Bibel-Sprache, Welt und Jüngster Tag bei Johann Peter Hebel: Erziehung zum Glauben zwischen Überlieferung und Aufklärung 9783666623349, 3525623348, 9783525623343


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German Pages [380] Year 1994

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Bibel-Sprache, Welt und Jüngster Tag bei Johann Peter Hebel: Erziehung zum Glauben zwischen Überlieferung und Aufklärung
 9783666623349, 3525623348, 9783525623343

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V&R

Arbeiten zur Pastoraltheologie Herausgegeben von Peter Cornehl und Friedrich Wintzer

Band 25

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Bibel-Sprache, Welt und Jüngster Tag bei Johann Peter Hebel Erziehung zum Glauben zwischen Uberlieferung und Aufklärung

Von Johann Anselm Steiger

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Diese Arbeit wurde mit dem Ruprecht-Karls-Preis

der Stiftung

Universität

Heidelberg

ausgezeichnet

Die Deutsche Bibliothek

-

CIP-Einheitsaufnahme

Steiger, Johann Anselm: Bibel-Sprache, Welt und Jüngster Tag bei Johann Peter Hebel: Erziehung zum Glauben zwischen Überlieferung und Aufklärung/ von Johann Anselm Steiger. - Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1994 (Arbeiten zur Pastoraltheologie; Bd. 25) ISBN 3-525-62334-8 NE: G T

© 1994 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Pett & Grohs, Landolfshausen Druck und Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Hebel bringen bekanntermaßen Dinge in Bewegung und bisweilen Steine ins Rollen. Johann Peter Hebel - bekannt, doch verkannt - predigt, erzählt, schreibt und setzt das Volk Gottes in Bewegung auf seiner Wallfahrt zu den endzeitlichen Wohnungen. Und Hebel läßt Steine, Sterne und Bäume, die am Wegesrand stehen und in die Hände klatschen, sprechen, predigen und erzählen. Omnia gloriae Dei per verbum divinum. Deswegen ist Hebel Vorleser. Liest am liebsten aus diesen beiden Büchern: Bibelbuch und Naturbuch. Und zwar in der Morgenröte des anbrechenden Jüngsten Tages. Zu zeigen, wie der Schriftsteller Hebel schreibend liest, habe ich dieses Buch geschrieben. Hebel bringt die Forschung in Bewegung: Theologie- und Auslegungsgeschichte der Heiligen Schrift, Pastoraltheologie, Poimenik und Homiletik. Doch der geneigte Leser sehe selbst. Hebel, der Hausfreund, macht Lachen, Freude und Freunde. Ich danke Prof. Dr. Walther Eisinger, dem hausfreundlichen Doktorvater. Uber Hebel bin ich ihm zunächst zum Geistesverwandten, dann zum Kommilitonen in Forschung und Lehre und darüber zum Freund in des einen Vaters Haus geworden. Mein Dank gilt weiter meinem Lehrer Prof. Dr. Gottfried Seebaß, der nicht nur Korreferent gewesen ist, sondern weit mehr als das mir bedeutet. Ich danke den Editoren der historisch-kritischen Hebel-Edition, die mir bisher nicht veröffentlichte Hebel-Manuskripte in Form von Transkriptionen zugänglich gemacht haben. HebelPhilologe und -Editor Adrian Braunbehrens war und ist Gesprächs- und Ansprechpartner in vielen Fragen. Ist auch mein Freund geworden. Freundlich danke ich weiter den Herausgebern der ,Arbeiten zur Pastoraltheologie' Prof. Dr. Peter Cornehl und Prof. Dr. Friedrich Wintzer für die Aufnahme dieser Arbeit in diese Reihe, sowie dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die verlegerische und herstellungstechnische Betreuung. Frau Mag. theol. Claudia Hoffleit sei herzlich gedankt für die Erstellung des Namenregisters und für sonst manche Hilfe.

5

Der Evangelischen Landeskirche in Baden danke ich für einen Druckkostenzuschuß. Und ich danke der hochehrwürdigen Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, der diese Arbeit im Sommersemester 1992 als Dissertation vorlag. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, am 16. Sonntag nach Trinitatis 1993 mit dem Evangelium proprium Lk 7,11-17 (Jüngling zu Nain), ,und bald wirds wieder Tag'. Johann Anselm Steiger

6

Inhalt Vorwort

5

EINLEITUNG

Stand und Geschichte der theologischen

Hebel-Forschung

1. Hebel und die Sprache der Bibel

11

2. Gang und Defizite der theologischen Hebel-Rezeption

22

KAPITEL I

Bibel-Sprache und Welt: Hebels Hermeneutik des Buches der Natur 1. Hebels angewandte Pädagogik zwischen Aufklärung und Bibel. Hinführung

37

2. Hebels Verhältnis zur rationalistischen Physiko-Theologie. Theologiegeschichtliche Einordnung I

55

3. Hebels biblische Hermeneutik des Buches des Himmels in ihrer Umsetzung als Predigt der Providentia Dei

64

4. Johann Georg Hamann und Hebel als Hermeneuten der Natur und als Pädagogen in Kondeszendenz. Die Stellung Hebels in der zeitgenössischen Pädagogik I

96

5. Die Geschichte der Theologie des Buches der Natur und Hebels Rückgriff auf sie als eschatologische Innovation der aufgeklärten Theologie. Theologiegeschichtliche Einordnung II

119

6. Die Wiedergewinnung der Offenbarung durch Hebel im Vergleich mit Lessings ,Die Erziehung des Menschengeschlechts'. Die Stellung Hebels in der zeitgenössischen Pädagogik II

139

7. Die Bedeutung der Natur bei Pestalozzi und Hebel. Die Stellung Hebels in der zeitgenössischen Pädagogik III

155

7

8. Die von Hebel verarbeitete naturbetrachtende Literatur und deren Rebiblisierung exemplarisch dargestellt. Die Synthese von Empirie und Bibel-Sprache. Literarkritische Untersuchung I

161

KAPITEL I I

Hebels Eschatologie

Jüngster Tag und Bibel-Sprache: und deren homiletische und narrative

Umsetzung

1. Die Destruktion der Eschatologie durch die zeitgenössische Theologie und der aufgeklärte Vorsehungsglaube. Theologiegeschichtliche Einordnung III 177 2. Die Re-Eschatologisierung des aufgeklärt-mechanistischen Vorsehungsglaubens. Die Eschatologie als Fundament der Predigten Hebels

195

3. Die Eschatologie Hebels und deren sprachlich-seelsorgliche Umsetzung in seinen Briefen und die eschatologische Motivik der,Alemannischen Gedichte'

225

4. Hebels narrative Umsetzung seiner Eschatologie in der Kalendergeschichte ,Unverhoftes Wiedersehen'

259

5. Das ,Unverhofte Wiedersehen' und seine Quelle. Literarkritische Untersuchung II

303

6. Hebels Rückgriff auf die sprachstiftende Dynamik der Bibel und des Gesangbuches

307

7. Hebels Hang zum Polytheismus als Ruf nach einem sinnenfällig werdenden Gott und die christologische Aufarbeitung dieser Frage . 330

Thesen

342

Text: ,Unverhoftes Wiedersehen'

347

Abkürzungsverzeichnis

350

Quellen- und Literaturverzeichnis

351

Bibelstellenregister

369

Namenregister

376

8

EINLEITUNG

Stand und Geschichte der theologischen Hebel-Forschung

1. Hebel und die Sprache der Bibel Daß Hebels Sprache sehr stark von der Sprache der Bibel her eine Prägung erfahren hat, ist schon lange ein offenes Geheimnis. Immer wieder ist darauf hingewiesen worden, jedoch hat bisher niemand die Frage behandelt, wie Hebel materialiter die biblische Sprachwelt in sein Werk hat einfließen lassen, noch ist es bisher zu einer Untersuchung dessen gekommen, wie die Rezeption biblischen Sprachmaterials mit Hebels Theologie in Verbindung steht, d. h. inwiefern sich von der Erhebung der Art und Weise der Arbeit Hebels mit der Bibel etwas aussagen läßt über Hebels theologische Existenz. Walter Benjamin hat darauf schon früh hingewiesen, daß die Sprache der Luther-Bibel den cantus firmus im Hebeischen Werk bildet, das wie viele andere Werke deutscher Prosa eine „höchst dialektische Auseinandersetzung zwischen zwei Polen ist. Einem konstanten und einem variablen: der erste ist das Deutsch der Lutherbibel und der zweite die Mundart" Albrecht Schöne hat anhand der Dichtung deutscher Pfarrersöhne die sprachstiftende Dynamik des Luther-Deutsches untersucht. Zwar habe erst Johann Gottfried Herder die Bibel „als ästhetisches Phänomen" 2 von den Wurzeln des Humanismus herkommend entdeckt, „aber längst vor diesem

1 Benjamin, Walter, Gesammelte Schriften. Unter Mitwirkung von Adorno, Theodor W., und Scholem, Gershom, hg. von Tiedemann, Rolf, und Schweppenhausen Hermann, Bde. I,1-VII,2, Frankfurt a.M. 1974-1989 (fortan zit.: Benjamin unter Angabe der Bd.-Nr. und Seitenzahl), hier: Benjamin 11,1, p279. Schon vor Benjamin hat allerdings Johann Müller (Hebel als Theolog für die Theologen, Aarau 1870, p32) darauf aufmerksam gemacht, daß Hebel „ein Mann der Bibel, ungemein bewandert darin, besonders auch im A.T." gewesen ist, ohne dies jedoch weiter ausgeführt zu haben. Heinrich Stickelberger (Die Sprache Johann Peter Hebels in den .Erzählungen des Rheinländischen Hausfreunds', in: Jährliche Rundschau des Deutschschweizerischen Sprachvereins 1918, p22-37) spricht von einer „Anlehnung an die Luthersche Bibelübersetzung" (p29) in den Kalendergeschichten Hebels. Stickelberger bemerkt richtig, daß „Hebels Sprache mit biblischen Wendungen getränkt ist" (p35). Allerdings finden sich in diesem Aufsatz nicht zu entschuldigende Ungenauigkeiten, wenn Stickelberger z.B. von einem Ps 133,2-Zitat in der Geschichte „Der Schneider in Pensa" spricht (p35), das sich in Wahrheit in „Lange Kriegsfuhr" findet (vgl. dazu p326 dieser Arbeit), oder wenn Stickelberger die Anspielung auf die biblische Hiskia-Geschichte in der Erzählung „Franziska" zwar benennt, aber diese Erzählung nicht als Fundort angibt (Stickelberger, a.a.O., p35; vgl. hierzu p317 dieser Arbeit), und darüber hinaus davon spricht, daß der in dieser Erzählung auftretende Weber krank sei, was nicht zutrifft. 2 Schöne, Albrecht, Säkularisation als sprachbildende Kraft. Studien zur Dichtung deutscher Pfarrersöhne, Göttingen 2 1968, p20.

11

Akt bewußter Einsicht und Erkenntnisformulierung hat die Bibel ja als ästhetisches Phänomen gewirkt"Auch in der Zeit der Aufklärung wirkt diese Bibelsprache weiter, indem sie durch das Wirken dichtender Pfarrersöhne wie Jacob Michael Reinhold Lenz, Jeremias Gotthelf, Gottfried Benn u.a. in der säkularen Welt eine neue Nische findet. Zwar ist Hebel kein Pfarrersohn, aber auch bei ihm läßt sich beobachten, daß er von der biblischen Sprache nicht nur durchdrungen ist, sondern sie auch in die säkulare Welt einfließen läßt: in die Publizistik, in das Medium,Kalender'. Herbert Wolf hat die sprachgeschichtliche Bedeutung Luthers erhoben 4 und eine Bibliographie zum Sprachschaffen Luthers vorgelegt 5 . Und jüngst hat Oswald Bayer die seelsorgliche, bibliotherapeutische Funktion des Luther-Deutsches hervorgehoben herkommend von seiner Erforschung des Werkes Johann Georg Hamanns, der seinerseits die biblische Sprachwelt wiederentdeckend gefordert hat: „Die heilige Schrift sollte unser Wörterbuch, unsere Sprachkunst seyn, worauf alle Begriffe und Reden der Christen sich gründeten und aus welchen sie bestünden und zusammen gesetzt würden" 6 . Neben Benjamin hat auch Ernst Bloch auf den Bibelton Hebels aufmerksam gemacht. Bloch sieht eine Verwandtschaft zwischen Jeremias Gotthelf und Hebel darin, daß beider „Satzbau vom Mundklang des Dialekts erfüllt (ist), von der Sonne eines Bibeldeutsch beschienen" 7 . „Volksklang und Psalm mischen sich auf allen nahen Höhen dieser Sprache" 8 bemerkt Bloch zu den „Betrachtungen über das Weltgebäude" 9 . Zwar ist im Gefolge von Ebd. Vgl. Wolf, Herbert, Martin Luther. Eine Einführung in germanistische Luther-Studien, Stuttgart 1980. 5 Wolf, Herbert, Germanistische Luther-Bibliographie. Martin Luthers deutsches Sprachschaffen im Spiegel des internationalen Schrifttums der Jahre 1880-1980, Germanische Bibliothek N.F., Reihe 6, Heidelberg 1985. 6 Hamann, Johann Georg, Sämtliche Werke, Bde. I - V I , hg. von Nadler, Josef, Wien 1949-1957 (fortan zit.: , N ' mit Angabe der Bd.-Nr. und Seitenzahl), hier: Ν I, 243. Oswald Bayer charakterisiert die sprachprägende Kraft der Luther-Bibel treffend, wenn er sagt: „Die Lutherbibel ist nicht nur im protestantischen, sondern von Anfang an auch im römisch-katholischen Bereich zur gemeinsamen Verständigungs- und Verstehensbedingung eines ganzen Volkes geworden. Die gemeinsame Sprache wurde nicht nur durch Schriftlesung, Predigt und Kirchenlied im Gottesdienst gelernt und geübt, sondern darüber hinaus durch das Lesen der Bibel zu Hause und in der Schule. Von hier aus wurden Wörter und Wendungen der Bibelübersetzung überall im täglichen Leben bald unentbehrlich und zu Sprichwörtern ob es nun darum ging, einen Sündenbock ,in die Wüste' zu schicken oder selbst zur .Salzsäule' zu erstarren, wobei einem ,die Haare zu Berge stehen' und einem nur noch übrig bleibt, sich auf ,Herz und Nieren' prüfen zu lassen oder gleich ,in Sack und Asche' Buße zu tun..." (Bayer, Oswald, Autorität und Kritik. Zu Hermeneutik und Wissenschaftstheorie, Tübingen 1991, P35). 7 Bloch, Ernst, Hebel, Gotthelf und bäurisches Tao, in: Ders., Gesamtausgabe Bd. 9, Literarische Aufsätze, Frankfurt a.M. 1965, p365-p384. 8 Ebd., p367. 9 Vgl. die ausführliche Behandlung derselben in Kap. 1,3 dieser Arbeit. 3 4

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Benjamin und Bloch immer wieder auf diesen Sachverhalt hingewiesen worden, eine eingehende Untersuchung der biblischen Sprachprägung in Hebels Werk fehlt jedoch noch, da sich an der mundartlichen Prägung desselben ein stärkeres Interesse entzündete als an der biblischen, was sich z.B. bei Martin Heidegger spiegelt, wenn er sagt: „Die Mundart ist der geheimnisvolle Quell jeder gewachsenen Sprache. Aus ihm strömt uns all das zu, was der Sprachgeist in sich birgt... Was birgt der Geist einer Sprache? Er verwahrt in sich die unscheinbaren, aber tragenden Beziehungen zu Gott, zur Welt, zu den Menschen und ihren Werken und zu den Dingen" 1 0 . Uli Däster untersucht zwar eingehend die Sprache Hebels und betrachtet deren „Anschaulichkeit" 1 1 und „Natürlichkeit" 1 2 , kommt aber auf deren biblische Prägung nur peripher zu sprechen. „Es ist die biblische Sprache, die dem mit Luthers Übertragung der Heiligen Schrift aufgewachsenen und an ihr geschulten Hebel innig vertraut ist" 1 3 . Zu einer eingehenden und aus den Quellen belegenden Fundierung dieser Beobachtung kommt es allerdings nicht, so daß Däster das von Grund auf biblisch durchwachsene Gedicht Hebels „Die Vergänglichkeit" 1 4 und den eschatologischen Brief, der in vorliegender Arbeit ausführlich behandelt werden wird 1 5 , folgendermaßen kommentiert: „Daß es bei derartigen Schilderungen zeitweise recht unbiblisch zu- und hergeht, kann Hebel wenig kümmern; denn diese Gesichte nimmt er ja aus sich, wie er auch den Glauben in sich hat, und nicht aus der Bibel" 1 6 . Angeregt durch die Lektüre von Hebels „Sendschreiben ... über das Studium des jüdischen Charaktergepräges und dessen Benützung auf Bibelstudium" 1 7 , durch das schon Blochs Liebe zu Hebel geweckt worden war, kommentiert Robert Minder Hebels Wendung „in knechtischer Arbeit verdampfen, das können Abrahams Kinder nicht, und sind und bleiben zu dem Ausspruch: Sorget nicht für den andern Morgen, die lebendige Exegese ... Sie säen nicht und ärndten nicht, sammlen nicht in die Scheuren, und ihr himmlischer Vater nähret sie doch, selbst in Teutschland, was viel 1 0 Heidegger, Martin, Die Sprache J.P. Hebels, in: Heimat Baden-Württemberg 1955, p324-326, hier: p324f. 11 Däster, Uli, Johann Peter Hebel. Studien zu seinen Kalendergeschichten. Abhandlung zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät I der Universität Zürich, Aarau 1968, p l 2 . 1 2 Ebd., p l 6-20. 1 3 Ebd., p29. 1 4 Hebel, Johann Peter, Werke, Bd. I+II, hg. von Meckel, Eberhard, Frankfurt a.M. 1968 (fort, zit.: Hebel, Insel I bzw. II, unter Angabe der Seitenzahl), hier: Hebel, Insel II, 122-126, vgl. dazu p250. 252ff dieser Arbeit. 1 5 S.u. p247-258 dieser Arbeit. 1 6 Däster, a.a.O. (Anm. 11), p45·; 1 7 Hebel, Johann Peter, Sämtliche Schriften, kritisch hg. von Braunbehrens, Adrian, Benrath, Gustav Adolf, und Pfaff, Peter, Bd. II/III, Karlsruhe 1990, Bd. V, Karlsruhe 1991 (fortan zit.: Hebel unter Angabe von Band- und Seitenzahl), hier: Hebel III, 604-614.

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heist" 18 : „Bibelsprache Hebels, durchaus kraftvoll eigen, mit dem schnippisch blitzenden, haarscharf treffenden Schluß - sechs Wörtchen, federleicht, aber sie wiegen viel, streifen im Vorbeigehn einen Abgrund" 19 . Allerdings erhebt Minder nicht, was Hebel hier aus der Bibel zitiert, um von dort aus etwa zu einer ihrerseits biblisch gegründeten Hebel-Interpretation zu gelangen. Zutreffend hat Ludwig Rohner im Anschluß an Bloch - jedoch auch eher intuitiv als an den Hebeischen Texten belegt - gesehen, daß Abweichungen Hebels von der Grammatik mitunter vom biblischen Sprachduktus her zu verstehen sind. „Da weicht manches von der ,normalen' Sprache ab, eingegeben bald vom Dialekt und bald von der Bibel" 20 . Richard Faber, durch Erich Auerbachs Aufsatz ,Sacrae scripturae sermo humilis' 21 zur AugustinLektüre angeregt, bemerkt, daß Hebel biblisch spricht: „Der Hausfreund tritt als Landgeistlicher auf" 22 . Treffend ist auch, wie Faber die Quintessenz der Hermeneutik Hebels in der Kalendergeschichte „Einer Edelfrau schlaflose Nacht" 23 sich abbilden sieht. „Zum Schluß ,zieht' der Hausfreund selbst ,das Ebenbild Gottes an und fällt (...) auch in seine Sprache'" 24 . Benjamin zustimmend vergleicht Faber das Verhältnis Hebelscher Schriften zur Bibel mit der Relation, in der die jüdische Haggada zum Alten Testament steht 25 . Jedoch geht auch aus Fabers Untersuchung nicht hervor, wie Hebel - etwa in die genannte Kalendergeschichte - biblisches Sprachmaterial einfließen läßt. Ahnliches gilt für Bruno Boeschs Rede ,Hebels Umgang mit der Sprache' 26 , die es bei der kurzen Notiz beläßt, daß Hebel in den Kalendergeschichten eine Sprache spricht, die dem Luther-Deutsch und „der Predigt gar nicht so ferne steht" 27 . Schon vor Faber, allerdings von diesem unbeachtet, hat Walther Eisinger die Kalendergeschichte „Einer Edelfrau schlaflose Nacht" als Schlüssel für Hebel III, 612. Minder, Robert, Hebel, der erasmische Geist oder Nützliche Anleitung zu seiner Lektüre, in: Hebel, a.a.O. (Anm. 14), Bd. I, p I - X L I V , hier: p X X X V I I . 2 0 Rohner, Ludwig, Kalendergeschichte und Kalender, Wiesbaden 1978, p257. 2 1 Auerbach, Erich, Sacrae scripturae sermo humilis, in: Ders., Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie, Bern und München 1967, p 2 1 - 2 6 (zuerst in: Neuphilologische Mitteilungen 42 (1941), p57-67). 2 2 Faber, Richard, Sermo humilis. Erzählung, Moral und Rhetorik Johann Peter Hebels, in: Spiegel und Gleichnis. FS f ü r Taubes, Jakob, hg. von Bolz, Norbert W., u.a., Würzburg 1983, p 2 1 5 - 2 3 2 , hier: p223. 2 3 Hebel III, 5 5 5 - 5 5 9 . Vgl. die Behandlung dieser Geschichte p 3 2 0 - 3 2 2 dieser Arbeit. 2 4 Faber, a.a.O. (Anm. 22), p216. 2 5 Ebd., p215f. 2 6 Boesch, Bruno, Hebels Umgang mit der Sprache. Rede beim ,Schatzkästlein' zum Hebeltag 1964. A u s der Schriftenreihe des Hebelbundes Sitz Lörrach e.V., Nr. 13, Lörrach 1964, p7-21. 2 7 Ebd., p8. 18

19

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die Hermeneutik Hebels und für das biblische Sprachverständnis und die Sprache entdeckt, in der sich göttliche und menschliche Sprache durchdringen. „Ein menschlicher Erzieher wie Hebel bedient sich einer menschlichen Sprache. Hier müssen wir fein achtgeben: Er spricht nicht die ,Sprache des Volkes', er will die Sprache des Volkes ,veredeln' ... Mit einer seiner Geschichten selbst gesprochen heißt das: ,Ein Gemüt, das zum Guten bewegt ist und sich der Elenden annimmt und die Gefallenen aufrichtet, ein solches Gemüt zieht nämlich das Ebenbild Gottes an und fällt deswegen auch in seine Sprache'. Gottes Sprache ist es, die er versuchte zu sprechen - das kommt von seiner großen Liebe zu (sie!) biblischen Botschaft her" 28 . Hatte schon Rudolf Suter darauf aufmerksam gemacht, daß Hebel „die bisher weithin verachtete Umgangssprache, die Mundart, literaturfähig gemacht (hat) ... ähnlich wie einst Martin Luther, ,dem Volk aufs Maul schauend', das Deutsche zu einer abendländischen Kultursprache erhob"29, so faßt Eisinger die theologisch-hermeneutische Bedeutung der Rezeption der Bibelsprache durch Hebel christologisch als Nachahmung der Kondeszendenz und Erhöhung Christi: „Auf diesem Wege ist Hebel selbst wohl ,in die Sprache Gottes gefallen'. Die Menschlichkeit der Sprache Gottes hat in seinem Denken und Tun eine Antwort, eine Entsprechung gefunden und hat ihm dadurch zu einer menschlichen Sprache verholfen. Nicht nur das Jonische', wie Goethe mit Blick auf Hebel meinte, sondern zuerst das Biblische hat Hebel menschlich sprechen gelehrt und ihn die Sprache ,veredeln' gelehrt. Er ist der Bewegung Gottes auf die Menschen zu gefolgt: er hat heruntergelauscht auf das Sprechen der einfachen Menschen, und er hat eben dadurch die Sprache hinaufgezogen. Seine Sprache ist nie ,religiös', wohl aber biblisch einfach"30. Aus diesem ästhetisch-theologischen Grund, der in sich christologisch reflektiert ist, hat Hebel, mit Heidegger zu sprechen, sich die Aufgabe gestellt, „die Sprache ins Einfache (zu) steigern", jedoch - und das entgeht Heidegger - auf biblische Weise. Reinhard Wunderlichs ausführliche und minutiöse Arbeit über Hebels „Biblische Geschichten"31 hebt treffenderweise „den Palimpsest-Charakter" 32 derselben hervor und spricht von „vier Grundbausteine(n)"33: 2 8 Eisinger, Walther, Hebel als Erzieher, in: Beiträge pädagogischer Arbeit 30 (1987/11), ρ 15-24, hier: p23. 2 9 Suter, Rudolf, Hebels lebendiges Erbe. Rede beim ,Schatzkästlein' zum Hebeltag 1961. A u s der Schriftenreihe des Hebelbundes Sitz Lörrach e.V., Nr. 10, Lörrach 1961, p 7 - 1 5 , hier:

P7· 3 0 Eisinger, Walther, Hebel als Erzieher, in: Dokumentation Alemannische Schultage 9 . - 1 2 . Oktober 1980, Freiburg 1981, p 2 1 - 3 9 , hier: p37. 3 1 Wunderlich, Reinhard, Johann Peter Hebels ,Biblische Geschichten'. Eine Bibeldichtung zwischen Spätaufklärung und Biedermeier, Arbeiten zur Religionspädagogik 7, Göttingen 1990. 3 2 Ebd., p32 9. 3 3 Ebd.

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„1. Wörtliche Zitation aus der Luther-Bibel (meist die ,direkten' Reden). 2. Kommentierende Verwendung von Bibelstellen. 3. Wörtliche Zitation tradierter Frömmigkeitssprache. 4. Erzählsprache Hebels" 3 4 . Richtig ist, daß Hebel durch die Aufnahme der Luther-Sprache „eine Vertrautheit mit der Lutherübersetzung" 3 5 evoziert, die Bibelnacherzählung also nicht an die Stelle der Quelle tritt, sondern sie in Kraft setzt. Zutreffend ist auch, daß Hebel besonders die Kernstellen der Luther-Bibel 3 6 unverändert übernimmt 3 7 , worauf aber schon Peter Katz aufmerksam gemacht hat 3 8 , ohne aber von Wunderlich zitiert zu werden. Wunderlich geht jedoch nicht auf die kommunikationstheoretische Bedeutung der Rezeption der LutherBibelsprache ein, obwohl deren Verwendung gerade das zentrale Anliegen Hebels deswegen gewesen ist, weil er sich dessen bewußt war, daß eine Bibelnacherzählung nur so bei den Adressaten in einen Sprachkontext würde hineinsprechen können, der ihnen von der Luther-Bibel her bekannt und eingeprägt ist. Deswegen kommt Hebel in seinem Gutachten zu einem neu zu verfassenden biblischen Geschichtsbuch zu der Einsicht: „Wenn aber der Bibeltext in Luthers Wort nimmer gut ist, so machen wirs auch nimmer besser" 3 9 . An einigen Stellen der Arbeit Wunderlichs fehlt es denn auch an einer Interpretation der Hebeischen Bibelnacherzählung im direkten Textvergleich mit der Bibel selbst, so daß es zu Urteilen kommen kann wie dem über die sehr wohl selbst biblische Parallelisierung von Maria und Ruth. Zu der Wendung Hebels „beide (seil. Maria und Joseph; A.S.) ... waren ungeachtet ihrer königlichen Herkunft fast wieder so arm wie Ruth, ihre Geschlechtsmutter" 4 0 merkt Wunderlich an: „Sie (seil. Ruth; A.S.) wird in einer ungewöhnlichen Typologie der Mutter Jesu parallelisiert ... und ebenso wie die armen Eltern Jesu wird der reiche König Salomo in aller Schlichtheit auf Ruth zurückgeführt" 4 1 . In einer stärker selbst biblisch fundierten Interpretation der „Biblischen Geschichten" Hebels hätte auffallen müssen, daß diese N o t i z nicht einer Idee Hebels entsprang, sondern auf dem biblischen Stammbaum Jesu gründet, in der Ruth als Stammutter Jesu genannt ist (Mt 1,5) und das Buch Ruth selbst schon Ruth als Stammutter

3 5 Ebd., p267. Ebd. Vgl. hierzu die wichtige Arbeit von Hövelmann, Hartmut, Kernstellen der Lutherbibel. Eine Anleitung zum Schriftverständnis, Texte und Arbeiten zur Bibel 5, Bielefeld 1989, die aber bei Wunderlich noch keine Beachtung gefunden hat. 3 7 Wunderlich, a.a.O. (Anm. 31), p265f. 3 8 Katz, Peter, Ein Gutachten Hebels, in: T h Z 15 (1959), p267-287, hier: p285, wo Katz darauf hinweist, daß Hebel „Kernstellen" und „treffend gewählte sinndeutende biblische Parallelen" einfließen läßt. 3 9 Hebel, Johann Peter, „Meine Bemerkungen über das mit Abänderungen in unsern Schulen einzuführende biblische Geschichtbuch von Schmidt", hg. von Katz, a.a.O. (Anm. 38), (fortan zit.: Hebel, Gutachten zu BiblGesch), hier: p274. 4 0 Hebel V, 119. 4 1 Wunderlich, a.a.O. (Anm. 31), p244. 34

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Davids und Salomos nennt (Rt 4,17-22). Auch müßte man wohl die Art und Weise, wie Hebel seine sich auf das Luther-Deutsch gründenden „Biblischen Geschichten" dadurch kommentiert, daß er weiteres Sprachmaterial aus anderen Büchern der Bibel heranzieht, stärker als eine wiederum selbst biblische Methode begreifen, denn gerade das Neue Testament kommentiert sich selbst, indem es das Alte zitiert. Die Auflistung der Zitate in den „Biblischen Geschichten" aus anderen Büchern der Bibel bei Wunderlich ist unvollständig 42 , und der schon 1959 von Katz als Desiderat eingeklagte „Nachweis" der in den „Biblischen Geschichten" „häufig als Deutung oder Zusammenfassung eingestreuten Anführungen aus andern Teilen der Bibel" 4 3 ist noch lückenhaft 44 . Eisinger hat gezeigt, daß Hebel die biblische Sprache spricht, um durch sie auf die eschatologische Heimat vorzubereiten, daß Hebel also nicht im

Ebd., p267, Anm. 3. Katz, Peter, Neue Hebel-Literatur, in: ThZ 15 (1959), p52-56. 450f, hier: p53. 4 4 Über die Art, wie Hebel eine selbst biblische Methode zur Anwendung bringt, wenn er durch Zitate aus anderen biblischen Texten diejenigen, welche er nacherzählt, kommentiert, müßte einmal eigens gearbeitet werden. Einstweilen seien die Belegstellen angeführt. Es werden nur ganze Verse genannt, und es sind nur Belegstellen berücksichtigt, welche wirklich aus anderen Teilen der Bibel stammen. Eigens zu untersuchen wäre auch noch, wie Hebel in der Nacherzählung der Evangelien eine Evangelienharmonie erstellt. Auffällig ist, daß Hebel nach der Luther-Bibel zitiert, jedoch häufiger wohl aus dem Gedächtnis und daher in freierer Weise: AT Nr. 1: Ps 104,24; Nr. 5: Ps 91,lf; Nr. 9: Ps 73,25f; 119,105; Nr. 12: Tob 4,6; Prv 14,34; Nr. 14: Ex 34,6; Nr. 15: Jer 10,23; Nr. 19: Eph 3,20; Nr. 20: Gen 12,3; 18,14; Nr. 22: Prv 23,26; Ps 133,1; Nr. 23: Gen 6,5 (= 8,21); Ps 90, 1-3.16. Nr. 25: Jes 26,16; Nr. 27: Lk 17,4; Nr. 28: Dtn 5,16; Nr. 32: Prv 23,26; Nr. 34: Ps 138,7; Nr. 39: Apg 17,24f; Ps 8,2; Ps 8,3 (zit. nach Mt 21,16); Ps 8,4; Ps 22,1 Of; 40,9; 34,12.14f; 63,7-9; Prv 23,26; Nr. 43: Prv 19,26; Dtn 5,6; Nr. 54: frei nach Jer 33,15; Jes 11,9; Hab 2,14; Jer 33,8; Nr. 56: Ez 18,21 -23; 34,16; Jes 44,23; 40,9; Nr. 57: 2Kor 12,9; Ps 103,17; Nr. 58: Hag 2,7.(8); Sach 2,14; Jes 28,16; Nr. 59: Jes 55,8f. NT Nr. 11: Mt 18,20; Nr. 14: Ps 51,12; Nr. 24: Ps 123,15; Nr. 29: IPetr 5,5; Jak4,6; Nr. 51: Ps 30,6.12; Nr. 53: IKor 15,55.57; Nr. 55: aus Phil 2,9-11; Nr. 63: Ps 91,11; Hiob 5,19; Beschluß: IKor 3,11; nach 2Tim 3,15; nach Apg 17,11; Joh 5,39. Auffällig ist, daß Hebel schon in der Nacherzählung des A T das N T zitiert, und somit auf den zweiten Teil der BiblGesch vorbereitet. Unübersehbar ist auch, daß Hebel in der Nacherzählung des A T besonders stark aus den Teilen desselben zitiert, die wegen ihrer nichtnarrativen Struktur nicht in ihren Zusammenhängen in sein Werk aufgenommen worden sind. So streut Hebel besonders stark Zitate aus dem Psalter und den Prv, also Teiltexte aus dem dritten Kanonteil des AT, den .Schriftstellern', in die Erzählungen ein. Hebels Vorliebe für Zitate aus dem Psalter wird uns auch in der Behandlung der biblischen Sprache in den Kalendergeschichten wieder begegnen (vgl. bes. u. p307-329 dieser Arbeit). Interessant ist auch, daß in A T Nr. 12 ein Zitat aus den Apokryphen erscheint. In der N T Nacherzählung finden sich bei weitem weniger Zitate, obgleich es sich fast um die gleiche Textlänge handelt. Dies liegt wohl auch daran, daß Hebel gerade in der Nacherzählung der Evangelien zuvörderst damit beschäftigt war, das Sprachmaterial aller vier Evangelisten miteinander zu verknüpfen. 42

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unreflektierten Sinne ein ,Heimatdichter' ist 45 , was Däster auch hervorzuheben weiß 46 . In theologischer Hinsicht bestätigt sich hier das Ergebnis der philologischen Bemühungen Joachim Kühns 47 , dessen Bestreben es ist, Hebel von dem landläufigen Ansehen zu befreien, er sei „auf die Grenzen der Heimat beschränkt" 48 und seine Dichtung von einer unmittelbaren „Natürlichkeit und Bildhaftigkeit" 49 , die Ausdruck „einer kindlich klaren Gemütstiefe" 50 sei, wie Otto Biehler z.B. behauptet. Von einer von Hebel benutzten „naiv schalkhaften vokalreichen Mundart" 51 wird man nicht mehr sprechen können, seitdem Kühn gezeigt hat, daß Hebel den Dialekt als einen durch sprachgeschichtliche Studien wiedergewonnenen zur Anwendung bringt, und seitdem Eisinger aufgewiesen hat, daß Hebel seine Heimat mit biblischen Augen von der endzeitlichen Heimat aus betrachtet 52 . Oft ist das Bild, das man sich über Hebel, den vermeintlich naiven Heimatdichter gemacht hat, auf Hebels theologische Existenz übertragen. Häufig ist von Hebels privater, naiver und kindlicher Gläubigkeit die Rede. An dieser Entwicklung ist die immer wieder als Beleg für die dichterische Größe Hebels in geradezu apologetischer Weise herangezogene Rezension der Alemannischen Gedichte durch Johann Wolfgang Goethe nicht ganz unschuldig. In der Art jedenfalls, wie die Hebel-Forschung ,ihren' Dichter immer wieder in dieser Sonne Goethes gesonnt hat, hat sich Hebel gerade nicht von Goethe beeindrucken lassen. Sicherlich ist es nicht gerechtfertigt, „an Goethes Hebel-Rezension ... herumzumäkeln" 53 , wie Walther Rehm anmerkt und damit Leute trifft, die es später dennoch getan haben, wie z.B. Peter Dürrenmatt. Er hat sich besonders an der Formulierung Goethes gestoßen, derzufolge Hebel „auf die naivste, anmutigste

4 5 Eisinger, Walther, Erlebte und ersehnte Heimat. Theologie und Dichtung bei J.P. Hebel, in: Lobet Gott, Beiträge zur theologischen Ästhetik, FS Bohren, Rudolf, hg. von Seim, Jürgen, und Steiger, Lothar, München 1990, p 8 6 - 9 5 . 4 6 Däster, Uli, Der ,Heimatdichter' Hebel. Aus der Schriftenreihe des Hebelbundes Sitz Lörrach e.V., N r . 23, Lörrach 1974, p7-18, bes. p9f. 4 7 Kühn, Joachim, Zur Sprachauffassung Johann Peter Hebels, in: Z D P 97 (1978), p l 2 6 135. 4 8 Biehler, O t t o , Aloys Schreiber als badischer Heimatdichter und Weggenosse J.P. Hebels, in: Die Ortenau. Mitteilungen des Historischen Vereins für Mittelbaden 13 (1926), p l - 2 0 , hier: p l 6 . 50 Ebd., p l 7 . Ebd. Gelbke, H., Hebel als Volks- und Jugendschriftsteller, wie als Volkserzieher. Ein Gedächtnisblatt zum 22. September, dem Tage der 75. Wiederkehr seines Todes, in: Pädagogische Warte 8 (1901), Heft 7, p 2 9 7 - 2 9 9 , hier: p297. 5 2 S. zur ganzen Frage nach der Bedeutung der Heimat bei Hebel u. p225ff dieser Arbeit. 5 3 Rehm, Walther, Goethe und Johann Peter Hebel, Freiburger Universitätsreden N F 7, Freiburg i.B. 1949, hier: p26. 49 51

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Weise durchaus das Universum" „verbauert" 5 4 , worin Dürrenmatt „freilich ein Beigeschmäcklein von Herablassung" 5 5 entdeckt. Sicherlich hat Goethe Anlaß genug gehabt, sich in Hebel als „in einem echten Zeitgenossen' ... wahr(zu)nehmen" 5 6 , wie Rehm sagt; und bestimmt war die antike Bildung, die sowohl Goethe wie auch Hebel eignete, die Bedingung der Möglichkeit der Begeisterung Goethes für Hebel 5 7 . Die „glückliche(n) Personifikationen" 5 8 in den Alemannischen Gedichten, die Goethe - worauf auch Rehm verweist - im Kontext antiker Vorbilder sieht, die Rezeption des Hexameters für die Mundartdichtung und eine auch von Hebel bekannte polytheistische Neigung haben Hebel für Goethe interessant werden lassen 59 . Zwar hat Goethe durch seine Rezension das Bekanntwerden Hebels gefördert 6 0 , aber gleichzeitig hat Goethe das Bild vom unkritischen Heimatdichter insofern zumindest vorbereitet, als er Hebel eine „naive Sprache" 6 1 attestierte und ihm obendrein noch rät, diese Naivität konsequent durchzuhalten und darum das an den Krieg Napoleons gegen Italien und Österreich 1796/97 erinnernde Gedicht „Der Storch. Nach dem Frieden von 1797" 6 2 so umzuarbeiten, daß nur noch „die friedlichen Motive in das Gedicht aufgenommen" 6 3 werden. Goethe, aber auch sein Verteidiger und Advokat Rehm, der meint, daß bei Hebel „alles in der Natur ... ganz naiv auf den Menschen als auf den Mittelpunkt bezogen (wird)" 6 4 , können

5 4 Goethe, Johann Wolfgang, Alemannische Gedichte (Rezension), in: Ders., Werke, H a m burger Ausgabe, 14 Bde., H a m b u r g 1949-1960, hier: Bd. 12, p261-266, (zuerst in Jenaer Allgemeine Literatur Zeitung vom 13.2.1805), hier: p262. 5 5 Dürrenmatt, Peter, Hebel - heute. Aus der Schriftenreihe des Hebelbundes Sitz Lörrach e.V., N r . 3, Lörrach 1954, p l l . 5 6 Rehm, a.a.O. (Anm. 53), p31. 5 7 Ebd., p30: „ D e r lebenslange U m g a n g mit der antiken Welt ist auch für Hebel von einer prägenden und aufschließenden Wirkung gewesen, und Umgang, so heißt es bei Stifter, U m gang ist Erziehung". Vgl. auch Heusler, Andreas, Johann Peter Hebel. Ein Freiburger Vortrag, in: Ders., Kleine Schriften, Bd. 1, Berlin 1969, p597-610, der p601 anmerkt: „Was man an Klopstock rühmte, darf man mit besserm Recht von Hebel sagen: er hat den fremden Vers (seil, den Hexameter durch seine Alemannischen Gedichte; A.S.) eingedeutscht . . . " . Vgl. zum Thema Hebel und dessen Verhältnis zum antiken Geist auch Staffhorst, Gertrud, Johann Peter Hebel und die Antike. Spuren einer lebendigen Beziehung, Karlsruhe 1990. Staffhorsts Verdienst ist es auch, Hebels Verhältnis zur lateinischen Sprache anhand seines Stilbuches für den Schulunterricht untersucht zu haben. Vgl. dies., Johann Peter Hebels ,Stilbuch', in: 400 Jahre Gymnasium illustre. F S des Bismarck-Gymnasiums Karlsruhe, Karlsruhe 1986, p256-287. Staffhorst hat a.a.O., p288-321 das Stilbuch erstmals vollständig ediert.

Goethe, a.a.O. (Anm. 54), p261. Rehm, a.a.O. (Anm. 53) spricht p27 von einem „polytheistischen Z u g " und von einer „nicht zu lösende(n) Spannung zwischen dem Dichterisch-Phantasiemäßigen und dem Christlichen" bei Hebel. Hierauf wird p330-341 dieser Arbeit einzugehen sein. 6 0 Vgl. Rehm, a.a.O. (Anm. 53), p l 4 . 6 1 Goethe, a.a.O. (Anm. 54), p265. 6 2 Hebel, Insel II, 22-24. 6 3 Goethe, a.a.O. (Anm. 54), p263. 6 4 Rehm, a.a.O. (Anm. 53), p25. 58

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nicht sehen, daß man in Hebels Werk nur von einer von der einfachen Bibelsprache herkommenden zweiten Naivität sprechen kann. Über Gedichte wie „Auf einem Grabe" 6 5 , „Wächterruf" 6 6 , „ D e r Wächter in der Mitternacht" 6 7 und „Die Vergänglichkeit" 6 8 , die von Grund auf von biblisch-eschatologischer Sprache geprägt sind 6 9 , urteilt Goethe: „Die höhere Gottheit bleibt bei ihm (seil, bei Hebel; A.S.) im Hintergrund der Sterne, und was positive Religion betrifft, so müssen wir gestehen, daß es uns sehr behaglich war, durch ein erzkatholisches Land zu wandern, ohne der Jungfrau Maria und den blutenden Wunden des Heilands auf jedem Schritte zu begegnen" 7 0 . Goethe betrachtet die Alemannischen Gedichte von einem eher säkularisierten Standpunkt aus, und er verrät seine Entfremdung vom christlichen Glauben darin, daß er unzutreffender Weise anscheinend die ,positive Religion' mit der pietistischen Wunden- und Blutfrömmigkeit gleichsetzt 71 , den biblischen Duktus der Dichtung Hebels nicht erkennt und obendrein das Markgräflerland für katholisch hält, worauf Hebel brieflich an seinen Freund Hitzig erwidert: „Auch Dank für Deine Theilnehmung an der Recension, die da ist von Göthe. Daß er uns für catholisch hält, was schadets?" 7 2 . Hebel scheint sich, was den biblisch-sprachlichen Gehalt seiner Gedichte angeht, von Goethe nicht verstanden gefühlt zu haben. So ist es zu erklären, wie er fast höhnisch über Goethe sich äußernd sich Johann Heinrich Voß als Rezensenten wünschen konnte: „Mad. Voß läßt mir sagen, daß eine Recension der allem. Gedichte von Goethe nächstens in der Jenaer A.L.Z. erscheinen werde. So hoch mir Goethe's N a m e tönt, so hätt' ich sie doch lieber von Voß selber gesehn" 7 3 . Tatsächlich hat sich Hebel von Voß stärker angezogen gefühlt, nicht nur, weil auch er sich der Mundart, des Plattdeutschen, in der Dichtung bediente 74 , sondern auch, weil Voß - wie Hebel selbst - um die sprachprägende Kraft der Luther-Bibel-Sprache wußte, wie Hebel anerkennend über Voß denselben referierend an Hitzig schreibt: „Denn platt (seil, das Plattdeutsche; A.S.)

6 6 Ebd., 76f. Hebel, Insel II, 61f. 6 8 Ebd., 122-126. Ebd., 80-83. 6 9 S.u. p248-253 dieser Arbeit. 7 0 Goethe, a.a.O. (Anm. 54), p264. 7 1 Ebd. 7 2 Hebel, Johann Peter, Briefe. Gesamtausgabe, hg. und erläutert von Zentner, Wilhelm, 2 Bde., (fortan zit.: Hebel, Briefe), Karlsruhe 2 1957 (1939) hier: p244. Hebel an Hitzig 27.3.1805. Beide Ausgaben weisen erhebliche Mängel auf. Es muß jedoch auf sie zurückgegriffen werden, solange die Neuedition im Rahmen der Historisch-kritischen Gesamtausgabe noch aussteht. Die Fehler, die sich bei Zentner finden, betreffen nicht nur die Orthographie, sondern an vielen Stellen vor allem den Inhalt. Ich habe die Brieftexte, die ich zitiere, mit dem derzeitigen Stand der Vorbereitung der Briefedition verglichen und keine gravierend-sinnentstellenden Fehler gefunden. 7 3 Hebel, Briefe, p239. Jan. 1805 an Friedrich Wilhelm Hitzig. 7 4 Vgl. etwa die Gedichte „ D e Winterawend" und „ D e Geldhaspers" in: Voß, Johann Heinrich, Gedichte, 2 Bde. H a m b u r g 1785 (vorh.: H A B L o 7752), hier: p50-59 bzw. p72-85. 65

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sey wie das Jonisch-griechische eine Sprache des Lebens und Wirkens, unsere klassische Schriftsprache, sey weil sie nirgends so gesprochen und getrieben werde bereits eine tode Sprache, in die man keinen Griechen oder Römer gut übersetzen könne. Denn wenn man einen G. oder Römer (und so den Luther und seine Zeitgenossen) lese, so vergesse man daß sie geschrieben haben und werde in den Kreis ihres Lebens und Wirkens hinüber gezogen, und das unterscheide sie von den meisten Schriftstellern unserer Zeit, die man, so lange man sie lese, am Schreibpult sitzend, vor den Augen sehe" 75 .

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Hebel, Briefe, p224f, 3.10.1804 an Hitzig.

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2. Gang und Defizite der theologischen Hebel-Rezeption Seit Beginn der theologischen Hebel-Rezeption wird Hebels Theologie gerne als eine der zeitgenössischen Normaltheologie der Spätaufklärung entsprechende charakterisiert, ohne daß jedoch zunächst erhoben würde, worin dieselbe ihre Eigenarten hat, um diese dann vergleichend in Beziehung zu setzen mit Hebels theologischen Äußerungen. Die Geisteskraft, sich mit der herrschenden Lehre kritisch auseinander zu setzen, sprach man Hebel ab, wobei man sich immer wieder auf Spekulationen über ein nachlässig geführtes Studium in Erlangen und ein nur mit mäßigem Erfolg in Karlsruhe abgelegtes Examen stützte, die sich jedoch auf keine Quellen stützen können, worauf Wunderlich zurecht aufmerksam macht: „Mehr als diese Immatrikulationsurkunde ... ist für Hebels akademische Studien quellenmäßig nicht zu verifizieren. Die Forschung hat sich deshalb auf die wenigen überlieferten Stammbucheinträge Hebels bei befreundeten Studenten oder Ordensbrüdern des Amicistenordens und sein eigenes Stammbuch gestürzt und mit publikumswirksamer Legendenbildung am Bild des feuchtfröhlichen, ausgelassen-heiteren, gar in Händel und Duelle verstrickten Lebenskünstlers und theoriefeindlichen Bummelanten gestrickt" 7 6 . Längin 7 7 und Altwegg 7 8 haben dieses Bild geschaffen; Deuerlein, der Wunderlich, a.a.O. (Anm. 31), p91. Längin, Georg, Johann Peter Hebel. Ein Lebensbild, Karlsruhe 1875, p38 meint zwar, daß nicht davon die Rede sein könne, daß Hebel „bis zur Versäumniß der Kollegien dem lustigen Studentenleben sich hingegeben" habe, beteiligt sich aber an den Spekulationen über ein schlecht ausgefallenes Examen Hebels. „Allerdings läßt sich nicht läugnen, daß das Examen Hebels nicht gut ausgefallen sein muß" (p40). Als Grund gibt Längin die Tatsache an, „daß unter den Personalacten Hebels gerade die über das theologische Examen fehlen" (ebd.). Vgl. auch Altwegg, Wilhelm, Johann Peter Hebel, Frauenfeld/Leipzig 1935, der über die Examensakten sagt: „Hebel hat sie sicher selber entfernt" (p33) und auch Zentner, Wilhelm, J o hann Peter Hebel und Karlsruhe, in: Ausstellung Johann Peter Hebel und seine Zeit. Zur 200. Wiederkehr seines Geburtstages am 10. Mai 1960, Festschrift, Karlsruhe 1960, hg. von dems., p l 5 - 2 3 , hier: p l 7 . Für Zentner ist es bereits eine ausgemachte Sache, daß Hebel seine Personalakte von den Examensunterlagen gereinigt hat: „Wir müssen uns die Antwort versagen, weil Hebel später selbst aus seinen Personalakten die Unterlagen entfernt hat" (Zentner, Johann Peter Hebel, Karlsruhe 1965, p28). 76 77

Längin schon hat sich Hebel eher als den lustig-ausgelassenen und weintrinkenden Burschenschafter vorstellen können denn als Studenten: „Es unterliegt keinem Zweifel, daß Hebel nicht die nöthige Zeit auf das Studium verwendete. Seinem freien und selbstthätigen Geiste scheint ein anhaltendes Studiren und regelmäßiges Kollegienbesuchen nicht zugesagt zu haben" (Längin, a.a.O., p36). 7 8 Vgl. Altwegg, a.a.O. (Anm. 77), p30-32 und Anm. 77.

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meint, daß Hebel „das lange Sitzen im Kolleg gar nicht allzusehr geschätzt zu haben (scheint)" 79 , u.a. haben es gepflegt, Friedrich August Pietzsch jedoch meint: „Die Legende eines leichtsinnigen Lebenswandels ist somit für immer ad absurdum geführt" 80 . Jedoch trägt auch er zur Fabelbildung bei: „Manche Fensterscheibe mißliebiger Professoren mag eingeworfen, die Schilder der Handwerker abgehängt und irgendwo anders wieder angebracht ... und was sonst noch zu jener Zeit zum Studentenulk gehörte, verübt worden sein" 81 . Über ein mittelmäßiges Examen ist ebenso spekuliert worden; da die Prüfungsakten verschwunden sind, hat man die These aufgestellt, Hebel selbst habe sie entfernt 82 . Der erste Verfasser einer Hebel-Biographie, Georg Längin, sieht Hebels „religiöses Denken unzweifelhaft innerhalb der kirchlichen Strömung seiner Zeit. Er theilt mit dem Rationalismus jener Tage den Mangel an Einsicht in das geschichtliche Werden der Dinge" 8 3 . Hebel habe „das Wunderbare in der Schrift ruhig bei Seite liegen (lassen)" 84 - ein Urteil, das sich in den folgenden Arbeiten über Hebel ständig wieder findet, ohne daß es einer Uberprüfung unterzogen worden wäre. Weiterhin zeige sich bei Hebel „jene bessere Seite des Rationalismus, die Hervorhebung der ethischen Grundsätze des Christenthums" 85 . Die Klassifizierung Hebels als Rationalist ist seither in vielen Spielarten wiederholt worden, was besonders daran liegt, daß die nicht gerade zahlreichen Veröffentlichungen zu Hebels Theologie und die oft zu einseitigen Urteile in denselben besonders durch die nicht-theologischen Untersuchungen des Werkes Hebels perpetuiert worden sind. In den seltensten Fällen kommt es daher bei der Verortung Hebels in der Theologiegeschichte zu einer Betrachtung von zeitgenössischen theologischen Quellen; und nirgends ist die Bezeichnung Hebels als Rationalist das Ergebnis einer die Schriften Hebels mit denen der zeitgenössischen Dogmatik etwa vergleichenden Interpretation. Otto Frommel, dem es zu verdanken ist, daß er mit zwei programmatischen Aufsätzen die von Johann Müller 86 im Grunde erst 1870 begonnene theologische Hebel-Rezeption am Anfang des 20. Jahrhunderts weiter ge-

7 9 Deuerlein, Ernst G., Aus Johann Peter Hebels Erlanger Studentenzeit 1 7 7 8 - 1 7 8 0 , in: E r langer Bausteine zur fränkischen Heimatforschung 7 ( I 9 6 0 ) , p 4 1 - 6 6 , hier: p46. Deuerlein hat die bis dahin erschienene Literatur zum Thema Studentenleben Hebels gesichtet. Die Anzahl dieser Veröffentlichungen übersteigt diejenige der dezidiert theologischen Untersuchungen Hebels, woran sich spiegelt, daß Hebel gerne unter dem Blickwinkel der Publikumswirksamkeit zum Gegenstand der Forschung gemacht worden ist. 8 0 Pietzsch, Friedrich August, Johann Peter Hebel. Seine Erlanger Studentenzeit und ihre Auswirkungen auf sein späteres Leben, Mitteilungen der Zentralkartei für Studentenstammbücher I, Heidelberg 1960 (masch.) (erneut in: Das Markgräflerland 31 (1969), p l l - 2 0 ) , p l 4 . 81 82 84 86

Ebd., p l 2 . 8 3 Längin, a.a.O. (Anm. 77), p l 7 5 . Vgl. Anm. 77. 8 5 Ebd., p l 7 9 . Ebd. Müller, a.a.O. (Anm. 1). Vgl. u. p32 dieser Arbeit.

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führt hat, entdeckt die Predigten neu und verwahrt sich gegen das Urteil Längins, Hebels Predigten machten „den Eindruck des Gedehnten, des Steifgelehrten und Trockenen" 8 7 , das Altwegg allerdings weiterträgt 88 . Frommel meint, dieses Urteil könne „nur mit Einschränkung aufrecht gehalten werden" 8 9 , bezeichnet Hebel dann aber doch als „Kind der Aufklärung" 9 0 : Er gehöre „durchaus dem deutschen theologischen Rationalismus an" 9 1 , genauer dem „älteren supranaturalistischen Rationalismus" 9 2 . Gegen Johann Müller 9 3 sich richtend, behauptet Frommel: „Hebels Auferstehungsglaube wurzelt nicht in der Auferstehung Christi" 9 4 . Diese - wie sich später zeigen wird 9 5 - als Fehlurteil zu klassifizierende Meinung hat genauso wie die undifferenzierte Ansicht „Urständ- und Sündenlehre kennt Hebel nicht" 9 6 weiter gewirkt und ist besonders von den nicht-theologischen Untersuchungen rezipiert worden. Hanns Bürgisser wiederholt die Ansicht, daß Hebel „das Bedürfnis nach Erlösung, das Gefühl der Sündhaftigkeit (fehlte), das die Menschen des Barock so sehr erfüllt hatte" 9 7 . Die pädagogische Arbeit von Margarete Lutz, die die „rationalistischen Formen Hebelscher Religiosität" 9 8 untersuchen will, mündet in die schon von Längin 9 9 vertretene verfehlte Meinung, daß „für den Theologen Hebel kein Raum für das Wunder" 1 0 0 bleibe, und zitiert zur Untermauerung dieser These verkürzend aus einer Predigt Hebels 1 0 1 . Gleichzeitig wiederholt sie Frommeis Meinung, Hebels Eschatologie ergebe „sich für ihn nicht aus dem Glauben an die Auferstehung Christi, und sie kann diese christliche Fundierung nicht haben, da Hebel ja keinen Zugang zum Charisma der

Längin, a.a.O. (Anm. 77), p l 7 4 . Altwegg, a.a.O. (Anm. 77), p217f: „Hebel wußte, daß die Predigt nicht seine Stärke war. Es erlebt eine Enttäuschung, wer bei ihm auch hier Frische und Volkstümlichkeit zu finden vermeint ... Aber all das ist recht unpersönlich und weitschweifig vorgetragen, oft mit abstrakter Blässe und trockener Gelehrtheit." In den meisten Urteilen über Hebels Predigten zeigt sich, daß man dieselben nicht als Werke eigenen Rechts versucht zu interpretieren, sondern sie mit einem durch die Kalendergeschichten und Gedichte verengten Blick versucht zu betrachten. Dabei wird nicht beachtet, daß die Predigten Werke einer anderen Gattung sind, daß sie also einer zunächst eigenen Betrachtung würdig sind und es ein zweiter Schritt ist, sie als gleichberechtigte Äußerungen Hebels danach zu seinen anderen Werken in Beziehung zu setzen. Vorliegende Arbeit will deswegen die Behandlung der Hebeischen Predigten als Werke eigenen Gepräges nachholen (vgl. bes. u. p l 4 3 - 1 4 7 , 195-224 dieser Arbeit). 8 9 Frommel, Otto, J.P. Hebel als Prediger, in: ZPrTh 22 (1900), p l 9 3 - 2 1 7 , hier: p l 9 7 . 9 0 Ebd., p208. 9 1 Ebd. 9 2 Ebd., p217. 9 3 Müller, a.a.O. (Anm. 1), p l 5 . 9 4 Frommel, a.a.O. (Anm. 89), p210. 9 5 S.u. p214f. 219f dieser Arbeit. 9 6 Frommel, a.a.O. (Anm. 89), p211. 9 7 Bürgisser, Hanns, Johann Peter Hebel als Erzähler, Wege zur Dichtung 7, HorgenZürich/Leipzig 1929, p l 9 . 9 8 Lutz, Margarete, Der Erzieher Johann Peter Hebel, Anthropologie und Erziehung 9, Heidelberg 1964, p41. 9 9 S.o. bei Anm. 84 dieser Arbeit. 1 0 0 Lutz, a.a.O. (Anm. 98), p43. 1 0 1 S.u. p207-210 dieser Arbeit. 87 88

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Sünde und der Erlösung besitzt" 102 , ohne jedoch auf Frommel zu verweisen, und kommt zu dem Schluß, „daß Hebels Eschatologie n i c h t eigentlich c h r i s t l i c h e r Natur ist" 103 . Tschang Bok Rhie, der Hebel in seiner philosophischen Dissertation als Neologen bezeichnet104, schließt sich an Lutz an, ohne sie jedoch zu zitieren oder auf sie zu verweisen, liefert sogar dasselbe verkürzte Predigtzitat als vermeintlichen Beleg wie sie 105 . Richard Faber folgt Lutz in der Ansicht, Hebels Eschatologie sie unchristlich106, und in der These, daß Hebel „der frühreformatorische Gedanke einer zerstörten Seinsordnung fremd ist" 107 . Susi Löffler bezeichnet Hebel als Rationalisten108, gelangt aber als erste zu einer positiven Würdigung der Hebeischen Eschatologie aus der Sicht einer Nichttheologin 109 , ähnlich wie später auch Georg Hirtsiefer, der in seiner juristischen Dissertation feststellt, daß in Hebels Werk „die Transzendenz ... mit einem feinen Schimmer in die Zeitlichkeit hineinleuchtet)" 110 . Hirtsiefer, als Jurist immerhin um eine theologische Würdigung Hebels sichtlich bemüht, greift auf die Bezeichnung Hebels als „Sohn seiner Zeit" 111 zurück, rechnet ihn zum „wenn auch gemäßigten - Rationalismus" 112 , da ihm die „Offenbarungsreligion ... nur als Bestätigung dessen (erscheint), was die Vernunft schon aus sich selbst zu erkennen vermag" 113 , wobei diese Meinung Ergebnis einer einseitigen Betrachtung des Hebelschen Katechismus ist 114 . Auch wiederholt Hirtsiefer unkritisch die bereits durch Altwegg von Frommel übernommene Charakterisierung der Predigten Hebels als „steif, nüchtern, trocken" 115 . Frommel hat der Klassifizierung Hebels als theologischem Kind seiner Zeit auch Eingang in die Lexikographie verschafft, indem er ihn in der 2. Auflage der R G G als „mildgerichteten Supranaturalisten" 116 bezeichnet. Die 1. Auflage der R G G spiegelt wider, wie viel stärker man am Volksaufklärer und Kalen-

Lutz, a.a.O. (Anm. 98), p74. Ebd. (Hervorhebung original). 1 0 4 Vgl. Rhie, Tschang Bok, Johann Peter Hebels Kalendergeschichten. Eine Studie über Heimat und Geschichte, Religion und Sittlichkeit im .Hausfreund', Köln 1976, p90-94. 1 0 5 Ebd., p93f. 1 0 6 Faber, Richard, ,Der Erzähler' Johann Peter Hebel, in: Bolz, N o r b e r t W., und Ders. (Hgg.), Walter Benjamin. Profane Erleuchtung und rettende Kritik, Würzburg 1982, p l 0 9 - 1 8 6 , hier: p l 2 7 . 1 0 7 Ebd., p l 2 9 . 1 0 8 Löffler, Susi, Johann Peter Hebel. Wesen und Wurzeln seiner dichterischen Welt, Wege zur Dichtung 44, Frauenfeld/Leipzig 1944, p l 3 9 . 1 0 9 S.u. p228 dieser Arbeit. 1 1 0 Hirtsiefer, Georg, Ordnung und Recht in der Dichtung Johann Peter Hebels, S R L P 53, Köln 1968, p48. 111 Ebd.,p24. 1 1 2 Ebd. 1 1 3 Ebd. 1 1 4 Ebd. 1 1 5 Ebd. 1 1 6 Frommel, Otto, Art.: Hebel, Johann Peter, in: R G G 2 Bd. 2, Tübingen 1928, Sp. 1666f, hier: Sp. 1667. 102 103

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derschreiber, nicht aber am Prediger Hebel interessiert ist 1 1 7 , während der Artikel in der 3. Auflage der R G G von Katz Hebel wieder einen „mild rationalisierenden Supranaturalisten" 118 nennt, das Schwergewicht aber auf die Betrachtung der „Biblischen Geschichten" legt. Klaus Oettinger 119 hat Hebel zu den Physikotheologen vom Schlage eines William Derham gezählt. Eine derartige Einmütigkeit, was die theologiegeschichtliche Einordnung Hebels betrifft, legt es nahe, aufgrund der Betrachtung seiner Werke im Kontext der zeitgenössischen Quellen diesen Konsens einer Uberprüfung zu unterziehen. Dies liegt umso näher deswegen, weil schon Fritz Buri darauf hingewiesen hat, daß Hebel nicht einfach zum theologischen Rationalismus gezählt werden kann, da besonders in seinen „Biblischen Geschichten" eine „Vorliebe Hebels für die biblischen Geschichten dieser Art (seil, für die Wundergeschichten; A.S.)" 1 2 0 zutage tritt und „daß Hebel - bei all seinem Wertlegen auf Verständigkeit und Vernünftigkeit und seinem Appellieren an Einsicht und guten Willen doch um die Grenzen und das mögliche Versagen dieser menschlichen Fähigkeiten weiß" 1 2 1 . Und auch Gustav Adolf Benrath hat erhoben, daß „bei Hebel mehr zu finden (ist) als der theologische Rationalismus, dem Hebels Theologie in dogmengeschichtlicher Hinsicht zuzuordnen ist" 1 2 2 . Worin aber materialiter das Mehr zu suchen ist, ist bisher noch nicht eingehend untersucht worden, da eine die Bemühungen Benraths um ein differenzierteres Hebel-Bild fortsetzende Arbeit noch nicht geschrieben worden ist. So handelt die pädagogische Habilitationsschrift von Joseph Hoymann zwar ausführlich auf p52-98 unter der Uberschrift „Die Rolle der Kirche I: Hebel als Kirchendiener" 123 von „Hebel als Theologe(n)" und 117

Zscharnack, Leopold, Art.: Hebel, Johann Peter, in: R G G 1 Bd. 2, Tübingen 1910, Sp.

1896f. 1 1 8 Katz, Peter, Art.: Hebel, Johann Peter, in: R G G 3 Bd. 3, Tübingen 1959, Sp. 102-104, hier: Sp. 103. 1 1 9 Oettinger, Klaus, Himmlische Illumination zu Johann Peter Hebels Betrachtungen über das Weltgebäude'. Aus der Schriftenreihe des Hebelbundes Sitz Lörrach e.V., Nr. 37, Lörrach 1990, p 3 - 1 3 . 1 2 0 Buri, Fritz, Wunder und Weisheit in J.P. Hebels Biblischen Geschichten, in: ThPr 3 (1968), p364-379, hier: p370. Dieser Beitrag ist eine umgearbeitete Version des in Anm. 990 genannten. 1 2 1 Ebd., p373. 1 2 2 Benrath, Gustav Adolf, Johann Peter Hebel als Theologe, in: Hebel, Johann Peter. Eine Wiederbegegnung zu seinem 225. Geburtstag. Ausstellungskatalog, hg. von der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe, Karlsruhe 1985, pl 19—135, hier: p l 3 2 . Benrath hat damit u.a. die Beurteilung Hebels einer Differenzierung unterworfen, wonach er als Rationalist zu beurteilen ist. Was jedoch Benraths Betrachtungsweise von Hebels Katechismus angeht, ist er nicht weit entfernt von Gommel, H., Johann Peter Hebels Katechismus. Ein katechetisches Charakterbild aus der Zeit des Rationalismus, in: MPTh 8 (1911/12), p458^t69. Vgl. hierzu Anm. 717. 1 2 3 Hoymann, Joseph, Studien zur Ordnung des pädagogischen Diskurses. Schwerpunkt: Johann Peter Hebel (Habil. masch. Pädagogische Hochschule Westfalen-Lippe), Münster o.J. (1980), p52.

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von „Hebel als Prediger", aber es kommt nicht einmal zu einer Sichtung oder Auseinandersetzung mit der sowieso nicht so reich gesäten Sekundärliteratur zu diesem Thema. Das gesamte Kapitel verrät, daß Hoymann eigentlich ein Blickwinkel für Hebels theologisches Schaffen abgeht. Ein Vergleich Hebels mit zeitgenössischen theologischen Quellen unterbleibt. Eine andere Tendenz der Hebel-Forschung besteht darin, eine theologische Verortung Hebels bewußt zu vermeiden durch den Hinweis darauf, daß Hebel der Theologiegeschichte nicht zuzurechnen sei, sondern daß bestenfalls von seiner privaten Frömmigkeit gesprochen werden könne. Typisch hierfür ist die Meinung Erwin Kiefers, der der nur schwerlich sachlich berechtigten Alternativformulierung von Theodor Heuss, Hebel stehe „nicht in der Geschichte der deutschen Theologie, sondern in der Geschichte der deutschen Frömmigkeit"124 folgend es sich mit der theologischen Einordnung Hebels leicht macht. „Ich habe daher nicht die Absicht, Hebels Frömmigkeit in ihre Bestandteile zu zerlegen ... Ferner gedenke ich im Folgenden nicht über die Theologie Hebels zu sprechen. Diese wäre leicht als ein Kind der Aufklärungszeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts zu charakterisieren"125. Kiefer will die Theologie Hebels eigentlich nicht betrachten, klassifiziert sie dann aber dennoch. Meist wird das Bild, das man sich vom unkritischen Heimatdichter Hebel gemacht hat, das aus philologischen Gründen nicht haltbar ist, wie Kühn und Däster gezeigt haben126, aber auch aus theologischen Gründen, wie Eisinger gezeigt hat, übertragen auf die Beurteilung der theologischen Existenz Hebels. Dabei kann man sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, daß die Naivität, von der in der Betrachtung der Schriften Hebels immer wieder die Rede ist, nicht ihnen eignet, sondern vielmehr der Herangehensweise der Interpreten Hebels. So fehlt gerade den nicht-theologischen Untersuchungen ein Blick für das biblische Fundament des Hebeischen Werkes, biblische Zitate werden nicht verifiziert und mithin biblische Inhalte als die Privatmeinung Hebels ausgegeben. So meint Rhie, in zwei biblischen Zitaten einer Predigt Hebels seine private Gottesvorstellung entdecken zu können: „In der Predigt am zweiten Pfingstfest 1794 legte Hebel seine Gottesvorstellung wie folgt dar: ,Gott ist die Liebe, - Gott ist der rechte Vater über alles, was Kinder heißt im Himmel und auf Erden'" 127 . Löffler betrachtet zwar den biblischen Allusions- und Zitatcharakter der von ihr untersuchten Alemannischen Gedichte nicht, meint aber doch beHeuss, Theodor, Johann Peter Hebel, Tübingen/Stuttgart 1952, p26. Kiefer, Erwin, U b e r Hebels Frömmigkeit. Zum 200. Geburtstag des Dichters, in: Badische Heimat 4 0 (1960), Heft 1/2, p l 7 - 1 9 , hier: p l 7 . Abschließend sagt Kiefer: „Wir dürfen ihn (seil. Hebel; A.S.) zu den sympathischsten Vertretern einer religiösen Aufklärung zählen" (P19). 124

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126 127

Vgl. o. p l 8 bei Anm. 46 und 47 und u. p225ff. Rhie, a.a.O. (Anm. 104), p l 3 0 . E s handelt sich hier um l j o h 4,16 und Eph 3,15.

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haupten zu können, daß Hebels „Glaube ... nicht aus der Bibel (stammt) und stützt sich nicht auf die Botschaft von Christus; Hebel lernte ihn einzig und allein von der Natur ... Ja, so unglaublich es klingt, Hebel, der aufgeklärte Theologe, hat sein Lebensethos nicht aus dem Verstand, auch nicht nach der heiligen Schrift, sondern nach der Mutter Natur gebildet. Nun verstehen wir auch, warum er den Namen Gottes hier nie erwähnt: er braucht ihn gar nicht!" 1 2 8 . Vorliegende Arbeit wird dies nachzuprüfen haben und zu dem Ergebnis gelangen, daß eine solche Alternativformulierung nicht möglich ist, da Hebel die Natur als eine immer schon biblisch beleuchtete im Sinne eines biblisch gelesenen Buches der Natur betrachtet. Auch dies ist bisher noch nicht betrachtet worden, nämlich, wie Hebel die Natur als bereits biblisch-hermeneutisch reflektierte betrachtet, sondern auch hier meint man, von einer naiven Unmittelbarkeit sprechen zu können, wie etwa Hans-Gerhart Oeftering, wenn er sagt, die Natur werde von Hebel „rein vom Herzen her geschaut" 129 und die „Beziehungen zwischen Gott und Natur" „intuitiv" 130 erfaßt und zwar durch den „naive(n), frommbäuerliche(n) Sinn Johann Peter Hebels" 1 3 1 . Löffler hat darauf hingewiesen, daß Hebel „in überwältigender Begeisterung den Anbruch des Jüngsten Tages aus(malt)" 132 , spricht jedoch nur von einem „Jenseitsglaube(n)" 133 und erhebt nicht die biblisch-theologische Füllung desselben. Zwar verweist Löffler darauf, daß Hebel nicht im unreflektiert-naiven Sinne die Heimat in seiner Dichtung thematisiert, daß vielmehr „die wahre Heimat ... erst im Himmel" 1 3 4 zu finden ist, „eine Heimat, von der die geliebte irdische nur ein Sinnbild ist" 1 3 5 , sieht aber nicht, daß für Hebel die eschatologische Heimat schon in der jetzigen epiphan wird und nicht bloß ein Sinnbild ist. Schon Katz hat, einem Lexikonartikel entsprechend jedoch nur aphoristisch, angemerkt: „Landschaftliche und ewige Heimat fließen in eine höhere Einheit zusammen" 136 . Treffend, aber auch ohne, daß eine ausführliche Betrachtung folgte, hat Däster gesehen, daß Hebel den Jüngsten Tag in den geographischen Kontext seiner Heimat transponiert. „Szenerie des Jüngsten Gerichts ist das Wiesental. Ja, was unser jenseits wartet, ist wieder nichts anderes als ein ins Kosmische ausgeweitetes Wiesental" 137 . Richtig ist auch, daß es das „Heimweh" 1 3 8 ist,

Löffler, a.a.O. (Anm. 108), pl36f. Oeftering, Hans-Gerhart, Naturgefühl und Naturgestaltung bei den alemannischen Dichtern von Beat L. Muralt bis Jeremias Gotthelf, GS 226, Berlin 1940, p39 (zu Hebel: p34-173). 1 3 0 Ebd.,p46. 1 3 1 Ebd.,p47. 1 3 2 Löffer, a.a.O. (Anm. 108), pl89. 1 3 3 Ebd.,p203. 1 3 4 Ebd.,p201. 1 3 5 Ebd. 1 3 6 Katz, a.a.O. (Anm. 118), Sp. 102f. 1 3 7 Däster, Uli, Johann Peter Hebel in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, RoMo 195, Reinbek bei Hamburg 1973, p68. 1 3 8 Ebd., p69. 128

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das Hebel die Mundart sprechen läßt: „In ihr, in der Muttersprache vergegenwärtigt er das Ersehnte als Erinnerung und Antizipation" 139 . Eisinger hat Däster rezipierend gezeigt, daß Hebel von der Hoffnung auf die ewige Heimat herkommend fähig war, dieselbe in die jetzige Heimat zu transponieren, deren Prolepse aufzuzeigen, sie gewissermaßen in die jetzige hinabzuziehen. „Die ewige Heimat trägt die Züge der irdischen. Und das ,Heimweh' hält die eschatologische Bedeutung unserer Menschenexistenz wach" 1 4 0 . Es geht Hebel also gerade nicht darum, die Natur „transparent für metaphysische Sinnbereiche" 141 zu machen, was Rhie ein doch etwas starres und dualistisches Schema von Diesseits und Jenseits anlegend sagt und fortfährt: „Er transzendiert diese Naturphänomene auf eine religiöse Bedeutung hin, indem er den Glanz der untergehenden Sonne ... als Zeichen der Hoffnung und Verheißung einer nicht irdischen, sondern jenseitigen Heimat versteht" 142 . Nicht auf die Transzendierung des Vorhandenen kommt es Hebel an, sondern darauf, durch die lebendige Hoffnung auf den Jüngsten Tag die Spuren des sich endzeitlich herabsenkenden neuen Jerusalem schon jetzt aufzuweisen. „Das Heimweh hat ihn (seil. Hebel; A.S.) zum Dichter werden lassen" 143 , wohlgemerkt: das Heimweh nach dem neuen Jerusalem und nicht nur das Heimweh nach dem Markgräflerland, wie Ernst Johann meint 144 . Daher ist es an der Zeit, zu untersuchen, wie sich Hebels narrativpoetisch umgesetzte Eschatologie biblisch-theologisch speist und sättigt, um von hier aus zu einer Differenzierung der Ansicht Dästers zu gelangen, Hebels Jenseitsglauben sei unreflektiert „kindlich vertrauensvoll und unabhängig von jeder Theologie und Dogmatik" 1 4 5 und es gehe in Hebels Schriften, die den Jüngsten Tag beschreiben „zeitweise recht unbiblisch zu ..., denn diese Gesichte nimmt er ja aus sich ... und nicht aus der Bibel" 1 4 6 . Notwendig wird es auch sein, zu betrachten, wie Hebels eschatologisch ausgerichtete Hermeneutik des Buches der Natur schöpfungs- und vorsehungstheologisch sich ausprägt, da immer noch die Behauptung Sommers

1 4 0 Eisinger, a.a.O. (Anm. 45), p89. Ebd. 142 Rhie, a.a.O. (Anm. 104), p55. Ebd. 1 4 3 Eisinger, a.a.O. (Anm. 45), p89. Eisinger weist immer wieder darauf hin, daß der Jüngste Tag der Brennpunkt der Theologie Hebels ist, so, wenn er sagt: „Der menschliche Christ zeigt sich in der uns verlorengegangenen Sehnsucht nach dem lieben Jüngsten Tag, der alles gegenwärtige Leiden relativ erscheinen läßt" (Johann Peter Hebel, ein menschlicher Christ. Aus der Schriftenreihe des Hebelbundes Sitz Lörrach e.V., N r . 26, Lörrach 1977, p 6 - 1 5 , hier: p l 4 ) . 139 141

1 4 4 Gegen Johann, Ernst, Nachwort, in: Ders. (Hg.), Hebel, Johann Peter, Biblische G e schichten den Kindern erzählt und mit alten Holzschnitten illustriert, Frankfurt a.M. 1959, p l 9 5 - 2 0 1 , der p l 9 7 sagt: „Aber das Heimweh nagt an seinem (seil. Hebels; A.S.) Herzen, von der flachen, sandigen Umgebung Karlsruhes sehnt er sich nach den blauen Bergen und grünen Tälern seiner Heimat, des Oberlandes. U n d dieses Heimweh macht ihn zum Dichter." 145

Däster, a.a.O. (Anm. 11), p44.

146

Ebd., p45.

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im Räume steht, Hebel thematisiere zwar den „concursus divinus" 147 , sonst aber gelte: „Nirgends in Hebels Werken finden wir eine orthodoxe Schöpfungslehre mit einem Gott als creator mundi" 1 4 8 . Sodann untersucht Sommer die „Betrachtung über ein Vogelnest" 149 und kommt zu dem abschließenden Urteil: „Hebel verzichtet in diesen Sätzen darauf, vom Schöpfungshandeln Gottes zu reden. Gott ist nicht aktiv. Erstaunlich ist nun, dass Gott sonst etwa gar nicht passiv dargestellt wird. Er steht nicht einfach als Prinzip hinter der Menschenwelt, ohne zu handeln, sondern er greift auch ein. So ist das theologische Prinzip der Kalendergeschichten der Concursus divinus"15°. Diese Arbeit wird zeigen, daß Hebel gerade in seinen Kalenderbeiträgen nicht nur den göttlichen concursus, sondern auch die beiden weiteren Themen der Lehre ,de Providentia' anspricht, nämlich conservatio und gubernatio. Und es wird zu zeigen sein, daß Hebels Rezeption der Providenzlehre eben nicht derart auf Kosten der Schöpfungstheologie gegangen ist, wie Sommer meint. Sommers Urteil, Hebel spreche nicht von Gott, dem Schöpfer, zeugt geradezu von nicht zu entschuldigender Ignoranz, da sich diese Behauptung schon anhand des von Sommer selbst zitierten Stückes entkräftet, wo es heißt: „Nicht der Vogel baut sein Nest ... sondern der ewige Schöpfer thut es durch seine unbegreifliche Allmacht ... wie der ewige Schöpfer an seinem Ort, jedem genannten Geschöpf seine Wohnung bereitet... also hat er dem Menschen etwas von seinem göttlichen Verstand lassen in die Seele träufeln" 151 . Daß Hebel als Volksaufklärer in seinen Kalenderbeiträgen tätig wird, indem er den Aberglauben bekämpft und Realienwissen vermittelt, ist schon gesehen. Daß Hebel sich der Aufklärung gegenüber auch kritisch verhalten hat, ist bisher nur von Robert Feger angesichts der Betrachtung der „heitere(n) Ironie" 152 der esoterischen, „belchistisch-proteusischen" Privatreligion behauptet worden. Und richtig hat wohl auch Bürgisser gesehen, daß Hebels polytheistischer Hang eine solche Kritik gegen die Aufklärung darstelle, denn das „verrationalisierte Christentum vermochte ihn (seil. Hebel; A.S.) nicht zu halten, und er suchte die Bedürfnisse seiner Seele in der Antike" 153 . Nicht untersucht worden ist bisher allerdings, wie Hebel sich in seinen Predigten mit der Aufklärung auseinandersetzt, indem er ihr eine eschatologische Aufklärung am Jüngsten Tag gegenüberstellt, und von hier 1 4 7 Sommer, Werner, Der menschliche Gott Johann Peter Hebels. Die Theologie Johann Peter Hebels, E H S . T 6, Bern/Frankfurt a.M. 1972, p47. 1 4 8 Ebd., p45. 1 4 9 Hebel III, 413-416. 1 5 0 Sommer, a.a.O. (Anm. 147), p47. 1 5 1 Hebel III, 414f. 152 Feger, Robert, Annäherungen an einen Prälaten. Fragestellungen zu Leben und Werk von Johann Peter Hebel, Lahr 1983, p l 3 . 1 5 3 Bürgisser, a.a.O. (Anm. 97), p28f.

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aus sowohl die Lehre von der Theodizee als auch das mechanistische Weltbild einer Kritik unterzieht, indem er auf die Enteschatologisierung der zeitgenössischen Theologie hinweisend die Eschatologie neu entdeckt 154 . Auch nicht gesehen ist bisher, wie Hebel das Anliegen, Realienwissen zu vermitteln, mit einem katechetischen Interesse verbindet, indem er besonders in seinen Natur- und Tierbetrachtungen eine Rebiblisierung des Realienwissens initiiert, was unten in einem Vergleich der Hebeischen Bearbeitungen und den ihr zugrundeliegenden, aber bisher noch nicht verifizierten Quellen exemplarisch aufgezeigt werden soll 155 . Außerdem wird es nötig sein, Hebels Hang zum Polytheismus einer erneuten Thematisierung zu unterziehen. Und zwar sollen Hebels doch eher vereinzelt rekurrierenden und nur in zu Lebzeiten nicht veröffentlichten Schriften auftauchenden polytheistischen Äußerungen miteinander in Beziehung gesetzt werden, kontextuell also verstanden werden, woraus erhellt, daß Hebel sich hier in einem Selbstgespräch befunden hat, in dem er letztenendes sehr wohl eine Antwort gefunden hat. Die jedoch ist von der bisherigen Hebel-Forschung verschwiegen worden, und man hat manches Mal den Eindruck, als spiegelten besonders die sich selbst als liberale zu erkennen gebenden Theologen ihre eigenen Schwierigkeiten mit den Inhalten der traditionellen Lehre an Hebel, der jedoch - anders als diese - solche Schwierigkeiten in einem langwierigen Prozeß des Selbstgespräches und des Gespräches mit der Bibel zugunsten der letzteren überwunden hat. Diese Arbeit will damit beginnen, die bisher weithin vernachlässigte Aufgabe in Angriff zu nehmen, Hebels Kalenderbeiträge einer theologischen Betrachtung zu unterziehen wie auch die Briefe 156 . Damit soll versucht werden, die „leidige Trennung zwischen dem Dichter Hebel und dem Theologen Hebel zu überwinden und beide in der Einheit zu sehen", wozu schon Eberhard Meckel 1957 aufgefordert hat 1 5 7 , ohne jedoch beachtet zu haben, daß bereits Johann Müller in der ersten Arbeit, die überhaupt zur Theologie Hebels erschienen ist, leider aber stark durch Nichtbeachtung gestraft wurde, über Hebels Werk gesagt hat: „So begegnen, so durchdringen sich gegenseitig ächte hohe Theologie und ächte Poesie. Der ächte Theolog muß Poet sein" 1 5 8 . S.u. bes. ρ 1 9 5 - 2 2 4 dieser Arbeit. S.u. pl61—173 dieser Arbeit. 1 5 6 Deswegen nimmt die Betrachtung der Kalendergeschichte „Unverhoftes Wiedersehen" einen relativ breiten Raum ein (s. p 2 5 9 - 3 0 6 ) ; vgl. auch p 6 4 - 8 2 zu den „Betrachtungen über das Weltgebäude", pl61—173 zu den Tierbetrachtungen des Kalenders und p 3 0 7 - 3 2 9 zu weiteren Kalenderbeiträgen Hebels. 154 155

1 5 7 Meckel, Eberhard, U m r i ß zu einem neuen Hebelbildnis. Aus der Schriftenreihe des H e belbundes Sitz Lörrach e.V., N r . 6, Lörrach 1957, p 7 - 1 5 , hier: p l 4 . Nicht zu übersehen ist, daß Wunderlich (a.a.O. (Anm. 3 1 ) ) darum bemüht ist, die von Meckel zurecht benannte Diastase zu überwinden. 158

Müller, a.a.O. (Anm. 1), p36f.

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Vorliegende Arbeit wird daher versuchen, Hebels theologische Äußerungen in der sich dem Leser bietenden Vielzahl von Gattungen möglichst weitgehend synoptisch miteinander zu lesen, wobei jedoch die Alemannischen Gedichte nicht derart breit verhandelt werden können, um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen und die Behandlung dieses Themas einem dieser Mundart Kundigen zu überlassen. Auffällig im Gang der Geschichte der theologischen Hebel-Forschung ist, daß die Arbeit, mit der dieselbe im Grunde erst begonnen hat, nämlich die von Johann Müller, keine ihr gerecht werdende Rezeption erfahren hat, da sie in das Bild, das man sich von Hebel als Rationalisten machen zu können glaubte, nicht hineinpaßte. Deswegen sei hier am Ende des kurzen Uberblicks über die theologische Hebel-Rezeption ausdrücklich und würdigend auf den Beginn derselben verwiesen, da es Müllers Verdienst ist, darauf hingewiesen zu haben, daß Hebel der zeitgenössischen Theologie durchaus kritisch gegenüber stand 159 , daß er „gegenüber dem verflachten rationalistischen Weisen von Nazareth" 1 6 0 an Christus, dem wahren Gott und wahren Menschen, festgehalten habe 161 . Vor allem aber ist es Müller zu verdanken, gezeigt zu haben, daß die Eschatologie das Fundament in Hebels Theologie bildet, auf das sich alles andere aufbaut. „Das Gewisseste von allem Gewissen ist Hebeln die Auferstehung ... Ebenso fest überzeugt ist Hebel, daß Christus im Himmel lebt, und daß er einst wieder kommen wird, zwar nicht in der Stunde, da man ihn erwartet" 162 . Intuitiv hat Müller treffend die biblische Verkündigung der neuen Schöpfung als das Fundament wiederum dieser Eschatologie erkannt, ohne diesen Gedanken jedoch breit materialiter auszuführen. „Hebel ist vom Gedanken an eine totale Welterneuerung im Sinne Jesajas und der Offenbarung Johannes, sowie im Sinne des Paulus durchdrungen" 163 . Wäre diese Arbeit stärker beachtet worden, hätte sie zum Wegweiser dafür werden können, Hebel nicht als einen naiven Heimatdichter mißzuverstehen, sondern ihn als denjenigen zu entdecken, der sich in der ewigen Heimat schon heimisch fühlend den Blick auf die irdische Heimat richtet. „Der Gedanke an die ewige Heimath bewegt Hebeln stets und überall, so daß er jeden auch noch so fernen Anlaß benutzt, um ihn auszusprechen ... Ja, die ewige Heimath ist's, nach welcher Hebel nicht bloß in der Noth, sondern auch im Glück ausschaut, nach der er sich hinwendet" 164 . Angesichts dieser Forschungslage wird es Zeit, Hebel in ein wirkliches von der Sache herkommendes Gespräch mit seinem zeitgenössischen theologischen Umfeld einerseits und mit der theologischen Tradition, in der er steht, andererseits zu bringen. Ein solches Gespräch zu initiieren, ist bisher 159 160 162

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Vgl. ebd., p29. Ebd., p9. Ebd., pl 5.

161 163

Ebd. Vgl. auch p23. 1 6 4 Ebd., p20. Ebd., pl 8.

nirgends wirklich unternommen worden, auch nicht von Johannes Schilling, der zwar ein ähnliches Desiderat zurecht markiert, sich selbst jedoch dann von dieser Aufgabe entlastend einen Beitrag über Hebels „Biblische Geschichten" schreibt, der uns Hebel wiederum als den milden Aufklärer darbieten will, ohne daß es zu einer Differenzierung dieser altbekannten Behauptung käme 1 6 5 . Ad fontes!

1 6 5 Schilling, Johannes, Johann Peter Hebel als Theologe, in: MPTh 81 (1992), p374-390. Hebels Bibelnacherzählungen als „Geschichten vom freundlichen Gott" (p388) herunterzuspielen und zu verharmlosen, halte ich für gänzlich verfehlt. Und auch das Urteil, „daß Hebels Theologie nicht positioneil sei" (p386), vergeht einem, wenn man sich den Quellen öffnet und Hebels Werke in ihrer Breite erfaßt. Ε silentio aus dem Fehlen des „Problem(s) der Präsenz Christi im Abendmahl" (p387) in Hebels Nacherzählung der Geschichte von der Einsetzung des Abendmahls auf Hebels aufgeklärte Theologie zu schließen, ist methodisch wie sachlich falsch. Denn wer die orthodoxen Quellen kennt, der weiß, daß z.B. auch Johann Hübner die Realpräsenz Christi in seiner Bibelgeschichte ebenfalls nicht thematisiert, da sie ihren Ort der Verhandlung im Katechismus findet. Ähnliches ist in anderen orthodoxen Bibelbearbeitungen zu beobachten. Daß Hebels Theologie nicht schon deswegen aufgeklärt ist, weil er den ersten Artikel und die Natur (p388) hervorhebt, wird in dieser Arbeit differenzierend zu zeigen sein.

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KAPITEL I

Bibel-Sprache und Welt: Hebels Hermeneutik des Buches der Natur

1. Hebels angewandte Pädagogik zwischen Aufklärung und Bibel Hinführung Hebel verfolgt mit seinen „Betrachtungen über das Weltgebäude" ein doppeltes Ziel. Einerseits will er Wissen vermitteln und so bei der Aufklärung als „Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit" 1 6 6 behilflich sein. Andererseits will er Sprache stiften und nimmt deswegen die „Betrachtungen" zum Anlaß, biblisch fundierte Predigten zu halten, um so den Kalender zur biblischen Sprachschule werden zu lassen. Die Unmündigkeit soll der Bildung weichen: Deswegen bringt Hebel den Lesern des Kalenders das heliozentrische Weltbild des Kopernikus 1 6 7 nahe sowie die Erkenntnisse der zeitgenössischen mechanistischen Astronomie und Physik 1 6 8 und faßt all das innerhalb eines Ubersetzungsprozesses in eine einfache Sprache. In dieser Vermittlung von Realienwissen 169

1 6 6 Kant, Immanuel, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, in: Ders., Werke in 12 Bden, hg. von Weischedel, Wilhelm, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1964, p53-61, hier: p53. 1 6 7 Kopernikus, Nikolaus, De revolutionibus orbium caelestium libri sex, Gesamtausgabe, hg. von Zeller, Franz, und Zeller, Karl, München 1949, Bd. 2: Textkritische Ausgabe. Zur Bedeutung und Entstehung des kopernikanischen Weltbildes vgl. Blumenberg, Hans, Die kopernikanische Wende, Frankfurt a.M. 1965 und ders., Die Genesis der kopernikanischen Welt, Frankfurt a.M. 1975 und Hübner, Jürgen, Art.: Kopernikus, in: T R E 19, p591-595. 1 6 8 Hebel ist nur insofern als Mechanist zu bezeichnen, als er Kopernikus folgend den Lauf der Planeten vernünftig-mechanisch erklärt. Hebel ist jedoch nicht Mechanist im Sinne Christian Wolffs, demzufolge nur Wunder denkbar sind, die sich in den Mechanismus der von Gott gesetzten ewigen Naturgesetze einfügen (vgl. hierzu Philipp, Wolfgang, Das Werden der Aufklärung in theologiegeschichtlicher Sicht, FSThR 3, Göttingen 1957, pl23-139). Anders als die Mechanisten kann Hebel sehr wohl von einer wunderbaren Durchbrechung der Naturgesetze sprechen und interpretiert dieselbe eschatologisch. S. hierzu u. p71f. 207-211 und bes. Anm. 993. 1 6 9 Als geistiger Vater der Realschule gilt August Hermann Francke und seine Schrift .Entwurf der gesamten Anstalten, welche zu Glaucha an Halle durch Gottes sonderbaren Segen, teils zur Erziehung der Jugend, teils zur Verpflegung der Armen, gemachet sind, wie sichs damit verhält im Monat Decembri 1698', in: Ders., Pädagogische Schriften, hg. von Kramer, G., Langensalza 1885, p446f, hier: p446 ist von der Planung „ein(es) besondere(n) Paedagogium(s) für diejenigen Kinder, welche nur im Schreiben, Rechnen, Lateinischen, Französischen und in der Oeconomie angeführet werden und die Studia nicht continuiren, sondern zur Aufwartung führnehmer Herren, zur Schreiberei, zur Kaufmannschaft, Verwaltung der Land=Güter und nützlichen Künsten gebraucht werden sollen" die Rede. Allerdings kam es zu einer Realschul-

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will Hebel gleichzeitig Vorurteile und Aberglauben im Volk auflösen. Hierin folgt er dem pädagogischen Programm, das er schon 1806 in seinen beiden Gutachten („Unabgefordertes Gutachten über eine vorteilhaftere Einrichtung des Calenders", „Meine weitern Gedanken über eine vorteilhaftere Einrichtung des Calenders" 1 7 0 ) aufgestellt hatte, ohne damals zu wissen, daß er selbst dereinst der Bearbeiter des Kalenders sein würde. Im zweiten Gutachten formuliert Hebel die pädagogische Zielbestimmung, „dass nicht der Aberglaube befestigt und genährt, vielmehr allmählig entkräftet (werde)" 1 7 1 . Ähnlich äußert er sich in einem Brief an Justinus Kerner, der von seinem Bruder beauftragt worden war, Hebel zu fragen, ob er nicht auch einen Kalender für Württemberg herausgeben könne. Hebel lehnt u.a. deswegen ab, weil er die Vorurteile der Württemberger nicht kenne, die abzubauen seien: „Aber welches sind alsdann die eigenthümliche Vorurtheile des Würtembergers, gegen welche gekämpft werden muß, welches die Mängel, die schädlichen oder auch die guten, aber noch sehr zu bessernden G e w o h n h e i t e n ? " 1 7 2

In beiden Gutachten formuliert Hebel das Vorhaben, die klassische Ciceronische Rhetorik für die Neueinrichtung des Kalenders fruchtbar zu machen. Das notwendige Korrelat der Lehre muß die wohlgefällige Unter-

gründung erst unter Christoph Semmler in Halle. Einen Durchbruch errang das Konzept der Realschule erst im 18. Jh., nachdem Johann Julius Hecker 1747 in Berlin eine solche gegründet hatte. Die Bedeutung Hebels für die Entwicklung des Realschulwesens hat Ludwig Fertig (Johann Peter Hebel der Schulfreund, Darmstadt 1991, bes. p30-73) jüngst glänzend anhand von bis dahin weitgehend unbeachteten Quellen aufgezeigt. Fertig beobachtet eine „Akzentverlagerung auf die Realien und die deutsche Sprache" (p52) in Hebels Pädagogik sowie „den seltenen Versuch ..., ,humanistische' und volkserzieherische Tradition zu verbinden und zu versöhnen" (p67). Das wird sich in vorliegender Untersuchung insofern erhärten lassen, als Hebel auch in dem Medium zur Volksbildung, im Kalender, humanistische Tradition insofern rezipiert, als er die Ciceronische Rhetorik literarisch umsetzt (vgl. u. p38f dieser Arbeit). Allerdings geht Fertig nicht darauf ein, wie zu der von ihm benannten Synthese eine weitere hinzutritt, nämlich die Synthese von Vermittlung von Realienwissen einerseits und biblischen Inhalten andererseits. Vgl. hierzu bes. p64ff und pl61—173 dieser Arbeit. Hierin nämlich geht Hebel mit einem biblisch-katechetischen Interesse über die Aufklärung hinaus. Auch Kaiser, Johannes, ,Der gelehrige Leser begreift's ein wenig. J.P. Hebels Popularisierung des naturwissenschaftlichen Weltbildes in den Betrachtungen über das Weltgebäude', in: Badische Heimat 65 (1985), p231—238 geht zwar auf die volkserzieherische Aufgabe ein, die Hebel erfüllt, nicht so stark jedoch auf den biblischen Ton der „Betrachtungen". 1 7 0 Text der beiden Gutachten ediert von Funck, Heinrich, Über den Rheinländischen Hausfreund und Johann Peter Hebel, in: Festschrift zur 300jährigen Jubelfeier des Grossh. Gymnasiums in Karlsruhe. 22. November 1886, Karlsruhe 1886, p39-88, Text der Gutachten auf p45-51 (zit.: Hebel, Unabgefordertes Gutachten) und p58-65 (zit.: Hebel, Meine weitern Gedanken). 1 7 1 Hebel, Meine weitern Gedanken, p64. 1 7 2 Hebel, Briefe, p614. 20.7.1817 an Justinus Kerner.

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haltung sein. Das docere bedarf der Einkleidung in das placere 1 7 3 : „Die Absicht zu belehren und zu nützen sollte nicht voranstehen, sondern hinter dem Studio placendi masquirt, und desto sicherer erreicht werden" 1 7 4 . „Ernsthafte Belehrungen und mancherley Spässlein" 175 müssen zusammen gehören. Hebel sieht hier die Gefahr, daß sich der aufgeklärte Bildungsauftrag in ein langweiliges Geschäft pervertieren könnte, und tritt dem entgegen, indem er das Thema der Bildung in rhetorischen Kategorien neu faßt. Das Anliegen, mehr und umfangreicher zu bilden, muß durch eine Intensivierung der humoristischen Einkleidung begleitet werden. Die Leichtigkeit und die Heiterkeit werden für Hebel zu Maximen seiner Pädagogik. Deswegen schreibt er in dem o.g. Brief an Kerner: „Sie wissen was dazu gehört einem bestimmten Publikum das zu sagende so recht in die Wahrheit und Klarheit seines Lebens hinein zu legen und wie unerläßlich an einen Nationalvolksschriftsteller die Forderung ist, daß er während er quasi aliud agendo seine Leser belehrt, so viel als möglich zwischen ihren bekannten und ansprechenden Gegenständen sie herumführe" 1 7 6 . Nicht soll hier etwas „versteckt bzw. maskiert werden", hier geht es eben gerade nicht um eine ,Uneigentlichkeit' 177 , sondern gerade durch die humoristische Einkleidung soll die Lehre eine um so offenere Belehrung werden: „Selbst die historischen Leseartikel müssten viel zweckmässiger gewählt, populärer, sinniger, reiner, und unter einer lustigen Aussenseite lehrreicher bearbeitet werden" 1 7 8 . Hebel weiß genau darum, daß Verstehen und Lachen zusam-

173 Vgl. Cicero, Marcus Tullius, De oratore. Über den Redner, lateinisch/deutsch, übers, und hg. von Merklin, Harald, Stuttgart 2 1986, p278, lib. 11,115: „Ita omnis ratio dicendi tribus ad persuadendum rebus est nixa: ut probemus vera esse, quae defendimus; ut conciliemus eos nobis, qui audiunt; ut animos eorum, ad quemcumque causa postulabit motum, vocemus." Hebel hat eine ganze Reihe von Schriften Ciceros besessen, wie hervorgeht aus: ,Verzeichniß über diejenigen Bücher, welche aus der Verlassenschaft des verstorbenen Herrn Prälaten J.P. Hebel, Dienstag, den 2. Januar 1827 und die folgenden Tage, in dessen Wohnung, Erbprinzenstraße Nro. 31 der Reihenfolge nach öffentlich gegen baare Bezahlung versteigert werden', Karlsruhe 1826 (mir lag dieses Schriftstück als Vorausmitteilung der Hebel-Edition vor, es wird fortan zit.: Verzeichnis mit Angabe der Nr.). Cicero-Werke finden sich unter den Nrr. 202-205. Hebel selbst hatte als Lehrer nicht nur Latein zu unterrichten, sondern auch Rhetorik. Hebel, Unabgefordertes Gutachten, p46. Hebel, Meine weitern Gedanken, p64. Wie wichtig Hebel das ,delectare' in der Pädagogik gewesen ist, geht auch aus einem Brief an Engler hervor: „Den Cäsar hätt ich Ihnen zur Lektion für Ihre Söhne nicht empfohlen, wiewohl er auch hier eingeführt ist. Er ist nicht unterhaltend genug" (Hebel, Briefe, p567. 11.5.1813 an Sebastian Engler). 1 7 6 Hebel, Briefe, p614f. (Hervorhebung von mir). 1 7 7 Gegen Wunderlich, a.a.O. (Anm. 31), der p224 sagt: „Der belehrende Zeigefinger des Spätaufklärers soll versteckt bzw. maskiert werden, also ,uneigentlich' deuten." Vielmehr ist es das Ziel Hebels, die Belehrung als eine in Humor eingekleidete umso offenbarer zu machen und die Lehre durch Humor dem Leser lieb zu machen. 1 7 8 Hebel, Meine weitern Gedanken, p64. 174

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men gehören. Beides macht den Menschen aus, daß er ζωον λογικόν und γελαστικόν ist 179 . Lachen ist Ausdruck des Verstehens und dient der Lehre und erleichtert sie. Der Kalender hat also einen Bildungsauftrag zu erfüllen, denn „auch der Bauer mag gerne wissen, was ausser seiner Gemarkung vorgeht, und will, wenn er unterhalten und afficirt werden soll, etwas haben, von dem er glauben kann es sey wahr" 1 8 0 . Deswegen soll nach Hebels Dafürhalten „einem geistreichen und sachlustigen Mann ..., der selber auf dem Lande lebt" 181 die Bearbeitung des Kalenders übertragen werden. Denn dieser könne „verständlicher, lehrreicher und unterhaltender mit dem gemeinen Landmann sprechen ... als der gelehrteste Professor aus der Stadt, also wird er ihm gewiss auch einen ansprechendem und zweckmässigem Calender geben" 182 . Nicht weil Hebel den Leser zum Gesetz über den Inhalt des Kalenders erheben will, reflektiert er über die Leser-Erwartungen, sondern eben darum, um den Leser so besser durch Lehre verändern zu können. Damit die Belehrung Frucht bringen kann, soll „der Calender durch Annäherung in Inhalt, Ton und äusserer Gestalt an die Wünsche und den Geschmack des Volkes in höheren Credit komme(n)" 183 . Zu diesen kommunikationstheoretischen Überlegungen gehören auch die Forderungen Hebels, daß der Kalender graphisch aufwendiger gestaltet werden müsse, mehr Rot zu verwenden sei und mehr Kupfer zur Visualisierung angeboten werden müßten. Es geht Hebel also darum, daß der Kalender in Zukunft 1) mehr Realienwissen dem Anliegen der Aufklärung folgend zur Auflösung des Aberglaubens vermittelt, 2) darum, daß der Leser durch stärkere Unterhaltung dazu bewegt, d.h. motiviert wird, diese Lehre auch anzunehmen, und 3) darum, einen hermeneutischen Prozeß einzuleiten, daß die Lehre dem ländlichen Leser auch verständlich wird. Der Erziehung des Menschen zum mündigen dienen auch die „Betrachtungen über das Weltgebäude". Schon dieser Titel läßt erkennen, daß Hebel sich der Sprache der Zeit bedient. Auch Johann Eiert Bodes Buch „An-

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Aristoteles, Pol. 1253a 1-3.9-10: ,,έκ τούτων ούν φανερόν 'ότι των φύσει fi πόλις έστί, και οτι δ Κνθρωπος φύσει, πολιτικον ζώον . . . λόγον δε μόνον ϊχνθρωπος 'εχει των ζώων." Dazu, daß die differentia specifica des Menschen im Lachen besteht, vgl. Porphyrios, Isagoge 4a. 180 Hebel, Unabgefordertes Gutachten, p49. 181 Hebel, Meine weitern Gedanken, p65. 182 Ebd. 183 Hebel, Unabgefordertes Gutachten, p46.

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leitung zur allgemeinen Kenntniß der Erdkugel" 184 nennt den Kosmos einen „Weltbau" 185 . Kants Schrift von 1755 „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels" trägt den Untertitel: „Oder Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprünge des ganzen Weltgebäudes, nach Newtonischen Grundsätzen abgehandelt"186. Hebel gestaltet die Belehrung über das Weltgebäude als Lehr-Gespräch. Die fiktive Gestalt des Hausfreundes spricht die zunächst ebenfalls fiktive Gestalt des ,geneigten Lesers' an, wiederholt mit ihm den bisher durchgenommenen Stoff und spricht ihn auf seinen bereits gemachten Fortschritt an. Hebel nimmt den impliziten Leser an die Hand und artikuliert Anerkennung und Lob für den Lernerfolg des Lesers. „Der geneigte Leser ist nun bereits ein ganz anderer Mann, als vor zwey Jahren um diese Zeit, und wenn jetzt einmal im wilden Mann oder in den drey Königen von den Planeten die Rede ist, und der Mars wird genannt, oder die Juno, oder der Jupiter, oder der Saturn, oder der Uranus, so kann er auch ein Wort mitsprechen" 187 . Der Lehrer, der Hausfreund, tritt hinter diesen Lernerfolg zurück und fordert von seinem Schüler nicht, daß dieser den Hausfreund als Quelle seines Wissens nennt (der Leser „ist nicht schuldig zu gestehn, daß ers aus dem Hausfreund hat. Der Hausfreund verlangts nicht" 188 ). Denn das durch die Lehre vermittelte Wissen ist nun zum Eigentum des Lesers geworden, der durch Information im eigentlichen Sinne, d.h. durch eine formatio animi „ein ganz anderer Mann" geworden ist. Ziel der impliziten und - viel wichtiger - angewandten Pädagogik Hebels ist es, Ge-

1 8 4 Bode, Johann Eiert, Anleitung zur allgemeinen Kenntniß der Erdkugel. Mit einer Charte und Kupfern. Berlin 1786 (vorh.: H A B N e 171). Den Titel „Allgemeine Betrachtung über das Weltgebäude" (Hebel III, 2 9 4 . 6 0 0 ) hat Hebel wohl von Bodes Buch .Allgemeine Betrachtungen ueber das Weltgebäude', Berlin 1801 (vorh.: H A B N e 76), das Hebel in der Auflage Augsburg 1792 besessen hat (Verz. N r . 527), übernommen. Auch Erxleben, Johann Christian Polykarp, Anfangsgründe der Naturlehre. Zweyte sehr verbesserte Auflage, Göttingen 1777 handelt die Himmelskunde unter der Uberschrift „Einrichtung des Weltgebäudes" ab (p458). Hebel besaß dieses Buch in der Ausgabe von 1794 (Verz. N r . 403).

