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German Pages 269 [272] Year 1890
Praktische Erziehungsielire.
Praktische
Erziehungs- und Unterrichtslehre für den
Unterricht in LeMildnngsanstalten und für VolisschnMrer. Von
J. Böhm.
Erstes Buch:
Erziehungelehre.
Zweite, völlig umgearbeitete Alflage.
München. Verlag von R. O l d e n b o u r g , Abteilung für Schulbücher. I88O.
Praktische
Erziehungslehre für
Seminaristen und Volksschullehrer.
Von
J. Böhm.
Zweite, ySlllg umgearbeitete Auflage.
MiincTien. Verlag von R. O l d e n b o u r g , Abteilung für Schulbücher. 188».
Für die Bibliotheken der Lehrerseminare und Fortbildungskurse vom K. bayerischen Stnatsrninisterium genehmigt.
Vorwort. Die » P r a k t i s c h e E r z i e h u n g s - und U n t e r r i c h t s lehrec, -welche in ihrer ersten Auflage inner- und aufserhalb Bayerns vielfach eine freundliche Aufnahme fand, erscheint hiermit in zweiter, völlig umgearbeiteter Auflage. Was zunächst das erste Buch, die » P r a k t i s c h e Erz i e h u n g s l e h r e c , betrifft, so liegen die vorgenommenen Veränderungen und — wie ich hoffe — Verbesserungen hauptsächlich darin, dafs, im Einklang mit den Vorschriften über die Lehrerbildung in Bayern, die allgemeinen Grundsätze der K ö r p e r - u n d S e e l e n l e h r e a l s G r u n d l a g e der E r z i e h u n g s l e h r e dieser v o r a n g e s t e l l t wurden, wodurch gleichzeitig der Abschnitt über die Erziehungsm e t h o d e eine diesem Begriffe entsprechendere Behandlung erfuhr. Auch sind verschiedene andere Kapitel schärfer gegliedert und möglichst klar dargestellt worden. Zur Bearbeitung des Buches hat der Verfasser viele literarische Behelfe beigezogen und dabei ebensowohl die Werke der Empiriker, als auch die der Herbartianer berücksichtigt. Er nahm das Gute, wo er es fand, und macht durchaus nicht den Anspruch auf Originalität. Wenn sich daher in dem Buche viele unsichtbare Gänsefiifschen finden, so soll damit keineswegs irgend eine Anleihe vertuscht, sondern blofs der Eigenschaft des Lehrbuches Rechnung getragen werden, welche durch vielfache Quellenangabe beeinträchtigt worden wäre. Dagegen sind die benützten literarischen Hilfsmittel nach jedem gröiseren Abschnitt vollzählig angegeben.
VI
Vorwort.
Dafa der Verfasser ernstlich bemüht war, die wertvollsten Gedanken der bedeutendsten Pädagogen zu einem organischen Ganzen zu verbinden, um sodas Buch zu einem wahrhaft praktischen Unterrichtsmittel zu gestalten, dürfte ihm wohl zugestanden werden. Gleichwohl hält er auch jetzt sein Werk noch nicht für vollkommen und ist gerne und mit Dank bereit, wohlgemeinte und brauchbare Besserungsvorschläge entgegenzunehmen, um sie nach Möglichkeit zu verwerten. Wenn es dem Verfasser gelungen wäre, viele von denen, an die der Ruf des Heilandes: »Weidet meine Lämmerl« ergangen, durch diese Arbeit für ihren heiligen Beruf zu erleuchten, zu erwärmen und zu begeistern, so fände er darin seinen schönsten Lohn. Und nun möge das Büchlein die zweite Wanderung antreten und auch in seiner neuen Gestalt eine nachsichtige Beurteilung und freundliche Aufnahme finden. Schlielslich hat der Verfasser noch die angenehme Pflicht ?u erfüllen, seinem geehrten Freunde, Herrn Seminarlehrer R u o f f , für die erspriefsliche Mitwirkung bei der Umarbeitung dieses Buches den wärmsten Dank auszusprechen. Altdorf, den 25. Juli 1889. Der Verfasser.
Inhalt. Erziehungslehre. Allgemeine Einleitung. Seite
§ § § § § § § § § §
1. 2. 3. 4 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Erziehungsbedürfnis des Menschen Erziehungefähigkeit des Menschen Die Anlagen Begriff der Erziehung Die Faktoren der Erziehung Die Anstalten und Arten der Erziehung Die Erziehungsthatigkeiten Erziehungskunst lind Erziehungswissenschaft , . . . . , Die Hilfswissenschaften der Pädagogik Einteilung der Erziehungslehre
1 2 4 6 7 10 12 14 H> 17
E r s t e s Buch.
Die Erziehungslehre im engeren Sinne. I. Allgemeine Erziehungslehre. § 11. Einleitung und Übersicht ; . . . .
20
Erster Abschnitt.
Der Zögling. (Anthropologische Grundlagen.)
§ § § § §
12. 13. 14. 15. 16.
I. Die Lehre vom menschlichen Körper. (Physische Anthropologie). Allgemeines Das Bewegungssystem Das Ernährungssystem . ' . , Der Blutumlauf Das Atmen -
21 22 23 25 26
vm §17. § 18. § 19. § 20.
Inhalt. Seite
Die Absonderungsthfttigkeit Das Empfindungssystem Die Sinnesorgane Der Stimmapparat und die Sprache
27 29 34 36
II. D i e L e h r e v o n d e r m e n s c h l i c h e n S e e l e . (Psychische Anthropologie.) § 21. Einleitung I. D a s E r k e n n e n . a) Das Empfinden. § 22. Empfindung. Wahrnehmung. Sinnesirrtum. § 23. Sinnes- und Körperempfindungen
37
Bewufstsein . 38 41
b) Das Torstellen. Anschauung und Aufmerksamkeit 45 Die Vorstellung und ihre Arten 48 Von der Fortdauer der Vorstellungen 49 Reproduktion der Vorstellungen 54 Das Gedächtnis 58 Die Einbildungskraft oder Phantasie 63 Das Denken 66 Aneignung oder Apperception der Vorstellungen . . . . 70 2. D a s Fühlen, a) Die Gefühle Im allgemeinen. § 32. Wesen, Entstehung, Eigenart und Bedeutung der Gefühle . 72 74 § 33. Einteilung der Gefühle
§ § § § § § § §
24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.
b) Die Gefühle Im besonderen. § 34. Die formalen Gefühle § 35. Die qualitativen Gefühle 1. Die sinnlichen Gefühle . . . • 2. Die intellektuellen Gefühle 3. Die ästhetischen Gefühle 4. Die moralischen (ethischen) oder sittlichen Gefühle § 36. F o r t s e t z u n g 5. Die religiösen Gefühle 6. Das sympathetische Gefühl 7. Das Selbstgefühl 8. Der Affekt § 37. Das Gemüt
76 77 78 78 79 . . 79 81 81 81 82 82 84
3. D a s Wollen, a) Das Wollen (Streben, Begehren) Im allgemeinen. § 38. Wesen, Entstehung und Bedeutung des Wollens. Interesse. — Stufen der Willensbildung 85
Inhalt.
b) Das Wollen Im besondern. § 39. § 40. §41. §42. g 43.
IX Seite
I. D e r n a t ü r l i c h e W i l l e . N a t ü r l i c h e s B e g e h r e n . Trieb und Begierde .88 Neigung, Hang und Leidenschaft - 92 n . Der v e r s t ä n d i g e u n d f r e i e W i l l e . . . . . . 96 IH. D e r v e r n ü n f t i g e W i l l e 99 Der Charakter , 101
4. Eigentümlichkeiten d e s geistigen Lebens. § § § §
44. 45. 46: 47.
I. Die Alterestufen IL Die Temperamente III. Die Geschlechter Zusammenfassung
103 110 112 117
Zweiter Abschnitt.
Der Erzieher. § 48. 1. Die Erziehungspersonen § 49. 2. Die Eigenschaften des Erziehers % 50. 3. Das Ideal des Erziehers
119 122 127
Dritter Abschnitt.
Der Z w e c k der Erziehung. (Ethische Grundlage.) § 51. I. Der allgemeine Zweck der Erziehung 1. Feststellung des allgemeinen Eraiehungszweckes . . .129 2. Verschiedene Auffassung des allgem. Erziehungszweckes 131 § 52. II. Die besonderen Zwecke der Erziehung 135 Vierter Abschnitt.
Das Erziehungsverfahren. 1. K a p i t e l .
Die Erziehungsmittel. § 53. § 54. % 55. § 56. § 57. § 58. § 59. § 60,
BegrifE der Erziehungsmittel 1. Das Beispiel 2. Die Aufsicht . . . 3. Die Beschäftigung 4. Belehrung und Lektüre 5. Befehl, Auftrag, Aufgabe, Wunsch, Bitte, Rat . . . . 6. Die Belohnung 7. Die Strafe. — Schluisbemerkung (Gewöhnung) . . . .
136 138 141 144 146 148 153 157
Inhalt
X
2. K a p i t e l .
Seite
Die Erziehung» grnndsätze. § § § § § §
61. 62. 63. 64. 65. 66.
Allgemeines 1. Die Erziehung 2. Die Erziehung 3. Die Erziehung 4. Die Erziehung 6. Die Erziehung
sei sei sei sei sei
naturgemäß vermin ftgem&fa kulturgem&fs einheitlich, harmonisch christlich-human
166 167 169 171 172 173
3. K a p i t e l . Die Erziehungsmethode. § 67. Einleitung
174
A. Die Methode der leiblichen Erziehung. § 68. D i e E r z i e h u n g z u r k ö r p e r l i c h e n G e s u n d h e i t . a) Nahrung b) Kleidung c) Luft § 69. F o r t s e t z u n g d) Bewegung und Ruhe (Spiel) . . e) Bewahrung § 70. Die Erziehung zur Starke und Gewandtheit § 71. Die Erziehung zur Schönheit des Körpers
. 176 176 179 179 . 181 184 188 190
B. Die Methode der geistigen Erziehung. § 72. 1. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Die Methode der Intellektuellen Bildung . . .191 Sinnesbildung 192 Aufmerksamkeit 192 Bildung der Vorstellungen 193 Pflege des Gedächtnisses 194 Pflege der Phantasie 195 Auabildung der Intelligenz: verständiges Denken, vernünftiges Denken 196 § 73. 2. Die Methode der Geftthlsblldung 199 1. Förderung der Formalgefühle 200 2. Bildung der sinnlichen Gefühle 200 3. Förderung der intellektuellen Gefühle 201 4. Die Ausbildung des ästhetischen Gefühls 202 5. Pflege der moralischen Gefühle 204 6. Pflege der religiösen Gefühle 204 § 74. F o r t s e t z u n g 7. Pflege des sympathetischen Gefühls 205 8. Pflege des Selbst- und Ehrgefühls 207 9. Erzieherische Behandlung der ASekte 207 10. Die Gemütsbildung 208
Inhalt.
XI Seite
§ 75.
§ 76. §77. § 78. § 79. § 80. §81. § 82. § 83. § 84.
8. Die Metbode der Willensbildung. I. Die Leitung des natfirllchen Willens 211 Erziehliche Behandlung der Triebe 212 1. Der Nahrungstrieb 213 2. Der Erwerbs- und Eigentumetrieb 213 3. Der Geselligkeitstrieb 214 4. Der Nachahmungstrieb 214 5. Der Geschlechtstrieb 215 6. Der Spiel- und Beschäftigungstrieb 215 7. Der Wissenstrieb 216 8. Der Ehrtrieb 216 9. Die Begierde 217 Erziehliche Behandlung der Neigungen und Leidenschaften 217 II. Die Leitung des verständigen Willens 219 III. Die Bildung des vernünftigen Willens 222 a) Die Erziehung zur Wahrhaftigkeit 224 b) Die Erziehung zur Gewissenhaftigkeit 227 c) Die Erziehung zum Gehorsam 227 d) Die Erziehung zur Gottesfurcht oder Religiosität . . .229 e) Die Bildung des Charakters 230 A n h a n g : 1. Behandlung der Temperamente 333 2. Erziehliche Behandlung der Geschlechter . . 234
II. Angewandte Erziehungslehre.
(Insbesondere die Schuldisziplin.) § 85. Einleitung und Übersicht
236
Erster Abschnitt. § 86. Die Erzlehnng des Hauses
238
Zweiter Abschnitt. § 87. Die Erziehung In Instituten (Erziehungsanstalten) . . .239 Dritter Abschnitt. Die Erziehung In der Schule. § 88. Wesen und Notwendigkeit der Schulerziehung 243 § 89. Begriff, Zweck, Aufgabe und Schwierigkeit der Schuldisziplin 245 § 90. Die Mittel der Schuldisziplin 249 1. Der Lehrer als Erzieher 249 2. Der Unterricht als Disziplinarmittel 250 Das V e r f a h r e n der Schaldisziplin. 252 § 91. 1. Die physische Gewöhnung § 92. 2. Die gesellige Gewöhnung 254 § 93. 3. Die sittliche Gewöhnung 256 § 94. 4. Die Schuldisziplin unter dem Gesichtspunkt der Freiheit 257
Fehlerverbesserung. 8. 81 Z. 5 v. ii. Ist nach »Empflncjungsnerven« ein Komma zu Betzen. 8. 32 Z. U V. o. Ist nach •Th&tlgkeU- ein Komma zu setzen. 8. 84 Z. 8 v. a. lies einen statt seinen. 8. 38 Z. 6 y. u. lies repräsentieren. S. 43 Z. 9 v. o. lies e n d l i c h statt dann. S. 44 Z. 20 v. o. lies Gehöraempflndungen. fi. 60 Z. 8 T. U. lies manche. 8. 65 Z. 16 t . n. setze nach >SeproductIon* ein Komma. 8. 65 Z. 10 y. u. lies da tsnf, 8. 66 Z. 7 y. u. lies g e w e c k t . 8. 67 Z. 17 •. o. lies welchen. 8. 70 Z. 7 y. u. lies Moses Bar. 8. 84 Z. 8 y. u. lies U l t t e l . 8. 84 Z. 1 y. u. setze >Marttg> nach -Gesinnung, auf Z. 2 y. u. 8. 91 Z. 6 u. 7 y. o. lies der gegen alle Schranken a n k ä m p f e n d e . 8. 93 Z. 18 o. lies deren statt welcher. 8.138 Z. 10 y. o. setze noch «starker* ein Komma.
I.
Praktische Erziehungslehre. Allgemeine Einleitung. § l. Erziehungsbedürfnis des Menschen.
1. Schwach und hilflos tritt der Mensch ins irdische Dasein. Ohne die Fürsorge und Pflege liebender Mitmenschen ginge er elend zu gründe. Das junge Tier, durch den Instinkt geleitet, lernt bald seine Bedürfnisse befriedigen und sich in seiner Umgebung zurechtfinden. In ungleich höherem Mafse und länger bedarf das Kind der leitenden und hilfreichen Hand der Erwachsenen, ohne deren Einwirkung auch seine inneren Eigenschaften nur sehr langsam und in einem beschränkten Grade sich entwickeln würden. 2. Obwohl diese Entwicklung nach den Gesetzen der Natur bis zu einem gewissen Grade sich ohne fremde Hilfe vollzieht, so darf sie — soll ihr Ende Sittlichkeit und relative Vollkommenheit, Glück und Segen, nicht aber Sittenlosigkeit und Verkommenheit, Unglück und Fluch bedeuten — nicht dem Walten des Z u f a l l s , nicht dem dominierenden Einflüsse b l i n d e r Gewalten überlassen bleiben. 3. Beweis dafür ist die tägliche E r f a h r u n g , welche lehrt, dafs des Menschen Zukunft zumeist von der Richtung abhängt, welche ihm in der Jugend gegeben wurde, und dafs die Unterlassung oder Vernachlässigung förderlicher Einwirkung in der Regel schlechte, die gewissenhafte Betätigung derselben meist aber gute Früchte zeitigt. B ö h m , Praktische Erziehungslehre.
1
2
Allgemeine Einleitung.
4. Zur r i c h t i g e n A u s g e s t a l t u n g des M e n s c h e n w e s e n s i s t s o m i t e i n e b e w u f s t e und p l a n m ä f s i g e E i n w i r k u n g g e r e i f t e r und erfahrener Menschen ein unleugbares B e d ü r f n i s , eine Notwendigkeit1). Amnerkung. Deshalb haben es bei allen Kulturvölkern die Erwachsenen von jeher als eine ihrer wichtigsten Aufgaben angesehen, der hilfsbedürftigen Jugend unter die Arme zu greifen. Die von ihnen in dieser Absicht getroffenen Einrichtungen gelten mit Recht als das Spiegelbild ihres jeweiligen Kulturstandes. § 2.
Erziehungsfähigkeit des Menschen 1. Und doch ist der Mensch das vollkommenste Geschöpf auf Erden, die Krone der Schöpfung, geschaffen zum Bilde Gottes. Kein Erdenwesen aufser ihm besitzt solche körperliche und geistige Vorzüge. Der lebendige Organismus seines K ö r p e r s entwickelt sich innerhalb der unwandelbaren Gesetze der Natur unter Beihilfe pflegender Menschenhände in einer Weise, dafs schon seine äufsere Gestalt und sein Auftreten den Herrn der Erde verraten'). Mit der fortschreitenden Entwicklung des Körpers entfaltet aber auch die S e e l e ihre Kraft nach verschiedenen Richtungen. Infolge des natürlichen Bildungstriebes fangen die Sinne an, thätig zu werden; durch sie nimmt die Seele Eindrücke von der Aufsenwelt auf, hält sie auf geheimnisvolle Weise fest und bildet Vorstellungen, welche Begierde oder Abscheu erzeugen. ' Schon dieses geistige Wachsen erhebt den Menschen so weit über das Tier, als er höher als dieses organisiert ist. 1)
2)
§ 2.
Erziehungsfähigkeit des Menschen.
3
Aber es liegt in der Menschennatur zugleich noch ein Keim zu höherer Entwicklung, der durch den Einfluis geistiger Mächte erregt und zu reicher Entfaltung getrieben werden kann, wodurch der Mensch erat Mensch im höheren und edleren Sinne wird und sich weit über das Tier erhebt: die V e r n u n f t 1 ) . 2. Andererseits kommt in Betracht, dafs die auf die Jugend einwirkenden m ü n d i g e n M e n s c h e n s e l b s t b e w u f s t e Wesen sind, die mit ihren Mafsregeln ein bestimmtes Ziel verfolgen, wobei sie die Wirksamkeit äufserer, u n b e w u f s t w i r k e n d e r G e w a l t e n bis zu einem gewissen Grade ihrem Zwecke unterordnen oder sie wenigstens paralysieren können. (Bestimmung des A u f e n t h a l t e s , des U m g a n g e s , der Lektüre etc., soweit die Verhältnisse es gestatten.)
3. D a a l s o das K i n d e m p f ä n g l i c h und g e s t a l t bar i s t , E i g e n s c h a f t e n u n d K r ä f t e ( A n l a g e n ) besitzt, die der E n t w i c k l u n g , H e b u n g und S t e i g e r u n g f ä h i g s i n d , der E r w a c h s e n e a b e r d i e d i e s e r E n t w i c k l u n g im W e g e s t e h e n d e n G e w a l t e n in seinen D i e n s t stellen oder ihre W i r k s a m k e i t h e m m e n k a n n , so i s t eine p l a n m ä l s i g e E r z i e h u n g a u c h m ö g l i c h . Dem Erziehungsbedürfnis auf der einen Seite entspricht 6onach die E r z i e h u n g s f ä h i g k e i t auf der anderen. Anmerkung. Wenn in einzelnen Fällen die Anlagen mangeln oder die sorgfältigsten und zweckmäßigsten Erziehungsmaisregeln ohne Erfolg bleiben, so 6ind das Ausnahmen von der Regel. »Nur allein der Mensch Vermag das Unmögliche: Er unterscheidet, Wählet und richtet; Er kann dem Augenblick Dauer verleihen. Er allein darf Den Guten lohnen, Den Bösen strafen, Heilen und retten Alles Irrende, Schweifende Nützlich verbinden.« G o e t h e , das Göttliche.
1*
4
Allgemeine Einleitung.
Der Mensch k a n n aus einem Naturwesen zu einem Vernunftwesen entwickelt, von der Stufe der N a t u r auf die Stufe der K u l t u r , der B i l d u n g erhoben werden; er ist daher k u l t u r f ä h i g , b i l d s a m . Aber er besitzt Vervollkommungs- wie Verschlechterungsfähigkeit, kann »Engel«, kann »Teufel« werden. Das T i e r kann seine N a t u r nicht verleugnen, es kann nicht gebildet, nur d r e s s i e r t werden. Der Affe bleibt Affe auch im Doktorhut. § 3. Die Anlagen.
1. Der Grad der Erziehungsfähigkeit und Bildsamkeit hängt von der B e s c h a f f e n h e i t des K ö r p e r s und der S e e l e , von den n a t ü r l i c h e n A n l a g e n des Zöglings ab. Sie sind zumeist ein Erbstück von Eltern und Grofseltern, weshalb man auch von a n g e b o r e n e n , a n g e e r b t e n Anlagen spricht (Familienähnlichkeiten, äufsere und innere 1 ). Nur wae in der Menschennatur angelegt, wozu sie deponiert ist, das läTst sich aus ihr entwickeln. Darum müssen die natürlichen Anlagen von der Erziehung zur Voraussetzung genommen werden, wie vom Künstler der Stoff. »Nicht aus jedem Holz läfst sich ein Merkur schnitzen.« 2. Die natürlichen Anlagen hängen enge mit der Körperorganisation zusammen. Gesundheit und Krankheit des Leibes, gute oder mangelhafte Organisation desselben etc. üben einen wesentlichen Einflul's auf das Seelenleben aus, und umgekehrt. Fehlt z. B. dem Menschen der Gesichtssinn, so erhält er keine Licht- und Farbeneindrücke; alle durch sie im Sehenden erzeugten Empfindungen bleiben ihm fremd. Wer keinen Ton zu empfinden und wahrzunehmen vermag, ist nach Seite des Gehörs nicht bildsam. Nur schwache und unklare Eindrücke von der Aufsenwelt empfängt der Stumpfsinnige, der deshalb nie zu höherer Bildung gelangen kann; er fafst langsam auf, reproduziert 1)
Vom Vater hab' ich die Statur, Dea Lebens ernstes Führen; Vom Mütterchen die Frohnatur, Und Lust zu fabulieren.
Goethe.
§ 3.
Die Anlagen.
5
langsam und ungetreu, hat kein Urteil etc., weil ihn die Natur kärglich ausgestattet. In allen diesen Fällen ist k e i n e oder nur eine m a n g e l h a f t e A n l a g e vorhanden. Ist dagegen das Kind körperlich normal gebaut und gesund, so dais sein Körper zum geschickten Organ des Geistes entwickelt werden kann, sind alle seine Sinne reizbar und die Seele empfänglich für die Sinneseindrücke, nimmt sie dieselben mit lebhaftem Interesse auf') und hält sie dieselben fest etc.: so ist das Kind n o r m a l b e a n l a g t . Hervorragende natürliche Anlagen, z. B. ein besonders günstiger Zustand des inneren Ohres, Auges etc., birgt gewissermafsen ein T a l e n t in sich. (Anlage, Talent für Musik, für das Zeichnen etc.) — G e n i e ist eine auiserordentliche Begabung, Originelles und Mustergiltiges hervorzubringen. 3. Werden die natürlichen Anlagen so entwickelt, dafs sie später mit gröfserer Sicherheit, Kraft und Klarheit die Bildungseinflüsse aufnehmen und verarbeiten können, so kann man diesen durch Übung erreichten höheren Kräftezustand der natürlichen Anlagen (oder anders gesagt: die Summe der in früheren Lebensjahren erworbenen Anschauungen) e r w o r b e n e A n l a g e nennen 2). Sehr häufig werden erworbene Fertigkeiten irrtümlicherweise für natürliche Anlagen gehalten, z. B. Sicherheit in Angabe der Tonintervalle, Farbensinn, Augenmafs etc. 4. Die einerseits in dem Organismus begründete, andererseits durch die Verhältnisse, in welchen die Kinder aufWas eine Kindesseele Aus jedem Blick verspricht! So reich ist doch an Hoffnung Ein ganzer Frühling nicht. Hoffmann von Alles Ist im K e i m enthalten, Alles Wachstum ein Entfalten, Leises Auseinanderrücken, Dafs Bich einzeln könne schmücken, Was zusammen war geschoben; Wie am Stengel stets n a c h oben Blüt' um B l ü t e rücket weiter. Sieh' es an, und lern so heiter Zu entwickeln, zu entfalten. Was i m Herzen ist enthalten.
Fallersleben.
Rückert
6
Allgemeine Einleitung.
wachsen, bedingte A n l a g e , welche jedem Zöglinge ein eigenartiges, nur ihm eigentümliches, habituelles Gepräge aufdrückt, wird seine I n d i v i d u a l i t ä t genannt. § 4Begriff der Erziehung.
1. Obwohl die Entwicklung der Anlagen des Menschen sich bis zu einem gewissen Grade durch die Kraft der Natur vollzieht, so bleibt der Erziehung doch die Aufgabe, den noch unentwickelten Menschen durch wohlerwogene, sorgfältig geplante Ausgestaltung seiner Gesamtnatur, durch leibliche, geistige und sittliche Pflege zu dem erreichbaren Grade menschlicher Vollkommenheit emporheben zu helfen1). Sie will aus dem Kinde helfen machen, »was nach seinen Anlagen aus ihm werden kann und nach Gottes Willen aus ihm werden soll«. (Schüren). 2. D i e E r z i e h u n g i s t d e m n a c h d i e a b s i c h t l i c h e und p l a n m ä f s i g e E i n w i r k u n g der M ü n d i g e n a u f die U n m ü n d i g e n , um d i e s e s e l b s t m ü n d i g zu m a c h e n , d. h. s i e zu b e f ä h i g e n , s e l b s t ä n d i g ihre Bestimmung anzustreben. (Wie hoch der Mensch sich zu dem Ideal wahrer sittlicher Vollkommenheit, zur wahren Menschenwürde emporzuschwingen, in wie weit er seine Bestimmung zu erreichen vermag, das hängt von seinen Anlagen und dem Grade seiner vernünftigen Erkenntnis ab.) »Erzogen ist, wer seine Bestimmung kennt und mit allen Kräften zu verwirklichen sucht«. (Über den Begriff der menschlichen Bestimmung siehe § 51.)
Anmerkung. Auch der s p r a c h l i c h e Begriff der Erziehung bedarf der Erwähnung. Daß Wort »erziehen« (educere, educare) ist die Verbindung des Zeitwortes z i e h e n (althochdeutsch ziohan) mit der Vorsilbe er- (althochdeutsch ar- von 1)
Etwas liegt an der Alt, die Gott dem Keim yerllehn, Und etwas auch an der, wie du Ihn wirst erzlehn. Das Höchste Ist die Gunst, womit der Himmel schaltet, Das Nächste Ist die Kunst, womit der Gärtner waltet. B ü c k e r t , Weisheit d.Brahmanen.
§ 5.
Die Faktoren der Erziehung etc.
7
unten nach oben). Unter ziehen verstand man ehedem 1. das l e i b l i c h e A u f z i e h e n (säugen, nähren, kleiden, warten, pflegen etc.), was wir gegenwärtig die leibliche Erziehung nennen. Man verstand darunter 2. auch das geistige Nähren, (bilden, lehren etc.), wovon sich das Wort Z u c h t ableitete, das später häufig nur für den viel engeren Begriff Strafe angewendet wurde. Heutzutage gebraucht man allgemein das Wort e r z i e h e n und versteht darunter das l e i b l i c h e u n d g e i s t i g e Aufe r z i e h e n , das H e r a u f z i e h e n des K i n d e s zum Manne, damit es selbständig werde wie er und den ihm möglichen Grad menschlicher Bildung erreiche. — Dabei ist auch an die Überw i n d u n g a l l e n W i d e r s t a n d e s zu denken, den der Zögling der Erziehung entgegengesetzt (fortziehen, wegziehen). — A u f e r z i e h e n enthält noch das besondere Moment, dafs die Erziehung schon in früher Kindheit begann, z. B. »Er ist hier auferzogen worden«. § 5. Die Faktoren der Erziehung
und die in ihnen liegenden S c h r a n k e n der Erziehung. Die absichtliche und planmäisige Erziehung Unmündiger geht von mündigen, selbständigen Personen aus. Gleichzeitig aber haben auch gewisse Umstände und Verhältnisse einen Einflufs darauf. I. Die Faktoren der Erziehung sind sonach Z ö g l i n g und E r z i e h e r . 1. Der Zögling ist die Person, die erzogen wird. Sie mufs e r z i e h u n g s f ä h i g und - w i l l i g sein, d. h. auf eine höhere Stufe des Seins erhoben werden können. 2. Die Erzieher sind: a) Die bewulst und absichtlich wirkende Person des Erziehers, die mündig und schon e r z o g e n , d.h. e r z i e h u n g s t ü c h t i g sein mufs, wenn sie den Zögling emporziehen will. b) Die unabsichtlich, unbewulst, ohne Plan wirkenden Miterzieher: N a t u r , G e s e l l s c h a f t , S c h i c k s a l (und sonst manch Unbekanntes).
8
Allgemeine Einleitung.
aa) Unter Natur ist hier einerseits die angeerbte Anlage des Zöglings, andererseits der ununterbrochene Einflufs der A u f s e n w e l t auf diesen zu verstehen. Es wirken und erziehen nicht nur Speise und Trank, Bewegung und Ruhe, Klima und Wohnplatz, nicht nur die Blumen des Feldes, die Vögel des Himmels, der grüne Wald, die wogende See, sondern Himmel und Erde, die ganze weite und grosse Natur, alles was den Leib fördert oder den Sinnen vorgeführt wird und die Seelenkräfte anregt und steigert. (Rouss e a u s fehlerhafte Lehre: Die Natur thut alles; die Erziehung mufs verhindern, dafs etwas gethan werde 1) bb) Die Gesellschaft ist die den Zögling umgebende M e n s c h e n w e l t . Hierher gehören insbesondere Geschwister, Grosseltern und andere Verwandte, Dienstboten, besonders Kindermädchen, Spielgenossen, Mitschüler, überhaupt a l l e P e r s o n e n , welche ausser dem eigentlichen Erzieher mit dem Zögling in nähere Berührung kommen. (Auch in grösseren Lebenskreisen.) Sie wirken erziehend oder verziehend durch ihr gutes oder böses Beispiel, durch ihr Reden und Thun, durch das was sie dem Kinde gewähren oder von ihm fordern. Der Einflufs der menschlichen Umgebung auf den Zögling ist ein sehr grosser, da der N a c h a h m u n g s t r i e b 1 ) des letzteren von bedeutender Stärke ist. (Macht des Beispiels § 54 ad 3.) cc) Das Schicksal legt unter weiser Führung des Höchsten das neugeborene Kind in den Schofs der Bettlerin oder der Fürstin; es führt den Menschen von der Hütte zum Palast, von der Höhe zur Tiefe, vom Reichtum zur Armut; schüttet also über ihn aus das Füllhorn des Glücks oder wirft ihn ins krasseste Elend — und schafft oft überraschend schnell mit den neuen Verhältnissen einen neuen Menschen s). 1) 2)
Kinder sind wabre Affen.
Claudius. Es sind ja Gott geringe Sachen Und ist dem Höchsten alles gleich, Den Beichen klein und arm zu machen, Den Armen aber grofs und reich. Neumark 1667. Doch mit des Geschickes Mächten Ist kein ew'ger Bund zu Aechten. Schiller.
§ 5.
Die Faktoren der Erziehung etc.
9
Anmerkung. Da es oft unbekannt bleibt, was auf den Menschen gewirkt hat, dafs er ward, wie er geworden ist, so ßpricht man auch von v e r b o r g e n e n Erziehern. Hierzu gehören aulser Natur, Gesellschaft und Schicksal auch Verkehr, Zeitgeist, Beschäftigung, Lektüre etc. Ihr Anteil an der Erziehung läfet sich nie genau bestimmen. II. Die Schranken, welche der bewufsten Erziehungsthätigkeit Hindernisse und Schwierigkeiten bereiten, liegen in den Erziehungsfaktoren selbst. 1. Die e r s t e Schranke bietet die Individualität d e s Z ö g l i n g s . Jeder hat ein anderes Mais von Gaben und Kräften und erheischt eine dementsprechende Behandlung l ). Was aber nicht im Zögling angelegt ist, lässt sich aus ihm ebenso wenig entwickeln, als vorhandene Anlagen vernichtet werden können. Als z w e i t e Schranke erscheint die I n d i v i d u a l i t ä t d e s E r z i e h e r s , die auch dem Besten anhängende m e n s c h l i c h e S c h w ä c h e . Es ist eine schwer zu erfüllende Forderung an ihn, so viel L i e b e zu besitzen, um sich zu dem Zögling herabzulassen und seine l e i b l i c h e n u n d g e i s t i g e n Anlagen zu erforschen, und so viel K r a f t und S e l b s t b e h e r r s c h u n g , um auch die Eigentümlichkeit seiner Natur anzuerkennen und zu b e r ü c k s i c h t i g e n . Die d r i t t e Schranke liegt darin, dals neben dem Erzieher noch unkontrollierbare Erziehungsfaktoren (Mitzieher) ununterbrochen auf den Zögling einwirken (§ 5), weshalb er auch für den Erziehungserfolg nicht allein verantwortlich gemacht werden kann. Anmerkung. Die Erziehung hat auch eine z e i t l i c h e Schranke. Die Jugenderziehung reicht bis zur V e r n u n f t r e i f e , bis zur M ü n d i g k e i t , führt also blofs bis zu jener 1)
Denn wir können die Kinder nach unserem Sinn nicht formen; So, wie Gott sie uns gab, so mufe man sie haben und lieben, Sie erziehen aufs best und Jeglichen lassen gewahren. Denn der eine hat die, die anderen andere Gaben; Jeder braucht sie und jeder ist doch nur auf eigene Weise Gut und glücklich. G o e t h e , Herrn, u. Dor. III.
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Allgemeine Einleitung.
Station auf dem Wege der Vollendung, wo der Erzieher, entbehrlich, Abschied nimmt. Die übrigbleibende S e l b s t e r z i e h u n g reicht mit ihren Aufgaben bis ans Lebensende. § 6. Die Anstalten und Arten der Erziehung.
Die allgemeinste Anstalt für die Erziehung ist das L e b e n . Mit seinem Beginn fängt die Erziehung an, mit seinem Ende hat auch sie das ihre erreicht. Im Leben erzieht alles, was auf den Menschen wirkt: die unbewufsten und verborgenen wie die bewulst wirkenden Erzieher. Die letzteren üben ihren Erziehungseinflufs besonders in G e m e i n s c h a f t e n aus, welche wir als A n s t a l t e n der Erziehung im weiteren Sinne betrachten. Hierzu gehören die F a m i l i e und die S c h u l e , der S t a a t und die K i r c h e . 1. Die Familie (das Haus) ist die erste, natürlichste und wichtigste Erziehungsstätte des Menschen. Den Eltern ist der Trieb eingepflanzt, die im Mutterschofs geborenen Kinder zu pflegen und zu erziehen. In den meisten Fällen thun sie das, so gut sie können, wobei nicht vergessen werden darf, dass die Hausordnung, die Gemeinschaft in Glück und Unglück, in Liebe und Not etc. das ihre beitragen. Insbesondere wird dieMutter, indem sie dem Kinde nebst der R e l i g i o n und anderen Dingen, die gröfste menschliche Kunst, die S p r a c h e , lehrt, zur ersten Lehrerin des Kindes. Diese vom Haus, von den Eltern, von der Familie ausgehende, meist im U m g a n g durch P f l e g e und Z u c h t geübte Erziehung ist die h ä u s l i c h e , e l t e r l i c h e oder
Familienerziehung.
2. Die Sehnte. Die Erfahrung lehrt, dais gar viele Eltern ihre Erziehungsaufgabe allein nicht genügend lösen können, dafs sie besonders die Erziehung durch den U n t e r r i c h t nicht entsprechend zu fördern vermögen. Es ist deshalb eine Anstalt nötig, in welcher erziehungstüchtige und für die höchsten Zwecke der Menschheit begeisterte Personen bereit sind, die Erziehungsarbeit der Eltern teilweise zu übernehmen, um dadurch die Familienerziehung zu ergänzen
§ 6.
Die Anstalten und Arten der Erziehung.
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und zu erweitern. Die Anstalt, welche diese Aufgabe übernimmt, heilst S chule, die Person, welche da erzieht, führt den Namen Lehrer, die von ihm geübte Erziehungsthätigkeit aber heilst Schulerziehung. F a m i l i e und S c h u l e sind die beiden Anstalten, welchen die absichtliche und planmälsige Erziehung der J u g e n d zu allermeist zufällt. Familienerziehung u n d Schulerziehung machen daher in ihrem Zusammenwirken hauptsächlich die absichtlich gewollte Jugenderziehung aus'). Mit ihr haben wir es in der Erziehungslehre zu thun. Die Kinder gehören aber noch zwei grösseren Lebenskreisen, dem S t a a t und der K i r c h e an, in welchen sie später als selbständige Glieder auftreten. 3. Der Staat ist darum die dritte Anstalt im grofsen Erziehungshause der Menschheit. Er erzieht durch seine Einrichtungen, Mafsnalimen und Gesetze und will mehr vom r e a l e n Standpunkte aus den Menschen befähigt wissen, dafs er durch möglichst uneigennütziges Streben die Liebe zu seinen Mitmenschen betbätige und der Wohlfahrt der Gesamtheit diene. So weit die Erziehungseinflüsse vom Staate ausgehen, kann man von Staatserziehung sprechen. 4. Die Kirche endlich ist diejenige Anstalt, welche mehr den i d e a l e n Standpunkt vertritt und den Menschen befähigt wissen will, dafs er in seinem Leben die Liebe zu Christo bethätige. So weit die Kirche ihren Einflufs auf die Erziehung geltend macht, ist von kirchlicher Erziehung die Rede. Staat und Kirche unterscheiden sich insoferne von Familie und Schule, als sie ihren Erziehungseinflufs zugleich auf die Erwachsenen ausdehnen. Auf die Jugend 1) Damit soll nicht gesagt sein, dafs der gute oder schlechte Stand der Jugenderziehung b l o f s ein Produkt der absichtlichen Einwirkung der Familie und Schule sei; hieran haben u. a. auch die unbewufsten Erzieher ihren gröfseren oder geringeren Anteil. »Doch ist die Erziehung n i c h t d a s n o t w e n d i g e Produkt mechanisch wirkender Erziehungsfaktoren, sie ist in eminentem Sinne ein Werk der Freiheit.« Herbart.
12
Allgemeine Einleitung.
können sie nicht so intensiv, weil nicht so direkt einwirken als Familie und Schule, zu welchen die Kinder in einem engeren, innigeren Verhältnisse stehen. Immerhin bieten die ersteren ihren berechtigten Einflufs auf, um der Jugenderziehung eine solche Richtung zu geben, wie das ihre Zwecke erheischen.
§
t-
Die Erziehungsthätigkeiten.
liach dem Begriff der Erziehung (§ 4) soll der noch unentwickelte, unmündige Mensch befähigt werden, selbständig seiner Bestimmung nachzustreben. Nun besteht der Mensch einesteils aus dem sichtbaren, sinnlich wahrnehmbaren L e i b , andernteils aus der unsichtbaren, immateriellen S e e l e . Die Einwirkungen der entwickelten Personen auf die unentwickelten oder die Erziehungsthätigkeiten müssen sich daher sowohl auf den Leib als auf die Seele richten. Im Zusammenhalt mit dem Begriff der Erziehung erkennen wir deren H a u p t t h ä t i g k e i t e n (welche die Z w e c k e der Erziehung andeuten und zugleich als M i t t e l der Erziehung im weitesten Sinne angesehen werden können), e r s t e n s in der B e f ö r d e r u n g der n a t ü r l i c h e n Entwicklung, z w e i t e n s in der G e w ö h n u n g an d a s r e c h t e L e b e n und d r i t t e n s in der A n e i g n u n g s o l c h e r E i n s i c h t , welche zu s e l b s t ä n d i g e m und v e r n ü n f t i g e m H a n d e l n führt. Diese Thätigkeiten sind kurz zu bezeichnen als P f l e g e , Z u c h t und U n t e r r i c h t . 1. Die Pflege zielt zunächst auf die Förderung des l e i b l i c h e n L e b e n s ab, ist aber für die geistige Entwicklung deshalb so wichtig, weil diese nur auf der Basis gesunder Leiblichkeit fröhlich gedeihen kann. Die Pflege bezieht sich aber auch auf die S e e l e , die durch die Mannigfaltigkeit der Umgebung (in Dingen, Erscheinungen, Personen und Handlungen), durch den Wechsel zwischen Arbeit, Ruhe, Spiel etc. gesund erhalten werden soll.
§ 7. Die Erziehungsthätigkeiten.
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Anmerkung. Wir können niemals denen beipflichten, welche die k ö r p e r l i c h e P f l e g e als eigentlich n i c h t zur Erziehung gehörig ansehen und doch inkonBequenterweise dieselbe in der Erziehungslehre abhandeln. Wenn jemandem Kinder zur Erziehung übergeben werden, so geschieht es in der Voraussetzung, dafs die körperliche Erziehung über der geistigen nicht vernachlässigt werde. Ein M e n s c h soll erzogen werden, nicht blofs ein Geist, sondern Körper u n d Geist, der ganze Mensch. Dies erweist sich als eine absolute Notwendigkeit, weil, wie schon erwähnt, die Entwicklung der geistigen Natur von dem Zustande der leiblichen abhängig ist, durch die Gesundheit des Körpers gefördert, durch physische Leiden gehemmt wird. Der leiblichen Erziehung ihr Recht werden lassen, heilst darum noch lange nicht, Arzt sein wollen. So weit der Pädagog durch gewissenhafte Leibespflege körperlichen und geistigen Krankheiten vorbeugen, solche verhindern kann, so weit reichen auch Kompetenz und Pflicht. Wo er mit seinen Mitteln am Ende ist, da ist auch die Grenze für seine Wirksamkeit, darüber hinaus steht sie ärztlichem Ermessen zu. 2. Die Zncht unterwirft den Zögling der Vernunft des Erziehers. Der Zögling ist noch unvernünftig; er kann das Gute und Böse noch nicht unterscheiden, keines davon aus Grundsatz thun oder lassen. Es ist deshalb nötig, "dafs er dem Erzieherwillen durch das Gesetz, d. h. durch Gebot und Vorschrift unterthänig gemacht und an das r e c h t e L e b e n d u r c h d i r e k t e Ü b u n g desselben g e w ö h n t wird. P h y s i s c h e , g e s e l l i g e und s i t t l i c h e Gewöhnung müssen ein Verhalten und T h u n bewirken, das mit der später zu erreichenden richtigen Einsicht übereinstimmt. Allein der Zögling soll nicht blofs aus Gewohnheit, sondern aus G r u n d s a t z handeln lernen, das Gute nicht nur thun, weil er mufs, sondern weil er will. Der W i l l e des Zöglings aber hängt von der Richtung ab, in welcher sich seine Einsicht und sein Fühlen entwickeln. Darum ist 3. der Unterricht nötig, welcher den Zögling zu der E r k e n n t n i s seiner Bestimmung führen, ihm eine zum Wollen des Wahren, Schönen und Guten t r e i b e n d e E i n s i c h t vermitteln soll. Nicht ein totes Wissen soll der
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Allgemeine Einleitung.
Unterricht bewirken, sondern ein Wissen, das den Zögling vernünftig macht, das ihn sein Lebensziel, Welt und Gott richtig auffassen lehrt, das seinen ganzen Gedankenkreis einheitlich gestaltet, das ihn in der Tiefe seines Wesens erfasst und auf alle Richtungen seines Geistes, auch auf sein Fühlen und Wollen einwirkt und ihn schliefslich zu solcher W i l l e n s s t ä r k e erhebt, d a f s er f r e i , w e i s e u n d t u g e n d h a f t , d. h. v e r n ü n f t i g h a n d e l t u n d l e b t , einen s i t t l i c h e n C h a r a k t e r darstellt 1 ). Anmerkung. Die drei genannten Erziehungsthätigkeiten machen in der Wirklichkeit die Erziehung aus. Eine Scheidung derselben ist nur in der Theorie, nie in der Praxis möglich, in welcher immer die eine Mittel zum Zwecke der anderen ist. Gleichwohl tritt anfänglich (eine Zeitlang ganz allein) die Pflege, darnach die Zucht, zuletzt der Unterricht mit besonderer Betonung auf, so dafs sich hierin drei Entwicklungsstufen manifestieren, welche ein stetes Hinaufrücken zu dem hohen Ziel der Erziehung erkennen lassen. »Eins mufs in das andere greifen, Eins darchs andere blühn und reifen.«
§ 8. Erziehungskunst und Erziehungswissenschaft. (Praxis und Theorie.)
1. In der Ausübung der vorerwähnten Erziehungsthätigkeiten besteht die E r z i e h u n g s p r a x i s oder das E r z i e h ungsgeschäft. Dieses wird vielfach von einfachen Eltern traditionell mit natürlichem Geschick und Takt und den schönsten Erfolgen ausgeübt, woraus jedoch nicht der Schlufs gezogen werden darf, dafs eine geregelte Erziehung unnötig sei. Die hohe Bedeutung der Erziehung gestattet nicht. 1) Nicht mehr weil er das Rechte und Gute w e i f s , sondern weil das Wiesen zum W o l l e n geworden. Denn der Charakter ist nicht ein Produkt des Wissens, sondern des Wollens, das aber wieder im Gedankenkreise und Gemüte wurzelt. Ein jeder wisse, was er will, Und wolle, was er treulich weifs!
§ 8.
ErziehungBkunst und Erziehungswissenschaft.
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den Erfolg von unsicherem Experimentieren, vom Zufall abhängig zu machen. Wird aber das Erziehungsziel — der (relativ) vollendete Mensch — stets im Auge behalten und mit den richtigen M i t t e l n zu erreichen gesucht, so wird die Erziehungspraxis zur K u n s t erhoben. Die Erziehungskunst ist, wie jede Kunst, keinem angeboren. Künstler fallen nicht vom Himmel, nur Gaben und Kräfte legt der Schöpfer in der Menschen Schofs. Wer daher die Erziehungskunst oder praktische P ä d a g o g i k , P ä d a g o g i e , zum B e r u f e sich erwählt, also P ä d a g o g ( = Knabenführer) werden will, muís vorher Gelegenheit haben (oder suchen), durch prakt i s c h e Ü b u n g M e i s t e r im K ö n n e n , d. h. K ü n s t l e r zu werden. 2. Der Erziehungspraktiker würde aber weder durch die Begabung noch durch die Übung Meister in der Erziehungskunst werden, wenn er dabei nicht selbst Erfahr u n g e n sammeln und verwerten lernte. Die Erfahrungen kann er ziehen 1. aus den E r i n n e r u n g e n an die e i g e n e Erziehung1); 2. aus der aufmerksamen B e o b a c h t u n g des E r z i e h u n g s g e s c h ä f t e s und 3. aus den m i t g e t e i l t e n E r f a h r u n g e n anderer. Sobald die Summe solcher Erfahrungen gröfser wird, verschiedene Fragen betrifft etc., sobald ist die Notwendigkeit gegeben, sie denkend zu sichten und zu ordnen, die bewährten Erfahrungssätze zusammen- und darzustellen. Auf diese Weise erhält man aus der (älteren, zuerst dagewesenen) Praxis heraus übersichtlich zusammengestellte L e h r s ä t z e über Zweck, Mittel und Wege der Erziehung, die uns sagen, wie man erziehen soll, mit anderen Worten
die Erziehungswissenschaft oder Erziehnngslehre, Er-
z i e h u n g s t h e o r i e , t h e o r e t i s c h e P ä d a g o g i k . Wer nur die theoretische Pädagogik kennt, nicht selbst erzieht, der wird zum Unterschied von dem Pädagogen P ä d a g o g i k e r oder Erziehungstheoretiker genannt. 1)
Der Kindheit Welt Ist eine schöne Welt, Wohl dem, der dafür Herz und Sinn behält TJnd oft und spät noch In Erinnerung Den Traum der Kindheit träumet, frisch und jung. H o f f m a n n von Fallersleben.
16
Allgemeine Einleitung.
Anmerkung 1. Ein sorgfältiges Studium der Erziehungslehre kann wohl den Eltern, auf deren Erziehungspraxis es jedoch nur heilsam einwirken würde, nicht aber den Trägern der ö f f e n t l i c h e n E r z i e h u n g , A n s t a l t s v o r s t ä n d e n , L e h r e r n etc. erlassen werden. Der öffentliche Erzieher mufs das Weßen des Menschen und die daraus abgeleiteten Erziehungsgesetze genau kennen, sie mit seinem Denken so durchdringen, dafs er selbst zu pädagogischen Grundsätzen gelangt, dafs sein Denken in das Fühlen und Wollen übergeht und er der Erziehungskunst stets den »Puls greifen« (Pestalozzi), sie selbst mit Geschick ausüben kann. Er mufs also Pädagog u n d Pädagogiker sein. Insofern kann man umgekehrt sagen, dafs wenn auch nicht die Erziehungspraxis im allgemeinen, so doch die Erziehungskunst auf der Erziehungswissenschaft beruhe. Anmerkung 2. Der W e r t der Erziehungslehre liegt darin, dafs sie beim Anfänger im Erziehungsfache Respekt vor der hochwichtigen Aufgabe der Menschenvervollkommnung erzeugt, ihn vor traurigen Mifsgriffen und folgenschweren Fehlern, vor unsicherem und zweifelhaftem Experimentieren und vor Irrwegen bewahren kann. Diesen Wert verringert auch die Thatsache nicht, dafs die besten Theoretiker nicht immer die besten Praktiker gewesen. Nicht die Wissenschaft trug da die Schuld, sondern der Mangel an Autorität, an gutem Willen, die Nichtachtung oder verkehrte Anwendung der wissenschaftlichen Gesetze in der Praxis. Nur wenn die Erziehungslehre selbst eine unrichtige ist, kann sie der Praxis schaden. § 9. Die Hilfswissenschaften der Pädagogik. Die theoretische Pädagogik oder Erziehungslehre ist eine p r a k t i s c h e Wissenschaft. Sie lehrt, w i e m a n erz i e h e n soll. 1. Bedenkt man nun, dafs der G e g e n s t a n d der Erziehung der M e n s c h ist, so ist klar ersichtlich, dafs sie sich auf die L e h r e v o m M e n s c h e n , auf die A n t h r o pologie (vom griech. Wort anthropos = Mensch) stützen muís. Soll der Erzieher durch seine Einwirkungen die körperliche und geistige Entwicklung des Zöglings befördern,
§ 10.
17
Einteilung der Erziehungslehre.
so rnuis er Leib und Seele kennen und die Wirkung der Erziehungsmittel auf jene zu prüfen vermögen. Die Lehre vom Menschen ist deshalb unstreitig die erste grundlegende Hilfswissenschaft der Pädagogik. Soweit die A n t h r o p o l o g i e sich auf den K ö r p e r bezieht, heilst sie Somatologie (griech. soma = , Leib) oder K ö r p e r l e h r e , soweit sie die Seele betrifft, Psychologie (griech. psyche, Seele) oder S e e l e n l e h r e . 2. Es handelt sich aber nicht blofs darum, zu wissen, wie der Mensch ist, sondern auch darum, wie er s e i n , resp. werden soll. Diese Frage nach dem Ziel der Erziehung beantwortet die Ethik (vom griech. ethos, Sitte, Charakter) oder Moral (Sittenlehre), welche als die weitere Hilfswissenschaft •der Pädagogik erscheint. »Die Ethik ist es, welche erst die Pädagogik aus sich erzeugt«. (Waitz). 3. Das Erziehungsziel kann nicht erreicht werden, wenn •der Zögling nicht genügende E i n s i c h t in seinen eigentlichen Lebenszweck erreicht. Um ihm solche Einsicht zu verschaffen, mufs der Erzieher die Regeln kennen lernen, nach welchen der Geist beim D e n k e n verfährt, damit «r den Unterricht logisch so zu ordnen vermag, wie er am leichtesten und sichersten in das Bewufstsein des Schülers tritt. Deshalb ist die Logik (vom griech. logos, Wort, Rede, Vernunft) oder die K u n s t l e h r e des D e n k e n s die dritte Hilfswissenschaft der Pädagogik, wie folgendes Schema zeigt: Hilfswissenschaften der Pädagogik Anthropologie Ethik Logik Somatologie Psychologie Ein fruchtbares Studium der Pädagogik setzt die Kenntnis der H a u p t g r u n d s ä t z e dieser Hilfswissenschaften voraus. § io. Einteilung der Erziehungslehre.
Entsteht ein pädagogisches Lehrgebäude an der Hand der fortlaufenden Geschichte, so erhält man die historische Pädagogik (Geschichte der Pädagogik); entsteht es aber B ö h m , Praktische Erziehungslehre.
2
18
Allgemeine Einleitung.
durch überlegte Anordnung der Erziehungsfragen, so erhält
man die systematische Pädagogik. Diese letztere ist
1. eine philosophische, wenn die Untersuchungen zum Aufbau der Wissenschaft nur durch das absolute Nachd e n k e n über das Erziehungssubjekt ohne Rücksicht auf die übrigen Verhältnisse stattfinden; 2. eine empirische oder praktische, wenn diese Untersuchungen mehr relativer Natur sind, d. h. auf die Erf a h r u n g Rücksicht nehmen. Das vorliegende Lehrbuch will ein S y s t e m der prakt i s c h e n P ä d a g o g i k darstellen. Nach § 7 schliefst die Erziehung die drei Hauptthätigkeiten: P f l e g e , Z u c h t und U n t e r r i c h t ein. Denkt man sich nun diese Thätigkeiten z u g l e i c h in Anwendung, so spricht man von E r z i e h u n g im w e i t e r e n S i n n e ; scheidet man aber die Unterrichtsthätigkeit aus, so geben P f l e g e und Z u c h t die Erziehung im e n g e r e n Sinne. Deshalb zerfällt die Erziehungslehre im weiteren
Sinne a) in die Erziehnngslehre im engeren Sinne (auch
eigentliche Erziehungslehre), welche die u n m i t t e l b a r e Erziehung lehrt, nämlich die Beförderung der natürlichen Entwicklung des Zöglings durch die P f l e g e und die Gewöhnung an das rechte Leben durch die Zucht. Ihr a l l g e m e i n e r Teil handelt von d6r Pflege und Zucht ü b e r h a u p t , ohne Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse; ihr b e s o n d e r e r Teil dagegen handelt von der angewandten Erziehung (Pflege und Zucht) in Haus oder Schule, in Instituten etc. b) in die Unterrichtslehre, welche lehrt, wie die zum Wollen treibende Einsicht durch den Unterricht (mittelbare Erziehung), angeeignet werden soll. Der a l l g e m e i n e Teil der U n t e r r i c h t s l e h r e beschäftigt sich mit den für alle Lehrgegenstände gleicherweise gültigen Grundsätzen und Regeln. Dabei soll auch von der Einrichtung und Verwaltung der Unterrichtsanstalten, d. h. der S c h u l e n (Schulkunde) gesprochen werden. Der b e s o n d e r e Teil handelt von der a n g e w a n d t e n Unter-
§ 10. Einteilung der Erziehongslehre.
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richtslehre oder von der s p e z i e l l e n M e t h o d i k , d. h. von der Anwendung der allgemeinen Grundsätze auf die einzelnen Lehrfächer. Das Gesamtwissen über die Erziehung wird sich sonach in folgende Übersicht bringen lassen: Erzlehungslehre
historische philosophische
systematische empirische (praktische)
Erziehungslehre
Untenichtslehre
Im weiteren Sinne
Im engeren Sinne
Allgemeine Erziehungslehre
Angewandte (besondere)
Erziehungslehre
(Schnldlazlplin)
Allgemeine Unterrichtslehre (Didaktik)
Angewandte (besondere)
Unterrichtslehre
(Spezielle Methodik)
Demnach ergibt sich für das vorliegende Werk folgende Einteilung: E r s t e s Bnch. Praktische Erzlehnngslehra.
I. A l l g e m e i n e Erzi e h u n g s l e h r e . II. A n g e w a n d t e E r z i e h u n g s l e h r e . (Insbesondere Schuldiariplin.) Z w e i t e s Bach. Praktische Unterrichtslehre.
I. A l l g e m e i n e U n t e r r i c h t s l e h r e (Didaktik). IL A n g e w a n d t e (besondere) U n t e r r i c h t s l e h r e . (Spezielle Methodik.)
2*
E r s t e s Buch.
Die Erziehungslehre im engeren Sinne. I. Allgemeine Erziehungslehre. § Einleitung und Ubersicht.
Die Erziehungslehre im engeren Sinne handelt in ihrem a l l g e m e i n e n Teile I. von dem Zögling als dem Gegenstande der Erziehung, dessen Natur bekannt sein mufs, wenn seine Entwicklung mit Verständnis geleitet werden soll (Anthropologische und psychologische Grundlagen); II. von dem Erzieher, dessen ganzes Wesen so geeigenschaftet sein muls, dals er die Entwicklung des Zöglings mit Erfolg leiten kann; III. von der Erziehung, welche, wenn sie erfolgreich sein soll, 1. den wahren Zweck und das letzte Z i e l der Erziehung stets im Auge behalten mufs; 2. die geeigneten Mittel hierzu aufzusuchen und dieselben 3. nach richtigen G r u n d s ä t z e n und zweckgemäfser Methode zu verwerten hat. Der b e s o n d e r e Teil der Erziehungslehre handelt von der a n g e w a n d t e n Erziehung,' also von den Formen derselben, welche sich bei der Ausführung je nach den ver-
§ 12.
Allgemeines.
21
schiedenen S t ä t t e n und P e r s o n e n der Erziehung ergeben und wobei die S c h u l e r z i e h u n g (Schuldisziplin) besonders hervorgehoben wird. Erster Abschnitt.
Der Zögling oder der Gegenstand der Erziehung. Anthropologische Grundlagen. (Die Wissenschaft, welche uns über die leibliche und "geistige Natur des Menschen belehrt, heilst Menschenkande (Anthropologie). Sie zerfällt, wie bereits § 9 angedeutet, in die Lehre vom menschlichen Körper = Somatologie und in die Lehre von der menschlichen Seele = Psychologie.)
I. Die Lehre vom menschlichen Körper. (Physische Anthropologie.)
§ 12. Allgemeines.
Auch die Lehre vom menschlichen Körper gliedert sich in zwei Hauptteile. Soweit sie sich nämlich mit der Aufzählung, Beschreibung und Verbindung der leiblichen Organe beschäftigt, heifst sie A n a t o m i e ; soweit sie von den Kräften und Lebensfunktionen der Organe handelt, heifst sie P h y s i o logie. »Die Anatomie ordnet die Organe des Körpers, die gleichen Aufbau und gleiche Funktionen haben, zu Systemen«. Die wichtigsten derselben sind das K n o c h e n - , Muskel-, V e r d a u u n g s - , Gef äfs-, Atmungs-, Nervenund G e s c h l e c h t s s y s t e m . Jedes dieser Systeme hat seinen Sonderzweck zu erfüllen; doch sind sie auch zu gemeinsamem Wirken im Dienste des Gesamtorganismus bestimmt. Durch das Zusammenwirken von bestimmten Gruppen von Systemen entstehen Hauptsysteme der Lebensthätigkeiten, deren wir v i e r haben: 1. das B e w e g u n g s s y s t e m , 2. das E r n ä h r u n g s s y s t e m , 3. das E m p f i n d u n g s s y s t e m , 4. das Fortpflanzungssystem.
22
Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
Anmerkung. Da die ersten Lebensäi^fserungen des Kindes thatsächlich nur körperlicher Natur sind, auch alle Lebenskräfte in der ersten Kindheit auf den Ausbau des unfertigen Körpers gerichtet erscheinen, und überhaupt die psychische Entwicklung des Zöglings die physische voraussetzt, so mufs man auch vom Erzieher und Lehrer eine ausreichende Einsicht in den Organismus des Körpers verlangen. Eine so gründliche Kenntnis wie sie der Arzt darüber besitzen muls, kann selbstverständlich vom Erzieher nicht gefordert werden. Darum befalst sich die pädagogische Somatologie auch nur mit dem, was in unmittelbarer Beziehung zur Aufgabe der Erziehung steht. § 13. Das Bewegungssystem. 1. Das feste Gerüste des Körpers wird von den K n o c h e n gebildet. Sie setzen durch ihre Festigkeit und Härte mechanischen Einwirkungen Widerstand entgegen und schützen so zugleich die von ihnen umschlossenen Weichteile. Das an sich passive Knochengerüst heilst S k e l e t t . Es besteht aus Kopf, Rumpf und Gliedmafsen. — Die F o r m der Knochen ist verschieden. Doch unterscheidet man zwei Hauptarten, nämlich p l a t t e und b r e i t e K n o c h e n (Schädel-, Backenknochen etc.) u n d R ö h r e n k n o ch en (Oberarm-, Oberschenkelknochen etc.), welche aus mehr oder minder schwammigem oder festem Kochengewebe (phosphorsaurer Knochenerde und Knochenknorpel) bestehen. Jeder Knochen ist von einer sehnigen, sehr gefäfsreichen Haut, der K n o c h e n h a u t , umgeben, die ihm die Nahrung zuführt. Im Inneren der Knochen findet sich das K n o c h e n m a r k . Die bewegliche Verbindung zweier oder mehrerer Knochen nennt man G e l e n k . Damit keine Reibung entstehen kann, sind die Gelenkenden der Knochen mit g l a t t e n K n o r p e l n überzogen, mit festen G e l e n k b ä n d e r n verbunden und von der sackartigen G e l e n k k a p s e l umgeben, in welcher sich eine klebrige Flüssigkeit, die sogenannte Gelenkschmiere befindet. 2. An den Knochen entspringen, unmittelbar oder durch lange elastische Bänder sich an dieselben heftend,
§ 14.
Das Ernährungssystem.
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weiche, rote, aus einzelnen Fasern bestehende Eleichmassen, die Muskeln. Doch haften diese nicht sämtlich an Knochen, wie der Ringmuskel des Mundes und der des Auges, welche beide in Weichteilen liegen. Die Muskeln sind die thätigen, aktiven Teile bei der Bewegung der Glieder. Ihre Haupteigenschaft ist nämlich die Zusammenziehbarkeit. Zieht sich der Muskel der Länge nach zusammen, wodurch er kürzer und breiter wird, so nähert er zwei im Gelenk miteinander verbundene Knochen, an welche er mit beiden Enden angeheftet ist, einander im Winkel. Er dient also dazu, das Glied zu bewegen. Werden die beweglichen Teile eines Gliedes einander genähert, so nennt man dies eine Beugung, alle Muskeln, denen diese Aufgabe obliegt, heifsen Beuger (vorderer Oberarmmuskel). Werden die Glieder aus der gebeugten Stellung in die ursprüngliche (oder darüber hinaus) zurückgeführt, so nennt man dies eine Streckung; die Muskeln, welche sie besorgen, heifsen Strecker (hinterer Oberarmmuskel). Wird ein Glied von der Mittellinie des Körpers nach aufsen geführt, so nennt man dies Abziehung, die ^urückführung gegen die Mittellinie Anziehung. Rollung ist die Bewegung des Gliedes um seine Längsachse etc. — Fast alle unsere Bewegungen des täglichen Lebens, alle Hantierungen, das Gehen, Schreiben etc. etc. sind zusammengesetzte Bewegungen, welche erst durch Übung erlernt werden müssen. Durch die Muskeln wird sonach das ganze K n o c h e n g e r ü s t e des menschlichen Körpers in Bewegung g e s e t z t , während die Muskeln wiederum auf Veranlassung der in ihnen reich verästelten Nerven sich in Bewegung setzen (s. § 18). § 14. Das Ernährungssystem.
Unser Leben kann nur dann bestehen, wenn die infolge ihrer Dienstleistung fortwährend sich abnützenden und ausscheidenden Körperbestandteile stets eine entsprechende Ver-
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
jüngung durch Neubau (Zellenbildung) erfahren. Dieser ununterbrochene Wechsel der Stoffe unseres Körpers, der S t o f f w e c h s e l , erhält nicht blofs unseren Körper gesund, sondern fördert auch die geistige Thätigkeit. Zur Unterhaltung des Stoffwechsels (Vegetation, Ernährung) dienen derVerdauungs-, Blutumlaufs-, Atmungs- und Absonderungsapparat, also: Magen, Darm, Leber, Milz, Herz, Lungen, Nieren, Haut. Die Verdauung.
Der Mund mit den Zähnen, der Schlund, die Speiseröhre, der Magen und der Darmkanal mit dem Zwölffingerdarm, Dünn- und Dickdarm sind die V e r d a u u n g s o r g a n e . Der V e r d a u u n g s p r o z e f s beginnt mit der Vorverdauung, welche mit der Aufnahme der Speisen und Getränke in die Mundhöhle anfängt. Die flüssigen Stoffe werden sogleich verschluckt, die festen durch Zerkauen zerkleinert, durch den S p e i c h e l befeuchtet und teilweise aufgelöst und sodann ebenfalls in den Schlund und die Speiseröhre geschoben, wo sie allmählich in den Magen hinabgedrückt werden. Im Magen wird ein Teil der Flüssigkeiten (Wasser, gelöste Salze, Zucker etc.) von der Magenwand aufgesogen und durch Pfortader und Leber in den Blutstrom geschafft, während der übrige feste Teil des Genossenen zu S p e i s e brei (Chymus) verarbeitet wird, wobei der s a u e r e M a g e n s a f t nur die eiweifsartigen StofEe auflöst. Ein Teil der Stärke vom verschluckten Speichel wird in Zucker umgewandelt. Die fetten Stoffe werden durch die Magenwärme nur etwas flüssiger, erleiden aber keine stoffliche Umwandlung. Ist auch das Flüssige des Speisebreies im Magen aufgesogen, so wird der Rest in den Zwölffingerdarm geschoben, von wo er. mit G a l l e und B a u c h s p e i c h e l , sowie mit D a r m s a f t durchtränkt, mit Hilfe der wurmförmigen Bewegungen der Darmwand allmählich den ganzen Dünndarm hinabgedrückt wird. Je weiter der Speisebrei im Dünndarm hinunterrückt, umsomehr wird der flüssige S p e i s e s a f t (Chylus) von den Saugadern herausgesogen und ins Blut übergeführt, was auch im D i c k d a r m sich fortsetzt, wenn noch Nahrhaftes im Speisebrei vorhanden ist.
§ 15. Der Blutumlauf.
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Die Z e i t zur V e r d a u u n g d. h. zur Umwandlung der eingenommenen Nahrung in Körperteile dauert je nach der Art der Stoffe 12—18 Stunden. Die N ä h r s t o f f e sind: Wasser, Eiweifsstoffe, Fette, Salze, ferner Eisen, Schwefel, Phosphor. Die wichtigsten sind als S t o f f b i l d n e r die stickstoffhaltigen oder die E i w e i fs s t o f f e (Eier, Fleisch, Milch, Käse, Pflanzenkleber in den Getreidearten, Hülsenfrüchten etc.), als W ä r m e b i l d n e r die kohlenstoffhaltigen oder die F e t t s t o f f e (Fette, Zucker, Stärkemehl etc.). § 15. Der Blutumlauf.
