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German Pages 184 Year 2023
Lutz H. Michel
Betreutes Wohnen für ältere Menschen
nachhaltig gestalten und erfolgreich realisieren
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Lutz H. Michel
Betreutes Wohnen für ältere Menschen
nachhaltig gestalten und erfolgreich realisieren
Betreutes Wohnen für ältere Menschen
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Inhalt 1 Einleitung7 2 Strukturen und Grundlagen 2.1 Begriff des „Betreuten Wohnens“
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2.2 Abgrenzung zu anderen „Wohnund Betreuungsformen“ für das Leben im Alter 11 2.2.1 Überblick11 2.2.2 Wohn- und Dienstleistungsformen „jenseits“ des Betreuten Wohnens 13 2.3 Einordnung und Rahmenbedingungen17 2.3.1 Demografie, Mentalitäten und Milieus als Treiber zukünftiger Entwicklungen17 2.3.2 Ordnungs- und Leistungsrecht 18 2.3.3 Finanz- und betriebswirtschaftliche Rahmenbedingungen 25 2.4 Erscheinungsformen
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2.5 Zusammenfassung
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3 Erfolgsfaktoren – so gelingt Betreutes Wohnen
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3.1 Die richtige Zielgruppe
32
3.2 Das richtige Konzept und Angebot
32
3.3 Kosten und Nutzen 41 3.3.1 Wohnkosten41 3.3.2 Betreuungspauschale42 3.4 Marktpositionierung – Produktgestaltung – Konkurrenz
43
3.5 Modularität und Integration in Leistungsketten44 3.6 Zertifikate und Gütesiegel 46 3.6.1 Überblick46 3.6.2 Normen und Standards im Betreuten Wohnen 47 3.6.3 Resümee53 3.7 Typgesicherte und konzeptgerechte Vertragsgestaltung
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3.8 Zusammenfassung
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4 Betreuung und Personal 4.1 Leistungsbild „Betreuung“
57 57
4.2 Grundleistungen 58 4.2.1 Überblick58 4.2.2 Grundleistungen – Einzelheiten 58 4.2.3 Betreuung: Beratung, Information und Vermittlung von Wahlleistungen 59 4.2.4 Wahlleistungen60 4.3 Optimierung der Leistungsstruktur
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4.4 Personal 4.4.1 Qualitative Anforderungen an das Personal 4.4.2 Quantitative Anforderungen an den Personaleinsatz
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4.5 Kosten und Leistungen – Vergütungsbemessung64 4.6 Exkurs: Das Zusammenspiel zwischen Vermieter und Betreuungsträger bei der Vermietung 5 Bauliche Aspekte
64 67
5.1 Standort
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5.2 Wohnanlage
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5.3 Wohnungen 5.3.1 Flächen und Wohnungsmix 5.3.2 Grundrisse und Auslegung 5.3.3 Ausstattung der Wohnungen
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6 Gestaltung und Vertragsgestaltung
75
6.1 Grundsätzliches
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6.2 Konzeption und Leistungsbild 76 6.2.1 Das Problem: Wer leistet – verschiedene (kooperierende) Leistungsanbieter oder „Alles aus einer Hand“? 76 6.2.2 Organisationsmodelle und Umsetzungsebenen 78 6.2.3 Resümee81 6.2.4 Exkurs: Leistungs- und förderrechtliche Implikationen 81 6.3 Vertragsgestaltung 83 6.3.1 Alles-aus-einer-Hand-Modelle83
Inhaltsverzeichnis
5
6.3.2 Vertragsgestaltung bei den „Kooperationsmodellen“109 6.3.3 Zusammenfassung/Hinweise zur „Modellwahl“ 112 6.4 Leistungsrechtliche Implikationen in Bezug auf die Gestaltung der Angebotskonzeptionen113 6.4.1 Überblick113 6.4.2 Leistungsrechtliche Hilfen im Bereich der Miete/Wohnkosten 114 6.4.3 Hilfen im Bereich der Betreuungspauschale 118 6.4.4 Pflege- und Betreuungskosten 121 6.4.5 Zusammenfassung121 6.5 Exkurs: Investmentaspekte: Fremdinvestment vs. Eigeninvestment
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6.6 Zusammenfassung
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7 Qualität und Qualitätssicherung
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7.1 Qualitätskriterien 7.1.1 Anforderungen an den Standort 7.1.2 Konzeptionelle und bauliche Anforderungen an das Gebäude und Wohnangebot 7.1.3 Anforderungen an die Dienstleistungen 7.1.4 Qualitative und quantitative Anforderungen an das Personal 7.1.5 Anforderungen an die Transparenz und Informationen vor Vertragsschluss 7.1.6 Anforderungen an die Vertragsgestaltung 7.1.7 Anforderungen an die Qualitätssicherung
125 126
7.2 Laufende Qualitätssicherung 7.2.1 Interne Qualitätssicherung 7.2.2 Externe Qualitätssicherung
135 135 136
7.3 Zusammenfassung
136
126 129 130
132 133 134
8 Betreutes Wohnen im Verbund
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8.1 Auslöser und Ausprägungen
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8.2 Ordnungs- und einrichtungsrechtliche Aspekte
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8.3 Wirtschaftlichkeitsaspekte 140 8.3.1 Die Problematik von „Quersubventionierungen“140
8.3.2 „Sonderkonstellationen“141 8.3.3 Zusammenfassung142 9 Vorgehen in Projekten
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9.1 Von der Idee zum Konzept 9.1.1 Allein oder kooperativ? 9.1.2 Wenn kooperativ, dann: mit wem und wie?
143 143
9.2 Vom Konzept zum Produkt
145
144
9.3 Zusammenwirken der Beteiligten in der Projektphase bei Kooperationsmodellen147 9.3.1 Gemeinsame Schaffung des integrierten Leistungsbilds Betreutes Wohnen 148 9.3.2 Wechselseitige sonstige Leistungen 148 9.3.3 Besonderheiten aus dem Blickwinkel der DIN 77800 – Betreutes Wohnen 150 9.3.4 Zusammenfassung151 9.4 Praxistipps zur „Modellwahl“ bei Projekten des Betreuten Wohnens
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10 Länderberichte155 10.1 Betreutes Wohnen in Österreich 10.1.1 Das Pflegesystem in Österreich 10.1.2 Alternative Wohnformen in Österreich 10.1.3 Arten von alternativen Wohnformen 10.1.4 Erfolgsfaktoren für alternative Wohnformen 10.1.5 H erangehensweise, Umsetzung und Erfahrung der letzten sieben Jahre im Unternehmen der Barmherzigen Schwestern Pflege GmbH 10.1.6 Ausblick
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163 164
10.2 Betreutes Wohnen in der Schweiz 166 10.2.1 Überblick166 10.2.2 Das Wohn- und Pflegemodell 2030 167 10.2.3 Betreutes Wohnen in der Schweiz – aktueller Stand 173 Literaturhinweise/Links178 Autoren und Autorin
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1 Einleitung Betreutes Wohnen ist zurzeit en vogue. Sei es unter der Bezeichnung „Service Wohnen“ oder „Wohnen mit Service“ oder anderweitigen Labeln. Dabei sind zwei Trends unübersehbar: Der erste Trend ist, Betreutes Wohnen mit Tagespflegeangeboten zu verbinden, um so ein tragfähiges ambulant strukturiertes Leistungsmodell für das Wohnen mit Unterstützungsleistungen im Alter zu schaffen. Der zweite Trend zeigt sich in der Kreation von „Residenzangeboten“, die auf überaus komfortables Wohnen in Verbindung mit einem breit gefächerten Dienstleistungsangebot für das Leben im Alter abzielen. Ist der erste Trend eher durch die ambulanten Refinanzierungsmöglichkeiten geprägt, so ist der zweite Trend durch das Abzielen auf die „Silver Ager“ mit entsprechenden verfügbaren Einkommen charakterisiert. Dabei ist es sowohl die Immobilienseite, die als Treiber derartiger Angebote auftritt, als auch die Dienstleisterseite, letztere v. a. in Gestalt von Erbringern ambulanter Pflege- und Betreuungsleistungen. Die Immobilienseite lässt sich gegenwärtig stark vom Trend zum „Betongold“ leiten, die ambulanten Pflege- und Betreuungsdienstleister erkennen in betreuten Wohnformen, so auch im Betreuten Wohnen, die Option, ihre Dienstleistungen lokal zu clustern, um so Effizienzvorteile zu erreichen, sprich: die Ineffizienzen der „fahrenden Dienste“ zu vermeiden, ein breiteres Personalspektrum einsetzen zu können, nämlich nicht nur Pflegekräfte, und damit Kundenbindung zu betreiben wie auch neue Kundengruppen zu erreichen. Beiden Anbietergruppen ist gemeinsam, dass ihnen die Spezifika des „Betreuten Wohnens“ vielfach entweder fremd sind oder sie perspektivisch als Wohnungsanbieter oder vice versa Pflegeanbieter an das Thema herangehen. Dabei ist weder das eine noch das andere zielführend: Betreutes Wohnen ist ein komplexes Wohn-/Dienstleistungsprodukt, das eigene Erfolgsfaktoren aufweist. Dieser Praxisleitfaden soll den interessierten Anbietern Orientierung bei der Konzeptionierung, Planung und Realisierung wie auch dem „Betrieb“ betreuter Wohnanlagen geben. Gleichfalls kann er den Beratern und Finanziers als Leitfaden für die Identifikation erfolgversprechender Angebote und kompetenter Anbieter dienen. Und er bietet einen Blick über den Tellerrand nach Österreich und in die Schweiz: Die Beiträge von Jana Bockholdt zu den Tendenzen Betreuten Wohnens in Österreich und von Dr. Markus Leser und Prof. Dr. Lorenz Imhoff zu den Entwicklungen in der Schweiz geben eine Fülle von Anregungen, Wohnen mit Service grenzüberschreitend – vor allem im übertragenen Sinn des Wortes! – weiterzudenken. Ihnen sei hierfür besonders gedankt!
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Und last not least: Herzlich sei auch dem Vincentz-Lektorat und hier insbesondere Bettina Schäfer und Klaus Mencke für die geduldige, kreative und sehr gelungene Umsetzung der Rohtexte und -grafiken des Autors gedankt, die das Buch erst für die geschätzten Leser zu dem gemacht hat, was es sein soll: eine übersichtliche und lesbare Handreichung für die praktische Arbeit! Köln/Marbella, Juni 2023 Lutz H. Michel
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2 Strukturen und Grundlagen 2.1 Begriff des „Betreuten Wohnens“ Der Begriff „Betreutes Wohnen“ und das dahinterliegende Wohnangebot sind in Deutschland schillernd. Betreutes Wohnen ist maßgeblich gekennzeichnet durch zwei Betrachtungsdimensionen: 1. durch die Eingrenzung dessen, was gemeinhin unter dem Begriff „Betreutes Wohnen“ verstanden wird, was relevante Quellen darunter verstehen und was vor dem Hintergrund der rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen darunter verstanden werden sollte, sowie 2. durch die Abgrenzung zu anderen sog. „Neuen Wohnformen und -konzepten“, die „wohnnahe“ Betreuungsangebote, wie z. B. ambulant betreute Wohngemeinschaften, sog. gemeinschaftliches Wohnen und anderes, umfassen. Die Begrifflichkeit „Betreutes Wohnen“ ist trotz der föderalen Heimgesetzgebung und Standardisierungen nach wie vor schillernd. Unter die Bezeichnungen „Betreutes Wohnen“, „Wohnen mit Service“ und “Service-Wohnen“ werden so unterschiedliche Wohnangebote wie Altenwohnheime, Seniorenresidenzen, an Pflegeheime angegliederte Pflegewohnungen, „normale“ Wohnungen, die mit einem mehr oder minder inhaltsleeren Servicevertrag mit einem Dienstleister Sicherheit im Alter versprechen, aber auch unverkäufliche und sodann „umgelabelte“ Eigentumswohnungen und anderes gefasst. Zudem stellt sich eine begriffliche, nicht sachliche Nähe zum Betreuten Wohnen der Eingliederungshilfe dar, was die babylonische Begriffsverwirrung eher fördert, denn klärt. Dies findet seinen Grund darin, dass sich der Begriff „Betreutes Wohnen“ qua lege bis Mitte 2008 nur in einer gesetzlichen Norm, nämlich dem Heimgesetz – und zwar in Abgrenzung zur „heimmäßigen Unterbringung“ in § 1 HeimG – fand und ansonsten sich nur die Gerontologie, die Seniorenwirtschaft und am Rande in marginalem Umfang auch die Immobilienwirtschaft mit den konzeptionellen Fragestellungen in Bezug auf serviceorientierte Seniorenwohnkonzepte beschäftigten. Erst mit der Typisierung von Angebotsformen in vielen Landesheimgesetzen ist dies etwas anders geworden. In gerontologischer Hinsicht hat erstmals Saup das Betreute Wohnen wissenschaftlich bearbeitet und es in den Zusammenhang mit selbstständigem Leben und Wohnen im Gegensatz zur „heimmäßigen Unterbringung“ in stationären Einrichtungen gestellt. Für ihn ist das Betreute Wohnen eine „unterstützende Wohnform“ mit der Zielsetzung, so lange und so weitgehend wie möglich Substitut von Pflege und Betreuung in einer stationären Einrichtung zu sein. Dieses Verständnis ist auch für die föderale Regelung dieser Wohnform in den Heimgesetzen prägend geworden.
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So findet man mittlerweile 16 Regelungen dieser Wohnform, teils in der Begrifflichkeit Betreutes Wohnen, teils sich davon bewusst absetzend unter Verwendung von Begriffen wie Service-Wohnen oder Wohnen mit Unterstützungsleistungen. Dabei stehen hinter den Begriffen auch differenzierte Definitionen und Abgrenzungen. Weitere Definitionen und Begriffsklärungen finden sich maßgebend in den Gütesiegeln Betreutes Wohnen Baden-Württemberg sowie Nordrhein-Westfalen sowie in der DIN 77800 – „Qualitätsanforderungen an die Anbieter der Wohnform Betreutes Wohnen für ältere Menschen“. Im Gütesiegel „Betreutes Wohnen Baden-Württemberg“ wird unter Betreutem Wohnen die Verbindung der Zielsetzung, auch im Alter ein selbstständiges und unabhängiges Leben in vertrauter Umgebung zu ermöglichen, mit der anderen Zielsetzung, dem im Alter stärker werdenden Bedürfnis nach Sicherheit, nach bedarfsgerechter Unterstützung und Hilfe sowie einer möglichst praktisch und bequemen Gestaltung der Wohnung zu vereinen, also selbstständiges Wohnen mit eigener Haushaltsführung zu fördern und gleichzeitig die Sicherheit bedarfsgerechter Hilfe zu gewährleisten, verstanden. Dieses Verständnis wurde sodann von den zeitlich nachfolgenden Standardisierungsprojekten aufgenommen und weiterentwickelt. Die Dokumentation zum Qualitätssiegel NRW erspart sich einen eigenen Definitionsversuch und stellt vielmehr auf die Merkmale ab, die sich durchgängig in den Begriffsklärungen finden: seniorengerechtes bzw. barrierefreies oder barrierearmes Wohnen in Selbstständigkeit und Selbstbestimmung mit einer Grundlage an Sicherheit und Unterstützung. Die DIN 77800 – Betreutes Wohnen entwickelte eine eigenständige Definition, indem die Wohnform „Betreutes Wohnen“ gegenüber der (gesetzlich geregelten) Wohnform „Heim“ abgegrenzt wird. Die Norm definiert Betreutes Wohnen wie folgt: „Leistungsprofil für ältere Menschen, die in einer barrierefreien Wohnung und Wohnanlage leben, das Grundleistungen/allgemeine Betreuungsleistungen und Wahlleistungen/weitergehende Betreuungsleistungen umfasst.“ Ergänzt wird diese Definition durch eine qualitative Abgrenzung zum Heim: „Das Leistungsprofil unterstützt eine selbstständige und selbstbestimmte Haushalts- und Lebensführung und die Einbindung in soziale Strukturen der Hausgemeinschaft und des Wohnumfeldes. Das Leistungsprofil des Betreuten Wohnens orientiert sich nicht am Heim im Sinne des Heimgesetzes.“ Nimmt man diese Begriffsklärungen zusammen, so ergibt sich eine eigene Begrifflichkeit, die diesem Praxisleitfaden zugrunde gelegt wird: „Betreutes Wohnen ist ein Leistungsprofil für ältere Menschen, das einerseits die Leistungskomponente „Wohnen“ in Form einer barrierefreien Wohnung und Wohnanlage und an-
2 Strukturen und Grundlagen
dererseits die Leistungskomponente „Dienstleistungen“ in Gestalt der Ausformung eines Grundleistungspakets umfasst. Das Grundleistungspaket ist integrierter Bestandteil des Leistungskonzepts dergestalt, dass es mit dem Wohnen eine vertraglich kombinierte Leistung (Kopplung) darstellt und inhaltlich wenigstens eine Basissicherheit bietet. Die Basissicherheit entsteht in Gestalt der Hausnotrufsicherung, der Beratung und Betreuung in Form allgemeiner Unterstützungsleistungen, ergänzt um die Vermittlung von Wahlleistungen, die ihrerseits fakultativen Charakter besitzen.“ Diese Definition korrespondiert mit den ordnungsrechtlichen Regelungen, die Anwendung finden (können) und die bei der individuellen projektbezogenen Gestaltung der Konzepte und Angebotsvarianten zu beachten sind. Relevant ist allein die Verbindung der beiden Leistungskomponenten einerseits und der skizzierte Minimum-Inhalt an Leistungen, insbesondere der obligatorischen Leistungsmodule andererseits. Neben dem Betreuten Wohnen gibt es eine Vielzahl anderer Angebote, die vom Betreuten Wohnen abzugrenzen sind: – Betreuungs- und Pflegeangebote ohne Wohnkomponente, – Stationäre Betreuungs- und Pflegeangebote, – ambulant Betreutes Wohnen, – ambulant Betreute Wohngemeinschaften/Demenz-Wohngemeinschaften, – Gemeinschaftliches Wohnen, – Mehrgenerationen-Wohnen, – Betreutes Wohnen zu Hause, – Wohnungswirtschaftliche Servicekonzepte für Senioren. Diese werden nachfolgend abgegrenzt.
2.2 Abgrenzung zu anderen „Wohn- und Betreuungsformen“ für das Leben im Alter Wie bereits soeben angedeutet, grenzt sich Betreutes Wohnen von diversen anderen „Wohnund Betreuungsformen“ ab.
2.2.1 Überblick Die für die Gestaltung ambulanter Wohnkonzepte relevanten Wohn- und Versorgungsformen sind Legion. Sie sind schillernd und auch nur wenige Typen haben – was die Orientierung teils erleichtert, teils aber auch erschwert – eine gesetzliche Regelung erfahren. Das gilt für
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das „Heimrecht“, also die Landeseinrichtungsrechte, wie auch für das Leistungsrecht, also das SGB V und SGB XI, wie auch das SGB XII, und auch das öffentliche Baurecht, also das Bauplanungsrecht wie auch das Bauordnungsrecht. Nach Obigem sind dabei stets zwei Kernbegriffe mitzudenken: „Leben in einem (privaten) Wohnsetting“ oder „Leben in einer (institutionalisierten) Einrichtung“. Es handelt sich um – Betreuungs- und Pflegeangebote ohne Wohnkomponente, also ambulante Versorgung im eigenen privaten zu Hause, – Betreutes Wohnen (Wohnen mit integrierten allgemeinen Unterstützungsleistungen) – hier im Mittelpunkt stehend und oben definiert, – Stationäre Betreuungs- und Pflegeangebote („Altenpflege- und Betreuungseinrichtungen, „EULA’s etc.), – ambulant Betreutes Wohnen (in der Eingliederungshilfe), – ambulant Betreute Wohngemeinschaften/Demenz-Wohngemeinschaften, – Gemeinschaftliches Wohnen (z. B. in Baugruppenmodellen), – Mehrgenerationen-Wohnen (ob nun institutionalisiert oder nicht), – Wohnungswirtschaftliche Servicekonzepte für Senioren („Sozialhausmeister“) – und systematisch nicht ganz korrekt: Tages- und auch Nachtpflegeangebote als „teilstationäre“ Angebote ohne Wohncharakter. Die Wohnangebote staffeln sich nach folgender „Servicepyramide“:
Pflegen Betreuen Unterstützen Wohnen
Abbildung 1: Servicepyramide
2 Strukturen und Grundlagen
Will sich ein ambulanter oder stationärer Leistungsanbieter wie aber auch ein Immobilienentwickler/Investor dem Thema annähern, muss er sich die Unterschiedlichkeit der „Typen“ bewusst machen:
2.2.2 Wohn- und Dienstleistungsformen „jenseits“ des Betreuten Wohnens Betreuungs- und Pflegeangebote in der eigenen Häuslichkeit Wenn ältere hilfsbedürftige Menschen Hilfsangebote, seien es Betreuungsangebote und/oder pflegerische Hilfen oder nur hauswirtschaftliche Unterstützung in der eigenen Häuslichkeit je nach aktuellem Bedarf von unterschiedlichen Leistungsträgern, selbst organisieren, so liegt kein „Betreutes Wohnen“, sondern eine „klassische“ ambulante Versorgung im Rahmen des SGB XI und SGB V in Form von „häuslicher (Kranken-)Pflege und Betreuung“ vor, da es konzeptionell an der organisatorischen Bündelung von Dienstleistungen und deren institutionalisierter Verbindung mit Wohnangeboten fehlt. Daran ändert sich auch nichts, wenn etwa eine Wohnungsgesellschaft eine Kooperation mit einem Pflegedienst im Rahmen eines „Quartierskonzepts“ eingeht. Die häusliche Versorgung bleibt „klassische“ ambulante Pflege.
Stationäre Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen Die gegenüber der soeben skizzierten Leistungsform „häusliche ambulante Pflege“, aber auch des „Betreuten Wohnens“ diametral entgegengesetzte Leistungskonzeption ist die der stationären Pflege in eigens dafür vorgesehenen Einrichtungen, also das klassische Pflegeheim. Unabhängig davon, wie dieser Typ ordnungsrechtlich mit jur. Begriffen belegt wird, maßgeblich ist, dass diese Einrichtungen einerseits strukturell wie aber auch leistungsbezogen den Charakter von „Einrichtungen“ haben, also die Allokation von personellen und sächlichen Mitteln, die den Zweck haben, die in ihnen lebenden Menschen in allen Belangen zu versorgen. § 13 Abs. 2 SGB XII beinhaltet eine Legaldefinition von Einrichtungen, die insofern als Anhalt genommen werden kann, als sie auf die Gesamtverantwortung für den Hilfeprozess beim Einrichtungsträger abstellt. Entscheidend ist, dass ein „Träger“ ein integriertes Wohn-, Pflege- und Betreuungsangebot inkl. Verpflegung unter einheitlicher konzeptioneller Verantwortung macht, das nicht individueller Gestaltung durch denjenigen, der es abnimmt, unterliegt. Entscheidend ist insofern, dass Wohnen und qualifizierte Dienstleistungen, nämlich hauswirtschaftliche Versorgung, Verpflegung, Betreuung und pflegerische Versorgung, integrierte Teile eines Einrichtungsganzen sind, in rechtlicher und organisatorischer Hinsicht einem Einrichtungsträger zugeordnet sind und dieser die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebens-
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führung des Hilfebedürftigen übernimmt. Maßgebend ist, dass die Gesamtverantwortung für den Hilfeprozess beim Einrichtungsträger liegt. Diese Grenzziehung hat immense Bedeutung in Bezug auf die Abgrenzung zu „mehrgliedrigen Verbundangeboten“.
Ambulant betreute Wohngemeinschaften Ambulant betreute Wohngemeinschaften verlangen, dass sich Menschen zum gemeinschaftlichen Zusammenwohnen in einem Haushalt unter gemeinschaftlicher Haushaltsführung zusammenfinden. Sie haben einen gemeinschaftlichen Haushalt zu führen. Dieser kann von einem oder mehreren Dienstleistern unterstützt werden, aber der darf nicht durch ihn „geführt“ werden: Ist Letzteres der Fall, so mutiert die Wohngemeinschaft zur Einrichtung – siehe oben. Entscheidendes Kriterium für sog. selbstorganisierte Wohngemeinschaften ist die Selbstbestimmung der Mitglieder der Wohngemeinschaft in der Gestaltung ihres Lebensumfeldes, spezifisch in der Wahl der erforderlichen Dienstleistungen und Dienstleister. Die andere Kategorie ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Dienstleister, regelmäßig ein ambulanter Pflegedienst, als Initiator der Wohngemeinschaft agiert, das organisatorische Rückgrat bildet, als maßgeblicher (Pflege-)Dienstleister in der Wohngemeinschaft entweder aufgrund eines gekoppelten Vertragsverhältnisses oder einer sonstigen rechtlichen Gestaltung agiert, die vertraglich wie auch faktisch ein „Alles-aus-einer-Hand“-Dienstleistungspaket bildet. Bei diesen anbietergesteuerten Wohngemeinschaften hat das Mitglied der Wohngemeinschaft auch die Betreuungs-, wenn nicht sogar auch Pflegeleistungen obligatorisch von dem initiierenden Dienstleister zu beziehen.
Wohnen
• private Wohnbereiche • Gemeinschaftsflächen
Betreuung
• 24 - Stunden - Präsenz • individuelle Betreuung • Hauswirtschaft
Pflege
• Grundpflege SGB XI • Behandlungspflege SGB V
kons�tu�ve Leistungen
regelmäßig beau�ragte Leistungen
Abbildung 2: Struktur der ambulant betreuten Wohngemeinschaften
2 Strukturen und Grundlagen
Der entscheidende Unterschied zum Betreuten Wohnen liegt also in Dreierlei: Erstens wird im Betreuten Wohnen ein individueller, selbstständiger Haushalt geführt, wohingegen in Wohngemeinschaften ein gemeinschaftlicher Haushalt gestaltet wird. Zweitens findet das Wohnen im Betreuten Wohnen in einer singulären „Einzelwohnung“ in Privatheit statt und nicht in einer „Gemeinschaftswohnung“ mehrerer Personen. Drittens ist das Leistungsbild der Dienstleistungen gegenüber demjenigen in Wohngemeinschaften einerseits auf selbstständiges Leben fokussiert und andererseits auf „allgemeine Unterstützungsleistungen“ reduziert, wohingegen in Wohngemeinschaften die Pflege- und weitergehenden Betreuungsleistungen typbestimmend sind.
Ambulant betreutes Wohnen/Betreutes Wohnen für Behinderte und bei besonderer Hilfebedürftigkeit Ambulant betreutes Wohnen gem. §§ 53, 54 SGB XII betrifft in der Zielgruppe und in der Leistungsstrukturierung einen vollkommen anderen Sachverhalt als das „Betreute Wohnen für Senioren“: hier geht es um die Wiedereingliederung Kranker und Behinderter in ein „normales“ Leben.
Gemeinschaftliches Wohnen Gemeinschaftliche Wohnprojekte sind dadurch gekennzeichnet, dass sich – i. d. R., aber nicht zwingend – ältere Menschen zusammenfinden, um in einer Art „Bauherren-Gemeinschaft“ sich ein gemeinsames Zuhause zu schaffen. Diese Selbstorganisation des Bauens kann in Bezug auf die Dienstleistungsstruktur in eine Art „Wohnen mit Dienstleistungen“ münden, unterscheidet sich dann aber von Betreutem Wohnen dadurch, dass die Mitglieder des gemeinschaftlichen Wohnprojekts regelmäßig in einer Auftraggebergemeinschaft agieren, die derjenigen selbstorganisierter ambulant betreuter Wohngemeinschaften ähnelt. Das klassische Betreute Wohnen weist hingegen eine Dualität zwischen mehreren unabhängig voneinander agierenden Personen ohne eine rechtliche Verbindung untereinander und einem dritten Dienstleister auf, zu dem jeweils getrennte Vertragsverhältnisse begründet werden.
Mehrgenerationen-Wohnen Die Wohnform des Mehrgenerationen-Wohnens weist als Spezifikum auf, dass es sich um gemeinschaftsorientierte Wohnformen handelt, deren Merkmal die Mischung der Generationen und eine konzeptionelle Integration der Bewohner unterschiedlichen Alters im Hinblick auf wechselseitige Hilfe- und Unterstützungskonzepte ist. Altersbezogene Hilfe und Unterstützungsangebote muss sich der jeweilige Bewohner – ggf. mithilfe sozialer Organi-
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sationen – selbst organisieren. Eine Basissicherheit wie beim Betreuten Wohnen findet sich nicht zwingend. Dies hindert nicht, dass sich in einem „Mehrgenerationen-Wohnprojekt“ auch Elemente des Betreuten Wohnens finden können, also i. d. R. ein niedrigschwelliges Dienstleistungsangebot.
Betreutes Wohnen zu Hause Als Abwandlung des Betreuten Wohnens und prinzipiell eine Ausprägung der normalen Versorgung in der Häuslichkeit findet sich ohne die Komponente der Zurverfügungstellung von Wohnraum in Verbindung mit einem Grunddienstleistungspaket die Vorhaltung und Erbringung von seniorenorientierten Dienstleistungen in den eigenen vier Wänden außerhalb einer spezifisch seniorenbezogenen Wohnanlage. Der Leistungsumfang besteht regelmäßig aus dem Hausnotruf und ergänzenden Beratungsdienstleistungen und soziokulturellen Angeboten, nicht jedoch einer lokalen Präsenz von Betreuungsmitarbeitern. Personelle Präsenz gibt es in der Regel in der Form von regelmäßigen Hausbesuchen im Rahmen des Betreuungsangebots. Es handelt sich also um disloziertes „Einzelwohnen“ und nicht um geclustertes Wohnen für eine definierte Zielgruppe unter einem Dach.
Wohnungswirtschaftliche Servicekonzepte für Senioren Die wohnungswirtschaftlichen Servicekonzepte für Senioren beinhalten im Wesentlichen sog. niedrigschwellige Angebote in Form von Vermittlungsangeboten des Wohnungseigentümers, die in der Regel als Wahlleistungen den Hausnotruf und andere hauswirtschaftliche und ähnliche Angebote umfassen. Es handelt sich dabei mehr um wohnungsbezogene Leistungen als um Betreuungsleistungen. In der Regel handelt es sich um individuell von Wohnungsgesellschaften entweder selbst oder über eine Kooperation mit sozialen Dienstleistern und/oder Pflegediensten initiierte und vorgehaltene Dienstleistungskonzepte für ältere Mieter in ihren Wohnungsbeständen. Es handelt sich um ein mehr oder minder unterschiedlich ausgestaltetes, häufig auch auf ehrenamtlichen Strukturen basierendes Angebot, das älteren Menschen helfen soll, weiterhin in ihren angestammten Wohnungen wohnen zu können.
2.2.3 Zusammenfassung Betreutes Wohnen ist also nur das, was ein trägerunabhängiges, auf Selbstständigkeit und Individualität ausgerichtetes Wohnen mit einem Mindestmaß an Sicherheit ist. Die benachbarten Wohnformen weisen grundsätzlich andere Zielsetzungen, Leistungsbilder und auch andere Rahmenbedingungen ordnungs- wie auch leistungsrechtlicher Art auf. Dies zwingt, auf „Typenklarheit“ zu achten.
2 Strukturen und Grundlagen
2.3 Einordnung und Rahmenbedingungen Entwicklung und Betrieb von Betreutem Wohnen hat entscheidend die Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, innerhalb derer sich Wohnen mit Service abspielt. Es handelt sich um – tiefgreifende Veränderungen in Bezug auf Demografie, Mentalitäten und Milieus – das Aufkommen neuer integrierter Wohnkonzepte und Wohnformen, – Veränderungen in der leistungsrechtlichen und versicherungsrechtlichen Einordnung der Leistungsformen, die mit „Wohnen im Alter“ verbunden werden, – detaillierte öffentlich-rechtliche Rahmensetzungen für die „Produktgestaltung“, wobei dies nicht nur das Betreute Wohnen an sich, sondern viel stärker die benachbarten Versorgungsformen „Wohngemeinschaft“ und „Heim“ betrifft. Die soeben skizzierten Angebotsformen bewegen sich damit in drei Dimensionen: die erste Dimension ist die der Demografie und Mentalitäten, die zweite ist die der rechtlichen Rahmensetzungen und die dritte die der Betriebs- und Finanzwirtschaft.
2.3.1 Demografie, Mentalitäten und Milieus als Treiber zukünftiger Entwicklungen Demografie bedeutet in Bezug auf die „älterwerdende Gesellschaft“ vor allen Dingen einen Anstieg der hochaltrigen Bevölkerungsgruppen mit der Konsequenz des steigenden Bedarfs an Betreuungs- und Pflegedienstleistungen. Weniger das Wohnangebot an sich, vielmehr das Unterstützungsangebot ist wichtig. Das gilt insbesondere auch in Bezug auf den Trend zur „regionalen Entvölkerung“, also das Problem, altersgerechte Infrastrukturen aufrechtzuerhalten und das auch noch angesichts des sich verstärkenden Mangels an Human Resources im Bereich vor allem der stationären Pflege, aber nicht nur da. Hinzukommt, dass die „mentale“ Präferenz zum Wohnen im Heim nicht steigt, sondern eher zurückgeht. Die Pflege zu Hause wird präferiert – was zu Hause auch immer meint. Zudem befindet sich die Lebens- und Wohnform Betreutes Wohnen als spezifische, „institutionalisierte“ Wohnform in Konkurrenz mit ähnlichen, ebenfalls serviceorientierten Wohnformen. Es sind dies Wohngruppenmodelle, Formen ambulant betreuter Wohngemeinschaften, eigenorganisiertes Wohnen mit selbstorganisierter Unterstützung, Betreutes Wohnen zu Hause und Ähnliches. Je dichter das Angebotsnetz dieser Konzepte wird, desto geringer wird der Bedarf an „institutionalisierten“ Wohnformen. Nimmt man zudem in den Blick, dass das klassische Pflegeheim zunehmend von „vorstationären“ Konzepten substituiert werden soll und werden wird, so ist schon heute zu konstatieren, dass sich hieraus der Trend ergibt, dass Betreutes Wohnen im Kontext versorgungsintensiverer Angebote (Wohngemeinschaften, Tagespflege)
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zunehmend zur Alternative zu stationären Angeboten wird. Treiber hier ist auch die ambulante Finanzierungsstruktur. Die verstärkt zu beobachtenden „Versorgungsketten“ wie auch „Verbundangebote“ sind hierfür beredter Beleg.
Ambulant betreute Wohngemeinschaft
Betreutes Wohnen
Vollstationäre Pflegeeinrichtung
> Selbstständiges Wohnen
> unterstütztes Wohnen
> Wohnen in einer Einrichtung
> eigener Haushalt
> gemeinschaftlicher Haushalt
> Vollversorgungssetting
> angebundene Grundleistungen
> angekoppelte Präsenzleistungen
> Gesamtverantwortung eines Trägers
> modulare Wahlleistungen (weitergehende Betreuungsleistungen, insbes. Pflege)
(i. d. R. 24 - h - Präsenz) > modulare, fakultative Pflege- und sonstige Betreuungsleistungen
unvollständig < Leistungsbild > umfassend
Abbildung 3:Leistungsdichte von Wohnformen mit Dienstleistungen im Alter
2.3.2 Ordnungs- und Leistungsrecht Neben den soeben erwähnten Aspekten stehen die öffentlich-rechtlichen Rahmensetzungen für die Gestaltung des Produkts Betreutes Wohnen. Mit der durch die Föderalismusreform evozierten Zersplitterung der Landesheimrechte bzw. Landes-Einrichtungsrechte ist ein öffentlich-rechtlicher Flickenteppich in Deutschland entstanden, in dem die Bandbreite der Regelungen und Regelungsintensivität in Bezug auf Betreutes Wohnen von dem juristischen Status quo des – überholten – § 1 Abs. 2 Heimgesetz bis hin zu einer „Verstaatlichung“ des Betreuten Wohnens und einer faktischen Gleichbehandlung mit stationären Einrichtungen reicht. Die bundesrechtliche Regelung des Einrichtungs-Zivilrechts durch das WBVG tut ihr Übriges, die Komplexität selbst klar strukturierter Angebote in Form von Grund- und Wahlleistungen mit Abgrenzungsfragen und Gestaltungsoptionen anzureichern. Zu den einrichtungsrechtlichen Rahmenbedingungen kommen zudem Aspekte des öffentlichen Bau- und Planungsrechts und zwar der Regelungen zur Zulässigkeit von Vorhaben gem. BauGB wie zur baulichen Gestaltung durch die Landesbauordnungen. Hier gilt zunächst, dass Betreutes Wohnen „Wohnen“ ist und dass eine betreute Wohnanlage kein Altenpflegeheim oder eine andere Einrichtung zum Wohnen und der Pflege älterer Menschen ist. Das ist die Hauptweichenstellung. Zusätzlich gewinnt bei Kombinationsangeboten Relevanz, was dem Betreuten Wohnen baulich „unter einem Dach“ weiter zugeordnet wird. Je nachdem,
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um welche Nutzungsarten und welche baulichen Komponenten es sich handelt, steht die Immobilie nicht mehr (nur) unter dem öffentlichen Baurecht für Wohngebäude, sondern kann schnell unter die Kategorie von Sonderbauten mit strengeren Anforderungen, insbes. des Brandschutzes, fallen. Daraus ergibt sich, dass es bei der Konzeption von derartigen mehrgliedrigen Wohnangeboten zu kurz gesprungen ist, nur auf die einrichtungsrechtlichen Aspekte zu achten. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Bereiche: – der landesspezifisch definierte Rahmen des Einrichtungsrechts-/Ordnungsrechts, – der bundeseinheitlich festgelegte Rahmen des Leistungsrechts und – der ebenfalls überwiegend bundesrechtlich determinierte Rahmen des Immobilienrechts. Diese drei Bereiche sind bei allen Gestaltungsüberlegungen zwingend zu beachten, will man nachhaltig wirtschaftliche Angebote, insbesondere Angebotskombinationen, konzeptionieren und vermeiden, ungewollt in Kategorien zu kommen, die konzeptionell nicht angestrebt werden.
Ordnungsrecht Im Bereich des Ordnungsrechts sind im Hinblick auf die Gestaltung der Wohnangebote mit Dienstleistungen vor allem die Regelungen in den 16 Landesheimgesetzen relevant, die – ganz unterschiedlich ausgeformt – drei Typen erfassen: – das "Betreute Wohnen“, – die „ambulant betreuten Wohngemeinschaften“ und – die voll- und teilstationären Versorgungsformen „Heim“ und „Tages- und Nachtpflege“. Eine weitgehende Einheitlichkeit in der Definition wie auch in der Einbeziehung in den Geltungsbereich der Einrichtungsgesetze besteht nur bei den vollstationären Angeboten. Einheitlichkeit der Definition, aber Unterschiedlichkeit bei der Einbeziehung in die Geltung des Ordnungsrechts gibt es bei den teilstationären Tages- und Nachtpflegen. Beim Betreuten Wohnen variieren die Definitionen und auch die Grenzziehungen zur Geltung des Einrichtungsrechts.
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Eine grobe erste Orientierung mag das nachfolgende Schaubild geben:
Pflegeheim
Wohnen
Betreuung + Hauswirtscha�
Pflege
Einrichtungswohnen mit Vollversorgung
Ambulant betreute Wohngemeinscha�
Wohnen
Präsenzdienstleistungen
weitergehende Betreuung + Pflege
Wohnen mit sozialer Betreuung
Betreutes Wohnen
Wohnen
allgemeine Unterstützungs leistungen
Betreuung + Pflege
Wohnen mit Unterstützungs -leistungen
Legende:
in Bezug auf die Angebotsform grds. nicht regulierte Leistungsbereiche regulierte Leistungsbereiche
Abbildung 4: Wohnangebote im Landeseinrichtungsrecht
Die Struktur bei dem „Betreuten Wohnen“ verdeutlicht grundsätzlich das nachfolgende Schaubild: Selbstständiges Wohnen mit obligatorischen Grundleistungen und fakultativen Wahlleistungen
Wohnen
Grundleistungen
Wahlleistungen
• private Wohnung • Gemeinschaftsbereiche
• Beratung • allgemeine Unterstützung • Hausnotruf • haustechnische Dienste • Vermittlung von Wahlleistungen
• Mahlzeitendienste • hauswirtschaftliche Dienste • individuelle Leistungen sozialer Betreuung • Pflege • ....
Gekoppeltes Leistungsbild: Wohnen + Grundleistungen, entweder „aus einer Hand“ oder „kooperativ erbracht
Wahlfreiheit - sächlich wie personell
Abbildung 5: Leistungsstruktur Betreutes Wohnen
Aus dieser landesrechtlich unterschiedlichen Lage ergibt sich zum Thema Gestaltung, Betriebswirtschaft und Leistungsrecht Dreierlei: – Die Gestaltungsentscheidung ist wesentlich abhängig von der ordnungsrechtlichen Lage: die auf den ersten Blick organisatorisch-vertragsrechtlich „optimale“ Gestaltung des Betriebs ist dann u. U. keine „optimale“ mehr, wenn etwa die ordnungsrechtlichen
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Vorgaben dazu führen, dass die entstehenden Kosten nicht mehr refinanzierungsfähig sind oder die Folgen „unternehmenspolitisch“ unerwünscht sind. – Die Betriebswirtschaft hängt wesentlich von der Gestaltung ab. – Die Refinanzierungsfähigkeit qua Leistungsrecht basiert wiederum auf der Betriebswirtschaft, die eben ihrerseits wesentlich vom Ordnungsrecht beeinflusst wird. Es handelt sich um einen „strategischen Zirkel“.
Betriebswirtschaft
Leistungsrecht
Gestaltung
Abbildung 6: Strategischer Zirkel
Als Folgerung hieraus ist zu ziehen: Jede Gestaltungsentscheidung hat sich zwingend auf die ordnungs- und leistungsrechtlichen Rahmen einzustellen, da diese die Betriebswirtschaft vorgeben.
Leistungsrecht Der leistungsrechtliche Rahmen für die hier interessierende Wohn- und Versorgungsform des Betreuten Wohnens ist „ambulant“: Die Versorgung findet in der Häuslichkeit statt. Die Versorgung in den hier auch mitbehandelten Tagespflegeangeboten ist „teilstationär“. Zu beachten ist, dass die Kombination u. U. zu einem „vollstationären“ Angebot führen kann. Dieser Grundsatz bestimmt: – die Frage der „Philosophie“, – die Frage der Gestehungskosten, – die Frage der Platzierung und Vermarktung der Angebote und vor allem – die Frage: Wer bezahlt was, also die leistungsrechtliche Refinanzierung.
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Häusliche Pflege und Betreuung ist ein Thema der §§ 36 ff. SGB XI und §§ 37, 11, 132 SGB XI. Die Versorgung in der Tages- und Nachtpflege richtet sich nach §§ 41 ff. SGB XI. Liegt eine hier im Mittelpunkt stehende häusliche Versorgung vor, so richtet sich diese ungeachtet, in welcher Häuslichkeit diese stattfindet, nach den obigen Vorgaben. Liegt keine Versorgung in der Häuslichkeit vor, so richtet sich das leistungsrechtliche Regime nach §§ 43 ff. SGB XI bzw. in den erwähnten Tages- und Nachtpflegen nach §§ 41 ff. SGB XI. Es gilt dabei der Grundsatz, dass nicht gedeckte Kosten zulasten des Versorgungsbedürftigen gehen. Kann er diese nicht aufbringen, so kommt als weiterer Kostenträger der Sozialhilfeträger ins Spiel. Seine Eintrittspflicht ist im hier relevanten Bereich der Unterstützung für Pflege und Betreuung im Alter in §§ 41 ff., 70 f. SGB XII und §§ 61 ff. SGB XII geregelt. Dies gilt auch im Bereich der häuslichen Versorgung und insbesondere auch im Bereich der Pflege und Betreuung im Betreuten Wohnen und wird von den ambulanten Diensten gegenwärtig noch viel zu gering eingeschätzt, obgleich die „Sozialhilfequote“ tendenziell auf 40 % bis 50 % zusteuert, d. h. jeder zweite Nutzer/Kunde anspruchsberechtigt ist. Noch viel zu häufig wird in den Grenzen der ambulanten Sachleistungspauschalen gedacht und dann werden die Leistungen reduziert angeboten, obgleich Kostenträger für „mehr“ zur Verfügung stehen. Entscheidend ist, dass die Vertragsstruktur klar ist: Maßgeblich ist ein „Dreiecksverhältnis“ mit den drei Beteiligten „Kostenträger“/„Leistungserbringer“ und „Leistungsempfänger“/ „Kunde“.
Kostenträger Kostenübernahme aufgrund Verpflichtungsverhältnis gegenüber dem Leistungsempfänger
Leistungsempfänger Leistungserbringungsanspruch gegen Leistungserbringer „auf Kosten des Kostenträgers“
Leistungserbringer Leistung an den Leistungsempfänger qua Verpflichtung gegenüber dem Kostenträger
Abbildung 7: Sozialrechtliches Dreiecksverhältnis
Der Leistungserbringer erbringt hiernach seine Leistung aufgrund eines Dienstleistungsvertrags mit dem Kunden im Auftrag von und für den Kostenträger aufgrund einer mit dem
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Kostenträger geschlossenen Vereinbarung („Versorgungsvertrag ambulant“). Fehlt ein vertragliches Glied, so scheitert nicht die Leistungserbringung an sich, aber die Refinanzierung der Leistung im Verhältnis Leistungserbringer – Kostenträger. Damit gewinnen für Leistungserbringer die „Versorgungsverträge“ mit den Pflegekassen, denen der Kostenträger Sozialhilfe beigetreten ist, immense Relevanz für die Herstellung einer stabilen Wirtschaftlichkeit. Im Bereich des Leistungsrechts ist zudem nach den wegweisenden Entscheidungen des BSG im September 2020 dem Modell des „Betreuten Wohnens in Mieterwohngruppen“ besondere Aufmerksamkeit zu widmen, um die Leistungen des § 38a SGB XI für die Mieter zu mobilisieren.
Immobilienrecht Wie der Begriff Betreutes Wohnen als kombiniertes „Wohn- und Versorgungsangebot“ bereits sagt, handelt es sich um einen Angebotstyp, der mit der Immobiliennutzung in institutionalisierter Verbindung steht: Keine Grundleistung im Betreuten Wohnen ohne die Wohnraumnutzung, womit die Gestaltung der Immobiliennutzungsverhältnisse in den Blick kommt. Sofern der Immobilieneigentümer selbst nicht Wohnraumüberlassung und Dienstleistungen aus einer Hand selbst erbringen will, sind zwei Ebenen bei der Organisation der Immobiliennutzung mit dem Ziel der Nutzungsüberlassung von privatem Wohnraum zu unterscheiden: Die erste Ebene ist: Wie verschafft sich der Dienstleister oder der Vermieter erforderlichenfalls die Nutzungsmöglichkeit an der Immobilie, in der er für seine Kunden Wohnraum überlassen oder Dienstleistungen erbringen will? Die zweite Ebene ist: Wie wird zwischen dem über die Nutzung der Immobilie Berechtigten – sei es der Eigentümer, ein Generalmieter oder eben der Dienstleister selbst – die Nutzungsüberlassung an „privatem Wohnraum“ organisiert? Mehrere Varianten sind aus der Sicht des Eigentümers denkbar: – Der Eigentümer vermietet selbst, ein von ihm unterschiedener Dienstleister erbringt die Dienstleistungen, wobei entweder beide „nebeneinanderher“ agieren oder „kooperieren“. – Der Eigentümer vermietet an einen wohnungswirtschaftlich agierenden Generalmieter, der seinerseits untervermietet, und ein von diesem unterschiedener Dienstleister erbringt die Dienstleistungen, wobei entweder beide „nebeneinanderher“ agieren oder „kooperieren“. – Der Eigentümer vermietet an einen Dienstleister, der seinerseits privaten Wohnraum untervermietet und selbst Dienstleistungen erbringt, entweder unter rechtlicher Trennung von Wohnraumüberlassung und Dienstleistungserbringung oder unter Kopplung von Wohnen und Dienstleistungen.
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Kooperationsmodell Subunternehmermodell Wohnen
Wohnen Betreuung durch kooperierenden Dienstleister
Betreuung durch Subunternehmer
Alles aus einer Hand Wohnen
Betreuung durch den Immobiliendienstleister selbst
Abbildung 8: Organisationsmodelle der immobilienwirtschaftlichen Organisation von BW
Aus der Sicht des Dienstleisters ergeben sich folgende Gestaltungsvarianten: – Der Dienstleister erbringt seine Dienstleistungen parallel zu der Immobilienüberlassung ohne „Kooperation“ mit demjenigen, der die Wohnraumüberlassung organisiert. – Der Dienstleister ist selbst Überlasser von Wohnraum, indem er den von ihm als Generalmieter angemieteten Wohnraum seinerseits untervermietet und zugleich die Dienstleistungen, entweder unter rechtlicher Trennung von Wohnraumüberlassung und Dienstleistungserbringung oder unter Kopplung von Wohnen und Dienstleistungen, erbringt. – Der Dienstleister erbringt seine Dienstleistungen parallel zu der Immobiliennutzung allerdings in „Kooperation“ mit demjenigen, der die Wohnraumüberlassung organisiert. Diese Gestaltungsalternativen gelten allerdings nur für das Betreute Wohnen (wie auch Wohngemeinschaften) als „betreute Wohnform“, nicht jedoch für die Tages- und Nachtpflege: Hier wird die Dienstleistung „Pflege und Betreuung“ stets gekoppelt mit der für die Zeit dieser Dienstleistungserbringung erforderlichen Nutzung der Tages- oder Nachtpflegeeinrichtung erbracht.
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• Betreuungsleistungen vom Betreuungsträger
Generalmietmodell
• Anmietung der Immobilie vom Eigentümer/Zwischenvermieter durch den Betreuungsträger • Untervermietung durch den Betreuungsträger an den einzelnen Bewohner
• Betreuungsträger erbringt die Betreuungsleistungen
Kooperationsmodell
• Immobilieneigentümer/Zwischenvermieter schließen Kooperationsvertrag über das kombinierte Leistungsangebot • Eigentümer/Zwischenvermieter überlässt den Wohnraum an den einzelnen Mieter
Abbildung 9: Organisation des dienstleistungsorientierten BW
2.3.3 Finanz- und betriebswirtschaftliche Rahmenbedingungen Die investitions- und finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind weiterhin dadurch gekennzeichnet, dass sich das Betreute Wohnen nach wie vor im Zwiespalt zwischen „Wohnund Spezialimmobilie“ befindet. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung drängen verstärkt alternative Wohnformen, wie – Betreutes Wohnen zu Hause sowie – Wohngemeinschaften mit Betreuungsleistungen auf den Markt. Sie werden Bestandteil von Wohnanlagen und ergänzen das Wohnangebot. Zudem hat sich die konzeptionelle Entwicklung von stationären Altenhilfeeinrichtungen in den letzten 10 bis 20 Jahren in erheblichem Maße verändert. Die Entwicklung geht zunehmend in die Richtung kleinstrukturierter Einrichtungen. Die Vernetzung von Betreuungsstrukturen erhält dabei den sozialen Kontakt für die Bewohner und gewährleistet die Einbindung der Angehörigen und Freunde in die Betreuung, die durch Ortsnähe wesentlich erleichtert wird. Diese 5. Generation der Altenpflegeheime wird durch die Einbindung der Bewohner in den Alltag in der Einrichtung, z. B. durch die Mitarbeit in der Vorbereitung der Mahlzeiten, durch das Waschen der eigenen Wäsche und die Mitwirkung bei sonstigen typischen Hausarbeiten charakterisiert.
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Damit wird das Betreute Wohnen aus der Sicht von Investoren dann zunehmend interessant, wenn es eben nicht nur in einem Wohnangebot besteht, sondern eingebettet ist in eine Kette von Leistungsmodulen, die dem Mieter die Sicherheit einer Versorgung – wenn auch in benachbarten Wohn-Versorgungsformen – bis zum letzten Atemzug gibt. Gleiches gilt aus entgegengesetzter Perspektive auch für die Dienstleistungsanbieter. Ungewohnt sind derartige Konstellationen nach wie vor häufig für finanzierende Banken, für die derartige Verbundangebote in der immobilienwirtschaftlichen Einordnung wie aber auch in der Risikoeinschätzung schwierig zu handhaben sind. So werden sie teilweise als Betreiberimmobilien behandelt, teilweise aber auch grundsätzlich aus Risikoaspekten vehement ausgeschlossen. Hingegen wenden sich institutionelle Anleger zunehmend diesem Segment zu. Bei ihnen besteht allerdings die generelle Anforderung bestimmter Objektvolumina, die erreicht werden müssen, i. d. R. um die 10 Mio. €, mit der Folge, dass das „kleinere“ Betreute Wohnen mit 20 bis 30 Wohnungen plus einer 12 bis 15 Plätze umfassenden Tagespflege durch das Investitionsraster fällt. Damit konzentriert sich der Markt möglicher Investoren auf lokale Akteure wie die Dienstleister selbst. Die Frage der „optimalen Betriebsgröße“ stellt sich aber auch gleichermaßen für die Dienstleistungsanbieter. Objekte des Betreuten Wohnens unter 25 bis 30 Wohneinheiten sind betriebswirtschaftlich i. d. R. nur dann interessant, wenn sie bereits vorhandene und eingeführte teil- oder vollstationäre Angebote oder Wohngemeinschaftsangebote ergänzen. Dies führt dazu, dass die Entscheidung über die Errichtung eines betreuten Wohnangebots – wohl aus dem Blickwinkel der Immobilienseite wie auch aus dem Blickwinkel der Dienstleistungserbringer – letztlich als Strategieentscheidung zu behandeln ist.
2.4 Erscheinungsformen Kein Betreutes Wohnen ist wie das andere und es gibt auch nicht den „Königsweg“ in der Gestaltung der Angebote. Wohl aber gibt es Modelle, die aus dem Aspekt der Schaffung nachhaltiger Wohnangebote für ein langes Leben zu präferieren sind. Die Spannbreite der Modelle bewegt sich zwischen zwei Polen: dem Betreuten Wohnen als „Stand-alone-Angebot“ und dem Betreuten Wohnen als Element eines mehrgliederigen Angebots unterschiedlicher Altenhilfeleistungen. Stand-alone-Modelle zeichnen sich dadurch aus, dass entweder ein Investor allein oder in Kooperation mit einem Betreuungsdienstleister ein Wohnangebot schafft, das er mit den für das betreute Wohnen typischen niedrigschwelligen Unterstützungsleistungen verbindet. Einen Konnex zu ambulant betreuten Wohngemeinschaften, zu einem Tagespflegeangebot oder gar einer vollstationären Pflegeeinrichtung gibt es nicht oder nur lose. Die Dienstleistungen werden dabei nicht selten schon nicht von einem zugelassenen Pflegedienst erbracht,
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sondern von einem sonstigen „Betreuungsdienstleister“. Wenn zur Stärkung des betreuten Wohnangebots Pflegeleistungen vermittelt werden, so geschieht dies vornehmlich unter dem Aspekt der Vermittlung von Wahlleistungen – quasi begriffsbedingt – und nicht primär unter dem Aspekt der Schaffung eines modularen „Rundum-Angebots“. Betreutes Wohnen als Element eines mehrgliedrigen Angebots unterschiedlicher Altenhilfeleistungen ist daher „Element“-Modul einer Leistungskette: Vornehmlich initiiert von einem ambulanten Pflegedienst, wird das Wohnangebot mit allgemeinen Unterstützungsleistungen als Modul eines ganzheitlichen Versorgungsangebots gesehen. Ganzheitlich bedeutet dabei nicht obligatorisch verknüpft, sondern selbstständiges Modul neben anderen Leistungsmodulen für andere Bedarfe, also z. B. der Tagespflege, ambulant betreuten Wohngemeinschaften oder einer vollstationären Einrichtung. Entscheidend ist, dass die Modularität gewährleistet ist und zwar sicher und auf Dauer. Betreutes Wohnen ist eben kein „Minus“ zum Pflegeheim oder Mittel zum Zweck der Auslastung einer Tagespflege, sondern etwas grundsätzlich anderes. Weder sind die Zielgruppen zwangsläufig identisch noch ist eine rechtliche wie faktische Kopplung zulässig, noch ist Betreutes Wohnen „Durchgangsstation“ zum Heim. Dennoch findet sich Betreutes Wohnen häufig in der Nachbarschaft – konzeptionell wie auch räumlich – zu den drei anderen genannten Angebotstypen. Sehr häufig befindet sich sogar die Tagespflege unter einem Dach mit dem Betreuten Wohnen: Dies ist weder verboten noch unsinnig, noch entspringt es irgendwelchen leistungsrechtlich geprägten Konzeptionen („Stapeln von Leistungen“, um der Erlösmaximierung willen). Tagespflegeangebote sind Entlastungsangebote gerade für Menschen, die in eigener Häuslichkeit leben, sich aber – etwa in Paarbeziehungen – Freiräume in Bezug auf die Betreuung und Pflege des jeweils anderen schaffen wollen oder auch müssen (aus „Erschöpfung“). So ist die Tagespflege seitens des Gesetzgebers angelegt und so erfüllt sie die ihr von Gesetzes wegen zugewiesene Funktion. Gleiches gilt häufig auch in Bezug auf Wohngemeinschaften: Diesbezüglich nimmt das Betreute Wohnen allerdings eher eine ergänzende Funktion ein, da es unter einem Dach mit ambulant betreuten Wohngemeinschaften ermöglicht, dass insbes. bei Paaren einer selbstständig in der eigenen Wohnung leben kann und der andere mit 24-Stunden-Betreuung in einer Wohngemeinschaft, ohne dass sich beide aus den Augen verlieren und Entfernungsbarrieren zu überbrücken wären. Gleichfalls eröffnet eine solche Kombination Versorgungssicherheit für den Fall, dass Wohnen in einer singulären eigenen Häuslichkeit wegen eines gesteigerten Betreuungsbedarfs nicht mehr möglich ist, ein Umzug in eine 24-Stunden-Betreuung geboten ist, aber das soziale Umfeld nicht verlassen werden muss. Ähnliches gilt auch bei mehrgliederigen Angeboten, wo sich das Betreute Wohnen neben einem vollstationären Angebot befindet. Auch hier wird ein qualitativ anderes Angebot des Wohnens außerhalb eines Gesamtversorgungsangebots gemacht, aber die in der Regel auch räumliche Nähe zur vollstationären Einrichtung schafft ein – nicht nur „gefühltes“ – Sicherheitsnetz.