Z u r Problematik des Verzeichnisses' vgl. u. Anm. 220. 1 8 5 Bode, Anleitung, a.a.O. (Anm. 184), p244. 320. 1 8 6 Kant, Immanuel, Werke. Akademie-Textausgabe. Unveränderter photomechanischer Abdruck des Textes der von der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1902 begonnenen Ausgabe von Kants gesammelten Schriften, 9 Bde., Berlin 1968, hier: Bd. 1, Vorkritische Schriften I, 1 7 4 7 - 1 7 5 6 , p214. Das Lexem .Weltgebäude' gehört jedoch nicht nur zum typischen Sprachschatz der Aufklärungszeit, sondern taucht bereits im 16. Jh. auf. So in dem Choral „Du, о schönes weltgebäude,/Magst gefallen, wem du willt,/Deine scheinbarliche freude/Ist mit lauter angst umhüllt" von Johannes Franck. 1 8 7 Hebel II, 190. Daß Hebel des öfteren die F o r m des Lehrgespräches benutzt, hat Faber, a.a.O. (Anm. 106), p l 5 0 richtig gesehen. 188

Hebel II, 190.

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spräch,,Gruppenarbeit' zu stiften. Das Lehrgespräch, das der Hausfreund mit den Lesern führt, soll in der Wirtschaft oder andernorts eine Fortsetzung finden. Aber der Leser wird nicht nur gelobt, sondern auch ermahnt, die jeweils voraufgegangenen Lektionen zu wiederholen. Die „Betrachtungen" bilden im Kalender einen Serienbeitrag, der sich durch die von Hebel bearbeiteten Jahrgänge hindurchzieht und jeweils an die Spitze des jeweiligen Jahrganges (nach einer etwaigen Vorrede) zu stehen kommt. In jedem neuen Jahrgang wird der Leser am Anfang des aktuellen Beitrages auf den der letzten Kalenderausgabe zurückverwiesen und ermuntert, diesen erneut zu lesen, ihn also einer repetierenden Relektüre zu unterziehen. Das geschieht nicht stereotyp, sondern immer neu. Im Jahrgang 1808 hält Hebel kurz fest, was in den Jahrgängen zuvor, die er noch nicht bearbeitet hatte, behandelt worden ist. „Bis jezt haben wir in unsern Betrachtungen über das Weltgebäude unsern Wohnplatz, die Erde, dann die Sonne, und endlich den Mond näher kennen gelernt. Jezt erheben wir unser Auge zu den leuchtenden Sternen des Himmels" 189 . Im folgenden wird auf den Landkalender von 1805 zurückverwiesen. Im Jahrgang 1809 wählt Hebel das pädagogische Mittel des kurzen Schülerverhörs, um den Lernertrag zu sichern. Der Hausfreund hört den geneigten Leser kurz den Stoff des Vorjahres ab. Der Leser darf diesem Gespräch zwischen den beiden fiktiven Gestalten zuhören und repetiert so den Stoff mit. „Der rheinländische Hausfreund stellt sich seinem Leser gegenüber und fragt: Weist du auch noch, geneigter Leser, wovon im vorigen Jahr ist geredt worden? Leser. Ja! von den Planeten ist geredt worden. Hausfreund. Weist du auch noch, was man Planeten nennt? Leser. Ja! Planeten nennt man eilf Sterne, so mit den andern nicht gleichen Schritt halten, denn sie laufen in großen Kreisen um die Sonne herum, und kommen der eine heut der andere morgen, aber jeder zu seiner Zeit" 190 . Es folgt noch ein weiterer Frage-Antwort-Wechsel. Der geneigte Leser ist gewissermaßen eine Vorbildfigur, die den Stoff vorbildlich memoriert hat und den realen Leser zur Nachahmung motivieren soll. Der fiktive ,geneigte Leser' ist das gut informierte Korrelat zum Hausfreund, der ebenfalls alles weiß 191 . Hier wird keine Primusfigur auf-

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Ebd., 64. Ebd., 126f. Dieses Stück hat die Struktur eines Katechismusgespräches, allerdings fehlt hier an dieser Stelle zumindest der theologische Inhalt. Daß Hebel das Katechismusgespräch nicht nur in säkularisierter' Form als Unterrichtsform zur Anwendung kommen läßt, sondern auch mit biblisch-theologischen Inhalten gefüllt, zeigt sich in den Kalenderbeiträgen „Morgengespräch..." und „Betrachtung über ein Vogelnest". Vgl. dazu p318ff und 324ff dieser Arbeit. 191 Oettinger, Klaus, Ulm ist überall. Essays und Vorträge zu Johann Peter Hebel, Konstanzer Bibliothek 14, Konstanz 1990, hierin: Der Rheinländische Hausfreund. Zur Bedeutung der Titelfigur von Johann Peter Hebels Kalender, p l 1-26. 190

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gebaut, sondern der geneigte Leser wird dem realen Leser deswegen liebenswert, weil diese Figur wie auch die Lehrergestalt des Hausfreundes literarisch gebrochen ist 1 9 2 . 1810 wird auf den letztjährigen Weltgebäude-Beitrag rekurriert, indem die Themen des Gesprächs, das der Hausfreund mit dem geneigten Leser letztes Jahr geführt hat, als Themen eines möglichen Wirtshausgespräches genannt werden (s.o.)· Dieses Gruppengespräch soll dabei helfen, den Stoff zu vertiefen 193 . 1811 sieht der Hausfreund dabei zu, wie der Leser den Stoff repetiert. Auf diesen Stoff soll nun aufgebaut werden. „Der Hausfreund sieht jezt im Geiste zu, wie der verständige und wohlgezogene Leser geschwind noch einmal den Artikel von den Planeten im Jahrgang des Calenders 1808 und 1809 durchgeht, damit er besser verstehen kann, was heuer von den Fixsternen will gesagt werden" 194 . Der Hausfreund leistet jedoch Hilfestellung bei der Beantwortung der Frage; den elften Planeten nennt er selbst („und wie er (seil, der Leser; A.S.) jezt auswendig die Planeten an den Fingern abzählt, und den Uranus am grossen Zehen greifen muß, unten im Pedal, weil er zu eilf Planeten nur zehen Finger hat" 1 9 5 ). In der Fortsetzung des Beitrages über die Fixsterne noch im selben Jahrgang blickt der Hausfreund kurz auf den ersten Teil zurück 196 . Im Jahrgang 1812 wird auf die abgeschlossene Behandlung des ganzen Weltgebäudes in den letzten acht Jahren zurückgeblickt. Hebel begründet sein Vorhaben, die Weltbetrachtungen nun erneut von vorne anzufangen coram foro, d.h. er verantwortet sein pädagogisches Programm der Leserschaft gegenüber: Manche Mägdlein und Knaben haben vor neun Jahren noch nicht lesen können. Und vor allem: Die „Betrachtungen" zu wiederholen, liegt im behandelten Gegenstand selbst begründet. Die sich periodisch wiederholenden „Betrachtungen" sind ein Abbild der im Weltgebäude selbst vor sich gehenden ewigen Wiederkehr. „Fürs zweite ist diese Rückkehr vom Ende zum Anfang, und 1 9 2 Eine ähnliche literarische Figur in pädagogischer Literatur ist Gertrud im W e r k Pestalozzis. Vgl. Pestalozzi, Johann Heinrich, Sämtliche Werke, hg. von Buchenau, Artur, Spranger, Eduard, Stettbacher, Hans, Bde. 1 - 2 8 , Berlin/New Y o r k bzw. Zürich 1 9 2 7 - 1 9 7 6 , (fortan zit. unter Angabe von Bd.- und Seiten-Zahl), hier: X I I I , 1 8 1 - 3 5 9 . 1 9 3 Auch das allgemeinbildende Buch von Hebels Dogmatik-Professor in Erlangen Seiler, Georg Friedrich, Allgemeines Lesebuch für den Bürger und Landmann vornehmlich zum Gebrauch in Stadt= und Landschulen. Neunte verbesserte Auflage, Erlangen 1797 (vorh.: H D U B N 3129) sieht das Gespräch als ein zentrales pädagogisches Medium an. „ . . . wenn dann vernünftige Gespräche über solche gelesene Stücke angestellt und die Jugend zur Lebensklugheit ... angeführt würde(n); wie weit mehr wahre Aufklärung würde unter dem Landvolk entstehen, wie würden viele zum eigenen Nachdenken angeführet und vorbereitet werden, die Religionslehren in Predigten und Gesangbüchern desto leichter zu verstehen, wie würden dann die Gespräche nützlicher, und der Umgang mit einander vernünftiger werden!" heißt es in der Vorrede (p*2). Die aufgeklärte Erziehung bedarf des Gespräches, in dem der Schüler den Stoff selbst verbalisiert. 194

Hebel II, 246.

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Ebd.

196

Ebd., 258.

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dieser Umlauf von neuem, ein lebendiges Contrefeit von der Natur und dem Gang der himmlischen Körper selbst. Denn alles bewegt sich und lauft in seinen ausgerechneten Kreisen, und kehrt zu seinem Anfang zurück, um seinen Lauf von neuen zu beginnen" 1 9 7 . Die pädagogische Methode ist ein Korrelat zu dem Inhalt dessen, was vermittelt werden soll. Das eine bildet das andere ab. Ähnliche Rückverweise finden sich in den Jahrgängen 1813, 1814 und 1815 1 9 8 . Die Jahrgänge 1816-18 hat Hebel nicht bearbeitet. Deswegen verlegt er die Wiederholung des Stoffes 1819 in den Mund des Vaters, der seinen nachgewachsenen Söhnen referiert, um dann dem Kalendermann wieder das Wort zu geben. „Der Vater wolle zuerst, wenn er sein Pfeiflein angezündet hat, seinen nachgewachsenen Söhnen erzählen, was es im Jahrgang des Kalenders 1815. mit den Planeten für eine Bewandtniß hatte. Denn wer es einmal gelesen hat, der behaltet's" 1 9 9 . Durch diese pädagogisch durchdachten Rückverweise erinnert der Hausfreund den Leser an sein bereits erworbenes Wissen. Das gehört zum didaktischen Programm Hebels, das sich auch in dem bereits angeführten Brief an Kerner äußert. Ziel sei es, die Leser „so viel als möglich zwischen ihren bekannten und ansprechenden Gegenständen herum(zu)führe(n), sie öfters an Bekanntes (zu) erinnere(n)" 2 0 0 . Gleichzeitig sammelt sich der Leser mit den verschiedenen Kalender-Jahrgängen eine kleine Enzyklopädie an, die auch der pädagogischen Aufgabe des Vaters dienlich ist, zu dessen Beruf es gehört, seine Kinder zu unterrichten. Zwar liegt es Hebel ferne, den Hausunterricht zu verabsolutieren oder ihn gegen den Schulunterricht auszuspielen. Aber dennoch hat der Hausunterricht für Hebel gewissermaßen als auf die höhere Schule vorbereitende ,Grundschule* seine Funktion. So kann man neben den „Betrachtungen" auch den Briefen Hebels, in denen er über seine „Biblischen Geschichten" sich äußert, entnehmen, daß er diese gar nicht nur für den Gebrauch in Schulen verfaßt, sondern auch für den Hausunterricht. Die „Biblischen Geschichten" haben ihren Sitz im Leben „in dem Hause, wo die Liebe fromm und zart erzieht", also in „Familienkreisen" 2 0 1 . Deswegen hat Hebel bei der Abfassung der „Biblischen Geschichten" nicht nur seinen eigenen Volksschullehrer vor Augen, sondern auch „eine Repräsentantinn aller Mütter unter ihren Kindern" 2 0 2 . Im alten Sinne Luthers sieht Hebel die Familie als den O r t an, wo die Eltern - der Lehre vom allgemeinen Priestertum fol-

197 198 199 200 201 202

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Hebel III, 294. Ebd., 349.406.470. Ebd., 540. Hebel, Briefe, p615. 20.7.1817 an Justinus Kerner. Ebd., p708. 11.1.1824 an Friedrich August Nüßlin. Ebd., p713. 7.2.1824 an Sophie Haufe.

gend - ihren Kindern die biblische Botschaft vermitteln 203 . Es ist die „Mutterschule" des Johann Arnos Comenius, die die unterste Stufe im Ausbildungsmodell bildet 204 . Allerdings weist Hebel auch sehr klar die Grenzen dieses häuslichen Unterrichts auf, wenn er darauf hinweist, daß ein Vater nie das breite Fachwissen zu vermitteln vermag wie eine Gruppe von Lehrern, die ein Kind in jeweils spezialisierten Fächern unterrichtet. Zwar kann Hebel auch die Nachteile einer solchen Spezialisierung sehen: „Man fordert heut zu Tag (seil, in der Schule; A.S.) sehr viel von einem iungen Menschen, aufrichtig gesagt, fast zu viel" 205 . Aber dennoch: „Wenn die Söhne studiren sollen, so wäre es schon gut, daß sie sobald als möglich in eine Schule kämen oder wenigstens nicht zu lange daheim blieben. Ein Vater unterrichtet seine Söhne nie gut. Denn erstlich hat er keinen Masstab, und zweitens bringt er sie nur in dem weit, was er selber gut versteht, und woran er Freude hat, und treibt anderes gar nicht oder mit geringem Erfolg, und der Sohn taugt alsdann in keine Classe mehr recht in einer Schule, wo von verschiedenen tüchtigen Lehrern alles mit gleichförmigem Ernst und Eifer getrieben wird" 2 0 6 . Der Unterricht durch den Vater führt „zu einem vielleicht ausgezeichneten, aber immer nur einseitigen Wissen" 207 . Es sei dann für die Lehrer in der Schule schwierig, die Lücken zu füllen. Außerdem sei die Hauslehrer-Rolle des Vaters eine zusätzliche Belastung des Vaters neben seinem eigentlichen Beruf. Deswegen sei dem öffentlichen Unterricht der Vorzug zu geben 208 . Das Alter 2 0 3 Es ist nach Luther der Hausvater, der die Kinder und alle Personen, die zum Hausstand gehören, zu unterrichten hat. Das zeigt sich schon in den Zwischenüberschriften des Kleinen Katechismus. „Die Zehen Gebot, wie sie ein Hausvater seinem Gesinde einfältiglich furhalten soll" ( B S E L K p507), „Der Glaube, wie ein Hausvater denselbigen seinem Gesinde aufs einfältigest furhalten soll" (a.a.O. p510) usw. Allerdings ist es auch schon nach Luther die Pflicht der Eltern, die Kinder zur Schule zu halten, weil die Kinder nicht das Eigentum der Eltern, sondern Gottes sind. „Auff das du lernest/die kinder seien nicht so gantz vnd gar dein/das du Gott nichts müssest da von thun/Er wil auch recht dran haben/Vnd sie sind auch mehr sein/denn dein" (Ein Sermon odder Predigt das man soll kinder zur Schule halten, BoA Bd. 4, p l 4 9 - 1 7 8 , hier: pl52). 2 0 4 In Johann Arnos Comenius' Didactica magna ist die Mutterschule die Vorschule für Muttersprachschule, Lateinschule und Akademie. (Vgl. ders., Didactica magna Kapitel X X V I I I - X X X I I , 2 in: Ders., Böhmische Didaktik, übers, von Schaller, Klaus, p248-271). Die Mutterschule vermittelt die Anfangsgründe eines breitgestreuten Realienwissens und der katechetischen Bildung: Vaterunser, Glaubensbekenntnis und Zehn Gebote, die drei Hauptstücke des Katechismus (Ders., Mutterschule, hg. von Altemöller, W., Paderborn 4 o.J., p69-76). Dabei ist schon für Comenius die exinanitio des Pädagogen erforderlich: „Und doch läßt sich Gott zu unserer Schwäche herab. Warum sollen wir da nicht zur Schwäche unserer Kinder hinuntersteigen?" (a.a.O. p73). Die Kondeszendenz des Pädagogen ist also schon traditionell vermittelt und kann daher nicht als Hamannsches Proprium angesehen werden, wie Wild es tut (dazu unten pl09f). 205 206 207

Hebel, Briefe, p715. April 1824 an Gustave Fecht. Ebd. 2 0 8 Vgl. ebd. Ebd. p753. 9.9.1826 an Gustave Fecht.

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von 15 Jahren ist der Zeitpunkt für Hebel, wo der Unterricht an öffentlichen Schulen der effektivere ist 209 . Um so stärker sieht es deswegen Hebel, der Schulmann, als seine Aufgabe an, als Lehrer einer solchen öffentlichen Schule den lehrenden Hausvater in seinem Lehrgeschäft durch seine Kalenderbeiträge tatkräftig zu unterstützen: In der Belehrung nämlich der Kinder unter 15 Jahren, die er deswegen vor allem in seinen „Betrachtungen" immer wieder in den Blick nimmt und sie anspricht. Ähnlich pädagogisch durchdacht wie das System von Rückverweisen in den „Betrachtungen" ist auch das dazugehörende System von Vorverweisen. 1808 weist Hebel voraus auf die „fünf neuentdeckten (seil. Planeten; A.S.) Pallas, Ceres, Juno, Vesta und Uranus ... welche im Kalender des nächstkünftigen Jahres sollen beschrieben werden" 210 , 1810 auf „die Sterne, welche im künftigen Jahrgang sollen beschrieben werden" 211 , 1813 nennt Hebel den Stoff der Lektion des nächsten Jahres (die Planeten). Der Vorverweis 1815 entspricht in leicht abgewandelter Form dem von 1808212. Durch diese Methode der Rück- und Vorverweise entsteht eine pädagogisch einheitliche Lehreinheit und gleichzeitig ein planvoll durchkomponierter Text, der an vielen kompositionellen Schaltstellen zum Zurückblättern, und d.h. zum Lesen im eigentlichen Sinne an- und verleitet. Hierdurch wird die Mitarbeit des Lesers 213 angeregt. Das Verweissystem ist vergleichbar mit dem eines Lexikons, was den enzyklopädischen Charakter der „Betrachtungen" unterstreicht. Inhaltlich geht es Hebel u.a. darum, den Aberglauben zu entkräften 214 und verfolgt hiermit ein aufklärerisches Ziel. In den „Betrachtungen" hat Hebel das an mehreren Stellen umgesetzt. Wendungen wie „falsch ist es also, wenn man glaubt ..." 2 1 5 oder „mißlich muß es daher auch um die Behauptung stehen ,.." 2 1 6 finden sich des öfteren. Besonders gegen den astrologischen Aberglauben kämpft Hebel, demzufolge die Sterne die Schicksale der Menschen regieren. Es ist nicht wahr, „daß unsere Erde abwechselnd von den Planeten regiert werde" 217 . Auch ist es nicht wahr, daß ein Komet Ursache von Unglück ist. „Dies ist aber nicht so zu verstehen, als wenn der Comet das Unglück herbey zöge" 218 . 209

Ebd., p754. 9.9.1826 an Gustave Fecht. 211 Hebel II, 69. Ebd., 194. 212 Vgl. ebd., 69 mit Hebel III, 475. 213 Vgl. zum hermeneutischen Phänomen der schöpferischen Aufgabe des Leseaktes z.B. Eco, Umberto, Lector in fabula. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten, München 1990, bes. p65f: „Wir haben gesagt, daß der Text die Mitarbeit des Lesers als wesentliche Bedingung seiner Aktualisierung postuliert. Wir könnten genauer sagen, daß ein Text ein Produkt ist, dessen Interpretation Bestandteil des eigentlichen Mechanismus seiner Erzeugung sein muß: einen Text hervorbringen, bedeutet, eine Strategie zu verfolgen, in der die vorhergesehenen Züge eines Anderen miteinbezogen werden." 214 S.o. p37ff dieser Arbeit. 215 216 217 218 Hebel II, 66. Ebd. Ebd. Ebd., 193. 210

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In dieser entmythologisierenden Art und Weise, die Himmelserscheinungen zu erklären, folgt Hebel seinem Universitätslehrer Georg Friedrich Seiler, der neben einer Flut von dogmatischen Schriften auch ein „Allgemeines Lesebuch für den Bürger und Landmann vornehmlich zum Gebrauch in Stadt= und Landschulen" verfaßt hat 219 . Dieses Buch ist in zahlreichen Auflagen erschienen und war sehr verbreitet. Hebel hat es u.U. gekannt 220 , da sich fast zitathafte Parallelen aufzeigen lassen 221 . Der Entkräftigung von Aberglauben widmet Seiler ein ganzes Kapitel seines Buches. Schon die Vorrede macht sie zum Programm des Buches: „Aus dem Kapitel vom Aberglauben läßt der Schullehrer vornehmlich diejenigen Arten des Aberglaubens lesen, die im Dorfe am gangbarsten, auf die Thorheit dieser Meynungen macht er die Kinder aufmerksam, und zeigt die Nichtigkeit solcher Meynungen recht deutlich und nachdrücklich" 222 . Unter der Überschrift „Aberglauben aus den Gestirnen" 223 richtet sich Seiler ähnlich wie Hebel später gegen das Vorurteil, „daß die Gestirne grossen Einfluß in das Glück und Unglück der Menschen hätten" 224 . Dennoch finde sich dieser Aberglaube „noch in manchem Calender" 225 . Das theologische Vehikel, um diese Vorurteile zu entkräften, ist bei Seiler der Verweis auf die Vorsehung Gottes, den auch Hebel benutzt. „Ist es nicht eine Schande für Christen, daß sie einen solchen heidnischen Aberglauben unter sich dulden? Sollten sie nicht stets bedenken, daß Gott alleine die Schicksale der Menschen regiere, daß er jedem die Kräfte der Natur verleiht und durch die ordentlichen Wege seiner Fürsehung, nicht aber durch den Mond oder andere Sterne die Schicksale der Menschen leitet? Alles kommt von Gott, Glück und Unglück, Leben und Tod" 2 2 6 . Ähnlich kann Hebel gegen den Aberglauben den Glauben an Gottes Providentia und gubernatio setzen: „Wir aber da unten, mit unsern Leiden und Freuden, mit unsern Herzen voll Furcht und Hoffnung, mit unsern Lustgärten und Kirchhöfen, sind in Gottes Hand" 2 2 7 . 219

Vgl. Anm. 193. Allerdings befindet sich dieses Buch nicht unter den Büchern, die Hebel nachgelassen hat. Uberhaupt ist es nicht möglich, das Nachlaßverzeichnis zum Maßstab dessen zu machen, was Hebel an Büchern gekannt hat, und man wird Hebels Horizont nicht auf den durch die nachgelassenen Bücher gesteckten beschränken können. Denn Hebel kannte viele Bücher aus Rezensionen, also aus zweiter Hand, die er in seinen Exzerptheften wiederum aufzeichnet. 221 S.u. p48 dieser Arbeit. 222 Seiler, a.a.O. (Anm. 193), p*2. 223 Ebd., p459. Allerdings wird man auch bei dieser .Entmythologisierung' nicht uneingeschränkt sagen können, sie sei typisch ,aufklärerisch', denn ganz Ahnliches findet sich schon z.B. bei Johann Arndt, Vier Bücher vom wahren Christentum, Hamburg 1849: „Zum dritten von den Wirkungen des Himmels soll man wissen: 1) Erstlich von den übernatürlichen, daß nicht der Himmel und Gestirn etwas thun von sich selbst, und so böse seyn für und aus sich selbst, als sie die Astrologi machen; sondern die Sünde, Laster und Bosheit der Menschen sind die Ursachen, daß G O t t die Creaturen zur Rache rüstet" (p524). 224 225 226 227 Seiler, a.a.O. (Anm. 193), p459. Ebd. Ebd. Hebel II, 193f. 220

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In diesem aufklärerischen Programm sind sich Hebel und sein Erlanger Dogmatik-Professor einig. Dennoch läßt sich beobachten, daß sich bei Seiler - typisch für die Theologie der Aufklärungsepoche - das Theologumenon der Vorsehung stärker von seiner biblischen Grundlegung ablöst als bei Hebel 2 2 8 . Daß Hebel das „Allgemeine Lesebuch" Seilers als Quelle verarbeitet haben könnte, erhellt deutlich an folgender Beobachtung. Hebel benutzt zur Erklärung dessen, daß sich nicht die Sterne, sondern die Erde bewegt, folgenden Vergleich: „Gleicherweise, wie einer der auf dem Schiff fährt, und nicht in den fliessenden Strom, sondern an das Ufer schaut, zulezt meynt er auch, das Schiff stehe, und die Bäume und Dörfer kommen. Also ist es auch mit der Erde und den Sternen" 229 . Seiler wählt in seinem himmelskundlichen Abschnitt des „Allgemeinen Lesebuches", in dem auch des öfteren das Stichwort „Weltgebäude" fällt 230 , eben diesen Vergleich: „Aber wenn man in einem Kahne fährt, scheint auch das Land zu laufen, und der Kahn zu stehen, ob es gleich umgekehrt ist" 2 3 1 . Hier eine quellenmäßige Abhängigkeit anzunehmen, liegt deswegen nahe, da - so weit ich sehe - dieser Vergleich in der zeitgenössischen allgemeinverständlichen astronomischen Literatur kein festgeprägter Topos ist. Zwischen Seiler und Hebel zeigen sich weitere Parallelen in der pädagogischen Methode. So ist auch für Seiler die Repetition des Stoffes vorrangig. „Ein jedes gelesene Stück muß in einigen Fragen wiederholt, und wie im gemeinen Leben Gebrauch von dem Gelesenen zu machen sey, öfters gezeiget werden" 2 3 2 . Und wie bei Hebel ist das Ziel der Belehrung das Gespräch, das der Vertiefung des Aufklärung schaffenden Stoffes dient. „Wenn dann vernünftige Gespräche über solche gelesene Stücke angestellt und die Jugend zur Lebensklugheit ... angeführt würden; wie weit mehr wahre Aufklärung würde unter dem Landvolk entstehen, wie würden viele zum eigenen Nachdenken angeführet und vorbereitet werden, die Religionslehren in Predigten und Gesangbüchern desto leichter zu verstehen, wie würden dann die Gespräche nützlicher, und der Umgang mit einander vernünftiger werden!" 233 . Doch hier zeigt sich bereits ein gravierender Unterschied zu der Pädagogik Hebels. Zwar geht es auch Hebel seinen Kalender-Gutachten zufolge um die Stiftung von Aufklärung. Aber dennoch gibt es für Hebel den Automatismus von vernünftiger Einsicht und daraus notwendig folgender besserer Einsicht in die Inhalte von Gesangbuch und Predigt gerade nicht. Vielmehr muß für Hebel neben die Aufklärung durch vernünftige Belehrung die Vermittlung der Lutherschen Bibelsprache treten. Es bedarf neben 228 229 231 233

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S.u. p64-79 dieser Arbeit. 2 3 0 Seiler, a.a.O. (Anm. 193), p274. Hebel II, 249. 2 3 2 Ebd., Vorrede p*2. Ebd., p277. Ebd., p*3.

der aufklärenden Wissensvermittlung eben auch des katechetischen Unterrichts, der nicht in eine aufgeklärte Pädagogik des Realienwissens aufgehoben werden darf. Das zeigt sich anhand des Beitrages „Mancherley Regen", den Hebel zum ,Badischen Landkalender' von 1806 noch vor seiner Gutachter-Tätigkeit und bevor er selbst zum Bearbeiter des Kalenders wurde, beigesteuert hat. Aufklärend und mit Vernunftgründen geht Hebel gegen die Einbildung von Schwefelregen vor. „Nun meynen ohnehin noch viele Leute, daß die Gewitter von schweflichten Dünsten entstehen, die sich in den Wolken erzeugen, und bilden sich alsdann fest ein, es sey mit dem Regen solcher Schwefel vom Gewitter herabgefallen, und denken daran, daß ja auch schon einmal Feuer und Schwefel vom Himmel regnete auf Sodom und Gomorra" 2 3 4 . Vielmehr sei das gelbe Pulver vom Regen aus den Blüten ausgewaschener Blütenstaub. Auch denken viele Menschen nicht vernünftig nach und behaupten, es habe Frösche geregnet (implizit ist hier wohl gemeint: wie bei den Plagen über Ägypten), wenn es stark geregnet hat und die Frösche aus ihren Verstecken ins Feuchte hervorkommen. „Da bilden sich einfältige Leute ein, es habe Frösche geregnet. Denn aus lieber Trägheit läßt man eher die unvernünftigsten Dinge gelten, als daß man sich die Mühe giebt, über die vernünftigen Ursachen dessen nachzudenken oder zu fragen, was man nicht begreifen kann" 235 . Die Vernunft wird hier zum zentralen Maßstab, mit dem als Medium Naturbeobachtungen gemessen und gewertet werden. Es spiegelt sich hier das Vertrauen in die menschliche ratio, daß sie Naturerscheinungen vernünftig erklären kann, und es ist die Trägheit, also ein Selbstverschulden im Sinne Kants, wenn man die ratio nicht anstrengt. Hebel gebraucht hier eine rational-aufgeklärte Erklärung dazu, den Menschen die Furcht vor dem eingebildeten Schwefelregen von Sodom und Gomorrha zu nehmen. Allerdings wird der Rationalismus hier nicht zum Selbstzweck, die ratio wird nicht in einen alles erleuchtenden Rang erhoben. Zwar ist der ausgewaschene Blütenstaub nicht Androhung der Katastrophe von Sodom und Gomorrha, und auch der vermeintliche Blutregen bildet sich, wenn viele Schmetterlingspuppen sich entpuppen (vgl. hierzu Seiler: „Wenn das Wasser sich in einigen Bächen roth färbet, das bedeutet Seuchen oder wohl gar Theurung und Krieg, Antw. Nein; es zeigt an, daß sich eine grosse Menge kleiner rother Thierchen auf dem Boden des Wassers zusammendrängen; man nennt sie Wasserflöhe" 236 ). Aber durch diese beiden rationalen Erklärungen, die die Vernunft begreift, führt Hebel den Leser zu dem, was wirklich unbegreiflich ist. „Das kann der liebe Gott: aus einer häßlichen und verachteten 234 236

235 Hebel II, 35. Ebd., 38. Seiler, a.a.O. (Anm. 193), p456.

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Raupe einen schönen und fröhlichen Sommervogel machen" 2 3 7 . Für Hebel sind die rationalen Erklärungen nur Vehikel, die Menschen vom Aberglauben abzuziehen, um sie dem entgegenzuführen und sie dessen ansichtig werden zu lassen, was eigentlich über die Vernunft geht: Daß Gott, der Schöpfer, aus der Raupe einen Schmetterling machen kann. Hebel mißbraucht den Rationalismus nicht als Selbstzweck dazu, den Menschen einen biblischen Blick für die Natur zu nehmen. Vielmehr wird das biblische Auge geschult. Und darin besteht Hebels natürliche Pädagogik: in der Natur das zu sehen, was der Sache nach wahrhaft über die Vernunft geht, weil es Gegenstand des Glaubens ist. Zwar reflektiert Hebel zumindest an dieser Stelle nicht wie die orthodoxe Dogmatik unter der Uberschrift ,de cognitione Dei* über das Vermögen der menschlichen ratio infra- und supralapsarisch. Und dennoch zeigt sich bei Hebel immer wieder eine Dogmatik, die narrativ umgesetzt ist, eine Dogmatik, die sich bereits in die applicatio begeben hat. Ähnlich ist auch seine Hermeneutik des Buches der Natur immer schon eine zur Anwendung gebrachte, eine solche, die sich in eine ,applikative Sprache' entlassen hat. Hebel nimmt die Fähigkeit der Menschen, biblisch zu konnotieren, durchaus auf. Denn auch diejenigen, die im vermeintlichen Schwefelregen das Gericht über Sodom und Gomorrha erkennen, konnotieren ja biblischtheologisch. Aber gerade hierin besteht die seelsorgliche Dimension der Pädagogik Hebels: Die Fähigkeit des Lesers, die Natur mit biblischen Augen zu sehen, von der eingebildeten, gesetzlichen Gerichtsangst abzuziehen und auf die Predigt Gottes, des Schöpfers, in der Natur umzulenken. Wer seine Vernunft nicht gebraucht, d.h. nicht gebraucht auf dem Feld, auf dem sie erkennen kann, der gelangt nur zum Aberglauben. Der, der seine ratio braucht, kann erst die Grenzen ihrer Fähigkeiten erkennen und dann das unbegreifliche Schöpferhandeln Gottes in der Natur erfassen. Das primäre pädagogische Anliegen des Beitrages „Mancherley Regen" ist also, die glaubende Betrachtung nach der Entmythologisierung des Aberglaubens an Schwefel-, Blut- und Froschregen, wozu die ratio als notwendige Durchgangsstufe gewürdigt wird, im biblischen Sinne auf den eigentlichen Regen zu lenken, den Hebel gleich im ersten Satz seines Beitrags nennt: „Der beste Regen ist doch immer der, mit welchem der Himmel unsere Felder und Weinberge tränkt und den Segen fruchtbarer Zeiten sendet" 238 . Das theologische Thema der göttlichen conservatio der Schöpfung schwingt so bei der Abhandlung und Abtuung des Aberglaubens immer schon mit. Das unterscheidet die Machart der Naturbetrachtungen Hebels z.B. auch von denen seines ehemaligen Lehrers am Karlsruher Gymnasium illustre Heinrich Sander, der in seinem Buch „Ueber Natur und Religion für die Liebhaber und Anbeter Gottes" zunächst Naturbetrachtungen an237

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Hebel II, 37.

238

Ebd., 35.

stellt und dann erst eine „Anwendung auf die Vorsehung" 239 nachreicht. Bei Hebel dagegen erwachsen die Naturbetrachtungen bereits aus dem Kontext der Lehre ,de Providentia*. Das ist ein hermeneutisch vollkommen anderes Vorgehen. Bei Hebel erwachsen die Naturbetrachtungen aus dem Kontext der biblischen Sprache, bei Sander dagegen ist die Bibel mehr ein zusätzlich hinzugezogenes superadditum. „In der Folge könnte man also das Wichtigste aus der physischen Geographie, aus der Meeres Geschichte ..., zuweilen auch Erläuterungen der Natursachen in der Bibel - so weit das alles allgemein verständlich vorgetragen werden kann, erwarten" 240 . Die oben als 2) und 3) gekennzeichneten Punkte 241 lassen sich zusammen behandeln. Denn Hebel verfolgt das pädagogische Ziel, den astronomischen Wissensstoff seiner Zeit in verständliche Sprache zu bringen, d.h. ihn zu übersetzen, immer, indem er ihn humoristisch umsetzt und somit das docere und placere in engen hermeneutischen Konnex setzt. So setzt Hebel das Faktum, daß auf dem Uranus ein Jahr, eine vollständige Rotation um die Sonne, 83 Jahre dauert, anschaulich-humorvoll in die narrative Bemerkung um: „Und ein hundertjähriger Calender thut daselbst 8300 Jahre lang gut" 242 . Ein Tag auf dem Mond dauert so lange wie zwei Wochen auf der Erde, „und ein Nachtwächter muß sich schon sehr in Acht nehmen, daß er in den Stunden nicht irre wird, wenn es einmal anfängt 223 zu schlagen oder 309"243. Weil nackte und besonders große Zahlen unanschaulich sind, bildet Hebel ein anschauliches Beispiel, um den Abstand der Erde von der Sonne begreiflich zu machen. Zunächst weckt der Hausfreund Aufmerksamkeit, indem er das typisch Hebeische ,merke!' anführt: „Weil man aber so eine Zahl von ein paar hundert Millionen Meilen leicht wegliest, und nicht daran denkt, wie viel sie ausweist, so merke" 244 und bildet dann ein Rechenbeispiel. „Eine losgeschossene Canonen-Kugel kommt schnell an Ort und Stelle. Wenn aber eine solche in diesem Augenblick von der Sonne nach der Erde abgefeuert würde, und sie flöge in der nemlichen Geschwindigkeit immer fort und fort, und der Constabler in der Sonne hätte auf keinen andern Menschen gezielt, als auf dich, so dürftest du deßwegen herzhaft noch ein neues Haus anfangen zu bauen, und drinn essen und trinken und schlafen, oder eine Frau nehmen, und Kinder erzeugen und in die Schule schicken, und ein Handwerk lernen lassen, und sie wieder verheyrathen, und vielleicht noch Enkel erleben; und die Canonenkugel flöge noch immer und immer im unermeßlichen Raum, und käme erst nach

239 Sander, Heinrich, Ueber Natur und Religion für die Liebhaber und Anbeter Gottes, Erstes und Zweites Stück, Carlsruhe 1781, hier: 2. Stück, pl38—149. Die zitierte Überschrift findet sich im Inhaltsverzeichnis, 2. Stück, p291. 240 Ebd., A4 (Hervorhebung von mir). 241 242 S.o. p40 dieser Arbeit. Hebel II, 131. 243 244 Hebel III, 407. Hebel II, 131.

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25 Jahren auf der Erde an, wenn der Constabler vielleicht schon lange gestorben wäre" 245 . Dieses Beispiel hat Hebel wohl aus dem Buch des englischen Physikotheologen William Derham „Physico-Theology" übernommen, das in der deutschen Ubersetzung von Johann Albert Fabricius „Physico-Theologie oder Naturleitung zu Gott, durch aufmerksame Betrachtung der Erdkugel und der darauf sich befindenden Geschöpfe, zum augenscheinlichen Beweise, daß ein Gott, und derselbige ein allergütigstes, allweises, allmächtigstes Wesen sey" weit verbreitet gewesen ist. Hier ist zu lesen: „Es wird dem neugierigen Leser nicht unangenehm seyn, wenn ich von der schnellen Bewegung dieser beyden Dinge hier etwas gedenke. Eine Canonenkugel fliegt in der Zeit von einer Secunde, nach der Rechnung und Beobachtung, die Mersennus gemacht hat, 92 Faden oder Klaftern, welches eben so viel ist, als 589V2- Schuh Englisch ... Und sie würde nach Huygens Rechnung ganzerfünf und zwanzig Jahre brauchen, ehe sie von der Erde bis zur Sonne käme" 246 . Hebel hat das Beispiel insofern abgeändert, als bei ihm nicht mehr die Erde, sondern die Sonne Abschußort der Kanonenkugel ist. Und selbst das Lexem Constabler bei Hebel könnte aus dieser Anmerkung bei Derham stammen, denn er fährt in der o.g. zitierten Anmerkung fort: „Doch nach denjenigen Beobachtungen, die ich selbst nebst einem königlichen Constabel, und einer sehr richtigen Penduluhr, die Zeit abzumessen, (Pendulum Chronometrum,) gemacht habe, fliegt eine Canonenkugel ..." 2 4 7 . Die Kometen vergleicht Hebel mit den Abbildungen der Evangelisten in den großen Bibeln, die einen Strahlenkranz um den Kopf tragen248. Die Hypothese der Astronomen, der Planet zwischen Mars und Jupiter sei zersprungen249, veranschaulicht Hebel so: „Und (es) muß ein rechtes Betrübniß gewesen seyn, wenn ein Vater oder eine Mutter auf einem Stück geblieben ist, und die Kinder auf einem andern, und konnten hernach nichts mehr von einander erfahren, und einander durch niemand grüßen Ebd., I 3 l f . Derham, Wilhelm, Physico-Theologie, oder Naturleitung zu Gott, durch aufmerksame Betrachtung der Erdkugel und der darauf sich befindenden Geschöpfe, zum augenscheinlichen Beweise, daß ein Gott, und derselbige ein allergütigstes, allweises, allmächtigstes Wesen sey. Ins Deutsche übersetzet von C . L . W , und zum Drucke befördert von Johann Albert Fabricius, D. und Profess, des Gymnasii zu Hamburg ... Hamburg 1764, p48, Anm. 4. 245

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Allerdings scheint diese Veranschaulichung zu Hebels Zeiten bereits ein fest geprägter Topos zu sein, da auch Bode, Allgemeine Betrachtungen, a.a.O. (Anm. 184), p29 sie anführt: „Man pflegt, um die großen Entfernungen der Planeten von der Sonne, durch eine sinnliche Vorstellung begreiflicher zu machen, zu setzen: Eine Kanonenkugel geht gewöhnlich in jeder Sekunde auf 6 0 0 Fuß weit. Sie hätte aber bey aller dieser Schnelligkeit, aus der Sonne zu fliegen ... nach dem Merkur 9 1/2, der Venus 18, der Erde 25 ... dem Saturn 2 3 8 Jahre nöthig, und im Uranus würde sie erst nach 4 7 9 Jahren anlangen." Es läßt sich also nicht sicher ausmachen, welcher Text die Vorlage Hebels gewesen ist. 247 248

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Derham, a.a.O. (Anm. 246), p48, Anm. 4. 2 4 9 Ebd., 128. H e b e l H , 193 .

lassen" 2 5 0 . Der Jupiter hat vier Monde, was „schön aussehen muß, wenn sie in einer Nacht alle zugleich am Himmel stehen" 2 5 1 . Auf dem Saturn ist das Licht wegen des größeren Abstandes zur Sonne so schwach, daß „einer schon gute Augen haben (muß), wenn er dabey eine Nadel will einfädlen" 2 5 2 . Anhand dieser Beispiele zeigt sich schon, wie Hebel die vernünftigen, durch empirisch-astronomische Wissenschaft gemachten Beobachtungen fähig ist, einer neuen Naivität zu unterziehen. Er versetzt gleichsam die geneigten Leser auf die verschiedenen Planeten und läßt sie für einen Augenblick dort wohnen, um sie dann wieder auf die Erde zurückzuholen. Allerdings nahmen die Astronomen zu Hebels Zeiten wirklich an, daß es auch auf anderen Planeten Menschen gebe. Sander äußert sich ähnlich wie Hebel: „ U n d so wäre die Sonne ein ruhiger, mit Erde, Wasser, Land, Bergen, Meeren und Geschöpfen erfüllter Weltkörper, der seine Herrschaft durch unser ganzes Weltsystem verbreitet" 2 5 3 . Ähnlich konjunktivisch formuliert Hebel: „Also wäre es wohl möglich, daß sie (seil, die Sonne; A.S.) an sich ein fester, mit mildem Licht umflossener Weltkörper sey, und daß auf ihr Jahr aus, Jahr ein wunderschöne Pfingstblumen blühen und duften und statt der Menschen fromme Engel dort wohnen" 2 5 4 . Bode und Seiler 2 5 5 äußern sich ähnlich. Zur Verständlichkeit gehört es für Hebel auch, den zu vermittelnden Stoff in der gebotenen Kürze zu bringen. Der Hausfreund will an den Stellen, an denen auch unter den Astronomen Unsicherheit herrscht, nicht in Geschwätzigkeit verfallen, sondern sich auf das Wesentliche beschränken. „Von den Cometsternen wäre nun viel zu sagen, weil man nicht viel von

Ebd., 129. Ebd., 130. 2 5 2 Ebd. 2 5 3 Sander, a.a.O. (Anm. 239), II, 177. 2 5 4 Hebel III, 299. 2 5 5 Bode, Johann Eiert, Anleitung zur physischen, mathematischen und astronomischen Kenntniß der Erdkugel. Dritte, durchgehende verbesserte Auflage, Berlin 1820 (vorh.: H D U B 0 5351), p505f: „Wenn wir alle diese, offenbar zum Wohl lebendiger und vernünftiger Geschöpfe, die als unsere Mitgefährten jene Kugeln des Sonnengebiets bewohnen, abzweckende Veranstaltungen ... überdenken, so wird unser Geist zu ganz andern als gewöhnlichen Vorstellungen von dem U m f a n g e und der Vortrefflichkeit des weiten Sonnengebiets geleitet." Vgl. auch Seiler, a.a.O. (Anm. 193), p274: „Alle diese am Himmel herumschwebenden Sonnen und Sterne haben ohne Zweifel auch ihre Bewohner, wie unsere Erde. Wenn das ist, wie groß ist die Majestät unsers Gottes! Von wie vielen Millionen Geistern wird er in allen Weltkörpern verherrlicht!" D a man mit dem geozentrischen Weltbild auch den Anthropozentrismus aufgegeben hatte, zog man einen Analogieschluß und meinte, auch auf anderen H i m melskörpern sei Leben. Differenzierter äußert sich hier Erxleben, a.a.O. (Anm. 184), p500: „ . . . u n d ist es nicht wahrscheinlich, daß sie (seil, die anderen Planeten; A.S.) auch von vernünftigen Geschöpfen bewohnt werden? Für wen sind sonst die grossen Weltkörper da, und wem leuchten die vier Monde des Jupiters ... ? Aber Menschen können es nicht seyn, wenigstens nicht solche als wir." Vgl. auch a.a.O., p520. 250 251

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ihnen weiß. Allein der Hausfreund hat nie damit umgehen können den Leuten etwas anzubinden, zum Exempel einen Bären, und will sich deswegen kurz fassen" 2 5 6 . Deswegen wird in aller Stringenz - „sage erstens ... sage zweytens ... sage drittens ... sage viertens" 2 5 7 - der Stoff abgehandelt.

Hebel II, 190. Ebd., 191-193. Gelbke, a.a.O. (Anm. 51) hat recht, wenn er von „Hebels Geschick ..., Belehrungen über wissenschaftliche Gegenstände in schlichte Erzählungen einzuweben" spricht (p298). O b jedoch von einer „anspruchslosen Form" (ebd.) die Rede sein kann, kann bezweifelt werden, da der hohe Anspruch der Naturbetrachtungen Hebels doch gerade darin steckt, daß er die komplizierten Inhalte auf narrative Weise elementarisiert. 256

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2. Hebels Verhältnis zur rationalistischen Physiko-Theologie Theologiegeschichtliche Einordnung I Die eigentliche Anschaulichkeit, durch die dem Leser das Wissen über das Weltgebäude vermittelt werden soll, ist eine biblisch reflektierte und eine durch die Hl. Schrift gezeugte. Hebel redet nicht einer durch und durch rationalistischen, deistischen Physikotheologie das Wort, wie jüngst von einigen Seiten her behauptet wurde. So meint Klaus Oettinger, Hebel mit dem Physikotheologen Derham in eine Reihe stellen zu können. „Hebel hat seine astronomischen Kenntnisse nicht aufgrund eigener Forschungen erworben, er hat sie aus den Lehrbüchern der Zeit bezogen, und er hat offenbar auch jenes physikotheologische Konzept übernommen, von dem der astronomische Diskurs im 18.Jahrhundert insgesamt geprägt war" 2 5 8 . Ebenso meint Wunderlich, den physikotheologischen Einfluß, den Hebel durch seinen Universitäts-Lehrer Seiler erfahren habe, auch in den „Biblischen Geschichten" wiederfinden zu können. „Denn diese zeugen nämlich ... 2. von der rationalen physikotheologischen Argumentation insbesondere bei den Wundergeschichten" 259 . Weder Ottfried Jordahn, auf dessen Arbeit über Seiler 260 sich Wunderlich bezieht 261 , noch Wunderlich selbst beziehen sich auf Quellen der Physikotheologie, und keiner von beiden bietet eine Definition dessen, was unter Physikotheologie zu verstehen sei. Das hat seinen Grund nicht zuletzt darin, daß die zu diesem Thema immer wieder herangezogene Arbeit von Wolfgang Philipp, Das Werden der Aufklärung in theologiegeschichtlicher Sicht 262 , unter Physikotheologie all die Theologie subsumiert, die in irgend einer Weise die Natur zum Gegenstand theologischer Betrachtungen gemacht hat. Da dieses Buch mehr ein erstaunlich erschöpfender Katalog der Werke ist, die im weitesten Sinne zum Thema Theologie der Natur geschrieben worden sind, fehlt eine eindeutige Abgrenzung der verschiedenen Natur-theologischen Richtungen. 2 5 8 Oettinger, Klaus, Famiiiarisierung des Universums. Zur Kalenderastronomie, in: Ders., a.a.O. (Anm. 191), p37-44, hier: p39. Dieser Beitrag findet sich in leicht umgearbeiteter F o r m a.a.O. (Anm. 119). 2 5 9 Wunderlich, a.a.O. (Anm. 31), p l 0 3 . 2 6 0 Jordahn, Ottfried, Georg Friedrich Seilers Beitrag zur Praktischen Theologie der kirchlichen Aufklärung, E K G B 49, Nürnberg 1970. 2 6 1 Wunderlich, a.a.O. (Anm. 31), p l 0 3 . 2 6 2 S. Anm. 168.

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M.E. sollte man unter Physikotheologie mit Kant zunächst einmal eine solche Theologie verstehen, die durch vernünftige Betrachtung der Natur zur Gotteserkenntnis gelangen will - und zwar unter Absehung von der Offenbarung durch die Schrift. „Die Physikotheologie ist der Versuch der Vernunft, aus den Zwecken der Natur (die nur empirisch erkannt werden können), auf die oberste Ursache der Natur und ihre Eigenschaften zu schließen" 263 . Die Physikotheologie in diesem eigentlichen, engeren Sinne ist eine im Gefolge des Deismus stehende Richtung der Theologie, die in William Derham ihren hervorstechendsten Vertreter hat, nach dessen Werk „Physico-Theology" diese Richtung benannt ist. Um etwas dazu beizutragen, eine schärfere Definition zu finden, wird es nötig sein, endlich wieder einmal die Quellen zu befragen. Die Physikotheologie steht in engem theologiegeschichtlichen Konnex mit dem Deismus 264 . Der Deismus ist eine seit Herbert of Cherbury aufkommende, typisch aufgeklärte Richtung der Theologie, die - der dogmatischen und konfessionellen Streitigkeiten müde - in konsequenter Bibelund Dogmenkritik die meisten traditionellen* Glaubensinhalte aufgibt und eine rein natürliche Theologie betreibt. In eigentlicher Weise wird Gott nur aus der Natur erkannt, es bedarf keiner supranaturalen Offenbarung. Besonders markant zusammengefaßt finden sich die Gedanken der Deisten bei Matthew Tindal, Christianity As Old As the Creation, in der sog. Bibel der Deisten 265 . In stark rationalistischer Weise bestreitet Tindal, daß es einen qualitativen Unterschied gebe zwischen der cognitio Dei naturalis (insita) und der cognitio Dei supranaturalis acquisita, die von den Orthodoxen immer unterschieden wurden, der Tradition seit Augustin folgend 266 . Rein historice betrachtet sei die Offenbarung durch Jesus, die in der Bibel als in einem zunächst einmal zeitgeschichtlichen Dokument bezeugt ist, später geschehen als die natürliche. Da aber in Gott keine Veränderung stattfinden kann, so muß schon die erste Offenbarung, die natürliche, perfekt gewesen sein. „IF God, then, from the Beginning, gave Men a Religion; I ask, was That Religion imperfect, or perfect? B. MOST perfect, without Doubt; since no Religion can 2 6 3 Kant, Immanuel, Kritik der Urteilskraft, in: Ders., a.a.O. (Anm. 186), Bd.5, p201^t85, hier: p436. 2 6 4 Vgl. Gestrich, Christof, Art.: Deismus, in: T R E 8, p392-406, der p403 die Physikotheologie als eine „ v o m ,Wolffianismus' ausgehende Nebenlinie" bezeichnet. 2 6 5 Tindal, Matthew, Christianity A s Old A s the Creation, Faksimile-Neudruck der Ausgabe L o n d o n 1730, hg. und eingel. von Gawlick, Günter, Stuttgart/Bad Canstatt 1967, Einleitung ρ 5 * . 2 6 6 Gerhard, Johann, Loci theologici, ed. Preuss, Berlin 1863, torn. I, p4 unterscheidet „theologia revelationis et viae" - die offenbarte theologia viatorum - und „theologia naturalis", indem er sich auf Augustin bezieht. „ N o s definimus D e u m primo natura cognoscendum, deinde doctrina recognoscendum; natura ex operibus, doctrina ex praedicationibus. Aug. libr. 8 de civit. Dei с. 1. theologiam dividit in naturalem et revelatam..."

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come from a Being of infinite Wisdom and Perfection, but what is absolutely perfect" 267 . Gott muß perfekt sein, also muß auch die von Anfang an gegebene natürliche Religion perfekt und suffizient gewesen sein und hat keine Vollendung durch die Offenbarung des Wortes Gottes in der Schrift nötig. Das reformatorische ,sola scriptura' wird so abgelöst durch ein ,sola natura'. Deswegen betreibt Tindal Theologie bei auf weitester Strecke geschlossener Bibel. Rom 12,1, das paulinische Diktum vom „reasonable service", verkommt bei Tindal zum dictum probans 268 . Die Uberordnung der cognitio Dei naturalis über die Schrift ist Folge der deistischen Dogmenkritik. Die Deisten würdigen Jesus nur als historische Persönlichkeit und vor allem als Ethik-Lehrer und verneinen dessen Präexistenz als Logos (Joh l,lff). Wie die Deisten Jesus als rein historisch bedingte und zeitlich begrenzte Gestalt (miß-)verstehen mußten, so auch sein Wort, wohingegen die orthodoxen protestantischen Dogmatiker dem altkirchlichen Dogma der Präexistenz Christi 269 folgend, keine Schwierigkeiten damit hatten, von einer revelatio Gottes durch eben dieses präexistente Wort ebenfalls άπ' άρχης zu sprechen. Die Deisten jedoch konnten die Heilige Schrift nicht mehr als explicatio eben dieses präexistenten Schöpferwortes verstehen und mußten deswegen als Opfer ihrer eigenen Dogmenkritik eine (Schein-)Alternative aufbauen zwischen der Offenbarung Gottes in der Natur als von Ewigkeit her geschehender einerseits und der historice betrachtet nachfolgenden Offenbarung durch die Lehren des historischen Jesus andererseits, die keine zusätzliche Erkenntnis bringen können. Denn: „All Men, at all Times, must have had sufficient Means to discover whatever God design'd they shou'd know, and practise" 270 . Deswegen muß die christliche ReliAugustin spricht davon, daß ein Gespräch über die theologia naturalis nur mit denjenigen Philosophen weiterführend sein kann, die die natürliche Theologie nicht als Selbstzweck verabsolutieren. Dieses Gespräch soll mit den Piatonikern geführt werden. „ H i iam etiam Varronis opinionem veritatis propinquitate transcendunt; si quidem ille totam theologian naturalem usque ad mundum istum vel animam eius extendere potuit, isti vero supra omnem animae naturam confitentur D e u m . . . " (Augustin, D e civitate Dei, Vol. I+II, hg. von Dombart, Bernhard, und Kalb, Alfons, Leipzig 1928f, Nachdruck Darmstadt 1981, hier: I, p321). Von R o m 1,19f herkommend hält Augustin eine natürliche Gotteserkenntnis für möglich, die aber begrenzt ist durch die Forderung von Kol 2,8, die Theologie nicht wie die Philosophie auf die Elemente der Welt zu stützen. „Cavet (seil. Christianus; A.S.) eos tarnen, qui secundum elementa huius mundi philosophantur, non secundum Deum, a quo ipse factus est mundus" (a.a.O., I, p334f). Denn Paulus schreibt ja, daß die Heiden, obwohl sie Gott aus den Schöpfungswerken erkannt haben, ihn nicht verehrt haben (a.a.O., I, p335). Tindal, a.a.O. (Anm. 265), p3. Vgl. nur ebd., рб.бЗ.183.191.193.206. 2 6 9 Origenes gilt als der Begründer der Lehre von der Präexistenz des Logos, wenn er J o h 1 und Hebr 1 auslegend sich gegen die Adoptianer richtend sagt: „ E s t namque ita aeterna ac sempiterna generatio, sicut splendor generatur ex luce. N o n enim per adoptionem spiritus filius fit extrinsecus, sed natura filius est" (Origenes, D e prineipiis libri IV, ed. Görgemanns, Herwig, et Karpp, Heinrich, Darmstadt 1976, lib. 1,2,4). Diese Lehre wird 325 in Nicäa in der Ablehnung der arianischen Behauptung, der L o g o s sei ein Geschöpf, D o g m a . 2 7 0 Tindal, a.a.O. (Anm. 265), p5. 267 268

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gion von Anfang an bestanden haben, auch ohne die Bibel. „IF so, it follows, That the Christian Religion has existed from the Beginning; and that God, both Then, and Ever since, has continu'd to give all Mankind sufficient Means to know It" 271 . Hier spiegelt sich der Titel des Buches von Tindal „Christianity As Old As the Creation". Als conclusio schon kann die These zu Chapter VI angesehen werden, „that the Religion of Nature is an absolutely perfect Religion; and that external Revelation can neither add to, nor take from its Perfection; and that True Religion, whether internally or externally reveal'd, must be the same" 272 . Besonders starke Rezeption findet Hugo Grotius' Werk ,De iure belli et pads', das Tindal schon auf der Titelseite seines Werkes zitiert, sogar noch vor Rom 2,14 („The Gentiles which have not the Law, do by Nature the Things contained in the Law" 273 ). Das von Grotius verfochtene Naturgesetz („Est autem jus naturale adeo immutabile, ut ne quidem a Deo mutari potest" 274 ) ist auch für Tindal der Kernpunkt aller Offenbarung. „There's a Law of Nature, or Reason; which is so call'd, as being a Law, which is common, or natural, to all rational Creatures" 275 . Und dieses Naturgesetz ist das Einzige, was allen Religionen gemein ist 276 . So werden Naturgesetz, Naturreligion und Vernunft zu Synonyma. Hier steht die Ablehnung der orthodoxen Lehre vom Sündenfall und der corruptio naturae humanae dahinter. Die Orthodoxen hatten noch gelehrt, daß supralapsarisch eine vollständige Gotteserkenntnis aus den Werken der Schöpfung möglich gewesen sei, nach dem Fall und der corruptio der imago Dei und der menschlichen Natur sei eine infallibilis cognitio Dei naturalis nicht mehr möglich. „Theologia naturalis ante lapsum fuisset longe perfectior et illustrior, quam est hodie post lapsum ... Deus per creaturas cognoscitur ut per speculum, per verbum ut per lucem" 277 . Hier ist in der orthodoxen Dogmatik schon der Anschlußpunkt für die Lehre ,de scriptura sacra', die wie ,de cognitione Dei' in den Prolegomena abgehandelt wird, derzufolge nur der Heiligen Schrift claritas, perfectio, auctoritas, infallibilitas und efficacia eignet, nicht aber der Schöpfung als solcher. Zu einer Wiederherstellung der infallibilen Erkenntnis Gottes aus den Werken der Schöpfung muß es den Orthodoxen zufolge erst eschatologisch noch kommen. Dieser Prozeß der Wiederherstellung der imago Dei hat in Christus angehoben, kann sich aber wiederum nur in der Predigt des verbum Dei, wie es in der Heiligen Schrift festgehalten ist, vollziehen. Denn der Glaube kommt aus dem Gehör des Wortes Gottes (Rom 10,17), welches Schöpferwort ist, Glauben stiftet und so die Menschen zu neuen Kreaturen macht.

271 274 277

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272 273 Ebd., p4. Ebd., p58. Ebd., pl. 275 276 Zit. ebd. Ebd., p8 . Ebd.,pll. Gerhard, a.a.O. (Anra. 266), torn. I, p4.

Das ist das Kennzeichen der theologia viatorum. „Theologia supernaturalis ex lumine gratiae orta acquiritur vel modo extraordinario per immediatam Dei illuminationem et inspirationem, ut in prophetis et apostolis, vel modo ordinario per orationem, meditationem, tentationem etc" 2 7 8 . Diese Reflexionen über die ratio fallen im Deismus weg. Für ihn ist die ratio eine statische Größe, die weder eine Beschädigung durch den Fall erlitten hat, noch einer eschatologischen illuminatio entgegenzugehen hätte. Nicht die Vernunft ist länger dem erleuchtenden (oder auch verstockenden) Handeln Gottes unterworfen. Vielmehr wird jetzt Gott der Vernunft des Menschen unterworfen. Nicht wird die Anthropologie länger von der Theo-Logie her entworfen. Der Mensch wird nicht als (nach dem lapsus verletzte, wenn auch nicht zerstörte) imago Dei verstanden, sondern Gott gewissermaßen als imago hominis. Der Deismus bildet das andere Extrem zu der Lehre des Matthias Flacius Illyricus. Hatte dieser die Sünde als das den Menschen seit dem Fall durchwaltende principium, als Substanz, gefaßt und der menschlichen Vernunft nicht mehr zugetraut als nur, daß sie lapis et truncus sei 279 , so eignet dem Deismus ein unbegrenzter VernunftOptimismus, wie er der Aufklärung eigen ist. Gott ist Vernunft. „Nothing unreasonable ... can come from a God, of unlimited, universal, and eternal Reason" 2 8 0 . Deswegen kann Offenbarung nie unvernünftig sein. „AND to suppose any Thing can be true by Revelation, which is false by Reason, is not to support that Thing, but to undermine Revelation" 281 . Der aufgeklärte Vernunftoptimismus schwingt sich zum Richter Gott gegenüber auf. Es herrscht der Geist der Emanzipation von Gott, dem Richter, und von der Heiligen Schrift, die der altprotestantischen Orthodoxie zufolge der einzige judex und κανών zur Beurteilung der Lehre gewesen ist 2 8 2 . Der Opponent (,B') in Tindals fiktivem Religionsgespräch möchte wenigstens die Schrift noch als Regel retten, nach Ebd. Vgl. Olson, Oliver K., Art.: Flacius Illyricus, in: T R E 11, p 2 0 6 - 2 1 4 , bes. p208, wo von „Flacius' Losung ,peccatum originale est substantia hominis'" die Rede ist. Diese Behauptung hatte Flacius zum erstenmal in einer Disputation mit Victorin Strigel aufgestellt, der behauptet hatte, die Erbsünde sei nur ein Akzidenz. Vgl. hierzu Dispvtatio de originali peccato et libero arbitrio, inter Matthiam Flacivm Illyricvm & Victorinum Strigelium ..., o . O . 1563 (vorh.: H A B S 67 a 4" Heimst. (1)). 278

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Allerdings klingen auch schon vorher im Streit mit Pfeffinger dualistisch anmutende Töne an, wenn Flacius z.B. meint: „Deus est Lux, nos tenebrae. Quaerentur an tenebrae cooperentur aut repugnent L u d ? " (Bericht M. Fla. Illyrici/Von etlichen Artikeln der Christlichen Lehr/vnd von seinem Leben/vnd endlich auch von den Adiaphorischen Handlungen/wider die falschen Gericht der Adiaphoristen, o . O . (J ena ) 1559 (vorh.: H A B Y v 74 Heimst. 8°), pM4v). 281 Tindal, a.a.O. (Anm. 265), p l 7 9 . Ebd. Vgl. nur Hutter, Leonhard, Compendium locorum theologicorum ... Braunschweig 1661 (vorh.: H A B Те 607), рб. Die scriptura sacra ist „unica norma & regula, secundum quam omnia dogmata, omnesque Doctores aestimari & judicari oportet." 280 282

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der die ratio zu richten hat. „В· THO' Reason may be the Judge; yet the Scripture, we say, is the Rule, by which Reason must judge of the Truth of Things" 283 . ,A' lehnt jedoch auch das ab: „Scripture can only be a secondary Rule" 284 . Jetzt ist es Aufgabe des aufgeklärten Menschen, „Reason and Revelation" auszusöhnen (reconcile285). Das wird nicht mehr vom Versöhnungswerk Gottes in Christus erwartet, daß in einer eschatologisch sich vollendenden Versöhnung auch Offenbarung und Vernunft durch Gott selbst wieder versöhnt werden, sondern es ist Aufgabe der Vernunft, die ja Gott selbst ist, diese Versöhnung als Werk des Menschen zu vollbringen. Der Kreis schließt sich. Der Deismus brachte nicht nur eine dogmatische Verarmung, sondern auch eine hermeneutische. Das eine bedingt hier das andere. Tindal anerkennt Allegorien, Parabeln u.a. nicht länger als eigentliche Redeweisen. Auch da, wo die Bibel selbst schon allegorisch und zeichenhaft spricht, ist allegorische Auslegung nicht länger geduldet. Luther hatte noch in dieser Weise differenziert286. Die Verabsolutierung der natürlichen Theologie hatte eine starke Abwendung von der Buchreligion zur Folge. „Therefore, upon the whole, I must needs say, Happy is the Man, who is so far, at least, directed by the Law of Reason, and the Religion of Nature, as to suffer no Mysteries, or untelligible Propositions, no Allegories, no Hyperboles, no Metaphors, Types, Parables, or Phrases of an uncertain Signification, to confound his Understanding"287. So bedeutet der Deismus als Hinwendung zu den konkreten, empirisch erfaßbaren Dingen und damit auch zur Naturwissenschaft eine Abwendung von der vermeintlichen Verabsolutierung des Bibelbuches. Der Deismus hatte sich die Abwendung von der Buchreligion auf die Fahnen geschrieben, so wie später z.B. Lessing in Deutschland den Orthodoxen wie Johann Melchior Goeze Bibliolatrie vorwarf288. Tindal hierzu: „To imagine any external Revelation not to depend on the Reason of Things, is to make Things give Place to Words; and implies, that from the Time this

Tindal, a.a.O. (Anm. 265), p l 9 0 . 2 8 5 Ebd., p i 80. Ebd. 2 8 6 Vgl. Holl, Karl, Luthers Bedeutung für den Fortschritt der Auslegungskunst, in: Ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte I, Luther, Tübingen 6 1 9 3 2 , p 5 4 4 - 5 8 2 , bes. p553f: „So ungern Luther nach seiner eigenen Versicherung jetzt an die Allegorie heranging, es gab trotzdem Fälle, in denen er sie nicht nur als unentbehrlich, sondern als gefordert anerkannte ... E s handelte sich dabei jedoch nicht um eine Eierschale, die an Luther hängen geblieben wäre. Schon daß er den im Text selbst gegebenen Hinweis als entscheidende Bedingung nennt, leitet darauf hin, daß ihm etwas ganz anderes vorschwebt als die Spielereien und die Verlegenheitskünste der üblichen Allegoristik." 283

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Tindal, a.a.O. (Anm. 265), p231. 288 Vgl. e r w a die sich gegen Goeze richtende Schrift Lessings, Bibliolatrie, in: Lessing, Gotthold Ephraim, Werke, hg. von Göpfert, Herbert G., 8 Bde., Darmstadt 1 9 7 0 - 1 9 7 9 , hier: Bd. 7, p 6 6 7 - 6 7 2 . 287

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Rule commenc'd, we were forbid to act as moral Agents, in judging what is good, or evil; fit, or unfit; and that we are to make no other Use of our Reason, than to see what is the literal Meaning of Texts" 2 8 9 . Daß sich diese deistische Position mit der Hermeneutik Hebels von dem Buch der Natur, die nicht nur der Bibel als Heiliger Schrift ihren Rang beläßt, sondern darüber hinaus auch die Natur als Buch lesen will, als Bibelbuch eben, schwerlich vereinigen läßt, kann hier nur einstweilen schon angemerkt werden und wird unten ausführlich zu behandeln sein. Den deistischen Ansatz einer aufgeklärten Vernunft-Theologie hat dann die Physikotheologie materialiter umgesetzt. Die positive Bedeutung dieser Theologie liegt in dem stark empirisch, der Natur und deren Beobachtung zugewandten Interesse. Das mannigfaltige Realienwissen, das z.B. in den beiden Büchern Derhams „Astro-Theology" und „Physico-Theology" als Ergebnis interdisziplinärer, theologischer wie physikalischer, Bemühungen vereinigt ist, ist beeindruckend. Dennoch wird auch bei Derham die ratio des Menschen zum Dreh- und Angelpunkt. Der vernünftige Mensch kann durch vernünftige Betrachtung die vernünftig geordnete Natur als Manifestation des vernünftigen Gottes begreifen. Daß jemand nicht glaubt, hat seinen Grund darin, daß er unvernünftig ist. Unvernunft und Unglauben werden zu Synonyma. Deswegen kann die Uberschrift zu Kapitel III des Book X I in Derhams ,Physico-Theology' heißen: „That G O D ' s Works are manifest to all: whence the Unreasonableness of Infidelity" 2 9 0 . Die Vernunft hat ungebrochen die Möglichkeit, die Manifestation Gottes in der Schöpfung zu sehen. Wer sich gegen die ratio auflehnt, lehnt sich auch gegen Gott auf. „ A n Atheist therefore ... may justly be esteemed ... a Rebel against human Nature and Reason, as well as against his G O D " 2 9 1 . Ein Atheist ist „a Monster among Rational Beings" 2 9 2 . Die Lehre von der Erbsünde ist aufgegeben. Daraus erwächst jedoch eine ins Moralistische hinein tendierende Tat-Sündenlehre, die absolut gesetzt wird. Es ist nicht die Folge der Erbsünde, daß der Mensch durch seine Vernunft Gott nicht mehr infallibil aus der Schöpfung erkennen kann. Sondern wer seine ratio nicht braucht und Gott nicht aus der Natur erkennen will, begeht eine Tatsünde, „Sins of Intemperance, Lust, and Riot" 2 9 3 . Wer Gott nicht natürlich erkennt, steht „under the Government of Prejudice, Lust, and Passion, not right Reason" 2 9 4 , ist „wilfully blind" 2 9 5 . Die Physikotheologie ist geprägt von dieser empirisch-rationalen Unmittelbarkeit, die nicht nach der hermeneutischen Vermittlung der natürlichen GotteserTindal, a.a.O. (Anm. 265), pl88f. Derham, William, Physico-Theology Or, Α Demonstration Of the Being and Attributes of G o d , From His Works of Creation, L o n d o n 1713, Nachdruck Hildesheim/New York 1976, p467. 2 9 1 Ebd., p468f. 2 9 2 Ebd., p468. 2 9 3 Ebd., p469. 2 9 4 Ebd., p468 . 2 9 5 Ebd., p467f. 289 290

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kenntnis fragt. O f t hebt Derham die Leichtigkeit derselben hervor. Die Schöpfungswerke Gottes „are the most easy and intelligible Demonstrations of the Being and Attributes of God; especially to such as are unacquainted with the Subtilties of Reasoning and Argumentation; as the greatest part of Mankind are" 296 . Aus der Natur kann man unmittelbar abnehmen, daß Gott ist, der innerhalb seiner Providentia die Schöpfung erhält und ihr creator ist. Einer solchen Unmittelbarkeit würde eine Reflexion darüber, wie die Natur zu lesen sei, völlig entgegenstehen. Daher findet sich das Theologumenon des Buches der Natur bei Derham und Tindal gerade nicht. Deswegen hatte schon der Anti-Deist Sir Thomas Browne 1643 mit seiner „Religio Medici" sich gegen den Deismus gerichtet, indem er hermeneutische Reflexionen anmahnte und die Natur wiederum als Buch neben der Bibel verstanden wissen wollte. „ T H U S there are two Books from which I collect my Divinity; besides that written one of God, another of his servant Nature, that universal and publick Manuscript, that lies expans'd unto the Eyes of all" 297 . Zwar eignet auch Browne die Hinwendung zur empirischen Wissenschaft wie später Derham. Jedoch ist Browne fähig, trotz dieser neuen Komponente in seiner Theologie den alten Lehrbestand der Tradition nicht derart grundsätzlich zu verneinen 298 . Browne weiß noch darum, daß die gefallene ratio „a Rebel unto Faith" 299 ist und daß die Vernunft der Erleuchtung durch den Glauben bedarf. „For by acquainting our Reason how unable it is to display the visible and obvious effects of nature, it becomes more humble and submissive unto the subtleties of Faith; and thus I teach my haggard and unreclaimed reason to stoop unto the lure of Faith" 300 . Diese Einsicht hatte die Physikotheologie eines Derham aufgeben müssen, da sie in der apologetischen Situation sich befand, gegen die vernünftige mechanistische Erklärung der Welt, derzufolge der planvolle Lauf der Gestirne Gesetzen folge und es deswegen unsinnig sei, von einem concursus Dei zu sprechen, nun mit ebenfalls vernünftigen Gründen Gott gerade als Ursache der vernünftigen Naturgesetze aufzuzeigen 301 . Gerade die Naturgesetze sind „manifest Demonstrations of the Presence and Management of G O D , namely, that such Bodies (seil. Himmelskörper; A.S.) should move at all, and that their Motion is so regular" 302 . Ähnlich kann 296

Ebd., p2f. Browne, Sir Thomas, Works, ed. by Sayle, Charles, Vol. I—III, Edinburgh 1912, hier: Vol. I, p 7 - l 12, Religio Medici, Zitat p25. 298 So auch Ramsey, Ian Thomas, Art.: Browne, 2. Sir Thomas, in: RGG 3 , Bd. 1, Sp. 1423f. 299 300 Browne, a.a.O. (Anm. 297), Vol. I, рЗ 1. Ebd., p i 8. 301 Vgl. Philipp, a.a.O. (Anm. 168), pl23-139. 302 Derham, William, Astro-Theology: O r A Demonstration Of the Being and Attributes of God, From A Survey Of the Heavens, London 1731, Nachdruck Hildesheim/New York 1976, p65. 297

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auch Kant in seiner vorkritischen Phase sagen: „Ein fast allgemeines Vorurtheil hat die meisten Weltweisen gegen die Fähigkeit der Natur, etwas Ordentliches durch ihre allgemeine Gesetze hervorzubringen, eingenommen, gleich als wenn es Gott die Regierung der Welt streitig machen hieße, wenn man die ursprüngliche Bildungen in den Naturkräften sucht, und als wenn diese ein von der Gottheit unabhängiges Principium und ein ewiges blindes Schicksal wären" 3 0 3 . Später, in der „Kritik der reinen Vernunft" jedoch stellt Kant Raum und Zeit als a priori gegebene reine Anschauungsformen 3 0 4 und somit als Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt dar. Die Vernunft jedoch vergreift sich, wenn sie über die Verzeitlichung von Kategorien, von reinen Verstandesbegriffen, hinaus aus dem Begriff Gottes, d.h. der Denknotwendigkeit, daß ein Gott ist, auf dessen Existenz schließt. Das ist der Fehler nicht nur des kosmologischen Gottesbeweises, wie ihn auch die Physikotheologen ja ständig führten, sondern aller anderen Gottesbeweise auch 305 .

Kant, a.a.O. (Anm. 186), Bd. 1, p332. Kant, Immanuel, Kritik der reinen Vernunft, P h B 37a, Hamburg 1956, p68f: „Der Raum wird als eine unendliche gegebene Größe vorgestellt... Also ist die ursprüngliche V o r stellung v o m Räume Anschauung a priori, und nicht Begriff." „Die Zeit ist die formale Bedingung a priori aller Erscheinungen überhaupt" (p77). 303 304

3 0 5 Vgl. ebd., p 5 8 8 - 5 9 6 : „Von der Unmöglichkeit des physikotheologischen Beweises" (p588).

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3. Hebels biblische Hermeneutik des Buches des Himmels in ihrer Umsetzung als Predigt der providentia Dei Ganz anders nun als die rationalistische Physikotheologie sieht Hebel die Schöpfung an. Dabei ist vorauszuschicken, daß wir es bei Hebel wiederum nicht mit theoretischen Reflexionen zum Thema Gotteserkenntnis zu tun haben, sondern daß wir Hebels hermeneutisches Programm nur in seiner predigtmäßigen Umsetzung in den „Betrachtungen" und in anderen Beiträgen haben. Hatte Derham die Bibel immer nur als nachträgliches, zusätzliches Zeugnis dessen herangezogen, was vorher schon vernünftig erwiesen worden war, hatte die Bibel also nur eine Untermauerung für die vorher schon suffizient aus der Schöpfung gewonnene Gotteserkenntnis geliefert, so lenkt Hebel gerade gegen diese Verabsolutierung der ratio und gegen die Verabsolutierung ihres Gegenstandes, der Schöpfung, zurück auf die Bibel. All das geschieht ohne Polemik gegen die zeitgenössische Theologie. Der Sache nach ist die von Hebel wiedergewonnene Hermeneutik des Buches der Natur dem Anliegen, das auch die altprotestantische Orthodoxie hatte, ähnlich. Jedenfalls wird man sagen dürfen: So wie Hebel mit seiner Wiederentdeckung der Eschatologie gerade nicht Kind der Zeit ist, so trifft dies auch zu auf seine Theologie der Natur, die weder als in Abhängigkeit von der Physikotheologie seiner Zeit stehende noch als bloß biedermeierliche oder romantische verbucht werden kann. Hebel weist darauf hin, daß Gott nur dann aus den Werken der Schöpfung erkannt werden kann, wenn die natürliche Gotteserkenntnis in den notwendigen Konnex mit der Bibel gestellt wird. Deswegen bedient sich Hebel wieder der Hermeneutik des Buches der Natur. Wie sie ihm vermittelt worden ist, läßt sich kaum ausmachen. Denkbar ist, daß ihre Grundzüge Hebel aus seinem Studium der Dogmatik in Erlangen bekannt waren, er sie dann aber in einem vorrangig eigenschöpferischen Prozeß in seiner Kalenderarbeit umgesetzt hat. Gotteserkenntnis ist nur möglich, Gotteserkenntnis als Erkenntnis Gottes als des creator und conservator, wenn die Natur vom Uber scripturae ausgehend selbst zum Buch wird, zum liber naturae. Erst dann kann die Natur als Buch im Kontext des Bibelbuches gelesen werden, da sich nun beide Bücher gegenseitig beleuchten. Bei Hebel wird das Buch der Natur 64

biblisch-hermeneutisch eingeholt, und zwar durch die Bibel selbst. Bei Hebel findet sich also gerade nicht die zeitgenössische Kritik an der Buchreligion, wie wir sie oben bei Tindal beobachtet haben und die Hebel von Lessing her vertraut gewesen sein könnte 3 0 6 . Diese Hermeneutik setzt Hebel narrativ-spielerisch so um: „Der Himmel ist ein großes Buch über die göttliche Allmacht und Güte, und stehen viel bewährte Mittel darin gegen den Aberglauben und gegen die Sünde, und die Sterne sind die goldenen Buchstaben in dem Buch" 3 0 7 . Aber dieses Buch ist nun gerade nicht in der typisch physikotheologischen Unmittelbarkeit sola ratione lesbar. Sondern es bedarf einer Hermeneutik, eines Schlüssels zu diesem Buch: „Aber es (seil, das Buch des Himmels; A.S.) ist arabisch, man kann es nicht verstehen, wenn man keinen Dollmetscher hat" 3 0 8 . Der Dolmetscher, der Hermeneut, muß das Buch des Himmels biblisch aufschlüsseln können, dann wird es selbst zur Bibel, zum Psalter. „Wer aber einmal in diesem Buch lesen kann, in diesem Psalter, und ließt darin, dem wird hernach die Zeit nimmer lang, wenn er schon bei Nacht allein auf der Strasse ist, und wenn ihn die Finsterniß verführen will, etwas Böses zu thun, er kann nimmer" 3 0 9 . So einfach läßt sich die Augustinsche Sündenlehre narrativ explizieren. Mit dem Erlösungswerk, das der eschatologischen Vollendung noch entgegengeht, gilt vom Menschen nicht mehr wie seit dem Fall: „Non posse non peccare", sondern: „Non posse peccare" 310 . Das Vehikel zur Ubersetzung des Naturbuches in das Bibelbuch und umgekehrt des Bibelbuches in das Naturbuch hinein ist die Verkündigung des Wortes Gottes, die Predigt: „Also will jezt der Hausfreund eine Predigt halten, zuerst über die Erde und über die Sonne, darnach über den Mond, darnach über die Sterne" 3 1 1 . Und diese Predigt hält Hebel dann auch wirk3 0 6 Vgl. den bei Wunderlich, a.a.O. (Anm. 31), p97f abgedruckten Plan der Lehrveranstaltungen, die in den Semestern, in denen Hebel in Erlangen studiert hat, angeboten worden sind. Möglicherweise hat Hebel im W S 1 7 7 9 / 8 0 an der Veranstaltung „Geschichte der Auferstehung mit den von Lessing edierten A n o n y m e n Schriften" teilgenommen. 3 0 8 Ebd. 309 Hebel III, 600. Ebd. Augustin, De correptione et gratia 12,33, M P L 44, Paris 1865: „Quapropter, bina ista quid inter se differant, diligenter et vigilanter intuendum est; posse non peccare, et non posse peccare, posse non mori, et non posse mori, bonum posse non deserere, et bonum non posse deserere. Potuit enim non peccare primus homo, potuit non mori, potuit bonum non deserere ... prima (seil, immortalitas; A.S.) erat perseverantiae potestas, bonum posse non deserere; novissima erit felicitas perseverantiae, bonum non posse deserere. Numquid, quia erunt bona novissima potiora atque meliora, ideo fuerunt illa prima vel nulla vel parva?" 307

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311 Hebel III, 600. Hebel hält, das wird sich im folgenden zeigen, wirklich eine Predigt, die textgezeugt ist durch die Bibel. Es gibt wenige Stellen im Hebeischen Werk, an denen so oft ermäßigende Interpretationen sich entzündet haben, wie an dieser. So will Oettinger, Familiarisierung a.a.O. (Anm. 258), die gesamte Predigt biblischer Texte anhand der Himmelskörper als uneigentliche Rede in ihrer Ernsthaftigkeit herabsetzen. Oettinger will nicht wahrhaben, daß sich Hebels Predigt zeitlos an alle wendet, sondern: „Wie dem auch sei, für unseren Lektürevorgang ist entscheidend, daß sich diese Predigt an andere richtet, und so genießen wir das Vergnügen der unbetroffenen Teilnahme an einem Unterricht, der im Modus jener

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lieh. Im Beitrag über die Fixsterne kommt es zu einer applicatio dieser Hermeneutik: „Seines Orts dem Hausfreund, wenn er den Sternenhimmel betrachtet, es wird ihm zu Muth, als wenn er in die göttliche Vorsehung hineinschaute, und jeder Stern verwandelt sich in ein Sprüchlein. Der erste sagt: Deine Jahre währen für und für, du hast vorhin die Erde gegründet und die Himmel sind deiner Hände Werk (seil. Ps 102,25f; A.S.). Der zweyte sagt: Bin ich nicht ein Gott der nahe ist, spricht der Herr, und nicht ein Gott der ferne sey? Meynest du, daß sich jemand so heimlich verbergen könne? (seil. Jer 23,23f; A.S.) Der Dritte sagt: Herr du erforschest mich und kennest mich, und stehest alle meine Wege (seil. Ps 139,1.3). Der vierte sagt: Was ist der Mensch, daß du sein gedenkest, und Adams Kind, daß du dich sein annimmst? (seil. Ps 8,5) Der fünfte sagt: Und ob auch eine Mutter ihres Kindes vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen spricht der Herr (seil. Jes 49,15)" 3 1 2 . Was tut Hebel? Er heftet das Buch der Natur gewissermaßen hinter Apk 22 in den biblischen Buchdeckel hinein und erkennt per analogiam fidei (Rom 12,6) die Bibel in den Sternen wieder. Hebel befreit sich von dem deistischen dictum probans Rom 12,1 und mahnt implizit Rom 12,6 an (προφητεία κατίχ τ>ιν άναλογίαν πίστεως). Ganz knapp predigt Hebel den orthodoxen locus ,de providentia', indem er ihn auf das notwendige Fundament der biblischen Texte stellt, aus dem er erwachsen ist, und stellt ihn in den naheliegenden Kontext des locus ,de creatione'. Mit der FormuNaivität gehalten wird, der am ehesten an die Rede von Eltern oder Lehrern mit ihren Kindern erinnern mag" (p42). Daher ist die Predigt für Oettinger „nur ein fiktives Spiel" (p44), „und somit ist auch die fromme Seligkeit ... letztendlich fiktiv. Es ist dies eine einfältige Frömmigkeit, die für die Gebildeten schon zu Hebels Zeiten verloren war" (ebd.). Unten wird sich zeigen, daß es theologiegeschichtlich eben nicht zutrifft, daß Hebel hier die Eierschalen einer vergangenen Frömmigkeit zwanghaft konserviert hat, sondern über die Aufklärung hinausgehend die biblischen Inhalte neu zur Sprache bringt, indem er als das hierzu einzig angemessene Medium die Predigt wählt. Ahnlich spielt auch Martin Heidegger, Gespräch mit Hebel, Aus der Schriftenreihe des Hebelbundes Lörrach e.V., Nr. 4, Lörrach 1956, die Dichtkunst gegen die Predigtkunst aus, wenn er sagt: „Eine Predigt? Allerdings. Doch achten wir gut darauf, wer hier predigt. Der Hausfreund, nicht der Pfarrer. Aber ein Dichter, der predigt, ist ein schlechter Dichter (sie!). Es sei denn, daß wir das Zeitwort .predigen' nachdenklicher verstehen. Predigen ist das lateinische prae-dicare. Das heißt: etwas vor-sagen ... Dieses .predigen' ist das Wesen des dichterischen Sagens" (pl2). Es wird sich zeigen, daß ars poetica und ars concionandi bei Hebel einander nicht ausschließen, sondern daß Hebel eine dogmatisch durchdachte und biblisch fundierte Predigt hält. 3 1 2 Hebel II, 260f. Sicher nicht Unrecht hat Hirtsiefer, wenn er angesichts der eben zitierten Stelle sagt, daß für Hebel „die Schöpfung die Brücke (ist), die den Abgrund zwischen Mensch und Gott überschreitbar macht" (Hirtsiefer, a.a.O. (Anm. 110), p29). Und es wird auch etwas Richtiges daran sein, wenn Hirtsiefer sagt, daß diese Sicht der Schöpfung Hebel über eine sich im sog. Polytheismusbriefe vielleicht äußernde „Glaubenskrise" (a.a.O., p27) hinweggeholfen habe (s. dazu u. das letzte Kapitel dieser Arbeit). Die Folgerung Hirtsiefers jedoch, daß Hebels Glauben „nicht theologisch, sondern dichterisch begründet" sei (a.a.O., p31), baut eine Alternative auf, die Hebel nie so hätte formulieren können.

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lierung „aber der ewige und allmächtige Geist, der alle diese Lichter angezündet hat" 3 1 3 spricht Hebel das Thema der creatio an, um dann die conservatio, die creatio continuata, anzusprechen, indem er eine Allusion an den locus classicus (Hebr 1,3: ,und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort') bildet: „und alle diese Heere von Weltkörpern in den Händen trägt" 3 1 4 . Sodann geht Hebel kurz dem Diskurs der orthodoxen Dogmatik folgend auf die Lehre vom concursus Dei ein, d.h. auf die Lehre, derzufolge Gott ubiquitär dergestalt ist, daß er bei jedem Vorgang auf Erden - und sei er noch so klein und scheinbar unbedeutend - zugegen ist: „Sieht das Kindlein lächeln auf der Mutter Schoos, und die Braut weinen um des Bräutigams Tod" 3 1 5 . Gleichzeitig ist hiermit das angesprochen, was die orthodoxe loci-Dogmatik in ,de Providentia' abhandelt: Daß Gott das spatium vitae festlegt 316 . Und dann rekurriert Hebel noch alludierend auf den biblischen locus classicus, mit dem die orthodoxe Dogmatik die Lehre von der Ubiquität Gottes, die sich ja in seinem concursus konkretisiert, biblisch untermauert: Auf lKön 8,27. Aus der negativen biblischen Wendung ,siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen' wird durch Inversion bei Hebel eine positive Aussage über Gott: „und umfaßt die Erde und den Himmel und aller Himmel Himmel mit Liebe und Erbarmung" 3 1 7 . Dieser erste Predigtdurchgang wird dann durch einen zweiten ergänzt, der nun nicht mehr nur alludierend sich auf die loci classici der Lehre von der Vorsehung Gottes zubewegt, sondern der durch explizite Zitate im Sinne der Hermeneutik der gegenseitigen Durchdringung von Buch der Natur und Buch der Bibel die Sterne sich in Bibelsprüche verwandeln läßt. Zunächst wird wie in einer Uberschrift das Thema der Predigt angegeben: „Es wird ihm (seil, dem Hausfreund; A.S.) zu Muth, als wenn er in die göttliche Vorsehung hineinschaute" 318 . Zunächst wird wie im ersten Predigtdurchgang durch das Ps 102,25f-Zitat die Schöpfung thematisiert, Hebel II, 260. 3 1 5 Ebd. Ebd. 3 1 6 U m Hebels Rückbezug auf die Lehrinhalte der Orthodoxie zu belegen, wähle ich das Lehrbuch, nach dem Hebel höchstwahrscheinlich in Erlangen Dogmatik gelernt hat, da Prof. Pfeiffer in allen vier Semestern, die Hebel studiert hat, Dogmatik nach Baier, Johann Wilhelm, Compendium Theologiae positivae gelesen hat. Ich zitiere nach der Ausgabe von Preuss, Berlin 1864. Bei Hebel selbst findet sich ein Beleg, daß er hiernach Dogmatik gelernt hat, wenn er in einem Brief, in Abrechnungsgeschäfte verstrickt, über dieselben sagt: „Das habe ich im Corn. Nepos und im Danz oder Baiers Dogmatick nicht lernen können" (Hebel, Briefe, p622, 12.1.1818 an Georg Friedrich Dreuttel. Hervorhebung von mir). Zum spatium vitae sagt Baier p221: „Terminum vitae humanae respicit divina Providentia, non solum, quatenus de lege communi (a) suum cuique temperamentum confertur, cujus vi ille ad certum vivendi spatium cum generali Dei concursu potest pertingere." Als biblisches exemplum nennt Baier die Geschichte von Hiskia, 2 K ö n 2 0 , l f f (p222), die auch Hebel in die Kalendergeschichte „Franziska" (Hebel III, 4 2 3 - 4 2 9 ) hineingewoben hat. S.u. p317 dieser Arbeit. 313

314

317

Hebel II, 260.

318

Ebd.

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dann ein weiterer locus classicus für die Untermauerung der Lehre, daß Gott in seiner Providenz überall zugegen ist, hinzukomponiert: Jer 23,23 319 . Ps 139,1.3 thematisiert die sich im concursus Dei konkretisierende Allwissenheit Gottes 320 , Ps 8,3 und Jes 49,15 sprechen die conservatio an. Die Sterne sind es nun in Hebels „Betrachtungen", die predigen, daß Gott der Schöpfer nach der Schöpfung dieselbe nicht sich selbst überläßt, sondern in seiner Providenz in der creatio continuata alle Dinge erhält und bei allem, was auf Erden geschieht, zugegen ist 321 . Die Vorsehung Gottes nimmt in den Naturbetrachtungen Hebels überhaupt einen zentralen Rang ein 322 , jedoch auch in den Kalendergeschichten323. Zunächst ist jedoch eine eingrenzende Behandlung der „Betrachtungen" ratsam. In ihnen spielt Hebel immer wieder auf Hebr 1,3 an, eins der wichtigen Fundamente für die Lehre ,de Providentia'. Johann Wilhelm Baiers Kompendium, nach dem Hebel in Erlangen Dogmatik trieb und gelernt hat 324 , nennt als causa efficiens des Werkes der Providenz die gesamte Trinität, da alle opera ad extra indivisa sind. „Causa efficiens (a) providentiae tota SS. Trinitas est" 325 . Daß die Providentia nicht nur Werk von Vater und Geist ist, sondern auch des Sohnes, wird mit Hebr 1,3 belegt. „De Filio ad Ebr. 1,3. docetur, quod portet omnia" 326 . Diese Belegstelle kehrt dann redundant immer wieder. Sie steht auch im Hintergrund, wenn Hebel Wendungen bildet wie „aber niemand kann die göttliche Allmacht begreifen, die diese ungeheuer große Kugel schwebend in der unsichtbaren Hand trägt" 327 , „aber der ewige und allmächtige Geist, der ... alle diese Heere von Weltkörpern in den Händen trägt" 328 oder: „Wir aber da unten, mit unsern Leiden und Freuden ... sind in Gottes Hand" 329 . Hebel nennt der Orthodoxie folgend auch die objecta der Vorsehung in erstaunlicher Parallelität zu dem o.g. Kompendium, wenn er schreibt: „und jedem Pflänzlein darauf seinen Thau und sein Gedeihen giebt, und dem Kindlein das gebohren wird, einen lebendigen Adem in die Nase. Man 3 1 9 Hier verbindet Hebel die Lehre ,de Providentia' der Sache nach mit dem locus ,de Deo'. Baier, a.a.O. (Anm. 316), p l 2 2 : „Immensitas Dei in eo consistit, quod essentia divina non potest ullis locorum terminis (a) mensurari aut includi (b) ... Probatur autem immensitas (et o m nipresentia) Dei ex Jerem. X X X I I I , 2 4 (sie! Druckfehler, gemeint ist Jer 23,23; A.S.). N a m qui coelum et terram implet, repletive est in coelo et in terra . . . " . Schon bei Baier ist eine intertextuelle Lesung von ,de D e o ' und ,de Providentia' angelegt, indem es schon am Anfang des locus ,de D e o ' heißt, daß Gott das ens primum ist, das „omnia conservat et gubernat" (a.a.O., pll3). 320

Baier nennt Ps 139,Iff a.a.O. (Anm. 316), p l 2 9 als Belegstelle für die (omni-)scientia

Dei. 321

Vgl. Anm. 319.

Vgl. zur Bedeutung der Lehre von der Providenz Gottes für weitere Kalenderbeiträge u. рЗ 1 4 - 3 2 0 . 3 2 3 - 3 2 5 . Zu den Predigten Hebels s.u. bes. Kap. 11,2. 3 2 3 Vgl. u. Kap. 11,6 dieser Arbeit. 3 2 4 S. Anm. 3 1 6. 3 2 5 Baier, a.a.O. (Anm. 316), p2 1 5. 326 Ebd. 3 2 7 Hebel III, 297. 3 2 8 Hebel II, 260. 3 2 9 Ebd., 193f. 322

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rechnet daß tausend Millionen Menschen zu gleicher Zeit auf der Erde leben, und bei dem lieben Gott in die Kost gehen, ohne das Getbier"ii0. Das entspricht der Art und Weise, wie die altprotestantische Orthodoxie mithilfe der aristotelischen Distinktionen in dessen Physik 331 die verschiedenen Arten der Geschöpfe unterschieden hat. „Objectum providentiae divinae (a) sunt creaturae (b) omnes et singulae (c) cum inanimatae (d), tum animatae, et ex his vegetabiles (e), animantia bruta (f), praesertim vero homines (g)" 332 . Auch gehört es zur Lehre von der Vorsehung Gottes, daß er es ist, der als conservator den Geschöpfen Nahrung gibt. Einer der biblischen loci classici ist Ps 145,15f (,aller Augen warten auf dich; und Du gibst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit. Du thust deine Hand auf und erfüllest alles, was lebet, mit Wohlgefallen') 333 . Hebel schließt diesen Text in seinen Erzähltext ein und somit die „Betrachtungen" von 1809 ab, indem er formuliert: „Und der unsichtbare Gott, der sie erschaffen hat, ist mit seiner Allmacht und Güte überall zugegen, und sättiget und erfreut alles was da lebet, mit Wohlgefallen" 334 . Und wenn Hebel sagt, daß die „große himmlische Illumination" des Sternenhimmels „zur Ehre des großen Weltbeherrschers aus unermeßlicher Höhe herabflimmert" 335 , dann greift er damit erneut auf die Schöpfungs- und Vorsehungslehre zurück, derzufolge die causa finalis des Schöpfungs- und Vorsehungswerkes die gloria Dei ist. „Finis creationis ultimus est gloria sapientiae, bonitatis et potentiae divinae (a); intermedius hominis utilitas" 336 und: „Definiri potest Providentia divina, quod sit voluntatis divinae, scientia Dei practica directae ... ad ipsorum hominum utilitatem, et divinae sapientiae, potentiae ac bonitatis gloriam" 337 . Es zeigt sich, daß Hebel nicht wie die zeitgenössische rationale Physikotheologie sich an dem Streit beteiligt, ob nun angesichts der zu beobachtenden natürlichen Gesetzmäßigkeiten noch von einer Vorsehung und einem concursus Dei gesprochen werden kann. Vielmehr ist Hebel hier Tradent der alten Lehrinhalte, die er mithilfe der klassischen Belegstellen nicht nur ,belegt', sondern sie erneut zur Sprache bringt.

330

Hebel III, 297 (Hervorhebung von mir). Vgl. Aristoteles, der zwischen der Pflanze, die ψυχή θρεπτική ist, dem Tier, das ψυχή θρεπτική, αίσθητική, κινητική ist, und dem Menschen, der zusätzlich ψυχή νοητική ist, unterscheidet. Vgl. Aristoteles, Physica, 253 a 19ff. 255 a 21ff. 247 b lff. 332 Baier, a.a.O. (Anm. 316), p215f. Vgl. Gerhard, a.a.O. (Anm. 266), torn. II, p28. 333 Bibelstellen werden in dieser Arbeit zitiert nach der Ausgabe der Luther-Bibel, die H e bel selbst besessen hat (Verz. N r . 16): Die Bibel oder ganze heilige Schrift, alten und neuen Testaments, nach der Uebersezung D . Martin Luthers. Durlach 1786, (vorh.: H D PTS В I b 35). 334 Hebel II, 132. Vgl. die zentrale theologische Funktion von Ps 145,15f in anderen Naturbetrachtungen Hebels. Vgl. u. p324f und Anm. 448 dieser Arbeit. 335 336 337 Ebd., 64. Baier, a.a.O. (Anm. 316), pl70. Ebd., p225. 331

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Hebel ist derjenige, der im Sinne der Tradition gegen die Physikotheologie die hermeneutisch-biblische Frage nach der Lesbarkeit des Buches der Natur neu stellt, ohne jedoch gegen die Physikotheologie polemisch sich zu äußern. Uberhaupt ist die Rückkehr zu den traditionellen Lehrinhalten bei Hebel nicht ungebrochen-naiv. Das zeigt sich daran, daß sich Hebel gegen die Verfechter des sog. anthropozentrischen Weltbildes richtet338, demzufolge alle göttliche Einrichtung der Natur auf das Wohl des Menschen hin geordnet sei. Die moderne Naturwissenschaft jedoch hatte beobachtet, daß es auch in solchen heißen Regionen z.B., wo keine Menschen leben, regelmäßig kühlende Winde gebe, wovon auch Kant berichtet339. So kann Hebel - und hierin z.B. zeigt sich der Geist der Zeit - gegen die Meinung polemisieren, daß die Sterne nur für die Menschen auf Erden geschaffen seien, vielmehr dienten sie der Erleuchtung des Alltages der Menschen, die auf diesen Sternen wohnten340. „Wenn man nun viertens das alles bedenkt, so will es nicht scheinen, daß alle diese zahllosen Sterne ... nur wegen uns erschaffen worden wären, und damit der Kalendermacher für des Lesers Geld etwas darüber schreiben könnte ... Geneigter Pilger! diese Lichter sind nicht wegen deiner angezündet, daß es in dem Schlafstüblein lustig aussehe, sondern jedes dieser Lichter erleuchtet eine Stube, und es sitzen Leute dabey und lesen die Zeitung, oder den Abendsegen oder sie spinnen und stricken, oder spielen Trumpfaus, und das Büblein macht ein Rechnungsexempel aus der Regel Detri" 341 . Aber dennoch kann Hebel diese ,moderne' Einsicht der Naturwissenschaft mit der orthodoxen Lehre in Einklang bringen. Denn derzufolge ist es ja gerade nicht die utilitas der Schöpfung für den Menschen, die verabsolutiert werden kann, wie es die Verteidiger des anthropoteleologischen Weltbildes taten. Sondern die eigentliche causa finalis, der „finis ultimus" 342 , ist die Ehre Gottes, und hieran rüttelt auch die neue naturwissenschaftliche Erkenntnis nicht. Eine Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Einwänden gegen die Lehre von der Providenz ist in den „Betrachtungen" also schon zu erkennen. Jedoch ist sie nicht das Hauptinteresse Hebels. Vielmehr gelingt es ihm, zu zeigen, daß die vermeintliche Kritik der Naturwissenschaft eigentlich keine ist. Denn zwar nützen die Sterne nicht nur den Menschen auf Erden, sondern auch denen, die eben diese Sterne bewohnen, aber der eigentliche Zweck der Schöpfung ist die Ehre Gottes, seine Verherrlichung in seinen Werken. Auch darin ist Hebel nicht Kind seiner Zeit, daß er eben nicht wie die

3 3 8 Das mittelalterlich-christliche Weltbild als anthropozentrisch zu bezeichnen, ist nur teilweise richtig. Zwar meinte man, die Schöpfung sei zum Nutzen des Menschen eingerichtet. Vgl. jedoch das folgende. 3 3 9 Kant, a.a.O. (Anm. 186), Bd. 1, p224. 3 4 0 Zur Annahme, die Sterne seien bewohnbar, vgl. p53 und Anm. 255 dieser Arbeit. 3 4 1 Hebel II, 259. 3 4 2 Baier, a.a.O. (Anm. 316), p l 7 0 .

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zeitgenössische Theologie der Aufklärung die Lehre von der Vorsehung verabsolutiert, indem er sie zum ,Vorsehungsglauben' pervertiert 343 . Zwar ist bei Hebel eine starke Hervorhebung der Providenz-Lehre zu beobachten. Aber doch hat sie ihr notwendiges Korrelat, die Eschatologie, bei Hebel behalten, während die Aufklärungstheologie auf weite Strecken die Vorsehung an die Stelle der Eschatologie rückt 3 4 4 . Die Physikotheologie von Derham z.B. schließt von den vernünftig beobachteten Naturerscheinungen und -gesetzmäßigkeiten auf den ebenso vernünftigen Inhalt der Vorsehung Gottes. Hier wird die menschliche Vernunft zum Maßstab dessen, was Gott schon vorher gewußt hat. Eine Reflexion darüber, daß die Naturerscheinungen nichts anderes sind als die στοιχεία τοϋ κόσμου, die seit der Kreuzigung Jesu und seiner Auferstehung angefangen haben, aufzuhören zu sein, findet nicht statt 3 4 5 . Es wird also nicht erkannt, daß die Vorsehungslehre eschatologisch reflektiert sein müßte, d.h. von der Erkenntnis her, daß die Natur sich bereits in dem eschatologischen Prozeß der Neuwerdung befindet und deswegen der Beleuchtung von der καινή κτίσις her bedarf. Derham weiß nicht, daß sich die Providenz Gottes nicht in conservatio, gubernatio und concursus erschöpft, sondern das eschatologische Ziel eines neuen Himmels und einer neuen Erde hat. Bei Hebel jedoch findet gerade diese eschatologische Beleuchtung der Providenz Gottes von der Eschatologie her statt. Die Betrachtung der Schöpfung und das Anschauen der göttlichen Providenz ist bei Hebel kein Selbstzweck, sondern die noch alte Schöpfung weist durch ihre Gleichnis-

3 4 3 Treffend Lobstein, Paul, An.: Vorsehung, in: RE 3 X X , p740-762, hier: p756: „Wo der Rationalismus nur eine besondere Erscheinung des Geistes der Aufklärung, das heißt eine Emanzipation der allgemeinen Kulturinteressen aus dem Bann des kirchlichen Supranaturalismus darstellt, gestaltet sich die Lehre von der Providenz zu einem wesentlichen Stück der sog. natürlichen Theologie, die mit der ursprünglichen geschichtslosen Vernunftreligion zusammenfällt, wie sie in England durch die Deisten konstruiert ... wurde ... Den christlichen Kern des Vorsehungsglaubens des Rationalismus, der sich in der Führung des Lebens oft genug praktisch bewährte, darf die geschmacklose Form nicht verdecken, die dieser Glaube meistens annahm, sowohl die weichliche Sentimentalität als auch die kleinbürgerliche Nützlichkeitskrämerei, die in der Breittretung des sog. physikotheologischen Beweises für das Dasein Gottes sich nicht genug thun konnte."

Zur Frage nach dem Zweifel am Vorsehungsglauben und an den vermeintlich ewig und unverbrüchlich geltenden Naturgesetzen, der nach dem Erdbeben in Lissabon 1755 aufkam, vgl. die kritische Arbeit von Lütgert, W., Die Erschütterung des Optimismus durch das Erdbeben von Lissabon 1755. Ein Beitrag zur Kritik des Vorsehungsglaubens der Aufklärung, BFChTh5 (1901/III), Gütersloh 1901. 3 4 4 So wie die Menschen in der Verhandlung der Theodizee-Frage vernünftig zu Gericht über Gott sitzen und die lösende Beantwortung dieser Frage eben nicht von einem Jüngsten Gericht erwarten, so wird auch im aufklärerischen Vorsehungsglauben Gott zum Garanten dieser bestehenden Welt, ohne daß der Blick auf den neuen Aon und damit auf das Vergehen des alten gerichtet wird. Zu Hebels Stellung zur Theodizee, die sich bes. in seinen Predigten äußert, s.u. pl96-202 dieser Arbeit. 3 4 5 Vgl. Kol 2,20; 2Petr 3,10.12.

