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German Pages 307 Year 2001
ALEXANDER MEYER
Berthold Schenk Graf von Stauffenberg (1905 -1944)
Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Herausgegeben von Thomas Oppermann in Gemeinschaft mit Heinz-Dieter Assmann, Burkhard HeB Kristian Kühl, Hans v. Mangoldt Wernhard Möschel, Martin Nettesheim Wolfgang Graf Vitzthum sämtlich in Tübingen
Band 57
Berthold Schenk Graf von Stauffenberg (1905 -1944) Völkerrecht im Widerstand
Von Alexander Meyer
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Meyer, Alexander: Berthold Schenk Graf von Stauffenberg (1905-1944) : Völkerrecht im Widerstand / von Alexander Meyer. Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht; Bd. 57) Zug!.: Tübingen, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10121-9
D 21
Alle Rechte vorbehalten
© 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Gerrnany ISSN 0720-7654 ISBN 3-428-10121-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1999 von der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Mein größter Dank gilt meinem verehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Graf Vitzthum. Er hat im Kontext seiner eigenen Studien über Berthold Graf Stauffenberg und Stefan George die Betreuung der Arbeit zu einem Zeitpunkt übernommen, als ich selbst nicht mehr an den Abschluß des Forschungsvorhabens glaubte. Mit seinem immer währenden Elan und seiner stets aufmunternden Kritik hat er mich bis zum Ende der Arbeit ermutigt. Ohne die Besprechungen mit ihm über Staatsdichtung, Widerstandsrecht, Völkerbund und Seekriegsrecht wäre die Studie vermutlich nie fertig gestellt worden. Besonders zu danken habe ich auch Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Thomas Oppermann, der in kürzester Zeit die Durchsicht der Arbeit als Zweitberichterstatter erledigt und die Aufnahme des Werkes in seine Tübinger Schriftenreihe ermöglicht hat. Ich bin mir dessen bewußt, daß die Durchführung eines Promotions- und Publikationsverfahrens nicht selbstverständlich so reibungslos und unkompliziert funktioniert. Danken möchte ich daneben vor allem Gräfin Nina Stauffenberg, die meine nicht enden wollenden Fragen zur Person Berthold Graf Stauffenbergs bereitwillig und geduldig beantwortete, Herrn Prof. Dr. Peter Hoffmann, der mich in einem persönlichen Gespräch und vielen Briefen auf wichtige Details zur Person Berthold Graf Stauffenbergs und deren Umfeld hinwies, und Herrn Prof. Dr. Wolff Heintschel von Heinegg, der mir im Bereich des Seekriegs- und Prisenrechts wertvolle Anregungen gab. Dank schulde ich nicht zuletzt auch Frau Dr. Ute Oelmann vom Stuttgarter Stefan-George-Archiv. Sie hat einen Schlüsselteil der Arbeit, die Einflüsse und Wirkungen Stefan Georges auf Berthold Graf Stauffenberg, geprüft und mit umfassenden Auskünften verbessert. Herzlich bedanke ich mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verschiedener Archive, insbesondere des Münchener Instituts für Zeitgeschichte, des Freiburger Bundesarchivs - Militärarchiv -, der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand und der Berliner Max-Planck-Gesellschaft. Sie alle haben meine Anfragen zügig und ausführlich beantwortet und mir viele weiterführende Hinweise gegeben.
6
Vorwort
Schließlich gilt mein Dank Frau Manuela Fratoni für die zuverlässigen Übersetzungsarbeiten, Herrn Dipl. Kfm. Werner Schneider und Herrn Rechtsanwalt Klaus Rödl, die es mir ermöglicht haben, die Dissertation neben meiner beruflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt fertigzustellen, sowie selbstverständlich meiner Frau Kora Meyer-Klafs und meinen Eltern, die mit Korrekturhilfen und Geduld zum Gelingen der Arbeit beitrugen. Augsburg, Sommer 2001
Alexander Meyer
Inhaltsverzeichnis Einleitung
13
1. Teil Person und Beruf
16
I.
Kindheit und Jugend. . . . .. . . .. . . . . . .. .. . . .. . .. . . .. .. . . .. . . . . . .. . . . .. 1. Eltern und Erziehung. . . . . .. . . . . . .. .. . . .. . . .. . .. .. . . . . . . . . . .. . . . .. 2. Brüder und Freundschaft. ... . .. . . ..... ... ... . . .... . ... . .... ..... .. 3. Schule und Bildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Aussehen und Charakter. .. . . .. . . .... . .. . . .. . . ... . . .. . . . . . . ... . . .. 5. Religion und Wissenschaft.. . .. . . .. .. . .. . . .. . . .. . . . .. . . .. . . .. .. . .. 6. Jugendgruppe und Schulabschluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
16 16 18 20 23 24 26
11.
Studium der Rechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 28 1. Universitäten und Fakultäten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 28 2. Studienabschluß und Examen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 31
111. Stefan George. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Dichter und Denker. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Stefan-George-Kreis. .. .. . . . . . .. . . .. .. . . .. . . .. . .. .. . . .. . .. . . .. .. ..
34 34 37
IV. Referendariat...................................................... 41 1. Reisen und Studien .............................................. 41 2. Referendardienst und Promotion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 42 V.
Kaiser-Wilhelm-Institut.. .. . ... . .. . . .. .. . . .. . ... . .. .. . ... . ... . .. .. .. 47 1. Gründung und Aufgaben. . ... . ... ... .. . .. . . ... ... ... ... . ... ..... .. 47 2. Arbeitsweise und Personal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 50
VI. Ständiger Internationaler Gerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Kanzlei des Gerichtshofes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Statut und Reglement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Abreise und Stefan George. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
53 53 55 56
VII. Zurück am Institut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 58 1. Rückkehr und Aufgabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 58 2. Aufsätze und Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 60 VIII. Studienausschuß für Kriegsrecht ..................................... 63
8
Inhaltsverzeichnis 1. Ausschuß und Aufgabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Umfeld und Bedeutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
63 66
IX. Oberkommando der Wehrmacht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Stellung und Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Verbündete und Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
70 70 72
X.
Umsturzplanung. . . . . . . . . . . . . .. .. . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . .. .. 1. Gründe und Tätigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Vorstellung und Umsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Aufruf und Schwur. . . . . . . . . .. .. . . . .. . .. . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . .. 4. Attentat und Putsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
75 75 80 85 88
XI. 20. Juli, Verhaftung, Verurteilung, Hinrichtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Führerhauptquartier und Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Verhaftung und Verhör. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Verurteilung und Hinrichtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
90 90 93 95
XII. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
97
2. Teil Internationale Gerichtsbarkeit
103
I.
Besonderheiten der internationalen Gerichtsbarkeit ..................... 1. Grundsätze und Aufgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Voraussetzung und Wirkung ....................................... 3. Begriff und Umfang .............................................. 4. Abgrenzung und Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5. Allgemeine Probleme ............................... " ...........
103 103 105 106 107 108
11.
Allgemeine geschichtliche Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Antike und Mittelalter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Jay-Vertrag und Alabama-Fall ..................................... 3. Haager Friedenskonferenzen ...................................... 4. Erster Weltkrieg und Völkerbund .................................. 5. Konferenz von Locamo ...........................................
110 110 112 115 118 122
III.
Der Ständige Internationale Gerichtshof. .............................. 1. Stellung und Aufgabe ............................................ 2. Entwurf des Statuts .............................................. 3. Richterwahl und Statut ........................................... 4. Parteifähigkeit und Zuständigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5. Entscheidungsgrundlagen ......................................... 6. Verfahren und Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
125 125 128 129 131 134 135
IV. Die Rechtsprechung des StlGH ...................................... 137 1. Tätigkeit und Bedeutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 137 2. Aufgaben und Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 138
Inhaltsverzeichnis 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. V.
Eastem Carelia Fall vom 23. Juli 1923 ............................ Wimbledon Fall vom 17. August 1923 ............................ Deutsche Aussiedler in Polen vom 10. September 1923 ........ . ..... Deutsche Interessen in Polnisch Oberschlesien ...................... Lotus Fall vom 07. September 1927 ............................... Abberufung des Memelpräsidenten und Urteil vom 11. August 1932 .. Peter Pazmany Universität Fall vom 15. Dezember 1933 ............ Oskar Chinn Fall vom 12. Dezember 1934 ......................... Verfassungsmäßigkeit Danziger Verordnungen vom 04. Dezember 1935
9 139 142 147 149 154 157 159 163 166
Zusammenfassende Würdigung ...................................... 168
3. Teil Seekriegsrecht/Prisenrecht
175
I.
Besonderheiten des Seekriegsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 175 1. Einfluß und Bedeutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 175 2. Allgemeine Probleme ..................................... . . . . . . . 177
11.
Allgemeine geschichtliche Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Antike und Mittelalter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Consolato deI Mare und Hugo Grotius ............................. 3. Bewaffnete Neutralität und Pariser Deklaration ...................... 4. Haager Friedenskonferenzen ...................................... 5. Londoner Seerechtskonferenz .....................................
179 179 181 184 186 189
III. Die wichtigsten Institute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Das Blockaderecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Konterbanderecht. .... , ...................................... 4. Das Seebeuterecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sonstige Institute ................................................
191 191 192 198 203 208
IV. Die Ausgangslage zu Beginn des Zweiten Weltkrieges .................. 211 V.
Stauffenbergs Prisenordnung von 1939 ................................ 1. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Blockaderecht ............................................... 3. Das Konterbanderecht ............................................ 4. Das Seebeuterecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sonstige Institute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
213 213 217 221 227 231
VI. Die Praxis des Prisenrechts im Zweiten Weltkrieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kriegsverlauf und deutsche Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Blockaderecht ............................................... 3. Das Konterbanderecht ............................................
237 237 241 242
10
Inhaltsverzeichnis 4. Das Seebeuterecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 5. Sonstige Institute ................................................ 246
VII. Prisenverfahren und Prisenrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 1. Deutsches Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 2. Prisenrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 VIII. Zusammenfassende Würdigung ..................................... . 253 Schlußbemerkung
259
Quellen und Literatur
263
1. Werke......................................................... . 263 2. Archivalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 3. Sekundärliteratur................................................. 267 Personenregister
297
Sachregister
300
Abkürzungsverzeichnis a.A.
ALR Art. Bd. BRT bzgl. bzw. d.h.
d.R. ff. gern. Gestapo GG ICJ i.G. IGH IMGH intern. IPR i.S. Kpt.z.S.
KR LD LRA m.w.N. NJW Nr. NS NSDAP PCH PD PGO PO S. sog. Sp.
anderer Ansicht Allgemeines Landrecht Artikel Band Bruttoregistertonnen bezüglich beziehungsweise das heißt der Reserve fortfolgende gemäß Geheime Staatspolizei Grundgesetz International Court of Justice im Generalstab Internationaler Gerichtshof Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg international Internationales Privatrecht im Sinne Kapitän zur See Kriegsrecht Londoner Seerechtsdeklaration Landratsamt mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Nummer Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Permanent Court of International Justice Pariser Seerechtsdeklaration Prisengerichtsordnung 1939 Prisenordung 1939 Seite sogenannt Spalte
12 SS St. StIGR Th. UN Uni USA VGR vgl. VN WRV z.B. z.V.
Abkürzungsverzeichnis Schutzstaffel Sankt Ständiger Internationaler Gerichtshof Thomas United Nations Uni versität Vereinigte Staaten von Amerika Volks gerichtshof vergleiche Vereinte Nationen Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel zur Verwendung
Einleitung Stauffenberg - dieser Name ist Geschichte. Er steht stellvertretend für die gesamte Opposition gegen den Nationalsozialismus und Adolf HitIer. Er ist untrennbar mit dem eindrucksvollsten und vielversprechendsten Versuch aller Widerstandsaktionen, dem Bombenattentat vom 20. Juli 1944, verbunden. Er ist ein Zeichen der Hoffnung, ein Silberstreif am Horizont des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte. Er zeigt der Welt das andere, das bessere Deutschland. Er verkörpert Heroismus und Märtyrertum, mutiges Handeln und erfolgloses Hoffen. Und dennoch - wer an Attentats- und Putschversuch, wer an Opposition und Patriotismus, wer an Verantwortung und Courage denkt, dem fällt zunächst der Name des Attentäters vom 20. Juli 1944, Oberst i.G. Claus Graf Stauffenberg, ein. So bekannt und berühmt der Attentäter selbst wurde, so unbekannt und unscheinbar blieb dessen bester Freund, engster Vertrauter, juristischer Berater und Bruder, der Marineoberstabsrichter Dr. Berthold Graf Stauffenberg.
In dieser Arbeit werden deshalb das private Leben, der berufliche Werdegang, die juristische Arbeit und die Beteiligung Berthold Graf Stauffenbergs an dem Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 als eigenständige Persönlichkeit und als völkerrechtlicher Experte untersucht. Die Schwerpunkte der Arbeit bilden die Darstellung des persönlichen und beruflichen Lebensweges sowie die Darstellung und Analyse der juristischen Werke und Tätigkeiten unter Berücksichtigung der äußeren zeitlichen Umstände. Die Erforschung des privaten und beruflichen Lebens von Berthold Graf Stauffenberg gestaltete sich trotz der Bekanntheit und Berühmtheit seines jüngeren Bruders überraschend schwierig. Das Leben des Bruders Claus Graf Stauffenberg ist in gut einem Dutzend Biographien dokumentiert. Und obwohl die Beziehung zwischen den Brüdern bei allen charakterlichen Unterschieden bis zuletzt das Maß an bloßer Verwandtschaft und brüderlicher Vertrautheit weit überstieg, enthalten alle diese Biographien nur sehr wenig Informationen über die Person und die Arbeit des schweigsamen und introvertierten Juristen. Trotz seiner unbestrittenen Kenntnis und Billigung, ja Unterstützung aller verschwörerischen Unternehmungen seines Bruders, und trotz seiner allgemein anerkannten, ja hoch geehrten juristischen Leistungen, gilt Berthold Graf Stauffenberg nicht die Beachtung der Historiker und der Völkerrechtler, die er meines Erachtens verdient.
14
Einleitung
Vielleicht liegt es an der ausgesprochenen Zurückhaltung, an der extremen Bescheidenheit und an der auffälligen Schweigsamkeit, daß außer ein paar überlieferten Anekdoten aus der Kinder- und Jugendzeit kaum ein bleibender Eindruck über Berthold Graf Stauffenberg niedergeschrieben wurde. Nur ein paar kurze Nachrufe und Erinnerungen zeigen einen kleinen Einblick in die berufliche Tätigkeit des hochintelligenten und -begabten Juristen, der sich nach dem Studium der Rechte als Mitarbeiter am KaiserWilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Berlin, am Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag, in diversen Ausschüssen der Reichsregierung und im Oberkommando der Marine einen hervorragenden Ruf als Experte auf dem Gebiet des Völkerrechts, insbesondere in den Bereichen der internationalen Gerichtsbarkeit und des Seekriegs- und Prisenrechts erworben hat. Dennoch bleiben die Eindrücke rudimentär und die Informationen lückenhaft. Die Zeitzeugen, die Berthold Graf Stauffenberg privat und beruflich persönlich näher kannten, insbesondere Verwandte, Kollegen, Mitarbeiter und Freunde weilen zumeist nicht mehr unter den Lebenden. Und da Berthold Graf Stauffenberg wegen seines ruhigen Charakters stets weniger im Mittelpunkt stand als sein jüngerer Bruder, wissen diejenigen, die ihn nur flüchtig kannten oder selten mit ihm zu tun hatten, heute keine entscheidenden Einzelheiten mehr über ihn zu berichten. Die Annäherung an seine Person kann deshalb nur über die Person seines Bruders, die Annäherung an seine berufliche Tätigkeit nur über die Darstellung und Analyse seiner juristischen Werke selbst erfolgen. Die Fragmente und Impressionen sollen in dieser Arbeit zu einem möglichst umfassenden Lebensbild über die Person und den Beruf eines herausragenden Geistes und vorzüglichen Juristen zusammengefügt werden, um diese Lücke in der Darstellung der Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus zu schließen. Die Arbeit gliedert sich in drei große Teile. Zunächst wird ein biographisches Persönlichkeitsbild gezeichnet, das das private und familiäre Umfeld, die juristische und sprachliche Ausbildung, den beruflichen Werdegang, die juristischen Tätigkeiten und die Beteiligung Berthold Graf Stauffenbergs an der Umsturzplanung beschreibt. Dabei werden unter Zuhilfenahme von Originalquellen insbesondere die Einflüsse dargestellt, die auf die beruflichen Tätigkeiten und oppositionellen Handlungen entscheidende Auswirkungen hatten. In diesem Teil der Arbeit kann man auch erkennen, daß Berthold Graf Stauffenberg beruflich vor allem mit zwei Themenkreisen beschäftigt war: Seit seinem Eintritt in das Kaiser-Wilhelm-Institut wurde er mit speziellen Fragen des Völkerrechts im Bereich der internationalen Gerichtsbarkeit sowie durch seine Arbeit im Oberkommando der Marine mit besonde-
Einleitung
15
ren Problemen des Seekriegs- und Prisenrechts betraut, so daß er schnell zu einem Experten auf diesen Gebieten avancierte. Auf Grund seiner Sehnsucht nach einer diplomatischen Tätigkeit im Auswärtigen Amt, wegen seines Aufenthaltes am Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag und als Folge seiner Arbeit im Kaiser-WilhelmInstitut hatte Berthold Graf Stauffenberg eine enge Beziehung zur internationalen Gerichtsbarkeit. Der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund beendete zwar seine direkte Tätigkeit am Ständigen Internationalen Gerichtshof im Haag, doch auch sein nachfolgender Dienst im Kaiser-Wilhelm-Institut und in der Kriegsmarine ließ die Problematik der Friedenssicherung durch die internationale Schiedsgerichtsbarkeit und internationale Gerichtsbarkeit stets lebendig bleiben. Im zweiten Teil der Arbeit werden deshalb die juristischen Besonderheiten und die historische Entwicklung der internationalen Gerichtsbarkeit sowie Berthold Graf Stauffenbergs Beziehung zu dieser und insbesondere zum Ständigen Internationalen Gerichtshof dargelegt. Besondere Berücksichtigung finden hierbei vor allem die wichtigsten Entscheidungen des Ständigen Internationalen Gerichtshofes als erster Weltgerichtshof, die den Stand der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und internationalen Gerichtsbarkeit aufzeigen und die überwiegend nicht nur Berthold Graf Stauffenbergs Beachtung fanden. Wegen seiner persönlichen Erfahrungen mit der internationalen Gerichtsbarkeit und seiner herausragenden Kenntnisse vom Seekriegs- und Prisenrecht wurde Berthold Graf Stauffenberg schließlich in diverse Ausschüsse für Kriegsvölkerrecht berufen sowie in das Oberkommando der Kriegsmarine eingezogen. Da er sich den größten Teil seines Lebens dem Seekriegsund Prisenrecht widmete, soll dieses mit seinen juristischen Besonderheiten, seiner geschichtlichen Entwicklung sowie Berthold Graf Stauffenbergs Arbeit mit und Einstellung zu diesem ebenfalls unter besonderer Berücksichtigung der wichtigsten juristischen Arbeit Berthold Graf Stauffenbergs, der Prisenordnung und Prisengerichtsordnung von 1939, im dritten Teil dieses Buches abschließend dargestellt werden. Endlich würdigt eine zusammenfassende Schlußbetrachtung nochmals die wichtigsten persönlichen und beruflichen Umstände, um ein abgeschlossenes und umfassendes Bild des Mannes zu präsentieren, der menschlich wie beruflich der wichtigste Mitstreiter des Hitler-Attentäters vom 20. Juli 1944 war, und um die berufliche Einstellung und Meinung Berthold Graf Stauffenbergs verstehen zu können.
1. Teil
Person und Beruf I. Kindheit und Jugend
1. Eltern und Erziehung Berthold Graf Stauffenberg 1 wurde am 15. März 1905 als älterer Zwillingsbruder des Alexander Graf Stauffenberg im Marstall zu Stuttgart geboren2 . Der Vater Alfred Graf Stauffenberg war seit 1898 als Stallmeister im königlichen Marstall unter der Leitung des Baron Geyr von Schweppenburg und als Offizier des Königreiches Württemberg tätig 3 . Er wurde später zum Hofmarschall und Oberhofmarschall des letzten württembergischen Königs Wilhelm 11. befördert4 . Seine militärische Stellung als Major der Kavallerie im Ulanenregiment des Königreichs Württemberg verlor jedoch bereits seit der lahrhundertwende mehr und mehr an Bedeutung, während der zivile Dienst bei Hofe und die karitative Aufgabe als Kapitularkomtur des bayerischen St. Georgs Ordens5 bald ein deutliches Übergewicht gegenüber dem militärischen Amt im Regiment erlangten6 . I Der korrekte, vollständige Name lautet: Berthold Alfred Maria Schenk Graf von Stauffenberg; vgl. von Hueck, Handbuch, S. 304; zur Stellung des Namens siehe auch Kramarz, Stauffenberg, S. 313; danach galten Adelsbezeichnungen gern. Art. 109 II WRV nur als Teil des Namens; die Bezeichnung Graf stand daher vor 1919 noch als Titel vor dem Vornamen, trat später aber nach der neuen Weimarer Reichsverfassung unmittelbar an den Familiennamen heran; zur Zeit der Geburt war der korrekte Name daher noch Graf Berthold Schenk von Stauffenberg; da die im Gesamtnamen auftretende Bezeichnung Schenk lediglich eine mittelalterliche Amtsbezeichnung war, hatte nach 1919 der ehemalige Titel und spätere Namenszusatz Graf unmittelbar vor dem Familiennamen Stauffenberg zu stehen; vgl. Wunder, Stauffenberg, S. 349, und BaigentlLeigh, Stauffenberg, S. 107; die ab 1919 und bis heute gültige Namensstellung ist daher: Berthold Schenk Graf von Stauffenberg; diese Form bzw. die Kurzform Berthold Graf Stauffenberg soll daher in dieser Arbeit stets Verwendung finden. 2 Müller, Stauffenberg, S. 26. 3 Müller, Stauffenberg, S. 513. 4 1906: Hofmarschall; 1909: Oberhofmarschall; Müller, Stauffenberg, S. 513; Venohr, Stauffenberg, S. 27; Zeller, Stauffenberg, S. 5. 5 Steffahn, Stauffenberg, S. 16; BaigentlLeigh, Stauffenberg, S. 127; Alfred Graf Stauffenberg war Major bei den gelben Ulanen in Ludwigsburg; Mitteilung Stauffenberg.
I. Kindheit und Jugend
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Die Mutter Caroline Gräfin Stauffenberg war eine geborene Gräfin Üxküll-Gyllenband und stammte aus einer alten baltischen Familie mit schwedischen Freiherren und deutschen Reichsgrafen als Vorfahren? Sie war eine Urenkelin des Feldmarschalls Neidhard Graf Gneisenau 8 und fungierte in Stuttgart als Hofdame und Freundin der Königin 9 . In ihrer Veranlagung und Begabung waren beide Eltern gänzlich verschieden 10. Der Vater war überzeugter Katholik und konservativer Edelmann, praktisch veranlagt, realistisch denkend, direkt und selbstbewußt auftretend 11. Er verstand sich stets als pflichtbewußter Monarchist und treuer Diener seines Königs 12. Die Mutter war bekennende Protestantin und trotz starker Persönlichkeit 13 der praktischen Seite des Lebens eher abgewandt. Sie war träumerisch und naiv veranlagt und flüchtete sich gerne in die Welt der Musik und der Dichtung l4 . Dennoch oder gerade deswegen herrschte im Hause Stauffenberg stets Harmonie und Loyalität. Beide Elternteile gaben den Söhnen ihre umfassende Veranlagung und Begabung mit auf den Weg. Besonders bewußt waren sich die Eltern ihrer Herkunft und Tradition. Ihre Kinder erzogen sie deshalb ihrer Einstellung entsprechend. Die Ahnenreihe der Grafen Stauffenberg ist bis ins 12. Jahrhundert urkundlich nachweisbar l5 . Seitdem sind sowohl fränkische wie auch bayerische Verzweigungen dieses alten schwäbischen Adelsgeschlechtes urkundlich erwähnt 16. Die Familie der Stauffenbergs wurde 1698 durch Kaiser Leopold I. in den Freiherrenstand erhoben und 1806 auch in Bayern in der Reichsfreiherren6 Steffahn, Stauffenberg, S. 16; Baigent/Leigh, Stauffenberg, S. 127; der St. Georgs Orden war ein Hausorden unter der Leitung des jeweiligen Landesherren mit karitativem Zweck; Mitteilung Stauffenberg. 7 Steffahn, Stauffenberg, S. 18; Pfizer, Stauffenberg, S. 491, 492. 8 BaigentlLeigh, Stauffenberg, S. 111 ff.; Pinker, Stauffenberg, S. 14; Stauffenberg, Lebensbilder, S. 450. 9 Zeller, Stauffenberg, S. 5; Hoffmann, Stauffenberg, S. 15, 16. 10 Kramarz, Stauffenberg, S. 18. 11 Kramarz, Stauffenberg, S. 17; Venohr, Stauffenberg, S. 27,28; Pinker, Stauffenberg, S. 13; Pfizer, Stauffenberg, S. 491. 12 Pinker, Stauffenberg, S. 13; Kramarz, Stauffenberg, S. 16; Pfizer, Stauffenberg, S. 491. I3 Hoffmann, Stauffenberg, S. 18. 14 Kramarz, Stauffenberg, S. 18; Pinker, Stauffenberg, S. 14; Venohr, Stauffenberg, S. 27, 28; Pfizer, Stauffenberg, S. 491, 492. 15 Wunder, Stauffenberg, S. 71; der Name Schenk von Zell als Vorfahr der Stauffenbergs ist urkundlich bis 1260 erwähnt; der Name Schenk von Stauffenberg taucht erstmals 1317 in einer Urkunde auf; vgl. auch zusammenfassend Baigent/Leigh, Stauffenberg, S. 97-124. 16 Steffahn, Stauffenberg, S. 16. 2 Meyer
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1. Teil: Person und Beruf
klasse immatrikuliert. 1874 verlieh der bayerische König Ludwig 11. dem Geschlecht das bayerische Grafenprivileg 17 • Unter den Vorfahren beider Elternteile finden sich sowohl angesehene Juristen wie auch hochrangige Militärs 18, was sicherlich für die spätere Berufswahl der Söhne eine nicht unerhebliche Rolle spielte. Überhaupt ist es bedeutsam, daß die Familie Stauffenberg ihre Zugehörigkeit zum Adel stets als etwas Besonderes, nämlich als Verpflichtung und Verantwortung angesehen hat 19 . Zwar fühlten sich auch Berthold Graf Stauffenberg und seine Brüder wegen ihrer Zugehörigkeit zum Adel als durchaus elitär. Aber sie begriffen den Adel nicht aus konservativem Bewußtsein heraus als gehobenen, gesellschaftlichen Rang, dem man traditionsgemäß Anerkennung zu zollen hatte 20, sondern sie verstanden ihn von innen heraus als Berufung und Auftrag, Verantwortung zu übernehmen 21 . Der Adel bedeutete für sie die Grundlage ihrer Existenz. Er war ihnen Aufgabe und Ermahnung, der Allgemeinheit, den Menschen, dem Volke und dem Staat zu dienen22 . Für sie entstand und bestand der Adel aus dem Opfer für das Gemeinwohl, aus "mutigem Handeln und klarem Wissen um das, was man als Angehöriger dieser Gesellschaftsschicht anderen schuldig war,,23. Aus dieser Tradition heraus, aus dieser Einstellung heraus, die die Brüder Stauffenberg ihr Leben lang prägte, muß alles weitere Planen und Handeln verstanden werden. Von Kindheit an waren sie konfrontiert mit Werten und Idealen, die sich aus ihrer Herkunft und Abstammung ergaben. Sie haben diese Werte nicht nur angenommen, sondern sie haben diese Werte gelebt und sie sind letztlich sogar für diese Werte gestorben 24 . 2. Brüder und Freundschaft
Gut zweieinhalb Jahre nach Berthold und Alexander Graf Stauffenbergs Geburt gab es weiteren Nachwuchs im Hause Stauffenberg. Am 15. November 1907 kamen in Jettingen/Bayern die Zwillinge Claus und Konrad 17 Wunder, Stauffenberg, S. 465 und 472; der Urgroßvater Berthold Graf Stauffenbergs, Freiherr Franz Ludwig von Stauffenberg, erhielt 1874 den Titel eines erblichen Reichsrates und wurde von Bayerns König Ludwig 11. in den Grafenstand erhoben; vgl. auch Müller, Stauffenberg, S. 25; Steffahn, Stauffenberg, S. 16; Kramarz, Stauffenberg, S. 15; Stauffenberg, Lebensbilder, S. 449. IS Baigent/Leigh, Stauffenberg, S. 111 ff. 19 Vgl. Kramarz, Stauffenberg, S. 20. 20 Vgl. Kramarz, Stauffenberg, S. 20. 21 Kramarz, Stauffenberg, S. 21. 22 Krolak, Vorstellungen, S. 547; Baigent/Leigh, Stauffenberg, S. 131. 23 Dietrich Bonhoeffer bei Zeller, 20. Juli, S. 181; Venohr, Stauffenberg, S.44; Kramarz, Stauffenberg, S. 21. 24 Vgl. Hoffmann, Stauffenberg, S. 127.
