen Ressourcen und Haltungen des Akteurs mit der Ausrichtung und den Praktiken des Feldes ›zusammenpassen‹. Zentral ist dabei die Frage der »Legitimität« bestimmter Praktiken in einem Feld. Die Frage der Legitimität ist mit der jeweiligen Grundausrichtung des Feldes verbunden. Diese ist, wie schon bei den Spielregeln erwähnt, nicht statisch, sondern Produkt ständiger Auseinandersetzungen. So ist die Ausrichtung an der scholé zwar etwas, was Bourdieu für die Schule allgemein konstatiert, wie sich diese aber in der konkreten Praxis einer Schule zeigt, und inwieweit sie eine Rolle spielt, ist Teil der Aushandlungen dieser speziellen Schule. Aus Sicht der Akteure bedeutet Anerkennung immer auch die Anerkennung durch eine soziale Gruppe. Begibt man sich in ein Feld und akzeptiert den Spieleinsatz, dann wird dieses Feld in gewisser Weise ein Anerkennungskontext, der über das eigene soziale Gewicht entscheidet (vgl. Bourdieu 1990, S. 51). Aber wie kann man den Erwerb von Anerkennung im Feld genauer beschreiben? Bourdieu bleibt bei der Beschreibung dieser Dynamik recht allgemein. Es macht daher m.E. Sinn, die Bedingungen für den Erwerb von 27
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Anerkennung in einem Feld durch die Überlegungen Goffmans zum ImageBegriff zu ergänzen (vgl. Goffman 1986). Wie Bourdieu geht auch Goffman davon aus, dass Interagierende eine Verhaltensstrategie verfolgen, die ihnen nicht unbedingt reflexiv bewusst sein muss: »Unabhängig davon, ob jemand eine Verhaltensstrategie verfolgen will, wird ihm eines Tages bewusst werden, dass er in Wirklichkeit immer schon einer solchen folgt.« (Goffman 1986, S. 10) Bourdieu nennt dies Praxissinn. Dem liegt – wie schon dargestellt – die Annahme zugrunde, dass es für soziales Verhalten Regeln gibt, die subtil wahrgenommen werden – mit Bourdieu feldabhängige Regeln oder die doxa des Feldes – und an denen sich der Akteur, vor dem Hintergrund seiner habituellen Interpretation dessen, was er wahrnimmt, ausrichtet. Auch Goffman geht davon aus, dass es solche subtilen Verhaltensregeln gibt, die allgemein gewusst, aber nicht allgemein bewusst sind. Er differenziert diese allerdings nicht systematisch für unterschiedliche gesellschaftliche Ausgangslagen aus. Man kann sagen, dass Bourdieu und Goffman sich auf eine ähnliche Grundannahme, nämlich das Primat der Handlung beziehen, wobei Bourdieu darüber hinaus Strukturen, die gesamtgesellschaftliche Machtverteilungen betreffen, mitberücksichtigt. Mit dem Begriff »Image« greift Goffman für die westliche Kultur ethnologische Forschungsergebnisse über andere Kulturen auf, die Imagewahrung als wichtigen Aspekt sozialer Aushandlungen herausgearbeitet haben. Auch in den deutschen Redewendungen »sein Gesicht zu wahren« bzw. »zu verlieren« findet sich das wieder, was Goffman mit Image meint. Ausgangspunkt ist dabei, dass Interaktionspartner sich voneinander ein Bild machen. Dieses Bild, das sein Gegenüber von ihm hat, muss der Interagierende in seinem weiteren Verhalten berücksichtigen (Goffman 1986, S. 10f. u. S. 14). Goffman definiert Image als: »[…] de[n] positive[n] soziale[n] Wert, den man für sich durch eine Verhaltensstrategie erwirbt, von der die anderen annehmen, man verfolge sie in einer Interaktion [intentional]. Image ist ein in Termini sozial anerkannter Eigenschaften umschriebenes Selbstbild – ein Bild, das die anderen übernehmen können.« (Goffman 1986, S. 10)
Diese Definition lässt m.E. jedoch vieles außen vor, was Goffman später als für das Image wesentlich beschreibt. Aufgrund dieser Definition erschließt sich nicht, warum es wichtig für den Akteur ist, das Image, das sich andere von ihm machen, für sich zu berücksichtigen. Dies wird erst deutlich, wenn man eine spätere These Goffmans miteinbezieht: »Normalerweise ist die Aufrechterhaltung des Images eine Bedingung für Interaktion, nicht ihr Ziel.« (Goffman 1986, S. 17) 28
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Das bedeutet, ein Image zu haben – womit immer ein »positiver sozialer Wert« gemeint ist – ist Grundvoraussetzung dafür, überhaupt an Interaktion teilnehmen zu können bzw., wenn man es wechselseitig fasst, dafür, dass Interaktion zustande kommt und erhalten bleibt. Von daher möchte ich Image folgendermaßen definieren: Image fasst die soziale Kreditwürdigkeit11, die einem Akteur in einer Interaktion von den anderen Beteiligten gespiegelt wird. Diese soziale Kreditwürdigkeit ist Voraussetzung dafür, in einem Feld in einer Form an sozialer Interaktion teilnehmen zu können, die den Erwerb der darin vorhandenen Kapitalien erlaubt bzw. nicht streitig macht. Ein Image zu besitzen ist somit Voraussetzung und Gradmesser sozialer Zugehörigkeit bzw. Teilhabe.
In der Sprache Bourdieus kann man sagen, dass der so definierte Begriff des Images die Wirkungsmacht der doxa in einem bestimmten Feld über den Weg sozialer Rückmeldungsprozesse näher ausleuchtet und damit etwas beschreibbar(er) macht, was bei Bourdieu eher abstrakt gehalten ist. Image erfasst somit symbolisches Kapital, betont aber darüber hinaus den ›Gestaltcharakter‹ des symbolischen Kapitals – d.h. Image benennt die akkumulierte Form, in der symbolisches Kapital in Interaktionen zum Tragen kommt. Dabei betont der Termini neben der Gestaltwahrnehmung die Interaktionsrelevanz von symbolischem Kapital. Symbolisches Kapital ist nicht nur etwas, was in Interaktionen quasi »zugeteilt« wird, es ist auch etwas, was auf die Interaktion zurückwirkt, weil es gleichzeitig Bedingung für Kommunikation ist. Der Begriff Image fragt also nicht nur danach, wie symbolisches Kapital verteilt wird, sondern er fokussiert, auf welche Weise symbolisches Kapital als ›Bild‹ zwischen Interaktionspartnern verhandelt wird. Anerkennung wird demnach nicht anhand jeder Handlung neu zugeteilt, sondern ist Teil des Eindrucks, den das Gegenüber vom Interagierenden gewonnen hat. Ist dieser Eindruck, der sich zum Image der Person verfestigt hat, negativ, wird diese als nicht mehr kreditwürdig angesehen. So kann es vorkommen, dass jemand von der Möglichkeit, Anerkennung zu erlangen, ausgegrenzt wird. Die Person wird als unwürdig angesehen, am Interaktionsgeschehen teilzunehmen. Beide Aspekte, sowohl die ›Gestaltform‹ symbolischen Kapitals, als auch seine Bedeutung in der Interaktion sind m.E. für das Feld Schule relevant. Deshalb macht es Sinn, für das Feld Schule mit diesem in die bourdieu’sche Theorie eingepassten Begriff vom Image zu arbeiten. Die Regeln zur Wahrung des Images sind für Goffman dabei ein »Aspekt des Regelsystems jeder sozialen Gruppe« (Goffman 1986, S. 14). Unter ›Wahrung des Images‹ werden dabei Interaktionsstrategien gefasst, die dafür 11 Kreditwürdigkeit – bei Bourdieu Teil des symbolischen Kapitals – wird in dieser Definition durch die Verknüpfung mit dem Imagebegriff erweitert. 29
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
sorgen sollen, dass ein schon beschädigtes Image nicht weiter demontiert wird. Kern dieses Regelsystems sind Regeln zu »Selbstachtung und Rücksichtnahme« (Goffman 1986, S. 16): »In verschiedenen Gesellschaften wird auf ganz verschiedene Weise dadurch Selbstachtung gefordert, dass man sich bestimmter Handlungen enthalten muss, die einem entweder nicht zustehen oder unter der eigenen Würde sind, während man gezwungen ist, andere auszuführen, selbst wenn sie einem schwer ankommen.« (Goffman 1986, S. 14)
Fasst man dies nach Bourdieu feldspezifisch, ist die Imagewahrung zentral in die doxa des Feldes eingebunden. Sie ist dabei an eine illusio gekoppelt, die auch davon abhängig ist, was in einem Feld für den Kapitalerwerb an Verhalten noch erlaubt ist, ohne als ›unfairer‹ Spieler diskreditiert zu werden. Begreift man ein Feld mit Bourdieu darüber hinaus als per se machtstrukturiert, ist davon auszugehen, dass es nicht allein diese Verhaltensregeln sind, die die Imagewahrung im Feld ausmachen. Vielmehr ist das Image unter machtstruktureller Perspektive nicht nur an Fragen der Fairness gekoppelt, sondern auch an die Bedingungen des Kapitalerwerbs bzw. daran, in welcher Weise diese auf die Interaktionsdynamik einwirken. Teilhabe am Feld ist somit für die Akteure auch davon abhängig, in der jeweiligen Praxis dieses Feldes eine »Position« zu finden, was auch die Anerkennung dieser Position durch andere Akteure im Feld als akzeptables Image voraussetzt. Für das Feld Schule ist relevant, dass die teilhabenden sozialen Gruppen, sprich: Lehrer und Schüler, in einem Verhältnis zueinander stehen, das zum einen, wie schon erwähnt, in der Regel generational geprägt ist, und zum anderen die permanente Beurteilung der einen Gruppe durch die andere beinhaltet. Die Aushandlungen in einem Feld sind aber nicht für alle gleich, sie sind in ihrer Bedeutung durch den Habitus differenziert.
Habitus und Soziale Bezugnahme Ausdruck der relationalen und auf die Praxis ausgerichteten Verfasstheit der sozialen Akteure ist der Habitus, der Wertungen, Handlungen, Empfindungen etc. einer Person nicht allein als subjektiv, sondern als Produkt eines soziokulturellen Handlungsgefüges begreift (Bourdieu 1998, S. 17 u. S. 21). Darüber hinaus umfasst der Habitus sowohl Bewertungs-, Denk- und Handlungsschemata als auch Gewohnheiten, Körperhaltung, Intuitionen etc. (Bourdieu 1999, S. 98ff., Bourdieu 1997b, S. 228) – im Prinzip also all das, womit ein Mensch auf die soziale Welt Bezug nimmt und gleichzeitig auf sie bezogen ist. Ausgangspunkt der Überlegung ist, dass die Erfahrungen des Aufwachsens in verschiedenen soziokulturellen Milieus unterschiedliche Werthaltun30
PERSPEKTIVE UND FORSCHUNGSSTAND
gen und Gewohnheiten hervorbringen. Die Milieus sind demnach mit spezifischen Handlungsmöglichkeiten oder Praxisformen verbunden und an die Alltagspraxis der Menschen geknüpft (vgl. Bremer 2006, S. 18f.). Dabei bedingen beispielsweise die ökonomischen Verhältnisse einer Familie deren Freizeitverhalten mit. Diese realen Handlungsmöglichkeiten korrespondieren nach Bourdieu mit der symbolischen Ebene – sprich: mit den Werthaltungen in einem Milieu (vgl. Bourdieu 1982, S. 277ff.): »Andererseits hindert das selbstverständliche Dasein des isolierten, von anderen unterschiedenen Körpers daran, die Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, dass dieser Körper […] als realer Akteur, das heißt als Habitus mit seiner eigenen Geschichte und den von ihm verkörperten Eigenschaften ein, Hegel sagt, Prinzip der Vergesellschaftung darstellt: Da er die (biologische) Eigenschaft hat, der Welt gegenüber offen, also ihr ausgesetzt zu sein und somit von ihr formbar, durch die materiellen und kulturellen Lebensbedingungen, in die er von Anfang an gestellt ist, modellierbar, unterliegt er einem Sozialisationsprozess, aus dem die Individuation erst hervorgeht, wobei die Singularität »Ich« sich in gesellschaftlichen Beziehungen und durch sie herausbildet.« (Bourdieu 2001b, S. 172)
Das heißt, der Habitus steht mit einem bestimmten Lebensstil in Zusammenhang und ist Produkt der Verinnerlichung einer äußeren Praxis (Bourdieu 1982, S. 278ff.). So bezeichnet Bourdieu den Habitus auch »als inkorporiertes, folglich individualisiertes Soziales« (Bourdieu 1992a, S. 43, vgl. Bourdieu 2001b, S. 177ff.). Der Habitus ist aber auch handlungsleitend und generiert soziale Praxis (Bourdieu 2001b, S. 177; Lange-Vester 2000, S. 13). Die schon beschriebene doppelte Fassung des Sozialen als strukturierte Struktur und strukturierende Struktur trifft somit auch für den Habitus zu. Der Habitus ist nicht nur Ergebnis eines bestimmten Lebensstils, sondern erzeugt diesen ebenfalls (vgl. Bourdieu 1982, S. 280). So sind auch Praktiken, das Handeln im Alltag, die Art der Wohnungseinrichtung, der Kleidungsstil, was und wie man isst etc., Bestandteil des Habitus. Bourdieu hat den Habitus in diesem Zusammenhang als System von Grenzen charakterisiert. Er determiniert Handeln nicht, legt aber die Grenzen fest, innerhalb derer das Handeln der Akteure liegt (Bourdieu 1997, S. 33). Wesentlich sind dabei die »Grenzen der eigenen Hervorbringung« (Bourdieu 1999, S. 103). Die handlungsgenerierende Funktion des Habitus drückt Bourdieu in der Metapher vom »Sinn für das Spiel«12 bzw. mit dem Begriff vom »Praxissinn« aus. Die Akteure haben Wissen darüber, wie das Spiel – also die Praxis – in ihrem Milieu bzw. in dem Feld, auf das sie
12 Bourdieu grenzt sich dabei von der Spieltheorie ab (vgl. bspw. Bourdieu 1999, S. 148). 31
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
bezogen sind, abzulaufen hat. Er umfasst somit implizites Regelwissen über die Spielregeln des Herkunftsmilieus. Das soziale Milieu bildet – quasi als Herkunftsfeld – die Grundpositionierung im sozialen Raum. Als Ort der primären Sozialisation wird hier der Habitus zunächst entwickelt. Diese Sozialisation differenziert sich nach verschiedenen gesellschaftlichen Hintergründen. Der Sozialisationsprozess, die biographische Einpassung in gesellschaftliche Strukturen, ist nicht gesamtgesellschaftlich gleich, sondern geprägt durch die verschiedenen ›Kulturen der Herkunftsmilieus‹. Der Habitus ist somit auch Ausdruck einer kollektiven Lebenshaltung. Die Lebenshaltungen der Milieus korrespondieren dabei mit den Ressourcen, über die sie verfügen, und sind als Position im »sozialen Raum« beschreibbar. Der soziale Raum ist nach Bourdieu eine Art gesellschaftliches Gesamtfeld, wobei die Positionen darin zentral durch die Verfügungsmöglichkeit über kulturelles und ökonomisches Kapital bestimmt werden. Die Mechanismen der Positionierung wurden für Felder auch unter Rückgriff auf den Imagebegriff schon beschrieben. Die Positionen im sozialen Raum zeigen somit eine bestimmte Ressourcenkonstellation an, sind aber auch mit bestimmten kollektiven Werthaltungen und Praktiken einer als Milieu gekennzeichneten soziokulturellen Gruppe verbunden. Der Habitus ist also auch Ausdruck einer gesellschaftlichen Position. Dabei beinhaltet der Habitus auch ein implizites Wissen über die eigene Position im Feld bzw. im sozialen Raum. Bourdieu spricht im Rückgriff auf Goffman von »sense of one’s place«, der für ihn auch einen »sense of other’s place« beinhaltet (Bourdieu 1992a, S. 144). Die Akteure verfügen in den Feldern, in denen sie sich bewegen, über unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten, die mit den ihnen jeweils zur Verfügung stehenden Kapitalien korrespondieren. Aus der Art und Summe der Ressourcen, sowie aus deren Verhältnis zu den spezifischen Bedingungen des Feldes, ergibt sich die jeweilige Position der Akteure. Den Akteuren ist nach Bourdieu ein Gefühl für diese Position sowie die Differenzen in einem Handlungsraum zu eigen. Der Habitus ist somit durch unterschiedliche Positionen geprägt und generiert auch Unterschiede. Je nach Standpunkt äußert sich dies u.a. in Distinktionen (Bourdieu 1985, S. 21). Der Habitus beinhaltet somit stets auch eine Positionsbestimmung in einem konkreten Handlungskontext, die von der jeweiligen gesellschaftlichen bzw. milieuspezifischen Perspektive beeinflusst ist (Bourdieu 1982, S. 277). Bourdieu führt dazu aus: »Diese möglicherweise ziemlich abstrakt und dunkel klingende Formulierung enthält die erste Bedingung für eine adäquate Interpretation der Analyse des Verhältnisses zwischen der sozialen Position, den Dispositionen (oder dem Habitus) und 32
PERSPEKTIVE UND FORSCHUNGSSTAND
der Position, die jemand bezieht, der ›Wahl‹, die die sozialen Akteure in den unterschiedlichen Praxisbereichen treffen, beim Essen oder beim Sport, bei der Musik oder in der Politik. […] Allgemeiner: Vermittelt über den Raum der Dispositionen (oder Habitus) der Akteure, wird der Raum der sozialen Positionen in einen Raum der von ihnen bezogenen Positionen rückübersetzt.« (Bourdieu 1998, S. 17 u. S. 20; Hervor. i. Org.)
Durch den Habitus findet also eine Positionierung im sozialen Raum statt, die die Möglichkeiten der Teilhabe der jeweiligen Person mitbestimmt. Unter dem Blickwinkel der Herstellung von Teilhabe und der damit einhergehenden Positionierung begreife ich den Habitus als Form der sozialen Bezugnahme auf Menschen, Dinge, Institutionen, Geschehnisse usw. durch Sprechen und Handeln in den tatsächlichen lebensweltlichen Zusammenhängen. Auch die Bedeutung von Schule für einen Akteur ist aus dieser Perspektive Teil der Werthaltung in einem sozialen Umfeld und der Zugehörigkeit zu diesem. Die Schlüssigkeit des eigenen Handelns wird dabei in einen Begründungskontext gestellt, der gleichzeitig die eigene soziale Bezogenheit spiegelt. Als Mensch, der Teil einer sozialen Lebenswelt ist, nehme ich auf diese zur Erklärung meines Handelns Bezug und stelle so für mich und andere Bedeutung her. Soziale Bezugnahme wird damit als Kategorie eingeführt, die Herstellung von Teilhabe anhand der Art und Weise, wie zu einem bestimmten sozialen Kontext Bezug hergestellt wird, empirisch analysierbar macht – sei es über Handlungsweisen oder sprachliche Verweise. Herstellung von Teilhabe und die damit verknüpfte Bedeutungsaushandlung wird dabei als Teil der relationalen Bezogenheit innerhalb der Felder beschreibbar. Jeder Standpunkt ist ein relationaler und aufgrund seiner jeweiligen Perspektive setzt man sich in einer bestimmten Weise in Beziehung zu seinem Umfeld, zur Gesellschaft und auch zu sich selbst. Unter dieser Perspektive können auch Zukunftspläne als Akt der sozialen Bezugnahme verstanden werden. Somit wird anhand der Frage nach der sozialen Bezugnahme auch der Bedeutungsrahmen analysiert, innerhalb dessen sich die Akteure dem Abendgymnasium annähern. Dieser Bedeutungsrahmen wird anhand der Bedeutung des Abendgymnasiums innerhalb der Kontexte der Akteure, die für diese als zentraler sozialer Bezugsrahmen dienen, rekonstruiert. Mit der Frage nach der sozialen Bezugnahme auf das Abendgymnasium ist es somit möglich, den unterschiedlichen Ebenen der sozialen Bedeutung des Abendgymnasiums nachzugehen. Mit dem hier verwendeten Begriff der sozialen Bedeutung wird auf Bourdieus Konzept des »Praxissinn« Bezug genommen, das in der deutschen Übersetzung auch als »sozialer Sinn« bezeichnet wird (Bourdieu 1999). Der Frage nach der Bedeutung des Abendgymnasiums für die Akteure wird somit durch die Analyse der Bedeutung des Abendgymnasiums in ihren zentralen Aushandlungskontexten nachgegangen – in dieser Arbeit werde ich 33
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
auch von Anerkennungskontexten sprechen (vgl. auch Kapitel 3). Im Rückgriff auf Bourdieu ist die soziale Bedeutung, die Handeln im jeweiligen Bezugskontext einer Person zukommt, dabei eng mit ihrem Habitus verbunden und gibt auch Auskunft über die Position, die ein Akteur im Feld einnimmt (Bourdieu 1999). Die Fokussierung auf soziale Bezugnahme erscheint mir darüber hinaus im Gegensatz zu einem allgemeinen Habitusbegriff leichter empirisch zugänglich und in konkrete Forschungsfragen übersetzbar zu sein. Die Bedeutung des Bildungsgangs für die Akteure kann vor diesem Hintergrund als Form der sozialen Bezugnahme in der konkreten Praxis eines Feldes verstanden werden. Die Akteure sind an dieser Praxis beteiligt, bringen aber auch einen bestimmten »Praxissinn«, eine bestimmte soziale Position und eine spezifische Beziehung zu dem mit, was in der Praxis auf dem Spiel steht. Dabei kann man davon ausgehen, dass die Art und Weise der sozialen Bezugnahme durch die verschiedenen Akteure im Feld mit habituell geprägten Vorstellungen verbunden ist, welches Image im Feld angemessen ist. Das heißt, es gibt im Feld Schule zwar ein gemeinsames Interessensobjekt, um das gespielt wird, was dabei aber für jeden Akteur auf dem Spiel steht, ist abhängig von seiner jeweiligen Position. Als Beispiel kann man hier die Empfehlung für die weiterführende Schule nach der Grundschulzeit nennen: Je nach sozialer Herkunft hat sie für die Schüler unterschiedliche Bedeutung. Ist den Eltern ein hoher Bildungsabschluss sehr wichtig, werden sie versuchen ihre Kinder unabhängig von der Empfehlung der Lehrer auf eine höhere Schule zu bringen; andere Eltern hingegen nehmen die Empfehlung der Lehrer ohne Weiteres hin, sie allein ist damit ausschlaggebend für den weiteren schulischen Werdegang des Kindes. Was für die Schüler (und Eltern) jeweils auf dem Spiel steht, hängt auch von ihrer sozialen Position außerhalb der Schule ab. Die soziokulturellen Kontexte unterscheiden sich in ihrer jeweiligen Haltung zu Bildung, also hinsichtlich des Wertes oder der Bedeutung, die dem kulturellen Kapital für das eigene Leben zugesprochen wird. Diese Werthaltungen sind Teil des Habitus und somit auch Teil der sozialen Bezugnahme beim Eintritt in das Feld. Nach der These Bourdieus gehen sie mit bestimmten Praktiken einher und sind von diesen nicht loszulösen. Es ist anzunehmen, dass auch der Umgang mit Lehrern und Mitschülern, die Formen der Bezugnahme auf die Unterrichtsinhalte, aber auch die Art und Weise, wie z.B. Hausaufgaben gemacht werden, durch die Verortung im jeweiligen sozialen Milieu mitbestimmt sind. Durch diese Haltungen und Praktiken wird auch versucht, im Feld ein Image aufzubauen, das Anerkennung findet. Man kann diesbezüglich von unterschiedlichen Praktiken der »Imagepflege« sprechen (vgl. a. Goffman 1986, S. 21ff.).
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PERSPEKTIVE UND FORSCHUNGSSTAND
Wesentlich dabei ist, dass die Haltung zu Bildung und die damit verbundenen Praktiken erst in ihrer ›Passung‹ zum Feld der Bildung relevant werden bzw. als ›bildungsnah‹ oder ›-fern‹ zu bestimmen sind. Hier ist die schon erwähnte Frage der Legitimität bedeutsam. In das Feld bringt man einen in einem bestimmten sozialen Kontext erworbenen Habitus, eine spezifische Art und Weise sozialer Bezugnahme mit. Dieser bzw. diese ist der bisherigen Umgebung angepasst, d.h., es muss sich zeigen, ob sich die altvertrauten Praktiken im neuen Zusammenhang bewähren oder ob sie sich als ›unangemessen‹ erweisen. Dem Habitus immanent ist zwar die Intention, »vernünftige Verhaltensweisen des Alltagsverstandes zu erzeugen, die Aussicht auf Belohnung haben« (Bourdieu 1999, S. 104, vgl. a. Bourdieu 1982, Bourdieu 1998, S. 35, Brake et al. 2003, Krais 2002). Jedoch ist dieser Praxissinn auf den bisherigen sozialen Kontext ausgerichtet und muss für den neuen nicht passen. Bourdieu (1992) spricht hier auch von der »Komplizenschaft« von Feld und Habitus und führt dazu aus: »Das ist darauf zurückzuführen, dass der Habitus, …, wirksam und operabel wird, wenn er auf die Bedingungen seiner Wirksamkeit trifft, das heißt auf Bedingungen, die jenen identisch und analog sind, aus denen er selbst hervorgegangen ist. [….] Die vom Habitus in dieser Art umgekehrter Vorwegnahme der Zukunft bewirkte Gegenwart der Vergangenheit ist nie besser erkennbar, als wenn der Sinn der wahrscheinlichen Zukunft plötzlich Lügen gestraft wird und Dispositionen, die aufgrund eines Effekts der Hysteresis[…] schlecht an die objektiven Möglichkeiten angepasst sind, bestraft werden, weil das Milieu, auf das sie real treffen, zu weit von dem entfernt ist, zu dem sie objektiv passen.« (Bourdieu 1992, S. 115f.)
Für die Stellung im (neuen) Feld der (Abend-)Schule ist also die ›Passgenauigkeit‹ des und damit die vorher bereits bestehende ›Nähe‹ zum kulturellen Kapital entscheidend. Verhaltensweisen, die für bestimmte andere Felder strukturell passend sind, können in dem auf Bildung bezogenen Teil des sozialen Raums als ›falsches‹ oder ›seltsames‹ Verhalten wahrgenommen werden. Anerkannt wird eben nur, was als legitim im jeweiligen Feld gilt. Es werden zwar von allen Schülern Praktiken der Imagepflege angewandt, ob diese im Feld als passend akzeptiert werden und damit der Person ein Image zuerkannt wird, ist bis zu einem gewissen Grad Teil der schulischen Aushandlungsprozesse. Dem Habitus ist in der Anpassung an ein (neues) Feld ein gewisser Trägheitseffekt zu eigen. Gleichwohl ist der Habitus veränderbar. Das »Modell der quasi-zirkulären Verhältnisse quasi-vollkommener Reproduktion« ist nur ein »Sonderfall des Möglichen«:
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BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
»[der] nur dann uneingeschränkt gilt, wenn der Habitus unter Bedingungen zur Anwendung kommt, die identisch oder homothetisch mit denen seiner Erzeugung sind.« (Bourdieu 1999, S. 117)
Unterscheiden sich das aktuelle Feld und das Feld, das den Habitus hervorgebracht hat, grundlegend, kann es zur Veränderung kommen. Allerdings vollzieht sich diese Veränderung nicht beliebig, sondern innerhalb der »Praktiken des Habitus« (Bourdieu 1999, S. 117). Für Veränderungen sind somit Brüche in den äußeren Bedingungen entscheidend, gleichzeitig aber auch die im Herkunftsmilieu erlernten Grundmuster.13 Den Habitus als statisch und unflexibel zu betrachten wäre also genauso falsch, wie ihn als beliebig veränderbar anzusehen. Die Flexibilität des Habitus wurde eindrucksvoll durch Untersuchungen zu sozialen Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel aufgezeigt (Lange-Vester 2000; Vester et al. 2001, S. 311ff.). Anhand biographischer Interviews wurde sichtbar, wie im Generationenwechsel Anpassungen an neue Lebensbedingungen gesucht werden, die aber gleichzeitig auch mit den in der Kindheit vermittelten Werthaltungen verbunden bleiben. Um dies zu versinnbildlichen, wurde der Begriff der »Habitusmetarmorphose« (ebd.) gewählt, der die Veränderbarkeit des Habitus bei gleichzeitiger Persistenz bestimmter Wertorientierungen deutlich macht. Wie dies zu erklären ist, machen auch Untersuchungen zum Transfer von kulturellem Kapital über mehrere Generationen deutlich. Für verschiedene Milieus konnten dabei auch unterschiedliche Transmissionsformen sowie Strategien des Wissenserwerbs aufgezeigt werden (vgl. Brake et al. 2003, Büchner 2002; Büchner/Wahl 2005). Für das Abendgymnasium ist zusätzlich ein bedeutsamer Unterschied zum ersten Bildungsweg zu beachten: Anders als im Falle der Regelschule, die aufgrund der Schulpflicht im Prinzip nicht umgangen werden kann und deren Besuch keiner persönlichen Entscheidung bedarf, ist der Schritt ans Abendgymnasium immer die Folge einer persönlichen Initiative. Dem Schritt ans Abendgymnasium geht somit auf jeden Fall ein Entscheidungsprozess voraus. Mit der Theorie Bourdieus ist anzunehmen, dass dieser in das bisherige Lebensumfeld eingebettet ist, das als Ausgangsort der (bisherigen) sozialen 13 Diese Fassung des Habitus wird meines Erachtens plausibel, wenn man sie mit dem von Piaget für kognitive Strukturen herausgearbeiteten Prinzip der Assimilation und Akkommodation vergleicht: Die im Austausch mit der Umgebung entwickelten Strukturen haben den Hang zur Stabilität. Alle neuen Eindrücke werden – zumindest solange dies möglich ist – assimiliert, dass heißt in die vorhandenen Strukturen eingepasst. Dabei sind Assimilationsschemata reproduktiv, generalisierend und rekognitiv, d.h. sie werden wiederholt, auf andere Situationen angewandt und auch bei »Dissonanzen« zunächst erst einmal differenziert bevor sie geändert werden. Zur Akkommodation kommt es erst dann, wenn die Assimilation misslingt (Trautner 1991, S. 162ff.) 36
PERSPEKTIVE UND FORSCHUNGSSTAND
Bezugnahme bestimmte Werthaltungen und einen bestimmten Lebensstil prägte und prägt. Der Schritt in die Schule hinein ist Teil der bisherigen sozialen Bezugnahme und geht dadurch, dass er mit bestimmten Erwartungen und Hoffnungen verknüpft ist, zugleich über sie hinaus. Die Perspektive Bourdieus macht es möglich, die Schule als Feld und die Herstellung von Teilhabe als Teil habitueller Bezugnahme in konkreten Kontexten zu begreifen. Ziel der Arbeit ist es aber, die Bedeutungen für und die Herstellung von Teilhabe am Bildungsgang Abendgymnasium für die Akteure herauszuarbeiten und dadurch verschiedene Ebenen der sozialen Bedeutung des Abendgymnasiums sichtbar zu machen. Ist der Bildungsgang gleichbedeutend mit Feld oder gibt es zusätzliche Aspekte, die es zu beachten gilt? Dieser Frage gehe ich im nächsten Abschnitt nach.
1.2 Statuspassagen im Bildungsgang Bildungsgang ist ein facettenreicher Begriff, der in verschiedenen Zusammenhängen benutzt wird. Je nach Perspektive stehen dabei andere Aspekte im Vordergrund. So wird Bildungsgang im institutionellen Kontext einer Universität oder auch der beruflichen Ausbildung formal verwendet. Er umreißt dabei ein institutionelles Bildungsangebot in einer zeitlichen Abfolge, an dessen Ende ein spezifischer Abschluss steht (vgl. Schenk 1998, S. 261ff.; Trautmann 2004; S. 7ff., Terhart 2005, S. 11). Anders stellt sich der Bildungsgang hingegen aus Sicht der Biographieforschung dar. Ausgangspunkt ist dabei die Definition von Bildung als Lernprozess höherer Ordnung, bei dem das Wechselverhältnis zwischen Ich und Welt im Zentrum steht. Bildungsgang als biographischer Bildungsweg einer Person stellt dabei die Frage nach der Entwicklung und der Veränderung zentraler Grundannahmen einer Person (vgl. Koller 2005; vgl. a. Häder 2004, S. 7ff.; Neuß 2004). Bei dem Versuch der Entwicklung einer Bildungsgangdidaktik wird vor diesem Hintergrund zwischen »objektivem« und »subjektivem« Bildungsgang unterschieden (vgl. Trautmann 2004, S. 7ff.; Schenk 1998, S. 261ff.)14. Es ließen sich noch weitere Beispiele für die unterschiedliche Verwendung des Begriffs Bildungsgang finden. Aber schon die angeführten machen deutlich, dass die Spannweite des Begriffs, die von einer rein formalen Definition eines institutionellen Angebotes auf der einen Seite zu einer sehr subjektiven Fassung, die die gesamte Lebensspanne einer Person umreißt, auf der 14 Ziel ist dabei die Anliegen des »subjektiven« Bildungsgangs einer Person mehr in den »objektiven« Bildungsgang, der durch Institutionen vorgegeben wird zu integrieren (vgl. Hericks/Spörlein 2001, S. 33ff., Trautmann 2004; vgl. auch zu Schwierigkeiten dieses Ansatzes: Faulstich-Wieland 2001, Gogolin 2001, S. 10ff., Zinnecker 2000, S. 38, Lechte/Trautmann 2004, Kossen 2004, Tosana 2004). 37
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
anderen Seite reicht, sehr groß ist. Zentral für die Kennzeichnung der unterschiedlichen Begriffsdefinitionen ist dabei einerseits die mit dem Begriff Bildungsgang umrissene Zeitspanne, andererseits das Verhältnis zwischen einer formalen versus subjektiven Fassung. Ausgehend von der Perspektive Bourdieus, die bei den konkreten Handlungskontexten ansetzt, und der in dieser Arbeit fokussierten Frage der Teilhabe ist für den Bildungsgang die Eingrenzung auf einen konkreten Handlungsraum sinnvoll. Aus dieser Sichtweise ist der Bildungsgang, der im Zentrum des Forschungsinteresses dieser Arbeit steht, gekoppelt an die Zeitspanne in der Schule und die damit für die jeweiligen Akteure verbundenen Aushandlungen. Es geht somit um den Bildungsgang in einer konkreten Institution – in diesem Fall das Abendgymnasium – und die Ebenen der sozialen Bedeutung, die mit ihm für die Akteure verbunden sind. Wie schon eingangs in diesem Kapitel dargestellt, ist dabei eine Unterteilung in »objektiv« und »subjektiv« nicht treffend. Nach Bourdieu stehen die Struktur des Feldes und die Struktur der Herangehensweisen der Akteure in einem engen Zusammenhang. Die Bedingungen der Teilhabe ergeben sich aus dem Wechselverhältnis zwischen institutionellen Vorgaben und den konkreten Aushandlungen der Akteure – und sollen in dieser Arbeit daher auch beide betrachtet werden. Dabei wirft das Konzept des Bildungsgangs aber auch Fragen auf, die allein über die Darstellung von Feld und Akteur bisher nicht bedacht wurden: Zentral für den Begriff Bildungsgang ist, dass er einen Verlauf in den Blick nimmt. Der schulische Bildungsgang umfasst nicht nur den Eintritt in die Schule, sondern die gesamte Passage in der Schule bis zum Austritt. Wie lässt sich dies nun empirisch umsetzen? Hier möchte ich auf einen Vorschlag zurückgreifen, den Bourdieu für die Erfassung von Lebensläufen gemacht hat: »Der Versuch, ein Leben als eine einmalige und sich selbst genügende Abfolge von Ereignissen zu verstehen, deren einziger Zusammenhang in der Verbindung mit einem »Subjekt« besteht, […] ist ungefähr so absurd wie der Versuch, eine Fahrt mit der U-Bahn zu erklären, ohne die Struktur des Netzes zu berücksichtigen, das heißt die Matrix der objektiven Relationen zwischen den Stationen. Die sozialen Ereignisse sind als ebenso viele Platzierungen und Platzwechsel im sozialen Raum zu definieren, das heißt, genauer, in der verschiedenen Abfolge der verschiedenen Zustände der Distributionsstruktur der verschiedenen Kapitalsorten, die in dem betreffenden Feld im Spiel sind. Die Richtungen der Bewegungen, die von einer Position zur anderen führen[…], bestimmen sich ganz offensichtlich aus der objektiven Relation zwischen der Richtung dieser Positionen zum betreffenden Zeitpunkt innerhalb eines gerichteten Raums. Mithin kann man einen Verlauf (das heißt das soziale Altern, das, obwohl mit dem biologischen Alter unvermeidlich einhergehend, doch unabhängig von ihm ist) nur dann verstehen, wenn man zuvor die Abfolge der Zustände des Feldes konstruiert hat, in dem er sich vollzogen hat […].« (Bourdieu 1998, S. 82ff.) 38
PERSPEKTIVE UND FORSCHUNGSSTAND
Der Lebenslauf wird hier als Abfolge von »Platzwechseln« eingeführt (vgl. a. Bourdieu 2002), die unterschiedlichen Positionen sind dabei durch eine spezielle Kapitalkonfiguration gekennzeichnet – man kann auch sagen, dass sie durch einen bestimmten Status im jeweiligen Kontext bestimmt sind. Überträgt man dies auf den Bildungsgang und das Anliegen, ihm als Prozess gerecht zu werden, so wäre hier zu untersuchen, wann es im Verlauf des Bildungsgangs zu »Platzwechseln« kommt, wann sich also die soziale Position des Akteurs (in der Schule, aber auch darüber hinaus) wesentlich verändert. Dabei sind auch eventuelle strukturelle Bedingungen des Feldes, die zentrale Veränderungen herbeiführen können, mit in den Blick zu nehmen. Von diesem Konzept her ist der Bildungsgang daraufhin zu befragen, wann es in seinem Verlauf zu einem Positionswechsel im Feld kommt. Besonders prädestiniert hierfür sind Übergänge im Verlauf des Schulbesuchs, wie beispielsweise der Übergang in die Studienstufe, die beispielsweise durch Lehrerwechsel, veränderte Anforderungsbedingungen oder andere Klassenbzw. Kurszusammensetzung Situationen vorgegeben, die eine neue Aushandlung der Position im jeweiligen sozialen Kontext nötig machen. Das Konzept der Statuspassage stellt m.E. eine Möglichkeit dar, um den hier vorgeschlagenen Ansatz, den Bildungsgang als Folge von Platzwechseln und damit einhergehender Positionierungen aufzufassen, theoretisch zu fassen und differenzierter angehen zu können. Der Eintritt in die Schule wird mit seiner Hilfe als Übergang im Lebenslauf beschreibbar, der in einem engen Wechselverhältnis mit anderen Lebensbereichen steht. Insbesondere die Systematisierung von Statuspassagen durch Heinz (1996, S. 59ff.) bietet hierfür einen Anhaltspunkt. Zudem ermöglicht dieser Ansatz es auch, die außerschulischen Bedingungen in ihrer Bedeutung für den Schulbesuch gezielt einbeziehen zu können.
Bildungsgang und Statuspassage Statuspassagen, als moderne Statuspassagen, werden als Übergänge im Lebenslauf beschrieben (vgl. Friebertshäuser 1992, S. 15, Heinz 1996, S. 57ff., Siarra 1986, Hoerning 1978, S. 251ff.). Entwickelt wurde das Konzept der Statuspassage vor dem Hintergrund ethnologischer Forschung. Im Forschungsfokus standen dabei Übergänge von einem gesellschaftlichen Status zu einem anderen und die mit diesen verknüpften Übergangszeiten und Initiationsriten, beispielsweise beim Übergang von der Jugendphase zum Erwachsenenalter (vgl. Friebertshäuser 1992). Von Glaser/Strauss (1971) wurde der Begriff der Statuspassage für westliche Gesellschaften aufgegriffen. Bei ihnen bleibt allerdings unklar, welche Übergänge oder Sequenzen genau als Statuspassagen zu definieren sind und mit welchen Ereignissen sie in Zusammenhang stehen (vgl. Heinz 1996, S. 58). 39
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
Bei einer Sichtung der Literatur zu Statuspassagen wird deutlich, dass je nach Herangehen an den Lebenslauf unterschiedliche Aspekte bei der Statuspassage ins Zentrum gerückt werden. Hoerning (1978) bietet hier eine Konzeptionalisierung von möglichen Auslösern von Statuspassagen an: • »alterschronologische Statuspassagen (Kindheit, Jugendalter usw.) • sozial-strukturell indizierte Statuspassagen (Berufswechsel, Arbeitslosigkeit) • Statuspassagen als Kombination der beiden Erstgenannten (Heirat, der Entschluss, Kinder zu haben) • Statuspassagen können aufgrund eines Ereignisses ausgelöst werden (Krankheit, Tod, Verurteilung, Unfall), das unerwünscht und ungeplant in Lebensläufe einbricht.« (S. 255) Mit dem Fokus auf Bildungsgänge steht hier eine institutionell geprägte Statuspassage – bei Hoerning als sozial-strukturell indiziert benannt – im Zentrum. Der Begriff Statuspassage impliziert, dass es sich um einen erwerbbaren – und somit auch veränderbaren – Status15 handelt. Er betont also den Aspekt der Aushandlung von Status – man kann dies auch als Herstellung von Teilhabe über eine bestimmte Position im Feld begreifen. Hoerning (1978) weist hier zu Recht darauf hin, dass auch »zugeschriebene« Statusmerkmale wie »Geschlecht, Hautfarbe, ethnische Herkunft« oder das »Hineingeborenwerden in eine Familie« in ihrer Wirkungsweise auf die Statuspassagen zu berücksichtigen sind (S. 254). Die Klärung des zu berücksichtigenden Verhältnisses von erwerbbarem und zugeschriebenem Status sowie die Frage, was unter Status zu verstehen ist, ist somit auch ein notwendiger Forschungsschritt für das genauere Verständnis von schulischen Bildungsgängen als institutionalisierter Passage im Lebenslauf. Der Bildungsgang ist somit mit weitreichenden sozialen Veränderungen sowie der Notwendigkeit verbunden, sich im Kontext Schule eine soziale Position aufzubauen. Er ist also kein sozial losgelöstes Unterfangen, sondern gekoppelt an konkrete soziale Kontexte, in denen Status und Bedeutung ausgehandelt werden. Durch den Begriff der Statuspassage werden die Ausgestaltung des Bildungsgangs und die mit ihm verbundenen Übergänge somit gezielt als Teil einer sozialen Bedeutungsaushandlung in den Blick genommen. Inwieweit ist das Konzept der Statuspassage nun mit der Theorie Bourdieus vereinbar?
15 Hoerning (1978, S. 253ff.) greift hier die Unterscheidung zwischen zugeschriebenem und erwerbbarem Status auf. Auf diese Unterscheidung beziehe ich mich im Folgenden. 40
PERSPEKTIVE UND FORSCHUNGSSTAND
Statuspassagen lassen sich mit Bourdieu als »symbolische Passagen« betrachten.16 Sie sind gekoppelt an bedeutsame Veränderungen des symbolischen Kapitals eines Akteurs, über das er in einem für ihn relevanten sozialen Bezugsrahmen verfügt, den ich im weiteren Verlauf der Arbeit als »Anerkennungskontext« bezeichne. Dies klassifiziert Felder oder Lebensbereiche näher, in denen für den Akteur etwas auf dem Spiel steht, und in denen er Anerkennung – sprich symbolisches Kapital – erwerben möchte oder auf diese angewiesen ist. Vor diesem Hintergrund kann der Eintritt in die (Abend-)Schule als Statuspassage beschrieben werden, bei der in einem neuen, für die Person bedeutsamen Anerkennungskontext eine soziale Position hergestellt wird bzw. werden muss. Relevant ist hierbei, was für die Person auf dem Spiel steht, worauf sie in welcher Weise im Feld der Schule Bezug nimmt und inwieweit bzw. wodurch sie innerhalb des Feldes Anerkennung erfährt. Auch der Wechsel der Position innerhalb des Feldes Schule lässt sich in diesem Zusammenhang als Statuspassage begreifen, so zum Beispiel beim Wechsel in die Oberstufe. Bei einem solchen Übergang muss das symbolische Kapital innerhalb des veränderten Anerkennungskontextes wieder neu ausgehandelt werden. Dabei ist allerdings die Frage, wie tiefgreifend oder weitreichend dieser Wandel ist. Ob es sich um eine Statuspassage handelt, ist somit weniger eindeutig als beim Eintritt ins Feld. Wesentlich ist es aber, im Blick zu behalten, dass die soziale Position im Feld immer wieder neuen Aushandlungen unterliegt. Weitere Fragen für den Bildungsgang ergeben sich durch die Fokussierung des Verhältnisses zwischen Feld und Akteur: Vor welche Aufgaben der Gestaltung stellt der schulische Bildungsgang die Akteure? Ergibt sich der neue Status in der Schule per se und ist schon durch die Institution vorgegeben? Glaser und Strauss, die das Konzept der »modernen« Statuspassage geprägt haben, betonen die notwendige Eigenleistung der Individuen. Einerseits verlangen Statuspassagen schon durch ihren Prozesscharakter dem Einzelnen Flexibilität ab. Sie sind Teil eines komplexen Alltags, der auch andere Lebensbereiche beinhaltet. Hinzu kommt, dass in modernen Gesellschaften der Übergang in der Regel nicht mehr durch gesellschaftliche Rituale begleitet wird. In verschiedenen Konzepten wird die Notwendigkeit der »Selbstinitiation« bzw. der biographischen Ausgestaltung der Übergänge im Lebenslauf in modernen Gesellschaften betont (vgl. Friebertshäuser 1992, S. 30f. u. S. 34ff., Heinz 1996 S. 54ff., Kohli 1985). 16 Im weitern Verlauf der Arbeit werde ich allerdings durchgängig von Statuspassagen und nicht von »symbolischen Passagen« sprechen. Ich habe mich dafür entschieden, da der Begriff der Statuspassage in der Literatur eingeführt ist und ich mich hier nicht von diesem abgrenzen möchte. Das Anliegen ist vielmehr, ihn mit der Theorie Bourdieus genauer zu verstehen. 41
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
Als Raster zur genaueren Beschreibung von institutionellen Statuspassagen im Wechselverhältnis zwischen Institution und Akteur schlägt Heinz (1996) folgende Dimensionen vor: Institutional Control, Awareness Context, Interdependence und Reversibility (vgl. S. 59): Abbildung 1: Continuum of Status Passages nach Heinz AGENCY STRUCTURE Institutional Control
low
Awareness Context
open Closed
Interdependence
low
Reversibility
high Low
High
High
(vgl. Heinz 1996, S. 61, Table 2) Die erste Dimension, die er mit institutioneller und individueller Kontrolle benennt, drückt den Grad aus, in dem die Statuspassage institutionell kontrolliert wird. Schule, mit den konkreten Vorgaben von Eintrittszeitpunkten und Schuljahren, nennt er dabei als Beispiel für hohe Standardisierung (S. 59f., S. 61). Der Bewusstseinskontext fasst, inwieweit sich eine Person der Konsequenzen einer Statuspassage bewusst und inwieweit die Statuspassage für intentionale Änderungen offen ist (S. 60f.). Im Kontext dieser Arbeit und der besonderen Perspektive Bourdieus werden diese Aspekte als Rekonstruktion der Bedingungen des Feldes sowie der sozialen Bezugnahme der Akteure auf den Bildungsgang einbezogen. Mit Reversibilität bringt Heinz zudem die Frage der Umkehrbarkeit ein (S. 61). Dabei wird in den Blick genommen, inwieweit die Statuspassage rückgängig zu machen ist und welche anderen Möglichkeiten dem Akteur zu Verfügung stehen. Diese Perspektive ist m.E. besonders geeignet, um die soziokulturellen Unterschiede der Akteure, die als Bedingungen die Art der Bezugnahme auf den Bildungsgang prägen, herauszuarbeiten. Sie wird daher bei der Analyse der Beweggründe für den Schritt an das Abendgymnasium miteinbezogen (vgl. Kapitel 4). Interdependenz beschreibt nun, inwieweit die institutionelle Statuspassage mit anderen Lebensbereichen verflochten ist, wie beispielsweise dem Berufsweg oder der Geburt eines Kindes, (S. 60). Interessant ist dieser Aspekt im Hinblick auf ein Ziel der Arbeit, das Wechselverhältnis zwischen außerschulischen und innerschulischen Bedingungen näher zu bestimmen; er wird daher nun näher ausgeführt.
42
PERSPEKTIVE UND FORSCHUNGSSTAND
Im Kontext des Lebenslaufs lassen sich verschiedene Teilbereiche festmachen, die miteinander in einem Wechselverhältnis stehen. Als Beispiel für solche miteinander in Interdependenz stehenden Teilprozesse des Lebenslaufs nennen Blossfeld/Huinink die Bildungskarriere, den Familienverlauf, den Erwerbsprozess oder den Krankheitsverlauf (2001, S. 6). Er sieht den Lebenslauf dabei als einen mehrdimensionalen Prozess. Neben der Multidimensionalität des Lebenslaufs und seiner Kopplung an gesellschaftliche Institutionen hat auch das darüber hinausgehende Umfeld Einfluss auf die Strukturierung des Lebenslaufs. Blossfeld/Huinink erwähnen hier neben den Lebensverläufen anderer Menschen, zu denen eine Beziehung besteht (Eltern, Partner, Kinder, Freunde usw.), auch die Lebensbedingungen in den sozialen und regionalen Kontexten sowie gesellschaftliche und historische Rahmenbedingungen. Für den Zusammenhang der jeweiligen Verlaufsdimensionen spielt nicht nur die entsprechende Lebenssituation eine Rolle, sondern auch das Lebensalter (Blossfeld/Huinink 2001, S. 7, Heinz 1996). Der schulische Bildungsgang ist dabei, wie im Kontext des Moratoriumsbegriffs schon ausgeführt, an die Kindheit und das Jugendalter geknüpft. Für den Jugendbereich ist bekannt, dass dabei verschiedene soziokulturelle Faktoren des Erwachsenwerdens, wie Peer Groups, Ablöseprozesse von der Herkunftsfamilie und der Aufbau intimer Beziehungen eine Rolle spielen (vgl. Schröder 1995; Friebertshäuser 2005). Beim Abendgymnasium sind es aber Erwachsene, die sich aus eigener Entscheidung und nicht aufgrund von Schulpflicht wieder an die Schule begeben. Es ist hier eine offene Frage, in welcher Weise der schulische Bildungsgang von Erwachsenen mit anderen Entwicklungslinien des Lebenskontextes verbunden ist. Daher erscheint es für dieses Forschungsvorhaben sinnvoll, die oben beschriebene Interdependenz verschiedener Lebensbereiche gezielt im Blick zu behalten. Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche gesellschaftlichen Normvorgaben zudem im Hinblick auf Erwachsene, die wieder zur Schule gehen, eine Rolle für den Bildungsgang am Abendgymnasium spielen.
Bildungsgänge jenseits der »Normalbiographie« Wie schon in der Einleitung dargestellt sind die Bedingungen der Teilhabe am Bildungsgang auch an gesellschaftliche Normvorgaben gekoppelt. Um dem gerecht zu werden, ist ein Rückgriff auf Ergebnisse der Lebens(ver)laufsforschung17 sinnvoll. In der Lebenslaufforschung wird das Verhältnis zwischen 17 In der Lebenslaufforschung wird teilweise unterschieden zwischen dem Lebenslauf auf der einen Seite, der als Begriff von Kohli 1985 geprägt wurde und eher die kollektiven Vorgaben für Lebensläufe ins Forschungsinteresse stellt, und dem Lebensverlauf auf der anderen Seite, der als Begriff von Mayer 1990 einge43
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
Institution und Lebenslauf unter dem Stichwort der »Institutionalisierung des Lebenslaufs« diskutiert (vgl. Kohli 1985, Blossfeld/Huinink 2001, Heinz 2001, S. 5ff.). Dabei werden Institutionen in ihrer Bedeutung für die Strukturierung von Lebensläufen untersucht (vgl. Heinz 2001, S. 5f., Behrens/Voges 1996, S. 25ff., Levy 1996 S. 73ff., Heinz 1992, S. 7ff.). Der Lebenslauf wird dabei »als Sequenz von Statuskonfigurationen, bezogen auf die Teilhabe der Individuen an sozialen Institutionen – vor allem an Bildung, Arbeit und Beruf, Familie und Sozialstaat« definiert18 (Heinz 2001, S. 5). Zentral ist dabei, dass anhand des Konzeptes der »Normalbiographie« gefragt wird, welche gesellschaftlichen Normvorstellungen mit bestimmten institutionalisierten Passagen verbunden sind. Lebensläufe sind nicht allein Ergebnis individueller Entscheidungen, sondern an kollektive Standards gebunden (vgl. Kohli 1985, S. 2; Siebers 1996, S. 28ff.; Behrens/Voges 1996, S. 27; Leisering/Müller/ Schumann 2001, S. 13f.). Der schulische Bildungsgang ist als strukturelle Sequenz in seiner kollektiven Bedeutungszuschreibung eng an die gesellschaftlichen Vorgaben für eine Erwerbsbiographie geknüpft. Nach Kohli (1985) kommt der Arbeit eine zentrale Stellung für die Strukturierung des Lebenslaufs zu, die sich auch auf andere Lebensbereiche auswirkt. Lebensläufe sind demnach in einer Dreiteilung um das Erwerbssystem angelegt: Vorbereitungs-, Erwerbs- und Ruhephase (S. 2ff.; vgl. Kohli 1986, S. 184). Der schulische Bildungsgang ist nach dieser Vorstellung Teil der Vorbereitungsphase und somit eine Sequenz der Normalbiographie. Hierfür spricht auch die enge Kopplung von Schule an Kindheit und Jugend, die sich als spezifische Lebensalter erst durch die Einführung der allgemeinen Schulpflicht herausgebildet haben (vgl. Kohli 1985, S. 9, Zinnecker 2000, S. 39). Die Dreiteilung in Vorbereitungs-, Erwerbs- und Ruhephase sei, so Kohli, aus der Perspektive der Akteure auch mit einem vorhersagbaren – und somit planbaren – Lebenslauf verbunden. Gleichzeitig biete der sequentielle Ablauf des Lebens den Individuen auch einen Orientierungsrahmen für ihre Lebensplanung (Kohli, 1985, S. 3; Siebers 1996, S. 30).19 führt wurde und eher den Umgang der Individuen mit den gesellschaftlichen Vorgaben fokussiert. Je nach Schwerpunktsetzung werde ich in dieser Arbeit beide Begriffe benutzen. Im aktuellen Abschnitt liegt der Schwerpunkt aber auf den kollektiven Vorgaben und somit auf dem Lebenslauf. 18 Der Rahmen, in dem diese Definition erarbeitet wurde, war der DFGSonderforschungsbereich »Statuspassagen und Risikolagen im Lebensverlauf«, Laufzeit 1988-2001 an der Universität Bremen. 19 Ein Teil der Diskussion um die Normalbiographie im Kontext der Erwerbsarbeit kreist um die Frage, ob es eine »Normalbiographie« je gegeben hat und wenn ja, für welchen Zeitraum. Bolder (2002) spricht in diesem Kontext von dem »Missverständnis, die Normbiographie der Nachkriegszeit als Normalbiographie kapitalistischer Gesellschaften« anzusehen (S. 40). Das, was häufig unter dem Kon44
PERSPEKTIVE UND FORSCHUNGSSTAND
Wesentlich für den typischen schulischen Bildungsgang ist die Kopplung an das Kindes- und Jugendalter. Die gesetzlich gegebene Schulpflicht standardisiert diese Phase weitreichend. Wie in der Einleitung erwähnt, ist der Anteil von auf dem zweiten Bildungsweg erworbenen Schulabschlüssen gering. Zumindest was die zeitliche Kopplung des Erwerbs von schulischen Bildungsabschlüssen an das Kindes- und Jugendalter angeht, kann von einem Aufbrechen der Normalbiographie im Kontext des Bildungsgangs somit nicht die Rede sein.20 Für den Bildungsgang am Abendgymnasium bedarf es bei der Erforschung daher auch einer Sensibilität für mögliche lebensalter-bezogene Differenzen. Für den schulischen Bildungsgang ist zudem eine Kopplung der Normalbiographie an unterschiedliche soziokulturelle Milieus21 festzustellen. Dies spiegelt sich historisch in der traditionellen Zuordnung unterschiedlicher Schullaufbahnen zu bestimmten Ausbildungsberufen und den mit ihnen traditionell verknüpften Milieus. So galt die Volksschule – und später dann die Hauptschule – als Vorbereitung für einen handwerklichen, landwirtschaftlizept der Normalbiographie verstanden wird, nämlich eine kontinuierliche Erwerbsarbeit mit Arbeitsplatzsicherheit und relativ wenigen Arbeitsplatzwechseln, wird von Bolder also eher als Norm in einer bestimmten historischen Phase denn als langfristige gesellschaftliche Realität gesehen. Zudem galt die Dominanz des kontinuierlichen Normalarbeitsverhältnisses und seine Auswirkung auf die Biographien der Einzelnen auch in dieser Periode innerhalb Westdeutschlands als Norm nur für Männer. Für Frauen war in dieser Phase kontinuierliche Erwerbsarbeit nicht unbedingt die Regel (vgl. Geissler/Oechsle 2001, Siebers 1996, S. 31f.). Jenseits der Frage der quantitativen Relevanz der Normalbiogrphie in der Bevölkerung hat sie aber als kollektive Vorstellung Auswirkungen. 20 Dies stellt sich in der nicht-institutionalisierten Erwachsenenbildung zum Teil anders dar. Allerdings wird auch dort auf die besonderen Schwierigkeiten des Lernens Erwachsener (vgl. Mader 2002, Nittel 2003) und junger Erwachsener (Tully 2001) hingewiesen. Generell ist zudem auch die Frage problematisch, inwieweit es sich beim teilweise propagierten »Ende der Normalarbeit« um »Mythos oder Wirklichkeit« handelt (Jann/Diekmann 2003). Untersuchungen wie das »Globalife Project – Life Courses in the Globalization Process« zeigen, dass von der Veränderung der Lebensverläufe unterschiedliche Gruppen verschieden betroffen sind. Für Männer in der mittleren Lebensspanne kommt es demnach für die Bundesrepublik kaum zu einer Veränderung der kontinuierlichen Erwerbsbiographie, während Frauen und Berufseinsteiger stark von Unsicherheiten betroffen sind (vgl. Blossfeld et al. 2005, Blossfeld et al. 2006a, Blossfeld et al. 2006b). Hieraus ist ableitbar, dass die Frage nach einer Zunahme von Diskontinuität nicht allgemein zu beantworten ist. Es wird deutlich, dass »Normvorstellungen« nicht unbedingt der Realität entsprechen, sie aber trotzdem einen Rahmen bilden, an dem sich die Akteure in ihrer Vorstellung der institutionellen Passage orientieren. 21 Ich rekurriere dabei auf den Milieubegriff von Bourdieu (vgl. Bremer 2006, S. 109ff.) Falls ich allerdings im Verlauf der Arbeit eine Studie heranziehe, die soziokulturelle Unterschiede beispielsweise als Schichten untersucht hat, übernehme ich den Sprachgebrauch der jeweiligen Untersuchung. 45
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
chen oder hauswirtschaftlichen Beruf, die Realschule als Hinführung zu einem Angestelltenberuf und das Gymnasium als Weg zum Studium. Obwohl diese traditionelle Zuordnung der Schulwege zu Berufen mittlerweile so ihre Gültigkeit verloren hat, setzt sich die soziokulturelle Differenzierung des Bildungssystems nach Schichten fort (Heerlitz u.a. 1995, Klewitz u.a. 1995, Lundgreen 1995, Drewek 2001, S. 811ff., Baumert et al. 2001a u. 2001b, Prenzel et al. 2005). In einer internationalen Vergleichsstudie haben Blossfeld/Shavit schon 1993 festgestellt, dass die Bildungschancen in Deutschland weitgehend an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten soziokulturellen Schicht gekoppelt bleiben. Die These der Modernisierungstheorie, dass die Bildungsexpansion zu größerer Gleichheit herkunftsbezogener Bildungschancen führe, hat sich ihrer Ansicht nach nicht bestätigt (vgl. Meulemann 1992, Köhler 1992, Bolder/Rodax 1987). In ähnlicher Weise lassen sich »typische« Bildungsgänge nach Ethnie und Geschlecht ausdifferenzieren. Ein typischer schulischer Bildungsgang ist somit nicht nur an die Kindheits- und Jugendphase gebunden, sondern auch an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe. Welche Konsequenzen sind nun anzunehmen, wenn man diesen typischen Bildungsgang – wie am Abendgymnasium – durchbricht? Einerseits ergeben sich möglicherweise Probleme aufgrund der kollektiven Vorstellungen von Normalbiographien, die zum Teil als Grundlage für die institutionelle Standardisierung herangezogen werden. Leisering/Müller/Schumann (2001, S. 13f.) sowie Behrens/Voges (1996, S. 27) verweisen darauf, dass gesellschaftliche Institutionen beispielsweise in ihrer Vergabepraxis von Mitteln Altersgrenzen gemäß einer Normbiographie zugrunde legen. Ein Beispiel hierfür ist die BAföG-Regelung: Für Erwachsene an Schulen gibt es nur bis zum 30. Lebensjahr eine Förderungsmöglichkeit22, was auch im untersuchten Feld eine Rolle spielt. Bei der Abweichung von einer gesellschaftlichen Normvorstellung des Bildungsgangs ist somit zumindest mit materiellen Konsequenzen zu rechnen. Andererseits sind auch subjektive Auseinandersetzungen aufgrund der Abweichung von der kollektiven Normalität zu erwarten. Es ist plausibel, dass Altersnormen Teil des gesellschaftlichen Konsens und somit auch für das Selbstverständnis der Akteure von Bedeutung sind (Behrens/Voges 1996, S. 27). Ein Abweichen vom Typischen hat somit auch Konsequenzen im Bereich der gesellschaftlichen Anerkennung und bedarf der Rechtfertigung. In untypischen Bildungsgängen ist die Konzeption des Typischen, das normalerweise unhinterfragt als selbstverständlich angenommen wird, aufge-
22 Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung: Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) Stand 3.2.2004, §10. 46
PERSPEKTIVE UND FORSCHUNGSSTAND
brochen. Es ist anzunehmen, dass es vor diesem Hintergrund zu einer spezifischen Auseinandersetzung mit der Rolle von Bildung kommt.
1.3 Geschichte und Forschungsstand: D e r z w e i t e B i l d u n g sw e g u n d d a s Ab e n d g ym n a s i u m Bisher stand die Perspektive dieser Arbeit und ihre Annäherung an die Herstellung von Teilhabe am Abendgymnasium im Zentrum. Im Folgenden gehe ich nun auf die Geschichte sowie den Forschungsstand zum Abendgymnasium näher ein. Um eine Vorstellung über den konkreten zeitlichen Ablauf des Bildungsgangs an der untersuchten Schule zu bekommen, wird dieser zudem kurz vorgestellt.
Auseinandersetzungen um den Zweiten Bildungsweg Wie deutlich wurde, steht das Abendgymnasium als untypischer Bildungsgang unter einem spezifischen Begründungskontext. Im Folgenden gebe ich nun zunächst die historische Entwicklung des Abendgymnasiums bzw. des zweiten Bildungsweges wieder, die dies noch weiter konkretisiert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den mit der Einführung des zweiten Bildungsweges bzw. des Abendgymnasiums verbundenen gesellschaftlichen Diskussionen. In der anschließenden Zusammenfassung sollen die zentralen Begründungsstränge dieser Auseinandersetzungen herausgearbeitet werden. Gegründet wurden die Abendgymnasien 1927 durch eine Initiative von Peter A. Silbermann. Hintergrund war das Anliegen eines Teils des liberalen Bürgertums, die »soziale Frage« durch Volksbildung anzugehen. Durch Bildung sollte es dem »vierten Stand« ermöglicht werden, seine Lage durch eigene Anstrengung zu verändern. Insbesondere Silbermann nahm Bezug auf die Verhältnisse in den USA und dem damit einhergehenden Ideal, dass jeder, der mit den notwendigen Fähigkeiten und Willen ausgestattet ist, sich die für ihn für den Aufstieg notwendige Bildung verschaffen kann (vgl. Landesinstitut für Schule und Weiterbildung NRW 1986). Das Abendgymnasium wurde somit eingeführt, um das gymnasiale Bildungsprivileg, das bis dahin nur dem Bürgertum offen stand, auch einer Elite aus der Arbeiterschaft zukommen zu lassen, die als besonders begabt und willensstark beschrieben wurde. Die Herausbildung des Abendgymnasiums ist somit eng mit der Vorstellung verbunden, soziale Benachteiligung durch Begabung und Leistung auszugleichen. Die Gründung der Abendgymnasien war vor allem von Seiten der Arbeiterbewegung Kritik ausgesetzt. Die Arbeiterbewegung hatte schon vor der Gründung des Abendgymnasiums im Prinzip der Selbsthilfe verschiedene 47
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
Initiativen zum Erwerb höherer Bildung ins Leben gerufen, die unterschiedlich erfolgreich waren. Dies stand im Kontext einer generellen Forderung des freien Bildungszugangs auch für Arbeiterkinder (vgl. Paaschburg 1990, S. 11f.). Bezüglich der Kritik am Abendgymnasium möchte ich mich im Folgenden auf die Diskussion des Bildungsideales und der Chancengleichheit beschränken. In den 20er Jahren standen sich zwei Bildungsideale gegenüber: In Anlehnung an Humboldt war innerhalb des Bürgertums das neuhumanistische Denken prägend, das die Unvereinbarkeit von allgemeiner und beruflicher bzw. spezieller Bildung postulierte. Dem Beruf wurde dabei generell die »bildende« Wirkung abgesprochen und eine allgemeine Bildung für den ganzen Menschen gefordert. Dem gegenüber wurde von verschiedenen Pädagogen, unter anderem Spranger, zu Beginn des 20. Jh. ein Gegenmodell eingeführt, das den Wert des Berufes für die Bildung betonte. Spranger formulierte dabei mit dem Postulat »Der Weg zur höheren Allgemeinbildung führt über den Beruf und nur über den Beruf« eine Gegenposition zu Humboldt (Jüttemann 1991, S. 24). Im Anschluss hieran wurde Silbermanns Konzept des Abendgymnasiums durch die Arbeiterbewegung scharf kritisiert. Silbermann sprach der Berufstätigkeit an sich keinen bildenden Wert zu. Die parallele Berufstätigkeit der Schüler des Abendgymnasiums war vielmehr ein bedauerlicher Sachzwang für den Erwerb des Lebensunterhalts (vgl. Paaschburg, S. 35ff.). Herschel stellt der Humboldtschen Bildung, die er als unorganisches Konzept von oben bezeichnet, ein Ideal der Berufspädagogik gegenüber, das das Alltägliche wie Beruf und Familie mit der Bildung verknüpft (vgl. Landesinstitut für Schule und Weiterbildung NRW 1986, 59ff.). Kritisiert wurde gleichfalls unter dem Aspekt der Chancengleichheit die geringe Anzahl von Arbeitern, denen der Zugang zum Abendgymnasium offen stehen würde. In dem Konzept von Silbermann war die höhere Bildung nur für eine besonders begabte Elite vorgesehen. Der freie Bildungszugang für die Arbeiterklasse war dabei nicht angedacht. Unter den Nationalsozialisten wurde das Schließen der Abendgymnasien (einzig das Berliner Abendgymnasium überlebte die NS-Zeit) als »Ende eines marxistischen Unsinns« kommentiert (Oelmann 1985, S. 44). Stattdessen wurde das Langenmarckstudium als 1-jährige Vorbereitungszeit aufs Studium initiiert. Bedingung hierfür war eine Ausbildung oder Berufserfahrung und das Bestehen strenger Auswahlkriterien. Ziel war die Bildung einer nationalsozialistischen Elite. Der Kontext, in den die Schließung der Abendgymnasien gestellt wurde, stellt somit ein Paradox dar, da diese – anders als durch die Begründung nahegelegt – nicht durch die Arbeiterbewegung initiiert wurden. Das Abendgymnasium wurde durch eine andere Einrichtung des zweiten
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PERSPEKTIVE UND FORSCHUNGSSTAND
Bildungsweges ersetzt, die aber Vollzeit und, gekoppelt an eine finanzielle Unterstützung, eine direkte Vorbereitung für das Studium war. Während des Wiederaufbaus der Abendgymnasien und der Gründung der Kollegs nach 1945 wurden die beiden Diskussionsstränge der Weimarer Zeit – die Fragen nach der bildungstheoretischen Ausrichtung sowie nach der Chancengerechtigkeit – wieder aufgegriffen. In der Gründungsphase wurden zunächst unterschiedliche Bildungsideale als Orientierungspunkt diskutiert. Es war im Gespräch, den zweiten Bildungsweg nicht mehr nach der neuhumanistischen Tradition auszurichten, sondern auf den »bildenden Wert« der Arbeit zurückzugreifen. Der zweite Bildungsweg, so die Idee der Initiatoren, sollte nicht mehr »nur« Ergänzung des ersten sein, sondern einen eigenständigen Weg zur höheren Bildung darstellen (Jüttemann 1991, S. 25f., Knostmann 1983, S. 21). Die Idee der eigenständigen institutionellen Einbettung des zweiten Bildungsweges konnte sich allerdings für die Abendgymnasien nicht durchsetzen (vgl. Paaschburg 1990, S. 37f.). Gleichzeitig wurde unter dem Schlagwort der »Berufsbezogenheit« vielfach die Forderung aufgestellt, die Berufserfahrung in den Unterricht einzubeziehen. Es wurde hervorgehoben, dass die Schüler des Abendgymnasiums über vielfältige Erfahrungen verfügen, was eine besondere Anforderung an die Didaktik der Schule darstellt (vgl. Paaschburg 1990, S. 38ff.). Eine solche Betonung der Bedeutung der Berufstätigkeit findet sich bis heute in den Aufnahmekriterien für das Abendgymnasium, die zumindest formal Berufstätigkeit voraussetzen (vgl. nächster Abschnitt). Allerdings weist Paaschburg darauf hin, dass diese Forderungen nach einem Einbezug der Berufserfahrung sich nicht in einer eigenständigen Didaktik oder in empirischen Untersuchungen über die Bedeutung der Berufserfahrung für den zweiten Bildungsweg niederschlagen. Sie interpretiert die Betonung des Werts der Berufstätigkeit vielmehr als eine Form der Profilbildung der Abendgymnasien (vgl. Paaschburg 1990, S. 40). Der zweite Bildungsweg wurde bis zum Ende der 1950er Jahre in der erziehungswissenschaftlichen Diskussion als Beitrag zur Chancengerechtigkeit hervorgehoben (vgl. Landesinstitut für Schule und Weiterbildung NRW 1986, S. 11, S. 32 u. S. 35). In diesem Kontext sprach Dahrendorf vom zweiten Bildungsweg als Reservemechanismus der Sozialstruktur (vgl. Dahrendorf 1959, S. 51). Damit wurde auf die Tradition des zweiten Bildungsweges vor dem Zweiten Weltkrieg zurückgegriffen. Doch in Anbetracht der deskriptiven Daten über die Sozialstruktur der Absolventen ließ sich diese Annahme in den 1960er Jahren immer weniger halten. Der zweite Bildungsweg wurde in erster Linie von ehemaligen Gymnasiasten genutzt, die ihre abgebrochenen Schulkarrieren im zweiten Bildungsweg fortsetzten. Daher verschwand der zweite Bildungsweg Mitte der 1960er Jahre immer mehr aus der erziehungswissen-
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BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
schaftlichen Diskussion zur Chancengerechtigkeit. Der Fokus richtete sich auf die neu entstehenden Gesamtschulen (Jüttemann 1991, S, 27f.). Historisch lassen sich somit verschiedene Diskussionsstränge in Bezug auf das Abendgymnasium ausmachen, die die Geschichte des Abendgymnasiums durchziehen: sein Bildungskonzept und damit verknüpft die Frage seiner Stellung im Schulsystem sowie die soziokulturelle Konnotation des Abendgymnasiums. Kern des ersten Diskussionsstranges ist die Frage, inwieweit sich das Abendgymnasium der »allgemeinbildenden« Orientierung der Regelschule anschließen soll. Dem Bildungsideal Humboldts, das den Wert der Allgemeinbildung in den Vordergrund rückt, wird dabei der »bildende« Wert der Arbeit entgegengestellt. Dies war auch mit Forderungen nach einem eigenen Lernkonzept sowie einer eigenständigen Stellung des zweiten Bildungsweges – jenseits des Charakters der Nachholung der Regelschule – verknüpft. Das Abendgymnasium ist hier insofern »besonders«, als es zumindest von seiner institutionellen Konzeption auf den Ausgleich von Versäumtem ausgerichtet ist und nicht als regulärer – das heißt auch ein im Vorhinein geplanter – Weg zum Abitur gedacht wird. Trotz der anderen Klientel des Abendgymnasiums, die in der Regel über eine Berufsausbildung und Berufserfahrung verfügt, wird dabei die Bildungsausrichtung der Regelschule übernommen. Historisch ist das Abendgymnasium zudem an eine bestimmte soziokulturelle Gruppe geknüpft, die im regulären Bildungszugang benachteiligt war. Das Abendgymnasium war zunächst als eine Eliteeinrichtung für besonders begabte Arbeiter gedacht. Nach der Neugründung nach dem Krieg wird scheinbar an diese Tradition angeschlossen. Das Abendgymnasium wird weiterhin unter dem Aspekt der Chancengerechtigkeit diskutiert. Erst empirische Untersuchungen machen deutlich, dass das Abendgymnasium ein anderes soziokulturelles Milieu zum Schulabschluss führt als erwartet. Hinzu kommt, dass neuere Untersuchungen zeigen, dass der zweite Bildungsweg die soziokulturelle Selektivität des ersten sogar übertrifft. Somit war das Abendgymnasium zunächst besonders auch im Hinblick auf seinen elitären Anspruch. Dieser wurde aber geschichtlich abgelöst. Stattdessen ist der zweite Bildungsweg »besonders«, indem die Chancen auf einen Abschluss hier noch stärker mit der soziokulturellen Herkunft gekoppelt sind als an der Regelschule. Der zweite Bildungsweg ist also in mehrfacher Hinsicht ein Bildungsgang jenseits der Normalbiographie: Erwachsene mit Schulerfahrungen des ersten Bildungswegs begeben sich nach mindestens dreijähriger Berufstätigkeit noch einmal in eine Schulinstitution. Die Schulform ist dabei innerhalb des Bildungssystems als Ergänzung vorgesehen, nicht als Regelfall. »Das Epitheton ›zweiter‹ beinhaltet dabei neben der zeitlichen Abfolge vor allem die Andersartigkeit dieses Bildungsweges« (s. Knostmann, 1983, S. 15). Die Lerninhalte orientieren sich am humboldtschen gymnasialen Ideal. 50
PERSPEKTIVE UND FORSCHUNGSSTAND
Das Abendgymnasium: Eintrittsvoraussetzungen und Ablauf Nachdem ich die Geschichte und die Diskursstränge aufgezeigt habe, gehe ich auf die formalen Bedingungen des untersuchten Abendgymnasiums ein. Die Datengrundlage für die folgende Darstellung bilden die Informationsbroschüren der Schule sowie die Feldforschung (vgl. Kapitel 2). Um in das von mir untersuchte Abendgymnasium eintreten zu können, muss man zunächst verschiedene Bedingungen erfüllen, die man einem Faltblatt, aber auch den Internetseiten der Schule entnehmen kann. Man muss: • über 19 sein • in der Großstadt selbst oder ihrem Umland wohnen • eine Berufsausbildung abgeschlossen haben oder drei Jahre berufstätig gewesen sein (wobei hierfür auch das Führen eines Familienhaushaltes gilt) • berufstätig sein oder beim Arbeitsamt als arbeitssuchend gemeldet sein. Von dieser letzten Bedingung kann das Amt für Schule befreien. Besonders und dabei namensgebend sind auch die Unterrichtszeiten. An der Schule wird durchgängig der Abendunterricht angeboten, der regulär zwischen 17.30 Uhr – 20.45 Uhr, gelegentlich aber auch bis 21.30 Uhr dauert. In der untersuchten Schule wurde zusätzlich in der Studienstufe auch die Möglichkeit des Nachmittagsunterrichts angeboten, der zwischen 15 Uhr – 19 Uhr bzw. 20 Uhr stattfindet. Dabei müssen sich die Bewerber zu Beginn des Schuljahres entweder auf den Nachmittags- oder den Abendkurs festlegen. Es wird deutlich, dass der Abendunterricht mit einer im Vergleich zur Regelschule eingeschränkten Stundenzahl einhergeht, der mit einem eingeschränkten Fächerkanon begegnet wird. Zentral ist dabei eine Fokussierung auf bestimmte Kernfächer. Andere Fächer wie Sport oder Kunst fallen dafür ganz weg. In der Studienstufe ist die Kurswahl zudem durch die kleine Schülerzahl, die dafür sorgt, dass bestimmte Kurse wie Chemie regelmäßig nicht zustande kommen, beschränkt. Die Ausbildung umfasst je nach Vorbildung zwei bis vier Jahre. Sie beginnt mit dem Vorbereitungsjahr, danach folgt die Vorstufe und anschließend die Studienstufe, die in erstes Studienjahr und zweites Studienjahr unterteilt ist (siehe Schaubild nächste Seite). Für das Vorbereitungsjahr ist der Hauptschulabschluss oder eine gleichwertige Ausbildung Zugangsvoraussetzung. Aber auch zur Vorstufe bzw. zur Studienstufe können Schüler regulär in die Schule eintreten, wenn sie den Realschulabschluss bzw. Fachoberschulabschluss oder die Fachhochschulreife als Zugangsvoraussetzung mitbringen. Anders als an der Regelschule gibt es somit keinen gemeinsamen Eintrittszeitpunkt für alle oder zumindest die meisten der Schüler; sondern sie können je nach Voraussetzung zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt eintreten. Dabei 51
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
orientiert sich der Zugang nach dem Abschluss der Regelschule, was nicht für alle Einrichtungen des zweiten Bildungsweges gilt. Andere Schulen nehmen Schüler beispielsweise abhängig von den Ergebnissen in einem Leistungstest auf und bieten nicht die Möglichkeit, zu verschiedenen Zeitpunkten in die Schule einzutreten. Am Abendgymnasium sind auch verschiedene Abschlüsse möglich. Tritt ein Schüler mit dem Vorbereitungsjahr in die Schule ein, kann er nach zwei Jahren – also nach Abschluss der Vorstufe – den Realschulabschluss erwerben. Im Vergleich zur Regelschule ist der Erwerb der Mittleren Reife somit zeitversetzt: Während das Vorbereitungsjahr formal Klasse 10 der Regelschule entspricht, wird der Realschulabschluss erst mit dem Abschluss der Vorstufe – also parallel zu Klasse 11 erworben. Dies führt zu dem Paradox, dass die Mittlere Reife für einen Schüler, der erst in der Vorstufe an das Abendgymnasium kommt, Voraussetzung für den Schulbesuch ist, während ein Schüler, der das Abendgymnasium seit dem Vorbereitungsjahr besucht, die Mittlere Reife erst nach der Vorstufe erwirbt. Im Gegensatz zum Erwerb der Mittleren Reife an der Abendrealschule beinhaltet das Abendgymnasium allerdings einen Zeitgewinn: Der Erwerb der Mittleren Reife dauert an der Abendrealschule ebenfalls zwei Jahre, man kann aber anschließend nicht in die Studienstufe eintreten, sondern tritt in die Vorstufe ein. Die anderen Abschlüsse entsprechen im Zeitpunkt ihres Erwerbs der Regelschule. Allerdings ergibt sich für die Fachhochschulreife das gleiche Paradox wie für den Realschulabschluss: Sie ist einerseits eine mögliche Zugangsvoraussetzung für das erste Studienjahr, wird aber von denen, die das Abendgymnasium schon länger besuchen, erst nach dem ersten Studienjahr erworben. Für die letzten drei Schulhalbjahre kann unabhängig vom Eintrittszeitpunkt Eltern-unabhängige Förderung nach BAföG beantragt werden. Je nach Eintrittszeitpunkt hat man also schon zweieinhalb Jahre, eineinhalb Jahre oder nur ein halbes Jahr an der Schule hinter sich, bevor man BAföG erhalten kann. Es wird deutlich, dass das Abendgymnasium auf eine besondere Gruppe – berufstätige Erwachsene – ausgerichtet ist. In den formalen Bestimmungen, die einen Berufsabschluss bzw. Berufstätigkeit sowie ein bestimmtes Alter vorschreiben, kann man auch eine institutionelle Festschreibung des Ergänzungscharakters des Abendgymnasiums sehen. Besonders – und für das Abendgymnasium namensgebend – ist zudem der Zeitpunkt des Unterrichts. Auffällig ist, dass es sich bei dem Bildungsgang an der untersuchten Schule nicht um einen »homogenen« Bildungsgang handelt, der für alle oder zumindest die meisten Absolventen einen bestimmten Eintrittszeitpunkt sowie einen Austrittszeitpunkt und damit verbundenen Abschluss vorsieht. Vielmehr gibt es je nach Schulabschluss verschiedene Eintrittszeitpunkte.