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fähigkeit über sich selbst hinaus, indem sie proleptisch die neue Schöpfung schon jetzt epiphan werden läßt. So kann sich auch die Sonne in einen Bibelspruch verwandeln und mit glaubenden Augen als Prolepse des Jüngsten Tages erkannt werden. „Also wäre es wohl möglich, daß sie (seil, die Sonne; A.S.) ein fester, mit mildem Licht umflossener Weltkörper sey, und daß auf ihr Jahr aus, Jahr ein wunderschöne Pfingstblumen blühen und duften und statt der Menschen fromme Engel dort wohnen, und ist dort, wie im neuen Jerusalem keine Nacht und kein Winter, sondern Tag, und zwar ein ewiger freudenvoller Sabath und hoher Feyertag" 3 4 6 . Obschon die Schöpfung jetzt noch den regelmäßigen, gesetzmäßigen Veränderungen von Tag und Nacht und Sommer und Winter unterliegt, predigt sie als eine sich in solchen Gesetzen noch befindliche ihre eigene Auflösung und Neuwerdung. Die alte Schöpfung predigt schon die neue. Die Sonne kann per analogiam fidei als das neue Jerusalem (Apk 21,2.10; Hebr 12,22; Jes 65f) gesehen werden, wo es nur noch Tag sein wird (Jes 60,19), da nun der mit der Schöpfung und dem Noahbund gesetzte Wechsel von Tag und Nacht (Gen 8,22) aufhört. Auch der Unterschied von Sommer und Winter (Gen 8,22) wird eschatologisch aufgehoben und durch ewige Fruchtbarkeit ersetzt: Es wachsen jahraus, jahrein Pfingstblumen (vgl. Sach 14,8: Die lebendigen Wasser sorgen für Fruchtbarkeit im Sommer wie im Winter). Die Betrachtung der Natur erschöpft sich für Hebel nicht in der von Gott gesetzten Ordnung und seiner Providenz. Sondern zur Providenz gehört es notwendig dazu, daß Gott die Schöpfungsordnungen dereinst aufheben wird, um das Neue zu schaffen. Deswegen wird gerade die Unordnung in der Schöpfung zur Predigt. Der lange Nachsommer von 1811, in dem „der Frühling, der Sommer und der Herbst zu gleicher Zeit und neben einander feil hatten" 3 4 7 ist eine Prolepse der eschatologischen immerwährenden Fruchtbarkeit. So ist der Komet von 1811 eine weissagende Chiffre. Im Sinne des Buches der Natur beginnt der Komet zu sprechen. „Ich bin auch einmal eine Erde gewesen, wie du, voll Schneegestöber und Gewitterwolken, voll Spitäler, und rumfordischer Suppenanstalten und Kirchhöfe" 3 4 8 . Auch auf dem Komet gab es einst den Winter noch, sowie Elend der Krankheit und soziale Misere, so daß es wie auf Erden eines Grafen von Rumford bedurfte, der durch die Einführung der Kartoffel in Bayern und durch die Einrichtung von Arbeitshäusern und Suppenanstalten das soziale Elend lindern half 349 . Und auch auf dem Kometen gab es einst noch den Tod. Aber das ist jetzt vorbei: „Aber mein jüngster Tag ist vorüber und hat mich

3 4 7 Ebd., 382. 3 4 8 Ebd. Hebel III, 299. Im ,Deutschen Biographischen Archiv' (DBA 1067, 123-125) findet sich über „Benjamin Tompson (sie!) Graf von Rumford" folgender Eintrag: „Aber nicht nur militärischen Zwecken war seine Thätigkeit gewidmet, auch die Armenpflege verdankt ihm Ordnung und 346

349

72

verklärt in h i m m l i s c h e K l a r h e i t " 3 5 0 . E s gibt keinen T o d m e h r auf d e m K o m e t e n (vgl. A p k 2 1 , 4 ) . D e r K o m e t hat seine e s c h a t o l o g i s c h e R e i n i g u n g s c h o n hinter sich ( „ i c h k ä m e gern z u dir h e r u n t e r , aber ich darf nicht, d a ß ich n i c h t w i e d e r u n r e i n w e r d e an d e m B l u t deiner S c h l a c h t f e l d e r " ) 3 5 1 . W e i l d e r K o m e t selbst als P r o l e p s e des J ü n g s t e n T a g e s v e r s t a n d e n w e r d e n k a n n , d e s w e g e n a u c h der ü b e r a u s lange N a c h s o m m e r des J a h r e s 1 8 1 1 . H e b e l r i c h t e t sich gegen d e n A b e r g l a u b e n , als sei der K o m e t für diesen N a c h s o m m e r v e r a n t w o r t l i c h , g e n a u s o wie er sich gegen das V o r u r t e i l w e n det, als regierten sich die P l a n e t e n gegenseitig u n d als z ö g e ein K o m e t das U n g l ü c k h e r b e i 3 5 2 : „ F r a g t sich n u n w a s hat der C o m e t b e d e u t e t u n d w a s hat er a u s z u w e i s e n gehabt? Antwort:

N i c h t s als G o t t e s A l l m a c h t ,

des

Sternsehers W i t z , einen reichen H e r b s t u n d einen langen s c h ö n e n N a c h s o m m e r " 3 5 3 . D e r K o m e t selbst hat keine M a c h t , er ist n u r Z e i c h e n für die A l l m a c h t G o t t e s . U n d dieses Z e i c h e n hilft dabei, die Zeichenhaftigkeit d e r S c h ö p f u n g z u erkennen. I m alten A o n s c h o n w i r d die ewige F r u c h t b a r k e i t des n e u e n sichtbar, aber der K o m e t ist n u r „ d e r a u s g e s t r e c k t e Strauß, u n d u n s e r lieber H e r r G o t t w i r t h e t " 3 5 4 .

zweckmäßige Anstalten. Auf seinen Antrag hin wurde ein Armeninstitut gegründet, alle Bettler wurden aufgezeichnet, entweder in Armenversorgungshäuser untergebracht oder mit periodischen Beiträgen unterstützt; eine Anstalt einer gesunden und kräftigen Suppe für Arme und Unbemittelte wurde von ihm eingerichtet (die rumfordische Suppenanstalt) die sich bis auf den heutigen Tag auf's wohlthätigste bewährt hat;" (Hervorhebung von mir). Rumfords Lebensdaten sind: 26.3.1753-22.8.1814. Das DBA hat hier einen Artikel aus Stumpf, Pleickhard, Denkwürdige Bayerns, 1865 aufgenommen. 3 5 0 Hebel III, 379. 3 5 1 Ebd. 3 5 2 Hebel II, 193. 3 5 3 Hebel III, 379. 3 5 4 Ebd., 382. Hebel bekämpft hier wiederum den Aberglauben, als sei der Komet eine Macht, die im Stande ist, Unglück an Gottes allmächtigem Handeln vorbeigehend zu kausieren, mit dem Hinweis darauf, daß Gott es ist, der die Welt allmächtig lenkt. Wie sehr Hebel diese Frage beschäftigt hat, geht aus seinen bisher unveröffentlichten Exzerpt- und Entwurfheften hervor. An einer Stelle äußert Hebel die Meinung, daß die Entkräftung dieses Aberglaubens deswegen eine so schwierige Aufgabe sei, da der Mensch empfänglicher für pervertiert-gesetzliche Drohbotschaften als für die der Hoffnung sei: „Wann wird der Verblendete Sterbliche aufhören vor ungewöhnlichen Naturerscheinungen zu zittern, als ob die Macht des Schöpfers vor der er ohnmächtig bebt, größer wäre in der meteorischen Feuerkugel die durch die Nacht zieht, als im unermeßlichen schwebenden Feuerball der Sonne, oder ein leuchtender in dem einsamen Cometen als in allen leuchtenden Sternen des Himmels, näher im Nordlicht über den Eismeeren, als im Morgenroth über den heimischen Bergen, oder als wenn nicht alle Kräfte der Natur der nemlichen, ewigen Weisheit gehorchten und zu den nemlichen wohlthätigen Zweken führte für welche nach dem Willen des ewigen Vaters alle Blumen blühen, alle Quellen rieseln, alle Sonnen aufgehen u. alle Planeten sich kreisen. Armer Sclave der Leidenschaft, der du fürchtest, wo nichts zu fürchten ist, mistraust der unergründeten Weisheit, erschrickst vor der unendlichen Güte." Hebel hat Geduld mit denjenigen, die in Kometen und Naturerscheinungen eine gesetzliche Angstpredigt entdecken, und sieht ein seelsorgliches Anliegen darin, die Kometen als eschatologische Predigt des Evangeliums begreifen zu lehren. Es ist Hebel um die Menschen zu tun, 73

Auch die Hypothese der Astronomen, zwischen Mars und Jupiter fehle ein Planet, der vielleicht dereinst verschwunden ist, formuliert Hebel biblisch-eschatologisch um: „Entweder, sagten sie, ist er so klein, daß wir ihn nicht sehen können, oder er hat seinen jüngsten Tag und die Auferstehung seiner Todten schon erlebt, und ist nachher im Feuer aufgegangen, oder sonst verkommen" 3 5 5 . Hebel kann also auch der Unregelmäßigkeit, die sich im Weltgebäude beobachten läßt, einen Hinweis auf den Schöpfer abgewinnen. Die Unregelmäßigkeiten sind kein Gegenargument gegen die Vorsehung Gottes, die diese Welt erhält. Die Vorsehung Gottes wird nicht derart verabsolutiert, daß diese Welt, der alte Äon, ewigen Bestand hat, sondern selbst schon über sich verheißend vorausverweist auf den neuen Aon. Nicht nur die Eschatologie allein, sondern auch die zu ihr notwendig dazugehörende Protologie läßt sich biblisch durch das Buch der Natur predigen. Im ab- und zunehmenden Mond läßt sich von der Schöpfungsgeschichte herkommend im Himmel das Werk des ersten Schöpfungstages wiedererkennen, die Scheidung von Licht und Finsternis (Gen 1,4). „Das erste Viertel ist, wenn der Mond so steht, daß gerade die Hälfte von der erleuchteten Halbkugel, oder der vierte Theil von dem Mond gegen uns im Licht ist, und die Hälfte von der verfinsterten Halbkugel im Schatten. Da kann man recht sehen, wie Gott das Licht von der Finsterniß scheidet, und wie auf den Weltkörpern der Tag neben der Nacht wohnt, und wie die Nacht von dem Tag bis zum Vollmond allmählig besiegt wird" 3 5 6 . denen es gilt klar zu machen, daß Gewitterwolken und Blitze zum Hofstaat des gütigen Gottes und seiner Herrlichkeit gehören und keine eigene Macht haben. „Doch laßt uns nicht voreilig u. ungerecht den Staab brechen über die schwachen, über die beschränkten, unserer Brüder, über die Gemüther die vielleicht eine Achtungswerthe, wenn schon irre geleitete Religiosität in diese Furcht vor dem Herrn des Weltalls sezt dessen Gewand die Wolke des Gewitters, dessen Boten die zindenden Blitze sind. Gewiß sind einige Erscheinungen in der Natur so selten, so maiestätisch, so drohend u. furchtbar daß auch der Beherzteste, auch der unbefangenste auch der Gerechteste Mensch vor ihnen erbeben, u. für sein eigenes u. der seinigen Glück u. Leben zittern muß. Hat nicht das Beben der Erde dort ein Lisabon, hier ein Messina verschlungen u. unter dem Schutt ihrer Palläste u. Hütten tausende ihrer Bewohner erdrückt zerschmettert u. begraben." (Vorausmitteilung der Hebel-Edition, Transkription des Konvoluts Η 124 der Badischen Landesbibliothek, fol. 41, vorhergehendes Zitat: fol. 40f). Das Erdbeben zu Lissabon 1755 nennt Hebel auch in der Kalendergeschichte „Unverhoftes Wiedersehen" - s. dazu u. p273-276 dieser Arbeit. 3 5 5 Hebel III, 541. Hierüber hat schon Bode spekuliert, allerdings ohne an einen möglicherweise am Jüngsten Tag vergangenen Planeten zu denken, wie es Bodes Buch überhaupt auszeichnet, zwar des öfteren von der Vorsehung Gottes zu sprechen und sie anhand der Betrachtung der regelmäßigen Gestirnbahnen zu bewundern, ohne dies jedoch biblisch zu artikulieren. Bode, Allgemeine Betrachtungen, a.a.O. (Anm. 184) formuliert folgendermaßen: „Allein, wozu auf einmal der zwischen Mars und Jupiter befindliche verhältnißmäßig große Raum? Wer weiß, ob nicht auch daselbst noch ein von uns bisher nicht bemerkter Hauptplanet seine ihm von der Allmacht vorgezeichnete Laufbahn durchwandelt?" (a.a.O., p34). 3 5 6 Hebel III, 408.

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Und das Weltgebäude erinnert uns Christen auch daran, daß wir auf den Stamm des jüdischen Volkes aufgepfropft sind. Der Sternenhimmel predigt die Verheißung an Abraham, er solle ein zahlreiches Volk werden, so zahlreich wie die Sterne am Himmel. „Also können wir in der schönsten reinsten Sternennacht kaum die Hälfte sehen, und sind doch so viel, und wenn wir sie geschwind ein wenig zählen wollten, bis wir fertig wären, wären nimmer die nemlichen da, sondern andere; deswegen heißt es mit Recht: So jemand die Sterne des Himmels zählen kann, so wird er auch deine Nachkommen zählen, nemlich die Juden" 3 5 7 . Hebel bildet einen Cento aus verschiedenen Bibelsprüchen, indem er sie ineinanderwirkt. In dem Zitat Gen 13,16 ,kan ein Mensch den Staub auf Erden zählen, der wird auch deinen Samen zählen' hat Hebel das Lexem,Staub' durch,Sterne' ersetzt, indem er die andere Version dieser Verheißung an Abraham eingeflochten hat, nämlich Gen 15,5: ,Siehe gen Himmel, und zähle die Sterne; kanst du sie zählen? Also soll dein Same werden.' Der Gesamtduktus des Hebeischen Centos wird von Ps 147,4 bestimmt: ,Er zählt die Sterne und nent sie alle mit Namen.' Auf die Art und Weise, wie die altprotestantische Orthodoxie in der Barockzeit in ihrer loci-Dogmatik, in Erbauungsbüchern und in Predigten das Buch der Natur traktierte, wird unten anhand von Text-Beispielen ausführlicher zurückzukommen sein 358 . Jedoch kann hier schon einstweilen gesagt werden: In dem hermeneutischen Anliegen, den liber naturae vom liber scripturae her zu beleuchten, lenkt Hebel auf ein zentrales Anliegen der Orthodoxie zurück. Schon deswegen kann man Hebel nicht einfach unter die vernünftigen Physikotheologen vom Schlage eines Derham zählen. Wenn Hebel sagt, daß es eines Dolmetschers bedarf, eines Hermeneuten, der durch die Predigt des verbum Dei das Buch des Himmels aufschlüsselt, dergestalt daß sich dann die Sterne in Bibelsprüche verwandeln 359 , dann wird Gott hier selbst zum Interpreten und Pädagogen. Gott erklärt sein in der Natur ergehendes Wort selbst. So hatte auch der orthodoxe Pädagoge der Barockzeit Johann Arnos Comenius das Verhältnis von Buch der Natur und Vernunft einerseits und dem Buch der Schrift andererseits bestimmt, wenn er zunächst fragt: „Warum, sage ich, sollen wir nicht statt der toten Blätter (seil, des Bibelbuches; A.S.) das lebendige Buch der Welt aufschlagen?", und dann die Antwort gibt: „Wenn wir irgendwo des Erklärers bedürfen, dann ist der Schöpfer der Natur, wie wir gelehrt haben, sein eigner bester Erklärer" 360 . 357

Hebel II, 247. S.u. p l 19-138 dieser Arbeit. 359 Hebel III, 600. Vgl. p64ff dieser Arbeit. 360 Comenius, Johann Arnos, Physicae Synopsis, in: Ders., Ausgewählte Werke, Bd. I-IV,2, hg. von Tschizewskij, Dimitrij, und Schaller, Klaus, Hildesheim/New York 1973-1983, hier: Bd. III, Hildesheim 1977, pl37-158, Zitat: pl46. 358

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Es geht Comenius um eine grundlegende Neugestaltung der Pädagogik. Sie soll sich als eine durch das göttliche Licht der Offenbarung gestiftete Neugestaltung vollziehen. „Ich habe es ,Ubersicht der nach dem göttlichen Lichte umgestalteten Naturkunde' genannt, weil hier nach der Leuchte der göttlichen Schrift philosophiert wurde, und alle Behauptungen auf das Zeugnis der Sinne und der Vernunft so augenscheinlich, als es möglich war, zurückgeführt wurden. Nun ergeben aber diese beiden sich auf Grund des göttlichen Lichtes. Denn wie David sagte: ,Die Leuchte meiner Füße ist dein Wort, о Herr'" 361 . Denn die Vernunft ist als gefallene nicht fähig, Gott allein auf vernünftige und natürliche Weise zu erkennen. „Und doch, sobald die Sinnesauffassung oder Vernunft im Stiche läßt, verdanken wir es der göttlichen Gnade, daß sie uns vieles, was über Sinnesauffassung und Vernunft hinausgeht, durch ihr Wort zu offenbaren sich herabgelassen hat: z.B. die erste Schöpfung der Welt und die Gestaltung der unsichtbaren Dinge" 362 . Deswegen ist für Comenius pädagogische Maxime: „Wenn etwas nicht genug aus der Sinnesauffassung, der Verunft und der heiligen Schrift abgeleitet ist, ... so bleibe es ungesagt"363. Wie für Hebel gibt es auch für Comenius keine Naturbetrachtung bei geschlossener Bibel. Ganz ähnlich denkt Johann Arndt in seinem Werk „Vier Bücher vom wahren Christentum"364. Er lehrt zusammenfassend am Ende des vierten Buches, „daß wir neben dem Wort GOttes und dem Buch der heiligen Schrift, auch können überzeuget werden in unsern Herzen und Gewissen aus dem Buch der Natur und aus dem Licht der Natur" 365 . Eine theoretisch-hermeneutische Reflexion im Sinne von Hebel oder Comenius, wie die beiden Bücher miteinander verschränkt sind, stellt Arndt nicht an, setzt dieses Programm jedoch inhaltlich gesehen dauernd um. Aus dem Naturbuch geht nicht unmittelbar Gotteserkenntnis hervor, sondern der Schöpfung eignet Gleichnishaftigkeit. Die Schöpfung ist in vielen Dingen Gleichnis für biblische Aussagen. So bildet die Sonne z.B. gleichnishaft das wahre Licht ab, das Christus selbst ist. „Gleichwie nun die Sonne die Welt erleuchtet: also erleuchtet Christus unsere Seele. Das ist das wahrhaftige Licht, welches alle Menschen erleuchtet, so in diese Welt kommen. Joh 1,9" 366 . Und so von der Bibel herkommend kann die Schöpfung eigentlich verstanden werden, indem sie geistlich, d.h. im durch die Bibel vermittelten Geist, betrachtet wird. „Weil nun einem Christen gebühret, die Creaturen GOttes mit geistlichen Augen also anzuschauen, daC er GOtt, seinen Schöpfer, darin sehe, und aus den Werken den Werkmeister preise: so wollen wir uns damit belustigen, wie das Licht oder die Sonne ein Zeuge

361 364

76

Ebd., pl51. Arndt, a.a.O. (Anm. 222).

362 365

Ebd., pl57. Ebd., p602.

363 366

Ebd.,pl53. Ebd., p495.

GOttes und Christi sey" 367 . Es bedarf also der Geistbegabung durch das Wort Gottes, damit dann auch das natürliche Licht vom Menschen recht gebraucht werden kann. Und diese Durchdringung der Natur durch das himmlische Licht ist ein eschatologischer Prozeß. „Dies edle himmlische Licht ergießt sich in sie (seil, in die irdischen Geschöpfe; A.S.), wird aber von und in ihnen mit vieler unreiner irdischen Finsterniß verdecket und überhäufet, daher das Licht in ihnen wenig sehen, als welchen du die Augen öffnest ... Ach HERR, mein GOtt, verleihe mir, daß ich des natürlichen Sonnen=Lichts recht gebrauche ... In der Natur wickelt sich nach und nach das himmlische Licht aus der irdischen Finsterniß hervor, wirft dieselbe durch eine natürliche Scheidung von sich ... Ach, laß das, was ich in der Natur sehe, in mir geistlich geschehen" 368 . Nicht verwunderlich ist es bei dieser Analogie zwischen Hebel und dem orthodoxen Arndt, daß es an einigen Stellen bei beiden zu ähnlichen biblischen Auslegungen des Naturbuches kommt. Hebel hatte in der Sonne eine weissagende Prolepse des Jüngsten Tages und des neuen Jerusalem erkannt 369 . Bei Arndt ist ganz ähnlich zu lesen: „Die Sonne ist eine Zierde des Himmels. Also Christus, der HErr, ist eine Zierde seiner Kirche, und des neuen Himmels und Erden in der zukünftigen Herrlichkeit" 370 . Der Komet ist bei Hebel Gleichnis für das Eschaton, da er schon „verklärt (ist) in himmlische Klarheit" 371 . Ähnlich bei Arndt: „Das Licht und die Sonne ist auch endlich ein Zeuge der Verklärung unsers Leibes und Seele in der Auferstehung" 372 . So wie im Gegensatz zur rationalistischen Physikotheologie bei Hebel die Natur über sich selbst hinausweist und einer eschatologischen Interpretation bedarf, so weist auch die Vernunft über sich selbst hinaus. Zwar kann Hebel den menschlichen Verstand als durch Gott gegeben bezeichnen. „Der Hausfreund hat Respekt vor dem Sternseher, und vor der göttlichen Allmacht, die einem schwachen MenschenKind den Verstand und die Geschicklichkeit geben kann, auf 50,000 Meilen weit (seil, auf dem Mond durch ein Teleskop wie der Astronom Schröter; A.S.), Berge auszumessen, die unser einer (der geneigte Leser ist gemeint) gar nicht sieht" 373 . Gott ist es, der den Menschen mit der ratio ausgestattet hat. Aber dennoch ist für Hebel die ratio kein hinreichendes Mittel, um Gott zu erkennen, wie etwa bei Tindal oder Derham. Zwar reflektiert Hebel nicht theoretischdogmatisch über die Fähigkeit der Vernunft supralapsarisch und infralapsarisch, aber der Sache nach steht diese Reflexion bei Hebel im Hintergrund, wenn er redundant auf die Unbegreiflichkeit der Schöpfung und der Vorsehung aufmerksam macht. „Aber niemand kann die göttliche All367 370 372

Ebd., p493. Arndt, a.a.O. (Anm. 222), p497. Arndt, a.a.O. (Anm. 222), p497.

368 371 373

Ebd., p498f. Hebel III, 379. Hebel III, 410.

369

S.o. p72 dieser Arbeit.

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macht begreifen, die diese ungeheuer große Kugel schwebend in der unsichtbaren Hand trägt ... Aber wer vermag mit seinen Gedanken ihre (seil, der Sonne; A.S.) Größe zu umfassen" 374 . Mit dieser Ehrfurcht vor der göttlichen Allmacht verbindet sich eine Kritik an den Gelehrten. „Das (seil, die Oberfläche der Erde u.a.; A.S.) haben die Gelehrten mit großer Genauigkeit ausgemessen und ausgerechnet, und sprechen davon wie von einer gemeinen Sache. Aber niemand kann die göttliche Allmacht begreifen" 375 . Die empirische Wissenschaft der Astronomie kann zwar Realienwissen anhäufen, aber die conservatio der Welt nicht hinreichend erklären. Ebenso unbegreiflich ist, daß Gott, der Schöpfer der großen Himmelskörper, ein kleines Samenkorn bildet. „So groß ist die Sonne und geht aus der nemlichen allmächtigen Hand hervor, die auf der Erde das Magsaamen oder Mohnsaamenkörnlein in seiner Schaale bildet und zur Reife bringt, eins so unbegreiflich wie das andere" 376 . Hier folgt Hebel nicht dem Vernunftoptimismus aufgeklärter Physikotheologie, der meint, durch die ratio die gesamte Wirklichkeit Gottes erkennen zu können. Denn die Allmacht Gottes ist der ratio immer einen Schritt voraus. „Denn der schwache Mensch kommt der göttlichen Allmacht nie an das Ende, und man muß nie sagen: Wo ich nichts mehr sehe, dort ist nichts mehr" 377 . Die implizite Kritik an dem auf die Empirie sich stützenden Wissenschaftsideal der Aufklärung ist nicht zu übersehen. Bei Hebel äußert sich in den „Betrachtungen" eine gewisse Demut menschlicher Vernunft Gott gegenüber, die die Unbegreiflichkeit seiner Werke eingesteht. Auch hier wird man z.B. an Arndt erinnert. Angesichts der riesigen Sonne „muß menschliche Vernunft aufhören zu denken. Es ist die Höhe und Größe des Himmels unausdenklich, und aller Vernunft unbegreiflich" 378 . Hebel referiert die Hypothese einiger Gelehrter, die meinen, „unsere Erde könne wohl auch einmal eine bloße Dunstkugel von viel 1000 Meilen im Umfang gewesen seyn, hernach sey sie immer wässeriger worden, dann habe sich das feste Land angesetzt ..." 3 7 9 . Aber aus Demut, „aus Respekt vor der himmlischen Allmacht mischt sich der Hausfreund nicht in diesen Streit" 380 . Hierin besteht auch ein seelsorgliches Anliegen, daß die Leser des Kalenders nämlich nun nicht aus lauter Ehrfurcht vor den gelehrten Astronomen die Ehrfurcht Gott gegenüber und den Glauben an ihn mit der Ehrfurcht den Gelehrten gegenüber verwechseln. „Denn die gelehrten Leute wissen auch nicht alles und reiten manchmal auf einem fahlen Pferd. Wer alles wissen will dem ist schlecht zu trauen" 381 . So ist auch die göttliche Weisheit der des Kopernikus überlegen. Er hat das heliozentrische Weltbild entdeckt, „und die göttliche Weisheit hat früher daran gedacht, als

374 377 379

78

Ebd., 297. Hebel II, 131. Hebel II, 192f.

375 378 380

Ebd. Arndt, a.a.O. (Anm. 222), p518f. Ebd., 193.

376

Ebd., 298.

381

Hebel III, 298.

die menschliche" 382 . Den Kometen von 1811 haben die Astronomen im Februar 1812 aus den Augen verloren, „und der ihn erschaffen hat, weiß, wenn er wieder kommt" 3 8 3 , auch wenn die Astronomen Berechnungen anstellen, um den Termin seiner Wiederkehr zu errechnen, bleiben diese unsicher. Um die Meteorologie steht es nicht anders als um die Astronomie. „Denn der liebe Gott hat auch noch allerley andere kleine Hausmittel um den Wechsel der Witterung zu hindern oder zu fördern, welche er bis jetzt noch Niemand verrathen hat. Die Wettergelehrten ärgern sich schon lange darüber" 384 . Und auch auf die Frage, wie Steinregen zustande kommt, „können die Gelehrten bis auf diese Stunde noch keine sichere Auskunft geben. Denn auch diese wissen freylich noch lange nicht alles" 385 . Wegen dieser Schwäche und Unzulänglichkeit der Vernunft bedarf es eines Hermeneuten, der wie der Hausfreund anhand des Weltgebäudes das Wort Gottes verkündet. Hier spiegelt sich das, was auch Comenius als pädagogisches Ziel verfolgt: Die Vernunft als eine durch das aus der Bibel gepredigte Wort Gottes zu erleuchtende die Dinge der Natur betrachten zu lassen. So ist auch für Johann Arndt die menschliche Vernunft zwar nicht absolute Finsternis. Denn das würde ja bedeuten, daß man dem flacianischen ,Manichäismus* erneut verfiele, indem man implizit behauptete, beim Sündenfall sei die imago Dei völlig und in ihrer Substanz zerstört worden 386 . Aber die Vernunft ist nach Arndt doch nur ein Nachtlicht. „Das Licht kann man ohne das Licht nicht sehen. Also kann man GOtt ohne GOtt, ohne Christum, ohne den Heiligen Geist, nicht erkennen. In deinem Lichte sehen wir das Licht. Ps. 36,10 ... Wenn das Tages=Licht hinweg weichet, so gehet die Nacht und die Finsterniß an, und gehet das finstere Licht, der Mond auf, als das Nacht=Licht. Also ist außer Christo eitel Finsterniß, und das rechte Nacht=Licht der Vernunft verfinstert den Verstand" 387 . Es kommt also darauf an, daß Gott durch seine Weisheit die Weltweisheit erleuchtet: „Also närrisch ists, wenn einer durch die Welt-Weisheit besser sehen und klüger seyn wollte, als durch die Weisheit GOttes, welche ist Christus. О Thorheit, wenn einer meinet mehr erleuchtet zu werden durch die Creatur, als durch den Schöpfer!" 3 8 8 . Die Hermeneutik der beiden Bücher ist nicht nur in den „Betrachtungen" im Kalender zu finden, sondern auch in anderen Teilen in Hebels Werk: In theologischen Aufsätzen, in den „Biblischen Geschichten" und in den Briefen.

382 385 387

Ebd., 349. Hebel II, 39. Arndt, a.a.O. (Anm. 222), p496f.

383 386 388

Ebd. Vgl. Anm. 279. Ebd., p497.

384

Ebd., 552.

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Im „Sendschreiben an den Sekretär der theologischen Gesellschaft zu Lörrach, (die wenig bekannt ist) über das Studium des jüdischen Charaktergepräges und dessen Benützung auf Bibelstudium" 3 8 9 , das 1809 in der Zeitschrift Jason' erschien 390 , kritisiert Hebel die Methode der zeitgenössischen Exegese, die Landeskunde und die Erforschung Palästinas an die Stelle des Bibelstudiums zu rücken. „So manche Reisende im Orient (scheinen) lieber das Todte als das Lebendige zu beobachten. Sie botanisiren euch von Dan bis nach Berseba, besteigen den Libanon, und unterscheiden beym ersten Blick die berühmten alten Cedern von den jungen an der Größe ... so wollen sie lieber die Natur und Lebensart des Schakals als des Menschen studiren, obgleich der Fuchs dort von dem Fuchs hier in keinem größern Abstände stehen mag, als der Mensch dort von dem Menschen hier, und die Bibel nicht für Füchse geschrieben ist, kaum für akademische, zum Studium der Exegese. Das führt uns nicht weiter" 3 9 1 . Hierin steckt eine scharfe Kritik an der Flut von Orientsgesellschaften, die sich zu Zeiten Hebels bildeten und eine romantizistische Wehmut nach dem ,Morgenländischen' pflegten 392 . Eine doppelte Unfähigkeit - so Hebel - hat in der letzten Zeit in Deutschland um sich gegriffen. Der Sinn für die 3 8 9 Hebel III, 604-614. Zuerst veröffentlicht in: Jason. Eine Zeitschrift. Herausgegeben von dem Verfasser des goldnen Kalbes. Jahrgang 1809. Dritter Band. September bis December. Gotha 1809 (vorh.: H A B Za 214), p336-351. 3 9 0 Vgl. die Briefe Hebels, in denen er die Veröffentlichung des „Sendschreiben(s)..." ankündigt: Hebel, Briefe, p439. 1.10.1809 an Hitzig und p455. 18.12.1809 an Johann Friedrich Cotta. 3 9 1 Hebel III, 605. 3 9 2 Konkret hat Hebel mit dieser Kritik Johann David Michaelis im Blick, wenn er gleich zu Anfang meint, daß er den „Schatten des seligen Ritters Michaelis ... um Verzeihung zu bitten" (Hebel III, 604) habe. Hebel kritisiert im folgenden die Art, wie Michaelis im Auftrage des Königs Friedrich V der von ihm beauftragten und ausgestatteten Gesellschaft von Wissenschaftlern, die nach Israel und Arabien reisen sollten, einen Fragenkatalog formuliert und mitgegeben hat. Michaelis hatte ein Buch mit Fragen verfaßt mit dem Titel „Fragen an eine Gesellschaft Gelehrter Männer, die auf Befehl Ihro Majestät des Königes von Dännemark nach Arabien reisen. Frankfurt am Mayn, bey Johann Gottlieb Garbe, 1762" (vorhanden: H D U B Q 731 8 ). Im Vorspann dieses Buches befinden sich auch die Anweisungen Friedrichs V für die Reisegesellschaft mit dem Titel „Instrvction wornach Wir Friederich der Fünfte, von Gottes Gnaden, König zu Dännemark, Norwegen etc. etc. (tot. Tit!) Allergnädigst wollen, daß die auf Unsern Befehl und Kosten nach dem glücklichen Arabien Reisende, namentlich der Philologus, Prof. Friderich Christian von Haven, der Physicus, Prof. Petrus Forskäl, der Mathematicus, Ingenier-Lieutenant Carsten Niebuhr, der Medicus, Christian Carl Cramer, und der Mahler, Georg Wilhelm Paurenfeind, sich allerunterthänigst zu achten haben:" (Michaelis, a.a.O., c4). In dieser Instruktion heißt es u.a. auch: „14) Die sämmtliche (sie!) Reisenden sollen insonderheit sorgfältig seyn, diejenigen speciellern Fragen zu beantworten, die ihnen von dem Professor Michaelis mitgegeben oder nachgesendet werden" (a.a.O. dl). Der Rückbezug auf dieses Buch, das sich übrigens auch in Hebels Nachlaßverzeichnis findet (Nr. 538), erklärt erst die Ironie der Aussage Hebels, er werde die Juden in Deutschland studieren, „bis ich mich zu einer Reise nach Palästina für den Zweck des Menschen-Studiums befähiget habe, und der König von Dänemark ... die Gelder dazu liefert" (Hebel III, 605). Hebel merkt an, daß eine Diastase besteht zwischen dem Artikel 35 der von Friedrich V formulierten Instruktion und den von Michaelis formulierten Fragen, wenn er anmerkt, daß Michaelis „keines-

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Natur vor Ort aber auch der Sinn für die antiken Quellen, zu denen auch die Bibel gehört, drohen verloren zu gehen. „Wir halten uns für die gelehrteste Nation. Wir sind's auch leider, wenigstens die schreib- und leseweges aber ihr (seil, der Gesellschaft; A.S.) den Rath ertheilte, den auch die Instruktion Art. 35 enthält, vor der Hand und seinetwegen das liegen zu lassen, und vor allen Dingen den Juden und seinen Blutsvetter, den Araber, auf dem heimischen Boden desto näher zu betrachten" (ebd., 604). Der Artikel 35 der Instruktion Friedrichs V formulierte nämlich als Ziel der Forschung: „35) der Prof. Haven, als Philologus, merket die Sitten und Gebräuche des Landes an: vornehmlich die, welche der heiligen Schrift und den mosaischen Gesetzen ein Licht geben" (Michaelis, a.a.O. el). Hebel hatte - das verdeutlicht seine Bezugnahme auf den Artikel 35 ein Interesse an der Forschungsreise insofern, als er sich Informationen über die Juden erhoffte, die ihm wiederum bei der Exegese hätten behilflich sein können. Daher kritisiert er Michaelis, der in seinen Fragenkatalog vornehmlich Fragen nach kuriosen Naturdingen aufgenommen hatte. Hebel wirft ihm vor: „Der Verzeihung des seligen Ritters aber bedarf ich, weil ich bey allem Respekt vor seiner seltnen Gelehrsamkeit glauben muß, daß er in derselben und durch dieselbe vor Bäumen den Wald nicht recht gesehen habe, als er der arabischen Gesellschaft mancherley Fragen z.B. über die Gottesanbeterin, als da ist, nicht die Priesterin Elisabeth oder die Prophetin Hanna, sondern Mantis Religiosa Linei (Frage 51); ferner über die fliegenden Katzen (Fr. 30) und die zweybeinige Maus (Fr. 92) mitgab und aufband" (Hebel III, 604). In der ersten von Hebel genannten Frage „Von der Gottesanbeter inn" (sic! Michaelis, a.a.O., pl50f) formuliert Michaelis das Interesse daran, „wie dieß sonderbare Thier sich begatte." Aus der Beantwortung der nächsten Frage („Von fliegenden vierfüßigen Thieren"; a.a.O., p74-78) erhofft sich Michaelis eine Erhellung der Stelle Lev 11,20-23. „Moses erklärt die fliegenden Thiere für unrein, die auf 4 Füssen gehen. Norrelius wendet ein, es gebe dergleichen Thiere nicht: denn die cicada, die Heuschrecke, und andere ihres gleichen, hätten 6 Füsse. Nun scheint mir zwar bey der Heuschrecke offenbar, daß wenn man auch bey ihr 6 Füsse zählen wollte, sie dennoch nur auf 4 gehen würde, und nicht vom Haben der 4 Füsse, sondern von dem Gehen darauf, redete Moses: allein mich dünkt, es gebe auch ausser ihr noch Zwitter von vierfüssigen und geflügelten" (Michaelis, a.a.O., p76). Daher fragt Michaelis, ob nicht auch die fliegende Katze, „Felis volans Ternatensis" (a.a.O., p77) „in den Gegenden gewesen (ist), in denen Mose lebte" (ebd.). Und auch die dritte von Hebel genannte Frage des Michaelis „Von der zweybeinigten Bergmauß der Araber" (a.a.O., p260-267) hat nicht das jüdische Volk zum Gegenstand der Frage. Michaelis war an diesem Tier interessiert, weil es in Prv 30,26 genannt ist. „Allein dies so besondere Thier, dem die Sprichwörter Salomons unter den allerklügsten Thieren eine hohe Stelle einräumen, verdienet doch einige neue Fragen" (a.a.O., p261). Michaelis bittet darum, ein solches Tier zur näheren anatomischen Untersuchung mitzubringen. „Die Mühe kann nicht groß, und einige für das königliche Cabinet mitgebrachte Skelete würden vermuthlich zu Coppenhagen angenehm seyn" (ebd.). Hebel wirft Michaelis vor, daß er vornehmlich nach solchen Dingen fragt, die mit Hinblick auf das Bibelstudium nur sekundär von Interesse sind, und daß Michaelis nicht nach den Menschen fragt, „da nicht zu läugnen steht, daß man vor allen Dingen diejenigen, an welche geschrieben ist, baß kennen muß, wenn man das, was geschrieben ist, um einen halben Erdgürtel nördlicher, und um ein Paar Jahrtausende später ausdeuten (will)" (Hebel III, 604). Hebel nennt Michaelis einen „Katzen- und Bergmausjäger" (ebd., 605), der zu denjenigen gehört, die „lieber die Natur und Lebensart des Schakals als des Menschen studiren, obgleich ... die Bibel nicht für Füchse geschrieben ist, kaum für akademische, zum Studium der Exegese" (ebd.). Daher kommt es, daß Hebel nun das von Michaelis Versäumte nachholen will, indem er zunächst die Juden, wie sie sich ihm in Deutschland zeigen, untersucht, „in wiefern sie zur Aufklärung und Entwicklung des logischen und ästhetischen Sinnes der Bibel etwas beytragen können" (ebd.), und sie dann im biblischen Sinne zu lesen begreift. Einen kurzen Überblick über die Erforschung des Orients bietet: Littmann, Enno, Der deutsche Beitrag zur Wissenschaft vom Vorderen Orient, Stuttgart/Berlin 1942.

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lustigste, wenn's damit gethan wäre. Aber wo ist der reine lebendige Sinn, der das Wahre und Schöne überall und unmittelbar aus der Natur und dem Leben saugt?" 393 . Statt die Bibel selbst zu lesen, wird sie nachgedichtet hierin steckt eine Kritik an Klopstocks ,Messias': „Wir sind nicht mehr im Stand, den Homer oder Ossian, oder ein einziges Kapitel im Jesajas, z.B. das 60ste bis in sein tiefstes Leben hinein zu verstehen ... wenn Homer unsere Messiade lesen sollte, so möchte er über manches den Kopf schütteln, wovon ich nur zwey Präliminar-Schwingungen interpretiren will: Die erste, wie ein Teutscher dazu kam, den angebohrnen Reim und Jambus zu verlassen, und über seine scharfeckige Sprache den wellenlinigen Hexameter des Joniers zu legen ... die zweyte: wie er dazu kam, zum Gegenstand eines epischen Gedichtes den Messias zu wählen, ohne damit sagen zu wollen, ... daß das Leben und die Thaten des Messias keiner Verschönerung durch Dichtung bedürfen" 394 . Gegen diese doppelte Verarmung - und Klopstocks Messias spiegelt nur den Verlust der Fähigkeit, die Bibel zu lesen - erinnert Hebel an die doppelte Autorenschaft Gottes. Erst, wenn man begreift, daß Gott selbst Dichter ist und ihm die primäre Autorenschaft eignet, kann man auch die Dichtung Klopstocks würdigen, „die doch nirgendswo etwas verderbt, noch weniger entheiligt" 395 . Gott eignet diese doppelte Autorenschaft. Er ist Urheber der Schöpfung und Schriftsteller der Bibel. „Denn ist nicht Gott selbst der erste und größte Dichter, ποιητης in beyderley Sinn des Worts? Die ganze Idee des Weltalls mit allen seinen Theilen und Entwickelungen war in Gott, ehe sie realisirt wurde, ein großes harmoniereiches Gedicht, herausgegeben A N N O M U N D I I. und bis jetzt noch nicht nachgedruckt" 396 . Auch hier holt Hebel die alte, biblisch gegründete Theologie der Natur ein und kann so im Sinne der „Betrachtungen" im Mond die Verkündigung der Messiaserwartung per analogiam fidei entdecken. „Und so lange der Mond noch an einen Israeliten scheint, der diese Kapitel liest, so lange stirbt auch der Glaube an den Messias nicht aus" 397 . So wie der Mond Gleichnis für die Messiaserwartung ist, so lassen sich auch die Juden, das Volk Gottes, lesen. Dazu muß man nicht ins Morgenland reisen, sondern die in Deutschland lebenden Juden wollen gelesen sein. An den Juden in Deutschland läßt sich lernen, was die göttliche providentia und conservatio ist, die für die Menschen sorgt. Denn die Juden sind eine Auslegung zu Mt 6. Eingeleitet durch eine rhetorische Frage, die der paulinischen von Rom 8,33 (,wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen?') nachgebildet ist („wollen wir sie verdammen? Das sey ferne" 398 ) erkennt Hebel in den Juden eine Auslegung der Bergpredigt, denn „Abrahams Kinder ... sind und bleiben zu dem Ausspruch: Sorget nicht für den andern Morgen (seil. vgl. 393 396

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Hebel III, 6 1 0. Ebd. (Hervorhebung von mir).

394 397

Ebd., 611. Ebd., 611.

395 398

Ebd. Ebd., 612.

Mt 6,25ff), die lebendige Exegese ... Sie säen nicht und ärndten nicht, sie sammlen nicht in die Scheuren, und ihr himmlischer Vater nähret sie doch" 3 9 9 . Hier überträgt Hebel eine Aussage, die die Bergpredigt Mt 6,26 über die Vögel unter dem Himmel macht, auf die Juden in Deutschland. D.h. die Verkündigung Jesu aus dem Buch der Natur, die im Buch der Bibel, in der Bergpredigt bezeugt ist, benutzt Hebel und legt sie um auf ein anderes Kapitel des Buches der Natur: die Juden. Hebel interpretiert Mt 6,28, Jesu Aussage über die Lilien, indem er sie auf die Juden bezieht, um Gottes conservatio anhand der Juden aufzuzeigen: „Sie nähen nicht und spinnen nicht, und er kleidet sie doch", und anschließend merkt Hebel kritisch sich gegen die Obrigkeit wendend an: „und sorgt noch für das Schutzgeld" 4 0 0 , so wie er auch zu der Wendung „und ihr himmlischer Vater nähret sie doch" anmerkt: „selbst in Teutschland, was viel heist" 4 0 1 . So lehren die Juden Christen, wie es um die göttliche Vorsehung bestellt ist. Und die Juden sind eine lebendige Auslegung des Neuen Testaments! In dieser biblischen Bemühung, die Juden zu verstehen, ist die kritische Haltung Hebels gegründet, die er dem aufklärerischen Ziel der sog. Judenemanzipation gegenüber einnimmt. Die zu diesem Zweck erlassenen Edikte, auch die in Baden, hatten für eine künftige bürgerliche Gleichstellung der Juden mit den christlichen Bürgern zur Voraussetzung gemacht, daß sich die Juden in ihren Lebensgewohnheiten anzupassen hätten, also von den Christen noch zu lernen hätten 4 0 2 . Insbesondere plante man, die Juden 399

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Daß die Juden sich die bürgerliche Gleichstellung durch sittliche Besserung erst noch zu erwerben haben, gehört zum Tenor der in der Geschichte der Judenemanzipation ergangenen Edikte. Angeregt durch die Verordnung des Kaisers Joseph II aus dem Jahre 1781 forderte der Markgraf Karl Friedrich von Baden dazu auf, Gutachten darüber zu verfassen, „ob und in wie weit dasjenige, was in einer neuen Osterreichischen Verordnung und in deren Nachtrag wegen der Juden verordnet worden, in hiesigen Landen mit Nutzen zu appliciren und wieferne die Juden zu Erlernung der Handwerker anzuweisen thunlich und räthlich seie, auch wie derselben Nahrungsstand ohne Nachtheil derer übrigen Unterthanen verbessert werden könne" (zit. nach Rürup, Reinhard, Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur Judenfrage' der bürgerlichen Gesellschaft, Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 15, Göttingen 1975, p40). Schon Joseph II hatte eine Erziehung der Juden gefordert: „Da wir die jüdische Nation hauptsächlich durch besseren Unterricht und Aufklärung ihrer Jugend und durch Hinwendung auf Wissenschaften, Künste und Handwerke dem Staate nützlicher und brauchbarer zu machen zum Ziele nehmen, so erlauben und befehlen wir gnädigst, den tolerierten Juden in jenen Orten, wo sie keine eigenen deutschen Schulen haben, ihre Kinder in die christlichen Normal- und Realschulen zu schicken" (zit. nach Battenberg, Friedrich, Das Europäische Zeitalter der Juden. Zur Entwicklung einer Minderheit in der nichtjüdischen Umwelt Europas, 2 Bde., Darmstadt 1990, Bd. 2, p94). Ahnlich äußert sich auch von Dohm, Wilhelm, in seinem programmatischen Buch ,Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden, Berlin und Stettin 1781-1783', wiewohl zu beachten ist, daß von Dohm darauf hinweist, daß die derzeitige Situation der Juden auch Folge der Unterdrückung ist, die Juden bisher zu erleiden gehabt haben, was Rürup zurecht hervorhebt (a.a.O., p41). 402

Am 14.3.1807 wurde in Baden durch das I. Konstitutionsedikt die bürgerliche Gleichstellung der Juden aufgerichtet. Im §1 heißt es: .Jeder Mensch, wes Glaubens er sei, kann Staats-

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stärker in das Handwerk und den Ackerbau sozial zu integrieren, wogegen sich Hebels Bemerkung richtet „aber ihre Heimath und die Würde und Freyheit des Volks Gottes an einem Sägbock oder hinter einem Schubkarrn verläugnen, das können sie nicht" 4 0 3 .

bürgerrechte genießen, so lange er keine Grundsätze bekennt oder übt, die der Unterwürfigkeit unter den Regenten, der Verträglichkeit mit anderen Staatsbürgern, der öffentlichen Erziehung und den guten Sitten Abbruch tun" (zit. nach Rürup, a.a.O., p46). Jedoch fügte das VI. Konstitutionsedikt vom 14.6.1808 einschränkend hinzu, daß die Juden nicht vom Status der Schutzbürger in denjenigen voller Gemeindebürger übergingen, „solange sie nicht eine zu gleicher Nahrungsart und Arbeitsfähigkeit mit den christlichen Einwohnern hinreichende Bildung im allgemeinen angenommen haben" (zit. nach Rürup, ebd.). Das Edikt vom 13.1.1809 unterstreicht diese Forderung noch einmal: „Diese Rechtsgleichheit kann jedoch nur alsdann in ihre volle Wirkung treten, wenn sie (seil, die Juden; A.S.) in politischer und sittlicher Bildung ihnen (seil, den Christen; A.S.) gleichzukommen im allgemeinen bemüht sind" (zit. nach Rürup, a.a.O., p47). Richtig ist, daß „die grundsätzlich ausgesprochene Gleichbehandlung (seil, der Juden; A.S.) ... vielfach durch hemmende Sonderbestimmungen aufgehoben (wurde)" (Rosenthal, Berthold, Heimatgeschichte der badischen Juden seit ihrem geschichtlichen Auftreten bis zur Gegenwart, Bühl 1927, p246). Treffend ist auch, daß die Tendenz der Edikte nicht zu übersehen ist, „daß die Juden ihre überkommene Eigenart aufgeben" (Rosenthal, ebd.), daß es sich also eher um eine Assimilation der Juden handelte als um eine behutsame Gleichstellung der Juden unter Berücksichtigung der jüdischen Tradition und Lebensgewohnheiten (vgl. zum Ganzen: Katz, Jakob, Die Entstehung der Judenassimilation in Deutschland und deren Ideologie, in: Ders., Zur Assimilation und Emanzipation der Juden. Ausgewählte Schriften, Darmstadt 1982, p l - 8 2 ) . Auf dieses Versäumnis, nämlich nicht auf die Traditionsgebundenheit der Juden geachtet zu haben, verweist schon Hebel, wenn er darauf hinweist, „daß das jüdische Volk, wie alle asiatischen und alle unterdrückten Völker, sehr anhänglich an sein Altes sey, und den physischen und moralischen Charakter seiner Väter in Palästina im Wesentlichen noch nicht verändert habe" (Hebel III, 605f). Deswegen können die Juden in der Diaspora nicht die bürgerlichen Arbeiten übernehmen, die für sie von Christen im Interesse der bürgerlichen Gleichstellung vorgesehen worden sind. Denn dies hieße, die Diaspora als Heimat anzuerkennen und die wahre Heimat zu verleugnen. „Sie (seil, die Juden; A.S.) konnten aus ihrer Heimath vertrieben werden, das war Gottes Gewalt. Aber ihre Heimath und die Würde und Freyheit des Volks Gottes an einem Sägbock oder hinter einem Schubkarrn verläugnen, das können sie nicht" (Hebel III, 612). Uberhaupt sieht Hebel die Juden nicht so sehr unter soziologischen Aspekten als unter hermeneutischen, da er die Juden immer im Konnex mit dem von ihm so geliebten Alten Testament sieht. Nur deswegen kann er von der Liebe zu dem jüdischen Stamm, auf den die Christen aufgepfropft sind, sprechen und sie folgendermaßen artikulieren: „Was aber den Jesajas betrifft, so behaupte ich nur so viel, daß, wer ihn vom 40. Kapitel an lesen kann, und nie die Anwandlung des Wunsches fühlt, ein Jude zu seyn, sey es auch mit der Einquartirung alles europäischen Ungeziefers, ein Betteljude, der versteht ihn nicht, und so lange der Mond noch an einen Israeliten scheint, der dieses Kapitel liest, so lange stirbt auch der Glaube an den Messias nicht aus" (Hebel III, 611). Bloch hat gesagt, dies sei „der wohl betroffenste, verehrungsvollste Judensatz, der über die Lippen eines Prälaten gekommen ist" (Bloch, Nachwort, in: Hebel, Johann Peter, Kalendergeschichten, Frankfurt a.M. 1965, ρ 135-150, hier: pl47). Vgl. zu Hebels Stellung zu den Juden Storck, Joachim W., Johann Peter Hebel und die Juden, in: Badische Landesbibliothek (Hg.), Johann Peter Hebel. Eine Wiederbegegnung zu seinem 225. Geburtstag, Ausstellungskatalog, Karlsruhe 1985, p l 3 7 - 1 5 7 . 4 0 3 Hebel III, 612.

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Bei Hebel sollen nicht die Juden von den Christen lernen, bessere Juden und Bürger zu werden, sondern die Christen sollen von den Juden den Sinn der Bergpredigt lernen. Im Gegensatz zu den aufgeklärten Politikern sind für Hebel die Juden kein rein soziologisches Problem, sondern die Juden sind auch ein hermeneutisches Phänomen, und sie sollen biblisch gelesen werden. Der theologische Aufsatz „Der Ackerbau, eine vorzügliche Schule der Religiosität"404 entfaltet, daß Bauern während ihrer Arbeit ständig an Gott erinnert werden, da sie gewissermaßen Arbeiter im Buch der Natur sind. Dem Bauern wird die Natur am ehesten und häufigsten zum Ort des Gottesdienstes. „Die ganze Natur wird ihm zum Tempel des Vaters aller Wesen, in dessen Händen sein Schicksal ruht. Welche andere Berufsart erinnert so unaufhörlich, so unausweichlich an die Abhängigkeit von Gott, an die engen unverrückbaren Verhältniße zwischen dem Sterblichen und ihm?" 405 . Durch die Natur wird der Bauer an das Vaterunser erinnert, der Natur eignet ein Verweisungscharakter auf die Bibel, und der Verweis richtet sich wie in dem „Sendschreiben ..." auch hier wieder auf die Bergpredigt. „Nur zu dem Ewigen kann der Sämann beten, wenn er seine Saat auf den Acker trägt, - nur ihm der Schnitter danken, wenn reiche schwere Halme unter der Sichel fallen, nur demuthsvoll und vertrauend sprechen: Dein Wille geschehe, wenn alle seine Hoffnungen er vernichtet sieht... und so ist sein Beruf, wenn er nur will, mehr als jeder andere eine Schule der Religiosität"406. Die Natur ist eine große Erinnerung an den Schöpfer, durch dessen Wort sie gemacht ist (Ps 33,6). Daß sich die efficacia des Schöpferwortes nicht nur in dem Schöpfungsakt selbst, sondern auch in der Erhaltung artikuliert, bringt Hebel so zum Ausdruck: „Sie (seil, die Fruchtbarkeit; A.S.) ist durch das ewig wirksame Wort des Schöpfers gegeben, ausgebreitet, unvertilgbar, unerschöpflich, und wartet nur auf seine (seil, des Bauern; A.S.) fleißige Hand" 407 . Die Erzählung „Der Spaziergang an den See" erzählt von der Begegnung einer spazierenden Gesellschaft mit einem Krüppel, die die Frage nach der Daseinsberechtigung desselben aufwirft. „Was thut solch ein unglückliches Wesen, eine so verwachsene Ungestalt auf der Welt? Wär's nicht besser, es wär' einer weniger?" 408 . Es geht hier also um die Frage, wie das Dasein des Krüppels „zu erklären und zu rechtfertigen"409 ist, worauf der Doktor zunächst im Sinne einer Wahrscheinlichkeitsrechnung vorrechnet, daß jedes mögliche Aussehen einmal vorkommen müsse, deswegen auch das häßlichste. „Aber eines von allen muß absolut das hässlichste seyn, der Ausstich von allen übrigen unzählbaren Millionen, das glaubt ihr doch?" 410 , 4 0 4 Hebel, Sämmtliche Werke. Neue Ausgabe. 8 Bde. Carlsruhe 1838 (zit.: Hebel, SW), hier: Bd. 8, p74-80. 4 0 5 Hebel, SW VIII, 78 . 4 0 6 Ebd., 80 . 4 0 7 Ebd., 79f. 4 0 8 Hebel III, 625 . 4 0 9 Ebd. 4 1 0 Ebd., 626.

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womit der dem ,Morgenländer', dem Messias, vorhergehende ,Anti-Christ' gemeint ist. Und in diesem Sinne ist der Krüppel, dem die Spaziergesellschaft begegnet ist, ein Text, der gelesen werden muß, sozusagen ein Kapitel des Buches der Natur. „Dieser Mensch, begann der Doktor, ist nur eine unverstandene Chiffer in dem Buch der Weissagung, das der Welt eine große Freude verkündet. Das Buch will verstanden seyn" 411 . Es bedarf also einer synoptischen Lektüre der Naturerscheinung des Krüppels mit dem Bibelbuch, denn „der Mensch ist eine Welt" 412 . So als Text verstanden ist der Krüppel derjenige, der den Anti-Christen, den „Verführer und Mörder seines Geschlechtes, ein allgemeines Weltgewitter, das in alle Thronen und Altäre einschlagen wird, um König und Gott allein zu seyn, der die Welt in Flammen stecken und mit Blut und Thränen löschen wird, um sie noch einmal anzuzünden" 4 1 3 ankündigt. Deswegen ist er sub contrario auch derjenige, der den wiederkehrenden Christus verkündigt und so „der Welt eine große Freude verkündet" 414 . Der Krüppel ist so das Unterpfand für „das schönste und vollendetste ..., hinter welchem alle Künstler-Ideale zurückbleiben" 415 . Der Rechts-Praktikant, der dem Gespräch nur lauscht und sich „geheime Herzensglosse(n) zu dem Text" 416 macht, und das heißt: sich Glossen zu dem Text macht, der der Krüppel ist und der sich mit biblischen Texten verbindet, sieht in der schönen Adeline die Weissagung auf den wiederkehrenden Christus. „Da fuhr es gelegenheitlich wie ein freudiger Schrecken durch den jungen Rechts-Praktikanten, wie wenn man einen Schatz findet. Denn er schaute bey dem Wort des Doktors, ,eines muß von allen das schönste seyn,' unwillkürlich die blühende Adeline an, und sie unwillkürlich ihn, und er liebte sie ungemein" 417 . So wird nicht nur der Krüppel zum Text, sondern in den Augen des Rechts-Praktikanten auch die Adeline. Im Gang des Gesprächs verliert er den Faden, indem er keine „Herzensglosse zu dem Text" 4 1 8 des Krüppels mehr findet, aber nun liest der Rechts-Praktikant die Adeline: „Dafür wonnete er sich in dem Anblick der holden Adeline, und las in der sichtbaren Verklärung ihres Antlitzes" 419 . So erklärt der Text die Daseinsberechtigung des Krüppels eschatologisch-biblisch. Es wird hier also nicht die Theodizee-Frage angeschnitten, wie Wunderlich meint 420 , jedenfalls nicht im Leibnizschen Sinne, da in des411

412 413 414 415 Ebd.,625f. Ebd., 627. Ebd. Ebd., 625. Ebd., 626. 417 418 419 Ebd., 631. Ebd., 626. Ebd., 631. Ebd. 420 Spätestens hier rächt sich Wunderlichs Versäumnis, Hebel im Rahmen der Theologiegeschichte zu sehen. Hatte Wunderlich (a.a.O. (Anm. 31), p54-61) die „Verhältnisbestimmung von Wahrheit und Geschichte" (p53) in fünf Modelle gepreßt und - wie leider weitverbreitet - die protestantische Orthodoxie unter ein Verdikt gestellt und sich damit einen Blick auf die Quellen derselben verstellt, so begründet er dann seinen Ansatz, Hebel ganz auf der Linie des Pannenbergschen Programms von „Offenbarung und Geschichte" zu interpretieren. Abgesehen davon, daß dies völlig anachronistisch ist, ist damit auch die Vorentscheidung gefallen, Hebel als Spätaufklärer zu verbuchen. Deswegen kann Wunderlich auch nicht sehen, daß es sehr wohl eine Behandlung der Providentia Gottes unabhängig von der Theodizee-Frage 416

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sen B e a n t w o r t u n g der Frage, wie angesichts der Prämisse, daß G o t t die beste aller möglichen W e l t e n erschaffen haben muß, das Ü b e l in der W e l t erklärt w e r d e n kann, o h n e es einer Ungerechtigkeit G o t t e s anlasten zu m ü s sen, eben keine eschatologische Perspektive eröffnet wird. N a c h L e i b n i z gibt es keinen Fall der Schöpfung p r o t o l o g i s c h u n d kein V e r s ö h n u n g s h a n deln Gottes, das die Schöpfung eschatologisch vollendet. A l s o m u ß das Ü b e l i m m a n e n t - m o r a l i s c h erklärt w e r d e n 4 2 1 . N i c h t so bei H e b e l . D i e E x i s t e n z des Krüppels ist eschatologisch gerechtfertigt, da er eine Verkündigung ist. E r verkündigt den A n t i - C h r i s t e n , der die eschatologische Drangsal personifiziert, durch die hindurch die neue Schöpfung aufgerichtet w e r d e n wird, genauso wie der Tag, an d e m es nur n o c h L i c h t sein wird, d u r c h die Finsternis hindurch k o m m e n w i r d 4 2 2 . „ W e n n er (seil, der Schlimmste; A.S.) nur einmal gewiß da gewesen ist, so ist der Beste

verbürgt, denn alles Schlimmste ist nur Bürgschaft für das

Beste. O h n e einen kürzesten T a g w a r t e t e n wir auf den längsten vergebl i c h " 4 2 3 . E s c h a t o l o g i s c h liegen das Schlimmste u n d das Beste nahe beieinander, so wie L i c h t und Finsternis, denn „das M o r g e n r o t h geht d e m menschlichen Geschlecht a m A b e n d auf - das ist alles - und verschießt schnell im aufgelösten Sternenlicht eines neuen H i m m e l s u n d einer neuen E r d e " 4 2 4 .

Leibniz' gibt. Bei Hebel ist eben gerade nicht der Vorsehungsglaube die „Antwort auf die Theodizee-Frage" (Wunderlich, pl30) und diese war auch nie ein „locus" (ebd.) in der Dogmatik, sondern die eschatologische Antwort Hebels ist gerade eine Auflösung der immanentuneschatologisch gestellten Frage nach der Theodizee. Außerdem ist es dogmatisch einseitig und gerade nicht im Sinne Hebels, wenn Wunderlich von dem vermeintlichen „Vorsehungsglauben" (ebd.) Hebels „das Jüdisch-Messianische" (pl31) abtrennt, weil es Hebels Anliegen ist, die Eschatologie, die durchaus in der christlichen Dogmatik ihren Platz hat, als den notwendigen Kontext von ,de Providentia' herauszustellen. 4 2 1 Vgl. zu Hebels Beantwortung der Theodizee-Frage u. pl96-200 dieser Arbeit. 4 2 2 Vgl. hierzu u. p249f. 253f. 291f dieser Arbeit. 4 2 3 Hebel III, 629. 4 2 4 Ebd., 631. So ist es für Hebel biblisch-eschatologisch begründet, daß Freude und Leid so nahe beieinander liegen. „Da fuhr es gelegenheitlich wie ein freudiger Schrecken durch den jungen Rechts-Praktikanten, wie wenn man einen Schatz findet" (ebd., 626, Hervorhebung von mir). Diese Gedankenfigur rekurriert des öfteren in den BiblGesch Hebels. Nach der Nacherzählung dessen, daß sich Joseph seinen Brüdern zu erkennen gegeben hat, kommentiert Hebel: „Wenn die Noth am größten, ist oft ihr Trost am nächsten" (Hebel V,38), und vor dem Auszug aus Ägypten: „Denn das geschieht oft, wenn Gott bald retten will, und wenn man sich schon auf die Erlösung freut, daß die Noth erst noch am größten wird, daß der Mensch erkenne, die Rettung komme von Gott. ,Wenn Menschenhülf' scheint aus zu seyn, so stellt sich Gottes Hülfe ein'" (ebd., 44), und kurz vor der Erzählung, daß Kyrus den Israeliten die Erlaubnis gibt, nach Hause zu ziehen: „Wie zagt und zittert oft der Mensch vor seinem nahen Heil?" (ebd., 109). Und auch von den Eltern Jesu, die den Zwölfjährigen im Tempel wiederfinden, heißt es: „Als ihn nun seine Eltern auf einmal so erblickten und jezt wieder hatten, erschracken sie vor Freude" (ebd., 126). Auch in seinem „Neujahrslied" (Werke, 2 Bde., hg. von Altwegg, Wilhelm, Freiburg i. B. o.J., hier: Bd. 1, p233f) benennt Hebel die Affinität von Drangsal und Schrecken auf der einen und Freude auf der anderen Seite: „Mit der Freude zieht der Schmerz/Traulich durch die Zeiten./Schwere Stürme, milde Weste,/Bange Sorgen, frohe Feste/Wandeln sich zur Seiten." Die Anfangszeile dieses Liedes zitiert Hebel in der Vorrede zum Kalender 1811 (Hebel II, 243). 87

So nimmt der Doktor den Krüppel als Chiffre und Text zum Anlaß, eine Predigt ,de novissimis' zu halten, und der Krüppel wird ihm zum Bibelund Predigttext. Der Doktor predigt Jes 2; Mich 4, die eschatologische Entmilitarisierung: „Wie wird er alle Kanonen abführen lassen, eure zwey Dreypfünder nicht ausgenommen, und alle Schwerter in Pflugscharen umwandeln, und alle Lanzen in Sicheln? Diese Almends Phrase aller Friedensdichter, sagte er, hat seit den Tagen des Propheten Jesaias lange genug in Poesien ihre Wirkung gethan. Es wäre nimmer zu frühe, wenn sie auch einmal als Prose in Zeitungs-Artikel benuzt würde" 4 2 5 . Die Homilie setzt auch Jes 40,Iff um, die Rede von der eschatologischen Wegbereitung für Gott, die alle Unterschiede von Hoch und Tief nivelliert: „Und ihr Bergrath, wie wird er alle Gruben zuwerfen lassen, damit Niemand hineinfällt" 4 2 6 . Und die Rede des Doktors spricht auch von einer eschatologischen Neuwerdung der Pädagogik des Buches der Natur, die er aber schon jetzt proleptisch anwendet, indem er den Krüppel zum Text macht und ihn biblisch liest. Denn eschatologisch wird die Schöpfung selbst die Schulstube sein: „Und ihr Pfarrer, wie wird er die Schulstuben ausräumen und die Kinder unter freyem Himmel in die Schule schicken, an Regentagen lieber gar nicht, damit sie vernehmen lernen das lebendige Wort, nicht länger das todte" 4 2 7 . Bei dieser Rede des Doktors kommt es dem Bergmann schon vor, „wie wenn er aus einem tiefen feuchten Schacht zu Tag ausführe, in die MaienBlüthe, und in die Gesänge der Nachtigallen" 428 . Dieses Motiv wird noch einmal am Ende der Geschichte aufgenommen. Denn zwar haben sich der Rechtspraktikant und die schöne Adeline von der über das Eschaton disputierenden Gesellschaft getrennt, aber gerade in dieser Neben-Szene, dem Spaziergang der beiden Liebenden, vollzieht sich das eschatologisch-proleptisch, worüber die Gesellschaft disputiert hatte. Denn nun ist es die Natur, die zu sprechen beginnt, und die Nachtigall, die die beiden zum Sprechen bringt, zum Küssen: „Und als eben im nahen Gebüsch eine Nachtigall ihre zarteste Töne anstimmte, um ihnen gleichsam die Antwort auf die Lippen zu legen, da ... bekannten (sie) sich ihre Liebe mit dem ersten Kusse" 4 2 9 . Hier vollzieht sich deswegen auch, was der Doktor gesagt hatte, daß am Jüngsten Tage „das Morgenroth dem menschlichen Geschlecht am Abend auf(-geht)" 430 . Denn der Rechtspraktikant findet am Ende doch noch eine Herzensglosse, diesmal aber zu dem Text der Adeline. „Die Amtsräthinn aber fragte: Kinder, wo seyd ihr gesteckt, und habt ihr auch die Sonne gesehen schön untergehen? Und die Jungfrau in ihrer Unschuld und Wahrheit gestand Nein. Der Jüngling aber dachte: Unter nicht, aber auf" 4 3 1 . 425 429

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Hebel III, 628f. Ebd., 632 .

426 430

Ebd., 628 . Ebd., 631.

427 431

4 2 8 Ebd. Ebd. Ebd., 633.

Das eschatologisch-pädagogische Programm, die Kinder unter freiem Himmel in die Schule gehen zu lassen, hat Hebel in seinen „Biblischen Geschichten" so weit als möglich umzusetzen versucht, indem er immer wieder den Bibeltext, den er nacherzählt, selbst zum Anlaß nimmt, um den Blick der Kinder von der Bibel auf die Natur zu lenken. Jedoch ist diese Veränderung des Blickwinkels nicht ein auf das Lesen der Bibel folgendes superadditum, sondern erwächst aus dem Bibeltext selbst. U n d wieder ist es der Sternenhimmel, der wie in den „Betrachtungen" zu einer Sammlung von Bibelsprüchen wird. In der Nacherzählung der Theophanie Jhwhs am Horeb vor Elia ( l K ö n 19) setzt Hebel das Wechselgespräch zwischen Jhwh und Elia in einem Chiasmus so um: „ D o r t redete sein (seil. Elias; A.S.) Herz mit Gott, und redete Gott mit seinem Herzen und tröstete ihn" 4 3 2 . Anschließend an die Nacherzählung, daß Gott nicht im Erdbeben und nicht im Blitz und nicht im Feuer, sondern „in einem leichten sanften Säuseln" 4 3 3 ( l K ö n 19,12) zu Elias redet, gibt Hebel eine Typologie der verschiedenen Weisen, in denen Gott durch die Natur zu den Menschen spricht. Zunächst setzt Hebel A p g 17,27f (,er - Gott - ist nicht ferne von einem jeglichen unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir') erzählerisch um in der Wendung „ G o t t ist allen Menschen nahe", um dann fortzufahren: „und redet mit ihnen in den wunderbaren Erscheinungen und Veränderungen der Natur, im Gewitter, im Sturmwind, im Regen und Sonnenschein, wie es jeder nöthig hat, und verstehen kann. Mit den sichern und frevelhaften Gemüthern redet er im Gewittersturm, mit den frommen und bekümmerten in mildem Säuseln und Sonnenschein und in der schönen, Sternenreichen Nacht, und tröstet ihr H e r z " 4 3 4 . So weisen die „Biblischen Geschichten" über sich selbst hinaus auf die Natur. U n d dadurch werden die Kinder, an die sich diese Nacherzählung richtet, mit dem Propheten Elia gleichzeitig, indem sie nun von Gott durch Natur und Wort Angesprochene sind wie Elia, dem sich Gott erst in dem Säuseln und dann durch sein Wort offenbarte. Wie Hebel in den „Betrachtungen" die Sterne sich in Bibelsprüche hat verwandeln lassen, so erscheint auch jetzt die Natur als zweites Sprachmedium Gottes. Der Leser wird durch die Nacherzählung des Uber scripturae auf die Erzählung der Werke Gottes im liber naturae verwiesen, den er von der Bibel herkommend lesen soll. In die Abrahamsgeschichte komponiert Hebel einen kommentierenden Teil ein, den er zusammenfassend „Reden Gottes zu Abraham" nennt. Auch hier wird wieder von der Nacherzählung der Bibel auf die Natur verwiesen. „ N u n denn, weil wir überall die Werke der göttlichen Allmacht vor den Augen haben, die Blumen, die Ähren, den Baum, die Sonne, den Mond, die Sterne, so wollen wir oft an seine Gegenwart denken" 4 3 5 . Aber 432

Hebel V, 96.

433

Ebd.

434

Ebd.

435

Ebd., 18.

89

indem Hebel den kindlichen Leser von der Bibel ausgehend von dieser weg der Natur entgegenführt, führt er ihn auch wieder zur Bibel zurück. Denn der Naturbetrachtung folgt eine neue Bibellektüre schon im Vollzug der Nacherzählung, die Hebel bietet. Denn er fährt fort: „... so wollen wir oft an seine Gegenwart denken, und seiner Ermahnung unsere Herzen aufthun" 4 3 6 . Sodann zitiert Hebel aus dem liber scripturae Gen 17,1 (,wandle vor mir und sei fromm'). So wird die Natur biblisch eingeholt, und jetzt kann man wieder den Blick zurückwenden auf die Natur, die jetzt als Gleichnis die Bibel abbildet. „Solche Sprüchlein (seil, wie der zitierte Spruch Gen 17,1; A.S.), wenn man oft daran denkt, und sie befolgt, sind gleich, als leuchtende Sternlein, mit welchen wir auf guten Wegen bleiben, und zu Gott kommen" 437 . Dann blendet Hebel wieder zurück auf die Bibel, indem er das Diktum Ps 119,105 zitiert, mit dem schon Luther und die Orthodoxen die Lehre von der claritas der Schrift untermauert haben. „Dein Wort, о Gott, ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinen Wegen"438. Was Hebel hier vorführt, ist ein ständiges Wechselspiel und Wechselgespräch zwischen Bibel- und Naturbuch, eine ständige Perichorese, in der das Naturbuch durch das Bibelbuch ausgelegt und amplifiziert wird und das Bibelbuch durch das Naturbuch. Es herrscht eine ständige Bewegung der beiden Bücher aufeinander zu und durcheinander hindurch. Implizit führt Hebel hier also eine communicatio idiomatum der beiden Bücher vor und durch. Sie zeigt sich immer wieder. So ist Johannes der Täufer als Vorläufer Jesu „gleich wie der Morgenstern aufgeht, wenn die Sonne bald kommen will" 439 . Hebel begreift den Täufer Mal 3,23ff folgend als weissagendes Zeichen auf Jesus hin und bildet diese Zeichenhaftigkeit in der Natur ab. „Gott giebt oft ein Zeichen vorher, wenn er etwas Großes thun will, daß die Menschen darauf achten und sich darauf bereiten sollen" 440 . Auch für die Auferstehung Jesu wählt Hebel ein Gleichnis aus dem Naturbuch. Die Ostererzählung abschließend heißt es: „Das war der heilige Ostersonntag, der noch jährlich mit Freude und Hoffnung in allen christlichen Kirchen gefeiert wird im Frühjahr, wann die ersten Samenkerne aus der Erde aufgehen, und so zu sagen auch ihre Auferstehung halten" 4 4 1 . So ist es auch hier wieder die Natur des alten Äons, die die neue Schöpfung bereits abbildet. Der Frühling ist für Hebel sehr oft Metapher für den neuen Himmel und die neue Erde, besonders in den Briefen, worauf später ausführlich eingegangen werden soll. Aber auch in seinen ungedruckten Exzerptheften finden sich solche Notizen, wie z.B. die gleichnishafte Spiegelung von Begräbnis und Auferstehung der Toten: „Sinke also 436 439

90

Ebd. Ebd., 126f.

437 440

Ebd., 18f. Ebd., 127.

438 441

Ebd., 19. Ebd., 198.

immerhin in die Erde, mein Leib. D u sinkest in eine sichere ruhige Zuflucht, bis die Stunde der Trennung vorüber ist. Wie der unbewehrte Landbewohner bei herannahender Kriegsgefahr seine Costbarkeiten in die Erde vergrabt, um sie dort am sichersten widerzufinden, wie der Akersmann die zarten Pflanzen des Sommers, bei herannahendem Winter unter die Erde birgt, um sie dem widerkehrenden Frühling am sichersten aufzubewahren, so wirst du der sorgfältigen Pflegerin Natur in die Erde zurückgegeben, kehrest in deine Heimath zurük, bis der Frühling anbricht, den kein Winter mehr endiget" 4 4 2 . U n d auch die Ausbreitung des Evangeliums durch die Apostel setzt Hebel mit der gleichnisfähigen Natur in Verbindung. Die ersten nach Pfingsten auftretenden Gewitterstürme, die einerseits Furcht verbreiten, andererseits die Samen über das Land verbreiten und ausstreuen, sind ein Gleichnis für den Gewittersturm der Christenverfolgungen, die jedoch auch für die Ausbreitung des Evangeliums sorgten. „Gleichwie um Pfingsten oder bald hernach gewöhnlich die ersten Gewitter kommen - aber sie schaden wenig, vielmehr sie befördern die Fruchtbarkeit des Jahres, und der Sturmwind trägt die fruchtbaren Samenkörnlein weiter - also brachen auch bald nach dem Pfingstfest die ersten Verfolgungen über die Bekenner Jesu aus, wie er ihnen vorausgesagt hatte" 4 4 3 . Diese Saatmetaphorik zieht sich durch die gesamte Hebeische Nacherzählung des N T . Diesen roten Faden gewinnt Hebel, indem er die Erzählung von der Ausbreitung des Evangeliums immer wieder zurückbezieht auf das Gleichnis vom Säemann (Mk 4,1 ff), das er Mk 4,14 (,der Säemann säet das Wort') folgend so erklärt: „Der Same ist das Wort Gottes, die Lehre. Der Säemann säet das Wort" 4 4 4 . U n d dann benutzt Hebel die Naturmetaphorik, um die Situation der Kinder biblisch abzubilden. Die Kinder werden mit dem Gleichnis vom Säemann und dem Acker insofern gleichzeitig, als sie in der Schule sitzend sich auf eben einem solchen Acker befinden, in den das Wort Gottes und die Lehre gesät werden. „Was will ein Kind aus diesem Gleichniß und seiner Deutung abnehmen? Ist nicht die Schule einem solchen Acker gleich? Rührt nicht Jesus mit so manchem schönen Sprüchlein die zarten Herzen an, und säet das Wort?" 4 4 5 . Schon die Erzählungen von den beiden Aussendungen der Jünger werden auf dieses Gleichnis zurückbezogen, indem die Saat-Metaphorik wie4 4 2 Vorausmitteilung der Hebel-Edition, Transkription des Konvoluts Η 1 2 3 , Badische Landesbibliothek, fol. 56. 4 4 3 Hebel V, 204. 4 4 4 Ebd., 151. Zutreffend hier die knappe, fundierte Arbeit von Rienitz, Sabine, Johann Peter Hebels Biblische Geschichte, in: Entwurf 1/1986, p l 1—18, hier: p l 7 : „Damit greift Hebel zum gleichen Mittel, das auch die Bibel in ihren Gleichnissen verwendet, um mit Geschehnissen in der Natur Gottes Wirken und Reich zu verdeutlichen." 4 4 5 Hebel V, 152.

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der aufgenommen wird. „ D a s erstemal giengen die Jünger im Schutze Gottes hin, und verkündigten das Evangelium, und kamen wieder, nicht anders als wie Säeleute zu thun pflegen. Sie gehen hin und streuen die Saat aus, und kommen wieder heim. Hernach bekümmern sie sich weiter nicht mehr viel darum. Die fruchtbaren Sämlein liegen in der Erde, manches geht zu Grunde, aber die übrigen gehen selber auf, wenn ihre Zeit da ist. Ein andermal sendete Jesus siebenzig Jünger aus, je zwei und zwei, mit gleichen Befehlen und Ermahnungen, wie die zwölfe. Diese gingen gleichermaßen hin, und säeten das Wort, und kamen wieder heim" 4 4 6 . Und hierin besteht die Wirklichkeit des ewigen Wortes Christi, das er selbst und seine Jünger in seinem Auftrag gesät haben, daß es nach seiner Auferstehung und Himmelfahrt beginnt, Frucht zu tragen. Die Missionserfolge sind nicht der Jünger Werk allein, sondern zuerst das des zu Jesu Lebzeiten gesäten Wortes. „ D i e Saaten waren aufgegangen, die in den Tagen Jesu gesäet wurden. Die Zeit der Ernte gieng an" 4 4 7 . In der Nacherzählung der Christenverfolgung unter Saulus rekurriert Hebel noch einmal fragend auf die Metapher von den ersten Stürmen nach Pfingsten: „Denn was bewirkt das Ungewitter und der Sturm? Er trägt die fruchtbaren Samenkernlein weiter" 4 4 8 . Und

4 4 7 Ebd., 205. Ebd., 156. Ebd., 208. Daß Hebel die Art und Weise, wie die Natur aussät, mit biblischen Augen betrachtet, erhellt auch aus einem seiner frühesten Kalenderbeiträge, einem Stück aus dem ,Badischen Landkalender' von 1803: „Uber die Verbreitung der Pflanzen" (Hebel II, 7). In der Natur bewahrheitet sich das Gleichnis von der vierfachen Saat. „Wenn die Sturmwinde wehen, ... dann säet die Natur aus, und ist mit einer Wohlthat beschäftiget, während wir uns fürchten, oder über sie klagen und zürnen; ... und so wirds auf Flur und Feld, in Berg und Thal, auf First und Halden auch wahr, daß etliches auf dem Weg von den Vögeln des Himmels gefressen wird, etliches unter den Dornen zu Grund geht, etliches auf trockenem Felsengrund in der Sonnenhitze erstirbt, etliches aber gut Land findet, und hundertfältige Frucht bringt" (ebd., 9). Auch hier betrachtet Hebel die Aussaat der Natur im biblischen Sinne wie später in den BiblGesch, indem er seinen Blick auf die Natur von Mk 4,5ff leiten läßt. Und auch hier bindet Hebel die Betrachtung des Buches der Natur zurück an die Lehre ,de Providentia', indem er die biblischen loci classici Ps 104,27 und Ps 145,16 in die Erzählung einarbeitet. „Viele 1000 Thiere aller Art, von mancherley Natur und Bedürfnissen wollen auch genährt seyn, und warten auf ihre Speise zu seiner Zeit (seil. Ps 104,27; A.S.). Manche davon sind uns unentbehrlich und wir wissens wohl, ... und es muß doch wahr bleiben, woran wir uns selber so oft erinnern, daß sich eine milde Hand aufthut, und sättiget alles, was da lebet mit Wohlgefallen" (ebd., 11; Hervorhebung von mir). Die letztere Allusion baut in das Ps 145,16-Zitat statt des Verbs ,erfüllen' .sättigen' ein. 446

448

In denselben Kalenderbeitrag baut Hebel zur Illustration des Sachverhalts, daß der Sturm und der Wind die Samenkörner auf das Land verteilen, ein weiteres Psalmenzitat ein, nämlich Ps 148,7f (,Lobet den Herrn auf Erden, ihr Wallfische und alle Tiefen; Feuer, Hagel, Schnee und Dampf, Sturmwinde, die sein Wort ausrichten'): „Also müssen alle Kräfte und Elemente die wohlthätigen Absichten des Schöpfers befördern, Schnee und Regen, Blitz und Hagel, SturmWinde die seine Befehle ausrichten" (ebd., 10). Dieser Kalenderbeitrag kann in seiner Art, wie er Mk 4 und die Sprache des Psalters rezipierend die natürliche Aussaat mit biblischen Augen betrachtet, als eine frühe Vorarbeit Hebels für sein Spätwerk, die BiblGesch, bezeichnet werden, in denen die Saatmetaphorik einen cantus firmus bildet.

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auch der von Philippus getaufte Mohr (Apg 8,27ff) ist „ein Saatkorn, das weiter zog" 4 4 9 . Auch die Tätigkeit des Paulus wird an den roten Faden der Saatmetaphorik angeknüpft und durch sie erklärt. Denn Paulus ist es, der „die ganze Gegend, welche er zu durchreisen vermochte, in einen schönen Pflanzgarten des Christenthums verwandelt hatte" 4 5 0 . Hebel kann die Ausbreitung des Wortes Gottes deswegen im Buch der Natur wiedererkennen, da es die Bibel im Gleichnis vom Säemann selbst tut. Die Abbildung des Reiches Gottes in Gleichnissen, die die natürlichbiblische Sprache sprechen, ist Hebel Vorbild, von dem ausgehend er das N T einer natürlichen Relektüre unterzieht. Hebel vollzieht also das, was Karl Barth, sich langsam von seiner Phobie der natürlichen Theologie lösend, in K D IV,3 meint. „ ,Wahr' müßte also, angewendet auf solche andere Worte (seil, andere Worte neben dem einen Wort, das das Wort Gottes ist; A.S.), bedeuten, daß sie dasselbe sagen, was das eine Wort Gottes selbst sagt und daß sie daraufhin ebenso wahr wären wie dieses" 451 . Ausgangspunkt für das Programm, die anderen Worte auf das eine Wort Gottes zu beziehen, müssen - so Barth - die Gleichnisse Jesu sein. „Die neutestamentlichen Gleichnisse sind so etwas wie das Urbild der Ordnung, in welcher es neben dem einen Wort Gottes, durch dieses geschaffen und bestimmt, ihm genau entsprechend, ihm vollkommen dienend und darum in seiner Macht und Autorität auch andere, wahre Worte Gottes geben kann" 4 5 2 . Allerdings ist Barth nicht darauf zu sprechen gekommen, wie ihm diese Vermittlung von anderen und dem einen Wort bereits durch die Tradition, etwa durch die Theologie des Buches der Natur, vermittelt ist. Eine positive Rezeption dieses Theologumenons bleibt deswegen bei Barth aus. Anleitung für die Findung eines Konnexes zwischen Natur- und Bibelbuch ist bei Hebel die Bibel selbst. Hier davon zu sprechen, „daß Hebel ... aus geschichtlicher Terminologie in eine Naturmetaphysik springt" 453 , ist daher unsinnig. Denn Natur- und Bibel-Buch bewegen sich aufeinander zu

Hebel V, 210. Ebd., 21 lf. Passend ist daher auch der Broschureinband der ersten Auflage der „Biblischen Geschichten", der einen Säemann abbildet. Auf diesen Zusammenhang zwischen graphischer Gestaltung und dem Inhalt der „Biblischen Geschichten" hat Zentner hingewiesen (Einleitung, in: Ders. (Hg.), Johann Peter Hebel, Biblische Geschichten, Karlsruhe 1959, p l l ) : „Den Erstdruck ziert sodann auf der Titelseite die sinnige Vignette eines Sämannes; denn Gottes Saat soll durch die Biblischen Geschichten in die jungen Herzen ausgeworfen werden." 449 450

4 5 2 Ebd., p l 2 6 . Barth, Karl, K D IV,3, p l 2 3 . Wunderlich, a.a.O. (Anm. 31), p248. Auch die Meinung Zentners, a.a.O. (Anm. 450), p l 9 ist zu simplifizierend: „So geht für Hebel das Gotteserlebnis aus dem Naturerlebnis hervor. Die Naturfreude leitet ihn zur religiösen Erkenntnis." Die Betrachtung der N a t u r ist nach Hebel keine unmittelbare, wie in diesem Kapitel aufgezeigt wurde, sondern eine durchaus biblisch-hermeneutisch reflektierte. Die Natur wird bei Hebel nicht „rein v o m Herzen her geschaut", wie Oeftering, a.a.O (Anm. 129), p39 meint, sondern biblisch. E s kann daher 451

453

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und vermitteln sich per communicationem. Es handelt sich nicht um einen Sprung, sondern um einen eben biblisch vermittelten Übergang und Gegenwechsel zwischen Natur und Bibel. Beides reflektiert sich gegenseitig. Die Natur für sich genommen gibt keine Antwort, vielmehr muß das Wort Gottes, wie es durch die Apostel und Propheten den Menschen mitgeteilt worden ist, hinzutreten, wie Hebel in seinen Predigten sagen kann: „Es ist ein Wort, - fraget die ganze Schöpfung, - sie antwortet euch nicht. Fraget den zürnenden Donner, wenn er zwischen dem Feuer des Himmels daherfährt, er sagt es euch nicht" 4 5 4 . Deswegen begreift es Hebel auch in seinen Predigten wie in den „Betrachtungen", die er ja auch eine Predigt genannt hat, als Aufgabe eben der Predigt, die Natur biblisch lesbar zu machen. Ahnlich wie in den „Betrachtungen" verwandeln sich die Sterne in Bibelsprüche, z.B. in Hebr 4,9: „Schaue endlich über dich zu den Gestirnen des nächtlichen Himmels, sie flimmern auch dir durch Nacht und ängstliches Dunkel den Trost herab, daß noch eine Ruhe vorhanden sey dem Volke Gottes" 4 5 5 . So wie Hebel in den „Betrachtungen" sagt, der Mond sei „der eigentliche Hausfreund" 4 5 6 , so wird der Mond in dieser Predigt zum ersten Seelsorger, der den Menschen biblisch Trost spendet. Die Sterne verkündigen, daß die Menschen dereinst endzeitlich Wohnung nehmen werden beim Vater, der viele Wohnungen hat (Joh 14,2). Hebel bildet an dieser Stelle die Metapher vom ,Buch der Natur' um in die von der ,Tafel der Natur', weil für ihn die Natur wie im „Spaziergang" eschatologisch zum Schulraum wird: „Es liegt eine lehrreiche Tafel vor uns, sie steht auf der Erde und reicht bis an den sternenvollen Himmel, die Tafel der allverständlichen Natur. Sie rufts dem Sinn, der an ihr weilt, mit tausend und aber tausend harmonischen Stimmen zu: es ist ein Gott ... Auch du, о Mensch, mit deinen großen Anlagen stehest auf einer solchen Linie, und rückest auf ihr durch eine wohl eingerichtete Bildungsstätte weiter. Zwar unter deinen Füßen beleuchtet jede aufgehende Sonne Gräber, aber über deinem Haupte ruft dir der nächtliche Himmel die Worte Jesu nach: in meines Vaters Hause sind viele Wohnungen"457 (Joh 14,2). Der Naturforscher weist auf den Tag der endgültigen Belehrung voraus, da er in seinem Leben mit der Erforschung der Tafel der Natur nicht fertig wird. „Der Weiseste ist an der großen vollgeschriebenen Tafel der Natur und Erfahrungen ein Leben lang forschend gestanden, und hat am Ende desselben noch keinen Aufschluß" 4 5 8 . auch nicht die Rede sein von einem „Pantheismus christlicher Färbung" (a.a.O., p40). Die „Beziehung zwischen Gott und N a t u r " ist nicht „intuitiv" erschlossen, wie Oeftering (a.a.O., p46) meint, sondern durch die Lektüre der Bibel und des Naturbuches. Den „naive(n), frommbäuerliche(n) Sinn Johann Peter Hebels" (a.a.O., p47) gibt es in derart unreflektierter Weise nicht. 4 5 4 Hebel, SW VI, 203f. 4 5 5 Hebel, SW V, 50. 4 5 6 Hebel III, 4 1 0. 4 5 7 Hebel, SW VI, 80f. 4 5 8 Ebd., 35.

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So werden Gegenstände und Vorgänge in der Natur nicht nur zu biblischen Buchstaben und Sprüchen; und Hebel kann sie auch in personifizierter Form ,Propheten' nennen, so in einer bisher unveröffentlichten Vorbereitung. Unter der Überschrift „Kranken u Leichentexte" 459 hat Hebel Gedanken aufgezeichnet, vielleicht, um eine Predigt vorzubereiten, jedenfalls beziehen sich die Gedanken auf den Text Jes 38,Iff. Das Diktum Jes 38,1 (,Zu der Zeit ward Hiskia todtkrank. Und der Prophet Jesaja ... kam zu ihm, und sprach zu ihm: So spricht der Herr: Bestelle dein Haus; denn du wirst sterben, und nicht leben') bildet Hebel an der Natur ab: „Der Stundenschlag der mich des Tages 12 mal erinnert, daß ich dem Ziel meiner Laufban näher rücke, der Untergang einer ieden Sonne, der Schluß eines Jahrs, das für mich ewig geschlossen ist, die alle Jahre aufblühende und wider absterbende Flur, der Schmerz, der in meinen Gliedern und in meinem innern wüthet ... sind für mich eben so viele Profeten, aus deren Munde ich die vernemlichen Worte höre: Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben u. nicht lebendig bleiben" 4 6 0 .

4 5 9 Vorausmitteilung der Hebel-Edition, Transkription des Konvoluts Η 123, Badische Landesbibliothek, fol. 128. 460

Ebd., fol. 129.

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4. Johann Georg Hamann und Hebel als Hermeneuten der Natur und als Pädagogen in Kondeszendenz Die Stellung Hebels in der zeitgenössischen Pädagogik I

Hebel hat einen Geistesverwandten, der eine Generation älter ist als er, der sein geistiger Ziehvater sein könnte, von dessen Theologie er beeinflußt gewesen sein könnte - es aber nicht ist. Nirgendwo ist eine Verbindungslinie historisch nachzuweisen zwischen dem ,Magus in Norden' und dem ,Hausfreund' im Süden. Dabei hat kaum einer neben Hebel so stark wie Hamann die sprachprägende Kraft der Luther-Bibel wiederentdeckt 461 , sich gegen die aufgeklärten verschlimmbessernden Gesangbuchrevisionen gewandt 462 und sich aus den Fesseln der auf die Vernunft fixierten Auf4 6 1 Vgl. Bayer, Oswald, Art.: Hamann, in: T R E X V I , p395^t03, bes. p397: „Die bildkräftige Sprache der Lutherbibel verflicht sich vielmehr in die Lebensgeschichte des Autors, in konkrete Gesprächssituationen, Begegnungen, publizistische Konstellationen, Rezensionen, Repliken, in die Antikritik und Metakritik." S. auch Hamann, Johann Georg, Briefe, ausgewählt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Henkel, Arthur, Frankfurt a.M. 1988, hier: Einleitung p X X X : „Wichtiger aber: nicht nur Hamanns Schriften, auch seine Briefe sind - wie gesagt - durchdrungen von der Sprache der Heiligen Schrift, und meist in der Verdeutschung Luthers. Der Leser sollte sie zur Seite haben."

Zu Hebel und dessen Verhältnis zur Luther-Sprache vgl. o. p l l - 2 1 und u. p l l 2 - 1 1 8 . 307-329 dieser Arbeit und darüber hinaus Willomitzer, Franz, Die Sprache und die Technik der Darstellung in J.P. Hebels rheinländischem Hausfreund, in: 20.Jahresbericht über die K.K. Oberrealschule in dem II. Bezirk von Wien, Wien 1891, p3-35. Auch Willomitzer spricht von einer starken Anlehnung der Hebeischen Sprache an die von Luthers Bibelübersetzung: „Das fortführende ,item' mag er (wie vielleicht auch Goethe) Luther entlehnt haben" (a.a.O., p8), „außerdem benützt er die adverbialen Genitive ,des Tages, des Morgens' durch Hinzufügung eines Adjectivs etc. (,gestrigs Tags...') zum Ausdruck einer bestimmten Zeit, wie sie z.B. auch Luther verwendet" (a.a.O., pl2), „auch die Stellung des Hilfsverbs im Nebensatze, wie sie Hebel liebt, ist der Volkssprache, sowie Luther ... geläufig, uns allerdings klingt sie als Regel schon fremd. Er schreibt: Das neue Jahr kommt wie ein Geist, der nicht gerne will beschrien sein" (pl9). Allerdings bleibt die genaue Vergleichung der syntaktischen und grammatikalischen Eigenheiten Hebels und Luthers zu sehr im Formalen stecken und geht nicht zu einer Beobachtung dessen über, wie die Sprache Luthers gerade in der Gestalt von dessen Bibelübersetzung im Werk Hebels wirkt. So weist Willomitzer biblische Zitate als Belege für die archaisierende Tendenz in Hebels Sprache aus, verifiziert aber nicht die biblischen Belege. „Die gleiche Alterthümlichkeit bekunden: ,sich seiner Hände Arbeit nähren' ... ,seines Glaubens leben'" (a.a.O., pl7). Es handelt sich hierbei um Zitate von Ps 128,2 (vgl. dazu u. p325 dieser Arbeit) bzw. von Hab 2,4. 4 6 2 Vgl. die „Betrachtungen zu Kirchenliedern", Hamann, Ν I, 250-297. Wilhelm Dilthey hat für die parallel zur Wiederentdeckung der Luther-Sprache sich bei Hamann vollziehende

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klärung und aus den Fängen einer im Kampf gegen diese Aufklärung steckengebliebenen, pervertierten Orthodoxie gelöst. Und vor allem: Die Hermeneutik des biblisch entdeckten Buches der Natur hätte Hebel von Hamann gelernt und übernommen haben können hat er aber nicht. Weder in Hebels Briefen, noch in seinen Exzerptheften 463 , noch in dem Verzeichnis der nach seinem Tod versteigerten Bücher 464 ist ein Hinweis auf Hamann zu finden. Das historische Erklärungsmodell der Kausalität und Korrelation 465 ist hier an einem Punkt angelangt, an dem es aufhört, Erklärungsmodell zu sein. Denn beide Theologen, Hebel wie Hamann, haben die Hermeneutik der beiden Bücher in einem Rekurs auf die Heilige Schrift und in einem von der Bibel her geleiteten Rekurs auf den Inhalt der orthodoxen Dogmatik parallel und unabhängig voneinander wiederentdeckt und sie in auf den ersten Blick ,undogmatisch' anmutenden Literaturgattungen umgesetzt: Hamann in den ,Biblischen Betrachtungen* und in seinen Studien zur Sprache vor allem, Hebel im Kalender, den,Biblischen Geschichten' und in den Briefen. Hamann, in London 1758 durch die Lektüre der Bibel .erweckt', als er merkte, daß Gott als der Autor der Bibel auch der Autor der Lebensgeschichte seiner selbst, Hamanns ist 466 , entdeckt die Kondeszendenz Gottes als Schriftsteller in die Bibel hinein. Hamann begreift von nun an die Entäußerung, die exinanitio, als ein göttliches Werk nicht nur der zweiten trinitarischen Person, sondern auch der ersten. Hamann unterwirft so die sich auf Phil 2,7 gründende Lehre von der exinanitio/κένωσις 467 einer Relektüre, die von der Trinitätslehre aus geschieht. Dem Augustinschen

Wiederentdeckung der Choralsprache einiges Verständnis, wenn er sagt: „Sein Spürsinn, der gleich dem Lessings für das Verachtete und Vergessene eine besondere Vorliebe hat, wird auch auf die Schätze des alten Kirchenliedes aufmerksam, während man eben begann, sie aus den Gesangbüchern zu entfernen" (Dilthey, Johann Georg Hamann, in: Wild, Reiner, (Hg.), Johann Georg Hamann, WdF 511, Darmstadt 1978, p44-90, hier: p61). Zu Hebels Stellung zu den Gesangbuchrevisionen und zur Rezeption der Choralsprache vgl. u. p309-329 u.ö. dieser Arbeit. 463 Badische Landesbibliothek Karlsruhe (Mss.), Η 84-86,93,122-124 (in Form von Transkriptionen als Vorausmitteilung der Hebel-Edition). 464 Zum „Verzeichniß..." vgl. Quellen-Verzeichnis. 465 Vgl. Gadamer, Hans-Georg, Art.: Kausalität II. in der Geschichte, in: R G G 3 Bd. 3, Sp. 1230-1232, besonders Sp. 1230: „Die Anwendung dieses Begriffes auf die Geschichte ist dagegen von vornherein problematisch, weil im Bereich des menschlichen Handelns mit einer K. ganz anderer Art gerechnet werden muß, die Kant K. aus Freiheit genannt hat." 466 Bayer, Oswald, Wer bin ich? Gott als Autor meiner Lebensgeschichte. Zum 250. Geburtstag von Johann Georg Hamann am 27. August 1980, in: Theologische Beiträge 11 (1980), p245-261. 467 Der Inhalt der altprotestantischen Dogmatik war Hamann aus seinem Studium wie wohl auch aus der Vielzahl der dogmatischen Kompendien bekannt, die er besessen hat. Vgl. dazu Biga Bibliothecarum, Hamann Ν V, Biga 29/209.214.216-218.220.222.

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„opera ad extra sunt indivisa" 468 folgend wird von der Entäußerung des Sohnes ausgehend auch die Entäußerung Gottes, des Vaters selbst, erkannt. Nicht nur creatio und conservatio sind nun „opera totius trinitatis", sondern auch die exinanitio, die bisher, dem klassischen Aufbau der Dogmatik seit Petrus Lombardus 469 folgend im dritten Buch (,de redemptione') allein dem Sohn zugeeignet worden ist. In der Art und Weise, wie Gott durch die Propheten und Apostel spricht, wird seine Herablassung und nicht nur seine Akkommodation an den menschlichen Geist, wie die Neologen meinen, sichtbar 470 . „Wie hat sich Gott der Vater gedemüthigt, da er einen Erdenkloß nicht nur bildete, sondern auch durch seinen Othem beseelte. Wie hat sich Gott der Sohn gedemüthigt! Er wurde ein Mensch, er wurde der Geringste unter den Menschen, er nahm Knechtsgestalt an, er wurde der unglücklichste unter den Menschen; er wurde für uns zur Sünde gemacht; er war in Gottes Augen der Sünder des ganzen Volks" 4 7 1 . Und von der Trinitätslehre herkommend schreibt Hamann folgerichtig auch dem Hl. Geist die exinanitio zu. „Wie hat sich Gott der heilige Geist erniedrigt, da er ein Geschichtsschreiber der kleinsten, der verächtlichsten, der nichts bedeutendsten Begebenheiten auf der Erde geworden, um dem Menschen in seiner eigenen Sprache, in seiner eigenen Gechichte (sie!), in seinen eigenen Wegen der Rathschlüsse, die Geheimnisse und die Wege der Gottheit zu offenbaren?" 472 Hamann lenkt nicht einfach zurück auf die Orthodoxie, er ist kein verknöcherter Orthodoxist, der mit allen (als Antwort auf die aufgeklärte Theologie nun seinerseits rationalen) Beweismitteln versucht, den alten Lehrbestand erweislich zu machen 473 . Sondern Hamann bringt die ortho-

4 6 8 Vgl. Hutter, a.a.O. (Anm. 282), p53: „Creatio est actio externa totius Trinitatis: qua Deus res omnes ... ex nihilo condidit." Als actio externa ist auch die conservatio eine Handlung der ganzen Trinität. Vgl. auch Gerhard, Johann, a.a.O. (Anm. 266), torn. II, ρ 16. 4 6 9 Vgl. den Aufriß von Petrus Lombardus, Magistri Petri Lombardi Sententiae in IV Libris Distinctae, Editio Tertia. Ad Fidem Codicum Antiquiorum Restituta, cur. PP. Collegii S. B o naventurae Ad Claras Aquas; 2 torn. Grottaferrata 1 9 7 1 - 1 9 8 1 . 4 7 0 Zur Akkommodation vgl. plOO dieser Arbeit. 4 7 1 Hamann, Ν I, 91. Vgl. auch Ν I, 10: „Ferner, Gott hat sich so viel möglich bequemt und zu der Menschen Neigungen und Begriffe, ja selbst Vorurtheilen und Schwachheiten heruntergelassen." 4 7 2 Hamann Ν I, 91. Richtig hierzu Schreiner, Helmuth, Die Menschwerdung Gottes in der Theologie Johann Georg Hamanns, Tübingen/Stuttgart 2 1 9 5 0 , p31: „Theologiegeschichtlich gesehen liegt jedoch Hamanns Bedeutung ... in dem Tatbestand, daß er mit der Kondescendenz Gottes auch im Bereich des I. und III. Artikels Ernst gemacht hat." 4 7 3 Hier unterscheidet sich Hamann grundsätzlich von Siegmund Jacob Baumgarten und von Johann Melchior Goeze, die beide auf ihre Weise versuchten, gegen die Anwürfe der Aufklärung u.a. mithilfe des Christian Wölfischen Subsumptionsverfahrens den Inhalt der orthodoxen Lehre erweislich zu machen' - ein Lieblingswort Baumgartens. V o n nun an stand Vernunft gegen Vernunft. Zu dieser Frage vgl. die Arbeiten von Schloemann, Martin, Siegmund

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doxe Dogmatik der Sache nach neu zur Sprache, indem er sie einer Reinterpretation unterwirft, dergestalt, daß er sich die verschiedenen Lehren und Lehrinhalte gegenseitig beleuchten läßt. Hamann verhilft der altprotestantischen Orthodoxie zu ihrem eigentlichen Recht, indem er die verschiedenen loci miteinander verschränkt, was aber in der loci-Dogmatik selbst in nuce schon angelegt ist 474 . Hamann holt die Inhalte der orthodoxen Dogmatik aus ihrer Starre heraus, indem er die zum System geronnene Dogmatik einer Verflüssigung unterzieht. Er verflüssigt die Dogmatik, indem er die verschiedenen loci aufeinander zu in Bewegung setzt, die loci intertextuell liest und die Bewegung der Kondeszendenz zum die Lehre allbestimmenden Motor und Movens macht. Und diese Bewegung ist gleichzeitig und zuerst eine Bewegung auf das Fundament der Dogmatik zu: auf die Bibel, die das Ziel der exinanitio spiritus sancti ist: „Wie hat sich Gott der heilige Geist erniedrigt, da er ein Geschichtsschreiber der kleinsten ... Begebenheiten auf der Erde geworden" 475 . Gott hat sich erniedrigt, indem er nicht nur die menschliche Natur angenommen hat, sondern - und das gehört dazu - notwendig mit der menschlichen Natur auch die menschliche Sprache. So kann Hamann, indem er die Schriftlehre von der exinanitio der gesamten Trinität her begreift, die Inspirationslehre beibehalten, ohne mit der altprotestantischen Orthodoxie daraus eine notwendige Irrtumslosigkeit und Vollkommenheit (perfectio 476 ) abzuleiten 477 . Vielmehr besteht doppelt reflektiert die perfectio der Schrift gerade darin, daß sich in ihr die Demut Gottes in seiner Entäußerung zeigt. „Die göttliche Schreibart (erwählt) auch das alberne - das seichte - das unedle, um die Stärke und Ingenuität aller Profanscribenten zu beschäJacob Baumgarten. System und Geschichte in der Theologie des Überganges zum Neuprotestantismus, F K D G 26, Göttingen 1974 und Freund, Gerhard, Theologie im Widerspruch. Die Lessing-Goeze-Kontroverse, S t u t t g a r t / B e r l i n / K ö l n / M a i n z 1989. 4 7 4 E s ist ein Mißverständnis zu meinen, daß die loci-Dogmatik in starrer Weise eine Lehre nach der anderen abhandelt. Vielmehr stehen alle loci miteinander in Verbindung, was sich u.a. in dem differenzierten Verweisungssystem zeigt; vgl. hier nur das Huttersche Kompendium (a.a.O. (Anm. 282)). E s ist der interpretierenden Mitarbeit des Lesers überlassen, die verschiedenen loci aufeinander zu beziehen und hier die Heilige Schrift als das alle loci miteinander verbindende Medium zu entdecken. Außerdem wird es nötig sein, die loci-Dogmatik stärker im Kontext ihrer Verflüssigung in den zeitgenössischen Erbauungsbüchern, Chorälen und Predigten zu lesen. Eine Wiederentdeckung der Breite der Gattungen, in denen sich die Barockzeit artikuliert hat, bahnt sich jedoch z.Zt. an. Vgl. nur von katholischer Seite Herzog, Urs, Geistliche Wohlredenheit. Die katholische Barockpredigt, München 1991.

Hamann, Ν I, 91. Die perfectio gehört neben auctoritas, perspicuitas (seu claritas), sufficientia und efficacia zu den ,affectiones scripturae sacrae'. Vgl. zur perfectio Gerhard, Johann, a.a.O. (Anm. 266), torn. 1, p l 5 7 - 1 7 1 . 475

476

4 7 7 Vgl. Lindner, Helgo, Johann Georg Hamann über Bibel und Offenbarung, in: Theologische Beiträge 6 (1975), p l 9 8 - 2 0 6 , bes. p201: „Hamann widerspricht der orthodoxen Schriftlehre, die aus der wörtlichen Eingebung der Bibel nicht nur die sachliche Irrtumsfreiheit, sondern auch die sprachliche Vollkommenheit ableitete."

