Übersetzung und Linguistik [Reprint 2021 ed.]
 9783112576724, 9783112576717

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SVEJCER Ü B E R S E T Z U N G UND L I N G U I S T I K

SAMMLUNG AKADEMIE-VERLAG 47

SPRACHE

A L E K S A N D R D. SVEJCER

ÜBERSETZUNG UND LINGUISTIK

AKADEMIE-VERLAG 1987

BERLIN

Titel der Originalausgabe: üepeBOfl H jiiiHriiHCTHKa O ra3eTH0—HH$0pMai(H0HH0M h BoeHHo—ny6jiHi(HCTHHecKOM nepeBORe Ubersetzung aus dem Russischen: Claus Cartellieri, Manfred Heine In deutscher Sprache herausgegeben und bearbeitet von Albrecht Neubert unter Mitarbeit von B r i g i t t a Schrade

I S B N 3-05-000418-5 I S S N 0138-550X Erschienen im Akademie-Verlag Berlin, Leipziger Str. 3 - 4 , Berlin, DDR - 1086 © der deutschsprachigen Ausgabe Akademie-Verlag Berlin 1986 Lizenznummer: 202 • 100/113/87 Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: V E B Druckerei „Gottfried Wilhelm Leibniz", 4450 Gräfenhainichen • 6581 L e k t o r : Dr. Gisela Leiste L S V 0805 Bestellnummer: 753 124 7 (7547) 01800

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung des Autors Vorwort zur deutschen Ausgabe I. Allgemeine linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie . . . . 1. Übersetzen als Untersuchungsgegenstand verschiedener Wissenschaften 2. Die Entwicklung der zeitgenössischen Sprachwissenschaft und die Grundrichtungen der Übersetzungstheorie — Die Theorie der gesetzmäßigen Entsprechungen — Übersetzungstheorie und strukturelle Sprachwissenschaft . . . — Generative Grammatik und Übersetzen — Die Komponentenanalyse — Das semantische Modell — Das Situationsmodell 3. Übersetzung und Textlinguistik 4. Übersetzen als Kommunikationsakt II. Semantische Probleme der Übersetzung 1. Zur Anwendung der grammatischen Transformation 2. Zur lexikalischen und syntaktischen Paraphrasierung 3. Zur Anwendung des situativen Modells III. Stilistische Probleme der Übersetzung 1. Die Übertragung der funktionellen Eigenschaften der Äußerung . 2. Die Übertragung einiger Besonderheitendes Stils der Presse und der Publizistik beim Übersetzen — Zeitungsüberschriften — Die Struktur der Pressemeldung — Unterschiede in der Häufigkeit lexikalischer Einheiten — Die Übersetzung von Klischees

7 10 13 13 24 24 34 40 48 51 57 63 70 89 89 101 119 137 138 151 151 158 166 169

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Inhaltsverzeichnis — Stilistische M o d i f i z i e r u n g e n — K o m p r e s s i o n des T e x t e s 3. Die Ü b e r t r a g u n g einiger B e s o n d e r h e i t e n d e r M i l i t ä r p u b l i z i s t i k

173 177 . .

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IV. Pragmatische Aspekte der Übersetzung

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Zusammenfassung

219

Literatur

225

Personenregister

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Vorbemerkung des Autors

Der Beruf des Übersetzers und Dolmetschers gehört zu den ältesten der Welt, seine Ausübung hat jedoch zu keiner Zeit im Verlaufe der vielhundertjährigen Geschichte ein so großes Ausmaß angenommen, wie das in den letzten J a h r zehnten der Fall ist. Von der immer umfangreicher werdenden Literatur entfällt ein beträchtlicher Teil auf Ubersetzungen. Übersetzer und Dolmetscher spielen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der internationalen Beziehungen auf dem Gebiet des wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Austauschs, denn sie helfen den Sprechern verschiedener Sprachen, die Sprachbarrieren zu überwinden. Es ist deshalb auch keineswegs verwunderlich, wenn sich gerade heute die Notwendigkeit einer theoretischen Verallgemeinerung der praktischen Erfahrungen beim Übersetzen und Dolmetschen dringlicher als je zuvor ergibt. Die Übersetzungstheorie, die gegenwärtig eine stürmische Entwicklung durchläuft, ist eines der jüngsten Gebiete der Sprachforschung. I n den letzten Jahren sind im Rahmen dieser Disziplin zahlreiche neue Richtungen entstanden, die sich auf verschiedene Strömungen der zeitgenössischen Sprachwissenschaft stützen. Sie interpretieren den Übersetzungsvorgang und seine Ergebnisse von ihrem jeweiligen Standpunkt aus. Wenn es sich dabei zuweilen lediglich um Bestrebungen handelt, bereits Geläufiges in neue Begriffe zu kleiden, so gibt es doch auch neue Auffassungen zu praktischen und theoretischen Fragen des Übersetzens. Die Arbeit verfolgt zwei Zielstellungen: Erstens will sie den Leser in die Problematik der linguistischen Theorie des Ubersetzens einführen und ihn in einer leicht faßlichen Art mit den grundlegenden theoretischen Modellen für den Übersetzungsvorgang vertraut machen, und sie will zweitens aufzeigen, auf welche Weise diese Modelle bei der Übersetzung von publizistischen Texten Anwendung finden. Mit der Darstellung des Beispielmaterials zum Übersetzen von Texten aus Zeitungen und anderen publizistischen Quellen sollen nicht nur allgemeine theoretische Aussagen belegt werden; vielmehr geht es u m eine systematische Beschreibung der spezifischen Aspekte solcher Texte.

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Vorbemerkung des Autors

Die Arbeit umfaßt vier Kapitel. Das erste Kapitel enthält eine knappe Darstellung des gegenwärtigen Standes der linguistischen Theorie für das nichtmaschinelle, traditionelle Übersetzen. Es wird der Versuch unternommen anzudeuten, welche Möglichkeiten aus den Resultaten der gegenwärtigen Sprachwissenschaft für die Ausarbeitung einer Theorie des Übersetzens erwachsen. Vor allem wird dabei auf die Richtungen eingegangen, die die Besonderheiten der natürlichen Sprachen und den Prozeß der Redetätigkeit in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen stellen. Dieses Kapitel will auch die Frage des Verhältnisses der linguistischen zur literaturwissenschaftlichen Übersetzungstheorie beleuchten. Weiterhin wird der Übersetzungsprozeß in Begriffen der Kommunikationstheorie dargestellt, und die Ausgangsbegriffe werden definiert. Das zweite Kapitel will zeigen, wie die denotative Bedeutung einer Äußerung wiedergegeben werden kann. Daneben erfolgt eine Bewertung der für Theorie und Praxis des Übersetzens möglichen Anwendung einiger Verfahren der Komponentenanalyse in Verbindung mit Modellen der Transformationsgrammatik, der semantischen Synthese und der „situativen Grammatik". Das dritte Kapitel ist dem Problemkreis „Übersetzen und Stilistik" gewidmet. Es behandelt Fragen, die sich auf die Wiedergabe solcher Funktionen eines Sprechaktes beziehen, die gelegentlich in eine „Stilistik der Rede" verwiesen werden. Unsere besondere Aufmerksamkeit richtet sich dabei auf eine Gegenüberstellung der Rolle dieser Funktionen in Quellen- und Zielsprache und der in ihnen dafür aufgewendeten sprachlichen Mittel. Insbesondere wird ein Vergleich der expressiven Funktion und der Mittel für ihre Verwirklichung im Englischen und Deutschen angestellt; es werden die Ergebnisse der vergleichenden Stilistik herangezogen und entsprechende Schlußfolgerungen für die Theorie und Praxis des Übersetzens abgeleitet. Dazu gehört auch die Feststellung, daß beim Übersetzen funktionalstilistische Besonderheiten zu berücksichtigen sind, wie sie unter anderem in publizistischen Texten des verglichenen Sprachenpaares beobachtet werden können. Diese Vergleiche und entsprechende Schlußfolgerungen werden nicht nur für den in dieser Arbeit betrachteten Funktionalstil, sondern auch für seine genrespezifischen Einzelfälle präzisiert; den funktionalen genrespezifischen Unterschieden, die in das Gebiet der Struktur des Textes (discourse structure) gehören, wird dabei gebührende Beachtung zuteil. Thema des vierten Kapitels sind die pragmatischen Aspekte des Übersetzens. In diesem Kapitel soll gezeigt werden, daß bei der Übersetzung die unterschiedliche Aufnahme eines gegebenen Textes oder einer Mitteilung durch die Teilnehmer des Kommunikationsaktes berücksichtigt werden muß. Das entspricht einem Fragekomplex, der in der Praxis normalerweise mit der Aussage „der Leserkreis muß berücksichtigt werden" charakterisiert wird.

Vorbemerkung des Autors

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Die wesentlichen Schlußfolgerungen aus den Darlegungen der vier Kapitel erscheinen in einer „Zusammenfassung". Die vorliegende Arbeit ist für einen breiten Leserkreis bestimmt — f ü r den Übersetzer in der Praxis, für Studenten an sprachausbildenden Hochschulen und für alle, die sich für die theoretischen und praktischen Probleme des Übersetzens interessieren. Der Verfasser möchte den Herren Professoren L. S. Barchudarov, V. G. Gak und L. L. Neljubin seinen herzlichen Dank f ü r ihre wertvollen Ratschläge und Hinweise aussprechen, die ihm bei seiner Arbeit am Manuskript eine wesentliche Hilfe bedeuteten.

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Wie die Menschen, so werden auch Bücher älter, und die in einem B u c h dargelegten Auffassungen sind nicht unbedingt identisch mit denen, die der Autor gegenwärtig vertritt, sondern entsprechen seinen Auffassungen a u s der Zeit, in der das B u c h geschrieben wurde. Dies t r i f f t besonders auf Bücher zu, die übersetzt werden: Die Zeit, die nötig ist, u m das Original zu publizieren, die Ubersetzung anzufertigen, zu bearbeiten und herauszugeben, ist zu lang angesichts der sich rasch ändernden wissenschaftlichen Denkweisen. Zu Beginn der 70er J a h r e geschrieben, ist dieses Buch 1973 erschienen. W ü r d e ich es jetzt schreiben, so k ö n n t e ich von einigen neueren Untersuchungen auf d e m Gebiet der Semantik, der Text-, Sozio- und kontrastiven Linguistik profitieren, ganz abgesehen von Untersuchungen auf dem Gebiet der eigentlichen Übersetzungstheorie. Beim erneuten Lesen meines Buches habe ich jedoch zu meiner Überraschung entdeckt, daß sein etwas verspätetes Erscheinen in deutscher Sprache auch sein Gutes h a t . Z u m einen k o n n t e ich entgegen meinen Befürchtungen glücklicherweise feststellen, d a ß sich die grundlegenden Gedanken und Begriffe d e m natürlichen Alterungsprozeß gegenüber als genügend widerstandsfähig erwiesen haben. Z u m anderen wurde mir beim nochmaligen Lesen des Buches klar, daß im Original etwas fehlt. W e n n dort die B e t o n u n g auf den dynamischen Aspekten der Äquivalenz liegt, so werden deren statische Aspekte, die f ü r einige Linguisten gerade das zentrale P r o b l e m der Übersetzungstheorie darstellen, etwas vernachlässigt. E s handelt sich hierbei u m eine Typologie u n d Hierarchie von Beziehungen zwischen d e m Originaltext u n d seiner zielsprachlichen E n t s p r e chung. I c h möchte deshalb nicht n u r meine Auffassungen zu diesem Problem darlegen, sondern gleichzeitig versuchen, die B e r ü h r u n g s p u n k t e zwischen den dynamischen bzw. operativen und den statischen Aspekten der Übersetzung oder, anders ausgedrückt, zwischen der Übersetzung als Prozeß u n d der Übersetzung als P r o d u k t bzw. R e s u l t a t aufzuzeigen. Ein Bereich, wo die statischen u n d die dynamischen Aspekte der Übersetzung sich eng berühren, ist die Äquivalenz. E s handelt sich dabei u m ein Problem, ü b e r das die Linguisten sich eingestandenermaßen nicht einigen können.

V o r w o r t zur d e u t s c h e n A u s g a b e

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Der Grund liegt auf der Hand. Die Auffassung von der Äquivalenz hängt wesentlich davon ab, wie das Übersetzen selbst und sein Verhältnis zur Sprache und der außersprachlichen Realität verstanden werden. I m Ergebnis dessen gibt es so viele Definitionen von der Übersetzung, wie es verschiedene Auffassungen vom Übersetzen gibt. Deshalb wurde in den Abschnitt „Übersetzen als Kommunikationsakt" neues Material aufgenommen, das die Frage des Niveaus und der Typen von Äquivalenz, ihrer Beziehungen zu Übersetzungstransformationen und das Verhältnis zwischen dynamischer und statischer Äquivalenz beleuchtet. Die Periode nach dem Erscheinen der russischen Ausgabe meines Buches war durch bedeutende Erfolge auf einem eng mit der Übersetzungstheorie verbundenen neuen Gebiet der Sprachwissenschaft — der Textlinguistik — gekennzeichnet. Fragen der Textlinguistik fanden ihren Niederschlag auch in der Originalausgabe (vgl. z. B. die Abschnitte, die dem Zeitungstext und den Problemen, die mit seiner Übersetzung zusammenhängen, gewidmet sind). In der deutschen Ausgabe wird die Frage der Beziehung zwischen der Übersetzungstheorie und der Textlinguistik in einem besonderen Abschnitt behandelt, der in Kapitel I eingefügt wurde. Die Vorbereitung der deutschen Variante des Buches hat folglich erhebliche Mühe gekostet, was die Durchsicht des Materials und seine „Modernisierung" betrifft. Ich möchte in diesem Zusammenhang vor allem die Arbeit der Lektorin Dr. Gisela Leiste hervorheben. Mein ganz besonderer Dank gilt Prof. Dr. Albrecht Neubert und Brigitta Schrade, in deren Hand die Arbeiten zur Übertragung meines Buches ins Deutsche sowie die redaktionelle Betreuung dieses Manuskripts lagen. Sie haben die schwierige Aufgabe bewältigt, deutsche Illustrationsbeispiele zu finden, was dem deutschsprachigen Leser die Lektüre des Werkes zweifellos erleichtern wird. A. D. Svejcer

I Allgemeine linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie 1.

Ubersetzen als Untersuchungsgegenstand verschiedener Wissenschaften

Als eine spezifische Form der sprachlichen Tätigkeit ist das Übersetzen ein kompliziertes und vielseitiges Phänomen, dessen unterschiedliche Aspekte das Interesse von Literaturwissenschaftlern, Psychologen, Ethnographen und Sprachwissenschaftlern auf sich ziehen. Für die Psychologie gehören etwa Besonderheiten der Aufnahme und des Verstehens im Translationsprozeß oder spezielle Aspekte von Aufmerksamkeit, Zielvorstellung und Wissen "beim Übersetzen sowie die Rolle des Lernens und des Vorgriffes beim Übersetzen zu wesentlichen Fragestellungen (KKUPNOV 1968). Den Ethnographen interessiert die Übersetzung als ein Gegenstand, der die Aufmerksamkeit auf ein Gebiet lenkt, das gemeinhin als „ethnographische Semantik" bezeichnet wird (SMITH, FISCHER 1970). Es schließt den großen Kreis all der Fragen ein, die sich auf kulturelle Unterschiede und auf Verschiedenheiten im System der Vorstellungen von der Umwelt beziehen. Für den Literaturwissenschaftler ist das Problem des Übersetzens eine Frage der künstlerischen Meisterschaft des Übersetzers. Ihn interessiert die Kunst, wie der individuelle Stil eines Autors wiedergegeben und dabei die Bildstruktur des Werkes erhalten bleiben kann. Worin sieht nun der Sprachwissenschaftler die Bedeutung des Übersetzens? Zunächst darin, daß das Übersetzen eine außerordentlich einflußreiche Quelle von Belegen f ü r die allgemeine Sprachwissenschaft und in noch größerem Maße für die konfrontative Linguistik darstellt (BARCHUDAEOV 1962, NIDA 1969). Hierbei hat aber die Sprachwissenschaft gegenüber dem Übersetzen keine dienende Funktion, sondern das Übersetzen dient seinerseits der Sprachwissenschaft, indem es ihren Blickwinkel erweitert und ihr damit hilft, sowohl die spezifischen Merkmale einzelner Sprachen als auch ihre allgemeinsten Wesenszüge, die Universalien aufzudecken. Daneben sind zahlreiche Sprachwissenschaftler jedoch schon lange zu der Schlußfolgerung gekommen, daß die Translation selbst zum Gegenstand sprachwissenschaftlicher Beschreibung werden kann. Ziel einer derartigen Beschreibung muß dabei sein, eine linguistische Theorie der Translation zu schaffen. Die Notwendigkeit einer solchen Theorie wurde jedoch nicht immer an-

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Linguistische G r u n d l a g e n der Ü b e r s e t z u n g s t h e o r i e

erkannt. So hat R E F O R M A T S K I J seinerzeit bestritten, daß es möglich sei, eine Wissenschaft vom Übersetzen zu begründen. Als Argument führte er ins Feld, daß das praktische Übersetzen die Ergebnisse vieler Wissenschaften nutze und somit keine eigenständige Theorie haben könne. Seine Behauptung traf auf den entschiedenen Widerspruch der Theoretiker des Übersetzens. Und in der Tat widerlegt der Umstand, daß die eine oder andere Disziplin Ergebnisse angrenzender Wissensgebiete nutzt, noch nicht ihre Existenzberechtigung. Ohnehin wird es heute kaum möglich sein, auch nur eine Disziplin zu benennen, die nicht Ergebnisse aus anderen Wissenschaftsgebieten anwendet. Für die Entwicklung jeder einzelnen wissenschaftlichen Disziplin ist es darüber hinaus außerordentlich bedeutungsvoll, ihren Standort gegenüber den anderen Wissenschaften exakt abzugrenzen und den Gegenstand der eigenen Untersuchungen zu bestimmen. Zu den wichtigsten Problemen gehört hierbei die Frage nach der Stellung der Übersetzungstheorie zur Sprach- und Literaturwissenschaft. In einigen Veröffentlichungen auf dem Gebiet der künstlerischen Übersetzung wurden die Versuche, eine linguistische Theorie des Übersetzens zu schaffen, zu einer „formalistischen Irrlehre" erklärt, die mit den Gesetzen des künstlerischen Schaffens unvereinbar sei. Von diesen Positionen aus beurteilten Anhänger der literaturwissenschaftlichen Schule die linguistische Übersetzungstheorie und warfen zum Beispiel F E D O R O V eine übermäßig linguistische Ausrichtung vor. Gleichzeitig erhoben andere auf dem Gebiet der Übersetzungswissenschaft arbeitende Wissenschaftler, die sich an den Postulaten der strukturellen Linguistik orientieren, ihm gegenüber den Einwand, daß in seiner Arbeit formale Kriterien ungenügend berücksichtigt seien ( F E D O R O V 1 9 6 8 ) . Es kann hier nicht darum gehen, eine umfassende Bewertung der grundlegenden Arbeit von F E D O R O V vorzunehmen. Es soll daher nur erfragt werden, ob es möglich ist, eine umfassende Theorie der Translation zu schaffen, die jeweils entweder ausschließlich formale und strukturelle oder künstlerische und ästhetische Kriterien berücksichtigt. Dabei stößt man auf ein Problem, das nunmehr wieder in der Frage formuliert wird: Ist das Übersetzen Wissenschaft oder Kunst ? Unserer Auffassung nach ist dem amerikanischen Linguisten N I D A zuzustimmen, der darauf verweist, daß sich das Übersetzen gerade hierin prinzipiell nicht von jeder anderen sprachlichen Tätigkeit unterscheidet. Auch der Vorgang der einsprachigen Kommunikation kann als schöpferischer Akt betrachtet werden. Nicht umsonst spricht man davon, daß es eine Kunst ist, eine Rede zu halten, oder daß es eine Meisterschaft der künstlerischen Prosa und der Publizistik gibt ( N I D A 1 9 6 9 ) . Niemand wird daran zweifeln, daß die Formen dieser Genres Gegenstand sowohl der literaturwissenschaftlichen als auch der linguistischen Verallgemeinerung sein können. Dies gilt gleichermaßen für das Übersetzen als eine besondere Art der sprachlichen Tätigkeit.