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Sozialstation
WG
BW
TP
Abbildung 10: Mehrgliedrige Angebote
Erfolgsfaktor Nr. 1 für derartige modulare Angebote ist aber die Modularität und die Eigenständigkeit und „Typenreinheit“ der verschiedenen Angebote. Das betrifft insbesondere Konstellationen, in denen sich alle drei Angebote räumlich auf einem Areal oder gar unter einem Dach befinden. Die Zielgruppen sind unterschiedlich, die Leistungsbilder sind unterschiedlich und beides scharf zu fokussieren ist die Grundlage für Marktakzeptanz auf der einen Seite wie aber auch die Vermeidung ordnungsrechtlicher und leistungsrechtlicher Probleme infolge unzulässiger „Grenzüberschreitungen“ und „Vermischungen“ auf der anderen Seite. Wird nämlich nicht differenziert, so besteht das eklatante Risiko, dass die „Modularität“ auf dem Papier zur Einheitlichkeit in der Realität wird. Folge dessen ist, dass einerseits die ordnungsrechtliche Einordnung des Betreuten Wohnens als grundsätzlich staatsfreiem Angebot wegfällt wie auch andererseits leistungsrechtlich die ambulant strukturierte Versorgung und Finanzierung gefährdet wird: Das Wohnen mit allgemeinen Unterstützungsleistungen wird zum unselbstständigen Teil eines Einrichtungsangebots mit Pflegesätzen, Investitionskosten und dem Wegfall der SGB V-Leistungen. Das eine provoziert gänzlich andere bauliche und personelle Anforderungen als bei einem Wohnen mit Unterstützungsleistungen, das andere führt zu einer gänzlich anderen – in der Regel schlechteren – Refinanzierung. Hinzu kommt, dass in Bezug auf die Sozialhilfe die Inanspruchnahme des „Bewohners“ wie auch der Regress der Angehörigen völlig anderen Regeln unterliegt. Die „ambulanten“ Freibeträge des „doppelten Eckregelsatzes“ entfallen und werden reduziert auf einen „Taschengeldfreibetrag“.
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2.5 Zusammenfassung „Betreutes Wohnen“ bewegt sich also einerseits in Nachbarschaft zu anderen Pflege- und Betreuungsformen und andererseits in einem Rahmen, der von soziodemografischen Einflussfaktoren wie auch wirtschaftlichen und rechtlichen Determinanten bestimmt wird. Das macht dieses Angebot weitaus komplexer als man aus der Begrifflichkeit entnehmen könnte. Die einfache Formel „Wohnen + Betreuung“ ist nur bedingt zielführend. Insbesondere die mit einem unscharfen Begriffsverständnis einhergehenden Rechtsrisiken zwingen zu einer klaren Begrifflichkeit und Gestaltung in Abgrenzung zu benachbarten Wohn- und Versorgungsformen.
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3 Erfolgsfaktoren – so gelingt Betreutes Wohnen Die Erfolgsfaktoren für Betreutes Wohnen, das einerseits den Mietern adäquaten Wert gibt und andererseits für den Anbieter wirtschaftlich nachhaltig ist, sind Legion. Hier werden die entscheidenden Faktoren – quasi das magische Siebeneck – skizziert: – die richtige Zielgruppe (3.1, S. 32), – das richtige Konzept und Angebot (Wohnen wie Dienstleistungen)(3.2, S. 32 ff.), – leistungsgerechte Kosten und kostenadäquater Nutzen (3.3, S .41 ff.), – die richtige Marktpositionierung (3.4, S. 43 f.), – die treffende Auswahl in punkto Modularität (3.5, S. 44 f.) sowie – eine gesicherte Qualität (3.6, S. 36 ff.) und – die typgerechte Vertragsgestaltung (3.7, S. 54 f.). Marktgerechtes Pricing Qualitätssicherung
Marktpositionierung
das „richtige“Konzept
Magisches Siebeneck des Betreuten Wohnens
konzeptgerechte Vertragsgestaltung
„richtige“ Zielgruppe
zielgruppengerechte Modulauswahl
Abbildung 11: Magisches Siebeneck des Betreuten Wohnens
Diese Faktoren sind nicht „kochbuchmäßig“ beschreibbar: Jedes Angebot ist lokal und muss lokal gestaltet sein, um Erfolg zu haben. Allerdings gibt es Leitlinien und Rahmenbedingungen, die kritische Erfolgsfaktoren sind. Sie werden hier nachfolgend skizziert.
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3.1 Die richtige Zielgruppe Betreutes Wohnen hat nur Erfolg, wenn das Angebot die trifft, die es brauchen und die gewillt sind, die Leistungen der Basisbetreuung zu bezahlen. Das bedeutet primär, dass Betreutes Wohnen kein verkapptes Pflegewohnen, kein verkapptes Einrichtungswohnen, kein verkapptes Servicewohnen für Jungsenioren ohne Unterstützungsbedarf sein darf, will man Erfolg haben. Die Zielgruppe für das „klassische“ Betreute Wohnen ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet: – Alter über 75, tendenziell gegen 80 +, – regelmäßig alleinstehende Frauen, zunehmend auch Paare, wenngleich noch deutlich unterrepräsentiert, weniger alleinstehende Männer, – Vorhandensein eines ausgeprägten Sicherheitsbedürfnisses, – Vorhandensein von Mobilitätseinschränkungen/Immobilitäten (Bedarf an schwellenfreiem Wohnraum und schwellenfrei erschlossenem Wohnraum) – i. d. R. Bedarf an hauswirtschaftlichen Dienstleistungen, – Interesse an Leben in „Gemeinschaft“ und doch in „Privatheit“, – Fähigkeit zur Führung eines eigenen Hausstands, wenngleich mit Unterstützung (siehe oben), – kein 24-Stunden-Betreuungsbedarf (z. B.in Folge von Demenz), – niedriger Pflegegrad, jedenfalls bei Einzug. Diese Merkmale kommen i. d. R. nicht kumulativ vor. Prägend ist der Wunsch nach Basissicherheit und altersgerechtem Wohnraum. Daher ist diese Kriterienauflistung auch nur als Anhalt für die Produktgestaltung zu verstehen. Letztendlich kommt es bei der Feinsteuerung darauf an, eine Zielgruppe zu finden, die es tatsächlich lokal gibt. Aufgrund der Vielfalt denkbarer Gestaltungen des Angebots ist die Frage der Zielgruppe „relativ“.
3.2 Das richtige Konzept und Angebot Wie die Begrifflichkeit bereits ausdrückt, ist Betreutes Wohnen eine Kombinationsleistung von „Wohnen“ und „Betreuungsleistungen“. Beides zielgruppengerecht zu gestalten, ist die „hohe Kunst“ der Konzeptionierung, die in dem (Betreuungs-)Konzept der betreffenden Wohnanlage dokumentiert ist.
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Ausrichtung
• • • •
Philosophie Zielgruppe Verortung im Quartier Partner
Dienstleistungen
• • • • •
Grundleistungen Wahlleistungen Personaleinsatz Qualitätssicherung Vertragsgestaltung
Wohnen
• • • • •
Grundleistungen Wahlleistungen Personaleinsatz Qualitätssicherung Vertragsgestaltung
Abbildung 12: Elemente eines Konzepts für Betreutes Wohnen
Ziel ist die Errichtung eines Wohnangebots mit zielgruppengerechtem Wohnraum und zielgruppengerechten Dienstleistungen. Hier sind die Merkmale der Zielgruppe relevant, vor allem ihre ermittelten Erwartungen im konkreten Fall, wobei diese standardisiert anhand der Qualitätsstandards der DIN 77800 – Betreutes Wohnen abgeleitet werden können. Das Konzept dieses Wohnmodells verlangt zwingend die dauerhafte Betreuung der künftigen Bewohner durch einen qualifizierten Betreuungsträger. Daher braucht es konzeptionell eines Dienstleisters, der die Erbringung der Grundleistungen des Betreuten Wohnens übernimmt. Der Eigentümer/Bauherr bzw. bei WEG-Modellen in seiner Rechtsnachfolge die künftigen Wohnungseigentümer (Eigentümergemeinschaft) und der Betreuungsträger sind gemeinsam für das Betreuungskonzept und dessen Umsetzung verantwortlich. Die allgemeine Zielsetzung ist, den älteren und pflegebedürftigen Menschen ein würdevolles Leben so lange wie möglich in Selbstständigkeit mit Teilhabe zu ermöglichen. Welche Philosophie dabei maßgeblich ist, ist spezifisch anbieterorientiert.
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Leitlinien sind dabei stets: – Sicherheit, – Selbstständigkeit, – Privatheit. Geeignete Betreuungsträger sind dabei solche, die auf ein langjähriges Erfahrungswissen und auf eine differenzierte Angebotspalette für den ambulanten Bereich zurückgreifen können. Entscheidend ist, dass in der Philosophie das Bedürfnis der Menschen nach Selbstbestimmung und vor allem nach Unabhängigkeit – wo immer realisierbar – zum Ausdruck kommt und in der Leistungspalette berücksichtigt wird. Vorhandene Interessen und Fähigkeiten des älteren Menschen sollen gefördert und Begleiterscheinungen des Älterwerdens positiv beeinflusst werden. Um den längst möglichen Verbleib in der eigenen, vertrauten Wohnumgebung zu unterstützen, hat der Betreuungsträger ein umfassendes ambulantes Pflege- und Betreuungspaket anzubieten, das jeweils gemeinsam – entsprechend den individuellen Bedürfnissen – mit dem älteren Menschen vereinbart wird. So soll durch ein abgestuftes Angebot an sozialen Leistungen zur Aufrechterhaltung der täglichen Lebensaktivitäten beigetragen werden sowie Kontakte und Geselligkeit der Bewohner untereinander gefördert werden. Bei größtmöglicher Sicherheit und zielgruppenorientiertem Service steht die Erhaltung von Privatheit im Vordergrund. Dies bedingt eine kontinuierliche Betreuung durch wenige Bezugspersonen und wenig Personalwechsel. Kompetente Ansprechpartner sind zwingend, damit die Anliegen und zuweilen auch Nöte von Mietern mit der gebotenen Diskretion behandelt werden. Dies schafft eine wesentliche Voraussetzung für ein seriöses und nachhaltiges Angebot. Das Konzept „Betreutes Wohnen“ basiert in Bezug auf das Wohnen auf der Zurverfügungstellung von barrierefreiem, mindestens schwellenfreiem, privatem Wohnraum, sowie Gemeinschaftsflächen, die zur Kommunikation, zu gemeinschaftlichen Aktivitäten und privaten Aktivitäten geeignet sind. In Bezug auf die Flächen der privaten Wohnungen gibt es keine (gesetzlichen oder normierten) Vorgaben. Je nach finanzieller Stärke der Zielgruppe haben sich als Standard-2-Zimmer-Apartments mit mind. 45 qm bewährt. Dabei ist für das „klassische“ Betreute Wohnen ein Wohnungsmix anzustreben, der aus 20 % 1½-Zimmer-Apartments, 60 % 2-Zimmer-Apartments und 20 % 3-und-mehr-Zimmer-Apartments besteht. Handelt es sich um ein Angebot in Richtung „Residenz“, so können die Wohnungsgrößen zunehmen. Handelt es sich um ein Angebot Richtung „Wohnen mit Pflege“, so ist die Reduzierung der Flächen angeraten, sprich vornehmlich 1-Raum-Apartments mit Flächen von um 35 qm. Die angegebenen Flächen haben allerdings primär indikativen Wert. Zu berücksichtigen sind Lagefaktoren, die Soziodemografie (Haushaltsgrößen und Einkommen) sowie das zu realisierende Betreuungskonzept und dessen Ausprägung – mehr Wohnen oder mehr Pflege, mehr Leben in der Wohnung oder mehr Leben in den gemeinschaftlich nutzbaren Flächen.
3 Erfolgsfaktoren – so gelingt Betreutes Wohnen
In Bezug auf die Dienstleistungen beinhaltet Betreutes Wohnen ein flexibles Leistungsangebot, das regelmäßig aus Grund- und Wahlleistungen besteht, wobei keine Vollversorgung geboten wird. Daraus ergeben sich folgende Zielsetzungen und Aufgabenstellungen: – Hilfestellung bei der Bewältigung des Alltags trotz/auch bei Einschränkungen, – Unterstützung, um so lange wie möglich in der eigenen häuslichen Umgebung selbstbestimmt leben zu können, – Gemeinschaft und Geborgenheit in der Wohnanlage schaffen und trotzdem die Möglichkeit zur individuellen Lebensgestaltung fördern, – Angebot und Vorhaltung wichtiger Hilfen für die Alltagsbewältigung, – Grundleistungen/Allgemeine Betreuungsleistungen mit einer zentralen Anlauf- und Beratungsstelle in der Wohnanlage, – frei wählbare und einzeln abrufbare zusätzliche Wahlleistungen/weitergehende Betreuungsleistungen, besonders für den Fall der Krankheit und der Pflege, – Organisation und Vermittlung von Hilfen, die im Einzelfall von den Mietern benötigt werden. Im Einzelnen bedeutet das, dass in der Konzeption das Leistungsbild festzulegen ist: Betreutes Wohnen richtet sich nach den Bewohnern und ihren Bedürfnissen. Um diesen Anspruch zu erfüllen und auch bezahlbar zu machen, wird das Leistungsangebot i. d. R. strukturell in zwei Bereiche geteilt: – Grundleistungen/allgemeine Betreuungsleistungen sowie – Wahlleistungen/weitergehende Betreuungsleistungen. Die Grundleistungen bilden das „soziale Netz“ und sind fester Bestandteil des täglichen Lebens in der Wohnanlage. Sie werden für jeden Bewohner vorgehalten und sind deshalb mit einem monatlichen Pauschalentgelt, der sog. Betreuungs- oder Servicepauschale, zu bezahlen. Die Höhe des Entgelts wird in dem Betreuungsvertrag geregelt. Die Grundleistungen umfassen standardmäßig im Einzelnen: – einen haustechnischen Basisservice, sofern dieser nicht Teil der Wohnraumüberlassung ist, was auch konzeptionell zu regeln ist; dazu gehören insbesondere auch die Sicherstellung der Haustechnik im Störungsfall sowie die Sicherstellung der Reinigung der Allgemeinflächen (z. B. Treppenhaus, Keller, Gemeinschaftsräume) sowie Räum- und Streudienst und die zentrale Müllentsorgung, – Notrufsicherung, die die Basissicherheit bietet, indem nämlich über eine bei Einzug des Bewohners eingerichtete Notrufanlage mit Basisgerät sowie drahtloser Auslösung
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(spritzwasser-geschützter Funkfinger) eine rund um die Uhr besetzte stationäre Notrufempfangsstelle erreichbar sein muss, die mittels eines festgelegten Alarmplans Hilfe organisieren muss („Alarmkaskade“), – Beratungstätigkeit und „Präsenz“ bilden den Kern der „Betreuung“ und umfassen die Beratung bei der Organisation des Umzugs bzw. Einzugs in die Wohnanlage einschließlich der qualifizierten Erstberatung vor Vertragsabschluss, die Beratung bei allgemeinen Behördenangelegenheiten sowie in Krisensituationen (z. B. Tod von nahestehenden Personen, schwere Erkrankung, Eintritt von Pflegebedürftigkeit usw.), wobei insofern feste Bürosprechzeiten und Sprechzeiten nach Bedarf in der Wohnanlage zu organisieren sind. Hinzu kommt die allgemeine Informationstätigkeit über kulturelle und Bildungsangebote, zum Fahrplanangebot des öffentlichen Personennahverkehrs, über die Grund- und Wahlleistungen, über die Handhabung der Notrufgeräte, zu grundlegenden Fragen zu SGB XI-, SGB V- und SGB XII-Angelegenheiten und Verweis auf Fachberatungsstellen, über Einkaufsund Dienstleistungsmöglichkeiten einschließlich ambulanter Dienste (orientiert am Bedarf und bezogen auf quartiersnahe Angebote). Die Vermittlungs- und Organisationstätigkeit, die konzeptionell zu definieren ist, umfasst die Hilfestellung bei der vom Mieter gewünschten Kontaktaufnahme zu ambulanten Diensten und zu hauswirtschaftlichen Diensten, Hilfestellungen bei der Organisation des Übergangs in ein Pflegeheim (informativ, vermittelnd, klärend), wenn der ärztlich festgestellte Gesundheitszustand des Bewohners ein Verbleiben in der eigenen Wohnung nicht mehr gestattet sowie Hilfestellungen bei der Herstellung sozialer und sonstiger Kontakte (z. B. Friseur, Fußpflege) und soziale und kulturelle Aktivitäten, kulturelle, gesellschaftliche und gesundheitsfördernde Veranstaltungen, Nachbarschaftshilfe durch andere Mieter. Die Wahlleistungen müssen Gegenstand der Vermittlungstätigkeit des Betreuungsträgers sein und es ist in der Konzeption zu dokumentieren, wie diese gestaltet sein sollen. Dabei ist sicherzustellen, dass vollkommene Wahlfreiheit hinsichtlich der Auswahl von Leistungen ebenso wie hinsichtlich der Auswahl von Leistungsanbietern besteht. Dies ist der essenzielle Unterschied zu einem Gesamtversorgungsangebot. Selbstverständlich kann der Betreuungsträger über die Grundleistungen hinausgehende Wahlleistungen auch selbst anbieten. Als Wahlleistungen kommen im Einzelnen in Betracht, wobei es sich um einen Mindestumfang handelt, der in der Konzeption spezifiziert werden sollte: – Hauswirtschaftliche Hilfen: können Mahlzeitenlieferung in die Wohnung, Grund- und Unterhaltsreinigung der Wohnung sowie die Fensterreinigung, das Waschen oder Reinigen der Bekleidung und Wäsche wie auch das Gardinen auf- und abhängen einschließlich Gardinenwäsche und Bett ab- und beziehen, umfassen.
3 Erfolgsfaktoren – so gelingt Betreutes Wohnen
– Die zu vermittelnden pflegerischen Hilfen umfassen grund- und behandlungspflegerische Maßnahmen, die häufig aber nicht zwingend der Betreuungsträger selbst erbringen will. – Dasselbe gilt für haustechnische Dienste wie z. B. die Durchführung von Kleinstreparaturen an Gegenständen des Mieters und das Auf- und Abhängen von Gegenständen. Daneben stehen zu vermittelnde Hol- und Bringdienste sowie Fahr- und Begleitdienste. – Leistungen im Krankheitsfall und bei Krankenhausaufenthalt umfassen die Entsorgung verderblicher Lebensmittel, die Leerung des Briefkastens, die Sicherstellung der Versorgung von Haustieren sowie die Übernahme der Blumenpflege und last not least die Versorgung mit Kleidung und Wäsche bei Krankenhausaufenthalt. Darüber hinaus gehende Leistungen können ggf. konzeptionsgemäß im Einzelfall mit dem Betreuungsträger vereinbart oder von diesem vermittelt werden. Dabei ist nicht zwingend eine feste Kooperation mit Wahlleistungsanbietern vorzusehen, kann sich aber anbieten, um eine qualitätsgesicherte Vermittlungsstruktur zu schaffen. Die Organisation des Betreuungsdienstes sollte dergestalt sein, dass die Mitarbeiter, die zur Betreuung der Mieter eingesetzt werden, sich im Rahmen ihrer beruflichen Ausbildung in geeigneten Berufen qualifiziert haben bzw. durch den Betreuungsträger selbst auf ihre Aufgaben vorbereitet wurden. Als Qualifikationsrichtlinie für die Betreuungspersonen kann das Anforderungsprofil nach der DIN 77800 – Betreutes Wohnen für ältere Menschen herangezogen werden. Dabei muss eine vom Betreuungsträger benannte verantwortliche Betreuungskraft die gesamte Organisation (z. B. Sprechzeiten, Mitarbeitereinsatz, Aktivitäten für die Bewohner, interne und externe Kooperationen) regeln. Betreuungsqualität ist kein Zufall. Neben der verantwortlichen Betreuungskraft sind die in der Wohnanlage während der Sprechzeiten eingesetzten Mitarbeiter des Betreuungsträgers Ansprechpartner und Bezugsperson für die Bewohner. Ehrenamtlich Interessierte können ergänzend eingebunden werden. Eine Betreuungsstruktur, die sich rein auf Ehrenamtler stützt, hat sich in den wenigsten Fällen bewährt. Dabei ist aus dem Gesichtspunkt der Teilhabeförderung, der Einbindung der Mieter als Akteure in das Konzept wie auch in die Realisierung des Betreuungskonzepts besonders zu achten. Betreuung in diesem Sinne ist nicht „Abnahme“ von Aktivitäten, sondern fördernde und fordernde teilhabeorientierte Integration. In Bezug auf die Einsatzzeiten und Sprechstunden des Betreuungspersonals ist eine zielgruppen- aber auch konzeptspezifische Personalpräsenz zu wählen – abhängig von der angestrebten Intensität, des angestrebten Dienstleistungsniveaus, der marktgerechten Preisgestaltung. Orientiert man sich an dem Mindeststandard der DIN 77800 – Betreutes Wohnen, so ist ein Personaleinsatz geboten, der je 100 Wohnungen eine Vollzeitmitarbeiterin plus Krankheits- und Urlaubsvertretung verlangt, was i. E. auf eine Personalquote von um 1,4 : 100 verlangt. Die einzusetzenden Kräfte müssen in der Regel werktäglich (Montag bis
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Freitag außer Feiertagen) jeweils zu festen Zeiten im Betreuungsbüro in der Wohnanlage erreichbar sein. Die genauen Zeiten werden durch Aushang im Haus bekannt gegeben. Konzeptionell sind zudem auch Maßnahmen zur Qualitätssicherung vorzusehen. Diesbezügliche Standards haben sich darüber hinaus stets an den neuesten Erkenntnissen zu orientieren, wobei auch hier insbesondere die Vorgaben der DIN 77800 in der jeweils geltenden Fassung Maßgaben machen kann. Auf deren Grundlage können z. B. regelmäßige Bewohnerbefragungen durchgeführt werden, wobei deren Anonymität und Vertraulichkeit zu gewährleisten ist. Die Ergebnisse der Befragung, deren Interpretation sowie aus den Ergebnissen abgeleitete Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung dienen der Qualitätssteigerung. Ferner bietet sich an, ein Anregungs- und Beschwerdemanagement zu implementieren. Fehlermeldungen, Beschwerden und Verbesserungsvorschläge sollten von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Betreuungsträgers sowohl in mündlicher als auch in schriftlicher Form entgegengenommen werden. Die Entgegennahme und Bearbeitung einschließlich der eingeleiteten Maßnahmen sollten dokumentiert und zeitnah auf ihre Wirksamkeit hin geprüft werden. Die Dokumentation sollte einmal jährlich ausgewertet werden. Alle Dienste und Leistungen, die von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Betreuungsträgers erbracht werden, müssen dokumentiert werden. Sie sind vor dem Zugriff Dritter in geeigneter Weise zu sichern und es ist zu gewährleisten, dass sie nur befugten Mitarbeitern zugänglich sind. Die jeweils geltenden Datenschutzbestimmungen müssen dabei Anwendung finden. Die Dokumentation dient auch der Qualitätssicherung sowie der Kommunikation mit Kooperationspartnern. Letzteres ist notwendig und über eine Schweigepflichtentbindung geregelt. Konzeptionell sind vor allem auch die Einzugsvoraussetzungen festzulegen, also die Zielgruppe: Dies ist individuell zu fassen und vor allem aufgrund der Marktsituation wie auch der Kompetenzen des Leistungsanbieters zu definieren. Solche Festlegungen basieren häufig auch auf der immobilienwirtschaftlichen bzw. grundbuchlichen Situation. Letzteres ist hoch relevant bei WEG-Modellen. In den Nutzungsbeschränkungen der Teilungserklärung ist häufig die Zielgruppe definiert, die der Betreuungsträger zu beachten hat. Häufig kann nur einziehen, wer das 55. Lebensjahr vollendet hat oder schwerbehindert oder Schwerbehinderten gleichgestellt im Sinne des Schwerbehindertengesetzes ist oder zum leistungsberechtigten Personenkreis des Pflegeversicherungsgesetzes gehört. Bei Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen wird es regelmäßig als ausreichend festgelegt, wenn eine von ihnen derartige Voraussetzungen erfüllt. Im Übrigen wird häufig auf die Teilungserklärung verwiesen. Ferner sind Festlegungen zum Probewohnen angeraten. Häufig kann über die Möglichkeit des Probewohnens nur im Einzelfall von dem teilenden Bauherren bzw. der Eigentümergemeinschaft oder einem betroffenen Wohnungseigentümer entschieden werden. Grundvor-
3 Erfolgsfaktoren – so gelingt Betreutes Wohnen
aussetzung ist dabei stets, dass eine entsprechende Wohnung frei ist. Dies sollte ebenfalls konzeptionell formuliert werden, um Konfliktpotenzial zu reduzieren. Regelmäßig werden in der Konzeption auch die zu treffenden vertraglichen Regelungen zu adressieren sein. Die rechtliche Umsetzung des Betreuungskonzepts mit den Grund- und Wahlleistungen und evtl. zusätzlichen Serviceleistungen erfolgt auf der einen Seite aufgrund eines Dienstleistungsvertrags zwischen den Mietern und dem Betreuungsträger. Dieser Betreuungsvertrag, der zwischen dem jeweiligen Bewohner und dem Betreuungsträger zwingend abzuschließen ist, regelt den Umfang der Leistungen, die Vergütung, die Qualitätsmaßstäbe, Kündigungsrechte und Gewährleistungen sowie Haftungen neben datenschutzrechtlichen Regelungen. Daneben wird auf der anderen Seite, sofern der Bewohner nicht als Eigentümer, sondern als Mieter in eine Wohnung einzieht, ein Mietvertrag zwischen ihm und dem Wohnungseigentümer abgeschlossen. Konzeptionell ist vorzusehen, dass der Mietvertrag wegen des besonderen Konzepts des „Betreuten Wohnens“ erst dann rechtswirksam wird, wenn der Bewohner den Betreuungsvertrag rechtsverbindlich abgeschlossen hat. Miet- und Betreuungsvertrag enthalten detaillierte Regelungen zu den Kündigungsmöglichkeiten im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen. Bevor es zum Vertragsschluss kommt, steht die schriftliche und ergänzende mündliche Information zu Leistungen und Kosten. Konzeptionell ist vorzusehen, wie die Miet- bzw. Kaufinteressenten über das Betreuungskonzept und den Betreuungsvertrag im Detail zu beraten sind. Ebenfalls ist zu regeln, wer für die Beratung über das Wohnangebot zuständig ist. Dies ist in der Regel der Bauherr bzw. der Wohnungseigentümer. Zuweilen übernimmt dies aber auch der Betreuungsträger. Die Beratung zum Betreuungskonzept und zum Betreuungsvertrag mit allen Informationen kann auch gemeinsam mit der Beratung zum Wohnangebot unter Beteiligung des (teilenden) Bauherren bzw. des Wohnungseigentümers oder deren Beauftragten oder in Personalunion stattfinden. Auch dies ist konzeptionell zu regeln. Wie die Konzeption zu fassen ist, wie ausführlich, mit welchen Leistungsmodulen etc. ist abhängig von den Zielen des oder der Leistungsanbieter. Bewährt hat sich die Orientierung an der DIN 77800 – Betreutes Wohnen, zumal dies dann auch die Option der Zertifizierung bietet.
Definition der Rahmenbedingungen – Kommunale Priorisierungen, – Ambulante Dienste werden integraler Bestandteil kommunaler und quartiersbezogener Konzepte, – Ziel der quartiersnahen Versorgung ist nur durch Angebotsmix und ambulante Strukturen realisierbar.
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Marktanalyse – relevanter Markt, – Soziodemografie, Wettbewerbssituation „Nischen“/Potenziale.
Leitüberlegungen als Folgerungen aus der Analyse der Rahmenbedingungen und der Marktanalyse – Betreutes Wohnen schaffen mit qualitativ hochstehendem Dienstleistungsangebot durch einen ambulanten Verbundanbieter. – Das Betreute Wohnen in den Kontext anderer Senioren-Wohn- und Dienstleistungsangebote stellen, die das Wohnen durch Dienstleistungen ergänzen. – Möglichkeit der Substitution einer (neuen) vollstationären Einrichtung für die jeweilige Stadt durch den Verbund von Betreutem Wohnen, anbieterinitiierten Wohngemeinschaften mit Betreuungsleistungen und Tagespflege realisieren.
Entwicklungsstrategie – Schaffung eines integrierten Angebots, denn nur dies kann die Erwartungen der potenziellen Mieter an dem Betreuten Wohnen überhaupt erfüllen. – Verschränkung von Wohn- und qualifizierten Pflege- und Betreuungsangeboten als Entlastungsangebote. – Ergänzung der „Dienstleistungsdichte“ durch quartiersbezogenes Wohnen im Alter mit stabiler Dienstleistungsstruktur. – Quartierskonzept-Vernetzungen. – Integration von AAL-Modulen.
Definition der Module Betreutes Wohnen – – – – – –
80–100 WE mit einem Wohnungsgrößen-Mix von 45 qm bis 100 qm, Standardanforderungen erfüllen, Ausstattungsqualitäten gem. spezifischer Lage und Bedarf definieren, (Dienstleistungs-)Qualität gem. DIN 77800 – Betreutes Wohnen, die räumliche Anbindung des „Quartiersgemeinschaftsraums“ beachten, Anordnung in räumlicher Nähe zu den anderen potenziellen seniorenbezogenen Nutzungen, aber ohne einen einheitlichen Komplex zu schaffen,
3 Erfolgsfaktoren – so gelingt Betreutes Wohnen
– evtl.: ergänzende Angebote (ambulant betreute Wohngemeinschaften, Tagespflege, Kindergarten ...)
Umsetzungsplanung – – – – –
Ressourcen, Organisation der Akteure, Maßnahmen, Termine, Finanzmittelplanung/Controlling.
Vermarktungsplanung – Organisation (wer, wie?), – Kommunikation/Netzwerke/Werbemittel, – Budget (Mittelplanung/Controlling).
3.3 Kosten und Nutzen Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist die leistungsgerechte Bepreisung des Angebots mit seinen beiden Basiskomponenten „Wohnen“ und „Dienstleistungen“. Dabei ist zwischen zwei Kostenarten zu unterscheiden, nämlich den Kosten für das Wohnen und den Kosten für die Betreuung, sprich der Vorhaltung und Erbringung der Grundleistungen.
3.3.1 Wohnkosten Da es sich bei dem Betreuten Wohnen um ein Wohnangebot handelt, wird sich der Mietpreis an dem „Wohnangeboten für Senioren“ orientieren müssen. Dabei ist allerdings zweierlei zu berücksichtigen: Erstens ist die qualifizierte bauliche Gestaltung, insbesondere die Barrierefreiheit, ggf. besonderer Brandschutz und etwaige besondere AAL- und/oder Sicherheitstechnik mietpreisbezogen anzusetzen. Dies kann „Mehrmieten“ gegenüber der ortsüblichen Vergleichsmiete von zwischen plus 5 – 30 % rechtfertigen. Zweitens bestimmen die mit dem Recht zur Mitnutzung vermieteten Gemeinschaftsflächen die Miethöhe wesentlich mit. Je Wohnung kann man mit rd. 2 – 3 qm rechnen, wobei die Entwicklung degressiv verläuft, sprich die Gemeinschaftsflächen nicht proportional mit der Anzahl der Wohnungen zunehmen. Als Minimum Gemeinschaftsfläche ist bei einer um die 30 Wohnungen umfassenden Wohnanlage sicherlich eine Fläche von 70 – 75 qm anzusetzen (inkl. Betreuungsbüro). Aber auch das ist konzeptionsabhängig und kann nicht verallgemeinert werden. Die Betriebs- und
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Nebenkosten liegen – abhängig von der Haustechnik – i. d. R. leicht über dem Niveau vergleichbaren Wohnraums. Die Bemessung der Höhe der Kaltmiete und der Betriebs- und Nebenkosten sollte, sofern es sich nicht um ein gehobenes Angebot oder Luxusangebot handelt, auch die ggf. sozialhilferechtlich angemessenen Wohnkosten (die „Kosten der Unterkunft“: KdU) im Blick halten. Abhängig ist die Miethöhe von den konkreten Anforderungen bzw. baulichen Umständen und Qualitäten im Einzelfall. Zuweilen gibt der Markt auch höhere Mieten her, und zwar insbesondere dann, wenn sich die Marktsituation als angebotsbestimmt darstellt und/oder man es mit einem mehrgliederigen Angebot i. V. m. anderen Modulen, wie oben skizziert, zu tun hat.
3.3.2 Betreuungspauschale Die Betreuungspauschale, die die Kosten der Präsenzdienstleistungen im Rahmen des konzeptionell Festgelegten widerspiegelt, resultiert i. W. aus den Personalkosten. Geht man von den Kapazitätsanforderungen der DIN 77800 - Betreutes Wohnen aus (1,4 VK / 100 Wohnungen) und setzt man den Pflegemindestlohn für qualifizierte Pflegehilfskräfte als Referenz an, der ab 01.05.2023 in Deutschland 14,90 € beträgt, so ist von Jahreskosten i. H. v. rd. 43.000 € zzgl. 20 % AG - Anteil also rd. 52.000 € auszugehen. Rechnet man Betreuungssachkosten mit einem Zuschlagssatz i. H. v. 5 % hinzu und setzt marktübliche Overhead-Kosten zwischen 10 % und 15 % an, ergeben sich Vollkosten p. a. i. H. v. rd. 60.000 € – 62.000 €, also bei 100 Wohnungen je Wohnung von rd. 60 – 80 € p. M. – ohne Risikozuschläge und Unvorhergesehenes, wie z. B. Krankheitsausfälle, (freiwillige) Zusatzaufwendungen. Dies führt zu dem allgemein üblichen Betrag zwischen rd. 90 € / Monat und 150 € / Monat. Dabei müssen allerdings noch – auf die geplante Betreuungsdauer verteilt – die Projektentwicklungskosten des Dienstleisters einkalkuliert werden, die nicht vernachlässigt werden sollten, insbesondere wenn man noch Preopening-Aufwand berücksichtigt. Dies ergibt dann die betriebswirtschaftlich „richtig“ ermittelte Betreuungspauschale. Ob diese im Einzelfall vom Betreuungsträger erhoben wird, oder ob er sich zu einer Mischkalkulation in der Zusammenschau mit Wahlleistungen, insbes. Pflegeleistungen, hinreißen lässt, ist seine ureigene unternehmerische Entscheidung. Letzteres birgt das Risiko von Volatilitäten, da sichere Prognosen zu Erträgen aus Wahlleistungen nicht seriös sind. Dies muss im Einzelfall konkret eingeschätzt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass – wie oben bereits erwähnt – Betreutes Wohnen kein explizites Pflegewohnen ist und auch der Betreuungsträger nicht sicher sein kann, dass er in der Lage ist, alle Mieter als seine Pflegekunden zu gewinnen, wenn er dies denn überhaupt konzeptionell will. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass er häufig nicht in der Lage sein wird, eine Wohnanlage ausschließlich mit seinen eigenen (Pflege-) Kunden zu füllen, was umgekehrt bedingt, dass einziehende Mieter in nicht unerheblichem Maße eigene Pflegedienste mitbringen werden.
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3.4 Marktpositionierung – Produktgestaltung – Konkurrenz Ein weiteres „magisches Vieleck“ findet sich im Bereich Markt – Produkt – Wettbewerb. Neben der Frage, welches Angebot zu welcher Zielgruppe passt, ist bei der Konzeptionierung von Angeboten des Betreuten Wohnens auch die Marktsituation zu betrachten. Dabei ist auf den „relevanten Markt“ abzustellen. Dieser umfasst die räumliche wie aber auch gegenständliche Komponente: Welche Angebote werden für wen bereits gemacht? Welche Akzeptanz finden diese bzw. haben diese gefunden? Welche Projekte drängen absehbar auf den Markt? In diesem Kontext ist auch die Frage von Relevanz, ob und ggf. welche weiteren Angebote modular angefügt werden sollen bzw. können. Das „relevante Produkt“ ist nämlich insofern nicht nur das Betreute Wohnen, sondern auch die annexen Module sind relevant. Dabei gilt, dass Betreutes Wohnen im Stand-alone-Modell i. d. R. schwächer ist als ein Betreutes Wohnen im sog. „Heimverbund“ oder mit der Ergänzung einer Tagespflege. Daher wird es bei einer Marktpräsenz derartiger Angebote schwer sein, ein „solitäres Betreutes Wohnen“ zu platzieren. Im Einzelfall wird dies aber nur unter Einbeziehung der Anbieterqualität und auch -positionierung zu beurteilen sein. Die Potenziale eines konkreten Angebots können nur im konkreten Fall eingeschätzt werden. Beurteilungskriterien und kritische Erfolgsfaktoren sind dabei: – Welche Angebotsstruktur ist vorhanden – welche Angebote gibt es? – Wie ist die Marktakzeptanz der vorhandenen Angebote? – Wer sind die Anbieter und wie ist deren Marktpräsenz? – Gibt es andere Projekte und welche sind dies? Wie ist deren Angebotsausrichtung? Wer sind die Initiatoren? – Auf welche Potenziale ist abzuzielen? Eigene Potenziale (Patienten-/Klientenstamm) sowie Drittkunden – wie ist die Erreichbarkeit einzuschätzen? – Wie steht es mit der Preisakzeptanz? Gibt es ein soziodemografisch zu umreißendes tragfähiges Kundenpotenzial, das bereit, willens und in der Lage ist, das geplante Angebot zu bezahlen und einzuziehen? Zu beziehen sind diese Frage auf die geplante Produktgestaltung. Liegt eine solche noch nicht vor, so sind diese Fragestellungen im Zuge des Designs des Produkts zu stellen und zu beantworten. Dabei ist der Blickwinkel des Betreuungsdienstleisters ein anderer als der des Investors/ Vermieters. Der Erstgenannte muss zwingend die synergetischen Potenziale im Blick haben: ist das Angebot geeignet, das vorhandene Angebotsportfolio zu ergänzen? Kann das neue
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Angebot die ambulante Versorgungen stabilisieren (z. B. Vermeidung der Abwanderung von Patienten in vollstationäre Versorgungen mit dem einhergehenden Umsatz- und Ertragsverlust)? Der Zweitgenannte hat in immobilienwirtschaftlicher Perspektive stets noch die Option der Zweit-/Drittnutzung; diese hat der Dienstleister nahezu nicht: Hat er sich erst einmal auf eine langfristige Kooperation eingelassen, so ist er daran gebunden und kann sich nicht – jedenfalls nicht ohne Weiteres – davon lösen, wenn sich seine wirtschaftlichen Erwartungen nicht realisieren lassen. Deswegen ist die Produktgestaltung – welches Angebot ist nachhaltig, welche annexen Angebote werden angeflanscht, welche Zielgruppen werden fokussiert? – so wichtig. Betreutes Wohnen ist – wenigstens derzeit, aber auch in Zukunft nicht mehr nur „Wohnen für Senioren“ mit Grundleistungen. Es handelt sich mittlerweile um ein komplexes Angebot, dessen Feinziselierung entscheidend für wirtschaftlichen Erfolg ist. Dabei ist der Aspekt der Konkurrenz nicht mehr auf Betreutes Wohnen zu reduzieren. Vor allem Wohngemeinschaftsangebote haben sich wegen der höheren Dienstleistungsdichte und auch aufgrund des Trends, länger in der eigenen Wohnung – selbst mit Mühen – wohnen zu bleiben auch in Bezug auf Betreutes Wohnen zur Wettbewerbsangeboten entwickelt. Sie sind bei der Konzeptionierung stets im Blick zu haben. Weniger gilt dies für vollstationäre Pflegeeinrichtungen, sofern es sich nicht um mehrgliedrige Verbundangebote handelt. Solche sind gegenüber einem auch funktional um andere Leistungskomponenten ergänzten Betreuten Wohnen die stärksten Konkurrenten.
3.5 Modularität und Integration in Leistungsketten Ein weiterer wesentlicher Erfolgsfaktor ist die passgenaue Einordnung des niedrigschwelligen Dienstleistungs- und Wohnangebots des Betreuten Wohnens in den Reigen der anderen Versorgungsangebote für das Leben im Alter. In diesem Sinne ist Betreutes Wohnen als ein eigenständiges Angebotsmodul neben reinen Wohnangeboten zu betrachten, zu denen insofern auch wohnungswirtschaftlich geprägte bzw. besser: dominierte Servicewohnangebote gezählt werden sollen auf der einen Seite – und vollstationären und diesen verwandten Angebotstypen, die sich durch eine 24-Stunden-Betreuung mit einem mehr oder minder ausgeprägtem „Versorgungsangebot“ auf der anderen Seite. Betreutes Wohnen ist daher weder „Wohnen plus“ noch „Pflegeheim minus“.
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Wohnen zu Hause
Betreutes Wohnen
Betreutes Wohnen + Tagespflege
Ambulant betreute Wohngemeinschaft
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Vollstationäre Pflegeeinrichtung
Abbildung 13: Leistungsmodule und Leistungsketten
Trotz aller konzeptionellen Eigenständigkeit ist aber Betreutes Wohnen als Modul einer umfassenden Leistungsstruktur für eine „Gesellschaft des langen Lebens“ zu sehen. Dies bedeutet aus Sicht des Leistungsanbieters, dass er – die Wohn- und Betreuungsmodelle mit einer 24-Stunden-Präsenz wie auch – reine Wohnangebote mit fakultativen Dienstleistungen als Wettbewerbsangebote im Sinne von Alternativen für den älteren Menschen, der Sicherheits-, Betreuungs- und Pflegebedarfe aufweist, zu sehen hat. Dies führt dazu, dass es ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist, wenn das Betreute Wohnen in eine „ambulante“ oder mehrgliedrige „ambulant-stationäre“ Leistungskette eines Anbieters eingebunden ist. Dies beruht auf mehreren Faktoren, von denen nur einige genannt werden sollen: – Erhöhte Attraktivität für den Mieter bzw. den Mietinteressenten, – Option der Nutzung von Synergien (z. B. in Bezug auf Tagespflegeangebote, die Nutzung von Mahlzeitenservices und anderer Dienstleistungen), – Abschottung des Angebots gegenüber konkurrierenden Anbietern, – Bildung eines ambulanten „Pflege-Clusters“. In betriebswirtschaftlicher Hinsicht ist dabei stets im Auge zu behalten, dass die Erträge aus den Betreuungspauschalen des Betreuten Wohnens im Vergleich zu denen der ambulanten oder stationären Pflege relativ gering sind. Entscheidend ist, das Betreute Wohnen anzureichern und Erlöse aus Wahlleistungen zu generieren. Dies kann aber nur gelingen, wenn das Angebot in die Leistungskette eines ambulanten oder stationären Gesamtanbieters integriert ist.
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Damit ist nicht gesagt, dass Betreutes Wohnen nur von der Dienstleistungsseite initiiert werden kann. Ist die Immobilienseite Initiator, so muss sie sich allerdings eines leistungsfähigen Dienstleistungspartners versichern, wenn sie nicht selbst die erforderliche Kompetenz mitbringt. Wohnungswirtschaftliche Modelle haben insofern eine ähnliche Stärke, wenn beispielsweise eine Wohnungsgesellschaft Betreutes Wohnen zielgerichtet auf die älter werdende Bestandsmieterschaft ausrichtet.
3.6 Zertifikate und Gütesiegel Qualität im Betreuten Wohnen gewinnt immer größere Bedeutung, je differenzierter die Angebote sind. Daraus und aus dem Interesse der Anbieter, sich von anderen Angeboten abzuheben, resultiert das Bestreben, qua DIN-Normierung und anderen Standards anerkannte Qualitätsmaßstäbe einzuführen und auch Grundlagen für Zertifizierungen zu schaffen.
3.6.1 Überblick Insbesondere Normen sind als Qualitätsfestlegungen in wachsendem Maße wichtig. Normen beschreiben Produkte, Dienstleistungen, Technologien, Prozesse oder legen Kompatibilitäts-, Qualitäts- und Sicherheitskriterien fest, und zwar eindeutig, unverwechselbar und international verständlich. Normen und die Zertifizierung entscheiden damit über Marktzugänge und Wettbewerbspositionen. Dabei bildet Normung den Stand der Technik (nicht notwendigerweise den Stand der Wissenschaft) ab, ohne die nötigen Freiräume für Innovationen einzuschränken. Im Bereich des Betreuten Wohnens gibt es in Deutschland eine DIN-Norm und diverse halbstaatliche Qualitätszertifikate. Es handelt sich um die DIN 77800 – Betreutes Wohnen, das Gütesiegel Betreutes Wohnen in Baden-Württemberg und das Gegenstück in NRW. Zudem gibt es ein bayrisches Qualitätszeichen, das aber keine besondere Marktrelevanz erlangt hat. Das einzige nicht regionale, sondern bundesweit geltende Qualitätszeichen ist das aufgrund der Zertifizierung nach der DIN 77800 – Betreutes Wohnen vergebene Zertifikat. Nicht unerwähnt soll die CEN TS 16118 – Sheltered Housing bleiben, die auf europäischer Ebene Standards für das Betreute Wohnen normiert hat. Vorbild war die deutsche DIN 77800 – Betreutes Wohnen, die angesichts der europäischen Dimension mit sehr differenzierter Legislation und auch angesichts öffentlicher Sozialsysteme in gewisser Weise „verallgemeinert“ wurde. Sie ist in verschiedenen europäischen Ländern als Landesnorm eingeführt worden, so z. B. in Österreich in Gestalt der ON 358 – Betreutes Wohnen. Ferner hat die gif – Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung e. V. – einen „Sterne-Katalog“ entwickelt, der allerdings keinerlei Marktrelevanz erlangt hat. Diese Nor-
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men- und Klassifizierungssysteme werden nachfolgend auch mit Hinweisen auf die mögliche Zertifizierung von betreuten Wohnanlagen dargestellt.
3.6.2 Normen und Standards im Betreuten Wohnen DIN 77800 – Betreutes Wohnen Die DIN 77800 – Betreutes Wohnen, vollständig: die „Deutsche Norm 77800 – Qualitätsanforderungen an Anbieter der Wohnform „Betreutes Wohnen für ältere Menschen“ – wurde nach Verabschiedung unter Beteiligung der gesamten Öffentlichkeit vom Normenausschuss Gebrauchstauglichkeit und Dienstleistungen im DIN, Deutsches Institut für Normung, zum 01.09.2007 veröffentlicht und damit allen beteiligten Wirtschaftskreisen, den Anbietern Betreuten Wohnens, Investoren, Planern, vor allen Dingen aber den Verbrauchern als den zukünftigen Bewohnern und Nutzern der Dienstleistungen als bundesweiter Qualitätsmaßstab und als Orientierungshilfe für die Gestaltung Betreuten Wohnens einerseits und als Entscheidungshilfe bei der Auswahl der „richtigen“ betreuten Wohnanlage andererseits an die Hand gegeben. Betreutes Wohnen wurde durch die Norm nicht neu erfunden. Ziel war, „Grauzonenangeboten“ ein Konzept für Qualitätsprodukte entgegenzusetzen, um so v. a. auch den Verbrauchern die Entscheidung für den „letzten Umzug“ zu erleichtern. Die Auswahl zwischen den vielfältigen Angeboten vom „barrierefreien Wohnen“ in einer Altenwohnanlage über das „Residenzwohnen“ bis hin zum Betreuten Wohnen mit angeschlossenem Pflegeheim war und ist für den älteren Menschen schwer: Die Angebote sind intransparent und oftmals auch „Mogelpackungen“, die mehr versprechen, als sie halten. Diese missliche Situation und die, Anfang der 2000er-Jahre immer deutlicher werdende Notwendigkeit, der ständig alternden Bevölkerung adäquate Lebens- und Wohnformen zur Verfügung zu stellen, waren 2001 Auslöser für das Normungsvorhaben DIN 77800 – Betreutes Wohnen. Die breite Beteiligung an der Normungsarbeit, vor allem auch seitens der Seniorenverbände, führte schon wenige Wochen nach Veröffentlichung der DIN 77800 – Betreutes Wohnen zu einer breiten Akzeptanz der Norm. Die DIN 77800 – Betreutes Wohnen definiert „Betreutes Wohnen“ als „Leistungsprofil für ältere Menschen, die in einer barrierefreien Wohnung und Wohnanlage leben und das Grundleistungen/allgemeine Betreuungsleistungen und Wahlleistungen/weitergehende Betreuungsleistungen umfasst.“ Ihr Inhalt umfasst fünf Komplexe: a) Zunächst regelt die Norm Anforderungen an den Standort einer betreuten Wohnanlage: sie muss „mitten im Leben“ liegen. Kommunale Infrastruktur, Geschäfte und kulturelle Angebote müssen fußläufig erreichbar sein.
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b) Sie beinhaltet zudem Anforderungen an das Wohnen und verlangt abgestimmt auf die Situation der älteren Bewohner mit ihren altersbedingten Handicaps zunächst, dass der Wohnraum barrierefrei gem. DIN 18025 Teil 2 (jetzt: DIN 18040 Teil 2) ist. Zudem muss auch die gesamte Wohnanlage Barrierefreiheit aufweisen, um sowohl für ältere als auch körperlich behinderte Menschen zugänglich zu sein. Ferner muss eine betreute Wohnanlage auch Gemeinschaftsflächen aufweisen, um Kommunikation zu ermöglichen. c) Um Transparenz des Leistungsangebots zu erreichen, muss der Anbieter vor Vertragsschluss über die angebotenen Dienstleistungen und die Wohnung informieren. Die Kosten sind aufzuzeigen und die Grenzen des Leistungsangebots schriftlich wie mündlich zu erläutern. Ziel ist, dem Verbraucher eine bewusste Entscheidung zu ermöglichen. d) In Bezug auf die Dienstleistungen werden zunächst Qualitätsanforderungen an die obligatorischen Grundleistungen, nämlich das Betreuungsangebot, den haustechnischen Service und die obligatorische Notrufsicherung, gestellt sowie Mindestanforderungen an das Betreuungspersonal in qualitativer wie auch quantitativer Hinsicht formuliert. Verlangt wird eine Mindestpersonalausstattung und dass die Mitarbeiter geeignet und geschult sind. Ferner müssen die Grundleistungen die Vermittlung weiterer Wahlleistungen umfassen. e) Die Anforderungen an die Vertragsgestaltung betreffen die Regelung des Wohnens und der Grundleistungen und beinhalten v. a. Vorgaben in Bezug auf die Transparenz der Leistungszuordnung, die Vergütung der Leistungskomponenten und die Gewährleistung der Wahlfreiheit bezüglich der sog. Wahlleistungen und ihrer Anbieter. f) Als Qualitätssicherungsmaßnahmen regelt die DIN 77800 – Betreutes Wohnen das Instrument der Bewohnerbefragung und das sog. „Beschwerdemanagement“. Dabei legt die Norm nur Mindeststandards fest, die vom Anbieter über- aber nicht unterschritten werden dürfen. Der Norm geht es nicht um das „Luxus- und Residenzsegment“, sondern um bezahlbare Angebote. Dies war auch Grund für die dezidierte Definition der Grundleistungen, die mit der Betreuungspauschale abzugelten sind, und der Zurückhaltung bei den Wahlleistungen. Diese Struktur der Grund- und Wahlleistungen dient dazu, selbständiges Leben zu ermöglichen, und hebt das Betreute Wohnen von der „Vollversorgung“ des (Altenpflege-)Heims ab. So sollte auch das Postulat „ambulant vor stationär“ als Treiber für Seniorenwohnangebote der Wohnungswirtschaft auf der einen und die sozialen Betreuungsträger auf der anderen Seite aktiviert werden. Dienstleister und Investoren finden in der Norm im Übrigen auch eine objektive Messlatte, da sie als Zertifizierungsgrundlage dient. Jeder Qualitätsanbieter kann sich bei Einhaltung der Norm und durch den Erwerb des Zertifikats „Betreutes Wohnen – DIN geprüft“ nach einem gründlichen Audit im Markt des Seniorenwohnens hervorheben. Das Verfahren steht unter der Ägide von DINCERTCO, einer akkreditierten Zertifizierungsgesellschaft, die sich maßgeblich des DIS Instituts für Service Immobilien für die Durchführung der Begutachtungen bedient.
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Dabei stehen in Bezug auf die Zertifizierung zwei Verfahren zur Verfügung: Vor Inbetriebnahme der betreuten Wohnanlage kann durch die Präzertifizierung die Prüfung des Konzepts, der Pläne, Informationsunterlagen etc. im Projekt-/Planungsstadium erfolgen. Gegenstand der Zertifizierung können bestehende und in Betrieb befindliche betreute Wohnanlagen sein. Hier erfolgt ein Vor-Ort-Audit nach vorangegangener Unterlagenprüfung. Nachgelagert sind Überwachungs- und ggf. Verlängerungsauditierungen, um Kontinuität in der externen Qualitätssicherung zu schaffen. Die Begutachtungen erfolgen überwiegend durch das DIS Institut für ServiceImmobilien, das von der Zertifizierungsberatung über die Präzertifizierung bis hin zur Zertifizierung qualifizierter Ansprechpartner für Planer, Investoren, Banken und Betreiber tätig ist. Seit Veröffentlichung der Norm erfolgte durch das DIS Institut eine Vielzahl von Präzertifizierungen von Projekten und Zertifizierungen bestehender Betreuter Wohnanlagen. Dabei liegt es auch im Interesse der Allgemeinheit, dass Betreutes Wohnen in der Kommune auch Betreutes Wohnen in DIN – Qualität ist. Sie gibt Prüfsteine für die Anbieter, Vermieter und Betreuungsträger. Unterziehen sich letztere dem Zertifizierungsprozess und erwerben das Qualitätszeichen „Betreutes Wohnen – DIN geprüft, so gewinnen sie hierdurch deutliche Marktvorteile, weil sie sich als Qualitätsanbieter von anderen Anbietern abheben können, vor allem aber beweisen, dass sie keine „Mogelpackungen“ anbieten. Aus Sicht der älteren Menschen, die sich für Betreutes Wohnen interessieren, bietet dies erhebliche Entscheidungshilfen.
Ländergütesiegel Neben der DIN 7780 – Betreutes Wohnen gibt es auch in einzelnen Bundesländern Gütesiegel. Hervorzuheben sind die Gütesiegel in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.
NRW Das NRW-Modell ist das Qualitätssiegel “Betreutes Wohnen für ältere Menschen in Nordrhein-Westfalen”. Auslöser für die Entwicklung des nordrhein-westfälischen Qualitätssiegels waren – ähnlich wie bei der DIN 77800 – Betreutes Wohnen – die steigende Nachfrage nach der Wohnform Betreutes Wohnen, die ein wachsendes Angebot von derartigen Angeboten schaffte, die allerdings eine große qualitative Bandbreite aufwiesen. Als Arbeitsgrundlage für die Entwicklung des NRW-Gütesiegels dienten die DIN 77800 – Betreutes Wohnen und das badenwürttembergische Qualitätssiegel „Betreutes Wohnen für Senioren“. Initiator des Gütesiegels war dabei das „Kuratorium Qualitätssiegel Betreutes Wohnen für ältere Menschen Nordrhein-Westfalen e. V.“, das auch für die Vergabe des Qualitätssiegels Betreutes Wohnen und für Verfahrensfragen zuständig ist.
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Die Ziele des Qualitätssiegels im Einzelnen sind: – messbare Qualitätskriterien von Angeboten im Bereich des Betreuten Wohnens zu definieren, – Markttransparenz und Orientierungshilfe für Mietinteressenten und deren Angehörige herzustellen, – Planungssicherheit und Planungshilfe für Investoren, Entwickler, Architekten und Anbieter zu schaffen, – Qualitätssicherung für Anlagen des Betreuten Wohnens einzurichten und – die Kennzeichnung hochwertiger Anlagen zu ermöglichen. Wie die DIN 77800 – Betreutes Wohnen richtet sich auch das Qualitätssiegel an alle Marktteilnehmer. Insofern kann es – wie auch die DIN 77800 – Betreutes Wohnen – auch als Planungsgrundlage dienen. Das Qualitätssiegel wird an solche Einrichtungen vergeben, die den Qualitätsstandards des Kuratoriums entsprechen und die sich einer Prüfung ihres Angebots unterzogen haben. Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Zielsetzungen umfassen die Qualitätskriterien die Bereiche: – Bauwerk und Umfeld, – Grundservice, – Wahlservice, – Vertragsgestaltung. Dabei finden sich neben verbindlichen Qualitätsanforderungen – wie im Falle des badenwürttembergischen Qualitätssiegels auch – eine Vielzahl fachlicher Empfehlungen. Sie finden sich einerseits in der Dokumentation wie auch in dem ergänzend dazu ergangenen Prüfungsleitfaden.
Baden-Württemberg Das „Qualitätssiegel Betreutes Wohnen für Senioren Baden-Württemberg“ wurde bereits 1996 eingeführt. Mit ihm wurden in Deutschland erstmals für das seinerzeit noch völlig neue Wohnangebot „Betreutes Wohnen“ Qualitätskriterien über die Baulichkeit bis hin zu den Dienstleistungen formuliert. Hintergrund war, dass der Begriff des Betreuten Wohnens damals gesetzlich – bis auf die Regelung in § 1 Heimgesetz – überhaupt nicht genauer definiert war. Das Qualitätssiegel definiert Mindestanforderungen für das Betreute Wohnen, die von allen an seiner Entwicklung Beteiligten gemeinsam als unverzichtbar und charakteristisch für diese Wohnform vereinbart und dokumentiert wurden.
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Inhaltlich basiert der Anforderungskatalog auf der Verbindung der Zielsetzung, auch im Alter ein selbstständiges und unabhängiges Leben in vertrauter Umgebung zu ermöglichen, mit der anderen Zielsetzung, dem im Alter stärker werdenden Bedürfnis nach Sicherheit, nach bedarfsgerechter Unterstützung und Hilfe sowie einer möglichst praktisch und bequemen Gestaltung der Wohnung zu genügen. Ziel ist es, das selbstständige Wohnen mit eigener Haushaltsführung zu fördern und gleichzeitig die Sicherheit bedarfsgerechter Hilfe zu gewährleisten. Daher sind die Leistungsbereiche „Dienstleistungen“ mit dem in der Intensität der Anforderungen nahezu gleichwertigen Leistungsbereich „Gebäude“ verbunden. Diese Grundzüge werden in dem Anforderungskatalog detailliert in 4 Bereichen dargestellt: – Bauwerk und Umfeld, – Grundservice, – Wahlservice, – Angebotstransparenz und Vertragsgestaltung. Inhaltlich entsprechen die Mindeststandards i. W. denjenigen der DIN 77800 – Betreutes Wohnen.