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men" 478 und hat „sich durch den Menschengriffel der heiligen Männer, die von ihm getrieben worden, sich eben so erniedrigt und seiner Majestät entäußert" 479 . Die Schreibart des NT ist dem genus humile dicendi gleich 480 . Modern und neu ist, daß Hamann empirisch die Entartung der französischen Sprache in London und Berlin betrachtet und diese Beobachtung in Analogie zu der Entartung der griechischen Sprache in Israel setzt 481 . Mit dieser Argumentation richtet sich Hamann gegen die Untersuchung des Gräzisten G.D. Курке, der zu dem Ergebnis gekommen war, daß das Griechisch des NT nicht auf der Höhe des attischen stehe 482 . Richtig ist, daß Hamanns Schriftlehre der exinanitio fundamental unterschieden ist von der Akkommodationslehre eines Johann Salomo Semler. Nach Semler ist die Akkommodation eine Anbequemung Gottes an gewisse zeitbedingte mythologische Vorstellungen, die bei höherer rationaler Einsicht des Menschen überflüssig werden und ausgeschieden werden müssen 483 . Gott duldet also eine uneigentliche Redeweise, an die er sich vorübergehend anpaßt. Für Hamann dagegen ist die „Niedrigkeit der Schrift nicht ein Zugeständnis an einen niederen Bildungsgrad vergangener Geschlechter, sondern immer Gottes eigene, von ihm voll intendierte Redeweise" 484 . Implizit spiegelt sich hier aber darüber hinaus ein besonderer Akzent der Hamannschen Christologie, die der Martin Luthers entspricht. Der status exinanitionis ist nicht eine mit der Erhöhung Christi vergangene historische Zeitspanne, sondern Christus ist auch sitzend zur Rechten Gottes noch in der Entäußerung, was sich im genus humile dicendi Gottes spiegelt. So ist auch diese niedrige Redeweise Gottes nicht Kennzeichen eines zu einer bestimmten Zeit ergangenen Wortes, sondern die Niedrigkeit ist die Bestimmung, die dem Wort ewig anhaftet, genauso wie Christus auch als Erhöhter noch der Erniedrigte ist 485 . Insofern ist Hamann der Sache nach doch „Erneuerer der Orthodoxie" 486 , indem er die orthodoxe Lehre von der Theopneustie der Schrift mit 4 7 9 Ebd. 4 8 0 Ebd. 4 8 1 Ebd., 172. Hamann, Ν II, 171. Vgl. Lindner, a.a.O. (Anm. 477), p l 9 9 . 4 8 3 S. Hornig, Gottfried, Hermeneutik und Bibelkritik bei Johann Salomo Semler, in: Reventlow, Henning Graf, Spam, Walter, Woodbridge, John, (Hgg.), Historische Kritik und biblischer Kanon in der deutschen Aufklärung, Wolfenbütteler Forschungen 41, p 2 1 9 - 2 3 6 . 4 8 4 Lindner, a.a.O. (Anm. 477), p205. 4 8 5 Diese Entdeckung ist nicht neu bei Karl Barth, wenn er in K D IV,2 unter der Überschrift .Jesus Christus, der Knecht als Herr" (pl) in der These zu §64 sagt: ,Jesus Christus, der Sohn Gottes und Herr, der sich zum Knecht erniedrigt, ist auch der als dieser Knecht zum Herrn erhöhte Menschensohn" (ebd.). Daß der status exinanitionis mit der exaltatio nicht vorbei ist, ist bei Barth vielmehr eine Neuentdeckung dessen, was auch z.B. Luther sagen konnte: „Sihe da/dich fichtet manicherley sund an/nym hyn diß tzeychen/damit ich dir zusage/das die sund/nit dich alleyn/sondern meynen sun Christu(m) vnd alle seyne heylige(n)/yn hymell vnd erden/anficht" (Luther, Studienausgabe, hg. von Delius, Hans-Ulrich, Bd. 1, p275). 4 8 6 Gegen Lindner, a.a.O. (Anm. 477), p206. 478 482

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der ebenfalls orthodoxen Lehre von der exinanitio verschränkt und so den Begriff der perfectio scripturae sacrae neu füllt. Die perfectio der Schrift besteht in ihrer sprachlichen imperfectio. Die exinanitio Gottes hat schon begonnen mit der Schöpfung und mit der Geschichte der Menschen, indem Gott ihr Schriftsteller wurde 4 8 7 . Daher - so Hamann - kann man Gott nicht erkennen, ohne auch Natur und Geschichte zu betrachten. Hier überträgt Hamann der Sache nach die chalkedonensische Zwei-Naturen-Lehre auf die Hermeneutik. So wie göttliche und menschliche Natur ώσυγχύτως, άτρέπτως, ώδιαιρέτως, άχωρίστως sind, so kann man Gott nicht erkennen, wenn man ihn nicht auch in seiner Selbstkundgabe in statu exinanitionis betrachtet und d.h.: in Natur und Geschichte. Im Sinne des Chalkedonense heißt das aber auch: Das Vorhaben muß scheitern, Gott nur in der Schöpfung erkennen zu wollen. Deswegen polemisiert Hamann gegen den Physikotheologen William Derham 4 8 8 : „ E s fehlt uns noch ein Derham, der uns nicht den Gott der nackten Vernunft, daß ich so rede, sondern den Gott der heiligen Schrift im Reich der Natur aufdeckt; der uns zeigt, daß alle ihre Schätze nichts als eine Allegorie, ein mythologisch Gemälde himmlischer Systeme (ist)" 4 8 9 . Denn die Natur an sich ist stumm 4 9 0 . Es bedarf des Wortes Gottes, um

4 8 7 Bayer, a.a.O. (Anm. 466) hat gezeigt, daß Gott bei Hamann nicht nur Poet als Schöpfer und Erzähler ist, sondern auch als Autor der Lebensgeschichte der Menschen. Durch die A n rede wird der Mensch „aus leerer Subjektivität, öder Selbstbezogenheit und wüster Tiefe gerade herausgeführt und in die Weite der Schöpfung und Geschichte hineingestellt" (p255). Deswegen kann sich Hamann selbst in der vergangenen Geschichte des jüdischen Volkes wiedererkennen, die durch Gottes Autorenschaft von Lebensgeschichte zu neuer Aktualität gelangt: „Ich erkannte meine eigenen Verbrechen in der Geschichte des jüdischen Volks, ich las meinen eignen Lebenslauf, und dankte Gott für seine Langmuth mit diesem seinem Volk, weil nichts als ein solches Beyspiel mich zu einer gleichen H o f f n u n g berechtigen konnte" (Hamann, Ν II, 40; zit. bei Bayer, a.a.O. (Anm. 466), p254). Diese Beobachtung läßt sich wiederum mit dem Theologumenon der exinanitio fassen, was Bayer implizit auch tut, es jedoch nicht explizit so formuliert. N a c h d e m der Mensch der exinanitio Gottes in Bibel und N a t u r ansichtig geworden ist, kann er durch Gottes Wort angeredet sich selbst in die Entäußerung begeben und sich als Sünder in der ihm nun eigen gewordenen Sünde des Volkes Israel erkennen. So liest Hamann seine eigene Lebensgeschichte „als Geschichte Israels en miniature" (Bayer, a.a.O. (Anm. 461), p396), durch die Gott ihn auslegt. 4 8 8 Der ,Schlüssel' der Hamann-Ausgabe von Nadler meint ( Ν V, 92), das folgende Zitat beziehe sich auf John Denham, was jedoch v o m Zusammenhang dieses Zitates her ausgeschlossen ist. E s handelt sich eindeutig um eine Polemik gegen William Derham. 4 8 9 Hamann, Ν I , 304. 4 9 0 Richtig Lindner, a.a.O. (Anm. 477), p202: „ G e g e n die natürliche Religion der Deisten ... bezeugt Hamann den Gott, der in allen Stücken der Offenbarung eine und dieselbe Sprache spricht." So auch Seils, Martin, Theologische Aspekte zur gegenwärtigen Hamann-Deutung, Göttingen 1957, der p95 ausführlich die Arbeit von Schreiner, Helmuth, Die D e m u t Gottes in Johann G e o r g Hamanns Lebenskampf (in: Zeitenwende 15 (1938/39), p321-333) und Schreiner, a.a.O. (Anm. 472) referiert und aus der letzteren Arbeit zitiert: „ D i e Offenbarung Gottes in der Schöpfung ist dem natürlichen Menschen' verschlossen. Es gibt also keine natürliche Theologie" (Schreiner, a.a.O. (Anm. 472), p52).

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der Vernunft die Natur aufzutun. „Die Natur ist herrlich, wer kann sie übersehen, wer versteht ihre Sprache? Sie ist stumm, sie ist leblos für den natürlichen Menschen. Aber die Schrift, Gotteswort, die Bibel, ist herrlicher, ist vollkommener, ist die Amme, die uns die erste Speise giebt, die Milch, und die uns stark macht, allmählich auf unsern eigenen Füßen zu gehen; die das Zauberband des Satans über unsre Sinnen und unsre Vernunft hinwegnimmt" 491 . Wie bei Hebel bedarf es einer Hermeneutik, um die Natur zu verstehen; sie ist nicht von sich aus verständlich. „Alle Erscheinungen der Natur sind Träume, Gesichter, Räthsel, die ihre Bedeutung, ihren geheimen Sinn haben. Das Buch der Natur, und der Geschichte sind nichts als Chyffern, verborgene Zeichen, die eben den Schlüssel nöthig haben, der die heilige Schrift auslegt und die Absicht ihrer Eingebung ist" 492 . Aber worin nun besteht dieser Schlüssel? Darin, daß Gott selbst zum Ausleger des Naturbuchs wird durch sein eigenes Wort. „Was für ein versiegeltes Buch ist selbst die Natur ohne die Auslegung seines Geistes und ihres Schöpfers" 493 . Die Vernunft selbst kann nicht offenbaren, wenn sie auch es sich oft anmaßt. Vielmehr muß man die gegenseitige Beleuchtung der Offenbarungen Gottes in Natur und Geschichte einerseits und in seinem Wort durch die Bibel andererseits in die Auslegung der Bibel miteinbeziehen: „Gott hat sich geoffenbart den Menschen in der Natur und seinem Wort. Man hat die Ähnlichkeiten und die Beziehungen dieser beyden Offenbarungen noch nicht soweit auseinander gesetzt und so deutlich erklärt, noch auf diese Harmonie gedrungen ... beyde Offenbarungen erklären, unterstützen sich einander, und können sich nicht wiedersprechen, so sehr es auch die Auslegungen thun mögen, die unsere Vernunft darüber macht. Es ist vielmehr der gröste Wiederspruch und Mißbrauch derselben, wenn sie selbst offenbaren will" 494 . Der Unglaube dagegen, der Natur und Geschichte nicht per analogiam fidei verstehen will, gründet sich „auf eine seichte Physik und seichte Historie" 495 . Hamann baut Luthers Prinzip der Schriftauslegung, das „scriptura sacra sui ipsius interpres" 496 aus, indem er auf die Erbauungsliteratur und Dogmatik der Orthodoxen zurücklenkend als Gegenstand der Auslegung nicht nur die Bibel betrachtet, sondern auch die Natur. Luther hatte implizit die christologische Lehre von der communicatio idiomatum auf die Schrift übertragen. Denn der Satz, daß sich die Schrift selber Ausleger wird und ist, bedeutet ja nicht, daß es keiner Hermeneutik bedürfe. Besagt die Lehre von der communicatio idiomatum zunächst, daß Christus dem Chalkedonense gemäß fev δύο φύσεσιν ώσυγχΰτως, άτρέπτως, ώδιαιρέτως,

491 493

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Hamann, Ν I, 91. Ebd., 148 .

492 494

Ebd., 308 (Hervorhebung von mir). 495 496 Ebd., 8f. Ebd., 9. Luther, WA 7,97.

ίιχωριστως dergestalt ist, daß mittels einer περιχώρησις die jeweiligen Ιδιότηται der einen φύσις auch der jeweils anderen zugeeignet werden 497 , so daß man auch sagen kann: „ O große Not, Gott selbst liegt tot" 4 9 8 , so hat Luther in seiner Hermeneutik das auf die Schrift angewandt. Die Schrift legt sich als ihr eigener interpres dadurch aus, daß die jeweils eine Schriftstelle sich entäußert, durch die andere hindurchgeht und sich darin auslegt 499 . Hierin besteht die claritas der Schrift 500 . In diesem Sinne ist Hamann ein Theologe, der auf Luther zurückgreift, der aber nicht falsch verstanden eine vergangene theologiegeschichtliche Epoche ungebrochen und zwanghaft zu neuem Leben erwecken will, sondern im Sinne Luthers mit Luther über ihn hinausgeht. Die communicatio idiomatum wird bei Hamann nicht nur auf die Schriftlehre übertragen, sondern darüber hinaus auch noch auf die Hermeneutik des Bibel- und Naturbuches. Es bedarf der Entäußerung der Hl. Schrift, damit sie sich durch eine Perichorese auf das Naturbuch zubewegt, durch es hindurchgeht und es so verständlich macht. Das ist bei Hamann Luther gegenüber neu, steht aber in der Tradition Luthers insofern, als dieser ja die communicatio idiomatum zum seine Theologie alldurchwalten-

4 9 7 „ U n d dies ist die Art der Wechselmitteilung (ίιντίδοσις): Jede Natur teilt der anderen ihre Eigenheiten mit wegen der Identität der Hypostase und wegen ihres gegenseitigen Ineinanderseins (6Ux τήν ε ί ς άλληλα α ϊ τ ώ ν περιχώρησιν)" (Johannes Damascenus, Expositio fidei 48, cur. Kotter, Bonifatius, PST 12, B e r l i n / N e w Y o r k 1973, p l l 7 ) . 4 9 8 E K G 73,2 dahingegen seit der Revision dogmatisch ungebildet: „ O große N o t ! Gotts Sohn liegt tot." 4 9 9 Luther ist m.E. als derjenige anzusehen, der die communicatio idiomatum im eigentlichen Sinne zu ihrem Recht hat kommen lassen, indem er sie nicht nur zu einem wichtigen Brennpunkt seiner Theologie machte, sondern den Austausch der proprietates als wirklich gleichberechtigten formulierte. In gleicher Weise wie der menschlichen Natur die göttlichen idiomata zugeeignet werden, so werden auch der göttlichen N a t u r die idiomata der menschlichen zu eigen. Bei Johannes Damascenus dagegen ist zu beobachten, daß er von einer Zueignung der idiomata der menschlichen N a t u r auf die göttliche doch erst nach der Verherrlichung des Leibes und der menschlichen N a t u r reden kann. Daher können die Leiden der menschlichen Natur doch nicht im eigentlichen Sinne der göttlichen N a t u r zugeschrieben werden. Hierher rührt das Gleichnis, das der Damascener anführt: ,,Ώσπερ γ ΐ ι ρ ήλιου δένδρω £πιλάμποντος ε ΐ ίιξίνη τέμνοι τ b δένδρον, ϋτμητος καΧ (ιπαθής διαμένει b ήλιος, πολλώ μάλλον ή β π α θ ή ς τοϋ λόγου θεότης, καθ' ΰπόστασιν ήνωμένη trj σαρκΐ της σαρκός πασχούσης διαμένει Απαθής" (Johannes Damascenus, Expositio fidei 69, a.a.O. (Anm. 497), pl69). Luther dagegen hat die Lehre von der communicatio bis hinein ins genus tapeinoticon formuliert, sie zum Grundstein seiner Abendmahlslehre und der Lehre von der Ubiquität auch der menschlichen N a t u r gemacht, sie in seinem berühmten Diktum v o m .fröhlichen Tausch und Wechsel' auf das ,pro nobis' hin formuliert und sie zum Maßstab gemacht, um mittels ihrer die altkirchlichen Häresien zu unterscheiden: „Nestorius will die Idiomata der Menschheit nicht geben der Gottheit in Christo ... wiederum Eutyches will die Idiomata der Gottheit nicht geben der Menschheit" (Von den Konziliis und Kirchen, Münchner Ausgabe Ergänzungsreihe Bd. 7, München 1963, p82). 500

Luther, D e servo arbitrio, a.a.O. (Anm. 485), Bd. 3, p l 8 5 passim.

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den Prinzip gemacht hatte. Denn Luther hatte schon die illuminatio der natürlichen Vernunft auch als eine durch eine communicatio idiomatum vermittelte formuliert. Indem Christus mit dem Menschen in einen ,,fro(e)lich(en) wechßel vnd streytt" 501 tritt - hier wird die communicatio idiomatum in die Richtung auf das ,pro nobis' hin formuliert indem also die Gottheit Christi durch unsere Menschheit hindurchgeht und unsere Sünde auf sich lädt, erwirkt er pro nobis die eschatologische illuminatio der Vernunft. An herausragender Stelle nun stellt Hamann die communicatio idiomatum als „ein Grundgesetz und ... Hauptschlüssel aller unsrer Erkenntniß" 5 0 2 heraus, in der Schrift „Des Ritters von Rosencreuz letzte Willensmeynung über den göttlichen und menschlichen Ursprung der Sprache" 503 . Der Ursprung der Sprache ist nach Hamann sowohl göttlich als auch menschlich. Der Schöpfer ist als Autor des Schöpferwortes ,es werde' auch Schöpfer der menschlichen Sprache: „So ist allerdings der Ursprung der menschlichen Sprache göttlich" 504 . Aber weil sich Gott in die menschliche Sprache herablassen mußte, um den Menschen sich verständlich zu machen, ist der Ursprung der Sprache auch menschlich: „Wenn aber ein höheres Wesen, oder ein Engel, wie bey Bileams Esel, durch unsre Zunge wirken will; so müssen alle solche Wirkungen, gleich den redenden Thieren in Aesops Fabeln, sich der menschlichen Natur analogisch äußern, und in dieser Beziehung kann der Ursprung der Sprache und noch weniger ihr Fortgang anders als menschlich seyn und scheinen" 505 . D.h. die Herablassung Gottes in die menschliche Sprache geschieht durch die Perichorese, per communicationem idiomatum. Hier überträgt Hamann eine christologische Lehre auf den ersten Artikel, so wie er auch die Lehre von der exinanitio, die traditionell in der Christologie loziert war, im locus ,de Deo' abhandelt. Die Bewegung Gottes zwischen Göttlichem und Menschlichem, die sich von Anfang an darin vollzieht, daß er als Gott menschlich spricht, ist die Bedingung der Möglichkeit seiner Kondeszendenz. „Wenn man Gott zum Ursprung aller Wirkungen im Großen und Kleinen, oder im Himmel und auf Erden, voraussetzt; so ist jedes gezählte Haar auf unserm Haupt eben so göttlich, wie der Behemoth ... Alles Göttliche ist aber auch menschlich; weil der Mensch weder wirken noch leiden kann, als nach der Analogie seiner Natur ... Diese communicatio göttlicher und menschlicher idiomatum ist ein Grundgesetz und der Hauptschlüssel aller unsrer Erkenntniß und der ganzen sichtbaren Haushaltung"506. Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, a.a.O. (Anm. 485), p277. 5 0 3 Ebd., 2 5 - 3 3 , hier: 25. 5 0 4 Ebd., 27. 505 Hamann, N III, 27. Ebd. 5 0 6 Ebd. Vgl. hierzu Schreiner, a.a.O. (Anm. 472), p29ff, der aber nicht sieht, daß Hamann hier Luther rezipiert, indem er über ihn hinausgeht und damit fortfährt, die communicatio idiomatum zum Prinzip der Theologie zu machen. 501

502

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So wie Gott sich durch die communicatio idiomatum in die Schöpfung und in die menschliche Sprache hineinbegeben hat, so bedarf es auch einer communicatio idiomatum, um das Naturbuch zu verstehen. Die Schöpfung ist „eine Rede an die Kreatur durch die Kreatur; denn ein Tag sagts dem andern, und eine Nacht thuts kund der andern (seil. Ps 19,3; A.S.)" 507 . Aber: „Wir haben an der Natur nichts als Turbatverse und disiecti membra poetae zu unserm Gebrauch übrig" 508 . Wie kann man solche ,Turbatverse' verstehen? Oder, wie Hamann fragt: „Wodurch sollen wir aber die ausgestorbene Sprache der Natur von den Todten wieder auferwecken?" 509 Und er richtet sich gegen die Deisten und die Orthodoxisten gleichzeitig, wenn er antwortet: „Weder die dogmatische Gründlichkeit pharisäischer Orthodoxen, noch die dichterische Üppigkeit sadducäischer Freygeister wird die Sendung des Geistes erneuren, der die heiligen Menschen GOttes trieb ... zu reden und zu schreiben" 510 . Sondern es bedarf einer Perichorese, die das Bibelbuch auf das Naturbuch zubewegt. Und in dieser Perichorese muß Gott selbst das bewegende und handelnde Subjekt sein. „Wenn Hiob uns die Natur aufschlüsset (sie!) und Gott uns in diesem Buch lehrt, wie wir die Werke seiner Schöpfung in einem wiederscheinenden Licht betrachten sollen, so finden wir im Salomo (seil, in den Prv; A.S.) einen Schlüssel zu dem, was man die große Welt, die Sitten oder den Umgang nennt" 511 . Und in dieser synoptischen Lektüre von Natur- und Bibelbuch liegt auch der Ursprung der menschlichen Sprache begründet. Gott ist durch seine Schöpfung in statu exinanitionis offenbar geworden, in der Schöpfung hat er sich „erschöpft" 512 , und er hat die menschliche Sprache angenommen und die Menschen dadurch göttlich die Sprache gelehrt. „Jede Erscheinung der Natur war ein Wort ... Alles, was der Mensch am Anfange hörte, mit Augen sah, beschaute und seine Hände betasteten, war ein lebendiges Wort; denn Gott war das Wort. Mit diesem Worte im Mund und im Herzen war der Ursprung der Sprache so natürlich, so nahe und leicht, wie ein Kinderspiel, denn die menschliche Natur bleibt vom Anfange bis zum Ende der Tage, eben so gleich dem Himmelreiche als einem Sauerteige, mit dessen Wenigkeit jedes Weib drey Scheffel Mehls zu durchgähren im Stande ist" 513 .

507

508 509 Hamann Ν II, 198 . Ebd., 198f. Ebd., 211. 511 Ebd. Hamann N 1 , 1 5 6 . 512 Hamann Ν II, 213. Beachte die kunstvoll Hebr l,lff nachgebildete Wendung: „Nachdem G O T T durch Natur und Schrift, durch Geschöpfe und Seher, durch Gründe und Figuren, durch Poeten und Propheten sich erschöpft, und aus dem Othem geredt hatte: so hat er am Abend der Tage zu uns geredt durch Seinen Sohn ..." (ebd.). 513 Hamann N III, 32. Beachte die Ineinanderwirkung verschiedener Bibel-Zitate ( l j o h 1,1 ff; Joh l,lff; Mt 13,33). Dazu Henkel, Arthur, Einleitung, a.a.O. (Anm. 461), pXV: „Eines seiner (seil. Hamanns; A.S.) meisterhaft gehandhabten stilistischen Mittel ist der Cento (was 510

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Hier kommt das Chalkedonense mit der Art, wie es das Verhältnis von göttlicher und menschlicher Natur bestimmt, in der Verhältnisbestimmung von menschlicher und göttlicher Sprache zu neuer Geltung. Und gleichzeitig ist es wiederum die communicatio idiomatum, die hier hermeneutisch zu ihrem Recht kommt. Das durch Gott in seiner Kondeszendenz menschlich-göttlich gesprochene Wort der Bibel wird auf das Wort der Schöpfung, die ebenfalls Gottes Herablassung veranschaulicht, zubewegt. Naturbuch und Bibelbuch tauschen ihre idiomata aus und befinden sich in einem sich gegenseitig auslegenden ,fröhlichen Tausch und Wechsel'. Hamann überträgt eben gerade nicht die Lehre von der Enhypostasie, die die vollständige Menschheit Christi in gewisser Weise rationalistisch entschärfen wollte 514 , auf die biblische Hermeneutik. Sondern Hamann bezieht sich zurück auf das Chalkedonense und seine harten Paradoxalformulierungen, die ihrerseits Ausdruck und Sprache des Staunens, Ausdruck dessen sind, daß die Menschwerdung über das der menschlichen ratio Greifbare hinausgeht (vgl. Phil 4,7). Auch bei Hamann ist die Vernunft wie bei Hebel keine statische Größe, die ein gleichbleibendes Vermögen des Menschen darstellt. Sondern bei beiden ist die ratio eine Größe, die in den eschatologischen Prozeß der Erneuerung der imago Dei hineingenommen werden muß. Dieser Prozeß ist ein hier und jetzt durch das Hören des Wortes Gottes schon anfangender. „Das Waarhaus der Vernunft" bedarf der „Schatzkammer des Glaubens" 5 1 5 , und „der Glaube, sagt der Apostel, kommt durchs Gehör, durchs Gehör des Wortes Gottes. Rom. Χ. 17" 5 1 6 . Es bedarf der Predigt, da die natürliche Vernunft sich darin vergreift, wenn sie sich zum Prüfstein des Wortes Gottes aufschwingt. „Leute, die sich Einsicht genug zutrauen, um eines göttlichen Unterrichts entbehren zu können, würden in jeder anderen Offenbarung Fehler gefunden haben, und haben keine nöthig. Sie sind die Gesunden, die des Arztes nicht bedörfen" 517 . Die natürliche Vernunft unterliegt den „Gaukelspiele(n), wodurch Satan unsere Sinne, Vernunft und im Lateinischen ,aus Lappen Genähtes' bedeutet). Als Begriff der Stilistik meint er: ineinander gewirkte Zitate. Hamann bildete sie vor allem aus Stellen der Heiligen Schrift." 5 1 4 Die chalkedonensische Formel τέλειον töv orfrtöv fev θεότητι κ α ι τέλειον τόν crtrtöv fev ίτνθρωπότητι wird durch die Lehre von der Enhypostasie des Leontius von Byzanz in gewisser Weise aufgelöst. Denn die menschliche Natur erhält eine Hypostase erst, indem sie in der Einigung die Hypostase des L o g o s erhält. Hierin ist eine monophysitische Tendenz zu erkennen. Hatte Apollinaris von Laodikea noch der Menschheit Christi die ψυχή abgesprochen, so muß die menschliche Natur bei Leontius sozusagen auf eine eigene Hypostase verzichten. Das ist bei Hamann in dessen Verhältnisbestimmung von göttlicher und menschlicher Sprache gerade nicht analog gemeint. 5 1 5 Hamann, Ν I, 298. Zutreffend ist, was Martin Seils (Wirklichkeit und Wort bei Johann G e o r g Hamann, A z T h 6, Stuttgart o.J., p26) sagt, daß nämlich Gott „den Verstand zum Wort ruft, dem er entstammt und von dem er sich nur in einem gründlichen Mißverständnis seiner selbst zu lösen vermag." 5 1 6 Hamann, Ν I, 298. 5 1 7 Ebd., 10.

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H e r z b e z a u b e r t " 5 1 8 . E r s t v o n d e r P r e d i g t des g ö t t l i c h e n W o r t e s aus k a n n der M e n s c h „ d e n F i n g e r G o t t e s 5 1 9 in d e m v e r ä c h t l i c h s t e n U n g e z i e f e r erk e n n e n " 5 2 0 wie einst die ä g y p t i s c h e n Z a u b e r e r , die gegen M o s e auftraten (vgl. E x 8 , 1 5 ) . H a m a n n hat die B e w e g u n g der K o n d e s z e n d e n z n i c h t n u r in einer a b strakten, einsam bleibenden T h e o l o g i e neu z u m P r i n z i p g e m a c h t , s o n d e r n er hat sie a u c h in seiner t h e o l o g i s c h e n P ä d a g o g i k u m g e s e t z t u n d z u r A n w e n d u n g gebracht. A l s H o f m e i s t e r hatte H a m a n n bereits als P ä d a g o g e gew i r k t 5 2 1 , so wie I m m a n u e l K a n t a u c h 5 2 2 , so d a ß es nicht v e r w u n d e r l i c h ist, daß es z w i s c h e n d e n beiden z u d e m P l a n k a m , eine K i n d e r p h y s i k z u v e r fassen, w o b e i m a n v o n C h a r l e s Rollin, der bereits ein solches B u c h verfaßt h a t t e 5 2 3 , w o h l d e n Titel, nicht aber d e n Inhalt ü b e r n e h m e n w o l l t e 5 2 4 . D i e ses B u c h ist nie geschrieben w o r d e n , da es z u inhaltlichen w i e p e r s ö n l i c h e n D i f f e r e n z e n z w i s c h e n H a m a n n u n d K a n t g e k o m m e n ist, die R e i n e r W i l d t r o t z der spärlichen Q u e l l e n l a g e einleuchtend aufgezeigt h a t 5 2 5 . F ü r uns ist v o r r a n g i g die p ä d a g o g i s c h e P o s i t i o n H a m a n n s v o n Interesse, weil sie zeigt, d a ß seine eben skizzierte T h e o l o g i e in seiner P ä d a g o g i k ihr n o t w e n d i g e s K o r r e l a t u n d gleichzeitig einen K o m m e n t a r hat. Ebd., 69. Hier nimmt Hamann wohl die alte Formel auf, die sich auch bei Raimundus Sabundus findet, daß nämlich die universitas „digito Dei scripta" sei (Theologia naturalis seu Uber creaturarum, Faksimile-Neudruck der Ausgabe Sulzbach 1852. Mit literargeschichtlicher Einführung und kritischer Edition des Prologs und des Titulus I von Stegmüller, Friedrich, Stuttgart-Bad Canstatt 1966, p*35). Vgl. aber auch schon Augustin, Quaest. in Hept. 11,25 (CCSL 33,79,347-349) in der Auslegung von Ex 8,19 und ders., Sermo VIII,18 (CCSL 41,99,554f) und ders., Enarr. in Ps 8,4 (CCSL 38,52). 5 2 0 Hamann, Ν I, 9. 5 2 1 Zu Hamanns Hofmeister-Tätigkeit vgl. Bayer, a.a.O. (Anm. 461), p395. 5 2 2 Zu Kants Hofmeister-Tätigkeit vgl. Vorländer, Karl, Immanuel Kants Leben, neu hg. von Malter, Rudolf, Hamburg 4 1986 (1911), p31-38. 523 Ygj к 0 Ц; П ) Karl, Naturlehre zum Unterricht und Vergnügen der Jugend, o.O. 1767 (vorh.: HAB Na 100). Dieses Buch wiederum findet sich abgedruckt im Vorspann folgender deutschen Ausgabe von Derham, William, Physico Theologie, Oder Natur-Leitung zu Gott ... nebst einer Aufmunterung des Herrn Carol Rollins, die Jugend bey Zeiten zur Liebe ihres Schöpffers durch Betrachtung der Creaturen anzuführen, zum Druck befordert von Jo. Alberto Fabricio. Dritter Druck. Hamburg 1736 (vorh.: HAB Na 38b) (Hervorhebung von mir). Abdruck des Büchleins von Rollin hierin: pA5-C6. 5 2 4 Zum Ganzen vgl. die Rekonstruktion des historischen Herganges bei Graubner, Hans, Physikotheologie und Kinderphysik. Kants und Hamanns gemeinsamer Plan einer Physik für Kinder in der physikotheologischen Tradition des 18.Jahrhunderts, in: Gajek, Bernhard, und Meier, Albert, (Hgg.), Johann Georg Hamann und die Krise der Aufklärung. Acta des fünften Internationalen Hamann-Kolloquiums in Münster i.W. (1988), Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft, Reihe B, Bd. 46, Frankfurt a.M. u.a. 1988, pl 17-145, hier bes. pl24-128. 5 2 5 Wild, Reiner, Natur und Offenbarung. Hamanns und Kants gemeinsamer Plan einer Physik für Kinder, in: Geist und Zeichen, FS Henkel, Arthur, hg. von Anton, Herbert, u.a., Heidelberg 1977, p452-468. 518

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Zum ersten stehen die Überlegungen, die Hamann in drei Briefen an Kant 526 anstellt, ganz auf der Linie seiner Hermeneutik des Buches der Natur, zu dem das Bibelbuch hinzutreten muß. „Die Natur ist ein Buch, ein Brief, eine Fabel (im philosophischen Verstände) ... Es gehört also mehr dazu als Physik um die Natur auszulegen. Physik ist nichts als das Abc. Die Natur ist eine Aequation einer unbekanten Größe; ein hebräisch Wort, das mit bloßen Mitlautern geschrieben wird, zu dem der Verstand die Puncte setzen muß" 5 2 7 . Richtig weist Wild darauf hin, daß die Natur für Hamann nicht einfach Erkenntnisobjekt ist, „das der Verfügungsgewalt der Vernunft unterworfen ist, sondern Wirklichkeit, in der sich der Mensch immer schon vorfindet", daß also „Natur auszulegen, nicht zu erkennen sei" 528 . Deswegen kommt es darauf an, wiederum das Bibelbuch als Auslegung des Naturbuches heranzuziehen, den Schöpfungsbericht für eine Kinderphysik neu zu entdecken, also „auf dem hölzernen Pferde der mosaischen Geschichte zu reiten" 529 , d.h. sich des Spielzeuges der Kinder zu bedienen, um mit ihnen gleichzeitig und -förmig zu werden, denn: „Was Ihnen ein holtzern Pferd vorkommt, ist vielleicht ein geflügeltes" 530 schreibt Hamann an Kant. Eine Belehrung der Kinder über die Natur kann nach Hamann also nicht bei geschlossener Bibel stattfinden. Gerade gegen die zeitgenössische Tendenz komme es darauf an, den „verworfene(n) Eckstein der mosaischen Geschichte oder Erzählung" 531 als pädagogisches Medium wiederzuentdecken. Die Bibel als Eckstein soll es sein, die das Lehrgebäude einer Kinderphysik zusammenhält. Und Voraussetzung für eine Pädagogik des Buches der Natur ist es, sich in die Kinder, denen die Natur als Schöpfung Gottes nahegebracht werden soll, hineinzuversetzen. „Sie (seil. Kant; A.S.) sind in Wahrheit ein Meister in Israel 532 , wenn Sie es für eine Kleinigkeit halten, sich in ein Kind zu verwandeln, trotz Ihrer Gelehrsamkeit" 533 . In einer Kinderphysik darf nicht nur die Natur Gegenstand der wissenschaftlichen Bemühungen sein, sondern das Kind selbst muß thematisiert werden. „Zu Ihrem Entwurf (gehört) eine verzügliche Kenntniß der Kinderwelt, die sich weder in der galanten noch akademischen erwerben läßt" 534 . Dieses Interesse Hamanns an den Kindern kann man jedoch nicht als eine Neuigkeit einer etwa empirisch-aufgeklärten Pädagogik verbuchen. Hier wird keine Pädagogik neu entwickelt, die dann Gefahr laufen könnte, das Kind an die Stelle des Lehrinhaltes zu setzen. Sondern

5 2 6 Die drei Briefe an Kant, die Kinder-Physik betreffend befinden sich: Hamann, Johann Georg, Briefwechsel, Bd. 1, hg. von Ziesemer, Walther, und Henkel, Arthur, Wiesbaden 1955 (zit.: Z H I), p 4 4 4 - 4 5 3 . 5 2 7 Hamann, Z H I, 450. 5 2 8 Wild, a.a.O. (Anm. 525), p467. 5 2 9 Hamann, Z H I, 447. 5 3 0 Ebd., 451. 5 3 1 Ebd., 446. Beachte die Anspielung auf Ps 118,22 = Mt 21,42. 5 3 2 Beachte die Anspielung auf J o h 3,10. 5 3 3 Ebd., 445 . 5 3 4 Ebd.

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die Thematisierung des Kindes ist vielmehr theologisch begründet und motiviert und durch den Lehrinhalt selbst evoziert. Denn nachdem Gott selbst in der Schöpfung und in seiner Schriftstellerei, in der er die Schöpfung in einfacher Sprache ge- und beschrieben hat, sich in die Kondeszendenz begeben hat, kann ihm nun auch der Lehrer in dieser sich seiner selbst entäußernden Bewegung nachfolgen. U m ein Physiklehrbuch zu schreiben, bedarf es deswegen einer doppelten exinanitio des Pädagogen: Er muß selbst Kind werden. Und er muß sich in die biblische Sprache erniedrigen, in die sich schon Gott selbst herabgelassen hat, indem nun auch der Pädagoge sie spricht. „Sich ein Lob aus dem Munde der Kinder und Säuglinge zu bereiten! - an diesem Ehrgeitz und Geschmack Theil zu nehmen, ist kein gemeines Geschäfte, daß man nicht mit dem Raube bunter Federn, sondern mit einer freywilligen Entäußerung aller Überlegenheit an Alter und Weisheit, und mit einer Verläugnung aller Eitelkeit darauf anfangen muß. Ein philosophisches Buch für Kinder würde daher so einfältig, thöricht und abgeschmackt aussehen müssen, als ein Göttliches Buch, das für Menschen geschrieben" 535 . Das hat auch Wild richtig gesehen 536 , hat aber nicht erhoben, daß Hamann diese Forderung, nämlich die Bibelsprache pädagogisch zu nutzen, hier nicht als ein abstraktes Programm formuliert, sondern diese Methode, indem er sie bei Kant einklagt, schon anwendet und vollzieht. Deswegen bildet Hamann in dem angeführten Zitat einen Cento aus verschiedenen Bibelstellen, indem er eingangs Ps 8,3 zitiert, dann auf Phil 2,6f (,hielt er's nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst') 537 anspielt, um dann aus Lk 2,52 (Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade') eine negative Aussage zu formulieren. Der Pädagoge muß also darin Gott, dem Schöpfer, ähnlich werden, daß er sich seiner selbst entäußert und die Sprache, in die hinein Gott sich entäußert hat, pädagogisch umsetzt, um das Werk der Kondeszendenz Gottes, die Schöpfung, den Kindern nahezubringen. Aber dennoch ist auch das nichts Neues, den Menschen im Dienst am Nächsten als in der Entäußerung befindlich zu kennzeichnen und so als in der Nachfolge Christi stehend zu begreifen. Vielmehr ist auch das wiederum eine biblische Kategorie. Denn schon Paulus ist es, der durch das durch Christus in statu exinanitionis getätigte Versöhnungswerk frei geworden ist, als δούλος Χρίστου (Rom 1,1; Phil 1,1 u.ö.) sich seiner zu entäußern und den Juden ein Jude zu werden und den Heiden ein Heide (IKor 9,20ff). Hamann begreift sich als in der Reihe der Zeugen, in der Reihe des Paulus stehend, wenn er meint, pädagogische Maxime müsse sein, Diener der Kinder Gottes zu werden. „Das größte Gesetz der Methode für Kinder besteht also 535 536 537

Ebd. Vgl. die Anspielung an IKor l,20ff. Vgl. Wild, a.a.O. (Anm. 525) p456f. Diesen Bezug zumindest hat Graubner, a.a.O. (Anm. 524), pl32 richtig gesehen.

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darinn, sich zu ihrer Schwäche herunterzulaßen; ihr Diener zu werden, wenn man ihr Meister seyn will; ihnen zu folgen, wenn man sie regieren will; ihre Sprache und Seele zu erlernen, wenn wir sie bewegen wollen die unsrige nachzuahmen. Dieser practische Grundsatz ist aber weder möglich zu verstehen, noch in der That zu erfüllen, wenn man nicht, wie man im gemeinen Leben sagt, einen Narren an den Kindern gefressen hat, und sie liebt, ohne recht zu wissen: warum?" 5 3 8 . Erst dann, wenn der Pädagoge im paulinisch-biblischen Sinne Knecht wird, kann er in der Entäußerung Gott ähnlich werden, der auch in der Entäußerung war, als er sechs Tage dazu brauchte, um die Schöpfung hervorzubringen. Dann wird auch der Pädagoge in sechs Tagen sein Werk vollenden: „So können Sie (seil. Kant; A.S.), H.H. in Zeit von sechs Tagen sehr gemächlich der Schöpfer eines ehrlichen, nützlichen und schönen Kinderwerks werden" 539 . Aber auch die Rede Hamanns davon, daß es darauf ankomme, als Lehrer „die Stelle des Kindes zu vertreten" 540 , ist theologisch fundiert. Der Pädagoge muß sich nicht nur in die Entäußerung begeben, sondern er darf auch das von Christus in statu exinanitionis gewirkte Werk nachahmen, indem er die Kinder stellvertritt. So wie der, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht wurde (2Kor 5,21), so muß der erwachsene Pädagoge diese Bewegung im Kleinen nachvollziehen, indem er als Erwachsener, der von keiner Kindheit mehr weiß, sich für die Kinder zum Kind macht. Auch hierin steckt eine gewisse Verwandtschaft mit der Theologie Luthers. Denn für ihn stellvertritt der Lehrer die Kinder insofern, als der Lehrende im kleinen Kind schon jetzt den künftigen Pfarrer oder Richter sieht, so wie Christus uns schon jetzt als vollkommen Gerechtfertigte ansieht, obschon wir noch sündigen 541 . Und wiederum fordert Hamann etwas, indem er es gleichzeitig tut. Erbost über Kant, weil dieser sich den Vorschlägen Hamanns gegenüber verweigerte, entäußert Hamann sich und wird dem schwachen Kant ein Schwacher. „Ich will gerne Gedult mit Ihnen haben, so lange ich Hofnung haben kann Sie zu gewinnen, und schwach seyn, weil sie schwach sind. Sie müßen mich fragen und nicht Sich, wenn Sie mich verstehen wollen" 542 . 538

Hamann, Z H I, 446. Diesen paulinischen Zug hat Graubner, a.a.O. (Anm. 524) überse-

hen. 539

540 Hamann, Z H I, 446. Ebd., 448. Deswegen stellt Luther den Eltern in ,Ein Sermon odder Predigt das man solle kinder zu Schulen halten' (BoA Bd. 4, hg. von Clemen, Otto, Berlin 1950, pl49-178) ihre Kinder in ihrem künftigen Beruf vor Augen. „Widderumb auch dich von hertzen frewen und frolich sein mügest/wo du dich hierinn findest/das du von Gott da zu erwelet bist/mit deinem gut vnd erbeit einen son zu erzihen/der ein fromer Christlicher Pfarher/Prediger odder Schulmeister wird" (a.a.O., pl52). 542 Hamann, Z H I, 453. Beachte die Verarbeitung von IKor 9,22, wo es heißt: ,Den Schwachen bin ich geworden wie ein Schwacher, auf daß ich die Schwachen gewinne'. 541

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Und Hamann hat Geduld, durch die er Kant in seiner Schwäche ähnlich wird, denn: „Auf Schwächen und Blößen gründet sich die Liebe" 543 . Ähnlich läßt sich auch bei Hebel 1) eine Rebiblisierung der Pädagogik und 2) eine Bewegung hinein in die Kinderwelt beobachten, wenn auch letzteres nicht so stark wie bei Hamann im direkten Kontext mit dogmatischen Reflexionen über die Kondeszendenz steht. Wir haben oben schon gesehen, wie genau sich Hebel als Kalenderschreiber Gedanken über seine Zielgruppe macht. Hebel hatte zwei Gutachten über die Neueinrichtung des Kalenders geschrieben, woraufhin er dann selbst zum Bearbeiter des Kalenders bestellt wurde. Ähnlich war es auch mit den „Biblischen Geschichten". Johann Ludwig Ewald, ein reformierter Theologe, hatte 1814 den Auftrag erhalten, die von dem Katholiken Christoph von Schmid verfaßte Bibelnacherzählung544 umzuarbeiten und für den Gebrauch in den protestantischen Schulen umzugestalten. Zweck des Unternehmens war es, die Bibelnacherzählung von Johann Hübner545 abzulösen. Hebel verfaßt sein Gutachten „Meine Bemerkungen über das mit Abänderungen in unsern Schulen einzuführende biblische Geschichtbuch von Schmidt"546, um sich gegen eine solche Neubearbeitung zu richten. Eine Neubearbeitung sei nicht ratsam, da das zu bearbeitende Material nichts tauge. Hervorstechend ist wiederum wie in den Kalender-Gutachten der kommunikations-theoretische Aspekt, den Hebel anführt. Es kommt nicht nur darauf an, daß der Verfasser einer Bibel-Nacherzählung „ g u t erzählen" kann, sondern er muß „gut für Kinder erzählen können" 547 . Hebel unterscheidet hier erstaunlich genau zwischen verschiedenen Altersstufen. Schmids Bibelerzählung sei für kleine Kinder geeignet, nicht jedoch für die Schulkinder. „Er (seil. Schmid; A.S.) hat sich wirklich ein anderes Alter gedacht. Wenigstens glaubt man, wo er noch am besten gefällt, fast immer eine Mutter zu hören, die ihrem 6jährigen Kinde die Geschichte lieb und anziehend zu machen sucht. Die unsrigen aber sind 10-14 Jahr alt, und wie sehr wäre zu wünschen, daß sie das Buch auch mit dem 14ten noch nicht aus den Händen legen möchten"548. Auch muß eine Bibelgeschichte damit rechnen, sowohl von gebildeten Lesern als auch von weniger gebildeten gelesen zu werden. Die Abfassung hat sich darauf einzurichten. Hierzu beHamann, Z H I, 448. Schmid, Christoph von, Biblische Geschichte für Kinder, zum planmäßigen Unterricht in sämmtlichen deutschen Schulen Bayerns. Erster und Zweyter Theil (je zwei Bdchen), München 1834 (vorh.: H A B Pb 666). 5 4 5 Hübner, Johann, Zweymahl zwey und funffzig Auserlesene Biblische Historien Aus dem Alten und Neuen Testament, Der Jugend zum Besten abgefasset, Leipzig 1721 (vorh.: H A B Th 1315). 5 4 6 Hebel, Gutachten zu BiblGesch, a.a.O. (Anm. 39). 5 4 7 Ebd.,p271. 5 4 8 Ebd., p273. 543 544

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darf es einer genauen Kenntnis der Volkssprache und einer Umsetzung dessen, was zu erzählen ist, in das Sprachmaterial des Volkes. Hierin besteht „jene ächte und edle Popularität, die zwischen gebildeten und ungebildeten Lesern keinen Unterschied erkennend aus dem Menschen hervorgeht und den Menschen erfaßt" 5 4 9 . Diese Popularität, die im Sinne Luthers dem Volk aufs Maul schaut 5 5 0 , nicht, um die Sprache des Volkes zum Gesetz über die eigene Sprache zu erheben, sondern um die Sprache zu rezipieren und sie gleichwohl neu zu prägen und zu veredeln 551 ( - die Veredelung der Sprache ist ein zentrales Anliegen Hebels - ) , beherrscht Schmid nicht. Er vernachlässigt die hermeneutische Aufgabe, die Bibel in die Volkssprache zu übersetzen. „Aber auch iener sogenannten Popularität scheint er nicht genug Meister zu seyn, die das, was der gebildete Mensch in kunstreicheren Formen zu geben und zu empfangen gewohnt ist, dem Ungebildeten nur auflößt und gleichsam durch einen Übersezungs Prozeß in seiner Sprache zur Empfänglichkeit bringen will" 5 5 2 . Schmid dagegen benutzt „Ausdrücke, die in der Volkssprache ganz unüblich, unklassisch, unverstanden sind", „unpopuläre Inversionen", „unnöthige Parenthesen", „häufige Tropen aus der sogenannten Kraftsprache" 5 5 3 . Diese kommunikationstheoretischen Argumente verbinden sich mit theologischen. Hebel macht sich Gedanken darüber, in welchen bei den

Ebd., p271. Luther, Martin, Sendbrief vom Dolmetschen, BoA Bd. 4, pl 79-193, pl 84: „Man mus die mutter jhm hause/die kinder auff der gassen/den gemeinen mä auff dem marckt drumb fragen/vn den selbige auff das maul sehen/wie sie reden/vnd darnach dolmetzschen/so verstehen sie es den/vn mercken/das man Deutsch mit jn redet." Also nicht nur Gott muß in die exinanitio gehen, um sein Wort den Menschen zu geben, sondern auch der Ubersetzer muß diese Bewegung mitgehen, indem er sich in die Volkssprache entäußert, um sie dadurch wiederum zu erheben, sprachgeschichtlich gesprochen: zur Schriftsprache zu machen. 5 5 1 So begibt sich auch Hebel nicht nur mit den BiblGesch in die Sprache der ,oberländischen Kinder', sondern auch mit den Alemannischen Gedichten. Er entäußert sich in die Mundart, um sie zur Dichter-Sprache zu erheben. „Ich habe in denselben (seil, bei der Abfassung der Alemannischen Gedichte; A.S.) mit den Schwierigkeiten gekämpft, in dieser rohen und scheinbar regellosen Mundart, wenn die Ausdrücke erlaubt sind, rein und klassisch und doch nicht gemein zu seyn, genau im Charakter und Gesichtskreis des Völkleins zu bleiben, aber eine edle Dichtung, so weit sie sonst in meiner Gewalt ist, in denselben hinüberzuziehen und mit ihm zu befreunden" (Hebel, Briefe, pl21, 8.2.1802 an Friedrich David Gräter. Hervorhebung von mir). Hatte Luther dieselbe Bewegung vollzogen wie Gott selbst als Schriftsteller, als er die Bibel übersetzte, so auch Hebel bei seiner Mundart-Dichtung. Während Luthers Gleichzeitigwerden mit der Bibel jedoch eher durch die Nachahmung der Kondeszendenz bestimmt ist, so begreift Hebel seine Entäußerung als eher pfingstlich-eschatologisch. „Sollte die alte und bekannte Frage der glücklichen Ueberraschung: ,wie hören wir ein ieglicher die Sprache, in der wir gebohren sind' nicht noch einmal ein kleines Wunder thun können" (ebd.). Beachte die Einarbeitung von Apg 2,11! 5 5 2 Hebel, Gutachten zu BiblGesch, p271. 5 5 3 Ebd., p271f. 549 550

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Lesern und Hörern schon vorhandenen Kontext eine Bibel-Nacherzählung hineinspricht. Sie spricht in den Kontext der bekannten Luther-Bibel hinein. U n d dieser Kontext muß deswegen wiederum fruchtbar gemacht werden für eine Bibel-Nacherzählung, denn: „ D a s Volk glaubt so leicht etwas anderes zu hören, wenn es das nemliche nimmer mit den nemlichen Worten hört" 5 5 4 . Deswegen muß die Luther-Bibel selbst die sprachstiftende Kraft sein: „ U n d ich spreche hier mein Geständnis aus, daß alles, was in einem solchen Buch mit Worten der Bibel gesagt werden kann, mit keinem andern gesagt werden sollte. Sie sind nicht nur lebendig und kräftig, auch noch in Luthers Ubersetzung. Sie sind auch für eine große Menge die einzige Bürgschaft für die Wahrheit und Heiligkeit der Geschichte" 5 5 5 . Das ganze Anliegen, eine katholische Bibelnacherzählung einer Neubearbeitung durch einen reformierten Theologen, Ewald, zu unterziehen, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil die Ausgangsbasis für die Neubearbeitung mit der Luther-Bibel nichts mehr zu tun hat, und auch nicht zu erwarten ist, daß Ewald als Reformierter eben diesen Luther-Ton wieder einführt. „Der ganze lutherische Bibeltext ist aus dieser (seil, aus Schmids; A.S.) Bibelgeschichte bis auf die lezte Spur verschwunden" 5 5 6 . Hebel besinnt sich also auf reformatorische Wurzeln, auf die Bibelübersetzung des Reformators Luther, die in ihrer sprachstiftenden Dynamik bereits ein Teil der Volkssprache geworden ist. Deswegen soll sie auch die Sprache einer Biblischen Geschichte prägen und durchdringen. „Wenn aber der Bibeltext in Luthers Wort nimmer gut ist, so machen wirs auch nimmer besser" 5 5 7 . Hebel wird eben diesen Luther-Ton und -Text in seinen „Biblischen Geschichten" als Gerüst benutzen. So ist die Luther-Bibel für Hebel Richtschnur der Nacherzählung, sie hat kanonischen Rang. Deswegen kann Hebel auch im Epilog zu seinen „Biblischen Geschichten" nicht nur die Bibel im allgemeinen, sondern die Luther-Bibel im besonderen als gottgegeben bezeichnen. „Alle diese Geschichten und Lehren sind getreulich ausgezogen aus dem Buch der heiligen Schrift, alten und neuen Testaments, verdeutscht durch D. Martin Luther, welches Buch von Gott den Menschen gegeben ist" 5 5 8 . Hebel begreift seine „Biblischen Geschichten" als einen ,Auszug' aus der Heiligen Schrift und steht damit in der Tradition Luthers, für den der 5 5 5 Ebd. 5 5 6 Ebd., p273f. 5 5 7 Ebd., p274. Ebd., p274. Hebel V, 217. In der zweiten Ausgabe der BiblGesch fällt die Apposition „verdeutscht durch D . Martin Luther" weg. Hebel hat dies anscheinend deswegen veranlaßt, um der katholischen Seite die Einführung seines Schulbuchs für den Gebrauch in katholischen Schulen schmackhaft zu machen. Deswegen regt er in einem Brief an Cotta selbst an: „Mehrere cath. Geistl. im Breisgau würden, wie es scheint, geneigt seyn, die Ausgabe Ihres Verlags einzuführen, wenn im Beschluß Bd 2. S.221. die Worte verdeutscht durch D . Martin Luther' nicht stünden. Ich wünsche, daß sie in der 2ten Ausgabe wegbleiben" (Hebel, Briefe, p719. 28.7.1824 an Johann Friedrich Cotta). In der Bearbeitung der BiblGesch für den katholischen Gebrauch fiel dann jedoch der ganze „Beschluß" fort. 554

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Katechismus „der ganzen heiligen Schrift kurzer Auszug und Abschrift ist" 5 5 9 . Deswegen muß die Geschichte der Bibeldichtung im Konnex mit der Geschichte der Katechismen betrachtet werden, und es reicht hier nicht das Urteil Wunderlichs über die Orthodoxie, sie habe keine Bibeldichtung hervorbringen können, da ihr Motto nur immer „.Zurück zu L u t h e r ' " 5 6 0 gewesen sei. „Gerade in solcher Perspektive bleibt aber kein Raum für eine Bearbeitung, ja Veränderung der Bibel Luthers" 5 6 1 . Das trifft historisch nicht zu. Die altprotestantische Orthodoxie hat Bibeldichtungen hervorgebracht 5 6 2 , und die Luther-Bibel ist u.a. durch sie deswegen zu ihrem Recht gekommen, weil sie die Sprache der Luther-Bibel rezipierten, wie es Hebel auch tut. Der Verfasser einer Bibeldichtung muß nach Hebel dessen gewahr werden, daß er die traditio insofern zu rezipieren hat, als er sowohl die Volkssprache als auch die Sprache der Luther-Bibel als sprachstiftende Momente zu beachten hat und wirken lassen muß. Und das nicht deswegen, weil die Luther-Bibel eine dekretierte Autorität hat, sondern eine Autorität, die sich darin erweist und immer neu vollzieht, daß das Luther-Deutsch eben zum Bestandteil der Volkssprache geworden ist. Wenn Hebel also anmahnt, daß eine Bibeldichtung populär sein müsse, dann ist die Popularität hier kein Selbstzweck. Sondern populär heißt bei Hebel die Volkssprache, die biblisch getränkt ist. Popularisierung der Sprache heißt deswegen: auf die Luther-Sprache zurückgreifen.

BSELK, p552. 5 6 1 Ebd. Wunderlich, a.a.O. (Anm. 31), p54. 5 6 2 Vgl. nur die bei Fror, Kurt, Art.: Bibel IV. Im Unterricht, in: R G G 3 B d . l , Sp. 1147-1151, hier: Sp. 1148 aufgeführten nachreformatorischen Bibeldichtungen und die Arbeit von Moore, Cornelia Niekus, The Maiden's Mirror. Reading Material for German Girls in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, Wolfenbütteler Forschungen 36, Wiesbaden 1987. Wunderlichs Pauschalurteil geht am historischen Sachverhalt völlig vorbei. Die Pädagogik der orthodoxen Theologen zeichnet sich geradezu dadurch aus, daß sie mit großem Geschick und Einfallsreichtum durch verschiedene Bücher wie Bibelsummarien, Spruchsammlungen, Bibelnacherzählungen u.ä. die Bibel versuchte, den Kindern nahezubringen. Die Bibelgeschichte von Justus Gesenius (Biblische Historien Altes und Neues Testaments/Der Jugend und den Einfältigen zu gute in eine richtige Ordnung der Zeit und Jahre zusammen gebracht ... Braunschweig 1656 (vorh.: HAB Th 960)) ist eher als ein Exzerpt der Luther-Bibel anzusehen. Jedoch gibt es auch Werke, die sich klar als Bibeldichtungen zu erkennen geben: Schweinitz, David von, Die Kleine Bibel/Das ist/Summarien/Uber die H. Bibel/so wol derer Historischen Texte/alß der vornembsten Lehren und Vermahnungen/jedwedein Capittels. In Deutsche Vers gebracht, Dantzig 1647 (vorh.: HAB Tb 355). Eine Mischform von Bibelgeschichte und Katechismus stellt folgendes Buch dar: Sachs, Michael, Christlicher zeituertreiber/oder Geistlich Retzelbuch/Darinne die allerlustigsten Fragen ... Leipzig 1593 (vorh.: H A B Ac 541). Ein Erbauungsbuch besonderer Art ist folgendes Werk, das zu einzelnen Bibelversen kurze Auslegungen Luthers anführt: Schinmeier, Johann Christoph, Biblisches Spruch= und Schatz=Kästlein, Worinne 200. Sprüche der heil. Schrift mit denen geistreichesten und nachdrücklichsten Worten des seeligen Doctoris M. Lutheri erkläret werden ... Flensburg 1755 (vorh.: HAB T b 335). 559 560

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Auf die Art und Weise, wie Hebel die Sprache Luthers in seinen Werken umsetzt, wird in einem eigenen Kapitel noch einzugehen sein. Aus der Besinnung auf die reformatorische Wurzel der Luther-Bibel ergibt sich bei Hebel ein Rückgriff auf das reformatorische Schriftprinzip. Hebel kritisiert an Schmid, daß er „etwas (supponirt), wozu wir, wenigstens wir Protestanten, keine Quellen haben" 5 6 3 . Schmids Fehler ist es, daß er in seiner Nacherzählung zur Bibel hinzutut, und sie so implizit für nicht suffizient erklärt. „So stellt er Jesum als das vollkommenste Muster der Nachahmung gerade in derjenigen Periode seines Lebens auf, aus welcher wir ganz und gar historisch nichts von ihm wissen. Wir erhalten statt des wirklichen Jesus in Nazareth einen Schmidtischen Jesus zum Vorbild. Wenigstens kann man den Verfasser bei jedem Wort fragen: Woher weist D u das?" 5 6 4 . Schmid hatte die Kindheitsgeschichte Jesu stark ausgeschmückt 5 6 5 , und Hebels Kritik daran spiegelt sich noch in seiner eigenen Nacherzählung der Bibel, wenn er abschließend zur Geschichte des Zwölfjährigen im Tempel (Lk2) anmerkt: „Dieses ist die einzige Begebenheit aus den Jugendjahren Jesu, welche man weiß. Von dem zwölften Jahr, bis zu dem dreißigsten Jahr seines Lebens weiß man nichts von ihm" 5 6 6 . Während Schmid das Kind Jesus zum Vorbild für die Kinder dadurch erhoben hatte, daß er eine vorbildliche, aber unbiblische Kindheit Jesu erdichtete, erklärt Hebel Jesus darin zum Vorbild, daß man nicht viel von Jesu Jugend weiß. „Merke: Von gut5 6 4 Ebd., p273. Hebel, Gutachten zu BiblGesch, p272. Schmid hatte sich tatsächlich von der biblischen Q u e l l e entfernt und geradezu zu phantasieren begonnen. Auf die Nacherzählung von L k 2,41-52 folgt ein Stück, das den Titel „16. Die heilige Familie zu Nazareth" (11,62-66) trägt. Ohne sich auf eine biblische Grundlage beziehen zu können, meint Schmid gerade hier Jesus als ein Vorbild für die Jugend aufzeigen zu können: „ V o n Jerusalem, w o Jesus so viele Bewunderung erregt hatte, kehrte Er wieder zurück in die stille, arme Hütte seiner Altern zu Nazareth. Hier brachte Er seine Jünglingsjahre in der tiefsten Verborgenheit zu - und gerade hier ist Er das schönste Vorbild für euch, meine lieben Kinder" (11,62). Hierzu sagt Hebel: „ S o stellt er (seil. Schmid; A.S.) Jesum als das vollkommenste Muster der Nachahmung gerade in derjenigen Periode seines Lebens auf, aus welcher wir ganz und gar historisch nichts von ihm wissen" (Hebel, Gutachten zu BiblGesch, p273). Schmid erzählt v o m Verhalten Marias und Josephs im häuslichen Leben, hebt deren Tugend und Untertänigkeit der Obrigkeit gegenüber hervor, um dann den vorbildlichen Wandel des Knaben Jesus hervorzuheben: „Keine Lüge, kein unfreundliches Wort kam je aus seinem Munde. W o Er einem Menschen eine Freude machen, eine Gefälligkeit erweisen konnte - that Er es gewiß herzlich gerne. О wohl mit tausend Freuden hätte Er den Armen sein eigenes Stücklein Brod hingegeben, und wenn er auch selbst darüber hätte Hunger leiden müssen! Er betrübte nie ein Menschenherz. Er hätte wohl keinem Wurme je etwas zu Leid thun können. N i e fügte Er einem Menschen auch nur den allergeringsten Schaden zu. O d e r wär' es euch möglich, von Ihm zu denken, daß Er aus Muthwillen auch nur ein Gräslein zertreten - auch nur ein Baumblatt abgerissen hätte!" (Schmid II, 70). Gegen diese Art, auf unbiblische Weise biblische Geschichten auszuschmücken, wendet sich Hebel, indem er rät, zur Sprache der Luther-Bibel und zur Bibel als einziger Q u e l l e für eine Nacherzählung derselben zurückzukehren. 563

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Hebel V, 126.

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gearteten ... Kindern hört man in ihrer Jugend gewöhnlich nicht viel ... Von wem man in seiner Jugend sonst viel zu reden hat, daran ist selten viel Gutes" 567 . Die Rückwendung Hebels zur Luther-Sprache wird begleitet von einer Besinnung auf die reformatorischen Lehrinhalte. Deswegen kann Hebel im Beschluß der „Biblischen Geschichten" die Quintessenz der reformatorischen Lehre, das sola fide, solo Christo, sola scriptura so festhalten: „Alle diese Geschichten und Lehren sind getreulich ausgezogen aus dem Buch der heiligen Schrift ..., daß wir daraus von Kindheit an sollen unterwiesen werden zur Seligkeit durch den Glauben an Christum Jesum (vgl. 2Tim 3,15). Einen andern Grund kann niemand legen, denn der gelegt ist, welcher ist Christus (seil. IKor 3,11; A.S.). Suchet in der Schrift, denn ihr habt das ewige Leben darinnen, und sie ist's, die von ihm zeuget (seil. Joh 5,39; A.S.)" 568 . So wie Hamann die ,mosaische Geschichte' zum Fundament einer Kinderphysik machen wollte, will Hebel die Luther-Bibel zum Fundament seiner Bibelnacherzählung machen. Materialiter hat Hebel das nicht nur in den „Biblischen Geschichten" umgesetzt, sondern auch in den „Betrachtungen", wie wir gesehen haben. Dies ist in der bisherigen Diskussion über die Pädagogik Hebels vernachlässigt worden569. Und in einem weiteren Punkt ist Hebel mit Hamann verwandt. Zwar reflektiert Hebel nicht derart grundsätzlich wie Hamann über die Entäußerung und Kondeszendenz des Lehrers als pädagogisches Prinzip. Aber auch Hebel vollzieht eben diese Entäußerung in seiner Pädagogik. Das wird besonders in den Briefen deutlich, in denen Hebel sich über seine Bibelnacherzählung äußert. Hebel vollzieht die Entäußerung des Lehrers als eine Doppelbewegung. Er wird durch die Arbeit an den „Biblischen Geschichten" ins Heilige Land versetzt und so mit den biblischen Ereignissen, die er nacherzählt, gleichzeitig, um die Kinder mit ihnen gleichzeitig werden zu lassen. „Denn ich schreibe wirklich eine heilige Geschichte für die Kinder, für unsere Kinder in Kl. Straßb. und lebe am Berg Tabor, unter den Palmen von Jericho, am Brunnen Jakobs am heiligen Grab" 570 . Diese Entäußerungsbewegung der imaginären Reise in das Heilige Land gestaltet sich als eine Entäußerung Hebels in die Kinderwelt. Um sich in die Kinder zu versetzen, für die er schreibt, entäußert sich Hebel in die eigene Schulzeit zurück. „Sie (seil. Gottlieb Bernhard Fecht; A.S.) und H(itzig) und ich und ein halbes Dutzend verstorbene und lebende Schulkameraden zwischen 1768 und 1772 heraus müssen beständig vor mir stehen, wenn ich an der Bibelgeschichte schreibe. Uns Obengenannte muß ich unaufhörlich 5 6 8 Ebd., 217. Ebd. 569 Vgl. o. die forschungsgeschichtliche Einleitung dieser Arbeit. 5 7 0 Hebel, Briefe, p632. 15.12.1818 an Familie Haufe. 567

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fragen, obs uns recht sei so und ob wirs auch verstehen, nämlich die 68er und 72er, und obs uns auch ans Herz geht" 5 7 1 . Hebel versetzt sich nicht nur in ein Kind, sondern er wird selbst wieder Kind, um als Erwachsener für Kinder schreiben zu können. Das ist auch zu Zeiten der Aufklärung etwas Neues. N o c h Rousseau hatte gemeint, diese Bewegung sei unmöglich. „Wir können uns niemals in ein Kind hineinversetzen. Wir versuchen nicht, seine Gedanken zu denken; wir unterstellen ihm unsere. Wir folgen immer unseren eigenen Überlegungen und füllen ihre Köpfe trotz ganzen Ketten von Wahrheiten nur mit Ungereimtheiten und Irrtümern" 5 7 2 . Hebel dagegen begreift, daß es gar nicht darum geht, sich als Erwachsener in ein Kind zu versetzen, sondern darum, das Erwachsen-Sein aufzugeben. Diese Überlegung rekurriert in Hebels Briefen des öfteren. Hebel hat seine Kritik an Schmid positiv umgesetzt, wenn er die populäre Sprache der Kinder in seinen „Biblischen Geschichten" rezipiert. „Ich habe fast bei jeder Zeile im Geist oberländische Kinder belauscht" 5 7 3 . Aber Hebel versucht auch während der Abfassung der „Biblischen Geschichten", sich in seinen damaligen Lehrer Andreas Grether hinein zu versetzen, indem er ihn im Geiste um Rat fragt, genauso wie er die Situation ständig vor Augen behält, wie eine Mutter ihre Kinder aus der Bibelgeschichte belehrt. „Denn immer wenn ich schrieb habe ich mir meinen alten Schulmeister Andreas Grether in Hausen und mich und meine Mitschüler unter dem Schatten seines Stabes, oder ich habe mir eine Repräsentantinn aller Mütter unter ihren Kindern, und immer die nemliche gedacht, und uns, mich als Schulbüblein mit gerechnet, um unser Urtheil gefragt" 5 7 4 . Deswegen sucht Hebel nach Erscheinen seiner „Biblischen Geschichten" seine Rezensenten nicht in der gebildeten Welt, sondern in der Kinderwelt. Wie bei Hamann wird hier ,Kinderwelt' zum Stichwort in der Pädagogik. „Ich suche diesmal den Beifall mehr als sonst, wiewohl auch sonst am liebsten, nicht in der Welt meiner Recensenten, sondern in Familienkreisen, in der Kinderwelt, und wo zuerst als in dem Hause, wo die Liebe fromm und zart erzieht" 5 7 5 . Der Sache nach steht hier die eschatologische ταπείνωσις der Erwachsenen in die Kinderwelt dahinter, die die Bewegung Gottes in die Erniedrigung hinein nachvollzieht. Das ist das , Werden wie die Kinder'., Wahr lieh ich sage euch. Es sei denn, daß ihr euch umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich

Ebd., p633. Ende 1818 an Gottlob Bernhard Fecht. Rousseau, Jean Jacques, Emil oder über die Erziehung, übers, und hg. von Schmidts, Ludwig, Paderborn 1972, pl62f. 5 7 3 Hebel, Briefe, p706. Jan. 1824 an Gottlob Bernhard Fecht. 5 7 4 Ebd., p713. 7.2.1824 an Sophie Haufe. 5 7 5 Ebd., p708. 11.1.1824 an Friedrich August Nüßlin. Vgl. auch p707.731. 571

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kommen. Wer nun sich selbst niedriget (ταπεινώσει) wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich' (Mt 18,3f). Zu dieser Kindlichkeit, die Hebel als Verfasser der „Biblischen Geschichten" eingenommen hat, will er auch den Erwachsenen verhelfen, denn das Werk soll nicht nur für Kinder geschrieben sein, sondern für alle Kinder Gottes. „ E s war immer mein Wunsch und mein Bestreben, daß sie auch für Erwachsene gut seyn, und den Kindern nicht nur in der Schule sondern auch so lange sie leben werth bleiben mögen" 5 7 6 .

5 7 6 Ebd., p710. 27.1.1824 an Gustave Fecht. Hebel wird als Pädagoge und Verfasser der BiblGesch also selbst Kind durch eine Entäußerungsbewegung, und es reicht nicht aus zu sagen, daß Hebel „die Fähigkeit hatte, alles vom Kinde her zu sehen" (Kiek, Josef, Johann Peter Hebel als Schulmann, in: Die Markgrafschaft 4 (1952/5), p5).

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5. Die Geschichte der Theologie des Buches der Natur und Hebels Rückgriff auf sie als eschatologische Innovation der aufgeklärten Theologie Theologiegeschichtliche Einordnung II Die Frage nach dem Buch der Schöpfung ist seit je her auch eine pädagogische Frage gewesen. Denn es geht darum, wie die Erkenntnis, daß ein Gott sei, sich mit der biblischen Offenbarung vermitteln läßt, ohne daß dabei das eine gegen das andere ausgespielt wird. So ist schon nach Paulus Gottes unsichtbares Wesen den Heiden offenbar und erkennbar aus den Werken der Schöpfung (Rom 1,19f). Doch erst jetzt, in der eschatologischen Stunde des Gerichtes, das Paulus in Rom 1-3 proleptisch inszeniert, in der Stunde, da Gottes Gerechtigkeit und sein Zorn offenbar werden (Rom 1,17f), wird auch offenbar, daß die Heiden keine Entschuldigung haben dafür, daß sie Gott eben nicht erkennen wollten aus den Werken der Schöpfung. Es geht Paulus also nicht nur darum, zu behaupten, daß eine natürliche Gotteserkenntnis möglich sei, sondern auch um die Weckung der Selbsterkenntnis des Menschen: Der Mensch lehnt sich gegen diese Möglichkeit auf. Von Rom 1,17ff aus hat die Dogmatik seit Augustin immer wieder versucht, die natürliche Gotteserkenntnis aus dem Buch der Natur als Propädeutikum für das Lernen aus der in der Predigt bezeugten und gelehrten Offenbarung zu fassen. Als ein Propädeutikum jedoch, das mit der erreichten Erkenntnis Gottes aus der supranaturalen revelatio nicht verloren geht, sondern im Gegenteil dann erst zu seiner eigentlichen Bestimmung kommt. Deswegen hat die Loci-Dogmatik diese Frage in den Prolegomena abgehandelt, in denen unter der Überschrift ,de cognitione Dei' die pädagogische Frage aufgeworfen wird, wie sich die Erkenntnis Gottes vermitteln läßt. Es soll deswegen hier kurz auf die Geschichte der Theologie des Buches der Natur eingegangen werden, um das Proprium Hebels angesichts derselben zu erheben 577 . 5 7 7 Hier kann nicht die gesamte Geschichte der Buch-der-Natur-Theologie dargestellt werden. Es soll nur anhand ausgewählter Quellen die Hermeneutik der beiden Bücher dargestellt werden unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses der beiden Bücher zueinander, sowie des Verhältnisses von Vernunft und Offenbarung. Für die Epoche der altprotestantischen Orthodoxie, die in der unten genannten Literatur übergangen wird, habe ich den Calvinisten Aisted deswegen gewählt, weil an ihm sich zeigen läßt, wie die Naturhermeneutik in

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Das Theologumenon der beiden Bücher ist dem Mittelalter durch die Augustin-Rezeption übermittelt worden. Bei ihm begegnet es wohl zum ersten Mal 578 . Gott hat schon, um das Schöpfungswerk des ersten Tages, das Licht, hervorzubringen, durch die Natur gesprochen. „Per creaturam dixit Deus, Fiat lux" 579 . D.h. Gott sprach schon durch die Schöpfung, als noch nichts geschaffen war, indem er durch die geistige Schöpfung sprach („dicente Deo per creaturam spiritualem"580). Nicht wie in der späteren Dogmatik gemeinhin gelehrt ist der Sündenfall der Zeitpunkt, an dem neben die Sprache Gottes durch die Natur das Wort Gottes in der Heiligen Schrift treten muß, sondern nach Augustin gibt es bis zum Turmbau zu Babel und der Sprachverwirrung nur eine Sprache Gottes, nämlich die, die durch die Natur ergeht. „Et si ita est, qua lingua sonuit ista vox, dicente Deo, Fiat lux; quia nondum erat linguarum diversitas, quae postea facta est in aedificatione turris post diluvium (Gen. XI,7)" 5 8 1 . Erst mit der Sprachverwirrung werden den Menschen die Sprachen der jeweils fremden Völker unverständlich, aber eben auch die Sprache Gottes durch die Natur. Supralapsarisch jedoch konnte Gott durch die Schöpfung erkannt werden. „Quomodo ergo possit intelligi hoc dicere Deus (seil. ,fiat lux'; A.S.), nisi per creaturam"582. Zwar heißt es bei Augustin, daß auch der Ungebildete die ganze Welt als Buch lesen könne, während die Gebildeten darüber hinaus auch in den ,codices' lesen. „Liber tibi sit pagina diuina, ut haec audias; liber tibi sit Orbis terrarum, ut haec uideas (.) In istis codicibus non ea legunt, nisi qui litteras nouerunt; in toto mundo legat et idiota" 583 . Aber dies ist nun nicht so zu verstehen, daß der Leseakt, in dem das Weltbuch gelesen wird, abgetrennt werden kann von der Lektüre der Heiligen Schrift. Denn es handelt sich auch von göttlicher Seite aus gesehen nur um einen Schreibakt, in dem Gott sowohl die Bibel als auch das Naturbuch mit seinem Finger geschrieben hat. „Quoniam uidebo, inquit (seil, der Psalmist; A.S.), caelos, opera digitorum tuorum, id est, cernam et intellegam scripturas, quas operante Spiritu saneto per ministros tuos conscripsisti"584. den Kontext der übrigen loci verflochten worden ist. Etwas ähnliches läßt sich an dem Lutheraner Samuel Fabricius erheben. Ansonsten verweise ich auf Blumenberg, Hans, Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt a. M. 2 1 9 8 3 (1981), Curtius, E . R., Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern und München 5 1 9 6 5 (1948), besonders p 3 2 3 - 3 5 2 , Nobis, H.M., Art.: Buch der Natur, in: H W P , Bd.I, p958f. Nobis gibt einen guten Überblick, in den A n merkungen finden sich jedoch falsche Belegstellen. So muß es z.B. in Anm. 1 nicht , M P L 32,219ff' heißen, sondern , M P L 34'. Vgl. Nobis, a.a.O. (Anm. 577), p958. Augustin, Aurelius, De Genesi ad litteram, M P L 34, Paris 1887, Sp.248. 5 8 0 Ebd. 5 8 1 Ebd. 582 Ebd. 5 8 3 Augustin, Enarrationes in Psalmos I - L , cur. Dekkers, Eligius, et Fraipont, Johannes, C C S L 38, Turnhout 1956, p522. 5 8 4 Zur Formel ,digito Dei scripto' vgl. o. Anm. 519. 578

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Bei Alanus de Insulis taucht die Rede von der Welt als Buch im sog. Rosenhymnus wieder auf: „Omnis mundi creatura, Quasi liber, et pictura Nobis est, et speculum. Nostrae vitae, nostrae mortis, Nostri status, nostrae sortis Fidele signaculum"585. Eine zentrale Stellung nimmt das Theologumenon der beiden Bücher in der Scholastik ein, z.B. bei dem Franziskaner Bonaventura586. Ausführlich und an verschiedenen Stellen seines Werkes beschreibt er das Miteinander und Ineinander der beiden Bücher. In der Schöpfung spiegelt sich Gottes Weisheit; die Natur ist ein außen geschriebenes Buch, ein „liber scriptus forinsecus"587. Aber der Widerschein der göttlichen Weisheit ist mit Finsternis vermischt, „cum tenebra permixta" 588 . Die geistige Kreatur dagegen ist ein Buch, das innen geschrieben ist. „Aliud adiutorium est spiritualis creaturae, quae est ut lumen, ut speculum, ut imago, ut liber scriptus intus" 589 . Eine Verbindung zwischen dem innen geschriebenen Buch und dem, das außen geschrieben ist, kann nur die sakramental verstandene Bibel sein, da in ihr der Mund Gottes innen und außen schreibt. „Sed tertium adiutorium est Scripturae sacramentalis. Est autem omnis Scriptura cor Dei, os Dei, lingua Dei, calamus Dei, liber scriptus foris et intus" 590 . Daher ist das Bibelbuch, da es innen und außen geschrieben ist, der Schlüssel zum Buch der Natur, das nur außen geschrieben ist. Das Buch der Bibel ist dem der Natur beigeordnet, ihm aber gleichzeitig hermeneutisch übergeordnet. Denn das Buch der Natur muß immer im Kontext dessen gelesen werden, daß der Himmel und die Erde vergehen werden, Gottes Wort jedoch nicht (Mk 13,31). In einer Predigt über diesen Text sagt Bonaventura deswegen auch: „Libri mundanae creaturae formas corruptibiles esse et transmutabiles et hoc facit sub nomine transitus caeli et terrae" 591 . Um das Buch der Natur zu lesen, bedarf es daher der Bibel, denn es steht fest, „libri sacrae Scripturae sententias esse invariabiles et intelligentias stabiles, et hoc facit sub nomine verborum suorum non transiturorum"592. Die Schöpfung verkündigt zwar das Nichtgeschaffene, den Logos, aber um den Menschgewordenen zu erkennen, bedarf es der Heiligen Schrift. Alanus de Insulis, D e Incarnatione Christi, M P L 210, Paris 1855, Sp. 579a.b. Schon deswegen wäre die Behauptung Blumenbergs, a.a.O. (Anm. 577), p58, daß in der Buch-der-Natur-Metapher eine „Stoßrichtung gegen die Scholastik" zu erkennen sei, noch einmal zu überprüfen. Denn zu dem mannigfaltigen Bild der Scholastik gehört die Theologie des Buches der Natur hinzu, ähnlich wie die in die empirische Richtung gehenden Naturbetrachtungen von Albertus Magnus, auf die hier nicht eingegangen werden kann. 585

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5 8 7 Bonaventura, Collationes in Hexaemeron. Das Sechstagewerk, lateinisch und deutsch, übers, und eingel. von Nyssen, Wilhelm, München 1964, Kap. X I I , 1 4 , p392. 5 8 8 Ebd. 5 8 9 Ebd. 590 Ebd. 5 9 1 Bonaventura, Opera omnia, edita studio et cura P.P. Collegii a S. Bonaventura, Vol. 1 - Х , Ad Claras Aquas (Quaracchi) 1 8 8 3 - 1 9 0 2 (fortan zit. unter Angabe der B d . - N r . und Seitenzahl), hier: I X , 41b. 592 Ebd.

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„Omnes hae creaturae, secundum quod loquuntur nobis per librum creaturae, respondent nobis de Verbo increato ... secundum autem quod loquuntur nobis per verbum Scripturae, respondent nobis de Verbo incarnato" 5 1 3 . Wie in der späteren Dogmatik ist es bei Bonaventura der Sündenfall, der eine untrügliche Gotteserkenntnis aus den Werken der Schöpfung unmöglich hat werden lassen. „Certum est, quod homo stans habebat cognitionem rerum creaturarum et per illarum repraesentationem ferebatur in D e u m " 5 9 4 . Vor dem Fall hatten die creaturae keine Bibel nötig, aber danach: „Cadente autem homine, cum amisisset cognitionem, non erat qui reduceret eas in Deum. Unde iste liber, scilicet mundus, quasi emortuus et deletus erat; necessarius autem fuit alius liber, per quem iste illuminaretur, ut acciperet metaphoras rerum. Hic autem über est Scripturae, qui ponit similitudines, proprietates et metaphoras rerum in libro mundi scriptarum" 5 9 5 . Die Spuren Gottes in der Schöpfung, die vestigia, müssen biblisch in der Schöpfung entdeckt werden. Deswegen ist der Über scripturae auch dem Über vitae, der beim Jüngsten Gericht aufgeschlagen werden wird, näher als der Über creaturae. „ U n d e über Scripturae est proximior libro vitae quam über creaturae" 5 9 6 . So bleiben die zwei jetzt schon lesbaren Bücher, Bibel und Natur, ausgerichtet auf das Buch, das noch mit sieben Siegeln verschlossen ist und erst eschatologisch geöffnet werden wird: Das Buch des Lebens. Beide Bücher, Natur- und Bibelbuch, gehören zusammen, wie der Aufund der Abstieg auf der Leiter, die Jakob geschaut hat (Gen 28,12ff). „Factus est duplex Über: Scripturae et creaturae, qui designantur in ascensu et descensu per scalam Iacob, Genesis vigesimo octavo; per egressum et ingressum per ostium, Ioannis decimo" 5 9 7 . Bonaventura baut die Zahl der sich gegenseitig besprechenden Bücher aus, wenn er sagt, daß in drei Büchern zu lesen sei, nämlich auch noch im über conscientiae 598 . U n d Bonaventura kann auch sagen, es sei in sieben Büchern zu lesen: „Primus über est vitae sive praedestinationis aeternae, in quo sunt scripta nomina electorum ... Secundus est humanae in Christo naturae, in quo sunt scripta stigmata ... Tertius est Virginis gloriosae ... Quartus Über est beatae patriae ... Quintus est totius mundi creaturae ... Sextus über est sacrae Scripturae ... Septimus est conscientiae propriae" 5 9 9 . Bonaventura, Comment, in Ev. Lucä, VII, 470b. 5 9 5 Ebd. Bonaventura, Coll. in Hex. XIII, 12, a.a.O. (Anm. 587), p4 1 0. 5 9 6 Bonaventura, Comment, in Ev. Lucä, VII, 415a. 5 9 7 Ebd., 235b. 5 9 8 Bonaventura, Sermones de tempore, IX, 455a: „...quod debemus legere in triplici libro: conscientiae per explorationem defectuum et perfectuum ... Scripturae per investigationem divinarum voluntatum... Naturae sive creaturae per contemplationem et recognitionem aeternorum vestigiorum... ." 5 9 9 Ebd., 454a.b. 593

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Auch nach Hugo von St. Victor ist es nötig, das Weltbuch von der Schrift herkommend mit dieser synoptisch zu lesen. Zwar ist die Welt ein Buch („Universus enim mundus iste sensibilis quasi quidam Über est scriptus digito Dei" 6 0 0 ), aber unmittelbar läßt es sich nicht verstehen. „Quemadmodum autem si illiteratus quis apertum librum videat, figuras aspicit, litteras non cognoscit" 601 . Vielmehr ist es auch nach Hugo die Bibel, die zur Bewunderung der Schöpfungswerke anleiten muß. „Nam et ideo Scriptura tantopere nos ad desideranda mirabilia Dei excitat" 602 . Und so kann man dann auch die Providenz Gottes betrachten, z.B. in der Art und Weise, wie Gott die Geschöpfe schützt 603 . Bei Raimundus Sabundus jedoch läßt sich eine Verschiebung der Hermeneutik der beiden Bücher beobachten, die von Nobis 6 0 4 z.B. nicht genügend hervorgehoben wird. Als wäre Raimundus Vorläufer des Deisten Tindal, verrechnet er das Bibelbuch historice gegen das der Natur. Das Bibelbuch ist nicht mehr das von Ewigkeit her geschriebene, das im präexistenten Logos immer schon angelegt war, sondern ist später gegeben. Augustin hatte diese Unterscheidung nicht gemacht, da es ihm zufolge bis zur Sprachverwirrung nach dem Turmbau zu Babel nur eine Sprache gegeben hat, was aber nicht bedeutet, daß das später notwendig gewordene Bibelbuch nicht das sagt, was Gott vor dem Turmbau eben durch die Natur gesagt hat. Raimundus trennt jetzt das, was nach Augustin nicht trennbar ist. „Primus liber fuit datus homini a principio, dum universitas creaturarum fuit condita ... Secundus autem über, Scripturae, datus est homini secundo; et hoc in defectu primi übri, eo quia homo nesciebat legere primo, eo quia erat caecus" 605 . Bereits im Sinne des Tridentinums bezeichnet Raimundus es als die Aufgabe des Lehramtes, die Bibel zu lesen und auszulegen. „Sed über Scripturae non est omnibus communis, quia solum clerici sciunt legere in eo" 6 0 6 . Das Naturbuch dagegen kann von allen gelesen werden. „Sed tarnen primus über, creaturarum, est omnibus communis" 6 0 7 . Schon diese Abtrennung des Naturbuches vom Bibelbuch wäre für Bonaventura, aber auch für die anderen genannten Hermeneuten der beiden Bücher, unmöglich gewesen. Aber um die Kompetenz der clerici zu erweitern, wird nun diese Trennung bei Raimundus nötig. Paradox jedoch ist, daß Raimundus von Papst Paul IV zu der Zeit auf den Index librorum prohibitorum gesetzt wurde, da das Tridentinum sich anschickte, das Lehramt zur Verwalterin der ungeschriebenen Tradition und zur eigentlichen H u g o von St. Victor, Eruditionis didascalicae libri VII, M P L 176, Turnhout o.J., p814. 6 0 2 Ebd. Ebd. 6 0 3 Ebd., p818: „Sic etiam cortex arborem, sie pennae et rostra volucres ... Providentia Creatoris munimenta instituit." 6 0 4 N o b i s , a.a.O. (Anm. 577). 6 0 5 Raimundus Sabundus, a.a.O. (Anm. 519), p * 3 5 . 6 0 6 Ebd., p*36. 6 0 7 Ebd. 600

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Auslegerin der Bibel endgültig zu erheben 6 0 8 . Denn Raimundus hatte aus den eben referierten Überlegungen geschlossen, daß das Naturbuch den Laien deswegen überlassen werden könne, weil es nicht falsch ausgelegt werden könne, während das Bibelbuch des Lehramtes bedürfe, da nur es falsch ausgelegt werden könne und so Häresien entstünden. Aber aus dem Naturbuch sei noch keine Häresie entstanden. „Ideo haeretici non possunt eum (seil, librum naturae; A.S.) false intelligere; nec aliquis fieri in eo haereticus. Sed secundus potest falsificari et false interpretari et male intelligi" 6 0 9 . Nikolaus Cusanus hat die Hermeneutik der beiden Bücher wohl durch Augustin, Bonaventura und auch durch Raimundus vermittelt bekommen, dessen Buch er sich 1450 hat abschreiben lassen 6 1 0 , ohne jedoch wie dieser die beiden Bücher, Natur und Bibel, rationalistisch voneinander zu trennen. Nach Cusanus hat der Idiota seine Weisheit aus den libri Dei, die überall zu lesen sind. „Orator: Q u o m o d o ductus esse potes ad scientiam ignorantiae tuae, cum sis idiota? Idiota: N o n ex tuis, sed ex dei libris. Orator: Q u i sunt illi? Idiota: Q u o s suo digito scripsit. Orator: Ubi reperiuntur? Idiota: Ubique" 6 1 1 . Der Lehre des Cusanus von complicatio und explicatio folgend, derzufolge alles, was ist und werden wird, in Gott bereits ewig angelegt gewesen ist, ist Christus einem Buch zu vergleichen, das das Buch aller Bücher ist, also alle später zu schreibenden Bücher in complicatione enthält. Christus „est quasi Über viuus in se habens verbum viuum patris. Et est quasi conclusio omnium librorum /et scripturarum/et figurarum/et formarum/et artium/seibilium/et operabilium: sicut conclusio est breve verbum complicans omnia in virtute/quae per libros multos non possunt sufficienter explicari" 6 1 2 . In Christus sind virtuell und in complicatione alle Bücher schon angelegt. Alle Bücher, die geschrieben werden, sind nur eine explicatio des einen Buches. So bleibt auch das Buch der Natur an Christus zurückgebunden, an den Logos, wie er in der Heiligen Schrift bezeugt ist. So kann es auch im Sermo C C X X X I X heißen, daß Gott in der Schöpfung das in die explicatio entläßt, was in ihm angelegt ist: Gott schreibt das Buch der Natur, einen über sensibilis: „ D e u s enim mediante natura explicat formas in ipso complicatas. sicut intellectus: qui motu scripturae seipsum in sensibili libro explicat. et sic sensibilia: sunt über motu seu natura scripVgl. Stegmüller, Friedrich, Art.: Raimund, 5. von Sabunde, in: R G G 3 Bd. 5, Sp. 771. Raimundus Sabundus, a.a.O. (Anm. 519), p : t 36f. Vgl. Stöckl, Albert, Geschichte der Philosophie des Mittelalters, Bd. II/2, Mainz 1865 (Neudruck Aalen 1968), ρ 1055-1078. Vgl. auch Montaigne, Michel de, Apologie des Raimond Sebond, in: Ders., Essais, ausgewählt und eingeleitet von Franz, Arthur, Leipzig 1953, ρ 193-223. 6 1 0 Kues, Hospitalbibliothek, C o d . Cus. 196. 6 1 1 Cusanus, Nicolaus, Idiota de sapientia, ed. Steiger, Renata, Opera omnia vol. V, H a m burg 1983, p7. 6 1 2 Cusanus, Sermo ,Vere filius Dei erat iste', Sermo 147, Nicolai Cusae Opera, ed. Faber Stapulensis, torn. II, Paris 1514, fol. 84v. 608

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tus" 6 1 3 . U m Gott in dieser explicatio zu erkennen, bedarf es auch nach Cusanus der Bibel. Das „verbum/per quod creator hunc librum/scilicet librum creationis descripsit" wird nur durch eben dieses verbum erkannt und gelesen. „Ille omnia quae in libro continentur mediante verbo illo quod est ratio rerum/intelligit" 6 1 4 . In der Predigt „Verbum caro factum est" 6 1 5 vergleicht Cusanus das Buch der Welt mit dem Buch der Weisheit, der ,Sapientia Salomonis'. Als die Sapientia sich bekannt machen wollte, gab sie ein Buch über sich heraus. „ N a m Sapientia volens se ostendere de se librum edidit" 6 1 6 . Aber die Weisheit hat sich auch in der Welt, die wie ein Buch ist, offenbart. „Mundus est ut Über artis aeternae seu Sapientiae" 6 1 7 . Zu Luthers Theologie der Natur wäre eine eigene Arbeit zu schreiben. Ausgangspunkt für Luthers natürliche Hermeneutik ist seine Abendmahlslehre. Nachdem die fides den per communicationem idiomatum in den Elementen Brot und Wein realpräsenten Leib und das Blut Christi erfaßt hat, kann sie auch per analogiam fidei des in der Schöpfung ubiquitären Christus ansichtig werden. Wegen dieser sakramentalen Ubiquität nicht nur der göttlichen, sondern auch der menschlichen Natur kann auch die in Christi Auferstehung angehobene allgemeine Totenauferstehung in der Natur erkannt werden. „Resurrectio mortuorum est depicta in omnibus creaturis, korn, arboribus. Er wolt istum articulum libenter inculcare hominibus et indicare, quod istum articulum gebildet in omnibus creaturis, in celo et terra et domibus et aulis principum, R e g u m " 6 1 8 . Und auch die Metapher ,liber naturae' findet sich bei Luther 6 1 9 . Die altprotestantische Orthodoxie hat ein zentrales Interesse an einer hermeneutisch-biblisch reflektierten Theologie der Natur. Auf Augustin zurückgreifend unterscheidet Johann Gerhard zwischen cognitio Dei naturalis und supranaturalis. „ N o s definimus Deum primo natura cognoscendum, deinde doctrina recognoscendum; natura ex operibus, doctrina ex

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Cusanus, Sermo ,Quaerite ergo primum regnum dei', Sermo 239, a.a.O. (Anm. 612), fol.

141v. Cusanus, Sermo ,Sufficit tibi gratia mea', Sermo 266, a.a.O. (Anm. 612), fol. 168v. Cusanus, ,Verbum caro factum est', hg. von Koch, Josef, Cusanus-Texte, I. Predigten, 2./5. Vier Predigten im Geiste Eckharts, S H A W . P H , Heidelberg 1937, p72-83. 6 1 6 Ebd., p80. 6 1 7 Ebd. 6 1 8 Luther, B o A 7, p331f. Vgl. hierzu Asendorf, Ulrich, Eschatologie bei Luther, Göttingen 1967, p246-248. 6 1 9 „Naturae cognitio physica. A d a m durfft kein buch, quia habebat librum naturae, et omnes patriarchae, Christus et apostoli multa citant ex hoc libro" (WA T R 5, p88). Auch die eschatologische Neuwerdung der natürlichen Gotteserkenntnis erwähnt Luther: ,„Wir' sprach D . Martinus, ,sind jtzt in der Morgenröthe des künftigen Lebens, denn wir fahen an wiederum zu erlangen das Erkenntniß der Creaturen, die wir verloren haben durch Adams Fall ... In seinen (seil. Gottes; A.S.) Creaturen erkennen wir die Macht seines Worts, wie gewaltig das sey. D a er sagte, er sprach, da stund es da, auch in eim Pfirsichkern" (WA T R 1, p574). 614 615

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praedicationibus. Aug. libr. 8 de civit. Dei c.l. theologiam dividit in naturalem et revelatam" 6 2 0 . In Gerhards ,Explicatio' 6 2 1 des locus ,de D e o ' nimmt zwar auch die Metapher vom liber naturae eine zentrale Position ein, es wird von einem doppelten bzw. vierfachen Buch gesprochen 6 2 2 , aber die Art und Weise, wie die beiden Bücher aufeinander zu beziehen sind, d.h. wie das Buch der Natur im biblischen Licht zu lesen ist, hat Gerhard in seinen Loci nicht definiert. Eine hermeneutische Anleitung, wie das Bibelbuch auf das Naturbuch zu zu bewegen sei, hat dann jedoch Johann Heinrich Aisted formuliert, indem er die Trinitätslehre auf die Bücherlehre anwandte und das Verhältnis der drei Bücher ( - des Buches der Schrift, der Natur und des Gewissens - ) im nicänischen Sinne faßte 623 . So wie Gott ein Deus triunus ist, so auch seine Bibliothek. Es besteht nicht nur eine „Harmonia trium librorum a Deo propositorum" 6 2 4 , sondern sie sind gewissermaßen libri consubstantiales, wenn Aisted vom „Liber Dei catholic, triunus" 6 2 5 spricht. „Liber Dei Catholicus triunus nunc appellatur lex triuna, speculum triunum, domus seu arx triuna sapientiae, & bibliotheca triuna" 6 2 6 . Implizit wird hier die Augustinsche Relationenlehre, derzufolge die jeweils eine trinitarische Person immer nur in Relation zu den anderen beiden gefaßt werden kann, auf die Lehre von der Gotteserkenntnis aus den drei Büchern übertragen:

„Homo cognoscat

I. Deum in & ex libro

Scripturae. Naturae. Conscientiae.

II. Semet libro

Conscientiae. 4. Microcosmice. Naturae. 5. Macrocosmice. Scripturae. 6. Biblice.

Naturae. III. Mundum maiorem in & Scripturae. ex libro Conscientiae.

1. Biblice. 2. Macrocosmice. 3. Microcosmice.

7. Macrocosmice. 8. Biblice. 9. Microcosmice." 6 2 7

Gerhard j o h a n n , a.a.O. (Anm. 266), Bd. I, p4. Gerhard, Johann, Exegesis siue vberior Explicatio Articvlorvm D e Scriptura Sacra, D e D e o & de persona Christi in T o m o primo L o c o r u m Theologicorum concisius pertractatorum ..., Genf 1639, (vorhanden: H A B Те 4° 4). 6 2 2 A.a.O., p230a: „Alij statuunt quadruplicem diuinae cognitionis librum 1. φύσεως, naturae, ad quem pertinent κοινού fevvoiai, menti naturaliter impressae. 2. κτίσεως, creaturae, ad quem petinet (sie!) intuitus & contemplatio creaturarum. 3. γραφής, Scripturae, ad quem referenda diuina in Propheticis & Apostolicis scriptis reuelatio. 4. ζωης, Vitae aeternae, ad quem pertinent clara & intuitiua Dei visio in vita aeterna expectanda." 6 2 3 Aisted, Johann Heinrich, Theologia Naturalis Exhibens Augustissimam Naturae Scholam; In qua Creaturae Dei C o m m u n i sermone ad omnes pariter docendos vtuntur: Adversus Atheos, Epicvreos, et Sophistas huius temporis, Hannover 1623, (vorhanden: H A B 203.5. Th.). 6 2 4 Ebd., p246. 6 2 5 Ebd., p242. 6 2 6 Ebd., p243 . 6 2 7 Ebd., p242. 620 621

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Das jeweils eine Buch kann nur dann gelesen werden, wenn es in Relation und im Zusammenhang mit den jeweils beiden anderen gelesen wird. U n d das heißt natürlich auch, daß das Naturbuch nur im Zusammenhang mit dem Bibelbuch verstanden werden kann. Es geht also um die trinitarische Verschränkung der Bücher, die Gott als Bibliothekar 6 2 8 zu lesen gibt. Aber wie trotz der Homousie des Sohnes mit dem Vater und der processio des Geistes ex patre (filioque) dennoch Gottvater die ,fons deitatis' bleibt, so ist auch im Lektürevorgang der Büchertrinität das Buch der Heiligen Schrift das „principium", die Substanz, wenn auch ein „principium mixtum": „Sacra Scriptura est principium Theologiae naturalis, non purum, sed mixtum" 6 2 9 . Denn die Vernunft wird durch die Offenbarung und die Heilige Schrift nicht ersetzt, sondern erleuchtet durch das schöpferische Wort Gottes. Aisted spiegelt dieses Theologumenon wiederum an der Natur, indem er für die Verhältnisbestimmung von Vernunft und Offenbarung einen natürlichen Vergleich wählt. „Sol non extinguit stellam, sed vberiore lumine illarum lumen minus cedere facit: ita lumen Gratiae non extinguit lumen Naturae, sed illud cedere facit" 6 3 0 . Erst eine Vernunft, die durch die in der Schrift bezeugte Offenbarung erleuchtet ist, kann Gott dann auch aus dem Buch der Natur und aus dem Buch des Gewissens erkennen. Erst dann kann sich der Mensch auch selbst erkennen, wenn er sich nicht nur aus seinem Gewissen allein erkennen will, sondern sich gleichzeitig biblisch sieht, wie das oben angeführte Schema Alsteds zeigt. Wie Gottvater, die erste trinitarische Person, fons deitatis ist, so ist die Heilige Schrift gewissermaßen fons cognitionis deitatis. Gott zu erkennen, bedarf es nach Aisted einer ständigen Bewegung, die sich als Bewegung eines Lektüreaktes vollzieht, indem sich der Leser ständig zwischen den drei Büchern hin- und herbewegt, gleichzeitig aber bei dieser Bewegung immer schon von der den Glauben stiftenden Heiligen Schrift herkommt und sie den Motor sein läßt für den Lektürevorgang. Erst so gelesen steht auf jeder Seite des Naturbuches auch etwas. „In libro naturae (im grossen Weltbuch.) nulla pagina est vacua" 6 3 1 . Beleuchtet Aisted die Theologie der Natur von der Trinitätslehre aus, so tut Samuel Fabricius etwas ähnliches von der Soteriologie ausgehend. Nach Fabricius ist es „gewis/ daß Gottes Wort oder die heilige Schrifft das allerfürnembste Buch sey/in welchem vns die volkommene Lehre der Erkenntnus Gottes ... geoffenbahret ist" 6 3 2 . Zwar steht fest „daß die Schrifft und 6 2 8 „Denique appellatur Bibliotheca triuna; quia D E V S tanquam coelestis Bibliothecarius homines introducit in Scripturam, mundum majorem, & seipsos, tanquam Bibliothecam instructam a variis libris" (ebd., p243). 6 2 9 Ebd., p28. 6 3 0 Ebd., p27. 631 Ebd.,p245. 6 3 2 Fabricius, Samuel, Cosmotheoria Sacra Heilige Welt=Betrachtung/Oder Meditationes über den Hundert und Vierten Psalmen Davids von Gottes Geschöpffen und allerley grossen lieblichen Wunderwercken ... Franckfurt am Mayn 1625, (vorhanden: H A B 522.15. Th.), p4.

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die Welt zwey Bücher und zween Spiegel sind der Erkenntnus Gottes" 633 , aber die Bibel bleibt dem Naturbuch übergeordnet. Die Gotteslehre erst eröffnet den Blick für die Natur. „Kein einiger Mensch mag den wahren ... ewigen/lebendigen Gott den Schöpffer in diesem Geschöpff erkennen recht vnd also wie es Gott der Schöpffer haben will/er habe denn zuvor wol gelernet ... die Lehre von Gott" 6 3 4 . Der natürliche Mensch erkennt vernünftig aus der Natur nur, daß die Welt von Gott erschaffen ist, nicht aber, daß er sie aus dem Nichts erschaffen hat 635 . Vielmehr bedarf die Naturbetrachtung der Beleuchtung durch die Versöhnungslehre. „Ja das vberaus wol zu mercken/vnd ein recht Theologema, ein ausbündig Stück der Theologi ist/so muß jtzund die seligmachende Erkenntnüß Gottes/vnd aller Trost/Frewd vnd Ruhm/den wir an Gott dem Schöpffer aller Dinge haben sollen/in Cognitione Dei Redemtoris, in der Erkenntnüß Gottes als vnsers Erlösers sich anheben/als denn wird vns die Cognitio Dei Creatoris, die Erkenntnüß Gottes als eines Schöpffers wiederumb tröstlich/frölich vnd nützlich" 636 . Zwar ist der Über mundi allen Menschen gemein, und alle Menschen können ihn lesen, wie schon Cusanus im ,Idiota de sapientia'637 gesagt hatte638. Aber zu einem eigentlichen Lesenkönnen kommt es erst, wenn das Naturbuch als Bibelbuch gelesen wird. Hatte Aisted den locus der dogmatischen Prolegomena ,de cognitione Dei' einer Relektüre unterworfen, die hauptsächlich von der Trinitätslehre her geschah, so liest Fabricius die Prolegomena erneut unter dem Blickwinkel des locus ,de redemptione'. Hierin zeigt sich exemplarisch das Bemühen der altprotestantisch-lutherischen Orthodoxie, die Hermeneutik der Natur mit den traditionellen Lehren zu vermitteln und beides immer wieder aneinander abzubilden. Die Aufklärung und ihre Physikotheologie im engeren Sinne beginnen dort, wo dieses Miteinander sich aufzulösen beginnt. Ein Ansatz hierzu ist bereits bei Barthold Heinrich Brockes zu entdecken. Zwar wird man Brockes nicht wie gemeinhin üblich als Rationalisten bezeichnen können, wie Scheffczyk z.B. meint, wenn er urteilt: „Diese Geistigkeit, die aus den kunstvollen Anordnungen der Schöpfungswirklichkeit ein ,Irdisches Vergnügen in Gott' zu gewinnen sucht ... huldigte im Grunde einem naiven naturalistischen Optimismus, dem die Dimension 6 3 4 Ebd., p9. Ebd., p5 . „Die Vernunfft siehet z w a r / daß die W e l t von G o t t einem ewigen W e s e n h e r k o m m e n sey: D a ß aber G o t t alles aus nichts erschaffen h a b e / . . . das kan sie nicht erreichen. D e r A p o stel saget s e l b e r / H e b r . 11. W i r fassens durch den G l a u b e n / d e r Glaube aber m u ß aus Gottes W o r t k o m m e n " (ebd., p l 2 f ) . 633

635

636

Ebd., p l 3 f .

637

Vgl. oben p l 2 4 f dieser Arbeit.

„Liber mundi, das Buch der Welt ist allen Menschen g e m e i n / s i e könnens alle lesen ... Das W o r t vnd die heilige Schrifft aber h a t / h ö r e t / l i e s e t / v n d verstehet alleine die Kirche G o t tes, Deut 4 Psal. 147.103.V.7." (a.a.O., p6f). 638

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des Glaubens, des Mysteriums und des Übernatürlichen fremd war" 6 3 9 . Denn Brockes spricht in seinem neun-teiligen Werk „Irdisches Vergnügen in G O T T , bestehend in Physicalisch= und Moralischen Gedichten" 6 4 0 eben nicht davon, daß eine voraussetzungslose Erkenntnis Gottes auf allein vernünftigem Wege möglich sei. Vielmehr beruht es auf Gottes Gabe, daß der Mensch Gott aus der Natur erkennen kann. So rekurrieren bei Brockes immer wieder Gebete wie: „Gieb, daß im Spiegel deiner Wercke ... man deine wahre Gottheit mercke!" 6 4 1 . Es ist also nicht primär ein Vermögen des Menschen, Gott in dem Naturbuch zu erkennen, sondern Gabe Gottes. „ D a s Welt=Buch muß der Mensch studieren. Dieß schrieb des Schöpfers Wunder=Hand. Er schenkt uns Sinnen und Verstand, Daß uns der Inhalt könnte rühren, U n d uns auf Sein Erkenntniß führen" 6 4 2 . Allerdings steht Brockes zwischen Orthodoxie und Aufklärung insofern, als er zwar sagt, daß Gott den Menschen sinnlich machen muß, nicht aber das verbum divinum, die Heilige Schrift, als Medium dieser Sinnlichmachung nennt. Brockes fordert den Leser seiner Gedichte auf, in dem Weltbuch lesen zu lernen, wobei aber unklar bleibt, wer hier der Lehrer ist: der Mensch selbst aus sich heraus oder Gott durch sein Wort 6 4 3 . So bleibt Brockes in der traditionellen Diktion der Buch-der-Natur-Theologie, wenn er die Kreaturen als die einzelnen Buchstaben im Buch der Natur bezeichnet, nicht aber, wenn er von der Illumination redet, die der Natur als solcher anhaftet und eben nicht durch einen zusätzlichen göttlichen Offenbarungsakt hinzutreten muß. „Die Lettern nun sind vielerley, Die Züge Wunderschön formiret, U n d überall illuminiret, Sind Kräuter, Wiesen, Steine, Wälder, Sind Bluhmen, Häuser, Städte, Felder, Sind Vögel, samt der Fische Heer, Sind Erde, Feuer, Luft und Meer, Sind Millionen Welt' und

6 3 9 Scheffczyk, Leo, Schöpfung und Vorsehung, Handbuch der Dogmengeschichte, hg. von Schmaus, Michael, und Grillmeier, Alois, Bd. II. Der Trinitarische Gott. Die Schöpfung. Die Sünde, Faszikel 2a, Freiburg i. B. u.a. 1963, p l 2 1 . Ähnlich auch Wodtke, F.W., Art.: Brockes, in: R G G 3 , Bd. I, Sp. 1419f. 6 4 0 Erster Theil, Fünfte neu=übersehene und verbesserte Auflage, H a m b u r g 1732. Zweyter Theil, H a m b u r g 1734. Dritter Theil. Zweyte Auflage. H a m b u r g 1730. Vierter Theil. Zweyte Auflage. H a m b u r g 1735. Fünfter Theil. H a m b u r g 1736. Sechster Theil. H a m b u r g 1740. Siebender Theil. H a m b u r g 1743. Achter Theil. H a m b u r g 1746. Neunter und letzter Theil. H a m burg und Leipzig 1748. (Vorhanden: H A B L o 677). 6 4 1 Brockes, Vergnügen V, ρ 167. 6 4 2 Ders., VIII, p448. 6 4 3 „ E s scheint, wir sehen alles an, Als einer, der nicht lesen kann, Ein Buch, das schön gedruckt, beschauet. Denn, laß die Züge noch so rein, Die Lettern noch so zierlich seyn; Er wird daraus doch nicht erbauet. Er siehts, und, wann er es gesehn, Spricht er, wenns hoch kommt: es ist schön, U n d legt es sanfte bey sich nieder. So leyder! ist der Menschen Brauch Mit dem so schönen Welt=Buch auch ... Willt du nun von des Schöpfers Wesen, Pracht, Allmacht, Weisheit, Glantz und Schein Nicht ewig unempfindlich seyn, Geliebter Mensch; so lern in diesem Welt=Buch lesen!" (Brockes, II, pl50f).