I. Kindheit und Jugend
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Graf Stauffenberg zur Welt. Da der kleine Konrad Graf Stauffenberg jedoch bereits am nächsten Tag verstorben ist, blieben die Söhne Berthold, Alexander und Claus Graf Stauffenberg die einzigen Kinder der Familie25 . Als Claus Graf Stauffenberg anfing, den Tod seines Zwillingsbruders zu begreifen, begann er auch, den Verlorenen zu betrauern und zu vermissen. Sein älterer Bruder Berthold Graf Stauffenberg wandte sich dem Trauernden deshalb besonders ZU 26 . SO entstand zwischen diesen beiden Brüdern eine intensive und enge Beziehung, die über ein normales brüderliches und freundschaftliches Verhältnis bei weitem hinausging 27 . Trotz mancher äußerlicher Gleichheit28 waren die Brüder in ihrem Wesen grundverschieden29 . Aber sie ergänzten sich in wunderbarer Weise, während der dritte Bruder, Alexander Graf Stauffenberg, immer etwas abseits blieb3o • Das innige Verhältnis der Brüder Claus und Berthold Graf Stauffenberg überdauerte und bewährte sich ihr Leben lang. Stets hing Claus Graf Stauffenberg an seinem älteren und in mancher Hinsicht führenden Bruder3l . Er tat nichts, was sein geliebter Bruder nicht wußte und billigte32 . Sie pflegten die gegenseitige Beratung und Hilfe. Ihre Freundschaft behielt bis zu ihrem Tod überragende Bedeutung in ihrem Leben 33 • Berthold Graf Stauffenberg und seine Brüder verbrachten den größten Teil ihrer Jugend im Alten Schloß und in der unmittelbaren Umgebung von Stuttgart34 . Die Zugehörigkeit der Familie zum alten Dienstadel bescherte ihnen eine unbeschwerte Kindheit, frei von materiellen Sorgen35 • Trotz aller zeremonieller Tradition am Hofe des württembergischen Königs und Hoffmann, Stauffenberg, S. 21, 22. Hoffmann, Stauffenberg, S. 22; anders jedoch Mitteilung Stauffenberg. 27 Vgl. Finker, Stauffenberg, S. 178; Zeller, Stauffenberg, S. 6; Müller, Stauffenberg, S. 34; Steffahn, Stauffenberg, S. 23. 28 Nina Gräfin Stauffenberg bei Zeller, Stauffenberg, S. 60. 29 Zeller, Stauffenberg, S. 51; Venohr, Stauffenberg, S. 60. 30 Müller, Stauffenberg, S. 34; Hoffmann, Stauffenberg, S. 22; Mitteilung Stauffenberg. 31 van Roon, Widerstand, S. 181; Hoffmann, Widerstand, S. 389. 32 Marion Yorck von Wartenburg bei Zeller, Stauffenberg, S. 47; Venohr, Stauffenberg, S. 55. 33 Das Verhältnis zwischen den Brüdern war ein ganz besonderes; obwohl sie in ihrem Wesen doch gänzlich verschieden waren, hatten sie größte Achtung voreinander; ihre Meinungen waren nicht immer übereinstimmend, doch jeder akzeptierte die Auffassung des anderen; so ergänzten sich ihre Erfahrungen und ihre Eindrücke zu einem Gesamtbild, das ihnen einen weiten Blick über den eigenen Horizont hinaus ermöglichte; Mitteilung Stauffenberg; Pfizer, Stauffenberg, S. 490. 34 Venohr, Stauffenberg, S. 27; Finker, Stauffenberg, S. 15, 16; BaigentlLeigh, Stauffenberg, S. 129. 35 Finker, Stauffenberg, S. 15, 16. 25
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1. Teil: Person und Beruf
im Stuttgarter Schloß waren die Brüder Stauffenberg doch "ganz normale Knaben, die sich balgten, die schrien und tobten und die so manchen Streich ausheckten,,36. In der freien Zeit hielt sich die Familie auf ihrem Landsitz und Stammschloß in Lautlingen, einem stattlichen und geräumigem Herrenhaus inmitten des Ortes im südwestlichen Teil der schwäbischen Alb zwischen Balingen und Sigmaringen auf3? Auch dort spürte man stets ihre Einstellung und ihre Verpflichtung dem Volk gegenüber. So entwickelte sich zwischen den Grafen und der Dorfbevölkerung, der die Buben stets und gerne bei der jährlichen Ernte und sonstigen Feldarbeiten halfen, und auf die die Dorfbewohner daher sehr stolz waren 38 , eine enge Gemeinschaft, getragen von tiefverwurzeltem Pflichtbewußtsein und echter Zuneigung 39 . Neben ihrer Einstellung zur Herkunft und Abstammung prägte auch ihre eigene Natürlichkeit, ihre Liebe zur Natur und Umgebung sowie ihr stetes Bemühen um das Wohl des einfachen Volkes ihr Leben4o .
3. Schule und Bildung Bis 1913 erhielten die Brüder Stauffenberg privaten Elementarunterricht, ab Herbst 1913 besuchten Berthold und Alexander Graf Stauffenberg eine Vorklasse des altehrwürdigen Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums in Stuttgart41 . Damit begann für sie die schulische Ausbildung an einer 250 Jahre alten Lehranstalt, die sich ganz besonders der humanistischen Tradition und Lehre verpflichtet fühlte 42 . Hier wurde der Grundstein ihrer umfassenden Erziehung und breiten Bildung gelegt. Dem allseits offenen und interessierten Rektor dieser Schule43 "galt stets nur das, was seine Schüler selbst an 36 Elisabeth Dipper bei Steffahn, Stauffenberg, S. 18; eine fantasievolle Beschreibung der turbulenten Kindheit der Brüder Stauffenberg im alten Stuttgarter Schloß findet sich bei Frick, Erinnerungen. 37 Müller, Stauffenberg, S. 30; Baigent/Leigh, Stauffenberg, S. 129; Pfizer, Stauffenberg, S. 498. 38 Kramarz, Stauffenberg, S. 23; Pfizer, Stauffenberg, S. 498. 39 Baigent/Leigh, Stauffenberg, S. 129; Pfizer, Stauffenberg, S. 498. 40 Vgl. Axel von dem Bussche bei Krolak, Vorstellungen, S. 546. 41 Abiturzeugnis, Stauffenberg; Hoffmann, Stauffenberg, S. 23; Venohr, Stauffenberg, S. 30. 42 Die Geisteshaltung des Humanismus war sicherlich auch ein wichtiges Element, das Berthold Graf Stauffenberg und seine Brüder später zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus trieb; die Humanisten sehen ihre Ziele nämlich überall dort gefährdet, wo der einzelne Mensch einer vermeintlich höheren Idee oder Ideologie untergeordnet und damit gleichgeschaltet werden soll; vgl. Brockhaus, Enzyklopädie, S. 73lff.; Baigent/Leigh, Stauffenberg, S. 130. 43 Baigent/Leigh, Stauffenberg, S. 130.
I. Kindheit und Jugend
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Leistung boten, nicht aber, was einer an Glanz und Ruhm vom Elternhaus her mitbrachte,,44. Hier bekamen die Brüder Stauffenberg, die bereits von zu Hause aus den Umgang mit der wichtigsten Literatur gewöhnt waren, auch intensiven Kontakt mit den Werken aller großen Dichter und Denker45 : Goethe, Schiller, Shakespeare, Th. Mann, Zweig, Rilke, Hofmannsthai, Binding und Hölderlin46 . Besonders der Tübinger Friedrich Hölderlin beanspruchte zunächst die ganze Aufmerksamkeit Berthold Graf Stauffenbergs. Er referierte damals über den ihm wichtigsten Dichter, er sprach zur Philosophie des geschichtlichen Empedokles und rezitierte Hölderlinsche Empedoklesverse. Er verglich Hölderlins Schicksal mit dem des Empedokles und zog daraus seine Schlußfolgerungen47 . Die humanistische Ausbildung und intensive Beschäftigung mit der großen Literatur der Vergangenheit und der Gegenwart bildete bis zuletzt einen einflußreichen und prägenden Faktor in seinem Leben. Ein späterer Kollege schrieb deshalb: "Er lebte aus der Dichtung; hier war der Boden, in dem er wurzelte; hier war der Grund für seine Gelassenheit und Ruhe, seine Schlichtheit und Zurückhaltung, seine Geradheit und Hartnäckigkeit .. .'.48. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, bescherte dieser Unruhen und Wirren allerorts. Dennoch konnten die Brüder Stauffenberg weiterhin fast ungestört ihr Leben als Kinder und Jugendliche führen 49 . Natürlich empfanden sie ebenso wie der größte Teil der Bevölkerung zunächst Begeisterung und Enthusiasmus für den Krieg. Sie schrieben Gedichte über den Krieg und bedauerten von Herzen, daß ihr jugendliches Alter noch keinen Dienst 44 Müller, Stauffenberg, S. 32; von Thun-Hohenstein, Oster, S. 202; so muß wohl auch ganz besonders darauf hingewiesen werden, daß fast alle Mitglieder der militärischen Opposition gegen Adolf Hitler auf den Bänken eines humanistischen Gymnasiums gesessen haben; daß dies kein Zufall ist, ergibt sich schon aus dem Wesen des Humanismus; als typisch adendländische Geisteshaltung verbindet der Humanismus den christlichen Gedanken, daß alle Menschen gleichen Wert haben, mit dem griechischen Gedanken, daß das Wesen des Menschen in der freien, aber maßvollen Entfaltung seiner Persönlichkeit liegt; damit war den Humanisten die nationalsozialistische Einteilung der Menschen in verschiedenwertige Rassen und die Beherrschung der Menschheit durch eine Rasse bereits im Ansatz in jeder Beziehung fremd; vgl. Brockhaus, Enzyklopädie, S. 731 ff. 45 Bekanntlich gilt die Sprache als der höchte Ausdruck des Menschseins und damit als wesensbestimmend für den Humanismus; vgl. Brockhaus, Enzyklopädie, S. 73lff.; Finker, Stauffenberg, S. 22, 23; Zeller, Stauffenberg, S. 6; Venohr, Stauffenberg, S. 32. 46 Vgl. Venohr, Stauffenberg, S. 32; Zeller, Stauffenberg, S. 6; Finker, Stauffenberg, S. 22, 23. 47 Zeller, Stauffenberg, S. 9. 48 Kurt Bauch bei Zeller, Stauffenberg, S. 51. 49 Vgl. Hoffmann, Stauffenberg, S. 24.
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1. Teil: Person und Beruf
in der Annee, keine Beteiligung am Krieg zuließso. Berthold Graf Stauffenberg verfaßte im November 1916 einen Aufsatz über die Marine und die Entwicklung der deutschen Flotte bis zum Ersten WeltkriegS1 . Erst als 1917 das Gebäude des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums zeitweilig für die Unterbringung französischer Offiziere zur Verfügung gestellt werden mußte und ein ordentlicher Lehrbetrieb nicht mehr aufrecht erhalten werden konnte S2, zogen die Schüler vorübergehend in ein anderes Schulgebäude um. Zeitweise wohnte die Farnilie Stauffenberg deshalb auch in Lautlingen, wo die Söhne von der Abiturientin und Studentin der Philosophie Elisabeth Dipper, die aus diesem Anlaß von der Direktion des Gymnasiums eigens nach Lautlingen geschickt wurde, Unterricht erhieltens3 . Diese schilderte, daß "... auch die Brüder Stauffenberg zuweilen, wie alle Jungs, schrien, tobten und sich balgten. Sonst jedoch waren sie tadellos erzogen, ruhig und folgsam. Berthold Graf Stauffenberg war der einzige, der manchmal geschwind eine Ohrfeige fing"S4. Sie berichtete weiter, daß " ... Alexander und Berthold Graf Stauffenberg schon so viele Bücher gelesen hätten, die sie nun gerne selbst lesen wollte, wie beispielsweise Spenglers Untergang des Abendlandes,,55. Sie erinnerte sich, daß " ... Berthold Graf Stauffenberg kein angenehmer Schüler gewesen sei; aber nur deshalb, weil er so gescheit war, bohrende Fragen gestellt und unerbittlich jede Wissensunsicherheit gespürt habe,,56. Er sei " ... nicht nur rundherum gebildet und blitzgescheit, sondern auch äußerst aufmerksam und interessiert gewesen. Besonders in Mathematik sei er sehr gut gewesen. Bereits damals habe er den Wunsch gehabt, im Auswärtigen Dienst tätig zu werden"s7. Ferner beschrieb sie Berthold Graf Stauffenberg im Gegensatz zu seinem Bruder Claus Graf Stauffenberg als " ... verschlossen und dunkel"s8. Äußerlich wäre Berthold Graf Stauffenberg in Kopf und Statur zwar schmaler als sein jüngerer Bruder gewesen. Dennoch wurden die Beiden insbesondere wegen ihrer ähnlichen Stimmen, aber auch wegen Übereinstimmungen in Haltung und Bewegung immer wieder verwechselt. 59
Hoffmann, Stauffenberg, S. 24. Hoffmann, Stauffenberg, S. 27. 52 Steffahn, Stauffenberg, S. 18; Hoffmann, Stauffenberg, S. 28. 53 Steffahn, Stauffenberg, S. 18. 54 Steffahn, Stauffenberg, S. 18. 55 Steffahn, Stauffenberg, S. 20. 56 Steffahn, Stauffenberg, S. 20. 57 Hoffmann, Stauffenberg, S. 38; Lohmann, Auswärtige Ämter, S. 127ff. 58 Hoffmann, Stauffenberg, S. 38. 59 Nina Gräfin Stauffenberg bei Zeller, Stauffenberg, S. 47; Mitteilung Stauffenberg: Fälschlicherweise wurden Berthold und Claus Graf Stauffenberg wegen dieser 50 51
I. Kindheit und Jugend
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4. Aussehen und Charakter
Theodor Pfizer, ein Klassenkamerad und enger Jugendfreund von Berthold und Alexander Graf Stauffenberg aus jenen Tagen60 , beschrieb Berthold Graf Stauffenberg nach seiner Erinnerung: "Er war in der Jugend wie im späteren Leben schweigsam, nicht selten schüchtern, zurückgezogen in das, was ihn beschäftigte - ein Gedanke, ein Buch, eine Freundschaft ohne Phrasen in Wort und Gebärde, aber immer scharf beobachtend, das Wesentliche rasch erfassend. Sein klares blaues Auge ruhte prüfend auf jedem, mit dem er im Gespräch war, oder auf dem Gegenstand, mit dem er sich beschäftigte, Menschen und Dinge durchdringend. Konventionen waren ihm im tiefsten fremd trotz seines klaren Sinns für Formen, für das Schöne. Mit Sarkasmus beobachtete er andere in ihrer oft wortreichen Betriebsamkeit. Er hat ohne Mühen Schule und Prüfungen durchlaufen, Anforderungen geistiger Art im Spiel gleichsam bestehend ... ,,61. Ludwig Thormaehlen, ein weiterer enger Jugendfreund der Brüder Stauffenberg, charakterisierte Berthold Graf Stauffenberg mit seinen Worten: "Sein tiefschwarzes Haar ... lag in leichter Welle über der freigewölbten, auch noch die Biegungen der Schläfen formenden Stirn. Diese war offen und klar und erweckte den Eindruck müheloser Festigkeit des Wesens. Die Wangen erschienen archaisch, ohne Furchung, ohne empfindsame Linien; das Untergesicht wies das lebenskräftige, vordrängende >Gehege der Zähne< ... auf. Die bewegt gebogenen Lippen vermochten die weißleuchtenden Zähne kaum zu decken. Den Blick der Augen unterstützend gaben sie den Eindruck des Heiter-Lebenswilligen, Leben-Zugewandten. Die Augen, ein wenig vertieft ruhend, doch wölbig und offen, wiesen einen heiteren, für Augenblicke auch melancholischen Ausdruck. Ihr Blick weilte dann fern, zumeist in einem schwebenden Gleichgewicht der Melancholie und Heiterkeit. Auch unendlich ausgelassen konnten diese Augen dreinschauen. Alles an diesem Antlitz ordnete sich den hochgeistigen, stets erfüllt schauenden Augen unter. Ihre Farbe - seltsamer Gegensatz zu dem schwarzen Haar - war blau, spielte zwischen Lapislazuli und Opal, mit dunklem Rand der Iris und meist weiter, schwarzer Pupille. Die Ohren am Haupt etwas zurücksitzend, waren zierlich und sehr wohlgeformt. Dieses Gesamt: ein verhalten Traum und Hoheit ausstrahlendes Antlitz, bewegt von wacher Gegenwärtigkeit und Intelligenz, von Zurückhaltung und freier Verantwortungswilligkeit. ... Es verkörperte eine dichte, sichtbare Vereini-
Ähnlichkeit in Gestalt und Stimme oft für Zwillinge gehalten; Alexander Graf Stauffenberg stand dagegen immer abseits. 60 Baigent/Leigh, Stauffenberg, S. 130. 61 Pfizer, Stauffenberg, S. 489.
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1. Teil: Person und Beruf
gung von Hoheit und Herz, von Intelligenz und Geist, Gelöstheit und Forderung ... ,,62. Eberhard Zeller faßte diese und andere Beschreibungen über Berthold Graf Stauffenberg wie folgt zusammen: "Seiner Natur nach war er zwar exklusiv, aber nicht im gesellschaftlichen Sinne. Es war mehr das Auftreten dieses ausprägend starken und einzigartigen Mannes63 .... Er kannte die Spielregeln, aber er wirkte nicht eigentlich gewandt. An ihm war etwas von einem großen Jüngling, schlicht, eckig, gutmütig und abwartend. Mancher hatte es aufgegeben, ihm näherzukommen, weil er sich so gar nicht mit um die Unterhaltung bemühte. Wenn er etwas sagte, hatte es seine einfache, runde Form, und es war immer etwas eigenes. Nur was aus ihm selbst kam, erschien ihm sagenswert,,64. Aus diesem Wesen heraus, das allgemein als "sehr still, äußerlich fast gehemmt und spröde, innerlich jedoch ruhig, klar und sachlich, höchst intelligent und messerscharf', geschildert wird65 , "schien er die Fragen, die an ihn drangen, mit der unerbittlichen Sicherheit, einem Prüfstein gleich fast ohne Überlegung zu beantworten. Ja er vermochte fast allein durch sein Dasein die Antwort zu geben 66 , obwohl die meisten ihn nur als introvertierten Schweiger und adeligen Zensor kennenlemten67 . Doch diejenigen, die ihn näher kannten, schätzten seine Besonnenheit und sein Urteil, seine Intelligenz und Entscheidungskraft. Die Geschehnisse der Umwelt wohl registrierend reifte in ihm ein ausgeprägter Sinn für die Situation. So war er später seinem Bruder Claus Graf Stauffenberg das verkörperte Gewissen ... ,,68. 5. Religion und Wissenschaft
Als im Herbst 1918 der Erste Weltkrieg dem Ende zuging und die Folgen des Krieges in Form des Versailler Vertrages im ganzen Land als schimpflich und demütigend empfunden wurden69 , mußte die Monarchie im Deutschen Reich abdanken. Um eine Besetzung Deutschlands zu verhin62 Ludwig Thonnaehlen bei Zeller, 20. Juli, S. 249, und Zeller, Claus und Berthold, S. 243; Thonnaehlen, Erinnerungen, S. 215, 216; Thonnaehlen, Stauffenberg, S. 687, 688. 63 Urban Thiersch bei Zeller, Stauffenberg, S. 51. 64 Kurt Bauch bei Finker, Stauffenberg, S. 179, bei Zeller, 20. Juli, S. 252, und Zeller, Claus und Berthold, S. 246; vgl. auch Urban Thiersch bei Zeller, Stauffenberg, S. 51; Mitteilung Stauffenberg. 65 Zusammenfassend Venohr, Stauffenberg, S. 60; Hoffmann, Stauffenberg, S. 23; Mitteilung Stauffenberg. 66 Zeller, Stauffenberg, S. 51. 67 Zeller, Gedenken, S. 71; Hoffmann, Stauffenberg, S. 23. 68 Marion Yorck von Wartenburg bei Zeller, Stauffenberg, S. 47. 69 Hoffmann, Stauffenberg, S. 31.
I. Kindheit und Jugend
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dem, nahmen sowohl der Kaiser wie auch der württembergische König ihren Abschied7o . Dadurch verlor nicht nur Berthold Graf Stauffenbergs Vater seine Stellung als Oberhofmarschall am württembergischen Hofe. Dadurch endete auch die gesamte Lebenstradition der Familie Stauffenberg als Dienstadel der Monarchie 71. Der Vater Alfred Graf Stauffenberg erhielt einen neuen Posten als Verwalter der königlichen Rentenkammer, blieb jedoch im Herzen stets ein überzeugter, konservativer Monarchist und dauernder Gegner neuer demokratischer Staatsformen72. Dennoch versuchte er nie, seine Söhne von seinem Standpunkt zu überzeugen. Vielmehr verhielt er sich dem Tun seiner Söhne gegenüber stets loyal. So waren Berthold Graf Stauffenberg und seine Brüder allem Neuen gegenüber aufgeschlossen und für progressive Ideen begeisterungsfähig73 . Ebenso tolerant und offen war das kirchlich-ethische Klima im Hause Stauffenberg. Der Vater Alfred Graf Stauffenberg war Katholik, die Mutter Caroline Gräfin Üxküll war Protestantin. Daher war bereits von Vornherein eine gewisse Ökumene gewährleistet74 . Entsprechend der Tradition des Hauses Stauffenberg wurden die Söhne nach dem Bekenntnis des Vaters römisch-katholisch getauft und erzogen75. Berthold Graf Stauffenberg sagte später in Gestapohaft: "Wir sind zwar nicht das, was man im eigentlichen Sinne gläubige Katholiken nennt. Wir gingen nur selten zur Kirche und nie zur Beichte ... ,,76. Die Familie blieb aber stets mit der katholischen Kirche und ihren Werten verbunden77, auch wenn die Brüder selbst keine praktizierenden Christen waren78 . Ihr Handeln war unabhängig von der Konfession tief in der Verantwortung zu Gott und der Toleranz Andersgläubigen gegenüber verwurzelt79 . Insbesondere Berthold Graf Stauffenberg war Zeit seines Lebens kein streng gläubiger Katholik, wohl aber ein toleranter und gerechtigkeitsliebender Agnostiker. Im schulischen Religionsunterricht, als der katholische Lehrer den protestantischen Reformator Martin Luther derb verunglimpfte, blieb er zunächst ruhig, um dem Lehrer in der Pause unter vier Augen Baigent/Leigh, Stauffenberg, S. 128; Hoffmann, Stauffenberg, S. 31. Hoffmann, Stauffenberg, S. 31 ff. 72 Steffahn, Stauffenberg, S. 16; Kramarz, Stauffenberg, S. 17; Stauffenberg, Lebensbilder, S. 449. 73 Finker, Stauffenberg, S. 14; Kramarz, Stauffenberg, S. 18; vgl. auch Kaltenbrunner, Opposition, S. 447. 74 Kramarz, Stauffenberg, S. 24; Venohr, Stauffenberg, S. 31, 38. 75 Kramarz, Stauffenberg, S. 24. 76 Kaltenbrunner, Opposition, S. 435. 77 Kaltenbrunner, Opposition, S. 435. 78 Kramarz, Stauffenberg, S. 24. 79 Kramarz, Stauffenberg, S. 24. 70 71
1. Teil: Person und Beruf
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anzukündigen, daß er die niederen Angriffe nicht dulden könne und im Falle einer Fortsetzung dieser Angriffe den Unterricht boykottieren werde 8o • Bereits hier zeigte sich die ausgesprochen starke Beziehung und typisch humanistische Einstellung Berthold Graf Stauffenbergs zu Toleranz, Gerechtigkeit und Gewissen. Während seiner Schulzeit war Berthold Graf Stauffenberg vielseitig und global interessiert. Er beschäftigte sich mit vielerlei Facetten der Naturwissenschaften, insbesondere mit Technik, Physik und Astronomie81 • Aber auch geisteswissenschaftliche Themen fanden seine Aufmerksamkeit. Er las viel über Philosophie und in der Bibel82 , deren Beschreibungen er anlagegemäß jedoch eher bildhaft-naturwissenschaftlich denn symbolisch-ethisch verstand83 • Im Jahre 1920 gaben die Brüder Stauffenberg eine handgeschriebene Zeitschrift namens Hennes heraus. Darin veröffentlichte Berthold Graf Stauffenberg einen Artikel, in dem er den Ersten Weltkrieg mit dem Siebenjährigen Krieg verglich. Er analysierte die Ursachen beider Kriege und fand - ganz dem künftigen Völkerrechtler und Diplomaten entsprechend den Grund für beide Kriege in Koalitionen, die durch begründetes Mißtrauen veraniaßt gewesen waren. Den unterschiedlichen Ausgang beider Kriege bedauerte er84 .