Übersetzen als Untersuchungsgegenstand

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Wenn auch das Übersetzen durch spezifische Wesensmerkmale bestimmt wird, die es von anderen kommunikativen Akten unterscheiden (wovon später noch zu sprechen sein wird), so kann man auf Grund dieser Merkmale doch keineswegs von einer größeren Freiheit des Schaffens beim Übersetzen — verglichen mit anderen Arten sprachlicher Tätigkeit — sprechen. Nach der etwas vereinfachten, aber im großen und ganzen zutreffenden Definition des bulgarischen Linguisten L J U D S K A N O V (1970) ist der schöpferische Prozeß dadurch gekennzeichnet, daß es in ihm eine oder mehrere nicht durch Regeln erfaßte Auswahlmöglichkeiten gibt. Hierbei darf aber nicht übersehen werden, daß beim Übersetzen die Freiheit der Entscheidung für die eine oder andere sprachliche Form immer in einem gewissen Grade beschränkt ist, obwohl sie andererseits keiner hinreichend exakten Regelung unterliegt. Die Übersetzung wird in jedem Falle durch den Text des Originals bestimmt, folglich letztendlich durch die Beziehungen zwischen Quellen- und Zielsprache. Selbstverständlich ist damit das Wesentliche des Übersetzungsprozesses durchaus nicht vollständig erfaßt, doch kann kein Übersetzer diese Beziehungen außer acht lassen. Schöpferisches und Nichtschöpferisches sind in jeder Art des Übersetzens in enger Verflechtung gegeben, obwohl die Beziehungen zwischen diesen beiden Größen — in Abhängigkeit vom Übersetzungsgenre — variabel sind. Dabei reicht die Skala etwa von der Übersetzung offizieller Sachtexte und technischer Dokumentationen, für die eine Regelung deutlicher zu erkennen ist, bis zur künstlerischen Übersetzung, bei der der Anteil der keiner strengen Regelung unterliegenden Entscheidungen ungleich größer ist. Wollte man annehmen, daß das Gebiet des künstlerischen Übersetzens eine Domäne des „ausschließlich Schöpferischen" ist, in dem die linguistischen Gesetzmäßigkeiten des Übersetzens nicht gelten, dann müßte man zu der Schlußfolgerung kommen, daß es keine allgemeine Theorie des Übersetzens geben kann; denn eine Theorie, die nur für einzelne Übersetzungsarten zuträfe, könnte keine Allgemeingültigkeit haben. Wie aber die Sprachwissenschaft in ähnlicher Weise beliebige sprachliche Erscheinungen untersucht — und zwar unabhängig von der Umgebung, in der sie auftreten —, so erfaßt die allgemeine Übersetzungstheorie alle Varianten der Translation. Dabei sollen die Gesetzmäßigkeiten aufgedeckt werden, die der Translation insgesamt eigen sind, und zwar ungeachtet der spezifischen Merkmale, die dem einen oder anderen Genre zukommen. Bei der Untersuchung dieser Gesetzmäßigkeiten hat der Sprachwissenschaftler sprachliche Erscheinungen oder Texte in zwei verschiedenen Sprachen vor sich. Es handelt sich dabei um die Quellensprache, die Sprache des Originals, und die Zielsprache, die Sprache der Übersetzung. In seinen Überlegungen vollzieht er den Weg nach, den der Übersetzer von der Aufnahme

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L i n g u i s t i s c h e Grundlagen der Ü b e r s e t z u n g s t h e o r i e

des quellensprachlichen Textes bis zur Nachschaffung des Textes in der Zielsprache zurückgelegt hat. Dabei kann sich jeder einzelne Text durch individuelle Vielfalt auszeichnen. Die Wiedergabe dieses Eigenwertes erfordert ein vertieftes Eindringen in die schöpferische Tätigkeit des Autors. Gerade hier handelt es sich um eines der Hauptprobleme der Theorie des künstlerischen Übersetzens. Diese Aufgabe gilt jedoch mit bestimmten Abstrichen auch für alle anderen Übersetzungsgenres. Auf der anderen Seite liefert ein Vergleich mehrerer Übersetzungen den überzeugenden Beweis dafür, daß die Erfahrungen der übersetzerischen Tätigkeit sehr wohl verallgemeinert werden können. Viele Entscheidungen von Übersetzern sind zwar nicht deckungsgleich, sie können aber auf jeden Fall dem gleichen Typ zugeordnet werden. Daraus läßt sich schlußfolgern, daß dem Übersetzungsprozeß in all seiner Vielfalt bestimmte allgemeine Gesetzmäßigkeiten zugrunde liegen, deren Aufdeckung gerade die linguistische Theorie des Übersetzens zum Ziel hat. Untersuchen wir nunmehr die Frage des Verhältnisses der linguistischen Übersetzungstheorie zu den anderen sprachwissenschaftlichen Disziplinen wie Grammatik, Lexikologie und Stilistik. Uns interessiert dabei in erster Linie, in welcher Relation Forschungen auf dem Gebiet der Übersetzungstheorie zu Arbeiten über den Sprachvergleich stehen. Solche Arbeiten sind in der letzten Zeit in größerem Umfang entstanden, und aus ihnen hat sich eine besondere Richtung (contrastive linguistics), die als kontrastive Linguistik oder Charakterologie bezeichnet wird, entwickelt. In der sowjetischen Sprachwissenschaft wird sie etwa durch Arbeiten von FEDOEOV ( 1 9 6 1 ) , KETTSEI'NICKAJA ( 1 9 6 1 ) ,

STEPANOV (1965), GAK, ROJZENBLIT (1965), GAK (1975)

und JAECEVA (1981) vertreten. Der Fortschritt auf diesem Teilgebiet der Sprachwissenschaft ist eng verbunden mit der Untersuchung zum Problem der Zweisprachigkeit, zu Beziehungen der Sprachmischung sowie der strukturellen Interferenz, die sich im Verlaufe sprachlicher Kontakte herausbildet. Die Konfrontation von sprachlichen Systemen kann übrigens von nur einer wie auch von beiden Seiten aus erfolgen. Im ersten Fall wird eine der Sprachen durch die Brille der anderen Sprache betrachtet, die gleichzeitig letzterer auch die Kriterien des Vergleichs liefert. Es werden dabei lediglich die Schwierigkeiten erfaßt, die ein Sprecher der jeweils als Ausgangspunkt dienenden Sprache beim Erlernen der anderen Sprache hat. So treten zum Beispiel bei einem Engländer, der Deutsch lernt, Probleme beim richtigen Gebrauch des männlichen, weiblichen und sächlichen Artikels auf; das trifft aber nicht für einen Deutschen zu, der Englisch lernt. Daraus ergibt sich, daß dieses Problem nur dann zum Gegenstand der konfrontativen Analyse von Erscheinungen in einer bestimmten Richtung werden kann, wenn das Englische mit dem Deutschen konfrontiert werden soll. Als Beispiel für eine solche Gegenüberstellung

Übersetzen als Untersuchungsgegenstand

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in einer Richtung sei auf die Arbeit der amerikanischen Linguisten STOCKWELL und B O W E N verwiesen. Sie stellt eine konfrontative Untersuchung des Lautsystems im Englischen und Spanischen dar (STOCKWELL, B O W E N 1 9 6 5 ) . Daneben sind jedoch auch Arbeiten entstanden, bei denen die Gegenüberstellung der Sprachen in beiden Richtungen erfolgt, wo dann also beide verglichenen Sprachen jeweils einmal als Kriterium f ü r die Konfrontation gewählt werden. Hierher gehört in erster Linie die Arbeit der kanadischen Sprachwissenschaftler VINAY und DARBELNET, in der Erscheinungen des Französischen und des Englischen einer konfrontativen stilistischen Analyse unterzogen werden (VINAY, DAKBELNET 1 9 5 8 ) . Aus dem bisher Gesagten läßt sich die Schlußfolgerung ziehen, daß die kontrastive Linguistik in engem Zusammenhang mit der Lösung der praktischen Aufgabe des Fremdsprachenunterrichts steht. SPALATIN, einer der Vertreter dieser Richtung, stellt dazu fest, die Konfrontationslinguistik verfolge in erster Linie eine praktische Zielstellung — sie wolle das Erlernen einer zweiten (d. h. einer fremden) Sprache erleichtern (SPALATIN 1 9 6 7 ) . Dabei ist vielen auf diesem Gebiet Tätigen klar, daß die konfrontative Analyse nicht nur direkte Ergebnisse f ü r die Methodik des Fremdsprachenunterrichts, sondern auch für die Theorie des Übersetzens erbringt. I n einigen Arbeiten finden sich auch direkte Verweise darauf, daß die Übersetzungstheorie als ein Bestandteil der kontrastiven Linguistik anzusehen sei. Das wird insbesondere von N I D A hervorgehoben ( N I D A 1 9 6 9 ) . Auch CATFOKD vertritt diesen Standpunkt, wenn er die Auffassung äußert, daß die Übersetzungstheorie ein Teilgebiet der konfrontativen Sprachwissenschaft sei, da sie sich mit einer bestimmten Art von Beziehungen zwischen Sprachen befaßt (CATEORD 1 9 6 5 ) . Gegen eine solche Auffassung vom Wesen der Übersetzungstheorie treten einige Theoretiker der künstlerischen Übersetzung auf. Sie sind der Ansicht, ein rein linguistisches Herangehen an die belletristische Übersetzung sei nicht tragbar, und schlagen statt dessen eine „wissenschaftlich-linguistische Analyse" vor, die „die Grenzen des Linguistischen überschreitet" und nach ästhetischen Gesichtspunkten verlangt ( E T K I N D 1 9 7 0 ) . „Das hier Gesagte" — so erklärt E T K I N D — „bezieht sich selbstverständlich nur auf das künstlerische Übersetzen, das ein Problem f ü r sich darstellt. Mit der Übersetzung von wissenschaftlichen Sachtexten gibt es fast keine Gemeinsamkeiten, wenn einmal die rein linguistischen Grundlagen des Übersetzungsvorgangs außer acht gelassen werden. I n einem Kunstwerk gehört jedes Wort in ein besonderes System, in dem eigene und in jedem Fall andere Gesetzmäßigkeiten gelten. Ohne Linguistik kommt man natürlich hier nicht aus, aber sie dient lediglich zur Erläuterung der untersten Ebene des übersetzerischen Schaffens, derjenigen nämlich, auf der der Unterschied zwischen verschiedenen Texttypen — 2 "Übersetzung

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L i n g u i s t i s c h e G r u n d l a g e n der Ü b e r s e t z u n g s t h e o r i e

etwa einer Zeitung und einem Roman, einem Lehrbuch für Physik und der ,Göttlichen Komödie', zwischen einem diplomatischen Dokument und der Bibel — weggefallen ist." Nach den Auffassungen von ETKIÍTD ist eine linguistische Übersetzungstheorie also nicht mehr als eine Gegenüberstellung sprachlicher Formen. Es bleibt jedoch unklar, warum bei einer linguistischen Analyse des Übersetzens der Unterschied zwischen Texten unterschiedlicher funktionaler Genres verwischt werden soll, etwa der zwischen einem Kunstwerk und einem Sachtext usw. Befaßt sich die linguistische Stilistik nicht gerade mit der Untersuchung derartiger Unterschiede? Denn per definitionem ist ja die linguistische Stilistik das Teilgebiet der Sprachwissenschaft, das sich mit der Untersuchung der Stile, der stilistischen Gewohnheiten und der expressiven Mittel einer Sprache im Verhältnis zum ausgedrückten Inhalt befaßt (GAL'PERLN 1958). Offensichtlich engt E T K I N D die linguistische Übersetzungstheorie viel zu sehr ein, wenn er sie auf den elementaren Vergleich von Formen reduziert. Den Ausweg aus diesem scheinbaren Widerspruch zwischen einem sprachwissenschaftlich und einem literaturwissenschaftlich orientierten Herangehen an die Untersuchung der Übersetzung sieht ETKXND in einer Erforschung der Gesetzmäßigkeiten des Übersetzungsprozesses. Dies soll innerhalb einer wissenschaftlichen Disziplin geschehen, die über den von der Linguistik gesteckten Rahmen hinausreicht und vergleichende Stilistik genannt wird. An späterer Stelle folgt der Hinweis, daß der Begriff „vergleichende Stilistik" sehr weit verstanden und ihm ein besonderer Inhalt zugeordnet wird. Nach den Vorstellungen ETKINDS umfaßt diese Disziplin die folgenden Vergleichsebenen : 1. System vergleich beider Sprachen (grammatischer Aufbau, Lexik, Phraseologie u . a . ) ; 2. Vergleich der stilistischen Systeme des Sprachenpaares (z. B. der Bildungsgesetze für die funktionalen Sprachstile, des Verhältnisses der literatursprachlichen Norm zu Dialekten, Jargons und Volkssprache ; 3. Vergleich der traditionellen literatursprachlichen Stile innerhalb beider Sprachen (z. B. der sprachlichen Stile des Klassizismus, des Sentimentalismus und der Romantik, oder einiger konkreter genrespezifischer Stile, wie der von Oden, Elegien, Fabeln usw.); 4. Vergleich der beiden spezifischen, nationalen prosodischen Systeme (zum Beispiel des ausschließlich von der Silbenzahl abhängigen Systems im Französischen mit dem durch Wechsel der Silbenbetonung bestimmten im Russischen, der metrischen Prosodie des Altertums mit der auf dem reinen BetonungsWechsel beruhenden im Deutschen und Russischen); 5. Vergleich der historisch-kulturellen Traditionen zweier Nationen, die in einer bestimmten nationalen Tradition f ü r das Übersetzen von Gedichten deutlich werden; 6. Vergleich der individuellen künstlerischen Stilsysteme: des Systems des Autors des Originals mit dem des Übersetzers.

Übersetzen als Untersuchungsgegenstand

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Die erste Vergleichsebene gehört demnach in den Zuständigkeitsbereich der konfrontativen Grammatik und Lexikologie, die zweite in den Bereich der linguistischen Stilistik sowie zu bestimmten Teilen in die Dialektologie und die Soziolinguistik. Bei der fünften Ebene gehört die Widerspiegelung historischer und kultureller Traditionen in der Sprache, in konkreten sprachlichen Äußerungen zu den Aufgaben der vergleichenden Ethnolinguistik. Die unter Punkt drei, vier und sechs aufgeführten Probleme werden tatsächlich in erster Linie von der literaturwissenschaftlich ausgerichteten Stilistik untersucht, obgleich es auch eine Reihe interessanter sprachwissenschaftlicher Arbeiten zu diesen Fragen gibt. Aus dem Gesagten folgt keineswegs, daß die Probleme der künstlerischen Übersetzung keine besondere Spezifik hätten. Die Erforschung dieser Spezifik überschreitet tatsächlich den Rahmen der Linguistik. Dennoch kann man die Behauptung, die linguistische Theorie könne lediglich die „unterste Ebene" der übersetzerischen Tätigkeit erklären, nur als offensichtliche Unterschätzung dieser Theorie bezeichnen. Es liegt auf der Hand, daß eine derart enge Auffassung von der linguistischen Übersetzungstheorie, die auf der Voraussetzung basiert, daß sie sich lediglich mit einem Vergleich der Formen in verschiedenen Sprachen befaßt, auch die Begründung für den gegen die theoretische Sprachwissenschaft erhobenen Vorwurf einer „formalistischen Irrlehre" liefert. Gleichzeitig läßt sich der Einspruch E T K I N D S gegen Versuche, den Gegenstand des Übersetzens in die konfrontative Sprachwissenschaft einzugliedern, nicht von der Hand weisen, denn letztere hat ihre eigenen Aufgaben, die nicht mit den Aufgaben der Übersetzungstheorie übereinstimmen. Selbstverständlich gibt es eine direkte Beziehung zum Übersetzen, aber diese reicht nicht über Theorie und Praxis des Fremdsprachenunterrichts hinaus. Gegenstand der kontrastiven Linguistik ist häufig die Gegenüberstellung konkreter sprachlicher Systeme (auf grammatikalischem, lexikalisch-semantischem und stilistischem Gebiet). Man möchte meinen, C O S E R I U hat recht, wenn er feststellt, die kontrastive Linguistik, die sich lediglich mit einer Gegenüberstellung der Strukturen konkreter Sprachen befaßt und „typologischen" Charakter besitzt, könne nur eine Hilfswissenschaft für die Übersetzungstheorie sein. In dem Falle jedoch, wenn die kontrastive Linguistik die faktische Anwendung inhaltlicher und materieller Strukturen erforscht, nähert sie sich seiner Meinung nach stark der auf Einzelsprachen orientierten Übersetzungstheorie. Für eine derartige kontrastive Linguistik bzw. für eine derartige Komponente der kontrastiven Linguistik stellt die Übersetzung eine ständige Quelle dar (siehe z. B. G A K , R O J Z E N B L I T 1 9 6 5 , F E D O R O V , KTJZNECOVA, MOROZOVA, CYGANOVA 1 9 6 1 ) , weil die Erarbeitung von Bezeichnungsäquivalenten zumindest die Übersetzung impliziert, sie voraussetzt. Die 2*

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

Materialien einer solchen kontrastiven Linguistik könnten die Grundlage einer Übersetzungsgrammatik und eines Übersetzungswörterbuchs bilden. Leider aber, so bemerkt C O S E R I U , gibt es vorläufig keine solche kontrastive Linguistik ( C O S E R I U 1981). Und selbst wenn es sie gäbe, so könnte sie doch die Übersetzungstheorie nicht vollständig ersetzen, hat diese doch eine besondere Aufgabe, die im Rahmen der kontrastiven Linguistik ganz einfach nicht zu lösen ist: nämlich den Mechanismus des Übersetzungsprozesses selbst zu erforschen, alle die Faktoren zu definieren, die auf die übersetzerischen Lösungen Einfluß haben, die Logik dieser Lösungen aufzudecken. E s ist völlig richtig, daß eine wissenschaftliche Analyse des Übersetzungsprozesses eine Orientierung auf Ästhetik und Psychologie erfordert (das gilt übrigens nicht nur für die künstlerische Übersetzung, sondern ebenso für andere Übersetzungsgenres), eine Orientierung auch auf die Ethnographie und andere angrenzende Wissenschaften. Diese Aufgabe wird jedoch zu einem großen Teil dadurch erleichtert, daß die zeitgenössische Sprachwissenschaft eng mit diesen Disziplinen verbunden ist, wodurch der Aktionsradius der Forschungsarbeiten in diesen interdisziplinären Richtungen wesentlich vergrößert wurde. Zu den angesprochenen Disziplinen gehören die Soziolinguistik und die eng mit ihr verbundene Ethnolinguistik. Die Berücksichtigung ethnolinguistischer und soziolinguistischer Sachverhalte ist speziell dann von besonderer Bedeutung, wenn in Sprachen und für Völker übersetzt wird, die sich in unterschiedlichen Etappen der kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklung befinden. Übersetzen ist schließlich nicht nur ein Zusammenführen von sprachlichen Systemen, sondern es ergibt sich auch ein Kontakt zwischen verschiedenen Kulturen. Beim Übersetzen kommt der sozialen Schichtung einer Sprache große Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang könnten die Ergebnisse einiger soziolinguistischer Untersuchungen für die Übersetzungstheorie überaus nützlich sein. So hat die Soziolinguistik die allgemeine Semantiktheorie durch den Begriff „soziale Bedeutung" (social meaning) bereichert, der eine bestimmte soziale Wertigkeit darstellt, die mit der Benutzung einer Wendung in diesem oder jenem Kontext zusammenhängt. Wie G U M P E E Z feststellt, erfolgt die Einstufung der Wertigkeit für diese oder jene Gegenstände oder Handlungen ebenso willkürlich wie die referentielle Nominierung der Gegenstände. Ein und dieselbe Einheit kann in dem einen Kollektiv territoriale Unterschiede und in einem anderen soziale Unterschiede ausdrücken. Die soziale Bedeutung unterscheidet sich von der territorialen durch die Art und Weise der Kodierung : Wird die Referenz vorwiegend mit Hilfe von Wörtern kodiert, so wird die soziale Bedeutung nicht nur durch akustische Zeichen, sondern auch durch die Situation, in der die Mitteilung erfolgt, durch die Einheiten der Hinter-

Übersetzen als IXntersuchungsgegenstand

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grundinformation sowie durch eine bestimmte Wortfolge ausgedrückt (Gumperz 1972). Wesentlich für die Wiedergabe der sozialen Bedeutung ist die Eingrenzung der Stratifikations- und der situativen Variabilität der Sprache ( S v e j c e r 1976). Die Stratifikationsvariabilität der Sprache hängt mit der sozialen Gliederung der Gesellschaft zusammen, mit ihrer Aufspaltung in Klassen, soziale Schichten, Gruppen usw. Führen wir als Beispiel den folgenden Auszug aus der Komödie „Lysistrate" von Aristophanes a n : Herold: Wo ist der groß' Rat hie z' Athen ? D' Prytanen, wo sy sie de ? I sött nen öppis säge ! Ratsherr: Bist du ein Mensch, du ? Oder ein Priap ? Herold: E Herold bin i, Herr, bim Donner, ja, vo Sparta chumen i vo wegem Friede. Ratsherr: Was trägst du denn den Spieß da unterm Arm? Herold: I trage nüt bi Oott! Ratsherr: Du drehst dich um ? Was ziehst du so den Mantel vor ? Hast du 'nen Wolf vom Marsch ? Herold: Bim Hell, dem Cheubel fehlt's im Chopf! (Aufbau-Verlag 1979; Übersetzer Ludwig Seeger.) I m Original spricht der B o t e aus Sparta einen dorischen Dialekt, der ihn als „Provinzlehrer", als „Dorftölpel" ausweist. Der Übersetzer der deutschen Ausgabe wählt Schweizerdeutsch, um sprachliche und damit zugleich soziale Unterschiede transparent zu machen. I n der russischen Übersetzung von 1934 bedient sich A. Piotrowski, um die entsprechenden sozialen Merkmale wiederzugeben, einfacher umgangssprachlicher Formen. Einen anderen Weg haben die englischen Übersetzer eingeschlagen. So spricht der B o t e in der Übersetzung D. Parkers, die in den U S A veröffentlicht wurde, einen betont südlichen Dialekt: HERALD: "This Athens ? Where-all hin I find the Council of Eiders or eise the Executive Board? I brung some news." Der englische Übersetzer B . Rodgers (London, 1911) hat den Boten aus Spart a zu einem Schotten gemacht, indem er ihn mit klar ausgeprägtem schottischem Akzent sprechen l ä ß t : HERALD: " Whaur sali a body fin' the Athanian Senate, or the gran' lairds? Ha' gölten news to teil." I n Nigeria spricht der B o t e aus Sparta Pidgin, einen Dialekt, der ein sehr niedriges soziales Prestige besitzt: MEESENGER: " Wusa ah go find una chiefs or wetin una de call dem leaders ? Ah bring important news for dem!''' (Ibadan, 1966). Auf der Suche nach funktionalen Entsprechungen bemüht sich der Übersetzer also, Formen der Zielsprache zu finden, die der allgemeinen sprach-

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Linguistische Grundlagen der Ü b e r s e t z u n g s t h e o r i e

liehen Norm widersprechen, mit einer ähnlichen sozialen Bewertung assoziiert werden und einen ähnlichen Rang in der Struktur der sozialen Stratifikation der Sprache einnehmen wie im Original. Es versteht sich von selbst, daß eine solche Lösung den Text seines nationalen Kolorits beraubt, und in dieser Beziehung erscheint die Lösung, die A. Piotrowski gefunden hat, eher gerechtfertigt. Er nutzt neutralere, umgangssprachlichere Elemente. Die situative Variabilität hängt mit der Widerspiegelung der Parameter der sozialen Situation in der Sprache zusammen, mit den Rollenbeziehungen, den allgemeinen Umständen (setting) und anderem. In einer Arbeit von Ebvin-Tkipp ( 1 9 7 2 ) wird folgende Straßenszene vorgestellt: — What's your name, boy. . . ? — Dr. Poussaint. I'm an physician. . . — What's your first name, boy. . . ? — Alvin. Der beschriebene Vorfall stellt einen bewußten Verstoß gegen die situationsbedingten Normen der Anrede eines unbekannten erwachsenen Menschen dar. Mit der Art und Weise, wie der amerikanische Polizist einen Farbigen anspricht, beleidigt er ihn öffentlich, indem er sein Alter und seinen sozialen Status ignoriert. Die Anrede, die einem Kind gegenüber annehmbar ist, wirkt beleidigend bei Vorliegen anderer Rollenbeziehungen. (Vgl. das oben Gesagte über die Abhängigkeit der „sozialen Bedeutung" von der Situation. Die funktionale Entsprechung einer solchen Form im Deutschen ist etwa die Anrede mit „du" und „Jungchen".) Um den Übersetzungsvorgang richtig verstehen zu können, muß weiterhin der Einfluß psychologischer Faktoren berücksichtigt werden. Der Einfluß dieser Faktoren, die gelegentlich „subjektive Faktoren" genannt werden, erstreckt sich sowohl auf den Übersetzungsprozeß als auch auf sein Ergebnis, und er kann durchaus mit den Begriffen der Psycholinguistik bestimmt werden. I m Herangehen an ihr Material unterscheiden sich die kontrastive Linguistik und die Übersetzungstheorie gerade dadurch, daß erstere Übersetzungen als Gegenstand von Verallgemeinerungen verwendet und dabei alle in ihnen auftretenden subjektiven Elemente unberücksichtigt läßt und statt dessen die Aufmerksamkeit primär auf diejenigen objektiven Gesetzmäßigkeiten richtet, die das Wesen der Beziehungen zwischen den gegenübergestellten Systemen charakterisieren (Filepoviö 1 9 6 7 ) . Eine Übersetzungstheorie kann demgegenüber nicht völlig von den subjektiven Elementen abstrahieren, die die Teilnehmer des zweisprachigen Kommunikationsaktes — der Verfasser des Quellentextes, der Übersetzer und der Leser der Übersetzung — in den Übersetzungsvorgang einbringen. Für den Übersetzer ist es weiterhin von großer Wichtigkeit, die territoriale Vielfalt einer Sprache zu beachten. Hier können die Ergebnisse der Dialekt-

