Besondere Unterrichtslehre [13. Auflage. Reprint 2019] 9783486745320, 9783486745313


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German Pages 478 [552] Year 1920

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Table of contents :
Vorrede zur ersten Auflage
Vorwort zur zehnten Auflage
Vorwort zur dreizehnten Auflage
Inhalt
Vorbemerkung
Besondere Unterrichtslehre
Erste Gruppe. Der Unterricht in der Muttersprache
Zweite Gruppe. Der Unterricht im Rechnen
Dritte Gruppe. Der Unterricht in den Realien
Vierte Gruppe. Kunstfertigkeiten
Fünfte Gruppe. Der Unterricht in der Religion
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Besondere Unterrichtslehre [13. Auflage. Reprint 2019]
 9783486745320, 9783486745313

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Besondere Unterrichtslehre

Praktische Erziehungsund Unterrichtslehre Für den Unterricht in Lehrerbildungsanstalten und für Volksschullehrer Yon

J. Böhm f Kgl. Seminarlehrer in Altdorf

Dritter Band

Besondere Unterrichtslehre 13. Auflage

München 1920 Druck und Verlag yon R. Oldenbourg Abteilung für Schulbücher

Besondere Unterrichtslehre Im Verein mit

L. Demolet, Dr. A. Fehn, K. Fuß, Fr. J. Gebhardt, D. Dr, Chr. Geyer, Chr. Hirschmann, A. König, J. Königbauer, J. G. Yogel, 0. Vogelhuber, V. Wolfinger, Fr. Zieroff herausgegeben von

Albert Fritz

und

Karl Böhm

Oberstudienrektor in Kaiserslautern

Hauptlehrer in Nürnberg

13. Auflage

München 1920 Druck und Verlag yon R. Oldenbourg Abteilung für Schulbücher

Vorrede zur ersten Auflage. Alle die trefflichen Anleitungen zum Volksschulunterricht von D i t t e s , K e h r , K e h r e i n , S c h ü t z e , S c h u m a n n etc. beruhen bezüglich des Lehrzieles, des Stoffausmaßes und der Stoffverteilung auf der Voraussetzung achtjähriger Werktagsschulpflicht. Eine Unterrichtslehre, in welcher auch die Methodik der einzelnen Unterrichtsgegenstände nach Maßgabe der in Bayern bestehenden Vorschriften und Verhältnisse (z. B. der siebenjährigen Werktagsschulpflicht) behandelt ist, hat es bisher nicht gegeben. Der Mangel eines solchen Buches wurde daher an den Seminarien sowohl als auch in den Lehrerfortbildungskursen lebhaft empfunden. Hierdurch wurde denn auch der Herausgeber veranlaßt, seinen in dieser Hinsicht schon länger gehegten Plan in dem vorliegenden Werke zu verwirklichen. Er konnte bei der Ausführung zwei Wege einschlagen; er konnte nämlich neben dem allgemeinen Teile auch die einzelnen Lehrfächer selbst behandeln oder für deren Bearbeitung tüchtige Fachlehrer zu interessieren suchen. Er hat den letzteren eingeschlagen und es ist ihm gelungen, eine Reihe von hochachtbaren Schulmännern als Mitarbeiter zu gewinnen, deren Namen für die Güte ihrer Beiträge bürgen. Sollte dadurch das einheitliche Gepräge gelitten haben, so wird dieser Nachteil durch die besseren Einzelleistungen bewährter Fachmänner sicher mehr als aufgewogen. Die Hauptsache ist wohl, daß die Mitarbeiter im Prinzip einig sind. Sie alle begegnen sich aber in dem Gedanken, daß der Unterricht das Kind nach seinen verschiedenen Seiten und Kräften, Aufgaben und Bedürfnissen im Auge behalten, daß

Vorrede.

VI

er die intellektuelle wie die ästhetische, die moralische wie die religiöse Erziehung fördern, mit einem Worte e r z i e h e n d sein müsse. Zugleich waren sie nach Tunlichkeit bestrebt, den Stoff nach gleichen Gesichtspunkten zu gliedern und möglichst übersichtlich darzustellen. Sie hoffen deshalb, mit dem vorliegenden Buche für den Unterricht in der Didaktik und Methodik eine zweckmäßige Unterlage geschaffen zu haben. Dabei sind sie aber nicht entfernt der Meinung, daß ihr Werk ein vollkommenes sei, glauben vielmehr, daß im Laufe der Zeit sich Gelegenheit finden werde, fühlbar werdende Mängel zu beseitigen, und nehmen diesbezügliche Wünsche und Ratschläge jederzeit dankbar entgegen. Das Buch wird für Katholiken mit der katholischen Katechetik ausgegeben. Für Protestanten fehlt die Religionsmethodik vorläufig, da das Manuskript wegen Arbeitsüberhäufung des Autors für die erste Auflage leider nicht zu erlangen war. Den Herren Mitarbeitern für ihr bereitwilliges Entgegenkommen meinen wärmsten Dank sagend, wünsche ich zum Schlüsse mit ihnen von Herzen, daß unsere Mühe durch reichen Erfolg im Unterricht sich lohne. Möge darum Gottes Segen auf unserer Arbeit ruhen und sie wirksam machen nicht nur in den Seminarien, sondern auch in den Volksschulen unseres geliebten Vaterlandes! Altdorf, den 30. Juli 1879.

J. Böhm.

Die zweite, völlig umgearbeitete Auflage erschien 1890, die dritte, verbesserte und vermehrte wurde 1896, die vierte 1899, die fünfte 1902, die sechste 1905, die siebente 1908, die achte 1910 und die neunte 1912 ausgegeben.

Vorwort.

VII

Vorwort zur zehnten Auflage. Die neue Auflage hat durchgreifendere Änderungen erfahren, Herr Seminarlehrer Vogelhuber übernahm die Umarbeitung des Unterrichts in der Muttersprache und im Zeichnen, Herr Hauptlehrer Wolfinger die Neubearbeitung der Methodik des Handarbeits- und Werkunterrichts, Herr Seminarlehrer König die des Gesangunterrichtes. Die übrigen Herren Mitarbeiter haben es sich ernstlich angelegen sein lassen, ihre Beiträge durch die Berücksichtigung der neuesten Literatur und der methodischen Bestrebungen der Gegenwart wissenschaftlich auf der Höhe zu erhalten. Möge auch die zehnte Auflage wohlwollende Aufnahme finden. Schwabach und Nürnberg, Juni 1914.

Älbert Fritz und Carl Böhm.

Vorwort zur dreizehnten Auflage. Der 3. Teil des Handbuches erscheint in 13. Auflage. Die außerordentlichen Preissteigerungen für Papier und Druck hatten es bisher verhindert, höchst notwendige Umarbeitungen vorzunehmen, das Werk den neuen Erkenntnissen und Forderungen auf dem didaktischen Gebiete anzupassen und der veränderten Wirklichkeit, auf die diese neuen Ergebnisse der Forschung anzuwenden sind, Rechnung zu tragen. Wir danken dem Verleger, daß er in dieser neuen Auflage wenigstens die Methodik des erdkundlichen und geschichtlichen Unterrichts in der neuen Bearbeitung der Herren Dr. Fehn und Zieroff aufgenommen hat. Weitere Umarbeitungen folgen. Auch die neuen Arbeiten fügen sich in den prinzipiellen Gedanken des ganzen Werkes glücklich ein. Alle Beiträge sind so gehalten, daß sie Verständnis und Interesse für didaktische und pädagogische Probleme erwecken, daß die Beschäftigung mit ihnen sich als eine kräftige Hilfe für die Bildung einer guten und brauchbaren Theorie erweist. Diese ist nach Dörpfeld's Wort die unentbehrliche Grundlage für die Schulpraxis. Kaiserslautern und Nürnberg, Saptember 1920.

Älbert Fritz und Carl Böhm.

I n h a l t . Besondere Unterrichtslehre. Vorbemerkung

Seite

XV Erste

Gruppe.

Der Unterricht in der Muttersprache. (Von O s k a r V o g e l h u b e r , Ober-Regierungsrat in München.)

Allgemeines Ursprung und Wesen der Sprache Bedeutung und Mangel der Sprache Aufgabe des Sprachunterrichts

1 1 3 5

1. Sprachlehre. I. Geschichtliche Betrachtung I I . Grundsätzliches über die Bedeutung und Aufgabe der Sprachlehre I I I . Stellung des Faches. (Der Stoff.) IV. Einzelne methodische Grundsätze Lehrskizzen Literatur . . . . .

6 12 16 18 19 20

2. Lesen. I. Begriff des Lesens II. Bedeutung und Aufgabe des Leseunterrichts I I I . Lesestoffe A. Grundsätzliches B. Die Geschichte des Lesebuchs IV. Lehrgrundsatze für die Lekturestufe Lehrskizze V . Geschichte der Leselehrmethoden V I . Ableitung einer zeitgemäßen Lese- und Schreiblehrmethode . V I I . Lehrgrundsätze für die Fibelstufe Literatur

22 27 29 29 31 37 41 44 53 59 61

Inhalt.

IX

3. Aufsatz. I. II. III. IV.

Selte

Geschichtliche Betrachtung Wesen des Stils Aufgabe und Stellung des Aufsatzunterrichts Stoffe und Formen des Aufsatzschreibens

64 68 74 76

V. Bildung der Aufsätze a) Stilentwicklung des Kindes b) Lehrverfahren Literatur

82 82 87 93

4. Rechtschreiben. I. Geschichtliche Betrachtung A . Die Geschichte des Rechtschreibens B. Die Geschichte der Rechtschreiblehrmethoden

95 95 97

II. Bedeutung der Aufgabe I I I . Stellung des Faches und Stoffauswahl I V . Das Lehrverfahren

100 101 102

Literatur

109

5. Der Anschauungsunterricht. I. II. III. IV. V. VI. VII.

Geschichtliche Betrachtung Psychologische Grundlegung Aufgabe und Bedeutung des Anschauungsunterrichts Stoff Methode Lehrprobe Literatur

Zweite

Gruppe.

D e r U n t e r r i c h t im ( V o n Joachim K ö n i g b a u e r ,

. . .

110 116 121 124 127 131 134

Rechnen,

Seminardirektor a . D

in W ü r z b u r g . )

1. Rechnen. I.

Zweck des Rechenunterrichts

I I . Stoff I I I . Methode a) Gang des Unterrichts (Grundsätze) b) Lehrform und Lehrweise Lehrprobe IV. Geschichte der Methodik des Rechenunterrichts A . Altertum B. Das Mittelalter C. Die Neuzeit V. L e h r m i t t e l

136 138 140 140 162 164 167 167 170 173 179

Inhalt.

X

2. Geometrie oder Raumlehre. Seite

I. Zweck der Geometrie II. Stoff III. Methode Lehrprobe IV. Geschichtliches V. L e h r m i t t e l

184 185 188 192 195 197 Dritte

Gruppe.

Der Unterricht in den Realien. I. Der Unterricht in der Erdkunde. (Von Dr. A n d r e a s F e h n , Lehrerbildner in Bamberg.)

I. Das Wesen der Erdkunde II. Geschichtliche Entwicklung der Arbeits- und Unterrichtsweise in der Erdkunde III. Wertung des Unterrichtsstoffes A. Bewußtseinstätigkeiten B. Lebensbedeutung der erdkundlichen Erkenntnis . . . IV. Seelische Voraussetzungen beim Schüler V. Aufgabe des Unterrichtsgegenstandes VI. Entfaltung der Stoffe A. Stoffauswahl B. Die Stoffanordnung VII. Lehr verfahren 1. Allgemeine Grundsätze 2. Unterrichtsstufen 3. Lehrgänge 4. Hilfsmittel VIII. Schrifttum 2 . D e r U n t e r r i c h t in d e r

199 202 212 212 215 217 219 222 222 222 223 223 224 224 226 232

Geschichte.

(Von Studienrat F r a n z Z i e r o f f in Asehaffenburg.)

I. Bedingungen eines zeitgemäßen Geschichtsunterrichtes . . . A. Bedingungen, welche in der Eigenart des Unterrichtsfaches liegen B. Bedingungen, welche in der geschichtlichen Entwicklung der Fachwissenschaft liegen C. Bedingungen, welche siöh ergeben aus der geschichtlichen Entwicklung der methodischen Probleme D. Bedingungen, welche im eigenartigen Wert der geschichtlichen Bildungsstoffe liegen E. Bedingungen, welche im Heimatserlebnis liegen . . . . F. Bedingungen, welche in der psychologischen Entwicklung des Schulkindes liegen

234 234 240 252 265 267 269

Inhalt. I I . Ergebnisse und Folgerungen für die Weise des geschichtlichen Unterrichtes A. Bedeutung, Ziel und Aufgabe des Geschichtsunterrichtes B . Grundsätze für die Entfaltung der Stoffe C. Grundsätzliches zur Verlebendigung des Stoffes . . . . D. Gestaltung einer Lehreinheit E . Betätigung persönlicher Kräfte durch Gestaltungsaufgaben I I I . Hinführung zum Schrifttum

XI Seite

274 274 276 280 290 296 302

3. Der Unterricht in der Naturkunde. (Von K o n r a d F u ß , Seminardirektor a . D . in Altdorf.)

A. Der Unterricht in der Naturgeschichte. I. Geschichtliche Entwicklung der Methodik des naturgeschichtlichen Unterrichts I I . Ziel und Bedeutung des naturkundlichen Unterrichts . . I I I . Stoff 1. Auswahl und Anordnung des Stoffes 2. Verteilung des Stoffes auf die einzelnen Schulklassen . . IV. Methode des naturgeschichtlichen Unterrichts Lehrproben V. L e h r m i t t e l

244 252 254 254 255 258 263 269

B. Der Unterricht in der Naturlehre. a) Der Unterricht in der Physik. I. Geschichtliche Entwicklung der Methodik des physikalischen Unterrichts I I . Ziel und Bedeutung I I I . Stoff 1. Auswahl und Anordnung des Stoffes 2. Verteilung auf die Schulklassen IV. Methode des physikalischen Unterrichts Lehrprobe V. L e h r m i t t e l

272 275 275 275 277 277 280 285

b) Der Unterricht in der Chemie. I. Geschichtliche Entwicklung der Methodik des chemischen Unterrichts I I . Bedeutung des chemischen Unterrichts I I I . Stoff 1. Auswahl 2. Anordnung IV. Methode V. L e h r m i t t e l

287 288 288 288 288 289 289

XII

Inhalt. Vi orte

Gruppe.

Der Unterricht in den Kunstfertigkeiten. I. D e r Schönschreibunterricht. (Von

J. G V o g e l , t Seminardirektor in Kaiserslautern.) Seite

I. II. III. IV.

Geschichte des Schönschreibunterrichts Zweck und Bedeutung des Schönschreibunterrichts . . . . Stoff des Schreibunterrichts Methode (Grundsätze) A. Eigenschaften einer schönen Schrift B. Voraussetzungen zur Erreichung einer schönen Schrift . C. Das Lehrverfahren lehrprobe V Lehrmittel

291 298 299 307 307 310 317 321 328

2. Der Gesangunterricht. (Von A

I II III

König,

Studienprofessor in

Schwabach)

Geschichtliches Wesen, Zweck und Bedeutung des Gesangunterrichts Stoff Methode Lehrproben Der Gesanglehrer . . Lehrmittel Literatur

.

330 332 333 335 342 346 346 346

. .

3. Der Unterricht im Zeichnen. ( N e u b e a r b e i t e t von O V o g e l h u b e r ,

Oberregierungsrat in M ü n c h e n . )

Freihandzeichnen I. Aufgabe und Bedeutung des Zeichenunterrichts I I . Stoff des Zeichnens I I I . Lehrverfahren I V . Lehrgang

347 347 352 353 359

Lehrprobe Schmückendes Zeichnen Das k o n s t r u k t i v e Zeichnen Bildbetrachtung V. Zur Geschichte des Zeichenunterrichts V I . L i t e r a t u r und U n t e r r i c h t s m i t t e l

361 363 364 365 366 372

4. Der Unterricht im Turnen. (Von (Umgearbeitet

J. B ö h m ,

t Seminarlehrer in A l t d o r f . )

von C h r . H i r s c h m a n n ,

I n s p e k t o r der L a n d e s t u r n a n s t a l t

in

München )

I. Geschichtliches I I . Wesen, Zweck und Bedeutung des Turnunterrichts I I I . Stoff des Turnunterrichts

375 . . . .

383 385

Inhalt.

XIII Seite

IV. Die Methode des Turnunterrichts Lehrprobe V. D i e U n t e r r i c h t s m i t t e l

390 393 396

5. Handarbeits- und Werkunterricht. (Von V . W o l f I n g e r , Bezirksschulrat in Nürnberg.)

I. Geschichte II. Ausgestaltung des Arbeitsunterrichts A. Schülerwerkstätten B. Der Werkunterricht a) Begriff und Durchführung b) Grundsätze c) Methode d) Der Lehrgang e) Lehrbeispiele III. Gegenwärtiger Stand des Handfertigkeits-und Werkunterrichts IV. L i t e r a t u r Fünfte

398 407 408 412 412 414 415 417 417 421 423

Gruppe.

Der Unterricht in der Religion. Katholische Katechetik. (Von K. L e M a i r e , Professor und L. D e m o l e t , Seminaroberlehrer a. D. Durchgesehen und ergänzt von Fr. J. G e b h a r d t , Studienprofessor in Speyer.)

I. II. III. IV.

Geschichtliches Wesen, Zweck und Aufgabe des Religionsunterrichts . . . . Stoff des Religionsunterrichts Lehrverfahren Unterstufe 1. Das hl. Kreuzzeichen 2. Die Gebetsformulare 3. Biblische Geschichte 4. Die Einführung in das kirchliche Leben Mittel- und Oberstufe 1. Die Biblische Geschichte 2. Der Katechismus 3. Die Einführung in das kirchliche Leben Unterrichtsproben Die Geburt Jesu Der zweite Glaubensartikel V. L i t e r a r i s c h e H i l f m i t t e l s

1 8 9 13 13 13 14 16 17 17 17 25 31 32 32 38 43

Protestantische Katechetik. (Von D. Dr. C h r i s t i a n G e y e r , Hauptprediger in Nürnberg.)

I. Zweck des Religionsunterrichtes II. Stoff des Religionsunterrichtes

1 2

XIV

Inhalt. Seite

III. Stoffverteilung IV. Methode des Religionsunterrichtes im allgemeinen 1. Die Person des Lehrers . 2. Die Darstellung V. Methode des Unterrichts im besonderen 1. Die biblische Geschichte Entwurf einer Lehrprobe 2. Das Bibellesen 3. Die Kirchengeschichte 4. Katechismus Entwurf einer Katechese 5. Sprüche Katechese über 1. Kor. 10, 16—17 6. Lied 7. Kirchenjahr, Gemeindegottesdienst. Hausandacht . . . . VI. Geschichte des Religionsunterrichtes VII. L i t e r a t u r

3 6 6 6 8 8 10 13 14 16 19 20 22 27 28 29 37

Vorbemerkung. Die Schule hat die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung den jüngeren Geschlechtern zu überliefern. Wie sie nun dieses Geschäft der Überlieferung ausübt, was sie an Lehrstoff auswählt, wie sie ihn anordnet und darstellt, welcher Lehrform und welcher Hilfsmittel sie sich bedient, das sind lauter Fragen, auf welche die s p e z i e l l e M e t h o d i k oder die d i d a k t i s c h e T h e o r i e der e i n z e l n e n Lehrfächer antwortet. Ein Hauptgewicht ist bei ihrer Darstellung auf die G e s c h i c h t e d e r M e t h o d i k gelegt. Im allgemeinen hegt dem Werke der Plan zugrunde, aus dem geschichtlichen Werden der Methode eines Lehrfaches das Verständnis für die heutige Art und Weise und daraus den Zweck und den Wert des Unterrichtsfaches zu gewinnen. Ein Lehrmittelverzeichnis konnte schon aus Mangel an Raum nicht vollständiger gegeben werden; überdies liegt es dem Zwecke des Buches fern, eine große Anzahl von Namen und Büchertiteln zu bringen. Es genügt, wenn die wichtigsten Schriften im Gedanken an die geschichtliche Entwicklung des Faches angeführt sind. Wer sich genauer orientieren will, muß auf die pädagogischen Ratgeber und Jahresschauen verwiesen werden, die mit ihren sorgfältigen Beurteilungen der Neuerscheinungen heutzutage unentbehrliche Bücher geworden sind. — Die in diesem Buche bearbeiteten Lehrgegenstände der Volksschule folgen in fünf Gruppen, deren e r s t e der wichtigste Gegenstand, der R e l i g i o n s u n t e r r i e h t mit seinen besonderen Fächern, bilden sollte. Da aber

XVI

Vorbemerkung.

diesem Buche zum Teil die Methodik des katholischen, zum Teil die des protestantischen Religionsunterrichts, nicht aber beide zugleich eingefügt werden, so fordern typographische Gründe, daß der Religionsunterricht ans Ende gestellt werde. Die fünf Gruppen ordnen sich sonach wie folgt: E r s t e G r u p p e . Der Unterricht in der Muttersprache. Z w e i t e G r u p p e . Der Unterricht im Rechnen. D r i t t e G r u p p e . Der Unterricht in den Realien. V i e r t e G r u p p e . Der Unterricht in den Kunstfertigkeiten. F ü n f t e G r u p p e . Der Religionsunterricht.

Erste

Gruppe.

Der Unterricht in der Muttersprache. Von

Oskar Vogelhuber, Kgl

Seminarlehrer in Schwabach.

Allgemeines. Ursprung und Wesen der Sprache. Der neueren Überzeugung vom Wesen der Sprache hat W. v. H u m b o l d t die Bahn gebrochen. Er stellt fest: 1. »Die Sprache ist kein fertiges, ruhendes Ding, sondern etwas in jedem Augenblick Werdendes, Entstehendes und Vergehendes . . . . soll von ihrem Wesen und Ursprung gehandelt werden, so darf sie nicht als gegebenes Mittel, sondern muß als geistige Tätigkeit genommen werden.« 2. Die Sprache ist »nicht eigentlich Mittel, die schon erkannte Wahrheit darzustellen, sondern weit mehr die vorher unerkannte zu entdecken«. 3. »Es gibt nichts Einzelnes in der Sprache; jedes ihrer Elemente kündigt sich nur als ein Teil eines Ganzen an.« Demnach ist die Sprache kein fertiges System starrer Formen, jederzeit aufnahmebereit für kommende und gehende Vorstellungen und Gedanken, sondern eine Entwicklung. W u n d t kommt durch psychologische Untersuchung zu demselben Ergebnis. Nach ihm sind Entwicklung der Sprache und Entwicklung des Bewußtseins unzertrennlich. Gefühls- und Vorstellungsbewegungen im Bewußtsein äußern sich zunächst durch den Gesamtausdruck des ganzen Körpers, durch Mimik und Pantomimik. Eine besondere Art B ö h m, Prakt. Erziehungs-u. Unterrichtslehre. I I I . Bd. i S . A u f l .

1

2

Der Unterricht in der Muttersprache.

der Gebärden ist die Lautgebärde, die in einer Bewegung der Artikulationsorgane besteht. Die hörbare Wirkung dieser Bewegungen ist der Laut. Er ist also ein sekundäres Erzeugnis, während die Lautgebärde das primäre Erzeugnis ist. Die Sprache ist aus der Gesamtheit der Ausdrucksbewegungen hervorgegangen. Die Grenze zwischen Sprache und sprachlosem Zustand ist demnach keine absolute, sondern eine fließende; es findet ein allmählicher Übergang der Gebärdensprache zur Lautsprache statt. Nach und nach hat sich die Lautsprache von der Gebärdensprache losgelöst und ist selbständig geworden ; denn wenn auch die Gebärde verschwindet, so bleibt doch die Bedeutung des Lautes bestehen, auch dann, wenn Lautgebärde und Laut ihre ursprüngliche Beziehung zu dem Gegenstand gelöst haben. Aus den ursprünglichen Sprachlauten entwickelten und entwickeln sich in fortwährenden Neu- und Umbildungsprozessen andere Formen der Wortbildung und Satzfügung und andere Bedeutungen ; die geistige Entwicklung des Menschen spiegelt sich im Werden der Sprache. Die drei Hauptfaktoren, welche die Entwicklung der Sprache bestimmen, sind: die Tradition der von der vorausgegangenen Generation gesprochenen Sprache; die Mischung der Sprachen verschiedener Nationen; die Änderungen, denen die Sprache durch ihre Beziehung zu den Kultureinflüssen ausgesetzt ist. Die Sprache führt kein selbständiges Dasein außer dem Menschen. Sie ist eine lebendige Betätigung des Geistes. Ihr Werden und ihre Veränderungen sind bedingt durch das Werden und die Veränderungen des Geisteslebens. Die S p r a c h e n t w i c k l u n g des I n d i v i d u u m s vollzieht sich nach denselben Gesetzen wie die der G a t t u n g . Doch herrscht keine Identität. Denn der neugeborene Mensch ist bereits der Erbe einer Entwicklung und wird in einen relativ vollkommenen Sprachzustand hineingeboren, der sein sprachliches Werden in eine bestimmte Richtung weist. Das einzelne über die individuelle Sprachentwicklung ist aus der Kinderpsychologie zu ersehen.

3

Allgemeines.

Wir können nun folgende bedeutsame F e s t s t e l l u n g e n für den S p r a c h u n t e r r i c h t machen: 1. Die Sprache ist kein ruhendes System, sondern wie das Bewußtsein selbst eine sich stets erneuernde und fortschreitende Tätigkeit. 2. Die Sprache ist nicht tote Form. Die Form kann vom Gedanken, also von seelischer Bewegung, nicht getrennt werden. Ausdruck und Bedeutung wollen zusammen betrachtet sein. 3. Das Wort ist die äußerliche und konventionelle Verkörperung der Vorstellung. 4. Bei der Satzbildung wird eine Gesamtvorstellung durch das Mittel der Sprache in ihre Bestandteile gegliedert. Der Satz ist das Urgebilde der Sprache. 5. Der Gedanke ist flüchtig. Um faßbar zu werden, muß er versinnlicht werden. Der erste Grad der Versinnlichung ist die Aussprache, der zweite Grad die schriftliche Fixierung. Die Schriftsprache bewahrt das Denken vor Verflüchtigung, zwingt es allerdings auch in eine gewisse Erstarrung. Der Träger der Sprachentwicklung ist das sprechende Individuum. Die Kraft und Schönheit der Sprache ist in erster Linie individuelle Gestaltung. 6. Wie die Bewußtseinstätigkeit so ist auch die Sprache individuell verschieden. Besonders das Kind, das auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe steht, muß auch eine unvollkommenere Sprache haben als der Erwachsene. Bedeutung und Mängel der Sprache.

A. B e d e u t u n g . Die Inhalte des Denkens gelangen durch die Sprache zur D a r s t e l l u n g und zur F ö r d e r u n g . 1. D a r s t e l l u n g . Die Sprache ist das bedeutsamste und unersetzliche Verständigungsmittel für die menschliche Gemeinschaft. Schon von grauer Zeit an haben die Menschen ihr Denken sprachlich dargestellt und fixiert. Diese geschichtlichen Denkleistungen gelangen durch die Sprachdenkmäler auf die Gegenwart und treten dem werdenden Menschen als ein höchst wichtiges Bildungsmittel entgegen (objektiver Geist). 1»

4

Der Unterricht in der Muttersprache.

2. F ö r d e r u n g , a) Die Sprache ermögliche eine Steigerung des Denkens bis in die höchsten Höhen der Abstraktion. Beispielsweise ist »Seligkeit« nur in sprachlicher Fassung denkbar. b) Sie überwindet die Enge des Bewußtseins durch Zusammenfassung und Bereitstellung beliebig vieler Vorstellungen. Wieviel Einzelvorstellungen sind z. B. in dem Ausdruck »Die Kämpfe des 16. Jahrhunderts« zusammengefaßt! c) Indem sie das Mittel ist, Gesetzmäßigkeiten zu formulieren, also den Reichtum der Erscheinungen durch Ordnung und Übersicht zu beherrschen, steigert sie die Macht unseres Denkens über die Außenwelt. b) und c) bedeutet zugleich eine Entlastung des Bewußtseins. d) Sie wirkt dem flüchtigen Wesen der Vorstellungen entgegen, indem sie das Mittel zur Definition ist, durch die das unbestimmte und schwankende Vorstellen zum Begriff erhoben wird. B. M ä n g e l . Gegenüber dem Denken zeigt die Sprache Mängel. a) Als soziales Erzeugnis und Verständigungsmittel ist sie wie die Masse überhaupt mehr beharrend als fortschrittlich und konserviert die Überreste einer früheren Anschauungs- und Gefühlswelt, z. B.: Die Sonne geht auf. b) Als Versinnlichung des Denkens ist sie nicht imstande, Abstraktes gleichbedeutend wiederzugeben. Sie muß bildern. Auch die abstrakten Ausdrücke bezeichnen im Grunde Sinnliches. c) Sie ist dem Reichtum der Dinge und Erscheinungen und somit auch dem der Bewußtseinserlebnisse nicht völlig gewachsen und muß das viele einzelne in allgemeinen Ausdrücken zusammenfassen. Im ganzen ist die Sprache nicht imstande, das wahre Wesen der Dinge und Erlebnisse restlos abzubilden. Daher der alte Gegensatz zwischen Wort und Sache und die alte Abneigung gegen das bloße Wortbrauchen. Darin liegt auch die schädliche Einseitigkeit einer nur sprachlichen Bildung.

Allgemeines.

5

Aufgabe des Sprachunterrichts. Das in die Schule eintretende Kind spricht vorher gern und viel, aber es plaudert nur. Die Schule muß dieses M i t t e i l u n g s b e d ü r f n i s erhalten und benutzen, soll es aber dahin umbiegen, daß sich das Kind beim sprachlichen Ausdruck in Zucht nimmt. Die Wahl der Worte und die Gestalt des Satzbaucs soll betätigt werden mit bewußter Rücksicht auf die auszudrückende Bedeutung, so daß diese in möglichst glücklicher Form erscheint. Dazu ist das Kind anfänglich noch nicht imstande; aber der Unterricht muß von Anfang an darauf zielen. Ist Sprache die Außenseite geistiger Bewegung, dann ist Sprachbildung in erster Linie V o r s t e l l u n g s - u n d G e dankenbildung. Jeder Sprachunterricht, besonders auch der elementare, muß ausgehen von einer fortschreitenden Bereicherung und Vertiefung der Vorstellungs- und Gedankenwelt. Hierin liegt ein Großteil der Bedeutung des Anschauungsunterrichts. Ein psychologisch richtiger Unterricht wird das Kind nicht mit einem Schlag in eine völlig neue Sprachwelt versetzen, sondern es aus dem gegebenen Zustand allmählich in den gewünschten überführen. Daraus ist für den Lehrer die Pflicht abzuleiten, zur K i n d e r s p r a c h e herabzusteigen, um sie emporzubilden. Besonders muß er die M u n d a r t schonend behandeln, da diese die lebendige Quelle der Muttersprache ist. Sprache ist zunächst Sprechen und nicht Schreiben. Also besteht der erste Sprachunterricht im S p r e c h e n u n d H ö r e n . Der ganze Unterrichtsverkehr zwischen Kind und Lehrer sollte zunächst in Sprechen und Hören bestehen. Dann würde die Sprache erfahren werden als das, was sie wirklich ist, als eine klingende Lebensäußerung des Bewußtseins. Falsch wäre es, raschen Erfolg zu erhoffen; es dauert Jahre, bis der Wildwuchs der Kindersprache entsprechend herangezogen ist. Auf dieser Grundlage tritt, vielleicht mit dem 4. Jahrgang, die S p r a c h b e l e h r u n g ein. Das Kind soll dadurch zur Einsicht kommen, warum die von ihm verlangte gute Sprache so sein muß und nicht anders sein darf. Die Sprachlehre vollendet die Gewöhnung und damit den UnterrichtsVorgang, in welchem die mundartliche Kindersprache zur Schrift-

6

Der Unterricht in der Muttersprache.

spräche umgebildet wird, soweit dies in der Volksschule möglich ist. Daß diese Belehrung nicht an der Form haften bleibt, sondern vom Inhalte her geschieht, ist nach unserer Einsicht in das Wesen der Sprache selbstverständlich. So geht Sprachvertiefung auf Geistesvertiefung hinaus. Dies führt uns darauf, das Geistesleben und Sprachleben des Kindes von einer andern Seite her zu fördern. Es sind die Werke deutscher Geistesgrößen und Sprachgestalter, die einen schönen, reichen und tiefen Geist in gleichwertiger Sprache darbieten. Wir führen das Kind ein in diese Erzeugnisse, treiben also Lesen oder Lektüre. Natürlich kommen nur solche Werke in Betracht, die dem Verständnis des Kindes erschließbar sind. Die Voraussetzung zur Lektüre ist, daß das Kind die T e c h n i k des L e s e n s beherrscht. Der Sprachunterricht ist also in erster Linie Inhaltsunterricht. Dies hat die Bedeutung einer fortwährenden geistigen Anregung und Bereicherung. Nach seiner Grundveranlagung ist der Mensch zum Ausdruck seiner Geistesinhalte gedrängt. Er will schaffen; auch das Kind will es. Die Sprache ist ein höchst wichtiges Ausdrucksmittel. So soll das Kind sprechend und schreibend seine inneren Erlebnisse gestalten. Das geschieht durch V o r t r a g u n d A u f s a t z . Die Sprache hat gewisse orthographische und kalligraphische Formen bekommen, auf die jeder Deutsche verpflichtet ist. Hier liegt die Wurzel der Teilfächer R e c h t s c h r e i b e n und S c h ö n s c h r e i b e n . Nicht darf der Sprachunterricht die Beziehung zum künftigen Leben des Schülers aus dem Auge lassen. Das ist nicht platt nützlich zu verstehen, sondern es heißt: Dem sich e n t w i c k e l n d e n M e n s c h e n ein m ö g l i c h s t vollkommenes geistiges Verkehrs- und Ausdrucksmittel in s e i n e r S p r a c h e zu s c h a f f e n .

1. Sprachlehre. I. Geschichtliche Betrachtung.

Das Wort S p r a c h l e h r e hat p r a k t i s c h e n und t h e o r e t i s c h e n Sinn. Praktisch aufgefaßt ist sie Unterricht im Lesen und Schreiben, im Rechtschreiben und im schriftlichen Gedanken-

Sprachlehre.

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ausdruck; im theoretischen Sinn ist sie grammatikalischer Unterricht, also ein Vertrautmachen mit den Formen, Regeln und Gesetzen der Sprache. Als praktischer Unterricht im genügend richtigen Gebrauch der Muttersprache ist Sprachlehre schon von jeher in der Volksschule heimisch, wenn auch von Sprachunterricht nicht die Rede ist; man treibt eben Lesen, Schreiben usw. Die Sprachlehre, im engeren Sinn des Grammatikunterrichts, kommt erst unter dem Einfluß des P h i l a n t h r o p i n i s m u s in die Volksschule, der viele »gemeinnützige und wohlfeile deutsche Sprachlehren« erzeugt, und im Zusammenhang mit dem sich verinnerlichenden Volksbildungsgedanken. Von ältesten und älteren Sprachlehren seien V a l e n t i n I c k e l s a m e r s »teutsche Grammatikeni, 1531, und A d e l u n g s »Deutsche Sprachlehre für Schülern genannt. Sie und andere deutsche Sprachlehren sind mehr für die höheren Schulen bestimmt. Der Zweck, dem der Grammatikunterricht oder die Sprachlehre in der Volksschule dienen soll, ist von Anfang an zweifach. Zunächst scheint es wichtig, daß die Schüler ihre Muttersprache (das Neuhochdeutsch) richtig verstehen, sprechen und schreiben lernen; aus der Grammatik soll also der praktische Gebrauch der Sprache gelernt werden. Der methodische Weg dazu ist zweifach. Die einen stellen Regeln auf, geben Sprachformen in mehr oder weniger systematischer Weise und schließen Übungen an, um so die gute Sprache zu lehren; vornehmlieh kommt es dabei auf die Erzielung einer richtigen Orthographie an. ( I c k e l s a m e r ; F i e d l e r : eine »Faßliche Unterweisung, jedes deutsche Wort recht schreiben zu lernen, nebst den sichersten Regeln, die Wörter . . . richtig zu gebrauchen«.) Die anderen, besonders die Philanthropen, gehen vom Beispiel zur Lehre. N a c h W i l m s e n ist es dabei vor irehmlich zu tun um die Deutlichkeit, Richtigkeit und Bestimmtheit des Ausdrucks; nach P ö h l m a n n (1813) soll die Sprachlehre erreichen, daß die Schüler in den Stand gesetzt würden, Buch, Wochenblatt und Vorträge zu verstehen, sich richtig und bestimmt auszudrücken, kleine Aufsätze ohne Fehler gegen die Syntax, Orthographie und den Wortsinn niederzuschreiben. Zu diesem p r a k t i s c h e n Z w e c k der Sprachlehre gesollte sich bereits bei den Philanthropen ein f o r m a l e r . Mittels

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Der Unterricht in der Muttersprache.

der Sprache sollen die Schüler im Denken geübt werden. Rochow verlangt, daß aus den Lesestücken seines Kinderfreunds die »höchst nützliche Muttersprache gründlich gelehrt« werde und L o r e n z deutet dies aus als eine »Heraushebung und Erklärung einzelner Wörter und die Belehrung über grammatische Dinge«. P e s t a l o z z i fordert im siebenten Brief von »Wie Gertrud ihre Kinder lehrt«, daß die Sprache als ein »Mittel der allmählichen Klarmachung unserer Begriffe« behandelt werde. Nach H e i n s i u s (1800) sollen Denkübungen mit dem eigentlichen Sprachunterricht verbunden werden. K r u g (1824) meint, daß »der Schüler selbsttätig die Sprache erfasse . . . als ein organisches Produkt seines Denkens. Der Schüler soll an den Sprach- und Wortformen selbst immer richtiger fühlen und denken lernen.« Die gezeigte Entwicklung bereitet den Einfluß vor, den die S p T a c h d e n k l e h r e des Sprachforschers B e c k e r (1833) auf den Schulunterricht gewonnen hat. Ihm ist die Sprache eine Einheit, in der die Ordnung des menschlichen Denkens in die Erscheinung tritt. Die Formen der Sprache sind demnach das Tor, durch das der Sprachschüler Einblick in die Operationen des Denkens, in die Logik gewinnt. Die Sprache anzuschauen und zu studieren heißt also: »den Vorgang des Urteilens, die Vorstellungen von Ding und Tätigkeit und ihre Arten, sowie die Verhältnisse von Raum, Zeit, Ursache, Wirkung, Wirklichkeit, Möglichkeit, Notwendigkeit usw. klar, bestimmt und wahrhaft in der innern Anschauung aufzufassen«. Die Sprachlehre wird zur Sprachdenklehre oder Logik. Die Denkübungen erfolgen zunächst mittels der Sprache, hierauf gehen sie über die Sprache und zuletzt über das Denken in der Sprache. Zweck ist eine höhere Stufe der geistigen Bildung. Von den vielen praktischen Anweisungen, die aus Beckers Theorie entstanden, sei die »Praktische Sprachdenklehre« von W u r s t (1836) hervorgehoben, die Beckers Gedanken für die Volksschule ausmünzt. In der Praxis werden nun Satzarten, Satzglieder, Redeteile in ihren Verhältnissen und Beziehungen bis ins einzelnste aufgefaßt, benannt und eingeprägt. Es ist also die Form, an der das Denken geübt wird; der Gedanke, der Inhalt tritt zurück. Die weitere P r a x i s der Volksschule wird selbstverständlich von dieser gewiß nicht geistlosen Richtung beeinflußt.

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Sprachlehre.

Sie nimmt Beckersche Ansichten auf. Doch gilt der praktisch materiale Zweck, der unterrichtlich näherliegt, auch als der vordringliche. In der Methode befestigt sich endgültig das Anschauungsprinzip Pestalozzis ( D i e s t e r w e g , Denzel, Scholz). Einfache Denkübungen mit und an der Sprache, etwas theoretisches Wissen, im ganzen aber praktisch-materialer Zweck — so ist nun der Geist der Sprachlehre für die Volksschule auf einige Jahrzehnte hinaus bestimmt. Die Entwicklung erfolgt zunächst nach der methodischen Seite hin. Die zunehmende Ausbreitung und Bedeutung des Lesebuchs, eine ferner sich bemerkbar machende Hinneigung zur analytischen Methode erzeugt um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Ansicht, daß der gesamte Sprachunterricht an das Leseb u c h anzuschließen sei (Kellner, Otto um 1840). Die grammatischen Belehrungen sollen an den Sprachganzen des Lesebuchs erfolgen, die demnach in analytischem Verfahren zu behandeln sind. K e l l n e r stellt der Sprachlehre die Aufgabe, das Sprachverständnis zu fördern, dadurch den Geist zu bilden, provinziellen Sprachfehlern entgegenzuwirken und die Basis für den Rechtschreibunterricht zu bilden. Nach O t t o soll nur das behandelt werden, was »zum Verständnis der Rede

und

für

den folgerichtigen

Gebrauch

der

Sprache

notwendig isi«, indem man ausgeht von der Vergleichung der Ausdrücke und fortschreitet zu ihrer bewußten Unterscheidung. Damit hat die Sprachlehre ihre Selbständigkeit verloren und ist zu einem Teil des Leseunterrichts geworden ( a n g e l e h n t e r U n t e r r i c h t , z e n t r a l i s i e r e n d - g r a m m a t i s c h e M e t h o d e ) . Zugunsten dieser Methode ist anzuführen, daß der Gedankeninhalt erhöhte Bedeutung bekommt gegenüber dem bloß Formalen. Doch werden ihre Mängel bald erkannt und hervorgehoben. Die lebensvollen Stücke des Lesebuchs zeigen die grammatischen Formen nur zufällig, nicht in einer systematisch geordneten Folge; anderseits wird ihre inhaltliche Bedeutung durch die zerpflückende Analyse schwer geschädigt. So entsteht Unsicherheit über die Art und Weise der Zergliederung, über den Stufengang und den Zweck des Unterrichts. Das führt zu einer Durchbrechung des Prinzips. Die Sprachlehre wird nun an eigens gefertigte Lesestücke angeschlossen, die zwar den grammatischen Belehrungen eine

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Der Unterricht in der Muttersprache.

gute Unterlage bieten, infolge ihres platten Inhalts aber den höheren Zwecken des Unterrichts entgegenstehen. Kellner und Otto sind schließlich einzuräumen gezwungen, daß man statt der Lesestücke auch eine B e i s p i e l g r a m m a t i k dem Unterricht zugrundelegen könne. In dieser Richtung entwickelt sich die Methodik weiter. Man treibt wieder einen b e s o n d e r e n S p r a c h l e h r u n t e r r i c h t , indem man die grammatischen Belehrungen an M u s t e r s ä t z e anschließt. K e h r (1871) empfiehlt den Anschluß an inhaltsvolle und formkorrekte Mustersätze und wendet sich gegen die analytische Zerfetzung der Lesestücke, da ein geordneter systematischer Lehrgang notwendig sei. C. R i c h t e r schlägt ebenfalls eine Mustersatzsammlung vor und läßt die Lesestücke erst bei der Wiederholung und Übung benutzen. P a n i t z will den Inhalt der Mustersätze aus dem ganzen Sachunterricht gewonnen haben; außerdem sind geeignete Lesestücke auszuwählen, an denen die mannigfaltigen grammatischen Belehrungen praktisch gezeigt werden können. Daneben erheben sich gewichtige Stimmen, die überhaupt einen grammatikalischen Unterricht aus der Volksschule verbannt wissen wollen ( W a c k e r n a g e l , Rümelin, Raumer, Völter). Grammatik habe wissenschaftlichen Charakter; in die Volksschule gehöre aber keine Wissenschaft, sondern eine Sprachbildung durch Lesen, Schreiben und Sprechenhören. Grammatik leite zur Reflexion über die Muttersprache an; um dazu fähig zu sein, müsse der Schüler die Sprache bereits • beherrschen. Auch die von H u m b o l d t ausgehende neue Auffassung vom Wesen der Sprache ist dem üblichen Grammatikunterricht nicht günstig. In G o e t h e , dem Künstler, dem die Sprache als ein stets sich ¿weckvoll bildendes Ausdrucksmittel erscheinen mußte, in G r i m m , der die Entwicklungsgeschichte der Sprache aufdeckte, ist diese Auffassung lebendig. Beide wenden sich scharf und höhnisch gegen die schulmäßige Sprachlehre mit ihren Beispielen, Regeln und Anwendungen. Grimm empfiehlt als beste Lehre der Muttersprache, einfach die natürliche Anlage zur Sprache sich auswirken zu lassen. Wenn man bedenkt, daß alle die gezeigten Ansichten und Methoden in die Praxis der Volksschule eindrangen, so ist klar,

Sprachlehre.

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daß hier ein Wirrwarr der Meinungen und Leistungen entstehen mußte. Doch immer schälte sich die G r u n d f r a g e heraus: Kann Sprache ^us der wissenschaftlichen Grammatik gelernt werden? Einen bedeutsamen Wendepunkt in dieser Entwicklung bildet H i l d e b r a n d s Werk »Vom deutschen Sprachunterricht in der Schule und von deutscher Erziehung und Bildung überhaupt«. (1867), nachdem R i c h t e r (1866) mit seinen Ausführungen über Ziel, Umfang und Form des grammatischen Unterrichts in der Volksschule den Anstoß gegeben hat. Nun wird Sprache als Sprechen erkannt. Sprachunterricht ist also Sprechenlassen, Übung von Mund und Ohr. Die grammatische Form allein ist nur um des Inhaltes willen da, kann also nur aus den Inhalten verstanden und gebildet werden. Die Sprachregel ist kein von außen kommendes Gesetz, sondern ein in der Veranlagung des Menschen begründetes und klar gewordenes Naturgesetz. Das Hochdeutsche muß im Anschluß an die Mundart gelehrt werden, die in besonderem Maße die Trägerin inhaltlicher Werte ist. Da jederzeit die Sprache aus der Bedeutung zu lernen ist, ist ein systematischer Grammatikunterricht verfehlt. Ein starker Bundesgenosse entsteht diesen Aufstellungen in der modernen S p r a c h p s y c h o l o g i e (Wundt), die darlegt, daß die Sprache fortwährenden Neu- und Umbildungsprozessen in Bedeutung und Form unterliegt. Zu all diesen neueren Gedanken über Sprache und Sprachlehre fügt die Gegenwart wenig grundsätzlich Neues. A n t h e s wendet sich in seiner Schrift »Regelmühle« (1906) gegen die Regelgrammatik und empfiehlt als bestes Sprachbildungsmittel Sprechen, Hören, Lesen, Schreiben, also Sprachtätigkeit. Die Sprachformen sollen gewonnen werden aus dem Verständnis lebensvollen Inhalts; demnach ist von besonderer Bedeutung die Wortbedeutungslehre. L i n d e legt das Hauptgewicht auf tiefgehendes Erfassen des Wortinhalts. Der M ü n c h e n e r L e h r p l a n geht aus vom Sprach- und Fehlerschatz des Kindes und will dessen Sprache durch Übungen im Aufsuchen und Erklären sinnverwandter Wörter, im Verwenden von bildlichen Ausdrücken, von Sprichwörtern usw. berichtigen und veredeln lassen. Auch die weitere reiche Literatur

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Der Unterricht in der Muttersprache.

steht unter der Forderung Hildebrands, daß »mit der Sprache zugleich ihr Lebensgehalt frisch und warm erfaßt werde«. Die dabei erscheinende Neigupg, Sprachlehre vorzüglich als W o r t b e d e u t u n g s u n t e r r i c h t (Onomatik) aufzufassen, legt den Anschluß an die Mundart nahe; sog. H e i m a t g r a m m a t i k e n treten mehr und mehr an die Stelle der allgemeinen wissenschaftlichen Grammatik. Eine weitere Aufhellung der in Frage stehenden stofflichen und methodischen Fragen ist von der erst im Anfangsstadium befindlichen psychologischen Erforschung der Schulkindersprache zu erwarten. Siehe Literaturnachweis S. 21. II. Grundsätzliches über Bedeutung und Aufgabe der Sprachlehre.

Wenn auch die geschichtliche Entwicklung ohne weiteres eine Sprachlehre im Geiste Hildebrands vorschreibt, so macht es die geistvolle Theorie Beckers doch nötig, sich mit ihr auseinanderzusetzen. An dieser Theorie fällt zunächst der ganz richtige Grundgedanke auf, daß die Sprache ein von Gesetzen beherrschtes einheitliches Ganzes ist. Nach Becker aber muß dieses Ganze aufgefaßt werden als ein fertiges System, als ein logischer Mechanismus, der im Grammatikunterricht zerlegt und wieder zusammengesetzt wird. Dies ist wissenschaftlich falsch. Die Sprache ist ein sich fortwährend entwickelnder Organismus, der zum Teil abstirbt, zum Teil Neubildungen aus sich erzeugt. Darum ist sie nur teilweise festgewordene Logik; vieles ist Gebrauch und also logisch schwankend. Eine Durchprüfung der deutschen Sprache beweist auch, daß die sachliche Logik und die grammatischen Formen häufig im Widerspruch stehen. Nur eine tote Sprache erscheint als abgeschlossenes logisches System; die lebendige Sprache kann kein ruhendes Schema sein, weil sie dem weiterdenkenden Bewußtsein folgt. Daraus ist ersichtlich, daß Becker den Begriff der Logik einseitig und zu enge faßt. Wie ein anschauliches und begriffliches Denken zu unterscheiden ist, so auch eine gefühlsmäßige und verstandesmäßige Logik. Auch von der letzteren, die sich auf einem klar gewordenen Grunderlebnis aufbaut, ist die Logik der Sprache nur eine

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Seite. Der Aufbau einer Pflanze, einer Eisenbahnbrücke, einer mathematischen Lösung zeigt andere Seiten der verstandesmäßigen Logik (reflektierende, objektive und systematische Logik). So sind auch trotz ihres innigen Zusammenhangs Denken und Sprechen nicht identisch. Denken ist weiter als Sprechen; der Schachspieler beispielsweise denkt ohne sprachliche Gliederung seiner psychischen Erlebnisse. Ist somit die Grundauffassung Beckers von der völligen Abbildung eines geistigen Mechanismus.in der Sprache wissenschaftlich unhaltbar, so ist das Schicksal seiner methodischen Bestrebungen besiegelt. Eine völlige Verirrung ist Wursts Bestreben, einen derartig wissenschaftlichen Unterricht in die Volksschule zu verpflanzen. Mit der Ablehnung Beckers und Wursts ist auch die grundsätzliche Frage, ob in der Volksschule die Sprachlehre im Sinne einer Reflexion über die Sprache zu betreiben sei, verneint. Definitionen, scharfsinnige Unterscheidungen, Einteilungen usw. gehören nicht in die Volksschule. Hier s t e h t der G r a m m a t i k u n t e r r i c h t im D i e n s t e der p r a k t i s c h e n S p r a c h b i l d u n g . Daraus die Frage: Kann überhaupt die Sprache aus der Grammatik gelernt werden ? N o t w e n d i g k e i t , A u f g a b e und S t e l l u n g des Grammatikunterrichts ergeben sich aus der Antwort. G r a m m a t i k ist die Lehre von den Sprachgebilden, von den Lauten, Wörtern, Wortverbindungen und Sätzen. Sie stellt diese in einem wissenschaftlichen System zusammen, um den gesamten Sprachbau dem Überblick darzubieten. Daraus ist ersichtlich, daß sie eine Abstraktion und allgemeinen Charakters ist; wirklich und lebendig ist die Sprache nur im Mund der Individuen. Der individuellen Sprache gegenüber repräsentiert die Grammatik die traditionelle Sprache. Sie hält den Sprachzustand einer solchen Periode fest, die der Lebende bereits mit historischem Blick anschauen muß. So zeigt unsere deutsche Grammatik wesentlich die Sprache der letzten literarischen Blüteperiode und ist stark beeinflußt von der lateinischen Grammatik. Eine andere Tatsache, die dem individuellen Sprechen gegenübertritt, ist der S p r a c h g e b r a u c h . Er ist die Art und Weise, wie man sich gegenwärtig richtig und schön ausdrückt.

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Der Unterricht in der Muttersprache.

Bestimmt wird er durch die einflußreichen Dichter, Schriftsteller, Redner und durch das Sprechen der Gebildeten. Er ist stets wechselnd; die Gründe dafür sind in der Abhängigkeit der Sprache von den sich ändernden Kultureinflüssen und in der Sprachenmischung der verschiedenen Nationen zu suchen. Für beides also, Grammatik und Sprachgebrauch, kann der Anspruch erhoben werden, die lebende individuelle Sprache nach Inhalt, Richtigkeit und Schönheit zu bestimmen, also auch dem Sprachschüler die Gesetze vorzuschreiben, nach denen sich seine Sprachentwicklung zu vollziehen hat. Gegen den Einfluß der Grammatik spricht der Gedanke, daß- sich eine lebendige Sprache aus einem ruhenden System nicht bilden lasse ; der Sprachgebrauch dagegen ist schwankend, schwer bestimmbar und würde die Gefahr einer Sprachverwilderung begünstigen. Nun lehrt die Sprachpsychologie, daß beide Kräfte in der B i l d u n g der l e b e n d e n S p r a c h e wirksam sind, die T r a d i t i o n sowohl als die den S p r a c h g e b r a u c h schaffenden Faktoren. Nur ist ihr Einfluß bei den verschiedenen Sprachen verschieden. In den westeuropäischen Sprachen hat der Sprachgebrauch viel mehr Einfluß auf die lebendige Sprache als im Deutschen. Doch auch im Deutschen scheint eine ähnliche Entwicklung eingesetzt zu haben. Dies bedeutet, daß die Methodik der Sprachlehre geneigt ist, den Gedanken aufzugeben, daß Sprache aus den Regeln der Grammatik gelernt werden könnte. Der Wert der Grammatik liegt darin, daß sie der individuellen Sprachverflüchtigung entgegenwirkt. Die eigentliche Sprachbildung entsteht aus den Kräften, die den Sprachgebrauch schaffen, nämlich aus den sich verändernden seelischen Zuständen und Inhalten, und erfolgt demnach durch G e b r a u c h der S p r a c h e : S p r e c h e n , H ö r e n , L e s e n , S c h r e i b e n . Hildebrands Auffassung vom Wesen der Sprachregel ist damit bestätigt, sowie die Neigung der modernen Sprachmethodiker, Sprachlehre besonders als Wortbedeutungslehre zu betreiben. Somit ist die Sprachlehre als notwendig für die Volksschule erwiesen, wenn auch ihre Bedeutung für die Sprach-

Sprachlehre.

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bildung stark beschränkt wird. I h r e A u f g a b e im allg e m e i n e n ist die B e r e i c h e r u n g , B e r i c h t i g u n g , Vere d e l u n g der noch u n v o l l k o m m e n e n K i n d e r s p r a c h e . Mängel und Eigenheiten der Kindersprache also bestimmen die Aufgabe und das Arbeitsgebiet der Sprachlehre im besonderen. Nur der Lehrer, der die Mängel und Eigenheiten der Kindersprache kennt, vermag einen guten Sprachlehrunterricht zu erteilen. Das Studium der bisherigen und weiteren Veröffentlichungen über die Kindersprache ist ihm demnach unerläßlich. Die Notwendigkeit der Sprachlehre ergibt sich aus folgenden Einzeltatsachen: a) Die a l t e r s m u n d a r t l i c h e Unreife der kindlichen Sprache soll, wenn sie auch die natürliche Grundlage des Unterrichts bildet, zum vollkommeneren Schriftdeutsch entwickelt werden. Ihre Unvollkommenheit zeigt sich sowohl in den Formen als in den Bedeutungen. Der Wortschatz ist gering. Die Wörter werden teils verallgemeinernd, teils zu eng gebraucht. Die Satzbildung erfolgt noch nicht nach Grund und Folge. Dazu kommen die besonderen Eigentümlichkeiten, die aus der spezifischen Umwelt des Kindes seine sich bildende Sprache beeinflußten. b) D i a l e k t i s c h e Verstöße gegen die gute Sprachform und Bedeutung werden vom Schulkinde in Fülle gemacht und müssen beseitigt werden, wie überhaupt der Dialekt in das Hochdeutsche übergeführt werden muß. c) Die R e c h t s c h r e i b u n g wird befestigt durch grammatische Einsicht. d) Die Z e i c h e n s e t z u n g kann nur im Zusammenhang mit der Satzbildung, also der Satzlehre gelehrt werden. Aus diesen Gründen ist Sprachlehre notwendig. Sie hat demnach das schwache Sprachgefühl des Kindes zur Einsicht aufzuhellen, so daß der Sprachscliüler bewußt die richtige Form und Bedeutung gebrauchen lernt. Dies geht allerdings zuletzt wieder auf eine Stärkung des Sprachgefühls hinaus. Der ideale Zweck der Sprachlehre wäre, daß die Sprache dem Schüler zu einem interessanten Beobachtungsobjekt gemacht würde, an dem Rätsel und Probleme zu entdecken und zu lösen sind.

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Der Unterricht in der Muttersprache.

III. Stellung des Faches.

Die Frage heißt: Gehört dem Fach infolge der geschilderten Bedeutung eine s e l b s t ä n d i g e S t e l l u n g im Stundenplan oder wird es nur als G e l e g e n h e i t s u n t e r r i c h t im Anschluß an andere Fächer erteilt ? Die amtlichen Lehrpläne schreiben meist eine selbständige Sprachlehre vor. Ziller lehnt einen selbständigen Gang dieses Unterrichts ab nach seinem Grundsatz: »Grammatisches ist überhaupt nur soweit zu erörtern, als dadurch ein Bedürfnis befriedigt wird.« Die Theorie und Praxis der Gegenwart vertritt beide Standpunkte. Als dienendes Fach könnte Sprachlehre angeschlossen werden an den gesamten Sach- und Sprachunterricht. Dann würde nur gelegentlich, z. B. bei hervortretenden Mängeln, eine Deutschstunde in eine besondere Grammatikstunde umgewandelt werden. Beispielsweise würde eine falsch deklinierte adjektivische Beifügung der Anlaß werden, daß der Lehrer den wesentlichen Stoff über solche grammatische Erscheinungen sammelt und eine Stunde hält über die methodische Einheit »Das Eigenschaftswort als Beifügung«. Ganz in die Brüche käme dabei das grammatische System. Nun ist es nach der Entwicklung dieses Unterrichts unmöglich, Grammatik in systematischem Gang vorzuführen. Da sie die Aufgabe hat, den Sprachgebrauch der Schüler zu verbessern, so muß sie an die lebendige Sprache der Schüler anschließen. Das hervortretende Bedürfnis gibt also durchaus den Ausschlag. Die Konsequenz wäre ein nur angelehnter, gelegentlich erfolgender Unterricht. Man darf vor den Nachteilen einer so erteilten Sprachlehre nicht die Augen verschließen. Gelegenheitsunterricht ist unterrichtstechnisch schwierig zu erteilen; die mangelnde Ordnung und Übersichtlichkeit schafft Unklarheit und Verwirrung und ist dem Behalten nicht günstig. Diese Gründe sind derartig schwerwiegend, daß eine s e l b s t ä n d i g e S p r a c h l e h r e zu empfehlen ist. Nur darf sie nicht Systematik lehren. Der Lehrer führt ein Heft, in das er fortlaufend die aus dem Sprechverkehr mit den Kindern sich ergebenden Fälle sammelt, die eine Besprechung als nötig erscheinen lassen und

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Sprachlehre.

deren würdig sind; dazu trägt er weiteren einschlägigen Stoff ein. Dieses Heft ersetzt ihm das Grammatikbuch. Aus ihm erfolgen die Belehrungen der Grammatikstunde. Von Zeit zu Zeit werden Ruhepausen eingeschaltet, in denen der behandelte Stoff überblickt und geordnet wird. Die Ordnung kann im Sinne des grammatischen Systems erfolgen, das demnach sich ungezwungen aus dem Unterricht selbst ergibt. Als Gedächtnisstütze führen die Schüler ein Notizheft. So betrieben vereinigt die Sprachlehre die Vorzüge des angelehnten und selbständigen Unterrichts. Der Stoff.

Der Stoff ist zu gliedern in F o r m e n l e h r e und Bedeutungslehre. Die Formenlehre zerfällt in Lautlehre, Wortlehre und Satzlehre. Die Bedeutungslehre oder Onomatik hat es vor allem zu tun mit dem tiefergehenden Erfassen des Wortinhalts. Im einzelnen kommt folgendes vornehmlich in Betracht: I. F o r m e n l e h r e . 1. L a u t l e h r e : Erzeugung der Laute; An-, In- und Auslaut; Länge und Kürze; Mundartliches; verschiedene Zeichen für denselben Laut; Umlaut; Selbstlaut und Mitlaut; Lautwandel; Abstoßung; Ausstoßung; Angleichung; Umstellung; Silbentrennung. 2. W o r t l e h r e : Wortarten; Geschlecht; Mehrzahl; Abwandlung der Dingwörter; Fürwort; Vergleichung; Zahlwort. 3. S a t z l e h r e : Fragesatz, Ausrufesatz, Befehlsatz; Beziehung der Satzglieder; Umwandlung von Satzgliedern in Sätze; einfacher Gedankenanschluß; Grund und Folge; die Umstände. II. B e d e u t u n g s l e h r e : Gleichbedeutende mundartliche Ausdrücke und Wendungen; Suchen von Synonymen; kontrastierende Bedeutungen; auffallende Wortbetonungen; Verwendung eines Worts in verschiedenem Zusammenhang; Etymologisches; Homonyme; Zergliederung der Sammelnamen; Zurückführung auf die sinnliche Grundbedeutung; Wortpaare; Wortgeschwister; Redensarten; Sprichwörter; Bedeutungswandel u. a. m. Böhm. Prakt.Erziehungs-u. Untemchtslehre. III Bei IS Aufl.

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Der Unterricht in der Muttersprache.

Dieses Stoffschema drückt selbstverständlich nichts vom Inhalt und Geist des Unterrichts aus. Genaueres darüber gehört nicht in den Rahmen dieser Arbeit. Es sei deswegen auf folgende wertvolle Erscheinungen, die in die Hand jedes Volksschullehrers gehören, verwiesen: I t s c h n e r , Sprachlehre für die Kinder des Volks; L i n d e , Die Muttersprache im Elementarunterricht. Sie beraten bis ins einzelnste. Außerdem soll sich der Lehrer eine Sammlung der heimatlichen O r t s - , S t r a ß e n - , F e l d - , W a l d n a m e n mit etymologischen und onomatischen Erläuterungen anlegen. Ebenso sind die hervorstechenden S a c h g e b i e t e und B e r u f e der Heimat nach ihren sprachlichen Bildungen zu durchforschen. Die Schüler folgen mit hohem Interesse. Hieraus erst wird der Unterschied zwischen inhaltlichem Denken und dem formalen Denken der Beckerschen Sprachlehre recht klar. IV. Einzelne methodische Grundsätze. Die Sprachlehre besteht in G e w ö h n u n g und B e l e h r u n g . Der Lehrer hat die Schüler an den Gebrauch der richtigen Formen und Bedeutungen zu g e w ö h n e n . Dies leistet er zunächst durch das Vorbild eines sorgfältigen Sprechens. Seine Sprache muß zum Kinde herabsteigen. Doch darf sie nicht unrichtig und kindisch werden. Wenn sie nur einfach und gegenständlich ist, wird sie gutes Deutsch und trotzdem kindertümlich sein. Unverkennbar muß das kindertümliche Sprechen des Lehrers die Tendenz enthalten, die Schülersprache vorwärts zu entwickeln. Der Schüler hört die Lehrersprache, lernt die Formen und Bedeutungen gleichermaßen gebrauchen und übt sich so durch Hören und Sprechen. Verstöße werden vom Lehrer richtigLesen, Aufsatzbildung, Rechtschreiben, der ganze gestellt. Sachunterricht geben die Gelegenheiten zur Sprachgewöhnung. Nie darf das Kind Formen gebrauchen, die nicht aus klaren Bedeutungen erzeugt sind. Seine Sprache soll der Ausdruck erfaßter Inhalte sein. Das Kind muß das Gewissen bekommen, für Nicht- oder Halbverstandenes keine Worte zu haben. So sind in der Sprachgewöhnung die drei Tendenzen

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Sprachlehre.

wirksam, die überhaupt die individuelle Sprachentwicklung beherrschen: N a c h a h m u n g , A n a l o g i e b i l d u n g , P r o d u k t i o n infolge der Anlage zur Sprache. Während die Gewöhnung über den ganzen Unterricht sich verbreitert, erfolgt die B e l e h r u n g in bestimmt umrissenen methodischen Einheiten. Wir schließen sie an: a) an Fehler, die im Sprechverkehr zwischen Lehrer und Schüler bemerkbar werden; b) an Fehler in den schriftlichen Arbeiten; c) an die Form- und Bedeutungsprobleme, die im Lesen auftauchen; d) an interessante Beobachtungen, die de!* Lehrer an der Heimatsprache macht; e) an selbständige Fragen und Entdeckungen der Schüler. Stets ist die Grundlage der Sprachbelehrung die Sacherläuterung. Das ist die Stufe der Anschauung. Zur abstrahierenden Erkenntnis, zum Gesetz, zur Regel also kann die Belehrung nur dann geführt werden,.wenn wirklich eine Gesetzmäßigkeit vorliegt und der Sprachgebrauch seinen auflösenden Einfluß nicht zu stark bemerkbar macht. Übung wird sich stets anschließen lassen; sie soll die produktiven Kräfte der Kinder besonders in Anspruch nehmen. Der Möglichkeiten, anschauen und üben zu lassen, sind es sehr viele; es sei wieder auf die oben genannten Stoffsammlungen verwiesen. Die Schüler schreiben die Ergebnisse des Unterrichts in einem Heft zusammen. So entsteht ihnen allmählich ein Buch voll sachlich-sprachlichen Inhalts, nach F r ö h l i c h s Ausdruck ein Sprachbilderbuch; es tritt an die Stelle der gewöhnlichen systematisch angelegten Sprachbücher. Lehrskizzen.

I. Unterstufe. Thema: Umlaut. Mehrzahl. Die Eisenbahn, a) Ich sitze im Wagen. Auf einer Bank. Neben mir ein Mann. Der hat den Hut auf. Eine Frau trägt einen Korb auf dem Schoß. Jetzt knarrt ein Rad. Der Zug rollt. Wenn er hält, kriegen wir einen Stoß. b) Die Leute sitzen in den Wägen. Auf Bänken. Die Hälfte sind Männer. Sie haben ihre Hüte auf. Zwei Frauen tragen Körbe 2*

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Der Unterricht in der Muttersprache.

auf dem Schoß. Nun knarren die Räder. Bald begegnen sich zwei Züge. Wenn der Zug hält, setzt es Stöße ab. Verkleinerung. Der Eisenbahnwagen — aber das Kind fährt ein Wägelchen. Die Bank — unter dem Apfelbaum steht ein Bänklein. Der Bauersmann — im Walde steht ein Männlein. Der Hut — das Zündhütchen. Korb — Körbchen. Rad — Rädchen. U. a. m. Vergleichung. Im März ist es oft noch kalt. Im Winter war es kälter. Karl ist so groß wie Fritz. Albert ist größer. Karl ist noch jung. Fritz ist jünger. U. a. A n d r e A b l e i t u n g des Umlauts. Karl zieht den Hut. Das ist ein Gruß. Er grüßt. Der Schaffner sagt: Abfahren! Der Zug fährt. Im Wagen ist es sehr warm. Ach, die große Wärme! Ein Mann zieht Brot und Wurst aus der Tasche; er will sich stärken. Schwankender Sprachgebrauch: Schlot, Schlote, Schlote, Schloten; naß, nasser, nässer u. a. m. Mundartliches. Er frägt — er fragt; er fahrt — fährt. II. Oberstufe. Thema: B e d e u t u n g s w a n d e l . Ankündigung: Wie sich die Seele mancher Wörter verändert hat. 1. Sonderbar! Der Mensch hat eine Seele. Beispiele, wie sich Menschenseelen geändert haben: Der verlorene Sohn, Judas. Mancher Schüler verbessert, mancher verschlechtert sich. So auch die Seelen der Wörter. Worauf wartet ihr nun ? M a g d , a) Wen nennt ihr eine Magd? Eine dienende weibliche Person: Stallmagd, Kindsmagd, Küchenmagd. b) Mägdlein, ich sage dir . . . . Keine kleine Magd, sondern ein Mädchen. Maria, du reine Magd des Herrn! Eine unverheiratete Frau, eine Jungfrau. c) Gegenüberstellung. 2. Erkenntnis: Die feedeutung des Wortes ist gesunken. 3. Andere Wörter: Marschall (Bedeutungshebung); Gift (Verengerung); Köder (Erweiterung). Literatur. L Wissenschaftliche Werke. Grimm, Deutsches Wörterbuch. Leipzig. — W i l m a n n s , Deutsche Grammatik. Trubner. 2. Teil. Jt 25. — P a u l , Mittelhochdeutsche Grammatik. Niemeyer. Jt 3,70. — W u n d t , Völkerpsychologie. Leipzig, Engelmann. 2 Teile. M 35. — S t e i n e l , Grammatikunterricht auf physiologischer Grundlage. Crusius, Kaiserslautern. — R i c h t e r , Deutsche Redensarten. Brandstätter. M 2,40. —

Sprachlehre.

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Der Unterricht in der Muttersprache.

2. Lesen. I. Begriff des Lesens.

Lesen erscheint zunächst als etwas Ä u ß e r l i c h e s . Buchstaben müssen erkannt, zu gewissen Komplexen zusammengefügt und so in Lautbildern dargestellt werden. Hiernach kann der lesen, der die Kenntnis der Schriftzeichen und die Fähigkeit ihrer lautlichen Darstellung besitzt. Sämtliche Schriftzeichen sind im Alphabet enthalten. Ihre Urform sind Holzkerben, Knoten, Bildzeichen. Die zunehmende Kultur schuf die Buchstabenschrift, die wohl der Annahme entstammt, daß der großen Anzahl Wörter wenige Lautzeichen zugrunde liegen, die nur immer wieder in anderer Gruppierung vorkommen. Doch die tägliche Erfahrung, die Äußerungen führender Geister, ein Einblick in die Geistesgeschichte der Menschheit beweisen uns, daß Lesen mehr ist als diese rein technische Angelegenheit. Die Laute und Buchstaben sind nur die Außenseite; hinter ihnen steckt Sinn und Bedeutung. Lesen heißt also: aus den Zeichen eine B e d e u t u n g erschließen. Man liest Briefliches verschiedener Art, Zeitungen und Zeitschriften, Bücher wissenschaftlichen und künstlerischen Charakters. Im allgemeinen kommt dem Leser mehr Druckschrift als Schreibschrift vor die Augen. Aber immer stammen die Zeichen von einem produzierenden Menschen, der durch sie seine Gedanken und Gefühle und seinen Willen verkündet. Diesem Verkehr mit dem Geiste persönlich meist unbekannter Menschen muß große Bedeutung zukommen, gilt ja die Anzahl der Analphabeten für einen Gradmesser der gesamten Bildung einer Nation. Die geringste geistige Bedeutung haben die vielen gedruckten oder geschriebenen K a r t e n , N o t i z e n , auch Zeitungsnotizen, O f f e r t e n , die auch der Handarbeiter Jahr für Jahr zu Gesicht bekommt, wenngleich sie oft von praktischer Wichtigkeitsind. Leider muß dasselbe auch von vielen, vielleicht den meisten B r i e f e n gesagt werden, die aus keinem inneren Drang, sondern aus äußerer Notwendigkeit entstehen und darum oberflächlich im Sinn, ungestaltet in der Darstellung und flüchtig in der Wirkung sind. Es wäre ein gutes Zeichen für die Höhe

Lesen.

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der Volksbildung, wenn es allgemeinerer Gebrauch würde, Briefe zu schreiben, die der Leser um ihres Inhaltes und ihrer Form willen gerne aufbewahrte. Um den tieferen Sinn des Lesens zu erschließen, müssen wir uns an diejenigen l i t e r a r i s c h e n S c h ö p f u n g e n wenden, die wirklich das Ergebnis eines planmäßig schaffenden Geistes sind, an wissenschaftliche und künstlerische Erzeugnisse. Mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der Volksschule, wie sie besonders aus der Entwicklung der Lesebuchidee ersichtlich sind, untersuchen wir den Begriff des Lesens am K u n s t w e r k , zumal die methodische Erschließung von Kunstwerken eigentümliche Schwierigkeiten hat. Man sagt, daß das Gedicht, die Novelle u. a. einem Erlebnis des Dichters entstammt und der Genuß des Werks dem Leser wieder zum Erlebnis wird. Worin besteht das E r l e b n i s des K ü n s t l e r s ? Irgend ein Vorgang im Naturoder ^Menschenleben löst in ihm eine Vorstelhingsbewegung aüs, an die sich eine mannigfaltige Reihe von Gefühlen anschließt. Doch entsteht in seiner Seele nicht nur ein einfaches Abbild jener Erscheinung, sondern das neue geistige Gebilde stellt ein Stück der fortschreitenden Erkenntnis des Wesens der Dinge dar. In diesem Sinne ist es bedeutsam, führt über das Alltägliche, über die armselige Wirklichkeit hinaus in eine noch unerforschte, wenn auch geahnte Welt. Es liegt in dem Ergreifenden und Gemütsbewegenden solcher Erlebnisse, daß sie zur Gestaltung drängen, und das ist die andere Seite des künstlerischen Schaffens, daß der bedeutsame Inhalt zu einer überzeugenden Wirkung gebracht wird. Das wird erreicht durch eine F o r m u n g , die anschaulich und sinnlich wohlgefällig ist. Das E r l e b n i s des L e s e r s geht den umgekehrten Gang. Angezogen und angeregt von der reizvollen Formung erschließt er sich den Inhalt, um sich von ihm bewegen, ergreifen, erschüttern zu lassen. Der Genuß liegt schon in der Beschäftigung des Bewußtseins durch neue Reize. Doch darüber hinaus ist die ästhetische Erregung ausgezeichnet dadurch, daß sie aus dem gewohnten Anschauungs- und Gefühlskreis hinausführt und den Blick öffnet in eine neue Anschauungsund Gefühlswelt. Dilthey sagt, daß die Kunst »den Kreis der bisherigen Lebenserfahrung erweitert«. Dabei bringt es

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Der Unterricht in der Muttersprache.

die besondere Beanlagung des Künstlers, reiche und lebhaft vor sich gehende assoziative Zusammenhänge zu erleben, mit sich, daß die von ihm vermittelten Erlebnisse von höchster Mannigfaltigkeit sind; dem Künstler zu folgen, bedeutet demnach eine lebhafte Bewegung der Vorstellungen und Gefühle. Vor allem aber ist die reine Freude der ästhetischen Erregung daraus zu erklären, daß der Kunstgenuß den Charakter des Spiels trägt. Was der Genießende erlebt, ist nicht die brutale nackte Wirklichkeit, sondern das Glück der Illusion. Trotzdem ist das Verstehen davon abhängig, daß das im Werk erscheinende Erlebnis des Künstlers aus eigenen wirklichen Erlebnissen gedeutet werden kann. Der Genießer muß nachschaffen können, muß seine innere Welt im Kunstwerk entdecken wollen und können; hier findet er seine Welt wieder, nur reiner, schöner, vollkommener, als sie ihm selbst bewußt wird. Daher denn auch der Wirklichkeitswert des Kunstwerks ; inan wird klarer über sich selbst und die Wirklichkeit. E i n l i t e r a r i s c h e s K u n s t w e r k lesen heißt sonach, sich eine weitere und reichere Anschauungs- und Gefühlswelt erschließen, dies mit Hilfe der eigenen Erlebnisse, aus den Gestaltungen eines fremden Bewußtseins, im reizvollen Spiel der Phantasie. Welcher Art die Erlebnisse sind, kann hier nur allgemein gesagt werden. Es sind Spannungen, die im Menschenleben und in seinen Beziehungen zur Natur entstehen und vergnhen. Das Himmelhochjauchzend und das Zutodebetrübt sind ihre Gefühlspole. Nur i n n e r l i c h e S p a n n u n g e n werden im Kunstwerk dargestellt; wenn sie sich lösen, so entsteht ein seelisches Wachstum des Menschen. Die äußerliche Spannung, die Sensation, führt nie zur ästhetischen Erregung; sie gehört in das Gebiet der Sinnlichkeit. Es ist noch zu untersuchen, worin das Reizvolle der F o r m besteht, die den Leser anlockt zur Beschäftigung mit dem Inhalt, den sie ausdrückt. Das Mittel der Darstellung ist die Sprache. Es ist dieselbe Sprache, die wir sprechen; aber sie ist doch anders. Ihr Rhythmus, ihr Klang, ihre Anschaulichkeit sind anders als die gewöhnliche Rede; sie ist eben Gestaltung. Die Poetik lehrt in wissenschaftlicher Weise, wie die Form und die Formen der Dichtung beschaffen sind. Aber nur

Lesen.

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der vermag dieses Wissen zum Verständnis zu erheben, der die innere Notwendigkeit ausgeht, die zwischen Inhalt und Form waltet. Der Inhalt des Kunstwerks ist seelischer Wellenschlag; dieser erscheint im R h y t h m u s der darstellenden Sprache, mag es sich um Prosa oder Poesie handeln. Der R e i m ist nicht allein wohltönender Schmuck, sondern ein Mittel, diejenigen Worte herauszuheben, die Träger der stärksten Vorstellungen und Gefühle sind, ein Mittel also, um den Gang der inneren Bewegung zu akzentuieren. Die Notwendigkeit zu versinnlichen, läßt den Dichter A u s d r ü c k e von überzeugender Anschauungskraft finden; der Klang der Konsonanten und Vokale wirkt mit, das zu erzeugen, was man M u s i k d e r S p r a c h e nennt. So greift vieles zusammen, mehr oder weniger absichtlich gestaltet, um dem drängenden Inhalt eine kongeniale Form zu schaffen. Doch ist nicht immer ein Gleichgewicht von Inhalt und Form vorhanden; bald hat der Dichter mehr Gewicht gelegt auf das Bedeutsame, bald mehr auf die wohlgefällige Erscheinung. Vergeblich aber wäre es, die Form zu zergliedern, um den Inhalt zu entdecken. Ein Kunstwerk lesen heißt nicht, es in jeder Hinsicht zu verstandesmäßiger Klarheit und Deutlichkeit zu bringen. Was im Kopfe des Künstlers gelebt hat, ist im letzten Grunde doch mehr geahnt als gewußt; was er darstellt, ist nicht mikroskopische Deutlichkeit, sondern ein duftiges Fernbild. Wer das Werk begreift, bleibt in der Sphäre des Gefühls und erdenkt es nicht, sondern erschaut es, läßt sich mehr bewegen, als daß er aufmerksam durchmustert, und weiß, daß er trotz der traumhaften Art der kommenden geistigen Gebilde doch die Wahrheit erlebt, wenn sich ihm das Einzelne zum Ganzen zusammenfügt. Aus alledem erhellt die W e i s e d e s L e s e n s . Man unterscheidet gewöhnlich k u r s o r i s c h e s und s t a t a r i s c h e s L e s e n . Jenes will in der Lesefertigkeit üben und dabei mit viel Lesestoff rasch bekannt machen; auf die denkende Durchdringung des Inhalts muß natürlich verzichtet werden, wenn auch auf charaktervolles Lesen und somit auf ein mitlaufendes Verständnis des Stoffes gerechnet wird. Die statarische Leselektion erfolgt nach den psychologischen Lehrstufen, also verweilend und zu dem Hauptzweck, den Stoff denkend erfassen

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Der Unterricht in der Muttersprache.

zu lassen. Uns erscheint diese Unterscheidung zu intellektualistisch. Sie kann nur demjenigen Lesen gerecht werden, das an Wissensstoffen geübt wird; dem Kunstwerk gegenüber versagt sie. Dieses kann wohl auch fließend und verweilend gelesen werden. Doch hängt der Grad des Eindringens in seinen Gehalt nicht von der aufgewandten Zeit und dem methodischen Denken ab, sondern von der Begabung des Lesers. Gerade der begabte Leser wird fließend lesen, weil er rascher und leichter von sich aus zuschießen, nachschaffen, interpretieren kann; er wird die Gesamterscheinung des Werkes ungestörter lassen als der methodische Leser, der von Einzelheit zu Einzelheit wandert und dabei forscht, zergründelt und zerpflückt. Ebenso muß die beliebte Unterscheidung des lauten Schullesens in m e c h a n i s c h e s , l o g i s c h e s und e u p h o n i s c h schönes Lesen verworfen werden. Ist Lesen ein Deuten von Inhalten, dann kann es nie mechanisch sein, sondern muß in Rhythmik, Dynamik und Melodik angemessen dem Inhalt gehalten werden. Insofern dann der Ausdruck der Bedeutung gerecht wird, herrscht Logik. Damit ist zugleich die Schönheit des Lesens gegeben, falls unter dem Schönen nicht schmückende Zutat, sondern zweckvolle Gestaltung verstanden wird. Pathos ist nur schön bei pathetischem Inhalt. Wir unterscheiden dafür stilles und lautes Lesen, Einzel- und Chorlesen; außerdem kann das logische und ästhetische Lesen pathetisch, feurig, warm, herzlich, tönend, überschäumend, schneidend, kalt, höhnend, eintönig, gleichgültig, matt, gepreßt klingen, je nach dem Inhalt. Die moderne Forderung eines Lesebuchs mit literarisch wertvollem Inhalt hat es nötig gemacht, auch das L e s e n d e r V o l k s s c h ü l e r in dem entwickelten tieferen Sinn zu fassen. Damit ist natürlich nicht behauptet, daß das Kunstwerk vom Kinde restlos zu erschließen wäre. Aber wenn im Leseunterricht künstlerisch gestaltete Stücke dargeboten werden, so können die Grundsätze dazu nur aus dem Wesen des künstlerischen Schaffens und des Kunstgenusses abgeleitet werden. Die Einsicht in dieses ist darum dem Lehrer notwendig, wenn er sie auch psychologisch auf den Reifestand des Kindes einschränken muß.

Lesen.

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Gute Lektüre ist aber, wie die Aufgabe des Leseunterrichts bestimmt, nicht allein künstlerische Lektüre. Sie geht auf jeden Inhalt ein, der nicht flach, gewöhnlich, gemein oder nur sensationell ist. Hierbei kommt besonders b e l e h r e n d e L e k t ü r e in Betracht. Doch ist das Lesen solcher Inhalte verwandt mit dem Erschließen von Kunstwerken. Ist das Stück oder Buch gut, dann ist es nicht eine tote Sache, sondern die Gestaltung einer Persönlichkeit, die etwas Bedeutsames zu sagen hat. Auch hier heißt es eine Bedeutung suchen und einer Persönlichkeit lauschen. Das rein Gemeinnützige muß aber nach der Entwicklung des Leseunterrichts für die Volksschule fallen. II. Bedeutung und Aufgabe des Leseunterrichts.

Aus dem Begriff des Lesens ist der W e r t des L e s e n s ersichtlich. Der Leser sucht in handschriftlichen Mitteilungen oder in Erzeugnissen des Drucks nach Inhalten. Man könnte nun zunächst die Bedeutung solchen Suchens in dem p r a k t i s c h e n N u t z e n erblicken, den es im Gefolge hat. Jedes Menschenleben hat eine wirtschaftliche, geschäftliche, berufliche Seite, für deren Betätigung heutzutage die Kenntnis des Lesens (und Schreibens) unentbehrlich ist. Wegen des praktischen Wertes ist das Lesen von den Anfängen der Volksschule her ein Hauptfach des Unterrichts gewesen. Diese Bedeutung hat sich nicht verringert. Heutzutage ist die wirtschaftliche Existenz des einzelnen in viel reichere und ausgedehntere Beziehungen verflochten als ehedem. Das erfordert mehr Verkehr in die Ferne und erst recht die Fähigkeit eines rasch und leicht bewältigten Schreib- und Leseverkehrs auch für diejenigen Stände, deren Beruf nicht der geistigen Arbeit zugerechnet wird. Wer wirtschaftliche Erfolge haben will, muß nicht nur Produkte erzeugen, sondern auch mit den Geschäftsfreunden gewandt verkehren können. In diese zunächstliegende Nützlichkeit greift eine w e i t e r e B e d e u t u n g des L e s e n s herein. Es ist überhaupt ein Mittel, sich über das Getriebe und den Gang des menschlichen Lebens zu informieren. Die geschichtliche Entwicklung hat dazu geführt, daß kein erwachsener Mensch mehr unmündig in den Tag hineinleben darf und will, sondern daß er eine Verselbständigung seines Lebens und Denkens erfahren hat und damit mehr

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Der Unterricht in der Muttersprache.

auf Selbstverantwortung gestellt ist. Jeder möchte das eigene Leben in seinen Beziehungen und Zielen deutlicher sehen. Das erfordert eine eingehende und vielseitige Orientierung über die Zusammenhänge, in denen das Einzelleben steht. Die Z e i t u n g bringt tagtäglich die Möglichkeit, Blicke in die Verwicklungen zu werfen, die auch das eigene Dasein umschließen. Enge begrenzt ist der Lebenskreis des einzelnen Menschen; wer Zeitung liest, blickt über diese Schranken, die durch Raum und Zeit gezogen sind, hinaus in eine sonst unerreichbare Ferne und sieht, hört, vergleicht, lernt. Dasselbe gilt vom B u c h , soweit es »gut« ist, d. h. wissenschaftlichen oder künstlerischen Wert hat und die Leistung einer gestaltenden Persönlichkeit darstellt. Wer ein gutes Buch liest, forscht mit dem Wissenschaftler und schaut mit dem Künstler, bereichert und belebt seine Vorstellungswelt, verfeinert und stärkt seine Gefühle und bereitet damit den rechten Boden für den Willen. Gute Bücher lesen heißt für das Wachstum des inneren Menschen sorgen. Ein begriffenes Buch wirkt, daß sich iiji Innern Kraft sammelt, daß es hier zu gären anfängt, daß es sich verändert, daß sich der innere Mensch reckt und dehnt. In dem Sinn ist das Wort G o e t h e s zu verstehen, daß man nicht etwa lese, um zu lernen, sondern um etwas zu werden. Dies Werdende ist seelischer Fortschritt und begreift die geistige wie ästhetische und religiössittliche Entwicklung der Persönlichkeit in sich. So liegt der letzte Wert des Lesens gar nicht im Nützlichen, mag es sich um praktische Erfolge oder Kenntnisse handeln, sondern in der Emporbildung der reinen Menschennatur. Der Leseunterricht ist also ein bedeutsames Glied des erziehenden Unterrichts und verlangt eine selbständige und bevorzugte Stellung im Lehrplan. Seine A u f g a b e ist in, formaler Hinsicht dahin zu bestimmen, daß er die Schüler zum verständnisvollen Lesen guter Bücher vorbereite (Wolgast) oder daß er die Schüler zum selbständigen Eindringen in den Inhalt des Gelesenen befähige (Lüttge). In materialer Hinsicht muß der Leseunterricht praktische Lesefertigkeit erzielen, um mittels deren das Kind einzuführen in geeignete künstlerische oder wissenschaftliche Schöpfungen führender Geister und dadurch seine innere Gestalt zu entwickeln.

Lesen.

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III. Lesestoffe.