Europäische Standardisierung: CEN TS 16118 Vor dem Hintergrund der Zunahme der Zahl älterer und hilfebedürftiger Menschen im gesamten Europa auf der einen Seite und des Zusammenwachsens Europas, sowohl in Bezug auf die wechselseitige Übernahme von Konzepten und Strategien als auch in Bezug auf eine höhere Mobilität von älteren Menschen in Europa auf der anderen Seite, initiierte ON Austrian Standards Institute, kurz: ASI, 2008 ein europäisches Normenvorhaben mit der Zielsetzung, Mindeststandards für das Betreute Wohnen europaweit zu implementieren. Der von ASI bei CEN – Commité Europeen de Normalisation – initiierte Antrag fußte auf einem Projekt-Draft, der sich in großen Zügen auf die deutsche DIN 77800 – Betreutes Wohnen stützte und die strategische Zielsetzung hatte, primär Anforderungen an Dienstleistungen und nur sekundär auch an die Immobilien zu entwickeln. Konsequenterweise begriff der Projekt-Draft – in Anlehnung an die deutsche DIN 77800 – Betreutes Wohnen – Betreutes Wohnen als Kombinationsmodell, bestehend aus den miteinander verbundenen Leistungskomponenten Wohnen sowie Betreuung und Dienstleistung. Gewählt wurde nach intensiver Diskussion der Begriff „sheltered housing“ und als Ziel und Gegenstand des Vorhabens wurde definiert:
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„Introduction Increasing focus has been placed on services to help people to sustain and improve their capacity to live independently in their accommodation and a range of sheltered housing services has been developed by a myriad of providers across Europe. With so much choice available, it is important to demonstrate that such services deliver consistency, customer satisfaction, and value for money. The work of CEN/TC 385 is to standardize the requirements for delivering sheltered housing services, working with partners across Europe and taking account of national standards and recognised codes of practice. This CEN Technical Specification (CEN/TS) intends to pride a guideline for quality assurance in the sheltered housing market. Its application is voluntary. It defines minimum quality standards regarding the services which should be made available by providers. These quality standards serve as guidance for the providers if they which to offer sheltered housing. At the same time the CEN/TS intends to make the services offered for this type of housing more transparent for the consumers. 1 Scope This CEN/TS applies to all providers of sheltered housing irrespective of the legal form of ownership of the property and whether the service is publicly or privately funded.” Der Standard geht aus von der Definition des Betreuten Wohnens als: „Services for elderly people living in an accessible dwelling in a sheltered housing scheme, comprising basic services in order to stay longer and to feel secure“ und definiert damit Betreutes Wohnen als Dienstleistungskonzept. Die Struktur der Norm gliedert die Anforderungen an das Betreute Wohnen in sieben große Bereiche: – Transparency of the services offered, – Services, – Requirements for service coordinators and staffing, – Housing, – Requirements for the main provider, – Contractual requirements, – Quality. Die Norm wird ergänzt um zwei Annexe, nämlich den „Catalogue of optional services“ als Konkretisierung der Anforderungen an die services und die „Recommendations for contents
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of questionnaire“, also Empfehlungen für den im Rahmen der Bewohnerbefragung einzusetzenden Fragebogen. Auch dies folgt dem Beispiel der DIN 77800 – Betreutes Wohnen. Die CEN TS 16118 – Sheltered Housing ist ein weiterer Schritt hin zur verbraucher-, aber auch anbieterfreundlichen Definition des Leistungsmodells „Wohnen mit Service für ältere Menschen“. Die europäische Normung hat ihre Stärken darin, dass sie sich primär auf die Dienstleistungskomponenten bezieht, die Produktstruktur klar definiert und auch die jeweiligen Funktionen der Beteiligten klar umschreibt. Aus der Sicht des Verfassers als mit der Begutachtung und dem Begutachtungsverfahren befassten Gutachters für die 77800 – Betreutes Wohnen bietet sich eine sog. Verbundzertifizierung an, wie sie z. B. auch das DIS Institut für ServiceImmobilien bei Bedarf vornimmt. Die CEN TS 16118 – Sheltered Housing ist 1 : 1 in die ÖNORM 258 Betreutes Wohnen aufgenommen worden und prägt seitdem stark das Marktgeschehen in Österreich.
gif – Klassifizierung des Betreuten Wohnens Nicht unerwähnt soll die Qualitätsklassifizierung der gif-Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung e. V. bleiben. Sie hat ein Checklistensystem entwickelt, nach dem betreute Wohnanlagen mit 1 bis 5 Sternen versehen werden können. Eine neutrale Zertifizierung bietet die Gesellschaft allerdings nicht an. Eine Marktrelevanz hat dieses sehr komplexe System bisher nicht erlangt.
3.6.3 Resümee Gerade Wohn- und Dienstleistungsangebote, die nicht staatlicher Aufsicht unterstellt sind, wie dies beim Betreuten Wohnen der Fall ist, brauchen verbindliche Qualitätsmaßstäbe als Orientierungspunkte im Markt. Ging es der DIN 77800 – Betreutes Wohnen in hohem Maß um Verbraucherschutz, so rückt bei der CEN TS 16118 – Sheltered Housing auch die Anbieterseite mehr in den Blick. Beide Normensysteme schaffen die Grundlage für geprüfte Qualität im Bereich des Seniorenwohnens und dienen daher dem Anliegen der Transparenz, der Ausmerzung von „schwarzen Schafen“ und bieten die Grundlage für extern attestierte Qualität in einem Bereich, der in den letzten Jahren sogar zur neuen Assetklasse avanciert ist.
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Dienstleistungen
Wohnen
Lage
• Grundleistungen • Personaleinsatz
• Wohnanlage • Wohnungen • Gemeinschaftsflächen (inkl. Außenanlagen)
• Quartierseinbindung • Versorgungsinfrastruktur
• Betreuung Vertrags- • Wohnraumüberlassung gestaltung
Qualitätssicherung
• interne Qualitätssicherung • externe Qualitätssicherung („Zertifizierung“)
Abbildung 14: Regelungsbereiche in Standards zum BW
3.7 Typgesicherte und konzeptgerechte Vertragsgestaltung Auch wenn es ein Gemeinplatz ist, dass Verträge dazu da sind, die betriebswirtschaftlichen Zielsetzungen rechtlich abzusichern, soll doch gerade im Bereich des Betreuten Wohnens explizit darauf hingewiesen werden, weil vielfach die Meinung vorherrscht, mit einem handelsüblichen Mietvertrag und einem zweiseitigen Betreuungsvertrag kann es mit der Vertragsregelung sein Bewenden haben. Dies übersieht zunächst, dass bei dem Zusammenwirken mehrerer Anbieter zunächst auf der Anbieterseite zu klären und zu regeln ist, wer was unter welchen Prämissen übernimmt. Je nach Konzept, das der initiierende Leistungsanbieter, sei es der Immobilieneigentümer/ Vermieter oder der Dienstleister, also in der Regel der ambulante Pflegedienst, verwirklichen
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will, ist nicht nur Art und Umfang des Leistungsangebots zu definieren und rechtssicher zu regeln, sondern es ist auch die Arbeitsteilung rechtlich zu fixieren. Beim Zusammenwirken von zwei oder mehr Leistungsanbietern ist der Organisation der Schnittstellen erhebliche Aufmerksamkeit zu widmen. Im Verhältnis zu den Mietern und Kunden im Betreuten Wohnen ist sowohl das wohnungswirtschaftliche Nutzungsverhältnis angebotsspezifisch zu regeln wie auch die Erbringung der Betreuungsleistungen. Letzteres muss dabei die konzeptionelle Zielsetzung passgenau abbilden und auch dem bzw. den Leistungsanbietern das Erreichen der wirtschaftlichen Zielsetzung gewährleisten. Einzelheiten zur Vertragsgestaltung werden daher in Kap. 6 dargestellt.
3.8 Zusammenfassung Erfolg beim Betreuten Wohnen ist kein Zufall: Das Angebot muss zielgruppengerecht gestaltet sein, es muss im Markt gut positioniert werden und es muss qualitätsgesichert sein. Dazu leisten die dargestellten Normen und Standards gute Dienste. Dies reicht aber nicht aus: Geboten ist eine sorgfältige Konzeptionierung über alle Leistungsbereiche und eine zielgruppenorientierte bauliche Planung. Die Qualitätsmaßstäbe der diversen Normensysteme können hier herangezogen werden. Erfolgt dies, so sind schon die entscheidenden Weichen für ein erfolgreiches Produkt – baulich wie in der Gesamtschau – gestellt. Dabei ist insbesondere im Blick zu halten, dass betreute Wohnanlagen – immobilienbezogen gesehen – sog. Management-Immobilien sind. Auch und gerade Investoren nehmen die Betreuungsqualität mehr und mehr in den Blick. Die Konsequenz für die Betreuungsdienste ist, dass sie sich diesen Erwartungen nicht nur im Hinblick auf die Verbrauchernachfrage, sondern auch im Hinblick auf die „Hardwareproduzenten“ zu stellen haben.
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4 Betreuung und Personal Neben dem Wohnen ist der zweite und letztlich entscheidende Leistungsbereich der des „Services“. Er bildet den Kern des Betreuten Wohnens und schafft die Kundenzufriedenheit, die für die Akzeptanz und den wirtschaftlichen Erfolg des Angebots entscheidend ist. Betreutes Wohnen = Wohnen + Dienstleistungen: Struktur der Betreuungsleistungen Grundleistungen
> Betreuung > Haustechnischer Basisservice > Notrufsicherung
Wahlleistungen
> weitergehende Unterstützungsleistungen > soziale Betreuung und Pflege > ...
Abbildung 15: Struktur der Betreuungsleistungen
4.1 Leistungsbild „Betreuung“ Das Leistungsbild der Dienstleistungen wird durch zwei Elemente geprägt: – Welche Dienstleistungen werden erbracht bzw. sollen erbracht werden und – welches Personal wird für die Erbringung der Dienstleistungen eingesetzt? Dazu kommt, wenn der Überlasser von Wohnraum und der Erbringer der (Grund-)Dienstleistungen personenverschieden sind: – Wie leistungs- und produktgerecht ist das Zusammenwirken von unterschiedlichen Leistungserbringern im Bereich Wohnen und Betreuung organisiert? Die Erwartungshaltung der Interessenten geht auf ein einheitliches Leistungsangebot; sie ist der Ausgangspunkt für spätere Zufriedenheit oder Unzufriedenheit. Deshalb kommt der Gestaltung der Dienstleistungen entscheidende Bedeutung zu.
Umfang der Betreuungsleistungen – Grund- und Wahlleistungen Welche Leistungen in welcher Intensität erbracht werden sollen, ist einerseits durch das abstrakte Leistungsbild des Betreuten Wohnens determiniert. Andererseits spielt hier auch der immer vorhandene Konflikt zwischen den Erwartungen der Mieter und ihrer Bereitschaft, für die Vorhalteleistungen des Betreuten Wohnens auch adäquate Vergütungen zu zahlen eine nicht zu unterschätzende Rolle.
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4.2 Grundleistungen Die Kerndienstleistung im Betreuten Wohnen sind die sog. „Grundleistungen“. Sie bilden die „Betreuung“ ab, die hier gemeint ist.
4.2.1 Überblick Was dabei unter „Betreuung“ zu verstehen ist, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Ein nicht zu unterschätzendes Problem ist nämlich, dass der Begriff „Betreuung“ höchst unspezifisch ist: Betreuung erfolgt im Rechtssinn durch die gesetzliche Betreuung, immobilienbezogen durch technische und kaufmännische „Hausbetreuung“ und kommt in der Familie im Bereich der Kindererziehung vor. Im Sozialwesen wird die Situation dadurch verschärft, dass es Betreutes Wohnen und damit „Betreuung“ auch im Bereich der Behinderten-/Eingliederungshilfe gibt. Dies führt potenziell zu hohen Ansprüchen beim Leistungsumfang und der Verfügbarkeit von Betreuungspersonal. Diese könnten ohne weiteres erfüllt werden; nur ist das Problem dabei, dass es sich weitgehend um zu finanzierende Vorhaltekosten für personelle Präsenz handelt, die über eine pauschale monatliche Abrechnung, die Betreuungspauschale, finanziert werden müssen. Sie steigt – auf der Hand liegend – mit höherer Leistungsinstensität und steht in Konflikt mit der Preisakzeptanz der Mieter. Die Vorhaltung aktuell nicht benötigter und daher auch nicht in Anspruch genommener Leistungen wird nicht als „greifbare“ und daher zu bezahlende Leistung empfunden. Daher kommt der Beratung von Interessenten für das Betreute Wohnen vor Vertragsschluss ganz erhebliche Bedeutung zu. Im Mittelpunkt muss die Leistungsseite zunächst unter Betonung der Vorhaltung von personeller Präsenz stehen. Hinzu kommen weitere Vorhaltekosten, die aus dem Hausnotruf resultieren. Einerseits besteht in der Regel ein gesteigertes Sicherheitsbedürfnis, andererseits ist die Preisakzeptanz auch beim Hausnotruf zuweilen gering. Diesem Dilemma dadurch zu entgehen, dass der Hausnotruf als Wahlleistung angeboten wird, führt in eine Sackgasse. Weder ist dem Sicherheitsinteresse im Fall der Fälle genügt noch dem Interesse des Anbieters, Notfälle – mit ggf. tödlichen Konsequenzen – zu vermeiden.
4.2.2 Grundleistungen – Einzelheiten Im Bereich der Grundleistungen sind seitens des Leistungsanbieters im Wesentlichen drei Leistungskomplexe vorzuhalten, nämlich die (Grund-)Betreuungsleistungen an sich, der haustechnische Service (vornehmlich im privaten Wohnbereich) sowie die Notrufsicherung. Diese Struktur hat auch ihren Niederschlag in der DIN 77800 – Betreutes Wohnen gefunden. Adressaten der Betreuungsleistungen sind die Mieter, gegebenenfalls deren gesetzliche Betreuer sowie Angehörige und dem Bewohner nahestehende Personen (z. B. auch sonstige
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Vertreter). Erbringer dieser Betreuungsleistungen vor Ort in der betreuten Wohnanlage (operativ Tätiger) ist die „Betreuungsperson“. Die Grundleistungen umfassen standardmäßig im Einzelnen:
4.2.3 Betreuung: Beratung, Information und Vermittlung von Wahlleistungen Die Betreuung muss die Teilbereiche Beratung, die regelmäßige Informationstätigkeit, die Vermittlungs- und Organisationstätigkeit, wobei letztere insbesondere den Aufgabenkomplex soziale und kulturelle Aktivitäten meint, umfassen. Die Beratungstätigkeit der Betreuungsperson muss z. B. die Beratung bei der Organisation des Umzugs bzw. Einzugs, bei allgemeinen Behördenangelegenheiten und in Krisensituationen umfassen. Dabei muss die Beratungstätigkeit zu bekannt zu gebenden Zeiten in Gestalt von wöchentlichen festen Bürosprechzeiten und in Sprechzeiten nach Bedarf erfolgen. Beratungstätigkeit und „Präsenz“ bilden den Kern der „Betreuung“ und umfassen die Beratung bei der Organisation des Umzugs bzw. Einzugs in die Wohnanlage einschließlich der qualifizierten Erstberatung vor Vertragsabschluss, die Beratung bei allgemeinen Behördenangelegenheiten sowie in Krisensituationen (z. B. Tod von nahestehenden Personen, schwere Erkrankung, Eintritt von Pflegebedürftigkeit usw.), wobei tatsächlich feste Bürosprechzeiten und Sprechzeiten nach Bedarf in der Wohnanlage zu organisieren sind. Hinzu kommt die allgemeine Informationstätigkeit über kulturelle und Bildungsangebote, zum Fahrplanangebot des öffentlichen Personennahverkehrs, über die Grund- und Wahlleistungen, über die Handhabung der Notrufgeräte, zu grundlegenden Fragen zu SGB XI-, SGB V- und SGB XII-Angelegenheiten und Verweis auf Fachberatungsstellen, über Einkaufs- und Dienstleistungsmöglichkeiten einschließlich ambulanter Dienste (orientiert am Bedarf und bezogen auf quartiersnahe Angebote). Die regelmäßige Informationstätigkeit muss bedarfsorientiert die laufende Information z. B. zu folgenden Gegenständen beinhalten: kulturelle Angebote und Bildungsangebote, ÖPNV (Linienführung, Fahrtzeiten, Preisgestaltung, Leistungsangebote), Angebote der Grundund Wahlleistungen Haustechnik, Handhabung der Notrufgeräte, Einkaufs– und Dienstleistungen einschließlich ambulanter/Dienstleistungen und Angebot von Hausnotrufdiensten. Die Vermittlungs- und Organisationstätigkeit, die konzeptionell zu definieren ist, umfasst die Hilfestellung bei der vom Mieter gewünschten Kontaktaufnahme zu ambulanten Diensten und zu hauswirtschaftlichen Diensten, Hilfestellungen bei der Organisation des Übergangs in ein Pflegeheim (informativ, vermittelnd, klärend), wenn der ärztlich festgestellte Gesundheitszustand des Bewohners ein Verbleiben in der eigenen Wohnung nicht mehr gestattet sowie Hilfestellungen bei der Herstellung sozialer und sonstiger Kontakte (z. B. Friseur, Fußpflege) und soziale und kulturelle Aktivitäten, kulturelle, gesellschaftliche und gesundheitsfördernde Veranstaltungen, Nachbarschaftshilfe durch andere Mieter.
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Die Wahlleistungen müssen Gegenstand der Vermittlungstätigkeit des Betreuungsträgers sein und es ist in der Konzeption zu dokumentieren, wie diese gestaltet sein soll. Dabei ist sicherzustellen, dass vollkommene Wahlfreiheit hinsichtlich der Auswahl von Leistungen ebenso wie hinsichtlich der Auswahl von Leistungsanbietern besteht. Dies ist der essenzielle Unterschied zu einem Gesamtversorgungsangebot.
Haustechnischer Basisservice Zudem umfassen die Grundleistungen den haustechnischen Basisservice, sofern dieser nicht Teil der Wohnraumüberlassung ist, was auch konzeptionell zu regeln ist. Dazu gehören insbesondere auch die Sicherstellung der Haustechnik im Störungsfall sowie die Sicherstellung der Reinigung der Allgemeinflächen (z. B. Treppenhaus, Keller, Gemeinschaftsräume) sowie Räum- und Streudienst und die zentrale Müllentsorgung.
Notrufsicherung Die Notrufsicherung soll die Basissicherheit bieten, indem nämlich über eine bei Einzug des Bewohners eingerichtete Notrufanlage mit Basisgerät sowie drahtloser Auslösung (spritzwasser-geschützter Funkfinger) eine rund um die Uhr besetzte stationäre Notruf-Empfangsstelle erreichbar sein muss, die mittels eines festgelegten Alarmplans Hilfe organisieren muss („Alarmkaskade“). Hintergrund ist, dass Betreutes Wohnen dem älteren Menschen ermöglichen soll, möglichst lange selbstständig in den eigenen vier Wänden wohnen zu können. Dabei muss der Betreuungsträger den Hausnotruf nicht selbst betreiben. Entscheidend ist, dass auf der Basis einer verlässlichen Technik eine organisatorische Struktur gewährleistet ist, die sicherstellt, dass nach Notrufauslösung und -entgegennahme durch für diese Aufgabe qualifiziertes Personal eine Reaktion in adäquater Weise erfolgt, diese dokumentiert wird und die Informationswege zwischen der Notrufempfangsstelle und dem Betreuungsträger so gestaltet sind, dass dieser seine Betreuungstätigkeit ordnungsgemäß erfüllen kann.
4.2.4 Wahlleistungen Die Wahlleistungen/weitergehenden Betreuungsleistungen sind Gegenstände der Vermittlungsleistungen als Teil der Grundleistungen. Bei richtigem Verständnis werden die bisher als „allgemeinen Betreuungsleistungen“ begriffenen Grundleistungen von dem im WBVG und teils auch in den Länderheimgesetzen verwandten Begriff der „allgemeinen Unterstützungsleistungen“ umfasst. Die Wahlleistungen betreffen die Dienstleistungen, die nicht mehr von diesen „allgemeinen Unterstützungsleistungen“ umfasst werden. Die Wahlleistungen ergänzen die Grundleistungen. Sie können vom Betreuungsträger vermittelt, aber auch selbst erbracht werden. Nie sind sie mit den Grundleistungen zu koppeln,
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da dies der Struktur des Betreuten Wohnens als modulares Angebot zuwiderliefe und zudem das Risiko beinhaltet, dass das Betreute Wohnen zu einem Heimangebot mutiert, wenn es mit einem „Gesamtversorgungsangebot“ daherkommt. Als Wahlleistungen kommen im Einzelnen in Betracht, wobei es sich um einen Mindestumfang handelt, der in der Konzeption spezifiziert werden sollte: – hauswirtschaftliche Hilfen können Mahlzeitenlieferung in die Wohnung, Grund- und Unterhaltsreinigung der Wohnung sowie die Fensterreinigung, das Waschen oder Reinigen der Bekleidung und Wäsche wie auch das Gardinen auf- und abhängen einschließlich Gardinenwäsche und Bett ab- und beziehen umfassen. – pflegerischen Hilfen umfassen grund- und behandlungspflegerische Maßnahmen, die häufig aber nicht zwingend der Betreuungsträger selbst erbringen will. – weitere haustechnische Dienste wie z. B. die Durchführung von Kleinreparaturen an Gegenständen des Mieters und das Auf- und Abhängen von Gegenständen. – Hol- und Bringedienste sowie Fahr- und Begleitdienste. – Leistungen im Krankheitsfall und bei Krankenhausaufenthalt umfassen die Entsorgung verderblicher Lebensmittel, die Leerung des Briefkastens, die Sicherstellung der Versorgung von Haustieren sowie die Übernahme der Blumenpflege und last not least die Versorgung mit Kleidung und Wäsche bei Krankenhausaufenthalt. Diese Aufzählung ist nicht abschließend: Welche Leistungen angeboten bzw. vermittelt werden, hängt wesentlich von dem Leistungsbild und der Nutzerzielgruppe und ihren Erwartungen und auch ihrer Finanzkraft ab. Welche Wahlleistungen wie angeboten bzw. vermittelt werden, ist in einer Liste der Wahlleistungen unter Benennung der Anbieter als Anlage zum Betreuungsvertrag festzuhalten und Aktualisierungen sind zu kommunizieren. Dabei ist nicht zwingend eine feste Kooperation mit Wahlleistungsanbietern vorzusehen, sie kann sich aber anbieten, um eine qualitätsgesicherte Vermittlungsstruktur zu schaffen. Die vertragliche Regelung liegt im Bereich der Wahlleistungsanbieter; Gleiches gilt für entstehende Kosten, die nicht mit der Betreuungspauschale als Vergütung für die Grundleistungen, also nur die Vermittlung der Wahlleistungen, nicht jedoch deren Erbringung, abgedeckt sind.
4.3 Optimierung der Leistungsstruktur Entscheidend für den – wirtschaftlichen – Erfolg einer betreuten Wohnanlage und Garant für eine hohe Nutzerzufriedenheit und damit hohe Nachhaltigkeit des Angebots ist die marktgerechte Konfiguration der Dienstleistungen. Dabei ist im Blick zu halten, dass „residenzähnliche“ Angebote Nischenprodukte sind, sowohl vom Wohnangebot wie vom Dienstleistungs-
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angebot her. „Low-level-Angebote“ sind zwar auf den ersten Blick günstig, aber i. d. R. nicht nachhaltig, weil das Betreuungsangebot nicht die Erwartungen der Klientel trifft. Daher ist der Markt- und Standortanalyse im Vorfeld nicht nur in Bezug auf die Konfiguration des Immobilienangebots, sondern vielmehr insbesondere in Bezug auf die Gestaltung des Dienstleistungsprofils Aufmerksamkeit zu schenken. Nur eine zielgruppen- und standortgerechte Leistungsstruktur wird der Interessenlage der Nachfrager- wie Anbieterseite gerecht.
4.4 Personal Die Leistungsstruktur gibt auch vor, welches Personal in welchem Umfang eingesetzt werden muss. Betreutes Wohnen ist kein Pflegeheim: Daher ist das Personaltableau völlig anders als im Pflegebereich zu gestalten. Betreutes Wohnen ist eine Dienstleistung. Das bedeutet, dass das Personal des Betreuungsdienstleisters aufgabengerechte Anforderungen zu erfüllen hat. Dabei ist zwischen qualitativen und quantitativen Anforderungen zu unterscheiden.
4.4.1 Qualitative Anforderungen an das Personal Die qualitativen Anforderungen in personeller Hinsicht beziehen sich auf die strukturelle Anbindung des Personals an den Betreuungsträger und auf die Befähigung der Mitarbeiter, ihrer Betreuungsaufgabe nachzukommen. Im Hinblick auf die Struktur der Beziehungen zwischen Dienstleister und Mitarbeitern zeichnet sich qualitativ gutes Betreutes Wohnen dadurch aus, dass die vom Anbieter/Betreuungsträger zu erbringenden Dienstleistungen erstens durch Personal des Anbieters/ Betreuungsträgers selbst erbracht werden. Dabei gilt grundsätzlich, dass die Beschäftigung der Betreuungsperson durch den Anbieter des Betreuten Wohnens auf der Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung zur erfolgen hat. Dies bedeutet, dass eine rein ehrenamtlich-freiwillige Gewährleistung der Erbringung der Grundleistungen infolge der damit verbundenen „Vollzugs- und Umsetzungsrisiken“ nicht in Betracht kommen kann. Denkbar sind Arbeitsverhältnisse wie auch sog. „Freie Mitarbeiter-Verträge“ sowie Vereinbarungen über die Erbringung regelmäßiger, gesicherter ehrenamtlicher Tätigkeit. Dies gilt auch bei mehrstufigen Konstellationen, wie z. B. „Subunternehmer-Modellen“. Zweitens muss dieses Personal für die Aufgabe entsprechend qualifiziert sein. Für das Anforderungsprofil der Betreuungspersonen im Betreuten Wohnen gilt als Grundsatz, dass die Betreuungsperson die erforderliche Eignung aufweisen und die erforderlichen Kenntnisse besitzen muss, um die ihr obliegenden Informations-, Beratungs- und Koordinationsfunktionen erfüllen zu können. In Bezug auf die Befähigungen und Eigenschaften gilt, dass es sich um
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allgemeine Fähigkeiten, wie z. B. Kommunikationsfähigkeit, Planungs-, Organisations- und Vermittlungskompetenz, die Fähigkeit zu Initiierung von bürgerschaftlichem Engagement und von Selbsthilfe der Bewohner wie aber auch die Fähigkeit, sich auf die Situation, der die Betreuungsdienstleistung nachfragenden Bewohner einstellen zu können, handelt. Dies ist bei Vorliegen einer Ausbildung in der Altenpflege, Krankenpflege, Hauswirtschaft und/oder Sozialarbeit als gegeben anzusehen. Wenn eine Ausbildung in Altenpflege, Krankenpflege, Hauswirtschaft und/oder Sozialarbeit nicht gegeben ist, so muss die Betreuungsperson alternative Fort– und Weiterbildungsqualifikationen erfüllen. Dies wird in der Regel nur durch den Besuch von (kostenpflichtigen) Schulungsangeboten ermöglicht werden können. Es ist belegt, dass sich im Kreis der Betreuungspersonen eine Vielzahl von Quereinsteigern findet, die diesen alternativen Voraussetzungen ohne Weiteres entsprechen, ohne weitergehende formelle Qualifikationen zu erfüllen und ohne, dass irgendwelche Qualitätseinbußen zu verzeichnen wären. Im Bereich der Kenntnisse, die die Betreuungsperson aufzuweisen hat, sind dies zunächst Kenntnisse in Bezug auf die Wohnanlage. Hinzu kommen allgemeine Kenntnisse, z. B. in Gestalt von sozialrechtlichen-, gerontologischen- und Erste Hilfe-Kenntnissen. Maßstab ist, dass die Betreuungs- und Informations- sowie Organisationsaufgaben erfüllt werden können.
4.4.2 Quantitative Anforderungen an den Personaleinsatz Neben den zu erfüllenden qualitativen Kriterien steht in quantitativer Hinsicht, dass der Anbieter in der Wohnanlage für die Betreuungsfunktion eine Personalstärke/-besetzung vorzuhalten hat, um die obligatorischen Betreuungsleistungen (Grundleistungen) erbringen zu können. Erfahrungswerte in Anlehnung an die erwähnten Standards zeigen, dass in einer betreuten Wohnanlage, die bedarfsgerechte Leistungen erbringen bzw. den gewöhnlich vorzufindenden Mieteransprüchen genügen will, je Wohneinheit mind. 0,01 Vollzeitstelle vorgehalten werden muss. Das bedeutet unter Gewährleistung von Urlaubs- und Krankheitsvertretungen pro Wohneinheit (bei einer 40-h-Woche also rd. 160 h/Monat) eine Personalkapazität von etwa 2 Stunden/Monat, sprich bei einer Wohnanlage von z. B. 6 Wohnungen rd. 12 Stunden/Monat, also 3 Stunden/Woche für die Betreuungstätigkeit vorgehalten werden müssen. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die Präsenz vor Ort, z. B. in Sprechstunden geringer sein kann. Allerdings zeigt das Beispiel auch, dass selbst bei Einhaltung 1 : 0,01-Quote u. U. „Kleinheitsprobleme“ auftreten können, die qualitative Schwächen im Angebot evozieren können, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die örtliche Präsenz – ohne Berücksichtigung von Vorbereitungsarbeiten, Wahrnehmung von Terminen außerhalb der Wohnanlage und unter Vernachlässigung von Veranstaltungen unter der Regie der Betreuungsperson – dann nur eine Stunde jeden zweiten Tag umfasst.
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Anderes gilt, wenn das Dienstleistungsportfolio breiter angelegt ist, das Betreute Wohnen in konzeptioneller Hinsicht etwa einen „Residenzcharakter“ hat. Dann werden deutlich mehr – und aber auch ggf. anders qualifizierte – Mitarbeiter einzusetzen sein. Ein „Hotelkonzept“ erfordert, je nach Standard, mehr und besser und ggf. anders qualifizierte Mitarbeiter. Insofern gibt es keine verbindlichen Personalvorgaben: Sie sind konzeptbedingt und für jede betreute Wohnanlage spezifisch zu definieren.
4.5 Kosten und Leistungen – Vergütungsbemessung Die Erbringung von Dienstleistungen im Betreuten Wohnen verursacht Kosten in zwei Bereichen: Einerseits fallen Raumkosten an, nämlich für in Anspruch genommene Gemeinschaftsund Büroflächen. Wer diese trägt, ist im Einzelfall zu klären und im Verhältnis zwischen der Immobilien- und Dienstleistungsseite zu klären. Häufig werden diese Flächen dem Dienstleister unentgeltlich überlassen, zumal wenn sie als Gemeinschaftsflächenanteile in die Miete der Wohnungen einkalkuliert sind. Andererseits entstehen Personalkosten. Der oben skizzierte Personaleinsatz für eine betreute Wohnanlage mit 6 Wohnungen, die in personeller Hinsicht der DIN 77800 – Betreutes Wohnen entspricht verursacht Personalkosten unter Zugrundelegung von Marktkonditionen/ Pflegemindestlohn in Höhe von rd. 450 € (Arbeitgeberbrutto). Eine klassische betreute Wohnanlage mit um 50 Wohnungen erfordert einen Personaleinsatz von rd. einer halben Stelle und damit Kosten von rd. 4.000 €/Monat mit einer daraus resultierenden Betreuungspauschale (inkl. Sachkostenzuschlägen) von rd. 90 – 120 € je Wohnung (bemessen auf jew. ein Mieter/ Wohnung).
4.6 Exkurs: Das Zusammenspiel zwischen Vermieter und Betreuungsträger bei der Vermietung Betreutes Wohnen ist ein Kombinationsprodukt entweder eines Leistungsanbieters oder, was der Regelfall ist, von zwei unterschiedlichen Leistungsanbietern, nämlich demjenigen, der den Wohnraum zur Verfügung stellt, und demjenigen, der die Grundleistungen erbringt. Ungeachtet der vertraglichen Gestaltung (dazu Kap. 6, S. 75 ff.) gilt, dass das Mieter- und Betreiberinteresse an reibungsloser Vermietung und optimaler Betreuung dann problemlos
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gewährleistet werden kann, wenn Eigentum und Betrieb in einer Hand liegen. Dies ist jedoch nicht die Regel. In der Regel betreut ein Dienstleister Mieter, die in Wohnungen eines Dritten leben, die dieser vermietet. Es liegt auf der Hand, dass insofern leicht Interessengegensätze entstehen. Die Vertragskonstellation hat daher große Bedeutung. Aus der Sicht des Dienstleistungsanbieters muss sichergestellt sein, dass die Hausgemeinschaft homogen ist und vor allem er seine Tätigkeit entfalten kann. Es muss zwingend ausgeschlossen werden, dass das Vermieterinteresse an einer möglichst raschen (Neu-) Vermietung an bonitätsstarke Mieter das ebenso berechtigte Interesse von Dienstleistungserbringer und (vorhandenen) Bewohnern an einer zum Objekt passenden Bewohnerstruktur überwiegt. Dem kann z. B. durch die Definition von Kriterien für die Auswahl der Mieter – zumindest teilweise – entgegengewirkt werden. Zu empfehlen ist eine Kooperationsvereinbarung, die die Arbeitsteilung und die Rücksichtnahme und Interessensabwägung regelt (siehe dazu unten Kap. 6, S. 75 ff.). Befinden sich die Wohnungen der betreuten Wohnanlage in Einzel-/Streubesitz und sind die Eigentümer keine Selbstnutzer, so entstehen i. d. R. gravierende Probleme, wenn diese die Vermietung selbst übernehmen. Mit einer Vielzahl von Vermietern, die jeder für sich mit unterschiedlichen Verträgen und (nicht professionell) Erst- oder Neuvermietungen arbeiten, können Absprachen zu Auswahlkriterien bei der Vermietung in den wenigsten Fällen getroffen werden. Dies muss der Betreuungsträger bei seiner Entscheidung, eine derartige Wohnanlage zu betreuen, unbedingt mit in Betracht ziehen. Eine Lösung stellt die Bildung eines Vermietungspools oder einer Vermietungsgesellschaft dar, was bei Teileigentums-/ WEG-Modellen auch i. d. R. erfolgt. Eine Alternative ist die Übernahme der Vermietung durch den Dienstleister, was aber einer dezidierten vertraglichen Regelung bedarf. Verbleibt die Vermietung beim Eigentümer, sollte der Betreiber auf Absprachen zu Auswahlkriterien der Bewohner hinwirken. Wesentlich ist dabei, möglicherweise überzogene Erwartungen der Interessenten an die Betreuungsintensität zu verhindern. Jedenfalls sollte der Betreiber auf eine eigene Beratung zu seinem Dienstleistungsspektrum bestehen und dies auch verbindlich mit den Vermietern vereinbaren. Nur so kann ansatzweise sichergestellt werden, dass nur an passende Mieter vermietet wird und vor allem auch der Vermieter keine unzutreffenden (Werbe-)Aussage im Vermietungsinteresse zu den Inhalten der Betreuung und der mit der Betreuungspauschale abgegoltenen Leistungen macht, mit denen der Dienstleister dann später konfrontiert wird, was in der Regel gravierende Probleme bei der Betreuungstätigkeit schafft.
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5 Bauliche Aspekte Betreutes Wohnen ist zwar ein Dienstleistungsmodell, aber es findet in Baulichkeiten statt. Betreutes Wohnen in baulich ungeeigneten Gebäuden ist zum Scheitern verurteilt, weil die Zielgruppe „auf Dauer“ nicht in Wohnungen und Wohnanlagen leben kann, die nicht auf ihre speziellen Bedarfe und Bedürfnisse zugeschnitten sind. Daher haben auch alle gängigen Qualitätsstandards (dazu Kapitel 7) Anforderungen an die Baulichkeiten aufgestellt, die im Einzelnen im Zusammenhang mit der Darstellung der an die Gebäude zu stellenden qualitativen Anforderungen behandelt werden (siehe dazu Kapitel 7.1.2, S. 126 ff.). Unabhängig davon sind allgemeine immobilienwirtschaftliche Aspekte in den Blick zu nehmen, die bei der Planung von Wohnanlagen des Betreuten Wohnens zu berücksichtigen sind, um wirtschaftlich nachhaltige Projekte zu erreichen. Vornehmlich diese werden im Nachfolgenden erläutert, und zwar ausgehend von der Frage nach dem geeigneten Standort der Immobilie (dazu nachfolgend Abschn. 5.1, S. 68 ff.) über die strukturelle Auslegung der betreuten Wohnanlage (dazu Abschn. 5.2, S. 70 ff.) bis hin zur baulichen Gestaltung der Wohnung (dazu Kapitel 5.3, S. 72ff.).
Wohnanlage
Übergreifend
Strukturanforderungen - Übersichtlichkeit - Gemeinschaftsräume - Lage Barrierefreiheit vor allem: - schwellenfreie Erschließung - übersichtliche Gebäudestruktur - Orientierungshilfen
Gemeinschaftsflächen
Strukturanforderungen - qualitative Auslegung - Einbindung in das Gebäude Barrierefreiheit vor allem: - Erschließung
Wohnungen
Außenanlagen
Strukturanforderungen - Raumprogramm
Strukturanforderungen - Begegnungsflächen - Parkplätze - Wege
Barrierefreiheit vor allem: - Schwellenfreiheit - Bewegungsflächen
Barrierefreiheit vor allem: - Schwellenfreiheit - rollatorfreundliche Beläge
Abbildung 16: Bauliche Anforderungen an Betreutes Wohnen
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5.1 Standort Betreutes Wohnen verlangt vor dem Hintergrund der Nutzerzielgruppe nach geeigneten Standorten. Die wesentlichen Standortmerkmale, die in Bezug auf die Mikrolage erfüllt sein sollten – besser: müssen – sind: – Einbettung in eine urbane/dörfliche Situation, um einerseits Versorgungsinfrastrukturen zu haben und andererseits auch eine soziale Einbindung in das Gemeinwesen zu ermöglichen; beides dient der Zielsetzung selbstständiger Lebensführung und autarken Lebens, ohne auf Dritte angewiesen zu sein, – fußläufige Erreichbarkeit von Nachversorgungsangeboten, – Erreichbarkeit von medizinischer und pflegerisch-betreuerischer Versorgung, wenn nicht fußläufig, so doch wenigstens mittels ÖPNV, – Vorhandensein einer stabilen lokalen (ambulanten) Pflegeinfrastruktur, – Erreichbarkeit von Gemeinschaftsangeboten (z. B. Tagespflege, Seniorenbetreuungsangebote u. a.), – risikoadäquate Anbindung an Gesundheitsversorgung (z. B. ärztliche Versorgung, Rettungsdienst, Krankenhäuser). Dies verbietet in der Regel, Betreutes Wohnen – jedenfalls als „Stand-alone-Angebot“ – in Außenlagen, seien es reine „Schlafstädte“ oder abgelegene Dorflagen, zu errichten. Anderes kann gelten, wenn das Angebot in ein Quartiershaus oder in ähnliche integrierte Angebote eingebunden ist. Aber auch hier gilt, dass isolierte Settings i. d. R. einem gemeinwesenorientierten Ansatz nicht genügen und das Risiko von Ghettoisierung in sich tragen. Ergänzend ist auf die in den einschlägigen Qualitätsstandards enthaltenen Standortanforderungen zu verweisen (dazu Kapitel 7.1.1, S. 126). Eine nicht generell zu beantwortende Frage ist die nach der „geeigneten Makrolage“, sprich u. a. des erforderlichen Einzugsbereichs. Sie ist u. a. abhängig von der räumlichen Großlage (Ballungsraum, ländlicher Raum), der geografisch wie auch soziodemografisch bestimmten räumlichen Situation und kann nur bezogen auf die jeweilige konkrete Situation beantwortet werden. Es handelt sich dabei mehr um die Frage nach dem „relevanten Markt“ als die nach dem „geeigneten Standort“. Mit Vorsicht sind dabei „Versorgungsquoten“ oder standardisiert ermittelte „Bedarfslücken“ zu betrachten. Jedenfalls bei größeren Projekten sind spezifische Standortgutachten unabdingbar.
5 Bauliche Aspekte
Markt- und Standortanalyse Betreutes Wohnen 1.
Bewertung des Standorts
1.1.
Bewertung des Makrostandorts
1.1.1
Lage/Allgemeines
1.1.2
Stadtbild/Stadtteillage
1.1.3
Lage im Raum/Verkehrsanbindung
1.1.4
Administrative Anbindung
1.2.
Bewertung des Mikrostandorts
1.2.1.
Lage und Umfeldnutzungen
1.2.2.
Verkehrsanbindung MIV und ÖPNV
1.2.3
Infrastruktur
1.2.4
Einkaufen
1.2.5
Leben
1.2.6
Gesundheit
1.2.7
Verwaltung etc.
1.2.8
(Potenzielle) Beeinträchtigungen/Störfaktoren
1.3
Zusammenfassung
1.4
Standortanforderungen an kombinierte Pflege-/Seniorenwohnimmobilien (soweit von Relevanz)
1.5
Abschließende Bewertung
2
Bewertung der Marktsituation
2.1
Relevanter Markt
2.1.1
Angebotscharakteristik des Projekts
2.1.2
Bestimmung des relevanten Markts
2.1.3
Soziodemografische Rahmenbedingungen
2.1.3.1
Stadt x
2.1.3.2
Ortsteil und relevanter Einzugsbereich
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Betreutes Wohnen für ältere Menschen
70
2.1.3.2.1
Bevölkerungsentwicklung
2.1.3.2.2
Kaufkraft
2.1.3.2.3
Einkommensstiuation
2.2
Zusammenfassung
2.3
Bedarfsabschätzung
2.3.1
Überblick – Daten zur Pflegesituation
2.3.1.1
Pflegebedürftige
2.3.1.2
Pflegeeinrichtungen
2.3.1.3
Bewertung
2.3.2
Bedarfsabschätzung nach den relevanten Angebotsformen
2.3.2.1
Gesamtbetrachtung
2.4
Angebots- und Wettbewerbssituation
2.5
Fazit
2.6
Kurzanalyse des Wohnungsmarkts (soweit für das Betreute Wohnen relevant)
2.6.1
Aktuelle Projekte im näheren Einzugsbereich
2.6.2
Wohnungsnachfrage
3
Ergebnis/Handlungsempfehlung
Quelle/Copyright: DIS Institut für ServiceImmobilien GmbH – 2021
Vorhandene Studien sind dabei immer unter Betrachtung der Art des fokussierten Angebots (das jeweils betrachtete Betreute Wohnen ist nicht immer dasselbe Betreute Wohnen) und in Beziehung zu der zielgruppenbezogenen und qualitativen Auslegung des zu konzipierenden Projekts zu betrachten.
5.2 Wohnanlage Die planerische und baulich-konzeptionelle Auslegung von betreuten Wohnanlagen wird ebenfalls durch den Nutzungszweck und die Nutzeranforderungen vorgegeben. Die Kernkriterien für die Planung betreuter Wohnanlagen bezogen auf die Baulichkeit an sich sind:
5 Bauliche Aspekte
– barrierefreie Erschließung von öffentlichem Raum, – übersichtliche Gebäudestruktur, und zwar im jeweiligen Gebäude an sich wie auch bei Gebäudeensembles in Bezug auf die Gesamtanlage, also einfache Wegeführung, klare Bezeichnung der Gebäude, ihrer Eingänge, der Nebengebäude bzw. Installationen auf dem Grundstück (z. B. Müllcontainer, Abstellplätze etc.), – gegliederte Eingangssituationen, Wegweiser, Vermeidung langer Flure oder verwinkelter Strukturen, – übersichtliche Außenanlagen (u. a. auch aus Sicherheitsgründen), – sicherheitsgewährende Beleuchtung, sowohl im Gebäude als auch im Außenbereich, – Gemeinschaftsflächen, wenigstens ein Gemeinschaftsraum im Gebäude(komplex), um dort Betreuungsangebote machen zu können, wie aber auch Flächen für nutzerinitiierte Aktivitäten zu haben. (Mindestausstattung: Küchenzeile, angemessene Anzahl von Tischen und Stühlen sowie anderen Sitzgelegenheiten, ggf. teilbar), wobei eine Sichtbarkeit und gute Erreichbarkeit wichtig sind, – angegliedertes Behinderten-WC in der Nähe des Gemeinschaftsraums, – ggf. Freisitz am Gemeinschaftsraum, – Büroraum für den Betreuungsdienstleister in Eingangsnähe, jedenfalls sichtbar und gut erreichbar/„einladend“ platziert, – ggf. „Sozialstation“/Stützpunkt für einen ambulanten Dienst im Gebäudekomplex. In welcher Weise diese Kriterien baulich umgesetzt werden können und müssen, hängt auch ab von der baulichen Machbarkeit und auch von der Anzahl der Bewohner, für die die Wohnanlage konzipiert ist/wird. Betreute Wohnanlagen für 50 und mehr Mieter mit 40 bis 45 Wohnungen werden sinnvollerweise nicht ohne Gemeinschaftsflächen für mind. 25 bis 30 Personen auskommen können. Je nach Konzept kann sich dieser Flächenbedarf noch erhöhen (z. B. Residenz- oder Quartierskonzepte). Insbesondere bei kleineren Wohnanlagen stellt sich unmittelbar die Frage nach dem Verhältnis von Wohnflächen, Nutzeranzahl und Gemeinschaftsflächenbedarf, der in diesen Konstellationen geringer sein wird. Hier ist auch unmittelbar die immobilienbezogene Wirtschaftlichkeit adressiert: Nicht zu vernachlässigen ist nämlich der Aspekt der Kosten des Wohnens, sprich: wie viel Quadratmeter Gemeinschaftsfläche den Wohnflächen der Wohnungen zuzuordnen sind. Als Faustregel kann gelten, dass dieser Anteil 5 % nicht überschreiten sollte. Die Realisierung baulicher Barrierefreiheit i. S. der DIN 18040 Teil 2 – zumindest bei Neubauten – ist jedenfalls zwingend; Bestandsgebäude, die Betreutem Wohnen gewidmet werden sollen, sind individuell zu behandeln (zu den Anforderungen an die Barrierefreiheit im Einzelnen siehe Kapitel 7.1.2, S. 126 ff.).
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Betreutes Wohnen für ältere Menschen
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5.3 Wohnungen Die planerische Gestaltung der Wohnungen an sich ist ein wesentlicher, wenn nicht sogar der entscheidende Erfolgsfaktor neben der räumlichen Positionierung und Auslegung der Wohnanlage selbst.
5.3.1 Flächen und Wohnungsmix Aufgrund der Zielgruppe des Betreuten Wohnens ist nach allen Erfahrungen davon auszugehen, dass mind. rd. 80 % der Mieter Einzelpersonen mit einem Durchschnittsalter – abhängig vom Erstbezug der Wohnanlage – von 85 Jahren und mehr sind, die in der Regel allesamt altersbedingte Mobilitätseinschränkungen haben und hauswirtschaftlicher und/oder pflegerisch-betreuerischer Unterstützung bedürfen und ein altersbedingt gesteigertes Sicherheitsbedürfnis zeigen. Diese Zielgruppenmerkmale – in Verbindung mit einem durchschnittlichen Alter von um 80 Jahren (bei Einzug) – bilden zugleich die wesentlichen Auslöser für Umzüge ins Betreute Wohnen. Dies gilt für betreute Wohnanlagen jeglichen Standards. Daraus ergibt sich, dass der Wohnraumbedarf überwiegend 1 ½ bis 2 Zimmer-Wohnungen mit einer Wohnfläche von 50 bis 65 qm umfasst, woraus sich wiederum als Anhalt auf folgenden Wohnungsmix für zu konzipierende betreute Wohnanlagen schließen lässt: – 1-Zimmer-Wohnungen mit rd. 40-50 qm: um 20 % – 1 ½- bis 2-Zimmer-Wohnungen mit rd. 50-65 qm: um 60 % – 2 ½- bis 3-Zimmer-Wohnungen mit rd. 65 - 75 qm: um 20 % Dieser Wohnungsmix kann sich dann verschieben, wenn die durchschnittlichen Quadratmeter-Mieten deutlich über dem Niveau vergleichbarer Wohnangebote ohne institutionalisiertes Serviceangebot liegen oder die örtliche Situation eine Nachfrage erwarten lässt, die auf Angebote überdurchschnittlichen Niveaus abzielt, oder das Konzept in Richtung auf ein „Luxus-Residenzwohnen“ geht. Letztlich ist es das Konzept, das – marktbezogen (Pricing!) – realisiert werden soll, das Wohnungsgrößen wie auch Ausstattungen vorgibt.
5.3.2 Grundrisse und Auslegung Die Attraktivität und damit auch die Vermarktungsfähigkeit und wirtschaftliche Nachhaltigkeit eines Projekts in immobilienbezogener Hinsicht basiert – trotz der Tatsache, dass Betreutes Wohnen als Dienstleistungskonzept wesentlich von der Art, Auslegung und Qualität der Betreuungsleistungen bestimmt wird – wesentlich darauf, dass die Wohnungen zielgruppenadäquat geplant und ausgelegt sind.
5 Bauliche Aspekte
Die Grundrisse sollten eine klare räumliche Gliederung widerspiegeln. Verwinkelungen sind zu vermeiden; Balkons/Freisitze sind unabdingbar. Wohn- und Schlafräume sollten die Möglichkeit bieten, dass bettlägerige Personen nicht nur gut versorgt werden können, sondern auch inkludiert werden, was z. B. durch Schiebetür-Verbindungen gewährleistet werden kann. Raum für das Abstellen von Rollatoren und Rollstühlen ist vorzusehen. Küchenbereiche sind so zu dimensionieren, dass Lagerhaltung – mit und ohne Kühlung – möglich ist. Einbauschränke/ggf. begehbare Kleiderschränke können die Flächenausnutzung optimieren. Ein Teil der Wohnungen sollte zusammengelegt oder geteilt werden können, um Flexibilität der Nutzung zu erreichen. Das vielfach aus dem Aspekt der sog. Drittverwendungsfähigkeit aufgestellte Postulat, dass es möglich sein muss, ein Gebäude mit Betreutem Wohnen ohne baulich-strukturelle Änderungen als stationäre Pflegeimmobilie nutzen zu können, ist genauso abwegig wie die Prämisse, dass es planerisch zu gewährleisten ist, dass es möglich sein müsse, ohne erheblichen Aufwand durch die Zusammenlegung von Wohnungen ein Wohngemeinschaftssetting zu schaffen. Die jeweiligen Raumanforderungen und auch Vorgaben aus der Refinanzierung sind zu unterschiedlich, als dass sie in einer Immobilie zu tragfähigen Kosten, also marktgerechten Mieten, realisiert werden könnten.
5.3.3 Ausstattung der Wohnungen Die Wohnungen sind zielgruppengerecht auszustatten. Einbauküchen mit den standardmäßigen technischen Geräten gehören zwingend dazu. Bodenbeläge sollten säure- und laugenresistent sein. Fußbodenheizungen sind sinnvoll, nicht nur um Raumeffizienz zu erreichen, sondern auch eine gleichmäßige Raumtemperatur zu schaffen; Entsprechendes gilt für die Raumkühlung und -entfeuchtung. Im Hinblick auf die Ausstattung der Wohnungen ist zudem zunehmend die Einbeziehung von AAL-Komponenten in den Blick zu nehmen, und zwar zunächst in Bezug auf Steuerung der Haustechnik (insbes. Heizung, Beleuchtung, Schließung) wie aber auch im Hinblick auf „Meldesysteme“, mittels derer Informationen an Stellen erfolgen können, die situativ Unterstützungs- und Hilfsmaßnahmen auslösen und steuern können. Sodann kommen elektronische/IT-gestützte Betreuungssysteme hinzu. Grundrisse wie Ausstattungen haben den Anforderungen der Barrierefreiheit zu genügen; dies gilt nicht nur, aber besonders für die Bäder (dazu näher in Kapitel 7.1.2, S. 126 ff.).
73
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6 Gestaltung und Vertragsgestaltung Die Gestaltung i. S. v. Konzeptionierung eines Leistungsangebots und dessen Umsetzung in rechtlich verbindliche Vereinbarungen zwischen den beteiligten Akteuren – dem Wohnraumüberlasser, dem Dienstleistungsanbieter und den Mietern – ist eine Medaille mit zwei Seiten: Ohne Entscheidung und Festlegung der Konzeption ist eine vertragsrechtliche Festlegung dieser dreipoligen Beziehung unsinnig. Nicht die Verträge bestimmen die Konzeption, sondern die Konzeption die Verträge. Allerdings muss die Prämisse, dass natürlich Konzeptionen dann nicht umsetzungsfähig sind, wenn das allgemeine Vertragsrecht entgegensteht, beachtet werden. Die „richtige“ Gestaltung des Produkts – vom Leistungsbild bis zum Pricing – ist ein ebenso entscheidender Erfolgsfaktor wie die „richtige“, nachhaltig tragfähige Vertragsgestaltung. Daher werden im Folgenden die alternativen Gestaltungsmodelle skizziert und sodann dargestellt, wie diese vertraglich umgesetzt werden können bzw. umzusetzen sind. Primär sind es die Organisationsmodelle (dazu Kapitel 6.2, S. 76 ff.), die relevant sind und deren rechtliche Ausgestaltung (dazu Kapitel 6.3, S. 83 ff.) im Zusammenspiel Schlüssel zum Erfolg sind. Dies ergänzend werden dann abschließend einige leistungsrechtliche Hinweise gegeben (in Kap. 6.4, , S. 113 ff.), ehe dann abschließend die Modelle aus der spezifischen Sicht der Vermieter, der Betreuungsdienstleister wie auch der Investoren beleuchtet werden (dazu Kap 6.5, S. 121).
6.1 Grundsätzliches Die „richtige“ Gestaltung des Produkts „Betreutes Wohnen – ggf. in Verbindung mit den bereits erwähnten Leistungsangeboten Tagespflege und ambulant betreute Wohngemeinschaften – ist zunächst eine Frage der Produktgestaltung, nämlich welche Leistungsangebote werden von wem in welcher Form erbracht und realisiert. Welche Leistungen in Rede stehen, wurde bereits oben beschrieben. Daran schließt sich die Frage an, wie dieses Leistungsbild konzeptionell und vertragsrechtlich zu organisieren ist. In Bezug auf beide Bereiche ist parallel mitzudenken, welche einrichtungsrechtlichen/heimrechtlichen Rahmenbedingungen zu beachten sind, um eine Umqualifizierung des Produkts in eine „Heimeinrichtung“ zu vermeiden, und welche leistungsrechtlichen Aspekte maßgeblich sind, um das Angebot pflege- und sozialleistungsrechtlich refinanzierbar darzustellen. Dies gilt insbesondere bei Verbundangeboten, vor allem, wenn diese „unter einem Dach“ gemacht werden. Zudem ist auch in den Blick zu nehmen, ob nicht bestimmte leistungsrechtliche Aspekte angebotsdeterminierend sind. Dies gilt nicht nur für die Frage von Transferleistungen (Wohngeld, Kosten der Unterkunft), sondern auch im Hinblick auf den Wohngruppenzuschlag des § 38a SGB XI (zu diesen Fragen Kapitel 6.3.5).
Betreutes Wohnen für ältere Menschen
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6.2 Konzeption und Leistungsbild Konzeptionell sind drei Bereiche zu klären: Der erste ist, welche Leistungen mit dem „Wohnen“ zu verbinden sind und welche mit der „Betreuung“. Der zweite Bereich ist der, wie unabhängig von der Gestaltung der Wohnraumüberlassung und der Betreuung an sich die Leistungen koordiniert werden sollen, und der dritte Bereich betrifft die Frage, wie die Leistungen im Verhältnis zum Mieter vertragsrechtlich gestaltet werden sollen. Dabei folgt die Vertragsgestaltung der konzeptionellen Organisation – unter Beachtung der oben adressierten Rahmenbedingungen. Die Antwort auf diese drei Fragenkomplexe beruht entscheidend auf einer strategischen Richtungsentscheidung, nämlich wer „leisten“ soll.
6.2.1 Das Problem: Wer leistet – verschiedene (kooperierende) Leistungsanbieter oder „Alles aus einer Hand“? Vor dem Hintergrund, dass es sich beim Betreuten Wohnen um die Verbindung von zwei Leistungsmodulen, nämlich dem „Wohnen“ und der „Betreuung“, handelt, ergibt sich gestaltungsbezogen zunächst die Frage, wie diese beiden Komponenten miteinander zu verbinden und zu koordinieren sind. Gestaltungsmodelle Betreutes Wohnen Alles - aus - einer Hand - Modelle
1. Variante: Wohnraumüberlasser oder Betreuungsdienstleister erbringt auch die Betreuungsgrundleistungen selbst
Mischmodelle
Betreuungsgrundleistungen werden teils von den Leistungsanbietern selbst, teils in Kooperation erbracht
2. Variante: Wohnraumüberlasser bedient sich eines Dienstleisters für die Betreuungsleistungen oder Dienstleister mietet die Wohnungen zwecks Untervermietung an
Abbildung 17: Gestaltungsmodelle Betreutes Wohnen
Kooperationsmodell
Wohnen und Betreuungsleistungen werden eigenständig von dem betreffenden Leistungserbringer erbracht – beide sind durch eine Kooperationsvereinbarung verbunden
6 Gestaltung und Vertragsgestaltung
Kein Koordinationsproblem besteht dann, wenn das Wohnen und die Betreuungsleistungen aus einer Hand erbracht werden sollen, sprich: entweder der Vermieter auch die Betreuungsleistungen erbringt (entweder selbst oder durch einen Erfüllungsgehilfen) oder umgekehrt der Dienstleister die Vermietung selbst durchführt (nach Anmietung der betreuten Wohnanlage). Spezifische (vertrags-)rechtliche Auswirkungen ergeben sich – abgesehen von Dienstleistungsverträgen im Subunternehmer-Modell – in dem Fall, in dem das Betreute Wohnen nicht von einem Anbieter operativ selbst „aus einer Hand“ erbracht wird. Relevant sind hier die Konstellationen, in denen die beiden Leistungsmodule faktisch von unterschiedlichen Rechtspersönlichkeiten erbracht werden und erst durch ihr Zusammenwirken das integrierte Produkt „Betreutes Wohnen“ geschaffen wird. Hier ist die Frage der Verbindung der beiden Leistungsmodule adressiert, um eine stabile Angebotsstruktur zu schaffen. Erfolgt in diesen Konstellationen nämlich keine rechtliche Verklammerung der Leistungsmodule, so liegt ein mehr oder minder unverbindliches Konstrukt vor, das nicht den Charakter einer kombinierten Gesamtleistung aufweist, da beide Leistungsteile und ihre Erbringer miteinander nicht rechtlich verknüpft sind. Einerseits gibt dies dem Mieter als Endnutzer keine, jedenfalls keine hinreichend sichere und verlässliche Rechtsposition in Bezug auf die kombinierte Leistung Betreutes Wohnen, die er als Nutzer erwartet und erwarten kann. Andererseits agieren aber auch die beiden Leistungserbringer „Wohnen“ und „Betreuung“ auf schwankendem Boden, weil weder der eine noch der andere das integrierte Produkt Betreutes Wohnen erbringen kann und die daraus resultierende Abhängigkeit mit Blick auf den Mieter, der die Gesamtleistung beziehen will, nicht institutionalisiert ist: Der Leistungserbringer Wohnen, also regelmäßig der Vermieter, kann nicht Betreutes Wohnen erbringen, weil er selbst nicht das Leistungsmodul Betreuung erbringt bzw. erbringen (lassen) kann. Der Leistungserbringer Betreuung kann nun wiederum nicht das Leistungsmodul Wohnen erbringen, weil er nicht die Gebrauchsüberlassung an der Wohnung leisten kann. Zudem hat er für seine Tätigkeit in der Wohnanlage keine rechtlich abgesicherte Basis für die Erbringung von (Betreuungs-) Leistungen, die außerhalb der Wohnung seines Kunden erbracht werden (müssen). Diese für alle Beteiligten – für die Senioren als Kunden und die beiden Leistungserbringer selbst – völlig unbefriedigende und für die tatsächliche und vor allem aber auch rechtssichere Gewährleistung der Erbringung der Gesamtleistung untragbare Situation kann nur durch eine rechtliche Gestaltung dieses regelmäßig vorzufindenden 3-Personen-Verhältnisses Leistungserbringer Wohnen, Leistungserbringer Betreuung und dem Mieter als Leistungsempfänger der Gesamtleistung „Wohnen plus Dienstleistung“ rechtlich einwandfrei gelöst werden, wenn auf der Ebene der Leistungserbringer Stabilität und klare Verhältnisse geschaffen werden. Diese rechtliche Organisationsfrage stellt sich zudem mittelbar auch in den Fällen, in denen sich einer der Beteiligten ein Leistungselement des Betreuten Wohnens verschaffen muss, weil er die Gesamtleistung als bei ihm gebündelte Teilleistungen anbieten will.