Ü b e r s e t z e n als U n t e r s u c h u n g s g e g e n s t a n d

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forschung und der Sprachgeographie — sie erforschen die Besonderheiten der Dialekte und der sprachlichen Varianten — bedeutenden Nutzen für die Übersetzungstheorie erbringen. Beim Übersetzen ins Englische wird zum Beispiel die Auswahl der entsprechenden Variante manchmal in Abhängigkeit davon bestimmt, ob sich der vorliegende T e x t an britische oder amerikanische Leser wendet. So ist es charakteristisch, daß englische Leser häufig gegen die Verwendung von Amerikanismen in Übersetzungen Einspruch erheben, wie etwa instructor (in der Bedeutung „Lehrer an einer Hochschule"), graduate (in der Bedeutung „Oberschulabsolvent"), diapers („Windeln"), apartment house („Wohnblock"). A n ihrer Stelle werden die folgenden britischen Varianten empfohlen: lecturer, school-leaver, nappies, block of flats. Amerikanische Leser wiederum betrachten die in den für sie bestimmten Übersetzungen auftretenden britischen Varianten als nicht akzeptabel. Der Einfluß von künstlerischen und ästhetischen Faktoren auf den Übersetzungsvorgang ist natürlich bei der Übersetzung von Belletristik besonders groß, obgleich er auch bei der Übersetzung von publizistischen T e x t e n und sogar bei einigen Genres der wissenschaftlichen Literatur einen bestimmten Wert annehmen kann. Es wurde bereits darauf verwiesen, daß eben diese Faktoren in einer Theorie der künstlerischen Übersetzung Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit sind, sie müssen jedoch auch für die anderen Bereiche der Übersetzungstheorie in Betracht gezogen werden. A u s alledem ziehen wir den Schluß, daß die allgemeine Translationstheorie eine interdisziplinäre Forschungsrichtung ist. Sie baut auf linguistische Grundlagen auf und lehnt sich eng an die konfrontative Sprachwissenschaft, die Psycholinguistik, die Soziolinguistik, die Ethnolinguistik und die Sprachgeographie an. D e m Wesen nach handelt es sich um eine Anwendung der Theorie der Linguistik auf das Übersetzen als einen konkreten T y p von sprachlicher Tätigkeit. Mithin kann eine allgemeine linguistische Theorie des Übersetzens als Zweig der angewandten Sprachwissenschaft charakterisiert werden, wenn unter der letzteren nicht ausschließlich die K o m p u t e r linguistik (computational linguistics) verstanden wird, sondern darüber hinaus jeder Bereich der Anwendung der sprachwissenschaftlichen Theorie bei der Lösung konkreter Aufgaben. Die allgemeine Übersetzungstheorie hat ihren klar abgegrenzten Gegenstand — nämlich den Prozeß der Translation in seiner Gesamtheit und der ihm eigenen Vielfalt unter gebührender Berücksichtigung aller auf ihn einwirkenden Faktoren. Dabei versteht es sich, daß jeder einzelne Zweig der Übersetzungstheorie (so zum Beispiel die Theorie der künstlerischen Übersetzung oder die der Übersetzung publizistischer Texte) seinerseits die allgemeinen theoretischen Aussagen dieser Theorie konkretisiert und vertieft. Das ist auch deshalb richtig, weil die allgemeine Übersetzungstheorie die Gesamtheit dessen ein-

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

schließt, was allen Translationsarten gemeinsam ist. Auf der anderen Seite ist es die Aufgabe der einzelnen Teiltheorien des Übersetzens, die Spezifik des jeweiligen Übersetzungsgenres widerzuspiegeln. Im vorliegenden Buch soll sowohl auf die allgemeinen linguistischen Grundlagen der Übersetzungstheorie (bezogen auf die angeführten Beispiele) wie auch auf die speziellen Gesetzmäßigkeiten eingegangen werden, die sich auf die besonderen Merkmale des zu untersuchenden funktionalstilistischen Genres beziehen.

2.

Die Entwicklung der zeitgenössischen Sprachwissenschaft und die Grundrichtungen der Übersetzungstheorie

Sowjetische Sprachwissenschaftler haben bei der Erarbeitung der Grundlagen für eine linguistische Theorie des Übersetzens eine bedeutende Rolle gespielt. Es sollte auch nicht übersehen werden, daß die Initiative zur Schaffung einer allgemeinen Theorie der Translation auf sprachwissenschaftlichem Fundament von sowjetischen Sprachwissenschaftlern ausging. Sie haben nicht nur die grundlegenden Prinzipien dieser Theorie ausgearbeitet, sondern auch zum ersten Male ein geschlossenes System von Auffassungen zum Übersetzen erarbeitet, in dem die wesentlichen Ergebnisse der sowjetischen Übersetzerschule berücksichtigt wurden. (Es ist zu bedauern, daß diese grundlegenden Arbeiten sowjetischer Übersetzungstheoretiker in der ausländischen Literatur nicht immer beachtet worden sind. Das geht sogar so weit, daß in einigen bedeutend später veröffentlichten ausländischen Arbeiten zur Theorie des Übersetzens mehrfach etwas als eine „Entdeckung" ausgegeben wurde, was erstmalig in der sowjetischen sprachwissenschaftlichen Fachliteratur aufgegriffen und wissenschaftlich analysiert worden war.) Aus Baumgründen können hier nicht alle Arbeiten erwähnt werden, die von den Begründern der allgemeinen Translationstheorie verfaßt worden sind. Es soll lediglich auf diejenigen eingegangen werden, die auf linguistischen Prinzipien aufbauen. Dabeisind viele Arbeiten, die im wesentlichen von einem literaturwissenschaftlichen Standpunkt ausgehen — angefangen etwa mit ÖUKOVSKIJS „Vysokoe iskusstvo" („Die hohe Kunst") — für eine linguistische Theorie des Übersetzens von großem Interesse (ÖTJKOVSKIJ 1968).

Die Theorie der gesetzmäßigen Entsprechungen Bei einer Betrachtung der verschiedenen Schulen und Richtungen, die es in der linguistischen Übersetzungstheorie gibt, sollte in erster Linie die Theorie der gesetzmäßigen Entsprechungen erwähnt werden, die erstmalig von

Grundrichtungen der Übersetzungstheorie

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RECKER vorgelegt wurde (RECKEK 1950). Verwandte Auffassungen zum Wesen des Übersetzungsprozesses fanden auch Eingang in die Arbeiten von FEDOBOV. Seine im Jahre 1953 veröffentlichte Arbeit „Vvedenie v teoriju perevoda" („Einführung in die Übersetzungstheorie") stellt — soweit uns bekannt ist — das erste grundlegende Werk zu einer linguistischen Theorie des Übersetzens dar. Dieses Werk ist bereits in drei Auflagen erschienen; die wesentlich erweiterte und überarbeitete letzte Auflage erschien im Jahre 1983 und trägt den Titel „Osnovy obsöej teorii perevoda" („Grundlagen einer allgemeinen Übersetzungstheorie"). Die von den Vertretern der sowjetischen Übersetzerschule erarbeitete Theorie der gesetzmäßigen Entsprechungen erweist sich nach wie vor als besonders einflußreich sowohl bei der Schaffung einer linguistischen Übersetzungstheorie als auch im Ubersetzungsunterricht, der als sprachliche Disziplin betrieben wird. Auf dieser Theorie fußt auch die Mehrzahl der in der Sowjetunion erschienenen Lehrbücher und praktischen Übungsbücher zum Übersetzen. Das Positive dieser Theorie kann vor allem in der Tatsache gesehen werden, daß sie erstmalig anstelle unklarer und häufig subjektiver Äußerungen zur Adäquatheit beim Übersetzen ein auf linguistischen Prinzipien beruhendes und abgesichertes Herangehen an den Problemkreis des Übersetzens ermöglicht. Weiterhin — und hier handelt es sich um ein nicht geringer zu bewertendes Verdienst ebendieser Theorie — stützt sie sich auf den reichen Erfahrungsschatz der Übersetzungspraxis. Sie unterscheidet sich insofern von einigen der jüngeren, rein deduktiv aufgebauten Theorien, als sie die praktischen Errungenschaften der Übersetzungstätigkeit verallgemeinert. Somit erhält sie besonderes Gewicht als einer der ersten Versuche zur schöpferischen Durchdringung des Übersetzens. Der Gedanke, eine linguistische Übersetzungstheorie zu schaffen, die auf einer Analyse der gesetzmäßigen Entsprechungen zwischen den Mitteln der Quellensprache und denen der Zielsprache beruht, wurde erstmalig von RECKER in seinem im Jahre 1950 erschienenen Artikel „ O zakonomernych sootvetstvijach pri perevode na rodnoj j a z y k " („Über gesetzmäßige Entsprechungen bei der Übersetzung in die Muttersprache") formuliert. „Das Übersetzen", so wurde dort postuliert, „ist ohne eine solide linguistische Grundlage gar nicht denkbar. Diese muß geschaffen werden durch eine vergleichende Untersuchung sprachlicher Erscheinungen und durch die Ermittlung von bestimmten Entsprechungen zwischen der Sprache des Originals und der Zielsprache der Übersetzung. Diese finden sich in der Lexik, der Phraseologie, der Syntax und im Stil, und sie stellen die linguistische Grundlage der Übersetzungstheorie dar." RECKER hat diesen Gedanken weiterentwickelt und für die gesetzmäßigen Entsprechungen eine eigene Klassifizierung vorgelegt. Das von ihm ausgear-

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Linguistische Grundlagen der Ü b e r s e t z u n g s t h e o r i e

beitete Schema teilt diese in drei Gruppen: 1. Äquivalente; 2. Analogie (hierfür wird in späteren Arbeiten der Terminus „Entsprechungsvarianten" verwendet; 3. adäquate Ersetzungen. Zur ersten Gruppe gehören die konstant bedeutungsgleichen Entsprechungen, die nicht vom Kontext abhängen. Sie umfassen vor allem bestimmte Fachtermini. Nach den angegebenen Beispielen zu urteilen, handelt es sich dabei um solche Termini, die in beiden Sprachen monosem sind. So sind zum Beispiel frz. Société des Nations, engl. League of Nations, dt. Völkerbund und russ. Liga nacij Äquivalente, da es zwischen ihnen eine vorgegebene und strenge Entsprechung gibt, die durch das Wörterbuch und nicht vom Kontext bestimmt wird. In gleicher Weise können engl, surplus value dt. Mehrwert und russ. pribavocnaja stoimost' sowie dt. Luftabwehr und russ.protivovozdusnaja oborona als Äquivalente aufgefaßt werden. In die linguistische Fachsprache von heute, in der die mathematische Formulierung eines Sachverhalts bevorzugt wird, übersetzt, heißt das, daß man nur dann von Äquivalenten sprechen kann, wenn zwischen den untersuchten Einheiten in verschiedenen Sprachen die Beziehung der Eineindeutigkeit ( 1 : 1 ) gegeben ist, d. h., wenn a = b, dann b = a. Jedoch handelt es sich bei der Monosemie sprachlicher Einheiten — und das gilt in besonderem Maße für die Lexik — meist um eine Ausnahme von der Regel. Deshalb ist eine zweite Gruppe von Entsprechungen vorgesehen: sie umfaßt die Fälle, wo für eine mehrdeutige Einheit in einer Sprache verschiedene Einheiten in einer anderen Sprache stehen. Dieser Entsprechungst y p heißt Analogie oder Entsprechungsvariante. (Die Analogie ist das Ergebnis einer Übersetzung „per Analogie", d. h., indem eines von mehreren möglichen Synonymen ausgewählt wird.) Zum Unterschied von den Äquivalenten werden somit die Analogien durch den Kontext festgelegt. So werden für das frz. Substantiv importance im Wörterbuch drei Synonyme angegeben : Wichtigkeit, Bedeutsamkeit, Bedeutung. I m Englischen kann das Adjektiv bad sowohl schlecht wie auch schlimm bedeuten, bad illness jedoch ist natürlich eine „schlimme" und nicht eine „schlechte Krankheit". Das vorliegende Klassifizierungsschema bedarf nach unserer Auffassung aber einiger Korrekturen. Spricht man von Äquivalenten, so sollte man auf jeden Fall zwischen der Äquivalenz in einer Richtung und der in zwei Richtungen unterscheiden. Die oben angeführten Beispiele standen für Äquivalenz in zwei Richtungen. League of Nations wird also in jedem Falle als Liga nacij ins Russische übersetzt und Liga nacij unabhängig vom Kontext in jedem Falle mit League of Nations ins Englische. Somit gilt ebenfalls, daß eine monoseme Interpretation einer sprachlichen Einheit mit Mitteln einer anderen Sprache nur in einer Richtung erfolgen kann (vgl. hierzu die entsprechenden Richtungen der konfrontativen Sprachwissenschaft). Es ist

G r u n d r i c h t u n g e n der Ü b e r s e t z u n g s t h e o r i e

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deshalb kein Zufall, daß die Autoren einer der bereits erwähnten Arbeiten zur konfrontativen Sprachwissenschaft den Übergang von einer Sprache in eine andere als „ F a h r t auf einer Einbahnstraße" beschrieben haben (STOCKWELL, BOWEN 1 9 6 5 ) .

So wird zum Beispiel engl, betatron n u r als betatron ins Russische übersetzt. Demgegenüber wird der russ. Terminus betatron ins Englische entweder mit betatron oder mit induction electron accelerator übersetzt. Der russ. Fachbegriff echorezonator k a n n n u r mit echo box ins Englische übersetzt werden, im Gegensatz dazu gibt es f ü r den engl. Fachbegriff mindestens zwei E n t sprechungen im Russischen, nämlich echo-kamera und echo-rezonator. W a s n u n die Analogien oder Entsprechungsvariariten betrifft, so sind hier einige unterschiedliche Typen zu unterscheiden. Bei den angeführten Beispielen befanden sich die Entsprechungen in der Relation der S y n o n y m i t ä t (vgl. „Wichtigkeit", „Bedeutsamkeit", „Bedeutung"). Das t r i f f t gewöhnlich f ü r die Fälle zu, wo im Wörterbuch jeweils eine B e d e u t u n g eines f r e m d sprachlichen Wortes durch eine Synonymreihe umschrieben wird. Neben den inhaltlichen Synonymen, die sich in bestimmten Nuancierungen dem Sinn nach unterscheiden (für diesen T y p sind bereits Beispiele angeführt worden) und den stilistischen Synonymen vom T y p slander — Verleumdung, üble Nachrede, Klatsch, Tratsch(erei), deren Auswahl vom K o n t e x t bestimmt wird, können jedoch auch noch Fälle auftreten, in denen die Entsprechungsvarianten echte Synonyme sind, deren Auswahl nicht vom K o n t e x t abhängig ist. Der engl. Ausdruck Grand Jury wird ins Russische als bol'soe zjuri oder bol'soj sovet prisjaznych und ins Deutsche als Anklagekammer oder Großes Geschworenengericht übersetzt. Diese beiden Varianten unterscheiden sieh weder im Sinn noch im Stil, und demnach spielt der K o n t e x t der Äußerung bei der W a h l zwischen einer von beiden keine Rolle. Dies f ü h r t zu der Schlußfolgerung, daß die bei dem von uns untersuchten Klassifizierungsschema angewendeten Merkmale — nämlich Monosemie bzw. Nichtmonosemie der E n t sprechung auf der einen Seite und die Kontextabhängigkeit auf der anderen Seite — durchaus nicht immer zusammenfallen müssen. Schließlich kommen auch solche Fälle vor, in denen einem polysemen W o r t in der einen Sprache mehrere Wörter in der anderen Sprache entsprechen, wobei diese untereinander keineswegs als Synonyme aufgefaßt werden können. Bei einem Vergleich der dt. Wörterbucheintragungen f ü r das engl. confidence 1) Vertrauen, 2) vertrauliche Mitteilung, 3) Sicherheit, 4) Selbstvertrauen, Zuversicht fällt auf, daß die Beziehung der S y n o n y m i t ä t zwischen den Varianten nur f ü r eine der angeführten Bedeutungen zutrifft (Selbstvertrauen, Zuversicht); sie gilt aber nicht f ü r diejenigen dt. Wörter, die f ü r die verschiedenen Bedeutungen des engl. Wortes stehen. D e m Wesen nach stellt die Auswahl unter den Synonymen eine zusätzliche E t a p p e beim Übersetzen

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

dar. Sie erfolgt, nachdem der Übersetzer sich für eine der im Wörterbuch verzeichneten Bedeutungsvarianten entschieden hat. Relationen vom Typ confidence — Vertrauen und confidence — Sicherheit, bei denen es sich um Beziehungen der Monosemie zwischen einem Wort der Quellensprache (in seinen unterschiedlichen Bedeutungen) und den verschiedenen dafür in der Zielsprache aufgewendeten Wörtern handelt, die selbst untereinander keine Synonyme sind, werden in der Theorie der gesetzmäßigen Entsprechungen unter der Rubrik „partielle Äquivalenz" erfaßt. Zur dritten Gruppe von Entsprechungen gehören die adäquaten Ersetzungen, die man dann wählt, wenn bei der genauen Wiedergabe eines Gedankens „der Übersetzer sich vom Buchstaben des Originals und den im Wörterbuch verzeichneten Entsprechungen und Ausdrücken lösen muß und vom Ganzen auszugehen hat, um zu einer Lösung zu gelangen". Hier liegt offensichtlich ein Widerspruch vor, der später von R E C K E R in dem von ihm gemeinsam mit B A R C H U D A R O V verfaßten „Kurs lekcij po teorii perevoda" („Vorlesungsreihe zur Übersetzungstheorie") ausgemerzt wurde ( B A R C H U D A R O V , R E C K E R 1 9 6 8 ) . In dieser Arbeit werden lediglich zwei Typen von gesetzmäßigen Entsprechungen angeführt, nämlich Äquivalente und Entsprechungsvarianten, die Analogien. Was nun die adäquaten Ersetzungen anbelangt, so werden die damit umrissenen Fragen nunmehr unter der Rubrik „Übersetzungsverfahren" abgehandelt. Das ist nur logisch, denn wenn Äquivalente und Analogien wirklich Typen von Entsprechungen darstellen, dann gehören die adäquaten Ersetzungen längst nicht mehr zu einer bestimmten Gruppe von Entsprechungen zwischen Erscheinungen verschiedener Sprachen, sondern in die Technik des Übersetzens. Dem Wesen nach wird hier bereits der Versuch unternommen, den Prozeß des Übersetzens als solchen zu beschreiben, und es findet sich eine Reihe von interessanten und zutreffenden Beobachtungen, die aus einer Verallgemeinerung der übersetzerisehen Praxis abgeleitet sind. R E C K E R untersucht die folgenden Verfahren, die beim Übersetzen Anwendung finden, wenn die Adäquatheit garantiert werden soll: a) Konkretisierung von undifferenzierten und abstrakten Begriffen; b) logische Ableitung von Begriffen; c) antonymische Übersetzung und d) die Kompensation. Zur Erläuterung sollen einige Beispiele angeführt werden. Die Einheiten in jeder Sprache sind bekanntlich eine spezifische Art der Widerspiegelung der uns umgebenden Wirklichkeit, wie etwa das Beispiel der Lexik deutlich zeigt. So gibt das dt. Wort Geschwister die verallgemeinerte Form eines Begriffes wieder, für die im Russischen keine entsprechenden Wörterbucheintragungen zur Verfügung stehen. In den deutsch-russischen Wörterbüchern wird die Form brat'ja i sestry (Brüder und Schwestern) angegeben, dabei ist der allgemeinere Begriff konkretisiert und differenziert worden. Das gilt auch für das engl. Wort sibling (brat ili sestra\ Bruder oder Schwester), das den weiten

Grundrichtungen der Übersetzungstheorie

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Begriff umschreibt: „der dieselben Eltern hat". B e i einer Wiedergabe im Russischen und im Deutschen ist eine Geschlechtsangabe notwendig, es muß also konkretisiert werden. Hierbei ist jedoch zu ergänzen, daß beim Übersetzen auch der entgegengesetzte Fall eintreten kann, nämlich eine Erweiterung des von der einen sprachlichen Einheit bezeichneten Begriffs. Das liegt darin begründet, daß die Unterschiede in der inneren Form bei Einheiten verschiedener Sprachen sich nicht nur auf den Grad der Allgemeinheit oder der Abstraktheit bestimmter Begriffe erstrecken, sondern daß diese Einheiten die Begriffe auch in unterschiedlichem Maße detaillieren oder konkretisieren. Das „EnglischRussische Militärwörterbuch" ( S U D Z I L O V S K I J 1968) führt zum Beispiel für die Form summary court martial (einfaches Militärgericht) die Entsprechung disciplinamyj sud (disziplinarisches Gericht) an und fügt in Klammern die E r klärung bei: „welches kleinere Disziplinarvergehen untersucht". Zur näheren Bestimmung dieses Terminus gibt „Webster's New World Dictionary" eine Reihe zusätzlicher Kriterien a n : „the least formal court, consisting of one officer for judging minor offences". Bei dieser Bestimmung wird demnach darauf verwiesen, daß dieses Gericht „the least formal", sein Verfahren also vereinfacht ist und daß es aus einem Offizier besteht. Diese Merkmale fehlen bei der russ. Übersetzung, obwohl sie zu dem Begriff gehören, für den diese Form steht. Dabei erhebt sich natürlich die Frage, inwieweit eine solche Übersetzung gerechtfertigt ist. Wir meinen, daß die im „Englisch-Russischen Militärwörterbuch" gegebene Entsprechung deshalb völlig adäquat ist, weil sie die wesentlichen Kennzeichnungen des Begriffes enthält. E s können unmöglich alle Merkmale dieses Begriffes aufgeführt werden, weil es sich dann nicht mehr um eine Übersetzung, sondern um eine umfangreiche Definition handeln würde. Somit ist es als gerechtfertigt anzusehen, wenn der Übersetzer einige Merkmale eines Begriffes wegfallen läßt bzw. verallgemeinert und erweitert. Unter der logischen Ableitung von Begriffen versteht man, daß ein Begriff an die Stelle eines anderen tritt, der zu ihm in der logischen Relation Ursache— Wirkung oder deren Umkehrung steht. So kann für den engl. S a t z : The workers insist on higher wages, better living conditions and shorter working hours. folgende Übersetzung gegeben werden: Die Arbeiter fordern höhere Löhne, bessere Lebensbedingungen und eine Senkung der Arbeitszeit. Die Wortgruppen Senkung der Arbeitszeit und shorter working hours bezeichnen hier im ersten Falle einen Vorgang und im zweiten sein Ergebnis, d. h. im ersten Falle wird die Ursache und im zweiten das Ergebnis angesprochen. Oder man vergleiche die Übersetzung des folgenden dt. Satzes ins Englische: Die Urheber des Marshallplanes bezogen die Teilung Europas bewußt in ihre Überlegungen ein. The authors of the Marshall plan deliberately counted on a divided Europe. Was auffällt, ist die Wiedergabe des Verbalsubstantivs Teilung, das für einen

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

Prozeß steht, durch das Partizip divided, das sein Ergebnis oder eine Folge bezeichnet. Die Relation Ursache — Folge ist nur ein spezifischer Fall einer logischen Ableitung von Begriffen, wie sie beim "Übersetzen häufig auftritt. GAK hat völlig zu Recht darauf verwiesen, daß es sich hierbei um eine metonymische Umformung handelt (GAK 19712). Diese bekannte sprachliche Erscheinung bedeutet, daß eine sprachliche Einheit für eine andere eingesetzt wird, und zwar auf der Grundlage der Assoziation zwischen beiden verwandten Bedeutungen. Dazu die folgenden Beispiele: The British worker's take-home pay was severely hit by inflation. Die Nettolöhne der britischen Arbeiter wurden von der Inflation hart getroffen. Für take-home

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'

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.