Auf Grund der bisherigen Überlegungen muß die grundsätzliche Auswahl der L e s e s t o f f e getroffen werden. Die besondere Auswahl für die Volksschüler wird außerdem noch nach psychologischen Erwägungen betätigt. Die Geschichte des Lesebuchs zeigt die Lesestoffe in entwicklungsgeschichtlicher Ansicht. A. Grundsätzliches. Schädlich wirken jedenfalls alle Lesestoffe, die nur äußerlich spannen. Sie verführen den noch ungebildeten Leser dazu, den Wert des Lesens in der angenehmen Beschäftigung des Bewußtseins durch erregende Eindrücke zü erblicken. Das Bewußtsein möchte nach den Grundgesetzen des Gefühls stets etwas erleben, möchte bewegt und gerüttelt sein. Dieses Verlangen zu erfüllen, sind besonders bewegte Handlungen, interessante Stoffe, nicht alltägliche Vorfälle geeignet, und je aufregender und gräßlicher der Vorgang ist, um so mehr beschäftigt und unterhält er. Das ist die psychologische Voraussetzung der S e n s a t i o n s - und S c h u n d l i t e r a t u r ; doch auch die bloße U n t e r h a l t u n g s l e k t ü r e ist nicht anders begründet, wenn sie auch moralisch höher steht als jene. Die Scliundliteratur verroht und vergiftet den Menschen; die Unterhaltungslektüre hält ihn davon ab, deswegen zu lesen, daß seine innere Gestalt sich ausbildet. Darum sind diese der äußeren Spannung dienenden Lesestoffe zu bekämpfen. Die T e n d e n z l i t e r a t u r ist eine eigentümliche, weit verbreitete Erscheinung in den Jugend- und Volksschriften. Besonders die Schriften moralischer Tendenz haben großen Einfluß auf die Lektüre der Kinder gewonnen. So edel der Charakter und die Absicht ihrer Erzeuger sein mag, so begegnen auch sie ernsten Bedenken. Sie sind zu definieren als belehrende Schriften, die in künstlerischer Form auftreten. Der Kern ist die belehrende Tendenz. Diese entstammt nicht einem Ergriffensein vom Leben, sondern einer Lehr- und Besserungsabsicht. Die Folge davon ist, daß das Leben in diesen Schriften künstlich konstruiert ist und unwahr, verfälscht vor den Leser tritt. Wie der Inhalt, so erweckt auch die Form den Eindruck des Gemachten; sie ist nur überlegt und nicht gestaltet. Um

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Der Unterricht in der Muttersprache.

die meist abstrakte Tendenz den Kindern schmackhaft zu machen, arbeitet der Veriertiger solcher Schriften mit Mitteln äußerer Spannung, besonders mit ausgiebiger Romantik. Deswegen wirkt diese Literatur der Erziehung zu einem Lesen im dargelegten Sinn geradezu entgegen und gewöhnt an solche Lesestoffe, die nichts als erregende und unterhaltende Handlungen darbieten. Außerdem ist es zweifelhaft, daß diese Schriften wirklich ihren Zweck, wertvolle Charakterzüge zu schaffen, erreichen. Religiosität, Patriotismus, Moral können nie aus Überredung und Mache entstehen, sondern nur aus tiefinnerstem Erleben. Das ewige Einreden der moralischen Schriften erzeugt schließlich wohl eine Art moralischer Narkose, aber keine sittliche Bildung und Überzeugung. Das gesunde Kind selbst nimmt von solchen Schriften nur die Handlung entgegen und überblättert die Betrachtungen, Belehrungen, Ermahnungen. W e l c h e L e s e s t o f f e sollen n u n der J u g e n d d a r g e b o t e n w e r d e n ? Wir führen die Autorität S t o r m s an, der sich einmal sagte: Wenn du für die Jugend schreiben willst, so darfst du nicht für die Jugend schreiben. Darnach gibt es keine spezifische Jugendlektüre; auch die Lesestoffe für die Jugend fallen unter die Forderung, daß in ihnen ein lebenswahrer und lebensvoller Inhalt allein gemäß den in ihm selbst liegenden Notwendigkeiten geformt sei, aus keinem anderen Grund und in keiner anderen Absicht. Soweit also die Lesestoffe k ü n s t l e r i s c h sind, werden wir an unsere Dichter gewiesen. Die b e l e h r e n d e n Stoffe müssen die Gestaltungen solcher Persönlichkeiten sein, die wirklich gestalten können und mit dem Inhalt eine kräftige persönliche Art zu geben vermögen; die Erzeugnisse bloß registrierender Gelehrter sind nichts für die nach Anschauungen hungernde Jugend. Es muß also eine A u s w a h l aus den Werken der guten Schriftsteller getroffen werden. Sie wird bestimmt durch den Reifestand der Leser. Nicht brauchbar sind alle Stoffe, in denen Probleme behandelt sind, die den Erlebnissen des Kindes zu ferne liegen, erotische Verwicklungen, das Werden komplizierter Seelen und derartiges. Die Jugendschrift muß einfach und natürlich, wahr und kräftig in Anschauung und Stil und volkstümlich sein. Dabei kann sie Einblick in alle

Lesen.

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Ferne eröffnen, in das Leben der Erwachsenen und jede zeitliche und räumliche Ferne, und kann an Inhalt und Form dem Kinde um Jahre voraussprechen; genügt sie jenen Anforderungen, dann liegt sie ihm doch psychologisch nahe. Besondere Hervorhebung verdienen die Stoffe, die von Helden und Entdeckern handeln. Es ist ein tiefes Wort N i e t z s c h e s , daß unser Leben nur dann uns wertvoll gilt, wenn es gewagt wird, und dies, dem Manne zur Erfüllung oder Enttäuschung geworden, ist dem Knaben schöne Ahnung und Hoffnung. So soll er von wagenden Menschen lesen, um seine innere Gestalt an ihnen emporzuranken. Demnach sind folgende Lesestoffe zu empfehlen: K i n d e r und N e c k r e i m e , R ä t s e l , V o l k s m ä r c h e n und V o l k s s a g e n , S c h w ä n k e , E r z ä h l u n g e n , G e d i c h t e und V o l k s l i e d e r , d r a m a t i s c h e W e r k e , Stoffe aus der Heimat, aus der Geschichte, Erdkunde und Naturkunde, wie C h r o n i k a l i s c h e s , Selbstbiographien, Entdeckungsreisen. Somit erklären wir für brauchbare und gute Stoffe des Leseunterrichts sowohl solche vorwiegend belehrender (wissenschaftlicher) als auch künstlerischer Art, wobei auf die letzteren ein besonderes Gewicht gelegt wird aus Gründen, die aus dem Studium der Kunsterziehungsbestrebungen ersichtlich sind. Doch muß von allen Stoffen verlangt werden, daß sie klassisch sind, klassisch in des Wortes weiterer Bedeutung: naturwüchsig und von großer Art, innerlich wahr und vorbildlich. Eine letzte Frage ist noch, in welcher F o r m die Lesestoffe dargeboten werden. Die Gewohnheit weist an das Lesebuch. Doch so praktisch dieses Buch ist, eine so fortschrittliche Tat seine Erzeugung durch R o c h o w war, die modernen Überlegungen über die .Aufgabe des Leseunterrichts lassen erhebliche Bedenken gegen das Lesebuch zu. Weiteres siehe im folgenden Abschnitt! B. Die Geschichte des Lesebuchs. Vor dem Jahre 1776 kann man kaum von einem eigentlichen Schullesebuch reden. Aus der Fibel wurde das Lesen erlernt und darnach in B i b e l , K a t e c h i s m u s und G e s a n g b u c h geübt. Nur diese religiösen Stoffe erschienen wertvoll genug, daß sie Kind und Volk zur alleinigen Lektüre dargeboten werden durften; was

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Der Unterricht in der Muttersprache.

nicht religiös war, galt als profan auch im moralischen Sinn des Wortes. Wurden Versuche unternommen, geeignete Lesestoffe ökonomisch zusammenzustellen, wie in Herzog Emsts Lesebüchlein, in Reyhers kurzem Unterricht, in den Lesebüchern des Generallandschulreglements, so kam man doch über den engen Geist dieser Zeit nicht hinaus. Ja noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts konnte das Volksschullesebuch als Luxusartikel erklärt werden und noch 1870 vertraten in Schleswig-Holstein die religiösen Bücher die Stelle des Lesebuchs. Der tiefere Grund für diesen Zustand liegt in der ganzen Auffassung vom Wesen der Volksbildung, die wieder aus den sozialen, politischen, wirtschaftlichen Verhältnissen des deutschen Volkes in diesen Zeiten zu erklären ist. Doch muß anerkannt werden, daß die religiöse Erziehung des Volkes durch diese Lektüre sehr unterstützt wurde und auch die geistige Schulung jene Förderung erfuhr, die überhaupt von Lektüre ausgeht. Einen ersten, sehr schwachen Versuch, ein Lesebuch von unabhängigem Bildungszweck zu schaffen, machte B u n o 1650 mit seinem A B C - und Lesebüchlein; in ihm tritt schon die weltliche Erzählung auf. In der formalen Absicht, die große »Lücke zwischen Fibel und Bibel« auszufüllen, mit dem materialen Zweck, Kind und Volk aufzuklären und zu bessern und zugleich in der Lesefertigkeit zu üben, ließ R o c h o w 1776 seinen K i n d e r f r e u n d 1 ) erscheinen. So ist das Buch ein Lesebuch und ein Lehrbuch. Sein Plan ist folgender: A. die früheste Jugend im Elternhaus. B. der erweiterte Familienkreis. C. Frömmigkeit und Laster der Erwachsenen. D. Stände und Lebensverhältnisse. E. Er-

scheinungen der weiten Welt. Die Stücke, die Rochow selbst schaffen mußte, weil keine Quellen vorlagen, vermitteln gemeinnützige Kenntnisse, erteilen sittliche Belehrungen, bereiten den Religionsunterricht vor, wenden sich gegen den Aberglauben und haben die Form von Erzählungen, Gesprächen, Sprüchen, Liedern, Gebeten. Die Sprache will kindlich, edel, verständig, lehrsam, interessant, bedeutend und anmutig sein. Im ganzen ist die Tendenz dieses ersten Lesebuchs moralisch, realistisch und sprachlich. R o c h o w , Kinderfreund, ein Lesebuch zum Gebrauch in Landschulen. 1776 und 1779.

Lesen.

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Der Erfolg des bahnbrechenden Werks war ungeheuer. Es wurde weit in Europa bekannt und in viele Sprachen übersetzt; auch rief es eine gFoße Zahl von Anleitungen zu seinem Gebrauch und eine noch größere von Nachahmungen für alle möglichen Arten von Schulen, für Konfessionen, Landgebiete usw. hervor. Wie es aber bei Nachahmungen stets geht, so wurde auch hier über Teilzielen der große Gedanke übersehen. Einseitig moralische, realistische und sprachliche« Lesebücher waren das Ergebnis dieses Abstiegs. Die m o r a l i s c h e n L e s e b ü c h e r 1 ) brachten vorwiegend Erzählungen, die für ihren moralisierenden Zweck eigens fabriziert waren. Denksprüche, Reimlein u. dgl. schlössen diese gewöhnlich ab. Derartige Belehrung lag im Geiste der Zeit; aber unserm Geschmack erscheinen diese Lesebücher und Geschichten nüchtern, fade und wenig für ihren Zweck geeignet. Das r e a l i s t i s c h e L e s e b u c h 2 ) wollte eine »Enzyklopädie alles Wissenswürdigen für die Jugend« sein. Wilmsens Kinderfreund ist beispielsweise in folgende Kapitel gegliedert: Von der Welt. Von der Erde und ihren Bewohnern. Produkte der Erde. Von der Religionslehre und von der heiligen Schrift. Von der Zeitrechnung und dem Kalender. Merkwürdige Naturerscheinungen. Europa. Deutschland. Von den Rechten und Pflichten der Untertanen. Lieder und Gesänge. Sprichwörter und Denksprüche. Das stärker werdende Interesse für Geschichte, Erdkunde und Naturwissenschaften (siehe die Geschichte dieser Fächerl) ist wohl der innere Grund für diese einseitige Direktion der Lesebuchidee, zumal die gemeinnützigen Kenntnisse bei dem damaligen Stand der Volksschulorganisation kaum praktischer als durch das Lesebuch vermittelt werden konnten. Aber der schwunglose Geist der Verfasser vermochte den Lesestücken kein Leben einzuhauchen, so daß die platte Nützlichkeit und die trockenc Form dieser Geschichten das Lesebuch langweilig und uninteressant machen mußten. W i l b e r g , Lesebuch für Kinder, die gern verständiger und besser werden wollen. 1793. 2 ) W i l m s e n , Brandenburger Kinderfreund. 1800. — S c h l e z , Der Denkfreund, ein lehrreiches Lesebuch für die Volksschulen. 1811. B ö h m , Prakt. Erzlehungs-u. Unterrichtslehre. III. Bd. 13. Aufl.

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Der Unterricht in der Muttersprache.

Die s p r a c h l i c h e R i c h t u n g 1 ) befreite das Lesebuch von dem moralischen und realistischen Zweck und stellte es in den Dienst der reinen Sprachbildung. Es sollte dienen zur Bildung des mechanischen, logischen und ästhetischen Lesens und zu grammatischen Belehrungen, zu orthographischen und stilistischen Übungen. Das Lesebuch reichte z. B. besonders zugerichtete Stoffe zur Übung des Lesetons dar und enthielt eine Sammlung von Sätzen, die stufenweise vom grammatisch Leichteren zum Schwereren fortschritten. Der Inhalt wurde dem Zweck der formalen Übung geopfert und war deshalb zumeist flach, öde, geschmacklos. Von einem Lesen im Sinne von Lektüre kann also nicht die Rede sein. Der bekannteste Vertreter dieser Richtung ist D i e s t er w e g . Um die Mitte des 19. Jahrhunderts kam das L i t e r a t u r l e s e b u c h auf. Negativ wurde es bedingt durch die Tatsache, daß die moralischen, gemeinnützigen und sprachlichen Lesebücher durchaus nicht den Ansprüchen genügen konnten, die äus dem mächtiger und großzügiger gewordenen Volksbildungsgedanken an ein Volksschullesebuch gestellt werden mußten; scharfe Kritik war allmählich gegenüber den genannten Richtungen, besonders gegen die Verirrung Diesterwegs, laut geworden. Positiv wurde das literarische Lesebuch vorbereitet durch den Einfluß, den die zweite Blüteperiode der deutschen Literatur und das religiös-sittliche Erlebnis der Freiheitskriege auf das gesamte Geistesleben des deutschen Volkes ausübte. Bezeichnend ist, was die Brüder S e l t z s a m in der Vorrede ihres »Deutschen Lesebuchs« (1853) schreiben: »Da sucht man vergebens nach Stoff zur Belehrung und Wiederholung für die Schüler.« »Da findet man keine Naturkunde, wohl aber wird dem jungen Geschlechte aus dem deutschen Dichterwalde der Sinn für das Beschauen der Natur zugeweht.« »Da ist nichts zu entdecken von trockenen, unfruchtbaren Auszügen aus dem Gebiete der Verstandesübungen und 1

) D i e s t e r w e g , Lese- und Sprachbuch für mittlere Schulklassen und gehobene Elementarschulen zur Beförderung eines verständigen Lese- und bildenden Sprachunterrichts. 1826. —_ D i e s t e r w e g , Schullesebuch, in sachgemäßer Anordnung nach den Regeln des Lesens für Schüler bearbeitet. 1831. — S c h o l z , Der Leseschüler.

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Grammatik; wohl aber ist aus dem reichen Gebiete der deutschen Literatur das Beste ausgewählt, woran der Schüler den Verstand schärfen, Witz und Scharfsinn üben, Gedächtnis und Einbildungskraft stärken kann, und an der schönen, edlen Sprache ein Vorbild gewinnt.« »Da sieht man keine Abrisse von Geschichte, Geographie und Religionslehre usw., aber man erblickt das Schaffen und Regieren Gottes in einer weit eindringlicheren Gestalt, als aus solchen dürren, zusammengehäuften Bemerkungen.« So entstand ein Lesebuchgedanke von psychologischer Tiefe. Das Lesebuch soll bilden, indem es alles das, was im Volk an intellektuellen, religiös-sittlichen, ästhetischen, realistischen Werten und Eigentümlichkeiten lebt und webt, in gedrängter Auswahl darbietet. Der Gesamtausdruck alles dessen aber ist die Literatur, in der die Volksseele in die Erscheinung tritt. Im Interesse der Volkserziehung muß das Lesebuch ein Literaturlesebuch sein. Es gehört in die Hand des deutschen Kindes; aber auch der aus der Schule Entlassene soll gern zu dem Lesebuch greifen, um sich Verstand und Gemüt anregen zu lassen. Die bekannteste Erscheinung dieser Richtung ist das deutsche Lesebuch von W a c k e r n a g e l , 1843. Die Rücksicht auf den praktischen Schulgebrauch machte es aber notwendig, daß auch religiöse, moralisierende, gemeinnützige und sprachbildende Lesestücke eingestreut oder im Anhang gegeben waren. Besonders die Reaktionszeit um die Mitte des 19. Jahrhunderts erzeugte die Forderung, das L e s e b u c h zur G r u n d l a g e a l l e s U n t e r r i c h t s , besonders auch des realistischen, zu machen und drängte das Lesebuch damit inhaltlich auf die Stufe des Lehrnaittels für gemeinnützige Kenntnisse, in der Absicht aber auf die Stufe des Moralisierungsmittels zurück. Doch war der nationale und geistige Aufschwung des deutschen Volkes zu groß geworden, aj& daß die Idee hätte vernichtet werden können, im Lesebuch dem Kind und Volk den Umgang mit dem geistigen Adel der Nation zu vermitteln, um dadurch dem großen Zweck der Volksbildung zu dienen. Trotzdem die Gedankengänge überzeugend sind, auf die sich die Forderung des literarischen Lesebuchs gründet, ist die Lesebuchidee bis zur Gegenwart noch eifrig durchdacht worden. 3»

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Der Unterricht in der Muttersprache.

Die k ü n s t l e r i s c h e E r z i e h u n g der Jugend wurde in den letzten Jahrzehnten ein Hauptanliegen fortschrittlicher Pädagogen. Was war natürlicher, als daß dem Lesebuch die ausschließliche Aufgabe zugewiesen wurde, das Kind in den geistigen Verkehr mit den Dichtern der klassischen Zeit bis zur Gegenwart herauf zu bringen, um es zum Genüsse der literarischen Kunst zu führen ? Es entstand der Gedanke des b e l l e t r i s t i s c h e n L e s e b u c h s . Der meist enzyklopädische Charakter der amtlich eingeführten Lesebücher, die zwar vornehmlich literarische Stücke enthalten, aber auch dem Gesamtunterricht dienen wollen, indem sie religiös-sittliche, geschichtliche, naturkundliche, erdkundliche u. dgl. Belehrungen in geeigneter Form darbieten, wurde bekämpft. Zur Versöhnung des hierbei hervortretenden Gegensatzes empfahl man die Abtrennung des realistischen Teils und seine Sammlung in einem besonderen R e a l l e s e b u c h , das also durchaus dem Unterricht in den Realien dienen sollte. Dieser Gedanke, bereits von D ö r p f e l d geäußert und verfochten, findet auch in der Gegenwart Anhänger. Beurteile diese Scheidung aus der Besinnung über Wesen, Wert und Aufgabe des Lesens! Anderseits stellte das feinere psychologische Gewissen der Gegenwart die Frage auf, wie K i n d u n d Kunstwerk-psychologisch zueinander stünden, und im Zusammenhang damit die weitere Frage, wie die s c h u l g e r e c h t e B e h a n d l u n g und die k ü n s t l e r i s c h e A r t des Werks einander vertrügen. Eine reiche, noch nicht abgeschlossene Literatur beschäftigt sich theoretisch und praktisch mit der Lösung. Der Einfluß der Schundlektüre lenkte auf eine genauere Untersuchung der Frage, welchen Einfluß die Lektüre überhaupt auf Persönlichkeit und Lebensführung habe, und rückte das P r o b l e m des L e s e b u c h s in neue Beleuchtung. Man erkannte, daß es dem Leseunterricht darum zu tun sein müsse, die Schüler so zu beeinflussen, daß sie zur selbständigen Lektüre eines guten Buches fähig und willens wären. Das rief die Forderung hervor, daß das Lesebuch als eine Sammlung literarischer Brocken zu verschwinden habe. An seiner Stelle sollten l i t e r a r i s c h e G a n z e , einheitliche Werke gelesen werden. Sie sollen nicht nur inhaltlich packen, sondern auch der Neigung, zerstreuendes Vielerlei

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zu lesen, entgegenwirken und bereits den kindlichen Leser an die Konzentration des Bewußtseins gewöhnen, zu der sich zusammenraffen muß, wer in ein gutes Buch verstehend eindringen will. Dieser radikalen Forderung gegenüber wird anderseits der Gedanke eines besonderen Lesebuchs verteidigt, da es doch für die Praxis den Vorzug der Billigkeit und Handlichkeit habe. Doch soll es aus erziehlichen Gründen nicht aus zerstreuendem Vielerlei bestehen, sondern seine Stoffe, die verständlich, volkstümlich und dabei wertvoll sein müssen, sollen unter bestimmten B i l d u n g s i d e e n zusammengefaßt sein, so daß das Lesebuch ein geschlossenes Ganzes darstellt. Außerdem können oder sollen Q u e l l e n s c h r i f t e n oder gute Ü b e r a r b e i t u n g e n solcher als literarische Ganze gelesen werden; es gibt ja eine Reihe billiger Ausgaben davon. Mehr als sonst wird gegenwärtig auch auf die ä u ß e r e A u s s t a t t u n g des Lesebuchs gesehen. Trotz möglichster Billigkeit soll das Buch gediegen aussehen. Text, Bild, Einband sollen sich zu einer geschmackvollen Einheit zusammenschließen. Illustrationen werden als bildliche Beigaben nicht empfohlen; Querleisten und Schlußbilder, die auf den Text Bezug haben, sind der rechte künstlerische Schmuck für ein Lesebuch. Vor allem muß der schulmäßig nüchterne Charakter des Buchs verschwinden, damit es für Schüler und Schulentlassene jederzeit eine anziehende geistige Nahrung ist. IV. Lehrgrundsätze für die Lektürestufe.

Wie wir sahen, sind die Lesestoffe sehr verschiedener Art. Die Lesestunde soll den Inhalt eines Lesestücks aufschließen. Dies erfordert, daß der Lehrer nicht mit einer vorgefaßten Absicht dem Inhalt gegenübertritt, sondern diesen zunächst unbefangen würdigt und hinnimmt, wie er eben hingenommen sein will. Das bedeutet für I n h a l t e v e r s t a n d e s m ä ß i g e r A r t ein Durchforschtwerden nach Vorstellungen und Gedanken. Die methodischen Maßnahmen dazu decken sich im ganzen mit den Forderungen der Lehrstufentheorie, auf die statt weiterer Ausführungen verwiesen sei. Doch wird auch bei solchen

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Stoffen der letzte Blick immer dem Meister gelten, der hinter ihnen steht. Es wurde ja auch von solchen Inhalten verlangt, daß sie das Merkmal des Gestalteten tragen sollen; wer sich mit ihnen beschäftigt, kann im Grunde nichts Besseres lernen als vom Gestalter angeregt zu sein. K u n s t w e r k e müssen als Kunstwerke hingenommen werden. Es ist unlogisch, Kunstwerke so zu behandeln wie wissenschaftliche Stücke: sie logisch zu zergliedern, sie satz- oder strophenweise zu behandeln, sie mit Gewalt zu disponieren, jeden Gedanken und jedes Wort mühsam zu veranschaulichen, das Werk in verstandesmäßigen Kleinkram zu zerschlagen. Ein Kunstwerk erläutern heißt es nachschaffen zu lassen zu erhebendem oder erschütterndem Genuß für die Schüler. Diese Aufgabe fordert vom Lehrer, daß er Poet und Psycholog zugleich ist; er muß den Dichter verstehen und dem lauschenden Kind nachfühlen können. Seine methodischen Maßnahmen müssen eine Lösung der schwierigen Frage sein, wie das Kunstgemäß und das Schulgerecht, die sich sehr spröde zueinander verhalten, vereinigt werden können. Wie ist also zu v e r f a h r e n , um ein K u n s t w e r k den K i n d e r n so zu e r s c h l i e ß e n , d a ß sein e i g e n t ü m l i c h e r G e h a l t zur vollen W i r k u n g auf sie g e l a n g t ? Die erste Überlegung des Lehrers gilt der Frage, ob das Werk n i c h t zu h o c h für die Kinder liegt. Das gilt sowohl von der Idee der Dichtung als auch vom sachlichen und sprachlichen Verständnis. Daß die Idee dem kindlichen Denken und Fühlen erreichbar liegen muß, ist selbstverständlich. Würden zuviel sachliche und sprachliche Erläuterungen notwendig sein, dann würde die Besprechung vom Kunstgemäßen abirren nach der Seite des Schul- und Verstandesmäßigen hin. In diesem Fall müßte eben das Stück einer höheren Stufe zugewiesen werden; außerdem kann mancher sachliche und sprachliche Kleinkram gelegentlich schon vor der Lesestunde beseitigt werden, damit in dieser ungestört dem Dichter gelauscht werden kann. Die Dichtung — wir nehmen ein Gedicht an — will nun begriffen sein als ein Gebild, in dem sich Form, äußere Verhältnisse und Idee zu schöner Einheit zusammengeschlossen haben. Die Form ist Sprache, Reim, Rhythmus, Gliederung.

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Die äußeren Verhältnisse sind Ort, Zeit, Handlungen, Personen, sachliche Einzelheiten. Die Idee ist Bedeutung, Weltanschauung. Es handelt sich also darum, die Bedeutung des Werks aus den geschilderten äußeren Verhältnissen zu erschließen. Die erste methodische Maßnahme besteht darin, die Kinder auf das Kommende a u f m e r k s a m zu machen und e i n z u s t i m m e n . Das geschieht durch eine Ankündigung, die zunächst auf die äußeren Verhältnisse hinweist, auf die Handlung, die Personen, den Ort, auf sachliche Einzelheiten. Diese werden im Lehrgespräch soweit vorgestellt, daß die Schüler wissen, wen sie vor sich haben, wo sie sich befinden, um was es sich handelt. Nicht auf eine bis ins einzelne gehende Klarheit kommt es an, sondern auf eine lebhafte Vorstellungsund Gefühlsbewegung und die Erzeugung eines farbigen, wenn auch erst noch geahnten, unsicheren und unvollkommenen Bilds dessen, was kommen wird. Hierauf t r ä g t der Lehrer das Gedicht vor. Dies stellt das Bild der äußeren Verhältnisse fertig, so daß dieser Teil der Besprechung erledigt ist. Nun soll aus dem Stoff die I d e e herausgehoben werden. Wir geben wieder eine Ankündigung, die auf die tiefere Bedeutung hinweist, die als typische Gedankengestalt hinter den Einzelheiten des Nurstofflichen steht. Auch hierbei verträgt es der Charakter des Kunstwerks nicht, wenn nach begrifflicher Klarheit gestrebt wird. Die Weltanschauung, die das Gedicht ausdrückt, will mehr gefühlt als gewußt, mehr geschaut als ergründet sein. Denn auch dem Dichter entstand sie nicht als ein begrifflich klarer Gedanke, sondern als das, was »von Menschen nicht gewußt oder nicht bedacht, durch das Labyrinth der Brust wandelt in der Nacht«. Die Weihestimmung ist wichtiger als die logische Klarheit. Die F o r m wird nicht für sich behandelt, sondern vorgestellt als die notwendige sinnliche Erscheinung des Gehalts. Gewiß hat das Gedicht auch eine G l i e d e r u n g . Diese ist aber nicht im Sinn der gewöhnlichen Aufsatzdisposition zu verstehen, sondern ist die Artikulation des Erlebnisses vom Höhepunkt aus. Das Gedicht wird nicht disponiert vom Anfang gegen das Ende zu, sondern vom Gipfel des Erlebnisses aus prüfend überblickt und so gegliedert. Der R h y t h m u s kann

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äußerliche Nachahmung sein; z. B. im Marschlied ist er leicht durch Marschieren darzustellen und zu begreifen. Schwerer ist es, ihn dann begreiflich zu machen, wenn er die seelischen Schwingungen wiedergibt, in denen das Erlebnis des Künstlers erzitterte. Wie schwingen und flattern beispielsweise die Worte des »Feuerreiters« von Möricke! »Abseits« von Storm dagegen ist beherrscht von der schläfrigen Stimmung eines heißen Sommermittags auf der Heide. Entsprechender Vortrag, Pochen mit begleitenden Gesten, musikalische Versinnlichung sind wohl die besten Mittel der Verdeutlichung. Auf die weiteren Reize der Form, wie die Wahl und der Klang der R e i m w ö r t e r , die Musik der S p r a c h e überhaupt, wie sie im Wechsel der Konsonanten und Vokale erscheint, zweckvolle s p r a c h l i c h e B e s o n d e r h e i t e n wie Bilder, Wiederholungen u. dgl., wird in geeigneter Weise hingewiesen. Es ist beispielsweise interessant, nur die Reimwörter, wie sie einander folgen, herauszuschreiben und daran den Anschauungsgehalt des Gedichtes zu sehen. Immfer aber darf auch bei der Erläuterung der Form nicht zuviel erklärt und reflektiert werden; oft verdeutlicht ein verständnisinniger Vortrag allein mehr als es eine langatmige Erklärung zustandebrächte. So gilt bei der unterrichtlichen Erschließung eines Kunstwerks, mag es ein lyrisches oder episches Gedicht oder ein Prosastück oder ein dramatisches Erzeugnis sein, folgendes Schema: Erzeugen des,Bilds, der äußeren. Verhältnisse und der verlangenden Stimmung; Vortrag durch den Lehrer; Herausheben der tieferen Bedeutung; Erschließen der Form. Den Abschluß bildet die Lese- und V o r t r a g s ü b u n g . Wir haben die Unterscheidung eines mechanischen, logischen und ästhetischen Lesens schon oben gekennzeichnet. Gut lesen oder vortragen heißt für die Kinder, die innere Ergriffenheit schlicht und natürlich zum Ausdruck bringen. Rhythmik und Ton der Sprache werden dann schon recht, gleichweit entfernt vom hohlen Pathos und einförmigen Schulton. Betonungsregeln, Unterstreichen der hochtonigen Stellen und andere

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äußerliche Maßnahmen fördern das gute Lesen nicht; sie sind geeignet, den Irrtum entstehen -zu lassen, daß die Schönheit des Lesens eine Manier sei, und fördern somit Gefühlsheuchelei und Affektiertheit. Vergreift sich das Kind einmal im Ton oder liest es sonstwie falsch, dann wird vielfach ein kurzer Eingriff des Lehrers genügen, um den Fehler zu beheben. Eine große Bedeutung für die Bildung der Vortragskunst wird dem Chorsprechen nachgerühmt. Lehrskizze.

Das Kind am Brunnen. Von F r i e d r i c h H e b b e l .

Wir behandeln das Gedicht an einem schönen, stillen Sommertag, wie er im Gedicht selbst geschildert ist. Sommerlich frohe Stimmung sollte in den Kindern herrschen. A n k ü n d i g u n g : Von einem Kind, das beim Blumenpflücken fast ertrunken wäre. I. Im Lehrgespräch entwickeln wir nun ein Bild der ä u ß e ren V e r h ä l t n i s s e . a) Was das für ein Kind war: klein, 2 Jahre alt, blond, helläugig, rosig, ein süßes Geschöpf. b) Hatte denn das Kind keine A u f s i c h t ? Die Zweijährigen laufen gerne davon und wie schnell! Ein Dienstmädchen, eine Tante ? Eine Wärterin oder Amme. Wofür hat diese zu sorgen ? c) Es war ein T a g wie h e u t e . Blauer Himmel und Sonnenschein, warm, grüne Wiesen mit Blumen, blaue Berge, zwitschernde Spatzen, weidende Schafherde. Lachender Sommertag. Mitten drinnen ein Gutshof. Unter der schattigen Linde Bank und Tisch. Hier sitzt die Amme, schläft in der Nachmittagshitze. Auf dem Rasen vor ihr ein Kissen, darauf liegt das Kind. Hat sich rote Backen angeschlafen. So schläfrig, schläfrig ist alles. d) Da e r w a c h t das K i n d und krabbelt sich auf. Die Amme hört nichts, sie schläft weiter. Das Kind schaut sich um. Frau Amme, Frau Amme, das Kind ist erwacht! Warum fangen wir an besorgt zu werden ? e) Dort unten sieht das Kind eine Stelle, da stehen die schönsten Blumen. Da ist ja ein B r u n n e n , ein gegrabenes Wasserloch voll dunklen Wassers. Hier haben die Blumen zu trinken und konnten sich so üppig entfalten. Ihr wißt ja, wie Kinder und Blumen zueinander stehen. Diese Blumen muß das

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Kindlein haben. Also geht es drauf zu, immer schneller, je mehr es fürchtet, daß die Amme es einholen könne. Aber die Amme hört und sieht nichts. Sie schläft weiter, so fest wie ein Totes, als läge sie selbst im Brunnen. f) Nun steht es am Brunnen; nun ist es am Ziel. Was ist sein Ziel? Blumen. Aber bald hat es genug. Da lockt die Tiefe zum Hinabschauen: schwarzes, glänzendes Wasser! Wie ein Spiegel. Da sieht es in der Tiefe ein anderes Kind: blond, helläugig, rosig. Ein a n d r e s Kind ? So glaubt es. Ein Spielkamerad, der herauf zu ihm kommen soll. Es winkt ihm. Das unten winkt auch. Öfter winkt es. Das unten auch. Herauf, herauf! Nein: hernieder, hernieder! Das unten kommt nicht herauf. Nun muß das lebendige Kind wohl hinunter. Schon beugt es sich über den Brunnenrand — —. »Frau Amme, du schläfst noch immer!« g) Wir meinen, jemand habe diesen Angstruf ausgestoßen; er geht uns ja durch Mark und Bein. Die Mutter? Sie ist ja nicht da. Ob das Kind etwas gehört hat? Nein. Aber — die Blumen sind ihm plötzlich aus der Hand gefallen, in die schwarze Tiefe hinunter, gerade auf das süße Kindergesicht. Da hüpfen kleine Wellen auf und weg ist es, das lockende Bild da unten, verschluckt von den Wellen. Pause. Und das lebendige Kindchen wohl? Es ist davongelaufen. Vorlesen durch den Lehrer. Pause. II. Vertiefung. A n k ü n d i g u n g : Ob uns dieser Sommertag noch immer so heiter erscheint ? a) E r s t r e c h t . Das Kind ist ja errettet. Wir freuen uns von Herzen drüber. Wie fröhlich kann es jetzt weiterspielen mit Blumen unter dem lachenden Himmel im goldnen Sonnenschein. Wie schön ist das blühende Kind — wie traurig wäre der Anblick seiner kalten blassen Leiche! b) Aber der Dichter sagt: Das Kind d u r c h s c h a u e r t ' s f r e m d und kalt. Wiederhole! Fremde, kalte Schauer! Habt ihr schon solches in euch erlebt ? Die kommen nicht von Sonne und Blumen. Woher denn ? Es hätte fast sterben müssen. In dem heitern Sommertag ist jemand umhergegangen, der schrecklich für die Menschen ist: der Tod. Er war schon zum Kindlein hingetreten, daher die fremden, kalten Schauer. Wohl hat er dem Kinde noch nichts getan. Was wissen wir jetzt aber von seinem Kommen? Auch im lachenden Sommertag geht er umher. Hüte dich, Mensch! Ob uns dieser Sommertag noch

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so heiter dünkt ? Nimmermehr. Zuerst so warm, freundlich wie ein guter Bekannter — jetzt fröstelt uns. Wie wenn wir in der Fremde wären. Wie wenn ein grauer, häßlicher Schleier über Sonne, Himmel und Blumen gezogen worden wäre. c) Das ist ein e r n s t e s G e d i c h t . Der Dichter — Friedrich Hebbel — war ein ernster, grüblerischer Mann, dessen Werke uns oft ganz wehe tun, wenn wir sie verstehen. Ich will euch ein andermal ein andres Gedicht von ihm bringen. d) Jetzt aber sollt ihr von einem schönen Kind hören, das sich einmal der Tod an einem ähnlichen Ort geholt hat: Aquis submersus von Storm, soweit die Stelle geeignet ist. III. Erläuterung der Form. Wie müssen wir das Gedicht vortragen ? Versuche es! a) Warnrufe 1 erste Gliederung. Die Erzählung I W a r n r u f e : Verdopplung, unruhiger Rhythmus (klopfen!), Steigerung: erwacht, steht auf, ist tief, noch immer! Die E r z ä h l u n g : Von der schlafenden Amme und der ruhenden Landschaft — gedehnter Ton. Besonders gedehnt: Sie schläft, als läge sie drinnen! Das forteilende Kind — unruhiger Rhythmus. Nun — Brunnen, nun — Ziel. Immer noch ist der Rhythmus bewegt, bis das Kind zu spielen aufhört. »Da schaut's in die Tiefe hinunter.« Das au, ie, u wollen gedehnt gesprochen sein. »Und unten« — jetzt beginnt ein ruhiges, fast selbstverlorenes Erzählen. Es ist doch gar zu schön, das reizende Spiel des unschuldigen Kindes 1 Hold, hell, süße, Freund, Grüße — liebe schöne Klänge für ein reizendes Spiel. Das weiß es noch nicht — wie hingehaucht, als Einschaltung gesprochen, die wir Zuschauer für uns machen müssen. Die 6. Strophe bringt das Winkespiel in Parallelen, Wiederholungen und belebterem Rhythmus. Schon beugt . . . Brunnenrand — der Diphthong und das lange Wort mit den n-Lauten drücken die Bewegung des Kindes aus. Es geht zum Wasser hinunter. Zögernd, langsam — aber das beugt sich immer weiter hinunter. Da — jetzt löst sich die Hand, fallen die Blumen. Der zögernde Rhythmus der ersten Zeile und der ängstliche Schrei der zweiten Zeile, die einander durchkreuzten, lösen sich in ruhigeren Erzählton wieder auf. Wir atmen auf. Verschwunden. Verschluckt. Beachte die Stellung dieser Wörter, die Steigerung ihrer Anschaulichkeit. Hüpfende Welle — Rhythmus klopfen!

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Durchschauert's — das Unbestimmte, Unheimliche. Fremd und kalt — wie diese Wörter durch ihre Einsilbigkeit und ihre Stellung hervorgehoben werden. Der Rhythmus der letzten Zeile veranschaulicht die eilende Hast des erschreckten Kindes. Daraus ersehen wir zugleich die g e n a u e r e G l i e d e r u n g : Warnruf. Erzählung: schlafende Amme und Landschaft. Warnruf. Erzählung: Das Kind geht fort. Warnruf. Erzählung: Das Kind eilt. Erzählung bis zum Höhepunkt: Str. 7. Warnschrei. Erzählung: Das Bild zerstört. Das Kind enteilt. b) Wir schreiben die Reimwört.er heraus. Wie sie allein fast schon das' ganze Vorkommnis erzählen. Beachte, wie sie zueinander klingen! c) Nunmehr Vorlesen oder Vortrag durch die Schüler. V. Geschichte der Leselehrmethoden.

Die Aufgabe des Leseunterrichts kann nur auf der Grundlage einer automatisch gewordenen Lesefertigkeit erfüllt werden. So ist Lesen zunächst eine technische Schwierigkeit, die bezwungen werden muß. Die Hauptstufe der Lektüre ist bedingt durch die Vorstufe des Lesenlernens, deren typisches Buch die Fibel ist. Wir haben also die weitere Aufgabe, eine zeitgemäße Lese- und Schreiblehrmethode festzustellen, und vertiefen uns zu diesem Zweck in die Geschichte dieser Methoden. Die B u c h s t a b i e r m e t h o d e beherrschte bis in das 19. Jahrhundert die Praxis des ersten Leseunterrichts. Wer darnach unterrichtete, ließ gewöhnlich zuerst das ganze Alphabet auswendig lernen, so daß sowohl die Schriftzeichen als auch die Buchstabennamen in und außer der Reihe erkannt und gelesen wurden. Hierauf lernte das Kind Silbenlesen. Zuerst nannte es die einzelnen Laute der Silbe beim Buchstabennamen; dann sprach der Lehrer das Lautbild der Silbe vor und das Kind sprach nach. Das Wort wurde silbenweise zerlegt und wieder so synthesiert. Einen beliebten Übungsstpff bildeten sinnlose, schwer zu lesende und auszusprechende

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Silben. Vater: vau, a — va; te, e, er — ter; va — ter. Das Lesenlernen nach dieser Methode mußte den Kindern schwer fallen; der Umweg über den Buchstabennamen bedeutet eine große und völlig überflüssige Zeit- und Kraftvergeudung. Deswegen vergingen zwei, drei Jahre, bis das Kind annehmbar lesen konnte; dabei war die Lesestunde stets voll disziplinarer Trübsal. Statt aber die Methode völlig zu verwerfen, suchte man sie vielfach zu verbessern. Basedow reicht gebackene Buchstaben dar; Comenius veranschaulicht durch Bilder; Pestalozzi malt die Vokale rot und die Konsonanten schwarz; andere nehmen die Musik und Verse zu Hilfe. Nichtsdestoweniger blieb das Lesen die »mühseligste Beschäftigung der Kinder«, eine »Geißel der Kindheit«, wie sich Rousseau ausdrückt. Obwohl schon frühzeitig eine zum Teil erbitterte Kritik dieser Methode einsetzte, hielt die träge Gewöhnung sie fest, bis sie endlich durch die Lautiermethode verdrängt wurde. Der Erfinder der L a u t i e r m e t h o d e ist Valentin I c k e l s a m e r , Magister zu Erfurt. In seiner Schrift »Von der rechten Weys aufs kürtzist lesen zu lernen« (1520) verlangt er: »das er in eine wort nit abbreche / biss er gar hinauss lieset / vfi lass kein e buchstaben fare / biss er den andern ergriffen hat / vfi henck es alles aneinander / wie die ring an einer kette /«. Damit ist das Wesen der Lautiermethode, nach der also nur Laute gelesen und zusammengeschlagen werden, treffend gekennzeichnet. Aber erst Heinrich S t e p h a n i , Schulrat ins Ansbach, vermochte ihr Bahn zu brechen durch seine Fibel vom Jahr 1803 und eine Reihe von Abhandlungen 1 ). Darin bezeichnet Stephani als Vorzüge dieser Methode die Zeitersparnis, die Erzeugung einer guten Aussprache, Unterstützung der Rechtschreibung und geistige Anregung der Schüler durch Selbsttätigkeit. Stephani stellt einen wissenschaftlich begründeten Stufengang von Lauten auf,. die nacheinander gelehrt und erzeugt werden. Dann erst kommt das Lesen; mit ihm sind Schreibübungen nicht verbunden. Diese Methode fand viele Anhänger, z. B. Harnisch, Denzel, Wilmsen, Zerrenner. Manche versuchten sie zu vervollkommnen. Die l ) S t e p h a n i , Kurzer Unterricht in der gründlichsten und leichtesten Methode, Kindern das Lesen zu lehren, 1803. — Ausführliche Beschreibung meiner einfachen Lesemethode. 1814.

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einen nahmen von der Buchstabiermethode die brauchbaren Elemente und wirkten sie in die Lautiermethode hinein. Andere vertieften die Lautlehre Stephanis und brachten es dadurch teils zu einer Unzahl peinlich unterschiedener Laute, die mit den seltsamsten Namen bezeichnet wurden, teils zu der Forderung, daß auch die Kinder über Lautbildung und Lautsystem theoretische Klarheit erwerben sollten neben der praktischen Übung. Doch vermochten diese Verirrungen den guten Kern der Lautiermethode nicht zu töten. Heute wird überall im ersten Leseunterricht lautiert, wenn auch die Methode selbst fast durchaus in der Schreiblesemethode aufgegangen ist. Die S c h r e i b l e s e m e t h o d e besteht darin, daß die Schüler lesen und schreiben zusammen erlernen. Es ist möglich, daß die Lesemethode dabei im Buchstabieren besteht. In dieser Weise wird bereits in den Schreibschulen des Mittelalters Lesen und Schreiben zusammen erlernt. Auch Comenius und R a t i c h i u s empfehlen diese Methode zu einer Zeit, wo die reine Buchstabiermethode bereits herrschend geworden war. Doch ist seit der Durchdringung der Lautiermethode mit dem Schreiben das Lautieren verknüpft. In Deutschland begründete der bayerische Schulrat Johann Baptist Graser 1 ) diese Methode. Dabei leitet ihn die Überzeugung, daß die Schrift eher da sei als das Lesen, also am Geschriebenen das Lesen erlernt werden müsse. In umständlichster Weise geht er vor. Die Kinder sollen mit Bewußtsein lernen. Also findet zunächst eine Aufklärung über die Notwendigkeit des Schreibens und Lesens statt. Die Buchstabenformen werden aus Mundstellungen abgeleitet und zunächst in einer Elementarschrift gegeben, der erst später die deutsche Kurrentschrift folgt. Alle diese Eigentümlichkeiten fielen im Laufe der Zeit, so daß nur die Verbindung des lautierenden Lesens mit dem Schreiben übrig blieb, eine Errungenschaft übrigens, die angesichts des mühseligen Aufstiegs des ersten Leseunterrichts zur Naturmäßigkeit groß genug war. Ein Versuch, die Methode wieder dadurch zu beschweren, daß von An*) Graser, Elementarschule fürs Leben in ihrer Grundlage. 1817. — Der erste Kindesunterricht — die erste Kindesqual, eine Kritik der bisher üblichen Leselehrarten. 1819.

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fang an neben der Schreibschrift (reine Schreiblesemethode) auch die Druckschrift gelehrt wurde (gemischte Schreiblesemethode), scheiterte an theoretischer Bekämpfung und an dem Umstand, daß damit der schwachen Kraft des Kindes zuviel zugemutet wurde, also an der tiefer werdenden psychologischen Einsicht der Pädagogen. Fast alle modernen Fibeln beginnen Lesen und Schreiben gleichzeitig, führen aber die Druckschrift erst ein, wenn das Kind bereits an die Tätigkeit des Schreiblesens gewohnt ist. Wenn die Fibeln Bilder enthalten, so ist das kein wesentlicher Bestandteil der Methode. Die Bilder haben den Zweck, den Laut zu gewinnen oder an ihn zu erinnern, fügen also der Methode den Grundsatz der Anschauung bei. Die a n a l y t i s c h e M e t h o d e wird auf den Franzosen J a c o t o t 1 ) zurückgeführt, obwohl sie von dem Deutschen G e d i c k e 2 ) erfunden ist. Jacotot legt seinem Lehrgang ein Ganzes zugrunde, nämlich den Telemaque von Fenelon. Satzweise läßt er dieses Werk memorieren, in Wörter zerlegen, diese in und außer der Reihe sprechen und zeigen, hierauf vom ersten Wort an in Silben und Buchstaben analysieren und diese einprägen. In umgekehrter Folge, also synthesierend wird geschrieben. Der Schüler, der die ganze Eriälilung hersagen, lesen, ab- und aufschreiben konnte, ist am Ziel des Unterrichts angelangt. Diese Methode bedeutet eine Vertiefung des Anfangsunterrichts im Lesen und Schreiben. Das Schwergewicht wird vom rein Technischen der Lauterzeugung und Lautdarstellung hinübergeschoben auf den Inhalt des. zu Lernenden. Gedicke drückt das so aus: »Der Weg der Natur ist der von Sachen zu Namen und Wörtern und von diesen zu Buchstaben.« Obwohl Gedicke verlacht worden war, fand die Methode Jacotots in Deutschland Verbreitung. Der Breslauer Lehrer Seltzsam 3 ) ging von einem Lesebuchstück aus; der Erfurter Schulrat Graffunder wählte einzelne Sätze für die Schreibleseanalyse. Als N o r m a l w ö r t e r m e t h o d e ist die analytische 1

) J a c o t o t , Enseignement universel. 1818. ) G e d i c k e , Kinderbuch. 1791. 3 ) S e l t z s a m , Der Geist der Jacototschen Methode in Beziehung auf den ersten Leseunterricht. 1846. — Erstes Lesebuch zum Gebrauch bei Anwendung der Lesemethode nach Jacotot. 1846. 2

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Methode besonders bekannt geworden. Wie der Name zeigt, geht man hierbei von einzelnen Wörtern aus, Normalwörtern, die Gegenstände aus dem Anschauungsbereich des Kindes bezeichnen. Zuerst wird der Inhalt des Wortes geklärt: dazu dient die Vorführung des Gegenstandes in natura, im Abbild, durch die Zeichnung des Lehrers, in Erzählung, .Märchen, Rätsel, durch allseitige Besprechung. Auf gute Aussprache wird dabei besonderes Gewicht gelegt. Darnach wird der Name des Gegenstandes geschrieben, vom Kind in der Fibel gezeigt, als Ganzes gelesen, und zwar in Schreib- und Druckschrift und schließlich nachgeschrieben. Erst wenn alle Normalwörter behandelt sind, beginnt die Analyse des einzelnen Worts in Laut und Lautzeichen mit nachfolgender Synthese. Ausgewählt werden die Normalwörter entweder nach der Sprechschwierigkeit oder nach dem Anschauungszweck oder nach der Schreibschwierigkeit oder nach der Hörschwierigkeit. Besonders, charakteristisch ist für diese Methode die Verbindung des Schreibleseunterrichts mit dem Anschauungsunterricht, ja überhaupt ihre Konzentrationskraft, so daß aus ihr ein »Vereinigter Anschauungs-, Sprech-, Schreib-, Lese-, Zeichen- und Singunterricht« abgeleitet wurde. Ihr Erfinder ist wahrscheinlich der Leipziger Lehrer K r ä m e r 1 ) ; begründet, ausgestaltet und eingeführt wurde sie durch den Schuldirektor Vogel 2 ) in Leipzig. Die modernen Bestrebungen, das Kind rasch und leicht und auf naturgemäße, inhaltsvolle Weise Lesen und Schreiben zu lehren, sind unter den Bezeichnungen N o r m a l l a u t m e t h o d e , b e g r i f f l i c h e M e t h o d e , S t i c h w o r t m e t h o d e , Lesen u n d S c h r e i b e n am S p r a c h g a n z e n aufgetreten und bekannt geworden. Der Bahnbrecher der N o r m a l l a u t m e t h o d e ist der Leipziger Lehrer Eichler 3 ). Er faßt jeden Laut als Natur1 ) K r ä m e r , Über einen ganz neuen Unterrichtsgang; ein Buch für jeden Gebildeten. 1844. 2 ) V o g e l , Des Kindes erstes Schulbuch. 1843. — Zur Verständigung über den Plan und die Bestimmungen des ersten Schulbuches. 1843. 3 ) E i c h l e r , Die Normallautmethode. 1906. — Anleitung zur richtigen Lautbildung als Einführung in den Lese- und Schreibmechanismus. 1904.

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laut auf, also als den hörbaren Träger einer Gefühlserregung oder einer lebendigen Szene. Im Anschauungsunterricht werden Erlebnisse entwickelt, aus denen die Laute hervorgehen. Der Bewundernde ruft a, der Neckende e, der bestrafte Obstdieb au, der Bär brummt m; der rollende Wagen macht r, die Biene summt s. Um das Zusammenlesen des anlautenden Konsonanten und des folgenden Vokals — eine bekannte Schwierigkeit des ersten Lesens — naturgemäß und leicht zu erzielen, läßt man anbrummen (ma), anrollen (ra), anlallen (la) usw. Leicht ist bei dieser Methode der Anschluß des Lesens und Schreibens an die Gewinnung des Lautes sowie die Synthese der Laute und Lautzeichen zum Wort. Eichler bezeichnet es selbst als Vorzug seiner Methode, daß die schwierige Analyse von Wortganzen vermieden ist. Die b e g r i f f l i c h e M e t h o d e will zunächst dem Kinde b e g r e i f l i c h machen, .wo und wie die Laute entstehen, an welchen Stellen des Sprechapparats und durch welche Bewegungen. Sie will also nach den Erläuterungen der wissenschaftlichen Phonetik vorgehen. Der Gedanke einer phonetischen Methode ist schon alt. Schon Ickelsamer drückte ihn in seiner uns naiv anmutenden Art aus; auch Stephani und seine Nachfolger begründeten ihre Lautiermethode damit; die Entwicklung der Normalwörtermethode führte der Phonetik zu. (Fechner1.) In Berthold Otto 2 ), der dieser Methode den Namen gab, und dem Elsässer Pfarrer Spieser 3 ) findet die phonetische Methode ihre bedeutendsten modernen Begründer und Vorkämpfer. Das Kind soll vor allem jeden Laut nach dem Ort und der Art seiner Entstehung bezeichnen lernen, damit e€ ihn jederzeit mühelos und richtig, also aus seiner natürlichen Veranlagung heraus erzeugen kann. Zu diesem Zweck nennt ihm der Lehrer entweder selbst den entsprechenden Namen l

) F e c h n e r , Der erste Leseunterricht nach der analytischen Lesemethode. 1896. 2 ) O t t o , Mütterfibel. Eine Anleitung für Mütter, die Kinder selbst lesen zu lehren. 1903. 3 ) S p i e s e r , Ein Klassen versuch mit der begrifflichen Methode. 1904. — Die begriffliche Methode im ersten Leseunterricht. Ein Bericht. Mit Abbildungen. 1906. B ö h m , Prakt.Rrzlehun««- u. Unternchtslehre. III. Bd. 13 A»fl.

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Der Unterricht in der Muttersprache.

des Lautes (z. B. / = Zahnlippenblaser) oder er gibt phonetische Befehle (z. B. mach die Zungenspitze zittern = r) oder veranschaulicht durch bildliche Ansicht, indem die Mundstellungen von vorne und die Sprechlagen am Durchschnitt des sprechenden Mundes gezeigt werden. So lernt das Kind bewußt Laute bilden auf dem Wege der Anschauung und Selbsttätigkeit. Darauf folgt die Verknüpfung der gewonnenen Lautbilder mit den Lautzeichen. Spieser führt nicht gleich die deutsche Schreibschrift ein, sondern eigentümliche, ganz einfache Typen, die Fibelkursiv, die mit den Lautbildtafeln zusammengeklebt werden, um so die assoziative Verbindung mühelos zu bewirken. Aus dieser Schrif-t erst werden die üblichen Schriftzeichen entwickelt und die Tätigkeit des Lesens und Schreibens kann nun nach beliebigen Fibeln beginnen. Die experimentellen Untersuchungen über die Psychologie des Lesens veranlassen den Taubstummenlehrer M a l i s c h 1 ) aus Ratibor, das L e s e n u n d S c h r e i b e n wieder an S p r a c h g a n z e n , also an Wörtern und Sätzen, zu lehren. Er legt seiner Theorie die Tatsache zugrunde, daß beim Lesen nicht die einzelnen Elemente z. B. eines Wortes bemerkt werden, sondern daß das ganze Schriftbild an charakteristischen Buchstaben und Buchstabengruppen erkannt wird, während die untergeordneten Elemente reproduktiv ergänzt werden. Es ist nach ihm psychologisch falsch, das Elementare des ersten Leseund Schreibunterrichts im Einlernen der Laut- und Buchstabenelemente zu erblicken. Er stellt also den Kindern Schriftbilder vor, die wegen des assoziativen Zusammenhangs von Wort und Bedeutung an den Gegenständen selbst gezeigt werden, sagt die Wörter vor und läßt nachsprechen und nachschreiben. Formale Vorübungen, durch die Auge und Hand geschult werden, leiten diesen Unterricht ein; Luftlesen, Gedächtnis- und Bankschreiben unterstützen ihn. Malisch will also die Wörter als Lese- und Schreibautomatismen dem Kinde einprägen. Um seine Methode objektiv zu beurteilen, muß man nicht nur die Psychologie des Lesens im Auge haben, sondern auch den ganzen Bildungsgedanken des Anfänger*) M a l i s c h , ganzen. 1909.

Der erste Lese- und Schreibunterricht an

Sprach-

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Lesen.

Unterrichts in der Volksschule. Versuche in diesem Sinn eine Beurteilung ! Die S t i c h w o r t m e t h o d e des Oberlehrers L e h m e n s i c k 1 ) stellt die Selbsttätigkeit des Kindes als den Grundsatz auf, von dem ausgegangen werden muß. Die Sprache ist Inhalt und Form. Beides soll vom Kinde selbst gefunden werden. Für den Inhalt erfüllt ja der entwickelnd darstellende Unterricht bereits diese Forderung. Doch auch die Form soll vom Kinde selbst gefunden werden, und zwar als die Außenseite des Inhalts. Alle Sprachform als Träger reichen Inhalts von Anfang an — das ist die Hauptforderung Lehmensicks. Wenn das Kind liest, soll es von Anfang an Gedanken lesen und nicht kahle Buchstabenmarken. Darum wird vom Märchen ausgegangen. Dessen Situationen werden in Stichworten ausgedrückt, hinter denen der Hauptgedanke steht und die darum stark betont werden. Z. B. o, es kommt der Wolf; so, nun hab' ich euch. Rotkäppchen, zieh dich an\ wasch dich rein\ Ähnlich wie Spieser empfiehlt Lehmensick eine besonders einfache Fibelschrift; er schlägt als sehr zweckmäßig die lateinischen Großbuchstaben in Skelettschrift vor. Ein Ü b e r b l i c k über die geschilderten Lese- und Schreiblehrmethoden zeigt zunächst eine zunehmende Vertiefung und Verinnerlichung dieses Unterrichts. In den ältesten Methoden als Formfertigkeit gedacht, gilt Lesen und Schreiben auch im Anfängerunterricht zunehmend als Inhaltsgewinnung. Damit wurde die allen Methoden zugrunde liegende Frage, worin das Elementare dieses Unterrichts zu suchen sei, in dem Sinn entschieden, daß es in der geschickten Ausnutzung der inhaltlichen Werte und Bedürfnisse des kindlichen Bewußtseins liege. Das rein Technische, die Lauterzeugung und die Art des Lesevorgangs spricht wohl mit, kommt aber erst in zweiter Linie. So muß die.Methode die beste sein, die das Kind inhaltlich packt und dabei keine phonetischen und psychologischen Verstöße begeht. Mit der Geschichte dieser Methoden ist nicht ganz identisch die G e s c h i c h t e d e r F i b e l , obwohl diese mit der Kennl ) L e h m e n s i c k , Das Prinzip des Selbstfindens in wendung auf den ersten Leseunterricht. 1900.

seiner 4»

An-

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Zeichnung ihres methodischen Charakters zusammenfällt. Es gibt Buchstabier-, Schreiblesefibeln usf. Seit dem Mittelalter wird dieses Büchlein als ein unentbehrliches Requisit des ersten Sprachunterrichts angesehen. Doch machen gerade die modernen Lesemethoden keine- Fibel nötig; der Setz^ kästen tritt an ihre Stelle. Dem Geiste der Zeit entsprechend ist der L e s e s t o f f in den ältesten Fibeln religiös. Später tauchen weltliche Inhalte auf zur Ergötzung der Kinder. Mehr und mehr aber wird der Inhalt nach dem sprachlichen Lernzweck ausgewählt und angeordnet. Beliebt sind bereits vom 15. Jahrhundert an B i l d e r als Beigabe. Sie dienen verschiedenen Zwecken. Meist sollen sie den Laut veranschaulichen, manchmal auch die Form des Buchstaben. Ferner sollen sie Erinnerungsstütze für den bereits gelernten Laut sein. Bei der Normalwortmethode dienen Bilder, als die anschauliche Grundlage des vereinigten Anschauungs- und Sprachunterrichts. Einen anderen Sinn und Zweck haben die Abbildungen, die bei den phonetischen Methoden verwendet werden. An Stelle der Fibelbilder oder neben ihnen werden für den Massenunterricht Bildertafeln verwendet. Die m o d e r n e n F i b e l n zeigen eine wesentliche Veränderung des Charakters. Aus dem Schreibleselehrbuch der früheren Zeit sind freundliche »Kinderbücher« geworden. Die Forderung, auch das Lesen der Anfänger möglichst bald als Inhaltsgewinnung zu betreiben, hat eine inhaltliche Hebung der Fibelstufe zur Folge gehabt. Die Inhalte sind kindesmäßig und doch wertvoll, auch interessant für den Leser geworden. Im ganzen lassen sie dem Kinde seine alltägliche Welt aufs neue lebendig werden, machen aufmerksam auf die Schönheiten der Umgebung, führen ihm seine Abhängigkeit von Familie und Gesamtheit vor Augen und regen zur Selbsttätigkeit an. Hand in Hand damit geht die künstlerische Hebung des Buches. Die Bilder sind von Künstlern gezeichnet und meist koloriert und bedeuten nicht mehr lehrhafte Veranschaulichungen, sondern anschauliche Verdeutlichungen des Textlichen. Auch dem Humor wird sein gutes Recht auf das Kindergemüt zugestanden. Im ganzen sind die modernen Fibeln psychologisch feiner geworden.

Lesen.

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VI. Ableitung einer zeitgemäßen Lese- und Schreiblehrmethode.

a) D a s L e s e n . Wie das Lesen auf der Fibelstufe zu betreiben ist, kann sich nur ergeben aus Schlüssen, die wir aus der Geschichte der Leselehrmethoden ziehen. Wenn man das rein Äußerliche dieses Lesens im Auge hat, nämlich das E r k e n n e n u n d Z u s a m m e n l e s e n d e r B u c h s t a b e n zu L a u t b i l d e r n , so wäre ein verhältnismäßig einfacher Weg vorgezeichnet. Man würde die Laute in einer Folge von zunehmender phonetischer Schwierigkeit anordnen und so nacheinander lehren. Die psychologische Tatsache der assoziativen Hilfe ließe dazu die Schreiblesemethode als einzig möglich erscheinen, und zwar die reine Schreiblesemethode, da die sofortige Einführung auch der Druckschrift nach genügenden Erfahrungen dem Kinde zunächst zu viel zumuten würde. Allerdings müßte die Schreiblesemethode eine Änderung der rein phonetischen Lautfolge bedingen, da auch die Schreibschwierigkeit der Buchstaben mitspräche; doch ließe sich durch eine einfache Fibelschrift einem'solchen Kompromiß ausweichen. Es gibt nun Fibeln, die rein phonetisch vorgehen, als auch solche, die auch die Schwierigkeit der Buchstabenform in ihren Lehrgang mit einbeziehen. Ein Vergleich zeigt, daß durchaus keine Einmütigkeit über die Lautfolge herrscht; die Unterschiede sind geradezu groß. Zum größten Teil komnit das davon her, daß die Erzeugungsschwierigkeit und die Hörschwierigkeit eines und desselben Lautes durchaus nicht zusammenfallen. Damit ist entschieden, daß der Schwerpunkt einer guten Leselehrmethode nicht im phonetischen Aufstieg liegen kann; es läßt sich eben dafür kein exakter Maßstab feststellen. Die E r g e b n i s s e der p s y c h o l o g i s c h e n F o r s c h u n g über den Leseakt, wie sie Malisch seiner Methode zugrunde legt, zwingen uns zu untersuchen, ob nicht aus ihnen eine einwandfreie Lese- und Schreiblehrmethode zu erschließen wäre. Nach diesen Untersuchungen faßt der Leser nicht alle Buchstaben und Buchstabengruppen des vor ihm liegenden schwarzen Streifens, der Zeile heißt, gleich aufmerksam auf. Sein Blick huscht von einer gewissen bevorzugten Stelle zu einer anderen und bemerkt die dazwischenliegenden Buchstabenelemente

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Der Unterricht in der Muttersprache.

entweder nur unklar und undeutlich oder gar nicht. Das nicht Bemerkte wird erraten, d. h. nach bereits vorhandenen Wortbildervorstellungen, die durch die Apperzeption der bevorzugten Stellen bereits genügend charakterisiert zu sein scheinen, reproduktiv ergänzt. Das Lesen erfolgt also ruckweise; in den dadurch entstehenden Pausen erfolgt die Assoziation des optischen Bildes mit dem lautmotorischen und der Bedeutungsvorstellung. Wir halten daraus fest: Das fixierte Wort wird nicht gleichmäßig in seinen Elementen aufgefaßt; das Lesen erfolgt in Totalitäten. Ist es nun nach Malisch richtig, das Elementare des ersten Leseunterrichts nicht im Lernen der Laut- und Buchstabenelemente zu erblicken, sondern im Auffassen von Wortbildern ? Wir lösen diese 'Frage von der Tatsache aus-, daß die Anzahl der ruckweisen Lesebewegungen abhängt von der Übung im Lesen, von der Schwierigkeit des Stoffes, der Länge der Zeilen und dem Charakter der Schrift. Nun ist das Kind völlig ungeübt im Lesen; die Schrift und der Stoff sind ihm ganz neu, also von absoluter Schwierigkeit; sein Lesefeld ist noch höchst beschränkt. Ferner die Erfahrung des geübten Lesers, daß er stockt, wenn ihm in der Zeile ungewohnte Wortbilder begegnen; das Stocken bedeutet für ihn die Zeit, die er braucht, um zu analysieren und das fremdartige Wortbild in seinen Elementen aufzufassen. Denn es fehlt ihm das reproduktive Wortbildmaterial, das übrigens in jedem Fall auch dem Kinde mangelt. Aus alledem geht hervor, daß der erste Leseunterricht psychologisch richtig ist, wenn das Elementare in der Lehre einzelner Laute und Buchstaben erblickt wird. So stehen noch die Normalwörter-, Normallaut- und Stichwortmethode zur Diskussion. Ihnen ist gemeinsam, daß sie nicht das Formale des Lesens in den Vordergrund schieben, sondern von einem lebendigen Inhalt ausgehen wollen, um schon das Lesen des ABG-Schützen zu einem Erlebnis zu machen. Die Geschichte der Leselehrmethoden und der Fibel weist darauf hin, daß in dieser Richtung die Zukunft des elementaren Lese- und Schreibunterrichts liegt. In den ältesten Methoden als Formfertigkeit gedacht, gilt Lesen und Schreiben auch im Anfängerunterricht zunehmend als I n h a l t s g e w i n n u n g und die Frage nach dem raschen und leichten Ver-

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fahren entscheidet sich in dem Sinn, daß in erster Linie an die inhaltlichen Werte und Bedürfnisse der kindlichen Natur angeschlossen werden muß. Am wenigsten kann die Normalwortmethode an Erlebnisgrund bieten, da sie nur einzelne Wörter und keine lebendigen Sprachganzen darreicht; zudem enthält sie die Schwierigkeit, die jeder analytischen Methode anhaftet, und fällt unter die Bedenken des phonetischen Fortschritts. Die Normallautmethode ist interessant für das Kind, muß aber künsteln, um ihr Prinzip völlig durchführen zu können, und ist somit nur teilweise für einen natürlichen Unterricht geeignet. So entscheiden wir uns für die S t i c h w o r t m e t h o d e . Sie kann an ein Sprachganzes anschließen, das dem eigenartigen Erleben des Kindes entspricht oder sogar entstammt, an ein Märchen, an die Schul-, Heimat-, Naturerlebnisse des Kindes. Sie fordert die Fundierung des formalen Lesens durch wirkliche Anschauung und treibt damit das Lesen von Anfang an nicht nur als mechanischen, sondern vor allem als geistigen Akt, als Vorstellungs-, Gefühls- und Gedankenlesen. Es ist nach ihr möglich, auch in phonetischer Hinsicht vom Leichteren zum Schwereren fortzuschreiten, besonders wenn die störende Rücksichtnahme auf die Schreib Schwierigkeit der Buchstaben dadurch ausgeschaltet wird, daß der Lehrer zunächst die Spiesersche oder Lehmensicksche Fibelschrift gebrauchen läßt. Abgesehen von diesen Überlegungen besteht für den Lehrer die Vorschrift der amtlich eingeführten Fibeln. Die neueren davon sind im ganzen K o m p r o m i ß f i b e l n , in denen neben der Anlehnung an diese modernsten Forderungen die Normallautmethode, Reste der Normalwörtermethode und dazu die reine Schreiblesemethode festzustellen sind. Beurteile dir bekannte Fibeln nach diesen Ausführungen! b) D e r L e s e s t o f f . Mit ziemlicher Bestimmtheit kann man aus der vorausgehenden Darlegung Schlüsse auf den rechten Lesestoff ziehen. 1. Inhaltlich muß der Stoff sich ergeben aus der U m w e l t d e s K i n d e s , soweit sie vom Kinde erlebt wird. Das Konglomerat von Igel, Esel, Nest, Maus, Seil usw., das so häufig den Inhalt der Fibeln ausmacht, lehnen wir ab. Dafür überlegen wir, daß das Leben des Kindes ein Leben

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Der Unterricht in der Muttersprache.

innerhalb des täglichen Horizontes ist, dessen Höhepunkte im Spiel, im Haus, in der Schule, bei den Geschäftsleuten, in der Natur, mit den Festen, im Verlauf der Jahreszeiten gegeben sind. Wir sehen, daß der Stoff des Leseunterrichtes inhaltlich aus dem Anschauungsunterricht und dem übrigen kindlichen Erleben zu nehmen ist. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die lokale Färbung des Stoffes, besonders der Unterschied von Großstadt und Land, dem die Stoffauswahl jedenfalls gerecht werden muß. 2. Ist so die Anordnung des Stoffes im allgemeinen vom Lauf der Jahreszeiten bestimmt, so fällt sie doch im besonderen unter den G e s i c h t s p u n k t der p h o n e t i s c h e n S c h w i e r i g k e i t e n , soweit dies möglich ist. Auf jeden Fall gehen wir von einzelnen Lauten und Elementen aus. Diese können nicht anders als E m p f i n d u n g s l a u t e (oder Naturlaute) im lebendigen Sprachganzen auftreten. Sie sind aber bereits Stichwörter, d. h. in ihnen ist der Gedanke des Satzes zusammengefaßt. Unschwer ist von da aus die Brücke zu e i n s i l b i g e n S t i c h w ö r t e r n zu schlagen. Damit ist bereits der Fortschritt zu A n l a u t und A u s l a u t gegeben. Da die D a u e r l a u t e o d e r H a l b v o k a l e beim Anlauten eines Vokals länger präsent erhalten werden können, betrachten wir als nächste Stufe das Anschmelzen eines Vokals an einen vorhergehenden Dauerlaut. Die E x p l o s i v - oder A u g e n b l i c k s l a u t e werden zunächst im Auslaut eingeführt; darnach erst kommen sie im Anlaut. Weitere Stufen der phonetischen Schwierigkeit bezeichnen: L a u t e von g l e i c h e m o d e r ä h n l i c h e m K l a n g und d o c h v e r s c h i e d e n e r S c h r e i b w e i s e ; m e h r f a c h e r konsonantischer Auslaut; mehrfacher konsonantis c h e r A n l a u t . Doch muß sich der Lehrer bei dieser Lautstufenfolge stets darüber klar sein, daß es ein vergebliches Unterfangen wäre, die lebendige Lauterzeugung in ein phonetisches .Schema einzuzwängen, ändern ja auch die Laute, sobald sie im Wort oder gar im Satz auftreten, ihren Charakter oft völlig in bezug auf Länge, Kürze, Ton und Klangfarbe. Schon um des nötigen Wortvorrats willen lassen wir zweisilbige W ö r t e r sehr bald auftreten. Bekanntlich bildet das Kind zweisilbige Wörter zuerst als Reduplikationen (papa, mama, wehweh). Das gibt einen Fingerzeig dafür, wie es

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vom einsilbigen Wort leicht und bald an das größere Lesefeld des zweisilbigen und an die Fähigkeit gewöhnt werden kann, mit den zwei Silben eine Bedeutung zu assoziieren. Wo eine amtliche Fibel vorgeschrieben ist, da ist der Lehrer der Überlegungen über die Stoffanordnung enthoben. Trotzdem muß er imstande sein, den Gang der Fibel theoretisch zu verstehen und in der Praxis denkend zu verfolgen. c) Das S c h r e i b e n . Daß das Schreiben verbunden mit dem Lesen gelehrt wird, ist ein gesichertes Ergebnis der Entwicklung des Anfängerunterrichts. Nach bekanntem Gesetz wird das Gedächtnis für Eindrücke unterstützt durch assoziativen Anschluß; hier soll sich L a u t b i l d u n d S c h r i f t bild von Anfang an innig verbinden. Außerdem spricht die Grundveranlagung des Bewußtseins mit, Eindrücke mit motorischer Entladung zu beantworten. Lesen und Schreiben korrespondieren also miteinander. Durch das Schreiben entstehen Schreibbewegungsvorstellungen, die sich mit den Klangbild-, Sprechbewegungs-, Schriftbild- und Bedeutungsvorstellungen zu Gesamtvorstellungen vereinigen. Die Schreibbewegungsvorstellung ist für sich selbst wieder ein Komplex , der sich aus Druck-, Lage-, Muskelempfindungen und noch weiteren Elementen konstituiert. Da die bewußte Vornahme zusammengesetzter Tätigkeiten für das Kind noch die größten Schwierigkeiten enthält, wenn nicht gar unmöglich ist, muß die Schreibbewegungsvorstellung eines ganzen Buchstaben in dem Sinn a n a l y s i e r t werden, daß die einzelnen Teile des Buchstaben nacheinander aufgefaßt und geübt werden; hierauf folgt die Zusammenfügung mit entsprechender Übung. Doch schon diese einfachere Tätigkeit stellt gewisse Anforderungen an die Raumvorstellung, an Handgeschicklichkeit und Handgehorsam. Dies begründet z e i c h n e r i s c h e Ü b u n g e n , die teils das Buchstabenschreiben überhaupt, teils die Form des einzelnen Buchstaben einzuführen haben; im Anschauungsunterricht begleiten sie zudem die ganze Elementarstufe. Einfacher müßte sich die Vorbereitung und Einführung des Schreibaktes gestalten, wenn zuerst eine F i b e l s c h r i f t

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angewendet würde. Bei ihr sind die Buchstaben so einfach, daß sie genug elementare Form tragen, um ohne die angegebene Vorbereitung und Vorübung begriffen werden zu können. Dafür entstünde die Frage, wie sie in die gewöhnliche deutsche Schreib- und Druckschrift übergeführt werden könnte, eine Frage, die aus dem Charakter der Fibelschrift unschwer zu lösen wäre. Über Haltung der Schüler, Duktus der Schrift, Schreibmittel und Schreibtechnik siehe Schönschreibunterricht! d) D a s S p r e c h e n . Die Schreiblesestunde soll auch eine Sprechstunde sein. Das Klangbild und die Sprechbewegungsvorstellung der Laute und Wörter sind wesentliche Komponenten der Gesamtvorstellung, auf die das Schreiblesen hinarbeitet. Sprache ist Sprechen und nicht ein System starrer Formen. Darum sagt Hildebrand: »Auf allen Stufen des Unterrichts sind das Ohr und der Mund als Hauptträger der Muttersprache zu behandeln«. Das Sprechen übt also den Sprechapparat und das Gehör in der Absicht, beide für den richtigen Laut zu erziehen. Das ist höchst notwendig; denn die Mundart und die fast allgemeine Gepflogenheit der nachlässigen Aussprache, unter deren Einfluß die Sprache des Kindes sich bildet, lassen die Vokale unrein und die Konsonanten unscharf erscheinen; die Wörter kommen dann trübe, unartikuliert, verstümmelt zum Ausdruck. Es wäre sehr wünschenswert, daß der Lehrer sich mit der Bühnenaussprache'vertraut machte, um reines Deutsch selbst sprechen und lehren zu können. Die Bestrebungen, eine reine und korrekte Aussprache zu erzielen, schließen sich enge an den Stoffortschritt des Leseunterrichts an. Dabei'handelt es sich stets zunächst um die Erzeugung des i s o l i e r t e n L a u t s . Dann tritt die L a u t k o m b i n a t i o n auf, weil ja dei Leseakt aus einem fortwährenden Wechsel der Mundstellungen besteht; der bis zur guten Aussprache eingeübte Laut wird also sofort als Anlaut und Auslaut verwendet. Daraus entwickelt sich naturgemäß das Sprechen der W ö r t e r und S ä t z e , das zu B e t o n u n g s ü b u n g e n und r h y t h m i s c h e n Ü b u n g e n wird. Die methodischen Maßnahmen ergeben sich aus der Notwendigkeit, Sprechapparat und Gehör möglichst zu schulen. Im allge-

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meinen bestehen sie aus V o r m a c h e n , N a c h a h m e n und Einübung. Im besonderen wird empfohlen, die Kinder nicht nur sprechen zu lassen, sondern auch im Flüsterton zu üben, in verschiedener Tonhöhe und Tonstärke singen zu lassen, rhythmische Übungen zu treiben, Zungenübungen mit Naturlauten und Sprachscherzen zu veranstalten. VII. Lehrgrundsätze für die Fibelstufe.

Das Lehrverfahren im besonderen ist aus den erörterten allgemeinen Gesichtspunkten leicht zu erschließen. Die erste methodische Leistung gilt der G e w i n n u n g d e s L a u t e s . Wir holen ihn aus einem lebendigen Zusammenhang heraus, in dem er als Empfindungslaut auftritt. Die Kinder erzeugen ihn also selbst, angeregt vom Injialt des Themas, das zu ihm hinführt. Möglichst bald lassen wir den einzelnen Laut auch aus dem Lautkomplex herausfinden, indem wir ihn zunächst als Anlaut, später auch als Auslaut und Inlaut vertrauter Wörter suchen lassen. Darauf folgt die G e w i n n u n g d e s L a u t z e i c h e n s . Um die Assoziation von Laut und Zeichen sofort wirksam zu begründen, muß eine Gedächtnisstütze geschaffen werden. Sie besteht im Bild oder- in der Zeichnung. Doch ist es logische Folgerung aus Obigem, daß die bildliche Darstellung die lebendige Szene ausdrückt, aus der der Laut herauskam, und nicht einen toten Beschreibungsgegenstand. So entwickeln wir z. B. das a als Träger des Weihnachtserlebnisses, der Verwunderung und Freude, schreiben das Zeichen an die Tafel und hängen oder zeichnen dazu das Bild der den Christbaum bewundernden Kinder. Siehe eine moderne Bilderfibel ein! Die N a c h b i l d u n g d e s L a u t e s geschieht in der bereits geschilderten Weise. Der Lehrer spricht den Laut öfters vor, dabei die Mundstellungen drastisch kennzeichnend, und läßt einzeln und im Chor nachbilden, wobei er auf die bestimmte und exakte Ausführung der Mundstellungen achtgibt. Die N a c h b i l d u n g d e s L a u t z e i c h e n s wird nach unserer Einsicht in den psycho-physiologischen Prozeß des Lesens und Schreibens betätigt. Wir erzeugen demnach die Schrift-

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bild- und Schreibbewegungsvorstellung, jene durch das Auge, diese durch motorische Akte. Dem Auge wird die Buchstabenform dadurch faßbar gemacht, daß sie an der Wandtafel in ihre Teile zerlegt wird, die benannt und einzeln geübt werden. Das motorische Erfassen geschieht durch Nachfahren der Teile und des ganzen Buchstaben mit dem Finger, durch Schreiben mit dem Finger auf den Tisch und in die Luft, wobei die Buchstabenteile benannt werden, und dann durch Übung mit den gebräuchlichen oder vorgeschriebenen Schreibmaterialien. Ziel der Übungen ist, wie beim Lesen, die automatische Beherrschung der nötigen Bewegungen. Die später auftretenden Großbuchstaben können unschwer aus den Kleinbuchstaben entwickelt werden. Als Schiefertafelschrift wird die Schnurschrift empfohlen, die ohne Haar- und Druckstrich fortgezogen wird. Die weiteren methodischen Maßnahmen gelten der Sicher u n g der erworbenen Vorstellungen und ihrer A n w e n d u n g im zusammengesetzten Leseakt. Zunächst wird Lautklang und Lautzeichen aus der Vorstellung wiedererzeugt. Der Lehrer schreibt das Lautzeichen an die Tafel und läßt es benennen, worauf es weggewischt und von den Kindern aus der Erinnerung niedergeschrieben wird. Sind bereits mehrere Laute und Lautzeichen bekannt, so gibt es Diktatübungen; der Lehrer spricht einen Laut vor, läßt ihn nachsprechen und darnach niederschreiben. Diese Übungen sichern die Assoziation zwischen den verschiedenen Vorstellungen, die beim Lesen und Schreiben zusammenwirken. Weil das Lesen im Zusammenziehen der Laute besteht, muß möglichst bald schon dafür gesorgt werden, daß die gewonnenen Laute in Verbindung mit bereits bekannten Lauten gebracht werden. Schon nach ein paar Stunden kann das Wort im eingeführt werden. Der Lehrer holt es wieder aus einem sinnvollen Zusammenhang heraus. Nachdem es isoliert ist, wird es sehr markiert vorgesprochen, wobei die Kinder den Wechsel der Mundstellung beobachten. Sie sagen, was sie sehen, und damit in Verbindung wird erschlossen, was die Kinder hören: Wenn der Lehrer den Mund breit öffnet, hört man ein i, wenn er ihn schließt, ein m. Die Kinder ahmen nach. Dieser Analyse folgt die Synthese der einzelnen Laute zurück

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zum Wort. Das kann sehr anschaulich gemacht werden, wenn zwei Kinder mit den Namen der Laute bezeichnet werden und sich vor der Klasse die Hände reichen. Sind noch a, e, au bekannt, dann kann bereits eine reiche Übung veranstaltet werden, bei der der Konsonant teils als Anlaut, teils als Auslaut auftritt. Sinnlose Silben sind verpönt. Es ist immer darauf zu schauen, daß die gebildeten Wörtchen inhaltliche Bedeutung bekommen, dadurch daß sie in lebensvollen Zusammenhang gebracht werden. Ja, es lassen sich bald ganze Sätze und Geschichten darstellen. Wo die Schriftbilder noch fehlen, wird die Zeichnung stellvertretend gebraucht. Die Diktatübungen werden fortgesetzt. Den z w e i l a u t i g e n Silben u n d W ö r t e r n folgen die d r e i l a u t i g e n und die z w e i s i l b i g e n W ö r t e r , die ebenfalls durch Sprechen, Sehen und Schreiben erfaßt werden. Wo eine Fibel eingeführt ist, kann eine Reihe von Lese-, Sprech-, Schreib- und Diktatübungen an die ganze F i b e l s e i t e angeschlossen werden. Das L e s e l a u t i e r e n geschieht synthetisch. Das Wort rein z. B. wird gelesen: r, rei, rein. Das analytische Lautieren ist besonders bekannt in der Form des K o p f l a u t i e r e n s , das darin besteht, daß die Schüler ein gehörtes Wort in seine einzelnen Laute analysieren, somit aus dem Klangbild des Wortes sein Schriftbild erzeugen mit Hilfe der Sprechbewegungen. Dieser Tätigkeit kommt eine Bedeutung für das Rechtschreiben zu, soweit die Rechtschreibung lautgetreu ist. Es mehren sich allerdings die Stimmen, nach denen die Bildungsaufgabe des Elementarunterrichts nicht auch noch die Anbahnung der Orthographie umschließen dürfe. Auf jeden Fall gehört das Kopflautieren zur rein technischen und äußerlichen Seite des ersten Lese- und Schreibunterrichts. Literatur. 1. Fibeln und Lesebücher. Bei dem Reichtum dieser Erscheinungen muß auf die Berichte der p ä d a g o g i s c h e n J a h r e s s c h a u e n verwiesen werden. Von b a y e r i s c h e n Fibeln sei in Auswahl erwähnt. Hoffmann (mit Bildern von Dasio). — Münchener Fibel (mit Bildern von Schmidhammer). — Markert und Schander, Nürnberg (mit Bildern von Schiein). — Elimer.—Marschall. — Solereder. B a y e r i s c h e L e s e b ü c h e r : B a u e r , K r i e g e r und M a r s c h a l l , Deutsches Lesebuch f. Unterkl.

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Der Unterricht in der Muttersprache.

M 0,70, f. Mittelkl. M 1,40, f. Oberkl., zwei Hälften, M 1,40 und M 1,60. München. — F i s c h e r , Gr., Lesebuch f. d. Unterkl. d. bayer. Volksschulen. M 0,55, dasselbe f. Mittel- und Oberkl. 2 Teile. Jl 1,45. Münchcn. — Lesebuch für die Volksschulen M ü n c h e n s , N ü r n b e r g s , A u g s b u r g s , O b e r b a y e r n s , O b e r f r a n k e n s , der O b e r p f a l z , von N i e d e r b a y e r n , von S c h w a b e n und N e u b u r g , von p f a l z i s c h e n Lehrern — von öffentlichen Lehrern M i t t e l f r a n k e n s . Meist im Verlag von Oldenbourg in München und in bayerischen Schulen in Gebrauch. — H e y d n e r , Lesebuch für das 2., das 3. Schuljahr. Nürnberg 1894. Jl 0,60. — Von der Schule ins Leben. (Für Sonntagsschulen.) München 1906. M 1,20. — L e s e b u c h f ü r S o n n t a g s s c h u l e n von F i s c h e r (kleine Ausg. M 0,55), für Mädchenfortbildungäschulen von G o h r i n g und W e i ß , 1909, M, 1,70, für gewerbliche F o r t b i l d u n g s s c h u l e n von M a r s c h a l l M 4, von M e r t e l M 1,50, von W e i ß M 1,60, v o n L ö ß l , M o l l e r und D r . Z w e r g e r M 2; dasselbe, Ausgabe von L ö ß l und M o l l e r für landwirtschaftliche Fortbildungs- und Feiertagschulen, M 1 ; fur weibliche Fortbildungs- und Feiertagsschulen vom Lehrerinnenverein München, Ml,IS; dasselbe, Ausgabe für ländliche weibliche Feiertagschulen, Jl 1, für die Sonntagschulen der Pfalz von S a l z g e b e r M 1,30. Meist bei Oldenbourg, München. — Lesebuch von B o c k . Korn, Nürnberg. Siehe außerdem Geschichte der Fibel und des Lesebuchs! II. Lesetafeln und Lesemaschinen. B o r n s Lesemaschine. M 27,50. Leipzig, Schneiders Lehrmittelanstalt. — C y r a n k a , Bewegliche Lesemaschine in Schreibschrift. Leipzig. Dürr. M 1 2 . Der Apparat enthält 381 deutsche Schreibschriftbuchstaben, Ziffern und Zeichen; der Leserahmen dazu kostet M 5. — B e r l i n e r L e s e b r e t t , 250 Buchstabentäfelchen. Spielasko, Berlin. M, 4,50. — H i r t , Bewegliche deutsche Druckschriftbuchstaben des kleinen und großen Alphabets. Breslau, Hirt. Aufgez. auf Pappe. 130 Stück, 12% cm hoch, lackiert und zerschnitten in Holzschiebekasten. M 3. — H i r t , Bewegliche deutsche Schreibschriftbuchstaben. Breslau, Hirt. Aufgez. auf Pappe, 16 cm hoch, lackiert und zerschnitten in Holzkasten. J t 9. — D e u t s c h m a n n , Kleines deutsches Alphabet in Schreibschrift als Hilfsmittel für den Schreibleseunterricht. 54 Täfelchen, 25 cm hoch, schulfertig in Karton M 9. Breslau, Theiner u. Meinicke. III. Geschichte und Methodik des ersten Lese- und Scbreibunterrichts. F e c h n e r , Die Methoden des ersten Leseunterrichts. Berlin, Wiegandt & Grieben. M 1,50. — F e c h n e r , Grundriß der Geschichte der wichtigsten Leselehrarten. Ebenda. M 1,50. — F e c h n e r , Der erste Leseunterricht (Normalwörtermethode). Ebenda. M 3,40. — K e h r , Karl, und S c h i i m b a c h , Gustav, Der deutsche Sprachunterricht im ersten Schuljahr. 10. Aufl. 1907. M, 3,50. Enthält außer der historischen Entwicklung auch die theoretische Begründung und Anleitung zur praktischen Gestaltung des Unterrichts nach der Normalwörtermethode. — E l i m e r , Theorie und Praxis des Schreibleseunterrichts nach der Normalwörtermethode. 1905. M 3,60. — R e i n ,

Lesen.

63

P i c k e l und S c h e l l e r , Das erste Schuljahr. 8. Aufl. 1908. J t 5,50. — (Im S i n n e d e r H e r b a r t - Z i l l e r s c h e n Konzentrationsidee.) — L o b s i e n , Die mechanische Leseschwierigkeit der Schriftzeichen auf psychophysischer und experimenteller Grundlage. Langensalza, Beyer. 1898. J t 0,80. — E i c h l e r , Anleitung zur richtigen Lautbildung. Leipzig, Wunderlich. J t 1,60. — F u ß , Der Unterricht im ersten Schuljahr. Dresden, Bleyl & Kämmerer. J t 2,50. — F o l t z , Die deutsche Dichtung in der Unterklasse. 2 Hefte. J t 2,75 und J t 2,30. — L i n d e , Die Muttersprache im Elementarunterricht. Leipzig, Klinkhardt. J t 1 , 5 0 . — W i e d e r k e h r , Der Sach- und Sprachunterricht im ersten Schuljahr. Mannheim, Bensheimer. J t 3. — M a r k e r t , Freude und Kraft des Kindes. Korn, Nürnberg. J l 0,80. — R e y e r , Grundlage des ersten Lesens. Leipzig, Wunderlich. J t 0,80. — G ö t z e , Neue Bestrebungen auf dem Gebiete des ersten Leseunterrichts. Pädagog. Magazin. Beyer, Langensalza. J t 1. — V i e t o r , Kl. Lesebuch in Lautschrift. 2 Tl. Teubner. Jl 0.80 und J t 3. — B a l z e r , Sprich lautrein und richtig. Teubner.' M 0,60. — L ü t t g e , Lehrplan f. Hör- und Sprachubungen. Wunderlich. J t 0,40. — W a l s e m a n n , Lautlehre f. d." Elementarunterricht. Meyer. J t 0,50. — S i e b s , Deutsche Bühnensprache. Cohen, Köln. J l 5. L e i p z . L e h r e r v e r e i n , Guck in die Welt. R e i f f , Lesekästchen. Holland und Josenhaus, Stuttgart. J t 1,20. — H a r t i g , Die Phonetik und der Volksschullehrer. Wunderlich. J t 1,20. — L i n d e , Über Phonetik und ihre Bedeutung f. d. Volksschule. Langensalza, Beyer u. S. J l 1. — H e r m a n n , Die Technik des Sprechens. Frankfurt. IV. Lesebuchstufe. Geschichtliche und methodische Literatur. P e p e r , Die lyrische Dichtung. Teubner. M 4. — W e b e r , Die epische Dichtung. Ebenda. J l 4. — L i n d e , Moderne Lyrik in schulmäßiger Behandlung. Brandstetter. M 3. — F r e u d e n b e r g , Kunstgemäß und schulgerecht. Huhle, Dresden. M 0,50. — S c h m i d t , Alfred. Kunsterziehung und Gedichtbehandlung. Klinkhardt. 2 Bde. J t 5,40 und J t 4,20. — S c h m i d t , Einführung in die Ästhetik der deutschen Dichtung. Ebenda. J t 3,20. — D i e t l e i n , F r i c k , G a u d i g und P o l a c k , Aus deutschen Lesebüchern. Teubner. — G u d e und L i n d e , Erlauterungen deutscher Dichtungen. Brandstetter. ä Bd. J t 3,50. — F o l t z , Anleitung zur Behandlung deutscher Gedichte. Bleyl & Kammerer. ä Bd. M 2—3. — L o m b e r g , Präparationen. Beyer, Langensalza, ä Heft Jl 3—4. L ü t t g e , Praxis der Lesebuchbehandlung. Wunderlich. J t 4. — L i n d e , Entwürfe zur Behandlung deutscher Prosastücke. 2 Bde. J t 3 und J t 3,80. — F ö r s t e r , Das Volkslied in der Volksschule. Hirt, Breslau. J t 2. — F r e u d e n b e r g , Was der Jugend gefällt. Köhler, Dresden. — B e y e r , Kleine Poetik. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. J t 1. — S c h n e i d e r , Lehrproben über deutsche Lesestiicke. Elwert, Marburg. J t 4,80. — H e n c k und T r a u d t , Handbücher der Unterrichtspraxis. Thür. Verl.-A., Jena. J t 2,50. — L e h m h a u s , 50 Prosaerzählungen. Beyer. J t 2,70. — H e r o l d , Moderne Literatur und Schule Hesse, Leipzig. J t 0,20. — P l e c h e r ,

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Der Unterricht in der Muttersprache.