In den darauffolgenden Jahren kehrte sein Interesse verstärkt zur Literatur zurück. Er befaßte sich intensiv mit Hölderlin und George und machte sich tiefgreifende Gedanken über die dort verarbeiteten Themen, insbesondere über Liebe, Freundschaft und Verehrung85 . Vor allem Stefan George, den er später persönlich noch sehr gut kennenlernen sollte, spielte bis zum Ende seines Lebens eine entscheidende Rolle bei allem seinem Handeln und Unterlassen86 • 6. Jugendgruppe und Schulabschluß
Kurz vor Ende der Schullaufbahn schlossen sich Berthold und Claus Graf Stauffenberg im Jahre 1922 der Jugendgruppe der Neupfadfinder an87 • Sie Hoffmann, Stauffenberg, S. 39; Venohr, Stauffenberg, S. 31. Hoffmann, Stauffenberg, S. 36. 82 Hoffmann, Stauffenberg, S. 36. 83 Hoffmann, Stauffenberg, S. 36. 84 Hoffmann, Stauffenberg, S. 42. 8S Hoffmann, Stauffenberg, S. 43. 86 Hoffmann, Stauffenberg, S. 44. 87 Müller, Stauffenberg, S. 38; Kramarz, Stauffenberg, S. 22; Pfizer, Stauffenberg, S. 498. 80 81
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nahmen teil am üblichen Lagerleben der Jugendbewegung. Sie zelteten, wanderten, entzündeten Lagerfeuer, sangen und lasen Gedichte88 . Die Wahl der Jugendgruppe ließ erkennen, daß die Brüder Stauffenberg weltoffene, progressive Humanisten waren, die neuen Ideen und Staatsgebilden entgegen der Einstellung ihres Vaters positiv und neugierig gegenüberstanden. Das Programm der Bewegung ging auf eine Idee des Pfarrers Martin Völkel zurück und nannte bezeichnenderweise folgenden Grundsatz sein eigen 89 : "Wir Neupfadfinder streben nach Erneuerung unseres inneren und äußeren Lebens im Glauben an eine kommende deutsche Kultur. Sie bedarf eines neuen Menschen und sie führt in ein neues Reich .... Unsere Lebensweise sei herb und kraftvoll. Der neue Mensch und das neue Reich stehen als Ziel vor ihr,,9o. Es darf wohl davon ausgegangen werden, daß Berthold Graf Stauffenberg das Programm der Bewegung in vollem Umfang unterstützt hat, wenn er auch seine Zukunft gänzlich anders sah und anders verstand als die späteren nationalsozialistischen Machthaber91 . Schließlich kam es im Januar 1923 zur Besetzung von Ruhr- und Rheingebiet durch französisch-belgische Truppen92 , die wegen des Verstoßes gegen die Verträge mit den Alliierten zu einer massiven Empörung und einem nationalen Notstand in der deutschen Bevölkerung führte 93 . Dem Geist der Zeit folgend meldeten sich auch Berthold und Alexander Graf Stauffenberg als Zeitfreiwillige zur Reichswehr94 . Sie dienten im Reiterregiment 18 und waren in Stuttgart-Cannstatt und Ludwigsburg stationiert, um dem Canstatter Kavallerieregiment zur Verfügung zu stehen95 . Da Berthold Graf Stauffenberg allerdings bald erkrankte und Alexander Graf Stauffenberg jede militärische Ader fehlte, ließen beide die Idee von einer glänzenden Militärkarriere bald fallen 96 .
88 Vgl. Hoffmann, Stauffenberg, S.46; Kramarz, Stauffenberg, S. 22; Pfizer, Stauffenberg, S. 498. 89 Müller, Stauffenberg, S. 38, 39; Greiffenhagen, Stauffenberg, S. 25. 90 Der Begriff des neuen Reiches sollte den Brüdern Stauffenberg später wieder als Ziel Stefan Georges begegnen; Finker, Stauffenberg, S. 18, 410; Greiffenhagen, Stauffenberg, S. 25. 91 Hier sei noch bemerkt, daß sich die Neupfadfinder später mit einer anderen Gruppe zur Deutschen Freischar zusammenschloßen; dieser gehörten auch die meisten späteren Mitglieder des sog. Kreisauer Kreises um Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg an; Kramarz, Stauffenberg, S. 22,
260. 92 93 94
95 96
Hoffmann, Stauffenberg, S. 47. Zeller, Stauffenberg, S. 9. Hoffmann, Stauffenberg, S. 47. Müller, Stauffenberg, S. 66; Zeller, Stauffenberg, S. 9. Vgl. Müller, Stauffenberg, S. 66.
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1. Teil: Person und Beruf
Im März 1923 krönten die Brüder Berthold und Alexander Graf Stauffenberg ihre Schullaufbahn mit dem Abschluß ihrer schriftlichen und mündlichen Abiturprüfungen im Eberhard-Ludwigs-Gymnasium97 . Berthold Graf Stauffenberg erzielte dabei durchweg die Noten und und schloß mit der Gesamtnote ab98 . Damit war Berthold Graf Stauffenberg der beste Schüler der drei Brüder und bestätigte den Eindruck seiner ehemaligen Lehrer und Mitschüler als schneidend-klarer und geistigüberlegener Charakter99 . Während Alexander Graf Stauffenberg im Abschlußzeugnis als Studienwunsch Rechts- und StaatswissenschaJten angab 100, wollte Berthold Graf Stauffenberg zu diesem Zeitpunkt Neuere Philosophie studieren lOl • Offensichtlich unter dem Eindruck der Beschäftigung mit dem Humanismus und der Literatur, mit der Natur- und Geisteswissenschaft, tendierte er in diese Richtung. Allerdings sagte er schon früher einmal, er wollte dem Staat und dem Volke dienen und in den Auswärtigen Dienst eintreten 102. So "sahen auch seine ehemaligen Mitschüler in ihm den späteren Diplomaten vorgezeichnet" 103. Entgegen seines Studienwunsches im Abschlußzeugnis immatrikulierte sich Berthold Graf Stauffenberg schließlich zusammen mit seinem Bruder Alexander Graf Stauffenberg an der Universität Heidelberg für den Fachbereich Rechts- und Staatswissenschaften lO4 • 11. Studium der Rechte
1. Universitäten und Fakultäten Aus welchen Gründen sich Berthold Graf Stauffenberg letztlich trotz seines Interesses und seiner Neigung für natur- und geisteswissenschaftliche Fächer für das Jura-Studium entschied, läßt sich heute nurmehr vermuten 105. Entsprechend seiner adeligen Herkunft und humanistischen Erziehung wurde bereits sehr früh der Wunsch in ihm groß, dieser Verpflichtung aufopfernd nachzukommen und seinem Volk und seinem Staat zu dienen 106. Zeller, Stauffenberg, S. 9; Hoffmann, Stauffenberg, S. 46. Abiturzeugnis, Stauffenberg. 99 Vgl. Hoffmann, Stauffenberg, S. 23, und die oben skizzierten Aussagen von Theodor Pfizer, Ludwig Thormaehlen und Elisabeth Dipper. 100 Abiturzeugnis, Stauffenberg. 101 Abiturzeugnis, Stauffenberg. 102 Hoffmann, Stauffenberg, S. 38; Lohmann, Auswärtige Ämter, S. 127ff. 103 Zeller, Gedenken, S. 67. 104 Hoffmann, Stauffenberg, S. 46. 105 Mitteilung Hoffmann. 106 Vgl. Claus Graf Stauffenberg bei Steffahn, Stauffenberg, S. 31. 97
98
11. Studium der Rechte
29
Er nahm das Wort Staatsdienst wörtlich 107 und sah, wie viele andere auch, das Jura-Studium als Einstieg für eine Laufbahn im höheren Staatsdienst lO8 . Da Berthold Graf Stauffenberg bereits in Schul- und Studienzeiten englisch und französisch fließend sprechen sowie italienisch und russisch soweit verstehen konnte, daß er Rechtsquellen in diesen Sprachen lesen konnte 109, wollte er sich von nun an dem diplomatischen Dienst im Auswärtigen Amt widmen llO • Im Mai 1923 schrieb er sich zusammen mit seinem Bruder Alexander Graf Stauffenberg an der Universität Heidelberg für die Fächer Rechts- und Staatswissenschaften ein 111. Die Brüder verbrachten das Sommersemester als Studenten der juristischen Fakultät der Badischen Ruprecht-Karls-Universität 1l2 . Hier hörten sie Vorlesungen über römisches Privatrecht und römisches Zivilprozeßrecht sowie Allgemeines über Rechtswissenschaften, bürgerliches Recht, Volkswirtschaftslehre, Kunst und Wirtschaft 113 . Zum darauffolgenden Wintersemester übersiedelten Berthold und Alexander Graf Stauffenberg nach Jena. Sie immatrikulierten sich im November 1923 für das Wintersemester 1923/24 an der dortigen Universität. Berthold Graf Stauffenberg belegte die Fächer Jura und Philologie, Alexander Graf Stauffenberg lediglich das Fach Philologie 1l4. Belegbögen aus dieser Zeit sind nicht erhalten geblieben, so daß nicht bekannt ist, welche Vorlesungen die Brüder Stauffenberg in dieser Zeit besuchten 115. Im November 1923 fand Adolf Hitlers Bürgerbräukeller-Putsch statt, der zu ersten antisemitischen Ausschreitungen führte 1 16. Obwohl auch die Brüder Stauffenberg die Bedingungen des Versailler Vertrages als äußerst schmählich und beschämend für das deutsche Volk empfanden, verurteilte Berthold Graf Stauffenberg den Putschversuch Adolf Hitlers auf das Schärfste. Er sah darin keine konstruktiven, sondern lediglich destruktive EleVgl. Zeller, Stauffenberg, S. 48. von Schwerin, Widerstand, S. 34. 109 Zeller, 20. Juli, S. 250; Zeller, Claus und Berthold, S. 244. 110 Zeller, Stauffenberg, S.48; Zeller, 20. Juli, S. 249; Zeller, Claus und Berthold, S. 243; Lohmann, Auswärtige Ämter, S. 127ff. 111 Hoffmann, Stauffenberg, S. 46, 47; die Wahl dieses Studienfaches rechtfertigte er später einmal mit seinem Pflichtbewußtsein gegenüber der Lage der Nation; er wollte und müßte trotz aller Vorbehalte gegenüber der derzeitigen Staatsform dem Staat dienen; der Dienst an Vaterland und Volk wäre für ihn Lebenszweck und Selbstverständlichkeit; vgl. auch Schmid, Verräter, S. 222. ll2 Uni Heidelberg, Studentenakte. 113 Uni Heidelberg, Studentenakte. 114 Uni Jena, Studentenkartei. 115 Uni Jena, Studentenkartei. 116 Vgl. Hoffmann, Stauffenberg, S. 58. 107 108
1. Teil: Person und Beruf
30
mente!17, die als solche nichts zur Lösung der anstehenden Probleme beitragen konnten" 8 . Die Brüder folgten deshalb einem Aufruf der Tübinger Studentenschaft Zur Verteidigung der bestehenden Ordnung gegen revolutionäre Arbeiter und traten erneut als Zeitfreiwillige in das Reiterregiment 18 der Reichswehr in Ludwigsburg ein 119 . Auch hierin kann man ihre Liebe zu Gerechtigkeit und Frieden sowie einen ersten Ansatz ihrer Widerstandsgedanken gegen totalitäre und verbrecherische Staatsführungssysteme erkennen. Das folgende Sommersemester 1924 verbrachte Berthold Graf Stauffenberg in Tübingen. An diese seiner Heimatstadt Stuttgart nahe gelegene Universität sollte er später nochmals zurückkommen, um sein Studium höchst erfolgreich mit der ersten höheren Justizdienstprüfung und der Promotion zum Doctor juris abzuschließen!2o. Zunächst jedoch befaßte sich Berthold Graf Stauffenberg mit Vorlesungen in den Fächern Sachenrecht bei Professor von Rümelin, Erbrecht bei Professor Schmidt, Ökonomie bei Professor Wilbrandt, altrömische und frühbyzantinische Geschichte bei Professor Weber, sowie Frankreich, England und Orient im Mittelalter bei Professor Haller 12 !. Aus der Betrachtung seiner bisher belegten Vorlesungen wird klar, daß er zwar für eine grundlegende juristische Ausbildung sorgte, gleichzeitig aber bemüht war, den Blick über die Grenzen der Rechtswissenschaften hinaus zu wagen. Er besuchte Vorlesungen in den Bereichen Wirtschaftswissenschaften, Geschichte und Philosophie, was seiner bereits in der Jugend angelegten allumfassenden Bildung und Ausbildung entsprach. Sein Interesse galt von Anfang an nicht nur dem Gebiet der Jurisprudenz, sondern stets auch benachbarten und abgelegeneren Wissenschaften. Die Entscheidung, letztlich das Jura-Studium zu beenden, entsprang wohl dem steten Wunsch, sich dem Staat als aristokratischer Diplomat im Auswärtigen Amt zur Verfügung zu stellen 122. Das Wintersemester 1924/25 belegte Berthold Graf Stauffenberg in Berlin. Es galt diesmal ausschließlich der juristischen Weiterbildung im Bereich des Zivilrechts. Er konzentrierte sich auf einige wenige Vorlesungen !23 in den Fächern Zivilprozeßrecht I und 11 und er besuchte Übungen Müller, Stauffenberg, S. 42. Finker, Stauffenberg, S. 34, 35. 119 Finker, Stauffenberg, S. 34, 35. 120 Vgl. Uni Tübingen, Studentenakte; hier verbrachte Berthold Graf Stauffenberg die längste Zeit seines Studiums; die Universitätsakte urnfaßt daher sowohl die Studentenakte wie auch die Examens- und Promotionsakte. 121 Uni Tübingen, Studentenakte; Vitzthum, Stauffenberg, S. 8. 122 Vgl. Zeller, Stauffenberg, S. 48; Claus Graf Stauffenberg bei Steffahn, Stauffenberg, S. 31; Lohmann, Auswärtige Ämter, S. 127ff. 123 Uni Berlin, Studentenakte. 117 118
11. Studium der Rechte
31
im bürgerlichen Recht 124. In der Berliner Zeit lernte Berthold Graf Stauffenberg seine späteren Mitarbeiter, Vorgesetzten und Mentoren Viktor Bruns und Rudolf Smend kennen, die an der dortigen Universität als Dozenten tätig waren. Die hier geknüpften Kontakte prägten seinen späteren Lebens- und Berufsweg und hielten in freundschaftlicher Verbundenheit bis an sein Lebensende 125 • Die darauffolgenden Semester verbrachte Berthold Graf Stauffenberg zunächst im Sommer 1925 an der Ludwig-Maximilian-Universität in München 126 und im Winter 1925/26 nochmals an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 127 • Nach welchen Überlegungen Berthold Graf Stauffenberg seine Studienorte wählte, ist nicht eindeutig nachvollziehbar. Es fällt auf, daß er den Studienort bis zu diesem Termin jedes Semester gewechselt hat. Zunächst besuchte er die Universitäten zusammen mit seinem Zwillingsbruder Alexander Graf Stauffenberg. Dann kehrte er in die Nähe seines Geburtsortes zurück, um anschließend erneut fern der Heimat zu studieren. Die beiden Aufenthalte in Berlin hatten sicher den Grund in der Anwesenheit des Dichters Stefan George, den Berthold Graf Stauffenberg ein paar Jahre zuvor kennengelernt hatte und in dessen Kreis er sich zunehmend engagierte. Im übrigen kann man nur vermuten, daß er sich stets für Studienorte entschied, die renommierte Universitäten mit hervorragenden Rufen zu bieten hatten. 2. Studienabschluß und Examen
Im Sommer 1926 kehrte Berthold Graf Stauffenberg erneut an die Eberhard-Karls-Universität in Tübingen zurück 128. Seine Vorlesungen beschränkten sich in diesem Sommersemester auf die staatsrechtlichen Übungen bei Professor Sartorius und das Pandektenexegetikum bei Professor von Rümelin 129 • Sein Augenmerk war bereits auf das bevorstehende Uni Berlin, Studentenakte. Hoffmann, Stauffenberg, S. 70. 126 Bei der Universität München sind keine Dokumente (Immatrikulationsbescheinigung, Abgangszeugnisse, Belegbögen etc.) mehr vorhanden; es steht zu vermuten, daß diese in den Wirren des Krieges verloren gingen oder vernichtet wurden; Theodor Pfizer berichtete jedoch, daß Berthold Graf Stauffenberg und er hier Vorlesungen über Rechtsphilosophie bei Geheimrat Behling besucht haben; Pfizer, Stauffenberg, S. 500. 127 Uni Berlin, Studentenakte; über dieses zweite Wintersemester in Berlin liegen ebenfalls keine Dokumente, insbesondere keine Belegbögen vor; es ist jedoch anzunehmen, daß er sich umsomehr auf juristische Vorlesungen konzentrierte, als sein Examen näher rückte; Thorrnaehlen, Erinnerungen, S. 314; Thorrnaehlen, Stauffenberg, S. 686. 128 Uni Tübingen, Studentenakte. 124
125
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1. Teil: Person und Beruf
Examen gerichtet. Er blieb diesmal auch das nachfolgende Wintersemester 1926/27 an derselben Universität und bereitete sich gewissenhaft auf die erste höhere Justizdienstprüfung vor. Zu diesem Zweck besuchte er an der Universität Übungen im bürgerlichen Recht für Vorgerückte bei Professor Blume, im Zivilprozeßrecht bei Professor Hegler, im Verwaltungsrecht bei Professor Sartorius und im Strafrecht bei Professor Schoetensack 130 . Ein Repetitorium absolvierte Berthold Graf Stauffenberg nicht 131 . Er betrieb die Vorbereitung auf das Staatsexamen vielmehr nach seinen eigenen Vorstellungen. Zusammen mit seinem Studienfreund Theodor Pfizer zog er sich zeitweise auf den Familienlandsitz nach Lautlingen zurück, um auch die Ferien zwischen den letzten bei den Semestern zu nützen 132 . "In Tübingen wie in Lautlingen trafen sich die beiden Studenten täglich. Sie teilten den extrem großen Wissensstoff mit generalstabsmäßiger Genauigkeit für die verbleibende Vorbereitungszeit ein und hörten sich gegenseitig ab. Sie konstruierten alle möglichen Rechtsfälle, um so mit ihrer eigenen Systematik den Stoff zu bewältigen und zu beherrschen,,!33. Im Mai 1927 legte Berthold Graf Stauffenberg die Erste Juristische Staatsprüfung ab 134 • Dieses Examen hielt für ihn bereits einen Vorgeschmack auf das kommende Leben bereit. Die zivilrechtliche Aufgabe handelte von Vor- und Nacherbschaft und war damit eine sachliche Einstimmung auf die aus seiner Sicht wohl wichtigste Aufgabe seines Lebens. Als treuhänderischer Verwalter und Nacherbe sollte er als der in Deutschland dem Dichter Stefan George am nächsten stehende Anhänger dessen Nachlaß ordnen und für das Erscheinen seiner Werke in der gewünschten Form sorgen 135. Die verwaltungsrechtliche Aufgabe stammte von seinem späteren Doktorvater Heinrich Pohl und befaßte sich mit der Staatshaftung für Amtspflichtverletzungen. Daß nicht nur einzelne Amtsträger ihre Pflichten, sondern ein ganzer Staat systematisch Landes- und Völkerrecht verletzen konnten, und daß das bevorstehende nationalsozialistische Regime gerade die rechts- und staatsbewußtesten unter den Juristen noch zu Staatsstreich und Selbstopfer treiben sollte 136, hielten weder Heinrich Pohl noch Berthold Graf Stauffenberg in diesem Augenblick für möglich. Er bestand die PrüUni Tübingen, Studentenakte. Uni Tübingen, Studentenakte. 131 Zeller, Stauffenberg, S. 48; Zeller, 20. Juli, S. 249; Zeller, Claus und Berthold, S. 243; Pfizer, Stauffenberg, S. 500. 132 Pfizer, Stauffenberg, S. 500. 133 Pfizer, Stauffenberg, S. 500; Thorrnaehlen, Erinnerungen, S. 227. 134 Siehe Uni Tübingen, Studentenakte. 135 Vitzthum, Stauffenberg, S. 9; Vitzthum, Völkerrechtsberater, S. 26. 136 Vitzthum, Stauffenberg, S. 10, 11; Vitzthum, Völkerrechtsberater, S. 27; vgl. auch Zemanek, Responsibility, S. 362ff. 129 130
11. Studium der Rechte
33
fung mit der Gesamtnote 11 a unten (ausgezeichnet) als Zweitbester der insgesamt 24 Teilnehmer. In den einzelnen Prüfungsfächern erreichte er die folgenden Beurteilungen: Bürgerliches Recht
11 a mitte (ausgezeichnet)
Handels- und Wechselrecht
11 a unten (ausgezeichnet)
Zivilprozeß- und Konkursrecht
11 b mitte (gut)
Strafprozeßrecht
III a oben (befriedigend)
Strafrecht
11 b mitte (gut)
Staats- und Verwaltungsrecht
11 b oben (gut)
Kirchenrecht
11 b unten (gut)
Volkswirtschaftslehre
II a unten (ausgezeichnet)I37.
Die dazugehörige mündliche Prüfung fand am 20. Mai 1927 statt l3s . Neben der Vorbereitung zum Juristischen Staatsexamen fand Berthold Graf Stauffenberg Zeit und Muße, sich anderen Dingen zu widmen. Er lernte Russisch und Italienisch und betrieb Konversation in Englisch und Französisch l39 , um sich für den diplomatischen Dienst zu präparieren 140. Ebenso nahm er sich die Zeit, um fast täglich auszureiten und damit neben seinem Geist auch seinen Körper zu trainieren 141. Im Gegensatz zu manch anderen Examenskandidaten konnte er sich solche aufwendigen Nebenbeschäftigungen erlauben. "Die Arbeit in der Aneigung von Sprachen und Paragraphen schien bei ihm durch eine angeborene Leichtigkeit nie mühevoll. Man sah ihn fast mit Neid, den er selbst nicht kannte, mit seinem gelassenen, leicht in den Schultern wiegenden Schritten, schlank und frisch vom Reiten daherkommen, während sich die anderen beim Repetitor geplagt hatten,,142. So wurde aus ihm ein "Jurist von höchster Treffsicherheit des Urteils, sofort das Wesentliche erkennend, nicht ohne Spott für das Brimborium, das um einfache Tatbestände in der monographischen Darstel-
\37 Siehe Uni Tübingen, Studentenakte; die Beurteilung wurde ausgedrückt in Wertzahlen und Noten, die folgendennaßen gestaffelt waren: 11 a (ausgezeichnet) oben/mitte/unten 12/11/10 Punkte 11 b (gut) oben/mitte/unten 9/ 8/ 7 Punkte 6/ 5/ 4 Punkte III a (befriedigend) oben/mitte/unten 138 Uni Tübingen, Studentenakte. 139 Pfizer, Stauffenberg, S. 489. 140 Zeller, Stauffenberg, S. 48; Pfizer, Stauffenberg, S. 489. 141 Pfizer, Stauffenberg, S. 489; frei nach der humanistischen Lehre mens sana in corpore sano. 142 Zeller, Stauffenberg, S. 48; Zeller, 20. Juli, S. 249; Zeller, Claus und Berthold, S. 243.
3 Meyer
I. Teil: Person und Beruf
34
lung gemacht wurde,.!43. Das Examensergebnis und seine geistige Veranlagung berechtigten ihn zu den größten Hoffnungen. 111. Stefan George
1. Dichter und Denker
Während seiner Studienzeit erlebte Berthold Graf Stauffenberg eine Phase, die ihn bis zu seinem Lebensende nachhaltig prägen und beeinflussen sollte l44 . Durch Vennittlung des Altphilologen Albrecht von Blumenthai begegneten Berthold und Claus Graf Stauffenberg dem Dichter Stefan George l45 , von dem sie im Frühjahr 1923 in seinen Kreis aufgenommen wurden l46 . Der Ruf Stefan Georges in der Öffentlichkeit war gespalten. Einerseits galt er als einer der größten deutschsprachigen Dichter seiner Zeit und genoß hohes literarisches Ansehen l47 , andererseits wurde er als Pfizer, Stauffenberg, S. 500. Zum Einfluß Georges auf Stauffenberg vgl. Seibt, Staat, S. 27; zu der Wirkung des Dichters allgemein vgl. Zöfe1, Wirkung, S. 13 ff.; zum politischen Einfluß vgl. auch Grün, Schweigen, S. 497ff.; Claus Graf Stauffenberg betonte später stets, er habe den größten Dichter seiner Zeit zum Lehrmeister gehabt; darauf sei er genauso stolz, wie dankbar, daß er seinen Bruder Berthold zum engsten Freund habe; Claus Graf Stauffenberg bei Zeller, Stauffenberg, S. 18; Müller, Stauffenberg, S.54. 145 Die Angaben hierzu sind kontrovers; nach Kramarz, Stauffenberg, S. 25, Müller, Stauffenberg, S. 44, und Boehringer, George, S. 194, lernten sie Stefan George durch Vermittlung von Albrecht von Blumenthal an Berthold Graf Stauffenbergs damaligem Studienort Heidelberg kennen; nach Hoffmann, Stauffenberg, S. 50, fand die erste Begegnung mit Stefan George durch Vermittlung von Maria Fehling und Albrecht von Blumenthai in Marburg/Lahn statt. 146 Vitzthum, Staatsdichtung, S. 2140, Fußnote 8; Hoffmann, Stauffenberg, S. 50; der Stefan-George-Kreis wurde mehrfach in der Literatur zu beschreiben versucht; Ernst Troeltsch analysierte den Kreis als Sekte; Herman Schmalenbach verstand ihn als charismatischen Gesinnungsbund; Karlhans Kluncker faßte ihn als Dichterschule auf; Klunker, Geheimes Deutschland, S. 11; Michael Winkler spricht schlicht von einem ideellen Bund; Winkler, George-Kreis, S. 56; die aktuellste und neutralste Beschreibung liefert Wülfing, Handbuch, Nr. 38; vgl. auch Müller, Stauffenberg, S. 44; Kramarz, Stauffenberg, S. 25; die Auswahl der Jugendlichen erfolgte meist durch die im Stefan-George-Kreis tätigen Professoren wie Gundolf und Wolters; Groppe, Macht, S. 446; die Struktur und Hierarchie des Kreises (segmentäre Differenzierung) findet sich bei Breuer, Fundamentalismus, S. 79ff. 147 Grün, Schweigen, S.497; so wohl auch Klunker, Geheimes Deutschland, S. 11, 16, 17, der den Kreis als literarischen Lehrbetrieb, als streng geschlossene Dichterschule verteidigte; er sagte mit Friedrich Gundolf, daß der Kreis weder ein Geheimbund mit Statuten und Zusammenkünften noch eine Sekte mit phantastischen Riten und Glaubensartikeln noch ein Literatenklüngel, sondern lediglich "eine kleine Anzahl Einzelner mit bestimmter Haltung und Gesinnung, vereinigt durch die unwillkürliche Verehrung eines großen Menschen, und bestrebt, der Idee, die er ih143
144
III. Stefan George
35
Prophet und Erzieher, dem seine Jünger angeblich einen Treueschwur zu leisten hatten, kritisiert l48 • Doch Berthold Graf Stauffenberg fand in dem Kreis um Stefan George seine eigenen Ideale wieder. Hier herrschte eine ausgeprägt humanistische und offene, aber auch edle und pflichtbewußte Geisteshaltung vor l49 . Der Kreis um den Dichter war eine - von außen gesehen - geschlossene Gemeinschaft, die sehr intensiv dem Lesen und Schreiben von Gedichten zugewandt war und auf politische Äußerungen überwiegend verzichtete l50 • Als Dichter, so die Ansicht Stefan Georges ein Leben lang, kannte er zwar die Ursachen für gesellschaftliche und politische Mißstände, doch hatte er sich politisches Handeln zu untersagen l51 . Bald nötigten Stefan George und seine Gedichte Berthold Graf Stauffenberg und den anderen Mitgliedern seines Kreises mehr Faszination ab, als alle anderen bis dahin bewunderten Dichter wie Rilke, Hölderlin und Hofmannsthal l52 . Insbesondere der junge Berthold Graf Stauffenberg betrachnen verkörpert (nicht diktiert), schlicht, sachlich und ernsthaft durch ihr Alltagsleben oder durch ihre öffentliche Leistung zu dienen", gewesen sei; nach Winkler, George-Kreis, S. 84, war die Wirklichkeit des Kreises die seiner Dichtung; der Kreis war also grundsätzlich unpolitisch und überwiegend ideeller Natur. 148 Vgl. BaigentiLeigh, Stauffenberg, S. 146 und 148, und Groppe, Macht, S. 460ff.; Ute Oelmann und Wolfgang Graf Vitzthum halten es für eine Legende, daß die Anhänger Stefan Georges tatsächlich einen Treueschwur auf den Dichter leisten mußten. 149 Vgl. Krolak, Vorstellungen, S. 548; Siemoneit, Interpretationen, S. 51; Vitzthum, Stefan George, S. 925; Zöfel, Wirkung, S. 30; BaigentiLeigh, Stauffenberg, S. 146; Mitteilung Stauffenberg. 150 Vitzthum, Stefan George, S. 925, und Staatsdichtung, S. 2138, weist darauf hin, daß der Kreis ab 1910 intern als kleiner oder innerer Staat bezeichnet wurde und als Repräsentant eines Geheimen Deutschland diente; der private Kreis um den Dichter war ein kulturelles Gebilde, dem Stefan George frühzeitig bereits höchste Bedeutung beimaß: "Der sinn aber unseres staates ist dieser daß für eine vielleicht nur kurze zeit ein gebilde da sei, das, aus einer bestimmten gesinnung hervorgegangen, eine gewisse höhe des menschentums gewährleistet"; Robert Boehringer bei Vitzthum, Staatsdichtung, S. 2142 m. w. N.; Baigent/Leigh, Stauffenberg, S. 148, meinen, das Lesen und Schreiben von Gedichten wäre fast zu einem religiösen Ritual erhoben worden; Zöfel, Wirkung, S. 32, nennt die Dichtung Kultmitte und Lebensgebärde des Kreises; Winkler, George-Kreis, S. 90, teilt mit, daß sich der Kreis als Geheimes Deutschland nie zu einer öffentlichen Stellungnahme zusammenfand. 151 Vitzthum, Staatsdichtung, S. 2139; der Dichter urteilt, die Tat tun andere; so verhielt sich Stefan George 1905 anläßlich einer Aufforderung Hugo von Hofmannsthals, an einem Anti-Kriegs-Aufruf teilzunehmen; so reagierte er bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914, als er erst 1917 mit dem Gedicht Der Krieg öffentlich das sinnlose Gemetzel verurteilte; so verfuhr er schließlich auch bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933, als er wortlos in das schweizer Exil zog, wo er kurz darauf verstarb. 152 Steffahn, Stauffenberg, S. 24. 3*
36
1. Teil: Person und Beruf
tete den Dichter und sein Werk als Maßstab und Vorbild für alle seine Handlungen I53 . Eberhard Zeller, ein enger Jugend- und Schulfreund der Brüder Stauffenberg, stellte hierzu fest: "Die Dichtung, die Berthold Graf Stauffenberg hier in diesem Kreise fand und am eigenen Leib spürte, wurde für ihn das Lebenselexier. Für ihn war die Kunst und insbesondere die Dichtung eine Wirklichkeit, für die er Auge und Urteil hatte. Zwar liebte er auch die große alte Musik, aber er lebte aus der Dichtung. Hier war der Boden, in dem er wurzelte, hier standen für ihn die großen Bilder und Normen. Mochte er manchen unentschlossen, untätig, ungesellig, unzugänglich, ungespannt und unbiegsam erscheinen, so war hier die Begründung und Notwendigkeit seiner Gelassenheit und Ruhe, seiner Schlichtheit und Zurückhaltung, seiner Hartnäckigkeit und Geradheit,,154. Welche Bedeutung Berthold Graf Stauffenberg umgekehrt innerhalb des Stefan-George-Kreises erlangte, erkennt man schon daran, daß Stefan George 1928 einen Spruch an Berthold Graf Stauffenberg in Gedichtform gerichtet hat: B. v. St. I
Im sommerlichen glanz der götterstadt Sannen wir trauernd oft den spuren nach Des toten königskindes. Was dient uns schlachtenvorteil scharfsinn kraft Im blutgedüngten marschland mutige wehr Wenn uns die hoheit stirbt.