3

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In diesem Schema der zweisprachigen Kommunikation lassen sich drei Phasen unterscheiden: I. Die Phase der Kommunikation zwischen dem Sender (S) und dem Übersetzer, der hier als Empfänger (E) des Ausgangstextes fungiert. Prinzipiell gibt es hier keinen Unterschied zum normalen Ablauf der Verständigung innerhalb einer Sprache. Diese Übersetzungsphase entspricht der Analyse, wie sie im vorherigen Abschnitt eingeführt wurde. I I . Die Phase des Kodierungswechsels von der QS in die ZS. Realisiert wird sie durch den Übersetzer, der hier als „Umschlüsseler" fungiert (U). In dieser für den Übersetzungsprozeß spezifischen Phase wird der Ausgangstext dekodiert; er wird mit Hilfe der für die QS gültigen Regeln, dem ersten Kode, analysiert, und der Übersetzer faßt die dabei gewonnene Information mit den Zeichen des anderen Kodes (der ZS). Es entsteht die endgültige Mitteilung. I I I . Die Phase der Kommunikation zwischen dem Übersetzer, der als Sender (Sj) auftritt und die endgültige Mitteilung an den Empfänger (E,) weiterleitet. Bei der Betrachtung dieser Darstellung muß davon ausgegangen werden,

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

daß die Begriffe „Kode" und „Umschlüsselung" hier nicht im streng terminologischen, sondern eher im metaphorischen Sinne benutzt werden. I m Unterschied zur einfachen Umkodierung, wo zwischen den Zeichen zweier Kode relativ einfache und stets eindeutige Entsprechungen gegeben sind, ist die Verwandlung von sprachlichen Äußerungen (Texten) der QS in Äußerungen (Texte) der ZS für den Übersetzer ein weitaus komplizierteres Problem (SVEJCEB 1970; 1971). Die Komplexität und die Verschiedenartigkeit im System der natürlichen Sprachen, die Redundanz und die Differenzierung ihrer Strukturen, die Ambiguität und die Synonymie von sprachlichen Einheiten, das Nichtvorhandensein von eineindeutigen Beziehungen zwischen der formalen und der inhaltlichen Seite von sprachlichen Einheiten, d. h. zwischen der Inhaltsebene und der Ausdrucksebene, sowie die fast unbegrenzten Möglichkeiten der kontextuellen Synonyme — alle diese Faktoren bedingen, daß der Übersetzer nicht einfach die Zeichen von einem Kode in einen anderen transponieren kann, sondern eine weitaus kompliziertere Aufgabe bewältigen muß. Er hat die optimale Variante aus einer Vielzahl von potentiell möglichen Varianten auszuwählen. Noch ein weiterer Faktor ist von Bedeutung. Wenn Phase I und I I wirklich hintereinander ablaufen, so laufen Phase I I und I I I zeitlich parallel ab. Es handelt sich also weniger um zwei voneinander getrennte Abschnitte der zweisprachigen Kommunikation, sondern um die gleiche Phase (Synthese der endgültigen Mitteilung), bei der zwei Teilabschnitte zu beobachten sind. I m ersten geht es darum, eine Übersetzungsvariante zu finden, die im Inhalt dem Ausgangstext entspricht und die gleichzeitig die Normen der ZS respektiert ; im zweiten müssen die Zuhörer oder Adressaten entsprechend berücksichtigt werden. Doch dazu an späterer Stelle. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, daß in der vorliegenden Darstellung die folgenden wesentlichen Seiten des Übersetzens richtig hervorgehoben werden: 1. Das eigentliche Übersetzen zerfällt dem Wesen nach in zwei miteinander verbundene Kommunikationsakte — die Kommunikation zwischen Sender und Übersetzer und die zwischen Übersetzer und Empfänger. 2. Der Übersetzer als Teilnehmer des Kommunikationsaktes tritt dabei als Empfänger und als Sender in Erscheinung. Dieser Rollenwechsel ist von entscheidender Bedeutung für den Übersetzungsprozeß. Das Übersetzen wird häufig als die Wiedergabe des Inhalts des Originals mit den Mitteln einer zweiten Sprache definiert. Doch wir wollen etwas genauer bestimmen, aus welchen Elementen sich der Inhalt der ursprünglichen Mitteilung zusammensetzt und welche davon beim Übersetzen in eine andere Sprache unbedingt wiedergegeben werden müssen. Die Semiotik (als die Wissenschaft von den allgemeinen Eigenschaften der Zeichensysteme, darunter auch denen der Sprache) unterscheidet drei Arten von Beziehungen.

Übersetzen als K o m m u n i k a t i o n s a k t

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Die syntaktischen Beziehungen sind diejenigen zwischen den Zeichen, die semantischen Beziehungen bestehen zwischen den Zeichen und den von ihnen bezeichneten Gegenständen und die pragmatischen zwischen den Zeichen und den Zeichenbenutzern. Bei der Untersuchung der Inhaltsebene von sprachlichen Äußerungen ist in der Linguistik der Begriff der sogenannten denotativen Bedeutung üblich. Sie ergibt sich aus der Bezeichnung konkreter gegenständlicher Beziehungen. Der dt. Satz Er tut mir leid und der engl. I feel sorry for bim schildern dieselbe Situation; anders ausgedrückt, haben sie dasselbe Denotat. In ihrer syntaktischen Bedeutung, die sich aus der A r t der syntaktischen Verbindungen zwischen den Elementen der Äußerung, der syntaktischen Struktur also, ergibt, unterscheiden sie sich dagegen voneinander. Für das Übersetzen sind beide Bedeutungsarten wichtig, sie spielen jedoch eine unterschiedliche Rolle. Wenn die denotative Bedeutung im konkreten. Fall erhalten werden soll, wird die syntaktische Bedeutung durch die Spezifik des grammatischen Ä u f b a u s einer Sprache bestimmt. Folglich stellt sie beim Übersetzen eine veränderliche Größe dar. Daraus darf nun aber nicht die Schlußfolgerung abgeleitet werden, daß die syntaktischen Bedeutungen des Ausgangstextes und der Übersetzung überhaupt nicht übereinstimmen könnten. Solche syntaktischen Parallelen werden durch einige ähnliche Merkmale, die die syntaktischen Strukturen verschiedener Sprachen aufweisen, ermöglicht. Ein Beispiel dafür sind die Sätze He reads newspapers und Er liest Zeitungen. Jedoch ist die Erhaltung der syntaktischen Bedeutung einer Äußerung nicht die A u f g a b e des Übersetzers und kann es auch nicht sein. Die syntaktischen Bedeutungen werden beim Übersetzen natürlich berücksichtigt, denn der Übersetzer stützt sich auf sie, wenn er den Sinn der ursprünglichen Mitteilung analysiert, und er wird eine syntaktische Entsprechung in der Zielsprache suchen. Für das Übersetzen ist neben der denotativen Bedeutung noch eine andere Komponente des Inhalts wichtig, und zwar die konnotative Bedeutung. E s handelt sich dabei u m den Aspekt der Bedeutung, der durch die funktionalstilistische und die expressive Färbung eines sprachlichen Ausdrucks bestimmt wird. Bekanntlich können Äußerungen mit der gleichen denotativen Bedeutung völlig unterschiedliche stilistische und expressive A b s t u f u n g e n aufweisen. Ein Beispiel im Englischen ist e t w a : She looks beautiful. She looks gorgeous. She looks like a million dollars. She looks a knock-out. Eine nicht minder wichtige Bedeutungskomponente des Inhalts stellt die pragmatische Bedeutung dar. Sie ergibt sich aus der Beziehung zwischen einem sprachlichen Ausdruck und den Teilnehmern eines Kommunikationsaktes. Bezogen auf das Übersetzen, wird die Rolle der pragmatischen K o m p o nente durch die Unterschiede in der gesellschaftlichen Realität sowie in den

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

kulturellen und historischen Traditionen der verschiedenen Sprachgemeinschaften bestimmt. Beim Übersetzen einer QS-Mitteilung in eine andere Sprache wägt der Übersetzer die zu erwartende außersprachliche Reaktion auf die übersetzte Mitteilung seitens des Empfängers in der ZS gegenüber der Reaktion eines Empfängers ab, der die ursprüngliche Mitteilung in der Quellensprache als seiner eigenen Sprache empfangen hat. Ein Satz wie beispielsweise Perkins made a jifteen-yard end run ist einem amerikanischen Leser durchaus verständlich. Dieser assoziiert ihn mit einer ganz bestimmten Situation im amerikanischen Fußball. Wenn wir diesen Satz ins Deutsche übersetzen Perkins tat einen Satz zur Seite und legte 15 Yards zurück, dann wird er für einen deutschen Leser, der mit diesem Spiel nicht vertraut ist, kaum ohne eine entsprechende Erklärung zu verstehen sein. Es muß also notwendigerweise in den Text (oder in eine entsprechende Anmerkung) ein Hinweis aufgenommen werden, der dem Leser erklärt, daß hier ein angreifender Spieler versucht, mit dem Ball in der Hand den hinteren Verteidiger zu umlaufen. Häufig beeinflußt die Berücksichtigung der pragmatischen Bedeutung einer Äußerung die Wiedergabe ihrer anderen Bedeutungen. Das ist nicht abwegig, denn die oben aufgeführten inhaltlichen Komponenten sind eng miteinander verflochten. Doch wenden wir uns wieder der schematischen Darstellung des Übersetzungsprozesses als Kommunikationsakt zu. Unter den konkreten Bedingungen des Sprechaktes hängt vieles von der Zielrichtung einer bestimmten Äußerung ab. Jede Äußerung hat ein spezifisches Ziel; es kann darin bestehen, einfach Fakten mitzuteilen, den Gesprächspartner zu überzeugen oder ihn zu bestimmten Handlungen zu bewegen. Damit haben wir ein äußerst wichtiges Element bei der Planung oder Programmierung jeglicher Tätigkeit, die sprachliche Aktivität inbegriffen, vor uns. Es geht um die Bestimmung dessen, wie die Situation nach einer Aktivität aussehen wird. Um in der Sprache der Psychologen zu sprechen, geht es um ein „Modell des Künftigen" ( L E O N T ' E V 1975, S. 33). Diese Zielvorstellung bestimmt sowohl die Auswahl der sprachlichen Mittel als auch ihr spezifisches Gewicht im Rahmen einer gegebenen Äußerung. Wird der Sprechakt unter dem Blickwinkel seiner Zielrichtung betrachtet, so können wir in ihm eine Reihe funktioneller Merkmale bestimmen, die beim Übersetzen unbedingt berücksichtigt werden müssen. Diese charakteristischen Merkmale wurden von J A K O B S O N in seiner Arbeit „Linguistics and Poetics" zusammengestellt (JAKOBSON 1966). I m folgenden sollen die für das Übersetzen wichtigsten Merkmale beleuchtet werden. An erster Stelle steht die sogenannte referentielle oder denotative Funktion,

Übersetzen als K o m m u n i k a t i o n s a k t

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sie liefert eine Beschreibung der Objekte und Objektbeziehungen (der „Denotate der Mitteilung"). Die sogenannte expressive Funktion, die das Verhältnis des Sprechers zu einer Äußerung erfaßt, ist auch eines der wesentlichen Merkmale des Sprechaktes, die sowohl bei der Analyse wie auch bei der Synthese Berücksichtigung finden. Der Übersetzer wägt dabei die Expressivität der übersetzten und der ursprünglichen Mitteilung gegeneinander ab. Er muß berücksichtigen, daß äußerlich dem gleichen Typ zuzuordnende Mittel einer Sprache sich manchmal wesentlich durch den Grad ihrer Expressivität unterscheiden. Wird das übersehen, sind Sinnentstellungen möglich, ähnlich etwa denen, die R E C K E R in frühen Übersetzungen des Romans „Ein Adelsnest" von Turgenjew ins Englische gefunden hat ( R E C K E R 1 9 5 0 ) : Deneg u nego bylo malo. Of money he had not much. Den'gami ego snabdil sosed. Money he was provided with by a neighbour. Hier wurde der russischen Inversion genau die gleiche Ausdrucksstärke zugeschrieben, wie sie die im Englischen wesentlich seltener verwendete Form hat. Die poetische Funktion des Sprechaktes umfaßt die eigentliche Form der sprachlichen Äußerung. Da in diesen Fällen die sprachliche Form selbst kommunikative Relevanz erlangt und diese Form nicht mechanisch in eine andere Sprache übertragen werden kann, wird die Suche nach funktionellen Äquivalenten Modifikationen der denotativen Bedeutungen mit sich bringen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn Wortspiele übersetzt werden sollen: „Can you herd sheep?" („Können Sie Schafe hüten?") „Do you mean have I heard sheep ?" („Sie meinen, ob ich Schafe gehört habe?") „A ne mozete Ii vy pasti ovec?" („Können Sie Schafe hüten?") „Ne mogu Ii ja spasti ovec?" („Ob ich Schafe retten kann?") — ( K O M I S S A R O V , RECKER, TARCHOV 1 9 6 0 ;

1965).

In wieder anderen Fällen geht es um den Kode selbst, also um die im Kommunikationsakt verwendete Sprache. Diese funktionelle Charakterisierung der Sprache wird mit dem Begriff metalinguistisch erfaßt. In manchen Fällen kann die metalinguistische Funktion über alle anderen Merkmale einer Äußerung dominieren. Vgl. dazu das folgende Beispiel aus dem Roman „Little Dorrit" von Charles Dickens mit der dt. Übersetzung: „'Papa' is a preferable form of address", observed Mrs. General. „'Father' is rather vulgar, my dear. The word 'Papa', besides, gives a pretty form to the lips. Papa, potatoes, poultry, prunes and prisms are all very good words for the lips, especially prunes and prisms." „'Papa' ist als Anrede vorzuziehen", bemerkte Mrs. General.

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

„' Vater' klingt etwas gewöhnlich, meine Liehe. Das Wort 'Papa? verleiht außerdem den Lippen eine schöne Form. Papa, Porree, Pute, Prünellen und Prisma sind alles sehr gute Worte für die Lippen; besonders Prünellen und Prisma." Oder auch das folgende Beispiel aus „Alice in Wonderland" von Lewis Carroll: "Thafs the reason they 're called 'lessons'," the Gryphon remarked: "Because they lesson from day to day." „Daher kommt doch der Name 'unterrichten"1, bemerkte der Greif. „Weil die Stunden Tag für Tag ,unter richtigen' Stundenplänen liegen." An diesen Beispielen wird deutlich, daß die Wiedergabe der metalinguistischen Funktion wichtiger ist als die Erhaltung der denotativen Bedeutung der im Ausgangstext erscheinenden Wörter. Ganz anders liegen die Probleme, mit denen der Übersetzer bei der Wiedergabe der „phatischen Funktion" einer Äußerung konfrontiert wird, wo es um die Weiterführung des Kontaktes zwischen den Teilnehmern am Kommunikationsakt geht. Die Aufrechterhaltung dieses Kontaktes erfordert spezielle Sprachsignale, die anzeigen, daß der Empfänger auch weiterhin der Mitteilung folgt. I n jeder Sprache gibt es für diesen Zweck bestimmte Signale (vgl. im Deutschen Aha!, Ach so!, Ach wirklich?, Interessant! und im Englischen I see, Is that so?, Oh, yes!). Für den Übersetzer sind vor allem die Fälle von Homonymie interessant, wo solche Wendungen in der denotativen und phatischen Bedeutung auftreten. Vgl. dazu die Übersetzung von zwei Beispielen aus dem Englischen ins Deutsche, in denen die Phrase you know vorkommt. I m ersten Beispiel wird der Ausdruck in seiner eigentlichen Bedeutung verwendet, im zweiten dagegen ist er lediglich „Füllstoff". "Do you know him?" „Kennen Sie ihn?" "Why aren't there any more people from Oxford?" "Oh, you know, they're all abroad or working, or can't afford the train fare, I suppose." „ Warum ist weiter niemand aus Oxford da ?" „Ja, was soll ich sagen? Wahrscheinlich sind sie jetzt alle im Ausland oder auf Arbeit, oder sie können das Fahrgeld nicht aufbringen." Die angeführten Beispiele zeigen, daß die funktionellen Dominanten eines Textes, d. h. die funktionellen Merkmale, die in ihm — dem Ziel der Kommunikation entsprechend — die dominierende Rolle spielen, die Prinzipien der Analyse und der Synthese von sprachlichen Mitteln im Übersetzungsprozeß bestimmen. Das Textgenre und die damit verbundene Ziel Vorstellung können unter bestimmten Bedingungen die denotative Funktion sogar in den Hintergrund drängen, obwohl diese im Normalfall die wichtigste Rolle spielt. Da die funktionellen Dominanten eines Textes per definitionem variable Größen darstellen, erhebt sich die Frage: Was ist nun die Invariante der

Übersetzen als Kommunikationsakt

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Übersetzung, was bleibt beim Übergang eines Textes der Sprache A in einen Text der Sprache B unverändert? Für diese Invariante existieren bereits zahlreiche Definitionen ( B A K C H U D A B O V 1 9 6 2 ; 1 9 6 4 ; L E O N T ' E V 1 9 6 9 ) . In den meisten Fällen wird sie als das dem Sinngehalt verschiedensprachiger Texte Gemeinsame oder als die Konstanz der Inhaltsebene bei der Ablösung eines Textes in der Sprache A durch einen Text in der Sprache B definiert. Eine solche Bestimmung erfaßt jedoch nicht alle Fälle, die wir bereits einer Analyse unterzogen haben. Denn offensichtlich geht sie davon aus, daß der gesamte Umfang der im Original enthaltenen Information beim Übersetzen erhalten werden muß. Wir konnten jedoch bereits feststellen, daß es sich in Wirklichkeit anders verhält. Das situative Modell hat gezeigt, daß beim Übersetzen einige semantische Komponenten weggelassen oder eingefügt werden können. Oft erfordert die Wiedergabe der pragmatischen Bedeutung — wir haben das an einem Beispiel gesehen — eine Erweiterung des Textes durch die Einführung zusätzlicher Informationen. Manchmal muß aber auch eine Information, die für den Empfänger in der Zielsprache redundant ist, weggelassen werden. Doch dazu an späterer Stelle. Der Definition von KUZ'MEST zufolge ist die Invariante des Übersetzens „die Situation in der Realität, wie sie vom Verfasser der Mitteilung erfaßt wird" ( K U Z ' M I Í T 1 9 6 8 ) . Das wäre möglich, wenn alle Texte Situationsbeschreibungen wären und wenn die Reaktion auf ein und dieselbe Situation für den Verfasser der Mitteilung und für den Empfänger in der anderen Sprache stets identisch wäre. Das aber entspricht nicht der Realität. C A T F O R D faßt die Invariante als „eine Entsprechung zwischen den differentiellen Merkmalen" (zumindest zwischen einigen von ihnen) im Text der Ausgangssprache und in dem der Zielsprache auf ( C A T F O R D 1 9 6 5 ) . Unter diesen Merkmalen versteht er Situationsmerkmale, die für den konkreten Text wesentlich sind und die die Auswahl bestimmter sprachlicher Formulierungen bestimmen. Bei dieser Definition bleibt vieles ungeklärt. Wie etwa soll ein Minimum an derartigen Merkmalen bestimmt werden, das gerade noch ausreichend ist, um eine solche Beziehung zwischen dem Text in der Ausgangssprache und dem Text in der Zielsprache anzusetzen? Welche Kriterien gibt es für die Situationsmerkmale ? Eine klare Antwort auf diese Fragen bleibt die Catfordsche Arbeit schuldig. Angesichts dessen, was wir bereits über die Vielschichtigkeit des Übersetzungsprozesses gesagt haben, kann die Reduzierung der Übersetzungsproblematik auf die Frage nach den differentiellen Situationsmerkmalen wohl kaum für gerechtfertigt angesehen werden. Doch was kann dann als die Invariante der Übersetzung betrachtet werden ? Wir sind der Auffassung, daß beim Übersetzen der funktionelle Inhalt des Ausgangstextes unverändert bleibt, das heißt unverändert bleiben sollte. Unter funktionellem Inhalt verstehen wir dabei den Aspekt des Sinns (sowohl

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

die semantische als auch die pragmatische Seite), der vom Kommunikationsziel und den funktionellen Charakteristika der zu übersetzenden Äußerung bestimmt wird, wobei auch das Verhältnis zwischen diesen beiden Größen von Bedeutung ist. Ein und dasselbe sprachliche Mittel hat somit eine unterschiedliche Wertigkeit, die von seiner Funktion im Text abhängt. Dies wird z. B. deutlich bei der folgenden Nachdichtung von Robert Burns' " The auld farmer's New- Year morning salutation to his auld mare A Guid New- Year I wish thee, Maggie ! Hae, there's a ripp to thy auld baggie: Tho' thou's howe-backit now, an' knaggie, I've seen the day Thou could hae gaen like owie staggie, Out-owre the lay.