Das H e r z ist ein länglichrunder, vom H e r z b e u t e l eingeschlossener Muskelsack, der durch eine senkrechte Scheidewand in eine rechte und linke Hälfte geschieden wird, von denen jede wieder durch eine Querwand in einen oberen und unteren Hohlraum getrennt ist. Die oberen Räume heifsen V o r k a m m e r n , die unteren H e r z k a m m e r n , welche alle untereinander in Verbindung stehen. — Vom Herzen gehen die P u l s - oder S c h l a g a d e r n (Arterien) aus, in welchen das Blut nach allen Teilen des Körpers hinfliefst. In das Herz münden die B l u t a d e r n (Venen). Die äufsersten Enden der Puls- und Blutadern stehen durch die feinen Haargefäfse miteinander in Verbindung. (Herzklappen etc.) Die B l u t b e w e g u n g (der B l u t k r e i s l a u f ) hat ihren Mittelpunkt im Herzen. Von diesem, das sich zusammenzieht und erweitert, wodurch der P u l s s c h l a g entsteht, geht die Bewegung aus. Die Zahl der Pulsschläge beläuft sich bei Erwachsenen in einer Minute auf 60 bis 70 oder 80, bei Kindern auf 90 bis 140. »Man nennt den Teil des Kreislaufes, welcher von der rechten Herzkammer durch die Lungen bis zur linken Herzkammer reicht, den k l e i n e n K r e i s l a u f . Dagegen heilst der Lauf aus der linken Herzkammer, durch die Verzweigungen der grofsen Körperpulsader, die Haargefäfse aller Teile und durch die Blutadern zum Herzen zurück, der g r o f s e K r e i s l a u f . Jede dieser beiden Bahnen führt
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Die Eiziehungslehre im engeren Sinne.
ebensowohl gutes (hellrotes) als auch schlechtes (blaurotes) Blut«. Das gebrauchte, dunkle, schlechte Blut des grofsen Kreislaufes wird durch den kleinen Kreislauf in die Lungen geschafft, dort mit dem in den Lungenbläschen befindlichen Sauerstoff in Berührung gebracht und dadurch zu neuem Gebrauch in hellrotes verwandelt, dann aus der Lunge in die linke Herzhälfte geführt, wo es wieder nach allen Körperteilen getrieben wird. Zu gleicher Zeit bildet sich Kohlensäure , die ausgeatmet wird. Dieser Reinigungs- und Verbrennungsprozels des Blutes verursacht die Körperwärme. Ein weiterer Reinigungsapparat ist die Leber, in welcher mit Hilfe des Pfortaderblutlaufes die Galle bereitet wird. Das B l u t selbst ist die wahre »Lebensquelle«, der flüssige Organismus, aus dem unser Körper aufgebaut ist. Es ist eine etwas zähe, schwachklebrige, rote Flüssigkeit [hochrot (sauerstoffhaltig) in den Pulsadern, bläulichrot, (kohlensäurehaltig) in den Blutadern, von 30° R. Wärme], welche bei Erwachsenen Vis des ganzen Körpergewichts, d. i. 8—10 Pfund, ausmacht. Das Blut besteht aus Blutf l ü s s i g k e i t und B l u t k ö r p e r c h e n . Die unendlich zahlreichen r o t e n Blutkörperchen sind scheibenförmig, die weifsen Lymphkörperchen kugelförmig. Der Hauptzweck der Blutkörperchen ist die Aufnahme des Sauerstoffes aus der eingeatmeten Luft in das Blut. § 16. Das Atmen
geschieht mittels der A t h m u n g s o r g a n e , welche man in drei Gruppen teilt, nämlich: 1. in die luftzuführenden Organe: N a s e , K e h l k o p f und L u f t r ö h r e ; 2. in die Erweiterungsorgane: B r u s t k a s t e n u n d Atemm u s k e l n und 3. in die lufthaltenden Organe: die L u n g e n . Zwischen Bauch- und Brusthöhle bildet das Zwerchfell die Scheidewand. In dem Hohlraum der B r u s t -
§ 17. Die Absonderungsthätigkeit.
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h ö h l e , die sich in eine linke und rechte Hälfte scheidet, liegen links und rechts die beiden L u n g e n f l ü g e l , zwei grofse, weiche, schwammige Organe, welche aus den feinsten Verästelungen der Luftröhre, aus den L u n g e n b l ä s c l i e n oder L u f t z e l l e n und aus äulserst feinen Blut- und Lymphgefäisen bestehen. »Der A t m u n g s p r o z e f s , welcher mit Hilfe des (eingangs erwähnten) Apparates Sauerstoff in das Blut hinein und Kohlensäure aus demselben herausschafft, beginnt sofort nach der Geburt mit dem, Einziehen atmosphärischer Luft in die Lungenbläschen, welche nun im gesunden Zustande niemals wieder leer von Luft werden«. Durch das Ausatmen wird jedoch nur ein Teil dieser Luft ausgetrieben, um durch das Einatmen wieder eine frische Portion zuführen zu können. »Die eingeatmete Luft tritt nämlich aus den Lungenbläschen durch die Wandung derselben zu dem in den umliegenden Haargefäfsen kreisenden Blute, um ihm Sauerstoff zuzuführen. Umgekehrt tritt auf demselben Wege Luft, welche Kohlensäure und Wasserdampf führt, aus dem Blute in die Lungen zurück, um durch Ausatmung aus dem Körper ausgeschieden zu werden«. Durch die beim Ein- und Ausatmen stetig abwechselnde, blasebalgähnliche Erweiterung und Verengerung der Brusthöhle gewinnt dieser Prozefs auch Einfluss auf den B l u t l a u f und den Fluis der Lymphe und des Speisesaftes. — Erwachsene atmen 12—20 mal in der Minute, Kinder 20—24 mal, Säuglinge 40 mal und darüber. Die Pflanzen atmen umgekehrt Kohlenstoff ein und Sauerstoff aus. § 17. Die Absonderungsthätigkeit
des menschlichen Körpers erfolgt durch die L u n g e n , wie eben in § 16 nachgewiesen, dann durch die H a u t und die N i e r e n . Die H a u t , welche die äufsere Bedeckung des Körpers bildet, ist zugleich Ausscheidungs-, Sinnes- und Wärme-
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
regulierungsorgan. 'Sie besteht aus O b e r h a u t , Le d e r h a u 1 und F e t t h a u t , von welchen die feste, dabei aber elastische und dehnbare L e d e r h a u t die Organe der A u s s c h e i d u n g , nämlich die S c h w e i f s - und T a l g d r ü s e n enthält. Ar 2 1 k Millionen Schweifsdrüsen sind über die ganze Haut am zahlreichsten in den Hand- und Fufstellern und in de? Achselhöhle verbreitet. »Sie stellen in der Tiefe korkzieherartig gewundene, nach oben gerade verlaufende, mit einen: feinen Haargefäfsnetz umzogene Kanäle dar, welche an dei Oberhaut (Epidermis) in eine feine Öffnung, die P o r e , auslaufen«. Der durch sie in Tröpfchen abgesonderte S c h w e i fs besteht aus Wasser, Salzen und Fettsäuren. Seine Menge ist je nach Umständen sehr verschieden. Die T a l g d r ü s e n sind kleine, gleichfalls von einem Haargefäfsnetz umsponnene Schläuche, die eine fettige Substanz, den H a u t t a l g , absondern.— Die Haut ist ferner durch den zu jeder Zeit von der Oberfläche der Haut aufsteigenden H a u t d u n s t ein Ausscheidungsorgan. Die Menge des durch die Haut verdunsteten Wassers beträgt durchschnittlich fast 2 Pfund im Tage. Die Haut kann sich zusammenziehen, so dafs dann weniger Feuchtigkeit und Wärme entweichen kann. Die U n t e r - o d e r F e t t haut hält die äufsere Kälte ab. Die Hautthätigkeit allein kann uns nicht vor zu grofser Wärmeabgabe schützen. Hiezu bedürfen wir auiser der Wohnung, auch der K l e i d u n g , die aus schlechten Wärmeleitern (Pelz, Wolle, Seide) bestehen und porös sein soll. Die N i e r e n , die in Fettpolstern in der Bauchhöhle hinter den Därmen zu jeder Seite der Lenden Wirbelsäule eingebettet sind, haben mit den Harnleitern der Harnabsonderung zu dienen. Diese ist ein Reinigungsprozefs für das Blut, indem dadurch aus demselben nicht blofs der Wasserüberschufs, sondern auch in Harnstoff und Harnsäure zersetzte, alte abgenutzte und unbrauchbare Eiweifsstoffe aus dem Körper entfernt werden. »Bleiben diese Mauserungsstoffe im Blute zurück und häufen sie sich allmählich an, so kann Krankheit (Gicht) und selbst der Tod die Folge sein«.
§ 18. Das Empfindungssystem.
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§ 18. Das Empfindungssystem.
Die Organe der Empfindung sind die N e r v e n , welche die Vermittlung zwischen Leib und Seele besorgen. Das feine Gewebe, welches die Schädelhöhle unseres Kopfes und den Rückenwirbelkanal füllt und in Fasern und Strängen den ganzen Körper durchzieht, heilst Nervens u b s t a n z . Sie stellt sich als eine weiche, sehr eiweifs- und fettreiche, phosphor- und schwefelhaltige Masse dar, welche entweder eine graue oder weilse Farbe hat. Die g r a u e Nervenmasse besteht vorwiegend aus runden, spindel- und sternförmigen Bläschen, den Nervenzell e n, deren zähflüssiger, fast wasserheller, mit Farbenkörperchen durchsetzter Kern P r o t o p l a s m a (Urform) heilst. In der w e i f s e n N e r v e n m a s s e befinden sich hauptsächlich N e r v e n f a s e r n , mikroskopisch dünne, fadenförmige Röhrchen, welche das sogenannte N e r v e n m a r k enthalten. Eine Zusammenlagerung solcher Nervenfäserchen zu einem etwas elastischen Strang heilst A c h s e n c y l i n d e r . Dieser ist teils nackt, teils von einer äufserst zarten, glashellen Haut, der N e r v e n s c h e i d e , umgeben. Die Achsencylinder sammeln sich an manchen Stellen zu gröfseren, dem Kundigen mit freiem Auge sichtbaren Bündeln oder Strängen von der Dicke eines Seidenfadens bis zu der eines Bleistiftes an. Diese Stränge nennt man kurzweg N e r v e n . An manchen Stellen schwellen die Nervenstränge zu rötlich-grauen K n o t e n oder G a n g l i e n von der Grölse einer Linse bis zu der einer Bohne an. Sie bestehen aus Nervenzellen, den sogenannten G a n g l i e n zellen. Das ganze Nervensystem zerfällt in zwei Hauptteile, in das G e h i r n - R ü c k e n m a r k n e r v e n s y s t e m und das sympathische Nervensystem. Das Gehirn-Rückenmarknervensystem hat drei Mittelpunkte, nämlich das Gehirn, das Rückenmark und die von beiden auslaufenden Nerven. G e h i r n und R ü c k e n m a r k hängen unmittelbar zusammen. Ersteres liegt wohlverwahrt in der Schädelhöhle, letzteres in dem bis in die Lenden-
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
gegend hinabreichenden Rückenwirbelkanal. Gehirn und Kückenmark bestehen ihrer Hauptmasse nach aus Ganglienzellen und Nervenfasern, die besonders im Gehirn zu groisen Gruppen angehäuft sind und sich schon durch ihre Farbe erkenntlich machen. Die Oberfläche des Gehirns, die Geh i r n r i n d e , besteht nur aus g r a u e r G a n g l i e n m a s s e , das I n n e r e d e s G e h i r n s dagegen gröfstenteils aus weifser Fasernmasse. Das bei Erwachsenen gegen drei Pfund schwere Gehirn ist von halbkugelförmiger Gestalt und von oben her in der Mitte durch eine Längsfurche in zwei seitliche Hälften geteilt, welche das g r o f s e G e h i r n bilden. An der unteren hinteren Partie dieser Hemisphären hegt das durch einen breiten Stiel mit dem Grofshirn verbundene k l e i n e G e h i r n und aufserdem noch das v e r l ä n g e r t e M a r k , welches Gehirn und Rückenmark verbindet. Die N e r v e n laufen vom Gehirn und Rückenmark aus und verästeln sich, ähnüch wie das Gefäfssystem, so durch den ganzen Körper, dafs es kaum einen Punkt gibt, wo nicht Nerven vorhanden wären. Die H i r n n e r v e n , welche aus der Basis des Gehirns und aus dem verlängerten Mark entspringen, durch die Öffnungen in der Schädelkapsel in 12 Paaren heraustreten und sich auch im G e s i c h t verbreiten, sind zum Teil Sinnes- und Empfindungsnerven, zum Teil Bewegungsnerven; denn sie vermitteln das Sehen, Hören, Riechen und Schmecken, sowie das Gefühl im Gesichte, Halse, Magen und in der Brust. Auch leiten sie die Bewegungen des Auges, des Gesichtes, des Kauapparates, der Zunge, des Kehlkopfes, der Speiseröhre und des Magens. Die R ü c k e n m a r k s n e r v e n treten aus dem Rückenmark hervor, an jeder Seite 31. Sie verbreiten sich mit ihren Zweigen am Hinterkopfe, Halse, Nacken, Rücken, an den Armen, der Brust, dem Bauche und den Beinen und dienen am Rumpfe und an den Gliedmafsen als Empfindungsund Bewegungsnerven. Das G e h i r n - R ü c k e n m a r k n e r v e n s y s t e m nennt man auch das a n i m a l e oder das C e r e b r o s p i n a l - N e r v e n s y s t e m , weil es den Menschen und das Tier von der Pflanze
§ 18. Das Empfindungssystem.
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unterscheidet, insofern es nämlich ersteren die Fähigkeit vermittelt, zu e m p f i n d e n und sich w i l l k ü r l i c h zu bewegen. Nach dieser doppelten Thätigkeit unterscheidet man: a ) E m p f i n d u n g s n e r v e n oder s e n s i b l e Nerven und b ) B e w e g u n g s n e r v e n oder m o t o r i s c h e Nerven. D i e E m p f i n d u n g s n e r v e n sind z e n t r i p e t a l e Nerven, die ihren Ursprung in der Haut, in den Eingeweiden und Sinnesorganen haben und die auf sie ausgeübten Reize von a u I s e n nach i n n e n , von der Peripherie zum Zentrum, zum Gehirn, leiten. Die der S i n n e s e m p f i n d u n g dienenden Nerven heifsen s e n s u e l l e oder S i n n e s n e r v e n , die der K ö r p e r - oder Z u s t a n d s e m p f i n d u n g dienenden aber s e n s i t i v e oder E m p f i n d u n g s n e r v e n im e n g e r e n S i n n e . — Die Empfindungsnerven haben in ihren peripherischen Ausgangsoder besser Endpunkten eine für die Aufnahme der Reize besonders geeignete Form (flächenartige Ausbreitung). Diese Endpunkte (Vorbaue) liegen für die sensuellen Nerven in den Sinnesapparaten, für die sensitiven Nerven in irgend einer nicht zentralen Stelle des leiblichen Organismus (Nägel, Haare und Epidermis ausgenommen). Die B e w e g u n g s n e r v e n sind z e n t r i f u g a l e Nerven, die ihren Ursprung im Gehirn- und Rückenmark (Ganglien) haben und die dort empfangenen Reizie von i n n e n nach a u f s e n zu den Muskeln leiten, welche dadurch in Bewegung gesetzt werden (s. § 13). Die durch die Bewegungsnerven veranlafsten Muskelbewegungen sind doppelter Art, nämlich: a) w i l l k ü r l i c h e , bei welchen infolge einer Empfindung oder Vorstellung der Bewegungsnerv d u r c h u n s e r e n W i l l e n in Thätigkeit gesetzt wird, b) u n w i l l k ü r l i c h e , welche o h n e u n s e r e n Willen, vielfach auch ohne unser Wissen vor sich und von einem der beiden Nebenzentren (Rückenmark und Ganglien) ausgehen. Wenn zentripetale, also Empfindungsnerven »den von ihnen zugeleiteten Reiz in einem der Nervenzentren direkt auf einen von da ausgehenden zentrifugalen Nerven ü b e r t r a g e n (überstrahlen, reflektieren), so nennt man eine solche u n w i l l k ü r l i c h e und gröfstenteils auch u n b e w u f s t e
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
B e w e g u n g » R e f l e x b e w e g u n g « (Überstrahlungsbewegung). Solche Reflexbewegungen sind: das B l i n z e l n oder Schliefen der Augen bei starken Lichtreizen, das E r r ö t e n und E r b l a s s e n bei Gemütsbewegungen, das Vorstrecken der Hände im Fallen etc. Die W e c h s e l w i r k u n g zwischen S e e l e und Aulsenw e l t verläuft sonach in E m p f i n d u n g und B e w e g u n g . Von der A u f s e n w e i t geht der Reiz aus, der in der Seele E m p f i n d u n g wird. Von der Seele aber geht als Antwort die B e w e g u n g aus, die in der Aufsenwelt endet. (Z. B. das Kind s i e h t einen Apfel, der ihm g e f ä l l t . Es w i l l ihn und g r e i f t nach demselben.) A n a t o m i s c h sind Empfindungs- und Bewegungsnerven gleich, in ihrer T h ä t i g k e i t wie eben ausgeführt, jedoch v e r s c h i e d e n . Die E m p f i n d u n g s n e r v e n können nur Reize n a c h i n n e n , die B e w e g u n g s n e r v e n nur Reize n a c h au Isen vermitteln. E m p f i n d u n g und Bewegung vollziehen sich nach angestellten Berechnungen verhältnismäfßig langsam. Die Geschwindigkeit der Nervenleitung beträgt im Durchschnitt beim Menßchen 33 m pro Sekunde. Ein Adler macht zirka 33 m pro Sekunde, der Schall » » 333 » » » ' das Licht » » 300 Mill. m » » die Elektricität » » 464 Mill. m » » (Vergl. Königbauer, Grundzüge der Psychologie und Logik S. 26.) H e l m h o l t z hat auch nachgewiesen, dais die im Gehirn angelangte Nervenerregung nicht sofort zur b e w u l s t e n Empfindung wird, sondern dais hierzu noch ein Z e i t a u f w a n d von Vio—'/«o Sekunde erforderlich ist. »Gehirn- und R ü c k e n m a r k n e r v e n s y s t e m gleichen einer T e l e g r a p h e n a n l a g e . Die Anfänge der Empfindungsfasern samt den Sinnesorganen sind die Aufgabestationen, das Gehirn ist Hauptbureau, das Rückenmark Nebenbureau und Hauptleitung, die Nervenfasern sind leitende Drähte und die Muskeln Bestimmungsorte«. (Scholz.)
Das sympathische Nervensystem auch Gangliensystem genannt, besteht aus sehr zahlreichen, zum gröfsten Teil aus grauer Nervenmasse aufgebauten N e r v e n k n o t e n ,
§18.
Das Empflndungssystem,
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mit welchen zahlreiche Nervenfäden im Zusammenhange stehen, die sich g e f l e c h t a r t i g hauptsächlich in den Brustund Baucheingeweiden verbreiten. Der K n o t e n t e i l oder die G a n g l i e n k e t t e zieht sich in Gestalt zweier Stränge an beiden Seiten des Rückgrats und zwar an der vorderen Fläche von der Schädelhöhle bis zum Steifsbeine herab. Jedem Strange sind in Zwischenräumen 25 Nervenknoten angereiht. Der G e f l e c h t s t e i l bildet Nervennetze, in welchen ebenfalls Ganglien zerstreut vorkommen. Das gröfste Nervengeflecht des Körpers ist das S o n n e n g e f l e c h t , das in der Bauchhöhle hinter dem Magen liegt. Das sympathische Nervensystem wird auch das v e g e t a t i v e N e r v e n s y s t e m genannt, weil von ihm die unwillkürlichen und unbewufsten, zur Erhaltung des Körpers dienenden Thätigkeiten, der Blutkreislauf, die Atmung, Ernährung, Verdauung und Ausscheidung, abhängig sind. Da das vegetative Nervensystem vom Willen wenig abhängt und fortwirkt, auch wenn der Mensch bewufstlos ist, so nennt man es auch das u n w i l l k ü r l i c h e Nervensystem. Dasselbe hat ebenfalls einen zentralen Teil, die G a n g l i e n , und einen peripherischen, die zahllosen V e r z w e i g u n g e n der sympathischen Stränge. Auch die Ganglienkette steht durch Nervenfasern in mannigfacher Verbindung mit Gehirn und Rückenmark. So erklärt es sich auch, dafs das Gehirn- und Rückenmarknervensystem selbst bei den vegetativen Thätigkeiten mitspielt. Da nun alle N e r v e n entweder vom G e h i r n ausg e h e n und sich in ihm s a m m e l n oder w e n i g s t e n s mit i h m in V e r b i n d u n g s t e h e n , da a l l e ä u l s e r e n R e i z e v o n d e n N e r v e n zum G e h i r n g e l e i t e t u n d von d e m s e l b e n alle B e w e g u n g s i m p u l s e in fast alle T e i l e des K ö r p e r s entsendet werden: so n i m m t m a n an, d a f s d a s G e h i r n (und zwar die graue Hirnrinde) d e r S i t z d e r S e e l e , a l s o d e r S i t z des B e w u f s t s e i n s , des D e n k e n s , F ü h l e n s u n d W o l l e n s sei. B ö h m , Praktische Erziehungelehre.
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Die Eniehungslelire im engeren Sinne.
§ 19. Die Sinnesorgane. Wir haben fünf Sinne: Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack und Gefühl und dementsprechend auch fünf äufsere Sinnesorgane, nämlich Auge, Ohr, Nase, Zunge und Haut. Das Auge. Das Sehorgan ist im A u g a p f e l enthalten. Dieser stellt sich als eine mit durchsichtigem Inhalt gefüllte Kugel dar, deren Wand von drei ü b e r e i n a n d e r ges c h i c h t e t e n H ä u t e n gebildet wird. Der durchsichtige Kern des Augapfels besteht aus der K r y s t a l l i n s e , dem Glaskörper und dem Augenwasser. Die ä u f s e r s t e H a u t s c h i c h t e besteht aus der w e i l s e n h a r t e n A u g e n h a u t , die das Weifse des Auges darstellt und in ihrem vorderen Teile in die durchsichtige, beinahe kreisrunde H o r n h a u t übergeht, welche uhrglasartig eingefalzt erscheint. Die m i t t l e r e H a u t s c h i c h t e setzt sich aus der gefäfsreichen, schwarzen A d e r h a u t und dem »farbigen Ring, d. h. der verschiedenfarbigen R e g e n b o g e n h a u t (Iris)« zusammen. In der Mitte hat letztere eine kreisrunde Öffnung, die P u p i l l e (Sehloch, Augenstern), die dazu bestimmt ist, den Lichtstrahlen den Durchgang zu gestatten, und welche durch besondere Muskeln sowohl erweitert als verengert werden kann. Die dritte oder i n n e r s t e H a u t s c h i c h t e ist die durch die Verästelung des Sehnerven gebildete N e t z h a u t . Wird diese durch die in das Auge einfallenden Lichtstrahlen (eines beleuchteten Gegenstandes) getroffen, so pflanzt sich der Reiz durch die Nerven zum Gehirn fort und vermittelt hierauf in der Seele die entsprechende Gesichtsempfindung. Das O h r wird durch das Trommelfell in seinen äufseren und inneren Teil geschieden. Zum ä u f s e r e n O h r gehören die O h r m u s c h e l und der G e h ö r g a n g , welche die Schallwellen auffangen und an das T r o m m e l f e l l leiten, das dadurch in Schwingungen versetzt wird, welche sich auf die im mittleren Ohre, der P a u k e n h ö h l e , befindlichen Knöchelchen: H a m m e r , A m b o l s u n c f s t e i g b ü g e l übertragen. Die T r o m p e t e (Eustachische
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§ 19. Die Sinnesorgane.
Röhre) verbindet Schlundkopf und Paukenhöhle, um die in der Paukenhöhle befindliche Luft mit der äufseren Luft ins Gleichgewicht zu setzen. Vom Steigbügel verpflanzen sich die Schwingungen auf das Häutchen des ovalen F e n s t e r c h e n s und von diesem auf das i n n e r e Ohr (Vorhof, Schnecke und drei Bogengänge), das mit dem G e h ö r w a s s e r erfüllt ist. In diesem werden durch die Schwingungen die Gehörs t e i n c h e n , die H ö r h a a r e und C o r t i s c h e n F a s e r n bewegt, wodurch der Gehörnerv erregt wird, der den Reiz zur Seele leitet. Das G e r u c h s o r g a n (die Nase), welches zugleich Atmungsorgan ist, besteht eigentlich nur aus der mit R i e c h z e l l e n versehenen N a s e n s c h l e i m h a u t in der oberen Nasenhöhle. Das R i e c h e n kommt dadurch zu stände, dafs die in der Luft enthaltenen Riechstoffe in den oberen Teil der Nasenhöhle hinaufgesogen und so mit den Riechzellen in Berührung gebracht werden. Das G e s c h m a c k s o r g a n ist die Z u n g e zugleich Verd a u u n g s - , S p r a c h - und T a s t o r g a n ) mit den an der Zungen wurzel befindlichen G e s c h m a c k s w ä r z c h e n , auf denen die Geschmacksnerven in kolbenartigen Geschmacksk n o s p e n sitzen. Kommen flüssige oder durch den Speichel weichgemachte Speisen an die Geschmacksknospen, so wird der Geschmacksnerv gereizt. Das Gefühlsorgan ist nicht ein besonders abgegrenztes Organ wie die vorhergenannten, sondern ein vielfaches. Dasselbe ist in den A n f ä n g e n der Empfindungsnerven, in der H a u t , sowie in den ü b r i g e n K ö r p e r t e i l e n zerstreut als Organ des e i g e n t l i c h e n G e f ü h l s s i n n e s , während die Tastkörperchen (Tastwärzchen) der äufseren Haut, besonders an den Fingerspitzen und an der Zunge, dem T a s t s i n n e insbesondere dienen. Auch der Temper a t u r s i n n gehört hierher. Seine Organe sind noch nicht bekannt; »doch ist ihr Sitz wohl gleichfalls in der äufseren H a u t und der Z u n g e n s p i t z e zu suchen«. Die Sinnesorgane nehmen im Nervensystem die erste Stelle ein und sind für das geistige Leben des Menschen von 3*
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
grölster Wichtigkeit. Mittels derselben nehmen wir die Vorgänge und Erscheinungen der Aulsenwelt und die Zustände unseres eigenen Körpers wahr. § 20. Der Stimmapparat und die Sprache. Zum Sprechen dient dem Menschen der Stimmapparat. Dessen wichtigstes Organ ist der K e h l k o p f , durch welchen die Stimme zunächst in Gestalt ungegliederter (unartikulierter) Töne erzeugt wird. Mit Hilfe anderer Teile des Stimmapparates, wie der M u n d h ö h l e , des G a u m e n s , der Z u n g e , der Z ä h n e und L i p p e n , werden die unartikulierten Töne in artikulierte umgewandelt. So wird die Stimme zur Sprache. Soll im Kehlkopf Stimme entstehen, so mufs Luft aus den Lungen durch die Luftröhre und den Kehlkopf hindurchgetrieben werden. Hierdurch geraten die im Kehlkopf befindlichen S t i m m b ä n d e r in tönende Schwingung. Der so erzeugte Ton geht mit dem Luftstrom durch die S t i m m r i t z e in den Nasenrachenraum und durch die Mundöffnung ins Freie. Die Höhe des Tones wird durch die mehr oder weniger straffe Spannung der Stimmbänder bedingt, da von ihr die gröfsere oder geringere Zahl von Schwingungen abhängt. Der t i e f s t e Ton der Menschenstimme, die ungefähr 3^2 Oktaven umfafst (beim Einzelnen meist nur 2 bis 2 Vs Oktaven), wird durch ungefähr 80, der höchste durch ungefähr 1000 Schwingungen erzeugt. Je nach dem Willen des Menschen werden die Töne zur Sprache oder zum Gesang. »Die S p r a c h e ist eine der wunderbarsten willkürlichen Bewegungen und ausschliefslich Eigentum des Menschen, während Stimme und Gesang auch in der Tierwelt ziemlich verbreitet sind« (Bock). Die Sprache verdankt der Mensch seiner gottgegebenen Veranlagung, seiner gegenüber allen anderen Geschöpfen höheren geistigen Befähigung. Literarische Hilfsmittel. B o c k , Volks-Gesundheitslehrer. Zum Kennenlernen, Gesunderhalten und Gesundmachen des Menschen. 3. Aufl. Leipzig, 1865. — D r b a l , Darstellung der wichtigsten Lehren der Menschenkunde und Seelenlehre.• Als Grundlage der Erziehungslehre. I. Teil. Wien, 1872. — V o g e l , Anthropologie uud Gesund-
§ 21.
Einleitung.
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heitsletire. Leipzig, 1883. — Z i e s i n g , Gesundheitslehre in der Volksschule. Giessen, 1884. — B e n n e r , Menschenlehre. Bernburg, 1885. — S c h o l z , Leitfaden der Gesundheitslehre für Schulen, Leipzig und Berlin, 1886. — Verschiedene pädagogische Schriften. —
n. Die Lehre von der menschlichen Seele. (Psychische Anthropologie.)
§ 21. Einleitung.
Die S e e l e n l e h r e oder P s y c h o l o g i e befafst sich mit der g e i s t i g e n N a t u r des Zöglings, seinen Anlagen und ihrer Entwicklung. Sie hat es also nicht mit sinnlich-wahrnehmbaren Dingen der Aulsenweit, sondern mit u n k ö r p e r lichen, unmelsbaren, ungeformten Gegenständen der I n n e n w e l t , mit Empfindungen, Vorstellungen, Gedanken, Gefühlen und Bestrebungen etc., kurz, mit der S e e l e zu thun. Ihre A u f g a b e ist, d i e S e e l e n t h ä t i g k e i t e n nach ihrem e i g e n t ü m l i c h e n Wesen zu ordnen und zu b e s c h r e i b e n u n d d i e G e s e t z e d e r g e i s t i g e n Entwicklung aufzusuchen und darzustellen. Die ausgiebigste Q u e l l e für die Erkenntnis des Seelenlebens ist die S e l b s t b e o b a c h t u n g , zu welcher sich als zweite Hauptquelle die B e o b a c h t u n g a n d e r e r gesellt. Mit beiden beschäftigt sich die e m p i r i s c h e P s y c h o l o g i e . Durch S c h l u f s f o l g e r u n g e n aus den gewonnenen Erfahrungskenntnissen entsteht die s p e k u l a t i v e Psychologie.' Wir haben es hier nur mit der ersteren zu thun. Anmerkung. So wichtig die richtige B e o b a c h t u n g unseres eigenen I n n e r n , das sorgfältige Beachten unserer Vorstellungen, Gefühle etc. erscheint, so wird dies doch dadurch besonders erschwert, dafs die Seele hierbei zugleich Beobachter und Beobachteter ist. Manche Seelenzustände, wie grofser Schmerz, grofse Freude etc. nehmen uns auch oft so ein, dafs wir weniger von uns selbst wissen als andere, und in froher Laune urteilen wir anders als im Zustand der Verstimmung. Da wir endlich aus Selbstsucht, Hochmut und Eigenliebe zwar rasch den »Splitter im Auge des Nächsten«, nicht aber den »Balken im eigenen Auge« bemerken, so mufs unser durch Selbstbeobachtung erworbenes Wissen ergänzt und berichtigt
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
werden durch die unmittelbare B e o b a c h t u n g des Seelenl e b e n s anderer, besonders der sich entwickelnden Kinder, oder durch die Lektüre von guten Biographien und Dichtungen. Nicht selten aber beurteilen wir auch das Innenleben anderer falsch, wenn wir es nicht mit dem unseren vergleichen oder uns, wie z. B. um Kinder zu verstehen, in unsere eigene Jugend zurückversetzen (Leutz). »Willst du dich selber erkennen, sieh wie die andern es treiben; Willst du die andern verstehn, blick in dein eigenes Herz < Schiller.
Die Seelenlehre hat sich 1. mit dem E r k e n n e n zu beschäftigen, welches a) die durch die leiblichen Organe vermittelten E m p f i n d u n g e n , b) die rein geistigen Vors t e l l u n g e n umfafst; 2. mit dem F ü h l e n ; 3. mit döm W o l l e n und 4. mit den E i g e n t ü m l i c h k e i t e n d e s g e i s t i g e n L e b e n s , "wie sie durch A l t e r , T e m p e r a m e n t und G e s c h l e c h t bedingt sind.
1. D a s
Erkennen,
a. Das Empfinden.
§
22. Empfindung. Wahrnehmung. Sinnesirrtum.
Bewuistsein.
1. Die Empfindnng wird durch z e n t r i p e t a l e oder Empfindungsnerven vermittelt (vergl. § 18 u. 19). Zum Zus t a n d e k o m m e n d e r E m p f i n d u n g ist erforderlich a) ein ä u f s e r e r o d e r i n n e r e r R e i z , der die Endorgane der Empfindungsnerven trifft (Licht, Stöfs, Druck, Schall, Hunger, Durst etc.); b) die F o r t l e i t u n g d e s E r r e g u n g s z u s t a n d e s (der dem Reiz keineswegs ähnlich ist) durch den zentripetalen Nerven zum Zentrum des Nervensystems, zum Gehirn; c) die A u f f a s s u n g des N e r v e n p r o z e s s e s durch die Seele. Diese drei Stadien repräsentiren a) einen p h y s i k a l i s c h e n A k t , der sich aufserhalb des Nerven vollzieht, b) einen p h y s i o l o g i s c h e n A k t , der im Nerven, und c) einen p s y c h i s c h e n Akt, der in der Seele vor sich geht. »Es stehen sich hier zwei Thatsachen gegenüber, von denen die eine so gewifs ist wie die andere, die aber einander zu
§ 22. Empfindung. Wahrnehmung. Sinnesirrtum. Bewufstsein.
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widersprechen scheinen. Obwohl die Empfindungen nur in u n s entstehen und sind, beziehen wir sie dennoch auf äulsere Gegenstände. Farben, Töne, Gerüche etc. scheinen von auisen auf uns einzuströmen, wir meinen gewisse Stoffe unmittelbar zu schmecken, allerlei fremde Körper, sowie unseren eigenen Körper unmittelbar zu fühlen Der entwickelte Mensch empfindet aber anders als das neugeborene Kind; dieses empfindet nur subjektiv. Es hat in den ersten Lebenswochen weder von der Aulsenwelt, noch von seinem Körper, noch von seiner Seele Kunde. Es empfindet bei eintretenden Reizen nur Veränderungen seines inneren Zustandes ( dieErregungen seines Seelenwesens. Dieses Gewahrwerden seiner Seelenerregung, s e i n I n - s i c h - f i n d e n eines Z u s t a n d e s ist eben die reine Empfindung, der Keim und Anfang aller psychischen Entwicklung«. (Dittes.) Die E m p f i n d u n g i s t d i e e r s t e u r s p r ü n g l i c h s t e T h ä t i g k e i t (Erscheinung, Vorgang, Zustand) d e r S e e l e , d i e A n t w o r t d e r s e l b e n auf den v e r m i t t e l t e n Reiz. Sofern die Seele äufseren Reizen z u g ä n g l i c h ist, besitzt sie R e i z e m p f ä n g l i c h k e i t o d e r R e c e p t i v i t ä t , insofern sie sich a n r e g e n lälst, E r r e g b a r k e i t oder I r r i t a b i l i tät, und insofern sie die Reize in E m p f i n d u n g e n umsetzt, S i n n l i c h k e i t oder S e n s i b i l i t ä t . Gesellen sich zu diesen Seeleneigenschaften gute Sinnesorgane, s t a r k e , a n d a u e r n d e Sinnesreize, so sind klare E m p f i n d u n g e n die Folge. 2. Die Wahrnehmung. Sechs Wochen nach der Geburt folgt das Kind mit dem Auge selbst dem Lichte, das es früher ruhig auf sich hat wirken lassen. Warum ? Werden durch gleichartige Reize w i e d e r h o l t Empfindungen hervorgerufen, so treten die s p ä t e r e n Empfindungen, infolge der von den früheren Empfindungen zurückgebliebenen psychischen Spuren, v e r s t ä r k t und k l a r e r auf. Bei dieser zunehmenden Klarheit der Empfindung wird sich das Kind allmählich gewifs, es mit einem a n d e r e n Wesen zu thun zu haben. In diesem Moment der Unterscheidung des I c h von dem N i c h t - I c h gewahrt es den ä u f s e r e n G e g e n s t a n d , welcher die Empfindung veranlafst, d. h. es n i m m t d e n s e l b e n w a h r : die Empfindung ist zur W a h r n e h m u n g geworden.
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Die Eiziehungslehre im engeren Sinne.
»Die W a h r n e h m u n g ist s o n a c h a l s e i n e obj e k t i v i e r t e E m p f i n d u n g , d. h. a l s e i n e s o l c h e zu b e t r a c h t e n , w e l c h e auf ä u f s e r e s G e s c h e h e n unm i t t e l b a r z u r ü c k g e f ü h r t wird«. (Dittes.) Wie die Gesichtsempfindungen, so werden aber auch die Empfindungen der übrigen Sinne allmählich zu klareren und bestimmteren Wahrnehmungen. 3. Sinnesirrtum. Nicht in allen Fällen sind unsere Wahrnehmungen richtig. Es kann, wie man sagt, ein Sinnesirrtum dazwischen liegen, obgleich eigentlich der Verstand falsch urteilt. W^r das Rollen eines Wagens für den Donner, wer in der Dämmerung einen Busch für eine Menschengestalt hält, irrt sich; er n i m m t d e n G e g e n s t a n d wahr, aber nicht so, wie er ist. Diesen Sinnestrug nennt man I l l u s i o n (Sinnestäuschung). Wer Leute auf der Strafse gehen sieht, ohne dafs solche sich dort bewegen, wer Glockengeläute oder Hundegebell hört, ohne dafs Schallwellen in sein Ohr dringen, irrt sich; er nimmt thatsächlich n i c h t s w a h r , er hat nur eine S i n n e s v o r s p i e g e l n n g , eine H a l l u c i n a t i o n . Anmerkung. Die Veranlassungen zu den Sinnesirrtümern sind teils p h y s i s c h e r , teils p s y c h i s c h e r Natur. So kann die I l l u s i o n in krankhafter Beschaffenheit des Sinnesorgans oder in Reproduktionen, die sich an den gegebenen Empfindungeinhalt mit auiserordentlicher Lebhaftigkeit anschlieisen, ihren Grund haben. Die H a l l u c i n a t i o n kommt bei anormalen Zuständen, heftigem Blutandrange nach dem Kopfe, Fieberkrankheiten, grofser Aufregung etc. häufig vor.
4. Das Bewnfstsein. (Vergl. § 47, 2.) Unser Inneres ist in steter Bewegung. Unbestimmte und klarer werdende Empfindungen wechseln miteinander ab, verschwimmen, gehen und kommen. Unterscheidet die Seele die hin- und herflutenden Empfindungen im Moment der K l a r h e i t von sich, so entsteht durch das W i s s e n von den nach aufsen verlegten Empfindungen, d. h. der Wahrnehmungen, das Bew u f s t s e i n . Der Entstehungsakt der Wahrnehmung ist also zugleich der des Bewufstseins, der Unterscheidungsakt zwischen S u b j e k t und Objekt. Ohne Bewufstsein ist die Wahrnehmung, welche wir eine objektivierte Empfindung
§ 23. Sinnes- und Körperempfindungen.
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nannten, nicht möglich. D a s B e w u f s t s e i n wird a u c h a l s die S u m m e d e r j e n i g e n g e i s t i g e n G e b i l d e bezeichnet, welche uns im gegebenen A u g e n b l i c k e k l a r in der S e e l e s t e h e n . Da sich aber die Seele nach dem Zeugnis der Erfahrung nur einer ganz kleinen Zahl von Empfindungen gleichzeitig bewufst werden kann, so spricht man infolge dieser U n v o l l k o m m e n h e i t und B e s c h r ä n k t h e i t , der Seele von der » E n g e des Bewuistseins«. (In dieser Beziehung bedeutende individuelle Verschiedenheit. Ein Kartenspieler unterhält sich während des Spiels mit anderen nicht am Spiel beteiligten Personen, seine Mitspieler haben mit dem Spiel allein genug zu thun. Cäsar beschäftigte mehrere Schreiber zu gleicher Zeit etc.) § 23. Sinnes- und Körperempfindungen.
Nach §§ 19 u. 22 erhält die Seele von der Aufsenw e l t und von den Z u s t ä n d e n u n s e r e s K ö r p e r s mittels der Nerven Eindrücke oder Empfindungen. Hiernach unterscheiden wir S i n n e s e m p f i n d u n g e n und Körperempfindungen. 1. Die Sinnesempfindnngen erhalten wir durch die fünf Sinne. a) Der l e i s t u n g s f ä h i g s t e aller Sinne, der die meisten, wohl neun Zehntel aller Sinnesempfindungen vermittelt, ist der G e s i c h t s s i n n , dessen Wahrnehmungskraft bis in die weitesten F e r n e n , bis zu den Sternen reicht, dessen Schärfe das L i c h t in seinen verschiedenen F a r b e n , die Gegenstände in ihren tausend F o r m en und die R a u m v e r h ä l t n i s s e (Wortbilder! Orthographie!) k l a r und dauerhaft aufnimmt. Kein anderer Sinn vermag so viel und so vielfach wahrzunehmen. Der Gesichtssinn ist von tiefstem Einflüsse auch auf das F ü h l e n und W o l l e n ; denn durch die Betrachtung der schönen Gottesnatur und ihrer Gebilde, des sternbesäten Äthergezeltes, der Schöpfungen der Kunst etc. werden in uns angenehme, hehre Gefühle und weihevolle Stimmungen, begreifliche Wünsche und Begehrungen hervor-
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
gerufen, während die Unmöglichkeit solchen Genusses als ein Unglück empfunden wird'). Am vollkommensten ist dieser Sinn bei denen ausgebildet, welche weit oder g e n a u schauen müssen, wie bei Jägern, Matrosen, Uhrmachern und ganz besonders bei den Taubstummen, die durch möglichst viele und klare Gesichtsempfindungen den Mangel der Gehörsempfindungen auszugleichen suchen *). Es gibt Menschen, welche die rote oder die g r ü n e Farbe nicht zu erkennen und zu unterscheiden vermögen. Ihr Zustand heilst F a r b e n b l i n d h e i t . b) Das G e h ö r , das die w i c h t i g s t e n Sinnesempfindungen vermittelt, kommt hinsichtlich der Bedeutung, die es für die menschliche Bildung hat, gleich nach dem Gesicht. Wir fassen durch dasselbe auf, was z e i t l i c h aufeinanderfolgt; es ist der Z e i t s i n n . Es lernt Geräusch, Schall, Klang und Ton durch die Erfahrung nach Richtung, Ursache und Entfernung wahrnehmen und hat besonders für die Geistesbildung durch die S p r a c h e den gröfsten und allgemeinsten Werts). Seinen grofsen Einflufs auf das G e1)
0 eine edle Himmelsgabe iBt Das L i c h t d e s A u g e s — alle Wesen leben Vom Lichte, jedes glückliche Geschöpf — Die Pflanze selbst kehrt freudig sich zum Lichte, Und e r mufa sitzen, f ü h l e n d , in der Nacht, Im ewig Pinstern — ihn erquickt nicht mehr Der Matten warmes Grün, der Blumen Schmelz, Die roten Firnen kann er nicht mehr schauen — Sterben ist nichts — doch l e b e n und nicht s e h e n , Das ist ein Unglück. S c h i l l e r , WUh. Teil I, 4.
2)
Und wie er spricht, BO blickt sie auf, Und — wundervoll Geschick — Sie ist nicht taub dem milden Wort, Sie h ö r t ihn m i t dem B l i c k ! Das taube Mütterlein v. H a l m .
3)
Von blinden Dichtem hab' ich vieles schon gelesen, Von keinem Grofsen dach gehört, der t a u b gewesen.
Rückert. — Blinder alter Vater. Du kannst den Tag der Freiheit nicht mehr s c h a u e n , Du sollst Ihn h ö r e n . In deine Hütte soll der Schweizer wallen, Zu deinem O h r die Freudenkunde tragen, Und hell in deiner Nacht soll dir eB tagen S c h i l l e r , Wilh. Teil I, 4.
§ 23. Sinnes- und Körperempfindungen.
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f ü h l und den W i l l e n zeigt die Macht des Wortes in Rede und Dichtung, sowie der Zauber der Musik. (Homer, Sängers Fluch etc.1). Gesicht und Gehör sind für die geistige Bildung von hervorragender Bedeutung, bei der Arbeit und Pflege aber auch dem leiblichen Leben förderlich. c) Der T a s t s i n n . Eigentlich unterscheidet man das aktive Berühren oder T a s t e n , dann das passive Berührtwerden, das man in der Regel »Gefühl« nennt, und dann den T e m p e r a t u r s i n n , welch letzterer vermittelst bestimmter Hautempfindungen die höhere oder niedere Temperatur wahrnimmt. Der Tastsinn dient dem leiblichen Leben, indem wir mittels desselben uns gegen Verletzungen, Hitze, Kälte etc. zu schützen vermögen, hat aber auch für das geistige Leben seinen Wert, da er uns die Eigenschaften der Dinge (Form, Schwere) kennen lehrt und durch das Tasten den Gesichtsempfindungen ergänzend und berichtigend zu Hilfe kommt. Dem Blinden insbesondere wird der Tastsinn zum Stellvertreter des Gesichtssinnes, ohne dafs er dadurch Gesichtsempfindungen erhält. d) Der G e s c h m a c k s s i n n und der G e r u c h s s i n n lehren uns, zuträgliche Nahrungsmittel und Gase von den schädlichen unterscheiden. Geschmacks- und Geruchsempfindungen sind daher für das leibliche Leben von groiser Bedeutung. G e s i c h t , G e h ö r und G e t a s t heifsen die h ö h e r e n S i n n e , weil sie infolge der M e n g e , B e s t i m m t h e i t und W i c h t i g k e i t der durch sie vermittelten Empfindungen für die geistige Ausbildung von grölserer Bedeutung sind als G e r u c h und G e s c h m a c k , die man, die n i e d e r e n S i n n e nennt. Für die Gesichts- und Gehörsempfindungen gibt es daher auch ganz bestimmte Bezeichnungen (Farbenspektra , Tonleitern), für die letzteren nicht. Die Geschmacks- und Geruchsempfindungen erscheinen mehr subj e k t i v e r Natur, da sie von dem empfindenden Subjekt abLeben atme die bildende Kunst, Geist ford'r ich vom Dichter; Aber die S e e l e spricht nur Polyhymnia (Muse des Gesangs) aus. Schiller.
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
hängig sind. Dem einen schmeckt diese, dem anderen jene Speise besser. Ü b er d e n G e s c h m a c k l ä f s t s i c h e b e n n i c h t s t r e i t e n . Dagegen haben die Empfindungen des Gesichts und Gehörs einen mehr o b j e k t i v e n , d. h. allg e m e i n g ü l t i g e n Charakter. Anmerkung 1, G l e i c h a r t i g k e i t u n d U n g l e i c h a r t i g k e i t der E m p f i n d u n g e n . Jeder unserer Sinne verschafft uns eine besondere Art von Empfindungen, der Gesichtssinn nur Gesichts-, der Gehörsinn nur Gehörsempfindungen etc. Die Empfindungen innerhalb einer Sinnesklasse, wie die verschiedenen Gesichtsempfindungen z. B. die Farbengrade, oder die verschiedenen Gehörsempfindungen z. B. Töne, Klänge, Laute etc. sind miteinander v e r g l e i c h b a r oder homogen. Eine Geschmacksempfindung und der Ton c dagegen lassen 6ich nicht vergleichen. Die Empfindungen verschiedener Sinnesklassen sind u n v e r g l e i c h b a r , heterogen. Anmerkung 2. Die I n d i v i d u a l i t ä t d e r E m p f i n d u n g e n . Die Glocke kann ich klingen hören, aber nicht klingen sehen. Ein Sinn kann den anderen nicht vertreten; fehlt der Gehörsinn, so sind Gehörempfindungen unmöglich. Es gibt kein S i n n e s v i k a r i a t . Die Sinnesempfindung ist somit e i n z i g in i h r e r A r t , i n d i v i d u e l l , umsomehr, als sie ganz in derselben Weise nur e i n m a l (unter ähnlichen Bedingungen freilich öfter) möglich ist. Denn in der sinnlichen Welt ist alles, also auch der äufsere Reiz, dem Wechsel unterworfen, darum eine Wiederhervorrufung derselben Empfindung durch jenen unmöglich. (Helm.) Bedeutung der S i n n e s e m p f i n d u n g e n . Die Sinne werden nicht mit Unrecht die Pforten der Seele genannt, denn durch sie ziehen die Aufsendinge in unser geistiges Innere ein. »Nichts ist im Geist, was nicht zuvor im Sinn gewesen«. Was aber in unseren Geist durch die Sinne einzieht, sind nicht die Auisendinge selbst, sondern die rein s e e l i s c h e n G e b i l d e der Empfindungen und Wahrnehmungen. Sie bilden den Stoff und die G r u n d l a g e zum A u f b a u der G e i s t e s w e l t , w e l c h e den M e n s c h e n v o m T i e r u n t e r s c h e i d e t . Darin liegt denn auch ihre grofse Bedeutung. 2. Die Körperempfindungen. Da wir es bei den Körperempfihdurigen mit dein Z u s t a n d des eigönen Leibes
§ 24.
Anschauung' and Aufmerksamkeit.
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zu thun haben, so heiisen sie auch Z u s t a n d s e m p f i n d u n g e n . Die chemischen Prozesse, die Reibungen im Blutumlauf ctc. rufen Durst, Müdigkeit, Gliederschmerz, geringeren oder stärkeren Herzschlag oder Behaglichkeit, Wohlbefinden etc. also entweder u n a n g e n e h m e , W e h e - oder S c h m e r z e m p f i n d u n g e n , oder a n g e n e h m e , W o h l oder L u s t e m p f i n d u n g e n hervor (§ 18). Das Angen e h m - oder U n a n g e n e h m s e i n der Empfindung nennt man B e t o n u n g , welche bei n o r m a l e m Körperzustand eine g e r i n g e ist, bei strotzender Gesundheit oder bei Krankheit dagegen bis zur h ö c h s t e n L u s t oder bis zum g r ö f s t e n S c h m e r z sich steigern kann. Da die Körperempfindungen uns Kunde von dem Allgemeinbefinden unseres leiblichen Lebens geben, so nennt man sie auch L e b e n s - oder A l l g e m e i n e m p f i n d u n g e n . Zu ihnen gehören auch die Muskel- oder Bewegungsempfindungen, welche ins Bewufstsein treten, wenn wir ein Glied regen, sodann die Empfindungen des Gleichgewichts, der Schwere etc. »Die Zustands- oder Körperempfindungen sind für den Menschen ein wirksamer Antrieb, den Leib in jener Verfassung zu erhalten, in welcher er der Seele als taugliches Werkzeug dient« (Kittel). Sie reizen an, auf das körperliche Wohlbefinden bedacht zu sein, das wiederum einen entschieden günstigen Einflufs auf das geistige Leben hat. b.
Das
Torstellen.
§ 24. Anschauung und Aufmerksamkeit.
1. Die Anschauung. Ein Kind hat im Vorübergehen ein Lamm gesehen, dasselbe wahrgenommen und den ihm gesagten Namen »Lamm« gemerkt. Sobald es wieder ein solches Tier sieht, ruft es: »Ein LammI Ein Lamm«! Der erste Totaleindruck ist dem Kinde geblieben, aber aufser Gröfse, Farbe und Gestalt weifs es nicht viel über das gesehene Tier anzugeben. Der Vater kauft dem Kind ein Schäfchen und läfst es im Hof und Garten frei herumlaufen. Nun sieht das Kind das Schäfchen nicht blols
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
öfter, sondern betrachtet es auch ganz genau, das G a n z e wie die T e i l e , den Kopf, die Augen, das Maul, die Zunge, die Beine, die Hufe, es fühlt die Wolle, gibt ihm zu fressen etc. Dieses eingehende a u f m e r k s a m e A n s c h a u e n (der Anschauungsakt) ist eine über das vorausgegangene Empfinden und Wahrnehmen hinausgehende T h ä t i g k e i t der Seele, denn erst jetzt k e n n t das Kind das Lamm wirklich: es hat von demselben eine Ans c h a u u n g (das Anschauungsprodukt). D i e A n s c h a u u n g i s t s o n a c h ei n k l a r e s und d e u t l i c h es g e i s t i g e s G e s a m t b i l d d e s G e g e n s t a n d e s , den wir wahrn e h m e n . Das Wahrnehmen ist eine s i n n l i c h e Thätigkeit, das Anschauen, das nicht blois ein Sehen, sondern ein »Schauen«, d. h. ein Sichvertiefen in den Gegenstand, ein absichtliches Verweilen bei demselben erfordert, ist eine g e i s t i g e Thätigkeit. V i e l e und m a n n i g f a l t i g e , klare und d e u t l i c h e , mit der W i r k l i c h k e i t ü b e r e i n s t i m m e n d e , a l l e Merkmale umfassende Anschauungen sind deshalb von so grofser Wichtigkeit, weil der Mensch nur mittels derselben zu klaren Vorstellungen (und Begriffen) kommen kann. Darum b e g i n n t auch der Unterricht damit, die Wahrnehmungen zu Anschauungen umzugestalten. Die in der J u g e n d gewonnenen Anschauungen sind auf die spätere Geistesentwicklung deswegen von grobem Einfluis, weil alles was denselben entspricht, l e i c h t e r , was ihnen widerspricht, schwerer Eingang in die Seele findet. Noch sei besonders darauf hingewiesen, dafs die gröfsere oder geringere K l a r h e i t , der W a h r h e i t s g e h a l t der A n s c h a u u n g , von dem mehr oder minder vollkommenen Verlauf des Anschauungsaktes abhängt. E s i s t d e s h a l b auf m ö g l i c h s t v o l l k o m m e n e s A n s c h a u e n zu h a l t e n . Dasselbe erfordert a) n o r m a l e B e s c h a f f e n h e i t der S i n n e s o r g a n e , b) A n s t r e n g u n g , d. h. A u f m e r k s a m k e i t der Seele, c) entsprechende D a u e r (allenfalls Wiederholung), d) geeignete B e s c h a f f e n h e i t , Beleuchtung, Entfernung, Isolierung etc. des Anschauungsgegenstandes und e) F e r n h a l t u n g a l l e s d e s s e n , was eine ruhige, aufmerksame Betrachtung zu s t ö r e n vermöchte.
§ 24.
Anschauung und Aufmerksamkeit.
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Anmerkung. Den Ausdruck »Anschauung« hat man ursprünglich blofs auf den Gesichtssinn, später aber auch auf die übrigen Sinne bezogen. Man spricht daher auch von Tonanschauungen, Gefühlsanschauungen etc. Die Anschauung ist jedoch zumeist das Produkt m e h r f a c h e r Sinnesthätigkeit. Manche Psychologen nehmen Wahrnehmung und Anschauung für g l e i c h b e d e u t e n d , andere erklären die Anschauung als eine klare und deutliche Gesamtv o r s t e l l u n g . Wie wir gesehen haben und sehen werden, ist sie weder das eine noch das andere, sondern etwas Eigenartiges (vergl. Martig). 2. Die Aufmerksamkeit. Die Anschauung entsteht nur mit Hilfe der A u f m e r k s a m k e i t . Das Anschauen setzt das Empfinden und Wahrnehmen voraus. Aber wie nicht aus jeder Empfindung eine Wahrnehmung, so wird auch nicht aus jeder Wahrnehmung eine Anschauung. Erst wenn die Wahrnehmung eine andere Seite des Geistes, das G e f ü h l anregt (wenn das Schäfchen dem Kinde gef ä l l t ) , ist der Wahrnehmende ganz bei der Sache, d. h. er hat Interesse für den Gegenstand des Wahrnehmens. Die nun sofort erfolgende u n g e t e i l t e H i n g a b e d e s G e i s t e s an d e n B e o b a c h t u n g s g e g e n s t a n d heilst A u f m e r k s a m k e i t , welche man mit anderen Worten a l s d a s » a k t i v e R i c h t e n d e s G e i s t e s auf e i n b e s t i m m t e s Objekt« bezeichnen kann. Verbindet sich nun die Aufmerksamkeit mit dem Wahrnehmen, so entsteht mit Notwendigkeit die Anschauung. Dafs sich die Aufmerksamkeit auch durch Vorstellungen erregen läfst, sei besonders voraus bemerkt. Anmerkung. Die Aufmerksamkeit setzt Empfindungen, Wahrnehmungen u n d Gefühle voraus, ist also ein Resultat der vorausgegangenen Entwicklung. Wird sie durch n e u e , p l ö t z l i c h und u n e r w a r t e t auftretende Empfindungen und Wahrnehmungen veranlafst, so nennt man sie u r s p r ü n g l i c h e , s i n n l i c h e oder unwillkürliche Aufmerksamkeit. Wird sie durch Vorstellungen und Vorstellungsreihen hervorgerufen, so heilst sie a p p e r c i p i e r e n d e Aufmerksamkeit; diese gehört ebenfalls zur unwillkürlichen Aufmerksamkeit (siehe ^Apperception). Wird endlich das Bewufstsein neuen Empfindungen, Wahrnehmungen (und Vorstellungen) a b s i c h t l i c h offen
Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
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gehalten, so spricht man von willkürlicher Aufmerksamkeit. Da letztere eine gröfsere Reife des Geistes voraussetzt, so haben Erzieher und Lehrer zunächst die unwillkürliche Aufmerksamkeit anzubahnen und zu fördern. § 25. Die Vorstellung und ihre Arten. 1. Das Wesen der Vorstellung. Das aufmerksame Anschauen führt zur E i n p r ä g u n g des Angeschauten. Wird das Anschauungsobjekt (ein Schäfchen § 24) der Sinnesthätigkeit (des Kindes) entrückt, so hört zwar das Anschauen auf, aber die A n s c h a u u n g , das g e i s t i g e B i l d (vom Schäfchen) d a u e r t in der S e e l e f o r t . Die Seele nimmt das alles Materiellen entkleidete Bild in das Bew u f s t s e i n auf, s t e l l t es gleichsam v o r s i c h h i n ; daher der Name V o r s t e l l u n g 1 ) . Die V o r s t e l l u n g i s t d e m n a c h das durch die A n s c h a u u n g s t h ä t i g k e i t g e w o n n e n e g e i s t i g e Bild, das d i e S e e l e im B e w u f s t s e i n f e s t h ä l t , auch w e n n j e d e S i n n e s t h ä t i g k e i t a u f g e h ö r t hat. (Also zwei Momente in der Vorstellung: 1. V o r s t e l l e n d e S e e l e n t h ä t i g k e i t , 2. V o r s t e l l u n g s i n h a l t . ) Da wir nicht blofs von Einzeldingen, sondern auch von Handlungen, Ereignissen etc. durch Vermittlung der vers c h i e d e n e n Sinne Anschauungen gewinnen, so haben wir nicht blofs von jenen, sondern auch von diesen Vorstellungen. Aber nur was G e g e n s t a n d d e r A n s c h a u 1)
Es sind zwei kleine Fensterlein In einem grofsen Haas, Da schaut die ganze Welt hinein, Die ganze Welt heraus etc. Castelll. Du Freund aus Kindertagen, Du brauner Foliant, Oft für mich aufgeschlagen Von meiner Lieben Hand, Du, dessen Bildergaben Mich Schauenden ergötzten, Den spielvergess'nen Knaben Nach Morgenland versetzten etc. F r e l l l g r a t h , Die Bilderbibel.
§ 26.
Von der Fortdauer der Vorstellungen.
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u n g war, k a n n G e g e n s t a n d der V o r s t e l l u n g werden. Ohne A n s c h a u u n g k e i n e V o r s t e l l u n g . Daher können Blindgeborene keine Vorstellungen von Licht und Farben, Taubgeborene keine Vorstellungen von Klängen, Tönen, Melodien etc. besitzen. »Wer aber über Dinge spricht, von denen er keine Vorstellung hat, der redet eben von der Sache, wie der Blinde von der Farbe«.
2. Arten der Vorstellungen, a) Einzel- und Allg e m e i n vor S t e l l u n g . Betrachtet das Kind e i n e n Hund, so erhält es die EinzelVorstellung Hund; sieht es eine g a n z e M e u t e von Hunden, so erhält es die A l l g e m einvorstellung »Hund«. Von seiner Wohnstube, seinem Wohnhaus, seiner Dorfkirche besitzt das Kind Einzelvorstellungen. Von »Stube«, »Haus«, »Kirche« bekommt es, wenn es das G e m e i n s a m e a l l e r Stuben, aller Häuser, aller Kirchen zusammenfafst, A l l g e m e i n v o r s t e l l u n g e n . Die E i n z e l v o r s t e l l u n g bezieht sich auf einen e i n z e l n e n b e s t i m m t e n G e g e n s t a n d , die A l l g « m e i n v o r s t e l l u n g auf eine g a n z e Gattung. b) G e s a m t - oder T e i l v o r s t e l l u n g kann jede Allgemein- und jede Einzelvorstellung sein. Erscheint die Vorstellung als ein Bild des g a n z e n Gegenstandes (des Hundes), so ist sie eine G e s a m t v o r s t e l l u n g , umfafst sie aber nur ein Bild e i n e s T e i l e s des Gegenstandes (des Kopfes, oder des Rumpfes) oder ein Merkmal desselben (Gröfse, Farbe etc.), so ist sie eine T e i l v o r s t e l l u n g . Die Teilvorstellung Kopf kann gegenüber den Teilvorstellungen Augen, Ohren, Nase, Maul, Gebifs etc. zu einer Gesamtvorstellung werden, da sie im Gegensatz zu letzteren als ein Ganzes erscheint. J e d e Merkmalsvorstellung ist auch immer eine Ein zel Vorstellung. § 26. Von der Fortdauer der Vorstellungen.
1. Vom Beharren der Vorstellungen. Ich habe vor Jahren den Strafsburger Münster genau besichtigt. Das geistige Bild von demselben ist mein unveräufserliches E i g e n t u m geworden, über das ich verfügen kann. Auf dem b l e i b e n d e n E r f o l g eines jeden Anschauungsaktes beruht nun dessen Böhm, Praktische Erziehungslehre. 4
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ganzer Wert und seine entscheidende Wichtigkeit. Ohne solchen >wäre unser psychisches Leben eine stete Gegenwart, es finge mit jedem Tage, mit jedem Augenblicke aufs neue an; wir hätten keine Erinnerung, also keine Vorstellung von der Vergangenheit und könnten uns auch keine Zukunft denken«. Die Seele hält also die im Laufe der Zeit gebildeten Vorstellungen als ihren Erwerb und Schatz, als ihr Betriebskapital, mit dem sie wuchert, fest. Wie lange sie darin p r ä s e n t bleiben, das läfst sich mit Sicherheit kaum sagen, wohl aber, dafs sie n i e g ä n z l i c h v e r l o r e n g e h e n . Sie ä n d e r n nur ihre Daseinsform, wenn sie uns a u s dem S i n n , d. h. a u s dem B e w u f s t s e i n (s. § 22,4) kommen, u n b e w u f s t oder v e r g e s s e n werden. Sie sind aber keineswegs v e r n i c h t e t , sondern b e h a r r e n dann unverändert als v e r b o r g e n e s Eigentum des Geistes, als l a t e n t e (gebundene) Kraft in der Nacht der Innerlichkeit, bis sie uns wieder i n d e n S i n n kommen, wieder in das Licht des Bewufstseins treten (Kittel). Es können demnach bewufste V o r s t e l l u n g e n in die d u n k l e Tiefe des Unbewufstseins hinabsinken, u n b e w u f s t g e w o r d e n e V o r s t e l l u n g e n aber wieder zur h e l l e n O b e r f l ä c h e d e s Bewufstseins heraufsteigen. Dieses S i n k e n und S t e i g e n nennt man die Bew e g u n g d e r V o r s t e l l u n g e n , welche sich, je nach der Individualität des Menschen, schneller oder langsamer vollzieht (Vorstellungsrhythmus). Sind sämtliche, momentan im Bewufstsein zusammenwirkende Vorstellungen gleich stark, erfolgt augenblicklich kein Verdunkeln durch stärkere, so befinden sich die Vorstellungen im G l e i c h g e w i c h t . Diese eingetretene Ruhe ist jedoch nur eine r e l a t i v e , da durch neue Reize, Wahrnehmungen und Vorstellungen, Gefühle und Strebungen die Bewegung sofort wieder in Flufs kommt. Dieses Hin- und Herfluten der Vorstellungen erinnert an die S e e , womit vielleicht der Name Seele etymologisch zusammenhängt. Bezeichnend singt H e i n e : Mein Herz gleicht ganz dem Meere, Hat Sturm und Ebb' und Flut, Und. mache schöne Perle In seiner Tiefe r u h t
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§ 26. Von der Fortdauer der Vorstellungen.
»So ist das geistige Leben ein ewiger Wechsel, ein stetes Kommen und Gehen, Obsiegen und Unterliegen der Gedanken«. Nur darf man das nicht so verstehen, als ob die Seele nur der gleichgültige Schauplatz für das Vorstellungsgetriebe wäre; vielmehr ist die Seele selbst das Subjekt, das die unbewuist gewordenen Vorstellungen wieder ins Dasein ruft, ihre Dauer bemiist, sie wieder in den Zustand des Unbewufstseins fallen läfst, sie trennt und verbindet, bald willkürlich, bald nach unabänderlichen Gesetzen. (Vergl. Ostermann S. 14.)
2. Von der Verknüpfung (Association) der Vorstellungen. a. Von der mechanischen (zeitlichen) TorstellungsYerknflpfting.
a. Mit der Anschauung »Zuckerhut« treten die Merkmalsvorstellungen »weifs, hart, spitzig, rund, süisc etc. ins Bewufstsein. Nach Besuch der Gottesdienstes haben wir eine Vorstellung vom Innern der Kirche, von der Orgel, der Kanzel, von dem Geistlichen etc. Mit der Vorstellung »Elternhaus« verknüpfen sich die Vorstellungen von Eltern, Geschwistern, von mancherlei Erlebnissen. Worin liegt der Grund der Verknüpfung dieser einzelnen Vorstellungen zu den erwähnten Gruppen? Er liegt auf keinen Fall in der inneren Verwandtschaft der Vorstellungen selbst; denn w e i f s ist nicht verwandt mit h a r t , K a n z e l nicht qait G e s a n g , die Vorstellung E l t e r n nicht mit der Vorstellung N a c h b a r h a u s etc. Diese ganz heterogenen Vorstellungen gehen einzig nur deswegen eine Verbindung miteinander ein, weil sie g l e i c h z e i t i g von der Seele ins Bewufstsein aufgenommen wurden. Freilich sind sie nur zu einer ä u f s e r l i c h e n E i n h e i t verknüpft, k o m p l i z i e r t worden. Daraus ergibt sich nun das I. G e s e t z d e r Verk n ü p f u n g (Association): V o r s t e l l u n g e n , d i e gleichzeitig i n s B e w u f s t sein t r e t e n , werden von der Seele m i t e i n a n d e r v e r k n ü p f t . Gesetz der Gleichzeitigkeit (Coexistenz). Nach diesem G e s e t z der G l e i c h z e i t i g k e i t verknüpft die Seele nicht nur Vorstellungen mit Vorstellungen, sondernauch Vorstellungen mit Gefühlen, Vorstellungen mit Begehrungen,
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körperlichen Zuständen etc. etc., auf welch letzterer Verknüpfungdietechnischen F e r t i g k e i t e n , Lesen, Schreiben etc. beruhen. ß. Mit der eben erwähnten Association der Vorstellungen hängt noch eine andere zusammen. Den Schülern wird das Alphabet eingeprägt, indem man ihnen einen Buchstaben nach dem anderen in der bestimmten R e i h e n f o l g e vorsagt, sie von ihnen nachsagen und des weiteren durch stete Wiederholung einüben läist. So ist's auch bei der Einprägung der Wochen-, der Monatstage, der Sprüche, Lieder etc. Offenbar stehen auch die Vorstellungen a b und c, Sonntag und Montag, Januar und Februar etc. in keiner inneren Verwandtschaft. Sie werden von der Seele nur ä u f s e r l i c h in der Reihenfolge festgehalten, in der sie ins Bewufstsein traten, wobei diejenigen am innigsten verknüpft werden, die sich unmittelbar berühren, also a und b, nicht a und m; m und n, nicht m und z. Daraus folgt das II. G e s e t z der V e r k n ü p f u n g : V o r s t e l l u n g e n , die n a c h e i n a n d e r ins Bewufsts e i n t r a t e n , w e r d e n v o n &er S e e l e in der n ä m l i c h e n A u f e i n a n d e r f o l g e s u c c e s s i v zu V o r s t e l l u n g s r e i h e n v e r b u n d e n . Gesetz der Reihenfolge (Succession). Da beide Arten der Vorstellungsverknüpfung keinerlei innere Zusammengehörigkeit als wirkende Ursache erkennen lassen, so nennt man diese Associationsweise die m e c h a n i s c h e . b. Ton der logischen (Inhaltlichen) YorstellnngSTerknttpfnng. a. Tragen vier Sänger ein einstimmiges Lied vor, so glaubt man nur e i n e , wenn auch vierfach verstärkte Singstimme zu hören, deren Eindruck die Seele als Vorstellung festhält. Betrachten wir den Strafsburger Münster zehnmal, so erhalten wir der Hauptsache nach immer dasselbe Bild, wenn auch das letzte, als die Summe aller, das klarste geworden. Sehen wir zum erstenmale einen Wolf, so vergleichen wir ihn mit früher gebildeten Vorstellungen und finden dabei, dafs er dem Hunde am meisten ähnlich sieht, mit ihm in eine Gattung gehört. In allen diesen Fällen beruht die Vorstellungsverknüpfung auf der i n n e r e n Z u s a m m e n -
§ 26. Von der Fortdauer der Vorstellungen.