153 Eine erstaunliche Erkenntnis, wenn man die staatsrechtlichen, völkerrechtlichen und politischen Ambitionen Berthold Graf Stauffenbergs bedenkt; Stefan George kritisierte zwar nicht nur die bombastische Leere des Wilhelmismus und den republikanischen Egalitarismus Weimars, sondern er lehnte auch den Nationalsozialismus samt seiner Führer ab; doch trotz aller Bemühungen um radikale Neuerung und pädagogisches Engagement, eine Gesellschaftstheorie oder eine Staats- und Verfassungsordnung für Das Neue Reich entwarf Stefan George nicht; als Dichter war er Spracherneuerer, nicht Reformpolitiker; selbst dort, wo Stefan George in seinen Gedichten von staatlichen Dingen sprach, ging es ihm um poetische Ästhetik, nicht um politische Ethik; all sein erzieherisches Wirken auf die Mitglieder seines Kreises beruhte auf der Kunst der Sprache, auf der Kunst der Dichtung, nicht auf dem Entwurf einer sozialen oder politischen Idealordnung; Vitzthum, Staatsdichtung, S. 2138, 2140, 2142; Finker, Stauffenberg, S. 25. 154 Zeller, 20. Juli, S. 252; Zeller, Claus und Berthold, S. 246; vgl auch Hoffmann, Stauffenberg, S. 73; Berthold Graf Stauffenberg sagte einmal, "die Rechtswissenschaft selbst interessiere ihn kaum; er habe zu Hause kein einziges juristisches Buch stehen; vielmehr sei Stefan George die Mitte seiner Existenz; ... ".
III. Stefan George
37
Dem frisch-bereicherten bleibt hohl sein saal Sein garten birgt nie mehr wenn je gefällt Uralten baumes weihe. Was dient - sei sie auch mehr als frommer wahn Gleichheit von allen und ihr breitstes glück! Wenn uns die anmut stirbt. 11
Im unverwüstbar schönen auf-und-ab Der schicksal-strassen gingst du zwischen uns In deiner vollen blühe. Wo du dein herrenrecht an uns geübt Wir dich bestaunt und gar das volk dich nahm Für den erstandnen prinzen. I55
2. SteJan-George-Kreis
Im Kreise um Stefan George war es in späteren Jahren üblich, daß die Anhänger den Dichter mit "Meister" ansprachen, und dieser umgekehrt
155 George, Neues Reich, S. 108, 109 (Sprüche an die Lebenden); Thormaehlen, Stauffenberg, S. 686; Vitzthum, Staatsdichtung, S. 2139, Fußnote 4; eine Kommentierung hierzu findet sich bei Morwitz, Kommentar, S.460, 465, 466; bei Thormaehlen, Stauffenberg, S. 687, und Thormaehlen, Erinnerungen, S. 214, 215, gibt es außerdem ein Gedicht Johann Antons, das sich mehr oder weniger deutlich auf Berthold Graf Stauffenberg in seiner Jugendgestalt bezog:
Wie königskinder die umschlungen schaun Vom turm zum feind und beide wissen: morgen Fällt ihre burg - so redeten wir leise Am fremden ufer streifend hand in hand. Weißt du wieviel dein ruhiges auge damals Mir war? - Ich sah dir lange nach als stolz Dein schritt verklang wo vor der nacht voll fragen Groß stand das Tor: des Kaisers siegesmal. Wenn man bedenkt, daß weder auf Alexander Graf Stauffenberg noch auf Claus Graf Stauffenberg noch auf die meisten anderen Mitglieder des Stefan-George-Kreises auch nur ein entsprechendes Gedicht von Stefan George oder einem anderen Mitglied des Stefan-George-Kreises verfasst wurde, und darüber hinaus Berthold Graf Stauffenberg später zum Nacherben und Ersatzerben nach Robert Boehringer über den Nachlaß Stefan Georges eingesetzt wurde, mag man hieran ermessen, daß die Beziehung zwischen Berthold Graf Stauffenberg und Stefan George durchaus für beide Seiten ihre überragende Bedeutung hatte; vgl. auch unten Kapitel VI, Ziffer 3.
1. Teil: Person und Beruf
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seinen Bewunderern einen meist sprechenden Namen gab l56 . So erhielt Berthold Graf Stauffenberg den Namen Adjib, der Wunderbare, benannt nach dem Prinzen aus Tausendundeiner Nacht 157. Allen Mitgliedern des Kreises schien dieser Name mehr als passend, sowohl auf das Äußere wie auch auf das Innere Berthold Graf Stauffenbergs bezogen i58 • In seinem Kreis versuchte Stefan George, die auserwählten Freunde zu formen und durch die Dichtung als Lehrer einer neuen Jugend auf deren verborgene Talente einzuwirken 159. In einer Zeit des geistigen und sittlichen Verfalls der Gesellschaft erhob er die Dichtung zum Ideal, die Bindung an neue Werte zur wahren Freiheit l6o . Stefan George lehrte die Pflicht und den Dienst an der Gemeinschaft 161 in der Hoffnung, daß die jungen Männer eines Tages, jeder auf seinem Gebiet und jeder im Einklang mit seiner eigenen Natur, sich selbst verwirklichen würden 162. Berthold Graf Stauffenberg allerdings konnte nach Auffassung von Zeitzeugen nicht als eigentlicher Schüler Stefan Georges angesehen werden l63 • Müller, Stauffenberg, S. 51. Thorrnaehlen, Erinnerungen, S.216; Thorrnaehlen, Stauffenberg, S. 688; Hoffmann, Stauffenberg, S. 50; Groppe, Macht, S.457; Fahmer, Boehringer, S. 1, erläuterte mehrere Geschichten aus Tausendundeiner Nacht, in denen der Prinz Adjib vorkommt. 158 Ludwig Thorrnaehlen bei Müller, Stauffenberg, S. 51; Hoffmann, Stauffenberg, S. 50. 159 Stefan George vertraute also ganz einem Humanisten gleich der bildenden Kraft der Sprache; er versuchte, dem kritikwürdigen äußeren Staat seine Vision eines inneren Staates entgegenzusetzen; diese rein poetische Staatskritik wollte dem Mechanischen, dem Vulgären, dem Ökonomischen zunehmend das Schöpferische, das Schöne, das Kunstvolle entgegenhalten; Vitzthum, Staatsdichtung, S. 2140; vgl. Zöfel, Wirkung, S. 23; Winkler, George-Kreis, S. 84; Müller, Stauffenberg, S.48; Groppe, Macht, S. 460ff. 160 Kramarz, Stauffenberg, S. 26; die "Rettung Deutschlands vom Geiste her" wurde im 20. Jahrhundert zunehmend Stefan Georges Thema; Vitzthum, Staatsdichtung, S. 2139 m.w.N.; Vitzthum, Stefan George, S. 926 m.w.N. 161 Baigent/Leigh, Stauffenberg, S. 154; obwohl Stefan George keine staatsrechtlichen Texte, sondern Gedichte schrieb, ging es ihm durchaus um den Staat, den es vor dem Untergang zu retten galt; dieser schien dem Dichter durch den drohenden Verlust der Kultur und Menschlichkeit bevorzustehen; Thema seiner Dichtung war deshalb zunehmend der politische, der äußere Staat, dem er seinen Kreis, den inneren Staat entgegensetzte; dennoch, dieser innere Staat war weder Maßstab noch Gegenentwurf noch Keimzelle für den neuen, idellen Staat; Stefan George entwarf kein gesellschaftliches oder politisches Regierungsprograrnm; vgl. insbesondere Vitzthum, Staatsdichtung, S. 2142; Vitzthum, Stefan George, S. 924; aber auch Zöfel, Wirkung, S. 30; Petrow, Dichter, S. 62; Groppe, Macht, S. 669. 162 Eine Geisteshaltung, die aus der grichischen Antike stammend im Humanismus ihre Renaissance fand; die "Rettung Deutschlands vom Geiste her" sollte also beim Menschen, beim Staatsbürger, nicht beim Staats selbst ansetzen; Brockhaus, Enzyklopädie, S. 731ff.; Krolak, Vorstellungen, S. 549. 156 157
III. Stefan George
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An ihm gab es schon vom Augenblick seiner Aufnahme in den StefanGeorge-Kreis nichts mehr zu erziehen oder auszubilden. Seine GrundeinsteIlungen und seine Werte hatte er bereits durch die elterliche Erziehung und die Ausbildung am humanistischen Gymnasium gewonnen, bevor er auf den Dichter trafl64 . Bei Berthold Graf Stauffenberg leitete der Dichter keine geistige und moralische Entwicklung mehr ein, sondern er blieb, was er von Anfang an war, eine gereifte, gebildete, hochintelligente und eigenständige Persönlichkeit, bei der es nur darum ging, ihn in seinem Wesen und seinem Rang zu bestärken 165. Stefan Georges Haltung gegenüber den politischen Ereignissen in der Zeit vor der Machtergreifung und gegenüber dem Nationalsozialismus ist für uns heute nicht mehr eindeutig rekonstruierbar l66 . Er war wohl der Meinung, das Geschrei nach dem Übermenschen fördere nur die Heraufkunft des Untermenschen und die nationalsozialistische Rassenpolitik bedeute keine Umkehr, sondern eine bösartige Steigerung des 19. Jahrhunderts 167. Die öffentliche Kritik Stefan Georges am Nationalsozialismus war jedoch zurückhaltend. Er gab seinen Anhängern weder bestimmte politsche Verhaltensregeln vor noch äußerte er sich Außenstehenden gegenüber eindeutig ablehnend 168. Es war nicht verwunderlich, daß die Nationalsozialisten in Stefan Georges Werken manche ihrer Ideen bestätigt sahen l69 • Zwar benutzte Stefan 163 Ludwig Thormaehlen bei Zeller, 20. Juli, S. 249, 250, und bei Zeller, Claus und Berthold, S. 243, 244. 164 "Berthold Graf Stauffenbergs Seinsart und Wesen waren bereits so bestimmt und von naturhafter Echtheit, daß ihn Stefan George als sui generis, als gleichen Ranges empfand"; Ludwig Thormaehlen bei Müller, Stauffenberg, S. 51. 165 Ludwig Thormaehlen bei Zeller, Stauffenberg, S.47; Thormaehlen, Erinnerungen, S. 222; Thormaehlen, Stauffenberg, S. 694. 166 Stefan George war weder Kriegsbarde noch Pazifist; wohl gab es offensichtlich gewaltverherrlichende, einseitig radikale Verse; doch im Grunde zeigte er ganz realistisch den Krieg in all seiner Häßlichkeit und Blindheit auf, in dem weder Geist noch Gemeinschaft zukunftsträchtig gedeihen konnte; der Krieg war für Stefan George also zumindest kein Mittel zum Zweck; vgl. Vitzthum, Staatsdichtung, S. 2142, 2143. 167 Stefan George prangerte insbesondere in seinem Gedicht Der Krieg von 1917 die Leere und Lüge des Wilhelminischen Deutschlands an; aber er lehnte auch den Nationalsozialismus ab, nicht nur wegen der üblen Charaktere seiner Führer, sondern er verwarf auch einige seiner wesentlichen Ideen und Ordnungsprinzipien, wie etwa die Förderung der Technik und die formale Hierarchie; Stefan George bei Kramarz, Stauffenberg, S. 29; Edgar Salin bei Steffahn, Stauffenberg, S. 26; Vitzthum, Staatsdichtung, S. 2142, 2143; vgl. auch Zöfel, Wirkung, S. 25; Winkler, GeorgeKreis, S. 87, 88; Groppe, Macht, S. 652; Breuer, Fundamentalismus, S. 236ff. 168 Groppe, Macht, S. 653, 654; Winkler, George-Kreis, S. 90; Vitzthum, Staatsdichtung, S. 2146; vgl. auch Breuer, Fundamentalismus, S. 236ff.; anderer Ansicht ist Petrow, Dichter, S. 64.
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1. Teil: Person und Beruf
George in seinen Gedichten eher eine aristokratische, feierliche Sprache, aber eine Ähnlichkeit seiner Begrifflichkeiten mit denen der Nationalsozialisten war unübersehbar 170. So feierten ihn die Nationalsozialisten 1933 als Wegbereiter und Propheten des Dritten Reiches, ja der preußische Kulturminister Bernhard Rust wollte Stefan George gar zum Präsidenten der Preußischen Akademie der Dichtung ernennen 171. Doch Stefan George lehnte mutig ab 172. Trotz aller oberflächlicher Ähnlichkeit der Ausdrücke 173 kannte er keinen ideologischen Fanatismus und keinen nationalsozialistischen Rassenwahn 174 • Der Glaube an rassische Überlegenheit und Übermenschentum war Stefan George fremd 175. Er vertraute allein der Macht der Sprache und der Dichtung l76 . 169 Bei vielen führte das gar zu einer schwännerischen Gleichstellung von Adolf Hitler und Stefan George; vgl. Siemoneit, Interpretationen, S. 47; Vitzthum, Staatsdichtung, S. 2143. 170 Sicherlich ging es sowohl Stefan George wie auch Adolf Hitler um eine radikale Neuerung; aber sie wollten beileibe nicht das Gleiche; Vitzthum, Stefan George, S. 919; Vitzthum, Staatsdichtung, S. 2141 ff.; Groppe, Macht, S. 662, 663; Kramarz, Stauffenberg, S. 29. 171 Winkler, George-Kreis, S. 88; Groppe, Macht, S. 654; Zeller, Stauffenberg, S. 28; Venohr, Stauffenberg, S. 39; Petrow, Dichter, S. 66, 67. 172 Der Ablehnungsbrief vom 10. Mai 1933 war deutlich und direkt; Stefan George hatte bereits seit fast einem halben Jahrhundert deutsche Dichtung und deutschen Geist erfolgreich verwaltet - ohne Akademie; trotz offensichtlicher Parallelitäten scheinen unüberbrückbare Differenzen vorhanden gewesen zu sein; dennoch fehlte eine ausdrückliche Distanzierung zum Nationalsozialsmus; die entscheidende Passage seines Briefes lautete: "... die ahnherrschaft der neuen nationalen bewegung leugne ich durchaus nicht ab und schiebe auch meine geistige mitwirkung nicht beiseite. was ich dafür tun konnte habe ich getan. die jugend die sich heut um mich schart ist mit mir gleicher meinung ... das märchen vom abseitsstehn hat mich das ganze leben begleitet - es gilt nur fürs unbewaffnete auge. die gesetze des geistigen und des politschen sind gewiss sehr verschieden - wo sie sich treffen und wo geist herabsteigt zum allgemeingut ist das ein äusserst verwickelter vorgang ... "; Vitzthum, Staatsdichtung, S. 2143. 173 So etwa: "Deutschlands Weltsendung; Führerprinzip; Völkischer Banner; Neues Reich"; daß die Ähnlichkeit der verwendeten Begriffe selbst für die George-Anhänger nicht immer verständlich war, zeigen Siemoneit, Interpretationen, S. 47, 50, 51, und Groppe, Macht, S. 662, 663; vgl. auch Vitzthum, Stefan George, S. 919. 174 Venohr, Stauffenberg, S. 42; vgl. hierzu insbesondere auch Breuer, Fundamentalismus, S. 236ff. 175 Erich von Kahler hierzu: "Trotz gewisser Analogien und Prädispositionen war die George-Bewegung in ihrem innersten Wesen dem Nationalsozialismus diametral entgegengesetzt"; auch die programmatischen Verse aus Stefan Georges zweiter Lebenshälfte zeigen ein Maß an Bedeutungsreichtum und Formvollendetheit, das bei aller "Tendenz zur Einzirkung und Abschließung" rassistische oder nationalistische Engführung ausschließt; Vitzthum, Staatsdichtung, S. 2143, 2144; Kramarz, Stauffenberg, S. 29; Breuer, Fundamentalismus, S. 236ff. 176 "Eine neue Rasse könne nur der Geist, nicht eine Zuchtanstalt schaffen"; Stefan George bei Kramarz, Stauffenberg, S. 29; Edgar Salin bei Steffahn, Stauffen-
IV. Referendariat
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IV. Referendariat 1. Reisen und Studien
Bereits während des Studiums hat Berthold Graf Stauffenberg meist mit Freunden aus dem Stefan-George-Kreis ausgedehnte Auslandsreisen unternommen 177. Diese Reisen dienten zum einen der allgemeinen Bildung, indem sie ein umfangreiches kulturelles Programm enthielten, und zum anderen der Vorbereitung Berthold Graf Stauffenbergs auf den diplomatischen Dienst im Auswärtigen Amt, von dem er seit Ablegung der Abiturprüfung träumte 178 . Er wollte andere Länder sehen und erleben, deren Sprache lernen und verstehen und gleichzeitig damit die Voraussetzungen für eine Tätigkeit im Auswärtigen Dienst schaffen. Nach Ablegung der Ersten Juristischen Staatsprüfung im Frühjahr 1927 ließ sich Berthold Graf Stauffenberg zum Zwecke des Sprachenstudiums bis April 1928 beurlauben 179. Ende Juni 1927 fuhr er zunächst für einen Monat nach London, um sich dort dem Besuch von Museen und Gesellschaften, Cricket- und Tennisspielen zu widmen l80 . Ende Juli 1927 reiste er von London aus weiter gen Norden und hielt sich zunächst eine Weile in Oxford auf. Anfang August 1927 fuhr er über Bratton-Fleming weiter nach Younghad in Südirland l8l . So verbrachte er in Großbritannien und Irland insgesamt rund drei Monate seines Urlaubs l82 . Nach kurzem Aufenthalt im heimischen Lautlingen begab sich Berthold Graf Stauffenberg Ende September 1927 für einige Tage nach Berlin, um seine Dissertation in Angriff zu nehmen. Er kehrte hierzu an die dortige Universität zu Viktor Bruns und Rudolf Smend zurück, um sich einem völberg, S. 26; Stefan George glaubte also nicht an die Überlegenheit der Rasse, sondern an die Überlegenheit des Geistes; Vitzthum, Staatsdichtung, S. 2143. 177 Vgl. etwa Hoffmann, Stauffenberg, S. 62. 178 Hoffmann, Stauffenberg, S. 38; danach kam der Wunsch bereits während der Schulzeit in ihm auf; auch die Mitschüler aus dieser Zeit sahen in ihm bereits den späteren Diplomaten vorgezeichnet; Zeller, Gedenken, S. 67. 179 Uni Tübingen, Studentenakte; die Vereidigung zum Rechtsreferendar und Beamten auf Widerruf erfolgte am 04. Juni 1927; beurlaubt zum Sprachenstudium und zur Vorbereitung des Antritts in den diplomatischen Dienst wurde Berthold Graf Stauffenberg durch ministerielle Verfügung für die Zeit vom 04. Juni 1927 bis 15. April 1928; LRA Reutlingen, Zuweisung. 180 Hoffmann, Stauffenberg, S.72. 181 Hoffmann, Stauffenberg, S.72. 182 Uni Tübingen, Studentenakte; allerdings stimmen die Angaben bei Hoffmann, Stauffenberg, S. 72, nicht ganz überein mit den Angaben, die Berthold Graf Stauffenberg im Lebenslauf seiner Promotionsakte selbst macht; dort schreibt er von einem dreimonatigen England- und Irlandaufenthalt.
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I. Teil: Person und Beruf
kerrechtlichen Thema zu widmen 183 • Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte sich sein juristisches Interesse vermehrt auf das Völkerrecht und ausländische Staatsrecht gerichtet, was wohl unter anderem mit seiner Vorbereitung auf die erhoffte Stelle im Auswärtigen Amt zu erklären ist 184 . Ende Oktober 1927 reiste Berthold Graf Stauffenberg für einen halbjährigen Aufenthalt nach Frankreich 185. Die meiste Zeit dieses Urlaubs verbrachte er in Paris, um dort einerseits Französisch und Russisch zu lernen und zu vertiefen sowie andererseits seiner Leidenschaft, dem Reiten, zu frönen 186 . Bereits einige Zeit vorher hatte er eine junge Dame, die aus Rußland stammte, im Hause seiner Eltern kennengelernt. Sie hieß Maria 187 Classen und freundete sich mit Berthold Graf Stauffenberg an. Um ihre Herkunft und ihre Sitten verstehen und um ihr russische Briefe schreiben zu können, intensivierte er insbesondere das Studium der russischen Sprache 188 • Nach langem Verweilen in Paris fuhr Berthold Graf Stauffenberg im Frühjahr 1928 mit Johann Anton 189 durch Südfrankreich 19o . Sie besuchten Biarritz und Marseille und beendeten ihren Auslandaufenthalt mit ihrer Rückreise über Avignon, Florenz und Locamo zu Ostern 1928 191 . 2. Referendardienst und Promotion
Am 15. April 1928 trat Berthold Graf Stauffenberg seine ReferendarsteIle beim Amtsgericht Stuttgart I an 192 . Diese Station dauerte zunächst bis 31. August 1928. Anschließend wurde er für die Monate September und Oktober 1928 an das Oberamt Reutlingen versetzt 193 . 183 Vgl. Hoffmann, Stauffenberg, S. 72; Viktor Bruns (1884-1943): ab 1910 als Professor in Genf, seit 1912 als Professor in Berlin; Gründer der außeruniversitären Forschungsstätte Kaiser-Wilhe1m-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht und Herausgeber der Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, S. 259. 184 Vgl. auch von Moltke, Briefe, S. 68. 185 Hoffmann, Stauffenberg, S. 72; Uni Tübingen, Studentenakte. 186 Hoffmann, Stauffenberg, S. 72. 187 Sie wurde jedoch von allen Mika gerufen; Mitteilung Stauffenberg. 188 Hoffmann, Stauffenberg, S. 72. 189 Einem Freund aus dem Stefan-George-Kreis; Hoffmann, Stauffenberg, S. 72, 73. 190 Berthold Graf Stauffenberg hatte Stefan George von Paris aus extra um Erlaubnis gebeten, bevor er nach Südfrankreich aufbrach; BaigentiLeigh, Stauffenberg, S. 151, 152. 191 Hoffmann, Stauffenberg, S. 72, 73. 192 Uni Tübingen, Studentenakte; Hoffmann, Stauffenberg, S. 72, 73; LRA Reutlingen, Zuweisung. 193 Uni Tübingen, Studentenakte; Hoffmann, Stauffenberg, S. 73; LRA Reutlingen, Zuweisung.