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PERSPEKTIVE UND FORSCHUNGSSTAND
Abbildung 2: Institutionelle Passage am Abendgymnasium
Forschungsstand: Die Entscheidung für den zweiten Bildungsweg und ihre Auswirkungen Im Rahmen der historischen Darstellung ist deutlich geworden, dass der zweite Bildungsweg nicht als Regelfall gedacht ist. Auch heute hat der zweite Bildungsweg als Bildungsgang Ausnahmecharakter (vgl. Abschnitt 1.2; Jüttemann 1991, S. 153, Knostmann 1983, S. 62). Die Entscheidung für den zweiten Bildungsweg steht dadurch unter einem anderen Legitimationsdruck 53
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
als die für den ersten. Sie wird von über 19-Jährigen vor dem Hintergrund bisheriger Berufstätigkeit getroffen. In der bisherigen Forschung zum zweiten Bildungsweg23 kann man eine starke Fokussierung auf die Frage der Bildungsentscheidung feststellen, die man auf diesen Ausnahmecharakter zurückführen kann. Teilhabe wird in der bisherigen Forschung vor allem unter dem Aspekt Herstellung von Teilhabe durch die Motivation der Schüler betrachtet. Themen sind dabei die persönlichen Motive für die Entscheidung, soziale Unterstützung für die Entscheidung, deren soziale Auswirkungen sowie eine Differenzierung der Bedeutung der Passage je nach Bildungsabschluss der Eltern. All dies sind Aspekte, die im Hinblick auf die doppelte Einbettung des Bildungsganges – einerseits außerschulisch durch Beruf und privates Lebensumfeld, andererseits innerschulisch anhand der konkreten Aushandlung von Teilhabe – den außerschulischen Bereich der Schule betreffen. Dabei steht im Zentrum, was man über den Schulbesuch erreichen möchte, wie dieser sozial eingebettet ist, sich sozial auswirkt oder auch welche Bedeutung diesem je nach Herkunftskontext zugesprochen wird. Die konkreten Bedingungen des Schulbesuchs selbst werden nicht berücksichtigt. Bezüglich der innerschulischen Aspekte des Schulbesuchs ist die Forschungslage noch dünner. Jenseits didaktischer Konzepte für das Abendgymnasium gibt es kaum Untersuchungen, die den konkreten Schulalltag in den Blick nehmen. Ausgehend von der Unterteilung in außerschulische und innerschulische Bereiche der Teilhabe am Bildungsgang führe ich nun zentrale Forschungsergebnisse an.
Lebenskontextbezogene Aspekte der Teilhabe am Abendgymnasium In der bisherigen Literatur finden sich im Hinblick auf die außerschulischen Bedingungen des Schulbesuchs mehrere Forschungsebenen: die Differenzierung der Gründe für den Schulbesuch –was möchte eine Person langfristig mit dem Schulbesuch erreichen –, die soziale Unterstützung für den Schulbesuch im bisherigen Umfeld, Aspekte der Bedeutung des Bildungsgangs je nach Schulabschluss der Eltern sowie die persönlichen und sozialen Auswirkungen des Schulbesuchs.
23 In der Literaturdatenbank fis-Bildung (Stand 25. Juli 2006) lassen sich unter dem Stichwort »Abendgymnasium« in den letzten zehn Jahren keine empirischen Untersuchungen finden. Bei den sonstigen Veröffentlichungen handelt es sich in erster Linie um Jubiläumsbände einzelner Schulen sowie didaktische Konzepte. Daher wird im Folgenden auf den Forschungsstand zum zweiten Bildungsweg Bezug genommen. 54
PERSPEKTIVE UND FORSCHUNGSSTAND
Der Wunsch nach Veränderung über den Bildungsgang am Abendgymnasium wird in den vorhandenen Untersuchungen differenziert in den Wunsch nach »beruflichem Aufstieg« und den Wunsch nach »persönlicher Weiterentwicklung« (vgl. Siarra 1986, Krais 1987, S. 215). »Beruflicher Aufstieg« ist gekoppelt an das Anliegen, seinen sozialen Status zu verbessern. Viele Berufe lassen ab einer bestimmten Grenze keinen weiteren sozialen Aufstieg zu, da die höheren Ebenen der Hierarchie Akademikern vorbehalten sind. Die Bildungsanstrengung ist hier ein Mittel, um beruflich weiter zu kommen. Beim Wunsch nach »persönlicher Weiterentwicklung« stehen hingegen die eigene Person und die Erweiterung ihrer Möglichkeiten durch Wissen im Vordergrund. Die Wissenserweiterung ist hier nicht nur auf ein externes Motiv gerichtet, sondern es geht um das Wissen an sich und die Möglichkeit, sich durch Wissen als Person zu bilden (vgl. Siarra 1986, S. 18ff., Krais 1987, S. 219). Im Hinblick auf die Berufsziele widersprechen die empirischen Ergebnisse allerdings den theoretischen Annahmen zum zweiten Bildungsweg. Bei der Konzeption des zweiten Bildungsweges stand die Idee im Zentrum, dass Menschen im Rahmen kontinuierlicher Lebensläufe den zweiten Bildungsweg dazu nutzen, sich für ihren ursprünglichen Beruf weiter zu qualifizieren und in das ursprüngliche Berufsfeld zurückzukehren. Nach dem Ergebnis empirischer Untersuchungen spielt dies aber nur untergeordnet bzw. teilweise eine Rolle. Krais (1987) spricht von der »Revision bisher eingeschlagener Lebenswege«, Siarra (1986) führt den Begriff der »Umorientierung« ein (vgl. auch Jüttemann 1991 S. 177, Albrecht-Heide 1972, S. 30). Untersuchungen bezüglich der Bedeutung der konkreten aktuellen sozialen Einbettung für die Bildungsaspirationen finden sich in der bisherigen Forschung nicht. Unter dem Aspekt der sozialen Einbettung wurde bisher vor allem die soziale Unterstützung der Bildungsentscheidung im Hinblick auf Herkunftsmilieu und Geschlechtsunterschiede untersucht. Die soziale Unterstützung der Entscheidung scheint – zumindest in den 1980er Jahren – stark nach Herkunftsmilieu und Geschlecht zu variieren. Nach der Untersuchung von Krais (1987) erleben 68 % der Frauen aus der Arbeiterschicht für die Entscheidung, einen Bildungsabschluss nachzuholen, im sozialen Umfeld negative Reaktionen, aber nur 37 % der Männer aus der gleichen Schicht und nur 46 % der Frauen aus anderen sozialen Schichten. Paaschenberg (1990) hat für ihre Untersuchung nicht nach Milieus differenziert. Allgemein ist die Unterstützung wohl eher positiv. Allerdings beschreibt auch sie einen Geschlechtsunterschied: Negative Erfahrungen machen vor allem Frauen. Ein weiterer untersuchter Aspekt bezüglich der sozialen Einbettung der Passage ist die Bedeutung des Bildungsgangs vor dem Hintergrund des Berufsabschlusses der Eltern. Für den zweiten Bildungsweg werden unterschiedliche Passagetypen eingeführt. Hoerning (1978, S. 256) unterscheidet in Sta55
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tuserhalter, Statuserwerber und Statussucher. Die Statuserhalter interpretieren ihren bisherigen Bildungsverlauf als Abbruch und möchten hier mit dem Nachholen des Bildungsabschlusses einen biographischen Riss schließen. Für die Statuserwerber stehen subjektive Aufstiegswünsche im Vordergrund, die Schritt für Schritt genutzt werden. Bei den Statussuchern steht die Unzufriedenheit mit dem bisherigen Beruf im Zentrum. Ausgehend vom Herkunftsmilieu und bisherigem Bildungsabschluss differenziert Siarra (1986, S. 36) die Statuspassage in vier Typen. Anders als Hoerning, die nach der subjektiven Einschätzung des Bildungsverlaufs differenziert, zieht er hierfür die real erworbenen Bildungsabschlüsse der Schüler und ihrer Eltern heran: War der bisherige Bildungsabschluss übereinstimmend mit dem der Eltern, spricht er für den neu angestrebten Bildungsabschluss von Emanzipation. Wird mit dem Abschluss auf dem zweiten Bildungsweg der Abschluss der Eltern erst erreicht, nennt er dies Anpassung. Für die Konstellation mittlerer Abschluss der Eltern und bisher unterer Abschluss der Absolventen führt er die Bezeichnung Überwindung ein. Lag der eigene Bildungsabschluss schon über dem der Eltern und wird die Differenz durch den erneuten Abschluss weiter erhöht, bezeichnet er dies als Distanzierung. Ein weiterer empirisch untersuchter Aspekt liegt in der langfristigen persönlichen Auswirkung der Bildungsentscheidung. Die Entscheidung für den zweiten Bildungsweg gilt in der empirischen Forschung weitgehend als destabilisierend. Albrecht-Heide (1974) spricht auf Grund ihrer Untersuchungen für Arbeitertöchter von Entwurzelung und Identitätsverlust. Der erneute Schulbesuch führe zu einer Identitätskrise, aus der oft schwer wieder herausgefunden werde (vgl. auch Essbach-Kreutzer 1980). Für Wolf (1985, S. 243) sitzen Absolvierende des zweiten Bildungsweges oft »zwischen zwei Stühlen«, da sich die bisherigen Bezüge auflösen, das Schaffen neuer aber durch die Lebenssituation erschwert wird. Eine Gegenposition nehmen Scholz/ Wolter (1983) ein. Sie sehen den Schritt aus dem Beruf heraus vielmehr als Versuch, bisherige Identitätskonflikte zu lösen. Siarra (1986, S. 30) spricht allgemeiner von der Notwendigkeit weitreichender »Anpassungs- und Orientierungsleistungen« auf dem zweiten Bildungsweg. In Bezug auf die herausgearbeiteten relevanten Aspekte der außerschulischen Einbettung der Entscheidung für den Schulbesuch kann man festhalten, dass die zentralen Aspekte, Interdependenz zum aktuellen sozialen Kontext sowie die Bedeutung der Ressourcen für die Passage, bisher nur in Einzelaspekten oder gar nicht untersucht wurden. Im Rahmen der Ressourcen wurde zwar die Bedeutung der sozialen Unterstützung in den Blick genommen, weitere relevante Aspekte wie beispielsweise die ökonomische und berufliche Situation, die Auskunft über die Reversibilität der Passage geben könnten, sind bisher nicht erforscht. Auch bezüglich der sozialen Einbettung der Passage bleiben viele Fragen unbeantwortet. Hier wird in erster Linie ein äußeres 56
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Kriterium wie der Bildungsabschluss der Eltern in den Blick genommen und danach in Gruppen eingeteilt. Die aktuelle soziale Einbettung wie die gelebte Alltagspraxis wird nicht berücksichtigt. Die Schulentscheidung sowie ihre Auswirkungen sind in der bisherigen Forschung nicht soziokulturell differenziert worden. Eine genauere Beschreibung der angestrebten Veränderungen über den Bildungsabschluss steht bisher noch aus.
Innerschulische Aspekte der Teilhabe am Abendgymnasium Im Hinblick auf die innerschulischen Aspekte des Bildungsgangs am Abendgymnasium sticht zunächst die Diskussion um lebenslanges Lernen und das Lernverständnis Erwachsener ins Auge. Betrachtet man allerdings die Diskussion zum lebenslangen Lernen und die damit verbundene Untersuchung aus dem Fokus dieser Arbeit, dann sind die meisten nur bedingt von Interesse. Dem Lernen Erwachsener wird dabei in der Regel ein Lernen jenseits schulisch-institutioneller Zusammenhänge zugeordnet und dabei das selbstgesteuerte Lernen ins Zentrum gestellt (vgl. Bund-Länder-Komision 2004, S. 23ff., Kruse 2003, Mühlbrett-Jung 2000, S. 8). Am Abendgymnasium sind die Erwachsenen jedoch in einen Kontext schulisch-institutionellen Lernens eingebettet. Gleichzeitig soll in dieser Untersuchung auf die Herstellung von Teilhabe ein besonderes Augenmerk gerichtet werden. Lernen ist hierbei nur ein Teilaspekt. Zudem soll nicht generell das Lernen Erwachsener im Zentrum stehen, sondern das Lernen Erwachsener in einem bestimmten Kontext. Als Anknüpfungspunkt für diese Fokussierung geeignet erscheint mir dabei in mehrfacher Hinsicht die Untersuchung von Asselmeyer (1996) »Einmal Schule – immer Schüler?«: Asselmeyer forscht am Abendgymnasium. Dabei geht er von einer Orientierung am Alltagsgeschehen und einer aktiven Rolle der Lernenden aus, was dem Forschungsverständnis dieser Arbeit nahe kommt. Zudem nimmt er die besonderen Bedingungen institutionellen Lernens in seine Untersuchung mit auf. Ansonsten finden sich bezüglich des Lernens am Abendgymnasium in erster Linie didaktische Bücher, die nicht auf empirischen Arbeiten fußen. Erwähnenswert ist dabei, dass Asselmeyer (1996, S. 73) in seiner Untersuchung auf Ergebnisse aus einem Intelligenztest sowie auf einen Konzentrations- und Aufmerksamkeitstest für die befragte Gruppe zurückgreifen kann. Dabei hat er sich in seiner Untersuchung auf die Oberstufe des Abendgymnasiums beschränkt. Diese Gruppe hat einen durchschnittlichen IQ von 113, was dem Mittelwert einer Vergleichsgruppe erfolgreicher Studenten der Rechtswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre entspricht. Die Ergebnisse des Konzentrations- und Aufmerksamkeitstest liegen mit 92 % leicht unter der Eichpopulation.
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Als hauptsächliches Lernproblem erhält Asselmeyer (1996) in den von ihm geführten Interviews den Verweis auf die fehlende Zeit für das Lernen. Dies hat für die Schüler vor allem dadurch Auswirkungen auf den Unterricht, dass sie sich außerhalb der Schule nicht auf den Unterricht vorbereiten (vgl. S. 127). Das Lernen der Schüler ist dabei ein reaktives Lernen, dessen zentrale Kennzeichen Asselmeyer (1996) vor allem als »Schülern können« sowie als »Erledigungslernen« beschreibt. Das »Schülern können« als Gesamtbild der Lernausrichtung leitet Asselmeyer (1996) aus der Fokussierung der Schüler auf Lerntätigkeiten, die das Überleben in der Schule sichern, der Kenntnis und bewussten Anwendung von Schülertaktiken sowie der Anpassung an schulische Bedingungen und Lehrererwartungen ab (vgl. S. 224). Das Lernen ist dabei auf das Erledigen schulischer Anforderungen wie Hausaufgaben oder Mitarbeit im Unterricht ausgerichtet und wird von Asselmeyer daher als »Erledigungslernen« bezeichnet (vgl. S. 225). Erwachsenengerechte Bedingungen werden in der von ihm untersuchten Gruppe nur bezüglich der Stühle und Tische eingefordert (vgl. S. 158). Der erwachsene Lerner erscheint für das Abendgymnasium somit als »Fiktion des pädagogischen Denkens« (vgl. S. 221). Gründe für diese Dominanz einer reaktiven Lernhaltung sieht Asselmeyer einerseits in der Institution Schule, andererseits in der Haltung der Schüler (vgl. 226ff.). Die Schule trägt s. E. durch eine Fokussierung auf den Lehrer als Vermittler von Inhalten und eine fehlende Lernkultur zur passiven Lernhaltung der Schüler bei. Durch die Orientierung an dem Lernkanon der Regelschule werden s. E. Unvereinbarkeiten mit dem Erwachsenenstatus hervorgebracht. Auch die fehlende Ausbildung der Lehrer in Erwachsenenpädagogik sieht er als Problem. Aufseiten der Schüler sieht er den Grund für die Zurückhaltung von Kritik in der Anpassungsbereitschaft für das Abitur. Die Schüler möchten das Abitur auf jeden Fall erreichen und ordnen diesem Ziel alle anderen Anliegen unter. Asselmeyer bezeichnet somit als »Schülern« etwas, dass auch schon in anderen Zusammenhängen herausgearbeitet wurde: Schüler nehmen nur eingeschränkt ihr Verhaltensrepertoire wahr und sind dabei darauf ausgerichtet, die institutionell geforderten Verhaltensanforderungen zu erfüllen. Man kann dies auch als »doing student« auffassen (vgl. Faulstich-Wieland et al. 2004, S. 12 u. S. 197f.). Als solche werden »Strategien von Schülerinnen und Schülern bezeichnet, strukturelle Bedingungen der Schule zu handhaben, die durch institutionelle Kontrolle der Schülerinnen gekennzeichnet sind.« (Faulstich-Wieland et al. 2004, S. 197).
Dabei rückt Asselmeyer für das Abendgymnasium unter der Bezeichnung »Schülern« doing student als »Erledigungslernen« ins Zentrum, das als Form 58
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der Anpassungsstrategie verstanden werden kann (vgl. Faulstich-Wieland et al. 2004, S. 197). Es lässt sich somit sagen, dass der innerschulische Aspekt des Bildungsgangs am Abendgymnasium bisher in erster Linie im Hinblick auf das Lernverständnis untersucht wurde. Allerdings wird dieses Lernverständnis fallübergreifend dargestellt und lässt daher eine Differenzierung nach soziokulturellen Bedingungen und somit auch nach der »sozialen« Bedeutung des Lernens am Abendgymnasium nicht zu. Untersuchungen, die auch die Schulkultur und die besondere Unterrichtssituation am Abendgymnasium in den Blick nehmen, fehlen völlig. Vor dem Hintergrund der hohen Selektivität des zweiten Bildungswegs steht somit eine genauere Erforschung des Abendgymnasiums auch im Hinblick auf die Beteiligungsmöglichkeiten noch völlig aus.
1.4 Zusammenfassung und Spezifizierung der Fragestellung Wie in der Einleitung schon dargestellt lautet das zentrale Forschungsinteresse dieser Arbeit, wie Teilhabe am Bildungsgang Abendgymnasium entsteht und welche Bedingungen dazu führen, dass diese Teilhabe in Frage gestellt wird. Der Schulbesuch am Abendgymnasium weist unter diesem Gesichtspunkt Spezifika auf, die berücksichtig werden müssen: Er ist, wie der zweite Bildungsweg allgemein, ein Bildungsgang jenseits der Normalbiographie. Es ist untypisch, als Erwachsener wieder zu Schule zu gehen und wird teilweise durch gesellschaftliche Vorgaben wie die BAföG-Regelung zusätzlich erschwert. Der zweite Bildungsweg weist zudem – wie in der Einleitung beschrieben – hohe Abbruchquoten auf, über deren Ursachen bisher wenig bekannt ist. Eine weitere Besonderheit des Abendgymnasiums besteht darin, dass die Schüler in der Regel parallel zum Schulbesuch weiter ihrer vorherigen beruflichen Tätigkeit nachgehen. Teilhabe am Bildungsgang wird dabei in dieser Untersuchung als Teil einer interaktiven Aushandlung aufgefasst. Die Schüler treffen mit ihren Beweggründen für den Schulbesuch und ihrem konkreten Verhalten auf die Bedingungen der Schule. Somit hat die Frage nach der Teilhabe am Bildungsgang hier zwei zentrale Aspekte, die beide in der empirischen Untersuchung berücksichtigt werden: Wie stellen die Schüler Teilhabe am Bildungsgang her? Und: Auf welche Bedingungen der Teilhabe stoßen sie während ihrer Schulzeit? Die Ergebnisse der empirischen Rekonstruktion dieser Teilaspekte dienen gleichzeitig dazu, mit dieser Arbeit verbundene übergreifende Fragestellungen voranzubringen. So fehlt beim bisherigen Forschungsstand ein empirischer Ansatz um Bildungsgänge soziokulturell differenziert in den Blick zu nehmen. Ein Anliegen besteht somit darin, diese Forschungslücke zu schließen. In Anlehnung an 59
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Bourdieus Konzept des Praxissinns (Bourdieu 1999) kann man dabei die Frage nach den unterschiedlichen Aspekten der Teilhabe am Abendgymnasium auch als Frage nach den unterschiedlichen Ebenen der sozialen Bedeutung des Abendgymnasiums fassen. Denn Bedeutung entsteht nach Bourdieu in den unterschiedlichen sozialen Aushandlungskontexten. Somit werden mit der Fokussierung auf die soziale Bezugnahme der Akteure in dieser Arbeit auch die unterschiedlichen Ebenen des Bedeutungsrahmens des Abendgymnasiums für die Akteure rekonstruiert. Gleichzeitig sollen auch die besonderen Charakteristika des Abendgymnasiums, die den Bildungsgang mitbestimmen, herausgearbeitet werden. Ein weiterer, übergreifender Forschungsfokus liegt in der Analyse des Wechselverhältnisses zwischen innerschulischen und außerschulischen Bedingungen. Diese unterschiedlichen Unterfragen dieser Arbeit – Herstellung von Teilhabe, Bedingungen der Teilhabe, Ebenen und Charakteristika des Bildungsgangs sowie das Wechselverhältnis zwischen innerschulischen und außerschulischen Bedingungen – werde ich nun näher ausführen. Unter dem Blickwinkel der Herstellung von Teilhabe durch die Schüler sind zunächst ihre Beweggründe für den Schulbesuch zu berücksichtigen. In dieser Untersuchung handelt es sich bei den Schülern um Erwachsene, die mindestens drei Jahre nicht in der Schule waren – entweder weil sie eine Berufsausbildung absolviert oder gearbeitet haben (siehe Abschnitt 1.3). Nach oben gibt es keine Beschränkungen, man kann also auch Jahrzehnten nach dem letzten Schulbesuch ans Abendgymnasium gehen. Anders als auf der allgemeinbildenden Schule besteht für den Schulbesuch keine Schulpflicht. Der Schulbesuch beruht einzig auf der Entscheidung der Schüler. Was bedeutet es für sie, wieder zur Schule zu gehen? In der bisherigen Forschung sind hierfür zwei Motive rekonstruiert worden: Beruflicher Aufstieg bzw. Umorientierung und persönliche Weiterentwicklung. Allerdings wirken diese Motive sehr allgemein. Um mit Bourdieu zu sprechen sind sie als institutionalisiertes kulturelles Kapital – Bildungsabschlüsse, die den beruflichen Aufstieg oder Einstieg ermöglichen – sowie als inkorporiertes kulturelles Kapital – persönliche Weiterentwicklung durch Wissen – Bestandteil jedes Bildungsgangs. Was macht hier das Besondere des Abendgymnasiums aus? Warum wird dieser Weg gewählt und nicht ein anderer? Hierzu geben die bisherigen Untersuchungen wenig Aufschluss. Einzig Hoerning (1978) bietet mit der Unterscheidung in Statuserhalter (möchten einen biographischen Riss schließen), Statussucher (sind unzufrieden mit ihren bisherigen Beruf) und Statuserwerber (haben subjektive Aufstiegswünsche) einen Anhaltspunkt. Hinzu kommt, dass wir aus der bisherigen Forschung wenig über die Einbettung der Entscheidung in aktuelle Lebensumstände erfahren. Wenn die Schülergruppe differenziert wird, dann im Hinblick auf den Bildungsabschluss ihrer Eltern. Die Entscheidung für den Schulbesuch wird aber vor dem Hintergrund ihrer 60
PERSPEKTIVE UND FORSCHUNGSSTAND
jetzigen Lebensumstände getroffen. Für den Verbleib in der Schule ist dieser aktuelle Kontext zentral. Um der soziokulturellen Differenz der Schüler gerecht zu werden, ist es deshalb bedeutsam zu fragen: Wie sind die Entscheidung für den Schulbesuch sowie der Schulbesuch selbst »sozial« eingebettet? Mit Bourdieu meint »sozial« dabei nicht nur die konkreten Menschen, bspw. inwieweit man in einer Familie oder Beziehung lebt, sondern auch das Milieu, auf das man sich bezieht. Dabei spielen geteilte Werthaltungen eine Rolle, aber auch die Ressourcen, die mit dem jeweiligen Lebensstil einhergehen. Empirisch ist es daher sinnvoll, für die Erforschung der Herstellung von Teilhabe am Abendgymnasium das Eingebettet-sein der Akteure in die für sie relevanten Kontexte zu betrachten. Dabei ist für den Bildungsgang die Frage zentral: Worauf und in welcher Weise nehmen die Akteure im Hinblick auf Schule und Bildung innerhalb ihrer Handlungsräume Bezug? Mit der Perspektive Bourdieus sollen somit in dieser Untersuchung nicht nur die Beweggründe der Schüler in den Blick genommen werden, sondern auch deren soziale Einbettung und Ressourcen. Die Bedeutung des Bildungsgangs Abendgymnasium wird damit als Teil sozialer Aushandlungen im sozialen Umfeld und der vorhandenen Ressourcen rekonstruiert. Dieses Verständnis von Bedeutung beruht darauf, dass für Bourdieu Bedeutung in sozialen Kontexten und über das Verbunden- und Involviert-sein in ihre Handlungspraxis entsteht – und somit als soziale Bedeutung gefasst wird. Bedeutung ist dabei eingebettet in die Bezugnahme der Akteure auf konkrete Handlungszusammenhänge, in denen Bedeutung über Praxen hergestellt wird. Damit wird durch die Rekonstruktion der unterschiedlichen Aspekte der sozialen Bezugnahme der Akteure auf den Bildungsgang auch der Frage nach den unterschiedlichen Aspekten der sozialen Bedeutung des Abendgymnasiums nachgegangen. Die Beweggründe sind jeweils ausschlaggebend dafür, in die Schule einzutreten und in ihr zu verbleiben. Gleichzeitig wird Teilhabe an der Schule auch über die Teilhabe am Unterricht hergestellt. Denn kulturelles Kapital, das als inkorporiertes und institutionalisiertes kulturelles Kapital – sprich Wissenserweiterung und Schulabschluss – das zentrale Interessensobjekt des Feldes Schule darstellt, wird in erster Linie über den Unterricht vermittelt und vergeben. Neben der Frage, warum die Schüler wieder zur Schule gehen (also Teilhabe an der Schule her-stellen), ist deshalb auch die folgende Frage ausschlaggebend: Wie stellen die Schüler Teilhabe am Unterricht her? Ähnlich wie beim Motiv des Schulbesuchs gibt es hierfür kaum konkrete empirische Forschung. Einzig Asselmeyer bietet mit seiner Untersuchung zum Lernverhalten und der Kernthese des »Erledigungslernens« einen Anknüpfungspunkt. Allerdings nimmt er keine Differenzierung zwischen verschiedenen Schülern vor und bietet daher auch keine Anhaltspunkte für soziokulturelle Unterschiede. Zudem sind die Besonderheiten des Abendgymnasiums – also zum einen 61
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der Erwachsenenstatus der Schüler, zum anderen die schon vorhandenen Erfahrungen auf dem ersten Bildungsweg – zu berücksichtigen. Sprich: Welche Bedeutung hat für die Herstellung der Teilhabe am Unterricht, dass es sich bei den Schülern um Erwachsene handelt? Welche Rolle spielen die Erfahrungen des ersten Bildungsweges? Der Schulbesuch bedeutet demnach auch das konkrete Eingebundensein bzw. -werden in den Schulkontext. Mit dem Eintritt in die Schule muss sich der Schüler in diesem neuen Kontext zunächst zurechtfinden. Die Akteure verfügen über verschiedene Ressourcen und nehmen je nach ihrer habituellen Ausrichtung Bezug auf die vorgefundenen Praktiken des Feldes. Mit Rückgriff auf den in diesem Kapitel dargestellten Ansatz von Goffman (vgl. Abschnitt 1.1), kann man darin Praktiken der Imagepflege sehen. Die Schüler stellen Teilhabe her, indem sie im Unterricht eine soziale Position aufbauen, die es ihnen ermöglicht, soziale Anerkennung zu erwerben (man kann auch mit Bourdieu von symbolischem Kapital sprechen). Man kann die Frage nach Herstellung von Teilhabe im Unterricht somit mit Bourdieu und Goffman auch folgendermaßen ausformulieren: Wie nehmen die Schüler auf den Unterricht Bezug? Welche Praktiken der Imagepflege wenden sie an? Es ist anzunehmen, dass sie dabei unterschiedlich vorgehen und auch ihr unterschiedlicher soziokultureller Kontext dabei eine Rolle spielt. Die Frage nach den Bedingungen der Teilhabe durch die Schüler stellt für das Abendgymnasium Neuland dar. Dabei ist zum einen zentral: Welche strukturellen Bedingungen bietet das Feld Abendgymnasium für die konkrete Gruppe der Hauptschüler? Denn das Feld strukturiert nach Bourdieu in zweierlei Hinsicht die Anknüpfungsmöglichkeiten der Akteure: Einerseits gibt es vor, welche Verhaltensweise, welche Haltung oder welcher mitgebrachte Status Anerkennung – mit Bourdieu symbolisches Kapital – erhalten. Symbolisches Kapital ist dabei ein zentrales Nadelöhr für den Verbleib im Feld, da von ihm die Möglichkeiten, anderes Kapital zu erwerben, abhängen: So kann ich beispielsweise nur dann eine gute Note in mündlicher Mitarbeit bekommen, wenn meine Art, mich im Unterricht einzubringen, auf Anerkennung stößt. In Bezug auf die Struktur des Feldes ist dabei zunächst allgemein zu fragen: Was ist der Status des Feldes Abendgymnasium und welche Anerkennung haben in ihm die Schüler bzw. (falls es einen unterschiedlichen Umgang im Feld gibt) die Schülergruppen? Inwieweit gibt es innerhalb des Schulbesuchs noch einmal Übergänge, bei denen die Position der Schüler erneut in Frage gestellt wird? Andererseits strukturiert das Feld auch durch seine Abläufe und Regeln die Bedingungen der Teilhabe. Insbesondere das Lehrer-Schüler-Verhältnis, das strukturell vorgegeben wird, ist dabei von Interesse: Denn eigentlich, das haben der Rückgriff auf das Moratoriumskonzept von Zinnecker, aber auch die Normalbiographie deutlich gemacht, ist die Lehrer-Schüler-Beziehung in 62
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der Regelschule als generationales Verhältnis angelegt. Schülersein ist in der Regel damit verbunden, Kind oder Jugendlicher zu sein. Welche Rolle kommt den Lehrern nun am Abendgymnasium zu? Neben den strukturellen Bedingungen des Feldes Abendgymnasium wird Teilhabe aber auch durch die Ressourcen der Schüler sowie die damit verbundenen Interaktionen im Unterricht bestimmt. Mit Bourdieu geht es dabei um die Frage: Was wird in der Schule in welcher Weise zum Kapital? Denn Teilhabe bedeutet am Spiel um das Interessensobjekt – im Fall der Schule kulturelles Kapital – mitspielen zu können. Hierfür ist es nötig, über bestimmte Ressourcen zu verfügen – sei es beispielsweise Zeit für das Lernen zu haben oder auch bestimmte Anforderungen einhalten zu können. Die außerschulischen Bedingungen stellen dabei ein wesentliches Kapital dar. Somit ist zum einen in den Blick zu nehmen, welche außerschulischen Bedingungen sich im Verlauf des Schulbesuchs als wesentliche Ressource herausstellen. Untersucht wird dies im konkreten Fall in der Studienstufe, zu einem Zeitpunkt, an dem die meisten befragten Schüler einen schwierigen Stand an der Schule haben. Aber auch im konkreten Interaktionsgeschehen des Unterrichts stellt sich die Frage, was aus Sicht der Schüler hier wesentlich über ihren Verbleib im Unterricht entscheidet. Wie sehen hier ihre Beteiligungsmöglichkeiten aus? Neben dieser genaueren Ausformulierung der unterschiedlichen Aspekte der Teilhabe am Bildungsgang ergeben sich allerdings auch übergeordnete Forschungsfragen. So ist für die Teilhabe am Bildungsgang die Frage nach den Teilaspekten und den Charakteristika des Bildungsgangs am Abendgymnasium relevant. Wie in der Einleitung schon angedeutet, gibt es bisher keinen Ansatz für die Erforschung von Bildungsgängen, der es erlaubt soziokulturelle sowie prozessuale Aspekte des Schulbesuchs einzubeziehen. Auch bei Bourdieu ist die Beschreibung eines Feldes eher auf den Ist-Zustand ausgerichtet und weniger darauf, auch Verlaufsaspekte darzustellen. In dieser Untersuchung wird, um diese Lücke auszugleichen, auf das Konzept der Statuspassagen zurückgegriffen (vgl. Abschnitt 1.2). Offen ist die Frage, inwieweit dieses Konzept trägt, um Bildungsgänge in ihrer sozialen Bedeutung für die Akteure zu beschreiben. Daher gehe ich in Kapitel 3 zunächst der Frage nach, welche Dimensionen der sozialen Bezugnahme sich ergeben und inwieweit sie sich als Statuspassagen beschreiben lassen. Nach Bourdieu ist es zudem zentraler Anspruch an empirische Forschung, der jeweiligen Feldspezifik gerecht zu werden. Unter diesem Gesichtspunkt ist es auch von Interesse, was speziell den Bildungsgang am Abendgymnasium kennzeichnet und ihn dabei bspw. von der Regelschule unterscheidet. Somit wird es Teil des Forschungsvorgehens sein, für jeden rekonstruierten Teilaspekt zu fragen, welche Charakterstika des Bildungsgangs sich anhand des empirischen Materials herausarbeiten lassen. 63
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Darüber hinaus bietet sich diese Untersuchung an, um dem Wechselverhältnis zwischen den lebenskontextuellen und innerschulischen Aspekten der Teilhabe am Bildungsgang nachzugehen. Denn da die Schüler während des Schulbesuchs auch weiter in ihrem beruflichen Kontext verbleiben, entsteht für sie ein besonderes Spannungsverhältnis. Mit Rückgriff auf die Lebenslaufforschung wurde dieses Wechselverhältnis als Interdependenz zwischen außerschulischem und innerschulischem Lebensbereich eingeführt. Hierüber ist in der bisherigen Forschung wenig bekannt. Für diese Untersuchung ergibt sich somit die Frage, inwieweit und in welcher Weise sich die schulischen und die außerschulischen Bedingungen gegenseitig beeinflussen. Dieser Frage wird in dieser Untersuchung an zwei Stellen nachgegangen: Zum einen in der zusammenfassenden Analyse der Herstellung von Teilhabe im Bildungsgang durch die Schüler (Kapitel 6) sowie im Resümee.
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2. Empirisches Vorgehen
In diesem Kapitel steht eine genauere Darstellung des empirischen Vorgehens bezüglich der erhobenen Daten, der Auswertung, der gewählten Darstellung sowie der Geltungsbegründung im Zentrum. Ein wichtiger Orientierungspunkt ist dabei das Konzept der Grounded Theory. Als komplexe Methode macht sie allen Ebenen des empirischen Vorgehens konkrete Vorschläge, die von mir vielfach aufgegriffen, teilweise auch anhand anderer Verfahren variiert werden. Warum der enge Anschluss an das Konzept der Grounded Theory? Als exploratives Verfahren (Wiedemann 1995) zielt es auf die Erarbeitung empirisch fundierter theoretischer Konzepte, was auch in dieser Arbeit geleistet werden soll. Mit ihrem Anspruch der »Gegenstandsnähe« ist sie nicht darauf angelegt, allgemein abstrakt zu arbeiten, sondern zunächst die Bedingungen eines konkreten Feldes in den Vordergrund zu stellen. Durch ihre Arbeit mit sensibilisierenden Konzepten bietet sie zudem einen Arbeitsrahmen, der es erlaubt, das Wechselverhältnis zwischen Empirie und Theorie gezielt anzugehen. Dies führe ich nun zunächst anhand des folgenden Abschnittes aus, bevor ich zur konkreten Darstellung des Vorgehens übergehe.
2 . 1 F o r s c h u n g s ve r s t ä n d n i s In dem Anspruch, beim empirischen Vorgehen gleichzeitig Offenheit und Gegenstandsorientierung sowie Orientierung an den Konzepten einer schon bestehenden Theorie zu verwirklichen, könnte man ein Paradox sehen. Während der Anspruch von Offenheit und Gegenstandsorientierung eher ein induktives Vorgehen nahe legt, könnte die Orientierung an einer bestehenden Theorie ein deduktives Vorgehen vermuten lassen (vgl. Flick 1995, S. 150ff.). Beide Herangehensweisen sind allerdings per se nicht so polar wie sie scheinen und beinhalten auch jeweils Elemente der anderen Seite (Kleining 1995, S. 40ff., Bortz 1993, S. 12, vgl. a. Holzkamp 1968). Trotzdem sind damit oft unterschiedliche Forschungshaltungen verbunden, die es sinnvoll erscheinen lassen, den eigenen Umgang mit diesem Spannungsverhältnis genauer zu explizieren. 65
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Das Anliegen dieser Arbeit ist in mehrfacher Hinsicht explorativ: Es sollen unterschiedliche Aspekte der Teilhabe am Bildungsgang einer konkreten Gruppe erhoben werden. Hierfür gibt es bisher weder ein bestehendes Konzept, das den Bildungsgang in den einzelnen Aspekten seiner sozialen Bedeutung beschreiben würde, noch ist systematisches und aktuelles Wissen über den konkreten Bildungsgang am Abendgymnasium vorhanden (vgl. Kapitel 1). Dies macht ein Verfahren notwendig, das Offenheit, Gegenstandsorientierung sowie Theorieentwicklung in einem konkreten Forschungsfeld ermöglicht – also ein eher an die Induktion angelehntes Verfahren. Dabei ist es allerdings wesentlich, auch theoretische Vorannahmen und das schon vorhandene Wissen über das Feld in die Untersuchung mit einbeziehen zu können. Hierfür lassen sich gleich mehrere Gründe anführen: Thesen über das Forschungsfeld sind im Forschungsprozess immer vorhanden und der Forschungsgrundsatz der Transparenz gebietet es, diese auch offen zu legen (Flick 1995, S. 148ff). Es ist notwendig, an die bisherige Forschung anzuknüpfen, um wissenschaftlichen Fortschritt zu gewährleisten (Breuer 1991). Darüber hinaus bedarf eine Systematisierung von Daten immer auch einer Perspektive, die per se mit einer bestimmten theoretischen Grundannahme verknüpft ist (Bohnsack 2003, Flick 1995). Bourdieu spricht hier davon, dass empirisches Forschen immer theoretisch und empirisch zugleich ist: »Die Begriffe sozialer Raum, symbolischer Raum oder soziale Klasse werden dort [in den »Feinen Unterschieden« ST] niemals an sich und für sich untersucht; sie müssen sich in einem Forschungszusammenhang anwenden lassen und bewähren, der untrennbar immer theoretisch und empirisch zugleich ist.« (Bourdieu 1998, S. 14)
Die Grounded Theory, die den Forschungsprozess als Wechselverhältnis zwischen Theorie und Empirie auffasst, ist deshalb für das Anliegen dieser Arbeit ein geeignetes Verfahren, weil ihr Ziel, eine gegenstandsangemessene Theorie zu entwickeln, die sich an der Alltagspraxis des jeweiligen Untersuchungsgegenstandes orientiert (Glaser/Strauss 1998, S. 29ff. u. 225ff.), genau dem hier angestrebten Vorgehen entspricht. Zentral für dieses Vorgehen ist zunächst die Unterscheidung zwischen der Ebene der Rahmenkonzepte – von Glaser basic social concepts genannt –, der Ebene des konkreten Wissen über den Forschungsgegenstand und der Ebene der Theorieentwicklung (Glaser 1978, S. 72ff.). Das basic social concept expliziert dabei zum einen die Perspektive der Arbeit. Zum anderen beinhaltet es auch Grundannahmen über den Forschungsgegenstand1, die auf der Ebene von Metatheorien liegen. Die Annahme, dass 1
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Im Rahmen der ursprünglichen Ausrichtung der Grounded Theory waren die zugrunde gelegten basic social concepts mit dem theoretischen Rahmen der Chicagoer Schule verknüpft. Dabei stand die Erforschung von Interaktionen im
EMPIRISCHES VORGEHEN
Bedeutung über soziale Aushandlung in der Praxis hergestellt wird, ist eine solche Metatheorie. Wesentlich für das Vorgehen ist somit die Explizierung der Rahmenannahmen, die dann im Zuge der Auswertung in konkrete Fragen übersetzt und so für das Erschließen und Systematisieren der Daten genutzt werden können (vgl. Abschnitt 2.2). Das dieser Arbeit zugrunde gelegte basic social concept wurde anhand der in Kapitel 1 dargestellten Überlegungen entwickelt. Es beinhaltet die Perspektive Bourdieus, die Praxis als Beteiligtsein begreift und bestimmte Vorstellungen über die Zusammenhänge im Bildungsgang.2 Ein anderer Stellenwert kommt in der Vorgehensweise der Grounded Theory hingegen dem konkreten Wissen über den Forschungsgegenstand zu. Dieses Wissen kann letztlich als eine von verschiedenen Datengrundlagen betrachtet werden, die zum konkreten Feld und den spezifischen Fragen in Bezug gesetzt werden muss (Glaser/Strauss 1998, S. 165ff.). Dabei sensibilisiert das Wissen einerseits für relevante Fragen im Feld und kann andererseits für das Verständnis der erhobenen empirischen Daten herangezogen werden. Es geht also darum, das vorhandene Wissen zum Verstehen des Gegenstandes zu nutzen. Der Forschungsprozess kann mit dem Begriff der »sukzessive[n] Inklusion« (Glaser 1978, S. 35ff.) gefasst werden, der besagt, dass Daten und/oder theoretische Annahmen Schritt für Schritt in einer Theorie zusammengeführt werden und dabei immer wieder anhand der empirischen Ergebnisse überprüft werden. Ziel ist die Entwicklung einer Theorie, die lebens- und alltagsnah den konkreten Gegenstand beschreibt (Glaser/Strauss 1998, S. 13ff.). Der Anspruch der sukzessiven Inklusion ist mit vielfältigen Vernetzungsaufgaben verbunden und legt ein empirisches Vorgehen nahe, das dies ermöglicht. In der Anwendung der Grounded Theory besteht einerseits ein Wechselverhältnis zwischen empirischer Auswertung und bestehender Theorie (Strauss 1994, S. 44ff.), andererseits sollten auch Datenerhebung und Datenauswertung möglichst Hand in Hand gehen. Die Datenerhebung wird somit im Idealfall vom Auswertungsprozess mitbestimmt. In der Analyse auftauchende Fragen werden also an weitere schon vorhandene oder noch zu erhe-
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Zentrum (Glaser 1978). Dies waren beispielsweise die Grundannahmen, dass soziales Verhalten geprägt wird durch Akteure, durch konkrete Handlungen, den Kontext der Handlung, bestimmte Handlungsgründe sowie Konsequenzen. Diese Rahmenannahmen ziehen für die Systematisierung des Gegenstandes als zentral erachtete Fragen nach sich, die von Strauss (1994, S. 56f.) im Kodierparadigma festgelegt wurden. Generell war der Grounded Theory aber zunächst eine größere Offenheit zu eigen, die nicht allein auf die Erforschung von Interaktionen ausgerichtet war. Glaser macht hier im Rahmen seiner »Codier Families« Vorschläge für unterschiedliche Fragenfamilien, die sich am jeweiligen Forschungsgegenstand orientieren (vgl. Glaser 1978, S. 72ff.). Dabei schließe ich mich der Ansicht Bohnsacks (2003, S. 70ff.) an, der in der Verankerung in anspruchsvollen Metatheorien eine Voraussetzung für fundierte qualitative Forschung sieht. 67
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
bende Daten herangetragen. Über dieses Prinzip des Theoretical Samplings, also der theoriegeleiteten Auswahl, werden immer wieder neu datenbezogene Entscheidungen getroffen. Die zentrale Perspektive dieser Arbeit, die Praxis als Beteiligtsein versteht, stellt die Partizipation an konkreten Kontexten ins Zentrum (vgl. a. Bohnsack 1993, S. 73f), denn: »Verstehen heißt zunächst das Feld zu verstehen, mit dem und gegen das man sich entwickelt.« (Bourdieu 2002, S. 11)
Dabei orientiere ich mich an einer Haltung, die von Bergold/Flick (1987) folgendermaßen gekennzeichnet wird: »Auch beim Verstehen des Subjekts, auch bei der Verwendung qualitativer Methoden muß es Grenzen der Annäherung, Reste der Fremdheit geben […]. Sie müssen als Teil des Respekts vor dem erforschten Subjekt verstanden werden. Auch Verstehen sollte an bestimmte Fragestellungen geknüpft und darauf beschränkt bleiben, damit es gerade nicht einer neuen Form von universalistischen Ansprüchen und Denkweisen verfällt.« (Bergold/Flick 1987, S. 15).
Hier wird eine Haltung betont, die eine Annäherung an die Sicht des Subjekts als methodisch kontrolliertes Fremdverstehen auffasst, d.h., es geht darum, sich schrittweise an den subjektiven Bedeutungszusammenhang des Anderen in dem jeweiligen spezifischen Bereich heranzutasten (vgl. a. Bergold/Flick, S. 2). Verallgemeinernde Aussagen über die Person jenseits des untersuchten Kontextes werden dabei bewusst vermieden. Bourdieu beschreibt dies auch als einen Balanceakt zwischen Nähe und Distanz zu den befragten Personen und ihrer Welt: »Nicht bemitleiden, nicht auslachen, nicht verabscheuen, sondern verstehen […] aber wie erklären ohne ›aufzuspießen‹, ohne gleichsam Steckbriefe zu entwerfen?« (Bourdieu u.a. 1997, S. 13)
Es geht darum, einen Weg zu finden, auf dem zwar möglichst viele Informationen zur »objektiven« Stellung der befragten Person und deren Selbstverständnis gesammelt werden, ohne jedoch eine ›objektivierende Distanz‹ einzunehmen, die den Menschen quasi auf den Zustand entomologischer Neugier reduziert. Gleichzeitig lässt sich diese Haltung auch als Übernahme eines Standpunktes einer Person begreifen, ohne in sie » hineinzuprojizieren«, um sich fälschlich zum »Subjekt seiner Weltsicht« zu machen (Bourdieu u.a. 1997, S. 13f.). Anders formuliert kann man davon sprechen, dass es Bourdieu darum geht, weder allein die ›subjektive Sicht‹ der Befragten zu übernehmen, noch um eine ›Objektivierung‹, die die Betroffenheit der Akteure und die 68
EMPIRISCHES VORGEHEN
Bedeutung des Geschehens für sie verdeckt. Bourdieu hat hier eine Haltung herausgearbeitet, die er »teilnehmende Objektivierung« nennt (Bourdieu u.a. 1997, S. 14). Wesentlich ist hierfür m.E. auch, den Forschungsprozess selbst als Form der Interaktion zu begreifen (vgl. Breuer 1996).
2.2 Konkretes Vorgehen Diese Arbeit ist Ergebnis einer komplexen Datenanalyse, bei der unterschiedliche Perspektiven und Datenquellen immer wieder verglichen wurden. Theorien dienten dabei einerseits als sensibilisierende Konzepte, andererseits wurden sie auch immer wieder auf die Auswertung rückbezogen und im Laufe der Untersuchung ergänzt. Eine Übersicht über das empirische Vorgehen bietet die Tabelle auf der nächsten Seite, im Anschluss daran werde ich einige Aspekte bezüglich Auswahl, Erhebung und Auswertung der Daten darstellen.
Auswahl Im Verlauf der Untersuchung gab es zwei zentrale Fokussierungen der Arbeit: zunächst die Entscheidung, das Abendgymnasium in das Zentrum dieser Untersuchung zu stellen; dann die Ausrichtung auf die Schüler, die mit Hauptschulabschluss in die Schule eingetreten sind – sowohl in der Studienstufe als auch im Vorbereitungsjahr. Den Hintergrund dieser Eingrenzungen stelle ich nun dar. In der Einleitung und im ersten Kapitel wurden schon einige Besonderheiten des Bildungsgangs am Abendgymnasiums genannt, die ich hier im Hinblick auf seine Auswahl als Untersuchungsgegenstand kurz zusammenfasse: Als untypischer Bildungsgang steht der schulische Bildungsgang am Abendgymnasium unter einem besonderen Legitimationsdruck. In das aktuelle Schulerleben fließen die Erfahrungen des ersten Schulbesuchs mit ein. Durch seinen berufsbegleitenden Charakter steht der Bildungsgang in einem besonderen Spannungsverhältnis zum sozialen Umfeld und ist daher zur Untersuchung der Interdependenz von Schule und Lebenswelt besonders geeignet. Um die Besonderheiten des Feldes herausarbeiten zu können, wurde eine konkrete Schule fokussiert. Auswahlkriterium war dabei, dass es sich um ein kostenloses, staatliches Abendgymnasium handeln sollte, das auf eine langjährige Schulpraxis zurückblickt. Die ausgewählte Schule entsprach diesen Kriterien. Die Kontaktaufnahme zur Schule erfolgte über einen Anruf beim Schulleiter. Nach einem ersten Treffen mit der Schulleitung wurde das Vorhaben im Rahmen einer Lehrerkonferenz vorgestellt und durch das Kollegium gutgeheißen. Das Projekt wurde daraufhin bei der Schulbehörde beantragt und genehmigt. Als geeigneter Zeitpunkt für die Schülerinterviews wurde zunächst das erste Studienjahr (dieses ist für die Hauptschüler das dritte Schuljahr am 69
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
Abendgymnasium) gewählt. Die dem zugrunde liegende forschungsleitende These im Sinne des Theoretical Sampling (vgl. Glaser/Strauss 1998, S. 53ff., Schäfer 1995, S. 4, Mertens 1997) war, dass die Schüler zu diesem Zeitpunkt schon Erfahrungen in der Schule hinter sich haben, andererseits aber noch nicht völlig mit dem Abschluss beschäftigt sind. Durch Zufall ergab sich über private Beziehungen der Kontakt zu einem Schüler des Abendgymnasiums – Markus –, der sich in der gewünschten Stufe befand. Im Juni 2003 kam es zu einem mehrstündigen Interview mit Markus, der seinen ersten Schulabschluss an einer Hauptschule erworben hatte. In der Sommerpause wurde nach einer ersten Auswertung sowohl der Felddaten als auch des Interviews mit Markus eine Neubestimmung des Untersuchungsrahmens vorgenommen. Der Blick wurde nun auf die Schüler zentriert, die in das Abendgymnasium mit dem Vorbereitungsjahr eingetreten sind. Dies hatte mehrere Gründe: Durch die Auswertung der Daten war deutlich geworden, dass es sich bei der Verortung am Abendgymnasium nicht um eine einmalige Orientierungsleistung handelt, die innerhalb der ersten Schulsemester abgeschlossen ist. Vielmehr handelt es sich um einen Prozess, der anscheinend immer wieder neue Orientierung nötig macht. Es erschien hier sinnvoll, im Zuge einer minimalen Kontrastierung zunächst andere Schüler zu befragen, die auch eine mit Markus vergleichbare Zeitspanne am Abendgymnasium hinter sich haben. Insgesamt verbringt diese Schülergruppe fünf Jahre an der Schule. Durch das Interview mit Markus und die parallele Feldforschung wurde auch deutlich, wie groß die Selektivität des Abendgymnasiums in Bezug auf Schüler ist, die mit Hauptschulabschluss in die Schule eintreten. Von vormals 26 Schülern einer Klasse von Hauptschülern, die gemeinsam an der Schule begonnen hatten, waren zum Zeitpunkt der Interviews noch fünf an der Schule verblieben. Schon bei ihrem Eintritt in die Schule war dieser Gruppe gesagt worden, dass erfahrungsgemäß nur zwei bis drei Schüler einer Klasse das Abitur machen würden3. Auch der Forschungsstand zum zweiten Bildungsweg zeigt dessen hohe Selektivität (vgl. Jüttemann 1991, Hillmert/Jacob 2005). Für die Frage, wie der subjektive Bildungsgang der Akteure mit lebensweltbezogenen Faktoren in Wechselwirkung tritt und welche Rolle dabei soziokulturelle Differenzen spielen, war es sinnvoll, die Selektivität anhand der besonderen Position der ehemaligen Hauptschüler an der Schule gezielt in den Blick zu nehmen. An dieser Stelle wurde auch eine Erweiterung des bourdieu’schen Theorierahmens in Bezug auf den Gatekeepingaspekt der Schule vorgenommen (vgl. Kapitel 7), sprich: Es galt, auch die »Torwächter-Rolle« der Schule in Bezug auf die weiteren Bildungschancen genauer zu untersuchen.
3
70
Diese Zahl hat sich während der Dauer des Projektes tatsächlich bestätigt. Von den fünf ehemaligen Hauptschülern, die bis zur Studienstufe gekommen waren, haben zwei Abitur gemacht und einer den Fachhochschulabschluss.
EMPIRISCHES VORGEHEN
Tabelle 1: Forschungsvorgehen Zeit
Feld Schritte und Materialien
Jan 03
Interviews Auswertung
Materialien
Auswertung
Fokussierung der Arbeit auf das Abendgymnasium
Feb Mär Kontaktaufnahme zur Apr
Schule
Mai
Teilnahme am Interviewblock 1:
Unterricht
5 Interviews in der Jun
Studienstufe
Interviews des
Feldforschung: Jul
erhob. Material:
Unterrichtsbeobachtungen: 25 Unterrichts stunden;
Aug
Beob. bei 3 Lehrern im
Auswahl des Unterrichts
Vorbereitungsjahr sowie 3 Sep
Lehrern in der Studienstufe; 8h auf Video
Okt
Schulbeobachtungen:
Auswertung der ersten Blocks
Interviews/Zeichnung des Bildungsverlaufs/
Auswahl der verschiedenen
Karte Lebensbereiche/Fragebogen
Globalauswertung und Analyseebenen
Materialien
Schulbeginn/Pausen/ Nov
Gebäude etc. Materialien der Schule:
Dez
Schulprogramm
Ausarbeitung von Auswer-
Interviewblock 2:
tungsfoki
4 Interviews im
Informationsmaterialen Jan 04
Schuljahreseröffnung: Reden (Tonband)/Beob.
Feb
Einführungsveranstalungen
Auswertung der Vorbereitungsjahr Interviews des zweiten Blocks
Ausarbeitung und erste
erhob. Material:
Interpretation
Interviews
Mär Apr
Konkretisierung der Analyseebenen und der Unterteilung des Feldes
Mai 04 Ausarbeitung der einzelnen Foki durch Feinanalysen bis Dez 05 Vergleich der Foki – Ausarbeitung der Interdependenz
Indem die erwähnten Schüler ins Zentrum der Studie gestellt wurden, wurde zudem ein Schwerpunkt auf die Binnendifferenzierung der Gruppe gelegt. 71
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
Durch diese Fokussierung sollte vermieden werden, dass Schüler mit Hauptschulabschluss vorschnell als eine einheitliche Gruppe mit einem gemeinsamen Milieuhintergrund dargestellt werden. Daher wurden die bis Dezember 2003 am Abendgymnasium verbliebenen drei weiteren ehemaligen Hauptschüler4 des Jahrgangs von Markus interviewt. Der Kontakt wurde dabei jeweils über Markus hergestellt. Alle vier Interviews fanden in den Wohnungen der Schüler statt, sie hatten eine Dauer von jeweils drei bis vier Stunden, wovon wiederum jeweils zwischen 150 und 200 Minuten auf Band aufgezeichnet wurden. Auffällig bei drei der Interviewten war der geschilderte Kontrast zwischen der hohen Motivation und den Erfolgen zu Beginn der Passage am Abendgymnasium, insbesondere im Vorbereitungsjahr, und dem schwierigen Stand zu Beginn der Studienstufe. Obwohl es sich bei den Befragten um diejenigen handelte, deren Schulbesuch bis dahin erfolgreich verlaufen war, äußerten sie in den Interviews Gefühle der Frustration bis hin zum Ausgebranntsein. Im Laufe des Forschungsprozesses kam die Frage auf, inwieweit die Verortung in der Schule für diese Schülergruppe im Vorbereitungsjahr tatsächlich gelungen war oder ob sie im Nachhinein im Kontrast zur Studienstufe als positiv erschien. Da eine Längsschnittuntersuchung aus zeitlichen Gründen nicht möglich war, wurden stattdessen andere Schüler, die aktuell im Vorbereitungsjahr waren, befragt. Der Kontakt zu diesen Schülern ergab sich über die zwischen August 2003 und April 2004 durchgeführten Unterrichtsbeobachtungen im Vorbereitungsjahr (siehe Abschnitt Feldforschung). In der beobachteten Klasse wurde ein Fragebogen verteilt, der Fragen zum ersten Bildungsweg, zur jetzigen Berufstätigkeit und dem Familienstand enthielt. Die Zusammensetzung der Klasse stellt sich wie folgt dar: Der Anteil der männlichen Schüler dieser Klasse, deren erste Sprache nicht Deutsch ist, lag bei etwa zwei Dritteln. Mehr als drei Viertel der Klasse sind Männer. Bei den regelmäßig in der Klasse anwesenden Frauen war das Verhältnis zwischen Muttersprachlerinnen und Nicht-Muttersprachlerinnen anders verteilt als bei den Männern. Hier gab es nur eine Frau, deren Muttersprache nicht deutsch war. Von den Frauen hatten sich zunächst zwei zu einem Interview bereit erklärt. Die eine zog ihre Einwilligung allerdings zurück. Der Kontakt zu einer weiteren Schülerin brach nach drei gescheiterten Terminabsprachen ab. Insgesamt sieben Schüler (ca. ein Viertel der Klasse) erklärten ihre Bereitschaft zur Teilnahme am Forschungsprojekt, mit vier männlichen Schülern (zwei davon mit Migrationshintergrund) kamen schließlich zwischen Dezember 2003 und Januar 2004 Interviewtermine zustande.
4
72
Ein weiterer Schüler war schon kurz nach Schuljahresbeginn von der Schule gegangen und konnte für ein Interview nicht mehr gewonnen werden.
EMPIRISCHES VORGEHEN
Datenerhebung Im Folgenden führe ich in die erhobenen Materialien und ihre Erhebung ein:
Interviews Grundlage hierfür war der Ansatz des »problemzentrierten Interviews« nach Witzel (1985, vgl. a. Friebertshäuser 1997a). Diesem wurde aber (nach Erklärungen zum Ablauf) der folgende Interviewanstoß vorangestellt: »Was bedeutet es für dich, nun am Abendgymnasium zu sein?« Ziel dieses Anstoßes war es, der interviewten Person zunächst Platz einzuräumen, in ihrer Weise auf das Abendgymnasium und die für sie mit dem Abendgymnasium verbundenen Themen Bezug zu nehmen. Dabei wurde die subjektive Bedeutsamkeit, die ja in ihrer Ausformulierung als Bezugnahme auf Bildung und Schule im Zentrum der Untersuchung stand, fokussiert. In den ersten beiden Interviews schlossen sich an diesen Interviewanstoß offene Fragen der Interviewerin an, die auf die erste Antwort bezogen waren. Ziel war ein tieferes Verstehen des zuvor Gesagten. Nach der Auswertung der ersten beiden Interviews sowie einer damit zusammenhängenden Auseinandersetzung mit dem Statuspassagenbegriff wurde der Interviewverlauf nach dem oben dargestellten Interviewanstoß in zwei Teile strukturiert, die jeweils mit einem Erzählanstoß eingeleitet wurden. Nach der ersten Darstellung der relevanten Themen in Bezug auf das Abendgymnasium wurden die Interviewten nun zu Erzählungen angeregt. Der erste Bereich bezog sich dabei auf den Weg zum Abendgymnasium. Der Erzählanstoß lautete hier: »Wie ist es dazu gekommen, dass du nun auf dem Abendgymnasium bist?« Auf diesen Erzählanstoß folgten offene Fragen im Rahmen der Erzählung sowie Nachfragen. Thematisiert wurden bei den Nachfragen auch die Erfahrungen des ersten Bildungsweges, falls diese nicht bereits Teil der Erzählung waren. Diesem Interviewteil folgte eine thematische Fokussierung auf das Abendgymnasium selbst. Diese wurde mit folgendem Erzählanstoß eingeleitet: »Erinnerst du dich an deinen ersten Tag am Abendgymnasium?« Auch hier folgten zunächst offene Fragen sowie ein Nachfrageteil, in dem die Erfahrungen mit Lehrern und Mitschülern, Unterrichtserfahrungen, Schulerfahrungen sowie das Lernen zu Hause noch einmal gezielt angesprochen wurden. Das Interview schloss mit Fragen danach, inwieweit die Interviewten einem Freund oder einer Freundin empfehlen würden, auf das Abendgymnasium zu gehen, und was sie am Abendgymnasium oder im Schulsystem generell verändern würden. 73
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
An das Interview schloss ein Fragebogen an, mit dem Sozialdaten und Bildungsabschlüsse des Interviewten, seine momentane Lebenssituation, die Lebenssituation während der ersten Schulzeit sowie die Bildungsabschlüsse der Eltern erhoben wurden. Interviewblock I (fünf Interviews mit Schülern der Studienstufe) und II (vier Interviews mit Schülern der Vorbereitungsstufe) unterschieden sich in Bezug auf die für das Interview zur Verfügung stehende Zeit. Während im Interviewblock I immer mindestens vier Stunden als Zeitrahmen für die Interviewerin zur Verfügung standen, war der Zeitrahmen im Interviewblock II kürzer. Zwei der vier Interviews im Interviewblock II wurden in der Schule im Rahmen von zwei Schulstunden durchgeführt, da die Interviewten, die Vollzeit arbeiteten, zeitlich sehr stark eingebunden waren. Alle anderen Interviews fanden bei den Interviewten zu Hause statt.
Visualisierungen Im Interviewblock I wurden zusätzlich zum Interview in zwei Bereichen Anstöße zu einer visuellen Darstellung gegeben: Einerseits beim Bildungsverlauf, andererseits in Bezug auf relevante Lebensbereiche. Für Ersteres wurde auf Erfahrungen im Kontext der Biographieforschung zurückgegriffen, für Zweiteres erfolgte eine Orientierung an der sozialen Netzwerkforschung (vgl. Lutz/Behnken/Zinnecker 1997). Es wurden ein DIN A3 Zeichenblock sowie farbige Filzstifte zur Verfügung gestellt. Ziel war es, neben den sprachlichen Daten eine weitere Datenquelle zu erschließen, die es erlaubte, mögliche weitere Aspekte zutage treten zu lassen. Bei der Durchführung ergaben sich auf verschiedenen Ebenen Probleme: Die Idee, die Visualisierung als weitere Datenquelle den Interviews nachzuordnen, erwies sich als problematisch. Durch die Visualisierungen wurden den Interviewten noch einmal bestimmte Aspekte in Bezug auf ihre Biographie oder ihr aktuelles Lebensumfeld deutlich. Es entstand weitreichender Gesprächsbedarf, der nicht in der geplanten kurzen Nachbesprechung aufgefangen werden konnte. Dadurch entstand die Notwendigkeit, sich zwischen einem längeren Interview oder einem Einstieg über Visualisierungen entscheiden zu müssen. Anders als der verbale Austausch erwies sich der Zugang zur Visualisierung für einige Interviewpartner als ungewohnt und schwierig. Die Darstellung auf einem Blatt erforderte zudem eine Strukturierung der eigenen Biographie in wenigen Punkten sowie die Darstellung der Lebensbereiche als voneinander getrennt. Das Verfahren gab also einen bestimmten Rahmen vor, der von den Interviewten eher als Festlegung denn als Unterstützung wahrgenommen wurde und sich daher als hinderlich erwies.
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EMPIRISCHES VORGEHEN
Hinzu kam, dass die Visualisierung für einige der Interviewten einen konfrontativen Charakter hatte. Durch die Darstellung des eigenen Lebens bzw. der momentanen Lebensbereiche auf einem Bild, wurden auch Bereiche deutlich, die kommunikativ eher nur kurz erwähnt oder ausgespart wurden. Dies erwies sich bei zwei der fünf Interviewten als massiv emotional aufwühlend. Es wurde m.E. eine Art von Fazit über das eigene Leben angeregt, das an emotionale Wunden rührte. Dies erschien mir im Rahmen der Stellung dieser Daten in der gesamten Arbeit, die ja eher das Aktuelle und auf das Feld Bezogene fokussieren und in der Auswertung biographische Aspekte eher nur streifen wollte, als ein zu nahes Herantreten an die Person. Daher wurde im Interviewblock II auf diese Datenebene verzichtet.
Feldforschung, Felddaten Nachdem von Seiten der Schulbehörde das Projekt genehmigt worden war, fand im Zeitraum von August 2003 bis April 2004 schwerpunktmäßig die ›Feldforschung‹ statt. Wesentliche Bereiche waren dabei die Unterrichtsbeobachtungen, Feldbegehungen und -beobachtungen, teilnehmende Beobachtung sowie verschiedene Dokumente der Schule (Geertz 1983, Amann/Hirschauer 1997, Friebertshäuser 1997b). An der Feldbeobachtung war zusätzlich eine erfahrene studentische Hilfskraft beteiligt.5 Dies hatte neben der personalen Kapazität, die die Feldbeobachtung erst in diesem Umfang ermöglichte, vor allem die Intention, durch einen weiteren Blick die Feldwahrnehmungen abzusichern. Dies wurde als wesentlich für die Qualität der Untersuchung erachtet (siehe Gütekriterien in Abschnitt 2.2). Im Folgenden möchte ich nun auf die einzelnen Bereiche der Feldforschung näher eingehen, wobei ich mich allerdings auf die Daten beschränke, die in die Auswertung (vgl. Kapitel 7) explizit einflossen.
Unterrichtsbeobachtungen Die Unterrichtsbeobachtung erfolgte nach der ethnographischen Methode zunächst recht offen (vgl. Voigt 1997), d.h. sie fand in den Unterrichtsstunden der Lehrkräfte statt, mit denen der Kontakt über die Schulleitung zustande gekommen war. Es wurde am Unterricht von zwei Lehrerinnen in der Studienstufe sowie einem Lehrer im Vorbereitungsjahr teilgenommen. Die Kurse bzw. die Klasse wurden jeweils informiert sowie die Erlaubnis der Schüler eingeholt. Ziel dieser ersten Unterrichtsbeobachtungen war es, Grundzüge des Unterrichtsgeschehens und auch des Schullebens in den Pausen mitzuerleben
5
An dieser Stelle sei Barbara Scholand noch einmal ausdrücklich für ihr Engagement gedankt. 75
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
und so Eindrücke vom ›Schulklima‹ zu erhalten. Von den Unterrichtsstunden wurden Protokolle angefertigt. Der Fokus war dabei offen gehalten und bestimmt durch die allgemeine Frage danach, was der Beobachterin auffällt. Danach wurden von den Forscherinnen gezielt Lehrer angesprochen, wobei nicht alle bereit waren, an ihrem Unterricht partizipieren zu lassen. Über die Interviews war zu diesem Zeitpunkt schon das Interesse auf die Differenz zwischen Vorbereitungsjahr und Studienstufe gelenkt worden. Es wurde als sinnvoll erachtet, diese beiden unterschiedlichen Settings der Schule im Sinne der maximalen Kontrastierung in den Blick zu nehmen. Der Schwerpunkt lag dabei zunächst auf dem Vorbereitungsjahr: Hier wurden mehrere Unterrichsstunden von zwei Lehrern in drei Fächern beobachtet. Für die Unterrichtsbeobachtung war mittlerweile ein Protokollbogen erstellt worden, der den Stundenverlauf sowie die Sitzordnung umfasste. Dabei wurden für die Stunden jeweils unterschiedliche Foki wie das Meldeverhalten der Schüler, die Gestaltung des Unterrichtsverlaufs durch die Lehrerin, Formen von Präsentation im Unterricht etc. festgelegt. Außerdem wurden der grobe Stundenaufbau und die Sitzordnung dokumentiert. In den zeitnah vorgenommenen ersten Auswertungen war die Frage, was im Unterricht zum Kapital wird und wie dieses Kapital zugeteilt wird, forschungsleitend. Im Verlauf der Untersuchung rückte der Deutschunterricht immer mehr in den Interessensfokus. Für die Studienstufe wurde daher ein weiterer Deutschkurs beobachtet. Dabei handelte es sich um den gleichen Lehrer, der auch im Vorbereitungsjahr unterrichtet hatte. Dies machte einen direkteren Vergleich zwischen Vorbereitungsjahr und Studienstufe möglich, da der Lehrer jeweils der gleiche blieb. Dieser Lehrer wurde zudem verstärkt in den Blick genommen, weil er in allen Interviews von zum Teil sehr unterschiedlichen Schülern als engagiert und sympathisch beschrieben wurde.
Teilnehmende Beobachtung und Dokumentation der Schuljahreseröffnung Eine zentrale Stellung für die spätere Auswertung kam der Feier zur Schuljahreseröffnung zu (vgl. Kap. 7). Die institutionalisierte Einführung in die Schule kann als Schlüsselsituation betrachtet werden, in der die Weichen für das künftige Miteinander an der Schule gestellt werden. Gleichzeitig offenbaren sich in der offiziellen Präsentation der Schule auch die subtilen Strukturen der doxa, die den Alltagspraktiken an der Schule zugrunde liegen. Die Schuljahreseröffnung lässt sich in einen gemeinsamen und einen jahrgangsspezifischen Teil differenzieren. Der gemeinsame Auftakt des Schuljahres fand zunächst in der Aula statt. Der Saal war voll besetzt, ein Teil der Lehrer stand am Rand. Eröffnet wurde das Schuljahr von der Schulleiterin mit einer Rede. Nach der Begrüßung ging sie darauf ein, was die Schüler aus 76
EMPIRISCHES VORGEHEN
ihrer Sicht an der Schule erwartet und was notwendig ist, um an der Schule zurechtzukommen. Anschließend sprach kurz die Schülersprecherin, die die Schülermitverwaltung vorstellte und darauf hinwies, dass sie dringend Leute suchen, die sich beteiligen. Anschließend übernahm die Schulleiterin wieder das Wort. Zunächst stellte sie den Vertrauenslehrer vor, dann gab sie die Räume und Lehrer bekannt, in denen sich die Klassen beziehungsweise die jeweiligen Jahrgangsstufen treffen. Von der Begrüßungsveranstaltung wurde ein Protokoll angefertigt. Gleichzeitig wurden die Reden der Schulleiterin sowie der Schülersprecherin auf MD aufgezeichnet. In Form von teilnehmender Beobachtung wurde anschließend die Klasse des Vorbereitungsjahres sowie die gemeinsame Einführungsveranstaltung der Studienstufe begleitet. Diese wurden protokolliert. Da die Unterschiede der jeweiligen Veranstaltungen in die Ergebnisdarstellung eingeflossen sind, soll an dieser Stelle nur kurz auf sie eingegangen werden. Die Einführung für das Vorbereitungsjahr wurde vom Klassenlehrer im Klassenzimmer vorgenommen. Der Klassenraum war so überfüllt, dass es zunächst nicht für alle Stühle gab. Für die Studienstufe hingegen fand die Begrüßung in einem gestuften Fachraum statt, der an einen universitären Vorlesungssaal erinnerte.
Materialien der Schule Neben den eigens für die Untersuchung erhobenen Materialien, standen für die Auswertung auch Dokumente der Schule zur Verfügung. Besonders und wesentlich sind m.E. dabei die Einführungsmaterialien der Schule: das Schulprogramm, die Werbebroschüren der Schule für die einzelnen Kurse sowie die am Einführungstag verteilten Materialien »Mein erster Schultag« und die für das Vorbereitungsjahr und die Studienstufe unterschiedlichen Einführungshefte. Die ersten beiden Materialen sind allgemein zugänglich und über das Schulsekreteriat oder das Internet erhältlich, während die Einführungsmaterialien nur an die jeweiligen Schülergruppen verteilt werden. Dem Schulprogramm kommt die Rolle der Selbstpräsentation der Schule nach außen zu. Auf bestimmte Zielgruppen (Hauptschüler, Realschüler etc.) zugeschnitten sind die Informationsfaltblätter. Neben dem Slogan der Schule werden hier die Eintrittsvoraussetzungen für die Schule dargestellt. Gleichzeitig werden auch Unterrichtszeiten kurz beschrieben. Die Broschüren »Mein erster Schultag« und die Flyer zur Einführung in den schulischen Ablauf (getrennt aufbereitet für das Vorbereitungsjahr bzw. für die Studienstufe) richten sich an Schüler, die neu in die Schule eingetreten sind. Ihnen werden die Möglichkeiten, Anforderungen, Abläufe und Regeln der Schule dargestellt. Hier werden die Schüler teilweise als Klassenkameraden, teilweise aber auch aus Lehrerperspektive angesprochen. Die Regeln und Anforderungen
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BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
der Schule sind hier teils subtil, teils direkt formuliert. Damit gibt das Material auch Aufschluss über die Lehrer-Schüler-Beziehung.
Auswertung Im Rahmen der Auswertung gab es eine grundlegende Vorgehensweise, die sich für die Interviews sowie das Feld nicht grundlegend unterschied: Parallel zur Datenerhebung fanden jeweils erste Auswertungen statt, die sich an folgenden Fragen orientierten (vgl. a. Abschnitt 2.3): Wie nehmen die Interviewten auf Schule und Bildung Bezug? Wie ist diese Bezugnahme kontextuell eingebettet? Und, bezogen auf das Feld Schule: Welche »Spielregeln« zeigen sich im Schulleben und vor allem im Unterricht? Ziel war es, zentrale Kategorien herauszuarbeiten, die das Material bezüglich dieser Fragen systematisieren. Die Vorgehensweise orientierte sich an der Grounded Theory (Glaser/Strauss 1998, Glaser 1978, Strauss 1994, Strauss/ Corbin 1996) sowie den Vorschlägen zu deren Umsetzung nach Böhm/Legewie/Muhr (1992). Grundprinzip der Grounded Theory ist das systematische Vergleichen der Daten (vgl. Glaser/Strauss 1998, S. 107ff.). In dieser Arbeit war dabei das Vergleichen unterschiedlicher Interviews bzw. unterschiedlicher Materialien und Perspektiven im Feld zentral. Auf das spezifische Wechselverhältnis zwischen Daten und Theorie, das auf Integration zielt, wurde schon hingewiesen. Für das Systematisieren der Daten war neben den unterschiedlichen Schritten im Kodierprozess die Orientierung anhand eines basic social concept und daran angelehnte Fragen sowie die Arbeit mit Schlüsselkategorien entscheidend (vgl. Glaser 1978, Strauss 1994). Der Kodierprozess ist in der Grounded Theory in verschiedene Schritte unterteilt. Beim offenen Kodieren werden text- bzw. feldnah Kodes vergeben, die dann anhand von Kategorien verdichtet werden. Anschließend werden die Daten im Schritt des axialen Kodierens vor dem Hintergrund des basic social concepts miteinander vernetzt und in Beziehung gesetzt. Ziel ist hier, eine oder mehrere zentrale Kategorien – auch Schlüsselkategorien genannt – herauszuarbeiten, die eine Antwort auf die Fragestellung bieten und auf die sich die anderen Kategorien beziehen lassen.6 6
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Hier unterscheiden sich Glaser und Strauss in den verwendeten Begrifflichkeiten: Glaser (1978) unterscheidet zunächst einen datenorientierten Auswertungsvorgang (substantive coding) und einen eher auf Theoriebildung ausgerichteten (theoretical coding). Das substantive coding unterteilt er in zwei Vorgehensweisen: das offene und das selektive Kodieren, bei dem die Daten schon auf einen bestimmten Aspekt hin fokussiert werden. Strauss (1994 und Strauss/Corbin 1996) unterscheidet hingegen nach offenem, axialem und selektivem Kodieren. Im Gegensatz zum basic social concept, bei dem ich mich an Glaser orientiere, übernehme ich hier das Vorgehen von Strauss.
EMPIRISCHES VORGEHEN
Dieses Grundvorgehen des offenen Herangehens, Verknüpfens und Verdichtens wurde in dieser Arbeit doppelt ausgeführt: als Globalauswertung sowie als Feinauswertung in den erarbeiten Teilbereichen. Bei der Unterscheidung in Global- und Feinauswertung orientiere ich mich am Auswertungskonzept von Böhm, Legewie, Muhr (1992). Bei der Globalauswertung wird der Text zunächst nach Themen unterteilt – in diesem Fall nach unterschiedlichen Themen der Bezugnahme auf Bildung und Schule bzw. nach unterschiedlichen Aspekten im Feld. Das »Thema« wird durch die Frage eingegrenzt: Worüber spricht der Interviewte hier? Beispiele sind: Die Rolle von Bildung im Freundeskreis, die eigene Position in der Schule, Gründe für den Schulbesuch, die Beziehung zu den Lehrern etc. Den offenen Interviewteilen, bei denen von Seiten der Interviewerin wenig Fragen vorgegeben wurden, kommt hier besondere Bedeutung zu. Da es im Verlauf der Arbeit zunächst darum ging,, welche unterschiedlichen Aspekte des Bildungsgangs in welcher Weise kontextuell vernetzt sind, bekam die Globalauswertung eine eigenständige Rolle. Daher wurden auf der Ebene der Globalauswertung nicht nur Themen bestimmt, sondern diese auch miteinander in Beziehung gesetzt und zu zentralen Kategorien hin verdichtet. Hieraus entstanden die dann näher fokussierten Dimensionen oder Aspekte. Diese Bereiche wurden anschließend anhand von Feinauswertungen näher spezifiziert. Dabei wurden die für diesen Bereich zentralen Textpassagen genauer ausgewertet und Kategorien für diesen Unterbereich gebildet, die anschließend verdichtet wurden. Dabei wurden auch andere Auswertungsverfahren herangezogen, die in das Grundvorgehen nach der Grounded Theory integriert wurden. Auf Besonderheiten bei der Arbeit mit den Interviews bzw. mit dem Feldmaterial gehe ich im Folgenden näher ein.
Interviews Anhand der vorgenommenen Globalauswertung der Interviews wurde die soziale Bezugnahme durch die Schüler in zwei zentrale Dimensionen unterteilt: soziale Bezugnahme über Bildung und Schule (Dimension A) sowie soziale Bezugnahme in Bildung und Schule (Dimension B; vgl. Kapitel 3). Bei der Dimension A steht die Bezugnahme auf Schule und Bildung durch die Akteure in ihrem jeweiligen lebensweltlichen Zusammenhang vor dem Hintergrund der Entscheidung für das Abendgymnasium im Zentrum. Als zentrale »Informationsquelle« in den Interviews wurde dabei die erzählte Auseinandersetzung mit Schule und Bildung vor dem Schritt ans Abendgymnasium sowie der Weg ans Abendgymnasium über die Globalauswertung bestimmt. Zentrale Frage war nun zunächst, was für die Akteure in Bezug auf Schule und Bildung auf dem Spiel steht. In Zusammenhang mit dem Weg hin zum Abendgymnasium und den genannten Gründen war dabei einerseits die 79
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
erzählte Entwicklung hin zum Schulbesuch von besonderer Bedeutung, andererseits auch die Bedeutungszuschreibung zu Bildung selbst. Daher wurde an dieser Stelle einerseits auf Elemente der biographischen Auswertung nach Schütze (1983 u. 1981) zurückgegriffen. Statt rein kategorial vorzugehen, wurden die erzählte Dynamik und die Art der Erzählung spezifisch in den Blick genommen. Andererseits wurden auch die bei der Bedeutungszuschreibung verwendeten Bilder feinausgewertet. Hierfür wurde zum einen auf die Methode der Satzergänzung nach der objektiven Hermeneutik zurückgegriffen, zum anderen auch Methoden der Metaphernanalyse angewandt (vgl. Wernet 2000, Koller 1994, Koller 1993). Bei der Dimension B stand die Frage im Zentrum, worauf die Akteure im Feld Schule wie Bezug nehmen. Diese unterteilte sich noch einmal in die Positionierung im Vorbereitungsjahr (B1) und in der Studienstufe (B2) (vgl. Kapitel 3). In diesen Teilaspekten der sozialen Bedeutung wurde in erster Linie kategorial vorgegangen. Schwierig war dabei insbesondere für die Positionierung in der Studienstufe das Wechselverhältnis mit der Feldforschung. Um hier die einzelnen Positionen der Akteure nicht durch zu viele Feldinformationen zu überfrachten, wurde daher dieser Dimension eine Feldbeschreibung des Abendgymnasiums vorangestellt.
Feldbeschreibung Für die Feldbeschreibung wurde im Hinblick auf die Systematisierung der Daten die Unterscheidung in symbolische Aspekte sowie Regelaspekte von Bourdieu (vgl. Kapitel 7) übernommen. Zunächst verlief der Auswertungsprozess zweigeteilt, d.h. es wurden einerseits die Feldbeobachtungen, andererseits die Interviews analysiert. Es wurde den Fragen nachgegangen: Wie funktioniert das Feld? Was ist dabei auffällig? Diese allgemeinen Fragen wurden zunehmend durch Fragen aus der Sicht der Akteure, die sich aus den Interviews ergaben, spezifiziert: Welche ›Stationen‹ und ›Übergänge‹ durchlaufen die Schüler am Abendgymnasium? Woran lassen sich diese festmachen oder ablesen? Wie ist die Beziehung zwischen Lehrer und Schülern zu erfassen? Warum kommt den Lehrern in den Interviews so eine zentrale Bedeutung zu? Welche Position haben diese im Feld? Die Feldauswertung ist daher stark auf den Blickwinkel der Schüler als Akteure fokussiert und dient der Einbettung der Dimensionen der sozialen Bezugnahme. Es wird daher nicht der Anspruch erhoben, ein umfassendes Bild des Feldes wiederzugeben, d.h. die Sichtweisen der Lehrer werden überwiegend nicht berücksichtigt.
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EMPIRISCHES VORGEHEN
Triangulation Die Arbeit beinhaltet als Strategie zur breiteren und tieferen Erfassung des Untersuchungsgegenstandes verschiedene Formen der Triangulation (Flick 2004, vgl. a. Steinke 1999, S. 49): einerseits Perspektiven der Triangulation zwischen Feld und Akteuren und zudem die Positionierungen der Akteure zu unterschiedlichen Zeitpunkten in ihrem Bildungsgang am Abendgymnasium. Die unterschiedlichen Perspektiven der Arbeit werden dabei zunächst getrennt rekonstruiert und anschließend (vgl. Kapitel 6 sowie das Resümee) anhand der Frage der Interdependenz miteinander verknüpft. Andererseits machen die unterschiedlichen Materialzugänge insbesondere bei der Feldforschung auch eine Datentriangulation nötig.