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g e h ö r i g k e i t , der inhaltlichen Verwandtschaft, nämlich auf der G l e i c h h e i t oder Ä h n l i c h k e i t der Vorstellungen Daher gilt als III. G e s e t z der V e r k n ü p f u n g : Gleiche und ähnliche Vorstellungen werden von der Seele miteinander verknüpft (verschmolzen) Gesetz der Ähnlichkeit (Analogie). Auf diesem Gesetz beruht der Unterrichtsgrundsatz: Vom Bekannten zum Unbekannten und die Sacherklärung vermittelst der Vergleichung. ß. Die Vorstellung r e i c h wird vom Schüler nicht blois infolge der anschaulichen Schilderung vom r e i c h e n Mann, der herrlich und in Freuden lebte, aufgefalst, sondern hauptsächlich durch den geschilderten Gegensatz vom a r m e n Lazarus, wodurch das G l e i c h e sich sofort v e r s t ä r k t und eine besondere D e u t l i c h k e i t erlangt, während das E n t g e g e n g e s e t z t e auffällt und zu Vergleichen herausfordert. Der r e i c h e Mann und der arme Lazarus sind Menschen, haben dieselbe Natur, bedürfen der Kleidung, Nahrung; Gesundheit ist für beide das höchste Gut, ein gut Gewissen für jeden ein sanft Ruhekissen etc. Diese g l e i c h z e i t i g ins Bewufstsein tretenden Bilder werden von der Seele schon nach dem I. Reproduktionsgesetz, hauptsächlich aber infolge der Einandergegenüberstellung, wodurch Beziehungen zwischen beiden hergestellt werden, verknüpft. So ist es auch bei den Vorstellungen weifs und schwarz, stark und schwach, schön und häfslich, Berg und Thal, Tugend und Laster, bei welchen man sich nie die eine ohne die andere denken kann. Selbst »vom Erhabenen bis zum Lächerlichen ist nur ein Schritt«; dazwischen liegen die vermittelnden Teilvorstellungen. Daraus ergibt sich das IV. G e s e t z der Verknüpfung: G e g e n s ä t z l i c h e oder k o n t r a s t i e r e n d e Vors t e l l u n g e n werden v o n der S e e l e m i t e i n a n d e r v e r k n ü p f t . Gesetz des Gegensatzes (Kontrastes). Daher im Unterricht so häufige Gegenüberstellungen, z. B. Landenge und Meerenge, tot und Tod, reich und arm etc. Da die beiden letzten Arten der Vorstellungsverknüpfung infolge der i n h a l t l i c h e n V e r w a n d t s c h a f t
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der Vorstellungen durch die Seele vollzogen werden, so nennt man sie eine l o g i s c h e . Die Verknüpfung der Vorstellungen (Ideenassociation) vollzieht sich demnach m e c h a n i s c h (zeitlich) nach den Gesetzen der Gleichz e i t i g k e i t (Coexistenz) und der R e i h e n f o l g e (Succession), l o g i s c h (inhaltlich) nach den Gesetzen der Ähnl i c h k e i t (Analogie) und des Gegensatzes (Kontrastes). »Je ö f t e r die Vorstellungen im Bewuistsein g l e i c h z e i t i g oder u n m i t t e l b a r n a c h e i n a n d e r a u f t r e t e n , j e h ä u f i g e r u n d d e u t l i c h e r sie bezüglich ihres I n h a l t e s ü b e r e i n s t i m m e n oder k o n t r a s t i e r e n , desto i n n i g e r und f e s t e r wird die Verknüpfung«. (Vergl. Ostermann.) § 27, Reproduktion der Vorstellungen.
Schon in § 26, 1 wurde gesagt, dais Vorstellungen g e h e m m t , v e r d u n k e l t , d. h. zeitweise aus dem Bewuistsein v e r d r ä n g t , v e r g e s s e n werden können. Diesem »Sinken« der Vorstellungen in das Unbewuistsein, steht das gleichfalls dort schon erwähnte »Steigen« derselben gegenüber, welches ein uns w i e d e r in d e n S i n n k o m m e n , ein W i e d e r e i n t r e t e n der unverändert gebliebenen Vorstellung ins Bewuistsein bedeutet. D i e s e r W i e d e r e i n t r i t t oder die R ü c k k e h r v e r d u n k e l t e r V o r s t e l l u n g e n ins Bewuistsein heilst ihre Reproduktion. Dieselbe kann u n m i t t e l b a r und mittelbar erfolgen. a) Ein Schulknabe arbeitet an der Lösung seiner Hausaufgaben. Dazwischen tritt ihm plötzlich die Vorstellung von seiner Mutter ins Bewuistsein. Diese durch die eigene Kraft der Vorstellung bewirkte Rückkehr ins Bewuistsein, nennt man u n m i t t e l b a r e R e p r o d u k t i o n , Vorstellungen aber, die sich so mit eigener Kraft den Wiedereintritt ins Bewuistsein erzwingen: freisteigende Vorstellungen1). 1) Ob es aber wirklich >freiBteigende< Vorstellungen gibt und ob diese nicbt auch auf UUB unbekannte Weise »gehoben« werden, ist eine andere Frage.
y § 27. Reproduktion der Vorstellungen.
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h) Wird eine Vorstellung mittels Hilfen ins Bewulstein zurückgeführt, so spricht man von m i t t e l b a r e r Reproduktion. Wie aus den folgenden Beispielen hervorgeht, kann dieselbe: a. eine u n w i l l k ü r l i c h e sein. Ein Kind, das vor etlichen Jahren Verwandte gesehen hat, erkennt sie beim erneuten Zusammentreffen oder auf der photographischen Abbildung wieder. Die Reproduktion der früher aufgenommenen Vorstellung von denselben erfolgte in diesem Falle durch » n o c h m a l i g e A n s c h a u u n g « . Sieht aber das Kind auch nur e i n e n dieser Verwandten, so erinnert es eich doch auch aller anderen, welche es mit diesem kennen lernte. Die Reproduktion der letzteren erfolgte sonach mit Hilfe einer »anderen V o r s t ellung«, welche mit jenen associiert, zeitlich oder inhaltlich verknüpft war. W i e s i c h die V o r s t e l l u n g e n verk n ü p f t e n , so r e p r o d u z i e r e n sie s i c h wieder. Für diese am h ä u f i g s t e n vorkommende Reproduktionsweise erscheinen daher die in § 26, 2 angeführten Gesetze der Association auch als Gesetze der Reproduktion, welche in den Gesetzen der Gleichzeitigkeit und Aufeinanderfolge die m e c h a n i s c h e Reproduktion in den Gesetzen der Ähnlichkeit und des Gegensatzes die l o g i s c h e Reproduktion kennzeichnen. Die Gesetze der mechanischen Reproduktion lauten: I. V o r s t e l l u n g e n , w e l c h e f r ü h e r g l e i c h z e i t i g im B e w u f s t s e i n w a r e n , r e p r o d u z i e r e n e i n a n d e r . Tritt eine Vorstellung ins Bewufstsein, so stellt sich auch die andere ein; beim Nennen des Namens einer Person stellt sich auch deren Bild ein; sehen wir aber das Bild, BO wird der Name der Person reproduziert, da beide gleichzeitig als Vorstellungen in der Seele entstanden sind.
II. V o r s t e l l u n g e n r e p r o d u z i e r e n e i n a n d e r in d e r s e l b e n . R e i h e n f o l g e , in w e l c h e r sie u r s p r ü n g l i c h i n s B e w u f s t s e i n g e t r e t e n sind. Tritt nur der A n f a n g einer bekannten Vorstellungsreihe, des A B C , der Zahlen, von Versen, Namen, Regierungszeiten etc.
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ins Bewuisteein, so kehrt auch der weitere Fortgang in der ursprünglichen Ordnung wieder succesive in das Bewulstsein zurück (Evolution). Die Reproduktion vom Schlufs der Vorstellungsreihe des Alphabets zum Anfangsglied (Involution) bringt alle Glieder gleichzeitig ins Bewulstsein, doch sind sie gegen den Anfang zurück immer dunkler. Die Gesetze der l o g i s c h e n Reproduktion heilsen: LH. A h n l i c h e V o r s t e l l u n g e n r e p r o d u z i e r e n einander. Stimmen die Vorstellungen in mehreren Stücken überein, so weckt die eine Vorstellung leicht die verwandte ähnliche, z. B. Lenau — Hölderlin, Otto I. — Karl d. Grofsen; die Stimme einer unbekannten Person ruft die Vorstellung einer bekannten Person mit derselben Stimme, ein ähnliches Porträt daa Original selbst in unserer Seele wach'). IV. G e g e n s ä t z l i c h e V o r s t e l l u n g e n reproduzieren einander. Ist der Gegensatz in den Vorstellungen gröfser als ihre Ähnlichkeit, so fordert die ins Bewulstsein kommende Vorstellung zum Vergleich mit der anderen auf, welche dann ins Bewulstsein steigt, während die erstere sinkt. Weifs — schwarz, gross — klein, Berg—Thal. In der Krankheit erinnert man sich der gesunden Tage, im Alter an die Zeit der Jugend. Die Juden dachten in der Wüste an die Fleischtöpfe Ägyptens. Wie beide Verknüpfungsarten, die mechanische und logische (§ 26), nicht immer getrennt nebeneinander hergehen, so ist es auch bei der Reproduktion. »Bei dem grossen Vorrat von Associationen, die in dem Bewulstsein der einzelnen Individuen vorhanden sind, läfst sich nie bestimmt angeben, welche Association eine erregte Vorstellung erwecken wird; aber stets wird dies nach dem Gesetze erfolgen, dais jedesmal diejenige geweckt wird, 1)
Nicht allein WolfB Wuchs, Wolfs Gang, auch seine Stimme. So, Vollkommen so, warf Wolf sogar den Kopf Wie Boichs tiefgeprägte Bilder doch Zu Zelten in uns schlafen können, bis Ein Wort, ein Laut sie wieder weckt I — Von Stauffenl — Ganz recht, ja, ja I ganz recht; Fllneck und Stauffen. — Ich will dos bald genauer wissen; bald. L e s s i n g , Nathan II, 7.
§ 27. Reproduktion der Vorstellungen.
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welche mit der erregten am innigsten verbunden ist, und dafs entgegengesetzte Reihen einander hemmen, gleiche oder verschmolzene einander fördern«. (Schiller, Handb. d. prakt. Päd. S. 88.) Für den Lehrer leitet sich daraus die Pflicht ab, sich über die Vorstellungsverbindungen seiner Schüler genau zu orientieren und darauf bedacht zu sein, dats keine Vorstellung in ihrem Bewulstsein vereinzelt bleibe, weil sie so bald vergessen würde und für die innere Ausbildung wertlos bliebe. Die mittelbare Reproduktion ist ferner: ß. eine w i l l k ü r l i c h e , wenn z. B. das Kind sich absichtlich bemüht, die aus dem Bewulstsein verschwundene Vorstellung von seinen Verwandten wieder in jenes zurückzurufen. Dieses Bemühen heifst Besinnen, sein Gelingen dagegen Entsinnen. Oft hilft jedoch alles Besinnen nichts; ungesucht kehrt auf einmal die erwünschte Vorstellung ins Bewulstsein; s i e f ä l l t u n s ein. Wo sich wie beim Besinnen und Entsinnen mit der Reproduktion einer Vorstellung die Gewifsheit verbindet, dafs deren Objekt von uns schon früher wahrgenommen worden, also schon einmal im Bewulstsein war, da spricht man von E r i n n e r u n g 1 ) . »Vorstellungen, die nur selten oder gar nicht reproduziert werden, besitzt der Mensch so gut wie nicht; sie wären für ihn wertlos wie ein Schatz, zu welchem er den Schlüssel verloren hat. E i n f l u l s r e i c h auf unser Thun und Lassen, Wohl und Wehe können (vom Wahrheitsgehalt abgesehen) n u r d i e j e n i g e n Vorstellungen werden, welche die erforderliche V e r f ü g b a r k e i t oder D i s p o n i b i l i t ä t besitzen, so dals sie u n g e r u f e n oder wenigstens o h n e a u f h ä l t l i c h e s B e m ü h e n ins Bewulstsein treten, wenn wir ihrer bedürfen, wenn es uns überhaupt f r o m m t « . ( K i t t e l . ) Die letzte Be1)
Ich Hebe Belriguardo, denn leb habe Hier manchen Tag der Jugend froh durchlebt; Und dieses neue Grün und diese Sonne — Bringt das Gefühl mir jener Zeit zurück. G o e t h e , Tasao, I, l.
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merkung legt die Frage nahe: Inwiefern liegt ein Stück Gefahr und ein Stück Gewissen in dem Umstände, dals die Vorstellungen zwar vergessen, aber nicht vernichtet werden können?
§ 28. Das Gedächtnis.
1. Begriff des Gedächtnisses. Die in §§ 26 und 27
angeführten Beispiele ergeben zur Evidenz, dafs die Seele die Fähigkeit besitzt, Vorstellungen (und andere geistige Gebilde) so festzuhalten, dafs diese wieder unverändert in das Bewufstsein zurückgerufen, d. h. bei gegebenem Anlafs leicht und genau reproduziert werden können. Diese F ä h i g k e i t des F e s t h a l t e n s und der u n v e r ä n d e r t e n R e p r o d u k t i o n d e r V o r s t e l l u n g e n n e n n t m a n Gedächtnis. Obwohl man sich diese Fähigkeit weder als ein besonderes psychisches Vermögen, noch als eine spezielle Kraft vorstellen darf, und obgleich sie in ihrem Wesen durchaus dunkel erscheint, so ist sie doch v o r h a n d e n und k a n n e n t w i c k e l t werden. Ihre Entwicklung hängt von der ursprünglichen Anlage, der Entwicklung der Sinne, von den Lebens- und Bildungsverhältnissen und der dabei erlangten Übung ab. Mit der Lokalißation der Gedächtnisbilder, welche in bestimmten Gehirnabteilungen erfolgt, hängen die unterschiedlichen Arten des Gedächtnisses, das Namen-, Orts-, Zahlen-, Farben-, Ton-, Personengedächtnis etc. zusammen, die bei verschiedenen Individuen mehr oder minder entwickelt sind. Hinsiohtlich der Deutlichkeit gehen die auf GesiehtsVorstellungen beruhenden Erinnerungsbilder denen vor, welchen S c h a l l Vorstellungen zu Grunde liegen, diese wieder den auf Gefühls-, Geruchs- und Geschmacksvorstellungen beruhenden. Von Wichtigkeit ist besonders, dafs V o r s t e l l u n g und N a m e , S a c h e und B e zeichnung sich gegenseitig rasch reproduzieren. Hierauf beruht grofsenteils die Erlernung der Muttersprache.
2. Eigenschaften eines guten Gedächtnisses.
Von
einem guten Gedächtnisse fordert man: a) l e i c h t e A n e i g n u n g , sodafs es nur einer kurzen Einwirkung der Eindrücke bedarf, um eine Reproduktion derselben möglich zu machen;
§ 28. Das Gedächtnis.
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b) g r o i s e n U m f a n g (Allseitigkeit), aodafs dasselbe viele und verschiedenartige Vorstellungen aufzubewahren vermag (nicht blofs Orts-, oder blols Personengedächtnis etc.) ; c) D a u e r h a f t i g k e i t , sodais also die Wiedererzeugung der Vorstellung auch nach längeren, ja langen Zeiträumen noch ungehindert erfolgt; d) Treue, d. h. eine völlig unveränderte Reproduktion der früheren Vorstellungen; e) D i e n s t b a r k e i t , Disponibilität, d. h. eine rechtzeitige, jeden Augenblick mögliche Reproduktion früher erhaltener Eindrücke. 3. Von der Gedächtniseinprägung. (Merken, Ausw e n d i g l e r n e n , Memorieren.) Es ist nun die Frage, wie man die leichte, allseitige, rechtzeitige, treue Reproduktion, die Disponibilität (Präsenz) der Vorstellungen etc. sicher stellt. Der Anfang mufs schon im A n s c h a u u n g s a k t gemacht werden. Wo derselbe den Seite 47 angeführten Bedingungen entspricht, da entstehen d e u t l i c h e und k l a r e Vorstellungen, die fest im Gedächtnisse haften. Aber wir müssen auch die v o n s e l b s t in der Seele zu stände kommende Verknüpfung unserer Vorstellungen a b s i c h t l i c h zu einer vielseitigen und festen zu machen suchen durch B e s c h a f f u n g von A n k n ü p f u n g s p u n k t e n für das neu Einzuprägende und durch ö f t e r e s , immanentes Wiederholen. Die absichtliche Verknüpfung und Einprägung der Vorstellungen zur Sicherung künftiger müheloser Reproduktion heifst Merken, A u s w e n d i g l e r n e n , Memorieren. Man unterscheidet ein m e c h a n i s c h e s , l o g i s c h e s und k ü n s t l i c h e s Memorieren. a) Mechanisch m e m o r i e r t man beim Zählenlernen, beim Lernen des Alphabets, vielfach auch beim Lernen von Sprüchen, Gedichten, geschichtlicher Namenreihen (z. B. die Söhne Jakobs, die Propheten, die deutschen Kaiser, die bayerischen Kurfürsten und Könige etc.). Dabei werden die Vorstellungen— ja meist nur ihre sinnlichen E r s c h e i n u n g s f o r m e n , Namen, Zahlen etc., nicht ihr Inhalt — so oft als nötig in derselben Reihenfolge am Bewufstsein vorüber-
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geführt, wiederholt, weil sie dann nach den Gesetzender mechanischen Reproduktion in der gleichen Reihenfolge wiedererzeugt werden. Die Einprägung erfolgt leichter und sicherer, wenn für das zu Lernende schon Anknüpfungspunkte vorhanden sind, wenn v e r s t ä r k t e S i n n e s e i n drücke, wie lautes Auswendiglernen, Chorsprechen etc. zu Hilfe kommen. A u s w e n d i g l e r n e n und H e r s a g e n sind bezeichnende Ausdrücke für diese Art des Memorierens. Solange das D e n k e n n i c h t g e n u g e n t w i c k e l t ist, und wo es sich um die Wiedergabe eines Sprachstückes im Wortlaut, eines T o n s t ü c k e s , einer R e i h e n f o l g e körp e r l i c h e r V e r r i c h t u n g e n handelt, ist das mechanische Memorieren u n e n t b e h r l i c h und fleifsig zu üben, genügt aber für sich allein keineswegs, da das rein mechanisch Gelernte meist nicht recht anzuwenden verstanden wird und stets eine gewisse Unsicherheit in der Reproduktion bestehen bleibt. Deshalb mufs sich mit dem mechanischen das logische Memorieren verbinden. b) Logisch (oder judiciös) memoriert man, wenn man die Vorstellungen sowohl in natürliche als in den Gesetzen des Denkens entsprechende Verbindung bringt. Das logische Memorieren beruht also auf dem V e r s t ä n d n i s dessen, was gelernt werden soll, auf der Auffassung des e i n z e l n e n Gedankens und des g a n z e n G e d a n k e n g a n g s ; es ist ein denkendes Lernen, wie auch das Wort G e d ä c h t n i s andeutet, das auf G e d a c h t e s hinweist. Die Vorstellungen reproduzieren sich in diesem Falle nicht blofs deswegen, weil sie g l e i c h z e i t i g im Bewulstsein, sondern weil sie i n h a l t l i c h miteinander verknüpft waren. Wesentliche Förderung liegt in der übersichtlichen Gliederung, Gruppierung und Abrundung des Lernstoffes, in der innigen ö f t e r e n Verbindung neuer Vorstellungen mit schon erworbenen, in der Erweckuug des Gefühlsinteresses für die neuen Vorstellungen, in der Einflechtung von Fragen, welche das Nachdenken auf den Inhalt lenken. Weifs das Kind nicht mehr, wie die Nadeln bei der Tanne stehen, so fragt man: Wie stehen sie bei der Fichte? der Föhre? Wie aber bei der Tanne? etc. Das verständige Lernen erstreckt sich auf einen viel üiüfässöndefen Vor-
§ 28. Das Gedächtnis.
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stellungskreis als das mechanische, mufs aber durch dieses u n t e r s t ü t z t werden. Beide ergänzen sich. Nach Rückerts Spruch hat man treffend das logische Lernen das »Inwendiglernen« genannt1), wie man das mechanische als »Auswendiglernen« bezeichnet. c) Künstlich (ingeniös) m e m o r i e r t man, wenn man zwischen Vorstellungen, die in keinem i n n e r e n Zusammenhange stehen, eine k ü n s t l i c h e V e r b i n d u n g durch Witz, Scharfsinn und Phantasie herstellt, z. B. »Rade R =• Rudolph von Habsburg; a = aus dem Aargau; d = deutscher Kaiser. — Oder der Satz : Solon steht mit einem Fufse auf Peru, mit dem andern auf Chile, sieht in ein Thal, wo Klee wächst und trinkt ein Glas B i t t e r b i e r — soll an die Namen der sieben Weisen Griechenlands erinnern: Solon, Periander, Chilon, Thaies, Kleobulus, Pittakus, Bias. — Oder das Wort: Mens = Main, Eger, Naab, Saale. — Diese nicht im Lernstoff hegenden, erst hineingetragenen Hilfen sollen an die zu behaltenden Worte oder Zahlen erinnern, wie z. B. die Q u e r s u m m e 15 Hauptzahlen aus der deutschen Geschichte angibt: 843, 933, 951, 1077, 1176, 1356, 1545—1563, 1806 u. s. w. Die A n l e i t u n g zum k ü n s t l i c h e n M e m o r i e r e n heilst Mnemonik oder Mnemotechnik. Dieselbe ist nicht neu, wurde aber durch Karl Otto, genannt Reventlow, zu einer Art Wissenschaft ausgebildet. Sie gibt zur V e r b i n d u n g von Z a h l e n mit N a m e n (überhaupt mit Wörtern) dadurch eine entsprechende Anleitung, dals sie die Z i f f e r n meist nach der Ähnlichkeit der Schriftzüge, durch K o n s o n a n t e n auedrückt, z. B. t, d = 1 1 ; n, v = I I l ; m, w = m 5 etc. In der Schule ist kein Raum für sie, da die Reproduktionshilfen für Schüler meist noch zu gesucht, zeitraubend und zerstreuend sind und vielfach nur einen Umweg bedeuten. Dagegen sind Erleichterungen des Lernens, die ohne zu grofse Künstelei sich ermöglichen lassen, wie die oben angeführten Beispiele zeigen, auch für die Schulen empfehlenswert. (Vergl. Martigu. Kittel.) A u s w e n d i g l e r n e n sei, mein Sohn, dir eine Pflicht, Versäume nur dabei I n w e n d i g l e r n e n nicht! Auswendig ist gelernt, was dir vom Munde fließt, Inwendig, was dem Sinn lebendig sich erschlierst. Rückert.
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
Trägt das a b s i c h t l i c h e Memorieren auch am meisten zu einer f e s t e n und v i e l s e i t i g e n V e r k n ü p f u n g und infolgedessen zu einer l e i c h t e n R e p r o d u k t i o n bei, so ist doch nicht zu übersehen, dafs das Merken und Reproduzieren a) H e m m u n g erleidet durch s t a r k e ä u i s e r e Einw i r k u n g e n , lebhafte Sinnesreize, starke Gemütsbewegungen, angestrengtes Denken, Ermüdung, Schmerzen etc., weshalb man beim Lerngeschäft gern die ruhige Einsamkeit sucht, die Augen zudrückt etc.; dafs es b) F ö r d e r u n g erfährt durch Verlegung des Lernens und Hersagens auf die Zeiten körperlicher und geistiger Frische, Munterkeit und Ruhe (Morgenstund hat Gold im Mund), durch den Besitz körperlicher und geistiger Gesundheit, durch die Mitwirkung gewisser Körperorgane (Leises Sprechen, Reiben und Runzeln der Stirne) etc. (Königbauer).
4. Die Entwicklung des Gedächtnisses.
Das Ge-
dächtnis hält zuerst die Vorstellungen fest, hernach die Namen und Vorstellungen. In der Kindheit ist das mechanische Gedächtnis am stärksten. Mit dem Ende des schulpflichtigen Alters entwickelt sich auch das logische Gedächtnis mehr und mehr; in Verbindung mit dem mechanischen erreicht das Gedächtnis um diese Zeit seine grölste Stärke. Bei zunehmender Geistesreife nimmt zwar das logische Gedächtnis noch zu, dagegen das mechanische ab. Im Alter, wo die Gehirnthätigkeit in der Regel schwächer wird, schwindet auch das Gedächtnis. 5. Bedeutung des Gedächtnisses. Ohne Gedächtnis befäfsen wir kein Wissen, auch kein Selbstbewufstsein, es fehlte uns überhaupt jeder Zusammenhang des geistigen Lebens. Das Gedächtnis fördert die Sprachfertigkeit, unterstützt uns aufserordentlich im praktischen Leben und regt Gefühl und Willen an. Es schafft, wiewohl es allein keine wahre Bildung zu geben vermag, doch der Seele das Material, das Phantasie und Denkkraft in ihrer Weise verarbeiten, und das durch Apperception lebendiges Eigentum des Geistes wird.
§ 29.
Die Einbildungskraft oder Phantasie.
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§29. Die Einbildungskraft oder Phantasie.
1. Wesen der Phantasie. Wer die Bavaria in München zum erstenmal sieht und in ihrem Innern emporsteigt, sagt bestimmt: »So grols etc. habe ich mir das Standbild nicht vörgestelltt. Er hat früher in Nürnberg Hans Sachsens und Albrecht Dürers, in Ansbach Platens Denkmal gesehen, von der Bavaria erzählen hören und nun aus seinem Vorstellungsvorrat das Material zu einer Gesammtvorstellung der Bavaria entnommen, welche schliefslich mit der Wirklichkeit nur teilweise übereinstimmte. Alle hiezu verwendeten Vorstellungselemente traten in einer verä n d e r t e n Verbindung auf. Er l i e f s nämlich von den ursprünglichen Vorstellungsgebilden m a n c h e s w e g , oder f ü g t e n e u e s h i n z u und setzte d i e s e l b e n dann a n d e r s zusammen. D i e F ä h i g k e i t der S e e l e aber, f r e i u n d w i l l k ü r l i c h aus v o r h a n d e n e n V o r s t e l l u n g e n durch Auslassung einzelner Elemente, oderdurch Hinz u f ü g u n g n e u e r E l e m e n t e , oder d u r c h andere G r u p p i e r u n g f r ü h e r e r V o r s t e l l u n g e n n e u e (nicht d e n k n o t w e n d i g e ) V o r s t e l l u n g e n v o n n i c h t Ges e h e n e m etc. zu b i l d e n , h e i f s t E i n b i l d u n g s k r a f t oder P h a n t a s i e 1 ) . Sie fällt im allgemeinen mit dem reproduzierenden Gedächtnisse zusammen, ist aber im besonderen als die Fähigkeit oder die Erscheinung der verä n d e r t e n R e p r o d u k t i o n zu bezeichnen, während das Gedächtnis die Fähigkeit der unveränderten Reproduktion genannt wurde. Bei der Schaffung von Phantasiegebilden m ü s s e n alle Vorstellungselemente bereits in der Seele vorhanden sein. Der Inhalt derselben erleidet keine Veränderung, nur die Form der Verbindung ist das Werk der Phantasie. 1) Es gibt darnach drei Arten der Phantasie: 1. die a b s t r a h i e r e n d e (auslassende), 2. die d e t e r m i n i e r e n d e (näher bestimmende, ausmalende), 3. die k o m b i n i e r e n d e (zusammenfassende, vereinigende).
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Die Eraiehungslehre im engeren Sinne.
Die Phantasie ist p a s s i v , wenn sich der Mensch dem Spiel der Vorstellungen willenlos hingibt, wie man bei Kindern und Kranken beobachten kann; sie ist a k t i v , wenn bei der Gestaltung neuer Seelengebilde der Wille zwischen den sich andrängenden Vorstellungen eine Auswahl trifft. Ob die Phantasie mehr aktiv als passiv, mehr reich als arm (oder umgekehrt), gesund oder krank ist, hängt von dem Naturell und Temperament, dem Vorstellungsreichtum, der Art des Gedankenkreises, von der ganzen physisch-psychischen Entwicklung des Menschen ab.
2. Wert der Phantasie. Im allgemeinen ist sie die Bedingung des geistigen Fortschrittes, da sich in ihr die Seele zur f r e i e n s c h ö p f e r i s c h e n T h ä t i g k e i t erhebt. Ihr Einflufs auf das gesamte Seelen- (ja Leibes-) Leben ist ein tiefgreifender. Sie hebt über die rauhe Wirklichkeit hinaus in das Reich der I d e e n . Sie belebt die Hoffnung, spornt den Eifer, stählt den Mut, gibt Trost im Unglück. Sie unterdrücken wollen, hiefse dem Leben des Kindes die schönsten Blüten abstreifenx). Im b e s o n d e r e n erscheint die Phantasie wertvoll, wenn man die einzelnen psychischen Vorgänge beachtet, mit welchen sie in Verbindung tritt und auf welche sie einen manchfach stärkenden, befestigenden oder bestimmenden Einflufs ausübt. 1. Sie v e r m i t t e l t die V o r s t e l l u n g von jenen Gegenständen, die der Anschauung des Kindes unzugänglich sind. Deshalb ist sie für den U n t e r r i c h t v o n grosser Wichtigkeit. Indem nämlich der Lehrer F r e m d e s und E n t f e r n t e s mit Worten b e s c h r e i b t oder durch B i l d e r v e r s i n n l i c h t , schafft die Einbildungs1)
Als Ich noch ein Knabe war. Doch du warst mein Zeitvertreib, Sperrte man mich ein, Qoldne P h a n t a s i e , Und so safs ich manches Jahr Und loh ward ein warmer Held, Über mir allein, Wie der Prinz Plpl, Wie im Mutterleib. Und durchzog die Welt. Baute manch krystallen Schlots, Und verstört es auch, Warf mein blinkendes Geschofs Drachen durch den Baucb, Ja, ich war ein — Mann! G o e t h e ; der neue Amadis.
§ 29.
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Die Einbildungskraft oder Phantasie.
kraft des Schülers aus den im Gedächtnisse vorhandenen Teilvorstellungen die zugehörigen Vorstellungsgebilde mit solcher Lebhaftigkeit, dafs die unmittelbare Anschauung dadurch einigermafsen Ersatz findet. In G e s c h i c h t e , G e o g r a p h i e und N a t u r k u n d e läfst sich ohne Beihilfe der Phantasie ein erfolgreicher Unterricht gar nicht denken. Sie hebt die Schranken der Zeit auf und läfst längst Vergangenes als Gegenwärtiges schauen (David spielt vor Saul auf der Harfq, Völkerschlacht bei Leipzig), aber sie entfernt auch die Schranken des Raumes und rückt Entferntes vor unser geistiges Auge (der R i g i , der 2 1 /»mal so hoch zu denken ist als der M o r i t z b e r g auf dem Frankenjura; die D o n a u , die bei Regensburg 30mal so" breit geschätzt wird, als die vordere S c h w a r z a c h bei Altdorf). 2. Die Phantasie arbeitet dem D e n k e n vor, indem sie die durch Anschauung gewonnenen Vorstellungsgebilde durch Weglassung (Abstraktion) des meisten Unwesentlichen zu neuen Vorstellungsbildern, sogenannten Gemeinbildern, (psychische Begriffe) umgestaltet, welche zwar noch keine logischen Begriffe sind, aber denselben mehr oder minder nahe kommen. Die Allgemeinvorstellungen Baum, Haus, Hund etc. sind solche durch die abstrahierende Phantasie entstandene Gebilde. 3. Die Phantasie macht das G e f ü h l s l e b e n l e b h a f t e r und i n t e n s i v e r und manche Formen desselben, wie das Mitgefühl, beruhen wesentlich auf ihrem Schaffen. Sie zaubert uns in buntem Wechsel vor die Seele Lust und Schmerz, Freude und Jammer, Furcht und Hoffnung. Das Alte kleidet sie stets in neues Gewand und aus Vergangenem schafft sie Unvergängliches *). 4. Darin beruht auch ihr Einflufs auf den Willen. Da sie die Hoffnung auf Erfüllung der Begehrungen und Strebungen nährt, macht sie diese selbst energischer. Überall, wo Grofses geleistet wurde, hat die Phantasie das Ideal vor die Seele gestellt. Wird das Ideal äufserlich dargestellt, so 1)
Alles wiederholt sich hier Im Leben, Ewig jung Ist nur die Phantasie. Was sich nie und nirgends hat begeben, Das allein veraltet nie. B ö h m , Praktische Erziehungslehre.
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
entsteht das schöne Einzelbild, das Kunstwerk. So ist die Phantasie von mächtigem Einflufs auf die ästhetische und sittliche Seite des Menschen. Aber diese herrliche Geistesgabe kann auch für den Menschen sehr g e f ä h r l i c h werden, indem sie oft allen Erwägungen v e r n ü n f t i g e r E i n s i c h t gegenüber b l i n d und taub macht, Wirklichkeit und Wahrheit übersieht 1 ), selbst b e t r ü g l i c h e L u f t s c h l ö s s e r baut und infolgedessen, wie von Kindern oft geschieht, Unwahres behauptet, oder indem sie durch Vormalen sinnlicher Genüsse den Gefühlen eine falsche R i c h t u n g gibt, durch Schwärmen von goldenen Bergen oder durch Träumen von eingebildeten Schwierigkeiten den W i l l e n lähmt. § 30. Das Denken.
1. Das Denken. Die m e i s t e n Vorstellungen entstehen in der Menschenseele im freien Verkehr mit der Naturund Menschen weit, also durch E r f a h r u n g und U m g a n g . Sie sind seelische (psychische) N a t u r p r o d u k t e , bei deren Gestaltung Z u f a l l und L a u n e eine hervorragende Rolle spielen. Deshalb haftet diesen n a t u r w ü c h s i g e n Vorstellungen meist noch eine grolse UnVollkommenheit an; sie sind unklar, undeutlich, ungeordnet, v e r b u n d e n , wo sie n i c h t zusammengehören, g e t r e n n t , wo sie v e r b u n d e n sein sollten, daher mehr oder minder f a l s c h . Das Kind läfst den I n h a l t der Vorstellungsverbindungen ungeprüft, oft wird es deshalb erst durch S c h a d e n klug. Diese h a r t e S c h u l e der E r f a h r u n g mufs der Erzieher dem Kinde aber nach Möglichkeit zu e r s p a r e n suchen; er mufs es rechtzeitig zur P r ü f u n g seiner Vorstellungen veranlassen. Sobald im Kind das Bedürfnis erweckt ist, seine Vorstellungen auf ihre Richtigkeit zu untersuchen, sobald es ihm gelingt, das Z u s a m m e n g e h ö r i g e zu verb i n d e n und N i c h t z u s a m m e n g e h ö r i g e s zu t r e n n e n : 1) In G o e t h e s »Erlkönig« ist der Gegensatz zwischen der überreizten Phantasie des Kindes und dem freien Bewufstsein des Mannes sprechend dargestellt.
§ SO. Das Denken.
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sobald erhebt sich seine Geistesthätigkeit zur I n t e l l i g e n z . (Sie ist die Summe der bewulstvollen Gedankenkreise, in welchen des Menschen Überzeugungen von Wahrheit und Irrtum wurzeln.) Wer sich bei Bildung, Prüfung und Berichtigung seiner Vorstellungen von der Gesetzmäisigkeit des menschlichen Geistes leiten lälst, v e r s t ä n d i g v e r b i n d e t oder t r e n n t , hat Verstand, d. h. er denkt. Die Denk f o r m e n sind Begreifen, Urteilen und Schliefsen.
2. Der Begriff. Mit dem eben Gesagten ist bereits angedeutet, wie der p s y c h i s c h e und der l o g i s c h e Begriff entstehen. Ein Beispiel soll dies näher erläutern. Wenn wir ein Quadrat, ein Rechteck, einen Rhombus und ein Rhomboid vergleichend betrachten, so entdecken wir an diesen Figuren ihnen g e m e i n s a m e und einander e n t g e g e n g e s e t z t e , v e r s c h i e d e n e Merkmale. Sie sind nämlich alle Vierecke, in welche je zwei gegenüberliegende Seiten gleich sind und parallel laufen, auch die gegenüberliegenden Winkel sind gleich. Dagegen sind die einen rechtwinklig, die anderen schiefwinklig, die einen gleichseitig, die anderen ungleichseitig etc. So lange wir mit den gemeinsamen Merkmalen unwesentliche (und wenn auch nur eines) festhalten, letztere also nicht von den ersteren trennen, so lange haben wir von den genannten Figuren nur eine A l l g e m e i n v o r s t e l l u n g (Gemeinbilder —siehe Phantasie) oder einen durch den Seelenmechanismus (nicht durch logisches Denken) gebildeten psychischen Begriff*. Dieser kann richtig sein, ist es aber in diesem Falle (wie auch in der Regel) nicht und bedarf dann der Umbildung. Wenn wir nun aber die u n g l e i c h a r t i g e n Merkmale w e g l a s s e n und n u r die g e m e i n s a m e n aufsuchen und zusammen fassen, so erhalten wir den logischen Begriff — des Parallelogramms. Die gemeinsamen Merkmale nennt man w e s e n t l i c h e , weil sie das W e s e n der Gattung ausmachen, die verschiedenen aber u n w e s e n t l i c h e oder z u f ä l l i g e , weil sie nur einem Teil der zur Gattung gehörigen Gegenstände eigen 5*
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
sind und die Gattungsgegenstände auch ohne sie gedacht werden können. Der l o g i s c h e B e g r i f f i s t s o n a c h die Zusammenf a s s u n g der w e s e n t l i c h e n M e r k m a l e eines Gegenstandes.
3. Verständiges und vernünftiges Denken. a) Das v e r s t ä n d i g e D e n k e n vollzieht sich im Beg r e i f e n , U r t e i l e n und S c h l i e f s e n . Auf Grund sinnlicher Wahrnehmungen fällt das Kind die ersten Urteile, welche zu den ursprünglichsten (psychischen) Begriffen führen. Die Begriffe sind die Elemente zu weiteren Urteilen, die vielfach ohne rechte Überlegung gefällt werden, daher zurückgenommen oder berichtigt werden müssen. Aus den Urteilen werden durch Schliefsen neue Urteile abgeleitet. So mehren sich die Elemente, aus welchen nach und nach eine geordnete Gedankenwelt entsteht. Der V e r s t a n d ist demnach nicht angeboren (er wächst mit den Jahren), s o n d e r n der g a n z e , aus Vors t e l l u n g e n und V o r s t e l l u n g s v e r b i n d u n g e n bestehende g e i s t i g e Schatz des Menschen, das aus der A r b e i t mit den V o r s t e l l u n g e n erworbene stets zun e h m e n d e Kapital und zugleich die F ä h i g k e i t , jene r i c h t i g zu i>ilden und zu v e r k n ü p f e n , d. h. richtig zu b e g r e i f e n , zu u r t e i l e n und zu s c h l i e f s e n . Die gesunde Ausbildung des V e r s t a n d e s ist von grofser W i c h t i g k e i t . Der Verstand befähigt uns, in die Gesetze der Natur einzudringen, die geistige Erbschaft der Menschheit anzutreten und sie kommenden Geschlechtern vermehrt zu hinterlassen; er schützt uns vor Aberglauben, schafft die rechten Begriffe, die unentbehrliche L e b e n s k l u g k e i t zum zweckmäfsigen Handeln und bildet die Vorstufe zur Bildung der I d e e n . Anmerkung 1. Wenn der Mensch die Fähigkeit besitzt, schnell und richtig zu urteilen, so spricht man von gesundem Menschenverstand. Ist er mit der Fähigkeit ausgerüstet, feine, verborgene Ä h n l i c h k e i t e n unter verschiedenen Dingen l e i c h t und schnell aufzuspüren, so Spricht man von Witz; vermag er die versteckten Ver-
§ 30.
Das Denken.
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s c h i e d e n h e i t e n unter ähnlichen Dingen l e i c h t zu entd e c k e n , so redet man von S c h a r f s i n n (Talent, Genie, vergl. §3). Geringe Fähigkeit, V e r s t a n d e s s c h w ä c h e , ist entweder als geringe Anlage angeboren (Dummheit, Stumpfsinn, Einfalt) oder a n e r z o g e n (Oberflächlichkeit, Verworrenheit, Thorheit). Anmerkung 2. Das S p r a c h v e r m ö g e n gehört wesentlich dem Verstände an; denn die S p r a c h e ist aus dem Bedürfnis des Menschen entstanden, die Vorstellungen zu Begriffen zu erheben, Urteile zu bilden und dieselben auszusprechen, um sich anderen verständlich machen, mit ihnen in geistigen Verkehr treten zu können. b) Das v e r n ü n f t i g e D e n k e n . Der V e r s t a n d sagt uns, w i e die Dinge in Wirklichkeit s i n d , er lehrt uns den B e g r i f f der Dinge. Die Vern u n f t dagegen sagt uns, wie die Dinge in ihrer Vollkommenheit (in der Idee) s e i n s o l l t e n , w a r u m und w o z u sie da sind. Sie sucht den Grund und Zweck aller Dinge, Gott und unsere menschliche Bestimmung zu erkennen. Soweit die V e r n u n f t uns über die UnVollkommenheit des Irdischen zum Vollkommenen, Übersinnlichen, Göttlichen hinaushebt, I d e e n (erhabene Gedanken) bildet und I d e a l e (Musterbilder) gestaltet, nennt man sie t h e o r e t i s c h e Vernunft. Soferne sie aber aus den Ideen die p r a k t i s c h e n G r u n d s ä t z e über die unbedingte Vortrefflichkeit oder Verwerflichkeit des Wollens und Handelns ableitet, und dabei Gründe und Gegengründe sorgfältig prüft, heilst sie p r a k t i s c h e Vernunft. Wer sich bei seinem Handeln stets von den Grundsätzen des Wahren, Schönen und Guten leiten lätst, handelt vern ü n f t i g . Das Tier ist vernunftlos. Das Kind und der Wilde handeln vielfach u n v e r n ü n f t i g , weil sie sich über den augenblicklichen Eindruck nicht erheben können, weder Gründe noch Gegengründe abwägen, keiner Aufklärung zugänglich sind und nur von der Gewalt der Leidenschaften getrieben werden. Somit ist die V e r n u n f t die Fähigkeit, I d e e n zu b i l d e n , d a s G ö t t l i c h e zu e r f a s s e n
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D i e Erziehungslehre im engeren Sinne.
und ein s i t t l i c h e s , g o t t w o h l g e f ä l l i g e s Leben zu f ü h r e n *). Wer v e r s t ä n d i g d e n k t , sucht mit z w e c k e n t s p r e c h e n d e n M i t t e l n z w e c k m ä i s i g zu handeln, wer aber v e r n ü n f t i g denkt, s u c h t der s i t t l i c h e n I d e e g e m ä f s m i t r e i n e n M i t t e l n s i t t l i c h zu handeln. Verstand und Vernunft schlieXsen einander ein, nicht aus. »Der Begriff ist in der Idee enthalten; diese ist der in seiner Vollkommenheit gedachte Begriff«: (Martig). Die Vernunft repräsentiert die sittliche Seite des Denkens und Handelns, der Verstand die kluge. Beide vereint adeln und beglücken den Menschen, ihr Mangel führt ins Verderben2). Darum: »Seid k l u g , wie die Schlangen, und o h n e F a l s c h , wie die Tauben«! § 31. Aneignung oder Apperception der
Vorstellungen.
Zeigt man Kindern das B i l d einer Katze, so erkennen sie dasselbe als solches, wenn sie schon öfter eine Katze gesehen haben. Ihre Vorstellung von der Katze hilft ihnen zum Erkennen des Bildes. Sehen sie zum erstenmal ein M a u l t i e r , so wird in ihnen die Vorstellung P f e r d geweckt. Beim Vergleich beider finden sich Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten. Da die Ähnlichkeiten das Übergewicht haben, so wird das Maultier als Einhufer aufgefafst und mit dem Pferd in eine Ordnung gebracht. Bei diesem Vorgang wird auch die verwandte Vorstellung Esel reproduziert. Auch sie tritt mit den anderen in Wechselwirkung, ergänzt 1) Vernunft Ist der Funke, der den Menschen vom Himmel zu teil wird. Confucius. Der Vernunft gehorchen und Gott gehorchen ist einerlei. Plutarch. Die Vernunft macht das Band zwischen Gott und una aus. M o s e n — BOT — M a i m o n . 2) Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, Des Menschen allerhöchste Kraft, Lafs nur in Blend- und Zauberwerken Dich von dem Lügengeist bestärken, So hab ich dich schon unbedingt. G o e t h e , Taust I.
§ 31. Aneignung oder Apperception der Vorstellungen.
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und verstärkt dieselben. So trifft jede neue Wahrnehmung im Bewufstsein auf bereits v o r h a n d e n e oder auf r e p r o d u z i e r t e v e r w a n d t e Vorstellungen und tritt mit denselben in Wechselwirkung. Haben dabei die im Bewufstsein vorhandenen v e r w a n d t e n Vorstellungen das Ü b e r g e w i c h t , so wird das Neue dem Alten eingeordnet, mit demselben verschmolzen. Man n e n n t d i e s e s c h l i e l ' s l i c h e V e r k n ü p f u n g oder V e r s c h m e l z u n g mehrerer Vorstellungen nach vorausgegangener U m f o r m u n g oder E i n o r d n u n g d e r e i n e n d u r c h die a n d e r e n Apperception oder Aneignung. Die a l t e n Vorstellungen erscheinen dabei als die a p p e r c i p i e r e n d e n , die n e u e n als die a p p e r c i p i e r t e n . Ist der Vorgang durch eine W a h r n e h m u n g veranlafst, so spricht man von ä u i s e r e r Apperception, ist er jedoch durch eine reproduzierte Vorstellung hervorgerufen, so wird er i n n e r e A p p e r c e p t i o n genannt. Die Apperception ist eine Art Assimilation der neuen Vorstellungen durch die älteren. Perception = Aufnahme der Speisen, Apperception = Verdauung derselben. Alles Erkennen, Benennen, Einordnen, Urteilen ißt ein Appercipieren: ein Subsumieren des Unbekannten unter das Bekannte, des Besonderen unter das Allgemeine, der Art unter die Gattung, des Subjekts unter das Prädikat; z. B. der Baum ist eine Pflanze. (Baum ist die appercipierte, P f l a n z e die appercipierende Vorstellung.) Auch alles Lesen ist ein Appercipieren.
Manchmal schlägt die Apperception den umgekehrten Weg ein. Sind nämlich die neuen Vorstellungen (Wahrnehmungen) besonders hell, klar und kräftig, so werden die alten Vorstellungen von den neuen appercipiert oder wenigstens berichtigt. Z. B. Die Vorstellung vom Regensburger Dom erfährt sofort eine Berichtigung durch den Anblick desselben, oder wird, wenn zu schwach, appercipiert.
Finden neue Vorstellungen im Bewufstsein keine Stützpunkte, sind sie zu fremdartig oder bieten sie zu wenig Neues, sind sie zu b e k a n n t , so entsteht in der Seele das Gefühl der L a n g e w e i l e . Deshalb müssen im e r s t e n F a l l e alle verwandten alten Vorstellungen, welche mit der neuen
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Die E r z i e h u n g s l e h r e i m e n g e r e n S i n n e .
in Beziehung stehen, ins Bewulstsein gerufen werden, damit sie der neuen den Boden bereiten, während im z w e i t e n F a l l e die alten Vorstellungen in ein neues Gewand zu kleiden sind. Für den e r s t e n Fall gelten die Unterrichtsregeln: V o m B e k a n n t e n zum U n b e k a n n t e n ! — Der U n t e r r i c h t s c h r e i t e l ü c k e n l o s f o r t l — Schaffe einen appercipier enden Hintergrund! Für den z w e i t e n Fall gilt die Regel: Gib B e k a n n t e s i n n e u e r F o r m ! Für den Lehrer leitet sich hieraus die Notwendigkeit ab, sich mit dem jeweiligen Wissensstand seiner Schüler völlig vertraut zu machen. 2. D a s F ü h l e n . a.
Das G e f ü h l Im a l l g e m e i n e n .
§ 32. Wesen, Entstehung, Eigenart und Bedeutung der
Gefühle.
1. Das Wesen des Gefühls. Das Seelenleben besteht nicht blois in den bisher behandelten Thfttigkeiten des Empfindens, Vorstellens und Denkens und in dem Bewulstwerden dieser Thätigkeiten, die Seele hat auch die Fähigkeit, sich des eigenen Zustandes, wie derselbe durch äulsere Eindrücke oder innere Vorgänge bestimmt wird, bewufst zu werden. Das unmittelbare I n n e w e r d e n des e i g e n e n Seelenzustandes n e n n t man Gefühl. Vielfach aber sind die Gefühle dem Fühlenden unklar, er kann nicht immer sagen, waa er fühlt')•
2. Entstehung and Eigenart der Gefühle.
Alle
schon früher besprochenen S e e l e n t h ä t i g k e i t e n , das Empfinden, Wahrnehmen, Anschauen und Vorstellen, dann das Denken und Wollen, alle auf Leib und Geist wirkenden »Wie In den Lüften der Sturmwind saust, Man weiia nicht, von wannen ei kommt und braust, Wie der Quell aus verborgenen Tiefen: So des Sängers Lied aus dem Innern schallt Und wecket der d u n k l e n G e f ü h l e Gewalt, Die im Herzen wunderbar s c h l i e f e n « . S c h i l l e r , Graf v. Habsburg.
§ 32. Wesen, Entstehung, Eigenart u. Bedeutung der Gefühle.
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Einflüsse rufen G e f ü h l e des W o h l - oder M i f s b e h a g e n s hervor. In welchem Grade sich das eine oder andere bemerklich macht, das hängt von dem s c h o n b e s t e h e n d e n S e e l e n z u s t a n d e , sowie von verschiedenen a n d e r e n E i n f l ü s s e n (Umgebung, Klima, Jahreszeiten etc.) ab. Vorstellungen und Gefühle sind koordinierte Bestandteile eines und desselben inneren Vorganges. Bald wiegt der eine, bald der andere vor; dais einer von dem anderen unabhängig wäre, vermögen wir nicht zu beweisen. Wiewohl aber die Gefühle nur in Verbindung mit den Vorstellungen (und Strebungen) auftreten, sie sind doch von denselben v e r s c h i e d e n und etwas E i g e n a r t i g e s . So unterscheiden sie sich auch von den Empfindungen, mit welchen sie häufig verwechselt werden, dadurch, »dais die Seele im E m p f i n d e n ä u f s e r e Eindrücke, im F ü h l e n dagegen i h r e n e i g e n e n Zustand wahrnimmt«. Man e m p f i n d e t den Nadelstisch, man f ü h l t den Schmerz der Trennung vom Freunde. Auch ist es etwas ganz Verschiedenes, ob ich mir die Wiese in ihrer Blumenpracht vorstelle, oder ob ich sie in ihrer Schönheit fühle; in letzterem Fall ist die Seele durch die Vorstellung (Wahrnehmung) selbst ergriffen worden. Anmerkung. DaTs die Gefühle sich an Empfindungen und Vorstellungen knüpfen, weifs jeder der einen Morgenspaziergang in der Maienfrische macht; er erzeugt ein Lustgefühl. Trübe Tage rufen unangenehme Empfindungen hervor, diese verstimmen das Gefühl. Aber auch die nämlichen Vorstellungen können bei den wechselnden Zuständen des Bewufstseins von wechselnden Gefühlen begleitet sein. Was uns heute entzückt, läTet uns morgen kalt und gleichgültig. Über den unbestreitbaren Zusammenhang von Denken und Fühlen hat sich Rückert trefflich ausgesprochen 1). 1)
So lange du nur denkst, ohn' es in dir zu fühlen, Wird ein Oedanke nur den andern weiter spülen. Nicht wahr ist, was du denkst; nur was du fühlst, ist wahr; Durchs Denken machst du dir nur das Gefühlte klar. Was du Gefühltes denkst, das wirst du auch behalten, Und im Gedächtnis wird dlrs ewig nicht veralten, Das seinen Namen zwar vom Denken hat empfangen; Doch nur Gefühltes bleibt im Angedenken hangen. R ü c k e r t , Weisheit d. Brahmanen.
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
3. Die Bedeutung der Gefühle ist sehr grofs. Von ihnen hängt das ganze Glück und die ganze Pein unseres Erdenlebens ah; denn in Verbindung mit den Gedanken bestimmen die Gefühle den W i l l e n und das ganze Verhalten zu Gott, zu den Mitmenschen und anderen Wesen. Welchen Einflufs aber das Gefühl auf die Erkenntnis, insbesondere auf das Gedächtnis hat, ist in dem eben erwähnten Rückert'schen Gedichte ausgesprochen. Dennoch müssen die Gefühle unter der Herrschaft der Vernunft stehen, da sie sonst für die Lebensführung des Menschen gefährlich werden können. § 33. Einteilung der Gefühle.
Die Gefühle sind verschieden nach ihrem Gr u n d t o n e (Charakter), nach ihrer D a u e r und S t ä r k e und nach ihrer Q u e l l e (Ursache). Doch ist eine genaue Einteilung schwer möglich, da die Gefühle zu mannigfaltig sind und auch vielfach ineinanderfliefsen. 1. Nach ihrem Grundton (Charakter) sind die Gefühle a) a n g e n e h m e oder L u s t g e f ü h l e , wie Freude, Entzücken, Hoffnung, Mitfreude etc. Sie entstehen, wenn der Gang der Ereignisse, unseren Hoffnungen entspricht, also keine Hemmung des Vorstellungsverlaufes eintritt, wir uns z. B. eines vergessenen Namens wieder erinnern, Verlorenes wiederfinden, eine schwierige Arbeit vollenden, das ersehnte Ziel erreichen etc.; b) u n a n g e n e h m e oder U n l u s t g e f ü h l e , wie Trauer Schrecken, Sorge, Mitleid etc. etc., bilden sich bei in den Weg tretenden Hindernissen, bei Stockungen des Vorstellungsverlaufes, wie z. B. bei mifslungenen Unternehmungen, getäuschten Hoffnungen etc. etc. Lust- u n d U n l u s t g e f ü h l e k ö n n e n a u c h in das G e g e n t e i l umschlagen. Einübermälsiges, langandauerndes Lustgefühl (sinnliche Lustbarkeiten, übermäTsiger Biergenuls etc.) erzeugt endlich Überdrufs, Ekel, also Unlustgefühle. Diese können jedoch die Seele allmählich reinigen, kräftigen und
§ 33.
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Einteilung der Gefühle.
so in Lustgefühle verwandelt werden. »Selig sind die Leidtragenden etc.«') c) g e m i s c h t e G e f ü h l e , wie Wehmut, Sehnsucht, Hangen und Bangen etc. Sie entstehen durch einen so raschen Wechsel der Lust- und Unlustgefühle, dafs der Fühlende sie nicht auseinanderzuhalten vermag, Lust und Unlust für vereinigt hält2). 2. Nach der Daner und Stärke der Gefühle sind dieselben sehr verschieden. Je länger ein starker Eindruck auf die Seele wirkt, desto länger währt in der Regel das Gefühl; so beim Tode eines geliebten Angehörigen, bei einem Brandunglück etc., weswegen man bei der Tröstung die Betrübten auf »andere Gedanken« zu bringen sucht. Die Stärke der Gefühle hängt von d e r l n d i v i d u a l i t ä t überhaupt, von dem m o m e n t a n e n S e e l e n z u s t a n d , von der B e d e u t u n g d e s die Gefühle erregenden G e g e n s t a n d e s und von der P l ö t z l i c h k e i t der E i n d r ü c k e ab. Was die Grade der Gefühle betrifft, so unterscheidet man eine ganze Stufenleiter von Lust- und Unlustgefühlen, von den leisesten Bewegungen bis zu den stärksten Wallungen. Ist die Vorstellungsbewegung eine geringe, so fühlt man sich zufrieden. Gemüts- und Seelenruhe entsprechen einem mittleren Grad der Bewegung im Seelenleben, die sich jedoch, wenn Lustgefühle überwiegend im Spiele sind, zur F r ö h l i c h k e i t , zum J u b e l und E n t z ü c k e n steigern kann. Aber auch bei den Unlustgefühlen gibt es eine Stufenreihe vom leisesten Unangenehmberührtsein bis zum tiefsten Schmerz. (Unmut, Trauer, Angst, Schrecken, Verzweiflung.) 1)
Lieber durch Leiden will ich mich schlagen, Als BO viel Freuden des Lebens ertragen.
2)
Traute Heimat meiner Lieben, Sinn ich still an dich zurück, W i r d m i r w o h l , und dennoch t r ü b e n S e h n s u c h t s t h r ä n e n m e i n e n Blick.
Goethe.
v. S a l i s . In den Armen liegen sich beide Und w e i n e n vor S c h m e r z e n und F r e u d e . S c h i l l e r , Bärgschaft. Die Königin, zerflossen in Wehmut und in Lust etc. U h 1 a n d , Sängers Fluch.
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
Stimmung. Je nachdem in der Gefühlsbewegung die Lust- oder die Unlustgefühle die Oberhand erhalten, wird der G r u n d t o n des ganzen Gefühlslebens h e l l oder d ü s t e r , h e i t e r oder t r a u r i g . Man nennt diesen G r u n d t o n des Gefühlslebens S t i m m u n g . Die Ursache der Stimmung liegt in vorherrschenden Vorstellungsmassen, die herrschende Gefühle erzeugen. Man redet von g e h o b e n e r , f r e u d i g e r S t i m m u n g , wenn die Lustgefühle, von d ü s t e r e r , t r ü b e r Stimmung — Verstimmung — , wenn die U n l u s t g e f ü h l e vorherrschen. Die Stimmung ist von den wechselnden Gefühlen abhängig, aber selten von e i n z e l n e n Gefühlen, da die früher dagewesenen Gefühle immer noch ihren Einflufs geltend machen. Ein im heitern Spiele fallendes Kind weint vielleicht, aber in wenigen Augenblicken ist es wieder bei den fröhlichen Genossen. (Wird die Stimmung zum habituellen Zug des Geistes, so heilst sie T e m p e r a m e n t . ) S e h r s t a r k e , schnell entstehende und nicht lange anhaltende Bewegungen, heftige Erschütterungen des Ge fühlslebens nennt man A f f e k t e . 3. Nach der Quelle oder U r s a c h e gibt es f o r m a l e und q u a l i t a t i v e Gefühle. b.
Das Gefühl Im besonderen.
§ 34. Die formalen Gefühle. Die f o r m a l e n Gefühle hängen von dem Verhalten der Vorstellungen zueinander, von der F o r m des Vorstellungsverlaufes, von dem Vorstellungsrhythmus, n i c h t aber von dem I n h a l t der Gefühle ab. Sie treten dann besonders hervor, wenn die Vorstellungsthätigkeit eine grölsere oder geringere Förderung oder Hemmung erleidet und sind bei den verschiedensten Menschen gleich. Hierher gehören z. B. die Gefühle der K r a f t und S c h w ä c h e , der L a n g e w e i l e und U n t e r h a l t u n g , der E r w a r t u n g etc. etc. Die T h ä t i g k e i t erzeugt bekanntlich ein Lustgefühl, wenn ihr die K r a f t entspricht, somit das Unlustgefühl der S c h w ä c h e und O h n m a c h t nicht aufkommen kann. Wird die Kraft
§ 35.
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Die qualitativen Gefühle.
allzusehr in Anspruch genommen, dauert z. B. ein Vortrag zu lang, oder ist er schwer aufzufassen, so entsteht daB Gefühl der A n s t r e n g u n g , der E r m ü d u n g ; schüttelt man die Vorstellungsmasse ab und überläist man sich dem zwanglosen Vorstellen, so macht sich das Lustgefühl der E r h o l u n g geltend. Geht der Vorstellungswechsel im Bewufstsein weder zu rasch, noch zu langsam vor sich, so entspringt daraus das angenehme Gefühl der U n t e r h a l t u n g ; wird die Kraft aber zuwenig in Anspruch genommen, gerät die Vorstellungsbewegung in ein förmliches Stocken, so tritt das unangenehme Gefühl der Langew e i l e ein. Das Gefühl der E r w a r t u n g entsteht, wenn die Vorstellungen, der Wirklichkeit vorauseilend, das Eintreten eines Erfolges, einer Wirkung schon vorher vergegenwärtigen. Tritt der Erfolg (mit anderen Worten die völlige Reproduktion der Vorstellungsreihen) nicht bald ein, so wird das Gefühl der Erwartung zur U n g e d u l d gesteigert. Die mit Lust gefüllte Erwartung eines Gutes heifst H o f f n u n g , die mit Hilfe der Einbildungsvorstellungen die Wirklichkeit schöner malt, als sie ist'). Erfüllte Hoffnung gewährt B e f r i e d i g u n g , unerfüllte bringt das unangenehme Gefühl der T ä u s c h u n g . Erwarten wir einen Erfolg, der eine Unlust in sich birgt, so beklemmt uns das Gefühl der B e s o r g n i s , schwanken wir bei der Erwartung zwischen zwei Möglichkeiten, so entwickelt sich das Unlustgefühl des Z w e i f e l s . Tritt ein nicht erwartetes Ereignis ein, so entsteht in uns das Gefühl der Ü b e r r a s c h u n g , welches nur dann zu einem Lustgefühl wird, wenn der unerwartete Ausgang uns günstig erscheint. (Gegenteil = Schreken, s. Affekt.) § 35. Die qualitativen Gefühle.
Die q u a l i t a t i v e n Gefühle sind eine Folge von Sinnesreizen oder geistiger Thätigkeit; sie setzen einen bestimmten ])
Die H o f f n u n g führet ins Leben ein, Sie umflattert den fröhlichen Knaben, Ben Jüngling begeistert ihr Zaubenchein, Sie wird mit dem Greis nicht begraben. Denn belchllefst er im Grabe den müden Lauf, Noch am Grabe pflanzt er die Hoffnung auf.
Schiller.
Die Hoffnung macht mit flücht'gen Schwalbenschwingen Aus Kön'gen Götter, Kön'ge aus Geringen. S h a k e s p e a r e , Bichard III.
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
Vorstellungsinhalt voraus, der sich auf das leibliche Wohle r g e h e n , oder auf das Wahre, Schöne und Gute, auf Gott, die Mitmenschen und die eigene Person beziehen kann. 1. Die sinnlichen Gefühle sind Lustgefühle, wenn sie den Vorstellungen vom leiblichen Wohlbefinden, Unlustgefühle, wenn sie den Vorstellungen vom leiblichen Übelbefinden entsprechen. Was dem Körper a n g e n e h m ist, erweckt ein s i n n l i c h e s L u s t g e f ü h l , was ihm unang e n e h m ist, ein s i n n l i c h e s U n l u s t g e f ü h l . Nicht die sinnlichen Eindrücke, welche durch Farbe und Licht auf das Auge, durch die Töne auf das Ohr, durch die Riechstoffe auf die Nase etc. gemacht werden, sind Gefühle; es sind Empfindungen, welche erst die Seele heiter oder trübe s t i m m e n , also erst Gefühle erzeugen. »Die sinnlichen Gefühle haben eine grofse Bedeutung für das l e i b l i c h e Leben, da sie den Menschen antreiben, auf sein körperliches Wohlbefinden bedacht zu sein; sie machen ihren Einfiufs aber auch auf das g e i s t i g e Leben bemerkbar, indem sie uns heiter, freundlich, willig und empfänglich oder unwillig und unempfänglich stimmen« (Martig). 2. Die intellektuellen Gefühle folgen aus der Erkenntnis der W a h r h e i t oder gehen derselben voraus. Wenn z. B. Schüler ihre Aufgaben richtig gelöst, schauensie dem Lehrer heiter ins Gesicht; haben sie jedoch ein falsches Resultat erzielt, so blicken sie verstimmt darein. Die Gewifsheit der Erkenntnis einer Wahrheit erweckt Freude, Ungewifsheit darüber Unlust. (Pythagoras opferte eine Hekatombe, als er den nach ihm benannten Lehrsatz gefunden.)
Oft jedoch geht das Gefühl der klaren Erkenntnis voran und spricht sich darüber aus, noch ehe wir über die Sache gründlicher nachgedacht haben. Dieser W a h r h e i t s s i n n , der sich bei unverdorbenen Menschen findet und das W a h r s c h e i n l i c h k e i t s g e f ü h l , das sich besonders bei Frauen und ungeübten Denkern geltend macht, rufen Schillers Wort ins Gedächtnis: »Was kein Verstand der Verständigen sieht, Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt«
§ 35.
Die qualitativen Gefühle.
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Darnach k e n n z e i c h n e t sich das W a h r h e i t s g e f ü h l als d i e L u s t und F r e u d e am E m p f a n g e n , S u c h e n und F i n d e n der W a h r h e i t oder als das Bew u f s t s e i n der Ü b e r e i n s t i m m u n g unserer V o r s t e l l u n g e n m i t der W i r k l i c h k e i t . Bedeutung. DasWahrheitsgefühlistein mächtigerSporn zum Streben nach richtiger Erkenntnis der Wahrheit, die aus Gott ist und zu Gott führt. »Das Wahrheitsgefühl ist das eigentliche Lebensgefühl des Menschengeistes.« 3. Die ästhetischen Gefühle. Alle Gegenstände und Erscheinungen in Natur und Kunst, welche uns nach Form und G e s t a l t unbedingt gefallen, nennen wir s c h ö n , wenn sie uns mifsfallen, h ä f s l i c h . Die H a r m o n i e der Dinge in Mafs und Form ist ihre Schöne. Solch wiederholte Eindrücke unbedingten Gefallens schaffen in uns allmählich I d e a l e oder M u s t e r b i l d e r des S c h ö n e n , mit denen wir neue Wahrnehmungen vergleichen. Je mehr bei den in den Sinn tretenden Erscheinungen Symmetrie und Harmonie obwalten, desto gröfser ist die Freude (am Schönen), je mehr Harmonie und Ebenmafs fehlen, desto gröfser ist die Betrübnis (über das Häfsliche). Die ästhetischen Gefühle entspringen aber nicht blofs sinnlichen Eindrücken und Gefühlen, sondern auch dem harmonischen Zusammenklang der intellektuellen, moralischen und religiösen Gefühle, wobei das Wahre, Edle und Gute auch als schön gefühlt wird. Die ästhetischen Gefühle sind eine reiche Quelle edler Freuden; sie halten von Roheit und Gemeinheit ab und bilden daher eine Vorstufe der Sittlichkeit, weshalb die Ausbildung derselben von höchster Bedeutung ist.
4. Die moralischen (ethischen) oder sittlichen Gefühle sind Freude und Wohlgefallen am Guthandeln, Mifsfallen und Entrüstung am Schlechthandeln. Sie entstehen durch die Erkenntnis des Wertes oder Unwertes, einer Handlung; denn diese Erkenntnis ruft W o h l g e f a l l e n an jeder g u t e n , A b s c h e u gegen jede s c h l e c h t e That hervor, gleichviel ob sie von uns oder anderen begangen wurde. Die dem Bewufstsein von unseren Denkakten und Handlungen entspringenden moralischen Gefühle hängen also mit
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
der E r k e n n t n i s , v o r w i e g e n d aber mit dem W i l l e n zusammen ; sie sind auf s e l b s t b e w u ß t e Wesen beschränkt, die frei und unabhängig das Gute oder Böse wählen können. Durch wiederholte Beachtung von lebenden oder geschichtlichen Personen, deren Handlungen wir unwillkürlich billigen müssen, entstehen in uns allmählich M u s t e r b i l d e r des G u t e n und s i t t l i c h e I d e e n , welche das Wertmais bei der Beurteilung der menschlichen Handlungen bilden. — Die vom sittlichen Gefühl ausgehende Vergleichung unseres Handelns mit den sittlichen Ideen und göttlichen Gesetzen, vermöge welcher wir dann innerlich überzeugt sind und verspüren, ob wir r e c h t oder u n r e c h t g e t h a n haben, nennen wir Gewissen. Dieses ist der Richter in unserem Innern und nach den verschiedenen sittlichen und geistigen Zuständen des Menschen von sehr verschiedener Beschaffenheit. Anmerkung. Das Gewissen ist r i c h t i g , wenn sein Ausspruch mit dem göttlichen Gesetz übereinstimmt, falsch, wenn es im Urleil über Gesetz und Gesetzeserfüllung sich selbst täuscht oder täuschen läTst1). Es ist r u h i g , wenn es bei üblen Folgen einer Handlung sich keine Verschuldung zuzuschreiben hat, unruhig, wenn ihm etwas zur Last gelegt werden kann. Es ist g u t , wenn es auf dem befriedigenden Bewuistsein ruht, dafs unser Thun ein sittlich gutes war2); b ö s , wenn es sich schlechter That bewufst ist. Ein gutes, zartes Gewissen führt zur G e w i s s e n h a f t i g k e i t , welche darin besteht, dafs wir vor jeder Handlung den inneren Richter fragen. Ein weites und falsches Gewissen führt zur G e w i s s e n l o s i g k e i t , welche, wenn wir uns unser pflichtwidriges und unsittliches Handeln wieder vorstellen, uns innere Vorwürfe und Seelenschmerzen, G e w i s s e n s b i s s e , zuzieht. 1)
2)
Ach, dafs wir doch dem reinen stillen Wink Des Herzens nachzugehen so sehr verlernen! Ganz leise spricht ein Gott in unsrer Brust, Ganz leise, d o c h v e r n e h m l i c h , zeigt uns an, Was zu ergreifen ist und was zu fllehn. G o e t h e , Tasso III, 2. Unschuld und ein gut Gewissen Ist das beste Ruhekissen.