IV. Referendariat
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Vom 01. November bis 31. Dezember 1928 wurde Berthold Graf Stauffenberg erneut wissenschaftlicher Urlaub gewährt 194 • Diesen nutzte er für einen weiteren Aufenthalt in Berlin bei Viktor Bruns und Heinrich Pohl, um seine Dissertation fertigzustellen 19S . Die Arbeit mit dem Titel Russische Handelsvertretungen - Eine Studie zum internationalen Recht wurde Ende Dezember 1928 abgeschlossen und am 05. Januar 1929 bei der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen mit der Bitte um Zulassung zur Promotion vorgelegt l96 . Es handelte sich um eine Arbeit, die unter Berücksichtigung russischer Rechtsquellen und russischer Literatur die völkerrechtliche Stellung der Handelsvertretungen Rußlands im Ausland untersuchte. Ausgangspunkt der Studie war die weitgehend unbekannte russische Staatsform des Kommunismus und die Problematik des russischen Außenhandelsmonopolsl97. Durch den kommunistischen Staatsaufbau bestand im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten und des Außenhandels de facto eine Machtkonzentration bei der Einheitspartei im Zentrum des Bundesstaates und im Zentrum der einzelnen Gliedstaaten. Das Prinzip der Gewaltenteilung war trotz einer formell föderalistischen Organisation praktisch nicht vorhanden l98 . Die Vertretung des Staates nach außen fand per Verfassung durch den Bundesrätekongreß und den Bundeshauptvollzugsausschuß statt. Die einheitsparteiliche Führung garantierte eine schroffe Zentralisation der Macht und damit die tatsächliche Leitung der Außenpolitik des Staates l99 . Durch den Wirtschaftsaufbau wurden die Industrie nationalisiert und der Außenhandel monopolisiert. Der private Außenhandel sollte per Dekret durch staatliche Regelung des Warenverkehrs plangeleitet werden 2OO• Der Handel des russischen Staates mit dem Ausland war nichts grundlegend Neues. Die fiskalische Betätigung des Staates, die regulierenden Eingriffe in die Wirtschaft und die Monopolisierung einzelner Handelszweige waren durchaus bekannt. Gerade in Zeiten einer knappen Versorgung der Bevölkerung waren solche Tendenzen auch in westlichen Staaten aufgekommen 20I . Doch die Erscheinung der russischen Handelsvertretungen als LRA Reutlingen, Zuweisung. Hoffmann, Stauffenberg, S. 73. 196 Uni Tübingen, Studentenakte. 197 Stauffenberg, Handelsvertretungen, S. 5; Schmülling, Exterritorialität, S. 13, 17; Lieberich, Handelsvertretung, S. 11. 198 Stauffenberg, Handelsvertretungen, S.7, 8; Schmülling, Exterritorialität, S. 14, 15; Lieberich, Handelsvertretung, S. 11. 199 Stauffenberg, Handelsvertretungen, S. 9; Schmülling, Exterritorialität, S. 15, 16; Lieberich, Handelsvertretung, S. 11. 200 Stauffenberg, Handelsvertretungen, S. 11; Schmülling, Exterritorialität, S. 15, 16; Lieberich, Handelsvertretung, S. 11. 194 195
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1. Teil: Person und Beruf
Repräsentanten des russischen Außenhandelsmonopols war den Industriestaaten fremd. Der Handel eines ganzen Staates mit dem Ausland durch staatliche Institutionen widersprach jedem Verständnis von einem freien Markeo 2 • Die Verhältnisse nach dem Ersten Weltkrieg, insbesondere die sozialistische Wirtschaft im Inneren und der Wille zur Erhaltung der wirtschaftlichen Selbständigkeit, trieben Rußland in die Monopolisierung des Außenhandels durch das Dekret vom 22. April 1918. Der Vollzug des Dekrets wurde im Jahr 1920 durch Schaffung der notwendigen Organisationsstrukturen, vor allem durch Errichtung der Handelsvertretungen im Ausland vorgenommen. Dabei wurden den Handelsvertretungen beide dem Handelsmonopol eigenen Aufgaben übertragen, nämlich einerseits die fiskalisch-kaufmännische und andererseits die eingreifend-regulierende Funktion 203 • Gerade diese Doppelfunktion der Institutionen bereitete in der Praxis aber sowohl zivilrechtlich wie auch völkerrechtlich immer wieder Probleme und war deshalb Gegenstand der Untersuchungen und Ausführungen Berthold Graf Stauffenbergs. Bei der Beurteilung war vor allem zu berücksichtigen, daß Rußland eine völlig unterschiedliche Rechtsauffassung vertrat. Nach der russischen Völkerrechtsdoktrin diente das Gesetz allein den sozialwirtschaftlichen und revolutionären Staatszielen. Bei einem Widerspruch zu diesen mußte das Gesetz als Mittel zum Zweck hinter diesen Zielen zurücktreten 204 . Der Staat war nach der Marx'schen Klassentheorie aufgebaut und per se keine juristische Person. Lediglich die russischen Behörden besaßen juristische Persönlichkeit. Daß dies im Konflikt mit dem sonstigen Verständnis vom Völkerrecht stand, wonach völkerrechtliche Verträge auf dem Prinzip der Gleichordnung der Staaten aufgebaut waren und deshalb beiderseits zur Einhaltung mahnten, war klar. Dem Recht wurde hier der bindende Charakter in weitem Umfang ab- und der clausula rebus sie stantibus eine bedeutende Rolle zuerkannt 205 •
201 Stauffenberg, Handelsvertretungen, S. 11; Schmülling, Exterritorialität, S. 15, 16; Lieberich, Handelsvertretung, S. ll. 202 Stauffenberg, Handelsvertretungen, S. 14, l6ff.; Schmülling, Exterritorialität, S. 17, 18. 203 Stauffenberg, Handelsvertretungen, S. 32, 33; Schmülling, Exterritorialität, S. 13, 14. 204 Stauffenberg, Handelsvertretungen, S. 33ff.; Schmülling, Exterritorialität, S. 15. 205 Stauffenberg, Handelsvertretungen, S. 40, 42, 43; Schmülling, Exterritorialität, S. 24, 25; Lieberich, Handelsvertretung, S. 27, 28; vgl. auch Schwarzenberger, Clausula, S. 611 ff.; Schaumann, Clausula, S. 289ff.
IV. Referendariat
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Vor diesem Hintergrund erschien die völkerrechtliche Einordnung der russischen Handelsvertretungen unklar. Nach der russischen Völkerrechtsdoktrin waren die Handelsvertretungen selbst de facto und de jure wegen ihrer umfassend ausgestalteten Rechte und Pflichten als Staatsbehörden mit juristischer Persönlichkeit anzusehen. Dies hatte grundsätzlich auch für das Land des Sitzes der Handelsvertretung, insbesondere für Deutschland zu gelten, weil aus deutscher Sicht weder bi- oder multilaterale Verträge noch allgemeine völkerrechtliche Grundsätze gegen diese Ansicht sprachen206 . Daneben war jedoch zu fragen, ob den Handelsvertretungen auch privatrechtliche Kaufmannseigenschaften zugesprochen werden konnten. Dies war nach russischem Recht nicht nachzuweisen, da dort in Folge des HandeIsmonopols kein Handelsrecht bestand und jeder kaufmännische Akt auch hoheitlicher Staatsakt war07 . Die Einordnung mußte folglich nach dem Recht des Landes, in dem die russische Handelsvertretung saß, vorgenommen werden. Berthold Graf Stauffenberg kam zu dem Schluß, daß zumindest der kaufmännische Teil der Handelsvertretungen vergleichbar mit juristischen Personen des deutschen öffentlichen Rechts als Kaufmann im Sinne des deutschen Handelsgesetzbuches anzusehen und zu behandeln war, während der regulierende Teil der Handelsvertretungen ausschließlich auf Grundlage öffentlich-rechtlicher Vorschriften hoheitlich agierte 208 • Schließlich untersuchte Berthold Graf Stauffenberg noch den Anspruch Rußlands auf die Exterritorialität seiner Handelsvertretungen im Ausland. Die Forderung Rußlands gründete sich auf die Überlegung, daß die Handelsvertretungen neben den fiskalisch-kaufmännischen Tätigkeiten vor allem auch diplomatische Beziehungen pflegten, die de facto und de jure notwendig miteinander zusammenhingen. Doch die Exterritorialität wurde den russischen Handelsvertretungen in vertraglichen Vereinbarungen regelmäßig nicht explizit gewährt, so daß der Argumentation Rußlands, die bevollmächtigten Handelsvertretungen würden staatliche Souveränität ausüben und deshalb per se Exterritorialität genießen, nicht gefolgt werden konnte. Dies hätte eine einseitige Erweiterung diplomatischer Privilegien bedeutet, was nach allgemeiner Ansicht völkerrechtlich nicht zulässig war209 • 206 Stauffenberg, Handelsvertretungen, S. 45, 46; Schmülling, Exterritorialität, S. 26; Lieberich, Handelsvertretung, S. 27, 28. 207 Stauffenberg, Handelsvertretungen, S.47, 48; Schmülling, Exterritorialität, S. 26, 27; Lieberich, Handelsvertretung, S. 28, 29. 208 Stauffenberg, Handelsvertretungen, S. 50, 51; Schmülling, Exterritorialität, S. 27; Lieberich, Handelsvertretung, S. 30, 31. 209 Stauffenberg, Handelsvertretungen, S. 52, 53, 55; Schmülling, Exterritorialität, S. 27, 28; Lieberich, Handelsvertretung, S. 36, 37; vgl. zum Begriff der Exterritoria-
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1. Teil: Person und Beruf
Im Ergebnis vertrat Berthold Graf Stauffenberg ebenso wie andere Autoren die Auffassung, daß der russischen Handelsvertretung in Deutschland keine Exterritorialität und damit keine Immunität zustand, weil weder spezielle völkerrechtliche Verträge dies vorsahen noch allgemeine völkerrechtliche Grundsätze dies rechtfertigten. Die Gewährung von Exterritorialität und Immunität käme schließlich einer vollständigen Entziehung des gesamten russischen Außenhandels aus der Justiz des Sitzstaates gleich, was weder gewollt noch erlaubt sein konnte 21O • Der Bericht des Erstkorrektors und Doktorvaters Heinrich Pohl vom 12. Januar 1929 bewertete die "tüchtige Dissertation" mit bis 211. Bereits am 29. Januar 1929 folgte die mündliche Prüfung in den Fächern Völkerrecht und Staatsrecht bei Professor Pohl sowie in den Fächern Bürgerliches und Römisches Recht bei Professor von Rümelin 212 . Die Genehmigung der Promotion wurde vom akademischen Rektoramt der Universität Tübingen am 30. Januar 1929 erteilt 213 • Damit war der Referendar Berthold Graf Stauffenberg zum Doctor juris promoviert.
lität im Allgemeinen und der Exterritorialität diplomatischer Vertreter und Handelsvertretungen im Besonderen Verosta, Exterritorialität, S. 500, 501. 210 Stauffenberg, Handelsvertretungen, S. 56, 58, 59, 64, 65; Schmülling, Exterritorialität, S. 32, 33, 36, 37; Lieberich, Handelsvertretung, S. 37, 38; Verosta, Exterritorialität; das Ergebnis der Dissertation Berthold Graf Stauffenbergs überrascht nicht; die Meinung wird nicht nur ebenso von anderen Autoren vertreten, sondern sie spiegelt bereits zu einem frühen Zeitpunkt die typische Auffassung Berthold Graf Stauffenbergs von der Aufgabe des Völkerrechts wider; er war auch später immer der Ansicht, daß Recht und Gesetz die Grundlage der Beziehung zwischen den Menschen und den Staaten sein müsse, um - ganz im Sinne des Humanismus die Gleichberechtigung und Gleichbehandlung aller Menschen und aller Staaten zu garantieren; wenn der russische Staat durch die Forderung nach Exterritorialität und Immunität seiner Handelsvertretungen diese der Justiz des Sitzstaates entziehen und sich so einen nicht zu rechtfertigenden Vorteil gegenüber anderen Staaten verschaffen wollte, so mußte dies dem Völkerrecht widersprechen. 211 Uni Tübingen, Studentenakte; die Bewertung dieser ersten wissenschaftlichen Arbeit fand ihre Bestätigung in der allgemeinen Akzeptanz, ja Beachtung im Inund Ausland; Zeller, 20. Juli, S. 250; Zeller, Claus und Berthold, S. 244; Strebei, Stauffenberg, S. 14. 212 Es fällt auf, daß zwischen der Abgabe der Dissertation am 05. Januar 1929, dem Erstgutachten von Professor Pohl vom 12. Januar 1929 und der mündlichen Prüfung am 29. Januar 1929 nicht einmal 4 Wochen liegen; dies könnte einerseits damit zusammenhängen, daß die Arbeit von vorneherein auf Grund der Besuche Berthold Graf Stauffenbergs in Berlin hervorragend betreut wurde; dies weist aber andererseits auch darauf hin, daß die Arbeit in sich stimmig, geradlinig und überzeugend geschrieben war; eine Eigenschaft, die sich Berthold Graf Stauffenberg bereits im Studium angeeignet hatte und die sich später noch des öfteren in diversen Aufsätzen und Kommentaren bestätigen sollte. 213 Uni Tübingen, Studentenakte.
V. Kaiser-Wilhelm-Institut
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Bereits im Januar 1929 nahm Berthold Graf Stauffenberg wieder seine Referendartätigkeit beim Amtsgericht Stuttgart I auf 14. Doch nach Abschluß seiner Dissertation keimte in ihm Unruhe und Rastlosigkeit. Nach seinen Vorstellungen wollte er keine gewöhnliche Juristenlaufbahn einschlagen, sondern er wünschte sich, etwas Besonderes zu leisten und entsprechend seiner adeligen Herkunft seinem Volk und seinem Staat einen herausragenden Dienst zu erweisen 215 . Zum wiederholten Male hoffte er auf eine Anstellung im Auswärtigen Amt, obwohl er dort bereits einmal ohne Begründung abgelehnt worden Wa?16. Da er für den Dienst im diplomatischen Korps den Abschluß des Referendariats in Form der Zweiten Juristischen Staatsprüfung nicht benötigte und ihm dieser Dienst sowieso nichts im Vergleich zu Stefan George und seiner Dichtung bedeutete, schloß er die zweite Ausbildungsstufe nie ab217 . Weder für den angestrebten Dienst im Auswärtigen Amt noch für das angebotene Amt im Kaiser-Wilhelm-Institut benötigte er den Titel des Assessors. Er verzichtete also auf diese "Formalität,m8.
V. Kaiser-Wilhelm-Institut 1. Gründung und Aufgaben Nach Abschluß seiner juristischen Ausbildung trat Berthold Graf Stauffenberg im Alter von 24 Jahren die erste Station seiner beruflichen Laufbahn an. Am 01. März 1929 übernahm er eine ReferentensteIle am Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht219 und erreichte damit zumindest indirekt durch enge Zusammenarbeit des Instituts mit dem Auswärtigen Amt und dem Ständigen Internationalen Gerichtshof den langersehnten Kontakt zum diplomatischen Korps22o. Mag Berthold Graf Stauffenberg die Arbeit im Institut deshalb zunächst als nur vorübergehende Aufgabe betrachtet haben, so blieb er dem Institut doch bis auf wenige kurzzeitige Unterbrechungen lebenslang treu 221 . "Das Institut Hoffmann, Stauffenberg, S. 73. Vgl. Hoffmann, Stauffenberg, S. 73. 216 Hoffmann, Stauffenberg, S. 73. 217 Vitzthum, Stauffenberg, S. 10. 218 Vitzthum, Stauffenberg, S. 10. 219 Hoffmann, Stauffenberg, S. 74; Bruns, Max Planck, S. 2; Makarov, Stauffenberg, S. 360; Leber, Gewissen, S. 105; Hoffmann schreibt von einer Assistentenstelle, alle anderen Autoren von einer Referentenstelle. 220 Hoffmann, Stauffenberg, S. 74; vgl. Strebel, Stauffenberg, S. 14. 221 Ein Grund hierfür mag sein, daß im Kaiser-Wilhelm-Institut stets ein humaner Umgangston und ein hervorragendes Arbeitsklima herrschten; vor allem dem Institutsdirektor Viktor Bruns und seinem Stellvertreter Ernst Schmitz war es zu verdan214 215
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1. Teil: Person und Beruf
wurde so bald zum angemessenen Rahmen seiner Betätigung und außergewöhnlichen Gaben, mehr als es das Auswärtige Amt für ihn je hätte sein können ,,222. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches und öffentliches Recht und Völkerrecht223 wurde von dem Berliner Völkerrechtler Viktor Bruns 224 als eingetragener Verein unter Beteiligung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Dezember 1924 gegründet225 . Die räumliche Unterbringung des Instituts erfolgte zusammen mit dem von Ernst Rabel geleiteten Schwesterinstitut für ausländisches und internationales Privatrecht in den oberen Räumen des Berliner Schlosses226 . So gelang eine ideale Verbindung der Völkerrechtswissenschaften sowohl mit dem Studium des ausländischen öffentlichen Rechts und der Rechtsvergleichung 227 wie auch mit dem ausländischen und internationalen Zivilrecht228 . Die Gründung des Instituts wie auch der gesamten Kaiser-WilhelmGesellschaft ging zurück auf die Folgen des Ersten Weltkrieges. Die Weimarer Republik bemühte sich redlich, die Anforderungen, die die Naturwissenschaften und andere Zweige der Forschung an diese stellten, zu bewältigen 229 • Gerade nach den Rückschlägen und Demütigungen des Ersten Weltkriegs bestand in Deutschland ein erhöhtes Bedürfnis, wieder eine führende ken, daß viele Regimegegner im Kaiser-Wilhelm-Institut Zuflucht fanden und sich dort relativ frei wissenschaftlich betätigen konnten; vgl. Gassner, Triepel, S. 148; siehe auch Makarov, Stauffenberg, S. 362; Strebel, Stauffenberg, S. 14. 222 Strebel, Stauffenberg, S. 14; aus diesen Gründen sei hier ein kurzer Bericht über das Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht sowie seine Aufgaben und Arbeitsweise erlaubt. 223 Heute: Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. 224 Den wir bereits als Mentor und Betreuer Berthold Graf Stauffenbergs kennengelernt haben; Kapitel IV, Fußnote 180; weitere Initiatoren waren C. H. Becker, der Referent des preußischen Kultusministers, und Friedrich Glum, der Direktor der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft; Gassner, Triepel, S. 147; Hueck, Zeitschriften, S. 411; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, S. 259. 225 Mosler, Institut, S. 687; Mosler/Bemhardt, Berichte, S. 7; Makarov, Stauffenberg, S. 360; Hueck, Zeitschriften, S. 411 ff.; Hueck, Völkerrechtswissenschaft, S. 8. 226 Mosler, Institut, S. 692; von Moltke, Völkerrecht, S. 174; Makarov, Stauffenberg, S. 360; Hueck, Zeitschriften, S. 411 ff.; Hueck, Völkerrechtswissenschaft, S. 8. 227 Viktor Bruns und Heinrich Triepel hielten insbesondere diese Kombination für fruchtbar und anregend; vgl. Mosler, Institut, S. 692, m. w.N. 228 Im Ausland war diese Verbindung vielfach üblich, während an den deutschen Lehrstühlen anknüpfend an Franz von Liszt oftmals die Verbindung mit dem Strafrecht gepflegt wurde; vgl. Hueck, Zeitschriften, S. 382, und Mosler, Institut, S. 692, m. w. N.; zur Kombination ausführlicher Mosler/Bernhardt, Berichte, S. 9ff. 229 Vgl. Mosler, Institut, S. 688, 689; die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wurde 1911 gegründet; ihre naturwissenschaftlichen Institute genossen bereits 1924 Weltruf; Makarov, Stauffenberg, S. 360.
V. Kaiser-Wilhelm-Institut
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Stellung in wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Belangen zu erreichen23o . Insbesondere wurde bald nach Kriegsende die Bedeutung, die das internationale Recht und seine verschiedenen Verzweigungen 231 besaßen, offenkundig, als die Ausführungen des Versailler Friedensvertrages und die Eingliederung der Weimarer Republik in die Staatengemeinschaft des Völkerbundes die deutsche Völkerrechtswissenschaft vor aktuelle Probleme stellte232 • Die juristischen Fakultäten und die Seminarbibliotheken ließen die Bewältigung dieser Fragen nicht zu, so daß die Gründung einer neuen Institution Not tat233 . Das neue Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht sollte die Forschung in höchstem Maße auf dokumentarische und damit empirische Grundlagen stellen, da die Geltung des Völkerrechts als Ordnung der Beziehung zwischen einzelnen Staaten und der von ihnen gebildeten Institutionen auf der Notwendigkeit der friedlichen Zusammenarbeit dieser internationalen Gesellschaft beruhte 234 . Es mußte deshalb mit einer groß angelegten Spezialbibliothek und einem ständigen wissenschaftlichen Expertenstab die Möglichkeit einer langfristigen Forschungsarbeit geschaffen werden, um eine systematische Aufarbeitung der weltweiten Entwicklung des Völkerrechts und des nationalen Staatsrechts verschiedener Länder gewährleisten zu können 235 • Entsprechend dieser Notwendigkeiten und Bedürfnisse wurden die Aufgaben des Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht wie folgt definiert: - Die Beobachtung und Entwicklung der Systematik des allgemeinen Völkerrechts und des Rechts der internationalen, insbesondere der europäischen Organisationen. - Die Verfolgung und Entwicklung des Staats- und Verwaltungsrechts der ausländischen Staaten, die Anwendung und Entwicklung der rechtsvergleichenden Methoden im öffentlichen Recht und deren Nutzbarmachung zur Erarbeitung allgemeiner, in das Völkerrecht und das Recht der internationalen Organisationen einzufügenden Grundsätze. - Die möglichst umfassende Sammlung und Aufbereitung des literarischen und dokumentarischen Materials des Völkerrechts, des Rechts der inter-
Mosler/Bemhardt, Berichte, S. 7. Völkerrecht, Rechtsvergleichung und Kollisionsrecht. 232 Makarov, Stauffenberg, S. 360; Mosler, Institut, S. 689; vgl. Hueck, Zeitschriften, S. 410, 411; Hueck, Vökerrechtswissenschaft, S. 1. 233 Mosler, Institut, S. 689, 690; Mosler/Bernhardt, Berichte, S. 7; Gassner, Triepel, S. 147; Hueck, Völkerrechtswissenschaft, S. 1. 234 Mosler, Institut, S. 690. 235 Mosler/Bernhardt, Berichte, S. 7; Hueck, Zeitschriften, S. 411. 230 231
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1. Teil: Person und Beruf
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nationalen Organisationen und des Staats- und Verwaltungsrechts des Auslands. - Die Veröffentlichung einer eigenen Zeitschrift für die Fachgebiete des Instituts, von Monographien und von Quellenwerken. - Die Beratungen und gutachtlichen Stellungnahmen, insbesondere für öffentliche Stellen in prinzipiellen, wissenschaftlich interessanten Fragen. - Die Heranbildung von Nachwuchskräften für Universitäten, Ministerien, insbesondere für internationale Organisationen und andere Einrichtungen und Berufe, für die Fachkenntnisse des Völkerrechts oder ausländischen Rechts gebraucht wurden 236 . 2. Arbeitsweise und Personal
Das Institut versuchte, seiner Aufgaben durch Aufarbeitung des umfassenden Materials aus der Staatspraxis gerecht zu werden. Durch die Veröffentlichung von zuverlässigen Quellenwerken und Darstellungen wurde das Material der Wissenschaft und der Praxis zugänglich gemacht237 • Im Jahr 1929 begann das Institut mit der Herausgabe seiner Publikationen. Die Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, die als institutseigenes Organ erschien und die pro Jahrgang vier Hefte umfaßte, veröffentlichte und bündelte umfassende dokumentarische Berichte und Aufsätze über Rechtsfragen und rechtlich bedeutsame Vorgänge sowie Urkunden und Literaturbesprechungen zu wichtigen Ereignissen und Problemen238 • Sie wurde neben der Schriften- und Quellenreihe schließlich das wichtigste Organ des Instituts, in dem sich die wissenschaftliche Konzeption und systematische Arbeitsweise des Instituts widerspiegelte 239 . Die 1931 begonnene Publikation der Quellensammlung Fontes juris Gentium stellte insbesondere Rechtssätze, die sich aus den Entscheidungsgründen und Gutachten des Ständigen Internationalen Gerichtshofes in Den Haag ergaben, in systematischer Ordnung dar und bereitete diese auf. Desweiteren wurden in den Fontes juris Gentium Entscheidungen des deutschen Reichsgerichts und des Staatsgerichtshofes für das Deutsche Reich in Mosler/Bernhardt, Berichte, S. 8; Mosler, Institut, S. 693. Mosler/Bernhardt, Berichte, S. 14. 238 Mosler/Bernhardt, Berichte, S. 15; Mosler, Institut, S. 698; Makarov, Stauffenberg, S. 361; Hueck, Zeitschriften, S. 411. 239 Danach waren die wissenschaftlichen Schwerpunkte des Instituts vor allem die völkerrechtlichen Konsequenzen für Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg; die Beiträge und Stellungnahmen zu Themen wie der Auslegung des Versailler Friedensvertrages und der damit verbundenen Grenz- und Territorial-, Minderheits- und Reparationsfragen aus deutscher Sicht dominierten die Veröffentlichungen; Hueck, Zeitschriften, S. 415. 236 237
V. Kaiser-Wilhelm-Institut
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völkerrechtlichen Fragen zusammengefaßt und dokumentiert. Schließlich ergänzte man die Quellen durch eine Sammlung Politischer Verträge, die in mehreren Bänden Bündnisse, Garantiepakte, Nichtangriffspakte, Neutralitätsverträge und Abkommen über politische Zusammenarbeiten aus den Jahren 1919 bis 1940 mit den wichtigsten dazugehörigen Materialien zusammenfaßte und darlegte 24o • Die Publikationsreihe Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, die eine Veröffentlichung von Monographien und Aufsätzen aus den Arbeitsbereichen des Instituts darstellte, legte meist von Institutsmitarbeitern verfaßte ausführliche Arbeiten zu engbegrenzten völkerrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Themen vor. So beispielsweise auch Berthold Graf Stauffenbergs Dissertation über die Rechtsstellung der russischen Handelsvertretungen241 • Das Personal des Instituts war zahlenmäßig eher klein, dafür in seiner wissenschaftlichen Qualifikation überdurchschnittlich gut242 • Es umfaßte die leitenden Mitarbeiter, bestehend aus dem Direktor des Instituts, der traditionell stets gleichzeitig auch Inhaber eines Universitätslehrstuhls für Völkerrecht Wa?43 , die wissenschaftlichen Mitglieder, die als Abteilungsleiter führende Funktionen innehatten, sowie den Leiter der Bibliothek. Dazu kamen Jüngere, als Referenten bezeichnete Volljuristen und Assistenten, die als Assessoren oder Referendare den Referenten bei der Sichtung des Materials zu Hilfe waren244 • Als Berthold Graf Stauffenberg am 01. März 1929 seine berufliche Laufbahn im Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht begann, hatte er zunächst die Stellung eines Referenten inne 245 • Als solcher hatte er sich regelmäßig mit völkerrechtlichen wie auch mit rechtsvergleichenden Fragen zu beschäftigen, wobei jeder Mitarbeiter des Instituts bestimmte Teilgebiete des Völkerrechts zu überwachen hatte. Außerdem war die Welt insgesamt so aufgeteilt, daß jeder Referent für mehrere Länder zuständig war und die Rechtsentwicklung in den betreffenden Staaten zu beobachten hatte. Aufgabe der Referenten war es, den leitenden Mitarbeitern von wichtigen Ereignissen in diesen Gebieten zu berichten. In 240 Mosler/Bernhardt, Berichte, S. 15; Mosler, Institut, S. 698; Makarov, Stauffenberg, S. 36l. 241 Mosler/Bernhardt, Berichte, S. 16; Mosler, Institut, S. 700; Makarov, Stauffenberg, S. 36l. 242 vgl. Hueck, Zeitschriften, S. 412; Hueck, Völkerrechtswissenschaft, S. 8, 9: ein Stab von durchschnittlich 25 hochqualifizierten Mitarbeitern. 243 Mosler/Bernhardt, Berichte, S. 18; Hueck, Völkerrechtswissenschaft, S. 8. 244 Mosler, Institut, S. 694; Hueck, Völkerrechtswissenschaft, S. 9. 245 Bruns, Max Planck, S. 2; Makarov, Stauffenberg, S. 360, 362; Leber, Gewissen, S. 104.
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I. Teil: Person und Beruf
wöchentlichen Referentenbesprechungen wurden bemerkenswerte Vorgänge mitgeteilt und diskutiert246 . Berthold Graf Stauffenberg avancierte in dieser Zeit schnell zur rechten Hand von Ernst Schmitz, dem stellvertretenden Direktor des Instituts. Diesem waren vom Institutsdirektor Viktor Bruns die völkerrechtlichen Arbeitsvorhaben und die Ausbildung der Assistenten anvertraut worden 247 . So erschien im Jahr 1931 der erste Band der Quellensammlung Fontes juris Gentium, Serie A, Sectio I, Turnus I, als Gemeinschaftsproduktion von Berthold Graf Stauffenberg und Ernst Schmitz 248 . Auch Viktor Bruns erkannte bald die außergewöhnlichen Fähigkeiten Berthold Graf Stauffenbergs. Er nahm ihn häufig mit auf seine Reisen durch Europa249 , so daß der junge Jurist an allen Arbeiten, die mit der Beteiligung von Viktor Bruns an dem deutsch-polnisch gemischten Schiedsgericht und dem Ständigen Internationalen Gerichtshof, sei es als Agent, sei es als juge national zusammenhingen, teilhaben konnte 25o . Aus dieser ersten Zeit Berthold Graf Stauffenbergs am Berliner Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht stammt sein erster Aufsatz über die vertraglichen Beziehungen des Okkupanten zu den Landeseinwohnern von 1931. In diesem Aufsatz beschäftigte sich Berthold Graf Stauffenberg mit dem rechtlichen Verhältnis zwischen zwei kriegführenden Staaten. Die Besetzung des eines Staates durch einen anderen wurde nach seinen Untersuchungen in Entscheidungen gemischter Schiedsgerichte oftmals als zweiteiliger Akt gesehen. Die occupatio bellica selbst wurde als hoheitlicher Akt, der dem Kriegsvölkerrecht und dem Öffentlichen Recht zu unterstellen war, die nachfolgend geregelte Entschädigung dagegen als privatrechtlicher Akt, der dem Zivilrecht zu unterstellen war, qualifiziert251. Diese künstliche Zweiteilung wurde von Berthold Graf Stauffenberg im Folgenden angegriffen, wobei eine Konzentration der Ausführungen auf die privatrechtlichen Akte des Okkupanten in dem besetzten Gebiet erfolgte. Nach den Grundsätzen des Internationalen Privatrechts nahm er die Bestimmung des zuständigen Gerichts sowie die des anwendbaren Rechts vor252 . Mosler/Bernhardt, Berichte, S. 11; Hueck, Völkerrechtswissenschaft, S. 9. Makarov, Stauffenberg, S. 362; Mosler, Institut, S. 694. 248 Strebel, Stauffenberg, S. 14; mit Ernst Schmitz verband Berthold Graf Stauffenberg Zeit seines Lebens eine echte Freundschaft; beiden gemeinsam war die rasche Erfassung des Wesentlichen, die Sparsamkeit mit Worten und die selbstlose Hingabe an die Sache. 249 Strebel, Stauffenberg, S. 14; vgl. auch Hueck, Völkerrechtswissenschaft, S. 9. 250 Makarov, Stauffenberg, S. 362; vgl. auch Hueck, Völkerrechtswissenschaft, S.9. 251 Stauffenberg, Okkupanten, S. 87, 88. 252 Stauffenberg, Okkupanten, S. 91 ff. 246 247
VI. Ständiger Internationaler Gerichtshof
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In Anbetracht der Tatsache, daß diese Thematik aus den sonstigen Themenkreisen Berthold Graf Stauffenbergs gänzlich herausfiel, sollen hier deshalb keine weiteren Ausführungen zu diesem Aufsatz folgen.