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Betreutes Wohnen für ältere Menschen
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Diese Grundsatzfragestellung ist die nach den möglichen Organisationsmodellen. Erst wenn diese konzeptionelle Frage geklärt ist, kann die Frage nach den abzuschließenden Verträgen, auch in der Beziehung zu den Mietern als Kunden des Leistungsanbieters (bei Alles-aus-einerHand-Modellen) oder der Leistungsanbieter (bei Kooperationsmodellen) beantwortet werden.
6.2.2 Organisationsmodelle und Umsetzungsebenen Bei der tatsächlichen wie rechtlichen Umsetzung des ersten („Alles-aus-einer-Hand“) wie des zweiten („Kooperation“s-)Typs ist zwischen zwei Ebenen zu differenzieren: Die erste Ebene betrifft die Organisation der Leistungserbringung auf der Seite des Leistungserbringers. Die zweite Ebene betrifft die der Gestaltung im Verhältnis zum Kunden. Betreutes Wohnen = Wohnen + Dienstleistungen: Organisationsebenen Ebene der Leistungserbringer
Verknüpfung von Wohnen und Betreuung: Einheitliche Leistung | Kooperationsleistung
Ebene der Kundenbeziehungen
> Einheitliche Leistung > Unterschiedliche Leistungsbeziehungen: Wohnen | Betreuung | Wahlleistungen
Abbildung 18: Organisationsebenen
Organisation auf der Leistungserbringerebene Die Organisation dieses 3-Personen-Verhältnisses kann grds. in folgenden Gestaltungsvarianten und daraus folgenden Vertragskonstellationen erfolgen:
Alles-aus-einer-Hand-Modelle Alles-aus-einer-Hand-Modelle zeichnen sich dadurch aus, dass es faktisch wie rechtlich nur einen Leistungserbringer gibt.
Einheitliche Leistungserbringung durch einen Anbieter Sogenannte „Alles-aus-einer-Hand-Konzepte“ zeichnen sich durch eine direkte Bindung bzw. Verknüpfung der jeweiligen Leistungselemente des Betreuten Wohnens, wie Vermietung, Verwaltung, Betrieb im Sinne der direkten Leistungsübernahme und damit durch eine Gesamtverantwortlichkeit aus. Es besteht Personenidentität zwischen Wohnraumüberlasser und Betreuungsdienstleister. Dabei ist es irrelevant, wer der „verantwortliche“ Leistungserbringer ist. Ebenso ist irrelevant, wer tatsächlich die Leistungen operativ erbringt. Hat diese Funktion der
6 Gestaltung und Vertragsgestaltung
Vermieter, so ist es ebenfalls irrelevant, ob er die Betreuungsleistungen selbst mit Sach- und Personalmitteln erbringt oder ob er sich eines Betreuungsdienstleisters als Erfüllungsgehilfen bedient. In beiden Fällen ist er der Leistende und gegenüber dem Kunden Verantwortliche. Wenn der Dienstleister die Kombinationsleistung aus einer Hand erbringen will, muss er die Immobilie generalanmieten, um aus einer Hand sowohl die Betreuungsleistungen wie auch die Wohnraumüberlassung erbringen zu können. In den „Alles-aus-einer-Hand-Konzepten“ i. e. S. gibt es tatsächlich – nicht nur rechtlich – einen operativen Leistungserbringer für beide Leistungsmodule. Bei den „Alles-aus-einerHand-Konzepten“ i. W. S. schaltet der Leistungserbringer einen oder mehrere Dritte operativ in die Leistungserbringung ein, ohne dass dies rechtlich an seiner Position etwas ändert: Er ist verpflichtet wie auch berechtigt. Dies sind die nachfolgend angesprochenen „Erfüllungsgehilfen-Modelle“ oder „Subunternehmer-Modelle“.
„Erfüllungsgehilfen-Modell“/„Subunternehmer-Modell“ In dem „Erfüllungsgehilfen-Modell“ bedient sich der Leistungserbringer Wohnen oder (theoretisch) der Leistungserbringer Betreuung jeweils des anderen als seines Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) und bringt sich so juristisch in die Position, beide Leistungsmodule als seine eigene Leistung erbringen zu können. Es handelt sich um eine „Subunternehmer-Konstellation“. Der Regelfall ist hierbei, dass der Leistungserbringer Wohnen als Erbringer beider Leistungskomponenten auftritt und sich bei der Leistungserbringung Betreuung als Subunternehmer bedient, um die Gesamtleistung Betreutes Wohnen erbringen zu können. Die Gestaltung, dass der Leistungserbringer Betreuung sich des Leistungserbringers Wohnen als Erfüllungsgehilfen bedient, findet sich nur in mehr oder minder verunglückten Modellen, weswegen diese Variante hier nicht weiter behandelt wird. In diesem Fall ist dann ein „Generalmiet-Modell“ zu wählen, das darin besteht, dass der Leistungserbringer Betreuung den Wohnraum anmietet und diesen dann über Untermietverträge an seine von ihm betreuten Kunden weitervermietet und so als Erbringer der Gesamtleistung Betreutes Wohnen agiert. Grundlage bildet ein Dienstleistungsvertrag zwischen dem Wohnraumüberlasser und dem Betreuungsdienstleister. Bedient sich hingegen der Vermieter eines Betreuungsdienstleisters, der in seinem Namen und auf seine Rechnung agiert, so ist vertraglich zu regeln und sicherzustellen, was der Dienstleister dem Vermieter gegenüber zu leisten hat. Dies ist in einem Dienstleistungsvertrag zu gestalten. Er hat v. a. den Leistungsgegenstand, die zu befolgenden Qualitätsstandards („servicelevel“), die Gewährleistung und Haftung wie auch Laufzeit und Vertragsbeendigung zu regeln.
Generalmietmodelle Ist der Dienstleister nicht Eigentümer, so hat er die Möglichkeit der Wohnraumüberlassung vertraglich sicherzustellen, nämlich „sich zu verschaffen“. Dies wird regelmäßig in Gestalt der
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Generalanmietung der Immobilie erfolgen. Die Verschaffung dinglicher Nutzungsrechte ist eher selten und soll daher hier nicht weiter vertieft werden. Der abzuschließende Generalmietvertrag ist ein spezifischer Vertrag, der die Besonderheiten der An- und Untervermietung betreuter Wohnungen zu beachten hat.
Kooperationsmodelle Die Organisation der Leistungserbringerebene bei Kooperationsmodellen ist durch die Zuweisung von Leistungsbereichen an die beiden Leistungserbringer Wohnen und Dienstleistungen geprägt. Auf der einen Seite wird dies durch die Kernleistungsbereiche vorgegeben. Auf der anderen Seite muss geklärt werden, welches Leistungsniveau, welche Kooperations-, Informations- und Kommunikationsgrundsätze wie auch welche Gewährleistungs- und Haftungsregelungen gelten sollen. Ein wesentlicher Punkt ist zudem zu klären, wie in Anlaufphasen Initialaufwand und Initialrisiken verteilt werden. Zur Risikoverteilung gehört auch die Regelung der Frage von Aufwänden und Ertragsverlusten bei Unterbelegungen und Qualitätsmängeln bei einem Leistungserbringer, die sich bei dem anderen auswirken.
Organisation der Leistungserbringung im Verhältnis zum Kunden Die zweite Ebene, die konzeptionell in den Blick zu nehmen ist, ist die Gestaltung der Leistungsbeziehungen hin zum Mieter als dem Kunden des Leistungserbringers oder der beiden Leistungserbringer – abhängig vom gewählten Modell.
Leistungserbringung bei „Alles-aus-einer-Hand-Modellen“ Die Erbringung der Gesamtleistung „Betreutes Wohnen“ aus einer Hand bedarf keiner gesonderten (internen) Organisation auf Leistungserbringerseite, sofern nicht dritte Erfüllungsgehilfen als Subunternehmer eingeschaltet sind. Dies hat aber keine Auswirkungen auf die Gestaltung des Leistungsverhältnisses zum Kunden, weil der Subunternehmer nicht selbst gegenüber dem Kunden leistet, sondern seine Leistungen gegenüber dem hauptleistenden Dienstleister erbringt. Ist der Vermieter zugleich auch Erbringer der Betreuungsleistungen, so kann er diese als Vermieter selbst oder über einen Subunternehmer erbringen. Gleichermaßen gilt dies für den generalanmietenden Betreuungsdienstleister. Stets fallen beide Leistungsbereiche in die Zuständigkeit ein und desselben Leistungserbringers. Entweder faktisch und rechtlich oder nur rechtlich – und zwar Letzteres bei den Subunternehmer-Modellen. Dies gilt auch für die vertragsrechtliche Gestaltung: Entweder kann er getrennte Verträge über die Wohnraumüberlassung und die Betreuungsdienstleistungen vorsehen oder einen einheitlichen Vertrag mit beiden Leistungskomponenten (dazu weiter unten Abschn. 6.3, S. 83 ff.).
6 Gestaltung und Vertragsgestaltung
Leistungserbringung bei Kooperationsmodellen Da bei diesem Modell zwei Leistungserbringer vorhanden sind, gibt es auch zwei Leistungsstränge: Der eine ist die Dienstleistung „Betreuung“ und der andere ist die Wohnraumüberlassung. Konnektiert werden diese beiden Leistungsstränge – wie bereits oben dargestellt – durch eine Kooperationsvereinbarung der beiden Leistungserbringer. Eine Besonderheit ist allerdings in den Fällen zu betrachten, in denen das Betreute Wohnen im WEG-Modell angeboten wird, also ein Bauträger die Wohnungen in Wohneigentum veräußert und einen Dienstleister engagiert, der die Betreuungsleistungen erbringen soll, damit das Leistungsbild „Betreutes Wohnen“ entsteht. Hier gibt es zwar auch zwei Leistungsstränge und zwei Leistende, aber es muss nicht zwingend auch zwei Verträge geben, wenn das Regelungsmodell des Globalbetreuungsvertrags gewählt wird, wie es weiter unten (Abschn. 6.3.2, S. 111 f.) noch näher dargestellt wird.
6.2.3 Resümee Die Palette der denkbaren Gestaltungen ist also breit angelegt: Welcher Gestaltung der Vorzug zu geben ist, hängt von der konkreten Situation, den Kompetenzen der Beteiligten, auch der Risikoneigung und vor allem auch der Verfügbarkeit adäquater Partner ab.
6.2.4 Exkurs: Leistungs- und förderrechtliche Implikationen Im Rahmen der Frage, wie das zu gestaltende Produkt „Betreutes Wohnen“ aussehen soll, wer ggf. wie organisiert, wer welche Leistungsbereiche abzudecken hat und wie die Leistungsbeziehungen zu den Kunden zu gestalten sind, ist der Aspekt der leistungsrechtlichen Optimierung nicht zu übersehen. Dies betrifft einerseits Anforderungen aus öffentlichem Förderrecht/der öffentlichen Wohnraumförderung. Ohne auf die sich häufig ändernden landesspezifischen Regelungen an dieser Stelle eingehen zu können, ist zu beachten, dass die Inanspruchnahme von Mitteln der Wohnraumförderung auch Auswirkungen auf das Leistungsbild des Betreuten Wohnens haben kann, wenn z. B. die Höhe der Betreuungspauschale begrenzt wird. Gleiches gilt für die Instrumente des § 40 SGB XI und auch die Wohngeldvorschriften. Dieses wird bei „Luxus-Betreutem Wohnen“ keine Relevanz erlangen, hat jedoch bei „normal“ bepreistem Wohnen ganz erhebliche Bedeutung. Im Ergebnis handelt es sich um ein System der kommunizierenden Röhren: Die finanzielle Unterstützung auf der einen Seite hat Einengungen der Gestaltung auf der Leistungsseite zur Folge. Es ist im Einzelfall abzuwägen, welcher „Vorteil“ etwaige „Nachteile“ auf der anderen Seite überwiegt.
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Ein Aspekt ist dabei auch, ob und wie ggf. Leistungen nach § 38a SGB XII mobilisiert werden können und sollen. Die Vorschrift, die gemeinhin überwiegend auf ambulant betreute Wohngemeinschaften bezogen worden ist, hat durch eine Rechtsprechung des BSG aus dem Jahr 2020 eine deutliche Erweiterung erfahren. Bilden sich „Mieterwohngruppen im Betreuten Wohnen“, so können die diesen Wohngruppen zugehörigen Personen auch den Wohngruppenzuschlag erhalten, wenn das Angebot den Rahmenbedingungen des § 38a Abs. 1 SGB XI entspricht: „§ 38a SGB XI Zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen (1) Pflegebedürftige haben Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 214 Euro monatlich, wenn 1. sie mit mindestens zwei und höchstens elf weiteren Personen in einer ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung leben und davon mindestens zwei weitere Personen pflegebedürftig im Sinne der §§ 14, 15 sind, 2. sie Leistungen nach den §§ 36, 37, 38, 45a oder § 45b beziehen, 3. eine Person durch die Mitglieder der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt ist, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder die Wohngruppenmitglieder bei der Haushaltsführung zu unterstützen, und 4. keine Versorgungsform einschließlich teilstationärer Pflege vorliegt, in der ein Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem im jeweiligen Rahmenvertrag nach § 75 Absatz 1 für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen; der Anbieter einer ambulant betreuten Wohngruppe hat die Pflegebedürftigen vor deren Einzug in die Wohngruppe in geeigneter Weise darauf hinzuweisen, dass dieser Leistungsumfang von ihm oder einem Dritten nicht erbracht wird, sondern die Versorgung in der Wohngruppe auch durch die aktive Einbindung ihrer eigenen Ressourcen und ihres sozialen Umfelds sichergestellt werden kann.“
Die Option ist überaus interessant für die Dienstleistungsseite, verlangt aber eine strukturelle Gestaltung – leistungs- wie vertragsbezogen – ähnlich wie bei ambulant betreuten Wohngemeinschaften.
6 Gestaltung und Vertragsgestaltung
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6.3 Vertragsgestaltung Die oben beschriebene Leistungsstruktur ist dann vertragsrechtlich nachzuvollziehen. Dabei ist zwischen den „Alles-aus-einer-Hand-Modellen“ und den „Kooperationsmodellen“ zu unterscheiden. Betreutes Wohnen Varianten der Vertragsstruktur
Alles - aus - einer Hand - Modelle
1. Variante: Trennung der Verträge über Wohnen und Betreuungsleistungen
Kooperationsmodell
Trennung der Verträge über Wohnen und Betreuungsleistungen
2. Variante: Einheitlicher „Wohn - Betreuungs Vertrag“ / „Residenzvertrag“
Abbildung 19: Vertragsstruktur Betreutes Wohnen
6.3.1 Alles-aus-einer-Hand-Modelle Wie gesagt, kommen die Alles-aus-einer-Hand-Modelle in 3 Varianten vor: in der Form der einheitlichen Leistungserbringung durch einen Anbieter, in der Form, dass – in der Regel – der Erbringer des Leistungsmoduls Wohnen sich eines Dienstleisters für die Betreuungsleistungen als Erfüllungsgehilfen bedient und in der bei den Dienstleistern vornehmlich vorzufindenden Gestaltung, dass sich diese die Möglichkeit der Erbringung des Betreuten Wohnens durch die Generalanmietung der Wohnanlage beschaffen. Diese drei Varianten und die Verträge, die für die Umsetzung erforderlich sind, werden nachfolgend jeweils differenziert entlang der beiden oben bezeichneten Ebenen skizziert.
Einheitliche operative Leistungserbringung durch einen Anbieter Ist konzeptionell die einheitliche Leistungserbringung durch einen Anbieter vorgesehen, so ist im Hinblick auf die oben skizzierten zwei Ebenen – Leistungserbringer-Ebene und KundenEbene – Folgendes zu berücksichtigen:
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Regelungen auf Leistungserbringer-Seite Bei den Alles-aus-einer-Hand-Modellen bedarf die Erbringung der Gesamtleistung „Betreutes Wohnen“ keiner gesonderten (internen) Organisation auf Leistungserbringerseite, da die Gesamtleistung eben aus einer Hand erfolgt. Ist der Vermieter zugleich auch Erbringer der Betreuungsleistungen, so kann er diese als Vermieter erbringen, ohne dass er eine dritte (juristische Einheit) einzubinden hat. In der Regel tut er dies mit eigenen personellen und sächlichen Mitteln, insbesondere mit eigenen Mitarbeitern. Allerdings bedarf es in dem Fall, dass der Vermieter sich eines Dritten bedient, einer Dienstleistungsbeziehung zu diesem als seinem als Erfüllungsgehilfen eingeschalteten Subunternehmer. Einer internen vertraglichen Regelung bedarf es nicht für den generalanmietenden Betreuungsdienstleister. Auch er vermietet und betreut in einer Person. Beide Leistungsbereiche fallen in die Zuständigkeit ein- und desselben Leistungserbringers. Die Gestaltung des Generalmietverhältnisses steht dabei nicht im unmittelbaren Kontext mit der Leistungserbringung.
Regelung der Leistungsbeziehung im Verhältnis zum Kunden Die Leistungsbeziehungen zum Kunden müssen – auf der 2. Ebene – die beiden Bereiche Wohnen und Betreuung abdecken. Dies kann grundsätzlich in zwei Varianten erfolgen, nämlich entweder in einem einheitlichen „Wohn-Dienstleistungsvertrag“ bzw. sog. „Residenzvertrag“ oder durch zwei spezifisch auf die beiden Leistungsbereiche zugeschnittene Verträge, nämlich einen „Wohnvertrag“ und einen „Betreuungsvertrag“. Der Wohnvertrag ist in der Regel ein klassischer Wohnungsmietvertrag. Die Dienstleistungen werden in einem Betreuungsvertrag geregelt. Übergreifend gelten für beide Regelungskomplexe – ungeachtet der Frage, ob sie in einem oder in zwei Verträgen geregelt sind – grundsätzliche Anforderungen, die nicht vertragstypbezogen sind und daher vor die Klammer gezogen werden können. Es handelt sich dabei i. W. um Folgendes: Verträge im Bereich des Betreuten Wohnens müssen die allgemeinen zivilrechtlichen Anforderungen v. a. an den Vertragsschluss (§§ 145 ff. BGB) und den Vertragstyp „Miete“ (§§ 535 BGB) bzw. „Betreuung“ (§ 611 BGB) erfüllen. Für den Abschluss eines Vertrags ist die Einigung über den Vertragsgegenstand, die Laufzeit und die Vergütung erforderlich. Speziell im Bereich der Wohnraumüberlassung ist auf die zwingenden Regelungen des „sozialen Mietrechts“ hinzuweisen. Zudem sind die Anforderungen an den Verbraucherschutz bei Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu beachten. In der Regel werden Standardverträge verwandt, die der Inhaltskontrolle unterliegen. Soll sich das Angebot des Betreuten Wohnens an der DIN 77800 – Betreutes Wohnen orientieren, so sind die dort statuierten besonderen Anforderungen an die Vertragsgestaltung
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zu beachten. Die DIN 77800 – Betreutes Wohnen definiert insofern als Instrument der freiwilligen Qualitätssicherung Mindeststandards, die – freiwillig befolgbare – Anforderungen zur Vertragsgestaltung beinhalten. Sie betreffen v. a. formelle Aspekte. So gibt es Anforderungen zur Vertragsstruktur. Die DIN 77800 – Betreutes Wohnen fordert angesichts der Leistungsgliederung die gesonderte Regelung des Mietverhältnisses (Mietvertrag), der Grundleistungen/ allgemeinen Betreuungsleistungen (Betreuungsvertrag) sowie der Angebote an Wahlleistungen/weitergehenden Betreuungsleistungen. Dies hat – wie gesagt – auch Auswirkungen auf die oben angesprochene Frage, ob ein einheitlicher Wohn-Dienstleistungsvertrag oder ein einheitlicher Vertrag gewählt wird. Letzteres scheidet im Lichte der DIN 77800 – Betreutes Wohnen aus. Ferner wird vorgeschrieben, dass die Verträge gut lesbar und leicht verständlich sein müssen, eine klare Gliederung und übersichtliche Gestaltung aufweisen sowie in Schriftarten ohne Serifen und Schriftgröße Pt 12 gestaltet sein müssen. Die Vertragsgestaltung muss zudem eindeutig regeln, welche Vertragspartner für welche Leistungen zuständig sind und welche Leistungen dem Mietverhältnis sowie den Grundleistungen/allgemeinen Betreuungsleistungen sowie den Angeboten an Wahlleistungen/weitergehenden Betreuungsleistungen zugeordnet sind. Alle Vertragsleistungen müssen vollständig beschrieben und in den Bereichen Mietverhältnis, Grundleistungen/allgemeine Betreuungsleistungen sowie eindeutig den Wahlleistungen/weitergehenden Betreuungsleistungen zugeordnet werden. In den Bereichen Mietverhältnis, Grundleistungen/allgemeine Betreuungsleistungen sowie weitergehendes Wahlleistungsangebot müssen die Entgelte den konkreten Vertragsleistungen eindeutig zugeordnet werden. Da man es, wie gesagt, überwiegend mit Standardverträgen zu tun haben wird, müssen die vertraglichen Vereinbarungen über Leistungen des Betreuten Wohnens als allgemeine Geschäftsbedingungen die Anforderungen des Verbraucherschutzes nach den §§ 305 ff. BGB erfüllen. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (der sog. Verwender, hier der Vermieter) der anderen Vertragspartei bei Abschluss des Vertrags stellt. Dabei ist gleichgültig, ob die Bestimmungen einen äußerlich gesonderten Bestandteil des Vertrags bilden oder in die Vertragsurkunde selbst aufgenommen werden – was im Bereich der Miete der Regelfall ist – welchen Umfang sie haben und welche Form der Vertrag hat (§ 305 Abs. 1 Sätze 1 u. 2 BGB). Die Einbeziehung muss klar sein, ggf. sind Hinweise zu geben. Dies gilt besonders, wenn die andere Vertragspartei eine erkennbare körperliche Behinderung hat (§ 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Die Einbeziehung von Regelungen überhaupt in den Vertrag führt aber noch nicht dazu, dass diese damit auch materiell wirksam sind. Sie müssen die Inhaltskontrolle anhand der Regelungen des § 307 BGB (als Generalklausel), § 308 BGB (Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit), § 309 BGB (Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit) bestehen. Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen gemäß der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders. Sind solche Allgemeinen Geschäftsbedin-
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gungen wegen Verstoßes gegen die obigen Grundsätze ganz oder teilweise nicht Vertragsbestandteil geworden, so führt dies grundsätzlich dazu, dass der Vertrag im Übrigen wirksam bleibt (§ 306 Abs. 1 BGB). Anstelle der Regelungen, die nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam sind, treten – bis auf Ausnahmefälle – die gesetzlichen Vorschriften (§ 306 Abs. 2 BGB). Das bedeutet, dass anstelle der nicht geltenden Regelungen die gesetzlichen Vorschriften maßgeblich sind. Die generellen Anforderungen werden durch die nachfolgend beschriebenen spezifischen Anforderungen und Rahmensetzungen ergänzt.
Einheitlicher Wohn-Dienstleistungsvertrag/„Residenzvertrag“ Bei der Gestaltung in einem einheitlichen Vertrag werden die Elemente der Wohnraumüberlassung und der Dienstleistungserbringung in einem Rahmen mit allgemeinen Regelungen (Haftung, Datenschutz etc.) zusammengefasst. Ob die Vergütung einheitlich oder aufgesplittet geregelt wird, ist eine Frage der Transparenz der Vertragsgestaltung und der verbundenen Leistungen, insbesondere bei „Residenz-Modellen“, bei denen – für das Betreute Wohnen atypisch – das Grundleistungspaket um in der Regel weitere, vornehmlich umfängliche hauswirtschaftliche und ggf. auch sozialbetreuerische Leistungen angereichert wird. Die Grundstruktur eines solchen Vertrags muss folgende Regelungspunkte aufweisen: – Präambel/Ziele, – Regelungen zum Leistungsbeginn und -umfang im Allgemeinen, – Regelungen zur Wohnraumüberlassung, – Regelungen zur Dienstleistung, – Vergütungsbezogene Regelungen, – Kündigungsrechte/Regelungen zur Vertragsbeendigung, – Haftungsregelungen, – Allgemeine Bestimmungen, Einzelheiten werden nachfolgend im Zusammenhang mit der Darstellung der beiden Grundvertragstypen „Mietvertrag“ und „Betreuungsvertrag“ erläutert. Allerdings sind einige Besonderheiten zu beachten: So ist zu klären, ob ein einheitliches Entgelt für die Wohnraumüberlassung und die Betreuungsleistungen vereinbart werden soll. Die Antwort auf die Frage, in welcher Form das Entgelt für die Betreuungsleistungen im Rahmen der Leistungen des Betreuten Wohnens ausgewiesen und erhoben wird, hängt entscheidend von der Konzeption der Anlage des Betreuten Wohnens ab. In der Regel empfiehlt es sich, die Vergütungsbestandteile getrennt auszuweisen und auch gesonderte Anpassungsregelungen vorzusehen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf das letztlich maßgeblich durch Personalkosten beeinflusste Betreuungsentgelt auf der einen Seite und die mietrechtlichen Preisvorschriften auf der anderen Seite.
6 Gestaltung und Vertragsgestaltung
Soll das Angebot die Mindeststandards der DIN 77800 – Betreutes Wohnen erfüllen, so scheidet ein einheitlicher Wohn-Dienstleistungsvertrag aus, wie oben bereits angesprochen wurde. Vielmehr ist angesichts der Leistungsgliederung die Regelung des Mietverhältnisses (Mietvertrag), die Regelungen der Grundleistungen/allgemeinen Betreuungsleistungen (Betreuungsvertrag) sowie die Regelung der Angebote an Wahlleistungen/weitergehenden Betreuungsleistungen in getrennten Verträgen geboten. Ferner ist zu klären, ob und ggf. wie die Eigenerbringung von Wahlleistungen durch den Leistungsanbieter geregelt werden soll. Entweder werden in dem Vertrag diesbezüglich bereits Regelungen vorgesehen oder nicht. Letzteres schafft mehr Flexibilität in Bezug auf die Erbringung der einzelnen Wahlleistungen. Insofern bietet sich ggf. ein „Wahlleistungsrahmenvertrag“ an.
Wohnvertrag Der Vertrag über die Überlassung der betreuten Wohnung ist in der Regel ein Mietvertrag. Besonderheiten sind bei genossenschaftlichen Nutzungsverhältnissen zu beachten. Bei der Vertragsgestaltung ist Folgendes zu beachten: Als allgemeine Anforderung gilt, dass Verträge im Bereich des Betreuten Wohnens, wie auch „normale“ Wohnraummietverträge, die allgemeinen zivilrechtlichen Anforderungen v. a. an den Vertragstyp „Miete“ (§§ 535 ff. BGB) erfüllen müssen. Wenn sich der Überlasser des Wohnraums – ggf. in Verbindung mit dem Dienstleistungsanbieter – an der DIN 77800 – Betreutes Wohnen orientieren und sich ggf. zertifizieren lassen will, so sind die dort statuierten besonderen Anforderungen an die Vertragsgestaltung, die oben bereits skizziert wurden, zu beachten. Nur als Erinnerungsposten soll auch hier erwähnt werden, dass die Anforderungen des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen uneingeschränkt gelten, wenn – wie üblich – Standardverträge verwendet werden. Insbesondere Rechtsrisiken aus diesem Bereich können umgangen werden, wenn man Standardmietverträge nutzt und nur spezifische Besonderheiten des Betreuten Wohnens ergänzend regelt. Im Hinblick auf den Vertragsgegenstand muss die Wohnung als Mietobjekt hinsichtlich ihrer Größe, Lage und Ausstattung sowie der baulichen Barrierefreiheit exakt beschrieben werden. Fehlende oder unklare vertragliche Regelungen bzgl. der Ausstattungsmerkmale, die im Einzelfall die Wohnung und die Gemeinschaftsräume des Objekts als Betreutes Wohnen qualifizieren, bergen das Risiko von rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen den Vertragsparteien. Deshalb muss man z. B. bei vertraglichen Garantien für das Vorhandensein der Barrierefreiheit der Wohnung und die Funktionsweise einer Notrufeinrichtung besondere Aufmerksamkeit walten lassen; Formulierungen im Mietvertrag wie etwa „der Wohnraum ist altersgerecht“ ist nicht hinreichend klar und sollte vermieden werden. Besondere Vorsicht
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ist bei der Inbezugnahme einer „Rollstuhlgerechtigkeit“ angebracht, da dieser Begriff auf die sog. „R“-Anforderungen der DIN 18040 abhebt, die eine Vielzahl von Detailanforderungen enthalten, die bei Wohnraum für Betreutes Wohnen in aller Regel nicht, jedenfalls nicht bei allen Wohnungen einer spezifischen Wohnanlage erfüllt werden. Zu regeln sind zudem Vertragsbeginn und -dauer, also wann die Nutzungszeit beginnen soll und wie lang die Laufzeit des Vertrags sein soll, sprich: ob der Vertrag befristet oder unbefristet sein soll. Die Regel ist eine nicht befristete Vertragslaufzeit. Auf der einen Seite würde eine Befristung dem Sinn und Zweck des Betreuten Wohnen zuwiderlaufen. Auf der anderen Seite ist im Rahmen der Wohnraumvermietung der Abschluss von Zeitmietverträgen – sofern dies überhaupt im Rahmen der Konzeption von Projekten des Betreuten Wohnens in Betracht kommt, wie bereits oben angesprochen – nur unter den engen Voraussetzungen des § 575 Abs. 1 Satz 1 BGB zulässig. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so gilt das Mietverhältnis als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen (§ 575 Abs. 1 Satz 2 BGB). Kernregelung eines jeden Mietvertrags ist die Festlegung des Nutzungsentgelts und der Betriebs- und Nebenkosten. Diese richtet sich nach regulärem Wohnraummietrecht; Mietverträge im Betreuten Wohnen weisen regelmäßig keine Besonderheiten auf. Dies bedeutet für die Miethöhe und für Mietobergrenzen bei preisfreiem Wohnraum lediglich, dass die Bestimmungen über die Mietpreisüberhöhung gem. § 5 Wirtschaftsstrafgesetz (WiStG) i.V.m. § 134 BGB sowie der sog. Wuchertatbestand (§§ 291 StGB, 138 Abs. 2 und 134 BGB) zu beachten sind. Dies soll bei der Sonderwohnform Betreutes Wohnen hier deswegen vertieft werden, weil zuweilen einerseits die These vertreten wird, dass die Mieten im Betreuten Wohnen wegen Besonderheiten des Wohnraums deutlich über dem Niveau normalen Wohnraums liegen können, wenn nicht sogar müssen, und andererseits propagiert wird, dass die geringere Preissensibilität der potenziellen Mieter erheblich über dem allgemeinen Mietniveau liegende Mieten ermöglichen würde. Beides ist so nicht zutreffend: Die Barrierefreiheit rechtfertigt allenfalls eine Mehrmiete bis max. 5 % orientiert an den Mehrbaukosten. Allerdings können Gemeinschaftsflächen, die zu der Wohnfläche der eigentlichen Mietwohnung addiert werden, zu einer – absolut betrachtet – höheren Miete führen. Gleiches kann durch die Erhöhung der Quadratmeter-Miete der Wohnungen um das Mitnutzungsrecht an Gemeinschaftseinrichtungen erfolgen. Dies vorausgeschickt, gilt Folgendes: Eine Mietpreisüberhöhung gem. § 5 WiStG i.V.m. § 134 BGB setzt voraus, dass durch ein Ausnutzen eines geringen Angebots an vergleichbarem Wohnraum Mieten gefordert werden, die die üblichen Entgelte um mehr als 20 % übersteigen (§ 5 Abs. 2 Satz 1 WiStG). Sofern ein Überschreiten dieser Grenze zur Deckung laufender Aufwendungen des Vermieters erforderlich ist, ist auch eine Grenze von 50 % zulässig (§ 5 Abs. 2 Satz 2 WiStG). Die Voraussetzungen für den Wuchertatbestand (§§ 291 StGB, 138 Abs. 2 und 134 BGB) liegen vor, wenn ein Vermieter eine individuelle Not- oder Zwangslage oder die Unerfahrenheit einer Person ausnutzt und die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 50 % überschreitet.
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Maßstab ist also entweder der Preis vergleichbaren Wohnraums oder die 50-%-Grenze in Verbindung mit einem subjektiven Gewinnmaximierungselement. So hat das Landgericht Koblenz in einer Entscheidung aus dem Jahr 2004 im Streit über die zulässige Miethöhe in einer Wohnung einer betreuten Seniorenwohnanlage formuliert, dass es nicht nur darauf ankomme, ob die vereinbarte Miete einschließlich Nebenkosten um mehr als 20 % über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt, sondern dass Voraussetzung für die Mietpreisüberhöhung gem. § 5 WiStG neben einer überhöhten Miete die „Ausnutzung eines geringen Angebots“ sei. Dabei müsse aber eine Mangellage auf dem Wohnungsmarkt allgemein gegeben sein. Es sei nicht darauf abzustellen, ob ein Unterangebot an Wohnungen in Seniorenwohnanlagen des Betreuten Wohnens vorliege. Ferner hat das Gericht festgestellt, dass, wenn ein Mieter neben der Wohnraumüberlassung zusätzliche Leistungen verlange, § 5 WiStG keine Anwendung finde: Ein „Ausnutzen“ i. S. d. § 5 WiStG liege nicht vor, wenn ein Mieter bereit sei, eine geforderte Miete zu zahlen, etwa weil ihm die Ausstattung und Lage der Wohnung besonders gefalle und das Wohnen in einem bestimmten Haus mit besonderen Annehmlichkeiten verbunden sei, die über das reine Wohnen hinausgehen, und er eine objektiv bestehende Ausweichmöglichkeit – in normalen Wohnraum – nicht wahrnehme. Es komme also darauf an, ob für den Mieter zur Zeit der Anmietung der Wohnung anderer Wohnraum außerhalb des Bereichs der Wohnanlage des Betreuten Wohnens zur Verfügung gestanden habe. Das Landgericht Koblenz hat in dieser Entscheidung auch deswegen nicht das Vorliegen des Wuchertatbestandes bejaht, weil die Rechtsprechung für einen Wucher ein Übersteigen der angemessenen Miete um 50 % verlange. Als allgemeiner Orientierungsmaßstab für die Mietpreisbemessung im Bereich des Betreuten Wohnens wird daher das ortsübliche Mietniveau für vergleichbare Wohnungen zuzüglich angemessener Zuschläge für die besonderen baulichen Ausstattungen incl. der Gemeinschaftsflächen anzuziehen sein. Dies schafft erhebliche Spielräume nach oben. Zu empfehlen ist allerdings, dass man sich im Vorfeld ein Schema zurechtlegt, anhand dessen als Grundlage für die Mietpreiskalkulation die Vergleichbarkeit bzw. Nichtvergleichbarkeit bewertet wird. Allerdings sind Zuschläge wegen besonderer baulicher oder sonstiger Einrichtungen bei preisfreiem Wohnraum nur unter engen Voraussetzungen möglich. Im Bereich des preisgebundenen Wohnraums darf auch im Rahmen des Betreuten Wohnens nur die Kostenmiete gemäß § 3 NMV verlangt werden. Zuschläge sind u. a. für Nebenleistungen des Vermieters zulässig, die nicht allgemein üblich sind oder nur einzelnen Mietern zugutekommen (§ 26 Abs. 1 Nr. 5 NMV). Vergütungen kann der Vermieter z. B. für die Mitvermietung von Einrichtungs- und Ausstattungsgegenständen und für laufende Leistungen und zur persönlichen Betreuung und Versorgung des Mieters verlangen (§ 27 Satz 2 NMV). Wird also zum Beispiel eine Notrufeinrichtung mitvermietet, so können die anfallenden Kosten – als Mietbestandteile aufgeführt – zusätzlich verlangt werden. Die vereinbarte Vergütung
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darf nicht offensichtlich unangemessen hoch sein, ansonsten läuft der Vermieter Gefahr, dass die zuständige Behörde gem. § 9 Abs. 6 S. 2 2. Hs. WoBindG die erforderliche Genehmigung versagt. Überdies sind die landesspezifischen Fördervoraussetzungen zu beachten, die auch preisgestaltungsrelevant sind. Im Hinblick auf die Betriebs- und Nebenkosten sieht das BGB-Mietrecht bei preisfreiem Wohnraum die Möglichkeit vor, anfallende Betriebskosten zulasten des Mieters zu vereinbaren (§ 556 Abs. 1 BGB), und zwar entweder in Form einer Pauschale mit Abgeltungswirkung oder einer abrechenbaren Vorauszahlung (§ 556 Abs. 2 BGB). Die näheren Einzelheiten dazu finden sich in § 556 Abs. 3, 556a BGB. Heiz- und Warmwasserkosten können gemäß den Vorschriften der Heizkostenverordnung regelmäßig nicht pauschaliert werden. Eine Pauschalierung ist nur in einigen wenigen Ausnahmefällen möglich (v.a. bei bestimmten Versorgungstypen, § 11 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 HeizkostenV). Die Ausnahme des § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. b), Abs. 2 HeizkostenV greift nicht beim Betreuten Wohnen, da dort gerade üblicherweise Mietverträge abgeschlossen werden. Vergleichbare Regelungen gelten für die Kostenmieten bei preisgebundenem Wohnraum. Im Kontext der Betriebs- und Nebenkosten taucht häufig auch die Frage auf, ob die Betreuungspauschale als Miet- oder Betriebs- und Nebenkostenbestandteil behandelt werden kann, insbes. wenn die Betreuungsleistungen vom Vermieter erbracht werden. In Betracht kommt nur ein Ausweis als sog. „sonstige Betriebskosten“ gemäß § 2 Nr. 17 BetrKV. Dies ist umstritten, aber im Ergebnis abzulehnen. Betriebskosten sind die Kosten, die dem Eigentümer oder Erbbauberechtigten durch das Eigentum oder Erbbaurecht am Grundstück oder durch den bestimmungsmäßigen Gebrauch des Gebäudes, der Nebengebäude, Anlagen, Einrichtungen und des Grundstücks laufend entstehen (§ 1 Abs. 1 S. 1 BetrKV). Besondere Serviceleistungen des Vermieters für ältere und/oder unterstützungsbedürftige Mieter sind Leistungen, die über die Überlassung der Wohnung zum vertragsgemäßen Gebrauch hinausgehen, vor allem nicht gebäudebezogen sind. Sie sind auf die Deckung besonderer Bedarfe der Mieter ausgerichtet. Dies hindert nicht, Betreuungsentgelte als besondere Dienstleistungsentgelte im Mietvertrag zu vereinbaren. In den oben behandelten einheitlichen Verträgen ist dies i. d. R. auch der Fall. Ungeachtet der Frage der Qualifizierung als Betriebskosten gilt dann aber, dass der Mietvertrag mit den spezifischen Regelungen für die Betreuung „befrachtet“ werden muss. Er mutiert dann faktisch zum einheitlichen Wohn-Dienstleistungsvertrag/„Residenzvertrag“. Zudem ist in dem Wohnraumüberlassungsvertrag die Möglichkeit von Mieterhöhungen und die Anpassung von Betriebskostenvorauszahlungen zu regeln. Bei Wohnraum, der nicht preisgebunden ist, gelten für einseitige Mieterhöhungen durch den Vermieter die allgemeinen mietrechtlichen Regelungen des BGB unter Einschluss etwaiger Regelungen bzgl. „Mietpreisbremsen“. Auf die §§ 557 BGB ist zu verweisen. Stimmt der Mieter einem berechtigten Mieterhöhungsverlangen nicht zu, so kann der Vermieter seinen Anspruch gerichtlich geltend machen (§ 558a ff. BGB).
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Regelungen zu Mieterhöhungen aufgrund von Modernisierungsmaßnahmen können nach Maßgabe der §§ 559 ff. BGB vereinbart werden. Zu den Modernisierungsmaßnahmen, „die den Gebrauchswert der Mietsache nachhaltig erhöhen“, gehören insbesondere auch besondere bauliche Maßnahmen für behinderte und alte Menschen, wenn die Wohnung auf Dauer für sie bestimmt ist. Daher kann eine Mietererhöhung in Betracht kommen, wenn in einer Anlage des Betreuten Wohnens nachträglich weitere besondere Ausstattungen zur Schaffung „altersgerechten Wohnraums“ eingebaut werden. Allerdings ist dabei § 40 Abs. 4 SGB XI im Blick zu halten, aufgrund dessen der Mieter Zuschüsse zu „wohnumfeldverbessernden Maßnahmen“ erhalten kann. Dazu gehört u. a. die Herstellung von Rampen anstelle von Stufen, Einbau eines Treppenlifts oder von Handläufen und Haltegriffen im Badezimmer. Ehe vermieterseits derartige Maßnahmen (nachträglich) vorgenommen werden, ist zu klären, ob deren Refinanzierung (ohne anschließende Mieterhöhung) nach Sozialversicherungsrecht möglich ist. Daneben sieht das allgemeine Mietrecht die Möglichkeit vor, künftige Mieterhöhungen vertraglich durch Staffelmietvereinbarungen (§ 557 a BGB) und Indexmietvereinbarungen (§ 557 b BGB) zu regeln. Diese Option ist vermieterseits insbesondere dann relevant, wenn er seinerseits Zwischenmieter ist, also z. B. im Generalmietmodell die detreute Wohnanlage zur Untervermietung angemietet hat und die Wohnungen weitervermietet. Wenn Betriebskostenvorauszahlungen vereinbart worden sind, dann kann der Vermieter nach einer Abrechnung eine Anpassung auf eine angemessene Höhe vornehmen (§ 560 Abs. 4 BGB). Erhöhungen von Betriebskostenpauschalen sind unter den Voraussetzungen des § 560 Abs. 1 BGB durch Vermietererklärung möglich, wenn ein Anpassungsrecht vereinbart ist. Die Erklärung ist aber nur wirksam, wenn in ihr der Grund für die Erhöhung der Umlage bezeichnet und erläutert wird. Das läuft nun wiederum auf eine Nachweispflicht ähnlich wie bei der Abrechnung der Vorauszahlungen hinaus. Bei preisgebundenem Wohnraum sind Erhöhungen der Kostenmiete unter den Voraussetzungen des § 10 WoBindG möglich. Auf die Förderbescheide ist besonders zu achten. Zudem sind in dem Vertrag Regelungen zur Vertragsbeendigung, insbesondere zu Kündigungsrechten zu treffen. Wohnraummietverträge können, wie alle Dauerschuldverhältnisse, grundsätzlich von jeder Vertragspartei ordentlich und außerordentlich gekündigt werden. Regelhaft sind in Mietverträgen für die Kündigung durch den Vermieter Regelungen zur ordentlichen Kündigung wie auch zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund vorzusehen. Die ordentliche Kündigung des Wohnraummietvertrags durch den Vermieter setzt gem. § 573 Abs. 1 BGB voraus, dass ein sogenanntes berechtigtes Interesse vorliegt, also ein bestimmter Kündigungsgrund. Dazu gehören gem. § 573 Abs 2 BGB enumerativ aufgezählt „insbesondere“: eine schuldhafte, nicht unerhebliche Verletzung vertraglicher Pflichten durch den Mieter (§ 573 Abs 2 Nr. 1 BGB), der Eigenbedarf des Vermieters (§ 573 Abs 2 Nr. 2 BGB) und die Hinderung einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks (§ 573
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Abs. 2 Nr. 3 BGB) sowie weitere, nicht gesetzlich ausdrücklich geregelte Kündigungsgründe. Solche Kündigungsgründe sind im Einzelfall denkbar („insbesondere“), aber im Bereich des Betreuten Wohnens nicht von praktischer Bedeutung. Eigenbedarfskündigungen sind nur denkbar im Bereich von betreuten Wohnanlagen im Wohnungseigentum, und zwar insbesondere dann, wenn der Einzeleigentümer ein Belegungsrecht hat. Regelmäßig wird aber angesichts der Zielgruppe der Mieter im Betreuten Wohnen und der Mietzwecksetzung die Eigenbedarfskündigung ausgeschlossen. Eine Kündigung zum Zwecke der Mieterhöhung ist gem. § 573 Abs. 1 Satz 2 BGB ausdrücklich ausgeschlossen und kann auch nicht vereinbart werden. Eine bis zum dritten Werktag eines Monats dem Mieter zugehende ordentliche Kündigung des Vermieters wird von Gesetzes wegen zum Ablauf des übernächsten Monats wirksam (§ 573e Abs. 1 Satz 1 BGB). Sie verlängert sich nur für den Vermieter (!) nach fünf und acht Jahren seit der Überlassung des Wohnraums um jeweils drei Monate. Kürzere Fristen können nicht vereinbart werden. Nach der Rechtsprechung können zwar der Vermieter und der Mieter auch in einem Formularmietvertrag einen wechselseitigen Kündigungsverzicht für eine Dauer von bis zu vier Jahren vereinbaren, was aber im Bereich des Betreuten Wohnens keine Bedeutung hat. Neben der ordentlichen Kündigung steht das außerordentliche Kündigungsrecht des Vermieters, das regelmäßig auch explizit im Mietvertrag vereinbart werden muss. Diese Regelungen vollziehen den § 543 Abs. 1 Satz 1 BGB nach. Es handelt sich um das Recht, das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos zu kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. „Wichtige Gründe“ können im Mietvertrag konkretisiert werden, z. B. über eine Beispielaufzählung. Der wohl wichtigste Grund für ein vermieterseitiges außerordentliches Kündigungsrecht ist der Fall des Zahlungsverzuges (§ 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB i. V. m. § 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB). Im Kontext von Sonderkündigungsrechten im Betreuten Wohnen wird vor dem Hintergrund, dass Betreutes Wohnen den Zweck verfolgt, Mietern möglichst lange ein möglichst selbstständiges Leben in einer abgeschlossenen Wohnung zu ermöglichen, mit zunehmendem Alter aber Krankheitsbilder auftreten können, die selbstbestimmtes Wohnen in der eigenen Wohnung nicht mehr zulassen, die Frage diskutiert, ob Sonderkündigungsrechte für derartige Konstellationen vereinbart werden können. Anbieter von Betreutem Wohnen sind nämlich in der Regel weder konzeptionell noch strukturell auf eine stetig steigende Zahl nicht nur pflegebedürftiger, sondern insbesondere älterer demenziell erkrankter Menschen eingerichtet. Schwere Demenzerkrankungen sowie Dauer- und Schwerstpflegebedürftigkeit können unter Umständen die Grenzen der Leistungsfähigkeit einer Anlage des Betreuten
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Wohnens überschreiten mit der Folge, dass ein Leben in der Wohnung und das Zusammenleben unter Erhaltung des Charakters der Wohnanlage unmöglich wird. Das Mietrecht gibt aber nicht die Möglichkeit, vertragliche Regelungen zur einseitigen Beendigung des Wohnraummietverhältnisses durch den Vermieter zu treffen, etwa durch die Vereinbarung weiterer Kündigungstatbestände. Daher kann man sich allenfalls auf den allgemeinen Kündigungsgrund der „Unzumutbarkeit der Fortführung des Mietverhältnisses“ als sonstiger „wichtiger Grund“ stützen. Die Rechtsprechung stellt hierfür allerdings hohe Anforderungen hinsichtlich der Zumutbarkeitsgrenze, wenn z. B. das Mietverhältnis wegen erheblicher Störung des Hausfriedens gekündigt werden soll. Selbst wenn eine vertragliche Regelung nicht wirksam ist, kann – ungeachtet des Abmahnungsrisikos – eine solche Regelung jedenfalls Anknüpfungspunkt für Beendigungsgespräche und -regelungen sein. Für die Kündigung durch den Mieter gilt im Gegensatz zur Vermieterkündigung qua gesetzlicher Regelung, dass der Mieter keinen Grund zur ordentlichen Beendigung seines Mietvertrags benötigt. Es genügt, wenn er die gesetzliche Kündigungsfrist des § 573e Abs. 1 BGB einhält. Eine Vereinbarung, sei es bei Vertragsabschluss oder auch während des bestehenden Vertrags, zum Nachteil des Mieters ist gem. § 573 Abs. 4 BGB unwirksam. Daher sind z. B. Regelungen, dass die Kündigung des Mietvertrags durch den Mieter nur aus wichtigem Grund erfolgen kann oder erst zum Ablauf eines Jahres erklärt werden kann, unwirksam und sollten keinesfalls in einen Vertrag aufgenommen werden. Daneben steht das mieterseitige Recht, den Mietvertrag außerordentlich fristlos zu kündigen, wenn ein sogenannter wichtiger Grund vorliegt. § 543 Abs. 1 Satz 1 BGB gilt auch für den Mieter. Ein wichtiger Grund für eine mieterseitige außerordentliche Kündigung liegt insbesondere dann vor, wenn ihm der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache ganz oder zum Teil nicht rechtzeitig gewährt oder wieder entzogen wird (siehe § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1BGB) oder wenn die Wohnung so beschaffen ist, dass ihre Benutzung mit einer erheblichen Gefährdung der Gesundheit des Mieters verbunden ist (so § 569 Abs. 1 Satz 1 BGB). Eine besondere Regelung im Mietvertrag sollte nicht getroffen werden, wobei in Betracht kommen kann, den pflegebedingten Umzug in eine ambulante oder vollstationäre Versorgungsform als einen „wichtigen Grund“ für eine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses durch den Mieter zu regeln. Die gesetzliche Generalklausel ist nämlich offen: Grundsätzlich sieht das gesetzliche Mietrecht des BGB kein explizites „Sonderkündigungsrecht bei Umzug ins Pflegeheim“ vor. Unter extrem engen Voraussetzungen ist ein Kündigungsrecht wg. Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses denkbar. Nicht jede für den Mieter schwierige Situation erfüllt diese Voraussetzung. Erforderlich ist eine Interessenabwägung, die nur dann zu Gunsten des Mieters ausfällt, wenn die Umstände, die Anlass für die Kündigung geben, überwiegend in der Person oder im Risikobereich des Vermieters begründet sind. Zu solchen in der Sphäre des Vermieters liegenden Umständen gehört der Eintritt eines Pflegefalles nicht: das Pflegefallrisiko ist individuelles Verwendungsrisiko des Mieters – so z. B. explizit ein Urteil des
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Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg (Urteil vom 08.11.2018, Az.: 205 C 172/18). Allenfalls kann ein Anspruch auf vorzeitige Vertragsaufhebung unter dem Aspekt einer Nachmieterstellung bestehen, wenn – wie häufig – eine vertraglich vereinbarte Nachmieterklausel im Mietvertrag vorgesehen wird. Allerdings ist zu überlegen, in Mietverträgen über Betreutes Wohnen für den Fall des notwendig werdenden Umzugs in eine Pflegeeinrichtung verkürzte Kündigungsfristen vorzusehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Betreute Wohnen an eine Heimeinrichtung angebunden ist (siehe dazu Kapitel 8, S. 137 ff.). Ungeachtet dessen steht es den Vertragsparteien natürlich frei, eine Vertragsaufhebung einvernehmlich zu vereinbaren. Wenn keine der obigen Optionen greift, kommt nur die ordentliche Kündigung infrage, wobei der Vertrag dann noch bis zum Ende der vereinbarten Laufzeit weiterläuft und insbes. die Miete – trotz Nichtnutzung der Wohnung! – weiterzuzahlen ist. Vor dem Hintergrund, dass die Mietergemeinschaft wie auch der Vermieter und auch der Betreuungsdienstleister das Interesse haben, dass bei getrennten Verträgen – Mietvertrag und gesonderter Betreuungsvertrag – das Leistungsbild des Betreuten Wohnens „stabil“ ist, wird in der Regel eine Koppelung des Wohnraummietvertrags an den Betreuungsvertrag vorgesehen. Diese kann entweder über ein Sonderkündigungsrecht des Vermieters im Fall einer Beendigung des Betreuungsvertrags oder über die Aufnahme einer auflösenden Bedingung bewerkstelligt werden. Beim Todesfall des Mieters gelten für den Mietvertrag die Vorschriften der §§ 563–564 BGB. Sonderregelungen sind grundsätzlich nicht zu treffen, soweit es Ehegatten und Lebenspartner berührt. Für das Betreute Wohnen ist hier v.a. von praktischer Bedeutung, dass der Ehegatte, der mit dem Mieter einen gemeinsamen Hausstand führt, mit dem Tod des Mieters gem. § 563 Abs. 1 S. 1 BGB in das Mietverhältnis eintritt. Dasselbe gilt für den Lebenspartner des Mieters gem. § 563 Abs. 1 S. 2 BGB. Diese Personen werden gem. § 563 Abs. 3 S. 1 BGB nur dann nicht auf Dauer Partei des Mietverhältnisses, wenn sie innerhalb eines Monats, nachdem sie vom Tod des Mieters Kenntnis erlangt haben, dem Vermieter gegenüber erklären, dass sie das Mietverhältnis nicht fortsetzen wollen. Dies kann vertraglich nicht ausgeschlossen werden. Der Vermieter seinerseits kann gegenüber den genannten Personen das Mietverhältnis nur kündigen, wenn in der Person des Eintretenden ein wichtiger Grund gegeben ist (§ 563 Abs. 4 BGB), wobei er dann in der Frist des § 573e Abs. 1 Satz 1 BGB, d. h. drei Monate abzüglich drei Werktage, kündigen kann. Ein Verzicht hierauf wäre untunlich. Wenn keine der Personen i. S. d. § 563 BGB beim Tod des Mieters in das Mietverhältnis eintreten oder es fortsetzen will, so wird es nach § 564 S. 1 BGB mit dem Erben des Mieters fortgesetzt, wobei sowohl die Erben als auch der Vermieter – in diesem Fall sogar, ohne dass ein wichtiger Grund vorliegt – das Mietverhältnis innerhalb eines Monats außerordentlich mit der gesetzlichen Frist kündigen können, nachdem sie vom Tod des Mieters und davon Kenntnis erlangt haben, dass ein Eintritt in das Mietverhältnis oder dessen Fortsetzung nicht
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erfolgt sind (§ 564 S. 2 BGB). Mietvertragliche Vereinbarungen zum Nachteil des Mieters oder derjenigen Personen, die in den Mietvertrag eintreten können (§ 563 Abs. 1 und 2 BGB), und zum Nachteil der Mieter bei der Fortsetzung mit überlebenden Mietern (§ 563 a BGB) sind unwirksam. Im Betreuten Wohnen wird es regelmäßig zur Vertragsfortsetzung mit den anderen Mietern kommen. Eine Fortsetzung des Mietverhältnisses mit Erben, die in der Regel nicht zur Zielgruppe der Mieter im Betreuten Wohnen gehören werden, ist die Ausnahme. Um klare Verhältnisse im Vertrag diesbezüglich zu schaffen, ist angeraten, explizit zu regeln, dass der Vermieter zur Sicherstellung des Charakters der Wohnanlage seinerseits das Mietverhältnis kündigen kann. Die Option einer einvernehmlichen Vertragsaufhebung unter Verkürzung der Beendigungsfrist bleibt unberührt. Vertragliche Modifikationen des mietvertraglichen Leistungsstörungsrechts im Mietvertragsverhältnis sind kaum möglich. Die rechtliche Behandlung von Leistungsstörungen im Mietverhältnis richtet sich regelmäßig nach den mietrechtlichen Vorschriften des BGB. Für Leistungsstörungen aus der Sphäre des Vermieters, i. d. R. Mängel an der Mietsache, sind die allgemeinen Rechtsgrundsätze und die vorhandene Kasuistik zu Mietmängeln maßgeblich. Ein vertraglicher Ausschluss kommt bei Mietverträgen über Wohnraum regelmäßig nicht in Betracht. Bei Leistungsstörungen durch den Mieter handelt es sich i. d. R. um Verletzungen vertraglicher Pflichten, wobei in der Praxis vor allem Zahlungsverzug und sonstige Pflichtverletzungen wie Störung des Hausfriedens oder der vertragswidrige Gebrauch der Mietsache in Betracht kommen. Dies sollte vertraglich – schon als „Abschreckung“ – geregelt werden. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass angesichts der Stringenz des sozialen Mietrechts bewährte Standardverträge verwandt werden sollten. Von „Hausmietverträgen“ ist abzuraten. Allerdings ist die Kopplung mit einem Betreuungsvertrag jedenfalls als typische Regelung beim Betreuten Wohnen vorzusehen.