§ 36.
Die qualitativen Gefühle (Fortsetzung).
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§ 36. Die qualitativen Gefühle. (Fortsetzung.)
5. Die religiösen Gefühle. Notlagen und Unglück erwecken in uns das B e w u f s t s e i n von unserer O h n m a c h t und S c h w ä c h e und machen uns das Bedürfnis nach Hilfe klar. So entsteht das G e f ü h l der A b h ä n g i g k e i t des Menschen von einer höheren Macht, die wir mittelst der Vernunft ahnen, an deren Hilfe wir glauben. Darin hat aber auch das r e l i g i ö s e G e f ü h l seinen Grund, d a s s i c h a l s F r e u d e a n G o t t und an a l l e m , w a s m i t G o t t in B e z i e h u n g s t e h t und zu i h m f ü h r t 1 ) , b e k u n d e t . Seine Erscheinungsformen sind: E h r f u r c h t , L i e b e , D e m u t , G o t t v e r t r a u e n , S e h n s u c h t , G o t t e s k i n d s c h a f t , Gotts e l i g k e i t etc., aber auch die Unlustgefühle der S c h u l d und R e u e , welche bei Übertretung der sittlichen Gesetze sich regen. »Das religiöse Gefühl ist die tiefste und stärkste Wurzel des sittlichen Lebens und die Quelle wahren Seelenfriedens.«
6. Das sympathetische Gefühl (Mitgefühl) ist die innige
Anteilnahme am Wohl oder Wehe der Mitmenschen. Das Mitempfinden der Gefühle anderer — M i t f r e u d e 2 ) und Mitl e i d s ) — soll zur N ä c h s t e n l i e b e führen, welche eine der schönsten Blüten des Christentums ist (Feindesliebe) 4 ). Die sympathetischen Gefühle verknüpfen die Menschen mit einander, zunächst zwar die einander näher stehenden in Familie, Gemeinde, Staat, Kirche etc., aber auch die ferner stehenden rufen in Glück und Unglück das M i t g e f ü h l wach. — Antipathetische Gefühle sind N e i d und Schadenfreude. Mein Herz Ist nicht ruhig, bis ea In Oott ruht. Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser, So schreiet meine Seele, Oott, nach dir. 2) 3)
Augustin.
Psalm 42, 2. Geteilte Freude, doppelt Freude; geteiltes Leid, halbes Leid. Zum Mitleid gehört ein Mensch; zur Mitfreude ein Engel. J e a n P a u l , Hesperuä.
4) Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, und d e i n e n N ä c h s t e n a l s d i c h s e l b s t . . . Wer Ist denn mein Nächster? p e r barmherzige Samariter.) Lucä 10, 27—37. B ö h m , Praktische Erziehungslehre. 6
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne
Den sympathetischen Gefühlen verwandt sind die Symp a t h i e und die A n t i p a t h i e , das Gefühl der Hinneigung oder Abneigung gegen Personen, die man oft nicht einmal genauer kennt. Auf dem sympathetischen Gefühl beruht ferner das p a t r i o t i s c h e G e f ü h l , die V a t e r l a n d s l i e b e , welche in dem Gefühl der A n h ä n g l i c h k e i t und Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t wurzelt und sich in dem Streben äulsert, das Wohl der mit unserem Geschicke im Staate verbundenen Mitmenschen zu fördern. Endlich gehört hieher auch das auf dem Pflichtbewufstsein ruhende P f l i c h t - und R e c h t s g e f ü h l , das bei treuer Pflichterfüllung als Lustgefühl sich mit Recht bemerklich macht und wie das sympathetische Gefühl für das soziale (gesellschaftliche) Leben von grofser Bedeutung ist. 7. Das Selbstgefühl ist das Fühlen des eigenen Ichs und des Wertes der eigenen Person, ihrer Kraft und Bedeutung '). Bezieht sich die damit verbundene Verachtung alles dessen, was man seiner nicht für würdig hält, auf das Niedrige und Gemeine, so erscheint das Selbstgefühl als die richtige Selbstachtung. Geht jene Verachtung aber in Selbstgenügsamkeit und Menschenverachtung über, so führt sie zu Eitelkeit, Anmafsung, Stolz, Hochmut etc. Eng verbunden mit dem Selbstgefühl ist das E h r g e f ü h l , welche beide eigentlich zu den sittlichen Gefühlen gezählt werden können. Das Ehrgefühl ist die Freude über die die uns gewordene Anerkennung durch andere. In den rechten Schranken kann es zur Triebfeder ernsten Strebens werden; Verkennung und Mifsachtung dagegen drücken nieder und lähmen die Thatkraft. 8. Der Affekt. S e h r s t a r k e u n d h e f t i g e (aber nicht lang andauernde) G e f ü h l e , w e l c h e d i e S e e l e er1) H e d w i g . Heut kommt der Vater. Kinder, liebe Kinderl Er lebt, Ist frei, und wir sind frei und alles! Und euer Vater ist'B, der's Land gerettet. W a l t e r . Und I c h bin auch dabei gewesen, Mutter! Mich mufs man auch mit nennen. Vaters Pfeil Ging mir am Leben hart vorbei, und ich Hab nicht gezittert. S c h i l l e r , Wilh. Teil V; 2.
§ 36.
Die qualitativen Gefühle (Fortsetzung).
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schüttern, dasharmonischelnnenleben aufheben u n d sich a u c h dem k ö r p e r l i c h e n O r g a n i s m u s mitt e i l e n , n e n n t man G e m ü t s e r s c h ü t t e r u n g e n oder
Affekte.
Moses handelte im Affekt, als er beim Anblick des goldenen Kalbes die Gesetzestafeln aus seiner Hand warf, daTs sie zerbrachen. Saul warf im Affekt den Spiefs nach dem die Harfe spielenden David. Ludwig der Strenge fiel von dem Affekt der Wut in den der Reue; infolge des ersten liefs er seine Gemahlin enthaupten, infolge des zweiten bleichten seine Haare in einer Nacht. Die Kapuzinerpredigt in »Wallensteins Lager« wird im Affekt gehalten. Der König in »des Sängers Fluch« (von Uhland) »bebt« vor Wut »am ganzen Leib«. Plötzliches, Unerwartetes, sei es freudiger oder betrübender Art, kann einen Gefühlssturm herbeiführen, der die ganze Seele erfüllt, das Bewufstsein raubt, den Willen schwächt, die körperliche Gesundheit schädigt, unbei'echenbaren Schaden und selbst den Tod herbeiführen kann. (Zu tot ärgern; zu tot • kümmern; zum Tod erschrecken ; vor Freude sterben.) Erfüllt eine Wahrnehmung plötzlich das ganze Bewufstsein, so dafs der übrige Bewußtseinsinhalt völlig verdunkelt erscheint, so entstehen die b e s c h r ä n k e n d e n Affekte der Angst, Furcht, Verzweiflung; treten dagegen mit der gewaltsamen Verdunkelung des bewufsten Seelenirihalts plötzlich neue Vorstellungen massenhaft ins Bewufstsein, und überfluten es gleichsam, so entstehen die e n t b i n d e n d e n Affekte der Freude, Ausgelassenheit, Begeisterung, des Mutes, des Zornes und der Entrüstung. Je inniger die Vorstellungen miteinander verknüpft sind, desto seltener der Affekt. Der Affekt mufs von der Vernunft beherrscht werden, sonst bringt er den Menschen »ganz aufser sich«. Tritt er mäfsig auf, so wirkt er belebend auf das ganze Seelenleben und wird zur Quelle guter Entschlüsse und edler Handlungen. Der Affekt gibt sich in der Regel ganz natürlich und unverblümt und offenbart das Innenleben der Menschen getreu. Die A f f e k t a t i o n hingegen ist eine unnatürliche, unwahre, gemachte Gefühlsäufserung. Wer mit gesuchtem Ausdrucke in Miene, Rede, Gang etc. Gefühle äufsert, die er gar nicht oder nicht in dem ausgesprochenen MaTse besitzt, ist a f f e k t i e r t . 6*
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Die Erziebungslehre im engeren Sinne.
§ 37.
Das
Gemüt.
In dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter zeigen Priester und Levit ein ganz anderes Verhalten gegenüber dem Unglücklichen, als der Samariter. Die »zwei Wanderer« (von A. Grün) gingen in demselben Gebirge, sahen dieselben Matten, denselben Sonnenschein, aber den einen lieis alles kalt, der andere war voll Freude und Jubel. Der Dichter fügt auch den Grund dieser Verschiedenheit an: »Der eine ging, weils Mode just; Den andern trieb der Drang in der Brust.«
Maria setzte sich zu den Fölsen Jesu und lauschte seinen Worten, Martha fand in der Bedienung des Gastes ihre Befriedigung. Manches Kind bringt ein barsches Wort zum Weinen, ein anderes bleibt vom herben Tadel ungerührt. Diese Beispiele zeigen, dafs das Gesamtverhalten der fühlenden Seele bei den verschiedenen Menschen sehr verschieden ist. Der Grund dieser Verschiedenheit liegt einerseits in den A n l a g e n (denn unter gleichen Einflüssen sind oft Geschwister sehr verschiedener Gefühlsart), anderseits aber auch in der E r z i e h u n g , denn die U m g e b u n g , die Lebensverhältnisse, die Beschäftigung, die Behandluugsweise etc. haben auf die Entwicklung der Gefühlswelt einen wesentlichen Einflufs. D i e g e s a m t e G e f ü h l s w e l t d e r S e e l e a b e r , sowie die E i g e n s c h a f t d e r s e l b e n , s i c h d u r c h G e f ü h l e erregen zu lassen, n e n n t man Gemüt. »Das Gemüt ist das Tiefste in der Menschenseele; es beeinfluist ihr Denken und Wollen, und wie es die Frucht der Gefühle ist, so wird es auch wieder deren Grund und Boden. Daher beurteilt man so gern den Menschen nach seinem Gemüte.« V o m Gemüt hängt es ab, ob einer sich glücklich oder unglücklich fühlt und anderer Glück befördern kann und will oder nicht. Ein gemütvoller Mensch, insbesondere ein heiteres Gemüt erleichtert sich das Leben und verschönt das anderer. Das beste Mitelt hierzu ist ein reines Herz, eine lautere Gesinnung. »Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.« (Martig.)
§ 38. Wesen, Entstehung und Bedeutung des Wollena etc.
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Die verschiedene Gemütsart wird auch sehr verschieden bezeichnet: übermütig, schwermütig, sanftmütig, demütig, hochmütig, grofsmütig, gutmütig etc.
3.
Das Wollen.
a. Das Wollen (Streben, Begehren) im allgemeinen.
§ 38. Wesen, Entstehung und Bedeutung des Wollens. Stufen der Willensbethätigung.
Interesse.
1. Wesen und Entstehung des Wollens. Der Mensch unterscheidet Zustände und Gegenstände als angenehm oder unangenehm, als nützlich oder schädlich, als gut oder schlecht. Diese Erkenntnis erzeugt in ihm entweder ein Lust- oder ein Unlustgefühl und dieses wiederum das S t r e b e n , den angenehmen Zustand oder Gegenstand zu erhalten, den unangenehmen zu entfernen. Das Streben nach dem Angenehmen (einem Gut) ist als ein p o s i t i v e s , das Streben (Widerstreben, Sträuben) gegen das Unangenehme (ein Übel) ist als n e g a t i v e s zu bezeichnen. Das Gut w i l l der Mensch, das Übel nicht. S o m i t i s t das W o l l e n oder der W i l l e im a l l g e m e i n s t e n S i n n e a l s d i e F ä h i g k e i t a n z u s e h e n , d e m zuz u s t r e b e n , w a s u n s z u s a g t , b e h a g t , und dem zu widerstreben, was uns n i c h t zusagt, n i c h t b e h a g t . Aus dem Gleichnisse »vom verlornen Sohn« ersehen wir deutlich, wie und wodurch der Wille erregt wird. In seinem Elende sprach er: »Wie viele Taglöhner hat mein Vater, die Brot die Fülle haben, und ich verderbe im Hunger. Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen etc.« Angesichts seiner Notlage, die er bitter empfunden und die in ihm ein starkes Unlustgefühl erregte, reproduzierten sich die Vorstellungen vom reichen Vaterhause. Aber erst die dadurch erregten Gefühle der Lust brachten ihn zu dem Entschlufs, sich durch die Heimkehr aus der Notlage zu befreien; denn es wird weiter erzählt: »Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater etc.« Die blofse Vorstellung vom Reichtum und Wohlleben im Vaterhause hatte er schon
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
lange, sie allein aber vermochte den Entschlufs zur Rückkehr nicht herbeizuführen; dies wurde erst durch die sie begleitenden starken Gefühle erreicht. D a s Wollen wird s o n a c h d u r c h die Empfind u n g e n , A n s c h a u u n g e n u n d V o r s t e l l u n g e n in d e m M a f s e e r r e g t , a l s d i e s e von k r ä f t i g e n G e f ü h l e n b e g l e i t e t s i n d . Alle G e d a n k e n , welche dem Menschen ein Strebeziel, sowie die Mittel und Wege dazu zeigen, erregen im Verein mit den sie b e g l e i t e n d e n G e f ü h l e n den Willen.
2. Bedeutung des Wollens.
Das Wollen oder der
Wille im allgemeinen hängt vom Erkennen und Fühlen ab; letztere dagegen werden, da eine ununterbrochene Wechselwirkung zwischen den verschiedenen Seelenkräften besteht, vom Wollen beeinflufst. Die Wirkung des Wollens geht erstens nach i n n e n . Es ist im Spiele beim E r k e n n e n , in welchem die Seele sich s e l b s t t h ä t i g , mit A u f m e r k s a m k e i t und I n t e r e s s e den Dingen zuwendet, willkürlich r e p r o d u z i e r t , m e m o r i e r t , n a c h d e n k t etc.; es ist im Spiele, wenn der Mensch sich über einen guten Vorsatz freut, wenn er sein Frohgefühl steigert, sein Angstgefühl bekämpft und aus dem Bewufstsein verdrängt, übt also einen grofsen Einfluls auf die G e f ü h l e . Endlich gibt das Wollen dem Erkennen und Fühlen eine b e s t i m m t e R i c h t u n g auf das Thun und Lassen, beherrscht sonach die G e s i n n u n g . Durch richtige Leitung des G e d a n k e n l a u f e s wird es zur S e l b s t beherrschung. Nach a u Isen offenbart sich das Wollen durch H a n d l u n g e n . Sie sind eine Umsetzung des Willensimpulses in eine Bewegung der leiblichen Glieder (besonders der H a n d — darum H a n d l u n g e n ) und gleichbedeutend mit »Werken«, »Thaten«. Durch die Übertragung der Willensäufserungen auf die Bewegungsnerven und mittelst dieser auf die äufseren Organe vermag die Seele durch W o r t u n d T h a t eine g e w a l t i g e W i r k u n g auf die A u i s e n w e l t h e r v o r z u b r i n g e n , und vermöge vielfacher Wiederholung.Gewohnheit, F e r t i g k e i t und G e s c h i c k l i c h k e i t zu. erzeugen. D a n u n
§ 38. Wesen, Entstehung und Bedeutung des WollenB etc.
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durch das W o l l e n oder den Willen Thun u n d L a s s e n des M e n s c h e n , seine G e s i n n u n g und sein s i t t l i c h e r Wert b e s t i m m t werden, so k o m m t d e m W o l l e n im G e i s t e s l e b e n die h ö c h s t e B e d e u t u n g zu. 3. Das Interesse. Interesse haben, heilst »bei e t w a s s e i n « , für eine Sache eingenommen, für sie begeistert sein, Freude daran, Lust und Liebe dazu haben etc. Das Interesse ist somit ein L u s t g e f ü h l , das die Seele bewegt, aber zugleich auch ein H i n n e i g e n und E r g r e i f e n dessen, was die Seele erregt, also ein G e f ü h l und ein W o l l e n zugleich, kommt deshalb auch erst beim Wollen zur Besprechung. Das Interesse und die R i c h t u n g desselben ist v e r s c h i e d e n je nach dem Alter, der Bildung, Gesittung, den Lebensverhältnissen, den Beschäftigungen und Erfahrungen der Menschen. Kinder interessieren sich besonders für das Spiel, für starke sinnliche Eindrücke, glänzende und farbenreiche Dinge, für Leben und Bewegung. Der Bauer interessiert sich für landwirtschaftliche Fragen, der Lehrer für Schulangelegenheiten, der Jurist für Rechtsfälle etc., jeder für das, was ihm nützlich, heilsam und förderlich erscheint. Das Interesse, das auf die Erkenntnis gerichtet ist, hat in appercipierenden, Vorstellungsmassen seinen Ursprung. Es ist ein auf die Ergänzung, und Erweiterung dieser Vorstellungsmassen gerichtetes Begehren, das beim Gelingen mit einem Lustgefühl verknüpft und durch die Aufmerksamkeit bedingt ist. Das Interesse tritt beim Erkennen, Fühlen und Wollen auf, weshalb man auch E r k e n n t n i s i n t e r e s s e , G e f ü h l s i n t e r e s s e und W i l l e n s i n t e r e s s e unterscheidet. Für den erziehlichen Unterricht ist es die Hauptaufgabe, neben den beiden ersten die N e i g u n g e n , das W i l l e n s i n t e r e s s e der Schüler für das L e r n e n zu gewinnen, sie für die Lehrgegenstände allseitig zu i n t e r e s s i e r e n , da jenes nur dann die gehoffte Frucht bringt.
4. Stufen der Willensbethätigung. Der Wille ist dem Menschen ursprünglich nur als Anlage angeboren. Diese ist anfangs schwach, wird aber durch Übung zur Kraft, die durch fortgesetzte Übung immer stärker und un-
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
abhängiger wird. In dieser Entwicklung unterscheidet man drei Stufen, nämlich: 1. das n a t ü r l i c h e Wollen, welches durch die Regungen und Antriebe der N a t u r thätig wird und nur nach dem verlangt, was a n g e n e h m ist; (Esau verkauft seine Erstgeburt um ein Linsengericht.) 2. das v e r s t ä n d i g e Wollen, welches Nutzen und Schaden abwägt, zur Erreichung seines V o r t e i l s die geeigneten Mittel auswählt und nur nach dem verlangt, was n ü t z l i c h ist; (Der ungerechte Haushalter im Evangelium.) 3. das v e r n ü n f t i g e Wollen, welches sich nur durch das leiten läfst, was v e r n ü n f t i g , s i t t l i c h , nach dem göttlichen Gesetz e r l a u b t ist. (Joseph in Ägypten: Wie sollte ich ein so grofses Übel thun und wider Gott sündigen?) Das n a t ü r l i c h e W o l l e n wird auch B e g e h r e n genannt und schliefst den Trieb, die Begierde, die Neigung, den Hang und die Leidenschaft ein; das v e r s t ä n d i g e und v e r n ü n f t i g e Wollen bilden dann dem Begehren gegenüber das e i g e n t l i c h e W o l l e n oder den W i l l e n . b. Das Wollen im besonderen.
1. D e r natürliche Wille.
Nat. Begehren.
§ 39. Trieb und Begierde.
1. Der Trieb, a) Wesen. Der T r i e b macht sich bemerklich, sobald ein im Organismus begründetes Bedürfnis nach naturnotwendiger Befriedigung drängt. Jedes Bedürfnis ist die Anzeige eines Mangels. Der Mangel an Nahrung ruft das unangenehme Gefühl des Hungers, dieses den Nahrungstrieb wach, der zur Befriedigung durch Nahrungsaufnahme treibt. Das Bedürfnis nach Bewegung, Unterhaltung, leiblicher und geistiger Thätigkeit macht sich in den Unlustgefühlen der Unbehaglichkeit, Langeweile etc.
§ 39.
Trieb und Begierde.
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bemerklich und treibt zur Befriedigung. D i e s e r i n d e r Menschennatur liegende Drang nach Befried i g u n g e i n e s leiblichen o d e r g e i s t i g e n Bedürfnisses heilst Trieb.
b) Eigenschaften der Triebe.
Die Triebe sind dau-
e r n d (habituell, subjektiv); werden sie auch zeitweilig gestillt, so kehren sie doch mit dem Wechsel im organischen Leben regelmäfsig wieder und bilden einen d a u e r n d e n , b l e i b e n d e n Antrieb zum Wollen. Der Trieb besteht so lange als der Organismus. Ursprünglich sind die Triebe d u n k e l , oder b l i n d ; sie kennen weder die Gegenstände zur Befriedigung des Bedürfnisses, noch auch die Lust, welche sich an die Befriedigung knüpft. Sie sind anfangs mit dem I n s t i n k t der Tiere verwandt, der nichts anderes ist als der Trieb, das zur Lebenserhaltung Nötige zu thun (Nahrung suchen, Nester bauen etc.). Der Mensch lernt mit dem Erwachen des Bewufstseins den Trieb, die Mittel und Wege seiner Befriedigung kennen. Stellt er die Triebe nicht unter die Herrschaft der Vernunft, sondern folgt er ungeprüft allen seinen Trieben, so ist er dem Tiere ähnlich. c) Bedeutung. Die Triebe sind aber an und für sich nicht schädlich 1 ), sondern im Gegenteil für die Selbsterhaltung und Lebensförderung, sofern sie richtig befriedigt werden, von gröfster Bedeutung. Unrichtige Befriedigung derselben kann jedoch das Glück des Menschen völlig untergraben. d) Arten der Triebe. So viele Bedürfnisse, so viele Triebe. Da der Mensch nur leibliche und geistige Bedürfnisse hat, so unterscheidet man s i n n l i c h e und g e i s t i g e G r u n d t r i e b e , von welchen eine Reihe besonderer Triebe abhängt. Manche entspringen beiden Seiten, weshalb sich beide Abteilungen nicht scharf trennen lassen. 1) Dieser sprach: Ich tadle nicht gern, was Immer dem Menschen Für u n s c h ä d l i c h e Triebe die gute Mutter Natur gab. Denn was Verstand und Vernunft nicht immer vermögen, vermag oft Solch ein g l ü c k l i c h e r H a n g , der unwiderstehlich uns leitet. G o e t h e , Hermann u. Dor. I.
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
I. S i n n l i c h e G r u n d t r i e b e sind: 1. Der S e l b s t e r h a l t u n g s t r i e b , welcher sich positiv als »Nahrungs-« und »Erwerbstrieb«, negativ (den Gefahren des Daseins gegenüber) als »Verteidigungs-« und »Zerstörungstrieb« äulsert. 2. Der G e s e l l i g k e i t s t r i e b , der die Vereinigung mit gleichen Wesen und den Austausch von Gedanken, Wünschen und Begehrungen mit andern anstrebt. Der Geselligkeitstrieb ist der Menschennatur tief eingegraben. Die vollständige Einsamkeit ist das, was der Mensch am meisten flieht. Der in der Einsamkeit Erzogene fühlt freilich das Bedürfnis nach Geselligkeit weniger, aber es regt sich doch zu Zeiten so mächtig in ihm, dals er die Gesellschaft sucht. (Zum Geselligkeitstrieb stehen im verwandtschaftlichen Verhältnisder s y m p a t h e t i s c h e T r i e b , der W o h l t h ä t i g k e i t s t r i e b , der M i t t e i l u n g s t r i e b , der F r e u n d s c h a f t s t r i e b etc.'). 3. Der G e s c h l e c h t s t r i e b , der auf Forterhaltung der Gattung gerichtet ist und naturgemäß erst in der reiferen Jugend erwacht. II. Von den g e i s t i g e n vorzuheben :
Grundtrieben
sind her-
1. Der T h ä t i g k e i t s t r i e b . Diese unmittelbare Aufserimg des geistigen Lebens, die sich beim Kinde schon sehr frühe zeigt, entwickelt sich bald zum S p i e l t r i e b 2), der e r s t e n Aufserung des Erkennens und Wollens. Durch den hieher gehörigen N a c h a h m u n g s t r i e b , auf dem die Macht des Beispiels beruht, wird das Thun des Einzelnen Gemeingut. (Sprache etc.) Der W i s s e n s t r i e b , der sich Der Mensch hat nichts so eigen, So wohl Bteht ihm nichts an, Ais dafs er Lieb erzeigen Und Treue halten kann. Spiele, liebliche Unschuld I Noch ist Arkadien um dich, Und die f r e i e N a t u r f o l g t n u r dem f r ö h l i c h e n T r i e b , Noch erschafft sich die üppige Kraft erdichtete Schranken, Und dem willigen Mut fehlt noch die Pflicht und der Zweck. Schiller.
§ 39.
Trieb und Begierde.
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besonders in der Neugierde') beim Kinde offenbart, strebt nach Vervollständigung seiner Wahrnehmungen. Der K u n s t t r i e b verwendet den Stoff im Interesse des Lebens und der Schönheit. Auch der nach Anerkennung verlangende E h r t r i e b , sowie der alle Schranken selbständiger Lebensentfaltung beseitigende F r e i h e i t s t r i e b sind hieher zu rechnen. 2. Der N ü t z l i c h k e i t s t r i e b strebt in seiner verschiedenen Richtung nach Verwirklichung des Brauchbaren, Zweckmäfsigen, 3. der s i t t l i c h e T r i e b nach Verwirklichung des Guten. 4. Der r e l i g i ö s e T r i e b spricht sich besonders stark im G l ü c k s e l i g k e i t s t r i e b , und weil dieser auf Erden nie ganz befriedigt werden kann, als U n s t e r b l i c h k e i t s t r i e b aus. 2. Die Begierde oder Begehrnng. Der Trieb wird zur Begierde, wenn sich die Vorstellung des Gegenstandes, der zur Befriedigung des Triebes dient, mit diesem verbindet. D i e . B e g i e r d e i s t a l s o d a s auf e i n e n bes t i m m t e n G e g e n s t a n d , auf e i n O b j e k t ( S p e i s e , T r a n k , S p i e l etc.) g e r i c h t e t e ( o b j e k t i v e ) B e g e h r e n , d.h. das V e r l a n g e n n a c h e i n e m b e s t i m m t e n G u t , o d e r das S t r ä u b e n g e g e n e i n b e s t i m m t e s Ü b e l . Sie ist nicht blind wie der Trieb; s i e w e i f s , was sie w i l l . Doch erlischt sie mit ihrer Befriedigung, ist also an und für sich v o r ü b e r g e h e n d ; aber sie_kann durch regelmäfsige Wiederkehr d a u e r n d w e r d e n und zur G e w o h n h e i t führen. (S. 86.) Sie ist umso stärker, je mehr Angenehmes der zu erreichende Gegenstand verspricht, je reizbarer das begehrende Subjekt ist und je öfter sie befriedigt wird, und umgekehrt. Es ist daher auch eine S t u f e n f o l g e in ihrer Entwicklung zu beobachten. Sie ist zuerst 1)
Lockte die Neugier nicht den Menschen mit heftigen Reizen, Sagt, erführ' er wohl je, wie schön sich die weltlichen Dinge Gegen einander verhalten? Denn erst verlangt er das N e u e , Suchet das N ü t z l i c h e dann mit unermüdetem Fleiise; Endlich begehrt er das G u t e , das ihn erhebet und wert macht. G o e t h e , Hermann u. Dor. I.
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Die Erziehungalehre im engeren Sinne.
ein durch dunkle, unbestimmte Vorstellungen veranlafstes G e l ü s t e n , das mit zunehmender Erfahrung sich zum klaren und bestimmten W ü n s c h e n und V e r l a n g e n , ja zur h e f t i g e n B e g i e r d e , oder (negativ) vom E k e l zum A b s c h e u und h e f t i g e n W i d e r s t r e b e n steigern kann. B e g e h r u n g e n , welche sich an E m p f i n d u n g e n und W a h r n e h m u n g e n knüpfen, also durch Gegenstände der Aufsenwelt veranlafst werden, heilst man s i n n l i c h e B e g e h r u n g e n , wogegen man diejenigen, welche durch V o r s t e l l u n g e n und P h a n t a s i e b i l d e r entstehen, g e i s t i g e B e g e h r u n g e n nennt. Aus diesem Grunde erscheint die Begehrung als eine v e r m i t t e l t e Willensbestimmung, während der Trieb eine unmittelbare ist. Die B e g e h r u n g hat für das gesamte physische und psychische Leben die g r ö l s t e B e d e u t u n g . Sie übt auf Thun und Lassen, Glück und Unglück der Menschen einen gewaltigen, entweder förderlichen oder schädlichen Einfluls aus. »Wer nicht verlangt und verabscheut, hofft und fürchtet, wünscht und besorgt, der ist auch vom Leben abgewandt, entweder schwach und matt, oder überreizt und abgestumpft. Die Begierden sind die Sporen, welche das Röislein des Lebens im lustigen Trabe erhalten. Alle Lebenslust hängt davon ab, dafs wir etwas begehren und unsere Begierden befriedigen können.« (Rüegg.) Die Begehrungen werden jedoch s c h ä d l i c h , wenn sie vorzugsweise auf das S i n n l i c h e gerichtet sind, den Menschen b e h e r r s c h e n und zu m a f s l o s e r Befriedigung antreiben, die alle Strebsamkeit vernichtet. § 40. Neigung, Hang und Leidenschaft.
1. Neigung, a) Wesen. Die Begierde entwickelt sich aus dem Trieb, die Neigung aus der Begierde. Wird nämlich eine Begierde wiederholt auf dieselbe Weise befriedigt, so lernt sie ihren Gegenstand kennen und gewöhnt sich zugleich an diese Art der Befriedigung. Das A u f g e l e g t sein (die D i s p o s i t i o n ) des G e i s t e s aber, b e s t i m m t e
§ 40.
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Neigung, Hang und Leidenschaft.
B e g i e r d e n j e d e r z e i t zu b e f r i e d i g e n , n e n n t m a n N e i g u n g , w o g e g e n das W i d e r s t r e b e n gegen diese B e f r i e d i g u n g , die U n t e r d r ü c k u n g b e s t i m m t e r B e g i e r d e n , A b n e i g u n g heilst. b) Q u e l l e n d e r N e i g u n g e n . Die Neigungen entspringen aus z w e i Q u e l l e n . Als e r s t e Quelle sind die •angebornen leiblichen und geistigen A n l a g e n (auch die Temperamente gehören hieher) zu betrachten. Wo nämlich die Natur einzelne Organe des Menschen so geformt hat, dafs ihr Gebrauch l e i c h t gelingt, da entsteht ein Lustund Kraftgefühl und infolge davon das Begehren, dies Gefühl zu erneuern, daher auch die Neigung zu dieser oder jener Beschäftigung. So ist der eine mehr für Musik geneigt, weil sein Ohr besser dafür disponiert ist als das eines andern, während dieser mehr für Gesichtsvorstellungen organisiert ist und darum für Zeichnen, Malen etc. eine gröfsere Neigung besitzt. Die z w e i t e Quelle ist die G e w o h n h e i t , welcher die auf den natürlichen Anlagen beruhenden Neigungen zu ihrer Ausbildung bedürfen. Die g e w o h n h e i t s m ä i s i g e Befriedigung einer Begierde hält die u n t e r s t ü t z e n d e n V o r s t e l l u n g e n im B e w u f s t s e i n fest, wodurch für die Wiederkehr der Begierde die Befriedigung schon gesichert erscheint. Damit wird das wiederholte Thun immer leichter und infolge des begleitenden Lustgefühles immer a n g e n e h m e r , e r w ü n s c h t e r . Je länger man den Neigungen zugethan ist, desto tiefere Wurzeln schlagen sie. Durch Gewohnheit entstehen eingebildete Bedürfnisse, die ebenso sehr eine Befriedigung fordern als die Naturbedürfnisse. »Gewohnheit wird zur zweiten Natur.« »Gewohnheit nennt der Mensch seine Amme.« (Wallenstein.) Gewohnheitssünder können sich in der Regel von ihrem verkehrten Thun kaum mehr losmachen. Sie sehen ihr Elend vor Augen, aber die Gewohnheit führt sie immer tiefer in dasselbe 1)
Neigung besiegen iBt schwer; gesellet sich aber Gewohnheit Wurzelnd allmählich zu ihr, unüberwindlich ist sie. Qoetbe.
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Dia Erziehungslehre im engeren Sinne.
Die Neigungen entwickeln sich besonders aus den Gewohnheiten, zu welchen der U m g a n g des Zöglings, seine aufseren L e b e n s v e r h ä l t n i s s e (Armut, Reichtum, Stand) und die G e l e g e n h e i t wie von selbst führen. So begünstigt der Reichtum die Neigung zu Genüssen aller Art, hoher Stand die Neigung zum Herrschen, Armut die Neigung zur Unterwürfigkeit etc. Speciell alle Neigungen gegen andere, die guten (Wohlwollen, Freundschaft, Liebe) wie die bösen (Mifsgunst, Feindschaft, Hafs etc.), entstehen nur durch den U m g a n g mit Menschen. Die Neigungen haben eine grolse B e d e u t u n g für die Erlangung von F e r t i g k e i t e n , welche durch Übung zur Gewohnheit werden müssen; für das s i t t l i c h e Leben und unser ganzes L e b e n s g l ü c k , weil wir nur dann das Gute gerne thun, wenn wir für dasselbe gestimmt, ihm zugeneigt sind. 2. Hang. In moralischer Hinsicht sind die Neigungen g u t oder böse, je nachdem sie auf die Ausübung des Guten oder Bösen gerichtet sind. Tritt nun nach der u n m o r a l i s c h e n Seite die Vorstellung des begehrten Objektes sehr stark in den Vordergrund und leitet wie der Trieb unwiderstehlich zur That, so spricht man von Hang, der nichts anderes ist, als ein höherer Grad der Neigung. (Hang zum Spiel, zum Trunk etc.) Doch spricht Goethe in Hermann und Dorothea auch von einem glückl i c h e n Hang. (Vergl. S. 89 unten.) 3. Die Leidenschaft. a) W e s e n . Wenn eine Neigung, besonders unter dem Einflüsse der Phantasie, in der Seele gehegt und ihre Befriedigung oft angestrebt wird, so wächst sie zu solcher Stärke an, dals sie die Herrschaft im Bewufstsein erlangt, selbst den Einspruch der Vernunft unterdrückt und den Widerstand des Willens bricht. Eine s o l c h e in der Seele h e r r s c h e n d g e w o r d e n e N e i g u n g heifs't L e i d e n s c h a f t oder Sucht. Die Leidenschaft ist unvernünftig, blind für den sittl i c h e n Wert des Zieles; sie achtet nicht auf Gründe, nicht
§ 40.
Neigung, Hang und Leidenschaft.
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auf Gegengründe 1). (Der Trunkenbold läfst nicht ab vom Genufs des Alkohols, wiewohl ihm Vernunft und Freunde sagen, dals er sich und die Seinen ins Unglück stürzt.) Sie ist aber auch wieder k l u g und s c h a r f s i c h t i g , weil sie alle Interessen sich dienstbar zu machen, alle Mittel zur Befriedigung aufzusuchen, alle Hindernisse dagegen zu beseitigen weifs. b) Die H a u p t q u e l l e der Leidenschaften ist das Ü b e r g e w i c h t d e s V o r s t e l l u n g s k r e i s e s , in dem die betreffende Leidenschaft ihren Sitz hat, über die Vorstellungen der sittlichen Gebote und Verbote. Körperliche oder geistige Ursachen geben ihr noch ein besonderes Gepräge. Die Jugend ist g e n u fs süchtig, der Mann (ehrgeizig und) h e r r s c h süchtig, der Greis h ab süchtig, geizig. Der Ungebildete ist in roherWeise leidenschaftlich; der v e r m e i n t l i c h Gebildete sucht der Leidenschaft den Schein des Erlaubten zu geben. — Die Phantasie fördert die Leidenschaften durch Vorspiegelung von überschwänglichen Genüssen; Schwierigkeiten und Hindernisse können die Leidenschaft grofsziehen (Drbal). c) Genufs, Ehre und Besitz sind die Güter, welche der Mensch begehrt. Das uneingeschränkte heftige Begehren darnach kennzeichnet die drei H a u p t a r t e n der Leidenschaften: 1. die G e n u i s s u c h t , welcher wieder entspringen die Leidenschaften der Unmäfsigkeit, Völlerei, Trunksucht, Schlemmerei, Leckerhaftigkeit (der reiche Mann, der verlorene Sohn, Ludwig XIV.); 2. die E h r such t, welche wieder gebieret den Stolz, die Prunksucht, Tadel- und Schmähsucht, Herrschsucht, Kriecherei, Faulheit, Gefallsucht (Alexander der Grofse, Wallenstein, Napoleon I.). — Neid, Mifsgunst, Bosheit und Rachsucht sind g e m i s c h t e n U r s p r u n g s u n d werden besonders durch die Vergleichungssucht der Jugend und durch 1)
Doch treibts Ihn, den köstlichen Preis zu enverhen; Er stürzet hinunter auf Leben und Sterben. S c h i l l e r , Taucher. Es zieht mich fort mit göttlicher Gewalt, Dem Abgrund zu, ich kann nicht widerstreben. S c h i l l e r , Wallenstein. Und der Knabe ging zu jagen, Und es treibt und reiftt ihn fort, Rastlos fort mit blindem Wagen An des Berges flnstern Ort. S c h i l l e r , Alpenjäger.
Die Erziehnngslehre im engeren Sinne.
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die Thorheit der Erzieher genährt, in der befangen sie den Zögling auf die Umgebung als Ursache seines Leidens hinweisen und ihn zu Hals und Rache, zum Schimpfen und Schlagen auf Personen und Sachen anspornen; 3. die H a b s u c h t , welcher entstammen: Gewinnsucht, Kargheit, Geiz, Hang zum Betrug und Diebstahl (Judas Ischariot). d) Der E i n f l u í s der Leidenschaften ist ein n a c h t e i l i g e r , weil sieiden Verstand des Menschen und das ganze Gemüt gefangen nehmen, die natürlichen Gefühle ertöten und den Schwerpunkt des geistigen Lebens in den Vorstellungskreis des leidenschaftlichen Begehrens verlegen, in Summa: unvernünftig, gefühllos, willenlos machen; den Frieden des Herzens rauben, die Gesundheit des Körpers zerstören und ins Unglück führen. Die Leidenschaften haben aber auch V o r t e i l e . Sie spornen zu, grofsen Thaten an, und es ist oft nur durch ihre Hilfe möglich, Grofses zu vollbringen. Allein das ihnen entspringende Gute ist nicht s i t t l i c h rein, weshalb auch die sogenannten »edlen« Leidenschaften (noblen Passionen) verwerflich sind. Jede Leidenschaft ist eben eine Seelenkrankheit, weshalb man sie bezeichnenderweise auch S u c h t nennt. Leidenschaft schafft Leiden. Die L e i d e n s c h a f t hat mit dem A f f e k t insofern Ä h n l i c h k e i t , als sie gleich diesem die Überlegung und freie Selbstbestimmung hemmt. Doch ist zwischen beiden noch ein grolser Unterschied. Der Affekt besteht aus Gefühlen, die Leidenschaft aus Begierden. Beim Affekt ist die freie Denkthätigkeit nur e i n e n A u g e n b l i c k gestört, die Leidenschaft d a u e r t so lange, als die herrschenden Vorstellungsmassen vorhanden sind.
II.
§ 41. D e r verständige u n d freie Wille.
1. Verständiger Wille. Das Wollen bleibt nicht auf der niedrigen Stufe stehen, auf welcher es durch natürliche Antriebe und Objekte angeregt wird. Das Kind kommt allmählich dahin, dafs sein Wollen nicht mehr blofs durch das, was ihm angenehm ist (Äpfel, Trauben, Honig, frischer Trunk etc.), bestimmt wird. Es mufs g e h o r s a m e n ,
§ 41.
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II. Der verstandige u n d freie Wille.
denn der Vater hat verboten, Trauben abzunehmen; dafs man vom Apfelbaum fällen und Schaden nehmen kann, hat es selbst erfahren; dafs ein kalter Trunk dem Erhitzten schadet, hat der Lehrer gesagt etc. G e b o t u n d V e r b o t , E r f a h r u n g und B e l e h r u n g haben das natürliche Wollen des Kindes so modifiziert, dafs es mit zunehmendem Verstände nur begehrt, was n ü t z l i c h und mit geeigneten Mitteln e r r e i c h b a r ist. »Das Wollen bringt meist ganze Reihen von Vorstellungen, jedenfalls aber wenigstens eine ins Bewufstsein, deren Glieder so zusammenhängen, dafs jedes folgende mit Bestimmtheit erwartet wird, sobald das vorhergehende eingetreten ist. Dieses erscheint als U r s a c h e , jenes als W i r k u n g . Die Eeihe selbst als K a u s a l r e i h e . Das Gewollte erscheint demnach als E n d p u n k t einer oder mehrerer Reihen von Mittelgliedern, die zur Erreichung des Begehrten hinführen. Dies gibt die Unterscheidung von M i t t e l und Z w e c k (Ursache und Wirkung). Der Zweck wird unm i t t e l b a r , die Mittel werden um d e s Z w e c k e s willen begehrt« (Drbal), wie folgende Beispiele beweisen. Die Mutter Mosis wollte ihr Kind retten und suchte hiezu geeignete Wege und Mittel. Rebekka wollte ihrem Lieblingssohne Jakob den Segen Isaaks zuwenden, richtete daher die Ziegenböcklein nach Art des Wildbretes zu und machte Jakob Esau ähnlich. Der v e r s t ä n d i g e W i l l e ist s o m i t e i n bewufstes, m i t der V o r a u s s e t z u n g d e r N ü t z l i c h k e i t u n d der E r r e i c h b a r k e i t des G e w o l l t e n v e r b u n d e n e s Streben. Es mufs aber immer erst ü b e r l e g t (erwogen, geprüft) werden, ob das Erstrebte erreichbar ist oder nicht. Im ersteren Fall w i l l man, im letzteren nicht. Will jemand Unmögliches, so fehlt es am richtigen Urteil; darum wollen Kinder soviel, was Erwachsene nicht begehren. Die Überlegung stärkt oder schwächt auch die Überzeugung von der Begehrungswürdigkeit des Gewollten. Je stärker nun die Überzeugung von der Nützlichkeit des Gewollten und je klarer die Einsicht von der Erreichbarkeit desselben ist, B ö h m , Praktische Erziehungslehre.
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Die Eiziehungslehre im engeren Sinne.
desto s t ä r k e r ist auch das Wollen. Diente doch Jakob sieben und nochmal sieben Jahre um Rahel. Der s t a r k e Wille sucht trotz aller Hindernisse zum Ziel zu kommen, geht mit Mut, ja Kühnheit ans Werk und bewährt sich in der Ausdauer (Geduld, Gelassenheit). Unklarheit über die Begehrungswürdigkeit und Erreichbarkeit des Erstrebten erzeugt ein schwaches Wollen (Willenslosigkeit). Das Resultat der Überlegung ist der Entschlufs. Der u n g e r e c h t e H a u s h a l t e r weifs sofort, als ihn sein Herr zur Rechenschaft fordert, dafs er seine Stelle verlieren wird und überlegt deshalb rasch, ob er arbeiten, betteln oder ein Abkommen mit den Gläubigern seines Herrn trefEen soll. Nach reiflicher Erwägung e n t s c h l i e f s t er sich für das letztere. Der E n t s c h l u f s i s t d i e E n t s c h e i d u n g f ü r d a s a l s z w e c k m ä f s i g E r k a n n t e , die W a h l d i e s e s Zweckmäfsigen, das Verwerfen alles Übrigen. Auf den Entschlufs folgt die H a n d l u n g , doch nicht immer sofort. Das aufgeschobene Wollen heifst V o r s a t z , das vollzogene T h a t . Je häufiger die Ausführung der Entschlüsse gelingt, desto mehr wächst das Kraftbewuistsein des Willens zur E n t s c h l o s s e n h e i t , je seltener sie gelingt, desto gröfser wird die U n e n t s c h l o s s e n h e i t . Wer in jedem Moment und in jeder Lage das Richtige zu treffen weifs, besitzt G e i s t e s g e g e n w a r t . 2. Freier Wille. Geht die Überlegung ungehindert von Btatten, wirkt dabei kein fremder Ein Aufs bestimmend ein, macht der Mensch vielmehr seinen Entschlufs ganz allein von seinem Ich abhängig, so ist er psychisch frei. Je mehr er Gelegenheit hat, dein Streite der Begierden durch Überlegung ein Ende zu machen, desto mehr wird er sich gewöhnen, erst nach Abwägung der Gründe und Gegengründe sich zu entschliefsen. Die p s y c h i s c h e F r e i h e i t i s t d e m n a c h die F ä h i g k e i t , h i n s i c h t l i c h d e r Obj e k t e des W o l l e n s o h n e N ö t i g u n g m i t t e l s v o r a u s g e h e n d e r Ü b e r l e g u n g s i c h s e l b s t zu bestimmen. Sofern der Wille' sich d e n k e n d über das natürliche Wollen erhebt, heifst er v e r s t ä n d i g e r Wille; sofern er
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§ 42. Der vernünftige Wille.
sich unabhängig für den Gegenstand seines Begehrens entscheidet, also wählt (kürt), heilst er f r e i e r Wille, und in diesem Sinne spricht man von W a h l f r e i h e i t oder W i l l k ü r . Der verständige und der freie Wille sind nicht von einander zu trennen, einer bedingt den andern. — Der verständige Wille hat zwei besondere Vorzüge: die K l u g h e i t , welche vor Schaden bewahrt und selbst mancher Tugend den Weg bereiten kann, und die F r e i h e i t , welche der Mensch als das höchste irdische Gut betrachtet. Zwar ist die p s y c h i s c h e F r e i h e i t noch nicht die wahre Freiheit, weil Naturanlage, Vorstellungen und Gefühle den Willen vielfach beeinflussen, doch gibt es für sie eine Möglichkeit .und eine Wirklichkeit, denn der Mensch kann sich trotzdem so oder so entschlielsen und nichts in der Welt vermag ihn zu zwingen, anders zu wollen. Die äufsere Unfreiheit hebt also die freie Selbstbestimmung nicht auf'). Anmerkung. In dem Freiheitsbewufstsein sind auch begründet: das Gefühl der V e r a n t w o r t l i c h k e i t für unser Wollen und Handeln, Schuldbewufstsein; Reue, Gewissensbisse und die Vorsätze zur Besserung. Mit dem freien Willen hängt ferner auch die Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t des Menschen zusammen. Wer weifs, was er will und warum er dies will, und wer dabei die Folgen des zur Handlung drängenden Wollens zu bedenken vermag, ist z u r e c h n u n g s fähig. § 42. Der vernünftige Wille.
Obwohl der verständige Wille höher steht als der blofs natürliche, so ist er doch nicht wahrhaft gut, weise und sittlich. Er hat kalt berechnend lediglich seinen Vorteil im Auge, ist also noch in der Selbssucht befangen; er sieht klug seinen Nutzen, übersieht aber in der Jagd nach zeitlichem Gut das höchste Lebensziel; so lange Der Mensch ist frei geschaffen, Ist frei, Und ward' er in Ketten geboren. Schiller.
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
aber sinnliche Regungen und natürliche Triebe bestimmend auf ihn einwirken, ist der Wille noch nicht wahrhaft frei. Der v e r n ü n f t i g e Wille dagegen wählt nur das s i t t l i c h G u t e , das Vernünftige; er erstrebt das Gute nicht einer Nebenabsicht, eines Vorteils wegen, sondern nur um des Guten willen. Nicht Zwecke überhaupt will er durch Mittel erreichen, sondern nur e d l e Zwecke mit r e i n e n Mitteln verfolgen; er richtet sich also nach den Forderungen des S i 11e n g e s e t z e s, nach den s i t t l i c h e n I d e e n , nach dem W i l l e n G o t t e s . Der vernünftige Wille ist aber nicht nur gut, sondern auch w e i s e , weil er der Selbstsucht zum Trotz die höchsten Lebenszwecke verfolgt. Er ist endlich auch w a h r h a f t oder s i t t l i c h f r e i , weil er, frei von natürlichen Regungen, in bewulster Übereinstimmung mit dem Wahren, Schönen und Guten, mit dem göttlichen Willen, sich entschliefst, also lediglich nach Überzeugung sich entscheidet. Mit dem vernünftigen Willen ist die s i t t l i c h e F r e i h e i t unzertrennlich verbunden, beide bedingen einander. Einige Beispiele mögen das vernünftige Wollen kennzeichnen. Joseph flieht vor Potiphars Weib und erduldet lieber die gröfste Ungerechtigkeit, als dais er wider Gott sündiget. — David schont Saul, als er Gelegenheit hatte, sich zu rächen. — Der barmherzige Samariter scheut nicht Gefahr, nicht Mühe und Opfer, um dem Unglücklichen zu helfen. — Das erhabenste Beispiel aber gab Jesus, der aus Liebe zur Menschheit für dieselbe sein Leben am Kreuzesstamme opferte. Der Unterschied zwischen dem verständigen und dem vernünftigen Willen ergibt sich recht klar aus dem Gespräche zwischen Teil und dem Fischer Ruodi über Baumgartens Rettung. (Schillers Teil I, 1.) Der Fischer führt alle Verstandesgründe an, welche gegen die Überfahrt sprechen: das heranziehende schwere Ungewitter, den Föhn, den sturmbewegten See, die Unmöglichkeit, gegen Wind
§ 43.
Der Charakter.
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und Wellen zu steuern, die Sorge für das eigene Leben, für Weib und Kind etc., und kommt zu dem Schlüsse: »Ich soll mich in den Höllenrachen stürzen? Das thäte keiner, der bei Sinnen ist.« Der Fischer läfst sich nur vom verständigen Willen leiten. Anders T e i l . Er verkündet den Grundsatz des vernünftigen Wollens: »Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt« und fährt ermunternd fort: »Vertrau auf Gott und rette den Bedrängten!« Und als der Fischer sich nicht bewegen liefs und die Gefahr [für Baumgarten näher kam, will's Teil in »Gottes Namen« mit seiner schwachen Kraft versuchen. — Er richtet sich nach dem Sittengesetz, das die N ä c h s t e n l i e b e fordert. Die innere Stimme hat bei ihm gesprochen; sagt er doch selbst: »Ich hab gethan, was ich nicht lassen konnte.« (Martig, S. 249 ff.) Im f r e i e n Handeln nach s i t t l i c h e n Gründen besteht aber die s i t t l i c h e F r e i h e i t , die uns recht frei, die uns zu Kindern Gottes macht, weil sie die vollständige Übereinstimmung des Willens mit dem Sittengesetze, mit den göttlichen Geboten ist. Der Mensch kann, was er will, wenn er will, was er kann; Ist wohl ein guter Sprach, doch genügt er nicht dem Mann. Der Mensch kann, was er will, wenn er will, was er soll; In diesem ist das Mais der Mannestugend voll. Das ist der Zauberbann, womit du alles stillst: W o l l e nur, w a s du s o l l s t , so k a n n s t d u , w a s du willst. Rückert.
§ 43. Der Charakter.
Der Mensch soll nicht blofs dahin gebracht werden, hie und da eine Übereinstimmung seines Wollens mit der idealen Einsicht zu beweisen, sondern er soll zu einem Wollen gelangen, das durch s i t t l i c h e G r u n d s ä t z e eine bestimmte Richtung d a u e r n d erhält. Die dauernde, g r u n d s ä t z l i c h k o n s e q u e n t e Art und W e i s e zu w o l l e n und zu h a n d e l n , heilst C h a r a k t e r . Er ist, wie H e r b a r t sagt, »das D a u e r n d e
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Die Erziehangslehre im engeren Sinne.
im f r e i e n W o l l e n , die Art der Entschiedenheit und Entschlossenheit, das, was der Mensch will, im Vergleich mit dem, waa er nicht will.« Charakter (wörtlich: Gepräge) hat, wer sein Wollen Grundsätzen, Lebensregeln, Maximen unterordnet. Grundsätze sind aber nichts anderes, als durch Belehrung und Gewöhnung beeinflulste Willensentschlüsse von dauernder Bedeutung, nicht für einzelne, sondern für alle Fälle derselben Art. Wer sich vornimmt, in einem bestimmten Falle nieht zu lügen, entsagt damit nicht der Lüge; wer heute einmal jedes geistige Getränk zurückweist, entsagt damit nicht dem Trünke. Wer sich dagegen vornimmt, nie und in keinem Falle während seines Lebens die Unwahrheit zu sagen oder dem Trünke sich zu ergeben, keinem Menschen unfreundlich zu begegnen, keinen Bedürftigen ohne Unterstützung zu lassen etc., verbindet verwandte Willensurteile zu einer Einheit, regelt mit andern Worten sein Wollen und Handeln nach p r a k t i s c h e n G r u n d s ä t z e n , ist also e i n C h a r a k t e r . Der W e r t des Charakters ist durch den W e r t d e r G r u n d s ä t z e bedingt, welche seinem Wollen und Thun zu Grunde hegen. Läfst sich der Mensch von sittlich reinen Grundsätzen leiten, so ist er eine s i t t l i c h e P e r s ö n l i c h k e i t , ein s i t t l i c h e r Charakter; bestimmen verwerfliche Grundsätze sein Thun, so ist er ein s c h l e c h t e r Charakter. C h a r a k t e r l o s nennen wir diejenigen Menschen, die ihr Urteilen und Handeln grundsatzlos nach den augenblicklichen Verhältnissen richten und mit ihnen wechseln (die Fahne nach dem Winde hängen). Ein vollkommener Charakter ist aber auch s t a r k und f e s t und beharrt mit aller Kraft des Willens auf dem als recht und gut Erkannten in Freud und Leid, in guter und böser Zeit. Eine Persönlichkeit mit festem Charakter kann gebrochen, aber nicht gebogen werden. Diese auf Grundsätzen ruhende Charakterstärke ist von dem grundsatzlosen Trotz und Eigensinn himmelweit verschieden. Ein g r o f s e r Charakter endlich vereinigt mit der Charakterstärke Eigenschaften und Fähigkeiten, welche sich in ganz originellen,
§ 44. I. Die Altersstufen.
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unerwarteten Absichten, Plänen und Thaten offenbaren. In der Reinheit, Stärke und Gröfse des Charakters vollendet sich der Wille.
4. Eigentümlichkeiten des geistigen Lebens. Die bisher betrachteten Seelenzustände sind dem Menschen im allgemeinen eigen, erscheinen aber bei keinem Individuum in ganz gleicher Weise. Die individuellen Verschiedenheiten sind teils in der Ungleichheit der körperlichen und geistigen Kräfte und Anlagen, teils in der Mannigfaltigkeit der äufseren Verhältnisse, in denen die einzelnen Individuen leben, begründet. Die Eigentümlichkeiten des Seelenlebens sind vor allem bedingt: 1. durch das Alter, 2. durch das Temperament und 3. durch das Geschlecht. § 44. I.
Die Altersstufen.
Die drei Haupt-Entwicklungsstufen des Menschen nach dem A l t e r sind die J u g e n d , als die Zeit d e s W a c h s e n s der leiblichen und geistigen Kräfte; das M a n n es a l t e r , als die Zeit der Reife und des B e h a r r e n s in der Kraft, und das G r e i s e n a l t e r , als die Zeit der allmählichen Abn a h m e (wenn auch oft nicht gleichmäfsig nach Leib und Seele). Die Entwicklung in der Jugendzeit geht wieder in drei Perioden vor sich, nämlich 1. im K i n d e s a l t e r , von der Geburt bis Ende des 6. Lebensjahres; 2. im K n a b e n a l t e r , vom (6.) 7. bis (13.) 14. Lebensjahre; 3. im J ü n g l i n g s a l t e r , vom (13.) 14. bis in die Mitte der zwanziger Jahre. Anmerkung. Jede dieser Perioden dauert ungefähr 7 Jahre. Dem Jünglingsalter werden jedoch auch die drei Jahre des
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Die Erzieh ungslehre im engeren Sinne.
Ü b e r g a n g s zur R e i f e , vom 21. bis 24. Lebensjahre, zugezählt, wodurch die Dauer der dritten Periode auf 10 Jahre erhöht wird.
ad 1. Im Kindesalter unterscheidet man drei Entwicklungsstufen. Die erste Stufe der Kindheit ist a) das Sänglingsalter oder das e r s t e L e b e n s j a h r . Der Körper des Säuglings, der schon alle Organe des erwachsenen Leibes besitzt, sie nur entwickeln mufs, ist noch w e i c h , zart, b i l d s a m wie Wachs und mufs deshalb behutsam behandelt, besonders mit guter f l ü s s i g e r Nahrung so lange versorgt werden, bis gegen Ende des ersten Jahres die hervorbrechenden Milchzähne zum Übergang zu f e s t e r e r Nahrung auffordern. Selbst die K n o c h e n sind anfänglich noch sehr weich und biegsam; die Schädelknochen, noch unverbunden, verwachsen erst allmählich und gewinnen erst nach und nach ihre Festigkeit. D a s K i n d w ä c h s t im e r s t e n Jahre am m e i s t e n . Nach 13 oder 14 Wochen lernt es den Kopf g e r a d e h a l t e n , nach etwa der doppelten Zeit den Oberkörper aufrichten, s i t z e n , im 7. Monat versucht es zu s t e h e n , am Ende des ersten oder Anfang des zweiten Jahres zu g e h e n . Während die körperliche Entwicklung so grofse Schritte vorwärts macht, werden auch die Keime des S e e l e n l e b e n s in der S i n n e s t h ä t i g k e i t bemerkbar. Zuerst noch völlig bewufstlos, v e g e t i e r t das Kind wie eine Pflanze, schläft viel und ist teilnahmslos gegen seine Umgebung. Das Neugeborne spürt weder Wärme noch Kälte, überhaupt keinen Hautreiz. Nach und nach weicht diese Unempfindlichkeit, es erwachen die Sinne. Schon in der zweiten Woche (sagt Professor Kufsmaul) s c h m e c k t das Kind die Milch und lernt die Nahrung, die ihm geboten wird, unterscheiden. Allbekannt ist, dafs ein Wechsel der Amme dem Säugling nicht gleichgültig ist. Darin haben wir die erste Aufserung seines Geistes zu erblicken. — Alle Kinder kommen t a u b zur Welt. Vierz e h n Tage vergehen mitunter1), bis sich das Ohr äufseren Eindrücken öffnet. Darnach zeigt es sich aber empfindlich 1) Die individuellen Verschiedenheiten sind hier sehr grofs (Preyer).
§ 44.
I. Die Altersstufen.
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für Musik; das Kind beginnt, das Wiegenlied der Mutter, den Glockenton, die Kinderklapper zu vernehmen und unterscheidet bald die Stimmen der Angehörigen. — In der d r i t t e n Woche sieht man das Kind mit den A u g e n das Licht verfolgen. Es unterscheidet aber an den Gegenständen noch nicht Gröfse, Form und Farbe; der Blick ist noch nicht fest, das eine Auge sieht nach rechts, das andere nach links, das eine nach oben, das andere nach unten. Erst allmählich entwickelt sich die Fähigkeit, den Blick auf das Objekt zu fixieren. Nach sechs Wochen bleibt das Auge an glänzenden Gegenständen haften, das Gesicht erheitert sich zum Lächeln, das Kind n i m m t w a h r , wird von der Aufsenwelt i n n e r l i c h berührt, — ein S c h r i t t in der geistigen Entwicklung. — Der T a s t s i n n tritt nie vor der s i e b e n t e n Woche in Thätigkeit. Ihn zu kontrollieren, ist um deswillen sehr schwierig, weil die in den Nerven arbeitende Kraft sich durch eine Menge ungeregelter, willenloser Bewegungen äufsert. Anfangs greift das Kind ins Leere, nicht vor der s i e b z e h n t e n Woche ist eine A b s i c h t erkennbar, dafs es nach einem hingehaltenen Gegenstand greift. Gelingt der Versuch, so spiegelt sich im Gesichte der Ausdruck der Freude und der Verwunderung, und es macht diese Art der W i l l e n s ä u ß e r u n g nun grofse Fortschritte1). Da das Kind mit dem Betasten der Gegenstände auch das Gefühl des Betastetwerdens bekommt, so unterscheidet es das I c h von dem N i c h t - I c h und gelangt mittels des Tastsinnes auf die erste Stufe des S e l b s t b e w u f s t s e i n s . Seine vorgestreckten Hände sind dabei die den Kundschafterdienst verrichtenden Fühlfäden. — Die Entwicklung des Geruchss i n n e s wird erst später bemerklich. Sicheres ist über dieselbe noch nicht festgestellt worden. — All diese Sinneseindrücke sind aber noch nicht klar, haften noch nicht lange und müssen sich deshalb öfter w i e d e r h o l e n . b) Die zweite Stufe des Kindesalters — das zweite L e b e n s j a h r — kennzeichnet sich durch starke körper1) Von der seelenbildenden Bedeutung des Tastsinnes zeugt der Umstand, dafs man, wenn auch mit unendlicher Mühe, zugleich Blindund Taubgeborne einigermafsen zu Menschen geformt hat.
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
liehe und geistige E m p f ä n g l i c h k e i t . Diese zeigt sich in der vermehrten Aufnahme von Stoffen (Speise und Trank) für das kö rper Ii che Wachstum, sodann aber auch in der Erstarkung der S i n n e und des S i n n e s l e b e n s , im Hervortreten des N a c h t t h m u n g s - und Schaffungs- (Zerstörungs-) T r i e b e s , der zwar dem Gebiete des Willens angehört, aber zugleich von geistiger Empfindung und von Verstandesthätigkeit zeugt. Das Kind lernt auf seinen Namen hören, sich von den Dingen a u f s e r i h m immer mehr u n t e r s c h e i d e n , es beginnt zu sprechen. Bei der sprichwörtlichen Neugierde und dem beständigen Fragen des Kindes entwickeln sich rasch eine Menge V o r s t e l l u n g e n , das G e f ü h l gibt sich mehr und mehr kund, der W i l l e macht sich in mancherlei Bewegungen und Handlungen bemerkbar, das Kind fängt an zu s p i e l e n . Aber die ä u i s e r e A n s c h a u u n g — die S i n n e s t h ä t i g k e i t ist auf dieser Stufe vorwaltend.
c) Die dritte Stufe des Kindesalters reicht vom 3. b i s zum v o l l e n d e t e n 6 . oder b i s zum 7. L e b e n s j a h r e . Auf dieser Stufe ist dem immer gelenker werdenden Körper vielseitige Gelegenheit zu kräftiger Entwicklung zu geben (die Zeit der Kletterbüblein). Auch das G e i s t e s l e b e n wird reger, das S e l b s t b e w u ß t s e i n klarer, das Kind setzt von jetzt an beim Sprechen für seinen Namen das selbstbewufste >Ich«. Die lebendig geworden« P h a n t a s i e zeigt sich besonders beim Spiel, wo der Stab zum Pferd, zur Geige, jedes Holzstück zur Puppe wird. Nun ist die Zeit der S p i e l e , der E r z ä h l u n g e n und K i n d e r g e b e t e . Dadurch, sowie durch Stoffe aus dem immer zu erweiternden Anschauungskreis, wird zugleich das G e d ä c h t n i s gestärkt (Kinderreime, Auszählsprüche etc.). Am vermehrten S p r e c h e n merkt man, wie der V e r s t a n d wächst. — Das G e f ü h l s l e b e n wird reger. Die ä s t h e t i s c h e n Gefühle z. B. zeigen sich im Wohlgefallen des Kindes an Blumen und Bildern, die s i t t l i c h e n in dem erwachenden Gewissen, die r e l i g i ö s e n in der Andacht, mit welcher es betet und vom lieben Gott erzählen hört. — Der W i l l e macht sich auf dieser Stufe im verstärkten Geselligkeits-, Nachahmungs-
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I. Die Altersstufen.
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und Thätigkeitstrieb, aber auch in hervortretendem Eigensinn und Trotz geltend. — War auf der vorigen Stufe die äuisere Anschauung, die Sinnesthätigkeit vorherrschend, so halten sich jetzt nach und nach Innenwelt und Aulsenwelt das Gleichgewicht. Im ganzen freilich ist und bleibt die K i n d h e i t die Periode der A n s c h a u u n g , der Aufn a h m e (Perzeption), die S p i e l z e i t . — Anmerkung. A l l g e m e i n e C h a r a k t e r e i g e n s c h a f t e n des K i n d e s a l t e r s : Leichte Erregbarkeit wechselt mit ebenso schnell eintretender E r s c h l a f f u n g . Die Unfähigkeit, gehabte Eindrücke festzuhalten, erregt das Bedürfnis häufigen Wechsels derselben. Das noch vorwiegende Bedürfnis nach f r e m d e r L e i t u n g und das Verlangen nach Ungebundenheit streben allmählicher Ausgleichung zu. Die Kindheit hängt am Sinnlichen und ermangelt daher der Selbstbeherrschung. E i n z e l e i g e n s c h a f t e n des Kindesalters: a) Heiterkeit, Offenheit, Mitgefühl, Fügsamkeit, aber auch b) Naschhaftigkeit, Wankelmut, Neugierde, Ungestüm (Eigensinn, Trotz).
ad 2. Das Knaben- nnd Mädchenalter (vom volle n d e t e n 6. oder 7. bis zum 13. oder 14. Jahre) ist die z w e i t e Periode der Jugendzeit, die Zeit des eigentlichen Lernens, die Schulzeit (Volksschule). Vor demselben ist jeder eigentliche Unterricht verwerflich. Während der Schulzeit erstarken die K ö r p e r - und S e e l e n kräfte mehr und mehr, Leib und Geist gewinnen gröfsere B e s t i m m t h e i t und F e s t i g k e i t , so dafs allmählich die p e r s ö n l i c h e n E i g e n t ü m l i c h k e i t e n (Charakterzüge) merkbar werden. — Das Knaben- und Mädchenalter hat drei Stufen ; auf den beiden letzten macht sich die V e r s c h i e d e n h e i t d e r G e s c h l e c h t e r nach und nach geltend. a) Auf der ersten Stnfe [7. u n d 8. L e b e n s j a h r (Unterstufe)], steht die R e z e p t i v i t ä t (Empfänglichkeit) noch im Vordergrund. Das Kind nimmt geistig auf. Soll nun durch den fortgesetzten Zutritt neuer Wahrnehmungen nicht eine chaotische Zusammensetzung des Vorstellungskreises entstehen oder sich erhalten, so muls zuerst der vorhandene g e k l ä r t und b e f e s t i g t und darnach durch A n s c h a u u n g s - , D e n k - und S p r e c h -
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Die Erziehungslebre im engeren Sinne.