VI. Ständiger Internationaler Gerichtshof 1. Kanzlei des Gerichtshofes Im Sommer 1931 trat Berthod Graf Stauffenberg die zweite Station seiner beruflichen Laufbahn an. Der Generalsekretär des Ständigen Internationalen Gerichtshofes in Den Haag, der Schwede Äke Hammarskjöld 253 , wandte sich im Sommer 1931 mit der Bitte an Viktor Bruns, ihm einen geeigneten und zuverlässigen Mitarbeiter für die Kanzlei des Gerichts zu empfehlen254 • Der Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts hielt Berthold Graf Stauffenberg zum einen wegen seiner speziellen völkerrechtlichen Ausbildung, zum anderen wegen seiner perfekten Beherrschung der englischen und französischen Sprache für besonders passend255 und schlug diesen für die Haager Kanzlei vor. Der Ständige Internationale Gerichtshof resultierte ebenso wie das Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht aus den Erlebnissen des Ersten Weltkrieges. Insbesondere die Schrekken des Krieges führten zu einem überhöhten Bedürfnis nach Frieden und Sicherheit. Statt der bisher vorherrschenden Balance of Power sollte nunmehr ein Zusammenschluß aller Staaten im Völkerbund Friede und Sicherheit gewährleisten 256 • Die Pariser Friedenskonferenz von 1919 hatte gefor253 Zur Person Äke Hammarskjölds allgemein und ausführlich Huber, Harnmarskjöld; zum Amt Äke Harnmarskjölds als Generalsekretär/Greffier/Registrar, Huber, Harnmarskjöld, S. 16; Müller, Stauffenberg, S. 170. 254 Makarov, Stauffenberg, S. 362; als Generalsekretär des jungen Gerichtshofes war es erste Aufgabe Äke Hammarskjölds, einen geeigneten Mitarbeiterstab zu bilden; Huber, Harnmarskjöld, S. 16; Müller, Stauffenberg, S. 170; Viktor Bmns war Leiter des Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht; als solcher entwickelte er sich schnell zu einem führenden Experten der internationalen Gerichtsbarkeit und internationalen Schiedsgerichtsbarkeit; von 1927-1931 war er nationaler Richter am deutsch-polnisch gemischten Schiedsgericht; in den Jahren 1928, 1930 und 1931 vertrat Viktor Bmns jeweils den deutschen Staat in den Rechtsstreitigkeiten der Freien Stadt Danzig vor dem StIGH in Den Haag; Hueck, Völkerrechtswissenschaft, S. 9, 10. 255 Makarov, Stauffenberg, S. 362; seine Sprachbegabung (Englisch und Französisch fließend, Italienisch und Russisch fast ebenso) wurde bereits angesprochen; Finker, Stauffenberg, S. 178; Vitzthum, Stauffenberg, S. 11; Vitzthum, Völkerrechtsberater, S. 27. 256 Ruge, Bündnisse, S. 86; Schlochauer, StIGH, S. 341; vgl. auch Vagts/Vagts, Balance of Power, S. 313 ff.
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1. Teil: Person und Beruf
dert, den Krieg generell für Unrecht zu erklären und kriegerische Auseinandersetzungen im Wege der Schlichtung zu bereinigen257 • Zu diesem Zwecke wurde der Völkerbund gegründet und der Völkerbundrat mit der Errichtung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes betraut258 • Sowohl den Mitgliedsstaaten des Völkerbundes wie auch anderen Staaten stand es frei, durch Unterzeichnung eines speziellen Beitrittprotokolls die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes gegenüber jedem sich in gleicher Weise verpflichtenden Staat als bindend anzuerkennen259 . Obwohl nicht alle Mitgliedsstaaten dieses Protokoll ratifizierten, kam es so doch zu einer gewissen Bindungswirkung der vom Gerichtshof ausgesprochenen Entscheidungen26o . Zu diesem Ständigen Internationalen Gerichtshof wechselte der damals 26-jährige Berthold Graf Stauffenberg zum 01. Juli 1931 261 • Er erhielt in der von Äke Hammarskjöld geleiteten Kanzlei des Gerichtshofes die Stellung eines redigierenden Sekretärs262 • Die Kanzlei des Ständigen Internationalen Gerichtshofes hatte vor allem die Aufgaben, die Verwaltung des Gerichtshofes durchzuführen, die Archivierung der Prozeßakten vorzunehmen, die Korrespondenz mit der Presse und der Öffentlichkeit zu führen, die Prozeßakten für die Verhandlungen aufzubereiten, die Sitzungen und Entscheidungen des Gerichtshofes zu protokollieren, notwendige Übersetzungen vorzunehmen sowie alles Wesentliche zu publizieren263 •
Ruge, Bündnisse, S. 86; Schlochauer, StlGH, S. 342. Wehberg/Goldschmidt, Gerichtshof, S. 19. 259 Sog. Fakultativklausel; Wehberg/Goldschmidt, Gerichtshof, S. 20. 260 Die Sowjetunion beispielsweise unterzeichnete das Beitrittsprotokoll nicht; andererseits blieben aber Deutschland, Italien und Japan auch nach ihrem Austritt aus dem Völkerbund an das Statut des Ständigen Internationalen Gerichtshofes gebunden, da dieses keine Kündigungsklausel enthielt; Wehberg/Goldschmidt, Gerichtshof, S. 22. 261 Hoffmann, Stauffenberg, S. 74; es ist nicht bekannt, was für eine Meinung Berthold Graf Stauffenberg von diesem Gerichtshof hatte; Helmuth Graf Moltke jedenfalls unternahm als junger Assessor eine Erkundungsfahrt zu den Zentren des internationalen Lebens, insbesondere nach Genf zum Völkerbund und nach Den Haag zum Ständigen Internationalen Gerichtshof; während seine Meinung vom Völkerbund insgesamt recht negativ war, empfand er den Gerichtshof im Haag als großen Lichtblick; von Moltke, Briefe, S. 28, 29; wir dürfen annehmen, daß Berthold Graf Stauffenberg zumindest in den Jahren seiner Tätigkeit dort eine ähnlich gute Meinung vom Gerichtshof des Völkerbundes hatte; vgl. auch Gerstenmaier, Moltke, S. 195; Adolf Hitler dagegen hielt die Einrichtung des Völkerbundes für "Bauernfängerei" und den Ständigen Internationalen Gerichtshof für einen "Reinfall"; Pikker, Tischgespräche, S. 144, 145. 262 Secretaire redacteur adjoint; Bruns, Max Planck, S. 2; Zeller, Stauffenberg, S. 48; Zeller, 20. Juli, S. 250; Zeller, Claus und Berthold, S. 244; Finker, Stauffenberg, S. 178. 263 Stauffenberg, Statut, S. 96ff.; Hudson, PCIl, S. 306ff. 257 258
VI. Ständiger Internationaler Gerichtshofs
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Obwohl es sich offiziell bei dieser Stellung nur um einen gehobenen Posten im Verwaltungsstab des Gerichtshofes handelte 264, wurde Berthold Graf Stauffenberg vom Präsidenten des Gerichtshofes ständig mit der Begutachtung schwieriger völkerrechtlicher Fragen für die schwebenden Prozesse betraut265 . Trotz seiner formalen Stellung in der Kanzlei war Berthold Graf Stauffenberg damit an der juristischen Tätigkeit und Entscheidungsfindung des Gerichtshofes unmittelbar beteiligt266 • 2. Statut und Reglement
Auf Initiative Äke Hammarskjölds, der als Generalsekretär und Leiter der Kanzlei des Gerichtshofes auch für das Statut des Gerichtshofes zuständig war67 , sowie im Auftrag des Präsidenten des Gerichtshofes 268 entstand Berthold Graf Stauffenbergs größte juristische Publikation Statut et Reglement de la Cour Permanente de lustice International - Elements d'interpretation. Bei dieser Arbeit handelt es sich um einen ausschließlich auf amtliche Materialien gestützten Kommentar zu dem Statut und Reglement des Ständigen Internationalen Gerichtshofes in französischer Sprache269 • Das äußerst sorgfältig zusammengestellte Werk wurde von Berthold Graf Stauffenberg streng gegliedert. Die einzelnen Artikel wurden grundsätzlich erläutert durch die Darstellung des Regelungsgehalts, die Aufzeichnung der Entwicklungsgeschichte sowie die Interpretation und praktische Anwendung durch den Gerichtshof270 . Wegen seiner Bezugnahme auf die veröffentlichten Entscheidungen und geheimen Beratungsprotokolle des Gerichtshofes wurde der Kommentar zu einer höchst amtlichen Publikation des Gerichtshofes, obwohl er letztlich unter der Flagge des Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht erschienen ist271 • Dabei hat Berthold Graf Stauffenberg es in sehr geschickter Weise verstanden, die Praxis des Gerichtshofes seiner Kritik zu unterziehen272 • Damit kam dem Werk, das die erste Gesamtdarstellung des internationalen Prozeßrechts Zeller, Stauffenberg, S. 48. Eine Ehre, die sonst keinem anderen Mitglied des Verwaltungsstabes zuteil wurde; Bruns, Max Planck, S. 2. 266 Vgl. Bruns, Max Planck, S. 2. 267 Huber, Harnrnarskjöld, S. 2, 3, 21; Vitzthum, Stauffenberg, S. 12; Vitzthum, Völkerrechtsberater, S. 27. 268 Bruns, Max Planck, S. 4. 269 StrebeI, Stauffenberg, S. 15; Makarov, Stauffenberg, S. 363. 270 Stauffenberg, Statut; Bruns, Max Planck, S. 4. 271 Makarov, Stauffenberg, S. 363; Bruns, Max Planck, S. 4. 272 Bruns, Max Planck, S. 4. 264 265
1. Teil: Person und Beruf
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überhaupt bildete und somit die Grundlage des Verfahrens des Gerichtshofes bedeutete, sowohl ein sehr großer praktischer wie auch ein sehr großer wissenschaftlicher Wert ZU273 . Die Arbeit hat im In- und Ausland eine vorzügliche Aufnahme und höchste Anerkennung erfahren274 •
3. Abreise und Stefan George Nach Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund im Oktober 1933 ging Berthold Graf Stauffenbergs Zeit in Den Haag dem Ende zu. Zwar gaben sich sowohl der Präsident wie auch der Generalsekretär des Gerichtshofes größte Mühe, trotz Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund Berthold Graf Stauffenberg zur Verlängerung seines am 31. Dezember 1933 auslaufenden Vertrages zu bewegen, jedoch wollte dieser unter den Voraussetzungen nicht länger in Den Haag bleiben275 . Obschon eine Fortsetzung der Arbeit am Gerichtshof grundsätzlich möglich gewesen wäre, mochte Berthold Graf Stauffenberg nur dann dort verweilen, wenn die Berliner Regierung dies von ihm verlangt hätte 276 • Er selbst hielt seine Tätigkeit im Haag unter diesen Voraussetzungen für wenig sinnvo1l277 und wollte deshalb kein weiteres Gehalt vom Völkerbund beziehen278 . Die Regierung ließ ihm bei der Entscheidung über den Verbleib in Den Haag schließlich freie Hand und sprach lediglich die Empfehlung aus, den Gerichtshof zu verlassen 279 . Diesem Rat und seiner eigenen Einstellung folgend, entschied sich Berthold Graf Stauffenberg sodann, von dem Gerichtshof am 31. Dezember 1933 mit Auslaufen seines Vertrages Abschied zu nehmen 28o . Bruns, Max Planck, S. 5. Bruns, Max Planck, S. 5; dies bestätigt sich auch darin, daß die Satzung des Internationalen Gerichtshofes der Vereinten Nationen nur sehr geringfügig von der Satzung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes des Völkerbundes abweicht und damit die Bedeutung des Kommentars als international anerkanntes Standardwerk unterstreicht; StrebeI, Stauffenberg, S. 15; Makarov, Stauffenberg, S. 363; Vitzthum, Stauffenberg, S. 12; Vitzthum, Völkerrechtsberater, S. 27. 275 Bruns, Max Planck, S. 2; Mitteilung Hoffmann. 276 Briefe, Stauffenberg, Brief vom 01. November 1933; Berthold Graf Stauffenberg ging davon aus, daß nach Rücknahme der deutschen Klagen am Gerichtshof kein Interesse seitens der Regierung an seinem Bleiben im Haag bestünde; Mitteilung Hoffmann: er wollte Deutschland dienen und das konnte er nicht, wenn Deutschland die internationalen Organe boykottierte; vgl. auch Picker, Tischgespräche, S. 144, 145. 277 Vgl. Briefe, Stauffenberg, Brief vom 27. Oktober 1933. 278 Vgl. Briefe, Stauffenberg, Brief vom 27. Oktober 1933. 279 Vgl. Briefe, Stauffenberg, Brief vom 03. oder 10. November 1933; obwohl es anderswo heißt, Berthold Graf Stauffenberg habe seine Stellung als Sekretär am Gerichtshof unter Druck der deutschen Regierung aufgeben und verlassen müssen; so von Moltke, Briefe, S. 29; von Moltke, Völkerrecht, S. 106; Gerstenmaier, Moltke, S. 195. 273
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VI. Ständiger Internationaler Gerichtshof
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Noch bevor Berthold Graf Stauffenberg den Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag verließ, verstarb sein hochverehrter Meister und Mentor Stefan George im Dezember 1933 in seinem Schweizer Domizil in Minusio, einern kleinen Bergdorf hoch über Locamo281. Kurz vor seinem Tode hatte der Dichter Robert Boehringer als alleinigen Universalerben seines gesamten Nachlasses eingesetzr282 . Da dieser jedoch stets in der Schweiz weilte und Stefan George Vertreter in Deutschland brauchte und wollte, wurde Berthold Graf Stauffenberg zum Nacherben und Ersatzerben nach Robert Boehringer eingesetzt. Er sollte als Bevollmächtigter die Verwaltung des deutschen Nachlasses nach dem Dichter übernehmen und wurde deshalb mit gänzlicher Verfügungsgewalt über das offizielle Zeichen der Veröffentlichungen aus dem George-Kreis, der Swastika, ausgestattet283 . Berthold Graf Stauffenberg selbst wiederum errichtete unmittelbar nach Stefan Georges Tod ein Testament, in dem er für den Fall seines Todes vor Eintritt des Nacherbschaftsfalls Frank Mehnert als Inhaber seiner Nacherben-Anwartschaft bestimmte284 .
280 Briefe, Stauffenberg, Brief vom 18. November 1933; Mitteilung Stauffenberg: Berthold Graf Stauffenberg nahm den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund zum Anlaß, aus dem Haag auszuscheiden; er war der Meinung, er wäre lange genug dort gewesen. 281 Zeller, Stauffenberg, S. 29; Boehringer, George, S. 202. 282 Verfügungen, George, letztwillige Verfügung Stefan Georges vom 31. März 1932; dieser Entscheidung ging eine umfangreiche Korrespondenz zwischen Berthold Graf Stauffenberg, Robert Boehringer, Ernst Morwitz, Maria Plum und einer Freiburger Anwaltskanzlei voraus; in diesem Schriftwechsel wollte man klären, ob eine Baseler Stiftung namens Das Werk Stefan Georges Gesamtrechtsnachfolgerin nach Stefan George werden könne; es wurden daher Probleme über die Errichtung einer Stiftung in der Schweiz, gesellschaftsrechtliche Themen, erbrechtliche Fragen, IPR-Probleme und steuerrechtliche Unklarheiten erörtert; Korrespondenz, Erbschaft; letztlich war es wohl so, daß die Errichtung und Erbeinsetzung einer Schweizer Stiftung theoretisch denkbar, praktisch jedoch nicht mehr durchführbar war, weil zu diesem Zeitpunkt (1930) bereits kein Geld mehr ins Ausland transferiert werden konnte; es wurden daher natürliche Personen zu Erben eingesetzt; entgegen der von Stefan George geplanten Einsetzung mehrerer Miterben wurde auf Anraten der juristischen Berater wegen der Nachteile und Schwerfälligkeit der Erbengemeinschaft die Lösung der Vor- und Nacherbschaft gewählt; Mitteilung Oelmann; vgl. hierzu auch Groppe, Macht, S. 675. 283 Verfügungen, George, letztwillige Verfügung Stefan Georges vom 31. März 1932; Müller, Stauffenberg, S. 549; Boehringer, George, S. 193; Mitteilung Stauffenberg. 284 Verfügungen, George, letztwillige Verfügung Berthold Graf Stauffenbergs vom 31. Dezember 1933; nach dem Tode von Frank Mehnert im Frühjahr 1943 bestimmte Berthold Graf Stauffenberg mit letztwilliger Verfügung vom 16. April 1943 nunmehr seinen Bruder Claus Graf Stauffenberg zum Nacherben-Anwartschaftsinhaber; Verfügungen, George, letztwillige Verfügung Berthold Graf Stauffenbergs vom 16. April 1943.
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1. Teil: Person und Beruf
VII. Zurück am Institut 1. Rückkehr und Aufgabe
Zum 01. Januar 1934 kehrte Berthold Graf Stauffenberg zunächst als stellvertretender Leiter der Völkerrechts abteilung wieder an das Berliner Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zurück285 . Obwohl er bereits durch seine Arbeit im Institut und im Haag große Anerkennung gewonnen hatte und seine großen Verdienste um das Ansehen des Kaiser-Wilhelm-Instituts gewürdigt wurden, fühlte er sich mit dieser Rückkehr an das Institut höchst unzufrieden286 . Er konnte sich nicht mit der Arbeit des Instituts identifizieren und empfand seine dortige Tätigkeit als wenig sinnvoll. Er hatte das Gefühl, mit seiner Arbeit die zunehmend illegalen und verbrecherischen Tiraden des Regimes in aller Form rechtfertigen zu müssen 287 und von der Regierung mißbraucht zu werden. Es wurde von ihm verlangt, allen völkerrechtlichen Verstößen des Deutschen Reiches "das juristische Mäntelchen der Legalität umzuhängen,,288. Ihm fehlte im Kaiser-Wilhelm-Institut die Freiheit und die Position, aus der heraus er die Politik beeinflussen und wirklich etwas selbst schaffen konnte 289 . Innerlich zog es ihn weiterhin zur Tätigkeit im Auswärtigen Amt und in der Diplomatie. Alle seine diesbezüglichen Bemühungen und Bewerbungen blieben jedoch erfolglos290. So versuchte Berthold Graf Stauffenberg zunächst, seine Arbeit im Kaiser-Wilhelm-Institut verstärkt in den wissenschaftlichen 285 Bruns, Max Planck, S. 3; Hoffmann, Widerstand, S. 389; wie bereits gesagt, konnte man sich über die Freiwilligkeit dieser Heimkehr sicher streiten; obwohl seine Rückkehr von allen Seiten begrüßt worden ist, ist es zu einem ausdrücklichen Rückruf durch die Regierung wohl nie gekommen; vgl. Briefe, Stauffenberg, und Zeller, Stauffenberg, S. 49. 286 StrebeI, Stauffenberg, S. 15; Zeller, Stauffenberg, S. 49; Hoffmann, Stauffenberg, S. 149. 287 Zeller, Stauffenberg, S. 49; Hoffmann, Stauffenberg, S. 149; vgl. Hueck, Völkerrechtswissenschaft, S. 12. 288 Zeller, Stauffenberg, S. 49; Hoffmann, Stauffenberg, S. 149. 289 Zeller, Stauffenberg, S. 49; Hoffmann, Stauffenberg, S. 150. 290 Peter Hoffmann schließt als Grund für das erfolglose Werben nicht aus, daß dies mit Berthold Graf Stauffenbergs extremer Schweigsamkeit und Gehemmtheit im Umgang mit Menschen zusammenhing; Karl Schefold und Karl-Josef Partsch halten das jedoch für Unsinn; andere vermuten, der Grund für die Zurückweisungen Berthold Graf Stauffenbergs lag in der Abneigung des damaligen Außenministers Stresemann gegenüber adeligen Bewerbern; dagegen spricht jedoch die hohe Anzahl von adeligen Diplomaten im Auswärtigen Amt; ebenso Wolfgang Stresemann, der diese These für abwegig hält; so muß letztlich der wahre Grund im Dunkeln bleiben, denn objektiv wäre Berthold Graf Stauffenberg von seinen Fähigkeiten und Veranlagungen her wohl einer der geeignetsten Bewerber gewesen; Vitzthum, Stauffenberg, S. 14.
VII. Zurück am Institut
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Bereich zu verlagern und sich mehr und mehr auf Kriegsrecht im Allgemeinen und Seekriegsrecht im Besonderen zu spezialisieren291 . Daneben erwog er die Alternative, gänzlich die wissenschaftliche Laufbahn zu beschreiten und als Professor für Völkerrecht einen Lehrstuhl an einer Universität zu übernehmen. Am 16. Februar 1934 hielt er deshalb an der Ludwig-Maximilian-Universität zu München eine Probevorlesung über den Haager Ständigen Internationalen Gerichtshof292 . Von der Juristischen Fakultät dieser Universität wurde er im Laufe des Jahres 1934 dem Bayerischen Kultusministerium zweimal an erster Stelle für einen Lehrstuhl des Völkerrechts vorgeschlagen 293 • Aus diesen Gründen rechnete er für das Sommersemester 1934 mit einer Professur an der Münchener Universität294 • Diesen Ruf hätte er zunächst auch gerne angenommen, da er Berlin, das sich nach seiner Meinung sehr stark unter der NS-Führung verändert hatte, gerne verlassen wollte. Er ging davon aus, daß er in München die Veränderungen nicht so deutlich spüren müsse 295 • Schließlich jedoch entschied sich Berthold Graf Stauffenberg gegen den Beruf eines Universitätsprofessors und für eine Weiterarbeit im wissenschaftlichen Bereich des Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht296 . Offensichtlich fürchtete er, als Professor über viele Dinge reden zu müssen, die er nicht selbst gründlich erforscht hatte. Er verzichtete deshalb und wohl auch wegen seiner Anfang 1935 Hoffmann, Widerstand, S. 389. Hoffmann, Stauffenberg, S. 150. 293 Bruns, Max Planck, S. 3. 294 Hoffmann, Stauffenberg, S. 150. 295 Hoffmann, Stauffenberg, S. 150; auch ein weiterer hervorragender Völkerrechtler und Widerstandskämpfer, der Legationsrat Adam von Trott zu Solz, bemühte sich um seine Habilitation; er war der Meinung, in einer solchen Stellung als Ordinarius könne er nützliche Arbeit für sein Land leisten und als Spezialist auf dem Gebiet des Völkerrechts auf Grund geringer Konkurrenz relativ sicher vor dem Druck der Partei arbeiten; Malone, Trott zu Solz, S. 174; daß letztlich auch die Universitäten und deren Professoren von den Nationalsozialisten heftig angegriffen und "gesäubert" wurden, dürfte hinreichend bekannt sein; vgl. auch Gassner, Triepel, S. 99; Hueck, Völkerrechtswissenschaft, S. 2; Simon, Schwerin, S. 134ff.; dieser Illusion gab sich Berthold Graf Stauffenberg offensichtlich von Anfang an nicht hin, auch wenn er München für ruhiger als Berlin einschätzte; aber schließlich war München als "Hauptstadt der Bewegung" eine Nazi-Hochburg. 296 Hoffmann, Stauffenberg, S. 150; diese Entscheidung flillte auch ein anderer herausragender Völkerrechtler und Widerstandskämpfer, Helmuth James Graf von Moltke; von Moltke lehnte das Angebot der Professur unzweideutig ab; von Moltke, Briefe, S. 382; möglicherweise sah auch Berthold Graf Stauffenberg in seiner ruhigen, klaren Art frühzeitig voraus, daß die Nationalsozialisten den Rechtswissenschaftlem und Professoren als Intellektuelle und Akademiker stets mißtrauen würden; er fürchtete deshalb wohl die Kontrolle und Manipulation durch die Faschisten; vgl. auch Simon, Schwerin, S. 137. 291
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1. Teil: Person und Beruf
erfolgten ehrenvollen Ernennung zum wissenschaftlichen Mitglied der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und zum Mitherausgeber der Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht auf einen Lehrstuh1 297 . Stattdessen übernahm er die Leitung der Abteilung für Wehr- und Kriegsrecht. Er spannte sich in die alltägliche Institutsarbeit ein, um dem Gefühl der Überflüssigkeit und Unzufriedenheit zu entrinnen298 , und vertiefte seine bereits begonnenen Studien im Bereich des Seekriegs- und Prisenrechts299 .
2. Aufsätze und Stellungnahmen Aus dieser Zeit bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1939 gibt es zwar keine größeren Publikationen von Berthold Graf Stauffenberg, wohl aber einige interessante und aufschlußreiche Aufsätze, die die juristische Würdigung aktueller völkerrechtlicher und aktueller außenpolitischer Geschehnisse zum Gegenstand haben 3OO . Es handelt sich durchweg um "knappe, streng normorientierte Aufsätze, die im Ergebnis jeweils zwangsläufig, ohne jedoch den Boden der Wissenschaft zu verlassen oder gar NSkonformes zu enthalten, den Standpunkt der Reichsregierung stützen und untermauern,,301. Eine öffentliche Kritik an dem zunehmend verhaßten Hitler-Regime lassen diese Aufsätze nicht erkennen, und doch stellen sie auch keine deutliche Unterstützung der Regierung dar302 : 297 Hoffmann, Stauffenberg, S. 150; dieser vermutet, daß auch hier die ausgesprochene Schweigsamkeit und Zurückhaltung ein Grund für die Entscheidung gegen den Professorenberuf war; Mitteilung Hoffmann; Mitteilung Stauffenberg: Berthold Graf Stauffenberg war eher still sowie im Umgang mit Menschen verlegen und fast unbeholfen; in fachlichen Diskussionen soll er jedoch souverän gewesen sein; Strebel, Stauffenberg, S. 15; Zeller, Stauffenberg, S. 49; die Stellung und der Rang eines wissenschaftlichen Mitglieds des Kaiser-Wilhelm-Instituts entsprachen statusmäßig der/dem eines Professors; Vitzthum, Stauffenberg, S. 12; bezüglich der Stellung eines wissenschaftlichen Mitglieds vgl. auch das gesamte Schreiben von Bruns in Bruns, Max Planck. 298 Makarov, Stauffenberg, S. 363; Malone, Trott zu Solz, S. 215; Hoffmann, Stauffenberg, S. 15l. 299 Vitzthum, Stauffenberg, S.15. 300 Makarov, Stauffenberg, S. 363. 301 Vitzthum, Stauffenberg, S. 12, 13. 302 Diese Arbeit beschäftigt sich ausschließlich mit den zur Veröffentlichung gelangten Werken Berthold Graf Stauffenbergs; daneben existieren im Stefan-GeorgeArchiv jedoch noch weitere Manuskripte, die - aus welchen Gründen auch immer unveröffentlicht geblieben sind: - Die friedliche Erledigung internationaler Streitfalle, 8 Blatt, 1934. - Die Vereinigten Staaten und der StlGH, 10 Blatt, ohne Jahr. - Notizen zu einer Arbeit über Staatsangehörigkeitsfragen vor intern. Gerichten, 14 Blatt. - Die Inkraftsetzung des revidierten Status des StlGH, Korrekturfahne, 8 Blatt, 1936.