Darstellung Aufgabe der Darstellung ist es, eine Balance zwischen Authentizität und Strukturierung zu finden (Flick 1995a). Im Rahmen dieser Arbeit kam es mir dabei darauf an, einerseits das Besondere der Daten im Hinblick auf das Feld und das Spezifische des Blicks einzelner Akteure sichtbar zu machen, andererseits aber auch das Allgemeine und die Felddynamik herauszuarbeiten. Gleichzeitig bedarf es bei einer Arbeit wie dieser, die versucht, einen Gegenstand aus verschiedenen Perspektiven darzustellen und dabei gleichzeitig auf ein umfangreiches Datenmaterial zurückgreift, der Selektion. Es wurde im Zuge der Auswertung zunehmend deutlich, dass eine genaue Einzelfalldarstellung aller Interviewten im Zuge der Arbeit nicht möglich sein würde, da sie auf Kosten der Darstellung des Vergleichs gehen würde. Da es aber bisher keine Forschung gibt, die als Grundlage für die Einordnung von Einzelfällen in diesem Bereich hätte dienen können, entschied ich mich dafür, den Vergleich zwischen den Fällen und damit auch mehr das Allgemeine ins Zentrum zu rücken. Als mögliche Darstellungsformen kamen dabei die Darstellung zentraler Dimensionen und/oder Typenbildung in Betracht (vgl. Strauss/Corbin 1996, S. 75ff, Kelle/Kluge 1999). In Bezug auf die Typenbildung wäre problematisch gewesen, dass sich je nach Perspektive und Aspekt dieser Perspektive unterschiedliche Konstellationen der Nähe und Distanz zwischen den Akteuren ergeben hätten. Eine Darstellung nach Dimensionen hätte aber den Nachteil gehabt, dass sie zu abstrakt gewesen wäre und für die Leser der Bezug zu den Akteuren und damit auch der konkrete Ein- und Überblick verloren gegangen wäre. Daher habe ich mich für einen Kompromiss zwischen Typenbildung und Dimensionen entschieden, der je nach Perspektive und Teilaspekt spezifisch ausgefallen ist.
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BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
Gleichzeitig habe ich auch viel mit Schaubildern gearbeitet, um den Lesern den Überblick über die Ergebnisse zu erleichtern. Dies ist nicht unproblematisch, da ein Schaubild es erforderlich macht, Zusammenhänge zu vereinfachen; die Komplexität einer textlichen Darstellung kann und soll also dadurch nicht ersetzt werden. Die Schaubilder sind deshalb in diesem Sinne als Ergänzung des Textes zu verstehen; sie sollen lediglich die zentralen Begriffe und Zusammenhänge hervorheben.
Gütekriterien, Geltungsanspruch und Interpretation der Ergebnisse In der qualitativen Forschung gibt es verschiedene Vorschläge für qualitative Forschungsstandards (vgl. Bohnsack 2003, Steinke 1999, Breuer 1999). Daher möchte ich an dieser Stelle meinen Standpunkt und mein Vorgehen explizieren. Ähnlich wie in der quantitativen Forschung ist es m.E. sinnvoll, zwischen »internen« und »externen« Gütekriterien bzw. Validierung – in einem erweiterten Sinne (vgl. Kvale 1995) – zu unterscheiden. »Interne« Kriterien der erarbeiteten Theorie sind nach der Grounded Theory Gegenstandsangemessenheit, Kohärenz, Dichte und die Darstellung der Grenzen der Theorie (vgl. Glaser/Strauss 1998, S. 31ff., S. 225ff.). Diese stimmen im Wesentlichen auch mit neueren Ansätzen zur Bestimmung von Kriterien zur Güte einer Theorie bzw. eines Auswertungsergebnisses überein (vgl. Breuer 1999, Steinke 1999). In diese Arbeit sind sie durch das Bemühen um die Darstellung der Spezifik des Gegenstandes, die Herstellung eines »roten Fadens« durch zentrale Fragen und Teilfragen, die Bestimmung des basic social concept sowie die Herstellung von Dichte durch die Darstellung von Teilaspekten eingeflossen. Insbesondere die genaue Bestimmung der Perspektive der Arbeit und des basic social concept sowie die Beschreibung des empirischen Vorgehens stellen dabei auch einen Beitrag zur Transparenz der Forschung dar. Auf eine exemplarische Darstellung des Vorgehens anhand eines Auswertungsbeispieles wurde allerdings verzichtet. Der gesamte Forschungsprozess ist nicht en detail in einer Arbeit darstellbar und letztlich auf das Vertrauen der Leser angewiesen – das Gleiche gilt im Übrigen für die quantitative Forschung, deren Ergebnisse ebenfalls von der Forschungsethik abhängig sind. Für die »externe« Geltungsbegründung werden verschiedene Kriterien angeboten: intersubjektive Nachvollziehbarkeit, reflexive Subjektivität, Relevanz sowie theoretische Einbettung (Steinke 1999). Diesen liegen jeweils unterschiedliche Wahrheitstheorien zugrunde: Konstruktivismus, Konsenstheorien oder Pragmatismus. Da in ihnen wichtige Anregungen, die auch für eine Forschung, die die »Struktur der Praxis« oder auch die Praxeologie ins
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EMPIRISCHES VORGEHEN
Zentrum stellt, relevant sind, habe ich für die Arbeit einzelne Aspekte aufgegriffen. Unter dem Aspekt der »intersubjektiven Nachvollziehbarkeit« wurden die Auswertung, die Auswertungsergebnisse sowie die Vorgehensweise in unterschiedlichen teils regelmäßigen, teils einmaligen Gruppen dargestellt und reflektiert.7 Besondere Bedeutung kommt in der Arbeit allerdings der theoretischen Einbettung zu. Dies wurde schon durch die Betonung des basic social concept als Hintergrund der Arbeit hervorgehoben, es setzt sich in der Interpretation und theoretischen Einbettung der Kapitel fort und ist auch Teil der Reflexion in der Ergebnisdarstellung. Im Ergebnisteil wird zudem mit der Frage der Anknüpfung an weitere Forschungen die Relevanz der Arbeit bestimmt.
2.3 Zusammenfassung In diesem Kapitel wurde der empirische Hintergrund dieser Arbeit anhand der Forschungsperspektive und der zentralen Entscheidungen, der Materialien und der Auswertung dargestellt. Dabei wurde herausgestellt, dass zunächst eine Globalauswertung vorgenommen wurde, anhand derer dann die zentralen Foki der Arbeit bestimmt wurden. Um die unterschiedlichen rekonstruierten Dimensionen der Bezugnahme auf den und der Teilhabe am Bildungsgang nicht einfach als gegeben zu setzen, sondern sie in ihrer Entwicklung nachvollziehbar zu machen, stelle ich nun zunächst das Vorgehen der Globalauswertung an einem Einzelfall dar.
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Dabei handelt es sich um folgende Gruppen: Team und Kolloquium bei Hannelore Faulstich-Wieland, Kolloquium bei Hans-Christoph Koller, Kolloquien im Rahmen des Graduiertenkollegs Bildungsgangforschung, Arbeitsgruppe im Rahmen des 7. Methodenworkshops des ZBBS am 16./17.1.2004 in Magdeburg, gemeinsamer Workshop mit der Gruppe »bibus« der Universität Siegen am 14.5.2006 in Hamburg. 83
3. Anal yseebenen des Bildungsgangs: Der Bildungsgang als doppelte Statuspassage
Herstellung von Teilhabe am Abendgymnasium soll in dieser Arbeit als soziale Bezugnahme durch die Akteure empirisch rekonstruiert werden. In diesem Kapitel möchte ich nun die anhand der Auswertung getroffene Unterscheidung in Bezugnahme über Schule und Bildung (Kapitel 4) und Bezugnahme auf Schule (Kapitel 5) – auch als Positionierung bezeichnet – näher darstellen, wobei ich auf einen Einzelfall zurückgreife. Die Dimensionen werden dadurch zunächst im Zusammenhang mit dem konkreten Bildungsgang einer Person deutlich, bevor sie im Verlauf der Arbeit fallübergreifend weiter ausdifferenziert werden. Zudem wird das Kapitel auch dafür genutzt, den theoretischen Rückgriff auf das Konzept der Statuspassage weiter auszuarbeiten. Markus wurde hierfür exemplarisch ausgewählt. Als einer der Interviewpartner aus der Studienstufe hat er schon eine längere Zeit am Abendgymnasium hinter sich (vgl. Abschnitt 2.2). Sein Bildungsgang am Abendgymnasium ist zum einen durch eine große Kontinuität der subjektiven Bedingungen geprägt. Er war von Anfang an engagiert dabei und sein soziokulturelles Umfeld blieb über die Passage weitgehend stabil. Außerdem zeichnet sich das Interview durch eine hohe Reflexivität aus, was die Rekonstruktion von Bedeutungsbereichen anhand des Interviews erleichtert. Hinzukam, dass es sich bei dem Interview mit Markus um das erste Interview handelte, das sehr offen und ohne schon erarbeitete Konzepte geführt wurde.
3 . 1 An e r k e n n u n g s k o n t e x t e : D i m e n s i o n e n i m B i l d u n g s g a n g a m E i n z e l f a l l vo n M a r k u s Markus ist Mitte 30 und lebt in einer festen Beziehung mit Peter, einem Akademiker, mit dem er auch zusammenwohnt. Er stammt aus einer traditionellen 85
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
Handwerkerfamilie, die seit Generationen eine Schreinerei in Markus’ Herkunftsort führt. Der Besuch der Hauptschule auf dem ersten Bildungsweg entsprach nicht Markus persönlichen Wünschen. Er wollte Abitur machen, aber als ältester Sohn sollte er die Schreinerei übernehmen und für diese handwerkliche Ausbildung wurde die Hauptschule als passende vorbereitende Schulform angesehen. Zunächst absolvierte Markus, wie familiär vorgesehen, eine Ausbildung zum Schreiner und arbeitete im väterlichen Betrieb mit. Nach der Trennung der Eltern zog er mit 18 Jahren von zu Hause aus und entschied sich nach einer einjährigen Auszeit für eine Ausbildung zum Erzieher. In diesem Beruf arbeitet er seit mehreren Jahren, in dieser Zeit hat er des Öfteren seinen Wohnort gewechselt. Markus besucht zum Zeitpunkt des Interviews seit zweieinhalb Jahren das Abendgymnasium. Er arbeitet neben der Schule Halbzeit als Erzieher in einem Wohnprojekt für psychisch Kranke. Er erlebt im Moment die bisher schwerste Schulkrise. Im Interview mit Markus lassen sich zwei Dimensionen der Bezugnahme auf Schule und Bildung herausarbeiten. Die eine betrifft die Frage der Bedeutung der Schule für ihn und sein soziales Umfeld. Hier stehen Fragen in Zentrum wie: Warum machte er den Schritt ans Abendgymnasium? Was bedeutet dies für ihn? Wer unterstützt ihn dabei? Warum bleibt er weiter an der Schule? Als weitere Ebene der Auseinandersetzung kristallisiert sich sein momentaner Stand an der Schule heraus: Was sind Gründe dafür, dass seine Noten so abgefallen sind? Fühlt er sich an der Schule wohl? Haben sich seine Erwartungen erfüllt? Beide Ebenen möchte ich nun mithilfe der eingangs vorgestellten Fragen näher unter die Lupe nehmen: Was sind die zentralen Themen? In welche sozialen Kontext sind sie wie eingebettet? Welche Bezugnahme auf Schule und Bildung kommt dabei zum Ausdruck? Welche zeitlichen Passagen im Bildungsgang betreffen sie?
Dimension A: Die Bedeutung der Schule für Markus und sein soziales Umfeld Als zentrales Motiv der Passage am Abendgymnasium lässt sich für Markus ein persönliches Projekt herausarbeiten, das im Verlauf des Interviews immer wieder mit den Worten »zu entwickeln, was in mir steckt« bezeichnet wird. Dieses »Entwickeln« fasst dabei sowohl seine persönlichen Potentiale als auch seine beruflichen Perspektiven. Zentral ist dabei die Vorstellung, dass »mehr« in ihm steckt, als er bisher hat entfalten können. »Also primär erst mal so, dass für mich immer ganz wichtig war, das Abitur zu machen, ähm… und ich lange einfach den Mut nicht hatte, weil ich diesen Berg 86
ANALYSEEBENEN DES BILDUNGSGANGS
immer sah, der zu bewältigen ist, und dachte, das schaffe ich einfach nicht, aufgrund, das werden wir halt später noch erz/, oder werde ich später noch erzählen, meiner Lebensgeschichte war’s mir einfach unmöglich, ähm aufs Gymnasium zu gehen, weil mein Weg einfach schon ganz klar geebnet war, was ich zu werden HABE und ähm ich mich auch nie angestrengt hatte aus dem Grund, und ich wusste der Beruf, den ich wählen werde, ist KLAR, und mich aus dem Grund halt nie angestrengt. Und wusste aber: Es steckt mehr in mir, es steckt einfach viel mehr in mir.« (Markus, 27-39)
Untersucht man dabei die diskursiven Kontexte, auf die sich Markus in der Auseinandersetzung mit diesem Motiv bezieht, spielt sein jetziger Lebenspartner eine große Rolle. Der Schritt ans Abendgymnasium wurde durch diesen angeregt: »Dann durch Peter, der halt Akademiker ist, und der immer sagte: ›Mein Gott, ich würde das endlich mal fördern, was so noch in dir steckt‹.« (Markus, 61-62)
Markus gibt hier in direkter Rede eine Äußerung seines Lebenspartners wieder und benutzt dabei fast dieselben Worte wie beim Beschreiben seiner persönlichen Motive. Insofern scheinen die Äußerungen seines Lebenspartners bei der Entscheidung für das Abendgymnasium eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Das heißt, für Markus’ Auseinandersetzung mit der Frage, welche Bedeutung die Schule für ihn hat, spielen sein unmittelbares Lebensumfeld und die darin verhandelten Themen eine wichtige Rolle. Hierauf geht er auch an anderer Stelle ein. »Und viele [der Kollegen S.T.] halt auch nebenbei studiert haben, natürlich viel im sozialen Bereich, Sozialpädagogik oder eben ähm auf Lehramt, und zwei Freunde von mir, die mir wirklich sehr ans Herz gewachsen sind von dieser Station, haben sich dann eben auch für was anderes entschieden und dann kam so der Gedanke: ›Da muss auch bei Dir noch was anderes sein. Willst Du es wirklich angehen?‹ Und in dem Jahr hatte ich dann auch Peter kennen gelernt und der hat mich unterstützt, das brauch ich einfach, der sagt: ›Ja, mach es, Du kannst das.‹ Und dann hab’ ich mich dazu entschieden.« (Markus 223-233)
Sein Lebenspartner wird hier als zentraler Anstoß herausgestellt, den Schritt ans Abendgymnasium zu wagen. Aber auch das weitere soziale bzw. berufliche Umfeld von Markus ist relevant. Wichtig im Sinne von unterstützend sind nicht nur die Gespräche, die Markus direkt betreffen, sondern auch diejenigen, die eine Auseinandersetzung »mit« den Möglichkeiten, Interessen und Handlungsweisen der anderen beinhalten: Den Arbeitskollegen kommt in Markus’ Erzählung eine Vorbildfunktion zu.
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BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
Bei einer weiteren Analyse des Interviews wird deutlich, dass es nicht nur um unterstützende und Orientierung gebende Personen geht, sondern auch um ein bestimmtes Milieu, dem Markus sich zugehörig fühlen möchte: Das der »Akademiker« bzw. »Intellektuellen«. Schon als Kind habe ihn dieses Milieu angezogen: »Und wusste aber: Es steckt mehr in mir, es steckt einfach viel mehr in mir und hatte auch immer so den Bezug zu den Verwandten, ja, die man so unter Intellektuelle vielleicht so ’n bisschen verstehen kann.« (Markus, 38-40) »I: Und also, kannst Du sagen, was Du mit dem Abitur verbindest? Oder was so – M: Ja, erst mal so so’ne Selbstverwirklichung, um wirklich Grenzen auszureizen. Ähm auch in ’n gewissen Hinsicht, ich glaube, das lässt sich nicht verleugnen ’ne Selbstbestätigung, ’n, Stück weit bestimmt, auch wenn ich mich dagegen immer verwehre, ’ne gesellschaftliche Anerkennung, dadurch eben, dass mein Beruf als Erzieher überhaupt keine gesellschaftliche Anerkennung ist, […].« (Markus, 239252)
Was seinen jetzigen Beruf angeht, erlebt er vor allem im Kontakt mit neuen Bekannten eine Form von Ignoranz. Er hat den Eindruck, dass sein Beruf nicht ausreicht, um einen Status zuerkannt zu bekommen, der ihn in akademischen Kreisen als Gesprächspartner ›interessant‹ erscheinen lässt. Es geht also auch um soziale Anerkennung im Freundes- und Bekanntenkreis, der zum größten Teil aus Akademikern besteht. Lange hat er dort verschwiegen, dass er »nur« den Hauptschulabschluss hat: »[…], dass ich ’n minderes Selbstwertbewusstsein habe, aufgrund dessen, dass ich wirklich nur die Hauptschule hab/besucht hab’ und den Abschluss da gemacht habe. Was ich auch sehr lange verschwieg. Also auch Peter gegenüber sehr lange verschwieg. Ich hatte damit angefangen und gesagt ich mach’ nur drei Jahre und hab’ jetzt irgendwie Zeit, ihm dann auch zu sagen, dass ich… doch vier Jahre machen muss. Und es auch meiner Umwelt verschwiegen. Also wirklich auch, auf der Arbeit, ähm im Freundeskreis, bei Peters Freunden, was ja wirklich durchweg alles Akademiker sind […].« (Markus 612-629)
Der Passage am Abendgymnasium kommt somit auch zukunftsperspektivisch die Aufgabe zu, ihm einen Status zu ermöglichen, der ihm – nach seinem subjektiven Gefühl – eine leichtere Teilhabe an dem soziokulturellen Milieu verspricht, dem er sich zugehörig fühlt. Zentraler Bezugspunkt seiner Erfahrungen und Auseinandersetzungen ist dabei sein aktuelles soziales Umfeld. In der Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Abendgymnasiums für Markus zeigen sich somit verschiedene Formen sozialer Bezugnahme: Sein Lebenspartner dient als Gegenüber für Gespräche, die Kollegen dienen als 88
ANALYSEEBENEN DES BILDUNGSGANGS
Vorbild und Anregung, den Schritt ans Abendgymnasium zu wagen. Sein soziales Umfeld wird aber auch als Anerkennungskontext sichtbar, vor dessen Hintergrund die eigene, persönliche Legitimation und die soziale Zugehörigkeit verhandelt werden. Die diskursiven Auseinandersetzungen sind somit auch Teil der Auseinandersetzung mit einem bestimmten Milieu, das als Anerkennungskontext für die eigene soziale Positionierung dient. Es geht mit dem Streben nach persönlicher Entfaltung und besseren Berufschancen deshalb auch darum, im eigenen Umfeld ein bestimmtes symbolisches Kapital zu erreichen – man könnte auch sagen, einen bestimmten Status im jeweiligen Milieu zu erlangen. Untersucht man diese Bestrebungen nun darauf, in welcher Weise auf Bildung und Schule Bezug genommen wird, so erscheint Bildung und Schule als ein Medium, über das eine angestrebte zukünftige Position erreicht werden soll. Bildung und Schule erhalten ihre Relevanz hier insofern, als ihnen Bedeutung für die Entfaltung der persönlichen Entwicklungswünsche zukommt. In erster Linie nimmt Markus auf das Abitur Bezug, dem ein vielfältiges Veränderungspotenzial zugeschrieben wird. Der Bereich der Bildung an sich wird vor allem über den damit verbundenen Selbstbezug deutlich: Das »Mehr«, was in ihm steckt, zur Entfaltung zu bringen. Verbunden ist damit, dass über das Medium Schule und Bildung eine bestimmte Position im für Markus relevanten sozialen Netzwerk erreicht werden soll. Es handelt sich also um eine soziale Positionierung über Bildung und Schule. Die Passage ist dabei zunächst potenziell, ein Möglichkeitsraum, der mit Zukunftswünschen verknüpft ist. Thematisiert wird diese Bezugnahme über Schule und Bildung im Hinblick auf soziale Teilhabe sowohl in den Interviewpassagen, in denen Markus erzählt, wie es zu dem Schritt ans Abendgymnasium kam, als auch in den Abschnitten, in denen die Motive für den Schulbesuch erörtert werden. Es werden dabei einerseits Gründe für den Schuleintritt angeführt, andererseits hinterfragt Markus aber auch, auf dem Hintergrund der aktuellen, sehr problematischen Situation, seine Entscheidung und überlegt, ob er an der Schule bleiben oder sie verlassen möchte.
Dimension B: Soziale Bezugnahme im Kontext von Bildung und Schule Im Interview wird auf Schule und Bildung nicht nur im Zusammenhang mit Anerkennung und Auseinandersetzungen im jeweiligen sozialen Umfeld Bezug genommen. Die Schule selbst und ihr Wirken in den privaten Alltag hinein erscheinen als Kontext der subjektiven Auseinandersetzung. Gekennzeichnet ist diese Auseinandersetzung durch die aktuelle Krise, die durch Desillusionierung und Wut über die schulische Situation gekennzeichnet ist. 89
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
Wie von Seiten der Schule zum Schulbeginn vorhergesagt, ist er im Kurssystem der Oberstufe im Vergleich zu den ersten beiden Jahren an der Schule um ein bis zwei Noten abgesackt, was seine Selbstlegitimation an der Schule für ihn in Frage stellt. »Und wenn die Relationen dann einfach nicht mehr stimmen, die Relation insofern, was ich für die Schule, die halt jetzt wirklich jetzt nach der Beziehung die höchste Priorität hat, ähm, die Relationen völlig verwischen. Also, was ich lerne, ich lerne sehr viel, und was ich im Endeffekt an Klausuren dann an Noten schreibe. Ähm, das nicht mehr stimmt.« (Markus, 1709-1712)
Markus reflektiert in diesem Zusammenhang seine jetzige Situation an der Schule. Als Beispiel soll hier seine Infragestellung des in der Schule geforderten Wissens dargestellt werden. Das Wissen, das sich Markus in den Jahren vor dem Schulbesuch erarbeitetet hat, bewährt sich im momentanen Schulkontext nicht: »Ich hatte ganz oft zuvor den Gedanken gehabt, wenn ich jetzt noch mal zur Schule gehen würde, das würdest Du mit Bravour bestehen, das wäre gar kein Problem mehr. Aufgrund Deines Allgemeinwissens. Aber es ist ja ein sehr spezielles Wissen, [was] auch vermittelt wird.« (Markus, 333-336)
Als wesentliches Problem benennt er die Fähigkeit zu »Transferleistungen«, die jetzt im Kurssystem gefordert wird, zuvor aber nicht vermittelt wurde: »Und der Anspruch wurde halt extrem angehoben; von jetzt auf gleich und vieles wurde auch dann irgendwie, das mit diesen Transferleistungen vorausgesetzt, es wurde vorausgesetzt. Es wurde nicht mehr dran gearbeitet oder es wird nicht mehr dran gearbeitet, sondern es muss jetzt existieren aufgrund dessen, dass man eben zwei Jahre zuvor die Schule besucht hat, aber es da definitiv keine Vorbereitung für gab. Was auch die gleichen Lehrer sind, die die Vorstufe und das Vorbereitungsjahr unterrichtet haben, die eigentlich wissen müssen, dass da keine adäquate Vorbereitung für existiert.« (Markus,1273-1283)
Im Interview lassen sich hier weitere Bereiche der Auseinandersetzung mit dem aktuellen Schulkontext ausmachen, die später in der Auswertung aufgegriffen werden (vgl. Kapitel 7 und 8). Im Zentrum dieser Auseinandersetzungen stehen die eigene, gegenüber den vorherigen Schuljahren veränderte Position an der Schule und die Frage, wie es zu dieser Veränderung gekommen ist. Schule erscheint hier als spezifischer Anerkennungskontext, in dem über bestimmtes Wissen und Unterrichtsbeteiligung eine soziale Position hergestellt wird. Im Beispiel werden die Noten als ›Marker‹ der eigenen Position herangezogen und sind Teil der Positionierung im Feld. 90
ANALYSEEBENEN DES BILDUNGSGANGS
Anders als in den zuvor geschilderten Auseinandersetzungen über die eigene Position im Freundeskreis dient Schule nicht als Medium, über das eine soziale Position hergestellt werden soll. Vielmehr fungiert Schule selbst als relevanter Kontext sozialer Bezugnahme. Wissensinhalte spielen als Medium, über das eine Position erworben wird, eine Rolle. Sie werden von Markus aber abgegrenzt zu dem, was er zuvor unter Allgemeinbildung verstand und als »sehr spezielles Wissen« gekennzeichnet. Eine bestimmte Form der feldinternen Repräsentation von Wissen ist dabei Voraussetzung für die Beteiligung. Dieses Wissen fungiert dabei in der Darstellung weniger als Teil eines Selbstbezuges, sondern mehr als funktionale Voraussetzung für das Feld. Es geht also weniger um eine potenzielle, über den Schulabschluss angestrebte soziale Position außerhalb der Schule, sondern vielmehr um die alltägliche Bewährung und Positionierung im Feld Schule. Wissen ist in diesem Zusammenhang weniger ein ›Transportmittel‹ hin zu einer zukünftigen Position, sondern notwendiges Werkzeug im Alltag des Feldes. Die Schule selbst ist hier relevanter Anerkennungskontext, in dem es darum geht, symbolisches Kapital zum Beispiel in Form von Noten zu erwerben. Diese haben Einfluss auf die eigene Legitimation. Den Lehrern wird dabei für die Bereitstellung des notwendigen Wissens eine zentrale Bedeutung zugeschrieben. Auch das private bzw. berufliche Umfeld wird hierzu in Beziehung gesetzt. Unter dieser Perspektive ist das Umfeld allerdings weniger ein eigenständiger Anerkennungskontext, als vielmehr ein potenzieller Belastungsoder Entlastungsfaktor, der Einfluss auf die Position im Feld Schule hat. »Und dann in der Beziehung noch, was kommt und im Beruf kommt ständig was, auch extrem hohe Anforderungen, also es wird respektiert, dass ich zur Schule gehe, also das hat, ich bin auch einer derjenigen, der die höchste Priorität hat, der dann nur Frühdienste macht, wo ich auch zuvor sagte: ›So ich gehe oder ich bleibe und muss dann aber unter den Voraussetzungen nur hier arbeiten.‹ Wo es hieß: ›Du bleibst in jedem Fall und wir machen’s Dir möglich.‹ Wo ich heute noch sehr dankbar für bin. Aber wenn dann so verschiedene Sachen kommen, ist der Kollaps vorprogrammiert und der kommt regelmäßig.« (Markus, 1713-1720)
Dabei wird die Positionierung in der Schule auch als Prozess deutlich, der nicht mit dem Eintritt in die Schule abgeschlossen ist, sondern den Bildungsgang im Feld begleitet. Im Fall von Markus lässt sich die anfänglich beschriebene Motivation mit der jetzigen Desillusionierung kontrastieren. So tritt Markus in das Feld Abendgymnasium mit Zuversicht ein. Innerhalb seines bisherigen Lebenskontextes hat er sich aus den rigiden Strukturen seiner Herkunftsfamilie gelöst und sich sowohl privat als auch beruflich ein Umfeld geschaffen, in dem er sich wohl und anerkannt fühlt. Im Gegensatz zur Beto91
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
nung des ökonomischen Kapitals in seiner Herkunftsfamilie steht für ihn dabei eine Ausrichtung am kulturellen Kapital im Vordergrund. Aufgrund dessen, was er sich in diesem Bereich schon erarbeitet hat, zweifelte er ursprünglich nicht daran, dass er die Schule mit Leichtigkeit bewältigen würde. Momentan hingegen ist er sich nicht sicher, ob er die Schule überhaupt fortsetzen soll. Bei einer genaueren Betrachtung des Interviews wird deutlich, dass die Veränderung in der Motivation mit jeweils unterschiedlichen Positionen im Feld korrespondiert. Während Markus im Vorbereitungsjahr keine Schwierigkeiten hatte, sich am Unterrichtsgeschehen zu beteiligen und sehr gute Leistungen vorzuweisen, empfindet er seine Position im Feld und insbesondere im Unterricht nun als problematisch. Von daher ist es nicht nur motivational zu einer Veränderung gekommen. Auch seine Position im Unterricht hat sich anscheinend in den Jahren am Abendgymnasium verändert, ebenso wie die Noten, die er erhält. Anhand des Einzelfalls von Markus wurde deutlich, dass man bei der Bezugnahme auf Schule und Bildung zwei Ebenen der Auseinandersetzung unterscheiden kann, die jeweils mit unterschiedlichen Anerkennungskontexten einhergehen. Im privaten und beruflichen sozialen Umfeld wird auf Schule und Bildung als Medium der Veränderung Bezug genommen. In der Schule, also im Feld der Bildung selbst, wird das vermittelte bzw. abgeforderte Wissen zum Gegenstand der Auseinandersetzung. Hier wird nicht »über« Bildung und Schule sozial Bezug genommen, sondern »in« der Schule als Feld. Die Schule wird dabei als eigener Anerkennungskontext sichtbar, in dem die erlangte soziale Position zum Teil einer persönlichen Auseinandersetzung wird. Das private Umfeld wird unter dieser Perspektive vor allem über die Ressourcen, die es für die Schule zur Verfügung stellt, charakterisiert, also als Be- oder Entlastungsfaktor bezogen auf die Schule. Um die beiden herausgearbeiteten Dimensionen, die sich auch in den anderen Interviews als solche herausarbeiten lassen, als Grundlage für die Feinauswertung der sozialen Bezugnahme nutzen zu können, bette ich sie zunächst auch theoretisch in den bisher erarbeiteten Rahmen ein.
3.2 Unterschiedliche Statuspassagen im Bildungsgang? Im Theoriekapitel wurde der Begriff der Statuspassage als ein Konzept umrissen, mit dem Übergänge im Lebenslauf beschrieben werden können. Diese Übergänge wurden im Anschluss an Bourdieu als eine weitreichende Veränderung des symbolischen Kapitals gefasst. Welchen Vorteil hat es nun, bezüglich des Bildungsgangs mit dem Statuspassagen-Konzept zu arbeiten? Untersucht man die Herstellung von Teilhabe am Bildungsgang und seine 92
ANALYSEEBENEN DES BILDUNGSGANGS
soziale Bedeutung, wie hier am Einzelfall von Markus geschehen, als eingebettet in eine soziale Praxis, sensibilisiert der Begriff der Statuspassage m.E. für die mit dem Bildungsgang einhergehenden Veränderungen. Diese Veränderungen können zudem durch einen Blick auf die mit ihnen verbundenen Ressourcen genauer beschrieben werden. Möchte man die am Beispiel von Markus herausgearbeiteten Dimensionen mit dem Begriff der Statuspassage näher ausdifferenzieren, sind hierfür zunächst zwei Fragen zentral: Welche Statusaspekte spielen bei der jeweiligen Dimension der sozialen Bezugnahme eine Rolle? Mit Bourdieu gefragt: Welcher Aspekt des symbolischen Kapitals (vgl. Abschnitt 1.1) ist dabei von zentraler Bedeutung? Und in welcher Beziehung steht dieser Status bzw. das symbolische Kapital zum kulturellen Kapital? In der sozialen Bezugnahme über Bildung und Schule (Dimension A) wird über den Schulbesuch perspektivisch die Veränderung des eigenen symbolischen Kapitals im jeweiligen Umfeld angestrebt. Wesentlich ist dabei zumindest im Einzelfall von Markus der »institutionalisierte« Aspekt des kulturellen Kapitals, bei dem der Schulabschluss mit symbolischem Kapital verknüpft ist. Dieses würde sich für ihn mit dem Erwerb des Abiturs erhöhen. Potentielle Veränderungen des inkorporierten Kapitals sind bei Markus zunächst zweitrangig, da er eigentlich davon ausgeht, dass seine Allgemeinbildung sehr gut ist und dieser in Form des Schulbesuchs nur die entsprechende soziale Anerkennung und die beruflichen Möglichkeiten zuteil werden soll. Mit dem Eintritt in die Schule ist zunächst spezifisches inkorporiertes kulturelles Kapital notwendige Voraussetzung für die Beteiligung im Feld (Dimension B). Dazu gehört beispielsweise die Fähigkeit, schreiben und lesen zu können. Gleichzeitig ist das Feld auch auf den Erwerb von inkorporiertem kulturellen Kapital ausgerichtet. Den Akteuren und ihrer Beteiligung im Feld wird dabei anhand der Noten ein »Grad« an symbolischem Kapital zugewiesen. Der Status des Schülers ist also mit einem bestimmten symbolischen Kapital verknüpft, das durch Interaktionen des Lehrers im Unterrichtsgeschehen und durch die Noten zugewiesen wird. Der Bildungsgang geht damit auf unterschiedlichen Dimensionen mit (potenziellen) Veränderungen des symbolischen Kapitals einher: Einerseits wird eine Veränderung des symbolischen Kapitals innerhalb des sozialen Umfeldes angestrebt, andererseits kommt durch den Schuleintritt ein weiteres Feld zum bisherigen sozialen Umfeld hinzu, in dem es symbolisches Kapital zu erwerben gilt – zumindest dann, wenn man den Schulabschluss anstrebt und dafür einen bestimmten Notendurchschnitt benötigt. Da es sowohl im sozialen Umfeld als auch im schulischen Feld zu einer Veränderung des symbolischen Kapitals kommt bzw. kommen soll, lässt sich bezogen auf beide Bereiche zunächst von einer Statuspassage sprechen. Allerdings tritt dabei die Frage auf, inwieweit diese Begriffsbestimmung nicht 93
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
zu ungenau ist und ob es dabei nicht um unterschiedliche Arten von Status bzw. symbolischem Kapital geht. Um hier den Statuspassagenbegriff weiter auszudifferenzieren, bietet m.E. die von Glaser/Strauss (1971) angebotene Unterscheidung zwischen »vertikaler« und »horizontaler« Statuspassage (vgl. a. Hoerning 1978) einen Anknüpfungspunkt. Glaser/Strauss nehmen dabei auf die in der Soziologie gängige Unterscheidung in vertikale und horizontale Differenzierung Bezug (vgl. beispielsweise Vester u.a. 2001, S. 72ff.). Während unter der Perspektive der vertikalen Differenzierung nach den Statusunterschieden innerhalb eines sozialen Kontextes gefragt wird, stehen unter der Perspektive der horizontalen Differenzierung die Statusunterschiede zwischen verschiedenen Kontexten im Zentrum des Interesses. Eine vertikale Statuspassage kann man in den Termini Bourdieus somit als eine Veränderung des Sozialstatus innerhalb eines sozialen Kontextes beschreiben, bei der sich die sozialen Beteiligungsmöglichkeiten einer Person im Hinblick auf die ihr zur Verfügung stehenden Kapitalien – seien dies soziale Anerkennung, Wissen und Abschlüsse, ökonomisches Kapital oder soziale Beziehungen – verschieben1. Eine horizontale Statuspassage ist durch den Eintritt in ein neues Feld und den damit verbundenen Positionsaufbau gekennzeichnet. Es geht hier darum, wie in einem neuen Feld Beteiligungsmöglichkeiten hergestellt werden. Die Form der Beteiligung unterscheidet sich hier qualitativ vom Bisherigen2. Vor diesem Hintergrund kann man sagen, dass mit dem Eintritt in den Bildungsgang verschiedene Formen von Statuswechsel einhergehen: Einerseits soll in einer vertikalen Statuspassage perspektivisch der eigene Status im sozialen Umfeld – und mit ihm auch der gesellschaftliche Status – verändert werden. Andererseits beinhaltet der Eintritt in den Bildungsgang einen horizontalen Statuswechsel insofern, als in ein neues Feld eingetreten wird und es gilt, sich innerhalb dieses Feldes einen Status zu erwerben (vgl. a. Tosana 2004, Tosana/Faulstich-Wieland 2005). Allerdings hat die Auswertung des Einzelfalls von Markus deutlich gemacht, dass es innerhalb des Bildungsgangs am Abendgymnasium zu einer Positionsverschiebung zu kommen scheint, bei der eine erneute Positionierung an der Schule notwendig wird. So grenzt Markus die einfache Positio1
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Beispiele für empirische Untersuchungen, die mit einem solchen Verständnis arbeiten, sind die im Forschungsstand erwähnten Untersuchungen von Hoerning (1978) und Siarra (1986). Für moderne Gesellschaften hat Friebertshäuser (1992) einen solchen Übergang, den Eintritt ins Studium, differenziert beschrieben. Neben der empirischen Beschreibung geht sie dabei auch dezidiert der Frage nach, wie Statuspassagen in modernen Gesellschaften beschrieben werden können. Ein weiterer Bereich, bei dem mit dem Begriff der Statuspassage gearbeitet wird, sind beispielsweise auch Übergänge im Bildungsgang wie zwischen Grundschule und weiterführender Schule.
ANALYSEEBENEN DES BILDUNGSGANGS
nierung im Vorbereitungsjahr von seinem jetzigen schwierigen Stand an der Schule ab. Es ist daher sinnvoll, um die unterschiedlichen Aspekte der sozialen Bedeutung des Bildungsgangs am Abendgymnasium erfassen zu können, den innerschulischen Aspekt des Bildungsgangs, der bisher nur mit der horizontalen Statuspassage in den Bildungsgang hinein und der damit verbundenen Positionierung thematisiert wurde, weiter zu differenzieren. Dafür ist zunächst eine genauere Analyse des Bildungsgangs am Abendgymnasium nötig, um zu überprüfen, inwieweit sich die von Markus konstatierte Differenz zwischen Vorbereitungsjahr und Studienstufe im Feld rekonstruieren lässt. Ist dies der Fall, kann der Übergang in die Studienstufe als innerschulische Statuspassage verstanden werden. Der Bereich der innerschulischen Bedeutung wäre somit in die Positionsaushandlung zu Beginn des Schulbesuchs und in der Studienstufe zu differenzieren. Der Einzelfall von Markus legt nahe, dass in der Studienstufe, anders als im Vorbereitungsjahr, besonders Beteiligungsfragen thematisiert werden. Die Auswertung wäre somit auch im Hinblick auf die hohe Selektivität des zweiten Bildungsweges besonders relevant.
3 . 3 An a l ys e e b e n e n d e r U n t e r s u c h u n g Im Folgenden sollen für eine nähere Analyse der untypischen Bildungsgänge am Abendgymnasium zunächst zwei Dimensionen zu unterschieden werden (vgl. auch Abbildung 3): Eine Ebene der »vertikalen« Statuspassage (A), die gekoppelt ist an die Auseinandersetzung über die Bedeutung des Bildungsgangs im und für das jeweilige soziale Umfeld sowie eine Ebene der »horizontalen« Statuspassagen (B), bei der die Auseinandersetzungen um die jeweilige soziale Position im konkreten Feld Abendgymnasium eine Rolle spielen. Innerhalb der Dimension A wird der gesamte Bildungsgang als angestrebte Statuspassage innerhalb des jeweiligen sozialen Umfeldes aufgefasst. Relevante Fragen für diesen Aspekt der Bedeutung des Bildungsgangs am Abendgymnasium, auf den sich die Akteure bei der Herstellung von Teilhabe beziehen sind, in welcher Weise sich die mit dem Bildungsgang verbundenen Ziele je nach Lebenslage ausdifferenzieren lassen, aber auch welche Rolle die unterschiedlichen Ressourcen der Akteure für den Bildungsgang einnehmen. Insbesondere die Frage nach der Reversibilität des Bildungsgangs kann hier hilfreich sein (vgl. Abschnitt 1.2 und 4.2), da durch die Frage, inwieweit das Abitur für einen Akteur auch anders als auf dem Abendgymnasium erreichbar wäre, die »feinen Unterschiede« besonders deutlich werden. Diese eher groben Fragen sind anhand der Feinanalyse näher zu differenzieren, um die Möglichkeit offen zu lassen, auf die Besonderheiten des Feldes Abendgymnasium sensibel eingehen zu können. Die Aushandlungen bezüglich der 95
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Bedeutung des Bildungsgangs für den jeweiligen sozialen Kontext werden in den Interviews in erster Linie anhand der Entscheidungsfindung vor dem Schritt ans Abendgymnasium thematisiert. Daher wird bei der Auswertung dieser Zeitpunkt für die Feinanalyse fokussiert (Kapitel 4). Abbildung 3: Statuspassagen im Bildungsgang Gesellschaftliche Rahmenbedingungen Sozialer Lebensbereich als Anerkennungskontext: Reversibilität Gesamter Bildungsgang als Statuspassage (A)
Interdependenz Schule als Anerkennungskontext Person in t
Eintritt als Status-passage (B1)
ZentralerWechsel als Statuspassage (B2)
Austritt als Statuspassage
Als weiterer Aspekt der Bedeutung des Bildungsgangs bezüglich der Herstellung von Teilhabe wurde die Positionierung im konkreten Feld Schule deutlich, die als horizontale Statuspassage aufgefasst werden kann (Dimension B). Hier rückt zunächst der Eintritt (B1) in das Feld Schule in den Blickwinkel. Dabei ist zu fragen, in welcher Weise sich Schüler eine Position in der Schule aufbauen und welche Bedeutung dabei der Erwachsenenstatus hat (Kapitel 5). Allerdings wurde in Auseinandersetzung mit dem Einzelfall von Markus deutlich, dass der Aufbau einer sozialen Position nicht mit dem Eintritt ins Feld abgeschlossen ist. Zwar ist anzunehmen, dass bestimmte Praktiken im Umgang mit den Spielregeln zentral mit dem Einstieg ins Feld herausgebildet bzw. in Anknüpfung an den ersten Bildungsweg wieder belebt werden. Aber es wurde deutlich, dass der Erwerb einer symbolischen Position im Feld damit nicht abgeschlossen ist, sondern immer wieder neuer Aushandlungen bedarf. Hier scheint es wichtig, auch die schulischen Übergänge im Verlauf des Bildungsgangs am Abendgymnasium mit in den Blick zu nehmen. An96
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hand des Interviews mit Markus ist hier zunächst vom Übergang ins Kurssystem als einem solchen zentralen Wechsel innerhalb des Bildungsgangs am Abendgymnasium auszugehen. Dabei scheint zu diesem Zeitpunkt insbesondere die Frage der Herstellung der Beteiligung am Unterrichtsgeschehen für die Schüler zentral (Kapitel 8). Somit möchte ich den Bildungsgang der Akteure für die Feinauswertung zunächst in drei zentrale Teilaspekte der Herstellung von Teilhabe unterscheiden, die genauer analysiert werden sollen: Die Entscheidungssituation vor Schuleintritt, die Positionierung im Vorbereitungsjahr sowie die Beteiligungsmöglichkeiten in der Studienstufe. Als weiterer relevanter Auswertungsfokus ergibt sich zudem die Auswertung des Feldes Abendgymnasium (Kapitel 7). Bei der Spezifizierung der Fragestellung gegen Ende des ersten Kapitels habe ich schon dargestellt, dass diese Teilaspekte auch durch weitere analytische Fragen verknüpft werden sollen. Jeder Teilaspekt soll dabei zunächst zusammenfassend noch einmal auf die Charakteristika des Bildungsgangs am Abendgymnasium hinterfragt werden. So können auch Besonderheiten des Feldes Abendgymnasium bzw. der dort stattfindenden Passage deutlich gemacht werden (vgl. Kapitel 1). Zudem soll die Frage der Interdependenz zentral in den Blick genommen werden. Um hier die Analyse für den Leser nachvollziehbar zu machen, zeige ich zunächst das Wechselverhältnis zwischen der lebenskontextuellen Bezugnahme zum Bildungsgang und der Positionierung in der Schule durch einen Vergleich der in Kapitel 5 und 6 herausgearbeiteten Aspekte auf (Kapitel 7 sowie im Resümee).
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4. Der Bildungsgang als Medium der Veränderung: »Das kann es nicht gew esen sein.«
Wie im vorherigen Kapitel herausgearbeitet wurde, ist eine relevante Dimension der Herstellung von Teilhabe und der Bedeutung des Bildungsgangs für die Schüler, in welcher Weise er die Beteiligung an der sozialen Praxis des jeweiligen soziokulturellen Umfeldes ermöglicht. Die exemplarische Darstellung des Einzelfalls von Markus machte deutlich, dass auf Bildung und Schule als Medium Bezug genommen wird, über das die eigene Position verändert werden kann und soll. Im Folgenden werde ich nun die Interviewten und ihren Weg ans Abendgymnasium vorstellen. Anhand des Gesamtvergleichs werden anschließend Gemeinsamkeiten und Unterschiede fokussiert. Diese werden abschließend dazu genutzt, um die unterschiedlichen Positionen am Abendgymnasium herauszuarbeiten sowie erste Charakteristika des Bildungsgangs zu bestimmen.
4 . 1 W e g e z u m Ab e n d g ym n a s i u m – K u r z p o r t r ä t s d e r I n t e r v i ew t e n Die Interviewten werden hier in der Reihenfolge der mit ihnen geführten Interviews vorgestellt. Dabei werden Alter, die familiäre Situation während der Kindheit sowie Schul- und Berufsweg aufgezeigt. Im jeweils anschließenden Abschnitt geht es dann darum, wie sie ans Abendgymnasium gekommen sind und was es für sie bedeutet, nun am Abendgymnasium zu sein. Markus wurde schon im vorherigen Kapitel vorgestellt (vgl. Kapitel 3). Birgit, Jens und Kai befinden sich wie Markus zum Zeitpunkt des Interviews in der Studienstufe. Die anderen Interviewten, Harald, Florian, Demir und Cingiz, wurden im Vorbereitungsjahr interviewt (vgl. Abschnitt 2.2). 99
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Birgit: »Ich kam mir halt irgendwie zu gut vor für diesen Weg« Birgit ist beim Eintritt in die Schule neunzehn Jahre alt. Sie wuchs bei ihrer Mutter auf, mit der sie überwiegend in Wohnprojekten der spirituellen Gemeinschaft, der diese angehörte, lebte. Dabei wechselte diese zusammen mit Birgit fast jährlich die Stadt, was für Birgit bedeutete, sich immer wieder an einer neuen Schule zurechtfinden zu müssen. Von allem »Weltlichen«, und hierzu gehörte auch die Schule, grenzte sich die Mutter ab. Die Hauptschule war dabei das schulische Minimum, das man nicht verweigern konnte. Wissen im spirituellen Bereich spielte hingegen eine große Rolle und wurde durch ihre Mutter gefördert. Mit 14 Jahren zieht Birgit allein in eine größere Stadt zu einer spirituellen Gemeinschaft ihrer Glaubensrichtung. Hier besucht sie zunächst das Wirtschaftsgymnasium mit dem Ziel, Abitur zu machen, was sie nach kurzer Zeit abbricht. Stattdessen beginnt sie eine Ausbildung zur medizinischtechnischen Assistentin. In der Zeit der Ausbildung distanziert sie sich nach und nach von der religiösen Gemeinschaft und zieht schließlich aus deren Wohnprojekt aus, zunächst mit Freunden in eine Wohngemeinschaft. Die Ausbildung bricht sie nach kurzer Zeit ab, weil das Berufsbild doch nicht ihren Vorstellungen entspricht. Anschließend jobbt sie. Im Alter von 18 Jahren unternimmt sie mit Freunden eine Reise nach Thailand. Als sie zurückkommt, ist sie zunächst wohnungslos. Nach einem »Gammeljahr« zieht sie zu ihrem Vater, dessen Frau und ihrer Halbschwester. Der Vater betreibt eine Galerie. Birgit arbeitet zunächst an der Kasse eines Supermarktes und im Verkauf eines Fast-Food-Unternehmens und überlegt währenddessen, wie es mit ihrem Leben weitergehen soll. »[…] und ich hatte nur den Hauptschulabschluss, abgebrochene Ausbildung, viel Perspektiven hat man da nicht und da muss man schon ziemlich suchen, gerade in der heutigen Zeit, bis man mal ’nen guten Job findet, wo man auch genug kriegt, zum Leben und so weiter, und ich hab mir einfach gedacht, du MUSST irgendwas machen, weil so kannst du nicht dein Leben weiterleben, so als weiß nicht, gar nichts gelernt, vor allem, ich lese sehr viel und ich komm mir dann schon ziemlich komisch vor, auf dem Arbeitsamt zu sitzen zwischen den ganzen, also ich will jetzt nicht sagen Idioten, aber in dem Sinne irgendwie. Ich kam mir halt irgendwie zu gut vor für diesen, für diesen Weg. Ja, und ich dachte mir, du kannst mehr. Du kannst, ähm, Du hast du hast das Potential, mehr zu erreichen, warum nicht das ausschöpfen. Und das hab ich dann auch versucht.« (Birgit 204-222) »[…] und dann habe ich mir überlegt, was ich eigentlich machen will im Leben und dann hab’ ich mir überlegt, dass ich gerne studieren möchte und da ich nur den
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Hauptschulabschluss hatte, musste ich halt irgendwie noch Abi machen.« (Birgit 4648)
Die Schule erscheint hier in der Passage als Weg der Veränderung. So, wie es bisher lief, kann es nicht weitergehen. Birgit rekurriert dabei auf ihr eigenes Potential, das sie nicht ausgeschöpft hat. Das Abendgymnasium ist für sie dabei nur »ein Weg« um das Abitur zu erreichen. Für sie wären auch andere Schulformen in Betracht gekommen. Sie entscheidet sich aber für das Abendgymnasium, da sie nicht die Älteste in der Schule sein will. »[…] ich wusste zuerst gar nichts vom Abendgymnasium, ähm ja, und dann hab ich davon erfahren und das fand ich sofort gut. Weil an der Tagesschule sind dann doch eher jüngere Leute, ich wäre dann eine der Älteren gewesen und, ich weiß nicht, also, das hat mir dann doch eher zugesagt, dass da viele Erwachsene sind und das hat sich auch bestätigt, im Endeffekt, dass es ’ne bessere Umgebung wäre, als die normale Schule, wo jüngere Leute sind.« (Birgit 50-58)
Diese Wahlfreiheit entsteht auch, weil sie in ihrem Bildungsgang von ihrem Vater finanziell unterstützt wird. Er bezahlt die Wohnung, in der sie lebt. Für einen Teil ihrer Lebenshaltungskosten muss Birgit allerdings selbst aufkommen, indem sie neben der Schule jobbt.
Jens: »Es musste, der Horizont musste einfach irgendwie erweitert werden.« Wie Markus und Birgit ist Jens im ersten Jahr der Studienstufe. Er kam mit 21 Jahren ans Abendgymnasium. Seine Eltern leben seit seinem fünften Lebensjahr getrennt. Er wohnte bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr bei seiner Mutter und deren neuem Lebenspartner und wechselte dann zu seinem Vater. Seine Mutter hat Abitur und ihr Fachhochschulstudium während der ersten Schwangerschaft abgebrochen. Sein Vater ist Facharbeiter. Er hat einen Bruder, der Handwerker ist, und eine Schwester, die nun ebenfalls begonnen hat, das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nachzuholen. Auf dem ersten Bildungsweg hat ihn Schule nicht interessiert. Seine Leistungen wurden allerdings erst mit Beginn der Sekundarstufe schlechter. Jens führt dafür verschiedene Gründe an: sein eigenes Desinteresse, die problematische familiäre Situation zu Hause, aber auch das Verhalten einzelner Lehrer, die ihn vom Unterricht ausschlossen, wodurch er den inhaltlichen Anschluss im betreffenden Fach verpasste. Hinzu kam seine Position als Außenseiter in der Klasse.
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Gegen Ende der Schulzeit drangen seine Eltern darauf, dass Jens eine Ausbildung beginnen solle. Nach dem Hauptschulabschluss begann er eine Lehre als Tischler, die ihm allerdings keinen Spaß machte und nicht seinen Vorstellungen entsprach. Trotzdem schloss er die Lehre ab und arbeitete zwei Jahre in seinem Beruf, zuletzt an einer Arbeitsstelle, an der er sich wohl fühlte. Sein privater Freundeskreis machte allerdings überwiegend Abitur. Nach zwei Jahren Zivildienst ist er arbeitslos und kommt nach einer Skireise in seinen Wohnort zurück. Er weiß zunächst nicht, was er machen soll. Den Schritt ans Abendgymnasium beschreibt er als einen Wendepunkt innerhalb eines Tages. Zentral ist dabei das Motiv, etwas an seinem Leben verändern zu wollen. Er habe sich gedacht: »So, das kann’s jetzt nicht sein, das kann nicht alles sein, ich will irgendwie meinen Horizont erweitern, meine Chancen vergrößern.« (Jens 30-32)
Nach dem Besuch beim Arbeitsamt, der ihm seine schlechten Berufsaussichten noch einmal vor Augen führt, ist er frustriert und fährt daraufhin erst einmal mit dem Fahrrad durch die Stadt. Dabei kommt er am Abendgymnasium vorbei: »An dem Tag bin ich an der Schule vorbeigekommen, so, ich hatte auch schon länger irgendwie auch mal Interesse an der Schule gehabt, ja, und bin dann einfach an dem Tag rein gegangen als ich vorbeikam und hab mich mal erkundigt, so.« (Jens 40-43)
Eigentlich war die Anmeldefrist schon abgelaufen, aber er hat »’n bisschen vollgeschnackt und dann haben die gesagt: ›Ja gut dann bringen Sie mal ihre Papiere mit….‹ Und dann frag ich: ›Wann soll’s denn losgehen?‹ Und dann haben die gesagt: ›Ja heute!‹« (Jens 47-50)
Die Schule ist eine zweite Chance für ihn, die er »nun aber auch nutzen muss«, die Möglichkeit für eine Zukunftsperspektive. Sein Beruf davor war für ihn nicht wirklich mit einer Perspektive verbunden: »Es war halt so, ich habe gedacht: ›So ja toll, jetzt arbeitest du irgendwie dein Leben lang auf der Baustelle blöd rum, mit dem ganzen Dreck, mit den ganzen Bauern, die dir jeden Tag die Bildzeitungsgeschichten erzählen‹ – und ja, das konnt’ es einfach nicht sein. Es musste, der Horizont musste einfach irgendwie erweitert werden. Ich wollte einfach irgendwie weitergehen, das konnte einfach nicht alles sein.« (Jens 115/116)
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So hat er auch schon während der Zivildienstzeit darüber nachgedacht, das Abitur nachzuholen, er hat sich aber nicht wirklich darum gekümmert. Erst an dem besagten Tag ist dann die Entscheidung gefallen. Dieser Wunsch, etwas anderes zu wollen, hing auch mit seinen »Kumpels« zusammen, die »nicht wie ich nach der Neunten abgebrochen haben.« Sie haben ihr Abitur gemacht, danach zu studieren begonnen oder sind ins Ausland gegangen. Seine damalige Freundin hat, als er seine Lehre beendete, gerade ihre Abiturprüfungen bestanden. »Und ich hab’ das dann die ganze Zeit vermisst, ich wär auch gern mit dabei gewesen […] Ich mein, ich hab [die Abiturfeiern] mitgemacht, aber es waren einfach nicht meine. Das wollt ich auch.« (Jens 131-135)
Ein Freund habe ihm schon, als er von der Schule abging, prophezeit »Ich schwör Dir, Du wirst das alles noch nachholen«. Der habe ihn ein bisschen »manipuliert«, aber im »positiven Sinne«.
Kai: »Das kann’s nicht gewesen sein.« Kai war zu Beginn des Abendgymnasiums 27 Jahre alt. Wie Jens und Markus ist er nun seit zweieinhalb Jahren an der Schule. Er ist in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Seine Mutter war Erzieherin, seinen Vater hat er nie kennen gelernt. Seine Schulzeit in der DDR war geprägt durch den Ausreiseantrag, den seine Mutter gestellt hatte. Es war klar, dass er damit keine »Chance hatte, in diesem System«. Alle Zukunftsfragen wurden auf die Zeit nach dem Wechsel in die BRD vertagt. Mit 14 Jahren siedelte Kai schließlich mit seiner Mutter und seinem Bruder in die BRD über. Die anschließende Zeit war für ihn durch eine weitreichende Destabilisierung gekennzeichnet. Er fühlte sich in der Gesamtschule zunächst wie ein »bunter Vogel«, das Schulsystem ist völlig anders und die private Lebenssituation mit dem Lebenspartner der Mutter ist alles andere als harmonisch. Kai besucht kaum die Schule. Nach der zehnten Klasse bekommt er den Hauptschulabschluss zuerkannt. Zu dem Zeitpunkt ist er schon zu Hause ausgezogen. Die Lehrstelle in einem handwerklichen Bereich sucht er sich selbstständig und geht dabei von seinen schulischen Interessen aus. Obwohl ihm die Ausbildung nicht gefällt, bringt er sie zu Ende. Danach lebt er über Jahre von den unterschiedlichsten Jobs. Während einer knapp einjährigen Reise vollzieht sich allerdings ein Perspektivenwechsel. Kai beginnt, über sein Leben nachzudenken und überlegt dabei, wieder zur Schule zu gehen.
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»Das ist eine lange Geschichte – eigentlich, also, ich fang mal von vorne an. Und zwar, ich habe einen Beruf gelernt und ja kurz drin gearbeitet im Beruf, und hab dann schnell gemerkt, das ist nicht so mein Ding, und war halt echt immer unglücklich und unzufrieden und dachte mir so: ›Ne, das kann’s nicht sein.‹ Und dann war ich ein knappes Jahr im Ausland und das war halt so irgendwie der Knackpunkt, die Schlüsselsituation für mich, dass ich einfach mal Abstand hatte von allem. Und mir überlegt habe, dass du echt was machen musst. Und dann war halt, die Abendschule war halt ’ne Möglichkeit für mich. Ja.« (Kai 29-38)
Über den Abstand, den er durch das Jahr im Ausland gewinnt, wird ihm klar, dass er an seinem Leben etwas ändern muss. Die Anstöße konkretisiert er im Folgenden anhand der Menschen, die ihm sowohl auf der Reise als auch im Beruf begegnet sind: »Also erst mal wirklich diesen Weitblick, den ich dann plötzlich hatte, weil ich schon eingefahren war in, in meinem Leben hier, also vom Kopf her sehr eng begrenzt. Muss ich schon sagen. Und da habe ich halt Leute kennen gelernt und die haben halt andere Sachen gemacht. Und irgendwie kam das dann dadurch, durch Menschen die ich kennen gelernt habe und gesehen hab’, was die gemacht haben und mir dann bewusst wurde: ›Du musst irgendwas machen‹. Von daher, was heißt, ich muss was machen, aber, irgendwie, na ja dadurch kam das halt irgendwie, dass ich, das ich halt Anstöße gekriegt habe, so, Denkanstöße. Dass ich halt schon festgefahren war hier. Würd’ ich sagen.‹ I: Und dieses Festgefahrene, was war das für Dich, also? K: Ja, dieses: Schule gemacht, Ausbildung gemacht, dann halt ja, dass das Leben seine Bahnen hatte schon, und dass ich halt unzufrieden war mit dem, was ich hatte. Bin halt schon, bin halt 10. Klasse raus, war damals 16, mit 20 fertig mit der Lehre und dann dachte ich so: ›Eh, das kann’s nicht gewesen sein, so. Weil ich dann halt Arbeitskollegen gesehen hatte damals, das hat mich schon ein bisschen frustriert, als ich die gesehen hatte. Und so wollte ich halt nicht werden…« (Kai 62-82)
Das Abendgymnasium bezeichnet er als Chance und als Möglichkeit, wobei die Auseinandersetzung mit den Gründen nicht mit dem Eintritt ins Abendgymnasium abgeschlossen ist, sondern diese auch in den anschließenden drei Jahren immer wieder reflektiert werden.
Harald: »Ich hab’ Bock auf was Neues.« Harald ist zum Zeitpunkt des Schuleintritts 29 Jahre alt und zum Zeitpunkt des Interviews Schüler des Vorbereitungsjahrs. Er wuchs zusammen mit seiner Schwester und seinem Bruder bei seiner Mutter auf, die einer spirituellen Gemeinschaft angehört. Sie versucht, ihren Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen, die ihren Vorstellungen entspricht. Seine Geschwister machen beide das Abitur. Harald geht auf verschiedene freie Kinderschulen, unter 104
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anderem besucht er ein Internat in England. Seine Mutter schafft es nach drei Jahren allerdings nicht mehr, für das hohe Schulgeld aufzukommen. Als dann die freie Schule in der Stadt, in der Harald lebt, aufgelöst wird, kommt er auf die Regelschule. »[…] was natürlich für mich, der Jahre lang ganz anders groß geworden ist, dann irgendwie auf so ’ne normale Schule und dann noch da und, war für mich immer so: ›och, och‹, und hatte da irgendwie auch kein’ Bock drauf und dann auch irgendwie keine Ambitionen, da irgendwie weiter irgendwie ’nen guten Schulabschluss anzustreben.« (Harald 105-109)
Harald geht mit dem Hauptschulabschluss von der Schule ab und beginnt, im Schaustellerbereich bei der Organisation von Großveranstaltungen zu arbeiten. Die Truppe, mit der er arbeitet, kommt aus der gleichen spirituellen Gemeinschaft wie er, und er fühlt sich dort zunächst sehr wohl. Auch heute arbeitet er noch im selben Bereich. Vor einem Jahr kam es dann zu einer ziemlichen Veränderung in seinem Leben. In diesem Zusammenhang beginnt er auch zu überlegen, beruflich etwas anderes anzufangen. »Ja, es war so, also, äh, also ich hab’ letztes Jahr geheiratet auch, und meine Frau, die studiert, und, es war immer so der Punkt für mich, dass ich so, das, was ich gemacht hab’, also, das, was ich jetzt mach, das hat halt sehr, sehr viele Jahre mich auch ausgefüllt und mir Energie gegeben und mich einfach genährt und jetzt ist einfach der Punkt mittlerweile gekommen, wo ich mir gesagt hab’: ›Heh, ich bin jetzt irgendwie, wie gesagt, ich bin 28, ich hab’ Bock auf was Neues, ich weiß aber nicht wirklich was, bevor ich jetzt so vor mich hier so weiter rumeiere irgendwie, kucke ich mal‹.« (Harald 43-51)
Zunächst erkundigt er sich auf dem Arbeitsamt nach der Möglichkeit zu einer Umschulung in einem Bereich, der ihm zusagt. Dort erhält er allerdings die Auskunft, dies sei aussichtslos, da er zum einen in einer festen Anstellung wäre und zum anderen zu alt für eine Ausbildung. Daraufhin beschließt er, das Abitur nachzumachen, um studieren zu können und damit einen Gedanken, den er immer mal wieder hatte, in die Tat umzusetzen. »Also ich hab’ erst mal mit der Schule angefangen, was ich irgendwie nie gedacht hätte, also, ich hatte schon öfters mal so den Gedanken, oh das will ich machen, das will ich machen. Aber es war irgendwie, nie irgendwie der richtige Zeitpunkt da, irgendwie. Was heißt der Zeitpunkt, ich war vielleicht einfach noch nicht so weit. Ich hab’ Bock, das Abi zu schaffen, ich hab’ einfach, das ist ’ne Herausforderung auch für mich.« (Harald 21-27)
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Dabei spielt auch die gemeinsame Lebensperspektive mit seiner Frau eine Rolle, die nach dem Studium ins Ausland gehen möchte.
Florian: »Also für mich ist es jetzt so’ne Art Sicherheit.« Florian geht im Alter von 22 Jahren zurück zur Schule und ist wie Harald im Vorbereitungsjahr. Er stammt aus der ehemaligen DDR, ist bei seiner Mutter und seinem Stiefvater aufgewachsen. Seine Schwester hat das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nachgeholt. Als entscheidend für seine schulische Laufbahn beschreibt Florian die Zeit der Umstellung des Schulsystems. Für die Familie sei damals ganz klar gewesen, dass er auf die Hauptschule gehen solle. Die Schulentscheidung richtete sich nach der Familientradition. »Ja ich entstamme eigentlich so ’ner Familie so mit Handwerkern und damals hat man immer gesagt, Hauptschüler sind eben die Handwerker und Handwerk, Handwerk hat goldenen Boden hat man immer gesagt. Heute könnte ich diejenigen, naja egal. Das ist, find ich heute, großer Quatsch, weil Handwerk wirklich keine Zukunft mehr hat. Ich finde, ist meine Meinung, es ist wird viel industrialisiert und damals hatten, haben dann z.B. meine Eltern mir geraten, eben auf die Hauptschule zu gehen, weil ich einen handwerklichen Beruf lernen sollte.[…] Ja, ich hab dann eben einen guten Hauptschulabschluss gehabt, obwohl es hätte auch für die Realschule gereicht, aber naja.« (Florian 206-219)
Auf der Schule ist Florian zunächst recht »faul«. Erst im letzten Jahr, als es dem Abschluss entgegen geht, arbeitet er für die Schule und erreicht dann einen guten Schulabschluss. Nach der Schule absolviert er eine handwerkliche Lehre und wird danach arbeitslos. Die sechsmonatige Arbeitslosigkeit ist für Florian ein einschneidendes Erlebnis. Er kommt mit der Situation, zu Hause »rumzusitzen«, schlecht zurecht und überlegt immer wieder neu, was er machen könnte. »Und durch diese Arbeitslosigkeit ist dieser Wunsch noch viel größer geworden, irgendwas aus mir zu machen. Also ich weiß nicht genau, ob ich das auch gemacht hätte, wenn finanziell sowie arbeitstechnisch alles in Ordnung gewesen wäre. Aber diese Zeit hat mir noch ’n gewissen Sprung gegeben, noch mehr Willen gegeben, überhaupt das zu machen.« (Florian 147-154)
Dabei kommt auch zum ersten Mal der Gedanke auf, den Schulabschluss nachzuholen. In der Kleinstadt, in der er zu dem Zeitpunkt noch lebt, findet er aber keine für ihn finanzierbare Möglichkeit hierzu. Schließlich bewirbt er sich in der Großstadt auf eine Stelle in seinem Lehrberuf und wird auch genommen. Nach einem Jahr findet er dann eine Stelle in einem anderen Hand-
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werksbereich, in dem er sich während seiner Arbeitslosigkeit weitergebildet hat. Hier nimmt er nun die Position des Vorarbeiters ein. In der Zeit nach dem Umzug in die Großstadt kommt auch die Idee auf, an die Abendschule zu gehen: »Und dann kam ich in dieser Zeit auch eigentlich auf die Idee mit der Abendschule, mit dem zweiten Bildungsweg. Ich hab mich damit eigentlich ähm, nie richtig befasst. […] Wie bin ich da überhaupt drauf gekommen? Meine Schwester hatte das gemacht. Das hatte ich aber eigentlich nicht so wahrgenommen, weiß ich noch genau. Dann hab ich immer U-Bahn [gefahren], [an den] U-Bahn-Haltestellen, da hingen so Plakate aus. Naja ›du bist, was du aus dir machst‹ oder irgendwie so, ich weiß gar nicht mehr genau. Hhm, dann kam ich mit irgendjemandem drauf zu sprechen. Ich denke, es war auch jemand aus meinem Familienkreis. Hab das Thema dann erstmal aufgefasst, überhaupt das in Gang zu kriegen. Oberstübchen rein machen. Ähm ja, und hab mich dann immer weiter informiert und hab mich dann entschieden, das zu machen. Ich würde das auch niemals abbrechen, ich habe meine Entscheidung damals getroffen. Bin froh, dass ich das gemacht hab. Jetzt ist schon ein Jahr vorbei, das geht SO schnell vorbei!« (Florian 91-109)
Als wesentliche Gründe führt Florian an, dass der Schulabschluss für ihn eine Sicherheit darstellt. Er ist mit mehr beruflichen Möglichkeiten verbunden, aber auch eine Option, etwas aus sich zu machen: »Und ähm, also für mich ist es jetzt so’ne, so’ne Art Sicherheit, ich hab’ zwar meinen Beruf, das ist ein relativ sicherer Beruf, aber mhm, man kann seinen Job heut schneller verlieren als man denkt und das ist für mich so ’ne Art zweite Sicherheit, wenn ich das mach’. Ich will, was ich aus diesem Abitur, was ich mach, letztendlich draus mach’, das ist jetzt erst mal, das sei mal dahingestellt. Aber, für mich ist es Sicherheit einfach, man kann ja noch studieren oder man hat ja so viele Möglichkeiten eigentlich, ähm, ’nen Garant auf’nen Job ist es nachher nicht‹. Aber ich hab’, denk ich, bessere Chancen, überhaupt auf dem Arbeitsmarkt anzukommen als, sag ich mal, als Handwerker, als reiner Handwerker, die Zeiten sind vorbei, für mich. Mal so gesagt, das kann jetzt nicht alles gewesen sein, dass ich jetzt 40 Jahre denselben langweiligen, in Anführungsstrichen langweiligen Job mach’, ja, im Vordergrund steht natürlich, was ich vorhin eben schon angesprochen hatte, äh die persönliche Weiterbildung. Ich möchte nicht auf einer Stufe stehen bleiben, sondern mich weiterentwickeln, persönlich weiterentwickeln. Dazu gehört das eben, das ist die beste Möglichkeit meiner Meinung nach.« (Florian 44-62)
Florian betont, dass er im Hinblick auf sein weiteres Leben das Gefühl hat, nicht auf der jetzigen Stufe stehen bleiben zu wollen. Er begründet dies auch mit der unsicheren Arbeitsmarktlage.
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Demir: »Ich brauche es für meinen Werdegang unbedingt…« Bei Schuleintritt ist Demir 24 Jahre alt. Seine Eltern sind aus der Türkei nach Deutschland immigriert. Er selbst ist mit einem Teil seiner Geschwister in Deutschland aufgewachsen. Auf dem ersten Bildungsweg war es zunächst sein Traum, Ingenieur zu werden. Durch den Übergang zur Hauptschule wurde allerdings zunehmend klar, dass er diesen Traum wohl nicht würde verwirklichen können. Als Gründe für seine Probleme auf dem ersten Bildungsweg nennt Demir verschiedene Faktoren. Zum einen habe es ihm selbst an Reife gefehlt: »DAS war immer meine Absicht. Ich war auch immer davon überzeugt, dass ich das Zeug dazu habe, bloß die Geduld! Auch im Unterricht, die Aufmerksamkeit zu bringen, die Reife hatte ich noch nicht, das hab’ ich auch selber gemerkt, dass das immer da dran hapert. Gut, die ist jetzt da, die werd ich jetzt ausnutzen.« (Demir 9599)
Im Verlauf des Gesprächs differenziert er den Aspekt der Reife darin, sich nicht ablenken zu lassen und im Unterricht kontinuierlich aufmerksam zu sein. Hinzu kommt regelmäßige Anwesenheit, was bei ihm auf dem ersten Bildungsweg auch nicht immer der Fall war. Zum anderen beschreibt Demir auch äußere Faktoren. Sprachprobleme hätten dazu geführt, dass er erst ab der dritten Klasse dem Unterricht ganz folgen konnte. Durch den hohen Ausländeranteil in seinem Stadtviertel hätten die Lehrer mehr Dinge durchgehen lassen, als das sonst der Fall gewesen wäre. Teilweise hätten vielleicht auch die Leistungen gefehlt: »Einige Lehrer waren auch mit der Zeit vielleicht voreingenommen. Bei manchen Sachen haben einfach die, wie heißt das? Leistungen einfach gefehlt, weil eben der Stadtteil auch, für den vieles nicht geleistet wurde, weil einfach die Bevölkerungszahl viel zu klein war.« (Demir 154-159)
Den Hauptschulabschluss macht Demir im Rahmen einer berufsqualifizierenden Maßnahme. Den von ihm angestrebten Berufsabschluss erreicht er allerdings nicht. Einen weiteren Anlauf, einen Berufsabschluss zu erwerben, bricht er wegen seiner Heiratspläne ab. Den Schritt ans Abendgymnasium begründet Demir zunächst mit seiner mangelnden beruflichen Perspektive: »Ich brauche es für meine Arbeit, für meinen Werdegang unbedingt, weil ich im Moment gar keine Chancen habe, überhaupt Arbeit zu bekommen oder zumindest aus eigener Kraft für mich und meine Familie zu sorgen. Weil ich bräuchte dann immer über die Hälfte noch Zuschüsse dazu, das ist eigentlich ausschlaggebend dafür. Und was das so direkt bedeutet, pfft. Ich finde jeder Mensch sollte sich bis 108
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zum Tod weiterbilden. Die Chance ist ja gegeben. Ausnutzen ist grade sowas wie Pflicht finde ich. I: Und ohne heißt dann ohne Abitur oder jedenfalls ohne weiteren Schulabschluss? A: Nee, ich hab im Leben mal eine Ausbildung angefangen. Obwohl ich in gewissen Fächern erfolgreich war, hat’s wiederum in bestimmten Fächern gehapert, weil die, wie soll ich sagen, ja, die schulische Qualifikation nicht da war, und deswegen brauch’ ich das überhaupt, um diesen Beruf auch auszulernen. Ssss, deswegen muss ich das auch machen.« (Demir 3-23)
Dabei steht zunächst nicht der Schulabschluss an sich für Demir im Zentrum, sondern die in der Schule zu erwerbenden Kompetenzen. Der Schulbesuch zielt darauf, die Grundlage dafür zu schaffen, eine Ausbildung in Zukunft abschließen zu können. Allerdings erscheint Demir im Hinblick auf seine berufliche Perspektive ambivalent und noch nicht ganz entschieden. Teilweise spricht er davon, dass der Traum, Ingenieur zu werden, für ihn, da er nun für eine Familie aufkommen muss, ausgeträumt wäre. Teilweise scheint er aber wohl auch mit dem Gedanken zu spielen, doch Abitur zu machen. Zumal die Chancen, in einem handwerklichen Beruf Arbeit zu finden und genug zu verdienen, um eine Familie zu versorgen, immer schlechter werden. »Ach, Abendgymnasium, eigentlich kannte ich die Geschichte mit dem Abendgymnasium schon immer. Schon immer heißt, seit ich in der achten, siebten Klasse war, und seitdem hatt’ ich immer//Ich war auf’ ’ner Hauptschule und die, das war eigentlich mein Ziel nach dem Abschluss auch, falls ich ’ne Umschulung oder äh ’ne Ausbildung eben beenden würde, dass ich eines Tages trotzdem zum Abendgymnasium gehe und mein Abitur nachmache und eventuell auch studiere. Und da ich sowieso nach dem Hauptschulabschluss, den ich nicht mal auf der Schule sondern woanders machen musste, auch wegen der, wie soll ich sagen//Das war auf jeden Fall, weil ich nicht in der Schule die Leistungen erbracht habe, durch massives Fehlen und was noch alles dazu gekommen ist. Und daher war es eben jetzt mittlerweile sowas wie Pflicht geworden, dass ich das Abendgymnasium doch mache. Dann hab ich mich erst seit *? sechs Monate vor Beginn so richtig informiert, wie das überhaupt läuft. Und wo es überhaupt so was gibt. (Demir 29-44)
Der Weg über das Abendgymnasium ist für ihn auf jeden Fall eine schon lange in Betracht gezogene Möglichkeit, um sich bessere Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu verschaffen. Er sieht auch seine Pflicht darin, nun mit einer anderen Einstellung die Schule zu absolvieren.
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Cingiz: »Ich wollte auch mehr lernen. Die Sprache war wichtig, damit ich überhaupt weitermachen kann.« Cingiz ist beim Eintritt ins Vorbereitungsjahr 28 Jahre alt und hat schon einen zweijährigen Sprachkurs an der Schule hinter sich. Er stammt aus einer Arbeiterfamilie und gehörte in seinem Herkunftsland einer ethnischen Minderheit an. Nach der Regelschulzeit dort schaffte er die Aufnahmeprüfung für das Lehrerseminar und erwarb mit dem Abschluss gleichzeitig die Hochschulzugangsberechtigung wie die berufliche Qualifikation als Grundschullehrer. Nach einer kurzen Tätigkeit als Lehrer floh er nach Deutschland. Als ihm hier nach dem Aufnahmeverfahren die Wahl des Wohnortes freigestellt wird, kann er in eine Großstadt in die Nähe von Bekannten ziehen. Er arbeitet überwiegend im Gastronomiebereich. Nach seiner Ankunft bemüht er sich dort um einen Sprachkurs. Von der zuständigen Behörde wird dies abgelehnt. »Also, ich bin zunächst nicht in dieser Stadt gewesen und aus verschiedenen Gründen bin ich dahin gelandet, und dann bin ich durch Freunde nach in diese Stadt gekommen 2000, und dann hab’ ich gearbeitet und ich wollte immer was machen und dann hab’ ich meinen, wollte ich noch mal Sprachkurs besuchen, weil ich auf den anderen Nation gekommen bin, und dann hab ich überall bei Arbeitsamt versucht, aber mir viel zu teurer, konnt’ ich auch nicht leisten. Sie haben alles, ich hab’ gebo/geboten? I: gebeten? C: gebeten, dass ich einen Sprachkurs brauche, aber sie haben mich irgendwie gesagt: ›Wir können das nicht leisten.‹ Und sie haben einen Psychologe geholt und sie sagen: ›Sie können Radio hören, und Fernseh Kinderkanal kucken‹ und so weiter. Na ja, auf jeden Fall habe ich selbst gekümmert und dann hab’ ich Abendgymnasium bei Hamburger Schulinformation bekommen, die. Und da bin ich dann reingekommen. […]Ja mein Ziel war nicht nur die Sprache, ich wollte auch mehr lernen. Die Sprache war wichtig, damit ich überhaupt weitermachen kann. […] Es wurde nicht anerkannt, was ich gemacht habe.« (Cingiz 9-33)
Über Bekannte erfährt er von der Möglichkeit, am Abendgymnasium einen Sprachkurs zu machen, die er zunächst wahrnimmt. Anschließend meldet er sich am Abendgymnasium an. Zu diesem Zeitpunkt ist noch unklar, welcher Schulabschluss ihm aufgrund seiner Ausbildung im Herkunftsland hier in Deutschland zuerkannt wird, da es lange nicht möglich war, die nötigen Papiere, die seine Ausbildung belegen, aus seinem Herkunftsland zu beschaffen. Sein ursprüngliches Ziel am Abendgymnsium war der Erwerb des Realschulabschlusses. Im Anschluss daran möchte er eine Ausbildung im Gesundheitsbereich machen. Parallel zum Eintritt ins Abendgymnasium änderte sich die politische Situation in seinem Herkunftsland und es wurde möglich, 110
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die Dokumente über seine Ausbildung zu beschaffen. Diese wird ihm hier in Deutschland nun als Realschulabschluss anerkannt. Trotzdem möchte er weiter am Abendgymnasium bleiben.
4 . 2 G e s a m t ve r g l e i c h : As p e k t e d e r s o z i a l e n B e z u g n a h m e ü b e r d a s Ab e n d g ym n a s i u m Die Veränderung des eigenen Lebens – mit den Worten Kais: »einen Platz für mich zu finden« – sticht bei allen Interviewten als zentrales Motiv heraus, das ihre Bezugnahme auf Schule und Bildung innerhalb ihrer jeweiligen sozialen Praxis vor Schulbeginn kennzeichnet. Die angestrebten Veränderungen lassen sich dabei in zwei Teilaspekte gliedern: »Persönliche Entfaltung« und »berufliche Möglichkeiten«. »Persönliche Entfaltung« wird beispielsweise bei Florian benannt mit den Worten: »Ich möchte nicht auf einer Stufe stehen bleiben, sondern mich weiterentwickeln, persönlich weiterentwickeln.« Birgit meint nur: »Bildung wollt ich gern«. Kai und Jens sprechen von Perspektiven- bzw. Horizonterweiterung. Gleichzeitig geht es bei allen auch darum, für sich selbst berufliche Möglichkeiten über den Schulabschluss zu entwickeln. Beide Aspekte kommen, wenn auch unterschiedlich zentral, in allen Interviews vor. Die Schule ist somit einerseits ein Medium dazu, die jeweilige berufliche Position zu verändern, andererseits geht es dabei auch um »mehr« – um eine Entwicklung der eigenen Person. Diese beiden im Fallvergleich herausgearbeiteten Aspekte der angestrebten Veränderung über Bildung und Schule decken sich auch mit dem dargestellten Forschungsstand. Auch in den wenigen bisher vorhandenen Untersuchungen werden als zentrale Gründe für den Schritt ans Abendgymnasium berufliche Perspektiven und persönliche Weiterentwicklung benannt (vgl. Abschnitt 1.3). Ist somit alles gesagt, was es über Bildung und Schule als Medium sozialer Positionierung zu sagen gibt? Wie lässt sich in den Interviews dem näher kommen, was in dieser angestrebten Veränderung hin zur Erweiterung der persönlichen und beruflichen Möglichkeiten die Besonderheit des Abendgymnasiums deutlich macht? Welche Unterschiede zeichnen sich dabei in der Gruppe der Akteure ab? In der folgenden Feinanalyse der Interviews möchte ich die soziale Bezugnahme über den Bildungsgang kontextuell und ressourcenorientiert untersuchen, um dadurch Unterschiede in der sozialen Bedeutung des Bildungsgangs herauszuarbeiten. Grundlage hierfür ist ein Gesamtvergleich der Interviewten. Dabei bin ich in drei Schritten vorgegangen: Zunächst habe ich in Anlehnung an die bei Markus vorgenommene Einzelfalluntersuchung die soziale Einbettung der Entscheidung für das Abendgymnasium und die mit dieser Entscheidung verbundenen Ziele näher in den Blick genommen. In einem zweiten Schritt habe ich hinterfragt, welche As111
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pekte in den Begründungen für den Bildungsgang Hinweise auf die unterschiedlichen Ressourcen liefern, die den Akteuren zur Verfügung stehen. Dabei wurde die Notwendigkeit der Passage ein zentraler Fokus. Bei einer weiteren Durchsicht der Interviews ergab sich, dass die soziale Einbettung sowie die Analyse der Notwendigkeit des Besuchs des Abendgymnasiums einige Aspekte der Interviews nicht wiedergaben, die mir für die soziale Bedeutung und die damit verbundene Herstellung von Teilhabe relevant erschienen. Es handelte sich dabei um Besonderheiten der Interviews, die mit ihrer lebensgeschichtlichen Einbettung und der biographischen Erzählung des Schritts ans Abendgymnasium zu tun hatten. Daher habe ich in einem weiteren Auswertungsschritt diese »prozessuale Einbettung« des Schritts ans Abendgymnasium genauer untersucht. Eine Übersicht über die rekonstruierten Kategorien sowie die Verteilung innerhalb der Interviews bietet dabei Tabelle 2 auf Seite 133.