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Sonnen in den Sternen" 644 . Und auch verrät es eine gewisse Abwendung von der Orthodoxie, wenn Brockes nicht mehr auf die sachliche Priorität des Bibelbuches vor dem Naturbuch verweist, sondern sagt: „Die Schrift (seil, das Weltbuch!; A.S.) ist wunderbar, sie übertrift All' andre Schrift. Ein jeder Buchstab kann allein Ein gantzes Buch voll Weisheit seyn" 6 4 5 . Orthodox dagegen sind die Reflexionen von Brockes über die Begrenztheit der Vernunft, sowie die hamartiologische Reflexion darüber, wie durch den Fall Adams die natürliche Gotteserkenntnis eingeschränkt ist, und der ständige Hinweis darauf, daß es zu einer wirklichen natürlichen Gotteserkenntnis erst am Jüngsten Tag kommen wird. Gerade hier ist Brockes ein Pädagoge und deswegen mit Hebel (begrenzt) vergleichbar, der begreift, daß die natürliche Pädagogik erst dann eine biblische ist, wenn sie über sich selbst hinausweist, indem sie auf ihre eschatologisch bedingte Begrenzung ständig hinweist. Im Gedicht „Lehren der Natur, absonderlich der Bluhmen" erscheint ähnlich wie später bei Hebel die Natur als Schulraum. „Was giebt uns nicht das Buch der Welt von unsers Schöpfers Wunder=Wesen Für überzeuglich=klare Lehren, wie manchen schönen Text, zu lesen? Die Welt scheint eine große Schule, wo alle Creaturen Lehrer, Auch ohne Witz und Klugheit sind" 6 4 6 . So kann die Pädagogik der Natur den Menschen nur das vorläufige Lesen lehren, zu einer wirklichen Lektüre des Naturbuches wird es erst am Jüngsten Tag kommen. „Dieß ist die Stimme der Natur, Die wir an allen Orten hören; Dieß sind des Welt=Buchs weise Lehren, Die wir an allen Orten sehn, Und überall geschrieben stehn. Laßt uns das Welt=Buch dann studieren; Doch nach der Ordnung dieser Zeit: ,Wir sollen hier nur buchstabieren; ,Das Lesen lehrt die Ewigkeit" 6 4 7 . Dieses Motiv der eschatologischen Begrenzung zieht sich durch das ganze Werk von Brockes hindurch. Auch die Vernunft erfährt sich als eine so eschatologisch eingeschränkte. Unter der Uberschrift „Gräntzen der Vernunft." 6 4 8 heißt es: „Wilst du, was nicht zu fassen, fassen; dieß ist verwegen und zu viel! Drum denck' in Demuth an die Wahrheit: Der Schöpfer will und kann allein Bewundert, nicht begriffen, seyn" 6 4 9 . Aber im Unterschied zu Aisted kann Brockes dessen Rezeption des Anselmschen ,credo, ut intelligam' („supernaturalia credimus, vt intelligamus, non intelligimus vt credamus" 650 ) umkehren und folgenden „Lehr=Satz" 6 5 1 aufstellen: „Des Glaubens Anfang muß Vernunft, ihr End' und Schluß der Glaube, seyn" 6 5 2 . So kann Brockes denn auch der Vernunft die Epitheta zukommen lassen, die die protestantischen Orthodoxen nur

644 648 651

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Ebd., pl52 . Ders., V, p3 79. Brockes, VIII, p584.

645 649 652

Ebd., pl51. Ebd., p380. Ebd.

646 650

6 4 7 Ebd., p451. Brockes, VIII, p35 . Aisted, a.a.O. (Anm. 623), p27f.

der Heiligen Schrift zugeschrieben hatten 6 5 3 , wenn er sagt: „Bloß nur die Vernunft allein Muß, daß unser besser sey, Richtschnur, Prob' und Richter seyn" 6 5 4 . An dieser Unausgewogenheit zeigt sich Brockes' theologiegeschichtliche Stellung zwischen Orthodoxie und Aufklärung besonders deutlich. In orthodoxer Weise jedoch schließt Brockes in seine Naturtheologie auch Reflexionen über den lapsus Adae ein. Allerdings erhalten die alten Inhalte bei ihm eine neue Wendung. Nach orthodoxer Lehre treten mit dem Fall Vernunft und Offenbarung dergestalt auseinander, daß die Vernunft nicht mehr allein den Inhalt der Offenbarung fassen kann. Die Vernunft lehnt sich infralapsarisch gegen die Offenbarung auf. Bei Brockes dagegen liegt die Unfähigkeit der Vernunft darin begründet, daß die Harmonie von Seele und Sinnen durch den Fall zerstört worden ist. „ E s hat ja wohl durch Adams Fall, wovon wir in der Bibel lesen, Kein größer Unglück auf der Welt den Menschen überkommen können, Als da, bey unsers Schöpfers Werken, in uns sich Seel und Sinnen trennen, Die ehedem, im Paradiese, unstreitig sind vereint gewesen, Wodurch so viele tausend Sprossen, in unsrer Lust zu Gott zu steigen, Auf aller Creaturen Leiter, sich unserm Geiste nicht mehr zeigen" 6 5 5 . Deswegen ist es die Aufgabe des Menschen, die Harmonie von Seele und Sinnen zu lernen, wobei Brockes jedoch wiederum nicht - wie es jedenfalls nach orthodoxem Verständnis nötig wäre - Gott als den Lehrer nennt, der durch seine Offenbarung lehrt. „Ach! liebste Menschen, lernet dann, ... Mit allem Ernst von Jugend auf, die Sinnen mit dem Geist zu fügen!" 6 5 6 . So kommt es denn auch, daß Brockes an einer Stelle seines Werkes die Blindheit des Menschen als Folge des Falls nennt, diese Aussage jedoch durch die einleitende Wendung „ich weis nicht . . . " relativiert: „Ich weis nicht, ob auf dieser Erden, So, wie Elisa Knaben dort, Der Menschen Augen fort und fort, Nach Adams Fall, gehalten werden, Daß sie, was wirklich wunderschön, (Ob sie davon im ganzen Leben, An allen Orten gleich umgeben) Dennoch nicht merken oder sehn" 6 5 7 . So ist Brockes orthodoxer Theologe, wenn er der Vernunft die Fähigkeit abstreitet, ohne göttliche Hilfe das Buch der Natur lesen zu können. Vielmehr sei eine Pädagogik nötig, die das Lesen lehrt. Von der orthodoxen Natur-Hermeneutik jedoch trennt sich Brockes, indem er nicht eindeutig die Bewegung des Bibelbuches auf das Naturbuch zu als Inhalt der nötigen Belehrung nennt, die letztenendes das Wort Gottes selbst in Gang zu setzen hätte. 6 5 3 Hutter, a.a.O. (Anm. 282), p l : Die Heilige Schrift allein ist „die unfehlbare Regel und Richtschnur Göttlicher Warheit." 6 5 4 Brockes, VIII, p583 . 6 5 5 Ders., VI, p273. 6 5 6 Ebd., p2 74. 6 5 7 Ebd., p l 2 4 .

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Traditionell-orthodox dagegen ist die Art, wie Brockes die Natur-Theologie vor einem Pantheismus schützt, indem er die Augustinsche vestigiaLehre eschatologisch formuliert. In der Natur betrachtet der Mensch nicht Gott selbst, sondern nur dessen Spuren, und es bedarf noch einer Abhebung der Decke, die nicht nur auf dem Angesicht des Mose (Ex 34,33; 2Kor 3,13ff) liegt, sondern auch auf der Natur. Ziel der Naturbetrachtungen ist es demnach, „den Schöpfer in den Geschöpfen zu sehen, und ihn unter der Decke gewahr zu werden, worunter Er seine Hoheit vor uns verstecket" 6 5 8 . Daß im biblischen Sinne revelatio und absconditas Gottes miteinander dialektisch vermittelt sind, weiß Brockes also noch. Dennoch beginnt sich bei Brockes die alte Ellipse, deren beide Brennpunkte die Bücher der Bibel und der Natur sind, zu verengen und zum Kreis zu werden, dessen Mittelpunkt das von der Bibel losgelöste Naturbuch ist. Das Lexem ,Weltbuch' tritt bei Brockes nie als Hendiadyoin, dessen zweites Glied ,Bibelbuch' wäre, auf. Daß man Brockes jedoch im völlig orthodoxen Rahmen interpretieren kann, erhellt schon daraus, daß der Wiederentdecker der Hermeneutik der beiden Bücher im orthodoxen Sinne Johann Georg Hamann den Dichter Brockes ganz in eben diesem Sinne interpretiert hat und den dritten Teil des ,Irdischen Vergnügens in G O T T ' herausgegeben hat 6 5 9 . In der Folgezeit jedoch wird die Ellipse von Natur- und Bibelbuch ganz verloren gehen und die Metapher vom Buch der Natur eine vom biblischen Inhalt völlig entleerte Worthülse werden und in der eigentlichen Aufklärungstheologie gar nicht mehr erscheinen. Der Dichter Johann Christian Günther dagegen sieht die beiden Bücher noch als aufeinander bezogene an. „Zwey Bücher sind genug: Die Biebel und die Welt. In beyden öffnet sich ein weit und fruchtbahr Feld, Die Kräffte des Gemüths, so viel man braucht, zu stärcken" 6 6 0 . D a Hebel eine Gedichtsammlung von Günther besessen hat 6 6 1 , ist es nicht auszuschließen, daß er mitunter durch ihn angeregt die Hermeneutik der beiden Bücher fast parallel zu, aber unabhängig von Hamann wiederentdeckt hat. Die Hermeneutik der Natur im orthodox-traditionellen Sinne ist zur Zeit Hebels bereits völlig verloren gewesen. Die natürliche Theologie hatte Ders., VIII, 608f. Brockes, Barthold Heinrich, Verdeutschte Grund=Sätze der Welt=Weisheit, des Herrn Abts Genest, nebst verschiedenen eigenen theils Physicalischen theils Moralischen Gedichten, als des Irdischen Vergnügens in Gott Dritter Theil; zum Druck befördert von Joh. George Hamann. Zweyte Auflage. Hamburg, 1730. Hervorhebung von mir, vorhanden: H A B L o 677. 6 6 0 Günther, Johann Christian, Sammlung von Johann Christian Günthers aus Schlesien, Theils noch nie gedruckten, theils schon heraus gegebenen, Deutschen und Lateinischen Gedichten. Frankfurth und Leipzig, 1724 (vorhanden: H A B L o 2384), hier: Theil I, plO. 6 6 1 Eine Gedichtsammlung Günthers findet sich im Nachlaßverzeichnis Hebels unter Nr. 461. 658

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sich vom Offenbarungsbegriff und vom reformatorischen Schriftprinzip ,sola scriptura' verabschiedet. Nach Häselers ,Betrachtungen über die natürliche Religion' ist es Aufgabe einer rationalistischen natürlichen Theologie, die durch Vernunftschlüsse spekulativ gewonnenen Einsichten durch Naturbetrachtungen empirisch zu erhärten. „... so kann ich doch die Geschöpfe selbst betrachten; und so unendlich vieles auch zurück bleibet, welches ich hiebey nicht einsehen kann, so werde ich dennoch Stoff genug antreffen, alles das bestätiget zu finden, was mich blos speculativische Betrachtungen, von der Macht, Weisheit und Güte Gottes, lehrten, und mich durch meine Sinne davon zu überzeugen, wovon ich mich schon durch Vernunftschlüsse überzeuget hatte" 6 6 2 . Häseler ist einer der wenigen in der Zeit der Aufklärung, bei denen die Metapher vom Buch der Natur sich noch findet, aber in hermeneutisch unreflektierter Weise. Das Buch der Natur ist nicht mehr dasjenige, das mit sieben Siegeln verschlossen biblisch zu entschlüsseln wäre, sondern ein Buch, über das man sich keine Gedanken macht, wie es zu lesen sei. „Die Natur ist das große Buch, darinn die Eigenschaften Gottes, mit großer deutlicher Schrift aufgezeichnet stehen, und dessen Durchlesung allezeit mit dem reizendsten Vergnügen, und der angenehmsten Beruhigung verbunden ist. Allenthalben wo ich hinsehe, finde ich Macht, Weisheit und Güte, Proportion, Ordnung und Vollkommenheit" 663 . Deswegen lassen sich die Naturbetrachtungen Häselers nicht durch die Bibel die Augen öffnen für die Natur, die Gleichnissprache der Bibel wird nicht mehr fruchtbar gemacht für die Artikulation der Gleichnishaftigkeit der Schöpfung, wie es die Orthodoxen noch getan hatten, wenn sie z.B. die Kometen als Zeugen der zukünftigen Verklärung des Menschen in himmlische Klarheit am Jüngsten Tage biblisch deuteten 664 . 6 6 2 Häseler, Johann Friedrich, Betrachtungen über die natürliche Religion, Leipzig 1787 (vorhanden: H A B Те 491), plOl. 663 Ebd. 6 6 4 Daß Hebel den Kometen von 1811 als Verkündigung der mit dem Jüngsten Tag anhebenden Neuschöpfung versteht, haben wir oben p 7 2 - 7 4 dieser Arbeit gesehen. Ganz ähnlich können auch orthodoxe Theologen den Kometen von 1619 als Prolepse des Jüngsten Tages verstehen: Jesus. Virga Vigilans, Daß i s t / E i n Einfältiger/doch Christlicher/vnd Geistlicher Discurs, von jetzigem/am Himmel stehenden Cometen, darin Schrifftlich/vnd Trewherzig angezeiget/wofür Teutschland/bey jetziger vor Augen schwebender Vnruh/selbigen ansehen vnd achten soll. Gehalten/Auff den andern Advents Sontag/vnd frommen C h r i s t e n / z u embsigen nachdencken/wolmeinend in Druck verfertiget: Von Jacobo Herrenschmidt Oettingense, Evangelischem Kirchendienern zu Zimmern. Im Jahr C o M e t a VIndeX, In reglone nostra, Vim 1619 (vorhanden: H A B 202. 79 Q u o d . (2)) sieht die Frohbotschaft, die der Komet bringt, in vier Hinsichten an: „ D a ß aber der getrewe hilffreiche G o t t / i n Stern gestalt seinen Himlischen Kamerbotten vns vorstellet/scheinet tröstlich vnnd wolbedäncklich. Stern sind 1. indices divinae maiestatis ... Seind 2. judices nostrae puritatis ... Seind 3. testes futurae immortalitatis: Zeugen von vnserer ewigen schönheyt vnd vnsterblichkeyt: gleich wie die Stern jetzunder im firmament herrlich Zwitzern vnnd scheinen: Also werden die glaubige Menschen in grosser klarheyt am jüngsten Tag stehen. 1. Corinth. 15.42 . . . " (plO).

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Hebel besaß zwar dieses Werk von Häseler. Aber gerade an diesem Beispiel zeigt sich besonders krass, daß man von den Büchern, die Hebel besessen hat, oft nicht auf die von Hebel vertretene Theologie schließen kann. Sondern hier zeigt sich, wie Hebel gegen die theologische Hauptströmung der Zeit einen alten Lehrinhalt neu zur Sprache bringt. Die naturbetrachtende Literatur, die Hebel für die Abfassung der „Betrachtungen" wahrscheinlich verwendet hat und diejenige, die er für die Tierbetrachtungen nachweislich als Vorlage benutzt hat 665 , spricht - so weit ich sehe - nicht vom Buch der Natur. Hebel hat es wiederentdeckt, und die Rebiblisierung der Theologie geht bei ihm einher mit einer Reliterarisierung und Rebiblisierung der Schöpfung. Selbst bei Johann Wolfgang von Goethe ist das Naturbuch nicht mehr in die Bibliothek Gottes eingeordnet, dergestalt daß das Bibelbuch der notwendige Kommentar wäre. Das Naturbuch hat sich verselbständigt: „Die Natur ist doch das einzige Buch, das auf allen Blättern großen Gehalt bietet" 666 . Es wird verständlich, wenn man es in das Innere zieht. „Sieh, so ist die Natur ein Buch lebendig, Unverstanden, doch nicht unverständlich: Denn dein Herz hat viel' und groß Begehr, Was wohl in der Welt für Freude wär', Allen Sonnenschein und alle Bäume, Alles Meergestad und alle Träume, In dein Herz zu sammeln mit einander"667. Dieses säkularisierte und entbiblisierte Naturverständnis Goethes ist mitunter auch Grund dafür, daß Goethe für die Alemannischen Gedichte Hebels nur einen ganz säkular-ästhetischen Blick haben kann, der über die biblischen Allusionen und das eschatologische Gepräge der Hebeischen Gedichte hinweggeht. Uber ein Gedicht wie ,Die Vergänglichkeit', auf das wir unten eingehen werden668, das die biblische Ankündigung der endzeitlichen annihilatio, der Neuschöpfung und des neuen Jerusalem in das Territorium von Rötteln und Basel hinein transponiert, urteilt Goethe: „Die höhere Gottheit bleibt bei ihm (seil, bei Hebel; A.S.) im Hintergrund der Sterne" 669 . Da Goethe selbst einen unbiblischen Blick auf die Natur richtet, kann er nicht bemerken, daß Hebel die Natur durch das biblische Okular sieht. Ganz im Gegenzug zu der zeitgenössischen Trennung der beiden Bücher bindet Hebel sie auf biblische Weise wieder zusammen in den einen für sie vorgesehenen Buchdeckel. Und er tut dies nicht, um eine vergangene Epoche der Theologie gewaltsam gegen die modernen Zeitläufte der Aufklärung zu neuem Leben zu erwecken. Sondern er tut es, um die Errungenschaften der Aufklärung in den Kontext zu stellen, auf den sie ein Anrecht 665 666 667 668 669

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S.u. p l 6 1 - 1 7 2 dieser Arbeit. Goethe, W A 31,34. Goethe, W A 2, 191. S.u. p252f dieser Arbeit. Goethe, a.a.O. (Anm. 54), p264. Vgl. hierzu pl8-21 dieser Arbeit.

haben. Gerade um die Aufklärung und ihren Bildungsoptimismus beibehalten zu können, muß der Aufklärung die eschatologische Aufklärung über sich selbst werden. Hebel ist Aufklärer darin, daß er dem Volk gegen den Aberglauben zu einem fundierten Realienwissen verhelfen will. Hebel ist darin derjenige, der der Aufklärung die Aufklärung über sich selbst bringt, indem er die Aufklärung eschatologisch reflektiert. Denn das Streben danach, den Bildungsoptimismus der Aufklärung konkret darin umzusetzen, daß man dem Volk das Realienwissen nach dem Stand der aktuellen Naturwissenschaft in leicht faßlicher Form darbietet, hat sein notwendiges Korrelat in dem Wissen darum, daß alles zu wissen in diesem Aon eben nicht möglich ist. Darin besteht die seelsorgliche Dimension der Pädagogik Hebels, daß er den Menschen vor der Irrmeinung bewahren will, er müsse nun immer mehr Realienwissen anhäufen, um dereinst das ganze Universum aus eigener Kraft gedanklich zu umfassen. Empirik und Eschatologie bedürfen einander, da eine seelsorgliche Pädagogik nottut. Empirik und Eschatologie bedürfen einander, weil die Aufklärung nur dann in ihren Errungenschaften nicht untergeht, wenn man die Aufklärung gegen sich selbst schützt 670 . Deswegen läßt Hebel die aufgeklärte Pädagogik wieder diejenige sein, die über sich selbst in ihrem Unwissen hinausweist auf den Jüngsten Tag. Hebel weiß darum, daß Unwissen und Unverstand eine theologische Kategorie sind, die uns bei allem proleptischen Epiphanwerden des Jüngsten Tages in der Schöpfung heute auf den Tag verweist, an dem wir keine Fragen mehr haben werden. Hebel weiß darum, daß der Mensch ein Anrecht darauf hat, nicht alles zu wissen, ohne daß er aber diese Einsicht gegen die empirische Erforschung der Natur wendet. Vielmehr erwächst gerade aus der Einsicht in die Tatsache, daß erst am Ende alles aufgeklärt wird, hier und jetzt die Möglichkeit, das Gegebene verstehen zu können. In der Predigt Hebels am Sonntag Jubilate 1793 über den Text Joh 16,16-23, der nach Hebel seinen Skopos im Satz ,und an demselbigen Tage werdet ihr mich nichts mehr fragen' hat (v23), beschreibt Hebel die Befindlichkeit des Menschen als eines viator, der noch in Pilgrimschaft und Fremdlingsschaft lebt. „Wir sind Menschen, und müssen es seyn, so lange wir auf dieser Erde wandeln, und in diese Einrichtung der Dinge passen wollen. Größere Vollkommenheit würde uns nur desto öfter erinnern, und desto drückender es fühlen lassen, daß wir hier im fremden Lande wallen ... und die Vergänglichkeit auf dem Fuße nachfolgt" 671 . Deswegen hat Gott die Wahrheiten nicht offen in die Natur gelegt, sondern „er wollte uns in die Nothwendigkeit versetzen, sie zu suchen, wenigstens die Spuren, 670 Vgl die Ausführungen zur Empirik bei Johann Heinrich Pestalozzi in Kap. 1,7 dieser Arbeit. 6 7 1 Hebel, S W V , 116.

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die er uns in der Natur vorgezeichnet hat, die Winke, mit welchen er uns in der Offenbarung aufmerksam macht, selber zu verfolgen" 6 7 2 . Selbständige Beobachtung der Natur und Offenbarung widersprechen einander nicht. In das decretum Dei kann der Mensch schon jetzt auch durch empirische Naturbetrachtung eindringen, dazu hat Gott dem Menschen den Verstand gegeben. Gott sorgt dafür, daß sich die eschatologischen Ahndungen immer mehr mit dem menschlichen Verstände vereinen. „Aufmerksamkeit auf die Werke Gottes ..., diese Beschäftigung wird uns in der großen Lection Gotteserkenntniß gewiß immer weiter führen, uns in die Rathschlüsse und Führungen des Ewigen immer mehr mit festem beruhigtem Blick eindringen lassen, und die Ahndungen, mit denen sich das Herz so gerne von Zeit und Erde, von Tod und Grab hinweg in die Zukunft über den Wolken erhebt, immer mehr berichtigen, mit den Einsichten des Verstandes in Einigung bringen, und so zur frohen Ueberzeugung erheben" 6 7 3 . Aber dennoch wird diese Einigung auf Erden immer nur eine unvollständige und unvollendete sein, denn es gilt: „Sehr natürlich, wir sind Menschen und keine Engel" 6 7 4 . Gott belehrt den Menschen zwar durch das Buch der Natur und erleuchtet hierzu die Vernunft des Menschen: „Mit welchen göttlichen, kraftvollen, zum Himmel heiligenden Belehrungen hat die höhere Offenbarung den Verstand bereichert? Wie führt uns nicht jede duftende Blume des Feldes einem allmachtsvollen liebenden Schöpfer entgegen? ... Wie strahlt uns vom sternenvollen Himmel die Unsterblichkeit, Fortdauer über dem Grabe des Menschen, und Fortdauer über den Trümmern der Erde entgegen" 6 7 5 . Aber es gibt eine Grenzlinie, die Gott dem Verstand und der Forschung des Menschen gezogen hat. „Irgendwo mußte Gott unserm Wissen und Verstehen eine Grenze ziehn, und hat er sie nicht weit genug gezogen? Mit welchen schönen, fruchtbaren, trostvollen Wahrheiten weiß sich schon die Vernunft selber zu berathen? Mit welchen göttlichen, kraftvollen, zum Himmel heiligenden Belehrungen hat die höhere Offenbarung den Verstand bereichert?" 676 . Die Vernunft hat ein weites Feld, aber „irgendwo mußte Gott unserm Wissen und Verstehen eine Grenzlinie ziehen, wenn er uns nicht zu sich auf den Thron der Allwissenheit erheben wollte" 6 7 7 . Alle Lehre und alle Pädagogik befindet sich also ebenfalls auf dem Wege dem Eschaton entgegen und noch in der Fremdlingsschaft. Alle Pädagogik wird über sich selbst erst am Jüngsten Tag aufgeklärt werden. Denn das Jüngste Gericht ist für Hebel auch die letzte Unterrichtsstunde, wo alles Unwissen sich in Wissen verwandeln wird. „ U n d der große belehrende Tag bleibt nicht aussen, auf den uns Christus in unserm Evangelium vertröstet: Ihr werdet mich nichts mehr fragen" 6 7 8 . 672 676

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Ebd., 113 . Ebd., 115 .

673 677

Ebd. Ebd., 114.

674 678

6 7 5 Ebd., 115f. Ebd., 114. Ebd., 118 (Hervorhebung von mir).

Hier zeigt sich bereits, was in Kap. 11,2 aufgewiesen werden wird 679 , daß nämlich die zeitgenössische Leibnizsche Theodizeefrage bei Hebel eine eschatologische Wendung erfährt, anhand der Betrachtung der Hebeischen Pädagogik. Denn auch das Böse und das Leiden in der Welt gehören zu den hier und jetzt unbegreiflichen Dingen; die Aufklärung über dieses Unbegreifliche steht noch aus. „Nur die Ewigkeit muß es entscheiden, ob wir glücklich oder unglücklich sind. Unser jetziges Leben ohne die Ewigkeit betrachtet, das Leben des Weinenden wie des Frohlockenden, ist in alle Wege ein unbegreifliches Räthsel. Laßt uns bis zur nahen Aufklärung desselben jeden Unmuth, jedes traurige Urtheil zurückhalten" 680 . Aber die Pädagogik, die um die eschatologische Unterrichtsstunde weiß, wo auch die Lehrer noch einmal zu Schülern werden, sieht keinen Grund, deswegen in pädagogische Resignation und in hermeneutische Indifferenz zu verfallen. Denn Hebel schließt an die evangelische Verkündigung der Verheißung des großen Belehrungs- und Aufklärungstages die konkrete ethische Weisung an: Eben weil wir der letzten Belehrung noch entgegengehen, dürfen wir unsern Verstand gebrauchen und forschen. Aber, und auch darin besteht das Proprium der Hebeischen Pädagogik: Eschatologisch reflektiert kann der Forschergeist die Demut lernen: „Gottes Absichten sind weise und gut; mögen auch wir uns weise und gut in unsrer Lage benehmen. Unsre Pflicht ist es, unsre geistige Kraft zu üben, mit Demuth zu forschen nach Wahrheit. So thöricht und vermessen es wäre, in Geheimnisse eindringen zu wollen, die Gott unserm Auge verborgen hat, so unverantwortlich würde es seyn, die Kraft des Geistes, die er dem Menschen zum Eigenthum gab, schlummern zu lassen im Dienste der Eitelkeit, gleichgültig zu seyn gegen die Belehrungen, die uns mit so großem Aufwand in der Natur und Offenbarung aufgestellt und überliefert sind" 6 8 1 . Denn dem Menschen ist es vergönnt, gerade in der Unzulänglichkeit seiner Erkenntnis, in der Natur schon jetzt das, was noch nicht ist, ansatzweise und proleptisch zu erkennen und einen Vorgeschmack zu haben auf die letzte Schulstunde im Himmel. Das heißt für Hebel „des Himmels Freuden durch Sanftmuth und Liebe auf die Erde herabziehen" 682 . Denn der Mensch, der im Naturbuch liest, bereitet sich auf die himmlische Lektion vor, denn „die Ewigkeit ist es, die uns einst über alles belehren wird" 6 8 3 . Bei Hebel zeigt sich die Aufklärung als eine sich selbst reflektierende, als eine an der Eschatologie sich abbildende. Das Vehikel, um die aufgeklärte Pädagogik, deren Bildungsoptimismus und Streben nach Vermittlung von breitem Sachwissen auch Hebel umtreibt, als Propädeutikum für den Jüng-

679 680 681

Vgl. Kap. 11,2 dieser Arbeit. Hebel, SW V, 158 (Hervorhebung von mir). 6 8 2 Ebd., 123 . 6 8 3 Ebd. Ebd., 118.

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sten Tag zu ihrem Recht kommen zu lassen, ist die Theologie des Buches der Natur. Und dieses Propädeutikum belehrt den Menschen im Anschluß an die Anschauung der Natur durch die Sinne. Aber sie verschließt sich nicht gegen die eschatologische letztgültige Entschlüsselung. Aufklärung bei Hebel geht nicht in dem Ziel auf, das Volk zu belehren und Aberglauben zu entkräften, wiewohl Hebel dies auch tut, wie oben gezeigt. Aufklärung ist bei Hebel zunächst einmal ein eschatologisches Ziel, der Jüngste Tag, den Hebel insofern vorbereitet, als er als Lehrer der biblischen Sprache zum biblischen Aufklärer wird, indem er z.B. im Kalender naturwissenschaftliche Erkenntnisse einer Rebiblisierung unterzieht (vgl. auch Kap. 1,8). Aufklärung im Sinne Hebels heißt auch, die rationalistische zeitgenössische Aufklärung darüber aufzuklären, daß es ein positives Bedürfnis des Menschen nach einem sinnenfällig werdenden Gott gibt, das nicht aufklärend entkräftet werden kann, daß es daher eines poetischen Engelglaubens bedarf, der die Menschen zurückführt in die Gottesnähe des verlorenen Paradieses (vgl. Kap. 11,7). Als biblischer Aufklärer steht Hebel in der Nachfolge Jesu Christi, da er mit ihm das gemeinsame Geschäft hat, durch Stiftung von Glauben die menschliche Vernunft biblisch aufzuklären: „Christliche (u. moralische) Freiheit ist das Vermögen nach vorhergegangener Überlegung das zu thun und zu wählen, was die, durch die Lehre Jesu geweckte und aufgeklärte Vernunft als das beste erkennet"684.

6 8 4 Vorausmitteilung der Hebel-Edition, Transkription des Konvoluts Η 1 2 3 , Badische Landesbibliothek Karlsruhe, fol. 98. (Hervorhebung von mir).

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6. Die Wiedergewinnung der Offenbarung durch Hebel im Vergleich mit Lessings ,Die Erziehung des Menschengeschlechts' Die Stellung Hebels in der zeitgenössischen Pädagogik II Indem Hebel die Hermeneutik des biblisch gelesenen Buches der Natur zum Medium wählt, der Aufklärung die eschatologische Aufklärung über sich selbst zu bringen, gewinnt er die Bibel und somit die biblische Offenbarung für die theologische Pädagogik wieder. Hierin ist Hebel einerseits mit Gotthold Ephraim Lessing verwandt, andererseits geht er jedoch über ihn hinaus. Lessing hat, verglichen etwa mit dem Neologen Semler, eine Klärung in die Verhältnisbestimmung von Vernunft und Offenbarung, Wissen und Glauben, insofern gebracht, als er in diese Verhältnisbestimmung eine neue Komponente eingeführt hat, die auch berücksichtigt werden müsse: Die Zeit. Semler hatte gelehrt, daß die Vernunft den offenbarten Lehrinhalten insofern aufzuhelfen habe, als sie die Aufgabe habe, die biblischen Inhalte vernünftig erweislich zu machen, sowie die unvernünftigen Bestandteile der biblischen Lehre, die Resultat einer Akkommodation Gottes an den damals noch in geringerem Maße vernünftigen Geist der Menschen sind, auszumitteln und auszuscheiden 685 . Lessing dagegen zeigt auf, daß es nicht möglich sei, in Vernunft und Offenbarung eine derartige Alternative zu sehen, daß vielmehr Offenbarungsinhalte zu Vernunftinhalten geworden sein können. Denn nach Lessing ist das Handeln Gottes als Offenbarer Handeln Gottes als Erzieher. „Erziehung ist Offenbarung, die dem einzeln Menschen geschieht: und Offenbarung ist Erziehung, die dem Menschengeschlechte geschehen ist, und noch geschieht" 686 . So wie die Erziehung nur das entfaltet, was im Zögling schon angelegt ist, so gibt auch die Offenbarung dem Menschen nur das, was er irgendwann auch seiner Vernunft hätte entnehmen können, nur eben schneller und früher. Die Aufgabe der 6 8 5 Vgl. hierzu oben plOO. „ D e r Unterricht Christi und der Apostel hatte kein vorausliegendes festgesetztes Maas, sondern wurde nach den Fähigkeiten der Zuhörer eingerichtet, um sie alle, jeden in besonderer Stufe zu der eigenen, gegenwärtigen, und fortwachsenden Religion anzuleiten." Johann Salomo Semlers letztes Glaubensbekenntniß über natürliche und christliche Religion. Mit einer Vorrede hg. von Chr. Gottfr. Schütz, Königsberg 1792, p50. 6 8 6 Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts, in: a.a.O. (Anm. 288), Bd. 8, Darmstadt 1979, p490 (zit.: Lessing, Erziehung).

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Offenbarung besteht also in der Akzeleration der Einsicht, die die Vernunft auf längere Sicht auch aus sich selbst hätte schöpfen können. „Erziehung gibt dem Menschen nichts, was er nicht auch aus sich selbst haben könnte: sie gibt ihm das, was er aus sich selber haben könnte, nur geschwinder und leichter. Also gibt auch die Offenbarung dem Menschengeschlechte nichts, worauf die menschliche Vernunft, sich selbst überlassen, nicht auch kommen würde: sondern sie gab und gibt ihm die wichtigsten dieser Dinge nur früher" 6 8 7 . So hat Gott in seinem Erziehungshandeln den Israeliten die Vernunftwahrheit, daß nur ein einziger Gott ist, geoffenbart, schon bevor die Israeliten im Exil dann durch ihren von Gott geschärften Verstand selbst vernünftig zu dieser Einsicht kamen. „Du hast in der Kindheit des Menschengeschlechts an der Lehre von der Einheit Gottes gesehen, daß Gott auch bloße Vernunftswahrheiten unmittelbar offenbaret; oder verstattet und einleitet, daß bloße Vernunftswahrheiten als unmittelbar geoffenbarte Wahrheiten eine Zeit lang gelehret werden: um sie geschwinder zu verbreiten, und sie fester zu gründen" 688 . Es gibt also Wahrheiten, die wir heute als Vernunftwahrheiten ansehen, die aber offenbart werden mußten, um erst zu Vernunftwahrheiten zu avancieren. „Und die Ausbildung geoffenbarter Wahrheiten in Vernunftswahrheiten ist schlechterdings notwendig, wenn dem menschlichen Geschlechte damit geholfen sein soll. Als sie geoffenbaret wurden, waren sie freilich noch keine Vernunftswahrheiten; aber sie wurden geoffenbaret, um es zu werden" 6 8 9 . So versucht Lessing, die orthodoxe Lehre von der durch die Offenbarung ergehenden illuminatio der Vernunft zu interpretieren und im Kontext der Aufklärung zu reformulieren. Den alten Lehrinhalt, daß die vom Glauben erleuchtete Vernunft nun auch die Offenbarung beleuchten kann, daß nach der illuminatio die Offenbarung nicht mehr contra rationem, sondern nur noch supra rationem ist 690 , reformuliert Lessing, wenn er sagt: „Doch nun (seil, in der Exilszeit; A.S.) war die Zeit da, daß diese seine (seil. Israels; A.S.) Begriffe erweitert, veredelt, berichtiget werden sollten, wozu sich Gott eines ganz natürlichen Mittels bediente; eines bessern richtigem Maßstabes, nach welchem es ihn zu schätzen Gelegenheit bekam ... Die Offenbarung hatte seine Vernunft geleitet, und nun erhellte die Vernunft auf einmal seine Offenbarung" 691 .

6 8 8 Ebd.,p504. 6 8 9 Ebd., p506. Ebd. Das Versöhnungswerk Christi und die regeneratio des Menschen beginnen damit, die mit dem Fall verlorengegangenen Fähigkeiten der Vernunft des Menschen wiederherzustellen. Nach Gerhard, Johann, a.a.O. (Anm. 266), torn. I, p211 waren dem Menschen die articuli fidei vor dem Fall nur supra, nicht aber contra rationem. Es sei zu unterscheiden „inter rationem hominis nondum renati et rationem hominis regeniti" (ebd.). Nach dem Fall gilt: „Sed post lapsum (seil, articuli fidei; A.S.) sunt non tantum supra, sed etiam contra rationem corruptam" (ebd.) 6 9 1 Lessing, Erziehung, p497f. 687

690

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Aber Lessing ist doch beeinflußt vom einem aufgeklärten Rationalismus, wenn er die Erleuchtung der Vernunft als eine jeweils ein für alle Mal geschehene historische Begebenheit verrechnet und sie nicht als eine solche faßt, die durch die Verkündigung des Wortes Gottes je und je erst wieder zu geschehen hat. Lessing reflektiert nicht darüber, ob oder wie die Erleuchtung der Vernunft, die der Menschheit »phylogenetisch' zuteil wird, je wieder dem einzelnen Menschen ,ontogenetisch' wird. So muß Lessing z.B. behaupten, daß - seitdem die Lehre von der Einheit Gottes den Juden im Exil zu einer Vernunftwahrheit geworden ist - es keinen Abfall von Gott in Israel mehr gegeben habe. „Bald war an Abfall und Abgötterei unter ihm nicht mehr zu denken. Denn man kann einem Nationalgott wohl untreu werden, aber nie Gott, so bald man ihn einmal erkannt hat" 6 9 2 . U n d so kommt es denn auch, daß Lessing das Wechselverhältnis von Vernunft und Offenbarung, das er selbst formuliert hat, nicht ein Wechselverhältnis gleichberechtigter Partner sein läßt. Denn ist eine offenbarte Wahrheit erst einmal zur Vernunftwahrheit geworden, kann sie von der nun unnötig gewordenen Bezeugung der Offenbarung in der Schrift losgelöst werden. So sind im Alten Testament zwar „Vorübungen" 6 9 3 auf die erst im Neuen Testament geoffenbarte Lehre von der Unsterblichkeit der Seele zu finden, z.B. in Ex 34,7 6 9 4 . Aber indem Christus kam und mit ihm die Offenbarung der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, wurden diese Vorübungen nutzlos. „Ein beßrer Pädagog muß kommen, und dem Kinde das erschöpfte Elementarbuch (seil, das AT; A.S.) aus den Händen reißen. Christus kam" 6 9 5 . Hierbei beachtet Lessing nicht, daß es keinen Bildungsstand des Menschengeschlechtes geben kann, kein kollektives Informationsarsenal, das allen Menschen, die neu geboren werden, genetisch übermittelt wird, sondern daß vielmehr das bereits erlangte Wissen immer wieder erst vermittelt werden muß und hierzu die sog. Vorübungen wiederum didaktisch notwendig werden können 6 9 6 . Hierin trennt sich Lessings Pädagogik des Menschengeschlechtes von derjenigen, die dem A T inhäriert, denn dort ist immer wieder davon die Rede, daß das Bekenntnis zu dem einen Gott und die Kenntnis der Geschichte dieses Gottes mit seinem Volk immer wieder neu von Generation zu Generation vermittelt werden muß (Ps 78,3-5; Dtn 32,7). Und so ist Lessing zwar in der Art, wie er das

693 Ebd., p499. Ebd. „Eine Vorübung auf die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, nenne ich z.E. die göttliche Androhung, die Missetat des Vaters an seinen Kindern bis ins dritte und vierte Glied zu strafen." Ebd., p500. 6 9 5 Ebd., p501. 6 9 6 Lessing selbst hat dieses Problem gesehen und hat deswegen eine Seelenwanderung annehmen müssen, um die sich aus seinem Entwurf ergebende Schwierigkeit zu umgehen. Vgl. hierzu wie zum Ganzen: Hornig, Gottfried, Art.: Lessing, T R E 21, Lfg. 1/2, B e r l i n / N e w York 1991, p20-33, hier: p26. 692 694

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Verhältnis von Vernunft und Offenbarung faßt, über Semler hinausgekommen, ist aber letztendlich doch nicht über dessen Akkommodationslehre hinausgekommen. Anders als Hamann kann auch Lessing es nicht fassen, daß es der Kondeszendenz Gottes immer wieder bedarf, um die Menschenkinder zu belehren, und in dieser Kondeszendenz der Offenbarung. Denn die Erleuchtung der Vernunft ist bei Lessing nicht eine, die jeweils und immer neu - durch die Predigt etwa - zur applicatio kommen müßte, sondern sie ist eine dem Menschengeschlecht als Kollektiv einmal vermittelte und forthin habituell anhaftende. Deswegen wird Lessing zufolge auch bald der Zeitpunkt gekommen sein, an dem es des N T nicht mehr bedarf, da die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele mittlerweile durch die Vermittlung des griechischen Geistes zur Vernunftwahrheit geworden ist. „ S o wie wir zur Lehre von der Einheit Gottes nunmehr des Alten Testaments entbehren können; so wie wir allmählig, zur Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, auch des Neuen Testaments entbehren zu können anfangen: könnten in diesem nicht noch mehr dergleichen Wahrheiten vorgespiegelt werden, die wir als Offenbarungen so lange anstaunen sollen, bis sie die Vernunft aus ihren andern ausgemachten Wahrheiten herleiten und mit ihnen verbinden lernen?" 6 9 7 . Denn Lessing zufolge kann die innere Wahrheit des Evangeliums auch ohne den Buchstabenbestand desselben bestehen bleiben. Was Lessing von den Neologen unterscheidet, ist, daß er auf die Orthodoxie in gewisser Weise zurücklenkend lehrt, daß es sehr wohl nötig sein kann, daß sich die Vernunft der Offenbarung gefangen geben muß. So bringt Lessing eine Differenzierung der zwischen den Neologen und den Orthodoxisten strittigen Fragestellung, indem er darauf hinweist, daß die Vernunft eine Größe ist, die durch Offenbarung erzogen werden muß, indem er also das Verhältnis von Vernunft und Offenbarung im geschichtstheologischen Koordinatensystem betrachtet wissen will. Kind der Neologie dagegen ist Lessing, wenn er die wachsenden Fähigkeiten der Vernunft als umgekehrt proportional zu der Wichtigkeit biblischer Texte sieht. Bei Hebel dagegen kommt die orthodoxe Verhältnisbestimmung von Vernunft und Offenbarung erneut zum Tragen, als eine, die durch die Einsicht von Lessing, daß die Vernunft eine durch die Offenbarung zu erziehende sei, bereits hindurch gegangen ist und um die oben dargestellten Schwächen des Lessingschen Modells der Erziehung des Menschengeschlechts weiß. 6 9 7 Lessing, Erziehung, p505. Z u m Verhältnis von Vernunft und Offenbarung im Werke Lessings vgl. Bothe, Bernd, Glauben und Erkennen. Studie zur Religionsphilosophie Lessings, M P F 75, Meisenheim am Glan 1972, bes. pl41—181; Freund, a.a.O. (Anm. 473); Schilson, Arno, Zwischen Glaube und Vernunft. Zum 200. Todestag Lessings, in: StZ 199 (1981), рЮЗ—116; Stange, Carl, Lessings Erziehung des Menschengeschlechts, in: Z S T h 1 (1923/24), pl53—167; Thielicke, Helmut, Vernunft und Offenbarung. Eine Studie über die Religionsphilosophie Lessings, Gütersloh 5 1967.

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Daß dem so ist und Hebel nicht etwa die alte Verhältnisbestimmung von Vernunft und Offenbarung auf eine anachronistische Weise repristiniert, zeigt sich besonders anhand einer Predigt Hebels über IKor 2,6-10, die hier im Kontext seiner anderen Predigten betrachtet werden soll. Ahnlich wie Lessing sagt Hebel zunächst, daß es Wahrheiten gibt, die dem Menschen so einfach, natürlich und verständlich sind, daß er beginnt zu denken, daß sie auch ohne Offenbarung ihm irgendwann hätten bekannt werden müssen. Ahnlich wie Lessing macht Hebel darauf aufmerksam, daß Vernunftwahrheiten durch die Offenbarung zu solchen geworden sind. „Es ist oft sehr schwer, christliche Zuhörer, wenn wir durch fremde Anleitung und Unterstützung zu gewissen Fertigkeiten und Vollkommenheiten gelangt sind, jedesmal wahr und billig zu beurtheilen, wie weit wir, uns selbst überlassen, durch Anwendung und Uebung unsrer eigenen Kraft würden gekommen seyn ... Wir sind so leicht zu dem Anschauen derselben (seil, der heiligen Wahrheit Gottes; A.S.) gelangt, sie liegt größtentheils so einfach, natürlich und allverständlich vor uns, der Verstand findet sie so richtig ... wir sind auch schon so lange her in ihrem Besitze, der menschliche Verstand hat sie schon so mannigfaltig bearbeitet, angewendet, sich zu eigen gemacht, daß es oft fast scheint, als ob vernünftige Menschen ohne Dazwischenkuuft (sie!) himmlischer Belehrung wissen müßten, wie sie weise, gut und glücklich leben, wie sie aus unglücklichen Verirrungen sich zurück finden, und im Drang der Leiden und im Schauer der Menschlichkeit am Grabe sich trösten müssen" 698 . Und auch die Formulierung, daß „das erste Verdienst der Boten Jesu Christi um die Menschheit (ist): sie haben Wahrheiten der Religion, welche der Menschensinn wohl auch einmal finden konnte, auf die er am Ende fast nothwendig verfallen mußte, zur frühern und gewissen Bekanntschaft gebracht" 699 klingt auf den ersten Blick so, als folge Hebel Lessing in der These, daß die Offenbarung dem Menschen das bringt, was er auch aus sich selbst hätte wissen können, nur schneller. Dennoch ist hier auf die kleine Differenz wohl zu achten: Nach Hebel bringt die Offenbarung das, was die Vernunft aus sich selbst irgendwann hätte wissen können, nicht nur schneller, sondern auch gewisser. Hier spricht Hebel das zentrale reformatorische Theologumenon der Glaubensgewißheit an, und schärft es redundant ein, wenn er sagt: „Es ist drittens das Verdienst der Gesandten Jesu Christi: sie haben uns über höchst wichtige Angelegenheiten der Menschheit, wo alle Vernunft und alles Gefühl nur wünschen, ahnden und hoffen konnte, durch die Predigt des Evangeliums Jesu Christi freudige Gewißheit verschafft" 700 . Nicht das ist der entscheidende Fortschritt, daß eine Offenbarungswahrheit schneller in eine Vernunftwahrheit übergeht, sondern daß der Inhalt der Wahrheit zur Gewißheit kommt. Und zur Gewißheit kommen kann sie nur durch die 698

Hebel S W VI, 193f.

699

Ebd., 196 .

700

Ebd., 201.

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Predigt des Evangeliums. „Darum entläßt Jesus, ehe er in seine göttliche Herrlichkeit zurückkehrte, seine Jünger mit dem menschenfreundlichen Auftrage: Gehet hin und prediget das Evangelium aller Kreatur. Wer glaubt und sich zu meiner Lehre bekennt, der soll selig werden" 7 0 1 . Denn Hebel weiß, anders als Lessing, genau darum, daß Vernunftwahrheiten aus der Anfechtung heraus betrachtet ihre einstmals überzeugende Stichhaltigkeit verlieren. „ A m Ende ist doch ein sehr großer Theil des eigenen vernünftigen Denkens nur Meinung, Wahrscheinlichkeit in einem niedern oder höhern Grad, - die uns am leichtesten überzeugt, und uns am unwidersprechlichsten scheint, wenn wir ihres Einflusses zu großen Entschließungen und ihres Trostes in zweifelhaften bangen Auftritten des Lebens am wenigsten bedürfen, aber am schüchtersten sich hinter Zweifeln verliert, und am gefälligsten nach unsern Neigungen schmiegt, wenn sich in unsrer Brust der große Kampf zwischen bestürmender Sinnlichkeit und männlicher Tugend entscheiden, oder des Geistes freie erhabene Größe in hartnäckigen Schwierigkeiten, unausweichbaren Gefahren, tief empfundenen Leiden und Sorgen, Erwartungen einer trüben undurchschaulichen Zukunft sich zeigen soll. Dann, armer Sterblicher, halte dich am schwankenden Halm, der mit dir zur Erde sich biegt, wann dein zitterndes Knie dich nicht mehr zu halten vermag" 7 0 2 . Diese seelsorgliche Dimension, die sich in Hebels Pädagogik eröffnet, fehlt bei Lessing völlig: Daß die Vernunft im Leiden in Zweifel verfällt und das einst vernünftig Eingesehene im Strudel dieses Zweifels untergeht, wenn nicht wiederum die Predigt des Wortes Gottes Gewißheit verschafft. Hebel berücksichtigt für die Verhältnisbestimmung von Vernunft und Offenbarung nicht nur die Dimension der Zeit zusätzlich wie Lessing, sondern auch eine seelsorgliche Dimension, die eschatologisch ausgerichtet ist: Daß der Mensch als vernünftiges Wesen noch viator ist und in diesem Aon dem Tode entgegengeht und er deswegen beginnt, an seiner Vernunft zu zweifeln. Wer dem Tode näher kommt, dem schwindet das Vertrauen in die vernünftig eingesehene Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, die ihm einst eine Vernunftwahrheit gewesen sein mag. Hier bedarf es wiederum der Predigt dessen, daß der Tod bereits in Christus überwunden ist, um Gewißheit zu stiften. Hebel erhebt zunächst phänomenal die aufkommende Ungewißheit desjenigen, der dem Grab entgegenwallt, und predigt dann I K o r 15,55. „ D a s Gefühl der hinsinkenden Natur widerspricht zu laut dem geistigen Hoffen des Verstandes. D e m müden Pilger am Ende der Laufbahn wäre der Ruf eines einzigen, der vor ihm dahin wandelte, tröstlicher, als Ermunterung derer, die ihm nachfolgen und nicht fühlen was er. - Aber

7 0 1 Hebel SW VI, 200. Beachte das Zitat aus Mt 28,19 und die Einarbeitung von M k 16,16, wobei hier,getauft sein' durch ,sich zu Jesu Lehre bekennen' ersetzt wird. 7 0 2 Hebel, SW VI, 201f.

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kein Todter antwortet seiner Klage, in den Gräbern ists fürchterlich stumm. Doch du rufest mit freundlicher Stimme, Getödteter und Erstandener: Ich lebe und du sollst auch leben. Aus deinem Munde nehmen wir den Trost der ewigen Fortdauer von dem, der tödtet und lebendig macht, und singen deinen Boten den Triumphgesang der Unsterblichkeit nach: Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?" 7 0 3 . Die Vernunftwahrheit bedarf nach Hebel also nicht der einmaligen Bekanntmachung durch eine Offenbarung, sondern es bedarf der immer neuen Bezeugung dieser Offenbarung als Predigt des Wortes Gottes. „ D a s dankt ihr mit gerührter Seele einem wohlthätigen Erlöser, arme Menschen, welche die Natur nicht bestimmt hat mit leichtem unbefangenem Geistesblick ins innere Heiligthum der Wahrheit einzudringen" 7 0 4 . N o c h ein weiteres seelsorgliches Argument führt Hebel an. Der Mensch, der im alltäglichen Leben steht, hat ein Recht auf diesen immer neu vergewissernden Trost durch göttliche Belehrung, da es nicht die Aufgabe des Menschen sein kann, neben den alltäglichen Belastungen sich durch vernünftige Reflexion von der Wahrheit des einmal vernünftig Eingesehenen ständig neu zu überzeugen. Vielmehr hat er geradezu ein Recht darauf, daß Gott diese Gewißheit als Trost stiftet. „Die ihr im Drang der Bedürfnisse des Lebens, in der Mitte einer Familie, die um Nahrung und Kleider schreit, andre Dinge zu thun habt, als Meinungen zu prüfen, und das Gold der Wahrheit von den Schlacken des Irrthums zu scheiden ... ihr fühlt das Bedürfniß der Belehrung und des Trostes vom Himmel, bekennet euch gerne unter die Vormundschaft des Geistes Jesu Christi, und verstehet den heiligen Sinn der Worte: Gott will, daß allen Menschen geholfen werde, und alle zur Erkenntniß der Wahrheit kommen" 7 0 5 (lTim 2,4). Lessing zufolge ist es der Gang der Erziehung des Menschengeschlechtes, daß die Menschheit in ihrer Phylogenese immer erwachsener wird und in dem Maße, als ihr immer mehr Inhalte durch die Offenbarung zu Vernunftwahrheiten werden, immer größere Autonomie der Offenbarung gegenüber gewinnt. Bei Hebel ist die Pädagogik weniger am Erwachsen-Sein orientiert als vielmehr am Kind-Sein. Wie es schon die Bewegung des Pädagogen nach Hebel sein muß, sich seiner selbst zu entäußern, um den Kindern ein Lehrer zu werden 7 0 6 , so ist dies auch die notwendige Bewegung, die der erwachsene und vernünftig forschende Mensch zu vollziehen hat, nämlich: Kind zu werden, um der göttlichen, offenbarenden Lehre teilhaftig zu werden. U n d erst, wenn durch die Predigt von Eph 3,15 vergewissert wird, daß Gott der Vater ist, von dem alle Vaterschaft ausgeht, können die Menschen, indem sie sich von ihrem vernünftigen Forschen 703 706

7 0 4 Ebd., 200 . Ebd., 203. S.o. p l l 7 f dieser Arbeit.

705

Ebd., 200f.

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einstweilen einmal trennen, den Kindersinn wiedererlangen, der nötig ist, um die Lehre Jesu einzusehen. „Der größte Theil der Belehrungen Jesu Christi ist allerdings höchst einfach und natürlich, aber nichts desto leichter zu finden. Es gehört ein reiner, frommer, unverdorbener Kindersinn dazu, sie zu fassen und zu verstehen, der unter allerlei falschen Richtungen des menschlichen Geistes frühe verloren gieng, und unter den mühsamsten Untersuchungen, und dem tiefsten Forschen und der ausgebreitetsten Gelehrsamkeit sich am seltensten wieder findet. - Gott ist die Liebe, - Gott ist der rechte Vater über alles, was Kinder heißt im Himmel und auf Erden (seil, l j o h 4,7; Eph 3,15; A.S.)" 7 0 7 . So kommt die revelatio bei Hebel wieder zu einer Bedeutung, die nicht von der Vernunft her geschmälert wird. Die revelatio kommt wieder zu ihrem eigentlichen Recht, nachdem Hebels Reflexionen durch die Lessingsche Verhältnisbestimmung von Vernunft und Offenbarung hindurch gegangen sind, er sie rezipiert, aber doch überwindet. Die Überlegenheit der Offenbarung über die Vernunft trotz aller gegenseitigen Beleuchtung liegt darin begründet, daß der Mensch in diesem Äon lebend, noch sterben muß und der in Christus überwundenen Verweslichkeit erst am Jüngsten Tag entledigt wird. Hierin liegt das dogmatische Fundament für Hebels theologische Pädagogik und der Grund dafür, daß die biblische Sprache das sprachstiftende Moment im Werk Hebels ist: Der Mensch bedarf der Vergewisserung durch die offenbarende Belehrung, die ihm die Vernunft nicht geben kann, und er bedarf deswegen der Bibel. Deswegen ziehen sich Bemerkungen darüber, daß die Vernunft der göttlichen Erleuchtung bedarf, wie ein roter Faden durch Hebels Predigten hindurch. Schon deswegen läßt sich das landläufige Urteil, Hebel sei dem theologischen Rationalismus zuzurechnen, nicht länger halten. „ S o hängts die Bibel zusammen; so unser Text. Sie redet nie von unsrer Vergebung, ohne sie anzuknüpfen an den Tod Jesu ... Mag sie uns hier noch dunkel sprechen; einst wenn wir so manches Andre werden verstehen lernen, was wir jetzt nicht verstehen und doch glauben, werden wir auch diesen Zusammenhang einsehen ... und anbeten und danken" 7 0 8 . So kann Hebel auch in einem Eingangsgebet einer Predigt um eben diese Erleuchtung bitten: „Erleuchte in dieser Stunde durch dein Wort unsern Verstand, das Gute zu erkennen. Heilige unser Gemüth, es zu wollen. Gib zum Beginnen Muth, und Kraft zur Vollendung" 7 0 9 . Der Geist ist es, der die illuminatio wirkt. „Glaube an den Vater, und Zutrauen zu dem Sohn" 7 1 0 - darin beHebel, SW VI, 196. 7 0 9 Ebd., 125. Hebel, SW V, 92. 7 1 0 Ebd., 238. Vgl. hierzu auch Hebel, SW VI, 177: „Preis und Ehre sei deinem heiligen Namen; du hast durch die Religion deines Sohnes unsern Verstand erleuchtet ... ." Auch hier zeigt sich, was unten noch einmal aufgegriffen werden wird, daß Hebel die alten Lehrinhalte in zeitgenössische Diktion einkleiden kann (vgl. u. p l 4 7 und Anm. 716). 707 708

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steht die „wirkende Kraft des Geistes, die den Verstand erleuchtet" 7 1 1 . Und immer wieder lehrt Hebel in seinen Predigten, daß die Menschen der letzten Unterrichtsstunde noch warten 7 1 2 . „Auch dort (seil, im nahen Himmelreich; A. S.) wird euren seligen Geist ein anderes Reich Gottes und des Himmels, und ein anderer Aufschluß der heiligen Führung überraschen, als euer reinster Verstand und euere glücklichste Einbildungskraft es denken und dichten kann. Auch dort etwas anders, aber etwas besseres! Amen" 7 1 3 . Denn ohne Offenbarung würde die Vernunft den Menschen ins Verderben stürzen, weil es der sich autonom dünkenden Vernunft eignet, daß sie in Ungewißheit und Angst fällt. „Ohne Religion hätte die Vernunft, (so anders Vernunft ohne Religion möglich war), - ohne Religion hätte sie, die den Menschen hoch über das Thier erheben sollte, ihn zuverlässig unter das Thier erniedrigt ... Ohne Religion hätte die Vernunft, die den Menschen glücklicher, als jedes andere Geschöpf machen sollte, ihn zuverlässig zum unglücklichsten unter allen gemacht. Sie hätte ihm den gegenwärtigen Genuß, auf den sich die Glückseligkeit der übrigen wohlthätig zusammenzieht, durch trauriges Zurückschauen auf das Vergangene, und durch bange Ahndungen des Künftigen geraubt" 7 1 4 . Es zeigt sich also, daß man Benrath in dem Urteil, Hebel hänge dem theologischen Rationalismus an, nicht folgen kann. „Gott, Tugend, Unsterblichkeit, - diese drei Elemente des theologischen Rationalismus seiner Zeit erscheinen in den Predigten für die Theologie Hebels konstitutiv" 7 1 5 . Dieses Urteil trifft nicht, denn schon der bei Hebel hochreflektierte Offenbarungs- wie Vernunftbegriff verbietet es. U n d außerdem übersieht Benrath, daß Hebel fähig ist, die traditionellen Lehrinhalte in die zeitgenössische Diktion einzukleiden, ohne damit jedoch auch das zeitgenössische theologische Programm mitübernommen zu haben. So kann Hebel z.B. die alte reformatorische Verhältnisbestimmung von Glaube und Werken, daß der Glaube nicht im Wirken von guten Werken aufgeht, daß aber aus dem durch das Gehör des Wortes Gottes gewirkten Glauben auch notwendig gute Werke fließen, in der zeitgenössischen Diktion reformulieren. „Religion ist nicht Rechtthun, aber sie führt dazu, und wird sichtbar in ihm" 7 1 6 . 7 1 2 Vgl. o. p l 3 6 f dieser Arbeit. Hebel, SW V, 238. 7 1 4 Ebd., 180. 7 1 5 Benrath, a.a.O. (Anm. 122), p l 2 6 . Hebel, SW VI, 29. 7 1 6 Hebel, SW V, 219f. Vgl. auch noch ebd., 217f: „Religion ist nicht Rechtthun, aber sie wird sichtbar darin, und führt dazu. Sie ist eine Sache des verborgenen Gemüthes; oder mit den Worten Christi: Siehe das Reich Gottes ist inwendig in euch." Ganz ähnlich auch ebd., 222f: „Religion ist nicht Rechtthun, aber sie begleitet den Menschen zum Rechtthun auch in die gemeinsten Verhältnisse seines Lebens, und legt oft in seine unscheinbarsten Handlungen großen Segen, und heiliget seine Freuden." Zwar polemisiert Hebel nicht gegen die Lehre, daß der Mensch nach der Eingießung der gratia praeveniens nun selbst durch Werke seine Rechtfertigung zu verdienen habe, d.h. bei Hebel spielt die Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Glauben längst nicht 711

713

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Und auch, was den von Hebel verfaßten Katechismus angeht, wird man nicht länger sagen können: „Die Elemente des theologischen Rationalismus sind vor allem in der theologischen Prinzipienlehre und in der Gotteslehre wiederzufinden"717. Denn wie die orthodoxe Dogmatik bezeichnet Hebel die Gotteserkenntnis aus der Vernunft als eine lediglich zur Erkenntnis Gottes aus der revelatio hinführende und vorbereitende, die von der supranaturalen Offenbarung umgriffen werden muß. „Woher empfängt der Christ diesen Unterricht? Diesen Unterricht empfängt der Christ: 1) zum Tbeil schon aus seiner eigenen Vernunft. Gott giebt den Menschen sich selbst und seinen Willen schon durch die Vernunft zu erkennen, besonders aber 2) durch die heilige Schrift oder die Bibel" 718 . Gott hat aus lauter Gnade den Propheten und Aposteln seinen Willen in einer revelatio immediata kundgetan. „Was heißt das, Gott giebt sich und seinen Willen in der heiligen Schrift zu erkennen? Gott hat die menschliche Vernunft nicht sich selber überlassen. Er hat von Anbeginn aus väterlicher Liebe zu den Menschen seinen Willen frommen Männern auf eine ausserordentliche Art und unmittelbar geoffenbart" 719 . Die Offenbarung bringt das zur Kenntnis, was die Vernunft nicht fassen konnte, und ist in der Heiligen Schrift aufbedie zentrale Rolle wie in den Predigten Luthers etwa. Dennoch kann Hebel in der ihm eigenen Diktion etwas Ahnliches zum Ausdruck bringen, wenn er sagt, daß nicht die Tat es sei, die den Christen heilige: „Und stets müssen uns zwei wichtige Wahrheiten gegenwärtig bleiben: die eine, daß nicht die That den Sinn, sondern nur der gute Sinn die That heilige; die andere, daß einst am Tage eines ernstern Gerichts wohl fremde Tugenden uns beschämen und richten, aber fremde Schuld uns nimmer ehren und entschuldigen kann" (ebd., 266; Hervorhebung von mir). 7 1 7 Benrath, a.a.O. (Anm. 122), pl29. Dies hat ähnlich schon Gommel, a.a.O. (Anm. 122), p462f behauptet: „Als Quellen des religiösen Wissens von Gott und den Wahrheiten und sittlichen Idealen des Christenthums nennt Hebel zwei, nämlich die Vernunft und die Bibel. Hier kann nun von scharfen Ohren leicht ,Rationalismus' herausgehört werden ... Die Geltendmachung der Vernunft neben der Bibel als Quelle der christlichen Erkenntnis hat Hebel allerdings mit seiner ganzen Zeit gemein." Es trifft nicht zu, daß Hebel Rationalist ist, da er die Vernunft nicht zum principium der Theologie erhebt, sondern wie die orthodoxe Dogmatik die begrenzte Fähigkeit der Vernunft benennt, der durch die Offenbarung und die Heilige Schrift aufgeholfen werden muß. Der Fehler, den Gommel begeht, besteht darin, daß er die Aussagen Hebels über Vernunft und Heilige Schrift nicht zurückbezieht auf diejenigen der klassischen Dogmatik. Dieser Schritt unterbleibt bei Benrath allerdings auch. Tatsache ist, daß der pure Sachverhalt, daß Hebel neben der Heiligen Schrift auch die Vernunft als Quelle der Gotteserkenntnis nennt, in keiner Weise dazu berechtigt, ihn als Rationalisten zu bezeichnen. Vielmehr wird Hebel dadurch in eine Reihe mit den orthodoxen Dogmatikern gestellt, denn nach einer Verhältnisbestimmung von Vernunft und Offenbarung, natürlicher und geoffenbarter Gotteserkenntnis suchen auch die orthodoxen Dogmatiker wie etwa Hollaz: „Notitia DEI petitur tum ex lumine naturae sive rationis, tum ex lumine revelationis. Ex quo θεογνωσία in naturalem & revelatam communiter distinguitur. Illa paedagogica, haec salutifera est" (Hollaz, Examen Theologicum Acroamaticum Universam Theologiam Thetico-Polemicam Complectens ... Stargard 1707 (Nachdruck Darmstadt 1971), 2 torn., hier: torn. I, P291). 7 1 8 Hebel, Johann Peter, Christlicher Katechismus. Aus dessen hinterlassenen Papieren herausgegeben. Karlsruhe 1828 (fortan zit.: Hebel, Kat.), hier: Hebel, Kat., Fr. 3, p5. 7 1 9 Hebel, Kat., Fr. 4, p5. 148

wahrt. Propheten und Apostel teilten die „Belehrung" mit, „welche die Vernunft gar nicht oder nicht richtig erkannt hatte. Diese Belehrungen sind in der heiligen Schrift aufbewahrt, und durch Gottes Gnade bis auf unsere Tage als ein theurer werther Schatz erhalten worden" 7 2 0 . Gegen diese Verhandlung des alten locus ,de cognitione Dei' in der „Einleitung" 7 2 1 des Katechismus Hebels, die dem entspricht, was die Prolegomena im klassischen Aufbau der Dogmatik sind, kann man die erneute Abhandlung der Frage nach der Gotteserkenntnis am Anfang des Abschnittes „Erstes Hauptstück. Die Lehre von Gott und göttlichen Dingen" 7 2 2 nicht ausspielen, wenn es hier heißt: „Wie gelangt der Mensch zur Erkenntniß Gottes? Gott ist unsichtbar dem menschlichen Auge, aber das Gemüth ahnet und sucht ihn. Es kann sich nicht zufrieden geben, bis es seinen Gott gefunden hat. Die Vernunft erkennt ihn aus sich selbst und seinen Werken und Wirkungen. Die heilige Schrift bestätigt diese Erkenntniß auf die erfreulichste und befriedigendste Weise" 7 2 3 . Zwar wird man aus dieser Formulierung wie auch aus derjenigen, derzufolge „die Vernunft ... aus sich selbst zu erkennen (vermag), was vor Gott

7 2 0 Ebd., p6. G a n z im Sinne der Orthodoxie spricht Hebel von einer vernünftigen Erkenntnismöglichkeit nur in den articuli mixti, zu denen die Prolegomena und die abermalige Behandlung dieser Frage im Eingang der Gotteslehre gehören. Martin Schloemann hat gezeigt, daß es die Ubergangstheologie dagegen auszeichnet - und hierin hat der spätere Rationalismus sie beerbt daß von nun an vernünftige Erweislichkeit auch in den ehemaligen articuli puri angestrebt wird. So zeichnet es die Theologie Baumgartens schon aus, daß der „vernünftige Beweis aus .natürlich bekannten Wahrheiten' nicht mehr nur bei den articulis mixtis geführt (wird), sondern auch in die Erörterung der articuli puri wie etwa der Trinitätslehre ein(dringt)" (Schloemann, a.a.O. (Anm. 473), p74). Genau das jedoch geschieht im Katechismus Hebels nicht.

Gerhard Freund, a.a.O. (Anm. 473) hat den Nachweis geliefert, daß die theologiegeschichtliche Wurzel des Rationalismus in der Ubergangstheologie dort zu finden ist, w o die von den orthodoxen Theologen vernünftig geführten Beweise z.B. der Schriftautorität, die nur zu der schon vorher durch das testimonium internum Spiritus sancti gewirkten Glaubensgewißheit als Wahrscheinlichkeitsgründe hinzutreten, immer mehr zu wirklichen Beweisgründen werden. Die von den Orthodoxen sog. criteria sind „Beweggründe (motiva) und Zeugnisse (testim o n i a l welche die Theopneustie der Schrift - und mithin die Göttlichkeit der christlichen Religion - zwar wahrscheinlich (probabilis) machen und eine sowohl wahrscheinliche wie moralische Gewißheit stiften können. Dennoch haben sie nur den Status von Hilfsargumenten; sie sind, wie etwa Quenstedt betont, nur Wahrscheinlichkeitsgründe, die nicht Glaubensgewißheit, sondern höchstens Glaubwürdigkeit hervorbringen" (Freund, Gerhard, a.a.O. (Anm. 473), pl79). D e n aufkommenden Rationalismus der Ubergangstheologie zeichnet es dagegen aus, daß „die äußeren Wahrheitskriterien von dogmatisch uneigentlichen Hilfsargumenten zusehends zu fundamentalen und vorrangigen innertheologischen Beweisgründen transformiert" wurden (ebd., pl80). So wird die vernünftige Erweislichkeit von Baumgarten an zum Fundament der Theologie; an ihr hängt nun alles. U n d selbst die Schriftautorität gilt nur, da auch sie vernünftig erweislich gemacht werden kann (vgl. Schloemann, a.a.O., p73). Diese fundamentale Änderung ist bei Hebel jedoch nicht zu beobachten. Denn er behandelt die Vernunft in seinem Katechismus als eine Größe, die noch von der Offenbarung und der Schrift umgriffen ist, nicht aber als eine alle Theologie überhaupt erst begründende. 721

Hebel, Kat., Frr. 1-12, p5-9.

722

Ebd., plO.

723

Ebd., Fr. 13, plO.

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recht und gut, was vor Gott unrecht und böse ist" 7 2 4 entnehmen dürfen, daß Hebel insofern Zeitgenosse des theologischen Rationalismus ist, als sich bei ihm eine Tendenz zeigt, die Fähigkeiten der Vernunft optimistisch darzustellen. Aber es ist eine hermeneutische Notwendigkeit, diese beiden zuletzt genannten Aussagen aus dem Corpus des Katechismus wiederum in Beziehung zu setzen zu den Prolegomena des Katechismus, auf die alle Hauptstücke sich gründen. Dies jedenfalls tut Benrath nicht, denn auf die entscheidenden Formulierungen in Fr. 3 und 4 geht er nicht ein. Von dort her verstanden gilt: „ G o t t hat die menschliche Vernunft nicht sich selber überlassen" 7 2 5 . U n d wenn es in Fr. 3 geheißen hatte, daß der Mensch den göttlichen Unterricht nur „ z u m Theil schon aus seiner eigenen Vernunft" 7 2 6 gewinnt, und durch die Offenbarung das erfährt, was „die Vernunft gar nicht oder nicht richtig erkannt hatte" 7 2 7 , dann folgt Hebel gerade nicht der Lehre eines Semler z.B., demzufolge die Offenbarung nur die Aufgabe hat, die Vernunft zu bestätigen, nicht aber sie zu ergänzen 7 2 8 . Als Rationalist kann Hebel deswegen nicht bezeichnet werden. Hebel gewinnt den Offenbarungsbegriff in seiner im Katechismus angewandten Pädagogik wieder und setzt es sich zum erklärten Ziel, die Bibel dem Aufbau der traditionellen Dogmatik folgend am Anfang des Katechismus zu thematisieren und ihr dadurch wieder zu ihrem Recht zu verhelfen als Quelle der Lehre. „ N a c h der Einleitung müßte iedoch die Lehre von der h. Schrift als der Hauptquelle in einem eigenen Abschnitt behandelt werden" 7 2 9 . Hebel widmet ihr dann zwar keinen eigenen Abschnitt, behandelt aber die Heilige Schrift ausführlich in der Einleitung. Das ist verglichen mit der Einleitung des Herderschen Katechismus 7 3 0 , der Hebel immer noch vor Augen steht, obwohl es nun nicht mehr seine Aufgabe ist, den Katechismus von Herder bloß umzuarbeiten 7 3 1 , etwas Neues und Traditionel7 2 5 Ebd., Fr. 4, p5 . 7 2 6 Ebd., Fr. 3, p5. Ebd., Fr. 36, p20. Hebel, Kat., Fr. 4, p6. 7 2 8 Vgl. hierzu Semler, a.a.O. (Anm. 685), p259: „Wie kann durch die Bejahung einer übernatürlichen Belerung eben dieser natürliche Gang dieser Menschen gestöret werden?" 7 2 9 Hebel, Briefe, p656.18.4.1821 an Hitzig. 7 3 0 Herder, Johann Gottfried, Luthers Katechismus, mit einer katechetischen Erklärung zum Gebrauch der Schulen, ders., Sämtliche Werke, Bd. X X X , hg. von Suphan, Bernhard, Hildesheim 1968, p302-392. 7 3 1 Kirchenratsdirektor Nikolaus Friedrich Brauer hatte Hebel den Herderschen Katechismus vorgelegt und ihn beauftragt, ihn umzuarbeiten. „Ich bin wie der Blinde zur Ohrfeige, durch ein Anbieten an Brauer, das ganz etwas anders sagen sollte, zum Auftrag gekommen, den Herderschen Catechismus zum Gebrauch des Landes zu revidiren und überarbeiten" (Hebel, Briefe, p l 0 6 . 14.4.1801 an Hitzig). Von Herders Katechismus war Hebel wohl nicht sehr angetan, wenn er weiter schreibt: „ D o c h muß ich gestehen, daß ich oft nicht begreifen kann, was unser großer Herder dachte, wenn er anders nicht im Schlaf geschrieben hat, und daß ers nach meinem Urtheil iedem nur halb geübten leicht genug gemacht hat, wenigstens theilweise, ihn noch zu verbessern" (ebd., p l 0 6 f . 14.4.1801 an Hitzig). Dann jedoch hat anscheinend Brauer die Hebeische Revision einer nochmaligen Revision unterzogen, so daß 724

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les zugleich. Herder hatte in seiner Einleitung völlig auf die Behandlung der Frage, wie Vernunft und Offenbarung zueinander stehen, verzichtet. Bei Hebel findet sich die Lehre von der Inspiration der biblischen Skribenten wieder. „Bezeugt auch die heil. Schrift selbst, daß die in ihr enthaltene Lehre von Gott sey? Die heilige Schrift bezeugt auf eine vielfache Weise, daß sie von Gott sey. Die Propheten und Apostel berufen sich darauf, daß sie ihre Lehren von Gott durch Eingebungen des heiligen Geistes erhalten haben" 732 . Als Belege führt Hebel die drei klassischen biblischen dicta zur Untermauerung der Inspirationslehre an: 2Tim 3,16f; 2Petr 1,21; IKor 2,10. Sind nach Hebel die alt- wie neutestamentlichen Bücher „Bücher göttlicher Belehrungen" 733 , die vom Heiligen Geist eingegeben sind, so war diese Lehre von Herder verkürzt worden, wenn er sagt, daß die biblischen Bücher geschrieben worden sind „von Männern, die Gott dazu mit besondern Gaben ausrüstete" 734 . Greift Hebel auf die klassische Inspirationslehre zurück, so hatte Herder die Lehre von der Akkommodation Gottes in seinen Katechismus aufgenommen. „Er hat sich jedesmal nach der Fähigkeit derer bequemt, die sein Wort hörten" 735 . Uberhaupt stellt die Art und Weise, wie Hebel die Heilige Schrift selbst in seinem Katechismus materialiter zur Sprache kommen läßt, indem er anders als Herder nicht lediglich Bibelstellen angibt und auf die Möglichkeit verweist, man könne sie ja nachschlagen, sondern die Sprüche wirklich zitiert, eine Besinnung

Hebel mit dem gesamten Unternehmen nicht mehr in Verbindung gebracht werden will. Interessant ist, wie Hebel auch in diesem Brieftext in die biblische Sprache fällt, indem er Joh 19,6 auf seinen Katechismus bezieht: „Aber iezt revidirt Brauer mich, misbilligt, ändert, schiebt Fragen ein ... und gibt mirs zur neuen Revision und lezten Bearbeitung zurück. Ich war in der Versuchung mich schön dafür zu bedanken und zu sagen: nehmt ihn hin und kreuziget ihn nach euerm Gesetz - nemlich meinen Catechismus. Aber eben weil ich die Creutzigung fürchtete, und was er drinn haben will, doch hinein käme, hab ich aus Liebe zur Sache, auch das übernommen, ums wenigstens vielleicht noch glimpflicher machen zu können, und ihn mit der Geißelung durchzubringen ... Ich möchte überall nicht für den Revisor einer Herderschen Arbeit, und dann nicht für den Urheber dieser Revision bekannt werden" (ebd., pl07). Die Hebeische Version des Herderschen Katechismus ist bislang unbekannt. Sie wurde nie veröffentlicht, wohl weil sie von der Pfarrerschaft nicht anerkannt wurde (vgl. Benrath, a.a.O. (Anm. 122) pl29). Nachdem 1821 die badische Bekenntnis-Union zustande gekommen war, machte Hebel sich an die Abfassung eines Katechismus, der nach seinem Tode 1828 veröffentlicht wurde. Wie weit Hebel von dem Konzept des Herderschen Katechismus sich inzwischen entfernt hatte, zeigt sich z.B. an folgender Briefnotiz: „Herders Frage: Was ist Catechismus? (seil. Herder, a.a.O. (Anm. 730), p307; A.S.) scheint mir iezt so unzweckmäßig, als wenn einer, der ein Compendium schreibt, zuerst mit seinen Lesern ausmitteln wollte, was ein Compendium sey" (Hebel, Briefe, p656. 18.4.1821 an Hitzig). Warum die Frage dann doch als erste auch in Hebels Katechismus sich findet, bleibt unklar: „Was ist ein christlicher Katechismus? Der christliche Katechismus ist ein Unterrichtsbuch über die christliche Religionslehre in Frag und Antwort" (Hebel, Kat., Fr. 1, p5). 7 3 2 Hebel, Kat., Fr. 10, p7f. Die Behauptung Gommels, a.a.O. (Anm. 122), p463 „auch findet sich keine Inspirationstheorie irgend welcher Form vorgetragen" trifft nicht zu. 7 3 3 Ebd., Frr. 6 + 7, p6 . 7 3 4 Herder, a.a.O. (Anm. 730), p308. 7 3 5 Ebd., p310.

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auf das Fundament der Theologie dar: Auf die Bibel. Auch das hatte Hebel sich vorgenommen. „Die Anwendungen 736 sind köstlich. Sie und der Reichthum an (seil. Bibel-) Sprüchen machen das Werklein zum einzigen seiner Art" 7 3 7 . Bemerkenswert ist auch, daß Hebel herkommend von seiner biblischen Hermeneutik des Buches der Natur die drei verschiedenen Arten der Offenbarung Gottes - in Natur, Menschwerdung und Gemüt des Menschen - allesamt als Offenbarungen Gottes in der Bibel bezeichnet. „Wie hat sich Gott in der heil. Schrift den Menschen auf eine dreifache Art geoffenbart? Es ist im Himmel und auf Erden nur Ein Gott. Aber Gott hat sich den Menschen geoffenbart: Erstens, als Vater in der Schöpfung, Erhaltung und Regierung der Welt. Zweitens, in der Vereinigung mit Jesu Christo seinem Sohn unserm Herrn. Drittens, inwendig in dem Gemüthe des Menschen als heiliger Geist" 738 . Die Offenbarung Gottes durch die Natur

S.u. Anm. 738. Hebel, Briefe, p655. Herder dagegen schreibt in der Einleitung zu seinem Katechismus, im „Unterricht zum Gebrauch dieser katechetischen Erklärung" (a.a.O. (Anm. 730), p302-306, Titel: p302, Zitat p305): „Die Sprüche, die hier nicht ausgedruckt, sondern nur ihrer Stelle nach (wo sie stehen) angeführt sind, müssen in der Bibel aufgeschlagen, gelesen und erklärt werden." 7 3 8 Hebel, Kat., Fr. 27, pl6 (Hervorhebung von mir). Man wird nicht wie Benrath behaupten können, daß Hebel der traditionellen Trinitätslehre aus dem Weg gehe und modalistisch gelehrt habe wie etwa Praxeas oder Noet. „Die Trinität faßte Hebel im modalistischen Sinn" (Benrath, a.a.O. (Anm. 122), pl29). Denn an keiner Stelle im Hebeischen Katechismus wird in Zweifel gezogen, daß Christus der Person nach von Gott unterschieden ist, nicht aber der Substanz nach. So referiert Hebel ausdrücklich die nicänische Trinitätslehre, derzufolge una substantia, aber tres personae sind, wenn er sagt: „Die christliche Kirche drückt sich erklärungsweise also aus: daß in dem einigen göttlichen Wesen drei unterschiedene Personen seien, der Vater, der Sohn und der heilige Geist" (Hebel, Kat., Fr. 29, ρ 18) und vorher eine Kurzform des Apostolikums bietet: „Ich glaube an einen Gott, Vater, den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde. Ich glaube an Jesum Christum seinen eingebornen Sohn, unsern Herrn. Ich glaube an den heiligen Geist" (ebd., Fr. 28, pl7). Nirgendwo zeigt sich die Schwäche der modalistischen Lehre, derzufolge sich ja letztendlich nicht Gott selbst offenbart, sondern nur vermittelt durch seine modi und prosopa. Und auch die Formulierungen wie „Mein Gott kann mir nie entrissen werden" (Fr. 16, p l l ) oder „Mein Leben und mein Schicksal steht in den Händen meines Gottes" (Fr. 17, pl2) kann man nicht auf das Konto eines theologischen Rationalismus buchen, wie Benrath es tut (a.a.O., pl28). Vielmehr ist hierin eine Rückbesinnung auf das ,pro nobis' zu sehen, auf die reformatorische Einsicht, daß theologische Aussagen als Aussagen meiner Glaubensgewißheit formuliert werden müssen. Deswegen hatte schon Luther in seinem Katechismus programmatisch formuliert: „Ich gläube, daß Jesus Christus ... sei mein Herr" (BSELK p511) oder: „Ich gläube, daß mich Gott geschaffen hat ..." (BSELK p510). Hebel ist von der Einsicht bewegt, daß es auf die applicatio ankommt im Sinne Luthers: „Gottes Reich kömmpt wohl ohn unser Gebet von ihme selbs, aber wir bitten in diesem Gebet, daß auch zu uns komme" (BSELK p513). Deswegen bezeichnet Hebel seine „Anwendungen" als „köstlich" (Briefe, p655. 18.4.1821 an Hitzig). Er schließt z.B. die Lehre von der Vorsehung Gottes mit der Frage ab: „Wie wendest du die Lehre von der Vorsehung auf dich selber an? Mein Gott ist es, von dem ich Leben und Gesundheit, Nahrung und Kleidung habe ..." (Fr. 48, p27). 736 737

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kann nicht von dem biblischen Fundament abgetrennt werden, genausowenig wie die Offenbarung Gottes, des Vaters, in der Schöpfung abgetrennt werden kann von derjenigen im Sohn oder von derjenigen im Gemüt des Menschen durch den Heiligen Geist. So gelingt es Hebel, auf behutsame Weise die traditionellen Inhalte der Dogmatik und deren Offenbarungsbegriff wiederzugewinnen. Denn er weiß darum, daß der traditionelle Lehrbestand Auslegung der Heiligen Schrift ist und ihr so stark anhaftet, daß die Bibel von ihm nicht befreit werden kann, ohne selbst Schaden zu nehmen. So äußert sich Hebel über den Katechismus, den sein Freund Hitzig verfaßt hat: „Dein Catechism, о Zeonides, ist mir wie der Thau, der (vom) Hermon herab auf die Berge v(on) Zion träufelt (seil. Ps 133,3; A.S.). Ich ergötze mich an dir u. an ihm, an seinen schönen praktischen Tendenzen, worinn er alle, die ich kenne, hinter sich läßt, selbst an dem leichten Anflug der sogenannten Orthodoxie, der wie ein durchsichtiges Hemdlein das schöne nakte Evangelium deckt. Unsere theologischen Radicalreformer und Carbonari sind ungerecht gegen die Dogmen der Kirchenlehre. Sie ist der ehrwürdige Rost und Grünspan, der sich in der Reihe der Jarhunderte zuerst an dem Evangelium angesetzt und hernach eingefressen hat. Man kann ihn nicht mehr rein wegschaben, ohne etwas von dem edeln Metall abzukratzen. Man kann dieses nur noch in seiner Cruste conserviren" 7 3 9 .

Benrath räumt zwar ein, daß „bei Hebel mehr zu finden (ist) als der theologische Rationalismus, dem Hebels Theologie in dogmengeschichtlicher Hinsicht zuzuordnen ist" (a.a.O. (Anm. 122), pl32). Aber daß dieses Mehr in einer hochreflektierten Neuformulierung traditioneller Theologumena besteht, das möchte Benrath Hebel dann doch nicht zutrauen. 7 3 9 Hebel, Briefe, p651f. 24.2.1821 an Hitzig. Gerade, was die Lehre von der Gotteserkenntnis angeht, gibt es viele Parallelen zwischen dem Katechismus Hebels und demjenigen Hitzigs (vgl. Hitzig, Friedrich Wilhelm, Katechismus der christlichen Religionslehre, Basel 1825, bes. pl—8). Auch Hitzig spricht von einer doppelten Offenbarung „durch die N a t u r und die heilige Schrift" (pl). Ahnlich wie Hebel nennt Hitzig auch die Vernunft als Möglichkeit, zur Gotteserkenntnis zu gelangen: „ D e r Glaube daß ein Gott sey beruhet auf der Ahndung unseres Herzens und auf den Aussprüchen der Vernunft, des Gewißens und der heiligen Schrift" (p9). Allerdings ist auch bei Hitzig die Vernunft diejenige, die nicht für sich alleine bleiben kann, sondern der Offenbarung bedarf: „Obgleich im Menschen selbst und außer ihm sich Gott geoffenbaret und sich an keinem unbezeugt gelassen hat, so fielen doch die Menschen bald ... in Abgötterey und manchen Aberglauben, und trübten sich die Quelle selbst... Durch auserwählte Personen hat Gott den Menschen sich noch besonders geoffenbart" (p4). Daher ist die Bibel „das wichtigste Buch ... in welchem Gotteswort und Offenbarung enthalten ist" (p4f). Schon materialiter zeigt sich anhand der Katechismen Hebels und Hitzigs, daß der Ausspruch Hebels, die orthodoxe Dogmatik sei der Grünspan, der sich über das Evangelium gezogen habe, kein nur ästhetisches Urteil sein kann, das im schlechten romantizistischen Sinne eine Vorliebe für das Vergehende, Ruinenhafte hat. Vielmehr beschreibt Hebel mit dieser Metapher einen hermeneutischen Sachverhalt: daß nämlich die orthodoxe Dogmatik als Auslegung im eigentlichen Sinne, als Wirkungsgeschichte des Evangeliums verstanden werden muß und deswegen nicht v o m biblischen Text abgekratzt werden kann, ohne daß das Evangelium beschädigt wird.

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So gewinnt Hebel verglichen mit Lessing den Offenbarungsbegriff in der Pädagogik aus seelsorglichem Interesse wieder. Die Menschen sind bis zum Jüngsten Tag, dem eigentlichen Aufklärungstag, noch von der Befindlichkeit bestimmt, daß sie in Anfechtung fallen und somit hinter den schon erreichten Bildungsstand zurückfallen. Die eschatologische Ausrichtung der Bildung des Menschengeschlechts bei Hebel ist nicht einfach wie bei Lessing die, daß immer mehr Offenbarungsinhalte sich in Vernunftwahrheiten verwandeln und die biblische Offenbarung sukzessiv unnötig wird, sondern die, daß die Vernunft des Menschen ständig von der biblischen Offenbarung begleitet werden muß, um sie für die letztgültige Offenbarung am Jüngsten Tag zu bilden. Was sich zum Verhältnis von Vernunft und Offenbarung in einem Vergleich Hebels mit Lessing sagen läßt, läßt sich ähnlich anhand eines Vergleiches des Naturbegriffs bei Hebel und Pestalozzi beobachten.

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7. Die Bedeutung der Natur bei Pestalozzi und Hebel Die Stellung Hebels in der zeitgenössischen Pädagogik III In Pestalozzis Werk zeigt sich ein starker Einfluß der optimistischen Sicht des Menschen durch Rousseau, derzufolge die ursprüngliche Anlage der Natur des Menschen ungebrochen gut ist, und es in der Erziehung darauf ankomme, diese gute Anlage vor Verderbnissen, die kulturbedingt sind, zu schützen. „Freund! der Mensch ist gut und will das Gute; er will nur dabey auch wohl seyn, wenn er es thut; und wenn er böse ist, so hat man ihm sicher den Weg verrammelt, auf dem er gut seyn wollte" 7 4 0 . Der status integritatis ist demnach für Pestalozzi nicht ein mit dem lapsus Adae verlorener, der durch das Erlösungswerk Christi erst wiederherzustellen wäre, sondern mit der Geburt befindet sich das Kind in eben diesem status. „Also der Mensch, wie er aus der Hand der Natur kommt, ist er ganz U n schuld, und es scheint unstreitig, die innere Reinheit seiner Natur, und die wirkliche Unverdorbenheit derselben, geht von dem Punkt dieser Unschuld aus, den wir freilich an ihm nur ahnden, aber nicht kennen" 7 4 1 . Allerdings - und das unterscheidet Pestalozzi von Rousseau 7 4 2 - ist es nicht die Kultur allein, die das Kind verdirbt, sondern der Mensch läuft schon kurz nach der Geburt Gefahr, aus dem Stand der Unschuld herauszufallen dergestalt, daß sich in Irrtum und Täuschung das tierische Verderben gegen den guten tierischen Instinkt erhebt. „ D a s thierische Verderben unserer Natur fängt also von dem Punkt an, wo der Takt unserer thierischen Natur, der Instinkt, und die Saite unserer thierischen Harmonie, unser thierisches Wohlwollen, anfängt in uns kraftlos und unsicher zu werden" 7 4 3 . Die eigentliche Bildung ist die Menschenbildung, nicht die Berufsausbildung 7 4 4 . U n d die Aufgabe der Menschenbildung ist es, den Menschen zur

7 4 1 X I I , 71. Pestalozzi, a.a.O. (Anm. 192), X I I I , 244. Vgl. Blättner, Fritz, Geschichte der Pädagogik, Heidelberg , 2 1966, p l 0 7 : „ D a s Bild des Naturzustandes zeigt idyllische Züge wie bei Rousseau und zugleich herb-pessimistische wie bei H o b b e s . " 7 4 3 Pestalozzi, XII, 72. Vgl. auch X X V , 9: „ U n d mein Inneres sagt mir: Es war nichts anderes, als das Gefühl des Bedürfnisses, durch die Erziehung das Erliegen unseres Geschlechtes unter die sinnliche und tierische Natur zu verhüten..." 7 4 4 1,270. 740

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Erkenntnis seines Inneren, seiner guten Anlage, der Menschennatur, zu bringen. Denn die Welt, die das Kind sieht, ist nicht die Welt, wie sie Gott erschaffen hat, sondern eine durch die nicht naturgemäße Kunst verdorbene. An die Stelle der Hamartiologie tritt eine Kulturtheorie. „Die Welt, die dem Kinde jetzt vor seinen Augen erscheint, ist nicht Gottes erste Schöpfung, es ist eine Welt, die beydes für die Unschuld seines Sinnegenusses und für die Gefühle seiner innern Natur gleich verdorben ist ... Diese Welt ist in das Verderben ihrer unnatürlichen Kunst und ihres unnatürlichen Zwanges so eingewiegt, daß sie für die Mittel, Reinheit des Herzens in der Brust des Menschen zu erhalten, keinen Sinn mehr hat" 7 4 5 . Deswegen muß die Pädagogik immer wieder auf das zurückgreifen, was die Natur selber lehrt. So zieht sich der Begriff von der ,Natur selber' durch das ganze Werk von Pestalozzi hindurch als Fundament seiner Pädagogik. „ S o führt dich der Mechanismus deiner Natur durch sich selber in Rücksicht auf diesen Gegenstand täglich von Wahrheit zu Wahrheit" 7 4 6 . Unterrichtsbücher müssen „überall die ersten Stufen der Erkenntnißleiter, an die uns die Natur selber zu aller Kunst und zu aller Kraft führt, umfassend ausfüllen" 7 4 7 . Dieser Unterricht durch die Natur beginnt mit der Geburt. „Die erste Stunde seines (seil, des Kindes; A.S.) Unterrichts ist die Stunde seiner Geburt. Von dem Augenblicke, in dem seine Sinne für die Eindrücke der Natur empfänglich werden, von diesem Augenblicke an unterrichtet es die Natur" 7 4 8 . Nicht mehr der gefallene Mensch und die corruptio der menschlichen Natur wird gelehrt, sondern nur eine durch Kunst und Kultur beeinträchtigte Natur des Menschen, die jedoch durch Aufmerksamkeit auf das Innere der Menschennatur und durch empirische Beobachtung der Natur wieder zu ihrer Eigentlichkeit und zu ihrer Veredelung gelangen kann. Hierin steckt das kritische Potential der Pädagogik Pestalozzis, das sich sowohl gegen den traditionellen Offenbarungsbegriff wie auch gegen die aufgeklärt-optimistische Einschätzung der Vernunft durch den Rationalismus richtet. Die Offenbarung als Medium göttlicher Selbstkundgabe geht bei Pestalozzi verloren, indem nun die Erkenntnis der Wahrheit weder sola scriptura noch aber auch sola ratione gewonnen wird, sondern gewissermaßen sola natura. „ U n d doch thut die Natur allein uns Gutes; sie allein führt uns unbestechlich und unerschüttert zur Wahrheit und Weisheit" 7 4 9 . U n d die Kunst hat nur da ihr Recht, wo sie sich auf die ewige und unerschütterliche Natur gründet. Hierin ist zumindest eine pantheistische Tendenz zu entdecken, da bei Pestalozzi Eigenschaften Gottes, z.B. die der Ewigkeit, der Natur beigelegt werden. „ D a s Wesen der Natur ... ist an sich selbst unerschütterlich und ewig, und in Rüksicht auf die Kunst ist und muß es ihr ewiges und unerschütterliches Fundament seyn" 7 5 0 . Darum ist

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XIII, 346f. Ebd., 196f.

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Ebd., 249. Ebd., 201.

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Ebd., 200. Ebd., 245.

es des Pädagogen erste Aufgabe, die Wahrheit, die im Kind in nuce angelegt ist, zur Entfaltung zu bringen. Denn „ich kan und soll hier eigentlich nichts wissen, und nichts suchen, als die Wahrheit, die in mir selbst liegt" 751 . Darin besteht die „Erhebung der Menschennatur zum Höchsten, zum Edelsten" 752 , daß der Mensch zu den unverdorbenen Anlagen seiner inneren Natur zurückgeführt wird. „Wir (seil, die Pädagogen; A.S.) legen nicht in Euch hinein, was, durch uns selber verdorben, also in uns vorliegt, wir entfalten in Euch, was unverdorben in Euch selber vorliegt... Ihr sollt an unsrer Hand Menschen werden, wie Euere Natur will, wie das Göttliche, das Heilige, das in Euerer Natur ist, will, daß ihr Menschen werdet" 753 . Die Verkürzung der Hamartiologie bei Pestalozzi äußert sich auch in der Art, wie er den Fall sieht. Der lapsus besteht darin, daß der Mensch im Paradies nicht sich zur ruhigen contemplatio der Naturdinge und damit zur Wahrheit erhob, sondern unmäßig die Wahrheit an sich reißen wollte. Die Folge des Falls ist nicht wie in der traditionellen Dogmatik die, daß der Mensch seither nicht mehr ganz, sondern nur noch vorläufig Gott aus der Natur erkennen kann. Sondern seitdem der Mensch die Wahrheit an sich reißen wollte, verdeckt er sich selbst die Wahrheit, die aber immer noch als ganze in ihm steckt, durch Feigenblätter. „Izt war seine Unschuld dahin die Schaam blieb ihm übrig - er suchte izt Feigenblätter gegen die Wahrheit seiner Natur und ein Recht gegen seinen Verführer" 754 . Es bedarf also keiner Erlösung durch Christus, um den Menschen durch Offenbarung zu Gott zu führen, sondern nur einer Pädagogik, um den Menschen zu sich selbst, zu dem Innern seiner Natur und damit zur göttlichen Wahrheit zu leiten. Bildung ist „Selbstbildung" 755 . Eine synergistische Komponente ist in der Pädagogik Pestalozzis nicht zu übersehen. Und so reduziert sich die Bedeutung des Werkes Jesu darauf, dem Menschen den Blick für die im Menschen ohnehin angelegte Wahrheit geschärft zu haben. „Jesus enthüllete der Menschheit die innern Triebfedern ihrer Natur" 756 . So geht die Verengung der Hamartiologie bei Pestalozzi mit einem Verlust der Inhalte des zweiten Artikels einher. Wie nun aber kommt die Kunst, zu der auch die menschliche Sprache gehört, auf das notwendige Fundament der Natur zu stehen? Hier beginnt Pestalozzis Lehre von der Ankettung zu greifen. An das, was die Natur 7 5 2 X X I , 226. 7 5 3 Ebd. XII, 6f. XII, 9. Daher ist ,Sünde' nach Pestalozzi eine Handlung gegen das innere Zeugnis der Natur (I, 227f). 7 5 5 XIII, 197. Vgl. auch X X I V A , 39: „Die Kunst, Mensch zu seyn, Mensch zu werden und Mensch zu bleiben ... ihre Grundsätze liegen unauslöschlich ... in der Menschennatur selber" und auch XIII, 248: „Freund! Alles was ich bin, alles was ich will, und alles was ich soll, geht von mir selbst aus. Sollte nicht auch meine Erkenntniß von mir selbst ausgehen?" 7 5 6 Pestalozzi, Johann Heinrich, Sämtliche Briefe, hg. v o m Pestalozzianum und von der Zentralbibliothek Zürich, Bde. 1 - 1 3 , Zürich 1 9 4 6 - 7 1 , hier: Bd. III, 89. Januar 1780 an Isaak Iselin. 751

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lehrt, müssen sich Sprache und Kunst anketten. „ E s braucht nur, daß wir mit psychologischer Kunst, Sprache an dieses Bewußtseyn (seil, daß es die Natur selber ist, die lehrt; A.S.) anketten, um dasselbe ihnen zu einem hohen Grade von Klarheit zu bringen, und sie dadurch in den Stand zu setzen, beydes die Fundamente vielseitiger Kunst und vielseitiger Wahrheit, an das, was die Natur selber gelehrt, anzuketten, und hingegen wieder das, was die Natur selber gelehrt, als Erläuterungsmittel aller Fundamente der Kunst und der Wahrheit, die man ihnen beybringen will, zu benutzen" 7 5 7 . Darin liegt das Verdienst Pestalozzis, der Anschauung und der Empirik zu ihrem Recht verholfen zu haben. Bevor die Kinder das Alphabet und die Sprache lernen, bedarf es eines „ A B C der Anschauung" 7 5 8 . Bevor Grammatikbücher in den Unterricht eingeführt werden, brauchen die Kinder Anschauungsbücher. „ U n d mit diesem Urtheile war es in mir entschieden, die Kinder bedürfen in ihrem frühesten Alter eine psychologische Führung zur vernünftigen Anschauung aller Dinge. D a aber eine solche Führung ohne Mitwirkung der Kunst bey den Menschen, wie sie sind, nicht denkbar und nicht zu erwarten ist, so mußte ich nothwendig auf das Bedürfniß von Anschauungsbüchern verfallen, die den ABC-Büchern vorausgehen" 7 5 9 . Sprachlich artikuliert werden kann nach Pestalozzi nur das, was vorher mit den Sinnen erfaßt worden ist, da es ein ewiges Gesetz sei, daß man zu deutlichen Begriffen nur von sinnlichen Anschauungen bereits herkommend gelangen kann 7 6 0 . Anschauung ist nicht nur der Ausgangspunkt aller Erkenntnis, sondern alle Sprache und Kunst muß, nachdem sie an die Anschauung angekettet worden ist, auch wieder zur Anschauung hinführen. Es muß feststehen, „daß die Anschauung das absolute Fundament aller Erkenntniß sey, mit andern Worten, daß jede Erkenntniß von der Anschauung ausgehen und auf sie müssen zurückgeführt werden können" 7 6 1 . Hier klagt - und das ist auch für die Geschichte der Pädagogik ein Datum, hinter das sie schlechterdings nicht zurück kann - die Empirik ihr Recht ein. So kann Pestalozzi resümieren: „Was in meiner ganzen Darstellung Theorie und Urtheil ist, das ist unbedingt nichts anders, als die Folge einer beschränkten und höchst mühseligen Empirik, und, ich muß es hin-

7 5 7 XIII, 198. Vgl. auch ebd., 244: , „ D e r Mensch ... wird nur durch die Kunst Mensch ... so muß sie sich in ihrem ganzen Thun dennoch fest an den einfachen G a n g der N a t u r anketten!'" Darüber hinaus vgl. auch ebd., 246. 7 5 8 Ebd., 195. Hier auch: „Aber anstatt der Buchstaben, die ich die Kinder in Stanz mit dem Griffel zeichnen machte, ließ ich jezt Winkel, Vierecke, Linien und Bogen zeichnen. Bey dieser Arbeit entwickelte sich allmählig die Idee von der Möglichkeit eines A B C der Anschauung, das mir jetzo wichtig i s t . . . " 7 5 9 Ebd., 197f. 7 6 0 Nach Pestalozzi kommt es darauf an, allen Unterricht „den ewigen Gesetzen zu unterwerfen, nach welchen der menschliche Geist sich von sinnlichen Anschauungen zu deutlichen Begriffen erhebt" (ebd., 242). 7 6 1 Ebd., 309.

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zusetzen, eines seltenen Glückes" 7 6 2 . Und da die Empirik der Ausgangspunkt der Pädagogik ist, muß die Bildung der Kinder mit Vermittlung von Realienwissen beginnen. Die Bekanntschaft mit Realien darf zunächst nicht mit Wortlehren vermischt und verworren werden. Durch Bücherbildung werden die Menschen verworren, „wenn sie eher als sie durch Realkenntniß wirklicher Gegenstände ihren Geist zur Wahrheit und Weisheit lenksam gebildet haben, sich in das tausendfache Gewirre von Wortlehren und Meinungen hineinwagen, und Schall und Rede und Wort anstatt Wahrheit aus Realgegenständen zur Grundlage ihrer Geistesrichtung und zur ersten Bildung ihrer Kräfte machen" 7 6 3 . Pestalozzi richtet sich mit der Hervorhebung der Empirie gegen die traditionelle christliche Pädagogik, die seiner Ansicht nach die Menschen zu „elenden, kraft- und anschauungslosen Wort- und Maulmenschen gestempelt" 764 hat. Die Reformation und die Erfindung der Buchdruckerkunst haben die Menschen zu Buchstabenmenschen gemacht. Die Buchdruckerkunst war die Bedingung der Möglichkeit der Bibliolatrie. „Es ist ganz heiter, wie sie (seil, die Buchdruckerkunst; A.S.) dahin hat kommen müssen, dem Welttheil seine fünf Sinne ohne Maaß zu verengern und besonders das allgemeinere Werkzeug der Anschauung, die Augen, auf das vergötterte Heiligthum der neuen Erkenntniß, auf die Buchstaben und Bücher so einzuschränken, daß ich bald sagen möchte, sie hat dahin kommen müssen, ... uns selbst zu bloßen Buchstabenmenschen zu machen. Die Reformation hat vollendet, was die Buchdruckerkunst angefangen hat" 7 6 5 . An die Möglichkeit, daß gerade durch die Bibel der Blick geöffnet werden kann für die Natur, was im Gefolge der Entdeckung des Wortes durch die Reformation z.B. Johann Arndt unternommen hat, mag Pestalozzi nicht denken. Bücherbildung und Naturbildung schließen sich weitgehend aus 766 . Was die Reformation uns hinterlassen hat, ist Pestalozzi zufolge eine „kalte Wortreligion" 767 und eine Menge von Katechismusschulen, in denen keine Menschen gebildet werden können. „Wir haben nur Buchstabierschulen, Schreibschulen, Heidelbergerschulen, und hiezu (seil, zur wahren Volksbildung; A. S.) braucht es - Menschenschulen" 768 . Pestalozzi ist jedoch nicht im Stande, die von ihm zu Recht kritisierte pervertierte Buchbildung dadurch zu überwinden, daß er etwa auf die Hermeneutik des Ebd., 328. I, 267. Vgl. X I I I , 334: „Ich gieng in den empirischen Nachforschungen über meinen Gegenstand von keinem positiven Lehrbegriff aus." 7 6 4 X I I I , 3 08 . 7 6 5 Ebd., 307. 7 6 6 Diese Kritik an der Buch-Bildung mündet in eine Predigt-Kritik, vgl. u. Anm. 768. 7 6 7 Pestalozzi, Briefe, a.a.O. (Anm. 756), Bd. III, 89. 7 6 8 X I I I , 338. Deswegen nimmt Pestalozzi auch eine äußerst kritische Haltung der Predigt gegenüber ein. „Es ist nicht alles mit dem Vorpredigen, der liebe Gott hat eine bessere Art, er fordert das, was wir brauchen. Ein Einziges, das er vor Augen stellt, loscht tausend Worte, die wir bloß reden, aus" (ebd., 82). 762

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liber naturae und des liber scripturae zurückgreift. Vielmehr ergibt sich aus dem Dualismus, den er zwischen Bibel- und Wortunterricht einerseits und der Bildung aus der Betrachtung der Natur andererseits aufbaut, nur die polemische Behauptung, die Natur sei das eigentliche Buch. Aber dieses Buch der Natur hat bei Pestalozzi sein notwendiges Korrelat nicht im Bibelbuch. „Standpunkt des Lebens, Individualbestimmung des Menschen, du bist das Buch der Natur, in dir liegt die Kraft und die Ordnung dieser weisen Führerin, und jede Schulbildung, die nicht auf diese Grundlage der Menschenbildung gebauet ist, führt irre" 7 6 9 . Alle Wortlehre führt von dem Buch der Natur, das Pestalozzi auch „Bahn der N a t u r " nennen kann, ab. Mithin hat diese Bahn der Natur nur eine Spur, die biblische jedoch fehlt ihr. „Der widrige erschöpfende Drang, für den bloßen Schatten der Wahrheit, der Drang - für Ton und Schall und Worte von Wahrheit, wo ganz kein Interesse reizt, keine Anwendung möglich ist, Hinlenkung aller Kraft des wachsenden Menschen für die Meinung harter einsichtiger Schullehrer, und die tausendfachen Künsteleien des Wortverkehrs und der Modelehrart, die zur Grundlage der Menschenbildung gelegt wird, ist mühselige Abführung von der Bahn der Natur" 7 7 0 . An dieser Stelle ist Pestalozzi in seiner Pädagogik nicht weiter gekommen, und bei allem innovativen Verdienst stößt er hier an eine Grenze, die er sich selbst in seiner nicht genügend reflektierten Kritik an der Reformation gezogen hat. Was Pestalozzi in seiner eigenen Sprache ständig praktiziert hat, konnte er nicht in seinem pädagogischen Entwurf theoretisch umsetzen. In seinen eigenen Schriften und Predigten läßt Pestalozzi seine eigene Sprache kunstvoll von der biblischen Sprache durchdrungen sein 7 7 1 . Aber Pestalozzi hat es anders als Hebel nicht vermocht, die Bibel als pädagogisches Medium eben um der Betrachtung der Natur als Schöpfung Gottes willen in die Pädagogik zu integrieren. In dem Programm, die Menschennatur durch Bildung zu Glaube, Liebe, Hoffnung ( I K o r 13,13) einer „Veredlung" 7 7 2 entgegenzuführen, findet sich anders als bei Hebel nicht auch die pädagogische Zielbestimmung, daß die menschliche Sprache durch die biblische veredelt werden muß. Pestalozzi hat die Empirie, die Anschauung und die Vermittlung von Realienwissen zum Fundament seiner Pädagogik gemacht. Darin ist Hebel mit ihm verwandt, geht aber über Pestalozzi hinaus, indem er, wie oben gezeigt, von der Empirie her die biblische Empirie wiederentdeckt und so die Schule der Natur erneut zu einer biblischen Sprachschule werden läßt.