Ü b u n g e n e r w e i t e r t , es muís aber der Empfänglichkeit gegenüber auch der T h ä t i g k e i t s t r i e b durch die elementaren F e r t i g k e i t e n des Schreibens, Lesens, Zeichnens und durch Bewegungsspiele angeregt und geleitet und der W i l l e durch (liebevolle und doch ernste) Zucht und Lehre gefestigt werden.
b) Auf der zweiten Stufe des Knaben- und Mädchen* alters [vom vollendeten 8. bis zum 11. oder 12. J a h r e (Mittelstufe)] tritt die Kraft der unveränderten R e p r o d u k t i o n (Wiedererzeugung), das G e d ä c h t n i s , besonders, hervor. Hier gilt es, wertvolle BildungsstofEe in ausreichendem Mafse zu schaffen und zum unverlierbaren Eigentum zu machen, welch letzteres deshalb nicht so schwer ist, weil die Empfänglichkeit der ersten Stufe noch fortdauert.
c) Auf der dritten Stufe [vom 11. o d e r 12. b i s z u m 13. o d e r 14. J a h r e (Oberstufe)] tritt neben dem Gedächtnis das schon auf den vorhergehenden Stufen angeregte D e n k e n (Produktion) stärker hervor. Es hat seine Grundlage in einem geklärten Vorstellungskreis, welcher wieder auf einem Reichtum richtiger Anschauungen beruht. Man übereile hier nichts und veranlasse nicht, über Dinge zu denken, die vom Anschauungskreise der Kinder zu weit abseits liegen. — Ist auch auf den drei Stufen des Knaben und Mädchenalters ein Fortschritt der geistigen Entwicklung von der Empfänglichkeit zur Reproduktion und Produktion ersichtlich, so herrscht doch im ganzen das G e d ä c h t n i s vor. Es ist eben die L e r n z e i t . (Graser unterscheidet in seiner »Divinität« (1811) im Knaben- und Mädchenalter ebenfalls drei Perioden, nämlich a) die der E m p f ä n g l i c h k e i t für anschaulichen Unterricht, b) die des Begriffskursus und c) die des Beurteilungskursus, jede 2 Jahre umfassend.) Anmerkung. A l l g e m e i n e r C h a r a k t e r des Knaben(und Mädchen-) Alters: Der Knabe, ein Feind der Ruhe, ist in b e s t ä n d i g e r , an Heftigkeit streifender B e w e g u n g ; er eilt durch Hof und Feld, wechselt Spiel und ernste Thätigkeit, allmählich sich mit A u s d a u e r und F r e u d e der Arbeit zuwendend. Mit dem. Gelingen , derselben steigt sein Selbst-
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g e f ü h l , zu dem sich das Verlangen nach II aum uad B e s i t z gesellen. (Eigenes Stübchen, Gärtchen, Küche etc.) Knaben und Mädchen verkehren mit Vorliebe mit ihresgleichen und offenbaren in der Regel ein reizbares, oft irriges Ehr-, Rechtsund Billigkeitsgefühl. E i n z e l e i g e n s c h a f t e n : a) Unternehmungslust, Wifsbegierde, Geselligkeit und Dienstfertigkeit; dagegen auch b) Verwegenheit, lüsterne Neugierde, Unlenksamkeit, Rechthaberei und Streitsucht. ad 3. Im Jünglings- (und Jungfrauen-) Alter, der d r i t t e n Periode der Jugendzeit (Zeit für den Besuch der Mittel- und Sonntagsschulen, Lehr- und Gesellenzeit etc.), welche vom 14. b i s 21. L e b e n s j a h r e reicht, geht der K ö r p e r der R e i f e , der G e i s t der M ü n d i g k e i t , der ganze Mensch der Ausprägung der Individualität entgegen. Der Übergang aus dem Knabenalter geschieht zwar allmählich, manchmal aber auch auffällig durch ein ungebärdiges Streben nach Selbständigkeit. Der Zögling möchte Jüngling sein und zeigt doch noch den Knaben (Flegeljähre). Anmerkung 1. A l l g e m e i n e r Charakter dieser Periode: Kraft und Schwung zeichnen dieses Alter aus. Die höchsten Gedanken über Ehre und Freiheit, Volk und Vaterland, Menschheit und Gottheit erfüllen die Seele des Jünglings, der Jungfrau; es ist die schöne Zeit der Ideale. Ihre Verwirklichung zu 6ehen, wird höchster Wunsch; T h a t e n d r a n g ist die Folge. Da die Erfolge aber wegen Mangel an Erfahrung nicht immer den Wünschen entsprechen, so vollzieht sich ein rascher W e c h s e l in den W ü n s c h e n , Ents c h l ü s s e n u n d Bestrebungen. Darum die Pflicht der Erziehung, Neigung und Kraft einem b e s t i m m t e n Berufe und f e s t e n L e b e n s z w e c k e zuzuwenden, zur S t e t i g k e i t im Streben anzuleiten, — den Charakter zu.bilden. E i n z e l e i g e n s c h a f t e n : a) Lebensmut, Strebsamkeit, Begeisterung, Aufopferungsfähigkeit; aber auch b) Übermut, Selbstüberschätzung, Leidenschaftlichkeit, Tollkühnheit. Anmerkung 2. In der Regel hält die geistige Entwicklung mit der leiblichen ziemlich gleichen Schritt. Ausnahmsweise jedoch gibt es g e i s t i g f r ü h r e i f e K i n d e r , (Jünglinge, Jungfrauen), die, obgleich körperlich weniger entwickelt, ihren Altersgenossen geistig überlegen sind (altklug). Sie sind sorg-
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Die Erziehnngslehre im engeren Sinne.
fältig vor geistiger Überreizung zu bewahren, und ihre körperliche Entfaltung ist besonders zu begünstigen. — Umgekehrt sind manche Zöglinge k ö r p e r l i c h v o r a u s , geistig aber zurückgeblieben. Sie sind der hervortretenden Genufssucht und dem Sinnentaumel möglichst zu entziehen und zu geistiger Arbeit nachhaltig anzuleiten.
An das Jünglings- und Jungfrauenalter schliefst sich die
Periode des beginnenden Eintritts der Reife an (Hochschule, Wanderschaft). Vom 21. bis 24'. Lebensjahre hört der Körper auf, in die Höhe zu wachsen, er wächst nur mehr in die B r e i t e . Auch in g e i s t i g e r Beziehung folgt dem raschen Flug aufwärts das ernstliche Vertiefen. Nun macht sich der Zögling frei von der Erziehergewalt, geht selbständig seinen Weg (auch in beruflicher Hinsicht). Die J u g e n d e r z i e h u n g i s t zu E n d e . Die S e l b s t e r z i e h u n g b e g i n n t . (Vergl. Harlefs, Erz.) A n m e r k u n g . C o m e n i u s weist jede der vier gesonderten Altersstufen einer Schule von sechs Jahren zu: 1. die Kindheit der M u t t e r s c h u l e , 2. die Knaben der V o l k s s c h u l e , 3. die Jünglinge der L a t e i n s c h u l e , 4. das Alter der Reife der A k a d e m i e und der W a n d e r s c h a f t . [Ähnlich G r ä s e r (in seiner D i v i n i t ä t oder Prinzip der einzig wahren Menschenerziehung) Bayreuth und Hof 1811.] (Vergl. S c h u m a n n , Leitfaden der Pädagogik. Hannover. — N i e d e r g e s ä f s , Anfänge der Erziehungslehre. Wien. — W. P r e y e r , Die Seele des Kindes. Leipzig. — H a r l e f s , Abrifs der Erziehungslehre. Nürnberg.)
§ 45. II. Die Temperamente.
Tritt die Seele mit der Aufsenwelt in Beziehung, so wird sie teils durch letztere erregt, teils wirkt sie selbstthätig auf dieselbe zurück. Hierauf beruht das T e m p e r a m e n t , welches a l s die m i t dem k ö r p e r l i c h e n O r g a n i s m u s z u s a m m e n h ä n g e n d e n a t ü r l i c h e An läge f ü r G e f ü h l e u n d A f f e k t e zu b e t r a c h t e n ist. Da diese Anlagen individuell verschieden sind, so hat jeder Mensch sein besonderes Temperament. Je nachdem d i e E r r e g b a r k e i t und S e l b s t -
§ 45.
II. Die Temperamente.
III
t h ä t i g k e i t dabei stark oder schwach ist, unterscheidet man (wie schon im Altertum) 4 Temperamente, nämlich: das s a n g u i n i s c h e , c h o l e r i s c h e , m e l a n c h o l i s c h e und p h l e g m a t i s c h e Temperament. 1. Das s a n g u i n i s c h e (leichtblütige) Temperament ist leicht erregbar und empfänglich für Freude und Trauer. Der Sanguiniker hat ein »gutes Herz«, zeigt viel M i t g e f ü h l und ist im Umgange liebenswürdig. Er f a f s t l e i c h t auf, denkt aber nicht scharf; er ist heiter, hat eine lebhafte Phantasie, ist aber auch flatterhaft, zerstreut, verschwenderisch eitel. Sein rascher W i l l e ist grofser Entschlüsse fähig, aber es mangelt die Ausdauer. Er zeigt viel Geschmack und Sinn für die schönen Künste. Dem entspricht auch sein Äulseres; der Körperbau ist leicht, der Gang rasch und flüchtig und lebhaft seine Sprache. (Sanguiniker: Alkibiades, Antonius etc. Die Franzosen. Den Sanguiniker verrät das Lied: »Ich hab mein Sach auf nichts gestellt, juchhei etc.)
2. Das c h o l e r i s c h e (heifsblütige) Temperament ist auch l e i c h t erregbar, aber die Gefühle sind stark und länger andauernd. Der Choleriker ist feurig in Liebe und Hafs, zu Ehr- und Herrschsucht geneigt und voller Pläne für die Zukunft Er falst l e i c h t auf und d e n k t scharf; sein entschlossener Wille ist a u s d a u e r n d , sein Wesen offen, rücksichtslos, oppositionell, verwegen. In Wissenschaft, Kunst und Leben ist der Choleriker grofser Leistungen fähig. Er ist in der Regel von kräftigem, doch leichtem Körperbau, grofser Behendigkeit, scharfem Blick, festem, sichern Gang und bestimmter Ausdrucksweise. (Choleriker: Moses, Alexander der Grofse, Cäsar, Luther etc. Die Spanier. — Luthers Lied: »Ein feste Burg ist unser Gott« etc.)
3. Das m e l a n c h o l i s c h e (schwerblütige) Temperament ist weniger erregbar gegenüber der Aulsenwelt, dagegen trägt es eine tiefe, verschlossene Welt der Gefühle in sich. Der Melancholiker lebt in der Vergangenheit, ist geneigt zum Erhabenen und Düstern, zu Unzufriedenheit und Trübsinn, zu Argwohn und Menschenhais. Er fafst nicht
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
rasch auf, hängt mehr seinen Gedanken nach und ist zu tiefem Denken und Grübeln geneigt. Sein Willensleben strebt konsequent nach innerer Vollendung. Im äufseren Auftreten ist der Melancholiker langsam und gemessen, aber nicht träge. (Melancholiker: Karl V., Hölty. — Die Lieder Ossians. Die Engländer. »Scheiden und Meiden thut weh.« »Welt, ade I« etc.) 4. Das p h l e g m a t i s c h e (kaltblütige) Temperament ist schwerbeweglich und hat keine tiefen und starken Gefühle. Der Phlegmatiker fafst langsam, urteilt aber sicher und klar. Er ist gleichgültig gegen Freude und Leid, liebt die Euhe und hafst die Anstrengung. Sein W i l l e n s l e b e n legt grofse Bedächtigkeit an den Tag, doch ist er geduldig und beharrlich in seinem Thun und besonders zu mechanischer Arbeit aufgelegt. Körperlich neigt er zur Wohlbeleibtheit, Sprache und Gang sind langsam, oft träge. (Phlegmatiker: Karl der Dicke, die letzten Merovinger. Die Holländer. »Freund, ich bin zufrieden, geh es wie es will«.} Die Temperamente treten nicht rein, sondern in mannigfacher Mischung auf, wenn auch das eine oder andere bei einzelnen Nationen und Lebensaltern vorherrscht. Die Jugend ist meist sanguinisch; das Mannesalter trägt die Züge des cholerischen, das reifere Mannesalter die des melancholischen Temperaments. Im Greisenalter findet man mehr das phlegmatische Temperament. Auch unter den Geschlechtern finden sich Temperamentsunterschiede. Ebenso haben Nahrung und Klima Einflufs auf dieselben. (Rüegg.) § 46.
III. Die Geschlechter.
Obgleich der Mann nach göttlicher und menschlicher Ordnung des Weibes Haupt ist, so ist doch schon nach dem Gesetze Mosis das W e i b berechtigt, von den Kindern Ehrerbietung und Gehorsam zu fordern. (Du sollst V a t e r und Mutter ehrenI) Mit dem Christentum aber, welches das Weib im letzten Ziele, in Erstrebung des Heils, mit dem Manne gleichberechtigt erklärt (Hie ist kein Mann noch Weib;.
§ 46.
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Hl. Die Geschlechter.
denn ihr seid allzumal einer in Christo. Gal. 3, 28), tritt an dasselbe geradezu die A u f g a b e heran, gemeinsam mit dem Manne die Kinder ihrer zeitlichen und ewigen Bestimmung entgegenzuführen. Hieraus leitet sich die Wi c h t i gk e i t des Weibes im F a m i l i e n - (wie im s o z i a l e n ) Leben, aber auch die N o t w e n d i g k e i t ab, der Erziehung der Mädchen, als der künftigen Frauen, ebenso die gebührende Achtsamkeit zu schenken, wie derjenigen der Knaben. 1. A l l g e m e i n e V e r s c h i e d e n h e i t e n . Der Unterschied der Geschlechter tritt in p h y s i s c h e r Hinsicht unverkennbar zutage. Der K ö r p e r des M a n n e s ist im allgemeinen kräftiger, eckiger, härter, ausdauernder, ausdrucksvoller, der des W e i b e s dagegen kleiner, feiner, nachgiebiger, abgerundeter, weicher. Doch auch in p s y c h i s c h e r Hinsicht bekunden die Geschlechter ein eigenartiges Gepräge. »Der Mann zeigt die aktive, nach auisen wirkende, schaffende Seite der Menschheit, das Weib die passive, empfangende, bildende; der Mann vertritt die Geistes-, dieses die Naturseite; beim Manne überwiegt der Gedanke und der Wille, beim Weibe das Gefühl«. Zwar ist die Seele ihrem Wesen nach bei beiden Geschlechtern g l e i c h ; allein der p h y s i s c h e Unterchied bedingt auch p s y c h i s c h e E i g e n t ü m l i c h k e i t e n , die durch die g e s e l l s c h a f t l i c h e S t e l l u n g des Weibes im Laufe der Jahrtausende mehr und mehr ausgeprägt worden sind. Auf der S t u f e der K i n d h e i t t r i t t d e r U n t e r s c h i e d der G e s c h l e c h t e r n o c h am w e n i g s t e n herv o r , weshalb es keine Frage ist, dafs Kinder verschiedenen Geschlechtes anfangs g e m e i n s a m , wenn auch nicht immer in gleicher Weise erzogen werden können. Dies wird jedoch nach und nach immer s c h w i e r i g e r . Der Knabe t r e n n t sich vom Mädchen1), e i n j e d e s g e h t 1)
Vom M&dchen reiist Bich stolz der Knabe, Er stürmt ins Leben wild hinaus etc. S c h i l l e r , Glocke.
B ö h m , Praktische Erziehungslehre.
8
114
Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
s e i n e n e i g e n e n W e g , entwickelt seine Eigentümlichkeit bis zu einem gewissen G e g e n s a t z , an dessen Stelle später wieder eine A n n ä h e r u n g zu bewufstem, gegenseitigem Dienen tritt. (Endlicher Ausgleich der geistigen Differenz.) Der Knabe (Jüngling) entwickelt sich nach seiner körperlichen und geistigen Seite langsamer als das Mädchen, aber stetiger, intensiver. Er hat mehr Neigung in die F e r n e und W e i t e zu schweifen, gröfseren T h ä t i g k e i t s (Schaffungs- und Zerstörungs-) Trieb 1 ), mehr G e s c h i c k und E i f e r , in das W e s e n der Dinge einzudringen, mehr I n t e r e s s e für das G r o f s e , für allg e m e i n e Zwecke, fürs ö f f e n t l i c h e L e b e n , für das Regiment, die Zukunft2). Die Entwicklung des Mädchens (zur Jungfrau und Frau) nimmt körperlich und geistig einen r a s c h e r e n Verlauf und schliefst eher ab, als die des Knaben; das Mädchen wird früher reif. Es geht bei seinem Sinnen und Denken nicht so in die Tiefe, sondern beschränkt sich, dem künftigen Berufskreis entsprechend, auf das K l e i n e , U n s c h e i n b a r e , N a h e l i e g e n d e . Dieses sucht es als Jungfrau mit Innigkeit und Sinnigkeit zu o r d n e n und f e s t z u h a l t e n - , als Frau ist es bestrebt, das h ä u s l i c h e Leben durch G e s c h m a c k , Z u c h t und S i t t s a m k e i t 1)
Gönne dem Knaben zu spielen, In wilder Begierde zu toben; Nur die gesättigte Kraft kehret zur Anmut zurück. S c h i l l e r , die Geschlechter. Was er schuf, zerstört er wieder, Kimmer ruht der Wünsche Streit, Nimmer, wie das Haupt der Hyder — Ewig fällt und sich erneut. S c h i l l e r , Würde der Frauen.
2)
Der M a n n mufs hinaus Ins feindliche Lehen, Mufs wirken und streben Und pflanzen und schaffen, Erlisten, erraffen, Mufs wetten und wagen, Das Glück zu erjagen. S c h i l l e r , Glocke.
§ 46.
IIL Die Geschlechter.
115
freundlich zu gestalten 1 ), durch D i e n e n 8 ) zu herrschen und die G e g e n w a r t zu v e r s c h ö n e r n . 2. B e s o n d e r e V e r s c h i e d e n h e i t e n . Betreffs der S i n n l i c h k e i t ist das M ä d c h e n r e i z b a r e r , es empfindet l e b e n d i g e r , während der K n a b e sich von seinen sinnlichen Trieben und Neigungen mehr b e h e r r s c h e n läfst. Das M ä d c h e n hat eine lebendige P h a n t a s i e und ein richtiges Gefühl für alles Bildliche, Sinn für das Schickliche 8 ) und Schöne 4 ), die Gabe schneller Auffassung für die äufseren und nächsten Verhältnisse. Die E i n b i l d u n g s k r a f t des K n a b e n erhält durch die grölsere Klarheit des Verstandes eine entschiedene Richtung auf Wissenschaft und Ideale, wenn auch Sinn und Gefühl für das Ästhetische nur langsam sich entwickeln. Der W i l l e des M ä d c h e n s wird mehr durch das Gef ü h l , durch augenblickliche Eindrücke bestimmt; deshalb d i e H i n g a b e an den W i l l e n des E r z i e h e r s , die L i e b e zu ihm; deshalb aber auch die A b h ä n g i g k e i t Und drinnen waltet Die züchtige H a u s f r a u , Die M u t t e r der Kinder, Und herraobet weise Im häuslichen Kreise, Und lehret die Mädchen, Und wehret den Knaben, Und reget ohn' Ende Die fleirsigen H&nde, Und mehrt den Gewinn Mit ordnendem Sinn. 2)
3)
4)
S c h i l l e r , Glocke.
D i e n e n lerne bei Zelten das Weib nach Ihrer Bestimmung. Denn durch Dienen allein gelangt sie endlich zum Herrschen, Zu der verdienten Gewalt, die doch ihr Im Hause gehöret etc. G o e t h e , Herrn, u. Dor. Willst du genau erfahren, was sich ziemt, So frage nur bei edlen Frauen anl
G o e t h e , Tasso.
Ehret die Frauen l sie flechten und weben Himmlische Kosen Ins Irdische Leben, Flechten der Liebe beglückendes Band, Und In der Grazie züchtigem Schleier Nähren sie wachsam das ewige Feuer Schöner Gefühle mit heiliger Hand. S c h i l l e r , Würde der Frauen. 8*
116
Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
des Mädchens vom Einfluls f r e m d e r . Personen, deshalb die grölsere G e f a h r der Verführung. (Das schöne, aber schwache Geschlecht.) Aus der vorherrschenden Richtung des weiblichen Geschlechtes auf das Anschauliche, Gegenwärtige und dem Zurücktreten des Denkens gegenüber dem vorherrschenden Gemüt erklären sich als S c h w ä c h e n des w e i b l i c h e n C h a r a k t e r s , die sich schon in der Jugend zeigen: Kleinliches, ängstliches Wesen, List, Eitelkeit, Gefallsucht, Schwatzhaftigkeit, Empfindelei, Laune, Hais, ja Grausamkeit gegen das eigene Geschlecht. Der W i l l e des K n a b e n wird mehr durch den Vers t a n d , durch das E r k e n n e n , bestimmt; es nimmt das Streben bei ihm früher eine b e s t i m m t e , feste Gestalt an; denn der Knabe handelt nicht wie das Mädchen zumeist nach dem dunkeln Drang der Gefühle, sondern schon mehr nach eigenen M e i n u n g e n und Ü b e r l e g u n g e n ; er zeigt sich deshalb auch k ü r z e r , vers c h l o s s e n e r gegen den Erzieher, dem gegenüber er wohl auch den schuldigen Dankesausdruck anfänglich unterläist, um ihn nach gewonnener Einsicht mit Wärme nachzubringen; er ist e m p f ä n g l i c h e r für das auf Autorität beruhende Gefühl der H o c h a c h t u n g als für das einigende Gefühl der L i e b e . Die Richtung des männlichen Geschlechts auf das Ferne und Grofse, sowie das Vorherrschen des Denkens vor den Gefühlen (des Geistes über das Gemüt) erklären manche S c h w ä c h e n d e s m ä n n l i c h e n C h a r a k t e r s . Da die Knaben ein geringeres Bedürfnis der Mitteilung haben als die Mädchen, so legen sie oft eine o r i g i n e l l e U n g e s c h i c k l i c h k e i t im S p r e c h e n an den Tag, geben sich überhaupt p l u m p e r , d e r b e r , r ü c k s i c h t s l o s e r und g e f ü h l l o s e r (wilder) als die Mädchen, ja sie gefallen sich darin, roher zu scheinen, als sie wirklich sind *). Vergl. H a r l e i s und N i e d e r g e s ä f s . 1) Das folgende Dichterwort gilt auch von dem Knaben: In der Männer Herrachgebiete Gilt der Stärke (rotzig Recht etc.
Schiller.
§ 47.
Zusammenfassung.
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Kein Geschlecht steht höher als das andere; jedes hat Vorzüge, jedes hat Schwächen; jedes ist befähigt und berufen, zum Menschheitsideal emporzustreben. § 47. Zusammenfassung.
1. Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n L e i b und S e e l e . Der Mensch besteht aus zwei substantiell verschiedenen, aber dennoch zusammengehörigen Teilen, aus Körper und Geist. Sie bilden in ihrer Vereinigung den O r g a n i s m ü s d e s L e b e n s . In Verbindung mit dem lebensvoll organisirten Körper heifst der Geist Seele, der Körper Leib. Trotz ihrer Verbindung mit dem Leibe bleibt aber die Seele ein unkörperliches, unräumliches, unteilbares, unvergängliches, geistiges Wesen, während der Leib stofflich, räumlich, sterblich, wahrnehmbar und sinnlich ist. Der Leib dient der Seele als Wohnstätte und Werkzeug, weshalb zwischen beiden eine stete Wechselwirkung stattfindet, welche durch das Nervensystem, insbesondere durch das Gehirn vermittelt wird. Die Seele könnte ohne das Werkzeug des Leibes nicht zur Thätigkeit angeregt werden, der Leib ohne Seele aber wäre tot. »Die Seele ist mit dem Leibe munter und matt, stark und schwach, sie leidet mit dem kranken Körper und wächst mit ihm. [Mens sana in corpore sano (Juvenal)]. Umgekehrt wirkt die gesunde Seele wohlthätig, die kranke nachteilig auf den Leib zurück.« (Vergl. Schumann und Leutz.) Diese Abhängigkeit beider von einander macht sich sowohl bei der Aufnahme von Eindrücken aus der Aufsenwelt, als auch bei dem Hinauswirken auf die letztere geltend. 2. E i n h e i t und I d e n t i t ä t des B e w u f s t s e i n s . (Vergl. § 22, 4.) Durch die auf die Aufsenwelt gerichtete Seelenthätigkeit und das Zurückwirken jener auf die Seele entwickelt sich im Menschen das Bewufstsein, d. h. die Fähigkeit der Unterscheidung des eigenen Wesens von anderen Gegenständen. Sind auch die verschiedensten Sinne mit der Vermittlung der Reize der Aufsenwelt beschäftigt,
118
Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
60 spricht der Mensch doch: I c h sehe, i c h höre, i c h rieche etc. Es ist also immer ein e i n z e l n e s Wesen, welches all diese Empfindungen hat und diese verschiedenen Wahrnehmungen macht, es ist das I c h oder die s e l b s t bewufste Persönlichkeit. Mittels der Sinne erfafst der Mensch seine materielle, mittels des Selbstbewußtseins seine immaterielle Seite. In Zusammenfassung beider weiis er sich als o r g a n i s c h e Einheit, welche man die E i n h e i t des B e w u l s t s e i n s nennt. Sie geht nicht verloren, wenn auch im Laufe eines langen Lebens eine Menge der verschiedensten Empfindungen, Vorstellungen, Gefühle und Strebungen die Seele bewegen. Ich sah, ich sehe, ich habe g e h ö r t , ich höre, ich r i e c h e , ich habe g e f ü h l t etc. —: es ist immer d a s s e l b e Ich, das empfindet und wahrnimmt, trotz der verschiedenen Organe und Zeiten. Man nennt dieses durch das ganze Geistesleben sich hinziehende Band, das alle Seelenthätigkeit e i n e s und dess e l b e n Menschen verknüpft, die I d e n t i t ä t oder die E i n e r l e i h e i t d e s B e w u l s t s e i n s . Sie kann nur einem geistigen, dem Stoffwechsel nicht unterworfenen Wesen eigen sein (Helm). 3. E i n h e i t i n der V i e l h e i t der S e e l e n t h ä t i g k e i t en. Der Sinnenwelt gegenüber verhält sich die Seele entweder a u f n e h m e n d (rezeptiv) oder s e l b s t t h ä t i g (spontan). Mittels der Eezeptivität vermag die Seele die von den Gegenständen ausgehenden Ejndrücke aufzunehmen, vermöge der Spontaneität kann sie die Gegenstände zum Objekt der Thätigkeit machen, also bestimmend auf sie einwirken. Diese beiden der Seele angebornen Fähigkeiten wirken nie einzeln, sondern stets gemeinsam. Aus ihrem Zusammenwirken entsteht in der Seele das Empfinden, Erkennen, Fühlen und Wollen. Diese unterschiedlichen Seelenthätigkeiten hängen aber, wie im Vorausgehenden genügend gezeigt worden, enge zusammen, sie bilden eine einheitliche T h ä t i g k e i t der S e e l e , bei welcher wohl die eine oder andere Seite stärker hervortritt, aber nie ohne die anderen möglich ist; denn wir empfinden, erkennen, fühlen und wollen immer zugleich. Wenn wir trotzdem die
§48.
1. Die ErziehungsperBonen.
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einzelnen Seelenthätigkeiten gesondert betrachtet haben, so dürfen wir die theoretische Scheidung nicht auch als wirklich bestehend ansehen. Literarische Hilfsmittel. B a u m g a r t n e r , H., Leitfaden der Seelenlehre oder Psychologie. Freibarg, 1885. — D i t t e s , Dr. Frdr., Lehrbuch der Psychologie. Leipzig, 1876. — D r b a l , Dr. M. A., Empirische Psychologie. Wien, 1868. — D r b a l , Dr. M. A., Darstellung der wichtigsten Lehren der Menschenkunde und Seelenlehre. Wien, 1872. — E l t e r i c h , J. G , Handbuch für den Unterricht in der Volksschulpädagogik. Leipzig, 1885. — F r ö h l i c h , Dr. G., Die wissenschaftliche Pädagogik in ihren Grundlehren. Wien und Leipzig, 1883. — H e l m , J., Grundzüge der empirischen Psychologie und der Logik. Bamberg, 1887. — J a h n , Dr. M., Psychologie als Grundwissenschaft der Pädagogik. Leipzig, 1883. — K i t t e l , Dr. A., Einleitung in die Erziehungslehre. Beigabe zum 6. Jahresbericht der k. Lehrerbildungsanstalt Speyer. 1887. — K ö n i g b a u e r , J., Grundzüge der Psychologie und Logik. Amberg, 1887. — L i n d n e r , Dr. G. A., Lehrbuch der empirischen Psychologie. Wien, 1872. — M a a f s , B., Die Psychologie in ihrer Anwendung auf die Schulpraxis. Breslau, 1879. — M a r t i g , E., Anschauungs-Psychologie mit Anwendung auf die Erziehung. Bern, 1888. — O s t e r m a n n , Dr. W., Die Grundlehren der pädagogischen Psychologie. Oldenburg, 1880. — BD e g g , H. R., Lehrbuch der Psychologie. Bern, 1885. — S c h i l l e r , Dr. H., Handbuch der praktischen Pädagogik für höhere Lehranstalten. Leipzig, 1886. — S t e r n e r , M., Die Methodik der Volksschule. Straubing, 1886. — S t r ü m p e l l , L., Grundrifs der Psychologie. Leipzig, 1884.
Zweiter
Abschnitt.
Der Erzieher. Es handelt sich hier z u e r s t um die Frage, wer erziehen soll und muís, oder welche P e r s o n e n Recht und Pflicht zur Erziehung haben; z w e i t e n s , welche E i g e n s c h a f t e n der Erzieher besitzen, und d r i t t e n s , welches I d e a l ihn leiten soll. § 48. 1.
Die Erziehungspersonen.
A l l e Mündigen, d. h. a l l e s c h o n e r z o g e n e n Pers o n e n sollten sich als Erzieher der Jugend ansehen und
Die Erziehungslehre im eDgeren Sinne.
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auf die letztere, wo sie Gelegenheit dazu haben, pädagogisch einwirken. Das Bewulstsein von einer solchen a l l g e m e i n e n Erziehungspflicht, das sich besonders bei den alten G r i e c h e n (Sparta) Geltung verschafft hatte, ist bei uns leider noch nicht zum Durchbruch gekommen, weshalb die Pflicht der Erziehung nach unserer Volksanschauung immer nur e i n z e l n e n zufällt oder zugewiesen wird. Dies sind 1. d i e n a t ü r l i c h e n E r z i e h e r und 2. die E r z i e h e r v o n F a c h . 1. Als die natürlichen Erzieher erscheinen, infolge' ganz natürlicher Zusammengehörigkeit mit dem Kinde, die Eltern. Ihnen hat die Natur den Trieb eingepflanzt und Gott die Pflicht ins Herz geschrieben, ihre Kinder zu erziehen. Die M u t t e r , die ihr eben geborenes Kind säugt und nährt, steht mit dem L e i b e s l e b e n desselben in einer so innigen Verbindung, daf s sich beim Erwachen des S e e l e n l e b e n s naturnotwendig auch jene geheimnisvolle, i n n i g e g e i s t i g e G e m e i n s c h a f t als verklärte Naturliebe entwickeln mufs, die nur allein mit dem süfsen Worte »Mutterliebe« bezeichnet werden kann'). Wie die Mutterhebe das allerschlichteste Weib zur Erziehung geschickt macht, so den V a t e r die »Autorität« (Ansehen, __ Respekt), womit er bei zunehmender Entwicklung des Kindes der Mutter h e l f e n d und e r g ä n z e n d zur Seite stehen mufs. Was die Mutter an G e m ü t voraus hat, das besitzt der das Ziel im Auge behaltende Vater an V e r s t a n d und Festigkeit 2 ), so dafs bei g e m e i n s a m e r Ein1)
«Der Muterliebe zarte Sorgen Bewachen seinen goldnen Morgen.' S c h i l l e r , Glocke. •Wenn alle Welt den Armen läfat, Und wenn kein Wort Ihm bliebe, Am ew'gen Himmel stehst du fest Stern hell'ger Mutterliebe I« Karl Immermann.
2)
Teil: >Sie (die Knaben) sollen alles lernen. Wer durchs Leben sich Frisch will schlagen, muls zu Schutz und Trutz gerüstet sein.* S c h i l l e r , Willi. Teil m , 1.
§48.
1. Die Erziehungspersonen.
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Wirkung der Zögling eben so sehr vor Verweichlichung als vor einer Verhärtung des Gemüts bewahrt bleiben wird '). Anmerkung. Milslich bleibt es immer, wenn aus irgend einem Grunde die Eltern ihre Kinder nicht selbst erziehen können und diese Aufgabe dann ihren S t e l l v e r t r e t e r n (Pflegeeltern, Grofseltern, Vormündern, Geschwistern, Hausgenossen etc.) zufällt. Wie diese auch ihrer Pflicht nachkommen mögen, die Eltern vermögen sie nicht völlig zu ersetzen.
2. Die £rzieher von Fach übernehmen a) die Eziehung, wenn die Eltern durch Bequemlichkeit oder Geschäftsrücksichten sich von der Erfüllung ihrer Erüieherpflichten abhalten lassen oder durch Unfähigkeit abgehalten sind; hierzu rechnet man Kinderfrauen, Ammen, Erzieher, Hofmeister, Erzieherinnen { G o u v e r n a n t e n ) ; oder sie leisten b) den Eltern in der Erziehung die nötige Beihilfe dann, wenn die Zeit des U n t e r r i c h t s gekommen, zu dessen zweckmäfsiger Erteilung die Eltern ohnehin in den seltensten Fällen geeigenschaftet sind. Dazu gehören einerseits die H a u s l e h r e r , die P r i v a t u n t e r r i c h t erteilen, und die ö f f e n t l i c h e n L e h r e r , welche durch erziehenden Unterricht und durch die Disciplin in den Schulen der ö f f e n t l i c h e n E r z i e h u n g dienen. Zu den öffentlichen Lehrern sind neben den Lehrern an mittleren und höheren Schulen besonders die Lehrer der Volksschule, die V o l k s s c h u l l e h r e r , zu zählen. Da die öffentliche Erziehung die Zukunft des Kulturstaates beeinflufst, so betrachtet der Staat die Bildung der Lehrer und die Beaufsichtigung der Schulen als eine seiner wichtigsten Aufgaben. Anmerkung 1. Wie Vater und Mutter durch gemeinsames Zusammenwirken die elterliche Erziehung erfolgreicher gestalten, so ist es auch, wenn Eltern und Lehrer sich in ihren erziehlichen Einwirkungen gegenseitig unterstützen. •Denn wo das Strenge mit dem Zarten, Wo Starkes sich und Mildes paarten, Da gibt es einen guten Klang.-
S c h i l l e r , Glocke.
Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
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Anmerkung 2. D e r E r z i e h e r b e r u f ißt ein verantwortungsvoller, schwerer und doch zugleich ein schöner Beruf. 1. Er ist v e r a n t w o r t u n g s v o l l , weil der Erzieher, der für sein Thun einst Rechenschaft geben mufs, durch sorgfältige und richtige Behandlung dem Zöglinge die Wege zu seinem zeitlichen und ewigen Glücke bahnen, durch falsche Behandlung aber nicht nur den Zögling, sondern auch andere unglücklich machen kann'). 2. Er ist s c h w e r , weil die stete Aufmerksamkeit auf sich, auf den Zögling und die obwaltenden Umstände, wie die Sorgfalt in der Behandlung des Zöglinge, die von diesem fortwährend ausgehenden Anregungen, und die unausbleiblichen Aufregungen die psychische und infolgedessen oft auch die physische Kraft des Erziehers erschöpfen und lähmen. Die Mütter und Väter vieler Kinder und die Lehrer mit einer grofsen Schülerzahl bestätigen dies*). 3. Er ist aber auch s c h ö n , weil nichts erhebender und beseligender sein kann, als im Kreise naturwahrer, froher, unschuldiger Kinder zu stehen, Samenkörner des Guten ihnen ins Herz zu legen und die Furcht keimen, wachsen und gedeihen zu sehen'). § 49. 2. Die Eigenschaften des Erziehers.
Nicht jedermann eignet sich für den verantwortungsvollen und schweren Erzieherberuf. Selbst viele Eltern, 1)
Die Zukunft habet Ihr, Ihr habt das Vaterland, Ihr habt der Jugend Herz, Erzieher, In der Hand. Was Ihr dem lockern Ornnd einpflanzt, wird Wnrzel schlagen; Was Ihr dem zarten Zweig einimpft, wird Früchte tragen. R t i c k e r t , Weisheit d. Brahmanen.
2) »Meistens geschieht es, dafs die jagendliche Seele in ihrer Tiefe einen Winkel bewahrt, in den der Erzieher nicht dringt und in welchem sie trotz seines Stürmens still fOr sich lebt, ahnet, hofft, Pläne entwirft, die bei der ersten Gelegenheit versucht werden und, wenn sie gelingen, gerade an der Stelle einen Charakter gründen, die ihr nicht kanntet.« Herbart. 3) '
Was Ist hehrer, Als ein Lehrer, — Der ein Vater Ist, Nicht des Fleisches und Geblütes, Sondern des Geistes und Gemütes etc.
Rückert.
§ 49. 2. Die Eigenschaften des Erziehers!
123
welche doch durch natürliche Bande zur Erziehung verpflichtet sind, entbehren der wünschenswerten Erziehereigenschaften entweder in k ö r p e r l i c h e r oder in g e i s t i g e r H i n s i c h t , oder es mangelt ihnen nach beiden Seiten zugleich. Die nachfolgenden Eigenschaften sollten keinem Erzieher, besonders keinem solchen fehlen, der die Erziehung zu seinem L e b e n s b e r u f e gewählt hat. Es ist nämlich zu wünschen, dafs ]. der Erzieher einen gesunden K ö r p e r besitze. Körperliche Gesundheit verleiht das Kraftbewufstsein, aus welchem die für die erziehliche Thätigkeit so förderliche H e i t e r k e i t des Gemüts und L e b e n d i g k e i t und F r i s c h e d e s G e i s t e s erwachsen1), während mit der Krankheit das Gefühl der Schwäche, verdüsterter Sinn, Griesgrämigkeit und Schwerfälligkeit der Geistesthätigkeit Hand in Hand gehen. Der Erzieher mufs sich auch im Besitze
guter Sinnes- und Sprach Werkzeuge befinden, um sich eben so gut informieren (belehren) zu können als seine Zöglinge. Was man 2. in geistiger und sittlicher Hinsicht fordern kann, wird man mit L i e b e , W e i s h e i t , F r ö m m i g k e i t , C h a r a k t e r f e s t i g k e i t bezeichnen und in Summa verlangen, dafs er in jeder Richtung ein g u t e s B e i s p i e l gebe. a) In e r s t e r Linie mufs der Erzieher eine herzliche Liebe, eine n a t ü r l i c h e Z u n e i g u n g zu der J u g e n d besitzen und bethätigen. Er mufs seine Liebe fühlen lassen, indem er sich zu den Kindern h e r a b l ä f s t und mit ihnen dönkt und fühlt, an ihren Freuden wie an ihrem Jammer Anteil nimmt2). »Wer dies nicht kann, der werde nicht Er1)
Heiterkeit ist der Himmel, unter dem alles gedeiht, Gift ausgenommen. Jean Paul.
2) P e s t a l o z z i s Verhältnis zu den Waisen-Kindern in Stanz: >Dafs mein Herz an meinen Kindern hange, dafs ihr Glück mein Glück, ihre Freude meine Freude sei, das sollten meine Kinder vom frühen Morgen bis an den späten Abend in jedem Augenblick an meiner Stirn sehen und auf meinen Lippen ahnen. — Meine Hand lag in ihrer Hand, mein Auge ruhte auf ihrem Auge. Meine Thränen flössen mit den ihrigen und mein Lächeln begleitete das ihrige etc.«
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
zieher. Denn dieser darf nicht in den Verdacht kommen, als könne man nicht an seinem Herzen ruhen« (Herbart). Wer sich dagegen unter den Kindern wohl fühlt und sie dahin zu bringen weils, dais sie auch mit ihm denken, fühlen und streben, der erwirbt sich A n h ä n g l i c h k e i t und G e g e n l i e b e , welche allein die f r e u d i g e E r f ü l l u n g des E r z i e h e r w i l l e n s sichern. Solche Liebe des Erziehers ist weit entfernt von der falschen Liebe, der A ff e n 1 iebe, die nur l i e b e l t , aber nicht liebt, die in Verblendung und Schwäche dem Kinde alles nachsieht, keine Schranke bauen, kein Verbot aufrecht erhalten, kein Vergehen strafen kann, die, kurz gesagt, des Zöglings Zukunft aus den Augen verliert. Nein, das ist die rechte Liebe nicht, sondern d a s ist die w a h r e Liebe, die den Gebeugten aufhebt, den Bekümmerten tröstet, den Wankenden unterstützt und zum Guten entflammt, Falschheit und Heuchelei verachtet, Bosheit und Roheit mit Ernst bestraft und das Unkraut des Herzens auszujäten sucht, dagegen das Höchste und Edelste in der Menschenseele wachruft, das Heiligste in der Menschenbrust pflegt. Auch das strafende Wort mufs aus liebevollem Herzen quellen, die strafende Hand von der Liebe geführt werden. Es mufs mit einem Worte: K o n s e q u e n z i n d e r L i e b e — und L i e b e i n der K o n s e q u e n z walten. b) Damit die Liebe den Erzieher nicht blind mache, mufs er sich zugleich von der Weisheit leiten lassen. Der weise Erzieher wird mit hellem Blick den Kreis seiner Thätigkeit überschauen, A u f g a b e und Z i e l fest ins Auge fassen und im Auge behalten und die r e c h t e n M i t t e l zu r e c h t e r Z e i t und in r e c h t e r W e i s e anzuwenden suchen. Der Weisheit des Erziehers entspringt K e n n t n i s u n d V e r s t ä n d n i s der K i n d e r w e l t , das Vermögen, sich in der Kinder Anschauungen, Denken und Fühlen hinein zu versetzen, die einzelnen nach ihrer I n d i v i d u a l i t ä t zu behandeln, die Masse mit ihren Masseneigentümlichkeiten zu berücksichtigen. Die Weisheit des Erziehers wird unterstützt von dem p ä d a g o g i s c h e n T a k t , d. h. von der aus dem richtigen Gefühl- abgeleiteten Fertigkeit, in der Erziehung immer,
§ 49. 2. Die Eigenschaften des Erziehers.
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auch unvorbereitet und in schwierigen Fällen, das Rechte zu treffen. Ist der pädagogische Takt auch einesteils ein Stück der natürlichen Anlagen, so ist er doch zugleich eine Frucht der p ä d a g o g i s c h e n B i l d u n g . Deshalb muis von dem Erzieher von Fach weiter gefordert werden, dals er nicht nur überhaupt ein wirklich gebildeter, sondern auch dafs er ein p ä d a g o g i s c h g e b i l d e t e r Mann und eifrig beflissen sei, sich selbst pädagogische E r f a h r u n g e n zu sammeln. c) Liebe und Weisheit sind nicht denkbar ohne wahres
Gottvertrauen und innige Frömmigkeit, die das Herz
läutern, den Sinn reinigen, und im Aufblick zu Gott die Hoffnung auf endliches Gelingen der schweren Erziehungsarbeit stärken l). Solche Frömmigkeit schliefst jede Heuchelei aus und beweist sich in R e i n h e i t und L a u t e r k e i t der G e s i n n u n g und in ehrlicher Geradheit. Sie siehet auch bei dem Zögling nicht auf den S c h e i n , sondern auf das Wesen. d) Der Erzieher mufs aber diese Gesinnung durch diß T h a t k o n s e q u e n t beweisen, Wort und That stets in schönster Harmonie erblicken lassen, ein fester sittlicher Charakter sein. Dann folgt er nicht willenlos dem Zeitenstrome, sondern p r ü f e t erst und hält mit T r e u e fest an seiner gewonnenen Überzeugung; er denkt zuerst an die Sache, dann erst an sich; er fürchtet Gott, thut recht und scheuet niemand; er kann alles verlieren, nur nicht sich selbst. Diese sittliche Festigkeit und feste Sittlichkeit des Charakters ist die beste Garantie einer u n p a r t e i i s c h e n G e r e c h t i g k e i t , die nicht nach Gunst und Ungunst richtet, 1) P e s t a l o z z i s Gebet: «Herr, siebe, hier bin ich und die Kinder, die du mir gegeben hast. Ich möchte hinfallen auf meine Knie und zu dir sagen: Vergib mir, o Vater, ich war diesen Geliebten bei weitem nicht, was ich ihnen hätte sein sollen; verzeihe mir, ich war nicht ihr Vater, wie ich ihr Vater hätte sein sollenI Herr, du kennst meine Schwäche; die Last, die du mir auf meine Schultern gelegt, ist zu grols für mich; hilf mir sie tragen und gib mir deinen heiligen Geist, den GeiBt der Liebe und Weisheit, den Geist Jesu Christi, dafs ich das Werk heilig vollende etc.«
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
sondern nach Verdienst lohnt und straft, die jedem das Seine gibt und nicht niederschlägt, sondern erhebt; sie ist die g e i s t i g e und s i t t l i c h e Kraf t ( K o n s e q u e n z ) , weicheb e h a r r l i c h sittliche Ziele verfolgt, unbekümmert um Wohlgefallen oder Mifsfallen; sie ist die Grofsmacht, welche den Zögling vom Zwang zum freien G e h o r s a m führt und so wieder den C h a r a k t e r bildet. e) In S u m m a : Der Erzieher soll den Kindern ein gates Beispiel geben, er soll das Vorbild, das Ideal der Kinder sein. Worte bewegen, Beispiele reifsen hin. Also s e i der Erzieher, was die Kinder w e r d e n sollen; er t h u e, was die Zöglinge t h u n , er u n t e r l a s s e , was sie u n t e r l a s s e n sollen. Er suche sich frei zu machen von Trägheit und Lässigkeit, Unentschloseehheit und Mutlosigkeit, Zornmütigkeit und Parteilichkeit, von mürrischer Laune und Mifstrauen, w a p p n e s i c h d a g e g e n m i t allen sittlichen T u g e n d e n . Dies wird dem Erzieher freilich nur gelingen, wenn er im Vertrauen auf Gottes Beistand M e i s t e r ü b e r s i c h s e l b s t zu werden trachtet, wenn er stets die Selbst s u c h t bekämpft und die Selbst z u c h t übt, wenn er mit aller Kraft des Willens s i c h s e l b s t z u b e h e r r s c h e n und jedes Unkraut des eigenen Herzens mit der Wurzel zu vertilgen sucht. Gibt der Erzieher seinen Zöglingen stets ein Beispiel edler Selbstbeherrschung, in allen Richtungen ein gutes Vorbild, so fühlen sie des stärkeren Geistes überlegene Macht und geben sich ihm mit unbegrenztem Vertrauen hin, oder was dasselbe ist: die Zöglinge haben Hochachtung, Respekt vor dem Erzieher, er steht hoch in ihrem Ansehen, er besitzt Autorität. Die Autorität aber ist die Perle im Schmuck des Erziehers, der Zauberstab für Zucht und Ordnung, der ohne äufsere Gewalt, aber mit der Macht der Liebe im Bunde das Böse mühelos entwaffnet und »durch stillen Wandel ohne Worte viele zur Gerechtigkeit weiset, t Wo der Lehrer Autorität und Liebe sich durch sein Beispiel erworben, da ist er des Zöglings I d e a l , das diesen hinleitet zu jenem höheren Vorbild, das uns in Christus gegeben.
§ 50.
3. Das Ideal des Erziehers.
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Anmerkung 1. In allem, in der freudigen Erfüllung jeder Pflicht, Muster und Vorbild sein, ist die zwar schwere, aber immer zu erstrebende Lösung der Erzieheraufgabe. »Werdet selbst besser, so wird auch die Jugend besser.« (Sailer.) »Von allen Fehlem der Zöglinge mufs der Erzieher den Grund in sich selbst suchen.« (Salzmann.) »Der Rückstand der pädagogischen Experimente sind die Fehler des Zöglings im Mannesalter.« (Herbart.) Anmerkung 2. Obwohl es selbstverständlich ist, so soll doch ausdrücklich noch darauf verwiesen werden, daTs der Erzieher auch auf sein Äufseres, als den Spiegel des Innern, diejenige Sorgfalt und Aufmerksamkeit zu verwenden hat, die das ästhetische und sittliche Gefühl und die Rücksicht auf sein lehrhaftes Beispiel vorschreiben in Beziehung auf Reinlichkeit, Kleidung, Haltung und Auftreten, Mienen und Gebärden etc. Vor allem bewahre er sich in dieser Beziehung vor dem Fluche der Lächerlichkeit. § 50. 3. Das Ideal des Erziehers.
Soll der Erzieher seinen Zöglingen ein I d e a l sein, so darf er s e l b s t des I d e a l s n i c h t e r m a n g e l n . Er bedarf musterhafter Vorbilder, durch deren Betrachtung er nicht nur seine Einsicht vermehrt, sondern an denen er sich aufrichtet, erwärmt und für die heilige Sache der Jugenderziehung aufs neue begeistert, wenn widrige Umstände und Mifserfolge ihn entmutigt hatten. Die Vorbilder t r e f f l i c h e r E r z i e h e r , edler und hochherziger Menschenbildner, wie solche die G e s c h i c h t e der P ä d a g o g i k 1 ) vorführt, sind eine vorzügliche Bildungsschule für den Erzieher. Freilich vollkommen ist auch nicht eines dieser Vorbilder. Die höchste Vollkommenheit findet der Erzieher nur bei dem göttlichen Kinderfreund Jesus. Jesus war Erzieher und Lehrer in des Wortes vollkommenster Bedeutung. Mit einer L i e b e , wie kein Mensch geliebt, gab er sich seinem 1) J. B ö h m , Geschichte der Pädagogik mit C h a r a k t e r b i l d e r n hervorragender Pädagogen und Zeiten. 2 Hälften. Nürnberg, 1878 u. 1879. Korn'sche Buchhandlung.
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
Lehr- and Heilandsberufe hin. Zunächst galt seine Liebe, den unschuldigen, reinen, empfänglichen K i n d e r n , die er zu sich rief, herzte, segnete und denen er das Himmelreich verhiels. Er war aber auch der liebevollste und weiseste L e h r e r der Erwachsenen. Er lehrte anschaulich, anziehend und überzeugend, er suchte durch Weisheitssprüche, durch Gleichnisse aus Natur- und Menschenleben und durch symbolische Handlungen die himmlischen Wahrheiten dem Menschenherzen nahe zu bringen und die Seele zum Suchen nach dem Ewigen zu reizen. Jesus war der gröfste E r z i e h e r durch den mit seiner L e h r e übereinstimmenden W a n d e l , durch sein T h u n . Er durchzog die Lande, um der Menschen Schmerz und Kummer zu stillen, um die Heilsbedürftigen durch seine beseligende Nähe zu beglücken. Und wo ihm die Bosheit der Menschen entgegentrat, war er sanftmütig und von Herzen demütig und stellte alles dem anheim, der recht richtet. Er lehrte die Liebe, war die Liebe und starb aus Liebe zu den sündigen Menschen. So ist Jesus durch L e h r e und T h u n das I d e a l für den Erzieher und dessen nächste Anfgabe daher: S t r e b e n n a c h V o l l k o m m e n h e i t durch N a c h a h m u n g u n d Nachfolge Jesu.
Dritter Abschnitt.
Der Zweck der Erziehung. (Ethische Grundlage.)
Schon bei § 4, wo von dem Begriffe der Erziehung die JEtede war, ist der Zweck derselben in der Weise angedeutet worden, wie er sich von der e t h i s c h e n Betrachtung aus ergibt. Darnach sollen nicht blois die Anlagen und Kräfte des Menschen harmonisch entwickelt, sondern derselbe auch befähigt werden, sich selbst führen und selbständig seiner B e s t i m m u n g nachstreben zu können. Die Ethik bestimmt die A u f g a b e des Menschen als das, was er leisten soll in der Arbeit an sich selbst und für andere. Menschen-
§ 51.
a. Zweck und Ziel der Erziehung im allgemeinen.
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b e s t i m m u n g aber ist das Ziel, das die Menschheit erreichen soll. Mit der Aufgabe und Bestimmung des Menschen hängt der Zweck der Erziehung enge zusammen. Derselbe läist sich im a l l g e m e i n e n und b e s o n d e r e n behandeln. § 51. I. Zweck und Ziel der Erziehung im allgemeinen.
1. F e s t s t e l l u n g des a l l g e m e i n e n E r z i e h u n g s z w e c k e s '). Wenn die Erziehung darauf abzielt, alle A n l a g e n und K r ä f t e des Zöglings harmonisch so herauszugestalten, dafs er schliefslich sich s e l b s t e r z i e h e n , selbst l e i t e n und f ü h r e n kann, so spricht man 1. von dem formalen Zweck — d. h. die Erziehung soll den Zögling zur S e l b s t e r z i e h u n g befähigen, ihn zum e i g n e n E r z i e h e r machen. Daher lautet das f o r m a l e Erziehungsprinzip: » E r z i e h e d e n Z ö g l i n g zu s e i n e m e i g e n e n Erzieher.« Wenn die Erziehung aber weiter anstrebt, den Zögling mit einem W i s s e n auszurüsten, durch das er mit dem I n h a l t seiner Bestimmung vollständig vertraut und befähigt wird, sein L e b e n s z i e l klar ins Auge zu fassen, so verfolgt sie 2. einen materialen Zweck — d. h. die Erziehung soll den Zögling zum Erkennen s e i n e r B e s t i m m u n g befähigen. Daraus ergibt sich das materiale Erziehungsprinzip: » E r z i e h e d e n Z ö g l i n g so, dafs er, wenn er s e l b s t ä n d i g g e w o r d e n i s t , s e i n e B e s t i m m u n g err e i c h e n kann.« Ist der materiale Zweck blois auf die z e i t l i c h e Bestimmung, auf das p r a k t i s c h e Leben gerichtet, so ist er a) ein r e a l e r . Die z e i t l i c h e Bestimmung des Menschen aber besteht darin, dafs er in der Unterordnung unter das 1) H e r b a r t bezeichnet als allgemeinen >Charakterstärke der Sittlichkeit« (s. S. 183). B ö h m , Praktische Erzlehungslehre.
Erziehnngszweck: 9
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
göttliche. Gesetz sich zum Herrn der irdischen Kreatur mache und dadurch sowohl sein eigenes, als auch das zeitliche Wohl seiner Mitgeschöpfe begründe. Ist er dagegen auf die e w i g e Bestimmung gerichtet, so ist er h) ein i d e a l e r . Die e w i g e Bestimmung aber besteht darin, dafs der Mensch in heiliger Liebesgemeinschaft mit Gott stehe und, ihm dienend, die Erde beherrsche, zugleich aber selbst immer tüchtiger werde zur Mitgliedschaft eines ewigen Gottesreiches. Der formale und der materiale Erziehungszweck lassen sich nur in der Theorie, niemals aber in der Praxis trennen, da zur K r a f t der Selbsterziehung (Willensstärke) die Erk e n n t n i s der menschlichen Bestimmung treten mufs, wenn das Erziehungsziel erreicht werden soll. Ebenso würde innerhalb des materialen Zweckes vom Ziele abgeirrt, wenn man blofs die reale und nicht auch die ideale Seite (und umgekehrt) gleichmälsig verfolgen wollte. Dieses Ideal der allgemeinen Menschenbestimmung, welches die Sittenlehre als Z i e l für die Erziehung bezeichnet, sollen wir nach den Worten Christi: » W e r d e t v o l l k o m m e n , w i e e u e r V a t e r im H i m m e l v o l l k o m m e n i s t l « stetig anstreben. Freilich kann es nur annähernd erreicht werden. Li dem » W e r d e t « vollkommen ist aber auch genugsam angedeutet, dafs nicht die absolute Vollkommenheit gefordert, sondern (die relative) das stete ungeteilte S t r e b e n , nach dem Vorbilde Christi zu l e b e n 1 ) , des Menschen Bestimmung ist. Daher kann die Aufgabe und der allgemeine Zweck der Erziehung kein anderer sein, als den Menschen dahin zu befähigen (d. h. mit der erforderlichen Einsicht und Willensstärke auszurüsten), dafs er seine wahre Bestimmung selbständig und bewufst anzustreben vermag. Anmerkung 1. Die V o l l k o m m e n h e i t schliefst die I d e e n des W a h r e n , S c h ö n e n und G u t e n ein. Denn 1) Leben ist Streben. Zum Streben — zur Arbeit sind wir bestimmt auf Erden. Alle Arbeit Boll dem-Menschen dazu dienen, die Erziehungsarbeit a n s i c h besser vollbringen zu können.
§ 51. a. Zweck und Ziel der Erziehung im allgemeinen.
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strebt der Mensch darnach, vollkommen, d. h. Gott ähnlich zu werden, so geschieht dies in erkennender und denkender Hingabe an Gott, in der W a h r h e i t , da Gott die Wahrheit ist (Erkennen); in dem Wohlgefallen an allem Reinen und Göttlichen, dem S c h ö n e n (Fühlen); in dem Thun des göttlichen Willens, des Guten (Wollen). Diese Ideen sollen auf das praktische Leben befruchtend und gestaltend einwirken, die Leitsterne für den Erzieher sein und für den Zögling solche werden. Anmerkung Sä. Der Zweck der Erziehung wird auch mit Es ist darunter der dem Worte B i l d u n g bezeichnet. Z u s t a n d verstanden, in welchem der Mensch fähig und geneigt ist, in freier Selbsttätigkeit seiner Bestimmung nachzustreben. Die Bildung wird durch die T h ä t i g k e i t des Erziehers, das B i l d e n , gewonnen, könnte aber nicht erreicht werden, wenn der Zögling keine Geneigtheit zur Selbstbildung an den Tag legen würde. Das Bilden erfordert eine Idee, ein Musterbild, nach welchem der noch rohe und formlose Stoff geformt werden soll. Das Gestalten eines schönen, vollendeten Bildes aus Thon, Holz, Stein etc. ist schwierig, ist eine Kunst. Weit schwieriger ist die Kunst, Menschen zu bilden, da sie nicht wie tote Stoffe sich willenlos der formenden Hand des Künstlers fügen. Aber es ist eine hehre und hohe, ja die h ö c h s t e Kunst, weil der Erzieher den wertvollsten Stoff nach der höchsten Idee gestalten, dem Ebenbilde Gottes ähnlich machen soll. Die Bildung ist eine a l l g e m e i n e , sofern sie darauf abzielt, den M e n s c h e n als M e n s c h e n zu bilden. Diese allgemeine Bildung zum Menschen geht der besonderen Bildung zum B ü r g e r , zum B e r u f e etc. voraus. 2. V e r s c h i e d e n e A u f f a s s u n g d e s a l l g e m e i n e n Erziehungszieles. Die menschliche Bestimmung ist nicht immer so aufgefafst und ausgesprochen worden, wie es im Vorhergehenden geschehen. So verschieden aber die menschliche Bestimmung gesetzt wurde, ebenso v e r s c h i e d e n wurden auch Z w e c k und Z i e l der Erziehung von den Pädagogen der jeweiligen Zeitperioden dargestellt. So will 9*
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i ) i e Erziehungslehre im engeren Sinne.
a) der Naturalismus nach Rousseau's Vorgang di& N a t u r des Zöglings sich frei entwickeln lassen und nur in der Beseitigung aller Hindernisse, in der natürlichen JEntwickelung die (negative) Erziehungsaufgabe erblicken. — Allein es ginge der Mensch zu Grunde, wenn man ihm in seiner leiblichen Hilflosigkeit nicht mit (positiver) Hilfe beispränge. Auch in geistiger Beziehung kann der Mensch nur durch Menschen zur Erreichung seiner Bestimmung befähigt werden.
b) Der Eudämonismus (Glückseligkeitslehre) und der R e a l i s m u s (Wirklichkeitslehre) fordern zwar eine positive Erziehungsthätigkeit, aber nur zu dem Ende, damit ein b r a u c h b a r e r und g e s c h i c k t e r Mensch erzogen werde, der sein i r d i s c h e s G l ü c k zu begründen vermag (Philanthropisten). Allein das irdische Glück einigt ihn nicht mit Gott, macht ihn also des höchsten Glückes nicht teilhaftig. c)- Der reine Idealismus (Lehre von der höchsten Vollkommenheit) weist über die unvollkommene Wirklichkeit hinaus. Allein dies anerkennenswerte Streben ist doch nur dann berechtigt, wenn dabei die Forderungen des praktischen Lebens nicht vergessen werden.
d) Der Pietismus, wie er bei Francke's Schülern, den Herrnhutern und Methodisten, sich entfaltet, betont die Sündhaftigkeit des Menschen und der Welt zu sehr und zeigt zu einseitig auf das Jenseits hin. — Allein der Mensch lebt vorerst in dieser Welt, er soll ein nützliches Glied der Gesellschaft sein und dadurch sich für das Jenseits vorbereiten. e) Die Zivilisation, K u l t u r (Sittigung), will den Menschen zum tüchtigen Glied der Gesellschaft, zum Staatsbürger, zum Patrioten erziehen durch Einführung in Kunst, Wissenschaft und Industrie etc. (Fichte *), Schwarz, Diesterweg). — Allein wir sollen nicht nur dem Kaiser geben,, was des Kaisers ist, sondern auch Gott, was Gottes ist. »Erziehung Ist die Aufforderung zur freien Selbstthatigkelt.« Flehte.
§51.
a. Zweck und Ziel der Erziehung im allgemeinen.
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f) Die Moralität (Sittlichkeit, Tugend) wird von Kant, Hegel*) etc. für das höchste Ziel der Erziehung, erklärt. — Allein so sehr diese Aufstellung unserer Ansicht begegnet, so vermögen wir doch ein höheres sittliches Ideal als das "Vorbild, das uns Jesus durch Lehre und Thun gegeben, weder zu erkennen noch anzuerkennen. Herbart s t e l l t als Z i e l d e r E r z i e h u n g n i c h t die Sittlichkeit, sondern die »Charakterstärke d e r S i t t l i c h k e i t « auf, d. h. im Z ö g l i n g soll ein im Dienste sittlicher Ideale stehender s t a r k e r k o n s e q u e n t e r W i l l e entwickelt, also ein sittlicher Charakter herangebildet werden. Zur Erreichung dieses Zieles ist es nötig, die f ü n f s i t t l i c h e n (praktischen) I d e e n auf den Zögling so wirken zu lassen, dafs er sie in ihrer Gesamtheit befolgen lernt. Diese sind: I n n e r e F r e i h e i t , V o l l k o m m e n h e i t , " W o h l w o l l e n , R e c h t l i c h k e i t und B i l l i g k e i t . 1. Innere Freiheit ist da, wo das von der Einsicht als
das sittlich Beste Erkannte auch gewollt, das Böse aber verabscheut wird. Wer seiner inneren Überzeugung nach das Beste thut, ist g e w i s s e n h a f t , ist frei. Wenn der Zögling sein Wollen der höheren Einsicht des Erziehers unterordnet, also g e h o r s a m ist, so befindet er sich erst auf dem Wege zur inneren Freiheit. (Beispiel: Sokrates, von der eigenen Ün.schuld überzeugt, verschmäht die Flucht und trinkt mit Standhaftigkeit den Giftbecher. Obwohl im Gefängnis, stirbt er doch als freier Mann.) 2. Die Yollkommenhelt (relativeI) ist da, wo das Wollen •des Einzelnen e n e r g i s c h , v i e l s e i t i g und doch zugleich h a r m o n i s c h ist und — wie z. B. Mut, Ausdauer, Fleiis und jede grolse That— Beifall findet. (Cäsar, Napoleon, Friedrich der Grofse.) Alles schwache, einseitige, sich widersprechende Wollen findet Milsfallen (Heinrich IV.). 3. Das Wohlwollen ist da, wo man fremdem Wollen dieselbe Erfüllung wünscht, wie dem eigenen, wo man anderen alles Gute gönnt. Aus dem Wohlwollen folgt die Nächstenliebe, welche das Christentum bis zur Feindesliebe ausgebildet; :sodann Mitleid, Dienstfertigkeit, Wohlthätigkeit, Versöhnlich•Dle Erziehung Ist die Kunst, den Menschen sittlich zu machen.Hegel.
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Die Erziehangslehre im engeren Sinne.
keit etc. (Jonathan, der barmherzige Samariter, Christus). Das Übelwollen wünscht dem Nächsten Böses, ist Bosheit, Schadenfreude, Grausamkeit etc. Das als Übelwollen erscheinende Zurückweisen fremden Wollens beim S t r a f e n ist im Grunde Wohlwollen. 4. Die Rechtlichkeit ist da, wo das Wollen, um jeden Streit zu vermeiden, nur soweit auf einen Gegenstand Anspruch macht, als es nach vorheriger Übereinkunft darf. In öffentlicher Beziehung heifst sie G e s e t z l i c h k e i t , in privater R e d l i c h k e i t . Aus ihr folgen: Gemeinsinn, Patriotismus, Verträglichkeit, Wahrhaftigkeit, Treue, Worthalten. (Abraham: Lieber, lafs nicht Streit sein zwischen uns beiden. Willst du zur Rechten, so geh ich zur Linken etc.) — Dagegen Streitsucht, Ungesetzlichkeit, Unredlichkeit, Lug und Trug erregen Miisfallen. (Ahab und Naboth.) 5. Die Billigkeit ist da, wo das Wollen W o h l - oder W e h e t h a t so v e r g i l t , dafs ein gleiches Mafs von Wohl und Wehe auf den Wohl- oder Übelthäter zurückfallt. (Joab ersticht Absalom im Kampfe, den dieser gegen seinen Vater heraufbeschworen hatte.) Die Vergeltung der Wohlthat durch den Empfänger ist D a n k b a r k e i t ; die Vergeltung der Wehethat ist R a c h e . Die Rache (Zorn) ist zu mifsbilligen. Die Vergeltung gehört nicht dem Einzelnen, sondern der G e s e l l s c h a f t , in höchster Instanz Gott 1 ). g) Die Humanität (vollkommene Menschlichkeit) will harmonische Entwicklung aller Gaben und Kräfte des Zöglings zu einem edlen u n d vollkommenen Menschen (Niemeyer, Dittes etc.) Damit sind wir einverstanden in dem Sinne, als wir sagen: die vollkommenste Menschlichkeit ist u n s in Jesus dargestellt. h) Die christliche Humanität (Pestalozzi) will die naturgemäfse Entwickelung des Menschen, will i h n brauchbar f ü r das Leben bilden, aber auch seinen Sinn auf das Höhere und Göttliche richten; sie will den Menschen zivilisieren, moralisieren, humanisieren, ihn dahin bringen, dafs e r a l l e diese Ziele in sein Wollen aufnehme und sein Handeln k o n s e q u e n t sittlichen Grundsätzen unterordne, dais e r 1) Rächet euch seihst nicht, meine Liebsten, sondern gebet Baum dem Zorn ,denn es stehet geschrieben: Die Rache Ist mein; Ich will vergelten, spricht der Herr. Paulus a. d. Römer 12, 19.
§ 52.
II. Die besonderen Zwecke der Erziehung.
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mit einem Wort ein s i t t l i c h e r C h a r a k t e r werde. Die c h r i s t l i c h e H u m a n i t ä t v e r e i n i g t sonach alle die a n g e g e b e n e n Z w e c k e in s i c h und i s t d a r u m a l s das e i n z i g r i c h t i g e Z i e l der M e n s c h e n e r z i e h u n g festzuhalten. § 52. II. Die besonderen Zwecke der Erziehung.
1. Falst man die m e n s c h l i c h e N a t u r ins 'Auge, welche (nach dem Hauptzwecke) harmonisch herausgestaltet werden soll, so erhält man nach dem Unterschiede in der Natur des werdenden Menschen (Leib und Geist) auch eine Scheidung des Erziehungszweckes. a) Die p h y s i s c h e E r z i e h u n g bezweckt die Herausbildung eines gesunden und wohlgeübten K ö r p e r s , damit dieser ein geschickter Träger, ein williger und wohlgefälliger Diener des Geistes werde. b) Innerhalb der g e i s t i g e n E r z i e h u n g bezweckt aa) die i n t e l l e k t u e l l e Erziehung einen kenntnisreichen und denkenden Geist (Erkennen); bb) die ä s t h e t i s c h e ein tiefes Gefühl für alles Schöne, Hohe und Edle (Fühlen); cc), die m o r a l i s c h e und r e l i g i ö s e einen für die gute That stets bereiten Willen (Wollen), eine Erhebung des Geistes zu Gott, ein Streben nach Erreichung des göttlichen Vorbildes Jesu. 2. Da jede der d r e i H a u p t t h ä t i g k e i t e n der Erziehung (Pflege, Zucht und Unterricht § 7) ihren besondern Zweck verfolgt, so wird auch dadurch der allgemeine und einheitliche oder der Gesamtzweck der Erziehung in untergeordnete Zwecke zerlegt und zwar in Zwecke der Pflege, der Zucht und des Unterrichts. a) D e r Zweck der P f l e g e ist: Unterstützung der natürlichen Entwickelung des Zöglings. b) Der Z w e c k der Z u c h t ist: Gewöhnung des Zöglings an das rechte Leben.