Soziale Einbettung der Veränderung Um Unterschiede zwischen den Schülern herauszuarbeiten, bot sich daher zunächst die Frage an, wie die angestrebte Veränderung durch Bildung und Schule in den aktuellen soziokulturellen Kontext eingebettet ist und sich dadurch differenziert. Hier zeigten sich bei den Akteuren unterschiedliche Formen der sozialen Bezugnahme und der Bedeutung von Schule in der jeweiligen sozialen Praxis. Charakteristisch für alle Interviewten ist, dass sie schon über einen eigenen Hausstand verfügen – d.h. keiner der Interviewten wohnt mehr bei seinen Eltern. In der Bezugnahme auf den Freundeskreis bzw. die Familie ließen sich dabei zwei unterschiedliche Ausrichtungen der sozialen Bezugnahme ausmachen. Im einen Fall war ein Freundeskreis Bezugspunkt, der weitgehend »akademisch« ausgerichtet ist, also Abitur gemacht hat und studiert. Auf diesen wurde in unterschiedlichen Interviews mit dem Satz: »Was die können, das kann ich auch!« Bezug genommen. Dem gegenüber standen Interviewte, die mit dem Bildungsgang einen Aufstieg innerhalb ihrer bisherigen sozialen Welt verbinden, die nicht auf das akademische Milieu ausgerichtet ist. Neben dieser Ausrichtung der sozialen Bezugnahme anhand des Freundeskreises, die sich für alle Interviewten rekonstruieren lässt, ergibt sich allerdings für diejenigen, die in einer festen Beziehung leben, eine zusätzliche Bedeutung des Bildungsgangs am Abendgymnasium. Dabei war die jeweilige Liebesbeziehung bzw. die gegründete Familie zentraler Bezugspunkt der Begründung des Schritts ans Abendgymnasium. Es lassen sich dabei Unterschiede in der Bezugnahme finden. Der Schritt ans Abendgymnasium wurde in einer ›modernen‹ Form der Beziehungsgestaltung als Teil eines gemeinsamen Projektes mit dem jeweiligen Partner bzw. der Partnerin, in einer eher 112
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›traditionalen‹ Ausrichtung als Verpflichtung der eigenen Familie gegenüber dargestellt.
Soziale Bezugnahme im Freundeskreis In den Interviews lässt sich ein weiterer Unterschied in der Bezugnahme auf soziale Kontexte zwischen den Interviewten herausarbeiten: Dieser bezieht sich auf die Frage, inwieweit ein akademisches oder studierendes Milieu schon jetzt zentrale Bezugsgruppe ist, auf die man sich von seinem Lebensstil her bezieht und die auch einen großen Teil des Freundeskreises ausmacht – oder inwieweit dies nicht der Fall ist. Hier unterteilt sich die Gruppe in Markus, Birgit, Jens, Kai, Harald und Cengiz auf der einen Seite und Florian und Demir auf der anderen Seite.
Im akademischen Milieu ankommen: »Was die können, das kann ich auch!« Die erste Gruppe ist in erster Linie auf einen Freundeskreis bezogen, der studiert oder studiert hat. Bei Markus und Harald entstand dies stark durch die jeweiligen Partnerinnen. Birgit, Jens und Kai haben diesen Freundeskreis durch ihre Freizeitaktivitäten aufgebaut oder wie Jens – der auf einer Gesamtschule war – zum Teil bereits in der Schulzeit. Dieser Kontext wird dabei von allen außer Birgit als entscheidender Anregungskontext benannt. Zentral ist dabei der Satz: »Was die können, das kann ich auch!«, der so oder in ähnlicher Weise in den Interviews von Markus, Jens, Kai und Harald fällt. Als Beispiel hier ein Interviewausschnitt von Kai: »[…]und ich bin halt, die meisten meiner Freunde haben halt Abitur, studieren oder machen was in der Richtung, selbst Fachabitur und so, auf der Fachhochschule oder und irgendwie hat das halt so ’n bisschen auch mich abgefärbt, so’n bisschen. Ich hab das, ich hab gedacht: ›Na, wenn die das können, dann kannst Du das auch.‹ [lacht]« (Kai, 886-894)
Der Freundeskreis erscheint hier als Anregungskontext, es werden Möglichkeiten aufgezeigt, die über das Eigene hinausgehen. Es geht darum, sich zu beweisen, dass man es auch schaffen kann. Zu den Möglichkeiten gehören (bei Markus, Kai, Harald) z. b. berufliche Perspektiven, die man sich für sich selbst auch wünscht, aber auch (bei Jens) der mit diesen verbundene Lebensstil. Dabei spielt auch der Aspekt des ›Ganz-Dazugehören-Wollens‹ eine Rolle. Deutlich wird dies beispielsweise daran, wie Jens die Abiturfeiern in seinem Freundeskreis beschreibt (vgl. Fallporträt). Er war zwar dabei, aber es waren eben nicht seine Feiern. Dies kann auch so gedeutet werden, dass er 113
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sich ohne die entsprechenden Bildungsqualifikationen diesem Milieu doch nicht richtig zugehörig fühlt. In den Interviews von Kai und Jens finden sich zudem nicht nur Passagen, in denen sie beschreiben, was ihre Ziele sind, sondern auch solche, in denen sie sich von einem bestimmten Verhalten abgrenzen. Auch dabei steht der Lebensstil im Zentrum – die Umgangsformen und Interessen der Kollegen in Handwerk und Baugewerbe werden von Kai und Jens nicht geteilt. Die Sitten auf dem Bau werden dabei auch als Grund angeführt, sich beruflich umorientieren zu wollen. Hierzu jeweils ein Beispiel aus den Interviews mit Kai und Jens: »Ich hab in der Werkstatt gearbeitet, und der ganze Umgangston wie das, ich hab das schon gemerkt in der Lehre, dass das echt nicht meine Welt ist, dieses Ruppige und ja, da kam ich eh nicht klar damit, ich hab mich halt durchgewurschtelt dann, meinen Gesellenbrief gemacht, da war ich, aber ich hab schon früher gemerkt, dass ich damit nicht klar komm’, vielleicht bin ich da zu zart besaitet oder so, [lacht], aber das ist echt nicht meine Welt, Handwerk.« (Kai 103-110) »Es war halt so, ich war dann, irgendwie, hab’ gedacht, so ja toll, jetzt arbeitest du dein Leben lang irgendwie auf der Baustelle blöd rum, irgendwie, und mit dem ganzen Dreck, mit den ganzen Bauern, die dir jeden Tag die Bildzeitungsgeschichten erzählen und (holt tief Luft, 4 Sek. Pause, hält Luft) ja, das konnt’ es einfach nicht sein, irgendwie, es musste der Horizont musste einfach irgendwie erweitert werden. Ich wollte einfach irgendwie weitergehen, das konnte einfach nicht alles sein.« (Jens 108-115)
Der Ausstieg aus dem bisherigen Berufsalltag ist somit nicht allein an den Wunsch nach einem bestimmten Status gekoppelt, sondern auch daran, sich im Arbeitsalltag ein anderes soziales Umfeld zu wünschen.
Schule als Aufstieg innerhalb der bisherigen sozialen Welt Der Unterschied in den Aussagen von Florian und Demir zu denen der anderen liegt in der Abwesenheit eines Bezugs auf einen akademischen Freundeskreis begründet. Die Idee zum Abendgymnasium entstand bei Florian anhand von Plakaten, die er in der U-Bahn gesehen hatte und wurde zunächst mit seiner Familie besprochen (vgl. Abschnitt 4.1). Obwohl auch Florians Schwester das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gemacht hat, wird sie hier nicht als Vorbild genannt. Es wird darüber hinaus auch kein Vergleich mit einem anderen, vom Lebensstil her attraktiveren Milieu hergestellt.
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Noch deutlicher wird der Unterschied im Vergleich der Beschreibungen, die sich auf Arbeit und Kollegen beziehen. Florian ist bei seiner jetzigen Stelle, die auch im handwerklichen Bereich liegt, integriert und geschätzt. Es liegt ihm nichts daran, sein jetziges Umfeld zu verlassen, vielmehr strebt er einen beruflichen Aufstieg innerhalb seines jetzigen Arbeitsfeldes an. Demir bezieht sich sozial neben seiner Familie auf den erweiterten Kreis seiner Herkunftsfamilie sowie seine Glaubensgemeinschaft. Auch bei ihm ist der angestrebte Bildungsabschluss nicht an die Nähe zu einem Milieu gekoppelt, in dem kulturelles Kapital eine große Rolle spielt und dem man sich eigentlich schon zugehörig fühlt, sondern mit dem Wunsch verbunden, für seine Familie zu sorgen.
Die Liebesbeziehung als Teil der Begründung des Schritts ans Abendgymnasium Wie in der Einleitung zu diesem Abschnitt schon angesprochen, kommt einer vorhandenen mehrjährigen Liebesbeziehung in der sozialen Bezugnahme der Befragten zentrale Bedeutung zu. Dabei lassen sich allerdings auch hier unterschiedliche Formen der Bezugnahme unterscheiden. Zum einen wird der Bildungsgang als gemeinsames Projekt mit dem Lebenspartner geschildert und beinhaltet eine Orientierung an einem akademischen Freundeskreis; zum anderen wird auf den Bildungsgang als Teil einer familiären Verpflichtung Bezug genommen; dies ist mit dem Wunsch nach einem Aufstieg innerhalb der bisherigen sozialen Welt verknüpft.
Das Abendgymnasium als Teil eines gemeinsamen Projektes: »Man hat ja so Träume« Im eher modernen Kontext wird das Abendgymnasium als gemeinsames Projekt mit dem jeweiligen Partner eingeführt. Deutlich ist dies bei Harald und Markus der Fall. Bei beiden ist der jeweilige Partner Akademiker oder studiert. Es wird immer wieder auf diesen Bezug genommen: Als ein zentraler Faktor, der die Überlegungen ans Abendgymnasium zu gehen mit initiiert hat, als zentraler Kontext der Unterstützung, als jemand, dem man im Verlauf der Passage am Abendgymnasium bei schulischen Problemen fragen kann, aber auch als Teil der Perspektive, die man sich durch den Besuch des Abendgymnasiums erhofft. Bei beiden erscheint der Schritt ans Abendgymnasium als Teil einer gemeinsamen Zukunftsplanung mit dem Partner. »Also wir waren auch, für uns beide waren wir an so’nem Punkt, wo… Ich war halt sehr unzufrieden, wusste nicht, was ich machen soll, […] das tut, also das tut uns auf
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jeden Fall gut. Ist natürlich ’n bisschen traurig manchmal, weil wir wenig Zeit miteinander haben, aber, äh, doch ist gut. Sehr gut, weil jetzt die Frau auch Zeit hat, sich irgendwie auf ihr Studium zu konzentrieren. Ich will ja schließlich auch, dass sie das schafft! Weil eventuell, man weiß ja nie, wenn ich das hier schaff, eventuell gehen wir dann nach Kanada. (Lacht.) Man hat ja so Träume. Und dann werd ich da studieren. Also, sie studiert was, sie ist ganz clever, also sie macht das gut. […] Also, die Ambitionen gehen schon dahin, dass, wenn sie fertig ist, eventuell mal für ein paar Jahre mal woanders hinzugehen. Und es wär dann natürlich geil, wenn ich dann mein Abi hab, ne? In ein englischsprachiges Land gehen.« (Harald 521 – 539)
Der Schritt ans Abendgymnasium zeigt sich hier als Teil der gemeinsamen Beziehungsgestaltung. Der Schulbesuch ist eingebettet in das Ziel, sich als Paar eine gemeinsame Perspektive zu erarbeiten. Auch Markus plant nach dem Schulbesuch mit seinem Partner einen Auslandsaufenthalt. Die Paarbeziehung ist eingebettet in ein soziales Umfeld. Der Freundeskreis des akademischen Partners besteht in erster Linie aus Freunden, die ebenfalls studieren oder studiert haben – und auch eine Rolle als Anregungskontext spielen. Unklar bleibt, inwieweit auch für Kai zu Beginn des Schulbesuchs dieses Modell zutrifft. Auch er war zu Beginn des Schulbesuchs mit einer Frau zusammen, die damals ihr Studium angefangen hatte, was er als bedeutsame Anregung für sich beschreibt. Mittlerweile haben sich die beiden jedoch getrennt und Kai nimmt im Interview kaum Bezug auf sie. Ob dies Folge der Trennung ist oder schon zu Beginn das Abendgymnasium weniger »gemeinsames Projekt« war, als bei den anderen beiden mit einem akademischen Partner, lässt sich auf Grund des retrospektiven Charakters des Interviews nicht rekonstruieren.
Das Abendgymnasium als Teil einer familiären Verpflichtung: »…aus eigener Kraft für mich und meine Familie zu sorgen…« Auch Demir lebt zu Beginn des Abendgymnasiums in fester Beziehung und hat ein gemeinsames Kind. Er nimmt hierauf ebenfalls Bezug, allerdings in ganz anderer, eher traditionaler Weise. Den Schritt ans Abendgymnasium beschreibt er als Teil seiner Pflicht als Familienvater: »Ich brauche es für meine Arbeit, für einen Werdegang unbedingt, weil ich im Moment gar keine Chancen habe, überhaupt Arbeit zu bekommen oder zumindest aus eigener Kraft für mich und meine Familie zu sorgen. Weil ich bräuchte dann immer, auch immer über die Hälfte noch Zuschüsse dazu; das ist eigentlich ausschlaggebend dafür.« (Demir 3-10)
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Der Schulbesuch wird hier mit der Perspektive gekoppelt, für sich und seine Familie sorgen zu können. Die Familie ist dabei eingebunden in ein Netz aus weiteren familiären Bindungen. Gemeinsam ist beiden Positionen, dass die eigene Familie (bzw. der eigene Partner) die Herkunftsfamilie als zentralen sozialen Bezugspunkt abgelöst hat. Dieser Beziehung kommt auch ein großer Stellenwert für die mit dem Abendgymnasium verbundenen Ziele zu. Das Abendgymnasium ist Teil dessen, was man als Paar beziehungsweise für sich und seine Familie erreichen möchte.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede der sozialen Einbettung Bevor ich die Unterschiede der Gruppe in der sozialen Positionierung über Bildung und Schule zusammenfasse, möchte ich zunächst die Gemeinsamkeit der Gruppe hervorheben. Alle Interviewten haben einen eigenen Hausstand und sind mit Ausnahme von Birgit für ihr ökonomisches Auskommen selber verantwortlich. Hier wird eine Differenz zur schulischen Normalbiographie deutlich, bei der angenommen wird, dass der Schulzeit der Charakter eines Moratoriums zukommt. Dem wird auch eine soziale und ökonomische Entpflichtung von Verantwortlichkeit zugesprochen. Eine solche Entpflichtung ist für die überwiegende Mehrheit der Interviewten nicht gegeben. Als Erwachsene tragen sie Verantwortung und müssen ihr Leben selbst organisieren. Auffällig ist auch, dass die meisten der Gruppe schon früh auf eigenen Beinen standen und zeitig das Elternhaus verlassen haben. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die angestrebte Veränderung über Bildung in unterschiedlicher Weise in das aktuelle soziokulturelle Milieu eingebettet ist. Besteht der Freundeskreis zum Zeitpunkt des Schulbeginns in erster Linie aus Akademikern oder Menschen, die studieren, stehen einem die Möglichkeiten und Perspektiven dieser Gruppe, die als vorteilhafter als die eigenen wahrgenommen werden, deutlich vor Augen. Die Interviewten möchten dies für sich auch erreichen und spornen sich selbst an mit dem Satz: »Was die können, das kann ich auch!« Dies ist als eine Annäherung an eine Gruppe, der man sich auch schon jetzt zugehörig fühlt, deutbar. Dem steht eine Gruppe gegenüber, für die Bildung und Schule nicht an einen akademischen Freundeskreis gebunden ist oder dieser nicht als Bezugspunkt dient. Der soziale Aufstieg ist hier nicht mit der Orientierung an einem akademischen Milieu verbunden. Vielmehr möchte man sich in seinem Bezug zu seiner jetzigen sozialen Gruppe weiterentwickeln. Vor dem Hintergrund dieser Analyse lässt sich der lang gehegte Streit in der Forschung zum zweiten Bildungsweg – der zweite Bildungsweg als Entfremdung versus der zweite Bildungsweg als Bestätigung einer schon gefühlten Zugehörigkeit (vgl. Abschnitt 1.3, Forschungsstand) – auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Die beiden Standpunkte können auch als 117
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unterschiedliche Ausrichtungen an verschiedenen Milieus gedeutet werden. Die eine soziokulturelle Gruppe, die hier empirisch herausgearbeitet werden konnte, richtet sich eher an einem bildungsnahen, akademischen Milieu aus. Man kann dies auch als Versuch interpretieren, die schon jetzt gefühlte soziale Zugehörigkeit über den zweiten Bildungsweg herzustellen. Die Ablösung von der Bezugnahme auf das Herkunftsmilieu hat hier schon vor dem Besuch des Abendgymnasiums stattgefunden. Die Ausrichtung der anderen empirisch rekonstruierten Gruppe ist hingegen eher traditionell und bezieht sich sozial in erster Linie auf einen nicht akademischen, eher handwerklich ausgerichteten Kontext. Dass hier das Abendgymnasium und das angestrebte Studium zu einer Entfremdung führen können, ist denkbar. Insbesondere bei Florian, der auch einen Universitätsbesuch anstrebt, ist der soziale Kontext, in den er sich perspektivisch begeben möchte, potentiell ein fremder. Es ist anzunehmen, dass dies zumindest teilweise eine Habitusmetamorphose nötig macht, die auch mit Gefühlen von Entfremdung einhergehen kann. Bei der Bezugnahme über Schule und Bildung zeigen sich somit Unterschiede, die sich als milieubedingte Differenzen deuten lassen. Allerdings bleibt hier anzumerken, dass auch eine angestrebte Annäherung an das akademische Milieu eine Entfremdung nicht ausschließt. Auch im anderen Fall steht einiges auf dem Spiel: Zwar stellen die akademischen Freunde auf der einen Seite eine Unterstützung dar, auf der anderen Seite ist das Scheitern hier auch zusätzlich sozial aufgeladen – wenn man eben feststellen müsste, dass das, »was die können«, einem selbst verschlossen bleibt. Vor dem jeweiligen Hintergrund kommt auch der jeweils angestrebten persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung eine andere Bedeutung zu. Im einen Fall sind die Ziele mit der Orientierung an einem akademischen Milieu verbunden. Sie beinhalten das Ziel, vergleichbare Möglichkeiten und Anerkennung zu finden. Im anderen Fall werden zwar ebenfalls berufliche und persönliche Weiterentwicklung gesucht. Diese sind aber nicht verbunden mit einer akademischen Lebensweise. Der Fallvergleich macht zudem deutlich, dass einer vorhandenen Liebesbeziehung oder Ehe eine besondere Rolle bei der sozialen Bezugnahme zu Bildung und Schule zukommt. Die angestrebte Veränderung wird als in den jeweiligen Beziehungskontext eingebettet erzählt. Im Kontext einer festen Beziehung ist der Schulbesuch somit Teil einer gemeinsamen Verortung als Paar oder Familie. Ist der Partner Akademiker oder Akademikerin, wird die Passage am Abendgymnasium als gemeinschaftliches Anliegen beschrieben. Das Ziel des Schulabschlusses ist hier bspw. mit der Lebensplanung, zusammen ins Ausland zu gehen verknüpft. Im anderen Fall wird der Schulbesuch in die erlebte Verpflichtung der eigenen Familie gegenüber eingebettet. Die Liebesbeziehung erscheint als relevanter Faktor der Bezugnahme zu Bildung und Schule, der aber ebenso wie der Freundeskreis soziokulturell differenziert ist. 118
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Die angestrebte Veränderung über Schule und Bildung ist soziokulturell verschieden, wobei neben dem Freundeskreis und der Familie auch die Umgangsformen des jeweiligen Berufskontextes eine Rolle spielen. Diese Unterschiede werden allerdings durch die jeweilige Lebensform in einer Liebesbeziehung weiter aufgesplittert. Die scheinbar gleichen Ziele – einerseits berufliche Weiterentwicklung, andererseits persönliche Entfaltung – sind je nach gelebter sozialer Praxis im jeweiligen Lebensumfeld in ein jeweils anderes Projekt der sozialen Positionierung eingebunden.
Die Ziele und die Notwendigkeit: »Und für mich ist das wirklich die Chance, die letzte Chance hier zu haben.« Im folgenden Abschnitt steht nun eine genauere Analyse der mit dem Abendgymnasium verbundenen Motive im Zentrum. Wesentlich für die Untersuchung war die Frage, welche Notwendigkeit der Veränderung über das Abendgymnasium zugemessen wird und welche Ressourcen für den Bildungsgang relevant werden. Eine Fokussierung auf die Frage der Notwendigkeit ergab sich nicht allein theoretisch durch eine ressourcenorientierte Perspektive. Auch die Interviews selbst legten diesen Blickwinkel nahe. So wurden in den Interviews häufig Begriffe wie »zweite Chance«, »letzte Chance« durch das Abendgymnasium bzw. »keine Chance« ohne das Abendgymnasium oder auch Redewendungen wie, dass »sich unbedingt etwas ändern musste«, verwandt. Dabei kommt einerseits Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben zum Ausdruck, andererseits wird deutlich, dass für die Akteure am Abendgymnasium einiges auf dem Spiel steht. Um dies herauszuarbeiten, habe ich die Begründungen herangezogen, mit denen die Akteure verdeutlichen, dass das Abendgymnasium für sie notwendig ist.
Beruf: zwischen Burn-out und Perspektivlosigkeit. Ein zentrales Motiv für den Schulbesuch ist – wie schon zu Beginn des Abschnitts festgestellt wurde – eine angestrebte berufliche Veränderung. Alle erzählen in den Interviews, dass es mit der vorherigen beruflichen Situation einfach nicht so weitergehen konnte. Hinter dieser relativ gleichen Beschreibung erscheinen dann aber recht unterschiedliche berufliche Lebenskontexte, bei denen sich die »Notwendigkeit« auch aus unterschiedlichen Aspekten ergibt. Für Markus und Harald ist ein beruflicher »Burn-out« ausschlaggebend. Beide haben ihren Beruf zunächst sehr gerne und mit Enthusiasmus verfolgt. Sie sind beruflich etabliert, bei den Kollegen beliebt und verfügen über feste, nicht von Kündigung bedrohte Stellen. Nun sind sie allerdings mit ihrer Arbeit an einem toten Punkt angelangt, sie macht ihnen keinen Spaß mehr. Markus formuliert dies so: 119
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»Also, ich war einer immer, der extrem nah immer am Klienten gearbeitet hat […] und momentan aber das krasse Gegenteil bin, dass ich wirklich so ’ne Fassade, äh, oder so ’ne absolute Grenze aufgebaut habe und sage: ›Nicht näher‹. Und dadurch auch sehr unfreundlich wirke und halt auch dieser Ruf, den ich einstmals hatte, so, sich total verschoben hat. Und dann dachte ich, so, jetzt muss was passieren. Du darfst das dir nicht antun, du darfst das deinen Patienten nicht antun, und, ähm, dann kam so eben diese diese Option, da ist ja noch mehr, da ist ja noch dieses Abitur und darauf aufbauend eben Fachhochschule oder eben Studium an der Uni […]« (Markus 75-86)
In ähnlicher Weise meint Harald, seine Arbeit würde ihn nicht mehr erfüllen und er würde nichts mehr dazulernen. Das Abendgymnasium wird hier als Chance gesehen, sich beruflich aus einem motivationalen Tief zu befreien und sich neue Optionen im eigenen Leben zu erschließen. Eine andere Position der »Notwendigkeit« nehmen hingegen diejenigen ein, die beruflich deshalb keine Zukunftsperspektive sehen, weil sie langfristig schlechte Chancen auf eine Stelle zu erwarten haben oder weil sie nicht in einer marginalisierten sozialen Situation bleiben wollen. Ausgangspunkt ist hier nicht eine schon erlangte Etablierung, die aber emotional nicht mehr ausfüllt, sondern eine momentan schwierige Situation: Sei es, weil eine berufliche Positionierung noch aussteht oder eine schon erlangte durch Arbeitslosigkeit verloren wurde. Dies trifft für alle übrigen Interviewten – also Birgit, Jens, Kai, Florian, Demir und Cingiz – zu. Allerdings lassen sich auch hier »feine« Unterschiede ausmachen, die die Etablierungswünsche betreffen. Im Gegensatz zu den übrigen Interviewten streben Demir und Cingiz nach eigenen Aussagen kein Hochschulstudium an. Ihnen geht es vielmehr darum, überhaupt die Qualifikation vor allem im Bereich der sprachlichen Kompetenz für eine Berufsausbildung herzustellen. Bei Birgit, Jens und Kai finden sich auch Passagen im Interview, in denen die momentane berufliche Situation nicht nur mit schlechten Zukunftsperspektiven verknüpft wird, sondern für eine soziale Marginalisierung steht, aus der die Betroffenen herauskommen möchten. Am deutlichsten wird das in Birgits Aussage: »Ich war mir zu gut für diesen Weg.« (vgl. Fallporträt 4.1.1). Sie stellt dabei klar, dass sie nicht auf dem Arbeitsamt auf der gleichen Ebene wie die anderen ungelernten Arbeiter bleiben möchte. Nicht alle sind mit ihrem momentanen Beruf unzufrieden. »Für mich ist es jetzt, so’ne Art Sicherheit, ich hab’ zwar meinen Beruf, das ist ’n relativ sicherer Beruf, aber mhm, man kann seinen Job heute schneller verlieren als man denkt und das ist für mich so ’ne Art zweite Sicherheit, wenn ich das mach‹.« (Florian 45-48)
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Florian arbeitet eigentlich gerne in seiner Stelle. Für ihn spielt vielmehr die momentane Unsicherheit eine große Rolle dabei, sich durch das Abitur weitere Optionen eröffnen zu wollen. Gemeinsam ist allen Interviewten das Gefühl, an ihrer beruflichen Lage etwas ändern zu wollen. Unterschiede ergeben sich allerdings darin, aus welcher Position zu welchem Ziel hin gestrebt wird. Als Extrempole kann man hier Markus bzw. Harald auf der einen Seite, die aus einer relativen Etabliertheit ein Hochschulstudium anstreben, und Demir auf der anderen Seite sehen, der die Arbeitslosigkeit hinter sich lassen und eine Berufsausbildung absolvieren möchte. Mit diesen Positionen gehen auch verschiedene finanzielle Situationen einher.
Persönliche Möglichkeiten: zwischen Expansion und Nüchternheit. Das Abendgymnasium wird, wie schon erwähnt, von allen Interviewten auch mit dem Wunsch nach persönlicher Weiterentwicklung verbunden. Vielfältiger wird das Bild, wenn man die sprachliche Formulierung dieses Wunsches in den Blick nimmt. Hier kann man zwischen »Expansion« und »Nüchternheit« differenzieren. Bei einem Teil der Interviewten (Markus, Birgit, Jens, Kai, Harald) wird in den Interviews persönliche Weiterentwicklung als Lust an der Entfaltung der eigenen Person oder der Fähigkeiten beschrieben. Für die über Bildung angestrebte Veränderung werden expansive Metaphern benutzt wie: • es steckt mehr in dir, (Markus) • Bildung wollt ich gern, (Birgit) • die Lust daran, den eigenen Kopf wieder zu benutzen, (Harald) • Perspektiven bzw. den Horizont erweitern etc. (Jens und Kai). Der Bildungsgang, aber vor allem auch Bildung an sich, wird hier eingeführt als Möglichkeit der persönlichen Grenzerweiterung. Bildung wird eine transformierende Kraft zugesprochen. Gekoppelt ist dies mit einer Intonation, aus der in den Tonbandaufnahmen eine fast euphorische Erregung herauszuhören ist. Bei Demir und Florian finden sich solche Metaphern nicht. Auch sie sprechen davon, sich persönlich weiterzuentwickeln. Dies ist bei ihnen verbunden mit einer nüchternen und sachlichen Sprachwahl wie: • sich weiterbilden, • etwas aus sich machen etc. Bei Florian ändert sich dabei auch der Sprachfluss. Er wird eindringlicher und betont das Gesagte. Die Sprachwahl bleibt allerdings weiter sachlich. Diese Unterschiede in Wortwahl und Intonation verlaufen parallel zur Ausrichtung am akademischen Milieu oder an einem nicht-akademischen 121
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Milieu. Es scheint sich somit um Habitusdifferenzen zu handeln, in denen sich eine unterschiedliche Nähe zum kulturellen Kapital und dessen symbolischer Aufladung zeigen. Bourdieu beschreibt dies in seinen Ausführungen zur scholé auch als ehrfurchtsvoll. Man kann diese verschiedene sprachliche Ausrichtung auch als eine Anlehnung an verschiedene Bildungskonzepte betrachten. Während im Fall der expansiven Metaphern Bildung mehr den Charakter des »Selbstzwecks« hat, dessen Sinn in der persönlichen Erweiterung liegt, geht die sachliche Sprachwahl eher mit einer Ausrichtung an einem formaleren, zweckorientierteren Bildungsbegriff einher. Bildung ist auch hier Ausdruck persönlicher Weiterentwicklung. Deren Sinnhaftigkeit wird aber durch das, was einem anschließend auch formal an Zugangsweisen offen steht, hergestellt.
Die zweite Chance: das Abendgymnasium als Nachholung. Der Bildungsgang am Abendgymnasium wird teilweise als »zweite Chance« oder auch »letzte Chance« benannt. Es geht am Abendgymnasium auch um Anforderungen, in denen man sich beweisen muss oder etwas nachholen möchte. Untersucht man die Interviews näher, ergeben sich Unterschiede darin, was dabei auf dem Spiel steht. Birgit hat hier eine andere Position als alle übrigen Interviewten. Sie hegt keinerlei Zweifel, dass sie von ihren schulischen Fähigkeiten her in der Lage ist, das Abitur zu schaffen. Was sie bei sich problematisch einschätzt, ist hingegen ihr Durchhaltevermögen. Ausgangspunkt für die folgende Interviewpassage war die Frage, warum sie noch dabei ist: »Na ja, ich hab mir ja mein Ziel gesetzt und das wollt/das will ich auch mit allen Mitteln durchziehen. Und ich wollte nicht aufgeben, ich wollte auch mir selber beweisen, dass ich irgendwas durchziehen kann und nicht jedes Jahr wieder/ich mein, ich bin jedes Jahr umgezogen (Lacht.), letzten Endes, aber dass ich bei der Schule dabeibleiben kann, nicht wieder abbreche, wie ich das bisher immer gemacht hab’. Das ist das, was ich mir eigentlich beweisen wollte. So, bin ja noch dabei, mal sehen, nächstes Jahr im Februar gibt’s ja Zeugnisse.« (Birgit 1626-1641)
Birgit muss sich nicht inhaltlich beweisen, sondern es geht darum, etwas zu Ende zu bringen und nicht in das Wanderleben, das sie von ihrer Mutter kannte, zurückzufallen. Bei einigen der anderen Interviewten steht das Erreichen des Abiturs hingegen im Mittelpunkt. Das Abitur wird dabei als Herausforderung, als etwas, was man sich beweisen muss, oder als etwas, um das es nur sekundär geht, dargestellt.
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Das Abitur wird im folgenden Zitat von Harald explizit als Herausforderung benannt: »Ich hab’ Bock, das Abi zu schaffen, ich hab’ einfach/das ist ’ne Herausforderung auch für mich. Ist natürlich auch ’ne Menge Arbeit, also sich einfach so irgendwie so hinzusetzen und wieder zu lernen und vor allem sich so dieses, sich auch so ’n bisschen unterordnen, was man ja auch einfach tut in der Schule, so, dem Lehrer gegenüber, ähm, ist manchmal schon ziemlich nervig, aber ich denk’ mir mal, es gibt/es macht mir Spaß.« (Harald 26-32)
Für Harald ist es zunächst einmal ein Reiz, das Abitur bewältigen – das ist zwar mit einer »Menge Arbeit« verbunden, dennoch ist das Abitur überwiegend positiv konnotiert. Selbst die als ›Unterordnung‹ gegenüber den Lehrern erlebte Situation in der Schule wird dafür hingenommen, aber Harald ›denkt sich mal, dass es ihm Spaß macht‹, sprich: Er nimmt hier eine ganz bewusste Umdeutung vor. Es findet sich kein Hinweis darauf, dass Harald seine intellektuellen Fähigkeiten anzweifeln würde. Dies trifft auch für Markus und Kai zu. Bei Florian und Jens zeigen sich hingegen mehr Unsicherheiten im Herangehen an die Schule. Die Noten im ersten Bildungsweg werden als schlecht beschrieben, beide hatten keine Lust auf Schule. Das Abitur wurde »im ersten Anlauf nicht gepackt«. Es spielen teilweise auch schulische Kontextfaktoren eine Rolle, die man neu angehen muss: die Situation mit den Lehrern und die Situation mit den Mitschülern. Im folgenden Interviewausschnitt von Jens wird deutlich, dass das Bewältigen der Schule über den Charakter einer Herausforderung hinausgeht. In dem Interviewausschnitt erscheint es schon fast wie eine Art ›Lebensnotwendigkeit‹: »Und ja, ich hab’ das dann halt als zweite Chance irgendwie gesehen, die ich aber nutzen muss, weil ich glaub’, wenn ich das jetzt hier nicht geschafft hätte, oder nicht schaffen würde, dann ja, dann hätte es schon ziemlich arg ausgesehen, glaube ich, also vielleicht nicht, ähm, was meine Arbeitslosigkeit betrifft, sondern allgemein irgendwie, was mein Leben betrifft so, wieder auf’n, wie sagt man, auf’n guten Weg zu kommen, ja. I: Und, ähm, du meinst es hätte arg ausgesehen? J: Ja. I: Ähm, kannst Du mir genauer erklären, warum? Was dann quasi passiert wäre, wenn du, oder was es für Dich bedeutet hätte, das jetzt nicht zu schaffen? J: Ja, also, ich glaub am Anfang wär’ ich schon sehr, sehr, abgestürzt, also depressiv gewesen oder so, weil vorher hat das auch alles nicht so gut geklappt mit meinem Beruf, ja, ich kann’s jetzt nur am Beispiel von einem Klassenkameraden sagen, z.B., na, der hat dann halt irgendwie auch die Schule gemacht, hat’s fast, die Vorstufe fast geschafft, hat dann aber kurz vorher aufgehört. Und ist dann halt voll in Depressio123
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nen gefallen, weil er nicht darauf klar gekommen ist, dass er wahrscheinlich nicht, ja, die Intelligenz will ich nicht mal sagen, aber nicht den Kopf dafür hatte, die Sache da dann durchzuziehen. Und ich glaub, es wär’ mir ähnlich gegangen, das hätte mich echt ziemlich fertig gemacht.« (Jens 56-88)
Hier wird deutlich, wie weitreichend das Abendgymnasium mit der Entfaltung persönlicher Möglichkeiten verknüpft ist. Der erfolgreiche Besuch des Abendgymnasiums wird hier als notwendige Bedingung beschrieben, um überhaupt mit seinem Leben auf einen »guten Weg« zu kommen. Der bisherige Lebensweg, wird als Sackgasse empfunden, als etwas, »das nicht geklappt« hat – zumindest was den Beruf angeht, aber auch »allgemein irgendwie«. Es dieses Mal zu schaffen, ist notwendig, um nicht depressiv zu werden. Bei Demir und Cingiz ist das Abitur zunächst sekundär. Es erscheint mehr wie ein ferner Traum, etwas, das man eigentlich schon aufgegeben hatte. So beschreibt Demir, dass er im Grundschulalter eigentlich Ingenieur werden wollte. Mittlerweile sieht er dafür aber keine reale Chance mehr. Im Vordergrund steht, die Voraussetzungen für eine Ausbildung herzustellen. Dabei werden keine Zweifel an den eigenen Fähigkeiten geäußert.
Gründe der Interviewten für das Abendgymnasium als Schulform Vor dem Hintergrund der »Notwendigkeit« stellt sich die Frage, inwieweit das Abendgymnasium als eine von vielen Möglichkeiten zum Abitur gesehen wird – oder ob es für die Akteure jeweils den einzigen Weg darstellt und welche Gründe dabei eine Rolle spielen. Auch hier nimmt Birgit eine Sonderstellung ein. Sie führt das Abendgymnasium ganz klar als eine von mehreren Optionen für sich ein, das Abitur zu machen: »Und dann hab ich überlegt, ob ich auf die normale Schule soll oder was es noch für Möglichkeiten gibt, ich wusste zuerst gar nichts vom Abendgymnasium, ähm ja, und dann hab ich davon erfahren und das fand ich sofort gut. Weil an der Tagesschule sind dann doch eher jüngere Leute, ich wäre dann eine der Älteren gewesen und, ich weiß nicht, also(Schluckt.), das hat mir dann doch eher zugesagt, dass da viele Erwachsene sind und das hat sich auch bestätigt, im Endeffekt, dass es ’ne bessere Umgebung wäre, als die normale Schule, wo jüngere Leute sind.« (Birgit, 49-57)
Birgit wählt das Abendgymnasium aufgrund der älteren Schülerschaft dort, denn sie fühlt sich als Erwachsene unter anderen Erwachsenen wohler. Birgit, die am Abendgymnasium zu den Jüngeren gehört und durch ihren Vater ökonomisch abgesichert ist, unterscheidet sich damit von den anderen. Für diese ist es entweder notwendig, Geld zu verdienen oder sie können es sich nicht vorstellen, den Status als Berufstätiger aufzugeben. Ein weiterer bedeutsamer 124
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Aspekt ist dabei auch das Lebensalter. Diese Gründe führe ich nun anhand von Beispielen näher aus. Der Besuch der Schulform Abendgymnasium wird von Markus, Jens und Kai mit der Notwendigkeit für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen erklärt. Kai drückt das so aus: »Ähm, für mich war’s so, ich hatte halt ’nen hohen Lebensstandard gehabt, ähm ja, ich hab’ dann auch ’n bisschen Geldprobleme gehabt. Weil ich, wie gesagt, auf hohem Level immer gelebt hatte, Reisen gemacht, mir einiges gegönnt, immer. Und ich wollte da arbeiten gehen, das war eigentlich der einzige Grund, warum ich Abendschule gemacht hab’. Ich hätte auch tags, Tagesschule machen können, aber ich brauchte das Geld (Lacht.), jo.« (Kai 871-877)
Neben dem Aspekt der ökonomischen Grundversorgung spielt hier auch der gewohnte Lebensstandard eine Rolle. Bei anderen kommt als finanzielle Belastung die Tilgung aufgenommener Kredite hinzu. Wichtig ist daher für die Interviewten, dass der Besuch des Abendgymnasiums als staatliche Schule anders als beispielsweise Volkshochschulkurse, unentgeltlich ist. »Also, ich brauch’ mein Einkommen. Ich hab meinen Lebensstandard. Und ähm, ich hätt’ es so oder so nur abends machen können, ob das nun ein Kolleg ist oder irgendetwas anderes. Und wie gesagt, dass ist ja was Staatliches, es ist, ähm, unentgeldlich für mich. Und das passt eigentlich genau in mein Schema rein, was ich machen will. Also abends, dann auch nicht mit Kosten verbunden, dass ist genau das, was ich eigentlich machen wollte. Wie gesagt, das konnte ich vorher nicht, weil ich ja nicht die Möglichkeit dazu hatte von den, ähm, regionalen Bedingungen her. Deswegen kommt mir das gerade, das ist genau richtig. Abendgymnasium. Ich könnt’ das nie/ich könnt das gar nicht vormittags machen, weil vom Beruf her, also wie gesagt, Geld muss ich nebenher auch noch verdienen und das geht wirklich nicht anders und deswegen. Ich find es gut, dass es so ist.« (Florian 67-79)
Darüber hinaus ist auch ausschlaggebend, den eigenen Status als Berufstätiger nicht aufgeben zu wollen, sei es, weil man die eigene Arbeit als bedeutenden Teil der eigenen Selbstständigkeit ansieht oder weil man einen sicheren Job nicht gefährden möchte. Für die Ältere kommt hinzu, dass es für sie auch faktisch keine andere institutionelle Möglichkeit gibt. Jens erzählt im Interview, dass er nicht ausreichend informiert war und er mittlerweile weiß, dass es für unter Dreißigjährige auch Schulen gibt, die man Vollzeit besuchen kann und dabei die ganze Zeit über BAföG erhält (Stand 2002). Markus hingegen hatte sich umfassend erkundigt. Für ihn kommt aufgrund seines Alters keine andere Schule in Frage.
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Überhaupt wird das Alter von denjenigen, die älter als fünfundzwanzig sind (Markus, Kai, Harald), als bedeutsam im Hinblick auf die Entscheidung für das Abendgymnasium erwähnt. Nicht nur der Zugang zu anderen Schulen ist schwieriger, es ist auch problematisch, noch einen Ausbildungsplatz zu bekommen, wenn man sich beruflich verändern möchte: »Ja, und dann dachte ich mir so, eh, was kann ich denn jetzt machen? Jetzt muss ich mich entweder mit 29 noch mal irgendwie auf dem freien Arbeitsmarkt bewerben, was eigentlich nahezu unrealistisch is’ oder ich versuch’ einfach, irgendwie mich weiterzubilden, also den schulischen Abschluss irgendwie ’n bisschen zu verbessern, um eventuell, falls es klappt irgendwie, dann noch mal studieren zu gehen. Weil da ist man ja anscheinend nie zu alt für.« (Harald 57-64)
Dies macht noch mal die Bedeutung der Normalbiographie für die Passage am Abendgymnasium deutlich (vgl. Abschnitt 1.2). Ab einer bestimmten Altersgrenze wird das Abweichen von der Normalbiographie institutionell sanktioniert, d.h. in diesem Fall nicht mehr durch BAföG gefördert.
Ziele und Notwendigkeit: Gemeinsamkeiten und Unterschiede Durch die genauere Beschreibung der Ziele wird deren Kopplung an unterschiedliche Lebensweisen und Ressourcen deutlich. Die scheinbar gleichen Motive – berufliche Etablierung und persönliche Weiterentwicklung – sind vielmehr »fein« differenziert. Die Ausgangslagen, was die berufliche Etablierung angeht, sind unterschiedlich. Für diejenigen Befragten mit Migrationshintergrund kommt das Abitur nicht wirklich in Betracht. Es geht vielmehr darum, überhaupt erst einmal eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Zum Abendgymnasium gibt es hier keine alternative Schulform. Demirs Bildungsorientierung ist dabei eher formal, bei Cingiz habe ich auf eine sprachliche Auswertung verzichtet, da Deutsch für ihn eine Fremdsprache ist. Auch bei denen, die Abitur und Studium anstreben, spaltet sich die Gruppe weiter auf. Manche sind beruflich und sozial schon etabliert wie Markus und Harald. Sie verfügen durch den Beruf über soziales und ökonomisches Kapital. Allerdings sind beide mit ihrem Beruf unzufrieden. Ihre Nähe zum akademischen Milieu zeigt sich auch in den sprachlichen Formulierungen zu Bildung, sie bevorzugen expansive Metaphern. Aufgrund ihres Alters, das die Beantragung von BAföG ausschließt, ist für beide das Abendgymnasium die einzig mögliche Schulform. Dabei spielt für sie auch ihr Status als Berufstätige eine Rolle. Kai, Jens und Florian verfügen alle drei über eine handwerkliche Ausbildung. Sie sehen für eine Tätigkeit im Baugewerbe allerdings keine Zukunftschancen. Kai und Jens haben keine feste Arbeitsstelle. Kai jobbt seit Jahren auf verschiedenen Gebieten, Jens ist seit seinem Zivildienst arbeitslos. Beide 126
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wollen auch aufgrund ihrer Orientierung am akademischen Milieu aus der Baubranche heraus. Ihre Ausrichtung zur Bildung ist expansiv, wobei sie, im Gegensatz zu Birgit und Markus, oft eher ›saloppe‹ Formulierungen wählen. Florian ist hingegen beruflich nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit wieder etabliert. Er wählt eine eher nüchterne Sprache, um seinen Wunsch nach persönlicher Weiterentwicklung auszudrücken. Allerdings ist bei ihm die emotionale Bedeutung, die er Bildung beimisst, herauszuhören; sie lässt sich an der Intonation sowie an der durch Sprechpausen und Selbstunterbrechungen angezeigten Suche nach dem geeigneten Ausdruck festmachen. Die Beibehaltung des momentanen Lebensstandards spielt für Kai und Florian bei der Wahl des Abendgymnasiums eine Rolle. Birgit kommt in der Gruppe eine Sonderrolle zu. Als einzige ist für sie das Abendgymnasium eine Schulform unter mehreren möglichen, die sie wählt, weil sie lieber mit Erwachsenen zur Schule gehen möchte. Durch die Unterstützung durch ihren Vater ist sie ökonomisch abgesichert. Sie ist am akademischen Milieu orientiert, was sich in ihren expansiven Metaphern spiegelt. Es zeigen sich hier somit Unterschiede in den Kapitalien, die sich auch in verschiedenen Lebensweisen und dem Habitus, der hier in Form der Sprachwahl erfasst wurde, spiegelt. Die zur Verfügung stehenden Ressourcen bestimmen dabei die Ziele mit, die am Abendgymnasium verfolgt werden. Um das Abitur anzustreben, scheint es wesentlich, über ökonomisches Kapital zu verfügen. Für Erwachsene, die nicht auf Ersparnisse zurückgreifen können oder von den Eltern unterstützt werden, bedeutet dies vor allem die Notwendigkeit, beruflich etabliert zu sein. Auch im kulturellen Kapital werden Differenzen in der Gruppe sichtbar. Schon in der Ausrichtung auf verschiedene Milieus hat sich dies angedeutet. In der jeweiligen Sprachwahl, die in ihren Polen als expansiv versus nüchtern beschrieben wurde, spiegeln sich die verschiedenen Orientierungen und konturieren diese.
Prozessuale Einbettung Im ersten Kapitel wurde der Bildungsgang am Abendgymnasium schon theoretisch als untypische Passage eingeführt, da sie der Normalbiographie des Bildungsgangs widerspricht. Das ›Zurückgehen‹ an die Schule ist nicht selbstverständlich und man kann davon ausgehen, dass dieser Schritt einer gesonderten Legitimation bedarf. In den Interviews zeigt sich der Schritt ans Abendgymnasium auch prozessual in die jeweilige Lebensgeschichte eingebettet. Ein Teil der sozialen Bedeutung des Bildungsgangs erschließt sich erst darüber, was dem Besuch des Abendgymnasiums voraus ging und welche lebensgeschichtlichen Ereignisse die Entscheidung für das Abendgymnasium beeinflusst haben. Daher
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habe ich auch diese ›prozessuale Einbettung‹ anhand der biographischen Erzählung des Schritts ans Abendgymnasium näher ausgewertet. Es lassen sich zwei Erzählmuster unterscheiden: Der Schritt ans Abendgymnasium wird entweder im Kontext eines lebensgeschichtlichen Wendepunktes beschrieben; oder das Abendgymnasium ist Teil eines lange gehegten Anliegens, eine bestimmte Bildungsqualifikation zu erreichen, das schon mehrfach angegangen wurde.
Das Abendgymnasium als biographischer Wendepunkt: Und dann dachte ich so: ›Jetzt, jetzt muss ich’s einfach angehen‹« (Markus, 42/43) Innerhalb der ›Wendepunktgeschichten‹ lassen sich verschiedene Formen festmachen: In manchen Erzählungen erfüllt der Besuch des Abendgymnasiums eine langgehegte Sehnsucht nach einem bestimmten Bildungsabschluss, der aufgrund äußerer Umstände oder eigener Leistungen nicht möglich schien. Durch ein lebensgeschichtliches Ereignis wird der schon festgefahrene Alltag aufgebrochen. Im Zuge dieser Neuorganisation des eigenen Lebens eröffnet sich eine Möglichkeit den Schulabschluss anzugehen. Ein Beispiel für eine solche Schilderung ist die Geschichte von Markus (vgl. Abschnitt 3.1): Nach eigenen Aussagen wollte er »schon immer« das Abitur machen, was ihm aber aufgrund seines Status’ als Nachfolger im Handwerksbetrieb nicht möglich war. Er macht zunächst eine handwerkliche Ausbildung und wechselt dann in einen Dienstleistungsberuf. Als viele seiner Kollegen anfangen zu studieren fragt er sich, ob das nicht auch für ihn eine Option wäre. Aber erst als er seinen jetzigen Lebenspartner kennen lernt, fasst er den »Mut«, es zu versuchen. Der bisherige Lebenslauf wird dabei als einmal eingeschlagener Weg beschrieben, der seine eigentlichen Möglichkeiten nicht zur Entfaltung kommen ließ und den es daher zu durchbrechen gilt, was Anstrengung kostet. Die Entscheidung für das Abendgymnasium fällt mit dem Beginn seiner Liebesbeziehung zusammen und wird auch sprachlich im Interview als Wendepunkt markiert: » […] und dann dachte ich so, jetzt muss ich’s einfach angehen!« (Markus, 42f.)
Das »jetzt« kann dabei auch als »jetzt oder nie« gedeutet werden. Als Wendepunktgeschichte mit einem anderen Ausgangspunkt beschreibt Kai seine lebensgeschichtliche Konstellation vor dem Eintritt ins Abendgymnasium. Kai war die Schule früher einfach egal, sie hat ihn nicht weiter interessiert. Auf der einjährigen Reise mit seiner Freundin kommt seine bisherige Lebensperspektive allerdings ins Wanken:
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»Das ist eine lange Geschichte – eigentlich, also, hmhm, ich fang’ mal von vorne an. Und zwar, ich habe einen Beruf gelernt […] und ja kurz drin gearbeitet, im Beruf, und hab’ dann schnell gemerkt, das ist nicht so mein Ding, und war halt echt immer unglücklich und unzufrieden und dachte mir so: ›Nee, das kann’s nicht sein. › Und, ja dann war ich ein knappes Jahr im Ausland und das war halt so irgendwie der Knackpunkt, die Schlüsselsituation für mich, dass ich einfach mal Abstand hatte von allem. Und mir überlegt habe, dass du echt was machen musst. Und dann war halt/die Abendschule war halt ’ne Möglichkeit für mich.« (Kai, 27-35) »[…] also erst mal wirklich diesen Weitblick, den ich dann plötzlich hatte, weil ich war schon eingefahren in meinem Leben hier, also vom Kopf her sehr eng begrenzt. Muss ich schon sagen. Und da habe ich halt Leute kennen gelernt, hmhm. Und die haben halt andere Sachen gemacht. Und irgendwie kam das dann dadurch, durch Menschen, die ich kennen gelernt habe, und gesehen hab’, was die gemacht haben und mir dann bewusst wurde: ›Du musst irgendwas machen‹. Von daher, was heißt, ich muss was machen, aber, irgendwie, na ja, dadurch kam das halt irgendwie, dass ich halt Anstöße gekriegt habe, so, Denkanstöße. Dass ich halt schon festgefahren war hier.« (Kai, 62-71)
Die Reise stellt für Kai eine »Schlüsselsituation« dar, durch die er ins Nachdenken über sein Leben kommt. Der Schulabschluss erscheint hier als neue, erweiternde Möglichkeit für ihn. Für Florian gab es ebenfalls einen zentralen Auslöser, der seine bisherige Bezugnahme zu Bildung und Schule infrage stellt: seine Arbeitslosigkeit. Nach dem Umzug in die Stadt entscheidet er sich für den Schulbesuch. Dem sind schon jahrelange Überlegungen vorausgegangen. Auch bei Jens und Harald lässt sich das Motiv des Wendepunktes finden, wobei ein entscheidendes Ereignis – bei Jens seine Arbeitslosigkeit, bei Harald seine Heirat – den bisherigen Alltag durcheinander bringt. Dabei stehen die beiden zwischen den hier bisher aufgemachten Kategorien: Einerseits distanzieren sich beide auf dem ersten Bildungsweg von der Regelschule, andererseits beschreiben beide, dass sie immer wieder Überlegungen hatten, doch das Abitur zu machen. So war beispielsweise Jens’ eigentlicher Berufswunsch in der Schulzeit Bauingenieur. Dies hat er bisher in seinen Hobbies ausgelebt. Auch seine erste Ausbildung war daraufhin angelegt. Im Interview spricht er davon, dass er »schon länger Interesse an der Schule gehabt habe« (vgl. Fallporträt 4.1.2). Harald schildert, dass er »schon öfters mal so den Gedanken [hatte], oh, das will ich machen, das will ich machen« (vgl. Fallporträt 4.1.4). Vergleicht man die bisher herangezogenen Fälle, so lässt sich der Schritt ans Abendgymnasium auf der Ebene des biographischen Wendepunktes, der für fünf von acht Interviewten zutrifft, folgendermaßen charakterisieren: Es wird deutlich, dass der Schritt ans Abendgymnasium in der Regel einen langen Vorlauf hat, d.h., es vergingen mehrere Jahre, in denen immer wieder mit 129
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dem Gedanken gespielt wurde, ans Abendgymnasium zu gehen und das Abitur nachzumachen. So erscheint dieser Schritt als einer, der »Mut« braucht, um die »eingefahrenen« Bahnen, die das Leben bisher genommen hat, zu durchbrechen. Dieser Bruch mit der Normalität ist bei allen hier herangezogenen Fällen mit mindestens einem lebensgeschichtlichen Ereignis verknüpft, das bereits eine wichtige Wende eingeleitet hatte und Energie für weitere Veränderungen freigesetzt hat.
Lebensgeschichtliche Ermöglichung eines langfristigen Projekts Neben der Beschreibung des Schrittes ans Abendgymnasium als biographischem Wendepunkt lässt sich aber noch eine weitere Darstellungsform in den Interviews finden, denen sich die anderen drei Interviewten, Birgit, Demir und Cingiz zuordnen lassen: Hier ist ein bestimmter angestrebter Abschluss ein langfristiges Projekt, das nach verschiedenen Erfahrungen von Abbrüchen oder des Scheiterns immer wieder neu angegangen wird. Ein Beispiel hierfür ist Demir. Den ersten Bildungsweg verlässt er ohne Abschluss. In einer Berufsfördermaßnahme macht er den Hauptschulabschluss nach. Bei der anschließenden Lehre scheitert er allerdings aufgrund seiner nicht ausreichenden deutschen Sprachkenntnisse. Einen weiteren Versuch muss er wegen seiner Heirat abbrechen. Nachdem er Vater geworden ist, sieht er es als seine Pflicht an, eine Ausbildung aufzunehmen und abzuschließen. Das Abendgymnasium steht dabei für die Chance, seine schulische Qualifikation zu verbessern und dadurch einerseits leichter eine Lehrstelle zu bekommen, andererseits über die Kompetenzen für eine Lehre zu verfügen. Birgit hat ebenfalls das Ziel, ihre Ausbildung fortzuführen auf vielfältige Weise zu erreichen versucht, zunächst auf dem Wirtschaftsgymnasium, dann in einer Lehre. Beides hat sie abgebrochen. Nachdem sich ihre Lebenssituation durch den Umzug in die Nähe des Vaters stabilisiert hat, geht sie das Projekt Ausbildung von Neuem an, das für sie nun im Erlangen eines Studienabschlusses besteht. Auch Cingiz möchte in Deutschland einen Berufsabschluss erwerben. Hierfür muss er nach seiner Selbsteinschätzung zunächst seine Sprachqualifikation verbessern. Nachdem sein Versuch, durch das Arbeitsamt Sprachkurse finanziert zu bekommen, gescheitert ist, verfolgt er dieses Ziel nun auf dem Abendgymnasium. Anders als bei den anderen Lebensgeschichten gab es für Birgit, Demir und Cingiz keine vormals ›normale‹ Bahn, die durch den Besuch des Abendgymnasium unterbrochen wird, vielmehr sind ihre Lebensplanungen darauf ausgelegt, Normalität durch Berufsausbildung und die dafür nötigen Qualifikationen überhaupt erstmals herzustellen.
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Gemeinsamkeiten und Unterschiede (der prozessualen Einbettung) Während die eine Position auf den lebensgeschichtlichen Wendepunkt fokussiert, fokussiert die andere auf Hindernisse und Versuche zu deren Überwindung. Beiden Positionen ist der lange Vorlauf gemeinsam, den der Schritt ans Abendgymnasium in den Überlegungen einnimmt, sowie der Mut, den dessen Umsetzung erfordert. Dabei wird in allen Erzählungen die Notwendigkeit einer bestimmten lebensweltlichen Situation deutlich, die den Schritt ans Abendgymnasium ermöglicht. Beim lebensgeschichtlichen Wendepunkt bedarf es eines Ereignisses, das die jeweiligen Gewohnheiten in Frage stellt und so den Weg ans Abendgymnasium anstößt. Im Fall der immer wieder verhinderten vertikalen Statuspassage über Schule wird, sobald sich die äußeren Umstände verbessert haben, ein neuer Versuch unternommen, das Ziel einer Berufsausbildung angehen zu können. Auch hier zeigt sich eine Interdependenz zur aktuellen Lebenswelt. Analysiert man dies mithilfe der unterschiedlichen Formen von Statuspassagen genauer (vgl. Abschnitt 1.2 und Abschnitt 3.2), dann wird die vertikale Statuspassage über die Institution Abendgymnasium als Teil einer anderen soziokulturellen Statuspassage sichtbar, die z.B. mit dem Beginn einer Beziehung, der Heirat, dem Umzug an einen anderen Ort oder auch mit Arbeitslosigkeit einhergeht. Durch die Analyse der lebensgeschichtlichen Einbettung kann herausgearbeitet werden, dass bei der untersuchten Gruppe neben den Unterschieden in der sozialen Einbettung und in der Notwendigkeit, milieuübergreifend mit einem hohen Kraftaufwand verbunden ist. Im Zuge einer weitreichenden Umgestaltung des eigenen Lebens wird ein Bereich in den Blick genommen, mit dem man schon lange unzufrieden war. Es kostet Mut, den teilweise schon lange gehegten Traum von einem bestimmten Beruf oder bestimmten Möglichkeiten für sich selbst nicht aufzugeben, sondern anzugehen bzw. sogar immer wieder einen neuen Versuch zu unternehmen. Man kann insofern tatsächlich von einem Bildungsgang jenseits der Normalbiographie sprechen.
4 . 3 An a l ys e d e s G e s a m t ve r g l e i c h s Durch die ressourcen- und kontextorientierte Analyse der Interviews konnten die Ziele, die mit dem Schritt ans Abendgymnasium verbunden sind, weiter ausdifferenziert werden (einen Überblick gibt Tabelle 2, S. 133). Eine Unterscheidung zwischen beruflicher bzw. persönlicher Weiterentwicklung ist allein nicht aussagekräftig. Diese Ziele diversifizieren sich anhand der sozialen Einbettung der Akteure. Es spielt einerseits eine Rolle, inwieweit eine Ausrichtung auf einen akademischen Freundeskreis besteht. Andererseits ist bedeutsam, ob die Interviewten in eine feste Liebesbeziehung eingebunden 131
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sind und inwieweit diese eher modern oder eher traditionell ausgerichtet ist. Ein modernes Beziehungskonzept der Befragten geht mit Orientierung am akademischen Milieu einher, ein eher traditionelles mit dem Eingebundensein in ein nicht-akademisches soziales Umfeld. Die in der bisherigen Forschung alternativ diskutierten Modelle – Gefahr der Entfremdung versus Verwirklichung der eigentlich gefühlten Zugehörigkeit – werden als Milieuunterschiede deutlich. Berufliche und persönliche Weiterentwicklung stehen je nach sozialer Einbettung für weitreichendere Ziele, die soziokulturell unterschiedlich sind. Während es für die eine Gruppe der Interviewten auch darum geht zu beweisen, dass man kann, was die anderen können, steht für die andere eher der Aufstieg beziehungsweise die Existenzsicherung der Familie im Zentrum. Ein Blick auf die weiteren Begründungen für den Schritt ans Abendgymnasium spezifiziert die mit dem Abendgymnasium verbundenen Ziele zudem weiter aus. Anhand dreier Aspekte werden die unterschiedlichen Ressourcen, über die die Akteure verfügen, besonders sichtbar: die berufliche Etablierung, die Ausrichtung in Bezug auf das kulturelle Kapital sowie die Notwendigkeit der Schulform. In der beruflichen Etablierung sowie der Notwendigkeit der Schulform zeigt sich der Einfluss des ökonomischen und sozialen Kapitals auf die mit dem Abendgymnasium verbundenen Ziele. Gleichzeitig wird aber auch die Besonderheit des Abendgymnasiums als untypischer Bildungsgang deutlich. So wird beispielsweise das Alter zur Ressource, da man BAföG in Bezug auf einen Schulabschluss nur bis zu einem Alter von dreißig Jahren beantragen kann und somit andere Bildungsgänge nicht mehr möglich sind. Florian und Kai erwähnen darüber hinaus auch die Bedeutung der Berufstätigkeit für ihr eigenes Selbstverständnis. Das Besondere des Bildungsgangs wird anschaulich, wenn man auch die prozessuale Einbettung mit in den Blick nimmt. Überraschend war der oft langjährige zeitliche Vorlauf, den der Schritt ans Abendgymnasium hatte sowie die Notwendigkeit einer vorherigen Veränderung der eigenen Lebenssituation, die die »alten Bahnen aufbricht«. Man kann beim Bildungsgang am Abendgymnasium somit von einer Statuspassage in der Statuspassage sprechen, also von einer durch Ereignisse wie Hochzeit, Umzug in eine andere Stadt, Arbeitslosigkeit etc. lebensweltlich initiierten Statuspassage, im Zuge derer dem Leben eine neue Richtung gegeben werden soll. Der Schritt ans Abendgymnasium, das als Medium der beruflichen und persönlichen Veränderung dienen soll, ist in diese lebensweltliche Statuspassage eingebettet. Für die Rolle des Feldes lässt sich hieraus zweierlei ableiten: Einerseits die große Überwindung, die der Schritt ›zurück an die Schule‹ zu kosten scheint, andererseits die große Bedeutung, die Bildung bei der Veränderung der eigenen Lebenssituation zuerkannt wird.
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Erst wenn über eine neue Konstellation in der Lebenssituation ein Umdenken erfolgt oder neue Möglichkeiten zur Verfügung stehen, kommt es zum Schritt an die Schule. Der Schulabschluss und der Schulbesuch werden als Möglichkeit angesehen, das eigene Leben und die eigene soziale Situation grundlegend zu verändern. Tabelle 2: Auswertung soziale Bezugnahme über das Abendgymnasium
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Inwieweit lassen sich aber nun die herausgearbeiteten Aspekte zu Positionen der Akteure im Sinne Bourdieus bündeln? Bisher stand bei der Darstellung der Ergebnisse im Zentrum, die Diversität der Wege ans Abendgymnasium anhand zentraler Teilaspekte darzustellen. Dabei wurden die Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen einzelnen Akteuren eher vernachlässigt. In dieser Zusammenfassung versuche ich nun, unterschiedliche Positionen der Akteure bezüglich ihrer Haltungen sowie ihrer Ressourcen herauszuarbeiten. Gleichzeitig ist auch die Frage nach den besonderen Charakteristika des Bildungsgangs am Abendgymnasium offen.
Positionen am Abendgymnasium Um unterschiedliche Positionen in der Bezugnahme über Schule und Bildung zu bestimmen, habe ich auf der einen Seite Ressourcen, auf der anderen Seite Aspekte der Lebenshaltung berücksichtigt. In Anlehnung an Bourdieus zentrale Achsen für den sozialen Raum, Kapitalausrichtung sowie Gesamtkapitalvolumen, wurden dabei die Achsen »Milieuorientierung« und »Bildungsausrichtung sowie berufliche Etablierung und Alternativen« herangezogen. Berufliche Etablierung und Alternativen zum Bildungsgang am Abendgymnasium spiegeln dabei m.E. das für das schulische Feld spezifische Gesamtkapitalvolumen wider. Sie machen transparent, wie notwendig die Passage für die Akteure ist bzw. welche Möglichkeiten sie haben, den Bildungsabschluss entweder auf anderem Weg anzugehen oder ohne den Bildungsabschluss eine sozial etablierte Position zu erreichen. Mit anderen Worten: Sie geben die Gesamtheit der Verfügungsmacht der Akteure über den Bildungszugang und die soziale Etablierung wieder, was mit Bourdieu dem Gesamtkapital einer Person entspricht. Diese Achse zeigt auch an, wie »reversibel« die Statuspassage am Abendgymnasium ist (vgl. Heinz 1996, vgl. a. Abschnitt 1.2). Die Positionierung der Akteure als »hoch« drückt somit aus, dass ein Akteur Alternativen zur Passage am Abendgymnasium hätte, entweder in Form einer anderen Schule oder im Verbleib in einer beruflich etablierten Situation. »Gering« kennzeichnet, dass eine Person nicht über eine Berufsausbildung verfügt und zum Erlangen einer beruflichen Position wenig Alternativen zum Abendgymnasium bestehen. Zentral für den Bildungsgang und damit auch für eine Statuspassage über den Bildungsgang ist darüber hinaus das kulturelle Kapital als zentrales Interessensobjekt (vgl. Abschnitt 1.1), was in den Interviews anhand der angestrebten beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung rekonstruiert wurde, die sich als Ausrichtung am institutionalisierten und inkorporierten kulturellen Kapital interpretieren lässt. So erscheint es für eine weitere Charakterisierung der vertikalen Statuspassage über den Bildungsgang sinnvoll, die jeweilige soziale Bezugnahme auf das kulturelle Kapital mit heranzuziehen. Aus134
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sagekräftig hierfür waren die analysierte soziale Einbettung in ein akademisches Milieu sowie die expansive oder nüchterne sprachliche Bezugnahme auf Bildung. Anhand der beiden Achsen Reversibilität der Statuspassage und Milieu- und Bildungsorientierung lässt sich somit ein Feld der sozialen Bezugnahme über das Abendgymnasium aufspannen, in dem unterschiedliche Positionen der Akteure sichtbar werden (vgl. Abbildung 4). Abbildung 4: Positionen am Abendgymnasium
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Neben dieser Positionsbestimmung der Akteure anhand der Achsen macht ein Vergleich der Auswertung zudem eine Überschneidung bestimmter Aspekte bei verschiedenen Akteuren deutlich, in denen sich ähnliche Lebenssituationen und Haltungen widerspiegeln. Diese ähnliche Ausgangslage wird anhand eines Kreises kenntlich gemacht. Allerdings sind diese Positionen im Sinne der Grounded Theory noch nicht »gesättigt« (vgl. Glaser/Strauss 1998, S. 53ff.). Sie machen aber eine genauere Einordnung der Akteure möglich: So ist Birgit für die hier interviewten Schüler, die mit Hauptschulabschluss in das Abendgymnasium eintreten, in einer ungewöhnlichen Position. Durch den Rückhalt ihrer Familie ist sie finanziell abgesichert. Da sie zudem noch recht jung ist, kämen für sie viele verschiedene Schulformen in Betracht. Hinzu kommt ihr Selbstvertrauen in ihre Fähigkeiten sowie die Ausrichtung am akademischen Milieu. Markus und Harald haben auf verschiedenen Ebenen Gemeinsamkeiten: Für beide ist der Schritt ans Abendgymnasium Teil eines gemeinsamen Projektes mit der jeweiligen Lebenspartnerin bzw. dem jeweiligen Lebenspartner. Sie orientieren sich an einem akademischen Lebensstil und sind schon um die 30 Jahre alt. Aufgrund ihrer sicheren beruflichen Position haben sie grundsätzlich eine soziale Etablierung schon erreicht, möchten sich aber umorientieren, da ihnen ihre Arbeit keinen Spaß mehr macht. Auch in den Positionen von Jens und Florian gibt es Überschneidungen. Sie haben zunächst eine handwerkliche Lehre gemacht und wurden in ihrem erlernten Beruf arbeitslos. Dies beschreiben sie als einschneidende Erfahrung. Beide sind Anfang zwanzig, in keiner festen Beziehung und sozial auf ihren Freundeskreis ausgerichtet. Ihre Herkunftsfamilie unterstützt sie nicht bei ihrem Lebensunterhalt. Allerdings ist Jens zu Schulbeginn arbeitslos, während Florian mittlerweile in eine andere Branche gewechselt und in seiner jetzigen Stelle gut etabliert ist. Eine weitere Differenz besteht darin, dass Jens im Gegensatz zu Florian auf ein akademisches Milieu ausgerichtet ist. Kai nimmt eine Zwischenposition zwischen Markus und Harald auf der einen und Jens und Florian auf der anderen Seite ein. Auch er ist zu Beginn des Schulbesuchs um die 30 Jahre alt, in einer festen Beziehung mit einer Akademikerin liiert und auch von seinem Freundeskreis her am akademischen Milieu orientiert. Anders als Markus und Harald ist er allerdings beruflich nicht etabliert. Vielmehr hat er ursprünglich, ähnlich wie Jens und Florian, eine handwerkliche Ausbildung absolviert, die ihm keine berufliche Perspektive bietet. Demir hingegen ist sozial traditionell auf seine Familie orientiert. Er verfügt über keine Ausbildung und ist beruflich nicht etabliert. Darüber hinaus ist der Schulbesuch für ihn notwendig, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern. 136
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Auch für Cingiz ist die Verbesserung seiner Sprachkenntnisse ein zentrales Motiv seines Schulbesuchs. Er ist auf ein akademisches Milieu ausgerichtet und war in seinem Herkunftsland auch in einem akademischen Beruf tätig. Hier in Deutschland wird seine Berufsausbildung allerdings nicht anerkannt. Der Weg ans Abendgymnasium verläuft soziokulturell unterschiedlich. Es ergeben sich je nach Ressourcenlage Positionen, die einerseits die Zugangsmöglichkeiten und Alternativen zum Bildungsgang wiedergeben und andererseits die Haltung zu Bildung und zum akademischen Milieu. Für diese Stichprobe zeigen sich im Hinblick auf die Ressourcenpositionen unterschiedliche Formen der Lebenshaltung. Dabei spielen auch weitere Aspekte wie Alter, Beziehungsform und Berufsausbildung eine Rolle. Neben diesen Differenzen lassen sich aber auch Gemeinsamkeiten finden, die die geplante vertikale Statuspassage über das Abendgymnasium charakterisieren.
Charakteristika der sozialen Bezugnahme über das Abendgymnasium In den Auswertungsergebnisse zeigen sich m.E. vier zentrale Charakteristika der vertikalen Statuspassage über das Abendgymnasium, in denen sich auch die Interdependenzen zwischen der Passage und den jeweiligen Lebenskontexten sowie den zur Verfügung stehenden Ressourcen spiegeln: Der Weg ans Abendgymnasium ist eingebettet in eine soziokulturell diversifizierte Lebensform als Erwachsener und Teil einer weitreichenden lebensgeschichtlichen Wandlung, er wird von den meisten Interviewten als zweite oder auch letzte Chance charakterisiert und dient in erster Linie der Vorbereitung auf ein anderes Leben. Der Schule kommt dabei die Rolle eines Mediums der Veränderung zu, wie in der folgenden Abbildung visualisiert:
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BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
Abbildung 5: Soziale Bezugnahme über den Bildungsgang Soziale Bezugnahme über den Bildungsgang
Zentrale Ausrichtung der Passage: Veränderung
Soziokulturell differenziert durch:
Charakter der Passage am Abendgymnasium: Letzte Chance
Soziokultureller Lebensstil
Lebensform als Erwachsener
Etablierung und Ressourcen
Teil einer weitreichenden lebensgeschichtlichen Veränderung
Rolle der Schule Medium
Barriere
Soziokulturelle Differenz und Lebensform als Erwachsene Im Kontext des Abendgymnasiums wird immer wieder auf die Besonderheit der parallel stattfindenden Berufstätigkeit hingewiesen, die die Passage am Abendgymnasium kennzeichnet. Die Auswertung machte allerdings deutlich, dass dies nur ein einzelner Aspekt der besonderen Situation Erwachsener ist. Der gesamte Bildungsgang und die Ziele, die damit verfolgt werden, sind als ein in die ›erwachsene‹ Lebenspraxis eingebettetes Projekt zu begreifen. 138
DER BILDUNGSGANG ALS MEDIUM DER VERÄNDERUNG
Dieses differenziert sich, je nach Nähe zu unterschiedlichen Milieus. Eine bedeutsame Rolle spielen die jeweiligen Beziehungsformen, insbesondere einer Liebesbeziehung kommt zentrale Bedeutung zu. In den Interviews werden die Ziele des Schulbesuchs zum Teil eines gemeinsamen Projektes, das man miteinander verfolgt wie z.B. bei Harald oder das, wie bei Demir, an die jeweilige Rolle in der Familie gekoppelt ist. Auch bei Birgit ergibt sich durch die Rückkehr zur Familie eine besondere Beziehungskonstellation. Die Situation am Abendgymnasium ist somit nicht nur von der Regelschule different, weil durch die Erwerbsarbeit neben der Schule eine weitere wichtige Aufgabe besteht. Der Bildungsgang von Erwachsenen ist vielmehr auch eingebunden in eine weitreichend andere Lebenssituation, die durch Verantwortung für das eigene Leben und teilweise auch Beziehungsverantwortung gekennzeichnet ist und sich nach der soziokulturellen Zugehörigkeit differenziert.
Reversibilität: Abendgymnasium als letzte Chance Ein weiteres Charakteristikum, in dem sich die Interdependenz zwischen Schule und Lebenswelt ausdrückt, ist die Alternativlosigkeit des Bildungsgangs. Mit Ausnahme von Birgit betonen alle Interviewten, im Abendgymnasium die einzige Möglichkeit für sich zu sehen, das Abitur bzw. bestimmte Kompetenzen nun als Erwachsener nachzuholen. Bedeutsam ist dabei für alle, dass es sich beim Abendgymnasium um eine staatliche Einrichtung handelt, die keine Gebühren verlangt. Hinzu kommt, dass dieser Bildungsgang nebenher den Erwerb des Lebensunterhaltes erlaubt. Dies ist vor allem für die Älteren elementar, da sie keinen Anspruch auf BAföG haben. Zudem spielt auch die Bedeutung eine Rolle, die die Arbeit für die eigene Selbstständigkeit und Absicherung hat. Aber diese sachliche Aufzählung der Motive erfasst nicht die Vehemenz, mit der die Bedeutung des Abendgymnasiums vertreten wird. Insbesondere von Jens wird hervorgehoben, dass ein Scheitern seines Bildungsanliegens für ihn schwer verarbeitbar wäre und er für sich kaum andere Zukunftsmöglichkeiten sieht. Spannt man hier den Bogen zum Abendgymnasium als »Medium« der Veränderung, das gleichzeitig schon eingebettet ist in eine vorangegangene weitreichende Umwandlung des eigenen Lebens, dann wird die große Bedeutung des Bildungsgangs plausibel. Die Veränderungsdynamik, die mit dem Bildungsgang einhergeht, ist verbunden mit einer Chance für die Zukunft. Dies wird auch beschrieben als Wende des eigenen Lebens zum Positiven. Besonders in den Wendepunktgeschichten kommt dies zum Ausdruck. Der Schritt ans Abendgymnasium steht dabei auch im Kontrast zu den kritischen Ereignissen, den Verhinderungen durch das Elternhaus oder anderer Umstände in der Vergangenheit. Für alle ist er mit dem Aufbruch aus einer verfahrenen Lebenssituation verbunden, die als sehr unbefriedigend erlebt wird. Dieser Aufbruch ist allerdings nicht einfach. Dies wird vor allem 139
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im langen Vorlauf deutlich, den der Schritt ans Abendgymnasium für die meisten hat. Erst im Zuge der dem Abendgymnasium vorausgehenden lebensgeschichtlichen Veränderungen wird der Schritt zurück an die Schule gewagt. Aus der Perspektive der Interviewten zum Zeitpunkt des Interviews ist es für die meisten kaum vorstellbar, bei einem Abbruch der Schule das Abitur noch einmal woanders zu probieren. Dies spiegelt sich auch in Metaphern wie »letzte Chance« oder »zweite Chance, die ich aber auch nutzen muss«. Nach der Differenzierung von Statuspassagen von Heinz 1996 (vgl. Abschnitt 1.2) ist der Bildungsgang am Abendgymnasium für die meisten keine umkehrbare Statuspassage. Dabei spielen die jeweiligen Ressourcen eine Rolle, aber vor allem auch das Motiv der Bewährung bzw. der Wiederholung, das einen erneuten Anlauf an anderer Stelle kaum wahrscheinlich macht.
Das Abendgymnasium als Teil einer weitreichenden lebensgeschichtlichen Veränderung Am Abendgymnasium geht es um Veränderung, darauf wurde schon zu Beginn des Kapitels hingewiesen. Anhand der Kategorien berufliche und persönliche Weiterentwicklung war dies auch in der bisherigen Literatur Thema. Wie weitreichend aber die Veränderung des persönlichen Lebens ist, die den Schritt an die Schule begleitet, macht ein Einbezug der biographischen Erzählung des Schritts ans Abendgymnasium deutlich. Besonders evident wird dies in der Erzählung des Abendgymnasiums als lebensgeschichtlichem Wendepunkt. Die Auslöser sind folgenreich: Die Arbeitslosigkeit stellt die bisherige Lebenssituation in Frage, eine neue Beziehung gibt neue Perspektiven für das eigene Leben, eine einjährige Reise dient dazu, die bisherigen Prioritäten im Leben zu überdenken etc. Auch bei denjenigen, für die der Bildungsabschluss ein Projekt ist, das sie immer wieder angehen, findet man solche »Auslöser«, die mit einer einschneidenden Veränderung der eigenen Lebenssituation einhergehen. Um die Bedeutung auszudrücken, die der vorangegangenen lebensweltlichen Veränderung zukommt, bezeichne ich den Bildungsgang am Abendgymnasium als »Statuspassage in der Statuspassage«. Die institutionelle Statuspassage am Abendgymnasium ist dabei eng verknüpft mit einer lebensweltlichen Statuspassage, beispielsweise einer neuen Beziehung und dem damit verbundenen gemeinsamen Lebensentwurf als Paar. Bildungsgang und lebensweltliche Situation stehen so in einem Wechselverhältnis, das sich auch in der spezifischen Verflechtung lebensweltlicher Veränderungen ausdrückt. Vor diesem Hintergrund interpretiere ich die schon im ersten Abschnitt aufgegriffene Diskussion um das Abendgymnasium als Entfremdung versus das Abendgymnasium als Verwirklichung noch einmal neu. In meiner dort 140
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vorgeschlagenen Interpretation habe ich auf die Milieuunterschiede hingewiesen, die sich durch die unterschiedliche Nähe zum akademischen Milieu ergibt. Eine andere mögliche Interpretation des analytischen Paares Entfremdung versus Verwirklichung ist eine zeitliche. Unter einem solchen Blickwinkel geht es am Abendgymnasium zunächst um die Verwirklichung eines lange gehegten Traumes. Ein Argument hierfür ist der lange Vorlauf, den der Schritt ans Abendgymnasium für die meisten hat. Die Veränderung der eigenen Lebenssituation über Bildung wurde vielfach durchdacht und teilweise schon einmal versucht. Selbst bei Jens, der die Spontaneität der Anmeldung betont, wird deutlich, dass er schon zuvor immer wieder überlegt hatte, das Abitur zu machen. Die Gefahr der Entfremdung wäre unter einer solchen zeitlichen Perspektive Ausdruck für die langfristigen Veränderungen, die angestrebt werden. Diese gehen mit einer lebensgeschichtlichen Umorientierung schon vor Beginn des Abendgymnasiums einher. Der Bildungsgang selbst stellt zudem weitere Orientierungsanforderungen, die auch eine Habitusmetamorphose notwendig machen können. Die Gefahr der Entfremdung wäre dann Ausdruck der Notwendigkeit einer Habitusmetamorphose, die mit dem Bildungsgang am Abendgymnasium einhergeht. In den Interviews kommt der Mut zum Ausdruck, den es braucht, eine so weitreichende Veränderung der eigenen Lebenssituation zu planen. Besonders eindrücklich ist dies bei denen, die sich nicht mit der eigenen Arbeitslosigkeit abfinden, sondern nach neuen Wegen suchen, ihre berufliche Situation zu verbessern. Ein Beispiel dafür ist Demir, der immer wieder Anläufe unternimmt, um die Voraussetzungen für eine Berufsausbildung zu schaffen. Ein Kennzeichen der Gruppe ist deshalb auch, dass sie nach Wegen der Etablierung sucht und auch bei teilweise widrigen Umständen ihr Ziel nicht aufgibt, einen Platz in der Gesellschaft für sich zu finden.
Möglichkeit und Barriere: das Abendgymnasium als Medium der Veränderung. Was in der Analyse des Einzelfalls von Markus deutlich wurde, wird auch im Gesamtvergleich anschaulich: Das Abendgymnasium dient als Medium der Veränderung: Es stellt eine Möglichkeit dar, dem eigenen Leben, das für die Interviewten so nicht mehr weitergehen soll, eine andere Richtung zu geben. Institutionalisierter Bildung wird dabei ein umwälzendes Veränderungspotential zugesprochen sowie eine hohe Relevanz bezüglich der sozialen Etablierung. Schaut man auf Details in den Interviews wird allerdings deutlich, dass das Abendgymnasium als Medium der Veränderung für die Schüler nicht nur als Möglichkeit beschrieben wird, sondern auch als Barriere. Als Beispiel kann hier das Interview mit Birgit angeführt werden. Ihr eigentliches Ziel ist 141
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ganz klar das Studium. Das Abendgymnasium ist hier eine Hürde, die es vor dem Beginn des Studiums erst einmal zu überwinden gilt. Dies wird auch in Birgits Visualisierung ihres Bildungsweges deutlich: Das Abitur hat sie im Bild als Hürde eingezeichnet, die im Moment noch den Weg zur Universität versperrt. Eine ähnliche doppelte Haltung zur Rolle des Abendgymnasiums – sowohl als Möglichkeit als auch als Barriere – findet sich auch deutlich in den Interviews von Marcus, Kai, Harald und Demir. Die Notwendigkeit weiterer Qualifizierung zwingt die Interviewten somit dazu, zunächst vier Jahre in ihre Allgemeinbildung zu investieren, bevor sie die jeweils fachspezifische Ausbildung angehen können. Dem Abendgymnasium ist damit auch eine gewisse Ambiguität zu eigen, da es Veränderung zwar ermöglicht, vor das eigentliche Ziel allerdings eine vierjährige Zeitspanne setzt, an deren Ende ein Bildungsabschluss erfolgreich bewältigt werden muss.