7 7 0 Ebd., 267f. 1, 267. Vgl. besonders die „Rede am Neujahrstag 1809" ( X X V , 1-17). 7 7 2 „ D e r Gang der Entfaltung des Menschengeschlechts, der von ihr (seil, von der göttlichen Gabe; A.S.) ausgeht und durch Glauben, Liebe und H o f f n u n g unser Geschlecht allgemein veredelt, ist ewig und unveränderlich"(XXIV A, 43). 769 771

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8. Die von Hebel verarbeitete naturbetrachtende Literatur und deren Rebiblisierung exemplarisch dargestellt Die Synthese von Empirie und Bibel-Sprache Literarkritische Untersuchung I Im Sinne der von Hebel neu entdeckten biblischen Hermeneutik des Buches der Natur versteht er es, die zeitgenössische allgemeinverständliche naturwissenschaftliche Literatur zwar zu rezipieren, indem er aus ihr das nötige Realienwissen für die naturbetrachtenden Beiträge des Kalenders bezieht, diese Literatur aber gleichzeitig einer Theologisierung zu unterziehen. Hebel paart das Realienwissen mit der Bibel, indem er - ähnlich wie er es in den „Betrachtungen" getan hat - die zoologischen Betrachtungen in eine biblisch getränkte Sprache kleidet. Hebel besaß das Buch „Naturgeschichte und Technologie für Lehrer in Schulen und für Liebhaber dieser Wissenschaften" 773 von C.Ph. Funke und hat es für die Abfassung seiner Tierbetrachtungen nicht nur exzerpierend benutzt. Vielmehr hat er ganze Passagen aus ihm übernommen, ohne aber die Quelle zu nennen. Das zeigt sich besonders an einem Textvergleich des Abschnittes über das Krokodil in dem Beitrag „Die Eidexen" 7 7 4 im Rheinländischen Hausfreund vom Jahr 1808. Hier gewinnt man Einblick in die Art, wie Hebel mit Quellen umgegangen ist. Prätext: Funke 7 7 5 „In Ansehung der Gestalt ... gehört das Krokodill zu der Gattung der Eidechsen. Es lebt sowohl in Flüssen als in Seen, vornehmlich im Nil in Egypten doch auch in Asien und Amerika. Die Länge desselben beträgt etliche zwanzig, oder nach einer andern Beschreibung gar an fünfzig Fuß. Oben sieht es braun oder schwarzgrau gefleckt, unten gelblich weiß aus. Die schuppigte Haut ist so hart, daß kein Flintenschuß durchdringt; am Bauch aber ist sie weich.

Folgetext: Hebel 7 7 6 „Wer sich aber mit Recht vor den Eidexen fürchten oder eine Heldenthat durch die Erlegung derselben vollziehen will, der muß nach Afrika oder Asien oder Amerika gehen. Das fürchterliche Crokodill ist nichts anders als eine 20 bis 50 Fuß lange Eidexe. Davor muß jedermann Respekt haben. Oben braun oder schwarzgefleckt, unten weißlichgelb. Durch die schuppige Rückentaxf geht kein Flintenschuß; am Bauch ist sie weich.

7 7 3 Hebel besaß die Ausgabe Braunschweig 1794 dieses Buches von Carl Philipp Funke (Verz. Nr. 408). Mir lag die Erstausgabe Braunschweig 1790 vor (vorh.: U B H D 0 367), (fortan zit.: Funke I bzw. II). 7 7 4 Hebel II, 76ff. 7 7 5 Funke I, 362-364. 7 7 6 Hebel II, 78.

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Der breite Kopf endigt sich in eine Art von Rüssel, und in dem großen Rachen stehen in jedem Kiefer fünfzig scharfe Zähne. N u r der Oberkiefer ist beweglich, welches man bei wenigen andern Thieren findet. Die Zunge fehlt ihm, an deren Statt ihm eine häutige Klappe zur Verschließung der Kehle dient. Von den Augen, die mit runzlichten Augenliedern versehen sind, geht eine Oefnung durch den Hinterkopf ...

In jedem Kiefer des großes Rachens stehen 50 scharfe Zähne.

Der Schwanz ist noch einmal so lang als der ganze Körper, und oben mit einer gedoppelten Reihe schuppigter Zacken besetzt. Es hat darin so viel Stärke, daß es ein kleines Fahrzeug damit umwirft, und einen Menschen mit Einem Schlage tödtet.

Der Schwanz beträgt mehr als die von der ganzen Länge.

Hälfte

Seine Nahrung besteht in Fischen und allerlei andern Thieren, die es, am Ufer versteckt, erhäschen kann. Auch Menschen ist es gefährlich. Es verzehrt seinen Raub nie im Wasser, selbst die Fische bringt es ans Land, und wenn es einen Menschen oder ein Thier erbeutet hat, eilt es zwar damit ins Wasser, kommt aber bald wieder mit demselben hervor. Es läuft schnell,

Es lebt im Wasser, z.B. im Nilfluß in Egypten, und geht an's Land, frißt Fische und andere Thiere, Buben und Mägdlein, auch erwachsene Egypter.

und schießt wie ein Pfeil auf seinen Raub; da es sich aber nur mit Mühe umwenden kann, so entgeht man ihm leicht durch einen Seitensprung.

Schnell wie ein Pfeil geht es in gerader Linie auf seinen Raub, kann sich aber nur langsam umdrehen. Mit einem glücklichen Seitensprung ist man ausser Gefahr.

Damit wirft es im Wasser kleine Schiffe um, und tödtet einen Menschen mit Einem Schlag.

Seine Stimme ist brüllend, man hört sie aber selten und meist nur des Nachts. Die Krokodillsthränen gründen sich auf eine fabelhafte Sage. Die Weibchen legen an hundert Eier, und verscharren sie in den Sand. Sie sind kaum so groß als Gänseeier, mit einer häutigen Schale bekleidet.

Das Weibchen legt 100 häutige Eyer, so groß wie die Gänse-Eyer, und verscharrt sie in den Sand.

Wenn die Jungen von der Sonnenhitze ausgebrütet und dem Auskriechen nahe sind, sollen die Alten ihnen zu Hülfe kommen, sie aus dem Sande hervorscharren, auf den Rücken nehmen und ins Wasser tragen. Die dann nicht schwimmen können, sollen sie verschlingen.

Die Sonnenwärme brütet sie aus.

Jedoch werden die meisten Eier von den Ichneumon aufgesucht und gefressen. Die fabelhaften Erzählungen von diesem Thier sind in der Geschichte desselben bemerkt worden.

Die meisten werden aber, ehe es dazu kommt, von einer egyptischen Ratze gefressen.

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Auch die Menschen trachten den Eiern nach, entweder um sie zu zerstöhren, oder um sie zu essen (...)"

Auch von Menschen werden sie aufgesucht und zerstört oder gegessen. Wohl bekomms!"

Es zeigt sich, daß Hebel einige Details aus der Funkeschen Tierbetrachtung ausläßt, z.B. die Notiz darüber, daß nur der Oberkiefer des Krokodils beweglich ist und es keine Zunge hat. An anderer Stelle kommentiert Hebel die Quelle, z.B. den Bericht, daß auch Menschen Krokodileier verzehren: „Wohl bekomms!" 7 7 7 . In dem Beitrag „Von den Schlangen" 7 7 8 greift Hebel besonders auf zwei Werke von Friedrich Blumenbach zurück, nämlich auf das Werk „Abbildungen naturhistorischer Gegenstände" 7 7 9 und auf das „Handbuch der Naturgeschichte" 7 8 0 . Hebel besaß beide Werke 7 8 1 . Besonders liegt Hebel daran, seinen Lesern nahezubringen, wie die ungiftigen von den Giftschlangen zu unterscheiden seien, damit nicht aus unbegründeter Angst „auch manches unschädliche und sogar nützliche Thier getödtet" 7 8 2 wird. Hier referiert Hebel ohne Quellenangabe einen „gelehrten Beobachter dieser Thiere" 7 8 3 und meint damit Blumenbach. Hebel unterscheidet: „Wenn der Kopf breit, und mit dünnen Schuppen besetzt ist, so ist die Schlange verdächtig; wenn er aber mehr rund ist, so ist sie's nicht. Ferner wenn sich das Ende des Körpers fein zuspitzt, so ist nicht zu trauen; ist es aber stumpf und abgerundet, so hat man keine Gefahr" 7 8 4 . Hebel referiert hier die drei unter 1) und 2) in Blumenbachs Handbuch genannten „Kennzeichen, wodurch sich die giftigen Schlangen auszeichnen ... 1) ein breiter gleichsam herzförmiger Kopf mit kleinen flachen Schuppen statt der Schildchen; 2) am Leibe kielförmige Schuppen (d.h. mit einem scharfkantigen Rücken); und 3) ein kurzer Schwanz, der nämlich weniger als 1/5 der Länge des Thiers mißt" 7 8 5 . Wieder zeigt sich, daß Hebel um der Faßlichkeit des Stoffes willen eine Auswahl trifft und Details wegläßt. Blumenbach spricht von „zwar nicht ganz exceptionslosen, doch in den bey weiten mehrsten Fällen eintreffenden Kennzeichen" 7 8 6 . Auch das übernimmt Hebel, wenn er diese Einschränkung referiert: „ D o c h giebt er (seil, der g e lehrte Beobachter'; A.S.) diese Kennzeichen selber nicht für ganz untrüglich aus" 7 8 7 . Außerdem hat Hebel den Abschnitt über die „Verschiedenheit des Gebisses der giftigen und giftlosen Schlagen" 7 8 8 aus Blumenbachs ,Abbildun7 7 8 Ebd., 11-16. Ebd. Hebel besaß die Auflage Göttingen 1796. Ich zitiere nach der unveränderten Auflage Göttingen 1810 (vorh.: H D U B 0 471 4 ). Vgl. Verz. Nr. 399 (fortan zit.: Blumenbach, Abbildungen). 7 8 0 Hebel besaß die Ausgabe Göttingen 1791 (Verz. Nr. 397). Ich zitiere nach der achten Auflage Göttingen 1807 (vorh.: H D U B 0 471), (fortan zit.: Blumenbach, Handbuch). 7 8 1 Vgl. o. Anm. 779f. 7 8 2 Hebel II, 12. 7 8 3 Ebd., 13. 7 8 4 Ebd. 7 8 5 Blumenbach, Handbuch, p248 . 7 8 6 Ebd. 7 8 7 Hebel II, 13. 7 8 8 Blumenbach, Abbildungen, Nr. 37, 3 Seiten (unpaginiert). Hier Titel: p2. 777 779

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gen' rezipiert, wo es heißt: „Eine naturhistorische Untersuchung die sich für die Humanität sehr unmittelbar verintressirt, ist die Bestimmung der Kennzeichen wodurch die giftigen Gattungen von Schlangen von den ungleich zahlreichern giftlosen zu unterscheiden sind. Unter den mancherley im Handbuch der N . G . angeführten Merkmahlen ist das hier abgebildete, vom Gebiss hergenommne, das allersicherste und untrüglichste" 7 8 9 . Wieder läßt sich der Prätext, Hebels Quelle, noch deutlich im Folgetext erkennen. Prätext 7 9 0 „Dagegen haben diese furchtbaren Thiere vorn am Oberkiefer die langen Fangzähne die hohl und an der Spitze mit einer Spalte versehen sind. Diese stehen oben mit den Giftdrüsen in Verbindung, und dienen als knöcherne Ausführungsgänge, um wenn sie damit zubeissen das Gift in die Wunde zu flössen."

Folgetext 7 9 1 „Allein es ist schon lange ausser Zweifel gesetzt, daß sie an der obern Kinnlade zwey Giftzähne haben, die sie in eine Scheide zurückziehen und wieder hervorstossen können. Diese Zähne sind hohl und haben an den Spitzen eine feine Öffnung, hinter jedem derselben befindet sich eine Drüse in welcher das Gift bereitet wird, und wenn das Thier heißt, so tritt das Gift aus der Drüse in den Zahn und durch die Öffnung in die Wunde."

Allerdings merkt Hebel zu diesem Unterscheidungsmerkmal an, daß es eigentlich nicht praktikabel sei, da niemand einer lebenden Schlange ins Maul schauen wird, um zu erfahren, ob sie giftig sei oder nicht. „Aber wie kan man ihnen so lange sie leben, in den Mund schauen und wer wirds thun" 7 9 2 . Auffallend ist, daß Hebel besonders die veranschaulichend-anekdotenhaften Passagen aus der ihm vorliegenden naturbetrachtenden Literatur übernommen hat. So hatte er schon in einer der „Betrachtungen" ein anschauliches Rechenbeispiel wohl von Derham übernommen, demzufolge eine Kanonenkugel, von der Sonne abgeschossen, 25 Jahre fliegen müßte, bis sie auf der Erde ankäme 7 9 3 . Ähnliches ist auch in der Machart der zoologischen Kalenderbeiträge zu beobachten. Blumenbach merkt in der Beschreibung der Carmoisin-Schlange an: „Die Mädchen in Florida sollen das schöne Thier zum Putz als Halsband oder in die Haare geflochten tragen etc." 7 9 4 . Hebel nimmt dieses narrative Element in seinen eher beschreibenden Beitrag über die Schlangen auf: „In Amerika wird eine Schlange mit rothen, schwarz eingefaßten Flecken, und citronengelben Querstreifen wegen ihrer ausnehmenden Schönheit zum Staat als Halsschmuck getragen, oder in die Haare geflochten" 7 9 5 .

789 793 794 795

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7 9 0 Ebd., p3. 7 9 1 H e b e l l l , 11 f. Ebd. S.o. p51f dieser Arbeit. Blumenbach, Handbuch, p252. Hebel II, 12f.

792

Ebd., 12.

Um der narrativen Auflockerung willen übernimmt Hebel auch den Bericht Blumenbachs, demzufolge Eichhörnchen vom Geklapper einer Klapperschlange angelockt werden und die Eingeborenen in Amerika deswegen das Geklapper nachahmen, um Eichhörnchen zu fangen. Blumenbach erzählt zunächst, „daß kleine Vögel, Eichhörnchen etc. im Gebüsch der darunter liegenden Klapperschlange gleichsam von selbst in den Rachen fallen", und dies „wird von gültigen Augenzeugen versichert" 796 . Und in einer Anmerkung hierzu erzählt Blumenbach weiter: „Auch hat mir ein sehr zuverlässiger und genauer Beobachter, Hr. Major Gardner, der sich lange in Ost-Florida aufgehalten, versichert, daß deßhalb die dasigen jungen Indianer um Eichhörnchen zu fangen, den rasselnden Ton der Klapperschlange nachahmen" 797 . Ähnliche Notizen finden sich auch bei Hebel. „Aber Eichhörnchen und andere Thiere die zu ihrer Nahrung bestimmt sind, werden durch diesen Laut (seil, durch das Geklapper; A.S.) ordentlich herbeygelockt und liefern sich selber zur Beute und die jungen Amerikaner, wenn sie Eichhörnchen fangen wollen, sind so keck, daß sie sich irgendwo im Gebüsche verbergen, das Rauschen der Klapperschlange nachmachen, die Eichhörnchen damit locken, und sich alsdann ihrer zu bemächtigen suchen" 798 . Hebels direkte Textvorlage wird hierfür jedoch wiederum Funke sein, wo es heißt: „Hierauf gründet sich auch eine Methode Eichhörnchen zu fangen, die bei den Wilden in Amerika üblich ist. Sie verstecken sich nämlich im Busch, und machen den zischelnden Laut der Klapperschlange nach, da denn die Eichhörnchen herbeikommen und gefangen werden" 799 . Aus Funkes Werk hat Hebel denn auch dessen Bewunderung der Schönheit der Schlange übernommen. Prätext 800

Folgetext 801

„Sie haben keine äußere Gliedmaßen, und besitzen doch so viel Gelenkigkeit, und bewegen sich so behende! Der ganze Körper so einfach, schön!"

und doch so

„Schon das verdient ja unsere Bewunderung, daß dieses Geschöpf ohne Füsse nur durch seine zahlreichen Muskeln sich so leicht fort bewegen kann. Ihre Gestalt ist so einfach und doch fehlt ihnen nichts, was ihnen zur Erhaltung und zum Genüsse ihres Lebens nöthig ist."

Das Proprium der Hebeischen Betrachtung der Schlange verglichen mit der von ihm rezipierten naturwissenschaftlichen Literatur jedoch ist ein theologisches. Hebel übernimmt zwar von Funke dessen Bewunderung der Schönheit der Schlange, baut diese Notiz jedoch aus, indem er nun die Schlange als Hinweis auf Gott, den Schöpfer, verstehen lehrt. Hebel ver796 798 801

Blumenbach, Handbuch, p249 . Hebel II, 15. Hebel II, 12.

797 799

Ebd. Funke 1, 360 .

800

Ebd., 352.

165

mag es, die Naturbetrachtungen, die er vorfindet, in einen biblischen Ton zu transponieren. So fällt Hebel in die biblische Sprache dergestalt, daß er das biblische Stilmittel der rhetorischen Frage, die sich besonders bei Jes und Hiob findet, hier zur Anwendung bringt. Die Formulierungen „wer hat über den ganzen Körper hinab Schild an Schild und Schuppe an Schuppe gereiht und übereinander gelegt, daß sie bey jeder Bewegung in der größten Geschwindigkeit ausweichen, nachgeben, sich über einander schieben, und doch den zarten Körper bedecken und allemal wieder in ihre vorige Lage zurückkehren?" 8 0 2 und „wer hat sie mit der Schönheit und Mannigfaltigkeit ihrer Farben geziert?" 8 0 3 können ihre Herkunft aus Jes 40,12 (,wer mißt die Wasser mit der Faust und faßt den Himmel mit der Spanne ...'), Jes 41,4 (,wer tut's und macht es, und ruft alle Menschen nacheinander vom Anfang her?'), Hi 34,13 (,wer hat, das auf Erden ist, verordnet? U n d wer hat den ganzen Erdboden gesetzet?'), Hi 38,28f (,wer ist des Regens Vater ...') und Hi 38,37.41 nicht verleugnen. Hebel baut also nicht nur biblische Zitate in seine Kalenderbeiträge ein, sondern kann mit der Bibel auch sehr frei umgehen. Er läßt sich von der biblisch-poetischen Rhetorik anstecken und transponiert sie in seine Kalenderrhetorik. Es zeigt sich, daß Hebels Schlangen-Betrachtung nicht nur wissenschaftlich und von dem Vorhaben der Volksbildung her motiviert ist, sondern auch schöpfungstheologisch. Die Betrachtung der Schlange als Geschöpf Gottes führt zur Verehrung des Schöpfers. U n d zu einer solchen Betrachtung im biblischen Sinn gehört es auch, nicht zu verschweigen, daß auch die Schlange zur gefallenen Schöpfung gehört. Aber trotz der Verdammung beim Sündenfall ist die Schlange doch Gottes schönes Geschöpf geblieben. „ U n d die Schlange, ob sie gleich mit dem Bauch auf der Erde schleicht, ist doch ein merkwürdiges und wirklich ein schönes Thier" 8 0 4 . Auch hier rezipiert Hebel im konzessiven Nebensatz biblisches Sprachmaterial: Gen 3,14. Man kann Hebels theologische Sicht der Schlange gerade nicht gegen die biblische ausspielen, wie es Oettinger tut, wenn er meint, Hebel mache, den „Versuch ... jenes Tier zu retten, das wie kein anderes unter dem Diskriminierungsdruck des Christenmenschen steht: die Schlange - jenes Tier, das sich nach dem Bericht des Alten Testaments der Satan als Gestalt gewählt hat, um Eva zu verführen und darum von Gott selbst für alle Ewigkeit verflucht worden ist" 8 0 5 . Hier wird gerade nicht „das Buch der

8 0 3 Ebd. Ebd. Ebd. So ist bei Hebel nicht nur wie Kurt Krauth (Hebel als Erzieher. Aus der Schriftenreihe des Hebelbundes Sitz Lörrach e.V., Nr. 7, Lörrach 1958, p7-19, hier: p l 5 ) richtig sieht „Erziehung und Lebensweisung dichterisch geworden", sondern sie ist auch biblisch geworden. 8 0 5 Oettinger, Klaus, Gott sorgt auch für diese Tiere. Zur Kalenderzoologie, in: Ders., a.a.O. (Anm. 191), p53-59, hier: p55. 802 804

166

Bücher, die Bibel, durch das Buch der Natur dementiert" 806 . Vielmehr wird die Bibel von Oettinger einer völlig einseitigen Betrachtung unterworfen, wenn er nur von vermeintlichen „zahlreichen biblischen Schlangenverdikte(n)" 807 spricht. Biblisch gesehen steht die Schlange als biologische Gattung vielmehr in der Spannung, in der sich die gesamte Schöpfung seit dem Fall befindet: Daß sie nämlich, obgleich sie gefallen ist, Gottes Schöpfung bleibt, nicht im dualistisch-manichäistischen Sinne zum Reich des Satans verkommt, und der eschatologischen Versöhnung wartet. So ist auch die verfluchte Schlange ein Geschöpf Gottes, das des eschatologischen Tierfriedens teilhaftig werden wird, wo ,ein Säugling seine Lust haben wird am Loch der Otter' (Jes 11,8; vgl. Jes 65,25), wo also die nach dem Fall zwischen dem Menschen und der Schlange gesetzte Feindschaft aufgehoben werden wird. Und nur weil die Schlange Geschöpf Gottes bleibt, kann Jesus ihre Klugheit den Jüngern in der Aussendungsrede zum Vorbild machen: ,Seid klug, wie die Schlangen* (Mt 10,16). Biblisch betrachtet lagert auf der biologischen Gattung,Schlange' nicht eine andere, etwa schwerer wiegende Sünde, als auf dem Menschen. Ist es die Bestimmung der Schlange, auf dem Bauch zu kriechen und Erde zu fressen, so die des Mannes, diese Erde zu bebauen, und die der Frau, unter Schmerzen Kinder zu gebären (Gen 3,16f). Und nur weil der Mensch als gefallenes Geschöpf der Schlange ähnlich ist, ist es auch in der biblischen Sicht seine Zunge, die die eigentlich giftige ist, und nicht die der Schlange (Jak 3,7f). Oettinger gelangt zu der unzutreffenden Meinung, Hebel kämpfe hier gegen die Bibel, weil er einen unkorrekten Begriff von der biblischen Sicht der Schlange hat. Das platte biblische Verdikt, gegen das Oettinger Hebel kämpfen sieht, gibt es in diesem unreflektierten Sinne nicht. Denn man kann aus der Verdammung der einen Schlange der Sündenfallsgeschichte nicht auf die Verfluchung der biologischen Gattung ,Schlange' „für alle Ewigkeit" 808 schließen. Vielmehr muß eine Betrachtung der Schlange, die sich biblisch gründen will, die innerbiblische Spannung aushalten und interpretieren, daß die Schlange als biologische Gattung auch des eschatologischen Tierfriedens teilhaftig werden wird (Jes 11,8), daß aber der in der Schlange personifizierte Satan, bevor der neue Aon kommt, ausgeworfen werden wird (Apk 12,9; 20,2.10; vgl. Jes 27,1). Und nur weil die biblische Sicht der Schlange eine viel reflektiertere ist, als Oettinger meint, kann auch innerhalb einer typologischen Interpretation des AT die Erhöhung der Schlange in der Wüste (Num 21,8) als Illustration der heilsstiftenden Erhöhung des Menschensohnes gesehen werden, wie es Joh 3,14f tut. Oettingers These ist also dahingehend zu differenzieren, daß Hebel u.U. gegen eine vulgäre, vereinseitigende Sicht der Schlange ankämpft, sich damit aber gerade nicht

806

Ebd.

807

Ebd.

808

Ebd.

167

gegen die Bibel richtet, sondern hier sogar noch die schöpfungshymnische Jes-Diktion aufnimmt. So wird man sagen dürfen: Implizit nimmt Hebel den eschatologischen Tierfrieden partiell insofern vorweg, als er - darum wissend, daß die von Gott zwischen dem Menschen und der Schlange gesetzte Feindschaft eine eschatologisch begrenzte ist - seine Leser lehrt, die Schlange als Hinweis auf den Schöpfer zu verstehen und zumindest vor den ungiftigen keine Furcht zu haben, sondern sie leben zu lassen, und dann den ethischen Appell formuliert: „Lieber leben lassen als tödten, wär es auch nur ein Thier im Staube" 8 0 9 . Der einzige Punkt, an dem Hebel sich der Sache nach gegen die Bibel richtet, ist der, wo er eine biblische Aussage korrigiert, die sich vom naturwissenschaftlichen Wissensstand her gesehen nicht mehr halten läßt. Wenn Hebel schreibt: „ N o c h immer glauben Leute, daß die giftigen Schlangen mit der Zunge stechen. Allein es ist schon lange ausser Zweifel gesetzt, daß sie ... zwey Giftzähne haben" 8 1 0 , wendet er sich gegen einen sich auch auf Hi 20,16 gründenden Irrtum (,die Zunge der Schlange wird ihn tödten'). U n d auch die unzutreffende Behauptung des „Physiologus" 8 1 1 „wenn die Schlange zum Wassertrinken geht, so bringt sie ihr Gift nicht mit, sondern läßt es in der Höhle zurück" 8 1 2 entkräftet Hebel, wenn er sagt: „ E s ist also eine Fabel, daß die Schlangen, ehe sie ins Wasser gehen, das Gift unter einem Stein ablegen" 8 1 3 . Ansonsten konnte auch der Physiologus die verfluchte Schlange als Geschöpf Gottes und deswegen als Vorbild für menschliche Klugheit ansehen. „ U n d wie kann der Herr die Schlange klug nennen, die er doch verflucht hat? So höre! Die Verfluchung geht gegen den Sündenfall und den Teufel und die Schlange, aber der Herr lobt sie nicht wegen ihrer Schlechtigkeit, sondern weil sie ihren Kopf schützt. Deswegen sprich: ,Seid klug wie die Schlangen', das heißt, sei klug wie die Schlange, und nimm deinen Kopf in acht, das ist das Vertrauen auf Christus" 8 1 4 . Insgesamt bestätigt sich also das, was sich oben in der Behandlung der „Betrachtungen"gezeigt hat. Hebel vermag es, die Vermittlung von sich auf 8 0 9 Hebel II, 12. Was N u m 21,8 angeht, wird man sagen dürfen, daß innerbiblisch betrachtet die Schlange als ähnlich in sich reflektierte Erscheinung gesehen wird wie auch in der griechischen Antike. Das Mythologem vom Äskulapstab reflektiert ja, daß Schlangengift tötendes Gift aber auch rettendes Gegengift sein kann. Außerdem scheint die Erzählung von der Natter, die Paulus beißt, er aber nicht an dem Biß stirbt (Apg 28,3ff), von der zeichenhaften Vorwegnahme des Tierfriedens reden zu wollen. Gleichzeitig wird man hier eine Reflexion von L k 10,19 und M k 16,18 sehen dürfen. 8 1 0 H e b e l l l , 11. 8 , 1 Vgl. zum Physiologus: Treu, Ursula, Nachwort, in: Physiologus, aus dem Griechischen übers, und hg. von ders., Hanau 1981, p l 11-132. 8 1 2 Physiologus, p25. 8 1 3 Hebel II, 12. 8 1 4 Physiologus, p27.

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Empirie gründendem Realienwissen mit einem katechetischen Interesse zu verbinden. Die säkularisierte, unbiblisch arbeitende naturbetrachtende Literatur seiner Zeit wird von Hebel einer Rebiblisierung unterworfen. Empirischer Anschauungsunterricht und biblischer Sprachunterricht schließen einander bei Hebel nicht aus. So ist Hebel auch fähig, die völlig unbegründete Abscheu des Menschen vor den Eidechsen nicht nur mit dem utilitaristischen Argument zu entkräften, daß diese „unschuldigen Thiere, die niemand beleidigen, niemand schaden, vielmehr dem Landmann nützlich werden, indem sie von allerley kleinen Insekten oder sogenanntem Ungeziefer sich nähren" 815 . Sondern Hebel reflektiert das Erschrecken des Menschen vor der im Laub raschelnden Eidechse im biblischen Sinne als Angst des Menschen, die es auszeichnet, daß sie keinen Gegenstand hat, vor dem sie sich fürchtet, von Lev 26,36 (,und denen, die von euch übrigbleiben, will ich ein feiges Herz machen in ihrer Feinde Land, daß sie soll ein rauschend Blatt jagen, und sollen fliehen davor, als jagte sie ein Schwert, und fallen, da sie niemand jagt') her. „Höchstens können sie (seil, die Eidechsen; A.S.) euch ein wenig erschrecken, wenn ihr so in euren stillen Gedanken dahin wandelt, und auf einmal etwas im Laub rauscht. Aber wer ein gutes Gewissen hat, muß sich gewöhnen, nicht vor allem zu erschrecken. Wer ein böses Gewissen hat, dem ist freylich in diesem Punkt übel rathen ,Der Wind im Wald, das Laub am Baum/saußt ihm Entsetzen zu"' 8 1 6 . Hebel steht damit in der Tradition der reformatorischen Anthropologie, nach der dem angefochtenen Menschen die ihn umgebende Mitschöpfung als feindliche erscheint. Es ist dies nach Luther die Befindlichkeit der tribulatio, die Befindlichkeit des klagenden Psalmbeters (Ps 6,3). „Miserere mei domine, quoniam infirmus sum. Infirmitas ista est cordis in fide et spe, quia peccatum vehementer fidem et fiduciam in Dei bonitatem enervat ... Ideo omne peccatum ad desperationem valde inducit et difficulter sperare sinit et credere ... Quia tota creatura videtur ei inimica, ut Levit. 16. ,terrebit eos sonitus folii volantis'" 8 1 7 . Hebel II, 76. Ebd. Es handelt sich hierbei um ein Zitat aus dem Gedicht „Der alte Landmann an seinen Sohn" von Hölty (Hölty, Ludewig Heinrich Christoph, Gedichte. Besorgt durch seine Freunde Friederich Leopold Grafen zu Stolberg und Johann Heinrich Voß. Carlsruhe 1784, p 3 0 - 3 4 , hier: p31:) „ D e m Bösewicht wird alles s c h w e r , / E r thue was er t h u ; / D e r Teufel treibt ihn hin und h e r . / U n d läßt ihm keine R u h . / / 815 8,6

Der schöne Frühling lacht ihm n i c h t , / I h m lacht kein Aehrenfeld;/Er ist auf Lug und Trug e r p i c h t , / U n d wünscht sich nichts als Gt\AJ Der Wind im Hain, das Laub am Baum,/Saust ihm Entsetzen zu;/~Er findet, nach des Lebens Raum. Im Grabe keine R u h " (Hervorhbg. von mir). Hebel wandelt das Zitat leicht ab, indem er statt ,Hain' ,Wald' setzt. Schon längere Zeit bevor Hebel dieses Hölty-Zitat in seinen Kalenderbeitrag eingefügt hat, hat er es in eines seiner Exzerpthefte notiert (Vorausmitteilung der Hebel-Edition, Transkription des Konvoluts Η 85, Badische Landesbibliothek, fol. 38). 817

Luther, W A 3, 168.

169

Ebenfalls auf L e v 2 6 , 3 6 u n d auf die r e f o r m a t o r i s c h e A n t h r o p o l o g i e z u r ü c k g r e i f e n d hat Christiane Mariane v o n Ziegler tribulatio u n d desperad o des M e n s c h e n dichterisch beschrieben. „Ein rauschend Blat v e r m a g ein feiges H e r t z zu schrecken,/Da ein gesetzter Geist sich nicht sucht z u v e r stecken ... 3Π ist ein klassisches Motiv der atl. Tag-Jhwhs-Ankündigung, das bis in die apokalyptisch geprägten Texte der Synoptiker und in die Apk fortgewirkt hat 1227 . Das Erdbeben ist dabei zunächst ein unheilvolles Ereignis, das die endzeitliche -θλΐψις illustriert. Gleichzeitig jedoch ist das Beben auch die Voraussetzung dafür, daß durch die Aufhebung der durch die Schöpfungsscheidung zwischen Hohem und Tiefem gesetzten alten Schöpfung die Neuschöpfung ihren Beginn finden kann. So ist das Erdbeben im Zusammenhang von Sach 14 die Voraussetzung für die Neuschöpfung dergestalt, daß es dem neuen "ГПК DT, dem neuen Tag eins,

1224 Bloch, Ernst, Nachwort, in: Hebel, Johann Peter, Kalendergeschichten, Frankfurt a.M. 1965, ρ 135-150, hier: pl41f. 1225 Dieser Beitrag, der sich im 1811 bei Cotta erschienenen ,Schatzkästlein' findet, ist ein Exzerpt des Beitrages zum Kalender von 1809 „Weltbegebenheiten. Folgen des Tilsiter Friedens." (Hebel II, 162-168). 1226 Hebel II, 175: „Unglück in Koppenhagen. Das sollte man nicht glauben, daß eine Granade, die in den unglücklichen September-Tagen 1807. nach Copenhagen geworfen wurde, noch im July 1808. losgehen werde. Zwey Knaben fanden sie unter der Erde. Einer von ihnen wollte sie mit einem Nagel von dem anhängenden Grunde reinigen. Plötzlich gerieth sie in Brand, zersprang, tödtete den einen auf der Stelle, nahm dem andern die Beine weg, zerquetschte der Mutter, die mit einem Säugling an der Brust sorglos zusah, den Arm. Dieß lehrt vorsichtig seyn mit alten Granaden und Bomben-Kugeln." 1227 Vgl. Mt. 8,24; 24,7 parr.; 27,54; 28,2; Apk 6,12; 8,5; 11,13 (2x) u.ö.

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der Totenauferstehung und dem Fluß der Lebenswasser vorausgeht (Sach 14,8). Zwar nicht explizit, aber doch unübersehbar sprechen auch andere Texte, die unmißverständlich ,Heilsankündigungen' sind, von der Nivellierung zwischen Hoch und Tief als Voraussetzung für das endzeitliche Kommen Jhwhs - so z.B. Jes 40,3-5 1 2 2 8 . Ist es richtig, daß sich anhand der Erdbeben-Thematik auf der literarischen Ebene des U W („Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in Portugall durch ein Erdbeben zerstört";vl6) der sich anfänglich erfüllende Tag des Herrn abzeichnet, dann wirkt diese Beobachtung auch zurück in den vorangegangenen Text des UW. Denn von hier aus ergibt sich sowohl für vi6 („Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in Portugall durch ein Erdbeben zerstört") als auch für vl3 („er kam nimmer aus dem Bergwerk zurück") derselbe apokalyptische Bezugspunkt in biblischen Texten. Das Erdbeben in v l 6 spiegelt das Verschwinden des Bergmanns im Bergwerk wider, wie auch in Apk 6,16 der endzeitliche Wunsch, von den Bergen bedeckt zu werden (,und sprachen zu den Bergen und Felsen: Fallet auf uns') und das endzeitliche Erdbeben ein unauflösbares und sich gegenseitig bedingendes Miteinander bilden. So steht U W 1 6 also ganz im Zeichen des Bestrebens, die apokalyptische Szenerie auszubauen und zweitens ganz im Zeichen des Wunsches, das Erdbeben in Lissabon als die kosmische Fortsetzung des in Falun Begonnenen darzustellen. Hier stehen sich also nicht schicksalhaftes Ende und historisch-politische Kontinuität gegenüber, sondern das welthistorische Ereignis, das Erdbeben in Lissabon, ist die Kontinuität dessen, was in Falun in Schweden seinen Anfang genommen hat. Die weltgeschichtlichen Ereignisse, die der Zeitraffer nennt und die weitgehend von der Negation, vom ,Nicht-Mehr' her geprägt sind, bilden einen weltgeschichtlichen Kommentar auf das Ereignis in Falun. Weltgeschichte und persönliches Schicksal beleuchten sich im U W gegenseitig, so daß man nicht wie Rhie davon sprechen kann, daß „das alltäglich-allzumenschliche Geschehen den Vorrang vor dem großen, weltbewegenden Geschehen (hat)" 1 2 2 9 . Treffend dagegen hat Benjamin den Zeitraffer wie folgt charakterisiert: „Es steht mit seiner (seil. Hebels; A.S.) Chronik des Alltags wie mit der seines größten Zeitraums, den fünfzig Jahren im ,Unverhofften Wiedersehen': sie liest sich wie aus Akten des jüngsten Gerichts" 1 2 3 0 . Paradox dagegen klingt es, wenn Benjamin dann unmittelbar fortfährt: „Nur daß alles Eschatologische fehlt" 1 2 3 1 . Denn m.E. bedingt die Öffnung der Akten des Jüngsten Gerichtes auch das Vorhandensein einer eschatologischen Situation eo ipso oder setzt diese voraus. Es könnte aber auch sein, daß Benjamin meint, es fehle die vollständig apokalyptische Ausmalung

1228 1229 1230

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S.u. p290f. Rhie, a.a.O. (Anm. 104), p70. Benjamin, a.a.O. (Anm. 1), III, 205.

1231

Ebd.

dieser Endgerichts-Akten, und Benjamin dies in seinem essayistischen Stil nur verkürzt zur Sprache bringt. Dagegen wäre dann einzuwenden, daß zumindest mit der Nennung des Erdbebens von Lissabon und dem den ganzen Zeitraffer prägenden Zuendegehen zwei zentrale apokalyptische Motive genannt sind, die dazu auffordern, das übrige Gemälde vom Weltende konnotativ zu ergänzen: Also die Apk aufzuschlagen und dort weiterzulesen. Denn nach Benjamins eigenen Worten bestimmt das Konto, auf dessen Haben-Seite der Alltag steht, auf der Soll-Seite jedoch das Endgericht, den Erzählzusammenhang Hebels. „Doppelte Buchführung - und sie stimmt immer. Haben: der bäurische, der bürgerliche Alltag, Besitz... Und das Soll: der Gerichtstag, der eine, der nicht nach Minuten gezählt wird" 1 2 3 2 . Und ist Picards Aufsatz zum U W eigentlich mehr eine nacherzählende Ausgestaltung, so steckt in ihr an einer Stelle doch ein Plus: „ D i e einzelnen Ereignisse (seil, die im Zeitraffer genannt sind; A.S.) zeigen nicht sich selber mehr an, sondern die Dauer dieser Liebe: die einzelnen Ereignisse sind der Takt der Ewigkeit" 1 2 3 3 . Aufklärung und Apokalyptik erfahren hier im U W eine Synthese, die nicht nur höchst dialektisch, sondern auch höchst brisant ist. N u r wenn man das Miteinander von aufklärerischer Aufbruchsstimmung einerseits und apokalyptischer Aufbruchsstimmung angesichts des anbrechenden neuen Äons andererseits realisiert, hält man den hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis des U W in der Hand. Daß das Erdbeben von Lissabon den aufgeklärten Vernunftglauben des 18. Jahrhunderts auf das Tiefste im wahrsten Wortsinne erschüttert hat, läßt sich der folgenden Passage aus Goethes ,Dichtung und Wahrheit' entnehmen: „Durch ein außerordentliches Weltereignis wurde jedoch die Gemütsruhe des Knaben zum erstenmal im tiefsten erschüttert. A m 1. November 1755 ereignete sich das Erdbeben von Lissabon und verbreitete über die in Frieden und Ruhe schon eingewohnte Welt einen ungeheuren Schrecken. Eine große, prächtige Residenz ... wird ungewarnt von dem furchtbarsten Unglück betroffen. Die Erde bebt und schwankt, das Meer braust auf, die Schiffe schlagen zusammen, die Häuser stürzen ein, Kirchen und Türme darüber her, der königliche Palast zum Teil wird vom Meer verschlungen, die geborstene Erde scheint Flammen zu speien ... um desto größer war die Wirkung der Nachrichten selbst, welche erst im allgemeinen, dann aber mit schrecklichen Einzelheiten sich rasch verbreiteten. Hierauf ließen es die Gottesfürchtigen nicht an Betrachtungen, die Philosophen nicht an Trostgründen, an Strafpredigten die Geistlichkeit nicht fehlen ... Ja vielleicht hat der Dämon des Schreckens zu keiner Zeit so schnell und so mächtig seine Schauer über die Erde verbreitet" 1 2 3 4 . Benjamin II, 1,281. Picard, Max, Die unerschütterliche Ehe, Erlenbach und Zürich 1942, p237. 1 2 3 4 Goethe, Johann Wolfgang, Poetische Werke. Vollständige Ausgabe, 22 Bde., Stuttgart (Cotta) o.J., hier: Bd. VIII, Dichtung und Wahrheit, p38f. 1232 1233

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„Die in Frieden und Ruhe eingewohnte Welt" 1235 der Aufklärung sah sich auf einmal von apokalyptischen Wehen überrannt, die längst für irrational und unglaubhaft erklärt worden waren. Die ganze Aufklärung erfährt sich selbst als durch die Naturerscheinung Erdbeben in Frage gestellt, „die Weisen und Schriftgelehrten selbst (konnten) sich über die Art, wie man ein solches Phänomen anzusehen habe, nicht vereinigen" 1236 . Auch die Art, in der das U W die Geschichte von kriegerischen Handlungen gegliedert sein läßt - so das zweite Korrespondenz-Paar vvl7.30 und das fünfte (vv20.27) sowie die Wendung „und der lange Krieg fieng an" (v28) - spielt auf die biblische Ankündigung endzeitlicher Kriegshandlungen an (,Ihr werdet hören Kriege und Geschrei von Kriegen: sehet zu, und erschreket nicht. Das muß zum ersten alles geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da'; Mt 24,6). Der Zeitraffer stellt die Geschichte der fünfzig Jahre als eine Zeit dar, die die Endzeit bereits abbildet: in Kriegen und Erdbeben wird ein apokalyptisches Szenario sichtbar. Dennoch ist dies noch nicht das Ende; dies beginnt erst mit der Vorabbildung der Auferstehung in der Wiederauffindung des Bergmannes Wirklichkeit zu werden. Einen äußerst biblischen Klang hat auch das Spezifikum des UW, die Todesnotizen der Kaiser als historische Eckdaten herauszuheben. „Weil nämlich Theologie Geschichte immer in Generationen denkt, so sieht auch Hebel im Tun und Lassen seiner kleinen Leute die Generationen in all den Krisen sich herumschlagen, die mit der Revolution von 89 zum Ausbruch kamen" 1 2 3 7 meint Benjamin. In ganz klarer Weise korrespondiert vl8 („und Kayer Franz der erste starb") mit v29 („und der Kaiser Leopold der zweyte gieng auch ins Grab"), sowie der v21 („und die Kaiserin Maria Theresia starb") mit v26 („und der Kayser Joseph starb auch"; gemeint ist Joseph II) 1238 . Die w l 8 und 21 prägt eine besonders starke Verbindung, da Joseph II von 1765 an Mitregent Maria Theresias gewesen ist. Die Stereotypie des Verbgebrauches in diesen Versen, der nur ganz leicht in der Reihe „starb ... starb ... starb auch ... gieng auch ins Grab" variiert wird, erinnert an die sog. deuteronomistischen (dtr.) Notizen über Abschluß und Dauer der Herrschaft der verschiedenen Könige in den Königebüchern. Ahnlich redundant wie das U W schärfen auch die Königebücher die Todesnotizen ein: ,Also entschlief David mit seinen Vätern, und ward begraben in der Stadt Davids' (lKön 2,10). ,Und Salomo entschlief mit seinen Vätern, und ward begraben in der Stadt Davids, seines Vaters'

1235

1236 1237 Ebd., p38. Ebd., p39. Benjamin, 11,2, 637. 1238 Vgl. Wagner, Hans, Art. Joseph II, Kaiser, N D B Bd. 10, hg. von der historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1974, p617-623. Joseph II regierte seit 1765 als Kaiser und Mitregent von Maria Theresia. Nach deren Tod am 29.11.1780 regierte er alleine.

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(lKön 11,43). ,Und Rehabeam entschlief mit seinen Vätern, und ward begraben mit seinen Vätern in der Stadt Davids' (lKön 14,31) 1239 . Darüber hinaus könnte in dem Korrespondenzpaar, das das Kernstück des gesamten Zeitraffers ausmacht („Amerika wurde frey, und die vereinigte französische und spanische Macht konnte Gibraltar nicht erobern", U W 23f), eine Allusion an die atl.-biblischen Texte stecken, die davon sprechen, welche Teile Kanaans Israel bei der Landnahme nicht eroberte: ,Die Jebusiter aber wohnten zu Jerusalem, und die Kinder Juda konten sie nicht vertreiben' (Jos 15,63). ,Und die Kinder Manasse konten diese Städte nicht einnehmen' (Jos 17,12; vgl. Jos 13,13; 16,10; Ri 1,21; 2,27.29.30.31.33). Dieses innerste Korrespondenzpaar bildet die Spiegelachse des gesamten Zeitraffers. Das gesamte U W dreht sich gewissermaßen um eine zentrale Errungenschaft der Aufklärungszeit: um den Aufbruch in der neuen Welt, in Amerika. Aufklärung und Apokalyptik kommen im U W aber dergestalt zusammen, daß dies zentrale Ereignis durch die an ein apokalyptisches Szenario erinnernden übrigen Ereignisse wie Erdbeben und Kriege kommentiert wird. Außerdem ist das innere Korrespondenzpaar von einer Antithetik geprägt: Während Amerika in die Unabhängigkeit aufbricht, zeichnet sich in der alten Welt ein gewisser Abstieg der Großmächte Spanien und Frankreich ab, die nicht im Stande sind, Gibraltar zu erobern. Und eine weitere Antithese steckt in diesem inneren Korrespondenzpaar: Es ist davon die Rede, daß England Gibraltar - eine sehr kleine Kolonie - als Machtbereich behält, während die größte Kolonie - Amerika - England entgleitet. In Hebels Erzählung paart sich also ein gewisser aufklärerischer Enthusiasmus für die Emanzipationsbewegung in Nordamerika, die sich in der Komposition des Zeitraffers spiegelt, mit der Rezeption biblischer Tradition durch Verwendung biblischen Sprachmaterials. Bereits Benjamin hat bemerkt, daß im Zeitraffer des U W ein biblisches Herz pocht „weil nämlich Theologie Geschichte immer in Generationen denkt . . . " 1 2 4 0 . Und genau das ist in den w l 6 - 3 1 der Fall, da hier der Rückblick auf den Geschichtsverlauf an der Generationenfolge der Kaiser aufgezogen wird. „Das Leben und Sterben ganzer Geschlechter schlägt im Rhythmus der Sätze, welche im ,Unverhofften Wiedersehen' den Zeitraum der fünfzig Jahre erfüllen, in denen die Braut ... trauert" 1 2 4 1 . Diese biblische Art, die Zeit festzuhalten, die „...in Jahreszahlen nicht numeriert" 1242 ist, läßt Hebel zum Chronisten werden. „Denn das ist in der Tat nicht die Gesinnung des Historikers, die uns aus diesen Sätzen entgegentritt, sondern

1 2 3 9 Solche Todesnotizen ziehen sich durch die Königebücher wie ein roter Faden hindurch. Vgl. lKön 2,10; 11,43; 14,31; 15,8.24; 16,6.28; 22,40.51; 2Kön 8,24; 10,35; 13,9; 14,16.29; 15,7-22.38; 16,20; 20,21; 21,18; 24,6. 1 2 4 0 Benjamin, II, 2, 637. 1 2 4 1 Ebd. 1 2 4 2 Ebd.

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die des Chronisten. Der Historiker hält sich an,Weltgeschichte', der Chronist an den Weltlauf" 1 2 4 3 . Daß Hebel zutiefst von der mit der Französischen Revolution 1789 einhergehenden Aufklärung geprägt war - das zu betonen, ist Benjamin niemals müde geworden. „Denn woran erbaut sich Hebel? An der Aufklärung und der großen Revolution" 1 2 4 4 . Nach Benjamin erbaut sich Hebel nicht nur an der Aufklärung, sondern er ist gar als „... Zeitgenosse der großen französischen Revolution, von allen Geisteskräften der Epoche auf das Entschiedenste und Radikalste ergriffen..." 1 2 4 5 . Zwar sieht Benjamin, daß in Hebel Theologe und Aufklärer in ein und derselben Person erscheinen: „Wie theologische und weltbürgerliche Haltung sich hier durchdringen, das ist das Geheimnis der unvergleichlichen Konkretion, die der Kern seines (seil. Hebels) Schaffens ist" 1 2 4 6 . Doch in der Art, wie Benjamin Hebels Schaffen metaphernhaft darstellt, vergreift er sich dann doch etwas, so daß das Geheimnis des Theologen und Aufklärers Hebel in der Auslegung Benjamins nicht weiter wirkt, wenn er sagt: „Unten geschieht, wenn man will, das Hausbackene, Regelrechte, das Klare und Richtige. Oben aber schwebt dennoch, auf übernatürliche Art, gleich der Madonna, die französische Revolutionsgottheit von der Decke. Und darum sind seine Geschichten so unvergänglich. Sie sind die Votivgemälde, welche die Aufklärung in den Tempel der Göttin der Vernunft gestiftet hat" 1 2 4 7 . Diese Interpretation geht zu Lasten des biblischen Verweisungscharakters des UW, der doch gerade die Votivgemälde der Aufklärung zu biblischen Geschichten werden läßt. Hat die aufklärerisch vergötterte Vernunft die biblische Tradition verdrängt, ja sie bekämpft, so führt Hebel in scharfem Gegensatz den Aufbruch in die Freiheit zurück in ihren biblisch-eschatologischen Traditionszusammenhang. Und hierin erst zeigt sich doch die Durchdringung der theologischen und weltbürgerlichen Momente in Hebels Erzählungen. Indem er den aufklärerischen Enthusiasmus an die biblische Endzeithoffnung zurückbindet, läßt er die französische Revolutionsgottheit in der Schwebe und bildet ab, wie Gott endzeitlich bei den Menschen zelten wird (Apk 21,22). Und indem Hebel den aufklärerischen Enthusiasmus auf der Leinwand der biblischen Eschatologie erscheinen läßt, läßt er „die Votivgemälde, welche die Aufklärung in den Tempel der Vernunft gestiftet hat" 1 2 4 8 zum biblischen Bilderbuch werden - zur biblia pauperum gewissermaßen. Bemerkt Benjamin: „Die ,reine' Humanität der Aufklärung hat bei Hebel sich mit Humor gesättigt" 1249 , so nehmen wir als hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis des U W diese Wendung in leicht abgewandelter Form 1243 1246 1249

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1 2 4 4 Ebd., 63 9. Ebd. 1 2 4 7 Ebd., 640. Ebd. Ebd., 628.

1245 1248

Ebd. Ebd.

auf: Die ,reine' Humanität der Aufklärung hat bei Hebel sich mit der Sprache der biblischen Endzeithoffnung gesättigt. Und das schließt den Hebeischen Humor keineswegs aus. Denn: Der Humor beginnt dort, wo das Endliche mit dem Unendlichen gemessen wird. Und eben das trifft ja auf Hebels U W zu. Die Jetztzeit wird an der Unendlichkeit der neuen Schöpfung gemessen 1250 . Oben hatten wir bereits gesehen, daß das U W durch seinen Anklang an die Todesnotizen der Könige und durch den v24 eine gewisse Affinität zum DtrG aufweist. Endlich ist das U W auch durch die Verse des Zeitraffers überhaupt in den Kontext der dtr. Theologie hineingestellt. Denn auch die zentralen dtr. Reden und Reflexionsstücke 1251 blicken auf große Zusammenhänge historischer Abläufe zurück. Auch diese dtr. geprägten Stücke drängen in ihren Geschichtsrückblicken die einzelnen Geschehnisse eng zusammen. Auch diese Texte lassen, in strenger Parataxe formuliert, z.T. die ganze Geschichte Israels - ja mehr noch: die gesamte Geschichte von der Schöpfung an - Revue passieren. So spannt z.B. N e h 9 einen Bogen von der Schöpfung (Neh9,6), über die Erwählung Abrams (v7f), die Befreiung aus Ägypten ( w 9 - l l ) , Wüstenzeit und Sinaigeschehen ( w l 2 - 2 1 ) , Landnahme ( w 2 2 - 2 5 ) bis hin zum Abfall des Volkes von Jhwh (hierin besonders markant der Vorwurf an das Volk,

1 2 5 0 Jean Paul (Richter), Werke Bd. 5, hg. von Miller, Norbert, München 3 1973 (1963), pl24f sagt zum Humor: „Wie aber, wenn man eben diese Endlichkeit als subjektiven Kontrast jetzo der Idee (Unendlichkeit) als objektivem unterschöbe und liehe und statt des Erhabenen als eines angewandten Unendlichen jetzo ein auf das Unendliche angewandte Endliche, also bloß Unendlichkeit des Kontrastes gebäre, d.h. eine negative? Dann hätten wir den humour oder das romantische Komische." Vgl. Steiger, Lothar, Art. Humor, T R E 15, Berlin/New York 1986, p696-701, zu Jean Paul, p698f. Nach Jean Paul steht der Humor insofern mit dem Eschaton in Verbindung, als gilt: „Er erniedrigt das Große, aber - ungleich der Parodie - um ihm das Kleine, und erhöhet das Kleine, aber - ungleich der Ironie - um ihm das Große an die Seite zu setzen und so beide zu vernichten, weil vor der Unendlichkeit alles gleich ist und nichts" (Jean Paul, a.a.O., pl25). So ist der Humor gewissermaßen eine Prolepse des Jüngsten Tages, da der Humor „als ein solcher Jüngster Tag die sinnliche Welt zu einem zweiten Chaos ineinanderwirft" (a.a.O., pl39). Daß Hebel Jean Paul geschätzt hat und durch die Lektüre seiner Werke nicht unberührt gewesen ist, steht außer Zweifel. Hebel war begeistert von seinen „Schilderungen der Natur"; sie „übertreffen alles ähnliche, nur die Natur selber nicht" (Hebel, Briefe, p l l 9 . 25.10.1801 an Gustave Fecht). „Seine Schriften sind wie Ananas, auswendig lauter Distel und Dorn, bis man in das süße innere Leben hineingedrungen ist" (Hebel, Briefe, p347f. 20.5.1807 an Gustave Fecht). Hebel liest die ,Flegel-Jahre' von Jean Paul (Hebel, Briefe, p353. 7.6.1807 an Sophie Haufe), will jedoch besonders seinen Streckvers nicht nachahmen, denn Hebel will „nicht zu den Narren iust gehöre(n), die sich eine Ehre daraus machen den J . Paul nachzuahmen und nicht zu erreichen. Denn die Ehre wäre höchstens auf J.P's, nicht auf J.P's (Johann Peters) Seite" (Hebel, Briefe, p424, 13.5.1809 an Haufe). Hebel sendet Jean Paul das ,Schatzkästlein' zu als Dank für die Besprechung der Gedichte Hebels in der,Zeitung für die elegante Welt' (1803) (Hebel, Briefe, p503. 2.6.1811 an Jean Paul Richter).

1251 Yg] Noth, Martin, Überlieferungsgeschichtliche Studien I, Darmstadt 2 1957 (1943), p5ff.

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die Propheten verworfen und umgebracht zu haben 1252 ). All das ist in 25 Versen stark gerafft, verdichtet und streng parataktisch formuliert. Die Idee Hebels, die fünfzig Jahre mit eben diesen Stilmitteln Revue passieren zu lassen, ist von dieser typisch dtr. Machart (wie sie Neh9 z.B. zeigt) sicher nicht unbeeinflußt gewesen. Dringlich ist es m.E., noch etwas ausführlicher auf das siebte Korrespondenz-Paar des Zeitraffers einzugehen: Auf die Notiz „und der Struensee wurde hingerichtet" (v22) einerseits und die Wendung „Die Türken schloßen den General Stein in der Veteraner Hole in Ungarn ein" (v25) auf der anderen Seite. Die beiden Notizen korrespondieren darin miteinander, daß beide ein Einzelschicksal darstellen, das des „Struensee" und das des „General Stein", wobei sich diese Einzelschicksale antithetisch zueinander verhalten - was zu zeigen sein wird. Dringlich ist es deswegen, auf die Stein-Notiz einzugehen, da dies in der Literatur zum U W bisher noch nicht geschehen ist. Überhaupt ist es bisher versäumt worden, die Komposition und den Inhalt des Zeitraffers zu untersuchen und als integralen literarischen Bestandteil des U W zu begreifen. Man meinte wohl bisher mit der Feststellung, hier würden 50 Jahre übersprungen, sich zufrieden geben zu können. Exemplarisch sei hier nur Nentwig zitiert: „Ob die in dem Geschehniskatalog aufgezählten Ereignisse ... bekannt sind oder nicht, ist belanglos; denn sie sind ja nicht ihrer selbst wegen genannt - sie könnten ebenso gut durch andere ersetzt werden" 1 2 5 3 . Aber gerade auf die SteinNotiz trifft das, was Nentwig hier sagt, überhaupt nicht zu. Denn im Schicksal Steins spiegelt sich ja geradezu der Einschluß des Bergmanns im Bergwerk von Falun. Deswegen soll hier zunächst nach dem historischen Hintergrund des doch sehr speziellen Ereignisses in der Veteraner Höhle gefragt werden, doch zuerst zu dem Schicksal Struensees. Das Schicksal Struensees ist gut überliefert, ein jedes Geschichtsbuch gibt Auskunft davon. Als Leibarzt des dänischen Königs Christian VII bändelt Struensee mit dessen Frau, der Königin, in einem Liebesverhältnis an. Die angestrebten Reformen konnte der Anhänger der Aufklärung nicht durchführen, obwohl Struensee Geheimer Kabinettsminister geworden war. Denn das Liebesverhältnis mit der Königin hinderte ihn daran dergestalt, daß es zu seiner Hinrichtung am 28.4.1772 führte. Ist dieses Ereignis wie all die anderen auch dem Heutigen noch relativ präsent, so fällt die Notiz über den General Stein hier völlig aus dem Rahmen. Die Forschung am U W

1 2 5 2 Vgl· hierzu Steck, Odil Hannes, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten, W M A N T 23, Neukirchen-Vluyn 1967. 1 2 5 3 Nentwig, Paul, „Unverhofftes Wiedersehen", Betrachtungen über die Prosadichtung von Johann Peter Hebel, in: Westermanns pädagogische Beiträge 2 (1950), p l 9 9 - 2 0 4 , hier: p203.

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geht über sie hinweg 1 2 5 4 . Selbst in pädagogischen Ratschlägen zur Behandlung des U W in der Oberstufe ist zwar je ein Schülerreferat zu jedem im Zeitraffer aufgeführten Ereignis vorgesehen. Aber zu v25 ist das Referatthema nicht etwa die Ereignisse in und vor der Veteraner Höhle, sondern etwas pauschal der „Österreichisch-Türkische Krieg 1 7 8 7 - 1 7 9 2 " 1 2 5 5 . Durch zwei Merkmale also fällt die N o t i z über Stein aus dem Rahmen. Erstens durch die verglichen mit den anderen Versen des Zeitraffers längste Ausdehnung (13 Wörter) und zweitens dadurch, daß sich im Schicksal Steins - und damit in der ,großen' Weltgeschichte - die Begebenheit in Falun widerspiegelt. So wie der Bergmann wird auch Stein in einem Berg eingeschlossen. Im D B A findet sich über Stein folgender Eintrag 1 2 5 6 : „ - 10. Major Stein. Dieser tapfere Officier, im Jahre 1788 Major bei Brechainville Infanterie Nr. 25, hat sich bei der Vertheidigung der nach dem berühmten Feldmarschall Grafen Veterani benannten Veterani'schen Höhle im August 1788 denkwürdig gemacht. Als der Türkenkrieg im genannten Jahre ausbrach erhielt von dem im südlichen Böhmen zu Pisek, Strakonitz und Rettolitz stationirten Regimente das zweite (Oberst-) Bataillon Befehl, an die türkische Grenze zu marschiren. Dieses Bataillon commandirte der deutsche Ordensritter Major Baron Stein. Anfangs Mai traf das Bataillon im Lager bei Semlin ein und stand am 12. Juli bei Bojana Bronikowi, einem von der Donau durchströmten Thale, in welchem sich die oberwähnte Veterani'sche Höhle befindet. Major S traf alle Anstalten zur Vertheidigung seiner Stellung, errichtete eine Schanze, welche er mit zwei Compagnien seines Bataillons besetzte, während von den übrigen vier zwei in der Höhle selbst, zwei außerhalb derselben aufgestellt wurden. Schon am 15. Juli zeigten sich ein etwa tausend Mann starker Türkenhaufe ... Am 11.August 1788 unternahmen die Türken einen Hauptangriff, und zwar ebensowohl auf die Schanze als auf die zwei Compagnien vor der Höhle und auf die Höhle selbst..." (Gegen die Einheiten auf der Schanze siegten die Türken, es heißt dann weiter:) „Major Stein mit seinen vier Compagnien, die aber, da sie an dem vorerwähnten Kampfe, so weit es in ihrer Stellung thunlich war, theilgenommen, stark zusammengeschmolzen waren, zog sich nun in die Höhle selbst zurück ... Wiederholte Aufforderungen, sich zu ergeben, wies Major Stein, nachdem er mit seinen Officieren Kriegsrath gehalten, zurück. Nun brachten die Türken drei Geschütze vor und beschossen die Höhle. Lieutenant Voith richtete seine Geschütze gegen jene der Türken mit solchem Erfolge, daß schon nach den ersten Schüssen die türkischen Geschütze demontirt waren ... Nun wurde

1 2 5 4 Ausnahmen machen hier Hebel, Johann Peter, Erzählungen und Aufsätze des Rheinländischen Hausfreundes, hg. von Zentner, Wilhelm, München und Wien 1985, p651 und Rohner, a.a.O. (Anm. 20), p291, wo das historische Ereignis in und vor der Veteranischen Höhle kurz benannt wird, jedoch auf keine Quellen verwiesen wird. 1 2 5 5 Greiner-Neusäss, Richard, Johann Peter Hebel: Unerhofftes (sie!) Wiedersehen. Eine Handreichung für den Leseunterricht der Oberstufe, Pädagogische Welt 12 (1958), p 4 6 9 - 4 7 3 , hier: p471. V o m „Unerhofften Wiedersehen" ist in diesem Beitrag des öfteren die Rede, so auf p469.470.471. 1256 Wurzbach, Constant von, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, 1878, tom. 38, zugänglich über: Deutsches Biographisches Archiv ( D B A ) 1 2 1 8 , 1 - 4 .

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ohne weiters die Capitulation abgeschlossen und Major Stein, welcher die Höhle vom 10. bis zum 30. August gehalten hatte, erhielt mit seinen vier Compagnien, nach erfolgter Uebergabe, ehrenvollen A b z u g . . . "

Nach Wien zurückgekehrt werden Stein und Voith trotz Kapitulation für ihre heldenhafte Tat mit höchsten Ehren bedacht: Beide erhalten den Maria-Theresien-Orden. Der General Veterani, nach dem die im U W genannte Höhle den Namen erhalten hat, hat von eben dieser Höhle aus - ebenfalls in einem Türkenkrieg und zwar dem von 1683-99 - fast genau hundert Jahre vor Stein eine Schlacht gegen die Türken geführt. „ E r (seil. Veterani) hielt Siebenbürgen, welches fast verloren schien, nahm im J. 1691 die Festung Lippa und richtete sein Augenmerk auf den durch eine in ihrer Art einzige Vertheidigung so berühmt gewordenen Posten an der Donau, der von ihm den Namen der veteranischen Höhle führt" 1 2 5 7 .

Das ist der bisher - so weit ich sehe - nicht erleuchtete Hintergrund der Formulierung „die Türken schloßen den General Stein in der Veteraner Hole in Ungarn ein." Nur - und das ist wichtig - scheint Hebel hier zwei Dinge durcheinander gebracht zu haben. Denn Stein, von dem Wurzbach nicht einmal den Vornamen weiß, war niemals General, sondern lediglich Major. Veterani dagegen, nach dem die Höhle benannt ist, war wirklich General. „Schon am 16. August 1690 war V. vom Kaiser zum General der Cavallerie befördert worden" 1 2 5 8 . So scheint Hebel den Dienstgrad dessen, der in der Höhle im August 1788 eingeschlossen worden war, und den Dienstgrad dessen, dem die Höhle ihren Namen zu verdanken hat, verwechselt zu haben. So ist dann wahrscheinlich die Benennung des Major Stein durch „General Stein" entstanden. Nach dieser historischen Klärung zeigt sich, daß das KorrespondenzPaar v25 und 22 eine Antithetik beinhaltet. Beginnt das Schicksal Struensees eher glücklich in einer (wenn auch gefährlichen) Liebesbeziehung zur Königin und der Beförderung zum Geheimen Kabinettsminister, so endet es verhängnisvoll mit der Hinrichtung. Umgekehrt verhält es sich beim Major Stein. Sieht es zunächst während der Belagerung der Veteranischen Höhle durch die Türken ganz so aus, als könne man dieser Situation nicht mehr lebend entrinnen, so erwirkt Stein dennoch durch geschickte Verteidigung der Höhle noch eine Kapitulation zu annehmbaren Bedingungen.

1 2 5 7 Allgemeine Deutsche Biographie ( A D B ) , hg. durch die historische Commission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1 8 7 5 - 1 9 1 2 , 56 Bde. (Nachdr. Berlin 1971), hier: Duncker, C., Art.: Veterani: Friedrich Graf v.V., A D B , Bd. 39, p 6 5 5 - 6 5 8 , hier: p656. 1 2 5 8 A D B , Bd. 39, p656f.

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Im Textzusammenhang fällt somit auf, daß auch der Text des Zeitraffers nicht nur von seinem spiegelbildlichen Aufbau geprägt ist, sondern auch von dem Kontrast zwischen den sehr bekannten Ereignissen zu dem einen sehr speziell ausgewählten Einzelereignis des Schicksals Steins. Im ganzen ist dieser Zeitraffer also höchst künstlerisch komponiert, und man wird der Kritik von Joachim Maass nicht folgen können, dessen Auslegung zum U W die oben aufgezeigte Komposition nicht gesehen hat und nur aus fehlender Einsicht heraus urteilen kann: „Ich will aber ... zugeben und sogar ausdrücklich ... darauf hinweisen, daß es, wenn mein Instinkt mich nicht trügt, einen einzigen kleinen Einwand gegen dieses sonst vollkommene Prosastück gibt; wenn ich es laut und langsam lese, will mir scheinen, daß die Symbolisierung vom flüchtigen Prunke der großen Ereignisse um ein weniges, um eine Zeile oder auch zwei vielleicht, zu weit getrieben und daß es mit etwas weniger auch und besser getan gewesen wäre - so daß denn hier die Erzählung eine leicht störende Aufschwellung erduldet" 1 2 5 9 . Darin liegt doch gerade die Hebeische Meisterschaft, auf knappem Räume den Leser dennoch warten zu lassen, sich in die langen 50 Jahre mit hineingestellt zu fühlen, was Maass dann auch gleich gegen seine gefühlsmäßige Kritik zugestehen muß 1 2 6 0 . Sein Instinkt hat Maass wirklich getäuscht - ich verweise noch einmal auf das Schaubild p272. Wir haben gesehen, daß innerhalb des Zeitraffers eine Struktur enthalten ist, die jeweils zwei Ereignisse zusammenbindet. Dabei ist dieser Zusammenhang in drei von acht Fällen antithetischen Charakters. Denn gegensätzlich entsprechen sich die Beendigung des Siebenjährigen Kriegs (vi 7) und die Eroberung Preußens (die nicht mit einem Kriegsende einhergeht). Scharf antithetisch ist auch - wie gesehen - das Verhältnis von v22 und 25 sowie das Miteinander der beginnenden Freiheit Amerikas (v23) und des anhebenden Abstiegs der ehemaligen Kolonialmacht (v24). So wird hier im Text des U W das greifbar, was Hebel an anderer Stelle so formuliert hat: „Man findet oft in großen und kleinen Weltbegebenheiten, so weit sie auseinander zu liegen scheinen, und so wenig die Augen eines Sterblichen den feinen Faden ihres Zusammenhangs entdecken mögen etwas typisches und antitypisches" 1 2 6 1 . Mit U W 3 2 - 3 5 lenkt der Text den Blick des Lesers von den historischen Ereignissen auf den Kosmos. „Indem Hebel die Weltbegebenheiten in die Alltäglichkeit einlenken läßt, führt er nicht nur die Zeit, die am Morgen stehen geblieben ist, weiter, sondern er verknüpft auch ... die weltge1 2 5 9 Maass, Joachim, Die Geheimwissenschaft der Literatur, Berlin 1949, hierin: Unverhofftes Wiedersehen, p l 5 0 - 1 6 1 , hier: pl59f. 1 2 6 0 Ebd., p520 merkt dann einschränkend an: „obzwar es sich am Rande versteht, daß die Länge des Geschehniskataloges in sich selbst wieder symbolisch ... ist." 1261 Hebel, Briefe, p80. Febr./März 1800 an Hitzig.

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schichtlichen Ereignisse mit dem Leben der Braut" 1 2 6 2 kommentiert Knopf die Wendung „und die Ackerleute säeten und schnitten" (v32), den Beginn der Uberleitung von den weltgeschichtlichen Ereignissen zu dem weiteren Geschehen in Falun. Doch hat gerade dieser v32 vom biblischen Hintergrund des U W her betrachtet ein dialektischeres Gepräge. Es entsteht eine biblische Konnotation, denn das U W bezieht sich mit der Nennung von Saat und Ernte nicht nur auf die beiden Ereignisse, die das bäuerliche Leben bestimmen, sondern auch auf die beiden Grunddaten, die Teil der Schöpfungsordnung sind, die die Schöpfung seit der Sintflut fest gegründet sein lassen. Nachdem Gott durch die Sintflut, die Aufhebung der Schöpfungsscheidung zwischen Hohem und Tiefem, Nassem und Trockenem, seine Schöpfung verneint hatte, gründete er die Schöpfung neu, indem er die Trennung von Saat und Ernte, Sommer und Winter, Frost und Hitze, Tag und Nacht setzte (Gen 8,22). Vor diesem Hintergrund betrachtet ist die Formulierung „und die Ackerleute säeten und schnitten" nicht nur als Uberleitung in das Alltägliche zu verstehen, sondern darüber hinaus auch als kosmologische Uberzeichnung der historischen Ereignisse. Die Weltgeschichte erscheint somit als in einer höheren Dimension überlagert von Saat und Ernte (,So lange die Erde stehet, soll nicht aufhören Samen und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht'). Der Zusammenhang der Sintflutgeschichte wird so Teil des vom U W aus sich aufbauenden Assoziationsfeldes. Als pars pro toto steht hierfür im U W das erste in Gen 8,22 genannte Paar ,Saat und Ernte'. Dieser Rekurs auf die Sintflutgeschichte ist motiviert von dem eschatologischen Kontext des UW, da dieser selbst ein biblischer Rekurs ist, wie Mt 24,37ff zeigt. Denn hier wird die Wiederkunft des Menschensohnes mit den Tagen Noahs in Beziehung gesetzt (,Gleich aber wie es zu der Zeit Noä war, also wird auch seyn die Zukunft des Menschen Sohnes'). Und als ob dieser Text Vorlage für Hebels U W gewesen wäre, heißt es dann in Mt 24,40f weiter: ,Dann werden zween auf dem Felde seyn; einer wird angenommen, und der andere wird verlassen werden. Zwo werden mahlen auf der Mühle, eine wird angenommen, und die andere wird verlassen werden.' Bei Hebel heißt es dann: „Die Ackerleute säeten und schnitten. Der Müller mahlte" (v32f). Wenn man am Mühlstein steht, dann kommt das Ende des alten Äons, das einen neuen aus sich heraussetzen wird. Ebenso zeigt sich das Ende als Bedingung der Möglichkeit für den Beginn des Neuen in Falun ganz überraschend: Nämlich zu dem Zeitpunkt, da sich noch alle Menschen in dem durch Gen 8,22 geprägten (alten) Aon glauben, da beginnt sich das Neue abzuzeichnen, indem die Totenauferstehung exemplarisch in der Wiederauffindung des Jünglings im voraus sichtbar wird. Nein, mit den w 3 2 - 3 5 wird nicht auf das kleine bäuerliche Leben zurückgeblendet, sondern der 1262

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Knopf, a.a.O. (Anm. 1215), p78.

Blick wird von der kleinen Weltgeschichte auf das große apokalyptische Szenario gelenkt: Auf die sich anfänglich erfüllende Neuschöpfung und die damit verbundene erneute Weissagung derselben. Gekonnt erweitern die w34.35 das biblische Bild der bereits von der Apokalyptik geprägten Alltäglichkeit, indem sie nun noch das Geschäft der Schmiede und Bergleute nennen. Erst hiermit wird übergeleitet auf die Ereignisse des Jahres 1809 in Falun. Und der Leser weiß jetzt: Nicht die fünfzig Jahre Weltgeschehen überlagern das Verschwinden und die Wiederauffindung des Bergmannes, sondern umgekehrt. Die die Endzeit abbildenden Ereignisse in Falun überschatten die Weltgeschichte. Deswegen bilden die zwei Tage hier und die zwei Tage dort den Rahmen um die in geraffter Art dargestellten fünfzig Jahre, und: Ist die Weltgeschichte vom Zuendegehen bestimmt, so sind die zwei Tage, die es jetzt zu erzählen gilt, ganz in den Farben des Aufbruchs in den neuen Aon gezeichnet. Der Zeitraffer des U W hat auch eine Funktion innerhalb der Komposition des gesamten Kalender-Jahrganges von 1811. Das U W verweist nämlich als viertletzter Kalenderbeitrag des Jahres 1811 auf den vorletzten Beitrag, der den „Zustand von Europa, im August 1810" beschreibt und mit der zusammenfassenden Formulierung „so standen die Sachen im August 1810 als der lezte Bogen dieses Kalenders gedruckt wurde" 1 2 6 3 endet. Im Kalender auf das Jahr 1810 kommt ein ähnlicher Geschichtsrückblick ebenfalls an herausragender Stelle zu stehen, hier allerdings am Eingang des Kalenders: „Der geneigte Leser darf nur (sie!) an die letzten 20 Jahre zurückdenken, an die Revolutionen und Freiheitsbäume hin und wieder, an den plötzlichen Tod des Kaisers Leopolds, an das Ende des König Ludwigs des sechszehnten, an die Ermordung des türkischen Kaisers, an die blutigen Kriege in Deutschland, in den Niederlanden, in der Schweitz, in Italien, in Polen, in Spanien, an die Schlachten bey Austerlitz und Eylau,... an die Zucker- und Caffeetheurung ,.." 1 2 6 4 . Aber - wie gezeigt - relativiert Hebel im U W sein Unternehmen, Erinnerung an die Geschichte zu stiften, indem er die Nichtigkeit und Vergänglichkeit der Zeit aufzeigt. Aber gleichwohl ist auch das UW, das auf eine Zeit vorausblicken läßt, da kein Kalender mehr notwendig sein wird, Teil eines solchen Kalenders. Aber der Kalender ist „selbst schon ein Gleichnis der Vergänglichkeit" 1265 , worauf Däster zurecht aufmerksam macht. Die Einführung des nun Folgenden mit „Als aber"(v36) markiert den Beginn eines neuen Kompositions-Abschnittes, des Teils B, der in seinem Erzählungs-Zeitraum von zwei Tagen mit den zwei Tagen des Teils Α korrespondiert 1266 . Dabei fällt zunächst die syntaktisch nicht ganz saubere Satzstruktur auf. Der Nebensatz „Als aber die Bergleute in Falun im Jahr 1263 1265

Hebel II, 287. Däster, a.a.O. (Anm. 11), p41.

1264 1266

Ebd., 194. S.o. p264 dieser Arbeit.

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1809 ... eine Öffnung durchgraben wollten" wird nicht ,richtig' fortgeführt. Denn der Hauptsatz, der eigentlich nun zu folgen hätte, müßte mit dem Prädikat „gruben sie ... heraus" beginnen. Anstatt dessen beginnt nun ein neuer Hauptsatz, der mit der lokaladverbialen Bestimmung „gute dreyhundert Ehlen tief" ansetzt. Dieser Anakoluth läßt den neuen Hauptsatz in v37 in einer gewissen Plötzlichkeit und Unvermitteltheit besonders hervortreten. Somit spiegelt sich in der Textstruktur das plötzliche, unerwartete Auffinden des Jünglings, das das eigentliche Vorhaben der Bergleute - nämlich eine Öffnung durchzugraben - unvollendet sein läßt und zurücktreten läßt. Aus dem eigentlichen Vorhaben, dem Durchgraben einer Öffnung, wird das Ausgraben des Jünglings. Der Schacht bleibt unvollendet, so wie der Satz v36 unvollendet und damit Anakoluth bleibt. In ihrem Alltagsgeschäft werden die Bergleute plötzlich überrascht, indem sie einen Leichnam finden, der „unverwest und unverändert war" (v37). Dabei wird mit der tautologischen Doppelung von „unverwest und unverändert" jetzt schon der Kontrast zu der ebenfalls tautologisch die Braut beschreibenden Wendung „grau und zusammengeschrumpft" (v43) vorbereitet. Bindet der v36 mit der Einführung „Als aber ..." an das „als aber ..." von v7 an, so greift er auch auf die nur noch in vi auftretende Lokalbestimmung „in Falun" zurück, wobei die Ergänzung „in Schweden"(vi) nun ausgelassen wird. Eine weitere Entsprechung der beiden Verse besteht darin, daß sie beide von einer gewissen Gleichgültigkeit einer genauen Datierung oder Datumsangabe gegenüber geprägt sind. So heißt es in vi doppelt relativierend „vor guten fünfzig Jahren und mehr" und in v36 dann „etwas vor oder nach Johannis". Diese Ungenauigkeit ist sicherlich nicht zufällig, sondern literarisch und theologisch motiviert 1267 . Zunächst einmal ist die Auswahl der beiden Datumsangaben ,St. Johannis' und ,St. Luciä' bedeutsam. Knopf hat darauf aufmerksam gemacht, daß „die natürliche' Chronologie, der Jahreskreislauf, aufgenommen (wird) in zwei Tagesdaten, die der Kalenderschreiber wohl kaum zufällig gewählt haben wird, St. Lucia und St. Johannis" 1268 . Denn nach den Bauernregeln ist „St. Lucia nicht nur der klassische Ehetermin, sondern auch der kürzeste Tag im Jahr" 1 2 6 9 . Nach Faber „hebt (seil, an St. Johannis; A.S.) für die

1 2 6 7 Auch hier hat die Syntax semantische Relevanz. Etwas ähnliches beobachtet Robert Minder, a.a.O. (Anm. 19), p X X X anhand der Kalendergeschichte „Unglück der Stadt Leiden" (Hebel II, 79f): „Mit einem seltsam feierlichen Klang hat der Satz begonnen: .Aber als nachmittags der Zeiger auf dem großen T u r m auf halb fünf stand.' E r endet mit: ,und plötzlich geschah ein Knall.' Die Grammatik ist dabei aus den Fugen geraten - nicht weil die Mittelpartie bis zum Bersten voll bepackt war mit dem Krimskrams des Lebens, sondern weil das Leben selbst ins Wanken geraten ist." 1 2 6 8 Knopf, a.a.O. (Anm. 1215), p78. Vgl. auch Knopf, a.a.O. (Anm. 1042), p l 3 7 f . 1 2 6 9 Knopf, a.a.O. (Anm. 1215), p78.

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Liebenden mit dem ,unverhofften Wiedersehen' im Grunde bereits jener kalenderlose Tag an, der in die Ewigkeit mündet" 1270 . Nach Wittmann ist der Johannistag Sinnbild des „nicht mehr endende(n) Licht- und Lebensfest(es)"1271. Die von Ellert Pastor gesammelten Sprüche „Sankt Luzen/Tut den Tag stutzen" und „An Sankt Luzia/Ist der Abend dem Morgen nah" 1272 aufnehmend interpretiert Knopf: „Der kürzeste Tag und die längste Nacht, die eigentlich die Hochzeitsnacht hätte sein sollen, treten auseinander. Für die Frau wird der Tag ein langer Tag, für den Bergmann gehen Tag und Nacht, wie es St. Lucia symbolisiert, ineinander über: er tut einen langen Schlaf. Der lange Tag der Braut symbolisiert sich im zweiten Datum, St. Johannis, dem 24.Juni, der als der längste Tag im Jahr nach dem Alten Kalender gilt"1273. „Wenn Johannes ist geboren/ Gehen die langen Tage verloren" 1 2 7 4 .

So treffend diese Interpretationen sind, so erschöpfen sie m.E. dennoch nicht den vollständigen Gehalt der Bedeutung der beiden Datumsangaben St. Johannis und St. Luciä. Zwar bildet der Johannis-Tag - der längste Tag im Jahr - die endgültige Erfüllung der Liebe der beiden in der neuen Schöpfung („und bald wirds wieder Tag") schon ab. Aber die Brisanz scheint mir hier noch an andrer Stelle zu liegen. Die Braut sagt nämlich „und bald wirds wieder Tag", obwohl dem Johannistag zunächst einmal das genaue Gegenteil folgen wird. Denn es wird zunächst einmal nicht Tag werden, sondern jetzt nach der Sommer-Sonnenwende werden die Tage ein halbes Jahr immer kürzer und die Nächte zunehmend länger werden. Das bringt auch die dem Leser des Kalenders u.U. so oder ähnlich geläufige Bauernregel zum Ausdruck: „ V o n Sankt Johann / Läuft die Sonne winteran" 1 2 7 5 .

Das hoffnungsvolle „und bald wirds wieder Tag" kennzeichnet damit den kontrafaktisch gegen den Jahresablauf stehenden Glauben der Braut, der sie trotz der bevorstehenden Abnahme der Tage auf das Licht hoffen 1270

Faber, a.a.O. (Anm. 106), pl28f. Wittmann, a.a.O. (Anm. 1210), p l l f . 1272 Pastor, Ellert, Deutsche Volksweisheit in Wetterregeln und Bauernsprüchen, Berlin 1934, p448 (bei Knopf, a.a.O. (Anm. 1215), p295 unzutreffende Angabe der Belegstelle bei Pastor). Pastor nennt weitere Sprüche: „Sankt Luzia kürzt den Tag,/Soviel sie ihn nur kürzen mag" (ebd.). „Sankt Lucia gehen die Tage zum Zunehmen" (ebd.). 1273 Knopf, a.a.O. (Anm. 1215), p79. 1274 Pastor, a.a.O. (Anm. 1272), p435. 1275 Ebd. 1271

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läßt. Angesichts der sich in der angefangenen Totenauferstehung abzeichnenden neuen Schöpfung überwindet die Braut den fest gefügten Jahresablauf, der die nun vorübergehende alte Schöpfung kennzeichnet. Die Braut tut das, indem sie sagt „und bald wirds wieder Tag", obgleich ihr lange Herbst- und Winternächte bevorstehen. Damit ist für die Braut nun schon die neue Schöpfung angebrochen, die keine Unterscheidung mehr zwischen Tag und Nacht kennt, in der es nur noch Tag und licht ist. Hier bricht schon „jener kalenderlose Tag an, der in die Ewigkeit mündet, jener Tag, der die scheinbare Nacht des Todes als Irrtum aufhebt" 1 2 7 6 , wie Faber richtig gesehen hat, ohne aber den biblisch-eschatologischen Hintergrund eruiert zu haben. So z.B. beschreibt Sach 14 den Tag Jhwhs, der die Neuschöpfung bringt. Zunächst wird der Urzustand der "|Β>Π, die Finsternis, eintreten (Gen 1,2), in dem kein Licht ist ( П Х ΓΡΓΡ xV; Sach 14,6) und sich die Sterne zusammenziehen ( p H B ^ m i p 4 ; 14,6). Danach jedoch wird der neue Tag eins der neuen Schöpfung kommen ("ГПХ DT1 ГРГР; 14,7) ganz in Analogie zum Tag eins der alten Schöpfung (ΊΠΧ DV Т П ; Gen 1,5), jedoch mit einer wichtigen Neuerung: von nun an werden Tag und Nacht nicht mehr unterschieden sein, das verdeutlicht die doppelte Verneinung ,weder Tag noch Nacht' (Sach 14,7), denn auch ,um den Abend wird es Licht seyn'. Ganz ähnlich blickt auch Jes 60,19-21 auf die neue Schöpfung. Im neuen Äon wird es keine Nacht mehr geben; Sonne und Mond werden nicht mehr scheinen (,Die Sonne soll nicht mehr des Tages dir scheinen, und der Glanz des Mondes soll dir nicht leuchten'; Jes 60,19), noch wird die Sonne untergehen oder der Mond abnehmen (,Deine Sonne wird nicht mehr untergehen, noch dein Mond den Schein verlieren'; Jes 60,20). Denn Gott allein wird das Licht sein. Diese atl. Endzeiterwartung, die mit der Ankündigung des Tages Jhwhs zumindest in Sach 14 in Verbindung steht, ist in die Apk eingeflossen. Im Eingang der Apk wird das Thema der Schrift angegeben: Der Tag des Herrn (Apk 1,10). Die Apk greift Theologumena der Tag-Jhwhs-Ankündigung auf, um die Wiederkehr Christi zu beschreiben. Denn auch die Apk kündigt in Analogie zu Sach 14 und Jes 60 die Unterscheidung von Tag und Nacht als endzeitlich aufgehoben an. Weder Sonne noch Mond werden im neuen Äon scheinen, sondern allein die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie (,Und die Stadt darf keiner Sonne, noch des Mondes, daß sie ihr scheinen; denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm'; Apk 21,23). Das Thema der endzeitlichen Nivellierung von Tag und Nacht erneut aufnehmend heißt es in Apk 22,5 noch einmal: ,Und wird keine Nacht da seyn, und nicht bedürfen einer Leuchte oder des Lichts der Sonne, denn Gott der Herr wird sie erleuchten, und sie werden regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit.' 1276

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Faber, a.a.O. (Anm. 106), pl28f.

Auf diesen Tag hofft die Braut des UW, und für sie ist er kontrafaktisch glaubend schon angebrochen. Angesichts der beginnenden Totenauferstehung, die die Braut als zeichenhaft-vorweggenommene erlebt, wird es wieder Tag: der neue Tag eins ist gemeint, der sich nicht mehr in die Nacht hinein versenkt. Die Untersuchungen zum UW, die als germanistische oder pädagogische kaum theologischen Zugang zum biblischen Gehalt dieser Erzählung haben, leiden unter einer gewissen Floskelhaftigkeit, wenn es daran geht, den Ausblick auf den neuen Äon zu interpretieren. Symptomatisch hierfür ist die Interpretation Scherers, der in der Hoffnung der Braut auf die Totenerweckung nur eine ausgeprägte Naivität erkennen kann: „Das geht bis in die feinsten Nuancen des Stils, z.B. bis in jenes ,auch' in der Wendung ,Was die Erde einmal wiedergeben hat, wird sie zum zweitenmal auch nicht behalten', in dem ein kindlich gläubiges Vertrauen auf eine vom Jenseits getragene Weltordnung mitschwingt" 1277 . Nicht kindlich-gläubig ist dieses Vertrauen, sondern vielmehr der christliche Glaube an sich, auf die neue Schöpfung - und nicht auf eine ominöse Jenseitigkeit' - zu hoffen. Erst doppelt reflektiert wird Scherers Interpretation (ungewollt) treffend, da die Kindlichkeit nach Mt 18,3 Voraussetzung dafür ist, des Reiches Gottes teilhaftig zu werden (,es sei denn, daß ihr euch umkehret, und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Reich kommen'). Ähnlich unbeholfen sieht Scherer die glaubende Aussicht der Braut auf den neuen Tag, mit der sie die biblische Verheißung bekräftigt, als „Vertrauen in eine jenseitige Ordnung, vor der die Zeit als mächtigste Gehilfin des Todes keine Macht mehr hat" 1278 . So und ähnlich wird der biblisch-eschatologische Inhalt des U W lediglich als Ausdruck von Hebels privater Frömmigkeit gewertet. So urteilt Däster über Hebels Eschatologie: „Wie jede irdische Nacht mit Sicherheit in einen Morgen mündet, so wird auch die Nacht des Todes einem Tag weichen. Dann aber hört das Kreisen auf, und der Tag wird ewig sein. Dies ist die unerschütterliche Glaubensgewißheit Hebels. Woher sie stammt, worauf sie gründet, wird sich kaum ermitteln lassen und ist weniger wichtig (sie!) - genug sie ist da, kindlich vertrauensvoll und unabhängig von jeder Theologie und Dogmatik" 1 2 7 9 . In solchen Interpretationen tritt das für die Hebel-Forschung typische Fehlen eines biblischen Blickes für sein Werk deutlich zutage. Es ist hoffentlich gezeigt worden, wie sich Hebels Eschatologie aus biblischen Texten speist, so daß man Hebels Endzeiterwartung nicht mehr als naiv-kindlich belächeln muß und sich von der Behauptung einer abstrakten Metaphysik in Hebels Werk trennen kann. Schon Paul Nentwig hatte über die Wendung „und bald wirds wieder Tag" in diesem abständigen Tone gesagt: „Mit diesem Satz 1277 1278

Scherer, a.a.O. (Anm. 1221), p316f (Hervorhebung von mir). 1279 Ebd., p3 1 7. Däster, a.a.O. (Anm. 46), p44.

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hebt der Dichter die Anekdote aus dem Bereich des Irdischen, Vergänglichen ins Metaphysische und gibt damit dem Vorfall eine überzeitliche Deutung" 1 2 8 0 . Die eben gegebene Interpretation wirft nun auch Licht auf die oben beobachtete Ungenauigkeit der Datierung in vi („vor guten fünfzig Jahren und mehr") und v36 („im Jahr 1809 etwas vor oder nach Johannis"). Denn wenn erst die Trennung zwischen Tag und Nacht und Hell und Dunkel aufgehoben sein wird, was zählt dann noch die Einteilung des Jahres in Sommer und Winter, in „etwas vor oder nach"! Datierungen müssen noch gegeben werden, aber - soweit hat sich der neue Aon schon offenbart - das Licht des neuen Tages eins leuchtet schon so stark, daß der von Saat und Ernte, Sommer (St. Johannis) und Winter (St. Luciä) bestimmte Kalender des alten Äon mit einer gewissen Gleichgültigkeit behandelt werden kann, ja: behandelt werden muß. Wie kann die Zeit noch nach den alten aus Gen 8,22 bekannten Eckdaten Sommer/Winter oder Saat/Ernte dargestellt werden, wenn der neue Tag eins schon sichtbar geworden ist, der auch die Scheidung zwischen Sommer und Winter aufgehoben sein läßt? Denn die lebenspendenden Wasser beginnen zu fließen (Sach 14,8), im Sommer wie im Winter, und allwährende Fruchtbarkeit läßt das Jahr nicht mehr von Saat und Ernte bestimmt sein. (,Zu der Zeit werden frische Wasser aus Jerusalem fließen, die Hälfte gegen das Meer gegen Morgen, und die andere Hälfte gegen das äußerste Meer; und wird währen beide des Sommers und Winters'). Ein näherer Blick auf die literarische Motivation, den Tag der Wiederauffindung des Bergmanns auf St. Johannis datiert sein zu lassen, scheint mir in diesem Zusammenhang wichtig zu sein. Der Leser, der diese Datierung hier im Text vorfindet, wird - so er mit dem Kirchenjahr vertraut ist wie der Kirchen- und Kalendermann Hebel - u.U. die atl. Lesung für diesen Tag konnotieren und im Gedächtnis Revue passieren lassen: Jes 40,1-5. Nach Lk 1,36 findet die Geburt Johannes des Täufers sechs Monate vor der Jesu statt. Deswegen wird der Johannistag traditionell sechs Monate vor dem 24.12. gefeiert, am 24.6. Schon Augustin war sich dessen bewußt, daß der Johannistag somit auf den Zeitraum der Sommer-Sonnenwende fällt: „Hodie natus est Joannes, quo incipiunt decrescere dies" 1 2 8 1 . Schon hier wird der Johannistag in Verbindung mit Joh 3,30 gesehen: ,Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen.' Der Johannistag ist der Tag der Sommer-

Nentwig, a.a.O. (Anm. 1253), p202. Augustin, De St. Joanne, Sermo VIII, zit. nach Freybe, Albert, Art.: Johannisfeuer, in: R E 3 IX, p328-330, hier: p330. Vgl. auch Augustin, In Iohannis Euangelium Tractatus C X X I V (CCSL 36), Turnhout 1954, Tractatus XIV, 5, pl44,22-25: „Illum oportet crescere, me autem minui. Deinde natus est Christus iam inciperent crescere dies, natus est Iohannes quando coeperunt minui dies." 1280 1281

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Sonnenwende, und der Zusammenhang mit Joh 3,30 wirkt bis in die Bauernregeln hinein: „Christus muß wachsen, ich aber abnehmen, sagt Johannes" 1 2 8 2 . Der atl. Text, der seinen traditionellen Ort am Johannistag hat, ist Jes 40,1-8, da nach Mk 1,3 Johannes der Täufer sich als die Stimme eines Rufenden in der Wüste nach Jes 40 bezeichnet hat. Jes 40,4 kündigt die eschatologische Nivellierung von Hohem und Tiefem an: ,Alle Thäler sollen erhöhet werden, und alle Berge und Hügel sollen geniedriget werden, und was ungleich ist, soll eben, und was hökericht ist, soll schlecht werden.' Jes 40 zeichnet ähnlich wie Sach 14 ein endzeitliches Bild. Ist in Sach 14 von der Nivellierung zwischen Tag und Nacht, Sommer und Winter die Rede, so in Jes 40 von der Nivellierung von Hohem und Tiefem. Mit dieser Nivellierung wird Gott ,eine ebene Bahn' (Jes 40,3) geschaffen. Diese endzeitliche Nivellierung, die alles in den Bergen Verborgene sichtbar werden läßt, fängt mit den Ereignissen in Falun an, Wirklichkeit zu werden. Sie bildet sich ab darin, daß der im Bergwerk fünfzig Jahre lang verborgene Jüngling an das Tageslicht hervorkommt. In diesem Zusammenhang ist auch die schon oben betrachtete Geschichte „Der Spaziergang an den See" zu verstehen, wo Hebel den Doktor innerhalb seiner endzeitlichen Vision sagen läßt: „wie wird er alle Gruben zuwerfen lassen, damit Niemand hineinfällt, weil jezt vor der Hand Metall genug zu Tag ist, besonders Messing und Eisen" 1 2 8 3 . Und auch von der Aufhebung des Unterschiedes von Tag und Nacht spricht „Der Spaziergang", wenn es dort heißt: „Das Morgenroth geht dem menschlichen Geschlecht am Abend auf - das ist alles - und verschießt schnell im aufgelösten Sternenlicht eines neuen Himmels und einer neuen Erde" 1 2 8 4 , sowie wenn Hebel die Geschichte abschließt mit der Frage der Amtsrätin an das Liebespaar und der Antwort des Rechtspraktikanten: „Kinder, wo seyd ihr gesteckt, und habt ihr auch die Sonne gesehen schön untergehen? Und die Jungfrau in ihrer Unschuld und Wahrheit gestand N e i n . Der Jüngling aber dachte: Unter nicht, aber auf" 1 2 8 5 . Ist im UW der kürzeste Tag im Jahr nach den Bauernregeln, St. Luciä, derjenige Tag, der das Leben der Braut prägt, so kann Hebel in einem Briefgedicht den Thomastag, den 21. Dezember, also den kürzesten Tag im Jahr, als Gleichnis für das menschliche Leben bezeichnen. „Trauriger Polymeter. ,Die Erde ligt im Norden und im Winter des Welt-alls. Wer auf ihr gebohren wird, deß Tag ist kurz, und die Nacht, die ihn begrabt, währt lang. Änderst. ,Das menschliche Leben ist ein Thomastag im Welt-all" 1286 . Gegen diese Bestimmung des menschlichen Lebens durch Nacht und Finsternis richtet sich die endzeitliche Hoffnung der Braut im UW: „und bald wirds wieder Tag." 1282 1283 1285

Pastor, a.a.O. (Anm. 1272), p435. Hebel III, 628. S.o. p88 dieser Arbeit. Ebd., 633.

1284 1286

Hebel III, 631. Hebel, Briefe, p455.1.1.1810 an Haufe.

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Einen weiteren Arm streckt der Text des UW in den biblischen Kontext hinein aus dergestalt, daß v37 den wiederaufgefundenen Leichnam durch die gepaarten Adjektive „unverwest und unverändert" näher bestimmt. Ein weiterer eschatologischer Text gerät somit ins Blickfeld: IKor 15. Paulus führt hier seine Eschatologie an lThess 4,13-16 anknüpfend weiter aus. Mit der letzten Posaune (IKor 15,52) wird es nach Paulus geschehen, daß ,plötzlich in einem Augenblick' die Toten auferstehen werden, und zwar ,unverweslich'. Den Unterschied zwischen der alten und der neuen Schöpfung, die sich als Verweslichkeit und Unverweslichkeit diametral gegenüber stehen, schärft der Text IKor 15 vierfach ein: ,Es wird gesäet verweslich, und wird auferstehen unverweslich' (v42), ,auch wird das verwesliche nicht erben das unverwesliche' (v50), ,Denn dis verwesliche muß anziehen das unverwesliche, und dies sterbliche muß anziehen die Unsterblichkeit' (v53; vgl. v54). Mit der Auferstehung der Toten werden die Menschen als Unverwesliche der Herrlichkeit des unverweslichen Gottes (Rom 1,13; lTim 1,17) gleich und sind nicht mehr als Verwesliche von Gott unterschieden. Zwar erscheint der wiederaufgefundene Jüngling noch nicht als der Unverwesliche, aber sehr wohl schon als der Unverweste. Und in seinem Unverwestsein läßt er bereits auf die künftige Unverweslichkeit vorausblicken und hoffen. Von hier aus läßt sich die Weissagung der neuen Schöpfung und der künftigen Unverweslichkeit im neuen Aon neu lesen: von der proleptisch-zeichenhaften Erfüllung, die als erneute Weissagung weiterwirkt. Die eschatologische Differenz besteht auch darin, daß der Leichnam noch „unverändert" ist. D.h. er hat die in IKor 15,51f angekündigte Verwandlung, die mit der Auferstehung einhergeht, noch nicht erfahren: ,Wir werden aber alle verwandelt werden ... und die Todten werden auferstehen unverweslich, und Wir werden verwandelt werden.' Man könnte auch sagen, daß die erste Phase der von Ez 37 geweissagten Totenauferstehung in der Auffindung des Jünglings in Erfüllung gegangen ist. ,Und siehe, da rauschte es, als ich weissagte, und siehe, es regte sich; und die Gebeine kamen wieder zusammen, ein jegliches zu seinem Gebeine. Und ich sähe, und siehe, es wuchsen Adern und Fleisch darauf und er überzog sie mit Haut; es war aber noch kein Odem in ihnen' (Ez 37,7f). In dieser ersten Phase erhalten die Totengebeine ihre sarkische Beschaffenheit zurück, ihnen fehlt aber noch die lebensstiftende Ruach, so wie auch der wiedergefundenen Leiche im UW. Die zweite Phase, die Begabung mit Geist (,Da kam Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig, und richteten sich auf ihre Füsse'; Ez 37,10) steht noch aus, auf sie hofft die Braut noch, indem sie sagt: „Was die Erde einmal wieder gegeben hat, wird sie zum zweytenmal auch nicht behalten." Absichtlich benutzt der Text des UW in v37 den unbestimmten Artikel „der Leichnam eines Jünglings." Der Text weist somit auf den weiteren Handlungsablauf voraus: Kein Mensch erkennt oder kennt den Jüngling. 292

Das bringt die in die als Anakoluth unvollendet gebliebene Satzkonstruktion ( v 3 9 ^ 2 ) eingeschobene Parenthese zum Ausdruck (v41): „kein Mensch wollte den schlafenden Jüngling kennen oder etwas von seinem Unglück wissen." Dabei wird der Grund hierfür vorangestellt und ebenfalls in der Parenthese genannt: „Vater und Mutter, Gefreundte und Bekannte waren schon lange todt" (v40). Der Leser hat damit einen gewissen Wissensvorsprung vor den Aktanten auf der Textebene der w 3 6 - 4 1 . Der Leser weiß natürlich um das Schicksal des Bergmannes, er wird gleichsam zum Vertreter der „Gefreundte(n) und Bekannte(n)". Denn auch sie, lebten sie noch, würden den Jüngling erkennen. Es fällt auf, daß der Leichnam mit einer Reihe von Vergleichen umschrieben wird. Der Jüngling sieht aus, als wäre er gerade erst gestorben („als wenn er erst vor einer Stunde gestorben"). Dieser erste Vergleich wird dann sofort verdoppelt durch die Wendung „oder ein wenig eingeschlafen wäre"(v38). Dieses Spiel mit den Verben ,gestorben sein' und ,schlafen' setzt sich dann fort in der Formulierung „kein Mensch wollte den schlafenden Jüngling kennen" (v41). Zunächst könnte man dies für einen Euphemismus halten, doch scheint mir das wenig nahe zu liegen. Vielmehr werden ,sterben' und ,schlafen' gerade deswegen zu Synonymen, da das U W in den Kontext von Joh 11 gestellt ist. Vor seinen Jüngern nämlich spricht Jesus vom Tode des Lazarus als von einem Schlaf, wenn er sagt: ,Lazarus, unser Freund, schläft; aber ich gehe hin, daß ich ihn auferwecke' (Joh 11,11). Die Jünger mißverstehen dies und der Evangelist merkt dies parenthetisch an, indem er sich kommentierend in die Erzählung einschaltet: Jesus aber sagte von seinem Tode; Sie meinten aber, er redete vom leiblichen Schlaf' (Joh 11,13). Angesichts des letzten Tages, der nicht, wie Martha meint, in weiter Ferne liegt (,Ich weiß wohl, daß er auferstehen wird in der Auferstehung am jüngsten Tage'; v24), sondern mit dem Auftreten Jesu Wirklichkeit wird (,Ich bin die Auferstehung und das Leben'), wird aus dem Tod ein Schlaf („der Tod ist mein Schlaf worden", E K G 310,1). Wie beim leiblichen Schlaf das Ende desselben, das Aufwachen, absehbar ist, so wird in Joh 11 der Tod deswegen zum Schlaf, da auch das Ende des Todes endzeitlich in nächste Nähe gerückt ist: das Auferwecktwerden. Und genauso wie Martha zum Glauben an die Auferweckung dadurch kommt, daß Jesus sie durch sein Selbstzeugnis und Tun lehrt, diese Auferweckung als Naherwartung zu glauben, so gelangt auch die Braut des U W zu diesem Glauben, dergestalt, daß sie sagt: „Was die Erde einmal wieder gegeben hat, wird sie zum zweytenmal auch nicht behalten" (v62). Somit läßt das U W wie Joh 11 den Tod zum Schlaf werden, indem mit der sich abzeichnenden Erfüllung der Verheißung von Ez 37 und IKor 15 die Auferweckung vom Tode so nahe gerückt zu sein scheint wie das Aufwachen dem Einschlafen das Nächste ist. 293

Sicherlich betont Hebel nicht zufällig in der Nacherzählung von Joh 11 in seinen „Biblischen Geschichten": „Da that sich das Auge des Erblaßten zu einem neuen Leben auf, da erhoben sich seine Gebeine zu einem neuen Leben. Er kam hervor, wie wenn er nur geschlafen hätte, und kehrte nachher mit den Seinigen in ihre Wohnung zurück" 1287 . Im Kontrast zum Jüngling, der „unverwest und unverändert" ist, kommt die Braut „grau und zusammengeschrumpft" an den Platz, an dem die Leute stehen, die den Leichnam nicht erkennen. Da die in v39 mit „als man ..." beginnende Satzkonstruktion unvollendet und damit Anakoluth bleibt, fällt auf die Temporalbestimmung „bis die ehemalige Verlobte des Bergmanns kam"(v42) ein besonderer Ton. Sie allein kennt ihn noch. Die Formulierung „die ehemalige Verlobte ... kam" wird dann im folgenden Vers („kam sie an einer Krücke an den Platz") wiederholt. Die Handlung verlangsamt sich hier, man meint den gebrechlichen Schritt der Braut beim Lesen regelrecht zu spüren. Und gleichzeitig baut sich durch diese Verlangsamung der Erzählung beim Leser Spannung auf. Die Spannung wird aufgelöst in der feststellenden Notiz „und erkannte ihren Bräutigam" (v43). Vater und Mutter sind zwar schon lange tot, doch sie, die Braut, erkennt ihren Bräutigam. Dieses Motiv des Zurückkehrens in die Heimat nach vielen Jahren, weshalb einen keiner mehr erkennt, muß Hebel sehr beschäftigt haben, da es auch in seinem Briefwerk wieder auftaucht. Ähnlich geht es ihm selbst, wenn er ins Oberland zurückkehrt: „Ich nahm den nächsten Weg über Oetlingen, Rötteln, Egringen und Hertingen, wo ich viele, die mir einst werth waren, nimmer fand, wenige mehr kannte, was 20 Jahr und darunter war, wußte nichts mehr von mir; ich hatte etwas von der Empfindung, wie wenn ein Verstorbener nach 100 Jahren wieder käme, und den Schauplatz seines verwehten Lebens wieder besuchte" 1288 . Und auch das Motiv des aus einem Gletscher oder aus einem Bergrutsch Wiederkehrenden begegnet in den Briefen gepaart mit eschatologischer Metaphorik, wie oben gezeigt 1289 . Konstitutiv für die folgende Szene ist wieder die Antithetik, der Kontrast zwischen der Braut, die mehr mit freudigem Entzücken als mit Schmerz (v44) auf die Leiche niedersinkt, und den Umstehenden, die bei diesem Anblick „von Wehmuth und Thränen ergriffen" (v48) werden. Die Zeit der Trauer ist für die Braut vergangen, sie kann sich beim Anblick des Bräutigams freuen, nicht so die Umstehenden. Nicht nur durch die „mehr ... als"-Konstruktion wird das Moment der Freude, die die Braut bewegt, hervorgehoben, sondern auch durch den Pleonasmus „mit freudigem Entzücken" (v44). 1287 1289

294

1 2 8 8 Hebel, Briefe, p l l 7 . 25.10.1801 an Gustave Fecht. Hebel V, 175. S.o. p237 dieser Arbeit.