Streifzüge durch das Lesebuch. Wunderlich. JH 5,40. — L ü t t g e , Lesebuch und Leseunterricht im Kampf gegen die Schundliteratur. Sigismund und Volkening, Leipzig. M 0,60. — P a l l e s k e , Die Kunst des Vortrags. 4. Aufl. Leipzig. V. Jugendschriften. Bei der Fülle der einschlägigen Erscheinungen muß auf die Jugendschriftenverzeichnisse der vereinigten deutschen Prüfungsausschüsse verwiesen werden.

3. Aufsatz. I. Geschichtliche Betrachtung. 1. Bis ungefähr zum Jahre 1830 entbehrt die Praxis der Volksschule eines selbständigen Aufsatzunterrichts als eines Lehrfaches, dem eine eigentümliche Bedeutung für die Geistes bildung zugeschrieben wird. Das Fach, das im modernen Volksschullehrplan als Aufsatz enthalten ist, wird ersetzt durch gelegentliches Abschreiben von solchen Formen, die für das praktische Leben nützlich sind: Musterbriefe, Rechnungen, Quittungen u. dgl. Der innere Grund für diese rein äußerliche, platt nützliche Auffassung von schriftlicher Sprachdarstellung liegt in der Gesamtauffassung vom Wesen der Volksschule, ihres Bildungsziels und der Lehrmethode, er ist also aus der allgemeinen Geschichte der Volksbildung einzusehen. So schlimm aber, vom jetzigen Stand des Faches aus betrachtet, diese tote Kopierpraxis ist, schon frühzeitig gibt die Theorie Anregung sowohl zu einer geistigeren Zielsetzung als auch verständigeren Methodik; immer klarer und sicherer werdend, bereiten diese besseren Gedanken einen geistbildenden Aufsatzunterricht vor. So verlangt schon C o m e n i u s das Niederschreiben eigener Gedanken. E r n s t d e r F r o m m e will biblische Stoffe schriftlich bearbeitet haben. Die C l e v e s c h e Schulo r d n u n g von 1782 fordert Briefe und selbständige nützliche Aufsätze; ähnlich stellt B r a u n 1779 der letzten Schulklasse das L e h r z i e l

» A n f a n g s g r ü n d e der

deutschen

Briefkunstt.

Den

P h i l a n t h r o p e n erscheint ganz richtig ein methodisch durchdachter Lehrgang als unerläßlich. In der Pflege der äußeren Sprachform durch Einübung von Satzkonstruktionen, Unterredungen, Lesen von Musterstücken suchen sie die elementare Aufsatzbildung; Forderungen aus dem praktischen Leben

65

Aufsatz.

bestimmen den Weitergang. Allerhand Vorschläge, unter diesen manche von methodischer Vernunft, werden für die besondere Methodik der Aufsatzübungen gemacht. Solche sind: Anschreiben und Verbessern schlechter Aufsätze; Vervollständigung unvollständiger Sätze; Veränderung der Wortfolge; Nacherzählung; stilistische Regeln. Wie man sieht, ist diese Zeit charakterisiert durch das unsichere Suchen nach einer pädagogisch richtigen Einstellung des Aufsatzunterrichts in den Bildungsgedanken der Schule, nach einem bildenden Fachinhalt und einer entsprechenden Methodik. 2. Erst als Pestalozzi den Geist und das Lehrprogramm der Volksschule herausgearbeitet hatte, war es möglich, gerade bei diesem Fache klarer zu sehen. Es war möglich geworden, eine lehrplanmäßige Bedeutung des Aufsatzunterrichts zu erfassen und die methodischen Maßnahmen zu dessen Betrieb klar zu gestalten. Die w ü r t t e m b e r g i s c h e S c h u l o r d n u n g von 1810 schreibt einen deutschen Sprachunterricht vor »als Anleitung zum richtigen Sprechen und Schreiben und zur Fertigkeit im mündlichen und schriftlichen Ausdruck der Gedanken teils durch einigen Unterricht in den nötigsten grammatikalischen Regeln, teils und hauptsächlich durch mündliche

und schriftliche praktische Übungen«. Zu einem klaren systematischen Ausdruck bringt S c h o l z die neuen Gedanken über das Aufsatzschreiben der Volksschüler. Um 1Ö30 erscheinen seine zwei bedeutsamen Werke »Deutscher Sprachschüler« und

»Die Stilschule

in Stoff

und Aufgaben«.

Hier zeigt er

einen planmäßig angelegten Lehrgang vom ersten Lese- und Schreibunterricht an bis zum Ende der Sprachbildung. Dieser Plan ist aufgebaut auf die Unterscheidung von Sprachkörper (Form, Einkleidung) und Sprachgeist (Sache, Bedeutung). Beide stehen in steter Wechselwirkung, und so muß die Sprachbildung betätigt werden; zunächst wird für die gründliche Beherrschung der Sprachform gesorgt, auf der höheren Stufe greift dann der Sprachgeist bestimmend in die Sprachbildung ein. Der Fortschritt, den Scholz bedeutet, ist darin zu suchen, daß nunmehr dem Aufsatzschreiben eine wohlbegründete Selbständigkeit im Lehrplan errungen ist, allerdings unter der uns unpädagogisch dünkenden Annahme eines ganz besonderen, abseits vom übrigen Unterricht stehenden Lehrgangs. B ö h m . Prakt. Erziehungs- u. Unterrichtslelire. III. Bd. 13. Aufl.

5

66

Der Unterricht in der Muttersprache.

3. Die Namen B o r m a n n (1836), K e l l n e r , O t t o , G o l t z s c h (1852) bedeuten eine rege Meinungskritik der Scholzschen Gedanken und anderer grundsätzlicher und methodischer Forderungen. Bormann will das Aufsatzschreiben auf vorbereitende mündliche Übungen gründen; der Lehrplan soll durch feststehende Stilgattungen bestimmt sein. Diese Einteilung des Lehrplans behalten Kellner und Otto bei; doch verwerfen sie die auch von Bormann unterschriebene Selbständigkeit des Faches und schließen den Aufsatz, wie überhaupt den gesamten Sprachunterricht, an das Lesebuch an, ein Konzentrationsgedanke, der um die Mitte des vorigen Jahrhunderts viel Anklang fand. Goltzsch will den Aufsatzunterricht an den Gesamtunterricht angeschlossen haben und zieht auch die Stoffe in Berücksichtigung, die das Kind durch sinnliche Erfahrung gewinnt, ohne dem allerdings einen wesentlichen Wert für die Sprachbildung beizumessen. Das allgemeine Urteil über diese Zeit muß dahin lauten, daß das Hin und Her der Vorschläge eine Sicherheit über die grundsätzliche Bedeutung und eine daraus erforderliche Methodik des Aufsatzunterrichts nicht aufkommen läßt, wenn auch Ansätze dazu sich zeigen und eine eigentümliche Bildungsaufgabe des Faches im Prinzip anerkannt ist. 4. R u d o l f H i l d e b r a n d nennt den rechten Aufsatz eine »Künstler arbeit im kleinen, auch mit Künstlernot und Künstlerfreude«. Damit ist der leitende Gedanke ausgedrückt, der die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende und bis jetzt fortdauernde Reform des Aufsatzunterrichts beherrscht. Es handelt sich im Grunde um eine zwar nicht neue, aber sehr entschieden auftretende Ansicht vom Wesen der Sprachbildung und damit der Sprache selbst. In Goethe, J. Grimm und W. Humboldt ist diese Überzeugung schon früher lebendig gewesen. Darnach ist die Sprache kein ruhendes Formenwerk, von Regeln beherrscht, sondern ein fortwährend sich auswirkendes und sich veränderndes Leben, in dem Geist und Form und Klang innig sich verbinden. Sprachbildung kann nur im Sprechen und Hören geschehen; der richtige Ausgang für sie ist die lebendige Natursprache, die Volkssprache, die Mundart; die Sprachregel ist ein aus dem natürlichen Sprechen abgeleitetes Naturgesetz; Sprachbildung ist fortschreitende Übung in der Gestaltung von lebendigem Geistesinhalt. Solche

67

Aufsatz.

Gedanken führt das Hildebrandsche Werk »Vom deutschen Sprachunterricht« epochemachend in die Geschichte des deutschen Sprachunterrichts ein. Dadurch erhält auch das Aufsatzschreiben Anweisung und Anregung genug, um nach Ziel, Stoff und Methode neu und sicher orientiert werden zu können. C. R i c h t e r (1899) verlangt: »Auswahl, Aneignung und Beziehungen des Stoffes zum geistigen Leben der Schüler seien so beschaffen, daß diese die kräftigste Anregung zur Gestaltung und Mitteilung ihrer Gedanken erhalten.« Wer Stoff ist aus dem Kreise von Anschauungen und Gedanken zu entnehmen, die sich dem durch den Unterricht geregelten Anschauen und Denken des Kindes leicht anschließen. Hiernach sind die Lerngebiete seines Schullebens sowie die Beobachtungsgebiete seines anderweitigen Lebens die Bereiche, aus denen die Aufgaben zu gewinnen sind.« Das ist bereits der neue,

lebendige, sich auf sicherem Wege wissende Geist. Auch die radikale A u f s a t z r e f o r m der letzten Vergangenheit, die unter dem Schlagwort »freier Aufsatz« ging und in S c h a r r e l m a n n , G a n s b e r g und A n t h e s ihre bedeutsamsten Bahnbrecher und Vertreter fand, will im Grunde nichts anderes, als was Hildebrand wollte. Nur daß sie weniger von nationalpädagogischem Geist, wie Hildebrands Werk, veranlaßt und getragen ist; sie ist aus jenen interessanten pädagogischen Strömungen der jüngsten Vergangenheit zu erklären, die unter den Namen pädagogische Romantik, Gefühlspädagogik, Kunsterziehungsbestrebungen, Persönlichkeitspädagogik ins Land gingen und den traditionellen Volksschulunterricht durchsäuerten. Außerdem sprechen heute die Arbeitsschulbewegung und die Kinderpsychologie ein gewichtiges Wort zu der gesamten neueren Pädagogik des Faches. Siehe die allgemeine Geschichte der Pädagogik I Sämtliche Forderungen dieser neuesten Reform stehen unter folgenden Hauptgedanken: Aufsatzschreiben ist ein künstlerischer Gestaltungsakt, ist produktive Tätigkeit; der Inhalt der Aufsätze entsteht allein aus den Erlebnissen der Kinder; der Anlaß zum Aufsatzschreiben ist mit dem Mitteilungsbedürfnis gegeben, das dem Gepacktsein von einem Erlebnis naturgemäß folgt; 5*

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Der Unterricht in der Muttersprache.

keine systematische methodische Behandlung der einzelnen Arbeiten ; beim Ausarbeiten schreiben die Kinder ungebunden, was sie denken und fühlen; bei der Würdigung der Arbeiten wird besonders ob der Inhalt ein gut geschautes Bild des Erlebnisses ob Gestaltungsgabe vorhanden ist und individuelle Kraft sich zeigt; die äußere Korrektheit der Aufsätze ist relativ, Leistungsfähigkeit der Kinder zu bewerten;

beachtet, darstellt, Art und nach der

viel Übung im herzhaften Ausdruck des eigenen Erlebens; der Lehrer soll als ratender Freund dem schaffenden Kinde beistehen. 5. Die Geschichte des Aufsatzunterrichts besagt also: Der Aufsatzunterricht in der Volksschule war zuerst gedacht als eine Anweisung zur Verabfassung praktisch nützlicher Schreibsachen und machte erst im Laufe des 19. Jahrhunderts eine Entwicklung durch, die eine Verinnerlichung bedeutet. Es ist jetzt sicher, daß Aufsatzschreiben in der Gestaltung von Anschauungen oder Gedanken durch das Mittel der Sprache besteht. Aufsatzschreiben ist also Persönlichkeitsäußerung. Der Aufsatzunterricht wurde zum Stilunterricht. Somit ist seine Methodik zunächst abhängig von der Beantwortung der Frage: Was ist Stil? II. Wesen des Stils. Stil im weiteren Sinn des Wortes ist die ganze eigentümliche Art, in der ein Mensch sein Innenleben zum Ausdruck bringt. Im engeren Sinn bedeutet S t i l die Art, wie seelisches Erleben durch die Sprache, besonders in schriftlicher Darstellung, gestaltet wird. Aufsatzschreiben heißt stilisieren. In demjenigen, der Aufsätze schreibt, muß also eine bestimmte Ansicht vom Wesen des Stils lebendig werden oder geworden sein. Für die deutsche Sprache ist es nun schwer, das Wesen des Stils so scharf zu umreißen, daß jeder Deutsche sich darauf verpflichten könnte. Der Grund dafür ist wohl in den Schicksalen zu suchen, denen die deutsche Nation und die deutsche Sprache seit dem Ausgang des ersten Mittelalters ausgeliefert

Aufsatz.

69

waren. Der E i n f l u ß d e r l a t e i n i s c h e n u n d f r a n z ö s i s c h e n Sprache, der Mangel eines nationalen wie geistigen Mittelpunktes haben verwirrend auf das Stilgefühl der Deutschsprechenden gewirkt, so daß in der Gegenwart mit Recht gesagt wird, die deutsche Prosa befinde sich in einem beklagenswerten Zustand. Mit lateinischen und französischen Fremdwörtern ist die deutsche Sprache geradezu durchflochten. Die lateinische Grammatik verdrängt vielfach die dem deutschen Volks- und Sprachgeist gemäßen Ausdrucksgesetze; Schachtelsätze, Partizipialkonstruktionen u. dgl. beweisen, wie sehr das dem deutschen Geist eigentümliche Denken durch ihm wesensfremde sprachliche Gliederungsgesetze bestimmt wird. Besonders die Sprache der Geistesarbeiter leidet an Fremdwörterei und an lateinischer Satzgliederung. Geradezu unbehilflich aber ist der Mann der breiten Masse im Gebrauch seiner Muttersprache, sobald er aus der Mundart heraustritt, oder das Kind, das in die Schule kommt und hier die hochdeutsche Schulsprache antrifft. In ihnen wirkt die Furcht vor der Schriftsprache, wirkt das Gefühl, sich mit einer Sprache befassen zu müssen, die ihnen im Grunde fremd ist. Dieser G e g e n s a t z z w i s c h e n V o l k s - u n d S c h r i f t s p r a c h e ist ein Erbe aus der Zeit, als die Humanisten das Lateinische wie eine Muttersprache schreibend und sprechend handhabten und damit in einen absichtlichen Gegensatz zur Sprache des bloß deutsch redenden Volks traten; lange Zeit galt das Nurdeutschkönnen als Zeichen der Unbildung und besonders die Mundart als rohe, gemeine Sprache, als entartete Schriftsprache. Bezeichnend für das herrschende Stilgefühl ist ferner die zunächst den älteren französischen und lateinischen Stillehren eigene bewußte U n t e r s c h e i d u n g d e s S t i l s in einen unedel-gewöhnlichen und edel-feierlichen. So meint der Festredner, einem absichtlich edel und schön gemachten Stil vor dem natürlichen Ausdruck seiner inneren Bewegung den Vorzug geben zu müssen. Auf derselben Höhe des Stilgefühls steht die unterschiedliche Wertung der Redesprache und der Schriftsprache bei einem und demselben Mann; sobald er zu schreiben beginnt, richtet er sich auf einen abstrakteren, unpersönlicheren, grammatisch steiferen und scheinbar besseren, edleren Stil ein. Das sind einige Seiten des Zustandes, der oben als beklagenswert bezeichnet wurde. Mehr und Genaueres ist in dem höchst

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Der Unterricht in der Muttersprache.

empfehlenswerten Buch »Deutsche Stilkunst« von Eduard Engel zu finden. Der Schulunterricht hat bisher nicht vermocht, Wandel zu schaffen, trotzdem in ihm neben dem Aufsatzschreiben die S t i l i s t i k als Aufsatztheorie gelehrt wird. Aber was gewöhnlich als Stilistik betrieben wird, ist eine grammatisierende Beschreibung der logisch und ästhetisch richtigen Wort- und Satzformen; die Anlehnung an den scholastischen Stilgeist und Stilgebrauch ist ohne weiteres ersichtlich. Wer danach schreibt, wird sich bemühen, seine Sprache streng nach den eingeprägten Stilgesetzen zu richten. Also eine geradezu trennende Gegenüberstellung von geistigem Inhalt und Sprache; mehr oder weniger tritt dabei auch die Auffassung von Sprache zutage, gegen die Humboldt seine Sätze schrieb. Für den Volksschullehrer ist es eine ernste Pflicht, eine d e u t s c h e Ansi&ht v o m W e s e n d e s d e u t s c h e n S t i l s sich zu gewinnen. Dazu gibt es einen g e s c h i c h t l i c h e n und p s y c h o l o g i s c h e n W e g . Jener führt zum Studium der großen deutschen Sprachmeister, wie Luthers, Lessings und Goethes. Aus der Sprachpsychologie halten wir diese Erkenntnis fest: der sprachliche Ausdruck ist die für einen Hörer bestimmte Außenseite einer geistigen Bewegung; bei der Satzbildung, dem Elementarvorgang des denkenden Sprechens, wird durch das Mittel der Sprache eine Gesamtvorstellung in ihre Bestandteile gegliedert. Es ist nun bezeichnend, daß Römer sowohl wie Franzosen Sätze allein auf ihren kunstvollen Bau hin ästhetisch genossen haben. Schöne Perioden, die aus ihrem Zusammenhang gelöst wurden, werden im Schulunterricht öfters noch in ähnlicher Absicht behandelt. Aber die Meister unserer Muttersprache wie die Sprachpsychologie lehren uns, daß es keine Bestimmung des guten Stils gibt, wenn nicht der geistige Inhalt in Betracht gezogen wird. Eine allgemeine Stillehre, die den besten sprachlichen Ausdruck, losgelöst von seiner Innenseite, dem Gedanken, lehren will, wäre nichts als tote Form. In ihr würde die Sprache als ruhendes Schema, jederzeit aufnahmebereit für kommende und gehende Gedanken, erscheinen und nicht als Tätigkeit des sich stets erneuernden und fortschreitenden Geisteslebens. Guter Stil ist Zweckmäßigkeit. Die

Aufsatz.

71

einzelnen Seiten dieser allgemeinen Bestimmung werden aus folgendem Schema deutlicher: Geistige Bewegung: Sprachform — Leser. Z w e c k m ä ß i g r e d e n u n d s c h r e i b e n h e i ß t also die g e i s t i g e B e w e g u n g m ö g l i c h s t g e t r e u in der S p r a c h f o r m a b b i l d e n u n d d a m i t die g r ö ß t m ö g l i c h e W i r k u n g auf den L e s e r erzielen. Daraus eröffnet sich für Wortwahl, Wortstellung, Satzbau und Stilform ein Reichtum von Möglichkeiten, die nicht so leicht zusammenzufassen und zu lehren sind wie die Forderungen einer scholastischen Stillehre, aber der Flüssigkeit und dem reichen Inhalt des Geisteslebens mehr entsprechen und dem begabten Lehrer ermöglichen, der Fülle des auf das Kind eindringenden Lebens und der Vielgestaltigkeit der Begabungen eher gerecht zu werden. Ob ein Schreiber erzählt, beschreibt, schildert, abhandelt; ob er die Form des Briefs, der Rede, der Abhandlung wählt; ob er künstlerisch gestaltet oder wissenschaftlich darlegt; wie er den Aufsatz gliedert — das hängt allein vom W e s e n seines geistigen I n h a l t e s und dem Zweck seines S c h r e i b e n s ab. Jenes ist bestimmt durch die Natur des Stoffes und durch die Eigenart dessen, der den Stoff geistig verarbeitet. Es gibt schlichten und erhabenen, trockenen und flüssigen, frohen und ernsten, wissenschaftlichen und künstlerischen Stoff; jeder Stilist von Geschmack wird den Stoffcharakter in erster Linie berücksichtigen und ihm angemessen zu schreiben versuchen. Doch verhält er sich dabei nicht allein erleidend. Die Psychologie lehrt, daß die Menschen im Anschauen, Vorstellen, Aufmerken, Einprägen, Fühlen und Wollen nicht gleich, sondern individual verschieden sind; nach dem Typus, der ihnen eigen ist, fassen sie auf und verarbeiten sie die Eindrücke. Dem einen wird das zur Beschreibung, was den andern erzählen läßt. Der gelehrte Typus stellt anders dar als der gefühlsmäßige. Nie kann edel-feierlicher Stil gemacht werden; er ist nur berechtigt als Ausfluß erhabener Gedanken und eines erhabenen Geistes. Außerdem wirkt er lächerlich. Dem schlicht denkenden und fühlenden Menschen entsteht aus Eindrücken, die dem Genie zu erhabenen Gedanken werden, nur eine schlichte Einsicht; er soll sich nur

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Der Unterricht in der Muttersprache.

schlicht darüber ausdrücken wollen. Gefühl für Angemessenheit, Natürlichkeit und Wahrheit, das fordert im letzten Grunde der gute Stil. Das gilt auch vom Zweck des Schreibens. Man darf den Leser weder über den Stoff noch über sich selbst täuschen wollen. Jeder Schreiber hat das Recht und die Pflicht, die Aufmerksamkeit des Lesers mit der stärksten Ausdruckskraft, über die er gebietet, zu bannen. Aber nur mit der Kraft, über die er gebietet. Mit Tropen und Figuren, Redeblüten und schmückendem Gepränge, mit gespreizt großtuerischem Schwall diese Überzeugungskraft gewinnen wollen, ist dasselbe Unterfangen, wie wenn man eine schwache Suppe mit Gewürzen kräftiger machen wollte. »Stilverbesserung ist Gedankenverbesserung.« Soweit die Größe und Weite der Gedanken gehen kann auf Grund der Anlagen und der inneren Entwicklung, soweit reicht die Größe und Kraft des Stils und seine Wirkung auf den Hörer und Leser. Insofern ist der Stil der Mensch, und das Grundgesetz guten Stils heißt: Lerne dich selbst kennen und sei wahrhaftig und ehrlich! Welche Bedeutung kommt den S t i l r e g e l n zu? In ihrer Gesamtheit bilden sie die Stilistik. Sie sind der Niederschlag gemeinsamer Erfahrungen über den Gebrauch der Wörter, den Bau der Sätze, den Aufbau der Gedanken, die Wahl der Stilgattungen. t)ie Erfahrungen, aus denen die deutschen Stilregeln stammen, werden teils von der geschichtlichen Sprachwissenschaft mitgeteilt, teils aus der lebendigen Sprache der erfolgreichen Schriftsteller und der gebildeten Sprecher gewonnen. Jene Regeln stammen also aus der G r a m m a t i k , diese aus dem herrschenden, aber wechselnden S p r a c h g e b r a u c h . Nun ist klar, daß nur das Genie ohne Regel in dem Sinn auskommen kann, daß es einfach der Regel seiner Natur folgt. Dem gewöhnlichen Schreiber muß die Stilregel als Abkürzung seines Lernweges und als Stütze geboten werden. Aber es ist falsch, zu glauben, daß aus den Stilregeln Stil gelernt werden könnte. Stil kann nur vom Geistesinhalt her als dessen zweckmäßigste Spracherscheinung gebildet werden. Die Schwierigkeit ist, das Zweckentsprechendste im einzelnen Fall zu finden, den glücklichsten Ausdruck durch Wort, Satz, Anordnung, Stilform. Hier setzt die Regel ein. Sie ist das Zeugnis dafür,

Aufsatz.

73

wie in ähnlich gelagerten Fällen im allgemeinen schon mit Erfolg verfahren wurde, wie also den Stilisten eine gewisse Naturgesetzlichkeit leitet, nach der ein Inhalt sich formt. Trotzdem kann die Regel nicht Gesetzgeber sein, ist ja vieles in der Sprache bloß Gebrauch und nicht Gesetz. Der angemessene Ausdruck besteht eben zuletzt immer wieder in einer ganz eigentümlichen Durchbildung: die Regel aber muß allgemeiner Art sein. So ist die Regel mehr ein Vorbild denn ein Gesetz, mehr der Nachweis, daß im Schüler ein ihm noch nicht klares Naturgesetz schon wirksam ist, als ein finstrer Richter. Gewonnen muß sie sein wirklich aus den lebendigen Sprachschöpfungen der bedeutenden deutschen Sprachgestalter und nicht aus einem fremden Sprach- und Geistesleben. Für ihre Bestimmung ist wichtiger der Sprachgebrauch als die Grammatik; das Studium des deutschen Sprachlebens weist auf eine noch zunehmende Entwicklung in dieser Richtung hin. »Schreibe, wie du sprichst, so schreibst du schön!« Diese Anweisung führt auf die Frage: S c h r i f t s p r a c h e o d e r R e d e s p r a c h e im deutschen A u f s a t z ? Es wurde oben schon angedeutet, wie sehr beim deutschen Stilisten jeder Bildungsstufe die Schrift- und Redesprache auseinanderfallen. Es ist nun zweifellos, daß beide ein eigentümliches Wesen besitzen. Die Rede verfügt über alle Ausdruckskraft der Mimik und Pantomimik, die das innere Leben des Ausgesprochenen viel stärker zur Erscheinung bringen, als es die geschriebene Sprache vermag. Sie ist darum unmittelbarer, sinnlicher und kräftiger, eindringlicher und wirkungsvoller. Das sind alles Werte, die zum Wesen des guten Stils gehören. Der Sahreibstil hingegen ist grammatischer, abstrakter, undurchsichtiger und wirkt kraftloser und unnatürlicher; hingegen zeichnet ihn Korrektheit in den Formön, Sparsamkeit, Straffheit und Konzentration im B a u der Ausdrucksmittel aus. So ist der gute Stil Rede- und Schriftsprache zugleich. Schriftsprache insofern, als ein notwendiges Maß allgemein verpflichtender Korrektheit eingehalten werden muß und die Wahl und der A u f b a u der Wörter und Sätze in ordnender Konzentration zu erfolgen hat. Redesprache als ungezügeltes Geplauder wäre schlechter Stil. Aber ganz wichtig ist, daß auch der Schreibstil nach den Ausdruckswerten des Redestils strebt, daß man also schreibt, wie man

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Der Unterricht in der Muttersprache.

spricht: unmittelbar, sinnlich, kräftig, persönlich, natürlich. Viel Gutes kann der Schreiber aus der M u n d a r t lernen; sie ist selbst Redesprache, von unverbildeten Menschen gesprochen, und hat darum alle Vorzüge der lebendigen Rede. Ferner verliert der Schreibstil von seinen Mängeln und kommt in der Ausdruckskraft der Rede nahe, wenn der Schreiber der stets naheliegenden Gefahr, für sich allein zu schreiben, entgegenwirkt. Er muß f ü r , L e s e r s c h r e i b e n , muß sich fortwährend zum Leser oder zu Lesern hinwenden. Diese persönliche Hinwendung erzeugt in ihm die Gefühlsbelebung, die der innere Grund für die größere Ausdruckskraft der Redesprache ist. Würde dies von den deutschen Schreibern immer beachtet und Wort und Satz, wenn sie von den Lippen fließen, aus strenger Zucht kommen, so wäre der Unterschied von Redeund Schreibstil so gering, daß die jetzt noch wichtige Frage nach beiden aufgelöst wäre in die Forderung: schreibe den lebendigsten Still Vorläufig ruft Eduard Engel den deutschen Schreibern noch zu: » R e d e t , n i c h t s c h r e i b t ! « Iii. Aufgabe und Stellung des Aufsatzunterrichts.

Die B e d e u t u n g des Faches liegt wohl zunächst darin, daß es die Kinder des Volks mit der T e c h n i k im s p r a c h l i c h e n D a r s t e l l e n ausstattet, die heutzutage in jedem Berufe nötig ist. Seine Gedanken einfach, aber klar, bestimmt und gut sagen und niederschreiben können, ist eine hauptsächliche Voraussetzung dafür, daß der Mann und die Frau aus dem Volke den Ansprüchen gegenüber gewachsen sind, die aus ihrem privaten, wirtschaftlichen Dasein und aus dem öffentlichen Leben an sie herantreten. Von dieser Außenseite der Fachaufgabe führt der Gedanke des erziehenden Unterrichts noch tiefer in die Bedeutung des Faches ein. Es ist eine gesicherte pädagogische Errungenschaft, daß jede Lehre bei der Stufe der Erkenntnis nicht haltmacht, sondern zum Schaffen mit dem Erkannten führen muß. Dieser Gedanke weist dem Aufsatz seine pädagogische Bedeutung zu. Aufsatzschreiben ist Gestaltung. Das Fach gehört demnach zu den Fächern, die vorzüglich der P f l e g e des Ausd r u c k s , dem Schaffen dienen. Aus der allgemeinen Unterrichts-

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lehre (siehe diese!) ist bekannt, daß das geistige Fortschreiten im Unterricht von Anfang an nicht nur ein Aufnehmen und Erkennen, sondern ebenso ein Darstellen und Sichauswirken sein müsse. Mit Eifer und Leidenschaft betont die neuere Volksschulpädagogik diesen Gedanken, der immer mehr in die Schulpraxis eindringt, wenn er auch nicht neu ist. Es liegt darin eine Vervollkommnung des Erziehungsgedankens überhaupt im Sinn einer Herausbildung der ganzen Persönlichkeit. Die verschiedenen Tätigkeiten des Seelenlebens erfahren davon eine Förderung, besonders der Wille. Zu diesem Zwecke nun ist das Aufsatzschreiben ein geradezu ideales Fach. Daher auch die aus der vorhergehenden geschichtlichen Darlegung ersichtliche zunehmende Verinnerlichung und Bedeutung des Faches. Enge hängt damit die Forderung zusammen, das Aufsatzschreiben des Fachcharakters, eines systematischen Betriebs zu entkleiden und ihm die Rolle eines U n t e r r i c h t s p r i n z i p s zuzuweisen. Es soll beherrschte Inhalte jederzeit zur Darstellung bringen, schon um des Schaffens willen und um des Erkennens selbst willen, da nur im Können sich das Erkannte beweist und bewährt. Der günstigste Augenblick für die Darstellung ist gegeben, wenn die Seele noch erregt ist von der Bemeisterung des Stoffes, wenn das Erlebnis noch frisch im Bewußtsein wirkt. Es ist somit nur logisch geschlossen und pädagogisch gedacht, wenn für das Aufsatzschreiben die Freiheit verlangt wird, die ermöglicht, es grundsätzlich auf der Stufe der Darstellung, ohne stundenplanmäßigen Zwang auf treten zu lassen. Sind demnach b e s o n d e r e A u f s a t z s t u n d e n zu verwerfen ? Wir verneinen trotzdem diese Frage. Es ist zu bedenken, daß der Inhalt der Aufsätze nicht allein dem Unterricht entstammt, sondern dem gesamten Erleben des Kindes. Dieses muß vom Lehrer geleitet, erforscht, erweckt werden. Das geschieht nicht allein pädagogisch wissenschaftlich, sondern mehr noch im rein menschlich gestimmten Verkehr. Gerade diese vom Kind selbst eroberten Inhalte sind wertvoll für den Aufsatz. Dafür aber muß dem Lehrer besondere Zeit im Stundenplan eingeräumt sein: A u f s a t z z e i t . Ist ferner Aufsatzschreiben Stilarbeit, dann ist manche Technik des Sprechens und Schreibens zu erlernen.

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Gestaltungsarbeit setzt K e n n t n i s d e r G e s t a l t u n g s m i t t e l voraus; diese muß erfahren werden. Wenn auch der übrige Sprachunterricht, besonders die Sprachlehre, viel dazu beiträgt, so liegt doch im Stilisieren so viel Eigentümliches an sprachlichem Schaffen, daß besondere technische Übungen nicht entbehrt werden können. Schließlich macht auch die K o r r e k t u r besondere Aufsatzstunden notwendig. So ist uns der Aufsatz ein grundsätzliches Mittel der Stoffgestaltung und tritt hiernach frei im Stundenplan bei günstiger Gelegenheit auf; trotzdem sind besondere Aufsatzstunden unentbehrlich zur Sammlung für das übrige Erleben des Kindes, zur Beschaffung der nötigen Arbeitstechnik und zu Korrekturzwecken. IV. Stoffe und Formen des Aufsatzschreibens. Das Bildungsziel des Aufsatzunterrichts, wie es sich bis zur Gegenwart herausgestaltet hat, und das Wesen des Stils im allgemeinen und im sinnvollen Sprechen des Kindes bestimmt die Wahl der Aufsatzstoffe. Also lehnen wir jene alte Forderung ab, daß im Aufsatzunterricht praktisch nützliche Sachen, wie Quittungen, Rechnungsformulare, Geschäftsbriefe u. a., als wesentliche Stoffe zu behandeln sind. Wenn man sie auch im Leben braucht, so sagt doch die allgemeine Pädagogik, daß die Zielsetzung der Volksschule »fürs Leben erziehen« einen anderen, tieferen und weiteren Sinn hat. Ferner muß aus unserer Einsicht in das Wesen des Stils gefolgert werden, daß die den älteren Stillehren eigene schroffe Gegenüberstellung von Inhalt Und Sprachform mit allmählicher Vereinigung beider im selbsttätig gefertigten Aufsatz nicht richtig ist. Auf jeder Stufe des Aufsatzschreibens müssen die Stoffe im Gedankenkreis des Kindes liegen. Was später als Inhalt des Aufsatzes vorliegt, ist zuvor Bewußtseinsinhalt des Kindes gewesen. »Ist der Geist der Sache Herr, so sind die Worte leicht.« Die Vorstellungen und Gedanken des Kindes stammen nun aus zweifacher Quelle, aus eigener Erfahrung und aus Belehrung durch andere Personen, besonders durch den Lehrer in der Schule; sie setzen sich demnach zusammen aus Erlerntem und Erlebtem. E r l e r n t e s u n d E r l e b t e s ist es also

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auch, was die Kinder im Aufsatz darzustellen haben. Doch ist beides von ungleichem Wert für die Stilbildung. Das E r l e r n t e schreibend wiederzugeben, erfordert wohl auch Zügelung der denksprechenden Tätigkeit; aber das Kind verhält sich dabei vorwiegend reproduktiv. Es gestaltet nicht seine eigen erzeugten Bewußtseinsinhalte, sondern macht Aufschreibeübungen mit dem Inhalt und zumeist wohl auch der Sprachform, die in seinem Gedächtnis aufbewahrt sind. Von den radikalen Aufsatzreformern sind derartige Stoffe völlig verworfen worden. In der Hauptsache ist diese Ablehnung wohl auf die Tatsache zurückzuführen, daß die herkömmliche Schulpraxis das durch Belehrung gewonnene Wissen als den bequemer liegenden Aufsatzstoff über Gebühr bevorzugte und dadurch die Erstarrung des Aufsatzunterrichts verschuldete. Nun ist nach Abschnitt II das einfache Aufschreiben von Wissensstoffen auch beim Kinde keine Stilarbeit, kein Aufsatz. Trotzdem ist es von nicht unerheblichem Wert für die Stilbildung. Es macht zunächst mit deren Außenseite, dem rein Technischen, vertraut und führt auf verhältnismäßig einfache Weise das Kind in das wichtige Tun ein, Bewußtseinsinhalte sprechend und schreibend für einen interessierten und kritischen Leser zu fixieren. Es ist sogar empfehlenswert, N i e d e r s c h r i f t e n von gelerntem Unterrichtsmaterial auch auf den höheren Stufen der Aufsatzbildung machen zu lassen. Hier hat diese Übung denselben Wert, der dem häufigen Durchzeichnen von bereits studierten Formen oder dem Spielen von Etüden zukommt; es übt eben, übt in der Tätigkeit, Gedanken in schriftlicher Sprache erscheinen zu lassen. Aufsätze im Sinn von Stilarbeiten können nur aus E r l e b t e m gestaltet werden. Deswegen ist die äußere und innere E r f a h r u n g d e s K i n d e s die einzige Stoffquelle. Die Erfahrungsgebiete sind der t ä g l i c h e T ä t i g k e i t s b e r e i c h des Kindes mit dem M i t t e l p u n k t H a u s und das S c h u l l e b e n . Die Erfahrungsmöglichkeit ist begrenzt durch die Reichweite der kindlichen Seele. Studiere oder wiederhole, was die Kinderpsychologie über die geistigen Erlebnisse des Kindes, über seine Bewußtseinsinhalte, über seine Fähigkeiten und die Entwicklung des kindlichen Seelenlebens überhaupt lehrt! Ein psychologisch gewissenhafter Lehrer muß darauf sorgsam

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achthaben. Im ganzen erleben die Kinder vorwiegend das, was die Sinne zu erfassen vermögen, das Dingliche in seinen Tätigkeiten, Bewegungen, Veränderungen, Eigenschaften, Zweckbeziehungen. Die dingliche Welt also, in den Rahmen des kindlichen Alltags gefaßt, liefert in erster Linie den Stoff. Auch das Schulleben mit seinen Ereignissen ist nichts anderes als eine besonders wichtige Seite dieses Alltags. Wenn der Lehrplan und Unterrichtsstoff kindesmäßig ist und der Lehrer es versteht, die Schüler innerlich zu packen, so wird auch der Unterricht mit seinen Stoffen zu Erlebnissen des Kindes; das lernende Kind ist zugleich erlebend und erwirbt dadurch die Verfassung und die Inhalte des Bewußtseins, die zur Gestaltung drängen. Das gilt vom Gesamtunterricht, in den das Aufsatzschreiben einzubetten wäre, soweit überhaupt die Schule als Stoffquelle in Betracht kommt. Hervorzuheben ist die eigentümliche B e d e u t u n g des A n s c h a u u n g s u n t e r r i c h t s . Wird er in dem Geist erteilt, wie es in diesem Buch dargestellt ist, so ist er der einzig mögliche Ausgangspunkt und lange Zeit der beste Stofflieferant für das Aufsatzschreiben. Er vereinigt ja Erleben und Lernen, indem er dem Kinde die Welt des Alltags zur anschaulichen Einsicht aufhellt, und bietet wie kein anderes Fach des Anfangsunterrichts dem Lehrer die Möglichkeit, zu erforschen, wo nach einem Wort Hildebrands das Ich des Kindes sitzt. Dieses zu finden, heißt das Kind an seinen Erlebnissen packen. Man hat es schon bezweifelt, besonders aus der Schulpraxis heraus, daß die Erlebnisse des Kindes genügend tief und stark sind, um zur Gestaltung zu drängen. Es ist unzweifelhaft, daß das Kind oberflächlicher und flüchtiger erlebt als der reife Mensch. Aber auch das Kind hat teil an der Grundeigenschaft des menschlichen Bewußtseins, die Eindrücke nicht nur erleidend sondern auch verarbeitend sich einzufügen. Das Kind denkt sich, wie Hildebrand sagt, zu allem, was außer ihm vorgeht, sein Eigenes hinzu. Man darf nur nicht an den Inhalt seiner Erlebnisse den Maßstab anlegen, der dem reifen Menschen gebührt, dann wird sich genug in ihm entdecken lassen, was ihm wichtig und der Mitteilung wert erscheint. Wenn der Lehrer die Kunst versteht, die Welt unter dem Gesichtswinkel des Kindes zu betrachten, dann ist er nie um Stoff aus dem Erleben des Kindes verlegen.

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Sind auch diese Erlebnisse zunächst und vorwiegend realer Art, so beweist doch das psychologische Studium des Kindes, daß in ihm gerade während und gegen das Ende der Volksschulzeit die Phantasie und die Denktätigkeit zur selbständigen Betätigung verlangen. Das ist ein Fingerzeig dafür, daß die Stoffe des Aufsatzunterrichts nicht bloß der Wirklichkeit entnommen sein sollen, sondern auch dem P h a n t a s i e l e b e n und der G e d a n k e n w e l t . Für beides ist ja immer die Wirklichkeit der Boden, aus dem sich ihre Gebilde entfalten; aber die Vorstellungen von den Dingen werden in einer so eigentümlichen Weise behandelt, daß die Wirklichkeit wie neu in der entstandenen geistigen Daseinsform erscheint. Siehe die Lehren der Psychologie über Phantasie und Denken! Das Kind erlebt nicht nur den Alltag, erlebt ihn nicht nur in Vorstellungen und deren assoziativ erfaßbaren Zusammenhängen, sondern mit zunehmendem Alter immer mehr auch in Gedanken und baut sich daraus eine anschaulich und logisch gedachte eigene Welt auf. So arm, eng, unvollkommen diese zunächst sein mag, sie ist Tatsache und damit Quelle für einen Unterricht, der Bewußtseinsinhalte auszudrücken hat. Nur muß der Lehrer das Kind so genau kennen, daß er weiß, was er verlangen darf. Stoffe, die nur philosophierend oder moralisierend bearbeitet werden können, sind aus psychologischen Gründen unbrauchbar. Anders liegt es mit S t i m m u n g e n . Es können Stimmungen der menschlichen Seele oder der Natur dargestellt werden, besonders wenn die Darstellungsweise die künstlerische und das Denken dabei das anschauliche ist, wenn also weniger eine logisch begründete Einsicht in das Wesen des Darzustellenden als eine starke Gefühlswirkung erzielt werden soll. Das würde durch Erzählungen über die Stimmung geschehen. Doch werden solche Stoffe erst dem Schüler im zweiten Lebensjahrzehnt faßbar sein. Hierbei müßte auch der in den Schulaufsätzen lange vernachlässigte und doch unentbehrliche H u m o r zu seinem Recht kommen; dies gilt übrigens von den Aufsatzstoffen jeder Stufe. S p r i c h w ö r t e r , s p r i c h w ö r t l i c h e R e d e n s a r t e n u. dgl. können ebenfalls bearbeitet werden, wenn nicht eine altkluge Entwicklung von Lebensweisheit gefordert wird, sondern eine phantasiemäßige Veranschaulichung im einzelnen Lebensfall.

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Überhaupt ist von jedem Stoff zu fordern, daß er dem Schüler liegt, daß mit ihm wirklich kindliche Eigenart geoffenbart werden kann. Aller Stoff, der dem kindlichen Denken und Fühlen nicht erreichbar ist, scheidet als unbrauchbar aus; er würde nur zur Phrase verführen. Der Lehrer muß sicheren Blick für das Kindesmäßige in den Aufsatzstoffen haben oder sich erwerben. Ein gutes Mittel dazu ist, häufiger die Stoffwahl überhaupt oder die Auswahl zwischen verschiedenen Themen den Kindern selbst zu überlassen. Unterrichte dich über die Stoffe der im Literaturverzeichnis empfohlenen Aufsatzsammlungen aus neuerer Zeit! Aus dem Abschnitt über das Wesen des Stils ist zu ersehen, daß die Aufsatzformen nicht stehenden Charakter haben, sondern im einzelnen Fall aus der Art des Stoffes oder Inhaltes notwendig sich ergeben. Danach wären zu unterscheiden Formen für die Darstellung des Erlernten und des Erlebten. Das Erlernte oder Gewußte erscheint stilistisch als Aufschreibeübung; die Aufsatzform dafür ist einfach die N a c h e r z ä h l u n g eines bereits feststehenden Inhalts in ziemlich feststehender Form. Eine Entscheidung über die zu wählende Stilform erübrigt sich für den Stilisten auch in dem Fall, wenn unterrichtliche Stoffe in freierer Weise als der einfachen Reproduktion behandelt oder verwertet werden sollen. Das ist der Fall bei der A u s f ü h r u n g einer Szene, der Z u s a m m e n z i e h u n g einer Begebenheit, beim W e i t e r s p i n n e n einer Geschichte. Die Form der Erzählung ist an und für sich vorgeschrieben, wenn eine G e s c h i c h t e , ein M ä r c h e n , eine F a b e l zu erfinden ist. Bei anderen Aufgaben aus dem Unterricht, wie der Darstellung von einem b e s t i m m t e n S t a n d p u n k t aus, bei C h a r a k t e r i s t i k e n , P e r s o n i f i k a t i o n e n , und bei allen Erlebnisstoffen ist die Stilform erst zu suchen. Dies fällt unter das im Abschnitt II entwickelte Gesetz der Abhängigkeit von Inhalt und Form, also der Zweckmäßigkeit und Angemessenheit, und wird in diesem Sinne der freien Wahl des Kindes überlassen, soweit der Lehrer keine besonderen Übungszwecke verfolgt und das Kind auf andere mögliche Stilformen nach jenem Gesetz führen will. Im ganzen handelt es sich um folgende Formen: E r z ä h l u n g o d e r B e r i c h t , B e s c h r e i b u n g u n d S c h i l d e r u n g , R e d e als

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Ansprache und Standrede, Z w i e g e s p r ä c h und V e r h a n d lung, Brief. Die E r z ä h l u n g ist der .»^eigentlich kindliche Stil«. Durch sie wird ein Geschehen in Worten und Sätzen abgebildet. Ihr Aufbau ist deswegen einfach; er ist durch den Gang der Handlung vorgeschrieben. Reflektiert wird nicht; mehr als der Verstand ist die ausgestaltende Phantasie wirksam. Handlung, Nacheinander, phantasiemäßiges Denken — all das liegt dem Kinde, das ja zu den meisten Mitteilungen von selbst die Form der Erzählung wählt. Die B e s c h r e i b u n g und S c h i l d e r u n g wollen die Einsicht in das Wesen eines Dings, Zustandes, Vorgangs, einer Erscheinung vermitteln. Ist eine Person ihr Gegenstand, dann spricht man von einer C h a r a k t e r i s t i k . Der Unterschied zwischen Beschreibung und Schilderung liegt nicht in äußerlichem Wortschmuck, sondern im Zweck der Darstellung. Die Beschreibung ist wissenschaftliche Darstellung; sie will eine logisch begründete Einsicht in das Wesen des Objekts erzeugen; in ihr sind deswegen die Gedankengebilde verstandesmäßig, d. h. logisch regelrecht angeordnet; eine Tendenz zu abstrakter Gestaltung ist nicht zu verkennen. Die Schilderung entspringt einem freieren Spiel der Assoziationen und neu angeregter Gedankengebilde, neigt der anschaulichen Form des Denkens zu und geht auf starke Gefühlswirkung aus; sie ist künstlerische Darstellung. Welche Stilform gewählt wird, hängt vom Stoff und vom Kind ab. Jedenfalls sind beide Formen schwieriger als das Erzählen und müssen vom Lehrer mit psychologischem Feinsinn für die Leistungsfähigkeit des Kindes in den Unterricht eingeführt werden. Am besten ist es wohl, wenn das Kind von selbst auf sie kommt; die typische Art des Schülers im Anschauen, Fühlen, Darstellen und Arbeiten spricht dabei sehr mit. Ein bekannter Kunstgriff ist es, das Nebeneinander dieser Stilformen in eine Folge zu verwandeln, so daß »das lebendige Gemälde einer Handlung« entsteht. R e d e und G e s p r ä c h in jeder Form und der Brief sind dadurch charakterisiert, daß die auch in den Aufsätzen anderer Form nötige persönliche Hinwendung zu einem Hörer oder Leser hier besonders offensichtlich ist. Sollen sie also einen nur ihnen eigenen Wert haben, so muß im Schüler die Illusion eines interessierten Partners geweckt und höchst rege sein. Unter dieser Bedingung wird eine Gefühlsbelebung erzeugt, die sich in einer verstärkten Ausdruckskraft und Gewandtheit des Stils äußert. Das gilt besonders vom B r i e f , der vielfach im Aufsatzunterricht zu einer toten Form geworden ist, während er eine sehr dankbare Aufsatzform ist, wenn er sich als eine lebendige und freie Äußerung kindlichen Denkens B S h m , Prakt. Erziehungs- u. Unterrichtslehre. I I I . B d . 13 Aufl.

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und Fühlens zu einer lieben oder wichtigen oder interessanten Person, die vor der Seele des Schreibers wirklich steht, notwendig und natürlich ergibt. Was hier Rede genannt ist, kann selbstverständlich nicht anders gedacht sein als kindliche Mitteilung, bei besonderer Veranlassung gesprochen und deswegen in eine ganz besondere Ausdruckszucht genommen. Rede im Sinne einer stilistischen Kunstleistung bleibt selbstverständlich, außer Betracht. Man könnte der Meinung sein, daß diese Stilform der Reife des Kindes nicht angemessen sei und zu altklugem Getue verführe. Doch trotz dieser immerhin möglichen Gefahr, der ein geschickter Lehrer begegnen kann, wird man den Anreiz zu einer persönlichen und spontanen Art zu sprechen, den die Redeform besonders hervorruft, gerne in die unterrichtlichen Erwägungen einbeziehen. Das gleiche ist vom G e s p r ä c h zu sagen; es ist wie die Rede geeignet, dem schwerfälligen Schreibstil gegenüber unbefangener und den Ausdruck lockerer zu machen. Anregung zu Gesprächen, deren Inhalt innerhalb des kindlichen Horizontes liegen muß, ergibt sich aus dem Unterricht und dem übrigen Erleben des Schülers genug; wichtig ist, daß die sprechenden Personen nicht plaudern und schwätzen, sondern Gedanken, Worte und Sätze in Zucht haben. Jede dieser S t i l f o r m e n aber und jede andere ist n i c h t f ü r sich G e g e n s t a n d des U n t e r r i c h t s , s o n d e r n g e h ö r t n u r i n s o f e r n z u m A u f s a t z , a l s sie f ü r d e n a u s z u d r ü c k e n d e n I n h a l t u n d das sich d a r s t e l l e n d e G e i s t e s l e b e n a m z w e c k m ä ß i g s t e n i s t . Zunächst muß wohl der Lehrer über diese Zweckmäßigkeit entscheiden; immer mehr aber wird er das Urteil darüber den Schülern überlassen und selbst nur berichtigend eingreifen. Wenn es dabei vorkommt, daß derselbe Inhalt verschiedenen Stilformen zugewiesen und so bearbeitet wird, so ist das nur ein Beweis dafür, daß die Form sich dem Inhalt beugt und der Aufsatzunterricht lebensvoll ist und Leben weckt. Ausgeschlossen ist, daß die Stilkategorien den Gang des Unterrichts bestimmen. V. Bildung der Aufsätze.

a) S t i l e n t w i c k l u n g d e s K i n d e s . Wie sich die Sprache des Kindes in der Schule entwickelt, darüber liegen nicht genügend exakte Feststellungen vor; wir müssen deswegen die notwendigen Gedanken über das Werden des kindlichen Stils in der Hauptsache durch Schlüsse erzielen.

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Die beiden wesentlichen Ausgangspunkte dafür sind: 1. das Wesen des Stils; 2. die Psychologie des kindlichen Denkens und Sprechens, soweit hierüber bereits Klarheit herrscht. Es ergeben sich folgende Sätze: 1. Da es nur einen echten deutschen Stil geben kann, so muß auch für die Stilbildung des Kindes die Einsicht in das Wesen des Stils gelten, die im allgemeinen als zeitgemäß und bestbegründet gilt. Wir haben davon in Abschnitt II gehandelt und verweisen im übrigen auf die Stillehre des Deutschunterrichts. 2. Das sinnvolle Sprechen des-Kindes gestaltet sich zusammenhängend aus der Nachahmung des Gehörten, aus Analogiebildung und aus selbständiger Produktion; im allgemeinen aus einem stetigen Zusammenwirken von Anlage und Eindruck, von Anlage und fortschreitender Erkenntnis. Danach muß die Stilbildung des Kindes unter den folgenden Gesichtspunkten vorgenommen werden. Es ist unpsychologisch, wenn radikale Reformer E r i n n e r u n g u n d N a c h a h m u n g völlig verwerfen und reine Origin a l i t ä t in allen kindlichen Aufsätzen verlangen. Auch das Beispiel aller Stilmeister, ja aller Lebensgestalter spricht dafür, daß eine Seite des Lernens im Nachahmen besteht. Es schadet nichts, wenn die Schüler von der Ausdrucksweise und damit von der Denkweise des Lehrers sich beeinflussen lassen. Jeder Schüler, der später Meister wurde, hat anfangs und zeitweilig gerne die Sprache des Meisters gesprochen und seine Gedanken gedacht; er selbst hat anfänglich in Gedanken und Ausdruck gestammelt. Es ist psychologisch richtig, wenn das Kind den Lehrer nachahmt und wenn der Lehrer stilistische Übungen treibt, wobei gute Vorbilder nachgeahmt werden. Allerdings wäre es falsch, nur die Form für sich als eine leere Erscheinung imitieren zu lassen. Auch bei der Nachahmung stilistischer Vorbilder handelt es sich immer um das Bewußtwerden der Beziehungen, die zwischen Inhalt und Form bestehen. So sollen gute Vorbilder studiert, schlechte Leistungen kritisiert und verbessert werden. Außerdem spricht die Nachahmung noch mit in dem unbeabsichtigten Einfluß, den die Stilentwicklung des Kindes tagtäglich von den Personen der Umgebung, vom 6*

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Lehrer und aus der Lektüre empfängt. Es liegt nahe, von diesen Gedanken aus den S t i l r e g e l n eine Bedeutung zuzuschreiben. Sie helfen das, was durch gesicherten Brauch als fehlerhaft, unpassend, unschön gilt, vermeiden und tragen somit zu einer größeren Sicherheit im Gebrauch der hochdeutschen Sprache bei. Außerdem ist im vorigen Abschnitt ausgeführt, worin ihr Wert und dessen Grenze zu suchen ist. Wegen des Inhaltes und der Form der Stilregeln sei auf die Stillehre des Deutschunterrichts verwiesen. Bilde daraus Regeln für die Volksschule ! Nachahmung ist aber noch nicht Stilbildung; darum darf sie von Anfang nicht die Hauptsache sein. Wenn auch die Psychologie lehrt, daß das Kind vorwiegend rezeptiv ist, so kann doch sein Stil nur gebildet werden aus der Entfaltung seiner spontanen Anlage. Das Kind hat seine eigene g e i s t i g e W e l t , die nach Äußerung drängt. Es hat seine eigene k i n d e r t ü m l i c h e S p r a c h e , die das Mittel zu seinem Denken und zu dessen Mitteilung an die Außenwelt darstellt. S t i l e n t w i c k l u n g i s t also nichts anderes alseine S e l b s t t ä t i g k e i t , bei der V o r s t e l l u n g e n u n d G e f ü h l e , Gebilde d e r P h a n t a s i e u n d des V e r s t a n d e s f o r t s c h r e i t e n d a u s g e s p r o c h e n u n d n i e d e r g e s c h r i e b e n w e r d e n , und zwar u n t e r s t e t e r Willenszucht. Ziel ist die möglichste Zweckmäßigkeit von Inhalt und Form. Unbeschadet der Bedeutung mehr äußerlicher Stilübungen, wie Niederschriften, Sprech- und Schreibetüden reproduktiver oder nachahmender Art, ist es Grundforderung einer psychologisch einwandfreien vernünftigen Stilbildung: B i l d e den S t i l vom I n h a l t a u s u n d s c h o n e u n d w e c k e d a b e i m ö g l i c h s t die S e l b s t t ä t i g k e i t der Schüler! Demnach besteht die erste Aufgabe der Stilpflege darin, f ü r I n h a l t e zu sorgen. Diese Aufgabe, an der Entwicklungsstufe und dem geistigen Stand des Volksschülers orientiert, läuft vor allem auf die Forderung hinaus, E r f a h r u n g e n sammeln zu lassen, zur B e o b a c h t u n g anzuleiten und zu erziehen. Das kann der Aufsatzunterricht nicht allein bewirken, sondern er muß in dieser Hinsicht aus dem G e s a m t u n t e r r i c h t seine Stoffe und Kräfte holen. Darum tritt ja der Aufsatz stets auf der Stufe der Darstellung als ein höchst wichtiges

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Kriterium und Ergebnis des vorhergehenden Unterrichts auf und dem Fache kommt eine prinzipielle Stellung zu. N u r w i r k l i c h b e h e r r s c h t e S t o f f e e i g n e n s i c h f ü r die D a r s t e l l u n g . Von besonderer Bedeutung sind darnach der A n s c h a u u n g s u n t e r r i c h t und die sog. S a c h u n t e r r i c h t s g e g e n s t ä n d e . Allerdings mit einer Einschränkung; sie müssen in dem Geist erteilt werden, daß in ihren Stoffen nicht lederne Beschreibungsobjekte vorgestellt werden, sondern eine von innerem Leben durchpulste Wirklichkeit erscheint. In diesem Geist, aber über das Stoffgebiet des Unterrichts hinaus noch, hinein in das gesamte eigene Erleben des Kindes muß die Stilpflege einen »Beobachtungsdienst«einrichten. K l a s s e n i n t e r e s s e n müssen gepflegt werden. Dinge, Tiere, Menschen, Zustände, Ereignisse treten planlos vor die Sinne. Trotzdem sie finden zu können, d. h. die eigentümliche Logik ihres Lebens zu entdecken, das erfordert nicht nur Wahrnehmen, sondern eben das Beobachten, ein absichtliches Suchen nach dem Wesentlichen, eine Zergliederung und Bereicherung in methodischer Arbeit. Die Erlebnisse werden dabei anschaulich zurechtgelegt. Welcher Unterschied ist aber zwischen dem großen Künstler, dessen Arme sich nach der ganzen Welt ausstrecken, und dem Kinde, dessen Geist und Erlebnisgebiet gleich enge sindl Nicht wird die Stilpflege darauf verzichten können, Leben und innere Bedeutung vom Kinde finden zu lassen und Aussagen darüber zu erhalten, aber die Ansprüche an das Kind werden begrenzt sein. B e s t i m m t e Menschen, Tiere, Dinge, Erscheinungen, Zustände, besonders auch Bewegungen und Veränderungen, Begrenztes also, Einfaches .und Wenigdeutiges ist der Beobachtung des Kindes aufzugeben. Das schließt eine Steigerung der Aufgaben in einem wohlüberlegten S t u f e n g a n g nicht aus. Höhere Ansprüche an die Fähigkeit zu beobachten stellt die S e l b s t b e o b a c h t u n g . Außerdem liefert die p h a n t a s i e m ä ß i g e E r k e n n t n i s Inhalte, aus denen eine Formung in Sprache hervorgeht. Bilde in diesem Sinne einen Stufengang von Beobachtungsaufgaben! Die zweite, ebenso wichtige Aufgabe der Stilpflege ist, die F r e u d e am D a r s t e l l e n zu e r z e u g e n und zu e r h a l t e n . Nun kann die Freude nicht befohlen werden, sondern muß von selbst

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kommen. Das erfordert zunächst, daß die I n h a l t e , die darzustellen sind, v o n s t a r k e n G e f ü h l e n b e l e b t und getragen sind. »Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über.« Aus dem Leben müssen die Inhalte stammen, selbst müssen sie erobert sein und in der Seele wieder erlebt werden. Nicht der Abklatsch der Wirklichkeit dürfen sie sein, sondern innere Anschauung von ihr. Es ist schon genugsam die Rede davon gewesen, wie es der Unterricht dazu bringt. Siehe auch Anschauungsunterricht! Aber Freude am lebendigen geistigen Besitz, so sehr sie den Keim zur motorischen Entladung trägt, ist noch nicht Freude am Darstellen, am Schaffen, Produzieren. S c h a f f e n s l u s t muß noch kommen, also nichts anderes, als was im Künstler wirkt, der ein Stück beherrschten Lebens für die Außenwelt wieder formt. Es ist bestritten worden, daß das Kind zu solcher Leistung fähig sei. Das konnte aber nur bestritten werden, wenn man den Begriff der Künstlerarbeit zu sehr im Sinn der vollendeten Leistung und des Außerordentlichen auffaßte. Sie ist hingegen das Einfache, das Normale, besteht darin, daß ein eigentümliches inneres Erlebnis in strengster Angemessenheit so gestaltet wird, daß seine Wirklichkeit überzeugend wirkt. Dazu ist jeder Mensch fähig, wenn auch in abgestuften Graden der Kraft zu erkennen und zu gestalten. Eine andere Frage ist, ob diese Fähigkeit ausgebildet und betätigt wird. Wird so die ganze Frage »Künstler und Kind« vom Gesichtspunkt des Relativen aus betrachtet, dann ist es unzweifelhaft, daß an den eigentlichen Aufsatz der Maßstab der künstlerischen Leistung angelegt werden muß. Aufsatzschreiben ist ein Gestaltungsakt. Gestalten aber macht an und für sich Freude. Diese ist die Funktionslust, die sich einstellt, wenn eine Veranlagung zur Betätigung gelangt. So wird die Frage, wie die Freude am Darstellen zu wecken und zu erhalten sei, durch den Imperativ beantwortet: L a ß ges t a l t e n u n d s c h a f f e n ! Daß dies aber nicht allein Genuß ist, sondern viel Arbeit, ja mühselige Kleinarbeit umfaßt, geht der Schüler bald aus. Diese Arbeit zerstört aber die Freude nicht, da sie einen produktiven Sinn und Zweck hat. Wenn der Lehrer hierbei ermuntert, aufklärt, antreibt durch eigene Mitarbeit, das eigene Vorbild, dadurch, daß er den Kindern Einblick gewährt in das eigene geistige Getriebe, erregt er

Aufsatz.

nach vielen Erfahrungen die Schüler zu freudiger tätigkeit. Wie kann er das im einzelnen machen?

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Nicht zum wenigsten auch wird die Freude am Darstellen dadurch gewährleistet, daß vieles unterlassen wird, was eine pedantische Auffassung von inhaltlicher und sprachlicher Richtigkeit für unerläßlich hält. Nämlich alles das, was das im Beobachten, Denken und Schaffen normale und gutwillige Kind als Entwicklungsstörung empfinden müßte. Das ist vor allem der A n s p r u c h des F e r t i g e n , durchaus Korrekten an die kindlichen Aufsätze. Ein Kinderwerk ist unvollkommenes, schwaches, fehlerhaftes Werk und das ist normal. Wenn das Kind Freude am Schaffen haben soll, dann muß es wissen und fühlen, daß der Lehrer nicht dem fertigen Resultat nachjagt, sondern in den Arbeiten das Relative, den kleinen Schritt nach vorwärts, den guten Willen, die ganz eigene Leistung schätzt. So ist die Stilentwicklung des Kindes vom Wesen des Stils und der Psychologie des kindlichen Denkens und Sprechens bestimmt. D a r n a c h i s t a u c h der k i n d l i c h e S t i l v o n den B e w u ß t s e i n s i n h a l t e n her a l s d e r e n zweckm ä ß i g s t e und a n g e m e s s e n e S p r a c h f o r m zu b i l d e n , w o b e i das K i n d v o n A n f a n g an s e l b s t t ä t i g zu g e s t a l t e n h a t . S e i n e L e i s t u n g e n sind p s y c h o l o g i s c h einw a n d f r e i b e u r t e i l t , w e n n der M a ß s t a b des W e r d e n den f ü r sie g i l t . N a c h a h m u n g i s t n i c h t S t i l b i l d u n g , sie i s t a b e r zu d e r e n E i n f ü h r u n g , U n t e r s t ü t z u n g , A b k ü r z u n g nötig. b) L e h r v e r f a h r e n . Das Lehrverfahren ist bestimmt durch die grundsätzlichen Überlegungen der vorhergehenden Abschnitte. Im einzelnen sind daraus noch bestimmte Überzeugungen zu gewinnen über folgende Fragen der Aufsatzbildung: T h e m a , V o r b e r e i t u n g , N i e d e r s c h r i f t , K o r rektur. Es kann ein T h e m a im w e i t e r e n und e n g e r e n S i n n unterschieden werden. Jenes ist identisch mit dem Stoffgebiet, aus dem der Aufsatz herauswächst, dieses besteht in der Uberschrift des einzelnen Aufsatzes. Ein Thema kann eigentlich nicht in dem Sinn gegeben werden, daß der Lehrer

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Der Unterricht in der Muttersprache.

eine Überschrift formuliert, über welche dann ein Aufsatz gemacht wird. Was vorliegt vor der Entstehung des Aufsatzes, ist ein Erlebnis, eine bestimmte Geistesrichtung, das Interesse an einem gewissen Stoff, ein Gepacktsein von irgendeiner Erfahrung. Daraus kommt der Aufsatz hervor, nicht aus einer vorgeschriebenen Aufsatzüberschrift, so daß gesagt werden kann, die Überschrift der Arbeit sei zunächst überflüssig. Das zwingt den Lehrer zu folgenden Anforderungen und Überlegungen. Er muß verstehen, Unterrichts- und Erlebnisstoffe so gefühlsbetont zu machen, daß sie das Kind zur Darstellung drängen. Er muß Gelegenheiten, wo im Kinde eine zur sprachlichen Äußerung günstige Bewußtseinslage vorhanden ist, geschickt benutzen oder selbst schaffen können. Dabei muß er feinfühlig genug sein, um zu wissen, daß nur eng Begrenztes, bestimmte Einzelbilder, Konkretes, Einfaches, Kurzes vom Kinde im sinnvollen Sprechen bewältigt werden kann, daß davon nur das den kindlichen Willen genügend anregt und für die ganze Arbeit rege erhält, was persönliche Beziehung zum Ich des Kindes gefunden hat. So werden alle diese Forderungen nicht an das Thema als eine vom Lehrer bereits fertiggemachte Überschrift gestellt, sondern einmal an die gesamte Arbeit, aus der sich die Aufsätze ergeben, und dann im besondern an die A n k ü n d i g u n g oder Zielangabe, die das Kind auf den einzelnen Aufsatz einstellt. Die Überschrift des Aufsatzes soll erst'recht der Gestaltung durch die Schüler überlassen bleiben, beweisen diese ja damit, ob sie den eigentümlichen Gehalt der Arbeit erfaßt haben. Ein Wort, einige Worte, ein Satz, so kann die Überschrift gebildet werden; kurz und anschaulich muß sie sein. Am Schluß der Arbeit kann sie erst entstehen, weil ja der fertige Aufsatz vorliegen muß, wenn ihre Worte dessen Wesen anschaulich umfassen und ausdrücken sollen. Ob eine V o r b e r e i t u n g der Aufsätze zulässig oder nötig ist, darüber ist schon viel gestritten worden. Aus der hier dargelegten Auffassung vom Wesen des Stils und der Aufsatzbildung ist unzweifelhaft ersichtlich, daß nur in Selbsttätigkeit Stil gelernt werden kann. Aber auch Selbsttätigkeit muß unter einer leitenden Hand erwachsen, wenn sie sicher und möglichst rasch entwickelt werden soll. Alle die Gedanken über Stil-

Aufsatz.

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regeln und Nachahmung, die weiter oben geäußert sind, sprechen hier herein. So bejahen wir die Frage, ob eine Vorbereitung der Aufsätze notwendig oder zulässig sei. Neben der Einführung des Aufsatzthemas, von der im obigen Abschnitt die Rede war, wird sie sich erstrecken auf die sog. D i s p o s i t i o n uiid die m ü n d l i c h e F o r m u l i e r u n g der Gedanken. Es liegt auf der Hand, daß alle bereits für alle Zeiten fertigen Dispositionsschemen zu verwerfen sind. Auch der Aufbau der Stoffe fällt unter das Gesetz der Zweckmäßigkeit und Angemessenheit, das den guten Stil grundlegt. So gibt es im Grunde so viele Dispositionen, als es Themen gibt. Dennoch muß sich der Lehrer eines leitenden Grundsatzes bewußt sein, wenn er die Schüler lehren will, die Aufsätze aufzubauen. Stets muß die Voraussetzung gegeben sein, daß vollständige Klarheit über das Niederzuschreibende herrscht. Dann handelt es sich darum, dessen natürliche Logik zu erkennen. Zu diesem Zweck werden die Schüler veranlaßt, das Hauptglied des Bauplans anzugeben. Es wird von Lehrer und Schülern notiert. Dann werden die andern Bauglieder in ihrer Wichtigkeit für den ganzen Plan eingeschätzt und aufgeschrieben. Schließlich ist die Gesamtordnung festgestellt, die nun nach weiteren Erwägungen umgeordnet werden kann, bis es scheint, daß die Logik des Darzustellenden am glücklichsten abgebildet ist. Eine Umordnung kann auch noch nach der Niederschrift des Aufsatzes notwendig werden, wenn sich aus der Ausführung wesentliche Mängel des Plans ergeben sollten. Sehr zu empfehlen ist es, den Aufbau des Stoffes mit schematischer Zeichnung zu begleiten. Auf Raffinement in der Dispositionsbildung, wie Steigerung des Eindrucks u. dgl., muß der Aufsatzunterricht in der Volksschule verzichten. Mit dem gezeigten Aufbau aus der Natur des Stoffes heraus fällt auch die beliebte schematische Unterscheidung von Einleitung, Ausführung und Schluß und der schematische Zwang zu Übergängen. Sind solche Aufsatzteile nötig, weil sie vom Charakter des Stoffes und der gewählten Stilform bedingt werden, dann entstehen sie als Glieder des logischen Ganzen, das sich durch die Anordnung des Stoffes vom Hauptpunkt aus ergibt. Vielfach aber ist es gerade bei den einfachen Aufsätzen des Volksschülers von Wert, sofort mitten in die Sache hineinzuschreiten,

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Der Unterricht in der Muttersprache.

ohne viel Wortgetue von einem Punkt zum andern zu gehen und den kräftigen Schluß zu machen, der mit dem Aufhören der sachlichen Gedanken von selbst gegeben ist. In der äußerlichen Darstellung des Aufsatzes soll der Bauplan durchsichtig gemacht sein. Dazu dient besonders die Niederschrift in Abschnitten. Aus der Darlegung über Schrift- und Redesprache ist zu schließen, daß jeder Aufsatz zu sprechen ist, bevor er niedergeschrieben wird. Ein gewandterer Schüler hat zuerst den Aufsatz im ganzen zu sprechen, so gut er das fertig bringt. Die weiteren methodischen Maßnahmen werden von der Forderung bestimmt, daß sich die Aufsatzschreiber in Zucht nehmen, wenn sie ihre Gedanken sprachlich formen. Sie sollen den Willen haben, mit ihren Worten und Sätzen den »Nagel auf den Kopf zu treffen«. Das muß aber geübt und gelernt sein, da das dem Kinde eigene Plaudern nicht unter dem Zweck und Zwang vor sich geht, für den Gedanken die möglichst glückliche Form zu finden. Also ruft der Lehrer die ganze Klasse auf, an der Formung der aufeinanderfolgenden einzelnen Gedanken sich zu beteiligen. Die Sätze, deren Ausdruck einfach, bestimmt, unmittelbar, natürlich, sinnlich, kräftig, anschaulich ist, werden mündlich festgehalten, öfters gesprochen und dann niedergeschrieben, wobei dem Schüler die Wahl frei bleibt, falls mehrere Sätze von gleich gutem Ausdruck gefunden wurden. Diese methodische Bereitung der Aufsätze durch den Lehrer ist notwendig. Das Kind muß an Zucht der Gedanken und Sprache gewöhnt werden und erst lernen, wie man einen' wirklich guten Ausdruck gestaltet. Es muß eben Stil lernen. Hörend und selbst sprechend nimmt jeder Schüler täglich Anteil an der größten Stilsünde des gewöhnlichen Geplauders und Geschreibsels, an der Zuchtlosigkeit im Denken und Sprechen und der daraus folgenden liederlichen Klischeewirtschaft im Ausdruck. Nur konsequente Gewöhnung kann dieser Sünde Abbruch tun, die Gewöhnung zum bewußten anschaulichen Gestalten. Doch darf der Lehrer nicht seine Sprache dem Kinde aufdrängen. Die Kinder gestalten selbsttätig; kindertümliche Gedanken sind in kindertümlichem Ausdruck herauszuarbeiten. So wird der ganze Aufsatz nacheinander gesprochen und geschrieben. Die Niederschrift

Aufsatz.

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wird überprüft au! die Anordnung, auf Wortwahl und Satzbau hin und gegebenenfalls verbessert. Hierbei wird besonders die Kritik des Ohrs angerufen; die Kinder sollen den Rhythmus und die Musik ihrer sprachlichen Schöpfungen beurteilen lernen. Darum liest der Lehrer drastisch vor und läßt die Schüler nur zuhören. Zuletzt wird der Aufsatz ordentlich reingeschrieben. Auf keiner Stufe der Aufsatzbildung kann ein derartiges ausgesprochenes Lehren des Stils völlig entbehrt werden, wenn auch die Führung allmählich loser wird. Der freie Aufsatz ist nicht ein zuchtloses Drauflosschreiben; die Freiheit liegt darin, daß Stoff und Sprache aus dem Kinde herausgeschöpft wird, und in der Selbstbestimmung des sprachlichen Ausdrucks durch Geisteszucht. Dies aber muß gelernt, geübt, gewohnt sein. Doch liegt auch bei einer allzu ängstlichen Methodik die Gefahr nahe, daß der Schüler zu dem Wahn kommt, das Aufsatzschreiben sei eine unnatürlich schwere Denk- und Sprachleistung. Zwischen dem natürlichen Mitteilungsbedürfnis, seinen regen Äußerungen und anderseits der zweckvoll gezügelten Rede im Aufsatz soll nicht ein Gegensatz entstehen, als ob zwei fremde Denk- und Sprechweisen einander gegenüberstünden. Deshalb empfiehlt es sich, auf jeder Stufe gar nicht oder flüchtig vorbereitete Aufsätze frisch hinschreiben zu lassen. Das ist unterhaltsam, übt, lockert die denksprechende Fähigkeit, erzeugt Selbstvertrauen. Dazwischen werden Niederschriften von solchen Sprachstücken vorgenommen, die anziehenden Inhalt in recht anschaulicher Gestaltung bringen, also Prosastücke von Dichtern, Gedichte, Rätsel, Kinder- und Neckreime. Auf höherer Stufe sind auch Nachahmungen solcher Stücke zu empfehlen; in ihnen soll besonders dem Rhythmus und dem Klang der Sprache des Vorbildes nachgespürt und nachgestrebt sein. Für weitere technische Übungen, die dem Hochdeutsch gegenüber unbefangen machen und die Sprache lockern sollen, sei ferner empfohlen: Vormachen; Suchen nach dem anschaulichsten Wort, dem kürzesten Ausdruck, den möglichen Bauplänen; Selbstdiktate; Reimereien; Hinund Herübersetzen von Dialekt und Hochdeutsch. Reizvoll, anregend und bildend ist es, den Aufsatz mit Illustrationen auszugestalten. Im ganzen aber ist notwendig: Viel lesen,

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Der Unterricht in der Muttersprache.

sprechen, hören, schreiben 1 Das hat vornehmlich in der Schule zu geschehen, aber auch für Hausaufgaben wird sich manche gute Gelegenheit ergeben. — So besteht dieser Teil der Aufsatzmethodik in einem lebhaften, aber wohlüberlegten Wechsel verschiedener Tätigkeiten, die auf allen Stufen zwischen impressionistischem Hinwerfen und sorgfältig ausgefeiltem Werk, zwischen übender Nachahmung und freiem Schaffen sich bewegen. Die K o r r e k t u r der Aufsätze ist eine ernste Pflicht des Lehrers. Die Schüler müssen wissen, daß die schlechte Leistung einen forschenden Richter, die ernsthafte Arbeit einen interessierten Leser findet, und der Lehrer muß fortwährend darüber im klaren sein, wie die Stilbildung der Kinder vor sich geht. Die Schlüsse auf das Wesen der Korrektur ziehen wir aus der Bestimmung des Stilbegriffs und aus dem psychologischpädagogischen Grundsatz, daß an das kindliche Werk der Maßstab des Relativen, Werdenden und des guten Willens anzulegen ist. Somit muß die Korrektur Inhalt und Sprache gleichermaßen im Auge haben. Es ist ein häufig geübter Fehler, nur auf der Oberfläche der Aufsätze fortzukorrigieren, also den Wert des Aufsatzes abhängig zu machen von der orthographischen und grammatischen Korrektheit und dem Fluß der Darstellung. Stilentwicklung ist Gedankenentwicklung; Stilfehler sind in erster Linie Gedankenfehler, beim Volksschulkinde vorzüglich Fehler des anschaulichen Denkens; Aufsatzkorrektur ist in erster Linie Gedanken- und Anschauungsprüfung. K o r r i g i e r e n h e i ß t also, den A u f s a t z d a r a u f h i n p r ü f e n , wie weit der Wille und die F ä h i g k e i t des S c h ü l e r s z u g e r e i c h t h a t , sich A n s c h a u u n g e n u n d G e d a n k e n zu m a c h e n u n d in S p r a c h e a b z u b i l d e n . Diese innerlichere Auffassung stellt an den Lehrer höhere Anforderungen, insbesondere die einer fortwährenden Fühlung* nähme mit den Geistesinhalten und dem geistigen Entwicklungsstand seiner Schüler. Dann steht die Korrektur unter den folgenden grundsätzlichen Anforderungen: 1. In jedem Aufsatz muß der gute Wille zur Darstellung und die Aufmerksamkeit und Zucht im Darstellen ersichtlich sein. 2. Inhalt und Form (Höhenlage des anschaulichen und logischen

Aufsatz.

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Erkennens und Gestaltungskraft) müssen annähernd dem Reifestand entsprechen, der vom psychologisch gebildeten und feinfühligen Lehrer für die ganze Klasse festgestellt wird. 3. Jede typische individuelleRichtungim Denken und sprachlichenAusdruck ist von der Korrektur zu schonen, damit sie entwickelt werden kann; auch einzelne individuelle Besonderheiten sind berechtigt. Darnach kann die völlig egrammatische und orthographische Korrektheit nicht verlangt werden. Der Lehrer wird wohl dafür sorgen, daß alle diese Fehler womöglich vermieden oder beseitigt werden; es ist aber nur natürlich, wenn der Aufsatz mit solchen Mängeln behaftet ist. Mit der Zeit werden sie weniger, da ihre psychologische Voraussetzung, nämlich die noch kurze Lehrzeit und die geringe geistige Reife, günstiger wird. Im einzelnen muß weiter verlangt werden, daß die Korrektur auch in ihrem äußeren Auftreten gegen gutgemeinte und ordentliche Arbeiten schonend sei; die rote Tinte soll sich bescheiden im Hintergrund halten und nicht verwüstend über eine sorgfältige Leistung herfahren. In derartigem Zurückhalten erscheint die wohltuende und anspornende Achtung, die der Lehrer auch vor der Schülerleistung hegt, sofern sie ernste Arbeit ist. Um die Selbstkritik rege zu machen, ist es hier wie bei anderer Korrektur notwendig, die Schüler zu erziehen, daß sie beim Schreiben entstehende Zweifel orthographischer, grammatischer, stilistischer Art durch sofortige Anfrage beim Lehrer beseitigen; eine weitere in diesem Sinne wirkende Maßnahme ist die wechselseitige Schülerkorrektur nach der Vollendung und vor der Ablieferung jedes Aufsatzes. Im ganzen muß die Korrektur würdigen, stärken, bilden, nicht nörgeln, bekritteln, ruinieren. So aufgefaßt und betätigt, ist sie ein positives Stilbildungsmittel und ist berechtigt, ia unentbehrlich. Literatur.

1. T h e o r i e . W o h l r a b e , Die Stellung des Aufsatzes im Gesamtunterricht. Halle, Schrödel, 1892. I M . — M a t t h i a s , Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. 2. Aufl. 1897. -5,50 M., geb. 6,30 M. — L ü t t g e , Der stilistische Anschauungsunterricht. Leipzig, Wunderlich. 1. Teil. 1. Aufl. 1910. Geb. 2 M. 2. Teil. 6. Aufl. 142 S. Geb. 3 M. —

94

Der Unterricht in der Muttersprache.

S e y f e r t , Der Aufsatz im Lichte der Lehrplanidee. Leipzig, Wunderlich, 1901. 80 Pf. — S c h i l l e r , Der Aufsatz in der Muttersprache. 2 Teile. Berlin, Reuther & Reichard, 1900. 1,50 M. u. 1,60 M. — S a c h s e , Zum Aufsatzschreiben in der Volksschule. Leipzig, Hahn. 4. Aufl. 1910. 80 Pf. — S c h m i d t , Haus- und Prüfungsaufsatz vom Standpunkte der experimentellen Pädagogik. Leipzig, Nemnich, 1907. 1,20 M. — F u c h s Der freie Aufsatz. Nürnberg, Korn. 80 Pf. — G a n s b e r g , Schaffensfreude. 3. Aufl. 2,60 M. — H e r m a n n , Die neue Aufsatzmethode in ihrer psychologischen Notwendigkeit und praktischen Anwendung. 75 S. Langensalza, Greßler. 4. Aufl. 1909. 90 Pf. — J e n s e n und L a m s z u s , Unser Schulaufsatz ein verkappter Schundliterat. Hamburg, Janssen, 1910. geb. 2 M. — S t o f f e l , Der Aufsatz in der Volks- und Mittelschule. Schroedel. 1,50 M. — L o r e n z e n , Kind vom Lande. Wunderlich, geb. 2 M. — S t u d e r , Meine kleinen Schriftsteller. Sauerländer & Co., Aarau. geb. 2,40 M. — S c h m i e d e r , Der Aufsatzunterricht. Teubner. 1,40 M. — Z e r g i e b e l , Die Bildung des persönlichen Stils in der Volksschule Huhle, I M . — W o l f i n g e r , Ergebnisse einer Schulreise durch die fränkische Schweiz. Korn, Nürnberg. 1,40 M. — S c h ü t z - W e s t e r f e l d , Meine Schulbuben beim Selbstschaffen. Kesselring. 2,20 M. — K l a h r e , Ein sicherer Weg zur Selbständigkeit im Stil. Wunderlich. 2,50 M. — B a u m g a r t e n , Die Nacherzählung. Huber, Diessen 1,20 M. — Z i m m e r m a n n , Der Aufsatz. Prögel, Ansbach. 4,20 M. — J e n s e n und L a m s z u s , Der Weg zum eigenen Stil. Janssen. 3 M. — Z e u c h , Der Weg zum Erfolg im freien Aufsatz. Thuringia-Verlag, Gera. 2,50 M. — S c h i e ß l , System der Stilistik. Straubing 1884, Attenkofer. 4,50 M. — S c h i e ß l , Die stilistische Entwicklungstheorie in der Volksschule, Theorie, Praxis und Methodik des Aufsatzunterrichts. München 1889, Kellerer. 3 M. — S c h r ö d e r , Vom papiernen Stil. Leipzig 1902, Teubner. 102 S. 2 M., geb. 2,80 M. 2. M e t h o d i k . H e r r m a n n , Deutsche Aufsätze f ü r ' d i e obern Klassen der Volksschule und für Mittelschulen. Leipzig, Wunderlich. 6. Aufl. 1908. Je 2,80 M., geb. 3,40 M. — D i e t e l und G ö h l e r , Aufsatzstoffe für die Volksschule. Leipzig, Klinkhardt. 4. Aufl. 1900. 1,80 M., geb. 2,25 M. — K a h n m e y e r und S c h u l z e , Stoffe für den Aufsatz in ausführlicher Darstellung. 2 Teile. Bielefeld, Velhagen & Klasing. 5,50 M., geb. 6,60 M. — M a t t h i a s , Aufsatzsünden. Leipzig, Voigtländer, 1901. 60 Pf. — A n t h e s , Der papierne Drache. 2. Aufl. 1904. Leipzig, Voigtländer. 2 M — S c h a r r e l m a n n , . Im Rahmen des Alltags. 800 Aufsätze und Aufsatzthemen für, das 1.—5. Schuljahr. 1904. Hamburg, Alfred Janssen, geb. 1,50 M. — R e i n i n g e r , Freie Aufsätze für die Volksschule. 285 Schülerarbeiten und 200 Aufsatzthemen. Langensalza, Beltz, 1910. 2 M., geb. 2,50 M. — P r ü l l , Skizzierte Aufsatzthemen aus dem Leben und dem Unterricht. 2 Teile. Je 1,50 M., geb. 1,80 M. Dresden, Huhle, 1910. — K o b m a n n , Freie und gebundene Aufsätze für Schule der 2., 3. u. 4. Klasse der Volksschule. Korn, Nürnberg. 1,50 M. — F r i e d r i c h , Sonnenschule. Ein Wiener Probejahr. Leipzig 1905, Seemann Nachf. XI u. 187 S. 2 M-

95

Rechtschreiben.

4. Rechtschreiben. I. Geschichtliche Betrachtung. Will man aus der geschichtlichen Entwicklung des Unterrichts im Rechtschreiben die Lage und Forderungen der Gegenwart recht verstehen, so muß man zweierlei betrachten: die Geschichte des Rechtschreibens und die Geschichte der auf das Rechtschreiben hinzielenden methodischen Bestrebungen. Wir wollen im folgenden beides auseinanderhalten. A . Die Geschichte des Rechtschreibens.

Es handelt sich darum, ob sich der L a u t g e h a l t und die S c h r e i b w e i s e decken. Da ist in älterer Zeit eine Einheit festzustellen. Diese geht in Zersplitterung über und in der Gegenwart zeigt sich das Bestreben wieder zu einer Einheit zu gelangen. 1. Im Gotischen, Althochdeutschen und noch im Mittelhochdeutschen deckten sich Lautgehalt und Schreibweise noch so ziemlich. Man kann also für diese Zeit von einer Herrschaft des p h o n e t i s c h e n P r i n z i p s sprechen. Aber in der Folgezeit, bis in das 18. Jahrhundert hinein, geriet die Rechtschreibung mit der ganzen deutschen Sprache in einen Zustand größter Verwilderung. Die Orthographie stand unter dem Einfluß persönlicher Willkür und schwankender Moden. Erst nach verschiedenen vergeblichen Verbesserungsversuchen im 16. und 17. Jahrhundert gelang es dem einflußreichen G o t t s c h e d (Deutsche Sprachkunst 1748) und später A d e l u n g (Deutsche Sprachlehre 1781) ein leitendes Prinzip der Rechtschreibung aufzustellen. Dieses hieß: »Schreibe, wie du richtig sprichst,

mit Beobachtung

der nächsten

Abstammung

und

des

allgemeinen Gebrauchs.« Es war also phonetischen Charakters. Doch durch die zwei Einschränkungen oder Zugeständnisse war es bereits durchbrochen. Dies machte es damals praktisch brauchbar. Aber fraglich ist es heute noch, ob ein rein phonetisches Prinzip sich je durchsetzen kann. Im »Verein für vereinfachte deutsche Rechtschreibung« haben sich die Anhänger einer phonetisch zu betreibenden Orthographie zusammengeschlossen. Sie bekämpfen das gegenwärtige orthographische Regelsystem, im allgemeinen in der Richtung hin,

96

Der Unterricht in der Muttersprache.

daß sie ihm mit seinen vielen Äußerlichkeiten und Willkürlichkeiten den Bildungswert absprechen, der ihm nach der bisher aufgewendeten Kraft und Zeit in der Schule zugemessen wird. 2. Durch J a k o b G r i m m wurde das historische Gewissen gegen die phonetische Schreibung wachgerüttelt und er forderte die Schreibung, die dem Worte nach seiner Etymologie zukommt ( h i s t o r i s c h - e t y m o l o g i s c h e s P r i n z i p ) . Die Schreibweise des Wortes hat sich zu richten nach dem Wortbild, das etymologisch als das ursprüngliche nachgewiesen werden kann. Doch konnte sich diese Forderung in der Praxis nicht durchsetzen. Es ist gewiß, daß der Sprachforscher vom Neuhochdeutschen aus einen sicheren Blick über die Entwicklung der Formen hat. Aber für die große Masse ist das Neuhochdeutsche das Gegebene und sie braucht eine Rechtschreibung, die ihm aus diesem selbst gereicht wird. Ist ja auch das Neuhochdeutsche kein Anhängsel des Mittel- und Althochdeutschen, sondern selbständig in seinem Leben und also auch in seinen Formen. Zudem soll diese Rechtschreibung ja nicht um allzu hohen Preis erworben werden können. 3. Aus dem heftigen Streit, der sich um die beiden Prinzipien entspann, ging eine vermittelnde Richtung hervor, die man nach ihrem Inhalt die h i s t o r i s c h - p h o n e t i s c h e und nach ihrer Bedeutung die p r a k t i s c h e nennen könnte. Es war notwendig geworden, von Staats wegen der orthographischen Zersplitterung und Unsicherheit zu steuern. Die Anregung dazu gab der preußische Kultusminister F a l k . Der Erlanger Germanist R. v. R a u m e r arbeitete 1872 ein Gutachten aus, in welchem er nachwies, daß es am besten sei, wenn der Grundcharakter der deutschen Rechtschreibung der phonetische bleibe, aber auch dem Schreibgebrauch müsse in bescheidenem Maß Rechnung getragen werden. In diesem Sinne nun hat sich im ganzen Deutschen Reiche die Orthographie weiter entwickelt. Durch die von Bayern 1879, sodann von allen anderen deutschen Staaten a m t l i c h v o r g e s c h r i e b e n e n » R e g e l b ü c h e n wurde die Rechtschreibung für die S c h u l e n festgesetzt und 1902 ist unter Aufhebung der Eigentümlichkeiten, durch welche sich bisher noch die Schulorthographien der einzelnen Länder voneinander unterschieden, eine e i n h e i t l i c h e R e c h t -

9?