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5 . Soz iale Positionierung im Vorbereitungsja hr: »die zw eite Chance«
Der Schritt an die Schule lässt sich als horizontale Statuspassage beschreiben (s.a. Kapitel 3). Er erfordert den Aufbau einer sozialen Position im Schulkontext. Allen Interviewten war in dieser Untersuchung gemeinsam, dass sie in ihrem ersten Schuljahr das Gefühl hatten, schulisch etabliert zu sein. Dies bedeutet für sie konkret: Sie haben in Bezug zu ihren Erwartungen akzeptable Noten und können sich am Unterrichtsgeschehen beteiligen. Obwohl alle erst einmal in der Schule bleiben wollen, gehen sie doch unterschiedlich vor, um sich einen Stand in der Schule zu sichern. Diese unterschiedlichen Formen der sozialen Bezugnahme zum Unterrichtsgeschehen rekonstruiere ich in diesem Kapitel. Dabei möchte ich die Herangehensweisen fallvergleichend in Form von »Typen« herausarbeiten – mit Bourdieu kann man auch von Positionen sprechen.1 In der anschließenden Zusammenfassung benenne ich dann zunächst die Bereiche, in denen sich die unterschiedlichen Formen der sozialen Bezugnahme unterscheiden. Die Herangehensweise der Schüler in diesen Bereichen wird dabei in Form einer Tabelle sichtbar gemacht (vgl.Tabelle 3, S. 157). Ähnlich wie in Kapitel 4 steht dabei
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Schon innerhalb der Darstellung der vertikalen Statuspassage wurde deutlich, dass Cingiz aufgrund dessen, dass er noch nicht lange in Deutschland lebt, eine Sonderrolle zukommt, die ihn wenig vergleichbar macht. Innerhalb der sozialen Positionierung in der Schule wurde diese Sonderrolle von Cingiz als Außenseiter in der Klasse sichtbar. Seine Problematik im Vorbereitungsjahr ist dabei nicht mit den übrigen Schülern vergleichbar, da er in erster Linie die Anerkennung durch die Mitschüler thematisiert. Dies hätte für die Auswertung eine neue Thematik bezüglich der Inklusions- und Exklusionsmechanismen im Klassenverband notwendig gemacht. Da diese für die anderen Interviewten aber keine explizite Rolle spielte, wurde hier auf eine Darstellung der Position Cingiz’ verzichtet, um das Thema auf das Unterrichtsgeschehen zu fokussieren. 143
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die Frage im Zentrum, welche Charakteristika des Abendgymnasiums sich herausstellen.
5.1 Formen sozialer Bezugnahme auf den Unterricht im Vorbereitungsjahr In den Interviews lassen sich verschiedene Formen der Bezugnahme zum Unterrichtsgeschehen ausmachen, mit denen die Schüler sich auf das Feld Schule beziehen und sich in diesem zu positionieren versuchen. Unterschiede ergeben sich hier darin, wie aktiv die eigene Position angegangen wird, welches Verhältnis zu den Lehrern dabei gesucht wirdund wie auf die Inhalte und das Unterrichtsgeschehen Bezug genommen wird.
Markus und Harald – als Erwachsene agieren: »In der Schule zu sein trainiert irgendwie, die Sachen nicht allzu ernst zu nehmen!« Für Markus und Harald gestaltet sich die Bezugnahme zur Schule als ein Prozess, der mit Reibung und persönlicher Auseinandersetzung verbunden ist. Mit dem Status, den sie als Schüler im Unterricht erleben, tun sie sich schwer. Markus spricht im Nachhinein davon, dass sich seine Erwartungen in Bezug auf die Schule nicht erfüllt haben. »Also ich hatte ’ne ziemlich idealistische Vorstellung von Abendschule, dass die Lehrer, was grundsätzlich auch so ist, aber nicht in dem Umfang, wie ich es mir vorgestellt habe, sie sind schon engagierter, aufgrund dessen, weil eben die Schüler auch engagierter sind, die gehen mit einer ganz anderen Motivation heran. Und ich hatte eben das Bild, dass, wenn man wirklich Wünsche äußert oder auch Forderungen stellt, dass man sie eher überdenkt und dass sich auch im Grund wirklich daraus was verändert.« (Markus 418-431)
Markus hatte sich vorgestellt, dass ihm am Abendgymnasium ein anderer Status bei der Unterrichtsgestaltung und Vermittlung von Inhalten zugesprochen wird als an der Regelschule. Man kann dies auch so deuten, dass es ihm darum geht, als Erwachsener den Status eines reflexiven Subjekts zuerkannt zu bekommen, das in Entscheidungsprozesse miteinbezogen wird. Markus befindet sich mit der Schule in Reibung – dies betrifft die Art der Inhalte, die Vermittlungskompetenzen der Lehrer, aber auch die Art und Weise, in der mit ihm umgegangen wird. Dabei stellt er auch immer wieder Legitimationsfragen. Dieses Reibungsverhältnis mit der Schule trifft in ähnlicher Weise auf Harald zu:
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SOZIALE POSITIONIERUNG IM VORBEREITUNGSJAHR
»Also, für mich ist das wichtig, dass ich so, dass ich auch dieses Spielerische einfach damit irgendwie verbinden kann. Weil sonst würd’ das zäh, und sonst würd’ ich, äh, mir hier einige Sachen nicht antun, die ich mir hier antue.« (Harald, 193196) »Ja, das ist halt, was ich vorhin damit meinte mit diesem Sich-Unterordnen. Ich, ich mag das nicht, wenn man denkt, ich wär’ ein Dümmchen. […] Das will ich einfach nicht, das ist das Gefühl, was ich früher in der Schule immer hatte. So dieses, äh, ja weiß ich nicht, äh, ja damals war es halt so, dass/man musste ja zur Schule gehen. Ob man nun Lust hat oder nicht, man muss ja, man muss ja! Und jetzt will ich, also jetzt muss ich nicht, jetzt will ich, aber irgendwie, ähm naja, irgendwie dreht sich das alles so im Kreis. Und das ist halt, was ich meine, mit diesem Alles- LockererSehen, bisschen spielerischer sehen, einfach das alles nicht mehr so ernst zu nehmen. Ich hab das früher auch sehr ernst genommen. Und ich hab’s am Anfang, wo ich hier angefangen hab’, auch sehr ernst genommen. Und ich merk’ einfach, ja gewisse Lehrer sind halt so, wie sie sind. Ich kann da mittlerweile mit umgehen, weil ich weiß, wie sie sind. Und es, äh, nimmt mir also/kriegt mich nicht mehr so, wie es mich am Anfang gekriegt hat, aber, äh, trotzdem hab ich manchmal das Gefühl, dass, äh ja, dass man so ein Gefühl hat, dass man ein Dümmchen ist.« (Harald 641-662)
In der Anspielung, dass er sich hier »einige Sachen nicht antun« würde, wird deutlich, dass für Harald die Schule ebenfalls eine anstrengende Seite hat. Ein Beispiel hierfür gibt der zweite Textausschnitt. Harald spricht über die Unterordnung, die einige Lehrer seiner Ansicht nach von ihm fordern. Er fühlt sich als »Dümmchen« behandelt. Bei Harald finden sich im Interview ähnliche Themen wie bei Markus, auch er fragt nach der Legitimität bestimmter Inhalte, ihrer Art der Vermittlung und der Kompetenz der Lehrer. Bei der Frage der Gültigkeit bestimmter Ansprüche wird der eigene soziale Kontext herangezogen: »Und wie gesagt, ich hab’ halt Unterstützung von meiner Frau, die studiert halt, und das ist ganz gut, weil die kann mir einfach in vielen Sachen auch helfen. Wobei ich natürlich schon merk’, dass hm also, sie hat ’n sehr gutes Abitur und sie studiert schon seit fünf Jahren, aber das, was wir in Chemie oder Physik lernen, das weiß die auch alles gar nicht mehr. Na, und wenn ich dann irgendwie hör’, dass das irgendwie Allgemeinwissen ist, da geh’ ich nur so, also das ist ja wirklich. Aber das ist Schule.« (Harald 64-70)
Harald stellt hier die Legitimierung von Inhalten als Allgemeinbildung dadurch in Frage, dass er auf seine Frau verweist, die studiert, und die vieles, was er lernt, auch nicht mehr weiß. Im weiteren Verlauf des Interviews zeigt sich, dass ihn dabei vor allem die Haltung bestimmter Lehrer stört, die ihm
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das Gefühl vermitteln, der Stoff ihres Faches, sei so grundlegend, dass es unverständlich sei, ihn nicht schon zu kennen, denn er gehöre ja zum Allgemeinwissen. Auch Markus führt seinen Lebenspartner an, um das Vorgehen des Abendgymnasiums zu hinterfragen – beispielsweise bei der Art der Vermittlung von Inhalten. Sein Lebenspartner ist selbst Dozent und bestärkt Markus, dass bestimmte Themen didaktisch schlecht aufbereitet sind. Gleichzeitig bezieht sich Markus auch auf seine eigene Berufserfahrung. Er selbst ist im psychosozialen Bereich tätig, bei dem es zur Professionalität gehört, Sympathien und Antipathien hintenan zu stellen. Das Verhalten einzelner Lehrer an der Schule, die aus ihren persönlichen Vorlieben keinen Hehl machen, findet er deshalb höchst unprofessionell. Harald und Markus, die beide zu den älteren der Interviewpartner gehören und schon über zehn Jahre aus der Schule heraus sind, setzen sich mit der Schule offenbar vor dem Hintergrund ihres Lebenskontextes auseinander. Beide sind beruflich etabliert und stehen in Verantwortung. Der enge Gestaltungsrahmen der Schule sowie das generationale Verhältnis, das von einigen Lehrern hergestellt wird, empfinden sie als für sich nicht stimmig. Ihr Lebenskontext bietet ihnen die Möglichkeit, bestimmte Aspekte der Schule, wie die Legitimation des Wissens als Allgemeinwissen, aufgrund ihrer Lebenserfahrung und ihrer sozialen Kontakte zu hinterfragen. Für beide war schon auf dem ersten Bildungsweg der enge Rahmen der Regelschule, in dem einzelne Lehrer Unterordnung fordern, problematisch. Hierzu exemplarisch eine Textpassage aus dem Interview mit Harald: »Also für mich hier, das in-der-Schule-zu-sein trainiert das irgendwie, die Sachen nicht ganz so ernst zu sehen. Weil, ich hab’ auch immer das Gefühl, wenn ich bisschen lockerer mit den Sachen bin, dann flutscht das auch viel besser. Und, ähm ja einfach, ich hab’ ja immer ’n Problem damit, mich unterzuordnen, mich and’ren Menschen gegenüber unterzuordnen. Und das ist immer, das ist, was ich, also das fällt mir in der Schule natürlich, das ist mir damals schon immer schwierig gefallen, das fällt mir natürlich jetzt, wo ich irgendwie ’n bisschen älter bin, natürlich auch ’n bisschen schwierig, weil ich natürlich selbst mein’, ich weiß es besser. Aber eigentlich ist es ja nicht so, in vielen Sachen. Und da einfach irgendwie das Ganze mit ’nem bisschen mehr, ähm, das einfach versuchen, es ein bisschen mehr mit Humor zu sehen. Also für mich ist einfach wichtig, dass ich hier ’ne gute Zeit hab‹ in der Schule.« (Harald 222-234)
Somit ergibt sich für Harald und Markus auf dem zweiten Bildungsweg eine Wiederholung der Problematik des ersten. Wie in den Interviews deutlich wurde, haben sie bereits dort gegen als autoritär empfundene Strukturen und Ansprüche rebelliert. Nun als Erwachsene ist die Problematik solcher Ansprüche für sie nicht weniger »schwierig«, denn der schulische Status kolli146
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diert mit Positionen und Kontexten, die ihren Alltag bestimmen. Beide sind sich dessen durchaus bewusst und versuchen, mit der Situation reflexiv umzugehen. Diese aktive Haltung betrifft dabei sowohl die eigene Position im Unterricht als auch das außerschulische Lernen. Im Unterricht sind beide um aktive Beteilung und Aufmerksamkeit bemüht, was auch durch Interesse und Spaß an den Inhalten hergestellt wird. Hier möchte ich exemplarisch Haralds Konzept des »spielerischen Herangehens« darstellen. Wie in den obigen Passagen betont Harald im Interview immer wieder, wie wichtig es ihm ist, »spielerisch« an Schule und Inhalte heranzugehen. Dies bezieht er auch auf den Umgang mit Lehrern, bei denen er sich darum bemüht, das hierarchische Arrangement und von ihm wahrgenommene didaktische Defizite einzelner Lehrer dadurch auszugleichen, dass er interessiert auf die Inhalte Bezug nimmt. Das Lernen an sich macht ihm Spaß. Dies spiegelt sich auch darin, dass er außerschulisch kontinuierlich Zeit in das Lernen investiert. »Das ist irgendwie alles ratz, ratz, ratz, ratz, ratz, und man ist irgendwie, man steht in der Verantwortung sich selbst gegenüber, wenn man Lust hat, das hier durchzuziehen irgendwie, auch wirklich was zu machen zu Hause.« (Harald 322-325)
Dabei ist das Lernen Teil des gemeinsamen Projektes mit seiner Lebenspartnerin. Da sie sich in der Abschlussphase an der Universität befindet, lernen sie am Wochenende beide einen Tag. Seine Lebenspartnerin ist dabei für ihn auch Unterstützung und Ansprechpartnerin für die Inhalte. Eine ähnliche Situation findet sich bei Markus: Auch er hat sich feste Zeiten für das Lernen gesetzt und bemüht sich um Ansprechpartner für die Inhalte. Wobei Markus allerdings auch auf Lerngruppen mit Mitschülern setzt. Fasst man diese Positionen zusammen ist zentral, dass Markus und Harald die Teilhabe am Unterrichtsgeschehen aktiv angehen. Dabei sehen sie das Unterrichtsgeschehen am Abendgymnasium vor dem Hintergrund ihrer Lebenserfahrung und sozialen Einbettung kritisch. Insbesondere die Tatsache, dass sie von einzelnen Lehrern im Unterricht nicht wirklich ernst genommen werden, führt bei beiden zu Widerstand. Die sich dadurch teilweise ergebende emotionale Reibung versuchen sie unter Bezugnahme auf ihren Status als Erwachsene dadurch auszugleichen, dass sie sich darum bemühen, bestimmte Umgangsweisen nicht mehr so ernst zu nehmen. Beide gehen das Lernen engagiert an. Deutet man diese Praktiken des Umgangs im Feld nun als Praktiken der Imagepflege (vgl. Kapitel 1), geht es bei Marcus und Harald um ein Image, das an einen Erwachsenenstatus gekoppelt ist. Ziel ist es, Image nicht durch Unterordnung, sondern als gleichberechtigter Kommunikationspartner zu 147
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erwerben. Hinzu kommt eine auf die Lerninhalte bezogene Haltung, die an einen hohen auch außerschulischen Einsatz gekoppelt ist. Man kann dies so deuten, dass für das angestrebte Image im Feld auch inhaltliches Verstehen von großer Bedeutung ist. Für Harald und Markus ist zudem die Schule nicht der einzige Referenzkontext ihres Verhaltens: Auch hierbei spielt wieder der jeweilige Beziehungspartner eine bedeutende Rolle. Wichtig ist somit nicht nur das in der Schule erworbene Image, sondern auch die Praktiken der Imagepflege als Teil eines gemeinsamen Projektes mit dem jeweiligen Lebenspartner.
Birgit und Kai – Spaß am Lernen: »Ich wollt halt auch was lernen, das war halt so ’n gutes Gefühl, was zu lernen.« Auch für Birgit und Kai ist eine Bezugnahme über die schulischen Inhalte wesentlich. Beide beschreiben das Interesse am Lernen und den Spaß, den es machen kann, sich (wieder) mit Inhalten auseinanderzusetzen. Kai schildert in der nachfolgenden Textstelle seine Erfahrungen zu Beginn der Schule: »Ich hatte, ich wollte halt auch was lernen, das war halt so ’n gutes Gefühl, was zu lernen, ja muss ich ehrlich sagen. Weil ich gemerkt hab so, dass mein Kopf, dass du machst, man macht schon einige Sachen, wirklich Hobbys, die Du machst, auch kreative Dinge. Aber ich hab’ schon gemerkt, man bildet sich ja auch so durch Zeitungslesen, durch Gespräche und so, aber ich hab’ halt gemerkt, heh, du hast so viele Sachen vergessen, ich hab so viele Sachen vergessen gehabt. Und saß dann plötzlich so, bitte Mathe, ich wusste die ganze Mathe gar nicht mehr und das fand’ ich schon gut. Das hat mir echt gefallen, dass ich merkte, da tut sich was in der Birne. Da, die Zahnräder, die laufen wieder, ich wurde angeregt, wirklich zu denken, nachzudenken. Und das fand’ ich schon gut. Das gefällt mir heute noch.« (Kai 980992)
Er führt aus, dass es ihm ›echt gefällt‹, sich mit vergessenen Inhalten zu beschäftigen und wieder systematisch nachzudenken. Die Schule ist hier ein Anregungskontext, der Themen hinterfragt und zum »wirklichen« Denken führt. Hier erfüllt sich auch ein Teil dessen, was Kai von der Schule erwartet hat: Eine Erweiterung der vorher engen Perspektive. Auch Birgit betont im Unterricht ihre Orientierung an den Inhalten. Als ein Motiv für die Schule stellt sie heraus: »Außerdem wollte ich gerne wieder zurück auf die Schule, ich wollte was lernen, ich hab’ mich irgendwie nicht schlau genug gefühlt, (Lacht.) und wollte mich einfach bilden; Bildung wollte ich gerne.« (Birgit 167-169)
Für sie ist dabei das Interesse an den Fächern zentral. 148
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»Aber na ja, ich weiß auch nicht, also bei mir ist es halt so, wenn mich etwas interessiert und wenn ich etwas spannend finde, dann geht das von ganz alleine, dann pass’ ich von ganz alleine auf und dann geht meine Hand von ganz alleine nach oben und sag’ dann auch von ganz alleine die richtigen Dinge, also ich muss da nicht groß nachdenken. Also wenn mich etwas nicht interessiert, dann ist es schon ’ne Qual, dann muss man sich schon zwingen, wirklich zuzuhören und nicht irgendwas anderes zu machen. Du müsstest mal meine Hefte sehen, die sind voll von irgendwelchen Zeichnungen, alle möglichen Sachen da reingekritzelt, das ist halt, wenn ich mich langweile, dann versucht man sich halt abzulenken.« (Birgit 13781395)
Anders als Markus und Harald, die als Teil ihrer Bezugnahme auf Unterricht und ihres Verständnisses von Schule auch das Bemühen um aktive Herstellung von Aufmerksamkeit formulieren, schildert Birgit hier eine an Interesse gebundene Aufmerksamkeit. Langweilt sie sich, schaltet sie ab, indem sie bspw. zeichnet. Sowohl Kai als auch Birgit beschreiben im Hinblick die Aufmerksamkeit die zentrale Stellung des Lehrers im Unterrichtsgeschehen. Sie können die Inhalte interessant, mit Spaß an der Sache, in einem angemessenen Tempo und/oder in einem respektvollen, humorvollen Umgang mit den Schülern vermitteln. All diese Aspekte werden von Birgit und Kai als Ideal eines guten Lehrers genannt. Im Zentrum steht – wie bei den Beurteilungen von Markus und Harald im Übrigen auch – die Vermittlungskompetenz des Lehrers und der Respekt, den er gegenüber seinen Schülern zeigt. Als Teil dieser Vermittlungskompetenz wird von Birgit und Kai dabei auch angesehen, Interesse am Fach zu erzeugen. Wird dieses nicht geweckt, distanzieren sie sich vom Unterricht, schalten wie im Fall von Birgit ab oder reagieren wie im Fall von Kai latent aggressiv. Beide machen an der Schule zunächst die Erfahrung, gut im Unterricht mitzukommen und gute Noten zu schreiben, ohne sich dafür anstrengen oder zu Hause lernen zu müssen: »Also es ist nicht mehr so gut wie früher, wo man sich gar nicht anstrengen musste, aber ich hab’ halt diese Haltung, diese Haltung hab’ ich mitgenommen. Ich hab’ gedacht, ja, das hab’ ich bisher auch immer so gekonnt, ohne irgendwas zu lernen, dann schaff’ ich das jetzt auch. Und das Schlimme ist, das erste Jahr ging sogar noch, da musst’ ich echt mich kaum anstrengen und es ging trotzdem gut, aber dann wurd’s natürlich immer schwieriger und jetzt muss ich schon wirklich reinhauen, damit ich da gut durchkomm’.« (Birgit 1559-1566) »[…] bloß zum Anfang hab’ ich schon gemerkt, dass ich eigentlich bisschen unterfordert war, das erste Jahr. Und das war dann schon wieder hart für mich, weil ich einfach gemerkt hab’, dass, weil das Niveau war nicht sehr hoch, und dann trotzdem 149
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am Ball zu bleiben und hinzugehen, das war dann schon, wo ich dachte: ›äh, du bist hier nur mit Idioten zusammen‹, und da waren wirklich auch Leute dabei, wo ich dachte: ›eh, heih, was machste hier eigentlich? › Das war dann wirklich, das war auch ganz schwierig am Anfang, aber es hat sich dann halt auch selektiert alles und dann sind die Leute auch gegangen. Und von denen, die damals so angefangen haben, sind ja auch nur noch ’n paar übrig, das sind ja wirklich nur, kannst’ an der Hand abzählen. Und dann ging das nachher, so nach einem Jahr. In der nächsten Stufe, nächsten Klasse, Vorbereitung ging das dann, dann war’s o.k. Aber zum Anfang hatte ich echt ’nen/war schwierig, die Motivation zu behalten. Weil ich echt unterfordert war.« (Kai 951-965)
Das eher passive Herangehen an den Unterricht wird hier auch damit in Beziehung gebracht, im Vorbereitungsjahr wenig tun zu müssen, um mitzukommen. Sowohl Birgit als auch Kai sind eher unterfordert. Für Birgit spiegelt sich hierin eine Haltung, die sie aus ihren bisherigen Schulerfahrungen mitgenommen hat. Schule war etwas, das lief, ohne dass man sich anstrengen musste. Auf der Hauptschule schaffte sie den Stoff ohne großen Aufwand. Durch die anfänglich geringen Anforderungen am Abendgymnasium wird die Bezugnahme zum Unterricht in zweifacher Weise problematisch: Zum einen thematisiert Kai, dass es schwer ist, die Motivation zu behalten und beim Unterricht dabei zu bleiben, zum anderen benennen beide – Kai allerdings an anderer Stelle im Interview als an der oben zitierten –, dass sich hierdurch Lernmuster bilden, die später an der Schule hinderlich werden. Anders als bei Harald und Markus ist bei Birgit und Kai kein Konzept sichtbar, mit langweiligen Inhalten oder didaktischen Schwächen der Lehrer umzugehen. Im Sinne eines »doing student« ziehen sie sich dann eher aus dem Unterricht zurück. Während die Haltung von Markus und Harald durch eine aktive Herstellung von Teilhabe über ein strategisches Vorgehen geprägt ist, ist für Birgit und Kai eher eine Teilhabe über das Interesse an Inhalten zentral, die auf eine motivierende Unterrichtsgestaltung angewiesen ist. Für sie ist dabei der Spaß, den das Lernen macht und machen soll, ein wichtiges Anliegen. Bei Birgit und Kai finden sich wenige Interviewpassagen, in denen die eigene angestrebte Position im Feld – und damit das gewünschte Image – sichtbar wird. Ihre Image-Bestrebungen lassen sich vielmehr über die Auslassungen deuten, bleiben damit aber spekulativer. Weder Birgit noch Kai erwähnen aktive Praktiken der Beziehungspflege zu den Lehrern oder eine Auseinandersetzung mit der Position, die man ihnen gegenüber einnehmen möchte. Der Schwerpunkt liegt auf der Aneignung der Inhalte. Dies kann man – unter dem schon erwähnten Vorbehalt – so deuten, dass beide inhaltliches Verstehen ins Zentrum des Aufbaus eines Images im Feld stellen. Für dieses Image sind die durch die Lehrer geschaffenen Bedingungen zentral; es ist auf ein Gegenüber angewiesen. 150
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Jens und Florian – strategisches Angehen: »…die zweite Chance, die ich aber auch nutzen muss!« Im Gegensatz zu der eher lockeren, abwartenden Haltung von Kai und Birgit im Vorbereitungsjahr steht das gezielte Herangehen an die Schule durch Jens und Florian. Beide nehmen zur Begründung ihres eher strategischen Vorgehens explizit Bezug auf ihre Erfahrungen auf dem ersten Bildungsweg. Gemeinsam ist beiden, dass sie auf dem ersten Bildungsweg zunächst relativ schlechte Schüler gewesen sind. »Ja, ich sag’ mal so, ich hab’ die erste Chance irgendwie, die ich hatte, nicht genutzt, also ich meine, auf dem ersten Bildungsweg, (Räuspern.) Ja, war ’n absoluter Tiefflieger halt in der Schule, hatte die miserabelsten Noten, die man sich vorstellen kann, mir wurde in der achten Klasse nicht einmal der Hauptschulabschluss zugetraut, ich war auf ’ner Gesamtschule, hab’ dann halt meinen Hauptschulabschluss dann doch geschafft, ähm, und bin dann erst mal auf ’ne andere Schule gewechselt, wollte da meinen Realschulabschluss noch machen, bin ’ne Stufe runtergegangen, ähm, hab’ dann aber abgebrochen, weil ich ’ne Lehrstelle bekommen hab’ […]« (Jens 13-22) »Ähm, ich geb’ zu, ich war damals in der Schule, in der regulären Schule, ähm, Hauptschule, Realschule, war ich, ähm, ziemlich faul (Lacht.) und hab’ aber erst später gemerkt, dass das irgendwie, ja das haben auch andere Leute gesagt, dass ich, dass ich mehr draus machen könnte, oder hätte machen können und das, ähm, ohne zu wissen, warum, wie das ist mit dem zweiten Bildungsweg und so. Ich hab’ da irgendwie, dann mit der Zeit gemerkt nachher, so ähm, ja, warum hast’s nicht gemacht, ich hab’ mich total geärgert drüber.« (Florian 13-20)
Beide begannen erst im Hinblick auf den zu erreichenden Schulabschluss damit, sich anzustrengen und schafften es, ihre Leistungen im letzten Schuljahr wesentlich zu verbessern. Im Nachhinein sprechen aber beide von dem Gefühl, – hier mit Florians Worten –, »es verbockt zu haben«, da man die Bedeutung von Schule erst so spät erkannte. Beide gehen nun gezielt und rational an das schulische Geschehen heran und reflektieren die eigenen Handlungsstrategien. Allerdings sind die Bereiche, auf die sie sich beziehen, und ihre konkrete Anknüpfung an den ersten Bildungsweg teilweise unterschiedlich. So berichtet Jens, dass er auf dem ersten Bildungsweg oft Probleme mit Lehrern hatte. Nun, auf dem zweiten Bildungsweg, orientiert er sich im Umgang mit den Lehren an dem Ratschlag eines Mitschülers aus seiner Zeit auf der Gesamtschule, der bei den Lehren sehr beliebt war:
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»Bestens, also der Kontakt zu den Lehrern, also ich, irgendwann mal hat mir ’n Kumpel von mir erzählt, so, der hat sein Abitur gemacht und der war im Unterricht immer so unbeliebt bei seinen Mitschülern, der hat immer einfach die Einstellung gehabt, den Lehrern das Gefühl zu geben: ›Sie haben ja so recht, Herr Lehrer‹ (Lacht), also. ›Sie haben ja soo recht‹, irgendwie und das hab’ ich mir dann halt auch irgendwie angeeignet und ich würd’ nicht sagen, dass ich ’n Schleimer war oder so, aber, ähm, ich hab’ die Lehrer halt respektiert, was an meiner Schule halt nicht unbedingt normal ist, also ja, ich denk mal doch, es gibt so einige Lehrer, die ganz schön verarscht werden, so ich hab’ denen halt ’n Respekt gezeigt, würd ich sagen, und ja, beispielsweise war ich denn mal auf ’ner Projektfahrt, ähm, am Anfang, wo mehrere Lehrer dabei waren und war da auch engagiert dabei, irgendwie, wir haben halt, äh, wir haben halt irgendwelche gotischen, alten gotischen Bauwerke angeschaut, da in Mecklenburg-Vorpommern. Ja, und war halt echt engagiert dabei, hab’ immer Fotos geschossen und hab’ mich da doch ganz schön beliebt gemacht bei einigen da, hatte ich so einfach das Gefühl, aber ich konnte auch allgemein ganz gut mit denen umgehen, so und da die halt auch im Anfang gesehen haben, dass ich sehr viel gelernt hab’ und gute Leistung gebracht hab’, hat sich das wohl bei denen dann eingeprägt, so.« (Jens 1043-1066)
Jens führt hier aus, wie er in einem Bereich, der für ihn auf dem ersten Bildungsweg sehr problematisch war, gezielt nach einer anderen Umgangsweise sucht. Dabei nimmt er sich ein erfolgreiches Beispiel zum Vorbild: Er bemüht sich um einen »respektvollen« Umgang und darum, sich engagiert zu zeigen. In seiner Schilderung nimmt er dabei die Perspektivenübernahme der Lehrer auf ihn ein. Er reflektiert darüber, wie seine engagierte Haltung und seine guten Leistungen auf sie gewirkt haben und so ein Gesamtbild seiner Person entstanden ist, das bis heute nachwirkt. An anderer Stelle im Interview beschreibt er z.B. Baugeschichte als ein Hobby, bei dem er über großes Interesse und Wissen verfügt. So wäre an dieser Stelle auch eine andere Bezugnahme auf sein Engagement bei der Klassenfahrt stimmig. Im Vordergrund stehen aber seine strategischen Überlegungen, mit denen er es schafft, den Lehrern gegenüber eine andere Position aufzubauen, als er auf dem ersten Bildungsweg innehatte. Auch Florian bezieht sich auf die Lehrer unter Verweis auf eine respektvolle Haltung, bei der im Vordergrund steht, mit allen auszukommen: »Äh, ich kenne hier auch keinen Lehrer, mit dem ich persönlich eigentlich nicht so klar komme. Ich hab’ eigentlich kein Problem mit allen.« (Florian 882-883)
Strategisches Vorgehen spielt bei ihm eher im Hinblick auf seine Bezugnahme zum Unterricht und dem dafür notwendigen Engagement eine Rolle:
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»Äh, da hatt’ ich immer so gedacht, ähm, dass es anfangs gut ist, wenn ich versetzt. Dass die Noten ausreichen, um versetzt zu werden. Und denn zum Ende, wenn es zu Abitur hingeht, immer besser zu werden, aber ich hab’, ähm, in dem Jahr jetzt umdenken müssen. Ich hab’, ähm, z.B. als Beispiel mal Chemie. Chemie ist ein Fach, was, ähm, wo der Stoff sich aufbaut. Das heißt, wenn man das ganz unten nicht kapiert hat, kapiert man das ganz oben noch lange nicht. Und, äh, das ist eben z.B. so’ne Sache, wo ich wieder umdenken musste. Das ist so, worum ich, ähm, wo ich jetzt anstrebe, in allen Sachen gut zu sein. Ich strebe es an, ob es denn auch so ist, ist eine andere Sache, aber, ähm ja, wie gesagt, ich hab’ immer so gedacht, Hauptsache Zensuren, gute Zensuren, um versetzt zu werden und danach ein bisschen hoch powern. Aber das ist nicht! Das ist ’ne Sache, die ich, äh, abgelegt hab. Also, ich strebe kontinuierlich an, ähm, einfach gut zu sein, mündlich, schriftlich je nach dem.« (Florian, 811-826)
In der obigen Textpassage erzählt Florian, dass er an die Schule zunächst mit einer Haltung herangegangen ist, die mit seiner Haltung auf dem ersten Bildungsweg korrespondiert und die man als eine Form des ›ökonomischen Haushaltens mit seinen Kräften‹ interpretieren könnte: Zunächst soll die schlichte Versetzung in die nächste Klasse reichen, erst zum Abschluss hin soll das Engagement verstärkt werden, um eine gute Note zu erreichen. Am Abendgymnasium wurde ihm nun deutlich, dass diese Strategie im Kontext bestimmter Fächer nicht aufgeht. Florian muss hier »umdenken«. Er versucht, kontinuierlich mitzuarbeiten und setzt dies, wie er an einer anderen Stelle im Interview beschreibt, auch in eine Handlungsstrategie um: Statt von der Arbeit zunächst nach Hause zu fahren, kommt er nun gleich zur Schule und nutzt die gewonnene Zeit um zu lernen. Außerdem hat er sich den Sonntag als Lerntag eingerichtet, an dem er sich, unabhängig davon, ob eine Klausur ansteht oder nicht, mit schulischen Inhalten beschäftigt. Auch Jens lernt zu Beginn des Vorbereitungsjahres kontinuierlich zu Hause. Für ihn ist es eine große persönliche Bestätigung, im ersten Halbjahr den zweitbesten Notendurchschnitt der Klasse zu erreichen. Vergleicht man das Vorgehen von Jens und Florian mit dem von Markus und Harald, zeigt sich, dass ihnen eine reflexiv-strategische Haltung zur Schule gemeinsam ist. Während es für Markus und Harald jedoch auch darum geht, in ihrer Haltung und Kompetenz als Erwachsene zu agieren, spielt dies für Jens und Florian, die beide Anfang zwanzig sind, keine Rolle. Ihre Reflexion richtet sich darauf, eine gute Position in der Schule zu erlangen. Bezugspunkt ist dabei eher die Außenperspektive: Der Blick der Lehrer auf sie und die Noten, die sie erhalten. Deren Legitimation wird nicht in Frage gestellt. Sich eine Haltung anzueignen, die nicht allein von den äußeren Vorgaben abhängig ist, sondern einen positiven Bezug zu den Inhalten in den Mittelpunkt stellt begründet für Harald und Markus eine weitere Ausrichtung ihres Verhaltens. 153
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Dabei wäre es m.E. falsch zu sagen, es käme Jens und Florian nicht auf die Inhalte an. Beiden wollen sich auch, wie Florian es ausdrückt, »sich weiterzubilden« bzw. » den Horizont zu erweitern«, wie Jens sagt. Allerdings thematisieren sie die Inhalte und das Lernen nicht in derselben Weise wie die anderen Interviewten. Die Herstellung von Teilhabe am Unterricht erfolgt in den Interviewabschnitten, in denen die Schule im Vordergrund steht, eher über strategische Überlegungen der guten Platzierung als über die Frage von Motivation und Spaß. Man kann dies so deuten, dass die Herstellung einer guten Beziehung zu den Lehrern für Jens und Florian zentrales Anliegen ihrer Imagepflege ist.
Demir – Schule als Geduldspiel: »99 % wüssten schon Besseres mit ihrer Zeit eben anzustellen.« Demirs Form der sozialen Bezugnahme zum Unterrichtsgeschehen hat sowohl Gemeinsamkeiten mit Jens und Florian als auch mit Kai und Birgit. Die Parallelen mit Jens und Florian beziehen sich auf die Haltung zu den Lehrern und die Bezugnahme auf den Unterricht, die weniger auf die Inhalte ausgerichtet ist. Ähnlich wie Jens und Florian betont Demir, allerdings mit Einschränkungen, dass Lehrer als Repräsentanten eines Berufsstandes grundsätzlich zu respektieren sind: »Und, äh, überhaupt, gute Lehrer sind das eigentlich alle. Lehrer auf der ganzen Welt, die überhaupt versuchen, jemanden was beizubringen, sind schon mal gute Lehrer. Und, äh, einige Lehrer sind natürlich auch an unserer Abendschule nicht dafür, äh, geeignet, nicht die Qualifikation, die Eignung, einfach das Menschliche.« (Demir 725-729)
Demir begründet seinen Aufenthalt an der Schule ebenfalls mit seiner bisherigen Schulkarriere. Allerdings schildert er dies weniger als seine persönliche Entscheidung, sondern spricht von einer »Pflicht«: »[…] daher war es eben jetzt mittlerweile sowas wie Pflicht geworden, dass ich den Abendgymnasium doch mache.« (Demir 41-42)
Diese Haltung korrespondiert bei Demir jedoch nicht wie bei Jens und Florian mit einem strategischen Herangehen an den Unterricht oder mit der Schilderung entsprechender Praktiken. Ähnlich wie Kai und Birgit beschreibt sich Demir hier eher als jemanden, der wenig außerhalb der Schule tun muss, um mitzukommen und für den der Stoff zu Beginn eher eine Wiederholung gewesen ist.
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»Erst am zweiten Tag ging das los. Pft, ich hab zwar einige Jahre jetzt Auszeit genommen gehabt, aber davon merke ich selber gar nichts. (Unverständliches Wort.) Jetzt ist sowieso zu spät, jetzt merkt man sowieso nichts mehr, da ist alles neu allmählich. Aber auch am Anfang, so für mich, aber vieles, was jetzt kommt in einigen Fächern, ist für mich Wiederholung, weil es ist eben/Lehrer haben eben woanders angefangen, als es eben der Fall war, deswegen kommt das andere jetzt nochmal doppelt.« (Demir 484-491) »Ich bin eigentlich kein Mensch, der viel lernen braucht. Zumindest bin ich sehr froh darüber, das vieles gleich beim ersten Mal auch im Unterricht eben hängen bleibt und dann, äh, wie so ein Sprung an der Platte, dass ich das automatisch ein paar Male wiederhole, ohne das Bewusstsein wiederholen halt und dann sitzt das.« (Demir 513-526)
Demir spricht dabei auch von der Ungeduld, die für ihn mit dem Sitzen in der Klasse verbunden ist. »Auch heute, äh, bin ich eigentlich nicht so weit wie die andern in mein Alter oder in gewissen Hinsichten zumindest nicht. Die Ungeduldigkeit, die Konzentration hab’ ich zwar, aber, äh, eben die viele Sachen, die eben erst später entwickelt haben, als im Normalfall, sag’ ich. Ich weiß nicht, ob das so genau richtig ist, aber auf jeden Fall hat das, glaub’ ich, auch damit was zu tun.« (Demir 113-118)
Er vergleicht sich an dieser Stelle mit anderen Erwachsenen in seinem Alter und meint, dass er in Bezug auf bestimmte Aspekte »nicht so weit« sei. Seine Ungeduld dient ihm als Beispiel für die Abgrenzung gegenüber dem »Normalfall« und illustriert seine Selbsteinschätzung als ›Spätentwickler‹. Für die Teilhabe am Unterricht, das wird an seinen Ausführungen deutlich, ist nicht nur Konzentration und ein Verstehen der Inhalte erforderlich, sondern auch die Bereitschaft, sich zu gedulden. Vor diesem Hintergrund kann man die Erzählungen der anderen Interviewten noch einmal spezifizieren: Sowohl das strategische Herangehen an den Unterricht als auch die Orientierung an Inhalten können als Praktiken gesehen werden, die ein ›geduldiges Sich-Einlassen‹ auf die Spielregeln des Feldes Schule beinhalten. Für Demir treten, über die an seinen Mitschülern wahrgenommene ›Geduld‹ hinaus, am Abendgymnasium weitere Regeln in der Bezugnahme der Schüler untereinander zutage, die sich deutlich von denjenigen unterscheiden, die er aus seinen früheren Schulbesuchen kennt: »Zwischen 25 und 30 und, äh, von den Leuten ist schon zu erwarten, dass sie mit etwas ernster, das verlangen die dann auch natürlich. Mit einige manchmal gibt’s natürlich auch welche, die dann übertreiben. Manche gibt’s eben trotzdem noch lockerer sind, als sie es von sich selber erwarten, aber, äh, schon. Das ist auch, äh, 155
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situationsbedingt. Weil der ganz strenge Lehrer kann auch sagen, dass eine Stunde mal alles durchgehen lässt. Aber dann fängt sich die Klasse eigentlich von selbst ab. Weil da achtet, im Gegenteil zu einer normalen Klasse, jeder auf jeden. Sag ich mal so. Keiner lässt sich eben die Zeit auch rauben! Das ist nicht mehr, äh, ’ne normale Schule, heißt das dann eben: »Halt’s Maul oder ich knall dir gleich eine!« Hm, eher schon zivilisierter: »Würden sie das bitte mal lassen, Herr Kollege? Sie stören mich.« Auf jeden Fall kommt das schon etwas anders an. Viel versuchen auch, da ist ja auch keiner mehr da, der einfach ’nen Joke lassen würde. Oder überhaupt nicht weiß, was er mit seiner Zeit machen soll. […] Jeder wüsste schon oder zumindest 99 % wüssten schon Besseres mit ihrer Zeit eben anzustellen. Wie ich auch lieber natürlich zu Hause wär. Oder zumindest was mit meiner Familie in dem Moment tun würde, als da 5 Stunden immer irgendwelchen Leuten zu verbringen. […] Auf jeden Fall das, äh, Gelbe vom Ei ist das auch nich‹. I: Also geht’s ähm. Was ist ›nicht das gelbe vom Ei‹? D: Ja, dass man eben die Zeit freiwillig da verbringt! Weil, wer sitzt denn freiwillig 5 Stunden in einem Raum? I: Hhm. D: Auch wenn man eben was dabei lernt oder vieles auch interessant für…« (Demir 619-661)
Neben Geduld wird hier also die Notwendigkeit von Ernsthaftigkeit für das Einlassen auf den Unterricht geschildert. Der Unterricht wird in dieser Textpassage als spezielle soziale Situation gekennzeichnet, die es erfordert, Stunden ohne äußere Aktivität mit Leuten, die man sich nicht ausgesucht hat, in einem Raum zu sitzen und sich nicht, beispielsweise durch das Reden mit den Nachbarn, abzulenken. Dieses ernsthafte Sich-Einlassen auf den Unterricht, das seiner Einschätzung nach die meisten am Abendgymnasium anstreben, steht für Demir im Kontrast zu seinen Erfahrungen auf dem ersten Bildungsweg. Er begründet die Ernsthaftigkeit damit, dass die meisten Schüler ihre Zeit nicht verschwenden wollen. Mittlerweile wissen sie, warum sie die Schule abschließen wollen, und eine lustige Zeit mit anderen zu verbringen reicht ihnen nicht aus. Er selbst ist mittlerweile sozial an seine Familie gebunden und nicht an seine Mitschüler. Dies kann man so deuten, dass im Vergleich zum ersten Bildungsweg sich Schule nicht mehr dadurch rechtfertigt, dort die Peers zu treffen. Imagepflege besteht für Demir somit in erster Linie aus dem Herstellen von Ernsthaftigkeit und Aufmerksamkeit für den Unterricht. Anders als auf dem ersten Bildungsweg, in dem die Herstellung eines Images im Unterricht in erster Linie an den Respekt durch die Mitschüler gekoppelt war, geht es für ihn nunmehr darum, sich im Unterrichtsgeschehen selbst ein Image aufzubauen, das Teilhabe ermöglicht.
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Ziel der bisherigen Darstellungen war es, zunächst die Besonderheiten der Bezugnahme hervorzuheben. Dazu wurden die zentralen Aspekte bei den jeweiligen Fällen in den Mittelpunkt gestellt und zentrale Unterschiede im Vergleich herausgearbeitet. Um dies nun zu systematisieren, werde ich die verschiedenen Bereiche der Bezugnahme systematisieren und ihre Charakteristika illustrieren.
5 .2 Ge sa mt ve rg le ich : As p e kt e der soz ia le n B ez ug nah me a uf d en U nt er r icht a m Ab end g ym na s ium Für die soziale Bezugnahme am Unterrichtsgeschehen kann man übergreifende Aspekte aufzeigen, anhand derer sich die Unterschiede zwischen den verschiedenen Typen der sozialen Bezugnahme darstellen lassen. Dies sind die Herstellung von Aufmerksamkeit, die Bezugnahme zu den Inhalten, die Bezugnahme zum Lehrer und der erste Bildungsweg. Tabelle 3: Auswertung soziale Bezugnahme am Abendgymnasium Aspekte Herstellung Bezugnahme Aufmerksamkeit Lehrer Personen
Bezugnahme Inhalte
Bezugnahme erster Bildungsweg
Markus
Strateg./Spiel
Professionell
Hedonistisch
Anderer Umgang
Birgit
Situationsspez.
Professionell
Hedonistisch
Gefahr Wiederholung
Jens
Strategisch
Respekt
Pflicht
Anderer Umgang
Kai
Situationsspez.
Professionell
Hedonistisch
Gefahr Wiederholung
Harald
Strateg./Spiel
Professionell
Hedonistisch
Anderer Umgang
Florian
Strategisch
Respekt
Pflicht
Anderer Umgang
Demir
Problem
Respekt
Pflicht
Gefahr Wiederholung
Herstellung von Aufmerksamkeit und Arbeitshaltung Die Teilhabe am Unterricht wird in den Interviews als abhängig von der Herstellung von Aufmerksamkeit geschildert. Dabei kann man unterschiedliche Positionen bestimmen: Bei Demir wird die Herstellung von Aufmerksamkeit als Problem benannt. Der Unterricht bedarf der Geduld und der Herstellung von Ernsthaftigkeit und bleibt für ihn doch ein eher fremder Kontext, der sich 157
BILDUNGSGANG, HABITUS UND FELD
vom sozialen Nahraum seiner Familie unterscheidet. Aufmerksamkeit ist als Faktor der Teilhabe benennbar. Allerdings scheinen keine aktiven Praktiken zur Herstellung von Aufmerksamkeit verfügbar. In der Haltung von Birgit und Kai ist Aufmerksamkeit ein situationsspezifisches Phänomen. Sie entsteht durch das Interesse am jeweiligen Inhalt. Ist Spaß am Lernen durch Motivation und Verstehen vorhanden, fällt die Beteiligung am Unterricht leicht. Ist dies allerdings nicht der Fall, wird der Unterricht zäh und die Aufmerksamkeit schweift ab, wie beispielsweise im Fall von Birgit, die dann zeichnet. Bei Jens und Florian ist das Bemühen um Aufmerksamkeit vor allem ein Bemühen um Ernsthaftigkeit, das strategisch angegangen wird. Im Zentrum steht dabei das Anliegen, die Chance dieses Mal zu nutzen. Im spielerischen Angehen des Unterrichts, das Harald benennt, möchte er erreichen, die Aufmerksamkeit für die Inhalte trotz der Widrigkeiten der Unterrichtssituation zu behalten. Ähnlich schildert auch Markus sein Bemühen um den Unterricht. Für beide ist dabei wesentlich, während des jetzigen Schulbesuchs als Erwachsene zu agieren, was für beide auch bedeutet, sich von der Reibung, die sie mit einzelnen Lehrern spüren, nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Aufmerksamkeit bzw. die Herstellung von Aufmerksamkeit ist ein zentrales Thema in allen Interviews. Sie stellt einen zentralen Schlüssel zur Teilhabe am Unterricht dar. Grob kann man bezüglich der Aufmerksamkeit zwei Pole unterscheiden: Auf der einen Seite steht die aktive Haltung zur Herstellung von Aufmerksamkeit. Sie geht mit einem Ernstnehmen der Schulsituation einher, das am Abendgymnasium auch von dem Interesse getragen ist, es diesmal anders zu machen und sich nicht vom Ziel des Schulabschlusses ablenken zu lassen. Auf der anderen Seite kann man eine Haltung skizzieren, die durch einen eher distanzierten Zugang zum Unterricht gekennzeichnet ist. Ernsthaftigkeit ist hier nicht per se gegeben, sondern wird als Problem der Unterrichtssituation beschrieben, die vielfach durch Langeweile gekennzeichnet ist. Bei der Herstellung von Aufmerksamkeit kann man somit eine ernsthafte Haltung, bei der man sich per se bemüht, sich auf die Situation einzulassen, von einer distanzierten abgrenzen, die eher die Problematik der schulischen Situation in den Vordergrund stellt. Diese differenten Ausrichtungen im Unterricht gehen auch mit verschiedenen Arbeits- bzw. Lerneinstellungen einher. Markus, Harald, Jens und Florian betonen hier für das Vorbereitungsjahr eine Haltung des kontinuierlichen Lernens zu Hause, in die viel Zeit investiert wird. Eine ähnliche Akzentuierung findet sich bei Birgit, Kai und Demir nicht.
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Bezugnahme auf die Lehrer Ein weiterer Aspekt differenziert die Haltungen der Schüler: die jeweilige Bezugnahme auf die Lehrer. Hier kann man einerseits zwischen der Bezugnahme auf die Lehrer als Respektspersonen (Jens, Florian, Demir) und andererseits der Bezugnahme auf die Lehrer in ihrer beruflichen Position als Vermittler unterscheiden (Harald, Markus, Birgit, Kai). Die Zuschreibung von Respekt impliziert zum Teil auch die Position des Lehrers als Autorität, was sich als Anerkennung des generationalen Verhältnisses deuten lässt. Dabei gebührt einem Lehrer nach dem Ideal dieser Haltung Respekt unabhängig davon, wie er seinen Beruf ausübt. In der Bezugnahme auf den Lehrer als Vermittler wird er hingegen an der jeweiligen Professionalität seines Unterrichts sowie seiner persönlichen Umgangsweise mit den Schülern gemessen. Anerkennung kommt ihm nicht per se zu, sondern nur entsprechend seiner Leistung und der Sympathie, die ihm entgegengebracht wird. Das generationale Verhältnis ist hier insofern modernisiert, als dass nicht auf Respekt unabhängig von der Leistung rekurriert werden kann. Besonders Harald und Markus erscheint das generationale Verhältnis als problematisch. Sie arbeiten sich an der von manchen Lehrern eingeforderten Haltung des Respekts, unabhängig von ihren Kompetenzen, ab. Beide kritisieren besonders, wenn Unterrichtsthemen nicht inhaltlich begründet, sondern mit einem Verweis auf die Allgemeinbildung legitimiert werden. Dabei spielt auch eine Rolle, dass beide beruflich etabliert sind. In ihrem eigenen Beruf wird von ihnen weitreichende Professionalität gefordert. Insbesondere Markus, der im Dienstleistungsbereich arbeitet, spricht immer wieder an, als wie unprofessionell er einzelne Lehrer empfindet. Der Anspruch von Markus und Harald, als Erwachsene zu agieren, prägt somit auch ihren Umgang mit den Lehrern: Es geht ihnen auch darum, als Erwachsene ernst genommen zu werden.
Bezugnahme auf die Inhalte In der Bezugnahme auf die Inhalte werden von den Schülern verschiedene Aspekte betont: Während einerseits in der Beschreibung des inhaltlichen Lernens vor allem Spaß, Motivation und inhaltliches Interesse herausgestellt werden, wird andererseits bezüglich des Lernens eher der Aspekt der Pflicht bzw. die Bedeutung für das berufliche Weiterkommen unterstrichen. Darin lässt sich auch ein Unterschied zwischen einer eher hedonistisch-modernen Haltung – bei der der Spaß an einem Thema zentral ist – und einer eher pflichtbetont-traditionellen Haltung erkennen. Nimmt man hierbei die Umgangsweisen mit den Lehrern mit in den Blick, korrespondieren diese mit den inhaltlichen Haltungen. Die hedonistisch159
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moderne Haltung, der es bezüglich der Inhalte auf Spaß, Motivation und inhaltliches Interesse ankommt, geht mit einer Bezugnahme auf die Lehrer einher, in der die Lehrer als Vermittler von Inhalten und beruflichen Kompetenzen in den Blick genommen werden. Bei einer eher pflichtbetonten Haltung bezüglich der Inhalte lässt sich hingegen ein Beziehung herstellen zu einer Bezugnahme auf die Lehrer, die – zumindest verbal – den Respekt hervorhebt, der diesen qua Position zukommt. In diesen unterschiedlichen Orientierungen lassen sich auch die im Kapitel 4 unter Bezugnahme auf das kulturelle Kapital herausgearbeiteten Positionen wiederfinden. Nähe zum akademischen Milieu korreliert eher mit Spaß am Lernen sowie einer Bezugnahme auf die Lehrern in ihrer Vermittlerrolle, bei Distanz zum akademischen Milieu besteht eine eher pflichtbetonte Haltung. Dies lässt sich auch in Zusammenhang bringen mit den historischen Positionen der Bezugnahme auf Schule, die Zinnecker (2000) im Kontext seines Moratoriumskonzeptes herausgearbeitet hat (vgl. Abschnitt 1.1). Die hedonistisch-moderne Haltung auf der einen Seite sieht dabei Bildung als Selbstzweck, die pflichtbetont-traditionelle Einstellung auf der anderen Seite sieht Bildung als Verpflichtung zur Vorbereitung auf das spätere Leben. Insofern kann auch innerhalb der Schule davon ausgegangen werden, dass diese Haltungen mit dem jeweils vorhandenen kulturellen Kapital verbunden sind.
Bezugnahme zum ersten Bildungsweg Die Bezugnahme auf das Abendgymnasium geschieht vor dem Hintergrund des ersten Bildungsweges, der für die meisten Interviewten schon länger zurückliegt. In den Erzählungen wird auf die Bereiche Bezug genommen, die auch im aktuellen Unterrichtsgeschehen eine Rolle spielen. Dabei kann man zwischen zwei Umgangsweisen unterscheiden: Zum einen ist (bei Markus, Harald, Jens und Florian) ein bewusstes Sich-Abgrenzen von früheren Verhaltensweisen festzustellen und die Wahl eines gezielt anderen Umgangs; zum anderen offenbart sich (bei Birgit, Kai, Demir) eine Wiederholung früherer Verhaltensweisen insofern, als ihre Umgangsweisen bis heute davon geprägt sind und es ihnen schwerfällt, sich hier etwas anderes anzueignen. Für einzelne Schüler gibt es innerhalb des Unterrichts besonders sensible Bereiche, die im Interview oft unter Bezugnahme auf den ersten Bildungsweg eingeführt werden. Alle interviewten Schüler sind sich dabei in den von ihnen als schwierig gekennzeichneten Aspekten der Gefahr einer Wiederholung bewusst. Problematisch sind dabei – je nach Erfahrung auf dem ersten Bildungsweg – der Umgang mit den Lehrern, die Herstellung von Aufmerksamkeit im Unterricht sowie das Lernen zu Hause. Die Umgangsweise mit diesen Bereichen scheint allerdings eingebettet in die generelle Bezugnahme zum Unterricht, sei diese 160
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nun ernsthaft oder eher distanziert. Zumindest korrespondiert ein generell eher strategischer Umgang mit einem aktiven Bemühen darum, eine Wiederholung früherer Verhaltensweisen zu vermeiden, während ein eher abwartendes Herangehen an den Unterricht deutlicher mit der Tendenz verbunden ist, frühere Verhaltensweisen zu wiederholen.
5 . 3 An a l ys e d e s G e s a m t ve r g l e i c h s Ähnlich wie bei der sozialen Bezugnahme über Bildung und Schule bieten sich auch für die Aspekte der sozialen Bezugnahme im Unterrichtsgeschehen zwei zusammenfassende Blickwinkel an: Zum einen kann man die Frage stellen, inwieweit sich mit Hilfe der verschiedenen Aspekte der Bezugnahme Dimensionen herausarbeiten lassen, die zu unterschiedlichen Positionen führen. Zum anderen ist eine Akzentuierung der Aspekte der sozialen Bezugnahme dahingehend sinnvoll, welche Charakteristika des Abendgymnasiums in ihnen offensichtlich werden.
Positionen Die herausgearbeiteten Kategorien der Bezugnahme lassen sich in zwei Dimensionen zusammenfassen: Auf der einen Seite korrespondieren die Herstellung von Aufmerksamkeit, die Arbeitshaltung und der Umgang mit den Erfahrungen des ersten Bildungsweges miteinander (vgl. Tabelle 4). Dies scheinen Aspekte der Bezugnahme zu sein, die mit einer Art Arbeitsethos zusammenhängen, wobei man hier eine ernsthafte und eine eher distanzierte Haltung unterscheiden kann. Auf der anderen Seite gehen die Form der Ausrichtung auf die Inhalte sowie die Erwartungen an die Lehrer Hand in Hand. Diese Ausrichtung steht in engem Bezug zur jeweiligen Nähe zum kulturellen Kapital. Hieraus ergibt sich ein Vierfelderschema, das der Einordnung in die verschiedenen »Typen« zugrunde gelegt werden kann: Tabelle 4: Positionen in der Bezugnahme am Abendgymnasium
Arbeitsethos
Ausrichtung in Bezug auf die Inhalte und Lehrer Spaß und Vermittlung: Bildung als Selbstzweck
Pflicht und Respekt: Bildung als Pflicht
Ernsthaft
Markus/Harald
Jens/Florian//Cingiz
distanziert
Birgit/Kai
Demir
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Vergleicht man dieses Vierfelderschema mit dem im Kapitel 4 aufgemachten Feld, dann werden Parallelen deutlich. In einer solchen Gegenüberstellung kann man Aspekte der Interdependenz zwischen Schule und Lebenskontext rekonstruieren. Da dem als Querthema eine besondere Stellung zukommt, wird diese Analyse in einem eigenen Kapitel (6) in den Blick genommen. Neben den unterschiedlichen Grundausrichtungen, die als Dimensionen der sozialen Bezugnahme auf den Unterricht angesehen werden können, wurde allerdings auch deutlich, dass im Zuge der Imagepflege die Aspekte der sozialen Bezugnahme ganz unterschiedlich gewichtet werden. Während für Jens und Florian die Beziehung zu den Lehrern als zentraler Fokus ihrer Imagepflege betrachtet werden kann, liegt der Schwerpunkt bei Birgit und Kai vielmehr auf dem Verstehen der Inhalte. Bei Demir hingegen wird die Herstellung von Aufmerksamkeit ins Zentrum gestellt. Anders als bei diesen Praktiken der Imagepflege, die zumindest in den Erzählungen über die Praxis klar auf einen Aspekt den Schwerpunkt legen, steht bei Markus und Harald eine generelle Ausrichtung der Imagepflege – als Erwachsene ernst genommen zu werden – im Zentrum, die sowohl das Herangehen an die Inhalte, die Lehrer sowie die Herstellung von Aufmerksamkeit beeinflusst. Bevor ich die Interdependenz zwischen Schule und Lebenskontext in den Blick nehme, werde ich zunächst wesentliche Charakteristika der sozialen Bezugnahme auf den Unterricht am Abendgymnasium herausarbeiten.
Charakteristika der sozialen Bezugnahme auf den Unterricht am Abendgymnasium Anhand der zentralen Faktoren der sozialen Bezugnahme auf den Unterricht und der damit einhergehenden Fallporträts lassen sich Aspekte der Teilhabe am Abendgymnasium zusammenstellen, die dieses im Gegensatz zur Regelschule kennzeichnen.
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Abbildung 6: Bezugnahme in der Schule – Themen des Vorbereitungsjahres Bezugnahme in der Schule – Themen des Vorbereitungsjahres
Zentrales Anliegen: Position im Unterricht finden
Differenziert durch Formen der Bezugnahme:
Gemeinsames Thema:
Es diesmal anders machen
Herstellung von Aufmerksamkeit Beziehung Inhalte Beziehung Lehrer Beziehung erster Bildungsweg
Bedeutsamkeit des ersten Bildungswegs: Es diesmal anders machen wollen – Bewusstheit über die Gefahr der Wiederholung Auffällig ist bei allen Interviewten, dass der erste Bildungsweg als Bezug für die Beschreibung des Unterrichts herangezogen wird. Den Interviewten ist die Gefahr einer Wiederholung von bestimmten Verhaltensmustern bewusst. Die Bereiche, die von den einzelnen dabei als sensibel geschildert werden, sind allerdings unterschiedlich. Während für die einen beispielsweise die Herstellung von Aufmerksamkeit im Zentrum steht, ist für die anderen die LehrerSchüler-Beziehung Thema der Auseinandersetzung.
Einmal Schule, immer Schüler? Zwischen Wiederholung und Transformation der Schülerrolle Die Praktiken des ersten Bildungswegs werden, zumindest wenn man hier von den Erzählungen auf das Verhalten schließt, von den Schülern nur zum Teil reproduziert. Vielmehr suchen manche Schüler bei Problemen gezielt nach anderen Verhaltensweisen. Ein Beispiel hierfür ist Jens, der aus seiner 163
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schwierigen Beziehung zu einem Teil der Lehrer aus dem ersten Bildungsweg lernt und daher eine Strategie des Engagements und des Respekts anwendet. Hiermit hat er seiner Einschätzung nach auch Erfolg. Sein verändertes Verhalten als Schüler verbleibt allerdings innerhalb des Rahmens eines doing student, da die strukturellen Vorgaben der Lehrer-Schüler-Beziehung und ihr generationales Machtverhältnis dabei nicht in Frage gestellt werden. Zieht man hier die bisherige Forschung zum zweiten Bildungsweg heran, so kann die von Asselmeyer (1996) gestellte Frage »Einmal Schule, immer Schüler?« nur bedingt bejaht werden. Zwar bewegen sich die meisten in den Interviews erzählten (aber auch die im Rahmen der Feldforschung beobachteten) Interaktionen innerhalb eines doing student bzw. des »Schülerns«, wie Asselmeyer (1996, S. 224) es nennt. Asselmeyer fokussiert damit vor allem auf Anpassungsstrategien der von ihm untersuchten Schüler an die schulischen Anforderungen, sei es bezüglich des Lernens oder der Gestaltung des Lehrer-Schüler-Verhältnisses. Die Interviews legen allerdings nahe, dass es sich dabei nur teilweise um eine Wiederholung der Taktiken des ersten Bildungswegs handelt. Vielmehr bemüht sich die Hälfte der Schüler explizit um ein anderes Verhalten im Unterricht als auf dem ersten Bildungsweg und kann dies auch durch Verhaltensschilderungen plausibel machen. Im Vergleich zum ersten Bildungsweg handelt es sich vielmehr um eine Transformation der eigenen Bezugnahme auf den Unterricht.
Ausgestaltung der Schüler-Rolle: Zwischen doing student und doing adult Die Herstellung von Teilhabe durch die Schüler lässt sich dabei m.E. zum größten Teil als Praktiken des doing student deuten. Dabei wird von den meisten auf der Basis der Akzeptanz der vorgegebenen Struktur der LehrerSchüler-Beziehung agiert. Eine Ausnahme hiervon bildet allerdings die Position von Markus bzw. Harald. Ihre Form der Praxis ist in vielen Bereichen – zumindest auch – darauf ausgerichtet, als Erwachsene zu agieren. Man kann hier somit von einer Form des »doing adult«2 sprechen, bei der sie versuchen, mit den von ihnen erlebten Anforderungen an sie als Erwachsene umzugehen. 2
Damit wird die Definition von Faulstich-Wieland et al. (2004) von »doing adult« als Inszenierung von Erwachsensein aufgenommen (vgl. S. 181). Allerdings werden unter doing adult hier nicht die vergeschlechtlichten Inszenierungen Jugendlicher ins Zentrum gerückt, sondern die Herstellungspraktiken schon Erwachsener in einem schulischen Kontext. Unter »doing adult« werden daher in diesem Zusammenhang Praktiken verstanden, die darauf ausgerichtet sind, eine Position als Erwachsener herzustellen – beispielsweise durch selbstreflexives und aktives Lernen oder eines »lockeren«, distanzierten Umgangs mit den Zwängen der Schule.
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Zumindest einzelne Schüler unternehmen am Abendgymnasium den Versuch des doing adult. Zentral ist hierfür das Anliegen, nicht innerhalb des generationalen Machtgefälles zu interagieren, sondern sich Inhalte eigenverantwortlich und selbstständig anzueignen. Für beide ist diese Haltung allerdings – zumindest bei einzelnen Lehrern – mit einem Gefühl der Reibung verbunden. Von den Lehrern eine Legitimation ihres Unterrichts einzufordern, stößt nicht immer auf Gegenliebe. Auch die Untersuchung der Schulkultur, beispielsweise anhand der Schulordnung, macht deutlich (vgl. Abschnitt 7.1), dass trotz der Betonung des Erwachsenstatus’ der Schüler deren Rechte im Rahmen eines generational hierachisierten Lehrer-Schüler-Verhältnisses eingeschränkt bleiben. Zusammenfassend kann man sagen, dass sich die Herstellung von Teilhabe am Unterricht des Abendgymnasiums für die Schüler durchaus von der der Regelschule unterscheidet. Der Charakter der Wiederholung gibt dem Unterricht ein besonderes Gewicht. Einige suchen bewusst nach einer neuen, von der früheren Position im Unterricht unterschiedenen Haltung. Obwohl im Unterricht, wie sich sowohl in den Interviews als auch in den Feldbeobachtungen zeigte, von Seiten der Schüler im Rahmen eines doing student agiert wird, handelt es sich dabei nur bedingt um einen Rückgriff auf frühere Praktiken. Die Hälfte der Schüler beschreibt in den Interviews, dass sie nach einer Transformation ihrer Position suchen und an bestimmte Verhaltensweisen gezielt nicht anknüpfen (wollen).
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6. Queranal yse: Inderdependenz zw ischen sozialer Einbettung und sozialer Bezugnahme in der Schule
Eine zentrale Frage der Arbeit ist die Interdependenz zwischen Schule und sonstiger sozialer Lebenswelt (vgl. Einleitung und 1.4). Diesem Anliegen werde ich in diesem Kapitel durch einen Vergleich zwischen der sozialen Bezugnahme über Schule und Bildung (Kapitel 4) und der sozialen Bezugnahme auf den Unterricht selbst (Kapitel 5) näher kommen. Dabei stellt diese Darstellung ein Zwischenschritt dar, der im Resümee aufgenommen und ergänzt wird. Anhand dieser Gegenüberstellung werden Gemeinsamkeiten der Akteure in den beiden Bereichen (soziales Umfeld und Schule) der Bezugnahme sichtbar (vgl. Abbildung 4, S. 135 und Tabelle 4, S. 161): Es lassen sich Parallelen in der Bezugnahme auf unterschiedliche Aspekte des kulturellen Kapitals und des Verhaltens in der Schule herausarbeiten, die auf eine gemeinsame habituelle Grundhaltung hinweisen. Allerdings ist dieser Blick auf den Bildungsgang ein eher statischer, da hier die soziale Bezugnahme zu Beginn des Bildungsgangs im Zentrum steht. In Kapitel 8 wird in Bezug auf Veränderungen am Abendgymnasium in erster Linie die Etablierung im Unterrichtsgeschehen fokussiert. Daher werde ich unter dem Blickwinkel der Interdependenz an dieser Stelle schon einen weiteren Aspekt aufgreifen, der im Verlauf des Bildungsgangs am Abendgymnasium eine Rolle spielt: die wechselseitige Beeinflussung zwischen außerschulischem Lebenskontext und der Schule durch Veränderungen des Alltags.
6 . 1 Parallelen der sozialen Bezugnahme in Habitus, Beziehungsform und Etablierung als Erwachsener Vergleicht man die Dimensionen des Vierfelder-Schemas der sozialen Bezugnahme im Unterricht mit dem aufgemachten Feld der sozialen Positionierung über Schule wird zunächst eine Gemeinsamkeit deutlich: Die in Kapitel 167
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4 rekonstruierte »Nähe« zum akademischen Milieu, die eine Dimension des Feldes darstellt, »spiegelt« sich auch in der jeweiligen Ausrichtung der Schüler zu den Inhalten und den Lehrern wider, die eine Dimension des Vierfelderschemas darstellen. Mit anderen Worten findet man die jeweils gleiche Person auf der linken bzw. rechten Seite der Achse. Man kann dies zu der These zusammenfassen, dass die jeweilige Ausrichtung im kulturellen Kapital mit bestimmten Formen der sozialen Bezugnahme über Schule sowie in der Schule korrespondiert. Zu diesem Zweck werde ich nun zunächst idealtypisch die beiden Pole der Einstellungen herausarbeiten. Die Einbettung in einen überwiegend akademischen Freundeskreis ist verbunden mit einer Ausrichtung auf die Inhalte, bei der eher der Spaß und die Rolle des Verstehens betont werden, die dem Lernen zukommen. Auch in der Bezugnahme auf die Veränderung über Bildung, die mit dem Bildungsgang erreicht werden soll, wird die Bedeutung der Bildung an sich betont – also ihr Selbstzweck. Dies geht mit Metaphern der Horizont- bzw. der Perspektivenerweiterung einher. Das »Mehr« an Möglichkeiten, das mit Bildung verbunden ist, ist dabei auch mit einer teilweise fast euphorischen Würdigung von Bildung als Wert für die eigene Person verbunden. Die Lehrer werden dabei eher in einer Position der professionellen Vermittler gesehen, deren Aufgabe es ist, die persönliche Auseinandersetzung mit dem Stoff zu unterstützen. Hierfür sollten sie Interesse und Spaß an den Inhalten vermitteln. Als problematisch wird empfunden, wenn die Inhalte durch einen Verweis auf deren »allgemein bildende« Bedeutung legitimiert werden. Dies wird als mangelnde fachliche und menschliche Kompetenz der Lehrer aufgefasst und so gedeutet, dass es ihnen nicht möglich ist, die Relevanz des Wissens über eine inhaltliche und gesellschaftliche Einbettung plausibel zu machen. Dem kann eine Haltung gegenüber gestellt werden, die eher an Pflicht und Respekt ausgerichtet ist. Auch hier wird die Veränderung über Bildung sowohl als persönliche wie berufliche Erweiterung aufgefasst. Dabei wird aber weniger auf die Erweiterung und Veränderung der eigenen Person Bezug genommen, sondern eher auf soziale Pflichten oder den Wunsch verwiesen, die eigene gesellschaftliche Position zu verbessern. Auch in der Schule selbst wird dabei eher der Aspekt der Pflicht betont. Die Inhalte sind etwas, das man sich aneignen muss, um die Passage erfolgreich zu bewältigen. Wenn man etwas versteht, geht dies auch mit Freude einher. Spaß oder Verstehen wird aber in Bezug auf die Inhalte nicht in den Vordergrund gestellt. Auch in der Bewertung der Lehrer wird eher der Respekt betont, der ihnen qua gesellschaftlicher Position und der damit verbundenen Erfüllung einer gesellschaftlich wichtigen Aufgabe zukommt. Dies muss allerdings nicht mit einer entsprechenden Praxis der Schüler einhergehen. Diese beiden herausgearbeiteten Pole sind Extreme, die jeweils mit der Nähe zum akademischen Milieu korrespondieren. Man kann in ihnen auch 168
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eine eher modern-hedonistische Haltung auf der einen Seite und eine eher traditionell-pflichtbetonte auf der anderen Seite sehen. Die Interviewten lassen sich entlang dieser Achse positionieren. Hier zeigen sich Übereinstimmungen mit den bei der sozialen Bezugnahme über Bildung herausgearbeiteten Positionierungen (vgl. Abschnitt 4.3). Dies spricht dafür, hier von einer Grundhaltung des Habitus auszugehen, die die Praktiken in beiden Bereichen beeinflusst. Abbildung 7: Interdependenz im Bildungsgang am Abendgymnasium
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Allerdings ist ein anderer wichtiger Aspekt der sozialen Bezugnahme zum Unterrichtsgeschehen – die Arbeitshaltung – nicht so leicht mit der sozialen Einbettung des Bildungsgangs in Beziehung zu setzen. In beiden Ausrichtungen – sowohl in der modern-hedonistischen als auch der traditionell-pflichtbetonten – finden sich Arbeitshaltungen, die als eher aktiv oder eher passiv bezeichnet werden können. Auch mit dem in Kapitel 4 herausgearbeiteten Aspekt der Etablierung, der eher Aspekte des sozialen und ökonomischen Kapitals beinhaltet, korrespondiert die Arbeitshaltung nicht. Wie lässt sich dieser Aspekt nun theoretisch einordnen? Hierfür bieten sich zwei unterschiedliche Erklärungsmodelle an, die ich im Folgenden beide darstelle. Eine Möglichkeit der Interpretation der Ergebnisse besteht darin, in der Arbeitshaltung eine Entsprechung zur jeweiligen Position im Feld zu sehen. Das strategische Vorgehen und bewusste Suchen nach einer passenden Haltung im Feld würde dabei ein eher aufstiegsorientiertes Milieu kennzeichnen, das sich von seiner Kapitalkonfiguration her im Mittelfeld befindet. Für die Interviewten steht der Aufstieg bzw. die Annäherung an das akademische Milieu im Zentrum dessen, was erarbeitet werden muss (Markus, Harald, Jens und Florian). Eine eher distanzierte Haltung kennzeichnet nach dieser Interpretation gleichermaßen die schon Etablierten und auch diejenigen, die sich dem akademischen Milieu nicht annähern wollen oder können. Die einen können sich dabei eine nicht so ernsthafte Arbeitshaltung leisten, weil sie im akademischen Milieu und einer Nähe zum kulturellen Kapital schon angekommen und etabliert sind. Bei ihnen steht es außer Frage, dass sie den Abschluss machen werden, wenn nicht am Abendgymnasium, dann in einer anderen Institution. Von daher kann man, wie Birgit, eine eher distanzierte Haltung an den Tag legen. Bei den anderen, wie z.B. Demir, würde die distanzierte Haltung hingegen eher aus einem Gefühl der Fremdheit gegenüber dem akademischen Milieu herrühren. Man möchte zwar das Wissen und den mit der Schule verbundenen Abschluss, aber die Ernsthaftigkeit, mit der das Spiel gespielt werden muss, bleibt einem fremd. Es bleibt eine als künstlich empfundene Situation, auf die man sich nicht so richtig einlassen mag. Allerdings ist Kai in diesem Erklärungsansatz nicht klar einzuordnen. Ein weitere Möglichkeit der Interpretation besteht darin, dass die Praktiken, die sich auf das Lernen zu Hause oder die Herstellung von Aufmerksamkeit im Unterricht beziehen, einem größeren Trägheitseffekt unterliegen als die Haltungen zu Schule und Bildung, die in einer eher modern-hedonistischen bzw. eher traditionell-pflichbewussten Haltung zum Ausdruck kommen. Dies würde bedeuten, dass sie durch eine eher auf das Aktuelle ausgerichtete Auswertung, wie sie hier vorgenommen wurde, allein nicht erklärbar sind, sondern vielmehr auch die Herkunftsmilieus und die jeweils vollzogene Habitusmetamorphose miteinbezogen werden müssen. Nimmt man hier auch den Umgang mit den Erfahrungen auf dem ersten Bildungsweg mit in den 170
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Blick, die ja mit den Arbeitshaltungen korrespondieren, könnte man unter dieser Perspektive das Bemühen um eine andere Arbeitshaltung in der Schule als Ausdruck einer Habitusmetamorphose interpretieren, die vollzogen wird oder werden soll. Dies würde auch dazu passen, dass Markus, Harald, Florian und Jens auch jeweils zu denjenigen gehören, die den Weg ans Abendgymnasium als Wendepunktgeschichte erzählt haben, während Birgit und Demir eher die Kontinuität ihrer Bemühungen um Bildung in den Vordergrund stellen. Auch bei dieser Interpretation passt allerdings Kai wieder nicht ins Bild, da er zwar auf der einen Seite eine Wendepunktgeschichte erzählt, auf der anderen Seite aber nicht das gezielte Bemühen um einen anderen Umgang mit der Schule beschreibt. So kann man das jeweilige Arbeitsethos, für den im vorherigen Abschnitt schon Interpretationen aus der Sicht Bourdieus angeboten wurden, auch lebensgeschichtlich deuten. Wird der Schritt ans Abendgymnasium mit einem entscheidenden biographischen Einschnitt verbunden, der für die Interviewten die Kontinuität ihres bisherigen Lebens durchbrochen hat, wird auch am Abendgymnasium nach Strategien gesucht, um die Kontinuität mit der Misserfolgsgeschichte auf dem ersten Bildungsweg aufzuheben. In den unterschiedlichen Arbeitshaltungen spiegeln sich somit auch Aspekte der jeweiligen sozialen Etablierung wider. Auch die Etablierung als Erwachsener, die den außerschulischen Charakter des Bildungsgangs mit beeinflusst, spielt bei der sozialen Bezugnahme in der Schule eine Rolle. Der Erwachsenenstatus wird dabei von Markus und Harald hervorgehoben, die auch in ihren jeweiligen Beziehungsformen große Parallelen aufweisen. Die horizontale Statuspassage über das Abendgymnasium wird dabei als gemeinsames Projekt mit dem Lebenspartner bzw. der Lebenspartnerin beschrieben. Hier ergibt sich ein kongruentes Bild zur Bezugnahme in der Schule. So beschreibt beispielsweise Harald auch sein Lernen eingebettet in die Beziehungsgestaltung. Dadurch, dass er nun auch lernt, kann seine Frau sich besser auf ihren Studienabschluss konzentrieren. Gleichzeitig ist seine Frau auch Ansprechpartnerin bei Fragen des Studiums. Ähnliches beschreibt Markus im Hinblick auf seine Beziehungsgestaltung.
6 . 2 B ew ä h r u n g a l s g e m e i n s a m e s T h e m a Im Vergleich zwischen den verschiedenen Aspekten der sozialen Bezugnahme im Bildungsgang bietet sich allerdings nicht nur ein Blick auf die Praktiken und Haltungen der Akteure an, sondern auch auf gemeinsame Themen. Den Charakter der Bewährung kann man als solches Thema auffassen, das sowohl in der angestrebten Veränderung über die Schule wie in der Positionierung in der Schule selbst eine Rolle zu spielen scheint.
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In der angestrebten Veränderung über die Schule ist dabei für die Schüler oft die Rede vom Abendgymnasium als »zweiter« oder »letzter« Chance, einer Chance, die es diesmal zu nutzen gilt. Darin sind implizit weitere Aspekte enthalten: Zum einen, dass es schon einmal eine Chance gegeben hat, zum anderen das es keine weitere geben wird. Dies kann man so interpretieren, dass der Bildungsgang am Abendgymnasium für die Akteure der Bewährung unterliegt. Im Gegensatz zum ersten Bildungsweg wollen sie es diesmal schaffen. Auch der in der sozialen Positionierung in der Schule zentrale Aspekt, »es diesmal anders zu machen«, lässt sich als ein solcher Ausdruck deuten. Die Form der Praxis, mit der man sich auf dem ersten Bildungsweg mit der Schule in Beziehung gesetzt hat, hat sich nicht bewährt. Hieraus ergibt sich für den jetzigen Schulbesuch eine Suche nach anderen Vorgehensweisen, die zumindest teilweise auch mit einer anderen Reflexion des Schulbesuchs verbunden sind. So zeigt sich beispielsweise bei Florian, dass er seine Strategien auf ihren Erfolg hin reflektiert. Sie sind nicht selbstverständlich, sondern stehen auf dem Prüfstand. Nimmt man die beiden zentralen Anliegen der jeweiligen Bezugnahme zum Bildungsgang – Veränderung und Positionierung in der Schule – in den Blick, dann nimmt sich das Motiv der Bewährung hier wie ein Bindeglied aus. Das mit der Schule verbundene langfristige Ziel ist die Veränderung der eigenen Lebenssituation. Um diese zu erreichen, müssen die Schüler in der Schule erfolgreich sein. Dies zeigt sich an der Position, die sie sich im Unterricht aufbauen und die ihnen über Noten zurückgespiegelt wird. Diese Position im Unterricht ist somit zugleich Medium wie Barriere der Veränderung. Bewährung erscheint dabei nun in einem Doppelcharakter: Einerseits ist es ein generelles Thema der Schule, sich anhand von Leistung zu bewähren, andererseits spiegelt sich darin auch der besondere Charakter des zweiten Bildungswegs, sich im Vergleich zum ersten bewähren zu wollen.