VII. Zurück am Institut
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- Die Entziehung der Staatsangehörigkeit und das Völkerrecht; - die Zuständigkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes für die sogenannten politischen Streitigkeiten; - die Abberufung des Präsidenten des Memeldirektoriums und das Urteil des Ständigen Internationalen Gerichtshofes vom 11.08.1932; - das Urteil des Ständigen Internationalen Gerichtshofes im Fall Oscar Chinn vom 12.12.1934; - die Revision des Statuts des Ständigen Internationalen Gerichtshofes; - Gutachten des Ständigen Internationalen Gerichtshofes vom 04.12.1935 über die Vereinbarkeit gewisser Danziger Verordnungen mit der Verfassung der Freien Stadt; - die Vorgeschichte des Locarno-Vertrages und das russisch-französische Bündnis; - die Richterwahl zum Ständigen Internationalen Gerichtshof; - das Prisenrecht der französischen Instruktionen vom 08.03.1934. Die Übersicht zeigt, daß Berthold Graf Stauffenberg den Themenbereich der internationalen Schiedsrechtsprechung und internationalen Rechtsprechung intensiv behandelt hat. Er befaßte sich mit einer Reihe von Entscheidungen des Ständigen Internationalen Gerichtshofes, die im Rahmen der Rechtsprechung des Gerichts besprochen werden. Lediglich der Aufsatz über die Entziehung der Staatsangehörigkeit bezieht sich nicht auf eine konkrete Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes, sondern auf einen Aufsatz in der Revue critique du droit. Dabei ging es um die völkerrechtliche Beurteilung des deutschen Gesetzes über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933 303 . Der Aufsatz erscheint nicht ganz klar. Einerseits plädierte Berthold Graf Stauffenberg hierbei für die rein formal-juristische Beurteilung der Völkerrechtmäßigkeit von Gesetzen unter Ausschaltung von soziologischen, politi- Staatsangehörigkeitsfragen vor internationalen Gerichten, Fassung I, 26 Blatt, Fassung 11, 6 Blatt. 303 Die Regelung des Erwerbs und Verlusts der Staatsangehörigkeit war und ist innerstaatliches Recht; der Begriff der Staatsangehörigkeit ist deshalb grundsätzlich nationaler Natur, auch wenn Rechte und Pflichten mit völkerrechtlichem Charakter daran geknüpft werden; allerdings ist dadurch die Ermessensfreiheit des einzelnen Staates bei der Regelung seines Staatsangehörigkeitsrechts durch völkerrechtliche Schranken eingeengt; das ist zumindest inzwischen insoweit unstrittig; fraglich war und ist jedoch, welche konkreten Einschränkungen im Einzelfall durch das Völkerrecht möglich und zulässig sind; Makarov, Staatsangehörigkeit, S. 324, 325; Stauffenberg, Staatsangehörigkeit, S. 261.
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1. Teil: Person und Beruf
sehen und moralischen Gesichtspunkten, andererseits kritisierte er die Beurteilung des Gesetzes als völkerrechtswidrig und rechtfertigte die Motive der Regelung. Er vertrat vehement die Auffassung, daß weder der Versailler Friedensvertrag noch die Genfer Konvention für Oberschlesien noch ein sonstiger völkerrechtlicher Grundsatz durch das Gesetz berührt würden 304. Vielmehr sei der Staat in der Gestaltung seiner Staatsangehörigkeitsfragen frei, weil dies die Souveränität des einzelnen Staates verlange. Auch werde die Aberkennung der Staatsangehörigkeit in vielen Ländern geregelt oder zumindest geduldet, wenn auch rassische Gründe für die Maßnahmen tatsächlich neu waren 305 . Der kritischen Behandlung des Gesetzes in der Revue critique de droit widersetzte sich Berthold Graf Stauffenberg im Folgenden mit typisch nationalen, ja nationalsozialistischen Argumenten. Dies ist ein bemerkenswerter Gesichtspunkt. Trotz seines jungen Alters war Berthold Graf Stauffenberg doch ein Akademiker mit deutlichem Unterscheidungsvermögen und gedanklicher Selbständigkeit. Es überrascht daher, "wie harmlos" er damals "noch auf das Rassenproblem reagieren" und "wie kurzsichtig die Reinheit der Nation noch zum Prinzip des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts gemacht werden konnte,,306. Weniger verwunderlich, aber ebenso beachtenswert ist die starke Loyalität, möglicherweise gar Identifikation Berthold Graf Stauffenbergs mit seinem eigenen Vaterland und Staat. Sicherlich hatte er im Regierungsauftrag die politischen Hintergründe und wahren Absichten des Gesetzes als völkerrechtsgemäß darzustellen. Aber eine gewisse persönliche Überzeugung von der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit staatlichen Handeins ist dennoch unverkennbar307 . Stauffenberg, Staatsangehörigkeit, S. 262, 263. Ob ein derartiges Argument völkerrechtlich vertretbar war, ist äußerst fraglich; aus der Praxis des 19. und 20. Jahrhunderts läßt sich entnehmen, daß gewisse staatsangehörigkeitsrechtliche Sätze als völkerrechtlich geboten betrachtet wurden, so etwa der Territorialitätsgrundsatz, das Verbot der Aufzwingung einer Staatsangehörigkeit, das Recht auf Ausbürgerung auf Wunsch und das Verbot der Zwangsausbürgerung; obwohl ein internationaler Staatsvertrag, der eine ausführliche Kodifikation des Staatsangehörigkeitsrechts enthielt, nicht vorhanden war, waren zumindest diese Rechtssätze ganz überwiegend als VÖkergewohnheitsrecht anerkannt; die Berufung auf die Souveränität des Staates vermochte deshalb die offensichtliche Völkerrechtswidrigkeit des Gesetztes vom 14. Juli 1933 nicht zu beseitigen; vgl. Makarov, Staatsangehörigkeit, S. 325; Stauffenberg, Staatsangehörigkeit, S. 269, 270. 306 Hans von Mangoldt weist darauf hin, dass sich eine derartige Position bei den Beratungen des Staatsangehörigkeitsrechts im deutschen Reichstag von 1913 nicht hatte durchsetzten können; Berthold Graf Stauffenbergs Beitrag zu der 1933 bereits intensiv geführten Debatte über eine mögliche Völkerrechtswidrigkeit der Entziehung der Staatsangehörigkeit erscheint deshalb gerade unter diesem Gesichtspunkt äußerst erstaunlich; Hans von Mangoldt bei Vitzthum, Völkerrechtsberater, S. 13, 14. 307 Dies ist insofern besonders wichtig, als es zumindest ansatzweise andeutet, von welcher Position aus in welche Konflikte Berthold Graf Stauffenberg geraten 304 305
VIII. Studienausschuß für Kriegsrecht
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Aus der Gesamtbetrachtung seiner Person und seiner Arbeit ist zu entnehmen, daß die Entgegnung nur bedingt die wirkliche Meinung Berthold Graf Stauffenbergs über das Gesetz vom 14. Juli 1933 darstellen kann. Er war getragen von dem Gedanken, daß staatliches Recht auch gerecht sein müsse, daß die rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts frei von subjektiven Kriterien sein müsse und daß gleiche Maßstäbe für gleiche Sachverhalte anzuwenden seien308 • Daß diese Prinzipien hier im Gesetz vom 14. Juli 1933 eindeutig verletzt wurden und dieser Verstoß auch nicht mit dem Hinweis auf die Souveränität des Staates gerechtfertigt werden konnte, ist offensichtlich. Rückschlüsse auf die tatsächliche Rechtsauffassung Berthold Graf Stauffenbergs läßt dieser Aufsatz damit nur in geringem Umfang zu.
VIII. Studienausschuß für Kriegsrecht 1. Ausschuß und Aufgabe Wegen seiner umfassenden und speziellen Kenntnisse, die sich Berthold Graf Stauffenberg im Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht im Bereich des Völkerrechts, insbesondere des Kriegsvölkerrechts angeeignet hatte, wurde er bald als Vertreter des Instituts in zwei Ausschüsse berufen309 • Er arbeitete neben seinem normalen Dienst im Kaiser-Wilhelm-Institut in dem 1935 gegründeten Ausschuß für Kriegsrecht31O • Dieser Fachausschuß hatte die Aufgabe, das heterogene Kriegsrecht zu vereinheitlichen und - im Hinblick auf einen kommenden Krieg - alle notwendigen Unterlagen zu sammeln, um nach einem siegreisein muß, ehe er sich entschied, der Staatsorganisation Widerstand zu leisten, ja die Staatsorganisation zu beseitigen, der er eigentlich treu und loyal dienen wollte; Hans von Mangoldt bei Vitzthum, Völkerrechtsberater, S. 13, 14. 308 Hans von Mangoldt bei Vitzthum, Völkerrechtsberater, S. 13, 14. 309 Der Leiter des Ausschusses, Admiral Walter Gladisch, betonte, er lege - abgesehen von den geplanten Teilnehmern Kpt. z. S. Bruchner, Helmuth Graf Moltke und Dr. Widmann - besonderen Wert auf die Mitarbeit Berthold Graf Stauffenbergs; Akten Ausschuß, Kriegsrecht. 310 Hoffmann, Stauffenberg, S. 154; dieser Ausschuß hieß auch Studienausschuß für Kriegsrecht bzw. Vorausschuß für Kriegsrecht und existierte von 1935 bis 1938; er ging auf eine Initiative der Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaft zurück; im Jahr 1940 wurde sodann ein Ausschuß zur Fortbildung des Kriegsrechts gebildet; dieser war faktischer Nachfolger des Ausschusses für Kriegsrecht; van Roon, Völkerrechtler, S. 40; der zweite Ausschuß, in dem Berthold Graf Stauffenberg tätig war, war der Ausschuß für Völkerrecht der Akademie für Deutsches Recht unter dem Vorsitz von Viktor Bruns; diesem gehörte Berthold Graf Stauffenberg seit Oktober 1936 an; Hoffmann, Stauffenberg, S. 155; siehe auch Gassner, Triepel, S. 149; vgl. auch zur Akademie für Deutsches Recht Schudnagies, Frank, S. 130, 131.
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1. Teil: Person und Beruf
chen Abschluß des Krieges die deutschen Interessen auf der darauffolgenden Friedenskonferenz möglichst gut vertreten zu können 311 . Er tagte regelmäßig im Zeppelinzimmer des Reichstagsgebäudes unter der Leitung von Admiral Walter Gladisch 312 . An ihm waren neben den Vertretern des Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, des Reichsjustizministeriums, des Oberkommandos der Wehrmacht, des Oberkommandos der Marine und des Reichsluftfahrtministeriums beteiligt313 . Der Ausschuß war zunächst an das Kriegsministerium, nach Januar 1938 an das Oberkommando der Wehrmacht angegliedert314 • Offiziell sollte der Ausschuß eine eingehende Ptiifung des gesamten Kriegsrechts vornehmen und möglichst einfache, der deutschen Interessenlage Rechnung tragende, allgemeine Grundsätze des Kriegsvölkerrechts formulieren 31S . Dazu sollte zunächst jeder Wehrmachtsteil sein Gebiet bearbeiten und sodann eine Abstimmung der einzelnen Ausarbeitungen aufeinander erfolgen 316 • Begonnen wurde mit dem Bereich des Seekriegsrechts, das neben dem Land- und Luftkriegsrecht am wenigsten geregelt und am stärksten durch die englische Vormachtstellung als Seekriegsmacht geprägt war 317 . Berthold Graf Stauffenberg übernahm in diesem Ausschuß die Leitung für die Fachrichtung SeekriegsrechP18. So unbedeutend und unbefriedigend die alltägliche Arbeit im Kaiser-Wilhelm-Institut für Berthold Graf Stauffenberg war, so fesselnd und schöpfe311 Land-, See- und Luftkriegsrecht waren teilweise auf unterschiedlichen völkerrechtlichen Grundsätzen aufgebaut; Akten Ausschuß, Kriegsrecht; von Moltke, Völkerrecht, S. 24; Zeller, Stauffenberg, S. 49; vgl. auch van Roon, Völkerrechtler, S.41. 312 Hoffmann, Stauffenberg, S. 154; von Moltke, Briefe, S. 161; von Moltke, Völkerrecht, S. 174; Fleck, Background, S. 3; Admiral Walter Gladisch war 1933 als Flottenchef verabschiedet worden; er leitete auf Anregung der Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrrecht von 1935 bis 1938 den Ausschuß für Kriegsrecht; nach Kriegsbeginn wurde er zum Reichskommissar beim Oberprisenhof benannt. 313 von Moltke, Völkerrecht, S. 174, 178; van Roon, Völkerrechtler, S. 40; Fleck, Background, S. 7; Lagoni, Gladisch Committee, S. 63. 314 Nachdem sich das Institut und der Ausschuß KR als Beratungsstelle für Völkerrecht zur Verfügung gestellt hatten; Akten Ausschuß, Kriegsrecht; Hoffmann, Stauffenberg, S. 154; Fleck, Background, S. 5; Gassner, Triepel, S. 149. 315 von Moltke, Völkerrecht, S. 200; Akten Ausschuß, Kriegsrecht; Fleck, Background, S. 5, 6; Lagoni, Gladisch Committee, S. 63. 316 von Moltke, Völkerrecht, S. 200; Akten Ausschuß, Kriegsrecht. 317 Vgl. Hoffmann, Stauffenberg, S. 155; Fleck, Background, S. 8; Grewe, Völkerrechtsgeschichte, S. 647; Akten Ausschuß, Kriegsrecht; Seekrieg ist definiert als Kampf um wirtschaftliche und militärische Seeverbindungen; das Seekriegsrecht regelt damit die Befugnis, eine feindliche Seeherrschaft in den Seegebieten zu zerschlagen, die der Gegner für die Aufrechterhaltung seiner wirtschaftlichen und militärischen Seeverbindungen braucht; Salewski, Seekriegsleitung, Bd. III, S. 30, 31.
VIII. Studienausschuß für Kriegsrecht
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risch empfand er seine Tätigkeit in diesem Ausschuß. Hier konnte er sich in sein Interessengebiet vertiefen sowie seinen Neigungen und Veranlagungen nachgehen 319 • Er "avancierte so schnell zum führenden Kopf des Ausschusses und bestimmte trotz äußerlicher Schweigsamkeit das inhaltliche Geschehen der Tagungen,mo, da er all seine Kraft und Verantwortung in diese Aufgabe legte 321 • Endlich konnte er etwas schaffen, eigene rechtliche Regeln formulieren und Einfluß auf das politische Weltgeschehen nehmen 322 • Gerade im Bereich des Seekriegsrechts lag die Aus- und Weiterbildung des Rechts de facto stets in der Hand der führenden Seemächte, zu denen das emporstrebende Dritte Reich gerne gehört hätte 323 . Das Seekriegsrecht war von Natur aus gebunden an die Macht des Stärkeren, der natürlich versuchte, seine Vormachtstellung anderen Nationen aufzuzwingen. Seekriegsrecht ging deshalb stets einher mit dem Prisenrecht, d. h. der Handelskriegsführung zur See 324 . Die Seestreitkräfte erfanden mit der Zeit neue Formen der Kriegsführung. Sie errichteten Blockaden, beschlagnahmten Bannwaren und erbeuteten Schiffe und deren Ware 325 . Um hier reines Faustrecht als typisches Recht des Stärkeren und rechtswidrige Eingriffe in die zivile Han318 Akten Ausschuß, Kriegsrecht; es sollte für die Gebiete See-, Luft-, Landkrieg und Neutralität zunächst ein Katalog mit den wichtigsten Fragen in diesen Bereichen durch die jeweiligen Sachgebietsleiter erstellt werden. 319 Vitzthum, Stauffenberg, S. 15; Vitzthum, Völkerrechtsberater, S. 28; Zeller, Stauffenberg, S. 49; Makarov, Stauffenberg, S. 363. 320 Strebel, Stauffenberg, S. 15; Fleck, Background, S. 7; Akten Ausschuß, Kriegsrecht; dort kann man feststellen, daß die Äußerungen im Laufe der Diskussionen von Bertho1d Graf Stauffenberg verhältnismäßig selten waren; insbesondere griff er meist gegen Ende der Erörterungen ins Geschehen ein, um diese mit einer kurzen und treffenden Formulierung auf den Punkt zu bringen; bekanntlich war er kein Mann von weitschweifenden Ausführungen; er liebte knappe und prägnante Sätze; in dieser Eigenschaft bezeichnet Helmut Strebel ihn in einem Brief an van Roon deshalb als "federführend"; vgl. auch Vitzthum, Stauffenberg, S. 15; Vitzthum, Völkerrechtsberater, S. 28; Donner, Arrned Merchant Ships, S. 16ff.; Mitteilung Hoffmann. 321 Zeller, Stauffenberg, S. 49. 322 Bertho1d Graf Stauffenbergs Denken und Handeln war bestimmt von seiner Überzeugung, daß die Kriegsführung durch das Recht gebändigt werden könnte und müßte; klare und faire Regeln sollten den friedlichen Seehandel soweit wie irgend möglich schonen; VitztllUm, Stauffenberg, S. 16; Vitzthum, Völkerrechtsberater, S.28. 323 Vgl. Scheuner, Seekriegsrecht, S. 229; Salewski, Seekriegsleitung, Bd. III, S. 30, 31. 324 Vgl. Scheuner, Prisenrecht, S. 794; Scheuner, Seekriegsrecht, S. 229; Salewski, Seekriegsleitung, Bd. III, S. 30, 31. 325 Vgl. Scheuner, Seekriegsrecht, S. 229, 230; Scheuner, Prisenrecht, S. 794, 795; Salewski, Seekriegsleitung, Bd. III, S. 70ff.; die von der kriegführenden Macht beschlagnahmten Handelsschiffe und Handelswaren bezeichnet man als Prise; so-
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deisschiffahrt zu venneiden, mußte eine internationale Regelung des Seekriegs- und Prisenrechts gefunden werden. Der Ausschuß für Kriegsrecht entwickelte daher unter führendem Einfluß von Berthold Graf Stauffenberg die am 28. August 1939 in Kraft getretene Prisenordnung und Prisengerichtsordnung 326 •
2. Umfeld und Bedeutung Die Arbeit in diesem Ausschuß und deren Bedeutung für Berthold Graf Stauffenberg ist nicht hoch genug einzuschätzen. Zum einen fand er hier endlich seine Befriedigung in der juristischen Arbeit. Er konnte schaffend und bildend tätig werden sowie Einfluß auf die internationalen Beziehungen zwischen den Völkern nehmen. Zum anderen traf er hier erstmals mit Männern zusammen, die sich wie er bereits vor dem Krieg kritisch gegenüber den Nationalsozialisten geäußert hatten 327 . Er lernte unter anderem die Juristen Helmuth James Graf von Moltke, Peter Yorck Graf von Wartenburg, Adam von Trott zu Solz und Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg kennen328 , wobei ihn insbesondere die Bekanntschaft mit Helmuth Graf Moltke beeindrucken sollte329 • Zunächst kann die Einstellung Berthold Graf Stauffenbergs wie auch die seiner Brüder zum Nationalsozialismus und zu den dahinterstehenden Grundideen als durchaus positiv beschrieben werden 33o. Man wünschte sich nach dem Ersten Weltkrieg eine starke Persönlichkeit, die Deutschland von fern das Seekriegsrecht/Prisenrecht die Beschlagnahme und die Einziehung in einem geregelten Verfahren zuläßt, bezeichnet man sie als gute Prise. 326 Strebei, Stauffenberg, S. 15; Hoffmann, Stauffenberg, S. 154, 155; Vitzthum, Stauffenberg, S. 15; van Roon, Völkerrechtler, S. 41. 327 Hoffmann, Stauffenberg, S. 155. 328 Hoffmann, Stauffenberg, S. 155; Vitzthum, Stauffenberg, S. 17ff.; Vitzthum, Völkerrechtsberater, S. 28, 29; Strebei, Stauffenberg, S. 15. 329 Über diesen: van Roon, Moltke; van Roon, Völkerrechtler; über die Bekanntschaft zu Adam von Trott zu Solz vgl. auch Kaltenbrunner, Opposition, S. 56; Malone, Trott zu Solz, S. 215; über die Gruppe von Widerstandskämpfern allgemein vgl. BaigentlLeigh, Stauffenberg, S. 26, 27. 330 Dies gilt im Übrigen für nahezu alle späteren Widerstandkämpfer, die insbesondere aus purem Patriotismus zunächst außer Stande waren, die Geschehnisse der Machtergreifung und Machtsicherung der Nationalsozialisten kritisch zu beurteilen; die entschiedensten und konsequentesten Gegner des Dritten Reiches aus dem Militär (z.B. Henning von Tresckow, Hans Oster und Helmuth Stieft), aus dem Beamtentum (z.B. earl Goerdeler, Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg und Adam von Trott zu Solz) und aus der katholischen und protestantischen Kirche (z. B. Clemens Graf Gahlen, Michael von Faulhaber, Martin Niemöller und Theophil Wurm) sahen im Nationalsozialismus anfanglich eine unterstützenswerte und zukunftsträchtige Bewegung, die die Befreiung von Versailles und Weimar sowie den glorreichen und souveränen Aufstieg des deutschen Reiches versprach; vgl. Hamerow, Attentäter,
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den Ketten des Versailler Vertrages befreien konnte. Die Brüder Stauffenberg hofften auf ein neues Reich im Sinne der Dichtung Stefan Georges 331 und betrachteten Adolf Hitler 1933 zunächst als Chance, die neuen Ziele und Ideen zu verwirklichen332, ohne jedoch Euphorie und Begeisterung Platz greifen zu lassen333 . Es herrschte zumindest teilweise Pragmatismus, ja Ambivalenz bezüglich der neuen Bewegung334 . Man bejahte die Wiederaufrüstung, das neue Selbstwertgefühl und den wirtschaftlichen Aufschwung, doch man bewahrte sich seine Selbständigkeit, Urteilskraft und Persönlichkeie 35 . Insbesondere Berthold Graf Stauffenberg, der als "ausgesprochen stiller, gütiger und lauterer Charakter,,336 einen ganz extremen Sinn für Recht und Gerechtigkeit besaß, beobachtete die Geschehnisse zunehmend mit der nötigen Distanz und dem unbestechlichen Weitblick337 . Die Entwicklung, die eine Klimax von moralischen Vergehen bis zu kapitalen Verbrechen darstellte, sah er offensichtlich bereits frühzeitig voraus 338 . Seine Aufgabe und sein Ziel, insbesondere durch die Tätigkeit in den Ausschüssen, mußte daher zunehmend die Beibehaltung und Wiederherstellung eines "Rechtsstaates im Sinne eines gerechten Staates" sein339 . Gerade die Einhaltung von völkerrechtlichen Regelungen und Konventionen, die seit Adolf Hitlers Machtergreifung im Jahr 1933 zunehmend verletzt wurden 34o , war sein Hauptanliegen als Völkerrechtler. Für ihn mußte der Staat ebenso wie ein Mensch ein reines Gewissen haben und rechtmäßig handeln 341 . S. 112ff., 128ff., 144ff. und 160ff.; Kaltenbrunner, Opposition, S.447; Bauch, Baum, S. 2. 331 Müller, Stauffenberg, S. 33, 104; Bauch, Baum, S. 2. 332 Kramarz, Stauffenberg, S. 44ff. 333 Hans Walzer bei Kramarz, Stauffenberg, S. 50. 334 Bussmann, Stauffenberg, S. 274. 335 Bussmann, Stauffenberg, S. 274; Kaltenbrunner, Opposition, S. 446; Traber, Baum, S. 1; Rudolf Fahrner bei Kramarz, Stauffenberg, S. 50. 336 Moltke/Balfour/Frisby, Moltke, S. 122; vgl. auch Werner Traber bei Leber, Gewissen, S. 104. 337 Traber, Baum, S. 1; vgl. auch Müller, Stauffenberg, S. 134, 135; Bracher, 20. Juli, S. 21. 338 Adolf Heusinger bei Steinbach, Verhältnis, S. 981. 339 Steinbach, Wiederherstellung, S. 617ff.; selbst NS-Juristen wie der persönliche Anwalt Adolf Hitlers und spätere Generalgouverneur im besetzten Polen, Hans Frank, kritisierten zunehmend, daß Adolf Hitler, der in seiner Kampfzeit selbst den Schutz des Gesetzes genoß, später als Staatsmann nur Verachtung für das Recht hatte; Schudnagies, Frank, S. 19; vgl. zu den Motiven und Zielvorstellungen insbesondere der juristisch ausgebildeten Widerstandskämpfer auch Vitzthum, Rechtsstaat, S. 98, 99 und 106, 107. 340 Beispiele finden sich bei Hoffmann, Widerstand, S. 96; BaigentlLeigh, Stauffenberg, S. 43, 44; Kramarz, Stauffenberg, S. 181, 182. 5·
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Der Ausschuß für Kriegsrecht bot Berthold Graf Stauffenberg die Möglichkeit, mäßigend auf die spätere Kriegsführung einzuwirken und erste Widerstandstätigkeit mit Gleichgesinnten zu tarnen 342 . Hier also liegt der Grundstein der aktiven Widerstandstätigkeit Berthold Graf Stauffenbergs, die bezeichnenderweise unabhängig von seinem Bruder Claus Graf Stauffenberg bereits vor Kriegsbeginn ihre Einleitung fand. Die Bekanntschaft mit Helmuth Graf Moltke343 führte zu einer engeren Zusammenarbeit zweier Völkerrechtler, die beide ihre Aufgabe darin sahen, ihr Amt dafür zu nutzen, das Leiden unschuldiger Menschen zu lindem 344. Durch gegenläufige Maßnahmen konnten sie Befehle und Anordnungen der Reichsregierung bei ihrer dienstlichen Arbeit in den Ausschüssen in Kriegsgefangenen-, Geisel- oder Prisenfragen so in ihrer Wirkung abschwächen, daß "unzähligen Menschen dadurch geholfen wurde,,345. Die beiden verstanden sich sehr gut, ohne jedoch sehr enge Freunde zu werden 346. Helmuth Graf Moltke hielt wohl mehr von Claus Graf Stauffenberg, nannte Berthold Graf Stauffenberg aber dennoch liebevoll "meinen Stauffi" 347. Sie schätzten und achteten sich menschlich wie beruflich und wollten im Dienst am Volke eine einheitliche Widerstandstätigkeit leisten348 . So kam Berthold Graf Stauffenberg zu einer Runde von Männem, die später von der Gestapo Grajengruppe und Kreisauer Kreis bezeichnet wurde. Es handelte sich um einen Gesprächskreis von Freunden, die die Lage und die Zukunftsaussichten zunächst lose, später systematisch erörterten sowie Reformvorschläge ausarbeiteten und diskutierten 349. Helmuth Graf Moltke galt dabei als Herz des Kreises, Peter Yorck von Wartenburg Steinbach, Wiederherstellung, S. 617ff. von Moltke, Völkerrecht, S. 24; van Roon, Völkerrechtler, S. 41; vgl. Fleck, Background, S. 6. 343 Vgl. van Roon, Völkerrechtler, S.40, 41; Helmuth Graf Moltke war seit Kriegsbeginn als Kriegsverwaltungsrat in dem von Admiral Wilhelm Canaris geleiteten Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht eingesetzt; Vitzthum, Stauffenberg, S. 17. 344 Moltke/Balfour/Frisby, Moltke, S. 122; während Berthold Graf Stauffenberg im Oberkommando der Marine primär den Seekrieg im Blick hatte, mußte sich Helmuth Graf Moltke im Oberkommando der Wehrmacht mit der Kriegsführung insgesamt befassen; unter Keitel und Jodl, den hitlertreuen Chefs der Wehrmachtsführung, hatte er deshalb einen besonders schweren Stand; Vitzthum, Stauffenberg, S. 17; Vitzthum, Völkerrechtsberater, S. 29; Makarov, Stauffenberg, S. 363. 345 Hoffmann, Militärischer Widerstand, S. 397; Vitzthum, Stauffenberg, S. 18; Beispiele finden sich bei Traber, Baum, S. 1. 346 von Moltke, Briefe, S. 509. 347 von Moltke, Briefe, S. 509. 348 Vgl. Moltke/Balfour/Frisby, Moltke, S. 122; von Moltke, Briefe, S. 68. 349 Finker, Stauffenberg, S. 185; Frohn, Yorck von Wartenburg, S. 368; Hoffmann, Widerstand, S. 147, 248; Einzelheiten zu Staatsform, Staatsorganen und de341
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als Kopf der Gruppe 350. Ohne diesem Kreis fest anzugehören nahm Berthold Graf Stauffenberg im Laufe der Zeit nachweislich mindestens viermal an Besprechungen der Kreisauer tei1 351 . Obwohl ihm der Kreis zu unrealistisch und zu theoretisch arbeitete, war dies ein erster Anfang. Im Juni 1936 heiratete Berthold Graf Stauffenberg seine Verlobte Maria Classen. Da sein Meister und Mentor Stefan George bereits seit 1931 gegen die Verlobung seines Schülers mit dieser Frau war, hatte er zunächst Abstand von einer Hochzeit genommen352 . Der Dichter hatte sich im Jahr 1932 ausdrücklich gegen eine Heirat ausgesprochen. Um diese zu verhindern, schickte er sogar Frank Mehnert zu Berthold Graf Stauffenberg353 . So kam es über Jahre hinweg zu keinem ständigen Zusammenleben oder gar zu einer gesellschaftlichen Normalisierung zwischen den Verlobten. Erst nach dem Tode Stefan Georges im Dezember 1933 und Alfred Graf Stauffenbergs im Januar 1936 konnte er sich zu einer Heirat mit Maria Classen durchringen 354 . Trotz Bedenken von Familienmitgliedern, die stets die Größe und den Glanz des Hauses Stauffenberg zur Begründung ihrer Bedenken vortrugen, entschied er sich nach langen Gesprächen mit seinen Brüdern und engen Freunden des Stefan-George-Kreises für diese Heirat, nachdem Maria Classen bereits einmal auf Grund der Hoffnungslosigkeit ihrer Lage nach Rußland zurückkehren wollte und nur mit Mühe von Berthold Graf Stauffenbergs Onkel umgestimmt werden konnte 355 • Die Hochzeit fand am 20. Juni 1936 in Berlin-Zehlendorf statt. Die Hochzeitsreise im August 1936 führte die Vermählten nach Venedig und Dalmatien356 . Die Eheleute bezogen ab September 1936 die erste gemeinren Ernennung bzw. Wahl, wie sie vom Kreisauer Kreis geplant wurden, bei Hoffmann, Widerstand, S. 247-253. 350 Steinbach, Yorck von Wartenburg, S. 344; Marion Yorck von Wartenburg bei von Meding, 20. Juli, S. 189; von Schwerin, 20. Juli, S. 73, 77; von Schwerin, Widerstand, S.247; von Klemperer, Trott zu Solz, S.318; Heinemann, Hofacker, S. 112, 113. 351 Moltke/Balfour/Frisby, Moltke, S. 191, 192; anders Zeller, Stauffenberg, S. 50, 51; sicher ist wohl, daß Berthold Graf Stauffenberg Helmuth Graf Moltke schätzte, jedoch die Treffen im Kreisauer Kreis als zu unrealistisch und zu theoretisch empfand; insofern führte ihn seine geistige Veranlagung, die von ihm praktische Initiativen forderte; Zeller, Stauffenberg, S. 50, 51; Achmann/Bühl, 20. Juli, S. 191. 352 Baigent/Leigh, Stauffenberg, S. 151, 152; Mitteilung Stauffenberg. 353 Hoffmann, Stauffenberg, S. 156. 354 Baigent/Leigh, Stauffenberg, S. 151, 152; Hoffmann, Stauffenberg, S. 156. 355 Hoffmann, Stauffenberg, S. 156; über die Person Maria Classens ist wenig bekannt; Mitteilung Stauffenberg: Berthold Graf Stauffenberg lernte sie im Hause seiner Eltern kennen; sie hatte großen, persönlichen Charme, konnte Berthold Graf Stauffenberg in der Sache jedoch nicht beeinflussen; er war unbeeinflußbar. 356 Hoffmann, Stauffenberg, S. 156.