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Die Erziehungelehre im engeren Sinne.
c) Der Z w e c k d e s U n t e r r i c h t s ist: Vermittlung der zum Wollen des Guten antreibenden E i n s i c h t , damit der Zögling selbstbewufst sein Lebensziel verfolgen kann. Anmerkung. Die Darlegung der b e s o n d e r e n Zwecke der Erziehung ist eigentlich nur eine Specialisierung des Gesammtzweckes: dafs der Mensch nach allen Richtungen hin möglichst tüchtig gemacht werden müsse, um seine Bestimmung erreichen zu können.
Vierter Abschnitt.
Das Erziehungsverfahren. Jede auf einen bestimmten Zweck abzielende Thätigkeit hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie nach einem wohlüberlegten Plane vor sich geht. Auch das Erziehungsverfahren erfordert solch ein planmäfsiges Vorgehen, das unter steter Festhaltung des Zieles a) die zur Erreichung des Zweckes entsprechenden M i t t e l aufsucht und b) die G r u n d s ä t z e feststellt, nach welchen die Mittel zur Verwendung kommen sollen. Die planrnälsige und grundsätzliche Ausübung der Erziehungsthätigkeit heifst M e t h o d e . Die Lehre vom Erziehungsverfahren behandelt demgemäfs l . d i e E r z i e h u n g s m i t t e l , 2. d i e E r z i e h u n g s g r u n d s ä t z e , 3. die E r z i e h u n g s m e t h o d e . 1. Kapitel.
Die Erziehungsmittel. § 53. Begriff der Erziehungsmittel.
1. Zwecke erreicht man durch Mittel, E r z i e h u n g s z w e c k e durch E r z i e h u n g s m i t t e l .
Im allgemeinen ist Erziehungsmittel alles, wodurch der Erzieher auf den Zögling zur Erreichung des Erziehungszweckes einwirkt oder einwirken läfst. Die Erziehungsmittel im b e s o n d e r e n sind, wenn man die N a t u r d e s Z ö g l i n g s ins Auge fafst, nach den b e -
§ 53.
Begriff der Erziehung.
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s o n d e r e n Z w e c k e n der Erziehung (§ 52, ad 1) a) p h y s i s c h e , z. B. Nahrung, Kleidung, Bewegung, Luft, Licht, Spielsachen etc. und b) g e i s t i g e (für die intellektuelle, ästhetische, moralische und religiöse Erziehung); dazu gehören beispielsweise Kräfte, Triebe, Neigungen etc. des Zöglings, andererseits BildungsstofEe, als: Kenntnisse und Fertigkeiten, Wissenschaften und Künste, Ansichten und Überzeugungen etc., welche dem Zögling v e r m i t t e l t werden sollen. Vermittelt? — Wodurch? — Durch Mittel, — so dals die eben angeführten Erziehungsmittel gewissermaßen wieder zu Z w e c k e n werden. Denkt man 2. an die H a u p t e r z i e h u n g s t h ä t i g k e i t e n , durch welche die Erziehungsmittel zur Erreichung der besonderen Zwecke der Pflege, der Zucht und des Unterrichts (§52, ad 2) in Bewegung gesetzt werden, so erhält man a) M i t t e l der Pflege, als: Nahrung, Kleidung, Bewegung, Organisation, der Umgebung etc.; b) M i t t e l der Z u c h t , als: Gebot, Vorschrift, Ermahnung,- Warnung, Drohung, Belohnung, Strafe etc.; c) M i t t e l des U n t e r r i c h t s , als: Lehrgegenstände, Bücher etc. Sobald diese Mittel durch die Erziehungsthätigkejt in Anwendung gebracht werden, unterstützen sie sich gegenseitig. Die Mittel der Pflege fördern die Zucht und den Unterricht, die Mittel der Zucht die Pflege und den Unterricht, die des Unterrichts die beiden ersten. So erscheinen sie einmal als M i t t e l , das anderemal als Zwecke. Die Zwecke hinwieder werden in ihrem Verhältnis zu einander zu Mitteln. Erwägt man 3. dafs der E r z i e h e r zur Erreichung des Erziehungszweckes verschiedenes in Bewegung setzt, die Einflüsse der Umgebung regelt etc., so erscheint auch er als Erziehungsmittel, wenn auch als das leitende, die übrigen Mittel am meisten beeinflussende. 4. Dieses vielfache I n e i n a n d e r f l i e f s e n von Mitteln und Zwecken der Erziehung, sowie der Umstand, dafs die Mittel eine r e a l e Trennung weder vom Erzieher, der sie anwendet, noch vom Zögling, auf den sie angewendet
Die EräehungBlehre im engeren Sinne.
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wenden, zulassen, macht den Begriff der Erziehungsmittel zu einem schwankenden. Es werden daher hier nur diejenigen Erziehungsmittel einer näheren Besprechung unterzogen, w e l c h e m e i s t a l s d i r e k t e E i n w i r k u n g e n des E r z i e h e r s auf den, Z ö g l i n g a n z u s e h e n sind.
Zu diesen Erziehungsmitteln rechnen wir: 1. das B e i s p i e l , 2. die A u f s i c h t , 3. die B e s c h ä f t i g u n g , 4. die B e l e h r u n g , 5. den B e f e h l , 6. die B e l o h n u n g und 7. die S t r a f e . § 54. 1.
Das Beispiel.
1. Das Beispiel ist das w i r k s a m s t e und darum das e r s t e und w i c h t i g s t e Erziehungsmittel. Es ist »die Anschaulichkeit in der Erziehung« (Curtmann) und gibt dem Zöglinge ein b e l e h r e n d e s Bild von dem, w a s und wie er thun und reden soll; es e r m u n t e r t ihn zugleich, das zu leisten, was ihm in seinen Verhältnissen zu leisten möglich ist. Die Wirkung des Beispiels beruht auf der Kräftigkeit des Nachahmungs- und Ehrtriebes, vermöge deren das Kind hinter anderen nicht zurückstehen will, es ihnen vielmehr gleich zu thun sucht. 2. Man unterscheidet: a) das Beispiel des E r z i e h e r s , b) das der U m g e b u n g und c) das h i s t o r i s c h e Beispiel. a) Des Erziehers heiligste Pflicht ist es, dem Zöglinge stets 1 ) ein g u t e s Beispiel zu geben; er mufs stets s e i n , was dieser w e r d e n soll; sein Leben hat zusammenstimmen mit seinen guten L e h r e n (s. § 4 9 , 2e); nur dann wirkt das Beispiel. Wollte der Erzieher sagen: »Haltet euch an meine Worte und nicht an meine Thaten,« so sei ihm erwidert: »Worte b e w e g e n , Beispiele r e i f s e n hin.« X)
Ob du wachest oder ruhest, Denke stets, d&Ts du dir selber nicht lebest; Was du lässest oder thuest, Nie verglfs, daß du ein Beispiel gebest. Aus dem Schl-Klng, übers, v. R ü c k e r t .
§ 54. Das Beispiel.
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b) Auch das Beispiel der U m g e b u n g ist von grölstem Einfluis auf die sittliche Entwicklung des Zöglings. Grundlegende Bedeutung hat vor allem das Beispiel der F a m i l i e . Wächst das Kind im Elternhause in einer sittlichen Atmosphäre auf, atmet es hier sittlich reine Luft, empfängt es hier nur gute Eindrücke, so wird ihm das Gute zur Gewohnheit'). In der S c h u l e ist das Beispiel der M i t s c h ü l e r von nicht zu unterschätzender Tragweite, besonders das Beispiel der älteren Schüler, denen die neueintretenden alles gerne nachmachen. Läfst darum der Lehrer schlechte Schulgewohnheiten nicht aufkommen, so pflanzt sich der einmal heimisch gewordene gute G e i s t der Schule um so leichter fort. — Hierher gehört auch der U m g a n g der K i n d e r a u f s e r h a l b der F a m i l i e und Schule. Die Gesellschaft (Spielgenossenschaft) des Kindes sollte nur mit aller möglichen Vorsicht ausgewählt, entsprechend beobachtet, nötigenund möglichenfalls aber geändert werden. c) Die Beispiele der G e s c h i c h t e , der heiligen wie der Profangeschichte, sind von besonderem Werte. Das Leben und Wirken edler, hochherziger, gottbegeisterter Menschen, dargelegt in geeigneten Charakterbildern, bietet nicht blofs viel des Interessanten, sondern reizt auch gewaltig zur Nachahmung2). (Auch Sage, Märchen, Fabel und Gleichnis lassen sich zu diesem Zwecke benützen.) 3. Anwendung und W i r k u n g des B e i s p i e l s . So lange das Kind nicht unterscheiden kann, was gut und böse ist, so lange gibt es für dasselbe weder ein gutes noch ein böses Beispiel. Was auf dasselbe den gröfeten und günstigsten Eindruck macht, das ahmt es nach, auch das Böse. Selbst wenn das sittliche Urteil des Kindes schon 1)
Zu stehn In frommer Eltern Pflege, Welch schöner Segen für ein Kind. Ihm sind gebahnt die rechten Wege, Die vielen Bchwer zu finden sind..
2)
Ein grofses Master weckt Nschelferung Und gibt dem Urteil höhere Gesetze. S c h i l l e r , Wallensteins Lager, Prolog.
Uhland.
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
reifer wird, kann das Beispiel des Bösen noch verwirren. Es mufs deshalb als Hauptgrundsatz gelten, dafs dem Zöglinge überhaupt z a h l r e i c h e Beispiele des G u t e n , durch den Erzieher nur solche, zu p o s i t i v e r Wirkung gegeben werden. Obwohl das b ö s e Beispiel dazu dienen kann, die traurigen Folgen der Sünde dem Zöglinge zum Bewufstsein zu bringen, so darf es doch nur selten angewandt werden, weil zwar in den Beispielen der Geschichte die Folgen des Bösen zu Tage treten, dieselben aber in den Beispielen aus dem Leben nicht immer sofort sichtbar werden, und weil nach der Erfahrung böse Beispiele gute Sitten verderben, also n e g a t i v wirken. Am w i r k s a m s t e n ist das Beispiel, wenn a) das Kind W i r k l i c h e s erlebt, sieht und hört und dadurch u n m i t t e l b a r e E i n d r ü c k e auf s e i n G e m ü t •empfängt. Wenn die Kinder sagen können: »Und wir, wir waren auch dabei«, so hinterläfst die Begebenheit einen viel tieferen Eindruck bei ihnen, als wenn sie dieselbe nur vom Lesen oder Hörensagen kennen; wenn b) das Beispiel auf die P e r s o n und die V e r h ä l t n i s s e d e s K i n d e s p a f s t , also z. B. dem Ehrgeizigen das bescheidene Wesen seines Nachbarn, dem unzufriedenen reichen Kinde das Beispiel eines armen, doch in Zufriedenheit glücklichen Kindes vorgehalten wird; wenn c) das gute Beispiel ihm bei der M e h r z a h l der M e n s c h e n , die es kennen lernt, als g u t e S i t t e vor Augen tritt. Am Geländer guter Sitte rankt die Sittlichkeit empor. Anmerkung 1. Die wunderbar grofse Macht des Beispiels haben schon die Pädagogen der ältesten Kulturvölker erkannt. Die p e r s i s c h e n Knaben fühlten eich zur Mäisigkeit angetrieben, weil sie sahen, dais die Alten den ganzen Tag über mäfsig lebten. Der spartanische Knabe lernte durch das Beispiel des freien Bürgers Selbstbeherrschung, während die Trunkenheit des verachteten Heloten in ihm Abscheu erzeugen sollte. Der Römer nahm, dem Satze Senecas entsprechend : »Lang ist der Weg durch Vorschriften, kurz und wirksam durch Beispiele«, seinen Sohn mit zu den öffentlichen Gastmählern, um durch mäfsiges und ordentliches Verhalten diesen zur Nachahmung anzureizen. Bei den
§ 55. 2. Die Aufsicht.
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J u d e n war das Beispiel ein wesentlicher Erziehungsfaktor. In der c h r i s t l i c h e n Pädagogik, für die es als höchste Aufgabe gilt, den Zögling zu bestimmen, dais er in die Fufstapfen Jesu tritt, steht das Beispiel an der Spitze aller Erziehungsmittel. Anmerkung 2. Die Wirksamkeit des Beispiels hängt ganz von der P e r s ö n l i c h k e i t des Erziehers ab. Welch unverwischbaren Einflufs Worte, Gebete und Handlungen liebender Eltern und Lehrer auf die Jugend üben können, lieise sich an Tausenden von Beispielen nachweisen. So sei z. B. nur an S o k r a t e s erinnert, von dem Alkibiades im »platonischen Gastmahl« sagt: »Vor ihm allein schäme ich mich; denn ich fühle in meinem Innersten, daTs ich nicht imstande bin, ihm zu widersprechen. Öfters gehe ich ibm aus dem Wege und meide ihn, wenn ich kann. Kommt er mir aber entgegen, so schäme ich mich, weil ich meinen eigenen Zusagen und Bekenntnissen so zuwider lebe.« — Man denke an M o n i k a , die Mutter Augustins, an S p e n e r s Geständnis: »Die Gebete meines Vaters umringen mich«; an P e s t a l o z z i s Jugendjahre, in welchen die Mutterliebe das G e m ü t zum Mittelpunkt seiner Persönlichkeit gestaltete etc. § 55. 2.
Die Aufsicht.
1. Die Wirksamkeit des Beispiels setzt die B e o b a c h t u n g desselben durch den Z ö g l i n g voraus, die Beaufsichtigung dagegen verlangt die W a c h s a m k e i t d e s E r z i e h e r s über den Zögling. 2. Die Aufsicht b e z w e c k t a) die K e n n t n i s d e r I n d i v i d u a l i t ä t d e s Z ö g l i n g s , b)die R e g e l u n g s e i n e s Verhaltens. a) Der erste, mehr allgemein pädagogische Zweck der Aufsicht geht dahin, den Zögling durch Beobachtung seiner Natur, seines äufsern und innern Wesens, der Entwicklung seiner Sinnes- und Denkart genau k e n n e n zu lernen. Solch genaue Kenntnis ist notwendig, weil der Erzieher wissen mufs, w e l c h e r M i t t e l er sich in der Erziehung zu bedienen und w i e er dieselben anzuwenden hat; zugleich wird er dadurch inne, was für E r f o l g e e r beim Zöglinge erzielt.
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
b) Der andere, mehr disziplinarische Zweck der Beaufsichtigung (für welchen der erste gewissermaßen zum Mittel wird), soll durch V e r h ü t u n g und B e w a h r u n g erreicht werden; beide wollen das V e r h a l t e n des Z ö g l i n g s regeln. aa) Die Verhütung. Bemerkt der Erzieher, dafs der Zögling aus Unverstand oder Schwäche des Willens, nur beherrscht von sinnlichen Trieben und Begierden, thut, was ihm körperlich oder geistig gefährlich, und schädlich werden kann, was ungesund, unschicklich, unsittlich etc. ist, oder was er entbehren lernen muís: so wird er dem Zögling eine S c h r a n k e setzen, indem er die Ausführung seines verkehrten Wollens hindert, sie ihm verwehrt, vers a g t und damit das Schädliche, Gemeine und Unsittliche fernhält, d. h. v e r h ü t e t . Die Verhütung bekämpft die Herrschaft der Natur in n e g a t i v e r Weise. bb) Die Bewahrung. Bemerkt dagegen der Erzieher, dafs der Zögling nur will und thut, was für seine körperliche Entwicklung (in Bezug auf Nahrung, Kleidung, Bewegung, Ruhe etc.) nötig und vorteilhaft ist, oder was ihn in geistiger Beziehung fördern kann (Beispiel und Erfahrung, Spiel und Arbeit etc.): so wird er den Zögling g e w ä h r e n lassen und ihm geeigneten A n l a f s (Anreiz) zum Gut- und Rechtthun geben, um ihn dadurch im Guten zu bewahren. Die Bewahrung ist also einerseits ein G e w ä h r e n , anderseits «in D a r b i e t e n ; sie bekämpft die Herrschaft der Natur in p o s i t i v e r Weise. 3. Wert der A u f s i c h t für die Charakterbildung. Verhütung und Bewahrung wirken u n m i t t e l b a r auf den Willen des Zöglings. Dieser wird dadurch so geleitet, dafs er nicht seinen, sondern den Willen des Erziehers thut. {Im Weigerungsfalle wird das Mittel der Strafe beigezogen.) Durch den konsequenten Anschlufs des Zöglings an den Willen des Erziehers entstehen bei jenem feste G e w o h n h e i t e n oder A n g e w ö h n u n g e n , welche für die erste Stufe der Charakterbildung sehr wichtig sind. (Macht der Gewohnheit § 60, Schlufsbemerkung.)
§ 55.
2. Die Aufsicht.
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4. V e r f a h r e n bei der A u f s i c h t . Die den Zögling stets an seine Pflicht erinnernde Beaufsichtigung ist ein Beweis dauernden Miistrauens von Seite des Erziehers, das ersterer unangenehm empfindet, weshalb die Aufsicht stets mit entsprechender Vorsicht anzuwenden ist. Darum soll der Erzieher a) seine Zöglinge s c h a r f b e o b a c h t e n , damit er physische und moralische Gefahren entdecken, ferne halten, eine gute Lebensordnung befestigen und der Strafe vorb e u g e n kann. »Man mufs die Augen aufmachen und das Dreinschlagen verhüten.« b) Der Erzieher wache aber auch zugleich mit dem Auge der L i e b e und gebe genügende A n l ä s s e zum Rechtthun. Die stete Aufsicht darf nicht zur Zwangsjacke werden, die jede freie Bewegung des zur Selbständigkeit aufstrebenden Zöglings hindert und dafür Unaufrichtigkeit und Heuchelei erzeugt. »Aufseher soll der Erzieher sein, aber nie ohne Not als Aufseher erscheinen.« (Sailer.) Fern bleibe daher das Auflauern, Behorchen, Überlisten, das obendrein geeignet ist, den Erzieher verhaist zu machen. Der Erzieher soll a l l e s sehen, aber er muís auch einmal »durch die Finger sehen« und schweigen können. c) Am meisten ist die Beaufsichtigung in der e r s t e n J u g e n d nötig, in welcher die Unkenntnis, Unbeholfenheit und moralische Schwäche des Zöglings stete Beihilfe erheischen. — Dasselbe gilt von Schulen mit grolser Schülerzahl, wo die Schüler leicht einander zu nahe treten und jede Lässigkeit in der Aufsicht die Lebensordnung stören, -den Unterrichtserfolg in Frage stellen und die Sittlichkeit gefährden kann. d) Je weiter die Erziehung fortschreitet, je mehr die sinnlichen Begierden vom Zögling überwunden werden, je mehr seine Entschlüsse festen Grundsätzen entstammen, desto mehr muís man dem Zöglinge v e r t r a u e n und in der Beaufsichtigung nachlassen, damit er der mehr und mehr erwachenden sittlichen Kraft sich bewufst werde. In Schulen kann man darum unbedenklich die besseren Schüler als Aufseher der übrigen bestellen.
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Die Erzieliungslehre im engeren Sinne.
§ 56. 3.
Die Beschäftigung.
1. Zweck. Die Aufsicht über den Zögling wird wesentlich erleichtert durch z w e c k e n t s p r e c h e n d e , r e g e l m ä i s i g e B e s c h ä f t i g u n g desselben. Diese soll ihm fortwährend A n l ä s s e bieten, seinen T r i e b zur T h ä t i g k e i t in der r e c h t e n Weise zu befriedigen, seine Gedanken, Begehrüngen und Strebungen von dem verbotenen Baume ab- und auf andere Gegenstände hinzulenken. 2. R e g e l m ä i s i g e Beschäftigung ist n o t w e n d i g a) zur Befriedigung g e i s t i g e r Bedürfnisse. Tritt bei dem Zögling ein zu g e r i n g e r Wechsel in der Thätigkeit und damit in den Vorstellungen ein, so fühlt er Langeweile, Und es entstehen in ihm manchfache Neigungen und Begierden, die nicht selten schlimmer Art sind und, indem sie nach Befriedigung streben, die sittliche Ordnung des Ganzen stören, dem der Zögling angehört. Es ist daher das Sprichwort richtig: »Müfsiggang ist aller Laster Anfang.« — Tritt dagegen ein zu r a s c h e r Wechsel der Beschäftigung ein, so führt dies zu einem unbeständigen, hin- und herschwankenden, zerstreuenden und zerstreuten Thun und schliefslich ebenfalls zum Müfsiggang. Als ein besonders wichtiges und erfolgreiches Mittel der geistigen Beschäftigung erscheint der U n t e r rieh t, der einerseits der Ordnung Vorschub leistet und durch den andrerseits die Bildung des Gedankenkreises erfolgt, in welchem zum grofsen Teile das Wollen wurzelt, was in der U n t e r r i c h t s l e h r e weiter ausgeführt ist. Die Beschäftigung befriedigt aber auch b) ein k ö r p e r l i c h e s Bedürfnis. Kinder können nicht lange stille sitzen; es ist für sie eine Pein, sich ruhig verhalten zu müssen und die Glieder nicht rühren zu dürfen. Der Körper des Zöglings selbst fordert die Bewegung. Alle körperlichen Beschäftigungen im Hause und alle Unterrichtsgegenstände, welche nebenher Veranlassung zur Bewegung des Leibes geben, befriedigen den
§ 56.
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3. Die Beschäftigung.
Bewegungstrieb und fördern gleichzeitig die Entwicklung des körperlichen Organismus. Besonders sind hier das T u r n e n und das S p i e l , in erster Linie die B e w e g u n g s spiele, hervorzuheben, weil diese das körperliche und geistige Bewegungsbedürfnis zugleich befriedigen. Auch daran ist zu erinnern, dafs durch das beim Schulunterricht übliche Aufheben der Hände, durch das Aufstehen und Niedersitzen, durch die von der Schulordnung verlangten »kleinen Arbeiten« etc. dem Bewegungstrieb einiger Vorschub geleistet wird. Desgleichen dienen die Handarbeiten, die Beschäftigung in der Baumschule etc. diesem Zwecke. 3. Hinsichtlich der A n w e n d u n g der B e s c h ä f t i g u n g als Erziehungsmittel ist folgendes zu beachten: a) Die Kind et sollen nur mit N ü t z l i c h e m beschäftigt werden. b) Die Beschäftigungen müssen mit einer gewissen R e g e l m ä f s i g k e i t wiederkehren, dürfen nicht so rasch wechseln,- dafs Zerstreuung, und nicht so lange andauern, dafs Abspannung oder Ekel bei dem Zögling eintritt. Arbeit und Erholung müssen im rechten Verhältnisse stehen. c) Bei jeder Art der Beschäftigung sind die S c h w i e r i g k e i t e n derselben, das A l t e r und die B e g a b u n g der Zöglinge und die Verhältnisse, unter welchen die Arbeiten auszuführen sind, zu berücksichtigen. Wenn B e i h i l f e nötig* ist sie gerne zu gewähren. d) Die Beschäftigungen sollen w o m ö g l i c h der N e i g u n g des Kindes entsprechen oder doch eine solche bald erzeugen und in der Ausführung, die freilich o r d e n t l i c h sein mufs, weil sie an O r d n u n g gewöhnen soll, noch immer einen freien Spielraum gestatten, damit das Kind, während es im Sinne des Erziehers handelt, doch in der Ausführung seine eigenen Wege einschlagen kann. 4. W e r t d e r B e s c h ä f t i g u n g . Wird der Thätigkeitssinn immer richtig geleitet, so wächst bei der steten, regelmäfsigen Beschäftigung des Zöglings mit nützlichen Dingen dessen S e l b s t ä n d i g k e i t ; dem aus der allzugrofsen kindlichen Lebhaftigkeit herauswachsenden Mutwillen geschieht hinreichend Abbruch, manche Temperamentsfehler werden Böhm, Praktische Erzlehungslehre.
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
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gemildert, und es entwickelt sich nach und nach ein nüchterner Sinn und ein besonnener Geist, der die A r b e i t als L e b e n s b e d ü r f n i s e r k e n n e n und f ü h l e n lernt und der vor den Fallstricken bewahrt, in welche der Müfsiggang stürzt'). »Wo die Umgebung so beschaffen ist, dafs die kindliche Beweglichkeit von selbst die Geleise des Nützlichen findet, und sich darin erschöpft, da geht die Regierung am besten.« (Herbart.) § 57. 4. Belehrung und Lektüre.
1. Der Zögling soll nicht gedankenlos, sondern d e n k e n d handeln lernen, er soll wissen, w a s er thut und die Verantwortung für sein Handeln jederzeit vor Gott, der Welt und seinem eigenen Gewissen zu übernehmen vermögen. Es ist deshalb nötig, dafs er in allem Guten recht gründlich unterwiesen werde. Zu dem Zwecke wendet sich
die Belehrung
a) an das D e n k v e r m ö g e n des Zöglings und setzt auseinander, was zu beherzigen, was zu thun und was zu lassen sei. Dies ist die i n t e l l e k t u e l l e Belehrung. b) Wendet sich die Belehrung zugleich auch an das G e f ü h l und den W i l l e n , um dem Zöglinge die s i t t l i c h e Seite klar zu machen, um ihn merken und fühlen zu lassen, dals etwas gut oder böse sei, und um ihn geneigt zu machen, das Gute zu billigen und das Böse zu mifsbilligen, so wird sie zur moralischen Belehrung, die wirkungslos oder gar auch schädlich wird, wenn sie in seichtes oder zu häufiges »Moralisieren« ausartet, weil solches dem Zögling zum Überdrufs werden und ihn zur Opposition herausfordern kann. 1)
Arbeit und Segen Gehen auf gleichen Wegen. Arbeit macht das Leben süfs, Macht es nie zur Last etc. Arbeit ist des Bürgers Zierde, Segen Ist der Mühe Preis. S c h i l l e r , Glocke.
§ 5 7 . 4. Belehrung und LektOre.
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c) Nimmt die moralische Belehrung den Charakter der D r i n g l i c h k e i t an und bezieht sich dieselbe auf einz e l n e V o r f ä l l e und Persönlichkeiten, so wird sie zur V o r s t e l l u n g , zum V o r h a l t . Die Belehrung kann in v e r s c h i e d e n e r Form erfolgen. Sie erfolgt g e l e g e n t l i c h durch Vater und Mutter im Anschlufs an die Vorgänge des täglichen Lebens und an die Erfahrungen des Zöglings. Da diese Belehrungen in dem Moment erfolgen, in welchem sie das G e m ü t des Zöglings offen, denselben in der r e c h t e n S t i m m u n g finden, so sind sie von grofser Wirkung. (Die bei einem Spaziergang im Frühling angebrachten Belehrungen über die Schönheit der erwachenden Natur machen z. B. einen tiefen Eindruck.) Die Belehrung kann aber auch in z u s a m m e n h ä n g e n d e r und s y s t e m a t i s c h e r Weise und in bestimmten Zeiten gegeben werden, also e i g e n t l i c h e r U n t e r r i c h t sein. Derselbe ist zwar nicht immer so wirksam, als die bei passender Gelegenheit eingestreute Belehrung, aber trotzdem unentbehrlich, da die M e n g e des notwendigen Wissens nicht durch gelegentliche Belehrung, sondern nur durch planmäfsigen und zusammenhängenden Unterricht erworben werden kann. Um aber den Schüler für den systematischen Unterricht vorzubereiten, ist es nötig, dafs der e r s t e Schulunterricht möglichst die Form der gelegentlichen Belehrung behalte und an den Umgang des Schülers, an das Schulleben und die vorhandenen Anschauungsmittel anknüpfe. 2. Der Zögling schöpft Belehrung nicht blofs aus dem mündlichen Wort, sondern auch aus der Lektüre. B ü c h e r und Schriften enthalten die hier in Betracht kommenden Belehrungen. Da aber der Zögling dieselben nicht nach ihrem Werte beurteilen kann, so ist es notwendig, dafs der Erzieher die rechten Bücher und Schriften auswähle. Die J u g e n d s c h r i f t e n sollen nicht läppische und kindische Geschichten enthalten, wohl aber in k i n d l i c h e m Ton gehalten und von einem e d l e n und s i t t l i c h e n G e i s t durchweht sein, gleichgeeignet, den Verstand zu erhellen, das Herz zu erwärmen und den Willen zum Guten anzuspornen. 10*
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Die Eiziehungslehre im engeren Sinne.
Da die Lektüre einen grolsen Einflufs auf die Willensrichtung des Zöglings gewinnen kann, so kommt es darauf an, a) dafs der Zögling nur Z w e c k m ä f s i g e s und Ang e m e s s e n e s lese (nichts Unverständliches, Schädliches etc.), b) dafs er s e l b s t t h ä t i g und d e n k e n d lese, um sich und anderen Rechenschaft darüber geben zu können, und c) dafs er nicht zu v i e l und nicht zu v i e l e r l e i lese, da das Viel- und Schnellesen wegen Anhäufung unverdauter Stoffe zur Einbildung und geistigen Verschrobenheit führt. Für Kinder eignen sich besonders anschauliche Erzählungen aus dem Leben der Gegenwart und aus der Geschichte (heiligen und profanen), ebenso auch Reisebeschreibungen (Robinson Crusoe). Der W e r t der Lektüre kann ein sehr bedeutender werden. Denn es wird durch dieselbe der G e s i c h t s k r e i s des Zöglings e r w e i t e r t , derselbe n ü t z l i c h beschäftigt, seine S p r a c h f e r t i g k e i t gefördert und durch gute Vorbilder sein Willensleben zu s i t t l i c h e n V o r s ä t z e n und E n t s c h l ü s s e n angeregt. § 58. 5.
Befehl, Auftrag, Aufgabe; Wunsch und Bitte, Rat.
1. D e r Befehl, a) B e g r i f f . Vermag die Belehrung die natürliche Trägheit oder irrige Vorstellungen und Gefühle des Zöglings, welche ihn vom Rechtthun abhalten, nicht zu beseitigen, so wendet sich der Erzieher durch den Befehl direkt und gebieterisch an seinen W i l l e n und fordert in scharf begrenzter Bestimmung Unterordnung unter seinen höheren Willen (Gehorsam, Folgsamkeit). Der B e f e h l , der positiv als G e b o t , negativ als V e r b o t erscheint, ist also die unzweideutigste Kundgabe des Erzieherwillens, aus welcher der Zögling erfährt, w a s nach dem Willen des Erziehers geschehen s o l l , und d a f s es geschehen m u f s . Durch den Befehl wird fremdes Wollen gewaltsam in das Bewufstsein des Zöglings gepflanzt, von demselben unb e d i n g t e r Gehorsam gefordert, L e g a l i t ä t (Gesetzlichkeit)
§ 58. 5. Befehl, Auftrag, Aufgabe; Wunsch und Bitte, Rat.
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erzeugt. M o r a l i s c h e s Handeln, M o r a l i t ä t (Sittlichkeit) wird damit nicht erzielt; dies ist erst möglich, wenn die durch den Unterricht gewonnenen Vorstellungen und Begriffe (Einsicht) auf den Willen des Zöglings bestimmend einwirken, d. h. wenn sein Wollen aus dem von den sittlichen Ideen beherrschten Gedankenkreise hervorgeht. b) A n w e n d u n g . Der Befehl wird überall a n g e w e n d e t , wo es sich darum handelt, einen momentanen (augenblicklichen) Einflufs auf den Zögling zu üben, ein ganz bestimmtes Thun unbedingt herbeizuführen und die indirekten Erziehungsmittel (Unterricht) zu unterstützen. Damit der Befehl, dem der Zögling g e h o r c h e n , f o l g e n mufs, der Charakterentwicklung nicht hinderlich wird, muís er mit der zunehmenden intellektuellen und sittlichen Bildung {wenn der Zögling sich selbst zu befehlen beginnt), s e l t e n e r werden. c) B e s c h a f f e n h e i t . Wie der p ä d a g o g i s c h e Bef e h l in jedem einzelnen Fall b e s c h a f f e n sein soll, läfst sich nicht angeben, im a l l g e m e i n e n aber muís er sein: aa) W e i s e und b e r e c h t i g t , d. h. so, dafs er den richtigen Erziehungsgrundsätzen und -Zwecken, der Kraft und den Verhältnissen des Zöglings entspricht. Zweckwidriges, Ungehöriges und Unmögliches darf nicht verlangt werden. bb) Klar und d e u t l i c h , d. h. so, dafs der Zögling sofort weifs, was er zu thun und zu lassen hat, dais jede Ausrede auf ein zwischenliegendes Mifsverständnifs unmöglich gemacht, dagegen sein Pflichtgefühl gestärkt werde. cc) K u r z und b e s t i m m t , d. h. in w e n i g W o r t e n , in den allermeisten Fällen o h n e Gründe. Diese müssen iür den Zögling in der A u t o r i t ä t des Erziehers liegen. Des Vaters knapper Befehl wird eher befolgt als das weitschweifige Gebot der Mutter. Kurz sei ferner der Befehl, damit der Zögling über dem Ende den Anfang nicht vergesse. Darum je jünger der Zögling, desto kürzer der Befehl, je älter, desto öfter Gründe. In der Kürze des Befehls ist auch dessen B e s t i m m t h e i t zum Teil mit eingeschlossen, doch erfordert diese
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
noch eine energische Form, einen e r n s t e n , k r ä f t i g e n (durch Blick oder Miene verstärkten) T o n , der keinen Zweifel darüber aufkommen lälst, ob gehorcht werden solle oder nicht. dd) K o n s e q u e n t und u n w i d e r r u f l i c h , d. h. so, dafs er mit dem obersten Erziehungszweck sich stets in Übereinstimmung befindet, aber auch unter k e i n e m Vorwande von der Durchführung absteht. Wo trotz des Geoder Verbotes dem Zögling noch die »Wahl« bleibt, da lernt er nicht gehorchen. ee) S p a r s a m und wohlwollend, d. h. n i c h t zu v i e l und n i c h t zu o f t , damit der Zögling nicht vergesse, was ihm befohlen worden. Die Menge der Befehle darf den Zögling nicht zu sehr einschränken, sondern mufs ihm noch Gelegenheit zur f r e i w i l l i g e n Bethätigung des Guten lassen. — In stark frequentierten Schulen liegt die Gefahr nahe, eine Überzahl von Geboten und Verboten zu erlassen; dies kann die Schüler leicht auf den Gedanken bringen, als ob der Lehrer nur aus Laune, Bequemlichkeit oder Herrschsucht befehle. Besondere Vorsicht erfordert das V e r b o t , das nicht selten erst recht zur Übertretung reizt. Die ausgesprochenen Forderungen gelten auch für jene besonderen Formen des Befehls, welche unter dem Namen allgemeine Vorschrift, Haus- und S c h u l o r d n u n g , D i s z i p l i n a r o r d n u n g , S c h u l r e g e l n , Schulgesetze etc. auftreten. Dieselben sind wegen ihrer a l l g e m e i n e n und d a u e r n d e n G ü l t i g k e i t von Wichtigkeit. Weil bei feststehenden Vorschriften die persönliche Forderung des Erziehers nicht so auffällig in den Vordergrund tritt als bei dem persönlichen Befehl, so werden sie im Durchschnitt lieber und williger befolgt. Sie erleichtern das Regierungsgeschäft insofern bedeutend, als z. B. in der Schule sich mit ihrer Hilfe eine ganze Menge von Geschäften in bester Ordnung vollzieht, ohne dais jedes einzelne befohlen werden muís. (Rechtzeitiges Kommen, anständiges Grülsen, ruhiges Sitzen etc.) Jede Erziehungsanstalt, die solche allgemeine Gesetze hat, stellt den konstitutionellen Staat vor, in welchem auch die Gesetze regieren und die Personen nur über die richtige Ausführung derselben wachen.
§ 58. 5- Befehl, Auftrag, Aufgabe; Wunsch und Bitte, Bat.
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Dagegen ist freilich hervorzuheben, dals in jeder Anstalt und Schule der Geist des Erziehers, seine ganze Persönl i c h k e i t das lebendige Gesetz darstellen muis, und dals, wo diese Voraussetzung fehlt, alle Disziplinargesetze wenig nützen. Umgekehrt ist aber nicht zu vergessen, dafs der Wille des Zöglings allmählich zur Selbständigkeit erstarken soll, um schliefslich die persönliche Einwirkung mehr und mehr entbehren und dem Gesetze freiwillig nachleben zu lernen. 2. Der Auftrag ist ein minder gemessener Befehl, der sich an die G e s c h ä f t i g k e i t des Zöglings wendet, ihm ?war das Ziel einer Thätigkeit angibt, aber f r e i e Hand in der Ausführung läfst. Aus dem letzteren Grunde werden Aufträge mit weit mehr Willigkeit ausgeführt als Befehle. Der Auftrag hat den Z w e c k , das Kind vor dem Müisiggang zu behüten, es au Beschäftigung zu gewöhnen, es bis zur Fertigkeit in derselben zu üben und ihm überhaupt die Richtung seiner Thätigkeit vorzuzeichnen. E r f r e u l i c h ist der Auftrag, wenn er der Neigung des Zöglings entspricht, e h r e n v o l l , wenn er zugleich einen Vertrauensbeweis oder eine Auszeichnung einschliefst. Schulkinder z. B. freuen sich und fühlen sich geehrt, wenn sie dem Lehrer irgend einen Dienst erweisen dürfen. 3. Die Aufgabe ist ebenfalls eine gemilderte Befehlsform, mit der man sich an die G e s c h i c k l i c h k e i t des Zöglings wendet und ihn veranlafst, zu zeigen, was er s e l b s t kann. Diese Aufforderung zur Selbsttätigkeit des Zöglings, welche sowohl dessen K r ä f t e als auch die ihm gegönnte Zeit berücksichtigen mufs, findet hauptsächlich beim Unterricht statt. (Siebe 2. Buch »Praktische Unterrichtslehre«: die aufgebende Lehrform.) 4. Wunsch und Bitte. Nicht zu allen Zeiten und bei allen Kindern bedarf es des Befehls, des Auftrags oder der Aufgabe. Manchmal ist es geraten, an deren Stelle die mildeste Form des Begehrens: W u n s c h und B i t t e treten zulassen. Der Erzieher wendet sich damit, bald mehr sondierend, bald mehr keimpflegend, an die auf Liebe und Mitgefühl gegründete W i l l i g k e i t des Zöglings. In manchen Fällen wird ein derartiges Begehren durch den H i n w e i s auf
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Die Erziehnngslehre im engeren Sinne.
Gott noch eindringlicher. Denn wenn das Kind u m G o t t e s w i l l e n etwas thun oder lassen soll, so wird ihm der Gehorsam zur r e l i g i ö s e n Pflicht gemacht. Wunsch und Bitte können überhaupt s e l t e n und dann nur bei solchen Kindern zur Anwendung kommen, von deren Auffassungsvermögen, Verständigkeit und Willigkeit der Erzieher die Erfüllung erwarten kann. (Harlefs.) 5. Der Rat. Wie der Befehl an die F o l g s a m k e i t , der Auftrag an die G e s c h ä f t i g k e i t , die Aufgabe an die G e s c h i c k l i c h k e i t des Zöglings appelliert, Wunsch und Bitte sich an seine W i l l i g k e i t wenden, so richtet sich der R a t mit Anführung von Gründen an dessen V e r s t ä n d i g k e i t und S e l b s t ä n d i g k e i t . Letztere ist dann vorhanden, wenn der Zögling die Ziele seines Strebens durch eigenes Nachdenken zu bestimmen vermag. Dies setzt aber eine lange Gewöhnung auch durch die übrigen Erziehungsmittel voraus. Zu früh darf darum der Rat nicht angewendet werden; es würde dadurch nur der unvernünftige Eigenwille des Kindes Stärkung finden. Die Erteilung von Ratschlägen ist somit nur bei den der Reife entgegengehenden Zöglingen, welche zur freien Selbstbestimmung hinübergeleitet werden sollen, als geeignet zu betrachten. Lohn und Strafe. Das Wollen und Thun des Menschen entspringt seinem Gedankenkreis, seiner Gesinnung. Bei Kindern ist aber der Gedankenkreis noch nicht geklärt, die Einsicht daher noch nicht gereift, die Gesinnung noch nicht gefestigt. Deshalb ist es leicht erklärlich, dafe die Kinder, welche Nutzen und Notwendigkeit des Befehlens, des Gebietens und Verbietens nicht immer einzusehen vermögen, sich öfters von der Erfüllung der Gebote durch s i n n l i c h e Eindrücke, besonders durch angenehme (wie solche Freiheit, Spiel, Genufs etc. verschaffen), abhalten lassen, den Befehl vergessen und, vom sinnlichen Hang getrieben, gerade das t h u n , was sie n i c h t t h u n sollen. Wo nun der s i n n l i c h e Hang noch so mächtig ist, dafs er den Inhalt des Befehls im Bewufstsein des Zöglings verdunkelt, wo der Zögling infolge dessen thut, was er nicht thun
§ 59.
6. Die Belohnung (i. w. S.)
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• soll, wo er die Folgen seines Thuns gar nicht bedenkt: da bedarf der Erzieher besonderer R e i z m i t t e l , um den Gedankenkreiß des Zöglings umzubilden, seinen Sinn vom Verkehrten auf das Gute zu lenken und zum Thun des letzteren aufs neue anzuspornen. Diese Reizmittel sind: Belohnungen und Strafen, deren Notwendigkeit hiermit in Kürze dargethan -werden soll. § 596. Die Belohnung (i. w. S.). 1. Begriff. Die Belohnungen sind die vom Erzieher dem Zögling freiwillig bereiteten angenehmen Folgen des Guten und, besonders im Anfange der Erziehung, ein mächt i g e s p o s i t i v e s R e i z m i t t e l zum Rechtthun. Sie erscheinen in der Erziehung als künstliche Stützen, welche in dem Grade beseitigt werden müssen, als das vernünftige Wollen des Zöglings wächst. Belohnungen verdienen nur diejenigen Zöglinge, welche ihre Pflicht in h e r v o r r a g e n d e r W e i s e erfüllen oder ü b e r i h r e P f l i c h t thun. Wer diese nur im gewöhnlichen Mafse erfüllt, darf nicht belohnt werden, sondern mufs den Lohn der Pflichterfüllung in dem Gefühl innerer Zufriedenheit erkennen, das die Folge der guten Handlung ist. »Jede gute That trägt ihren Lohn in sich.« Nur Leistungen und Verdienste1), der Fleifs etc., nicht aber Gaben, Anlagen und natürliche Vorzüge dürfen belohnt werden. Wer aber mit seinem Pfund wuchert, soll seinen Lohn haben. »Um sich seines Wertes unschuldig bewuist zu werden, ist dem Menschen fremde Wertschätzung unentbehrlich.« (Jean Paul.) 2. A r t e n der Belohnung. Die pädagogische Belohnung kann sein: a) L o b und E r m u n t e r u n g , b) E h r e n b e z e i g u n g und c) e i g e n t l i c h e B e l o h n u n g . a) L o b ist der Ausdruck der Z u f r i e d e n h e i t des Erziehers gegenüber dem b i s h e r i g e n Verhalten des Zöglings, während die Ermunterung zugleich die freundliche Zumutung enthält, den bisher betretenen Weg auch in Z u k u n f t einzuhalten, im Guten zu beharren. 1) Dem Verdienste seine Krone.
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Die Erziehangslehre im engeren Sinne.
Das Kind freut sich des Beifalls guter Menschen. Wirkt darum schon der s t i l l e Beifall (eine freundliche Miene, ein liebevoller, befriedigter Blick und Wink) wunderbar auf Herz und Gemüt der Jugend, so steigert sich diese Wirkung bedeutend, wenn der Erzieher Lob und Ermunterung in W o r t e n ausspricht. Dies ist in um so höherem Grade der Fall, wenn der Erzieher in grofsem Ansehen steht und die Liebe seiner Zöglinge besitzt. Es reichen zu solcher Wirkung, die der finstere, mürrische Erzieher nicht zu beurteilen vermag, obgleich sie für die k ü n f t i g e Gestaltung des jugendlichen Lebens von grofsem Werte ist, w e n i g k u r z e W o r t e hin, z. B. »Gutlc — »Bravl« — »Recht so!« — »Fahre nur so fortl« Lob und Ermunterung können unter Umständen öftersangewendet werden. Will man ihre gute Wirkung aber nicht abschwächen oder gar aufheben, so hüte man sieb vor zu häufigem und falschem Gebrauche (der oft Ausfluf» schlechter Schulgewohnheiten ist). b) Ehrenbezeigungen oder ehrende A u s z e i c h n u n g e n erwirbt sich ein Zögling, wenn er sich durch Solidität (Gediegenheit), Reinlichkeit, Höflichkeit, Fleifs etc. b e s o n d e r s hervorthut. Der Erzieher kommt damit dem E h r t r i e b und der E h r l i e b e des Kindes entgegen. Wäre bei demselben ein Bedürfnis zur Befriedigung des Ehrtriebes nicht vorhanden, wäre der Zögling völlig gleichgültig gegen Ehre und Schande, so müfste dies im hohen Grade bedenklich erscheinen. Glücklicherweise aber kommt das Ehrg e f ü h l und die E h r l i e b e bei den allermeisten .Kindern zum Durchbruch, ja es ist sogar oft grofse Sorgfalt nötig, damit jene sich nicht in S e l b s t g e f ä l l i g k e i t und Ehrg e i z verkehren. E h r e n b e z e i g u n g e n sind besonders in den S c h u l e n üblich und erfolgen durch Einräumung von E h r e n p l ä t z e n und Übertragung von E h r e n ä m t e r n . Anmerkung. Ehrenplätze nehmen die Bank- und Klassenersten ein, denen aber auch zugleich die Verpflichtung auferlegt wird, als Ordnungsgehilfen (Monitoren) den Lehrer in allerlei kleinen Geschäften, wie im Austeilen und
§ 69. 6. Die Belohnung (i. w. S.)
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Einsammeln der Hefte und übrigen Lehrmittel, Aufstellen und Reinigen der Wandtafel, Öffnen der Fenster etc. zu unterstützen. Die Übertragung dieser Geschäfte ist ein Beweis de& von dem Lehrer in die Klassen- und Bank-Ersten gesetzten Vertrauens, ihr Amt daher auch ein E h r e n a m t . Nur die sittlich tüchtigsten Schüler erhalten Ehrenplätze und Ehrenämter. Rechtfertigen sie das Vertrauen des Lehrers nicht, werden sie unordentlich, hochmütig oder ehrsüchtig, so verlieren sie Plätze und Ämter, welche sodann würdigere Schüler einnehmen und verwalten dürfen. Alle auffallenden, den Ehrgeiz wachrufenden und steigernden Ehrenbezeigungen, wie. P r ä m i e n und P r e i s b ü c h e r , O r d e n und besonders die feierliche Verteilung derselbenr sowie die Eintragung von G o l d p u n k t e n oder Namen in M e r i t e n t a f e l n sind gefährlich. Denn gar zu bald werden solche Auszeichnungen als Zweck der Pflichterfüllung betrachtet, es wird nach ihnen, aber nicht nach Tugend gestrebt. Die neuere Pädagogik hat deshalb diese außerordentlichen Reizmittel des Ehrtriebes aufser Übung gesetzt.
c) Die eigentliche Belohnung (i. e. S.), das Geschenk, wird nicht selten als ein ungeeignetes Erziehungsmittel bezeichnet, aber dennoch angewendet, auch von den Gegnern (mindestens bei den eigenen Kindern). Wahr ist, dais zu h ä u f i g und oft u n z w e c k m ä l s i g belohnt wird; allein der Milsbrauch kann den Gebrauch nicht aufheben. Bei Kindern kommt es a n f ä n g l i c h nicht immer darauf an r dais sie das Gute um des Guten willen thun, sondern d a Ts sie es thun. Wird darum einem willensschwachen Kinde ein Genufs in Aussicht gestellt, damit es seinen schwachen Willen anspanne, und ihm nach der Anstrengung der versprochene Genufs gewährt, so kann das keine schädlichen Folgen haben. Anders ist es, wenn eigensinnigen oder faulen Kindern Geschenke in Aussicht gestellt und gegeben werden, weil diese nur des Lohnes halber gehorsam und fleiisig sind. Das Geschenk aber mufs die F o l g e , nicht der Zweck der guten Handlung sein. Die A r t d e s L o h n e s ä n d e r t sich mit der zunehmenden Entwicklung des Kindes; auch wird mit derselben immer s e l t e n e r gelohnt. Zuckersachen, Spiel-
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
zeug etc. eignen sich für kleinere Kinder; für grölsere Knaben und Mädchen sind n ü t z l i c h e Gegenstände eine erwünschte Belohnung. Belohnungen mit Geld reizen die Habsucht und sind verwerflich. Anmerkung. Auch die S c h u l e bedient eich der Belohnung. Hier ist es gut, wenn der Lehrer in den Stand gesetzt ist, am Ende des Semesters oder Schuljahrs oder beim Austritt der Schüler den Braven und Fleilsigen zur Anerkennung und ferneren Anregung je ein passendes Buch oder sonst ein Bildungsmittel schenken zu können. Auch damit finden sich brave Schüler schon belohnt, wenn ihnen nach fleiisig vollbrachten Schulstunden der Lehrer eine entsprechende Geschichte erzählt, oder ihres guten Verhaltens wegen mit ihnen einen Spaziergang macht. Nicht der materielle Wert des Geschenkes soll den Schülern Freude verursachen, sondern die wohlwollende Gesinnung des Lehrers*). 3. Für die Anwendung der Belohnung ergeben sich aus dem Vorhergehen den folgende Regeln: Belohne g e r e c h t , passend, mäfsig, selten. 1. G e r e c h t , d.h. immer dem Verdienst entsprechend und die Gesinnung beachtend, aus welcher die Handlung hervorgegangen. 2. P a s s e n d , d. h. den natürlichen Folgen der Handlung sich nähernd, der ganzen Individualität des Zöglings und dem Erziehungsziel entsprechend. (Z. B. Wer des Vertrauens des Erziehers sich würdig erweist, dem wird noch gröfseres Vertrauen geschenkt; wer fleifsig ist, darf auf den Spielplatz gehen etc.) 3. Mäfsig, d. h. nicht in zu hohem Grade, damit nicht Hochmut und Ehrgeiz erzeugt oder ein sich verkürzt Glaubender verbittert werde. 4. S e l t e n , d. h. nur dann, wenn eine wirklich verdienstliche Handlung vorliegt, nicht aber bei blofs pflichtmäfsigem Verhalten, das eines jeden Schuldigkeit ist. Zu häufiges Belohnen stumpft ab. 1) Der W i l l e und nicht die Oabe macht den Geber. Lessing.
§ 60.
7. Die Strafe.
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§ 60. 7. Die Strafe. (Weseii und Zweck, Arten, Steigerungsgrade, Anwendung der Strafe.)
1. Wesen und Zweck der Strafe. Wenn alle bisher genannten Erziehungsmittel nicht dahin führen, dals der Zögling sich dem vernünftigen Willen des Erziehers unterordnet, wenn er, ungeachtet der erhaltenen Befehle, sich seinen sinnlichen Neigungen hingibt, ungesetzlich oder unsittlich, also unvernünftig handelt: so muls er durch die S t r a f e die unangenehme Erfahrung machen, dafs der Erzieher den Gehorsam zu e r z w i n g e n vermag. Die p ä d a g o g i s c h e S t r a f e i s t a l s o d i e d e n Zögling treffende unangenehme F o l g e seines unvernünftigen Handelns. Sie ist nicht als ein Akt der S ü h n e oder der W i e d e r v e r g e l t u n g anzusehen, wie die gerichtliche und polizeiliche Strafe, obwohl, wenn das Gewissen des Kindes erwacht, dies selbst eine Sühne fordert, weshalb es in solchem Falle freiwillig sein Unrecht gesteht. Die pädagogische Strafe darf auch nicht lediglich deshalb in Vollzug gesetzt werden, um durch sie sein Exempel zu statuieren«, d. h. um a n d e r e abzuschrecken. Denn das Kind wird seiner e i g e n e n Übelthat wegen bestraft, damit es s e l b s t für die Zukunft vom Bösen abgeschreckt werde. Lassen sich dadurch auch andere Zöglinge abschrecken, so ist das gut, aber die Abschreckung anderer darf nicht zum letzten Motiv des Strafens werden. Das einzige psychologisch-richtige Motiv und der letzte Z w e c k der Strafe ist die B e s s e r u n g des Gestraften Dieser Beweggrund befreit den Strafenden zugleich von dem Vorwurf des Übelwollens. Die Besserung ist aber nicht die unmittelbare Wirkung der Strafe. Zunächst ruft diese dem Zögling den vergessenen Inhalt des übertretenen Ge1) »Nie begnüge Bich der Erzieher, gestraft zu haben. ist noch nicht gebessert.«. (Sailer.)
Gestraft
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Die Erziehungslehre im engeren Srnue.
totes ins Gedächtnis und erinnert ihn an seine P f l i c h t , bewirkt somit ein g e s e t z l i c h e s Verhalten. Wird sodann der Gedankenkreis des Bestraften berichtigt und infolgedessen in ihm das Bewulstsein lebendig, dals sein Wille der höhern Vernunft, dem göttlichen Willen sich unterwerfen müsse, so bewirkt die Strafe ein s i t t l i c h e s Verhalten; dies ist die bezweckte Besserung.
2. Arten der Strafe. Die pädagogischen Strafen entziehen dem Kinde entweder ein G u t oder fügen ihm ein t ) b e 1 zu. Das G u t kann sein: B e s i t z , G e n u f s oder E h r e . In ersterer Beziehung kommt die Entziehung von Gegenständen, Spielzeug etc., die das Kind sein eigen nennt, dann vor, wenn es dieselben mifsbraucht oder verdirbt etc. G e l d b u f s e n können jüngeren Zöglingen nicht auferlegt werden, da sie Geld nicht führen sollen. — Öfter straft man -durch B e s c h r ä n k u n g e i n e s n o t w e n d i g e n oder durch E n t z i e h u n g e i n e s g e w o h n t e n G e n u s s e s (Nahrung, Bewegung, Spiel oder Nichtlesenlassen eines Buches, Nichtanhörenlassen einer Erzählung etc.). Dafs dadurch die körperliche und geistige Gesundheit, resp. Entwicklung, nicht geschädigt werden darf, ist wohl selbstverständlich. — Noch empfindlicher wirkt die Entziehung der E h r e , des V e r t r a u e n s . Die Entziehung eines Gutes ist für den Zögling ein Übel. Das Übel, das die Strafe zufügt, ist nun entweder B e s c h ä m u n g , p h y s i s c h e r Z w a n g oder s i n n l i c h e r S c h m e r z , so dafs man also Ehren-, P r e i h e i t s - und k ö r p e r l i c h e S t r a f e n unterscheidet. a) Ehrenstrafen b e s c h ä m e n den Zögling. Das Kind freut sich des Beifalls seiner Eltern und Lehrer und aller guten Menschen. Wird ihm aber durch Blick, Miene oder Gebärden das M i f s f a l l e n des Erziehers bemerklich gemacht, ein T a d e l durch Mahnung, Warnung, Drohung, Rüge oder Verweis ausgesprochen, mufs es an der Thüre oder in der Bank s t e h e n bleiben, von einem Ehrenplatze weichen oder von einem Ehrenamte zurücktreten: so fühlt es sich beschämt, gestraft an seiner Ehre. Die höchste Ehrenstrafe ist die V e r a c h t u n g und W e g w e i s u n g aus der Gemeinschaft, die in der Volksschule wegen der allgemeinen
§ 60. 7. Die Strafe.
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Schulpflicht nicht zur Anwendung kommen kann, es sei denn bei gänzlich verwahrlosten Schülern, deren Aufnahme in eine Rettungsanstalt anzustreben ist. Spott, Hohn und Schimpf sind keine Disziplinarmittel und ihre Anwendung ist des Erziehers unwürdig. Je entwickelter das Ehrgefühl ist, je mehr Eltern und Lehrer darauf sehen, dais der Zögling auf Ehre halten lernt, desto empfindlicher und kräftiger wirken Ehrenstrafen. Da aber bekanntlich in der Kindheit das Ehrgefühl schwächer als das Gefühl für Freiheit ist, so sind b) die Freiheitsstrafen, welche in der durch physischen Zwang herbeigeführten Entziehung der Freiheit bestehen, in der Regel wirksamer als Ehrenstrafen. Im Kindes- und Knaben- (Mädchen-) Alter ist der Bewegungstrieb so mächtig, dafs Freiheit in der Bewegung vom Zögling als ein hohes Gut gefühlt, ihre Beschränkung oder Entziehung aber als ein grofses Übel empfunden wird, z. B. der Ausschlufs von irgend einem Vergnügen, einem Spaziergang etc. In der Schule kommt besonders das N a c h s i t z e n und N a c h a r b e i t e n zur Anwendung, nicht aber bloís für unaufmerksame und faule, sondern auch für solche Schüler, welche die Freiheit durch Streitsucht und Ordnungswidrigkeiten auf dem Schulwege miisbrauchen.
c) Die körperliche Strafe besteht in der körperlichen Züchtigung (obgleich auch die Beschränkung oder zeitweise Entziehung der Nahrung etc. zum Teil hierher gehört). Man hat diese Strafart vielfach verworfen, ihre Anwendung oft nur dem Hause zu-, der öffentlichen Erziehung aber aberkannt und sie als tyrannisch, inhuman und unwirksam hingestellt. Es ist dabei vergessen worden, dats der Lehrer mit der Übernahme der Erziehungspflicht auch ein Erziehungs-, Zuchtund Strafrecht überkommt, das ihm die Staatsgewalt ausdrücklich zubilligt; dafs in der Volksschule, die alle Kinder des Volkes (d. h. immer innerhalb eines Schulsprengels), auch die bösartigen aufnehmen muís, die Erziehungsfehler des Hauses sich summieren, schlimme Gewohnheiten daher manchmal intensiver hervortreten; dais das die Schüler
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
umwogende tägliche Leben hie und da auffallende Ausschreitungen auch sonst wackerer Schüler zur Folge hat, und data dieVolksschüler vielfach noch auf einer Alters- und Entwicklungsstufe stehen, auf welcher die Sinnlichkeit dominiert. Wer die Volksschulverhältnisse kennt, wird darum die körperliche Strafe nicht als ein inhumanes und unwirksames, sondern als ein notwendiges und wirksames Zuchtmittel betrachten. Es erscheint im Gegenteil als eine ganz falsche Humanität, die körperliche Strafe zu unterlassen, um s i c h Unannehmlichkeiten zu ersparen, während man sorgen soll, dafs dem Zögling, später nicht grölsere Unannehmlichkeiten erwachsen. Freilich wird jeder Lehrer den Tag segnen, an dem er nicht strafen muís. Kein Lehrer will ein »Gregorius Schlaghart« (Schlez) sein. Aber wenn bei rohen, frechen, widerspenstigen, faulen, schamlosen Jungen weder die Autorität und Liebe des Lehrers, noch die übrigen Disziplinarmittel ihre Wirkung thun, ein aulserordentliches Mittel also notwendig wird, so mufs eine m a i s v o l l e , aber immerhin e m p f i n d l i c h e k ö r p e r l i c h e Z ü c h t i g u n g eintreten. Der Lehrer überschreite dabei keinesfalls das Züchtigungsrecht; denn jede Überschreitung desselben kann disziplinär und strafrechtlich verfolgt werden. Er beschränke sich auf die Züchtigung mit einem S t ä b c h e n oder einer R u t e , welche den Knaben körperlichen Schmerz auf den Sitz-, den Mädchen auf den Rückenmuskeln verursachen sollen. In den ersten Lebens- und Schuljahren, während welcher die Kinder noch viel zu sehr von sinnlichen Eindrücken beherrscht werden und jede Begierde befriedigen wollen, wird man zur Anwendung dieser Strafe öfter gedrängt werden. Dagegen wird sie immer s e l t e n e r eintreten, je mehr das geistige Leben erwacht und die Gefühle für Ehre und Freiheit sich steigern. Je mehr ein Lehrer durch geschickte Verwendung der übrigen Disziplinarmittel dieselbe entbehrlich zu machen vermag, ein desto besserer Erzieher ist er. Beim U n t e r r i c h t an sich ist die körperliche Strafe nutzlos, daher verwerflich, da Wissen und Fertigkeit nicht in das Kind hinein-, Unwissenheit und Ungeschicklichkeit nicht aus demselben herausgeschlagen werden können.
§ 60.
7. Die Strafe.
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Die Grenzen der pädagogischen Strafgewalt sind überhaupt schon durch rein pädagogische und menschliche Rücksichten gesteckt. Wenn die körperliche Strafe dennoch mifsbraucht worden, so ist ihr richtiger Gebrauch darum noch nicht verwerflich. Wer straft, weil er l i e b t , und lieber nicht strafen würde, wenn ihn die Liebe nicht zwänge, der wird sich die ultima ratio des Stockes nicht unbedingt entwinden lassen Dagegen unterlasse jeder Lehrer u n t e r a l l e n U m s t ä n d e n das verbotene Austeilen von Ohrfeigen, Maulschellen, Pfötchen, das Stofsen, Haarrupfen, Aneinanderstofsen der Köpfe, Knienlassen auf Hölzern oder Erbsen etc., was alles ebenso inhuman ist, als es gefährlich werden kann. Anmerkung. Ansichten einiger Pädagogen über die körperliche Züchtigung. D i e s t e r w e g : »Hartnäckiges Lügen und Trotzen, Unanständigkeiten und kleine Diebereien müssen mit der Rute geahndet werden. — Wehe der Schule, in welcher der Stock regieren mufs; aber wehe auch derjenigen, in welcher er nie und nirgend die ultima ratio sein darf.« — N i e m e y e r : »Nicht wahr, wenn von jugendlicher Lust gestachelt, wir die Geduld des Lehrers gar zu sehr mifsbraucht hatten, dämpfte ein einziger kräftiger Rutenstreich . den Ausbruch und half dann mehr, als wenn die vier grofsen und zwölf kleinen Propheten zum Fenster hereingepredigt hätten.« — K r u s e : »Derjenige begeht im Grunde einen Akt der Inhumanität, der ob der Humanität gegen die Menschheit alles Dreinschlagen für eine Barbarei erklärt und sich namentlich gegen die Anwendung von Rute und Stock ereifert, da er dadurch der sittlichen Entwicklung der Menschenkraft eine Stütze entreifst, deren sie laut der Geschichte und Erfahrung so sehr bedarf.« — Dagegen L i n d n e r : »Die körperliche Züchtigung nach allen ihren Arten, Formen und Namen bleibt wenigstens von der öffentlichen Erziehung ausgeschlossen. — W e r soll züchtigen? Der Lehrer? Der Diener? Eins ist verwerflicher wie das andere. In welcher Stimmung soll man züchtigen? Im Zustande der Gleichgültigkeit? Es wäre empörend, wenn es überhaupt möglich wäre. Im Affekt des Zornes? Der Lehrer darf sich nicht vergessen — er mufs ruhig bleiben. Also im 1) Wer Bein Kind lieb hat, hält es unter der Rute. Böbm, Praktische Erzlehungslehre. 11
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
Zustand der sittlichen Entrüstung? Dies wäre allerdings die rechte Stimmung, wenn es so leicht wäre, sich auf der schmalen Kante, welche die sittliche Entrüstung von dem unzurechnungsfähigen Affekte trennt, zu halten.« (Lindner, Allg. Erziehungslehre § 39.)
3. Steigerungsgrade der Strafe.
Die vernünftige
pädagogische Strafe berücksichtigt nicht blofs die Art, sondern auch den Grad des Vergehens. Die S t e i g e r u n g s g r a d e der Strafe sind: a) M i f s f a l l e n s b e z e i g u n g durch Geb ä r d e n ; b) T a d e l in Worten; c) T h a t s t r a f e n . a) Das M i I s f a l l e n bezeigt der Erzieher (Lehrer) einem unachtsamen, nachlässigen oder zerstreuten Zögling (Schüler) in der Stille durch einen B l i c k , eine M i e n e , einen Wink oder auch durch ein leichtes Klopfen etc. Reicht ein so gelinder Ausdruck seiner Unzufriedenheit nicht hin, den Zögling an die Pflicht zu erinnern, so tritt b) die S t r a f e des Wortes, der T a d e l , ein. Derselbe erscheint beim Rufen des Namens (in der Schule auch durch stilles Anschreiben an die Wandtafel) oder anderer kurzer Worte als E r i n n e r u n g , oder im V e r e i n mit ernster Vorstellung als E r m a h n u n g zum Guten oder als A b m a h n u n g vom Bösen. Wird beim T a d e l auf die schlimmen Folgen des Verkehrthandelns hingewiesen, so wird er zur W a r n u n g ; stellt er diese unangenehmen Folgen in sichere Aussicht, so nimmt er die Form der D r o h u n g an; wird aber das Fehlerhafte und Unziemliche im Verhalten des Schülers ins Licht gestellt und ihm mit scharfen, bestimmten Worten vorgehalten, so führt er den Namen R ü g e , Verweis. Jede Strafe des Wortes ist insofern steigerungsfähig, als sie unter vier Augen oder auch in Anwesenheit mehrerer Personen (in der Schule vor den Mitschülern, vor dem gesamten Lehrerkollegium) ausgesprochen werden kann. Eine Steigerung bis zu Scheit- und Schimpfworten ist nicht zu billigen. Wo die Strafe des Wortes zu schwach erscheint, ohne Wirkung bleibt, da kommt c) die T h a t s t r a f e zur Anwendung. Sie steigert sich in Schulen vom Auf s t e h e n , S t e h e n l a s s e n und A l l e i n -
§ 60. 7. Die Strafe.
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s i t z e n (letzteres bei Unverträglichen, Unreinlichen etc., ohne dafs der Sonderplatz mit einem entehrenden Namen bezeichnet wird) bis zur Entziehung eines B e s i t z e s oder eines G e n u s s e s , bis zum N a c h s i t z e n und N a c h a r b e i t e n und endlich bis zur k ö r p e r l i c h e n Z ü c h t i g u n g . Anmerkung. Nach der Ministerial-Entschl. vom 20. Mai 1815 sollen in b a y e r i s c h e n Volksschulen zur Verhütung und Bestrafung g e w ö h n l i c h e r Vergehen folgende Strafen steigerungsweise in Anwendung kommen: 1. An- und Abmahnungen; 2. Warnungen und Drohungen 3. Verweise 4. geringe Noten mit Einrechnung in den Jahresfortgang und Bekanntgabe an die Eltern; 5. Stehen in und auiser der Schulbank; 6. zeitweises Versetzen auf eine Strafbank, der aber kein beschimpfender Name gegeben werden darf; 7. Schulzimmerarrest mit Abstinenz (Fasten) über Mittag. (Nur zulässig zur Nachholung versäumter Schularbeiten bei guter Aufsicht und unter sorgfältiger Benachrichtigung der Eltern.) Gr obere Vergehen aus Bosheit, unverbesserliche Trägheit, besonders Verführung von Mitschülern, sind durch körperl i c h e Z ü c h t i g u n g mit der Rute oder einem Stäbchen zu bestrafen. Alle anderen körperlichen Strafen sind verboten. Bei Erfolglosigkeit der körperlichen Züchtigung ist die Unterbringung des Schülers in einer Besserungsanstalt zu erstreben.