6 . 3 V e r ä n d e r u n g e n i m s o z i a l e n Al l t a g Eine Interdependenz zwischen außerschulischem Lebensbereich und Schule zeigt sich aber nicht nur in gemeinsamen Themen und Parallelen in den Formen der sozialen Bezugnahme, sondern auch im Alltag der Schüler. Der Eintritt in die Schule bedeutet eine erhebliche zeitliche Einschränkung: »Ähm, pfft, also ich sach mal, hmm, natürlich das Privatleben, das also, wenn was leidet, ist es auf jeden Fall das, weil die Arbeit, das kann man sich ja irgendwo nicht leisten. Das geht nicht. Ähm, dann ist es irgendwie schon, ich, also, privat ist auf jeden Fall, also privat gibt’s fast gar nix mehr. Also ich, ich steh’ morgens um sieben auf, ich fahr um acht los. Ich bin um neun auf der Arbeit, dann arbeite ich bis 172
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halb fünf. Dann fahr’ ich um halb fünf hier hin. Denn ich wohn’ in Hellbach. Und ich bin um kurz vor elf zu Hause. Von acht bis elf jeden Tag unterwegs. Und dann muss ich mich, mach ich jetzt nich’ immer, aber ab und zu mal muss man sich dann mal für eins, zwei Stunden hinsetzen und für die Schule was tun.« (Harald 495-505)
Im Beispiel wird deutlich, dass der Schuleintritt vor dem Hintergrund einer Berufstätigkeit eine enorme zeitliche Belastung mit sich bringt, die zumindest unter der Woche kaum noch Zeit für Privates lässt. Der Tag ist von morgens um 7 bis abends um 23 Uhr oder 24 Uhr durchstrukturiert. Hinzu kommt, dass der Schulunterricht abends stattfindet – zu der Zeit, zu der die meisten anderen Leute Zeit haben: »Hm, ich mein’, das ist schon ’n Ding, du musst halt, musst sehen: Abends, heißt abends zur Schule gehen. Das ist ’ne Abendschule. Und das heißt wirklich, dass du dann wirklich von halb 6 bis halb 10 oder 9 da bist, und das haben sich viele vielleicht gar nicht, ist vielen gar nicht so bewusst gewesen, dass da, das ist mir auch im Nachhinein erst, jetzt sehe ich das ja immer noch konkret, das so, meine sozialen Kontakte schlafen auch so ’n bisschen ein. Muss ich wirklich sagen. Was ich früher immer gemacht hab’, dass ich dann abends, dann nach der Arbeit oder so zu meinen Freunden gegangen bin, (Holt Luft.) dass man halt sich getroffen hat, was jetzt echt schwierig ist, weil sich das beschränkt auf’s Wochenende, auf konkrete Tage. Und das hatte ich früher halt nicht. Da ist man mal spontan hingegangen, irgendwie abends zum Abendbrotessen oder hier, und das mag das sein, dass vielleicht, was die anderen sich so, sich das vielleicht ’n bisschen einfacher vorgestellt haben. Weil, das schränkt ja schon ein.« (Kai 1010-1024)
Durch die zeitliche Einschränkung und die Unterrichtszeit in den Abendstunden wird die Pflege eines Freundeskreises schwierig. Das Wochenende bleibt in der Regel die einzige Zeit, in der man außerhalb der Schule soziale Kontakte pflegen kann. Soziale Kontakte unter der Woche aufrecht zu erhalten ist problematisch. Diese Alltagsveränderungen will ich nun herausarbeiten. Allerdings zeigen sich auch hier Unterschiede in der Gruppe. Exemplarisch werde ich daher zunächst Harald, Jens und Birgit gegenüberstellen, um dann Thesen für die Gesamtgruppe anzuschließen. Harald beschreibt als Auswirkung des Schuleintritts auf der sozialen Ebene in erster Linie die soziale Fokussierung auf seine Beziehung: »Und wir haben halt irgendwie Sonntag, das ist irgendwie so unser heiliger Tag. Machen wir immer, geh’n wir schwimmen oder in die Sauna oder so. Hmm, aber ich merk’ schon, dass, also, es tut unserer Beziehung auf jeden Fall gut, weil ich auch für mich nicht mehr so./Ich bin nicht mehr so unzufrieden mit mir selbst. Und das ist natürlich auch, dies is’, äh, Gold für ’ne Beziehung. Also wenn beide sich gut fühlen, wenn beide sich wohl fühlen, mit dem, was sie machen. Ähm, ist das, äh, viel 173
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wert, auf jeden Fall viel wert und man ist auch bereit, es ist ja auch nicht für ewig. Man ist ja dann auch irgendwie bereit zu sagen: ,Hey o.k., ich weiß, dass es jetzt grad’ ein bisschen weniger ist. Aber, ähm, hat ja auch, also es ist ja auch ein Ziel in Sicht.‹ Ist jetzt nicht so, dass ich davor nur mit der Arbeit. Weißt du, irgendwie man macht was, aber man hat keine Ziele irgendwie. Ist einfach so ich, pft ja, wie soll ich sagen, dahinvegetieren irgendwo.« Harald (506-519)
Zwar wird der Schulbesuch als gemeinsames Projekt (vgl. Abschnitt 4.2) beschrieben, deutlich werden hier jedoch auch die damit in Zusammenhang stehenden sozialen Einschränkungen. Das Privatleben wird so fokussiert, dass der gemeinsame Tag als Paar im Zentrum steht und somit zum »heiligen Tag« für gemeinsame Unternehmungen wird. Die Auswirkung auf die Beziehung wird dabei aber trotz der zeitlichen Einschränkung als positiv dargestellt. Im Gegensatz zu der zuvor bestehenden Unzufriedenheit ist nun ein Ziel in Sicht. Dafür werden auch die Einschränkungen in der Beziehung in Kauf genommen. Die Mitschüler spielen hingegen für das eigene Selbstverständnis eine untergeordnete Rolle: »Ja, wie soll ich sagen, ist alles halt sehr oberflächlich, alles. Also ich hab’ jetzt, ich geh’ jetzt ein Jahr hier zur Schule und so richtige Freundschaften hab’ ich eigentlich innerhalb der Klasse nicht geschlossen. Also ich versteh’ mich mit eins, zwei Mädels ganz gut, aber, äh, nee Freundschaften hab’ ich nich’ geschlossen. Also so nah, lass ich, lass ich die Leute dann doch nicht an mich ran, weil ich schon von Anfang an merke, irgendwie nee, das ist nicht meins. Und das ist auch o.k.« (Harald 563570)
Ganz anders wird die Bedeutung der Mitschüler hingegen von Jens beschrieben: »Also ich denk’, ich wär’ auch, werd’ auch ziemlich traurig sein, wenn jetzt diese Schule zu Ende ist. (Holt tief Luft.) Weil man da einfach Leute trifft, irgendwie, die ähnliche Schicksale haben, die ähnlichen Scheiß durchgemacht haben und die einfach versuchen, das jetzt irgendwie, die als zweite Chance zu nutzen, ihren, tz, Weg zu gehen.« (Jens, 92-96)
In der retrospektiven Aussage von Jens zum Schulbesuch wird deutlich, dass für ihn die Schule zu einem bedeutsamen sozialen Kontext geworden ist. Er hat mit den Leuten, die ihm in der Schule wichtig geworden sind, nicht nur Zeit verbracht, sondern empfindet sie als eine Art Schicksalsgemeinschaft. Die Schule ist für ihn ein bedeutsamer sozialer Bezugspunkt.
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Auch Birgit betont die Schule als sozialen Ort der Zugehörigkeit. Sie betont dabei weniger die Schicksalsgemeinschaft als den gemeinsamen Spaß in der Gruppe: »[…] und wir haben uns auch oft außerhalb der Schule getroffen, nicht nur zum Lernen, sondern auch mal zum Kaffeetrinken und Quatschen und, ja, wir sind halt wirklich gute Freunde geworden. Und, ähm, also Annette, kam denn jetzt erst dazu im August, und ja, die is/muss man ja jetzt nicht erklären, die ist einfach superlustig und witzig und man hat sie einfach auf Anhieb gern und das hat sich natürlich sofort entwickelt, unsere Herzen gefunden. I: (Lacht.) B: Wenn ich das mal so musikantenstadlmäßig umschreiben darf. I: (Lacht.) mh B: Na ja, und jetzt sind/ja wir sind eigentlich keine Clique, ich/Clique n blödes Wort, aber, ja, es macht halt Spaß, einfach in den Pausen stehen wir zusammen und quatschen und wir lernen zusammen für die Fächer, die wir zusammen haben (2 Sek. Pause). ›S schön. I: Und geht ihr dann auch zusammen weg oder… B: Mhm. Ja, auch öfters, (Lacht. Schnaufer.) is auch immer superlustig. (Birgit 2154-2173)
Vergleicht man nun über Jens und Harald hinaus die Interviewten miteinander, dann fällt auf, dass die Jüngeren bzw. diejenigen ohne feste Beziehung (Birgit, Jens, Florian) in den Interviews die sozialen Aspekte von Schule stärker in den Mittelpunkt stellen. Schule wird als Kontext beschrieben, in dem sich Gruppenzugehörigkeiten bilden, man geht zusammen nach der Schule weg und die Mitschüler werden als Grund genannt, täglich zur Schule zu kommen. Die Schule erscheint in den Interviews als der zentrale Kontext sozialer Bezugnahme, insbesondere bei den beiden, die schon länger an der Schule sind. Im Vordergrund steht dabei eine Gruppe von Mitschülern, der man sich zugehörig fühlt. Am Beispiel von Jens wird – wie im weiteren Interview deutlich wird – diese Zugehörigkeit als eine weitreichende empfunden, weil man sich mit dem erlebten »Scheiß« nicht zu verstecken braucht. Andere haben Ähnliches erlebt. Die sozialen Einschränkungen durch die Schule – die zeitlich und durch den Abendunterricht auch für diese Gruppe vorhanden sind – werden kaum erwähnt. Sie scheinen subjektiv wenig von Bedeutung. Bei denjenigen in fester Beziehung spielt Schule als sozialer Kontext hingegen keine vergleichbare Rolle. Als primäre soziale Auswirkungen des Schulbesuchs werden die Folgen für die Beziehung beschrieben. Unter der Prämisse, dass Schule als gemeinsames Projekt der Paarbeziehung (vgl. Abschnitt 4.2 und 4.3) gesehen wird, spielt der Bildungsgang, abgesehen von den zeitlichen Einschränkungen, auch für die Beziehungsdynamik eine Rolle. 175
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Schule hat hier sozial einen ambiguen Charakter: Einerseits bedeutet sie unmittelbar eine zeitliche Einschränkung – »privat gibt’s fast gar nichts mehr« (Harald 498/499). Andererseits ist die Schule aber auch Teil eines langfristigen Ziels im Kontext der Beziehung. Vorherige Unzufriedenheit wird ausgeglichen und von daher ermöglicht Schule auch in neuer Weise Beziehung. Schule steht hier in einem engen Wechselverhältnis zum privaten Kontext und bleibt auch während des Schulbesuchs Teil der Beziehungsgestaltung. Am Beispiel von Markus (vgl. Abschnitt 3.1) wurde dabei auch deutlich, dass dieses Wechselverhältnis ebenfalls in Form der wechselseitigen Problematisierung eine Rolle spielen kann. Die Schule als sozialer Kontext steht weniger im Vordergrund, wobei das nicht wie bei Harald bedeuten muss, dass in der Schule keine bedeutsamen sozialen Kontakte existieren. Außerhalb des konkreten Schulbesuchs steht allerdings die Fokussierung auf die Liebesbeziehung, die auf Kosten anderer sozialer Kontakte gelebt wird, im Zentrum der Interviews. Die Interdependenz zwischen sozialer Einbettung und dem Bildungsgang beschränkt sich somit nicht alleine auf ihren Einfluss bei der Entscheidung für den Schulbesuch. Auch die soziale Bezugnahme in der Schule wird offensichtlich durch sie beeinflusst. Für diejenigen, die in ihrem vorherigen Lebenskontext schon »sozial positioniert« sind, scheint Schule nicht mehr in vergleichbarer Weise als Ort der Peer-Bildung relevant zu sein, wie das für die Jüngeren der Fall ist. Soziale Zugehörigkeit scheint hier in erster Linie über die jeweilige Paarbeziehung bzw. im traditionelleren Kontext über die Familie hergestellt zu werden. Die soziale Positionierung bei den Mitschülern ist hier vergleichsweise weniger relevant. Für die Jüngeren hingegen sind die Peergruppen im Feld von größerer Bedeutung. Für die beiden, die schon länger die Schule besuchen, erscheinen sie als bedeutsamer Kontext der Zugehörigkeit und Sozialisation. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Schule auch Einfluss auf den sozialen Kontext hat. Zum einen bringt die zeitliche Einschränkung, die mit der Schule verbunden ist, auch eine soziale Fokussierung mit sich, durch die sich das soziale Leben und die Beziehungsform verändern. Für einige werden auch die Schule selbst und die Leute, die man dort kennen gelernt hat, zum bedeutsamen sozialen Kontext. Man geht mit den Mitschülern weg, macht gemeinsam Hausaufgaben und verbringt in der Schule viel Zeit mit einander. Die Interdependenz zwischen Schule zum einen und außerschulischem Kontext zum anderen ergibt sich somit auch durch eine wechselseitige Beeinflussung im Alltag. Diese ist aber durch Aspekte des jeweiligen Lebensstils differenziert.
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QUERANALYSE
6.4 Zusammenfassung Es ist deutlich geworden, dass die unterschiedlichen Aspekte der sozialen Bezugnahme auf den Bildungsgang in einem engen Wechselverhältnis zueinander stehen. So lassen sich zentrale Grundhaltungen, die gekoppelt sind an einen bestimmten Lebensstil und eine bestimmte Ressourcenlage, zu einer Gesamtposition verdichten. Die anhand der Rekonstruktion der sozialen Bezugnahme über den Bildungsgang erarbeiteten Positionen (vgl. Abschnitt 4.3), die sich anhand der Etablierung sowie der Ausrichtung am kulturellen Kapital bestimmen lassen, scheinen somit auch für die Formen der sozialen Positionierung in der Schule aussagekräftig. Die Arbeitshaltungen lassen sich allerdings nicht linear in diese Positionen einordnen. Hierfür ist einerseits eine Interpretation anhand der Theorie Bourdieus möglich oder andererseits eine Verbindung zu lebensgeschichtlichen Faktoren. Die Erzählung des eigenen Wegs zum Abendgymnasium als Wendepunkt korrespondiert hier auch mit dem Versuch in der Schule, die eigene Position im Schulgeschehen aktiv anders zu gestalten als auf dem ersten Bildungsweg. Auch die Beziehungsform hat Einfluss auf die Gestaltung der Positionierung in der Schule. Vor allem die Beziehung zu einem Partner bzw. einer Partnerin, der/die studiert oder studiert hat, scheint hier bedeutsam. Die Schule wird dabei zum gemeinsamen Projekt, der Lebenspartner fungiert als Ansprechpartner für Schulfragen. Auch die eigene Position als Erwachsener wird dabei stärker betont. Das Alter und die Etablierung spielen auch im Hinblick darauf eine Rolle, wie die Beziehung zu den Mitschülern gestaltet wird. Darüber hinaus ergibt sich auch ein Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen zentralen Anliegen in den unterschiedlichen Bereichen des Bildungsgangs. Besonders für das Abendgymnasium ist dabei der Doppelcharakter, der der Bewährung in der Schule zukommt: Einerseits müssen sich die Schüler über Leistung bewähren, andererseits aber auch im Vergleich zum ersten Bildungsweg. Im Alltag lässt sich darüber hinaus das Verhältnis zwischen Schule und sonstigem sozialen Lebensbereich als komplexes Wechselverhältnis aufzeigen. Exemplarisch wurde dies anhand der Veränderungen in den Sozialbeziehungen durch die mit der Schule verbundenen zeitlichen Einschränkung aufgezeigt. Als eigener Sozialraum, der mit erheblichen zeitlichen Einschränkungen verknüpft ist, wirkt die Schule somit auch auf den sozialen Kontext zurück. Diese Auswirkungen lassen sich allerdings nicht allgemein beschreiben, sondern auch hier zeigen sich durch den jeweiligen Lebensstil bedingte Unterschiede. Die bisherige Auswertung in Bezug auf Schule und Unterricht berücksichtigte einen eher kurzen Zeitraum: die Entscheidung zur Schule sowie 177
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Entwicklung einer Position im Unterricht im ersten Jahr an der Schule. Mit der Auswertung der Bedingungen der Teilhabe in der Studienstufe möchte ich nun in den Blick nehmen, wie es Markus, Birgit, Jens und Kai in ihrem weiteren Schulverlauf ergeht (Kapitel 8). Allerdings stelle ich vorab zunächst das Abendgymnasium als Feld dar (Kapitel 7).
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7. Das Abendg ymnasium als Feld
Um die soziale Bezugnahme über und auf die Schule besser verstehen zu können, lohnt es sich, auch Aspekte des Abendgymnasiums als Feld zu berücksichtigen. Wie im theoretischen Teil herausgearbeitet wurde, ist die Herstellung von Teilhabe nicht nur eine Frage der Gestaltung durch die Akteure, sondern sie wird auch durch schulische Regeln und Bedeutungszuschreibungen beeinflusst. In der vorgenommenen Rekonstruktion lege ich dabei den Schwerpunkt auf zwei Aspekte, die mir für das Verständnis der Bezugnahme sowie der Interaktionen der Schüler im Feld zentral scheinen: Zum einen auf symbolische Aspekte des Feldes Abendgymnasiums, zum anderen auf die Strukturierung des Schulgeschehens durch Regeln und institutionelle Vorgaben.
7.1 Strukturierung des Schulgeschehens: F e s t e Ab l ä u f e e i n e r R e g e l s c h u l e z u anderen Zeiten? Während bestimmte Aspekte des Abendgymnasiums wie Eintrittsvoraussetzungen, Unterrichtszeiten und die unterschiedlichen Stufen ebenso wie die historische Einbettung schon beschrieben wurden (vgl. Abschnitt 1.3), zielt dieser Abschnitt darauf, Aspekte des schulischen Alltags in seiner interaktionalen Aushandlung darzustellen. Wesentlich ist dabei der Fokus auf die soziale Bezugnahme der Schüler am Abendgymnasium und damit auch die Frage, welche Spielregeln das Feld in Bezug auf die soziale Positionierung der Schüler bereithält. Ein Schwerpunkt der Auswertung ergab sich durch die Interviews. Es wurde deutlich, dass für die Schüler im Hinblick auf ihre soziale Bezugnahme in der Schule dem Unterricht, insbesondere den Beteiligungsmöglichkeiten im Unterricht, der Frage, inwieweit man beim Stoff mitkommt, sowie vor allem den Noten zentrale Bedeutung zukommt. Von den Interviewten wurden die 179
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Lehrer als bestimmende Gestalter des Unterrichts, vor allem bezüglich Unterrichtstempo und Unterrichtsstil, und damit auch als Ansprechpartner und Bezugspersonen der Schüler benannt. Um dies besser zu verstehen, habe ich hier Theorien zu Institutionen sowie weitere empirische Forschungsarbeiten herangezogen. Dabei erwies sich das Konzept des Gatekeeping als interessanter Ansatz, um die besondere Rolle der Lehrer bei der sozialen Bezugnahme der Schüler im Unterricht beschreiben zu können. Generell nimmt das Konzept des Gatekeeping die Regelung des Zugangs zu Institutionen bzw. die Verteilung von Ressourcen in Institutionen in den Blick. Die durch Zugang oder verfügbare Ressourcen erreichte Position ist dabei auch statusrelevant – also mit symbolischem Kapital verbunden. Der Zugang wird dabei nicht beliebig gewährt, sondern folgt bestimmten Regeln, nach denen Zugang oder Zuteilung gewährt oder verweigert wird (vgl. Struck 2001, Leisering/Müller/Schumann 2001, Behrens/Voges 1996, S. 26f., Heinz 1992, Stone 1991). In die Sprache Bourdieus übersetzt kann man sagen, dass die Spielregeln des Feldes auch Regeln der Verteilung von Kapital und von Möglichkeiten der Beteiligung beinhalten. Interessant ist nun für die Schule die Frage, wann bestimmte Personengruppen in einem Feld bei der Gewährung oder Nichtgewährung von Zugang und Ressourcen bedeutsam werden. Nach Struck (2001, S. 35f.) werden Gatekeeper in Institutionen bedeutsam, wenn in einer Situation konkrete Bewertungen zu leisten sind. Zum einen können Gatekeeper die Aufgabe haben, knappe Güter zu verteilen. Bei teilbaren Gütern, worunter Struck auch die für die Schule zentralen Beurteilungsnoten rechnet, werden zwar alle Personen mit Gütern ausgestattet – sprich, jeder erhält eine Note. In ihrer Ausprägung wirken sie dann allerdings diskriminierend (S. 35). Zum anderen sind Gatekeeper für die Gestaltung der Übergänge und das Schließen der organisationalen Unbestimmtheitslücken zuständig (S. 36). In der Schule kommen hierfür beispielsweise die Gestaltung des Schuleintritts, des Schuljahresabschlusses, der Prüfungen etc. in Betracht. Gatekeeper beeinflussen somit in zentraler Weise den Zugang zu Ressourcen in einem Feld und verfügen dabei über einen Ermessenspielraum. Sie sind dabei allerdings abhängig von Rahmenbedingungen und unterliegen der Notwendigkeit der Legitimation ihres Vorgehens nach außen. Das Tauschverhältnis zu den Übergangsaspiranten ist dabei durch ein Machtungleichgewicht geprägt. Übersetzt man dies für die Feldtheorie Bourdieus, werden hier bestimmte Personengruppen im Feld im Hinblick auf ihren institutionalisierten Ressourcenzugang genauer untersucht. Durch die Verteilung u.a. von Noten verfügen Lehrer über eine besondere Position im Feld. In der Auseinandersetzung mit der Theorie Bourdieus und der Ergänzung durch das Moratoriumskonzept von Zinnecker (vgl. Abschnitt 1.1) wurde dabei für das Lehrer- Schüler-Verhältnis 180
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auch die Bedeutsamkeit der Legitimierung durch den Generationenunterschied und der Fürsorge für die noch nicht Erwachsenen herausgearbeitet. Die besondere Rolle, die den Lehrern als Gestaltern des Unterrichts in den Interviews zugesprochen wurde, ist somit auch vor dem Hintergrund bisheriger Forschung sowie der Feld- und Institutionstheorie plausibel. Es macht daher Sinn, bei der Auswertung auch in den Blick zu nehmen, welche Stellung den Lehrern als Gatekeeper für die soziale Positionierung in der Schule zukommt. Für das Abendgymnasium ist dabei zudem interessant, auf welches Lehrer-Schüler-Verhältnis rekurriert wird und inwieweit es in diesem Zusammenhang Besonderheiten gibt, da es sich bei den Schülern um Erwachsene handelt. Für die Strukturierung des erhobenen Datenmaterials war die Frage entscheidend, welche Situationen im Schulalltag über die Regeln der sozialen Positionierung Auskunft geben. Daher wurden als zentrale, aussagekräftige Situationen folgende herausgegriffen: der Eintritt ins Feld, die Einführung in den Unterricht, die Lehrer-Schüler-Interaktionen im Unterricht und schließlich der Umgang mit bzw. die Regelung von Konflikten zwischen Lehrern und Schülern. Die Schulordnung wurde als wichtiges Dokument mit in die Analyse einbezogen. Die Einführungsveranstaltungen zur Schuljahreseröffnung wurden deshalb herausgegriffen, weil sie nach dem aktuellen Stand der empirischen Forschung als Schlüsselsituationen gelten können, in denen zentrale Elemente der Kultur des jeweiligen Feldes deutlicher als im Alltag sichtbar werden (vgl. Friebertshäuser 1992, S. 21ff. u. S. 225ff.). Durch die Einführung in die Gegebenheiten durch Mitglieder des Feldes werden Regeln für die ›Novizen‹ explizit gemacht, die sonst nur langwierig implizit aus den Interaktionen im Feld zu interpretieren wären. Dies entspricht auch meiner Erfahrung als Forscherin im Feld. Die Einführungsveranstaltungen standen am Abschluss der fast einjährigen Anwesenheit im Feld. Vieles, was aus dem Unterrichtsalltag erschlossen wurde, allerdings aufgrund des impliziten Charakters nur schwer zu belegen war, wurde nun von den ins Feld Einführenden konkret benannt. Zentral für die Regeln der sozialen Positionierung ist die Schulordnung. In ihr wird das Verhältnis der Akteure im Feld explizit geregelt. Damit legt sie auch Rechte und Pflichten bei Regelverletzungen fest. In der folgenden Strukturierung habe ich mich nun am Blick der Schüler auf das Feld orientiert und bin der Frage nachgegangen, welchen Weg sie in ihrer Positionierung im Feld gehen. Somit werde ich zunächst auf die Anmeldung und die Einführungsveranstaltungen eingehen. Anschließend werden die Einführung in den Unterricht und die Rolle des Lehrers im Unterricht in den Blick genommen. Ein weiterer Abschnitt setzt sich mit der Schulordnung und der Handhabung von Problemen zwischen einer Gruppe von Schülern und einzelnen Lehrern auseinander. 181
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Anmeldung Bei der Anmeldung handelt es sich um einen formalen Akt. Es gilt, die Unterlagen vollständig vorzulegen und sich rechzeitig anzumelden. Hier ein Beispiel aus dem Interview von Kai: I: »Und, erinnerst du dich noch, wie deine ersten Eindrücke waren von der Schule? K: Mhm, jetzt auf den Unterricht bezogen oder allgemeiner von der Schule? I: Vielleicht jetzt erst mal so von der Schule, wie das war, als Du dahin kamst und was, also Du bist wahrscheinlich hingegangen und hast nach Unterlagen gefragt. K: Mhm. I: Was, weißt Du noch, was Dir da erzählt wurde? Wie es so gewirkt hat auf Dich? K: Es war sehr nüchtern, also, die Anmeldung und so, das war alles sehr nüchtern und trocken. Also ich hatte schon Vorstellungen, wie das so ablaufen wird, aber wie die Realität dann ist, das weißt du eh nicht. Also, ich bin halt hingekommen, wie gesagt, war sehr nüchtern. Anmeldung, hat alles geklappt, gute Voraussetzungen gehabt, Beruf blabla.« (Kai, 925-945)
In dieser kurzen Passage wird die Aufnahme als ein »nüchterner« Akt beschrieben, bei dem organisatorische Fragen im Zentrum stehen. Interpretieren lässt sich dies als die Aufnahme in eine öffentliche Einrichtung, die nach dem Prinzip der Gewährung vor sich geht. Obwohl es sich um eine Angebotsschule handelt, läuft die Anmeldung als Aufnahme in eine kostenlose staatliche Einrichtung. Es wird hier kein potentieller Kunde freudig begrüßt und zur Entscheidung für genau diese Einrichtung beglückwünscht. Stattdessen handelt es sich um einen organisatorischen Vorgang, bei dem die Kriterien zur Gewährung der Aufnahme geprüft werden. Die Anmeldung kann somit auch als Initiation in ein Feld verstanden werden, in dem formale Regeln herrschen. Interessant ist unter dem Blickwinkel des Gatekeeping nun die Frage was passiert, wenn bestimmte Fristen nicht eingehalten werden bzw. bestimmte Kriterien nicht erfüllt sind. Hierzu ein Beispiel aus dem Interview von Jens sowie ein Beispiel aus dem Protokoll zur Einführungsveranstaltung ins Vorbereitungsjahr: »[…]und dann bin ich an dem Tag an der Schule vorbei gekommen, so, ich hatte schon länger irgendwie auch mal Interesse an der Schule gehabt, ja, und bin dann einfach an dem Tag reingegangen, als ich da vorbei kam, und hab’ mich mal erkundigt, so. Dann sagten die, ja, die Anmeldefrist ist jetzt leider vorbei, seit Freitag, ähm, Sie müssten sich dann mal […] auf der anderen Schule bewerben. Dann hab ich gefragt: ›Ach, kann man da nicht noch was machen?‹, irgendwie, hab ’n bisschen vollgeschnackt, ja, und dann haben die gesagt: ›Ja gut, dann bringen Sie mal Ihre Papiere mit, Zeugnisse, wie auch immer, Personalausweis, ja, und dann frag’ 182
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ich: ›wann soll’s denn losgehen?‹, und dann haben die gesagt: ›ja heute.‹« (Jens, 4050) Eine Schülerin spricht den Lehrer an wegen ›falscher Einstufung‹. Sie sei schon mal am Abendgymnasium gewesen und hätte damals das Vorbereitungsjahr übersprungen, sei direkt in die Vorstufe. Sie wolle Latein machen, nicht das doofe Französisch und wenn sie erst im Vorbereitungsjahr bleibe, würde sie dort zu viel verpassen. Man hätte ihr gesagt, es müsse erst einmal geprüft werden, wo sie steht, sie hätte ja schließlich Datenverlust in den letzten Jahren gehabt. Und das wäre nicht so, sie hätte nicht alles vergessen und das hätte sie der Sekretärin auch gesagt und die sei richtig zickig gewesen. Der Lehrer notiert sich einiges und sagt: ›Ich will Ihnen gerne helfen, aber heute geht es nicht. Sie müssen auch sehen, dass heute der anstrengendste Tag im Schuljahr ist, die Sekretärin ist total überlastet, aber ich will mich gerne für Sie bemühen.‹ (Protokoll EV/VJ, S. 3)
Die Beispiele unterstreichen das Prinzip der Gewährung bzw. Nicht-Gewährung, dem die Anmeldung unterliegt. Gleichzeitig machen sie auch die zentrale Bedeutung der Gatekeeper in der Institution deutlich. Den Schülern als Akteuren scheint dies hier bewusst zu sein. Sie nehmen das »Nein« nicht als gegeben, sondern treten zunächst mit der Sekretärin in Verhandlung. Auch dies scheint mir typisch für einen institutionellen Ablauf, bei dem auch die Akteure um die Ermessensspielräume der Gatekeeper wissen: Sie versuchen, sie dazu zu bewegen, von diesen Gebrauch zu machen. Die Befugnisse, die Gatekeeper von Seiten der Institution zugestanden bekommen machen deutlich, dass die Aufnahme wie ein knappes Gut gehandhabt wird. Die Schülerin, deren Wunsch abgelehnt wurde, geht nun den Weg, sich an die nächste Instanz zu wenden. Der Lehrer sichert ihr zu, dass er als Fürsprecher für sie tätig wird. Gleichzeitig verweist er aber auch darauf, dass dies nicht unmittelbar möglich sei. Der Schülerin wird so aufgezeigt, dass ihr Wunsch möglicherweise doch noch Berücksichtigung finden kann, gleichzeitig wird ihr aber nichts Konkretes zugesagt. Es bleibt unklar, wie groß der Einfluss des Lehrers in diesem Bereich ist. Auch der zeitliche Rahmen, einzig als ›heute nicht‹ bestimmt, bleibt ungenau. Unklar bleibt auch, inwieweit der unterschiedliche Erfolg der Bittsteller in den beiden Beispielen tatsächlich auf einen Ermessensspielraum des Gatekeeper, also in diesem Fall der Sekretärin, zurückgeht oder Teil der Gatekeepingpolitik der Schule ist. Bei der ersten Variante könnte man das unterschiedliche Herangehen der Schüler als indirekten Gestaltungsrahmen auffassen, wobei die Praxis des ›Vollschnackens‹ und Nachfragens, ob da nichts zu machen sei, erfolgreicher zu sein scheint als die, an ein Gewohnheitsrecht – ›letztes Mal wurde ich auch so eingestuft‹ – zu appellieren. Aus der Perspektive der Gatekeepingpolitik würde die Sekretärin nur jeweils dem gleichen schulpolitischen Ziel nachstreben: Die Klasse im Vorbereitungsjahr so voll 183
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wie möglich zu bekommen. Unter diesem Blickwinkel sind dann die jeweiligen Vorgehensweisen der Schüler für den Ausgang irrelevant. Unabhängig davon, wie die konkreten Fälle nun tatsächlich gelagert sind wird deutlich, dass der Gestaltungsrahmen der Schüler innerhalb des Feldes, zumindest wenn bestimmte Kriterien nicht erfüllt werden, an den Ermessensspielraum der Gatekeeper gebunden ist. Für das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern lässt sich dabei festhalten, dass es sich nicht nur um ein »pädagogisches Verhältnis« handelt, sondern in der konkreten Situation auch um ein organisatorisches. Den Lehrern scheint auch in diesem Bereich von Seiten der Schüler Einfluss zugesprochen zu werden.
Einführungsveranstaltung bei Schuleintritt Mit dem Eintritt in die Schule begeben sich die Schüler in ein System der festen Abläufe. Die Stundenpläne stehen bereits sowohl für die Studienstufe als auch für das Vorbereitungsjahr fest. Die Schüler der Studienstufe haben dabei eine gewisse Wahlfreiheit: Sie können Leistungskurse wählen und bei mehreren Kursen auch zwischen Lehrern. Auch bezüglich der anderen Fächer haben sie einen gewissen Spielraum, auch wenn das Angebot aufgrund geringerer Schülerzahl und entsprechendem Stundendeputat nicht so umfangreich ist wie an vielen Regelschulen. Für die Schüler der Vorstufe ist es zusätzlich möglich, zwischen einem Nachmittagszweig und einem Abendzweig zu entscheiden. Außerdem müssen sich Schüler in dieser Stufe festlegen, ob sie Latein oder Französisch als zweite Fremdsprache nehmen. Einfluss auf die Klassen, in die sie kommen, haben sie dabei allerdings nicht. Es gibt jeweils nur eine Klasse, der Stundenplan steht fest, die Lehrer sind zugeteilt. Wahlmöglichkeit besteht nur bezüglich der Fremdsprache. Wenn man die beiden Einführungsveranstaltungen – für die Studienstufe bzw. für das Vorbereitungsjahr – vergleicht, entsteht der Eindruck des Einfügens der Schüler in ein festes System. Diese Einführungen der neuen Schüler sind Teil des ersten Schultags. Nach der Rede der Schulleiterin (diese wurde auf Tonband aufgezeichnet und protokolliert), die alle Schüler gemeinsam in der Aula empfängt, werden die Schüler in die unterschiedlichen Stufen aufgeteilt. Während die Einführungsveranstaltung für das Vorbereitungsjahr durch den jeweiligen Klassenlehrer erfolgt, findet für die neuen Schüler der Studienstufe eine gemeinsame Veranstaltung durch einen der Oberstufenorganisatoren statt. Bei dem nachfolgenden Vergleich stütze ich mich auf die Protokolle, die durch teilnehmende Beobachtung in beiden Veranstaltungen angefertigt wurden. Die Begrüßung der Schüler erfolgt in beiden Stufen durch Vorlesen der Namen. In der Studienstufe erfolgt ein Ablesen der Namensliste und ein Abhaken – also zugleich auch eine Anwesenheitskontrolle. Im Vorbereitungsjahr 184
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werden den Schülern vorbereitete Namenskarten überreicht, die sie vor sich auf den Tisch stellen können. Die Schüler werden weder dazu aufgefordert etwas zu ihrer Person zu sagen, beispielsweise welchen Beruf sie ausüben, noch werden Erwartungen abgefragt – in der angebotsorientierten Erwachsenenbildung als Erwartungsabfrage zu Beginn eines Kurses nahezu obligatorisch. In beiden Stufen dient die Einführungsveranstaltung vielmehr als Erläuterung der an der Schule einzuhaltenden Regeln und Gepflogenheiten. Im Vorbereitungsjahr wird anscheinend angenommen, dass die Gegebenheiten eines Schulalltags schon bekannt sind. Hierzu wird zumindest nicht noch einmal Stellung bezogen. Die Regeln der Schule werden von den beiden Schülerinnen aus dem vorherigen Jahrgang wie folgt zusammengefasst: B: ›Also es gibt hier keine Hausaufgaben, es ist aber empfehlenswert, die Sachen durchzugucken und regelmäßig zu kommen und guten Kontakt zu den Mitschülern zu halten.‹ A: › Man sollte sich die Unterlagen mitbringen lassen von jemand anders, wenn man mal fehlt, und man sollte die Klausuren mitschreiben:‹ B: ›Man muss die Krankschreibung mitbringen, sonst gibt es keine Nachschreibemöglichkeit. Nachschreiben kann man in der Fachstunde, man kann aber immer auch mit den Lehrern reden.‹ A: ›Dann empfiehlt es sich auch, nicht im Unterricht zu essen, das wird nicht so gerne gesehen.‹ Ein Schüler wirft ein: ›Das ist auch besser so, die Döner stinken eh so.‹ […] A: ›Wenn ihr krank seid, solltet ihr anrufen.‹ Schüler: ›Aber man muss nicht direkt einen gelben Schein bringen.‹ A: ›Die Lehrer sind nicht blöd, die merken, wer schwänzt.‹ Schülerin: ›Was ist, wenn ich arbeiten muss?‹ B: ›Das muss man dann mit den Lehrern besprechen und man sollte sich auf jeden Fall die Unterlagen besorgen.‹ […] Der Lehrer kommt wieder herein. A: ›Und wenn ihr echt Hunger habt, dann kann ich Euch nur raten, so schnell wie möglich runter in die Cafeteria zu rasen und Essen zu holen, sonst steht ihr nämlich eine Viertelstunde da an und dann kommt ihr zu spät und verpasst was, also immer am Stoff bleiben, zum Beispiel Herr M., der will echt wissen, ob Du den Stoff drauf hast, der nimmt dich dann dran und fragt, was in der letzten Stunde war. Also, viel Glück und alles Gute wünsche ich Euch.‹ Frau A und Frau B gehen. (Protokoll EV/VJ, S. 4)
Die Aussagen der Schülerinnen des vorherigen Jahrgangs (A und B) lassen sich zusammenfassen zu Empfehlungen, inhaltlich am Ball zu bleiben (Haus-
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aufgaben, Kontakt zu den Mitschülern, Unterlagen besorgen), die organisatorischen Regeln einzuhalten (Krankschreibung), sich im Unterricht zu benehmen (nicht essen), Verhinderungen mit dem Lehrer zu besprechen und diese nicht für ›blöd‹ zu halten. Bis auf die letzte Empfehlung entspricht dies nahezu dem am ersten Schultag verteilten Infoheft, außer dass dieses noch Informationen zur Schule (Gebäude, Abschlüsse, Stundenplanaufbau etc.) und die Schulordnung enthält, die auch Regeln zum Rauchen, zu Drogen, zu Handys und zum Parken enthält. Interessant sind dabei die Parallelen zu den von den Schülern in ihrer Bezugnahme zum Unterrichtsgeschehen genannten Bereiche: Inhalte, Beziehung zu den Lehrern und die Herstellung von Aufmerksamkeit. Man kann in den Empfehlungen der Schülerinnen aus der schon fortgeschrittenen Jahrgangsstufe also Empfehlungen zur Imagepflege sehen. Die in der Einführungsrede der Schulleiterin beschworenen Besonderheiten des Unterrichts für Erwachsene (vgl. 7.2) werden in der Einführungsveranstaltung des Vorbereitungsjahres nicht wieder aufgegriffen. Statt an Pflichten und Rechte werden die Schüler in erster Linie an ihre Pflichten erinnert. Das System des Unterrichts wird als bekannt vorausgesetzt und damit eine Orientierung an der Regelschule nahe gelegt. In der Studienstufe ist dies aufgebrochener: Zwar werden auch hier in erster Linie der organisatorische Ablauf, Regeln und Besonderheiten erläutert, durch das Kurssystem und den hörsaalähnlichen Raum werden aber nicht die Gegebenheiten der Regelschule re-inszeniert, sondern eher Bezüge zu einem universitären Kontext hergestellt.
Vermittlungsauftrag oder »alle auf ein Niveau bringen« Im Folgenden geht es mir darum, allgemeine Merkmale des Unterrichts am Abendgymnasium aufzuzeigen, die mir trotz des Gestaltungsspielraums, den Lehrer haben, aufgrund der Vergleiche zwischen den verschiedenen beobachteten Stunden allgemein bedeutsam scheinen. Zentral ist m.E. dabei der Vermittlungsauftrag der Lehrer und woran sie sich dabei orientieren. Trotz der verschiedenen didaktischen Herangehensweisen ist der Unterricht insgesamt dadurch gekennzeichnet, dass es einen Stoffrahmen gibt, innerhalb dessen der Lehrer die zentrale Position der Vermittlung einnimmt. Sie bestimmen, was die zentralen Kernsätze sind, die am Ende gelernt werden müssen, welches Wissen richtig ist, welche Antworten legitim sind. Hierzu exemplarisch zwei Beispiele: Folgender Szene war vorausgegangen, dass sich zwei Schüler im Unterricht unterhalten haben. Als sie von der Lehrerin gefragt werden, worum es gerade ging, meinen sie, dass sie sich über das momentane Thema unterhalten hätten. Sie werden aufgefordert, daran die ganze Klasse teilhaben zu lassen. Daraufhin kommt der eine 186
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Schüler an die Tafel und erklärt anhand eines Schaubilds die These, die er zum momentanen Thema vertritt: Der Schüler erklärt, was er gemalt hat. Er wirkt dabei etwas aufgeregt, aber spricht sicher und ruhig. Die Lehrerin meint an alle gewandt: »Wie finden Sie das Tafelbild?« Und kommentiert dann selbst: »Also wunderbar! Eine gute These!« (Protokoll St/9/9) Der Lehrer beginnt und kündigt über das allgemeine Gemurmel hinweg für morgen die Politikklausur an. Alle Themen der Klausur sollen noch mal kurz in dieser Stunde wiederholt werden. Die erste Folie mit den Umrissen Europas wird aufgelegt. Es beginnt das schon bekannte Frage-Antwort-Spiel zwischen Lehrer und Schüler. Ein Schüler zeigt auf, wird aufgerufen und spult die Antwort förmlich ab. Lehrer: »Wunderbar, perfekt.« (Protokoll VJ/22/9)
Die Lehrer sind somit auch die Gatekeeper des Zugangs zum Wissen – also der in der Schule entscheidenden Ressource. Sie bestimmen, welche Form des Wissens innerhalb des Rahmens legitim ist. Sie legen den Stoff, die Form der Vermittlung und die Art und Weise wie er abgeprüft wird fest. Vieles verbleibt dabei innerhalb ihres Gestaltungsspielraums. So wird in der Einführung in die Studienstufe der momentane Unterschied zum Zentralabitur folgendermaßen beschrieben: Schülerfrage: Wie würde das laufen? Was kann ich mir darunter vorstellen? [Thema ist das Zentralabitur] Herr Schmidt: Die Kollegen haben im Moment noch Gestaltungsspielräume, sie können die Themen des Unterrichts und die Prüfungsthemen abstimmen. Beim Zentralabitur werden die Themen von der Behörde gestellt, die Aufgaben sind dann einheitlich für ganz Hamburg. (Protokoll EV/St, S. 4)
In diesem Protokollbeispiel wird der Gestaltungsspielraum klar benannt. Er bezieht sich einerseits auf die Stoffauswahl, andererseits auf die Prüfung des Stoffes. Deutlich wird dies beispielsweise schon in der unterschiedlichen Art und Weise der Lehrer, sich den Schülern vorzustellen: Der Biologielehrer, Herr Hansen, kommt herein, wird vorgestellt und sagt etwas von Hormonen und Genetik und: ›Ich weiß nicht, wann wir wo sein sollen, ich treff’ Sie hier in der Klasse.‹ Dann geht er wieder. (Protokoll EV/VJ, S. 3) Der Physiklehrer, Herr Meyer, kommt herein, wird vorgestellt und sagt: ›Sie werden die große Freude haben, mit mir Physik zu lernen. Ich werde Sie dort abholen, wo Sie sind, so eine Art Crash-Kurs, na das klingt jetzt ziemlich gewaltsam, es gibt keinen Stoffplan, im Grunde Wiederholung von Klasse fünf bis neun, ich will gucken, was sind ihre Bedürfnisse, was können Sie und wo brauchen Sie Unterstützung.‹ Er verabschiedet sich und geht. (Protokoll EV/VJ, S. 5)
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Es wird deutlich, dass die Lehrer im Vorbereitungsjahr bei der Gestaltung der Lerninhalte einen Spielraum zu haben scheinen. Während Herr Hansen klar die Themen für das Schuljahr vorgibt, die er mit den Schülern erarbeiten möchte, möchte Herr Meyer sich an den Bedürfnissen der Schüler orientieren. Er möchte sie »dort abholen, wo sie sind« und spricht davon, dass es keinen Stoffplan gebe. Allerdings wird im weiteren Verlauf deutlich, dass auch er einen Orientierungsrahmen für den Unterrichtsstoff im Hinterkopf hat: Es geht ihm um eine Wiederholung des Lernstoffes der Klassen fünf bis neun. Eine andere vorstellbare Vorgehensweise wäre z.B., gezielt die Techniken und Wissensbestände einzuführen, die dann in der Studienstufe bzw. für das Abitur gebraucht werden. Dies entspricht nicht dem Vorgehen der Lehrer, wie auch durch Unterrichtsbeobachtungen bestätigt wird. Der Orientierungsrahmen bleibt der in der Regelschule vorgegebene Lernstoff, der diesem Klassenniveau entspricht. Als zu erreichendes Niveau ist dabei immer das Niveau der Regelschule maßgeblich (vgl. auch Abschnitt 7.2). Innerhalb dieses Rahmens haben die Lehrer allerdings einen Gestaltungsspielraum, inwieweit sie sich an den Bedürfnissen der Schüler orientieren oder bestimmte Themen vorgeben und welchen Unterrichtsstil sie dabei wählen. Neben dieser vergleichenden Orientierung am Niveau der Regelschule scheint mir noch ein weiterer Aspekt für die Gestaltung des Unterrichts zentral: Die Grundannahme – zumindest innerhalb des Vorbereitungsjahrs – für einen gemeinsamen Unterricht zunächst ›alle auf ein Niveau‹ bringen zu müssen. Eine Schülerin fragt nach einer zweiten Fremdsprache. Lehrer: ›Weitere Fremdsprache ist nicht, erst mal geht es darum, alle auf das gleiche Niveau zu bringen, aber, wie der Hamburger sagt: suutsche. Wir wollen am Ende des Jahres da sein, wo’s weitergehen soll. Die Hamburger Ferienordnung gilt auch für uns.‹ (Protokoll EV/VJ, S. 5)
In der Aussage des Lehrers bezieht dieser sich nicht auf seinen konkreten Unterricht. Vielmehr scheint er damit den allgemeinen Usus an der Schule im Rahmen des Vorbereitungsjahres auf den Punkt zu bringen. Als Richtschnur für die Lerninhalte werden somit zwei Orientierungen genannt: Zum einen der Lernplan der Regelschule, zum anderen ein ›Niveau‹, auf das die Klasse gemeinsam gebracht werden soll, das aber als solches nicht näher expliziert wird.1 Das Jahr wird als eines betrachtet, bei dem man sich Zeit lässt, alle auf einen Stand zu bringen, »bei dem es weitergehen kann«. Formuliert man dies um, kann dies auch bedeuten, dass es im Vorbereitungsjahr nicht wirklich weitergeht, sondern das dieses Jahr in erster Linie zu Wie1
Deutlicher wird dies erst mit den Beschreibungen der Schüler in der Studienstufe, die im kommenden Kapitel dargestellt werden.
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derholungen genutzt wird. Hierzu passt auch die Aussage des Physiklehrers, sich am Stoff der Klassen fünf bis neun zu orientieren. Das Vorbereitungsjahr entspricht aber offiziell der zehnten Klasse. Von daher scheint hier im Versuch, die bisherigen Wissensmängel auszugleichen, ein neues Defizit geschaffen zu werden. Da aber in der nächsten Stufe überwiegend neue Schüler dazukommen, die den jeweiligen Stoff in der Regelschule schon hatten, ist die Gefahr groß, dass von einer Stufe zur nächsten eine inhaltliche Lücke erhalten bleibt oder sogar größer wird. Als Beispiel hierfür kann man exemplarisch die Frage der Schülerin nach weiteren Fremdsprachen heranziehen. Diese werden nach Aussage des Lehrers hintenan gestellt, um die vorhandene Zeit dafür zu nutzen, alle auf ein Niveau zu bringen. Mit dem Niveau ist aber das Niveau der jeweiligen Klasse gemeint. Die scheinbare Sicherheit einer vergleichbaren Leistung im Klassenverband ist hier eine nur scheinbare Sicherheit, denn die auf der nächsten Stufe einsteigenden Schüler hatten ja auf der Regelschule bereits Unterricht in einer zweiten Fremdsprache. So wird hier durch die scheinbare Angleichung auf ein Niveau ein Defizit geschaffen oder ausgebaut. Hinzu kommt der geringe Zeitrahmen, der zur Verfügung steht: Die Schüler haben am Abendgymnasium nicht mehr Unterricht als an der Regelschule, sondern weniger. Vor diesem Hintergrund wirkt die Beschwörung des langsamen Unterrichtstempos durch den Lehrer in der zuletzt zitierten Protokollstelle: »wie der Hamburger sagt: ›suutsche‹« paradox. Unter dem Blickwinkel der Beteiligungsmöglichkeiten sind diese Faktoren m.E. sehr bedeutsam. Neben dem Gestaltungsspielraum der Lehrer als Gatekeeper und der Mehrschichtigkeit des Lehrer-Schüler-Verhältnisses werden hier auch eher schulkulturelle Faktoren sichtbar, die Einfluss auf die Möglichkeiten zu sozialer Positionierung im Unterricht haben. So scheint die Orientierung an den Lerninhalten der Regelschule und die Ausrichtung auf ein gemeinsames Niveau ein schulkultureller Konsens im Hinblick auf die didaktische Orientierung im Vorbereitungsjahr zu sein, der den konkreten Unterricht der einzelnen Lehrer beeinflusst. Der durch die im Vergleich zur Regelschule geringere Stundenzahl knappe zeitliche Rahmen zum Lernen innerhalb des Unterrichts wird durch die Rahmenbedingungen außerhalb der Schule zusätzlich verschärft. Viele der Schüler arbeiten parallel zur Schule, manche Teilzeit, einige aber auch über 40 Stunden. Es wird versucht hierauf einzugehen, indem keine Hausaufgaben vergeben werden. Im folgenden Zitat fragt ein Schüler diesbezüglich in der Einführungsveranstaltung des Vorbereitungsjahres noch mal nach: Schüler: ›Und es gibt keine Hausaufgaben?‹ Le: ›Im Prinzip gibt es keine Hausaufgaben, aber Sie sollten sich zuhause hinsetzen, zum Beispiel in Englisch, und Versäumtes nacharbeiten vor Klausuren. Aber in der 189
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Regel gibt es keine Hausaufgaben, nichts übers Wochenende und nichts in den Ferien. (Zunahme von Gesprächen in der Klasse.) Deshalb ist es wichtig, am Unterricht teilzunehmen, gut mitzuarbeiten. Ich möchte eine Entschuldigung haben, wenn die Fehlzeit mehr als einen Tag beträgt.‹ Schüler: ›Wann sind die Klausuren?‹ Le: ,Der Plan steht noch nicht, aber nicht mehr als zwei pro Woche, Sie haben ja eine starke Belastung.‹ Schülerin: ›Gibt es Förderunterricht?‹ Le: ›Im Prinzip ja, wenn Sie festgestellt haben, wo Sie stehen, wir müssen erst mal sehen, was sie können und nicht können, jetzt ist erst mal die Anlaufphase.‹ (Protokoll EV/VJ, S. 5)
Der Umgang mit den Hausaufgaben erscheint hier wie ein Double-bind. »Im Prinzip« gibt es keine Hausaufgaben. Aber nur in der Schule und nicht zu Hause zu lernen, kann trotzdem nicht ausreichend sein. Es wird von der Schule zumindest erwartet, dass ›Versäumtes‹ selbstständig nachgearbeitet wird. Ein Fach wird dabei besonders hervorgehoben – Englisch. Es scheint den Erfahrungen in der Schule zu entsprechen, dass in den Fremdsprachen Lücken besonders deutlich und problematisch sind. Dies entspricht auch den Äußerungen der Schüler in den Interviews. Die Fremdsprachen werden dabei mehrfach als besondere Hürde erwähnt. Es wird deutlich, dass neben Faktoren von Seiten der Schule, die die Zugangsmöglichkeiten zur Schule mitbestimmen, auch die außerschulischen Bedingungen und Möglichkeiten zum Lernen eine große Rolle spielen. Im obigen Protokollausschnitt ist dem Lehrer sehr wohl bewusst, dass die Schüler außerhalb des Unterrichts eine ›starke Belastung‹ haben. Der Verzicht auf Hausaufgaben – ›im Prinzip‹ – soll dem Rechnung tragen. Gleichzeitig wird jedoch deutlich, dass es ohne den Raum zum Lernen außerhalb des Unterrichts schwer wird, in der Schule mitzukommen und eventuelle Defizite wie beispielsweise in den Fremdsprachen nachzuholen. Unter dem eigentlichen Nicht-Moratoriumscharakter des Abendgymnasiums – es besteht keine Freistellung von außerschulischen Verpflichtungen – wird besonders deutlich, dass das schulische Lernen in gewisser Weise auf das Moratorium – also die Möglichkeit außerhalb der Schule zu lernen – angelegt ist. Die Frage nach der Möglichkeit zu lernen und die soziokulturellen Bedingungen von Belastungen und Entlastungen können somit als zentrale Faktoren des Gatekeeping außerhalb der Schule betrachtet werden. Es ist anzunehmen, dass hier weitere Institutionen wie das Arbeitsamt oder auch die Möglichkeit, BAföG zu beziehen, eine Rolle spielen.
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Schulordnung Die starke Betonung der Pflichten der Schüler spiegelt sich in der Schulordnung wider. Hier werden auch Umgangsweisen mit Verstößen organisatorisch geregelt: Diese Schulordnung wird mit dem Ziel beschlossen, an unserer Schule für Erwachsene ein möglichst konfliktfreies und harmonisches Miteinander der Studierenden, Lehrkräfte und aller anderen Mitarbeiter der Schule in einem Gebäude zu gewährleisten[…]. Die folgenden Vereinbarungen sollen gewährleisten, dass die Studierenden mit Sorgfalt und Intensität ihre Studien an unserer Schule betreiben können. Regelmäßige Teilnahme am Unterricht und pünktliches Erscheinen zum Unterrichtsbeginn, soweit dies die berufliche Tätigkeit der Studierenden zulässt, gehören ebenfalls dazu. […] Verhalten bei Schulversäumnissen Bleibt ein Studierender länger als drei aufeinander folgende Unterrichtstage der Schule fern, entschuldigt er sein Fehlen […], weil sonst davon ausgegangen wird, dass er seine Ausbildung unterbrochen oder abgebrochen hat. [.] Bei einem Zeitraum von zwanzig unentschuldigten Fehlstunden in einem Monat oder wiederholter unentschuldigter Abwesenheit bei Klausuren in zwei Fächern wird auf die Abschulungsmöglichkeit nach […] des Schulgesetzes verwiesen. Verhalten zu Unterrichtsbeginn und -ende Die Klassen-/Kurssprecher verständigen […] das Schulbüro, wenn nach 10 Minuten noch keine Lehrkraft da ist. Fachräume dürfen nur mit Erlaubnis einer Lehrkraft betreten werden. Speisen und Getränke dürfen während des Unterrichts nicht eingenommen werden. Über Ausnahmen entscheidet die Fachlehrerin bzw. der Fachlehrer. In den Pausen sollen die Unterrichtsräume gelüftet werden. Beim endgültigen Verlassen der Unterrichtsräume sollen die Fenster geschlossen und das Licht ausgeschaltet werden. […] Verstöße gegen die Schulordnung Die Studierenden sind gehalten, den Anweisungen der Lehrkräfte und der anderen Mitarbeiter der Schule nachzukommen. Bei schwerwiegenden oder wiederholten Verstößen gegen die Schulordnung werden die Schulleitung sowie […] Klassenlehrer oder […] Tutor verständigt. Diese entscheiden gemeinsam mit dem Klassenkollegium, […] über die Einleitung von Disziplinarmaßnahmen. (Schulordnung)
Es wird deutlich, dass das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler auch am Abendgymnasium eine disziplinarische Ebene beibehält. Die zunächst als 191
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Verhaltensvertrag aller Beteiligten der Schule eingeführte Schulordnung verlässt schon im zweiten Abschnitt den kooperativen Rahmen. Die nun eingenommene Ebene kann man mit Blick auf das aufgemachte Verhältnis als pädagogisches beschreiben. Das Ziel der Regeln wird damit dargelegt, den Schülern gute Lernbedingungen zu schaffen, wobei sie auch an ihren eigenen Anteil daran erinnert werden. Im letzten Abschnitt der Ordnung – Verstöße gegen die Schulordnung – ist man dann bei einer Disziplinarverordnung angekommen. Dabei werden die Lehrer als Gatekeeper des disziplinarisch richtigen Verhaltens festgelegt, wobei ihnen dabei ein kollektiver Ermessensspielraum zusteht. Es ist aus der Schulordnung völlig unersichtlich, welcher Regelverstoß auf welche Weise gehandhabt wird. Für die Schüler besteht hier keinerlei Transparenz. Auch ansonsten werden in der Schulordnung Lehrer ausschließlich als Festsetzer der Regeln – beispielsweise in Verhaltensweisen zu Unterrichtsbeginn und -ende – oder Einhalter der Ordnung benannt, die Schüler ausschließlich als diejenigen, welche Regeln und Aufforderungen nachkommen müssen oder Ausnahmen aushandeln können. In den allgemeinen Regeln wird hingegen kein Adressat benannt. Das Verhältnis Lehrer – Schüler bleibt auch an dieser Schule für Erwachsene ein disziplinarisches, das in seinem Vorgehen nicht transparent und dem Gestaltungsspielraum der jeweiligen Gatekeeper überlassen ist. Es ist mir an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass ich die Schule hier nicht als totalitäres System jenseits aller Spielräume beschreiben möchte. Schon wenn man das erste Protokollbeispiel im nächsten Abschnitt »Konflikte mit einzelnen Lehrern« mit der Passage in der Schulordnung über das Verhalten zu Unterrichtsbeginn und -ende Punkt 4 vergleicht, wird deutlich, dass unter bestimmten Umständen nicht alles durchsetzbar ist, was in der Schulordnung steht. Während in der Schulordnung quasi die Pflicht der Schüler zum Lüften festgelegt wird, kommen in dem Beispiel einige Schüler u.a. mit der Forderung nach gut gelüfteten Räumen eines Lehrers »nicht klar«. Sie widersetzen sich und setzen durch, dass der Lehrer nicht mehr in der Klasse unterrichtet. Für das Verhältnis von Lehrern und Schülern scheint es mir allerdings bedeutsam, dass es auch am Abendgymnasium einen disziplinarischen Charakter beibehält. Das vordergründige Kollektiv der Schulordnung, das sich dann zunächst in ein pädagogisches und bei Verstößen in ein disziplinarisches Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler wandelt, spiegelt m.E. relativ deutlich die verschiedenen Ebenen wider, mit denen die Schüler an der Schule konfrontiert sind. Den Lehrern kommt dabei eine zentrale Funktion als Gatekeeper zu. Im Alltag finden aber viele Aushandlungen zwischen Klasse und Lehrkraft statt, es handelt sich also um ein von Schülern und Lehrern gemeinsam hergestelltes Unterrichtsszenario.
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Konflikte mit einzelnen Lehrern Der Aushandlungscharakter wird insbesondere anhand der Konflikte zwischen einzelnen Lehrern und ihren Schülern in der Studienstufe deutlich. Die Schüler treten hier aktiv in Erscheinung. Allerdings sind sie mit ihren Wünschen, Widersprüchen und Forderungen unterschiedlich erfolgreich wie die folgenden Beispiele zeigen: Schülerfrage: ›Gibt es auch Lehrer, die nicht so nett sind?‹ Frau A (Schülerin des Vorjahres): ›Och, das kommt ganz darauf an, eigentlich sind alle nett.‹ Frau B (Schülerin des Vorjahres): ›Das ist eben Geschmackssache, mit wem man klar kommt und mit wem nicht.‹ Frau A: ,Der Herr Müller […], der hat so eine andere Art […], mit dem sind einige von uns nicht klar gekommen und dann haben wir auch einen anderen bekommen. Es ist klar, dass man sich auch anpassen muss, und einige konnten oder wollten das so eben nicht. Er erwartete absolute Ruhe und der Raum musste immer gut gelüftet sein.‹ (Protokoll EV/VJ, S. 4) Schüler: »Und ich hatte eben das Bild, dass, wenn man wirklich Wünsche äußert oder auch Forderungen stellt, dass man sie eher überdenkt und dass sich auch im Grund wirklich darauf was verändert. Ich hatte wirklich von der untersten Ebene, sprich mit meinem direkt betroffenen Lehrer, wo dieses Problem existierte, bis hin zum Klassenlehrer, bis hin zum Studienleiter, bis hin zur Direktorin dieses Problem angesprochen und es hat sich im Grund aber nichts verändert. Es war immer so ’n Vertrösten. Jetzt sowieso, da sie ja mehr arbeiten müssen, sämtliche AG gestrichen wurden und, äh, Klassenfahrten, heißt es immer: Wir haben die Möglichkeiten nicht. Es gibt keine Kapazitäten mehr. Und es gibt Lehrer, die sind absolut fehl am Platz, absolut fehl am Platz, der nichts vermitteln kann, der wahrscheinlich, was weiß ich, in der Wissenschaft ’n super Mensch wäre, aber nicht als Pädagoge vorne stehen darf. […] Und dieses Problem wurde auch als solches erkannt. Jeder weiß um dieses Problem […] Und es wird aber wirklich gesagt, also: ,Ja es ist ein lieber, netter Kollege‹ – was ich ja auch immer so gesagt, als Mensch ist er ein ganz lieber netter, gar keine Frage. Aber ich hab’ jetzt den Anspruch, dass er mir was vermittelt. Und das ist zumal auch noch im Fach X, das absolut/X und Y, beide Fächer hatten wir ihn – was meine Horrorfächer sind. Und dann noch zusätzlich so’nen Lehrer, dementsprechend sind dann eben auch meine Klausuren und meine Endnoten gewesen. Und das sah ich halt eben nicht ein. Und die Probleme existierten eben auch bei anderen Klassen und in der Klasse selbst. Und mich dann wirklich mit anderen kurzgeschlossen und dann im Kollektiv hingegangen, dass es eben mehr Eindruck, vielleicht, hat. Aber da änderte sich nichts. Man nahm es wahr, man wusste darum und wurde dann doch irgendwann wieder vertröstet und dann versandete es wieder. Bis man es wieder ansprach.« (Markus, 429-481) 193
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In jeweils unterschiedlichen Ausschnitten wird jeweils ein ähnliches Problem beschrieben. Im Unterrichtsprotokoll berichten Schülerinnen, die sich selbst als wenig betroffen einführen, der nachfolgenden Jahrgangsklasse von Konflikten von manchen Schülern mit einem bestimmten Lehrer. Der Lehrer wurde daraufhin nicht mehr zum Unterricht in der Klasse eingeteilt. Ob dies nun direkt mit den Konflikten zu tun hat oder Teil der Routine der Schule war, bleibt unklar. Allerdings entsteht durch die Überleitung ›und dann‹ der Eindruck, dass es sich um eine Folge der Konflikte mit der Klasse handelt. Die Wege, die von Seiten der Klasse beschritten wurden, werden allerdings nicht benannt. Als Kern des Konflikts wird das Sozialverhalten des Lehrers in den Mittelpunkt gerückt. Im zweiten Textbeispiel erzählt ein betroffener Schüler von Problemen, die er und andere in der Klasse mit einem bestimmten Lehrer hatten. In der Erzählung bleibt zunächst unklar, um welches Problem es sich handelt. Ausgangspunkt war die Frage, wie das Verhältnis zu den Lehrern am Abendgymnasium sei. Zuvor hatte er über seine Vorstellungen vor Schuleintritt und die Realität berichtet und kommt nun zu »diesem Problem«. Dabei werden zuerst die Versuche, das Problem zu lösen und der Umgang der Schule damit beschrieben: Der betroffene Lehrer, der Klassenlehrer, der Studienleiter und schließlich die Direktorin werden angesprochen. Hier wird somit innerhalb des Systems der schulischen Hierarchie der Weg von einem Gatekeeper zum nächsten gegangen. Als Gründe für die Nicht-Zuteilung eines neuen Lehrers werden mangelnde Kapazitäten von Seiten der schulischen Akteure benannt – also Sachzwänge. Dann wird das Problem mit dem Lehrer vom Erzähler spezifiziert: mangelnde pädagogische Eignung und die Schwierigkeit, seinem Unterricht zu folgen. Anschließend wird noch einmal der Weg nachgezeichnet, den der Schüler im Versuch, das Problem zu lösen, gegangen ist. Er hat sich mit anderen aus der Klasse zusammengeschlossen, aber auch das hat nichts bewirken können, die Klasse wurde lediglich »vertröstet«. Es bleibt unklar, warum die eine Gruppe mit ihrem Anliegen Erfolg zu haben scheint und die andere Gruppe nicht. Hat es etwas mit dem Vorgehen der Gruppen zu tun? Hat die Schule aus dem zeitlich vorangegangenen Fall (Bsp. 2) gelernt? Hätte die Klasse sowieso einen anderen Lehrer bekommen? Gibt es in dem einen Fach mehr Lehrer an der Schule als in dem anderen und ist von daher ein Auswechseln problemloser möglich? Aus den Textpassagen ist dies nicht näher zu klären. Für das »pädagogische Verhältnis«, also das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern an der Schule, wird hier allerdings ein weiteres Problem deutlich: Dieses Verhältnis hat auch, wie im ersten Beispiel festgehalten, einen organisationalen Anteil, bei dem die Lehrer die Rolle der Gatekeeper übernehmen. Darüber hinaus muss bei Konflikten mit den Lehrkräften und Wünschen an sie, wenn diese nicht direkt mit einzelnen Lehrern auszuhandeln 194
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sind, ein institutioneller Weg beschritten werden. Anders als in der Regelschule besteht für die Schüler nicht die Möglichkeit, durch die Eltern eine Zwischeninstanz bei Konflikten mit einem Lehrer einzuschalten. Als Erwachsene haben die Schüler dies selbst zu verhandeln. Somit wird deutlich, dass die Frage des eingeschränkten Moratoriums (vgl. Abschnitt 1.1) nicht nur eine Frage des zeitlichen und äußeren Rahmens ist, in dem die Passage am Abendgymnasium stattfindet. Auch intern hat dies Auswirkungen, da bei Konflikten in der Schule kein Schutz- oder Freiraum von Verantwortung möglich oder zumindest nicht üblich ist, sondern der Schüler sich direkt mit den jeweiligen Instanzen auseinandersetzen muss. Auf den ersten Blick unterscheidet sich das Abendgymnasium wenig von den strukturellen Vorgaben einer Regelschule. Schon bei der Anmeldung wird der Eintritt institutionell in Form der Gewährung vollzogen. Die Einführungsveranstaltung greift die Abläufe der Regelschule – zumindest im Kontext des Vorbereitungsjahres – auf. Dabei stehen die Schulregeln im Vordergrund. Das Vorbereitungsjahr ist darauf ausgerichtet, alle zunächst auf ein Niveau zu bringen. Die Haltung bezüglich Hausaufgaben ist dabei ambivalent. Fokussiert man das Lehrer-Schüler-Verhältnis, so ist dies durch disziplinarische, organisatorische und wissensvermittelnde Aspekte gekennzeichnet. Insbesondere die Schulordnung macht durch die Betonung des disziplinarischen Aspekts und der Autorität des Lehrers deutlich, dass dabei eher an das generationale Verhältnis der Regelschule angeknüpft wird. Allerdings besteht dabei von Seiten der Schüler durchaus auch Widerständigkeit. Als Erwachsene sind sie dabei gehalten, Konflikte eigenständig zu lösen. Somit ist es m.E. legitim, beim Abendgymnasium bezüglich der schulischen Verhaltensregeln von einer Regelschule zu anderen Zeiten zu sprechen, da die Regelschule zentraler Anknüpfungspunkt im Hinblick auf Unterrichtsgestaltung und Schulordnung ist und kaum Bezüge zur Erwachsenenbildung vorhanden sind. Von daher entspricht das doing student oder ›Schülern‹ (vgl. Abschnitt 1.3 und Abschnitt 5.3), das die Schüler in ihrer sozialen Positionierung im Vorbereitungsjahr an den Tag legen, ›passgenau‹ den schulischen Strukturen.
7 . 2 S ym b o l i s c h e As p e k t e Im Folgenden gehe ich nun der Frage nach, welchen Bedeutungsrahmen das Abendgymnasium den Schülern bietet. Als erstes möchte ich dabei die Position – man kann auch vom symbolischen Kapital sprechen – des Abendgymnasiums als Feld innerhalb der Schullandschaft in den Blick nehmen. Eine Ausgangsthese, warum das Abendgymnasium für die Untersuchung ausgewählt wurde war, dass es sich um einen Kontext handelt, der besonderer Legi-
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timation bedarf. Formen der besonderen Legitimation des Feldes bin ich bei der Feldforschung auf unterschiedlichen Ebenen immer wieder begegnet. Gleichzeitig wurde aber auch deutlich, dass es unterschiedliche Positionen im Feld gibt, bei denen das symbolische Kapital unterschiedlich verteilt ist. Dabei spielen soziokulturelle Faktoren, Geschlecht und Ethnie eine Rolle. Zudem zeigte sich auch eine Besonderheit im Feld: Es spricht viel dafür, dass die Aufteilung in verschiedene Stufen auch mit einer Zuordnung zu unterschiedlichen sozialen Gruppen verbunden ist – und somit auch mit unterschiedlichem symbolischem Kapital je nach zugeschriebener Gruppe.
Die besondere Stellung des Feldes: »Gleichwertig, aber nicht gleichartig« Der besondere Legitimationsbedarf des Abendgymnasiums zeigte sich in vielfältiger Weise: Einerseits ist das Feld an sich »besonders« und befindet sich im Vergleich zur Regelschule (vgl. Abschnitt 1.2), andererseits scheint auch der Zugang zum Feld für die Akteure immer wieder mit der Notwendigkeit von Begründungen verbunden. Die Position des Feldes an sich sowie die der Schüler im Feld ist somit »statusunsicher«. Die Hinweise im Feld, die zu dieser These führen und sie ausdifferenzieren, führe ich nun zunächst für die Schule selbst und anschließend für ihre Akteure aus. Das Abendgymnasium steht im Vergleichskontext zur Regelschule. Dies wurde historisch durch die Ausrichtung am allgemeinbildenden Anspruch des Gymnasiums herausgearbeitet (vgl. Abschnitt 1.2) und zeigt sich auch an der untersuchten Schule: z.B. im Schulprogramm, in der Schuljahreseröffnungsrede der Schulleiterin und in Bemerkungen einzelner Lehrer in Bezug auf die Qualität der Schulabschlüsse am Abendgymnasium. Im Schulprogramm wird der Vergleich zur Regelschule mit dem Motto: »Gleichwertig, aber nicht gleichartig« benannt. Die Andersartigkeit der Schule zeigt sich neben der anderen Tageszeit des Unterrichts am offensichtlichsten in den Unterschieden im Unterricht: Die Fächer werden in geringerer Stundenzahl unterrichtet, bestimmte Fächer wie beispielsweise Kunst und Sport entfallen ganz. Um die Schüler, die – zumindest nach Erwartung der Schule – zusätzlich zur Schule noch im Berufsalltag stehen, nicht übermäßig zu belasten, besteht zudem der Anspruch, keine Hausaufgaben zu vergeben sowie die Lernvorbereitung für die Klausuren innerhalb des Unterrichts zu leisten. Die Bedingungen eines abendlichen Unterrichts stellen für die Schüler, die teilweise einen achtstündigen Arbeitstag hinter sich haben, eine große Herausforderung hinsichtlich ihrer Konzentration und Aufmerksamkeit dar. So ist im »Überlebenspaket«, das die Schulleiterin bei der Schuljahreseröffnungsfeier für die neuen Schüler hochhält, auch ein Instantkaffee als Wachmacher enthalten. Hier zeigt sich, dass sich für die Schule im Vergleich zu 196
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einer Tagesschule, die mit Befreiung von sonstiger Erwerbs- oder Berufstätigkeit einhergeht, ein besonderes Spannungsfeld ergibt. Zumindest unter den Bedingungen der vollen Berufstätigkeit sind die Schüler auch außerhalb der Schule stark eingebunden. Bildung soll hier in der Orientierung an der Regelschule gleichwertig nachgeholt werden, hat aber ganz andere zeitliche Bedingungen – sowohl in Bezug auf die Unterrichtszeiten als auch im Hinblick auf die zur Verfügung stehende Zeit außerhalb des Unterrichts. Aber nicht nur, was die zeitlichen Ressourcen und die Tageszeit des Unterrichts angeht, ist das Abendgymnasium anders als die Regelschule; auch die Schülerschaft unterscheidet sich von dieser. Die Idee der Nachholung von Bildung für besonders begabte Arbeiter, die der ursprünglichen Konzeption des Abendgymnasiums zugrunde lag, hat sich allerdings schon durch Untersuchungen in den 70er Jahren als Illusion erwiesen. Zu den auch an der Regelschule üblichen soziokulturellen, ethnischen Unterschieden und Genderdifferenzen kommen aber am Abendgymnasium noch weitere Unterschiede hinzu. Die Kriterien des Schuleintritts legen zwar eine bestimmte Altergrenze sowie mehrjährige Berufstätigkeit fest, dies sagt allerdings wenig über das tatsächliche Alter oder eine ausgeübte Berufstätigkeit der Schüler aus. So werden am Abendgymnasium weitere relevante Differenzen der Schülerschaft im Hinblick auf Alter, den bisherigen Bildungs- und Lebensweg sowie die aktuelle Berufstätigkeit oder Erwerbslosigkeit deutlich. Dabei kann man den Vergleich zur Regelschule und die Herstellung von »Gleichwertigkeit« auch als Legitimationsdruck verstehen, vergleichbare Abschlüsse zu bieten. Verstärkt wird dieser Legitimationsdruck durch die Einsparungen im Bildungssystem. In vielen Bereichen des zweiten Bildungswegs – beispielsweise der Nachholung von Schulabschlüssen an der Volkshochschule – ist ein kostenpflichtiges Angebot schon jetzt üblich. Das Abendgymnasium ist somit in verschiedener Hinsicht ein statusunsicheres Feld: Es verfügt über weniger zeitliche Ressourcen, eine zusätzlich heterogene Schülerschaft, was auch ein unklares Schulprofil bedeutet, und steht im Zuge aktueller Einsparungen potentiell als kostenfreie Bildungseinrichtung zur Disposition. Interessant ist nun, was dies für die Zuschreibungen – und damit auch für die Möglichkeit der Anerkennung – im Feld bedeutet. In den wechselseitigen Zuschreibungen zwischen Lehrern und Schülern sind einerseits die gegenseitigen Distinktionen, andererseits die Beschreibungen besonderen Engagements oder guter Leistung auffällig. An sich erscheint dies nicht ungewöhnlich und entspricht dem Spannungsfeld zwischen positiv und negativ, auf dem Zuschreibungen liegen können. Dass es dabei auch Aspekte der Statusunsicherheit gibt, zeigt sich an verschiedenen Indizien, die ich im Folgenden anführe. So meinen zwei von acht der befragten Schüler auf die Frage nach guten oder schlechten Lehrern an der Schule, dass am Abendgymnasium diejenigen 197
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Lehrer landen würden, die an der Regelschule nicht zurecht kämen. Das Abendgymnasium wird somit zumindest von einer Teilgruppe als Auffangbecken für an der Regelschule gescheiterte Lehrer dargestellt. Auch wenn dieser Aspekt in den Interviews nicht dominant ist, äußert sich darin trotzdem eine Statusunsicherheit des Feldes. Am Abendgymnasium Lehrer zu sein, wird als nicht selbstverständlich gedeutet und führt teilweise zu Spekulationen bezüglich der Vergangenheit der Lehrer. Auch für die Schüler weisen Protokollstellen auf eine Statusunsicherheit hin. Wie im vorherigen Kapitel rekonstruiert, ist der Schritt ans Abendgymnasium für die Schüler mit einer weitreichenden persönlichen und lebensweltlichen Bedeutung belegt. Das zu erwerbende institutionalisierte oder auch inkorporierte Kapital ist relevant für die angestrebte lebensweltliche Veränderung. Schule ist dabei nicht nur Möglichkeit, sondern steht auch im Kontext der »Prüfung«. Zentral scheinen auch immer wieder die Frage des langen Zeitaufwandes und die Frage, ob sich das lohne. Dabei ist es für die Schüler auch bedeutsam, inwieweit das Niveau des Schulabschlusses anerkannt wird. Hier ist auch die Schuljahreseinführung in die Studienstufe erwähnenswert: Der Lehrer, der die Einführung macht betont, dass die Absolventen des Abendgymnasiums an der Uni immer wieder gerne genommen würden und sie positives Feedback bekämen. Dieser Hinweis irritiert an dieser Stelle. Es bleibt völlig unklar, auf wen oder was er sich dabei bezieht. Zudem verweist diese Äußerung auch auf einen spezifischen Legitimationskontext, denn die Studienbefähigung über das Abitur am Abendgymnasium scheint nicht so selbstverständlich zu sein, dass sie gar nicht erst erwähnt werden müsste. Dies lässt sich so deuten, dass auf Seiten der Lehrer der Vergleich zur Regelschule sehr wohl als Legitimationskontext besteht. Hierfür sprechen auch weitere Faktoren im Feld. Von fünf Lehrern, die in ihrem Unterricht begleitet wurden, wurde von dreien in den sich ergebenden Gesprächen nach dem Unterricht der Vergleich zur Regelschule angesprochen. Dies ist insbesondere deshalb relevant, weil es sich dabei nicht um Interviews handelte, sondern um Gespräche, bei denen die Lehrer von sich aus für sie relevante Themen aufgegriffen haben. Dies deutet darauf hin, dass der Vergleich zur Regelschule zumindest von der Lehrerseite am Abendgymnasium auch im Schulalltag sehr präsent ist. Dabei bezog sich der Vergleich, der zur Regelschule angestellt wurde, in erster Linie auf das Niveau der Schüler. Auf Seiten einzelner Lehrer im Vorbereitungsjahr (zwei von drei) waren dabei Distinktionen, die sich auf das Niveau der Schüler im Zusammenhang mit deren Erwachsenenstatus bezogen. Einerseits wurde geäußert, dass dieses inhaltliche Niveau für Erwachsene ›geradezu peinlich‹ sei, andererseits wurde das Verhalten der Schüler bemängelt: Es sei ›wie im Kindergarten‹. Vergleichbare Distinktionen ergaben sich bei den Unterrichtsbeobachtungen in der Studienstufe nicht, hier wurde viel198
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mehr das hohe Niveau der Schüler gelobt. Dies deutet auf einen unterschiedlichen Status dieser Schülergruppen im Feld hin (vgl. nächster Abschnitt). Die Statusunsicherheit des Abendgymnasiums im Vergleich zur Regelschule spielt somit auch in den Interaktionen zumindest eines Teils der Akteure im Feld eine Rolle. Die Legitimation, die zu erbringen ist, fußt sowohl bei Lehrern wie bei Schülern darauf, ob die entsprechende Person oder Personengruppe auch an der Regelschule zurecht käme. Eine mögliche Interpretation ist hier, dass dies im Zusammenhang mit der anderen aufgezeigten Legitimationsfrage am Abendgymnasium steht: der Frage nach einem vergleichbaren Niveau der Schulabschlüsse. Da diesbezüglich im Feld Statusunsicherheit besteht und man (sich) den Rang beweisen muss, beeinflusst die Frage nach dem ausreichenden Niveau auch wechselseitig den Blick der Akteure aufeinander. Das Feld Abendgymnasium muss sich gegenüber der Regelschule beweisen, aber auch die Akteure im Feld stehen unter Legitimationsdruck. Eine weitere Spannungslinie, die auf eine potentielle Statusunsicherheit im Feld hindeutet, ist der Erwachsenenstatus der Schüler. In den oben zitierten Zuschreibungen wirkt der Erwachsenenstatus wie eine Art Verstärker, der Leistungsdefizite und bestimmte Verhaltensformen in ihrer Bedeutung zusätzlich auflädt. Im Schulprogramm, der Begrüßungsrede der Schulleiterin und der Schulordnung wird ein Umgang mit dem Erwachsenstatus der Schüler deutlich, der auf eine gewisse Ambiguität hindeutet. Einerseits wird der andere Status der Schüler als Erwachsene deutlich gemacht und ihre Lebenserfahrung, Motivation und Verantwortung, in der sie stehen, betont. Andererseits wird im Schulkontext der Erwachsenenstatus zur Pflicht, sich auch »erwachsen« zu verhalten oder über ein von einem Erwachsenen zu erwartendes Wissen zu verfügen. Insbesondere im Umgang mit Regeln der Schule erweisen sich die Anforderungen an die »Erwachsenen« aber eher als paradox (vgl. Abschnitt 7.1 »Schulordnung«).