Rechtsehreiben.

S c h r e i b u n g f ü r d a s D e u t s c h e R e i c h geschaffen und amtlich eingeführt worden, die nicht nur in den Schulen sondern mehr und mehr auch a l l g e m e i n in Gebrauch gekommen und auch in Österreich, in der Schweiz und bei den Deutschen in Amerika maßgebend ist. Trotzdem diese Entwicklung ein entschiedener Fortschritt zur Vereinfachung ist, kann noch nicht gesagt werden, daß der orthographische Zustand der Muttersprache befriedigend ist. Es sei nur auf einige hervorstechende Unvollkommenheiten, die im wesentlichen Unfolgerichtigkeiten sind, hingewiesen: a) Für denselben Laut gibt es verschiedene Zeichen; also muß die Schreibweise gleichlautender Wörter verschieden sein. b) Einfache Laute werden durch Lautverbindungen bezeichnet. c) Die Großschreibung. d) Länge und Kürze wird teils bezeichnet, teils nicht; die Bezeichnung wird verschiedenartig behandelt. e) Die Abstammung wird teils berücksichtigt, teils nicht. So kann nicht gesagt werden, daß das Rechtschreiben auch heutzutage leicht und kurz zu erlernen ist; es gilt als Kreuz des Volksschulunterrichts. Ein Heil muß von einer weiteren Vereinfachung, die wohl in phonetischer Richtung erfolgt, erwartet werden; denn »die Schreibung ist die beste, die ohne Nebenrücksichten das gesprochene gleichmäßigsten und kürzesten widergibt.«

Wort am einfachsten, (Brenner.)

Zunächst hat die Volksschulpädagogik nach Methoden gesucht, die am leichtesten und raschesten zu dem Ziel führen sollten, die bestehende Orthographie dem Kinde einzuprägen. Sie seien im folgenden Abschnitt gewürdigt. B. Die Geschichte der Rechtschreiblehrmethoden.

Hierbei läßt sich nicht chronologisch anordnen. Denn mit Ausnahme der bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts geübten K o r r e k t u r m e t h o d e , die darin bestand, daß die Buchstaben der Wörter auf ihre kalligraphische Schönheit und orthographische Richtigkeit hin zusammen vom Lehrer korrigiert wurden, läuft der Gebrauch der Lehrmethoden mit dem Streit darüber während des 19. Jahrhunderts nebeneinander her. Böhm. Prakt. Erziehungs-u. Unterrichtslehre. III. Bd. 13 Aufl.

7

98

Der Unterricht in der Muttersprache.

Eine weite Verbreitung hatte im ganzen 19. Jahrhundert die D i k t i e r m e t h o d e . Ihre Anhänger glaubten durch fleißiges Diktieren von Lesestücken oder besonders hergerichteten orthographischen Stücken den Schüler orthographisch sicher zu machen. Ihre Anwendung bringt mit sich, daß ein besonderer Rechtschreibunterricht nötig ist. Die Korrektur muß fleißig geübt werden. Der Hauptgrund, der gegen diese Methode ins Feld geführt wird, ist der, daß sie in unpsychologischer Weise vom Schüler bereits etwas verlangt, was er ja erst durch den Unterricht erlernen soll. Auch mußte es an der planmäßigen Anordnung des Stoffes und der richtigen methodischen Gliederung fehlen. Die B e r i c h t i g u n g s m e t h o d e läßt absichtlich fehlerhaft geschriebene Wörter und Sätze durch die Schüler unter Angabe des Grundes verbessern, um so das orthographische Gewissen zu schärfen. U. a. war Diesterweg für sie eingenommen (1826). Während das Diktat vornehmlich durch das Ohr einwirkt, arbeitet die Methode Bormanns (1840), die W o r t b i l d e r m e t h o d e , mit dem Auge. Die Schüler sollen das Gedruckte sorgfältig und genau abschreiben, sollen buchstabieren und immer wieder abschreiben, bis sie sich die Wortbilder unauslöschlich eingeprägt haben. Wenn es auch zur Einseitigkeit führen muß, daß das Auge allein wirksam ist, so hat doch das Abschreiben durch neuere psychologische Versuche eine starke Stütze erhalten. Kehr läßt ganze Lesestücke, die orthographisch durchgearbeitet sind, abschreiben, auswendig lernen und wieder a u f s c h r e i b e n . Diesem Verfahren fehlt die sachlich richtige Stoffanordnung. Um 1830 tritt eine systematischere Lehrmethode auf. Sie will lehren, indem sie aus orthographischen Beispielen Regeln gewinnt, diese sprachlich fixiert und wieder anwenden lehrt. Es ist also eine R e g e l m e t h o d e . Eine derartige Betrachtungsweise mußte die Hauptgliederung des Stoffes in Gleichschreibung und Andersschreibung, die bis heute wesentlich für die Anordnung des Rechtschreibstoffes geblieben ist, entdecken und zu einer Grundlage der methodischen Behandlung machen. Jedenfalls vermag diese Methode das Gefühl systematischer Ordnung und Sicherheit zu verleihen.

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Rechtschreiben.

Man könnte die Methoden auch einteilen in solche, die das O h r , solche, die das A u g e , und solche, die den V e r s t a n d besonders wirksam sein lassen. Auch haben die L e s e l e h r m e t h o d e n Einfluß gehabt. Man kann die Wörter buchstabieren und lautieren lassen. Das Lautieren hat den Vorzug, daß es die Reihenfolge der Laute zum Bewußtsein bringt, versagt aber in jedem Fall, wo ein Laut mehrfach oder anders bezeichnet wird, sowie dialektischen Besonderheiten gegenüber. Das Buchstabieren hat diese Mängel nicht; aber es zerreißt die Einheit des Wortbildes. Zu diesen methodischen Zweifeln tritt noch weiter verwirrend eine Diskussion über die l e h r p l a n m ä ß i g e S e l b s t ä n d i g k e i t und die methodische Anlehnung des Faches. Die Zillersche Schule versagt dem Rechtschreiben besondere lehrplanmäßige Stunden und treibt es als gelegentliche Fehlerverbesserung nach schriftlichen Arbeiten, besonders Aufsätzen; andere schließen es an die Grammatik, an das Lesebuch, an den Gesamtunterricht an. Also ein Durcheinander von Standpunkten, deren Begründung allzu subjektiver Art ist, als daß einer von ihnen hätte allgemein überzeugen können. Da machte L a y den Versuch, die Methodik dieses Unterrichts auf die festen Füße der physio-psychologischen Untersuchung zu stellen (1897). Ausgehend von der Tatsache, daß eine Gesamtvorstellung aus verschiedenen Teilvorstellungen besteht, die verschiedenen Hirnbezirken zugehören, aber assoziativ verbunden sind, stellt er viele Versuche an, die ihm beweisen, daß die Rechtschreibung eines Wortes weniger von seinem Klangbild als vielmehr von der Reproduktion der Sprech- und Schreibbewegung bestimmt wird. Seine Versuche sind von Itschner, Lobsien, Schiller nachgeprüft worden. Wenn auch die Ergebnisse in manchem sich widersprechen, so ergab sich doch ein wertvoller Einblick in das Wesen des Rechtschreibens, der die Methodik des Faches aus der subjektiven Mein-ungstyrannei zu befreien geeignet ist. E s w i r d s i c h d a r u m h a n d e l n , vom K l a n g b i l d bis zur S c h r e i b b e w e g u n g alles a u f z u w e n d e n , d a m i t die K l a r h e i t d e s W o r t b i l d e s m ö g l i c h s t a u f g e h e l l t , die A n s c h a u ung v e r t i e f t und das G e d ä c h t n i s g e s t ä r k t werde. Das Weitere siehe im Abschnitt IV! 7*

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Der Unterricht in der Muttersprache. II. Bedeutung und Aufgabe.

Heutzutage gilt die Fähigkeit orthographisch zu schreiben, als Gradmesser nicht nur der sprachlichen, sondern auch der allgemeinen Bildung. Richtig zu schreiben beweist eine gewisse Schulung; diese tritt nach außen und fällt auf. Lebendige Kräfte des Erkennens und Wirkens, in deren Besitz wahre Bildung besteht, sind lange nicht so auffallend und leicht zu beurteilen als der orthographische Gradmesser. So muß diese Einschätzung der Orthographie als ein äußerlicher Zug im Geistesleben unserer Zeit genommen werden. Nicht immer hatte die Fähigkeit des Rechtschreibens die gleiche Geltung; Friedrich der Große, Goethes Mutter, Blücher, Napoleon, Beethoven schrieben orthographisch gleichgültig. Trotzdem kann die Volksschule auf diesen Unterrichtsgegenstand nicht verzichten. Er will die äußere Form, in der die Muttersprache geschrieben oder gedruckt auftritt, der persönlichen Willkür entziehen und einheitlich gestalten. Wie sehr diese E i n h e i t l i c h k e i t praktisches Bedürfnis ist, beweist das Drängen zu ihr hin in der Geschichte der orthographischen Prinzipien. Im allgemeinen Teil dieser Sprachmethodik ist davon die Rede, daß das Bestehen einer einheitlichen Schriftsprache die Sprache davor bewahrt, individueller Verflüchtigung anheimzufallen. Die Orthographie hilft besonders dazu. Nicht zuletzt im nationalen Interesse ist es notwendig, die Sprachschüler auf eine einheitliche deutsche Rechtschreibung zu verpflichten. Um diese stets mit Sorgfalt bemüht zu sein, beweist Respekt vor der Muttersprache, auch wo sie nur Außenseite ist. Die A u f g a b e des Rechtschreibunterrichts besteht demnach darin, den Schüler fähig zu machen, d i e L a u t s p r a c h e s t e t s s i c h e r u n d g e l ä u f i g in d e n r i c h t i g e n S c h r i f t b i l d e r n a u s z u d r ü c k e n . Selbstverständlich ist dies ein [dealziel, das bei den Schwierigkeiten der Orthographie und der zur Verfügung stehenden kurzen Zeit nicht zu erreichen ist. Die Volksschule hat alles zu tun, den Schüler zur schriftsprachlichen Beherrschung s e i n e s Wortschatzes zu bringen und ihm so weit das orthographische Gewissen zu schärfen, daß er auch den Sprachkreis seiner späteren Lebens- und

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Berufsverhältnisse orthographisch sauber hält. Dies letztere fordert, daß der Schüler außer dem planmäßigen Unterricht noch eine Erziehung zur Selbsttätigkeit und Selbsthilfe empfange. Er soll gewohnt werden, den Lehrer und das amtliche Regelbuch aus eigener Initiative zu befragen. Der Lehrer soll die Klasse als Beratungsstelle anrufen lassen und zum Nachschlagen anleiten. Kann ja auch ein Gebildeter nicht völlig ohne orthographische Beratung auskommen. III. Stellung des Faches und Stoffauswahl.

Ob Rechtschreiben ein besonderes stundenplanmäßiges Fach ist oder Gelegenheitsunterricht zu sein hat, ist durch die Lehrpläne bestimmt. Für jene Auffassung würde die Tatsache sprechen, daß bei besonderen Wochenstunden eine intensivere orthographische Beeinflussung der Schüler und eine sachlich folgerichtigere Anordnung des Stoffes möglich ist. Dagegen wird eingewandt, daß der Bildungswert dieses Unterrichts im Vergleich zu dem der andern Deutschfächer nicht groß genug ist, um besondere Wochenstunden dafür zu rechtfertigen. Die Anhänger dieser Auffassung gestalten aus einer Deutschstunde eine Rechtschreibstunde, wenn Mängel, die im Laufe des übrigen Deutschunterrichts hervorgetreten sind, dies als nötig erscheinen lassen. Es wird ein scharf umrissenes Thema gebildet und aller einschlägige orthographische Stoff dazu herbeigeholt. Die Reihenfolge der Themen wird also mehr durch Zufall bestimmt. Es scheint, daß die gegenwärtige Schulpraxis sich mehr der zweiten Ansicht zuneigt. Der Stoff des Unterrichts wird nach folgenden Prinzipien gestaltet: Harte und weiche Mitlaute — besondere Bezeichnung der Länge und Kürze der Selbstlaute — verschiedene Zeichen für denselben Laut — Umlaut — Großschreibung — Silbentrennung— Interpunktion. (Siehe die Lehrpläije!) Im Schreibleseunterricht der Anfängerstufen wird sich dieser Gang mit grundlegenden Übungen leicht einhalten lassen. Die Oberstufe bringt die Erweiterung und Vertiefung der einzelnen Stoffgebiete, entweder in eigenen Rechtschreibstunden oder im Gelegenheitsunterricht.

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Der Unterricht in der Muttersprache. IV. Das Lehrverfahren.

Welches ist nun die beste Methode, der gestellten Aufgabe gerecht zu werden ? A. Die Geschichte der Rechtschreiblehrmethoden beweist, daß nur die klare Erkenntnis des Lernprozesses, der im Kinde vor sich geht, vor subjektiver Verirrung bewahrt und zu einem naturgemäßen Lehrverfahren führt. Dieser physiologisch-psychologische Prozeß wird erläutert durch die modernen Analysen des normalen Rechtschreibaktes und durch die Beobachtung seiner Störungen, die sich in typischen Fehlern äußern. Dabei ist stets im Auge zu behalten der eigentümliche Wesensgehalt der geltenden Orthographie. So gründen wir das Lehrverfahren auf folgende Untersuchungen: a) des Wesens der Orthographie; b) der Rechtschreibfehler; c) des Rechtschreibprozesses. a) Beim Rechtschreiben handelt es sich darum, L a u t b i l d e r in S c h r i f t b i l d e r u m z u w a n d e l n . Es müssen also zunächst richtige Lautbild- oder Klangbildvorstellungen vorhanden sein. Diese sollen in einem physiologisch-psychologischen Prozeß als richtige Schriftbilder fixiert werden, so daß Lautbild und Schriftbild als eines erscheinen. Die Assoziation von Lautbild und Schriftbild, zunächst bewußt hergestellt, soll schließlich ganz automatisch verlaufen. Hätten wir eine reine phonetische Schreibweise, dann würden sich bei guter und richtiger Aussprache Laut- und Schriftbild stets decken. In Wirklichkeit hat es die Entwicklung der Orthographie (siehe diese!) mit sich gebracht, daß dieses Assoziationsverhältnis folgende Seiten aufweist: 1. Das Schriftbild wird bestimmt durch das Lautbild, z. B. nun — nun. 2. Das Schriftbild wird bestimmt durch konventionell gewordene Zeichen, z. B. steht — sehtet-, Großschreibung. 3. Das Schriftbild wird bestimmt durch das Bewußtsein von der Wortbedeutung, z. B. Mahl, Mal, mal — mal. Daß sich Laut- und Schriftbild völlig decken, ist ein wenig häufiger Fall. Meist beherrschen die zwei andern Fälle das Rechtschreiben. Entscheidet für die Form des Schriftbilds die

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Konvention, so kann das Rechtschreiben nur Gedächtnissache sein; Regeln sind dann nicht zuverlässig. Wird das Schriftbild durch die sachliche oder grammatische Bedeutung des Wortes bestimmt, so ist der Zusammenhang von Inhalt und Form ins Auge zu fassen. Für alle Fälle muß eine technische Voraussetzung gegeben sein, nämlich die Kenntnis der Buchstaben als Lautzeichen und die Übung im Übertragen von gesehenen Laut- und Wortbildern in Schriftbilder. b) Lüttge hat die H e m m u n g e n d e s R e c h t s c h r e i b p r o z e s s e s experimentell untersucht und in der Hauptsache folgende Fehlergruppen festgestellt: 1. Fehler, bei denen eine mangelnde Unterscheidungsfähigkeit d e s O h r s d e m K l a n g b i l d gegenüber vorliegt, z. B. Strasse, Gaße. 2. Fehler, die aus einer ungenügenden Auffassung des A u g e s entstehen, z. B. Trohn. 3. Fehler, die aus einer bis zum Automatismus eingeübten S c h r - e i b b e w e g u n g entstammen, z. B. analog dem automatisch gewordenen Schriftbild »Mann« wird »mann« gebildet; »wieder« — erwiederte. 4. Fehler, die aus ungenügend artikulierter S p r e c h b e w e g u n g sich ergeben, z. B. Weter statt Wetter. 5. F l ü c h t i g k e i t s - oder V e r s c h r e i b u n g s f e h l e r . Hier ist der Schüler nicht fähig, die Elemente des Wortbildes sauber auseinanderzuhalten, so daß eines von ihnen ein anderes sich assimiliert, z. B. in Könichreich wird das g von dem vorweggenommenen ch assimiliert. 6. An mehr als der Hälfte aller Orthographiefehler trägt mangelhaftes Sprachgefühl und Sprachbewußtsein die Schuld, z. B. nicht Trenke, sondern Tränke, weil trank. Nach den experimentellen Forschungen und statistischen Berechnungen S t o l l s , der die Untersuchungen Marbes fortführt, gibt es viererlei Fehler und Fehlerquellen: 1. Worte geringerer Sprachhäufigkeit werden durch geläufigere ersetzt (Fälschungen). 2. Silbenpaare mit gleichen oder ähnlichen Elementen bieten größere Schwierigkeiten als solche mit ungleichen Elementen; es werden Auslassungen und Veränderungen erzeugt, die besonders eintreten, wenn durch sie ein sinnvolles Wort entsteht (Ranschburgische Hemmung).

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Der Unterricht In der Muttersprache.

3. Die nächsten Silben und Laute wirken vor oder nach (Perseverationen) und rufen Auslassungen, Zusätze und Veränderungen hervor. 4. Reproduktive Nebenvorstellungen schleichen sich ein und verändern das Wortbild (Fälschungen). Aus diesen Fehlertypen ist zu schließen, daß der normal verlaufende Rechtschreibakt das Ergebnis mehrerer Faktoren ist: Unterscheidungsfähigkeit des Ohrs; Auffassungsfähigkeit des Auges; Beherrschung der Schreibbewegung; Artikulation der Sprechbewegung; Bewußtsein der sachlichen oder grammatischen Bedeutung; Aufmerksamkeit und Wille; Gedächtnis für alle Unfolgerichtigkeiten. c) Hätten wir eine rein phonetische Schreibweise,, dann wäre der Rechtschreibakt verhältnismäßig einfach, weil sich bei richtiger und guter Aussprache Laut- und Schriftbild stets deckten. Das Kind hätte die Fähigkeit zu erlernen, ein in zusammenhängendem Fluß hörbares Lautkontinuum sprechend und schreibend zu gliedern. Kompliziert wird der Akt dadurch, daß außerdem der etymologische Zug der Orthographie Ansprüche an den Verstand stellt und die vielen Willkürlichkeiten Leistungen des Gedächtnisses verlangen. Die im geschichtlichen Teil erwähnten Analysen des Rechtschreibprozesses aus jüngerer Zeit stellen fest, daß folgende Komponenten in assoziativer Verknüpfung wirksam sind: Klangbildvorstellung, Schriftbildvorstellung, Sprechbewegungsvorstellung, Schreibbewegungsvorstellung, Wortbedeutungsvorstellung. Diese Teilvorstellungen werden in verschiedenen Hirnbezirken erzeugt. Wird also ein Lautbild sicher in ein Schriftbild verwandelt, dann läuft diese assoziative Kette ungestört ab; der Ausfall eines Gliedes stört nach gemachten Erfahrungen den ganzen Prozeß. So lehrt die psychologische Analyse des Rechtschreibaktes: 1. Dem Schreibenden erscheint das Aufzuschreibende als ein fortlaufendes Kontinuum von Lautqualitäten.

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2. Dieses Kontinuum wird gegliedert durch Abgrenzung der Laute unter sich und durch Zusammenfassung einzelner qualitativer Abstufungen unter gewisse repräsentative Lautqualitäten. 3. Die richtige Umwandlung des Lautbildes in das Schriftbild ist das Schlußergebnis eines sicher vollendeten Ablaufs der erwähnten Assoziationskette. B. Aus der vorstehenden, das Wesen der Orthographie und des Rechtschreibens darlegenden Untersuchung ergeben sich die folgenden Schlüsse auf eine n a t u r g e m ä ß e M e t h o d i k des Faches: 1. Vom Beginn des Sprachunterrichts an ist darauf zu achten, daß die Schüler das gehörte und gesprochene Wort l a u t l i c h zerlegen lernen und dem Gedächtnis den spezifischen Klang der einzelnen Laute einprägen. U n t e r r i c h t s m i t t e l : Bereits vom ersten Schuljahr an müssen Hör- und Sprechübungen Veranstaltet werden, die der mangelnden Sprachtechnik entgegenwirken, falsche Besonderheiten des Dialekts beseitigen und klare Lautbilder erzeugen. Damit wird dem sog. Kopflautieren eine wichtige Stellung im elementaren Sprachunterricht zugewiesen; es besteht in der lautlichen Gliederung des gesprochenen Worts mit dem Zweck, dessen Schreibung vorzubereiten. Vgl. dazu die Bemerkungen über das Kopflautieren im »Leseunterricht«! 2. Bereits im sprachlichen Anfangsunterricht ist dafür zu sorgen, daß die gehörten, gesprochenen, gelesenen L a u t b i l d e r in S c h r i f t b i l d e r umgewandelt werden. Die Schüler werden dadurch auf die innige Wechselbeziehung zwischen Laut- und Schriftbild hingewiesen und werden in die schriftliche Artikulation des gehörten Lautkontinuums eingeführt. U n t e r r i c h t s m i t t e l : Fortwährende Verbindung von Lesen und Schreiben (Schreibleseunterricht!) in folgenden speziellen Übungsformen: a) Abschreiben inhaltlich klaren Lesestoffs als Schul- und Hausaufgabe. ß) Übungen an der Wandtafel, bei denen lautierte Wörter in ihre Schriftbilder umgewandelt werden. y) Versuche mit der Niederschrift auswendig gelernter Sprachganzen.

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3. Gestaltet sich der Rechtschreibakt aus einigen Komponenten, so muß es die beste Lehrmethode sein, a l l e K o m p o n e n t e n soweit möglich wirksam sein zu lassen, eine zusammenfassende Übung von Gehör und Sprechapparat, Auge, Hand, Aufmerksamkeit, Nachdenken und Gedächtnis zu veranstalten; auch das Studium der Rechtschreibfehler führt zu dieser Forderung. U n t e r r i c h t s m i t t e l : a) Aufmerksames, streng bewußtes Abschreiben mit lautem oder leisem Sprechen. Die Auffassung und Ausgestaltung des Wortbildes würde sich danach folgendermaßen gestalten: Aufmerksame Betrachtung des ganzen Wortes — lautrichtige Aussprache — Niederschrift unter lautierender Begleitung — Betrachtung des gefertigten Schriftbildes — Markierung der orthographischen Schwierigkeit oder Eigentümlichkeit — Einprägung durch scharf artikuliertes Lesen mit Schreibbewegungen — Übung aus innerer Anschauung in Verbindung mit Lautieren und Schreiben. Dieser Unterricht setzt voraus, daß die Schüler durch den Gesamtunterricht an Aufmerksamkeit, Selbsttätigkeit und innere Zucht gewöhnt werden; außerdem würde das Abschreiben ein gedankenloses Nachmalen und somit zwecklos sein. Stets wird das gesamte Wort aufgefaßt und geschrieben, nicht Buchstabe für Buchstabe. Das gewonnene richtige Schriftbild ist durch Übung so einzuprägen, daß seine fernere richtige Erzeugung aus dem Lautbild automatisch vonstatten geht; doch darf diese Übung nicht in rascher Mechanisierung bestehen, sondern muß eine oftmalige, langsame und nachhaltige Gewöhnung sein. ß) Eine Unterstützung erfährt diese Methode durch das A b s c h r e i b e n , A u s w e n d i g s c h r e i b e n und D i k t a t . Die A b s c h r e i b ü b u n g e n dürfen nur mit inhaltlich klarem Stoff vorgenommen werden, müssen einen bestimmt umrissenen orthographischen Zweck verfolgen und sollen den Charakter anstrengender Aufmerksamkeitsleistung tragen. Das N i e d e r s c h r e i b e n auswendig gelernter Wörter, Sätze, Lesestücke fällt im ganzen unter dieselben Forderungen; es ist besonders wertvoll als ein analysierendes schriftliches Nachbilden von innerlich gehörten und gesprochenen Bedeutungs- und Satzganzen.

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Das D i k t a t kann nach allem nicht ein Mittel sein, orthographisch schreiben zu lernen. Wer es zu diesem Zweck gebrauchte, würde vom Schüler etwas verlangen, was er noch nicht innehat. Diktiert kann erst werden, wenn der Rechtschreibstoff bereits sitzt. Dann ist das Diktat ein brauchbares Mittel, den Erfolg des orthographischen Unterrichts festzustellen und zu sichern. Die Diktatstoffe müssen dem Erfahrungsgebiete der Schüler entstammen und inhaltlich wertvolle Sprachstücke von stilistischer Mustergültigkeit sein. 4. Auf orthographische R e g e l n ist wegen der vielen Ausnahmen kein sicherer Verlaß. Man ersetzt sie mit Nutzen durch Maßnahmen, die nach den Assoziationsgesetzen die Reproduktion weiterer Wörter begünstigen und das Gedächtnis für ihre Schriftbilder stärken. Dazu gehört besonders die Zusammenstellung gleichartiger Wörter zu Gruppen und die Gegenüberstellung kontrastierender Wortbilder. 5. Da die i n h a l t l i c h e B e d e u t u n g eines Worts mitbestimmend ist für sein richtiges Schriftbild, darf sie nicht außer acht gelassen werden. Auch der Rechtschreibunterricht muß auf die Tatsache Bezug nehmen, daß die Sprache eine Assoziation von lebendiger Wortbedeutung und einem Zeichen dafür ist. Das ist das beste Mittel, Interesse für diesen Unterricht zu erzeugen und zu erhalten. 6. Eine gewissenhafte K o r r e k t u r ist eine Notwendigkeit, wenn sie auch dadurch beschränkt werden kann, daß jede Arbeit der Kraft des Schülers angemessen ist und die Schüler an Willenszucht und besonnene Leistung gewöhnt sind. Sie wird durch die Schüler selbst und durch den Lehrer ausgeübt. Besonders wichtig ist es, die Selbsttätigkeit der Schüler in Dienst zu nehmen, indem ihnen durch selbsttätiges prüfendes Überschauen und Vergleichen, durch wechselseitige Korrektur eine gewisse kritische Fähigkeit gegenüber der schriftlichen Leistung erweckt wird. Die nach der gezeigten Methode psychologisch folgerichtige Korrektur besteht in einer mehrmaligen Reproduktion der den Rechtschreibakt bildenden Komponenten: Mehrmalige Niederschrift des ganzen Wortbildes mit Sprechen und Markierung der verbesserten Stelle. Bei einer nur konventionell begründeten Schreibung ist dies das einzig mögliche Verfahren zur Stärkung des Gedächtnisses. Außer-

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Der Unterricht in der Muttersprache.

dem ist es nützlich, das falsche Schriftbild nach der Art der Fehlerhaftigkeit zu erörtern: phonetisch, wenn es allein durch das Lautbild bestimmt wird, und grammatisch oder etymologisch, wenn für die Schreibung des Wortes die Wortbedeutung ausschlaggebend ist. Die Anreihung ähnlicher oder kontrastierender Formen wirkt weiter verstärkend. C. E i n e S t u n d e R e c h t s c h r e i b e n . I. Höhere Stufe. Das Thema, das sich aus einem im Aufsatzunterricht bemerkbar gewordenen Mangel ergibt, heißt — »zw« als Präfix und im Infinitiv. 1. Der Lehrer verarbeitet das einschlägige Material zu einem Sprachganzen, das nach Inhalt und Form den Stempel der Natürlichkeit tragen muß, z. B.: Die S e m i n a r i s t e n beim T u r n e n . Die Seminaristen sind auf dem Spielplatz. Am Zaun stehen Seminarschüler. Sie wollen z u s c h a u e n . Was gibt es denn da zu s e h e n ? Die Seminaristen marschieren auf und ab. Ein vorwitziger Seminarschüler muß ihnen zurufen. Da sagt der Lehrer: »Du hast zu schweigen.« Auf einmal halten die Turner. Aber der Lehrer ruft: »Sie sollen noch z u m a r s c h i e r e n ! « 2. Die gesperrten Wörter werden an die Wandtafel geschrieben und durch gleichartige Bildungen vervollständigt, so •daß zwei Gruppen entstehen: a) zuschauen, zurufen, zumarschieren, zudecken, zumachen, zurichten usw. b) zu sehen, zu schweigen, zu schauen, zu rufen, zu marschieren usf. 3. Nun werden Sätze gebildet, in denen die einzelnen Formen in lebendigem Zusammenhang erscheinen. Dann werden die Formen allein gesprochen und dabei niedergeschrieben. Die Markierung kann durch Unterklammern und senkrechten Trennungsstrich geschehen. Einübung in der oben dargelegten Weise. 4. Diktat des erweiterten Sprachganzen. 5. Nochmaliges Überlesen des Diktats und Korrektur, wie sie oben besprochen wurde. 6. Zuzuschauen: Regel ?

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II. Unterstufe. Thema: tz. 1. Das L a u e r k ä t z c h e n . (»Wer sitzt auf unsrer Mauer?« usf.) Die K a t z e s i t z t auf der Mauer und lauert auf den S p a t z . Immer näher kommt er; j e t z t ein S a t z , und — das S p ä t z lein fliegt davon. J e t z t kommt Nachbars S p i t z daher. Gerne möchte er's K ä t z l e i n beißen; aber er kann nicht auf die Mauer, und das Kätzlein zeigt ihm seine T a t z e n mit den s p i t z i g e n Krallen. Nimm dich in acht, Spitz; die Katze kann k r a t z e n ! 2. Anschrift der Wortgruppe an die Tafel. 3. Die Wörter nach ihrer Bedeutung: Tiere mit T a t z e n ; wie die Tiere einen S a t z machen (Beobachtungen); Schüler S a t z sprechen; womit k r a t z e n ? usf. 4. Orthographische Besprechung? a) Was hören die Kinder? Z. B. im Wort Katze: 1. Laute: k, a, z, e; 2. das a kurz und scharf gesprochen. b) Was sehen die Kinder ? Ein überflüssiges t. c) Woher kommt das ? Hinweis auf Bezeichnung der Kürze in Wörtern mit Verdoppelung (immer, kommt); hier statt »zz«: tz. 5. Einprägung der Wortbilder durch Sprechen, Schreiben, Markieren, Hören. 6. Regel und Sprachgebrauch: Spat?! 7. Bildung ähnlicher Wortgruppen, z. B. G e w i t t e r , Hitze, schwitzen, blitzen, Blitz, Regen spritzen, in alle Ritzen, Schmutz, schmutzig, schützen (Schirm), Schutz. — H ä s l e i n sitzt im Gras; spitzt das Ohr; jetzt wie ein Männlein hingesetzt; Jäger mit dem Stutzen; es blitzt und kracht; schießen — Schütze; Farbe schützen — Schutzfarbe. Literatur.

1. T h e o r i e . L a y , Führer durch den Rechtschreibunterricht, gegründet auf psychologische Versuche. 3. Aufl. Wiesbaden, Nemnich, 1905. 3,60 M., geb. 4,50 M. — L o b s i e n , Über die Grundlagen des Rechtschreibunterrichts. Dresden, Bleyl & Kammerer, 1900. I M . — L ü t t g e , Die Praxis des Rechtschreibunterrichts auf phonetischer Grundlage. 214 S. Leipzig, Wunderlich, 1905. 2,40 M., geb. 3 M. — L ü t t g e , Zur Umgestaltung des Unterrichts in der Rechtschreibung. 52 S. Leipzig, Wunderlich. 60 Pf.

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Der Unterricht in der Muttersprache.

— B a r g m a n n , Schule des Rechtschreibunterrichts. Quelle, geb. 2,70 M. — W a l s e m a n n , Lautlehre für den Elementarunterricht. Meyer. 50 Pf. — L ü t t g e , Die Praxis des Rechtschreibunterrichts. Wunderlich. 2,40 M. — B r e n n e r , Die lautlichen und geschichtlichen Grundlagen unserer Rechtschreibung. Leipzigl902, Teubner. I M . — F ö r s t e r , Der Unterricht in der deutschen Rechtschreibung vom Standpunkte der Herbartschen Psychologie. Langensalza 1901, Beyer. 50 Pf. — I t s c h n e r , Lays Rechtschreibreform. Dresden 1900. Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik. — S t o l l , Zur Psychologie der Schreibfehler. 1913 Teubner. Fortschritte der Psych. II Bd. 2. M e t h o d i k . Regeln für die deutsche Rechtschreibung nebst Wörterverzeichnis. Herausgeg. im Auftrag des Kgl. Bayer. Kultusministeriums. Neue Bearbeitung. Oldenbourg. 15 Pf. — D u d e n , Orthographisches Wörterbuch. Leipzig, Bibliographisches Institut. 1,60 M. — L a y , Schülerhefte für den Sach-, Sprach- und Rechtschreibeunterricht nach naturgemäßen Grundsätzen und mit Anwendung der Schreibschrift, als Anschauungsmittel für den Rechtschreibeunterricht. 3 Hefte (1. bis 4. Schuljahr): I. 40 S. 30 Pf.; II. 80 S. 50 Pf.; III. 99 S. 60 Pf. Wiesbaden, Nemnich. — S e y f e r t , Übungs- und Lernstoff für die Rechtschreibung in den ersten vier Schuljahren. Leipzig, Wunderlich, 1903. 20 Pf. — L ü t t g e , Übungsbuch für Rechtschreibung und Wortbildung. 2 Hefte: 1. Unter- und Mittelstufe; 2. Oberstufe. Je 40 Pf. Leipzig, Wunderlich. — K l ä r n e r , 100 Fensterchen. Lebensvolle Diktate für das 1.—5. Schuljahr. 56 S. Dresden, Huhle. 1904. 80 Pf. — R e i n i g e r , Lebensvolle Diktate für das 1.—6. Schuljahr. 2. Aufl. 75 S. Langensalza, Beltz, 1910. 1,20 M. — L ü t t g e , Übungsbuch für Rechtschreibung und Wortbildung. Wunderlich. Je 40 Pf. — E r b e , Wörterbuch der deutschen Rechtschreibung. Stuttgart 1902, Union. 1,50 M. •— H i l d e b r a n d t , Rechtschreibeschule für Unter- und Mittelklasse. Diktatstoffe in Form sachlicher Einheiten. Leipzig, Hofmann. 1,20 M. — L a n g e , Praktisches Handbuch für den Rechtschreibunterricht. Leipzig 1903, Dürr. —• L a n g e , Übungsschule zur Erlernung der Rechtschreibung und Zeichensetzung mit Diktaten in Aufsatzform. Leipzig 1903, Dürr. 50 Pf. — M a t t h i a s , Vollständiges kurzgefaßtes Wörterbuch der deutschen Rechtschreibung. Flensburg, Westphalen. 2 M.

5. Der Anschauungsunterricht. I. Geschichtliche Betrachtung. Der Anschauungsunterricht als Lehrfach der Volksschule ist eine Errungenschaft der neueren Zeit. Doch trotz des verhältnismäßig kurzen Bestehens hat gerade dieser Unterricht viele Wandlungen in den Ansichten über seinen Zweck, also

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auch über seinen gesamten stofflichen und methodischen Inhalt erfahren. B e s o n d e r s d i e n e u e s t e Z e i t h a t e i n e e n t s c h i e d e n e N e u o r i e n t i e r u n g des F a c h e s g e f u n d e n . Eine geschichtliche Betrachtung lehrt diese modernen Strömungen aus ihrer Entwicklung verstehen. Dabei kann die Geschichte des Unterrichtsfaches und seiner Methodik nicht allein für sich betrachtet werden. Sie hängt enge zusammen mit den Strömungen philosophischen Wesens, die grundsätzlich die Bedeutung der Sinnestätigkeit, also der Anschauung, für die Entstehung der menschlichen Erkenntnis verneinten oder bejahten. Die Philosophen d e s A l t e r t u m s , d e s M i t t e l a l t e r s und des R a t i o n a l i s m u s hielten von der Leistung der Sinne, daß sie nur eine »dunkle und verworrene« Erkenntnis verschafften; die klare und reine Erkenntnis werde durch die Tätigkeit der denkenden Seele allein gewonnen. Diese Ansicht drückte sich in der Didaktik bestimmtest aus. Hier wird die Natur als Quelle, die Anschauung als Faktor des Wissens verschmäht. Das Buch und die Spekulation sind die wesentlichen Erkenntnismittel. Die N e u z e i t bringt eine völlige Umwälzung in dieser philosophischen Überzeugung und didaktischen Richtung. B ä k o prägt das Wort: Alles durch Induktion und Versuch. L o c k e : Nichts ist im Verstand, was nicht zuvor in den Sinnen gewesen war. Seine Ansicht fällt derartig nach der Gegenseite, daß ihm die Erkenntnisbildung gilt als ein Füllen des Geistes durch Sinnestätigkeit, ohne aktives Zutun der Seele. Unter dem Einfluß der von Bako und Locke ausgehenden Philosophie stehen die berühmten Pädagogen aus der damaligen Zeit. Wir heben den bedeutendsten, G o m e n i u s , heraus. Ihm ist Anschauung bereits ein allgemein gültiges Unterrichtsprinzip: »Die Menschen müssen angeleitet werden, soweit es irgend möglich ist, nicht aus den Büchern ihre Einsicht zu schöpfen, sondern aus Himmel und Erde, aus Eichen und Buchen, das heißt, sie müssen die Dinge selbst kennen lernen und durchforschen, nicht aber fremde Beobachtungen und Zeugnisse über die Dinge.« Er fordert den Anschauungsunterricht als eigenen Lehrgegenstand zum Zwecke der Sinnesübung und gibt auch literarisch Anleitung und ein Mittel zum Betrieb derartigen Unterrichts in seinem orbus pictus. Weiterhin ist

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R o u s s e a u ein fanatischer Gegner des Buchs und eines Unterrichts, der dem Kinde Wortzeugnisse Fremder zum Lernen bietet, statt sie durch die Dinge selber zu überzeugen. Die von ihm beeinflußten deutschen Philanthropen, wie B a s e d o w , S a l z m a n n , R o c h o w , dachten und lehrten in seinem Sinn. Sie kennen bereits Kabinette mit Anschauungsmitteln. Salzmann führt die Kinder zu unterrichtlichen Zwecken in die Natur hinaus. Rochow im besonderen kennt Übungen zur Schärfung der Sinne, der Aufmerksamkeit und des Verstandes, also eine Art Anschauungsunterricht als Disziplin. Doch war in der allgemeinen Schulpraxis die Tradition noch mächtiger als die neuen Ideen. Wortdrill und Wortwissen beherrschten noch die Schule. Erst die Philosophie K a n t s schuf eine Idee vom Wesen der Erkenntnis, die gleich überzeugend und praktisch war, daß sie zu einem allgemeinen Prinzip für jede Geisteslehre werden mußte, auch für den Schulunterricht. Nach ihr stammen die Stoffe der Erkenntnis aus der Außenwelt und werden durch die Sinne vermittelt; aber die Seele nimmt sie nicht passiv entgegen, sondern verarbeitet sie nach formalen Anlagen, die ihr von Natur aus eigen sind. »Gedanken ohne Anschauung sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.« Ohne selbst wissenschaftlich gebildeter Kantianer zu sein, fußt P e s t a l o z z i auf dieser zeitgemäßen Überzeugung. Er bezeichnet es selbst als den Kern seiner pädagogischen Leistung, daß er den Unterricht psychologisiert habe, und meint damit die Erfindung eines Unterrichtsplans, der den Gesetzen des geistigen Wachstums gemäß von der Anschauung ausgeht und zum Begriff und Können führt. »Ich habe den höchsten obersten Grundsatz in der Anerkennung der Anschauung als dem Fundament aller Erkenntnis festgesetzte. Die Elementarmittel der Anschauung sind ihm Zahl, Form und Sprache; jeder Gegenstand, nach diesen Prinzipien betrachtet, erscheint ihm in seinem Wesen erschlossen. Wir sehen, daß damit das rein Sachliche zu kurz kommt. Aber trotz dieses Irrtums, der zu formalistischer Einseitigkeit im Unterricht Pestalozzis geführt hat, und trotz methodischer Mißgriffe des unpraktischen Genies ist es seit Pestalozzi unmöglich, den grundlegenden Unterricht anders zu gründen als auf Anschauung. H e r b a r t

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Der Anschauungsunterricht.

hat die Ideen der beiden Geister vereinigt und pädagogisch ausgebaut. Ihm ist ebenfalls Anschauung das Prinzip des Erkennens. Da sein Unterricht nicht nur intellektuell bildend, sondern sittlich erziehend gedacht ist, kennt er eine intellektuelle Anschauung oder Erfahrung und eine moralische Anschauung oder Umgang. Die Theorie seines Lehrplans fußt auf dieser Unterscheidung. Richtiger als Pestalozzi bezeichnet er als Elementarmittel des Unterrichts Sachen, Formen und

Zeichen.

Die Grundgedanken der Meister sind im 19. Jahrhundert durch nichts wesentlich Neues verändert worden; es wurde ausgebaut, ja zum Teil veräußerlicht und einseitig gemacht. Es begann die Diskussion über Name, Begriff, Aufgabe, Nutzen, Stellung des Anschauungsunterrichts, Verbindung mit anderen Lehrfächern und führte zu verschiedenen Ergebnissen sowohl in der Theorie wie in der Praxis. Pestalozzi bildet die Sprache des Kindes aus seinen Anschauungen. »Für alles, was Natur und Kunst zum Bewußtsein gebracht hat und zum Teil zum Bewußtsein bringen soll, soll umfassende Sprachkenntnis gegeben werden.« Ist ihm

ja Sprache eines der drei Elementarmittel. Darauf nun legte eine Richtung seiner Nachfolger das Hauptgewicht (Graßmann, Türk, Harnisch, Zerrenner u. a.). Der Gedanke ist an und für sich gut. Aber die Richtung erlag der Gefahr, die immer droht, wenn nur eine Seite einer Gesamtidee betont und gepflegt wird. Der Sachunterricht wurde Nebensache; die an ihn geknüpften grammatischen und logischen Übungen standen in erster Linie. So wurde schließlich dieser Anschauungsunterricht zu einer Pflege des Worts um der in der Sprache vermuteten Logik willen. Eine andere Reihe von Nachfolgern Pestalozzis wies den Anschauungsunterricht in die entgegengesetzte Richtung. D e n zel hob den Stoff selbst und die aus ihm zu schöpfende m a t e r i a l e B i l d u n g mehr hervor. Sein Lehrgang umfaßt: Schulzimmer, Schulhaus, äußere Beschaffenheit des menschlichen Körpers, häusliches und Familienverhältnis, Elternhaus, Dorf (Stadt), Garten, Feld, Wald, Berge, Wasser, die Markung, lebende Geschöpfe, Tiere, Himmel, Veränderungen in der Natur,

die Natur und der Mensch. Dieser Lehrgang wurde von W r a g e praktisch ausgeführt und die meisten späteren Arbeiten haben Böhm, Prakt. Erziehungs- u. Unterrichtslehre. III. Bd. 13. Aufl.

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Der Unterricht in der Muttersprache.

den obigen Stoffkreis nur wenig verändert. Von Denzel stammt auch der Name A n s c h a u u n g s u n t e r r i c h t , der seitdem gebräuchlich wurde, obwohl er nicht ganz bezeichnend für die Sache ist, da er nur ein einziges Merkmal derselben trifft. Doch verlor sich auch diese Richtung in Einseitigkeit. Der Unterricht wurde begrifflich abstrakt und versäumte, so wie Pestalozzi es gedacht, die erworbene anschauliche Erkenntnis zur Grundlage einer Gesamtbildung des Kindes zu machen. D i e s t e r w e g vermittelte und verband hier, ähnlich wie in andern Fächern. E r ist der Überzeugung, daß man mur durch die Anschauung eine lebendige Einsicht in das Wesen der Dinge gewinnt«. Die größte Sünde des Elementarlehrers ist abstrakter Unterricht. Aus dem Anschauungsunterricht hat der Sprach- sowie Gesang- und Zeichenunterricht zu schöpfen. Die Stoffauswahl Denzels ist wenig durchgedrungen. Am stärksten hat sich in dieser Hinsicht die H e r b a r t Z i l l e r - R e i n s c h e E r z i e h u n g s s c h u l e durchgesetzt. Sie erzeugte die K o n z e n t r a t i o n s i d e e m i t d e m M ä r c h e n im M i t t e l p u n k t . Eine Auswahl Grimmscher Märchen und die Geschichte von Robinson geben Stoff zu dem sittlichen Anschauungsunterricht, der den Stamm des Gesinnungsunterrichtes in der Unterklasse bildet. Zweck ist die Anbahnung religiössittlicher Gesinnung und damit die geistige Einstellung der Kinder für die religiös-geschichtlichen Gesinnungsstoffe der oberen Stufen. Im Anschluß an dieses Hauptthema des Anschauungsunterrichts soll seine realistische Seite und Aufgabe gepflegt werden. Die genannten Stoffe selbst bieten mancherlei Gelegenheit, die kindliche Erfahrung der dinglichen Welt zu erweitern, also zur realistischen Bildung oder Naturlehre. Sprachpflege und Zeichnen sind angeschlossen. K e h r sieht eine besonders bildende K r a f t in der unterrichtlichen Behandlung ausgewählter F a b e l n ; an diesen soll moralische und realistische Belehrung erfolgen. Es lag im Geist der Zeit und im Charakter dieser Pädagogik, daß die unterrichtliche Erschließung der dinglichen Welt beschreibend, also Merkmale feststellend erfolgte. So lag es nahe, ein besonderes Gewicht auf die Einteilung des Anschauungsunterrichts in einen e r z ä h l e n d e n und b e s c h r e i b e n d e n zu legen.

Der Anschauungsunterricht.

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Daneben erhob sich ein Streit darüber, ob der Anschauungsunterricht ein besonderes stundenplanmäßiges Fach (Disziplin) oder der Grundsatz jedes Unterrichts (Prinzip) sein müsse, also als eigenes Fach aus dem Stundenplan auszuscheiden habe. Kehr ereifert sich für die zweite Auffassung. Auch da, wo als Leselehrmethode die Normalwörtermethode gebraucht wird, hat der Anschauungsunterricht keine Anerkennung als selbständiger Unterrichtsgegenstand gefunden. So waren bis in die Gegenwart die Meinungen über dieses Fach und die Schulpraxis des Faches sehr geteilt. I m ganzen machten sich d r e i Richtungenbemerkbar: Die K o n z e n t r a t i o n s i d e e Zillers; die I d e e v o n einem ausschließlich propädeutischen C h a r a k t e r des F a c h e s im D i e n s t des S p r a c h u n t e r r i c h t s ; der D e n z e l s c h e G e d a n k e eines s t o f f l i c h unabh ä n g i g e n F a c h e s . Daneben bereitete sich die Auffassung vom Wesen eines Anschauungsunterrichtes vor, die sich in der Gegenwart immer mehr Bahn bricht. Erst um die J a h r h u n d e r t w e n d e entsteht dem herkömmlichen Anschauungsunterricht eine entschiedene Kritik, die von positiven Reformvorschlägen begleitet und gefolgt ist. Die tieferen Gründe dafür lehrt die Geschichte der Pädagogik einsehen; sie sind aus den verschiedenen Strömungen zu erklären, die diese pädagogisch lebhafte Zeit bewegen. Wir deuten daraus nur an: Die dem Lernbetrieb und Buchwissen, dem Intellektualismus abgewandte Welt- und Lebensanschauung; die voluntaristische Psychologie; die Ergebnisse der Kinderpsychologie; die ästhetisierende Pädagogik und die Kunsterziehungsbestrebungen; die gefühlsmäßige und subjektive pädagogische Art solcher Persönlichkeiten wie Gansberg und Scharrelmann. I m ganzen wird das Folgende verlangt. Der Anschauungsunterricht soll das Kind in die Schularbeit Diese A r t besteht darin, auf naturgemäße A r t hineinleiten. daß er dem Kinde eine allerdings pädagogisch wohl durchdachte Fortsetzung seines bisherigen geistigen Lebens bietet. Der herkömmliche, mit Lesen und Schreiben, also humanistisch beginnende Elementarunterricht ist psychologisch und pädagogisch widersinnig, weil er das Kind in eine ganz neue geistige Welt versetzt. Ein naturgemäßer Unterricht schließt an und bricht nicht ab. Das in die Schule kommende Kind ist ein 8*

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Der Unterricht in der Muttersprache.

sinnliches Wesen; seine Welt ist die dingliche. Hier hat der Elementarunterricht mit einem als Stammunterricht gedachten Anschauungsunterricht einzusetzen. Die Fachgliederung ist für die Elementarschule zu verwerfen. Das vom Kind bereits Erlebte soll geklärt und vertieft, sein Erlebniskreis erweitert, seine geistige Kraft dadurch erhöht werden. Insbesondere sollen auch die ästhetischen Werte der Umwelt für das Kind erobert werden. Die Form des Unterrichts hat ein nahezu schrankenloser Sprechverkehr zwischen Lehrer und Schüler zu sein mit der besonderen Absicht, die Erzählkraft des Kindes dadurch zu pflegen. Überhaupt schließt sich der Erfahrung der Anschauungen stets das Darstellen in schöpferischer Tätigkeit an; das ist die natürliche Grundlage für die Fächer Rechnen, Sprache, Zeichnen. Außerdem werden alle bildenden Tätigkeiten der Jugendzeit in diesen Unterricht mit hereingenommen, wie Bilderbetrachten, Malen, Wandern, Singen, Spielen, Modellieren, Basteln. Die Reformer erheben den Anspruch, mit einer derartigen Auffassung vom Wesen des Anschauungs- und Elementarunterrichts überhaupt das Richtige zu treffen. Denn ihr Lehrplan sei auf die psychologische Würdigung des Kindes und seiner Bedürfnisse aufgebaut. Der herkömmliche Anschauungsunterricht, auch der Zillers, sei von einem pädagogischen System her gedacht, das im ganzen die Fähigkeiten und Bedürfnisse des Kindes wenig in Rechnung stelle. In der modernen Literatur über den Anschauungsunterricht ist ein entschiedenes Abrücken von der traditionellen Pflege des Faches zu bemerken. So handelt es sich hier darum, aus den Aufstellungen der Reformer das praktisch Einwandfreie und Brauchbare festzustellen. II. Psychologische Grundlegung.

Anschauungsunterricht. In dem Kinde, das die Schule betritt, lebt schon eine reiche geistige Welt. Aber diese weist bei einer näheren Analyse große Unvoilkommenheiten auf. Es wurde flüchtig und oberflächlich wahrgenommen. Darum gibt es viele unklare und undeutliche Vorstellungen auch der vertrautesten Dinge und Erscheinungen aus der Umwelt. Die inneren Zu-

Der Anschauungsunterricht.

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sammenhänge fehlen vielfach oder sind derartig, daß der Zustand der Verworrenheit sich zeigt. Die darstellerischen Fähigkeiten stehen auf sehr niederer Stufe. Dazu kommt die Tatsache der individuellen Unterschiede. Jedes Kind besitzt sein eigenartiges geistiges Inventar, ein nur ihm eigentümliches Vorstellungs-, Gefühls- und Willensleben, einen bestimmten Typus im Auffassen und in Verstandes-, Phantasie- und Gedächtnisleistung. Diese geistige Welt zu klären und weiter aus- und aufzubauen, das ist die Aufgabe des Elementarunterrichts. Es ist klar, daß ihm das nur gelingt, wenn er von ihr als einer gegebenen Tatsache ausgeht. Wir wissen, daß die Bewußtseinsinhalte aus der Außenwelt stammen und durch die Tätigkeit der Sinne vermittelt werden. Nach der Kinderpsychologie ist im besonderen das geistige Erleben des Kindes eine stete Herstellung von gegenseitigen Beziehungen zwischen sich und seinem Anschauungsbereich. »Das Kind lebt im Vordergrunde.« (Kügelgen.) Es ist vorwiegend rezeptiv; es sammelt Anschauungen durch rege Sinnestätigkeit. Die sich dabei bildenden Vorstellungen sind das Material, mit dem auf einer späteren höheren geistigen Stufe operiert werden muß. Daß die Vorstellungen möglichst reich und im einzelnen möglichst vollkommen gebildet werden, ist also unerläßliche Vorbedingung für eine höhere Entwicklung des Geisteslebens überhaupt. Weiterhin sagt uns die Psychologie, daß nur diejenigen Unterrichtsstoffe zu geistigen Kräften werden, die im Bewußtsein Entgegenkommen und Anknüpfung finden. Sie müssen intellektuell dem vorhandenen Besitzstande entsprechen und im Bewußtsein jene aktive Bereitwilligkeit vorfinden, die Herbart als Interesse bezeichnet. »Lernen heißt wollend machen.« (Itschner.) So schließt die Psychologie aus, daß der Elementarunterricht nach Stoffauswahl wie Behandlung anders orientiert sei als am geistigen Stand, an den Bedürfnissen und Interessen und am Können des Kindes. Er muß eine Brücke schlagen zwischen Elternhaus und Schule. Dadurch bekommt die ganze Gesamtheit des ersten Unterrichts einen eigenen Zug. Aus psychologischen Gründen ist ein Unterricht notwendig, der die Schularbeit einleitet und in sich keimhaft die Fächer des späteren Stoffsystems trägt. Das soll der Anschauungsunterricht sein.

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Der Unterricht in der Muttersprache.

R i c h t e r : »Jene vermittelnde Rolle zwischen Haus und Schule übernimmt der Anschauungsunterricht, indem er die bisher mehr spielende und phantasierende Tätigkeit der Kinder nicht mit einem Male abbricht und durch den geistigen Druck, den die voreilige Darreichung einer Menge neue Kenntnisse ausübt, vorschnell abkürzt, sondern auf den bisherigen Wahrnehmungskreis der Kinder eingehend und diesen bearbeitend, allmählich an die strengere Zucht eines geordneten Schulunterrichts gewöhnt und dazu überführt.. . Er erlangt dadurch zugleich für den weiteren Unterricht und die sicheren Fortschritte desselben einen propädeutischen Charakter . . .« Sallwürk: »Der erste Unterricht darf sich auch nicht gleich in Fächer zersplittern; er muß einheitlich bleiben, weil er sonst an Stelle der inneren Einheit des kindlichen Wesens Zerstreuung setzt, die an keinem Orte ein rechtes Interesse aufkommen läßt. Aus der Heimatkunde werden später Naturkunde, Erdkunde und die ersten ethischen Belehrungen durch Bilder des gesellschaftlichen und sittlichen Lebens herauswachsen; aber auch wenn der erste heimatkundliche Stammunterricht schon in seine Äste und Zweige sich gespalten hat, muß der Zögling der Welt der Dinge noch näher bleiben, als üblich ist.« Im übrigen sei gerade bei diesem Fache auf die reiche Spezialliteratur verwiesen. Wesen der Anschauung. Anschauen heißt sich die dingliche Erscheinungswelt planmäßig klarmachen. Das Wort ist zu enge für seinen Sinn, drückt es ja nur die Leistung der Augen aus. Kant und Pestalozzi beziehen jedoch den Ausdruck auf alle menschliche Erfahrungsmöglichkeit. So sollen a l l e S i n n e beim Anschauen wirken. Doch ist es richtig, daß Auge und H a n d eine größere Bedeutung für die anschauliche Erschließung der Außenwelt haben als die andern Sinne. Zweck des Anschauens ist, die Dinge und sonstigen Erscheinungen der Umwelt in ihrem Wesen aufzufassen. Dabei müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein: a) die S i n n e des Aufnehmenden müssen genügend leistungsfähig sein; b) von dem Objekt müssen R e i z e ausgehen, die weder zu schwach und zu kurz, noch zu stark und zu langandauernd sein dürfen; c) die A u f m e r k s a m k e i t als ein willenmäßiges Eingreifen des Aufnehmenden muß auf das Anschauungsobjekt eingestellt sein; d) es müssen bereits ältere E r f a h r u n g s i n h a l t e vorhanden sein, die als »apperzipieren-

Der Anschauungsunterricht.

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der Hintergrund« der einziehenden Anschauung entgegenkommen und sie einfügen. Wie geht nun das Anschauen in dem Sinne vor sich, daß ein Ding geistig in seinem Wesen genommen wird ? Der erste Schritt ist ein s i m u l t a n e r f o l g e n d e r G e s a m t e i n d r u c k , dessen Ergebnis ein noch unklarer und undeutlicher Bewußtseinsinhalt ist, wobei sich die Klarheit auf den Inhalt, die Deutlichkeit auf die Begrenzung gegenüber den assoziativ benachbarten Vorstellungen bezieht. Hierauf erfolgt eine D u r c h b i l d u n g d e r G e s a m t w a h r n e h m u n g durch das Eingreifen des Willens. Das Objekt wird analysiert mit dem Ergebnis, daß die Teilwahrnehmungen den wünschenswerten Grad von Klarheit und Deutlichkeit erhalten. Diese Analyse oder Vertiefung soll Aufschluß über das Ding oder die Erscheinung geben. Um deren Wesen wirklich aufzuschließen, genügt das rezeptive Verhalten des Auges und der anderen Sinne nicht. Ein allseitiger, auch in die Tiefe dringender Aufschluß wird nur erreicht, wenn aktiver Umgang mit ihm gepflogen wird. Dies bedeutet ein Versetzen des Ansohauungsobjekts in alle möglichen Lagen, eine künstlich herbeigeführte Veränderung seiner Bedingungen und Zustände, ein Bearbeiten nach allen Bearbeitungsmöglichkeiten, die in ihm selbst liegen. Es ist das ein Sehen mit der Hand, das tiefer dringt als das an der Oberfläche haftende Auge. Wichtig ist hierbei das Suchen mit dem Stift, das Zeichnen. Nach Wundt entstehen klare Anschauungen unter den folgenden Bedingungen: Reize von genügender Stärke; Steigerung nachfolgender Sinneserregungen gegenüber den vorhergehenden; Reizung mögliihst aller Sinne; Wirkung durch Gegensatz; gruppierende Gliederung der Eindrücke; Unterstützung des Eindrucks durch Augen- und Handbewegungen; Hinweis auf Einzeleigenschaften und Beobachtungsziele; wiederholtes Betrachten; verweilendes Betrachten; Darstellung durch Zeichnen und Formen. In einem dritten Schritt der Anschauungsbildung erhebt sich das Bewußtsein zur S y n t h e s e d e r g e k l ä r t e n Teilw a h r n e h m u n g e n , aus der sich Gesamtvorstellungen oder auf höherer Entwicklungsstufe Gebilde der Phantasie und des Verstandes ergeben. Doch sind diese psychischen Verbindungen nicht die additive Summe ihrer Elemente. Nach

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Der Unterricht in der Muttersprache.

einem von Wundt betonten Grundgesetz des Seelenlebens fügen sich zu den zusammentretenden Teilwahrnehmungen auch die Verbindungsvorgänge und die aus diesen resultierenden Inhalte, so daß die gebildete Einheit um ein eigentümliches Etwas mehr ist als das Aggregat ihrer Elemente. Der Anschauende ist also nicht allein erleidend, sondern auch gestaltend. Dabei individuell gestaltend. Je nach Lebensalter, Stimmung, Interessenrichtung, Beruf, Begabung, Temperament, bereits Erfahrenem nimmt der eine Mensch anders wahr und anderes wahr als ein anderer. Jede sich bildende Anschauung erhält im individuellen Bewußtsein einen ganz subjektiven Zuschuß aus reproduktiven Inhalten, der sie erst eigentümlich individuell macht. Anschauung des Kindes. Die Anschauungsbildung des Kindes besteht nicht nur in den dargelegten Prozessen, sondern fällt auch unter die Gesetze des geistigen Wachstums, denen das sich entwickelnde Kind folgt. Im ganzen wiegen im Kinde die Individualvorstellungen, besonders solche visueller Art, gegenüber den Allgemeinvorstellungen und den noch höheren psychischen Gebilden bedeutend vor. Doch besitzt das in die Schule eintretende Kind bereits die Fähigkeit, Beziehungen und Vergleiöhungen auszuführen. Vom 7. Lebensjahr an werden Gesamtvorstellungen gebildet, indem besonders bevorzugte Teilvorstellungen zusammengefaßt werden. Das phantasiemäßige Denken setzt vornehmlich zwischen dem 8. und 11. Lebensjahr ein; wirkliche oder der Wirklichkeit nachgebildete Erlebnisse werden in freiem Spiel zu neuen Gebilden verdichtet. Das verstandesmäßige Denken als eine logische Ordnung der Vorstellungen und Gedanken liegt dem Kinde erst vom 11. Lebensjahr an. (Nach Wundt.) Es ist wichtig, daß diese Entwicklungsstufen bei der Gestaltung der Lehr- und Stoffpläne des Anschauungsunterrichts und in der einzelnen Lehreinheit beachtet werden. Sie sagen dem Lehrer, worauf er Gewicht zu legen hat, wenn sein Unterricht psychologisch einwandfrei sein will. Vgl. dazu die genaueren Forschungsergebnisse der Kinderpsychologie! Geschichtliche und psychologische Untersuchung b e w e i s e n dem L e h r e r also, daß A n s c h a u u n g d a s Ele-

Der Anschauungsunterricht.

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m e n t a r m i t t e l der E r k e n n t n i s b i l d u n g ist. A n s c h a u e n b e s t e h t n i c h t in einem B e t r a c h t e n , einem p a s s i v e n V e r h a l t e n , s o n d e r n in e i n e r a k t i v e n B e t ä t i g u n g d e r Seele. A n s c h a u e n i s t e i n t ä t i g e s H i n w e n d e n z u m O b j e k t , ein G e s t a l t u n g s a k t d u r c h A r b e i t oder Selbsttätigkeit; E r k e n n t n i s b i l d u n g ist eine E r o b e r u n g der A u ß e n w e l t , bei der der Mensch sich s c h a f f e n d betätigt. III. Aufgabe und Bedeutung des Anschauungsunterrichts.

Die e r s t e A u f g a b e des Anschauungsunterrichts hat zweifellos darin zu bestehen, d e n k ö r p e r l i c h e n u n d g e i s t i g e n S t a n d f e s t z u s t e l l e n , auf dem das Kind beim Schuleintritt sich befindet. Man spricht von einer Inventaraufnahme. Solche Analysen des kindlichen Gedankenkreises sind schon öfters vorgenommen worden, von Hartmann, Seyfert, Lange u. a. Sie beweisen eine große Verschiedenartigkeit der Kinder sowohl hinsichtlich der Bewußtseinsinhalte als auch der formalen psychischen Anlagen. Die Macht der Vererbung, der Familie und weiteren Umwelt des Kindes drückt sich im körperlichen und geistigen Stand aus, den es in die Schule mitbringt. So ließen sich allgemeingültige Regeln für die Anschauungsbildung der Kinder nicht aufstellen. Doch trotz der großen Unterschiede ist eine gewisse durchschnittliche Gleichartigkeit bei allen den Kindern vorhanden, die ein und demselben Lebenskreis oder ein und derselben Lebensschicht angehören: Bauern- und Arbeiterkinder, Land- und Großstadtkinder! Für den Lehrer wird es sich darum handeln, die Umwelt des zu ihm kommenden Kindes und seinen geistigen Typus genau kennen zu lernen. Ist er in unausgesetztem Streben darum bemüht, so wird er auch ohne exakte Methoden sich in den ganzen individuellen Zustand des Kindes so hineinfühlen können, daß er dieser ersten Aufgabe völlig gerecht werden kann. Die w e i t e r e A u f g a b e des Anschauungsunterrichts besteht in der Pflege der Anschauung. Wir wissen, daß die S i n n e und die H a n d die Türöffner sind zwischen Außenwelt und Geist. Da sie das Kind noch nicht genügend gebrauchen

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Der Unterricht in der Muttersprache.

kann, so müssen sie planmäßig geübt und geschärft weiden. Auch das ist wichtig, daß die B i l d u n g des R a u m - u n d Zeitsinnes nicht übersehen werde. Für den Anfangsunterricht ist die Ü b u n g s a b s i c h t wichtiger als die Gewinnung von Inhalten, schafft sie doch erst die Voraussetzung dazu, daß das Kind wirklich anschauen kann. Das alles braucht jedoch nicht in besonderen Veranstaltungen zu geschehen, sondern wird an und für sich im Zusammenhang mit dem folgenden Punkt betätigt. Die Wahrnehmung des Kindes ist flüchtig, seine Anschauungen sind unvollkommen. So muß der Anschauungsunterricht anleiten, die p a s s i v e W a h r n e h m u n g zur a b s i c h t lichen B e o b a c h t u n g zu s t e i g e r n . Die Beobachtung ist ein durch Aufmerksamkeit und Wille geleitetes geschärftes Wahrnehmen mit dem Zweck, allseitigen Aufschluß über das Objekt zu erzielen. Wie das geschieht, wurde im vorigen Abschnitt bereits angedeutet. Das Ergebnis des allseitigen Aufschlusses ist Anschauung im Pestalozzischen Sinn. Sie bezeichnet das innere Abbild des Wesentlichen vom Ding. Es ist klar, daß eine Beschreibung, eine Konstatierung von Merkmalen dazu nicht genügt. Das Wesen der Türe besteht nicht in der Summe ihrer Stoff- und Formmerkmale, sondern in den Zusammenhängen, die zwischen Außenplatz und Stube und Wand, zwischen Zweck und Form und Stoff, zwischen alledem und dem ein- und ausgehenden Menschen besteht; im Märchen, im Rätsel, im Neckreim, auch gefühlsmäßig im Spiel des Kindes finden wir die Türe so genommen. Sie ist danach kein toter Beschreibungsgegenstand, sondern ein Problem. Problems t e l l u n g statt Beschreibung, das ist die Aufgabe des Anschauungsunterrichtes. Die Forschungen der Kinderpsychologie bestätigen diese Forderung. Mit seltener Einmütigkeit ist hier nachgewiesen, daß dem Kind die Bewegungen, Tätigkeiten, Zweckbeziehungen der Dinge eher auffallen als andere Merkmale. In Frage gestellt ist also die lebendige Beziehung statt der toten Form, deren Kultus so lange diesen Unterricht beherrschte. Unterricht von diesem Geiste braucht das kindliche Interesse nicht zu kommandieren. Das, was dem Kinde alltäglich ist und nicht mehr beachtet wird, wird ihm neu erschlossen, nämlich seiner Wirklichkeit, seinem

Der Anschauungsunterricht.

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Leben nach. Das ist interessant. Leben ist immer interessant. Hierin liegt das Geheimnis eines »lebensvollen« Anschauungsunterrichts. Fördert diese Betrachtungsweise zunächst das anschauliche Denken, so wird doch auch das bcziehliche, das logische Denken geübt. Ferner findet das G e d ä c h t n i s Pflege. Die unwillkürliche Aufmerksamkeit ist an und für sich die beste Gedächtnisstütze; außerdem wird der Lehrer darauf sehen, daß das Erfahrene zum dauernden geistigen Eigentum werde. Der problemstellende Anschauungsunterricht bahnt auch die ä s t h e t i s c h e Bildung, die künstlerische Erziehung des Kindes an. Indem er die Dinge und Erscheinungen der kindlichen Umwelt so erfassen, schauen oder innewerden lehrt, wie sie in Wahrheit sind und was sie bedeuten, erzeugt er im Grunde dasselbe, was dem Künstler eignet: Sinn für Leben und Wirklichkeit. Hier mag es gesagt sein, nie wird eine ästhetische Bildung des Kindes durch Belehren, durch Einreden, daß dies und jenes schön sei, erzielt. Die Dinge von Grund aus kennen und so fühlen können, ein starkes Wirklichkeitsgefühl haben, das ist das erste Kennzeichen künstlerischen Einschlags. In diesem Sinne die Kinder über ihre Umwelt klarzumachen, das ist ja die Aufgabe des Anschauungsunterrichtes. Kann er auch nur erste Anfänge der ästhetischen Bildung bereiten, so ist das doch der natürliche Weg dazu, den zu beschreiten gerade der Anschauungsunterricht in erster Linie berufen ist. Anschauen bedeutet also eine fortwährende Verpflichtung, das Wahre und Echte zu finden und zu beachten. Das schafft eine Geistesrichtung, die der s i t t l i c h e n und religiösen B i l d u n g von selbst entgegenkommt. Zu einer positiven sittlichen und religiösen Einwirkung findet sich bei einzelnen Stoffgebieten, z. B. Haus und Familie, reiche Gelegenheit. Es ist jetzt unbestrittener pädagogischer Grundsatz, daß jeder Eindruck zum Ausdruck fortzuführen ist. Eine fernere und höchst bedeutsame Aufgabe des Anschauungsunterrichts ist •demnach darin zu erblicken, daß die D a r s t e l l u n g s k r a f t d e s K i n d e s g e ü b t werde. Die menschlichen Ausdrucksmittel sind in der Hauptsache zwei: S p r a c h e und b i l d l i c h e Ä u ß e r u n g , unter welch letzterer Zeichnen, Formen und dramatische Darstellung zu verstehen ist. Erst die neuere Pädagogik hat, Fröbel folgend, wieder die bildliche Darstellung, die Äußerung durch die Tat energischer betont und gefordert. Die ältere Schule hat sich damit begnügt, die Sprache als das bequemer

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Der Unterricht in der Muttersprache.

liegende Ausdrucksmittel allein zu fördern. Ein allseitig bildender Anschauungsunterricht darf sich keine Möglichkeit entgehen lassen, Verstandenes und Gelerntes wieder darzustellen. Also hat er auch die Tätigkeit der Hand, die Darstellung der geistigen Erlebnisse durch Körper und Antlitz in seine Aufgabe mit aufzunehmen. Die sprachliche Äußerung ist nichts anderes als stete mündliche oder auch schriftliche Mitteilung des geistig Bemeisterten wieder an die Umwelt. Das ist die Grundlage einer psychologisch richtigen und pädagogisch naturgemäßen Sprachbildung des Kindes. So ist die Aufgabe und Bedeutung des Anschauungsunterrichts für die Elementarstufe umfassend. In ihm sind bereits die wesentlichen Bildungsmittel der Volksschule enthalten, die sich auf der nächsthöheren Stufe in der Form des Fachsystems allmählich aus ihm entwickeln. IV. Stoff. Pestalozzi: »Der Kreis des Wissens fängt nahe um den Menschen an und dehnt sich von da ab konzentrisch aus.« Der A n s c h a u u n g s u n t e r r i c h t ist Heimatkunde. Sein Stoff entstammt der n a t ü r l i c h e n H e i m a t des K i n d e s , die seine geistige und religiös-sittliche zugleich ist. Die Heimat ist auch die Interessensphäre des Kindes. Sie ist demnach ein räumlicher Begriff, der psychologisch eingeschränkt ist. Der Raum der Heimat ist begrenzt durch den täglichen Horizont des Kindes. Dessen das Kind interessierender Inhalt ist sein Natur- und Menschenleben, sind die örtlichkeiten und der Erdboden, das Leben der Tiere und Pflanzen, die Erlebnisse und Betätigungen der Menschen, physikalische und chemische Geheimnisse zwischen dem Himmel und der Erde. Aus diesem ist Stoff des Anschauungsunterrichtes alles das, was dem Kinde psychologisch nahe liegt. Fragen der politischen Organisation liegen dem Kinde psychologisch ferne, also scheiden sie aus. Die Heimat ist jedoch nicht nur eine Gegenwart, sondern aus ihrer V e r g a n g e n h e i t reden Zeugen in diese Gegenwart hinein. Auch sie werden unter obigen Bedingungen zu dem Stoffgebiet des Anschauungsunterrichts gehören. An

Der Anschauungsunterricht.

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ihnen wird der Sinn dafür, daß man ehemals anders lebte, dachte, fühlte, wollte, gebildet werden können, der geschichtliche Sinn, der die wichtigste Voraussetzung für einen erfolgreichen Geschichtsunterricht ist. Es ist hier wie auch bei anderen Fächern nicht notwendig, den Stoff des Anschauungsunterrichtes in einer ängstlichen systematischen Vollständigkeit darzubieten. Keinen didaktischen Materialismus! Das Kind auf der Unterstufe ist noch wenig aufnahmefähig, und es ist eine Grundforderung weiser Psychologie, das Interesse nicht durch Stoff zu ertöten. Man betrachte lieber c h a r a k t e r i s t i s c h e S t o f f g a n z e v e r w e i l e n d und opfere dem die systematische Vollständigkeit. Daraus ist zu schließen, daß der Stoffplan nicht alle Jahre derselbe zu sein braucht. Des Stoffes gibt es so viel, daß auch bei Berücksichtigung der Forderung, nur Wesentliches verweilend zu behandeln, genug Stoff für e t l i c h e J a h r e s p l ä n e gestaltet werden kann. Ein Stoffplan kann so nur in allgemeinen Umrissen gegeben sein. Diese sind unschwer festzustellen. Von Einfluß auf das Kind sind Witterungseinflüsse, Nahrung, Bewegungsfreiheit, Feste. Das führt auf den Gang der Zeit, der J a h r e s z e i t e n zurück. So werden wir den Stoff ano r d n e n ; im Grunde also nach den Erlebnissen, den Leiden und Freuden des Kindes. Ein tiefer Bildungsgewinn liegt darin, daß das Kind dabei aus seinem Augenblicksleben in ein bewußteres Zeitleben' gehoben wird. Es wird jedoch nötig sein, den Plan nicht in starrer Strenge durchzuführen. Bei besonderen Ereignissen, wie Überschwemmungen, Einquartierungen u. dgl., hat Gelegenheitsunterricht einzutreten. Der Geist wirkt es, nicht eine starre Form. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, Jahrespläne ausführlich zu bringen. In der einschlägigen zahlreichen Fachliteratur ist reiches Material zu finden. Zum Vergleich sei ein Stoffplan Itschners und Kühneis in Andeutung gegeben. Itschner: I. In der Stube: 1. Die Wände. 2. Die Decke. 3. Die. Fenster. 4. Die Tür. 5. Andere Stuben. II. Im Garten: 6. Die Sonne als Maler. 7. Rosen. 8. Kirschen. 9. Eierpflaumen. 10. Kastanien. 11. Pilz. 12. Birne und Apfel.

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Der Unterricht in der Muttersprache.

III. Wärmen und Beleuchten: 13. Am warmen Ofen. 14. Die Betten. 15. Die Wärmeflasche. 16. Der Schnee. 17. Die Schuhe. 18. Kerze. 19. Leuchter. 20. Die Lampe. IV. Vor Weihnachten: 21. Weihnachtsbäckerei. V. Um Neujahr: 22. Der neue Kalender. 23. Die Uhr. VI. Aus der Küche: 24. Das Ei. 25. Das Salz. 26. Zitronen. 27. Die Zwiebel. 28. Milch im Topf. 29. Kaffeemühle. VII. Beim Spiel: 30. Schießbogen. 31. Kreisel. 32. Seifenblasenmachen. 33. Holdermännchen. VIII. Vor Ostern: 34. Vom Osterhasen. Kühnel: I. Schuljahr: Das Leben des Kindes und die heimatliche Natur. (130 methodische Einheiten.) II. Schuljahr: Das Leben in der Familie und ihre Beziehungen zur heimatlichen Natur. (130 m. E.) III. (IV.) Schuljahr: Das Leben in der Gemeinde und die heimatliche Natur samt den Beziehungen beider. (130 m. E.)

s

1. 2. 3. 4. 5.

Frühling Sommer Herbst Winter Zu verschiedenen Zeiten

Trotz dieser realistischen Richtung wird der moderne Anschauungsunterricht sich nicht das M ä r c h e n , die F a b e l und die S a g e entgehen lassen. Das Kind liebt diese Erzählungen, weil sie seiner Phantasie Genüge leisten. Doch sind sie keineswegs Phantastereien. Wer sie recht versteht und fühlt, weiß, daß sie einem Wirklichkeitskern ihre Entstehung verdanken und durchaus die sachliche und sittliche Wirklichkeit in eigentümlicher poetischer Form abbilden. »A us dem Wesen der Dinge schießen die Szenen an, schürzen sich die Konflikte, ergeben sich die Lösungen.« (Itschner über das Märchen.) So helfen sie die Pflege der Anschauung fördern und beleben. Dasselbe ist vom R ä t s e l zu sagen. Nach Bonus ist das Rätsel eine »Schleifstätte der plastischen Vorstellung von der Natur und den Dingen und nicht eine Übung des Scharfsinns«, wendet sich also an das anschauliche und nicht an das reflektierende Denken.

Der Anschauungsunterricht.

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V. Methode. Allgemeines. Es gab eine beliebte M e t h o d e d e s e i n z e l n e n L e h r g a n g s , die Dinge nach einem feststehenden Schema zu behandeln, die Pflanze von den Wurzeln bis zur Blüte, das Tier vom Kopf bis zum Schwanz zu betrachten. Solche Schemata werden dem Leben der Erscheinungen nicht gerecht; sie sind nur künstlich konstruierte Ordnung. Hat die Zielsetzung der Lehreinheit den Charakter einer Problemstellung, so ergibt sich für ihren Gang ein anderer Ausgangspunkt und eine andere Anordnung. Das Kind schaut auf die lebenden und leblosen Erscheinungen seiner Umwelt, es horcht auf sie, empfindet sie, ahmt nach, personifiziert. Der Lehrer versetzt sich in das Kind. Sein Unterricht geht dann aus von der Lebensäußerung des Dings, die für das Kind die stärkste Bedeutung hat, oder beim leblosen Ding von der lebendigsten Erfahrung des Kindes mit ihm. Für die weitere Anordnung der Lehreinheit ergibt sich ein brauchbarer Grundsatz, wenn man bedenkt, daß die Logik des Kindes das zeitliche Nacheinander bevorzugt. Außerdem findet er, wenn er selbst die Erscheinung in ihrem Wesen begreift, darin eine nur ihr eigene organische Logik, die er nur zu entfalten braucht, um eine natürliche Anordnung seiner Lehreinheit zu bekommen. Das ist selbstverständlich bei den einzelnen methodischen Einheiten verschieden, so daß sich hier nur Allgemeines sagen läßt (siehe die Lehrprobe!). Diese vor jedem Unterricht aufzusuchende lebendige Logik, die in den Dingen und Erscheinungen der Natur und des Menschenlebens steckt, gibt in erster Linie die D i s p o s i t i o n d e r L e h r p r o b e an. Ist sie zugleich die des zeitlichen Nacheinander, dann ist der Stoff besonders günstig; das Erzählen ist eben kindesmäßiger als das Beschreiben. Aber es ist auch leicht möglich, sie in ein psychologisches Lehrstufenschema einzuordnen. Denn auch der Anschauungsunterricht muß psychologisch richtig vorgehen. Handelt es sich hier ja um denselben psychischen Vorgang, nach dem überhaupt Stoffe in Bildung umgewandelt werden: Anschauen — Denken — Anwenden, Stoffaufnahme — Stoffbemeisterung — Stoffverwertung, An-

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Der Unterricht in der Muttersprache.

schauung — Erkenntnis — Darstellung. Am Beispiel der methodischen Einheit »Türe« sei dies klargelegt. G l i e d e r u n g der

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Lehreinheit. \

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sachlich 1. Was wir mit der Türe machen können: Auf- und zumachen. 2. Daraus erklären sich: Teile, Material, Form. 3. Was also die Türe ist: Verbindung und Schutz der Stub enbewohner nach außen. 4. Märchen, Rätsel, Neckreim über die Türe. Malen, Sprechen, Formen, Arbeiten überhaupt.

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p s y c h o l o g i seh Anschauung (simultan erfolgender Gesamteindruck u. Analyse) Erkenntnis (Synthese der geklärten Teilwahrnehmungen) D arstellung (Phantasierende und verstandesmäßige Tätigkeit)

Zur Durcharbeitung des Stoffes. Die Ankündigung oder das Ziel muß den Anforderungen entsprechen, die aus der allgemeinen Pädagogik bekannt sind. Sie stellt das Problem, d. h. sie stellt die lebendige Beziehung, in der das Kind das anzuschauende Objekt am meisten kennt, in Frage und reizt es dadurch, sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Das Weitere des Unterrichts ist deren gemeinsame Auflösung bis zur abstrahierenden Erkenntnis vom Wesen des Dings. Beispiele für Ankündigungen: Wald.

Warum wir in den Wald so gerne gehen.

Gewitter.

Was die Leute tun, wenn ein Gewitter kommt.

Überschwemmung. Straßennamen. findet. Gartenarbeit. schön steht. Regenwurm.

Woher das viele Wasser kam.

Wie sich der Fremde bei uns zurechtWie es kommt, daß jetzt der Garten so

Ein Gehilfe in unserer Gartenarbeit.

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Der Anschauungsunterricht.

Ist die Ankündigung geschickt gestellt, dann wird ein absichtliches Herbeiholen älteren Erfahrungsmaterials wenig mehr nötig sein, die angeregten Kinder bringen es selbst in Form von Vermutungen und Erwartungen herzu. Der Zögling paßt sich damit dem Stoff an, wird aufmerksam und aktiv. Die folgende analysierende Besprechung geschieht durch Anschauung und Arbeit, beides aufgefaßt als Selbsttätigkeit des Kindes. Es ist das die Lehrform, die aus der allgemeinen Unterrichtslehre als die darstellende bekannt ist. Sie stellt das sinnlich wahrnehmbare Objekt vor die Sinne und die Hand. Die g e i s t i g e A r b e i t i s t v o r n e h m l i c h ein s t e t e s A u f e i n a n d e r b e z i e h e n und V e r g l e i c h e n , das sich mit den Bewegungen, T ä t i g keiten und Zweckbeziehungen der Dinge b e s c h ä f t i g t , u m so auf d i e w e s e n t l i c h e E r s c h e i n u n g zu f ü h r e n . Dabei ist das Folgende zu beachten: a) Der Lehrer hat den Prozeß der Anschauungsbildung nur zu leiten. Das Kind soll so häufig wie möglich die Initiative ergreifen. Die beste Lehrweise ist also das L e h r gespräch. b) Problemlösung bedeutet ein Erleben, nicht nur Erlernen der Anschauung. Dies fordert D a r b i e t u n g s m e t h o d e n , die dem Kind Gelegenheit lassen, sich in den Erfahrungsstoff selbsttätig zu versenken. Solche Methoden sind: 1. Herbeiziehen der eigenen E r f a h r u n g des K i n d e s inm i t t e n des w i r k l i c h e n L e b e n s , also eigenes Beobachten, Experimentieren, Hantieren, Vergleichen, Denken. Dazu sollen die Objekte aufgesucht werden in den lebendigen Zusammenhängen, in denen sie stehen. Das sind teils Zustände, teils Veränderungen. Um das Leben selbst beobachten zu können, müssen von der Schule besondere Veranstaltungen getroffen werden: Schulspaziergänge für bereits unterrichtsfähige Kinder, Schulgarten, Terrarium, Aquarium, Raupenkasten, Blumenpflege im Zimmer. Hantierungen sind: Messen, wägen, zählen, klopfen, dehnen, biegen, brechen, sieden, verdunsten, bohren, betasten u. a. m. Es wird allerdings nicht immer möglich sein, die Wesen und Dinge der Natur, besonders ihre Veränderungen, in den lebendigen Beziehungen wahrzunehmen. Dann müssen mobil gemacht werden: 2. die g e g e n s e i t i g e n E r f a h r u n g s - und E r i n n e r u n g s m i t t e i l u n g e n der Kinder. Diese Form wird besonders dann eintreten, wenn einzelnen oder allen Kindern Aufgaben zu selbB ö h m , Prakt. Erziehungs- u. Unterrichtslehre. I I I . B d . 13. Aufl.

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Der Unterricht in der Muttersprache.

ständiger Beobachtung gestellt waren. Solche Beobachtungsreferate können Tages- bis zu Jahresaufgaben umfassen. 3. Die Veranschaulichung durch die sog. A n s c h a u u n g s m i t t e l . Solche sind ausgestopfte, aufgespannte, getrocknete, ausgeblasene und sonstwie dauerhaft gemachte Präparate, ferner Modelle und Anschauungsbilder. Die Bilder dürfen nicht wissenschaftlich lehrhaften Charakter tragen, sondern müssen das eigentümliche Leben des Dargestellten in aller Wirklichkeit zeigen. Das können sie nur, wenn sie künstlerische Art haben. Besonders konstruierte Bilder, wie die bekannten Jahreszeitenbilder, würden dem Kinde die Wirklichkeit fälschen. Als Erkenntnisquellen sollen die Bilder nicht benutzt werden. Sie werden gezeigt, wenn sich das Kind bereits seine Anschauung erobert hat, als Zeugnis dafür, wie sich in anderer Menschen Kopf die Sache malt. Hierher ist auch die mit Kreide auf die Wandtafel zeichnende Hand des Lehrers zu zählen. 4. Das d a r s t e l l e n d e W o r t des L e h r e r s , wenn das Kind an die Dinge nicht selbst herangebracht werden kann. Es kann ein gutes Veranschaulichungsmittel sein, wenn der Lehrer seinen Stoff beherrscht, sich mit ihm identifiziert und das Vermögen besitzt, so zu schildern, daß das Kind zu sehen glaubt. Dieses ist aber nichts anderes als künstlerische Gestaltung durch die Sprache. c) An solchen Stellen, die in der logischen und psychologischen Gliederung des Stoffes vorgebildet sind, müssen P a u s e n gemacht werden. Sie dienen zum Überschauen des zurückgelegten Weges, zur Nachprüfung des bisher Erfahrenen und Erlebten. Die Form dafür ist die Wiederholung in Handlung, Zeichnung oder Wort. Es ist bei geeigneten Stoffen nicht ausgeschlossen, daß diese Tätigkeit der Selbstbeschäftigung des Kindes überlassen bleibt. d) Prüfe diese Forderungen auf die im Abschnitt »Wesen der Anschauung« dargelegte Psychologie der Anschauungsbildung hin und gestalte insbesondere aus den hier angeführten Bedingungen weitere methodische Einzelforderungen 1 e) Selbsttätigkeit ist anstrengend. Darum empfehlen sich k l e i n e L e h r e i n h e i t e n . Auf die klärende Analyse folgt die Synthese der geklärten Teilwahrnehmungen, dem Versenken in den Erfahrungsstoff folgt die Erhebung über ihn. Es folgt die Gestaltung der nun klaren und deutlichen Anschauung. Doch ist das Nacheinander dieses Prozesses nicht mechanisch zeitlich

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Der Anschauungsunterricht.

zu verstehen. Schon vom ersten Wort der Anschauungsstufe an bereitet sich dieser weitere Schritt im Erfahrungsprozeß vor, und wenn die Analyse zu Ende ist, braucht es nur eines Anstoßes, die jetzt relativ vollkommene geistige Lebensform der neuen Anschauung entstehen zu lassen. Das ist die Lösung des Problems. Eine n e u e A n k ü n d i g u n g , die jetzt auf die wesentliche Erscheinung des Objekts hinzielt, eine Abstraktionsfrage, auch ein Auftrag zu irgendeiner stoffgemäßen Darstellung gibt diesen Anstoß. So ist die Darstellungsstufe der Prüfstein dafür, ob das Kind begriffen hat. (Siehe die Lehrstufentheorie aus der allgemeinen Pädagogik.) Das Kind will d a r s t e l l e n und muß es, damit seine spontanen Kräfte entwickelt werden. Es drückt sich aus durch Sprache, Hand und Körper überhaupt. Es kann erzählt, geschildert werden in mündlicher und schriftlicher Sprache, mehr realistisch getreu oder in ideeller, phantasierender Darstellung. Hier liegt die Wurzel eines naturgemäßen Aufsatzunterrichts. Anschauungen, die Anlaß zu Zahlproblemen geben, werden in ähnlicher Weise rechnerisch behandelt. Für Gesang, Erzählung von Märchen, Lösung von Rätseln, Deklamation von Reimen ist hier ein Platz. Nicht darf auch das Szenische, Mimik und Pantomimik, als Einzel- und Gruppenleistung vergessen werden. Für die Arbeit der Hand gibt es viele technische Möglichkeiten: Zeichnen, Modellieren, Falten, Ausschneiden, Basteln, Bauen u. a. VI. Lehrprobe.