4. Anwendung der Strafe. Die verschiedenen Strafen und mannigfaltigen Strafgrade sind geeignet, die verschiedensten Unlustgefühle beim Gestraften zu erzeugen, weshalb der Strafe eine hohe Bedeutung in der Erziehung zukommt. Indes wäre die Annahme eine irrige, als m ü f s t e n die Strafen i m m e r genau in der oben angeführten Reihenfolge zur Anwendung kommen, so dafs ein starkes Mittel erst dann gebraucht werden dürfte, wenn a l l e vorhergehenden schwächereu schon im Gebrauch waren. Jeder einzelne Fall erheischt genaue Beurteilung und gerechte Ahndung durch ein entsprechendes Strafmittel, selbst wenn es ein starkes wäre. Allein der Erzieher darf nicht immer 11*
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
s o g l e i c h das stärkste Mittel anwenden, da er sonst bei wiederholter gleicher Verfehlung des Zöglings die Strafe Wo der Blick reicht, spare er den nicht steigern kann Wink; genügt die Nennung des Namens, so unterlasse er die Warnung ; hilft die Drohung, so verzichte er auf den Verweis; wirken Strafen des Wortes, so unterlasse er die Thatstrafen. Dabei vergesse er nie, dafs die Strafen pädagogische H e i l m i t t e l sein und zur Heilung einer kranken Natur dienen sollen, dafs sie aber kein Universalmittel sind und dafs daher neben der Natur und Art des Fehlers auch die Natur dés Zöglings und seine Entwicklungsstufe m i l d e r und w o h l w o l l e n d e r Berücksichtigung bedürfen. Erst wenn die Diagnose (Krankheitskennzeichen) gefunden, kann die entsprechende Arznei verordnet werden. (Das summarische Abstrafen einer ganzen Schulklasse wird sich ganz selten [oder gar nicht] rechtfertigen lassen — bleibt auch meistens ohne Erfolg.) Für die Anwendung der Strafe gelte als Regel: Strafe g e r e c h t , n a t ü r l i c h , b e s o n n e n und m ä f s i g . a) G e r e c h t , d . h . nicht parteiisch ; der Erzieher strafe nur eine wirkliche Verfehlung des Zöglings, nicht aber nach der äufseren Erscheinung, sondern nach der Ges i n n u n g , aus der sie hervorgegangen. Deshalb wäge er die Schuld sorgfältig ab, berücksichtige die Ursachen der Fehler (Alter, Geschlecht, Temperament, Gesundheit, häusliche Verhältnisse, die schon erlittenen Strafen etc.) und lasse eine Gerechtigkeit walten, die nicht blofs niederbeugt, sondern wieder aufrichtet. Der Erzieher und Lehrer mufs auch v e r z e i h e n können 8 ). b) N a t ü r l i c h , d. h. so, natürliche Folge seines Thuns (Den Faulèn lasse man nicht man nicht.) Tritt dabei die
dafs sie vom Zögling als die und Lassens angesehen wird. spielen, dem Lügner glaube Strafe s o g l e i c h nach dem
Reicht der Blick, so spar' das Wort; Reicht da* Wort, die Rute fort.
2) Der Mensch ist nie so schön, als wenn er um Verzeihung bittet oder selber verzeiht. Jean Paul.
§ 60.
7. Die Strafe.
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Vergehen ein (unbedenklich bei Ehrenstrafen), so ist die natürliche Strafe zugleich die w i r k s a m s t e . c) B e s o n n e n , d. h. mit r u h i g e r Ü b e r l e g u n g , aber nicht mit kaltem Blute, mit s i t t l i c h e r E n t r ü s t u n g , aber nicht im Zorn. Übereiltes und unbesonnenes Strafen hat schon oft Unglück verursacht; der in übermäfsigen AfEekt geratene Erzieher stellt sich während des Strafvollzugs dem Kinde gegenüber als den Schuldigen dar (weil er sich nicht beherrschen kann). d) M ä l s i g , d. h. erstens (qualitativ) n i c h t zu h a r t , da zu harte Strafen ungerecht und eines gebildeten Erziehers unwürdig sind und nur F u r c h t g e h o r s a m und Vers t o c k t h e i t erzeugen, und zweitens (quantitativ) n i c h t zu h ä u f i g , da zu häufige Strafen abstumpfen und gleichgültig machen. (Man sagt nicht mit Unrecht: »Je seltener und je geringer die Strafen, desto besser die Schule.«) Wo die Strafe so vernünftig angewendet wird, da erscheint sie als ein der starken und reinen L i e b e in die Hand gegebenes unentbehrliches Erziehungsmittel, um den s u b j e k t i v e n Willen der h ö h e r e n V e r n u n f t unterz u o r d n e n . Wo dagegen unvernünftig, leidenschaftlich, ungerecht und übermäfsig gestraft wird, da tritt die Strafe in einen Gegensatz zur Liebe und verfehlt dann ihre gute Wirkung. Anmerkung. Vom sittlichen und pädagogischen Takte des erziehenden Volksschullehrers kann man fordern, dals er das überkommene Strafmandat ausübe im Glauben an die mögliche Besserung, in der Liebe zu, den hilfsbedürftigen Kranken und in der Hoffnung auf gesegneten Erfolg. »Der Vater straft sein Kind und fohlet selbst den Streich; Die Härt' ist ein Verdienst, wenn dir das Herz ist weich.« ßückert. Schlufsbemerkung.
Durch den rechten Gebrauch der bisher besprochenen Erziehungsmittel wird die Gewöhnung bewirkt Sie ist diejenige Thätigkeit des Erziehers, vermittelst welcher er beim Zögling durch öftere Wiederholung gewisser Willensakte das G u t e i m G e d a n k e n k r e i s zur H e r r s c h a f t
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
und in der H a n d l u n g b i s z u r F e r t i g k e i t bringt. (Vergl. § 38, 39, 40.) Der Zögling soll durch die Gewöhnung zu klaren Anschauungen und zu richtigem Denken kommen, Geschmack an g e r e g e l t e r L e b e n s a r t gewinnen und allmählich die K u n s t s i t t l i c h e r L e b e n s f ü h r u n g erlernen. Die Frucht der Gewöhnung wird nur durch Übung erreicht und heilst G e w o h n h e i t . Die Gewohnheit ist eine Macht, deren Folgen durch das ganze Leben reichen1). Wie alle Erziehungsmittel in der Schulerziehung der Gewöhnung dienen, ist in den Paragraphen 91—93, die von dem Verfahren der Schuldisziplin handeln, dargethan; wenn die Gewöhnung die richtige Anwendung der Erziehungsmittel ist, so hat sie dort auch ihre Stelle. 2. K a p i t e l .
Die Erziehungsgrundsätze. § 61. Allgemeines.
Der Erzieher darf die Erziehungsmittel nicht willkürlich und gedankenlos wählen und anwenden, sondern mufs dabei stets den u n a b ä n d e r l i c h e n Zweck der Erziehung, den sich ä n d e r n d e n .Zögling und die oft rasch w e c h s e l n d e n V e r h ä l t n i s s e im Auge behalten, seine Erziehungsthätigkeit also unter bestimmte feste Regeln (Grundgedanken) stellen, die man E r z i e h u n g s g r u n d s ä t z e nennt. Der o b e r s t e G r u n d s a t z der Erziehung lautet:
Wirke auf den Zögling so ein, dafs er selbständig seiner Bestimmung, nach dem Vorbilde Christi zu leben, nachstreben lerne. In diesem obersten Grundsatze ist nun wieder eine lange Reihe von besonderen E r z i e h u n g s g r u n d s ä t z e n 1) Wie man einen Knaben gewöhnt, so lässet er nicht davon, wenn er alt ist Salomo. Jung gewohnt, alt gethan; Fang das Oute heute an.
Volkasprlehwort.
§ 62. 1. Die Erziehung sei naturgemttfs.
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enthalten, welche notwendig an die verschiedene Auffassung des allgemeinen Erziehungszweckes '(§ 51, ad 2) erinnern und die teils als f o r m a l e , teils als m a t e r i a l e Grundsätze zu betrachten sind. Anmerkung. Die f o r m a l e n Erziehungsgrundsätze sind auf die zu erstrebende S e l b s t ä n d i g k e i t des Zöglings gerichtet. Solche sind z. B.: 1. Nimm bei der Erziehung alle Kräfte des Zöglings in Anspuch. 2. Bilde dieselben harmonisch aus. 3. Fordere nicht mehr, als der Zögling nach seinen Kräften zu leisten vermag. 4. Wähle die richtigen Erziehungsmittel und gebrauche sie in der rechten Weise, in rechtem Mafse und zur rechten Zeit. 5. Beachte die Individualität des Zöglings. 6. Beachte deine eigene (Erzieher-) Individualität. 7. Beachte die Verhältnisse, unter welchen die Erziehung stattfindet u. s. w. Die m a t e r i a l e n Erziehungsgrundsätze gehen auf den G e h a l t des L e b e n s . Solche sind z. B.: 1. Befähige den Zögling, dafs er in der Familie seine Liebe zu Gott und Christo bethätige. 2. Befähige den Zögling, dais er auch in seinem Berufe die Liebe zu Gott durch das Streben nach dem Wahren, Schönen und Guten beweise. 3. Befähige den Zögling, dais er das Streben nach Vollkommenheit als ein von Gemein- und Edelsinn erfüllter Bürger des Staates bethätige u. s. w. (Gräfe, deutsche Volksschule, 1. Bd.) Aus der grofsen Zahl der verschiedenen Erziehungsgrundsätze heben wir mit Festhaltung des o b e r s t e n Grundsatzes als die wichtigsten hervor: Die Erziehung sei 1. n a t u r g e m ä f s , 2. vernünftig e m fiis, 3. kulturgernäfs, 4. e i n h e i t l i c h und 5. christlich-human. § 62. 1. Die Erziehung sei naturgemäfs.
Die Entwicklung des Menschen hält im allgemeinen den von der Natur und deren Gesetzen bestimmten Gang
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
ein. Das Kind ist daher körperlich und geistig stetig in einer natürlichen Fortbildung begriffen. N a t u r g e m ä f s ist daher die Erziehung, wenn sie 1. im a l l g e m e i n e n a) den Gegenstand der Erziehung überhaupt, also den M e n s c h e n , als ein organisches N a t u r w e s e n betrachtet, das den K e i m d e r E n t w i c k l u n g in sich trägt; b) die (Natur-) G e s e t z e seiner Entwicklung (physiologische und psychologische) zu erforschen sucht und c) nur solche M i t t e l zur Förderung der natürlichen Entwicklung anwendet, welche jenen Gesetzen entsprechen und durch welche einerseits alles f e r n g e h a l t e n wird, was den n a t ü r l i c h e n Entwicklungsgang benachteiligen könnte (negativ), und wodurch anderseits aber auch alles g e w ä h r t und v e r a n l a f s t wird, was diese Entwicklung in geeigneter Weise unterstützt (positiv). 2. Im b e s o n d e r e n Falle heilst die Erziehung naturgemäfs, wenn sie die Natur des betreffenden Z ö g l i n g s a) nach seiner k ö r p e r l i c h e n Beschaffenheit (Gesundheit, Kraft, Alter, Geschlecht etc.), b) nach seinen n a t ü r l i c h e n g e i s t i g e n Anlagen (hervortretende Neigungen, Temperamente, Sinneskräfte etc.), c) nach seinen auf jeder Stufe der Entwicklung erw o r b e n e n (zur zweiten Natur gewordenen) Anlagen — genau beobachtet, wenn sie d) auf dieser n a t ü r l i c h e n G r u n d l a g e ohne Sprünge streng s t u f e n m ä f s i g vorwärts schreitet und dabei e) die N a t u r d e r V e r h ä l t n i s s e , unter welchen die Erziehung statthat, berücksichtigt. Daraus schliefse man nicht fälschlich, dafs die N a t u r den Erzieher leiten müsse; es mufs vielmehr die V e r n u n f t des Erziehers die Natur des Zöglings nach den darin liegenden Gesetzen mit n a t ü r l i c h e n M i t t e l n in der Entwicklung fördern. Die von der Vernunft geleitete natürliche Entwicklung, oder was dasselbe ist, die n a t u r g e m ä f s e E r z i e h u n g ist deshalb von so grofser Wichtigkeit, weil sie die Basis bildet für jede höhere menschliche Entwicklung. »Das natürliche
§ 63.
2. Die Erziehung sei vemunftgemäfs.
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Oute, das man beim Zögling vorfindet, ist als das Wichtigste bei der Erziehung an die Spitze zu stellen. Sonst ist keine Erziehung möglich, weil ohne dies kein Anfangspunkt da ist, also auch kein Fortgang möglich ist. Was nur irgend Gutes sich vorfindet, soll man 1. erkennen und 2. vor den Augen des Zöglings geltend machen.« (Her bart.) Anmerkung. C o m e n i u s ruft in obigem Sinne dem Erzieher zu: »Folget den Spuren der Naturl« — R o u s s e a u baute seinen Emil auf der falschen Unterlage auf: »Die Natur thut alles; die Erziehung mufs verhindern, dafs etwas gethan werde.« — D i e s t e r w e g sagt: »Ehemals meinte man, und viele Nichtkenner der Entfaltung des Geistes meinen es noch, dafs der Erzieher den Menschen nach seiner Willkür bilden, formen, machen könne. Aber der Erzieher kann nichts machen. Er kann nur G e l e g e n h e i t , aber kein Objekt machen. Der Zögling muís sich selbst machen. Einzig ist Selbs terziehung möglich. Der Erzieher macht nur die Umstände, die Veranlassung. Und wer diese naturgemäfs zu machen weiis, der ist ein wahrer natürlicher Erzieher. — Das Okulieren, Pfropfen, geht auch nicht beim Menschen, Wasserreiser abschneiden, Wucherpflanzen entfernen, Insekten verjagen, Nester vertilgen, also n e g a t i v wirken; Schutt, Ballast, Hindernisse und Schwierigkeiten wegräumen, das kann er, nichts aber machen; bef ö r d e r n aber kann er, was der Mensch in sich trägt. Wie der Regen die Pflanze erregt, sie nicht nur in Thätigkeit und Bewegung setzt, sondern ihr auch Nahrungsetoff zugleich zuführt, so soll der Erzieher das Kind durch naturgemäßen Nahrungsstoff anregen« (positiv). (Und das vermag nur die V e r n u n f t des Erziehers.)
§ 63. 2.
Die Erziehung sei vemunftgemäfs.
1. Die Erziehung ist v e r n u n f t g e m ä ß , wenn sie den Menschen nicht blois als ein Naturwesen, sondern auch als ein V e r n u n f t w e s e n betrachtet, wenn sie die Macht der Natur in ihre Schranken verweist und dem G e i s t e dienst, bar macht, kurz, den Zögling befähigt, den Forderungen der V e m u n f t g e m ä f s zu leben. H e r r s c h a f t d e s G e i s t e s
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
über die N a t u r ist die Signatur der vernünftigen Erziehung. 2. Wie die naturgemäfse Erziehung die K r ä f t e wecken und* stärken will, so hat die v e r n u n f t g e m ä f s e Erz i e h u n g das Ziel anzugeben und die R i c h t u n g zu bestimmen, nach welcher die Kräfte ausgebildet werden sollen. A l l e Mittel, welche die vernünftige Erziehung anwendet, müssen a l l e n Kräften die Eichtling auf das Wahre, S c h ö n e und Gute geben, müssen des Zöglings Sinn auf das H o h e und H ö c h s t e zu lenken, ihn a l l g e m e i n m e n s c h l i c h zu bilden, zu h u m a n i s i e r e n , zu einem s i t t l i c h e n , v o l l k o m m e n e n M e n s c h e n zu erheben suchen. 3. Jede Erziehung, welche nicht den Sinn des Zöglings auf die h ö c h s t e n m e n s c h l i c h e n I d e e n richtet, ist e i n s e i t i g ; deshalb fordertPestalozzi, dafs die Standesbildung die M e n s c h e n b i l d u n g zur Grundlage habe; deshalb ist zu verwerfen a) die einseitige oder verfrühte K a s t e n b i l d u n g ; b) die d e s p o t i s c h ö Erziehung, welche die höhere Natur des Menschen unterdrückt und ihn wie das Tier nur abrichtet, dressiert; c) die einseitig r e a l i s t i s c h e und e u d ä m o n i s t i s c h e Erziehung, welche, nur auf Begründung des irdischen Glückes gerichtet, den nackten E g o i s m u s befördert und vom Idealen abzieht (gegenwärtig allzusehr in Übung); d) die eben so einseitig i d e a l e Erziehung, welche die Menschen mit der wirklichen Welt unzufrieden und dadurch oft recht unglücklich macht; e) die p i e t i s t i s c h e Erziehung etc. (S. 132.) 4. So lange der Zögling noch von der Natur und Sinnlichkeit beherrscht wird, trägt die vernünftige Erziehung kein Bedenken, sinnliche Mittel und Gewalt anzuwenden, um ihn zn bestimmen, das Schädliche zu meiden und das Nützliche zu thun. Aber die V e r n u n f t des Zöglings darf nicht unterdrückt, der G e i s t nicht ohnmächtig gemacht werden. Die vernünftige Erziehung will, dafs der G e i s t zu einer M a c h t werde, welche von i n n e n heraus f r e i und
§ 64. 3. Die Erziehung Bei kulturgemäis.
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s e l b s t ä n d i g wirke und die äufsere Nötigung überflüssig mache, will, dafs der Zögling zur F r e i h e i t der S e l b s t b e s t i m m u n g gelange. § 64. 3. Die Erziehung sei kulturgemäis.
Seit sie die Erde bewohnt, ist die Menschheit in fortschreitender Vervollkommnung begriffen. Jede nachfolgende Generation fufst auf den Errungenschaften der Vorfahren und wird dadurch befähigt, neue Fortschritte zu machen. Dafs hiezu die Erziehung durch Vermittlung der mühsam gesammelten Erfahrungen hauptsächlich beiträgt, ist zweifellos. Unter K u l t u r ist einerseits die T h ä t i g k e i t zu verstehen, welche auf die Veredlung eines Gegenstandes gerichtet ist, um ihn für gewisse Zwecke brauchbar zu machen, anderseits der E r f o l g dieser Thätigkeit, der K u l t u r z u s t a n d . Der jeweilige Zustand der m e n s c h l i c h e n Ges e l l s c h a f t in Beziehung auf ihre g e i s t i g e B i l d u n g , ihre p o l i t i s c h e , s i t t l i c h e und r e l i g i ö s e Anschauung und ihre Leistungsfähigkeit i n A r b e i t , K u n s t u n d W i s s e n s c h a f t heilst Kultur. Die höchste Kultur aber ist die V e r e d l u n g des Mens c h e n durch Entwickelung aller seiner Anlagen, wodurch er zur Erreichung seiner Lebensbestimmung vorbereitet wird. Da er aber nur im Bunde mit anderen, nur mit Hilfe der Gesellschaft Groises zu leisten vermag, so murs der Zögling zum brauchbaren Glied der m e n s c h l i c h e n G e s e l l s c h a f t herangebildet und für die gemeinsame Arbeit zur H e b u n g der K u l t u r gewonnen werden. Die Erziehung ist demnach k u l t u r g e m ä i s , wenn sie a) den z e i t g e m ä f s e n und v o l k s t ü m l i c h e n Bildungsforderun gen sich anschliefst, also den Forderungen der. moralischen Kultur in Bezug auf politische und religiöse Zustände und soziale Umgangsformen, Sitten und Gebräuche; den Forderungen der i n t e l l e k t u e l l e n Kultur bezüglich der Sprache, Literatur und der Bildung überhaupt,
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
sowie den t e c h n i s c h e n Errungenschaften etc. sich anbequemt; wenn sie b) den Zögling auf den Standpunkt der B e s s e r e n und G e b i l d e t e n im Volke zu e r h e b e n und ihn c) dadurch zu befähigen sucht, die F e h l e r und Mängel der Kultur zu v e r m e i d e n , an der f o r t s c h r e i t e n d e n Entwickelung derselben aber thätigen Anteil zu nehmen und eine bessere Zukunft begründen zu helfen. Anmerkung 1. Der Hauptirrtum R o u s s e a u s war der, dals er die Kultur an sich als der Erziehung hinderlich betrachtete. Der Unmut, ja der Zorn über die Verdorbenheit seines Zeitalters Helsen ihn gänzlich vergessen, dals es auch eine n a t u r g e m ä l s e und h e i l s a m e Kultur gibt, dals die guten Seiten derselben zum Besten des Zöglings ausgenützt, die Ausgeburten aber ferne gehalten werden sollen. Anmerkung 2. Für v e r g a n g e n e Zeiten, d. h. im Lichte vergangener Zeiten erziehen wollen, ist weder naturnoch vernunftgemäTs, auch n i c h t kulturgemäTs. (Die gute alte Zeit!) § 65. 4. Die Erziehung sei einheitlich, harmonisch.
Die vielen auf den Zögling wirkenden Einflüsse sind so verschiedenartig, dafs sie sich gegenseitig hemmen müssen, wenn sie nicht in Einklang gebracht werden. Deshalb fordert man von der Erziehung, 4dafs sie e i n h e i t l i c h sei. Die Erziehung ist e i n h e i t l i c h ( h a r m o n i s c h ) , wenn sie 1. immer den g a n z e n M e n s c h e n nach seinen l e i b l i c h e n und g e i s t i g e n K r ä f t e n im Auge hat und diese nach dem gegebenen Mafse so ausbildet, dals keine das Übergewicht erhält, und die anderen dadurch unwirksam werden; 2. wenn sie bei ihren M a f s n a h m e n zu jeder Zeit und unter allen Umständen den o b e r s t e n Erziehungsgrundsatz und -zweck im Auge behält und alle ihre Einflüsse in Ü b e r e i n s t i m m u n g ( H a r m o n i e ) setzt, so dafs dieselben stets als ein G a n z e s erscheinen.
§ 66. 5. Die Erziehung sei christlich-human.
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Diese Harmonie ist vorhanden, a) wenn d e r s e l b e Erzieher j e d e r z e i t (heute, wie gestern und morgen) nur den e i n e n Z w e c k fördernde Mal'snahmen trifft. Alle die verschiedenen Erziehungszwecke, wie die körperliche Entwickelung des Zöglings, seine geistige, seine gesellige Ausbildung etc. müssen dem obersten Erziehungszwecke untergeordnet werden. (Wie vielen Erziehern fehlt dazu die nötige Konsequenz I) ; b) wenn a l l e Erzieher im g l e i c h e n S i n n und G e i s t zusammenwirken (Wie kreuzen sich doch oft die Erziehungseinflüsse von Vater und Mutter, Eltern und Lehrern, verschiedenen Fachlehrern !) ; c) wenn alle Erziehungsmittel so gewählt und angewendet werden, dais sie einander stets e r g ä n z e n und u n t e r s t ü t z e n . (Stimmen aber Lehre und Beispiel immer zusammen ?) Anmerkung. Übereinstimmung, Einheitlichkeit, Harmonie in der Erziehung leitet zum hohen Ziele ; Disharmonie, Mangel im Zusammengehen lenkt ab. Nichts ist schlimmer und ungesunder, weil den Charakter des Zöglings verbildend, nnd die Autorität des Erziehers schädigend, als Uneinigkeit im Geiste der Erziehung. In Erziehungs- und Lehranstalten mögen sich doch ja Erzieher und Lehrer, in Familien Vater und Mutter hüten, den Geist der Zwietracht in ihren Mafsnahmen merken zu lassen. »Wer eines von diesen Kleinen ärgert etc. etc.« Schule und Haus und alle Erziehungsfaktoren müssen zu erfolgreicherer Jugenderziehung in noch engere Wechselbeziehung treten und ihre Massnahmen mehr in einheitlichem Geiste treffen. § 66. 5.
Die Erziehung sei christlich-human.
H u m a n ist die Erziehung, wenn sie das Menschliche im Zögling möglichst ausbilden will (2. Grundsatz); c h r i s t l i c h - h u m a n ist sie, wenn sie den Zögling zur h ö c h s t e n Vollkommenheit nach dem Vorbilde Jesu Christi zu führen sucht, so dafs der Zögling in voller V e r n ü n f t i g k e i t die L i e b e zu C h r i s t o nach jeder Richtung durch
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
die T h a t beweisen lernt. Die christlich-humane Erziehung ist natur-, Vernunft-, kulturgemäfs und harmonisch; dieser Grundsatz schliefst darum alle übrigen in sich, er ist der o b e r s t e , der erste und* letzte Erziehungsgrundsatz, er ist G r u n d l a g e und Z i e l aller wahren Menschenerziehung zugleich. Anmerkung. Solche Erziehung will den Menschen nicht erregt und bewegt wissen durch sein e i g e n e s Wohl und Wehe, sondern durch das Wohl und Wehe a n d e r e r ; sie will, »dafs jeder darauf denkt, etwaa zu thun, was dem Allgemeinen, der Gemeinschaft, dem Staate, der Nation, der Menschheit zugute kommt; dafs jeder sich ein Gefühl von Zufriedenheit und Glückseligkeit verschafft, das über alle kleine Plage und über alle Trennungen hinaushebt und den Menschen mit s i c h , mit der Welt und G o t t einiget — durch die Liebe.« (B. Auerbach.) 3. K a p i t e l .
Die Erziehungsmethode. § 67. Einleitung.
Die Erziehung besteht aus vielen einzelnen Akten oder Handlungen des Erziehers, welche, wenn sie von Erfolg sein sollen, zu einem organischen Ganzen verbunden werden müssen. Die Verbindung aller Einzelthätigk e i t e n d e s E r z i e h e r s zu e i n e r o r g a n i s c h zus a m m e n h ä n g e n d e n , von den E r z i e h u n g s g r u n d sätzen geregelten Gesamterziehungsthätigkeit heilst Erziehungsmethode. Eigentlich sollte man nur von e i n e r Erziehungsmethode sprechen, allein wenn die Erziehung das in § 51 angegebene Ziel erreichen will, so müssen die verschiedenen Seiten der menschlichen Natur, die äussere und innere Persönlichkeit des Zöglings ins Auge gefafst werden. Es wird deshalb hier A. von der Methode der l e i b l i c h e n E r z i e h u n g oder der P f l e g e und B. von der Methode der g e i s t i g e n E r z i e h u n g zu handeln sein.
§ 67.
Einleitung.
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Da sich die menschliche Seele im E r k e n n e n , F ü h l e n und W o l l e n thätig erweist und der Erzieher durch seine Einwirkung dem inneren Menschen eine bestimmte Form geben, ihn b i l d e n soll, so unterscheidet man innerhalb d e r g e i s t i g e n Erziehung a) die B i l d u n g der I n t e l l i g e n z (intellektuelle Erziehung) ; b) die B i l d u n g d e s G e f ü h l s (ästhetische Erziehung); c) die B i l d u n g d e s W i l l e n s (sittlich-religiöse Erziehung.) Bei der intellektuellen Bildung tritt besonders die M e t h o d e d e s U n t e r r i c h t s , bei der Gefühls- und Willensbildung mehr die M e t h o d e der Z u c h t in den Vordergrund. A.
Die Methode der leiblichen (Pflege).
Erziehung.
(Vergl, §§ 12-20).
Der G e g e n s t a n d der physischen Erziehung ist der L e i b des Menschen. Ihr Z w e c k ist, den Körper zur ges u n d e n und h e i l i g e n Wohnstätte und zum t a u g l i c h e n , g e s c h i c k t e n und w o h l g e f ä l l i g e n Werkzeuge der Seele zu machen. Das Ziel der physischen Erziehung ist daher 1. die G e s u n d h e i t , 2. die S t ä r k e und G e w a n d t h e i t und 3. d i e S c h ö n h e i t d e s L e i b e s . Die leibliche Erziehung beginnt mit der Geburt und fällt anfangs zumeist in den Thätigkeitskreis der Pflege. Sobald jedoch der Geist des Kindes sich zu entwickeln beginnt, müssen Zucht und Unterricht eingreifen, um das Leibesleben der Herrschaft der Vernunft zu unteretellen. Die W i c h t i g k e i t der physischen Erziehung leuchtet sofort ein, wenn man bedenkt, dafs nur in einem gesunden Körper eine gesunde Seele wohnt (Juvenal, Locke), dafs alle physischen Leiden und Schwächen auch den Geist lähmen, während körperliche Frische und' Gesundheit jede geistige Anstrengung erleichtern, so dafs in der That nur ein gesunder Mensch mit Erfolg und Glück in der äufseren Welt wirken kann.
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
§ 68. 1. Die Erziehung zur körperlichen Gesundheit.
Auf die Bewahrung und Erhöhung des hochwichtigen Gutes, welches wir in der körperlichen Gesundheit erkennen, ist von entschiedenem Einfluis: a) die N a h r u n g , die wir geniefsen, b) die K l e i d u n g , die uns schützt, c) die L u f t , in der wir leben und die wir atmen, d) die B e w e g u n g , die dem Leibe zur Erfrischung zugemutet und die R u h e , die ihm zur Erholung gegönnt wird, und e) die B e w a h r u n g , die der Zerstörung des Körpers vorbeugt, und den kranken Körper wieder herzustellen sich bemüht. a. Die Kahrung.
Zur Unterhaltung des Stoffwechsels ist notwendig, dafs wir die verbrauchten und ausscheidenden Körperteile stets durch Zuführung g e e i g n e t e r Stoffe (vergl. § 14} e r s e t z e n . Dies gilt aber nur für die Erwachsenen. Für den noch in der Entwickelung im W a c h s e n begriffenen jugendlichen Körper gehört m e h r als ein bloiser Ersatz der verbrauchten Stoffe, er bedarf zum gleichzeitig fortgesetzten Aufbau reichlichere Stoffzufuhr. Die dem Körper zugeführten Stoffe heiisen N a h r u n g . Mit S p e i s e n und G e t r ä n k e n nähren wir den Körper, sie sind N a h r u n g s • mittel. Diese sollen in der richtigen Q u a l i t ä t , Quantität, Z e i t und T e m p e r a t u r genossen und gehörig v e r d a u t werden. 1. Was die Q u a l i t ä t der Speisen anbetrifft (wozu, auch die g u t e Z u b e r e i t u n g ihren Teil beizutragen hat),, so wähle •man für Ki nd er vorzüglich solche Speisen, welche den Körper am l e i c h t e s t e n und r e i c h l i c h s t e n nähren. Weichgekochte Eier, Fleischbrühe mit Ei gemischt, leicht verdauliches, nicht sehr fettes Fleisch, gut gebackenes Brod, Butter, leichter Käse, Mehlspeisen, enthülste Hülsenfrüchte sind vorzügliche'Nahrungsmittel auch für Kinder; Gemüse haben einen geringeren Nährwert, der sich jedoch durch. Zusatz tierischer Stoffe steigert. Delikatessen, reizende und stark gewürzte oder sehr erhitzende Speisen sind Kindern.
§ 68.
1. Die Erziehung zur körperlichen Gesundheit.
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nicht zuträglich. Für den Säugling ist das einzige naturgemälse Nahrungsmittel die M u t t e r m i l c h , für welche verdünnte K u h m i l c h als das beste Ersatzmittel gelten kann. Letztere ist in Verbindung mit Weifsbrot überhaupt das vorzüglichste Nahrungsmittel für die Kinderwelt. 2. Bezüglich der Q u a n t i t ä t der Speisen mufs als Grundsatz gelten, dafs man dem Magen nicht mehr zuführe, als er verdauen kann. Das Z u v i e l ist jederzeit ungesund. Besonders müssen die Kinder durch die Erziehung gewöhnt werden, im Essen Mals zu halten, da, wie der Volksmund sagt: die Augen der Kinder gröfser sind als ihr Magen. Aber auch das Z u w e n i g ist der Erhaltung und dem Wachstum des Körpers nachteilig. Kinder sollen darum reichlich genährt, aber nicht überfüttert werden. Dafs gesunde Kinder, die sich im Freien aufhalten und tummeln, mehr Nahrung brauchen, als die, welche ruhig im Zimmer weilen, zeigt die tägliche Erfahrung. 3. Hinsichtlich der Z e i t ist vor allem auf R e g e l m ä ß i g k e i t und auf Einhaltung der zur eigentlichen Sättigung bestimmten H a u p t m a h l z e i t e n zu dringen, wenngleich dem im Wachstum begriffenen Körper auch noch in Z w i s c h e n m a h l z e i t e n ein kleiner Imbifs zu gewähren ist. 4. »Die T e m p e r a t u r der Nahrungsmittel für kleine Kinder mufa ungefähr der der Muttermilch gleich sein, nicht unter 25 und nicht über 30 0 R. Allmählich kann man etwas höher und etwas niedriger gehen, doch ist alles sehr Heifse und sehr Kalte sehr nachteilig für Zähne, Magen u. s. w.« (Dittes.) 5. Die V e r d a u u n g wird g e f ö r d e r t durch gehöriges K a u e n und E i n s p e i c h e l n der Speisen. »Gut gekaut ist halb verdaut.« Darum dürfen die Kinder die Speisen nicht gierig verschlingen. Durch gröfsere körperliche oder geistige Anstrengung vor, unter oder nach dem Essen wird die Verdauung g e h e m m t . Dafs nicht nur auf die Aufnahme der Speisen das Augenmerk des Erziehers zu richten ist, sondern auch die A b s o n d e r u n g e n die BeB ö h m , Praktische Krzlehungslehre.
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Die Erziehimgslehre im engeren Sinne.
achtung des Erziehers verdienen, wird nicht mehr als Angedeutet werden müssen. Vom erziehlichen Standpunkte sei ferner noch mit Rücksicht auf die Macht der Gewöhnung, resp. Verwöhnung darauf hingewiesen, dais man Kinder vor erschlaffender L e c k e r h a f t i g k e i t und N ä s c h e r e i , sowie vor entmenschlichender G e f r ä l s i g k e i t und U n e r s ä t t l i c h k e i t zu bewahren suchen solle. Kinder sollen nicht immer ihre Lieblingsspeisen bekommen, sondern an die verschiedensten gewöhnt werden; doch dürfen sie nicht von allem haben, denn sie müssen begreifen lernen, dais, was da ist, nicht für alle da ist. So wird bei ihnen die sittliche Kraft geweckt, sich einen Genute auch versagen zu können. Umgekehrt aber kann das Kind durch Nichtberücksichtigung eines j e d e n Verlangens zur unerlaubten Befriedigung desselben gedrängt werden. (VergL § 76, Anm.) 6. Die Getränke müssen die in grofsen Mengen ausscheidenden wässerigen Bestandteile unseres Körpers ersetzen. Da derselbe zu fast drei Vierteilen aus Wasser besteht, so ist das Wasser eines der unentbehrlichsten Nahrungsmittel. Im Säuglingsalter findet, wie schon gesagt, die Ernährung und Durststillung durch die M u t t e r m i l c h (Kuhmilch) statt. Später ist gutes Quell- und B r u n n e n w a s s e r das beste und schmackhafteste Getränk für Kinder, das nebenbei die dem Körper so wichtigen Kalksalze enthält. Gut ist es, wenn man den Kindern öfters Milch oder Fleischbrühe etc! zu trinken geben kann. Kaffee, Thee, Schokolade und Bier sollten bis zum zehnten Lebensjahre nur in geringem Mafse, Wein und Branntwein, welche den zarten Magen angreifen, gar nicht gereicht werden. Auch im Trinken müssen sich die Kinder an Ordnung und Regelmftfsigkeit gewöhnen; ebenso sollen sie nicht zu kalt in das warme Essen hinein trinken. Anmerkung. Das beste F r ü h s t ü c k für Kinder ist Milch mit etwas WeiTsbrot. Wer die Milch nicht verdauen kann, dem reiche man F l e i s c h b r ü h e mit Ei, Gries- oder Brotsuppe. Zum M i t t a g e s s e n eignen sich am besten wenig g e s a l z t e und n i c h t gewürzte einfache Fleischspeisen mit Gemüse, welch letzteres immer die Hauptsache bleiben muis. Zum A b e n d e s s e n gebe man Milch-, Gries- oder Brotsuppe, dann
§ 68. 1. Die Erziehung zur körperlichen Gesundheit.
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Butterbrot, Obst etc. Als Imbils in den Z w i s c h e n m a h l z e i t e n ist Brot und Obst (schälen I) zu empfehlen. Über den Genuis schädlicher Speisen sind die Kinder zu belehren und davor zu warnen. b. Die Kleidung.
Die K l e i d u n g wirkt erhaltend auf die Gesundheit durch den S c h u t z , den sie dem Körper vor schädlichen äufseren Einwirkungen, vor zu grofser Hitze im Sommer und zu grofser Kälte im Winter etc. gewährt; sodann unterstützt sie, weil der Körper durch sie in mäfsiger Wärme erhalten wird, die für die Absonderung so wichtigen Haut f u n k t i o n e n . (Vergl. § 17.) Sie darf aber im Sommer nicht zu warm, im Winter nicht zu leicht sein. Im allgemeinen steht fest, dafs die Fülse und der Unterleib wärmer zu halten sind als Brust, Hals und Kopf. Kopf und Hals sollen bei Knaben (Krankheitsfälle ausgenommen) so viel als möglich blofs sein. Warme Kopfbedeckung und dichte Halsumhüllung verweichlichen. Der aufmerksame Erzieher wird betreffs der Bekleidung stets Klima, Jahreszeit, Witterung, Alter, Gesundheitszustand und Beschäftigung des Zöglings beachten. Um die H a u t t h ä t i g k e i t zu fördern, mufs die Kleidung, insbesondere die Leibwäsche r e i n gehalten werden. Ebenso ist darauf zu achten, dafs die Kleidung b e q u e m und nicht zu enge sei, damit sie den Körper nicht in der freien Bewegung hemme oder im Wachstum zurückhalte. Anmerkung. Die Kleidung dient auch einem m o r a l i s c h e n Zweck, indem sie die Blölse des Körpers bedeckt und der Schamhaftigkeit zu Hilfe kommt. Ehrbar kleiden! — Sie dient ferner einem ä s t h e t i s c h e n Zwecke, insoferne sie den Körper verschönert (und die Geschlechter unterscheidet). Der Tyrannei der Mode füge sich der Erzieher ebenso wenig, als er an dem Veralteten hänge. Er halte Mais und steure der übermäfsigen Putzsucht ebenso wie der allzugrolsen Gleichgültigkeit. (Ein Feld, auf dem für M ü t t e r noch viel Verdienst übrig ist.) c. Die Luft.
1. Die Gesundheit des Körpers ist auch von der Beschaffenheit der L u f t abhängig, die wir atmen. Auf der 12*
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
Atmung beruht das Leben. Das Lebenselement Luft können wir nicht so lange entbehren, als Nahrung und Kleidung. 2. Aber nur r e i n e und f r i s c h e Luft ist ein solches Lebenselement; man bekommt sie im Freien, besonders beim Sonnenschein in Wald und Flur zu atmen, wo die Blätter und Nadeln der Bäume und alle Pflanzen die eigentliche L e b e n s l u f t , den S a u e r s t o f f , welcher fast den vierten Teil der atmosphärischen Luft bildet, abgeben. Besonders stärkend ist die f r i s c h e Luft, auch die kalte Winterluft. Deswegen soll man Kinder im Winter möglichst oft, doch niemals zu lange, ins Freie schicken, im Sommer aber ihnen so viel als möglich Aufenthalt und Bewegung in freier Luft und an schattigen Plätzen gestatten, wodurch zugleich die A t m u n g s o r g a n e gekräftigt werden. 3. Die gewöhnlichste und schädlichste V e r u n r e i n i g u n g d e r L u f t erfolgt durch die von Menschen und Tieren ausgeatmete v e r d o r b e n e Luft (Kohlensäure), welche das Blut verdirbt. Wo sich in Zimmern viele Menschen aufhalten, oder lange verbleiben, wie in Wohn-, Schlafund Schulzimmern etc., da ist deshalb f l e i f s i g e L ü f t u n g aufserordentlich nötig. Auch f e u c h t e Wände, Fufsböden und übelriechende Ausdünstungen von aufsen erzeugen schlechte Luft. Was endlich die T e m p e r a t u r der Luft betrifft, so ist z u h e i f s e und zu k a l t e Luft n a c h t e i l i g , ebenso der s c h n e l l e W e c h s e l von der einen zur andern, besonders auch die Z u g l u f t bei erhitztem Körper. Die richtige Temperatur für Wohnräume ist durchschnittlich 15 0 R; eine Luftwärme über 16° R. ist der Gesundheit nicht zuträglich ; in Schlafräumen reichen 8 0 R., für kleinere Kinder 12 ° R . Anmerkung. In S c h u l e n , wo die Kohlensäure mit verschiedenen Zersetzungsprodukten aus dem Blute, wo Haut- und andere Ausdünstungsstoffe die Luft fortwährend verunreinigen, ist es G e w i s s e n s p f l i c h t der Lehrer, frischer Luft rechtzeitig und genügend Zutritt zu verschaffen.
§ 69. (Fortsetzung.)
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§ 69. (Fortsetzung.) d. Bewegung und Buhe.
Für die Förderung der Gesundheit ist ferner die rechte Abwechslung in der B e w e g u n g und Ruhe des Körpers nötig. 1. Die mit der entsprechenden Energie und zur rechten Zeit ausgeführten B e w e g u n g e n haben eine vermehrte Herz- und L u n g e n t h ä t i g k e i t und B l u t z i r k u l a t i o n , eine gesteigerte K ö r p e r w ä r m e , eine vermehrte Verd a u u n g und Ausscheidung verbrauchter Stoffe und das B e d ü r f n i s n a c h A u f n a h m e n e u e r zur Folge. Angemessene Bewegung übt die M u s k e l n und N e r v e n und macht sie zu tauglichen Werkzeugen der Seele. In der Kindesnatur regt sich der B e w e g u n g s t r i e b sehr stark und das Bedürfnis nach seiner Befriedigung zeigt sich, sobald man den Kindern freien Lauf lälst. Sofort sind sie in der lebhaftesten Bewegung, sie gehen, laufen, springen, klettern, schaukeln etc., sind immer in voller Thätigkeit. Diesen Trieb zurückdrängen zu wollen, wäre unnatürlich. Wo bei Kindern träge Ruhe, Thatenlosigkeit und Langeweile hervortritt, da ist's mit der Gesundheit schon nicht wohl bestellt. Der Erzieher lasse daher die Kinder sich frei bewegen und tummeln und sehe nur zu, dafs die Bewegungen nicht zu heftig werden und die Zöglinge nichts Gefährliches unternehmen. Spiel und T u r n e n befriedigen den Bewegungstrieb am besten. 2. Das den Körper erfrischende S p i e l hat auch für die g e i s t i g e Bildung greisen Wert, weshalb desselben hier ausführlicher gedacht wird. Eb kommen dabei hauptsächlich drei Fragen in Betracht : 1. Ob das Kind spielt, 2. womit und was es spielt und 3. wie es spielt? Die Beobachtung des Kindes beim Spiel, sowie das den Umständen entsprechende, leitende, warnende, ermunternde etc. Eingreifen des Erziehers wird denselben um gar manche psychologische Erfahrung reicher machen und so für die übrige Behandlung des Kindes sicher fruchtbar werden;
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Die Erziehnngslehre im engeren Sinne.
denn im Spiel glaubt das Kind sich unbemerkt und zeigt eich daher offener und unbefangener als sonst. (Locke.) 1. Die Hauptsache ist, dais das K i n d spielt.- Das spielende Kind ist ein g e s u n d e s Kind. Ein Kind, das nicht spielt, ist k r a n k , und der Erzieher mufs dem physischen oder psychischen Grunde dieser unliebsamen Erscheinung nachforschen und die entsprechenden Mittel dagegen anwenden, muls, wenn es nötig, dem Kinde das Spielen lehren oder, falls es angezeigt ist, ärztlichen Rat zu Hilfe rufen. Das Spiel ist des Kindes e r s t e Arbeit. Beginnt aber die ernste Arbeit (das Lernen u. s. w.), so bleibt trotzdem das Spiel noch jugendliches B e d ü r f n i s , und es ist wohl darauf zu achten, dafe für die Befriedigung desselben nicht blols G e l e g e n h e i t gelassen, sondern dafs diese auch fleifsig ben ü t z t werde. 2. Die K i n d e r s p i e l e liegen in ihren verschiedenen Arten meist im Volksbrauch begründet, erben sich fort und kommen und verschwinden in den verschiedensten Gegenden ganz gleicherweise mit den Jahreszeiten und Monaten. Ohne Anregung, ganz von selbst greifen z. B. die Kinder im Frühlinge nach den Kugeln aus Thon, Stein und Glas (Schusser), nach Ball und Reif, in anderen Jahreszeiten wieder nach anderem Spielzeug (an der Ostsee wie in den Alpen etc.). • Die ungekünstelten, natürlichen und ursprünglichen Kinderspiele (und die einfachsten Spielsachen) sind die besten, besonders wenn Bie, wie die turnerischen B e w e g u n g s s p i e l e , den Zögling zur Selbstthätigkeit auffordern. Sie sind die freien Vorübungen für das Leben; denn der Knabe wie das Mädchen machen dabei nicht blofs ihren Körper bieg- und schmiegsam, üben nicht blofs die Sinne, sondern lernen auch die Kunst, sich willig unter die Spielgesetze zu stellen, sich in die Ordnung zu fügen, sich innerhalb der gegebenen Schranken fröhlich zu bewegen, lernen »sich verleugnen, für sich und die Ihrigen fürchten, hoffen, wagen, streiten und leiden«. Alle Spiele, welche in U n s i t t e n des Volkes ihre Wurzel haben, welche die L e i d e n s c h a f t e n wachrufen und weder den Körper noch den Geist entsprechend beschäftigen, sind zu bekämpfen und durch passende zu ersetzen. Zu diesen verw e r f l i c h e n Spielen gehören alle, welche die R o h e i t befördern (zur Tierquälerei führende), alle H a z a r d s p i e l e , bei
§ 69.
(Fortsetzung.)
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welchen es nur auf G e w i n n o h n e M ü h e abgesehen ist und nur auf das Erraten oder den Zufall ankommt, wie z. B. beim Würfelspiel etc. Wenn' der mögliche Gewinn mehr anzieht, als die Mühe um den Gewinn, dann hat das Spiel immer eine bedenkliche Seite. 3. Wie soll das Kind spielen? Es soll mit ganzer Seele b e i m h a r m l o s e n Spiele sein. »Ein Kind, das tüchtig, selbstthätig, still, ausdauernd bis zur Ermüdung Bpielt, das ganz in seinem Spiele aufgeht, das mitten im eifrigsten Spiele einschläft: wird gewifs auch ein tüchtiger, stiller, ausdauernder, Fremd- und Eigenwohl befördernder Mensch.« (Fröbel.) Flüchtiges und flatterhaftes Spielen ist dagegen eine bedenkliche Erscheinung. Dafe auch beim harmlosen, unschuldigen Spiele gar manches V e r k e h r t e , wie Eitelkeit, Ehrgeiz, Gewinnsucht, Schadenfreude etc. sich einschleichen können, ist dem erfahrenen Erzieher nichts Neues. Es wäre aber noch v e r k e h r t e r , wenn er deshalb alles Spielen v e r b i e t e n und die Lust zum Spielen den Kindern v e r l e i d e n würde. Wo der S p i e l eifer in L e i d e n s c h a f t umschlägt und zu allerlei P f l i c h t v e r l e t z u n g e n , zu Ungehorsam, Arbeitsscheu, Betrug etc. führt, da hat freilich der Erzieher warnend und leitend unter Herbeiziehung der übrigen Erziehungsmittel einzugreifen. »Da nun dem ruhigen, durchdringenden Blick des echten Menschenkenners in dem freithätig gewählten Spiele des Kindes das künftige innere Leben desselben offenbar vor Augen hegt«, so soll auch der L e h r e r in der Schule in den Z w i s c h e n p a u s e n Zeit zum frischen fröhlichen Spiele gewähren. Unverantwortlich wäre es, die Kinder stundenlange hinbrüten und nicht im Freien spielen zu lassen. Ein pädagogisch durchgebildeter Lehrer wird übrigens nicht nur im Schulhofe das Spiel seiner Schüler beachten, sondern demselben auch auf andern Spielplätzen seine Aufmerksamkeit schenken. Anmerkung. »Hoher Sinn liegt oft im kindlichen Spiele.« Die hohe Bedeutung des Spieles erkannten schon die Griechen. Argesilaos, der berühmte König der Spartaner, ritt mit seinem Söhnchen auf einem Rohrstock mitten unter der spielenden Jugend. Der Philosoph A n a x a g o r a s wünschte in seinem Testament keine andere Ehre, als dals man an seinem Todestage die Jugend spielen lasse. — L o c k e und Rousseau empfahlen das Spiel, warnten aber vor zu künstlichem Spiel-
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
zeug. — Die Pietisten dagegen untersagten in ihrem Vorurteil gegen alle Lebensfreuden das Spiel. »Das Spielen, es sei, womit es will, ist den Kindern in allen Schulen zu verbieten, — auf evangelische Weise, also, dals man ihnen dessen Eitelkeit und Thorheit vorstelle.« (A. H. Francke.) — Am wärmsten hat sich Fröbel für die Pflege des Spiels ausgesprochen: »Die Spiele des Kindesalters sind die Herzblätter des ganzen künftigen Lebens; denn der ganze Mensch entr wickelt sich und zeigt sich in denselben in seinen feinsten Anlagen, in seinem innern Sinn. Das Spiel ist nicht Spielerei; es hat hohen Ernst und tiefe Bedeutung; pflege, nähre es, Mutter! schütze, behüte es, Vater!« 3. Das Bedürfnis nach Bewegung und Thätigkeit wird, sobald Ermüdung eintritt, durch das Bedürfnis nach R u h e abgelöst. Dieser Wechsel macht sich um so eher bemerklich, je jünger und zarter der Körper ist. Man lasse daher die Kinder weder im Spiel, noch in der Arbeit sich übermüden, halte sie an, dafs sie des Abends bald nach Hause und bald zu Bette gehen, da nur der S c h l a f vollständige Ruhe, Erholung und Stärkung gewährt. Je jünger die Kinder sind, desto lieber und länger schlafen sie und sollen sie schlafen. Zu bestimmter Zeit wecke man sie s a n f t auf. Anmerkung. Zu früher Beginn der Schulen ist nicht zu empfehlen, da die Kinder sonst verschlafen und verdrossen in die Schule kommen. In den untersten Schulklassen sehr zu beachten! e. Die Bewahrung.
Die B e w a h r u n g soll fern halten, was dem Körper schaden, und bieten, was den kranken Körper stärken und wiederherstellen kann. Sie wird bewirkt durch R e i n l i c hk e i t , V o r s i c h t und B e h u t s a m k e i t , durch S c h o n u n g und P f l e g e der S i n n e , V e r h ü t u n g und H e i l u n g von K r a n k h e i t e n und durch B e l e h r u n g . 1. Die R e i n l i c h k e i t befördert die regelmäfsige durch Unreinlichkeit gestört und bewahrt vor mancherlei
des Körpers und seiner Hülle H a u t a u s d ü n s t u n g , welche und unmöglich gemacht wird, Krankheiten. Die Gewöhnung
§ 69.
(Fortsetzung.)
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an Reinlichkeit und Ordnung, an fleifsiges Reinigen, Was c h e n und B a d e n des Körpers und seiner Glieder ist aber nicht nur im Interesse der k ö r p e r l i c h e n Gesundheit wichtig, sondern auch im Interesse der geistigen Gesundheit, .
§ 82. d. Die Erziehung zur Gottesfurcht oder Religiosität.
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gesetze niedergelegt ist, aus frei eigenem Entschlüsse unterwerfen. Dieser f r e i e und f r e u d i g e Gehorsam, welcher der L i e b e zu G o t t entspringt, heifst L i e b e s g e h o r s a m . Er i s t u n w a n d e l b a r und j e d e r z e i t d e s G e s e t z e s E r f ü l l u n g . Müssen und Sollen ist zum selbstbewußten W o l l e n geworden. Die M i t t e l , welche der Erziehung zum f r e i w i l l i g e n Gehorsam dienen, sind die A n g a b e von G r ü n d e n für die erzieherischen Mafsnahmen, der Rat, die Einweihung in die Erzieherabsicht, die Beobachtung der inneren Folgen einer Handlung des Zöglings auf diesen. »Wird dieser so in der Zucht des Gehorsams erzogen, vom absoluten »Du mufst« zum kategorischen »Du sollst« bis zum freien und freudigen »Ich will«, so wird er der Freiheit entgegengeführt, die da r e c h t f r e i m a c h t . Denn dann gewinnt das Sittliche in ihm die Oberherrschaft und er kann getrost hinaustreten in die weite, freie Welt der Versuchungen und Kämpfe.« (Kehr.) Aus dem Gesagten erhellt zur Genüge, dafs die Stufen der Willensbildung mit denen des Gehorsams parallel laufen und also die Erziehung zum Gehorsam mit der Willensbildung identisch ist, weshalb hier nur noch auf die Vor- und Rückblicke bei den drei Stufen der Willensbildung verwiesen wird. § 82. d.
Die Erziehung zur Gottesfurcht oder Religiosität.
Gottesfurcht oder Religiosität ist eine tiefinnerliche sittliche Gesinnung, die sich in der Scheu vor des grofsen Gottes Majestät und im freiwilligen Gehorsam gegen seine Gebote kund gibt. Die Erziehung hat darum den Zögling zu Gott zu führen und, wie Dittes sagt, mit dem Anker des Glaubens auszurüsten, damit er durch die göttlichen Ideen eine helle Leuchte seines Geistes, eine unwandelbare Norm für sein Denken, Fühlen und Streben und eine unerschütterliche Stütze für den Frieden seiner Seele erhalte. Eines solchen Schlufssteins bedarf die geistige Erziehung um so notwendiger, als die materielle Strömung der Gegenwart der dem Menschenwesen eingebornen Sehnsucht nach Glück
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Die Erziehungslehre im engeren 6inne.
und Frieden eine falsche Richtung zu geben und dieselben von den ewigen Gütern abzulenken droht. Die Erweckung der G o t t e s f u r c h t hat schon frühe zu beginnen, denn bald regen sich im Kinde die Ahnungen eines unsichtbaren Seins, und die Liebe, welche sein ganzes Wesen zu den sichtbaren Eltern hinzieht, öffnet sein Herz auch der Ehrfurcht und Liebe gegen den unsichtbaren Gott1). Die Hauptwirkung der Erziehung zur Gottesfurcht wird daher auch durch die fromme G e w ö h n u n g d e s H a u s e s erzielt. Wenn das Kind bei passender Gelegenheit Gott, dem Schöpfer und Erhalter alles Lebens, der uns Sonnenschein, Sturm und Regen schickt, der der Menschen Schicksale lenkt und sie alle mit den Gaben seiner Vaterliebe bedenkt, seinen Dank im einfachen G e b e t e auszusprechen und für sich und die Seinigen Gottes Segen zu erflehen g e w ö h n t wird, so senken sich die Keime der Gottesfurcht tief ins kindliche Herz, und um so tiefer, wenn Eltern und Erzieher ihm dabei in ungeheuchelter Gottesfurcht ein V o r b i l d geben. Die G o t t e s f u r c h t und religiöse Gesinnung ist aber auch durch einen gründlichen und erbaulichen R e l i g i o n s u n t e r r i c h t zu fördern, der einerseits durch die zu vermittelnde l e b e n d i g e G o t t e s e r k e n n t n i s , anderseits durch die herrlichen L e b e n s b i l d e r gottseliger Personen zu gottesfürchtiger Gesinnung und Gott wohlgefälligem Wesen antreibt. § 83. e.
Die Bildung des Charakters. (Vergl. § 43.)
Das Wollen und Handeln der Jugend wird noch durch die Eingebung des Augenblicks bestimmt; Kinder und 1) Weil sie dem Wesen wahrer Gottesfurcht widersprechen, so bewahre man den Zögling mit aller Sorgfalt vor dem MaulchriBtentim and der Heuchelei und sehe immer darauf, dafs er die Lehre J e s u in d e r T h a t beweise, also auch gegen Andersgläubige duldsam und müde sei und überall die L i e b e als das Prinzip des Christentums walten lasse. (Vergl. § 73 ad 6.)
§ 83. e. Die Bildung des Charakters.
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Jünglinge sind noch inkonsequent, sie handeln im gleichen Falle heute anders als gestern. Die Erziehung, welche den gleichwohl früh auftretenden S p u r e n des Charakters (Charakterzügen) und den hier mitwirkenden Naturanlagen ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden hat, mufs in die Lebensführung K o n s e q u e n z , in das Wollen B e h a r r l i c h k e i t zu bringen, mit einem Worte, den Charakter a n z u b a h n e n suchen. Dies kann nur nach und nach und zwar m i t t e l bar und u n m i t t e l b a r geschehen. a) M i t t e l b a r geschieht es durch die Bildung eines den Zögling beherrschenden G e d a n k e n k r e i s e s , aus welchem dann ein der ganzen P e r s ö n l i c h k e i t entsprechendes Wollen oder Nichtwollen hervorgeht1). Die Bildung eines sittlichen Gedankenkreises ist aber, abgesehen von der individuellen Beanlagung, der Lebenslage etc., hauptsächlich vom Resultate des U n t e r r i c h t s abhängig. Dieser mufs aufklären und belehren, um unrichtige Anschauungen und Urteile zu beseitigen, neue richtige Vorstellungen, Begriffe und Ansichten zu erzeugen und den Sinn des Zöglings auf das Rechte und Gute zu lenken. Das aus dem Gedankenkreise hervorgehende Wollen, das ein »Wissen vom Können« genannt werden kann, bildet die s u b j e k t i v e S e i t e des Charakters. ß) U n m i t t e l b a r vollzieht sich die Charakterbildung durch fortgesetzte Ü b u n g und G e w ö h n u n g im sittlichen Wollen und Handeln. Da nämlich durch den Unterricht das verkehrte Denken und Handeln des Zöglings nicht sofort vollständig verdrängt zu werden vermag, so hat die Erziehung zu sorgen, dafs bei ihm im U m g a n g und — Des Menschen Traten und Gedanken, wirst I Sind nicht wie Meeres blind bewegte Wellen. Die Innere Welt, sein Mikrokosmus, Ist Der tiefe Schacht, aus dem sie ewig quellen. Sie sind notwendig wie des Baumes Frucht; Sie kann der Zufall gaukelnd nicht verwandeln. Hab' ich des Menschen Kern erst untersucht, So weifs ich auch sein W o l l e n und sein H a n d e l n . S c h i l l e r , Wallenstelns Tod II, 3.
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Die Erziehnngslehre im engeren Sinne.
V e r k e h r durch die Ü b u n g 1 ) ein sittliches Wollen und Handeln g e w o h n h e i t s m ä f s i g (gedächtnisinäfsig) sich entwickle und infolge gleichmäfsiger Wiederholung zur F e r t i g k e i t und zu s i t t l i c h e n A n g e w ö h n u n g e n werde. Dabei hüte man sich, den Zögling zu lange am Gängelbande zu führen, sondern gewähre ihm allmählich freiere Bewegung, damit er immer selbständiger werde. Aus den sittlichen Angewöhnungen-, welche nur in f e s t g e f u g t e n L e b e n s v e r h ä l t n i s s e n , wie in Familie und Schule, entstehen können, ergeben sich allmählich bestimmte R e g e l n für das sittliche Leben, die man s i t t l i c h e oder p r a k t i s c h e Grunds ä t z e nennt, auf welchen eigentlich der s i t t l i c h e (gute) C h a r a k t e r beruht. Diese Grundsätze dürfen aber nicht blofs dem Gedächtnisse eingeprägt sein, sie müssen vielmehr, indem der Zögling sie auf s i c h s e l b s t z u r ü c k b e z i e h t , in ihm zu d a u e r n d e n Lebensmächten werden, die u n a u s g e s e t z t höheren Zielen entgegentreiben, zur sittlichen Charakterf e s t i g k e i t führen. Wo die Verwirklichimg der Grundsätze Schwierigkeit bereitet, mufs der Erzieher zu einem gelingen« den Handeln seine Unterstützung leihen. Als wichtiges Mittel der Charakterbildung ist hier auch das B e i s p i e l zu nennen, das e i g e n e , wie das fremde, weil es den Zögling in der ethisch - praktischen Beurteilung fördert. Am Charakter entzündet sich der Charakter. Wenn aus allem, was sein Erzieher sagt und thut, dem Zögling ein sittlich reiner und starker Wille entgegentritt, wenn die Persönlichkeiten der heiligen und Profangeschichte ihm das so vollkommen als möglich vor Augen stellen, was das sittlich religiöse Urteil fordert, so ist damit für seine Charakterbildung viel gewonnen, denn hiedurch wird das Gemüt der Zöglinge zur Bewunderung und zur Nachahmung entflammt. Liegen in den beregten Verhältnissen aber auch die
1)
Gute Spriicbe, weise Lehren Muia man ü b e n , nicht blofs hören.
§ 84. 1. Die pädagogische Behandlung der Temperamente.
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Nährwurzeln des Charakters, ausbilden und b e w ä h r e n mufs er sich doch erst im Strom der Welt1). Die auf dem Wege des U m g a n g s und der Ü b u n g erzielte F e r t i g k e i t im sittlichen Wollen und Handeln bildet die o b j e k t i v e S e i t e des Charakters. Entspringt das sittliche Handeln dem Einklang zwischen der idealen Einsicht und dem vernünftigen Wollen, so ist der Mensch s i t t l i c h frei 2 ). Damit ist das Ziel der Willensbildung erreicht. Der v e r n ü n f t i g e Wille wird in der Willensbildung als die Stufe des f r e i e n W o l l e n s bezeichnet, weil der Erzieher den Zögling dahin zu bringen sucht, dafs er seiner Menschenwürde gemäfs handelt und auf Grund seiner eigenen Überzeugung sich f r e i für das wahre Wohl des eigenen Ichs, wie für das der Menschheit entscheidet und so dem göttlichen Vorbild der V o l l k o m m e n h e i t , Christus, ähnlich zu werden sucht. § 84.
Anhang. 1. Die pädagogische Behandlung der Temperamente. Die Erziehung hat die Temperamente, da sie (mit Ausnahme des melancholischen) sich schon frühe im Kinde ankündigen, alsbald zu berücksichtigen. Sie kann zwar kein Temperament umtauschen, aber doch seine Fehler mildern und seine Vorzüge steigern. So können strenge Gewöhnung und sittlich-religiöse Beweggründe den Sanguiniker vor den 1)
2)
Ein edler Mensch kann\ einem engen Kreise Nicht seine Bildung danken. Vaterland Und Welt muls auf ihn wirken. Ruhm und Tadel Muft er ertragen lernen. Sich und andre Wird er gezwungen, recht zu kennen. Ihn Wiegt nicht die Einsamkeit mehr schmeichelnd ein. Es w i l l der Feind — es d a r f der Freund nicht schonen; Dann übt der Jüngling streitend seine Kräfte, Fühlt, was er ist, und fühlt sich bald ein M a n n . . . . Es bildet ein Talent sich In der Stille, Sich ein C h a r a k t e r in dem Strom der Welt. G o e t h e , Tasso I, 2. In dir ein edler Sklave Ist, Dem du die F r e i h e i t schuldig bist. Claudius.
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
Fehlern des Leichtsinns bewahren; würdige Vorbilder und edle Ziele können den Choleriker abhalten, seine Kraft unedlen Zwecken zu leihen; milde Behandlung, fröhliche Gesellschaft etc. sind geeignet, den Melancholiker zu erheitern und zu ermutigen, so dals er Vertrauen in die Zukunft gewinnt; stete Anregungen (besonders auch des Ehrgefühls) vermögen den Phlegmatiker für verschiedene Gegenstände lebhafter zu interessieren und ihn zum Vorwärtsstreben anzureizen. Auch beim Belohnen und Bestrafen bedarf das Temperament der Berücksichtigung. Häufig wird das sanguinische, heitere, zerstreute Kind blofs wegen verursachter Unruhe hart gestraft, das phlegmatische dagegen nur wegen seiner Stille gelobt etc. 2. Die wichtigsten Regeln für die Erziehung der Knaben und Mädchen.
Diesen Regeln ist der allgemeine Grundsatz vorauszuschicken: D i e e i n e m j e d e n G e s c h l e c h t e i g e n t ü m l i c h e n V o r z ü g e s i n d so h e r a u s z u b i l d e n u n d zu bew a h r e n , d i e e i g e n t ü m l i c h e n S c h w ä c h e n a b e r so zu b e k ä m p f e n , dafs d e r C h a r a k t e r u n d die Bestimmung eines jeden Geschlechtes u n v e r r ü c k t bleiben. Bei der Erziehung der K n a b e n ist folgendes zu beachten: 1. Man sehe darauf, dals sie körperlich und geistig stark, verständig und selbständig werden, dals ihr Erkenntnis- und Willensvermögen gut ausgebildet werde und dafs sie erst die Kunst des Gehorchens und darnach und eben damit die des Regierens und Herrschens lernen. Man lasse sie deshalb sich auch frei bewegen, öfters selbst Arbeiten und Spiele wählen, sich zu Spielgenossen halten etc. Ein frischer, etwas wilder Knabe verspricht mehr als ein scheuer Stubenhocker. 2. Anderseits achte man aber darauf, dafs der Knabe n i c h t a l l z u f r e i , dafs er nicht roh, frech, eigensinnig und herrschsüchtig werde, dafs er seinen Sinn nicht blofs dem äufseren bewegten Leben, sondern auch dem häuslichen Leben und Streben zukehre. 3. Man suche schon dem Knaben und später dem Jüngling hohe Achtung gegen edle Weiblichkeit einzuflöfsen und dem letzteren (im späteren Jünglingsalter) Gelegenheit zu geben, im
§ 84. 2. Die wichtigsten Regeln der Erziehung.
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Umgang mit edlen Frauen') sich Takt und feine Sitte anzueignen. Für die Erziehung der M ä d c h e n dürften folgende R e g e l n gelten: 1. Man mute den Mädchen keine zu groise körperliche Anstrengung zu, fördere dagegen die einfache, natürliche Lebensweise, Reinlichkeit, Mäfsigkeit, Anstand und Sitte und wecke bei ihnen früh den Sinn für stille Häuslichkeit und nützliche Thätigkeit. 2. Ohne das Erkenntnisvermögen zu vernachlässigen, betone man bei den Mädchen doch die ästhetische (gemütliche) Bildung mehr als bei den Knaben durch Beförderung des Frohsinns, durch Aneignung von Fertigkeiten und Kenntnissen, welche einer edlen Geselligkeit Stoff und Nahrung geben. 3. Man halte die Mädchen an, alle sittlichen Tugenden, besonders Demut, Nachgiebigkeit, Gehorsam etc. fleilsig zu üben, und schaffe diesen Tugenden den rechten Untergrund durch eine wahrhaft religiöse Bildung. (Keine mystische Schwärmerei, noch weniger aber Freigeisterei.) Literarische Hilfsmittel. B o r m a n n , K., Pädagogik für Volksschullehrer. Berlin, Wiegandtund Grieben. 1873. — D i e s t e r w e g , A., Wegweiser für deutsche Lehrer. 5. Aufl. — D i t t e s , Fr., Abrifs der Erziehungs-und Unterrichtslehre. Leipzig, Klinkhardt. 1874. — E l t e r i c h , J. G., Handbuch fQr den Unterricht in der Volksschulpädagogik. Leipzig, 1885. — G r ä f e , Deutsche Volksschule. 3. Aufl., bearbeitet von Schumann. Jena, 1878. — H a r l e Ts, J. 6. G., Abrifs der Erziehungslehre. Nürnberg, Braun. 1874. — K a h l e , Fr. H., Grundzüge der evangelischen Volksschulerziehung. Breslau, Dülser. 1875. Derselbe, Pädagogische Erquickstunden. Ebenda. 1880. — K e h r , C., Praxis der Volksschule. Gotha, Thienemann. 1879. — K e h r e i n , Handbuch der Erziehung und des Unterrichts. Paderborn. — K e l l n e r , L., Volksschulkunde. Essen, Bädeker. — K e r n , Grundrifs der Pädagogik. Berlin, Weidmann. 1873. — L a r g i a d f e r , A. Ph., Volksschulkunde. Zürich, Schultheis. 1871. — L e u t z , Ferd., Lehrbuch der Erziehungslehre. Tauberbischofsheim. 1882. — L i n d n e r , G. A., Allgemeine Erziehungslehre. Wien, Pichler, 1878. — Derselbe, Encyklopädisches Handbuch der Erziehungskunde. Wien. 1882. — M a r t i g , E., Anschauungs-Psychologie mit Anwendung auf die Erziehung. Bern. 1888. — M i c h , Dr. Joseph, 1)
Denn ihnen Ist am meisten dran gelegen, Dafs alles wohl sich zieme, was geschieht. G o e t h e , Taeso II, 1.
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Die Ereiehungslehre im engeren Sinne.
Allgemeine Erziehungslehre. Troppan. 1881. — M i l d e , V. E., Allgemeine Erziehungsbunde. Neu herausgegeben von Fr. Tomberger. Wien, GräBer. 1877. — N i e d e r g e s ä f s , R., Anfänge der Erziehungslehre. Wien, Pichler. 1876. — N i e m e y e r , A. H., Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts. Neu herausgegeben von G. A. Lindner. Wien, Pichler. 1877. — O h l e r , A. K., Lehrbuch der Erziehung und des Unterrichts. Mainz, Kirchheim. 1862. — P a l r a e r , ChriBt., Evangelische Pädagogik. Bern. Schmid. 1874.— S c h i l l e r , Dr. H., Handbuch der praktischen Pädagogik. Leipzig. 1886.— S c h ü t z e , Fr. W., Evangelische Schulkunde. Leipzig, Teubner. — S c h u m a n n , J. Chr. G., Lehrbuch der Pädagogik. Hannover, Meyer. 1874 — S t e r n e r , M., Methodik der Volksschule. Straubing. 1866. — W a g n e r , Dr. E., Die Praxis der Herbartianer. Langensalza, 1887. — W a i t z , Th., Allgemeine Pädagogik. Neu herausgegeben von Willmann. Braunschweig, Vieweg. 1875. — W y f s . F r . , Schulerziehungslehre. Bem, 1888. — Z e l l e r , Chr. H., Lehren der Erfahrung. — Z i l l e r , Vorlesungen über allgemeine Pädagogik. Leipzig, Matthes. 1876.