Maggie":

Des alten Farmers Neujahrsmorgengruß an seine alte Mähre Maggie Prost Neujahr dir, du alte Mähre ! Friß dich nur satt an Korn und Ähre: Dein hohles Kreuz, mich dauert's sehr ;/Ich sah den Tag, Als du, ein Füllen, sprangst einher,!Durch Busch und Hag. Wenn z. B. in Scholochows Roman „Neuland u n t e r m Pflug" die Dialektismen zur Charakterisierung der handelnden Personen beitragen und im K o n t r a s t zur Literatursprache des Autors stehen, so fehlt in diesem Fall eine solche Gegenüberstellung. Deshalb ist hier völlig zu Recht auf die Wiedergabe der dialektalen F ä r b u n g verzichtet worden. Diese Aussage über die funktionelle I n v a r i a n t e der Übersetzung steht keineswegs im Widerspruch zu den oben getroffenen Feststellungen über die semantische oder situationsbedingte Invariante. Sie schließt diese insoweit ein, als die Übertragung der Information als die wichtigste Funktion eines jeden Kommunikationsaktes angesehen werden muß. Gleichzeitig können mit einer solchen Definition aber auch jene Fälle erfaßt werden, in denen die kommunikative Zielstellung des Sprechaktes andere funktionelle Charakteristika des zu übersetzenden Textes in den Vordergrund rückt. Daraus folgt, daß man sich den Übersetzungsprozeß allgemein als einen Prozeß der Lösungssuche (decision process) vorstellen kann, der einer bestimmten Auswahl variierender funktioneller Kriterien entspricht (LEVY1967). Die Uneinheitlichkeit der Entscheidung beim Übersetzen wird dabei bestimmt durch die Vielzahl der auf das Übersetzungsergebnis einwirkenden, veränderlichen Größen, ebenso wie durch die breite Möglichkeit der Paraphrasierung (der kontextuellen Synonymie). Mit anderen W o r t e n : von einer Äußerung k a n n es nicht nur eine, sondern mehrere „richtige" Übersetzungsvarianten geben.

Übersetzen als K o m m u n i k a t i o n s a k t

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In der linguistischen Fachliteratur findet der Begriff „Übersetzungseinheit" Verwendung. Dieser Terminus wird jedoch unterschiedlich definiert. Nach KADE ist die Übersetzungseinheit das „jeweils kleinste Segment des QSTextes, für das dank der potentiellen Äquivalenzbeziehungen ein Segment im Z S - T e x t gesetzt werden kann, das die Bedingungen der Invarianz auf der Inhaltsebene erfüllt" (KADE 1968, S. 90). Als Übersetzungseinheit kann ein Wort, eine phraseologische Einheit, ein Satz gelten, und im Extremfall kann der gesamte zu übersetzende T e x t eine einzige Übersetzungseinheit darstellen. Z u m Beispiel wurde der Titel des engl. Films Room at the Top zuerst falsch ins Russische übersetzt, und zwar als Mansarda („Mansarde"). Später wurde er korrigiert in Der Weg in die höhere Gesellschaft (dt. T i t e l : Der Weg nach oben). Voraussetzung für diese Korrektur war offensichtlich eine genaue Kenntnis des Drehbuchinhalts. An dieser Stelle taucht nun die Frage auf, ob man bei solchen Textabschnitten den Begriff „Einheit" überhaupt verwenden kann. W i r sind der Auffassung, daß der Begriff Übersetzungseinheit vor allem deshalb einen terminologischen Widerspruch enthält, weil jede Einheit eine konstante Größe ist, wohingegen die sogenannte Übersetzungseinheit per definitionem eine variable Größe darstellt. Außerdem gilt in der Sprachwissenschaft jede Einheit, die einer bestimmten Sprachebene zuzuordnen ist, als eine Konstante. Die Übersetzungstheorie dagegen versteht unter einer Übersetzungseinheit variable und linguistisch nicht definierte Redesegmente der Quellensprache. Schließlich trifft es auf jede beliebige Einheit zu, daß gleichartige Größen sozusagen ausgemessen werden können, indem man sie als eine lineare Folge oder eine Summe von bestimmten Einheiten darstellt. So kann zum Beispiel eine Äußerung als eine Folge von Phonemen und Morphemen dargestellt werden. Der Übersetzungsprozeß kann allerdings keinesfalls als das einfache Zusammenfügen von Einheiten beschrieben werden. Hier geht es um weitaus kompliziertere Vorgänge. W i r wollen an dieser Stelle ein von KADE angeführtes Beispiel analysieren, in dem als Übersetzungseinheit (d. h. als minimaler, vom Standpunkt des Übersetzens unteilbarer Redeabschnitt) der folgende Satz aufgeführt wird: Der Verlag trägt deshalb mit einer Nachauflage den Wünschen der Leser Rechnung

(KADE 1 9 6 8 , S . 9 1 ) .

Der dt. Satz könnte durchaus in kleinere Bestandteile zerlegt werden (z. B . Verlag, Nachauflage, Leser), er kann aber erst dann endgültig übersetzt werden, wenn die strukturellen Beziehungen auf der Satzebene berücksichtigt werden. Denn der Übergang zur jeweils höheren Ebene (von der Ebene des Wortes zur Ebene der Wortverbindung, von hier zur Ebene des Satzes und vom Satz zu den komplizierteren syntaktischen Konstruktionen, den A b -

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

Sätzen oder Texten) kann eine neue Qualität in den Übersetzungsprozeß einbringen und t u t dies gewöhnlich auch. Dasselbe tritt auch bei der sequentiellen Erfassung der oben aufgeführten funktionellen Merkmale einer Äußerung ein. Die Dimension der „minimalen Übersetzungsabschnitte" (und letztere sind es wirklich wert, in der Übersetzungstheorie aufmerksam betrachtet zu werden, wenn sie auch absolut nicht unter die Kategorie von Einheiten fallen) hängt von einer komplizierten Wechselwirkung extralinguistischer und intralinguistischer Faktoren ab. Hin und wieder sind es auch rein zufällige Umstände, die die Größe dieser Abschnitte bestimmen, wie etwa der Abstand zwischen einem gegebenen Wort und einer anderen Einheit, die seine Bedeutung genauer bestimmt. An dieser Stelle soll auch etwas zu der Übersetzung von vieldeutigen Wörtern gesagt werden. Es heißt, daß die Ambiguität eines Wortes durch den Kontext beseitigt wird. Zum Kontext gehören im Normalfall lexikalische Einheiten und syntaktische Konstruktionen, die als lexikalische und syntaktische Hinweise verstanden werden können, mit deren Hilfe der Übersetzer entscheiden kann, in welcher konkreten Bedeutung ein bestimmtes Wort oder eine Wortverbindung gebraucht wird. I m Kontext der Wortverbindung to run a business verweisen die syntaktische Konstruktion (Verb mit direktem Objekt) und die lexikalische Bedeutung des Wortes business darauf, daß run hier in der Bedeutung „leiten", „führen" verwendet wird. In der Äußerung If the people are taxed much more, they 'II begin to kick ist zur Ermittlung der Bedeutung von kick („protestieren", „nörgeln", „sich [mit Händen und Füßen] wehren") der gesamte Kontext notwendig. In einer anderen Äußerung He is much better today. 11hink he 'II do now ist zur Ermittlung der Bedeutung von do, in diesem Zusammenhang „genesen", unbedingt der vorhergehende Satz erforderlich. Und wenn wir den folgenden Satz aus einer amerikanischen Zeitschrift The attack on "big spenders" has an obvious appeal to the Republican party unter diesem Aspekt betrachten, erweist sich, daß der Sinn der Wortverbindung big spenders erst in einem der anschließenden Absätze klar wird, wenn es heißt: No effort should be spared to make it clear to the American people who the "big spenders" are and for what they are spending taxpayer's money. Erst nachdem der Übersetzer diesen Satz gelesen hat, kann er den ganzen Absatz richtig erfassen: Der Angriff auf die „Geldverschwender" sagt der Republikanischen Partei offensichtlich zu. Dem amerikanischen Volk müßte um jeden Preis klargemacht werden, wer die Gelder der Steuerzahler verschwendet und wohin diese Gelder gehen. Ein weiterer häufig verwendeter Begriff in theoretischen übersetzungswissenschaftlichen Arbeiten ist der der „adäquaten Übersetzung". Es scheint wenig sinnvoll, die vielen Definitionen dieses Begriffes aufzuzählen. Wir

Übersetzen als K o m m u n i k a t i o n s a k t

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möchten nur auf die für das Verständnis des Prinzips der Adäquatheit äußerst wichtigen Abgrenzungen eingehen, die in den Arbeiten von NIDA zwischen der dynamischen Äquivalenz („dynamische Gleichwertigkeit" bei NIDA) und der formalen Äquivalenz („formale Entsprechung") vorgenommen werden (NIDA 1 9 6 9 ; 1 9 6 9 , S . 2 1 - 2 3 ) .

Normalerweise werden die Ergebnisse des Übersetzens verglichen, indem der Ausgangstext in der QS und der Text in der ZS einander gegenübergestellt werden. Dieser Vorgang kann schematisch wie folgt dargestellt werden:

s

M,

\ \

In dieser Darstellung enthalten die Quadrate die Bezeichnungen für die Kommunikationsteilnehmer in der Quellensprache und die Kreise die Kommunikationsteilnehmer in der Zielsprache. Der Sender S übermittelt die Mitteilung M t an den Empfänger E 1 ; der sie in der Quellensprache aufnimmt. E j ist der Adressat unserer Mitteilung. Der Übersetzer (Ü) tritt nacheinander als Empfänger und Sender in Aktion, zuerst nimmt er M t auf und ist in dieser Situation mit E t gleichzusetzen; dann schafft er in einem völlig anderen kulturhistorischen Kontext die Mitteilung M 2 , die dem Empfänger E 2 verständlich sein soll. Die Übersetzungskritik läuft im Normalfall so ab, daß die formalen und inhaltlichen Strukturen von M t und M2 einander gegenübergestellt werden. Auf dieser Grundlage beurteilt der Kritiker Ü 3 S 3 , inwieweit es sich um eine richtige Übersetzung handelt. Diesem Schema stellt NIDA ein anderes gegenüber, in dem die Übersetzungskritik nicht vom Kriterium der formalen Übereinstimmung der Texte, sondern von der „dynamischen Äquivalenz" ausgeht. S

M,

OS 6 Übersetzung

E,

b 0—

-©n ZS

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

I n diesem Falle ist die Aufmerksamkeit desjenigen, der die Qualität der Übersetzung bewertet, nicht auf die formale Entsprechung der Texte M 2 und M t gerichtet, sondern darauf, wie die entsprechenden Mitteilungen von den Empfängern E A und E 2 — den Trägern der Sprachen A und B — verstanden werden (vgl. die durchgehenden Linien zwischen Ü 3 S 3 und E A und E 2 ). Dieses Problem kann mittels Informantenbefragung gelöst werden, wobei Informanten jeweils Träger der Sprache A oder B sind. Ähnlich geht auch der Übersetzer gelegentlich vor, wenn er sich nämlich an Muttersprachler wendet und deren Reaktion auf seine Übersetzungsvariante testen will. Häufiger jedoch schafft sich der Übersetzer auf der Suche nach der optimalen Variante eine bestimmte Vorstellung von der Reaktion des Empfängers auf eine bestimmte Stelle seiner Übersetzung. Eine solche Art von Hypothese stellt ganz offensichtlich eines der Elemente der bereits erwähnten „Wahrscheinlichkeitsprognose" dar. Von der gleichen Hypothese geht auch ein Übersetzungskritiker (Ü 3 S 3 ) aus, der f ü r seine Beurteilung die Sprachen A und B beherrschen muß. Die „dynamische Äquivalenz" oder „dynamische Gleichwertigkeit" ist die Eigenschaft der Übersetzung, in der der Inhalt einer ausgangssprachlichen Mitteilung so übertragen wurde, daß die Reaktion des zielsprachigen Empfängers in den wesentlichen Zügen der Reaktion eines Empfängers in der Quellensprache entspricht. Diese Reaktion des Empfängers schließt dabei sowohl das Verständnis der im Text enthaltenen Information ein als auch das Erfassen der expressiven und sonstigen funktionellen Merkmale dieses Textes. Nicht zufällig spricht man davon, daß diese Reaktion gleich und nicht identisch sein soll. Die unterschiedlichen kulturellen und historischen Erfahrungen schließen bei verschiedensprachigen Empfängern in einigen Fällen eine volle I d e n t i t ä t in den Reaktionen aus. Daraus läßt sich die Schlußfolgerung ableiten, daß der Begriff der „dynamischen Äquivalenz" unserem Begriff der „funktionellen Äquivalenz" vollauf entspricht. Nur die Übersetzung verdient das P r ä d i k a t adäquat, die das kommunikative Ziel des Senders wiedergibt. D a r u n t e r ist zu verstehen, daß die Reaktion des Empfängers der kommunikativen Intention des Senders entsprechen muß. Wäre das nicht der Fall, f ä n d e offenbar keine Kommunikation s t a t t . Mit dem Verweis auf die Reaktion der Empfänger unterstreicht N I D A , wie wichtig es ist, die pragmatische Seite beim Übersetzen zu berücksichtigen. Darüber schreibt auch N E U B E E T in seinen Arbeiten zur Übersetzungstheorie ( N E U B E E T 1968; 1970). Er unterscheidet zwei Arten der A d ä q u a t h e i t : eine Adäquatheit, die als Wiedergabe des Inhalts des Originals unter Beachtung der Normen der Zielsprache betrachtet wird, und eine pragmatische Adäquat-

Übersetzen als Kommunikationsakt

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heit, bei der darüber hinaus auch die pragmatischen Aspekte des Übersetzens erfaßt werden. Das Verdienst, N I D A S Modell der „dynamischen Äquivalenz" weiter ausgearbeitet zu haben, gebührt dem jugoslawischen Linguisten I V I R , der die Aufmerksamkeit auf die in verschiedene Richtungen weisende Orientierung während des Übersetzungsprozesses (multidirectional character) lenkt. Die Grundlage dieses Prozesses ist die sogenannte extralinguistische Mitteilung, d. h. eine Mitteilung, die als bestimmte Konfiguration der extralinguistischen Merkmale aufgefaßt wird, die in der gegebenen Situation mitgeteilt werden. Die Übersetzung wird also nicht als ein Umwandlungsprozeß des Ausgangstextes in den Text der Zielsprache entsprechend den eingleisigen Regeln der formalen semantischen Übereinstimmung betrachtet. Zwischen der „extralinguistischen Mitteilung" (extralinguistic message) und ihrer ursprünglich kodierten Form in der Originalsprache, dem Dekodieren des Ausgangstextes durch den Übersetzer für die Aufnahme der Mitteilung, dem Kodieren der erhaltenen Mitteilung durch den Übersetzer zur Weitergabe der Mitteilung in Form des Endtextes an die Endadressaten und dem Dekodieren dieses Textes durch die Endadressaten zur Entnahme der enthaltenen Information existieren weit kompliziertere, in mehreren Richtungen verlaufende (multidirectional) Verbindungen: Extra/inguistische

Ausgangs/ext

Mitteilung

Endtext

Die Beziehungen der Äquivalenz zwischen dem Ausgangstext und dem Text in der Zielsprache werden nicht unmittelbar, sondern durch die Mitteilung hergestellt: Jeder der Texte unterhält eine selbständige Beziehung der Äquivalenz zur Mitteilung. Die extralinguistische Mitteilung ist Ausgangspunkt und Grundlage der Kommunikation, und das Zurückkommen auf diese Mitteilung ist obligatorisch für jeden Schritt des Übersetzungsprozesses (IVIR

1981).

Auf diese Weise haben wir uns also ganz unmittelbar der Frage der Äquivalenz genähert, einer der zentralen Fragen der Übersetzungstheorie, über die es aber offenbar keine einheitliche Meinung gibt. Das kommt daher, daß die Interpretation der Äquivalenz vom Verständnis der Übersetzung selbst abhängt, ihrer Ontologie und Beziehung zur Sprache und zur außersprachlichen Welt. Im Endeffekt gibt es genauso viele Auslegungen der Äquiva6*

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

lenz wie es unterschiedliche Ansichten über die Übersetzung selbst gibt. So geht beispielsweise BARCHUDAROV (1975) von rein linguistischen Kriterien aus (Äquivalenz auf dem Niveau des Phonems, Morphems, Wortes, Satzes, Textes). KOMISSAROV (1973) hebt die Äquivalenz auf dem Niveau der Aussage, Mitteilung, Situation und des kommunikativen Zieles hervor. Legen wir dem Modell der übersetzerischen Äquivalenz ein Modell zugrunde, das von GAK und L'VIN (1970) vorgeschlagen wird und dem zufolge drei Arten von Äquivalenz unterschieden werden: die formale, die semantische und die situative. Die formale Äquivalenz wird durch die größtmögliche Identität der lexikalischen Einheiten und grammatischen Formen bestimmt: 1. Meine Mutter kommt zu mir. My mother is Coming to me. Die formalen Unterschiede zwischen dem deutschen Satz und seinem englischen Äquivalent ergeben sich lediglich aus den allgemeinen strukturellen Unterschieden zwischen den beiden Sprachen (vgl. die deutsche Form des femininen Geschlechts meine, und die englische Form des Präsens continuus is Coming). Was das übrige anbelangt, so weisen diese beiden Sätze eine recht große strukturelle Identität auf. Bei der semantischen Äquivalenz werden zum Ausdrücken ein und derselben semantischen Komponenten strukturell unterschiedliche sprachliche Mittel eingesetzt: 2. Sie stehen Schlange, um Karten zu kaufen. They are queueing to buy tickets. Hier finden wir ein und dieselben semantischen Komponenten (Seme), verteilt auf die beiden Elemente des deutschen Ausdrucks Schlange stehen und im zweiten Beispiel konzentriert in dem einen englischen Wort queueing. Die situative Äquivalenz setzt die Verwendung verschiedener semantischer Komponenten für die Beschreibung gleicher außersprachlicher Situationen voraus: 3. Beim Flugzeugabsturz in Illinois sind 84 Fluggäste ums Leben gekommen. The air crash in Illinois killed 84 passengers. Vgl. ums Leben gekommen und killed. Hier ist es am Platz, die Frage zu stellen: Ist denn tatsächlich von unterschiedlichen Niveaus oder Typen der Äquivalenz die Rede? Verlangt doch die sogenannte „formale Äquivalenz" (1.) nicht nur eine semantische, sondern offenbar auch eine pragmatische Übereinstimmung. Deshalb kann man behaupten, daß in 1. und 2. die Äquivalenz semantischen und pragmatischen Charakter trägt. Der Unterschied zwischen ihnen wird durch die Anwendung verschiedener Übersetzungsmodelle bestimmt: der Substitution

Übersetzen als Kommunikationsakt

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im ersten Beispiel und der syntaktischen Transformation VN -«-V im zweiten. Mit anderen W o r t e n : Wir haben zwei Arten semantischer Äquivalenz vor uns, die man als „nichttransformiert" und „transformiert" bezeichnen könnte. Zu den „transformierten" Äquivalenten gehören alle Arten von grammatischen Transformationen, die bei der Übersetzung angewendet werden: 4. He is a late-comer. Er kommt ständig zu spät. 5. Man hat den Elektriker holen lassen. The electrician has been sent for. I n all diesen Fällen drücken die verschiedenen grammatischen Formen ein und dieselben semantischen Komponenten aus. Diese Art von Äquivalenz k a n n man als „komponentische" Äquivalenz bezeichnen. I m dritten Beispiel jedoch haben wir es mit einer völlig anderen Art von semantischer Äquivalenz zu t u n . Der Terminus „situative" Äquivalenz scheint hier nicht ganz angebracht, weil er die Vorstellung vermitteln könnte, daß diese Aussagen nur eines gemeinsam hätten — den Referenten (der außersprachlichen Situation). I n diesem Falle aber müßten wir dieser Gruppe auch solche unäquivalenten Beispiele zurechnen wie: 6. She is not the most beautiful of women. Sie ist häßlich wie die Nacht. Die Rede ist von einem besonderen T y p der semantischen Äquivalenz, bei der ein und derselbe referentielle Sinn mit Hilfe verschiedener Kombinationen semantischer Komponenten wiedergegeben wird. Wenn man Beispiel 3. auf die Formel a + b + c + ... + z = a + b + c + ... +z bringen kann, so k a n n m a n Beispiel 6. mit der Formel a + b = c + d beschreiben. Der referentielle T y p der semantischen Äquivalenz geht auf kompliziertere lexikalisch-grammatische Transformationen zurück, denen metonymische (7.) oder metaphorische (8.) Übertragungen zugrunde liegen: 7. Meine Uhr steht. My watch has stopped. 8. Das ist nur ein Katzensprung. This is just a stone's throw. Das an anderer Stelle über die Notwendigkeit der Übereinstimmung zwischen der kommunikativen Einstellung des Textautors und der Aufnahme dieses Textes von Seiten des Adressaten der Zielsprache Gesagte läßt uns die Schlußfolgerung ziehen, daß die pragmatische Äquivalenz die Grundlage eines beliebigen T y p s der semantischen Äquivalenz darstellt, der transformierten wie der nichttransformierten, der Komponentenäquivalenz und der referentiellen. Dabei entsteht jedoch folgende F r a g e : K a n n die pragmatische Äquivalenz selbständig, ohne semantische Äquivalenz, existieren? Es h a t den

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Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