(Der Wind heult auf den Gassen und im Haus.) Thema: D i e T ü r e . Ankündigung. L.: Ob der Wind zu uns hereinkann? I. Sch.: Er möchte wohl herein. Wie er an der Türe rüttelt I L.: Die packt er tüchtig an. Ich fürchte, daß er kommt. Sch.: Er kann nicht herein; er hat ja keine Hand, die Türe anzufassen. L.: Mache es uns vor, wie es auch der Wind machen müßte 1 9»

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Der Unterricht in der Muttersprache.

Sch.: (führt den Auftrag aus und erzählt dabei den Vorgang: Hand auf Klinke, Drücken, Aufschnappen, Aufgehen, Zudrücken, Einschnappen, Türe zu). L.: Die große Türe und so ein kleiner Mann — er hat sich gar nicht geplagt. Sch.: Sie hat sich ganz leicht gedreht. L.: Diese Stelle wollen wir suchen. Sch.: (zeigt die zwei Stellen). Name: Angeln! L.: An welches Werkzeug denkt ihr da ? Sch.: An die Fischangel, den Angelhaken. L.: Warum wohl die Türangel und die Fischangel denselben Namen haben ? E r a r b e i t u n g : Mit dem Zeigefinger der einen Hand und der zur Höhlung gekrümmten anderen Hand stellen die Sch. die Wirkungsweise der Angel beim Fischfang und bei der Türe fest. Fisch und Türe sind gefangen. Man kommt so auf die Grundbedeutung des Wortes: spitziger Haken. Aber: von der Angel losreißen, aus der Angel kommen, nehmen, springen, heben! L.: Wie leicht und weich sich die Türe in den Angeln dreht! Probiert es. Sch.: (geschieht). L.: Man meint, die Angeln beständen aus Butter. Sch.: Sie sind aus Eisen. L.: Warum wohl aus Eisen ? Sch.: Eisen ist fest und stark, kann die große Türe tragen. Es läßt sich leicht bearbeiten (Schlosser, Schmied). L.: Doch manchmal geht die Türe weniger gut. Sch.: Sie knarrt. Dann ist das Eisen rostig geworden. Dann muß man ölen. L.: Erzähle mir darüber! Sch.: (Geschieht mit Hantierung. Zeichnen einer Ölkanne an die Wandtafel!) R ü c k b l i c k u n d Z u s a m m e n f a s s u n g : W i e die T ü r e bewegt wird. L.: Wenn nun die ganze Türe von Eisen wäre? Sch. (sprechen sich aus): a) Solche Türen gibt es: Gefängnis, Keller, Schatzkammer. Eisenbeschlagene Türen. Sie

Der Anschauungsunterricht.

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schützen (Schutztüren) gegen Einbrecher, b) Aber sie sind schwer zu bewegen. L.: Nun wissen wir, warum unsre Türen aus Holz sind. Sch.: Sie gehen so oft auf und zu, müssen leicht gehen. Holz ist leichter als Eisen, ist auch leichter zu bearbeiten: Sägen, Hobeln, Schnitzen (Darstellung!). Schutz nur gegen Kälte, Wind und Blicke! In ähnlicher Weise wird die Lehrprobe weiter geführt über folgende Punkte: Schloß und andere Schließ Vorrichtungen; Schlüssel und schließen; gegen wen? Lage des Schlosses? Türrahmen und Mauer. Schwelle. Form der Türöffnung und des menschlichen Körpers. II. Abstraktionsfrage: Wenn es im Hause keine Türen gäbe ? Die Untersuchung ergibt: a) Die Türe läßt die Menschen ein- und a u s g e h e n ; sie ist ein L o c h in der Wand. b) Die Türe s c h ü t z t vor Wetter und Menschen; sie ist ein T e i l der Wand. III. Anwendung: Märchen, in dem die Türe eine Rolle spielt, z. B.: Schatzkammermärchen. (Sage, Fabel!) Rätser über die Türe. Neckreim. Gestaltungsaufgaben: a) S p r a c h l i c h e s : Arten von Türen; Tür, Tor, Pforte; aufmachen und öffnen, zumachen und schließen; riegeln, sperren; unter der Türe stehen, durch die Türe gehen, um die Angeln drehen; etwas drehen, sich drehen usw. Was der Schlosser, der Zimmermann, der Schreiner an der Türe macht oder verfertigt. Aufsätzchen. Wir bilden selbst ein Rätsel über die Türe, z. B.: Geh' auf und zu, hab' keine Ruh'; muß mich stets dreh'n und muß doch steh'n; ich bin ein Loch und schütze doch vor Menschen und Wind — nun rate, Kind!

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Der Unterricht in der Muttersprache.

b) Zeichnen: Zeichnen und Malen der Türe, des Schlosses. Illustration zum Märchen. c) S z e n i s c h e D a r s t e l l u n g : Wie es der Maurer, Schlosser, Zimmermann, Schreiner macht, bis die Türe fertig ist. Zeichnungen. VII. Literatur. L Gesamtunterricht K l a u w e l l , Das 1. Schuljahr. Leipzig, Klinkhardt. Geb. Ji 2,60. — E i d a m , Das 1. Schuljahr. Pichler. M 2,60. — F i s c h e r , Das 1. Schuljahr der natürl. Schule. Stein, Potsdam. Geb. J i 3. — Führer durch die Lehrmittel Deutschlands, herausgegeben von K. Schröder. Verlag von Friese und Fuhrmann, Magdeburg. Ji 1. — T r o l l , Das 1. Schuljahr. Beyer. ^ 2,75. — P e t e r s e n , Das 1. Schuljahr. Baedeker, Düsseldorf. M 0,60. — Vogel, Die Handbetät. i. An.-U. d. 1. Sch. Gräser, Annaberg. Ji 0,60. — Löwe, Präp. f. d. Deutschunterricht. Unterstufe. Zickfeld, Osterwieck. J i 5,40. — S a a t z e r und J o h n , Das 2. Schuljahr. Freytag. Ji 2,40. — E c k h a r d t und L ü l l w i t z , Der 1. Schulunterricht. Teubner. M> 3. — K ä n d l e r . D. Entwickl. d. Kindes b. z. Zahnwechsel u. d. 1. Schulj. Klinkhardt. Geb. JI 1,50. — S p r i n g e r , Aus d. Prax. d. mod. Elem.-Unt. Wunderlich. Geb. Ji 2,50. — B e s s i g e r , D. Unterklasse ein. 2 klass. Volkssch. i. Lichte d. Arbeitsidee. Wunderlich. Geb. JU, 3,40. — W o h l r a b , Die Jahresarbeit einer Elementarkl. Ebenda. Geb. Jt 2,50. — Ders., Mein 2. Schuljahr. Ebenda. Geb. Ji 2,50. — W a l s e m a n n , Der Irrgarten. Meyer. M 1,60. n . Anschauungsunterricht. G a n s b e r g , Schaffensfreude. Teubner. M 2,60. — G a n s b e r g , Streifzüge durch die Welt der Großstadtkinder. Ebenda. Geb. M 3,20. — G a n s b e r g , Plauderstunden. Ebenda. JU 3. — M e i n h o l d s Märchenbilder. 3,60 bis A l l . — S c h ö r g , Schauen, Denken, Schaffen. Lekt. aus Ansch.-U. u. Heimatkunde. Korn, Nürnberg. Ji 3,70. — S c h a r r e l m a n n , Goldene Heimat. Janssen, Hamburg. Ji 2. — S c h a r r e l m a n n , Aus m. Werkstatt. Ebenda. Ji 2. — D o r e n w e l l , Spiel und Spaß und noch etwas. 3 Bde. Teulrner. Je JI 0,80. — M a r k e r t , Die Welt der Siebenjährigen. Korn, Nürnberg. M 2,20. — J a n s c h , 3. Theorie u. Praxis d. mod. Ansch.Unt. Zickfeldt. Geb. Jii 3,40. — F r i t s c h e , Ausgeführte Lehrgänge f. e. einheitl. u. bodenständ. Sach-, Sprach- u. Rechenunterr. Sollers Nachf., Reichenberg. Geb. Ji 3. — A r m s t r o f f , Der Anschauungsu. Sprachunterricht in den Unterklassen der Volks-, Mittel- und Töchterschule. Langensalza, Beyer. J t 2. J ü t t i n g u. W e b e r , Anschauungsunterricht und Heimatkunde für das 1. bis 4. Schuljahr mehrklassiger Schulen. Leipzig, Klinkhardt. — D e u s s i n g , Der Anschauungsunterricht in der deutschen Schule (historisch-kritisch). Frankenberg i. S., Roßberg. M 2. — R i c h t e r , Der Anschauungsunterricht in

Der Anschauungsunterricht.

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der Elementarklasse. Leipzig, Brandstetter. M 4,50. — E i c h l e r , Stoffe für den Anschauungsunterricht. Leipzig, Wunderlich. M 2. — J ü t t i n g , W e b e r und K ü h n e l , Anschauungsunterricht und Heimatkunde. Leipzig, Klinkhardt. J t 5. HI. Zeichnen. W o l d , Strichzeichnungen z. A.-U. Graser, Annaberg. JK, 0,30. — E l ß n e r , Aufg. f. Zeichnen u. Werktätigk. Tl. 1. Müller-Fröbelhaus, D. M 2. — K r e y , Was Großstadtkinder sehen. Wunderlich. JH, 0,80. — F r i t z , Bei uns in Karlsruhe. Lang, Karlsruhe. M 0,50. — H i r t s Anschauungsbilder. Breslau, Hirt. Je Jt 6. Müller, Anleitung z. u. Behandlung v. Hirts Anschauungsbildern. Breslau, Hirt. — S c h r e i b e r s Ausschneidearbeiten für Glanzpapier. Schreiber, Eßlingen. — W i e d e r k e h r , Lehrstoffe u. Zeichnungen f. d. Unt. i. d. Elementarkl. Bensheimer, Nauheim. M 0,50.

Zweite

Gruppe.

Der Unterricht im Rechnen. Von Joachim Königbauer, Kgl. Seminardirektor in Wurzburg. •Die Mathematik ist die Jurisprudenz der Notwendigkeit.«

1. Rechnen1)I. Zweck des Rechenunterrichts. Der Zweck des Rechenunterrichts ist ein f o r m a l e r und m a t e r i a l e r und damit zugleich ein p r a k t i s c h e r . In Verfolgung d i e s e r Zwecke werden nebenbei auch s i t t l i c h e und e r z i e h l i c h e erreicht. In f o r m a l e r Hinsicht wird er für das E r k e n n t n i s v e r m ö g e n von großer Bedeutung, indem er einesteils die Dinge, Erscheinungen, Ereignisse etc. nach Maß, Zahl und Gewicht beurteilen lehrt, andernteils die Maße, .Zahlen, Gewichte untereinander, sodann zum Geldwerte sowie zur menschlichen oder maschinellen Arbeitsleistung in Beziehung bringt, wodurch nicht nur B e g r i f f e , sondern auch U r t e i l e , S c h l ü s s e und I d e e n vermittelt werden, die einen äußerst umfangreichen und wertvollen Bestandteil des B i l d u n g s s c h a t z e s ausmachen. Schon die Lösung einer einzelnen Rechenaufgabe ist für das Kind eine große Geistesarbeit, wie solche kaum ein anderes Fach zu bieten vermag. Bald gilt es, Nebensächliches vom Hauptsächlichen zu scheiden, aus Bekanntem Unbekanntes zu ermitteln, Zahlenverhältnisse zu zergliedern oder zu komRechnen, got. rahnjan, zählen, überschlagen; althochd. rehhanön, rechanön; mittelhochd. rechen, aus rechenen.

Rechnen.

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binieren; bald ist das gewonnene Resultat zu überschlagen, dessen Wahrscheinlichkeit oder Unmöglichkeit zu ermitteln oder es sind neue Wege zu suchen. Endlich müssen aus einzelnen Beispielen a l l g e m e i n e G e s e t z e und Regeln abgeleitet werden, die wiederum durch Anwendung auf das p r a k t i s c h e Leben an Bedeutung gewinnen. Aber auch das G e f ü h l s v e r m ö g e n bleibt nicht unbeeinflußt. So wird beim Suchen und Finden einer Lösung einesteils das i n t e l l e k t u e l l e , andernteils das S e l b s t g e f ü h l erregt. Indem durch Maß, Zahl und Gewicht Ordnung in die Vielheit und Mannigfaltigkeit der Dinge sowie Sinn und Verständnis für die Typen und Formen der Natur und deren Gesetzmäßigkeit gebracht wird, erfährt das ä s t h e t i s c h e G e f ü h l eine wesentliche Anregung. Eine zweckmäßige Verwertung geschichtlicher und erdkundlicher, besonders handelsgeographischer Stoffe kann das p a t r i o t i s c h e Gefühl erwecken. Aus der Heranziehung des Familien-, Gemeinde- und Staatshaushaltes, der Landwirtschaft, der Werkstätte, des Geldmarktes, des Versicherungswesens, der staatlichen Arbeiterfürsorge, des Armenwesens etc. lassen sich wirtschaftliche und sittliche L e i t s ä t z e gewinnen, die sowohl für das s y m p a t h e t i s c h e als auch für das m o r a l i s c h e und r e l i g i ö s e Gefühl von Bedeutung sind. Der Rechenunterricht hat endlich auch Einfluß auf den W i l l e n , indem er den Schüler zwingt, seine volle Aufmerksamkeit auf einen Punkt zu richten, seinen ganzen Scharfsinn aufzuwenden, um das gestellte Problem zu lösen und mit Mut und Ausdauer zu arbeiten, auch wenn das Gelingen auf sich warten läßt. Die bei allem Rechnen notwendige P ü n k t l i c h k e i t und O r d n u n g übt ebenfalls einen nicht zu unterschätzenden e r z i e h l i c h e n Einfluß aus. Der m a t e r i e l l e Zweck des Rechenunterrichts liegt für jedermann klar auf der Hand. Die Hausfrau, der Familienvater, die Wirtschafterin, der Zimmermann, der Maurer, der Werkführer, der Geschäftsmann — kurz jeder Mensch muß mit jener Wissenschaft, die es mit Zahl und Raum, mit Münzen, Maßen und Gewichten zu tun hat, mehr oder minder vertraut sein, will er nicht im täglichen Handel und Verkehr finanzielle Nachteile erleiden oder sein Leben lang von anderen

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Der Unterricht im Rechnen.

abhängig bleiben. Es ist daher Aufgabe der Volksschule, hierin jenes Maß zu bieten, das auch dem einfachsten Manne zu einem gedeihlichen Fortkommen verhilft.

II. Stoff. a) Auswahl des Stoffes. Wenn auch im großen ganzen keine Unklarheit mehr darüber herrscht, w a s der Rechenunterricht in der Volksschule zu bewältigen hat, so dürfte dennoch eine genauere Abgrenzung vollzogen werden, da zwischen u n g e t e i l t e r und g e t e i l t e r Volksschule bezüglich der Menge des Stoffes ein Unterschied zu machen ist. Es kommt zunächst darauf an, welches Ziel jede Volksschule erreichen k a n n und s o l l , wenn sie überhaupt auf das Prädikat »gut« Anspruch machen will. Dem doppelten Zweck (der formalen und materialen Bildung) ist Genüge geleistet, wenn das Kind beim Austritt aus der Schule nachstehendes zu bewältigen vermag: 1. Alle Aufgaben aus den vier Grundrechnungsarten mit unbenannten, gleich- und ungleichbenannten ganzen und gebrochenen Zahlen. 2. Alle Zwei-, Drei- und Vielsatzaufgaben mit einfacher und natürlicher Einkleidung. (Schlußrechnungen.) 3. Leichtere Aufgaben aus der Raumlehre. (Flächen- und Körperberechnungen.) Anmerkung. Die Grundsätze, nach welchen die Auswahl getroffen werden soll, finden sich im Kapitel »Methode«. b) Anordnung und Verteilung des Stoffes. Diese ergeben sich aus dem L e h r p l a n . Am besten ordnet man den Rechenstoff so an, daß er sich konzentrisch erweitert und auf jeder Stufe einen leicht übersehbaren Zahlenkreis,umfaßt. Stets muß das Neue die Wiederholung des Vorausgegangenen in sich fassen, damit der Schüler Sicherheit und ein festes Wissen undKönnenerreicht. Die bayerischen Kreislehrpläne weisen hinsichtlich des Rechenstoffes einige Verschiedenheiten auf; im allgemeinen wird der folgende Stufengang eingehalten. 1. Schuljahr: Der Zahlenraum 1—10. Angewandte Aufgaben unter Anschauung und Anwendung des Ein-, Zwei-, Fünf- und Zehnpfennig:stückes, des Ein-, Zwei-, Fünf- und Zehnmarkstückes, des Meters, des Dezimeters, des ganzen und halben Liters, des Kilogramms und des Pfundes.

Rechnen.

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2. Schuljahr: Der Zahlenraum 1 — 20. Vielfach angewandte Aufgaben aus dem Erfahrungskreise der Schüler. Außer den Münzen, Maßen und Gewichten der vorhergehenden Stufe kommt zur Anschauung und Anwendung das Zwanzigmarkstück. Schluß von der Einheit auf die Mehrheit und umgekehrt. 3. Schuljahr: Der Zahlenraum 1—100. Aufgaben mit der angewandten Zahl aus dem Erfahrungskreise der Schüler. Außer den Münzen, Maßen und Gewichten der vorhergehenden Schuljahre sind zur Anschauung und Anwendung zu bringen: M und ,9), m und cm, hl und 1, Zentner und Pfund die Zahlmaße (Stück, Dutzend, Schock). Schluß von der Einheit auf die Mehrheit und umgekehrt. Im Zuzählen und Abziehen tritt von der zweiten Hälfte des Schuljahres an die beim schriftlichen Rechnen übliche Anschreibeform und Rechenweise mit Beisetzung der Rechenzeichen ein. Abziehen mit Borgen. 4. Schuljahr: Der Zahlenraum 1—1000 (und 1—1 000 000). Die vier Grundrechnungsarten mit reinen und einfach benannten ganzen Zahlen in der eigentlichen schriftlichen Rechenform. Vielfach angewandte Aufgaben aus dem Lebenskreise der Kinder mit einfach benannten und mit kleineren zweifach benannten Zahlen. Verhältnisrechnungen mit Schluß von der Einheit auf die Mehrheit und umgekehrt, von einer Mehrheit auf ein Vielfaches davon und umgekehrt. Zur Anschauung und Anwendung kommen neu: m und mm, km und m, kg und g, t, das zehnteilige Papiermaß (Ries und Bogen). Kurze Behandlung der nicht zehnteiligen Zählmaße und zwar Stückmaße: Gros, Dutzend, Stück; Zeitmaße: Jahr, Monat, Woche, Tag, Stunde, Minute, Sekunde. 5. Schuljahr: Vor- und Anschauungskursus zum Rechnen mit Bruchzahlen: Halbe, Viertel, Achtel; Drittel, Sechstel, Neuntel; Fünftel, Zehntel; Entstehung und Darstellung des Bruches; Verwandeln des Ganzen in Teile und umgekehrt; Gleichnamigmachen und Kürzen der Bruchzahlen. Das Rechnen mit Dezimalzahlen. Schriftliche und mündliche Lösung von angewandten Aufgaben aus dem bürgerlichen Leben; Kostenberechnungen (Kleidung, Nahrung, Möbel, Bauten, Ausgaben in der Familie); Einnahmen und Ausgaben in der Haus- und Landwirtschaft, Abgleichung; Berechnung von Lieferungen und Verbrauchsmengen; Summen für unnötige Ausgaben (Alkohol!). Schlußrechnung: Von der Einheit in ganzen Zahlen auf die Mehrheit in ganzen Zahlen, von der Mehrheit auf ein Vielfaches davon und umgekehrt, von der Einheit auf die Vielheit in dezimalen Zahlen und umgekehrt. Durchschnittsrechnung und Umrechnung (deutsches und fremdes Geld). Alles ohne Bruchzweisatz, als .bloßes Vervielfachen und Teilen. 6. Schuljahr: Die gebräuchlichsten besonderen Rechenarten des bürgerlichen Lebens (mündlich und schriftlich): Flächenmaße und Flächenberechnungen (Quadrat, Rechteck, Dreieck, Kreis); Prozentrechnung; Gewinn* und Verlust-, Tara- und Rabattrechnung; Zinsrechnung (nur der Zins wird gesucht); vermischte Aufgaben, hauptsächlich aus dem Gebiete der Haus- und Landwirtschaft. 7. Schuljahr: Der Rechenstoff des 6. Schuljahres in schwierigeren Beispielen. Fortsetzung des bürgerlichen Rechnens: Körpermaße und Körpörberechnungen (rechtwinkelige Körper und Räume; Walze, Baumstamm);

140

Der Unterricht im Rechnen.

Zinsrechnung (Kapital und Zinsfuß werden gesucht); Teilungs- und Mischungsrechnung; vermischte Aufgaben aus sämtlichen Gebieten des bürgerlichen Lebens.

III. M e t h o d e .

a) Gang des Unterrichts.

(Grundsätze.)

Die nachstehenden Grundsätze legen klar, welche Anforderungen die Gegenwart an die Methode des Rechenunterrichts stellt und welche Wege einzuschlagen sind. 1. A l l e s R e c h n e n m u ß a n s c h a u l i c h b e t r i e b e n w e r d e n . Kein Lehrgegenstand ist seinem innern Wesen nach weniger real als gerade das Rechnen. Bei ihm ist die Abstraktion stets Z i e l - und G i p f e l p u n k t ; denn nicht die Eigenschaft der Dinge, ihr praktischer Wert, ihre Qualität kommen in Betracht, sondern einzig und allein die Quantität, die Z a h l . Da nun in der Seele keine klare Vorstellung ist, die nicht durch äußere Eindrücke konkreter Dinge erregt wurde, so gibt es auch keine Z a h l v o r s t e l l u n g ohne Sinneserregung. Und damit die Zahl nicht an wenige Dinge gebunden erscheint, müssen viele und vielerlei Gegenstände der Anschauung unterworfen werden; denn nur in diesem Falle vermögen die Begriffe sich vollständig und klar auszuprägen. Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sind folgende: a) Der Rechenunterricht muß anfänglich (oft auch später) vorwiegend A n s c h a u u n g s u n t e r r i c h t sein. b) Um alle Operationen für die Anfänger auf Anschauung gründen zu können, müssen Anschauungsmittel (Rechenmaschinen, Stäbchen, Würfel etc.) zur Hand sein. Die Z i f f e r n , die in keiner Weise die Zahlen veranschaulichen, treten erst später auf. c) Beim grundlegenden Rechenunterricht treten zuerst b e n a n n t e D i n g e , Gegenstände der Umgebung, Würfel, Kugeln etc. als Veranschaulichungsmittel auf; dann folgen g e z e i c h n e t e D a r s t e l l u n g e n (Zahlenbilder Striche etc.); diesen reihen sich logische Operationen o h n e A n s c h a u u n g s m i t t e l , aber mit benannten Dingen an und den Schhiß bilden: die Behandlung der r e i n e n Zahl und a n g e w a n d t e A u f g a b e n . 2. S c h r e i t e i m U n t e r r i c h t e los f o r t !

langsam

und lücken-

Rechnen.

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Schon in der Volksschule bildet der Rechenunterricht ein kunstvolles Gebäude, bei dem der Mangel auch nur eines Steines die volle Harmonie zu stören vermag. Ein sicherer Grund ist, wie an jedem Gebäude, das wichtigste. Die elementaren Operationen mit den vier Spezies müssen daher, als Basis des Ganzen, so lange geübt werden, bis völlige Sicherheit erzielt ist. Und da alles Folgende stets auf dem Vorhergehenden fußt, so muß mit einer gewissen Ängstlichkeit ein streng genetischer Gang verfolgt werden. Das hieraus sich Ergebende kann durch folgende Sätze ausgedrückt werden: a) Verweile bei den Grundoperationen so lange, bis die M a s s e der Schüler darin völlige Sicherheit erlangt hat! b) Wiederhole auch in den höheren Abteilungen von Zeit zu Zeit das Numerieren und die vier Spezies sowie Aufgaben der vorhergehenden Stufen! Zeigen sich dabei Einzelne oder ganze Abteilungen schwach, so lasse sie in gewissen Stunden mit den niederen Abteilungen rechnen! c) Biete den Schülern in den einzelnen Unterrichtsstunden nur weniges, behandle aber dieses um so gründlicher und allseitiger! In der Beschränkung zeigt sich der Meister. d) Trachte stets, die Hauptmasse der Schüler auf g l e i c h e m S t a n d e zu halten! Nicht die Leistungen der besseren Schüler geben den Maßstab, für Beurteilung einer Schule; der kundige Mann wird stets darauf sehen, was die Mehrzahl geistig verarbeitet hat. 3. B a h n e b e i L ö s u n g d e r A u f g a b e n in e r s t e r L i n i e s t e t s ein N o r m a l v e r f a h r e n a n ; e r s t s p ä t e r f o l g e n die freien Lösungsarten. Für jede Rechnungsart gibt es eine f e s t e F o r m der Lösung; sie muß auch der schwächste Schüler kennen lernen. Doch hüte sich der Lehrer, diese bestimmte Lösungsart dem Kinde zu g e b e n , da sonst die Gefahr der mechanischen Nachahmung sehr nahe liegt. Was dauernd bleiben und fruchtbar werden soll, muß entwickelt werden. Dabei spielt der Lehrer eine Art Steuermann, der dem Schiffe nur die Richtung weist; die treibende Kraft muß im Vorwärtsstrebenden selbst liegen. Ganz fehlen darf aber bei Begründung

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Der Unterricht im Rechnen.

neuer Rechnungsarten die Führung nie, weil sonst nicht nur die Masse sondern auch der beste Schüler, wenn er zu lange vergeblich nach dem richtigen Wege sucht, die Kraft und damit auch Lust und Interesse an der Arbeit verliert. Sind nach mehreren vorgenommenen Entwicklungen die wesentlichen Momente des Verfahrens erkannt, so wird die Lösungsform knapp und präzis zusammengestellt und an neuen Aufgaben erprobt. Diese sollen anfänglich in Bezug auf Einkleidung den vorhergehenden ähneln, nach und nach aber immer neue Gesichtspunkte bieten. Ist das Normalverfahren fest begründet und hinlänglich geübt, so treten auch die f r e i e n L ö s u n g s a r t e n in ihre Rechte ein. Aber nicht der Lehrer darf sie vornehmen und geben, nein, der Schüler soll sie selbst finden. Oft genügen einzelne Winke und Andeutungen, um die neuen Wege zu kennzeichnen. Sind diese aber bedeutende Umwege oder zu gekünstelt und unpraktisch, so werden sie lieber vermieden. Vorsicht ist die Mutter der Weisheit; das Sichere verdient immer den Vorzug vor dem Ungewissen. Wem es möglich ist, der freien Lösung verschlungene Pfade zu wandeln, der versäume es nicht; der Gewinn für den Geist ist ein großer. Der Troß der Alltagsmenschen wird immer die breite Heerstraße betreten müssen; denn sie ist frei von gefährlichen Abstürzen und verwirrenden Felsblöcken. — In der Volksschule sind die vielen Nebenwege zum Ziele noch von einer anderen Bedeutung. Talentvollere Schüler werden mit ihren Aufgaben häufig früher fertig als die übrigen. Ihnen bieten die freien Lösungsarten die schönste Gelegenheit zur Betätigung ihres Forschungstriebes und ihrer Spekulationskraft. 4. Alles R e c h n e n m u ß D e n k r e c h n e n sein. Rechnen heißt, aus gegebenen Zahlen andere finden. Dazu ist aber D e n k e n die erste Bedingung. Wer nicht denkt, vermag nie die Sach- und Zahlverhältnisse einer Aufgabe zu beurteilen, also auch nie selbständig eine Lösung zu finden. Ohne Geistesarbeit gedeiht nur der Mechanismus, der sich durch blindes Nachahmen ohne Einsicht und Bewußtsein, durch Operationen nach unbegriffenen Regeln und unverstandenen Schablonen kennzeichnet. Der mechanische Rechner ist ein Automat, dem Geist und Leben fehlen.

Rechnen.

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Um sich zu überzeugen, ob der Schüler wirklich mit Verständnis rechne, lasse man das ganze Verfahren ö f t e r s m ü n d l i c h k l a r l e g e n und die Gründe dafür angeben. Als Regel muß stets gelten: a) Der Schüler darf so lange nicht zur A u s r e c h n u n g schreiten, bis er nicht alle Zahl- und Sachverhältnisse richtig erkannt hat. b) Jeder Ausrechnung soll ein Ü b e r s c h l a g e n der Aufgabe, eine Schätzung des Resultates, eine sogenannte allgemeine Lösung (aber nicht im algebraischen Sinne) vorausgehen, weil dadurch der Schüler am ehesten Verständnis und Übersicht gewinnt. c) Die Regel (das Gesetz) wird an einfachen Beispielen entwickelt und nach vollem Verständnis an schwierigeren geübt. Z u l e t z t abstrahiert man ein gewisses m e c h a n i s c h e s Verfahren, das stets ohne weitere Schwierigkeiten ausgeführt zu werden vermag. D i e s e n Mechanismus erfordert das praktische Leben unbedingt; ihn erlaubt auch die bildende Methode. 5. D a s V e r s t a n d e n e muß bis zur G e l ä u f i g k e i t g e ü b t werden. A n s c h a u u n g , E r k e n n t n i s und Ü b u n g sind ein notwendiges Dreigestirn am arithmetischen Firmamente der Volksschule; denn nicht der Geist allein, auch das Leben soll gewinnen. »Wo die Anschauung fehlt,« sagt Kehr, »da geht der Unterricht nicht in die Kindesseele h i n e i n ; wo aber die Übung fehlt, da bleibt das Gelernte nicht in der Kindesseele darin.« Einsicht ohne Übung ist wie eine projektierte Straße; man erkennt die Möglichkeit des Baues, praktischen Nutzen aber gewährt sie nicht. Erkenntnis und Übung sind für das öffentliche Leben so notwendig wie Luft und Nahrung für unsern Körper. Die Erkenntnis ist der Sonnenblick, der die Bahnen erhellt; die Übung der Spaten, der sie ebnet. Es ist daher notwendig, jede Rechenart bis zur m e c h a n i s c h e n Fertigkeit zu üben. Da nun die Mehrzahl der Rechnungen des praktischen Lebens den Grundoperationen nach in den Zahlenraum von 1—1000 fallen, so ist es unbedingt notwendig, die fundamentalen Sätze zum unverlierbaren Eigentum der Schüler zu machen. Dies kann geschehen, indem man fleißig übt:

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Der Unterricht im Rechnen.

a) die elementaren Operationen mit den Grundzahlen, insbesondere das »Einsundeins«, »Einsvoneins«, »Einmaleins« und das »Einsineins«; ferner die Angabe aller Summen, Differenzen, Produkte und Quotienten innerhalb des ersten Hunderters; b) Addition und Subtraktion mit Überschreitung des Zehners; c) Ergänzungen zu 10, 20, 30 bis 100; d) Multiplikation und Division mit 10, 100, 1000; e) Münzen, Maße und Gewichte; f) das Zahlenschreiben; g) das Normalverfahren jeder Rechnungsart; h) das Rechnen mit Dezimalbrüchen sowie die 4 Grundrechnungsarten mit einfachen Brüchen. 6. K o p f - u n d Z i f f e r r e c h n e n s i n d zu v e r b i n d e n . In Wirklichkeit gibt es nur ein Rechnen, nämlich ein Rechnen mit N a c h d e n k e n , m i t Ü b e r l e g u n g u n d B e w u ß t s e i n . Werden dabei keine äußeren Mittel gebraucht und nur die Z a h l e n im Auge behalten, so heißt es K o p f r e c h n e n ; kommen aber statt der Zahlen Z i f f e r n (Zeichen) zur Anwendung, die, u m d a s G e d ä c h t n i s zu u n t e r s t ü t z e n , auf Papier oder die Tafel geschrieben werden, so heißt es Z i f f e r oder T a f e l r e c h n e n 1 ) . 1

) »Der Unterschied zwischen dem sog. Kopf- und Tafelrechnen besteht nach D i e s t e r w e g nicht darin, daß man bei jenem nur den Kopf, bei diesem nur Hand und Auge gebraucht, sondern a) darin, daß man beim Kopfrechnen an gar keine Zeichen, also auch an keine Ziffern denkt, bei dem schriftlichen Rechnen dagegen die Zahlenvorstellungen und die Operationen, die man mit ihnen vollzieht, sichtbar darstellt; b) darin, daß man leichtere Aufgaben mit nicht allzu großen Zahlen frisch und rasch, ohne Griffel und Feder, schwere dagegen mit großen Zahlen, die nicht leicht zu behalten sind, der größeren Sicherheit wegen schriftlich ausrechnet; c) darin, daß man sich beim Nichtgebrauch der Ziffern, d. h. beim Kopfrechnen, viel freier bewegt als beim Zifferrechnen. Geistig bewegliche Kinder lieben am meisten das Kopfrechnen. An den mannigfaltigsten Auflosungen übt sich der Scharfsinn.« Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß wir das Tafelrechnen nach bestimmten Regeln, die sich auf die Darstellungsweise (Anschreibung nach Stellenwert) der Zahlen stützen, vollführen, während das Kopfrechnen nur den inneren Zusammenhang der Zahlen berücksichtigt. Beim Kopfrechnen wird mit den höchsten Einheiten begonnen, beim Tafelrechnen gewöhnlich mit den niedrigsten, d. i. mit den Einern.

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Rechnen.

Das Kopfrechnen muß bei jeder neuen Übung an der Spitze stehen, weil der Schüler, durch keine äußeren Hilfsmittel gestört, seine ganze Aufmerksamkeit der s a c h l i c h e n S e i t e zuwenden kann. Man wählt daher anfangs auch stets einfache Aufgaben mit wenig komplizierten Zahlenverhältnissen, damit es dem Kinde nicht zu schwer fällt, den Gang der Operationen zu überblicken und die Rechengesetze zu erkennen. Erst wenn das volle Verständnis für die neue Übung und eine gewisse Schlagfertigkeit erzielt sind, tritt das Zifferrechnen wieder auf. Das Kopfrechnen soll das eigentliche Rechnen der Schule sein. Es ist praktische Logik und gewährt außerdem dem jugendlichen Geiste den weitesten Spielraum für die f r e i e n Lösungsarten, die so sehr den Geist bilden und das Urteil schärfen. Für das praktische Leben nützt es dem gemeinen Manne schon deshalb mehr, weil dazu nichts nötig ist als ein gesunder und geübter Kopf. Um im Kopfrechnen eine gewisse Übung zu erzielen, muß der Volksschule sogar geraten werden, wöchentlich eine oder zwei halbe. Stunden ausschließlich diesem Zwecke zu widmen. Dabei mögen folgende Regeln als Richtschnur gelten: a) Der Lehrer spreche jede Aufgabe nur e i n m a l , aber langsam, deutlich, laut und ohne Einschaltung erläuternder Bemerkungen vor, wobei die wichtigeren Wörter b e s o n d e r s und s c h a r f betont werden. b) Das Schreiben mit dem Finger in die Luft oder auf die Bank etc. ist nicht zu gestatten, weil solche Kopfrechner meist nicht mit Zahlen sondern mit Ziffern, wie auf der Tafel, operieren. c) Man übe mit den Schülern solche Operationen fest ein, die häufig vorkommen, suche eine Mehrheit von Operationen auf möglichst wenige, eine Reihe von Zahlen auf eine kleinere Anzahl und große oder unbequeme auf kleine und bequeme zurückzuführen. d) Man schließe die Reihenfolge der vorzunehmenden Operationen genau an den sprachlichen Ausdruck an und komme dem Gedächtnis durch mündliche Wiederholung der bereits gewonnenen Resultate zu Hilfe. B ö h m , Prakt. Erziehungs-u. Unterrichtslehre. III. Bd. 13. Aufl.

10

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Der Unterricht im Rechnen.

Sollen z. B. Meter, Zentimeter und Millimeter multipliziert werden, so geschieht es in der nämlichen Reihenfolge, wie sie gesprochen wurden. Wenn nun oben das Kopfrechnen besonders betont wurde, so darf das keinesfalls so aufgefaßt werden, als hätte das Zifferrechnen in den Hintergrund zu treten. Es sei hier an das zutreffende Urteil Böhmes erinnert, der in dieser Beziehung sagt: »Nicht alle Schüler sind mit gleicher Fähigkeit begabt. Bei den mündlichen Übungen wird es oft vorkommen, daß die Fähigeren nicht genugsam ihren Fähigkeiten angemessen beschäftigt werden können oder daß die Schwächsten mit einzelnen Resultaten im Rückstände bleiben und so ihr Fortschreiten zu eigenem oder der Gesamtheit Nachteil gehemmt wird. Da ist denn die schriftliche Übung, in der sich die Menge der zu lösenden Aufgaben nach den verschiedenen Individualitäten richten kann, ein sehr willkommenes Ausgleichungsmittel. « Außerdem hat auch das schriftliche Rechnen für jedermann, insbesondere für Handels- und Gewerbsleute etc. seinen entschiedenen Wert. 7. Die R e c h e n a u f g a b e n sollen dem p r a k t i s c h e n L e b e n sowie den a n d e r e n U n t e r r i c h t s f ä c h e r n e n t n o m m e n und ü b e r h a u p t z w e c k m ä ß i g sein. Die Schule arbeitet im Dienste des öffentlichen Lebens; es ist daher auch ihre Pflicht, es zu fördern, wo und wie sie's vermag. Dies geschieht, indem der Rechenunterricht einen großen Teil seines Stoffes dem praktischen Leben entnimmt. Dabei ist darauf zu achten, daß die Aufgaben in Hinsicht auf S a c h e und P r e i s genau den t a t s ä c h l i c h e n V e r h ä l t nissen entsprechen. An den Schüler treten sodann zwei Aufgaben heran: die eine ist die B e u r t e i l u n g der S a c h e , die andere die A u s f ü h r u n g d e r B e r e c h n u n g . Wer eine Aufgabe einmal sachlich verstanden und klargelegt hat, der findet gar leicht zur Berechnung die nötige Form. Die Beurteilung der Sachverhaltnisse ist und bleibt das schwierigste, und wer es darin an Übung fehlen läßt, wird trotz der besten Theorie und der intensivsten Geistesbildung nie ein praktischer Rechner werden. Übung macht den Meister.

Rechnen.

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Außerdem wird, wenn die Schule ihren Rechenstoff der Werkstätte, dem Markte, der Landwirtschaft, dem Versicherungswesen und dem Haushalte entnimmt, der Schüler in die Verhältnisse des öffentlichen Lebens eingeweiht, er gewinnt dafür sozusagen eine mathematische Grundlage, was in unseren Tagen keineswegs von geringfügiger Bedeutung ist. Freilich gibt es hierin auch Grenzen; denn alles, was zu tief in die besonderen Verhältnisse der einzelnen Gewerbe, des Handelsstandes etc. einführt, dürfte außer dem Bereich der Volksschule liegen. Dagegen sollen alle Wissensgebiete (Geographie, Geschichte, Naturkunde etc.) zum Rechenunterricht ihr Scherflein beitragen. Man merke aber: Die Sachgebiete dürfen nie maßgebend für die methodische Anordnung des Rechenstoffes werden. Man nimmt daher aus dem Sachunterrichte nur jene Stoffe, die für die betreffende Stufe p a s s e n und w e r t v o l l sind. Wird der Stoff aus dem Sachunterrichte genommen, so soll nicht jede Aufgabe aus einem a n d e r e n Sachgebiete stammen. Vielmehr muß jedes Sachgebiet die Grundlage für eine ganze G r u p p e von Aufgaben bilden, die alle innerlich zusammenhängen. Dann wird der Schüler sich mittels des Rechnens in die Ideen des Sachgebietes vertiefen und umgekehrt das Sachgebiet auch rechnerisch durchdringen. Auf jeder Stufe treten auch a l g e b r a i s c h e Aufgaben auf 1 ). *) Entbehren die algebraischen Aufgaben auch des d i r e k t e n Wertes für das Leben, so sind sie dennoch aus folgenden Gründen zu empfehlen: 1. Sie werden durch Übung des Nachdenkens und Scharfsinnes, durch Beurteilen, Abwägen, Ordnen und Vergleichen der Sach- und Zahlenverhältnisse ein Mittel gegen alles Mechanische und Schablonenartige. 2. Sie vermögen in das ewige Kaufen und Verkaufen, Gewinnen und Verlieren etc. eine angenehme Abwechslung zu bringen. 3. Sie ermöglichen eine größere Mannigfaltigkeit der Aufgaben. 4. Ihre volkstümliche Einkleidung, ihr Rätselhaftes und Verhülltes bilden einen gewaltigen Sporn für den Eifer der Schüler. 5. Zur Erzielung von Klarheit und Gewandtheit im sprachlichen Ausdruck tragen sie wesentlich bei. Was K e l l n e r von den Rätseln sagt, gilt auch von den algebraischen Aufgaben: »Gib deinen Kindern am Schlüsse der Tagesarbeit noch eine Rätselnuß zu knacken und du wirst finden, daß die Kraft noch nicht erschöpft ist und sich gern aufs neue an dieser mystischen Gabe beteiligt.« 10«

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Der Unterricht im Rechnen.

Bei den a n g e w a n d t e n Beispielen müssen die Angaben a) der Wirklichkeit entsprechen und sich in kleinen Zahlen bewegen; b) dem Einsichtsvermögen und der Auffassungskraft des Kindes angemessen sein; sie dürfen also nicht Verhältnisse behandeln, die dem Kinde noch zu ferne liegen oder zu schwierig sind. c) Die schriftlichen Aufgaben haben sich dem mündlichen Rechnen der betreffenden Stufe genau anzulehnen; alle aber sollen in der Fassung kurz, klar und bündig sein. Lieber 100 kurze als e i n e zu lange. d) Der Ansatz soll nie gegeben sein, sondern muß von den Schülern selbständig gefunden werden. e) Der Inhalt muß belehrend, bildend, mannigfaltig, sittlich und wahr sein. f) Die algebraischen Aufgaben, die am Ende jeder Übung stehen, sind niemals durch Ansätze, Regeln und Formeln, sondern durch Schlüsse zu lösen. 8. An g e e i g n e t e n A u f g a b e n s o l l e n m ö g l i c h s t v i e l e Umbildungen vorgenommen werden. Dadurch erhält der Schüler einen tieferen Einblick in das Wesen der Rechnungsarten und Gewandtheit im Selbstbilden von Aufgaben. Nach Lösung einer Aufgabe ist daher stets zu ermitteln, wie viele Glieder sie hat, wie viele davon stets gegeben sein müssen und in welcher Weise das Frageglied wechseln kann. So läßt sich eine Aufgabe oft in mehrere umgestalten. 9. B e i L ö s u n g e n u n d E r k l ä r u n g e n g e h e m a n s t e t s n u r so w e i t auf die E l e m e n t e z u r ü c k , a l s n o t w e n d i g ist. Wie in der Geometrie jeder vorhergegangene Lehrsatz bei Begründung weiterer Lehrsätze als eine Art Axiom auftritt, also als selbstverständlich angenommen wird, so soll auch im Schulrechnen das einmal Bewiesene und Begriffene ohne weiteres der Anwendung unterliegen. Jede z u s a m m e n g e s e t z t e Aufgabe läßt sich in mehrere U n t e r a u f g a b e n zerlegen, wovon die Mehrzahl schon früher entwickelt und geübt wurde. Wenn nun das Alte immer

Rechnen.

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wieder neu begründet würde, käme man nie zu einem Ziel. Es darf das höchstens repetitionsweise geschehen; außerdem aber wird die ganze Aufmerksamkeit auf die n e u e Seite der Rechnung gerichtet. 10. R e c h n u n g s v o r t e i l e und Regeln sind n i c h t a u s g e s c h l o s s e n , sollen a b e r von den S c h ü l e r n s e l b s t gefunden werden. Das Volk liebt kurze Wege, weil sie meist sehr rasch zum Ziele führen. Im Leben ist Zeitgewinn Geldgewinn, und da die materielle Lage eines Volkes ausschlaggebend ist für seine ganze soziale und politische Stellung, so darf der Rechenunterricht eine praktische Schulung nicht ganz außer acht lassen. Zu dem, was in dieser Beziehung einige Berücksichtigung verdient, gehören gewisse Rechnungsvorteile und Regeln. Kehr betont besonders die dekadischen Ergänzungen, die der Übung wert sind. Es seien hier nachfolgende angeführt: »So viel Pfennig das Stück, so viel Mark das Hundert« (und umgekehrt); »so viel Pfennig das Liter, so viel Mark das Hektoliter« (und umgekehrt); »so viel Pfennig das Ar, so viel Mark das Hektar« (und umgekehrt); »so viel Pfennig das Kubikdezimeter, so viel Zehnmarkstücke das Kubikmeter« (und umgekehrt); »so viel Prozent das Kapital, so viel Pfennig Zinsen die Mark« (und umgekehrt); »so viel Pfennig das Gramm, so viel Zehnmarkstücke das Kilogramm« usw. Bloße K u n s t s t ü c k e und S p i e l e r e i e n sind zu vermeiden. Alles zur rechten Zeit und sm rechten Orte. Nicht ganz außer acht soll in unseren Volksschulen das Rechnen mit a l i q u o t e n T e i l e n gelassen werden. Es ist dies die sogenannte »welsche Praxis«, die in Kaufmannskreisen sich noch immer einer gewissen Beliebtheit erfreut und darin besteht, daß man das Gegebene in Faktoren oder Addenden zerlegt, um schließlich durch Addition oder Subtraktion das Endresultat zu erhalten. Z. B. 8 m kosten 12 M, wie hoch kommen 9 m ? Lösung: 8 m kosten 12 M 1 » kostet 1,5 » (addiert) 9 m kosten 13,5 J{.

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Der Unterricht im Rechnen.

Beispiel: 760 M sind zu 6% ausgelegt, welchen Zins erhält man jährlich? Lösung: 100 M tragen QM, 600 » » 36 » 50 » » 3» 10 » » ®/5 » (addiert) 760 M tragen 45 3 / 5 J6. Diese Rechnungsweise trägt alle Merkmale eines geistbildenden Unterrichts an sich; da sie aber nicht allgemein anwendbar ist und vielfach sogar besondere Schwierigkeiten bietet, so kann sie in der Regel nicht als Normal verfahren, sondern nur als sogenannte »freie Lösungsart« behandelt werden. 11. W a s der S c h ü l e r s p r i c h t , soll s p r a c h l i c h , u n d was er s c h r e i b t , k a l l i g r a p h i s c h r i c h t i g sein. Der sprachliche Ausdruck ist das Barometer für das sachliche Verständnis. Richtige mündliche Darstellung zeugt von Klarheit, Schwanken und Stottern von Unsicherheit. Alles »ich teile oder multipliziere mit so und so viel, nehme das so und so oftmal« etc. ist vom Übel. Das »Wenn« und »So« müssen das Gerippe des logischen Körpers bilden. Dabei ist alles Dazwischenreden und Drängen durch den Lehrer zu vermeiden, weil es nur den Gedankenlauf des Schülers stört und zur Unselbständigkeit führt. Als Regel gilt, daß auch beim Rechnen der Schüler in v o l l s t ä n d i g e n S ä t z e n zu sprechen hat. So ist beim mündlichen und schriftlichen V o r r e c h n e n darauf zu dringen, daß die g a n z e A u s r e c h n u n g in einem f l i e ß e n d e n , zus a m m e n h ä n g e n d e n , l o g i s c h e n , k o r r e k t e n und k l a r e n Deutsch vom Schüler möglichst s e l b s t ä n d i g dargestellt wird. V o l l s t ä n d i g e Sätze müssen auch verlangt werden, wenn es sich um das E i n p r ä g e n von R e c h e n s ä t z e n handelt, z. B. beim Einmaleins, beim Bilden der Reihen, beim Resolvieren und Reduzieren usw. Nur beim sogenannten S c h n e l l r e c h n e n (Taktrechnen) genügt ein Wort als Antwort. Z. B. Lehrer: 4 -j- 5 ? Schüler: 91 Lehrer: Dazu 6? Schüler: 15! Lehrer: Davon 7 weg? Schüler: 81 usw.

Rechnen.

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Großes Gewicht ist zu legen auf den richtigen Gebrauch der r e c h n e r i s c h e n A u s d r ü c k e . Richtig ist z. B.: v e r v i e l f a c h e n (statt vervielfältigen); w i e v i e l kosten 8 kg (statt w a s kosten 8 kg); 12 dividiert d u r c h 3 und 12 multipliziert m i t 3; 8 + 9 i s t 17, dagegen 8 m + 9 m s i n d 17 m (im ersten Falle unbenannt, im letzten benannt); das V i e r f a c h e (statt viermal mehr); den 4. Teil (statt 4mal weniger) usw. Die Namen für die Zeitmaße, insbesondere die weiblichen, wenn sie in der Einzahl auf e endigen, werden in der Mehrzahl flektiert; die übrigen Namen für Maße, Münzen und Gewichte bleiben in der Mehrzahl unverändert; z. B. 3 Mark; 19 Pfennig; 4 Glas Bier; dagegen 4 Flaschen Wein; 8 Tage; 10 Meilen usw. Bezüglich des Gebrauches der F r e m d w ö r t e r halte man sich an die Vorschriften des Lehrplanes. Was s c h r i f t l i c h dargestellt wird, muß d e u t l i c h , s a u b e r , ü b e r s i c h t l i c h sein und eine g e f ä l l i g e F o r m besitzen. Da schon der Stellenwert der Ziffern eine präzise Anschreibeweise und schöne Darstellung erfordert, so muß der Lehrer eine solche für jede Rechenart aufstellen und auf deren Einhaltung mit aller Strenge sehen. Dadurch erzielt man a) bei den Schülern Sinn für Gesetzmäßigkeit, Ordnung und Ebenmaß; b) für den Lehrer eine leichte Durchsicht und Beurteilung der Arbeiten; c) die Beseitigung einer Menge Irrtümer und Rechenfehler. Wie aus der Schrift den Menschen, so erkennt man an dfen Heften die Schule. Ein großer Behelf beim Rechnen sind A u f g a b e n h e f t e für die Hand der Schüler. Sie sollen aber nach Diesterweg nichts enthalten als eine wohlgeordnete Sammlung von Beispielen, ohne alles Regelwerk, ohne Vorschriften zur Auflösung, ohne ausgerechnete Musterbeispiele. (S. u.) Anmerkungen.

1. Der Zahlbegiiff. a) Schon im B e s c h ä f t i g u n g s s p i e l der Kleinen wird der Zahlbegriff v o r b e r e i t e t . Aus der Kinderstube und von der Gasse bringt das Kind schon

Der Unterricht im Rechnen.

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Z a h l w ö r t e r (eins, zwei, drei etc.), Z a h l b e g r i f f e (eine, zwei, drei E i n h e i t e n etc.), F e r t i g k e i t i m Z ä h l e n mit in die Schule. (Kinderverse.) (S. Fröbelsche Kindergartenarbeiten.) b) A u s g e s t a l t e t wird aber der Zahlbegriff erst in der Volksschule. Das W e s e n der Zahl und die Z a h l v o r s t e l l u n g führen 1. die R e a l i s t e n (Knoche) auf die äußerliche A n s c h a u u n g der wirklichen Dinge (räumliches Nebeneinander), 2. die N o m i n a l i s t e n (Knilling) auf willkürliche ge-istige Schöpfungen zurück ( z e i t l i c h e s Nacheinander). Eine Entscheidung über die Entstehung des Zahlbegriffes suchten Brahn, Lay (Experimentelle Didaktik. Leipzig, Teubner, 1908) und Meumann in der experimentellen Didaktik, gegen die aber andere opponieren, so: Barheine (Visuelle Erinnerungsbilder beim Rechnen); E. Schmid (Zur Psych, d. elem. Rechnens. Päd. Stud. Neue Folge 27.) Bei allen dreht sich die Sache um die Frage, ob die s i m u l t a n e oder die s u k z e s s i v e Auffassung die p r i m ä r e ist. Außer den »Realisten« oder »Anschauern« (Pestalozzi, Knoche) und »Nominalisten« oder »Zählern« (Tank, Knilling) sind zu beachten 3. die M o n o g r a p h i s t e n (Grube), welche den Z a h l b e g r i f f zu befestigen suchen durch die Anfügung der vier Grundrechnungsarten an die Zahl innerhalb 10 oder 20; (Ein A u s g l e i c h i s t n o c h n i c h t e r r e i c h t , aber von Haase, Wilk etc. erstrebt. Sie sagen, bis 4 sei das Kind vorwiegend »Anschauer«, später besonders »Zähler«.) 4. die S y s t e m a t i k e r (Haase und Wilk), die die Zahl noch in das Z a h l e n s y s t e m (mit Stellenwert) einstellen, wodurch der Zahlbegriff an Klarheit gewinnt. Man kann daher unterscheiden: a) Die Anschauer: s i m u l t a n e Auffassung der Menge. Zahlen sind Individuen; M o n o g r a p h i e n . b) Die Zähler: s u k z e s s i v e Auffassung, Zahl als Glied der Zahlenreihe. c) Die Systematiker: Zahl als Glied des Z a h l e n s y s t e m s . 2. Die Zahlenbilder. •*

a) Nach Gottlieb B u s s e : •• ••• ff ••• •« •• *• • • • •

••••

• • •

ff**

• • • •

• J• M •

••••

•••

Rechnen.

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b) Nach Böhme, Goltsch, Backhaus, Büttner hauen die Zahlenbilder eine Form wie auf Dominosteinen. c) Nach Hentschel:

••









••

#

#

• • • • • • ••

d) Sehr einfach sind die Zahlbilder von Born, Menzel, Knoche, die auch über 10 hinaus, oft bis 20 fortgesetzt werden:

L a y hat experimentell nachgewiesen, daß ein N e b e n e i n a n d e r der Dinge im Raum dem N a c h e i n a n d e r der Dinge in der Zeit als Rechenanschauungsmittel überlegen ist. Er gruppiert der leichten optischen Erfaßbarkeit wegen die größeren Zahlenbilder in • ••• • • •• • • •• • Vierergruppen. Z. B . : • •• •• • • 3. Die Anschauungsmittel für die Zahlbilder. Sie bestehen in einer durchlöcherten Tafel, auf welcher K n ö p f e oder S c h e i b e n eingesetzt werden können oder aus einer Tafel, in der in sonstiger Weise Knöpfe oder S c h e i b e n zu b e f e s t i g e n s i n d . (Aufzählung derselben s. u.) Auch über den Wert der Zahlenbilderapparate gehen die Meinungen noch sehr auseinander. Die Z ä h l e r bestreiten, daß mehr als 4 Punkte überschaut und gleichzeitig erfaßt werdeA können; selbst wenn 4 Punkte überschaut werden, sind sie vom Kind noch nicht als 4 Einheiten erfaßt. (Experimente Knillings.) Das Erfassen der Einheiten (Punkte, Striche etc.) kann wegen Enge des Bewußtseins nur sukzessive geschehen. Zu unterscheiden ist: a) das H i n z u f ü g e n einer Einheit und b) das Z u s a m m e n f a s s e n aller Einheiten zum G a n z e n . Gut ist das Zusammenfassen g l e i c h e r Einheiten (Punkte etc.) und v e r s c h i e d e n e r Einheiten (z. B. 1 Schlüssel, 1 Apfel, 1 Feder etc.). Zu unterscheiden ist: ' • , .. ,. , I I • • I Ordinal- und a) das Zählen, z. B . : ,

¡

¡

¡

.

*

*

* / Kardinalzahl

1

2

3

4

1

2

3

4

b) die Darstellung der Menge, z. B . :

I« . •

• •

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Der Unterricht im Rechnen.

Es benutzen daher die A n s c h a u e r das Zahlbild, die Z ä h l e r die Reihendarstellung. F ü r d i e Z ä h l e r kommen in Betracht: 1. Die Russische Zählmaschine. (Kugeln.) 2. Die Denzelsche Leiter. (Sprossen.) 3. Der Tillichsche Rechenkasten. (Würfel.) (Neu: Müllerscher Rechenkasten. Würfel farbig und mit Ziffern.) Den Veranschaulichungsmitteln unter 1. und 3. macht man Vorwürfe: a) Bei Kugeln ist keine Verschmelzung zum Ganzen vorhanden, b) bei Würfeln kein Erkennen der Einheiten, die im Ganzen stecken, möglich. 4. Die Finger der Hand; sie sind bequem und stets zu haben, verleiten aber zur Denkfaulheit, weil die Kinder auch später darauf zurückgreifen. Die Finger sind nicht gleich, also keine gleichen Einheiten, erschweren außerdem in großen Klassen die Disziplin, werden daher von vielen Methodikern als Anschauungsmittel abgelehnt. Für die Hand der Kinder sollen außer den Fingern bereit sein: Stäbchen, Würfel, Griffel, Münzen, Spielsteine. Dabei ist zu beachten: a) Die Dinge dürfen nicht z u k l e i n sein, wie z. B. Erbsen, Bohnen etc. (Tändeln — in die Ohren stecken). b) Die Dinge dürfen n i c h t s e l b s t die Aufmerksamkeit der Kinder erregen (z. B. Äpfel, Birnen, Nüssfe etc.), weil sonst eine Ablenkung des kindlichen Geistes stattfindet. Bezüglich der Anschauungsmittel für den ersten Rechenunterricht wird allgemein an folgendem festgehalten: Die Einzeldinge, die Einheiten darstellen, sollen nach Größe und Form möglichst übereinstimmen und deutlich hervortreten. Die Anordnung der Dinge oder Zeichen ist übersichtlich und leicht faßlich zu gestalten; auch müssen sie für alle Kinder deutlich sichtbar sein. Endlich sollen die Dinge handlich sein, damit auch die Kinder mit ihnen operieren können. 4. Die Ziffernschreibung. Für die Zahlbegriffe werden Z e i c h e n (Symbole) gesetzt. Manche Methodiker wenden z u e r s t die r ö m i s c h e n Ziffern an, andere mit d e m Z a h l b i l d e auch g l e i c h z e i t i g die a r a b i schen Ziffern.

Rechnen.

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Andere (Wilk) schieben die Anwendung der arabischen Ziffern möglichst weit hinaus. 6. Das Zahlensystem. In der Volksschule wird nur auf das dekadische Zahlensystem eingegangen, wobei bei den Grundzahlen (1—10) eine Unterteilung bei 5 gemacht wird. Die Systematik unterscheidet beim Zahlensystem: a) die G r u n d z a h l e n : 1—9; b) die S y s t e m e i n h e i t e n : 10, 100, 1000 etc., also die reinen Zehner, Hunderter, Tausender usw.; c) die m e h r g l i e d r i g e n Z a h l e n , z . B . : 12, 241, 5637 usw. Zur Darstellung des Systems hat man früher schon verschiedene Zeichen und K ö r p e r benützt; die alten Römer schrieben die Zahlen in den A b a k u s ein und gegenwärtig verwendet man schon früh (im 2. Schuljahr) den S t e l l e n w e r t der Ziffern. Die gegenwärtig fast allgemein übliche unterrichtliche Gliederung des Zahlenraumes ist: 1—10; 10—20; 20—100; 100—1000; über 1000. Ein Haltepunkt bei 20 wird von den meisten Methodikern für notwendig erachtet wegen der Zehnerüberschreitung in Additions- und Subtraktionsaufgaben. Der Aufbau des Hunderters geschieht entweder durch Zuzählen der Einer von 10 bis 20, von 20 bis 30 usw. oder (was häufiger geschieht) durch Aufbau der Zehnerreihe 10, 20, 30, 40, 50 usw. und durch nachträgliches Ausbauen eines jeden Zehners bis 100 mit Einern. Dem Aufbauen der Zehnerreihe wird sogleich das Rechnen mit der Zehnerreihe angefügt. Beim Ausbau des Zahlenraumes von 100—1000 machen manche bei 200 (wie im Zahlenraum von 10—100 bei 20) einen Abschnitt. Im übrigen geschieht der Ausbau des Tausenders ähnlich wie jener des ersten Hunderters. Dem Tausenderkreis folgt fast immer der unendliche Zahlenkreis. Einzelne Methodiker wollen eine obere Grenze bestimmen, z. B. 1 000 000 oder 100 000 000. Von sehr wenigen wird bei 2000 ein Abschnitt gemacht. Ein Hauptstreben aller neueren Methodiker geht dahin, die in den Rechenaufgaben gebrauchten Zahlen h a n d l i c h zu gestalten. Bei jeder Aufgabe soll man sich fragen, ob derartige Zahlen und Zahlenverhältnisse im Leben jemals vorkommen; was den Verhältnissen des Lebens nicht entspricht, ist auszuschließen.

Der Unterricht im Rechncn.

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Größere Zahlen werden von fast allen Methodikern so a n g e s c h r i e b e n , daß von den Einern aus Gruppen von je 3 Ziffern gebildet werden; die Gruppen sind durch größere Zwischenräume getrennt. Um die Hunderter von den Tausendern, die Tausender von den Millionen sichtlich zu unterscheiden, dürfen Punkt und Komma nicht angewendet werden, da beide im Rechnen besondere Bedeutung haben. G. Addition und Subtraktion. Beim Rechenunterricht auf der Unterstufe ist es allgemein gebräuchlich geworden, zuerst die Addition und Subtraktion und erst später die Multiplikation und Division zu behandeln. Ebenso allgemein gebräuchlich ist, von Definitionen (was man unter Addition oder Subtraktion versteht) auf den unteren Stufen abzusehen. Auf den höheren Stufen wird bei der Definition der »Anschauer« vom M e n g e n b e g r i f f (Menge der Einheiten einer Zahl), der »Zähler« vom V o r w ä r t s - oder R ü c k w ä r t s z ä h l e n ausgehen. R e c h e n r e g e l n werden auf allen Stufen abgeleitet, aber nicht oder nur selten auswendig gelernt. Die Bedeutung der im Volksschulrechnen notwendigen Z e i c h e n darf von der in der Mathematik üblichen nicht abweichen. Das Zeichen + heißt stets: »und« ( h ö c h s t e n s noch »dazu«, »mehr«); das Zeichen >— heißt stets »weniger« (höchstens noch »weg«, »ab«); das Zeichen • heißt stets »mal« (manchmal wird fälschlich x angewendet); das Zeichen : heißt stets »geteilt durch« (nie »in«). Ganz falsch wird oft das Zeichen » = « angewendet. ( Z . B . : 12 — 3 = 9 — 3 = 6 — 3 = 3 — 3 = 0 ; es muß heißen: 12 — 3 = 9 ; 9 — 3 = 6; 6 — 3 = 3 ; 3 — 3 = 0.) Beim Addieren auf der Unterstufe benutzen die »Anschauer« das Zahlbild, die »Zähler« das Zählen nach der Zahlreihe. Manche Zahlbilder sind aber ungeeignet und bereiten der kindlichen Auffassung Schwierigkeiten; so die Darstellung: • • • • • • • • oder • • • • • •

Besser ist

• • •

• •

+

• • • • • • •

Noch besser: In allen diesen Fällen gibt erst das Z ä h l e n der Punkte feste Uberzeugung von der Richtigkeit des Ergebnisses.

Rechnen.

157

Die letztere Darstellung ermöglicht auch die Veranscliaulichung von einer Aufgabenreihe. Z. B.: • •

• •

2+ 4 4+2 6=2 6= 4 6—4 6 —

2

= = + + = =

Bei der Subtraktion bieten manche Schwierigkeiten. Z. B.:

Zahlenbilder =



• • •

Besser ist: Noch besser: •

_ oder =

ähnliche



• •- •

m.

Auch hier muß das Kind die Einer zählen. Manche Methodiker lassen daher bei der Subtraktion die abzuziehenden Punkte, Striche, Kugeln oder Scheiben in anderer Farbe erscheinen, Punkte und Striche durchstreichen etc. Z. B.: • * • (d.h. 5 — 3 = 2 ) . Aber auch der Zählakt hat für die Kinder Schwierigkeiten und gestaltet sich zum förmlichen logischen Schließen. Wenn z. B. 5 + 3 addiert werden sollen, so muß das Kind denken: nach 5 kommt 6, dann 7, dann 8; jetzt habe ich 1, 2, 3 Einer dazugezählt, also ist 5 + 3 = 8. A b s t r a k t e s R e c h n e n . Allmählich muß das Rechnen mit Zahlbild oder Zählen in ein abstraktes Rechnen übergehen. Dabei entstehen Schwierigkeiten bezüglich der Zehnerüberschreitung. Bei der Addition wird fast allgemein der eine Summand in 2 Teile zerlegt und mit einem derselben der Zehner des andern vollgemacht etc. Z. B.: 9 + 6 = 9 + 1 + 5 i= 15; 26 + 7 = 26 + 4 + 3 = 33. Ähnlich wird bei der Subtraktion verfahren. Z. B.: 15 — 6 = 15 — 5 — 1 = 9. Selten so: 15 — 6 = ? 10 — 6 = 4; 4 + 5 = 9 ; also 15 — 6 = 9 . Schriftliches Rechnen. Im praktischen Leben wird oft die Addition langer Z a h l e n r e i h e n verlangt; dasselbe ist entsprechend zu üben. Ebenso verdient einige Aufmerksamkeit das

158

Der Unterricht im Rechnen.

Addieren und Subtrahieren nebeneinanderstehender Zahlen. Z. B.: 126 + 3 9 = ? 1 4 5 - — 6 9 = ? Auch kann vorkommen, daß eine obere Zahl von einer unteren subtrahiert werden soll. Zunächst ist aber immer das Normalverfahren zu üben. Dasselbe verlangt das Untereinanderschreiben der Zahlen, bei der Subtraktion des Subtrahenden unter den Minuend. Die Subtraktion wird zuerst durch »Entlehnen« oder »Borgen« (norddeutsche Methode), später durch »Zuzählen«, »Drauflegen«, »Aufzählen« vollzogen (süddeutsche oder österreichische Methode). In der Volksschule beginnt man bei der Subtraktion mit den rechtsstehenden Ziffern. Das K l a m m e r r e c h n e n (bei Vereinigung von Addition und Subtraktion) findet in der Volksschule meistens keine Anwendung. 7. Multiplikation und Division. Die M u l t i p l i k a t i o n wird in der Regel mit den Einern begonnen und mit dem sogenannten H i n e i n r ü c k e n fortgesetzt. Z.B.: 128 X 57 896 6407296 Manche beginnen auch mit der ersten (linken) Ziffer und rücken nach rechts h i n a u s . Bei der Division wird norddeutsch und süddeutsch verfahren. Norddeutsch: Süddeutsch: 5346 : 27 = 198 5346 : 27 = 198 27.. 264 264. 243.

216

-216 216 Um die Rechenfertigkeit zu fördern, wird von allen Methodikern das kleine » E i n m a l e i n s « , von vielen auch das große » E i n m a l eins« verlangt. Die meisten Methodiker behandeln das E i n m a l e i n s in der n a t ü r l i c h e n Zahlenfolge (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9); andere machen Gruppen nach dem Schwierigkeitsgrade. So H a n f t : 2, 10, 5; 4, 8; 3, 6, 9; 7. Ritthaler: 10, 5; 2, 4, 8; 3, 6, 9; 7 usw.

Rechnen.

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Darüber, in welcher Zeit die 4 R e c h e n o p e r a t i o n e n e i n g e f ü h r t w e r d e n s o l l e n , gehen die Methodiker auseinander. Grube ließ bei jeder Zahl von 1—100 sofort alle 4 Operationen (Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren, Dividieren) anwenden; Salberg tat dies nur bei den Zahlen 1—30. (Monographische Zahlenbehandlung.) Die n e u e r e n M e t h o d i k e r nehmen zunächst nur Addition und Subtraktion und schieben Multiplikation und Division möglichst weit hinaus, so daß die beiden letztgenannten Operationen bei manchen erst im zweiten Zehner-, bei anderen sogar erst im zweiten Hunderterkreis auftreten. Maßgebend ist hiefür der amtliche Lehrplan. Von den R e g e l n über die T e i l b a r k e i t der Z a h l e n übernimmt die Volksschule nur die einfachsten. Sie leisten bei der Zerlegung einer Zahl in P r i m f a k t o r e n gute Dienste. Die Lehre von den P r i m z a h l e n spielt wiederum beim Aufsuchen des g r ö ß t e n g e m e i n s c h a f t l i c h e n T e i l e r s und des k l e i n s t e n gem e i n s c h a f t l i c h e n V i e l f a c h e n eine gewisse Rolle. R e c h e n v o r t e i l e und das schätzungsweise Ü b e r s c h l a g e n des R e s u l t a t e s sollen geübt werden, sobald die Kinder die sogenannten N o r m a l v e r f a h r e n beherrschen. Die Rechenvorteile haben den größten Wert im K o p f r e c h n e n . 8. Das Sachrechnen. a) Die Anpassung des Rechnens an das öffentliche Leben hat das S a c h - und S o r t e n r e c h n e n gezeitigt. S a c h r e c h n e n trieb man von jeher; als m e t h o d i s c h e R i c h t u n g entstand es aber im Gegensatz zu Pestalozzi und seinen Anhängern, die nur mit reinen Zahlen rechneten. Von den Begründern dieser Methode stellte S a l b e r g die S a c h e n (Maße, Münzen, Gewichte, Dinge) in den Dienst des R e c h e n u n t e r r i c h t e s , G o l t z s c h den R e c h e n u n t e r r i c h t in den Dienst des S a c h u n t e r r i c h t e s . Die erstere Richtung herrscht vor in den u n t e r e n , die letztere in den o b e r e n Volksschulklassen. b) Das S a c h r e c h n e n hat zu der Erkenntnis geführt, daß man das Rechnen nicht mit a b s t r a k t e n , sondern mit k o n k r e t e n Zahlen beginnen soll und daß die Aufgaben zu A u f g a b e n g r u p p e n zu vereinigen sind, die je einem z u s a m m e n h ä n g e n d e n S a c h g e b i e t e angehören. Die Aufgabengruppen werden mit Ü b e r s c h r i f t e n versehen, z. B. für die Kleinen: Vom Hühnerhof; aus der Vorratskammer der Mutter; vom Weihnachtsbaum etc.; für die Großen: Vom Garten; beim Bienenstock; auf der Post; im

160

Der Unterricht im Rechnen.

Haushalt. Gedruckte derartige Aufgaben bereiten den Kleinen oft noch Leseschwierigkeiten. Hartmann u. a. gliedern den Rechenstoff nach S a c h k r e i s e n ; sie verwenden z. B. bis 5 die Finger, bis 9 das Kegelspiel, bis 10 Wiese und Wald, bis 20 die kleinen Münzsorten. Die Vertreter der k u l t u r h i s t o r i s c h e n S t u f e n knüpfen ihren Rechenunterricht im ersten Schuljahr an das M ä r c h e n (Just), im zweiten an R o b i n s o n an (Rein — Pickel — Scheller). Die Anhänger des F r ö b e l s c h e n S y s t e m s wollen sogar den S p i e l t r i e b der Kinder in den Dienst des Rechenunterrichtes stellen, andere wieder den W e r k u n t e r r i c h t (Hilfsschulen) oder Z e i c h e n unterricht. c) Von den e i n g e k l e i d e t e n A u f g a b e n wird auch auf den unteren Stufen verlangt, daß sie der F a s s u n g s k r a f t der K i n d e r angepaßt und die w i r k l i c h e n , den Kindern naheliegenden Zustände berücksichtigen. Sie sollen sich in e i n f a c h e n Z a h l e n bewegen, brauchen aber nicht immer aufzugehen. Die Aufgabengruppen müssen den verschiedensten Sachgebieten entnommen werden, wobei insbesondere die engere Heimat in Frage kommt. Da die meisten Rechenbücher für die Unterstufe nach dieser Richtung versagen, so verlangen viele Methodiker (Büttner, Gerlach), daß jeder Lehrer eine Aufgabensammlung für s e i n e S c h u l e und seinen S c h u l o r t anlege. Auch schon auf den unteren Stufen sind S c h e r z a u f g a b e n und Aufgaben in R ä t s e l f o r m erwünscht. Die s p r a c h l i c h e D a r s t e l l u n g der Aufgaben muß dem Vorstellungsleben der Kinder angepaßt und korrekt sein. 9. Das Bruchrechnen. a) Die Einführung der B r ü c h e geschieht in der Weise, daß zuerst benannte Dinge, z. B. y 2 Apfel, % Liter gebraucht werden und dann die Brüche selbst als Benennung gelten, z. B. 1 Drittel, 1 Viertel.

Dabei lassen sich die S t a m m b r ü c h e

vor den

a b g e l e i t e t e n B r ü c h e n I —) besonders hervorheben. Wie die Stamm- und abgeleiteten Brüche entstehen, ist noch leicht einzusehen; viele Schwierigkeiten machen aber die Operationen mit Brüchen, insbesondere das Multiplizieren und Dividieren. 2 Z.B.: / 3 - % ; 3/4 : 2 Ii- Auch das Gleichnamigmachen, Heben oder Kürzen erregt bei manchen Kindern schon etwas Unbehagen.

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Rechnen.

Formale D e f i n i t i o n e n des Bruches vermeidet man am besten; R e g e l n aber, wie man mit ihnen operiert, werden abgeleitet. Da das Bruchrechnen viele Schwierigkeiten bietet, so muß man einesteils häufig und reichlich v e r a n s c h a u l i c h e n , andernteils aber auch nur die in der P r a x i s h ä u f i g v o r k o m m e n d e n B r ü c h e berücksichtigen. (S. u.) Zur V e r a n s c h a u l i c h u n g werden benutzt: Strecken (Striche) oder geknickte Stäbe; sodann K r e i s e oder hölzerne, teilbare Kreisplatten; endlich teilbare K u g e l n aus Holz oder Äpfel, Rundbrote. b) Die V o r b e r e i t u n g des B r u c h r e c h n e n s beginnt schon auf der ersten Stufe (also im Zahlenkreis von 1—10), indem man die Kinder mit den Worten: Halbe, Viertel, Achtel etc. vertraut macht. Die s y s t e m a t i s c h e B e h a n d l u n g der B r ü c h e aber wird gegenwärtig fast allgemein hinter die Erledigung des gesamten Zahlenbereiches der ganzen Zahlen verlegt. Nur die Anhänger G r u b e s und S a l b e r g s verbinden mit ihrer allseitigen Zahlenbehandlung schon vom Anfange an das Bruchrechnen. Wie mit der Bruchbehandlung, so ist es auch mit der B r u c h s c h r e i b u n g : die einen beginnen früh, die andern erst bei der Sortenrechnung. Trotzdem bei uns der Dezimalbruch die Hauptrolle spielt, ist der g e m e i n e Bruch im praktischen Leben und insbesondere beim Kopfrechnen durchaus nicht überflüssig. Man hat aber im Auge zu behalten, daß nur Brüche mit kleinen und gebräuchlichen Nennern und bei der Addition nur 2 oder 3 Brüche benutzt werden. In höheren Schulen wird der Bruchstrich w a g r e c h t geschrieben. Dem soll sich auch die Volksschule anschließen. Die Buchdrucker ziehen aber aus technischen Gründen (Raumersparung im Satz, Benutzung größerer Typen) häufig den s c h i e f e n Bruchstrich vor. c) Die D e z i m a l b r ü c h e (in Deutschland durch J. H. Beyer 1603 bekannt geworden) haben in unseren Volksschulen erst seit Einführung des metrischen Systems (1872) eine Bedeutung gewonnen. Eine v o r b e r e i t e n d e Einführung kann schon früh, insbesondere beim Sortenrechnen geschehen; die s y s t e m a t i s c h e Behandlung aber geschieht erst n a c h den gemeinen Brüchen. 10. Der Dreisatz. a) Die R e g e l d e t r i , auch D r e i s a t z oder S c h l u ß r e c h n u n g genannt, bedeutet in der Volksschule die wichtigste Verknüpfung mehrerer Rechenoperationen.

Böhm, Prakt. Erziehungs-u.Unterrlchtslelire. III.Bd. 13.Aufl.

H

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Der Unterricht im Rechnen.

Bei derselben muß der Bedingungssatz die gleiche Reihenfolge der Benennungen haben wie der Fragesatz. In der Regel geht der Bedingungssatz voraus, dann folgt der Fragesatz; es ist aber auch das Umgekehrte zulässig. Z. B.: Für 25 Jg erhält man 15 kg. » 20 » » » ? » Oder. Für 20 M erhält man ? kg wenn man für 25 » 15 » erhält. Statt des »?« kann auch ein »x« gesetzt werden. Regeldetriaufgaben, die ohne Anwendung des Bruchsatzes als S c h l u ß r e c h n u n g gelöst werden, können schon vor dem Bruchrechnen eingeführt werden, während sie m i t B r u c h s a t z dem Bruchrechnen folgen. Neben der e i n f a c h e n ist die z u s a m m e n g e s e t z t e , neben der g e r a d e n (direkten) die u n g e r a d e (indirekte) Regeldetri zu unterscheiden. Damit die Kinder nicht mechanisch sondern immer denkend rechnen, müssen nach der Einzelbehandlung der direkten und der indirekten Regeldetri viele sogenannte v e r m i s c h t e Aufgaben gegeben werden. b) Strittig in der Methode des Rechnens ist die Frage, ob die Q u a d r a t w u r z e l n in der Volksschule ausgezogen werden sollen. Meistens wird das Ausziehen derselben gelehrt, nie das Ausziehen der Kubikwurzeln. Ebenso strittig ist in neuerer Zeit die Frage, ob die sogenannten a l g e b r a i s c h e n A u f g a b e n in die Volksschule gehören. In den meisten Rechenbüchern finden sie sich, meist schon von der ersten Stufe an. Neuere Bestrebungen zielen dahin, die sogenannten M i s c h u n g s und T e r m i n r e c h n u n g e n aus der Volksschule zu verbannen und dafür dem S a c h r e c h n e n einen größeren Spielraum zu gewähren. Man nimmt den Rechenstoff aus der Physik, der Hauswirtschaft (Wohnung, Kleidung, Heizung und Beleuchtung), dem Staatsleben (Steuern, Zölle, Versicherungswesen) und aus der Statistik. b) Lehrform und Lehrweise. Kein Fach erfordert solch streng logisches Denken, in keinem sind die Resultate so notwendig und zwingend und die Beweise so scharf und befriedigend als gerade in der Mathematik. Sie ist deshalb die exakteste aller Wissenschaften

Rechnen.

163

und ihre Stütze die gesuchteste von allen Gelehrten. Aber gerade die Exaktheit und Präzision verleiht ihr eine Härte und eine Unbeugsamkeit, die nicht jedermanns Sache ist; die Mehrzahl der Menschen zieht im Gegenteil die ungeregelte Freiheit im Denken dem eisernen Schritte der Logik vor. Das logische Denken geht gerade auf das Ziel los; Umschweife und Winkelzüge sind ihm fremd. Da nun der geradeste W e g auch zugleich der kürzeste ist, so ergibt sich als notwendigste Eigenschaft der logischen Operationen die K ü r z e . Es gilt daher beim Rechnen stets, alles Unwesentliche und Nebensächliche aus den Aufgaben auszuscheiden und sie möglichst k n a p p und b ü n d i g zu formulieren. Hier ist jedes Wort zu w ä g e n und zu z ä h l e n ; alles A u f m a ß wird zum Übel. — Kürze und Bündigkeit aber ruhen noch auf einer anderen Voraussetzung, nämlich auf der K l a r h e i t . Wer alle Verhältnisse richtig erfaßt, findet sicher die entsprechenden Mittel, den Knoten zu entwirren; es ergeben sich von selbst die geeigneten Worte, um das Wesen der vorliegenden Sache zu charakterisieren. Der unklare, verschwommene Kopf aber wickelt nicht selten ein Körnchen Wahrheit in eine riesige Umhüllung. Jede Rechenstunde soll sein wie ein gemeinsamer Ausflug auf einen Berg, wobei der Lehrer die Rolle des Führers spielt, der zur rechten Zeit zum Aufbruche mahnt, vor Abgründen warnt, die richtigen Pfade weist, den Mut der Schwachen neu belebt, das ersehnte Ziel signalisiert und schließlich nach all den überstandenen Leiden und Strapazen an der gemeinsamen Freude teilnimmt. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß im Rechenunterricht die h e u r i s t i s c h - e n t w i c k e l n d e Lehrform im ausgedehnten Maße anzuwenden ist. Was die Schüler selbst finden, hält am längsten und gewährt das größte Vergnügen. Alles bloße Geben und Vordemonstrieren ist vom Übel. A m besten geschieht die D u r c h a r b e i t u n g einer U n t e r r i c h t s e i n h e i t nach bestimmten U n t e r r i c h t s s t u f e n . Ob nun (nach D ö r p f e l d ) drei, (nach H e r b a r t ) vier, (nach R e i n ) fünf oder (nach dem Verfasser dieses) sechs Stufen angewendet werden, ist von keiner wesentlichen Bedeutung; ein gutes Resultat läßt sich mit allen erzielen. 11*

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Der Unterricht im Rechnen. Lehrprobe1). Bilden und Zergliedern der Zahl 6. V o r a u s s e t z u n g : Behandlung der Zahlen von 1—5. A n s c h a u u n g s m i t t e l : Rechenmaschine und Zahlbilder. U n t e r r i c h t s s t u f e : Vorbereitungsklasse. I. Anschauen, a. (1. Betätigung der Sinne.) Rechnen mit b e n a n n t e n Zahlen und anschaulich. A. Der Lehrer o p e r i e r t : 1. m i t k ö r p e r l i c h e n D i n g e n .

An der oberen Stange der Rechenmaschine sind 5 Kugeln zu sehen. Zählt, wie viele Kugeln ich vorgeschoben habe! Der Lehrer schiebt bis auf einen kleinen Abstand zu den 5 Kugeln eine weitere Kugel. — Zählt, wie viele Kugeln ihr jetzt an der Rechenmaschine seht! — Wie viele Kugeln habe ich zu den 5 Kugeln legen müssen, damit ich 6 Kugeln erhielt ? — 5 Kugeln und wie viele Kugeln sind also 6 Kugeln? — Wie sind die 6 Kugeln abgeteilt ? — Wie haben wir also die 6 Kugeln zerlegt ?2) In ähnlicher Weise wird an den weiteren Stangen der Rechenmaschine veranschaulicht: 4 Kugeln + 2 Kugeln = 6 Kugeln 6 Kugeln = 4 Kugeln + 2 Kugeln 3 » + 3 » = 6 » 6 » = 3 » + 3 » 2 » -j- 4 » = 6 » 6 » =2 » -f-4 » » =6 » 6 » = 1 Kugel - | ~ 5 » 1 Kugel + 5 Bearbeitet nach den psychologischen Stufen von Königbauer. Nach dem dort angegebenen Schema vollzieht sich der Lernprozeß in zwei Hauptakten. Das D i n g w i r d f ü r s i c h s i n n l i c h b e t r a c h t e t , die Eindrücke werden d e n k e n d geordnet und ihr Besitz durch Ü b u n g gesichert. Dies der erste Akt. Im zweiten Akt werden die g e w o n n e n e n V o r s t e l l u n g e n mit anderen zugleich b e t r a c h t e t , verglichen, d e n k e n d der Begriff, die Regel, das Gesetz abgeleitet und auf Wert und Nutzen durch die A n w e n d u n g geprüft. Diese zwei Hauptakte bedeuten also ein Fortschreiten der Erkenntnis von einer niederen zu einer höheren Stufe, verhalten sich etwa zueinander wie Perzeption und Apperzeption, psychischer und logischer Begriff, logische Analyse und logische Synthese, Induktion und Deduktion. In jedem Akte aber steckt die Trias: Anschauen, Denken, Üben (Anwenden). Der Herausgeber. 2 ) Im Bedarfsfalle werden die Rechensätze noch an Scheiben, Münzen etc. entwickelt.

Rechnen.

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Danach haben die Schüler die Reihe in der angegebenen zweifachen Form ab- und aufwärts (einzeln und im Chor) von der Rechenmaschine abzulesen. 2. m i t g e s c h r i e b e n e n Z e i c h e n . Der Lehrer schreibt das Zahlbild 5 an die Schultafel und fragt: Wie viele Punkte seht ihr ? — Zählt bis 6 weiter 1 — Dabei macht der Lehrer in nebenstehender Weise den 6. Punkt zu dem Bild der Zahl 5: • • Fortsetzung analog 1.

• •

B. Die Schüler o p e r i e r e n : 1. m i t k ö r p e r l i c h e n D i n g e n . N., schiebe an der Rechenmaschine 5 Kugeln vor! — Zähle bis 6 weiter und lege dabei die fehlenden Kugeln dazu! 1 ) — Wie viele Kugeln hat man zu 5 Kugeln legen müssen, damit man 6 Kugeln bekam ? — 5 Kugeln und wie viele Kugeln sind also 6 Kugeln ? — Wie sind an der Rechenmaschine die 6 Kugeln zerlegt ? In ähnlicher Weise werden an den weiteren Stangen der Rechenmaschine von anderen Schülern 6 Kugeln aus 4 und 2, 3 und 3, 2 und 4 Kugeln, 1 Kugel und 5 Kugeln gebildet und wieder zerlegt. Danach folgt das Ablesen der Reihe von der Rechenmaschine wie bei A I . 2. m i t g e s c h r i e b e n e n Z e i c h e n . Schreibt auf eure Tafel das Zahlbild 51 — Macht daran noch ein kleines Feld I — Zählt bis 6 weiter und schreibt dabei die fehlenden Punkte in das leere Feldl Fortsetzung analog B 1. b. (2. Zusammenfassung und Sicherung des Gewonnenen.) (Rechnen mit b e n a n n t e n Zahlen, aber nicht anschaulich.) (Neuerliche Veranschaulichung nur im Bedarfsfalle.)

1. Bilden der Zahl 6. a) In d e r R e i h e . Wie viele Kugeln muß man zu 5 Kugeln legen, um 6 Kugeln zu erhalten? l ) Die zugelegten Kugeln bleiben in einem kleinen Abstand, so daß die 6 Kugeln 2 Teile bilden.

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Der Unterricht im Rechnen.

Wie viele Kugeln braucht man zu 4 Kugeln, damit es 6 Kugeln werden ? Wie viele Kugeln müssen zu 3 Kugeln gelegt werden, wenn man 6 Kugeln bekommen will ? Wie viele Kugeln fehlen von 2 Kugeln auf 6 Kugeln ? » » » muß man zu 1 Kugel schieben, damit man 6 Kugeln erhält ? Das gleiche mit Punkten, b) A u ß e r der R e i h e , zugleich mit verschiedenen Benennungen (M, m, 'S etc.). 2. Zerlegen der Zahl 6. a) In der Reihe. 6 Kugeln sind 5 Kugeln und wie viele Kugeln ? usw. bis: 6 Kugeln sind 1 Kugel und wie viele Kugeln ? Wie kann man 6 Kugeln zerlegen ? (in 5 Kugeln und 1 Kugel, in 4 Kugeln und 2 Kugeln etc.) b) A u ß e r der R e i h e , zugleich, mit verschiedenen Benennungen (M, 0" etc.). II. Denken. a. (3. Abstraktion der Rechensätze.) ( R e c h n e n m i t r e i n e n Zahlen.) Genau wie bei 2, doch ohne Benennung. b. (4. Verknüpfung mit Ähnlichem.) 1. Bilden der Zahl 2—6. a) In der Reihe. Wie viel muß man zu 4 legen, um 5 (6) zu erhalten? » » braucht man zu 3, damit 4 (5, 6) werden? » » muß man zu. 2 legen, um 3 (4, 5, 6) zu bekommen ? » » fehlt von 1 auf 2 (3, 4, 5, 6) ? » » muß man zu 1 (2) legen, um 3 zu erhalten ? » » braucht man zu 1 (2, 3), damit es 4 werden? » » muß man zu 1 (2, 3, 4) legen, wenn man 5 bekommen will ? Wie viel fehlt von 1 (2, 3, 4, 5) auf 6? b) A u ß e r der Reihe. Wie viel braucht man zu 1, damit es 2 (5, 3, 6, 4) werden ? » » muß man zu 2 (5, 3, 1, 4) legen, um 6 zu erhalten? » » fehlt von 4 auf 6 ? Von 2 auf 5 ? etc.

Rechnen.