Soziale Positionen im Übergang: Verlauf der Passage am Abendgymnasium Die von mir befragten Schüler sind alle mit dem Vorbereitungsjahr ins Abendgymnasium eingetreten. Ein Teil der Interviewten befindet sich zum Interviewzeitpunkt in der Studienstufe und gehört damit zu den Erfolgreichen ihres Jahrgangs, denn die Fluktuation ist hoch: Von den über 30 Schülern des Vorbereitungsjahrs treten im Schnitt fünf bis sechs in die Studienstufe ein. Diese Fluktuation beginnt aber schon im Vorbereitungsjahr, in dessen Verlauf sich die Schülerschaft aus unterschiedlichen Gründen etwa halbiert. In der Vorstufe kommen dann Schüler mit Realschulabschluss dazu. In der Studienstufe treten Schüler mit Fachoberschulabschluss oder Fachhochschulreife ins Abendgymnasium ein. Diese neuen Schüler machen mehr als zwei Drittel der 199
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Schülerschaft aus. Der Verlauf am Abendgymnasium ist somit von verschiedenen Übergängen geprägt. So kann man von verschiedenen Schülergruppen am Abendgymnasium sprechen, wobei die Grenzen zwischen diesen Gruppen nicht starr sind. Allerdings unterscheiden sie sich im Hinblick auf ihre jeweiligen Schulabschlüsse, mit denen sie in die Schule eintreten. Dies ist aber nicht der einzige Faktor. Im Vorbereitungsjahr beträgt der Anteil der Schüler, deren Muttersprache nicht deutsch ist, zwischen 30 und 50 %, in der Studienstufe liegt er deutlich darunter. Diese Unterschiede – so die These – hängen mit unterschiedlichem sozialem und damit einhergehendem symbolischem Kapital zusammen. Hierfür finden sich verschiedene Indizien. Die unterschiedlichen Zuschreibungen der Lehrer wurden im vorangegangenen Abschnitt schon erwähnt. Die Unterschiede zwischen Studienstufe und Vorbereitungsjahr zeigen sich zudem auch in den Schuljahreseröffnungsveranstaltungen und der anderen Begrüßung der Schüler, die im Abschnitt 7.1 »Einführungsveranstaltung bei Schuleintritt« schon dargestellt wurden. Die sichtbare Differenz lässt sich allerdings auch anhand der Informationsmaterialien deutlich machen. Die Informationsmaterialien unterscheiden sich je nach Schülergruppe. Während die Informationsbroschüre, die an alle Schüler des Vorbereitungsjahrs verteilt wird, salopp geschrieben ist und die Schüler mit »Du« anspricht, ist das Heft zur Studienstufe eher formell gehalten und spricht die Schülerschaft mit »Sie« an. Auch wird die Autorenschaft jeweils unterschiedlich angegeben. Während das eine Heft als gemeinsame Autoren die Schülerschaft und das Lehrerkollegium vermerkt, ist im anderen keine Autorenschaft zu finden. Es wird aber im Laufe der Begrüßungsveranstaltung zur Schuljahreseröffnung deutlich, dass es von den Lehrern verfasst wurde, die für die Organisation der Studienstufe zuständig sind. Als Beispiele werden hier die ersten Sätze aus den jeweiligen Broschüren wiedergegeben. Der erste Ausschnitt stammt aus der Informationsbroschüre zum Vorbereitungsjahr, der zweite aus der schriftlichen Einführung in die Studienstufe: »Ihr seid sicher genauso neugierig, wie wir es waren, als wir hier anfingen. Deshalb findet Ihr auf den nächsten Seiten viele Informationen, die Euch den Start hier erleichtern sollen. Schaut Euch erst mal um und lasst die schöne Architektur der Schule auf Euch wirken! Die Schule wird in der nächsten Zeit einen beträchtlichen Teil Eures täglichen Lebens einnehmen. In erster Linie erwartet Euch ein ganz »normaler« Schulbetrieb… Und so geht’s los… … Im Vorbereitungsjahr des Abendgymnasiums Im sogenannten Vorbereitungsjahr sollt Ihr auf einen Stand gebracht werden, mit dem Ihr vom nächsten Schuljahr an mit den Leutchen, die schon die Mittlere Reife gemacht haben, mithalten könnt. 200
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In den zwei Semestern dieses Vorbereitungsjahres müsst Ihr einundzwanzig Wochenstunden über Euch ergehen lassen, die sich folgendermaßen zusammensetzen…« (Ausschnitt aus der Informationsbroschüre für Schüler des Vorbereitungsjahrs) »1. Allgemeines zur Studienstufe Vorbemerkung: Erlauben Sie bitte, dass wir um der besseren Lesbarkeit willen Personenbezeichnungen wie z.B. Schüler und Lehrer gleichermaßen für die weibliche wie die männliche Form verwenden. Was ist die Studienstufe? Nach der Versetzung in die Studienstufe werden Sie nicht mehr in Klassen, sondern in Kursen unterrichtet, die Sie – mit bestimmten Auflagen (vgl. 1.4) – wählen können…« (Ausschnitt aus der Informationsbroschüre für die Studienstufe)
Beide Texte wollen die Leser persönlich und direkt ansprechen. Mit dem zweiten Text scheint jedoch eine Klientel angesprochen, von der auch formell ein gehoben(er)es Sprachniveau erwartet wird, die Sprache wirkt nicht nur durch die Verwendung des ›Sie‹ distanzierter, sondern auch aufgrund der Verwendung von fast altmodisch zu nennenden Höflichkeitsfloskeln wie »Erlauben Sie bitte,…«. Es geht nicht mehr um die Herstellung einer leichten Verstehbarkeit und die Vermeidung ›schwieriger‹ Begriffe. Eine andere Interpretationsmöglichkeit ist, dass nicht eine andere Klientel angesprochen wird, sondern eine innerhalb der Schule gereifte. Erst mit der Studienstufe und dem Kurssystem sind die Voraussetzungen für eine formelle Ansprache mit dem »Sie« erfüllt. Dies entspricht dem Vorgehen in der Regelschule, in der erst ab der Oberstufe für die Schüler das »Sie« üblich wird. Es sind somit deutliche Unterschiede im Herangehen an die beiden unterschiedlichen Schulstufen und ihre Schüler sichtbar. Nicht nur die Einschätzungen der Lehrer unterscheiden sich bezüglich der Gruppen, auch die Praxis ist jeweils eine andere – z.B. in Bezug auf die Art und Weise wie sie angesprochen oder wie sie in die Schule initiiert werden. Verschiedene Forschungsarbeiten (vgl. bspw. Friebertshäuser 1992, S. 21ff. u. S. 225ff.) haben in anderen Feldern immer wieder die besondere Bedeutung der Einführungsveranstaltungen herausgearbeitet und aufgezeigt, dass in ihnen die wesentlichen Elemente der Alltagskultur in einem Feld in besonderer Weise sichtbar werden. Daher spricht einiges dafür, dass die genannten Unterschiede in der Initiation an der Schule – sei es über das Informationsmaterial oder die konkreten Einführungsveranstaltungen – schulkulturelle Unterschiede wiedergeben. Die Gruppen sind nicht nur in ihrer Zusammensetzung unterschiedlich, sondern verfügen auch über einen unterschiedlichen Status.
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7 . 3 Z u s a m m e n f a s s e n d e An a l ys e d e s F e l d e s Anhand der Verknüpfung von symbolischer Ebene und den herausgearbeiteten Regeln entwickele ich nun die Charakteristika des Abendgymnasiums. Zentral erscheinen mir dabei die symbolischen Gliederungspunkte: Orientierung an der Regelschule sowie die unterschiedlichen Positionen am Abendgymnasium. Diese Charakteristika bringe ich an dieser Stelle mit den Regeln sowie den bisherigen Ergebnissen zum Abendgymnasium in Verbindung. Abbildung 8: Aspekte des Feldes Abendgymnasium
Symbolische Aspekte Besonderheiten des Abendgymnasiums:
Vergleichskontext Regelschule Bewährung und Statusunsicherheit Unterschiedlicher Status zwischen Vorbereitungsjahr und Studienstufe
Strukturaspekte Inhaltlich: Orientierung an der Regelschule/ alle auf ein Niveau bringen
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Hierarchischorganisationale Strukturierung: Betonung der Regeln und Pflichten/ Lehrer als Gatekeeper
Unterricht: Anknüpfung an die Organisationsstruktur der Regelschule/ anderer Zeitpunkt
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Charakteristika: Orientierung an und Legitimation gegenüber der Regelschule Die Orientierung an der Regelschule wurde schon historisch im ersten Kapitel als ein zentraler Anknüpfungspunkt des Abendgymnasiums festgemacht. In der Felduntersuchung durchzieht die Bezugnahme zur Regelschule das Feld auf unterschiedlichen Ebenen. Bezüglich des Unterrichtsgeschehens und seiner Organisation wird an die Regelschule angeknüpft. Aber auch die Unterrichtsinhalte und ihre Zuteilung in mit Schulstufen verbundene Milieus entspricht dem Vorgehen der Regelschule. Auch das Lehrer-Schüler-Verhältnis, das durch die zentrale Rolle der Lehrer als Inhalte vermittelnde, Organisationsaufgaben übernehmende sowie disziplinarisch tätige Gatekeeper gekennzeichnet ist, kann als Orientierung an der Regelschule gedeutet werden. Es ist allerdings anzunehmen, dass durch den Erwachsenenstatus der Schüler dieses Verhältnis auf unterschiedliche Weise neu bestimmt wird. Die Auswertung der sozialen Bezugnahme im Unterrichtsgeschehen (Kapitel 5) legt allerdings nahe, dass die Schüler dabei in einem doing student verbleiben, wenn dieses auch anders gestaltet wird als auf dem ersten Bildungsweg. Dabei ist die Regelschule nicht nur Orientierungspunkt für die Regeln und Inhalte der Schule, sie ist, wie ein Blick ins Schulprogramm deutlich macht, zugleich auch Vergleichsmaßstab. Das Abendgymnasium kann dabei als statusunsichereres Feld bezeichnet werden, das unter erschwerten Bedingungen mit der Regelschule vergleichbare Abschlüsse liefern soll. Die wechselseitigen Anzweiflungen der Akteure bezüglich ihrer Fähigkeiten zumindest im Vorbereitungsjahr legt nahe, dass diese Statusunsicherheit auch den Umgang der Akteure miteinander beeinflusst. Auch Lehrer und Schüler stehen unter einem besonderen Legitimationsdruck.
Unterschiedliche Stellung von Vorbereitungsjahr und Studienstufe Am Abendgymnasium wechselt sich die Schülerschaft zwischen Vorbereitungsjahr und Studienstufe nahezu vollständig aus. Schüler mit ehemals Hauptschulabschluss werden zu einer marginalisierten Minderheit. Die überwiegende Mehrheit der Schüler in der Studienstufe ist erst zum ersten Studienjahr in die Schule eingetreten. Der unterschiedliche Umgang mit den unterschiedlichen Schülergruppen im Vorbereitungsjahr und in der Studienstufe spiegelt sich in den Informationsschriften. Auch die Einführungsveranstaltungen sind unterschiedlich gestaltet. Vieles deutet darauf hin, dass dieser unterschiedliche Umgang auch mit einer unterschiedlichen symbolischen Stellung der jeweiligen Akteure einhergeht. Die konstatierte Statusunsicherheit der Schüler als Akteure scheint sich in erster Linie auf die ehemaligen Hauptschüler zu beziehen. Nur 203
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bei ihnen wird Verwunderung darüber ausgedrückt, dass sich Erwachsene in dieser Weise benehmen. Interessant ist dabei, dass gleichzeitig durch die Ansprache der Schüler in der Informationsbroschüre die Schüler im Vorbereitungsjahr eher in einer Jugendsprache angesprochen werden. Es ist zu vermuten, dass sich Schülerverhalten und schulische Vorgaben hier wechselseitig bedingen. Somit erscheint es durchaus legitim, Vorbereitungsjahr und Studienstufe als unterschiedlich geprägte Handlungsräume zu verstehen und von einer erneuten Statuspassage der Schüler im Verlauf des Schulbesuchs auszugehen. Dies hatte die Einzelfallauswertung von Markus nahe gelegt und dies erscheint nun durch die Feldauswertung plausibel. Im nächsten Kapitel wird nun die Situation der vier interviewten Schüler im Studienjahr in den Blick genommen. Anders als im Vorbereitungsjahr, in dem kaum schulische Schwierigkeiten thematisiert wurden, sondern eher die eigenen Strategien der Positionierung im Unterrichtsgeschehen ins Zentrum gerückt wurden, stelle ich nun die Schwierigkeiten bei der Positionierung am Abendgymnasium in den Vordergrund.
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8. Belastungen des Schulsbesuchs: »…und immer dieser Druck…«
In der Studienstufe ist der Stand von drei der vier Interviewten (Markus, Jens und Kai) schwierig geworden, was bedeutet, dass sie entweder darüber nachdenken, von sich aus die Schule zu verlassen oder in der Gefahr stehen, nicht versetzt zu werden. Dies ist deshalb so bemerkenswert, weil sie zusammen mit Birgit von ihrem Jahrgang die einzig verbliebenen Schüler sind, die mit Hauptschulabschluss in die Schule eingetreten sind. Das bedeutet, es hat schon eine Selektion bzw. Selbstselektion stattgefunden und es wurden die erfolgreichsten Schüler des Jahrgangs befragt. Die erneute Suche nach einer Position in der Schule, die sich bei drei der vier Interviewten zu Beginn der Studienstufe zeigt, kann man auch als Statuspassage im Bildungsgang durch den Übergang vom Lernen im Klassenverband zum Kurssystem der Oberstufe deuten (vgl. Kapital 3 und 7). Vor dem Hintergrund der Brüchigkeit der eigenen Beteiligung im Kurssystem reflektieren die drei Schüler mit schwierigem Stand auch die Spielregeln der Schule, die ihre Beteiligung ermöglichen oder verhindern. Durch die krisenhafte Situation treten somit die Grenzen der Beteiligung und die Ausschlussregeln in den Vordergrund. Mit Bourdieu kann man dies so interpretieren, dass die doxa in erster Linie an den Punkten erlebt wird, an denen man an ihre Grenze stößt. Durch diese neue Perspektive zu Beginn der Studienstufe wird auch der Schulbeginn im Vorbereitungsjahr mit einem anderen Blick betrachtet. Im Folgenden gehe ich deshalb der Frage nach, welche Faktoren in den Interviews als potentielle Gründe des nun schwierigen Standes an der Schule im Unterrichtsgeschehen deutlich werden: Warum erschwert sich ihre Teilhabe am Unterricht? Dabei ist folgende Frage hilfreich: Was ist für die Teilhabe am Unterrichtsgeschehen in der Studienstufe eine Ressource? Damit ändert sich auch die Perspektive. Statt der Art und Weise der Bezugnahme und der soziokulturellen Einbindung treten die Spezifika des Schulgeschehens deutli205
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cher in den Vordergrund. Die soziale Bezugnahme in der Schule wird hier weniger im Kontext des jeweiligen Habitus betrachtet, sondern eher bezogen auf die Bedingungen der Beteiligung, mit denen die Gruppe mit Hauptschulabschluss im Feld Abendgymnasium zurechtkommen muss. Insbesondere vor dem Hintergrund der großen Anzahl an Schulabbrechern in der Passage vom Vorbereitungsjahr bis zum Abitur ist dieser Blickwinkel besonders relevant. Neben dem Fokus auf das Schulgeschehen ist allerdings auch die Frage interessant, inwieweit der jeweilige soziokulturelle Kontext zur Ressource der Beteiligung in der Schule wird. Für die Auswertung der Bedeutung des soziokulturellen Kontextes für die Teilhabe am Schulgeschehen während der Studienstufe soll nun also die Ressourcenperspektive in den Vordergrund gestellt werden. Die Interpretation der Daten ist hier auf die Frage ausgerichtet, in welcher Weise die soziokulturellen Bedingungen der Statuspassage zum Kapital für die Schule werden. Sie wird im Zentrum des zweiten Abschnittes dieses Kapitels stehen. Zunächst werde ich aber die Beteiligungsmöglichkeiten im Unterrichtsgeschehen näher betrachten.
8.1 Beteiligungsmöglichkeiten im Unterrichtsgeschehen der Studienstufe Die Beantwortung folgender Fragen kann zur Erhellung der Ermöglichung bzw. Verhinderung von Beteiligung beitragen: Wie und in welcher Weise ist die Position von Kai, Markus und Jens im Feld gefährdet? Was führt zur Empörung oder zum Nachdenken darüber, die Schule trotz des ursprünglichen Plans des Abiturs mit der Fachhochschulreife zu verlassen? Und was oder wer erweist sich in diesem Kontext als Kapital bzw. als Gatekeepinginstanz? Die Interviewten geben hier sehr unterschiedlich Auskunft. Die Umgangsweisen mit der unbefriedigenden Position im Feld sind verschieden. Jens deutet die Probleme im Feld eher nur an und betont stattdessen die Pläne, die er hat. Im Zusammenhang damit spricht er die Möglichkeit an, dass er auch mit Fachhochschulabschluss studieren kann. In dem von ihm angestrebten Ingenieurberuf gibt es viele Möglichkeiten. Es wirkt so, als habe sich Jens schon umorientiert. Falls er einen Studienplatz bekommt, wird er mit der Schule aufhören. »[…]für’s Fachabi wird’s auf jeden Fall reichen, denke ich.« (Jens, 1290-1291)
Er vertraut darauf, dass er den Abschluss an der Schule bewältigt. Bezüglich der Schwierigkeiten in der Schule fokussiert er eher auf die schwierigen Außenbedingungen, insbesondere die schwierige finanzielle Situation während der Schulzeit: 206
BELASTUNGEN DES SCHULSBESUCHS: »…UND IMMER DIESER DRUCK…«
»[…] dann hab’ ich mal nachgefragt, warum das denn so ist und nicht schon, ähm, im ersten Semester, äh, BAföG gibt. Da hab’ ich halt auch noch die Frage gestellt, ich mein’, es gibt ja jetzt unterschiedliche Leute, die dahin kommen, es gibt die, die brauchen vier Jahre, das sind die, die nur ’n Hauptschulabschluss haben, dann gibt’s die Realschüler, die drei Jahre brauchen, und die Quereinsteiger, die schon Fachabi haben oder so was, die dann nur zwei Jahre machen. Aber alle bekommen nur das zweite bis vierte Semester, ähm, bezahlt. Und als Argument nennen die dann bei der BAföG-Stelle einfach, dass es zumutbar ist, ähm, bis zum zweiten Semester noch nebenher zu arbeiten. Was ich eigentlich ’n bisschen heftig finde, so. Ich mein’, für’n Fachabiturient ist es vielleicht zumutbar, weil der schon das alles mal hatte, für’n Realschüler eher weniger, würd’ ich mal sagen und für’n Hauptschüler erst recht nicht.« (Jens, 1224-1236)
Die Rolle der Außenbedingungen für die Passage im Abendgymnasium soll allerdings erst in Abschnitt 8.2 näher in den Blick genommen werden. Bezüglich einer Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgeschehen finden sich im Interview mit Jens keine Passagen. Kai und Markus hingegen schildern im Interview Verhaltensweisen der Lehrer sowie das Unterrichtsgeschehen in der Studienstufe. In diesen Textstellen finden sich Anhaltspunkte für den Einfluss des Unterrichtsgeschehens auf die momentane schwierige Situation. Somit handelt es sich bei der nachfolgenden Rekonstruktion der Problematik im Feld um die Rekonstruktion einer speziellen Position: Zusammen mit Harald, der ebenfalls an einer Stelle mit herangezogen wird, handelt es sich um die Position der ›Älteren‹, also derjenigen um die dreißig. Alle drei verfügen, wie im Kapitel 4 deutlich wurde, über eine relative Nähe zum akademischen Milieu und sind Männer. Markus und Harald haben die Schule als gemeinsames Projekt mit ihrem Lebenspartner bzw. ihrer Partnerin begonnen. Auch Kai befand sich zu Beginn des Abendgymnasiums in einer festen Beziehung mit einer Frau, die studiert. Obwohl es sich um eine spezifische Position handelt, kann sie dennoch etwas über die Grenzen aussagen, an die die Akteure mit ihrem Bemühen um Beteiligung im Feld stoßen. Die doxa wird gerade aus einer solchen kritischen Position heraus besonders sichtbar. Im Folgenden werden die Interviews in Bezug auf die relevanten Faktoren, die für die Möglichkeit der Beteiligung eine Rolle spielen, untersucht. Dabei stellt sich zunächst die Frage, in welcher Weise die Position des Interviewten im Feld in Frage steht. Die Noten sind ein entscheidender Faktor, anhand dessen die eigene Position im Feld beurteilt wird, aber sie sind nicht allein ausschlaggebend. Bei Markus ist die Versetzung nicht gefährdet – er ist also nicht durch die Gefahr eines Ausschlusses bedroht. Vergleicht man Kai und Markus, scheint bei beiden das Gefühl wesentlich, sich im Feld nicht mehr wirklich beteiligen zu können bzw. beteiligt zu werden. Hierzu ein Beispiel aus dem Interview von Kai: 207
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I: »Und wie ist das dann jetzt mit ihm [Lehrer] im Leistungskurs? K: Na, das Niveau ist schon ’n bisschen anders, jetzt. Also, da jetzt auch neue Leute gekommen sind, das ist schon ein bisschen höher, das Niveau. Weil, jetzt fällt es mir schon schwieriger, mich zu beteiligen auch, muss ich ehrlich sagen, weil dadurch, ja ich hab’ vielleicht nicht so, so redegewandt bin, fällt mir halt schon schwieriger jetzt, das ist alles [unverst], wo ich eingeschlagen hab. Und der Lehrer ist mir immer noch sympathisch, muss ich ehrlich sagen, aber ja, wie gesagt, das Niveau ist halt höher jetzt. Und das ist natürlich auch anstrengend. Das/sei’s Klausuren oder sei’s auch die Mitarbeit. Und weil mir auch, muss ehrlich sagen, mir ’n bisschen anders vorgestellt hab. Früher haben wir auch Bücher gelesen und ›rüber gesprochen. Aber jetzt ist’s mir einfach zu, zu viel Rumgeeiere, einfach. Dass wir, Beispiel jetzt, ein Buch, Passagen so, dass da eine Stunde lang dann wirklich über irgend’ne kleine Passage geredet? wird, und was eigentlich Fakt ist, wo jetzt dann schon zehn Leute ihre Meinung zu gesagt haben und wobei dann noch der Elfte noch einen drauf setzt. Und das ist mir dann wirklich manchmal (Lacht.) zu blöd, wenn ich’s mal so pauschal sagen darf. Mich interessiert das schon, ich hab’ auch echt gelernt, über Sachen nachzudenken, Punkte zu hinterfragen, aber das ist halt wirklich anstrengend. Aber so ist halt Schule auch, ne. Und gerade in ’ner, grad jetzt in der Studienstufe, wird halt viel rumgesabbelt eher […]« (Kai 1652-1668)
Ausgangspunkt war die Frage nach der Wahl seiner Leistungskurse (LK). Er erzählte zuvor, dass er den einen LK deshalb gewählt hat, weil ihm der Lehrer, den er auch schon im Vorbereitungsjahr hatte, so sympathisch war. Der Textausschnitt setzt ein, als die Interviewerin nachfragt, wie er nun mit ihm im LK zurechtkommt. Kai berichtet daraufhin von seinen Schwierigkeiten, sich im Unterricht einzubringen. Beteiligung ist in dieser Textstelle die Möglichkeit, sich selbst in das Unterrichtsgeschehen einzubringen und den Unterrichtsgesprächen noch mit Interesse folgen zu können. Beide Ebenen sind – wie in dieser Textpassage deutlich wird – im Unterricht für Kai schwierig geworden. Er nimmt eine Position außerhalb ein. Die Möglichkeit, symbolisches Kapital zu erwerben – also im Unterricht für seine Leistungen anerkannt zu werden –, sind für ihn kaum noch gegeben. Bei der näheren Analyse der Interviews lassen sich zwei bedeutsame Aspekte herausarbeiten, die als zentral für die Beteiligung am Klassengeschehen beschrieben werden: Einerseits das Wechselverhältnis zwischen Klassenzusammensetzung und Schlüsselqualifikationen, andererseits die Anerkennung als Gesprächspartner.
Das Wechselverhältnis zwischen Klassenzusammensetzung und Schlüsselqualifikationen Kai kreist in der oben wiedergegebenen Textpassage zur Beteiligung um mögliche Gründe für seine Schwierigkeiten, am Unterrichtsgeschehen teilzu208
BELASTUNGEN DES SCHULSBESUCHS: »…UND IMMER DIESER DRUCK…«
haben. Zentral ins Auge springt dabei die Klassenzusammensetzung. Während sich Kai in der Studienstufe noch als einer der Besten beteiligen konnte, bleibt er nun außen vor. Die in Frage stehende Teilhabe am Unterrichtsgeschehen zeigt sich zunächst als Schwierigkeit, überhaupt mitspielen zu können. In diesem Beispiel ist der Lehrer derselbe wie im Vorbereitungsjahr. Trotzdem wird der Unterricht qualitativ als völlig anders erlebt, weil »das Niveau ist schon ’n bisschen anders jetzt. Also, da jetzt auch neue Leute gekommen sind, das ist schon ein bisschen höher, das Niveau«. Nimmt man nun das Kontextwissen über das Feld hinzu, scheint plausibel, dass es sich tatsächlich um einen qualitativen Unterschied handelt (vgl. Abschnitt 7.2). Dies ist aufgrund der unterschiedlichen Klassenzusammensetzung plausibel, es wird durch einen unterschiedlichen Stand der Jahrgangsstufen im Feld nahe gelegt und es lässt sich auch anhand der im Feld gemachten Unterrichtsbeobachtungen nachvollziehen. Die Möglichkeit, sich zu beteiligen, steht somit im engen Zusammenhang zum jeweiligen Klassenniveau. Sie ist nicht allein vom individuellen Können abhängig, sondern auch von den jeweiligen Mitschülern. Als entscheidenden Faktor für die Möglichkeit, sich einzubringen, nennt Kai zunächst die Redegewandtheit: »[…]weil dadurch, ja ich hab vielleicht nicht so, so redegewandt bin, fällt mir halt schon schwieriger jetzt[…]«. Beteiligung wird hier an eine Schlüsselqualifikation geknüpft. Es sind weniger die Inhalte an sich als die sprachliche Ausdrucksfähigkeit, die Kai als Hürde benennt. Dabei lässt sich eine Unsicherheit der Zuschreibung feststellen. Es werden verschiedene Faktoren genannt, die mit der Beteiligungsmöglichkeit zusammenhängen: Vom veränderten Niveau kommt Kai auf sein eigenes Vermögen zu sprechen. Dann erwähnt er, dass der Lehrer ihm immer noch sympathisch ist. An diesem scheint es also nicht zu liegen. Dann wird noch einmal das Klassenniveau erwähnt und die damit gestiegene Anstrengung. Es werden hier drei mögliche Zuschreibungen für mangelnde Beteiligungsmöglichkeit angegeben: Der Lehrer, das Klassenniveau und das eigene Vermögen. Da der Lehrer in diesem Fall als Begründung verworfen wird, entsteht eine Pendelbewegung in der Argumentation zwischen dem Klassenniveau und den damit verbundenen Anforderungen und dem eigenen Können, also in gewisser Weise zwischen internaler und externaler Zuschreibung. Diese Unsicherheit der Zuschreibung kann man auch als noch nicht abgeschlossenen Suchprozess deuten, weil die sprachlichen Fertigkeiten, mit denen Kai sich in den Jahrgangsstufen davor gut beteiligen konnte, nun zum Problem werden. Seine Redegewandtheit wird somit nicht als eine in jedem Kontext gleiche Kompetenz deutlich, sondern sie ist relational zum jeweiligen Klassenkontext. Unklar bleibt dabei die Legitimation des neuen Unterrichtsgeschehens. Das Unterrichtsgespräch über eine kleine Passage in einem Buch ist ihm »einfach zu viel Rumgeeiere einfach […], wo jetzt dann schon zehn Leute 209
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ihre Meinung zu gesagt haben und wobei dann noch der Elfte noch einen drauf setzt«. Kai spricht davon, dass er es sich auch anders vorgestellt habe. Ihm ist das Geschehen »manchmal wirklich zu blöd«. Man kann dies in Fragen übersetzen wie: Was soll das eigentlich? Worum geht es hier eigentlich noch? Muss jetzt auch der Elfte noch etwas sagen? Trägt das wirklich noch zum Thema bei? Geht es hier eigentlich noch um Inhalte oder nur noch um »Gelaber«, um Selbstpräsentation? Nimmt man an, dass Selbstdarstellung im Unterricht tatsächlich eine Rolle spielt – was aufgrund der großen Bedeutung der mündlichen Noten plausibel ist –, dann gerät hier durch die Position des Außenstehenden auch die Legitimation der Inhalte in den Blick. Ein Teil der illusio des Feldes, relevantes Wissen zu vermitteln, wird hier fraglich. Der Unterricht erscheint als Spiel der Selbstdarstellungen. Die Schlüsselqualifikation »Redegewandtheit« verliert so an Legitimität. Sie besteht hier vielmehr darin, beim Spiel der Selbstdarstellungen mitspielen zu können. Beteiligung im Unterricht ist in der Textpassage somit zentral an die Schlüsselqualifikation Redegewandtheit geknüpft. Aus dem Blickwinkel der Theorie Bourdieus ist interessant, dass das inkorporierte Kapital in Form von Schlüsselqualifikationen wie Redegewandtheit so klar als Grundlage für Beteiligung benannt wird. Dies ist so deutbar, dass die Diskussion um ›skills‹, also um (erwartete) Fähigkeiten, in diesem Feld angekommen ist. Keine Redegewandtheit zu haben wird dabei von Kai zunächst als substantielle Fähigkeit seiner selbst vorgestellt. Bei genauerer Betrachtung der Sequenz tritt allerdings ihr relationaler Charakter in den Vordergrund: Was als Schlüsselqualifikation wirkt, ist Teil einer Aushandlungspraxis parallel zum thematischen Diskurs im jeweiligen Unterricht. Dabei ist es innerhalb der Statuspassage am Abendgymnasium zu einem Wandel der Spielregeln gekommen. Im jetzigen Spiel nimmt Kai eine Position außerhalb ein. Unklar bleibt aber die Legitimität dieses Spiels, bei dem die eigene Selbstdarstellung im Vordergrund zu stehen scheint und nicht eigentlich das Wissen. Redegewandtheit ist somit auch Teil des symbolischen Kapitals im Feld, das u.a. über diskursive Praktiken im Feld ausgehandelt wird. Beteiligung ist somit auch von der Legitimität des jeweiligen kulturellen Kapitals abhängig. Damit gehört Redegewandtheit auch zu den Bedingungen, die es braucht, um in der Studienstufe ein Image aufbauen zu können. Was aber die Möglichkeit angeht, mit den jeweiligen Qualifikationen Kapital zu erwerben, scheint es im Feld zu einem radikalen Wandel gekommen zu sein: Gehörte Kai im Vorbereitungsjahr ohne zusätzlichen Lernaufwand zu den besten Schülern, kann er nun nicht mehr mitspielen. In diesem Zusammenhang kann man auch die Frage stellen, inwieweit sich die Schule bzw. die Lehrkräfte um die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen bemüht haben. Markus beschreibt im Interview seine Versuche und
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Anstrengungen, Lernhinweise für die Verknüpfung und Übertragung von Wissen zu erlangen: »[…]Und auch dieses, ähm, diese Transferleistung, die halt in der Hauptschule überhaupt nicht vermittelt wurde, die musste ich mir aneignen. Ich hatte die Erwartung, dass mir das in erster Linie, neben dem Wissen, was ich als absolut sekundär empfand, dass mir primär erst mal gesagt wurde, wie lerne ich, wie setzte ich Transferleistungen ein. Und das wurde überhaupt nicht vermittelt, also bis heute noch nicht. Jetzt sind wir in der Studienstufe und jetzt muss es einfach da sein. Es existierten zwei Jahre zuvor, wo man uns hätte drauf vorbereiten können, aber das gab es überhaupt nicht. Also im Gegenteil, es gab immer diesen Druck, dass es jetzt anders ist als vorher. Und dass wir irgendwann ja zur Uni gehen wollen und dass wir uns jetzt irgendwie selbst dieses Wissen aneignen müssen, wie es nun ist – Gelerntes oder Informationen halt auch umzusetzen auf andere Beispiele. Aber es wurde nie explizit gesagt, wie ich das zu tun habe. Und da bräucht’ ich halt wirklich so’ne Gebrauchsanweisung, wie ich da heranzugehen habe. Und ich hab’ es ganz oft verbalisiert: Ich habe dieses Problem. Aber da fühlten sie sich einfach überfordert: Wie kann ich es ihm jetzt vermitteln? Und wie gesagt, dieses Wissen, dieses Vermitteln des Wissens, war für mich völlig zweitrangig, weil das war im Grunde nichts Neues.« (Markus, 333-370)
Wie Kai stellt auch Markus in den Textpassagen heraus, dass er als zentrale Barrieren der Partizipation weniger das konkrete Wissen als vielmehr Kompetenzen sieht, in seinem Fall die Kompetenz zu Transferleistungen. Markus stellt hier heraus, dass sie erwartet werden ohne vermittelt worden zu sein: »Es existierten zwei Jahre zuvor, wo man uns hätte drauf vorbereiten können, aber das gab es überhaupt nicht«. Stattdessen wird nun ein »Druck aufgebaut, dass es jetzt anders ist als vorher. Und dass wir irgendwann ja zur Uni gehen wollen und dass wir uns jetzt irgendwie selbst dieses Wissen aneignen müssen, wie es nun ist – Gelerntes oder Informationen halt auch umzusetzen auf andere Beispiele.« Wenn er sich aber um konkrete Hilfe zum Erlernen dieser Kompetenzen bei den Lehrern bemüht, können diese ihm nicht weiterhelfen. Schlüsselqualifikationen wie Transferleistungen treten hier als etwas auf, was einerseits der Selbstsozialisation bzw. der Sozialisation außerhalb des Unterrichts überlassen wird. Andererseits kann man die Stelle so interpretieren, dass die zwei Jahre zuvor nicht einmal implizit als Vorbereitung ausgereicht haben. Deutet man dies nicht allein als Besonderheit von Markus, sondern als Aussage über die Problematik des Feldes, dann wird die Ausrichtung am jeweiligen Klassenniveau (vgl. Abschnitt 7.1) hier zur objektiven Einschränkung und Begrenzung des Lernens. Erst im Vergleich zu den anderen, die das Können bezüglich Transferleistungen schon mitbringen, steht Markus nun unter Druck.
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Schlüsselqualifikationen – und mit ihnen das inkorporierte Kapital – kommen hier nicht nur als Teil der jeweiligen symbolischen Aushandlungen im Unterrichtskontext in den Blick, sondern als schon länger verfolgtes Anliegen. Die Schule erfüllt hier, zumindest aus der Perspektive von Markus, ihren Vermittlungsauftrag nicht. Selbst auf Nachfrage werden Markus nicht wirklich Hilfestellungen angeboten. Die Klassenzusammensetzung erscheint als wichtiger Faktor der Beteiligungsmöglichkeiten – zumindest im Zusammenhang damit, dass das Unterrichtsgeschehen am jeweiligen Klassenniveau ausrichtet wird. Der im Vergleich mit den anderen der Klasse gute Notenstand im Vorbereitungsjahr ebenso wie die problemlose Beteiligung am Unterrichtsgeschehen gab den Interviewten, die nun die Studienstufe erreicht haben, nur scheinbar Auskunft über ihre Möglichkeiten im Feld. Da das Unterrichtsniveau in Relation zu den Schülern ausgerichtet wird, werden unter den neuen Spielregeln in der Studienstufe die Beteiligungsmöglichkeiten schwierig. Bevor ich die Auswertung theoretisch weiter einbette und in Bezug zu den Ergebnissen der Feldforschung setze, stelle ich nun zunächst den zweiten Aspekt der schwierigen Beteiligungsmöglichkeiten dar:
Anerkennung als Gesprächspartner Beteiligung erscheint in den Interviews auch gebunden an Lehrer, die als Gatekeeper des Unterrichts empfunden werden. Dabei kommt es im Vorbereitungsjahr zu Kämpfen der Klasse bzw. Einzelner in der Klasse mit bestimmten Lehrern, die so weit gehen, dass die Schüler nicht mehr von diesen unterrichtet werden wollen (vgl. Abschnitt 7.1). Es gibt Hinweise in den Interviews, dass diese Dynamik mit einzelnen Lehrkräften auch bei dem schwierigen Stand in der Studienstufe eine Rolle spielt: Einerseits wird von Markus und auch von Harald eine wahrgenommene Herabsetzung durch einzelne Lehrer im Vorbereitungsjahr beschrieben, die die Beteiligung im Unterricht problematisch macht; andererseits wird von Kai ein wenig unterstützender Umgang seitens der Lehrkräfte im Hinblick auf seine Versetzungsgefährdung geschildert. In beiden Beispielen spielt m.E. die Anerkennung als Gesprächspartner – bzw. in diesen Fällen die Nichtanerkennung – eine entscheidende Rolle. Der folgende Textausschnitt entstammt einer Interviewsequenz, in der Markus über verschiedene Lehrer am Abendgymnasium berichtet. Nachdem er zuvor auch von guten Lehrern erzählt hat, kommt er nun auf Lehrer zu sprechen, bei denen Beteiligung im Unterricht für ihn zu einer Art Kampf wird:
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M: »[…]und dann gibt es auch noch Lehrer, die ganz klar von oben herunter sagen oder die dieses Gefühl vermitteln, mir dieses Gefühl suggerieren: Du bist ’n kleiner Hauptschüler, du willst wirklich noch ans Gym/äh, an die Uni gehen. Ich zeige dir, was es heißt. Das sich dann halt in solchen Sachen widerspiegelte wie, dass er Sachen nicht wiederholte, trotz dass ich nachfrug. Oder dass er beim zweiten Mal dann vielleicht sagt: ›Jetzt sag’ ich’s Ihnen nicht mehr, Sie haben schon einmal nachgefragt.‹« (Markus, 512-524)
Beteiligung am Unterricht erfordert hier ein Angehen gegen wahrgenommene Widerstände. Das subtile Gefühl, von einzelnen Lehrern im Feld eigentlich nicht erwünscht zu sein, fasst Markus mit den Worten: »Du willst wirklich noch ans Gym/äh, an die Uni gehen. Ich zeige dir, was es heißt.« Unterricht und die Selbstpräsentation im Unterricht werden so zur ständigen Bewährungsprobe, bei der man die eigenen Fähigkeiten unter Beweis stellen muss. Diese wahrgenommene Ebene bestätigt sich für Markus auch durch das Handeln des Lehrers. Er wird mit seinen Fragen von diesem Lehrer teilweise ignoriert oder es wird ihm die Legitimität für Nachfragen mit der Begründung entzogen, er habe schon eine gestellt. Dies lässt sich als massive Form der Aggression deuten. Durch das gezielte Überhören der Fragen wird der anderen Seite gezeigt, dass sie eigentlich als Gesprächspartner unwürdig ist. Die Beantwortung von Fragen erscheint hier wie eine Gunst von Seiten des Lehrers, deren Gewährung Markus verwirkt hat. Da diese Sequenz im ›öffentlichen Raum‹ des Unterrichts stattfindet, stellt sie auch eine Form der Bloßstellung dar. Markus’ Fragen werden vor der ganzen Klasse als überflüssig herabgewürdigt. Es scheint damit die Annahme einherzugehen, dass niemand außer Markus diese Fragen interessant finden könnte. Sie werden dadurch als persönliches Problem von Markus hingestellt. Markus wird vom Lehrer als so weit außerhalb des Unterrichtsgeschehens positioniert, dass er mit seinen Fragen eigentlich nur den Unterrichtsfortgang stört. Da Markus sich in der Studienstufe mit seinen Noten im Mittelfeld befindet, fällt es schwer, dies zu glauben. Für den Fall, dass Markus in diesem Fach tatsächlich ein schlechter Schüler ist, wird ihm durch das Unterbinden von Fragen die Möglichkeit der Verbesserung genommen. Das Verhalten des Lehrers stellt deshalb auch eine inhaltliche Einschränkung dar. Vergleicht man diese Unterrichtsbeschreibung von Markus mit den anderen Interviews, so finden sich ähnliche Passagen im Interview mit Harald, der sich dabei auf den Unterricht der Vorstufe bezieht: H: »[…] aber wenn man so dieses Gefühl hat, irgendwie mmmmm, wenn ich jetzt wieder was Falsches sage, dann krieg’ ich irgendwie wieder das Gefühl rübergeschoben, ich wär’ ein Volltrottel. Aja, ich hab’ schon, bei manchen Lehrern hab’ ich schon das Gefühl, dass sie denken, was sind denn das hier für kleine Dümmchen. Is’ ja auch irgendwo so. Sie sind alle Erwachsene und sollen irgendwie, haben in unse213
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ren Jugendjahren irgendwie nicht gepackt oder wollten’s nicht oder haben es einfach nicht gepackt, und jetzt, irgendwie Jahre später, wollen wir es nochmal versuchen. Weiß nich’, so Bildung auf dem zweiten Werdegang ist, weiß nich’, ist glaub ich, keine Ahnung, also wenn man’s denn wirklich irgendwann mal geschafft hat, dann ist alles toll toll toll, aber so mitten drinne kann ich mir schon gut vorstellen, dass viele Leute sich so denken, sind Dümmchen, kleine Dümmchen, auf jeden Fall. Na, es gibt ja viele, die denken, irgendwie, was man früher nicht geschafft hast, warum solltest es jetzt schaffen? Es mag auch Sinn mach/mag vielleicht auch bei einigen Leuten stimmen, auf jeden Fall, aber, na? Ja, das ist halt, was ich vorhin damit meinte, mit diesem sich Unterordnen. Ich, ich mag das nicht, wenn man denkt, ich wär’ ein Dümmchen.« (Harald, 612-643)
Auch diese Textpassage ist eingebettet in die Beschreibung von Lehrern. Harald grenzt hier die engagierten Lehrer von denen ab, die er mit dieser Sequenz charakterisiert. Ähnlich wie bei Markus wird auch das Motiv der Bewährung eingeführt, wobei Harald es noch weiter ausformuliert: Als Erwachsene auf dem zweiten Bildungsweg stehen sie vor der Bewährungsprobe, ob sie es überhaupt schaffen können. »Na, es gibt ja viele, die denken, irgendwie, was man früher nicht geschafft hat, warum solltest du es jetzt schaffen?« Sie haben es »nicht gepackt« und unternehmen nun den zweiten Versuch. Falsche Antworten werden in diesem Kontext als ›Fallen‹ erlebt, die dazu führen, dass der Schüler als Person und damit als Gesprächspartner sich vom Gegenüber, dem Lehrer, diskreditiert fühlt: »…dann krieg’ ich irgendwie wieder das Gefühl rübergeschoben, ich wär’ ein Volltrottel.« Die wahrgenommene Rückmeldung des Lehrers vermittelt dem Schüler, dass falsche Beiträge ›dumm‹ sind –– und dass jemand, der so etwas fragt, sich nicht wirklich legitimerweise im Feld aufhält, sondern am ›falschen Platz‹ ist. Sowohl Markus als auch Harald erleben ihre Legitimität im Feld als immer wieder in Frage gestellt. Fragen und falsche Antworten werden als etwas erlebt, dass einen Gesprächspartner entblößt. Dies wird damit in Zusammenhang gebracht, dass eigentlich schon ein negatives Bild von den Schülern, als ehemalige Hauptschüler oder solchen, die es auf dem ersten Weg nicht geschafft haben, besteht. Man befindet sich in einer Bewährungsprobe. Fragen und falsche Anworten werden vor dem Hintergrund der Bewährungsprobe zugeschrieben. Sie sind ein Ausdruck dafür, dass die Person eigentlich nicht für das Feld geeignet ist. Dies lässt sich so deuten, dass den Schülern hier in ihrer Wahrnehmung kein sozialer Kredit gewährt wird, mit anderen Worten, ein Image verwehrt wird (vgl. Abschnitt 1.1): Sie werden nicht als potentiell intelligent und lernfähig betrachtet, sondern als diejenigen, die es schon auf dem ersten Weg nicht geschafft haben. Diese von einigen Lehrern erlebte Zuschreibung erweist sich auch im Hinblick auf die Vermittlung von Wissen als Hemmschwelle. Fragen werden nicht beantwortet – und vermutlich infol214
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gedessen auch weniger gestellt. Antworten müssen zuvor geprüft werden, ob sie nicht vielleicht falsch sein könnten. Dies vermindert zum einen die Möglichkeit, sein Wissen im Unterricht zu evaluieren und zu erweitern. Zum anderen wird dadurch aber auch die Selbstpräsentation im Unterricht blockiert. Betrachtet man den Unterricht – zumindest auch – als Spiel der Selbstpräsentationen, verhindern Praktiken wie Ignorieren und Bloßstellen die Beteiligung am Unterrichtsgeschehen. Auf der Ebene des zurückgespiegelten Bildes der anderen Person können sie ebenfalls als eine massive Behinderung angesehen werden. Es ist anzunehmen, dass solche Rückmeldungen langfristig verunsichern und auch das Selbstbild tangieren. Eine Möglichkeit, diese Dynamik theoretisch zu erklären, bietet m.E. der Imagebegriff von Goffman. Darauf gehe ich im Anschluss an die Darstellung der Auswertung näher ein. Das Unterrichtsgeschehen stellt also auch den (diskursiven) Rahmen für die eigene Selbstpräsentation dar, der allerdings als »Druck« und nicht als Freiraum erlebt wird, wie der folgende Ausschnitt aus dem Interview mit Markus belegt: »[…]und immer dieser Druck: Fragen müssen schon intellektuell sein oder müssen intelligente Fragen sein. Was natürlich völliger Quatsch ist. Aber man hat den Mut einfach nicht zu sagen, so ich stell’ jetzt diese Frage. Und wenn sie noch so banal ist.« (Markus, 897-899)
Das Ringen um Beteiligung ist auch verbunden mit einem Bild nach außen. Durch die große Bedeutung der mündlichen Noten ist dieses Bild nicht nur für das eigene Selbstwertgefühl relevant, sondern Teil des im Feld herzustellenden Kapitals. In der oben zitierten Textstelle stellt Markus heraus, dass es für ihn Mut braucht, um sich am Spiel der Selbstpräsentationen im Unterrichtsgeschehen zu beteiligen. Auch hierin kann man einen Teil der eigenen Positionsbeschreibung sehen. Es besteht das Gefühl, dass Fragen ein bestimmtes Niveau haben müssen, um gestellt werden zu können. Durch die eigene Positionswahrnehmung außerhalb des intelligenten Fragens wird hier die Beteiligung in Form von Nachfragen im Unterricht verhindert. Man kann darin aber auch einen Spiegel des Diskurses im Feld sehen. Fragen sind nur dann legitim, wenn sie in einer bestimmten sprachlichen Form gestellt werden können. Andernfalls werden sie abgewertet und es bedarf schon des Mutes, sich hierüber hinwegzusetzen und überhaupt noch Beteiligung einzufordern. Diese Deutung wird auch durch die Beschreibung der Konflikte mit einzelnen Lehrern im Feld gestützt (vgl. Abschnitt 7.1). Die Frage der Anerkennung als Gesprächspartner zeigt sich aber auch an anderer Stelle:
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K: »[…] Ich weiß nicht, dadurch dass meine Noten so schlecht waren jetzt vor, als das alles konkret war, da meint er auch so: ›Ja, ob Sie nicht lieber wiederholen wollen, bei dem Notendurchschnitt und das Ding ist, wie er’s gesagt hat, einfach. So, da dachte ich auch so: ›Du Arsch, Du weißt gar nicht, was los ist.‹ Und hab’ ihm deshalb versucht zu erklären, dass ich echt Probleme hatte. Und da ist er gar nicht drauf eingegangen, einfach. Keine Ahnung, ob er das dauernd hört so oder. Und da hab’ ich das dann abgehakt einfach, für mich. Geht keinen was an. Ich hab’ auch keine Lust hier, keine Lust auf die Tränendrüse zu drücken, nach dem. Bin ich nicht der Typ für. I: Und Du meinst, so, wie er das gesagt, also, was war denn Dein Eindruck, wie er das gesagt hat? K: Also jetzt… I: Wie? K: In der Situation, dass ihm das gleichgültig ist, was ich mach’. Weil andere/Fakt, hat er gesehen, Noten sind schlecht. Jo, von daher mir das einfach so unter die Nase gerieben. Und aufgrund dessen habe ich ihm das ja dann erklärt, so, und er ist aber auch gar nicht drauf eingegangen. Und, ja das hat mich halt dann schon ’n bisschen, zurückgeworfen. Dann auch Abstand gehalten, dachte ich auch so: ›O.k., ist in Ordnung.‹ Ich weiß nicht, es war halt einfach so, ich hab’ einfach ’n bisschen erwartet so, dass er einfach so’n bisschen drauf eingeht, so, dass jetzt, besonders als Tutor, als Ansprechpartner. Das ist auch die Aufgabe, glaub’ ich. Den Leuten einfach Tipps zu geben, oder auch Ratschläge, sei’s schulisch oder auch überhaupt einfach mal, sich anzubieten, so. Und das geht bei dem überhaupt nicht so, finde ich. Aber das kann man ja vorher nie wissen, wen man dann wählt als Tutor. […] Ich hab’ halt gemerkt hab, da kommt kein Feedback, das ist, das ist halt Nummer, hatte ich das Gefühl. (Kai, 1861-1945)
Ausgangspunkt war die Frage der Interviewerin, ob er schon einmal versucht habe, mit jemandem über seine momentane private Krise zu sprechen (vgl. a. Abschnitt 8.2). Kai erzählt hier, wie der Lehrer ihm rät, die Klasse zu wiederholen. Als Kai andeutet, dass er im Moment private Probleme hat, wird er damit seiner Wahrnehmung nach vom Lehrer ignoriert. Auch diese Situation kann man als Beschämung deuten: Als Kai versucht, sich zu rechtfertigen, wird er damit ignoriert – und damit quasi als Gesprächspartner herabgewürdigt. Als besonders schwierig hebt Kai hervor: »[…]und das Ding ist, wie er’s gesagt hat einfach«. Kai verliert hier nach seinem Gefühl sein Gesicht. Auf die Nachfrage der Interviewerin spricht Kai neben der Gleichgültigkeit des Lehrers und seinem Eindruck, »einfach so« konfrontiert zu werden, auch das mangelnde Feedback an. Mit seiner Problematik wird nicht so umgegangen, dass der Lehrer mit ihm, der schon länger als zwei Jahre an der Schule ist, das persönliche Gespräch sucht; der Lehrer gibt Kai auch keinerlei Ratschläge, was er tun könnte, um sich zu verbessern. In seiner Funktion als Tutor bietet er sich nicht als Ansprechpartner an. Kai fühlt sich als »Nummer« behandelt. 216
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Der Hintergrund der Sequenz ist nicht ganz klar. Kai berichtet allerdings, dass er anfangs einen positiven Eindruck von diesem Lehrer hatte und ihn deshalb auch als Tutor gewählt hat. Deutlich wird in dem Beispiel, dass bei einem problematischen Notenstand der Verbleib im Feld auch von einer Art Kredit abhängt – also vom zuerkannten Image. Die Interviewpassage ist in die Richtung interpretierbar, dass für den Lehrer die Gründe für Kais schulische Verschlechterung schon feststehen. Sie sind von ihm gar nicht mehr abzuklären. Plausibel wäre, dass er sich dabei auf das Wissen um einen regelhaften Notenabfall in der Studienstufe seitens der Schüler bezieht, die mit dem Vorbereitungsjahr in die Schule eingetreten sind. Diesen Schülern wird vorhergesagt, dass sie um ein bis zwei Noten abfallen werden (Aussage aus dem Interview mit Markus). Dadurch, dass Kai dieser Gruppe angehört, scheint es zunächst so, als würden die Gründe für seinen Leistungsabfall schon feststehen. Die Krisenhaftigkeit von Kais sozialer Lebenssituation, die Kai durch die Erklärung, »dass [er] echt Probleme hat« versucht, mit ins Spiel zu bringen, wird so als irrelevant abgewiesen. Er erhält keinen Kredit insofern, als ihm die soziale Möglichkeit zur Erklärung nicht geboten wird. Die Gründe für den Notenabfall sind für den Lehrer scheinbar nicht weiter erklärungsbedürftig – und dadurch kann Kai sie auch nicht weiter erklären. Für Kai wird durch die erlebte Zurückweisung auch die Beziehung zu diesem Lehrer problematisch. Er fühlt sich auf Abstand gehalten, und er geht dadurch auf Abstand: »Und, ja das hat mich halt dann schon ’n bisschen […] zurückgeworfen, dann auch Abstand gehalten […]«. Berücksichtigt man, dass kommunikative Offenheit von Seiten eines Lehrers als wesentliche Voraussetzung, um im Unterricht aufmerksam zu bleiben (vgl. Abschnitt 5.1), auch von Kai genannt wurde, ist anzunehmen, dass sich diese Kränkung in der Beziehung auch auf den Unterricht auswirkt. Kai erhält so in seiner momentanen Problematik nicht nur keine Unterstützung, sondern seine Situation im Feld wird noch schwieriger.
Zusammenfassende Analyse: Beteiligungsmöglichkeiten als Ausdruck des spezifischen symbolischen Kapitals Ziel der Auswertung dieses Kapitels war es herauszuarbeiten, welche Ressourcen für die Schüler im direkten Unterrichtsgeschehen eine Rolle spielen. Dabei wurde deutlich, dass einerseits die Schlüsselqualifikationen im Kontext der jeweiligen Klassenkonstellation eine besondere Rolle spielen, andererseits die Anerkennung als Gesprächspartner. Die im Feld gesammelten Daten legen es nahe, dass beide Aspekte zusammenwirken. Die Schüler nehmen Distinktionen von einzelnen Lehrern gegen sie als ehemalige Hauptschüler wahr. Zieht man hier die Äußerungen einzelner Leh217
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rer in den Nachbesprechungen zu Unterrichtsbeobachtungen im Vorbereitungsjahr hinzu, so sind diese Wahrnehmungen wohl nicht aus der Luft gegriffen. Das Niveau der Schüler wurde mehrfach bemängelt (vgl. Abschnitt 7.2). Auch das unterschiedliche Herangehen an die Klassenstufen Vorbereitungsjahr – Studienstufe, lässt auf unterschiedliches symbolisches Kapital im Feld schließen. Die Interpretation der unterrichtlichen Situation als »Bewährungsprobe« für die ehemaligen Hauptschüler scheint vor diesem Hintergrund durchaus nachvollziehbar. Als diejenigen die es im ersten Anlauf nicht geschafft haben, müssen sie nun erst einmal zeigen, ob sie überhaupt lernfähig sind. Dabei scheint auch ihr Status als Erwachsene eine Rolle zu spielen. Dies kommt insbesondere bei denjenigen zum Ausdruck, die im Feld als Erwachsene ernst genommen werden wollen (vgl. Abschnitt 5.1 und 5.3). Im Vergleich zwischen Vorbereitungsjahr und Studienstufe wird allerdings deutlich, dass die Problematik, als Erwachsener wieder in einem Schulkontext zu sein, nicht ausreicht, um die Schwierigkeiten zu erklären. In der Studienstufe konnten auf Kursebene keine mit dem Vorbereitungsjahr vergleichbaren Konflikte beobachtet werden. Die Haltung als Erwachsener im Feld scheint hier, was die Gesamtschülerschaft angeht, weniger problematisch zu sein. Sie ist zudem an einen anderen Status in dieser Jahrgangsstufe gekoppelt. Dies spricht dafür, dass der Status als Erwachsener im Feld in erster Linie in Kopplung mit dem Status als ehemaliger Hauptschüler problematisch wird. Dies kann man so deuten, dass das Motiv der Bewährung im Feld durch den Erwachsenenstatus der Schüler besonders aufgeladen wird. Erwachsensein ist somit auch daran gebunden, bestimmte Schlüsselqualifikationen zu besitzen. Sind diese in einer Gruppe nicht vorhanden oder werden sie der Gruppe nicht zugesprochen, wird deren Status zusätzlich schwierig. Die beiden herausgearbeiteten Dimensionen Schlüsselqualifikationen und Anerkennung als Gesprächspartner zeigen sich dabei in einem Wechselverhältnis. Die Zuschreibungen der Schlüsselqualifikationen bestimmen auch die Anerkennung als Gesprächspartner mit, während die Anerkennung als Gesprächspartner wiederum die Voraussetzung für den Erwerb von Qualifikationen und Wissen im Feld bildet. Dieses Wechselverhältnis von Anerkennung als Gesprächspartner und Schlüsselqualifikationen lässt sich mit Bourdieu als Zuweisung von symbolischem Kapital auf der Basis von sozialem und inkorporiertem kulturellen Kapital deuten. Bei der Anerkennung (symbolisches Kapital) spielt also einerseits der nicht gewährte Kredit für die ehemaligen Hauptschüler (ein Aspekt des sozialen Kapitals) eine Rolle, andererseits die nicht ausreichenden Schlüsselqualifikationen (ein Aspekt des inkorporierten kulturellen Kapitals). Diese Dynamik ist am Abendgymnasium, wie die obige Interpretation deutlich gemacht hat, besonders aufgeladen. Dabei zeigen sich der Erwachsenen218
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status der Schüler in Kombination mit den geringen Schlüsselqualifikationen sowie das Motiv der Bewährung als Faktoren, die die Schwierigkeiten der Beteiligung in der Studienstufe in besonderer Weise charakterisieren. Ein Image aufzubauen ist somit für diese Schülergruppe besonders schwierig. Nimmt man dabei den Verlauf der Passage am Abendgymnasium in den Blick, wird aus dem Blickwinkel der Beteiligungsmöglichkeiten in der Studienstufe deutlich, dass sich ein Teil der Schwierigkeiten schon im Vorbereitungsjahr andeutet und auch dem Wechsel der Schülerkonstellation eine besondere Bedeutung zukommt. Bei genauerer Analyse findet sich diese Problematik der Anerkennung als Gesprächspartner zum Teil schon im Vorbereitungsjahr, wie der Textausschnitt von Harald zeigt (Abschnitt 8.1). Dies spiegelt sich auch im Kampf der Schüler, ihnen zugeteilte Lehrer abzusetzen, weil entweder der Unterricht oder das Sozialverhalten als nicht akzeptabel angesehen werden (vgl. Abschnitt 7.1). Dies wird in beiden in den Blick genommenen Jahrgängen thematisiert. Man kann hier von einem »Kampf um die Anerkennung« sprechen (vgl. Honneth 1994), in diesem Falle als Gesprächspartner, der mit einzelnen Lehrern schon im Vorbereitungsjahr ausgefochten wird. Dies scheint insbesondere für diejenigen Schüler ein Thema zu sein, die aus einer selbstständigen Position heraus mit einem überwiegend akademischen Freundeskreis ins Feld eintreten (vgl. Abschnitt 4.2). Die in Abschnitt 7.1 (Konflikte mit einzelnen Lehrern) angeführten Ausschnitte zeigen aber, dass das Gefühl der Missachtung durch einzelne Lehrer von vielen Schülern so empfunden wird. Das Verhalten einzelner Lehrer wird dabei als so herabsetzend wahrgenommen, dass sich die Schüler als Gruppe zusammenschließen, um dagegen anzugehen. Unter dieser Perspektive ist die Positionierung im Feld schon von Beginn an eine Positionierung auch gegen Widerstände. Die Zuschreibungen, die diese Gruppe durch einen Teil der Lehrer erlebt, stellen im Prinzip ihren Aufenthalt im Feld immer wieder in Frage. Ein positives Image aufzubauen ist für sie schwierig. Aber erst im Zusammenhang mit der Marginalisierung dieser Gruppe im Feld führen die Kämpfe um die Anerkennung als Gesprächspartner dazu, dass von Seiten der Schüler kaum noch Beteiligungsmöglichkeiten erlebt werden. Auch im Hinblick auf den Erwerb von Schlüsselqualifikationen erweist sich die besondere Dynamik der Schülerschaft als bedeutungsvoll. Im Vorbereitungsjahr verfügen die Schüler, die in der Studienstufe Probleme haben sich zu beteiligen, über im Vergleich zu ihren Mitschülern hohe Schlüsselqualifikationen, was sich auch in ihren guten Noten zeigt. Das Niveau im Vorbereitungsjahr wird von diesen Schülern als niedrig und das Unterrichtstempo als langsam empfunden. Dies deckt sich mit der Feldbeobachtung, dass die Schüler zunächst ›auf ein Niveau‹ gebracht werden sollen und der Unterricht 219
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erst einmal langsam angegangen werden soll (vgl. Abschnitt 7.1). Damit wird aber im Hinblick auf diejenigen Schüler, die gute Voraussetzungen mitbringen, Lernpotential verschenkt. Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass die Schlüsselqualifikationen, die kaum explizit vermittelbar zu sein scheinen, auch nicht implizit durch die Mitschüler gelernt werden können. Die Dynamik am Abendgymnasium ist somit auch durch den Wechsel der Schülerzusammensetzung mitbegründet.
8.2 Moratoriumsbedingungen: Kontextfaktoren als Ressource für die Schule In der nachfolgenden Auswertung der Interviews steht die Frage im Zentrum, welche Kontextfaktoren Einfluss auf die Beteiligung in der Schule haben. Besonders deutlich wird die Bedeutung der Kontextfaktoren für die Schule im Rahmen der Belastungen, die sich durch sie für die Schule ergeben. Aber auch Veränderungen in der schulischen Situation, beispielsweise die Belastung durch Hausaufgaben und Lernen in der Studienstufe, haben Einfluss auf das Lebensumfeld (vgl. auch Abschnitt 6.3) und machen Unterschiede in den Kontextbedingungen der Passage sichtbar. Zur Analyse der Rolle der Kontextbedingungen als Kapital für die Schule habe ich im Folgenden die retrospektive Betrachtung des Schulbesuchs der vier Schüler in der Studienstufe herangezogen. Dabei werde ich zunächst die Besonderheiten der soziokulturellen Situation der Interviewten im Verlauf der Passage herausarbeiten, um anschließend durch einen Fallvergleich die wesentlichen Kapitalien herauszustellen.
Markus: Kumulation von Belastungen Im Fall von Markus erscheint der außerschulische Kontext als Kumulation von Belastungen. Zu Beginn der Schule ging Markus relativ optimistisch an die durch die Schule entstehende Doppelbelastung heran: »Und dann wurde ich darauf aufmerksam, dass es eben zwei Schulen in Hamburg gibt, die staatlich gefördert werden oder die staatliche Schulen sind und man wirklich nichts bezahlen muss […] Und dann dachte ich, o.k., das passt eben auch. Das werde ich tun. War mir aber dieser Doppelbelastung wirklich überhaupt nicht bewusst, was es jetzt wirklich heißt. Weil ich davon ausging, mein Ehrgeiz wird diese Doppelbelastung einfach ausgleichen.« (Markus 284 –298)
Im Laufe der Schulzeit wird die Doppelbelastung allerdings zunehmend zum Problem. Mal sind es die Anforderungen innerhalb seiner Erwerbsarbeit, die 220
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das Gleichgewicht im Dreieck zwischen Beziehung, Schule und Beruf durcheinander bringen, mal Anforderungen in der Schule oder auch Probleme in der Beziehung. Im Laufe der Schulzeit kumulieren die unterschiedlichen Forderungen von verschiedenen Seiten zunehmend. Der Druck auf mehreren Ebenen führt bei Markus dazu, dass er immer wieder mit seinen Nerven am Ende ist: »Und wenn die Relationen dann einfach nicht mehr stimmen, die Relationen insofern, was ich für die Schule, die halt jetzt wirklich, jetzt nach der Beziehung die höchste Priorität hat, ähm, die Relationen völlig verwischen. Also, was ich lerne, ich lerne sehr viel, und was ich im Endeffekt in Klausuren dann an Noten schreibe. Ähm, das nicht mehr stimmt. Und dann in der Beziehung noch was kommt, und im Beruf kommt ständig was, auch extrem hohe Anforderungen, also es wird respektiert, dass ich zur Schule gehe, also das hat, wo ich auch zuvor sagte, so ich gehe oder ich bleibe und muss dann aber unter den Voraussetzungen nur hier arbeiten, wo es hieß: ›Du bleibst in jedem Fall und wir machen’s dir möglich, wo ich heute noch sehr dankbar für bin. Aber wenn dann so verschiedene Sachen kommen, ist der Kollaps vorprogrammiert, und der kommt regelmäßig.« (Markus 1709-1723)
Neben dieser ständigen Mehrfachbelastung erkrankt ein näheres Familienmitglied von Markus während seiner Schulzeit ernsthaft, was ihn zusätzlich belastet. Trotz aller Belastungen lernt Markus allerdings kontinuierlich weiter.
Jens: Destabilisierung der beruflichen und privaten Situation Jens’ private Situation hat sich schon vergleichsweise früh während des Schulbesuches destabilisiert. War er zunächst einer der Jahrgangsbesten, führt der Druck des Arbeitsamtes, in ein ABM-Projekt einzusteigen, zu einer massiven Destabilisierung. »Also ich hatte, glaube ich, von fünfundzwanzig Leuten, die wir da am Anfang waren, den zweitbesten Notendurchschnitt, im ersten Semester zumindest. Wie das dann später war, weiß ich nicht mehr, also zumi/er ist stetig ’n bisschen gesunken, der Notendurchschnitt, würd’ ich sagen, ähm, ja es lief halt gut, ich war motiviert dann, und hab’ mir gedacht, soo, ich glaub die erste Klausur war sogar ’ne Eins, wenn mich nicht alles täuscht, und das in Deutsch, das war relativ ungewöhnlich für mich. Und da dachte ich, na ja, das könnte ja vielleicht was werden, es läuft alles ganz gut. War dann auch echt extrem motiviert also hab wirklich jeden Tag was gemacht für die Schule, ähm, gelernt, und die Klausuren geschrieben, ähm, dann kam allerdings irgendwann das Arbeitsamt zu mir, und hat halt gesagt, ich solle wieder arbeiten und dann haben die mir so’ne dämliche ABM-Stelle irgendwie gegeben und das hab ich dann gemacht und das hat mich dann doch schon ’n bisschen aufgehalten, weil ich dann nicht mehr die Zeit dazu hatte zu lernen, das hab ich
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dann aber auch irgendwann abgebrochen nach’n paar Monaten. Und dann ging’s halt los, weil’s dann, ab dem Zeitpunkt war das schwierig, das ganze zu finanzieren. Arbeitslosengeld gab’s dann nicht mehr, weil ich halt die Stelle selbst gekündigt hab, äh, wie ich das gemacht hab, weiß ich eigentlich gar nicht mehr, wie ich das überhaupt geschafft hab, das zu finanzieren, also es ist schon echt heftig, ich hab halt echt ziemlich, ziemlich am Existenzminimum gehaust, gelebt, würd’ ich sagen, also ich kann mir jetzt nicht vorstellen, wenn mir jetzt jemand sagen würde, mach’ das noch mal von vorne, ich würd’ das nicht noch mal machen, glaub’ ich, so wenn ich, wenn ich nicht irgendwie finanziell gesichert wäre, es war teilweise echt übel. I: Mhm, also hast du da nebenher gejobbt oder einfach… J: Ja, irgendwie so als, ja, als Tagelöhner oder irgendwelche kleinen Jobs gemacht, dann hab’ ich auch noch mal irgendwie anderthalb Monate als Handwerker gearbeitet zwischendurch, und dann konnte ich mir meine Wohnung nicht mehr leisten, die ich damals hatte, bin dann erst mal zu meiner Tante gezogen, dann hab’ ich in zwei verschiedenen WG gewohnt, dann hab ich wieder bei meiner Mutter gewohnt und dann bin ich hierher gezogen, ja, ich bin halt vier oder fünfmal in der Zeit dann umgezogen. Eins, zwei, drei, vier, ja, ja doch, ja, umgezogen auf jeden Fall.« (Jens, 964-1033)
Jens’ schulische Situation wird durch seine unsichere ökonomische Lage sehr belastet. Da er die ihm zugewiesene ABM-Stelle abbricht, um Zeit für die Schule zu haben, muss er sich mit wechselnden Jobs über Wasser halten. Seine schlechte Finanzsituation führt auch zu mehreren Wohnungswechseln. Die Schule leidet und er findet es schwer, in seinen anfänglichen Lernrhythmus zurückzufinden. Erst jetzt in der Studienstufe stabilisiert sich seine Lage durch die Möglichkeit, BAföG zu beziehen.
Kai: Kritische Lebensereignisse Kais Leben hat sich während des Schulbesuchs durch mehrere Ereignisse problematisiert: Zunächst starb sein Großvater, dann der Mann seiner Mutter. Beide hat er bis zum Tod mitgepflegt. Seine Mutter ist schwer erkrankt. I: Mhm, und wie geht es dann für dich jetzt? Vor dem Hintergrund mit der Schule auch? Oder überhaupt jetzt mit so Zukunftsfragen und Berufsfragen? K: Ja, ähm, ja ich versuch halt das durchzuziehen alles. Aber ich merk’ halt schon, dass das ’n bisschen, weiß nicht, dass halt so ’ne Kerbe in meinem Leben drin ist. Und einfach so ’ne Hürde, die ich noch nicht ganz so überwunden habe, das ist halt schon problematisch, so, besonders wenn du deine Zukunft planen willst, oder ein ganz normales Leben führen willst. Ich mein’, ich hab’ schon meine Vorstellungen, wie das alles laufen soll. Aber irgendwie merke ich halt doch, dass da, einfach noch irgendwie ’n Schatten da ist.« (Kai 1518-1525)
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Hinzukommt, dass die langjährige Beziehung zu seiner Freundin vor einem halben Jahr zu Ende ging. »Wenn’s kommt, dann kommt’s immer ganz dicke.« (Kai 1565-1566)
Durch seine momentan privat destabilisierte Situation hat Kai massive Probleme, sich in der Schule zu konzentrieren. Gleichzeitig beschreibt er es als schwierig, in einen Lernrhythmus hineinzukommen.
Birgit – soziokulturelle Kontinuität Birgits Passage ist von der Rückkehr in einen familiären Zusammenhang bestimmt (vgl. Abschnitte 4.1 und 4.2). Dies bestimmt auch die Kontextbedingungen ihrer Passage am Abendgymnasium. Die Wohnung, in der sie zusammen mit ihrer Schwester lebt, wird von ihrem Vater bezahlt. Am Wochenende fahren sie gemeinsam zu ihrem Vater und seiner Frau, die etwas außerhalb ihres Schulortes wohnen, und verbringen die zwei Tage dort. Ihr Vater zeigt großes Interesse an ihrem Schulbesuch und ist für sie auch Vorbild, da er mit über dreißig eine Ausbildung nachgeholt und sich mittlerweile mit einer kleinen Galerie etabliert hat. Birgit arbeitete die ersten Jahre auch neben der Schule in verschiedenen Aushilfsstellen – auch weil sie noch Schulden abzutragen hat. Da sie nun BAföG erhält, kann sie es sich leisten, ganz auf das Arbeiten zu verzichten. Birgit schildert im Gegensatz zu den anderen keine Mehrfachbelastung.
Moratoriumsbedingungen: Gemeinsamkeiten und Unterschiede Betrachtet man jedes Interview einzeln, erscheinen die Beschreibungen zunächst als Problematisierung des persönlichen Lebenskontextes. Markus leidet unter Stress, Jens hatte Pech mit seinen Arbeitsbedingungen und Kai hat gleich mehrere kritische Lebensereignisse erlebt. Vergleicht man die Interviews miteinander wird hingegen deutlich, dass es in drei von vier Fällen zu einer solchen Problematisierung des persönlichen Kontextes kommt. Vor dem Hintergrund der Theorie Bourdieus, zu deren Grundannahmen es auch gehört, die gängige Unterscheidung zwischen »individuell« und »gesellschaftlich« infrage zu stellen, drängt sich hier die Frage auf, was diese Häufung der Problematisierung des jeweiligen Lebenskontextes mit dem Feld zu tun hat bzw. über das Feld aussagt. Inwieweit hängen die Problematisierungen mit den spezifischen Bedingungen der Passage am Abendgymnasium zusammen?
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Das in Abschnitt 1.1 eingeführte Konzept von Schule als Institution des Moratoriums eröffnet hier meines Erachtens einen Deutungsrahmen, der hilft, die Problematisierungen mit den spezifischen Bedingungen des Feldes in Beziehung zu setzen. Anhand der Interviewstellen wird deutlich, dass der Bildungsgang am Abendgymnasium nicht in einem soziokulturell entpflichteten Kontext stattfindet, der es ermöglicht, den Kopf für das Lernen frei zu haben. Die auf den ersten Blick privaten Probleme sind somit auch Aussagen darüber, inwiefern sich die Passage am Abendgymnasium durch diese NichtFreistellung problematisieren kann. Die Geschichte von Markus macht unter dieser Perspektive zunächst deutlich, dass sich über einen kurzen Zeitraum gut zu bewältigende Belastungen über einen längeren Zeitraum hinweg als kaum tragbar erweisen können. Bei Markus gab es kein herausgehobenes Ereignis, das die Bedingungen des Lernens verändert hätte. Doch der beschriebene enge Zeitrahmen zwischen Arbeit, Beziehung, Schule und Lernen erweist sich auf Dauer als überfordernd. Dies steht im Kontext einer Zunahme der Belastungen von Seiten der Schule. Die Konzeption des Abendgymnasiums – Schule neben der Berufstätigkeit – erweist sich im Kontext der Nachholung als kaum realistisch. Zum Zeitpunkt des Interviews ist niemand mehr im Feld verblieben, der Vollzeit arbeitet. Nach Ansicht der Interviewten ist dies auch nicht machbar. Die ursprüngliche Prämisse der Schule, keine Hausaufgaben aufzugeben, entspricht nicht mehr der Realität. Als Schlussfolgerung ist für das Abendgymnasium eine Zunahme der Belastungen über den Zeitraum des Schulbesuchs charakteristisch. Dies ist allerdings der subjektiven Belastbarkeit, in diesem Fall von Markus, gegenläufig. Die Belastungen im Feld werden für ihn zunehmend zum Druck.1 Zieht man weiteres Kontextwissen hinzu, erweist sich die Passage von Markus auch deshalb als überfordernd, weil er aufgrund seines Alters nicht wie die anderen BAföG beantragen kann. Die Möglichkeit zur ökonomischen Entlastung und damit zur Freistellung von Zeit zum Lernen ist deshalb am Abendgymnasium auch von Gatekeeping-Instanzen außerhalb der Schule abhängig. Die Behörden legen dabei durch die Altersgrenze ein Konzept der Normalbiographie zugrunde, bei der eine untypische Passage wie die von Markus als nicht förderungswürdig gilt (vgl. Abschnitt 1.2). Zudem besteht am Abendgymnasium auch unterhalb der Altersgrenze nur in den letzten 1 ½ Jahren Anspruch auf Förderung. Dies ist unabhängig vom Eintritt in die Schule: Wer erst in der Studienstufe in die Schule eintritt, hat schon nach einem halben Jahr Anspruch auf Unterstützung, während die Befragten, die mit dem 1
Dies entspricht auch der Forschung zu Stressoren, nach der es als wahrscheinlich angesehen werden muss, dass die Belastbarkeit für Stressoren über einen längeren Zeitraum abnimmt und diese sich auch kumulieren können (vgl. Perrez/Baumann (1998, S. 277ff.).
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Vorbereitungsjahr in die Schule eingetreten sind, erst nach 2 ½ Jahren an der Schule Anspruch auf Förderung haben. Hierin unterscheidet sich das Abendgymnasium auch von Tagesschulen, an denen das Abitur nachgeholt werden kann und bei denen die Unterstützung mit Schulbeginn gewährt wird. Mit Blick auf Jens kann man das Arbeitsamt und die Arbeitsbedingungen in verschiedenen Berufen als weitere externe Faktoren hinzufügen, die die Bedingungen an der Schule beeinflussen. Als jemand, der als erwerbslos gemeldet ist, hat Jens sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu halten. In seinem Fall wird ihm allerdings keine Stelle angeboten, sondern er wird zu einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) verpflichtet. Sein Schulbesuch ist hier kein Grund zur Freistellung. Durch den Verlust der Arbeitslosenunterstützung problematisiert sich für Jens im Folgenden auch der Schulbesuch. Dies verdeutlich das ernorme Gewicht von ökonomischen und zeitlichen Faktoren für den Bildungsgang. Das Beispiel von Kai macht hier zusätzlich klar, dass mit »Freistellung« nicht nur ökonomische Faktoren zu berücksichtigen sind, sondern auch soziale und familiäre Pflichten. Für ihn sind die Pflege und der Tod seiner Angehörigen psychisch stark belastende Ereignisse. Er fühlt sich dabei auch in der Pflicht, pflegerische Aufgaben zu übernehmen. Als Erwachsener haben sich bei ihm die familiären Konstellationen verändert. Die Familie bedeutet für ihn nicht die Rolle der Entlastung, sondern er übernimmt im Gegenteil Versorgungsaufgaben. Wenn man nun die Lebenskontexte miteinander in Bezug auf die Frage vergleicht, was sich im Feld als Kapital herausstellt, springen verschiedene Aspekte ins Auge: So stellt die ökonomische Absicherung, mit Bourdieu das ökonomische Kapital, einen entscheidenden Faktor dar. Zentral ist hier einerseits die zeitliche Freistellung, andererseits aber vor allem, inwieweit der Kopf zum Lernen frei bleibt. So wird es von allen Interviewten in der Studienstufe als unrealistisch angesehen, ›nebenher‹ Vollzeit zu arbeiten. Für den Verbleib im Feld erscheint somit die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit als ein entscheidender Faktor. Belastend scheint es auch zu sein, wenn man über längere Zeit auf die Annahme verschiedener Jobs angewiesen ist, um sich zu finanzieren. Nicht zu wissen, wie es weitergeht, beschreibt Jens dabei als enorme Belastung. Aber auch eine feste Anstellung wird, wie von Markus, im Laufe der Zeit als zunehmend belastend wahrgenommen. Dabei geht es ihm weniger um den zeitlichen Aspekt als um die weitreichende Verantwortung, die er trägt und der er seiner Ansicht nach nicht mehr gerecht werden kann. Diese Frage der Freistellung von Verantwortung erweist sich dabei auch im sozialen Kontext als eine zentrale Frage. Es spielt offensichtlich nicht nur eine Rolle, inwieweit der jeweilige Lebenskontext die Passage mitträgt – das ist auch bei Markus der Fall –, sondern darüber hinaus scheint die Pflege, derer die Beziehung bedarf, und die Verantwortung, in der man steht, als 225
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bedeutungsvoll. Ideal wirkt in dieser Hinsicht Birgits Familienkontext, der sie sowohl ökonomisch wie sozial unterstützt. Markus hingegen macht sich viele Gedanken um seine Beziehung, die als Beziehung zwischen zwei Erwachsenen auf Reziprozität angelegt ist. Vor dem Hintergrund der wechselseitigen Abhängigkeit von Schule und Beziehung ist auch die Partnerschaft von schulischen Verunsicherungen mit betroffen (vgl. Abschnitt 4.1). Die unterschiedlichen Bedingungen des soziokulturellen Kontextes, mit Bourdieu auch durch Fragen nach ökonomischem und kulturellem Kapital zu fassen, erweisen sich hier in Bezug auf die Abendschule eng an die Frage der Freistellung von Verantwortung gekoppelt. Schule bleibt auch für Erwachsene auf eine Art Moratorium angewiesen. Allerdings spielen der Zeitpunkt und die Dauer der Belastungen eine entscheidende Rolle. Während Markus die Mehrfachbelastung am Anfang recht gut verkraftet, wird sie mit zunehmender Dauer problematisch. Markus fühlt sich zum Zeitpunkt des Interviews ausgebrannt. Gleichzeitig werden in den Interviews auch weitere relevante Faktoren des Gatekeepings im Feld benannt. Dabei kommt dem BAföG-Amt eine zentrale Rolle zu. Während die untypischen Bildungsgänge von Jens, Birgit und Kai aufgrund ihres Alters noch als förderungswürdig betrachtet werden, ist dies bei Markus nicht mehr der Fall. Ihm werden von der zuständigen Sachbearbeiterin Chancen auf dem Arbeitsmarkt abgesprochen. Dies lässt sich so deuten, dass die Abweichung von der Normalbiographie nur bis zu einem bestimmten Grad – in Form einer Altersgrenze – toleriert wird. Eine geringe Abweichung von der Normalbiographie erweist sich im Kontext untypischer Bildungsgänge als Kapital.
8 . 3 Z u s a m m e n f a s s e n d e An a l ys e d e r B e l a s t u n g e n Die Rekonstruktion der zentralen Faktoren der Beteiligung am Unterrichtsgeschehen sowie der Bedeutung des soziokulturellen Kontexts als Ressource für das Schulgeschehen macht deutlich, was in der Schule für die Schüler jeweils zum Kapital wird. Im Schulgeschehen ist eine komplexe Dynamik zwischen symbolischem, sozialem und inkorporiertem kulturellen Kapital von Bedeutung. Beim soziokulturellen Kontext erweisen sich das ökonomische und soziale Kapital als zentrale Ressourcen. Diese haben allerdings eher indirekt vermittelt durch Zeit und die Freistellung von Verantwortung Einfluss auf die Schule. In dieser Zusammenfassung weite ich die Perspektive und ziehe alle bisher rekonstruierten Teilaspekte des Bildungsgangs zur Beantwortung der Frage heran, was die Passage am Abendgymnasium für Schüler mit Hauptschulabschluss so problematisch macht.
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Generell kann man zunächst festhalten, dass die von Bourdieu konstatierte Wechselwirkung zwischen dem Habitus der Schüler und der im Feld präferierten Haltung auch am Abendgymnasium von Bedeutung ist. Dabei erweisen sich die Schlüsselqualifikationen als schwer vermittelbar. Neben dieser allgemeinen Dynamik zeigen sich aber auch Charakteristika des Abendgymnasiums, die ich im Folgenden herausarbeite. Abbildung 9: Soziale Bezugnahme in der Studienstufe Herstellung von Beteiligung in der Studienstufe
Zentrales Anliegen: Beteiligung wieder herstellen
Belastungen:
Motiv der Bewährung/ Status bei bestimmten Lehrern Passung als Gruppenpassung/ Verlauf an der Schule Moratoriumsbedingungen
Bewährung: Symbolischer Aspekt und Faktor der Lehrer-Schüler-Beziehung Die Thematik der »Bewährung« charakterisiert die soziale Bedeutung des Abendgymnasiums in besonderer Weise. In der sozialen Bezugnahme über Bildung und Schule wird der Aspekt der Bewährung, sei es in Bezug auf Leistung oder das Durchhalten der Passage, von den meisten Schülern thematisiert (vgl. 6.2). Auch der Mut, den es braucht, um diesen untypischen Bildungsgang anzugehen, ist ein Indiz dafür. Deutlich wird dieser Bewährungscharakter des Abendgymnasiums auch in der Schilderung von Jens über einen seiner Freunde, der in eine Depression verfällt, nachdem er das Abendgymnasium abgebrochen hat. In gewisser Weise geht es auch darum zu beweisen, dass man es kann. Vor dem Hintergrund eines akademischen Freundeskreises ist das Motiv zentral, Zugang zu anderen Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung zu finden. Der Bildungsgang am Abendgymnasium soll zu einer
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Veränderung des eigenen Lebens führen und ist für viele ohne Alternative (vgl. Kapitel 4). Es diesmal schaffen zu wollen, zeigt sich auch in den Formen der sozialen Bezugnahme im Unterricht zu Beginn des Vorbereitungsjahres. Der erste Bildungsweg ist als Vergleichsfolie allen Akteuren in der jetzigen Schulsituation präsent. Die Gefahr der Wiederholung von Mustern wird von allen thematisiert. Einige wenden auch bewusst Strategien an, mit denen sie versuchen, es diesmal in der Schule anders zu machen. Für alle Interviewten ist es wichtig, sich diesmal im Schulgeschehen zu bewähren und nicht zu scheitern (vgl. Kapitel 6). Wie wichtig es für die meisten ist, hat auch die Rekonstruktion der subjektiven Notwendigkeit der Passage vor Augen geführt (vgl. Abschnitt 4.2). Die Thematik der Bewährung ist aber auch im direkten Unterrichtsgeschehen von Bedeutung. Anhand der Schul- und Unterrichtsbeobachtungen, der Gespräche mit Lehrern sowie der Auswertung der Materialien der Schule wurde deutlich, dass die Schüler im Vorbereitungsjahr einen anderen schulinternen Status haben als die Schüler in der Studienstufe. Einige der Lehrer, mit denen es nach der Unterrichtsbeobachtung zu Gesprächen kam, entschuldigten sich fast für das Niveau des Vorbereitungsjahrs, weil sie es als so gering einschätzten. Nicht nur das Leistungsniveau spielt jedoch eine Rolle, sondern auch das Sozialverhalten der Schüler, weil es von den Lehrkräften in Bezug auf Erwachsene nicht als angemessen angesehen wird. Man kann diese konstatierte mangelnde Passung der Schüler des Vorbereitungsjahres zum Schulniveau auch als Spannung zwischen der Schulpraxis der Haupt-, Real- und Gesamtschulen und dem »Gymnasialniveau« ansehen. Die Schüler bringen zum Teil eine andere schulische Sozialisation sowie einen anderen soziokulturellen Hintergrund mit als die meisten Gymnasialschüler. Letztere stellen einen Großteil der Schüler, die in der Studienstufe in die Schule eintreten. Somit ist das Motiv der Bewährung für die Schüler, die mit dem Hauptschulabschluss in die Schule eintreten, besonders ausgeprägt. Sie haben einerseits leistungsbezogen die größte Spanne zu bewältigen – also zwischen Hauptschul- und Gymnasialniveau, andererseits müssen sie sich auch neue Verhaltensweisen der Beteiligung am Unterricht aneignen. Hinzu kommt, dass sich die Schüler zudem mit Distinktionen von einzelnen Lehrern gegen sie als Gruppe konfrontiert sehen. Markus und Harald beschreiben dies damit, dass bestimmte Lehrer ihnen das Gefühl vermitteln, dass sie eigentlich nicht auf das Gymnasium gehörten. Dafür, dass dieses Gefühl von einzelnen Lehrern nicht anerkannt zu werden kein Einzelphänomen ist spricht, dass in den beiden untersuchten Jahrgängen die Klassen des Vorbereitungsjahres sich gegen das Unterrichtsverhalten einzelner Lehrer zur Wehr setzten. Das Gefühl, teilweise nicht ernst genommen und herablassend behandelt zu werden, ist in den Klassen jeweils mehrheitsfähig. Dieses Fehlen 228
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eines sozialen Kredits ist in der hier untersuchten Konstellation zusätzlich ausgeprägt, da sich die Schüler durch die große Spanne der Passage vom Hauptschulabschluss zum Abitur sowie die damit einhergehenden Distinktionen stärker bewähren müssen.