II. Angewandte Erziehungslehre. (Insbesondere Schuldisziplin.) § 85. Einleitung und Übersicht.
Der allgemeine Teil der (reinen) Erziehungslehre handelt von dem Zweck, den Mitteln und dem Verfahren der Erziehung überhaupt. Ihr besonderer Teil, d. i. die ang e w a n d t e Erziehungslehre, hat nachzuweisen, wie die im allgemeinen Teile aufgestellten Grundsätze und Regeln auf die b e s o n d e r e n V e r h ä l t n i s s e anzuwenden sind (S. 19). Die angewandte Erziehungslehre zeigt also, wie sich die Erziehung wirklich gestaltet mit Rücksicht auf die S t ä t t e n und P e r s o n e n der Erziehung. Es kommen hier vornehmlich die F a m i l i e n - , die S c h u l - und die I n s t i t u t s e r z i e h u n g in Betracht. Die Familienerziehung ist die natürlichste, darum die erste und wichtigste, sie ist die Urform der Erziehung. Die S ch ulerziehung bildet die notwendige Ergänzung der häuslichen, indem sie besonders durch den Unterricht, welchem das Haus nicht genugsam gewachsen ist, erziehend wirkt. Die
§ 85. Einleitung und "Übersicht.
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I n s t i t u t s e r z i e h u n g sucht beides zu vereinigen, was aber darum schwer ist, weil zwischen Erzieher und Zögling die natürlichen Bande fehlen, die Eltern und Kinder verknüpfen. Da der Zweck dieses Buches hauptsächlich der ist, Seminaristen und jungen Lehrern eine Anleitung zur Handhabung der Erziehung zu geben, so wird hier die S c h u l e r z i e h u n g ausführlicher behandelt, zuvor aber der F a m i l i e n - und der I n s t i t u t s e r z i e h u n g in kurzen Abschnitten gedacht werden. Anmerkung. Da der Erzieher es entweder mit einem, mit mehreren oder vielen Zöglingen zugleich zu thun haben kann, so scheint es geeignet, hier die Frage: Ob Einzel- oder Massenerziehung? zu berühren und die besonderen Vor- und Nachteile beider in Kürze anzuführen. Die E i n z e l e r z i e h u n g , welche zumeist in der Familie stattfindet, hat den Vorzug, dafs der Erzieher im steten Umgang den Zögling genau k e n n e n lernen und darum die erzieherische Behandlung der I n d i v i d u a l i t ä t anpassen kann, so dafs beide, Erzieher und Zögling, sich leicht ineinander finden. — Anderseits liegt bei ihr die Gefahr nahe, dafs die gesamte Entwicklung des Zöglings unter dem vollen und steten Einflüsse des e i n e n Erziehers e i n s e i t i g werde. DieMassenerziehung, welche vorwiegend in öffentlichen Schulen und in Instituten Anwendung findet, hat den Vorteil, dafs sie den Zögling, der einst in der Gesellschaft leben soll, schon in G e s e l l s c h a f t erzieht. Diese macht neben dem eigentlichen Erzieher ihre BildungBeinflüsse geltend. Sie verhilft dem Zögling zu mancherlei B e o b a c h t u n g e n im Umgang mit Menschen, fördert mit der M e n s c h e n k e n n t n i s die M e n s c h e n l i e b e , die T e i l n a h m e an Freud und Leid, macht l e u t s e l i g und b e s c h e i d e n , da der Zögling sieht, dafs nicht nur er, sondern auch andere etwas leisten, und regt doch auch wieder zu lebendigem W e t t e i f e r an, der den Zögling spornt, es anderen tüchtigen Zöglingen gleich zu thun. — Anderseits hat die Massenerziehung aber den N a c h t e i l , dafs der Erzieher den Zögling nicht genau kennen zu lernen und darum weniger zu berücksichtigen vermag, dafs die Gesellschaft auch v e r z i e h e n d auf diesen wirken kann, weshalb die Erziehung der Massen strenge Aufsicht und Disziplin nötig macht.
Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
238
Die eigentümlichen Nachteile der Einzel- und Massenerziehung werden wohl am ersten beseitigt, wenn durch zweckmäisige V e r b i n d u n g dieser Erziehungsweisen ihre Vorzüge wirksam werden. L o c k e und Rousseau waren für Einzelerziehung (der junge Shaftesbury und Emil), während schon der Römer Quintilian (42 n. Chr.) für die öffentliche Massenerziehung in Schulen eintrat.
Erster
Abschnitt.
§ 86. Die Erziehung des Hauses. Im H a u s e , in der F a m i l i e liegen alle Wurzeln des Lebens, des körperlichen Seins, des Denkens, Fühlens und Strebens des Kindes. Das Haus, die Geburtsstätte des Kindes, ist auch die natürlichste und wichtigste Stätte seiner Erziehung. Namentlich übt das Haus auf die leibliche, gemütliche und moralische Entwicklung des Kindes einen entscheidenden Einfluls aus. Es bedient sich zumeist der gelegentlichen Belehrung und überläfst dagegen den planmäfsigen Unterricht der Schule. Die häusliche Erziehungsthätigkeit besteht sonach vorzugsweise in P f l e g e und Z u c h t , wobei das B e i s p i e l 1 ) als das wichtigste Erziehungsmittel auftritt. Das Haus ist die W e l t des Kindes. In dieser Welt wird es g e b o r e n und in seiner Hilflosigkeit g e p f l e g t , genährt, geführt und geleitet, zunächst von treuer Mutterhand, deren Stütze der kräftigere Vater ist. Hier empfängt es die ersten A n s c h a u u n g e n , hier bildet sich sein G e d a n k e n k r e i s , der ihm dann den Mafsstab für die Beurteilung der Verhältnisse in der grofsen Welt abgibt. Hier, wo es mit Eltern, Geschwistern und Hausgenossen in innigster Gemeinschaft steht, Freude und Leid mit ihnen teilt, wo es Wohltbaten und Liebesbeweise empfängt, hier l)
Wie die Alten Bungen, So zwitschern auch die Jungen.
§ 87.
Die Erziehung in Instituten.
2a9
fiihll es sich heimisch, hier wird sein G e m ü t angeregt zur Liebe gegen die Mitmenschen, zu Wohlwollen, Vertrauen und Anhänglichkeit1). Hier, wo es sich dem Wunsch der Mutter, dem Befehl des Vaters und den Verhältnissen fügen mufs, wo es an dem Beispiele der Eltern stets ein Vorbild seines Handelns und Wandeins hat, wird auch der tiefe Grund seiner m o r a l i s c h e n Bildung gelegt. — In keinem anderen Kreise finden sich so viele Bedingungen für eine glückliche Erziehung vereinigt, wie in dem Elternhause. Wer vater- und mutterlos ist, in fremden Häusern erzogen werden, das Glück der Vater- und Mutterliebe vermissen mufs, ist zu bedauern. Das G e d e i h e n der häuslichen Erziehung hängt vorzugsweise von den guten Erziehereigenschaften der E l t e r n , ihrer Treue, ihrer Einsicht und ihrer Persönlichkeit, sowie von ihrem einträchtigen Zusammenwirken ab. Nicht zu unterschätzen ist endlich der Einflufs der Miterzieher, auf den die Eltern deshalb ein wachsames Auge zu richten und den sie nach ihrem Plane zu regulieren haben. Da auf die häusliche Erziehung in der allgemeinen Erziehungslehre fortgesetzt hingewiesen wurde, so ist kein Grund vorhanden, diesen Abschnitt weiter auszudehnen.
Zweiter
Abschnitt.
§ 87. Die Erziehung in Instituten (Erziehungsanstalten).
1. Gar manchen Kindern kann das Glück der Familienerziehung nicht zu teil werden, weil entweder sie selbst oder die Eltern dazu körperlich, geistig oder sittlich un1) »Ich frage mich, wie komme ich dahin, Menschen zu lieben, Menschen zu trauen, Menschen zu danken, Menschen zu gehorsamen ? Wie kommen die Gefühle, auf denen Menschenliebe, Menschendank und Menschenvertrauen wesentlich ruhen, und die Fertigkeiten, durch welche sich der menschliche Gehorsam bildet,, in meine Natur ? — nnd ich finde, dafs sie hauptsächlich von dem Verhältnisse ausgehen, das zwischen dem unmündigen Kinde und seiner Mutter statt hat. < (Pestalozzi.)
240
Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
vermögend, oder weil letztere nicht imstande sind, ihren Kindern eine solche Erziehung zu geben, wie es gerade ihr Wunsch wäre. Diese Verhältnisse führten zur Gründung von E r z i e h u n g s i n s t i t u t e n , welche mit der E r z i e h u n g oft auch den U n t e r r i c h t verbinden. Es sind das einerseits die A n s t a l t e n der e r b a r m e n d e n L i e b e , anderseits solche Institute, welche eine b e s s e r e Erziehung und Bildung vermitteln wollen, als sie das Haus zu geben vermag. 2. Die Anstalten, welche die e r b a r m e n d e L i e b e ins Dasein rief und die besonders durch P e s t a l o z z i s aufopferndes Vorbild aufs neue in gröfserem Umfang veranlalst wurden, sind: a) E r z i e h u n g s i n s t i t u t e für m a n g e l h a f t organ i s i e r t e K i n d e r . Dazugehören die T a u b s t u m m e n - , B l i n d e n - und B l ö d e n i n s t i t u t e . Die Zöglinge derselben sind unglückliche Kinder, welche wegen organischer Fehler in gewöhnlichen Verhältnissen geistig und sittlich zurückbleiben würden und darum einer b e s o n d e r e n Fürsorge, Erziehung und Bildung bedürfen. Den Taubstummen fehlt der höhere Sinn des G e h ö r s , welcher eine Mangel den andern der Sprache zur Folge hat. Letzterer wird in den deutschen T a u b s t u m m e n i n s t i t u t e n aber dadurch beseitigt dals man die Zöglinge lehrt, das Gesprochene vom Munde des Sprechenden abzulesen (Samuel H e i n i c k e in Leipzig, G r a s e r in Bayreuth, H i l l in Weifsenfeis). — Den B l i n d e n fehlt der Gesichtssinn und damit nicht nur die Möglichkeit, L i c h t - und F a r b e n e i n d r ü c k e zu empfangen, sondern auch die der freien Bewegung und Selbständigkeit. Obwohl der Lautsprache zugänglich, können sie doch die Schreib- und Druckschrift der Sehenden weder ausführen noch lesen, müssen vielmehr angehalten werden, die sogenannte Handdruckschrift und das Lesen derselben mittelst des Tastsinnes zu erlernen. — Nicht minder bedauerlich erscheinen die S c h w a c h - und B l ö d s i n n i g e n , deren geistige Gesamtbefähigung auffallend tief unter dem normalen Mafse steht.
§ 87.
241
Die E r z i e h u n g in Instituten.
(Auch die Erziehungsanstalten für k r ü p p e l h a f t e K i n der bedürfen hier der Erwähnung.) Obwohl bei der Erziehung dieser Unglücklichen die Grundsätze der allgemeinen Erziehungslehre zur Anwendung zu kommen haben, so müssen sie doch durch ein spezielles Fachstudium und durch eine besondere Technik ergänzt werden. Wenn ein Erzieher solche unglückliche Zöglinge hat, so nehme er ärztlichen Rat zu Hilfe und trachte darnach, sie möglichst bald sachverständiger Leitung zu unterstellen. b) A n s t a l t e n der s o z i a l e n N o t , wie die K r i p p e n - und ß e w a h r a n s t a l t e n , K n a b e n - und Mädc h e n h o r t e , die R e t t u n g s h ä u s e r , die F i n d e l - und Waisenhäuser. Die K r i p p e n , welche die Säuglinge und die Kinder bis zum 3. Lebensjahre, dann die K i n d e r b e w a h r a n s t a l t e n , welche die 3- bis 6jährigen Kinder armer Eltern, während die letzteren nach Brot gehen, aufnehmen, lassen denselben die nötige leibliche und geistige Pflege angedeihen. Die K n a b e n h o r t e beaufsichtigen und beschäftigen arme Schulkinder nach der Schulzeit in besonderen Lokalen und Gärten. Die F i n d e l h ä u s e r nehmen arme Kinder auf, deren sich gewissenlose Eltern entledigt haben, die W a i s e n h ä u s e r solche, denen der Tod die Eltern raubte. Die R e t t u n g s h ä u s e r unterziehensich der schweren Aufgabe, durch unglückliche Schicksale s i t t l i c h v e r w a h r l o s t e Kinder zu erziehen und zu b e s s e r n . — Dafs auch zur Behandlung dieser Kinder besondere Erfahrung, hauptsächlich aber ein Herz voll M e n s c h e n l i e b e gehört, braucht nur angedeutet zu werden. Wenn recht geleitet, leisten diese Humanitätsanstalten der menschlichen Gesellschaft grofse Dienste. 3. Die h ö h e r e n E r z i e h u n g s - und B i l d u n g s a n s t a l t e n sind solche, in welchen den Kindern a) eine b e s s e r e Erziehung überhaupt zu teil werden soll, als sie die Eltern in ihren Verhältnissen geben können; hierher sind die K n a b e n - , noch viel häufiger aber MädB ö h m , Praktische Erziehungsielire.
16
242
Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
c h e n i n s t i t u t e (Töchterpensionate) zu zählen; oder es sind solche, in denen den Kindern b) eine den S t a n d oder künftigen L e b e n s b e r u f berücksichtigende Erziehung zu teil werden soll, wie a d e l i g e , m i l i t ä r i s c h e , g e i s t l i c h e etc. Erziehungsinstitute. Anmerkung' 1. Gegen die Institutserziehung wurden schon oft Bedenken laut. Als Nachteile derselben werden angeführt: Der Mangel an Einheit und I n n i g k e i t der Erziehung bei der Vielheit der Erzieher und Aufseher; die Abnützung der A u t o r i t ä t der Erzieher durch den steten Umgang mit den Zögüngen; das raschere Umsichgreifen des Bösen, die gröisere Gefahr der Verführung bei der M e n g e der Zöglinge; die darum notwendig werdende strengere A u f s i c h t und Behandlung und der Wegfall der wohlthätigen Einwirkung des Familiengeistes; die E i n s e i t i g k e i t der Erziehung, welche eine Folge der Abschliefsung von den Erziehungseinflüssen des Lebens und Zeitgeistes und der Einförmigkeit der Institutsordnung ist. A n d e r s e i t s mufs aber hervorgehoben werden, dafs erleuchtete und für den Erziehungsberuf begeisterte Persönlichkeiten in einem Institute durch einträchtiges Zusammenwirken grofse Resultate erzielen können. Da durch stete Aufsicht der Ordnung groiser Vorschub geleistet wird und das Internat zumeist billiger ist, als das Externat, so wird ersteres von vielen Eltern dem letzteren vorgezogen. (Pythagoras, Francke, Salzmann, Pestalozzi.) VgL Dr. Lindner, allgem. Erz.-L. Anmerkung 2. Es ist eine Frage, ob man die Kinder auch nach ihren äufseren Lebensverhältnissen, nach Stand, Vermögen und Bildungsgrad ihrer Eltern trennen soll. In Bayern ist sie, auch in grofsen Städten, wie München, Augsburg etc., dahin entschieden, dafs alle Kinder, ob reich oder arm, die allgemeine Volksschule besuchen müssen. »Jedenfalls mufs die Erziehung nach Möglichkeit darauf hinarbeiten, die spannenden Gegensätze zwischen den verschiedenen Volksschichten zu mildern und in dem aufwachsenden Geschlechte das Gefühl der Zusammengehörigkeit zu begründen.« (Dr. Dittes.) Eine besondere Art von Erziehungsanstalten sind die Kindergärten, eine Schöpfung F r . F r ö b e l s (1782—1852), welche die Kinder vom 4. bis 6. Jahre aufnehmen, nicht um die F a m i l i e n e r z i e h u n g zu ersetzen, sondern um
§ 88.
Wesen and Notwendigkeit der Schulerziehnng.
243
sie zu u n t e r s t ü t z e n , um die Kinder aus dem Einzelleben heraus zum geselligen Verkehr mit ihresgleichen zu führen, sie an gesellige Tugenden zu gewöhnen, ihre Sinne und Glieder zu üben und ihr Gemüt zu bilden durch B e s c h ä f t i g u n g und S p i e l . Obgleich der eigentliche Unterricht streng ausgeschlossen ist, so leisten sie doch Vortreffliches, indem sie durch die Pflege der Aufmerksamkeit, der Geselligkeit, Verträglichkeit etc. das S c h u l l e b e n v o r b e reiten.
Dritter
Abschnitt.
Die Erziehung in der Schule, § 88. Wesen und Notwendigkeit der Schulerziehung.
1. Neben dem Hause ist die S c h u l e die bedeutsamste Erziehungsstätte für die Jugend. Soweit die Erziehung von der Schule und dem Lehrer ausgeht, spricht man von S c h u l e r z i e h u n g . Ihr Z w e c k ist kein anderer, als dem S c h ü l e r zu seiner Bestimmung zu verhelfen. Ihre A u f g a b e ist es daher, den Schüler zu befähigen, dafs er in s e l b s t b e w u f s t e r F r e i h e i t , d. h. in Erkenntnis des Wahren, Schönen und Guten diesem in der Schule und im spätem Leben nachstreben lerne. Die M i t t e l , deren sich der Lehrer dabei bedient, und die T h ä t i g k e i t e n , welche seine Erziehung ausmachen, sind dieselben, wie in der Erziehung überhaupt. Der H a u p t u n t e r s c h i e d zwischen der Familien- und Schulerziehung liegt darin, dafs in der Familie P f l e g e und Z u c h t den Mittelpunkt der Erziehungsthätigkeit bilden (ohne aber dafs der Unterricht entbehrt werden könnte), während die S c h u l e gerade den U n t e r r i c h t zum Zentrum ihrer erziehlichen Thätigkeit macht, ohne aber Pflege und Zucht unberücksichtigt zu lassen oder zu vernachlässigen (§ 5). Daraus ergibt sich, dafs in der Wirklichkeit diese drei Erziehungsthätigkeiten nicht zu trennen sind, dafs aber in der Theorie auch die 16*
244
Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
gesamte Erziehungsthätigkeit der Schule, d. h. die S c h u 1e r z i e h u n g i. w. S., sich in S c h u l e r z i e h u n g i. e. S. (Pflege und Zucht) und in den U n t e r r i c h t scheiden läfst. Die Schulerziehung i. e. S. nennen wir S c h u l d i s z i p l i n . Von ihr soll hauptsächlich in der angewandten Erziehungslehre gesprochen werden. Vom Schulunterricht handelt erst das zweite Buch der Erziehungslehre. 2. Die Schulerziehung ist n o t w e n d i g , u n e n t b e h r l i c h , da das Haus, obgleich die wichtigste Erziehungsstätte, die grofse Aufgabe der Erziehung nicht allein erfüllen kann. Den E l t e r n fehlt hierzu entweder die Zeit, oder die Befähigung und Bildung, die Lust und Liebe, besonders häufig die Befähigung zur Erteilung eines planmäfsigen m e t h o d i s c h e n Unterrichts. Nicht jede Familie ist imstande, ihre Erziehung durch einen Privaterzieher oder Hofmeister unterstützen zu lassen; die Schulerziehung erweist sich daher besonders den armen Eltern gegenüber als eine sehr fühlbare Wohlthat. Sie ist es aber nicht minder für die wohlhabenden Familien, in denen alt und jung gar zu leicht in egoistische Standesvorurteile verfällt. Die Schulerziehung kann die Familienerziehung n i c h t e r s e t z e n , wohl aber e r g ä n z e n und e r w e i t e r n . Die Schule stellt einen gröfseren Lebenskreis dar, als die Familie. Es mehren sich hier des Kindes Pflichten und Rechte. Es tritt in eine gröfsere Gesellschaft, deren Gliedern gegenüber es die rechte Stellung gewinnen mufs; es hat sich jetzt in andere fügen zu lernen, sich dem Wohl des Ganzen, der neuen Autorität des Lehrers und des Schulgesetzes unterzuordnen. In diesem streng geregelten Organismus erhält der E g o i s m u s einen heilsamen Dämpfer, der Gem e i n s i n n einen steten Anreiz und der C h a r a k t e r hinreichende Gelegenheit zur Aneignung g e s e l l i g e r Tugenden. Indem aber die Schulerziehung das Schulleben zu einem s i t t l i c h e n Organismus gestaltet, bildet sie zugleich die grofsen Formen des menschlichen Gemeinlebens, die sittl i c h e n L e b e n s g e m e i n s c h a f t e n (Gemeinde, Kirche, Staat) vor, sie bereichert die Schüler mit wertvollen E r -
§ 89.
245
Begriff, Zweck etc. der Schuldisziplin.
f a h r u n g e n und befruchtet Geist und Gemüt derselben derartig, dafs sie für die Zukunft innerlich befähigt werden, sich einzufügen in die allgemein geltenden Ordnungen des Lebens. Durch die Schulerziehung wird also das L e b e n i n der S c h u l e zu einer wahren S c h u l e d e s L e b e n s und es erscheint daher als eine N o t w e n d i g k e i t , dafs n e b e n die Familienerziehung die ö f f e n t l i c h e S c h u l e r z i e h u n g tritt. Von der Schulerziehung i. e. S. oder
von der Schuldisziplin. Es ist hier zu handeln 1. von dem B e g r i f f u n d Z we ck, 2. von den Mitte In und 3. von dem V e r f a h r e n (Methode) der Schuldisziplin. § 89Begriff,
Zweck, Aufgabe und Schwierigkeit Schuldisziplin.
der
1. Begriff. Der Lehrer hat den Schüler, wo dessen Wollen und Handeln noch nicht der Vernunft und Sittlichkeit entspricht, durch Ü b u n g , d. h. durch Anhalten zur B e t h ä t i g u n g der r e c h t e n G e s i n n u n g zu einem sittl i c h e n V e r h a l t e n zu g e w ö h n e n . Er hat ihn ferner anzuleiten, seinen Eigenwillen dem Wohle des Ganzen unterzuordnen, damit nicht nur die gesellige Tugend Raum finde, sondern auch die für den Unterricht erwünschte Gemütsstimmung Platz greifen könne. Dies geschieht durch die g e s e l l i g e G e w ö h n u n g . Endlich hat er auch«das leibliche Wohl und die leibliche Gesundheit des Schülers im Auge zu behalten, ihn also durch die p h y s i s c h e Gewöhnung zu einer vernünftigen Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse zu führen. Diese nach dreifacher Richtung wirkende, sich stets wechselseitig durchdringende und unterstützende Thätigkeit des Lehrers, welche neben dem Unterricht her-, und zum Teil von ihm ausgeht, und welche die p h y s i s c h e , ges e l l i g e und s i t t l i c h e G e w ö h n u n g der Schüler bezweckt, heifst S c h u l d i s z i p l i n .
246
Die Erziekungslehre im engeren Sinne.
2. Der Zweck der Schuldisziplin ist im a l l g e m e i n e n die G e w ö h n u n g d e s S c h ü l e r s an d a s r e c h t e L e b e n . — D e r n ä c h s t e Zweck geht nur auf die S c h u l e . Er ist unter steter Berücksichtigung des l e i b l i c h e n W o h l e s auf die Herstellung und Erhaltung einer s i t t l i c h e n L e b e n s o r d n u n g , bei welcher sowohl der Unterricht als die Charakterbildung gedeihen kann, gerichtet. (Ein so geordneter Z u s t a n d wird auch D i s z i p l i n genannt.) Der w e i t e r e Zweck geht auf das k ü n f t i g e Leben. Die Disziplin hat deshalb die Erziehung der ü b r i g e n L e b e n s k r e i s e (besonders der Familie) zu unterstützen und zu ergänzen, jedem edlen G e m e i n s c h a f t s l e b e n vorzuarbeiten und das Kind zur S e l b s t e r z i e h u n g vorzubereiten. Damit wird die Schuldisziplin zugleich Mitt e l zu h ö h e r e m Z w e c k e . 3. Die Aufgabe der Schuldisziplin ist daher in e r s t e r Linie, die ä u f s e r e und i n n e r e Ordnung in der Schule herzustellen und zu erhalten; in z w e i t e r Linie aber, im Verein mit allen w o h l g e m e i n t e n E i n f l ü s s e n d e r übrig e n L e b e n s k r e i s e (Familie, Gemeinde, Kirche, Staat), den Schüler auf den Weg der s i t t l i c h e n F r e i h e i t zu führen und diesen so mit Geländern, Schutzsteinen und Wegweisern zu versehen, dafs jener s e l b s t den rechten Weg zu finden vermag. Die Schule begleitet zwar den Menschen nur eine kurze Strecke seines Lebens und viele Faktoren wirken mit, neben und nach ihr. Das raubt ihr jedoch nichts von ihrer Bedeutung. Was sie begründet, soll das Leben ausbauen. Anmerkung 1. Die Herstellung der ä u i s e r e n O r d n u n g ist n o t w e n d i g , damit der Unterricht Anfang und fruchtbaren Fortgang nehmen kann, damit kein Kind in seinen Rechten verletzt, damit die Gesundheit nicht geschädigt werde etc. Da die Kinder in dieser Hinsicht aus eigener Einsicht noch nicht immer das Rechte treffen können, so müssen sie den aus der höheren Einsicht des Lehrers hervorgehenden Anordnungen u n b e d i n g t e n G e h o r s a m leisten. Diese unmittelbaren Erziehungsmaßnahmen ( p h y s i s c h e und g e s e l l i g e Gewöhnung) bilden die n i e d e r e S p h ä r e der Schuldisziplin,
§ 89.
Begriff, Zweck etc. der Schuldisziplin.
247
•welche im wesentlichen mit dem zusammenfallen, was H e r b a r t die R e g i e r u n g , S t o y aber die P o l i z e i nennt. — Ihr Zweck liegt scheinbar in der G e g e n w a r t , in Wirklichkeit jedoch ist er auf die Gestaltung der künftigen Persönlichkeit gerichtet. — Die Herstellung der i n n e r e n O r d n u n g gelingt der Schuldisziplin, wenn sie den Schüler zur willkürlichen Aufmerksamkeit, zum Fleifse und zum grundsätzlich sittlichen Verhalten durch Ausgestaltung seines Gedankenkreises anzuregen weifs. Dies ist die h ö h e r e S p h ä r e der Disziplin ( s i t t l i c h e Gewöhnung), welche im wesentlichen nichts anderes ist, als was Herbart Z u c h t , Stoy aber F ü h r u n g nennt. Sie ist augenscheinlich auf die künftige Wohlfahrt des Schülers gerichtet. Anmerkung 2. Die Schuldisziplin hat die wohlgemeinten Erziehungsbestrebungen der übrigen Lebenskreise sehr zu beachten. Hier kommt zunächst das H a u s in Betracht; seine und der Schule Erziehungsthätigkeit sollen mit Rücksicht auf denselben Gegenstand und den gleichen Zweck der Erziehung im Einklang stehen. Die S c h u l e hat gegenüber dem Hause die Verpflichtung, 1. die g u t e Familienerziehung zu u n t e r s t ü t z e n und f o r t z u s e t z e n , 2. die zwar g u t b e a b s i c h t i g t e , aber m a n g e l h a f t d u r c h g e f ü h r t e Erziehung des Hauses zu e r g ä n z e n und 3. die s c h l e c h t e , auch nicht besser beabsichtigte häusliche Zucht zu p a r a l y s i e r e n . Dies wird der Schule aber nur dann gelingen, wenn der Lehrer mit dem Hause in l e b e n d i g e m V e r k e h r (Benachrichtigungen, Zensuren, Besuche etc.) tritt, sich Kenntnis von dessen Grundsätzen, Erziehungsweisen, Verhältnissen etc. verschafft und die Eltern für die ganze Erziehungsaufgabe zu interessieren vermag. — Das H a u s hinwieder hat die Verpflichtung, die gesamte Lehrerarbeit in aller Treue zu unterstützen. Dies geschieht, wenn 1. das Haus an allem, was in der Schule geschieht und gefordert wird (Hausaufgaben), ein lebendiges Interesse nimmt, wenn es 2. vor der Schule, ihrer Arbeit, ihren Lehrern etc. Achtung hegt und bezeigt und gegenüber den Kindern jedes Wort, das Schule oder Lehrer betrifft, auf die Wage der Vorsicht legt und mit dem Mafse der Klugheit mifst, und wenn es 3. selbst eine gute sittliche Zucht mit allem Ernste handhabt. — Da das Schulleben in die verschiedenen Lebenskreise (Familie, Kirche und Staat) überleiten soll, so mufs die Schuldisziplin ihre Thätigkeit mit denselben zu einer G e s a m t -
Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
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W i r k u n g vereinigen, welche geeignet ißt, die Erreichung der sittlichen Lebenszwecke und die S e l b s t e r z i e h u n g mächtig zu fördern.
4. Schwierigkeit der Schuldisziplin. Schuldisziplin halten, wenn
ist sehr schwer herzustellen
Eine gute und zu er-
a) der L e h r e r nicht die nötige intellektuelle und sittliche B i l d u n g , nicht die nötige W i l l e n s k r a f t und das erforderliche erzieherische G e s c h i c k besitzt, so dafs er weder die I n d i v i d u a l i t ä t d e s E i n z e l n e n kennen und berücksichtigen lernt, noch die M a s s e zu leiten, das bessere Streben zum Gemeingut der Klasse zu machen weils; b) wenn die S c h u l e i n r i c h t u n g e n , eine allzugrolse Schülerzahl, ein zu ausgedehntes Fachlehrersystem etc. Hindernisse bieten; c) wenn die ö r t l i c h e n V e r h ä l t n i s s e , wie feindselige Stimmung der Eltern gegen alles, was Schule und Bildung heilst, ausgedehnte Schulsprengel und unregelmäfsiger Schulbesuch ihre Wirkung beeinträchtigen. Anmerkung. Die D i s z i p l i n a r g e w a l t der Schule erstreckt sich auch auf das V e r h a l t e n der S c h ü l e r a u f s e r der Schule. Dies ist auch nötig, da das Publikum gewohnt ist, für das, was die Schulkinder aufserhalb der Schule thun, diese mit verantwortlich zu machen. Der Schuldisziplin unterstehen 1. alle solche Vergehen a u f s e r h a l b der Schule, durch welche ein bestimmtes S c h u l d i s z i p l i n a r g e s e t z übert r e t e n wird (Wirtshaus-, Theaterbesuch, Geldspiele etc.); 2. alle U n e h r e r b i e t i g k e i t in der K i r c h e , bei Prozessionen, sowie die Versäumnisse in den Christenlehren; 3. auch a n d e r s w o v e r ü b t e r U n f u g (rohes Verhalten, Stein- und Schneeball werfen in Strafsen, Lärmen und Raufen etc.) kann unter Umständen vor das Forum der Schuldisziplin gebracht werden. — Wo die Unterstützung des Hauses in dieser Richtung vergeblich angerufen wird, ist an die Ortspolizeibehörde zu appellieren, welche die Hilfe nicht verweigern wird, zur Ableitung des jugendlichen Übermutes aber (und im Interesse der Gesundheit) den Kindern Spiel- und Tummelplätze an geeigneten Orten anweisen sollte.
§ 90. Die Mittel der Schuldisziplin.
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§ 90. Die Mittel der Schuldisziplin.
Die M i t t e l der Schuldisziplin sind die der Erziehung überhaupt, nämlich: B e i s p i e l , A u f s i c h t , B e s c h ä f t i g u n g , B e l e h r u n g , G e b o t und Verbot, B e l o h n u n g u n d S t r a f e (§ 20). Dieselben bedürfen keiner weiteren Auseinandersetzung mehr. Nur sei hier auf die Regel aufmerksam gemacht, welche C o m e n i u s hinsichtlich der Anwendung der Disziplinarmittel treffend zum Ausdruck brachte: »Die beste Form der Zucht zeigt uns die himmlische Sonne, welche dem heranwachsenden Wesen 1. s t e t s Licht und Wärme, 2. o f t Regen und Wind, 3. s e l t e n Donner und Blitz spendet, wenn schon auch dieses letztere zum Nutzen derselben ist.« Besonders mufs hier noch des Disziplinators in der Schule, des L e h r e r s , und des Unterr i c h t s gedacht werden. 1. Der Lehrer als Erzieher. Alle Eigenschaften, welche von der beispielgebenden Persönlichkeit des Erziehers gefordert wurden (§49), soll auch der L e h r e r besitzen. Er tritt vermöge seines Amtes als eine n e u e A u t o r i t ä t dem Schüler gegenüber. Die Autorität mufs in seinem stärkeren Geiste, in seiner inneren Würde und Hoheit ihre Basis haben und ihre wohlthuende Milde vom Sonnenblick der L i e b e empfangen. Der Lehrer soll aulser den früher genannten Erziehereigenschaften für die Massenerziehung besonders v ier Eigenschaften besitzen, die wir als Kardinaltugenden ansehen: er sei wachsam, weise, gerecht und konsequent. a) Die Wachsamkeit des Lehrers mufs 1. auf i h n s e l b s t gerichtet sein, auf sein A u f s e r e s (Haltung, Gebärden, Kleidung etc.) wie auf sein I n n e r e s , seine Gesinnung. Er mufs wachen, dafs kein unreiner G e d a n k e in seinem Herzen wohne, kein unwahres oder unsittliches W o r t über seine Lippen trete, dals keine seiner H a n d l u n g e n Zweifel an seinem sittlichen Werte im Kinderherzen erwecke. Er mufs 2. wachen über seine S c h ü l e r . Deshalb nehme er Stellung oder Sitz vor der Klasse, damit er
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
die Kinder stets im Auge habe. Der Lehrer soll aber nicht blofs sehen, wie sie sich ä u f s e r l i c h verhalten; er mufs durch das Auge (das Fenster der Seele) ihnen ins Herz, schauen, um zu erfahren, was und wie sie i n n e r l i c h sind. Nur so kann er sie von innen heraus für die geistige Mitarbeit gewinnen. Endlich 3. wache er über die Urs a c h e n und U m s t ä n d e , welche die Schüler zum Bösen verleiten könnten, und suche alles so zu wenden, dafs die Schüler im Guten beharren. b) Die stete Wachsamkeit ist eine Frucht der W e i s h e i t , welche Ziel und Aufgabe der Disziplin nicht aus dem Auge verliert, und zu deren Erreichung die rechten Mittel und Wege zeigt. c) Die G e r e c h t i g k e i t d e s Lehrers fordert vom Schüler nur, was seinen K r ä f t e n entspricht, und lohnt oder straft seine Handlungen nur nach ihrem i n n e r e n W e r t e , nach der Gesinnung, der sie entspringen. d) Seine K o n s e q u e n z endlich verfolgt alle edlen Zwecke und Ziele und bekämpft alles Böse und Verkehrte mit Entschiedenheit und Ausdauer, ohne Rücksicht auf das Wohlgefallen oder Miisfallen der Menge. — Wo der Lehrer mit diesen Tugenden ausgerüstet ist und A u t o r i t ä t und L i e b e besitzt, da wird der Schüler gerne seinen Eigenwillen unterdrücken, sich an des Lehrers Worte halten, seinem Beispiele folgen und seinen Beifall zu erringen trachten. 2. Der Unterricht als Disziplinarmittel. Die Hauptthätigkeit der Schulerziehung im allgemeinen ist der U n t e r r i c h t , dieser findet in der S c h u l e seine besondere Betonung. Die S c h u l d i s z i p l i n (Schulerziehung i. e. S.) umfafst die Pflege und Zucht in der Schule, die aber vom Unterricht sehr beeinflulst werden, weshalb der Schulunterricht als ein H a u p t m i t t e l der Schuldisziplin betrachtet wird. Der Unterricht vermittelt dem Schüler die E i n s i c h t , vermöge welcher er aus freieigener Ü b e r z e u g u n g das s e l b s t ä n d i g thut, wozu die Zucht ihn anhält. Z u n ä c h s t bildet der Unterricht die I n t e l l i g e n z , weil er an den
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verschiedenen Lehrstoffen das D e n k e n lehrt und so den Schüler befähigt, die ihn umgebenden Dinge und Verhältnisse nach ihrem wahren Werte a b z u w ä g e n und zu b e u r t e i l e n . Das klare Denken und die zwingende Macht der Schlüsse wird zur Z u c h t der W a h r h e i t , welche den Schüler im S i t t l i c h e n klar sehen läfst und den s i t t l i c h e n I d e e n im Gedankenkreis zur Herrschaft verhilft. Der Unterricht bildet durch Wiederholung das G e d ä c h t n i s ; durch Vorführung reiner Bilder läutert und veredelt er die P h a n t a s i e und das ästhetische G e f ü h l , so wie er durch die stete Betonung der W a h r h e i t das W a h r h e i t s g e f ü h l nicht minder als das sittliche und religiöse Gefühl anregt. — Endlich sammelt er des Schülers Gedanken um bestimmte Dinge und nimmt dessen I n t e r e s s e so in Anspruch, dafs er sich nur den dargebotenen Eindrücken hingibt, erzieht also zur A u f m e r k s a m k e i t und bildet damit den Willen. Der Unterricht wirkt erziehend aber auch als Bes c h ä f t i g u n g s m i t t e l ü b e r h a u p t , denn er entreifst das Kind den Gefahren des M ü s s i g g a n g e s und der L a n g e weile. Da also der Unterricht die S e l b s t t h ä t i g k e i t des Schülers allseitig anregt und daruit die S e l b s t ä n d i g k e i t des Charakters anbahnt, die Schuldisziplin dieses Ziel nur durch den Unterricht erreichen kann, ohne denselben zur puren Dressur würde: so ist der Unterricht (der erziehende) in der T h a t das wichtigste Mittel der S c h u l d i s z i p l i n . Die S u m m e dieser vom Unterrichte a n sich a u s g e h e n d e n erziehlichen W i r k u n g e n kann man g e i s t i g e D i s z i p l i n nennen. Es kommt freilich alles darauf an, in welchem Lichte sich die Persönlichkeit des Lehrers beim Unterrichte zeigt. Der Ernst, die Treue und Gewissenhaftigkeit, womit ein Lehrer seiner Unterrichtsarbeit nachkommt, die eifrige und doch geduldige Bemühung in der Förderung der Kinder, kann diesen gegenüber nimmer ohne sittliche Wirkung bleiben. Umgekehrt mufs der Mangel an Ernst und Treue, müssen Oberflächlichkeit und Ungeduld von Seiten des
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Die Erziehtingslehre im engeren Sinne.
Lehrers ihm die Herzen seiner Schüler entfremden und gleiche Lässigkeit und Pflichtvergessenheit bei denselben hervorrufen. Das Verfahren der Schuldisziplin.
Aus dem B e g r i f f e und der A u f g a b e der Schuldisziplin (§ 89) geht hervor, dafs die H a n d h a b u n g oder das V e r f a h r e n (Methode) der Schuldisziplin die p h y s i s c h e , g e s e l l i g e und sittliche Gewöhnung ümfafst. Der Unterricht soll zur W e i s h e i t leiten, die Disziplin soll weise, d.h. tugendsam l e b e n lehren; dies kann sie nur durch stete G e w ö h n u n g , welcher aber auch das Moment der F r e i h e i t nicht fehlen darf. (S. Schlufsbemerkung S. 1G5.) § 91. l.
Die physische Gewöhnung.
Die p h y s i s c h e G e w ö h n u n g ist zumeist Pflege, welche zur Zucht wird, sobald es sich um eine dem Kinde bewufste Angewöhnung handelt. Die Schule kann für die physische Entwicklung, der sie bisher oft eine zu geringe Aufmerksamkeit geschenkt, nur eine beschränkte Wirksamkeit entfalten. Aber das Wenige, was sie thun kann, ist mit Konsequenz und Treue zu üben, damit der Schüler zur vernünftigen und geschickten Führung seines L e i b e s l e b e n s gebracht und g e s u n d und k r ä f t i g erhalten werde. Die Schule kann a) i n d i r e k t wirken durch B e l e h r u n g e n über den menschlichen Körper, seine Organe und Bedürfnisse, sowie über die richtige Art ihrer Befriedigung, z. B. über die Nahrhaftigkeit und Verdaulichkeit der verschiedenen Nahrungsmittel, den Wert der Mäfsigkeit, die Nachteile der Unmäfsigkeit, Unreinlichkeit, schlechten Luft, die möglichen Folgen der Verkältung, die Schädlichkeit zu enger, zu warmer, zu leichter Kleidung, die Schonung der Sinne etc.; sie kann b) d i r e k t wirken durch Gewöhnung an R e i n l i c h k e i t , indem der Lehrer nur ein reinliches, freundliches
§91. 1. Die physische Gewöhnung.
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(schön geschmücktes) S c h u l z i m m e r und in demselben reinliche, sauber gewaschene, rein gekleidete, gekämmte S c h ü l e r mit sauberen Schulsachen duldet. Vorsicht, Klugheit (wegen Leichtverletzlichkeit der Mütter) und Konsequenz können hier viel erreichen. Dies kann weiter geschehen durch Gewöhnung an r e i n e , gleichmäfsig e r w ä r m t e L u f t . Das Wohlbehagen, das die Schüler in derselben empfinden, wird sie veranlassen, der dumpfen Zimmerluft ein entsprechendes Ventil zu geben, der Bruthitze zu entfliehen, dagegen den Zug zu meiden etc. Der Lehrer muis ferner für einen entsprechenden W e c h s e l zwischen B e w e g u n g und R u h e sorgen, also dem angestrengten Stillsitzen ebenso energische Bewegungen durch das T u r n e n , durch Bewegungsspiele, durch Gartenarbeiten, Baden, Eislauf, Schneeballen (Schulzimmerturnen) etc. zur Ausgleichung entgegensetzen. Seine Aufmerksamkeit soll sich ganz besonders auch auf die k ö r p e r l i c h e H a l t u n g der Schüler richten. Sie müssen frei, nur von der ßücklehne gestützt, in der Subsellie sitzen, dürfen sich nicht faul hineinlegen, nicht den Kopf mit den Händen stützen, den Oberkörper und den Kopf nicht zu weit vorbiegen, die Feder und den Stift nicht unrichtig halten etc. Man darf diese »kleinen Dinge« nicht für gering achten und nicht müde werden, die immer wieder hervortretende Gleichgültigkeit, Trägheit etc. ausdauernd zu bekämpfen. Der Lehrer sehe auch darauf, dafs die S i n n e der Kinder, ihre Seh- und Gehörkraft, nicht Schaden leiden (zu nahes, Hinsehen, zu kleine Schrift grelles Licht oder übermäfsiges Schreien, Zug am Fenster, Ohrenreifsen, Hineinbohren), dafs die N e r v e n nicht durch zu frühe Aufnahme in die Schule, durch zu grolse Anstrengung etc. herabgestimmt werden, . ferner dafs die Kinder sich nicht K r a n k h e i t e n in der Schule holen oder solche dort verbreiten. Werden die Schüler konsequent angehalten, stets auf ihren Leib zu achten, so werden sie durch die physische Gewöhnung zugleich in der Tugend der Selbstbeherrschung geübt, worin ein bedeutsames sittliches Moment liegt.
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Die Erziehungslehre im engeren Sinne.
§ 92. 2. Die gesellige Gewöhnung.
Die g e s e l l i g e Gewöhnung will (wie Herbarts Reg i e r u n g ) ein gutes G e m e i n s c h a f t s l e b e n in der S c h u l e herstellen und erhalten. Das Fundament, hierzu ist die O r d n u n g , die um so nötiger ist, wenn man es mit M a s s e n zu thun hat. Gute O r d n u n g ist da, wo alles am rechten Orte und zur rechten Z e i t in rechter W e i s e geschieht. a) Der Ort, der hier in Frage kommt, ist das S c h u l oder K l a s s e n z i m m e r (Schulhof, Schulhaus, Turnsaal, Turnplatz). In demselben mufs alles am r e c h t e n P l a t z e sein; jeder Schüler hat seinen ihm angewiesenen Platz einzunehmen, rein und ordentlich zu erhalten und seine Schulsachen gut aufzuheben. Alle diejenigen Schüler, welche besonderer Rücksicht oder Nachhilfe bedürfen, werden auf die vorderen Subsellien, die Ordnungsgehilfen auf die ersten Plätze derselben verwiesen. Diese Bank-Ersten haben den Lehrer in allerlei kleiner Arbeit und verschiedener Handreichung zu unterstützen, ihren Mitschülern mit gutem Beispiel voranzugehen, die Unordentlichen zu mahnen etc. (Schulgesetze?) Von gröfstem Einflufs ist hier das gute Beispiel des Lehrers, der deshalb auf dem Schultische, im Schulschranke etc. selbst gute Ordnung halten soll. b) Ordnung herrscht ferner, wenn alles zur rechten Z e i t geschieht. Die Schule mufs rechtzeitig beginnen. Der Lehrer sei der erste in der Schule (Klasse), damit er sieht, ob die Schüler ordentlich und rechtzeitig kommen, ob sie gewaschen und gekämmt erscheinen, ob sie freundlich grüfsen und ruhig ihre Plätze einnehmen; er mufs mit dem Glockenschlag die Schule mit Gesang und Gebet eröffnen, darnach die Aufgaben schnell durchsehen, die Abteilungen, welche er nicht direkt unterrichtet, möglichst rasch beschäftigen und dann den Unterricht ungesäumt beginnen. Während der P a u s e n (5—10 Minuten) z w i s c h e n den einzelnen U n t e r r i c h t s s t u n d e n lasse der Lehrer die
§ 92. 2. Die gesellige Gewöhnung.
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Kinder in den Hof- und auf den Spielplatz in geordneten Reihen gehen. Nach der Befriedigung ihrer Bedürfnisse mögen sie ihren Imbifs verzehren, worauf sie spielen und turnen können und ebenso geordnet wieder zurückzukehren haben. Beim ß c h l u i s der S c h u l e halte der Lehrer auf möglichst geräuschloses Zusammenpacken der Schulsachen, auf Herstellung der Ordnung unter den Bänken etc. Der Schlufs erfolgt wie der Anfang mit Gesang und Gebet. (Zwischen Vor- und Nachmittag nur mit Gebet.) Wenn die Kinder ihre Kleider, Mützen, Halstücher etc. umgethan, erfolgt unter dem Nachblick des Lehrers über den Schulhof der Weggang der Schüler, worauf der Lehrer seine Einträge in das Tage-, Zensur-, Individuenbuch etc. macht, während die Ordnungsgehilfen die Hefte und Federn aufbewahren, die Fenster öffnen etc. W ä h r e n d d e s U n t e r r i c h t s mufs der Lehrer auf R u h e und S t i l l e bei den Schülern halten und Aufmerks a m k e i t , F l e i f s und vor allem^ strengen gesetzlichen G e h o r s a m von ihnen fordern; d e n n das S c h u l k i n d hat s i c h f e s t d a r a n zu g e w ö h n e n , n i c h t das zu t h u n , was i h m b e h a g t , s o n d e r n d a s , was i h m der L e h r e r g e s a g t oder b e f o h l e n hat. Dabei mufs das Kind sich zur Pflicht machen, dem Lehrer auf alle Fragen l a u t e , d e u t l i c h e und s p r a c h l i c h r i c h t i g e Antw o r t e n zu geben. B e i m G e b r a u c h der U n t e r r i c h t s m i t t e l ist eine feste, t a k t m ä f s i g e Eingewöhnung der Schüler sehr zu empfehlen. Bücher, Hefte etc. werden z.B. in zwei oder drei Zeiten von der Bank genommen und ebenso zurückgelegt. Diese k l e i n e A r b e i t wird durch den T a k t von wirrem Durcheinander befreit und zu einer durch Mafs und Ordnung verschönten Thätigkeit erhoben. Bei solch konsequenter Gewöhnung an Reinheit und Schönheit, Ordnung und Gesetzmäfsigkeit, werden in der Schule ordnungsliebende, pünktliche und folgsame Schüler herangezogen, es wird die Erziehung des Hauses mächtig unterstützt und den gröfseren Lebensgemeinschaften werden brauchbare Glieder zugeführt.
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Die Erziehnngslehre im engeren Sinne.
§ 93. 3. Die sittliche Gewöhnung. Durch die s i t t l i c h e Gewöhnung (Zucht) soll der Schüler zum f r e i e n Gehorsam gelangen, er soll zu einem sittlichen Menschen erhoben werden, den h ö c h s t e n s i t t l i c h e n I d e e n folgend, sein ganzes Thun in sittlicher Gesinnung vollbringen. D i e P f l e g e a l l e r s i t t l i c h e n und c h r i s t l i c h e n T u g e n d e n und die B e k ä m p f u n g a l l e r Unt u g e n d e n ist darum die A u f g a b e der s i t t l i c h e n Gewöhnung. Wie zur Wahrhaftigkeit, Gewissenhaftigkeit, zum Gehorsam und zur Gottesfurcht erzogen werden soll, ist bei der Bildung des vernünftigen Wollens (§§ 79—82) ausgeführt worden. Hier betonen wir besonders die Pflege der V a t e r l a n d s l i e b e als eine sehr wichtige Aufgabe der Schulerziehung (i. e. S.). Obgleich die Vaterlandsliebe erst im Jüngling und Mann zur vollen Innigkeit und Stärke reifen kann, so mufs doch schon die Schule triebfähige Keime hierzu einsenken. Dies geschieht durch Weckung des Gemeinsinnes, durch Belehrung über die eigentümlichen Schönheiten des Vaterlandes, durch Erzählungen aus der Geschichte groíser Männer des Volkes, durch patriotische Feste und durch das vom Lehrer gegebene patriotische Beispiel. Die Schule hat auch die W o h l a n s t ä n d i g k e i t zu pflegen, welche der auf innerer Sittlichkeit beruhende Ausdruck der Achtung und Ehrerbietung gegen die Mitmenschen, wie gegen sich selbst ist. Der Lehrer soll die Schüler über das Wohlanständige belehren, den Sinn für alles, was schön ist, lieblich und wohl lautet, anregen, seinen tiefen Abscheu vor jeder Roheit äufsern und sie bestrafen, vor allem aber in seiner Person und Haltung ein Muster edler Wohlanständigkeit geben. Zur Pflege der Wohlanständigkeit im weiteren Sinne des Wortes gehört auch die Beförderung der S c h a m h a f t i g k e i t (welche in der zarten Scheu vor allem, was der Keuschheit zuwider ist, besteht), der H ö f l i c h k e i t und Be^ s c h e i d e n h e i t . Zur Einübung dieser Tugenden, welche
§ 93.
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3. Die sittliche Gewöhnung.
besonders die J u g e n d zieren, bietet sich im Schulleben zwischen Lehrer und Schüler, Schüler und Mitschüler, vielfache Gelegenheit. Dasselbe gilt bezüglich der Übung der D a n k b a r k e i t , G e f ä l l i g k e i t , N ä c h s t e n l i e b e und Barmherzigkeit. Die liebende Rücksicht auf andere fordert von dem Schüler, dafs er gegen seine Mitschüler verträglich, freundlich, versöhnlich und zuvorkommend sich erweise, sich nicht überschätze, sondern d e m ü t i g erkenne, dafs ihm noch viel zur Vollendung fehlt. — So hat die Schuldisziplin beständig auf die Bildung, Veredlung und Stärkung des ganzen sittlichen Menschen hinzuwirken. § 94. 4. Die Schuldisziplin unter dem Gesichtspunkte der Freiheit.
Da die Schuldisziplin vorwiegend den Charakter der » g e s e t z l i c h e n Z u c h t « an sich trägt, so würde dieselbe kalt und starr werden, wenn nicht das Moment der F r e i h e i t belebend, veredelnd und ergänzend hinzuträte. Es mufs darum das Gesetz und das gesetzliche Leben selbst von der Freiheit durchdrungen sein, weil diese dem gleichmäfsig dahinfliefsenden Schulleben neuen Zauber verleihen, einen Born der Freude und des frischen, fröhlichen Mutes öffnen und das Band der L i e b e zwischen Lehrer und Schüler fester knüpfen kann. (Die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung [§ 81]). Das eigentliche Ideal von Schülerglück sei zuerst genannt, die F e r i e n . Auf sie freuen sich auch die besten und fleifsigsten Schüler, weil sie da einmal ganz frei nach ihrer Neigung leben können (die F e r i e n k o l o n i e n für Kinder gröfserer Städte erscheinen daher als eine sehr zweckmäfsige Neuerung). — Ein anderer Lichtpunkt sind die S c h u l f e s t e , mit denen besonders das Mittelalter freigebig war. Auch unsern Kindern soll ein- oder zweimal im Jahre die Sonne der Freude recht hell in die Schulfenster scheinen. (Maifest, Gregoriusfest, Rutenfest, Salzmanns Kirschen-, Kartoffel- und Plünderfeste etc., Geburts- und Namenstage des Königs, Kaisers, überhaupt der Landesfürsten.) — EndB ö h m , Praktische Erziehungslehre.
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lieh müssen Lehrer und Schüler die Freiheit haben, ihre I n d i v i d u a l i t ä t zur Geltung bringen zu können. Der L e h r e r muis z. B. mit seinem H u m o r , natürlich auf sittlichem Boden, und mit heiterem S c h e r z die Stimmung auffrischen, der S c h ü l e r in der Lösung seiner Aufgaben, in freiwilliger Hilfeleistung etc. in gewissen Grenzen seine eigenen Wege wandeln dürfen. Wo solcher Freiheit der Zugang nicht versperrt ist, da entwickelt sich ein gesunder, frischer und doch sittlicher Geist, da weilen die Schüler gerne in der Schule und gedenken noch in späteren Jahren mit Dank und Liebe des Lehrers. Wo das Gemüt des Lehrers aber das des Kindes abstöfst, da fühlt sich der Schüler unglücklich und gerät, vom Lehrer getrennt, auf Abwege. Epbau und ein zärtlich Gemüt Heftet sich an und grünt nnd blüht; Kann es weder Stamm noch Mauer finden, Muüa es verdorren und mute verschwinden.
Goethe.
Literarische Hilfsmittel. B e e g e r , J., Die Disziplinargewalt der Schule. Leipzig, Findel. — Böhm, J., Die Lehre von der Schuldisziplin. Wien, Pichlers Witwe u. Sohn. 1877. Von demselben: Disziplin der Volksschule. 2. Aufl. Nördlingen, 1884.—Dobschall, J. G., Grundsätze der Schuldisziplin. Liegnitz 1848. — G r & f e, Deutsche Volksschule. — J ä g e r , Franz, Mittel zur Erreichung einer guten Schulzucht. Wien, Klinkhardt.— Kehr, Dr. K., Praxis der Volksschule. Gotha, Thiemann. 1879. — K r u s e , O. Fr., Schuldisziplin. Leipzig, 1857. — Z e r r e n n e r , C. 0. G., Grundsätze der Schuldisziplin. Magdeburg 1826. — Z i l l e r , T.,'Die Regierung der Kinder. Leipzig, Teubner. 1857. Derselbe: Jahrbuch des Vereins fttr wissenschaftliche Pädagogik. Leipzig, 1,874
Einige Urteile der Presse über die erste Auflage der Praktischen Erziehnngs- und Unterrichtslehre für Seminaristen and Yolksschallehrer Ton Böhm. Schnlanzeiger für Unterfranken n. A. Nr. 16 v. J. 1879: „Eine Unterrichtslehre, in welcher auch die Methodik der einzelnen Unterrichtsgegenstände nach Marsgabe der in Bayern bestehenden Vorschriften und Verhältnisse behandelt ist, h a t es bis jetzt nicht gegeben. Der als tüchtig bekannte Verfasser h a t im Verein mit erfahrenen Schulmännern diesem Mangel in einer "Weise abgeholfen, wie es von den bayerisohen Lehrern nicht besser gewünscht werden konnte. Möge das p ä d a g o g i s c h w i c h t i g e B u c h z u m S e g e n u n s e r e r S c h u l e n v o n v i e l e n L e h r e r n r e c h t gew i s s e n h a f t s t u d i e r t u n d f l e i f s i g b e n ü t z t w e r d e n . Die bayerischen Lehrer werden es nun nicht mehr nötig haben, beim Bedarf eines derartigen Lehrbehelfs in die Ferne zu schweifen." Allgemeine Chronik des Volksschulwesens von L. W. Seyffarth: „Wir haben es hier mit einem die praktischen Forderungen aus dem Prinzip der allgemeinen Menschenbildung ableitenden Werke zu thun, von dem wir behaupten können, dafs es bald seinen Weg in die S e m i n a r i e n finden und darin ein geschätzter Freund werden wird. Wir können dasselbe, wenn wir auch einige abweichende Meinungen geltend machen könnten, n u r a u f s b e s t e e m p f e h l e n , und sind gewifs, dafs der Unterricht auf dieser Grundlage reiche und gute Früchte tragen wird." Bayerische Lehrerzeitnng Nr. 47. Jahrgang 1879: „Der auf dem Felde der Pädaogik rühmlich bekannte Herr Verfasser h a t im Verein mit mehreren tüchtigen ädagogen in seiner Unterrichtslehre e i n s e h r w e r t v o l l e s Buch geschaffen. Der I. Teil, bearbeitet vom Herausgeber, behandelt die allgemeine Unterrichtslehre in klarer, schöner Sprache durch 4 Abschnitte, der II. Teil weiht den Studierenden in die spezielle Methodik ein. Bekannte Meister in ihrem F a c h : Seminarlehrer F i s c h e r in Lauingen (Sprache), Sem.-L. K ö n i g b a u e r in Eichstätt, jetzt Amberg (Mathematik), Sem.-L. F u fs in Altdorf (Naturkunde) haben die entsprechenden Kapitel bearbeitet. Auch die Kunstfertigkeiten (Schönschreiben durch Seminarschullehrer W i l l in Schwabach, Gesang durch Sem.-L. H u f s in Bamberg, Zeichnen, Turnen und Handarbeiten von dem Herausgeber) finden ausführliche Behandlung. Schliefslich sei noch erwähnt, dafs das Buch in zwei Ausgaben, mit einer Methodik des kath. Religionsunterrichts aus der Feder des bekannten k. geistl. Rates J. B o 11 in Günzburg a. D. und mit einer Methodik des prot. Religionsunterrichtes erscheint." . . .
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Repertorinm der Pädagogik, 4. Heft, Jahrgang 1880: „Es ist mit Freuden zu begrüfsen, dafs ein wertvolles Werk dieser A r t unseren bayerischen Verhältnissen Rechnung trägt. Der so eifrige und thätige Herr Verfasser hat sich dieser Aufgabe im Verein mit hochgeschätzten Mitarbeitern unterzogen und vorliegende Unterrichtslehre geschaffen. Besonders ist es die Gediegenheit, Gründlichkeit und Klarheit, welche das Ganze durchdringt. Der erste Teil, vom Herausgeber, behandelt in warmen, trefflichen Worten die allgemeine Unterrichtslehre (Didaktik), während im zweiten Teile in 5 Gruppen das Besondere (Spezielle Methodik) mustergiltig dareestellt ist. Die Einheit des Gepräges der zweiten Abteilung, für die m a n einige Besorgnis haben könnte, ist dadurch gewahrt, dafs die Verfasser die einzelnen Sparten sowohl nach Thunlichkeit bestrebt waren, nach gleichen Gesichtspunkten zu gliedern, als auch im Prinzip, dafs der gesamte Unterricht das Kind nach seinen verschiedenen Seiten und Kräften, Aufgaben und Bedürfnissen im Auge behalten, dafs er die intellektuelle, wie die ästhetische, die moralische, wie die religiöse Erziehung fördern, mit einem Worte erziehend sein müsse, einig waren. Wir können daher nicht umhin, dieses Werk aufs beste zu empfehlen und dem Wunsche, dafs es recht bald in allen Lehrerbildungsanstalten Eingang finden und für Lehrerfortbildungskurse verwendet werden möge, Ausdruck verleihen!" Pädagogischer Jahresbericht von Dittes 1879: „In diesem Buche ist die allgemeine und spezielle Unterrichtslehre nach Mafsgabe der in Bayern bestehenden Vorschriften und Verhältnisse behandelt, u m für die Seminare und Fortbildungskurse der Lehrer Bayerns einen 'passenden Leitfaden zu schaffen. Den Herausgebe r und seinen Mitarbeitern kann das Zeugnis, dafs sie im ganzen mit Sachkenntnis und Fleifs gearbeitet haben, nicht versagt werden, während sie im einzelnen noch Gelegenheit zu mancherlei Verbesserungen finden werden." . . . Westphälisclie Schulzeitung, Beilage Nr. 15. Aachen 1880. . . . „Das Werk, dessen 1. Teil, die Didaktik umfassend, vom Herausgeber allein bearbeitet ist, schliefst sich würdig den trefflichen Unterrichtskunden von Kehr, Dittes, Schütze etc. an und verdient auch a u s s e r h a l b B a y e r n s gekannt zu sein, namentlich sind die Arbeiten über den Geographieunterricht von Dr. G e i s t b e c k , und von J. B o l l über den Religionsunterricht hervorzuheben. Wir können das Buch für seinen angegebenen Zweck bestens empfehlen." Dr. Sch. Das Literatnrblatt für kath. Erzieher Nr. 6. Donauwörth 1880 — fafst in einer sehr eingehenden Besprechung der „Unterrichtslehre" sein Gesamturteil dahin zus a m m e n : „Im allgemeinen können wir sagen, dafs in dem Buche die neuesten Errungenschaften auf dem Gebiete der Methodik weislich verwertet sind, und dafs es somit zu den b e s t e n Büchern dieser Gattung gehört." Kothe. Volksschule von Hartmann. Stnttgart 1880. „Wenn das Buch auch einem bestimmten Leserkreis sich zuwendet, so gehen wir gleichwohl an demselben nicht vorüber, und umsoweniger, als die Vorrede andeutet, dafs die Religionsmethodik für
Protest. Schulen auch Aufnahme hat finden sollen und nur um äufserer Gründe willen nicht darin enthalten ist. Es liegt darin der Beweis, dafs die Pädagogik ein sehr weitgreifendes Gebiet hat, das zumal in unserer Zeit der Anerkennung wert ist, die so viele scheidende und trennende Momente sucht, auch wo sie nicht liegen und nicht zu finden sind. Die Belehrungen sind in einer Ausführung gegeben, die wesentlich praktisch angelegt ist, und darum ist das Buch auch seinem Zweck entsprechend und empfehlenswert." Allgemeine deutsche Lehrerzeitung (Literarischer Anzeiger) Nr. 6, 1880: . . . „Das Buch verdient um seiner vortrefflichen Eigenschaften willen unter der deutschen Lehrerschaft noch weitere Verbreitung und stellt sich als zweckmäfsige Unterlage für das Studium in der Didaktik und Methodik den bekannteren und bewährten Anleitungen zum Volksschulunterricht von Dittes, Kehr, Schütze, Schumann u. a. ebenbürtig zur Seite. In dem ersten Teile, in der allgemeinen Unterrichtslehre, werden eingehend das Wesen und der Zweck, der Stoff und die Methodik des Unterrichts, sowie die Eigenschaften des Unterrichtenden in klarer, übersichtlicher, gut gegliederter Darstellung behandelt. Für den zweiten Teil, die besondere Unterrichtslehre, h a t der Verfasser eine Reihe von hochachtbaren Schulmännern gewonnen, deren Namen für den Wert ihrer Beiträge bürgen . . . Konnten sich der Herausgeber und seine Mitarbeiter durch die gebotene Kürze nur auf das Wesentliche beschränken, so haben sie doch durch die n a m h a f t gemachten zahlreichen und gut ausgewählten Hilfsmittel für das weitere Studium der Lehrer beachtenswerte Winke gegeben, so dafs wohl das Buch in allen seinen Teilen als ein w e r t v o l l e s , die Bildung der Lehrer und die Pflege eines guten Unterrichtes förderndes betrachtet werden kann." Die Erziehung der Gegenwart Nr. 3. Dresden 1880. „Vorliegende Unterrichtslehre ist ein gediegenes, mit Sachkenntnis und Geschick gearbeitetes Werk. Es stellt sich überall auf den Standpunkt der modernen Pädagogik und betont besonders die e r z i e h l i c h e Bedeutung und Aufgabe des Unterrichts. Obgleich das Werk von verschiedenen Verfassern herrührt, so entbehrt es doch keineswegs an Einheit." . . . Hans nnd Schule. Pädagogisches Zeitblatt von Provinzial-Schulrat 0. Spieker. Nr. 11. Hannover 1880. „Das Buch zerfällt in 2 Hauptteile. An dem 2. Teile h a t der Herausgeber in Gemeinschaft mit anderen tüchtigen Fachlehrern und Schulmännern gearbeitet, ohne dafs dies der einheitlichen Behandlung wesentlichen Eintrag thut. Die Darstellung, die ja nichts Neues bringen will, zeichnet sich besonders durch Übersichtlichkeit und Einfachheit der Gruppierung aus, wodurch sich das Buch als L e h r b u c h b e s o n d e r s e m p f i e h l t . Auch die Ausstattung ist nach Papier und Druck sehr gut." . . . Pädagogische Blätter von Dr. C. Kehr, Nr. 4, 1881, sagt Dr. B o o d s t e i n über die Unterrichtslehre: „Wieder mehr in den durch Erfahrung bestätigten Geleisen bewegt sich die praktische Unterrichtslehre von Böhm." Nach einem Aushub aus der Vorrede und der Inhaltsangabe folgt die Rezension in folgenden Worten: „Das in beiden Teilen Gebrachte läfst sich durchaus billigen und bekundet durchweg bewährte Kräfte als Verfasser. Als besonders lobenswert möchte ich bezeichnen die einfache, klare, sachliche Darstellung, frei von allem Phrasentum, frei von Gelehrtenkram, frei von ablenkenden Tendenzen — dabei aber doch überall gründlich, handlich, deutlich. Ich glaube, dafs das Buch sich bald in den Seminarien als gern gebrauchtes Lehrbuch einbürgern werde." Schweizerische Lehrerzeitung Nr. 48, 1881. (Redakteur Schulinspektor W y f s in Burgdorf.) Praktische Erziehungslehre von B ö h m : Dies ist einmal eine Erziehungslehre, wie ich mir sie schon längst gewünscht habe! Die weise Beschränkung auf aas Notwendige, die ganz vortreffliche Auswahl, die klare und logische Gliederung des Stoffes, die Einfachheit und Schönheit der Sprache, die Bestimmtheit und Schärfe des Ausdruckes, die Hinweisungen auf die pädagogischen und poetischen Klassiker: Alles zeigt den erfahrenen Praktiker und den übrigens schon durch eine „Unterrichtslehre" und eine „Geschichte der Pädagogik" sehr vorteilhaft bekannten pädagogischen Schriftsteller und Meister. Glücklich der Seminarist, der nach solch' einem ausgezeichneten Führer unterrichtet wird! Da wird der Fortbildungstrieb nicht ertötet, sondern geweckt und gestärkt. Einzelne Kapitel dieser Erziehungslehre zu lesen, wie z. B. die über die intellektuell-ästhetische, moralische und religiöse Erziehung, ist ein wahrer Genufs. Dieses Buch h a t eine glänzende Zukunft! Repertorinm der Pädagogik, N. F. XVI. von Dr. Heindl, S. 181: „Böhms Geschichte der Erziehung, eine Schrift trefflicher Art und diese praktische Erziehungs- und Unterrichtslehre bilden ein Ganzes. Und wer wollte ein tüchtiges Fachwerk nicht recht schätzen? Dieser Teil, die Erziehungslehre, bespricht insbesondere: Begriff von Erziehung, Faktoren und Arten derselben, Erziehungskunst, Einteilung der Erziehungslehre, Altersstufen, Geschlechter, Zwecke, Mittel, Methode der Erziehung, intellektuelle, ästhetische und moralische (physische) Erziehung, Schulanstalten und Disziplin. Der Inhalt ist ein klar geordneter und, wie man erkennt, viel umfassender und ihm gemäfs ist das Buch auch prächtig ausgestattet. Preiswürdig, finde es zahlreiche Leser." Kehrs Pädagogische Blätter Nr. 1, 1883, S. 94. (Dr. Boodstein.) „Was ich in der letzten Übersicht als Vorzüge des anderen Bandes hervorheben konnte: .einfache, klare, sachliche Darstellung, frei von Phrasentum, frei von Gelehrtenkram fre; von ablenkenden Tendenzen, dabei aber doch gründlich, handlich, deutlich', das trifft auch für den gegenwärtigen durchaus zu."