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2. Zerlegen der Zahlen 2—6. a) In d e r Reihe. 2 (3, 4, 5, 6) ist 1 und wie viel ? 3 (4, 5, 6) » 2 » » »? 4 (5, 6) » 3 » » »? 5 (6) » 4 » » »? 6 » 5 » » »? Wie kann man 2 (3, 4, 5, 6) zerlegen ? b) A u ß e r der Reihe. (5, 2, 6, 4) ist 1 und wie viel? 6 » 2 (5, 1, 4, 3) und wie viel? etc. III. Anwenden. (6. Anwendung.) 1. Eingekleidete Aufgaben mündlich. Otto hat 5 Schusser. Abends bringt er 6 nach Hause. Wie viel hat er gewonnen ? Franz und Max haben zusammen 6 Ostereier. Franz hat 4; wie viele hat Max? Ein Bäuerlein hat 3 Kühe. Wie viele muß es noch kaufen, bis 6 Kühe in seinem Stalle stehen ? An einer Straße stehen 6 Häuser. Auf der einen Seite sind 2, wie viele auf der anderen? etc. 2. Vorschreiben von Zahlbild und Ziffer 6; Üben durch die Schüler. 3. Uneingekleidete Aufgaben schriftlich. 5 + ?= 6 6= 4+ ? 3+ ?= 6 6 = 1 + ? 1+ ?= 6 6= 3+ ? 1+ ?= 4 4 = 3 + ? etc. etc. V o n e i n g e k l e i d e t e n s c h r i f t l i c h e n A u f g a b e ® muß auf dieser Stufe noch abgesehen werden. IV. Geschichte der Methodik des Rechenunterrichts.

A. Altertum. Sobald die ersten Familien zueinander in Beziehung traten, mußte sich das Bedürfnis geltend machen, in irgendeiner Weise Zahlen zum Ausdrucke zu bringen; ohne ein Mittel hiezu war selbst der Tauschhandel, wohl der erste unter den Völkern, auf die Dauer unmöglich.

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Der Unterricht im Rechnen.

Zur Veranschaulichung einer Mehrheit wurden anfänglich überall die F i n g e r d e r H a n d benutzt. Darauf deutet der Umstand hin, daß das Fingerrechnen sehr frühzeitig auftritt und im ganzen Altertum, bei den Griechen, Römern, Arabern, Persern etc. allgemein gebräuchlich war; die Chinesen vollführen mit seiner Hilfe heute noch ihre meisten Rechenoperationen. Da aber die Zahl der Finger eine beschränkte ist, so dürften beim Fortschreiten der Zahlenentwickelung bald die Z e h e n zur Ergänzung mit herangezogen worden sein. Diese Mitbenutzung war um so leichter zu bewerkstelligen, da die Menschen in den wärmeren Zonen — und von diesen ging das Rechnen nach allen Forschungen aus — durch eine Fußbekleidung daran nicht gehindert waren. Wenn nun auch die ersten Völker in ihrer Rechenkunst lange nicht über die Zahl 20 hinauskamen, einmal mußte doch eine Zeit kommen, wo sämtliche Finger und Zehen nicht mehr ausreichten; ihre Stelle versahen dann im Rechnen Steinchen, Stäbchen, Muscheln, später insbesondere Marken und Münzen. Dadurch ließen sich nun wohl beliebige Mengen Einheiten aneinander reihen; für größere Summen aber mußte diese Art des Zählens höchst unbequem werden. Aus dieser Not rettete die Völker irgendein antikes Genie durch Einführung gewisser P e r i o d e n — ein Fortschritt von immenser Bedeutung. Der bei fast allen Kulturvölkern des Altertums vorkommende P e r i o d e n a b t e i l e r war die Zahl Zehn, die Anzahl der Finger beider Hände (Dekadik). Weit seltener wurde ein anderes System gewählt, so von den Grönländern das Fünfersystem (Pentadik), von den Chinesen das Zweiersystem (die Dyadik). Um die Periode kenntlich zu machen, setzte man größere oder anders gefärbte Steine, Muscheln, Kugeln etc. ein, die der Bequemlichkeit wegen, und um Verwirrungen zu verhindern, an Schnüre gefaßt wurden. Daraus entwickelten sich allmählich Rechenmaschinen, die bei den Chinesen und Russen schon seit Jahrhunderten und noch heute im Gebrauche sind. Als A n s c h a u u n g s m i t t e l werden sie auch, in stets verbesserter Form, für alle Zukunft einen gewissen Wert behalten. Weit schwieriger als das A u f f a s s e n und V o r s t e l l e n der Zahlen war ihre schriftliche Darstellung, die Z a h l e n g r a p h i k . Die alten Ägypter und Babylonier verknüpften sie enge mit ihrer Wortschrift und auch die semitischen Völker sowie die Indier und Griechen verwendeten die Buchstaben ihres Alphabets. Am besten sind wir über das Verfahren der Hellenen unterrichtet. Sie ergänzten ihr Alphabet auf 27 Buchstaben und stellten mit den ersten 9 die Einer (1—9), mit den 9 folgenden die Zehner

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(10—90), mit den 9 letzten die Hunderter (100—900) dar. »Um aber bemerklich zu machen, daß die Buchstaben als Zahlzeichen dienen sollten, versahen sie dieselben oben mit einem Striche; und wenn sie Zahlen darstellen wollten, welche aus Einern und Zehnern oder aus Einern, Zehnern und Hundertern zusammengesetzt waren, stellten sie zwei, beziehentlich drei Buchstaben nebeneinander wie wir unsere Ziffern. Zur Darstellung größerer Ziffern fing man bei 1000 mit dem Alphabet wieder von vorn an, indem man einen Strich u n t e r die Buchstaben setzte etc.« (Dittes.) Einen Schritt vorwärts machten die Römer. Sie bildeten aus ihren Buchstaben eine eigene, bei uns allgemein bekannte Bezifferungsmethode. Diese enthält ein Zehner- und gleichzeitig ein Fünfersystem. Als Zeichen wählten sie: I (1), V (5), X (10), L (50), G (100), D (500), M (1000). Auch eine Rechenmaschine erfand dieses alte Kulturvolk; man nannte sie äbäcus, d. i. Rechenbrett. Dieses Instrument ist für uns von besonderem Interesse, weil einesteils daraus die Art der Anschreibung unserer Ziffern entstand und andernteils das bis spät in das Mittelalter hinein in Deutschland gebräuchliche Rechenbrett sich daraus entwickelte 1 ). Vor dem berühmten Staatsmann und Gelehrten Boetius besaß der Abakus folgende Gestalt: Auf einem Brette waren parallele Linien (Rinnen) eingegraben, die (nicht ganz in der Mitte) eine Unterbrechung hatten. Im oberen, kürzeren Teil der-Rinne war je ein verschiebbarer Knopf befestigt, der F ü n f bedeutete; der untere Teil der Rinne hatte v i e r solcher Knöpfe,

Fig. 1.

wovon jeder E i n s darstellte. An der Unterbrechungsstelle waren folgende Zeichen angebracht: I ( = Einer); X ( = Zehner); G ( = Hunderter); (|) ( = Tausender) usw. bis zu den Millionen. Durch die verschiedene Bedeutung der Stellen und der Knöpfe war es möglich, alle Zahlen darzustellen; man näherte einfach die Knöpfe den Unterbrechungsstellen; die oben beziehungsweise unten bleibenden gehörten nicht zur Zahl. Auf Figur 1 ist die Zahl 69 628 zusammengesetzt.

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Der Unterricht im Rechnen.

Einer allgemeinen Verbreitung erfreute sich aber der Abakus in jener Zeit selbst bei den Römern noch keineswegs. Nur einzelne Gelehrte (meist Mönche) und hervorragende Kaufleute wußten ihn zu handhaben; in Deutschland war er lange noch ganz unbekannt. Das V o l k rechnete überall entweder mit den F i n g e r n , Muscheln, Steinen oder, über gewisse Zahlengebiete hinaus, gar nicht. Von einer Weiterbildung der mathematischen Kenntnisse war selbst in aufgeklärteren Kreisen keine Rede. B. Das Mittelalter. Bis ins 12. Jahrhundert kannte Europa, Spanien ausgenommen, nichts als die schwerfällige und schwierige Art des Rechnens mit dem römischen Abakus und die auf enge Grenzen beschränkte Benutzung der Finger. Die entstehenden Klosterschulen, lange Zeit fast die einzigen, schlössen in ihrer Methode und ihrer Denkweise sich enge an das lateinische Rom an und ihre Arithmetik, wenn solche überhaupt getrieben wurde, erfuhr keine Erweiterung; man suchte nur das Erreichte zu erhalten. Zeugnis hiefür geben die Schriften des in einem Kloster an der schottischen Grenze lebenden Mönches B e d a V e n e r a b i i i s (der Ehrwürdige, f 735) sowie des im 9. Jahrhundert zu Reichenau gebildeten Mönches W a l a f r i e d S t r a b o . Auch R h a b a n u s M a u r u s (776—856 n. Chr.), Vorsteher der Klosterschule in Fulda, begnügte sich damit, Bedas Schriften in die leichtere Form des Dialoges zu bringen. Eine Neuerung bahnte erst der bei den Mauren in Spanien gebildete französische Abt Gerbert, später Papst Sylvester II., dadurch an, daß er im Kolumnen-Abakus die römischen Ziffern durch indisch-arabische Zahlzeichen zu ersetzen versuchte. Trotz dieses Anlaufes aber blieb das Rechnen, das vielfach in dunkle und unklare Regeln eingehüllt wurde, um es als eine Art Magie betreiben zu können, eine höchst Aus diesem Rechenbrette, das man L i n i e n - A b a k u s nannte, ging der K o l u m n e n - A b a k u s hervor. Er hatte die Form von Fig. 2. In der horizontalen Kolumne wurde der Stellenwert eingetragen. I bedeutete die Einer; X ( = Zehner); C ( = Hunderter); I ( = Tausender); X ( = Zehntausender) usw. bis 100 000 Millionen. Die vertikalen Kolumnen nahmen die zu schreibenden Zahlen auf. Fehlten in der Zahl die Einer, Zehner etc., so blieb die Stelle leer, denn die Null kannten die Römer noch nicht. Die in Fig. 2 eingetragene Zahl heißt demnach 305 692. Als Erfinder des Kolumnen-Abakus wird allgemein der gelehrte Kanzler des Kaisers Theodorich, Boötius (t 526), angesehen. Er nannte ihn p y t h a g o r ä i s c h e R e c h e n t a f e l . Anfänglich wurden in die Kolumnen bewegliche Symbole (Buchstaben, kleine Würfel mit Zahlzeichen, Münzen etc.) eingesetzt; später benutzte man die römischen Ziffern.

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schwierige Kunst, die nur philosophisch geschulte Köpfe mit eminentem Gedächtnis sich anzueignen vermochten. Endlich begann auch für- Europa vom Oriente her die Morgendämmerung am mathematischen Himmel. Schon vor dem 4. Jahrhundert n. Chr. leuchtete dort ein glänzender Stern, der sich allmählich zur belebenden Sonne gestaltete. Im alten I n d i e n (an der tamulischen Akademie zu Madhura) war man um diese Zeit mit unserem heutigen Dezimalsysteme schon ziemlich vertraut; sogar der Stellenwert der Ziffern und die stellvertretende Null waren bekannt. Bis zum 7. Jahrhundert hatte das begabte Kulturvolk seine Arithmetik und Algebra in einer Weise ausgebildet, die uns geradezu in Staunen versetzt. Ein aus dem Sanskrit ins Englische übertragenes Rechenwerk des Brahmegupta (um 650 n. Chr.) behandelt schon die Bruch-, Zins- und Gesellschaftsrechnungen, die Regeldetri, die Proportionen und Progressionen, Flächen- und Körperberechnungen sowie das Ausziehen der Quadratwurzel. Und schon im 12. Jahrhundert, als es im Abendlande noch fast dunkel war, schrieb Bhascara Acharya (1180) seine noch inhaltsreichere »wonnevolle« Arithmetik. Wenn nun auch die Indier stolz waren auf ihre Wissenschaft, so haben sie doch weniger gegeizt damit als die Gelehrten des Abendlandes. Schon im Jahre 773 brachte eine indische Gesandtschaft astronomische Tabellen und eine praktische Arithmetik zu den befreundeten Arabern nach Bagdad, wo der weise Almansor herrschte, und von hier aus verbreitete sich die indische Wissenschaft mit den erobernden Mauren allmählich über Nordafrika nach Spanien. Trotzdem nun in diesem Lande fast ausschließlich indisch-arabische Rechenkunst getrieben wurde; trotzdem Scharen von Jünglingen aus allen Ländern des übrigen Europa nach den Brennpunkten der maurischen Gelehrsamkeit , nach Sevilla und Toledo, strömten: verbreitete sich doch nur sehr allmählich die neue mathematische Wissenschaft. Daran trug einesteils der Umstand schuld, daß fast nur lateinisch geschrieben wurde, andernteils trat aber auch der Mangel an Schulen hindernd in den Weg. In Deutschland wurde erst mit der Gründung der Universität Wien (1365) eine Leuchte für mathematische Gelehrsamkeit gesetzt und so wenigstens für die Gelehrten und Studierenden eine neue Rechenweise geschaffen. Das Volk aber wurde vom neuen Lichte nicht erhellt; es blieb bei der herkömmlichen Fingerrechnung. So beschränkte sich die indische Rechenkunst, die man dem arabischen Gelehrten Mohammed Ben Musa zu Ehren, der um 830 ein weitverbreitetes Rechenbuch herausgab, A l g o r i t h m u s , auch

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Der Unterricht im Rechnen.

A l g o r i s m u s nannte (da er nach seinem Geburtsdorfe den Beinamen Alkharizmi führte), bis ins 16. Jahrhundert fast ausschließlich auf die Gelehrtenschulen und auch dort kam ihr Studium nur durch den gewaltigen und glänzenden Fortschritt der Astronomie in Schwung. Erst als das Zeitalter der Reformation auch die untersten Schichten des Volkes geistig erregte, erst als die lateinische Sprache durch die deutsche 1 ) ersetzt wurde und Handel und Verkehr lebhafter pulsierten, trieb auch die indisch-arabische Rechenkunst ihre ersten Wurzeln in die Schichten der b ü r g e r l i c h e n Gesellschaft der größeren Städte. Seit dem Falle von Konstantinopel ging der Zug des Welthandels von Venedig über Augsburg, Nürnberg und Köln und bald bildete sich in der Kaufmannschaft eine eigene Praxis des Rechnens heran. Italiener betrieben überall unter dem Namen »Lombarden« Wechslergeschäfte und vermittelten den Deutschen ihre »welsche Praktik«. So wurden auch hier die Handelsstraßen zu Kulturwegen, die, durch die Erfindung der Buchdruckerkunst, die Gründung von Schulen und das Wiederaufblühen des Studiums der Alten gefördert, bald ganz Europa durchzogen. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts werden in Deutschland auch die arabischen Ziffern fast allgemein2). Sie sind verbesserte Gobar- oder Staubziffern, die unter den Arabern des Okzidents gebräuchlich waren und folgende Gestalt besaßen:

; 2 / /

9 6 7 S-Jo

Diese w i l l k ü r l i c h gewählten oder aus den Anfangsbuchstaben der indischen Zahlwörter entstandenen Zahlzeichen wurden von den christlichen Nationen angenommen, allmählich verbessert und durch *) Das älteste d e u t s c h e Rechenbuch erschien »im Jare Christi 1473 kl. 17 des Meyen« zu Bamberg. (Gerhardt, Gesch. d. Math. S. 29.) Aber noch im 16. Jahrhundert wurden in Deutschland über 200 in lateinischer Sprache abgefaßt. Von allen 300 des 17. Jahrhunderts war noch der vierte Teil lateinisch, von den 400 des 18. Jahrhunderts nur noch ein geringer Bruchteil. 2 ) Die ersten Versuche, sie im Abendlande einzubürgern, reichen noch weiter hinauf. Schon im 10. Jahrhundert erlernte sie Abt Gerbert in Spanien, im 12. Jahrhundert bediente sich ihrer der gelehrte Jude S a v a c o r d a aus Barcelona; später machten Georg v. P e u e r b a c h (t 1461) und R e g i o m o n t a n u s (Johannes Müller, i" 1476) für sie Propaganda. Ersterer verfaßte auch einen Leitfaden für die ersten Elemente des Rechnens, um, wie Grammateus sagt, die »jungen studonten der hoen schuel zu Wien« darin besser unterrichten zu können. (Vgl. Gerhard, Geschichte der Mathematik.)

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die Buchdruckerkunst fixiert, wodurch sie das Übergewicht erreichten 1 ). Weniger Wahrscheinlichkeit hat die von B ö h m e (Berlin) erwähnte Meinung, daß unsere Ziffern ursprünglich Zahlenbilder vorstellten. Wir geben sie nachstehend:

| | L. IJ IL i i

C r r-i • cn J In -¡- • Q|

C. Die Neuzeit.

Wie im 19. Jahrhundert ein Teil der Naturwissenschaften, so wurde auch zu Ende des Mittelalters und am Anfang der Neuzeit die Arithmetik einfach deshalb betrieben, weil sie sich als höchst nützlich für das öffentliche Leben erwies. Es war daher das ganze Streben auch darauf gerichtet, möglichst rasch eine m e c h a n i s c h e Fertigkeit in den Operationen mit den vier Spezies zu erzielen; an eine Verbesserung der Methode, an einen g e i s t b i l d e n d e n Unterricht dachte vorerst niemand. Aus dem KolumnenAbakus der Römer entwickelte sich in Deutschland allmählich das R e c h e n b r e t t , und da an all diesen Rechenmaschinen wohl Addition und Subtraktion rasch ausgeführt werden können, Multiplikation und Division aber große Schwierigkeiten bieten, so ist es erklärlich, warum die »welsche Praktik«, die eben jede Rechnung sozusagen in eine Addition oder Subtraktion verwandelt, fast ausschließlich angewandt wurde 2 ). Um diese Zeit entstanden auch die Zeichen + und — durch schnelles Schreiben aus den Anfangsbuchstaben von plus und minus sowie das Zeichen für Pfund (©") aus dem Worte libra (lb). 2 ) Das deutsche R e c h e n b r e t t bestand aus einem Brette oder einer B a n k , worauf dauernde oder nur für den augenblicklichen Gebrauch dienende Parallellinien gezogen waren. 100 000 (Fig. 3.) Mittels Rechenpfennigen oder 50 000 • 10 000 Steinchen, die man zwischen und auf 6 000 • 1000 •— die Linien legte, wurden die Zahlen 600 • dargestellt. Eine Rechenmünze unter 100 • 50 • der ersten Linie bedeutete in jedem 10 • — 6 folgenden Zwischenraum das Zehnfache 1 vom Vorhergehenden. Auf die erste • (= 1566>/2) V» • Linie kamen die Einer zu liegen, auf Fig. 8. jede folgende das Zehnfache vom Vorhergehenden. Es folgte also von unten nach oben aufeinander: y 2 , 1, 5, 10, 50, 100, 500, 1000, 5000, 10 000 etc.

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Der Unterricht im Rechnen.

Das Rechnen »auff der Linihen« oder Bankrechnen, wie man es nannte, wurde gegen Ende des 17. und im 18. Jahrhundert allmählich von der Arithmetik der Araber, die man auch Rechnen »auff der Federn« hieß, da man dazu Stift oder Feder nötig hatte, verdrängt. Heute findet man nur noch einige Anklänge in den Wörtern: Bank, Bankhaus, Banknote, Bankrott, Wechselbank etc. Die Rechenautoren des 16. Jahrhunderts behandeln meist beide Rechenarten nebeneinander, so A d a m Ries(e) oder Ryse, einer der hervorragendsten Arithmetiker seiner Zeit. Er ward in dem bedeutungsvollen Jahre 1492 zu Staffelstein bei Lichtenfels in Bayern geboren. Als Bergbeamter in Annaberg übte er in der selbstgegründeten Privatschule seine Rechenkunst aus. Diese trieb den Mechanismus auf die Spitze und bestand daher nur aus einer Unzahl von Regeln, wie die verschiedenen Operationen ausgeführt werden sollen. Von einer Entwickelung, Erklärung und tieferen Begründung findet man keine Spur. Überhaupt ist es charakteristisch für jene ganze Zeit, daß das, was die Indier schon im 7. Jahrhundert verstanden, nämlich a l l g e m e i n e mathematische Gesetze aufzustellen, für die niedere Arithmetik in keiner Weise versucht wurde. Es mag dies seinen Hauptgrund darin haben, daß die Männer der Wissenschaft, die Gelehrten, sich des Schul- und niederen Rechnens absolut nicht annahmen; die kleinen Geister aber fanden und sahen überall wieder spezielle »Gesetzlein« und neue Rechnungsarten, wo die Aufgaben in einem andern, fremdartigen Gewände erschienen. Auf diese Weise entstanden die »Stich-, Tausch-, Change- oder Barattrechnungen, die Faktorey-, Cassir-, Falsi-, Coeci- oder Blindrechnung, die Gewandt-, Fusti-, Saffran-, Silber- und Goltrechnung, Schickung des Tiegels, Münzschlagk, von Gesellschaften, Regula Falsi und die Praktika etc.«. Auch im 17.1) und 18. Jahrhundert kam die niedere Arithmetik trotz der glänzenden Fortschritte der höheren Mathematik Erwähnung verdienen aus diesem Jahrhundert zwei ihrem Werte nach sehr verschiedene Erfindungen. Die erste ist die D e z i m a l b r u c h r e c h n u n g . Nach Cantor finden sich ihre ersten Spuren bei J o h a n n e s v o n S e v i l l a (12. Jahrhundert) und G e r o n i m o Cardano (1501—1575); R e g i o m o n t a n u s soll sie gleichfalls bei Berechnung seiner Sinustafeln angewandt haben. Als selbständiges System wurde sie aber erst 1619 von »Johann Hermann B e y e r n , D. med. ord. zu Frankfurt am Meyn«, publiziert. Er nannte die Zehntel »Primen oder erste Zehender«, die Hundertstel »Sekunden oder zweite Zehender« usw. Die zweite Erfindung ist die des R e e s i s c h e n S a t z e s . Auch dieser findet sich schon embryonisch in der indischen Lilavati, d. h. der »reizenden, wonnevollen Arithmetik des Bhascara«, später (1668) bei dem Engländer Wingaie. Nach

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nicht über eine geistlose Rechendressur hinaus. Zeugnis dafür geben Christian P e s c h e c k s Rechenwerke (1736), die den Rieseschen Mechanismus in potenzierter Form enthielten und trotzdem 1801 noch neu aufgelegt wurden. Zwar hat es um diese Zeit nicht mehr an Regierungen gefehlt, die Besseres wünschten; aber die bestgemeinten Schulordnungen blieben tote Vorschriften, da es an Männern gebrach, die ihnen Leben eingehaucht hätten. Einige mechanische Fertigkeit in den vier Spezies war in der Regel alles, was selbst die besten Schüler aus der Schule mit ins Leben nahmen. Das K o p f r e c h n e n kannte man kaum dem Namen nach. Endlich, nachdem die höhere Mathematik (hauptsächlich durch Descartes, Leibniz, Newton, Bernoulli, Euler, Wolf, Lambert, Pfaff, Lagrange, Laplace etc.) fast die letzte Sprosse zu ihrem erhabenen Ziele erklommen, begann auch für die Volksschule der Frühlingstag zu dämmern. Es waren meist Männer der Wissenschaft, die sich des Volkes erbarmten und dem Regelwerk den Todesstoß versetzten. Wolf (1728), K l a u s b e r g (1732), B a s e d o w (1763) gehörten zu den ersten Rufern in der Wüste. Ihnen folgte (1797) F i s c h e r , Professor zu Köln, der klar und bündig dem Rechenunterrichte zwei Zwecke vorschrieb, nämlich m e c h a n i s c h e F e r t i g k e i t (für das Leben) zu vermitteln und den V e r s t a n d zu üben und zu befriedigen. Unter den sich nun mehrenden Heroldstimmen vernehmen wir Rochow (1734—1805), Busse (1797), Niemeyer (1799), Overberg (1793) und D i n t er (1760—1831), der im Rechnen mit scharfem Blicke »die Schleifmühle des Kopfes« und den »Schleifstein des Geistes« erkannte. Alle aber übertraf der Vater der neuen Methodik, J o h a n n H e i n r i c h P e s t a l o z z i (1746—1827). Ihm ist es gelungen, »den europäischen Schulwagen völlig umzukehren« und insbesondere dem Rechenunterrichte ganz neue Bahnen zu ebnen. Vor allem suchte er ihn auf A n s c h a u u n g zu gründen und zu diesem Zwecke erfand er Anschauungsmittel. Zur Darstellung der Z a h l e n bediente er sich senkrechter Striche, wie sie heute noch im Gebrauche sind, und um die Kinder in das Zahlensystem einzuführen, fertigte er seine »Einheitstabelle«1). Statt, wie allgemein gebräuchlich, mit Deutschland kam diese Rechenart von Holland aus. Dort behandelte sie ein gewisser Kaspar Franz von R e e s (geb. 1690 zu Roermonde im Limburgischen) in einem Rechenbuche ausführlicher; Professor Ludwig K a h l e übersetzte es 1739 ins Deutsche. *) Diese besteht aus 100 gleichen Rechtecken, die in 10 Reihen geordnet sind. In der ersten horizontalen Reihe befindet sich in jedem Rechtecke ein Strich, in der zweiten Reihe enthält jedes zwei Striche, in der dritten drei usw. An ihr kann das ganze Einmaleins veranschaulicht werden.

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dem 10. oder 11. Lebensjahr den Rechenunterricht zu beginnen, führte er ihn definitiv in die E l e m e n t a r k l a s s e ein. Alles Rechnen war bei ihm K o p f r e c h n e n ; das T a f e l r e c h n e n drängte er weit in den Hintergrund, leider zu weit. Die Operationen mit r e i n e n Z a h l e n und die Bildung des Geistes an ihnen waren ihm fast einziger Zweck; alles p r a k t i s c h e Rechnen ignorierte er. Kannte man vor Pestalozzi fast einzig und allein den materialen Zweck des Rechenunterrichts, so wollte dieser selbst nur dem formalen Geltung beimessen. Es schlug eben auch hier ein Extrem in das andere um. Dadurch verfiel der begeisterte Jugendbildner leider in Irrtümer, die ihn meist des Erfolges beraubten. Zu diesen Fehischritten gehören außer der Unterschätzung des praktischen und Tafelrechnens sicher auch sein Bestreben, alle sinnliche Anschauung einzig auf »Zahl, Form und Wort« zurückzuführen, sowie »die abergläubische Überschätzung und riesige Ausdehnung mechanischer Sprechübungen«. (Dittes.) Aber diese Verirrungen können ihm den Ruhm, auch dem Rechenunterrichte der Volksschule neue Bahnen gewiesen zu haben, nicht schmälern. Schon die Schüler und Freunde des großen Schweizers (Tillich, Schmid, Stephani, v. Türk, Kawerau etc.) suchten die Einseitigkeiten ihres Meisters zu vermeiden; seine Grundsätze aber blieben ihnen Leitstern in ihren Schriften. Bald wurde (besonders durch H a r n i s c h und Scholz) das Gleichgewicht zwischen den Bestrebungen der a l t e n Schule, die nur auf das Praktische gerichtet waren, und der n e u e n , die einzig die formale Seite betonten, wieder hergestellt. 1829 erschien das methodische Handbuch für den Gesamtunterricht im Rechnen von D i e s t e r w e g 1 ) und H e u s e r , das die Vorzüge der alten und neuen Anschauung vereinigte. Dieses Werk ist mustergebend geworden für alle besseren Leistungen auf dem Gebiete des Volksschulrechnens und hat sicher viel beigetragen, daß die Arithmetik zum bestbestellten Fache in unseren Schulen wurde. Nicht wenig haben in den letzten Jahrzehnten an der vollendeten Ausgestaltung gearbeitet S c h o l z , S t u b b a 2 ) , G r u b e , H e n t s c h e l , H e u n e r und insbesondere die H e r b a r t i a n e r . 1 ) Was D i e s t e r w e g anbelangt, so verweisen wir ausdrücklich auf das Kapitel »Methode«. Die dort aufgestellten G r u n d s ä t z e und R e g e l n stammen entweder direkt von ihm oder entsprechen wenigstens seinem Geiste. Sie finden sich niedergelegt in seinem Rechenbuch und im »Wegweiser«. 2 ) S t u b b a machte den algebraischen Aufgaben in Volksschulen Platz und dehnte das Rechnen auch auf die Geometrie aus. — H e n t s c h e l hat alle Bestrebungen auf dem Gebiete des Rechenunterrichts zur vollendeten Ausbildung gebracht. Sein »Lehrbuch des Rechenunterrichts«

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Die H e r b a r t s c h e Schule (Zilier, Pickel, Rein, Dörpfeld, Hartmann etc.) verlangt auch vom Rechenunterrichte, daß er s i t t l i c h b i l d e , daß die Aufgaben nach g e s c h l o s s e n e n S a c h g e b i e t e n {und nicht sachlich bunt gewürfelt) g e o r d n e t werden, daher gruppenweise (z. B. eine Gruppe aus der Landwirtschaft, andere Gruppen aus der Geschichte, Erdkunde, Physik etc.) aufzutreten haben und daß jede Unterrichtseinheit nach den f o r m a l e n S t u f e n durchgearbeitet werde. Die Methodiker der Neuzeit sind vor allem darauf bedacht, die Methodik des Rechenunterrichtes in allen Einzelfragen zu überprüfen, das Unhaltbare auszuscheiden und neue Gesichtspunkte anzubahnen. Das von Aug. Wilh. G r u b e , Lehrer in Merseburg (t 1882 in Bregenz), in seinem »Leitfaden für den Rechenunterricht nach den Grundsätzen einer heuristischen Methode« (1842) angebahnte »Monographische Verfahren«, das bei jeder einzelnen Zahl von 1—100 die vier Spezies, benanntes, unbenanntes und angewandtes Rechnen sowie Kopf- und Tafelrechnen vornehmen ließ, wurde von H e n t s c h e l (f 1875) u. a. bekämpft. Man sagte, die vier Grundoperationen rasch nacheinander verwirren die Kinder, Multiplizieren und Dividieren seien für den Anfang zu schwierig, das allseitige Behandeln aller Zahlen von 1—100 ertöte das Interesse der Kinder; es sei besser, zunächst Addition und Subtraktion und viel später erst Multiplikation und Division zu behandeln. (S. u. »Methode«.) Als Nachklang aus der Zeit Pestalozzis und der Formalisten gefiel man sich lange Zeit hindurch in Zahlenkombinationen schwierigster Art, im Herstellen von Aufgaben, die der Wirklichkeit nicht entsprachen und daher für das praktische Leben ohne Bedeutung waren. Es drängten daher viele Methodiker auf V e r e i n f a c h u n g d e s R e c h e n u n t e r r i c h t e s und auf A n p a s s u n g d e s s e l b e n an das öffentliche Leben. Einer der Hauptkämpfer für die Vereinfachung war S t e u e r (Seminarlehrer in Münsterberg, später in Hamburg). Er verlangte die Beschränkung des Rechnens mit u n g l e i c h b e n a n n t e n Z a h l e n auf z w e i f a c h benannte, die Ausscheidung des Rechnens mit m e h r g l i e d e r i g e n G r ö ß e n (das nur Nachahmung des Buchstabenrechnens sei), die Vereinfachung des Z e i t r e c h n e n s ist ein methodisches Meisterwerk. — H e u n e r ist der Hentschel Süddeutschlands. In Bayern speziell wirkten seine Rechenwerke umgestaltend auf das Rechnen in Volksschulen; sie haben ihm für alle Zeiten einen Ehrenplatz in der Geschichte dieser Disziplin gesichert. B ö h m , Prakt. Erziehungs-u. Unterricbtslehre III. Bd. 13 Aufl.

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Der Unterricht im Rechnen.

(Bestimmung des Anfangs- und Endpunktes soll .wegfallen), des B r u c h r e c h n e n s (Ausschaltung von großen und unbequemen Nennern), des Z i n s r e c h n e n s (Wegfall der Zeitberechnung, der Berechnung der zinstragenden Summe), Ausfall aller M i s c h u n g s und T e r m i n r e c h n u n g e n . H e n t s c h e l , S t e u e r u . a. waren auch nach Einführung der neuen M a ß e und G e w i c h t e (1. Jan. 1872) sowie des dezimalen M ü n z s y s t e m s (1. Jan. 1875) für Verminderung und allmähliche Beseitigung der Aufgaben, die mit den früheren Systemen zusammenhingen sowie für Vereinfachung und Umgestaltung des Rechnens mit g e m e i n e n und D e z i m a l b r ü c h e n . Waren D i e s t e r w e g , H e n t s c h e l und G r u b e vorwiegend für das Rechnen mit Z a h l e n , so befürworteten E i s e n l o h r in Nürtingen, G o l t z s c h in Stettin, S a l b e r g in München in Anlehnung an Rochow und Stephani mehr das Rechnen mit S a c h e n (Münzen, Maße, Gewichte). Aus diesen Bestrebungen entwickelte sich nicht nur das S a c h r e c h n e n , sondern auch die Anordnung der Rechenaufgaben nach S a c h g e b i e t e n . Als eine Errungenschaft der Gegenwart sei hier die Einbeziehung des Versicherungswesens erwähnt, für das der Rechenunterricht das Verständnis anbahnen soll. (S. u. »Methode«.) Unter den Methodikern der Neuzeit hat sich ein Streit über das W e s e n und die E n t s t e h u n g d e r Z a h l entsponnen. Die einen nehmen mit Pestalozzi an, die Zahl sei ein Produkt der A n s c h a u u n g (entstehe also aus dem räumlichen Nebeneinander der Dinge), die andern behaupten, sie entstehe lediglich durch das Z ä h l e n (also durch das zeitliche Nacheinander). Zu den » A n s c h a u e r n « zählt B e e t z in Gotha, der in seinem Werke »Das Typenrechnen auf psychophysischer Grundlage« (1888) an diesem Prinzipe festhält, sowie Seminarlehrer L a y in Karlsruhe, der in seinem »Führer durch den ersten Rechenunterricht« (1898) sich zum Anschauungsprinzip bekennt. Zu den »Zählern« sind zu rechnen Oberlehrer K n i l l i n g in Traunstein (»Zur Reform des Rechenunterrichtes in der Volksschule«, 1884), T a n k (»Das Rechnen auf der Unterstufe«, 1884) und R ä t h e r (»Theorie und Praxis des Rechenunterrichts«, 1891). Für eine vermittelnde Stellung tritt K n o c h e (f 1911) in »Der Rechenunterricht auf der Unterstufe nach dem vereinigten Anschauungs- und Zählprinzip« (1899) ein. Ihm sind die Hauptmittel zur Bildung der Zahlen, Zahlbegriffe und Zahlverhältnisse die Veranschaulichung, das Zählen und das logische Schließen.

Rechnen.

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Einen neuen Faktor für die Bildung der Zahlbegriffe sieht W i l k (»Werden der Zahlen« und »Neue Rechenmethode«, 1909) in der Einordnung der Zahlen in das Zahlensystem mit seinen Stellenwerten; er wird daher als » S y s t e m m e t h o d i k e r « bezeichnet. (S. u. »Methode«.) Wenn wir nun die Geschichte des Rechenunterrichtes nochmal überblicken, werden unschwer nachstehende vier Perioden zu erkennen sein: I. P e r i o d e d e s M e c h a n i s m u s von (beiläufig) (Abakus, Rechenbrett; — Riese, Pescheck.) II. P e r i o d e d e s F o r m a l i s m u s von 1800—1825. (Pestalozzi, Tillich, Schmid, v. Türk, Kawerau,

800—1800.

Stephani.)

III. P e r i o d e d e s A u s g l e i c h e s von 1825—1840. [ H a r n i s c h - S c h o l z (1824) in. Schlesien; K r a n c k e (1828) in Hannover; D e n z e l (1828) in Württemberg und Nassau; D i e s t e r w e g und H e u s e r (1829) am Rhein; S t e r n (1832) in Baden.] IV. P e r i o d e d e r r e l a t i v e n V o l l e n d u n g von 1840 bis jetzt [Grube und Hentschel (1842), Stubba, Böhme, Heuner, Knilling, Hartmann.] V. Lehrmittel.

A. Für den Lehrer, a) Zur Geschichte.

K e h r , Geschichte der Methodik des deutschen Volksschulunterrichts. Gotha, Thienemann. Für alle, die die allmähliche Entwickelung der Methode sämtlicher Volksschulgegenstände aus primitiven Anfängen kennen lernen wollen, ist das Werk unentbehrlich. — W i l d e r m u t h , Artikel »Rechnen« in Schmids Enzyklopädie. Bd. 6. Dort findet sich eine weitere Literaturangabe. — S t e r n e r , Prinzipielle Darstellung des Rechenunterrichtes auf historischer Grundlage. — J ä n i c k e , Geschichte der Methodik des Rechenunterrichtes. Gotha, Thienemann. — S t e r n e r , Geschichte der Rechenkunst. München, Oldenbourg. — A d a m , Geschichte des Rechnens und des Rechenunterrichtes. Braunschweig, Vieweg. — L i e t z m a n n , Stoff und Methode des Rechenunterrichts in Deutschland. Leipzig und Berlin, Teubner. — G r o ß e , Historische Rechenbücher des 16. und 17. Jahrhunderts und die Entwickelung ihrer Grundgedanken bis zur Gegenwart. Leipzig, Dürr. b) Methodische Werke.

D i e s t e r w e g und H e u s e r (neu von Langenberg), Rechenbuch. Gütersloh, Bertelsmann. Preis I. Teil 30 3,; II. Teil 45 I I I . Teil 45 12*

180

Der Unterricht im Rechnen.

IV. Teil 60 ; V. Teil 90 3,. - A. W. G r u b e , Leitfaden für das Rechnen in der Elementarschule nach den Grundsätzen einer heuristischen Methode. Berlin, bei Enslin. Preis 1,80 Jl. Die allseitige Behandlung ist bis zur Zahl 100 durchgeführt. — H e u n e r , J. Frdr., Lehrgang des Rechenunterrichts mit gleichmäßiger Berücksichtigung des Kopf- und Zifferrechnens. Ansbach. Verlag von Fr. S e y b o l d . Preis 3,60 M>. — K ö n i g b a u e r , Joachim, Methodisches Handbuch für den Rechenunterricht in Volksschulen. I. und II. Teil. München, Verlag von R. Oldenbourg, Abteilung für Schulbücher. — I m m e l , Karl, Handbuch des Rechenunterrichts nach dem Dezimalsystem. München, Verlag der Lindauerschen Buchhandlung. Preis 1,50 M- — E. H e n t s c h e l , Lehrbuch des Rechenunterrichts in Volksschulen. Neu von Koitzsch. Leipzig, C. Merseburger. Preis 4,40 M. — A. S a l b e r g , Die Sachrechenmethode. München, Oldenbourg. 1874. Preis 4,60 M- Behandelt nur die Zahlen von 1—30. — L i e b - S e y f f e r t h T i l l m a n n , Rechenschule. Nürnberg, Korn. — Dr. Berthold H a r t m a n n , Der Rechenunterricht in der deutschen Volksschule. Leipzig, Kesselring. — K n i l l i n g , Die naturgemäße Methode des Rechenunterrichts in der Volksschule. München, 1897 und 1899. — T a n k , Das Rechnen auf der Unterstufe. — S c h n e i d e r , Die Zahl im grundlegenden Rechenunterricht. — L a y , Führer durch den ersten Rechenunterricht. — G r a ß , Die Gruppenzahlbilder. R ü d e , Methode des Volksschulunterrichtes. c) Aufgabensammlungen für das Kopfrechnen.

I m m e l , Karl, Aufgaben zum Kopfrechnen mit den neuen Münzen, Maßen und Gewichten. F ü r M i t t e l k l a s s e n . München, Lindauer. Preis 40 ,3}. — I m m e l , Karl, Aufgaben zum Kopfrechnen. Für Oberklassen und Fortbildungsschulen. Preis 75 3). — I m m e l , Karl, Aufgaben für das gemeinschaftliche Schnellrechnen. München, Oldenbourg. Preis 60 3,. — H e u n e r , Frdr., Aufgaben zum Kopfrechnen, drei Hefte k 20 Ansbach, Seybold. — A . B ö h m e , Aufgaben zum Kopfrechnen. Drei Hefte. Preis 8 0 ^ ; 1,60 M; 2,50 M. Berlin, G. W. F". Müller. E. H e n t s c h e l , Aufgaben zum Kopfrechnen. 2 Hefte. Preis 2,20 d t . Leipzig, Merseburger. B. Für den Schüler, a) Veranschaulichungsmittel.

Die Veranschaulichungsmittel für den Rechenunterricht zerfallen in zwei Gruppen, nämlich in n a t ü r l i c h e (zufällige) und k ü n s t l i c h e (ständige). Zu den natürlichen können gerechnet werden: Steinchen, Bohnen, Erbsen, Finger, Teile des Körpers — kurz Gegenstände der Umgebung. Zu den k ü n s t l i c h e n gehören: a) g r a p h i s c h e : Striche, Kreuze, Tabellen, Punkte, Zahlenbilder; ß) p l a s t i s c h e : Rechenmaschinen und Rechenapparate — (Würfel, Stäbchen). Natürliche

Veranschaulichungsmittel.

1. Die F i n g e r . V o r t e i l e : Sie sind stets »bei der Hand« und lassen sich beim Bilden der Zahlen, beim Zahlen, beim Zuzahlen und

Rechnen.

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Abziehen innerhalb 10 gut verwenden. Wenig brauchbar sind sie beim Vervielfachen und Teilen. N a c h t e i l e : Die Finger sind nicht 10 gleiche Dinge; sie lassen sich nicht unabhängig voneinander bewegen, trennen und zusammenfügen; mit ihnen können nicht alle Rechenoperationen veranschaulicht werden; weil sie stets zu haben sind, bleiben die Kinder von ihnen abhängig und kommen lange nicht zum selbständigen, abstrakten Rechnen; endlich erschwert ihr Gebrauch dem Lehrer die Kontrolle. 2. S t e i n c h e n , B o h n e n , N ü s s e etc. sind nur in Klassen mit ganz wenig Schülern anwendbar, weil sie leicht verloren gehen, dem Lehrer die Kontrolle erschweren, zu klein sind und gerne zum Spielzeug werden. Künstliche Veranschaulichungsmittel. 1. S t r i c h e , P u n k t e , K r e u z e , R i n g e etc. werden vielfach angewandt, ermangeln aber bei mehr als 4 der Übersichtlichkeit und müssen dann stets mühsam gezählt werden. 2. Die Z a h l b i l d e r . Busse, Born, Böhme, Hentschel, Beetz etc. stellten die Zahlen aus Punkten oder Ringen dar, die sie in bestimmter Weise gruppierten. Am bequemsten, weil auch mit jeder russischen Zählmaschine darstellbar, sind die Bornschen. Übrigens ist die Verwendung der Zahlbilder eine eng begrenzte. Sie beginnt erst, wenn die Zahlvorstellungen mit Hilfe von wirklichen Dingen oder einer Rechenmaschine gewonnen sind, und endigt, sobald die Kinder mittels der Ziffer die Zahlvorstellung reproduzieren können. Von vielen Methodikern werden daher die Zahlbilder als überflüssig oder geringwertig erklärt; G r a ß sucht sie durch leicht unterscheidbare, leicht bewegliche und zusammenstellbare wirkliche Dinge zu ersetzen. 3. Die Z a h l b i l d e r - A p p a r a t e . Grundtypus ist ein Brett mit Löchern, in die Holzstifte, Scheiben, Knöpfe etc. eingesetzt werden können. Den ersten derartigen Apparat fertigte Gersbach in Karlsruhe an (f 1830). In das Brett wurden Holzstifte mit breiteren Köpfen eingesteckt. Ähnlich sind das Böhmesche Rechenbrett, K n i l l i n g s Rechenplatte. G r a ß , L a y etc. konstruierten Zahlbilderapparate mit beweglichen Kugeln, P f i s t e r einen solchen mit beweglichen Scheiben. In der Regel sind sie für den Zahlenraum von 1 — 20 berechnet und kosten 10—20 M• Große Aufmerksamkeit hat in der letzten Zeit die obenerwähnte Münchener Rechenmaschine von G r a ß erregt. Sie wird in zwei Formen verfertigt, wovon Form A 18 M, Form B 13 M kostet. Zu erwähnen sind noch: Der K a s e l i t z s c h e Zahlenbilderkasten. Der Berliner Knopfapparat. Das Schindlingsche Rechengitter, in das bestiftete Scheiben eingesetzt werden. 4. Der Bornsche (größere) Rechenapparat hat die Form einer weißlackierten Schulwandtafel, auf der in 10 Reihen 100 kreisförmige Öffnungen

182

Der Unterricht im Rechnen.

sich befinden, die durch eine Vorrichtung bald schwarz bald rot angefüllt erscheinen bald ganz verschwinden. B o r n konstruierte auch einen kleinen Apparat. 5. Die R u s s i s c h e R e c h e n m a s c h i n e , die 1812 von Soldaten aus dem russischen Feldzuge nach Deutschland gebracht worden sein soll, besteht aus einem Holzgestell, in dem sich 10 wagerecht gespannte Drähte befinden. Auf jedem Drahte sind 10 verschiedene Holzkugeln (oft auch Würfel oder Scheiben) angebracht, die auf der einen Hälfte der Drähte dem Schüler sichtbar gemacht werden können, während sie auf der anderen Hälfte durch ein Deckbrett verdeckt werden. Die Russische Rechenmaschine ist einfach, leicht zu handhaben und billig, weshalb sie sehr viele Anhänger hat. An ihr lassen sich auch Zahlbilder veranschaulichen. Sie hat aber d e n , N a c h t e i l , daß Multiplikation und Division nur unvollkommen veranschaulicht werden können und daß jede Zahl nur als eine Summe von getrennten Einheiten erscheint, während sie doch auch eine höhere Einheit darstellt. 6. Der T i l l i c h s c h e R e c h e n k a s t e n besteht aus hölzernen Würfeln und quadratischen Säulen. Die Würfel sind die Einer, die Säulen die Zweier, Dreier etc. bis Zehner. Sämtliche Körper befinden sich wohl geordnet in einem Kasten. Nachdem er längere Zeit vergessen war, haben ihn die Herbartianer als ein »geradezu ideales Anschauungsmittel« wieder ih Verwendung gebracht. Und in der Tat, seine Würfel und Säulen veranschaulichen die Zahl als Einheit und Vielheit; sie sind bei der Zahlbildung wie auch bei allen Rechenoperationen in gleich trefflicher Weise zu gebrauchen; sie sind gleichartig, groß und können leicht gehandhabt, zerlegt und zusammengefügt werden. Der von D i t t e s und anderen Methodikern gemachte Einwand, daß bei ihm die Zahl durch die Größe dargestellt wird, wiegt bei den verbesserten Rechenkästen von W a n d e r , P o s n e r L a n g e r , Müller etc. nicht schwer, da bei ihnen die Säulen durch Striche und Farben entsprechend abgeteilt sind. 7. Der S t ä b c h e n a p p a r a t von E r n s t . Je 10 Stäbchen (in einer Pappschachtel) veranschaulichen einen Zehner, je 10 Zehner (in einer weiteren Pappschachtel) einen Hunderter und 10 Hunderter einen Tausender. 8. Das N ü r n b e r g e r R e c h e n b r e t t von T r ö l l t s c h , 1 m lang, 40 cm hoch, veranschaulicht die Rechenoperationen mittels schwarzer und roter Scheiben im Zahlenraum von 1 — 20. 9. Genannt sei noch die R e g e n s b u r g e r R e c h e n m a s c h i n e von Lindner. 10. F ü r d a s B r u c h r e c h n e n (Rechnen mit gemeinen und Dezimalbrüchen) wurden eigene A p p a r a t e hergestellt, die aus Walzen, Stäben, Prismen, Kreisen, Kugeln etc. bestehen, woran die Teilung angedeutet ist oder wirklich durchgeführt werden kann. Solche Apparate sind: K n i l lings T e i l l i n e a l , die Bruchrechentreppe von B e e t z (mit geteilten Meterstäben), Müllers Bruchrechenmaschine, K o p p s Dezimalbruchrechenapparat.

Rechnen.

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b) Mittel für die Übung.

Die Mittel für die Übung können sein: 1. A p p a r a t e , wie die R e c h e n u h r von G ö t t s c h , die Z i f f e r s t ä b e von G o l t s c h , der R e c h e n a u f g a b e n a p p a r a t von M e t z n e r usw. 2. W a n d t a f e l n (Wandrechenfibeln), wie solche von Büttner, Böhme etc. herausgegeben wurden. Sie leisten da, wo die Schüler keine Rechenhefte in der Hand haben, gute Dienste. Erwähnenswert ist auch: F r i t z s c h i n g , Tafeln zur Veranschaulichung der Wertpapiere. 3. S c h ü l e r h e f t e . Diese sind vom 3. Schuljahre an notwendig, um das Diktieren zu ersparen (besonders für die stille Beschäftigung), um einen methodischen und lückenlosen Fortschritt zu sichern und um den Lehrerwechsel weniger störend zu machen. Angeführt seien: A. B r e n n e r , Rechenschule, Aufgaben zum mündlichen und schriftlichen Rechnen. Ausgabe B in 4 Heften. Freising, Datterer. — A. B r e n n e r und Kl. B r i x l « , Rechenschule. Aufgaben zum mündlichen und schriftlichen Rechnen. Ausgabe A in 7 Heften. Freising, Datterer. — H e n t s c h e l und K ö l t s c h , Aufgaben zum Zifferrechneri. Leipzig, Merseburger. — H e n t s c h e l und K ö l t s c h , Das dreistufige Zifferrechnen für einfache Schulverhältnisse in 3 Heften. Leipzig, Merseburger. — H e n t s c h e l und J ä n i c k e , Rechenbuch für die abschließende Volksschule. Ausgabe B in 6 Heften. Leipzig, Merseburger. — A. L i e b , J . A. S e i f f e r t h und H. A. T i l l m a n n , Rechenschule. — Ausgabe A in 7 Heften, B in 4 Heften. Nürnberg, Korn. — M a t t , L e h m a n n , R o t h , D e m o l e t und H ä h n , Übungsaufgaben zum mündlichen und schriftlichen Rechnen. 6 Hefte. Baumgartner,, Ludwigshafen. — O f f i n g e r und E n g e l b r e c h t , Inbegriff des Notwendigsten etc. I I . Teil: Rechnen. Buchner, Bamberg. — F i n k und W i l l , Aufgabensammlung für das gewerbliche Rechnen. München, Kellerer. — K ü f f n e r und R u c k e r t , Rechenbuch. Bucher, Würzburg. — I m m e l , Karl, R e c h e n f i b e l für das erste Schuljahr. 2 Abteilungen. Preis k 20 — I m m e l , Karl, A u f g a b e n zum Z i f f e r r e c h n e n . A) Für Mittelklassen, 2 Teile ä 20 B) Für Oberklassen, 2 Teile, 20 und 40 Beide im Verlag der Lindauerschen Buchhandlung in München. — I m m e l , Karl, Schülerbuch zu den Aufgaben für das gemeinschaftliche Schnellrechnen. München, Verlag von R. Oldenbourg, Abteilung für Schulbücher. Preis 10 — H e u n e r , Rechenaufgaben. 7 Hefte ä 20 Ansbach, Seybold. — J . K ö n i g b a u e r , Rechenaufgaben für Volksschüler. München, Verlag von R. Oldenbourg, Abteilung für Schulbücher. 4 Hefte. — A. H a e s t e r , (Böhm), Rechenbuch für die Unterklassen der Volksschulen. Essen, Bädeker, 27 3). (Ausgabe für den Lehrer 80 ,3).) Rechenbuch für die Mittelklassen der Volksschule. Preis 50 (Antworten 50 Rechenbuch für die Oberklassen der Volksschule. Preis 80 (Antworten 50 — Ferd. K r i e g e r , Rechenbuch für Volks- und Bürgerschulen. Herder, Freiburg im Breisgau. 7 Hefte 4 3 0 ^ . — S t e r n e r - L i n d n e r , Rechenbuch. München, Oldenbourg.

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Der Unterricht im Rechnen.

2. Geometrie oder Raumlehre. Von

Joachim Kölligbauer, Kgl. Seminardirektor in Würzburg •Die Arithmetik ist das Organ des Geistes, die Geo_ metrie der Plan der äußeren, anschaulichen Welt.« Ludwig Noiri.

I. Zweck der Geometrie.

Wie jeder Unterrichtsgegenstand hat auch die Geometrie eine f o r m a l e und m a t e r i a l e Bedeutung. Ihr f o r m a l e r Wert für die Geistesbildung wurde schon vor Pestalozzi anerkannt; den alten Griechen galt sie als das vorzüglichste Mittel zur Entwicklung des Denkvermögens. Seit Pestalozzi hat es kein hervorragender Pädagoge versäumt, eine Lanze für sie zu brechen. Richtig betrieben, leitet sie zur genauesten Auffassung der Formen und Gestalten der Körper und Flächen an, schärft außerordentlich die Kombinationsgabe sowie den Sinn für Regelmäßigkeiten in Kunst und Natur und behütet dadurch den Menschen vor einem geistlosen Betrachten der Dinge. Da die i n n e r e n Anschauungen aus den ä u ß e r e n entspringen und die räumlichen Betrachtungen gerade die wichtigsten und deutlichsten sind, so gestaltet sich die Raumlehre zugleich zur stärksten Quelle der E r k e n n t n i s , aus der der Mensch wiederum die beste Kraft zur D a r s t e l l u n g des Erkannten und innerlich Verarbeiteten zu schöpfen vermag. Wir stehen daher keinen Augenblick an, mit Diesterweg zu behaupten, daß die Geometrie auf Erkennen, Fühlen und Wollen noch viel intensiver wirkt als das übrige Rechnen. Der m a t e r i a l e Nutzen der Geometrie kann heute nur noch von dem bezweifelt werden, der noch nie einen Blick getan in das praktische Leben. Der Maurer, Zimmermann, Schmied, Schlosser, Schreiner, Böttcher, Glaser, Steinmetz — kurz jeder Handwerker, und Gewerbetreibende, der es mit Flächen und Körpern zu tun hat, muß mit geometrischen Kenntnissen ausgerüstet sein, soll nicht der Kampf mit seinen Konkurrenten ihm erschwert oder unmöglich werden. Aber

Geometrie oder Raumlehre.

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auch für den Landwirt kann es nur Vorteil bringen, wenn er die Größe eines Ackers, die Ertragsfähigkeit seiner Fluren, den Kostenbetrag eines Abzugsgrabens etc. zu berechnen vermag. II. Stoff. a) Auswahl des Stoffes. Schon der Anschauungsunterricht in den unteren Klassen der Volksschule befaßt sich mit der Betrachtung von räumlichen Gebilden; dort aber handelt es sich doch weniger um die Erfassung und Kombination der Formen als vielmehr darum, das sprachliche und plastische Anschauungs- und Darstellungsvermögen zu betätigen. Die Geometrie hat es nun ausschließlich mit den Formen und Raumgrößen zu tun. Wegen der ihr zugemessenen geringen Zeit aber muß die Menge des Stoffes genau den gegebenen Verhältnissen angepaßt werden. Die e i n - und z w e i k l a s s i g e Volksschule wird sich darauf beschränken müssen, einige Flächen und Körper der Betrachtung und Darstellung zu unterwerfen und sie zu berechnen. Mehr schon kann die d r e i - und vi er klassige Volksschule bewältigen; für sie dürfte die Behandlung der Drei- und Vierecksarten, einiger Vielecke, des Kreises, des Würfels, der Säule und des Zylinders nicht zu hoch gegriffen sein. Die Feiertags- und Fortbildungsschule kann auch noch den Kegel und die Kugel behandeln. b) Anordnung des Stoffes. In Bezug auf Anordnung des Stoffes ist zu merken, daß die einfachsten Gebilde vorangestellt werden. Daran reihen sich die v e r w a n d t e n Objekte, damit das Alte möglichst viele Anknüpfungspunkte für das Neue biete. Am besten gehen alle späteren Gebilde aus den früheren genetisch hervor, so daß das Vorhergehende das Nachfolgende schon im Keime enthält. Was im Leben eine besondere Bedeutung hat, wird dem Indifferenten vorgezogen. Aufgaben, die besonders viele Hinweise auf die Naturgegenstände enthalten, sorgen für Befestigung des Errungenen. In welcher Reihenfolge der Stoff zu behandeln ist, ergibt sich aus dem Lehrplan.

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Der Unterricht im Rechnen.

Über den A u s g a n g s p u n k t der Raumlehre sind die Pädagogen und Methodiker nicht einig. Es gibt in dieser Beziehung zwei Extreme. Die Analytiker (Bartholomäi, Schräder, Raumer, Zizmann, Kehr etc.) gehen vom Körper aus und abstrahieren davon die Fläche, die Linie und den Punkt. Diesem Gange tritt außer anderen mit Entschiedenheit G r ä f e entgegen, der mit Recht bemerkt, daß es einem Kinde schwer oder unmöglich werden dürfte, vom Körper den Begriff F l ä c h e , noch schwerer P u n k t zu abstrahieren. Aber auch seinem Beginne mit dem Punkte können wir nicht beipflichten. Unzweifelhaft muß mit a n s c h a u l i c h e n , in Kunst und Natur vorkommenden Dingen oder Gebilden begonnen werden. Und da präsentiert sich uns zunächst die F l ä c h e . Auch der sich entwickelnde Mensch erfaßt am leichtesten die F l ä c h e . Operationen an Blindgeborenen, die Physiologie der Sinnesorgane sowie die Studien über die Entwicklung des Anschauungsund Auffassungsvermögens der Alten und unserer Wilden beweisen es. Von der Fläche können Linie und Punkt abstrahiert werden; außerdem lassen die Körper sich aus Flächen aufbauen und das E n t s t e h e n l a s s e n ist für den Unterricht eine Hauptsache. Die Fläche tritt uns in Natur und Kunst entgegen; Hofraum, Wiese, Acker, Wasserspiegel, Fußboden, Zimmerdecke etc. geben die besten Anschauungsobjekte und davon sowie von einem Bogen Papier, dessen Körperlichkeit nahezu verschwindet, kann das Kind leicht den reinen Begriff abstrahieren. Aus papierenen Quadraten baut sich der Würfel auf, an ihm können die h o h l e n und m a s s i v e n Körper veranschaulicht werden und von da bis zum g e o m e t r i s c h e n Würfel ist nur noch ein kleiner Schritt, den jedes Kind zu machen imstande ist. Endlich bietet die Fläche, speziell das Quadrat, mit dem wir beginnen, weniger Merkmale als jeder Körper, vermag leichter dargestellt zu werden, entspricht daher den pädagogischen Anforderungen in allen Stücken. Aus dem Vorstehenden ergibt sich folgender Stoffplan: A. Für die Volksschule (Werktagsschule).

1. Das Quadrat: Anschauen, Darstellung und' Berechnung. Sodann: Resolvieren und Reduzieren der Flächenmaße. 2. Belehrungen über Fläche, Linie und Winkel im allgemeinen.

Geometrie oder Raumlehre.

187

3. Das Rechteck und Dreieck. (In mehrfach geteilten Schulen noch: die verschobenen Quadrate und Rechtecke; das unregelmäßige Viereck, der Kreis.) 4. Der Würfel: Anschauen, Darstellung und Sodann: Resolvieren und Reduzieren der Körpermaße. über Körper im allgemeinen.

Berechnung. Belehrungen

5. Die quadratische und rechteckige Säule. (In mehrfach geteilten Volksschulen noch: die dreiseitigen Säulen; der Zylinder.) Anmerkung. In einfachen Volksschulen wird unter mißlichen Verhältnissen das oben Verlangte nicht zu erreichen sein. B , Für Feiertags- und Fortbildungsschulen. I. G a n g .

1. A n s c h a u e n und genauere B e t r a c h t u n g der nachstehenden Flächen und Körper: Quadrat, Rechteck, Würfel, q u a d r a t i s c h e und r e c h t e c k i g e Säule. 2. D a r s t e l l e n genannter Flächen und Körper, meist mit dem Anschauen verbunden, da jedes Gebilde aus den vorhergehenden entsteht. 3. B e r e c h n e n obiger Flächen und Körper. Resolvieren und Reduzieren der Flächen- und Körpermaße eingeflochten. II. Gang.

1. A n s c h a u e n nachstehender Flächen und Körper: Rhombus (abgeleitet vom Quadrat), Rhomboid (vom Rechteck), Dreieck (vom Parallelogramm), dreiseitige Säule (durch Halbierung der vierseitigen entstanden), Pyramide (von der dreiseitigen Säule). 2. D a r s t e l l u n g genannter Flächen und Körper. bunden.)

(Mit 1 ver-

3. B e r e c h n u n g obiger Flächen und Körper. III. G a n g .

1. A n s c h a u e n v o n : Kreis, Zylinder, Kegel, Kugel. 2. D a r s t e l l u n g genannter Flächen und Körper. bunden.)

(Mit 1 ver

3. B e r e c h n e n obiger Flächen und Körper. 4. Z u s a m m e n f a s s u n g u n d R e p e t i t i o n . Erweiterung des Gewonnenen. Wissenschaftlichere Definitionen. Einteilung der Geometrie. Anhang.

Das Trapez; die Vielecke; die abgestumpfte Pyramide; abgestumpfte Kegel. (Nur in Fortbildungsschulen.)

der

188

Der Unterricht im Rechnen. III.

Methode.

a) Gang des Unterrichts. (Grundsätze.) Wenn auch die materielle Bedeutung der Geometrie nie in Zweifel gezogen wurde, so geschah es doch vielfach in Bezug auf ihren formalen Wert und noch heute gibt es nach dieser Richtung Ungläubige, selbst unter Schulmännern. Es kann auch keineswegs geleugnet werden, daß die Erfolge des Unterrichts meist mit der dafür aufgewandten Zeit in keinem Verhältnis stehen; aber der Grund hierfür liegt nicht in der Geometrie, sondern in ihrem Betriebe. Die ganz naturwidrige Methode war es, die jahrhundertelang zu keinem befriedigenden Ergebnis führte, eine Methode, bei der, wie Mager sagt, die Schüler schon alle Sünden, die sie je in der Zukunft begehen können, abzubüßen imstande sind. Diese Methode ist es auch, die die Mathematik auf vielen Schulen heute noch zur Tortur für die Schüler stempelt und die endlich zu dem Satze führte, daß D i c h t e r und M a t h e m a t i k e r geboren werden müssen. » F r e u n d e des geometrischen Unterrichts haben diese Behauptung aufgestellt,« sagt Kehr, »vielleicht weil sie sich über den Besitz i h r e s mathematischen Talentes geschmeichelt fühlten, — die F e i n d e h a b e n zugestimmt, weil sie geglaubt haben, sich dadurch am ersten über den Mangel an geometrischen Kenntnissen zu trösten.« Es ist aber nichts verkehrter und verderblicher als solch eine vorgefaßte Meinung, weil sie für faule und ungeschickte Menschen eine bequeme Ausrede bildet. »Wohl ist es wahr, daß der p r o d u k t i v e mathematische Kopf ebenso gut geboren werden muß wie der Dichter; aber so gut Millionen von nicht produktivpoetischen Köpfen die vorhandenen Gedichte verstehen und lesen, ebenso gut muß jeder Mensch von gesundem Menschenverstände dazu befähigt sein, die einmal schon gefundenen mathematischen Sätze in sich aufzunehmen.« (Falk.) Die neuere Methode weicht, wie schon früher gezeigt, wesentlich von der Euklidschen ab. Man kann sie am besten in nachfolgende Sätze zusammenfassen: 1. Die E l e m e n t a r g e o m e t r i e oder R a u m l e h r e g e h t von der A n s c h a u u n g a u s , s a m m e l t E r f a h r u n g e n und l e i t e t d a r a u s B e g r i f f e und Gesetze ab.

Geometrie oder Raumlehre.

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Zu jeder ersten Geistestätigkeit liefert die Anschauung die Elemente, und wir können mit Recht sagen, daß alles Positive, das im Geiste sich findet, in seinen Grundlagen durch die Sinne vermittelt wurde. Den Keim zur Raumlehre hat nun gleichfalls die Erfahrung geliefert, und sie ist die personifizierte Anschauung. Wie nun aber die Beweise für die aus den ersten Erfahrungen gewonnenen Sätze schon bei den Alten keine mathematisch strengen, sondern mehr anschauliche waren, so kommt es auch in unserem ersten Unterrichte weniger auf logische Beweise als vielmehr auf die i n n e r e Ü b e r z e u g u n g an. Ist durch die äußere Anschauung die innere Erkenntnis vermittelt worden, so fällt es nicht schwer, sie durch Zusammenfassen der w e s e n t l i c h e n Merkmale zum B e g r i f f e zu konzentrieren. Aus einer Reihe von anschaulich behandelten Einzelfällen ergibt sich endlich das G e s e t z , der g e o m e t r i s c h e Satz. Das Gesetz ist die Errungenschaft des Unterrichts und alle vorhergehenden Operationen müssen wie die Strahlen eines Lichtbündels nach diesem Brennpunkte zielen. Der Unterricht beginnt am besten mit dem Vorzeigen der betreffenden Gebilde und Formen oder, wenn möglich, mit dem Entstehenlassen, wobei die Schüler tasten, messen, prüfen, vergleichen etc. Hieran knüpft sich ein lebendiges Wechselgespräch zwischen dem Lehrer und den Lernenden, wobei die Fragen des Lehrers stets so eingerichtet sein müssen, daß die Schüler die gewollten Begriffe und Gesetze allmählich selbst finden. An die Stelle von Definitionen treten für die kleinen Anfänger meist die leichteren Beschreibungen. Sind Gesetze und Sätze gefunden, so gilt es, diese kurz und bündig zu fassen und auszudrücken. Bei Berechnungen knüpfen sich an jede Regel zuerst leichte Kopfrechnungsbeispiele mit kleinen Zahlen, die das Verständnis anzubahnen haben; ihnen folgen etwas schwierigere Aufgaben zum Tafelrechnen. 2. Dem A n s c h a u e n u n d B e t r a c h t e n der Dinge m ü s s e n V e r s u c h e im D a r s t e l l e n u n d N a c h b i l d e n folgen. Ohne Nachbildungsversuche und Probieren von seiten der Schüler ist der Erfolg des Unterrichts nur ein halber. Bei

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Der Unterricht im Rechnen.

solchen Versuchen begegnen nämlich dem Schüler allerlei Schwierigkeiten und eigentümliche Konstellationen, die vorzüglich geeignet sind, die Begriffe und Gesetze erst in voller Schärfe und Klarheit auszuprägen; der Erfindungsgabe und Denktätigkeit bieten sie ein reiches Feld. Die Meinung, daß dazu vielerlei Mittel gehören, ist eine irrige; ein Transporteur mit Maßstab und eine Glasplatte genügen. Noch sei darauf hingewiesen, daß ein Verbinden der Raumlehre mit dem Zeichenunterrichte keineswegs empfehlenswert ist; denn durch eine solche Verquickung wird erstens den Lehrgängen beider Fächer Zwang angetan; zweitens nährt sich jede der beiden Disziplinen auf Kosten der anderen, was schließlich zu ungünstigen Resultaten in beiden führt; endlich handelt es sich im Zeichnen mehr um Bildung des ästhetischen Gefühles, in der Geometrie aber um Kenntnis der Formenund Größenverhältnisse. 3. Das G e f u n d e n e i s t auf das p r a k t i s c h e L e b e n anzuwenden. So selbstverständlich diese Forderung ist, muß si6 dennoch stets betont werden, weil mancher Lehrer nur zu gerne mit theoretischen Kenntnissen sich begnügt. Und doch zeigen erst die praktischen Beispiele die volle Wichtigkeit der einzelnen Sätze für das Leben, und gerade sie bieten durch ihre Form und Einkleidung die interessanteste und schwierigste Geistesarbeit. Wer bloß Lehrsätze und'ihre Beweise kennt, gleicht einem Kunstkritiker, der genau sich eingeweiht hat in die Gesetze der Ästhetik, aber dennoch unfähig ist, das einfachste Kunstwerk herzustellen; — er ist ein Maler, der seine Palette nicht zu halten und seine Farben nicht zu mischen weiß. b) Lehrform und Lehrweise. In den meisten Fällen ist beim Unterrichte die F r a g e f o r m die beste. Die Frage gibt nicht die Sache, wohl aber leitet sie darauf hin. Dabei ist zu bemerken: was mit zwei Fragen erreicht werden kann, darf nicht hundert verschlingen. Außer der Frageform wechselt im lebensvollen Verkehr zwischen Lehrer und Schüler das e m p i r i s c h - e x p e r i m e n t e l l e Verfahren, das die geometrischen Wahrheiten rein ä u ß e r l i c h

Geometrie oder Raumlehre.

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durch Messen mit Maßstab und Zirkel etc. zu vermitteln sucht; mit der geistvollen K a t e c h e s e , die, von Bekanntem ausgehend, progressiv zu Neuem schreitet; so wechselt die g e n e t i s c h e A b l e i t u n g , wobei eine Figur aus der anderen durch einfache und ungekünstelte Verwandlungen hervorgeht, mit der schwierigen, aber fruchtbringenden H e u r i s t i k , die jeden Satz dem Schüler als Problem vor die Augen hält, ihn auffordernd, Mittel und Wege zu suchen, die zu einer Lösung der Aufgabe führen. Durch die richtige und rechtzeitige Anwendung der v e r s c h i e d e n e n Methoden wird sich stets der g u t e Lehrer hervortun. Wo es sich um logische Entwickelungen, um Ableitungen von Gesetzen handelt, muß viel gedacht und wenig geredet werden. K n a p p seien daher die Worte, scharf und bez e i c h n e n d deren Inhalt; Wortkargheit ist Zeitgewinn und Lungenersparnis. Die D u r c h a r b e i t u n g des Stoffes einer Unterrichtseinheit geschieht auch in der Raumlehre nach bestimmten U n t e r r i c h t s s t u f e n . Dabei kann man von den konkreten Dingen in Kunst und Natur ausgehen, die die neu zu behandelnde Figur an sich haben und deutlich erkennen lassen (Stufe der Vorbereitung); oder aber man kann sofort mit der Figur beginnen und sife erst am Schlüsse an den Kunst- und Naturdingen aufsuchen lassen. (S. o.) Bei der Darbietung haben die Schüler möglichst selbst zu messen, zu zeichnen, zu formen; der Lehrer lenkt und leitet nur und tut das, was die Schüler nicht tun können. Nach der eingehenden Betrachtung des Neuen wird ein Vergleich mit Ähnlichem und schon früher Behandeltem angestellt und sodann das Begriffliche abgeleitet und angewendet. Die Anwendung besteht darin, daß der Lehrer Aufgaben gibt (fürs Berechnen oder für die Darstellung) und allenfalls das errungene Neue (s. o.) an den Kunst und Naturdingen nachweisen läßt. Auch in der Raumlehre können mit Vorteil Aufgabensammlungen benutzt werden.

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Der Unterricht im Rechnen.

Lehrprobe. Das Quadrat1).

Anschauen und Darstellen.2) 1. A n s c h a u u n g s m i t t e l : Ein quadratförmiges Brettchen; ein an die Schultafel gezeichnetes Quadrat. 2. U n t e r r i c h t s s t u f e : Oberklasse. Lektion.

I. Anschauen, a. (1. Betätigung der Sinne.)

Es wird ein quadratförmiges Brettchen vorgezeigt, an die Schultafel gelegt und darauf abgetragen. A. Was wißt ihr über dieses Brettchen und die Zeichnung an der Schultafel zu sagen ? (Die Schüler geben an, was sie selbständig finden.) B. Ergänzen der Ergebnisse. (Dabei kann alles wegbleiben, was die Schüler richtig angegeben haben.) a) Zeige die Enden des Brettchens! — Wie nennt ihr diese Stellen ? (Ecken.) Wie viele Ecken h a t das Brettchen ? — Welchen Namen können wir dem Brettchen geben, weil es 4 E c k e n hat ? — Welche Ausdehnungen (zeigend andeuten!) hat das Brettchen ? (Länge und Breite.) Was ist an der Schultafel entstanden ? (Ein Viereck.) Warum ist das ein Viereck? — Welche Ausdehnungen (zeigen!) hat das gezeichnete Viereck? b) Die Strecke von der einen Ecke bis zur nächsten nennt man eine S e i t e des Vierecks. Wie viele Seiten hat jedes der beiden Vierecke ? Wie viele Seiten haben immer die gleiche Richtung? — Miß an verschiedenen Stellen, wie weit zwei solche Seiten überall voneinander entfernt sind! — Wie nennt man zwei Seiten, die i m m e r in g l e i c h e r Entfernung l a u f e n ? (gleichlaufend.) Man kann auch sagen: Die beiden Seiten laufen »parallel«. (Anschreiben des Wortes an die Schultafel.) Wie viele Seiten sind bei jedem der beiden Vierecke immer gleichlaufend oder parallel ? — Zeige sie am hölzernen Viereck! — Am gezeichneten! l

) Vgl. Schema Nr. III in »Schemata und Lehrproben von Königbauer etc.« Bamberg, Buchner, 1891. s ) Seine B e r e c h n u n g ist als Gegenstand einer eigenen Lektion gedacht.

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Geometrie oder Raumlehre.

Zeige an jedem der beiden Vierecke die Länge! — die Breite! — Bestimme ihre Längsseiten! Schätze ihre Breitseiten! — Miß sie nun auch! — Wie groß sind also Länge und Breite der beiden Vierecke ? Wie steht ein Pfahl in der Erde, wenn er in der Richtung eines hängenden Senkbleis eingeschlagen wurde? — In welcher Richtung treffen auch die Längs- und Breitseite dieses Brettchens (es wird senkrecht aufgestellt) zusammen? — Die Richtung der Seiten z u e i n a n d e r bleibt die gleiche, wenn ich auch die Lage des Brettchens verändere. Wie treffen also die Seiten des hölzernen Vierecks aufeinander ? — Wie die des gezeichneten ? — Zeige eine solche Stelle an jedem der beiden Vierecke! c) Was entsteht da, wo zwei Seiten der Vierecke aufeinander treffen ? (Eine Ecke.) Wie nennt ihr gewöhnlich die Ecken des Zimmers ? (Winkel.) Welches Wort können wir darum für »Eck« noch setzen ? — Was wird also von zwei Viereckseiten eingeschlossen? — Ein Winkel, der von s e n k r e c h t aufeinander treffenden Seiten gebildet wird, heißt ein rechter Winkel. Wie viele rechte Winkel hat also jedes der beiden Vierecke ? — Untersuche, ob alle Winkel des gezeichneten Vierecks auch wirklich gleich groß sind! (Dabei wird das Brettchen immer gedreht und immer wieder auf die Zeichnung gelegt. Stets decken sich die Ecken, woraus folgt, daß alle gleich sind.) d) Wie wird man die 4 Seiten der beiden Vierecke zusammen nennen, weil sie die Flächen gleichsam u m f a n g e n ? (Umfang.) Zeige den Umfang der beiden Vierecke! — Wie nennt man das, was z . B . in einem G e f ä ß e n t h a l t e n ist? (Inhalt.) Wie wird man darum auch die Fläche nennen, die von den Seiten der beiden Vierecke eingeschlossen wird ? b. (2. Gruppieren und Ordnen.)

Wie viel Seiten hat jedes der beiden Vierecke ? — Notieren: a) Zahl. Wie verhalten sie sich in Bezug auf Länge ? — Notieren: b) Länge. Was habt ihr über ihre Richtung zueinander gehört ? — Notieren: c) Richtung. Wie treffen die Seiten der beiden Vierecke aufeinander? — Notieren: d) Lage. Wovon haben wir Zahl, Länge, Richtung und Lage angegeben ? — Wie wird darum der Oberpunkt heißen? — Notieren vor a—d: 1. Seiten. — Wie viele Winkel hat jedes der beiden Vierecke ? — Notieren: a) Zahl. Was für Winkel sind das ? — Notieren: b) Art. Worauf beziehen sich die beiden letzten Punkte ? — Wie heißt darum unser Oberpunkt ? — Notieren vor a und b: 2. Winkel. Wie nennt man B ö h m , Prakt. Erziehungs-u. Unterrichtslehre. I I I . B d . 13.Aufl.

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Der Unterricht im Rechnen.

die Seitön der beiden Vierecke zusammen ? — Welchen Namen hat die von den Seiten der Vierecke eingeschlossene Fläche? — Notieren: 3. Umfang und Inhalt. — Jedes Viereck, dessen Seiten und Winkel die gefundenen Merkmale besitzen, nennt man Quadrat. Welchen Namen können wir darum auch dem Brettchen und der Zeichnung geben ? — Wie wird auch unsere Überschrift heißen ? — Notieren über 1—3: Das Quadrat. An der Schultafel steht nun folgende Disposition: Das Q u a d r a t . 1. Seiten: a) Zahl, b) Länge, c) Richtung, d) Lage. 2. Winkel: a) Zahl, b) Art. 3. Umfang und Inhalt. II. Denken, a. (3. Sicherung des Gewonnenen.)

Zusammenhängende Wiedergabe des gewonnenen Stoffes an der Hand der Disposition durch bessere und schwächere Schüler. b. (4. Ableitung des Begriffes.)

Was ist das Quadrat, weil es 4 Ecken hat ? — Wie sind seine 4 Seiten in Bezug auf Länge ? (gleich.) Füge das dem 1. Satz bei! (Das Quadrat ist ein Viereck mit vier gleichen Seiten.) Was findet man, wenn man die Winkel des Quadrates in Hinsicht auf Größe miteinander vergleicht ? (gleich groß.) Nimm auch das in den vorigen Satz auf! (Das Quadrat i s t . . . gleichen Seiten und 4 gleichen Winkeln.) Wie viele Winkel und Seiten hat jedes Viereck ? •—• Welches Wörtlein können wir darum in unserem Satz weglassen ? (4) Was ist also ein Quadrat ? ( . . . ein Viereck mit gleichen Seiten und gleichen Winkeln.) — Einüben des Satzes einzeln und im Chor. III. Anwenden. (5. Anwendung. 1 )

(Übungsaufgaben.) 1. Nennt Gegenstände, die meist Quadrate bilden! 2. Prüft diese Gegenstände darauf, ob sie Quadrate sind oder nicht! 3. Stellt mit Hilfe eures Lineals und Lesebuchs Quadrate her! 4. Macht ein Quadrat, dessen Seite der Breite eures Lineals gleichkommt! x

) Da die Lektion die erste aus der Raumlehre ist, kommt die Ve rk n ü p f u n g mit Ä h n l i c h e m in Wegfall.

Geometrie oder Raumlehre.

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5. Zeichnet ein Quadrat, dessen Seite 4 cm lang ist! 6. Mit 4 gleichlangen Stäben soll ein Quadrat gemacht werden. 7. Zeichnet aus freier Hand

Quadrate!

8. Macht zu Hause ein Quadrat aus Pappe oder Papier von 1 dm Seitenlänge und bringt es morgen mit zur Schule 1

IV. Geschichtliches. Stand der Arithmetik Wiege im fernen Indien, so wird als Geburtsland der Geometrie das Land der Datteln und Pyramiden bezeichnet. Der »heilige Nil« mit seinen jährlich wiederkehrenden Überschwemmungen soll zuerst die Wissenschaft von den Raumgrößen ins Leben gerufen haben. Herodot erzählt uns darüber, daß Sesostris jedem Untertan der Kriegerkaste ein gleiches, quadratisches Stück Land zugeteilt und mit Steuern für die Kanalbauten belegt habe. Die großartige Überflutung der Felder verwischte aber jedesmal die Grenzen, riß hier ein Stück ab und schwemmte es anderswo wieder an. Um nun die alte Ordnung der Dinge wieder herzustellen oder den Austausch äquivalenter Werte zu ermöglichen, waren Ausmessungen der Felder notig. Anfangs begnügte man sich vielleicht mit einfacher Schätzung und annähernder Grenzbestimmung; allmählich aber mag daraus durch Absteckung gewisser Richtpunkte eine Art Feldmessung entstanden sein. Die nämlichen Verhältnisse wie im Lande der Pharaonen finden wir auch in der Heimat des Nimrod und der Semiramis, in Mesopotamien, sowie in jenen Ebenen, durch die der »heilige Ganges« seine Fluten wälzt. Es ist kein vernünftiger Grund vorhanden, anzunehmen, daß dort die gleichen Ursachen nicht die gleichen Wirkungen sollen erzeugt haben. Wenn wir nun auch nicht wissen, in welcher Weise diese alten Kulturvölker die Geometrie betrieben, die großartigen Bauten der alten Nilbewohner sowie ihre Leistungen in der Astronomie sagen uns hinlänglich genug, daß sie schon zu einer gewissen Abstraktion geometrischer Gesetze gelangt waren. Zu einem System aber gestaltete die Geometrie erst der scharfe Geist der talentsprühenden Griechen. Sie hatten von den Ägyptern das schon Vorhandene ererbt und versuchten, es durch Kombination auf streng logischem Wege zu erweitern; es gelang ihnen auch frühzeitig, eine zusammenhängende Reihe von Sätzen und Beweisen zu schaffen, die heute noch Anerkennung finden. Besonders waren es die (jonisch-) philosophischen Schulen, die an der besseren Ausgestaltung der Erdmeßkunst (Geometrie) sich beteiligten, und es gab eine Zeit, wo ihre Häupter Kenntnisse in dieser Wissenschaft zur Vorbedingung für die Aufnahme in den Kreis ihrer Schüler machten. P l a t o schrieb über seinen Lehrsaal: Keiner komme herein, der nicht die Geometrie betrieben hatl — Wie groß die Wertschätzung dieser Wissenschaft war, geht auch daraus hervor, daß ihretwegen selbst ergraute Männer die Strapazen weiter Reisen miß13*

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Der Unterricht im Rechnen.

achteten. So soll T h a i e s im hohen Alter (um 630 v. Chr.) nach Indien und Ägypten gereist sein, um seine geometrischen Kenntnisse zu erweitern; ihm gelang es nach der Sage auch zuerst, die Höhen der Pyramiden aus ihrem Schatten zu messen. Noch mehr förderte die geometrische Wissenschaft P y t h a g o r a s (580 v. Chr.). E r fand den nach ihm benannten pythagoräischen Lehrsatz, einen der wichtigsten der Geometrie. Die Zahl bildete bei ihm eine Art Prinzip, auf das er seine ganze Philosophie basierte. Schon um das J a h r 300 v. Chr. schrieb E u k l i d in Alexandrien seine 15 Bücher über Geometrie. Sie wurden für 2000 Jahre Vorbild aller geometrischen Lehrbucher, und erst das verflossene Jahrhundert fing an, die darin befolgte Methode zu verbessern; auf höheren Schulen ist sie heute noch üblich. Der größte Nachfolger Euklids war A r c h i m e d e s , der tapfere Verteidiger seiner Vaterstadt Syrakus gegen die römischen Eindringlinge. Ihm verdanken wir die genauere Berechnung von Kreis ( n = 31/? ) und Kugel. Mit dem politischen und sittlichen Verfall der Griechen schwand auch ihr Sinn für Kunst und Wissenschaft, — ihr plastisches Talent erstarb, ihre Einbildungskraft vertrocknete und ihr lebhafter Geist wurde zur Geschwätzigkeit des Alters. Aber auch die Erben des klassischen Volkes, die tatkräftigen Romer, bildeten keineswegs die Wissenschaft fort; ihr Ziel war nur, sie praktisch zu verwerten. Als später über Europa die Völkerwanderung hereinbrach, in der alles geistige Leben zu Grabe ging, flohen die Wissenschaften wieder hinüber zu dem lebendigen Volke der Araber, hinüber an die korallenreichen Gestade des Roten Meeres. Erst um die Zeit Karls des Großen ward es wieder heller in Europa, und von da an blieb die Geometrie durch das ganze Mittelalter hindurch Gegenstand der g e l e h r t e n Schulen. Aber trotz der langen Zeit machte ihre Methode keine Fortschritte. Man folgte wie bisher dem alten Euklid, stellte die Sätze als etwas Gegebenes an die Spitze und ließ die Beweisführung folgen. Warum dabei so und nicht anders verfahren werden mußte, wußte kein Schüler anzugeben. Alles bewies der Lehrer, nichts der Lernende, so daß dieser nur den stummen Zuhörer bildete; von einer selbständigen Geistesarbeit war keine Sprache. Dabei ignorierte man jede praktische Anwendung so sehr, daß der Schüler nie einsah, wozu ihm all das nütze. Nach jahrelangem Studium war er meist unfähig, Zirkel und Winkel richtig zu handhaben. Die Ursache dieses Verfahrens liegt in der Forschungsweise der Alten. Sie konstruierten alles aus dem Begriff, aus den allgemeinsten und obersten Prinzipien, und erst zuletzt wurden einige Beweise aus der Wirklichkeit gesammelt, um durch sie das rein logische Gebäude zu stützen. Es war genau das entgegengesetzte Verfahren von heute. Erst als P e s t a l o z z i den Versuch machte, die Geometrie auch in die V o l k s s c h u l e einzuführen, kam eine bessere Methode zum Durchbruch. Zwar verfiel der große Pädagoge auch hier wie beim übrigen Rechnen in ein Extrem. Sein Unterricht sollte nur formell anregend

Geometrie oder Raumlehre.

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sein, das praktische Leben und seine Ansprüche ignorierte er grundsätzlich. Von der A n s c h a u u n g ausgehend, schritt er in peinlicher Lückenlosigkeit vorwärts, wobei er auf eine Unzahl von Linienkombinationen sein Hauptaugenmerk richtete. Wie anderwärts betätigte er auch hier wiederum seine Vorliebe für mechanisches Nachsagen, verwickelte sich dabei aber nicht selten in so schwierige Komplikationen, daß ein Gewinn für die Schüler unmöglich war. Seine »Formenlehre« erschien erst 1826. Die Einseitigkeiten des Meisters suchten seine Schüler und Anhänger allmählich abzustreifen. Es haben sich dabei J o s e p h S c h m i d t , v. T ü r k , G r a ß m a n n , R a m s a u e r und insbesondere H a r n i s c h und D i e s t e r weg durch ihre bezüglichen Schriften große Verdienste erworben. Harnisch stellte endgültig die Grundsätze in bezug auf Stoff und Methode der Geometrie in Volksschulen fest und Diesterweg »vollendete das didaktische Verfahren im einzelnen durch Virtuosität in formeller Behandlung«. In der neuesten Zeit hat die H e r b a r t sehe Schule wesentlich beigetragen zur weiteren Ausgestaltung der Raumlehre. Ihre Grundsätze (zuerst A n s c h a u e n der Gebilde, dann D a r s t e l l e n und B e r e c h n e n des Betrachteten) finden immer mehr Beachtung und Anerkennung. V. Lehrmittel. A. Für die Hand des Lehrers. a) M e t h o d i s c h e S c h r i f t e n . Praktische Geometrie für Volks- und Fortbildungsschulen. Von K. K e h r . Gotha, Thienemann. Preis 3 JH. Für Volksschulen ist Auswahl nötig. — D i e s t e r w e g , Elementare Geometrie für Volksschulen und Anfänger überhaupt. Frankfurt a. M., Hermannsche Buchhandlung. 1,20 JH. — Kommentar zu D i e s t e r w e g s elementarer Geometrie. Für Lehrer. Ebendaselbst. Neu von Langenberg. 50 ,3). Ist eine Ergänzung zu: »Elementare Geometrie«. — I m m e l , Karl, Die Elemente der Raumlehre in Verbindung mit dem geometrischen Zeichnen. München, Lindauer. Preis 1 M. — J. K ö n i g b a u e r , Raumlehre. I. Stufe für Volksschulen. München, Verlag von R. Oldenbourg, Abteilung für Schulbücher. Preis 2 M. — M a r t i n , Der Anschauungsunterricht in der Raumlehre nach Formengemeinschaften. Berlin, Gerdes & Hödel. 60,5). — K r i e b e l , Ausgangspunkte und Ziele des geometrischen Unterrichts in der mehrklassigen Volksschule. Breslau, Morgenstern. — W i t t s t e i n , Die Methode des mathematischen Unterrichts. Nebst Proben einer schulgemäßen Behandlung. Hannover, Hahn. — M i t t e n z w e y , Geometrie für Volks- und Fortbildungsschulen. Leipzig, Klinkhardt. — P i c k e l - W i l k , Geometrie der Volksschule. Dresden, Bleyl & Kämmerer. b) W i s s e n s c h a f t l i c h e W e r k e . Die Geometrie des Euklid und das Wesen derselben. Von Dr. E. S. Unger. Leipzig, Avenarius & Mendelssohn. Preis 7,50 M. — S n e l l , Lehrbuch der Geometrie. 3 Teile. Leipzig, Brockhaus. Preis 7,80 M. — S p i t z ,

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Der Unterricht im Rechnen. — Geometrie oder Raumlehre.