Betreuungsvertrag Betreutes Wohnen ist, wie bereits ausgeführt, in der vertraglichen Leistungskonstellation dadurch gekennzeichnet, dass dem Mieter – neben dem vermieteten Wohnraum – bestimmte Grundleistungen/allgemeine Betreuungsleistungen zur Verfügung gestellt werden, für die er unabhängig von der Nutzung ein Entgelt – in der Regel eine Pauschale – zu zahlen hat. Nachfolgend wird dargestellt, welche Aspekte bei der vertraglichen Regelung des Leistungsmoduls „Dienstleistungen“ im Rahmen des Betreuten Wohnens beachtet werden müssen. Gegenstand des Betreuungsvertrags im Betreuten Wohnen sind Dienstleistungen vielfältiger Art, deren Umfang von dem jeweiligen Betreuungskonzept des Leistungsangebots im Einzelfall abhängt. Der Leistungsumfang liegt also primär in der Kompetenz des Anbieters der Betreuungsleistungen, sofern er sich nicht gegenüber dem Leistungserbringer Wohnen ein-
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schränkend verpflichtet hat und sofern nicht einrichtungsrechtliche Maßgaben dazu führen, dass eine Allokation einer Vielzahl von Leistungen mit Abnahmezwang dazu führen würde, dass das Wohnangebot in ein Heimangebot mutiert und damit einen anderen Rechtscharakter annimmt. Vor diesem Hintergrund kommen als Vertragsarten für Betreuungsleistungen im Bereich des Betreuten Wohnens überwiegend Dienstverträge nach § 611 Abs. 1 BGB in Betracht. Aufgrund eines Dienstvertrags wird derjenige, der die Erbringung von Diensten zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Betreuungsverträge im Betreuten Wohnen weisen seltenst werkvertragliche Elemente auf. Geschuldet ist regelmäßig ein „Tun“ und kein „Erfolg“. Orientiert man sich in Bezug auf das Leistungsbild an der DIN 77800 – Betreutes Wohnen, so gehören zu den Dienstleistungen, die im Bereich der Grundleistungen regelmäßig vereinbart werden, primär die Präsenz eines Betreuungsmitarbeiters in der Wohnanlage, die Beratungstätigkeit, z. B. bei allgemeinen Behördenangelegenheiten, die Informationstätigkeit, z. B. bzgl. Einkaufs- und Dienstleistungsmöglichkeiten, die Notrufsicherung und bestimmte haustechnische/hauswirtschaftliche Dienstleistungen, z. B. Müllentsorgung. Die in der DIN 77800 – Betreutes Wohnen genannte „Vermittlungs- und Organisationstätigkeit“ wie auch der Bereich „Soziale und kulturelle Aktivitäten“ haben in der Regel ebenfalls nur dienstvertraglichen Charakter. Ansprüche der Mieter – auch aufgrund von Leistungsstörungen – im Bereich solcher Betreuungsleistungen sind daher nach dem Dienstvertragsrecht zu beurteilen, das nach dem Leistungsumfang wirtschaftlich deutlich überwiegt und daher den Vertragstyp prägt. Werkverträge kommen im Bereich des Betreuten Wohnens allenfalls bei – zu vermittelnden – Wahlleistungen, die über die allgemeinen Betreuungsleistungen hinausgehen, in Betracht. Dazu gehören z. B. haustechnische Dienste wie die Durchführung von Kleinstreparaturen an Gegenständen des Mieters. Auch bei Betreuungsverträgen gilt – wie bereits angesprochen – angesichts der Verwendung standardisierter Verträge das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Beispiele sind im Bereich des Betreuten Wohnens insbesondere Preisanpassungsklauseln bei Betreuungspauschalen und die Verlängerung von Kündigungsfristen in Betreuungsverträgen. Maßgeblich sind auch hier die bereits im Zusammenhang mit der Gestaltung der Mietverträge erwähnten Vorschriften der §§ 305 BGB, also in Bezug auf die Einbeziehung die Vorschriften der §§ 306 ff. BGB und in Bezug auf die materielle Wirksamkeit die §§ 307 ff. BGB. Wie bei der Darstellung der konzeptionellen Aspekte bereits dargestellt, ist als Vertragsgegenstand die Erbringung Grundleistungen/Allgemeine Betreuungsleistungen zu regeln. Daneben steht die Vermittlung von Wahlleistungen/Weitergehenden Betreuungsleistungen, die als Leistung an sich Teil der Grundleistungen ist. Die Erbringung der Wahlleistungen selbst ist nicht Teil der Grundleistungen, kann allerdings von demjenigen, der die Grund-
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leistungen erbringt, fakultativ angeboten und erbracht werden kann. Nicht zuletzt deswegen ist zu beachten, dass die durch den Vertrag begründeten Rechte des Mieters als Gläubiger der Betreuungsleistungen klar umschrieben und verständlich sein müssen, damit beide Leistungsbereiche differenziert sind und insbes. nicht fälschlicherweise Wahlleistungen als Grundleistungen (miss)verstanden werden und Probleme in Bezug auf die geschuldeten Vergütungen entstehen. Aus Obigem ergibt sich, dass die vom Betreuungsträger zu erbringenden Grundleistungen/Allgemeine Betreuungsleistungen im Betreuungsvertrag konkret und vollständig in Form eines Leistungskatalogs aufzuführen sind. Dies kann etwa in folgender Struktur geschehen: – Personalpräsenz, – Beratungstätigkeit, – Informationstätigkeit, – Notrufsicherung gemäß DIN 77800 – Betreutes Wohnen, – Vermittlungstätigkeit bzgl. Wahlleistungen. Diese Struktur ist mit den dazugehörigen Einzeltätigkeiten anzufüllen. Welche dies sind, richtet sich nach dem Konzept des Leistungsanbieters. Wie detailliert diese vertraglich geregelt werden sollen, liegt ebenfalls beim Betreuungsträger. Angesichts der Dynamik von Kundenwünschen und der insoweit erforderlichen Anpassungsfähigkeit des Leistungsbildes sollte – im Rahmen des oben zur Vertragsklarheit und Bestimmtheit der Leistungsschuld des Betreuungsträgers Gesagten – auf eine allzu tiefe Detaillierung verzichtet werden. Das Leistungsbild des Betreuten Wohnens sieht, wie gesagt, vor, dass der Mieter die Möglichkeit erhalten muss, zusätzlich zu dem Wohnangebot und den Grundleistungen/Allgemeine Betreuungsleistungen weitere Leistungen in Anspruch zu nehmen. Erbringt der Anbieter des Betreuten Wohnens diese Leistungen nicht selbst, muss er die Vermittlung sicherstellen. Der Mieter muss vollkommene – „doppelte“ – Wahlfreiheit hinsichtlich der Auswahl von Leistungen und der Anbieter haben. Als Leistungskatalog kommt in Betracht: – Hauswirtschaftliche Hilfen (z. B. Grund- und Unterhaltsreinigung der Wohnungen), – Pflegerische Hilfen, – Haustechnische Dienste (z. B. Durchführung von Kleinstreparaturen an Gegenständen des Mieters – wenn nicht als Grundleistung vereinbart), – Hol- und Bringdienste (z. B. Einkaufsdienst), – Leistungen im Krankheitsfall und bei Krankenhausaufenthalt, (z. B. Leerung des Briefkastens, Versorgung von Haustieren).
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Um die notwendige Wahlfreiheit des Mieters hinsichtlich der Auswahl der Leistungen wie auch der Anbieter dieser Leistungen sicherzustellen, dürfen diesbezüglich keine Festlegungen im Betreuungsvertrag getroffen werden, die den Mieter auf bestimmte Leistungen und Leistungserbringer verpflichten. Die Bestimmung von Wahlleistungen nach Art und Umfang der Wahlleistung erfolgt erst im konkreten Einzelfall des Abschlusses entsprechender Dienstoder Werkverträge zwischen dem Mieter und dem Leistungserbringer. Im Fall, dass der Betreuungsträger Wahlleistungen selbst erbringt, besteht die Möglichkeit, unter vertraglicher Sicherstellung des „doppelten“ Wahlrechts auch Regelungen über die Erbringung von Wahlleistungen in den Betreuungsvertrag zu inkorporieren. Davon ist jedoch wegen der Unterschiedlichkeit der Wahlleistungen und ggf. auf sie anwendbarer Vorschriften eher abzusehen. Dies gilt unbedingt bei Pflegeleistungen gem. SGB XI und SGB V, die jedenfalls angesichts der Komplexität eigener vertraglicher Regelung bedürfen. Das zu zahlende Betreuungsentgelt – in der Regel eine Pauschale – ist konkret betragsmäßig auszuweisen. Dabei ist auch vertraglich festzulegen, wie hoch die Betreuungspauschale bei mehreren Mietern einer Wohnung ist und wer wie dafür haften soll. Zu empfehlen ist, explizit zu regeln, dass die Betreuungspauschale unabhängig davon, ob und in welchem Umfang Leistungen im jeweiligen Einzelfall in Anspruch genommen worden sind, zu zahlen ist. Die Betreuungspauschale deckt primär Vorhalteaufwand ab, der unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme entsteht und daher vergütet werden muss. Zudem muss geregelt werden, wie und an wen die Zahlung des Betreuungsentgeltes zu erfolgen hat. Im Bereich des preisgebundenen Wohnraums ist die Betreuungspauschale i. d. R. Teil der Kostenmiete. Da es keine gesetzlichen Regelungen zur Angemessenheit einer solchen Vergütung gibt, können bei laufenden Leistungen zur persönlichen Betreuung und Versorgung des Mieters dafür die tatsächlichen Kosten angesetzt werden. Alternativ können auch die in der betreffenden Gemeinde üblichen Pauschalen für solche Leistungen herangezogen werden. Zu beachten sind allerdings vorhandene landesrechtliche Einschränkungen aus Förderrecht. Ferner bedarf es vertraglicher Regelungen zur Erhöhung von Betreuungsentgelten. Es bietet sich also an, bereits im Betreuungsvertrag eine einseitige Erhöhungsmöglichkeit des Betreuungsträgers in Gestalt einer Preisanpassungsklausel zu vereinbaren. Wenn eine solche vertragliche Preisanpassungsklausel fehlt, so ist der Betreuungsträger bei steigenden Kosten entweder auf eine einvernehmliche Erhöhung des Betreuungsentgelts über eine Änderungsvereinbarung oder eine Kündigung des Betreuungsvertrags verbunden mit dem Angebot zum Abschluss eines neuen Vertrags mit einem erhöhen Betreuungsentgelt, also eine Änderungskündigung verwiesen. Beides ist schwierig und stößt i. d. R. auf Probleme bei der Umsetzung, weswegen Preisanpassungsklauseln zu bevorzugen sind. Allerdings unterliegen Preisanpassungsklauseln regelmäßig als allgemeine Geschäftsbedingungen den Vorschriften der §§ 305 ff. BGB. Daher sollte das Recht des Betreuungsträgers zur Preisanpassung an den Nachweis von Kostensteigerungen, die durch Vorlage einer geordneten Aufstellung der bisher
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entstandenen Kosten zu belegen ist und deutlich machen muss, dass durch externe Faktoren (Tariferhöhungen, gestiegene Einkaufspreise, durch gesetzliche Bestimmungen notwendige höhere Aufwände …) die Kosten des Grundservice gestiegen sind bzw. eine Steigerung zu erwarten ist. Als Anhalt können die – ansonsten nicht maßgeblichen – Regelungen des WBVG genommen werden. Stets ist vorzusehen, dass die Erhöhung des Betreuungsentgelts schriftlich zu erklären ist. Zur Herstellung der Ausgewogenheit der Anpassungsregelung kann zudem vereinbart werden, dass der Betreuungsträger im Falle von Ermäßigungen verpflichtet ist, das Betreuungsentgelt vom Zeitpunkt der Ermäßigung an entsprechend herabzusetzen. Im Bereich des preisgebundenen Wohnraums sind einseitige Erhöhungen des leistenden Vermieters gemäß § 10 WoBindG möglich. Zu empfehlen ist, die Frage der Höhe von Betreuungsentgelten und deren Anpassung im Zuge des Förderverfahrens zu regeln. Essenziell sind zudem Regelungen zur Vertragslaufzeit und zur Vertragsbeendigung durch Kündigung. Betreuungsverträge können befristet und unbefristet abgeschlossen werden. Befristete Betreuungsverträge kommen angesichts der Konzeption des Betreuten Wohnens allenfalls in Ausnahmefällen in Betracht. Jedenfalls ist stets eine Vertragsbeendigung zum Zeitpunkt des Auszugs oder zum Ende des Monats, in dem der Auszug stattfindet, vorzusehen. Zur Frage der Beendigung von Betreuungsverträgen gilt im Hinblick auf ordentliche Kündigungen zunächst grundsätzlich, dass Betreuungsverträge als Dienstverträge gem. § 621 Nr. 3 BGB spätestens am 15. eines Monats zum Ablauf eines Kalendermonats gekündigt werden können, wenn die Vergütung nach Monaten bemessen ist, was im Betreuten Wohnen die Regel ist. Diese gesetzliche Regelung ist allerdings nicht zwingend und sollte daher entsprechend der Vertragszwecksetzung auch regelmäßig vertraglich modifiziert werden. Um eine Kontinuität und wirtschaftliche Stabilität herzustellen, ist zu empfehlen, bei der Neueröffnung eines Betreuten Wohnens feste Laufzeiten mit einer sich daran anschließenden unbefristeten Laufzeit, häufig einer Verlängerung, um ein oder zwei Jahre vorzusehen. Alternativ können verlängerte Kündigungsfristen vereinbart werden. Dabei ist bei Standardverträgen zu beachten, dass durch die Vorschrift des § 309 Nr. 9a) BGB eine Begrenzung von vertraglichen Laufzeiten auf max. zwei Jahre erfolgt. Unwirksam ist auch eine den anderen Vertragsteil bindende stillschweigende Verlängerung des Vertragsverhältnisses um jeweils mehr als ein Jahr (§ 309 Nr. 9b) BGB) sowie zulasten des anderen Vertragsteils eine längere Kündigungsfrist als drei Monate vor Ablauf der zunächst vorgesehenen oder stillschweigend verlängerten Vertragsdauer zu vereinbaren (§ 309 Nr. 9b) BGB). Dies führt zu einer gravierenden Einschränkung der Stabilität des Gesamtangebots Betreutes Wohnen im Einzelfall. Im Bereich von WEG-Modellen kann dies durch den Abschluss von „Globalbetreuungsverträgen“ (dazu Abschn. 6.3.2, S. 111 ff.) gemildert werden. Im Bereich des „normalen“ Mietwohnens bildet die Koppelung des Betreuungsvertrags mit dem mietrechtlichen Nutzungsverhältnis eine Lösung, um die Gesamtkonzeption Betreutes Wohnen im Interesse aller Mieter auf Dauer zu gewährleisten (dazu sogleich).
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Die außerordentliche Kündigung des Betreuungsvertrags, d. h. in der Regel eine Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist, ist gem. § 626 Abs. 1 Hs. 1 BGB dann möglich, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Dafür müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer es dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann (§ 626 Abs. 1 Hs. 2 BGB). Aus Anbietersicht sollten derartige wichtige Gründe beispielhaft aufgeführt werden. Zu beachten ist, dass eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnisnahme der Vertragsstörung möglich ist (§ 626 Abs. 2 Satz 1). Im Bereich des Betreuten Wohnens können derartige „wichtige Gründe“ für den Mieter ggf. dann gegeben sein, wenn der Betreuungsträger nachhaltig seine Betreuungspflichten nicht erfüllt oder gegen Datenschutzpflichten verstößt oder andere wesentliche Vertrauenspflichtverletzungen begeht. Umgekehrt stellen aggressives Verhalten gegen Betreuungspersonal, die Unmöglichkeit Betreuungsleistungen zu erbringen etc. wichtige Gründe für den Betreuungsträger dar. Entscheidend ist stets der Einzelfall. In der Praxis relevant ist die Frage, ob dem Betreuungsträger ein außerordentliches Kündigungsrecht zusteht, wenn die Betreuung etwa wegen fortgeschrittener Demenz oder wegen Autoaggressionsverhalten unmöglich wird oder solche Verhaltensweisen die Möglichkeit des Betreuungsträgers gemeinschaftliche Aktivitäten durchzuführen, unmöglich machen. Störungen des Zusammenlebens an sich sind eher Thema des Mietvertrags (Stichwort: „Störung des Hausfriedens“ etc.). Zu dieser Frage gibt es ersichtlich keine Rechtsprechung, was auch nicht verwundert, da es sich bei diesen Konstellationen regelmäßig um „Extremkonstellationen“ für alle Beteiligten, nämlich: Mieter/Kunde selbst – Betreuungsträger – Angehörige/Vertreter, handelt, die nicht juristisch, sondern nur in einem angemessenen Konflikt- und Krisenmanagement bewältigt werden können. Als hilfreich hat sich erwiesen, dieses kritische Thema nicht nur dann, wenn das Problem für alle auftritt, sondern bereits beim Einzug in ein Betreutes Wohnen zu adressieren und zu kommunizieren. Dies kann durch eine spezifische Kündigungsregelung im Betreuungs- wie auch im Mietvertrag unterstützt und flankiert werden. Wie bereits angesprochen, stellt die Sicherstellung der Stabilität des Wohn-Betreuungsangebots eine Kernfrage dar und zwar für alle Beteiligten und auch mit Blick auf die Interessenlage aller Beteiligten. Als Instrument, diese Stabilität zu erreichen, dient die Koppelung des Betreuungsvertrags an den Mietvertrag. Dies kann und sollte auch unbedingt vertraglich vorgesehen werden. Zur Frage der Zulässigkeit der Koppelung des Betreuungsvertrags an den Bestand des Mietvertrags hat der Bundesgerichtshof bereits im Jahr 2003 entschieden, dass ein Mieter einer Wohnanlage, die mit öffentlichen Mitteln gefördert worden ist, den „Vertragsteil“ Betreuungsleistungen nicht kündigen kann, ohne die Möglichkeit der Nutzung der preisgüns-
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tigen Wohnung zu verlieren. Nach Ansicht des Gerichts war im vorliegenden Fall die Bereitstellung der Wohnung untrennbar mit der vorgesehenen Betreuungsleistung verbunden. Zudem hat der Bundesgerichtshof im Jahr 2006 entschieden, dass die Bindung eines Servicevertrags an den Fortbestand eines Mietvertrags im Rahmen des Betreuten Wohnens („Service-Wohnen“) grundsätzlich nicht sittenwidrig ist. Das Gericht hat seine Auffassung damit begründet, dass die Einschränkung des Kündigungsrechts den Mieter nicht unangemessen benachteilige, da das angebotene Betreute Wohnen („Service-Wohnen“) von vornherein auf die Unterstützung der gesundheitlich und altersbedingt beeinträchtigten Mieter durch ein externes Unternehmen ausgerichtet gewesen sei. Die Koppelung von Miet- und Servicevertrag diene nicht nur dem Interesse des Betreuungsträgers und des Vermieters an einer verlässlichen Kalkulation, sondern auch dem Interesse der älteren Mieter an einer zuverlässigen Versorgung. Hätten sie sich einseitig von dem Servicevertrag lossagen oder – unter Umständen mehrfach – den Betreuungsträger wechseln können, dann wäre ihre auf Dauer angelegte Grundbetreuung zumindest gefährdet gewesen. Das Konzept des Betreuten Wohnens beruhe aber gerade auf dem Angebot von Miete und (Grund-)Betreuung. Die (formular-)vertragliche Bindung des Servicevertrags an den Fortbestand des Mietvertrags und umgekehrt verstößt nach Ansicht des BGH nicht gegen § 138 BGB. Sie ist nach der BGH-Rechtsprechung im Übrigen auch nicht als unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu beurteilen. In einer weiteren Entscheidung aus dem Jahr 2005 hat der Bundesgerichtshof sodann u. a. ausgeführt, dass auch dann, wenn das Heimgesetz (und damit auch die landesrechtlichen Nachfolgeregelungen) keine Anwendung findet, sich im vorliegenden Fall der „Pensionsvertrag“ an die Kündigungsregelungen des Heimgesetzes, also jetzt des WBVG, anlehnen kann. Die alleinige Anwendung der Kündigungsregelungen des Wohnraummietrechts werde nach der Auffassung des Gerichts der Interessenlage der Parteien nicht gerecht. Diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.04.2005 hat für das Betreute Wohnen mit seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen eine gewisse Flexibilisierung gebracht. Damit kann im Zusammenspiel zwischen der agb-rechtlich verursachten Befristung des Betreuungsvertrags und Kündigungsrechten in Bezug auf den Mietvertrag regelmäßig ein stabiles Leistungsbild im Einzelfall geschaffen werden. Entweder wird eine auflösende Bedingung vereinbart oder ein Sonderkündigungsrecht des Wohnvertrags im Falle der Kündigung des Betreuungsvertrags Sodann bedarf es Regelungen zu Leistungsstörungen, da im Rahmen des Betreuungsverhältnisses zwischen den beiden Beteiligten verschiedene Leistungsstörungen auftreten können. Es handelt sich z. B. um Fälle, in denen der Mieter das Betreuungsentgelt nicht oder verspätet zahlt oder der Dienstleister die ihm obliegenden Leistungen überhaupt nicht oder nicht ordnungsgemäß erbringt oder der Mieter sich der Erfüllung von Mitwirkungspflichten entzieht (etwa im Bereich des Hausnotrufs). Darüber hinaus ist denkbar, dass der Betreu-
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ungsdienstleister im Rahmen seiner Tätigkeit Nebenpflichten gegenüber dem Mieter verletzt. Dies bedingt explizit, im Betreuungsvertrag Regelungen im Bereich von Gewährleistungen, Abmahnungen und Kündigungsrechten zu treffen. Gleiches gilt für die Regelung von Schadensersatzansprüchen. Generell sind aus der Sicht des Betreuungsträgers in den Betreuungsvertrag Haftungsausschlüsse und -begrenzungen – im gesetzlich zulässigen Rahmen – aufzunehmen. Zudem sollte die Haftung der Höhe nach auf die Leistungen einer Betriebshaftpflichtversicherung des Leistungserbringers limitiert werden. In beiden Konstellationen – Leistungsstörungen vom Betreuungsträger oder vom Mieter zu verantworten – kommen zudem die bereits oben angesprochenen Kündigungsrechte der Vertragsparteien in Betracht.
Zusammenfassung Die Gestaltung von Betreutem Wohnen unter der Prämisse der einheitlichen operativen Leistungserbringung durch einen Leistungsanbieter, nämlich i. d. R. demjenigen, der den Wohnraum vermietet – zur Spielart des eigentlich hierzu gehörigen Generalmiet-Modells näher unter Abschn. 6.3.1.3 – konzentriert sich vertragsrechtlich primär auf die Gestaltung der Leistungsverträge über das Wohnen und die Dienstleistungen, sprich die Grundleistungen des Betreuten Wohnens. Die abzuschließenden Verträge sind sorgfältig unter Ausrichtung auf die Besonderheiten dieses Leistungsangebots und die Interessenlagen der Beteiligten hin zu gestalten. Präferiert man nicht einheitliche „Residenzverträge“, so ist das Hauptaugenmerk auf die Betreuungsverträge und deren Regelungen zu legen. Als Mietverträge taugen Standardverträge, die auf die Angebotskonstellation zuzuschneiden sind. Soll das Angebot des Betreuten Wohnens den Anforderungen der DIN 77800 – Betreutes Wohnen entsprechen, so sind die dort enthaltenen Vorgaben zu beachten.
„Erfüllungsgehilfen-Modell“/„Subunternehmer-Modell“ Eine weitere Ausprägung der „Alles-aus-einer-Hand-Modelle“ ist das sogenannte „Subunternehmer-Modell“. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass es rechtlich einen Leistenden im Bereich Wohnen und Betreuung gibt, tatsächlich aber die Leistungen im Bereich Wohnraumüberlassung und Betreuung durch zwei oder mehrere unterschiedliche Leistungserbringer erbracht werden. Werden die Leistungen „Wohnraumüberlassung“ und „Betreuung“ nach Obigem nicht auch tatsächlich aus einer Hand erbracht, sondern schaltet – in der Regel der Vermieter – einen Dienstleister ein, der in seinem Namen und auf seine Rechnung für ihn die Betreuungsleistungen erbringt, so ist zunächst die Ebene der Leistungserbringer zu regeln.
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Regelungen auf der Ebene der Leistungserbringer Auf der Ebene der Leistungserbringer organisiert sich der Vermieter die Betreuungsleistungen durch einen Subunternehmer, den er als Erfüllungsgehilfen der von ihm selbst zu erbringenden Betreuungsleistungen einsetzt. Es handelt sich um einen Dienstleistungsvertrag. Dieser Dienstleistungsvertrag, mit dem sich der Immobilieneigentümer die Betreuungsdienstleistung für seine Mieter verschafft, hat im Wesentlichen Folgendes zu regeln: Im Bereich der Regelung des Vertragsgegenstands sind vor allem die vertraglichen Hauptpflichten zu differenzieren, und zwar zwischen den unmittelbar die Betreuungstätigkeit betreffenden Leistungen einerseits und ergänzenden Leistungen in der Projektentwicklungs-, Vermarktungs- und Betriebs-/Vermietungsphase andererseits. Solche Regelungen kommen allerdings nur dann in Betracht, wenn sich beide bereits in der Entwicklungsphase zusammentun. Die erstgenannte vertragliche Hauptpflicht des Leistungserbringers Betreuung besteht zunächst darin, die dem Betreuungsvertrag immanenten Haupt- und Nebenpflichten, zu deren Erbringung sich der Leistungserbringer Wohnen gegenüber seinen Vertragspartnern verpflichtet hat, für diesen ganz oder teilweise zu erbringen. Welche Pflichten dies im Einzelnen sind, richtet sich erstens nach dem Inhalt des Betreuungsvertrags und hängt damit vom Leistungskonzept ab, das der Leistungserbringer Wohnen bieten will, und zweitens nach der Arbeitsteilung zwischen beiden Leistungserbringern. Sinnvollerweise ist daher der relevante Betreuungsvertrag in die Leistungsvereinbarung zwischen den beiden Vertragspartnern zu integrieren, indem er als Muster zur Anlage zu dem Leistungsvertrag zwischen den beiden Leistungserbringern genommen wird. Hieraus ergeben sich die Leistungspflichten des Betreuungsträgers und anhand dieses Vertrags kann dann auch ggf. die Leistungsabgrenzung vorgenommen werden. Daneben können weitere Hauptpflichten geregelt werden, z. B. solche in der Projektentwicklungs- wie auch Vermarktungsphase. Zu ihnen können Beratungsleistungen, Zusteuerung von Unterlagen (z. B. Vermarktungsunterlagen), die Übernahme von Vertriebsaktivitäten u. a. gehören. Welche dies sind, ist projektabhängig und im Einzelfall zu klären und zu regeln. Als vertragliche Nebenpflichten sind zudem generell folgende Komplexe zu regeln: – Gewährleistung bestimmter Qualitätsstandards/Vorhaltung eines Qualitätssicherungssystems, – Informationspflichten im Innenverhältnis, – Dokumentationspflichten, – Vertraulichkeits- und Geheimhaltungspflichten (Personendatenschutz). Hinzukommen ggf. Mitwirkungspflichten des Leistungserbringers Betreuung in der Entwicklungs-, Aufbau- und Vermietungsphase einer neuen betreuten Wohnanlage, sofern diese
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nicht gemäß des Parteiwillens der Beteiligten – wie oben skizziert – als Hauptpflichten angesehen und ausgestaltet werden. Zudem sind der Vertragsbeginn, die Vertragslaufzeit, ordentliche und/oder außerordentliche Kündigungsrechte, die Modalitäten bei Vertragsbeendigung und deren Abwicklung zu regeln. Die Festlegung des Vertragsbeginns obliegt den Vertragspartnern. Im Falle neuer Projekte bietet sich an, den Beginn des Vertrags auf einen früheren Zeitpunkt als den Zeitpunkt des Bezugs der betreuten Wohnanlage durch die ersten Mieter zu legen, um eine Art „Preopening-/Entwicklungsphase“ zu schaffen, insbesondere, wenn der Leistungserbringer Betreuung vor dem Bezugs-/Eröffnungszeitpunkt bereits Mitwirkungsleistungen erbringen soll. Die Laufzeit des Leistungsvertrags ist einzelfallbezogen zu vereinbaren. Ausgangspunkte für die Bemessung der Vertragslaufzeit sind vor dem Hintergrund, dass beide Vertragspartner an der Herstellung einer gewissen Stabilität Interesse haben werden und auch müssen u. a. wegen der Amortisation von Initialaufwand, folgende: – Herstellung von Leistungsstabilität für die Kunden des Leistungserbringers Wohnen, – Schaffung von Kalkulationssicherheit für beide Vertragspartner durch Festlegung einer Laufzeit, die z. B. die Amortisation von Initialaufwand ermöglicht, – Notwendigkeiten in Bezug auf die Einhaltung von Qualitätsanforderungen im Bereich Betreutes Wohnen (z. B. der DIN 77800 – Betreutes Wohnen), – Vorgaben im Hinblick auf die Limitierung von Vertragslaufzeiten in besonderen Konstellationen, z. B. bei WEG-Modellen als Folge der Rechtsprechung zur zeitlichen Begrenzung von Betreuungsverträgen. Was die Regelung von Kündigungsrechten anbelangt, so sind „ordentliche“ Kündigungsrechte eher nicht von Bedeutung, da in der Regel derartige Verträge nicht auf unbestimmte Zeit abgeschlossen werden. Der wirtschaftlichen Zwecksetzung der Beteiligten entspricht eine definierte Laufzeit, die in der Regel nicht unter fünf Jahren liegen sollte, um insbesondere Initialaufwendungen amortisieren zu können. Deswegen ist der Regelung außerordentlicher Kündigungsmöglichkeiten das Hauptaugenmerk zu widmen. Als außerordentliche Kündigungsrechte kommen also nur die aus „wichtigem Grund“ in Betracht, wobei diese als fristlose oder fristgebundene mit oder ohne das Erfordernis einer vorausgehenden fruchtlosen Abmahnung ausgestaltet werden können. „Wichtige“ Gründe können folgende sein: – (nachhaltige) schwerwiegende Vertragsverletzungen, – Vermögensverfall, – Insolvenz, – Inhaber-/Gesellschafterwechsel. Hinzu kommen folgende weitere Kündigungsgründe, die spezifisch aus dem Charakter des Leistungsverhältnisses resultieren:
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– Reduktion der Zahl der zu betreuenden Personen, gegebenenfalls geknüpft an das Unterschreiten einer bestimmten Anzahl von zu betreuenden Mietern, – Wandel des Charakters der betreuten Wohnanlage infolge Veränderungen in der Struktur der Mieterschaft, der die Betreuung unmöglich macht oder wesentlich erschwert, – Auswirkungen ordnungsrechtlicher Implikationen vor dem Hintergrund von Regelungen der Landeseinrichtungsgesetze zum Betreuten Wohnen, – Auswirkungen des WBVG auf – bestehende – Betreuungsverträge. Diese Kündigungsrechte können entweder als fristlose Kündigungen oder als solche mit Auslauffrist ausgestaltet werden; letzterem ist der Vorzug zu geben. In Zusammenhang mit den Regelungen der Beendigung des Vertrags sind ggf. auch Vereinbarungen über die Abwicklung des Vertrags nach dessen Beendigung zu treffen: – Rückgabe von Unterlagen etc., – Erteilung von Informationen, insbesondere solcher, die der Betreuungsträger im Zuge seiner Betreuungstätigkeit über die Kunden seines Auftraggebers erlangt hat, – Entfernung von Schildern, die der Leistungserbringer Betreuung an dem Objekt anbringen durfte, – Regelungen bzgl. referenzmäßiger Namensnennung, – Weiterverwendung von Drucksachen, Broschüren etc., – Wettbewerbsverbote und „Wohlverhaltensverpflichtungen“, – Eintrittsrechte in bestehende Sourcing-/ggf. auch Arbeitsverträge des Dienstleisters, – Mitwirkungspflichten im Falle der Übertragung der operativen Betreuungstätigkeit auf einen Nachfolger des ausscheidenden Betreuungsträgers. Da der Dienstleister für den Vermieter arbeitet und die rechtlich vom Vermieter seinen Mietern gegenüber geschuldeten Leistungen erbringt, ist in dem Vertrag auch eine Vergütungsregelung vorzusehen. Basis bildet die Betreuungspauschale, deren Höhe nun wiederum durch das Konzept und die wirtschaftlichen Erwartungen und Rahmenbedingungen bestimmt wird. Eine 1:1-Weitergabe der Betreuungspauschale scheidet wegen Overheadkosten des Vermieters und wirtschaftlicher Gewinnerwartungen dabei aus. Die Vergütung des Dienstleisters wird der Höhe nach unter der Höhe der Betreuungspauschale liegen (siehe oben Kap. 3.3, S. 41 ff. und 6.5, S. 121 ff.). Da der Dienstleister des Vermieters Leistungen gemäß dessen Vorgaben erbringt, sind der Leistungsstandard wie auch die Folgen seiner Unterschreitung zu regeln. Der vom Vermieter vorgesehene Betreuungsvertrag bildet insbesondere hier die Vorgabe. Dessen Gewährleistungs- und Haftungsregelungen müssen mindestens weitergegeben werden.
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Zudem sind darüber hinausgehende Mängelrechte vorzusehen, damit der Vermieter als Auftraggeber instand gesetzt wird, den Dienstleister ggf. zur ordnungsgemäßen Leistungserbringung zu zwingen. Generelle Regelungen, die in dem Dienstleistungsvertrag vorzusehen sind, betreffen z. B.: – Sicherheitenstellung, – Ausschluss von Zurückbehaltungsrechten, – Regelungen über – pauschalierten – Schadenersatz bei Verschulden, – sonstige nachvertragliche Vertraulichkeits- und Geheimhaltungs- und Wohlverhaltenspflichten, – Dokumentations- und Berichtspflichten des Dienstleisters. Die vertragliche Regelung hat insgesamt sicherzustellen, dass die vom Vermieter geschuldete Betreuungstätigkeit, die aber von einem Dritten tatsächlich erbracht wird, konzeptionsgemäß und einwandfrei erbracht wird. Der den Auftrag erteilende Vermieter hat sich dabei stets bewusst zu sein, dass er und nicht sein Dienstleister Vertragspartner und damit Anspruchsgegner der Mieter ist. Dies bedingt auch eine entsprechende Überwachung und ein Controlling der Leistungserbringung. Unabdingbar ist dafür jedoch die Vereinbarung von Service-Levels bzgl. Leistungsumfängen, personellem Einsatz (qualitativ wie quantitativ), Berichtswesen, also – allgemein – „Standards & Procedures“.
Organisation der Leistungen auf der Ebene Leistungserbringer – Kunden/Mieter In den „Subunternehmer-Modellen“ bleibt es bei der Organisation der Leistungsbeziehungen zum Kunden wie bei der auch tatsächlichen Erbringung der Leistungen durch den Vermieter selbst: Auf der einen Seite gibt es den Mietvertrag und auf der anderen Seite den Betreuungsvertrag, sofern nicht die Leistungsmodule Wohnraumüberlassung und Betreuung in einem Vertrag kombiniert werden. Insofern gelten die obigen Darstellungen.
Vertragsgestaltung bei „Generalmietmodellen“ Die umgekehrte Konstellation ist die, dass sich der Dienstleister über die Generalanmietung der betreuten Wohnanlage die Möglichkeit der Wohnraumüberlassung an seine Dienstleistungskunden verschafft. Auch hier sind die beiden Ebenen Herstellung des Leistungsbildes und Organisation der Leistungserbringung gegenüber dem Kunden zu differenzieren.
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Regelungen auf der Ebene der Leistungserbringer Um die „Aus-einer-Hand-Leistung“ darzustellen, muss der Dienstleister sich die Möglichkeit der Wohnraumüberlassung an seine Dienstleistungskunden über die Generalanmietung der betreuten Wohnanlage verschaffen. In Bezug auf die Generalanmietung einer Immobilie oder Teilflächen von dieser bedürfen nachfolgende Punkte besonderer Berücksichtigung bei der Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien in dem Generalmietvertrag: – Regelung des Vertragsgegenstandes (gesamte Immobilie, Teilflächen in einem Gesamtobjekt mit mehreren Nutzungen), – Definition des Mietzwecks, der Berechtigung der Untervermietung an die Nutzer im Betreuten Wohnen, – Festlegung der Vertragslaufzeit, u. a. abhängig vom Objektzustand (realistische Nutzungsdauer) und dem Nutzungskonzept des Generalmieters, – Gewährleistung der Vertragskonformität der jeweiligen Regelungen in dem Generalmietvertrag und dem Nutzungsüberlassungsvertrag mit dem Endnutzer (gleich: Untermieter), – Anpassungs- bzw. Korrekturmöglichkeiten der Konditionen an Marktbedingungen, hierbei insbesondere die Regelungen zur Mieterhöhung bzw. einer pauschalen turnusmäßigen Indexierung, – Regelungen zur hinreichenden Beschreibung des Vertragsgegenstands im Hinblick auf Flächen, Bauausführung (Baubeschreibung) sowie Ausstattung, technischer und baulicher Eigenschaften (Barrierefreiheit) etc., wenn es sich um einen ProjektGeneralmietvertrag handelt – Bestimmung der Abnahme- und Übergabemodalitäten zwischen den Vertragsparteien sowie dem Umgang mit Mängeln (hier insbesondere beim Fehlen zugesicherter Eigenschaften), – Regelung der Miete und der Tragung von Betriebs- und Nebenkosten, – Regelungen zur Instandhaltung und Instandsetzung des Gebäudes sowie der Ersatzbeschaffung von Ausstattungsgegenständen, – Verantwortungsbereiche und Abgrenzung von gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen (die Regelungen zur Betriebssicherheitsverordnung und Gefährdungsbeurteilung, beispielsweise die der Aufzugsanlage), – Mitspracherechte und Regelungen im Umgang mit zukünftigen Eigentümerstrukturen oder Eigentümergemeinschaften, – Zuweisung der Verantwortung für etwaige erforderliche behördliche Anzeigen, Genehmigungen und Auflagen (Arbeits-und Gesundheitsschutz. Heimaufsicht, Hygiene- bzw. Lebensmittelrecht).
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Die genannten Punkte sind vor dem Hintergrund von vertraglichen Leistungspflichten detailliert zu definieren und es sind entsprechende hinreichende Regelungen im Rahmen der planmäßigen Gebäudebewirtschaftung vorzusehen. Dabei ist auch die Dynamik gesetzlicher (Neu-)Regelungen, behördlicher Anforderungen und einrichtungsrechtlicher Umqualifizierungen im Blick zu halten, weil dies Auswirkungen auf die Objektnutzung, vor allem auch im Hinblick auf bauliche Anpassungen zur Folge haben kann. Besonderes Augenmerk sollte dabei auch auf die Weitergabe von Rechten und Pflichten gegenüber dem späteren Nutzer (gleich: Untermieter) gelegt werden. Vielfach entstehen Probleme in der Praxis daraus, dass insbesondere Regelungen in den Untermietverhältnissen nicht mit den Vereinbarungen eines Generalmietvertrags („Obermietverhältnis“) in Einklang stehen bzw. gebracht werden (können).
Regelungen auf der Ebene der Leistungserbringung gegenüber dem Kunden/Mieter Die Vertrags- und Leistungsbeziehungen zwischen dem Vermieter als Leistender in Bezug auf die Wohnraumüberlassung und – beim Subunternehmer-Modell – vermittels des von ihm eingeschalteten Dienstleisters entsprechen denen, die bereits im Zusammenhang mit der Darstellung der Vertragskonstellationen im „Alles-aus-einer-Hand-Modell“ beschrieben wurden. Auch hier gibt es die Gestaltungsvarianten getrennter Verträge und kombinierter Wohn-/Dienstleistungsverträge. Der entscheidende Unterschied zwischen den Subunternehmer- und den Generalmiet-Modellen ist, dass der tatsächliche Leistungserbringer für die Bereiche Wohnen und Betreuung in der Regel ein und derselbe ist: Der Kunde/Mieter im Betreuten Wohnen hat als Vertragspartner stets denjenigen, der Wohnen und Betreuung erbringt. Die Konstellation, dass der Betreuungsträger als Generalmieter sich für seine Kernleistung Betreuung eines Subunternehmers bedient, ist wirtschaftlich unsinnig und in der Praxis nicht zu finden. Gleiches gilt in Bezug auf die Herstellung eines Subunternehmer-Modells in Bezug auf die Immobilie.
Zusammenfassung Die „Alles-aus-einer-Hand-Modelle“ können also in mehrfacher Weise geschaffen und gestaltet werden. Welche Gestaltung gewählt wird, hängt von den subjektiven Präferenzen der Beteiligten ab. In Bezug auf die Person des Vermieters sind die beiden Spielarten – Erbringung der Betreuungsleistungen selbst oder Einschaltung eines Subunternehmers – mehr oder minder gleichwertig. Für den Betreuungsträger haben die beiden in Betracht kommenden Varianten für die Verfolgung eines „Alles-aus-einer-Hand-Modells“ ganz erhebliche wirtschaftliche Implikationen: Geht der Betreuungsträger in die Rolle des Subunternehmers für den Wohnraumüberlasser, so findet er sich schnell in einer weisungsgebundenen Position
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der Subordination wieder. Er begegnet dem Wohnraumüberlasser nämlich nicht auf Augenhöhe, sondern als dienstleistender Erfüllungsgehilfe, obgleich seine Leistung für Erfolg und Misserfolg essenziell sind. Beim Generalmiet-Modell muss der anmietende Dienstleister die wirtschaftlichen Belastungen und Risiken bei der Generalanmietung der Immobilie im Blick haben. Dieses Modell kommt für ihn nur bei einer entsprechenden Kapitalstärke und einem entsprechenden „Immobilien-Know-how“ in Betracht. Weist er diese beiden Merkmale nicht auf, so liegt für ihn näher, ein Kooperationsverhältnis mit dem Immobilieneigentümer anzustreben, also ein „Kooperationsmodell“, wie es im Nachfolgenden dargestellt werden wird, zu verfolgen.
6.3.2 Vertragsgestaltung bei den „Kooperationsmodellen“ Bei den Kooperationsmodellen wirken zwei Leistungserbringer zusammen, der Wohnraumüberlasser und der Betreuungsdienstleister. Beide erbringen ihre Leistungen in eigener Zuständigkeit – anders als im oben skizzierten „Subunternehmer – Modell“. Im Regelfall erfolgt dies auf der Leistungserbringerseite auf der Basis eines Kooperationsvertrags. In WEG-Konstellationen ist ein „Globalbetreuungsvertrag“ zu wählen.
Regelungen beim klassischen Kooperationsmodell Beim oben charakterisierten, klassischen Kooperationsmodell sind wieder die beiden Ebenen der Leistungserbringung in den Blick zu nehmen, nämlich die Ebene der Kooperationspartner und deren vertragsrechtliche Organisation auf der einen Seite und die Ebene der Leistungserbringung gegenüber dem Kunden/Mieter auf der anderen Seite.
Regelungen auf der Leistungserbringerseite Wie der Name bereits sagt, basiert das Kooperationsmodell auf einer Zusammenarbeit von Wohnraumüberlasser und Betreuungsträger. Beide bringen gemeinsam ihre Kernkompetenzen ein, um das Kombinationsangebot Betreutes Wohnen zu schaffen. Das Instrument der Organisation dieser Zusammenarbeit ist ein Kooperationsvertrag. Die Regelungen derartiger Kooperationsverträge ähneln denjenigen, die bereits oben (siehe Kapitel 6.3.1, S. 103 ff.) im Zusammenhang mit der Skizzierung der Dienstleistungsverträge bei Subunternehmergestaltungen aufgeführt wurden.
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Es handelt sich i. W. um folgende Regelungsbereiche, die vertraglich definiert werden müssen: – Regelung des Vertragsgegenstands, vor allem die vertraglichen Hauptpflichten, und zwar differenziert zwischen den originären Hauptpflichten (Wohnraumüberlassung und Betreuungsleistungen) und den wechselseitigen Mitwirkungsleistungen in der Projektentwicklungs-, Vermarktungs- und Betriebs-/Vermietungsphase, – Regelung der vertraglichen Nebenpflichten, wie z. B. Gewährleistung bestimmter Qualitätsstandards/Vorhaltung eines Qualitätssicherungssystems, Informationspflichten im Innenverhältnis, Dokumentationspflichten, Vertraulichkeits- und Geheimhaltungspflichten (Personendatenschutz), – Festlegungen bzgl. Vertragsbeginn und Vertragslaufzeit, – Notwendigkeiten in Bezug auf die Einhaltung von Qualitätsanforderungen im Bereich Betreutes Wohnen (z. B. der DIN 77800 – Betreutes Wohnen mit Blick auf die Zertifizierung), – Regelung von Kündigungsrechten, praktisch relevant nur außerordentliche Kündigungsmöglichkeiten aus „wichtigem Grund“, entweder als fristlose oder fristgebundene mit oder ohne Erfordernis einer vorausgehenden fruchtlosen Abmahnung ausgestaltet (zu denkbaren Kündigungsrechten (siehe Abschn. 6.3.1, S. 104 ff.), – Sicherheitenstellung, – Ausschluss von Zurückbehaltungsrechten, – Regelungen über – pauschalierten – Schadenersatz bei Verschulden, – sonstige nachvertragliche Vertraulichkeits- und Geheimhaltungs- und Wohlverhaltenspflichten, Regelungen bzgl. Nutzungsrechten an Know-how, Konzeptrechten u. Ä., – Dokumentations- und Berichtspflichten des Dienstleisters, – Vergütungs- und Aufwandsersatzregelungen, insbesondere dann, wenn einer der Kooperationspartner umfangreiches Know-how beratend einbringt. Wie diese Bereiche vertraglich im Einzelnen geregelt werden, entzieht sich standardmäßiger Behandlung. Jedes Projekt und jedes Kooperationsverhältnis ist speziell und bedarf daher spezifischer Regelung und konkreter juristischer Ausgestaltung.
Regelung der Leistungsbeziehungen zum Kunden Die Gestaltung der Rechtsbeziehung zum Mieter erfolgt durch die bereits oben behandelten Verträge, nämlich den Mietvertrag im Betreuten Wohnen (dazu oben Abschn. 6.3.1, S. 87 ff.) sowie durch den Betreuungsvertrag (dazu oben Abschn. 6.3.1, S. 95 ff.).
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Sonderfall: „Gobalbetreuungsvertragsmodell“ bei WEG-Konstellationen Wohnungseigentumsgestaltungen bedürfen zwecks Herstellung einer Leistungsstabilität besonderer Regelungen in den Teilungserklärungen und Gemeinschaftsordnungen für Wohnungseigentumsobjekte. In der Gestaltungsvariante des „Generalbetreuungsvertragsmodells“ schließen die Erbringer der Leistungsmodule Wohnen und Betreuung einen Vertrag ab, aufgrund dessen die Nutzer des Betreuten Wohnens als Dritte unmittelbar berechtigt werden, die Betreuungsleistungen von dem Leistungserbringer der Betreuung in Anspruch zu nehmen, ohne dass ein gesonderter Vertrag über dieses Leistungsmodul zwischen den Bewohnern des Betreuten Wohnens und dem Leistungserbringer der Betreuung abgeschlossen wird. Im Gegenzug wird dem Leistungserbringer der Betreuung der Anspruch auf Vergütung gegen die Eigentümer und ihre Mieter verschafft. Die Vertragsregelung zwischen beiden Leistungserbringern umfasst daher einerseits die Regelungskomplexe, die in dem Kooperationsvertrag bei dem „Kooperationsmodell“ zu regeln sind, und andererseits die Regelungsgegenstände, die sich in dem Betreuungsvertrag finden müssen. Diese Gestaltungsvariante ist theoretisch auch in der umgekehrten Form denkbar, wenn der Dienstleister aufgrund vertraglicher Regelung den Mieter zur Nutzung des von dem Immobilieneigentümer zur Verfügung gestellten Wohnraums berechtigt. Da jedoch die Zurverfügungstellung des Wohnraums regelmäßig „führend“ ist und auch bei dieser Variante eine Fülle von komplexen Regelungsnotwendigkeiten die Wohnraumüberlassung und -nutzung betreffend entstünde, wird diese Gestaltungsoption hier nicht weiter behandelt. Eine weitere – allerdings seltene und daher hier nicht weiter zu vertiefende – Ausprägung dieses Modells besteht darin, dass in dieses Vertragskonstrukt auch die Nutzungsüberlassung an dem Wohnraum mit integriert wird. Dieser Typ bietet sich primär für Wohnungseigentumskonstellationen an, da so erreicht werden kann, dass der Betreuungsträger durch die Verankerung des Vertrags in der Gemeinschaftsordnung eine gesicherte Basis für seine Tätigkeit erhält. Im Falle des Eigentumswechsels wie auch der Vermietung wird nämlich durch die Einbeziehung eines bestehenden (Global-)Betreuungsvertrags auch der Nacherwerber dinglich gebunden. Alternativ zu einer Bindungsklausel besteht die Möglichkeit, im Wohnraummietvertrag auf einen bestehenden (Global-)Betreuungsvertrag zu verweisen, der zwischen dem Investor und dem Dienstleister abgeschlossen worden ist, und eine Formulierung aufzunehmen, dass der Mieter einer Wohnung in der Anlage sich zur Inanspruchnahme der Betreuungsleistungen und zur Zahlung des Entgelts für die Laufzeit des Globalbetreuungsvertrags verpflichtet.
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In beiden Gestaltungen wird ausgeschlossen, dass Eigentümer/Mieter aus dem Konstrukt „Betreutes Wohnen“ ausscheiden und der kooperierende Dienstleister in wirtschaftliche Probleme kommt. Bei der Begründung von Mietverhältnissen sind die Wohnungseigentümerverpflichtungen auf den Mieter zu übertragen und es ist zur Konkretisierung eine Kopie des Globalbetreuungsvertrags als Anlage dem Mietvertrag beizufügen. Die Verpflichtung des jeweiligen Mieters, in einem solchen Fall das Entgelt für die Betreuungsleistungen zu zahlen, ergibt sich aus der mietvertraglichen Verpflichtung. Der (Global-)Betreuungsvertrag zwischen Dienstleister und Wohnungseigentümergemeinschaft ist danach als sog. Vertrag zugunsten Dritter zu qualifizieren. Ein solcher Vertrag ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Leistung – hier: Betreuungsleistungen des Betreuten Wohnens – an einen Dritten (Mieter) mit der Wirkung vereinbart werden kann, dass der Dritte (Mieter) unmittelbar das Recht erwirbt, die Leistung zu fordern. Zugleich ist er – unabhängig davon, ob er dieses Recht in Anspruch nimmt – verpflichtet, das zu zahlende Entgelt zu zahlen. Für den Abschluss eines Globalbetreuungsvertrags sprechen: Im Gegensatz zu zahlreichen Einzelbetreuungsverträgen besteht lediglich ein einheitlicher, kollektiver Vertrag hinsichtlich Inhalts und Laufzeit. Im Gegensatz zu einer möglichen Vielzahl von teilweise unterschiedlichen Einzelbetreuungsverträgen ist ein Globalbetreuungsvertrag zudem praktikabler, was zur Vermeidung von Fehlern bei der Vertragsanwendung führen dürfte. Für den Fall, dass im Wohnraummietvertrag auf einen bestehenden Globalbetreuungsvertrag verwiesen wird, sollte ein Übertragungsrecht des Vermieters bezüglich bisheriger Regelungen des bisherigen Globalbetreuungsvertrags auf einen neuen Betreuungsdienstleister oder ein Eintrittsrecht des neuen Betreuungsdienstleisters in den bisherigen Vertrag vereinbart werden.
6.3.3 Zusammenfassung/Hinweise zur „Modellwahl“ Die konzeptionelle und auch vertragsrechtliche Gestaltung der beiden Grundmodelle des Betreuten Wohnens hängt also wesentlich von der wirtschaftlichen Ausgangslage des Initiators ab: Handelt es sich um einen Leistungsanbieter, der Wohnen und Betreuung als integrierte Leistung erbringen kann und will, so wird er sich für ein „Alles-aus-einer-Hand-Modell“ entscheiden und zwar in der Regel auch für eine Gestaltung, in der er beide Leistungskomponenten mit eigenen sächlichen und personellen Mitteln erbringt. Wenn dies bereits sein „tägliches Brot“ ist, so steht dem nichts im Wege. Eine Geschäftsfelderweiterung ist sorgfältig anzugehen und vor allem stellt sich dann die Frage, ob die Hinzunahme nur des Bereichs Betreuung strategisch sinnvoll ist oder ob dann nicht der Schritt zur Organisation eines vollständigen ambulanten Pflege- und Betreuungsangebots sinnvoll, wenn nicht sogar zwingend ist.
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Handelt es sich um einen Anbieter, der aus dem Immobilienbereich kommt und keinerlei Ambitionen hat, sich mit den Dienstleistungen des Betreuten Wohnens zu belasten, so bietet sich für diesen die Wahl eines Kooperationsmodells an. Dies gewährleistet, dass beide Bereiche im Regelfall von jeweils darauf spezialisierten Leistungserbringern abgedeckt werden, wobei es dann aber entscheidend auf die Gestaltung des Kooperationsverhältnisses ankommt. Eine „Zusammenarbeit auf Zuruf“ ist höchst risikoreich und daher nicht anzuraten. Will ein Leistungserbringer aus dem Bereich der Dienstleistungen das Produkt Betreutes Wohnen aus einer Hand anbieten, so bleibt ihm nur die Option der Generalanmietung der Liegenschaft mit allen organisatorischen Herausforderungen im Bereich der Immobilienbewirtschaftung auf der einen Seite und der Inkaufnahme der wirtschaftlichen Risiken, die eine Generalanmietung einer Wohnimmobilie zum Zweck der Untervermietung aufweist, auf der anderen Seite. Jedenfalls sollte die Modellentscheidung nicht von Zufälligkeiten abhängig gemacht werden. Die Leistungsanbieter – seien es solche aus dem Immobiliensektor oder aus dem Betreuungsbereich – sollten sich stets vor Augen halten, dass der Produktgestaltungsaufwand und auch der Initialaufwand für die Platzierung des Produkts im Markt nicht unerheblich sind und es im Regelfall um nicht unerhebliche Immobilienwerte geht.
6.4 Leistungsrechtliche Implikationen in Bezug auf die Gestaltung der Angebotskonzeptionen Gleich welches Angebotsmodell für welche Konzeption gewählt bzw. in Erwägung gezogen wird, es ist auch das öffentliche Förder- und Leistungsrecht mit in den Blick zu nehmen. Es setzt in wirtschaftlicher Hinsicht überaus wichtige Rahmenbedingungen.
6.4.1 Überblick Dabei sind für die Betrachtung beim Betreuten Wohnen drei Leistungs- und damit auch Kostenbereiche relevant: – die Wohnkosten in Form der Miete, – die Betreuungskosten für die allgemeinen Unterstützungsleistungen (die sog. Betreuungspauschale im Betreuten Wohnen) und – die Pflege- und Betreuungskosten für die Leistungen, die über die allgemeinen Unterstützungsleistungen hinausgehen und als Wahlleistungen i. d. R. von Pflege- und Betreuungsdiensten im Rahmen von ambulanten Pflegeverträgen erbracht werden.
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Das spezifisch für das Betreute Wohnen relevante Leistungsrecht umfasst folgende Rechtsbereiche: – das soziale Förderrecht im Bereich der Hilfe zur Finanzierung der Wohnkosten (hier v. a. in erster Linie das Wohngeldrecht und in zweiter Linie das Sozialhilferecht in Bezug auf die Übernahme von Kosten der Unterkunft durch den Sozialhilfeträger), – das soziale Förderrecht in Bezug auf die Betreuungskosten (qua Übernahme durch den Sozialhilfeträger), – das Pflegeversicherungsrecht (SGB XI) im Hinblick auf wohnraum- und dienstleistungsbezogene Hilfen für ältere Menschen. Das öffentliche Förderrecht („Wohnraumförderung“), das erhebliche Auswirkungen auf die Wohnkosten und deren Sicherung hat, wird in dem Kontext des Investments behandelt werden (dazu Kapitel 6.5, S. 121 ff.). Nachfolgend wird zu den oben angeschnittenen Bereichen orientiert an den Kostenblöcken ein Überblick gegeben.
6.4.2 Leistungsrechtliche Hilfen im Bereich der Miete/ Wohnkosten Die Miete für Betreute Wohnungen sind nebst der Betriebs- und Nebenkosten wie auch Heizkosten zunächst Privatsache des Mieters. Sie beruhen auf zivilrechtlichen Verträgen gem. §§ 535 ff. BGB, unterliegen also dem Wohnraummietrecht und den für Wohnraummietverhältnisse maßgeblichen ergänzenden Vorschriften, wie z. B. der Betriebskostenverordnung und der Heizkostenverordnung. Ob die Miete ganz oder teilweise von anderen Kostenträgern übernommen wird, hängt davon ab, welcher Kostenträger adressiert wird: In Betracht kommen weder die Kranken- noch die Pflegekasse, sondern nur die Wohngeldstelle und der Sozialhilfeträger.
Wohngeld Ob und in welchem Umfang ein Mieter Wohngeld erhalten kann, richtet sich nach dem Wohngeldgesetz (WoGG). Das WoGG ist gem. § 68 Nr. 10 SGB I ein „besonderer Teil“ des Sozialgesetzbuchs. Das Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz wird als Zuschuss gezahlt und ist an die Voraussetzungen geknüpft, die in §§ 3 ff. WoGG geregelt sind. Drei Faktoren sind maßgeblich: Erstens die Anzahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder, zweitens die Höhe des Gesamteinkommens des Haushalts sowie drittens die Höhe der zuschussfähigen Miete beziehungsweise Belastung, wenn der Bezugsberechtigte nicht Mieter, sondern Eigentümer des Wohnraums ist. Wohngeld gibt es nämlich als Mietzuschuss für Personen, die Mieter einer
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Wohnung oder eines Zimmers sind, oder als Lastenzuschuss für Personen, die Eigentum an selbstgenutztem Wohnraum haben. Unerheblich für die Leistung des Zuschusses ist, ob der jeweilige Wohnraum in einem Altbau oder Neubau liegt und ob er öffentlich gefördert, steuerbegünstigt oder frei finanziert worden ist. Wohngeldberechtigt für den Mietzuschuss sind Personen, die Mieter einer Wohnung oder eines Zimmers oder Untermieter sind, zudem mietähnlich Nutzungsberechtigte, insbesondere Inhaber eines mietähnlichen Dauerwohnrechts, einer Genossenschafts- oder einer Stiftswohnung, eines dinglichen Wohnungsrechts, zudem Eigentümerin oder Eigentümer eines Hauses mit mehr als zwei Wohnungen, und auch – hier nicht interessierend – Bewohner eines Heims im Sinne des Heimgesetzes oder der entsprechenden Gesetze der Länder, die diesen Wohnraum selbst nutzen. Wohngeldberechtigt für den Lastenzuschuss sind Personen, die Eigentümerin oder Eigentümer einer Wohnung oder eines Hauses mit höchstens zwei Wohnungen sind, oder Erbbauberechtigte sind oder ein eigentumsähnliches Dauerwohnrecht, Wohnungsrecht oder Nießbrauch innehaben bzw. Anspruch auf Bestellung, Übertragung des Eigentums, des Erbbaurechts, des eigentumsähnlichen Dauerwohnrechts, des Wohnungsrechts oder des Nießbrauches haben, und diesen Wohnraum selbst nutzen. Vom Wohngeld ausgeschlossen sind im Einzelnen Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach SGB II, Zuschüssen nach § 27 Abs. 3 SGB II, Übergangsgeld in Höhe des Betrages des Arbeitslosengeldes II gem. SGB VI, Verletztengeld in Höhe des Betrags des Arbeitslosengelds II gem. SGB VII sowie – hier theoretisch relevant und im Blick zu halten: Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach SGB XII, sowie ferner Hilfe zum Lebensunterhalt nach SGB XII sowie ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt oder anderer Hilfen in einer stationären Einrichtung, die den Lebensunterhalt umfassen, nach dem Bundesversorgungsgesetz oder nach einem Gesetz, das dieses für anwendbar erklärt, Leistungen in besonderen Fällen und Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sowie Leistungen nach SGB VIII in Haushalten, zu denen ausschließlich Empfänger dieser Leistungen gehören, wenn bei der Leistungsberechnung beziehungsweise der zugrunde liegenden Leistungsberechnung Kosten der Unterkunft berücksichtigt worden sind. Das maßgebliche Einkommen, das nicht überschritten werden darf, ohne dass die Anspruchsberechtigung entfällt, ermittelt sich aus der Summe der Jahreseinkommen aller zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder abzüglich bestimmter Freibeträge und Abzugsbeträge zum Beispiel für Unterhaltsleistungen. Die Höhe des relevanten Einkommens ist nachzuweisen. Als Jahreseinkommen ist das Einkommen zugrunde zu legen, das zum Zeitpunkt der Antragstellung im Bewilligungszeitraum (in der Regel in den nächsten zwölf Monaten) zu erwarten ist. Dabei orientiert sich die wohngeldrechtliche Einkommensermittlung am Einkommensteuergesetz (EStG). In Betracht kommen kann eine Erhöhung der Freibeträge um 1.500 Euro im Falle der Inanspruchnahme von Pflegeleistungen.