Anschein, als hänge die Antwort auf diese Frage von der konkreten Konfiguration der funktionalen Parameter ab, die die vorliegende Aussage charakterisieren (siehe JAKOBSON 1966). Die semantische Äquivalenz ist in den Fällen unumgänglich, wenn die „referentielle" oder „denotative" Funktion die Grundfunktion der Mitteilung darstellt; d. h., wenn das Augenmerk auf die Beschreibung von gegenständlichen Situationen gerichtet ist. Aber auch in diesen Fällen kann der pragmatische Filter eine Reihe von Abweichungen von der semantischen Übereinstimmung hérvorrufen, und zwar auf Grund eines unterschiedlichen Ausgangswissens des Empfängers des Ausgangs- und des Endtextes. Vgl. das folgende Beispiel: Ee brat usel v armiju v 1941 g. Her brother joined the army when Nazi Oermany attacked the USSR. Im vorliegenden Fall ist die Abweichung von der semantischen Äquivalenz dadurch hervorgerufen, daß der Begriff „1941" für viele Amerikaner, an die sich die Übersetzung richtet, nicht mit der gleichen für das Verständnis des Textes notwendigen Information gekoppelt ist, die sie für den Empfänger in der UdSSR enthält. Die Abweichung von der semantischen Übereinstimmung kann auch noch spürbarere Ausmaße in den Fällen annehmen, wenn andere Funktionen in den Vordergrund rücken (beispielsweise eine poetische oder metalinguistische), wie bei der Wiedergabe des folgenden Wortspiels: Oh, ignorant young creatures! How little do you Icnow the effect of rack-punch! What is the rack in the punch at night to the rack in the head in the morning 1 (W. Thackeray, Vanity Fair). Die pragmatische Aufgabenstellung kann den Übersetzer veranlassen, von wörtlichen lexikalisch-semantischen Übereinstimmungen abzusehen und sogar eine andere stilistische Form zu wählen (die Versform anstelle des Wortspiels), etwa: Was ist das abendliche Mahl gegen die Morgenqual ? Oder: Was ist die abendliche Zecherei gegen die Morgenquälerei? Es gibt also zwei Arten von Äquivalenz — die semantische und die pragmatische. Die unterschiedlichen semantischen Äquivalente (das transformierte und das nichttransformierte, das Komponenten- und das referentielle Modell) repräsentieren unterschiedliche Typen der Übersetzungstransformationen: das nichttransformierte — die Substitution —, das transformierte — die grammatische Transformation —, das referentielle — die lexikalischsyntaktische Periphrase. Pragmatische Äquivalenz kann mit semantischer einhergehen oder in Einzelfällen selbständig existieren. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß es zwei Typen der statischen Äquivalenz gibt: semantische und pragmatische. Erstere kann transformiert und nicht-transformiert erscheinen. Zu der transformierten Variante zählen

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Übersetzen als Kommunikationsakt

solche Unterarten wie komponentielle und referentielle Äquivalenz. Das statische Modell der Äquivalenz kann wie folgt dargestellt werden:

SEMANTISCHE ÄQUIVALENZ

Nicht-transformiert

Transformiert Komponentiell

+

PRAGMATISCHE ÄQUIVALENZ

-

-

+ + +

-

-

-

-

+ +

Referentiell

+ + + +

Aus dieser Tabelle geht hervor, daß jeder Typ den Bedingungen der darauffolgenden Äquivalenztypen (von links nach rechts in der Tabelle) entspricht. So ist nicht-transformierte semantische Äquivalenz gleichzeitig komponentiell, referentiell und pragmatisch. Komponentielle Äquivalenz schließt referentielle und pragmatische Äquivalenz ein. Referentielle Äquivalenz ist gleichzeitig auch pragmatisch. Und pragmatische Äquivalenz schließlich kann allein vorkommen. Die Typen der statischen Äquivalenz sind organisch mit dynamischen (operativen) Übersetzungsmodellen als deren Produkte verbunden. Nichttransformierte semantische Äquivalenz basiert auf Substitution, komponentielle Äquivalenz auf grammatischen Transformationen, und pragmatische Äquivalenz kann erreicht werden durch Auslassungen, Ergänzungen oder vollständige Umschreibungen. Mit dem oben angeführten Modell wird es möglich, zwischen der eigentlichen Übersetzung und solchen übersetzungsähnlichen Tätigkeiten wie der wörtlichen und der freien Übersetzung zu unterscheiden. Erstere bedeutet formale Äquivalenz ohne semantische oder pragmatische Äquivalenz, komponentielle anstelle von referentieller Äquivalenz, semantische ohne pragmatische Äquivalenz usw., und letztere läuft hinaus auf pragmatisch nicht gerechtfertigte Weglassungen, Zusätze und Paraphrasierungen. Bei unserer Darlegung der grundlegenden Realisationsformen des Übersetzens und der Kriterien, von denen sich ein Übersetzer bei der Suche nach der optimalen Variante leiten läßt, haben wir festgestellt, daß das Transformationsmodell, das semantische und das situative Modell dem Übersetzer eine

88

Linguistische Grundlagen der Übersetzungstheorie

Reihe von Verfahren liefern, mit deren Hilfe der Übersetzungsprozeß realisiert werden kann. Die funktionellen Merkmale dienen dabei als Selektor, der auch optimale Varianten ermitteln hilft. In den folgenden Kapiteln sollen nun die semantischen, die stilistischen und die pragmatischen Probleme des Übersetzens ausführlicher behandelt werden.

II Semantische Probleme der Übersetzung

In der praktischen Ubersetzertätigkeit werden semantische, stilistische und pragmatische Probleme zur gleichen Zeit gelöst, denn in den Texten natürlicher Sprachen überlagern die konnotativen (stilistischen) Bedeutungen die denotativen (objektbezogenen), und zwischen semantischen und pragmatischen Komponenten besteht eine feste untrennbare Einheit. Um aber die Untersuchung der Probleme des Übersetzens zu vereinfachen, erscheint es angebracht, die genannten Aspekte voneinander abzuheben, wobei nicht vergessen werden darf, daß diese Trennung nur zu eben diesem Zweck vorgenommen wird. Wenn im ersten Kapitel in den allgemeinsten Zügen mit den Grundlagen und der Anwendung des transformationeilen, des semantischen und des situativen Modells beim Übersetzen vertraut gemacht wurde, so soll im vorliegenden Kapitel ausführlicher dargelegt werden, inwieweit sich diese Modelle für die Wiedergabe der denotativen Bedeutung eignen und welche Faktoren einen Übersetzer dazu bewegen können, sich für ein bestimmtes Modell zur Umformung des Ausgangstextes zu entscheiden. Dabei muß prinzipiell davon ausgegangen werden, daß sich diese Modelle teilweise überlagern und daß einige Umformungen vom gleichen Typus in der Terminologie unterschiedlicher Modelle beschrieben werden können.

1.

Zur Anwendung der grammatischen Transformation

Spricht man von der Anwendung grammatischer Transformationen beim Übersetzen, so müssen zwei unterschiedliche Situationen hervorgehoben werden. Zum ersten wird die Transformation bei der semantischen Analyse verwendet. In der endgültigen Variante der Zielsprache verbleibt die Äußerung deshalb aber nicht unbedingt in dieser transformierten Form, das heißt in Kernsätzen oder kernnahen Sätzen. Bei einer Gegenüberstellung des Ausgangstextes und der Übersetzung läßt sich auch kaum feststellen, ob eine grammatische Transformation vorgenommen wurde. Prinzipiell kann

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Semantische Probleme der Übersetzung

man jedoch davon ausgehen, daß die Transformation als ein effektives Hilfsmittel bei der Analyse Anwendung findet. Z u m zweiten wird die Transformation im Stadium der Synthese verwendet. Hier muß der Übersetzer auf Grund einer ganzen Reihe von Ursachen, auf die wir später noch zu sprechen kommen, die Transformation als Hilfsmittel zur Formulierung der endgültigen Äußerung in der Zielsprache benutzen. Zuerst einige der Fälle, in denen die Transformation bei der semantischen Analyse Anwendung findet. I m ersten Kapitel wurde bereits darauf hingewiesen, daß zahlreiche Oberflächenstrukturen mehrdeutige grammatische Beziehungen aufweisen, die unterschiedlich interpretiert werden können. Hier kann die Transformation helfen, die Ambiguität zu beseitigen und solche Strukturen zu bilden, in denen die semantischen Beziehungen eindeutig sind. Kernsätze und kernnahe Sätze sind solche eindeutig zu interpretierende Strukturen. W A N D E U S Z K A f ü h r t in einer seiner Arbeiten einige Eigenschaften der natürlichen Sprachen auf, die f ü r die Theorie und Praxis des Übersetzens unmittelbar relevant sind ( W A N D R U S Z K A 1 9 7 1 ) . Darunter fallen auch zwei einander eigentlich widersprechende Tendenzen, die sich in verschiedenen Sprachen unterschiedlich zeigen: die Tendenz zur Explikation, d. h. zum klaren und deutlichen Ausdruck, und die Tendenz zur Implikation, bei der etwas stillschweigend mitverstanden wird. Nun ist es möglich, daß das, was in einer Sprache mitverstanden (impliziert) wird, in einer anderen Sprache unbedingt deutlich (explizit) ausgedrückt werden muß. Hier zwei der von W A N D E U S Z K A angeführten Beispiele aus dem Englischen mit ihrer Übersetzung ins Französische: A 1969 report of the Royal Commission on Security . . . Un rapport de la Commission royal sur la sécurité, daté de 1969 . . . At a delirious Liberal victory gathering .. . Au cours de la réunion enthousiastique célébrant la victoire des libéraux . . . Auch in der sowjetischen sprachwissenschaftlichen Fachliteratur finden sich in dieser Hinsicht interessante Ausführungen bei K R U S E L ' N I C K A J A (1961), die zwei Situationen unterscheidet: 1. Fälle, in denen die Explikation beim Übersetzen obligatorisch ist, weil in der Zielsprache keine verwandte Methode der Implikation üblich ist, 2. Fälle, in denen es in der Zielsprache der Übersetzung parallele Ausdrucksweisen gibt (sowohl explizit wie auch implizit) und ihre W a h l von den gleichen Faktoren bestimmt wird, wie sie auch f ü r die Auswahl unter Synonymen gültig sind. Der zweite Fall soll ausführlich im dritten Kapitel untersucht werden und zwar im Zusammenhang mit den stilistischen Problemen des Übersetzens. An dieser Stelle daher nur die folgende Bemerkung : I n der Übersetzungspraxis sind auch Situationen mög-

Grammatische Transformation

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lieh, wo in der Zielsprache parallele Ausdrucksmöglichkeiten für einen gegebenen Inhalt vorliegen — entweder explizit oder implizit —, wo jedoch die Explikation des Ausdrucks der Quellensprache einen notwendigen Schritt bei der semantischen Analyse darstellt. Das ist immer dann der Fall, wenn die implizite Ausdrucksweise der Zielsprache den ähnlichen Ausdrucksmöglichkeiten der Quellensprache im Sinngehalt nicht entspricht. In diesem Fall hängt die Auswahl unter den verschiedenen Möglichkeiten von den Ergebnissen der semantischen Analyse ab. Als Beispiel für syntaktische Konstruktionen, bei denen die semantischen Beziehungen zwischen ihren Bestandteilen keinen expliziten Ausdruck erfahren, können die im Englischen — und da "besonders im Stil der Presse und Publizistik — häufig vorkommenden Wortverbindungen vom Typ NN (Substantiv + Substantiv) angeführt werden. Harry Tenebaum, St. Louis Investment banker, told today of conversations with members of the Federal Communication commission (FCC), but denied engaging in behind-the-scenes

activities

to win a television

Channel

award.

Da bei television Channel award die Beziehung zwischen den Komponenten nicht mit lexikalischen Mitteln dargestellt wird, sind im Prinzip zwei Interpretationen des Sinns möglich. I n der Terminologie der semantischen Analyse ausgedrückt, heißt das, daß television Channel sowohl Subjekt als auch Objekt des „Prozesses" sein kann, der mit award bezeichnet wird. I m ersten Fall würde der inhaltlichen Struktur dieses Syntagmas der Kernsatz A television Channel awards (something) entsprechen, im zweiten Fall würde der Kernsatz (Somebody) awards the television Channel lauten. I n der Etappe der Analyse muß der Übersetzer nun prüfen, welche dieser beiden Versionen durch den Kontext bestätigt wird. I n Abhängigkeit davon kann er den Vorgang um Tenebaum bestimmen. Entweder hat dieser eine Auszeichnung des Fernsehens bekommen oder die Lizenz zur kommerziellen Nutzung eines Fernsehkanals. Der Übersetzer muß also entscheiden, in welcher Bedeutung award auftritt, dazu muß er die inhaltlichen Beziehungen zwischen award und television Channel aufdecken. Wenn television Channel das Objekt des Prozesses ist, der mit award bezeichnet wird, dann geht es um die Entscheidung, Tenebaum einen Fernsehkanal zur Nutzung zu überlassen; ist dagegen television Channel das Subjekt, dann handelt es sich um eine Auszeichnung durch das Fernsehen. Die Einbeziehung eines umfassenderen Kontextes (in einem der folgenden Absätze ist das Syntagma An investment banker tried to get a television Channel zu finden) und das Wissen um den extralinguistischen Sachverhalt (es ist bekannt, daß die Bundeskommission für das Nachrichtenwesen Lizenzen f ü r die kommerzielle Nutzung von Fernsehkanälen erteilt) führen schließlich zu der Schlußfolgerung, daß award in diesem Fall Lizenz für die kommerzielle

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Semantische Probleme der Übersetzung

Nutzung bedeutet. Damit kann die endgültige Übersetzungsvariante formuliert werden: Harry Tenebaum, Inhaber einer Investitionsbank in St. Louis, berichtete heute von Gesprächen mit Mitgliedern der Bundeskommission für das Nachrichtenwesen (FCC), bestritt jedoch, daß er sich hinter den Kulissen um eine Lizenz für die kommerzielle Nutzung eines Fernsehkanals bemühe. Das folgende Beispiel wurde einer militärischen Fachzeitschrift entnommen: Another problem that was found to be considerably exaggerated is that of radar blackout. I m Wörterbuch finden wir für blackout die Entsprechung (vollkommene) Verdunkelung. In den militärischen Bereich übertragen, bedeutet (radar) blackout Radarfunkstille (zum Zwecke der Tarnung). Ein amerikanisches Wörterbuch verweist jedoch darauf, daß blackout nicht nur Einstellung der Tätigkeit zum Zwecke der Tarnung, sondern auch Nachrichtenmittel außer Gefecht setzen heißen kann. Die gleiche Bedeutung findet sich auch bei dem Verb: to make inoperable (to black out radio broadcasts). Damit stoßen wir erneut auf das Problem der semantischen Analyse: Was ist radar im Verhältnis zu blackout — Subjekt oder Objekt ? Nach den Regeln der Transformationsanalyse kann die vorliegende Oberflächenstruktur aus zwei Kernsätzen abgeleitet werden: radar blackout — radar blacks out. radar blackout — (somebody) blacks out radar. Wiederum muß der Kontext hinzugezogen werden. Hier findet sich ein Satz, der zugunsten der zweiten Variante spricht: An attempt to black out the PAR — the long range acquisition and tracking radar — would require the establishment of about 15 aiming points in the sky. Es handelt sich also offensichtlich nicht darum, daß die Radarstationen ihre Tätigkeit zum Zwecke der Tarnung eingestellt haben, sondern darum, daß sie außer Gefecht gesetzt wurden. Die Übersetzung könnte damit wie folgt lauten: Die Bedeutung der Tatsache, daß Radarstationen außer Gefecht gesetzt werden können, war, wie sich herausstellte, ebenfalls beträchtlich überschätzt worden. Solche und ähnliche Strukturen müssen für die semantische Analyse aber nicht immer in Kernsätze umgeformt werden, wie das N I D A meint (vgl. erstes Kapitel). In manchen Fällen reicht aus, sie in synonyme Wortverbindungen umzuwandeln, bei denen die inhaltlichen Beziehungen zwischen den Komponenten nach dem Einsatz von lexikalischen Mitteln eindeutig werden. This form of national defense investment is capable of protecting the country against attack. Hier muß durchaus nicht die gesamte transformationelle Entwicklung der Oberflächenstruktur national defense investment bis zum Kern- oder zu

Grammatische Transformation

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einem kernnahen Satz zurückverfolgt werden. Die folgende Umwandlung ist völlig ausreichend: National defense investment'»-investment in national defense. Damit ist bereits eine ausreichende Explikation des Sinns gegeben. Diese Form der Bewilligung von Zuwendungen für die nationale Verteidigung kann den Schutz des Landes vor einem Angriff gewährleisten. Bei der Fügung Gl loan approvals muß anhand des Kontextes entschieden werden, ob es approval of loans byOIs oder approval of loans to OIs heißt. Die richtige Variante in diesem Fall ist Genehmigung für Armeeangehörige, einen Kredit aufzunehmen. Eine Wortverbindung vom Typ NN oder NNN wird durch ein hinzutretendes Adjektiv oft noch mehr verkompliziert. Um den Sinn einer solchen Wortverbindung richtig erfassen zu können, muß der Ubersetzer herausfinden, zu welcher Komponente das Adjektiv gehört. Hier als Beispiel die Wendung unfair labor practices strike. Die möglichen Deutungen hängen davon ab, worauf sich das Adjektiv unfair bezieht: auf labor practices oder auf labor practices strike. Bei Anwendung der sogenannten IC-Analyse (IC als immediate constituents, unmittelbare Konstituenten) kann die Struktur wie folgt dargestellt werden: unfair labor practices strike

unfair labor practices

"strike

unfair labor practices strike

unfair

labor practices strike

Wenn wir die Analyse weiterführen, wird ersichtlich, daß labor practices strike so nicht mit einem zufriedenstellenden Ergebnis interpretiert werden kann. Die zweite Variante ist somit zu verwerfen. Bei Weiterführung der Analyse der ersten Variante ergibt sich: unfair labor practices

unfair

labor practices

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Semantische Probleme der Übersetzung

Jetzt müssen nur noch die Transforme von labor practices und dem quellensprachlichen Ausdruck insgesamt gefunden werden, in denen die inhaltlichen Beziehungen explizit ausgedrückt sind. labor practices •«-practices towards labor unfair labor practices strike-*-a strike against unfair labor practices-^a strike against unfair practices towards labor. Damit kommen wir zu dem Ergebnis: unfair labor practices strike — Streik gegen ungerechte Behandlung der Arbeiter. In einer Reihe von Fällen erweist sich jedoch, daß die Umformung einer Wendung in eine andere mit einem syntaktisch-lexikalischen Mittel nicht ausreicht, da sich durch die Verwendung dieses syntaktisch-lexikalischen Mittels eine Mehrdeutigkeit ergibt. So muß im Englischen zur Klärung der semantischen Beziehungen von Syntagmen mit o/eine weitere Transformation durchgeführt werden, um zu den Kernsätzen zu gelangen. A nightdress of quality->-a nightdress has (high) quality; The story of Riga *- the story is about Riga; The word of truth — the word is true (LATYPOV 1968). Besonders schwierig ist die semantische Analyse von Wörtern mit einer komplizierten Sinnstruktur. In der englischen Zeitungssprache werden zum Beispiel viele zusammengesetzte Wörter vom Typ man-made verwendet. Dabei lassen sich die unterschiedlichsten inhaltlichen Beziehungen zwischen den Komponenten aufdecken. Even then, he accepted the CAB (Civil Aeronautics Board) decisions almost intact disallowing only a CAB-suggested U.S.—Japan route for American Airlines because of strenuous Japanese protests. Bei diesem Satz muß erst festgestellt werden, ob CAB-suggested zu der Wendung suggested by the CAB führt. Wenn wir mit Hilfe der IC-Analyse den Sinngehalt der gesamten Äußerung analysieren, kommen wir zu dem Ergebnis, daß CAB-suggested*-suggested by the CAB sich nicht auf route bezieht, wie man annehmen könnte, sondern auf die ganze Wendung U.S.-Japan route for American Airlines. A CAB-suggested U.S.-Japan route for American Airlines kann somit schließlich in den kernnahen Satz The CAB suggested that a U.S.—Japan route (be given to) American Airlines transformiert werden. Bei der Synthese (Neuaufbau) transformieren wir diese Variante dann in eine Oberflächenstruktur: Selbst dann akzeptierte er die Entscheidungen des Komitees für Zivilluftfahrt (CAB) nahezu ohne irgendwelche Veränderungen und wies lediglich den Vorschlag, der Gesellschaft American Airlines die Luftlinie USA — Japan zur Nutzung zu überlassen, wegen scharfer Proteste seitens der Japaner zurück. I m Normalfall reicht es für die Analyse ähnlicher Strukturen völlig aus, sie in präpositionale Nominalkonstruktionen umzuformen, bei denen die Präposi-

Grammatische Transformation

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tion einen eindeutigen Hinweis auf die Art der inhaltlichen Beziehungen gibt: state-financed-*-financed by the state (durch den Staat finanziert); US-made "-made in the U.S. (hergestellt in den USA); truck-mounted-amounted on a truck (auf einem Wagen montiert); socialist-oriented-*-oriented towards socialism (sozialistisch orientiert, mit sozialistischer Orientierung). Verwendet wird die Transformationsanalyse jedoch nicht nur in Fällen von Mehrdeutigkeit, sondern auch in Fällen von Homonymie. Bei dem Satz This gives the housewife-viewer the opportunity to fill that role ist es auf Grund des Satzkontextes allein zum Beispiel nicht möglich, die Bedeutung von housewife-viewer eindeutig zu bestimmen, da wiederum zwei Auflösungen möglich sind. Housewife kann sowohl Subjekt als auch Objekt für den Prozeß sein, der eine der semantischen Komponenten von viewer darstellt. Der inhaltlichen Struktur können somit zwei verschiedene Kernsätze zugrunde liegen: somebody views the housewife (als Analogie zu range-finder — jemand oder etwas, das die Entfernung mißt, Entfernungsmesser) und the housewife views something (als Analogie zu officer-student — ein Offizier während der Ausbildung, Offiziersschüler). Zur Lösung des Problems muß wieder der Kontext hinzugezogen werden. Aus den vorhergehenden Sätzen Psychologically Mr. Godfrey's morning program creates the illusion of the family structure with one important omission. There is no mother in the Godfrey family. This gives the housewife-viewer the opportunity to fill that role geht hervor, daß es sich hier um eine Fernsehsendung handelt und daß viewer in diesem Zusammenhang Fernsehzuschauer bedeutet. Damit kann der Satz übersetzt werden: Dies gibt den Hausfrauen, die diese Sendung sehen, die Möglichkeit, diese Rolle zu übernehmen. Manchmal findet der Übersetzer ein Transform der Wortverbindung auch im gleichen K o n t e x t : In my judgement the war in Vietnam is a tragic national mistake, a colossal one. In any other context of life, when a mistake has been made — whether by a person, by a company or by a nation — there is only one thing to do — face up to it. National mistake ist in diesem Beispiel also ein mistake by a nation, ein Irrtum der ganzen Nation. Von besonderem Interesse sind die Verbindungen von einem Adjektiv mit, einem Substantiv, das als Agens auftritt, wie etwa poor worker. Nicht selten müssen hier Transformationen und Komponentenanalyse herangezogen werden. In der bereits zitierten Arbeit von NIDA (1969, S. 3 9 - 4 1 ) wird darauf verwiesen, daß es Wörter mit „mehrteiligen semantischen Strukturen" gibt und daß ein Substantiv so zum Beispiel einen Gegenstand (object) und einen Prozeß oder ein Ereignis (event) bezeichnen kann. Worker enthält