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same Wohnung in Berlin-Wilmersdorf, Konstanzerstraße 14357 • Aus dieser Ehe gingen schließlich zwei Kinder hervor: im November 1937 der Sohn Alfred und im Juni 1939 die Tochter Elisabeth358 . IX. Oberkommando der Wehrmacht 1. Stellung und Aufgabe
Ende der dreißiger Jahre überschlugen sich die politischen und weltgeschichtlichen Ereignisse. Die Sudetenkrise konnte in letzter Minute durch das Münchener Abkommen friedlich beigelegt werden. Das November-Progrom und die Reichskristallnacht stellten die ersten traurigen Höhepunkte in der nun folgenden grausamsten Judenverfolgung aller Zeiten dar. Anfang 1939 kam es zur Besetzung von Böhmen und Mähren sowie zum Einmarsch der Hitlertruppen im litauischen Memelgebiet. Richard Chamberlains Garantieerklärung für Polen wurde im August 1939 durch den Nichtangriffspakt zwischen Adolf Hitler und Josef Stalin de facto ad absurdum geführt und bedeutete die strategische Isolation Polens. Den darauffolgenden britisch-polnischen Beistandsvertrag beantwortete Nazi-Deutschland am 01. September 1939 mit dem Angriff auf Polen. In dieser Zeit, als völkerrechtliche Verträge geschlossen und gebrochen wurden, wie es den Vertragsparteien gerade beliebte, als die weltpolitische Lage auf den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zusteuerte, wurde Berthold Graf Stauffenberg als Reserveoffizier zum Oberkommando der Marine eingezogen359 • Auf Grund seiner speziellen und hervorragenden Kenntnisse im Völkerrecht und insbesondere im Seekriegs- und Prisenrecht wurde er zum völkerrechtlichen Berater der von Korvettenkapitän Alfred Kranzfelder geleiteten Abteilung Seekriegsführung im Rang eines Marineintendanturrates bzw. später eines Marineoberstabsrichters der Reserve emanne 60 . Trotz seiner Einberufung zur Kriegsmarine blieb er jedoch weiterhin Mitglied des Kaiser-Wilhelm-Instituts, das während des Krieges direkt dem Oberkommando der Wehrmacht unterstellt war. Da das Oberkommando der Marine aber seine ganze Zeit in Anspruch nahm, kam er in den folgenden Kriegsjahren nur noch selten in das Institue61 . Schließlich wurde sogar sein Hoffmann, Stauffenberg, S. 142, 156. von Hueck, Handbuch, S. 304, 305. 359 Hoffmann, Stauffenberg, S. 183; Makarov, Stauffenberg, S. 363; Achmannl Bühl, 20. Juli, S. 28; Leber, Gewissen, S. 104; Zieg1er, Völkerrechtsgeschichte, S.253. 360 Vitzthum, Stauffenberg, S. 16; Vitzthum, Völkerrechtsberater, S. 28; Hoffmann, Widerstand, S. 50; John, 20. Juli, S. 11; Achmann/Büh1, 20. Juli, S. 111; Leber, Gewissen, S. 104; Salewski, Seekriegsleitung, Bd. I, S. 104; Graf, Kranzfelder, S. 1; zwischenzeitlich wohl auch als Geschwaderrichter; Jessen, Daten, S. 9. 357 358
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Arbeitszimmer im Institut Helmuth Graf Moltke zugewiesen, der während der Kriegsjahre eine vergleichbare Stellung als Völkerrechtsberater im Oberkommando der Wehrmacht innehatte362 . So konnte eine bereits bestehende Verbundenheit und Widerstandstätigkeit zwischen diesen beiden Grafen ganz legal und ohne größere Schwierigkeiten auch in Kriegszeiten aufrechterhalten werden 363 . Als juristischer Berater im Oberkommando der Marine hatte Berthold Graf Stauffenberg keine Weisungsbefugnis. Seine juristischen Ansichten, die vor allem von der Überzeugung einer durch das Völkerrecht gebundenen Kriegsführung geprägt waren, konnte er deshalb nur gutachtlich vortragen 364 . Er mußte täglich aus den anfallenden Unterlagen - z. B. dechiffrierte Feindbefehle, Aufsätze und Mitteilungen in militärischen Zeitschriften, Nachrichten von Abwehrleitstellen, Berichte der Militärattachees und Auslandsrnissionen - kurze juristische Stellungnahmen und Gutachten zu den Vorfällen anfertigen, die völkerrechtlich relevant waren 365 • Mit anderen Worten, er mußte wiederum, wie schon bei seiner Tätigkeit im Institut, den Machenschaften der Regierung "das Mäntelchen der völkerrechtlichen Legalität umhängen" und diese als juristisch unbedenklich und moralisch korrekt darstellen. Dadurch bekam Berthold Graf Stauffenberg einen tiefen Einblick in die tatsächlichen Geschehnisse und Vorgänge. Es darf davon ausgegangen werden, daß diese Erfahrungen seinen bereits aufflammenden Widerstandsgeist nur bestärkt haben366 . Immer wieder wurden Berthold Graf Stauffenberg und seinen Mitarbeitern Fälle von Völkerrechtsverletzungen durch deutsche Truppen be361 362
Makarov, Stauffenberg, S. 363. von Moltke, Briefe, S.76; Makarov, Stauffenberg, S. 363; Gassner, Triepel,
S.148.
363 So zum Beispiel eine gemeinsame Dienstreise von Berthold Graf Stauffenberg und Helmuth Graf Moltke zum Prisengericht nach Hamburg am 25. April 1940; Moltke/Balfour/Frisby, Moltke, S. 122; vgl. zur gemeinsamen Arbeit Berthold Graf Stauffenbergs und Helmuth Graf Moltkes im Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Gassner, Triepel, S. 148, 149. 364 von Moltke, Völkerrecht, S. 22, 23; Makarov, Stauffenberg, S. 363; Gassner, Triepel, S. 148, 149. 365 Vgl. von Moltke, Völkerrecht, S. 22; für die Beobachtung und Beurteilung der völkerrechtlich relevanten Fragen war, soweit sie nicht in den Bereich des lc Alfred Kranzfelder fielen, eine Referentengruppe unter der Leitung von Ministerialrat Dr. Curt Eckhardt zuständig; dieser Gruppe gehörte auch Berthold Graf Stauffenberg an; Salewski, Seekriegsleitung, Bd. I, S. 104; Jessen, Daten, S. 39; vgl. auch Hueck, Völkerrechtswissenschaft, S. 21, 27. 366 Helmuth Graf Moltke beklagte sich ausdrücklich mehrmals über die besonders aggressive und gefährliche Politik der Seekriegsleitung; von Moltke, Völkerrecht, S. 23; Beispiele für Fälle von Völkerrechtsverletzungen sind genannt bei Traber, Baum, S. 1; vgl. auch Hueck, Völkerrechtswissenschaft, S. 21.
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kannt 367 . Er versuchte, seinen Einfluß dahingehend geltend zu machen, der Verwilderung des Kriegsrechts entgegenzuwirken368 . Als juristischer Berater "beantwortete er deshalb alle an ihn herangetragenen Fragen mit der Unerbittlichkeit des Rechtskundigen und wirkte so insbesondere bei den täglichen Lagebesprechungen als unbestechlicher Maßhalter369 • Sonst im Oberkommando der Marine nur als schweigsamer Offizier bekannt, ergriff er zwar nur selten das Wort, dann aber kurz und klar. Er vertrat eine feste eigene Stellung, ohne sich dabei zu ereifern, und hob so jedes Schwanken in einer Rechtsentscheidung auf. Auf diese Weise hat er viel Unrecht verhindert, allein durch seine Existenz, aber auch weil er die oberste Seekriegsleitung immer wieder durch seine ruhige Art zu verhältnismäßig anständiger Kriegsführung überreden konnte'.37o. 2. Verbündete und Entwicklung
Neben den tagtäglichen Besprechungen und Diskussionen über die Lage in den Kriegsgebieten und den Versuchen, Regierungsbefehle möglichst milde auszulegen und human zu vollziehen, galt es für Berthold Graf Stauffenberg zunehmend, Gleichgesinnte und Vertraute zu finden. Neben den bereits erwähnten Helmuth Graf Moltke, Adam von Trott zu Solz, Peter Yorck Graf von Wartenburg und Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg, die er von seiner Tätigkeit im Kaiser-Wilhelm-Institut und in den Fachausschüssen kannte, widmete er sich deshalb vermehrt der Aufgabe, seine eigene Waffengattung, die Marine, nach potentiellen Mitverschwörern zu durchleuchten. Doch dieses Unterfangen war schwierig und wenig erfolgversprechend. Nach den Ereignissen der Kieler Meuterei von 1918 war die Marine ein stets gesonderter und abgeschlossener Truppenteil37l , der auch Adolf Hitler Hoffmann, Stauffenberg, S. 389; Ambrosius, Stauffenberg, S. 1. Berthold Graf Stauffenberg und Helmuth Graf Moltke bemühten sich, durch Ihre Gutachten "aus den vorhandenen Normen des Kriegsführungsrechts im Interesse der Menschlichkeit und Verhütung unnötiger Leiden alles Erreichbare herauszuholen"; Gassner, Triepel, S. 148, 149; Zeller, 20. Juli, S. 251; Zeller, Claus und Berthold, S. 244. 369 Zeller, Stauffenberg, S. 50; Traber, Baum, S. 2. 370 Ebenso wie Helmuth Graf Moltke pflegte Berthold Graf Stauffenberg seinen Vorgesetzten deutlich die Wahrheit über die Völkerrechtswidrigkeit bestimmter Maßnahmen zu sagen; sie wiesen als Völkerrechtler - gelegentlich auch mit Erfolg - darauf hin, daß bestimmte Befehle völkerrechtswidrig waren und auf Grund der Reziprozitätswirkung des Völkerrechts gerade dies für den Rechtsbrecher selbst fatale Folgen haben könne; sie vestanden es gerade als ihr Amt als Vökerrechtler, Unrecht auch deutlich Unrecht zu nennen; Vitzthum, Stauffenberg, S. 20; Vitzthum, Völkerrechtsberater, S. 29, 30; vgl. Zeller, 20. Juli, S. 251; Zeller, Claus und Berthold, S. 245; Bauch, Baum, S. I; Gassner, Triepel, S. 148, 149. 367 368
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grundsätzlich loyal gegenüberstand372 . Der Kreis der Personen, die von Berthold Graf Stauffenberg innerhalb der Marine für eine Aktion gegen Adolf Hitler gewonnen werden konnten, blieb deshalb stets sehr klein 373 . Der engste Vertraute, den er fand, war der Abteilungsleiter des politischen Referats in der Seekriegsleitung, Alfred Kranzfelder374 • Dieser hoch ausgezeichnete Soldat war als Verbindungsoffizier zum Auswärtigen Amt tätig und seit Berthold Graf Stauffenbergs Eintritt in das Oberkommando der Marine mit ihm eng befreundee 75 • Gemeinsam konnten sie die Marineoffiziere Sydney Jessen, Feindlage-Berater in der Nachrichtenabteilung der Seekriegsleitung, und Max Kupfer, Chef der Abteilung Nachrichtenübermittlungsdienst, gewinnen376 • Weitere Anwerbungsversuche wurden aus den bekannten Gründen sowie aus der Überlegung heraus, daß die Marine bei einem aktiven Umsturzversuch technisch nicht behilflich sein konnte, nicht unternommen 377 • So blieb Berthold Graf Stauffenberg als Verbindungsmann zu seinem Bruder Claus Graf Stauffenberg im Generalstab des Heeres die entscheidende Schaltstelle zwischen Marine und Heer378 . Ein aktiver Verschwörerkreis in der Marine konnte nicht gebildet werden, Berthold Graf Stauffenbergs Freunde waren zum passiven Mitwissen verurteilt 379 . Aber für den Tag des geplanten Achmann/Bühl, 20. Juli, S. 31; Baum, Marine, S. 16. Vgl. Baum, Marine, S. 26ff.; Müller, Stauffenberg, S. 339, 340; Jessen, Daten, S. 9. 373 Zeller, Stauffenberg, S. 186; Jessen, Daten, S. 9. 374 Alfred Kranzfelder, geboren 1907 in Kempten/ Allgäu, war wie Berthold Graf Stauffenberg hochintelligent, gebildet, belesen und feinnervig; Zeller, 20. Juli, S. 289; als Offizier war er ausgezeichnet und seine Kameradschaft war anerkannt; dennoch erschwerte ihm eine gewisse Verschlossenheit den Zugang zu den Kameraden, so daß er vielen von diesen fremd blieb; nur mit solchen, bei denen er geistige Verwandtschaft und Gemeinsamkeiten traf, schloß er engere Freundschaft, so insbesondere mit dem kaum älteren Berthold Graf Stauffenberg; Achmann/Bühl, 20. Juli, S. 111; Graf, Kranzfelder, S. 1. 375 Achmann/Bühl, 20. Juli, S. 111; Graf, Kranzfelder, S. 1. 376 Zeller, Stauffenberg, S. 316; Walter Baum bei Kramarz, Stauffenberg, S. 279; Sydney Jessen, geboren 1891, Korvettenkapitän z. V.; siehe Jessen, Daten, und Jessen, Baum; Max Kupfer, geboren 1897, Kpt.z.S.; siehe Kupfer, Person, und Kupfer, Baum; außer Berthold Graf Stauffenberg und Alfred Kranzfelder wurden keine Angehörigen der Marine im Zusammenhang mit den Ereignissen des 20. Juli 1944 hingerichtet, obwohl es zumindest weitere Mitwisser gab: Kunsthistoriker Korvettenkapitän d. R. Kurt Bauch, Fregattenkapitän Arnold Mardersteig, Korvettenkapitän d. R. Otto Mejer und Admiralrichter Dr. Curt Eckhardt; Zeller, 20. Juli, S. 290, 291; auf Grund der Verschwiegenheit aller Beteiligten blieben diese jedoch unentdeckt. 377 Müller, Stauffenberg, S. 339, 340; Baum, Marine, S. 30. 378 Vgl. Steinbach, Yorck von Wartenburg, S. 244; Kaltenbrunner, Opposition, S. 55, 115. 379 Baum, Marine, S. 27. 371
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Putschversuches standen sie als Beobachter und heimliche Helfer zur Verfügung 38o . Das Oberkommando der Marine, das zunächst seinen Sitz direkt in Berlin am Tirpitzufer, und damit in unmittelbarer Nähe zum Oberkommando des Heeres in der benachbarten Bendlerstraße hatte, wurde im November 1943 auf Grund zunehmender schwerer Luftangriffe auf Berlin dezentralisiert381 • Das Kommando wurde nun auf zwei Lager im Norden Berlins aufgeteilt: das Lager Bismarck bei Eberswalde und das Lager Koralle bei Bernau382 . Damit war Berthold Graf Stauffenberg zwar örtlich dem politischen Geschehen in der Hauptstadt entzogen, doch fand er stets eine dienstliche Gelegenheit für eine Fahrt nach Berlin. Offiziell gehörte Berthold Graf Stauffenberg auch während seiner Wehrdiensttätigkeit im Oberkommando der Marine dem Mitarbeiterstab des Kaiser-Wilhelm-Instituts an, das er jedoch mit Zunahme der kriegerischen Auseinandersetzungen immer weniger besuchte383 . Zunächst hatten Viktor Bruns und Ernst Schmitz als Leiter des Instituts bei Kriegsbeginn versucht, das Institut geschlossen der Wehrmacht unterstellen zu lassen384 . Das Institut wie auch die bereits erwähnten Ausschüsse sollten auf diese Weise als Beratungsstellen für Völkerrecht der Wehrmacht und der Regierung zur Verfügung stehen. Das Institut wurde deshalb faktisch der Amtsgruppe Ausland! Abwehr, Abteilung Ausland, des Oberkommandos der Wehrmacht angegliedert, ohne jedoch seine ursprünglichen wissenschaftlichen Aufgaben völlig aufzugeben385 • Mit zunehmender Kriegsaktivität wurden jedoch die wissenschaftlichen Aufgaben des Instituts in den Hintergrund gedrängt, so daß sich Berthold Graf Stauffenberg und Helmuth Graf Moltke gemeinsam um eine Reaktivierung des Instituts in seinem ursprünglichen Sinne bemühten386 • Dazu gehörten auch die Versuche, nach dem Tode des Institutsdirektors Viktor Bruns im September 1943, Berthold Graf Stauffenbergs Ernennung als Nachfolger des Institutsleiters zu erreichen387 . Admiral Wilhelm Canaris, Leitet der Amtsgruppe Ausland! Abwehr, schlug Berthold 380 381 382
S.28.
Hoffmann, Widerstand, S. 425; Müller, Stauffenberg, S. 455. Müller, Stauffenberg, S. 339; Zeller, 20. Juli, S. 260; Baum, Marine, S. 28. Hoffmann, Widerstand, S. 425; Müller, Stauffenberg, S. 339; Baum, Marine,
Makarov, Stauffenberg, S. 363. von Moltke, Briefe, S. 66, 67. 385 von Moltke, Völkerrecht, S. 176. 386 von Moltke, Briefe, S. 506. 387 Viktor Bruns war im September 1943 nach langer, schwerer Krankheit verstorben; er selbst hatte im Mai 1942 folgende Nachfolge regeln wollen: "Im Falle meines Ablebens kommen m. E. als Nachfolger in der Leitung des Instituts nur Professor Bilfinger, Graf von Stauffenberg oder Professor Scheuner in Frage ... "; Hueck, Völkerrechtswissenschaft, S. 28. 383
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x. UmstUfzplanung
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Graf Stauffenberg offiziell als Viktor Bruns Nachfolger vor und Helmuth Graf Moltke sowie Werner Oxe388 unterstützten dessen Kandidatur im Namen des Oberkommandos der Wehrmache 89 . Telschow, Geschäftsführer des Instituts und Direktor der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, setzte sich als eingefleischter Nationalsozialist jedoch für einen Verwandten von Viktor Bruns ein, der dem Regime treu ergeben war. Gemeinsam intrigierten diese sodann gegen Berthold Graf Stauffenberg, so daß er den Posten des Institutsleiters nicht erhielt39o. X. Umsturzplanung
1. Gründe und Tätigkeit
Bei Berthold Graf Stauffenberg, bei seinen Brüdern und auch bei vielen anderen Widerstandskämpfern waren in den zwanziger und dreißiger Jahren durchaus Sympathien für die vom Nationalsozialismus verfolgten Ziele VOThanden 391 . Doch die von der NSDAP formulierten Grundsätze waren mit denen Berthold Graf Stauffenbergs nur scheinbar identisch, da dieser der Welt und dem Kreis um Stefan George angehörte 392. Er lebte in der Welt der Dichtung und Literatur, ihm ging es um Grundwerte der Schöpfung, um Tradition und geistige Verpflichtung. So verwundert es nicht, daß Berthold Graf Stauffenberg, wie andere Widerstandskämpfer auch, im Laufe der Zeit zu der Überzeugung gelangte, daß "die zunächst gesunden Grundideen des Nationalsozialismus in der Durchführung durch das Regime fast alle in ihr Gegenteil verkehrt wurden und deshalb die Rassengrundsätze zwar an sich bejaht, im Laufe der Zeit jedoch für überspitzt und übersteigert gehalten werden mußten,,393. Es ist äußerst schwierig, einen Zeitpunkt für den Beginn der aktiven Widerstandstätigkeit Berthold Graf Stauffenbergs zu nennen. Bei der Entwicklung vom Sympathisanten des Reiches zum Gegner des Regimes handelte es sich um einen Prozeß der Einsicht und Erfahrung, der nicht auf 388 Oberst Werner Oxe, unmittelbarer Vorgesetzter Helmuth Graf Moltkes; von Moltke, Völkerrecht, S. 22. 389 von Moltke, Briefe, S. 548, 549; Moltke/Balfour/Frisby, Moltke, S.272ff.; Hueck, Völkerrechtswissenschaft, S. 28. 390 von Moltke, Briefe, S. 548, 549; Moltke/Balfour/Frisby, Moltke, S. 272ff.; Hueck, Völkerrechtswissenschaft, S. 28. 391 Kaltenbrunner, Opposition, S. 447; Vitzthum, Stauffenberg, S. 30; Hamerow, Attentäter, S. 104, 105; vgl. auch Fußnote 330; Mitteilung Partsch. 392 Vgl. Kapitel III; Vitzthum, Stauffenberg, S. 29; Greiffenhagen, Stauffenberg, S.26. 393 Kaltenbrunner, Opposition, S.447, 448, 450; Vitzthum, Stauffenberg, S. 30, 31; Hamerow, Attentäter, S. 104, 105.
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1. Teil: Person und Beruf
Grund eines einzelnen Ereignisses erfolgte und kurzfristig vollzogen war394 . Bekannt ist jedoch, daß Berthold Graf Stauffenberg bereits Ende der dreißiger Jahre Kontakt zu dem Kreis späterer entschiedener Hitler-Gegner um Helmuth Graf Moltke hatte und gerade dieser Kreis von Anfang an extrem gegen nationalsozialistisches Gedankengut eingestellt war395 • So darf mit Sicherheit davon ausgegangen werden 396 , daß Berthold Graf Stauffenberg bereits vor Kriegsbeginn mit kritischen Gedanken, Gegenthesen und anti-nationalsozialistischen Argumenten konfrontiert wurde, die er in der ihm eigenen Stille sorgfältig geprüft und überdacht hat. Im Laufe der Zeit, insbesondere während des Krieges, bekam er auf Grund seiner gesellschaftlichen und beruflichen Stellung mehr und mehr Einblick in das verbrecherische System des Nationalsozialismus 397 • Es ist anzunehmen 398 , daß sein widerständiger Geist mit jeder neuen Erfahrung und Kenntnisnahme von illegalen Maßnahmen wuchs 399 . Anfangliche Skepsis und Zweifel am Recht zum Widerstand wandelten sich im Laufe der Zeit zu der Überzeugung, daß Widerstand auf Grund der gesellschaftlichen Vorrangstellung, der humanistischen Geisteshaltung und der Georgeschen Verpflichtung dem Staat gegenüber nunmehr geboten, ja sogar verlangt sei 4OO • 394 Vgl. Vitzthum, Stauffenberg, S. 28; Vitzthum, Völkerrechtsberater, S. 32; vgl. auch Zeller, Claus und Berthold, S. 234, über Claus Graf Stauffenberg; siehe hierzu allgemein Hamerow, Attentäter. 395 Vgl. Vitzthum, Stauffenberg, S. 29; Vitzthum, Völkerrechtsberater, S. 32. 396 Vgl. Mitteilung Partsch. 397 Wilhelm Grewe berichtet von Zusammenl,