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Die Höhe des Wohngelds richtet sich nach der Höhe der zuschussfähigen Miete beziehungsweise Belastung. Im Bereich des Betreuten Wohnens hat man es überwiegend mit Mietkosten zu tun, für die die Berechnungsgrundlage die sogenannte Bruttokaltmiete ist, die sich aus der Nettokaltmiete zuzüglich der sog. kalten Betriebskosten wie zum Beispiel die Kosten des Wasserverbrauchs, Kosten der Abwasser- und Müllbeseitigung, Kosten der Treppenbeleuchtung ergibt. Nicht zur Miete gehören zum Beispiel die Heizkosten und Kosten für die Erwärmung von Wasser sowie entsprechende Kosten der eigenständigen gewerblichen Lieferung von Wärme und Warmwasser. Die Rechenformel findet sich in § 19 WoGG i. V. m. den Anlagen 1 und 2 zum WoGG. Relevant sind dabei die Mietgrenzen des § 12 Abs. 1 WoGG, die landesspezifisch als Mietstufen geregelt sind und Korrektive für Miethöhen wie auch zu berücksichtigendes Einkommen bilden. Als Vermögensgrenze ist gem. der Verwaltungsvorschrift zu § 21 WoGG mindestens 60.000 Euro anzusetzen. Danach gilt beim Wohngeld eine Höchstgrenze für verwertbares Vermögen bei 60.000 Euro für das erste zu berücksichtigende Haushaltsmitglied und 30.000 Euro für jedes weitere zu berücksichtigende Haushaltsmitglied. Dabei handelt es sich nicht um einen Freibetrag auf das Vermögen, sondern um eine Freigrenze. Wird der Höchstbetrag für das Vermögen überschritten, ist der Wohngeldanspruch ausgeschlossen. Wichtig ist auch, dass das Wohngeld anderen gleichgerichteten Sozialleistungsansprüchen vorgeht.
Grundsicherung/Kosten der Unterkunft Im Allgemeinen ist das Wohngeld die staatliche Förderung, die im Bereich des Wohnen in Betracht kommt. Daneben ist aber auch die Übernahme der Kosten der Unterkunft nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen im Blick zu behalten. Maßgeblich sind hier die Regelungen im SGB XII Viertes Kapitel – Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§§ 41 ff. SGB XII). Hiernach können Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus Einkommen und Vermögen nach § 43 SGB XII bestreiten können, Grundsicherungsleistungen erhalten, wenn sie die Voraussetzungen nach § 41 Absatz 2, 3 oder 3a SGB XII erfüllen, wobei hier die Leistungsberechtigung wegen Alters, wenn sie die Altersgrenze gem. § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht haben, vornehmlich von Relevanz ist. Die hier zu betrachtenden Bedarfe sind die gem. § 42 Nr. 4a SGB XII und zwar die Bedarfe für Unterkunft und Heizung bei Leistungsberechtigten außerhalb von Einrichtungen, die sich nach § 42a SGB XII richten. Die Regelung des § 42a SGB XII ist hochkomplex, weswegen an dieser Stelle nur auf einige wesentliche Punkte eingegangen werden kann. Zunächst ist festzuhalten, dass Kosten der Unterkunft (kurz: KdU) die Kaltmiete und die sog. kalten Betriebs- und Nebenkosten umfassen, was bei der Bestimmung der Angemes-
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senheit eine überaus große Relevanz hat: Die KdU sind eben nicht nur die Miete, sondern umfassen auch die Betriebs- und Nebenkosten, die im Betreuten Wohnen – lage- und gebäudeabhängig – bis zu 2,00 bis 2,50 €/qm/Monat ausmachen können. Die Heiz- und Warmwasserkosten werden stets gesondert betrachtet und bilden einen separaten Hilfeteil, der sich dadurch von den KdU abhebt, dass er regelmäßig in der tatsächlich anfallenden Höhe vom Sozialhilfeträger übernommen wird. Der in der Regel umstrittene Punkt ist der der Angemessenheit der Wohnkosten. Für die Beurteilung der Angemessenheit ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die sog. Produkttheorie anzuwenden. Angemessen sind demnach Aufwendungen, wenn diese insgesamt nicht höher sind als das Produkt aus angemessener Wohnfläche und angemessenem Mietpreis. Die angemessene Wohnungsgröße richtet sich nach den Festlegungen zum geförderten Wohnungsbau, die in den 16 Bundesländern unterschiedlich sind. Zusätzlich ist eine Einzelfallprüfung geboten, wobei nicht nur der Status quo zu berücksichtigen ist, sondern ein in absehbarer Zeit zu erwartender zusätzlicher Raumbedarf, etwa wegen Pflegebedürftigkeit, Behinderung (Rollstuhlbedarf) berücksichtigt werden kann und ggf. berücksichtigt werden muss. Folgende Wohnungsgrößen können als Anhalt für die Angemessenheit dienen: – 1 Person ca. 45 bis 50 m², – 2 Personen ca. 60 m² oder 2 Wohnräume. Flächenzuschläge für schwerbehinderte Mieter sind im Einzelfall bis zu 15 qm anzuerkennen. Welcher Mietpreis als Referenzmietpreis angemessen ist, ist noch mehr umstritten. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist die örtlich angemessene Miete in einem sog. „schlüssigen Konzept“ zu ermitteln. Derartige Konzepte für Wohnraum des Betreuten Wohnen gibt es regelmäßig nicht. Wenn im Einzelfall die Angemessenheit gutachterlich zu bestimmen ist, so muss dies aufgrund einer wissenschaftlich basierten Datenerhebung und Datenauswertung nach statistischen Standards erfolgen. Dies gebietet zunächst die Festlegung eines geeigneten Vergleichsraums. Ob dies eine Stadt, ein Stadtteil, eine Gemeinde, der Teilraum eines Kreises ist, ist nach soziodemografischen und soziogeografischen Bewertungen unter Einbeziehung auch des Einzugsbereichs zu ermitteln. Die relevanten zu erhebenden Mietpreise müssen aus dem jeweiligen Vergleichsraum stammen. Dann sind die gefundenen Werte miteinander zu multiplizieren, weswegen der Begriff „Produkttheorie“ gebildet wurde. Sowohl die Werte für die angemessene Wohnfläche wie auch die angemessene Quadratmetermiete sind dabei nur Rechengrößen. Sie werden miteinander multipliziert, um die angemessene Miete zu bestimmen. Die tatsächliche Größe der Wohnung ist nicht relevant, sondern nur der sich ergebende Gesamtmietpreis (Kaltmiete plus kalte Betriebs- und Nebenkosten). Ist der so ermittelte Gesamtmietpreis noch angemessen,
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werden die Bedarfe anerkannt. Angemessen ist er dann, wenn er im unteren Drittel der ermittelten Mietpreise liegt. Da die Erstellung eines schlüssigen Konzepts sehr aufwendig ist und auch die gutachterliche Ermittlung erheblichen Aufwand bedeutet, ziehen Sozialhilfeträger zuweilen hilfsweise auch die in der Tabelle zu § 12 WoGG genannten Höchstbeträge heran. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aber nur zulässig, wenn keine anderen Erkenntnismöglichkeiten bestehen; zudem sind die Tabellenwerte dann um einen Sicherungszuschlag von 10 % zu erhöhen.
6.4.3 Hilfen im Bereich der Betreuungspauschale Im Hinblick auf die Betreuungspauschale sind diverse Regelungen in den Blick zu nehmen.
Betreuungspauschalen im Wohngeldrecht Die im Betreuten Wohnen allenthalben anfallenden „Betreuungspauschalen“ sind keine Mietkosten i. S. d. Wohngeldrechts.
Betreuungspauschalen als Grundsicherung Betreuungspauschalen können aber im Rahmen der Grundsicherung relevant werden, und zwar wenn die Betreuungsleistungen untrennbar mit dem Mietverhältnis verbunden sind, also die Nutzungsüberlassung im Rahmen eines Gesamtkonzepts zusammen mit der Erbringung von Betreuungsleistungen erfolgt. Dies ist beim Betreuten Wohnen die Regel. So hat das Bundessozialgericht im Urteil vom 14.04.2011 – B 8 SO 19/09 R judiziert: „Zu den Kosten bei Mietwohnungen zählen zwar regelmäßig neben den tatsächlichen Mietkosten nur die Mietnebenkosten, wie sie sich aus dem Mietvertrag ergeben. ... Dem Grunde nach sind aber auch Betreuungspauschalen, wenn sie – wie hier – als einheitliches Rechtsgeschäft zwingend mit Begründung und Fortführung des Mietverhältnisses verbunden sind, geeignet, als Teil des Bedarfs für Unterkunft und Heizung nach § 29 Abs. 1 Satz 1 SGB XII angesehen zu werden. ... Die mit der Betreuung verbundene Dienstleistung dient zwar ihrer Art nach nicht unmittelbar den sozialhilferechtlich vorgesehenen Zwecken der Leistungen für die Unterkunft, die sich darauf beschränken, einen vor Unbilden des Wetters und der Witterung geschützten räumlichen Lebensmittelpunkt mit einer gewissen Privatsphäre einschließlich der Möglichkeit, private Gegenstände zu verwahren, zu gewährleisten ... Auch sind die Betreuungspauschalen nicht als Element der Mietnebenkosten anzusehen; denn sie
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sind keine Betriebskosten i. S. von § 556 BGB i. V. m. § 2 Betriebskostenverordnung. (…) Die Leistungen für Unterkunft nach § 29 Abs. 1 SGB XII sind bei Mietverhältnissen jedoch nicht zwingend auf die Übernahme von (Kalt-)Miete und Betriebskosten beschränkt. Denn § 29 Abs. 1 Satz 1 SGB XII bestimmt, dass Leistungen für die Unterkunft in Höhe der „tatsächlichen Aufwendungen“ erbracht werden. Diese tatsächlichen Aufwendungen umfassen regelmäßig alle Zahlungsverpflichtungen, die sich aus dem Mietvertrag für die Unterkunft ergeben ... Begrifflich können hierunter auch Aufwendungen für Sach- oder Dienstleistungen fallen, die zwar ihrer Art nach nicht dem Grundbedürfnis „Wohnen“ dienen, aber mit den vertraglichen Vereinbarungen betreffend der Unterkunft derart verknüpft sind, dass die Unterkunft ohne diese Aufwendungen nicht erlangt oder erhalten werden kann, wenn sie nicht zur Disposition des Leistungsberechtigten stehen und in diesem Sinne einen unausweichlichen Kostenfaktor der Wohnung darstellen ... Ob ein derartig einheitliches Rechtsgeschäft vorliegt, das bei Fortführung des Mietverhältnisses eine isolierte Kündigung des Betreuungsvertrags ausschließt, bestimmt sich nach den vertraglichen Erklärungen der Vertragsparteien. Wird Wohnraum also nur an Personen vermietet, die im Mietvertrag zugleich eine Betreuungspauschale vereinbaren, besteht diese Verbindung. Jedoch müssen die sich so ergebenden Kosten der Unterkunft inklusive der Betreuungspauschale angemessen i. S. von § 29 Abs. 1 SGB XII sein. Zu beachten soll dabei allerdings sein, dass die in der BSG - Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zur Beurteilung der generell-abstrakten Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft allein wegen des vorhandenen Betreuungsangebots nicht zu modifizieren sind: „Die notwendigen Feststellungen betreffend die örtlichen Gegebenheiten des Wohnungsmarktes ... haben sich zur Vermeidung eines Zirkelschlusses nicht auf Wohnungen zu beschränken, die – wie die Wohnung der Klägerin – gewissermaßen als besonderes Ausstattungsmerkmal ein Betreuungsangebot beinhalten. Sollten sich die Kosten der Unterkunft nach den vorgenannten Maßstäben als unangemessen hoch erweisen, wird das LSG des Weiteren zu prüfen haben, ob die Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum nach Maßgabe des § 29 Abs. 1 Satz 2 bis 5 SGB XII dennoch Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten hat.“
Diese Rechtsprechung gießt faktisch Wasser in den Wein der Einbeziehung der Betreuungskosten: Es wird eine Art „typenneutrale“ Betrachtung propagiert, die den Besonderheiten der Wohnform des Betreuten Wohnens in keiner Weise gerecht wird.
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Betreuungspauschale als Leistung der „Altenhilfe“ Allerdings kommen insofern weitere Hilfen in Frage, wobei z. B. an § 71 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII Leistungen bei der Beschaffung und zur Erhaltung einer Wohnung, die den Bedürfnissen des alten Menschen entspricht – Hilfe zur Fortführung des Haushalts – wie aber auch § 71 Abs. 1, 4, 5 und 6 SGB XII zu denken ist. Relevant ist diese Hilfeform, weil sie gem. § 71 Abs. 4 SGB XII einkommens- und vermögensunabhängig zu gewähren ist.
Betreuungspauschale und Wohngruppenzuschlag des § 38a SGB XI Nach der Rechtsprechung des BSG aus dem Jahr 2020 (Urteil vom 10.09.2020 - AZ B 3 P 1/20 R) können auch Mitglieder von Mieterwohngruppen im Betreuten Wohnen in den Genuss des sog. Wohngruppenzuschlags gelangen. Die Voraussetzungen des § 38a Abs. 1 SGB XI werden vom Gericht unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung weit gefasst. Dies gilt insbes. für den Begriff der Wohnung: „b) Der Senat konkretisiert die Begrifflichkeit der „gemeinsamen Wohnung“ nun dahin, dass die Förderung mit einem Wohngruppenzuschlag nur für Wohnformen ausgeschlossen ist, die lediglich bei rein „formaler“ Betrachtung der ambulanten Versorgung zuzuordnen wären, faktisch aber einer stationären Vollversorgung entsprechen. Diese weite Auslegung ist durch das gesetzgeberische Ziel, gesellschaftlich förderungswürdiges gemeinschaftliches Wohnen unter Wahrung angemessener Privatsphäre zu fördern, gerechtfertigt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum PSG II, BT-Drucks 18/5926 zu Art 2 § 38a SGB XI, S 125 zu Nr. 20). Eine „gemeinsame Wohnung“ liegt insoweit erst dann nicht mehr vor, wenn die gesamte Wohnanlage so gestaltet ist, dass sich jeder einzelne Bewohner „praktisch selbstständig“ versorgt oder versorgt wird, ohne auf die Möglichkeit eines „gemeinschaftlichen“ Zusammenwohnens zurückgreifen zu können.“ Damit eröffnet das Gericht Wohngruppengestaltungen, die in der Struktur an diejenigen von ambulant betreuten Wohngemeinschaften anzulehnen sind, die Möglichkeit, durch entsprechenden Personaleinsatz eine Versorgungssicherheit zu schaffen, die über die „normalerweise“ im Betreuten Wohnen Vorzufindende hinausgeht, weil eben mehr Personal bezahlt werden kann. In vertraglicher Hinsicht ist dies nachzuvollziehen und auch die innere Organisation der Mieterwohngruppe muss den Leitlinien der Entscheidung entsprechen. Initiatoren eröffnet sich so die Gestaltung eines „Betreuten Wohnens plus in Mieterwohngruppen“, die sich qualitativ vom bekannten Betreuten Wohnen absetzt und die USP einer „Vollfinanzierung“ durch die Pflegekassen hat.
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6.4.4 Pflege- und Betreuungskosten Die bei Pflege- und/oder Betreuungsbedürftigkeit ggf. individuell vom Mieter in Anspruch genommenen Pflegeleistungen sind weder Miete noch Betriebs- und Nebenkosten – auch dann nicht, wenn sie vom Betreuungsträger als ambulantem Pflegedienst erbracht werden und selbst dann nicht, wenn eine Gestaltung vorliegt, die den Eindruck erweckt, dass es sich um eine fakultative „Gesamtleistung“ handelt. Diese Kosten stehen neben den Kosten für die „allgemeinen Betreuungsleistungen“, also den ggf. obligatorischen Grundleistungen. Ob diese Kosten als „Hilfe zur Pflege“ vom Sozialhilfeträger zu leisten sind, richtet sich nach den §§ 61 ff. SGB XII.
6.4.5 Zusammenfassung Bei Vorliegen der – stets komplexen Voraussetzungen – sind also sowohl für die Mietkosten wie auch für die Betreuungspauschale öffentliche Hilfen mobilisierbar. Je nach Konzept und Zielgruppe ist dabei dem Komplex der „angemessenen Wohnkosten“ besondere Bedeutung zuzumessen. Stets sollte neuerdings auch der oben hervorgehobenen BSG-Rechtsprechung dem „Betreuten Wohnen in Mieterwohngruppen“ große Aufmerksamkeit geschenkt werden, da so die Betreuungskosten – bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen des § 38a SGB XI und bei entsprechender Gestaltung – über die Pflegekassen refinanzierbar gemacht werden können mit der Folge eines qualitativ besseren und kostengünstigeren Angebots.
6.5 Exkurs: Investmentaspekte: Fremdinvestment vs. Eigeninvestment Die Dienstleister im Betreuten Wohnen, also i. d. R. die ambulanten Pflegedienste, sind bei Wohn-Versorgungsprojekten nicht nur mit den oben dargestellten Fragestellungen konfrontiert, sondern i. d. R. zusätzlich mit der Frage: die Immobilie selbst entwickeln, um sie zu halten und zu vermieten, oder das Objekt von einem Drittinvestor anzumieten und dann unterzuvermieten. Unabhängig von allen anderen Aspekten gilt generell, dass man sich als Erstes über die Betriebswirtschaft beider Varianten klar werden muss: Drei Szenarien sind denkbar: – Worst case: definiert durch einen negativen Break-Even-Punkt für die Kostenentwicklung und den erforderlichen Vermietungsstand im Zeitverlauf, – Average case: der normale Betriebsverlauf unter Kalkulation von üblichen marktabhängigen Vermietungs- und Kostenstrukturen,
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– Best case: der optimale Verlauf unter Berücksichtigung des Eintretens von besseren Ergebnissen als in der Average-case-Annahme geplant. Determiniert werden diese Szenarien wesentlich über die Kompetenzen des Initiators: Das gilt für die Entwicklungs-, Planungs- und Bauphase wie für die beiden operativen Phasen „Vermietung“ und „Betrieb“. Alle drei werden wirtschaftlich über die Managementphase gesteuert und beeinflusst. Bei einer Fremdinvestition gewinnen folgende Aspekte Relevanz: – keine Eigen- bzw. Fremdkapitalbindung und langfristige Übernahme von Finanzierungsrisiken (keine Investition in Steine), – möglicherweise keine oder verminderte Einflussnahme auf den Entwicklungsprozess oder später in der Betriebsphase auf die Interessenlage des Eigentümers (Risiko divergierender Interessen). In der Gestaltung der selbst entwickelten und dann eigengenutzten Immobilie übernimmt der ambulante Dienst neben der Vermieter- und Betreiberrolle gleichzeitig die Bauherrenfunktion. Die Assets bleiben nach Fertigstellung in seinem direkten bzw. indirekten Eigentum bzw. in seinem Verantwortungsbereich, was natürlich auch die Möglichkeit einer Beteiligungsstruktur bzw. die Ausgliederung in eine separate Grundstücksgesellschaft in Betracht eröffnet. Die Funktionen „Immobilieneigentümer“ und „Leistungserbringer“ werden verbunden und in eine Gesamtinteressenlage zusammengeführt. Hierin liegt der Charme dieser Variante. Allerdings bedeutet das Entwickeln, Planen und Errichten von Bauwerken gleichzeitig die Übernahme von Entwicklungs-, Planungs- und Herstellungsrisiken. Die Risikobeherrschung erfordert entsprechende Kenntnisse, Erfahrungen und auch finanzielle Puffer. Dies gilt ähnlich bei der Übernahme von bestehenden Immobilien. In die Risikobetrachtung in Bezug auf die Immobilie sind folgende Faktoren einzustellen: – die Entwicklungskosten, – die Anschaffungs- und Herstellungskosten, – das Mietausfallwagnis, – die Verwaltungskosten, – die Bewirtschaftungskosten, – die laufenden Instandhaltungskosten. – bei Übernahme eines Bestandsobjektes zusätzlich die Kosten der Implementierung sowie einer ggf. erforderlichen Modernisierung. Diese Faktoren treten neben die betrieblichen Risiken und Kosten. Im Falle der Anmietung eines Objekts, das ein Drittinvestor erstellt hat, fallen einzelne Risikofaktoren weg, andere kommen hinzu. Das Vermietungsrisiko ist in allen Fällen ähnlich
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gegeben: Es hängt nicht von der Frage „Eigentum“ oder „Besitz“ ab. Allerdings ist der Mieter selbst bei äußerst harten „Triple-net-Mietverträgen“ von Substanzrisiken teilweise frei und es kommt natürlich noch ein Gesichtspunkt hinzu: Am Ende der Lebensdauer der Immobilie zieht der Mieter aus, der Eigentümer hat das Folgeverwertungsrisiko. Daraus folgt, dass die Entscheidung über die Frage „Eigeninvestment ja oder nein“ genauso sorgsam zu treffen ist wie die über die Frage „Generalanmietung ja oder nein“. Einzustellen sind immer die konkreten Verhältnisse im Einzelfall: Standardlösungen gibt es ebenso wenig wie generelle Empfehlungen.
6.6 Zusammenfassung Die Gestaltung von Angeboten des Betreuten Wohnens hat also in erster Linie die Frage der „Produktgestaltung“, nämlich die Konfiguration der Dienstleistungen und des Wohnangebots in den Blick zu nehmen. Es ist die Kernfrage zu beantworten, welches Konzept auf den gewählten Standort passt, wie es mit Nachbarangeboten umgeben werden kann, welche Zielgruppe adressiert werden soll und in welchem Preisniveau das Angebot angesiedelt werden soll. Sind diese Fragen geklärt, so ist die Frage der nachhaltigen Gestaltung der Verträge zwischen den Beteiligten zu bearbeiten. Wie das „Produkt“ in all seinen Schattierungen aussehen wird, entzieht sich der Standardisierung: Daher können hier nur Leitlinien aufgezeigt werden. Sie zu beachten, hilft aber schon erheblich, sich auf dem Weg hin zu einem nachhaltig akzeptierten und wirtschaftlich erfolgreichen Angebotsmodell nicht im Dschungel der Einflussfaktoren zu verirren.
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7 Qualität und Qualitätssicherung Qualität im Betreuten Wohnen tut Not: Nicht nur, dass sich Immobilieninvestoren und auch Dienstleister angesichts von „Grauzonen-Angeboten“ abheben müssen, sondern auch, weil die potenziellen Kunden/Mieter immer stärker auf Qualitätsangebote achten. Qualität im Betreuten Wohnen ist durch die Gewährleistung von Qualitätskriterien wie aber auch durch die Realisierung eines Mindestmaßes an interner oder externer Qualitätssicherung gekennzeichnet.
7.1 Qualitätskriterien Die maßgeblichen Qualitätskriterien können aus der bundesweit eingeführten DIN 77800 – Betreutes Wohnen wie auch den beiden wegweisenden Ländergütesiegeln für Betreutes Wohnen Baden-Württemberg wie NRW abgeleitet werden. Gleichfalls kann die europäische Technical Specification CEN TS 16118 – Sheltered Housing angezogen werden. Alle vier Standards weisen sieben Gruppen von Qualitätsanforderungen auf: – Anforderungen an den Standort, – bauliche Anforderungen an das Gebäude, insbes. das Wohnen, – Anforderungen an die Dienstleistungserbringung, – personelle Anforderungen, – Transparenzanforderungen, – Anforderungen an die Vertragsgestaltung, – Anforderungen an die Qualitätssicherung. Diese Standards vollziehen allesamt Qualitätsanforderungen nach, die bereits in der Fachöffentlichkeit quasi „anerkannte Regeln der Technik“ waren, also Regeln und Vorgaben, die sowohl die Voraussetzungen für „Stand der Wissenschaft und Technik“ erfüllen, also Regeln, welche wissenschaftlich richtig und unanfechtbar sind, als auch den „Stand der Technik“ erfüllen, sprich: welche den entsprechenden Fachleuten bekannt und ebenfalls wissenschaftlich richtig und unanfechtbar sind, und sich zudem über einen ausreichend langen Zeitraum bewährt haben.
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Personelle Anforderungen Dienstleistungsanforderungen Transparenzanforderungen Gebäudeanforderungen Standortanforderungen
Anforderungen an die Vertragsgestaltung Anforderungen an die Qualitätssicherung
Abbildung 20: Qualitätskriterien
7.1.1 Anforderungen an den Standort Die Anforderungen an die Immobilie betreffen zwei Aspekte: erstens, wo sie sich befinden soll, und zweitens, wie sie baulich und konzeptionell gestaltet sein muss, um die Erwartungen der Zielgruppe und die dadurch vorgegebenen funktionellen Anforderungen zu erfüllen. Im Hinblick auf den Standort geht es vor allem um Anforderungen an die Mikrolage. Jede betreute Wohnanlage muss aufgrund ihrer Lage die Voraussetzungen für eine selbstständige Lebensweise ihrer Mieter und ihre Integration in das Gemeinwesen bieten. Dies bedeutet vor allem, dass die zur Ermöglichung einer selbstständigen Lebensführung für Senioren notwendigen Einkaufs- und Versorgungsangebote und der öffentliche Personennahverkehr durch einen kurzen Fußweg erreichbar sein sollten. Eine Kompensation, etwa durch einen Fahrdienst, ist möglich. Angebote „auf der grünen Wiese“ genügen diesen Anforderungen in der Regel nicht. Zuweilen werden diese Anforderungen auch in Landeseinrichtungsrechten aufgestellt.
7.1.2 Konzeptionelle und bauliche Anforderungen an das Gebäude und Wohnangebot Die konzeptionellen und baulichen Anforderungen an das Gebäude und die Wohnungen ergeben sich aus den – aus den Bedarfen der Mieter abgeleiteten – Funktionalitäten. In Bezug auf die Gebäudestruktur geht es um die Eigenschaft einer Wohnanlage zur weitgehend gleichberechtigten, selbstbestimmten und gefahrlosen Nutzung durch alle Menschen in jedem Alter, mit unterschiedlichen Fähigkeiten sowie mit und ohne Behinderungen. Wohnanlage in diesem Sinne umfasst die Liegenschaft an sich inkl. aller Zuwegungen, Gemein-
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schafts- und Nebenflächen wie auch die Wohnungen im Gebäude als privater Wohnraum. Die Wohnungen selbst müssen vom Zuschnitt und dem Flächenangebot zielgruppen- und nutzungszweckgerecht, insbes. barrierefrei sein.
Anforderungen an die Liegenschaft Die baulichen und konzeptionellen Anforderungen an die Immobilie, also die Wohnanlage, insgesamt umfassen i. W. zwei Bereiche: das Raumkonzept und die Barrierefreiheit. Die konzeptionellen Anforderungen mit baulichem Bezug betreffen v. a. das Raumkonzept und ergänzen so die reine Zurverfügungstellung von Wohnraum. Das Raumkonzept betrifft primär die Gemeinschaftsflächen. Da es bei dem Dienstleistungskonzept des Betreuten Wohnens um die Erbringung von Beratungs- und Unterstützungsleistungen für die Mieter der Wohnanlage geht, braucht es ein Büro für den Betreuungsdienstleister bzw. die Betreuungsperson sowie einen Gemeinschaftsraum im Gebäudekomplex selbst oder in dessen unmittelbarer Nähe. Dort finden die Dienstleistungen statt, die Betreutes Wohnen ausmachen. Die Gemeinschaftsflächen müssen dabei geeignet sein, die dem Betreuten Wohnen eigenen teilhabebezogenen Aktivitäten zu ermöglichen. Ferner gilt die Empfehlung, ein Gästeapartment vorzuhalten. Ferner sollten Rollstuhlabstellplätze und auch sogenannte „Rollstuhltankstellen“, nämlich Stellplätze mit Elektroversorgung für elektrobetriebene Rollstühle, vorhanden sein. Überdies sollte die Auslegung der Wohnanlage übersichtlich geplant sein, damit die Orientierung der Mieter erleichtert wird, was für ein „Wohnen für ein langes Leben in den eigenen 4 Wänden“ essenziell ist. Zudem sollte die Wohnanlage „gemeinwesenorientiert“ in dem Sinn ausgelegt sein, dass gerade in Bezug auf größere Wohnanlagen in funktionaler Hinsicht die Einbeziehung von nicht in der Wohnanlage lebenden Menschen gefördert, wenn nicht sogar erst ermöglicht wird. Diese „Öffnung ins Quartier“ liegt im Übrigen auch im Interesse des Investors/Eigentümers wie auch des Betreuungsdienstleisters, da die Wirtschaftlichkeit der Gesamtanlage durch die Integration von anderen Nutzungen und anderen Zielgruppen in der Regel erhöht wird. Der zweite Bereich ist der der Barrierefreiheit. Die Wohnanlage muss barrierefrei geplant und realisiert sein. Das heißt, dass die Wohnanlage, definiert als Gesamtheit von Außenanlagen, horizontaler und vertikaler Erschließung, Gemeinschaftsräumen und Wohnungen an sich, barrierefrei sein muss. Dabei ist – nach dem Wegfall der DIN 18025 Teil 1 und 2 – die DIN 18040 Teil 2 zu beachten. Diese Anforderungen betreffen zunächst die Barrierefreiheit von zur Wohnanlage gehörigen Gebäudezugängen, Freiflächen und Verbindungswegen sowie Zugängen zu Parkplätzen und Müllcontainern. Im Hinblick auf den Hauseingang, die vertikale Erschließung, etwa erforderliche Rampen, und die horizontale Erschließung der Wohnungen sind Bewegungsflächen und Schwellenlosigkeit vorzusehen. Die vertikale Erschließung erfordert bei mehr als einem Vollgeschoss einen Aufzug und stufenlose Erreichbarkeit der
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Wohnung. Etwa erforderliche Rampen müssen entsprechende Bewegungsflächen aufweisen und ihre Steigung darf max. 6 % betragen. Wenn Treppen nicht vermeidbar sind, müssen sie markierte Sitzstufen haben und beidseitige Handläufe aufweisen. Rauch- und Feuerschutztüren müssen eine Öffnungsautomatik, Freilaufschließer oder Feststellvorrichtungen aufweisen. Für die Auslegung der Gemeinschaftsräume gelten ebenfalls die Anforderungen der DIN 18040 Teil 2, was z. B. die Erfordernis eines behindertengerechten WCs bedeutet.
Anforderungen an die Wohnungen Die Wohnungen müssen nutzergerecht ausgelegt sein. Das beginnt mit der Fläche, geht über die Ausstattung mit AAL-Komponenten, Küchen und Freisitze und reicht bis hin zur Barrierefreiheit. Die spezifische Bedarfssituation der älteren Bewohner mit körperlichen Mobilitätseinschränkungen fordert, dass der Wohnraum (= die Wohnung) barrierefrei errichtet ist. Dies bedeutet, dass die Wohnung an sich, also die vermietete Fläche (ggf. einschließlich Balkon, Terrasse, Garten sowie die entsprechenden Austritte), grds. nur den Anforderungen der DIN 18040 Teil 2 in Bezug auf die regulären Anforderungen entsprechen muss, also keine Behindertengerechtigkeit („R-Anforderungen“) gefordert wird. Allerdings sind die „R-Anforderungen“ dann zu erfüllen, wenn Zielgruppenbedarfe dies fordern; landesbaurechtliche Anforderungen sind unabhängig davon natürlich stets zu erfüllen. Im Hinblick auf die Barrierefreiheit ist vornehmlich auf die Schwellenfreiheit („NullSchwellenprinzip“) abzustellen wie auch auf hinreichende Bewegungsflächen. Dabei geben weniger die Rollstühle die Maße vor als die – im Übrigen in der Regel deutlich häufiger genutzten – Rollatoren der Bewohner. Für die Bäder gilt, dass z. B. Türen nicht in das Bad hineinschlagen dürfen, Waschtische unterfahrbar sein müssen, eine bodengleiche Dusche mit einem Bodenbelag der Klasse R 10 (sinngemäß nach BGR 181) gegeben ist und Haltegriffe für Dusche und WC nachrüstbar sind. Freisitze, soweit sie Wohnfläche sind, bedürfen z. B. eines schwellenlosen Übergangs vom Wohnraum auf den Freisitz, Brüstungen müssen ab 60 cm Höhe durchsichtig sein. Türen müssen eine lichte Durchgangsbreite > 80 cm und eine lichte Durchgangshöhe > 205 cm aufweisen. Diese Anforderungen an die Barrierefreiheit sind unproblematisch bei Neubauvorhaben umsetzbar, jedoch z.T. äußerst problematisch bei Bestandswohnraum und Bestandswohnanlagen. Bei Bestandswohnanlagen sind Kompromisse denkbar, i. S. einer „Barrierearmut“ in Anlehnung an die jeweils maßgeblichen Wohnungsbauförderprogramme des Bundes (KFW) bzw. der Länder. Im Ergebnis führt dies dazu, dass z. B. Maßabweichungen (aus der Sicht Bestand) gegenüber dem Neubau toleriert werden, sofern sie noch eine altersgerechte Benutzbarkeit möglich machen. Dies bedarf regelmäßiger Einzelfallentscheidungen und -lösungen.
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7.1.3 Anforderungen an die Dienstleistungen Das Standard-Dienstleistungsportfolio des Betreuten Wohnens besteht, wie bereits beschrieben, in sog. Grundleistungen/allgemeinen Betreuungsleistungen. Die Wahlleistungen/weitergehenden Betreuungsleistungen sind Gegenstände der Vermittlungsleistungen als Teil der Grundleistungen. Bei richtigem Verständnis werden die bisher als „allgemeinen Betreuungsleistungen“ begriffenen Grundleistungen von dem im WBVG und teils auch in den Länderheimgesetzen verwandten Begriff der „allgemeinen Unterstützungsleistungen“ umfasst. Im Bereich der Grundleistungen sind seitens des Leistungsanbieters i. W. drei Leistungskomplexe vorzuhalten, nämlich die Betreuungsleistungen an sich, der haustechnische Service sowie die Notrufsicherung. Adressaten der Betreuungsleistungen sind die Mieter, gegebenenfalls deren gesetzliche Betreuer, sowie Angehörige und dem Bewohner nahestehende Personen (auch deren Vertreter). Erbringer dieser Betreuungsleistungen vor Ort in der betreuten Wohnanlage (operativ Tätiger) ist die „Betreuungsperson“. Die Betreuung muss die Teilbereiche Beratung, die regelmäßige Informationstätigkeit, die Vermittlungs- und Organisationstätigkeit sowie den Aufgabenkomplex „soziale und kulturelle Aktivitäten“ umfassen. Die Beratungstätigkeit der Betreuungsperson muss z. B. die Beratung bei der Organisation des Umzugs bzw. Einzugs, bei allgemeinen Behördenangelegenheiten und in Krisensituationen umfassen. Dabei muss die Beratungstätigkeit zu bekanntzugebenden Zeiten in Gestalt von wöchentlichen festen Bürosprechzeiten und in Sprechzeiten nach Bedarf erfolgen. Die regelmäßige Informationstätigkeit muss bedarfsorientiert die laufende Information z. B. zu folgenden Gegenständen beinhalten: kulturelle Angebote und Bildungsangebote, ÖPNV (Linienführung, Fahrtzeiten, Preisgestaltung, Leistungsangebote), Angebote der Grundund Wahlleistungen Haustechnik, Handhabung der Notrufgeräte, Einkaufs- und Dienstleistungen einschließlich ambulanter Dienstleistungen und das Angebot von Hausnotrufdiensten. Die Vermittlungs- und Organisationstätigkeit muss z. B. auf Wunsch des Bewohners u. a. Hilfestellungen bei der Auswahl und Kontaktaufnahme zu ambulanten Diensten und hauswirtschaftlichen Diensten umfassen. Kern der Vermittlungstätigkeit ist die Vermittlung der sog. Wahlleistungen. Als zu vermittelnde fakultative Wahlleistungen kommen infrage: ambulante Pflege- und Betreuungsleistungen, hauswirtschaftliche Dienste, Reinigungsleistungen für die vom Mieter genutzte Wohnung, Einkaufs- und sonstige Begleitleistungen und andere. Um ein qualitativ akzeptables Angebot zu machen, ist die Vermittlung von hauswirtschaftlichen Hilfen, pflegerischen Hilfen, haustechnischen Diensten, Hol- und Bringdiensten, Leistungen im Krankheitsfall und bei Krankheitsaufenthalt als „Mindestkatalog“ zu betrachten. Welche Wahlleistungen wie angeboten bzw. vermittelt werden, ist in einer Liste der Wahlleistungen unter Benennung der Anbieter als Anlage zum Betreuungsvertrag festzuhalten und Aktualisierungen sind zu kommunizieren.
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Im Hinblick auf soziale und kulturelle Aktivitäten, die vom Betreuungsträger geleistet, mindestens initiiert werden müssen, ist zu fordern, dass Kontakte und Hilfen der Bewohner untereinander angeregt werden müssen sowie Kontakte zu im Quartier agierenden anderen Institutionen, Organisationen etc. zu fördern sind. Bei den Anregungen muss es sich nicht um detailliert ausgearbeitete Programme und Aktivitäten handeln, vielmehr ist es ausreichend, wenn die Betreuungsperson wie eine Art Ideengeber agiert. Das kann z. B. auch durch die Aushändigung von Informationsmaterial von Drittanbietern geschehen. Auch und gerade insofern geben die – sich permanent ändernden – Bedarfe der Mieter Art und Umfang der Aktivitäten vor. Der haustechnische Service muss einerseits sicherstellen, dass im Störungsfall Maßnahmen zur Sicherstellung der Haustechnik eingeleitet werden und andererseits, dass die Wohnanlage bzgl. der Allgemeinflächen gereinigt wird, was auch den Winterdienst betrifft. Diesbezüglich besteht Redundanz zu den mietvertraglichen Verpflichtungen des Leistungsanbieters Wohnen, i. d. R. also des Vermieters. Regelmäßig wird dieser Leistungskomplex durch den Vermieter dargestellt werden. Vor dem Hintergrund, dass Betreutes Wohnen dem älteren Menschen ermöglichen soll, möglichst lange selbstständig in seinen eigenen vier Wänden wohnen zu können, ist als Teil der Grundleistungen zudem eine Hausnotrufanlage und deren Anschluss an ein entsprechendes Notrufsystem vorzusehen. Dabei muss der Betreuungsträger den Hausnotruf nicht selbst betreiben. Entscheidend ist, dass auf der Basis einer verlässlichen Technik eine organisatorische Struktur gewährleistet ist, die sicherstellt, dass nach Notrufauslösung und -entgegennahme durch für diese Aufgabe qualifiziertes Personal eine Reaktion in adäquater Weise erfolgt, diese dokumentiert wird und die Informationswege zwischen der Notrufempfangsstelle und dem Betreuungsträger so gestaltet sind, dass dieser seine Betreuungstätigkeit ordnungsgemäß erfüllen kann.
7.1.4 Qualitative und quantitative Anforderungen an das Personal Betreutes Wohnen ist eine Dienstleistung. Das bedeutet, dass das Personal des Betreuungsdienstleisters aufgabengerechte Anforderungen zu erfüllen hat. Dabei ist zwischen qualitativen und quantitativen Anforderungen zu unterscheiden.
Personelle Anforderungen in qualitativer Hinsicht Die qualitativen Anforderungen beziehen sich auf die strukturelle Anbindung des Personals an den Betreuungsträger und auf die Befähigung der Mitarbeiter, ihrer Betreuungsaufgabe nachzukommen.
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Im Hinblick auf die Struktur der Beziehungen zwischen Dienstleister und Mitarbeitern zeichnet sich qualitativ gutes Betreutes Wohnen erstens dadurch aus, dass die vom Anbieter/ Betreuungsträger zu erbringenden Dienstleistungen durch Personal des Anbieters/Betreuungsträgers selbst erbracht werden. Dabei gilt grundsätzlich, dass die Beschäftigung der Betreuungsperson durch den Anbieter des Betreuten Wohnens auf der Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung zur erfolgen hat. Dies bedeutet, dass eine rein ehrenamtlich-freiwillige Gewährleistung der Erbringung der Grundleistungen infolge der damit verbundenen „Vollzugs- und Umsetzungsrisiken“ nicht in Betracht kommen kann. Denkbar sind Arbeitsverhältnisse wie auch sog. Freie Mitarbeiter-Verträge“ sowie Vereinbarungen über die Erbringung regelmäßiger, gesicherter ehrenamtlicher Tätigkeit. Dies gilt auch bei mehrstufigen Konstellationen, wie z. B. den „Subunternehmer–Modellen“. Zweitens muss dieses Personal für die Aufgabe entsprechend qualifiziert sein. Das Anforderungsprofil für die Betreuungspersonen im Betreuten Wohnen gilt als Grundsatz, dass die Betreuungsperson die erforderliche Eignung aufweisen und die erforderlichen Kenntnisse besitzen muss, um die ihr obliegenden Informations-, Beratungs- und Koordinationsfunktionen erfüllen zu können. In Bezug auf die Befähigungen und Eigenschaften gilt, dass es sich um allgemeine Fähigkeiten handelt, wie z. B. Kommunikationsfähigkeit, Planungs-, Organisations- und Vermittlungskompetenz, die Fähigkeit zu Initiierung von bürgerschaftlichem Engagement und von Selbsthilfe der Bewohner, wie aber auch die Fähigkeit, sich auf die Situation der die Betreuungsdienstleistung nachfragenden Bewohner einstellen zu können. Dies ist bei Vorliegen einer Ausbildung in der Altenpflege, Krankenpflege, Hauswirtschaft und/oder Sozialarbeit als gegeben anzusehen. Wenn eine Ausbildung in Altenpflege, Krankenpflege, Hauswirtschaft und/oder Sozialarbeit nicht gegeben ist, so muss die Betreuungsperson alternative Fort– und Weiterbildungsqualifikationen erfüllen. Dies wird in der Regel nur durch den Besuch von (kostenpflichtigen) Schulungsangeboten ermöglicht werden können. Es ist belegt, dass sich im Kreis der Betreuungspersonen eine Vielzahl von Quereinsteigern findet, die diesen alternativen Voraussetzungen ohne Weiteres entsprechen, ohne weitergehende formelle Qualifikationen zu erfüllen, ohne dass irgendwelche Qualitätseinbußen zu verzeichnen wären. Im Bereich der Kenntnisse, die die Betreuungsperson aufzuweisen hat, sind dies zunächst Kenntnisse in Bezug auf die Wohnanlage. Hinzu kommen allgemeine Kenntnisse, z. B. in Gestalt von sozialrechtlichen-, gerontologischen- und Erste-Hilfe-Kenntnissen. Maßstab ist, dass die Betreuungs- und Informations- sowie Organisationsaufgaben erfüllt werden können.
Personelle Anforderungen in quantitativer Hinsicht Neben den zu erfüllenden qualitativen Kriterien steht in quantitativer Hinsicht, dass der Anbieter der Betreuungsleistungen in der Wohnanlage für die Betreuungsfunktion eine Perso-
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nalstärke/-besetzung vorzuhalten hat, um die obligatorischen Betreuungsleistungen (Grundleistungen) erbringen zu können. Erfahrungswerte in Anlehnung an die erwähnten Standards zeigen, dass in einer betreuten Wohnanlage, die bedarfsgerechte Leistungen erbringen bzw. den gewöhnlich vorzufindenden Mieteransprüchen genügen will, je Wohneinheit mindestens eine 0,01-Vollzeitstelle vorgehalten werden muss. Das bedeutet unter Gewährleistung von Urlaubs- und Krankheitsvertretungen pro Wohneinheit (bei einer 40-h-Woche also rd. 160 h/ Monat) eine Personalkapazität von etwa 2 Stunden/Monat, sprich bei einer Wohnanlage von z. B. 6 Wohnungen rd. 12 Stunden/Monat, also 3 Stunden/Woche für die Betreuungstätigkeit vorgehalten werden muss. Dies verursacht Personalkosten unter Zugrundelegung von Marktkonditionen/Pflegemindestlohn in Höhe von rd. 250 € (Arbeitgeberbrutto). Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die Präsenz vor Ort, z. B. in Sprechstunden, geringer sein kann. Allerdings zeigt das Beispiel auch, dass selbst bei Einhaltung 1 : 0,01-Quote u. U. „Kleinheitsprobleme“ auftreten können, die qualitative Schwächen im Angebot evozieren können, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die örtliche Präsenz – ohne Berücksichtigung von Vorbereitungsarbeiten, Wahrnehmung von Terminen außerhalb der Wohnanlage und unter Vernachlässigung von Veranstaltungen unter der Regie der Betreuungsperson – dann nur eine Stunde jeden zweiten Tag umfasst.
7.1.5 Anforderungen an die Transparenz und Informationen vor Vertragsschluss Die zu stellenden qualitativen Anforderungen im Bereich Transparenz und Information sollen abgesicherte Entscheidungen von Interessenten gewährleisten. Sie dienen der Produkttransparenz und dem Schutz des Nutzers vor „Mogelpackungen“. Es handelt sich daher um Informationspflichten, die der Anbieter vor Vertragsschluss zu erfüllen hat. Sie beziehen sich erstens auf die Wohnanlage mit den Detailkategorien Vermieter, ggf. Verkäufer, mit Anschrift und Kontaktdaten, Baujahr, Größe (Wohnungsanzahl), Art und Umfang der Gemeinschaftseinrichtungen (z. B. Pflegebad, Lesezimmer, Café, Sauna, Sport, Veranstaltungsräume etc.) sowie zweitens auf das Vorhandensein anderer Dienstleistungsangebote auf dem Areal und – last not least – drittens die Barrierefreiheit des Gebäudes und die Erschließung des Gebäudes wie auch der Wohnungen. In Bezug auf die Wohnung müssen die Informationen u. a. Angaben zur Wohnungsgröße, Zuschnitt und Grundriss sowie Lage der (von Interessenten ins Auge gefassten) Wohnung innerhalb der Anlage, ihre Ausstattung, Möglichkeiten der Installierung von Zusatzeinrichtungen (z. B. Waschmaschine), die Infrastruktur zum Anschluss eines Hausnotrufgeräts, die Zulässigkeit der Haltung von Haustieren sowie auch hier die Einhaltung der DIN 18040 umfassen. Ferner ist zu informieren über die Grundleistungen mit Angaben zum Träger der Betreuungsleistungen, dessen Leistungskatalog und die Ansprechpartner sowie die Wahlleistungen,
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z. B. hinsichtlich der freien Wählbarkeit der Leistungen und Dienstleister, der Leistungskataloge und der Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern. Gleiches gilt für das Betreuungskonzept, u. a. mit Informationen über die Grenzen des Leistungsangebots. Auch über die Kosten sowohl bzgl. der Wohnung (z. B. Miete/qm/Monat, Mietnebenkostenvorauszahlung/qm/Monat, Kosten eines PKW-Stellplatzes) als auch zu den Grundleistungen (mtl. Kosten für eine Person bzw. Paare) und den Wahlleistungen (Preisliste) sowie etwaigen einmaligen Kosten bei Vertragsabschluss ist der potenzielle Nutzer zu informieren. Wird die Leistung von zwei Leistungserbringern kooperativ erbracht, so ist festzulegen, wer für was zuständig ist, sprich: wer welche Informationspflichten zu übernehmen hat und wie dies koordiniert wird.
7.1.6 Anforderungen an die Vertragsgestaltung Ein weiterer wesentlicher Bereich ist die Vertragsgestaltung im Betreuten Wohnen. Dies betrifft das Nutzungsverhältnis, also in der Regel den Mietvertrag, genauso wie den Betreuungsvertrag bzw. den Servicewohnvertrag, wenn keine Trennung in unterschiedliche Vertragswerke vorliegt. Die formellen Anforderungen an die Vertragsgestaltung dienen primär dem Schutz des Bewohners und Dienstleistungsempfängers in seiner besonderen Situation als älterer Mensch, ggf. im Status altersbedingt reduzierter intellektueller Fähigkeiten oder körperlicher Handicaps, wie z. B. Sehschwäche. Im Einzelnen betreffen sie Form und Gestalt der Verträge mit den Detailanforderungen guter Lesbarkeit und leichter Verständlichkeit, klarer Gliederung und übersichtlicher Gestaltung und Transparenz der Vertragsregelungen in Bezug auf die Vertragspartner, die Zuordnung von Leistungen in inhaltlicher Art in Bezug auf den Leistungserbringer wie auch auf die Leistungskategorien. Die materiellen Anforderungen, die vom Leistungserbringer erfüllt werden sollten, haben ebenfalls primär verbraucherschützenden Charakter. Erstens muss der Leistungsumfang klar beschrieben sein und es muss in dem Vertragswerk geregelt sein, dass sich das Produkt „Betreutes Wohnen“ materiell abgrenzt zur Vollversorgung in einem „Heim“ bzw. von einer Versorgungsstruktur in einer Wohngemeinschaft mit Betreuungsleistungen. Das erfordert, dass in der vertraglichen Gestaltung des Betreuten Wohnens – sei es in zwei Verträgen (Miet- und Betreuungsvertrag) oder in einem einheitlichen Vertragswerk (Servicewohnvertrag) – klar geregelt ist, dass das Leistungsangebot des Betreuten Wohnens nur die Leistungskomponenten Wohnen und Grundleistungen umfasst und der Bewohner die absolute Wahlfreiheit bezüglich der Wahlleistungen hat. Zweitens muss die Vertragsgestaltung einerseits die Regelung des Wohnens und andererseits die Regelung der Grundleistungen umfassen, wobei Mietvertrag und Betreuungsvertrag
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einander in der Weise bedingen, dass das mietvertragliche Element nicht von dem dienstvertraglichen getrennt werden kann. Im Hinblick auf die Wahlleistungen ist drittens die genaue Bezeichnung möglicher Betreuungsträger und Leistungen zweckmäßig, wobei jedoch keine Bepreisung im Vertrag vorgesehen sein muss (Drittanbieter!). Sowohl aus der Perspektive der Anbieter wie auch der Mieter ist die Koppelung der Leistungsmodule „Wohnen“ und „Betreuung“ vertraglich sicherzustellen, um das Angebot stabil und damit nachhaltig zu machen.
7.1.7 Anforderungen an die Qualitätssicherung Qualität fällt nicht vom Himmel: Daher sind Qualitätssicherungsmaßnahmen Teil der Qualitätsanforderungen in Bezug auf Betreutes Wohnen. Angesichts der Relevanz wird dieser Komplex nachfolgend besonders hervorgehoben dargestellt. Die Qualitätssicherung im Betreuten Wohnen umfasst zwei Bereiche: einerseits das Instrument der Bewohnerbefragung und andererseits das sog. „Beschwerdemanagement“.
Bewohnerbefragungen Qualitätsgesichertes Betreutes Wohnen ist auf der einen Seite das Ergebnis der Erfüllung der vorgenannten qualitativen Anforderungen. Betreutes Wohnen ist aber auf der anderen Seite nicht statisch, sondern unterliegt der Dynamik sich wandelnder Mieterbedürfnisse. Beidem will die DIN 77800 – Betreutes Wohnen dadurch gerecht werden, dass in der Norm die Bewohnerbefragung als turnusmäßiges Controlling der Leistungen etabliert wird. Die in der Bewohnerbefragung zu behandelnden Fragen werden demzufolge dezidiert geregelt. Sie betreffen alle Leistungsbereiche – Wohnen wie Betreuungsleistungen. Wenngleich die Norm – historisch bedingt aufgrund der personellen Zusammensetzung des Normenausschusses – „hyperdetaillierte“ Anforderungen aufstellt, so ist doch letztendlich für die für jede Wohnanlage spezifisch zu entwickelnde Befragung ausschlaggebend, repräsentative Aussagen zu bekommen. Dies wird durch die Erfüllung von Anforderungen in formeller und organisatorischer Hinsicht sichergestellt. Dies betrifft die Vorbereitung der Befragung, die Sicherstellung der Vertraulichkeit, die Gestaltung des Fragebogens und – last not least – die Ergebnisdarstellung und -interpretation. Ziel muss stets sein, das Instrument tauglich zu machen und aussagefähige Ergebnisse zu erreichen. Aus dem Blickwinkel des Verfassers als Auditor für die DIN 77800 – Betreutes Wohnen ist die Erreichung einer hinreichenden Aussagekraft bzgl. der Kernbereiche des Leistungsbilds eine größere Bedeutung zuzumessen als der Detaillierung von Fragen, die von der älteren Zielgruppe nicht oder nicht valide beantwortet werden (können). Die Bewohnerbefragung ist erstmals spätestens zwei Jahre nach Eröffnung der betreuten Wohnanlage und dann in mindestens dreijährigem Turnus durchzuführen.
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Beschwerdemanagement Neben den zeitlich gestreckten Bewohnerbefragungen ist ein qualifiziertes Beschwerdemanagement für die Qualitätssicherung zentral. Das Beschwerdemanagement ist in einem schriftlichen Konzept unter Regelung der Zuständigkeiten und Verfahren niederzulegen. Alle Beschwerden sind unter Angabe der eingeleiteten Maßnahmen zu dokumentieren und diese Dokumentation muss jährlich ausgewertet werden. Ziel ist, dass auf dieser Grundlage qualitätserhöhende Maßnahmen initiiert und umgesetzt werden, um die erkannten Schwachpunkte auszumerzen, und zwar bezogen auf den konkreten Beschwerdefall wie auch im Hinblick auf die Sicherung der Angebotsqualität generell.
Zusammenfassung Bei den Normanforderungen in Bezug auf die Qualitätssicherung wird besonders deutlich, dass es sich hier um „Mindestanforderungen“ handelt. So werden z. B. Compliance-Standards nicht adressiert, aber vor allem genau so wenig ausgeschlossen wie weitergehende Maßnahmen und Vorkehrungen in der Aufbau- und Ablauforganisation der Anbieter. Ganz im Gegenteil: Solche weitergehenden QS-Strukturen und die in ihnen verankerten Maßnahmen sind sinnvoll. Insofern werden bei – größeren – Anbietern die betreuten Wohnanlagen standardmäßig in die unternehmensweiten QM-Systeme eingebunden.
7.2 Laufende Qualitätssicherung Die – initiale – Implementierung und – initiale – konzeptionelle Realisierung der obigen Qualitätskriterien ist das eine. Das andere ist, die laufende Sicherstellung der konzeptionell definierten Qualität. Es wäre irrig zu meinen, Konzepte und Strukturen gewährleisten eo ipso die angestrebte Leistungsqualität. Zwingend ist Monitoring, wobei dies intern wie extern oder auch in Kombination erfolgen kann.
7.2.1 Interne Qualitätssicherung Über die Bewohnerbefragungen und ein eingerichtetes Beschwerdemanagement hinaus, ist es für die Leistungsanbieter zunächst geboten, die Angebotsqualität, die Eignung und Aufgabenerfüllung der Mitarbeiter wie auch die finanzielle Zielerreichung zu monitoren, Abweichungen von dem (Qualität-)Soll zu erfassen und – wenn notwendig – Steuerungsmaßnahmen zu ergreifen. Insofern ergeben sich für Angebote des Betreuten Wohnens keine Besonderheiten.
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7.2.2 Externe Qualitätssicherung Darüber hinaus steht den Anbietern das Instrument der externen Qualitätssicherung qua Zertifizierung zur Verfügung. Insofern wird im Einzelnen auf Obiges verwiesen (Kapitel 3.6).
7.3 Zusammenfassung Qualität tut Not: Betreutes Wohnen ist gerade aktuell in den Fokus insbesondere der Immobilienwirtschaft gerückt und wohl auf Dauer seinem langjährigen Dornröschenschlaf entflohen. Was insofern auf der einen Seite zu begrüßen ist, da der evidente Mangel an dieser bedarfsgerechten Wohnform reduziert wird, zwingt aber auf der anderen Seite, die gegenwärtige Entwicklung im Hinblick auf Qualität und Qualitätssicherung aufmerksam im Blick zu halten. Das Geschäftsmodell Betreutes Wohnen ist nicht etwa deswegen schlecht, weil es als Geschäftsmodell attraktiv ist, ganz im Gegenteil. Schlecht i. S. von den Nutzbedarfen nicht gerecht werdend ist es dann, wenn die obigen Mindeststandards nicht gewahrt werden. Für Qualitätsanbieter liegt daher die externe Qualitätssicherung qua Zertifizierung nahe: extern attestierte Bau- wie Dienstleistungsqualität schafft USPs und differenziert das Angebot – gleich ob es sich um ein Mietmodell, Eigennutzer- oder Kapitalanlagemodell handelt.
Interne Qualitätssicherung - Monitoring - Qualitätszirkel - Beschwerdemanagement - Mieterbefragung
Gesicherte Qualität
Qualitätssicherungskonzept
Externe Qualitätssicherung - Zertifizierung - Mystery Shopping
Abbildung 21: Qualitätssicherung
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8 Betreutes Wohnen im Verbund Wie bereits oben skizziert, ist Betreutes Wohnen ein Wohnangebot, das voraussetzt, dass die Mieter in der Lage sind, ihren Haushalt eigenständig zu führen, nur eben mit einem Netz der Basisabsicherung. Dieses ist bei zunehmendem Hilfe- und Unterstützungsbedarf unzureichend. Häusliche Pflege in der eigenen Wohnung ersetzt nicht eine stunden- oder tageweise Betreuung. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Person allein ohne stabiles soziales Umfeld mit Unterstützungspotenzial lebt und ggf. von beginnenden demenziellen Einschränkungen betroffen ist. Daher ist Betreutes Wohnen stets im Kontext mit weiteren Entlastungsangeboten wie auch Wohn- und Versorgungsformen zu denken. In welcher Weise dies dazu geeignet ist, hängt davon ab, welche auslösenden Faktoren für eine Einbettung von Betreutem Wohnen in einen Verbund anderer Leistungsmodule maßgeblich sind (dazu unten Kapitel 8.1, S. 137 f.), welche ordnungsrechtlichen, insbesondere einrichtungsrechtlichen Rahmenbedingungen Gestaltungsoptionen eröffnen bzw. Grenzen für Gestaltungen ziehen (dazu unten Kapitel 8.2, S. 138 ff.) und welche Vorgaben die Betriebswirtschaft mit dem Ziel, ein nachhaltiges Angebot zu erzielen, macht (dazu Kapitel. 8.3, S. 140 ff.).