Lehrbuch der ebenen Geometrie. Leipzig, Winter. Preis 2,80 M. Lehrbuch der Stereometrie. Leipzig, Winter. Preis 2,40 M. — L ü b s e n , Lehrbuch der Elementargeometrie. Leipzig, Brandstetter. Preis 3 M- — W ö c k e l , Geometrie der Alten in éiner Sammlung von 850 Aufgaben. Nürnberg, Korn. Preis 2 M. B. Für die Hand der Schüler. J. B ö h m , Die zeichnende Geometrie. Vorschule für Geometrie und technisches Zeichnen zum Gebrauche in Lehrerbildungsanstalten, Real- und Fortbildungsschulen. 5. Aufl. von K. Fuß. Nürnberg, Korn. Preis 1,80 M. — K. K a i s e r , Leitfaden der Raum- und Formenlehre für Volksschulen. Hannover, C. Meyer. Preis 1 M. — J. K ö n i g b a u e r , SchWerbuch der Raumlehre. I. Stufe. München, Verlag von R. Oldenbourg. Abteilung für Schulbücher. Preis 30 ,3). — Als Schülerbuch kann auch das unter A. aufgeführte Buch von I m m e l angeführt werden. — J. K ö n i g b a u e r , Geometrische Aufgaben für Mittelschulen und Lehrerbildungsanstalten. Regensburg, Habbel. Preis 80 — K e h r , Geometrische Rechenaufgaben. Neu von Burbach. Gotha, Thienemann. — M i t t e n z w e y , Geometrie für Volks- und Fortbildungsschulen. Ausgabe B. Leipzig, Klinkhardt. — P i c k e l - W i l k , Geometrische Rechenaufgaben für die Hand der Schüler. Dresden, Bleyl & Kämmerer.

Dritte

Gruppe.

Der Unterricht in den Realien. 1. Der Unterricht in der Erdkunde. Von Dr. Andreas Fehn, Lehrerbildner in Bamberg. »Nicht das Wissen bringt Erlösung, sondern nur der kämpf- und entsagungsreiche Weg von der Person zur Persönlichkeit, die Tat« Rob. U l i c h

I. Das Wesen der Erdkunde. V o r b e m e r k u n g . »Die vergleichende Erdkunde, wie die Erforschung des Zusammenhangs zwischen der Erde und dem Menschen, zwischen der Erdkunde und der Geschichte, ist eine deutsche Schöpfung« (Scherer, Literaturgesch., S. 621). Ist Wissenschaft und Unterrichtslehre aus deutschem Geist hervorgewachsen, so ist es Pflicht jedes Deutschen, die eigenvölkische Errungenschaft auch in der Muttersprache zu benennen. Die berühmtesten Männer haben sich für die deutsche Bezeichnung entschieden. Karl Ritter, der Vater unserer Wissenschaft, hat für Geographie Erdkunde gesetzt und Oskar Peschel mußte gestehen, daß der ursprungliche Sinn des Fremdwortes völlig verdunkelt worden ist; denn man spricht auch von der »Geographie des Kanton^ Zürich«, der einheimische Ausdruck habe einen höheren und reineren Klang gerettet. Wenn übrigens Geographie nicht mehr wie bei Aristoteles Erdbeschreibung ist, so hat auch der alte Name keine Berechtigung mehr. Als Erdkunde, betont Richthofen, wäre diese Wissenschaft allumfassend. Noch in seinen letzten Lebensjahren greift er zum deutschen Namen, den Kirchhoff stets bevorzugt. Ähnlich verhält es sich mit der Aussprache erdkundlicher Eigennamen., Wo nicht bereits ein zwischenvölkisches Übereinkommen getroffen, spreche man, insbesondere in der Volksschule, getrost nach deutscher Laut- und Betonungsweise. Mehr als je soll das englische Urteil Geltung bekommen: »Die deutsche Sprache ist der Schlüssel zur Hälfte des geistigen Lebens in Europa.«

»Nur wer sich selbst klar ist, ist fähig und berechtigt, auf andere zu wirken« (Hettner). Die E r d k u n d e i s t R a u m w i s s e n s c h a f t , wie die Geschichte und Erdgeschichte Zeitwissenschaften sind. »Sie hat ihren Gegenstand im Räume, in der Gegenwart. Sie wird

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I. Das Wesen der Erdkunde.

dadurch in viel höherem Grad als die Geschichte eine »Augenkunst«, eine Sache der sinnlichen Anschauung.« (Dr. Nüchter a. a. 0 . S. 53.) Während die Erdbeschreibung bis ins 17. Jahrhundert die Beobachtungen auf der Erdoberfläche ganz einfach feststellte, betrachtet die Erdkunde die Länder, Gegenden und Örtlichkeiten samt den Naturerscheinungen und Lebewesen, gelangt durch vergleichenden Überblick zu Besonderheiten (Kategorien), entdeckt die ursächlichen Zusammenhänge zwischen den gefundenen Einheiten (Individuen) und kommt schließlich zu allgemein gültigen Begriffen und Gesetzen. Der W e g zur h ö h e r e n W a h r h e i t ist g e k e n n z e i c h n e t d u r c h die N a t u r der S a c h e : B e o b a c h t e n , messen, schätzen, sammeln, ordnen, vergleichen, zusammenfassen, denkend betrachten, begrifflich feststellen, e i n d e u t i g e n t s c h e i d e n . Grundtatsache der erdkundlichen Auffassung ist also die »verschieden ausgebildete« Erdoberfläche. Kernstück und Prüfstein der Erdkunde ist die Länderkunde. Sie führt zu dem rechten Verständnis der Eigenart der Länder. Ist die Erde (nach Ritter) das Wohnhaus des Menschen, so genügt es nicht, seinen Grundriß und seinen Baustil zu kennen, sondern man muß in jedes Stockwerk hinaufsteigen, in jedes Zimmer hineingucken, dann erst kennt man das Haus völlig und gewinnt auch die Möglichkeit, über die einzelnen Räume zweckmäßig zu verfügen. A. D i e L a n d - o d e r M e e r k u n d e zeigt, wie die »einzelnen Erdräume ihre besondere Eigenart erhalten durch das Zusammenwirken der vorkommenden Erscheinungen« (Schnaß a. a. 0 . S. 109). B . D i e a l l g e m e i n e E r d k u n d e ordnet die einzelnen Erscheinungen der Erdoberfläche nach ihrer sachlichen Zugehörigkeit auf Grund ihrer räumlichen Beziehungen (Schnaß 114). Als Landschaftsbildner gelten Menschen, Tiere, Pflanzen, Lufterscheinungen (Witterung), Wasser (Salz- und Süßwasser, Niederschläge), Innen- und Außenkräfte des Grundgerüstes der Erde. D i e a l l g e m e i n e E r d k u n d e gliedert sich I. in die E r d b a l l k u n d e (Himmelskunde im weiteren und engeren Sinn; Kalenderwesen, Gradmessungen, Entwicklung der Erde (Geophysik);

I. Das Wesen der Erdkunde.

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I I . in die N a t u r g e s c h i c h t e d e r L u f t - , Wasser-, Gesteinsund Lebenshülle der Erde (Luftkunde, Meereskunde, Landformenkunde (Geomorphologie), Verbreitung der Pflanzen und Tiere (Biogeographie); I I I . in die W i s s e n s c h a f t v o n d e n B e z i e h u n g e n z w i s c h e n M e n s c h u n d B o d e n (Anthropogeographie), Völkerkunde, Staatenlehre, Kulturkunde, Siedelungskunde. Trotz der Mannigfaltigkeit der Gegenstände und Hilfswissenschaften, mit denen sich die Erdkunde beschäftigt, besitzt sie Klarheit, innere Geschlossenheit und E i n h e i t l i c h k e i t , die Voraussetzung zu jeder selbständigen Wissenschaft. »Auf dem Gesichtspunkt der geographischen Wechselwirkung läßt sich ein geschlossenes Lehrgebäude begründen, das den Anforderungen einer einheitlichen Wissenschaft entspricht« (Hettner). Soll sie aber ihren vollen Wert entfalten, so darf sie unter keinem einseitigen Gesichtspunkt gelehrt werden. Sie bildet eben heute noch »die wahre Brücke zwischen Naturund Geisteswissenschaften. Sie ist das in der Wesenheit der Dinge begründete Verbindungsglied zwischen den einzelnen Unterrichtszweigen der verschiedenen Schulgattungen« (Günther). Das liegt begründet in ihrer philosophischen Tragweite. Sie ist geeignet, den Forscher, Lehrer und Schüler »aus der Beschränktheit der Einzelwissenschaft hinauszuführen zu einer Gesamtauffassung der irdischen Erscheinungen, so daß er erfaßt, daß alle diese in einer unendlichen Kette von Ursachen und Folgen räumlich zusammenwirken zur Gestaltung der Umwelt, j a auch des eigenen Ichs, das von Kindheit an von unserm Lebensschauplatz abhängig ist und von ihm geformt wird. So vermittelt die Erdkunde, wie die Philosophie, eine Weltanschauung, die sie aus den anderen Wissenschaften gleichsam herausdestilliert« (Philippson, Berliner Vortrag 1913). Dieser hohe Standpunkt stellt den Menschen bewußt in die Entwicklungsgeschichte der erdkundlichen Wirklichkeit, trägt der Erziehung, der Fachwissenschaft und den Bedürfnissen des täglichen Lebens gleichmäßig Rechnung und bedingt auf diese Weise eine geistige Erneuerung der menschlichen Gesellschaft. D u r c h n a t u r g e m ä ß e L e h r e soll das j u n g e G e s c h l e c h t g e s c h u l t werden, den j e w e i l i g e n K u l t u r b e s i t z zu erfassen und f o r t z u b i l d e n u n t e r A u s n u t z u n g der

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II. Geschichtl. Entwickl. d. Arbeits- u. Unterrichtsw. in d. Erdk.

g e g e b e n e n W i r k l i c h k e i t . Ist im Hinblick auf die Weite und Tiefe der wissenschaftlichen Forschung eine fachliche Aufteilung auch notwendig, so muß doch die Erkenntnis und das Erleben über die fachmäßigen Grenzen hinweggreifen. Bei jeder passenden Gelegenheit müssen »die inneren Zusammenhänge des deutschen Volkslebens erkannt und gefühlt werden« (Gaudig).

II. Geschichtliche Entwicklung der Arbeits- und Unterrichtsweise in der Erdkunde. • Man lernt die Erdkunde nicht, ohne ihre Geschichte zu kennen Ratzel.

In ihren ersten Anfängen hing die Wissenschaft von der Erde aufs engste mit der Philosophie (Weitweisheit) zusammen. Die Erdbeschreibung (Geographie), wie sie bis zu Ritters Zeit genannt wurde, hat also eig sehr hohes Alter. Wie noch heute beschäftigte sich seit den Urzeiten jedes Naturvolk mit Vorstellungen über die Beschaffenheit, Gestalt und Größe der Erde. Natürlich begnügte man sich Jahrtausende hindurch mit einer Zusammenstellung einfacher Tatsachen, die auf kindlich natürlichen Aussagen beruhten. Allmählich folgten Beschreibungen, spät faßte man die Tatsachen zu einer bestimmten Lehre zusammen; erst im 19. Jahrhundert gelangte man zu Anschauungen von allgemeiner, Lander und Volker verbindender Bedeutung. Bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts war Geschichte der Erdkunde eine Aufzählung der Namen von Persönlichkeiten mit Angabe dessen, was sie beobachteten. Einen besonderen Abschnitt bildet die Geschichte der Entdeckungsfahrten der Portugiesen und Spamer. Der Anfang aller Entdeckung und Belehrung war e i n e r o h e H e i m a t k u n d e . Die Indianer und Beduinen besaßen von jeher eine ausgedehnte Wegekunde, die Eskimos zeichneten seit den frühesten Zeiten Meeresstraßen mit Kohlen auf Birkenrinden, die Malajen fanden sich durch Beobachtung von Färbung und Wärme des Meeres, der Treibgegenstände und Strömung des Wassers selbst im Gewirr der Sundamseln zurecht. Bei der lebhaften Einbildungskraft der Naturvölker war eine m a n n i g f a l t i g e S a g e n b i l d u n g die naturnotwendige Folge, »Kosmogonische Mythen« (Sagen über die Weltbildung) entstehen. Vom Urwasser der Inder, dem Chaos der Griechen, dem Urei der Mongolen und Phönizier bis zu Kant (1724—1804) und La Place, bei denen sich die planmäßig geordneten Stoffteilchen zum Sonnen- und Sternenplan zusammenschließen, ist ein weiter wirrer Weg. Trotzdem gewannen nach Richthofens Bericht b e i d e n C h i n e s e n s c h o n 2357 v. C h r . d i e U r v o r s t e l l u n g e n w i s s e n s c h a f t l i c h e G e s t a l t u n g . 2200 v. Chr. entstand Chinas älteste Karte, seit 1100 v. Chr. bestand ein »karthographisches « Amt, von dem Vermessungen

II. Geschiehtl. Entwickl. d. Arbeits- u. Unterrichtsw. in d. Erdk.

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vorgenommen, Teilkarten aufgezeichnet und Meßwerkzeuge ausgearbeitet wurden. Die A r a b e r wurden die späten Erben dieser Errungenschaften (13. Jahrhundert n. Chr.). P r i e s t e r u n d D i c h t e r vermitteln dem Volke in der Frühzeit die Grundanschauungen der Weltkunde. In den i n d i s c h e n E p e n Mahabhar a t a und Ramayana finden sich Aufzeichnungen von Ländern und Völkern genau wie bei H o m e r . Ein unserem Herder verwandter philosophischer Geist, überprüft er denkend die vorhandenen Kenntnisse, mischt aber Wahrheit mit Dichtung, indem er jene freischöpferisch verwertet. Durch künstlerische Erfassung seiner Umwelt will er sein Volk erziehen. »Der griechische Knabe fand Heimat und Ferne in seinem Homer. Die schöne Heimat im Schiffskatalog der Ilias, die dämmernde Ferne in der Odyssee.« Im übrigen halte ich es mit Eratosthenes (276—194 v. Chr.), der also urteilt: »Man würde in der homerischen Geographie die Wege des Odysseus ebenso wenig finden, wie man den Mann finden würde, der die Windschläuche des Aeolus verfertigt hat.« Die E r d t a f e l d e r I l i a s genießt so wenig Anspruch auf wissenschaftliche Geltung wie die W e l t t a f e l i n d e n R e l i g i o n s b ü c h e r n d e r B r a h m i n e n . Erst die J o n i e r (Thaies (624—545), Anaximander, Anaximenes (588—24), Xenophanes, Heraklit, Demokrit, Empedokles und Anaxagoras) fassen die erdkundlichen Kenntnisse in philosophisch tief deutender Weise zur Lehre zusammen. Auch die Zusammenhänge zwischen Erdkunde und Geschichte werden bereits von H e r o d o t (450 v. Chr.) grundsätzlich betont, von H i p p o k r a t e s allseitig erläutert, mögen ihre Berichte auch noch so viele Unmöglichkeiten enthalten. Auf schwankendem Grunde mußte ein Lehrgebäude errichtet werden. Dies gelang A r i s t o t e l e s (384—322), einer großartigen, gesetzgeberischen Natur. Ausgehend von den Elementen und deren Kräften, brachte er die Einzelheiten m ursächlichen Zusammenhang, ballte auf Grund der Schwerbestimmungen die Stoffe zur Kugel zusammen und setzte die Erde zum Weltganzen in Beziehung. So konnte sein Schüler A l e x a n d e r nicht bloß erobern sondern auch entdecken, das fremde Land wissenschaftlich erschließen zur gleichen Zeit (334 v. Chr.), als P y t h e a s von Massilia, der erste Polarfahrer, die verarbeiteten Kenntnisse den Bedürfnissen des Lebens nutzbar machte. Um den geschichtlichen Ereignissen eine feste Grundlage zu geben, hatte bereits H e r o d o t »die Beschreibung der gesehenen Örtlichkeiten mit der Erzählung der gehörten Begebenheiten vereinigt«. P o l y b i u s von Rom (205—123), für den es im Gegensatz zu Pytheas überhaupt keine Grenzen gab, verfaßte eine genaue Orts- und Landbeschreibung auf Grund seiner Reisen. Dessen bedeutendster Nachfolger S t r a b o (68 v. bis 24 n. Chr.) berücksichtigt zum ersten Male bewußt den Einfluß der Oberflächenbeschaffenheit auf die Eigenart der Bewohner. »Die rauhen Gebirgsländer erzeugen wilde, tapfere Stämme, die bequemen Ebenen sind der Schauplatz friedlicher Bestrebungen.« Für den Anfang verlangt er die Beobachtung am Himmel, dann folgen Globusstudien, die vom Nahen zum Fernen fortschreiten. Belebt wird die Mitteilung durch Fabeln und Sagen « Angeregt durch Aristoteles, stellte der unsäglich fleißige P t o l e m ä u s (150 n. Chr.) nach genauen Messungen und

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Kartenentwürfen die Erde in den Mittelpunkt des Weltalls. So sollte es bleiben, bis Koppernigk (Coppernicus 1473—1543) die größte Revolution der Weltgeschichte vollbrachte, indem er die Erde als Planet der Sonne erklärte. So sehen wir bei den Alten eine mannigfaltige Zahl leuchtender Gedanken vereinigt. »Jede ihrer Wahrheiten lag unter einem Schutt der gröbsten Verkehrtheiten und Irrtümer verborgen und, was noch schlimmer war, schien gemeiniglich der Irrtum neben der Wahrheit ebensoviel Berechtigung zu besitzen. Für die Bereicherung der menschlichen Erkenntnisse genügt es aber, daß eine Wahrheit einmal ausgesprochen werde. Ein Geschlecht wird sie, ohne daß ihre Keimfähigkeit leiden könnte, dem andern aushändigen, bis für sie der wahre Lebenswecker kommt« (Oskar Peschel: Geschichte der Erdkunde, S. 70f.). Die l a t e i n i s c h s c h r e i b e n d e n G e o g r a p h e n d e s c h r i s t l i c h e n M i t t e l a l t e r s konnten dies nicht werden. Herodot, Strabo, Ptolemäus werden bis in die Zeit des Humanismus nie genannt und bleiben völlig unbenützt. Mit Vorliebe wurde P o m p o n i u s M e l a (40 n. Chr.), P l i n i u s und S o l i n u s benützt, der die wertvollsten Kenntnisse verschwieg, dafür aber »einer nach Wundern lüsternen Phantasie durch Aufsammlung aller geographischen Fabeln reiche Sättigung gewährte«. Wenn sich aber der Kreis unseres Wissens verengert, verfallen wir schutzlos den traumartigen Vorstellungen einer unbemeisterten Einbildungskraft. Mit Recht redet man von einer geistigen Blindheit des Mittelalters. »Die Alpen wurden in dieser Zeit viel mehr überschritten als im Altertum und nach und. nach überall urbar gemacht. Aber wir finden kaum eine Erwähnung ihrer Naturerscheinungen. Gletscher immer wieder zu überschreiten, ohne sich um ihre Natur zu kummern, setzt eine Art geistiger Blindheit voraus« (Ratzel). Die S c h o l a s t i k e r trieben in den Klosterund Stiftsschulen eben in erster Linie Theologie und Philosophie. Fortschritt und vertiefende Weiterbildung waren wider Lehre und Geschmack, wenn auch mit Scharfsinn beobachtet und verglichen wurde. Selbst der geistvolle Gelehrte A l b e r t u s M a g n u s (1193—1280) kommt über Aristoteles nicht hinaus. Der »Kommentar zu Aristoteles« wurde immer neu und wenig verändert aufgelegt und die alte Lehre von den »Hebungen und Senkungen der Erde, veranlaßt durch Dampfspannungen innerhalb der Erdrinde«, behält Geltung bis ins 19. Jahrhundert. Welch herrliche Gelegenheit wäre geboten gewesen, Lehre und Leben zu verquicken und gegenseitig zu befruchten, als die » R e n a i s s a n c e « K u l t u r die Blicke weitete, der kühne K o l u m b u s rücksichtslos ins freie Meer hinaus steuerte und trotz der falschen arabischen Maße ans ferne fremde Ziel gelangte, als die H u m a n i s t e n die alten Quellen frei und froh übersetzten! Aber die g e l e h r t e n S c h u l e n trieben fast nur Sprachunterricht. Vor lauter Form vergaß man den Inhalt. Melanchthon fordert das Studium der Karte nur, daß man wisse, wo und wann sich Gott geoffenbart. Die Erdkunde konnte die rechten Früchte der Erkenntnis noch nicht zeitigen, noch schlummerten die Naturwissenschaften, die erst eine genaue Forschung ermöglichten. Die Grundlage des erdkundlichen Wissens, sinnliche Anschauung, wurde in den Schulen jener Zeit nicht

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gepflegt. In der Zeit rein humanistischer Bildung liegt die Ursache zu dem völlig verkehrten Erdkundeunterricht bis in unsere Zeit. H ü b n e r s »Kurze Fragen und Antworten aus der alten und neuen Geographie«, bis auf gegenwärtige Zeit fortgesetzt (1693), wurden mehrere Geschlechter hindurch benutzt, ein Buch, »ebenso reich an Lehrstoff wie arm an Verarbeitung des Tatsacheninhaltes«. In seinem novum organon (1620) deckte Bacon die Fehler der Wahrnehmungstätigkeit auf, kämpft gegen den starren Autoritätsglauben und gegen die sklavische Abhängigkeit von Aristoteles. Die stete Gewohnheit an Selbstsehen müsse an die Stelle der Wortweisheit treten. Erst Arnos C o m e n i u s (1592—1670) stellt als Grundforderung auf, daß die Belehrung an den Tatsachen selbsl vorgenommen werden müsse. Er erkennt E r d k u n d e a l s b e r e c h t i g t e s U n t e r r i c h t s f a c h a u c h i n d e r V o l k s s c h u l e an. Denn in der A r m e n s c h u l e , die mit dem von Georg I v o n H e s s e n - D a r m s t a d t gestifteten Waisenhause verbunden war (um 1590), wird noch in Seb. M u n s t e r s höchst unzuverlässiger »Kosmographie« gelesen. Freilich bestimmte auch Comenius in dem Plane für die Schule zu Patak (in Ungarn) zunächst in jeder Woche nur eine Stunde zum Vorlesen von Zeitungen, »um so die Zöglinge die Geschichte der Gegenwart und die Geographie erlernen zu lassen«. Aber in der Didactica magna (großen Unterrichtslehre) fordert er einen e r d k u n d l i c h e n A n s c h a u u n g s u n t e r r i c h t , in seinem orbis pictus (seiner B i l d e r w e l t ) ein recht brauchbares Hilfsmittel zur Verdeutlichung erdkundlicher Vorstellungen. Daß er vom Ganzen, Allgemeinen zu den Teilen vorgeht (Analyse), will allerdings schlecht zu seinem Unterrichtsgrundsatz passen. »Eine Einleitung in die Geographie findet statt, wenn die Kinder verstehen lernen, was ein Berg, ein Tal, ein Acker, ein Fluß, ein Dorf, ein Flecken, eine Stadt ist. In der Volksschule, 6. bis 12. Lebensjahr, soll ihnen das Wichtigste aus der Weltkunde mitgeteilt werden, besonders von der Rundung des Himmels, von der Kugelgestalt der Erde, von der Bewegung des Meeres, von der mannigfach gekrümmten Gestalt der Meere und Flüsse, von den Erdteilen, von den hauptsächlichsten Reichen Europas, insbesondere von den Städten, Flüssen und Bergen des eigenen Vaterlandes.« Die erste Schulverordnung, in der d e r e r d k u n d l i c h e U n t e r r i c h t als P f l i c h t f a c h e r k l ä r t wird, ist der »Schulmethodus« d e s H e r z o g s E r n s t d e s F r o m m e n (1642). »Alles, was zum Unterricht in den Realien erforderlich ist, müsse zur Hand geschaffen werden. Den Unterschied der \ier Teile der Welt sollte der Lehrer an der Kirche zeigen, wo der Altar immer gegen Morgen zu stehen pflegt.« Angeregt durch den Rektor R e y h e r , einem Schuler des Comenius, hat Herrn. F r a n c k e (1663—1727), das Haupt der Pietisten, die E r d k u n d e a l l g e m e i n e r i n d e n h ö h e r e n S c h u l e n eingeführt. Den Schülern der niedern Schule soll sie außerhalb der ordentlichen Schulstunden auf spielende Weise beigebracht werden. Die Landkarten (Mappae geographicae) werden von den Kindern nach vorhergegangener Anweisung in Freistunden gebraucht. Sie sollen selbst untereinander fragen, »wie die Welt eingeteilt wird, und in welche Länder und Reiche sich ein jeglicher

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Teil der Welt wiederum teilte, welches darinnen die vornehmsten Städte sind und wie sie gelegen.« Das G e n e r a l - L a n d s c h u l r e g l e m e n t F r i e d r i c h s II. (12. Aug. 1763), das auf Franckes Grundsätzen aufgebaut ist, rechnet d i e e r d k u n d l i c h e n K e n n t n i s s e zu d e n » n ü t z l i c h e n D i n g e n « , m denen die Schüler zu unterweisen sind. Ein Beispiel, wie der in jener Zeit erteilte Erdkundeunterricht beschaffen war, möge Gottlieb E n d e s f e l d e r s » K u r z g e f a ß t e K i n d e r - G e o g r a p h i e « liefein: 1. Wie sieht Spanien auf der Landkarte a u s ? (Wie ein ausgebreitetes Kalbsfell.) 2. Wie sind die Einwohner beschaffen? (Scharfsinnig und beständig, aber auch hoffärtig und faul.) 3. Gegen wen tragen die Spanier einen Haß ? (Gegen die Frauenzimmer.) 4. Wieviel Weiber gehen (zu Salamanka) auf eine Mannesperson? (Sechs.) 5. Was wird zu Salamanka für ein Ort gezeigt? (Eine Höhle, darin der Satan Schule gehalten hat.) 6. Welches ist das berühmteste Hospital der Welt? (Das Hospital zu Compostell.) 7. Wer darf sich nicht schämen, in diesem prächtigen Hospital zu wohnen ? (Kaiser, Könige und Fürsten.) — Die Karte, überhaupt die Anschauung spielt eine untergeordnete Bedeutung, d e r L e h r - u n d L e r n s t o f f e r i n n e r t i m m e r n o c h a n d i e » n a c k t e n N a m e n d e r Orte«(locorum nuda nomina) des Plinius, eine recht » p a p i e r e n e G e o g r a p h i e « , wie sie R o u s s e a u (1712—1778) verwirft und G o e t h e in seinem G ö t z (1772) so köstlich verspottet. Karl: »Jaxthausen ist ein Dorf und Schloß an der Jaxt, gehört seit zweihundert Jahren den Herrn von Berlichingen erb- und eigentümlich zu.« Götz: »Ich kannte alle Pfade, Weg' und Furten, eh' ich wußte, wie Fluß, Dorf und Burg hieß.« So fragt auch Rousseau: » W a r u m f a n g t I h r n i c h t d a m i t a n , d e n G e g e n s t a n d s e l b s t zu z e i g e n , damit der Schüler wenigstens wisse, wovon ihr mit ihm redet.« —• Das Kind entwerfe sich selbst von allem eine Karte; diese sei sehr einfach und enthalte anfänglich nur zwei Gegenstände. Diesem füge es nach und nach die übrigen zu, sowie es dieselben kennen und ihre Entfernung und Lage abschätzen lernt. — S a c h e n , S a c h e n , i c h w e r d e es n i e m a l s g e n u g w i e d e r h o l e n , d a ß w i r d e n W ö r t e r n zu viel M a c h t geben. Mit u n s e r e r s c h w a t z h a f t e n Erziehung m a c h e n w i r n u r S c h w ä t z e r « (Emil 1762). Diese Erziehung der Wahrheit und der Vernunft begründeten in Deutschland die P h i l a n t h r o p e n ( B a s e d o w (1724—1790), C a m p e (1746—1818), S a l z m a n n (1744—1811.) Der erdkundliche Unterricht wurde von dem trefflichen G u t s - M u t h s geleitet, dem Lehrer und Erzieher Karl Ritters, der »ersten Schnepfe«in Salzmanns Erziehungsheim. Auf Fußwanderungen, die gleichzeitig einer planmäßigen Körperpflege dienten, wurden die Zöglinge in die Heimatkunde eingeführt. »Ehe wir vom karpatischen Walde und vom Pindus plaudern, ehe wir uns mit Paris, Lissabon, Rom und Athen bekannt machen, müssen wir schon mit der Kette von Gebirgen, an deren Fluß wir wohnen, bekannt sein, den Inselsberg besucht, nach Franken, Hessen, Thüringen geschaut, wenigstens einige Dörfer und Städte besehen haben, damit sie sich doch bei den Worten Gebirge, Berg, Dorf, Städtchen, Stadt, Provinz etwas Richtiges denken können« (Salzmann »Noch etwas über Erziehung«).

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S c h ü t z , der sogar täglich eine g e o g r a p h i s c h e Spielstunde fordert, dringt in seinem Methodenbuch auf ganz allmähliches Fortschreiten. »Die e r s t e n S c h r i t t e m ü s s e n s e h r l a n g s a m s e i n , d a m i t k e i n e f a l s c h e n B e g r i f f e W u r z e l f a s s e n . « Höhere Bedeutung für die Volksschule gewann R o c h o w s » K i n d e r f r e u n d « (1776), in dem »die allgemeinsten Grunde der Erdbeschreibung« abgehandelt sind und aus dem in zwei Wochenstunden vorgelesen wurde. Der w i s s e n s c h a f t l i c h h a l t b a r e S c h r i t t v o n d e r E r d b e s c h r e i b u n g z u r e i g e n t l i c h e n E r d k u n d e (von der Chorographie zur Chorologie) w u r d e g e t a n v o n B e r n h . V a r e n i u s (1622?—1650?), dem Verfasser der »allgemeinen Erdkunde«. Es ist nicht mehr der Erdraum mit seinen Eigenschaften beschrieben, sondern es werden Erscheinungen herausgegriffen, über die ganze Erde hin verfolgt und miteinander verglichen. So e n t s t e h t d e r a l l g e m e i n e e r d k u n d l i c h e Begriff (die Kategorie). Die Gletscher finden sich z. B. nicht bloß in den Hochgebirgen; m den Gebieten um den Pol reichen sie bis zum Meer herab. Also sind die Gletscher keine Eigentümlichkeit des Hochgebirges, sondern Wirkungen eines Klimas. Im 1. Teil stellt er die Begriffe an sich auf (Festland, Halbinsel, Insel, Gebirge, Wüste, Ozean, Lufthülle). Der 2. Teil bringt die Beziehung der Grundbegriffe (Einheiten) zum Weltraum (Kräfte, Anziehung, Gradnetz). Im 3. Teil vergleicht er die einzelnen Begriffe miteinander (z. B. Orte mit gleichem Klima auf verschiedenen Graden). Umfassend von neuem begründet wurde das Werk erst durch A l e x a n d e r v. H u m b o l d t (1769—1859), einen weltumspannenden Geist, den ersten, der E r g e b n i s s e e r n s t e r F o r s c h u n g in W o r t u n d S c h r i f t g e m e i n v e r s t ä n d l i c h d a r s t e l l t e . Auf dem Pik von Teneriffa konnte er alle Landschaften beobachten von den Tropen bis zur Polarnatur und so seine erdkundlichen Begriffe bilden. Diese planmäßig vergleichenden Forschungen setzte er fort am Orinoko (Llanos), Cassiquiare (Steppenbegriff), in Kuba, Columbien, Ecuador (Vulkan), Mexiko. Er stellte sorgfältige Höhen-, Wärme-, Luftmessungen an, sammelte eifrig Steine, Pflanzen, Tiere, beobachtete Völker und konnte den hohen Einfluß der Erdgestalt auf die menschliche Entwicklung feststellen. Obwohl seine Beobachtungen im einzelnen längst überholt und seine kühnen Schlußfolgerungen berichtigt sind, so konnte sein »Kosmos« (1854—58) von keinem nachgemacht, seine Beobachtungs- und Zusammenfassungskraft in Deutschland von niemand übertroffen werden. Was Humboldt auf Grund von Tatsachen erkannt, erklärt, begrifflich zusammengefaßt, hat K a r l R i t t e r (1779—1859) philosophisch entwickelt. Schon H e r d e r (1744—1803) hatte, angeregt durch die gut besuchten Vorlesungen seines Lehrers K a n t (1724—1804) über » p h y s i s c h e G e o g r a p h i e « , in seinen »Ideen zur P h i l o s o p h i e der G e s c h i c h t e der Menschheit« (1784—91) jenes Naturgesetz aufgedeckt, aus welchem auch der Bestand unseres Wesens folgt. »Die Vernunft mißt und vergleicht den Zusammenhang der Dinge, daß sie solche zum dauernden Ebenmaß ordne. Was alle Wesen und ihre Systeme (von der Sonne bis zur kleinsten menschlichen Handlung) erhalt, ist nur eins: Verhältnis ihrer Kräfte zur perio-

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dischen Ruhe und Ordnung.« Deswegen erklärt er die Erdkunde unabtrennlich von Naturgeschichte, Geschichte und Philosophie. »Die G e o g r a p h i e ist die B a s i s der G e s c h i c h t e u n d die G e s c h i c h t e ist n i c h t s w e i t e r a l s e i n e in B e w e g u n g g e s e t z t e Geographie der Zeiten und Volker. Wer eine ohne die andere treibt, versteht keine, und wer beide verachtet, sollte wie der Maulwurf nicht auf, sondern unter der Erde wohnen« (Schulreden, Reclam VII, S. 71). Der weltumfassenden G e s c h i c h t s p h i l o s o p h i e H e g e l s (1770 bis 1831) mit der verlockenden Lehre von dem Grundsatz (der These), dem Gegensatz (der Antithese) und der Auflosung zur höheren Wahrheit durch Zerlegung (Synthese) kopnte sich ein philosophischer Kopf wie Ritter nicht entziehen. »Die Welt und ihre Entwicklung ist nicht außerhalb des absoluten Geistes, sondern in ihm, von ihm durchdrungen, geleitet und zu seinem Wesen gehörig, so daß der absolute Geist in die Weltentwicklung eingeht und diese selbst die Geschichte des A-bsoluten und Gottes ausmacht« (Kuno Fischer »Hegel« I, 24 S.). Ritter will die Endlichkeit zerbrechen und den Kern emporheben, aus welchem die Wahrheit sich entfalten muß. Er ging von den räumlichen Umrissen der Küste aus und entwickelte ihren Einfluß auf die Menschen. Irrig war die Meinung, die Völkergeschichte sei allein abhängig von diesen rein geometrischen Umrissen. Viel wichtiger ist doch der Bau der Länder, die senkrechte Gliederung. Doch waren seine Worte »Die E r d e u n d i h r e B e w o h n e r stehen m unzertrennlicher Wechselbeziehung; das Eine b i l d e t d i e G r u n d l a g e d e s A n d e r n « maßgebend für die Tatsache, daß die Erdkunde künftighin eine Mittelstellung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften behauptet und als die von selbst gegebene Brücke zwischen diesen beiden Hauptabteilungen menschlicher Geistesarbeit sich zu erkennen gibt. Als Erzieher der Sohne aus dem Hause Hollweg trat Ritter 1807 mit P e s t a l o z z i zusammen, der ihn für den Erzieherberuf zu begeistern suchte. Er ließ sich von ihm und seinen Mitarbeitern über die neue Unterrichtsweise belehren, besuchte den Unterricht und nahm an den Sitzungen teil. Obwohl dadurch in Ritter »erst das Bewußtsein seiner eigentlichen Lebensaufgabe zum Durchbruch gebracht« wurde, ist er der eigentliche Begründer jener Schule, durch die fast jeder bedeutende Lehrer der Erdkunde gegangen ist. Nach dem Zusammentreffen mit Leopold,v B u c h auf einer zweiten Schweizer Reise (1809) schrieb Ritter an seinen Stiefvater Zerrenner: »Auf diese Weise (d h. durch Beobachtung der gegenseitigen Abhängigkeit) erhielt jeder hohe Gebirgspaß als Passage, jeder Wasserfall zur ersten Ansiedelung, jedes Vorgebirge zur ersten Kolonie, jede Ebbe und Flut in ihrem tiefen Hinuntersteigen m die Flußgebiete als erster Antrieb zur Seeschiffahrt seine geschichtliche Bedeutung. Mein System beruht nicht auf Erörterung, sondern auf Tatsachen.« 1817 und 1818 erschien sein Buch »Erdkunde im Verhältnis zur Natur und Geschichte des Menschen«, ein Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung. »Vor Ritter hat niemand die Weltteile als die großen Individuen der Erde

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zu bezeichnen gewagt, gleichsam als ob sie durch hilfreiche oder verweigernde Gewalten beseelt seien, die ihren Bewohnern ein geschichtliches Verhängnis auferlegten, wie dies in bezug auf Afrika Ritter so überzeugend nachgewiesen hat« (Ritter, Erdkunde, Bd. 1, S. 10, 13, 415) Doch hat sich die höchste Verklärung menschlicher Gesellschaft nie an einen Erdraum fesseln lassen, sondern sie ist rastlos geschritten von Strom zu Strom, von Ufer zu Ufer Schade, daß viele Nachfolger den eigenen Meister nicht ganz verstanden haben, weil sie den Begriff Erdkunde zu eng faßten oder an der Schwierigkeit scheiterten, das Gesetzliche in der Beeinflussung der Geschichte durch die Naturumgebung zu finden. Selbst O s k a r P e s c h e l (1826—75) wurde ungerecht, wenn er behauptet, daß Ritter die Aufgabe der vergleichenden Erdkunde nie gelost habe. »Wer Gesetze entdecken will, der muß beweisen, daß gleiche Ursachen gleiche Wirkungen allenthalben haben.« Daß gerade hier Ritter der Wahrheit naher war als Peschel, beweist F r i e d r i c h R a t z e l (1844—1904) (vgl »Anwendung der Erdkunde auf die Geschichte«, S. 35ff.) Legen wir den rein erdkundlichen Maßstab an, dann verdient freilich Peschel den Namen »Begründer der vergleichenden Erdkunde«. »Man gönne uns das Bewußtsein, zuerst deutlich neue Forschungsgegenstande und das vergleichende Verfahren zu ihrer Losung eingeführt zu haben« (Peschel »Vergleichende Erdkunde«, S 3). Wohl beeinflußt die Natur des Bodens das Schicksal der Volker, aber je hoher die Kulturstufe, desto geringer ist die Abhängigkeit des Menschen von der Umwelt. V e r g l i c h e n k a n n ü b r i g e n s nicht Boden und Bewohner werden, s o n d e r n eine L a n d f o r m m i t e i n e r a n d e r n , um so zum Wesen der erdkundlichen Einheit zu gelangen. So behandelt Peschel z B.: Die Fjordbildungen, Über den Ursprung der Inseln-, Die Tier- und Pflanzenwelt der Inseln, Die Deltabildungen der Strome, Über die Verschiebungen der Weltteile, Die Talbildungen, Wüsten, Steppen, Walder Aber auch die »Rückwirkung der Landergestaltung auf die menschliche Gesittung« laßt er nicht außer acht So wurde erst spat wissenschaftlich begründet, was schon Pestalozzi (1746—1827) geahnt »Es werden in der Geographie die gegenseitigen Verhaltnisse entwickelt und die Zöglinge durch dieses Fundament zu einer reinen und umfassenden Ansicht der Erd- und Menschengeschichte und ihres gegenseitigen Einflussc-s aufeinander vorbereitet « Freilich stand des großen Schweizers Lehre im krassen Widerspruch zu seinem Unterricht. Erst sein Schuler T o b l e r und insbesondere H e n n i n g (1812) »geht von der Heimat aus, behandelt Land und Wasser, Meteorologie (Wetterkunde) und Klima, Pflanzen und Tiere der Heimat Dann folgt die allgemeine topische Geographie, die sich in eine physische und politische gliedert« (Hupfer, Methodik, S. 92) Die Gedanken Pestalozzis und Ritters verknüpfte fruchtbringend in Preußen H a r n i s c h (1787—1864) in seiner » W e l t k u n d e « , im Rheinland D i e s t e r w e g (1790—1866), der auch in Erdkunde Wegweiser für deutsche Lehrer wurde und dessen »Populäre Himmelskunde und mathematische Geographie« noch heute eines der besten Werke auf diesem Gebiete darstellt »Von dem ganzen Wissen über die Erde ist für jeden Schifler die Kenntnis des Raums, in welchem er B ö h m , Prakt Erziehungs- u Unterrichtslehre. III. Bd, 13. Aufl

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lebt, und der bürgerlichen und Staatsverhältnisse, die auf ihn wirken, das Wichtigste und Unentbehrlichste.« Den »geographischen Unterricht nach den Grundsätzen der Ritterschen Schule« (1869) betont aufs neue der Seminardirektor Herrn. O b e r l ä n d e r . »Hoher als alle geographischen Vergünstigungen steht die Tat des Menschengeistes. Die Schranken des Raumes werden uberwunden von dem scharfsinnigen Verstände und der energischen Willenskraft« (S. 177, 3. Aufl.). Leider besiegt in der Ausübung die Form den Geist, so daß die Selbsttätigkeit der Schüler so wenig gefordert wird wie durch M a t z a t s Bestrebungen (Methodik 1885), dem Erdkundeunterricht die Segnungen der formalen Stufen zuteil werden zu lassen, wobei er dem Zeichnen eine allzu überragende Stellung einräumte. H a r m s , Professor in Kiel, der grundsätzlich Beziehung zur erdgeschichtlichen Unterlage nimmt, liefert einen wissenschaftlich einwandfreien Stoff in ubersichtlicher Weise, der aber erst den Verhaltnissen der Volksschule angepaßt werden muß. Schon 1835 hat H e r b a r t (1776—1841) die Geringschätzung der Erdkunde von selten der Lehrer und Schuler getadelt. Weil gerade in diesem Wissenszweig so verschiedenartige Vorstellungen zu einem einheitlichen Gedankenkreis verknüpft werden können, sagt er: »Die Geographie ist eine assoziierende Wissenschaft und soll die Gelegenheit nützen, Verbindung unter mancherlei Kenntnissen, die nicht vereinzelt stehen dürfen, zu stiften. Bei allen muß sie die übrigen Studien verbinden und in Verbindung festhalten. Ohne sie wankt alles. Den historischen Begebenheiten fehlen die Stellen und Distanzen, den Naturprodukten die Fundorte, der populären Astronomie fehlt die ganze Anknüpfung, der geometrischen Phantasie eine der wichtigsten Anregungen.« Daraus ergibt sich der Erziehungsgrundsatz: Häufe nicht Vorstellungssummen, sondern entwickle Gedankenprozesse! Angewandt auf den Unterricht, kommen wir zu Z i l l e r s (geb. 1817) kulturgeschichtlichen, verknüpfenden Lehrgang,, zum erziehenden Unterricht auf geschichtlicher, heimatlicher, volkstümlicher, völkischer Grundlage. Wie dieses Streben mit den neuesten wissenschaftlichen Forderungen in Einklang gebracht werden kann, beweist K a r l S t o y (Rems Vorgänger in Jena 1843—85). Der erdkundliche Unterricht, »der nicht in den Ergebnissen einer ausführlichen Heimatkunde seine Hilfe suchen kann, spielt auf einem Instrument, dem die Saiten fehlen.« Mit seinem Freunde Dr. Aug. F i n g e r (1808—88) in Weinheim schuf er die Anfänge der »Anweisung zum Unterricht in der Heimatkunde« (1844). H a u p t m a n n , T i s c h e n d o r f , T r u n k , Fritzsche, P r ü l l , auch K e r p , K i r c h h o f f (1838—1907) und G e i s t b e c k (f 1917) verlangen ein anschauendes Erarbeiten und denkendes Betrachten in Heimat- und Vaterlandskunde, die als Kulturkunde den Schüler erziehen soll. Hauptsächlich wandern sie in den Spuren Ritters und Ratzels, des »Philosophen unter den Geographen«, der die »Anwendung der Erdkunde auf die Geschichte« (Anthropogeographie) in unerreicht geistvoller Weise vollbringt. »Die Beweglichkeit ist eine wesentliche Eigenschaft des Völkerlebens, die jedem Volke, auch dem scheinbar ruhenden, eigen ist. Unter der Beweglichkeit begreifen wir den ganzen Komplex von

II. Geschichtl. Entwickl. d. Arbeits- u. Unterrichtsw. in d. Erdk.

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zum Teil wunderbar entwickelten und noch immer wachsenden körperlichen und geistigen Anlagen, durch die eben diese Fähigkeit zu einer Grundtatsache der Geschichte der Menschheit wird« (Ratzel, S. 113ff.). Der Mensch ist zwar kein Erzeugnis seiner Bodenverhältnisse, aber die oft wiederholten Wirkungen kleiner Kräfte, die endlich zu hohen Summen ansteigen, sind in Rechnung zu setzen. Die Ausbildung des Sinns für die raumlichen Bedingtheiten der geschichtlichen Bewegungen ist in der Erdkunde besonders zu pflegen. Ratzels Anhänger rücken deswegen den Menschen in den Mittelpunkt der erdkundlichen Betrachtung und treiben Kulturkunde, völkische und staatliche Erdkunde. Auch G u n t h e r verteidigt Ratzel bewußt, wenn er immer noch fordert, daß die Fächer Deutsch, Geschichte und Erdkunde von einem und demselben Lehrer gegeben werden sollen; denn d i e E r d k u n d e i s t d i e w a h r e B r ü c k e z w i s c h e n N a t u r - u n d G e i s t e s w i s s e n s c h a f t . Die neueste Zeit hat ihm recht gegeben. Die n e u e d e u t s c h e S c h u l e verlangt als Mittel- und Zielpunkt jedes Unterrichts d i e D e u t s c h k u n d e , die ohne Erdkunde kein Ganzes bilden wurde. Denn »die Landschaft mit Bodengestaltung, Klima und allen zugehörigen Verhältnissen schafft eine gewisse Eigenart und Gleichstrebigkeit des Volkslebens. Gleicher Boden bewirkt auch vielfach gleichartige Wirtschafts- und Lebensverhältnisse« ( P e p e r , »Deutschkunde«, S. 8). Wie Hingabe und Sachlichkeit den Arbeitenden ganz ausfüllt und seine Kräfte frei entwickelt zur eigenen höchsten Lust, das zeigt Seminarprofessor I t s c h n e r von Weimar in seiner Unterrichtslehre, S. 206ff., in seinen »Lehrproben zur Länderkunde von Europa«, indem er den Unterricht faßt als » E n t b i n d u n g g e s t a l t e n d e r K r a f t « . Denn ohne freie Persönlichkeit entweicht aus aller Form das Leben; das Leben stirbt ab und die Form versteinert. »Die Zeitereignisse werfen uns die besten Gedanken in den Schoß. — Wir erwarten, daß die Wissenschaft vor allem lebenfördernd sei. — Das politische Interesse der volkischen Selbstbehauptung soll zum beherrschenden erhoben werden« — e i n e E r f ü l l u n g d e r z e i t g e m ä ß e n F o r d e r u n g e n d e r A r b e i t s s c h u l e . »Als das Ideal geographischen Erkennens muß die Fähigkeit gelten, mit den Erkenntnismitteln, die von der Schule zur Verfugung gestellt werden die Kenntnis einer Landereinheit selbsttätig zu gewinnen.« Den der Erdkunde eigenen Gesichtspunkt, d e n W e s e n s k e r n d e s F a c h e s , e r k a n n t zu h a b e n , als eine Folge reicher Erfahrung und eindringender Forschung ist das Verdienst des berühmten Entdeckers des rätselreichen Landes der Mitte, F e r d i n a n d v. R i c h t h o f e n s (1833 bis 1905). »Jede Wissenschaft wird Wissenschaft nur dadurch, daß es ihr gelingt, den der innersten Beschaffenheit ihres Gegenstandes entsprechenden Gesichtspunkt für die Bearbeitung alles Zugehörigen zu finden und diesen in aller Untersuchung festzuhalten« ( Z i l l i g , Freie Bayerische Schulzeitung 1911, 369). »Das sicherste Fundament ist die Geologie in ihrem ganzen Umfang, weil sich an ihrer Hand dem geographischen Forscher das Verständnis der Erdoberfläche, also der Grundlage für alle geographischen Beziehungen und zugleich die methodische Behandlung anderer Gegenstände erschließt.« 14*

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I I I . Wertung des Unterrichtsstoffes.

Lehre und Forschungsart Richthofens verdeutlichen: P e n c k , W a g n e r , Philippson, Davis, Drygalski, Supan, Sievers, Pas sarge, H e t t n e r , der nachdrücklich für die » E i n h e i t d e r E r d k u n d e « eintritt und die L a n d e r k u n d e als A u s g a n g s p u n k t der allgemeinen E r d k u n d e erklärt. »Der geographische Grundgedanke der Wechselwirkung der Erscheinungen an jeder Erdstelle kommt erst in der Landerkunde zur vollen Geltung.« D i e s e a l l e i n , ohne allgemeine Erdkunde, ist aber unvollkommen. E r g e b n i s : Die ehemalige Erdbeschreibung hat sich nach vielen Irrungen und Wirrungen zur Erdkunde entwickelt, die gelegentlichen Beobachtungen führten zu planmäßigen Unternehmungen, aus Abenteuern wurden wissenschaftliche Forschungsreisen, der rohe Zufall gedieh zur philosophisch vertieften Einsicht in die Erdwissenschaft. Die Unterrichtskunde geht von der Anschauung aus, vermittelt heimatkundliche und länderkundliche Vorstellungen auf Grund der Selbsttätigkeit der Schüler und schreitet durch Vergleichen, Verknüpfen und Zusammenfassen zum erdkundlichen Begriff und Gesetz fort

III. Wertung des Unterrichtsstoffes. Erdkunde ist wie jedes Fach in der Volksschule ein S t ü c k des e r z i e h e n d e n U n t e r r i c h t s , der die Stoffe nicht um ihrer selbst willen bietet, sondern s e e l i s c h e K r ä f t e e n t f e s s e l t und stärkt, Bedürfnisse des Lebens und der besonders gearteten Persönlichkeit befriedigt. A. Böwußtseinstätigkeiten. 1.

Verstandesbildung.

Der Mensch ist nicht der unbestrittene Herr der Erde. »Er kann mit Verstand und Arbeit ihr reiche Schätze entlocken und ihre Kräfte sich dienstbar machen, aber nur, wenn er deren Wesen und deren Leistungsfähigkeit kennt« (Prof. Dr. Norb. Krebs). R ä u m l i c h s c h a u e n und r ä u m l i c h d e n k e n l e r n e n ist deswegen die erste Voraussetzung, die zweite das V e r s t ä n d nis f ü r d a s Z u s a m m e n s p i e l a l l e r K r ä f t e , das harmonische Ineinandergreifen aller Räder, ohne das die beste Maschine nicht arbeitet. E r d k u n d e b e r u h t — hier äußert sich das naturwissenschaftliche Gepräge unseres Unterrichtszweiges --- a u f A n s c h a u u n g . Beobachtung verlangt denn Comenius, der Er-

A. Bewußtseinstätigkeiten.

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zieher, so gut wie Ponck, der Wissenschafter. Ohne gründliche Anschauung keine klare Vorstellung, ohne Vorstellungen keine Begriffe, ohne diese aber kein Denken. Aber nicht Kenntnisse machen Bildung aus, sondern Erkenntnis, d. h. begriffliche Erfassung des Wesentlichen, Eigenartigen (Typischen), die nur durch Vergleichen der Emzelmerkmale und durch Auffinden ursächlicher Wechselbeziehungen ermöglicht wir-d. Unbedingt notwendig ist dabei die ständige Bezugnahme auf die erdkundliche Wirklichkeit. Mit zunehmendem Alter wird der Zögling zum »funktionalen« Denken erzogen. Wer aber m den Zusammenhang eingeführt wird zwischen Voraussetzung und Behauptung, zwischen Ursache und Wirkung, der lernt d a s G e s e t z d e r U r s ä c h l i c h k e i t in seinen feinsten Verzweigungen kennen, erhält also l o g i s c h - f o r m a l e B i l d u n g in höherem Maß als beim Studium fremder Sprachen. Die E i n b i l d u n g s k r a f t , die planmäßig gepflegt werden muß, sorgt für leichte Beweglichkeit der Vorstellungen und Begriffe, für geläuterte neue, lebhaftere und inhaltsreichere Verbindungen. »Ohne Einbildungskraft keine Erdkunde.« Der Beobachtungskreis des Schülers ist ja so beschränkt und doch soll er auch ein naturwahres Bild fremder Völker und Länder bekommer.. Der Lehrer hüte sich vor Sensationslust, Nervenkitzel, Übertreibung und Ausschweifung (Karl May!) ebenso wie vor trockener, nüchterner Darbietung eines so wertvollen Unterrichtsstoffes. 2. Gefühlsbildung.

Die p e r s ö n l i c h e A n t e i l n a h m e am Sinnen und Suchen, Forschen und Finden wird zur Schaffenslust. Die Welt der Gefühle erschließt sich, wodurch erst die Bewertung äußerer Tatsachen und innerer Zustände möglich wird. »Die Gefühle bringen erst selbst den an Vernunft und Verstand reichen Geist zum Genuß seines Reichtums, bringen im Kern erst zur Geltung, was man Persönlichkeit nennt« (Lampe). Wahrheits-, Natur-, Schönheits-, Sittlichkeits-, religiöses Gefühl entzünden sich naturgemäß durch A u s l ö s u n g d e r S p a n n u n g s V e r h ä l t n i s s e in der bewegten Schülerseele. Durch Erörterung der Ursachen von der Entstehung des Landschaftsbildes aus dem Zusammenwirken von Naturkraft und Menschengeist, durch die Entwicklung der Geschichte von dem Boden, seinen

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III. Wertung des Unterrichtsstoffes.

Lebewesen, insbesondere seinen Bewohnern, durch Darbietung bemerkenswerter Schöpfungen in der Vergangenheit und Gegenwart, wird das H e i m a t g e f ü h l geweckt und gestärkt, die L i e b e und Begeisterung f ü r d e u t s c h e s L a n d u n d V o l k gepflegt, das Verständnis für die Eigenart, das p o l i t i s c h e U r t e i l , der s o z i a l e S i n n lebensvoll gestaltet und gefördert. Das M i t g e f ü h l (die Humanität) für andere Stämme und Völker wird erregt »durch die Schilderung ihrer Sitten und Gebräuche, ihrer Schicksale, ihres harten Lebenskampfes mit einem unwirtlichen Klima, mit vulkanischen Gewalten, mit Sturmfluten« (Schnaß, S. 187). Gerne folgen die Kinder ausdauernden Entdeckungsreisenden. Die Erkenntnis, wie die Völker durch ihre verschiedenen Naturgaben aufeinander angewiesen sind, vertieft d a s s o z i a l e F ü h l e n . »Wenn sich in den letzten Jahrhunderten trotz des Abwelkens mancher religiös erhabenen Vorstellungen der S i n n f ü r d a s E r h a b e n e in der Natur ungeheuer gesteigert hat, so ist dafür den Erdwissenschaften in erster Linie zu daijken, die mit jedem Fortschritt erdgeschichtlicher Erkenntnis neue räumliche und zeitliche Fernen dem Blick erschlossen haben« (Ratzel: Über Naturschilderung, München 1911, S. 183). Wie selten in einem andern Fach wird das G e f ü h l d e s E r h a b e n e n ausgelöst durch die Vorgänge in der Welt mannigfachster Erscheinungen. Wie nichtig ist der Mensch im All! Und doch ein Kulturschöpfer auf der Erde! Aber: »Man muß das Sprechen über Religiöses nicht gemein und alltäglich machen, es verliert sonst« (Harnisch). Fesselnde Schilderungen, farbenprächtige Bilder, geschickte Zeichnungen, gute Gedichte befriedigen die S c h ö n h e i t s g e f ü h l e . »Als Geograph lernte ich nicht bloß die Größe sondern auch die Schönheit der Erde kennen« (A. Penck). 3. Willensbildung.

Erst in seinem Tun und Treiben erprobt sich des Menschen Wesen und Wert. »Ohne durch Gefühle bewegt zu werden, würden wir nicht wollen« (Wundt). Das Tatsachengebiet der Erdkunde umspannt Natur und Kultur. Kein anderes Fach ermöglicht so viele, wertvolle Einblicke in unsere Volkswirt-

B. Lebensbedeutung der erdkundlichen Erkenntnis.

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schaft, Gesellschaft, in das Gewerbe mit seinen weitverzweigten Sonderberufen und Betrieben, in die Arbeitsbedingungen, Handfertigkeitsübungen, Aussichten auf dem heimischen Markt und im Ausland. »Jugend- und sachkundiges Richten und Lenken der dem Leben durch die Schulen zuwachsenden Arbeitskräfte ist ein unter den gegenwärtigen Verhältnissen dringend erforderliches und äußerst wichtiges Stück S o z i a l p ä d a g o g i k « (Schnaß, S. 190). Leider wird der erdkundliche Unterricht noch lange nicht allgemein in d e n D i e n s t k r a f t g e b i e r e n d e n , s c h a f f e n d e n L e r n e n s gestellt. Verlangen wir namentlich im Heimatraum aufmerksames Schauen, gewissenhaftes Beobachten, genaues Messen, sorgfältiges Berechnen, sauberes Ausschneiden und Kleben, geschicktes Basteln, Formen und Zeichnen; veranlassen wir zum folgerichtigen Schließen, allseitigen, aber straffen Vergleichen, fleißigen Quellenlesen, zuverlässigen Berichten des Selbstgeschauten im Wander- und Tagebuch, zum Sammeln und Ordnen von Gesteinen, Heimaterzeugnissen, Bildern, Zeitungsausschnitten, Lesefrüchten, Anlegen einer Schülerbücherei, dann v e r s c h w i n den alle H e m m u n g e n , der j u g e n d l i c h e Wille w ä c h s t täglich mehr im Hinblick auf jene kühnen, großen Länderforscher, »die Polarkälte und Tropenhitze, Hunger und Durst, Krankheit und Schmerzen erlitten, Mühsal und Gefahren auf sich nahmen, nur um ihren Plan durchzuführen und eine geistige Aufgabe zu lösen« (Schnaß, Schülerbücherei, S. 5). Die Kraftempfindungen des sich Betätigenden werden vom Schüler mit empfunden und die L u s t s c h l i e ß t s i c h a n die T a t v o r s t e l l u n g . »Eine mit Kraft vollbrachte und dem Wohl der Menschheit dienende Tat regt das Gefühl des jungen Menschen an und macht ihn geneigt, das Beispiel, wenn er sich einmal in ähnlicher Lage befinden wird, nachzuahmen« (Sallwürk, Die Schule des Willens, S. 18).

B. Lebensbedeutung der erdkundlichen Erkenntnis.

»Der gebildete Mensch muß ebenso wie die Zeit, in der er lebt, so auch die Umwelt, in der er lebt, kennen und verstehen, wenn er sich nicht begnügen will, wie die Kuh auf der Weide sein Futter zu finden« (Hettner).

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III. Wertung des Unterrichtsstoffes.

Sollen die Unterrichtsstoffe der Erdkunde Kräfte entbinden, Persönlichkeiten bilden, so müssen sie in e n g s t e r B e z i e h u n g z u m t ä t i g e n L e b e n stehen. »Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir.« Daß die Erdkunde im engen und weiten Sinne e i n w e s e n t l i c h e r B e s t a n d t e i l n i c h t b l o ß der A l l g e m e i n b i l d u n g , s o n d e r n a u c h der B e r u f s k u n d e sein muß, wurde vor dem Weltkrieg gerade von sog. höheren Schulen außer acht gelassen, sehr zum Nachteil unserer eigenvölkischen Kultur, unseres Vaterlandes und unseres Volkes. »Unsre Zeit, welcher die Lösung so vieler Fragestellungen vorbehalten ist, erfordert eine erhöhte Befähigung der Beobachtung, der Auffassung und des Urteils in rein mechanischer Richtung sowie das Vermögen der Konzentration der Problemstellung« (Tornquist, Graz). Die Erdkunde ist befähigt, unsere Kultur und Zukunft zu fördern. »Gebildet ist der, der das hat, was er für seinen Beruf braucht.« Da a l l e s L e b e n r ä u m l i c h b e d i n g t ist, b e n ö t i g t fast jeder Beruf e i n z e l n e oder a u s g e b r e i t e t e e r d k u n d l i c h e K e n n t n i s s e . »Das Leben muß sich überall auf der Kenntnis der Länder und Örtlichkeiten aufbauen, in denen es sich bewegt« (Hettner). 1 Die B e a m t e n an der Eisenbahn, Post, im Dienst des Fernverkehrs (Fernsprech- und Fernschreibdienst) benotigen eingehende ortsund erdkundliche Kenntnisse zu ihrer Amtsführung. 2 Unsere S t a a t s m ä n n e r , Botschafter, Gesandten hätten unserm Volk und Vaterland ganz anders nutzen können, hatten sie sich mehr um die Eigenart und Fähigkeiten der Volker gekümmert. 3 Die V o l k s v e r t r e t e r wurden manches schiefe Urteil nicht fällen, hätten sie bessern Einblick in die eigne und fremde Volkswirtschaftslehre 4. Der V e r w a l t u n g s b e a m t e und der R e c h t s l e h r e r baut in die Luft, wenn er die erdkundlichen Bedingtheiten vor wirtschaftlichen Maßnahmen ubersieht. (Hier rächte sich die Geringschätzung der Erdkunde durchs humanistische Gymnasium ) 5. Die P r e s s e braucht gründliche Kenntnisse der Länder und Volker, wenn sie Wahrheit verbreiten und nutzbringend aufklären will. 6. Die G l a u b e n s - und S e n d b o t e n (Missionäre) können unmöglich im fernen Erdteil Erfolg haben, wenn sie nicht gewissenhaft über die natürlichen Verhältnisse und Bewohner ihres Wirkungsfeldes Bescheid wissen. 7. Die K a u f l e u t e , Geschäftsreisenden, B e s i t z e r v o n G r o ß b e t r i e b e n müssen eingehendes Verständnis für das wirtschaftliche Leistungsvermögen der ausländischen Geschäfte und Märkte besitzen

IV. Seelische Voraussetzungen beim Schüler.

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8. Mancher K ä m p f e r hatte sich und seiner Truppe Vorteil bringen können, wäre er auf der Schule oder m der Kaserne besser m die Geländekunde eingeführt worden. Unsere Flieger, Seeleute, Geschützbefehlshaber, See- und Landwartenbeamten können berichten von dem Segen einer eingehenden erdkundlichen Erkenntnis. Haben wir doch zur Genüge erfahren, wie Siege oder Niederlagen oft von der Witterung und dem Gelände abhingen. 9. Der V i e h z u c h t e r muß mit der Wiesenkultur, 10 der L a n d m a n n mit der Bodenart, dem Wetter, der Wirkung des Dungers vertraut sein. 11. Der B e r g m a n n muß das Hangende von dem Liegenden unterscheiden, 12. der T o p f e r die einzelnen Tonarten, 13. der T i s c h l e r die Holzarten, 14. der B a u m e i s t e r die verschiedenen Gesteine kennen. Auch der Forster, der Torfstecher, der Schiffer, der Fischer, der Pechsieder kann Naturverhältnisse verwerten, die ihm ein lebensvoller Erdkundeunterricht bietet. Welche ungeheure Leistung an Übung, Sinnen und Suchen, Beobachten und Urteilen von einem L ä n d e r f o r s c h e r vollbracht werden muß, noch bevor er die Reise antritt, wissen die wenigsten Gerade beim R e i s e n d e n kommt eine Seite des Erdkundeunterrichtes in Betracht, die auch in der Schule nicht unterschätzt werden darf: d i e k ö r p e r l i c h e Ü b u n g , die Erzielung von Gewandtheit, Ausdauer, Haushalten mit den körperlichen Kräften, Geistesgegenwart, Abhärtung. Die erdkundlichen Ausfluge zu Schnepfental waren immer auch Übungen der Turnfertigkeit, der Marschleistung, der Entwicklung und Entfaltung der Korperkrafte

IY. Seelische Voraussetzungen beim Schüler. Der richtige U n t e r r i c h t v e r m i t t e l t n i c h t b l o ß K e n n t n i s s e n a c h Art der a l t e n f o r m a l - l o g i s c h e n S c h u l u n g , sondern wird zur E r k e n n t n i s a r b e i t . Die S t o f f e w e r d e n durch unsere S e e l e n k r ä f t e b e a r b e i t e t , g e f o r m t , durch Selbstbesinnung d e s d e n k e n d e n G e i s t e s ein B e s t a n d t e i l unserer Vorstellungsw e l t . R a u m z e i t l i c h e A n s c h a u u n g m u ß z u m Begriff w e r d e n . »Vermittelst des äußern Sinns (einer E i g e n s c h a f t unseres G e m ü t s ) stellen wir u n s G e g e n s t ä n d e als außer uns u n d diese i n s g e s a m t i m R ä u m e vor. D a r i n n e n ist ihre G e s t a l t , Größe u n d Verhältnis g e g e n e i n a n d e r b e s t i m m t oder b e s t i m m b a r « ( K a n t , Kritik der reinen V e r n u n f t , Reil, S. 5 0 f . ) . D e r R a u m i s t e i n e n o t wendige Vorstellung, die allen ä u ß e r e n Anschauungen zugrunde liegt. E r d w i s s e n s c h a f t ist z u n ä c h s t

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IV. Seelische Voraussetzungen beim Schüler.

R a u m w i s s e n s c h a f t . Mit Hilfe des Raumsinns werden Beobachtungen, Wahrnehmungen zu Vorstellungen, die durch innere Formung (kategoriale Verknüpfung, funktionelles Denken) Begriffe erzeugen. »Anschauungen ohne Begriffe sind blind— Begriffe ohne Anschauungen sind leer.« Fremder Stoff wird also durch S e l b s t t ä t i g k e i t Eigenbesitz, eigene Kraft. Der Begriff der Betätigung darf jedoch im Zeitalter der Arbeitsschule nicht zu eng gefaßt werden. »Die geistige Arbeit des Aufnehmens und Behaltens galt manchem für minderwertig. Diese Meinung ist ebenso falsch wie die vormals gebräuchliche umgekehrte Wertung. Auch ein rechtes Erfassen verlangt Selbsttätigkeit, ebenso ein Wiedergeben des Aufgefaßten, sei es nun produktiver oder reproduktiver Art. Nur lebensvoll Erfaßtes wird zum wahren geistigen Eigentum, reizt zur Produktion und Reproduktion. Dieses lebendige Erfassen ist die naturnotwendige Vorstufe der Selbsttätigkeit — Vorstufe auch zur Produktion im höheren Sinne« (Weber). Der Schüler stellt also seinen Raumsinn nach dem erdkundlichen Schauplatz ein, das Bewußtsein gliedert diesen von sich aus nach Besonderheiten (Land, Wasser, Gebirge, Ebenen, Berg, Tal, Fluß, See, Hochland, Tiefebene), faßt zusammengehörige Teile, Merkmale zu Einheiten (Charakteren, Individuen) zusammen, bemerkt Lebewesen fremder Erdräume, zu denen es vom eigenvölkischen Standpunkt aus Stellung nimmt, stellt sich die Ferne vor, indem es aus wirklich erlebten Vorstellungen neue Phantasievorstellungen aufbaut, erstrebt erdkundliche Begriffe durch Vergleich und Zusammenfassung wesensverwandter Kenntnisse (vgl. Vogelhuber, bes. Unterrichtslehre, S. 56). Dabei ist zu bedenken, daß der Schüler a u c h n o c h in der Ferne seine H e i m a t e n t d e c k t , e r k e n n t , erlebt. Denn das Wirklichkeitserlebnis kommt nicht ausschließlich für die Schule in Betracht, weil nicht alles wirklich, nicht vollebendig vorgeführt werden kann (Weber, Technik des Tafelzeichnens, S. 3). Hauptsächlich wird der Mensch als ein Teil der Natur gefaßt, somit die Wechselbeziehungen zwischen ihm und ihr besonders betont. »Ausgehend von genauester Kenntnis und liebevollstem Verständnis der engeren Heimat, f ü h r t die Erdkunde ihren Jünger mit zunehmender Erweiterung seines

V. Aufgabe des Unterrichtsgegenstandes.

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geistigen Horizontes in tiefere Gedankengänge über das Verhältnis zwischen dem Menschen und seinem Wohnraum ein, ebenso wie sie die Erdoberfläche als etwas Gewordenes zu erkennen lehrt« (Machatschek, Prag). So schreitet der Geist hinaus zum Erfassen der Vielheit der Erscheinungen als einer Einheit, aus dem Begreifen des eigenen Volkstums erwacht das Verständnis für die Eigenart anderer Länder und Völker. F e s t g e w u r z e l t i n d e r H e i m a t , w ä c h s t so d i e S e e l e d u r c h die E r d k u n d e z u m s o z i a l e n W e s e n , d e r V o l k s genosse wird wahrer Mensch, der völkisch Bedingte zum Bürger der Welt.

V. Aufgabe des Unterrichtsgegenstandes. Sind die seelischen Voraussetzungen im Bewußtsein des Schülers gegeben, dann gilt es, den erdkundlichen Stoff nach dem Grundsatz der Anschauung, unter Beachtung der kindlichen Seele, nach wichtigen, zeitlich, völkisch, natürlich und kulturell bedingten Gesichtspunkten zu bieten, zu klären und zur Aufnahme fähig zu machen. Aus Gründen einer richtig verstandenen A l l g e m e i n und F a c h b i l d u n g sind erdkundliche Kenntnisse erforderlich (vgl. Schnaß, S. 169ff.). 1. Allgemeinbildung. a) Trotz des wirtschaftlichen Zusammenbruchs, der uns auf lange Zeit vom Weltmarkt als freies Volk verdrängt, können wir von der »Allgegenw a r t « des n e u z e i t l i c h e n M e n s c h e n sprechen. Gerade der Weltkrieg hat alle Schranken zwischen den einzelnen Völkern und Ländern niedergelegt und unsern Gesichtskreis wie nie in der Weltgeschichte erweitert. In den Schluchten des Balkan, auf den Zinnen der Alpen, an den Klippen der sagenumsponnenen Inseln Griechenlands, an Gestaden des Schwarzen und Kaspischen Meeres, in Persien und Indien, in Mesopotamien, in den Wüsten Arabiens, Ägyptens und Ostasiens, in den Bergwerken Sibiriens, an den Seen Finnlands und auf den Werften Wladiwostoks, in den Urwäldern Afrikas, auf den Vulkaninseln des Großen Ozeans, hausten, kämpften, bluteten, duldeten, starben und verdarben unsere Volksgenossen. Wo a b e r ein D e u t s c h e r f ü r s e i n V a t e r l a n d g e s t r i t t e n u n d g e l i t t e n , i s t d e u t s c h e s L a n d . Die weite Welt ist uns verpflichtet. Die wehen Erinnerungen unserer Kriegsgefangenen werden uns die Fremde noch näher bringen, wenn auch mit Unlustgefiihlen b) Der W e l t v e r k e h r wird weiter seine Fäden über alle Weltteile und Weltmeere spinnen. Wirtschaftlich geknechtet, können wir nur durch

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V. Aufgabe des Unterrichtsgegenstandes.

unsere Arbeit, durch Erzeugnisse unseres Geistes und Geschicks mitbestimmen am Schicksal des einzelnen, des Volks, der Welt c) D a s G l e i c h g e w i c h t d e r W e l t i s t g e s t ö r t . Wachen wir, daß wir nicht den gunstigen Augenblick versäumen, wenn das s o z i a l e Gewissen der Volker einen Ausgleich f o r d e r t d) Da wir keine Kolonien mehr haben, so müssen wir reiflich uberlegen, wo die besten Erzeugnisse auf billigste Weise geliefert werden. Wie bei g e r i n g e r R o h s t o f f m e n g e h o h e L e i s t u n g des h e i m i s c h e n G e w e r b e f l e i ß e s e r z i e l t w e r d e n k a n n , ist das Geheimnis des künftigen Marktes. Wir hängen auf Gedeih und Verderb vom Ausland ab Wir haben bitter genug erfahren, wie mannigfach unsere überseeischen Bezugsquellen geworden sind e) Je enger uns die Heimat wird,- desto reger wird der W a n d e r t r i e b , die Sehnsucht in die Weite Als Matrose, Soldat, Kaufmann, Techniker im fremden Dienst werden wir die Beziehungen wahren müssen zwischen daheim und draußen, vor allem aber die heimischen Gefilde zum wirklichen Eigentum machen f) Die Ä u s l a n d d e u t s c h e n , deren Zahl wachsen und deren Schicksal harter denn je sich gestalten wird, dürfen nicht wie vor dem Krieg vergessen werden Durch g e m e i n s a m e P f l e g e d e r E i g e n k u l t u r können wir Deutschland im Laufe der Jahrzehnte wieder zur Bedeutung im Volkerbund bringen. g) Die Erdkunde e n t w i r r t die v e r w i c k e l t e G e g e n w a r t s k u l t u r , dient dem ö f f e n t l i c h e n V o l k s w o h l , sammelt wertvolle v o l k s w i r t s c h a f t l i c h e E i n s i c h t e n , deckt die W u r z e l n des H a n d e l s n e i d s und des W i r t s c h a f t s h o c h m u t s a u f , vertieft das V e r s t ä n d n i s d e r a u s w ä r t i g e n P o l i t i k , gewährt E i n b l i c k in die E i g e n a r t f r e m d e r V o l k e r , begründet das V e r h ä l t n i s d e r S t a a t e n zueinander, beurteilt V o r - u n d N a c h t e i l e von w i r t s c h a f t s p o l i t i s c h e n U n t e r n e h m u n g e n u n d b e s t i m m t so G l u c k o d e r U n g l ü c k des V o l k s und Vaterlandes. 2. Fachbildung.

Die Erdkunde ist nach Herbart eine » a s s o z i i e r e n d e « W i s s e n s c h a f t , sie stellt für andere Fächer wirksame »App e r z e p t i o n s s t ü t z e n « her. a) G e s c h i c h t e . »Was hilft es dem Jüngling, wenn er weiß, was geschehen ist ? Erst durch die Hilfe der Geographie wird es deutlich, warum diese und keine andern Volker diese und keine andere Rolle auf dem Schauplatz unserer Erde spielten und warum die Wissenschaften und die Kultur, die Erfindungen und Künste diese und keine andere Laufbahn nehmen ? Die Geographie ist die Basis der Geschichte und Geschichte nichts als in Bewegung gesetzte Geographie der Zeiten und Völker« (Herder, Schulreden, 7, s o ). Friedrich Ratzel betont den engen Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n d e r N a t u r des W o h n r a u m e s u n d d e r K u l t u r des V o l k e s . »Wie für

2.

Fachbildung.

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sämtliche erdoberflächlichen Erscheinungen, so ergeben sich insbesondere für die empfindlichen Lebewesen und zumeist für den, die größten Räume beanspruchenden Menschen aus jedem Lagenverhältnis eine Summe mannigfach differenzierender Kräfte, deren Lebensbedingungen mit unausweichlichem Zwang die Lebenseigenschaften determinieren.« E i n im r e c h t e n G e i s t b e t r i e b e n e r E r d k u n d e u n t e r r i c h t wird das G e s c h i c h t s V e r s t ä n d n i s und die p o l i t i s c h e U r t e i l s k r a f t bedeutend fordern b) R e l i g i o n Von der Bodenreform der Mönche in Deutschland bis zur Begründung der sudafrikanischen Kolonien durch den englischen Glaubensboten Livingstone können wir einwandfrei nachweisen, wie die Bodenund M e n s c h e n Verhältnisse die R e l i g i o n s a r t einer G e g e n d b e d i n g e n . Peschel und Kirchhoff haben begründet, wie gleichförmige, einheitliche Landschaften den Glauben an einen Gott begünstigen, während die Dämmerung in farbenprächtigen, geheimnisvollen Urwäldern den Grund zur Vielgötterei legt. c) D e u t s c h e s E r k e n n t n i s - u n d S c h o n h e i t s g e f u h l hängen ab von der Menge der » a s s o z i a t i v e n F a k t o r e n « (Fechner). Francke hat recht, wenn er meint, der deutsche Stil gehe »schlecht von statten«, wenn jemand »keine Realien im Kopfe hat«. An Stelle hohler Phrasen und Papageienarbeit aus den Aufsatzbuchern müssen s e l b s t g e s c h a u t e D i n g e , E r e i g n i s s e , T a t s a c h e n die U n t e r l a g e n zur s c h r i f t l i c h e n und mündlichen Darstellung bieten d) N a t u r w i s s e n s c h a f t . Die erdkundlichen Einheiten (Meer, Wiese, Heide, Steppe, Savanne, Tundra, Mischwald, Urwald) können nicht verdeutlicht werden ohne Beziehung zum Pflanzen- und Tierreich, das Vorkommen der Lebewesen nicht ohne Zusammenhang mit Klima und Bodenform der Landschaft. Eine Erklärung sehr vieler Naturereignisse ist ohne chemische und physikalische Kenntnisse einfach unmöglich Deswegen wurde j a m neuerer Zeit die Erdkunde als Zweig der Naturwissenschaften erklärt. E r d k u n d e i s t j e d o c h e i n e W i s s e n s c h a f t für s i c h , die h a u p t s ä c h l i c h der D e u t s c h k u n d e d i e n t e) V o l k s w i r t s c h a f t s l e h r e Das Wirtschaftsleben eines Volkes ist eine naturnotwendige Folge der Lage, Gliederung, Ausstattung des Landes, der geistigen und körperlichen Befähigung der Menschen auf der betreffenden Scholle »Die Grundlagen zu einem ursächlichen Verständnis unserer Volkswirtschaft sind vornehmlich geographische. Sie allseitig aufzudecksn, muß ein Hauptziel der Vaterlandskunde sein« (Schnaß, S 178). f) R e c h n e n u n d R a u m l e h r e . Die Erdkunde wird zur Raumwissenschaft durch genaue Feststellung der Großen des Raums, also durch Ausdruck der Länge, Breite, Tiefe, Hohe in Zahlen. Wird die Ausmessung, Berechnung, Vergleichung an ermittelte Großen aus dem Gebiete der Erdkunde geknüpft, dann wird die Rechenkunst zur Lebenskunde

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VI. Entfaltung der Stoffe.

VI. Entfaltung der Stoffe. (Auswahl und, Anordnung.) A. Stoffauswahl.

Ausgehend von der Forderung, daß der Schüler die Heimat erleben muß, indem die Heimatkunde zur Heimatlehre, die Heimat immer wieder der Brennpunkt wird für das Beobachtungsvermögen, die Urteilskraft, die vertiefende Anschauung, das Erwecken der Gemütskräfte, umfassen den wichtigsten Stoffkreis: 1. »Die landschaftlichen, wirtschaftlichen, allgemein kulturellen, politischen Erscheinungen im Erdraum des t ä g l i c h e n G e s i c h t s k r e i s e s « (Yogelhuber, S. 59); 2. aus dem H e i m a t g e l ä n d e werden naturgemäß die erdkundlichen G r u n d b e g r i f f e gewonnen; 3. der Trieb zur Arbeit, zum Gestalten und Formen wird benützt zur Herstellung von Nachbildern der Heimatgegend. Es entsteht ein H e i m a t b i l d im Sandkasten, auf der Wandtafel, auf der Karte (Plan des Schulzimmers, Schulhauses, Heimatortes); 4. um sich im Gelände zurechtzufinden, bedient man sich der Erscheinungen der Lufthülle. Die Himmelskunde ist Ergebnis planmäßiger Beobachtung; 5. die Heimatkunde erweitert sich zur V a t e r l a n d s k u n d e ; denn Länderkunde ist das ureigenste Gebiet der Erdkunde als Wissenschaft. Die übrigen Länder werden behandelt »je nach ihrer Bedeutung für das Vaterland ohne Zwang zu systematischer Vollständigkeit«. Entscheidend wirken Zeitumstände, Kulturbedürfnisse, persönliche Eignung und Zahl der Schüler. Je b e s c h r ä n k t e r der Stoff i s t , d e s t o l e b e n d i g e r m u ß d a s B i l d v o n d e r L a n d s c h a f t s e i n , das durch Zusammenwirken der Naturreiche und deren Beziehungen zur Menschenkultur herausgearbeitet wird. Zu betrachten sind also d i e n a t ü r l i c h e u n d s t a a t l i c h e B e s c h a f f e n h e i t , die V e r k e h r s - und W i r t s c h a f t s k u n d e sowie die erdgeschichtlichen Verhältnisse. B. Die Stoffanordnung

geschieht nach dem Grundsatz der Anschauung (s. o.):

VII. Lehrverfahren.

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1. Täglicher Anschauungsbereich, 2. engere Heimat als Kulturkreis auf natürlicher Landschaft, 3. Vaterland als völkische und wirtschaftliche Einheit auf natürlichen Landschaften, 4. Europa mit Auswahl nach Bedürfnissen (s. o.), 5. Entdeckungsreisen um die ganze Erde, Erlebnisse bedeutender Forscher, 6. die außereuropäischen Länder nach Auswahl mit Beziehung auf das Vaterland (Auslandsdeutschtum!), 7. Zusammenstellung der gefundenen länderkundlichen Begriffe. Vergleich. Auffinden von Gesetzen. Feststellung des »Typischen und Charakteristischen«, 8. übersichtliche Zusammenstellung der gefundenen Begriffe. Anordnen nach verschiedenen Gesichtspunkten (vgl. Vogelhuber, S. 591). Immer ist zu berücksichtigen: Die Art der Schule, der Gesichtskreis und das Fassungsvermögen der Schüler, das Gegenwartsleben, die Bedürfnisse des Lebens, die Bildungskraft der Stoffe.

VII. Lehrverfaliren. (Methodik.) 1. Allgemeine Grundsätze. Soll die Erdkunde ihre Hauptaufgabe erfüllen: Entbindung gestaltender Kraft (Itschner), so m u ß die S c h ü l e r p e r s ö n l i c h k e i t v o r d e m S t o f f , der in fast alle Wissens- und Berufszweige greift, g e r e i t e t w e r d e n . Nirgends ist »die Erfassung des gestaltenden Gedankens so schwer wie in der Erdkunde«. D e r S c h ü l e r für sich selbst und für den Lehrer ist immer d e r M i t t e l p u n k t d e r H e i m a t . »So wird seine geistige Verfassung, sein Bedürfnis und seine Leistungsfähigkeit bestimmt, sowohl entwicklungs- wie begabungspsychologisch und soweit die Psychologie brauchbare Ergebnisse und Denkmittel bereits dazu liefert« (Vogelhuber, Beitrag zur Methodik der Besonderen Unterrichtslehre. Blätter für die Schulpraxis, 1918, Nov./Dez., S. 179ff.). D e r b e s o n d e r e A u f b a u u n d die A n w e n d u n g e i n e s L e h r s t ü c k s i s t die n a t u r g e m ä ß e F o l g e r u n g a u s d e m

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VII.