Der Kontrast wird in der Rede der Braut weiter ausgebaut. Absichtsvoll läßt der Text die Braut auf ihre Trauer plusquamperfektisch zurückblicken. Es heißt also nicht, wie man erwarten könnte: ,Es ist mein Verlobter, um den ich ... getrauert habe', sondern: „um den ich getrauert hatte" (v46). Damit rückt die Trauer auf dieselbe temporale Ebene, auf der auch der Grund der Trauer - das Nimmer-Wiederkehren - angesiedelt ist: „der eines Tages auf die Schicht gegangen war"{v42). Die Trauer der Braut ist mit dem unverhofften Wiedersehen vorbei, und mehr noch: Die Trauer rückt angesichts des freudigen Ereignisses in den Hintergrund, da sie überwunden ist - endzeitlich überwunden. Die fünfzig Jahre der Trauer sind mit einem Mal soweit in die Ferne der Vergangenheit gerückt wie das Ereignis des Tages selbst, mit dem die fünfzig Jahre begonnen haben, d.h. begonnen hatten. Mit einem Mal liegt die Trauer so weit zurück wie das Verschwinden des Verlobten, das es zu betrauern gegolten hatte. Auf beides darf nun plusquamperfektisch (in vollendeter Vergangenheit) zurückgeblickt werden. Die Braut schaut sich bereits um, während sie „um den ich fünfzig Jahre lang getrauert hatte" sagt und verdoppelt sich selbst, indem sie es noch einmal tut: „und noch einmal umschaute" (v63) - so endet die Geschichte. Eine endzeitliche Situation ist damit erreicht. Denn bei dem Ereignis, das die Umstehenden für so traurig erachten, daß sie „von Wehmuth und Thränen ergriffen" werden (v48), sinkt die Alte „mehr mit freudigem Entzücken als mit Schmerz auf die geliebte Leiche nieder" und muß sich zunächst „von einer langen heftigen Bewegung des Gemüths" erholen(v45) - von einer freudigen Gemütsbewegung versteht sich aus dem Kontext wohl von selbst - , bevor sie zu sprechen anheben kann. Angesichts der endzeitlich hier und jetzt wahr werdenden Totenauferstehung sind die Tränen der Braut bereits abgewischt, endzeitlich abgewischt, wie die Apk sagt: ,Und Gott wird abwischen alle Thränen von ihren Augen' (Apk 7,17; vgl. 21,4). Die Braut wird nicht wie die Umstehenden von Wehmut und Tränen ergriffen, denn es ist bereits kein Geschrei mehr (,und der Tod wird nicht mehr seyn, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerzen wird mehr seyn ...'; Apk 21,4). Die Trauer gehört zur vollendeten, angesichts der Endzeit vergangenen Vergangenheit („um den ich fünfzig Jahre lang getrauert hatte", UW 46). Und der Schmerz muß der endzeitlichen Freude, dem „freudigen Entzücken" weichen. Damit hat das UW die drei in Apk 21,4 verneinten, den alten Äon bestimmenden Gemütsbewegungen Leid, Geschrei, Schmerzen als aufgehoben dargestellt, denn hier und jetzt in Falun beginnt sich zu offenbaren, daß der Tod nicht mehr ist (Apk 21,4). Doch die Umstehenden, sie weinen und befinden sich damit in derselben Situation wie Maria und die Juden in Joh 11,33, die auch weinen, obwohl der Beginn der Totenauferstehung, die Christus an Lazarus exemplarisch vollzieht, kurz bevorsteht. An zwei Stellen des UW treten komparativisch formulierte Vergleiche auf. Einmal in der Rede der Braut am Anfang des UW („und ohne dich 295

möchte ich lieber im Grab seyn, als an einem andern Ort",v6) und ein anderes Mal in v44: „und mehr mit freudigem Entzücken als mit Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche nieder." Diese beiden Vergleiche stehen in einem gewissen Kontrast zueinander. Denn anhand des eher freudigen als schmerzhaften Entzückens muß die Braut erfahren, daß das frühere „lieber ... als" keine Alternative darstellt. Vielmehr erfüllt sich die Liebe gerade im Grab, nachdem sich die Braut fünfzig Jahre an einem anderen Ort als der Bräutigam aufgehalten hat, obwohl sie das nicht wollte. Ein „ohne dich" (v6) gab es also für die Braut, aber nicht im Grab. Die Braut selbst nimmt ihre Hoffnung auf den neuen Tag eins, den ersten Tag der neuen Schöpfung nach Sach 14,7, die in der Formulierung „und bald wirds wieder Tag" zum Ausdruck kommt, in der Wendung „acht Tage vor der Hochzeit ist er auf die Grube gegangen" vorweg. Denn diese acht Tage sind für die Braut zu langen fünfzig Jahren geworden. Nach diesen fünfzig Jahren erst geht der achte Tag der Hochzeit in Erfüllung. So begleitet die Braut ihren Bräutigam „in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr Hochzeittag und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre" (v54). Und damit ist nicht nur der achte Tag, der Hochzeitstag, in Erfüllung gegangen, sondern gleichzeitig ist damit auch auf den achten Tag, d.h. auf den ersten Tag der neuen Schöpfung (7+1) verwiesen. Trotz der Beerdigung beginnt die Hochzeit, und trotz der Beerdigung fängt das Eintreten des neuen Äons an. Ahnlich kontrafaktisch gibt auch die Satzstruktur von v50 Anlaß zur Hoffnung auf die Vollendung der Totenauferweckung. Sicher ist der Satz „aber er öffnete den Mund nimmer zum Lächeln oder die Augen zum Wiedererkennen" stark durch das negierende „nimmer" bestimmt. Und trotzdem wird diese Wendung durch die parallele Objekt-Konstruktion „den Mund zum Lächeln oder die Augen zum Wiedererkennen" in ihrer negativen Bestimmtheit relativiert. Es heißt nämlich nicht: ,Aber er lächelte nicht mehr und schlug die Augen nicht mehr auf'. Sondern mit der finalen Zweckbestimmung, die substantiviert gewendet wird („zum Lächeln oder ... zum Wiedererkennen" - das „oder" ist hier nicht exklusiv zu verstehen) eröffnet sich hier bereits eine Perspektive, die auf die endgültige Erfüllung - eben darauf, daß der Jüngling seiner Braut ein wiedererkennendes Lächeln schenkt - verheißend vorausblicken läßt. So birgt sich hier in der Satzstruktur - die Syntax will hier wieder semantisch begriffen sein - ein Oxymoron, das der endzeitlichen Auflösung entgegendrängt. Es ist dies ein Oxymoron, das endzeitlich seinen Stilmittelcharakter verlieren soll, wenn der Heilige Geist eine neue Grammatik lehren wird und die Menschen wie aus der Gefangenschaft Zurückkehrende singen läßt: ,Denn wird unser Mund voll Lachens, und unsere Zunge voll Rühmens sein' (Ps 126,2). Der Text bezeichnet den wiedergefundenen Bergmann als „Bräutigam" (v43) und die Braut identifiziert den Leichnam, indem sie sagt: „es ist mein 296

Verlobter" (v46). In v48 dagegen wird die Frau - auf den ersten Blick scheint dies fast ein Widerspruch zu den vorhergehenden Benennungen zu sein - „die ehemalige Braut" genannt (vgl. v42 „die ehemalige Verlobte"). Doch auf den zweiten Blick wird dann deutlich, daß die Umstehenden weil sie die Situation nicht „mehr mit Freude als mit Schmerz" begreifen können - in der alten Frau nur die ehemalige Braut sehen können. Da bei ihnen die Tränen noch nicht abgewischt sind, weil sie die hier und jetzt offenbar werdende Neuschöpfung (noch) nicht begreifen, können sie in der Braut nur die ehemalige sehen. Für die Braut dagegen wird das einst gegebene Versprechen wieder gültig. Denn jetzt ist die Zeit da, die die Verlobung zur Erfüllung bringen wird. Es ist nur „noch ein Tag oder zehen im kühlen Hochzeitbett" (v57). Unbegreiflich ist mir, wie Hannelore Schlaffer zu einer Interpretation des U W gelangen kann, die am Text vorbeigeht, durch den Kontext ausgeschlossen ist und sich zudem nicht auf Textbeobachtungen stützt. „Unseligere Ehepaare lassen sich schwer denken als die des Schatzkästleins. Die ohnehin selten vertretenen Frauen sind ... durchaus keine gemütlichen Schwestern ... Die Frau hat stets das unglückstiftende erste und verdammende ,letzte Wort'. Ihre Herrschsucht und Habgier oder umgekehrt ihre Verschwendungssucht und Faulheit quälen den Mann zu Tode. ,Ihre Ehe ward nicht im Himmel geschlossen', ja von ihm ahnen sie kaum etwas, ganz im Unterschied zur Braut im ,Unverhofften Wiedersehen', die Gottes Hand vor der Ehe glücklich verschonte" 1290 . Der Text des U W dagegen spricht davon, daß es gerade im Grab dann doch noch zur Eheschließung kommt und das Grab das „Hochzeitbett" ist. Gegen Ende des Spannungsbogens des U W wird mittels des Allusionsfeldes ein Bogen zurück an den Anfang der Erzählung gespannt. Denn noch einmal tritt das Hld in den Blick des Lesers und will interpretiert sein. So lehrt die „Flamme der jugendlichen Liebe" (v49), die in der Brust der Braut nach fünfzig Jahren noch einmal entflammt, den Wahrheitsgehalt des Hld zu erkennen. Denn das U W zeigt, daß die Flamme der Liebe nicht weggeschwemmt werden kann, daß sie stärker ist als der Tod. ,Seze mich, wie ein Siegel auf dein Herz, und wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark, wie der Tod; und Eifer ist vest, wie die Hölle. Ihre Glut ist feurig, und eine Flamme des Herrn, Daß auch viele Wasser nicht mögen die Liebe auslöschen, noch die Ströme sie ersäufen' (Hld 8,6f).

Im Text des U W folgt nun wieder ein Anakoluth. Denn der mit dem Nebensatz „und wie sie ihn ... in ihr Stüblein tragen ließ" konstruierten

1 2 9 0 Schlaffer, Hannelore, (Hg.), Johann Peter Hebel, Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes. Ein Werk in seiner Zeit, Tübingen 1980, p353.

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Protasis folgt kein Hauptsatz. Sondern der Nebensatz mündet - wie im Anakoluth w 3 9 - 4 2 - in ein „bis" (vgl. v42): „bis sein Grab gerüstet sey auf dem Kirchhof." Der Anakoluth ist hier wiederum literarisch motiviert und absichtsvoll komponiert. Denn er bringt zum Ausdruck, daß die Rüstung des Grabes nicht der Endpunkt der Geschichte sein kann. So wie die Herrichtung des Grabes mit der Grablegung nicht die Vollendung des erzählerischen Spannungsbogens sein kann - denn „ein oder zehen Tage" bis zum neuen Licht stehen noch aus - , so kann auch die Grabesherrichtung nicht anders dargestellt werden als in einem unvollendeten Satz. Auch hier geht also die Textstruktur wieder eine Synthese mit der Semantik ein und will bei der Interpretation berücksichtigt sein. In typisch biblischer Redundanz zeigt v52, wie aus dem „bis" ein „als" wird. Die Wendung „bis sein Grab gerüstet sey auf dem Kirchhof" wird in dem Satz „den andern Tag, als das Grab gerüstet war auf dem Kirchhof" wieder aufgegriffen - und zwar in derselben charakteristischen Nachstellung der Lokaladverbialen „auf dem Kirchhof" wie in einer Epipher. Uber Nacht wird hier der Konjunktiv Präsens („gerichtet sey") zum Indikativ Imperfekt („gerichtet war"). Die einzige Abwechslung steckt hier darin, daß das Possessivpronomen („sein Grab") vom bestimmten Artikel („das Grab") abgelöst wird. Die eben beschriebene Doppelung der die Grablegung erzählenden Wendungen wird gerahmt durch die Handlung und das Auftreten der Bergleute. Damit entsteht ein textstruktureller Chiasmus: „wie sie ihn endlich von den Berg leuten in ihr Stüblein tragen ließ"

„bis sein Grab gerüstet sey auf

„Den andern Tag als das Grab gerüstet war auf dem Kirchhof"

„und ihn die Bergleute

dem Kirchhof"

holten"

Darüber hinaus stehen aber auch „Stüblein" und „Grab" in einer Beziehung zueinander, die von hinten her klar wird. Das Hochzeitbett, das man eher im Stüblein (im Nestlein) erwartet hätte, das ist aufgestellt im Grabe. Auch scheint es mir tiefgründig zu sein, daß Verkleinerungs-Formen (Endsilbe -lein) nur in den beiden Lexemen „Nestlein" und „Stüblein" begegnen. Wollten Braut und Bräutigam in ihrer Jugend ein Nestlein für ihre Liebe bauen, so führt der Weg zur Vollendung des Nestleins im Grab über das Stüblein der alten Braut. Die beiden Wendungen „bis sein Grab gerüstet sey auf dem Kirchhof" und „als das Grab gerüstet war auf dem Kirchhof" schließen eine ganze Reihe von ähnlichen Teiltextstrukturen ab. Denn ganz ähnlich ungewöhnliche Stellungen von Adverbial-Bestimmungen am Satzende finden sich im U W noch dreimal: 298

„und die Bergleute gruben nach den Metalladern in ihrer unterirrdischen Werkstatt"(v35) „als wenn er erst vor einer Stunde gestorben, oder ein wenig eingeschlafen wäre, an der Arbeit" (y38) ,„es ist mein Verlobter,' sagte sie endlich, um den ich fünfzig Jahre lang getrauert hatte, und den mich Gott noch einmal sehen läßt vor meinem Ende. "(v46)

Dieses Stilmittel der Inversion, das sich auch - wie wir gesehen haben an anderen Stellen des U W beobachten läßt, zieht sich durch den gesamten Text und gibt ihm ein einheitliches stilistisches Gepräge. Und der Text erscheint wie aus einem Guß. Dazu tragen natürlich auch die immer wieder auftretenden Anakoluthe bei. Nachdem wir im gesamten Zusammenhang dieser UW-Interpretation immer wieder auf die Verwendung von Stilmitteln wie Chiasmus, Anakoluth, Oxymoron, Polysyndeton, Inversion, Epipher u.a.m. eingegangen sind, wird es nun Zeit, einem weit verbreiteten Irrtum entgegenzutreten. Immer wieder findet man in der Literatur zum U W Wertungen wie „die einfachen und sparsamen Worte für das Brautpaar" 1291 oder „Hebels knappe, schlichte Erzählform" 1 2 9 2 . Hebel selbst wußte darum, daß die Einfachheit seiner Sprache eine hochreflektierte und nicht eine naiv-unmittelbare ist, sondern eine anzustrebende Kunstform, wenn er über seine Arbeit am Kalender schreibt: „So leicht alles hingegossen scheint, so gehört bekanntlich viel mehr dazu etwas zu schreiben, dem man die Kunst und den Fleiß nicht ansieht, als etwas, dem man sie ansieht und das in der nemlichen Form um den Beyfall der Gebildetsten zugleich und der Ungebildetsten ringt" 1 2 9 3 . Es kommt also nicht darauf an, thetisch „die schlichte Schönheit der dichterischen Sprache" 1 2 9 4 einfach zu behaupten, sondern die Bildungsgesetze dieser künstlerischen Schönheit zu begreifen und transparent zu machen. So wie sich die Braut selbst - dem hohen Anlaß ihres Hochzeitstages entsprechend - mit ihrem „Sonntagsgewand" schmückt, so schmückt sie auch ihren Bräutigam mit einem Halstuch. Doch nicht mit irgend einem Halstuch, sondern sie legt ihm das Halstuch um, das sie einst weggelegt und aufbewahrt hatte. Das Verb ,legen' taucht dreimal im Text auf: „... sondern als er nimmer kam, legte sie es weg ..."(vl5) „... legte sie ihm das schwarz seidene Halstuch mit rothen Streifen um ,.."(v53) „... als man ihn auf dem Kirchhof ins Grab legte ,.."(v55)

1 2 9 2 Ebd. Greiner-Neusäss, a.a.O. (Anm. 1255), p472. Hebel, Briefe, p453. 8.12.1809 an Theodor Friedrich Volz. 1 2 9 4 Koerner, Gerhard, Überlegungen zur Behandlung der Erzählung .Unverhofftes Wiedersehen' von J.P. Hebel, in: Die Schulwarte 11 (1958), p419-423, hier: p420. 1291

1293

299

Der nun folgende Abschnitt w55-61 ist ganz vom Motiv der Kürze der Zeit bestimmt: „noch einen Tag oder zehen"(v57)/„nicht lange" (v58)/ „nur noch wenig zu thun"(v59)/„komme bald" (v60) /„bald wirds wieder Tag"(v61). Die endzeitliche Zeitverkürzung rückt somit in den Horizont des UW und bringt die Hoffnung der Braut auf die sich erfüllende Neuschöpfung als Naherwartung kunstvoll zum Ausdruck. So wird auch hier der apokalyptische Hintergrund des UW weiter ausgebaut, indem die Bedingung der Möglichkeit, endzeitlich gerettet zu werden, konstitutiv für die Geschichte in Falun wird - die Zeitverkürzung (,Und wo diese Tage nicht würden verkürzet, so würde kein Mensch selig; aber um der Auserwählten willen werden die Tage verkürzet'; Mt 24,22). Dabei erinnert vor allem die im UW angegebene Frist von ein bis höchstens zehn Tagen bis zur Erfüllung der Zeit, da es wieder Tag werden soll, an Apk 2,10: ,Siehe, der Teufel wird etliche von euch ins Gefängniß werfen, auf daß ihr versucht werdet; und werdet Trübsal haben zehen Tage. Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.' In dieser endzeitlichen Prüfung spiegeln sich die zehn Tage der Prüfung Daniels am Hofe Nebukadnezars (Dan 1,12.14). Angesichts der im UW begonnenen Endzeit kann es sich nach Apk 2,10 nur noch um zehn Tage handeln, bis der neue Tag eins eintrifft. Gleichzeitig hofft die Frau auf weitere Zeitverkürzung („und laß dir die Zeit nicht lange werden"; v58) und nennt hoffnungsvoll die verkürzte Frist zuerst: „Noch einen Tag oder zehen". Der neue Himmel und die neue Erde sind hier und jetzt so nahe gerückt, daß es sich höchstens noch um zehn Tage •θλΤψις handeln kann, wenn nicht gar - wenn die Zeit verkürzt wird - nur noch um einen einzigen Tag, bis das Erwartete endgültig eintrifft. Sehr unbeholfen, weil von aller biblischen Sprache entfremdet, auch hier wieder eine gängige Interpretation: „Fünfzig Jahre wie ,ein Tag oder zehn', im Kämmerchen vor dem aufgebahrten toten Bräutigam erahnt das Mütterchen ein klein wenig vom Geheimnis der Zeit" 1295 . Nicht ein klein wenig wird hier offenbar und schon gar nicht vom , Geheimnis der Zeit', sondern die Endzeiterwartung als ganze. Die Braut erfährt demnach das Geheimnis der Zeit, die zuende geht und einem Neubeginn entgegenstrebt. So beginnen mit einem Mal alle im UW vorher gesponnenen Fäden, am Ende der Geschichte zusammenzulaufen, um sich zu einer Textur zu verweben. Einerseits bildet sich in der mit ihrem Sonntagsgewand geschmückten Braut das neue Jerusalem ab, das wie eine geschmückte Braut vom Himmel herabsteigen wird (,Und ich Johannes sähe die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabfahren, zubereitet als eine geschmükte Braut ihrem Mann'; Apk 21,2). Andererseits wird das apoka1 2 9 5 Greiner-Neusäss, a.a.O. (Anm. 1255), p472. Treffend dagegen Stern, a.a.O. (Anm. 1199), plO: „Dieses .Unverhoffte Wiedersehen' ist für sie (seil, die Braut; A.S.) nämlich ein Fingerzeig, ein zwar privater, aber doch alle angehender Wink Gottes."

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lyptische Mosaik dadurch komplettiert, daß der Braut die Worte des wiederkehrenden Christus, des Bräutigams der Apk, in den Mund gelegt sind. Die Worte der Braut „ich habe nur noch wenig zu thun, und komme bald" (UW 59f) lassen das U W von der zentralen, die Apk abschließenden Verheißung getragen sein: Ja, ich komme bald. Amen. Ja, komm Herr Jesu' (Apk 22,20; vgl. 3,11: ,Siehe, ich komme bald' und 22,7:,Siehe, ich komme bald'). In dieser Verborgenheit ist Hebels Christologie stark. Dieses die Apk abschließende Diktum scheint Hebel so zentral gewesen zu sein, daß er es auch gewählt hat, um seine „Biblischen Geschichten" damit abzuschließen, obwohl er der Apk hier nur sehr geringen Raum beimißt: „Es spricht, der todt war, und der lebt:,Siehe, ich komme bald, und mein Lohn mit mir, zu geben einem jeglichen nach seinen Werken'" 1 2 9 6 . Die Behauptung Fabers, Hebel habe die Apk „in seine ,Biblischen Geschichten' mit keiner Zeile aufgenommen" 1297 ist unzutreffend. Das Motiv der Zeitverkürzung kann Hebel in seinen Briefen an einer Stelle benutzen, um den Brief abzuschließen: „Grüßen Sie mir Ihr Bräutlein, und seyen Sie mein Fürsprecher bey Ihr, wenns nöthig ist, und laßt Euch die lange lange Zeit nicht zu lange werden, bis die Morgenröthe Eures schönen Tages aufgeht, oder vielmehr die Abendröthe" 1298 . Deswegen erzählt Hebel von der endzeitlichen Zeitverkürzung in einer Kalender-, also in einer Kurz-Geschichte 1299 . Mit dem letzten Satz des U W rundet sich die apokalyptische Folie ab, auf deren Hintergrund das U W verstanden sein will. Daß die Erde den Bräutigam „einmal wieder gegeben hat" (v62), wird als Weissagung daraufhin verstanden, daß sie ihn „zum zweytenmal auch nicht behalten" wird. Dabei ist auch diese Umschreibung der Auferstehung mit „wiedergeben" äußerst biblisch. So kündigt nämlich auch Apk 20,13 die Totenauferstehung an: Das Meer, der Tod und die Unterwelt geben die Toten zurück: ,Und das Meer gab die Todten, die darinnen waren; und der Tod und die Hölle gaben die Todten, die darinnen waren' (Apk 20,13). Auch 4Esr 7,32 spricht davon, daß die Erde die in ihr Schlafenden zurückgeben wird: ,et terra reddet quae in ea dormiunt'. Und auch hier in 4Esr 7 gehört es zur Offenbarung der neuen Schöpfung am ,dies iudicii', daß es licht wird - „und bald wirds wieder Tag": ,neque tenebras neque sero neque mane ... neque meridiem neque noctem neque ante lucem, nisi solummodo splendorem claritatis Altissimi' (4Esr 7,40.42). Der abschließende Nebensatz „als sie fortgieng, und noch einmal umschaute" (UW 63) läßt vom im U W proleptisch sichtbar gewordenen neuen Aon aus noch einmal zurückschauen auf den alten. Dieser Rückblick 1296

Hebel V, 216. Faber, a.a.O. (Anm. 106), pl35. 1298 Hebel, Briefe, p203. 25.3.1804 an Haufe. 1299 Insofern bildet die Gattung, zu der das U W zu zählen ist, das Thema der endzeitlichen Zeitverkürzung ab. 1297

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vollzieht sich in der Textstruktur des U W als kompositioneller Rückverweis: Ist am Anfang des U W der Dialog durch die Verben „und sagte" und „sagte sie" gerahmt, so auch am Ende der Geschichte. Denn auch hier wird das „sagte sie" aus v55 in v63 verdoppelt. So sind Anfang und Ende des U W ähnlich gerahmt. Diese Korrespondenz läßt sich bis hinein in die Interpunktion verfolgen. Sowohl der erste Dialog als auch die abschließenden Sätze der Braut erhalten eine Gliederung durch einen Gedankenstrich (v4.62). Auffällig ist nicht nur, daß Hebel die Komposition des U W selbst durch und durch geplant hat, sondern sich auch um eine Einbindung desselben in den Kalenderjahrgang von 1811 bemüht hat. Der vorangehende Beitrag „Baumzucht" 1 3 0 0 schon präludiert das UW, bildet sozusagen einen Auftakt und läßt auf die abschließende Formulierung des U W „Schlafe nun wohl ... und laß dir die Zeit nicht lange werden. Ich habe nur noch wenig zu thun, und komme bald, und bald wirds wieder Tag" vorausblicken, wenn es dort heißt: „,Stilles Kind dein Bäumlein blüht. Schlafe du indessen ruhig fort! Dein Maytag bleibt dir auch nicht aus'" 1 3 0 1 . Diese Reihenfolge der beiden Geschichten hat Hebel im Aufbau des 1811 bei Cotta erschienenen „Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes" beibehalten und überdies in der Vorrede zu demselben auf das U W verwiesen: „Übrigens, sagt die Verlagshandlung, findet sich das Beste nicht sogleich am Anfang, sondern in der Mitte, und wie an einem Ballen Tuch am Ende des Büchleins, von welchem auch das letzte Muster im Morgenblatt abgeschnitten ist. Sie rechnete auf viele Leser, die, wie die Bekenner des mosaischen Gesetzes, dort zu lesen anfangen, wo andere aufhören" 1 3 0 2 . Das U W steht im ,Schatzkästlein' an vorletzter Stelle.

1300 1301 1302

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Hebel II, 277-281. Ebd., 281. Vgl. Knopf, a.a.O. (Anm. 1042), pl36. Hebel III, 599.

5. Das „Unverhofte Wiedersehen" und seine Quelle Literarkritische Untersuchung II Das U W ist nicht nur die bekannteste Kalendergeschichte von Hebel, sondern auch bei weitem diejenige, über die am meisten veröffentlicht worden ist. Besonders dem Vergleich des durch verschiedene Dichter bearbeiteten Stoffes wurden mehrere Arbeiten gewidmet 1 3 0 3 . Jedoch wurde, da bisher eine biblisch-theologische Arbeit zum U W fehlte, nicht die Frage gestellt, wie Hebel durch seine Bearbeitung des Stoffes vom Bergmann zu Falun der Geschichte ein eigenes theologisches Gepräge gegeben hat. Dies soll hier im Vergleich mit dem Text, der höchstwahrscheinlich die Vorlage Hebels war, nachgeholt werden, indem die Propria der Hebeischen Version benannt werden sollen und auf die Kommentierung der betreffenden Teiltexte im vorangegangenen Kapitel zurückverwiesen werden soll. Hebel lag höchstwahrscheinlich der Abdruck eines Textes aus dem Buch von Gotthilf Heinrich von Schubert ,Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften' 1304 in der Zeitschrift J a s o n ' 1 3 0 5 vor. Unter der Überschrift „Dichter-Aufgabe" 1 3 0 6 wurde der Text abgedruckt und zu dichterischer Bearbeitung des Stoffes aufgerufen. Im folgenden wird der gesamte Text des Artikels wiedergegeben:

1 3 0 3 Vgl. Scherer, Michael, Die Bergwerke zu Falun. Eine Studie zu E.T.A. Hoffmann und J.P. Hebel, in: Blätter für den Deutschlehrer 1958, Heft 1, p9-16. Ausführlicher: Friedmann, Georg, Die Bearbeitungen der Geschichte von dem Bergmann von Falun, Berlin 1887. Einen Uberblick verschafft Reuschel, Karl, Uber Bearbeitungen der Geschichte des Bergmanns von Falun, in: Studien zur vergleichenden Literaturgeschichte 3 (1903), p l - 2 8 . Vgl. auch Pfeiffer, Johannes, Wege zur Erzählkunst, Hamburg 6 1964, p46-52 zum Vergleich der Bearbeitungen des Stoffes durch Hebel und E.T.A. Hoffmann. Zu Hugo von Hoffmannsthals Bearbeitung des Stoffes vgl. Faber du Faur, Curt von, Der Abstieg in den Berg. Zu Hoffmannsthals B e r g werk zu Falun', in: Monatshefte für deutschen Unterricht, deutsche Sprache und Literatur 43 (1/1951), pl—14. Vgl. darüber hinaus Frenzel, Elisabeth, Stoffe der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte, Stuttgart 3 1970, p91-93. 1 3 0 4 Schubert, Gotthilf Heinrich von, Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften, Leipzig 1808, pl21. 1 3 0 5 Jason. Eine Zeitschrift. Herausgegeben von dem Verfasser des goldnen Kalbes (= Bentzel-Sternau, Christian Ernst Graf von). Jahrgang 1809. Erster Band. Januar bis April, Gotha 1809, p394-396 (vorh.: H A B Za 214). 1 3 0 6 A.a.O., p394.

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Dichter=Aufgabe."") ,Man fand einen ehemaligen Bergmann in der schwedischen Eisengrube zu Falun, als zwischen zween Schachten ein Durchschlag versucht wurde. Der Leichnam, ganz mit Eisenvitriol durchdrungen, war Anfangs weich, wurde aber, sobald man ihn an die Luft gebracht, so hart wie Stein. Fünfzig Jahre hatte derselbe in einer Tiefe von dreihundert Ellen in jenem Vitriolwasser gelegen; und niemand hätte die noch unveränderten Gesichtszüge des verunglückten Jünglings erkannt, niemand die Zeit, seit welcher er in dem Schachte gelegen, gewußt, da die Bergchroniken, so wie die Volkssagen bey der Menge der Unglücksfälle in Ungewißheit waren, hätte nicht das Andenken der ehmals geliebten Züge eine alte treue Liebe bewahrt. Denn als um den kaum hervorgezognen Leichnam das Volk, die unbekannten jugendlichen Gesichtszüge betrachtend steht, da kommt an Krücken und mit grauem Haar ein Mütterchen, mit Thränen über den gelieb-(395) ten Todten, der ihr Verlobter Bräutigam gewesen, hinsinkend, die Stunde segnend, da ihr noch an den Pforten des Grabes ein solches Wiedersehen gegönnt war, und das Volk sah mit Verwunderung die Wiedervereinigung dieses seltnen Paares, davon das Eine, im Tode und in tiefer Gruft das jugendliche Aussehen, das Andere, bey dem Verwelken und Veralten des Leibes die jugendliche Liebe treu und unverändert erhalten hatte; und wie bey der fünfzigjährigen Silberhochzeit der noch jugendliche Bräutigam starr und kalt, die alte und graue Braut voll warmer Liebe gefunden wurde.' Hehrer Sänger des Mädchens aus der Ferne, der Ceresklage, der Geisterstimme, der Bürgschaft, Toggenburgs, der Glocke, des Drachenkampfs, des Tauchers und des Ganges nach dem Eisenhammer! - Warmer Sänger Leonorens und des braven Mannes! - warum hängt euer Meister=Saitenspiel im Schatten, aus welchem dieser Stoff für die Meisterhand hervortritt! — Er werde Begeisterungsstoff für die Nachfolger auf eurer hohen und reizenden Bahn - sie mögen schon erweckt seyn oder erwachen! Der Preis dieser Dichteraufgabe, welche den Genius der Liebe an der Grenzscheide des Todes und Le-(396) bens, zwischen der stummen Vergangenheit und der lauten Sehnsuchtsklage der Folgezeit, in dem beyde vermählenden Spiegel der Gegenwart zeigt, ihr Preis liegt im schöpferischen Aneignen der einzigen Situation; in der Thräne der Rührung, die schon ihre einfache Erzählung hervorlockt; im Triumf der möglichen vielseitigen Gestaltung. "') Aus Schuberts genialen Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft; verhältnißmäßig noch wenig beachtet, und doch der Achtsamkeit und Erwägung höchst würdig; worüber sich der Vorleser noch einen eignen Monolog vorbehält." Die Quelle spricht nur von der Wiederauffindung des Bergmannes und dem Wiedersehen der Brautleute, wobei die Quelle schon das Stichwort „Wiedersehen" an die Hand gibt, woraus Hebel den Titel „Unverhoftes Wiedersehen" gebildet hat. Die gesamte Exposition, der Anfangsdialog der Brautleute, das Zitat aus der Agende („So nun jemand Hinderniß wüßte . . . " , v8) 1 3 0 7 , die Erzählung vom Verschwinden des Bergmannes, wie auch 1307

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Vgl. o. Anm. 1207.

der spiegelbildlich komponierte Zeitraffer stammen von Hebels Hand. Die oben aufgewiesene spiegelbildliche Makro- und Mikrostruktur der Hebelschen Version (s.o. p264.272) erklärt sich vielleicht daraus, daß Hebel auf die Komposition besonders viel Mühe verwandt hat, da es sich um eine durch die Zeitschrift Jason' ausgeschriebene Dichteraufgabe handelte. Auffällig ist, daß die theologisch überaus relevanten Datierungen St. Johannis und St. Luciä (vgl. о p286ff) von Hebels Hand stammen. Die Nennung der Zeitspanne der fünfzig Jahre zwischen Verschüttung und Wiederauffindung des Bergmannes („Fünfzig Jahre hatte derselbe ... in jenem Vitriolwasser gelegen)" zieht Hebel ganz an den Anfang seiner Bearbeitung („In Falun in Schweden küßte vor guten fünfzig Jahren und mehr ..."; vi), um sie dann noch einmal in die Rede der Braut nach der Wiederauffindung ihres Verlobten einzuflechten („um den ich fünfzig Jahre lang getrauert hatte", v46). An einigen Stellen ist die Quelle in Hebels Bearbeitung klar wiederzuerkennen: „als zwischen zween Schachten ein Durchschlag versucht wurde"

„Als aber die Bergleute ... zwischen zwey Schachten eine Öffnung durchgraben wollten" (v36)

„Fünfzig Jahre hatte derselbe in einer Tiefe von dreihundert Ellen in jenem Vitriolwasser gelegen"

„gute dreyhundert Ehlen tief unter dem Boden gruben sie aus dem Schutt und Vitriolwasser den Leichnam ... heraus" (v37)

„die noch unveränderten Gesichtszüge des verunglückten Jünglings" „die unbekannten jugendlichen Gesichtszüge"

„ . . . sonst aber unverwest und unverändert war; also daß man seine Gesichtszüge und sein Alter noch völlig erkennen konnte" (v37f)

„da kommt an Krücken und mit grauem Haar ein Mütterchen"

„Grau und zusammengeschrumpft kam sie an einer Krücke an den Platz" (v43)

„das jugendliche Aussehen ... die jugendliche Liebe"

„den Bräutigam noch in seiner jugendlichen Schöne, und wie in ihrer Brust nach 50 Jahren die Flamme der jugendlichen Liebe noch einmal erwachte" (v48f)

„bey der fünfzigjährigen Silberhochzeit"

„als wenn es ihr Hochzeittag und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre" (v54)

Die biblisch-eschatologische Ausgestaltung, die oben aufgezeigt worden ist, verdankt sich der Autorenschaft Hebels, so z.B. die Bezeichnung des Leichnams als eines Schlafenden (vgl. p293f). Auch stammt die Erzählung von der Beerdigung des Leichnams von Hebel, die er als Weissagung der 305

Auferstehung faßt, indem er durch seine Bearbeitung biblisch-eschatologisches Sprachmaterial einfließen läßt (vgl. p292.294.298.301ff). Die Quelle spricht zwar von „den Pforten des Grabes", faßt das Wiederauffinden des Bräutigams jedoch nicht als Prolepse der Auferstehung am Jüngsten Tag wie Hebel, sondern bleibt innerhalb des Rührseligen stecken. Auch Hebels Version ist sicher eine rührende Geschichte, aber es ist doch auffällig, daß er sich insofern von der Quelle distanziert, als er das „Mütterchen", das „mit Thränen über den geliebten Todten" den Leichnam erblickt, in die Braut verwandelt, von der es heißt: „und mehr mit freudigem Entzücken als mit Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche nieder" (v44), deren Trauer als eine vergangene charakterisiert wird (vgl. p295). Insofern ist Hebel auch über die Zielvorstellung hinausgegangen, die die Ausschreibung der Dichteraufgabe dahingehend formuliert hatte, daß „ihr Preis (seil, der Preis dieser Dichteraufgabe; A.S.) im schöpferischen Aneignen der einzigen Situation; in der Thräne der Rührung (liegt)". Hebel hat also aus theologischer Motivation verändernd in die Quelle eingegriffen, da er das endzeitliche Abwischen der Tränen narrativ-homiletisch umsetzen wollte (vgl. p295), und hat deswegen den in der Quelle vorliegenden Kontrast zwischen der alten Braut und dem jugendlichen Bräutigam durch einen weiteren ergänzt, nämlich durch den zwischen der getrösteten Braut und den Umstehenden, die „von Wehmuth und Thränen ergriffen" (v48) werden (vgl. p295). Die Meinung von Nentwig, daß Hebel „an dem Stofflichen der Quelle nichts geändert"1308 habe, trifft daher nicht ganz zu. Zusammenfassend läßt sich Vorlage und Bearbeitung vergleichend sagen, daß Hebel ähnlich wie in den „Betrachtungen" und den Tierbetrachtungen, die bereits behandelt worden sind 1309 , und analog zu der Verarbeitung des Stoffes der Geschichte „Franziska", die noch zu thematisieren sein wird 1310 , die Quelle auch hier dahingehend bearbeitet, daß er sie biblisiert und damit theologisiert, und d.h. bei Hebel vornehmlich, daß er den vorliegenden Stoff eschatologisiert, worin sich ein hermeneutisches Programm zeigt, das Hebel in allen seinen Werken verschiedener Gattung umsetzt: in Kalenderbeiträgen, Predigten, Briefen, Gedichten und Bibeldichtung. Uberall wird die biblische Sprache zum Fundament, so daß Hebel-Ton und Bibelton nicht voneinander zu trennen sind 1311 .

Nentwig, a.a.O. (Anm. 1253), p201. Vgl. Kap. 1,3.8 dieser Arbeit. 1 3 1 0 Vgl. bes. Anm. 1379. 1311 Vgl. di e Vertiefung dieser Betrachtungen im folgenden Kap. 11,6. 1308

1309

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6. Hebels Rückgriff auf die sprachstiftende Dynamik der Bibel und des Gesangbuches Hebel greift nicht nur in seinen Kalendergeschichten, Predigten und in den „Biblischen Geschichten" auf die Sprache der Luther-Bibel zurück, sondern er hat sich auch in verschiedenen gutachtlichen Äußerungen für die Beibehaltung des gewohnten Luther-Bibeltons ausgesprochen. Oben wurde bereits gezeigt, wie Hebel in seinem Gutachten „Meine Bemerkungen über das mit Abänderungen in unsern Schulen einzuführende biblische Geschichtbuch von Schmidt" 1 3 1 2 fordert, daß die Luther-Sprache selbst das sprachstiftende Fundament für eine Bibelnacherzählung sein solle, da so in einen dem Volk bereits bekannten biblischen Kontext hineingesprochen werden könne, die Adressaten also auf eine ihnen gewohnt und lieb gewordene Sprache hin angesprochen werden können und gleichzeitig ihre Sprache durch den Luther-Bibelton veredelt werden könne 1 3 1 3 . Die Luther-Sprache selbst ist es, die nach Hebel das Kontinuum zwischen Bibelnacherzählung und Bibel selbst bildet. Denn die Worte der Bibel „in Luthers Ubersetzung" 1 3 1 4 sind für die Menschen „die einzige Bürgschaft für die Warheit und Heiligkeit der Geschichte" 1 3 1 5 : „Wenn aber der Bibeltext in Luthers Wort nimmer gut ist, so machen wirs auch nimmer besser" 1 3 1 6 . D a das Volk in der Luther-Sprache durch langjährige Gewöhnung in Katechismus-Unterricht und Predigthören eine Heimat gefunden hat, soll es auf diese Sprache hin angesprochen werden, damit ihm diese Beheimatung erhalten bleibe. Aus diesen hermeneutisch-kommunikationstheoretischen Überlegungen heraus hat Hebel das Luther-Deutsch in seiner eigenen Bibelnacherzählung als sprachstiftende Dynamik wirken lassen und hat, wie Wunderlich gezeigt hat, besonders die sog. Kernstellen 1317 als Gerüst benutzt 1 3 1 8 . Im folgenden sollen Hebels Äußerungen zum Thema Rezeption sprachlicher Tradition dargestellt und aufeinander bezogen werden. Im Jahre 1798 bekam Hebel den Auftrag, „die Formulare für Betstunden und Wochenpredigten, die monatlichen und den allgemeinen Büß- und Hebel, Gutachten zu BiblGesch, a.a.O. (Anm. 39). Vgl. p l 1-21.111-116 dieser Arbeit. 1 3 1 4 Hebel, Gutachten zu BiblGesch, p274. 1 3 1 5 Ebd. 1 3 1 6 Ebd. 1317 Ygj z u r Geschichte und zur hermeneutischen Relevanz der Kernstellen: Hövelmann, Hartmut, Kernstellen der Lutherbibel. Eine Anleitung zum Schriftverständnis, Texte und Arbeiten zur Bibel 5, Bielefeld 1989. 1 3 1 8 Wunderlich, a.a.O. (Anm. 31), p226. 1312 1313

307

Bettag, Beicht und Nachtmahl zu bearbeiten" 1319 . Den Auftrag hatte Hebel von Nikolaus Friedrich Brauer erhalten, dessen Kirchenratsinstruktion vom 6.7.1798 die Anweisung des Markgrafen Karl Friedrich enthielt, die Hebel referiert: „Das alte soll so viel als möglich geschont und beibehalten werden. Der Marggrav, der die ganze Aenderung nicht gerne sieht, empfielt bei ieder Gelegenheit treue Gewahrsame des alten Glaubens" 1320 . Und in Umkehrung des Bibeldiktums Mt 9,17 (,Man fasset auch nicht Most in alte Schläuche') merkt Hebel kritisch an: „Da soll also alter Most in neue Schläuche gefaßt werden" 1321 . Es zeigt sich also, daß Hebel nicht von vornherein einer Abänderung der liturgischen Formulare grundsätzlich abhold gewesen ist, daß er also kein verknöcherter Traditionalist gewesen ist, der prinzipiell das Alte, Überkommene auch notwendigerweise und unkritisch für das Bessere hält. Doch hat Hebel im Vollzug seiner liturgischen Arbeit, der Bearbeitung der Gebete, seinen Standpunkt einer Differenzierung unterworfen. In einem Brief an Kirchenrat Christian Theodor Wolf äußert sich Hebel ausführlich über die Art seines Umgangs mit der traditionellen Sprache der Gebete. Hebel antwortet auf den „Beifall den Sie (seil. Wolf; A.S.) meinen Gebeten gaben" 1322 - gemeint sind vermutlich „die 2 Vespergebete, und Wochenkinderlehrgebete" 1323 , von denen Hebel in einem Brief an Gustave Fecht spricht. Im Gang der Arbeit an den Gebeten bemerkt Hebel, daß die alte, gewohnt gewordene Sprache der Formulare nicht ohne weiteres abgewandelt werden kann. „Wohl weiß ich, daß die Rostflecken der alten Gebete nicht rein genug abgescheuert sind. Von Kindesbeinen an an diese Gebete gewöhnt, entwischte manches, was ich selber nicht so gesagt hätte, meiner Aufmerksamkeit, und durch diese lange Angewöhnung haben die Formulare einen so festen Numerus und fast Rythmus für mein Ohr, und ich glaubte auch - für andere vom gleichen Fall - daß mir zuweilen ein Wort mehr oder weniger oder änderst zwischen den beibehaltenen alten unerträglich schien, und mancher Gedanke oder Ausdruck, der einst auf mein kindliches Gefühl wirkte und es nährte oder belebte, war mir in seiner antiken Form so werth, daß ich sie für besser wenigstens hielt, als die neue die ich dafür einzutauschen wußte" 1 3 2 4 . Es kommt Hebel also nicht darauf an, die Rostflecken der alten Gebete abzuscheuern, sondern darauf, die alte Sprache möglichst weitgehend beizubehalten, um die sprachprägende Kraft dieser überlieferten Gebete, die die Gemeinden „von Kindesbeinen an" begleitet hat und die sich ihnen eingeprägt hat wegen ihres „so festen Numerus und fast Rythmus", auch forthin wirken zu lassen. Auffällig ist, daß in Hebels Brief, in dem er auf die sprachprägende Kraft der liturgischen Sprache zu sprechen kommt,

1319 1321 1323

308

Hebel, Briefe, p72. 1.11.1798 an Christian Theodor Wolf. 1322 Ebd. Ebd., p90. Anfang-21.7.1800 an Wolf. 1324 Ebd., p76. Aug. 1799 an Gustave Fecht. Ebd., p90f.

1320

Ebd.

Sprachmaterial aus dem Choral ,Nun danket alle Gott' zum Tragen kommt: „Nun danket alle Gott/Mit herzen, mund und händen,/Der grosse dinge thut/An uns und allen enden,/Der uns von mutterleib/Und kindesbeinen an/Unzehlich viel zu gut,/Und noch jetzund gethan" 1325 . Aus seelsorglichem Grund, weil die überlieferte sprachliche Form der Gebete zum Sprachschatz der Menschen von Kindesbeinen an gehört, hat Hebel an den Formularen weniger verändert, als er ursprünglich wohl vorgehabt hat. Nun befürchtet Hebel, durch den Oberhofprediger Johann Leonhard Walz redigiert zu werden: „Werde ich dann meine Wiedergebohrenen noch kennen? Leid wäre mirs wenn viel daran geändert würde, besonders an den eigenen Bettstundformularen, wo ich fast iedes Wort für den Plan des Gebets gewählt und geprüft habe, und immer meine heimische Dorfgemeinde als ein Muster für die Bedürfnisse, Fassungskraft, Gefühls- und Vorstellungsweise aller übrigen vor den Augen hatte, und ich glaube daher sie seyen so wie sie sind, dem Volksgeist so angemessen, daß wenigstens Stadtprediger von Candidatenbeinen an, mir keine willkomenen Verbesserer seyn können" 1326 . Diesem für die Erhellung der Hermeneutik Hebels sehr zentralen Brief zufolge hat besonders das Gesangbuch eine wichtige seelsorgliche Funktion, denn es ist Hebels Auffassung zufolge der Choral, in dem sich biblische Sprache, Gesang und Poesie vereinen und die biblischen Inhalte so eine Amplifikation erfahren. „Was mich, wenn ich mir genug Feinheit des Ohrs und Gewandtheit des Ausdrucks für diese Form (seil, für die rhythmische Form von Gebeten; A.S.) (erworben hätte), in unüberwindliche Versuchung sie zu gebrauchen geführt hätte, ist ... die Erfahrung daß der nemliche Gedanke in gebundener Diktion so viel rührender und stärker auf die Gemüther wirkt als in Prosa. Warum erbaut sich der gemeine Christ lieber an Gesängen als an Gebeten, warum thut ein Lieder Vers in einer Predigt so wohl, warum stärkt den Betrübten u. Kranken ein solcher oft mehr als selbst ein Spruch aus der Bibel? Warum ist fast in allen Religionen die Sprache des Gottesdienstes Gesang und Poesie?" 1 3 2 7 . Doch sieht Hebel eine Gefahr darin, Rhythmus und Poesie in die Liturgie zu übernehmen, behält deswegen für seine eigenen Gebete die Prosa-Form bei, was sein Urteil über die Funktion der Choräle jedoch nicht schmälert: 1 3 2 5 Zit. nach: Neu=vermehrtes Baden=Durlachisches Gesangbuch, welches einen herrlichen Kern vieler so alt= als neuer Lieder in sich enthält. Zum Gebrauch aller Evangel. Lutherischen Kirchen, Schulen und Haushaltungen gesamter Fürstlich = Baden=Durlachischen Landen in allerley Zeiten und Ständen. Carlsruhe 1766, N r . 347,1. Im Gesangbuch von 1786 (Badisches neues Gesangbuch, zur Beförderung der öffentlichen und häuslichen Andacht. Durlach 1786, N r . 458,1 lautet der Choral in revidierter Fassung: „ N u n danket alle G o t t / m i t Herzen, Mund und H ä n d e n , / d e r grosse Dinge thut,/hier und an allen E n d e n ; / d e r mächtig uns erhält,/und schon von Kindheit a n / m e h r wohlthut, als ein Mensch/verstehn und zählen kann." 1 3 2 6 Hebel, Briefe, p91. 1 3 2 7 Ebd., p92.

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„ S o mancher Geistliche, der leider selbst die Prosa, statt würdig vorzusprechen, unerträglich absingt, würde nicht mehr anzuhören seyn, wenn man ihm noch vollends Jamben und Trochäen abzuleiern gäbe" 1 3 2 8 . Bisher ist noch nicht beachtet worden, daß es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Plädoyer Hebels für die Luther-Bibelsprache, das aus der Einsicht in deren sprachstiftende Dynamik erwachsen ist, und Hebels kritischer Position den zeitgenössischen Gesangbuchrevisionen gegenüber. Diese kritische Haltung zeigt sich besonders in zwei gutachtlichen Äußerungen Hebels, dem „Gutachten über die Frage, wie dem Gebrauche anstößiger Volkslieder am sichersten vorzubeugen seyn möchte" 1 3 2 9 und dem „Vortrag die vorgeschlagene Samlung eines neuen Gesangbuchs betr." 1 3 3 0 , sie zeigt sich aber auch implizit in einer seiner Kalendergeschichten, wie an „Franziska" 1 3 3 1 zu erheben sein wird. Im ersteren Gutachten gelangt Hebel zu dem Schluß, daß das Volk daran gewöhnt ist, einen bestimmten festen, aber begrenzten Fundus von seit alters her bekannten Volksliedern zu singen. Man solle, wenn man eine neue Sammlung von Volksliedern zusammenträgt, darauf achten, daß diese gewohnten Gesänge aufgenommen werden. Hebel macht den Vorschlag, „dem Volke nichts mehr indirecte aufzudringen, noch directe anzubieten, wofür es keinen Geschmack und keine Empfänglichkeit hat" 1 3 3 2 , sondern es müsse darauf geachtet werden, „daß die Lieder einer neuern Sammlung nicht in neuen noch unbenutzten Quellen aufgesucht, sondern größtentheils aus jenen schon vorhandenen alten, so sehr accreditirten Volksliedern mit Weglassung aller eckelhaften und pöbelhaften und gar zu albernen zusammengetragen werde(n)" 1 3 3 3 . Hebel berichtet, daß es Brauch war, unter die altbekannten Lieder eine Anzahl von anstößigen zu mischen, um sie subkutan in den Liedschatz des Volkes einfließen zu lassen. Hebel nimmt jetzt diese Unart zum methodischen Vorbild, wie man umgekehrt zum Behufe der Veredelung in die Neuausgaben von Volksliedern Lieder höherer Qualität einschleusen könne. Hebel macht darum den Vorschlag, „daß zu lieb den sinnigem Gemüthern, die auch für etwas Besseres Empfänglichkeit haben, je zuweilen unter drei gemeine ein oder zwei edlere Lieder ebeso (!) eingeschwärzt werden, wie es bisher mit den unanständigeren geschah" 1 3 3 4 . Grundsatz aber müsse sein,

Ebd. Hebel, SW VIII, 180-193. 1 3 3 0 Landeskirchliches Archiv Karlsruhe, Ga. 83, fol. 66-73.79-92. Von diesem Vortrag existieren zwei nur geringfügig von einander abweichende Versionen, wobei beide Niederschriften nicht von Hebels H a n d stammen. Zitiert wird hier nach der ersten Version. Sie ist Ergebnis eines Diktats, die zweite eine Kopie. Der Text des Gutachtens lag mir als Kopie des Originals und als Transkription und Vorausmitteilung der Hebel-Edition vor. Fortan zit.: Hebel, Vortrag, hier: fol. 66. 1 3 3 1 Hebel III, 423-429. 1 3 3 2 Hebel, SW VIII, 191. 1 3 3 3 Ebd. 1 3 3 4 Ebd., 192. 1328

1329

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von dem traditionell vorhandenen, allgemein bekannten Grundstock von Volksliedern auszugehen. Sodann überträgt Hebel diese Maxime auf den Bereich der geistlichen Gesänge, indem er die 1786 vorgenommene Revision des Baden-Durlachischen Gesangbuchs scharf kritisierend anmerkt: „Selbst die heilige Andacht, die einfältige und tiefe, die sich nicht in das leere Herz hinein pumpen, sondern aus dem vollen heraus will, singt wenige Lieder und gerne die nämlichen, nicht immer die schönsten, aber die liebsten, und die Lieder des alten Gesangbuchs sind glücklicher und geschwinder aus den Kirchen und Schulen als aus den Häusern und Herzen verbannt worden" 1 3 3 5 . Hermann Erbacher hat in seiner minutiösen Untersuchung der Geschichte der Badischen Gesangbücher zwar diese Äußerung Hebels nicht einfließen lassen, aber das hier von Hebel kritisierte Gesangbuch von 1786 „Badisches neues Gesangbuch, zur Beförderung der öffentlichen und häuslichen Andacht" 1 3 3 6 treffend dahingehend charakterisiert, daß man mit ihm in Baden einem preußischen Vorbild nacheiferte, durch das man in Preußen bereits „der Aufklärung in den Gemeinden auf diesem Wege die Bahn brechen (wollte)" 1 3 3 7 , da man in Baden „sich nicht einfach ohne weiteres dem Sog der Aufklärung entziehen (wollte)" 1 3 3 8 . Das neue Gesangbuch von 1786 sei dadurch gekennzeichnet, daß „die Betonung des Ethisch-Moralischen ... recht eindeutig herausgestellt (wurde)" 1 3 3 9 , vor allem aber auch dadurch, daß man sich gegen das Uberlieferte wandte. „Hinzu kommt noch jenes Motiv (das uns in jüngster Zeit z.T. nicht ganz fremd erscheint), daß alles Geschichtliche, alles Herkömmliche, alles Uberlieferte abzustreifen und durchgehend als veraltet anzusehen sei. M.a.W.: Der Zeitgeschmack huldigte den neuen und neuesten Liedern, und das Ergebnis war auf Jahrzehnte: Alles Überkommene wurde überflutet" 1 3 4 0 . Auf diese Revision wird unten zurückzukommen sein 1 3 4 1 . Mit dem Zustandekommen der badischen Bekenntnisunion 1821 wurde auf der Generalsynode beschlossen, ein neues Gesangbuch einzurichten. Die Arbeiten daran wurden aber erst 1834 abgeschlossen und im selben Jahr von der Generalsynode angenommen. Aufgrund eines Synodalrezesses vom 26.5.1835 wird es dann zum Gebrauch eingeführt, neun Jahre nach Hebels Tod. Hebel machte seiner Kritik in seinem „Vortrag . . . " 1 3 4 2 Luft. Besonders scharf kritisiert Hebel die zeitgenössische Entbiblisierung nicht nur der Gesangbücher, sondern auch der restlichen Erbauungsliteratur. „ E s ist eine merkwürdige Erscheinung, - ich erlaube mir diese Bemerkung Ebd., 189. Vgl. Anm. 1325. 1 3 3 7 Erbacher, Hermann, Die Gesang- und Choralbücher der lutherischen Markgrafschaft Baden-Durlach 1556-1821, W K G B 35, Karlsruhe 1984, p94. 1 3 3 9 Ebd. 1 3 4 0 Ebd., p95. » 3 8 Ebd. 1 3 4 1 S. besonders u. p314ff. 1 3 4 2 Vgl. Anm. 1330. 1135 1136

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hier einzulegen, - daß seit einigen Jahren mit einem edlen Enthusiasmus durch zahlreiche Konföderationen der ganzen Christenheit die Bibel als das einzig nötige und unentbehrliche, als die einzige wahre Seelenspeise in alle Familien und in alle Hände zurükgeführt, und zu gleicher Zeit z(um) Th(eil) von den nemlichen Orten her, wo jener große Zweck mit regsamer Theilnahme betrieben wird, die eigenthümlichen Vorstellungen und Formen der Bibel, bis auf die schönen und stark anregenden Metaphern und Beziehungen, welche ihr Geschichtliches bietet, mit einer fast Gefahr ahndenden Ängstlichkeit aus allen Erbauungsbüchern und namentlich aus den Kirchengesängen, wo sie noch am wenigsten fehlen sollten, entfernt werden" 1 3 4 3 . Der Verlust der biblischen Sprache in den Umarbeitungen der Gesangbücher verrät den revidierenden Zeitgeist als einen, der sich von seinem aufgeklärten Theologiebegriff leiten läßt und nicht von der Einsicht in die Bedürfnisse des Volkes und die seit Jahrhunderten erprobte Form und biblische Sprache der überlieferten Choräle. „Die Tendenz der meisten neuern Erbauungsschriften ist bekannt. Nicht in allen ist das Bestreben vorherrschend, den Glauben an Positive und Geschichtliche Lehren des Christenthums und ihre Hocherprobte Wirksamkeit auf die Gemüther zu bewahren und zu nähren, Viele beurkunden mehr die geläuterten Religionsbegriffe und den gebildeten Geschmak ihrer Verfasser als ihre Bekanntschaft mit den Bedürfnissen der großen Volksmasse, für welche doch eigentlich sollte gesorgt werden, und welche lieber stark empfinden, als klar anschauen will ... und welche sich mit der Wahrheit im biblischen Wort und Bild lieber und inniger befreundet als in jedem andern" 1 3 4 4 . Während es das Bestreben der Revisoren ist, die geläuterten aufgeklärten Lehren in die Choräle hinein zu transportieren, ist es nach Hebel das Bedürfnis des Volkes, in den Chorälen sich von der ihm bekannten Bibelsprache ansprechen und erbauen zu lassen. „Allein das Volk, an welches hier immer zuerst gedacht werden muß, verlangt eben nichts neues. Das alte Gut ist ihm unendlich mehr werth, als das beste neue" 1 3 4 5 . Zwar fällt Hebels Kritik am Gesangbuch von 1786 nicht derart polemisch aus wie in dem Gutachten über die Volkslieder, aber dennoch gibt Hebel klar zu erkennen, daß er dem sog. Wertheimer Gesangbuch „Wertheimisches neu = vermehrtes Gesang=Buch, welches eine Sammlung von 923 der besten alten und neuen Kirchen = Gesänge in sich f a s s e t . . . " aus dem Jahre 1772 1 3 4 6 , das an den meisten Stellen die alte sprachliche Form der Choräle beibehalten hatte, den Vorzug gibt. „ D a s Gesangbuch der Altbadener gehört noch immer zu den guten, wenn auch nicht zu den besten. N o c h mehr Ursache 1 3 4 4 Ebd., fol. 65f. 1 3 4 5 Ebd., fol. 67. Hebel, Vortrag, fol. 66. 1346 Wertheimisches neu=vermehrtes G e s a n g = B u c h , welches eine Sammlung von 923 der besten alten und neuen Kirchen=Gesänge in sich fasset, zur Beförderung der Ehre Gottes und zur Erbauung der christlichen Gemeinde samt einem kurzen G e b e t h = B u c h ausgefertiget. Wertheim 1772 (vorhanden: H D PTS H y m I d 3). 1343

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hat der Wertheimer mit dem seinigen zufrieden zu seyn" 1 3 4 7 . Und noch einmal gibt Hebel den Rat für die Neueinrichtung eines Gesangbuches der Union, die biblische Sprache wiederzugewinnen, um auf diesem poetischen Wege der Popularität Rechnung zu tragen. „Gewählte biblische und schöne Naturbilder seien sein höchster poetischer Schmuk. Auch der gemeine Volkssinn verträgt nicht nur den hochpoetischen Ausdruk. Er ist sogar ein notwendiges Ingrediens der populären Poesie" 1 3 4 8 . Bemerkenswert ist, wie sich der Hebeische hermeneutische Konnex von Bibel und Natur bis in dieses Gutachten hinein verfolgen läßt. U n d als Warnung gibt Hebel noch den Rat mit auf den Weg, daß man nicht der Gefahr unterliegen solle, von der aufgeklärten Theologie herkommend das christliche Proprium zugunsten eines einseitigen Moralismus zu verlieren. „Die Gesänge sollen in der Mehrzahl nicht nur religiös und moralisch, sondern christlich religiös seyn!" 1 3 4 9 . Ahnlich hatte Hebel sich lange vorher mit Blick auf die Homiletik vom gesetzlichen Moralismus distanziert, indem er stärkere Textbezogenheit der Predigt als eine Möglichkeit bezeichnete, sich vor dem Moralisieren zu hüten. „Moralische Predigten, besonders die welche sich ausschließlich mit einzelnen Pflichten und ihren Zweigen beschäftigen, scheinen mir wenig Wirkung weder im Augenblick noch in der Folge zu thun. Das einzige Mittel ihnen Kraft und Leben zu geben ... das ich auch bis weilen benutze, ist diß, die moralischen Reflexionen in historischen Texten aus bekannten Faktis abzunehmen, und immer wieder auf die Geschichte zu rekurriren und so dem trockenen todten Moralvortrag Anmuth und Leben zu verschaffen" 1 3 5 0 . Gerade der „Vortrag . . . " 1 3 5 1 zeigt, in welch grundlegender Weise Hebels Urteil in liturgisch-hymnologischen Fragen mit den Jahren von seiner Einsicht in die Notwendigkeit einer biblischen Sprachprägung sicherer geworden ist. N o c h in seiner frühen Schrift „Ideen zur Gebetstheorie" 1 3 5 2 konnte Hebel sehr ungeschützt gegen das Biblische in den Gebeten polemisieren: „Wir haben unsere Gebete und Predigten von der alten Dogmatik gereiniget, reinige Gott auch unsern Stil von allem Schlendrian des Ausdrucks, von allem Hinüberdrehen ins Homiletische und Geistliche und Biblisch-Paulinische" 1 3 5 3 . Diese Passage wird in der Hebel-Forschung meist isoliert von den andern diesbezüglichen Äußerungen Hebels betrachtet, wobei außer Acht gelassen wird, daß sich Hebels Sicht der liturgischsprachlichen Angelegenheiten im Verlaufe seines Lebens entscheidend zugunsten der biblischen Sprache geändert hat. So verallgemeinert Altwegg, bei Hebel sei durchgehend die „Forderung der lebendigen, nicht kanaaniti1347 1350 1351 1352

1 3 4 8 Ebd., fol. 70. 1 3 4 9 Ebd. Hebel, Vortrag, fol. 67. Hebel, Briefe, p89f. Anfang - 21.7.1800 an Christian Theodor Wolf. Vgl. Anm. 1330. 1353 Hebel, SW VII, 3-14. Ebd.,3.

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sehen Sprache" 1354 zu beobachten, und Wunderlich übernimmt diese vorschnelle Verallgemeinerung, wenn er sagt, die eben zitierte Wendung Hebels sei ein „Ausruf, der über allen Bearbeitungen Hebels stehen könnte" 1 3 5 5 , ohne zu bemerken, daß Hebel in späteren Zeiten um der Popularität willen und der Veredelung der populären Sprache auf das Biblische immer stärker zurückgreift 1356 . Aus seelsorglich-hermeneutischen Gründen also mahnt Hebel die Bedürfnisse des Volkes nach einem gewissen und vertrauten Text und nach einer gewohnten Form der Bibel in deren Nacherzählung in einer Bibelnacherzählung, in den Chorälen und in den Gebeten an. Der Sache nach, jedoch ohne sich auf ihn als auf eine Autorität explizit berufend, steht Hebel hier in einer Reihe mit Martin Luther, der bereits aus ähnlichen Gründen gefordert hatte, „mancherlei oder anderlei Text und Form der zehen Gebot, Vaterunser, Glauben, der Sakrament etc." 1 3 5 7 zu meiden, sondern der Pfarrer „nehme einerlei Form für sich, darauf er bleibe und dieselbige immer treibe, ein Jahr wie das ander; denn das junge und alber Volk muß man mit einerlei gewissen text und Formen lehren, sonst werden sie gar leicht irre, wenn man heut sonst und über Jahr so lehret, als wollt' man's bessern, und wird damit alle Mühe und Erbeit verloren" 1358 . Die eigentliche Kritik Hebels am revidierten Gesangbuch von 1786 ist eine praktische. Denn in seiner Kalendergeschichte „Franziska" 1 3 5 9 zitiert Hebel als Kommentar auf die erzählte Führung Franziskas durch die göttliche Vorsehung vier Choräle und zwar alle in der Form des noch nicht aufgeklärt revidierten Gesangbuches von 1766 „Neu = vermehrtes Baden= Durlachisches Gesangbuch, welches einen herrlichen Kern vieler so alt= als neuer Lieder in sich enthält ..." 1 3 6 0 . Hebel erzählt hier die Geschichte von Franziska, die nach dem Tod ihrer Mutter durch Gottes Vorsehung nach Rotterdam geleitet wird, wo sie im Haus eines Kaufmannes Anstellung zunächst als Haus- und dann als Stubenmagd findet, dann den Vetter der Frau des Kaufmannes heiratet und ihren Bruder Heinrich noch einmal besucht, bevor sie mit ihrem Ehemann nach England übersiedelt. Hebel Altwegg, a.a.O. (Anm. 77), p216. Wunderlich, a.a.O. (Anm. 31), p225. 1 3 5 6 In Hebels Schrift „Ideen zur Gebetstheorie" (vgl. Anm. 1352) zeigt sich bereits ein Zwiespalt, da Hebel selbst seiner Forderung, die Sprache von der Tradition zu befreien und sie so zu reinigen, nicht nachkommt. Denn die Formulierung seiner Zielsetzung („damit wir beten können, wie die lieben Kinder zu ihrem lieben Vater" (p3)) greift bereits auf traditionelle Sprache zurück, auf die des Kleinen Katechismus' Luthers nämlich: „Gott will damit uns locken, daß wir glauben sollen, er sei unser rechter Vater und wir seine rechte Kinder, auf daß wir getrost und mit aller Zuversicht ihn bitten sollen wie die lieben Kinder ihren lieben Vater" (BSELK p512, Hervorhebung von mir). 1 3 5 7 B S E L K p502. 1 3 5 8 Ebd., p502f. 1 3 5 9 Hebel III, 423-129. 1 3 6 0 Vgl. Anm. 1325. Forthin zit.: Gesangbuch 1766. 1354

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schließt die Erzählung ab mit dem Zitat der vierten Strophe des Chorais ,Befiehl du deine Wege', indem er lediglich aus der Anrede an Gott in der 2. Pers. Sg. eine Aussage über Gott in der 3. Pers. Sg. formuliert: „Weg hat er aller Wege/an Mitteln fehlt's ihm nicht" 1 3 6 1 . Offensichtlich zitiert Hebel hier aus dem Gesangbuch von 1766: „Weg hast du aller wegen,/ An mittein fehlt dirs nicht,/Dein thun ist lauter segen,/Dein gang ist lauter licht,/Dein Werk kann niemand hindern,/Dein arbeit darf nicht ruhn,/Wann du, was deinen kindern/Ersprießlich ist, willt thun" 1 3 6 2 . Dieser Wortlaut scheint tief in Hebels Gedächtnis eingegraben zu sein, so daß er den revidierten Wortlaut des zu seiner Zeit offiziell gültigen Gesangbuches von 1786 meidet: „ A n wunderbaren Wegen fehlts dir, Allweiser, nicht;/dein Thun ist lauter Segen, dein Gang ist lauter Licht!/Dein Werk kann niemand hindern, wenn du entschlossen bist,/zu thun, was deinen Kindern wahrhaftig nützlich ist" 1 3 6 3 . Die Revision hatte diesen Choral Paul Gerhardts dadurch z.B. von der biblischen Sprache entfremdet, daß sie das Achrostichon zerstört hat (Ps 37,5: Befiehl/Dem Herren/Dein W e g / U n d / H o f f / A u f / I h n / Er / Wirds / Wohl / Mach (En(d).). Im Corpus derselben Kalendergeschichte zitiert Hebel drei weitere Anfänge von Choralstrophen. Sie sollen wiederum als Kommentar auf die göttliche Führung Franziskas verstanden werden - Hebel benutzt Sprachmaterial aus den Chorälen, um die Providentia Dei narrativ zu predigen. Vor der Hochzeit blieb Franziska „noch ein Jahr bei ihrer bisherigen Gebieterin, aber nicht mehr als Kammermädchen, sondern als Freundin und Verwandte in dem reichen Haus mit vergoldetem Fenstergitter, und noch in dieser Zeit lernte sie die englische Sprache, die französische, das Klavierspielen: ,Wenn wir in höchsten Nöthen seyn etc. Der Herr, der aller Enden etc. Auf dich, mein lieber Gott, ich traue etc.' - und was sonst noch ein Kammermädchen nicht zu wissen braucht, aber eine vornehme Frau, das lernte sie alles" 1 3 6 4 . Alle drei Choräle, die Hebel hier zitiert, entstammen dem Gesangbuch von 1766 und sind der Revision im Jahr 1786 zum Opfer gefallen! Es handelt sich um den Choral von Paul Eber „Wann wir in höchsten nöthen sein,/Und wissen nicht, wo aus noch ein;/Und finden weder hülf noch r a t h , / O b wir gleich sorgen früh und spat" 1 3 6 5 , um den Choral von Paul Gerhardt „Der Herr, der aller enden/Regiert mit seinen händen,/Der brunn der ew'gen güter,/Der ist mein hirt und hüter" 1 3 6 6 . Das dritte Zitat entstammt dem Choral „Wer nur den lieben GOtt läßt walten" 1 3 6 7 von Georg Neumark, den das Gesangbuch von 1786 zwar in revi1361 1362 1363 1364 1365 1366

Hebel III, 429. Gesangbuch 1766, Nr. 190,4. Gesangbuch 1786, a.a.O. (Anm. 1325), Nr. 94,4. Hebel III, 427f. Gesangbuch 1766, Nr. 358,1. 1 3 6 7 Ebd., Nr. 202. Ebd., Nr. 191,1.

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dierter Form übernommen hat 1368 , die letzte, achte Strophe aber einfach gestrichen hat. Und genau diese Strophe zitiert Hebel, die in ihrem vollen Wortlaut heißt: „Auf dich, mein lieber Gott, ich traue,/Ich bitte dich, verlaß mich nicht,/Mit gnaden meine noth anschaue,/Du weist gar wohl, was mir gebricht:/Schaffs mit mir, wiewohl wunderlich,/Durch Christ, den Herrn, nur seliglich" 1369 . Dieses Zitat Hebels einer einzelnen bei der Revision gestrichenen Strophe muß wohl als mit der Kritik in seinem „Vortrag «1370 j n Zusammenhang stehend begriffen werden, mit der sich Hebel gegen diese Unart wendet, eine einzelne Strophe eines Chorales zu streichen: „Man wird weniger ein ganzes Lied vermissen, weil nichts daran erinnert, als eine einzige Strophe, weil jeder, der das Lied sonst kennt, die Lüke augenbliklich bemerkt" 1371 . Hebel zitiert aber nicht nur die letzte Strophe von „Wer nur den lieben GOtt läßt walten" 1372 , sondern läßt im Duktus der Erzählung der Kalendergeschichte „Franziska" auch die vierte Strophe anklingen. Sie kann als Hebels Lieblingschoralstrophe bezeichnet werden, da sie in vielen seiner Predigten auftaucht, aber auch in den „Biblischen Geschichten" 1373 : „Er kennt die rechten freudenstunden,/Er weiß wohl, wann es nützlich sei,/Wann er uns nur hat treu erfunden, /Und merket keine heuchelei,/ So komt Gott, eh wir uns versehn,/Und lässet uns viel guts geschehn" 1374 . Diese Choralstrophe läßt Hebel im Erzählduktus seiner Kalendergeschichte anklingen und bereitet damit das später eingefügte Zitat der letzten Strophe

Gesangbuch 1786, N r . 107. Gesangbuch 1766, N r . 202,8. 1 3 7 0 Vgl. Anm. 1325. 1 3 7 1 Hebel, Vortrag, fol. 70f. 1 3 7 2 Vgl. Anm. 1367. 1 3 7 3 In den Predigten finden sich drei Stellen, an denen Hebel diese Strophe zitiert: Hebel SW VI,53.167.231, wobei Hebel sie jedoch nur einmal vollständig zitiert (SW VI, 231). Diese Strophe allerdings zitiert Hebel nach dem Gesangbuch von 1786. Jedoch hatte die Revision in diesen Choral nicht derart stark verändernd eingegriffen wie in andere. N e b e n den drei expliziten Zitaten dieser Strophe in Hebels Predigtwerk findet sich noch eine Allusion: „ U n d doch kennt Gott die rechte Stunde der Hülfe, und übergeht sie nicht, rettet oft noch groß und göttlich, wenn alles scheint verloren zu seyn" (Hebel, SW V, 274). Die hohe Rekurrenz dieser Choralstrophe fällt auch deswegen auf, weil Hebel zwar gewohnt ist, gelegentlich auf die Sprache des Gesangbuchs zurückzugreifen, ansonsten aber - so weit ich sehe - keinen Gesangbuchvers zum zweiten Mal angeführt hat (jedenfalls nicht in den überlieferten Predigten). In den BiblGesch illustriert Hebel die Nacherzählung dessen, daß J o s e p h dem Mundschenk und dem Bäcker im Gefängnis ihre Träume ausgelegt hat, dann aber v o m Mundschenk vergessen worden ist, indem er seine Lieblingschoralstrophe zitiert: „ G a r oft vergessen die Menschen den treuen Dienst, der ihnen geleistet worden ist, und den D a n k dafür. Aber G o t t vergißt die Unschuld nicht. Er kennt die rechten Freudenstunden und weiß wohl, was uns nützlich sey, wenn er uns nur hat treu erfunden, aufrichtig ohne Heucheley so kommt er eh' wir's uns verseh'n, und lässet uns viel Guts gescheh'n" (Hebel V, 32). 1 3 7 4 Gesangbuch 1766, N r . 202,4 (Hervorhebung von mir). 1368

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dieses Chorals vor, indem er schreibt: „Also wurde Franziska zuerst Hausmagd, und als sie gut und treu erfunden ward, wurde sie Stubenmagd"1375. So rezipiert Hebel in seiner Kalendergeschichte Sprache aus den Chorälen, um dadurch die Rezeption von Bibelsprache zu ergänzen, die sich am Beginn derselben Geschichte zeigt. „In einem unscheinbaren Dörfchen am Rhein, saß eines Abends, als es schon dunkeln wollte, ein armer junger Mann, ein Weber, noch an dem Webstuhl, und dachte, während der Arbeit unter andern an den König Hiskias, hernach an Vater und Mutter, deren ihr Lebensfaden auch schon von der Spule abgelaufen war ..." 1 3 7 6 . Hebel wendet hier den Blick des Lesers ausgehend von der Arbeit des Webers Heinrich am Webstuhl auf die biblische Gestalt des Königs Hiskia, indem er in seinen Erzähltext eine Anspielung auf den Klagepsalm des Hiskia einflicht: ,Ich sprach: Nun muß ich nicht mehr sehen den Herrn, ja den Herrn im Lande der Lebendigen; nun muß ich nicht mehr schauen die Menschen bei denen, die ihre Zeit leben ... Meine Zeit ist dahin, und von mir aufgeräumet, wie eines Hirten Hütte; und reisse mein Leben ab, wie ein Weber' (Jes 38,10.12). Auffällig ist, daß Hebel hier in dieser Geschichte, die als ganze eine narrative Predigt der providentia Dei ist, gerade auf die Hiskia-Geschichte zurückgreift, an der die orthodoxe Dogmatik aufzeigt, wie Gott innerhalb seiner Vorsehung das ,spatium vitae' festlegt bzw. verlängern kann 1377 . Und auch die Choräle, die Hebel in dieser Geschichte im folgenden zitiert, sprechen ja von der Providenz Gottes, von seiner gubernatio und conservatio1378. Vergleicht man Hebels Kalendergeschichte mit der ihr höchstwahrscheinlich zugrunde liegenden Vorlage, dann fällt auf, daß der theologische Gehalt Ergebnis der Hebeischen Bearbeitung ist 1379 . Hebel III, 4 2 6 (Hervorhebung von mir). Ebd., 423f. 1377 Yg] Hollaz, a.a.O. (Anm. 915). E r führt im Kapitel „ D e Providentia Divina" (Bd. 1, p 6 1 4 - 6 6 3 ) das Beispiel Hiskias an: „Idem evincit Exemplum Hiskia:, cujus terminum vita: tum, cum aegrotaret, adesse, Dei jussu denunciabat Propheta Jesaias, Dispone, inquiens, domum tuam, quia morieris Tu, & non vives Es. X X X I I X . 2. Ubi citra dubium mortem ei imminere pra:dicebatur intuitu termini, quem de lege communi causae secunda: cum generali causa: prima: concursu praefixerant: Quem postea Deus ad preces Hiskia: proeter consuetum natura: cursum adjectis annis quindecim prolongavit" (p624). 1375 1376

1378 j ) e r (Choral „Der Herr, der aller enden/Regiert mit seinen händen..." (Gesangbuch 1766, N r . 191,1; Hervorhebung von mir) spricht von der gubernatio Dei und in den folgenden Strophen von der conservatio und Versorgung der Menschen ( „ E r lasset mich mit freud e n / A u f grüner aue w e i d e n / F ü h r t mich zu frischen Q u e l l e n . . . " ; Gesangbuch 1766, N r . 191, 2, vgl. Ps 23,2). Auch von der wunderbaren göttlichen Führung ist die Rede: „ E r lehrt mich thun und lassen/Führt mich auf rechter strassen . . . " (Gesangbuch 1766, N r . 191,5, vgl. Ps 23,3). Ahnlich thematisiert auch der Choral „ W e r nur den lieben G O t t läßt walten/Und hoffet auf ihn allezeit, / D e n wird er wunderlich erhalten / I n allem creutz und traurigkeit . . . " (Gesangbuch 1766, N r . 202,1; Hervorhebung von mir) gubernatio und conservatio Dei. 1 3 7 9 Die Quelle für Hebels Kalendergeschichte „Franziska" findet sich in: Freyburger Wochenblatt, N r . 98 vom 5.12.1812, p832f. Sie trägt den Titel „Franziska, oder der L o h n der

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In dem Kalenderbeitrag „Morgengespräch . . . " 1 3 8 0 wird wieder aus einem Choral zitiert, der sich - genauso wie die oben genannten - im revidierten Gesangbuch von 1786 nicht mehr findet. „Oder wann stimmt euer Nachbar, der Schumacher seine Lieder an: Süßer Christ, du, du bist meine Wonne? Am Morgen freut er sich, daß es an die lustige Arbeit geht" 1 3 8 1 . Allerdings kann Hebel in einem seiner Kalenderbeiträge, in der „Betrachtung über ein Vogelnest" 1 3 8 2 auch einen Choral zitieren, der sich nur im revidierten Gesangbuch von 1786 findet, woraus erhellt, daß Hebel es nicht grundsätzlich abgelehnt hat. Dieser Kalenderbeitrag nimmt die Betrachtung eines vollkommen gebauten Vogelnestes zum Anlaß, das Streben des Menschen, „durch eigenes Nachdenken, durch eigenen Fleiß und Übung bis nahe an die Vollkommenheit der göttlichen Werke selber" 1 3 8 3 zu gelangen, als seine Bestimmung zu erheben. Schon das erste Nest, das ein Vogel baut, ist vollkommen, denn „nicht der Vogel baut sein N e s t . . . sondern der ewige Schöpfer thut es durch seine unbegreifliche Allmacht und Weisheit, und der Vogel muß nur das Schnäbelein und die Füßlein, und so zu sagen, den Namen dazu hergeben" 1 3 8 4 , d.h. in dogmatischer Diktion: Gott wirkt

Redlichkeit. Eine wahre Anekdote" (p832). Das Stück stammt aus dem Nachlaß des 1809 verstorbenen Schriftstellers Gottlieb Konrad Pfeffel. Ich verdanke diesen Hinweis einer mündlichen Mitteilung der Hebel-Edition. Ahnlich wie sich an einem Vergleich der Hebeischen Tierbetrachtungen mit den von mir aufgefundenen Quellen derselben gezeigt hat, daß Hebel dieselben biblisiert und damit theologisiert hat, läßt sich dies auch an einem Vergleich der Hebeischen Kalendergeschichte „Franziska" mit deren Vorlage erheben. Die Formulierung der Quelle „Der erste Bruder saß ganz fleißig am Webstuhl, als die vornehme Dame mit dem Herrn hereintrat, und meinte zu träumen, als sie ihm mit dem ganzen Entzücken einer Schwester um den Hals fiel" (a.a.O., p833) biblisiert Hebel durch die Einarbeitung der Allusion an die Hiskia-Geschichte, die oben aufgezeigt worden ist (p317 dieser Arbeit). Auch der Vergleich Franziskas mit einem Engel stammt von Hebel. Die Quelle erzählt von den Lernbemühungen Franziskas ohne eine Illustration durch die Choralzitate folgendermaßen: „Indessen wollte er (seil, der Bräutigam; A.S.) sie nicht so unwissend mit sich nehmen. Er fragte sie, was sie noch lernen wolle. Außer der englischen, französischen und italiänischen Sprache wählte sie noch die Erdbeschreibung, Geschichte, Naturlehre und Zeichenkunst, und auf sein Bitten entSchloß sie sich auch reiten zu lernen" (ebd.). Hebel dagegen nennt nur die englische und französische Sprache, trennt sich dann von seiner Vorlage, um dann zu erzählen, Franziska habe das Klavierspielen gelernt, um so einen Anlaß zu finden, die drei Choralzeilen anzuführen. Auch hier unterzieht Hebel seine Quelle einer Theologisierung. Anlaß für die Hebeische Bearbeitung der Quelle im Sinne einer Predigt der Providentia Dei könnte jedoch wiederum schon in der Quelle selbst gelegen haben, da sie schon von Franziskas „allmächtigem Zutrauen auf Gottes Führung" (a.a.O., p832) spricht. Auch das abschließende Choralzitat stammt von Hebel. Es zeigt sich also, daß der Rückgriff auf die verlorengegangenen Choräle sich nicht von einer Vorlage her erklären läßt, sondern daß Hebel selbst es gewesen ist, der ihn betrieben hat. 1 3 8 0 Hebel III, 451-454. 1 3 8 1 Ebd., 453. Der Choral findet sich im Gesangbuch 1766, Nr. 291,1. 1 3 8 2 Hebel III, 4 1 3-416. 1 3 8 3 Ebd., 4 1 5. 1 3 8 4 Ebd., 414.

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durch den Vogel, der causa secunda ist 1 3 8 5 . Der Mensch dagegen als animal rationale („also hat er dem Menschen etwas von seinem göttlichen Verstand lassen in die Seele träufeln" 1386 ) muß „in allen seinen Geschäften unten anfangen" 1387 und durch Übung Vollkommenheit erst noch erreichen. Hierin besteht „das schöne Ebenbild Gottes in seinem ganzen Gehalt" 1 3 8 8 . Zu Illustration und Applikation dieser ethischen Frage nun inszeniert der Hausfreund ein Katechismusverhör, indem er das „Büblein des Herrn Geigers" 1 3 8 9 nach der Fortsetzung eines Choralverses fragt. „Kannst du den Vers ... ,Gott du hast der Freuden Fülle? - Das Büblein fuhr fort: Denn dein Verstand ist Licht. Dein Wille/ist Wahrheit und Gerechtigkeit./Du liebest mit stets gleicher Stärke/das Gute nur, und deine Werke/ sind Ordnung und Vollkommenheit./О, bilde mich nach dir, - " 1 3 9 0 . Hebel zitiert hier in etwas abgeänderter Form den Choral des von der Aufklärung herkommenden Theologen Johann Andreas Cramer „Tugend ist der Seele Leben" 1 3 9 1 , das in die „Dritte Abtheilung" des Gesangbuchs von 1786 Eingang gefunden hat, in der sehr ausführlich in einer großen Anzahl von Chorälen unter der Uberschrift „Von den christlichen Lebenspflichten" 1 3 9 2 von der ethisch-moralischen Bestimmung des Menschen die Rede ist. Hebel zitiert die zweite Strophe dieses Chorais, indem er allerdings das Verb im ersten Satz abändert und die Reihenfolge der genannten göttlichen Eigenschaften umstellt. Die Strophe heißt in ihrem originalen Wortlaut: „Gott, du bist der Freuden Fülle;/denn dein Verstand ist Licht,/dein Wille ist Ordnung und Vollkommenheit./Du liebst mit stets gleicher Stärke das Gute nur,/und deine Werke sind Wahrheit und Gerechtigkeit./О bilde mich nach dir!/So find ich auch schon hier Ruh der Seele./Bis nach dem Leid der Prüfungszeit/vollkommne Wonne mich erfreut" 1 3 9 3 . Der Hausfreund, der „sich selber fast vor(kam), wie ein Pfarrherr in der Kinderlehre, so er doch keiner ist" 1 3 9 4 , kommentiert den Gesangbuchvers, indem er den Sohn des Herrn Geiger, der Verleger des von Hebel bearbeiteten Kalenders

1 3 8 5 Vgl. Hollaz, a.a.O. (Anm. 915), Bd. 1, p647f: „ Q . 16. Quid est cooperatio sive C o n c u r sus Dei? Concursus, sive cooperatio Dei est Actus Providentia: divinae, qvo Deus cum causis secundis in ipsorum actiones & effectus influxu generali & immediato juxta cujuslibet creat u r e exigentiam & indolem svaviter coinfluit" (Hervorhebung von mir).

Hebel III, 415. 1 3 8 8 Ebd., 416. Ebd. 1 3 8 9 Ebd., 415. Geiger war mit Katz zusammen seit der Herausgabe des Kalenders für das Jahr 1813 der Verleger desselben (vgl. das Hebel III, 345 abgedruckte Titelblatt). Daher schreibt Hebel in der Vorrede zum Jahrgang 1813: „Denn der rheinländische Hausfreund hat sich jetzt seßhaft niedergelassen in Lahr im Breisgau ... und hat mit dem Herrn Buchdrucker Geiger allda und mit dem Herrn Buchdrucker Katz in Pforzheim so zu sagen gemeine Sache gemacht von wegen des Calenders" (ebd., 346). 1386 1387

1390 1391 1394

Ebd., 415. Gesangbuch 1786, N r . 3 83. Hebel III, 415.

1392

Ebd., p299.

1393

Ebd., N r . 383,2.

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war, ermahnt, in seinem künftigen Berufsleben nach Vollkommenheit zu streben. „Gesetzt ... du lernst ein Handwerk, oder wirst ein Schreiber, oder ein Pfarrer, oder es kommt einmal an dich, statt deines Vaters den Kalender zu drucken, so sollst du dich ebenfalls bemühen, all deinem Werk und Thun, das Siegel der Vollkommenheit zu geben ... D u must nicht einen Jahrgang schön drucken, den andern schlecht; du must nicht an einem Sonntag gut predigen, am andern oben weg aus dem Ermel. Denn Gott liebt mit stets gleicher Stärke das Gute nur. - Alsdann wartet auch der Freuden Fülle auf dich" 1 3 9 5 . Hierin besteht die Bestimmung des Menschen, durch Streben nach Vollkommenheit Ebenbild Gottes zu werden, aber dennoch bleibt es der Bildung, die Gott stiftet, überlassen, dem Menschen zur Ebenbildlichkeit zu verhelfen. Deswegen legt Hebel am Ende seines Kalenderbeitrages dem Kind noch einmal die letzte Zeile des zitierten Choralverses in den Mund: „ D a hielt das Büblein die Hände gegen den Himmel und sagte: ,Ο, bilde mich nach dir' - Aus einem solchen Kind kann etwas werden" 1 3 9 6 . Die Ebenbildlichkeit Gottes jedoch ist nach Hebel nicht nur eine, die in ethischer Hinsicht auf dem Wege der Tugend zu erreichen wäre, sondern die seit dem Fall beschädigte Ebenbildlichkeit Gottes ist eine, deren endzeitliche Wiedererlangung in sprachlicher Hinsicht vorbereitet werden muß. Dies wird nun an der Kalendergeschichte „Einer Edelfrau schlaflose N a c h t " 1 3 9 7 zu erheben sein. Eine Magd und ein Knecht bereiten nachts einen Brei für ihr uneheliches Kind, dessen Existenz sie vor der Edelfrau verheimlicht hatten. Die Edelfrau, die vor Zahnschmerzen nicht schlafen kann, beobachtet diesen Vorgang und erzürnt. Als sie aber das Kind sah, „da ward das Herz der Edelfrau wunderbar bewegt, und kam auf andere Gedanken. Denn es war ihr als ob die Mutter mit den nassen Blicken gesagt hätte: ,Gott wird des armen Würmleins sich auch erbarmen,' und als ob sie dazu bestimmt wäre" 1 3 9 8 . Der Edelfrau Erbarmen nimmt noch zu, als sie am nächsten Morgen die Eltern mit ihrem Kind vor sich erscheinen läßt. Die anfängliche Empörung der vorigen Nacht ,,,Ο ihr gottloses Lumpenpack'" 1 3 9 9 weicht einer biblisch klingenden Sprache, schlicht parataktisch sich aufbauend, einer Sprache, die erbarmend klingt. ,„Nein, ich will euch nicht unglücklich machen,' - sagte sie. Ich will euch die Härte vergel1 3 9 6 Ebd. 1 3 9 7 Ebd., 555-559. Ebd., 4 1 6. Ebd., 557. Ähnlich ist auch in der Geschichte „ H e r r Charles" (ebd., 620-624) davon die Rede, daß Gott das H e r z des Herrn Charles berührte, daß er sich der verwaisten und fälschlicherweise ihm überbrachten Kinder annahm. Die Kinder „...fiengen (an) auf französisch zu weinen, denn der geneigte Leser wird auch schon bemerkt haben, daß die französischen Kinder anders weinen, und als der Herr Charles die Landesart erkannte, da rührte Gott sein H e r z an, daß ihm ward, wie einem Vater, wenn er die eigenen Kinder weinen und klagen sieht, und ,in Gottes Namen,' sagte er, ,wenns so ist, so will ich mich nicht entziehen,' und nahm die Kinder an" (Hebel III, 622f). 1 3 9 9 Ebd., 556. 1395 1398

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ten, die ich an euch begangen habe. Ich will euch den Kummer versüßen, den ihr getragen habt. Ich will eure Sünde wieder gut machen. Ich will euch die Barmherzigkeit vergelten, die ihr an euerm Kinde gethan habt'" 1 4 0 0 . Sodann kommentiert der auktoriale Erzähler: „Meynt man nicht, man höre den lieben Herr Gott reden in den Propheten oder in den Psalmen? Ein Gemüth, das zum Guten bewegt ist, und sich der Elenden annimmt, und die Gefallenen aufrichtet, ein solches Gemüth zieht nämlich das Ebenbild Gottes an, und fällt deßwegen auch in seine Sprache" 1 4 0 1 . Hierin liegt nach Hebel die Möglichkeit für den gefallenen Menschen, zu seinem Geschaffensein Gott zum Ebenbild zurückzukehren, indem er „sich der Elenden annimmt, und die Gefallenen aufrichtet" und so auch in die göttliche Sprache fällt, durch die er mit der Gottebenbildlichkeit (Gen 1,27; vgl. Ps 8,6) angetan wird. Hierin eröffnet die Bibel dem Menschen als Gnadenmittel Gottes Gnadenangebot, neues Geschöpf zu werden, indem sie dem Menschen die Möglichkeit schenkt, überhaupt in die Sprache Gottes, in die biblische Sprache, fallen zu können und durch diese Sprache neu zu werden. So kann die Bibel den Menschen gottebenbildlich sprechen lassen und ihn als sprechenden zur neuen Schöpfung führen. Gerade deswegen ist es Hebels Anliegen, sich der Elenden anzunehmen und die Gefallenen aufzurichten, indem er als Kalenderschreiber selbst in die Sprache Gottes fällt und so die ewige Heimat schon jetzt sprachlich bereitet und so ein Angeld auf die endgültige Wiederherstellung der seit dem Fall verletzten Gottebenbildlichkeit ausbezahlt. Deswegen erzählt Hebel diese Geschichte und fällt, nachdem er die Edelfrau hat in göttliche Sprache fallen lassen und das Ebenbild Gottes hat anziehen lassen, selbst in Gottes Sprache 1 4 0 2 , indem er in seinen auktorialen Erzählerkommentar Anspielungen auf den Psalter hineinkomponiert. Die Wendung „und sich der Elenden annimmt" spielt auf Ps 147,6 an (,Der Herr richtet auf die Elenden') bzw. auf Ps 142,4 (,Wenn mein Geist in Aengsten ist, so nimmst D u dich meiner an'). Die Formulierung „und die Gefallenen aufrichtet" ist eine Anspielung an Ps 146,8 (,Der Herr richtet auf die niedergeschlagen sind'). Der die Geschichte abschließende Verweis auf die Allwissenheit Gottes in der Wendung „was aber weiter daraus werden soll, weiß der, der den Himmel mit der Spanne mißt, und den Staub der Erde mit einem Dreyling" 1 4 0 3 ist ein Zitat aus Jes 40,12: ,Wer mißt die Wasser mit der Faust, und faßt den Himmel mit der Spanne, und begreift die Erde mit einem Dreiling, und wiegt die Berge mit einem Gewicht, und die Hügel mit einer Wage?'.

1 4 0 1 Ebd., 559. Ebd., 55 7. Hierzu richtig Faber, a.a.O. (Anm. 22): „ Z u m Schluß ,zieht' der Hausfreund selbst ,das Ebenbild Gottes an und fällt (...) auch in seine Sprache'" (a.a.O., p216). Vgl. zur Beachtung dieser Stelle bei Eisinger die Einleitung zu dieser Arbeit, bes. p l 5 . 1 4 0 3 Hebel III, 559. 1400

1402

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Vielleicht spielt Hebel mit der Bemerkung über das Gedeihen des Knaben „das Büblein aber kann jetzt schon Haselnüsse aufbeissen, und lernt fleißig, und hat runde rothe Backen" 1404 wiederum auf einen Choral an, nämlich auf die siebte Strophe des Chorais „ D U meine Seele singe" von Paul Gerhardt: „Er weiß viel tausend Wäysen/zu retten auß dem T o d t / E r nährt und giebet Speisen/zur Zeit der Hungers = N o t h / m a c h t schöne rothe Wangen / o f f t bey geringem Mahl/und die da sind gefangen/die rufft Er auß der Quaal" 1 4 0 5 . Eine solche Anspielung auf diesen Choral anzunehmen, liegt deswegen nahe, weil er selbst eine Nachdichtung des Ps 146 ist, den Hebel in seiner Erzählung, wie gezeigt worden ist, alludiert. Immer wieder durchschießt Hebel seine Kalendergeschichten mit biblischem Sprachmaterial und schafft damit eine biblische Kommentarebene in seinen Erzählungen. Hebel spricht seinen Leser als einen ,bibelfesten' an, wenn er ihn anläßlich einer Notiz über die Einschiffung der Phönizier im Roten Meer an diesen aus der Bibel bekannten Schauplatz mit den Worten erinnert: „Der bibelfeste Leser kennts von Moses Zeiten her" 1406 . Der Leinenweber, der in alten Gerichtsakten wühlt, um einen alten Prozeß von neuem anhängig zu machen, erinnert Hebel an Ez 37,7 (,und siehe, da rauschte es, als ich weissagte, und siehe, es regte sich; und die Gebeine kamen wieder zusammen'): „Auf dem Speicher des Leinewebers aber fieng es auf einmal an in den Acten zu rauschen, fast wie in den Todtenbeinen von welchen der Prophet Ezechiel schreibt" 1407 . Fälschlicherweise meint der Weber, daß der neu eingerichtete Bundestag in Frankfurt das Nachfolgeorgan des alten Reichskammergerichtes in Wetzlar sei, packt seine Akten zusammen und reist nach Frankfurt, aber nach Frankfurt an der Oder. Dann doch endlich in Frankfurt am Main angekommen, wird der Weber mit den Worten empfangen: „Was bringt ihr neues viereckigtes in eurem Hängkorb? Eine Bundeslade? Es fehlt uns noch eine" 1408 . Hieran z.B. zeigt sich, wie Hebel biblische Reminiszenzen auf humoristische Weise in seine Erzählungen einbauen kann. Der Leinenweber hatte in Frankfurt an der Oder die von ihm nach dem Bundestag Befragten für schlechte Patrioten gehalten, da sie nichts von einem Bundestag wußten. Am Ende seiner Reise ist er jedoch zu der biblischen Einsicht gekommen: 1404

Ebd. Zit. nach: Außerlesene Geistliche Lieder/Auß unterschiedenen Gesangbüchern zusammen getragen. U n d Auff gnädigste Anordnung Der Durchlauchtigsten Fürstinn und Frauen Fr. Maria Elisabeth/Gebohrnen auß Churfürstlichen Stamm zu Sachsen / verwittweten Hertzogin zu Schieß wig Holstein/Stormarn und der Dithmarschen/Gräffin zu Oldenburg und Delmenhorst/etc. Zu beförderung des so wol öffentlichen Gottesdienstes in dero H o f f Capelle/als auch geheimen Andacht außgefertiget. Schieß wig ... 1676, hier: Nr. 299,7. Der Choral findet sich weder in dem Gesangbuch 1766, noch im Gesangbuch 1786. 1406 1407 Hebel III, 568. Ebd., 566f. 1408 Ebd., 569. 1405

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„,Man muß einem deutschen Mann nicht sogleich Vorwürfe machen, wenn er in Vaterlandssachen ein wenig unwissend und kaltsinnig ist. Denn man ist selber einer. Was siehest du aber den Splitter in deines Bruders Auge? (seil. Mt 7,3) Lerne zuerst selber, und werde warm. Den guten Leuten in Frankfurt an der Oder ist von mir Tort geschehen. In Frankfurt am Main aber mir'" 1 4 0 9 . Die Erzählung von der Rettung eines Schulmeisters, der an einem Zweig über einem Abgrund hing, als er morgens aufwachte, ohne zu wissen, wie er dort hingekommen war, kommentiert Hebel abschließend mit Ps 91,11: „Dem Hausfreund ist es in so fern lieb für seine Leser, daß die Sache im Dunkeln bleibt. Denn ob es gleich muß natürlich zugegangen seyn, so sieht es doch wunderbarer aus, und greift besser an, wenn man nicht weiß, wie. So viel ist klar auf alle Fälle: ,Er hat seinen Engeln über dir Befehl gethan, daß sie dich behüten auf deinen Wegen, daß sie dich auf den Händen tragen'" 1410 . Die wunderbare Rettung eines Schweizers, der von einem Sturm fortgetragen worden ist und durch die Lawine, die sein Haus zerstörte, sanft in den Schnee geworfen wurde, kommentiert Hebel mit demselben Diktum Ps 91,11, setzt aber ein frei umformuliertes Zitat von Ps 148,8 (,Feuer, Hagel, Schnee und Dampf, Sturmwinde, die sein Wort ausrichten') hinzu: „Da konnte man wohl auch sagen: ,Der Herr hat seinen Engeln befohlen über dir, daß sie dich auf den Händen tragen. Denn er macht Sturmwinde zu seinen Boten, und die Lavinen, daß sie seine Befehle ausrichten'" 1411 . Die unvermutete Begegnung des in Pensa weilenden, aber aus Bretten stammenden Schneiders, der bei der russischen Kavallerie Anstellung gefunden hatte, mit deutschen Kriegsgefangenen setzt Hebel in einen biblischen Konnex mit der Geschichte, wie Joseph sich seinen Brüdern zu erkennen gab (,Ich bin Joseph. Lebet mein Vater noch? ...Ich bin Joseph, euer Bruder, den ihr in Ägypten verkauft habt'; Gen 45,3f). ,„Und ich bin von Bretten,' sagte das herrliche Gemüthe, Franz Anton Egetmeier von Bretten, wie Joseph in Egypten zu den Söhnen Israels sagte: ,Ich bin Joseph euer Bruder' - und die Thränen der Freude, der Wehmuth und heiligen Heimathsliebe traten allen in die Augen" 1412 . Die selbstlose Fürsorge des Schneiders für seine Landsleute, die darin bestand, daß er sein Haus verkaufte, um ihnen die Rückreise nach Deutschland zu ermöglichen, gerät Hebel zu einer Predigt des Textes Mt 19,21: „Was wars? Die gute Seele hatte für zweitausend Rubel das Haus verkauft. ,Ich will schon eine Unterkunft finden', sagte er, ,wenn nur ihr ohne Leid und Mangel nach Deutschland kommt.' О du heiliges, lebendig geworde1409 1411 1412

1 4 1 0 Ebd., 506. Ebd. Hebel II, 229. Hebel III, 526.

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nes Sprüchlein des Evangeliums und seiner Liebe:, Verkaufe was du hast, und gieb es denen, die es bedürftig sind, so wirst du einen Schatz im Himmel haben'"1413. Und unmittelbar anschließend führt Hebel seine Predigt mit dem Ausblick auf das Jüngste Gericht fort, wenn er Mt 25,34f folgendermaßen anschließt: „Der wird einst weit oben rechts zu erfragen seyn" 1414 , denn der Richter wird den Gerechten zu seiner Rechten ihren Platz anweisen (,Und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen'; Mt 25,33), „wenn die Stimme gesprochen hat:,Kommt, ihr Gesegneten! Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist, ich bin nakt gewesen und ihr habt mich gekleidet, ich bin krank und gefangen gewesen und ihr habt euch meiner angenommen'" 1 4 1 5 . Endlich kann der Schneider sein Haus doch behalten und auch das vorgestreckte Reisegeld wird ihm erstattet. Hebel als Publizist recherchiert diese Geschichte gewissermaßen mit biblischen Augen, denn „ein rechtschaffener Kalendermacher, zum Beispiel der Hausfreund, hat von Gott dem Herrn einen vornehmen und freudigen Beruf empfangen, nemlich daß er die Wege aufdecke, auf welchen die ewige Vorsehung für die Hülfe sorgt, noch ehe die N o t h da ist" 1416 . Und um die Wege der Vorsehung aufzeigen zu können, muß Hebel die Geschichten, die er erzählt, immer neu auf die biblischen Texte zubewegen und sie an ihnen abbilden. In dem Kalenderbeitrag „Der böse Winter" 1 4 1 7 berichtet Hebel, wie die Menschen den besonders harten Winter 1812/13 bewältigt haben, in dem „der Boden, und alles, was noch darinn war eingefroren schon im frühen November und noch verschlossen geblieben (ist), wie der Himmel zur Zeit Eliä (vgl. l K ö n 17,Iff; A.S.), bis hinaus in den Februar" 1418 . Hebel berichtet z.B. von einem Pfälzer aus Heidelberg, der auf dem vereisten Neckar einen Ofen aufstellte und Brot backte, und kommentiert die Anekdote biblisch von Gen 1,28 her, von dem göttlichen Auftrag Gottes an die Menschen, das dominium terrae auszuüben: „Aber das kühne und muthwillige Menschengeschlecht weiß fast alle Schwierigkeiten und Anfechtungen zu besiegen, welche die Natur seinem Beginnen entgegenstellt. Es hat sich nicht zweimal sagen lassen:,Machet sie euch unterthan'"lw. Das „Morgengespräch des Hausfreunds und seines Adjunkts" 1 4 2 0 hat ähnlich wie die oben behandelte „Betrachtung über ein Vogelnest" 1421 die Struktur eines Katechismusverhörs. Gegenstand dieses Gespräches ist u.a. der aus dem Kleinen Katechismus Luthers als „Benedictio mensae" 1422 altbekannte Text Ps 145,15 (,Aller Augen warten auf dich; und Du gibst ihnen 1413 1416 1419 1420 1421 1422

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1414 1415 Ebd., 528. Ebd. Ebd. 1417 1418 Ebd., 523. Ebd., 429f. Ebd., 429. Ebd., 430. Vgl. Anra. 1380. Vgl. Anm. 1382. S.o. p318f dieser Arbeit. BSELK p522f.

ihre Speise zu seiner Zeit'). Eigentliches Thema jedoch des Gespräches ist Ps 65,9 (,Du machst frölich, was da webert, beide des Morgens und des Abends'), wobei der Adjunkt der Befragte und der Hausfreund der Fragende ist. „,Hausfreund,' sagte er, mir ist so wohl. Examinirt mich ein wenig über das Sprüchlein: du machest fröhlich alles, was da webet, beide des Morgens und des Abends"U2i. Der Hausfreund fragt zunächst nach der Bedeutung des Fröhlichmachens, dann nach der des Webens, indem er am Text Ps 65,9 entlang geht. „, Fragt sich nun, Adjunkt, was macht er frölich?' Antwort: ,Alles was webet"'1424. Auf diese Frage gibt der Adjunkt eine vierfache Antwort, wobei drei von vier Antworten den zur Debatte stehenden Bibelspruch durch weitere Bibelzitate zu illustrieren versuchen. Zunächst ist es die Spinne, die webt, „und betet in ihrer Art auch das Sprüchlein: Aller Augen warten auf dich, sonst wär das Sprüchlein nicht wahr" 1425 . Die zweite Antwort des Adjunkten rühmt den Berufsstand des Webers, denn „das Werk lobt den Meister" (vgl. Sir 9,24: ,Das Werk lobt den Meister, und einen weisen Fürsten seine Händel'), und die Antwort mündet in ein Lob der Arbeit, das wiederum in der Sprache des Psalters gehalten ist: „Du nährest dich deiner Hände Arbeit, wohl dir! du hast es gut" 1426 (Ps 128,2). Auch der Adjunkt selbst ist eine Veranschaulichung dessen, was ,weben' heißt, da er es ist, der Texte in den Kalender hineinwebt1427. Und schließlich sind mit ,alles, was webet' alle Menschen gemeint, wobei nun das Ps 65,9-Zitat durch Apg 17,28 illustriert wird. „,Viertens und endlich,' sagt er, versteh ich darunter alles was webet, das heißt: alle Menschen. Denn Weben oder Webern heißt so viel als sich bewegen. In ihm leben, weben und sind wir. Weben heißt, Rührig seyn mit den Gliedmaßen, Schaffen und Arbeiten mit den Händen etwas Gutes'" 1428 . An dieser Stelle zeigt sich, wie Hebel den in seiner Bibel vorfindlichen Wortlaut von Ps 65,9 glättet, indem er statt des Verbums ,webern',weben' setzt, dann aber doch die alte Form erklärt. Uberhaupt zeigt sich, daß Hebel recht frei und wohl aus dem Gedächtnis die Bibel zitiert, wenn man die von ihm angeführten Zitate mit dem Textbestand der von ihm höchstwahrscheinlich gebrauchten Bibel vergleicht1429. Dieses ,Katechismusverhör' ist ein Beispiel dafür, wie Hebel die scriptura sacra zum sui ipsius interpres werden läßt, indem er sich einen Bibelspruch durch Heranziehung von weiteren auslegen läßt. Am Ende des Gesprächs lobt der Hausfreund seinen Adjunkten und sieht in ihm sozusagen das Priestertum aller Gläubigen verwirklicht: „,Adjunkt,' sagte der Hausfreund,

1423 1426 1427 1429

1 4 2 4 Ebd., 452. 1 4 2 5 Ebd. Hebel III, 451. Beide vorangegangenen Zitate: Ebd., 452. 1 4 2 8 Ebd., 453. Ebd., 452f. Vgl. Anm. 332.