8.1 Auslöser und Ausprägungen Das Thema der Einbettung von Betreutem Wohnen in andere ambulante wie auch stationäre (Wohn-)Angebote basiert auf folgender „Hierarchie“ oder „Nachfragepyramide“: – 1. Stufe: Ambulante Pflege – Betreutes Wohnen zu Hause – 2. Stufe: Betreutes Wohnen – 3. Stufe: Ambulant betreute Wohngemeinschaften – 4. Stufe: Teil- und vollstationäre Altenhilfeeinrichtungen – 5. Stufe: Medizinische Leistungskomponenten, Rehabilitation sowie über die pflegerische Versorgung hinausgehende geriatrische (klinische-) Angebote. Diese Entwicklung ist auch der Auslöser für die „moderne“ Einrichtungsgesetzgebung der Bundesländer mit ihrer Tendenz, alle seniorenspezifischen Angebotsformen, die aus Wohnen in Verbindung mit Betreuungs-/Pflegeleistungen bestehen, auch in gegenseitiger Abgrenzung gesetzlich zu regeln. Im Hinblick auf das Thema Wohnen ist dabei von erheblicher Relevanz, dass im Spannungsfeld zwischen „Wohnen mit Dienstleistungen in einem eigenen Zuhause“ und „Wohnen im Heim mit Vollversorgung unter der Gesamtverantwortung eines Trägers“ oder ähnlichen Angeboten mit dem Charakter einer „Rund-um-Versorgung“ bei zunehmender Betreuungsund Hilfebedürftigkeit möglicherweise verbunden mit Selbstgefährdungsrisiken Betreutes
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Wohnen nicht das leisten kann, was andere, speziell auf demenzielle Erkrankungen ausgerichtete Angebote leisten können. Dennoch ist erwiesen, dass das frühe Einziehen in betreute Wohnanlagen einhergeht mit einer späteren Pflegebedürftigkeit und einer späteren intensiven Hilfebedürftigkeit. Dies beruht nicht zuletzt auch auf den in diesen Wohnanlagen angebotenen sozialen und kulturellen Aktivitäten, die durch die Einbindung der Bewohner der „Asozialisierung“, Vereinzelung und Vereinsamung – als mitentscheidende Auslöser für demenzielle Erkrankungen – nachhaltig entgegenwirken. Betreutes Wohnen befindet sich also insofern im Spannungsfeld zwischen Leistungsfähigkeit und ihren Grenzen, weswegen insofern gerade das Thema der Leistungsverbünde und Leistungsketten sowohl von Anbieterseite wie aber auch von Nachfrageseite besondere Relevanz gewinnt. Betreutes Wohnen als Stand-alone in der Gestalt „mehr Wohnen“ und „weniger Wohnen mit Service“ ohne die Vernetzung mit stationärer Altenhilfe, ambulanten Dienstleistungen und sozio-kulturellen Angeboten im Quartier oder im Ort ist nachhaltig nicht vorstellbar. In der Umsetzung finden sich daher alle denkbaren Kombinationen. Welche die „richtige“ ist, kann nicht abstrakt im Sinn einer „Blaupause mit Erfolgsgarantie“ beantwortet werden. Die Antwort hängt von dem Standort, der Angebots- wie der Nachfragestruktur und der Kompetenz der Leistungsanbieter ab.
8.2 Ordnungs- und einrichtungsrechtliche Aspekte Bei der Gestaltung von Verbundangeboten, die Betreutes Wohnen einschließen, muss zwingend, um die Angebotsstruktur und die daraus resultierende Wirtschaftlichkeit – sowohl die Wirtschaftlichkeit des Dienstleistungsangebots wie auch die der Immobilien – zu sichern, scharf auf die Vermeidung der – unbewussten – Schaffung von „Heimstrukturen“ geachtet werden. Wird nämlich ein Betreutes Wohnen ordnungsrechtlich als Betreuungseinrichtung/ Heim klassifiziert, so gelten völlig andere Bau- wie Betriebsanforderungen. In betrieblicher Hinsicht reicht es nicht mehr aus, eine Grund- und Wahlleistungsstruktur zu schaffen, vielmehr ist ein „Gesamtversorgungsangebot“ verlangt, also Wohnen plus Betreuung plus Pflege. In baulicher Hinsicht gelten die Heimbauvorschriften mit spezifischen Flächenanforderungen sowie Anforderungen an die Raumstruktur, die bauliche Gestaltung (z. B. Barrierefreiheit). Diese aufwendigeren Anforderungen wollen auf der einen Seite von Anbietern Betreuten Wohnens nicht erbracht werden und können in der Regel von diesen auf der anderen Seite auch nicht erbracht werden, jedenfalls nicht in einem wirtschaftlichen Rahmen, den Wohnen mit Service bietet und verlangt. Die wirtschaftliche Problemlage beginnt mit der Vertragsgestaltung, für die nicht länger die oben (insbes. in Kap. 6.3, S. 83 ff.) beschriebene Struktur mit den dort skizzierten Rege-
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lungsinhalten gilt, weil nämlich das WBVG mit seinen Sonderregelungen maßgeblich ist. Es geht weiter mit der andersartigen leistungsrechtlichen Einordnung, die ein derartiges „Gesamtversorgungsangebot“ erfährt, denn mit der einrichtungsrechtlichen Umqualifizierung geht das Risiko einer leistungsrechtlichen Umqualifizierung einher: Die Wohnung ist nicht mehr ein geeigneter Ort für die Erbringung häuslicher Krankenpflege, mit der Konsequenz, dass ein stationäres Leistungsbild mit stationärer Refinanzierung an die Stelle der ambulant strukturierten und refinanzierten Versorgung tritt. Stets ist also auf „Typenklarheit“ zu achten, wobei die Vorgaben für diese „Typenklarheit“ aus den jeweiligen Landeseinrichtungsrechten zu gewinnen sind. Bezogen auf die denkbaren Typen, die in einem solchen Verbund vertreten sein können, heißt dies grundsätzlich – ungeachtet etwaiger landesheimrechtlicher Einzelheiten – Folgendes: 1. Jedes Angebot muss als eigenständiges Angebot konzeptionell gestaltet und betrieblich realisiert werden. 2. Eine wechselseitige rechtliche Verknüpfung der verschiedenen Angebote ist zu vermeiden. 3. Eine personelle Verquickung, ein „Hin-und-Her-Switchen“ von Mitarbeitern ist nicht zulässig. 4. Im Außenauftritt ist jeder Eindruck zu vermeiden, dass das Verbundangebot ein „Gesamtversorgungsangebot“ ist bzw. ein solches substituieren soll. Konkret bedeutet dies: 1. Jedes der Angebote ist aufgrund einer eigenständigen vertraglichen Regelung zu erbringen. 2. Selbst jede faktische Kopplung ist zu vermeiden. 3. Bei einer – in Regel gegebenen – einheitlichen Leitung/Standortleitung ist darauf zu achten, dass jedenfalls die Funktionen der Leitung Pflege und Leitung Betreutes Wohnen auf verschiedene Personen verteilt werden. Das heißt, dass jedes Angebot als eigenständiges Modul zu betrachten, zu gestalten (rechtlich wie auch tatsächlich) und dann auch tatsächlich umzusetzen ist. Dabei reicht es nicht aus, eine „saubere Papierlage“ zu schaffen; zu gewährleisten ist die tatsächliche modulare Trennung der Leistungsbereiche. Bezogen auf die regelhaft vorkommende Konstellation des Betreuten Wohnens mit benachbartem Tagespflegeangebot bedeutet dies beispielsweise, dass in den vertraglichen Regelungen zum Betreuten Wohnen nicht obligatorisch der Besuch der Tagespflegeeinrichtung vorgesehen werden darf. Der Ausschluss der Wahlfreiheit in Bezug auf teilstationäre Angebote und Leistungen bedeutet, dass der Regelungstyp Betreutes Wohnen verlassen wird. Gleiches gilt in Bezug auf Pflegeleistungen generell.
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Selbst bei einem „exklusiven“, nur auf das benachbarte Betreute Wohnen zugeschnittenen Tagespflegeangebot – ohne vertragliche Koppelung – ist Vorsicht geboten, weil dies signalisiert, dass die Wirtschaftlichkeit der Tagespflege von der Nutzung durch die Mieter des Betreuten Wohnens abhängt. Diese Erwägungen gelten auch dann, wenn ein Pflegedienst aufgebaut wird, der nur für die Mieter des Betreuten Wohnens arbeiten soll – vor allem dann, wenn suggeriert wird, dass die (obligatorische) Inanspruchnahme dieses Dienstes das Betreute Wohnen zur Alternative einer vollstationären Versorgung in einem Altenpflegeheim werden lässt. Gleiches gilt auch, wenn in baulicher Beziehung Flächen gemeinsam genutzt werden sollen. Ein Beispiel ist die Positionierung eines Gemeinschaftsraums einer Tagespflege im Herzen einer Verbundanlage und die konzeptionell vorgesehene institutionalisierte, regelhafte Nutzung durch Mieter des Betreuten Wohnens, der Tagespflege und womöglich einer vollstationären Einrichtung, die zudem auch noch von Mitarbeitern des (teil-)stationären Angebots betreut und versorgt werden. Schon die Kostenintransparenz (Wer bezahlt eigentlich was für welche Nutzung?) deutet in solchen Fällen auf ein „integriertes“ und kein „modulares“ Angebot hin. In Bezug auf den Personaleinsatz ist auf Abgrenzung der Aufgaben und des dafür eingesetzten Personals zu achten. Dies erfordert eine entsprechende konzeptionelle Festlegung, entsprechende Stellenbeschreibungen und auch die tatsächliche Umsetzung. Dies gilt auch im Hinblick auf die Organisation der Leitungsstrukturen und -funktionen, wie bereits oben angesprochen. Wenn also – insbesondere unter einem Dach – mehrere derartige Angebote gemacht werden sollen, ist unbedingt auf die Modulierung der Leistungsstruktur, das „unvollständige“ Leistungsbild und dessen „Vermarktung“ als modulares, vom Kunden zu figurierendes Angebot zu achten und alles zu vermeiden, was eine „Einheitlichkeit des Gesamtangebots“ begründen könnte.
8.3 Wirtschaftlichkeitsaspekte Polymodulare Verbundangebote werden häufig aus dem Kalkül der Erzielung summierter Umsätze oder der Nutzung von Synergien gedacht. Zweifelsohne ist die Wirtschaftlichkeit derartiger Angebote höher. Es gilt aber auch und insbesondere der Grundsatz, dass sich die Module getrennt „tragen“ müssen.
8.3.1 Die Problematik von „Quersubventionierungen“ Verbundangebote verleiten zur integrierten Betrachtung der Wirtschaftlichkeit, was häufig damit einhergeht, dass „Quersubventionierungen“ kalkuliert werden. Die oben dargestellte
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Notwendigkeit der Trennung der Module verbietet eine Kalkulation, die auf scheinbar ertragreichere Module schielt. Jedes Modul muss in sich nachhaltig wirtschaftlich sein, um einerseits dem Risiko der einheitlichen Betrachtung der verschiedenen Leistungen entgegenzuwirken, andererseits aber auch zu vermeiden, in wirtschaftliche Schieflagen zu geraten, wenn ein Modul, vor allem ein „subventionierendes“ wegfällt oder erlös-/ertragsreduzierend modifiziert werden muss. Dies bedingt, dass jedes Angebotsmodul eines mehrgliedrigen Verbundangebots in sich kalkuliert und bepreist werden sollte. Bei einem Nebeneinander von ambulanten und (teil-) stationären Angeboten ist dies schon in sich selbst unausweichlich, um die Wirtschaftlichkeit der isoliert zu verhandelnden Angebote belegen und so angemessene Vergütungen verhandeln zu können. In Bezug auf die Mietkosten (Kaltmiete und Betriebs- und Nebenkosten) versteht sich das bei unterschiedlichen Leistungserbringern von selbst. Aber auch bei „Alles-aus-einer-HandModellen“ sollte der generalanmietende Dienstleister keine Mietsubventionierung betreiben. Gleiches gilt umgekehrt für die Dienstleistungsvergütungen. Nur eine isolierte Kalkulation gewährleistet wirtschaftliche Nachhaltigkeit vor allem in dem Fall, dass das Angebot im Hinblick auf die Struktur der Leistungserbringerseite modifiziert werden muss oder sich Prämissen nicht realisieren. Das betrifft insbesondere Erwartungen in Bezug auf ambulante Versorgungsquoten, die Erzielung von Auslastungen anderer Leistungsmodule und so erreichbare Umsätze. Zudem erlaubt nur eine leistungsbezogene Kalkulation, etwa Entgelterhöhungen im Bereich der Dienstleistungen umzusetzen.
8.3.2 „Sonderkonstellationen“ Unabhängig von diesen grundsätzlichen Erwägungen seien noch zwei Einzelkonstellationen besonders angesprochen:
Betreutes Wohnen plus Tagespflege Die erste ist die Konstellation der faktischen Verbindung von Betreutem Wohnen und Tagespflege, was unabhängig von ordnungsrechtlichen Aspekten die Problematik von sog. „Stapelleistungen“ birgt. Betreutes Wohnen in Verbindung mit Tagespflegeangeboten hat nämlich einen gewissen wirtschaftlichen Reiz dadurch, dass ein Wohnen mit Grundleistungsangebot angereichert werden kann mit den Leistungen der Tagespflege – mit der Konsequenz, dass auf der einen Seite in der Tat ein längeres Wohnen in den eigenen vier Wänden erfolgen kann, was nun wiederum Potenziale für ambulante Pflege schafft. Allerdings ist nicht nur im Blick zu behalten, dass dieses zum Teil von Anbietern überzogene Modell in die Kritik geraten ist und bereits in der Diskussion um die „Pflegereform 2021“ leistungsrechtlich ge-
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kippt werden sollte, sondern es bietet auch eine offene Flanke in den Fällen, in denen die Prämissen für eine Auslastung der „eigenen“ Tagespflege des Anbieters des Betreuten Wohnens scheitern.
Betreutes Wohnen plus Wohngemeinschaften plus Tagespflege Die zweite Konstellation ist die zuweilen vorzufindende Strategie, Betreutes Wohnen um ambulante Wohngemeinschaften und eine Tagespflege zu ergänzen und die Auslastungsplanung darauf abzustellen, dass das Betreute Wohnen primär die Funktion des „Nachschubs“ an Nutzern für die Wohngemeinschaften hat und die Tagespflege durch die Nutzer der Wohngemeinschaften ausgelastet wird. Letzteres ist weniger ein Problem des u. U. so wegfallenden Wohngruppenzuschlags als vielmehr ein operatives Problem: Tagespflege ist ein punktuell in Anspruch zu nehmendes Angebot und nicht jeder Nutzer einer Wohngemeinschaft (wie auch nicht jeder Mieter im Betreuten Wohnen) ist stets „geplant“ fähig, die Tagespflege zu besuchen. Eine personal- und damit kostenmäßige Entlastung in Bezug auf die Betreuungsleistungen wird sich, wenn überhaupt, in nur eingeschränktem Umfang realisieren lassen. Dies ist in der Regel den Aufwand, die konzeptionellen Friktionen und vor allem auch das ordnungsrechtliche Risiko der Mutation zu einem Gesamtversorgungsangebot nicht wert. Das Erstgenannte (Betreutes Wohnen als Instrument der Zulieferung von Nutzern für Wohngemeinschaften) übersieht, dass die Betreuungs- und Pflegebedarfe von Mietern des Betreuten Wohnens – jedenfalls in den ersten Jahren – nicht so hoch sind, als dass sie einer 24-Stunden-Betreuung bedürften. Kurz: Bei der Entwicklung der diversen Module jeweils auf andere zu schauen, ist höchst kritisch. Beides stützt die hier vertretene modulare Sichtweise und die Empfehlung, jedes Modul in sich wirtschaftlich nachhaltig zu gestalten.
8.3.3 Zusammenfassung Die Wirtschaftlichkeit einer betreuten Wohnanlage im Verbund ist primär für sich zu betrachten. Erst in einem weiteren Schritt sollten andere komplementäre Module einbezogen werden.
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9 Vorgehen in Projekten Erfolgreiches, nutzer- wie auch investoren- und leistungsanbietergerechtes Betreutes Wohnen fällt nicht vom Himmel: Es ist kein Zufallsergebnis, sondern das Ergebnis einer systematischen Projektentwicklung – von der Idee bis zur Inbetriebnahme. Das bedeutet für die Praxis, den Prozess von der Idee bis zum Tag des Einzugs zu gestalten, und zwar so, dass in der Entwicklungsphase das Fundament für ein erfolgreiches Projekt gelegt wird.
9.1 Von der Idee zum Konzept Die Idee zu haben, eine betreute Wohnanlage zu schaffen, ist naheliegend: Nicht nur die Demografie, sondern auch der bei den potenziellen Nutzern vorhandene Trend „weg vom Heim, hin zu ambulant strukturierten, polymodularen Wohn- und Betreuungsformen im Alter“ führt zum Gedanken, Wohnen mit Dienstleistungen zu initiieren, um diese Bedarfslage zu decken. Eine Idee ist aber noch kein – nachhaltig tragfähiges – Konzept, das nach Realisierung Erfolg verspricht. Die Konzeptarbeit ist in der Entwicklungsphase die Weichenstellung. Sie kann entweder vom Dienstleister bzw. vom Investor autonom betrieben erfolgen oder in Partnerschaft zwischen Investor/Vermieter und dem potenziellen Dienstleister. Daher ist als erste Frage zu beantworten: allein oder kooperativ? Und daran schließt sich die zweite Frage an: wenn kooperativ, dann mit wem und wie ausgestaltet.
9.1.1 Allein oder kooperativ? Diese Alternative „Alles aus einer Hand in Eigenregie“ oder „Arbeits- und Funktionenteilung“ ist häufig eine Philosophiefrage, aber auch eine Frage mit wirtschaftlicher Relevanz, z. B. wenn eine Exit-Strategie verfolgt wird, die ein einheitliches Dienstleistungsangebot braucht. Die erste Entscheidung ist maßgeblich davon abhängig, welche Ziele der Initiator, sei es ein Dienstleister oder ein Investor, verfolgen und welche Ressourcen vorhanden sind: – Was ist die Zielsetzung des Initiators/der Kooperationspartner? – Welches Know-how ist vorhanden? – Welche finanziellen/personellen Ressourcen stehen zur Verfügung? – Was kann selbst geleistet werden, wofür muss ggf. externer Sachverstand herangezogen werden? – Wie ist der Zeithorizont, sowohl in Bezug auf die Entwicklungs- wie auch die Investment-/Betriebsphase?
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– W elche Marktpositionierung ist gegeben? – Welche Marktpositionierung soll in welcher Zeit erreicht werden? Kriterien für den Investor in Bezug auf den Dienstleistungspartner sind u. a. speziell: – Marktpräsenz seines potenziellen Dienstleistungspartners, – Managementqualität, – Erfahrungen im Angebotssegment.
9.1.2 Wenn kooperativ, dann: mit wem und wie? Kommt der Initiator zum Ergebnis, das Projekt nicht allein stemmen zu können und daher einen Partner aus dem jeweils anderen, komplementären Bereich zu brauchen, so ist die Frage zu klären, anhand welcher Kriterien die Auswahlentscheidung zu treffen ist. Kriterien für den Dienstleister in Bezug auf den Investorenpartner sind u. a. speziell: – Strategische Zielsetzung des Investors, – Marktkenntnisse/Erfahrungen, – Vertriebs-/Vermietungsstärke (wenn keine Generalanmietung und Vermarktung des Objekts durch den Dienstleister), – Finanzkraft, – Kooperationsfähigkeit, – ... Für den immobilienseitigen Investor sind es Kriterien wie: – strategische Zielsetzung des Dienstleisters, – qualitative Eignung des Dienstleisters, ggf. auch seine „Bankability“ (jedenfalls, wenn er als Generalmieter agieren will/soll), – Marktpositionierung/bereits vorhandene ergänzende Angebote (wie z. B. Tagespflege, vollstationäre Angebote ...), – Marktkenntnisse/Erfahrungen, – Kooperationsfähigkeit. – ... Der Auswahl des „richtigen“ Kooperationspartners ist angesichts des regelmäßig gegebenen hohen finanziellen Umfangs des Investments beim immobilienseitigen Initiator wie auch des nicht unerheblichen Vorlaufaufwands beim Dienstleister elementar wichtig.
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Genauso ist von elementarer Bedeutung, ein solches Kooperationsverhältnis zu organisieren und vertraglich zu gestalten. Bzgl. der Regelungsbereiche und -inhalte solcher Kooperationsverhältnisse gilt Obiges (siehe Kapitel 6.3.1, S. 103 ff. und 6.3.2, S. 109 ff.).
9.2 Vom Konzept zum Produkt Nach Klärung dieser Fragestellungen ist aus der „Idee“ ein Konzept zu entwickeln, das vier Hauptbereiche zu adressieren hat: – Leistungskonzept „Betreutes Wohnen XXX in ...“ (mit den Kernaussagen zur verfolgten Philosophie, zur Zielgruppe, zum Leistungsbild, – Gebäude wie Dienstleistungen, – Standortanforderungen/-qualitäten, – Projektplanung (Beteiligte, Kosten, Arbeitsschritte, Termine, Meilensteine ...), – Markteinführungsplanung (Mitarbeiter, Vermarktung, ggf. Zertifizierung ...). Nach allen Erfahrungen bietet sich an, in dieser Phase einen externen Berater mit SpezialKnow-how zuzuziehen. Markt- und Standortanalysen, Konzeptionierung des Leistungsbildes, Unterstützung der Architektenplanung, Vertragsgestaltung etc. pp. sind i. d. R. nicht das „tägliche Brot“ eines Investors (insbes. ohne Erfahrungen im Bereich der Service-Immobilien) und schon gar nicht eines initiierenden Pflegediensts. Elemente eines Entwicklungskonzepts – entnommen einem Projekt des DIS Institut für Service-Immobilien – können z. B. vornehmlich sein:
Definition der Rahmenbedingungen – Kommunale Priorisierungen, – ambulante Dienste werden integraler Bestandteil kommunaler und quartiersbezogener Konzepte, – Ziel der quartiersnahen Versorgung ist nur durch Angebotsmix und ambulante Strukturen realisierbar.
Marktanalyse – relevanter Markt, – Soziodemografie, – Wettbewerbssituation „Nischen“/Potenziale.
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Leitüberlegungen als Folgerungen aus der Analyse der Rahmenbedingungen und der Marktanalyse – Betreutes Wohnen schaffen mit qualitativ hochstehendem Dienstleistungsangebot durch einen ambulanten Verbundanbieter, – das Betreute Wohnen in den Kontext anderer Senioren-Wohn- und Dienstleistungsangebote stellen, die das Wohnen mit Dienstleistungen ergänzen, – Möglichkeit der Substitution einer (neuen) vollstationären Einrichtung durch den Verbund von Betreutem Wohnen, anbieterinitiierten Wohngemeinschaften mit Betreuungsleistungen und Tagespflege realisieren.
Entwicklungsstrategie – Schaffung eines integrierten Angebots, denn nur dies kann die Erwartungen der potenziellen Mieter an dem Betreuten Wohnen überhaupt erfüllen, – Verschränkung von Wohn- und qualifizierten Pflege- und Betreuungsangeboten als Entlastungsangebote, – Ergänzung der „Dienstleistungsdichte“ durch quartiersbezogenes Wohnen im Alter mit stabiler Dienstleistungsstruktur, – Quartierskonzept-Vernetzungen, – Integration von AAL–Modulen.
Definition der Module Betreutes Wohnen – – – – – –
80 – 100 WE mit einem Wohnungsgrößen – Mix von 45 qm bis 100 qm, Standardanforderungen erfüllen, Ausstattungsqualitäten gem. der spezifischen Lage und dem Bedarf definieren, (Dienstleistungs-) Qualität gem. DIN 77800 – Betreutes Wohnen, die räumliche Anbindung des „Quartiersgemeinschaftsraums“ beachten, Anordnung in räumlicher Nähe zu den anderen potenziellen seniorenbezogenen Nutzungen, aber ohne einen einheitlichen Komplex zu schaffen.
Evtl.: ergänzende Angebote (anbieterverantwortete Wohngemeinschaften, Tagespflege, Kindergarten ...) Umsetzungsplanung – Ressourcen, – Organisation der Akteure,
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– Maßnahmen, – Termine, – Finanzmittelplanung/Controlling.
Vermarktungsplanung – Organisation (wer, wie?), – Kommunikation/Netzwerke/Werbemittel, – Budget (Mittelplanung/Controlling). (Copyright: DIS Institut für ServiceImmobilien GmbH 2021) Ziel ist, das Produkt zu definieren und das Vorgehen zur Realisierung festzulegen. Papier und Charts sind noch lange kein „Produkt“: Nach der Konzeptdefinition beginnt die „Feinarbeit“, nämlich die Gestaltung der tragenden Angebotselemente, und zwar insbesondere – Konkretisierung der Baulichkeit, Auslegung des Gebäudes und der Wohnungen, Feintuning Wohnungsmix, ergänzende Nutzungen, – Definition von Qualitäten, – Definition des Dienstleistungsportfolios, – Strukturierung des Angebots, – jur. Fixierung in Verträgen etc., – Personalstrategie. Wie und in welcher Tiefe und zu welchem Projektzeitpunkt diese und andere Punkte abzuarbeiten sind, ist im Einzelfall zu bestimmen. Gleiches gilt auch bzgl. der Umsetzungsplanung bzgl. der Inbetriebnahme (Marketing, Netzwerken, Behördenkontakte außerhalb des Bauantragsverfahrens etc.) Die Komplexität bedingt i. d. R. nicht nur den Einsatz eines internen Projektmanagers, sondern auch die Einbindung externen Know-hows, sofern es nicht nur um eine kleine „Stand-alone-Wohnanlage“ geht.
9.3 Zusammenwirken der Beteiligten in der Projektphase bei Kooperationsmodellen Vor dem Hintergrund der oben erwähnten Zielsetzungen – entweder gemeinschaftliche Schaffung des integrierten Produkts Betreutes Wohnen oder wechselseitige Erbringung von Leistungen im Hinblick auf die Initiierung der Inbetriebnahme – ergeben sich folgende zu regelnde Sachverhalte. Dies betrifft sowohl das „Erfüllungsgehilfen-Modell“, das
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„Kooperationsmodell“ sowie auch das „Globalbetreuungsvertrags-Modell“ wie auch partiell das „Generalmiet-Modell“, wie sie in Kap. 6 beschrieben sind.
9.3.1 Gemeinsame Schaffung des integrierten Leistungsbilds Betreutes Wohnen Die vorhandenen Kernkompetenzen bestimmen die potenziellen wechselseitigen Beiträge im Hinblick auf die Schaffung des integrierten Produkts Betreutes Wohnen. Der Leistungsanbieter Wohnen sollte Beratungs- und Unterstützungsleistungen des Betreuungsträgers vornehmlich auf folgenden Feldern in Anspruch nehmen: – Unterstützung bei der Konzeptionierung des „Produkts“, – Vermarktung und Vermietung/Zielgruppenansprache, – Planungsunterstützung (Raumprogramm, Barrierefreiheit), – Aktivierung von Netzwerken, – Einbindung von öffentl. Stellen außerhalb des Baugenehmigungsverfahrens. Für die Dienstleistungsseite gilt, dass der Betreuungsträger insbesondere im Hinblick auf das Raumprogramm und die Definition der Qualitäten das vitale eigene Interesse hat, bei der baulichen Planung sowohl der Wohnanlage insgesamt wie auch konkret der Wohnungen als auch der Gemeinschaftsflächen, in denen er seine Betreuungsdienstleistungen erbringt (Betreuungsbüro, Gemeinschaftsraum), seinen Input einzubringen, um die bauliche Hülle für seine Dienstleistungen „dienstleistungsgerecht“ zu konfigurieren.
9.3.2 Wechselseitige sonstige Leistungen In Bezug auf die Inbetriebnahme sind regelmäßig folgende Leistungskomponenten regelungsbedürftig: – Mitwirkung des Dienstleisters bei der Vermarktung und Vermietung der Wohnungen, – Mitwirkung des Dienstleisters im Prozess des Verkaufs von Wohnungen, – Unterstützung des Abschlusses von Betreuungsverträgen durch den Leistungserbringer Wohnen, – Unterstützung bei der Installation des Hausnotrufs durch den Leistungserbringer Wohnen. Andere Leistungen sind jeweils im Einzelfall nach den gegebenen Notwendigkeiten projektbezogen zu vereinbaren. Stets ist die Frage von Vergütungsregelungen im Blick zu halten.
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Bei WEG-Verhältnissen ergibt sich ungeachtet der konkreten vertraglichen Gestaltung des Zusammenwirkens der beiden Dienstleister Regelungsbedarf vornehmlich aus den Aspekten der nachhaltigen Sicherstellung des Betriebszwecks der betreuten Wohnanlage. Vor dem Hintergrund der Vielzahl der Wohnungseigentümer in solchen Konstellationen muss sichergestellt werden, dass der Dienstleistungserbringer vor dem Hintergrund der von ihm umzusetzenden Konzeption tatsächlich eine betreute Wohnanlage vorfindet, in der er seine Betreuungsleistungen erbringen kann. Dies setzt u. a. voraus, dass in der Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung der „Betriebszweck Betreutes Wohnen“ sowohl für die Vertriebs- und Marketingaktivitäten des – soweit vorhanden – Bauträgers aufgenommen wird. Zudem ist sicherzustellen, dass nur tatsächlich zu betreuende Senioren in der Anlage wohnen, weswegen bezüglich der Einzeleigentümer die Verpflichtung konstituiert werden muss, die Wohnungen nur zu betreuenden Senioren zu überlassen. Letzteres bedeutet im Hinblick auf den Abschluss von Mietverträgen von Kapitalanlegern, dass diesen die Verpflichtung auferlegt werden muss, nur an den vom Betriebszweck vorgesehenen Personenkreis zu vermieten, der – wie gesagt – in der Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung näher definiert werden muss. Entsprechendes gilt für den Fall, dass ein Einzeleigentümer eine von ihm erworbene Wohnung weiter veräußert. Auch insofern muss sichergestellt sein, dass der Nacherwerber die entsprechenden Verpflichtungen, die der Ersterwerber übernommen hat, auferlegt bekommt und übernimmt, da ansonsten die Situation entsteht, dass der Betriebszweck sukzessive ausfranst bzw. durchlöchert wird. Auch dies ist in der Teilungserklärung/ Gemeinschaftsordnung zu berücksichtigen. Dabei bietet sich bei „WEG-Projekten“ an, eine Vermietungsgesellschaft der Eigentümer zu gründen, um die Einheitlichkeit der Anlage zu gewährleisten. Im Hinblick auf die Gemeinschaftsflächen, die der Dienstleistungserbringer Betreuung zur Erfüllung der Betreuungspflichten benötigt, muss in der Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung zudem sichergestellt werden, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft die zu definierenden Flächen mit den entsprechend zu definierenden Funktionalitäten dem Dienstleister für die Dauer der Betreuungstätigkeit zur Verfügung stellt. Dies kann entweder über einen Mietvertrag erfolgen – wie aber genauso gut auch durch ein (unentgeltliches) sonstiges Nutzungsverhältnis. In diesem Zusammenhang muss auch die Tragung von Betriebs- und Nebenkosten geregelt werden. Zudem ist festzulegen, welche sonstigen begleitenden Pflichten der Betreuungsträger haben soll. Ein wesentliches Problem bei derartigen WEG-Verhältnissen besteht darin, dass der BGH judiziert hat, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft nicht länger als zwei Jahre verpflichtet werden darf, einen bestimmten Betreuungsträger einzuschalten und den Einzeleigentümern die Abnahme von dessen Leistungen verpflichtend aufzuerlegen. Dies führt dazu, dass nur das oben (in Kapitel 6.3.2, S. 111 f.) skizzierte „GlobalbetreuungsvertragsModell“ in Betracht kommt.
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9.3.3 Besonderheiten aus dem Blickwinkel der DIN 77800 – Betreutes Wohnen Kommen die Vertragspartner überein, die betreute Wohnanlage nach den Vorgaben der DIN 77800 – Betreutes Wohnen zu gestalten und zu betreiben, so ist es geboten, vertraglich bestimmte Qualitäten festzulegen. Dies betrifft prioritär Festlegungen zur Dienstleistungskomponente und in zweiter Linie die bauliche Seite, nämlich Auslegung und bauliche Merkmale der Immobilie, die zum Betreuten Wohnen genutzt werden soll. Folgende Bereiche sind notwendigerweise einer vertraglichen Regelung zwischen den Leistungserbringern zuzuführen:
Festlegungen bzgl. der Dienstleistungsqualität Für den Erfolg eines Betreuten Wohnens ist die Dienstleistungsqualität essenziell. Bei den Anforderungen an die Dienstleistungen geht die DIN 77800 – Betreutes Wohnen – wie bereits angesprochen – von der Einteilung in Grundleistungen/allgemeine Betreuungsleistungen sowie in Wahlleistungen/weitergehende Betreuungsleistungen aus. Diese sind zu definieren. Gleiches gilt auch für Aussagen zum Anforderungsprofil für die im Betreuten Wohnen einzusetzenden Betreuungskräfte und Vorgaben bzgl. des Zeiteinsatzes in der Wohnanlage. Hinzu kommen die Anforderungen an die Vertragsgestaltung wie auch die Art und Auslegung der Information von Interessenten vor Vertragsschluss. Diese Komplexe sind in den (Leistungs-)Verträgen, die die Aufgaben und Verpflichtungen des Leistungserbringers Betreuung definieren, zu regeln. Die Detaillierung der Leistungen betrifft im Bereich der Grundleistungen die Konkretisierung der Leistungskomplexe haustechnischer Service, Notrufsicherung sowie Betreuungsleistungen und Vermittlung von Wahlleistungen. Letzteres zweckmäßigerweise in einem Wahlleistungskatalog, der wie auch der Grundleistungskatalog entweder in den Vertrag inkorporiert oder aber auch als Vertragsanlage genommen werden kann. Vor dem Hintergrund, dass die DIN 77800 – Betreutes Wohnen detaillierte Anforderungen an die Informationspflichten, die der Anbieter vor Vertragsschluss zu erfüllen hat, enthält, ist ein Informationskonzept unter Berücksichtigung der Arbeitsteilung zwischen den Leistungserbringern Wohnen und Betreuung zu erstellen. Dies hat das Leistungsbild wie auch die Darstellung der entstehenden Kosten des Wohnens (z. B. Miete/qm/Monat, Vorauszahlungen auf Mietnebenkosten/qm /Monat, Kosten eines PKW-Stellplatzes etc.) als auch zu den Grundleistungen (mtl. Kosten für eine Person bzw. Paare) und den Wahlleistungen (Preisliste) sowie etwaigen einmaligen Kosten bei Vertragsabschluss zu umfassen. Zu ergänzen ist dies um die exemplarische, musterhafte Darstellung der Gesamtkostenbelastung des prospektiven Mieters. Vor dem Hintergrund, dass die DIN 77800 – Betreutes Wohnen auch Anforderungen an die Vertragsgestaltung sowohl der Wohnraumnutzungsverträge wie auch der Betreuungsverträge oder, wenn keine Trennung in unterschiedliche Vertragswerke vorliegt, des einheit-
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lichen Vertrags über das Betreute Wohnen, statuiert ist in dem Vertrag zwischen den beiden Leistungserbringern die Wahrung der diesbezüglichen formellen wie materiellen Anforderungen festzulegen. Dies betrifft primär die Form und Gestalt der Verträge, insbesondere gute Lesbarkeit und leichte Verständlichkeit, klare Gliederung und übersichtliche Gestaltung und Transparenz der Vertragsregelungen in Bezug auf die Vertragspartner, die Zuordnung von Leistungen inhaltlicher Art auf den Leistungserbringer wie auch auf die Leistungskategorien, die die Norm in Bezug auf die materielle Abgrenzung zu einer „Heimunterbringung“ regelt.
Festlegungen bzgl. der Qualität der Baulichkeit Vor dem Hintergrund, dass Betreutes Wohnen ein Kombinationsprodukt ist, sind zudem die Normanforderungen an die Auslegung der betreuten Wohnanlage, die Wohnungen und die Barrierefreiheit in den Vertrag zwischen den Leistungspartnern aufzunehmen. Das betrifft sowohl die Anforderungen an die Gebäudestruktur und das von der Norm geforderte Raumprogramm wie auch an die Wohnungsqualität, u. a. auch die Barrierefreiheit.
Regelungen bzgl. Qualitätssicherung Da die DIN 77800 – Betreutes Wohnen nicht nur Anforderungen an Qualitäten aufstellt, sondern auch die permanente Qualitätssicherung in Form eines Beschwerdemanagements wie auch regelmäßiger Bewohnerbefragungen regelt, sind auch diese Aspekte und ggf. auch entsprechende Kostentragungsregelungen, jedenfalls aber wechselseitige Mitwirkungspflichten – insbesondere im Fall einer Zertifizierung – in die vertragliche Vereinbarung zwischen den Leistungserbringern aufzunehmen.
Regelungen bzgl. einer Zertifizierung Die Regelungen zur Einhaltung der Qualitätsanforderungen der DIN 77800 – Betreutes Wohnen sind ggf. um Vereinbarungen zur Zertifizierung zu ergänzen. Soll die Norm als bundeseinheitliche Zertifizierungsgrundlage als Qualitätssicherungsinstrument über die Zertifizierung genutzt werden, muss ergänzend geregelt werden, dass eine Zertifizierung erfolgen soll, wer die Kosten hierfür trägt und welche wechselseitigen Mitwirkungspflichten bestehen.
9.3.4 Zusammenfassung Dem Vorgehen in Projekten des Betreuten Wohnens kann angesichts der Komplexität der Produktgestaltung wie auch der Vermarktung gar nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt werden. Ein projekthaftes Vorgehen ist unumgänglich, um die erforderliche Effizienz und
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damit auch nachhaltige Wirtschaftlichkeit zu erreichen. Die externe Projektbegleitung ist dabei sicherlich ein Erfolgsfaktor.
Konzept
Zielgruppen? Leistungen? Partner?
Definition: Was wollen wir? Was wollen wir wo? Was wollen wir mit wem?
Projektkonfiguration
Ressourcen? Kompetenzen? Zeit?
Festlegungen: Was können wir allein? Wozu brauchen wir externe Unterstützung?
Umsetzungsplanung
Leistungsbilder
Gesamtkonzept als Ausgangspunkt für das Feintunen der Leistungen
Ausdifferenzierung: Was sollen die Dienstleistungen sein? Welche Kriterien muss das Gebäude erfüllen?
Planung > der Leistungen > der Wohnanlage
Kosten & Preise
Abschätzung der > internen „soft cost“ > externen Kosten (inkl. bauliches Investment)
Planrechnung > Investition > laufender Betrieb > „Pricing“
Umsetzungsentscheidung > Projektrealisierung
Abbildung 22: Vorgehen in Projekten
9.4 Praxistipps zur „Modellwahl“ bei Projekten des Betreuten Wohnens Das Vorgehen im Projekt wird in großem Umfang auch durch die Modellentscheidung bestimmt. Sie stellt auch die Weichen für Erfolg und Misserfolg in der Betriebsphase. Das „Erfüllungsgehilfen-Modell“ und das korrespondierende „Generalmiet-Modell“ sind die Gestaltungen, unter denen Betreutes Wohnen grundsätzlich am klarsten strukturiert werden kann. Die Leistungsbeziehungen sowohl unter den Beteiligten selbst wie auch im „Außenverhältnis“ sind eindeutig funktional gestaltbar und transparent. Die Vertragsstruktur ist eindeutig: entweder gibt es ein Subunternehmerverhältnis (bei dem „Erfüllungsgehilfen-
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Modell“) oder es verschafft sich der Betreuungsträger über die Anmietung/Anpachtung der Immobilie, in der er Betreutes Wohnen anbieten will, das Leistungsmodul Wohnen in Eigenregie (beim „Generalmiet-Modell“). Aus der Sicht des zu betreuenden Mieters haben das „Erfüllungsgehilfen-Modell“ wie auch das „Generalmiet-Modell“ insoweit den Vorteil, dass er nur einen Vertragspartner für den Leistungsbereich Wohnen wie auch den Leistungsbereich Betreuung hat. Im Falle einer Kooperation mit Kooperationsvertrag der beiden unterschiedlichen Leistungserbringer Wohnen und Betreuung (wie im „Kooperations-Modell“) ergibt sich die Problematik, dass Betreutes Wohnen als integriertes Produkt von ebendiesen beiden Leistungserbringern rechtlich getrennt erbracht wird. Der Kunde hat zwei Vertragspartner und das Zusammenwirken beider ist „nur“ durch eine Kooperationsvereinbarung gewährleistet, die dem Bewohner selbst keine Rechte gibt. Allerdings sind beide Leistungspartner auf ihre Kernkompetenzen fokussiert, ohne dass jeweils Verantwortung und damit auch Risiken aus dem komplementären Geschäftsfeld übernommen werden (müssen), wie das bei den beiden erstgenannten Gestaltungsvarianten der Fall ist. Das Zusammenwirken der beiden Leistungserbringer, deren Interessen divergieren können (z. B. bei der Frage, an wen vermietet werden soll, wie die obligatorische Verbindung beider Leistungskomponenten gewährleistet wird, was bei nachhaltigen Leistungsstörungen im Bereich des jeweils anderen geschehen soll ...) ist dann „der“ Erfolgsfaktor in der Betriebsphase, woraus die eminente Bedeutung der kooperationsvertraglichen Regelungen folgt. Die Organisation des Zusammenwirkens der beiden Leistungserbringer im Wege des „Globalbetreuungsvertrags-Modells“ trägt das Problem der rechtlichen Komplexität der Gestaltung in sich. Den Mietern wird die Anspruchsposition bzgl. der von ihnen zu beanspruchenden Leistungen über die Ausgestaltung als Vertrag zugunsten Dritter vermittelt. In dem einen „Globalbetreuungsvertrag“ werden drei Regelungsbereiche vereint: der Bereich Wohnen, der Bereich Leistungsbeziehungen der beiden unterschiedlichen Leistungserbringer untereinander und das Betreuungsverhältnis. Aus diesen Gesichtspunkten ist dieses Modell nur in dem Fall einer WEG-Konstellation näher in Erwägung zu ziehen. Letztlich ist es eine Frage der Ziele und Kompetenzen der Beteiligten, ihre Risikoeinschätzung im Einzelfall und eine Frage der Marktsituation, welche Gestaltungsvariante im Einzelfall vorzuziehen und zu realisieren ist.
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10 Länderberichte Im Vergleich zu Deutschland leben in Österreich etwa zehnmal weniger Menschen, derzeit etwa 8,91 Millionen, und das zudem auch deutlich dezentraler, denn mit einer Einwohnerdichte von 106 Einwohner pro Quadratkilometer entspricht das nur 46 % der Einwohnerdichte von Deutschland und 49 % der der Schweiz mit jeweils 232 und 216. Wohn-, Betreuungs- und Pflegeangebote in Österreich sind weitestgehend vom Trend der Refinanzierungsmöglichkeiten geleitet. Im Großen und Ganzen gibt es fünf Angebotsformen, die teilweise leicht variiert oder kombiniert werden. Hierbei handelt es sich um die mobile Hauskrankenpflege, betreute Wohnformen für Menschen, die ihren Alltag noch weitestgehend allein bewältigen können, die seit 2008 legalisierte 24-Stunden-Personenbetreuung, Kurzzeit- bzw. Übergangs- bzw. Urlaubsersatzpflege und die langzeitstationäre Versorgung. Diese Angebote sind je nach Bundesland oder Region sehr unterschiedlich ausgebaut. Im Jahr 2016 wurde versucht, dies in sogenannten Richtversorgungsgraden einzuordnen, um zielgerichtet einen einheitlichen Ausbau anzustreben. Mit 2018 wurde der sogenannte Pflegeregress in der stationären Langzeitversorgung abgeschafft. Seit diesem Zeitpunkt wird nicht mehr auf das Vermögen des Pflege- und Betreuungsbedürftigen und dessen im Haushalt lebenden Angehörigen zurückgegriffen. Der pflege- bzw. betreuungsbedürftige Mensch muss lediglich 80 % seines monatlichen Einkommens sowie 80 % der Pflegegeldleistung für die stationäre Pflegeleistung aufbringen. Das hat dazu geführt, dass die Nachfrage nach stationären Pflegeplätzen sprunghaft angestiegen ist. Derzeit sind etwa 21 % der pflegebedürftigen Menschen in langzeitstationären Einrichtungen untergebracht, das entspricht einer Steigerung um 3 % in den letzten fünf Jahren. Der zuletzt deutlich gestiegene Pflegepersonalmangel zwingt die Politik in der Schweiz zum Umdenken. Eine eben verabschiedete Pflegereform, ist ein erster Ansatz, Ausbildungsplätze deutlich auszuweiten, Pflegende zu entlasten und pflegende Angehörige noch mehr zu unterstützen. Leider wurde versäumt, in diese Reform einen Ausbau an alternativen (refinanzierten) Versorgungsformen einzuarbeiten, sodass Diversität an Angeboten nur am frei finanzierten Markt entsteht, die aufgrund der „All-inklusive-Mentalität“ der österreichischen Bevölkerung nur in einem geringen Ausmaß wird weiterwachsen können.
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10.1 Betreutes Wohnen in Österreich Autorin: Jana Bockholdt
10.1.1 Das Pflegesystem in Österreich Um den gesamten Bereich Betreuung und Pflege gut einordnen zu können, braucht es einen kurzen Überblick über die Pflegesituation in Österreich. Das österreichische Pflegesystem ist zur Gänze steuerfinanziert. Das Ansinnen, selbst für sein Alter und die Pflegebedürftigkeit vorzusorgen, hält sich sehr in Grenzen. Daher bestimmt der refinanzierte Markt in Österreich auch das Angebot und die Nachfrage. Insgesamt waren in Österreich im März 2022 über 460.000 Menschen pflege- oder betreuungsbedürftig und können daher eine Geldleistung in einer der sieben Pflegegeldstufen beziehen, diese regelt der Bund österreichweit einheitlich. Die Pflegegeldstufen werden von sogenannten Pflegegeldgutachtern festgelegt und weisen zunächst einen Pflege- und Betreuungsbedarf in Stunden aus. Die Pflegegeldstufe 1 spricht von einem Bedarf von 68 Stunden Pflege bzw. Betreuung im Monat und die höchste Stufe 7 von einem Pflege- und Betreuungsbedarf von 180 Stunden pro Monat mit zwingendem Aufsichtsbedarf auch in der Nacht. Ab der Pflegegeldstufe 4 (120 Stunden im Monat) ist es möglich, eine langzeitstationäre Versorgung in Anspruch zu nehmen. In den Pflegegeldstufen 1-3 werden die Menschen zumeist zu Hause, mit Hilfe von 24-Stunden-Betreuung oder in alternativen, häufig frei finanzierten Wohnformen versorgt. Die Statistik der Versorgungssettings stellt sich wie folgt dar: Wo werden die Menschen betreut und gepflegt? März 2022 468.549 Pflegegeldbezieher Zu Hause betreut 79% (Vgl. 2017 -3%) mit Hilfe mobiler Dienste 33%
Mit 24-Stunden Betreuung 5,5%
Tages betreuung 2%
Ausschließlich durch Angehörige 38,5%
In stationären Langzeitpflegeeinrichtungen 21% (Vgl. 2017 +3%)
Abbildung 23: Leistungsstruktur Pflege und Betreuung in Österreich
Des Weiteren können zusätzlich zu den Geldleistungen Sachleistungen in Anspruch genommen werden. Diese sind jedenfalls an den Bezug einer Leistung aus dem Bundespflegegeld gekoppelt. Die Sachleistungen – wie zum Beispiel Zuschüsse zu mobiler Hauskrankenpflege, zur Tagesbetreuung, alternativen Wohnformen (sofern förderbar) –oder langzeitstationäre
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Angebote sind Angelegenheiten der Bundesländer, also föderal in den Sozialhilfegesetzen der Länder geregelt und dadurch äußerst unterschiedlich in den Ländern ausgebaut. Einzige Ausnahme bildet hier noch die 24-Stunden-Personenbetreuung, die beim Bund beantragt werden kann und die mit einer Höhe von bis zu 550 €, seit 2008 unverändert, pro Monat förderbar ist. Derzeit nehmen etwa 30.000 Menschen in Österreich die 24-h-Betreuung in Anspruch. Eine Vielfalt an Leistungen wird im Rahmen der mobilen oder auch ambulanten Dienste angeboten und entspricht teilweise denen in der Schweiz. Hierzu zählen unter anderem das Spektrum der Beratungsangebote wie Demenzberatungsstellen, Pflegehotlines, seit Kurzem auch das Angebot der Comunity Health Nurse, welches im Rahmen eines von der EU geförderten Projektes in über 120 Pilotprojekten österreichweit erprobt wird. Ziel dabei ist, die sogenannte health literacy der Bevölkerung zu stärken. Das Case Management gehört genau wie auch die Tagespflege und Tagesbetreuung, Aktivitäten, Kurse, Treffen, Gesundheitsvorsorge speziell für ältere Menschen, für Betroffene, aber auch für Angehörige, Betreuung zu Hause wie Einkaufsservice, Haushaltsservice, die Pflege zu Hause und verschiedene Wohnformen zu dieser Vielfalt an Sachleistungen. Hingegen sind kaum strukturierte Wohngemeinschaftsangebote in Österreich zu finden.
10.1.2 Alternative Wohnformen in Österreich Warum der Begriff alternative Wohnformen? Es hat sich gezeigt, dass der Begriff „Betreutes Wohnen“, der eigentlich seit 2016 in der österreichischen ÖNORM CEN/TS 16118 verankert ist, bundesländerweit äußerst unterschiedlich verwendet wird. Jedes Bundesland hat seine eigene Art, Begriffe für den Bereich der betreuten Wohnformen zu etablieren. Diese reichen von betreutem Wohnen, begleitetem Wohnen, Servicewohnen, betreubarem Wohnen, TagBetreuung, sozialen Hausdienstleistungen bis zu Generationenwohnen u.v.m. In einigen Bundesländern stehen teilweise auch refinanzierbare bzw. förderbare Leistungen dahinter. Diese reichen von 35 € bis 323 € pro Monat und Person. Letztlich laufen all diese Angebote darauf hinaus, dass Menschen zumeist in einer Mietwohnung leben und dazu Service- oder Betreuungsleistungen in Anspruch nehmen, mit dem Ziel, so lange wie möglich selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden zu leben. Zeitweise werden diese Leistungen je nach Bedarf mit mobiler Hauskrankenpflege, aber auch mit 24-Stunden-Personenbetreuung kombiniert. Je nach Bundesland und Region gibt es äußerst unterschiedliche Größen solcher Wohnanlagen, diese reichen von 5 bis 230 Wohneinheiten. Entsprechend sind auch Dienstleistungsangebote in unterschiedlicher Ausprägung vorhanden. Gesamtzahlen werden nicht strukturiert erfasst, eigene Recherchen ergeben etwa 24.000 Wohneinheiten österreichweit, die derzeit unter dem Oberbegriff alternative Wohnformen für ältere Menschen verstanden werden können.
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10.1.3 Arten von alternativen Wohnformen Barrierefreies Wohnen in Wohnanlage Barrierefreies Wohnen in einer Wohnanlage ist die Antwort auf die Tatsache, dass zumeist gemeinnützige Bauträger sich nicht mit der Thematik der Betreuung auseinandersetzen wollen. Hierbei gibt es bei der Vermietung der Wohnungen weder Altersgrenzen noch Betreuungsvereinbarungen. Die Wohneinheiten sind entlang einer Baunorm lediglich barrierefrei errichtet. Strukturierte Betreuungsangebote gibt es in solchen Anlagen zumeist nicht. Im Bedarfsfall kann die darin lebende Person, so sie zumindest einen Unterstützungsbedarf in Form der Pflegegeldstufe 1 hat, förderbare Sachleistungen wie zum Beispiel Einkaufen, Unterstützung im Haushalt oder bei der Pflege in Anspruch nehmen.
Betreubares, begleitetes Wohnen oder Wohnen mit Service Unter betreubares oder begleitetes Wohnen ist zu verstehen, dass Betreuungsleistungen zumeist nur auf Zuruf oder maximal einmal in der Woche erfolgen und durch eine Betreuungsperson erbracht werden. Beim Wohnen mit Service stehen hauptsächlich hauswirtschaftlich-organisatorische Leistungen im Vordergrund, wie z. B. Gardinen oder Bilder aufhängen, Pakete entgegennehmen, kleinere Erledigungen oder Besorgungen tätigen. Aktivitäten wie Aktivierungsangebote oder Gemeinschaftsangebote sind eher die Ausnahme in solchen Einrichtungen. Letztlich bestimmt die Art der alternativen Wohnform, wie viel Zeit für die Betreuungsleistung pro Person und Woche zur Verfügung stehen.
Betreutes Wohnen In Österreich gibt es seit 2016 eine ÖNORM CEN/TS 16118 für das betreute Wohnen, die den Anspruch verfolgt, ein qualitativ einheitliches Angebot österreichweit im Bereich des betreuten Wohnens zu beschreiben. Geregelt in dieser Norm sind Angebote und Inhalt im Bereich der Grundbetreuungsleistungen, Anforderungen an die Dienstleistungskoordination, die Betreuungspersonen, den Standort, die Vertragsgestaltung, die aktive Beteiligung zur Mitgestaltung der Bewohner und das Wohnangebot. Diese Norm hat einen Empfehlungscharakter. In den einzelnen Bundesländern wird unter Betreutem Wohnen ebenfalls Unterschiedliches verstanden. Wenn zum Beispiel Oberösterreich von betreutem Wohnen redet, dann meint es zumindest das Vorhandensein einer 24-Stunden-rund-um-die-Uhr-Anwesenheit einer Betreuungsperson. Alles andere wird als betreubares Wohnen deklariert. Im Bundesland Steiermark hingegen ist Betreutes Wohnen mit zumindest einer Stunde Betreuungsleistung pro Bewohner und Woche zu verstehen.
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Wohnen im direkten Anschluss an ein Pflegeheim Ein Trend der letzten Jahre ist, betreute oder betreubare Wohneinheiten in direktem Anschluss oder in unmittelbarer Nähe zu langzeitstationären Pflegeeinrichtungen zu etablieren. Hier ist das Ziel, Synergien zu nutzen und effizient Betreuungs- oder Technikleistungen erbringen zu können. In dieser Form des Wohnens siedeln sich häufig Personen an, die das 75. Lebensjahr überschritten haben, denn die unmittelbare Nähe der Pflegeeinrichtung ist spürbar. Das schafft für den einen noch mehr Sicherheit, jedoch löst es bei anderen nur Ängste aus. Die Betreiber der Pflegeeinrichtungen erbringen hier zumeist die Betreuungsleistungen, wohingegen die Wohnanlage fast ausschließlich von gemeinnützigen Wohnbauträgern errichtet und betrieben wird.
Vereinzelt Wohngemeinschaften Wohngemeinschaften sind im ländlichen Bereich in Österreich – und hierbei handelt es sich um den überwiegenden Teil – kaum in der Kultur der Menschen verankert. Viele können sich nicht vorstellen bzw. lehnen es dezidiert ab, im Alter in einer Wohngemeinschaft zu leben. Die kommenden Jahre werden durch die massive Teuerung sicher dazu beitragen, dass diese Wohnformen doch zu einem Trend werden können. Auf den Markt werden sie zunächst jedoch nur in Form von frei finanzierten Angeboten gelangen, da die Politik österreichweit, mit Ausnahme von Wien und Kärnten, sich diesen Möglichkeiten fast gänzlich verschließt. Geführt werden diese Wohngemeinschaften von öffentlichen oder privaten gemeinnützigen Trägern, die Sonderformen im Bereich der Sachleistungen für sich beanspruchen können und diese refinanziert werden. Ein Beispiel hierfür könnten bereits die alternativen Lebensräume im Bundesland Kärnten sein.
Alternative Lebensräume1 Dieses Wohnkonzept bietet 6 bis 10 Personen Platz zum Leben, wenn sie einen leichten bis mittleren Pflege- und Betreuungsbedarf haben. Es handelt sich dabei zumeist um extra dafür adaptierte ländliche Gebäude. Häufig betreiben diese Lebensräume Pflegekräfte, die ihr eigenes oder ihr Elternhaus dafür adaptierten und entweder mit einem Bauernhof oder anderen Angeboten kombinieren und die sich mit diesem Konzept selbständig gemacht haben. Diese Plätze werden zum Teil refinanziert.
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Quelle Internet: http://www.alternative-lebensraeume.at/startseite.html; Zugriff 24.07.2022; 10:52
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Quartiersentwicklung Quartiersentwicklung in Österreich findet sich zumeist nur in urbanen Bereichen wieder. Hier steht der infrastrukturelle und gesellschaftliche Lebens- und Wohnraum aller Menschen und der Wirtschaft im Vordergrund. Betreute Wohnkonzepte entstehen derzeit eher nur zufällig und nicht strukturiert geplant in den Quartieren.
10.1.4 Erfolgsfaktoren für alternative Wohnformen Erfolgreiche Modelle in Österreich im Bereich der alternativen bzw. betreuten Wohnformen für ältere Menschen zeigen, dass intensive Planung und Einbindung der Stakeholder schon zu Beginn solcher Vorhaben essenziell für deren Erfolg sind. Erfahrungen der letzten 15 Jahre haben gezeigt, dass keine betreute Einrichtung wie die andere ist. Eine jede Einrichtung hat Besonderheiten, die auf infrastrukturelle, regionale, aber auch individuelle Bedürfnisse eingehen müssen. Die Idee, einmal einen Blueprint zu kreieren und diesen beliebig zu vervielfältigen, ist nicht erfolgsbringend. Der urbane Bereich hat andere Voraussetzungen und Bedürfnisse als der ländliche Bereich. Hinzu kommen wirtschaftliche Aspekte, wie Bevölkerungsstruktur und Einkommen dieser Region, die den Markt und die Nachfrage bestimmen. Eine Marktanalyse vor Realisierung eines solchen Vorhabens ist von essenzieller Bedeutung.
Marktanalyse Eine Marktanalyse erhebt nicht den Anspruch der wissenschaftlichen Vollkommenheit, sondern vielmehr sollen Bedürfnisse, Möglichkeiten und Rahmenbedingungen erhoben werden, um ein Projekt erfolgreich umzusetzen. Eine umfassende Vormerkliste ein Jahr vor Baubeginn ist noch lange keine Garantie für ein erfolgreiches Konzept. Die Inhalte der Marktanalyse sollten jedenfalls eine Marktübersicht in dieser Region zu allen Angeboten für ältere Menschen enthalten. Dazu zählen Beratungs-, Aktivierungsangebote genauso wie mobile und stationäre Langzeitpflege. Die Soziodemografie, wie z. B. Alters- und Einkommensstruktur, Besiedlungsdichte, Zuzugs- oder Abwanderungsgebiete, Gemeindeleben und deren künftige Entwicklung sind ebenfalls Bestandteil einer solchen Analyse. Aus dieser Analyse wird in einem nächsten Schritt ein mögliches Konzept erarbeitet. Um dieses Konzept herum sollten dann der Wohnraum bzw. das Quartier und auch das Betreuungsangebot entwickelt werden. Die Erfahrung zeigt, dass häufig nur das Investment und die Wohnraumentwicklung im Vordergrund stehen.