Lehrverfahren

w i s s e n s c h a f t l i c h e n D e n k g a n g . Die Gesetze des Stoffes werden wohl berücksichtigt, den Ausschlag jedoch geben die Tatsachen der seelischen Nähe (s. o.) und des kindlichen Bewußtseins. E r s t d e r M e n s c h , d a n n d e r S t o f f ! Dieser ist nur Mittel zur Ausgestaltung der Persönlichkeit und zum Bewußtwerden der Lebensführung. 2. Unterrichtsstufen. Wenn der Unterricht ein Ergebnis philosophischer Leistung sein soll, so muß die Seele den Weg gehen, den ihre Natur vorschreibt. Dörpfeld unterscheidet deswegen a) das Anschauen, b) das Denken oder die Begriffsbildung, c) das Anwenden, wodurch das Wissen zum Können wird. Schreiber (Würzburg) spricht von Eindruck und Ausdruck. Rein empfiehlt gerade für die Erdkunde: 1. Vorbereitung, 2. Darbietung, 3. Verknüpfung, 4. Zusammenfassung, 5. Anwendung. Durch A n s c h a u e n werden die Vorstellungen von erdkundlichen Gegenständen und Tatsachen erworben und verdeutlicht. Mit Hilfe der E i n b i l d u n g s k r a f t wird auch das räumlich Entfernte in die Vorstellungswelt des Schülers eingebaut. Aufgabe des D e n k e n s ist das Verknüpfen der Einzelund der Gesamt Vorstellungen. Dadurch entstehen Raum-, Beziehungsbegriffe, Abhängigkeits- und Größenverhältnisse, schließlich Gesetzmäßigkeiten. Aus dem Vielerlei der Erscheinungen ergibt sich die Einheit (die Kategorie, das Charakterbild). 3. Lehrgänge. (Methoden.) a) D e r s y n t h e t i s c h e ( a u f b a u e n d e ) L e h r g a n g , wie ihn Pestalozzi und Harnisch, Dmter und Diesterweg verlangt, ist der naturgemäße im erdkundlichen Unterricht. Der kindlichen Natur entspricht das Fortschreiten vom Nahen zum Fernen, vom Bekannten zum Ähnlichen, dann zum Verschiedenen, vom engen Anschauungs-

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VII. Lehrverfahren.

und Erfahrungskreis ins Reich der Einbildung und Stimmung, vom einzelnen zum Gattungs- und Wesensbegriff, vom Besonderen zum Allgemeinen. So gelangt die Betrachtung von der Kinderstube zum Schulzimmer, Schulhaus, durch die Gärten, Plätze und Auen zum Heimatort, Heimatland, Heimatkreis, Vaterland, zu den außerdeutschen Ländern Europas, zu den außereuropäischen Erdteilen, zur Erde als G&nzes und als Weltkörper. b) Der a n a l y t i s c h e ( z e r l e g e n d e ) L e h r g a n g geht den umgekehrten Weg, ist naturwidrig, unpsychologisch und deswegen in der Volks- und Mittelschule nicht zu gebrauchen, wenn es sich um Einführung in einen unbekannten Stoffkreis handelt. Schon Rousseau eiferte mit Recht gegen die alte Gepflogenheit der Lateinschul-Geographie, »die den Stoff zwar wissenschaftlich-systematisch ordnet, sich dabei aber über die kindliche Fassungskraft hinwegsetzt«. c) Der s y n t h e t i s c h - a n a l y t i s c h e L e h r g a n g beginnt mit der Heimat und fährt folgerichtig bis zur Kenntnis des weitern Vaterlandes fort; dann geschieht der Sprung zur Betrachtung der Erde als Ganzes, an die sich jene der europäischen und außereuropäischen Länder anschließt. Ihn empfehlen die Musterlehrpläne für böhmische Knaben- und MädchenBürgerschulen (v. 27.4. 1914). d) Der k o n z e n t r i s c h e ( e i n k r e i s e n d e , m i t t e l s t r e b i g e ) L e h r g a n g bietet zuerst das Leichteste und Notdürftigste, dann die gleichen Gegenstände in vertiefender Wiederholung bis zum — Überdruß der Schüler. Er ist das K e n n z e i c h e n d e r a l t e n L e r n s c h u l e mit ihrem Stoffkram, ihrer Unlust, ihrer oberflächlichen Gedächtnismäßigkeit, ihrem geistlosen, langweiligen, ergebnisarmen Unterrichtsverlauf. e) Der v e r k n ü p f e n d e ( k o m b i n i e r e n d e ) Lehrgang will die naturkundlichen, geschichtlichen Stoffe erdkundlichen Kreisen einordnen nach dem Plan des tatkräftigen Pestalozzianers Harnisch (s. o.). » . . . . I m m e r auf allen Stufen von dem Boden ausgehend, von dieser Grundlage zu den Wasser-, Luft-, Wärme- und Lichtverhältnissen sich erhebend, darauf die Pflanzen- und Tierkunde bauend, von hier zu der Menschenkunde übergehend und mit des Menschen Wrerken, seinen Verhältnissen und seiner Geschichte schließend. Die Weltkunde B ö h m , Prakt. Erziehungs- u. Unterrichtslehre

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ist etwas ganz anderes als die sog. Realien oder allgemeinnützigen Kenntnisse« (Harnisch, »mein Lebensmorgen«). Und doch kann eine durchgängige Verbindung nur auf Kosten der Einheit der Erdkunde gelingen.« f) Das K o n z e n t r a t i o n s p r i n z i p ( G r u n d s a t z der Anhäufung, Z u s a m m e n f a s s u n g ) der Ziller-Herbartianer (Matzat, Göpfert) lehnt die erdkundliche Besprechung an Märchen, Sage und Geschichte an, leider in übertriebener Weise. Das z e i t l i c h e N a c h e i n a n d e r der G e s c h i c h t e und das r ä u m l i c h e N e b e n e i n a n d e r der E r d k u n d e l a s s e n sich u n m ö g l i c h ohne G e f a h r der b e i d e n W i s s e n s c h a f t e n zur D e c k u n g b r i n g e n . »Bei der Erkenntnis der verschiedenen Raumcharaktere an der Oberfläche unseres Planeten vereinheitlicht der Geograph die dingliche Vielheit durch begründend-vergleichendes Denken, das die Wechselwirkung und typische Eigenart der Erscheinungen erfaßt. An dieser Idee darf man sich nicht irre machen lassen« (Schnaß, S. 209). Durch grundsätzliche Verteilung erdkundlicher Erfahrungstatsachen und Kenntnisse auf andere Fächer käme die Länderkunde und allgemeine Erdkunde zu kurz. »Es ist daher alle derartige Zerpflückung des erdkundlichen Gesamtstoffes und Zuweisung einzelner Teile an andere Fächer ebenso wie eine (absichtliche) Verbindung des erdkundlichen Unterrichts mit anderen Unterrichtsgegenständen zu verwerfen« (Lehmann, S. 75). (Vgl. meine eigene Ansicht, S. 211.) 4. Hilfsmittel. Bei aller Geschicklichkeit und Stoffbeherrschung kann kein Lehrer ohne Hilfsmittel auskommen. »Das Wachrufen einer Anschauung ist niemals die einzige Wirkung eines Wortes, sondern wenn ich das Wort nenne, ist es, wie wenn ich in einen weiten Raum voll Schläfern hineinrufe; es regt und reckt sich an allen Enden und ich sehe vielleicht viel mehr Anschauungen sich erheben, als ich gewollt habe« (Frdch. Ratzel). Durch ständige Mitarbeit der Schüler werden die freigewordenen Stockungen nutzbringend verwertet. a) U n t e r r i c h t s g ä n g e . Die Heimatkunde wird nach den oben geschilderten Denkgesetzen erwandert, lückenlos erarbeitet. »Worüber der Mensch geistig frei soll schalten und walten können, das muß er sich selbst erarbeiten« (Diesterweg) Gründliche Vorbereitung und p l a n m ä ß i g e r V o l l z u g d e r W a n d e r u n g ist Voraussetzung. Zu diesem Zweck sind notwendig: Bandmaß, Schrittzähler, Winkelmesser, Kompaß, Uhr,

VII. Lehr verfahren.

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Wetterglas, Wärmemesser, Zeichenblock, um messen, zählen, schätzen, zeichnen, aufschreiben, beobachten, forschen, finden zu können. Diese Forschungsart wird auch bei gelegentlichen größeren Reisen beibehalten. b) Über die heimatliche Beobachtung hinaus wird im allgemeinen »das konstruktive Prinzip«, das den Beobachtungsstoff anderer verarbeitet, zur Anwendung kommen müssen. Am meisten wirkt Zustandliches, Ruhendes, also das B i l d . Die Bilder finden in verschiedener Gestalt, Größe und Ausführung Verwendung. Je nachdem unterscheiden wir: Wandbilder, Bildersammlungen (die deutschen Kiinstlersteinzeichnungen in Mappen), Beilagen zu Kunst-Zeitschriften, Ausschnitte aus Bilderzeitschnften, Ansichtspostkarten, wissenschaftliche und künstlerische Bilderbücher, Bildertafeln, Bilder aus Bucherverzeichnissen, auf Abreißkalendern, Anschauungs-, Lichtbilder, Bilder im Verkorperungsglas (Skioptikon), Anschlagzettel, Vorführungen im Lichtspielhaus, Beobachtungen im Guckkasten (Panorama, Rundschau). Insbesondere »die Photographie hat den Ergänzungen des Textes und der Karte einen ganz andern Wert und eine viel größere Ausbreitung verliehen. Landschaften aus allen Zonen werden uns in Hunderten von Darstellungen vertraut und eine Sammlung von Lichtbildern gehört jetzt ebensowohl zum Rüstzeug des Geographen wie der Atlas« (Ratzel) Notwendige Eigenschaften sind Z w e c k m ä ß i g k e i t , D e u t l i c h k e i t , S c h ö n h e i t , E i g e n a r t , B i l l i g k e i t . Äußerst fruchtbringend ist eine planmäßige Ausstellung im Schaukasten. Prof. Ziehen will den Stoff des Lehrbuchs auf ein Mindestmaß-zusammenschrumpfen lassen und ihn durch ausgiebige Bilderverwertung ersetzt wissen. c) Und doch muß die Betrachtung des Bildes durch das lebendige Wort unterstützt werden. Denn wir entbehren des Wirklichkeitsgefühls und vergessen" schließlich die Bewegung der Naturvorgänge und des persönlichen Erlebens. Die B e s c h r e i b u n g ist »ein einfaches Nebeneinanderstellen der Eindrücke, in der Ordnung, wie sie in der Natur stehen«, die S c h i l d e r u n g strebt nach »Reproduktion des ganzen Bildes, wie es sich der Seele des Beobachters eingeprägt hat, wobei Hauptsachen hervortreten, Unwesentliches zurücktritt«. Darüber hinaus liegt die W i e d e r g a b e d e r S t i m m u n g , die die Landschaft in dem Betrachten erweckt hat. »Sie verzichtet auf Linien, Formen und Farben und sagt das Wesentliche mit wenigen Worten, die bald die Reflexion, bald das Gefühl eingeben mögen« (Frdch. Ratzel: Über Naturschilderung, S. 316f ). Vergegenwärtigen muß sich der Lehrer dabei, ob Umfang und Stil sich überall für seine Kinder eignen. Ich stimme mit Trunk uberein, daß »der frei vortragende, den Stoff in eine selbst geschaffene Form gießende Lehrer gewiß die Art der sprachlichen Darstellung mehr der Fassungskraft der Schuler anpassen kann, als der in seiner Form im Buche redende Verfasser« (Trunk, Anschauung, S. 145). d) Bilder und Schilderungen geben indes nur Ausschnitte aus der Wirklichkeit und entbehren häufig des Wesentlichen. »Die Grundlage aller Lebensäußerungen gibt die Gestaltung der Erdoberfläche des betreffenden Landindividuums« (Itschner, S. 278). Sie zu erfassen, bedienen wir uns der K a r t e . Bleibenden Wert haben im allgemeinen die Darstellungen nach 15*

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naturlichen Landschaften und nach erdgeschichthchen Gesichtspunkten. Die staatlichen Karten bekommen allmählich geschichtliche Bedeutung, Verständnis wird uns vermittelt durch Z e i c h e n u n d F a r b e n . Die Kartensammlung (der Atlas) ist das Muster eines Leitfadens Denn 1. er enthalt den Stoff, welcher nicht anders als durch das Gedächtnis angeeignet werden kann, 2. er gibt nicht bloß Worte, sondern Anschauungen oder doch wenigstens kräftige Anschauungshilfen, 3. er legt in methodischer Hinsicht dem Lehrer keine Fesseln auf, 4. er regt in vorzüglicher Weise die Selbständigkeit der Schuler an (vgl. Dr. Nuchter »Über Unterrichtsbucher, S. 72) Aber Landkarten sind »Steine der Weisen; sie sind also nichts weiter als Steine, wenn ihnen der Weise mangelt. Landkarten sind Sinnbilder, die m einer Geheimsprache zu uns reden; vor allem sollte daher der Unterricht für das Verständnis dieser Bildersprache sorgen« (Peschel). Das Erfassen und verständige Einprägen der einzelnen Zeichen für die erdkundlichen Gegenstände fällt den Schulern nicht schwer (Punkte, Ringel, kurze, lange Striche, ausgezogene Linien). Aber die d r e i f a c h e A u s d e h n u n g der W i r k l i c h k e i t m die z w e i f a c h e des K a r t e n b i l d e s zu ü b e r t r a g e n , s t e l l t f ü r d e n j u g e n d l i c h e n G e i s t e i n e u n g e h e u r e L e i s t u n g d a r , die nur möglich wird, wenn der Schuler schrittweise von der wahren Vorstellung zur übertragenen gebracht wird. Vorbereitet ist diese schwierige Arbeit durch die V e r s u c h e in d e n G e l ä n d e a u f n a h m e n gelegentlich der Unterrichtsgange Farben, Schraffen, Schummern, Zahlen, Linien können bereits dort Anwendung finden je nach Wille, Geschick, bewußte oder unbewußte Beeinflussung oder Nachahmung Dr Boock (Zeichenschule für den Unterricht in der Erdkunde, Berlin 1907) erkennt den hohen Wert der Vorbereitung auf das Kartenverstehen » S k i z z e n z e i c h n e n m u ß die G r u n d l a g e f ü r d i e A n e i g n u n g d e s A n s c h a u u n g s s t o f f e s d e r K a r t e s e i n . Nur so wird das Auge geschärft, die Hand geübt, ein Sehbild für das Gedächtnis erarbeitet.« Die Wirklichkeit bleibt eben immer Außenwelt. Zur Innenwelt wird sie durch Zeichen, Namen, Zahlen, d h. den seelischen Beziehungswert »In der Welt des Sichtbaren muß der Pädagoge gestalten können, wenn er sichtbar sehen und schauen lehren will Er muß die Sprache des Sichtbaren sprechen können, auch wo die wirkliche Natur vorfuhrbar ist« (Weber, s. S. 11) Die Himmelsgegenden werden natürlich schon bei der Freihandskizze angemerkt. Der Begriff des Maßstabes und seiner Verjüngung ist schon beim Messen und Zeichnen des Schuizimmers und Schulhauses klar geworden, so daß die g e m e i n s a m e E r a r b e i t u n g d e r K a r t e von Ausschnitten aus der Heimat, schließlich der Heimatkarte selbst (auf der querliegenden W T andtafel) keine besonderen Schwierigkeiten mehr bietet. Das Musterbild der Wandkarte dient nun zum Betrachten, Sinnen, Besinnen. Erinnern, Vergleichen, Überzeugen, Nachprüfen, Versenken, Nachbildern. H i e r t u t V e r w e i l e n , G e d u l d u n d u n a b l ä s s i g e Ü b u n g d r i n g e n d n o t . Denn »die Aufgabe des geographischen Schulunterrichts ist nicht erschöpft, wenn der Schuler

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die Kartenbilder selbst in geistiger Anschauung besitzt und daraus zu reproduzieren vermag; er muß die KunS't des Sehens soweit zu steigern vermögen, daß die Karte durch ihre Zeichen das plastische Bild der dargestellten landschaftlichen Einheit wenigstens in den Hauptzügen hervorzurufen vermag« (Gaudig). Geübt wird dieses Schauen und Erkennen auf der Handkarte in der Kartensammlung (Atlas). Diese ist das eigentliche Arbeitsbuch für den Schuler, der, mit der Karte in der Hand, Wirklichkeit und Bild vergleicht, allmählich den Wert der Kartendarstellung erkennt und so die Fähigkeit erhält, »an der Hand der Karte eines fremden Landes sich dieses Land genau vorzustellen« (Bruckner). Beim Kartenzeichnen unterscheidet man den Lageplan, die sog. Situation, d. i. die Darstellung alles Wagrechten (Horizontalen) und das eigentliche Gelände (Terrain), d. i. die Darstellung alles Senkrechten (Vertikalen). Hilfsmittel für die Zeichnung des Lageplans sind: 1. Einzeichnen in Vorlagen, welche das Gradnetz des Landes sowie dessen Umriß und wohl auch noch die Gebirge enthalten, so daß die Schüler nur noch die Flußnetze und Orte einzutragen haben (Straube, Hofmann, Gotthold, Kloeden, Woldermann, Kunz, Uhlenhuth, Lohse, Oppermann, Delitsch); 2. Einzeichnen in Gradnetze, und zwar in vollständige nach dem Vorschlag von Kirchhoff, Lehmann, Debes (die Maschen des Gradnetzes sind Trapeze) oder in unvollständige, wie sie Umlauft und Letoschek empfehlen. (Umlauft benutzt möglichst bloß den mittelsten Langenund Breitenkreis.) 3. Matzat verwendet Kreise (Distanzkreise), die von einem gemeinsamen Ausgangspunkte entworfen werden. Dazu kommen Richtungsbestimmungen. 4. Gannstein, Dronke und Bismarck schlagen geometrische Hilfskonstruktionen vor, die fast allgemein verworfen werden. 5. Lohse, Stößner und van der Laan benutzen sog. Normale, d. s. gleich große, womöglich rechtwinklig aufeinander stehende Linien, deren Größe sich nach einer bestimmten Geraden richtet. Was die Darstellung der Gebirge betrifft, so empfehlen: Seydlitz einen oder mehrere gleichlaufende Striche, Kirchhoff, Debes und Lehmann Bögen, die je nach dem Böschungsgrad kraftiger oder dünner angelegt werden, Matzat die Flächendarstellung. Ein dicker Längsstrich wird mit dem Wischer in die Breite gewischt (vgl. Korsch, Methodik, S. 61 ff.). Auch hier gilt der Grundsatz: Freiheit in der Arbeitsweise. Der Schüler sucht sich den Weg, der seiner Anlage entspricht. e) Das K a r t e n h o c h b i l d (Relief) bringt wohl die Höhenausdehnung. Aber da diese übertrieben werden muß, um zu wirken, bekommt der Schüler eine schiefe Vorstellung von der Wirklichkeit. Außerdem ist es teuer, unhandlich und leicht zerbrechlich und für gewisse Landschaften wirkungslos. f) Z e i c h n e n . Um die Vorstellungen klarer, beweglicher zu machen, werden Ausschnitte, natürliche Einheiten aus dem großen Kartenbild herausgehoben, vergrößert, verdeutlicht. Mit Hilfe der Einbildungskraft

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VII. Lehrverfahren.

kann von besonders fähigen Schülern auch ein Aufriß (Nachbild der Wirklichkeit = Hochbild in der Fläche) versucht werden. Zu diesem Zweck dient die genauere G e n e r a l s t a b s k a r t e , die ja jeder Wanderung und Reise zugrunde gelegt wird. Zur Übung können dienen: Längs- und Querschnitte, Straßenzüge, Kanal- und Eisenbahnanlagen, Festungsbezirke, Darstellung von erdkundlichen Gegenständen in Strecken und Flächen. Hier werden wir Gebrauch von jener Darstellung machen, die Dr. Weber wissenschaftliches Schema nennt (s. Technik des Tafelzeichnens). Von dieser gilt: Je einfacher und verständlicher, je klarer und ungekünstelter, desto besser. Wollte ich aber meine Schüler sehen, fühlen und schauen lassen, was meine eigene Seele sah, fühlte und schaute, so entstand ein künstlerisches Bild« (die künstlerische Skizze), das Selbstzweck ist. Dazu gehört freilich mehr als eine gut angewendete Technik. Aber lernen und lehren wir schauen, so entsteht auch eine brauchbare Zeichnung. Mit warmer Liebe gedenke ich an meinen Lehrer, den weltberühmten Völkerund Länderforscher Pechuel Loesche, der im Hörsaal zu Erlangen fremde Zonen im Stimmungsbild vor uns erstehen ließ — eine Ausnahme auch unter den großen Pfadfindern. g) Die Unterlage des V e r g l e i c h s bieten Zahlen Verhältnisse, Größendarstellungen auf Wandtafeln, Kurvenbilder (graphische Darstellungen). Zahlen reden, Zahlen beweisen. Die Heimat wird in die Fremde getragen und dient dort als Maßstab für die neuen, gewaltigeren Ausdehnungen. Dabei erkennt man die Grundsätze: Gleiche Ursachen — gleiche Wirkungen, gleiche Bedingungen — gleiche Folgen. Die Ausnahmen erklären sich aus besonderen, der Heimat fremden Verhältnissen. Hier, wird Wahrheit, was Diesterweg behauptet: »Das D e n k e n i s t m e h r w e r t a l s d a s G e d a c h t e . Ein unendlicher Unterschied besteht darum zwischen der sog. wissenschaftliche;! Weise, die von Grundsätzen, Definitionen und Prinzipien ausgeht, deduziert und subsummiert und unserer Weise, der Elementarmethode. Ein unendlicher Unterschied liegt dazwischen, ob ich doziere: Das ist so und so und hier ist der Beweis — oder ob ich sage und verlange: Denke darüber nach, wie es ist und sein muß. Ein Erddiameter liegt zwischen diesen Weisen und — ihren Resultaten. Das ist ein altes Lied; gar mancher hat es singen hören, aber ohne die Melodie zu verstehen.« h) Zur Gewinnung klarer Vorstellungen, zur Erregung von Freude an der Welt der Erscheinungen, zur Festigung wichtiger Grundbegriffe dienen auch F o r m e n in Ton; A u s s c h n e i d e n (Teubners KünstlerModellierbögen, die nicht nur Einzelvorstellungen vermitteln, sondern einen Ausschnitt aus dem Volks- und Wirtschaftsleben bieten, z. B. Alpenhof, Schwarzwaldhof, ländlicher Bahnhof, niedersächsisches Bauernhaus, Wolkenkratzer, Stadttor mit Patrizierhaus, Pfahlbausiedlung); V e r s u c h e , Naturerscheinungen im physikalischen oder chemischen Arbeitssaal nachzubilden; A r b e i t e n i m S a n d k a s t e n von einer Gruppe von Schülern in Abwechslung.

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1) Keine Gelegenheit des Alltags sollte unbenutzt vorübergehen. Der F a h r p l a n , das K u r s b u c h dienen dem Unterricht genau so wie die W e t t e r k a r t e , das W e t t e r h ä u s c h e n mit Wetterglas und Wärmemesser. Für Reisen sei die Sammlung » R e c h t s u n d l i n k s d e r E i s e n b a h n « von Prof. Paul Langhans (Gotha, Justus Perthes) dringend empfohlen. Dr. Vogels Meisterkarte des Deutschen Reiches (1:500000) veranschaulicht »die kraftig hervortretende Bahnlinie nebst ihren Anschlüssen, die Haltestellen der Schnell- und Personenzuge und zu beiden Seiten der Bahn das vom Abteilfenster aus sichtbare Gelände. Die Eingliederung der Landschaft in die typische Oberflächenform unseres Vaterlandes zeigt in großen Zügen eine besondere Karte der natürlichen Landschaften Deutschlands «. k) Hoher als ein gedruckter Leitfaden steht d a s e r d k u n d l i c h e L e s e b u c h , das zum Erwerben, Befestigen und Erweitern erdkundlicher Kenntnisse dient. Es muß abgerundete, anschauliche Bilder enthalten, deren Darstellung der Fassungskraft der Schuler angemessen ist. »Das Lesebuch schildere (vor allem) das deutsche Land so, wie das Gemüt des Menschen sieht, der die Fuhlung mit der Erdstelle, auf der er geboren, nicht nur nicht verloren hat, sondern als ein wertvolles Stück Innenleben pflegt; dann wird auch auf die Landschaften, die einem verwohnten ästhetischen Sinn nichts oder nur wenig bieten, ein milder Glanz fallen« (Gaudig). 1) Unter Mitwirkung der Schuler entsteht im Lauf der Jahre eine S a m m l u n g von N a t u r - , K u n s t - und gewerblichen Gegenständ e n . Die Gesteinssammlung enthält Gesteine der Heimat, solche, die bei der Bildung der Erdoberfläche eine Rolle spielen, Versteinerungen, insbesondere Abdrucke von Pflanzen, Blättern. Fischen, Muscheln, Schnecken, Bodenarten aus dem Gelände des Vaterlandes, die wichtigsten Erze, Proben von Kulturerzeugnissen fremder Länder m) Soll der Erdkundeunterricht zur Lebenskunde werden, den Schüler in das soziale Leben der Gegenwart eingliedern, so darf nicht auf den Bes u c h v o l k s w i r t s c h a f t l i c h e r E i n r i c h t u n g e n u n d B e t r i e b e vergessen werden (Gaswerk, Elektrizitätswerk, Eisengießerei, Hafen- und Schleusenanlagen, Weberei, Spinnerei, Färberei, Glashutten, Großbetriebe für Herstellung von täglichen Gebrauchsgegenständen). An der Quelle des Kulturlebens wird das innige Verständnis für soziales Empfinden, Denken, Handeln, soziale Not aufgehen, also eine richtige Wertung des Lebens beginnen n) D a s e r d k u n d l i c h e T a g e b u c h , das Merk- und Zeichenheft (aber kein gedrucktes!), die Schülerbücherei, werden die Früchte eines lebensvollen Unterrichtes, der vom Schauen zum Schaffen geworden ist, enthalten, werden das Gewissen der Schüler- und Lehrerarbeit darstellen. Natürlich darf es nicht zu einer »Tyrannei der Hefte« kommen (s. Nüchter, S. 82). »Die Sachfächer, einschließlich Erdkunde, müssen die didaktische Basis des gesamten Unterrichts bilden.« Die Stoffgebiete der Erdkunde lassen sich ganz gut unterbringen in den Arbeitsbüchern und Arbeitsheften mit a) sachlicher, bl künstlerischer Darstellung

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VIII. Schrifttum

»Nur wenn Denken und Wissenschaft sich dauernd verbinden mit der Tat, wenn sie sich nicht eigenmächtig herausheben aus dem Blutkreislauf des großen allgemeinen Lebens, sondern aus ihm sich nähren, nur dann sind sie fördernd«, nur dann werden wir Persönlichkeiten erhalten, die an der gesamten Kultur unseres Volkes mitzuarbeiten verstehen. Dadurch wird die wissenschaftliche Sondertumelei von den Schulern ferngehalten Denn »die Jugend ist nicht reif für eine rein wissenschaftliche Behandlung Sie will die Objekte nicht als Unterlage wissenschaftlicher Abstraktion benutzen; sie will durch sie ein Erlebnis gewinnen. Ihre Welt- und Lebenserfassung ähnelt mehr jener des Kunstlers als der eines wissenschaftlichen Forschers. Dies ist der tiefere psychologische Grund dafür, daß die Objekte für die wissenschaftliche Forscherarbeit anderer Art sein musspn als die Objekte für den Unterricht m der Volksschule« (Weber)

VIII. Schrifttum. 1. Benützte wissenschaftliche Werke. A. A l l g e m e i n e e r d k u n d l i c h e

Bucher.

Geschichte der Erdkunde, Oskar Peschel, 1865. — Die Menschheit als Lebenserscheinung der Erde, Frdch. Ratzel, Helmolt, Weltgeschichte, 1899, S. 61 ff. — Anthropogeographie, Ratzel, 1899. —• Geschichte der Erdkunde, Drygalski, Vorlesung 1911/12 (ungedruckt). — Geschichte der Naturwissenschaften, Gunther, 1909, Reclam. — Über Naturschilderung, Ratzel, 1906. — Neue Probleme der Vergleichenden Erdkunde, Peschel, 1870. — Handbuch der Geographie, Seydlitz, 1914. — Lehrbuch der Geographie, Herrn. Wagner, 1908. — Lehrbuch der Meteorologie, Hann, 1906. — Schulgeographie, Kirchhoff, Halle. — Allgemeine Länderkunde, Sievers, Leipzig. — Das Deutsche Reich, Penck, Leipzig — Die Erde und die Erscheinungen ihrer Oberflache, Ule. — Grundzüge der Länderkunde, Hettner, Leipzig. — Lehrbuch der allgemeinen Geologie, Kayser, 1912. — Grundriß der Völkerpsychologie, Wundt, Leipzig, 1912. — Volkerkunde, Pechuel Loesche, Vorlesungen 1909/10, Erlangen (ungedruckt). — Volkswirtschaftslehre, Ad. Damaschke. — Die Bodenreform, Damaschke, Jena. B. U n t e r r i c h t s k u n d l i c h e

Bücher.

Anschaulichkeit des geographischen Unterrichts, Trunk, Wien. — Methodik des geographischen Unterrichts, Hupfer, Leipzig. — Methodik des Unterrichts in Geographie, Geistbeck, Freiburg. — Methodik des geographischen Unterrichts, Matzat, Berlin. — Der geographische Unterricht nach den Grundsätzen der Ritterschen Schule, Oberländer. — Präparationen für den geographischen Unterricht an Volksschulen, Tischendorf, Leipzig. — Unterrichtslehre, Itschner, Leipzig. — Lehrproben zur Länderkunde von Europa, Itschner, Leipzig. — Nationale Erdkunde, Hauptmann, Straßburg. — Vaterländische Erdkunde, Harms. — Soziale Erdkunde, Bauer, Dresden. — Methodik des erdkundlichen Unterrichts, Kerp,

VIII. Schrifttum. Trier. — Die neuen Bahnen des erdkundlichen Unterrichts, Fritzsche, Langensalza. — Zur Einführung in den erdkundlichen Unterricht, Lampe, Halle. — Methodik des geographischen Unterrichts, Becker, Leipzig. — Methodik des Unterrichts in der Erdkunde, Fischer, Breslau. — Das Kartenzeichnen im geographischen Unterricht, Lehmann, Halle — Erdkunde in anschaulich-ausfuhrlicher Darstellung, Fick. — Bilder aus der Wirtschaftskunde von Deutschland, Franke, Dresden — Anweisung zum Unterricht in der Heimatkunde, Finger, Berlin. — Besondere Unterrichtslehre, Vogelhuber, Nürnberg (Korn). — Blätter für die Schulpraxis, Vogelhuber — Bayerische Lehrerzeitung, Nuchter. — Freie deutsche Schule, Beyhl — Lehren und Lernen, Schaffen und Schauen in der Erdkunde, Scbnaß, Haase, Leipzig. — Methodik des erdkundlichen Unterrichts, Korsch, Leipzig. — Deutschkunde, Peper, Leipzig. — Dr. Ernst Weber: Technik des Tafelzeichnens, Leipzig, 1908. — Dr. Nüchter- Über Unterrichtsbücher für Volksschulen, Haase, Leipzig. 2. Wertvolle Bücher zur Fortbildung. Eine vollkommene Übersicht der Neuerscheinungen zu geben, ist bei der ungeheuren Fruchtbarkeit gerade auf dem Gebiet der Erdkunde eine Unmöglichkeit. Eine durchaus zuverlässige Quellensammlung, die die empfehlenswertesten Bücher auch kurz und gut beurteilt, liegt uns in dem 1 Teil der Bucherei des Deutschkundelehrers vor: G e o g r a p h i e , bearbeitet von Dr. H. De gel, Reallehrer, Verlag von R. O l d e n b o u r g , München und Berlin 1919. Ohne ein derartiges Nachschlagebüch kommt ein Erdkundelehrer nicht mehr aus.

2. Der Unterricht in der Geschichte. Von S t u d i e n r a t Franz Zieroff-Aschaffenburg.

I. Bedingungen eines zeitgemäßen Geschichtsunterrichtes. A) Bedingungen, welche in der E i g e n a r t des Unterrichtsfaches liegen. Jeder U n t e r r i c h t h a t , soweit seine besondere E i g e n a r t es zulaßt, die gesamten K r ä f t e der werdenden Schülerpersönlichkeit zu wecken u n d zur B e t ä t i g u n g zu bringen 1 ). Zweck und Ziel des U n t e r r i c h t s ist letzten Endes die ausdrucksvolle T a t ; denn sie allein v e r b ü r g t tiefes E r k e n n e n , kräftiges F ü h l e n und starkes Wollen. Wir haben n u n zu untersuchen, inwiefern der U n t e r r i c h t in der Geschichte fähig ist, die persönlichen G e s a m t k r ä f t e des Schulers zur E n t f a l t u n g zu bringen im Hinblicke auf eigenwillige, selbständige T a t h a n d l u n g e n . U m zu verh ü t e n , d a ß wir dem Geschichtsunterricht Aufgaben zuweisen, die außerh a l b seines Wesens liegen, h a b e n wir zunächst zu uberlegen, worin die f a c h w i s s e n s c h a f t l i c h e E i g e n a r t des Unterrichtsgegenstandes zu suchen ist.

1. Inhalt der Geschichte als Wissenschaft. Geschichte kommt her von geschehen; aber nicht alles Geschehen ist ohne weiteres Inhalt der Geschichte; Geschehnisse kommen auch in der Natur vor, wie Wachsen und Vergehen der Pflanzen, Überschwemmungen u. dgl. Aber das eigentlich Geschichtliche suchen wir doch nur in der Menschenwelt, in jenen Geschehnissen, die der Mensch als geselliges Wesen erlebt und vollbringt. Wir fragen in der Geschichte darnach, wie der M e n s ch seinen wirtschaftlichen Unterhalt beschafft durch Jagd, Ackerx

) Vgl. H . I t s c h n e r : U n t e r r i c h t gefaßt als E n t b i n d u n g gestaltender K r a f t (4 Bd., Quelle u. Meyer, 2. Aufl. 1918), dessen tiefgründigen Ged a n k e n g ä n g e n auch diese Darstellung zum Teil gefolgt i s t ; das ausgezeichnete W e r k wird n a c h d r ü c k l i c h s t empfohlen.

I. Bedingungen eines zeitgemäßen Geschichtsunterrichtes.

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bau, Gewerbe, Handel, wie er seine Verkehrsverhältnisse ausbaut, wie er für Ordnung und Recht sorgt, wie und warum der Krieger jeweils in den Kampf zieht, wie er sein staatlich-politisches Leben ausprägt, wie er seine religiösen Bedürfnisse befriedigt, wie er seine Gesellschaftsklassen schichtet, wie sein Kunstbedürfnis reift in Bauten, Bildnissen und Dichtungen usw. Die Geschichte ist also durchaus eine s o z i a l e Wissenschaft. Aber diese Menschengeschehnisse werden noch eingeschränkt durch gewisse Merkmale, welche sie erst zu Gegenständen der Geschichte stempeln. a) Die Vorgänge des Alltags scheiden aus. Nur solche Ereignisse, die b e d e u t s a m sind, d. h. bestimmte Folgen haben, werden Gegenstand der Geschichte. Die Folgen zeigen sich darin, daß sie das Leben der übrigen Volksgenossen verändern und umgestalten und so über den Augenblick hinaus wirken. Diese bedeutsamen Ereignisse können von e i n z e l n e n Personen herrühren: Erfindung des Schießpulvers, der Dampfmaschine, des Luftschiffs, oder Betätigungen der Masse sein: Verwüstung der Pfalz, Revolutionen. Das Ereignis erhält also seine geschichtliche B e d e u t s a m k e i t durch seine Nachwirkung auf die Fortentwicklung der menschlichen Kultur. Alles Geschichtliche untersteht sonach dem Gesetz der Ursache und Wirkung und dem Gesetz der Entwicklung. b) Aber auch das, was bedeutsame Folgen hat, muß noch eingeschränkt werden, wollen wir bei der Fülle der Erscheinungen den Überblick nicht verlieren. Besonders bei Massenbetätigungen ist es nicht möglich, alle Handlungen der einzelnen darzustellen; hier muß es genügen, wenn jene Vorgänge berichtet werden, welche eine d u r c h s c h n i t t l i c h e Erkenntnis dessen vermitteln, was von der Gesamtheit geleistet wurde. Diese t y p i s c h e n Betätigungen umfassen gleichartige Leistungen vieler und treten stellvertretend für die Vielheit auf. Zu solchen Typen der Erscheinung eignen sich besonders scharf ausgeprägte Tatsachen oder Personen; z. B. die Lage der Bauern vor 1525 wird an einigen typischen Fällen dargelegt. Nur auf diese Weise kann der menschliche Geist das Einzelne, Alltägliche überwinden. Anmerkung: A r t e n der G e s c h i c h t e : Die Folgen eines Ereignisses sind verschieden, je nachdem man sie bezieht auf einen größeren oder kleineren Kreis von Menschen. Darnach unterscheidet man Lebens-

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I. B e d i n g u n g e n e i n e s z e i t g e m ä ß e n

Geschichtsunterrichtes.

( K u n s t l e r ! ) , F a m i l i e n - , P a r t e i - , O r t s - , S t a d t - , H e i m a t - , Volks- u n d W e l t geschichte, Geschichte eines b e s t i m m t e n Gegenstandes (Schußwaffen, Handel, Recht!). 2 . Z w e c k der

Geschichte.

Träger der Ereignisse sind die Menschen unseres VolkesDie Geschehnisse werden hervorgebracht durch die Lebensbedürfnisse des Volkes. Die Gesamtheit dieser geschichtlichen Lebensäußerungen bezeichnen wir als Kultur eines Volkes, die im Staat den politischen Rahmen erhält. Die Ereignisse als Ausdruck des Volksgeistes ermöglichen es uns, diesen Volksgeist selbst zu erkennen oder ihn doch wenigstens zu ahnen. Die Geschehnisse sind die Verkörperung der hinter ihnen wirkenden Kräfte. »Nicht ein solch zufälliges Durchemandersturmen, Übereinander/allen, Nachemanderfolgen der Staaten und Völker bietet die Weltgeschichte dar, wie es auf den ersten Blick wohl aussieht. . . . Es sind die Kräfte, und zwar geistige, Leben hervorbringende, schöpferische Kräfte, es sind moralische Energien, die wir in ihrer Entwicklung erblicken. Zu definieren sind sie nicht; aber anschauen, wahrnehmen kann man sie; ein Mitgefühl ihres Daseins kann man sich erzeugen. Sie blühen auf, nehmen die Welt ein, treten heraus in den mannigfaltigsten Ausdruck, bestreiten, beschränken, überwältigen einander; in ihrer Wechselwirkung und Aufeinanderfolge, in ihrem Leben, ihrem Vergehen oder ihrer Wiederbelebung, liegt das Geheimnis der Weltgeschichte « (Ranke, Die großen Machte.)

a) Die Geschichte hat also als höchsten Zweck, den G e i s t d e s V o l k e s darzustellen, wie er sich entwickelt hat durch die Ereignisse der Jahrhunderte; sie soll die schaffenden Kräfte erkennen lassen, welche Geschichte machen. Die Schöpfungen dieser geschichtsbildenden Kräfte spiegeln das Wesen des Volkes mit all seinen Vorzügen und Mängeln wider und so wird die Geschichte zu einem M i t t e l d e r S e l b s t e r k e n n t n i s für das Volk. »Erst durch die Geschichte wird ein Volk sich seiner selbst vollständig bewußt.« (Schopenhauer). b) Die Erkenntnis der geschichtsbildenden Kräfte, das Erfassen unseres Volksgeistes werden ermöglicht, wenn wir die Kulturbetätigungen im einzelnen näher betrachten. Wir wissen, daß Kultur ( = wirtschaftliche, soziale, geistige, politische Lebensäußerungen) nichts Feststehendes, nichts Unbedingtes ist. Die Kultur ist eine Ausdrucksform unseres Volksgeistes, welche sich ändert je nach Örtlichkeit, nach der Veranlagung des Volkes (Volksstämme!) und nach der Zeit. Mittelbarer Zweck

I. Bedingungen eines zeitgemäßen Geschichtsunterrichtes.

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der Geschichte ist es, diese W a n d e l b a r k e i t d e r K u l t u r in ihren Entwicklungsformen und Entwicklungsbedingungen zu begreifen. (Vgl. die altgermanische, die städtisch-mittelalterliche, die neuzeitliche Kultur!) c) Ähnliches gilt auch vom Staat, der den äußeren Rahmen für die Kulturbetätigung eines Volkes abgibt. Auch der S t a a t ist nichts anderes als eine besondere Art der Kulturform, die wechselt je nach Ort, Zeit und Geltungswillen des Volkes. Die Wandlungen dieses Geltungswillens kennen zu lernen, ist ebenfalls mittelbarer Zweck der Geschichte (vgl. die Staatsform der Germanen, des Frankenreiches, der unumschränkten Fürstengewalt, der Gegenwart!). d) Jede zeitlich bedingte Kulturform läßt, wenn sie von einer neuen Entwicklungsstufe abgelöst wird, im Volksbewußtsein einen gewissen Rest dauernd zurück (vgl. die altgermanischen Erinnerungen in unseren Sitten und Gebräuchen, Märchen, Redensarten usw.) und wirkt als Unterströmung weiter; ja es kommt sogar nicht selten vor, daß gewisse Kulturgrundlagen einer früheren Zeit nach vielen Jahren wieder neue Blüten treiben (die Kunst Rieh. Wagners ist ohne germanisches Altertum nicht zu begreifen). So zeigt uns die geschichtliche Betrachtung, daß unser Kulturleben der G e g e n w a r t etwas G e w o r d e n e s ist; wir begreifen das oft rätselvolle, widerspruchsvolle Nebeneinander unserer Zeit und gewinnen auf diese Weise die so notwendige Verdeutlichung unseres gegenwärtigen Lebens. Der Mensch erscheint m einem großen Zusammenhang; der einzelne wird über die Begrenztheit seines Strebens hinausgewiesen auf Ziele, zu denen er als einzelner nie hätte kommen können. e) Das Wesen der Geschichte als geschichtsbildende Kraft hängt innig mit der Politik zusammen. Politik ist die Betätigung der geschichtsbildenden Kraft in der Gegenwart; sie hat Handlungen zu vollbringen, welche die Ziele der Nation verwirklichen sollen. Die Politik will also neue Menschengeschehnisse hervorrufen. Für sie ist die Geschichte nur Vorgeschichte, aus der ihre Zukünftsziele herauswachsen; sie muß gewissermaßen in die Geschichte hineinhorchen, um aus ihr zu erfahren, wohin das Ziel der Nation strebt. Dabei ist oft nicht zu vermeiden, daß die Neues gestalten wollenden Kräfte zusammen-

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I. Bedingungen eines zeitgemäßen Geschichtsunterrichtes.

s t o ß e n m i t d e n a l t e n M ä c h t e n der B e h a r r u n g . Solcher Widerstreit füllt das D a s e i n der P o l i t i k aus. D a r a u s erklärt sich der g e w a l t i g e praktische N u t z e n , d e n die P o l i t i k a u s der G e s c h i c h t e z i e h e n k a n n . Freilich ist das n i c h t so a u f z u f a s s e n , als k ö n n t e m a n aus der G e s c h i c h t e beliebig n a c h Bedarf die Musterbeispiele für das politische H a n d e l n h e r a u s g r e i f e n ; die E n t s c h e i d u n g e n i m e i n z e l n e n sind n i e m a l s früheren gleich, sie ä n d e r n sich m i t den U m s t ä n d e n ; darum verlangt jede neue geschichtliche Aufgabe eine n e u e L ö s u n g . D i e s e L ö s u n g ist m i t d e m W e s e n des V o l k e s in E i n k l a n g u n d m i t seiner g e s c h i c h t l i c h e n V e r g a n g e n h e i t in Z u s a m m e n h a n g zu bringen. D a s k a n n aber nur d a d u r c h ges c h e h e n , d a ß m a n die g e s c h i c h t s b i l d e n d e n K r ä f t e des V o l k e s erkannt h a t in i h r e m W e r d e n , W o l l e n , ihren Zielen u n d Erfolgen. So m ü n d e t alle g e s c h i c h t l i c h e B e t r a c h t u n g in der P o l i t i k , wie u m g e k e h r t die P o l i t i k die G e s c h i c h t e zur V o r a u s s e t z u n g h a t . A n m e r k u n g . Es ist nicht zu leugnen, daß aber auch aus der Geschichtsbetrachtung G e f a h r e n erwachsen. Wir sehen das an der Romantik. Ihr war das Schwelgen in den »guten, alten Zeiten« höherer Lobenswert als die praktische Losung der Gegenwartsaufgaben. Gerade wir Deutschen sind allzu leicht geneigt, den politischen Gegenwartsaufgaben zu entsagen und unser Lebensideal zu suchen in vergangenen Zeiten. J a nicht wenige sind so von der »historischen Krankheit« befallen, daß sie alles Alte heilig sprechen und verehren, nur deshalb, weil es alt ist; sie kommen gar nicht zur Fragestellung, ob dieses Alte auch noch gut und dem Gegenwartsleben dienlich ist. Solche Naturen sind für die Gegenwartsaufgaben abgestumpft, sie hemmen vielmehr jene Kräfte, welche die Zukunft frei gestalten wollen. Aus solcher politischer Rückwärtseinstellung ist es zu erklären, daß uns Deutschen vielfach der Vorwurf gemacht wird, daß wir ein noch politisch unreifes Volk seien. Helfen wir mit, daß dieser Vorwurf bald der Geschichte angehört. Die Geschichte soll in uns den Willen zur politischen Tat erzeugen, die sich betätigt in der Mithilfe bei der Lösung der G e g e n w a r t s a u f g a b e n . 3. Möglichkeit der Geschichtswissenschaft. a) Politik treiben heißt Geschichte machen. Wer also seine geschichtsbildende Kraft betätigen will, muß seine Richtlinien für eine gesunde Fortentwickelung aus der Vergangenheit holen und an das Bestehende anknüpfen. Zu diesem Zwecke muß die Geschichte überliefert werden. Hieraus ergibt sich das B e d ü r f n i s nach Geschichte. Die erste Überlieferung geschah von Mund zu Mund mit all ihren Ungenauigkeiten, Entstellungen, Verschiebungen, Zutaten und Weglassungen. Erst mit der Schrift fängt das historische Leben an. Durch das Aufschreiben überwindet das geschichtliche Leben die Zeit und rettet sich hinüber in die späteren Geschlechter. So ist die Möglichkeit gegeben, daß das zeitlich vergäng-

I. Bedingungen eines zeitgemäßen Geschichtsunterrichtes.

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liehe Leben dauernd erhalten bleibt und für alle späteren Zeiten fruchtbringend verwertet werden kann. b) Wie v e r f ä h r t der Geschichtsschreiber, der uns vergangenes Leben berichten will? Geschehnisse, Handlungen, Willenskundgebungen sind sein Stoff. Er wird uberliefert durch Ü b e r r e s t e (Ruinen, Kunstwerke, Waffen, Geräte, Gesetze, Volksrechte, Beschlüsse, Sitten, Gebräuche, Religion, Sprache, Schrifttum, Akten, Rechnungen, Gesandtschaftsberichte, Korrespondenzen), durch D e n k m a l e r (Inschriften, Münzen, Wappen, Siegel, Urkunden), durch Q u e l l e n (Sagen, Lieder, Redensarten, Sprichworter, Briefe, Broschüren, Schmäh- und Streitschriften, Zeitungen, Bilder, Kalender, Annalen, Chroniken, Biographien, Memoiren). Aber diese Quellen allein genügen dem Geschichtschreiber noch lange nicht, um uns vergangenes Leben ohne weiteres darstellen zu können. Wir wissen heute aus der Psychologie, daß gerade den Quellen durchaus nicht jener unbedingte Wert zukommt, den man ihnen vielfach zugemessen hat. Auffassungs- und Aussagetypus, Gedächtnisleistung, Gefühls- und Willenstypus erklären es uns, warum Berichte von Augen- und Ohrenzeugen in der Beurteilung und Übermittlung von geschichtlichen Geschehnissen nicht ubereinstimmen. Diese Tatsache fordert vom Geschichtschreiber zunächst eine scharfe V e r s t a n d e s a r b e i t ; er muß fürs erste die Quellen, Denkmäler und Überreste auf ihre Echtheit prüfen, sie untersuchen auf ihren Ursprung, ihre Voraussetzung, ihre Glaubwürdigkeit, ihren Zusammenhang mit ähnlichen Angaben, Falsches oder Schiefes ausscheiden, kurz die Quellen deuten (interpretieren). Dazu bedarf er eines großen Apparates von Hilfswissenschaften (Schriftkunde, Sprachenkunde, Siegel- und Wappenkunde usw.). Nach diesen sehr schwierigen Vorarbeiten kann er erst dazu schreiten, den geschichtlichen Vorgang oder die geschichtliche Persönlichkeit zu g e s t a l t e n (konstruieren). Dazu ist notig, daß sich der Geschichtsschreiber in das Wesen des geschichtlichen Vorgangs oder der geschichtlichen Persönlichkeit einfühlt, die typischen Elemente zu Gesamtvorstellungen verdichtet, Fehlendes durch Ähnlichkeitsbildung ersetzt, den inneren Zusammenhang herstellt, so daß sich der Leser von den geschichtlichen Vorgängen ein klares Bild machen kann. Der Geschichtsschreiber muß also nicht nur wissenschaftlicher Forscher und Beurteiler sein, der Stoffe sammelt, prüft und deutet, er muß auch Künstler sein, der »aus den Blöcken der geschichtlichen Tatsachen die Statuen heraushaut«. c) Aus diesen Überlegungen geht hervor, daß es r e i n s a c h l i c h e G e s c h i c h t s d a r s t e l l u n g e n im Sinne der Naturwissenschaften nicht geben kann. Der Geschichtsschreiber kann sein eigenes Ich bei seiner Arb.it nicht ausloschen; er ist an die besondere Art seines Auffassens, Fühlens und Wollens ebenso gebunden wie an den »Geist seiner Zeit«; die G, staltung seiner geschichtlichen Arbeit hängt hiervon ab. So erklärt sich denn auch die Tatsache, daß gewisse Geschichtsschreiber für gewisse Stoffe eine besonders günstige Begabung haben; so kann es auch der Fall sein, daß spätere Geschichtsschreiber von früheren Persönlichkeiten und Zuständen ein treffenderes Bild geben können als zeitgenös-

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I. Bedingungen eines zeitgemäßen Geschichtsunterrichtes.

sische Quellenberichte. Denken wir noch d a r a n , d a ß ein u n d dieselbe Sache von verschiedenem S t a n d p u n k t e aus dargestellt werden k a n n , vom katholischen oder p r o t e s t a n t i s c h e n , vom partikularistischen oder nationalen u. dgl., so begreifen wir, w a r u m es u n b e d i n g t sachliche Geschichtsschreiber nicht geben k a n n ' »Was wir wollen ? Die Dinge der Vergangenheit so sehen, wie sie wirklich waren, in ihrer eigenen Farbe, mit ihren eigenen Voraussetzungen. Als ob wir nicht auch wußten, daß wir uns dabei von den Farben und Voraussetzungen unserer eigenen 7 » 7,5 mm »

Der Schönschreibunterricht.

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1 : 3 : 5 und für lateinische Schrift 1 : 2% : 4. Bei den Schleifen sei der Querdurchmesser gleich der Höhe eines Grundbuchstaben und beim Oval verhalte sich die große zur kleinen Achse wie 3 : 1. bb) Parallelismus. Sowohl bei der Schrägschrift, bei welcher Buchstabengrundstrich und Zeilenrichtung einen nach rechts geöffneten »Schrift«-Winkel von 50 bis 60° bilden sollen, als bei der Steilschrift, bei der als Folge der Parallellage von Schreibzeile und Tischkante Grundstrich und Zeilenrichtung einen nahezu rechten Winkel bilden, ist es wesentliches Erfordernis einer regelmäßigen Schrift, daß alle Grundstriche im gleichen Winkel liegen, also unter sich parallel gerichtet sind. b) Die S c h r i f t z e i g e Gefälligkeit. Diese setzt Regelmäßigkeit, Natürlichkeit und Deutlichkeit voraus und bedeutet einen Fortschritt zum Darstellen des S c h ö n e n . Sie beruht vornehmlich auf der E i n f a c h h e i t , auf der sorgf ä l t i g e n , e b e n m ä ß i g e n D a r s t e l l u n g der L a n g - , R u n d und P u n k t s c h l e i f e n , auf der V e r t e i l u n g von L i c h t und S c h a t t e n und dem a l l m ä h l i c h e n Ü b e r g a n g e von jenem zu diesem und umgekehrt. c) Die S c h r i f t z e i g e Schnelligkeit oder Handlichkeit; sie sei f l i e ß e n d , g e l ä u f i g , g e w a n d t , n a t ü r l i c h . Eine g e l ä u f i g e Schrift beruht auf der leichten Verbindung1) der Bestimmt ist Lineatur 1 für die deutsche Schrift im 1. Schuljahre, » la » » lateinische Schrift bis zum 5. Schuljahre einschließlich, » 2 » » deutsche Schrift im 2. und 3. Schuljahre, » 3 » » deutsche Schrift im 4. und 5. Schuljahre, » 4 » » lateinische Schrift vom 6. Schuljahre an, » 4a D » deutsche Schrift vom 6. Schuljahre an, » 5 » Rechenhefte. II. Bei den S c h u l w a n d t a f e l n sollen die Lineaturen in ihren Maßverhältnissen mit den angegebenen Lineaturen für die deutsche Schrift übereinstimmen, jedoch in zehnfacher Vergrößerung, so daß die Abstände nach cm statt nach mm zu bemessen sind. Die Linienstärke soll 2 mm betragen. 1 ) »Schon frühe sind die Schüler an ein zusammenhängendes Schreiben, insbesondere daran zu gewöhnen, daß sie die Zutaten zu einzelnen Buchstaben (U-Schleife, I-Tupf etc.) erst nach Vollendung des ganzen Wortes setzen.« (Sch. u. L. O. d. Pf., S. 105.)

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Kunstfertigkeiten.

Buchstaben, schließt alles Steife, Schwerfällige, Hakige und Eckige aus und erweckt den E i n d r u c k d e r m ü h e l o s e n , l e i c h t e n H e r s t e l l u n g . Sie geht aus der physiologischen Beschaffenheit der Hand hervor und erscheint als Folge vielfacher Ü b u n g ; sie soll sich schließlich als C h a r a k t e r s c h r i f t darstellen, welche bei aller Mannigfaltigkeit dem Gesetze Untertan ist und unmotiviertes, unbeständiges W e c h s e l n der Schriftformen v e r m e i d e t . (Weier, Midjael!) 1 ) B. Voraussetzungen zur Erreichung einer schönen Schrift.

a) Z w e c k m ä ß i g e s Schreibmaterial! S c h i e f e r t a f e l und - S t i f t — erst etwa 100 Jahre im Ge brauch — haben sich trotz der gegen ihre Verwendung vorgebrach ten beachtenswerten Gründe2) bis heute als Schreibmaterial für den ersten Schulunterricht behauptet. S c h w e r f ä l l i g k e i t der H a n d , die eine Folge zu starken Druckes beim Abstriche ist, suche man außer durch Anstellung gewisser Übungen dadurch zu verhüten, daß man n i c h t zu h a r t e und n i c h t zu kurze Griffel verwenden läßt ( F a b e r s t i f t e und mattschwarze Fabertafeln!), bei der Schieferschrift die D r u c k a n w e n d u n g v e r b i e t e t und möglichst früh zum Tintenschreiben übergeht. P a p i e r und B l e i s t i f t , die freilich bei P r i v a t u n t e r r i c h t vorzuziehen wären, sind für den Anfangsschreibunterricht in Volksschulen weniger bequem und zu teuer. — Im eigentlichen S c h ö n s c h r e i b u n t e r r i c h t e — gewöhnlich vom 2. Schuljahre an — kommen Stahlfeder 3 ) und H a l t e r , T i n t e , B l e i s t i f t und P a p i e r zur Verwendung, die von gleichmäßiger Güte sein sollen. Als F e d e r n verwende man in den ersten Jahren F (fein), in den Oberklassen vielleicht EF (extrafein); MF (mittelfein) eignet sich für grobes Papier. Die gebrauchte Feder ist mit einem Läppchen abzuwischen. Der H a l t e r sei mittelstark, nicht zu glatt (also nicht aus Metall, Glas und Hartgummi) und möglichst leicht, der B l e i s t i f t gut gespitzt, weich und *) Die K l a r h e i t der Schrift ergibt sich aus der G e s c h i c h t e (jeder Buchstabe soll die überlieferten wesentlichen Bestandteile enthalten), die G e f ä l l i g k e i t aus der Ä s t h e t i k und die S c h r e i b s c h n e l l i g k e i t aus der P h y s i o l o g i e . a ) J a n k e hebt im Art. »Schreiben und Schrift« in Rein, Enzyklop. Handb. d. P. VII 2, S. 783 ff, die päd. Nachteile des Schiefertafelschreibens hervor. — Aus hygienischen Gründen sollen die Linien parallel mit der Schmalseite der Tafel laufen. •) Erfunden 1808 von dem Lehrer B ü r g e r s in Königsberg i. Pr.

Der Schönschreibunterricht.

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doch wenig abfärbend. Die T i n t e soll schwarz sein und leicht aus der Feder fließen. Das drahtlose H e f t enthalte die der jeweiligen Lernstufe entsprechende L i n e a t u r auf holzfreiem, mindestens 14pfündigem 1 ), gut geleimtem, nicht zu glattem Papier. Mit »pedantischer« Strenge halte der Lehrer darauf, daß das Schreibheft, dem ein sauberes L ö s c h b l a t t aus gutem Fließpapier beigefügt sein soll, r e i n l i c h und s o r g f ä l t i g geführt werde. Weiß der Lehrer den Schülern den B e z u g von g u t e n S c h r e i b m a t e r i a l i e n zu sichern, so erspart er sich und den Kindern viel Verdruß 2 ). Freilich muß er sich dabei von jedem »Geschäft« frei halten. Als »Übungshefte« verwende man bereits ausgeschriebene gute Hefte. b) Richtige Körperhaltung! Sie ist nötig wegen des angestrebten L e h r e r f o l g s und wird gefordert von der Gewissenspflicht die G e s u n d h e i t des Schülers vor Schädigung zu bewahren. D a r u m : 1. R i c h t i g e , n a t ü r l i c h e R u m p f - u n d K o p f h a l t u n g l D a s R ü c k g r a t des Schülers, also auch der g a n z e O b e r - , k ö r p e r , dessen Breitenachse parallel zum Tischrande gerichtet sei, zeige nahezu senkrechte, das Kreuz eine mäßig hohle Haltung. Der Kopf sei leicht nach vorne geneigt, so daß das Auge von der Schreibfläche 25 bis 35 cm entfernt ist. Die starke Vorbeugung des ganzen Oberkörpers, verbunden mit großer Annäherung des Auges an die Schrift, beeinträchtigt die Tätigkeit der Brust- und Bauchorgane und schwächt die Sehkraft. Dabei ist von Wichtigkeit die Beschaffenheit von S i t z und T i s c h . Die Größe der B a n k , welch letztere die wünschenswerte »Mmusdistanz« ermöglichen soll, entspreche der Körpergröße des Schülers, so daß Ober- und Unterschenkel ungefähr einen rechtcn Winkel bilden, beide Füße fest aufgestellt und die Unterarme bis nahe dem Ellenbogen in der Schreiblage bequem auf den Tisch gelegt werden können. Bei Bänken mit »Null-« oder »Plusdistanz« muß der Schüler ein wenig vorrücken. Die Tischplatte soll schräg sein (Neigung 1 / 6 der Breite), damit sich der Kopf, der g e r a d e a u s auf d a s H e f t h e r a b b l i c k e n soll, nicht zu weit nach vorne zu senken braucht. In angemessenen Zeiträumen ermögliche man eine Ruhelage für die Rumpfmuskeln durch Benutzung zweckmäßig geformter Rücken« lehnen. ») 500 Bogen = 14 ) »Ein Mann, der recht zu wirken denkt, muß auf das beste Werkzeug halten.« (Goethe.) 2

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Kunstfertigkeiten.

2. R i c h t i g e A r m h a l t u n g l Von großer Bedeutung für die V e r h ü t u n g d e r s e i t l i c h e n A u s b i e g u n g d e r W i r b e l s ä u l e und der Verschiebung und E r h ö h u n g d e s l i n k e n S c h u l t e r b l a t t e s ist die richtige Haltung der A r m e . Die Oberarme seien auf Handbreite leicht an den Körper herangezogen und die Vorderarme so schräg gegeneinander gerichtet, daß die Hände unter einem rechten Winkel in der Mitte vor dem Körper zusammenstoßen. Insbesondere darf der Ellenbogen des l i n k e n Armes nicht zu weit vom Körper abstehen; 2 / s — 3 / 4 der Länge der b e i d e n Vorderarme ruhen auf der Tischplatte, die an der vorderen Kante etwas höher ist als der Ellenbogen des frei herabhängenden Armes. 3. R i c h t i g e H a n d - u n d F i n g e r h a l t u n g ! Der Federhalter, von der Zeigefingerspitze 3—4 cm hinter der Federspitze berührt, wird von der Innenseite des Daumens und dem linken Nagelrande des Mittelfingers gehalten und vom Zeigefinger l e i c h t bedeckt. Die bei aller Sicherheit ermöglichte Leichtigkeit der Federhaltung ist daran zu erkennen, daß der Federhalter mühelos aus der Hand gezogen werden kann. Die Feder ist so aufzusetzen, daß b e i d e Spitzen in gleicher Weise die Schreibfläche leicht berühren und der Spalt nach oben schaut. Um einen leichten, elastischen Druck zu ermöglichen, sind Z e i g e - und M i t t e l f i n g e r mäßig zu beugen; krampfhaftes Andrücken, i n s b e s o n d e r e d a s D u r c h b i e g e n des v o r d e r e n u n d z w e i t e n Z e i g e f i n g e r g l i e d e s n a c h u n t e n , i s t zu v e r m e i d e n ! Der D a u m e n ist mehr gekrümmt als die beiden anderen Schreibfinger und bewegt im Vereine mit diesen die Feder durch leichtes Ausbiegen ab- und durch Einziehen aufwärts. Der 4. und 5. Finger sind nur wenig gebogen und stützen mit der rechten Seite ihres Nagelgliedes leicht die Hand, deren innere Fläche nach links gerichtet ist. Die beiden stützenden Finger ermöglichen, indem sie an allen Bewegungen beim Schreiben teilnehmen — das A u f l i e g e n d e s K l e i n f i n g e r r a n d e s , d e r M i t t e l h a n d und d e s H a n d g e l e n k e s i s t d u r c h a u s zu v e r b i e t e n ! — zugleich eine leichte Fortbewegung der Hand und des Armes nach der rechten Seite. Vorderarm, Mittelhand und Zeigefinger liegen in einer geraden Linie und sind beim Schreiben so in linksseitiger Drehung zu erhalten, daß der Federhalter, der den vorderen Teil der Mittelhand linksseitig berührt, mit seinem hinteren Ende auf die rechte Schulter zu gerichtet ist. — Die Fingerspitzen der l i n k e n Hand belegen unten links die Schreibfläche und s c h i e b e n sie n a c h Bed a r f a u f w ä r t s . Dieses Hinaufrücken des Heftes (anfangs bei

Der Schönschreibunterricht.

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jeder neuen Zeile!) ist eine außerordentlich wichtige Übung. »Das Heft soll sich nach dem Körper richten.« (Händler, Lehrb. f. d. Schreibunterricht S. 14.) A n m e r k u n g . In engster Beziehung zur richtigen Körperhaltung stehen die richtige Heftlage und die Schriftrichtung, worüber übrigens die Ansichten der Sachverständigen lange geteilt waren. (Vgl. S. 297 Geschichte des Schönschreibunterrichts!) Allgemein wird jetzt die Mittellage 1 ) des Heftes gefordert, welche gleiche Schulterhöhe und gleichmäßige Anstrengung der Gesichtsorgane ermöglicht. Die R e c h t s l a g e 2 ) der Schreibfläche — und zwar sowohl die schräge als die gerade — ist also durchaus verwerflich. Die Heftlage richte sich immer nach dem rechten Arme, nie umgekehrt! Dagegen gestatten die einen l i n k s s c h i e f e Lage des vor der Körpermitte liegenden Heftes, falls S c h r ä g s c h r i f t gefordert wird, was zurzeit wieder gewöhnlich der Fall ist. Dabei werden, da Zeile und unterer Pultrand einen »Schreibwinkel« von 30 bis 40° bilden und Grundstrich und Zeilenrichtung einen solchen von 60 bis 50°, die Grundstriche nahezu senkrecht zum Rande des Tisches gezogen; denn die Augen visieren beim Schreiben auf die Grundstriche und die Augengrundlinie will sich senkrecht auf die Richtung dieser Striche stellen. Die anderen, die Vertreter der S t e i l s c h r i f t l a g e , verlangen, daß das Heft wagrecht liege, d. h. daß der untere Heftrand mit der Tischkante parallel laufe und daß die Buchstaben nahezu senkrecht auf der Linie stehen.

c) A u s r e i c h e n d e und z w e c k m ä ß i g e Übung! Jede Fertigkeit setzt zu ihrer Entstehung reichliche Übung, d. i. absichtliche Gewöhnung voraus. Dabei werden neben den Reihen von Sachvorstellungen auch zugleich Vorstellungsreihen von Tätigkeitsmomenten und Muskelempfindungen wiederholt reproduziert. Parallel einher geht die Ausführung der Bewegungsimpulse, so daß eine immer innigere Verbindung von Vorstellungs- und Tätigkeitsreihen zustande kommt und sich schließlich die Tätigkeit mehr oder weniger m e c h a n i s c h einstellt. — Um das Schönschreiben zu diesem Grade zu steigern und dabei insbesondere die Schrift klar, gefällig, fließend, handlich und gewandt zu gestalten, ist dem Schönschreiben die entsprechende Ü b u n g s z e i t — in Unterklassen gewöhnlich 3, später 2 Wochenstunden — einzuräumen. Bei sich erhöhender Bildungsstufe sollte sich der Schönschreibunterricht selbst immer mehr überflüssig machen. — Außer *) Bei der »Medianlage« befindet sich die Mitte der Heftseite genau vor der Mitte des Schreibenden. s ) Der linke Rand des Heftes befindet sich dabei rechts von der Mitte des Schreibenden

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Kunstlerti gkeiten.

der g e w ö h n l i c h e n Ü b u n g des Schreibstoffes dienen zur Erzielung der Kräftigkeit, Beweglichkeit und Freiheit von Finger, Hand und Arm z w e i n a c h d r ü c k l i c h h e r v o r z u h e b e n d e Veranstaltungen: 1. B e s o n d e r e Vorübungen d e r S c h r e i b o r g a n e . Sie haben die Grundbewegungen beim Schreiben und dessen physiologische Bewegungsgesetze zur Anwendung zu bringen und werden j e nach ihrer gymnastischen Bedeutung fleißig wiederholt. Die Übungen sollen durchaus in unmittelbarer, organischer Verbindung mit dem Schreiben der einzelnen Buchstaben und Wörter stehen und sollen, wenngleich sie sich als günstige Nachwirkungen von C a r s t a i r s Bestrebungen darstellen, die Abwege in des berühmten Schreibmeisters »Methode «, die im ganzen für den Volksschulunterricht abzulehnen ist, vermeiden (vgl. S. 296 »Geschichte!«). Der Übung der Schriftformen auf dem P a p i e r — wobei aus Ersparungsgründen beschriebenes Papier verwendet werden kann ( P r o b i e r h e f t e ! ) — haben rhythmische Übungen in der L u f t , welche die Vorschrift verinnerlichen, voranzugehen. — D i e t l e i n empfiehlt in seinem »Wegweiser für den Schreibunterricht« folgende Übungen : a) R e i n e F i n g e r b e w e g u n g m i t f e s t s t e h e n d e r Hand. — Der Lehrer kommandiert: streckt! beugt! Stoff liefern die Grundbuchstaben. b) ,Reine F i n g e r b e w e g u n g e n m i t s t e t e r F o r t b e w e g u n g des Armes und der Hand. — Bei den Aufstrichen gleiten Hand und Arm weiter; das Handgelenk bewegt sich dabei nicht; bei den Abstrichen ruht die Hand. —• Kommando: übt! ruht! oder fort! ab! Übungsstoff: Grundbuchstaben und daraus zu bildende Silben. c) Ü b u n g e n zur B i l d u n g des H a n d g e l e n k e s . Bei ruhiger Lage des Vorderarmes gleitet die Hand weiter und die Schreibfinger folgen den von der Handwurzel ausgehenden Bewegungen. Stoff: Buchstaben mit Ober- und Unterlängen. d) Ü b u n g e n zur E r z i e l u n g der A r m b e w e g l i c h k e i t . — Bei ganz freiem Arme oder die Hand nur ganz leicht gestützt, werden die in großer Dimension zu schreibenden Buchstaben zeilenweise in wagrechter und s e n k r e c h t e r Richtung verbunden. (Näheres bei D i e t l e i n a. a. 0.)

315

Der Schönschreibunterricht.

Eine besondere Bedeutung für Schreibfertigkeit und Handhaltung kommt den »Zugübungen« zu, die deshalb auf allen Stufen fleißig und methodisch zu üben sind. »Von größtem Werte für alle Stufen ist das Schwingen, das bequeme Fingerbeugen, die Fortbewegung, das Rollen (Eirund), die Unterbrechung des Rollens, der Rollwechsel, die rhythmische Teilung, das Ausholen und das Schwungnehmen... Es sind Übungen, bei denen sich Bewegungsempfindung und Formenvorstellung verbinden« usw. ( H ä n d l e r , a. a. 0. S. 73 ff.). Auch den schwierigen Buchstabenverbindungen (z. B. t J, oi, — wi, zs) ist ein besonderes Augenmerk zuzuwenden. 2. Das Taktschreiben. a) Der hervorragende W e r t dieser Schreibweise wird von den Pädagogen fast übereinstimmend anerkannt. Sie stellt die Schreibtätigkeit aller Schüler einer Klasse unter den regelnden Einfluß eines festgefügten Rhythmus und ist so in t e c h n i s c h e r H i n s i c h t für die Anbildung der erwähnten Eigenschaften einer guten Schrift ein schwer zu ersetzendes Mittel. Das Taktschreiben sichert die Einprägung durch Assoziation von F o r m e n - u n d Z a h l e n r e i h e , übt die Schreibglieder in gesetzmäßiger, gewandter Bewegung und sichert den Unterrichtsfortschritt, indem es die Schüler an gleichmäßiges, kräftiges, schnelles und sorgfältiges Schreiben gewöhnt. Es zieht den langsamen Schüler vom umständlichen »Malschreiben« der Buchstaben ab und ordnet die flüchtige, ungleichmäßige Tätigkeit des überlebendigen. — Der e r z i e h l i c h e N u t z e n des Taktschreibens kommt dem schreibtechnischen gleich. Es ermöglicht Massenunterricht, indem es die Kinder, die ohnehin allem taktmäßigen Tun ein natürliches Interesse entgegenbringen, in gleicher Weise b e s c h ä f t i g t . Es gewöhnt an ausdauernde Aufmerksamkeit und »Unterordnung unter eine höhere Instanz«, erweckt zugleich die Gefühle der Leichtigkeit und des Gelingens, erhöht das Selbstvertrauen und stärkt das Klassenbewußtsein 1 ). — D e r L e h r e r v e r w e n d e d a h e r d a s T a k t s c h r e i b e n auf allen S t u f e n d e s S c h ö n s c h r e i b u n t e r r i c h t s ; durch zweckmäßigen Betrieb desselben wird auch der Schüler der O b e r k l a s s e noch seinen Nutzen in l

) Gesetz und Ordnung durchdringen alle, auch die unscheinbarsten Verrichtungen beim Taktschreiben! (Nach Scheller, »Schreibunterricht«. a a. O ) B ö h m , Prakt. E r z i e h u n g s - u . Unterrichtslehre. I I I . Bd. 13. Aufl.

25

316

Kunstfertigkeiten.

der Zunahme der Schriftanmut, Schreibflüssigkeit und Schreibschnelligkeit erfahren. b) Über die A u s f ü h r u n g d e s T a k t i e r e n s gehen die Meinungen ziemlich auseinander. Nach W e g e n e r kann man fünf hervorhebenswerte Weisen unterscheiden. 1. E b e n s p e r g e r , der den Takt durch Metronom1), Pendel oder Zählen bestimmt wissen will, gibt jedem Grundstrich 2 Zeiten : 3, 1, 2, 3! — 2. D i e t l e i n zählt, wie auch Strahlendorff und Schreuer, nur die »Stärken«, den Aufstrich nicht2). Als höchste Taktteilzahl setzt er 10. —

: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 1, 2, 3! —

Andere zählen fortlaufend bis zum Wortschlusse. 3. S c h r ö d e r fängt bei jedem Buchstaben mit dem Zählen von vorne an und bedenkt Ab- und Aufstrich mit je einem Zeitteil. — s t M T F - : 1, 2, 3, 4, 5, 6! — 1, 2, 3, 41 — 1, 2, 3, 4, 5, 6, 71 — 4. Sellner befürwortet, jeden Aufstrich mit 1 und jeden Abstrich mit 2 zu zählen und nur beim ersten Auf- und Abstrich eines neuen Buchstaben statt 1, 2! den Namen des Buchstaben und »ein« zu setzen — ^ J O ^ i / ^ ^ : ein 1, 2, 1, 21 ein s W 1, 21 ein S l f f 1, 2, 1, 2, 11 Das e i n f a c h s t e V e r f a h r e n besteht darin, daß man jeden Aufstrich auf 1 und jeden Abstrich auf ein stark betontes 2 zählt, (wofür man in unteren Klassen auch: auf, ab! setzt); also sHi?-. 1

) Gegen die Verwendung des Metronoms, das auch S c h w o c h o w empfiehlt, spricht mancherlei, vornehmlich der Umstand, daß die ungleich langen Schriftzüge verschieden lange Taktteile erfordern. Hauptsache ist, daß überhaupt und genau im Takte gezahlt und wirklich geschrieben wird und in e i n e r Schule nur nach einer Weise. — Bei zunehmender Schreibtechnik wird die Taktierweise vereinfacht und beschleunigt. 2 ) Ähnliches verlangt auch die pfälz. Sch. u. L.O. im Lehrplan f. d. Schönschreiben der 2. Kl.: »Bei jedem einzelnen Buchstaben ist ein Teil der Schreibübungen im Takte auszufuhren, wobei nur die G r u n d s t r i c h e gezählt (1, 2, 3 . . . 10), die Haarstriche aber mit »und« bezeichnet werden.« Später (in der 3. und 4. Kl.) fällt das »und« weg.

317

Der Schönschreibunterricht.

1, 2, 1, 2, 1, 2! Da es am raschesten und leichtesten erfaßt wird und den Rhythmus wirksam zur Geltung bringt, ist es für die Unterstufe das empfehlenswertere. — Ein Verfahren, bei dem nur G r u n d s t r i c h e gezählt werden und das die klare U n t e r s c h e i d u n g der Buchstaben beim Vorstellen und Schreiben dadurch erleichtert, daß man bei jedem n e u e n Buchstaben wieder mit 1 zu zählen beginnt oder den Buchstaben n e n n t (also eine Kombination von der Weise unter 2 und 31) — ein solches Verfahren verdient bei f o r t g e s c h r i t t e n e r e n Schülern, welche Wörter taktmäßig zu schreiben haben, den Vorzug — ^ U ^ H ^ oder: e i n ^ ^

1, 2! ein

: 1, 2, 3! — 1, 2! — 1, 2, 3!

1! ein

1, 21 — Ü b r i g e n s

soll alles T a k t s c h r e i b e n d u r c h A u s p r ä g u n g des r h y t h mischen F ü h l e n s sich mit der Zeit selbst ü b e r f l ü s s i g machen. C. Das Lehrrerfahren.

a) Im allgemeinen. Einen methodisch wertvollen Schönschreibu n t e r r i c h t charakterisieren folgende H a u p t m e r k m a l e : 1. Der analytisch-synthetische ( g e n e t i s c h e ) Lehrgang. Im Lesen und Schreiben vollzieht sich überhaupt die erste Analyse der Sprache; auch der Schreibunterricht geht diesen Gang. — Ist die Lernaufgabe klar erfaßt, so schreibt ein Schüler den ihm schon bekannten Buchstaben an die Wandtafel; die taktvolle sachliche Besprechung desselben durch die Schüler läßt die Notwendigkeit e r n e u t e r Übung einsehen. Hierauf schreibt der Lehrer weithin sichtbar und musterhaft das ganze Lautzeichen vor und leitet die Schüler an zur klaren Erkenntnis der in demselben verbundenen Schrifte l e m e n t e ; diese werden sodann vom Lehrer einzeln vorgeschrieben, von den Schülern mit gesteigerter Aufmerksamkeit angeschaut, beschrieben und benannt (Verdeutlichung!) um hierauf einzeln zuerst in der Luft, dann auf dem Papiere geschrieben zu werden. Nach Angabe der Schüler verbindet jetzt der Lehrer vor den Augen der scharf hinsehenden Kinder durch zusammenhängendes Vorschreiben die Buchstabenteile zum g a n z e n Buchstaben, der nun durch Hervorhebung von Namen, Lage, Größe und Entfernung der Teile beschrieben und n a c h V o r s c h r i f t — wie vorher die Teile — erst langsam, später etwas rascher geübt wird. Ist die Einreihung des 25*

318

Kunstfertigkeiten.

dargebotenen Buchstaben in seine Familie (bei vorhandenem genügenden Vergleichungsstoff) erfolgt und die völlige Erfassung desselben durch Hervorhebung seiner charakteristischen Züge gesichert, so wird er u n a b h ä n g i g von der Vorschrift — auch t a k t m ä ß i g — geübt, worauf sich auf höheren Stufen das Schreiben von besprochenen Wörtern, Sätzen, Formularen usw. anschließt. Die u n t e r r i c h t l i c h e B e h a n d l u n g e i n e s B u c h s t a b e n a l s einer » m e t h o d i s c h e n E i n h e i t « u m f a ß t also im a l l g e m e i n e n die Stufen 1. A u f f a s s u n g und D a r s t e l l u n g der F o r m (Vorbereitung und Darbietung): a) Anschrift des Schülers, b) Anschrift des Lehrers, c) Erfassung und Nachbildung (Übung) der Buchstabenelemente, d) Verbindung der Elemente und Beschreibung und Ü b u n g des Buchstaben; 2. (gegebenenfalls) E i n o r d n u n g des B u c h s t a b e n (Vergleichung und Zusammenfassung); 3. A n w e n d u n g : a) Übung ohne Vorschrift und im Takte, b) Verwendung der zu übenden Buchstaben im Dienste anderer Fächer. 2. G e e i g n e t e r W e c h s e l der Lehrformen. Die Vorherrschende Lehrweise ist das »vormachende« (deiktische) Verfahren. Es kann dem Schreiblehrer die Forderung m u s t e r g ü l t i g e n V o r s c h r e i b e n s nicht erlassen werden. Aus naheliegenden Gründen m ü s s e n a u c h alle V o r s c h r i f t e n hins i c h t l i c h der S c h r i f t z ü g e ü b e r e i n s t i m m e n 1 ) , weshalb der Lehrer die Heftvorschriften womöglich selbst vorschreibt. ( E i n h e i t l i c h e r D u k t u s in e i n e m S c h u l o r g a n i s m u s ! ) Übrigens entheben die Vorschriften in den Schülerheften ihn nicht der Pflicht eine Wandtafelvorschrift zu geben. NB. Gründe für und gegen eine genau f ü r e i n e Z e i l e n l ä n g e bemessene Vorschrift?

Wenn neben dem »Vormachen« auch zuweilen das »Vortragen« Verwendung findet, so wird doch die angestrebte intellektuelle und sprachliche Bildung der Schüler mehr ge*) Vgl. die bayer. Schriftmuster in der Beil. zum Kultus-M.-Bl. 1909, Nr. 291

Der Schonschreibunterricht.

319

fördert, wenn diese recht häufig Entwicklungs- und Zusammenfassungs-Fragen über Größenverhältnisse, Formen der Lautzeichen usw. zu beantworten haben. ( L e h r g e s p r ä c h ! ) Selbstverständlich ist d i e » B e s p r e c h u n g « k u r z zu h a l t e n u n d d i e H a u p t z e i t auf d i e S c h r e i b ü b u n g zu v e r w e n d e n . 3. Z i e l b e w u ß t e Korrektur und zähe Ausdauer in der Bekämpfung und Verbesserung der Fehler. Wie die »Darbietung« des Schreibstoffes an der Wandtafel und die gleichzeitige, gemeinsame Einübung desselben dem Unterrichte den Charakter eines Z u s a m m e n u n t e r r i c h t e s verleihen, so soll auch die unter Mitwirkung der ganzen Klasse erfolgende K o r r e k t u r das Gefühl gemeinsamer Tätigkeit stärken. Schon bei der Besprechung der Schriftelemente wird durch p ä d a g o g i s c h t a k t v o l l e n H i n w e i s auf die erfahrungsgemäß häufig auftretenden Regelwidrigkeiten in den Buchstabenformen mancher Verfehlung vorgebeugt. Diese Regelwidrigkeiten können bestehen in Verstößen gegen die Form, Richtung, Stärke und Verbindung der Buchstaben. Hat dann der kontrollierende Lehrer, d e s s e n Auge auch für den k l e i n s t e n Fehler scharf sein soll, doch bemerkenswerte Fehler entdeckt, so schreibt er die mißglückte Form an, läßt das Verkehrte daran deutlich erkennen und trägt zur scharfen Erfassung des Unterschieds die richtige Form auf die falsche, worauf das Unrichtige weggelöscht und die richtige Vorschrift weiter geübt wird. Im Notfalle wiederholt sich die Korrektur; doch berücksichtige man die Kraft des Schülers und v e r w e n d e auf die Ü b u n g mehr Zeit als auf die k r i t i s c h e n Beurteilungen. »Schreiben muß schreibend gelehrt werden« und »Übung m a c h t den Meister!« — Neben die Massenkorrektur tritt die E i n z e l k o r r e k t u r in der Klasse. Der Lehrer berichtigt die in Schülerheften vorkommenden Fehler mit roter Tinte, zu welchem Zwecke er sämtliche Schüler oder nur die mangelhaft schreibenden an das Lehrerpult treten läßt. Aber auch die regelmäßig und nach kurzer Zeit vorzunehmende h ä u s l i c h e Korrektur darf nicht fehlen, damit dem Unterricht nicht zu viel Zeit entzogen wird. 4. M u s t e r h a f t e Disziplin. Eine gute Schuldisziplin des wachsamen Lehrers hält in Ansehung des Schreibunterrichts auf allseitig korrekte Körperhaltung und Heftlage, auf befriedigenden Stand der Schreibmittel und insbesondere auf sorgfältige Behandlung der Tinte; sie verlangt ferner in bestimmter Weise gleichzeitiges, möglichst geräuschloses Aufnehmen undWeg-

320

Kunstfertigkeiten.

legen der Schreibgeräte, eine feste Ordnung beim Austeilen und Einsammeln der außer dem Schreibunterricht im Schulschranke aufzubewahrenden Hefte, verhindert zu enges Sitzen usw. Die r e c h t e S c h r e i b g e w ö h n u n g s o l l t e in den e r s t e n 3—4 S c h u l j a h r e n zu e i n e r »zur a n d e r n N a t u r « gew o r d e n e n S c h r e i b o r d n u n g f ü h r e n , welche die Erreichung des in Frage stehenden Lehrzweckes gewährleistet. — Anderseits ist aber das Schönschreiben und vornehmlich das T a k t s c h r e i b e n ein vorzügliches Mittel zur Herstellung einer guten Disziplin. Freilich ist dies nur dann der Fall, wenn der Lehrer, der zwar stets das der Bildungsstufe des Schülers angemessene Schreibtempo angibt, aber beim Zählen sich später durch einen Schüler oder eine bestimmte Gruppe von Schülern ablösen läßt, die ganze Klasse durch sein präzises Ankündigungs- und Ausführungskommando v o l l s t ä n d i g b e h e r r s c h t u n d die K i n d e r zu a u s n a h m s l o s e m a u f m e r k s a m e n M i t a r b e i t e n b e s t i m m e n kann 1 ). Zuweilen kann während der Schreibstunde die physische und psychische Kraft des Schülers durch kurze, g e e i g n e t e t u r n e r i s c h e F r e i ü b u n g e n aufgefrischt werden. Einen gegründeten Schluß nicht nur auf den Stand der Schreibfertigkeit sondern auch auf die Art der Disziplin gestatten außen und innen sauber gehaltene Hefte, die das »Gesicht d e r Schule« sind2). In der Mittel- und Oberklasse ist jeder Schönschreibübung das Datum beizusetzen. Die Beachtung der vorstehenden methodischen K e r n p u n k t e setzt voraus die Befolgung der didaktischen Kardinalforderung: 5. G e w i s s e n h a f t e Vorbereitung. In das Bereich derselben ist zu ziehen: a) Die t h e o r e t i s c h e Beherrschung des Schreibstoffes. Vorausgesetzt wird also die Übersicht über die Grundformen, die Elemente der Buchstaben und deren technische Benennung, die Kenntnis der Buchstabenfamilien in den verschiedenen Alphabeten und die der genetischen Buchstabenreihen; ferner das genaue Studium der einzelnen Lautzeichen nach Teilen, SchattieWeitere Regeln (151) über das Taktschreiben bei Dietlein a. a. G. ) Wenn die Schüler mit einer fürs Leben brauchbaren Handschrift die Schule verlassen sollen, ist eine auch außerhalb der Schönschreibstunde gewissenhaft betätigte » S c h r e i b p f l e g e « notwendig. 2

Der Schönschreibunterricht.

321

rung, Lage, Größenverhältnissen, naheliegenden Mißbildungen und vornehmlich das des Baues und der »Lebensverrichtungen« der Schreiborgane und der p h y s i o l o g i s c h e n G e s e t z e , nach denen die »Grundbewegungen« des Schreibens vor sich gehen. Auch der Einblick in die Forderungen, die sich aus der V e r w e n d u n g d e r e l a s t i s c h e n S t a h l f e d e r ergeben, darf dem Lehrer nicht fehlen 1 ). »Kenntnis der Gesetze der Schrift befähigt erst, auf die Anforderungen an eine gute Handschrift aufmerksam zu machen.«

ß ) Die p r a k t i s c h e Vorbereitung wird sich vornehmlich auf das f ü r manchen angehenden Lehrer durchaus nicht unnötige Vorüben im Wandtafelschreiben zu erstrecken haben. Dabei verwende m a n die reine, weiche Champagnerkreide, die der Stück- oder Blockkreide vorzuziehen ist. — Selbstverständlich soll die Schrift des Lehrers stets mustergültig sein. y) Von besonderer Wichtigkeit ist die Zurechtlegung eines die Forderung der pädagogischen K o n z e n t r a t i o n berücksichtigenden, detaillierten L e h r p l a n e s . Die Vorbereitung auf die einzelne Lehrstunde wird sich um so gründlicher gestalten, je mehr sich der Lehrer durchdringen läßt von dem Gedanken, daß nicht bloß das — allerdings als Hauptziel vorschwebende — S c h r e i b e n k ö n n e n sondern auch das S c h r e i b e n l e r n e n einen hohen Bildungswert hat. — Ein richtig betriebener Schreibunterricht nimmt die Kraft der Schüler und des Lehrers vollständig in Anspruch und das V o r u r t e i l , d a ß Schreibstunden gewissermaßen E r h o l u n g s s t u n d e n seien, ist e n t s c h i e d e n abzuweisen. b) Das Lehrverfahren im besonderen. Lehrprobe (teilweise skizziert). — (2. und 3. Schuljahr.) Ziel: W i r s c h r e i b e n h e u t e d a s k l e i n e d e u t s c h e Näheres darüber in dem sehr beachtenswerten Werke »Die T e c h nik der Feder« v. G. Lang, München, Oldenbourg 1905. — Auch die Fälle i n d i v i d u e l l e r B e s o n d e r h e i t e n in der Art der Schreibbewegung bei seinen Schülern soll der Lehrer kennen. — Vgl. Lobsien a. a. O., S. 64, und den Artikel »Schrift und Individualität bei Kindern« von Ufer in Reins Enzyklop. Handb. d. Päd., S. 798 ffl 2 ) Vorausgesetzt ist die Behandlung der Buchstaben 3E2Zü*

IZ ~Z

s t » / • ~ t - P t r - • — D i e L i n e a t u r b e s t e h t in D o p p e l l i n i e n m i t 6 — 3 — 6 mm E n t f e r n u n g

322 und

Kunstfertigkeiten. I. Auffassung und Darstellung Darbietung.) a) A n s c h r i f t d e r S c h ü l e r .

so gut es geht, einige ^ y

der Form. Mehrere

(Vorbereitung Schüler

schreiben,

~ an die Wandtafel. — Was gefällt

euch nicht d a r a n ? — ( S t a t t ^ t ^ -Strich linker Seitenbogen; der lange Aufstrich liegt zu schräg; Schleife eckig usw.) Ü b e r g a n g :

£

das

m ü s s e n wir a l s o genauer k e n n e n l e r n e n . b) A n s c h r i f t d e s L e h r e r s : Der Lehrer schreibt den Buchstaben groß und deutlich in die Lineatur der Wandtafel, die bei lOfacher Vergrößerung (1 mm = 1 cm) der des Schulheftes entspricht. Die Schüler verfolgen genau die schreibende Lehrerhand und schauen den geschriebenen Buchstaben scharf an, während sie sprechen: „ D a s ist ein kleines deutsches c) E r f a s s u n g und Nachbildung der Buchstabenelemente. 1. Z e r l e g e n d e s B u c h s t a b e n . Wir wollen uns einmal die Teile des

ansehen 1 Zeige den 1. Teil! In welchem bekann-

ten Buchstaben kommt er vor ? ( ^ t ^ Strich).

Zeige den 2. Teil!

) Wie heißt dieser Teil ? (C-

Welche Richtung und Form hat e r ?

Wie kann man ihn deshalb heißen? (Rechts gebogener Aufstrich.) In welchen Buchstaben, die schon geübt wurden, kommt er vor ? [ )• Zeige den neuen Teil ? Welche Form hat er ? (Ringelchen, Schleife). Nach welcher Seite gezogen? Name? (Linke Schleife.) Nenne die 3 Teile! Wie viele Grundstriche? Wie viele Haarstriche ? Ich will die einzelnen Teile schreiben. Gib sie mir a n ! — Der Lehrer schreibt die 3 Elemente gesondert an / f

ZL TL y

und läßt sie genau betrachten und benennen.

2. V e r d e u t l i c h u n g u n d Ü b u n g d e r T e i l e . aa) Der G-Strich ( ^ t ^ ), der schon wiederholt •wurde, wird kurz besprochen und geübt.

behandelt

Der Schönschreibunterricht. bb) Der r e c h t s g e b o g e n e A u f s t r i c h .

323 Wie heißt der 2. Teil ?

Aus welcher Form mag der entstanden sein ? — Was habe ich angezeichnet ? (Der Lehrer hat ein Eirund angezeichnet.) f j zeigt, wo unser Bogen darinnen steckt ? wollen ihn herausschneiden.

Wer

Wie weit reicht er ? Wir

Zeige die Schnittpunkt e ! (Ein Schüler

schneidet den gebogenen Haarstrich heraus- — 2(,/ - —und der Lehrer löscht den linken Bogen weg.) Was wurde mit dem Eirund vorgenommen? Welcher Zug des ist so entstanden? Wie ist er im Vergleich zur Länge gebogen ? (Wenig.) Wie darf er nicht gebogen sein ? (Er darf nicht zu stark gebogen sein.) Welche Form (Kreide!) darf er aber äuch nicht haben? (Gerade Steilrichtung.) Der Lehrer schreibt solche verfehlte Formen an, w i s c h t sie a b e r g l e i c h wieder ab. ( G r u n d ? ! ) Welchen Teil haben wir eben besprochen? Beschreibe ihn! ( Z u s a m m e n f a s s u n g . ) Übt den rechts gebogenen Aufstrich! Feder in die Hand! Arm vor: (Die Schüler deuten mit der Federspitze auf die Vorschrift.) Übt in der Luft! 1! 1! (Der Lehrer überfährt gleichzeitig den vorgeschriebenen Bogen.) Arm ab! — Hierauf Übung im Heft. cc) Die l i n k e S c h l e i f e . Welches ist der 3. Teil des Er ist auch aus dem Eirund entstanden. ein Eirund vor. — f j

—.

(Der Lehrer zeichnet

Teile das Eirund in eine linke und

rechte Hälfte! — (// —•. Lösche die rechte Hälfte weg! Was bleibt übrig? (Linker Seitenbogen.) Wie ist der Bogen seiner Stärke nach oben ? In der Mitte ? Unten ? Wo ist also der Druck am stärksten? (In der Mitte.) Übt ihn in der Luft! Im Heft! welchem bekannten Buchstaben linke

Seitenbogen

vor ?

CE^ZD-

kommt der

Aus welchen 2 Bogen be-

steht das ? (Rechtsgebogener Aufstrich und linker Seitenbogen.) Wo schneiden sich beide ? (An der oberen Englinie.)

324

Kunstfertigkeiten.

Was bilden sie also? (Schleife.) Wie weit ist der linke Seitenbogen nach unten gezogen ? (Untere Englinie.)

Übt die

Schleife! ( f / f / f / f / )• — Nun schreibt der Lehrer die Schleife so vor, daß der linke linie reicht. ( / der

* Seitenbogen nur bis an die obere Eng).

Wie unterscheidet sich diese Schleife von

* Schleife ?

(Der linke Seitenbogen reicht nur bis zur

oberen Englinie.) Übung in der Luft! Im Heft! ^ ^ ^ Nun verkürzt der Lehrer die zuletzt geschriebene Schleife um die Hälfte. ( /

). Was fällt euch an dieser Schleife auf ? Vergleicht

sie mit der f / ¡»Höhe! (Gleich.) Welcher Bogen steckt auch in dieser Schleife ? (Linker Seitenbogen.) Wo liegt der Druck ? Wo darf er nicht liegen ? Warum nicht ? (Weil sonst die Schleife eckig wird. Auch kreisrund soll sie nicht sein. (Vorübergehende Vorführung dieser Fehler!) Wie weit muß der Haarstrich am Ende der Schleife nach oben gehen ? (Bis an die Hochlinie.) Von welchem Teile des

TL

^J/

~ wurde zuletzt gesprochen ? Wie ist

die * Schleife entstanden ? Verkürzung des linken Seitenbogens.)

(Aus dem

durch

Zusammenfassung. Übt die Schleife! (Wie oben!) y mit dem rechtsgebogenen Aufstrich! / 3 Teile des

~V

Übung inVerbindung /

/

/

~~ getrennt nebeneinander. ( /

Übung der

7IZ

Der Schönschreibunterricht.

d)

Verbindung

Übung

der

Elemente,

325

Beschreibung

und

des

1. D e r L e h r e r s c h r e i b t d a s

IT

~ n o c h e i n m a l an

wie beim Beginne der Stunde und die Schüler verfolgen aufmerksam die E n t s t e h u n g des Buchstaben. Wie ist der gebogene Aufstrich mit dem

^ - Striche

verbunden?

des C-Striches einen

(Der Lehrer setzt statt

j