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Semantische Probleme der Übersetzung

sowohl die semantische Komponente des Gegenstandes (hier der Person) wie auch die Komponente des Prozesses (derjenige, der eine Arbeit verrichtet). Bei der Übersetzung solcher Wortverbindungen muß erst untersucht werden, worauf sich das Adjektiv bezieht — auf die Komponente des Gegenstandes (also die Person) oder die Komponente des Prozesses, die Handlung also. Beide Fälle sind im Prinzip denkbar. A

•0

a poor A



a poor

worker 0—-E worker

I m ersten Fall ist das Abstraktum (A) poor Attribut zum Gegenstand (0), der in worker enthalten ist, im Sinne von unbemittelt. Gleichzeitig durchläuft der Gegenstand worker einen Prozeß bzw. ein Ereignis (E), das heißt er „arbeitet". Dieser Oberflächenstruktur liegt damit der Kernsatz The worker is poor zugrunde, und He is a poor worker kann in diesem Fall übersetzt werden mit Er ist ein armer (unbemittelter) Arbeiter. I m zweiten Fall qualifiziert poor nicht den Gegenstand, sondern den Prozeß, die Handlung. Folglich geht die Wortverbindung auf den Kernsatz He works poorly zurück — Er arbeitet schlecht. Durch die Transformationsanalyse wird es auf diese Weise möglich, zwischen äußerlichen Sätzen zu unterscheiden wie She is a good wife und She is a good cook. (Im Unterschied zum ersten Satz wird der zweite durch Transformation zu She cooks well und entspricht dem russ. Ona choroso gotovit bzw. dem dt. Sie kocht gut.) Ähnlich verhält es sich bei: She is a good dancer--she dances well (Sie tanzt gut). He is an early riser-^He rises early (Er steht f r ü h auf). Hier einige Beispiele für die Übersetzung von Sätzen mit ähnlichen Strukturen : The word has gone out from the White House and the Republican National Committee to the OOP faithfuls across the land to concentrate their fire on the Democratic "big spenders" in Congress. Bei Democratic „big spenders" bezeichnet die erste Komponente (Democratic) das Subjekt der Handlung, die zweite Komponente qualifiziert hier nicht die gegenständliche, sondern die prozessuale Komponente von spender. Daher ist eine Transformation in Democrats who spend (too) much möglich. Das Weiße Haus und das Nationale Komitee der Republikanischen Partei haben die Anhänger ihrer Partei im ganzen Land aufgefordert, sich gegen die

Grammatische Transformation

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verschwenderische Finanzpolitik der Demokraten im Kongreß zur Wehr zu setzen. Ein weiteres Beispiel ist: Nearly half of the women described the housewife who drew up the list including instant coffee as lazy and a poor planner. A poor planner läßt sich auf den Kernsatz She plans poorly zurückführen. Damit kann die Übersetzung wie folgt lauten: Nahezu die Hälfte der Frauen beschrieb die Hausfrau, welche die Liste mit dem löslichen Kaffee aufgestellt hatte, als faul und unökonomisch wirtschaftend. Die Transformation erweist sich auch bei der Übersetzung von konjunktionslosen Partizipialkonstruktionen als notwendig, da der Sinngehalt solcher Konstruktionen ein breites Spektrum umfaßt. Aside from being an ungainly word, „Vietnamization", repeated here, can sound something like an insult. „ Vietnamisierung" — das ist nicht nur ein ungeschicktes Wort. Wenn man es hier gebraucht, kann es wie eine Beleidigung klingen. Bei diesem Beispiel wurde die Transformation repeated here *-if (it is) repeated here vorgenommen. Bei den bisher angeführten Beispielen stellte die syntaktische Transformation lediglich ein Hilfsmittel der semantischen Interpretation des Ausgangstextes dar. Die Etappe der Synthese (Neuaufbau) wurde bisher nicht berücksichtigt. Hier nun einige der Fälle, in denen syntaktische Transformationen helfen, die endgültige Formulierung in der Zielsprache zu finden. Dabei wollen wir uns in erster Linie mit den Fällen beschäftigen, in denen Quellensprache und Zielsprache eine unterschiedliche Struktur aufweisen. Dieses Problem ist in der theoretischen Fachliteratur und in methodischen Lehrbüchern zum Übersetzen gut und ausführlich behandelt worden, wir möchten uns deshalb auf einige wenige Beispiele beschränken. Manchmal wird die Transformation bei der Formulierung der endgültigen Übersetzungsvariante vor allem deshalb angewendet, weil es in der Z S keine entsprechende morphologische Form gibt. Bei der Übersetzung von Gerundialkonstruktionen ins Deutsche ist es oft nötig, diese in einen Satz zu transformieren. Fortunately, for the Army, an increasingly unpopular politician was to serve as a prime target in an election year; and, indeed, his handling the military operation appears to have been lax. Hier ist his das Subjekt der Handlung, die durch handling ausgedrückt wird. His handling the military operation appears to have been lax—It appears that he handled etc. Entsprechend lautet dann die Übersetzung des ganzen Satzes: Zum Glück für die Armee mußte ein ständig unpopulärer werdender Politiker 7

Übersetzung

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Semantische Probleme der Übersetzung

als Hauptzielscheibe der Kritik m einem Wahlkampf jähr herhalten, und in der Tat ist der Eindruck entstanden, daß er das militärische Unternehmen nachlässig geleitet hat. Wenn man in solchen Fällen von morphologisch bedingten Transformationen sprechen kann, so sind beim Übersetzen gleichzeitig auch syntaktisch bedingte Transformationen notwendig; Transformationen also, die sich aus dem Nichtvorhandensein entsprechender syntaktischer Konstruktionen in der Zielsprache ergeben. Als Beispiel dafür können die Umformungen dienen, die sich bei der Übersetzung von engl, sogenannten absoluten, d. h. unverbundenen Partizipialkonstruktionen mit oder ohne die Präposition with ins Deutsche ergeben: Two days later, with 10,000 veterans massed on Capitol Hill awaiting the result the Senate defeated the bill by an overwhelming vote of 62 to 18. Zwei Tage später, als sich 10 000 Kriegsveteranen auf dem Hügel des Kapitols versammelt hatten und auf das Abstimmungsergebnis warteten, lehnte der Senat den Gesetzesentwurf mit einer überwältigenden Stimmenmehrheit von 62 zu 18 ab. In solchen Fällen expliziert der Übersetzer nach der semantischen Analyse der quellensprachlichen Äußerung den inhaltlichen Zusammenhang zwischen der unverbundenen Partizipialkonstruktion und dem Rest des Satzes durch eine entsprechende Konjunktion, etwa eine temporale oder eine kausale. Unterschiede in den syntaktischen Normen erfordern in manchen Fällen nicht nur eine Transformation der Oberflächenstruktur in Kernsätze und kernnahe Sätze, sondern auch eine Umformung von Verbal- in Nominalkonstruktionen. Why do they act, or rather not act so, and keep it up through the years ? Womit erklärt sich ihr Handeln oder vielmehr ihre Untätigkeit all die Jahre hindurch ? Würde der Übersetzer die Verbalkonstruktion des engl. Satzes ins Deutsche übernehmen (Warum handeln sie, vielmehr, warum handeln sie nicht so, und das über Jahre hinweg?) könnte er nicht den Zustand der Untätigkeit sichtbar machen. Die verbale Ubersetzungsvariante ließe vielmehr den Eindruck entstehen, daß eine Handlung nicht ordnungsgemäß ausgeführt wurde. Neben den syntaktisch und morphologisch bedingten Transformationen kommen beim Übersetzen häufig auch solche Transformationen vor, die durch die unterschiedliche Art der Wortbildung notwendig werden. So ist es möglich, daß in einer der beiden Sprachen für ein bestimmtes Wort keine Ableitung existiert: A vote for the Market is a vote to keep the Tory Government in office. It is a vote for Heath, the worst Prime Minister for decades . . . for Amery, therent raiser.

Grammatische Transformation

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Für die Übertragung von rent raiser ins Deutsche muß auf eine Transformation zurückgegriffen werden: Amery, the rent raiser — Amery, who raises the rent — Amery, der die Wohnungsmiete in die Höhe treibt. I n manchen Fällen ist lexikalische Inkompatibilität der Grund für eine Transformation, dazu das folgende Beispiel: Das Syntagma the waste of human resources kann im nichttransformierten Zustand übersetzt werden mit die Verschwendung von menschlichen Ressourcen. Für den folgenden Abschnitt muß jedoch eine andere Übersetzung gefunden werden: Mrs. Barbara Castle claimed that the official figure of 970,000 jobless was a big underestimate. She spoke of the grim realities of the waste of human resources that is the direct result of the Tory policy. Die nicht normgerechte Nominalkonstruktion (die grausame Realität der Verschwendung von menschlichen Ressourcen) wird besser mit Hilfe eines Nebensatzes aufgelöst: Barbara Castle erklärte, daß die offiziellen Angaben, nach denen es 970000 Arbeitslose gibt, beträchtlich untertrieben seien. Sie sprach über die grausame Tatsache, daß im Ergebnis der Tory-Politik menschliche Ressourcen verschwendet werden. Steht der Übersetzer in einem konkreten lexikalisch-syntaktischen Kontext vor der Wahl, entweder die transformierte oder die nichttransformierte Variante zu verwenden, so entscheidet häufig der semantische Faktor. Dies ist etwa bei der Übersetzung des folgenden Satzes ins Englische der Fall: Uns geht es natürlich nicht um den Austausch eines Systems von Kennziffern gegen ein anderes, sondern um die breite Anwendung solcher ökonomischer Kategorien wie Preis, Gewinn, Kredit usw. We have in mind, of course, not the replacement of one system of indices by another but the wide use of such economic categories as prices, profits, credit, etc. Bei dieser Übersetzung wurde außer acht gelassen, daß mit der Wendung es ist nicht beabsichtigt im vorliegenden Fall etwas in die Zukunft projiziert wird. Deshalb hat der Redakteur auch ganz richtig We have in mind durch The intention is ersetzt, wobei die Nominalkonstruktion in eine Infinitivkonstruktion umgewandelt wurde: The intention is not to replace one system of indices by another but to use widely such economic categories as prices, profits, credit, etc. Einer der wichtigsten „Filter" für die Wahl des Übersetzungsverfahrens ist die Sinnstruktur oder die aktuelle Gliederung einer Äußerung. Konkrete Produkte der Redetätigkeit gliedern sich für den Sprecher und f ü r den Hörer jeweils in zwei Grundkomponenten — das Thema (wovon die Mitteilung handelt) und ein dazugehöriges Rhema (was darüber mitgeteilt wird). Der englische Linguist H A L L I D A Y hat festgestellt, daß das Thema gewöhnlich 7*

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Semantische Probleme der Übersetzung

(aber nicht in allen Fällen) am Anfang einer Äußerung steht ( H A L L I D A Y 1966). Das ist auch nur natürlich, denn das Thema ist der Ausgangspunkt einer Mitteilung, das Rhema dagegen das „Sinnzentrum". Die sowjetische Sprachwissenschaftlerin C E B N J A C H O V S K A J A hat sich speziell mit dem Problem von syntaktischen Umstellungen befaßt, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, die Komponenten der inhaltlichen Gliederung zu übertragen ( C E B N J A C H O V S K A J A 19712). Wir werden uns damit noch an anderer Stelle ausführlicher befassen; hier soll nur auf die Fälle hingewiesen werden, wo bei der Wiedergabe solcher Komponenten eine syntaktische Transformation vorgenommen wird. Unserer Auffassung nach gehört die Kategorie Thema-Rhema in die Tiefenstruktur einer Äußerung — in die Semantik — und nicht in die Oberflächenstruktur. I n der Oberflächensyntax werden grammatisches Subjekt und grammatisches Prädikat unterschieden, Thema und Rhema fallen jedoch durchaus nicht immer mit dem grammatischen Subjekt oder Prädikat zusammen. Das trifft auf das Deutsche viel stärker zu als auf das Englische, denn im Deutschen ist die Wortfolge so variabel, daß jedes Satzglied zweiter Ordnung (wie etwa adverbiale Bestimmung oder ein Objekt) an erster Stelle im Satz stehen kann, wenn der Sprecher es zum Ausgangspunkt seiner Mitteilung machen will. I m Englischen dagegen ist die Wortfolge im Satz weitaus strenger geregelt, und es werden viel häufiger Konstruktionen benutzt, bei denen das Thema zur gleichen Zeit grammatisches Subjekt ist. Bei der Übersetzung ergeben sich deshalb Transformationen und Paraphrasen. Steht im Deutschen das direkte Objekt am Satzanfang, so wird — um die gleiche Struktur für die aktuelle Gliederung zu erreichen — die Transformation Aktiv — Passiv angewendet: Offensichtliche Verärgerung in imperialistischen Kreisen rief der Vorschlag der UdSSR hervor, über die Frage zukünftiger Fahrten sowie die ständige Präsenz von Kriegsschiffen in weit entfernten Gewässern zu diskutieren — aber nur zu gleichen Bedingungen. Obvious exasperation was caused in the imperialist circles by the USSR proposal to discuss — of course, on equal terms — further cruises and permanent naval presence in distant areas. Einen anderen Standpunkt vertraten Frankreich und die BRD. A different stand was taken by France and the 6.F.R. Wenn im deutschen Text ein Präpositionalobjekt in Verbindung mit einer Passivkonstruktion erscheint, so muß bei der Übersetzung ins Englische zur Beibehaltung der Thema-Rhema-Gliederung eine Transformation vom Passiv in das Aktiv vorgenommen werden: Durch massiven Einsatz der Marineinfanterie und der Nationalgarde wurden im Mai in Washington Antikriegsdemonstrationen brutal zusammengeschlagen.

Lexikalische und syntaktische Paraphrasierung

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Massive blows of Marines and the National Guard last May brutally smashed anti-war demonstrations in Washington. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß Transformationen beim Übersetzen als ein Verfahren der semantischen Analyse (genauer gesagt, zur Beseitigung von Ambiguität und Homonymie) Anwendung finden, aber auch helfen, die ZS-Variante endgültig zu formulieren. Dabei kann die E n t scheidung für die Transformation vor den anderen möglichen Verfahren durch lexikalische, morphologische, syntaktische und semantische Faktoren begründet sein. Die Übersetzungsmethoden dürfen jedoch nicht allein auf syntaktische Transformationen reduziert werden; in den folgenden Abschnitten sollen auch andere Wege behandelt werden.

2.

Zur lexikalischen und syntaktischen Paraphrasierung

Wenn wir im vorhergehenden Abschnitt einige Umformungen dargestellt haben, die sich faktisch an der Grenze zwischen syntaktischen und lexikalisch-semantischen Paraphrasierungen nach dem Modell „Sinn«->-Text" bewegen, so wollen wir uns im folgenden ausführlicher mit den Fällen von lexikalisch-syntaktischer Paraphrasierung befassen, die nicht in Begriffen der syntaktischen Transformation beschrieben werden können. Berücksichtigt werden muß dabei, daß im Modell „Sinn-w-Text" ein streng formalisierter Apparat verwendet wird. Das ist insofern gerechtfertigt, als dieses Modell Algorithmen (Regeln) für die automatische Textbearbeitung durch den Computer enthält. Diese Regeln spiegeln weitgehend die reale Übersetzungspraxis wider, in der kombinierte lexikalisch-syntaktische Umformungen des Ausgangstextes vorgenommen werden. Für den in der Praxis tätigen Übersetzer ist aber eine derart strenge Formalisierung nicht unbedingt notwendig. Ausgehend von der Zielstellung unseres Buches haben wir es daher auch vorgezogen, das Verfahren der semantischen Synthese (wie übrigens auch das der Transformationsanalyse) in einer vereinfachten Form darzustellen. Ziel des vorliegenden Abschnittes ist es, nicht nur die Mechanismen dieser Umformungen aufzudecken, sondern auch die strukturell-semantischen Faktoren herauszufinden, die eine bestimmte Art von Umwandlung erfordern. (Die durch stilistische Faktoren bedingten lexikalisch-syntaktischen Paraphrasierungen werden im dritten Kapitel dargestellt.) I n erster Linie wollen wir uns mit den Fällen von lexikalisch-semantischen Umwandlungen befassen, die auf Grund von strukturellen Unterschieden zwischen QS und ZS vorgenommen werden müssen. Hier ein Beispiel, das im vorhergehenden Abschnitt in gekürzter Form angeführt wurde: A vote for the Market is a vote to keep the Tory Government in office. It is a

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Semantische Probleme der Übersetzung

vote forHeath, the worst Prime Minister in decades,for Carr, the union-basher; forDavies, the UCS (Upper-Clyde Shipyards) butcher; for Home, thecold-war spy maniac; for Amber, destróyer of a million jobs; for Amery, the rent raiser. Wenn bei der Übersetzung des Syntagmas Amery, the rent raiser die nominale einfach in eine verbale Konstruktion umgeformt werden konnte — Amery, der die Wohnungsmieten in die Höhe treibt —, so muß beim Übersetzen der verbleibenden Syntagmen oft ein anderer Weg eingeschlagen werden. Zunächst wollen wir einmal versuchen, Carr, the union-basher zu übersetzen. Das Verb bash bedeutet „heftig schlagen", „dreschen". I m Deutschen gibt es kein von diesem Verb abgeleitetes Substantiv, das zur Bezeichnung einer Person dienen kann. Wenn wir eine einfache Transformation analog der von rent raiser durchführen, lautet die Übersetzung Carr, der die Gewerkschaften heftig schlägt (drischt). Eine solche Übersetzungsvariante kann jedoch keinesfalls als optimal bezeichnet werden. Der Übersetzer muß, um den semantischen Gehalt der engl. Zusammensetzung zu erhalten, das Verb durch eine verbale Ableitung ersetzen und eine zusätzliche lexikalische Einheit einführen. E r erhält dann als endgültige Übersetzung Carr, der die Gewerkschaften zu zerschlagen versucht. Bei der nächsten Wendung the UCS butcher führt das Wörterbuch zu butcher nicht nur „Fleischer, Metzger", sondern auch „Mörder" und „Schlächter" an. Hier stoßen wir auf eine weitere, von den Regeln der Paraphrasierung bestimmte Beschränkung, die der lexikalischen Kompatibilität. Die semantischen Parameter geben im wesentlichen die Unterschiede in der Kompatibilität von Wörtern wieder, wie sie sich beim Vergleich verschiedener Sprachen zeigen. I m Englischen ist die Wortverbindung the UCS butcher möglich, Mörder oder Schlächter von Schiffswerften im Deutschen dagegen nicht. Beide Wörter sind nur mit solchen Substantiven kombinierbar, die Lebewesen bezeichnen. Hier kommen uns die Regeln der semantischen Analyse zu Hilfe. Um für das Wort butcher eine Entsprechung im Deutschen zu finden, müssen wir zuerst seine lexikalische Funktion bestimmen, seinen „Tiefen"-Sinn aufspüren. In unserem Fall können wir es fassen als Nomen agentis mit dem semantischen Parameter Liqu (liquidieren, beseitigen), bezogen auf ein weiteres Substantiv (Upper-Clyde Shipyards). Dieses Merkmal muß nun in der dt. Sprache ausgedrückt, d. h., es muß ein Synonym gesucht werden, das mit dem Wort Schiffswerften kompatibel ist und den elementaren Sinn enthält. Aus den in Frage kommenden Verben wählen wir liquidieren und erhalten die Variante für Davies, der die Upper-ClydeSchiffswerften liquidierte. Bei der Übersetzung von cold-war spy maniac stoßen wir erneut auf Einschränkungen in bezug auf die Wortbildung. I m Deutschen gibt es keine

Lexikalisohe und syntaktische

Paraphrasierurg

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direkte Entsprechung für das engl, spy maniac, möglich ist lediglich die Übersetzung von spy maniac als „Spionagefimmel", aber davon gibt es keine Ableitung, die eine Person bezeichnet. Wenn wir aber eine Transformation vornehmen und diesen Teil der engl. Nominalkonstruktion umwandeln in jemand, der von der Spionage besessen (spionagebesessen) ist, wobei das Partizip besessen den semantischen Parameter Oper 2 zum Ausdruck bringt, wird auch die Ableitung einer Person möglich: ein von der Spionage Besessener, ein Spionagebesessener. Doch das allein reicht für die Übersetzung noch nicht aus. Eine mögliche Lösung bietet sich an, wenn wir von kalter Krieg (cold war) ein „syntaktisch deriviertes" S y n t a g m a bilden, nämlich Anhänger des kalten Krieges (vgl. dazu das engl, cold warrior). D a m i t kann cold-war spy maniac schließlich übersetzt werden mit: ein spionagebesessener Anhänger des kalten Krieges. Bei diesem Ergebnis zeigt sich eine interessante syntaktische Umverteilung — Definiens und Definiendum haben die Plätze getauscht: Cold-icar

spy maniac

Krieges Ursache für diese Umverteilung sind auch Beschränkungen hinsichtlich der Wortbildungsmöglichkeiten. Die syntaktische Umstellung wird begleitet von einer lexikalisch-semantischen Veränderung. Die semantische Komponente „Person" ist erhalten worden, wurde aber auf ein anderes Element verlagert. I m Original wird die Person durch spy maniac ausgedrückt, in der Übersetzung steht dafür Anhänger des kalten Krieges. Solche Veränderungen, die als „Umverteilung der semantischen K o m p o nenten" bezeichnet werden, treten beim Übersetzen recht häufig auf. Hier trifft die mathematische Regel zu, nach der die Reihenfolge der Summanden ohne Einfluß auf die Summe ist. Diese Gesetzmäßigkeit hatte auch NIDA im Auge, als er den Übersetzer mit einem Reisenden verglich, der gerade aufbrechen will und dem es ziemlich gleichgültig ist, in welchen K o f f e r ein bestimmtes Stück kommt, wichtig ist nur, daß alle Sachen eingepackt werden. Natürlich ist es dem Übersetzer durchaus nicht gleichgültig, zu welchem Wort oder zu welcher Wortverbindung eine bestimmte semantische K o m p o nente gehört. Es darf aber auch nicht vergessen werden, daß selbst der Zusammenschluß bestimmter semantischer Komponenten in einzelnen Worten oder sogar in den Bedeutungen eines Wortes mehr oder weniger zufälligen Charakter trägt und von den spezifischen Bedingungen einer Sprache abhängt. Würde man also vom Übersetzer verlangen, daß er nicht