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Betreuungspersonal, Qualität und Umfang der Betreuung Die Betreuungsangebote und -konzepte richten sich im besten Fall an einer erfolgten Marktanalyse aus. Betreuungsangebote reichen von zehn Minuten pro Bewohner und Woche bis hin zu drei Stunden pro Woche. Darüber hinaus werden die Leistungen ergänzt durch mobile bzw. ambulante Hauskrankenpflege und/oder 24-Stunden-Personenbetreuung. Für die Erbringung von mobilen bzw. ambulanten Pflegeleistungen braucht es die Bewilligung als „anerkannter“ Träger von den einzelnen Bundesländern. Daher kann nicht jede Pflegeperson oder jede Organisation geförderte ambulante Leistungen anbieten. Es werden damit auch „All-in-one“-Angebote derzeit nicht genehmigt. Daraus resultiert, dass der Umfang der Betreuungsleistungen begrenzt ist von den finanziellen Möglichkeiten der Menschen, die in diesen Wohnanlagen leben. Betreuungsleistungen gliedern sich zumeist in Grund- und Wahlleistungen. Die Grundleistungen sind in den „Basispaketen“ enthalten und die „Wahlleistungen“ können optional zugekauft werden. Das Angebot an Grundleistungen ist äußerst unterschiedlich. Allen gemein ist, dass diese Angebote häufig im hauswirtschaftlichen und Servicebereich angesiedelt sind. So finden sich Beratungsangebote, Kontaktaufnahmen, Behördenunterstützung, wie auch das Aufhängen von Bildern, das Entgegennehmen der Post, Gardinen abnehmen und Aktivierungs- bzw. Gemeinschaftsangebote in dieser Palette wieder. Wahlleistungen sind hingegen sehr individuell auf den Menschen zugeschnitten und können von Reiseorganisation bis zur Haustier- und Wohnungsdienst während der Abwesenheit sein. Wenn ein Bundesland vorgibt, dass eine Betreuungspauschale nicht mehr als 75 € pro Monat betragen darf und die Wohnanlage aus 15 Wohneinheiten besteht, ist klar, dass nur ein sehr reduziertes Angebot an hauptamtlichen Leistungen möglich ist. Die Idee des betreuten Wohnens, Sicherheit und Gemeinschaft im Alter zu schaffen, funktioniert in diesen Anlagen nur bedingt. Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass Menschen, die für diese Wohnanlagen tätig sind, ein hohes Maß an sozialer Kompetenz, Kommunikationsfähigkeiten und das Gespür für den älteren Menschen und seine Beziehungssysteme mitbringen. Eine gute Ergänzung sind Kompetenzen im Bereich Gewaltprävention und Deeskalation, um Probleme innerhalb der Wohnanlagen rechtzeitig gut abfedern zu können. Eher hinderlich dabei hat sich der Einsatz von professionellen Pflegekräften gezeigt, die sehr lösungsorientiert und helfend agieren und nicht immer alle zur Verfügung stehenden sozialen Ressourcen und Systeme nutzen, den betreuten Menschen gar mit ihren Lösungen überfordern. Das wichtige Gespür für Lebensstil und den unbedingten Wunsch nach Autonomie über die eigene Erfahrung und Expertise zu stellen, gelingt dabei nicht immer.
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Bauliche Anforderungen Wohn-, Lebens- und Bewegungsraum und das Verständnis dafür haben sich in den letzten 15 Jahren in Österreich gewandelt. Wenn vor 15 Jahren eine Wohnung mit 55 m2 als sehr klein angesehen wurde und schwerer zu vermitteln war, hat sich diese Größe auf 45 bis 50 m2 reduziert. Solange der Bewegungs- und Sozialraum gewährleistet ist. Hierzu zählen die infrastrukturelle Anbindung, Einkaufsmöglichkeiten, Begegnungs- und Bewegungsmöglichkeiten, Teilhabe und sinnvolle Freizeitangebote. Die Erfahrung zeigt, dass sich immer noch die Trennung von Wohn- und Schlafraum bewährt hat, das nur in dieser Form auch eine 24-Stunden-Betreuung möglich ist. Hier sind die Anforderungen, dass die Personenbetreuung einen eigenen verschließbaren Schlafraum haben muss. Der Bedarf an Parkplätzen in solchen Anlagen ist weniger als 1 : 0,5, heißt nicht einmal jeder zweite Bewohner verfügt über ein Auto. Bauliche Vorschriften haben diesen Trend jedoch noch nicht aufgegriffen. Die Barrierefreiheit im Sinn der ÖNORM CEN/TS 1600 ist für diese Wohnformen aus der Erfahrung heraus nicht zwingend erforderlich, solange ein Rollator/Rollmobil barrierefrei bewegt werden kann. Im Zeitalter der Digitalisierung ist eine WLAN-Anbindung fast schon Standard, da immer mehr ältere Menschen über mobile Telefonie und Internetzugänge verfügen. Aktuell ziehen überwiegend Menschen ab einem Alter 70 plus in betreute bzw. alternative Wohnformen für ältere Menschen. Die Übersiedelung in eine langzeitstationäre Einrichtung bleibt jedoch vielen am Ende des Lebens ab einem Alter von etwa 85 plus nicht erspart, da sich nicht alle Menschen in Österreich das Angebot der 24-Stunden-Betreuung, die etwa 2.550 € im Monat an Kosten verursacht, leisten können. Die Grenze einer alternativen Wohnform ohne Rund-um-die-UhrVerfügbarkeit von Personal bzw. Betreuungsleistungen ist die Fähigkeit, in der Nacht allein bleiben zu können und dabei nicht selbst- oder fremdgefährdend zu sein.
Vertragliche Gestaltung Dieser Bereich scheint in den drei Ländern der DACH-Region ähnlich gestaltet. Häufig wird die Wohnsituation über einen Mietvertrag geregelt und allfällige Betreuungsleistungen über eine Betreuungsvereinbarung oder einen Betreuungsvertrag. In Österreich erfolgreiche Modelle sind im überwiegenden Teil derart geregelt, dass ein Anbieter/Betreiber von Immobilien den Mietvertrag abschließt und der Träger für die Betreuung seine Leistungen in einer eigenen Vereinbarung fixiert.
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10.1.5 Herangehensweise, Umsetzung und Erfahrung der letzten sieben Jahre im Unternehmen der Barmherzigen Schwestern Pflege GmbH2 Strategiegeleitet und entlang den Erfahrungen der letzten 7 bis 10 Jahre im Unternehmen der Barmherzigen Schwestern Pflege GmbH, das etwa 220 Mitarbeiter beschäftigt und an 10 Standorten im Bereich der stationären Langzeitpflege, Pflege von Ordensangehörigen, stationäre Hospizbetreuung und Betreutes Wohnen mit einem Umsatz von etwa 15 Millionen € jährlich tätig ist, wurde folgender Weg für betreute bzw. alternative Wohnformen bisher erfolgreich eingeschlagen: Für das Unternehmen gilt es, den Fokus auf die Kernkompetenz, die Betreuung und Pflege von Menschen mit Betreuungs- und/oder Pflegewunsch, und somit die Bewohnerorientierung zu stärken. Bewusst wurde daher die Entscheidung getroffen, nicht als Betreiberin einer Immobilie im Bereich von betreuten bzw. alternativen Wohnformen zu agieren. Das Management und der Vertrieb von Wohnungen braucht eigene Kompetenzen, die für ein Unternehmen dieser Größe aufzubauen aus heutiger Sicht nicht den gewünschten Return on Investment gebracht hätten. Umso wichtiger ist es, mit Partnern zu kooperieren, die ein ähnliches Mindset verfolgen. Es geht darum, Bedürfnisse von älteren Menschen zu erkennen und diese dem Konzept voranzustellen, und dabei zeigt die Erfahrung: Nicht die Immobilien-„Hardware“ ist der entscheidende Erfolgsfaktor für betreute Wohnformen, sondern die Dienstleistung der Betreuung also die „Software“. Es gibt nachhaltige, barrierefreie Wohneinheiten in bester Ortslage mit direkter Verkehrsanbindung und doch „lebt“ diese Anlage nicht, da die Betreuung zum Beispiel nur einmal in der Woche stattfindet. Konflikte können nicht direkt gelöst werden, Gemeinschaft kann wesentlich schwerer entstehen, der Grund, warum das Betreuungsentgelt geleistet wird, erschließt sich den Bewohnern deutlich später, wenn nur einmal in der Woche eine Person anwesend ist, Aktivitäten entstehen nur selten, da die Gemeinschaft selbst in nur geringem Ausmaß initiativ ist. Es ist dann eine Immobilie wie jede andere, die ein attraktives Wohnumfeld bietet, aber noch keine betreute Wohnform darstellt, denn wenn im Bedarfsfall tatsächlich eine Betreuungsperson erforderlich wird, ist dies vielleicht gerade nicht „der Betreuungstag“. Ein ebenso wichtiger Erfolgsfaktor ist eine gut ausgelastete Wohnanlage, was sowohl dem Betreiber der Immobilie also auch der Betreuungsorganisation ein betriebswirtschaftliches Anliegen ist. Dies funktioniert dann, wenn beide Partner ein gemeinsames Verständnis vom Betrieb der Anlage, aber auch vom Konzept der Betreuung haben. Dies muss im Vorfeld der Zusammenarbeit transparent und für beide Seiten passend, vertraglich vereinbart werden. Bei der Barmherzigen Schwestern Pflege GmbH ist dieser Vereinbarung immer eine Marktanalyse vorausgegangen. Diese beinhaltet jedenfalls die im regionalen Umfeld der geplanten Wohnanlage vorhandene Bevölkerungs- und Altersstruktur, genauso wie die Einkommens2
www.bhs.or.at ; Barmherzige Schwestern Pflege GmbH ein Unternehmen der Vinzenz Gruppe
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struktur, die Struktur sozialer Dienstleistungen anderer Wohnangebote für ältere Menschen, Vereins- und Ehrenamtsstruktur und die vorhandene Infrastruktur. Daraus abgeleitet wird das an diesem Standort passende inhaltlich und bauliche Konzept, welches im Einvernehmen mit dem Kooperationspartner fixiert wird.
10.1.6 Ausblick Bei allen alternativen Wohnformen für ältere Menschen geht es darum, die Lebensqualität der Menschen bis ins hohe Alter zu erhalten oder auch zu verbessern. Was unter Lebensqualität zu verstehen ist, zeigen im Folgenden zwei Modelle recht anschaulich. 3 Entwickeln: LEBENSKULTUR (Kreativität, Spiritualität, Emotionale Bewegtheit: Umgang mit Trauer und Aggression, Empathie, Integration von Schwächen, Rituale, Risikokompetenz, Umgang mit Grenzen, Zeitkultur, Selbstvergessenheit, Balance Anpassung – Widerstand, Naturverbundenheit, Sinnorientierung) physiologische Ressourcen
Begegnen: SOZIALES NETZ (Partnerschaften, Familie, Freunde, Gemeinschaften, Nachbarschaftshilfe, Vereine: Beziehungsfähigkeit, Konfliktkompetenz, Solidarität)
soziale Ressourcen
biologische Ressourcen
WAHRNEHMEN: LEBENSSTIL (Rhythmus Anspannung – Entspannung, Wachen – Schlaf, Genuss – Verzicht, Rausch – Nüchternheit, Bewegung, Ernährung)
politische Ressourcen
VERTRAUEN: RAHMENBEDINGUNGEN (Grundrechte, Partizipation, Arbeit ökon. Absicherung, Bildungsprozesse, ökologische Balance, Nachhaltigkeit, Generationen/globale Gerechtigkeit; genderation)
Abbildung 24: Lebensqualitätsmodell nach Knobel 2007 Q2
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Quelle Internet: https://www.hepi.at/fileadmin/user_upload/redakteure/downloads/ph_magazin/ lebensqualitaet2.pdf ; Zugriff 2022-07-22; 16:57
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Abbildung 25: Weiterentwickeltes Modell der Lebensqualität nach Hennesey/Knobel (2019)
Ein neueres, weiterentwickeltes Modell der Dimensionen der Lebensqualität von Hennessey und Kobel4 geht deutlich mehr in den Bereich der psychosozialen Lebenszufriedenheit und Lebensgesundheit. Health Literacy, Selbstständigkeit, sinnerfüllt zu leben nehmen einen immer höheren Stellenwert beim Leben ein. Altersgrenzen spielen hier nur eine sehr untergeordnete Rolle ein (siehe Abb. 25). Es geht also nicht nur darum, barrierefrei zu wohnen und autonom zu sein, sondern auch ein aktiver teilhabender Teil der Gesellschaft zu sein und dabei sinnerfüllt das Leben zu gestalten. Somit werden Lebensraumentwicklungen künftig deutlich mehr Gewicht bekommen und jeder künftig erfolgreiche Immobilienentwickler muss nicht nur die reinen Aspekte einer barrierefreien bzw. barrierearmen Wohnform, sondern die Lebens(qualitäts)modelle der Menschen anders berücksichtigen. Hier geht der Trend in Richtung Nachhaltigkeit, Preisbewusstsein, Teilhabe und Autonomie. Menschen werden beweglicher, flexibler und selbstbewusster, was die Erfüllung ihrer Bedürfnisse anbelangt. Wohl auch weil die eigene Kompetenz im Bereich Gesundheit deutlich wächst. 4
Hennessey, Richard; Stefan Knobel (2019): Das integrale Lebensqualitätsmodell. verlag lebensqualität, Siebnen.
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10.2 Betreutes Wohnen in der Schweiz Autoren: Prof. Dr. Lorenz Imhof, Dr. Markus Leser
10.2.1 Überblick Der Alltag ist zuweilen einfach, geprägt durch Alltagsroutine, und manchmal kompliziert, wenn Veränderungen uns dazu zwingen, das Leben neu zu organisieren. Mit zunehmendem Alter wachsen die Anforderungen, unter anderem bedingt durch gesundheitliche Veränderungen. Vor allem im vierten Lebensalter können die persönlichen Ressourcen nicht ausreichen, um den Alltag allein zu meistern. Rund vier von fünf Menschen in der Altersgruppe 80 plus sind durch gesundheitliche Einschränkungen auf vorübergehende oder längerfristige Unterstützung im Alltag angewiesen. Gemäß Bundesverfassung Artikel 112c sind die Kantone in diesen Situationen verpflichtet, für die Hilfe und Pflege von Betagten und Menschen mit Behinderung zu Hause zu sorgen. Traditionell geschieht dies im ambulanten Bereich durch die Spitex und die Pro Senectute und im stationären Bereich durch die Alters-, Pflege- und Behindertenheime. Im Jahr 2017 nutzten 295.054 Personen ambulante Pflegeleistungen der Spitex, 122.317 Personen erhielten hauswirtschaftliche oder sozialbetreuerische Hilfe und 153.046 Personen erhielten Unterstützung als Bewohnende einer stationären Pflegeeinrichtung der Spitex, 122.317 Personen erhielten hauswirtschaftliche oder sozialbetreuerische Hilfe und 153.046 Personen erhielten Unterstützung als Bewohnende einer stationären Pflegeeinrichtung. Trotz fehlender genauer Daten in der Schweiz, bieten geschätzte 843 Einrichtungen für Betreutes Wohnen für zirka 16.000 Menschen ihre Leistungen an. In den letzten Jahren hat sich die Diskussion intensiviert. Dem Betreuten Wohnen wird zunehmend ein Auftrag für pflegerische und betreuerische Unterstützungsleistungen zugewiesen. Betreutes Wohnen wird als intermediäre Form zwischen dem klassischen Heimbereich und der ambulanten Spitex gesehen. Betreutes Wohnen wird damit zu einem Teil der Langzeitpflege. Die Debatte um Betreutes Wohnen ist geprägt durch die Verwendung immer neuer, ungenügend erklärter Begriffe wie Wohnen mit Services, Wohnen mit Dienstleistungen, Wohnen plus. Zudem wurden lediglich in zehn Kantonen bereits gesetzliche Regelungen für Betreutes Wohnen eingeführt oder werden zurzeit ausgearbeitet. Dadurch zeigen sich große regionale Unterschiede sowohl im Angebotsumfang als auch in der Trägerschaft von Institutionen des Betreuten Wohnens. Die Vielfalt von Definitionen, fehlende gesetzliche Vorgaben und regionale Unterschiede erschweren die Diskussionen, in denen zuweilen Äpfel mit Birnen verglichen werden. Auch für die Ausgestaltung von Finanzierungsmodellen ist deshalb eine Definition von Betreutem Wohnen dringend nötig. Weiter beobachten wir in der Praxis auch immer wieder, dass Selbst-
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verständlichkeiten bei Wohnbauten als Betreutes Wohnen bezeichnet werden. So kommt es vor, dass eine neue Wohnanlage mit einem Lift, schwellenlosen Balkontüren und einer Notrufanlage als Betreutes Wohnen bezeichnet werden. Das ist irreführend und unter fachlichen Aspekten wenig aussagekräftig. Ein Lift und schwellenlose Balkontüren sollten heute wie der Airbag im Auto selbstverständlich sein. Das benötigt keine besondere Erwähnung. Jedenfalls sind diese genannten Punkte noch lange kein Umzugsgrund für einen älteren Menschen. Betreutes Wohnen braucht hier deutlich mehr Inhalte.
10.2.2 Das Wohn- und Pflegemodell 2030 Um das Betreute Wohnen in der Schweiz einordnen zu können, sei das Wohn- und Pflegemodell 2030 skizziert. Dieses Modell beschreibt die Wohn- und Dienstleistungsaspekte des Wohnens und Versorgt-Werdens im Alter.
Wohn- und Pflegemodell 2030 (Version I) In diesem Modell verstehen sich die Institutionen nicht mehr in erster Linie als „großes Gebäude“, sondern als ein Dienstleistungsunternehmen, das den Menschen ein selbstbestimmtes Leben in der von ihnen bevorzugten Wohnumgebung ermöglicht. Die Infrastruktur ist nicht mehr zwingend zentral und groß, sondern eher klein und dezentral (sozial-raumorientiert). Noch wichtiger als bisher wird die Zusammenarbeit mit den medizinischen Grundversorgern und mit dem Quartier. Die Wohnumgebung gewinnt dabei an Bedeutung. Die heutige Diskussion von „ambulant vor stationär“ wird zu einseitig geführt, zumal hierbei immer wieder der Fokus auf die „eigenen vier Wänd“ gerichtet wird, ohne die Wohnumgebung genügend zu berücksichtigen. Was nützen älteren Menschen die schönsten vier Wände, wenn die Wohnumgebung zu wenig attraktiv bzw. zu wenig alters-, sprich pflegegerecht gestaltet ist? Das gerontologische Konzept der Person-Umwelt-Passung fordert schon lange, dass sich gerade im höheren Alter die Pflege- und Betreuungsumgebung dem alten Menschen anpassen muss – und nicht umgekehrt. Obwohl es auch in Zukunft weiterhin spezialisierte Pflegeangebote für Geriatrie, Demenz, Palliative Care, Gerontopsychiatrie usw. brauchen wird, stellt das von CURAVIVA Schweiz entwickelte Modell den bisherigen Sozial- und Lebensraum der Menschen im Alter nun noch viel gezielter ins Zentrum. Der ältere Mensch soll mit seinem gesamten sozialen Beziehungsnetz „mitten im Leben“ verbleiben und bedarfsgerecht die notwendigen Dienstleistungen beziehen können. Den lauter werdenden Forderungen nach Selbstbestimmung und Autonomie älterer Menschen und Menschen mit Behinderung im Alter soll damit noch gezielter Rechnung getragen werden. Die nachfolgende Grafik zeigt die Elemente und Dienstleistungsangebote auf, welche die erste Version des Wohn- und Pflegemodells 2030 aus dem Jahre 2016 umfasst:
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Spezialisierte Pflegeangebote Wohnen 80+ in Appartements - 2- bis 3-Zimmer-Wohnungen, diverse Kategorien (auch „EL-fähig“) - Service à la carte - Betreuung und Begleitung - Pflege bis zum Lebensende
Pflege und Betreuung Demenz
Pflege und Pflege und Betreuung Betreuung Geronto- AÜP psych.
Gesundheitszentrum - Drehscheibe - Pflege und Betreuung (ambulant und stationär) - Verpflegung und Hauswirtschaft - Service a là carte - Therapieangebote - Medizinische Grundversorgung (Gruppenpraxen, Apotheke) - Tages- und Nachtangebote - Transportservice
Angestammte Wohnungen
Pflege und Betreuung Palliative Care
Quatierzentrum mit Freizeitangeboten - Kultur - Wellness - Fitness - Öffentlicher Bereich: Restaurant, Caffè, Bar usw. - Ferien
Abbildung 26: Das Wohn- und Pflegemodell 2030 (aus dem Jahre 2016)
Das Wohn- und Pflegemodell 2030 (Version II) Inzwischen wurde das Wohn- und Pflegemodell weiterentwickelt. Im Folgenden soll auf die Version II aus dem Jahre 2019 (Quelle CURAVIVA Schweiz, 2019) näher eingegangen werden. Nachbarschaft
Freiwillige
Bedarfsgerechte Leistungen
Beziehungen gestalten Alltagsgestaltung
Leistungserbringer/Anbieter Zentrum
Netzwerk
„Alles aus einer Hand“
„Leistungsvereinbarung“
Abbildung 27: Das Wohn- und Pflegemodell (Version II)
SOZIALRAUM
SOZIALRAUM
Wohnen
Dienstleistungen
Angehörige
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Die Veränderungen von der Version I zur Version II des Wohn- und Pflegemodells sind auf einen Blick erkennbar. In der ersten Version wurde noch stark von „der Organisation her“ gedacht, in der zweiten Version wird konsequent „vom Menschen her“ gedacht, der mit seinen verschiedenen Bedürfnissen im Zentrum der Ausgangslage steht, und zwar aus einer ganzheitlichen Perspektive. Das klingt selbstverständlich, ist es im heutigen System des Gesundheitswesens jedoch nicht. Dies zeigt sich u. a. bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen des KVG, das lediglich einen medizinischen und auf Krankheit fixierten Blickwinkel erlaubt. Das mit einem solchen Blickwinkel verbundene gerontologische Defizitmodell stammt jedoch aus den 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts und ist im gerontologischen Kontext schon seit Langem überholt. Der künftige Paradigmenwechsel geht davon aus, dass nicht nur in menschlichen Defiziten gedacht werden sollte und auch nicht nur in der Gebäudeplanung (oder Bettenplanung), sondern in Lebensräumen, die entsprechend bedarfsgerecht gestaltet werden müssen. Idealerweise ist der Mensch eingebettet in generationenübergreifende Zusammenhänge. Wenn wir die gerontologische Feststellung ernst nehmen, wonach Alter nicht einfach eine Krankheitsphase am Lebensende ist, sondern eine eigenständige Lebensphase, die bis zum Tod zum Leben gehört, dann gehören alle älteren Menschen immer eingebettet in das Zusammenleben mit anderen Generationen. Und dies getreu dem oben beschriebenen Motto „am Ende des Lebens, aber mitten im Leben dabei“. Das Leben schließt damit automatisch alle Lebensalter ein. Die Version II des Wohn- und Pflegemodells geht davon aus, dass Lebensraum- und Sozialraumgestaltung immer in erster Linie Beziehungsgestaltung ist. Diese Beziehungsgestaltung vollzieht sich zwischen zwei Polen, die den Menschen in der Mitte umschließen: 1. Die Ebene der Leistungserbringer. 1. Die Ebene der Menschen, die wiederum im Sinne der „sozialen Teilhabe“ und der 2. „sozialen Teilhabe“ am gesamten Prozess mitbeteiligt sind. Auf der Ebene der Leistungserbringer geht es darum, die verschiedenen Leistungen bedarfsund bedürfnisgerecht im Sinne eines ganzheitlichen Verständnisses (Körper, Seele und Geist) zu erbringen. Unterstützend können, gerade für Menschen mit einer lebensbegleitenden Behinderung, assistierende Technologien sein. Generell liegt das Potenzial von Technologien für ältere Menschen in der Möglichkeit, damit Einschränkungen in der Verrichtung alltäglicher Tätigkeiten zu kompensieren und dadurch an den verschiedenen Lebensbereichen teilhaben und teilnehmen zu können). Das Wohn- und Pflegemodell II unterscheidet zwischen den Angebotskategorien: Wohnformen, Dienstleistungen, Pflege/Betreuung und Alltagsgestaltung. Daraus ergibt sich der Angebotsmix, der für den jeweiligen Sozialraum passgenau zur Verfügung gestellt wird. Die nachfolgenden Grafiken zeigen, welche Möglichkeiten (nicht abschließend) damit gemeint sind.
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Wohnen
Nachbarschaft
Freiwillige
Bedarfsgerechte Leistungen
Wohnen
SOZIALRAUM
Angehörige
Beziehungen gestalten Dienstleistungen
Alltagsgestaltung
SOZIALRAUM
Betreutes Wohnen Cluster-Wohnen Generationen-Wohnen Wohngemeinschaften Hausgemeinschaften Angestammtes Wohnen Wohnen mit Services/DL Pflegeinstitutionen/ Pflegewohngruppen Alterswohnung/-siedlung Seniorenresidenzen Studenten-Wohnen Familien-Wohnen Single-Wohnen Altersheime
Leistungserbringer/Anbieter Zentrum
Netzwerk
„Alles aus einer Hand“
„Leistungsvereinbarung“
Abbildung 28: Das Wohn- und Pflegemodell – Wohnen
Dienstleistungen
Nachbarschaft
Freiwillige
Bedarfsgerechte Leistungen
Wohnen
SOZIALRAUM
Angehörige
Beziehungen gestalten Dienstleistungen
Alltagsgestaltung
SOZIALRAUM
Mobilität Technologieberatung Information / Beratung Begleitung / Koordination Mediz. Grundversorgung Mediz.-therapeutische DL Apotheke/ Drogerie Rechtsberatung Einkaufsmöglichkeiten Gastronomie/ Catering Coiffeur/ Kosmetik Reinigung/Wäscheservice Treuhand
Leistungserbringer/Anbieter Zentrum
Netzwerk
„Alles aus einer Hand“
„Leistungsvereinbarung“
Abbildung 29: Das Wohn- und Pflegemodell – Dienstleistungen
Es fällt auf, dass die Vielfalt der Angebote zunimmt und laufend weiter zunehmen wird. Dies ist zwangsläufig das Ergebnis des Generationen- und Gesellschaftswandels und einer zunehmend differenzierteren und individuelleren Gesellschaft. Diese gesellschaftlichen Entwicklungen machen natürlich vor dem Alter nicht Halt und werden deshalb die Angebotsformen der heutigen Langzeitpflege und -betreuung wie auch das gesamte Gesundheitswesen weiter ausdifferenzieren.
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Bedarfsgerechte Leistungen
Nachbarschaft
Freiwillige
Bedarfsgerechte Leistungen
Wohnen
SOZIALRAUM
Angehörige
Beziehungen gestalten Dienstleistungen
Alltagsgestaltung
SOZIALRAUM
Pflegerische Grundversorgung 24 Stunden Pflege-Service Betreuung Übergangspflege Tagesstätten Nachtstätten/ Nachtcafés Spitex Spezialisierte Pflegeangebote Begleitung
Leistungserbringer/Anbieter Zentrum
Netzwerk
„Alles aus einer Hand“
„Leistungsvereinbarung“
Abbildung 30: Das Wohn- und Pflegemodell – Bedarfsgerechte Leistungen
Alltagsgestaltung
Nachbarschaft
Freiwillige
Bedarfsgerechte Leistungen
Wohnen
SOZIALRAUM
Angehörige
Beziehungen gestalten Dienstleistungen
Alltagsgestaltung
SOZIALRAUM
Kultur/Musik Treffräume Reisen Café/Restaurants Wellness Fitness Spiritualität Kino
Leistungserbringer/Anbieter Zentrum
Netzwerk
„Alles aus einer Hand“
„Leistungsvereinbarung“
Abbildung 31: Das Wohn- und Pflegemodell – Alltagsgestaltung
Quelle: CURAVIVA Schweiz, 2019
Auf der Ebene der Leistungserbringer muss letztlich die strategische Entscheidung getroffen werden, ob die Anbieter zum Beispiel mit Kooperationsverträgen oder gar Fusionen zusammenarbeiten und die genannten Angebote als „alles aus einer Hand“ anbieten oder ob sie als ein Netzwerk von verschiedenen Anbietern mit ihren Angeboten (von ambulant bis stationär) daherkommen. Für beide Varianten gibt es viele Beispiele in der Praxis.
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Betreutes Wohnen für ältere Menschen
CURAVIVA Schweiz hat hierzu bereits im Jahre 2010 zusammen mit der Age Stiftung und Spitex Schweiz einen Bericht mit dem Titel „Verbundlösungen“ verfasst. Die integrierte Versorgung funktioniert im übertragenen Sinne wie ein Orchester. Alle Leistungserbringer spielen dasjenige Instrument, das sie am besten beherrschen, dem Dirigenten oder der Dirigentin kommt die Aufgabe zu, das gesamte Orchester zu einem wundervollen Klangkörper zu vereinen, damit es seine Leistung vernetzt und abgestimmt erbringen kann. Profitieren wird dann die Zuhörerin oder der Zuhörer. Soll der ältere und vor allem der vulnerable Mensch von einem bedarfsgerechten und auf ihn abgestimmten Angebot profitieren können, ohne dass er überfordert wird, benötigt es im Rahmen integrierter Versorgungsstrukturen eine Dirigentin oder einen Dirigenten, die oder der den gesamten Prozess steuert. Heute gelingt dies in einem fragmentierten und föderalistischen Gesundheitswesen nur bedingt. Entweder gibt es keine Person, die dirigiert, oder zu viele. Beides ist für eine bedarfsgerechte Versorgung und die Begleitung älterer Menschen nicht zielführend. Diesen damit verbundenen Paradigmenwechsel möchte CURAVIVA Schweiz mit den künftigen Projekten aus den vier Handlungsfeldern vorantreiben und mitgestalten. Auf der anderen Seite des Wohn- und Pflegemodells II steht die Seite der menschlichen Beziehungen. Es wird in den politischen und gesellschaftlichen Diskussionen zunehmend deutlicher, dass die Gestaltung der künftigen Langzeitpflege und -betreuung nicht nur aus dem formellen Hilfesystem allein gestaltet werden kann. Dies zum einen infolge der angespannten Personalsituation, zum anderen aber auch aufgrund ungelöster Fragen einer nachhaltigen Finanzierbarkeit. CURAVIVA Schweiz hat in einer Kostenstudie zur Version I des Wohn- und Pflegemodells bereits berechnen lassen, wie sich Kosteneinsparungen aus volkswirtschaftlicher Sicht im System der Langzeitpflege auswirken und realisieren lassen. Auf der Ebene der Menschen geht es darum, die verschiedenen Akteure in einem Sozialraum (Nachbarn, Freiwillige, Angehörige und Mitarbeitende der Leistungserbringer) so zusammenzubringen, dass dadurch ein moderiertes Bild von sozialer Teilhabe und sozialer Teilhabe entstehen kann. Es ist nicht nur so, dass ältere Menschen am gemeinschaftlichen Leben teilhaben möchten, sondern sie suchen auch – ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten entsprechend – nach Gelegenheiten, sich dort entsprechend aktiv einbringen zu können. Dies kann dadurch gelingen, dass man die Beziehungen der genannten Gruppen untereinander gestaltet und sie miteinander in Kontakt bringt. Dieses „Matching“ zwischen Menschen, die sich einbringen wollen, und denjenigen, die Hilfe oder Begleitung suchen, gelingt nicht, indem man die Personen nur zu- bzw. nebeneinander bringt. Das ist ein wichtiger Anfang, nachhaltig kann es dann wirken, wenn alle Beteiligten einen Sinn in ihrer Tätigkeit erkennen können und das Netzwerk – aktiv begleitet – aufgebaut werden kann. Das bedeutet nun nicht, dass aus Gründen der Finanzierbarkeit Aufgaben aus dem formellen Hilfesystem in das informelle Hilfesystem verschoben werden sollen. Es bedeutet aber, dass ein gut funktionierender Sozialraum das Potenzial des informellen Hilfesystems zu nutzen und zu vernetzen
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weiß. So ist beispielsweise das Potenzial künftig pensionierter Menschen in der Schweiz sehr hoch. Die Zahl, der in die Phase der Pensionierung eintretenden Personen wächst und ist vor allem dem Älterwerden der Babyboomergeneration zu verdanken. Die meisten dieser Menschen haben andere Vorstellungen, als sich auf einer Parkbank zur Ruhe zu setzen. Gelingt es, ihnen sinnhafte Tätigkeitsfelder im oben genannten Sinne zu vermitteln und sie dabei auch zu begleiten, kann das vorhandene Potenzial sehr gut zur Ausgestaltung eines Sozialraums genutzt werden (vgl. Handlungsfeld 2). In diesem Verständnis ist die bereits erwähnte Beziehungsgestaltung immer auch verbunden mit dem Vermitteln von Sinninhalten. Eine optimale Sinngestaltung ergibt sich auch aus dem moderierten und koordinierten menschlichen Miteinander. Dabei muss offenbleiben und ist bei jeder Gestaltung eines Sozialraumes neu zu bewerten, ob die Moderationsrolle aus den Reihen der vorhandenen Leistungserbringer oder durch die öffentliche Hand wahrgenommen wird.
10.2.3 Betreutes Wohnen in der Schweiz – aktueller Stand Die Organisationen CURAVIVA Schweiz, Senesuisse, Pro Senectute Schweiz und die Spitex Schweiz lancierten deshalb ein gemeinsames Projekt, in dem der Begriff des „Betreuten Wohnens“ genauer untersucht und ein möglicher Konsens gesucht werden sollte. Unter der Leitung von Prof. Dr. Lorenz Imhof, Nursing Science & Care GmbH, wurden Erkenntnisse aus der Fachliteratur zusammengefasst, Interviews mit Expertinnen und Experten geführt und eine mittels Delphi-Runden durchgeführte Umfrage bei Personen der Langzeitpflege und der Politik in einer Arbeitsgruppe ausgewertet. Ziel dieses Projekts war, dafür zu sorgen, dass wenn „Betreutes Wohnen” auf dem Angebotspaket steht, auch wirklich „Betreutes Wohnen” drin ist und die angebotene Wohnform nicht zum „bereuten Wohnen” (Anm: dieser Begriff stammt von Thomas Klie) wird. Die wesentlichen Resultate der Studie sind die Folgenden: Diskutiert wurden physische, persönliche und soziale Aspekte des Wohnens. Einig ist man sich über das Wohnangebot, das sich auf das physische Wohnen, die Zweckmäßigkeit der Räume und Einrichtungen bezieht. Es umfasst vorwiegend 1-, 2- und 2½-Zimmer mit eigener Küche, Bad/WC. Die Wohnungen müssen barrierearm oder barrierefrei sein. Das Angebot schließt Gemeinschaftsräume oder Gemeinschaftsgärten mit ein. Die Merkmale der Wohnungen unterscheiden sich wenig und sind innerhalb einer Preisklasse vergleichbar. Vereinzelt wird zusätzlich auf die Bedeutung einer guten Wohnumgebung, der Nachbarschaftskontakte, Einkaufsmöglichkeiten, Anbindung an den öffentlichen Verkehr hingewiesen. Diese Aspekte weisen auf zwei weitere Kriterien des Wohnens hin. Erstens das persönliche Wohnen, das biografische Kontinuität, Sicherheit und Kontrolle ermöglicht, und zweitens das
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soziale Wohnen, das Identität, aber auch soziale Kontakte, Privatsphäre, Rückzugsmöglichkeiten schafft und damit Autonomie und Selbstständigkeit ermöglicht. Eine Definition des Betreuten Wohnens muss daher alle drei Aspekte des Wohnens kombinieren und schließt so sinnhafte Alltagsaktivitäten und soziale Kontakte ebenso ein, wie notwendige finanzielle Mittel. Betreutes Wohnen in der Schweiz unterscheidet sich vor allem in Betreuungsumfang und Betreuungsqualität. Beschrieben werden Angebote ohne Leistung und solche mit bis zu neun verschiedene Unterstützungsleistungen. Der zeitliche Umfang von Leistungen variiert zwischen einer Verfügbarkeit von zehn Minuten pro Tag bis zu einer 24-Stunden-Bereitschaft und die Qualität bietet einen Telefondienst bis hin zum regelmäßigen persönlichen Kontakt mit einer qualifizierten Fachperson. Diese Unterschiede zu beschreiben, machte es nötig, sich mit den Gründen zu befassen, welche Betreutes Wohnen nötig machen, sowie die Ziele der Betreuung zu beleuchten. Betreuung wird im Übergang vom dritten ins vierte Lebensalter wichtig, wenn Beeinträchtigungen der physischen und psychischen Gesundheit den Alltag zunehmend beeinflussen. In diesem Alter müssen bestehende Alltagsroutinen aktiv neugestaltet werden. Dafür werden persönliche Fähigkeiten benötigt, die unter dem Begriff Self-Care und Self-Care-Capacity zusammengefasst werden. Self-Care beinhaltet sämtliche Handlungen, die Menschen initiieren oder ausführen, um gesund zu bleiben, sich persönlich weiterzuentwickeln und ein Leben mit guter Lebensqualität zu führen. Die Self-Care-Fähigkeiten werden durch die Umgebungssituation stark beeinflusst. Wenn Menschen chronische Leiden haben, medizinisch-pflegerische Unterstützung benötigen, von Geldsorgen geplagt werden und sich einsam fühlen, können diese Anforderungen die Self-Care-Fähigkeiten übersteigen. Der Alltag kann nicht mehr selbstständig gemeistert werden. Besteht in dieser Situation eine Lücke zwischen Unterstützungsbedarf und verfügbarer Hilfe, entsteht Verletzlichkeit, die als „Vulnerabilität“ bezeichnet wird. Betreuung reduziert oder verhindert diese Vulnerabilität. In seiner Botschaft zur Neuordnung der Pflegefinanzierung benutzt der Bundesrat eine Definition, welche diese Unterstützung der Self-Care-Fähigkeiten zur Aufgabe der professionellen Pflege erklärt. Professionelle Pflege ist demnach Pflege, „... die, darauf abzielt, Patienten und Patientinnen, deren Autonomie in ihren alltäglichen Lebensverrichtungen eingeschränkt ist, darin zu unterstützen, dass sie ihr Alltagsleben wieder aufnehmen, weiterführen, angepasst fortsetzen oder neu aufbauen können“. Die Aufgaben und Ziele von Betreutem Wohnen wären klar. Schwierigkeiten verursacht lediglich das Finanzierungssystem, welches Pflege und Betreuung trennt. Diese Trennung erzeugt nicht nur einem unklaren Begriff „Betreuung“, sondern gleichzeitig eine praxisfremde Definition der Pflege. Die Folgen sind eine schwierige Diskussion um Betreutes Wohnen und große Probleme in der Praxis der gesamten Langzeitversorgung. Die pflegerisch-betreuerischen Unterstützungsleistungen des Betreuten Wohnens lassen sich inhaltlich in vier Handlungsbereiche einteilen. Es handelt sich erstens
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um das am meisten genutzte Angebot zur Erhöhung der Sicherheit in gesundheitlich bedingten Notsituationen. Zweitens um Leistungen zur Entlastung der Betroffenen und/oder der Angehörigen. Drittens um Leistungen der pflegerischen Grundversorgung. Viertens um Leistungen im Bereich Aktivitäten und Veranstaltungen. Die Leistungen werden heute bereits von durchschnittlich 60 % der Institutionen angeboten. So unterschiedlich die Angebote, so unterschiedlich sind auch die anvisierten Personengruppen. Neben einer Gruppe für jüngere Menschen mit einer Behinderung können heute drei Zielgruppen älterer Menschen für Unterstützungsleistungen von Betreutem Wohnen unterschieden werden. Eine Gruppe meist im Alter zwischen 65 und 80 Jahren, die eine beschränkte Palette von Unterstützungsleistungen v. a. im Bereich „Entlastung“, „Freizeitangebot“ und „Sicherheit“ beansprucht. Zweitens, eine ältere Gruppe, vorwiegend im Alter über 80 Jahre, alleinstehend, mit einem hohen, sich verändernden Unterstützungsbedarf. Drittens, eine Gruppe von Personen, die heute nicht in Betreutes Wohnen aufgenommen werden oder Betreutes Wohnen leider wieder verlassen müssen. Sie benötigen längerfristig mehrmals täglich Leistungen, sind verwirrt, zeigen ein sozial auffälliges Verhalten, oder haben einen hohen Bedarf an Pflegeleistungen in der Nacht. In diese Gruppe ohne Zugang zum Betreuten Wohnen gehören auch Personen, die spezialisierte Unterstützungsleistungen der Palliativpflege benötigen. Menschen mit Demenz, mit psychischen Krankheiten oder mit einer Suchtkrankheit, deren Unterstützung im Alltag spezialisiertes Pflegewissen verlangt. Wie der Begriff des Betreuten Wohnens definiert wird, hängt wesentlich davon ab, an welche der drei Personengruppen im Alter sich das Angebot richten soll. Betreutes Wohnen ist aber auch mit bestehenden Strukturen der Langzeitpflege und unterschiedlichen politischen Realitäten konfrontiert. Eine Einheitslösung für alle ist nicht möglich. Deshalb wurden vier Versorgungsstufen definiert, die die kantonalen Versorgungsstrukturen, die demografische Entwicklung und die finanziellen Ressourcen berücksichtigen. Barrierefreies Wohnen ohne ein Angebot an Unterstützungsleistungen wurde nicht als Betreutes Wohnen betrachtet und in dieser Kategorisierung deshalb nicht berücksichtigt. Die vier Versorgungsstufen A bis D entsprechen den Bedürfnissen der drei beschriebenen Zielgruppen und werden durch drei Kriterien unterschieden: 1) Die Kontaktmöglichkeiten und zeitliche Präsenz von Fachpersonen; 2) die fachliche Qualifikation der Leistungserbringer und 3) die Planung, Dokumentation und Evaluation der Leistungen. Betreutes Wohnen der Versorgungsstufe D hat das kleinste, jenes der Versorgungsstufe A das umfangreichste Angebot an Unterstützungsleistungen, Präsenz, Beratung und fachlicher Expertise. Betreutes Wohnen der Versorgungsstufe D unterstützt Bewohnende mindestens bei Haushaltsarbeiten (Reinigung, Wäsche, Kochen / Einkaufen, Mahlzeitendiensts / Restaurant). Zusätzlich angeboten wird Unterstützung bei administrativen Aufgaben (Behördenkontakt, Versicherungen, Einzahlungen) und bei Fragen der Lebensgestaltung (Soziale Angebote, Begleitung, Transport). Auf Stufe D übernimmt die Institution stellvertretend für die Bewohner
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gewisse Arbeiten (Kundenauftrag). Aufträge können telefonisch während den Bürozeiten und persönlich bei einer Anlaufstelle während mind. drei Stunden pro Woche erteilt werden. Für die Sicherheit steht ein Notfalltelefon oder Notfallknopf mit einer 24-Stunden-Erreichbarkeit zur Verfügung. Mit der Durchführung der Unterstützungsleistungen können Dritte beauftragt werden. In der Versorgungsstufe C werden alle Leistungen im Bereich der Aktivitäten des täglichen Lebens angeboten. Die Versorgungsstufe D wird ergänzt durch die Unterstützung in der Körperpflege, beim Sich-Kleiden, bei der Mobilisation und durch die Beratung bezüglich Ernährung. Die Unterstützung ist präventiv und geht über die Erledigung von Kundenaufträgen hinaus. D. h. bestehende persönliche Ressourcen der Bewohnerin/des Bewohners werden bei der Planung berücksichtigt. Der Auftrag wird im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe mit den Bewohnenden ausgehandelt. Dies verlangt eine professionelle Beurteilung der Self-Care-Fähigkeiten und der Vulnerabilität durch eine Fachperson mit einer Ausbildung HF/FH im Sozialoder Gesundheitsbereich. Einschätzung und Leistungsvereinbarung werden dokumentiert. Eine Anlaufstelle ermöglicht den Kontakt zu Bürozeiten. Die Anliegen werden durch entsprechende Fachpersonen bearbeitet. Sicherheit wird garantiert durch ein Notfalltelefon oder einen Notfallknopf mit einer 24-Stunden-Erreichbarkeit. Eine Fachperson steht dafür bei Bedarf innerhalb einer kurzen Frist (15 bis 20 Minuten) zur Verfügung. Das Angebot der Versorgungsstufe B umfasst das ganze Spektrum pflegerisch-betreuerischer Aufgaben und Beratung. Der Fokus auf Förderung und Erhalt der Self-Care-Fähigkeiten verlangt bei diesen Bewohnern eine systematische Beurteilung der vorhandenen Ressourcen der Person (inklusive Angehörige), sowie der für den Alltag relevanten Gesundheitsfaktoren und -risiken. Betreutes Wohnen mit einem präventiven/fördernden Ansatz in den Versorgungsstufen A und B bedingt eine professionelle Beziehung, die garantieren kann, dass z. B. das Risiko von Einsamkeit erkannt und soziale Anlässe als Maßnahme der Prävention gegen Isolation und Einsamkeit geplant werden. „Zeit zu haben“ wird zum Qualitätsmerkmal dieser sorgenden Unterstützung. Diese Aufgaben verlangen eine 24-Stunden-Präsenz einer Fachperson (Ausbildung HF/ FH im Sozial- oder Gesundheitsbereich), welche in der Nacht auch als Pikett-Dienst gestaltet werden kann. Ein Notfallknopf oder -telefon, eine Fachperson mit einer 24-Stunden-Erreichbarkeit sowie Kontrollgänge bei Bedarf garantieren die Sicherheit. Bedarfsabklärung, Vereinbarungen und erbrachte Leistungen werden dokumentiert. Der Effekt bezüglich Self – Care – Fähigkeiten und Lebensqualität wird evaluiert. Organisationen der Versorgungsstufe A und B sind in koordinierenden Strukturen der Langzeitpflege aktiv und stellen Daten für Audits und Qualitätskontrollen zur Verfügung. Betreutes Wohnen der Versorgungsstufe A ist dazu konzipiert, Menschen bis ans Lebensende Unterstützung anzubieten. Alle Leistungen der Versorgungsstufe B werden ergänzt
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durch pflegerisch-betreuerische Unterstützungsleistungen einzelner speziell ausgebildeter Fachkräfte (Ausbildung Experten- / Masterstufe). Betreutes Wohnen der Kategorie A ist deshalb auch für Bewohner geeignet, die einen höheren pflegerischen Versorgungsbedarf aufweisen, oder spezialisierte Fachpersonen für Palliativpflege, für Demenz, für psychische Krankheiten oder Suchterkrankung benötigen. Organisationen deklarieren öffentlich, für welche Spezialaufgaben die Institution sich qualifiziert. Dieses Angebot verlangt die 24-StundenPräsenz einer Fachperson (Ausbildung HF/FH im Gesundheitsbereich), welche therapeutischpflegerische Maßnahmen selbstständig durchführen kann. Leistungen im Rahmen der Versorgungsstufe A werden vollumfänglich durch den Anbieter selber oder in enger Kooperation (Kooperationsvertrag) mit einer Institution der Langzeitpflege ausgeführt. Integrierte Modelle haben sich in der Langzeitpflege bewährt. Ein gutes Zusammenspiel der pflegerisch-medizinischen, hauswirtschaftlichen und sozialbetreuerischen Leistungen wirkt sich positiv auf die Sicherheit, Autonomie und Würde der Menschen aus. Integrierte Leistungen sind effektiv und kostensparend. Der gleiche Effekt ist auch im Betreuten Wohnen zu erwarten. Betreutes Wohnen in den Versorgungsstufen A bis C mit einem präventiven Anteil basieren auf einer professionellen Bedarfseinschätzung mit entsprechenden Maßnahmen. Dies verhindert Unter- wie auch Überversorgung und kann als Qualitätsmerkmal verwendet werden. Im Betreuten Wohnen die Self-Care-Fähigkeiten zu fördern verbindet die individuelle Sicht der Bewohnerin bzw. des Bewohners (Bedürfnis) mit der professionellen Bedarfsabklärung der Fachperson/des Anbieters (Bedarf). Qualitätskriterium in allen Versorgungsstufen A bis D bleibt, inwieweit Würde, das Gefühl der Selbstständigkeit und Autonomie im Betreuten Wohnen erhalten werden kann. Erstmals in der Schweiz wurden in einem Konsensprozess eine gemeinsame Definition und ein Stufenmodell des Betreuten Wohnens entwickelt. Es soll die Planungsdiskussionen auf kantonaler und Bundesebene unterstützen, indem Angebotsvarianten, Zielpopulationen und Qualitätskriterien konkret beschrieben werden. Der nächste Schritt wird nun sein, in einer neuen Studie die Kosten pro Versorgungsstufe (D bis A) zu ermitteln und darauf aufbauend ein Finanzierungsmodell vorzuschlagen.
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Literatur Claudius Hasenau / Lutz H. Michel (Hrsg.) Ambulant betreute Wohngemeinschaften, Vincentz Network, Hannover 2018 Imhof, Lorenz / Mahrer-Imhof, Romy. Betreutes Wohnen in der Schweiz: Grundlagen eines Modells. Basel. 2020. Lutz H. Michel /Walter Eichinger /Ingrid Hastedt (Hrsg.), Betreutes Wohnen für Senioren - Die ÖNORM CEN/TS 16118, Praxiskommentar Austrian Standards plus GmbH (Verlag), 2012 Lutz H. Michel, WG-Recht in der außerklinischen Intensivpflege, Whitepaper, Vincentz Network, Hannover 2023 Lutz H. Michel / Thomas Schlüter, Handbuch Betreutes Wohnen, Wohnen und Dienstleistungen für ältere Menschen, C.H. Beck, München 2012 Holger Mühlbauer: Betreutes Wohnen für ältere Menschen: Dienstleistungsanforderungen nach DIN 77800, Beuth Pocket Walter Zorn / Christoph Huth, S ervice-Wohnen für Senioren, Baustein für demografische Nachhaltigkeit und ESG-Investment, Whitepaper, Vincentz Network, Hannover 2023
Links www.neues-betreutes-wohnen.de SENIOR LIVING AUSTRIA 2023+ - 1. Markt -und Trendbericht 2022/2023. Hrsg.: EPHIC® REAL ESTATE. EuroPropertyInvest.Consulting GmbH. Download unter: https://www.ephic.immo/senior-living/ Seniorenwohnen Österreich – 2. Marktbericht 2020/21. Hrsg.: Silver Living GmbH. Download unter: https://silver-living.com/download-marktbericht-2020-21/
Autoren und Autorin
Autoren und Autorin Dr. Lutz H. Michel FRICS ist Rechtsanwalt und Chartered Surveyor und berät Anbieter-, Wohnungs- und Immobilienverbände, Investoren und Betreiber im Bereich des Immobilienwirtschaftsrechts spezialisiert auf Rechts- und Managementfragen rund um ServiceImmobilien, hier vor allem die „neuen Wohnformen“, vornehmlich in der DACH - Region, aber auch Spanien. Als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des DIS Institut für ServiceImmobilien wurde er u. a. zum stv. Obmann des Normenausschusses „DIN 77800 – Betreutes Wohnen“ sowie zum stv. Vorsitzenden des entsprechenden Zertifizierungsausschusses beim DIN Deutsches Institut für Normung e. V. berufen. Als Mitglied des ONK 258 des ASI Austrian Standards Institute wirkte er auf europäischer Ebene an der Entwicklung der CEN / TS 16118 - Sheltered Housing und die ÖNORM CEN / TS - 16119 – Betreutes Wohnen mit. In NRW ist er im Bereich ambulant betreute Wohngemeinschaften und „neue Quartierswohnformen“ u. a. als Berater von WIG Wohnen in Gemeinschaft e. V. und des bpa NRW intensiv eingebunden. Er ist zudem Herausgeber des Handbuch Betreutes Wohnen (C.H. Beck), eines Kommentars zur CEN / TS – 16119 – Betreutes Wohnen (AS+ publishing) sowie des Praxishandbuchs Ambulant Betreute Wohngemeinschaften (Vincentz Network). Er ist durch eine breit angelegte Vortrags- und Publikationstätigkeit zum Themenbereich Service- und Seniorenimmobilien in ihren rechtlichen, demografischen und wirtschaftlichen Bezügen ausgewiesen. Ferner wirkt er vielfältig in Branchenorganisationen mit; so ist er z. B. Fellow der Royal Institution of Chartered Surveyors.
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Jana Bockholdt, Geschäftsführerin Barmherzigen Schwestern Pflege GmbH. Ein Unternehmen der Vinzenz Gruppe. Nach der Ausbildung zur Diplom Gesundheits- und Krankenschwester in Deutschland folgten Studienabschlüsse im Bereich Krankenhausund Gesundheitsmanagement in Österreich. Berufserfahrungen wurden danach am LK Krems (Organisations- und Projektentwicklung, Pflegecontrolling), dem LK St. Pölten (Controlling), dem NÖ Hilfswerk (Geschäftsbereichsleitung Hilfe und Pflege daheim/Pflegedirektorin) gesammelt. Zusätzliche Qualifikation und Tätigkeit als allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige im Bereich Pflege und Betreuung.
Autoren und Autorin
Lorenz Imhof ist eine diplomierte Pflegefachperson, studierte an der University of California San Francisco -UCSF (USA), und promovierte 2003 in Pflegewissenschaft. Lorenz Imhof war 2006 bis 2017 Leiter der Forschungsabteilung Pflegewissenschaft an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und seit 2011 Professor für integrierte gemeindenahe Versorgung. Er hat zahlreiche Studien zur Versorgung von alten Menschen im stationären und ambulanten Bereich durchgeführt, darunter auch vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierte Interventionsstudien. Er und sein Team wurden 2014 für seine Arbeit „SpitexPlus“ mit dem Swiss Quality Award im ambulanten Bereich ausgezeichnet. Dabei handelt sich um die bis heute einzige experimentelle Studie im ambulanten Bereich, welche die Wirkung von Advanced Practice Nurses in der Schweiz untersucht hat. Seit 2016 ist er Mitinhaber der Nursing Science & Care GmbH und evaluiert gemeinsam mit seiner Partnerin Projekte zu integrierter Versorgung im Gesundheitswesen. Dabei werden vor allem auch die Vorteile praxisorientierter Aktionsforschung genutzt, um Fragen zur interprofessionellen Kollaboration und zur Entwicklung lebensweltorientierter Pflege zu beantworten. Lorenz Imhof ist Autor des Berichts „Betreutes Wohnen in der Schweiz: Grundlagen eines Modells“. Er ist in einer Expertengruppe von europäischen Wissenschaftler:innen aktiv, welche sich mit familienorientierte Pflege befasst. Zudem arbeitet er in verschiedenen Gremien mit, die sich mit Sozial- und Gesundheitsfragen beschäftigen.
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Markus Leser, Studium der Sozialarbeit und der Gerontologie mit Abschluss zum Dr. phil., Ausbildung in Marketing (Profit- und Non Profitbereich). Markus Leser arbeitet seit 1986 im Berufsfeld der Gerontologie. Während dieser Zeit arbeitete er in verschiedenen Positionen: in der Beratung von älteren Menschen und ihren Angehörigen, der Weiterbildung für Senioren (Pro Senectute Basel-Stadt von 1988 bis 2000), als Dozent an einem Institut für Aus- und Weiterbildung in Gerontologie und Marketing (Tertianum ZfP von 1998-2004), als Marketingleiter für eine in der Schweiz führende Firma, welche Seniorenresidenzen erstellt und auf den Markt bringt. Dort war er für die Vermarktung dieser Residenzen zuständig. Von 2003 bis 2021 leitete er den Fachbereich Alter bei CURAVIVA Schweiz – Verband Heime und Institutionen (www.curaviva.ch). Der Fachbereich Alter ist der Projekt- und Entwicklungsbereich für die Branche der Alters- und Pflegeinstitutionen in der Schweiz. Die Schwerpunkte liegen in der Erforschung und Realisierung neuer und innovativer Themen und Konzepte für die Branche sowie in der politischen Vertretung gegenüber der nationalen Politik. Mit der Fusion von Curaviva und Insos zu ARTISET Schweiz wurde er per 01.01.2022 Geschäftsführer des Branchenverbandes Curaviva Schweiz. Seit 01.02.2023 ist er nun für sein letztes Arbeitsjahr vor der Pensionierung Senior Consultant beim Branchenverband Curaviva. Ab 01.02.2024 wird er mit seiner Beratungsfirma «Markus Leser Consulting» Strategieentwicklungen für Altersinstitutionen und Gemeinden anbieten sowie sich weiterhin in Altersfragen engagieren (operativ tätig ab 01.02.2024). Markus Leser ist Mitglied von Gerontologie.CH und war während vier Jahren deren Präsident. Seit 2019 ist er wissenschaftlicher Beirat der Fachzeitschrift der FGPG (Fachgesellschaft Palliative Geriatrie). Ebenso hat er ein Verwaltungsratsmandat bei den Heimen Kriens inne und ist Stiftungsrat bei der GGN (Gesellschaft für das Gemeinnützige Neumünster) in Zürich. Im September 2017 erschien im Kohlhammer-Verlag sein Buch «Herausforderung Alter – ein Plädoyer für ein selbstbestimmtes Leben». Aus persönlicher wie auch gerontologischer Sicht ist ihm ein Eintreten für eine differenzierte Wahrnehmung des Alterns und des Alters ein großes Anliegen. Die Phase des Alters ist nicht nur ein «dunkel und hell», sondern wird durch seine farbliche Vielfalt sichtbar. .
...weitere Bücher für das Management
Unser Tipp
Das SGB XI – Beratungshandbuch 2022/23 Gut beraten – die Leistungen richtig erklären Andreas Heiber Wer Pflegebedürftige umfassend berät, arbeitet als Pflegedienst erfolgreicher. Das Handbuch hilft Informationen praxisnah darzustellen. Sie erhalten das nötige Handwerkszeug, um Ihren Kunden das volle Spektrum der Leistungen der Pflegeversicherung aufzuzeigen. 2022, 6. Überarbeitete Auflage, 260 Seiten, kart., Format 17 x 24 cm ISBN 978-3-7486-0568-3, Best.-Nr. 21926
Mit Kennzahlen optimieren Effizienz in Zeiten von Pflege 4.0 David Thiele, Siegfried Loewenguth Behalten Sie mit Kennzahlen die Wirtschaftlichkeit Ihres Ambulanten Dienstes im Blick. Das Autorenteam stellt typische Kennzahlen vom Kostendeckungsgrad über die ABC-Analyse der Patienten bis zum Pflegegrad-Mix vor. So steuern Sie Prozesse, treffen Entscheidungen auf sicherer Datenbasis. 2021, 148 Seiten, kart., Format 17 x 24 cm ISBN 978-3-7486-0459-4, Best.-Nr. 21705
Erfolgreich Führen und Leiten In ambulanter Pflege und Tagespflege Peter Wawrik, Karla Kämmer Von den Grundlagen des Personalmanagements über erfolgreiche Akquisemaßnahmen bis zur lebensphasenorientierten Personalführung – dieses Buch unterstützt mit vielen Beispielen aus der Praxis, Arbeitshilfen und Checklisten. 2019, 188 Seiten, kart., Format 17 x 24 cm ISBN 978-3-7486-0261-3, Best.-Nr. 21294
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