Passung als Gruppenpassung: Institutioneller Aspekt Neben dem symbolischen Aspekt der Passage durch den Bewährungscharakter des Bildungsgangs am Abendgymnasium und die damit einhergehende potentielle Spannung im Lehrer-Schüler-Verhältnis zeigt sich aber auch ein institutioneller Aspekt, der die Beteiligung am Bildungsgang für die Schüler mit Hauptschulabschluss erschwert. Es zeigt sich deutlich, dass für die Passung im Unterrichtsgeschehen nicht allein ausschlaggebend ist, inwieweit das Lehrer-Schüler-Verhältnis stimmig ist. Auch die Mitschüler sind von entscheidender Bedeutung für die Beteiligungsmöglichkeiten am Unterrichtsgeschehen. Denn obwohl der symbolische Status der Schüler sowie die Interaktion mit einzelnen Lehrern auch schon im Vorbereitungsjahr schwierig sind, treten für die interviewten Schüler hier zunächst keine Schwierigkeiten der Beteiligung auf. Erst durch die andere Gruppenkonstellation, insbesondere in der Studienstufe, wird die Beteiligung problematisch. Dabei ist das persönliche Verhältnis zum jeweiligen Lehrer unerheblich. Auch bei dem Lehrer, der von durchgängig allen Schülern als guter und sympathischer Lehrer beschrieben wird, haben die Schüler in der Studienstufe Schwierigkeiten, am Unterricht teilzuhaben. In der Schule ist dieses Phänomen bekannt. Den Schülern wird schon im Vorbereitungsjahr vorhergesagt, dass sie in der Regel beim Übergang von der Vorstufe zur Studienstufe um ein bis zwei Noten abfallen (Interview mit Markus sowie mit Demir). Bei den Schwierigkeiten der Schüler sich zu beteiligen hat also auch ein schulinstitutioneller Aspekt Anteil. Während das Vorbereitungsjahr zunächst darauf ausgerichtet zu sein scheint, alle Schüler zu integrieren, was mit einem langsamen Unterrichtstempo und einer Orientierung an einem eher geringen Leistungsniveau einhergeht, ändert sich in der Studienstufe die Ausrichtung. Durch die neu hinzukommenden Schüler ist der Unterricht ist hier auf ein hohes Leistungsniveau ausgerichtet. Für die Schüler, die die gesamte Passage am Abendgymnasium absolvieren, ist dies mit der Gefahr der Selektion verbunden. Ein ähnliches Phänomen beschreiben Gomolla und Radtke (2002) unter dem Stichwort der institutionellen Diskriminierung. Mit dem Argument der speziellen Förderung wurden in dem von ihnen angeführten Beispiel spezielle Schulklassen für Kinder mit Migrationshintergrund eingeführt. In der Realität war aber in diesen Klassen das Lernniveau so niedrig, dass die Schüler den Anschluss an den Leistungsstand der Regelschule versäumt haben. Durch die 229
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Ausrichtung am Klassenniveau wurde nicht eine besondere Förderung der Schüler erreicht, sondern faktisch eine Form der negativen Diskriminierung geschaffen. An diesem Beispiel wird auch das besondere Spannungsverhältnis der nachholenden Bildung deutlich. Denn damit der Anschluss an die Regelklassen hergestellt werden kann, muss innerhalb kurzer Zeit mehr Stoff gelernt werden. Im Zuge der Integration so vieler Schüler wie möglich wird aber oft langsamer und weniger gelernt. Dieses Phänomen zeigt sich nun am Abendgymnasium innerhalb einer Schulform, deren Schülerschaft sich aber während der Passage stark wandelt. Hinzu kommt, dass sich das Leistungsniveau zu Beginn des Vorbereitungsjahrs sehr heterogen gestaltet. Ein Beispiel dafür ist eine Deutschstunde, bei der die Schüler zunächst laut Passagen aus dem Buch lesen und diese anschließend diskutieren. Während manche Schüler Schwierigkeiten haben, den Text vorzulesen, ist für andere weder Lesen noch die inhaltliche Diskussion eine Herausforderung. Durch die Ausrichtung an dem Konzept, zunächst Homogenität herzustellen (vgl. Abschnitt 7.1), entsteht für die guten Schüler eine paradoxe Spannung: Während sie im Vorbereitungsjahr mit ihrer Motivation kämpfen, da die Inhalte an sich schon bekannt sind (Kai, Demir, Florian, Birgit) oder sie sich durch ihren Status als gute Schüler sicher etabliert fühlen (Markus, Jens, Harald), haben sie in der Studienstufe Probleme, überhaupt mitzukommen. Durch die Gestaltung der Passage und den beschriebenen Umgang mit Heterogenität sind diese Probleme auch institutionell miterzeugt.
Moratoriumsbedingungen: Schwierigkeiten einer Passage jenseits der Normalbiographie Neben der Dynamik des Unterrichtsgeschehens selbst erweisen sich auch die außerschulischen Bedingungen der Passage als zentrale Ressource für den Verbleib in der Schule. Die zum Lernen zur Verfügung stehende Zeit erweist sich dabei als ein wesentlicher Faktor, der zwischen den ökonomischen und sozialen Ressourcen und dem Schulerfolg vermittelt. Allerdings ist Zeit allein nicht ausschlaggebend. Es wurde deutlich, dass für die Konzentration auf das Lernen zudem die Freistellung von Verantwortung eine Rolle spielt – mit anderen Worten: Die »Moratoriumsbedingungen«, die das Umfeld für die Schule bietet, spielen eine entscheidende Rolle. Die Passage am Abendgymnasium ist dabei für viele schon durch die Mehrfachbelastung durch Beruf, Schule und Familie schwierig. Als Erwachsene stehen die Interviewten dabei in der Verantwortung, die Bereiche ihres Lebens wie ihr Einkommen oder auch ihre Wohnsituation selbst zu organisieren. Sie sind somit nicht in vergleichbarer Weise wie auf dem ersten Bildungsweg entlastet. 230
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Dabei scheinen sich die Belastungen im Verlauf der vier Jahre zu kumulieren u.a. deshalb, weil die Anforderungen der Schule in Bezug auf die Erledigung von Hausaufgaben steigen. Für die jüngeren Schüler kommt es in der Studienstufe immerhin zu einer finanziellen Entlastung, da ihnen nun Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) zustehen. Damit wird auch die Gatekeeping-Funktion der Institutionen deutlich, die mit ihren Altersgrenzen eine Passage jenseits der Normalbiographie erschweren (vgl. Abschnitt 1.2). Die Bedeutung der Moratoriumsbedingungen als wichtige Ressource, die den Schulverlauf beeinflusst, verweist auch auf die enge Vernetzung zwischen schulischer Statuspassage und außerschulischen Bedingungen. Wie die Auswertung der unterschiedlichen Aspekte der sozialen Bezugnahme sowie der Interpendenz gezeigt hat, stehen der Bildungsgang, die außerschulischen Bedingungen sowie die über den Bildungsgang angestrebte Statuspassage in einem engen Wechselverhältnis (vgl. Kapitel 6). Die Moratoriumsbedingungen sind hier von mehreren Faktoren abhängig: Zum einen stehen sie in Zusammenhang mit der Beziehungskonstellation, in die der Bildungsgang eingebettet ist, zum anderen spiegeln sich in den Moratoriumsbedingungen auch viele Aspekte wider, anhand derer die unterschiedliche Notwendigkeit der Passage aufgezeigt wurde (vgl. Abschnitte 4.2 und 4.3).
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9. Resümee und Au sblick
In dieser Arbeit wurden unterschiedliche Aspekte der Teilhabe am Bildungsgang Abendgymnasium rekonstruiert – einerseits die Herstellung von Teilhabe durch die Schüler anhand ihrer sozialen Bezugnahme auf den Bildungsgang, andererseits die Bedingungen, auf die sie während des Schulbesuchs in der Schule, aber auch außerhalb, stoßen. Im Fokus standen dabei Schüler, die mit dem Hauptschulabschluss ins Abendgymnasium eingetreten sind. Um der Frage nach der Herstellung von Teilhabe durch die Schüler und die Bedeutung des Bildungsgangs für sie nachzugehen, wurde ein Forschungsansatz gewählt, der es erlaubt, den sozialen »Bezugsrahmen« ihrer Entscheidungen und Handlungen einzubeziehen. Theoretischer Hintergrund ist dabei Bourdieu und seine Annahme, dass sich in den Handlungen und Einstellungen von Personen ihr Involviertsein in bestimmte Handlungsfelder spiegelt – und dabei auch ihr Habitus deutlich wird. Über die Frage: »Wie nehmen die Schüler auf den Bildungsgang Bezug«, konnte ihr Involviertsein in unterschiedliche, für den Bildungsgang relevante Bezugskontexte deutlich herausgearbeitet werden. Die Arbeit stellt damit auch eine Umsetzung des Habituskonzeptes Bourdieus für die empirische Forschung vor, die in dieser Form neu ist. Der Bildungsgang wurde dabei als doppelte Statuspassage sichtbar, bei der einerseits über das in der Schule erworbene Wissen und den Abschluss konkrete Projekte im jeweiligen sozialen Umfeld verfolgt werden. Es zeigte sich, dass die Herstellung von Teilhabe über die Schule im konkreten sozialen Umfeld die Beweggründe für die Schule und das Herangehen an die Schule bedingt. Die mit dem Bildungsgang am Abendgymnasium verfolgte vertikale Statuspassage (vgl. Kapitel 3) hat starken Einfluss auf die Möglichkeiten der Teilhabe am Schulgeschehen. Sie hat dies auch deshalb, weil die im jeweiligen Kontext vorhandenen Ressourcen nicht nur die Bedingungen – bspw. inwieweit die Schüler ökonomisch abgesichert sind oder sozial unterstützt werden – für den Schulbesuch darstellen. Die jeweiligen Kapitalien prägen
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auch die mit der Schule verfolgten Ziele, bspw. ob man für sich die Möglichkeit Abitur zu machen überhaupt in Betracht zieht oder inwieweit man Bildung als Selbstzweck oder Mittel zum Zweck ansieht. Sie haben ebenfalls Einfluss darauf, inwieweit man bei einem eventuellen Scheitern andere Alternativen hat oder aber die gesamte Lebensperspektive in einer Sackgasse endet. Sie bestimmen also den Druck bzw. die Leichtigkeit, mit der man an die Schule herangehen kann, entscheidend mit. Andererseits ist Teilhabe am Bildungsgang auch abhängig von der Herstellung von Teilhabe in der Schule selbst, was in dieser Arbeit als horizontale Statuspassage (vgl. Kapitel 3) gekennzeichnet wurde. Der Schritt in die Schule hinein stellt die Akteure vor die Aufgabe, sich eine soziale Position aufzubauen. Dem Unterricht, der über den Wissenserwerb und die Vergabe von Noten den Schlüssel zu den Ressourcen darstellt, die die Schüler an der Schule erwerben möchten (vgl. Abschnitt 1.1), gebührt dabei besondere Beachtung. Die habituelle Ausrichtung (bezüglich des Arbeitsethos’ sowie der Haltung zu Bildung) und die damit verbundene Imagepflege (vgl. Abschnitt 1.1), spiegelt sich im Herangehen an die Inhalte, die Herstellung von Aufmerksamkeit und in der Einstellung zu den Lehrern (vgl. Abschnitt 5.2). Ein Vergleich mit den außerschulischen Haltungen zeigt dabei auf, dass auch konkrete Ressourcen wie der aktuelle Arbeitsplatz, die absolvierte Berufsausbildung, die soziale Einbindung sowie das Lebensalter entscheidenden Einfluss haben (vgl. Abschnitt 6.1). Im Bezug auf die Bedingungen der Teilhabe wurde deutlich, dass es für die spezifische Schülergruppe nicht ausreicht, ihren Status und die Unterrichtsbedingungen zu einem Zeitpunkt in den Blick zu nehmen. Durch die hohe Fluktuation der Schüler und die unterschiedliche Ausrichtung des Unterrichts in den verschiedenen Schulstufen gestalten sich die Bedingungen, auf die sie treffen, zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich. Der schulische Bildungsgang unter dem Blickwinkel der Herstellung von Teilhabe, so wurde mit einem theoretischen Rückgriff auf Bourdieu deutlich, lässt sich dabei als Abfolge von Platzwechseln beschreiben (vgl. Abschnitt 1.2). Diese Platzwechsel lassen sich als zusätzliche horizontale Statuspassagen weiter differenzieren (vgl. Abschnitt 3.2). Dabei wurden in dieser Untersuchung die Bedingungen im Vorbereitungsjahr sowie in der Studienstufe vergleichend in den Blick genommen (vgl. Kapitel 7 und 8). Durch die Frage, was in der Krise für die Schüler zum Kapital wird, wurden Schlüsselkompetenzen sowie die Anerkennung als Gesprächspartner in ihrer für das Abendgymnasium spezifischen Dynamik herausgearbeitet (Abschnitt 8.1). Neben den Bedingungen des Unterrichts erwiesen sich aber auch die außerschulischen Bedingungen als zentraler Faktor für den Schulerfolg (Abschnitt 8.2). Dabei konnte Bourdieus These, dass Zeit für den Erwerb von kulturellem Kapital zentral ist, dahingehend konkretisiert werden, dass es in dieser Hinsicht entscheidend auf 234
RESÜMEE UND AUSBLICK
»entpflichtete« Zeit ankommt. Mit Rückgriff auf Zinneckers habe ich hierfür den Begriff »Moratoriumsbedingungen« gewählt. Ein Anliegen dieser Arbeit war es dabei auch, Erkenntnisse für die schon in der Einleitung beschriebenen Querthemen zu gewinnen: Wie lassen sich die besonderen Charakteristika des Abendgymnasiums unter Berücksichtigung soziokultureller Unterschiede beschreiben? Worin liegt die Interdependenz zwischen innerschulischen und außerschulischen Bedingungen? Deshalb werde ich an dieser Stelle die Ergebnisse der einzelnen Rekonstruktionen anhand der »Querthemen« der Arbeit aufgreifen und die Ergebnisse der Einzelanalysen unter der jeweiligen Perspektive darstellen.
9.1 Charakteristika des Bildungsgangs: Doppelte Statuspassage Um den Bildungsgang in seinen unterschiedlichen Aspekten der sozialen Teilhabe und seiner damit verbundenen Bedeutung für die Schüler gerecht zu werden, wurde er als doppelte Statuspassage analysiert. Der Schulbesuch ist demnach verbunden mit einer angestrebten Veränderung der sozialen Position außerhalb der Schule, mit Glaser und Strauss vertikale Statuspassage genannt, und mit dem Positionsaufbau in der Schule selbst, mit Glaser und Strauss horizontale Statuspassage genannt. Dieser Positionsaufbau ist aber nicht nach dem Eintritt in die Schule abgeschlossen, sondern kann durch veränderte Bedingungen in der Schule – im untersuchten Fall dem Wechsel in die Studienstufe – noch einmal neu notwendig werden. Es ist plausibel, dass diese doppelte Ausrichtung, vertikal und horizontal, keine Besonderheit des Abendgymnasiums darstellt, sondern für Bildungsgänge allgemein übertragbar ist. Hier werde ich diese Doppelperspektive nun als Schema nutzen, um die Besonderheiten der Passage am Abendgymnasium herauszuarbeiten. Für die einzelnen Teilschritte der empirischen Auswertung werden diese »Charakteristika« schon am Ende jedes Kapitels aufgegriffen. An dieser Stelle geht es mir nun darum, zentrale Aspekte noch einmal fallübergreifend über die einzelnen Teilaspekte hinweg darzustellen. Bezüglich des lebenskontextuellen Aspekts des Bildungsgangs lässt sich von einer vertikalen Statuspassage sprechen, da der Bildungsgang in der lebenskontextuellen Einbettung zentral auf Veränderung angelegt ist. Über das eigene Leben wird mit Sätzen resümiert wie: »Das kann es nicht gewesen sein.« (Kai), »Die Perspektive musste geweitet werden.« (Jens), »Ich hab Bock auf was Neues.« (Harald) (vgl. Abschnitt 4.1). Diese angestrebte Veränderung wird für das Abendgymnasium, sowohl in der bisherigen Literatur als auch von den in dieser Untersuchung Interviewten, als persönliche und berufliche Weiterentwicklung charakterisiert. Ziel des Bildungsgangs ist somit eine Erweiterung der sozialen Beteiligungsmöglichkeiten und der Mög235
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lichkeiten der eigenen Person über institutionalisiertes und inkorporiertes kulturelles Kapital zu verfügen. Damit wird auch eine Veränderung des eigenen Status oder mit Bourdieu des symbolischen Kapitals im aktuellen sozialen Bezugskontext angestrebt. Unter diesem Blickwinkel kommt dem gesamten Bildungsgang in seiner außerschulischen sozialen Bedeutung der Charakter einer Statuspassage zu. Der Schwerpunkt liegt dabei auf einer über den Bildungsgang angestrebten Veränderung der vertikalen Position – also der Anerkennung innerhalb eines sozialen Kontextes (vgl. Abschnitt 3.2). Der Bildungsgang am Abendgymnasium hat dabei einen ambiguen Charakter: Einerseits ermöglicht er quasi als Medium die Veränderung. Andererseits ist der Schulbesuch, besonders im Hinblick auf den beruflichen Aspekt, auch eine Barriere, die zwischen dem Akteur und dem eigentlichen Ziel steht (vgl. 4. 3). Nur über ihn und den mit ihm verbundenen Schulabschluss sind die Veränderungswünsche erreichbar. Er stellt auch ein Hindernis dar, an dem man scheitern kann. Gemeinsam ist sowohl dem Charakter der Möglichkeit wie dem Charakter der Barriere, dass es sich bei der Schule um einen Bildungskontext handelt, der seine Bedeutung nicht allein aus seiner aktuellen Relevanz heraus bezieht, sondern vielmehr eine Art Investition in die Zukunft darstellt. Die empirische Auswertung der Beweggründe und ihrer Umstände (vgl. 4.2) hat dabei deutlich gemacht, dass die angestrebte Veränderung über Bildung eng verbunden ist mit dem sozialen Lebenskontext. So erhält die Statuspassage über den Bildungsgang ihren Charakter durch die Verknüpfung mit den jeweiligen sozialen Zielen – beispielsweise die eigene Familie zu ernähren (Demir) oder als gemeinsames Projekt mit dem Lebenspartner (Harald und Markus). Anders als die Regelschule (vgl. 1.1) ist der Bildungsgang somit nicht per se mit Themen verbunden, die als Teil des Erwachsenwerdens angesehen werden wie beispielsweise die Lösung vom Elternhaus durch die Orientierung an Peergroups. Die eigenen zentralen Lebensthemen prägen den Charakter der Passage mit, gestalten sich für verschiedene Akteure allerdings unterschiedlich: Sozial finden sich neben der Rolle der jeweiligen Beziehungsform wie in den gerade erwähnten Beispielen neben der Ablösung vom Elternhaus (ein Beispiel hierfür ist Florian) auch die Rückorientierung zum Elternhaus (Birgit). Ebenso stehen berufliche Themen wie Umorientierung oder die Erfahrung der Arbeitslosigkeit neben einer geplanten Erstausbildung (4.2). Die angestrebte Statuspassage über das Abendgymnasium ist damit zwar nicht an eine lebenszyklische Phase gebunden, aber die zentralen Themen der eigenen Lebensphase fließen in die schulischen Ziele ein. Die Bedeutung der sozialen Einbettung geht allerdings über die Verknüpfung der zentralen Lebensthemen mit den schulischen Zielen hinaus. Es wird deutlich, dass am Abendgymnasium zentrale Lebensereignisse oder eine neue Lebenskonstellation erst den Schritt an die Schule auslösen (4.2). Neben dem 236
RESÜMEE UND AUSBLICK
Ziel, die bisherige Ausrichtung des eigenen Lebens zu verändern, scheint der Schritt ans Abendgymnasium zugleich auch daran gebunden, dass zuvor »alte Bahnen« aufbrechen. Dies geschieht beispielsweise durch eine Reise (Kai), eine Liebesbeziehung bzw. Heirat (Markus, Harald, Demir), durch Arbeitslosigkeit (Florian, Jens) oder durch die Umorientierung innerhalb der Familie (Birgit). Trotz dieser Relevanz der Auslöser geht dem Abendgymnasium aber zumeist eine längere Phase der Vorlaufs voraus (einzige Ausnahme Kai), in der immer wieder mit dem Schritt an die Schule geliebäugelt oder dieser in anderen Bildungsinstitutionen versucht wird. Dies macht deutlich, dass der Bildungsgang am Abendgymnasium eine weitreichende Umorientierung darstellt, die Mut zur Veränderung braucht. Der lange Vorlauf und die lebenskontextuelle Umbruchsituation, die den Schritt an das Abendgymnasium begleiten, lassen sich allerdings auch im Kontext eines zentralen Themas des Abendgymnasiums interpretieren, das in allen untersuchten Aspekten deutlich geworden ist und das man als einen zentralen Feldaspekt ansehen kann: der Charakter der Bewährung, der mit dem Bildungsgang am Abendgymnasium einhergeht (vgl. Abschnitt 6.1 u. Kapitel 7). Das Wissen, schon einmal nicht das Abitur – bzw. ein anderes angestrebtes Bildungsziel – geschafft zu haben, erzeugt für die Schüler Druck, sich diesmal bewähren zu müssen. Man kann somit den langen Vorlauf auch so deuten, dass es eine gewisse Überwindung braucht, sich dem Bewährungsdruck auszusetzen. Für die Interviewten bedeutet der Schritt ans Abendgymnasium auch die Notwendigkeit der Überwindung bisheriger Muster (vgl. Kapitel 5) und oftmals negativer Unterrichtserfahrungen auf dem ersten Bildungsweg. Es ist plausibel, dass dies auch ein Aspekt ist, der den langen Vorlauf mit bedingt. Einen anderen Grund dürften die Ressourcen der Befragten darstellen. Für die meisten ist der schulische Abschluss nur über die besonderen Bedingungen des Abendgymnasiums erreichbar und mit einer heiklen ökonomischen oder zeitlichen Lage verbunden (vgl. Abschnitt 4.2 und 8.2). Dies bedeutet auch, dass der Schulbesuch für die meisten nicht reversibel ist (vgl. Abschnitt 1.2 und 4.3). Diese kurze Darstellung zentraler Ergebnisse macht zum einen die enge Verflechtung der lebenskontextuellen Statuspassage mit vertikalen Aspekten der sozialen Veränderung deutlich. Zum anderen zeigt sich, dass die Herstellung von Teilhabe am schulischen Bildungsgang durch soziokulturelle Aspekte wie die soziale Bezugsgruppe, Haltung zur Bildung und Etablierung, aber auch durch zentrale Lebensthemen und lebensgeschichtliche Ereignisse differenziert ist. Zu vermuten wäre zudem, dass auch das Geschlecht eine Rolle spielt. Allerdings zeigen sich im Verlauf der Passage am Abendgymnasium auch Veränderungen im sozialen Lebensumfeld, die keinen vertikalen Charakter haben. So wurde in Abschnitt 6.3 unter dem Blickwinkel der Interdependenz 237
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zwischen Schule und sozialem Kontext herausgearbeitet, dass die Bedingungen des Abendgymnasiums auch auf die Lebensumstände der Interviewten zurückwirken. So ergeben sich im Laufe der institutionellen Passage am Abendgymnasium auch Veränderungen, die nicht in der Zukunft liegen und auf eine Erweiterung gesellschaftlicher Beteiligungsmöglichkeiten ausgerichtet sind, sondern eine qualitative Veränderung der Lebenssituation darstellen. Dies hat sowohl zeitliche als auch soziale Gründe. Mit Beginn des Abendgymnasiums wird Zeit für die Interviewten zum knappen Gut. Dadurch verändert sich der soziale Kontext. Bei denjenigen in einer festen Beziehung wird die Beziehung verstärkt zum Bezugspunkt, während für andere Freundschaften kaum noch Platz bleibt. Aber auch bei denjenigen ohne feste Beziehung ändert sich das soziale Leben. Vor allem bei den Jüngeren spielen dabei die Mitschüler eine große Rolle. Der soziokulturelle Kontext außerhalb der Schule ist somit nicht nur Bezugskontext für die vertikale Statuspassage, sondern es ergeben sich im Zuge des Schuleintritts und der Positionierung in der Schule – und somit der horizontalen Statuspassage – auch Veränderungen im soziokulturellen Kontext selbst. Dies macht die enge Vernetzung zwischen schulischem und außerschulischem Kontext deutlich. Vom Schuleintritt als horizontaler Statuspassage kann man insofern sprechen, als für die Interviewten mit dem Schulbeginn ein Übergang in ein neues Feld stattfindet. Zu ihrem bisherigen Lebenskontext kommt also ein weiterer hinzu, in dem eigene soziale Regeln der Anerkennung herrschen. Die bisherigen Umgangsweisen und das symbolische Kapital anderer Kontexte ist hier nicht auf die Schule übertragbar, sondern im Feld muss eine neue Position erarbeitet werden (vgl. Abschnitt 5.1). Mit dem Schritt in die Schule wird ein neues lebensgeschichtliches Projekt angegangen, was ihn zu einer Art Zäsur im Lebensverlauf macht (vgl. Abschnitt 4.2). Durch ihn verändert sich auch das Leben in anderen Bereichen wie z.B. in Bezug auf den Freundeskreis (siehe oben). Eine zentrale Frage der Arbeit war dabei auch, in welcher Weise dieser Positionsaufbau im Unterrichtsgeschehen angegangen wird und welche Interdependenz zum bisherigen Lebenskontext sich dabei zeigt. Zunächst konnten unterschiedliche Typen der sozialen Positionierung am Abendgymnasium mit verschiedenen zentralen Anliegen rekonstruiert werden (vgl. Abschnitt 5.1): Als Erwachsene agieren (Markus und Harald), Spaß am Unterricht (Birgit und Kai), strategisches Angehen (Jens und Florian) sowie Schule als Geduldsspiel (Demir). Diese Typen differenzieren sich anhand der zentralen Dimensionen: Herstellung von Aufmerksamkeit, Bezugnahme zu den Lehrern, Bezugnahme zu den Inhalten und Bezugnahme zum ersten Bildungsweg innerhalb ihres Vorgehens weiter aus (vgl. Abschnitt 5.2). Im Vergleich der darin auszumachenden Dimensionen ist deutlich geworden, dass die Verortung im Schulgeschehen aufgrund habitueller Grundorientierungen differenziert ist (vgl. Ab238
RESÜMEE UND AUSBLICK
schnitt 6.1). Der Habitus stellt somit ein zentrales Verbindungsglied dar. Anhand ähnlicher Orientierungen und Formen der sozialen Bezugnahme konnten Parallelen zwischen zentralen Aspekten der sozialen Bezugnahme und Position im sonstigen Lebenskontext und der Positionierung in der Schule herausgearbeitet werden. Diese Grundorientierungen und Praktiken treten allerdings mit spezifischen Aspekten des Feldes in Beziehung. Der Habitus ist hier insofern »schulbezogen«, als er anhand der zentralen Bedingungen der Interaktion im Unterricht in Erscheinung tritt – anhand der Bezugnahme zu den Lehrern, den Unterrichtsinhalten und der Aufmerksamkeit. Somit sind für die Schule bestimmte Teilaspekte des Habitus besonders relevant. Für das Abendgymnasium kommt dabei dem Aspekt des Umgangs mit den Erfahrungen des ersten Bildungsweges eine besondere Rolle zu (vgl. Abschnitt 6.2). Für alle Interviewten ist die Gefahr der Wiederholung problematischer Muster des ersten Bildungsweges gegenwärtig. Trotz des unterschiedlichen Umgangs – manche bemühen sich gezielt um neue Vorgehensweisen, andere konstatieren eher die Gefahr oder schildern, wie es bei ihnen zur Wiederholung kommt – steht der zweite Bildungsweg für alle in einem Vergleichskontext zum ersten. Was für das Abendgymnasium als Feld gilt, in dem, neben der illusio der Veränderung durch Bildung, dem Vergleich mit der Regelschule eine zentrale Rolle im Diskurs der Schule zukommt (vgl. Kapitel 7), spiegelt sich hier auch im Umgang und in der Reflexion der Akteure im Feld. Darüber hinaus spielt aber auch die Etablierung der Schüler als Erwachsene beim Aufbau einer sozialen Position im Unterricht eine Rolle. Bedeutsam ist dies in erster Linie für diejenigen, die schon um die dreißig sind, über Jahre hinweg beruflich etabliert waren und überwiegend auf einen akademischen Freundeskreis ausgerichtet sind (Markus und Harald). Für sie scheint es besonders bedeutsam, durch Selbstreflexivität und aktive Lernstrategien eigenverantwortlich zu bleiben (vgl. Abschnitte 5.1 u. 5.3). Dies führt sie auch zu Konflikten, da ihnen besonders die Umgangsweisen einzelner Lehrer mit ihnen Probleme bereiten. Man kann dies so interpretieren, dass es ihnen – anders als den Jüngeren und anders als Akteuren, die eine generelle Haltung des Respekts vertreten – schwerer fällt, die generationale Lehrer-SchülerBeziehung anzuerkennen (Kapitel 5). Anhand des horizontalen Charakters des Feldeinstiegs wird also zunächst deutlich, wie die Akteure auf Grundlage ihrer Habitus’, aber auch auf weiteren lebensgeschichtlichen oder ihre Lebenssituation betreffenden Faktoren diesen Einstieg unterschiedlich gestalten und in unterschiedlicher Weise an die Diskurse und Bedingungen des Feldes anknüpfen (vgl. Kapitel 6). Im Vorbereitungsjahr erleben die interviewten Akteure dabei wenig Schwierigkeiten. Sie haben zunächst alle den Eindruck, sich im Unterricht etablieren zu können. Daher lassen sich hier anhand der Interviews wenig Aussagen über 239
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die Passung zwischen unterschiedlichen habituellen Vorgehensweisen und dem Feld treffen. Deutlicher wird dies durch eine Auswertung der Situation in der Studienstufe. Nimmt man hier das Feldgeschehen in den Jahren zwischen Vorbereitung und Studienstufe in den Blick wird deutlich, dass sich der soziale Status der interviewten Studierenden in dieser Zeit deutlich verändert hat. Man kann hier von einem Positionswechsel sprechen: Ein Großteil der Mitschüler ist neu an die Schule gekommen. Zudem lässt die Auswertung der Feldmaterialen auch einen anderen Umgang zwischen den Schülergruppen im Vorbereitungsjahr und in der Studienstufe erkennen. Es ergibt sich damit im Verlauf der Passage am Abendgymnasium eine Verschiebung im Kapital der Schüler (vgl. Abschnitt 7.2 und 8.1). Bei den Schülern, die sich näher zu ihrer Situation in der Studienstufe äußern, lassen sich die schwierigen Beteiligungsmöglichkeiten als eine komplexe Dynamik zwischen fehlenden Schlüsselqualifikationen, der neuen Gruppenzusammensetzung und Auseinandersetzungen um Anerkennung mit einzelnen Lehrern herausarbeiten. Bedeutsam ist dabei, dass der Stand der Schüler im Feld durch das Motiv der Bewährung besonders aufgeladen ist – in diesem Fall durch den Blick auf sie, als Gruppe, die es auf dem ersten Bildungsweg nicht geschafft hat. Aber auch ihr Erwachsenstatus scheint insofern von Bedeutung, als bestimmte Verhaltensweisen des doing student oder auch Wissenslücken bei Erwachsenen eher abgewertet werden (vgl. Abschnitt 7.2 und 8.1). Allerdings bedingen auch außerschulische Aspekte den Druck, den die Schüler im Laufe des Schulbesuchs zunehmend erleben. Die Moratoriumsbedingungen des Schulbesuchs stellen dabei wesentliche Faktoren dar, die den Erfolg des Schulbesuchs mitbestimmen (vgl. Abschnitt 8.2). Anders als während der Regelschulzeit sind die meisten Besucher des Abendgymnasium nicht von ihren Aufgaben als Erwachsene entpflichtet. Sie müssen für ihr ökonomisches Auskommen sorgen und teilweise auch für Familienangehörige. Die Beziehungen, in denen sie stehen, sind reziprok angelegt. Es wird deutlich, dass die im außerschulischen Lebenskontext zur Verfügung stehenden Ressourcen, mit Bourdieu Kapitalien, eine große Rolle für die schulischen Möglichkeiten spielen. Einen wesentlichen Faktor stellt hier die zum Lernen zur Verfügung stehende Zeit dar. Allerdings wurde im Rahmen der Untersuchung auch deutlich, dass die »Entpflichtung« eine Rolle spielt: Zeit kann im Bereich von Schule nicht allein quantifiziert werden. Sie hat auch einen qualitativen Aspekt, der durch die sonstigen lebenskontextuellen Belastungen beeinflusst wird. Der Begriff »Statuspassage« rückt den prozessualen Charakter des Bildungsgangs in den Vordergrund und macht gleichzeitig unterschiedliche Aspekte der Teilhabe am Bildungsgang und seiner sozialen Bedeutung sicht240
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bar. Anders als beispielsweise durch den Eintritt in einen Sportverein, ist dem schulischen Bildungsgang, der durch Eintritt und Austritt aus der Schule gegliedert ist, ein weitreichendes soziales Veränderungspotential zu eigen. Dieses Veränderungspotential wird von den Schülern als persönliche und berufliche Veränderung bezeichnet, mit Bourdieu könnte man von einem Zuwachs an inkorporiertem und institutionalisiertem kulturellen Kapital sprechen. Am Abendgymnasium ist dieses Veränderungspotential besonders präsent, weil das bisherige von den meisten als unbefriedigend empfunden wird – der Satz: »Es konnte einfach nicht so weitergehen« fällt in einer ähnlichen Formulierung in den unterschiedlichen Interviews immer wieder. Der schulische Bildungsgang ist somit anders als als Statuspassage überhaupt nicht denkbar. Zentral für diese Statuspassage ist die Veränderung der eigenen Lebensperspektive über Bildung. Gleichzeitig geht der Bildungsgang am Abendgymnasium mit einer weiteren Statuspassage einher, quasi dem Einfinden in den Schülerstatus und die besonderen Bedingungen des Feldes. Diese Statuspassage ist nicht mit dem Schuleintritt abgeschlossen, sondern kann durch Positionswechsel im Feld neue Aushandlungen nötig machen. Zugleich wirkt sie sich auch auf das soziale Umfeld aus; sei es durch die Veränderung des Freundeskreises, die Notwendigkeit durch die zeitliche Einschränkung Prioritäten zu setzen oder den Wandel von Einstellungen. Wie lässt sich nun auf den Punkt bringen, was dabei die Besonderheit des Abendgymnasiums ausmacht? Die besonderen Bedingungen der Teilhabe am Bildungsgang Abendgymnasium sind eng mit dem Bewährungsmotiv und dem Erwachsenenstatus der Schüler verknüpft, denn sowohl in Bezug auf die dem Bildungsgang verbundenen Aushandlungen als auch die konkreten Kapitalien betreffend ergeben sich dadurch Unterschiede: Der Schulbesuch am Abendgymnasium steht im Vergleichskontext zur Regelschule. Der zweite Bildungsweg wird dabei als »Nachholen« von etwas verstanden, was »eigentlich« in der Regelschulzeit hätte geleistet werden sollen. Er hat Ausnahmecharakter. Hinzu kommt, dass auf dem ersten Bildungsweg in der Regel negative Erfahrungen gemacht wurden. Der erneute Schulbesuch wird sowohl von Seiten der Schüler als auch von einem Teil der Lehrer als Bewährungsprobe angesehen. Allerdings gilt dies nicht für alle Schülergruppen gleich, sondern dieses Thema gilt für diejenigen Schüler in besonderer Weise, die mit Hauptschulabschluss in die Schule eintreten, weil sie die größte Spanne zum Abitur zu überwinden haben. Diese Themen spielen bei den Aushandlungen im Unterricht eine Rolle. Die Schüler haben teilweise das Gefühl, sich in einer Bewährungsprobe zu befinden und ihre Eignung für die Schule erst beweisen zu müssen. Die Praktiken des doing student, die sie anwenden, stoßen zum Teil auf Befremden. Allerdings lässt sich hier nicht klar trennen, ob sich dieses darauf richtet, dass sich Erwachsene in 241
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dieser Weise verhalten oder ob das Befremden in der partiellen habituellen Distanz zu dieser Gruppe begründet liegt. Gleichzeitig ist der Unterricht im Vorbereitungsjahr auch so ausgelegt, dass er ein doing student fördert. Neben den Aushandlungen im Unterricht ist das Bewährungsmotiv als Anliegen, es diesmal anders zu machen, ein wichtiges Thema in der Bezugnahme zum Unterricht. Für alle Schüler löst der erste Bildungsweg ihr jetziges Verhaltens aus, sei es durch die Angst, alte Fehler zu wiederholen, sei es durch das Bemühen um andere Umgangsweisen. Der Erwachsenenstatus selbst ist allerdings nur für eine kleine Teilgruppe der Interviewten von Bedeutung, die reflexive Lernstrategien wählt und von den Lehrern als Erwachsene ernst genommen werden möchte.1 Gleichzeitig haben auch die Lebensbedingungen als Erwachsene entscheidenden Einfluss auf den Schulbesuch. So ist die Entscheidung zurück zur Schule eingebettet in die Art und Weise der gelebten Liebesbeziehung und den beruflichen Status. Diese beiden Bedingungen bestimmen auch den Verlauf der Passage mit, da sie die »Moratoriumsbedingungen« entscheidend prägen. Dem Lebensalter kommt dabei Bedeutung zu, da zunehmendes Lebensalter Lebensformen, bei denen man in weitereichender Verantwortung steht, wahrscheinlicher macht. Aber auch die gesellschaftlichen Angebote zur Unterstützung des Schulbesuchs sind an das Lebensalter gekoppelt – insbesondere die Möglichkeit BAföG zu erhalten.
9.2 Interdependenz zwischen Schule und Lebenskontext: eine Konkretisierung mit Hilfe Bourdieus Um den Aspekten der Interdependenz zwischen Schule und außerschulischer Lebenswelt auf die Spur zu kommen, greife ich zunächst das von Bourdieu postulierte Wechselverhältnis zwischen Habitus und Kapital auf, denn in ihm sind schon Hinweise auf die Interdependenz angelegt. Unterschiedliche Herangehensweisen an den Bildungsgang lassen sich lebenskontextuell rückbeziehen – d.h. sie sind Teil einer habituellen Ausrichtung. Besonders deutlich wird dies in der Auswertung im Bereich der sozialen Bezugnahme über und auf Bildung und Schule. Bei den rekonstruierten Polen – formales Bildungsinteresse versus Bildung als Selbstzweck – handelt es sich um immer wieder für den Bildungsbereich herausgearbeitete Haltungsunterschiede, wie die aktuelle Arbeit von Helmut Bremer (2006, S. 80ff.) 1
Um den Umfang im Feld zu quantifizieren wären allerdings weitere Erhebungen notwendig. Durch den explorativen Charakter dieser Untersuchung sind Aussagen über zentrale Themen und Konstellationen möglich, nicht aber darüber, wie diese Konstellationen im Feld verteilt sind.
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deutlich macht. Habituelle Aspekte, insbesondere eine unterschiedliche Herangehensweise an das kulturelle Kapital und das akademische Milieu, die nicht losgelöst zu denken sind von der jeweiligen aktuellen sozialen Einbettung in Freundeskreis und Beziehung, haben sich dabei als besonders bedeutsam erwiesen. Allerdings soll hier im Anschluss an Bremers kritische Reflexion betont werden, dass es sich dabei um die Tendenzen der sprachlichen Selbstpräsentation handelt, die eng verknüpft sind mit der Einbindung in einen jeweiligen sozialen Kontext (vgl. Abschnitt 4.3 und Kapitel 6). Sie sind nicht losgelöst zu denken von der jeweiligen aktuellen sozialen Einbettung in Freundeskreis und Beziehung. Somit ergibt sich schon über die habituelle Ausrichtung, die die Bezugnahme zur Schule prägt, eine Interdependenz zwischen Schule und Lebenswelt, da die habituelle Ausrichtung eng mit dem Lebenskontext verbunden ist. Die habituelle Ausrichtung zeigt sich dabei auch verknüpft mit der Notwendigkeit des Bildungsgangs und der damit verbundenen Ressourcenlage einer Person. Insbesondere die anhand des Schemas von Heinz (1996, vgl. Abschnitt 1.2) eingeführte Frage nach der Reversibilität des Bildungsgangs erwies sich hier als fruchtbares Konzept, das dazu beigetragen hat, für die unterschiedlichen Ressourcenlagen und deren Auswirkungen für die Bedingungen der Teilhabe zu sensibilisieren. Dabei konnte herausgearbeitet werden, dass neben der Frage der beruflichen Etablierung insbesondere die möglichen Alternativen einer Person zum Bildungsgang am Abendgymnasium Hinweise auf die Ressourcen einer Person geben. So wurde beispielsweise das Alter als ein Faktor deutlich, der aufgrund der Ausrichtung von schulischer Bildung an der Normalbiographie im schulischen Bildungsgang die Alternativen und Möglichkeiten einer Person mitbestimmt. Bourdieus Annahme, dass die Ressourcenkonstellation nicht von der habituellen Ausrichtung zu trennen ist, konnte somit anhand der Fragen nach der Reversibilität und Notwendigkeit für den Bildungsgang konkret ausdifferenziert werden. Diese Ressourcenlage, die sich im Habitus spiegelt, ist dabei ebenfalls Teil der Interdependenz zwischen Schule und Lebenskontext. Es konnten m.E. allerdings auch wichtige Aspekte für die Teilhabe am Bildungsgang aufgezeigt werden, die in das in Anlehnung an Bourdieu entwickelte zweidimensionale Feld (vgl. Abschnitt 4.3) der habituellen Ausrichtung nur unzureichend eingebracht werden konnten. In diesem wird anhand der Achsen Milieuorientierung/Bildungsausrichtung sowie berufliche Etablierung/Alternativen ein Raum aufgespannt. Allerdings scheint auch die jeweilige Beziehungskonstellation die soziale Bedeutung des Bildungsgangs weiter auszudifferenzieren. Lebensgeschichtliche Aspekte, die durch den Mut, den es braucht, an das Abendgymnasium zu gehen, und den von vielen erlebten Einschnitt im Lebensverlauf die soziale Bedeutung des Abendgymnasiums mitbestimmen, können ebenso wenig in diesem Schema sichtbar gemacht 243
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werden. Muss das zweidimensionale Konzept demnach verworfen oder ergänzt werden? Diese Frage ist sicher nicht abschließend zu beantworten, anhand der Untersuchung am Abendgymnasium erscheint mir allerdings eine andere Alternative sinnvoller: Die über die eher allgemeinen habituellen Aspekte hinausgehende Ausdifferenzierung der sozialen Bedeutung des Bildungsgangs am Abendgymnasium als Teil der feldspezifischen Besonderheiten sichtbar zu machen. Die über den Habitus hinausgehenden Bestandteile der sozialen Bedeutung können am Abendgymnasium mit den besonderen Charakteristika des Feldes in Verbindung gebracht werden. So stehen die Bedeutung des Alters und des besonderen Mutes für den Schritt an die Schule in Zusammenhang mit dem Charakter der schulischen Passage als »untypischem« Bildungsgang. Der Schritt ans Abendgymnasium ist durch das Motiv der Bewährung zusätzlich aufgeladen. Der Regelschule kommt dabei als Vergleichs- und Rechtfertigungskontext eine besondere Relevanz zu. Gleichzeitig sind auch die soziale Position als Erwachsener und die damit einhergehenden Verpflichtungen von Bedeutung für den Bildungsgang (vgl. Abschnitt 8.2). Es ergibt sich somit auch eine Interdependenz zwischen Schule und außerschulischer Lebenswelt dadurch, dass die spezifischen Charakteristika des Bildungsgangs auch die damit verbundenen Aushandlungen außerhalb der Schule – bspw. den Mut den es braucht, den Schulbesuch anzugehen – beeinflussen. Für den Bildungsgang lässt sich somit die Interdependenz zwischen außerschulischem Kontext und Schule zunächst als ein Wechselverhältnis zwischen Habitus und Charakteristika des Bildungsgangs konkretisieren. Unterschiedliche Haltungen und Praktiken treffen auf feldspezifische Themen des Bildungsgangs wie: Veränderung des eigenen Lebens, Bewährung im Vergleich zum bisherigen und die Verantwortung, in der man als Erwachsener steht. Gleichzeitig prägen habituelle Aspekte die Art und Weise der Bezugnahme zur Schule und haben so Einfluss auf den Schulbesuch. Die Interdependenz zwischen Schule und außerschulischem Kontext differenziert sich allerdings in dieser Untersuchung anhand der konkreten sozialen Aushandlungen in den jeweiligen Kontexten im Verlauf des Bildungsgangs spezifisch aus. Die Teilhabe am Bildungsgang wird so in ihrer komplexen Verschränkung sichtbar, bei der lebenskontextuelle wie innerschulische Veränderungen im Alltag sich wechselseitig bedingen. Deutlich wird diese Interdependenz beispielsweise in der Studienstufe. Einerseits ist die Position in der Studienstufe Ergebnis der schulischen Bedingungen am Abendgymnasium, dem Status der Akteure und der Passung in die Bezugnahmeformen aller am Feld Beteiligten. Andererseits ist die Position im Feld auch abhängig von den konkreten Bedingungen außerhalb der Schule. So haben beispielsweise Veränderungen im Lebensalltag wie die Beendigung 244
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einer Liebesbeziehung oder berufliche Veränderungen – also ein Wechsel der Moratoriumsbedingungen – Einfluss auf die Position in der Schule und den Schulerfolg. Durch die zeitliche Entpflichtung, die innerschulische Aufmerksamkeit sowie die Möglichkeit zum außerschulischen Lernen wirken sie auf die Schule zurück (vgl. Abschnitt 8.2). Gleichzeitig ergeben sich durch die Schule auch Veränderungen im sozialen Alltag bspw. dadurch, dass weniger Zeit zur Verfügung steht, um Freundschaften zu pflegen (vgl. Abschnitt 6.3). Oder die sozialen Erfahrungen in der Schule wirken auf das eigene Selbstverständnis auch außerhalb der Schule zurück – bspw. in dem man andere kennen lernt, die ebenfalls keinen geraden Lebensweg haben (vgl. Abschnitt 6.3) oder die bisher mit dem Lebenspartner geteilten Einstellungen in Frage stellt (vgl. Abschnitt 3.1). Diese Interdependenz zwischen lebenskontextueller Passage und innerschulischer Passage differenziere ich hier in einem explorativen Konzept daher wie folgt aus (vgl. Abbildung 10):
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Abbildung 10: Interdependenz im Bildungsgang am Abendgymnasium 2
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Habituelle Interdependenz: Die Akteure gehen mit ihrem jeweiligen Habitus in den Bildungsgang hinein. In den unterschiedlichen Teilsaspekten des Bildungsgangs zeigen sich übergreifende Grundhaltungen, die sich in einer bestimmten Form der sozialen Bezugnahme widerspiegeln. Zentral erscheinen hier die Orientierung am jeweiligen kulturellen Kapital sowie die Etablierung. Diese habituelle Ausrichtung zeigt sich in den unterschiedlichen Bezugnahmen zu Bildung. Diese sind aber je nach den unterschiedlichen Anerkennungskontexten zu differenzieren: Die soziale Bezugnahme über den Bildungsgang ist zentral auf Veränderung ausgerichtet. Die konkrete Gestaltung und Bedeutun der Veränderung korrespondiert dabei mit der jeweiligen Lebens- und Beziehungsform sowie besonderen lebensgeschichtlichen Fragen. Im Feld Schule ist das zentrale Thema zunächst der Aufbau einer sozialen Position. Die Bezugnahme erfolgt hier über die relevanten Aspekte der Interaktionssituation, die für den Unterricht als Herstellung von Aufmerksamkeit, Bezugnahme zu Lehrern, Inhalten und dem ersten Bildungsweg gekennzeichnet wurden. Im Verlauf des Bildungsgangs werden am Abendgymnasium dabei zunehmend auch Passungsfragen zwischen der habituellen Bezugnahme zur Schule und den Besonderheiten des Feldes deutlich. Eine besondere Rolle kommt dabei der Klassenkonstellation zu. Bildungsgangspezifische Interdependenz: Der Bildungsgang am Abendgymnasium ist mit verschiedenen Grundthemen verbunden, die sich zwar in unterschiedlicher Ausformung aber trotzdem übergreifend in den unterschiedlichen Teildimensionen des Bildungsgangs wiederfinden lassen. Zentral für den Bildungsgang scheint die illusio der Veränderung über Bildung. Für das Abendgymnasium ist sie allerdings spezifisch ausdifferenziert. Die Passage am Abendgymnasium ist für die meisten Schüler nicht reversibel und dadurch in besonderer Weise für ihre weitere Lebensgestaltung notwendig. Hinzu kommt, dass man sie auch als Statuspassage in der Statuspassage beschreiben kann: Die institutionelle Statuspassage am Abendgymnasium ist Teil einer lebensweltlichen Statuspassage, die mit einschneidenden Lebensereignissen verbunden ist. Der Besuch der Schule bedeutet für die meisten eine weitreichende Umorientierung ihres eigenen Lebens. Durch das Motiv der Bewährung und den Vergleich mit der Regelschule ist der Bildungsgang am Abendgymnasium besonders aufgeladen. Auch dies zeigt sich in verschiedenen Teilaspekten der lebenskontextuellen oder schulischen Bezugnahme zum Bildungsgang. Hinzu kommt der Status der Schüler als Erwachsene und die damit einhergehende besondere Ressourcenlage des Bildungsgangs. Anders als die Regelschule geht Schule hier nicht mit Entpflichtung einher, sondern stellt sogar im Gegenteil eine zusätzliche Verpflichtung dar.
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Diese übergreifenden Aspekte sind dabei für die jeweiligen Kontexte und die mit ihnen verbundenen zentralen Themen unterschiedlich ausdifferenziert. Man kann in ihnen übergeordnete Charakteristika des Feldes sehen, die im Fall des Bildungsgangs auch zeitliche Aspekte mit beinhalten. Diese Charakteristika differenzieren sich in den relevanten Teilkontexten, Schule und sonstiger sozialer Lebensbereich, spezifisch aus. Wechselseitige Beeinflussung von Schule und sozialem Lebensbereich durch Positionsinterdependenz und Erfahrungsinterdependenz: Das am Ende des 6. Kapitels konstatierte Wechselverhältnis durch Veränderungen im Alltag lässt sich m.E. für das Abendgymnasium als Positionsinterdependenz und Erfahrungsinterdependenz konkretisieren. Die sozialen Positionen bezüglich der erhaltenen Anerkennung der Akteure in den jeweiligen Kontexten stehen in einem engen Wechselverhältnis. Dabei werden die Bedingungen in den jeweiligen Kontexten wechselseitig zur Ressource. Besonders augenfällig ist dies anhand der herausgearbeiteten Moratoriumsbedingungen. Hier überträgt sich in einem Akt der Kapitalumwandlung, bei dem Zeit und Entpflichtung eine besondere Rolle spielen, außerschulisches Kapital auf den Schulerfolg. Gleichzeitig scheint die Position in der Schule auch auf die außerschulische Position zurückzuwirken. So beschreibt Markus eine enge Verknüpfung zwischen Schulerfolg und Lebenszufriedenheit. Das Gefühl, in der Schule trotz Anstrengung nicht den gewünschten Erfolg zu erzielen, beeinflusst sein Selbstwertgefühl und macht ihn auch außerschulisch angreifbarer. Hinzu kommt, dass die Verwirklichung der eigenen Lebenspläne eng an den Schulerfolg gekoppelt ist. Gelingt der Schulabschluss nicht, muss auch außerschulisch wieder eine weitreichende Umorientierung vorgenommen werden. Gleichzeitig zeigen sich auch die Erfahrungen in den unterschiedlichen Handlungsräumen in einem Wechselverhältnis. Die Schule wird dabei auch zum Sozialraum, in dem neue Beziehungen erfahren werden, die die Person und ihre Ausrichtung verändern können. So schildert beispielsweise Jens die für ihn große Bedeutung, andere mit ähnlich schwierigem Hintergrund kennen zu lernen und zu sehen, wie sie ihr Leben meistern. Diese Erfahrung macht ihm auch außerschulisch Mut. Markus beschreibt auf der anderen Seite, wie die Erfahrungen in der Schule für ihn zu einer neuen Auseinandersetzung mit dem akademischen Milieu führen und sich hier sein Selbstverständnis ändert. Anders als unter der Positionsinterdependenz beschrieben, erfolgt das Wechselverhältnis hier über von Erfahrung initiierte Veränderungsprozesse.
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9.3 Forschungsausblick Inwieweit spielen diese anhand des Abendgymnasiums entwickelte Themen für den schulischen Bildungsgang an sich eine Rolle? Wesentliche Anknüpfungspunkte für eine Übertragung in andere Bereiche ergeben sich m.E. durch die Ausdifferenzierung der Herstellung von Teilhabe am Bildungsgang als doppelter Statuspassage, die vorgenommene Systematisierung der Interdependenz und die forschungspraktische Fassung des Habitus als Bezugnahme. In Bezug auf den Bildungsgang als doppelter Statuspassage ist eine Übertragbarkeit auf andere Kontexte wahrscheinlich, denn durch die doppelte Ausrichtung der Schule auf institutionalisiertes kulturelles Kapital einerseits, das über Abschlüsse gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht und herstellt sowie auf inkorporiertes Kapital andererseits, das für seinen Erwerb Beteiligungsmöglichkeiten und -interesse am Lernen im Unterricht braucht, ist diese doppelte Ausrichtung immanent angelegt. Das hier gewählte Herangehen, die Statuspassagen über die Bezugnahme der Akteure über bzw. auf Schule sichtbar zu machen und sie weiter auszudifferenzieren, wäre vermutlich auch für andere Kontexte geeignet, die Herstellung von Teilhabe und ihre Bedingungen bezogen auf die konkreten Handlungskontexte zu differenzieren. Theoretisch wäre dabei eine Verknüpfung mit dem Modell von Tinto lohnend, der im universitären Bereich ein Konzept zur Beschreibung von Bildungsgängen entwickelt hat (vgl. Tinto 1975). Zudem zeigen sich Parallelen zwischen den vertikalen und horizontalen Aspekten der Statuspassage und den von Marotzki (1999) im Zuge des Konzepts der »Biographisierung« benannten Ordnungsleistungen. Auch hier wäre ein theoretischer Vergleich lohnenswert. Im Hinblick auf die Ausdifferenzierung der Interdependenz zwischen Schule und außerschulischer Lebenswelt stellt die in dieser Arbeit vorgenommene Konzeptionalisierung in Habitusinterdependenz, bildungsgangspezifische Interdependenz, Positions- und Erfahrungsinterdependenz einen ersten Schritt dar, der weiterer Ausdifferenzierung bedarf. So besteht insbesondere bezüglich der Habitusinterdependenz und der Frage nach schulbezogenen Relevanz des Habitus noch Forschungsbedarf. Für den Bereich der übergreifenden bildungsbezogenen Haltungen und Praktiken, in dieser Arbeit als Bezugnahme über den Bildungsgang in den Blick genommen, gibt es allerdings aktuelle Forschungsprojekte, die hier weitere Aufklärung versprechen oder diese zum Teil schon erbracht haben (beispielsweise Lange-Vester 2000, Brake/Kunze 2003, Büchner/Wahl 2005, Bremer 2006). Im Bereich der konkreten habituellen Anknüpfung an das Schulgeschehen, in dieser Arbeit als Bezugnahme auf Schule und Unterricht analysiert, besteht m.E. noch eine größere Forschungslücke. Forschungen zu milieudifferenziertem Herangehen an die Schule, die die konkreten Aushandlungen im Schulgeschehen berücksichtigen, fehlen. Sinnvoll wäre hierfür 249
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langfristig, beim Einzelnen ansetzende Lernforschung (beispielsweise Zinnecker 2001, Behnken/Zinnecker 2001, Büchner 2002) mit Milieuansätzen (beispielsweise Bremer 2004 o. Bohnsack 1989 und 1999) und Forschung zu konkreten Aushandlungen im Unterricht (beispielsweise Faulstich-Wieland 2004, Weber 2003, Breidenstein 2006) zu verknüpfen, um für die unterschiedlichen Schulformen und Klassenkonstellationen differenzierte Erkenntnisse zu sammeln. Um dabei auch die für die Schule notwendigen Ressourcen analysieren zu können, bietet m.E. das Konzept des »Images« (vgl. Abschnitt 1.1) einen Ansatzpunkt. Das Konzept des »Images« hilft klarer zu formulieren, was in der Schule zum Kapital wird. Ich gehe davon aus, dass die doxa des Feldes über Rückmeldungen bezüglich des Images vermittelt wird. Diese Rückmeldungen sind an ein »Gesamtbild« gekoppelt und entsprechen dem Grundcharakter sozialer Wahrnehmung. Diese hängt zusammen mit Schemata, durch die bei der Wahrnehmung bestimmter Verhaltensweisen einer Person auch andere, nicht sichtbare Eigenschaften bzw. Verhaltensweisen impliziert werden. Image benennt nun diese »akkumulierte« Form, in der symbolisches Kapital in Interaktionen zum Tragen kommt. Der Begriff des Images fragt also nicht nur danach, wie symbolische Kapital verteilt wird, sondern er nimmt fokussiert in den Blick, wie symbolisches Kapital als »Bild« zwischen Interaktionspartnern verhandelt wird. Die im Moment eher gängige Ausrichtung auf symbolisches Kapital bzw. Anerkennung fasst dies nur unzureichend. Hinzu kommt, dass Goffman (1986) unter dem Begriff der »Imagepflege« die Herstellung eines Images gezielt in den Blick nimmt. Die habituellen Formen der sozialen Bezugnahme lassen sich dabei in verschiedene Formen der Imagepflege einordnen, die deutlich machen können, welcher Aspekt des sozialen Geschehens jeweils in den Vordergrund gerückt wird. Ein weiterer Bereich, in dem weitere Forschung m.E. erforderlich ist, ist der Bereich des außerschulischen Lernens und der alltäglichen Bedingungen, in die die Schule für die Schüler eingebunden ist, in dieser Arbeit als Positions- und Erfahrungsinterdependenz benannt. Ansatzpunkte hierfür finden sich in der Forschung zur alltäglichen Lebensführung (beispielsweise Kirchhöfer 1996). Nötig wäre es allerdings hier, die soziokulturelle Ausdifferenzierung stärker in den Blick zu nehmen. Ansatzpunkte bietet dabei die Frage nach den »Moratoriumsbedingungen« des Schulbesuchs. Wesentlich ist auch die Frage der Kapitalumwandlung – mit anderen Worten, wie sich die ökonomischen und sozialen Bedingungen konkret auf den Bildungserwerb auswirken. Wie in dieser Arbeit herausgestellt worden ist, scheint ein zentrales Bindeglied die entpflichtete Zeit zu sein. Hier sind m.E. allerdings weitere alltagsnahe Forschungen nötig, um die Mechanismen der Umwandlung konkreter aufdecken zu können. Hinsichtlich der Erfahrungsinterdependenz wäre es lohnenswert, die sich im Bildungsgang ergebenden Veränderungen dahin zu analysieren, 250
RESÜMEE UND AUSBLICK
inwieweit sich in ihnen Habitusmetamorphosen vollziehen (vgl. Vester 2001, Lange-Vester 2000).
9.4 Schlussfolgerungen für die Praxis Eine weitere wichtige Frage am Ende dieser Arbeit ist ein Blick auf die praktische Anwendbarkeit der Ergebnisse. Inwieweit sind sie für Schüler und Schule von Nutzen? Dabei möchte ich im Folgenden auf Schüler und Schule getrennt eingehen:
Einzelschüler Für die Schüler ist die Herstellung von Teilhabe am Bildungsgang verbunden mit unterschiedlichen Bezugnahme-, Positionierungs- und Orientierungsleistungen. Anhand der erarbeiteten Ausdifferenzierung der Bezugnahme über und auf den Bildungsgang lassen sich diese für die Schüler in unterschiedliche Themen differenzieren, die während des Bildungsgangs eine Rolle spielen. Lebenskontextuell-perspektivische Themen: Für die Teilhabe am Bildungsgang ist die Frage der Legitimation dieses Schrittes für eine Person selbst und ihr Umfeld zu klären. Die Legitimation des Bildungsgangs ergibt sich aus seiner Möglichkeit Veränderung zu initiieren. Um den Bildungsgang anzugehen und durchzuhalten braucht es eine positive Vorstellung darüber, was man über den Bildungsgang für einen selbst, beruflich und letztlich auch innerhalb der sozialen Bezugsgruppe erreichen möchte. Die Entscheidung hin zum Bildungsgang bedarf dabei auch des Mutes, die gängigen Bahnen des eigenen Lebens zu verlassen und sich noch einmal in einen Schulkontext hineinzubegeben. Im Laufe des Entscheidungsprozesses scheint dabei immer mehr die Notwendigkeit in den Vordergrund zu treten, es nun endlich anzugehen. Diese gefühlte Notwendigkeit ist dabei auch mit äußeren Notwendigkeiten beruflicher, schulinstitutioneller und biographischer Art verbunden. Die Möglichkeit, sich außer dem aktuellen Lebensweg etwas anderes vorstellen zu können und dies durch eigene Kraft für erreichbar zu halten, stellt somit eine für den Bildungsgang am Abendgymnasium zentrale habituelle Ressource dar. In erster Linie legitimieren zukunftsperspektivische Themen den Bildungsgang. Der Bildungsgang soll zu einem Ziel in der Zukunft führen, das über die Schule selbst hinausgeht. Die Schule ist dabei in gewisser Weise auch Barriere, die vor der Erreichung des eigentlichen Ziels steht. Von den meisten Schülern wird der Bildungsgang am Abendgymnasium als nichtreversible Passage beschrieben – im Fall des Scheiterns sehen sie für sich keine andere Möglichkeit ihr Ziel zu erreichen. Dies liegt an für den Bil251
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dungsgang entscheidenden Ressourcen wie das Alter, aber auch die weitreichende ökonomische Belastung durch den Schulbesuch. Hinzukommt bei einigen das Gefühl auf dem ersten Bildungsweg gescheitert zu sein: Der erneute Anlauf wird als letzte Chance gesehen. Dieser »Bewährungscharakter« prägt die symbolische Auseinandersetzung mit dem Bildungsgang entscheidend. Für die Akteure ist dies einerseits Ansporn, andererseits wird die Passage auch durch den Druck, es diesmal schaffen zu müssen, extrem belastet. Die Fragen der schulischen Legitimation sind dabei mit Beginn der Schule nicht abgeschlossen. Sie treten auch im Verlauf der Schule immer wieder auf. Bei den interviewten Schülern und der einen Schülerin war dies vor allem in krisenhaften Phasen der Fall, in denen noch einmal darüber reflektiert wurde, ob und inwieweit sich der investierte Einsatz lohnt. Dieser Einsatz wird von denen, die parallel arbeiten, als sehr hoch erlebt. Dabei spielen auch die gesellschaftlichen Kontextfaktoren eine Rolle. BAföG ist für die Schüler die mit dem Hauptschulabschluss eintreten erst nach zweieinhalb Jahren an der Schule beantragbar. Schüler über 30 erhalten gar kein BAföG. Dies bedeutet für die Akteure, dass sie und ihr soziales Umfeld die ökonomischen Ressourcen für die Passage weitgehend allein aufbringen müssen. Schulspezifisch-horizontale Themen: Die Schule ist für die Schüler ein Leistungskontext, in dem eine gewisse Position erreicht werden muss, um die mit der Schule verbundenen Ziele verwirklichen zu können. Zentral hierfür ist der Unterricht, der als Sozialraum mit ganz eigenen Spielregeln gekennzeichnet werden kann. Den Lehrern kommt in diesem die Rolle der Gatekeeper zu. Die Schüler nehmen auf die inhaltlichen wie sozialen Anforderungen auf unterschiedliche Weise Bezug und stellen dabei unterschiedlich Aufmerksamkeit her. Für das Abendgymnasium spielt dabei auch die Gefahr der Wiederholung schulischer Muster des ersten Bildungswegs ein Rolle. Die Schüler wenden hier mit Rückbezug auf Goffman (1986) unterschiedliche Strategien der Imagepflege an, wobei jeweils bestimmte Faktoren der Gesamtsituation unterschiedlich gewichtet werden. Manche stellen bei der Herstellung eines Images die Lehrer-Schüler-Beziehung ins Zentrum (Jens, Florian), andere die Inhalte (Birgit, Kai), wieder andere ihr eigenes Gefühl von Kompetenz (Markus, Harald) oder Souveränität (Demir). Trotz dieser unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen spielen aber die jeweils anderen Aspekte für die Herstellung eines Images ebenfalls eine Rolle. Die Gewährung eines Images ist dabei von verschiedenen Faktoren abhängig: Neben dem Verhalten der Einzelperson und ihrer fachlichen Kompetenz spielen auch das Gesamtansehen der Gruppe, die Gruppenzusammensetzung sowie institutionelle Faktoren wie beispielsweise die Notwendigkeit, eine bestimmte Schülerzahl zu erreichen oder auch bestimmte didaktische Konzepte eine Rolle. Das Image wird an der Schule über Noten oder auch informelles Feedback rückgemeldet. 252
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Aber auch die schulische Position ist nicht statisch, sondern muss in unterschiedlichen Situationen und mit unterschiedlichen Personen immer wieder neu hergestellt werden. Neben diesem ständigen Herstellungs- und Aushandlungsprozess gibt es aber auch innerschulische Wendepunkte, die per se eine neue Positionsbestimmung mit sich bringen. Der Übergang zur Oberstufe scheint am Abendgymnasium einen solchen Wendepunkt darzustellen. Dabei ändert sich nicht nur das Unterrichtssystem hin zum Kurssystem, auch die Zusammensetzung der Schüler und der mit dem Unterricht verbundene Anspruch scheint sich zu wandeln. Es kommt so innerschulisch innerhalb des Bildungsgangs zu einem weiteren Übergang. Lebenskontextuell-horizontale Themen: Der Schuleintritt bedeutet auch einen neuen sozialen Lebenskontext. Dabei werden Themen der sozialen Zugehörigkeit neu ausgehandelt. Einerseits strukturiert sich im Lauf der Passage am Abendgymnasium der bisherige soziale Bezugskontext um, da aufgrund der eingeschränkten Zeit soziale Beziehungen nicht mehr so gepflegt werden können wie dies zuvor der Fall war. Andererseits kommt ein weiterer sozialer Bezugskontext zum bisherigen hinzu, der vor allem für die Jüngeren von großer Bedeutung ist. Bei den für diese Studie Befragten spielte dabei auch eine große Rolle, nun mit Leuten zusammen zu lernen, die ähnlich schwierige Lebensbiographien und Lebensbrüche zu bewältigen haben, was beispielsweise von Jens und Birgit thematisiert wird. Ihnen ermöglicht die Schule hier das Gefühl von sozialer Zugehörigkeit. Andere hingegen beschreiben ihren sozialen Umgang in der Schule sowohl was die Mitschüler als auch was die Lehrer angeht, als gezielte Abgrenzung wie Harald. Allerdings wurde Harald im ersten Jahr an der Schule befragt. Es ist dabei offen, inwieweit dies eine Strategie ist, die auch nach drei Jahren an der Schule noch bedeutsam ist. Unter der Perspektive der Moratoriumsbedingungen ist deutlich geworden, dass neben der Zeit, die außerschulisch zum Lernen bleibt, auch die Freistellung von Verantwortung ein zentrale Rolle für den Schulerfolg spielt. Die Art und Weise, in der die lebenskontextuell-horizontale Passage bezüglich der sozialen Unterstützung, aber auch im Hinblick auf für den Schulerfolg kritische Ereignisse verläuft, wird zu einer entscheidenden Ressource für den Schulerfolg. Im Zuge der zunehmenden Bedeutung von lebenslangem Lernen, das Bildung auch zum Teil von Lebensphasen macht, die nicht durch ein soziales Moratorium begleitet werden, ist es m.E. sinnvoll, die Lerner im Hinblick auf die mit einem Bildungsgang verbundenen Orientierungsleistungen jenseits des Lernens selbst zu sensibilisieren. Durch eine Reflexivität im Hinblick auf Zukunftsfragen, soziale Auswirkungen und der konkreten schulischen Interaktion können die auftauchenden Schwierigkeiten als Teil des Bildungsgangs verstanden werden. Zeitweilige Überforderung und Probleme im privaten 253
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Umfeld sind dabei nicht ein individuelles Versagen, sondern Teil einer sehr anspruchsvollen Lern- und Lebenssituation: Die zweite Chance ist nicht nur durch den Druck der Bewährung sozial aufgeladen, sondern für viele durch eine starke Mehrfachbelastung geprägt.
Schlussfolgerungen für die Schule Es ist in der Arbeit deutlich geworden, dass das Lernen am Abendgymnasium jenseits des spezifischen Habitus’ und konkreten Lebensumständen eine Herausforderung darstellt. Diese habe ich bisher aus Sicht der Akteure beschrieben. Abschließend wechsle ich nun noch einmal die Perspektive und frage nach den kontextuellen Bedingungen, die diese Passage so schwierig machen. Dadurch kann deutlich werden, welche Ansatzpunkte an den Rahmenbedingungen es gibt, die die Chancen evtl. erhöhen, den Bildungsgang am Abendgymnasium erfolgreich abzuschließen. Das Lernen am Abendgymnasium bleibt in einem Spannungsfeld gefangen, das ich für mich im Lauf der Arbeit das »Paradox der Nachholung« genannt habe: Hält man an einem bestimmten Bildungsstandard, der schulstufenspezifisch bekannt sein sollte fest, müssen einerseits Inhalte, die eigentlich schon vorhanden sein sollten, wiederholt werden, was Zeit erfordert. Andererseits müssen auch die Kompetenzen der aktuellen Jahrgangsstufe vermittelt werden, damit der Rückstand sich nicht immer wieder neu herstellt. Dehnt man den zeitlichen Rahmen nicht aus, muss letztlich mehr in weniger Zeit als an der Regelschule gelernt werden, da sowohl der alte Stoff wiederholt als auch der neue vermittelt werden muss. Am Abendgymnasium ist aber durch die geringere Stundenzahl als an einer normalen allgemeinbildenden Schule und die durch den Berufsalltag der Schüler eingeschränkte Möglichkeit für Hausaufgaben weniger Zeit vorhanden. Hinzu kommt noch, dass einige aus der Schülergruppe jahrelang nicht mehr gelernt haben und erst mal wieder neu in die Schule hineinfinden müssen, wodurch einige Lehrer zunächst ein eher langsames Unterrichtstempo wählen. Betrachtet man diese Konstellation rein logisch, kann sie gar nicht funktionieren. Die verschiedenen Kontexte der Nachholung, die am untersuchten Abendgymnasium beobachtbar waren – Nachholung in einer Gruppe von ebenfalls nachholenden Mitschülern sowie eine marginalisierte Stellung in einer Gruppe, die an sich schon weiter ist – gehen jeweils mit Nachteilen einher: Im einen Fall besteht die Gefahr darin, dass die Gruppe an sich den Anschluss an das für diese Jahrgangsstufe gängige Niveau verliert; im anderen Fall droht den Schülern, sich aufgrund ihrer marginalisierten Stellung nicht beteiligen zu können und mittelfristig die Schule zu verlassen oder nicht versetzt zu werden.
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Erschwerend kommen weitere Bedingungen hinzu: Die Art des Lernens und das geforderte inkorporierte Kapital, das in erster Linie als Schlüsselkompetenzen diskutiert wird, ist am Gymnasium anders als an der Hauptschule. Für ein Teil der Schüler kommt deshalb zudem noch die Anforderung hinzu, neue Denkmuster und Kommunikationsstrategien zu lernen. Die geführten Interviews legen hier den Eindruck nahe, dass es dafür an der Schule bisher kaum didaktische Konzepte gibt. Die unterschiedlichen Schulstufen sind zudem durch eine hohe Heterogenität geprägt. Neben den für die Schule sonst üblichen Faktoren wie soziokultureller Hintergrund, Migrationshintergrund und Geschlecht, spielen weitere Faktoren wie Erfahrungen des ersten Bildungswegs, Alter, momentane berufliche Situation und momentane familiäre Situation eine zusätzlich differenzierende Rolle. Auch die mit dem Schulbesuch verbundenen Ziele sind unterschiedlich. Während für die einen unterstützt von ihrem Freundeskreis das Abitur das unangefochtene Ziel darstellt, steht für andere eher die Aufbesserung bestimmter Grundfertigkeiten wie Lesen im Vordergrund. Für diejenigen Schüler, die mit dem Hauptschulabschluss am Abendgymnasium beginnen, ist auch die aktuelle BAföG Regelung von Nachteil. Es besteht nur die letzten anderthalb Jahre vor dem Abitur der Anspruch auf Förderung, unabhängig davon, wann man in die Schule eingetreten ist. Das heißt, jemand mit vormals Fachhochschulabschluss, der im ersten Jahr der Studienstufe einsteigt, hat nur ein halbes Jahr zu überbrücken. Ehemalige Hauptschüler müssen aber zweieinhalb Jahre der Schulzeit selbst finanzieren, bevor für sie ein BAföG-Anspruch besteht. Für Schüler über dem 30. Lebensjahr besteht diese Finanzierungsmöglichkeit überhaupt nicht. Nachholung, dies wird deutlich, bedarf anderer Unterrichtskonzepte als der Orientierung am Klassenniveau und fester Lerninhalte der Jahrgangsstufe. Es wird deutlich, dass nur ein differenzierter Umgang mit Heterogenität und unterschiedlichen Lernprofilen bei Schülern im Kontext von Nachholung langfristig einen Anschluss an das für die Abschlüsse geforderte Leistungsniveau ermöglichen würde. Diese Problematik wird dadurch verstärkt – und dies ist m.E. nicht nur im untersuchten Feld der Fall –, dass der Bereich des außerschulischen Lernens sowie die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen weitgehend der Selbstsozialisation überlassen bleibt. Dies betrifft nicht nur den Bereich der Kompetenzen, sondern auch die Bereitstellung von Zeit und Freistellung für das Lernen. Wesentlich, um mit dem Paradox der nachholenden Bildung umgehen zu können, ist dabei m.E. für das Abendgymnasium auch mehr Souveränität gegenüber der Regelschule. Würde man die Schule als gezielten vierjährigen Abiturvorbereitungskurs begreifen, sähe der Unterricht vermutlich anders aus als bei dem Versuch, zunächst den Stand der 10. Klasse herzustellen. Dies
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würde auch eine stärkere Orientierung an Grundfertigkeiten mit sich bringen und ein gezieltes Heranführen an strukturiertes Lernen. Dies trifft wohl auch für andere Schulformen zu, in denen Schüler lernen, die aus verschiedenen Gründen zunächst nicht den für ihr Alter geforderten Lernstand erfüllen. Allein die Forderung nach der Heterogenisierung des Unterrichts reicht hier nicht aus. Es sind vielmehr Konzepte gefragt, die die besondere Problematik der Nachholung berücksichtigen. Dazu gehören auch didaktische Konzepte, die aufzeigen, auf welche Weise Lernrückstände und schwierigkeiten aufgehoben und sogenannte Schlüsselkompetenzen vermittelt werden können. Die von Faulstich (1981) beschriebene doppelte Selektivität der Erwachsenenbildung zeigt sich somit auch am Abendgymnasium in einer spezifischen Form: Einerseits haben die Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulabschluss durch ihr inkorporiertes kulturelles Kapital, ihre Moratoriumsbedingungen und den längeren Weg zum Abitur schlechtere Startvoraussetzungen als andere Schülerinnen und Schüler am Abendgymnasium; anderseits fehlt im Feld Schule ein Umgang mit ihren speziellen Voraussetzungen und sie geraten gegenüber den Schülern, die mit höherem Bildungsabschluss ins Abendgymnasium eintreten, zusätzlich ins Hintertreffen.
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Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
Abbildung 1: Continuum of Status Passages nach Heinz Abbildung 2: Institutionelle Passage am Abendgymnasium Abbildung 3: Statuspassagen im Bildungsgang Abbildung 4: Positionen am Abendgymnasium Abbildung 5: Soziale Bezugnahme über den Bildungsgang Abbildung 6: Bezugnahme in der Schule – Themen des Vorbereitungsjahres Abbildung 7: Interdependenz im Bildungsgang am Abendgymnasium Abbildung 8: Aspekte des Feldes Abendgymnasium Abbildung 9: Soziale Bezugnahme in der Studienstufe Abbildung 10: Interdependenz im Bildungsgang am Abendgymnasium 2
42 53 96 135 138
Tabelle 1: Forschungsvorgehen Tabelle 2: Auswertung soziale Bezugnahme über das Abendgymnasium Tabelle 3: Auswertung soziale Bezugnahme am Abendgymnasium Tabelle 4: Positionen in der Bezugnahme am Abendgymnasium
71 133 157 161
163 169 202 227 246
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Danksagung
Folgenden Personen oder Gruppen danke ich für Ihre Unterstützung während dieser Arbeit: Prof. Dr. Hannelore Faulstich-Wieland Prof. Dr. Hans-Christoph Koller Dem Graduiertenkolleg Bildungsgangforschung Der Arbeitsgruppe und dem Kolloquium von Hannelore Faulstich-Wieland Dem Kolloquium von Hans-Christoph Koller Barbara Scholand Dr. Matthias Trautmann Katrin Luise Läzer Sigrid und Irmgard Tosana Christoph Schaub
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Theorie Bilden Simone Tosana Bildungsgang, Habitus und Feld Eine Untersuchung zu den Statuspassagen Erwachsener mit Hauptschulabschluss am Abendgymnasium Mai 2008, 272 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-798-1
Peter Faulstich Vermittler wissenschaftlichen Wissens Biographien von Pionieren öffentlicher Wissenschaft März 2008, 196 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN: 978-3-89942-878-0
Frank Elster Der Arbeitskraftunternehmer und seine Bildung Zur (berufs-)pädagogischen Sicht auf die Paradoxien subjektivierter Arbeit 2007, 362 Seiten, kart., 31,80 €, ISBN: 978-3-89942-791-2
Katharina Willems Schulische Fachkulturen und Geschlecht Physik und Deutsch – natürliche Gegenpole? 2007, 314 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN: 978-3-89942-688-5
Werner Friedrichs Passagen der Pädagogik Zur Fassung des pädagogischen Moments im Anschluss an Niklas Luhmann und Gilles Deleuze
Andrea Sabisch Inszenierung der Suche Vom Sichtbarwerden ästhetischer Erfahrung im Tagebuch. Entwurf einer wissenschaftskritischen Grafieforschung
Februar 2008, 306 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN: 978-3-89942-846-9
2007, 290 Seiten, kart., 31,80 €, ISBN: 978-3-89942-656-4
Hans-Christoph Koller, Winfried Marotzki, Olaf Sanders (Hg.) Bildungsprozesse und Fremdheitserfahrung Beiträge zu einer Theorie transformatorischer Bildungsprozesse
Jenny Lüders Ambivalente Selbstpraktiken Eine Foucault’sche Perspektive auf Bildungsprozesse in Weblogs
2007, 260 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-588-8
2007, 280 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-599-4
Michael Wimmer Dekonstruktion und Erziehung Studien zum Paradoxieproblem in der Pädagogik 2006, 420 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN: 978-3-89942-469-0
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
Theorie Bilden Bettina Suthues Umstrittene Zugehörigkeiten Positionierungen von Mädchen in einem Jugendverband 2006, 296 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-489-8
Peter Faulstich (Hg.) Öffentliche Wissenschaft Neue Perspektiven der Vermittlung in der wissenschaftlichen Weiterbildung 2006, 196 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN: 978-3-89942-455-3
Hans-Christoph Koller, Markus Rieger-Ladich (Hg.) Grenzgänge Pädagogische Lektüren zeitgenössischer Romane 2005, 178 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN: 978-3-89942-286-3
Jürgen Budde Männlichkeit und gymnasialer Alltag Doing Gender im heutigen Bildungssystem 2005, 268 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-324-2
Andrea Liesner, Olaf Sanders (Hg.) Bildung der Universität Beiträge zum Reformdiskurs 2005, 164 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN: 978-3-89942-316-7
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de