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,wenn ihr alle Sprüchlein also auszudeuten wißt, so ist an euch ein Pfarrer verlohren gegangen , . . ' " 1 4 3 0 . Insofern ist dieser Kalenderbeitrag ein Stück angewandte biblische Theologie und geht nicht in ,heiterer Besinnlichkeit' auf 1 4 3 1 . In dem Beitrag „Weltbegebenheiten. Der Brand von Moskau" 1 4 3 2 , in dem die N o t der Bewohner der vor der Invasion Napoleons angezündeten russischen Hauptstadt geschildert wird, ist von einer Frau die Rede, deren Schicksal Hebel an dem der Rahel spiegelt: „Weiter lag eine Frau ohne Hülfe in Kindesnöthen, und gebahr ihren Benoni, ihren Schmerzenssohn, auch nur so unterwegs" 1 4 3 3 . Hiermit ist auf die Erzählung von der Geburt des letzten Sohnes Raheis Gen 35,16-18 angespielt. So wie Rahel auf dem Weg von Bethel nach Ephrath gebar, so die Frau, von der Hebel erzählt, auf der Flucht aus dem brennenden Moskau. ,Da ihr (seil. Rahel; A.S.) die Seele ausging, daß sie sterben mußte, hieß sie ihn Benoni; aber sein Vater hieß ihn Benjamin' (Gen 35,18). Die Wiederkehr des im Dreißigjährigen Kriege von den Schweden zu Spanndiensten verpflichteten Knechtes Jobbi in seine Heimat nach vielen Jahren illustriert Hebel durch ein Ps 133,2-Zitat: „Und die Thränen rannen ihm aus den Augen in den weißen Bart, wie der köstliche Balsam, der herabfließt in den Bart Aarons, der herab fleußt in sein Kleid und Lust und Freude erregt" 1 4 3 4 . Neben weiteren Kalenderbeiträgen, die biblische Bezüge beinhalten 1435 , fällt „Die Treue und ihr D a n k " 1 4 3 6 als ein zentraler Ausdruck einer biblischen Ethik auf. Hebel berichtet davon, daß Kaiser Franz II „eine neue Hebel III, 454. Gegen Lutz, a.a.O. (Anm. 98), die von „dem heiter-besinnlichen ,Morgengespräch des Hausfreunds und seines Adjunkts'" (a.a.O., p49) spricht, ohne den zwar spielerisch vermittelten, aber ernsthaften theologischen Gehalt desselben zu eruieren. 1 4 3 2 Hebel III, 454-456. 1 4 3 3 Ebd., 456. 1 4 3 4 Ebd., 315. Daß es sich hierbei um ein Bibelzitat handelt, hat schon Stickelberger, a.a.O. (Anm. 1) bemerkt, gibt aber fälschlicherweise die Geschichte „Der Schneider in Pensa" als Fundort desselben an (a.a.O., p35). 1 4 3 5 Es können hier nicht alle Stellen ausführlich besprochen werden, an denen Hebel in seine Kalenderbeiträge Bibel-Zitate einflicht. Vgl. aber noch das Zitat aus Gen 1,28 in Hebel III, 32, wo Hebel erklärend in das Zitat eine Notiz einschiebt: „,Seyd fruchtbar und mehret euch und erfüllet (oder bevölkert) die Erde, und machet sie euch unterthan.'" Vgl. auch das Zitat aus Joh 5,14 bzw. 8,11, in das Hebel in der Geschichte „Das heimliche Gericht" (Hebel III, 367-371) den Urteilsspruch über einen Lebemann und Verführer vieler Frauen münden läßt: „,Der geheime Gerichtshof laßt euch zum leztenmal Begnadigung wiederfahren, und hofft er werde an euerem künftigen Lehenswandel keine Ursache mehr finden, euch vor seine Schranken zu laden.' Siehe zu! Sündige hinfort nicht mehr, auf daß dir nicht etwas ärgeres wiederfahre" (ebd., 371). Den Beitrag „Kindesdank und Undank" (Hebel II, 18f) gestaltet Hebel als eine Lehrerzählung zum vierten Gebot: „Was lernen wir daraus? - Ehre Vater und Mutter, auf daß es dir wohlgehe!" (ebd., 19). In den Beitrag „Merkwürdiges Alter" (Hebel III, 553) baut Hebel ein Zitat aus Koh 12,4f ein: „wenn die Stimme der Müllerin leise wird, und der Mandelbaum blüht, und die Heuschrecke beladen ist." 1 4 3 6 Hebel III, 390-395. 1430 1431

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GesindeOrdnung für die Stadt Wien" 1437 aufgerichtet hat und eine Belohnung für diejenigen ausgesetzt hat, die 25 Jahre lang gedient haben. Von vielen Bewerbern sind schließlich zehn Personen ausgezeichnet worden, die Hebel nennt und auch durch einen Holzschnitt abbilden läßt. Den meisten von ihnen widmet Hebel einen Bibelspruch. „1) Johannes Brenner. Er diente nur bei zwei Herrschaften, bei der ersten, fünf und zwanzig, bei der andern dreißig, in allem fünf und fünfzig Jährlein, ohne Vorwurf und ohne Tadel, und ist darüber fünf und siebenzig Jahre alt geworden. Macht er nicht ein Gesicht, als wenn er schon das Sprüchlein hörte: ,Du frommer und getreuer Knecht, bist über Wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen. Gehe ein zu deines Herren Freude (seil. Mt 25,21; A.S.).' 2) Adelbert Hamelton ... ist zwei und vierzig Jahre lang im nemlichen Dienst gewesen ... und sagt: ,Ich habe noch nie gesehen den Gerechten verlassen, oder seinen Samen nach Brod gehn' (seil. Ps 37,25; A.S.)" 1438 . Einer Magd widmet Hebel eine Zitatkette aus Apk 2,10 (, Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Leben geben') und IPetr 5,4 (,So werdet ihr (wenn erscheinen wird der Erzhirte) die unverwelkliche Krone der Ehren empfangen'): „,Bleibe treu, bis in den Tod, so will ich dir die Krone der Ehren geben'" 1439 . Einer weiteren Magd widmet Hebel den Text Jes 46,4, indem er nur die Anrede in der 2. Pers. PI. singularisch umformuliert: „,Ich will dich tragen bis ins Alter und bis du grau wirst. Ich wills thun. Ich will heben, tragen und erretten'" 1440 . Und mit dem letzten Bibelzitat, das Hebel den drei letzten Mägden zukommen läßt, bindet er an das erste Zitat aus Mt 25,21 zurück, indem er nun in verkürzter Weise Mt 25,34f anführt: „Diese drei NRO. 8. 9. und 10., besonders die letzte, wenn man sie recht drum beschaut, scheinen auch schon ein Sprüchlein von weitem zu hören: ,Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters! Ich bin arm oder krank gewesen, und ihr habt mich gepflegt'" 1441 . Auch hier hat Hebel seine Quelle biblisiert1442, wie sich literarkritisch belegen läßt. Auch in diesem Beitrag steckt ein katechetisches Interesse und zugleich ein ethisches, 1437

Ebd., 3 90.

1438

Ebd., 391.

1440

E b d

1441

E b ( J ;

1439

Ebd., 393.

3 9 3 f

1442 d ; c Quelle, die Hebel höchstwahrscheinlich benutzt hat, findet sich im Freyburger Wochenblatt, Nr. 49 und 50 (Sonntagsblatt) vom 14.12.1811 unter der Überschrift „Belohnte Dienstbothen=Treue". „In der neuen Gesindeordnung, die im vorigen Jahre für Wien und dessen Vorstädte erschien, hatten Se. Majestät der Kaiser von Oesterreich, zehu (sie!) Prämien, jede zu 150 Gulden (in Einlösungsscheinen) für diejenigen Dienstbothen männlichen und weiblichen Geschlechts bestimmt, welche mit Dieustzeugnissen (sie!) beweisen können, ,daß sie fünf und zwanzig Jahre mit unbescholtener Sittlichkeit, mit Fleiß und Treue gedient, und während dieses Zeitraumes zehn Jahre ununterbrochen in dem nämlichen Dienstorte gestanden haben..." (plOO). Ahnlich wie in Hebels Bearbeitung werden dann die ausgezeichneten Dienstboten mit Namen genannt, wobei Hebel die Namen der Mägde jeweils um eine weibliche Endung erweitert. Statt „Theresia Höflinger" steht bei Hebel „Therese Höflingen«" (Hebel III, 393), statt „Mariane Wurm" „Mariane Wurrm'tfrc" (ebd.).

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indem die zehn von Kaiser Franz II ausgezeichneten Knechte und Mägde als Vorbilder dargestellt werden. Aber Hebel wendet, nachdem er das Gesinde in die Pflicht genommen hat, die Paränese sofort auch an die Herrschaften, indem er ihnen ihre Pflichten ihrem Gesinde gegenüber vor Augen hält. „Vielmehr der Hausfreund hat schon gedacht: Wenns an ihm wäre der Kaiser zu seyn, ob er nicht schier auch eine Belohnung für Herrschaften aussetzen wollte, die gegen ihr Gesinde sich so betragen, daß es zehen Jahre lang bei ihnen aushalten kann. Halte du deine Dienstboten in Ehren und sey gütig gegen sie, denn sie sind auch mit Liebe und Thränen groß gezogen worden. Versorge sie christlich in Nahrung, Kleidung und Arbeit. Schone und pflege sie in der Krankheit! Sey nachsichtig oder streng gegen ihre Fehler ... laß sie auch sonst ein wenig merken, daß du Gott fürchtest und die Menschen liebest" 1443 . Indem Hebel biblische Sprache immer wieder in seine Kalenderbeiträge einfließen läßt, wird er zum Volksprediger, zieht er das Ebenbild Gottes an, indem er in Gottes Sprache fällt. Nicht nur in den Naturbetrachtungen, wo Hebel, wie oben betrachtet 1444 , die Naturkenntnisse, die er vermittelt, einer Rebiblisierung unterzieht, sondern auch in Anekdoten und Berichten über historische Ereignisse bringt Hebel seinen Lesern die Sprache der Bibel nahe. Er bereitet ihnen so ihre endzeitliche Heimat vor und initiiert einen Prozeß, in dem die Leser nun ihrerseits, wenn sie die Kalendergeschichten vorlesen oder weitererzählen, in die Sprache Gottes fallen und das Ebenbild Gottes anziehen werden. Und wie Hebel auf diese Weise die Sprache der Bibel einübt, so hat er auch das Bestreben, die Leser an die aus dem Gesangbuch zwar, aber nicht aus den Herzen der Menschen verschwundenen Choräle zu erinnern und sie neu einzuüben. Die Sprache der Bibel wirkt nicht nur sprachstiftend im Hinblick auf die Texte, die Hebel schreibt, sondern sie soll weiterwirken und den Menschen Sprache verleihen. Hierin liegt eine seelsorgliche Dimension, daß Hebel Wichtiger im Vergleich mit der Quelle ist jedoch der Tatbestand, daß sämtliche den einzelnen Dienstboten zugedachten Bibelsprüche von Hebels Hand stammen. Darüber hinaus fällt auf, daß auch die nach der Vorstellung der vorbildlichen Dienstboten sich an die Herrschaften richtende Paränese von Hebel stammt (vgl. die o. im Haupttext folgende Ausführung). (Den Hinweis auf die Quelle verdanke ich einer Mitteilung der Hebel-Edition). 1443 H e b e l u i ) 394. Ähnlich spricht auch Luther in seiner Katechismus-Predigtreihe aus dem Jahre 1528 ( W A 30/1, 5 7 - 7 7 ) innerhalb der Auslegung des vierten Gebotes zunächst die Kinder und das Gesinde auf ihre Pflichten den Eltern bzw. Herrschaften gegenüber an, bevor er dann einen Adressatenwechsel vollzieht und sich an die Eltern wendet, die gleichzeitig die Herrschaften des Gesindes sind: „Ideo si pater et mater es, so trifft dich dis w o r t auch ... Es heisst dir auch gepotten. Non sunt tuae ancillae, ut lavent tibi tantum ollas. Audi: est tibi praeceptum etc. ... Deus enim non ideo dat tibi liberos, ut cum eis ludas, neque dat familiam, ut ea utaris tanquam azino etc. Sicut vos a me discitis, sic liberi et familia a vobis parentibus et dominis discant. Gedencket und helfft, das man leute auffzihe, das du pater ein fromen son auffziehest, mater eine frome tochter" ( W A 30/1, 73, 3.6-8.10.-14). 1444

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S.o. p l 6 1 - 1 7 1 .

den Menschen dabei behilflich ist, nun ihrerseits in die Sprache Gottes zu fallen, eine seelsorgliche Dimension auch mit Blick auf den Tod. Denn in der letzten Stunde wird es darum gehen, nach Worten zu ringen und die Worte Christi nachzubeten, die einem durch biblische Sprachschulung vermittelt worden sind: „Und wenn sie (seil, die Erde; A.S.) uns das Letzte aufthut..., ihren Schooß, und der unsterbliche Gast auf ihr thränenlos und ruhig von ihr scheidet, und das einzige Himmlische und Eigene, was er auf ihr zurückläßt, frommer Freunde Herz und Liebe, auf bessern Sternen wieder erwartet, so betet er sterbend nur seines Erlösers Worte nach: Vater, meinen Geist Ubergebe ich in deine Hände; und seines Apostels Worte: Der Tod ist verschlungen in den Sieg; Tod wo ist dein Stachel, und Hölle wo ist dein SiegГ1445. Deswegen kann Hebel in seinen Predigten dazu auffordern, in Situationen der Not in die Sprache der Bibel zu fallen, da er weiß, daß sie die seelsorglich gesehen naheliegendste Möglichkeit ist, Sprache zu gewinnen und nicht stumm zu bleiben, sondern seine Not in biblischer Sprache als Gebet zu versprachlichen. „So müssen auch wir oft zu dem Herrn beten. Es wird oft Abend bei uns, das heißt, es wird oft finster in unserer Seele, wo wir den Beistand des Herrn vonnöthen haben. Wenn das Licht der Freude und des Vertrauens auf Gott bei euch verschwinden will, dann betet: Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden (seil. Lk 24,29; A.S.) in unserer Seele" 1446 .

Hebel, SW VI, 37 zit. Lk 23,46; IKor 15,55. 1446 Hebel, SW VI, 173f. Hebel fährt fort, indem er die Aufforderung, sich in der Not die biblische Gebetssprache zu eigen zu machen, wiederholt und sozusagen als Teil einer sprachlichen ,ars moriendi' begreift: „Wenn euch eure Sünden kränken, wenn ihr keinen Trost findet, dann betet, - wenn der Tag eures Lebens einst zu Ende gehet, und die Nacht des Todes einbricht, dann, ach dann betet: Herr bleibe bei mir, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneiget" (Hebel, SW VI, 174). 1445

329

7. Hebels Hang zum Polytheismus als Ruf nach einem sinnenfällig werdenden Gott und die christologische Aufarbeitung dieser Frage Unbestreitbar ist, daß Hebel von einer polytheistischen Neigung nicht ganz frei gewesen ist. Hierin ist er Kind der Zeit, indem ihn eine Sehnsucht nach der antiken Göttervielfalt umtrieb und er - ähnlich wie es Heinrich Heine später in seiner Schrift ,Die Götter im Exil* tun wird - dem Christentum vorwarf, für die Entgötterung der Welt verantwortlich zu sein 1447 . Dieser polytheistische Hang äußert sich besonders in einem - allerdings nur in einem - Brief, in dem sog. ,Polytheismusbrief', der in der HebelForschung in überaus starker Weise Beachtung gefunden hat: „Wenn die theol. Gesellschaft noch bestünde so hätte ich ihr dismal einen Aufsatz über den Polytheismus geschrieben. Ich gestehe dir - denn eine Beicht unter Freunden ist so heilig, als die am Altar, daß er mir immer mehr einleuchtet, und nur die Gefangenschaft, oder Vormundschaft, in welcher uns der angetaufte und anerzogene und angepredigte Glauben behält, hinderte mich bisher den seligen Göttern Kirchlein zu bauen. Unser dermaliger philosophischer Gott steht, fürchte ich, auf einem schwachen Grund, nemlich auf einem Paragraphen, und seine Verehrer sind vielleicht die thörichtesten Götzendiener, denn sie beten eine Definition an, und zwar eine selbstgemachte. Ihr Gott bleibt ewig ein Abstraktum und wird nie concret. - Als man zur Zeit der Bibel nur ein paar Cubikklafter vom Weltall kannte, war es keine Kunst sich mit Einem Gotte zu begnügen, und ihn menschlich zu lieben, weil man ihn menschlich denken konnte. Und doch konnte selbst

1 4 4 7 „ N u r mit wenigen W o r t e n will ich den Leser darauf aufmerksam machen, wie die armen alten Götter ... zur Zeit des definitiven Sieges des Christentums, also im dritten Jahrhundert, in Verlegenheit gerieten, die mit älteren traurigen Zuständen ihres Götterlebens die größte Analogie boten. Sie befanden sich nämlich jetzt in dieselbe betrübsame Notwendigkeit versetzt, worin sie sich schon weiland befanden, in jener uralten Zeit ... als die Titanen aus dem Gewahrsam des Orkus aufbrachen und ... den O l y m p erkletterten. Sie mußten damals schmählich flüchten, die armen Götter ... In derselben Weise mußten die armen Heidengötter wieder die Flucht ergreifen und unter allerlei Vermummung in abgelegenen Verstecken ein Unterkommen suchen, als der wahre Herr der Welt sein Kreuzbanner auf die Himmelsburg pflanzte" (Heinrich Heine, Die Götter im Exil, in: Ders., Werke, hg. von Wolfgang Preisendanz, Bd. 2, Frankfurt a.M. 1968, p 8 3 5 - 8 5 6 , hier: p836).

Daß diese Frage und Sehnsucht nach dem Polytheismus auch heute noch virulent ist, zeigt besonders O d o Marquard, L o b des Polytheismus. U b e r Monomythie und Polymythie, in: Ders., Abschied v o m Prinzipiellen. Philosophische Studien, Stuttgart 1981, p91—116.

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der sanktionirte Monotheism, nur mit Zwang und nie mit Glück den Götterglauben und die Anbetung derer, die uns näher sind, als der einzige, ewige unerfaßbare über den Sternen entfernt halten. Ich möchte mich gerne mit einem oder einigen Göttern dieser Erde begnügen, die um uns sind, die uns lieben und beobachten, die unsre Blüthenknospen aufthun, unsre Trauben reifen, denen wir trauen können, und die sich lediglich nichts darum zu bekümmern haben, wer für die andern Sterne sorgt, so wenig als wir. Sie sollen nicht allmächtig, nicht allweise nur mächtig und weise genug für uns seyn, nicht souverain, sondern untergeordnet einem noch mächtigeren und weisern, um den sie, nicht wir uns zu bekümmern haben. Sie sind vielleicht schon so oft erschienen, den Juden und Griechen, beiden in der Gestalt und Form in der sie ihnen erfaßbar waren, dort Engel, hier Dämonen; sie würden vielleicht auch uns noch eben so wie ienen wahrnehmbar seyn, wenn wir nicht durch den Unglauben an sie die Empfänglichkeit ihrer Warnehmung verlohren hätten. Das Organ dazu ist in uns zerstört. Wir haben ihnen keine einzige Form mehr übrig gelassen, in der sie uns erschaubar werden könnten. Doch davon einmal mündlich" 1448 . Dieser Brief ist in der Hebel-Forschung meist ohne eine Reflexion darüber, wie er im Verhältnis steht zu den übrigen theologischen Werken Hebels, für ein Zeugnis gehalten worden, in dem Hebel seine eigentliche theologische Neigung offenbart, so daß man es getrost meinte, gegen seine übrigen theologischen Werke ausspielen zu können. Bürgisser z.B. kommentiert den Polytheismusbrief folgendermaßen: „Weder Christi Gestalt, noch diejenige eines allmächtigen, himmelfernen Gottes, vermochten seine (seil. Hebels; A.S.) Seele allein zu erfüllen und zu befriedigen" 1449 . Bürgisser meint hieran erheben zu können, „wie wenig christianisiert er (seil. Hebel; A.S.) im Grunde war" 1 4 5 0 . Hier schon zeigt sich die Tendenz bei Bürgisser, Hebels kritische Worte, die doch zunächst einmal dem „philosophischen Gott" 1 4 5 1 gelten, der „nie concret (wird)" 1 4 5 2 , als eine Absage an die gesamte überlieferte Lehre zu werten. So bemerkt Bürgisser nicht, daß die auffällige Eigenart dieses Briefes gerade darin besteht, daß er sich jeglicher christologischer Reflexion enthält. Bürgisser beachtet nicht, daß Hebel sich hier nicht gegen die traditionelle Theologie überhaupt, sondern nur gegen eine bestimmte Ausprägung der Gotteslehre richtet, die Gott im metaphysischen Sinne in der Transzendenz als deus absconditus verborgen hält, denn so bleibe Gott „ewig ein Abstraktum und wird nie concret" 1 4 5 3 . Bürgissers Verallgemeinerung, Hebel sei „wenig christianisiert" 1454 , ist deswegen nicht statthaft und verstellt auch Bürgisser den Blick dafür, daß Hebel auf die im ,Poly-

1448 1449 1451 1454

Hebel, Briefe, p417. 6.4.1809 an Hitzig. Bürgisser, a.a.O. (Anm. 97), p26. 1 4 5 2 Ebd. Hebel, Briefe, p4 1 7. Bürgisser, a.a.O. (Anm. 97), p26.

1450 1453

Ebd. Ebd.

331

theismusbrief' gestellte Frage eine christologische Antwort gefunden hat, obwohl er in diesem Brief selbst gerade keine Betrachtung darüber anstellt, wie Gott durch die Menschwerdung sehr wohl konkret geworden ist, sondern die „Definition" 1 4 5 5 des „philosophischen Gott(es)" 1 4 5 6 etwas vorschnell mit dem „angetaufte(n) und anerzogene(n) und angepredigte(n) Glauben" 1 4 5 7 gleichsetzt. So sehnt sich Hebel zurück in die Mythologie der Griechen und deren Göttervielfalt und will sich mit „einigen Göttern dieser Erde begnügen, die um uns sind, die uns lieben und beobachten, die unsre Blüthenknospen aufthun, unsre Trauben reifen" 1 4 5 8 , die nicht im abstrakten Sinne allmächtig sind, sondern „untergeordnet einem noch mächtigeren und weisern" 1 4 5 9 . Daß Hebel hier kein theologisches Programm entfaltet, das Anspruch auf systematische Vollständigkeit erhebt, sondern sich hier in einem Selbstgespräch befindet, geht aus dem Fehlen einer christologischen Reflexion hervor genauso wie aus der Tatsache, daß es sich bei diesem Text um einen Brief handelt, also keine offizielle Äußerung Hebels darstellt. Kaum berechtigt wird es sein, diesen Brief zum hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis des restlichen Werkes Hebels zu erheben, wie es Bürgisser tut, um dann alle .traditionellen' Äußerungen Hebels auf das Konto einer bewußten und opportunistischen Akkommodation an die offizielle Kirchenlehre zu buchen, wie z.B. den Katechismus Hebels: „Was uns sein Katechismus noch weiter vorträgt, könnte uns höchstens noch Aufschluss geben über seine Stellung innerhalb der wissenschaftlichen Theologie seiner Zeit, die aber jeder Selbständigkeit entbehrt" 1460 . Bürgisser versäumt es, die Naturbetrachtungen Hebels mit der traditionellen Theologie des Buches der Natur in Beziehung zu setzen, um von dort aus vielleicht zu einer differenzierteren Beurteilung auch des ,Polytheismusbriefes' zu gelangen, sondern behauptet apodiktisch, anhand der Naturbetrachtungen Hebels sei ein „Verhältnis zur Kirchenlehre ausserordentlich spärlich feststellbar" 1 4 6 1 . Daher kommt es denn auch, daß Bürgisser alles bei Hebel,Traditionelle' abrechnend zu dem Urteil kommt, Hebel habe letztendlich die Natur an die Stelle Gottes gerückt, da Bürgisser meint beobachten zu können, „wie Hebel, einem tiefern religiösen Bedürfnis folgend, zum Pantheismus gelangte" 1 4 6 2 . Bürgisser beachtet dabei nicht, daß sehr wohl unterschieden werden muß zwischen einer biblisch motivierten Naturbetrachtung, die sich schöpfungs- und vorsehungstheologisch gründet, die diese Arbeit in Hebels Werk aufgewiesen hat 1 4 6 3 , und dem Pantheismus, dem zudem in Bürgissers Arbeit keine Begriffsbestimmung zuteil wird.

1455 1457 1460 1463

332

1 4 5 6 Ebd. Hebel, Briefe, p4 1 7. 1 4 5 8 Ebd. 1 4 5 9 Ebd. Ebd. Bürgisser, a.a.O. (Anm. 97), p23. S.o. Kap. I dieser Arbeit.

1461

Ebd., p31.

1462

Ebd.

Hirtsiefer dagegen meint, Bürgisser treffe den Sachverhalt nicht, wenn er Hebels Weltbild als pantheistisch bezeichne, schließt sich dann jedoch vermeintlich differenzierend an Oeftering 1464 an, wenn er Hebel nun modifizierend Panentheismus bescheinigt und zu dem Schluß kommt: „Es steht darin (seil, in Hebels ,Weltbild'; A.S.) zeitweise Heidnisches neben Christlichem, mythische Anschauungen neben aufgeklärten, dichterisches Bild neben theologischem Dogma" 1 4 6 5 . Den ,Polytheismusbrief' in ähnlich starker Weise wie Bürgisser hervorhebend bezeichnet Hirtsiefer ihn als ein Zeugnis von „Hebels Glaubenskrise" 1466 , die Hebel auf panentheistische Weise überwunden habe: „Die Schöpfung ist die Brücke, die den Abgrund zwischen Mensch und Gott überschreitbar macht. Durch sie wird Gott menschlich vorstellbar" 1467 . Gegen Bürgisser behält Hirtsiefer zweifelsohne recht, wenn er es ablehnt, vom Pantheismus Hebels zu sprechen, da „hinter seiner (seil. Hebels; A.S.) Welt ... immer die Kraft eines persönlichen Schöpfergottes (steht)" 1468 , aber allerdings scheitert Hirtsiefers Untersuchung dann an der auch ihr eignenden Schwäche, daß er es nicht für nötig hält, das biblische Fundament der Hebeischen Theologie der Natur zu erheben. Hirtsiefer kommt zu dem unzutreffenden Urteil, Hebels Sicht der Natur sei nicht biblisch, indem Hirtsiefer das Poetische im Werke Hebels gegen das Theologische ausspielt: „Erscheint dieser Glaube insofern auch christlich bestimmt, so ist er im Entscheidenden doch nicht aus der Botschaft des Neuen Testaments hervorgewachsen. Er ist nicht t h e o l o g i s c h , sondern d i c h t e r i s c h begründet" 1469 . Der Buri-Schüler Sommer läßt klar erkennen, daß er als Vertreter einer eher liberal ausgerichteten Theologie ein Interesse an der Theologie Hebels hat, und er verschweigt auch nicht, daß er in Hebel einen Gewährsmann sieht, der der von ihm vertretenen Richtung einer Theologie, die die religiöse Erfahrung' für ein zentrales Anliegen hält, im Prozeß der Ablösung der ,Wort-Gottes-Theologie' durch eine eher empirisch ausgerichtete behilflich sein könnte: In einer etwas überraschenden, aber auch unvermittelten Weise wird Hebel so durch Sommer einer Aktualisierung unterzogen, indem es im Nachwort heißt: „Es stellt sich uns nun die Frage, ob wir in Hebels Denken bloss ein Zeugnis aus vergangenen Tagen ... haben, oder ob Hebel als Theologe uns auch heute noch etwas zu sagen hat. Wäre diese Arbeit vor zehn Jahren entstanden, so hätte man Hebels Theologie wohl bloss historisch würdigen können. In den vergangenen zehn Jahren aber hat sich langsam ein Wandel im theologischen Denken vollzogen: die nur auf das ,Wort Gottes' und auf das Zeugnis reformatorischer Neubesinnung gerichtete Theologie (Karl Barth u.a.), die in den Jahrzehnten nach 1464 1465 1467

Vgl. Oeftering, a.a.O. (Anm. 129). Hirtsiefer, a.a.O. (Anm. 110), p23. 1 4 6 8 Ebd., p23. Ebd., p29.

1466 1469

Ebd. Ebd., p23.

333

dem ersten Weltkrieg entstanden ist, sieht sich einer immer grösser werdenden Opposition gegenüber. Diese Gegenbewegung betont das Primat der religiösen Erfahrung und beruft sich auf eine Traditionsreihe, die von Schleiermacher ausgehend über ... den amerikanischen Pragmatisten William James ... bis hin zur modernsten Theologie reicht ... Diesen Versuch, menschliche Erfahrung als Hinweis auf die Transzendenz zu deuten, ist aber etwas, was wir auch, in literarischer Form, bei Hebel finden" 1 4 7 0 . Mutet dieses Vorhaben auch etwas anachronistisch an und hätte man sich die Kritik an Barth etwa ein wenig differenzierter gewünscht, so gibt dieses Urteil doch Aufschluß über die Perspektive, aus der heraus Hebel von Sommer betrachtet wird. So erhebt Sommer im ersten Kapitel 1 4 7 1 den ,Polytheismusbrief' zu höchster Wichtigkeit und sieht in ihm „die Grundlagen von Hebels theologischem und poetischem Schaffen" 1 4 7 2 gelegt, ohne daß er wiederum als Teil einer Denkbewegung Hebels verstanden und im Kontext seines Werkes thematisiert würde. So vermag es Sommer nicht eigentlich, über die Ergebnisse von Bürgissers Arbeit hinauszukommen, wenn er ähnlich wie dieser es bei der Beobachtung eines ,Sowohl-als-auch' bewenden läßt, indem er das „Numinose des Proteusertums (,) die - wie wir wohl behaupten können - Hebeische Urerfahrung des Göttlichen" 1 4 7 3 nennt, während sich „die zweite Ausdrucksform der Gottheit" 1 4 7 4 folgendermaßen zeigt: „Die Transzendenz geht in der Existenz auf, und zwar so, dass uns Göttliches in dichterischen Bildern anspricht" 1 4 7 5 , während erst „die dritte Ausdrucksform des Göttlichen ... die traditionell christliche (ist)" 1 4 7 6 , an die sich Hebel angepaßt hat, um als Diener der Kirche tätig sein zu können. „Dass er aber die Bedeutung des Transzendenten auch noch in überlieferter, christlicher Form auszudrücken vermochte, erlaubte es ihm, während seines ganzen Lebens kirchliche Funktionen auszuüben" 1 4 7 7 . Somit hat Sommer das, was in Hebels Werk nach traditioneller Theologie aussieht, als ein ,Auch-noch' klassifiziert und es in einem ,Nicht-nur, sondern-auch' neben Hebels polytheistische Neigung gestellt, ohne danach zu fragen, ob nicht etwa das eine das andere reflektiert und ob es nicht doch eine Vermittlung von beidem in Hebels Werk gibt. So hat Sommer zwar recht, wenn er die Eschatologie als das Movens der dritten Ausdrucksform des Göttlichen bei Hebel bezeichnet, indem er sagt, daß „die Eschatologie den cantus firmus (bildet)" 1 4 7 8 , hat es aber nicht vermocht, zu entdecken, daß gerade sie es ist, die sich als biblisch gründende auch in den Kalendergeschichten z.B. das Fundament dessen ist, was er „die zweite Ausdrucksform der Gottheit" 1 4 7 9 nennt.

1470 1471 1474 1477

334

Sommer, a.a.O. (Anm. 147), p l l 7 f . Hervorhebung original. 1 4 7 2 Ebd., p39. 1 4 7 3 Ebd., p36. Ebd., pl3-37. 1 4 7 5 Ebd. 1 4 7 6 Ebd., p37. Ebd. 1 4 7 8 Ebd., plOl. 1 4 7 9 Ebd., p36. Ebd.

Wegen der eben aufgezeigten Einseitigkeit der die Theologie Hebels vom ,Polytheismusbrief' aus betrachtenden Forschung wird es nötig sein, die diesbezügliche Denkbewegung Hebels in ihrem Fortschreiten zu betrachten und deswegen auf die hierfür relevanten Texte selbst zurückzugreifen. Für einen Rückgriff auf die griechische Mythologie spricht sich Hebel auch in seinem Aufsatz „Geister und Gespenster"1480 aus. „Die Mythologie der Deutschen"1481 mußte, so Hebel, „der christlichen Religion weichen, die uns einen fremden unnationalen Geisterglauben brachte, den sie zum Theil selber nur von den Juden" 1482 übernommen hatte. Aber dieser uneigene Geisterglaube mußte in den hiesigen nordischen Gefilden verkümmern „wie eine Pflanze, die ihr aus ihrem warmen heimischen Boden in einen andern und schlechtem versetzt"1483. Aus diesem Mangel an Geisterglauben ergibt sich das Bedürfnis der Menschen, auf die griechische Mythologie zurückzugreifen. „Daher müssen wir selbst, wenn wir das Bedürfniß eines edlen Geisterlebens um uns fühlen, und uns in seine entzauberten Kreise zurück sehnen und gerne zurück täuschen wollen, noch einmal zu einer fremden, aber unter ihrem eigenen Himmel frei und unbeschrien ausgebildeten Mythologie, der griechischen, greifen, weil wir unsere eigenthümliche verloren haben und den eingetauschten orientalischen Geisterglauben mit seinen spätem abendländischen Auswüchsen nicht brauchen können" 1484 . Die Frage, wie denn die griechische Mythologie in den Norden verpflanzt werden könne, ohne daß sie wie die orientalisch-jüdische Schaden erleiden sollte, wirft Hebel nicht auf. Ungelöst ist für Hebel auch die Frage, „warum der Glaube an einen Verkehr der Engel auf der Erde fast ganz verschwunden ist, während der Teufelsglaube noch kräftig sich behauptet"1485. Einerseits äußert Hebel also Kritik am Christentum, das mitunter schuld sei an der Entgötterung der Welt, da es eine fremde, nämlich die jüdische Mythologie an die Stelle der alten germanisch-nationalen gesetzt hat. Aber und hierauf kommt es an - Hebel äußert im folgenden auch Kritik an der Aufklärung und ihrem Bestreben, aus vernünftiger Einsicht in den Zusammenhang von natürlicher Ursache und Wirkung den Geisterglauben zu entkräften. Hebel zweifelt daran, daß auf solch empirisch-rationalem Wege das Ziel, die völlige Entkräftung des Geisterglaubens, überhaupt zu erreichen ist. Zwar gibt er zu, „daß der Geister immer weniger werden, je mehr man durch Beobachtung und Nachdenken mit der Natur bekannt wird" 1486 , aber Hebel schließt die kritisch sich gegen die Aufklärung wendende Frage an: „Dürfte aber der Frage, wie dieser Geisterglaube zu tödten sey, nicht eine andere voraus zu setzen seyn, ob er getödtet werden könne, und wenn 1480 1481 1484

Hebel, SW VII, 235-246. 1 4 8 2 Ebd. Ebd., 240. 1 4 8 5 Ebd., 241. Ebd., 240f.

1483 1486

Ebd. Ebd., 237.

335

er unschädlich und weise geleitet werden kann, ob es rathsam sey, ihn tödten zu wollen"1487. Die Aufklärung wird die restlose Beseitigung des Geisterglaubens nicht erreichen können, da sie das Bedürfnis nach einer sinnlichen Komponente des Glaubens nicht wird beseitigen können: „Jedes Volk und jede Volksreligion auf der Erde hat unter diesem oder einem andern Namen und Typus ihre Geister, - liebliche oder häßliche und schreckliche Wesen, Gebilde einer feinern oder einer groben sinnlichen Phantasie, und jedes Volk streift sich erst alsdann in seinen einzelnen Individuis und nie in allen, und nie ganz von ihnen los, wenn es zu einer hohen Aufklärung sich emporgeschwungen hat. Bis dahin liegt der Glaube an sie im menschlichen Geist selbst und ist ihm Bedürfniß" 1488 . Um den Geisterglauben völlig auszurotten, müßte man - so Hebel - dem Menschen alles Unerklärbare erklären oder seine Phantasie töten, was aber nicht möglich sei 1489 . Charakteristisch für diesen Aufsatz Hebels nun ist es, daß er den Gedanken, man könne durch einen Rückgriff auf die griechische Mythologie sich einen veredelten Geisterglauben und eine Belebung der Natur wieder anverloben, nicht weiter ausführt, sondern beginnt, die gesamte Frage mit biblischen Kategorien weiter zu verhandeln. Wenn Hebel die Frage stellt, „warum der Glaube an einen Verkehr der Engel auf der Erde fast ganz verschwunden ist, während der Teufelsglaube noch kräftig sich behauptet, und warum jener sich nie so entwickelt und ausgebildet und mannigfaltig modificirt hat, wie dieser, da doch die Bibel eben so viele, wo nicht mehr, und sicherere wenigstens ansprechende Data dazu gibt" 1490 , dann benennt Hebel hiermit eine biblische Perspektive, eine biblische Möglichkeit, den mythologischen Verlust durch die Wiedergewinnung der Angelologie aufzufangen. Und in der Tat setzt Hebel diese Forderung selbst in seinen Kalendergeschichten um 1491 . Die Frage nach einer biblischen Möglichkeit, sich den Geisterglauben wieder anzuverloben, reflektiert Hebel dann hamartiologisch und richtet sich gleichzeitig scharf gegen die Aufklärung, wenn er sagt: „Noch einmal gesetzt, wir wissens und erkennens, glauben wenigstens immer, daß verwandte Geister uns umschweben und besuchen können, - wir sind ausgegangen aus dem lieblichen Paradies, wo noch die 1 4 8 8 Ebd., 238f. Ebd., 238. Hervorhebung original. „Man müßte, wenn man ihn davon befreien wollte, ehe man ihm alles Unerklärbare in der Natur und den Erscheinungen des Lebens erklärt hat, entweder den Zusammenhang zwischen Wirkungen und Ursachen zerreissen, und ihn gewöhnen, Wirkungen zu beobachten, ohne sich um die Ursache dazu zu bekümmern ... oder man müßte die immer geschäftige, bindende und einkleidende Phantasie in ihm tödten, die überall anblümt, w o für den denkenden Verstand noch keine Ernte steht. Aber, wer vermag das Eine oder das Andere? W e r kann es auch nur wollen?" (ebd., 239). 1487

1489

Ebd., 241 f. Vgl. z.B. die Einarbeitungen des Ps 91,11-Zitates in zwei der Kalenderbeiträge, die o. p323 dieser Arbeit betrachtet wurden. 1490 1491

336

Elohim in der Abendkühle unter den Bäumen wandeln, und der Cherub der Aufklärung steht an der Pforte und läßt uns nicht mehr hinein, - um was ists besser mit uns geworden? Blicken wir nicht noch oft über die Planken hinein und sehnen uns zurück?" 1 4 9 2 . Die Sehnsucht des gefallenen Menschen nach einem Geister- und Engelglauben entspringt nach Hebel dem Bedürfnis des Menschen danach, daß Gott sinnenfällig wird. Diese Sehnsucht nach einem sinnlich wahrnehmbaren Gott ist - so Hebel - die Sehnsucht des Menschen nach dem verlorenen Paradiesesgarten und der verlorengegangenen Gottesnähe. Die Aufklärung will dem Menschen diese Sehnsucht, zurück zum status integritatis zu gelangen, nehmen, indem sie sich an die Stelle des Cherub setzt, der den Zugang zum Paradies versperrt (vgl. Gen 3,24). Die Ironie dieses Vergleiches der Aufklärung mit dem Cherub besteht darin, daß nun durch diese durch Hebel eröffnete biblische Betrachtungsweise die Aufklärung als diejenige, die den Geister- und Engelglauben auszurotten sich zum Ziel gesetzt hat, selbst als ein Engel erscheint, ohne daß sie sich darüber im klaren wäre. Hebel begreift den Geisterglauben als einen, der durch angelologischbiblische Reflexion zu veredeln ist, und so als eine der Sinnlichkeit des Menschen Rechnung tragende ästhetische Vorschule zum Propädeutikum des Gottesglaubens werden kann. „Man kann den Glauben, daß es Geister gebe, wenn er nur veredelt ist, ohne Anstand als eine vorliegende Schanze um den Glauben an Gott, und in einigen Modificationen desselben, um den Glauben an Seelenunsterblichkeit und an Vergeltung nach dem Tode für das Unvergoltene vor dem Tode, also wohl für die drei wichtigsten und heiligsten Glaubenslehren ansehen" 1493 . Die Bekämpfung des Geisterglaubens sieht Hebel deswegen als das Bestreben der Aufklärung, „erst nach und nach lange an solchen Vorwerken niederzureißen ... ehe sie den Katapult an das Heilige selber ansetzen kann" 1 4 9 4 . Deswegen gelte es, „dem gelehrten Zunftgeist" der rationalistischen Theologie zu „entsagen" 1495 , und als Vorbilder nennt Hebel dann Christus und die Apostel, die ihre Verkündigung ebenfalls in die sinnliche Hülle der Angelologie eingehüllt haben, da sie wußten, daß der Mensch der vollen Wahrheit nicht unmittelbar ohne Versinnlichung ansichtig werden kann. „Christus selber und seine Apostel, auch damals noch, als sie den heiligen Geist empfangen hatten, der sie in alle Wahrheit leitete, begünstigen in ihrer Lehre den Glauben an den Einfluß guter und böser Geister mehr, als sie ihm entgegen arbeiten. Glaubten er und sie selber daran, so werden wir wohl auch keine andere Wahl haben" 1 4 9 6 . Dies gelte heute genauso wie zur Zeit Jesu, denn man könne nicht voraussetzen, daß „der gemeine oder gemeinste Mann en gros jetzt gereifter und empfänglicher für 1492 1495

Hebel, SW VII, 243f. Ebd.

1493 1496

Ebd., 244. Ebd., 244f.

1494

Ebd.

337

die reine trockene Wahrheit ohne Hülle (ist), als damals die Juden, Griechen und Römer, bereitwilliger seine Vorurtheile abzulegen, und wir sichererer, daß er nicht mit seinen Irrthümern auch die Wahrheit wegwerfen würde, die sich in jene mischt, wie das Licht in die Finsterniß in der milden Dämmerung" 1 4 9 7 . Hebel ist also nicht der Meinung, daß es sich bei dem biblischen Engelglauben um eine zeitbedingte Akkommodation Jesu und der Apostel an den damaligen Volksgeist handelt, der aber jetzt nicht mehr zeitgemäß sei, sondern er ist der Uberzeugung, daß der Geisterglaube eine Vorschule des Glaubens sei, auf den die Sinnlichkeit des Menschen zeitungebunden heute wie früher ein Anrecht hat. Was Hebel der Aufklärung vorwirft, ist ihr optimistischer Fortschrittsglaube: „Das Fortrücken in der Kalender-Jahrzahl macht wohl den Menschen, aber nicht die Menschheit reifer" 1 4 9 8 . Hieraus resultiert die Kritik an der Maxime der Aufklärung, den Geisterglauben auszurotten, da man sich keine Gedanken darüber gemacht habe, ob oder wie im Geisterglauben etwa Irrtümer und Wahrheiten miteinander vermischt sein könnten. Und darum begreift Hebel es als die Aufgabe einer der Sinnlichkeit des Menschen sich verpflichtet wissenden Poetik, den Geisterglauben durch denjenigen an die Engel veredelnd, mitunter auch griechische Mythologeme einfließen lassend, dem Menschen den Blick ins Paradies, wo die Elohim in der Abendkühle wandeln, wieder zu ermöglichen. „Blicken wir nicht noch oft über die Planken hinein (seil, in das Paradies; A.S.) und sehnen uns zurück? Warum bieten wir so gerne den Dichtern die Hand, die uns durch unbewachte Seitenpförtchen wieder auf einen Augenblick hineinführen? Warum kommen wir so oft mit einer höhern Weihe für das Schöne und Gute wieder heraus?" 1 4 9 9 . Liest man herkommend von diesem Aufsatz den ,Polytheismus-Brief' erneut, dann fällt auf, daß Hebel auch hier die Frage nach dem Polytheismus und nach der Wiederbelebung der Natur in einen bibel-ähnlichen Ton verpackt. Der bei Hebel sich äußernde Wunsch, „den seligen Göttern Kirchlein zu bauen" 1 5 0 0 , ist dem des Petrus auf dem Berg der Verklärung ähnlich, wo vor Jesus Mose und Elia erschienen: ,Herr, hier ist gut seyn; wilst du, so wollen wir hier drei Hütten machen, dir eine, Mosi eine, und Elii eine' (Mt 17,4). Am ,Polytheismus-Brief' befremdete, daß Hebel hier nicht eine Uberlegung darüber anstellt, inwiefern Gott in Christus konkret geworden ist und sich von hier aus die Gefahr, daß Gott als Definition abstrakt bleibt, relativiert. Diese Überlegung hat Hebel jedoch andernorts angestellt, nämlich in dem Aufsatz „Hang zur Abgötterei" 1 5 0 1 . Hier spricht Hebel davon, daß der Mensch durch einen natürlichen Hang zur Abgötterei geprägt ist, 1497 1500 1501

338

1 4 9 8 Ebd. Ebd., 245. Hebel, Briefe, p417. Hebel, SW VII, 247-250.

1499

Ebd., 243f.

der unwiderstehlich ist, und dem Hebel selbst wohl in seinem ,Polytheismus-Brief' Raum gelassen hat. „Hang zur Abgötterei ist in einem gewissen Sinn der Menschheit, so wie sie im Ganzen vor dem Blick des Beobachters sich darstellt, nach dem Maße, Verhältniß und der Richtung ihrer geistigen Kräfte natürlich, unwiderstehlich, durch keine Dämme einzuschränken, durch keine Gewalt auszulöschen" 1502 . Dies liegt nach Hebel daran, daß der Mensch sich keinen Begriff von Gott machen kann, der sich rein geistig gründet. Wiederum mahnt Hebel an, daß eine Rede von Gott nicht vertretbar sein kann, die nicht in irgendeiner Weise wiederum der Sinnlichkeit des Menschen Rechnung trägt. „Ich will sagen, es ist dem Gros der Menschheit nicht möglich sich einen reinen würdigen Begriff der Gottheit, ein reines geistiges, umfassendes Bild seiner Vollkommenheiten zu denken. Es wird selbst dem Weisen schwer es zu abstrahiren, von sinnlichem Zusatz rein, und immer fest zu halten" 1 5 0 3 . Eine rein auf den Verstand und den Geist sich gründende Rede von Gott hat keinen lebendigen Gott zum Gegenstand; Gott ist dann „kein Gott für das Herz, kein Gott für das Leben" 1 5 0 4 , denn er ist „kein Gott nach seinen Bedürfnissen" 1505 , kein Gott, der der „edlere(n) Sinnlichkeit" 1506 des Menschen gerecht wird, „die doch immer beschäftigt seyn will" 1 5 0 7 . Ein derart abstrakter Gott führt den Menschen unvermeidlich in die Idolatrie. „Kein Wunder also, daß sie (seil, die Sinnlichkeit; A.S.) sich etwas zu thun macht" 1 5 0 8 , wenn der Glaube nicht auch sinnlich ausgerichtet ist. Sogar die jüdische Nation, obwohl sie „die muthvollsten, feurigsten und aufgeklärtesten Lehrer" 1 5 0 9 hatte, eine Nation, „bei der für die Sinnlichkeit durch den prachtvollsten, mannigfaltigsten Ceremoniendienst schien gesorgt zu seyn" 1510 , befand sich ständig auf dieser Gratwanderung, auf der sie des öfteren in die Abgötterei fiel. „Selbst die jüdische Nation schwankte alle Augenblicke über die schmale, schwer zu haltende Linie hinaus, goß güldene Kälber, buhlte fremden Göttern nach, und opferte auf den Höhen" 1 5 1 1 . Gottes Reaktion auf diesen Hang zur Abgötterei - und hier spricht Hebel das aus, was im ,Polytheismus-Brief' ungesagt bleibt - besteht darin, daß er konkret und damit den menschlichen Sinnen faßbar wurde, indem er selbst Mensch wurde. Hierin wird der menschlichen Sinnlichkeit Rechnung getragen, daß Gott nun menschlicher Gott und göttlicher Mensch wird, um den Menschen auch vor der Abgötterei zu bewahren. Auf diesem Wege kommt Hebel, von dem oft gesagt worden ist, er sehe in der Christologie nur ein eher beiläufiges Theologumenon, zurück zur chalkedonensischen ZweiNaturen-Lehre. „Konnte sie (seil, die Gottheit; A.S.) dem schwachen Men-

1502 1505 1508 1511

Ebd., 247. Ebd., 247. Ebd. Ebd.

1503 1506 1509

Ebd. Ebd., 248. Ebd., 249.

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°

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Ebd., 248. Ebd. Ebd.

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schenherzen, das nun einmal Bild statt Begriffes und einen menschlichen Gott haben mußte, ein edleres Bild, und einen göttlichem Menschen, oder einen menschlichern Gott zur Liebe, Verehrung und zum Vertrauen aufstellen, als den, welchen sie aufgestellt hat - Jesum?" 1 5 1 2 . Daß Hebel die Rezeption des chalkedonensischen Dogmas nicht ganz leicht gefallen ist, mag sich darin spiegeln, daß er nicht von der göttlichen und der menschlichen Natur spricht, sondern vom menschlichen Gott und dem göttlichen Menschen Jesus und obendrein meint, daß „der kirchliche Begriff zu weit geht" 1 5 1 3 . Hebel führt diesen Gedanken nicht weiter aus, deswegen läßt sich höchstens vermuten, daß ihm die die griechische Begrifflichkeit rezipierende Art der Verhältnisbestimmung der beiden Naturen zu diffizil erschien. Dennoch - und hierin liegt der Skopos des hier betrachteten Aufsatzes, der nicht übersehen werden darf - ist Hebel der Uberzeugung, daß die kirchliche Christologie die Lösung des Problems ist, daß der Mensch eines sinnlich faßbaren Gottes bedarf. „Und wenn auch der kirchliche Begriff zu weit geht, ist er nicht der unschädlichste und noch immer der würdigste, die Lücke, die Gott dem schwachen Menschenherzen und der lebhaften Sinnlichkeit selber öffnete, weil sie doch irgend wo einen freien Spielraum haben mußte? War es nicht Weisheit, daß er ihr diese Lücke öffnete, damit sie nicht an einem gefährlichem Ort die Schranken der Wahrheit durchbräche?" 1514 . Man macht es sich zu leicht, wenn man die diesem Hebeischen Selbstgespräch eignende Dynamik und Bewegung übersieht, den Polytheismus als das eigentliche Anliegen Hebels begreift, um dann die christologische Lösung der Frage, die Hebel sich gestellt hat, wiederum als eine Akkommodation an den kirchlichen Lehrbegriff darzustellen, wie es Bürgisser tut, wenn er sagt: „Der Aufsatz war für eine theologische Gesellschaft bestimmt, und daraus erklärt sich auch der völlig unorganische Schluß, mit dem er sich in die Grenzen des kirchlich Erlaubten zurückzuziehen sucht" 1 5 1 5 . Zudem hätte Hebel eine solche Akkommodation nicht nötig gehabt, da die theologische Gesellschaft, für die er schreibt, kein kirchliches Organ gewesen ist. Allein nicht einmal dies kann als historisch gesichert gelten, daß Hebel diesen Aufsatz für diese Gesellschaft verfaßt hat, und auch eine Datierung dieses Aufsatzes läßt sich kaum vornehmen. Es hat sich gezeigt, daß der ,Polytheismus-Brief' nur ein einzelner Beitrag eines Gespräches ist, das Hebel mit sich führt, er deswegen nicht isoliert von dem übrigen Werk Hebels betrachtet werden darf, wie es bisher jedoch des öfteren geschehen ist. Diese Arbeit hat gezeigt, daß Hebel zu einer Aufarbeitung der Frage durchgedrungen ist, wie Gott als derjenige gefaßt werden kann, der nicht eine abstrakte Definition bleibt, sondern 1512 1515

340

1 5 1 3 Ebd., 250. Ebd., 249f. Bürgisser, a.a.O. (Anm. 97), p25f.

1514

Ebd.

überall per analogiam fidei sinnenfällig wird, ohne daß Hebel in einen Pantheismus oder in einen Panentheismus abgeglitten wäre. Von den Ergebnissen dieser Arbeit aus müßte auch der Belchismus und das Proteusertum erneut untersucht werden, welchen man bisher weitaus mehr Interesse gewidmet hat als den offiziellen theologischen Äußerungen Hebels, ohne jedoch das erstere mit dem letzteren in Beziehung zu setzen, ohne also vorher die theologischen Werke Hebels als Werke eigenen Rechts begriffen und interpretiert zu haben. Auch die Alemannischen Gedichte wären noch einer eingehenderen theologischen Betrachtung würdig, die in dieser Arbeit nur begonnen werden konnte. Dennoch würde sich die hier besonders an den Kalenderbeiträgen, Predigten, Gutachten, Biblischen Geschichten und Briefen erhobene theologische Lese- und Interpretationsanweisung wohl auch weiterhin als operabel erweisen: Daß nämlich Hebels Werk in seinen verschiedenen Ausprägungen geprägt ist von einer durch die biblische Sprache vermittelten Neuentdeckung einer eschatologisch sich ausrichtenden und sich auf das Theologumenon der Providentia Dei gründenden Hermeneutik des Buches der Natur, die in ihrer pädagogischen Umsetzung die Empirie stark machend den Menschen auf die letzte Unterrichtsstunde verweist: auf den Jüngsten Tag.

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Thesen 1) Die Bibel-Sprache bildet das sprachstiftende Fundament in allen Werken Hebels. Sie hält auch Einzug in das säkulare Medium ,Kalender' und findet so in der Publizistik eine neue Nische. 2) Hebel vermag es, in seinen naturbetrachtenden Kalenderbeiträgen Empirie und Bibel-Sprache miteinander zu versöhnen, indem er die ihm vorliegenden naturbetrachtenden Quellen einer Retheologisierung und Biblisierung unterzieht, was literarkritisch im Vergleich von Prä- und Folgetexten erhoben werden kann. 3) Die Aufklärung kommt bei Hebel gerade darin zu ihrem eigentlichen Recht, daß sie als eine über sich selbst auf die eschatologische und letztgültige Aufklärung am Jüngsten Tag hinaus- und hinweisende gefaßt wird.,Aufklärung' ist bei Hebel ein eschatologischer Begriff. 4) Die Natur ist bei Hebel Gegenstand eines biblisch-hermeneutisch reflektierten Lektüreaktes. Die Natur wird als Buch lesbar, indem durch die Predigt das Wort der Schrift auf die Natur zubewegt wird. Hebel ist daher nicht der rationalistischen Physikotheologie zuzuordnen, vielmehr hat er das alte Theologumenon der beiden Bücher neu entdeckt und zur Anwendung gebracht. 5) Hebels biblische Lektüre des Buches der Natur verbindet sich mit einem stark eschatologischen Interesse. Die Natur und besonders die Himmelskörper werden als gleichnishafte Predigt und Prolepse der nova creatio gefaßt. 6) Hebel wehrt die gesetzliche, sich auf die Beobachtung von Himmelszeichen gründende und Aberglauben stiftende Drohpredigt der Astrologen ab, indem er Erdbeben und Kometen als Vorzeichen bzw. zeichenhafte Vorwegnahmen der Aufrichtung des neuen Äons evangelisch lesen lehrt. 7) An vielen Stellen besonders der Kalenderbeiträge ist zu sehen, daß Hebel in narrativ-homiletischer Form die Inhalte der orthodoxen Dogmatik, besonders der Lehre von der Providentia Dei, neu zur Sprache bringt. 8) Anders als die Bemühungen um die bürgerliche Gleichstellung der Juden, der Judenemanzipation', die abhängig gemacht wurde von 342

einer sittlichen Verbesserung der Juden, die sie erst noch von den Christen zu erlernen hätten, zeigt Hebel, wie Juden Christen lehren, wie das Neue Testament auszulegen sei. 9) Hebel rezipiert die Luther-Bibelsprache, um einerseits die Menschen auf einen ihnen frömmigkeitsgeschichtlich eigen gewordenen Sprachschatz anzusprechen und um andererseits die Sprache der Menschen auf biblische Weise zu veredeln. 10) In ähnlicher Weise ist Hebels Schaffen von hymnologischer Relevanz. Hebel greift auf die Sprache derjenigen Choräle zurück, die mit der aufklärerisch ausgerichteten Revision des Gesangbuches 1786 aus demselben verschwunden sind. 11) Der Rückgriff auf die durch die Luther-Bibel bekannte Sprache ist durch seelsorgliche Reflexion motiviert: Der Glaubende hat ein Anrecht auf einen gewissen, d.h. Gewißheit stiftenden biblischen Sprachfundus, auf den hin er angesprochen werden kann und aus dem heraus ihm Trost zugesprochen werden kann. 12) Hebel wird zum biblischen Sprachlehrer, indem er durch seine Kalendergeschichten, die von ihrer rhetorischen Struktur her als Vorlesegeschichten konzipiert sind, bei den Rezipienten einen Prozeß der Aneignung und Einübung biblischer Sprache initiiert. 13) Die Einsicht in die sprachstiftende Dynamik der Luther-Bibel-Sprache hat ebenso Konsequenzen für die liturgische Arbeit Hebels. 14) Für die Geschichte der Pädagogik ist Hebels Schaffen insofern von Interesse, als Hebel eine applizierte Theologie der Pädagogik entwirft, indem er z.B. der Sache nach das Wirken des Lehrers in Analogie zur Kondeszendenz Christi faßt: Der Pädagoge muß sich seiner selbst entäußern, um Lehrer zu werden. 15) Die Eschatologie, die Bezeichnung des Menschen als viator, der der Offenbarwerdung der endzeitlichen Heimat als Pilger entgegengeht, das Heimweh nach dem lieben Jüngsten Tag, die Verkündigung der in der Auferstehung Christi vorweggenommenen Auferstehung der Toten, die Ankündigung des Jüngsten Gerichts bilden das Rückgrat der Theologie Hebels, die sich in Predigten, Briefen und Kalenderbeiträgen artikuliert. 16) Hebel etabliert die Eschatologie als Fundament aller theologischen ,loci' in einer Zeit, in der die Dogmatik in stark rationalisierender Tendenz die Theologie enteschatologisiert hat. 17) Zwar ist die Christologie bei Hebel materialiter nicht derart stark sichtbar wie die Eschatologie, aber dennoch ist die Christologie, be343

sonders die Verkündigung der Wiederkehr des Auferstandenen zur Auferweckung aller Toten und zum Gericht der notwendige Rahmen der Hebeischen Eschatologie. 18) Hebels Kunst ist es, die Christologie chiffrieren zu können, wie z.B. in der eindeutig christologisch motivierten Braut- und Bräutigams-Metaphorik im „Unverhoften Wiedersehen". 19) Durch die Sehnsucht nach dem Jüngsten Tag und der neuen Schöpfung bewegt gewinnt Hebel einen neuen Zugang zur Betrachtung der Welt per analogiam fidei. 20) Hebel wird zum Heimatdichter im doppelt reflektierten, d.h. biblischeschatologischen Sinne und transponiert die ewige Heimat des neuen Jerusalem in den Kontext seiner irdischen Heimat des Markgräflerlandes. 21) Von der glaubend antizipierten Heimat aus lernt Hebel die irdische Heimat lieben und mit neuen Augen sehen. Die Sehnsucht nach der ewigen Heimat gerät bei Hebel nicht zur Weltflucht, vielmehr wird die irdische Heimat selbst zur endzeitlichen Zuflucht. 22) Hebel ist für die Geschichte der Seelsorge deswegen von Interesse, weil er besonders in seinen Briefen biblisch sprechend zum Seelsorger wird, der seinen Adressaten die ewige Heimat versucht, sprachlich schon jetzt proleptisch zu bereiten. 23) Das „Unverhofte Wiedersehen" ist diejenige Kalendergeschichte Hebels, in der er seine Eschatologie am breitesten expliziert und in eine höchst kunstvolle, spiegelbildliche Komposition kleidet. 24) Anhand von „Franziska" läßt sich im Vergleich mit der dieser Geschichte zugrunde liegenden Quelle literarkritisch nachweisen, daß Hebel seine Vorlage durch Rezeption von Bibel- und GesangbuchSprache bearbeitet hat. 25) Hebel selbst begreift sein theologisches Schaffen als eschatologischen Akt, durch die Ausrichtung des biblischen Wortes Gottes die Wiederherstellung der Ebenbildlichkeit Gottes vorzubereiten. Hebel „zieht nämlich das Ebenbild Gottes an, und fällt deßwegen auch in seine Sprache". 26) Hebel begreift den Hang des Menschen zur Abgötterei und zum Polytheismus als ein Grundbedürfnis des nach einem sinnenfällig werdenden Gott suchenden Menschen, das sich durch keine Aufklärung entkräften läßt. Hebel selbst hat schließlich seinen Hang zum Polytheismus christologisch aufgearbeitet, indem er den sinnenfällig werdenden 344

Gott in dem menschgewordenen und dem in seiner Vorsehung die Schöpfung erhaltenden Gott gefunden hat. 27) Bibel-Sprache, Welt und Jüngster Tag sind die zentralen Momente der sich aus der Eschato-Theologie Hebels ergebenden Pädagogik, die zwischen Uberlieferung und Aufklärung stehend zum Glauben erziehen und locken will, ohne die alten Lehrinhalte unreflektiert und gewaltsam repristinieren zu wollen, ohne aber auch über der Aufklärung die Inhalte vergessen zu können.

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Unverhoftes Wiedersehen. (Siehe die nebenstehende A b b i l d u n g . ) 1) In Falun in Schweden küßte vor guten fünfzig Jahren und mehr ein junger Bergmann seine junge hübsche Braut und sagte zu ihr: 2) „Auf Sanct Lucia wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet. 3) Dann sind wir Mann und Weib, und bauen uns ein eigenes Nestlein." 4) - und Friede und Liebe soll darinn wohnen," sagte die schöne Braut mit holdem Lächeln, 5) dann du bist mein Einziges und Alles, 6) und ohne dich möchte ich lieber im Grab seyn, als an einem andern Ort. 7) Als sie aber vor St. Lucia der Pfarrer zum zweytenmal in der Kirche ausgerufen hatte: 8) So nun jemand Hinderniß wüßte anzuzeigen, warum diese Personen nicht möchten ehelich zusammenkommen." 9) Da meldete sich der Tod. 10) Denn als der Jüngling den andern Morgen in seiner schwarzen Bergmannskleidung an ihrem Haus vorbeygieng, 11) der Bergmann hat sein Todtenkleid immer an, 12) da klopfte er zwar noch einmal an ihrem Fenster, und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend mehr. 13) Er kam nimmer aus dem Bergwerk zurück, 14) und sie säumte vergeblich selbigen Morgen ein schwarzes Halstuch mit rothem Rand für ihn zum Hochzeittag, 15) sondern als er nimmer kam, legte sie es weg, und weinte um ihn und vergaß ihn nie. 16) Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in Portugall durch ein Erdbeben zerstört, 17) und der siebenjährige Krieg gieng vorüber, 18) und Kayser Franz der erste starb, 19) und der JesuitenOrden wurde aufgehoben 20) und Polen getheilt, 21) und die Kaiserin Maria Theresia starb, 22) und der Struensee wurde hingerichtet, 23) Amerika wurde frey, 24) und die vereinigte französische und spanische Macht konnte Gibraltar nicht erobern. 25) Die Türken schloßen den General Stein in der Veteraner Hole in Ungarn ein, 26) und der Kayser Joseph starb auch. 27) Der König Gustav von Schweden eroberte russisch Finnland, 28) und die französische Revolution und der lange Krieg fieng an, 29) und der Kaiser Leopold der zweyte gieng auch ins Grab. 30) Napoleon eroberte Preußen,

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und die Engländer bombardirten Koppenhagen, und die Ackerleute säeten und schnitten. Der Müller mahlte, und die Schmiede hämmerten, und die Bergleute gruben nach den Metalladern in ihrer unterirrdischen Werkstatt. Als aber die Bergleute in Falun im Jahr 1809 etwas vor oder nach Johannis zwischen zwey Schachten eine Öffnung durchgraben wollten, gute dreyhundert Ehlen tief unter dem Boden gruben sie aus dem Schutt und Vitriolwasser den Leichnam eines Jünglings heraus, der ganz mit Eisenvitriol durchdrungen, sonst aber unverwest und unverändert war; also daß man seine Gesichtszüge und sein Alter noch völlig erkennen konnte, als wenn er erst vor einer Stunde gestorben, oder ein wenig eingeschlafen wäre, an der Arbeit. Als man ihn aber zu Tag ausgefördert hatte, Vater und Mutter, Gefreundte und Bekannte waren schon lange todt, kein Mensch wollte den schlafenden Jüngling kennen oder etwas von seinem Unglück wissen, bis die ehemalige Verlobte des Bergmanns kam, der eines Tages auf die Schicht gegangen war und nimmer zurückkehrte. Grau und zusammengeschrumpft kam sie an einer Krücke an den Platz und erkannte ihren Bräutigam; und mehr mit freudigem Entzücken als mit Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche nieder, und erst als sie sich von einer langen heftigen Bewegung des Gemüths erholt hatte, „es ist mein Verlobter," sagte sie endlich, um den ich fünfzig Jahre lang getrauert hatte, und den mich Gott noch einmal sehen läßt vor meinem Ende. Acht Tage vor der Hochzeit ist er auf die Grube gegangen und nimmer gekommen. Da wurden die Gemüther aller Umstehenden von Wehmuth und Thränen ergriffen, als sie sahen die ehemalige Braut jezt in der Gestalt des hingewelkten kraftlosen Alters und den Bräutigam noch in seiner jugendlichen Schöne, und wie in ihrer Brust nach 50 Jahren die Flamme der jugendlichen Liebe noch einmal erwachte; aber er öffnete den Mund nimmer zum Lächeln oder die Augen zum Wiedererkennen; und wie sie ihn endlich von den Bergleuten in ihr Stüblein tragen ließ, als die einzige, die ihm angehöre, und ein Recht an ihn habe, bis sein Grab gerüstet sey auf dem Kirchhof. Den andern Tag, als das Grab gerüstet war auf dem Kirchhof und ihn die Bergleute holten, legte sie ihm das schwarzseidene Halstuch mit rothen Streifen um, und begleitete ihn in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr Hochzeittag und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre. Denn als man ihn auf dem Kirchhof ins Grab legte, sagte sie:

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„Schlafe nun wohl, noch einen Tag oder zehen im kühlen Hochzeitbett, und laß dir die Zeit nicht lange werden. Ich habe nur noch wenig zu thun, und komme bald, und bald wirds wieder Tag. - Was die Erde einmal wieder gegeben hat, wird sie zum zweytenmal auch nicht behalten," 63) sagte sie, als sie fortgieng, und noch einmal umschaute. (Hebel II, 281-284)

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Abkürzungsverzeichnis Abkürzungen werden lt. T R E , IATG (Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Schwertner, Siegfried, Berlin/ New York 1974) gebraucht. Darüber hinaus wurden folgende Abkürzungen benutzt: HAB

Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel

H D PTS

Praktisch-Theologisches Seminar der Universität Heidelberg

HD UB

Universitätsbibliothek Heidelberg

H D WTS

Wissenschaftlich-Theologisches Seminar der Universität Heidelberg

H D HfK

Hochschule für Kirchenmusik Heidelberg

BiblGesch

Hebels ,Biblische Geschichten'

UW

Hebels ,Unverhoftes Wiedersehen'

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Quellen- und Literaturverzeichnis I.

Hebel-Quellen

Hebel, Johann Peter, Biblische Geschichten. Für die Jugend bearbeitet, 2 Bdchen, Stuttgart/Tübingen 1824. Ders., Biblische Geschichten. Für die Jugend bearbeitet. Neue unveränderte Auflage, 2 Bdchen, Stuttgart/Tübingen 1830. Ders., Briefe. Gesamtausgabe, hg. und erläutert von Zentner, Wilhelm, Karlsruhe 1939. Ders., Briefe. Gesamtausgabe, hg. und erläutert von Zentner, Wilhelm, 2 Bde., Karlsruhe 1957. Ders., Christlicher Katechismus. Aus dessen hinterlassenen Papieren herausgegeben, Karlsruhe 1828. Ders., Das Stilbuch, hg. von Staffhorst, Gertrud, in: 400 Jahre Gymnasium illustre. FS des Bismarck-Gymnasiums Karlsruhe 1986, p288-321. Ders., Der Statthalter von Schopfheim. Der Spaziergang an den See. Vorstudie zur Historisch-Kritischen Gesamtausgabe, hg. von Braunbehrens, Adrian, und Pfaff, Peter, Karlsruhe 1988. Ders., Erzählungen und Aufsätze des Rheinländischen Hausfreundes, hg. von Zentner, Wilhelm, München/Wien 1985. Ders., Exzerpt- und Entwurfhefte, Badische Landesbibliothek Karlsruhe (Mss.), Η 84-86, 93, 122-124 (in Form von Transkriptionen als Vorausmitteilung der Hebel-Edition). Ders., Meine Bemerkungen über das mit Abänderungen in unsern Schulen einzuführende biblische Geschichtbuch von Schmidt, hg. von Katz, Peter, Ein Gutachten Hebels, in: ThZ 15 (1959), p267-287, hier: p270-276. Ders., Meine weitern Gedanken über eine vortheilhaftere Einrichtung des Calenders, hg. von Funck, Heinrich, Uber den Rheinländischen Hausfreund und Johann Peter Hebel, in: FS zur 300jährigen Jubelfeier des Grossh. Gymnasiums in Karlsruhe. 22. November 1886, Karlsruhe 1886, p39-88, hier: p58-65. Ders., Sämtliche Schriften. Kritisch hg. von Braunbehrens, Adrian, Benrath, Gustav Adolf, und Pfaff, Peter, Bde. II/III, Karlsruhe 1990, Bd. V, Karlsruhe 1991. Ders., sämmtliche Werke, 8 Bde., Karlsruhe 1832. Ders., sämmtliche Werke. Neue Ausgabe, 8 Bde., Carlsruhe 1838. Ders., Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Zweite Auflage, Stuttgart/ Tübingen 1818. Ders., Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes. Ein Werk in seiner Zeit, hg. von Schlaffer, Hannelore, Tübingen 1980. Ders., Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes, kritische Gesamtausgabe mit den Kalender-Holzschnitten, hg. von Theiss, Winfried, Stuttgart 1981. (Ders.), Sendschreiben an den Sekretär der theologischen Gesellschaft zu Lörrach, (die wenig bekannt ist) über das Studium des jüdischen Charaktergepräges und

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dessen Benützung auf Bibelstudium, in: Jason. Eine Zeitschrift. Herausgegeben von dem Verfasser des goldnen Kalbes. Jahrgang 1809. Dritter Band. September bis December. Gotha 1809 (vorhanden: HAB Za 214), p336-351. Ders., Unabgefordertes Gutachten über eine vortheilhaftere Einrichtung des Calenders, hg. von Funck, Heinrich, Uber den Rheinländischen Hausfreund und Johann Peter Hebel, in: FS zur 300jährigen Jubelfeier des Grossh. Gymnasiums in Karlsruhe. 22. November 1886, Karlsruhe 1886, p39-88, hier: p45-51. Ders., Vortrag, die vorgeschlagene Samlung eines neuen Gesangbuchs betr., Landeskirchliches Archiv Karlsruhe, Ga. 83, fol. 65-73. 79-92. Ders., Werke, 2 Bde., hg. von Altwegg, Wilhelm, Freiburg i.B. o.J. Ders., Werke, 2 Bde., hg., von Meckel, Eberhard, Frankfurt a.M. 1968. Verzeichniß über diejenigen Bücher, welche aus der Verlassenschaft des verstorbenen Herrn Prälaten J.P. Hebel, Dienstag, den 2. Januar 1827 und die folgenden Tage, in dessen Wohnung, Erbprinzenstraße Nro. 31 der Reihenfolge nach öffentlich gegen baare Bezahlung versteigert werden. Karlsruhe 1826.

II. Sonstige

Quellen

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Außerlesene Geistliche Lieder/Auß unterschiedenen Gesangbüchern zusammen getragen. Und Auff gnädigste Anordnung Der Durchläuchtigsten Fürstinn und Frauen Fr. Maria Elisabeth/Gebohrnen auß Churfürstlichen Stamm zu Sachsen/ verwittweten Hertzogin zu Schleßwig Holstein /Stormarn und der Dithmarschen ... Zu beförderung des so wol öffentlichen Gottesdienstes in dero HoffCapelle/als auch geheimen Andacht außgefertiget. Schleßwig ... 1676 (Nachdruck Husum 1986, Nachwort von Kadelbach, Ada). Baier, Johann Wilhelm, Compendium Theologiae positivae, ed. Preuss, Berlin 1864. Baumgarten, Siegmund Jacob, Evangelische Glaubenslehre, Bde. 1-3. Mit einigen Anmerkungen, Vorrede und historischen Einleitung herausgegeben von D. Johann Salomo Semler, Halle 1759f (vorhanden: H A B Те 78). Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Hg. im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930, Göttingen 2 1952. Die Bibel oder ganze heilige Schrift, alten und neuen Testaments, nach der Uebersezung D. Martin Luthers. Durlach 1786 (vorh.: PTS H D BI b 35). Blumenbach, Johann Friedrich, Abbildungen naturhistorischer Gegenstände, Nro. 1-100, Göttingen 1810 (vorhanden: H D U B 0 471 4 ). Ders., Handbuch der Naturgeschichte. Achte Auflage. Göttingen 1807 (vorh.: H D U B 0 471). Bode, Johann Eiert, Allgemeine Betrachtungen ueber das Weltgebäude, Berlin 1801 (vorhanden: H A B Ne 76). Ders., Anleitung zur allgemeinen Kenntniß der Erdkugel. Mit einer Charte und Kupfern, Berlin 1786 (vorh.: H A B Ne 171). Ders., Anleitung zur physischen, mathematischen und astronomischen Kenntniß der Erdkugel. Dritte, durchgehende verbesserte Auflage. Mit einer Weltcharte und sechs Kupfertafeln. Berlin 1820 (vorh.: H D U B 0 5351). Bonaventura, Collationes in Hexaemeron. Das Sechstagewerk, lateinisch und deutsch, übers, und eingeh von Nyssen, Wilhelm, München 1964. Ders., Opera omnia, edita studio et cura P.P. Collegii a S. Bonaventura, Vol. 1-Х, Ad Claras Aquas (Quaracchi) 1883-1902. Bretschneider, Karl Gottlieb, Die religiöse Glaubenslehre nach der Vernunft und der Offenbarung für denkende Leser. Vierte, verbesserte, vermehrte und mit einem Register versehene Auflage, Halle 1846 (vorh.: H A B Те 180). Ders., Handbuch der Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche oder Versuch einer beurtheilenden Darstellung der Grundsätze, welche diese Kirche in ihren symbolischen Schriften über die christliche Glaubenslehre ausgesprochen hat. Erster und Zweyter Band, Leipzig 2 1822 (vorh.: H A B Те 183). Ders., Handbuch der Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche ... Erster und Zweiter Band, Leipzig 4 1838. Brockes, Barthold Heinrich, Irdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physikalisch= und Moralischen Gedichten. Erster Theil, Hamburg 1732, bis Neunter und letzter Theil, Hamburg und Leipzig 1748 (vorh.: H A B Lo 677). Browne, Sir Thomas, Works, ed. by Sayle, Charles, Vol. I-III, Edinburgh 1912. Bünting, Heinrich, Itinerarium Sacrae Scripturae Oder Reise=Buch über die gantze Heil. Schrifft, Magdeburg 1718 (vorh.: H A B Tb 4° 12). Carlsruher Zeitung Nr. 148 vom 15.9.1806, Nr. 152 vom 22.9.1806, Nr. 154 vom 26.9.1806, Nr. 67 vom 27.4.1807, Nr. 71 vom 4.5.1807, Nr. 72 vom 6.5.1807, Nr. 74 vom 9.5.1807, Nr. 76 vom 13.5.1807. 353

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368

Bibelstellenregister (Ziffern verweisen auf die Seiten, hochgestellte Ziffern auf die Anmerkungen.) Altes Genesis 1 1,1-2,4a 1,2 1.4 1.5 I,27f 1,28 2.4 b ff 3,14 3,16f 3,24 5,2 6.5 8,21 8,22 II,7

12,1

12,3 13,16 15,5 17,1 18,14 19,24 19,26 28,12ff 32,22-32 35,16-18 35,18 45 45,3 Exodus 1.14 3,8 8.15 8,19 14,20

170 819 170 288 74 288 261.321 324. 326 1 4 3 5 171 820 166 167 337 261 1744 1744

72.185. 284. 290 120 226

Testament 14,21 34.6 34.7 34,33

212993 1744

141 132

Leviticus 11,20-23 26,36

81 392 169-171

Numeri 21.8

167.168 8 0 9

Deuteronomium 4 128 6 3 8 1744 5,16 141 32,7

1744

75 75 90

Josua 10,12-14 13,13 15,63

2 1 2993

16,10

2 1 2993

17,12

253 277 277 277 277

122 122 326 326 231 1 1 0 3 323

Richter 1,21 2,27ff 9,53

277 277 212 993

Ruth 4,17-22

17

1 Samuel 17,49f 31,12f

212 993 221

1744

227 230 107 107 519 253

369

1 Könige 2,10 2,43 8,27 11,43 14,31 15,8.24 16,6.28 17,Iff 17,10-24 19 19,12 22,40.51 2 Könige 8,24 10,35 13,9 14,16.29 15,7.22.38 16,20 20,Iff 20,21 21,18 24,6 Nehemia 9 9,6 9,7f 9,9-11 9,12-21 9,22-25 Hiob 5,19 20,16 34,13 38,28f 38,37.41 Psalmen 6,3 8,2f 8,3 8,4 8,5 8,6 370

276. 2 7 7 Ш 9 2771239 67 277 277. 277 1239 2771239 2771239 324 210 89 89 2771239

2771239 2771239 277 I239 2771239 2771239

2771239 67 316 2771239 2771239 2771239

279f 279 279 279 279 279

17

44

168 166 166 166 169 1744 68. 109 1744. 107519 66 321

19,3 22,1 Of 30,6.12 33,6 34,12.14f 36,10 37,5 37,25 39,13 40,9 45,1.3 49,2 51,12 51,20 63,7-9 65,9 73,25f 78,3-5 82,3-5 89,14f 90,1-3.16 91,lf 91,11 102,25f 103,7 103,17 104,24 104,27 118,22 119,105 123,15 126,2 128,2 133,1 133,2 133,3 138,7 139,Iff 139,1.3 142,4 145,15 145,15f 145,16 146 146,8 147 147,2 147,4 147,6

105 1744 1744 85 1744 79 315 327 226f 1076 1? 44 262 211 993 1744 201954 1744 325 17 44 141 262 199 1744 1744 1744. 323. 3361491 66f 128 638 1744 17 44 92448 108531 1744. 90 1744 296 96 461 . 325 1744 II 1 . 326 153 17 44 68 319 . 202 66. 68 321 324 69. 69 334 92^48 322 321 128638 201954 75 321

148,7f 148,8 Proverbien 4,1 4,20 5,1 7,24 8,5 14,34 19,26 23,26 28,1 30,26

92448 323 211

993

211 993 211 993 211 993 211 993 17 44 211 993 17 44 17 44 211993 17Q818 81 392

Kohelet 12,4f

326 1435

Hobeslied 2,9 2,10 2,13 5,2 5,2ff 5,3-8 8,6 8,6f

265. 266 1212 266 266 266. 267 1212 265 266 266 297

Jesaja 1,18 2 2,10 2,1 If 2,12 2,14 2,18 2,21 11,8 11,9 13 13,4 13,9 13,20 22,9 26,16 27,1 28,16 34,4 34,11-13

182 88. 256. 269f 269 256 269 256 269 269 167 1744 238f 1135

239

269 241 1148 201 954 1744 167 1?44 180. 231 24J1148

38,Iff 38,2 38,10.12 40,Iff 40,3-5 40,3 40,4 40,9 40,12 41,1 41,4 42,16 43,26 44,8 44,23 46,4 49,15 54,10 55,8f 60 60,19f 60,19-21 61,2 62,6.8f.ll 62,10 65f 65,25 Jeremia 8 10,23 23,23f 33,8 33,15

95 3171377 317 84. 88. 256.290f 274 258 256.291 1744 166. 321 182 166 256 182 269f J744 327 66. 68 257 1744 82. 288 72. 253 288 238 2411148 257 72 167

221 1744 66. 68. 68 319 1?44 1744

Ezechiel 18,21-23 18,23 33,16 34,16 37 37,7 37,7f 37,10

292f 322 292 292

Daniel 1,12.14 5,25

300 229

1744 224 224 1744

371

Hosea 10,8 Joel

1,2

3,4 4,13f 4,16 4,18

211 9 9 3 269 248 269 269 269 255 269 230

Micha 4

88

Habakuk 2,14

17 44 . 96 4 6 1

2,1

2,If 2,10

2,11

Haggai 2,71

268f. 268 1 2 1 6

17

44

17

44

Sacharja 2,14 14 14,1 14.5 14.6 14.7 14.8 14.9 14.10

270.273. 288.291 257 269f 288 253. 288. 296 72. 274. 290 288 257

Maleachi 3,20 3,23 3,23ff

230 258. 269 90

Apokryphen/zwischentestamentliche Tobith 4,16

1 744

Jesus Sirach 9,24

325

4Esra 7,32 7,40.42

Neues Matthäus 1,5 6 6,25ff 6,26 6,28 7,3 8,24 9,17 9,37f 10,16 10,22 13,33 13,39 17,4 18,3f 18,20 372

16 82 83 83 83 323 273 1 2 2 7 308 256 167 258 105 513 256 338 118. 289 17

44

Literatur

301 301

Testament 19,21 20,1-16 21,16 21,42 24 24,3 24,6 24,7 24,13 24,22 24,27 24,29 parr. 24,37-39 24,37ff 24,40f 25,21 25,33

323 213 9 9 3 . 256f 17

44

108 531 !

93

928

194 276 273 258 300 248 180 238 284 284 327 324

25,34f

324. 327

1,35.43

25,40

2,1-11

264 2631206

27,54

224 2731227

3,10

108532

28,2

2731227

3,14f

167

3,30

290f

4

2181032

4,1-12

2631206

28,19

144701

Markus 1

258

4,35

256

1,3 1,31

258. 291

4,38

256

230

5,28

202

2,9

230

5,39

116

4,Iff

91. 9 2 4 4 8 92448

6,22

264

8,11

3261435

4,14

91

10

122

4,29

255

11

294

5,41

230

11,11

293

13

193928

11,13

293

13,25

231

11,24

293

13,31

121

11,29

230

13,32

233. 2 3 5 1 1 1 8

11,33

295

14,28

230

11,43

223

16,1-9

221

12,1-19,42

263

16,6

12,12

264

16,16

230 144701

14,2

94.216

16,18

168809

14,23

216

15,5

219

16,16-23

135

4,5ff

Lukas 1,36

290

16,23

135. 1 9 7

1,46-55

257

19,6

151731

2

115

2,7

Apostelgeschichte

2,41-52

216 115565

2,49

2261076

2,11

2,52

109

5,30f

199

7,11-14

205

8,27ff

93

10,19

168809 1744

17,8

325 1744

17,4 21

193928

2,8

17,11 2 28

17,24

245 112551

1744

21,27

190

17,27f

89

23,30

268 3291445

28,3ff

168809

329

Römer

23,46 24,29

1-3

1,1

Johannes 1 l.lff 1,3 1,19-2,1 1,29

57269 57. 1 0 5 5 1 3 2 1 3 993

119 109

1,13 1,17f

292

l,19f

57266. 119

119

263

2,14

58

264

5,14

230

Epbeser

8,19ff

188

8,25

198

3,15

27127.145f

8,26

181

3,20

1 7 4 4 . 2 1 0. 2 1 0 9 8 6

109

8,33

82

10,17

58.106

11,33

199

Philipper 1,1

12,1

57. 66

2,6f

109

12,6

66

2,7

97. 184f

13,1

241 2 4 1 И48_

15,4

2,9-11 246И72

1 Korinther 1,18

211993

l,20ff

109535

2,6-10

143

2,10 3,11

151 1744.116

9,20ff

109

9,22

110

13,8

244 160. 195

15

214. 222. 292f

15,12ff

214 186. 2 2 3 215 133

15,43f

222

15,50

292

15,51f

292

15,52

292

15,53

231. 292

15,54

292

106

2.8

57266

2,20

71345

4,1.10

208978

4,13-16

292

2 Thessalonicber 1,6-10

205

1 Timotheus 1,15

664

15,42

4.7

7 Thessalonicber

13,13

15,20

2271076

Kolosser

542

15,26

1744

3,10

206

1,17

292

2,4

145

6,11

258

2 Timotheus 1445

3.15

1744. 116

3.16

246. 2461172 151

15,55

144. 3 2 9

15,55.57

1744

3,16f

3,13ff

132

2,2

5,Iff

215

5,2

231 215.231

2,13

241

215

3,8

252

5,10

224

5.4

5,19-21

216

5.5

327 1744

Titus

2 Korinther

5,4 5,6f

1 Petrus

5,21

110

12,9

1744

13,11 13,12

261

2 Petrus 1,21

262

3,10.12

Galater 4,26

374

258

151 71345

1 Johannes 226

l,lff

105513

3,20 4,7 4,16 5,17 Hebräer 1 1,1 1,2 1,3 4,9 11 11,9f 11,10 12,If 12,22 13,14 Jakobus 3,7f 4,6 Apokalypse 1,10 2,10 3,11 3,12 3,20 6,12

1744

6,12-17 6,12.17 6,13 6,14 6,15 6,16 7,17 8,5 11,13 11,19 12,9 14,13 14,14ff 16,18 20,2.10 20,13 21,Iff 21,2 21.2.10 21,4

288 233. 233 1116 . 300. 327 301 249 266. 266 1212 269. 273 1227

21,22 21,23 21,23-25 22 22,5 22,7 22,20

198945

146

2/127

186 57 269 105507

2 1 3993

67f 94.226 128635

216 226 199

949

72. 226 198. 216. 225f. 226 1076 167

268 193 269 231 269 268. 268 Ш 6 .274 295 248. 273 1227 273 1227 248 167 229ΙΟΌ 256 248 167 301 189 249. 300 72. 226 73.182.217. 230. 239. 295 278 253. 288 253f 66 288 301 301

375

Namenregister Namen von Herausgebern und biblische Namen wurden nicht aufgenommen. Hochgestellte Zahlen verweisen auf die betreffenden Fußnoten. Auf Fußnoten wird nur verwiesen, wenn der betreffende Name nicht auch im Haupttext genannt wird. Äskulap 168 809 Alanus de Insulis 121 Albertus Magnus 121 586 Alexander von Rußland 232f Aisted, J. Η. 119 577 , 126-128, 130 Altwegg, W. 22, 24f, 313, 314 1 3 5 4 Ammon, Chr. F. v. 194,214 Anselm von Canterbury 130 Apollinaris von Laodikea 106 514 Aristoteles 40 179 , 69 Arndt, Ε. M. 240,242 1 1 4 8 Arndt, J. 47 2 2 3 , 76-79, 159 Asendorf, U. 125 618 Augustin, A. 56, 57 266 , 65, 97, 107 519 , 119f, 123-126, 132,290 Auerbach, E. 14

Bohren, Chr. 241 1 1 4 6 Bohren, R. 241 1 1 4 6 Bonaventura 121-124 Bothe, В. 142 697 Bräutigam, K. 259, 263 1 2 0 5 Brauer, N. F. 150F 3 1 ,201 9 5 4 , 308 Braunbehrens, A. 5 Bretschneider, K. G. 187-192,194,214 Brockes, В. H. 128-132 Broich, U. 2 5 9 1 1 " Browne, Sir Thomas 62 Bultmann, R. 211 993 Bünting, Η. 228 1 0 8 9 Bürgisser, H. 24, 30, 197 937 , 203 % 2 , 208 978 , 331-334, 340 Buri, F. 26, 210, 211 993 , 333

Baier, J. W. 67 316 , 68, 69 332 - 336f , 70 342 Barth, K. 93, 100 485 , 193, 333f Battenberg, F. 83 402 B a u r J . 18 0 8 5 1 Baumgarten, S. J. 98 473 , 99 4 7 3 ,149 7 2 0 , 178, 185f Bayer, O. 12, 96 461 , 97 466 , 101 487 , 107 521 Becker, W. G. 172 828 Bengel, J. Α. 234 1 1 1 8 Benjamin, W. 11-14, 274-278 Benn, G. 12 Benrath, G. A. 26,147f, 150,152 738 , 153 738 , 197 937 , 201 954 , 234 1 1 1 8 Biehler, O. 18 Blättner, F. 155 742 Bloch, E. 12f, 84 402 , 259 1200 , 273 Blücher, L. v. 238 Blumenbach, F. 163-165 Blumenberg, H. 37 1 6 7 , 120 577 , 121 586 B o d e J . E. 40f, 52f, 74 355 Boesch, B. 14

Cherbury, H. of 56 Christian VII von Dänemark 280 Cicero, M . T . 38f Comenius, J. A. 45, 75f, 79 Confucius 232 Cornehl, P. 5, 1 8 5 , 1 8 6 ш Cotta, J. F. 80 390 , 113 558 , 302 Cramer, Chr. С. 80 392 Cramer , J . Α. 319 Curtius, E. R. 120 577 Cusanus, N. 124f, 128 Czygan, P. 240 1 1 4 4

376

Däster, U. 13,18, 27-29, 226f, 259 1 1 9 7 , 265, 286, 289 D a n z J . A . 67 3 1 6 Denham, J. 101 488 Derham, W. 26, 52, 55f, 61f, 64, 71, 75, 77,101, 107 523 , 164 Deuerlein, E. G. 22f Diehl, P. 242 1 1 4 8

Dilthey.W. 96 4 6 2 ,97 4 6 2 Dohm, Chr. W. v. 83 402 Dreuttel, G. F. 67 316 Dürrenmatt, P. 18f Duncker, С. 282 1 2 5 7 Eber, P. 315 Eckermann, J. Chr. R. 194 929 Eco, U. 46 213 Eisinger, W. 5,14f, 17f, 27, 29, 208 978 , 212f, 227, 228 1083 , 244 1164 , 247, 32! 1402 Engler, S. 39 1 7 5 ,236 1 1 2 4 Erbacher, H. 311 Erxleben, L. Chr. Р. 4 1 ш , 53 255 Eutyches 103 499 Ewald, J. L. 111,113 Faber, R. 14, 25, 41 187 , 208 978 , 219-222, 227,267,286,288,301, 321 1 4 0 2 Faber du Faur, C. v. ЗОЗ1303 Fabricius, J. A. 52 Fabricius, S. 120 577 , 127f Falk, J. D. 246 Fecht, G. 45 2 0 5 " 2 0 8 , 46 2 0 9 , 118 576 , 222 1 0 5 0 225 1 0 7 0 2 26 1071 > 1075 229 1094f > 1097 )23 ill05 ) 234 111 «, 236, 242 1 1 5 0 f , 243f, 247 1174 , 253, 257f, 279 1 2 5 0 ,294 1 2 8 8 , 308 Fecht, G . B . 116, 117 571 · 573 Feger, R. 30,241 1 1 4 8 Fein, G. F. 234 Fertig, J. 38 169 Flacius Illyricus, Μ. 59,246 1 1 7 2 Forskai, P. 80 392 FranckJ.41186 Francke, Α. Η. 37 169 Franz I 272, 276 Franz II 238,326,328 Frenzel, E. ЗОЗ1303 Freund, G. 99 473 , 142 697 , 149 720 Freybe, Α. 290 1281 Friedmann, G. ЗОЗ1303 Friedrich V von Dänemark 80 392 , 81 392 Fror, К. 114 562 Frommel, O. 23-25, 208 978f , 210, 215

1002

Funke, C. Ph. 161-163,165

Gadamer, H.-G. 97 4 6 5 Gauger, H.-M. 253 1 1 9 0 Gardner, Major 165 Geiger, J . H . 235 1 1 1 8 , 319 Gelbke, H. 18 M , 54 2 5 7 Gerhard, J. 56 266 , 58 277 , 59 278 , 69 333 , 98 468 , 99 4 7 6 ,125f, 140 690 Gerhardt, P. 315,322 GeseniusJ. 114 562 Gestrich, Chr. 56 264 Gmelin, C. Chr. 238 1 , 2 8 f Goethe, J. W. v. 15, 18-20, 96 461 , 134, 275f, 276 G o e z e J . M . 60, 98 473 Gollwitzer, Η. 235 1118 Gommel, H. 26 1 2 2 , 148 717 , 151 732 Gotthelf, J. 12 Gradmann, J . J . 172 833 Gräter, F . D . 112 551 ,245 Grathwol, P. 211 993 Graubner, Η. 107 524 , 109 537 , 110 538 Greiner-Neusäss, R. 281 1 2 5 5 , 299 1 2 9 1 f , 300 1295 Grether, A. 117 Griesbach, J . J . 192f Grimm, J. 230 1 1 0 2 Grimm, W. 230 1 1 0 2 , 241 1 1 4 8 Grotius, H. 58 Günther, Joh. Chr. 132 Günttert, К. 225 1070 , 242 1150 , 243 1155 , 244 Günttert, T. 172, 195 932 , 230 1 0 9 8 , 244 Gustav von Schweden 272 Häseler,J. Fr. 133f, 184f, 188 Hamann, J. G., 12, 45 2 0 4 , 96-111, 116f, 132, 142, 177 842 , 179 Haufe (Familie) 116 5 7 0 ,225 1 0 7 0 , 2261072,1075; 239, 242, 279 1 2 5 0 , 291 1 2 8 6 , 301 1 2 9 8 Haufe, G. 242f Haufe, S. 44 2 0 2 , 117 5 7 4 ,279 1 2 5 0 Haven, F. Chr. v. 80 392 , 81 3 9 2 Hebel, J. P. passim Hecker,J.J. 38 169 Hendel-Schütz, Η. 238 1 1 3 0 Heidegger, M. 13, 15, 66 311 Heidland, W. 208 978 Heine, H. 330 377

Henkel, Α. 96461, 105513 Herder, J. G. l l f , 150f, 152737, 232 HerrenschmidtJ . 133664 Herzog, U. 99474 Heusler, Α. 1957 Heuss, Th. 27 Hirsch, Ε. 201956 Hirtsiefer, G. 25, 66312, 333 Hitzig, F. W. 20, 2 1 75, 80390, 116, 954 ,226 1076 , 150f729,73i) 1 5 3 ; 1 7 2 ; 201 1119f 1090-1092 230-232,235 , 229 ) 2371126f, 2401145f, 2411147, 242, 2841261 Hitzig, W. F. 242 Hobbes, Th. 155742 Hoffleit, C. 5 Hoffmann, Ε. T. A. 3031303 Hoffmannsthal, H. v. ЗОЗ1303 Hölty, L. 169816 Hövelmann, Η. 1636, 3071317 Holl, К. 60286 Hollaz, D. 148717, 191915, 3171377, З191385 Homer 82 Hornig, G. 100 483 ,141 696 , 185, 186883 Hoymann,J. 26f Hübnerjohann 33165, 111 Hübner, Jürgen 37167 Hugo v. St. Victor 123 Hutter, L. 59282, 98468, 99474, 13 1 653 , 2351118, 2461172 Iselin, I. 157756 Jerusalem, J. F. W. 179-183, 188 Johannes Damascenus Ю3497'499 Jordahn, O. 55 Joseph II 83402, 272, 276 Johann, E. 29 Jung-Stilling, J. H. 233f Jutzier, K. 203f Käsemann, Ε. 2241066 Kaiser, J. 38169 Karl Friedrich von Baden 83402, 308 Kant, I. 37166, 41, 49, 56, 63, 70, 97465, 107-111, 178842, 186f, 232, 239f Katz,J. 84402 K a t z J . M . 3191389 Katz, P. 16f, 26,28 378

Keller, R. 2461172 Kerner, J. 38f, 44 Kiefer, E. 27 Kiek, J. 118576 Klopstock, F. G. 1957, 82 Knöller, F. 2 1 3 993 Knopf, J. 22 O1042, 268, 2701218, 271, 284, 286f Koerner, G. 2991294 Kopernikus, N. 37, 78 Krauth, К. 166804 Kühn, J. 18,27,245 Kunz, Ε. 177841 Курке, G . D . 100 Längin, G. 22-24 Leibniz, G. W. 86, 87 420 ,137,177 842 , 181f, 187,196f, 200 Lenz, J. M. R. 12 Leontius von Byzanz 106514 Leopold II 272,276,285 Leß,G. 193 Lessing, G. E. 60, 65, 97462, 139-145, 154, 183, 186 Lindner, Η. 99477, ЮО482·484·486, 101490 Linne, K. v. 173 Littmann, Ε. 81392 Lobstein, P. 71343 Löffler, S. 25,27f, 222 1046 ,228 Ludwig XVI 285 Lütgen, W. 71 343 ,177 842 , 178842 Luther, M. 12f, 15, 21, 44f, 48, 60, 69333, 90, 96,100, 102-104, 110, 112-116, 125,148 716 ,152 738 , 169, 179, 180851, 193, 204 962 ,228 1089 , 231, 2331117, 236, 262, 264, 307, 310, 314, 324, 3281443, 343 Lutz, M. 24f, 196934, 197938, 207-209, 219-222, 3261431 MaassJ. 283 Maria Theresia 272, 276 Marquard, О. 3301447 Mayer, Т. 212993 Meckel, E. 31 Mendelssohn, M. 184 Michaelis, J. D. 80392, 81392, 193, 194928 Michel, Η. 2411146 Minder, R. 13f, 2 1 3 993 ,286 1267

Montaigne, Μ. de 124 6 0 9 Montesquieu, С. 232 Moore, С. Ν. 114 5 6 2 Müller,J. I I 1 , 2 3 f , 31f, 2 0 4 9 6 4 , 2 0 5 9 6 4 Napoleon 240,272 Nentwig, P. 280,289f, 306 Nepos, С. 67 3 1 6 Nestorius 103 4 9 9 Neumark, G. 218,315 Niebuhr, С. 80 3 9 2 , 378 Nobis, Η. Μ. 120 5 7 7 f , 123 Noet, 152 7 3 8 Norrelius 81 3 9 2 Noth, Μ. 279 1 2 5 1 Nüßlin, F. A. 44 2 0 1 , 117 5 7 5 Oeftering, H.-G. 28, 93 4 5 3 , 94 4 5 3 , 333 Oettinger, K. 26, 42 1 9 1 , 55, 65 3 1 1 , 66 3 1 1 , 166f, 171 Olson, О. К. 59 2 7 9 Olsson, В. 263 1 2 0 6 Origenes 57 2 6 9 Ossian 82 Ott, Günther 240 1 1 4 4 Ott, Gustav 240 1 1 4 6 Pannenberg, W. 86 4 2 0 Pastor, E. 287f, 291 1 2 8 2 Paul IV (Papst) 123 Paulus, H. E. G. 210 Paurenfeind, G. W. 80 3 9 2 Penn, W. 232 Pestalozzi, J . H. 4 3 1 9 2 , 1 3 5 6 7 0 , 154-160 Petrus Lombardus 98, 220 1 0 3 9 Pfeffel, G. К. 318 1 3 7 9 Pfeffingen J. 59 2 7 9 Pfeiffer, A. F. 67 3 1 6 PfeifferJ. 303 1 3 0 3 Philipp, W. 37 1 6 8 , 55, 62 3 0 1 , 178 8 4 3 Physiologus 168,233 Picard, M. 275 Pietzsch, F. A. 23 Porphyrius 40 1 7 9 Praxeas 152 7 3 8 QuenstedtJ. Α. 149 7 2 0

Rad, G. v. 171 8 2 0 Raimundus Sabundus 107 5 1 9 ,123f Ramsey, I. Th. 62 2 9 8 Rehm, W. 18-21 Reimarus, H. S. 183f, 186,188 Reinhard, F. V. 192 Regner, P. 2 1 3 9 9 3 Rendtorff, R. 270 1 2 1 7 Reuschel, К. ЗОЗ1303 Rhie, Т. B. 2 5 , 2 7 , 2 9 , 197 9 3 7 ,203 9 6 2 , 274 Richter, Jean Paul 279 1 2 5 0 Rienitz, S. 91 4 4 4 Rörer, G. 228 1 0 8 9 Rohner, L. 14,267 Rollin, Ch. 107 Rosenthal, В. 84 4 0 2 Rousseau, J . J. 117,155 Rürup, R. 83 4 0 2 , 84 4 0 2 Rumford, В. T. Graf v. 72, 73 3 4 9 Sachs, Μ. 114 5 6 2 Sander, H. 50f, 53 Scheffczyk, L. 128, 129 6 3 9 Scherer, M. 272 1 2 2 1 f , 289, ЗОЗ1303 Schiller, F. 226 1 0 7 2 Schilling, J. 33 Schilson, Α. 142 6 9 7 SchinmeierJ. Chr. 114 5 6 2 Schlaffer, H. 297 Schloemann, M. 98 4 7 3 , 149 7 2 0 Schmid, Chr. v. 111-113,115, 307 Schneegans, D. 244 Schöne, A. l l f Schreiber, Α. 18 48 Schreiner, Η. 98 4 7 2 , ΙΟΙ 4 9 0 , 104 5 0 6 Schröter, J. H. 77 Schubert, G. H. v. 303f Schweinitz, D. v. 114 5 6 2 Schweitzer, A. 190 Schweykert (bzw. Schweikhard), F. 172f Seebaß, G. 5 Seiler, G. F. 43 1 9 3 , 47-49, 53, 55 Seils, Μ. ΙΟΙ 4 9 0 ,106 5 1 5 Semler, J. S. 1 0 0 , 1 3 9 , 1 4 2 , 1 5 0 , 1 8 3 , 185f Semmler, Chr. 38 1 6 9 Sievert, K . F . 240 1 1 4 3

379

Solon 232 Sommer, W. 29f, 196 9 3 4 , 197, 203, 333f Staffhorst, G. 19 5 7 Stange, С. 142 6 9 7 Steck, Ο. Η. 280 1 2 5 2 Stegmüller, F. 124 6 0 8 Steiger, L. 170 8 1 9 , 279 1 2 5 0 Stein, Major 280-283 Stern, Μ. 2 5 9 1 1 " , 300 1 2 9 5 Stickelberger, H. l l \ 326 1 4 3 4 Stierle, K. 265, 270 1 2 1 8 Stifter, Α. 19 57 Stöckl, Α. 124 6 0 9 Stove, Ε. 187 8 9 4 S t o r c k J . W . 84 4 0 2 Strigel, V. 59 2 7 9 Struensee, J . F. Graf v. 271f, 280 Stumpf, P. 73 3 4 9 Suter, R. 15 Theobald, G. 182 8 6 2 Thielicke, Η. 142 6 9 7 Thoma, A. 213 Tindal, M. 56-62, 65, 77,123 Treu, U. 168 8 1 1 Veterani, F. Graf von, General 282 Voith (Leutnant) 281f

380

Volz, Th. F. 299 1 2 9 3 Vorländer, К. 107 5 2 2 V o ß J . H . 20 Wagner, Η. 276 1 2 3 8 Walz, J. L. 309 Weber, О. 185 8 8 1 WegscheiderJ. A . L . 193 Wild, R. 45 2 0 4 , 107-109 Willomitzer, F. 96 4 6 1 Wintzer, F. 5 Wittmann, L. 265, 272, 287 Wodtke, F. W. 129 6 3 9 Wolf, Chr. Th. 308, 3 1 3 1 3 5 0 Wolf, H. 12 Wolff, Chr. 37 1 6 8 , 98 4 7 3 , 178f, 184, 197, 207 Wunderlich, R. 15-17, 22, 31 1 5 7 , 39 1 7 7 , 55, 65 3 0 6 , 86f, 93 4 5 3 , 114, 196f, 200 9 5 2 , 307, 314 Wurzbach, C. v. 281 1 2 5 6 , 282, 309 Zentner, W. 22 7 7 , 93 4 5 0 · 4 5 3 , 2 1 3 9 9 3 , 2 3 7

ii26

Ziegler, Chr. M. v. 170 Zoroaster 232 Zscharnack, L. 26 1 1 7 Zwingli, U. 204 9 6 2