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Semantische P r o b l e m e der Ü b e r s e t z u n g

nur eine bestimmte Anzahl semantischer Merkmale wiedergibt, sondern sie auch mit Hilfe der gleichen Einheiten überträgt — sie also „in die gleichen Koffer packt" —, so hieße das, ihn bewußt vor eine unlösbare Aufgabe zu stellen. Bei der nächsten Wendung Amber, destroyer of a million jobs liegt gleich eine zweifache Beschränkung vor — eine morphologische und eine lexikalischsyntaktische (es geht also um die Kombinier bar keit von Wörtern mit bestimmten Bedeutungen). Dazu gehört, daß das Wort job, das Arbeit im Sinne von „Beschäftigung, Stelle, die Arbeit als Quelle des Lohnes" bedeutet, im Englischen im Singular und im Plural stehen kann, während das Wort Arbeit in der angeführten Bedeutung im Russischen und im Deutschen nur im Singular gebraucht wird. Wir sprechen von Feldarbeiten und künstlerischen Arbeiten, aber man kann nicht sagen: Sie verloren ihre Arbeiten. Es kann nur richtig heißen: Sie verloren ihre Arbeit. Hier helfen auch die Wörterbuchentsprechungen für das Substantiv destroyer oder das Verb destroy, von dem es abgeleitet wurde, nicht weiter („zerstören", „vernichten", „verwüsten"). Keine dieser drei Varianten ist kompatibel mit dem Begriff Arbeit im obengenannten Sinn. Wie sieht nun die Bedeutung dieses Wortes in der „Tiefe" aus? Es handelt sich wiederum um eine Handlung, die dem bereits erwähnten Parameter Liqu entspricht. Eine ähnliche inhaltliche Funktion erfüllt im Zusammenhang mit Arbeit im Deutschen das Verb wegnehmen. I m Unterschied zum engl, destroy, das mit zwei Aktanten (Beteiligten an der vom Verb ausgedrückten Handlung) auftreten kann — einem Subjekt und einem Objekt —, bedarf das dt. wegnehmen der obligatorischen Erwähnung von zwei Objekten — jemandem etwas wegnehmen. Die syntaktische Regel, die ein weiteres Objekt verlangt, das im Ausgangstext nicht erwähnt, sondern nur stillschweigend mit einbegriffen ist, führt schließlich zu der folgenden Variante: Amber, der einer Million Menschen die Arbeit wegnahm. Damit kann der gesamte Abschnitt übersetzt werden: Jede Stimme für den Beitritt zum. Gemeinsamen Markt ist eine Stimme zur Verlängerung der Tory-Herrschaft. Es ist eine Stimme für Heath, den schlimmsten Premierminister der letzten Jahrzehnte, für Carr, der die Gewerkschaften zu zerschlagen versucht; für Davies, der die Upper-Clyde Schiffswerften liquidierte; für Home, den spionagebesessenen Anhänger des kalten Krieges; für Amber, der einer Million Menschen die Arbeit wegnahm; für Amery, der die Wohnungsmieten in die Höhe treibt. Wenn wir uns so eingehend mit der Übersetzung dieses Absatzes befaßt haben, dann deshalb, weil wir auf diese Weise die grundlegenden Prinzipien der Anwendung von einigen Gesetzmäßigkeiten der lexikalisch-syntaktischen Paraphrasierung darlegen konnten. Diese werden bestimmt von den unter-

Lexikalische u n d s y n t a k t i s c h e P a r a p h r a s i e n m g

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schiedlichen morphologischen Strukturen, verschiedenen Möglichkeiten der Wortbildung und der lexikalischen und syntaktischen Kompatibilität. Dabei haben wir uns bemüht, Schritt für Schritt den Weg nachzuvollziehen, den der Übersetzer bis zur Formulierung einer endgültigen Variante zurücklegt. Einige der dabei aufgeführten Schritte sind es wert, detailliert untersucht zu werden. Interessant scheinen uns vor allem die Fälle, wo ein semantischer Parameter in einem bestimmten Wort nicht durch eine separate lexikalische Einheit, sondern durch eine semantische Komponente eben dieses Wortes ausgedrückt wird. Das Wort betäuben kann als eine Kombination aus der Bedeutung des Schlüsselwortes Schmerz und dem semantischen Parameter Liqu ffweg]nehmen) aufgefaßt werden, betäuben •** den Schmerz nehmen. Eine solche Umformung, die mit einer Umverteilung der semantischen Komponenten verbunden ist, kommt beim Ubersetzen immer wieder vor. Sie kann dann strukturell bedingt sein, wenn eine Form sowohl die Bedeutung des Schlüsselwortes als auch seinen semantischen Parameter einschließt und nur in der Quellensprache, nicht aber in der Zielsprache vorhanden ist. I n solchen Fällen wird diese zusammengesetzte (oder, wie es in der Terminologie der semantischen Synthese heißt, „amalgamierte" Form in ihre Komponenten zerlegt, das heißt, das Wort wird durch eine Wortverbindung ersetzt. Dieses Verfahren muß häufig bei Übersetzungen aus dem Englischen angewendet werden, wo zahlreiche Wörter durch Konversion entstanden sind und solche „amalgamierte" Formen darstellen. In response to cries for help Dr. Richter and his staff depth-probed the Situation. Als Antwort auf die Hilferufe nahmen Dr. Richter und seine Mitarbeiter eine gründliche Analyse der Situation vor. I m engl. Satz erscheint das durch Konversion gebildete Verb depth-probe als eine Kombination von zwei Komponenten — dem Schlüsselwort probe, zu dem der Parameter Magn („hoher Grad") tritt. Dieser inhaltlichen Struktur entsprechen im Deutschen Strukturen wie gründlich analysieren, einer gründlichen Analyse unterziehen, eine gründliche Analyse vornehmen. The US Navy's Light Attack Squadron was tasked with providing close air support to Navy units and ground forces. Das Verb task stellt wiederum eine „amalgamierte" Form aus dem Schlüsselwort und dem semantischen Parameter Operj („Oper"aktionstyp, der dem Subjekt die Rolle des grammatischen Subjekts zuordnet) d a r : to task-^-to set a task. Da im Ausgangstext das Verb im Passiv gebraucht wurde, läßt sich ableiten, daß das grammatische Subjekt hier nicht Subjekt, sondern Objekt der vom Verb bezeichneten Handlung ist.

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Semantische Probleme der Übersetzung

Die leichte Jagdfliegerstaffel der TJS-Navy erhielt die Aufgabe, den Einheiten der Navy und den Bodentruppen unmittelbar Luftunterstützung zu gewähren. Wir haben anhand konkreter Beispiele bereits darauf verwiesen, wie wichtig es ist, beim Übersetzen die semantischen Parameter zu berücksichtigen. Dieses Problem verdient eine nähere Betrachtung, denn für den Übersetzer ist die Kompatibilität ein äußerst wichtiger Faktor. Es wäre falsch anzunehmen, daß der Übersetzer beim Übertragen der originalen Mitteilung eine ihr entsprechende grammatische Struktur in der Zielsprache auswählt und diese dann mit den entsprechenden lexikalischen Mitteln ausfüllt. In der Realität laufen diese Prozesse parallel ab, und wir werden an anderer Stelle noch darauf verweisen, daß Unterschiede in der lexikalischen Kompatibilität einen wesentlichen Einfluß auf die Wahl einer bestimmten syntaktischen Struktur haben können. Wenn der Übersetzer von den semantischen Parametern ausgeht, kann er sich von einem übermäßigen Einfluß der inneren Form der zu übersetzenden lexikalischen Einheit frei machen und wird dadurch blinde Worttreue vermeiden. Trifft er zum Beispiel in seinem Text auf die Wortverbindung schändliche Undankbarkeit, so muß er zuerst von der inneren Form des Adjektivs schändlich abstrahieren und herausfinden, welche inhaltliche Funktion es für das von ihm näher bestimmte Substantiv Undankbarkeit hat. Wenn er festgestellt hat, daß es den semantischen Parametern Magn („hoher Grad") verkörpert, kann er das entsprechende engl. Adjektiv suchen, das den gleichen Parameter bei ingratitude repräsentiert, ohne dabei die innere Form von schändlich weiter zu berücksichtigen. Er findet schließlich die Wortverbindung rank ingratitude. Geht man einzig und allein von der inneren Form aus, so scheint das engl. Adjektiv rank sehr weit vom dt. schändlich entfernt zu sein. Vgl. etwa rank grass („üppig wachsendes Gras"), rank soil („fruchtbarer Boden"). Dennoch fungiert dieses Adjektiv in Fällen, wo es mit den Substantiven treachery, ingratitude und anderen kombiniert wird, so, daß es dem dt. schändlich analog ist („schändlicher Verrat", „schändliche Undankbarkeit"). Diese Bedeutung des engl. Adjektivs rank wird in Hornbys „Advanced Learner's Dictionary of Current English" (London 1957) definiert als „possessing a bad quality to an extreme degree". Das nächste Beispiel: Die Schlacht um Moskau hatte einen großen Einfluß auf den weiteren Verlauf des Krieges, sie zerstörte den Mythos der Unbesiegbarkeit der faschistischen Truppen und bereitete den Weg zum endgültigen Sieg vor. The battle of Moscow greatly influenced the further course of the war, exploding the myth of nazi invincibility and paving the way to final victory. Bei diesem Beispiel hängt die Wahl des Wortes, das dem Parameter Liqu entspricht, völlig vom Schlüsselwort ab. Würde das Schlüsselwort im dt.

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Lexikalische und syntaktische P a r a p h r a s i erung

Original Glück oder Hoffnung lauten, so wäre das Wort mit der analogen inhaltlichen Funktion nicht explode, sondern destroy. Und würde man in der Wortverbindung explode the myth das Schlüsselwort durch ein anderes mit explode kompatibles Substantiv ersetzen, so könnte — obwohl die Bedeutung von explode die gleiche bleibt — im dt. Text nicht mehr zerstören als Übersetzung stehen. Explode etwa in der Wortverbindung explode a theory würde wiedergegeben werden mit verwerfen, über den Haufen werfen. Diese komplizierte Abhängigkeit des Wortes, das einen bestimmten semantischen Parameter ausdrückt, vom Schlüsselwort kann mit dem folgenden Schema dargestellt werden: verwerfen

Theorie -

zerstören ^^^

theory /

Mythos =====

/ '

explode

Glück

myth __ _

happiness

\ = Hoffnung

destroy hope

Hier ein weiteres Beispiel : It was the night of December 5—6 that the Soviet troops launched a major counter-offensive in the course of which the enemy was thrown back from Moscow over 200 miles and dozens of Nazi divisions were routed. In der Nacht vom 5. zum 6. Dezember begannen die sowjetischen Truppen eine großangelegte Gegenoffensive, in deren Verlauf der Feind über 300 km vor Moskau zurückgeworfen wurde und Dutzende von faschistischen Divisionen zerschlagen wurden. Im Englischen wird die innere Form des Verbes launch von seiner Grundbedeutung „vom Stapel laufen lassen" (launch a, ship) bestimmt. Der Grundbedeutung des dt. Verbs beginnen entspricht das engl, begin oder start, das in ganz anderen Wortverbindungen anzutreffen ist (to begin a new book — „ein neues Buch anfangen" ; to start a quarrel — „einen Streit beginnen"). Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß in Übersetzungen Wörter mit einer anderen inneren Form verwendet werden, die aber dem gleichen semantischen Parameter entsprechen (in unserem Fall Caus — „veranlassen, daß . . .; verursachen"). Das hier dargelegte Prinzip ist besonders dann von großer Bedeutung, wenn aus der Muttersprache in eine Fremdsprache übersetzt wird. Wir haben an anderer Stelle bereits darauf verwiesen, daß der Übersetzer in starkem Maße dem Einfluß von Interferenzerscheinungen der Quellensprache ausgesetzt ist. Das gilt besonders dann, wenn die Quellensprache auch die Muttersprache des Übersetzers ist.

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Semantische Probleme der Übersetzung

Wird das Verb launch mit Substantiven kombiniert, die bestimmte materielle Objekte bezeichnen, kann es bei Erhaltung des gleichen elementaren Sinns („etwas in Bewegung setzen") dem dt. in Betrieb nehmen (z. B. launch a new enterprise — „ein neues Werk in Betrieb nehmen") entsprechen. Für den Übersetzer kann daher eine feste assoziative Verbindung zwischen dem dt. in Betrieb nehmen und dem engl, launch entstehen. Auf diese Weise ist etwa für den dt. Satz Das größte Kraftwerk der Welt wurde in Betrieb genommen die folgende Übersetzung entstanden: The world's biggest power station was launched. Dazu bemerkte ein englischsprachiger Übersetzungsredakteur humorvoll: „Everything gets launched these days, including things that shouldn't. You launch a ship or rocket, you commission a power station." Die Herausbildung einer festen assoziativen Verbindung zwischen commission und dem dt. in Betrieb nehmen oder seiner Bestimmung übergeben kann indes genauso gefährlich sein, wie das folgende Beispiel zeigt: In Moskau werden jährlich 110000 bis 115000 neue Wohnungen ihrer Bestimmung übergeben. Each year 110,000 to 115,000 new apartments are commissioned in Moscow. In diesem wie auch im vorhergehenden Fall lag der durch die Interferenz des Deutschen bedingte Fehler an der Nichtbeachtung des Umstandes, daß in der konkreten sprachlichen Äußerung der semantische Parameter vom Schlüsselwort bestimmt wird. Und so mußte der Übersetzungsredakteur anmerken: Ships and power stations are commissioned, new apartments are made available or moved into. Hier die von ihm vorgeschlagene Variante: Each year 110,000 to 115,000 Moscow families move into newly-built apartments. (Die Umformung dieser Äußerung überschreitet die Grenzen der lexikalischsyntaktischen Paraphrasierung, wie sie im Modell „Sinn«Text" festgelegt sind.) Ähnliche Erscheinungen lassen sich auch in den Fällen beobachten, wo das engl. Verb overcome, das den Parameter Liqu in bezug auf Substantive wie obstacle, opposition, temptation ausdrückt, im Bewußtsein des Übersetzers mit dem dt. überwinden assoziiert wird, ohne daß er dabei die entscheidende Rolle beachtet, die dem Schlüsselwort zukommt. So findet sich zum Beispiel overcome a housing shortage als Kalkierung des dt. Ausdrucks den Wohnungsmangel überwinden. Der richtige engl. Ausdruck dagegen lautet meet a housing shortage. Beim praktischen Übersetzen kommt es relativ selten vor, daß ein konkretes Wort mit einer bestimmten inhaltlichen Funktion gegenüber einem Schlüsselwort nur eine einzige Entsprechung in der Zielsprache hat. Dem oben betrach-

Lexikalische und syntaktische Paraphrasierung

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teten launch an offensive könnte im Deutschen sowohl eine Offensive starten als auch zur Offensive übergehen entsprechen. Die Festlegung der optimalen Variante kann selbstverständlich auch mit Hilfe von stilistischen Kriterien erfolgen. Der entscheidende Faktor ist in einigen Fällen auch das, was man vom Standpunkt des Empfängers in der ZS als „allgemein üblich" oder „angemessen" bezeichnen kann. Schließlich wird eine solche Reaktion des ZSSprechers auf eine konkrete Wortverbindung durch die Häufigkeit ihres Auftretens bestimmt. Als Beispiel soll die Überschrift einer Zeitungsnotiz dienen, die über die Lieferung von israelischen Waffen nach Südafrika berichtet: Unheilvolle Allianz. Mögliche Entsprechungen für das dt. unheilvoll wären: sinister, evil, ominous, wobei man ominous als erstes ausschließen kann, da es eher in dem Sinn „Unheil voraussagend", „von schlimmer Vorbedeutung" gebraucht wird. Sinister alliance und evil alliance sind dagegen im Prinzip möglich. Trotzdem geben wir unholy, das im Wörterbuch nicht als Äquivalent für das dt. „unheilvoll" verzeichnet ist, den Vorzug, denn dieses ist mit dem Substantiv alliance in der angegebenen Bedeutung bereits eine recht feste Verbindung eingegangen, die sich wohl aus der Gegenüberstellung mit Holy Alliance — Heilige Allianz ergibt. Diesen Faktor hat ein Übersetzer also bei der Auswahl einer bestimmten Variante zu berücksichtigen; er muß entscheiden, welche der Varianten die „idiomatischste" ist. An dieser Stelle soll darauf verwiesen werden, daß der Bestand an semantischen Parametern, wie er vom Modell „Sinn-»-Text" vorgegeben wird, in einer ganzen Reihe von Fällen nicht für die endgültige Auswahl einer Variante unter Berücksichtigung der bestimmenden Rolle des Schlüsselwortes ausreicht. Daher ist es auch kein Zufall, daß die Schöpfer dieses Modells bei der Anwendung auf natürliche Sprachen zur Einführung zusätzlicher Parameter gezwungen waren ( S A L J A P I N A 1 9 6 9 ; U B I N 1 9 6 9 ) . Eine solche detailliertere Klassifikation von inhaltlichen Funktionen wird durch die Notwendigkeit einer tiefergehenden semantischen Analyse bestimmt. Diese erweist sich besonders dann als wichtig, wenn verschiedene Sprachen miteinander verglichen werden und wenn übersetzt wird. Two courses, it seems to us, are open to the United States. It can come to its senses and begin to put its money where its needs are, or it can continue on its present disastrous course, courting the dangers inherent in a runaway arms race. Unsere Aufmerksamkeit gilt in diesem Fall der Übersetzung von courting the dangers und runaway arms race. Unter den verschiedenen Bedeutungen des Verbs court finden wir auch die folgende, die am ehesten den Sinn trifft, in dem das Wort im vorliegenden Abschnitt verwendet wird: „to act in such a manner as to cause, lead to or provoke — to court disaster by reckless driv-

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Semantische Probleme der Übersetzung

ing". Diese Bedeutung ist in englisch-deutschen Wörterbüchern meist nicht so deutlich verzeichnet, aber wir finden als Entsprechung für court disaster — ein Unheil heraufbeschwören, mit dem Feuer spielen. Nach der angegebenen Definition handelt es sich hier also um ein Wort, das dem semantischen Parameter Caus entspricht. Soll der Rahmen der Wortverbindung nicht überschritten werden, könnte man sich mit einer analogen Wortverbindung eine Gefahr heraufbeschwören zufriedengeben. Aber der weitere Kontext zeigt, daß diese Variante nicht akzeptabel ist. Denn dangers wird auch noch bestimmt durch inherent in a runaway arms race. Es handelt sich also nicht um eine Gefahr, die in der Zukunft liegt, sondern die bereits existiert. Der Sinn von court kann noch genauer bestimmt werden; er entspricht dem kombinierten Parameter Caus Plus (Saljapina 1969). Dieser hat nicht die Bedeutung „etwas heraufbeschwören", sondern „etwas verstärken, erhöhen, aktivieren" und gilt für etwas bereits Bestehendes. Es müßte also besser übersetzt werden: ein Kurs, der die Gefahr verstärkt. Nun zu der Wendung runaway arms race. Wenn wir davon ausgehen, daß runaway in bezug auf arms race den Parameter Magn („hoher Grad") repräsentiert, erhalten wir unter Beachtung des Schlüsselwortes „Rennen" die folgenden Varianten für diesen P a r a m e t e r - „beschleunigtes", „fieberhaftes", „intensives". Auf der Suche nach der endgültigen Lösung müssen wir aber noch tiefer in den Sinn von runaway eindringen. (Eine Arbeit, die sich mit der Analyse der Ausdrucksmittel befaßt, die im Russischen für den Parameter Magn zur Verfügung stehen, bietet eine feinere Graduierung der inhaltlichen Schattierungen dieses Parameters in Abhängigkeit von der „aufgewendeten K r a f t " [vgl. z. B. „sil'nyj dozd'" - „starker Regen" und „prolivnoj dozd'" — „wolkenbruchartiger Regen"] Übest 1969.) In dem vorliegenden Beispiel bezeichnet runaway in Verbindung mit arms race den höchsten Grad an Intensität, nämlich den Punkt, wo die Kontrolle über das Wettrüsten verlorengeht. Die am nächsten liegende dt. Entsprechung für den engl. Ausdruck würde somit lauten: fieberhaftes Wettrüsten. Wie uns scheint, haben die Vereinigten Staaten zwei Möglichkeiten: entweder nehmen sie Vernunft an und beginnen, ihre Mittel für die wirklichen Bedürfnisse aufzuwenden, oder sie setzen ihren gegenwärtigen unglückseligen Kurs fort, der die Gefahr, die einem fieberhaften Wettrüsten innewohnt, noch verstärkt. Das Modell der semantischen Analyse und Synthese umfaßt auch kompliziertere Fälle von kombinierten lexikalisch-syntaktischen Umformungen einer Äußerung, wie sie in der praktischen Übersetzertätigkeit häufig auftreten. Hierher gehören ebenso einige Varianten der sogenannten „antonymischen Übersetzung", von der schon im ersten Kapitel die Rede war. Practical training was poor, and the men received littlepractiee in shooting.

Lexikalische und s y n t a k t i s c h e Paraphrasierung

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Für den hervorgehobenen Teil des Satzes existieren im Prinzip zwei Übersetzungsmöglichkeiten Die Soldaten erhielten eine ungenügende Ausbildung im Schießen und Die Soldaten erhielten keine genügende Ausbildung im Schießen (bzw. keine ausreichende Ausbildung . . .) Welche dieser beiden Varianten ist nun zu bevorzugen? Um dieses entscheiden zu können, übersetzen wir den ersten Teil des Satzes: Die praktische Ausbildung war unzulänglich . . . Die Sinnstruktur der gesamten Äußerung bestimmt die logischen Relationen zwischen ihren Teilen: I m ersten Teil des Satzes wird eine Ursache dargestellt, im zweiten dann die Wirkung. Der Satz könnte etwa wie folgt paraphrasiert werden: Die praktische Ausbildung war unzulänglich, und im Ergebnis dessen . . . Es wäre also die Variante vorzuziehen, in der der Inhalt des zweiten Teils der Äußerung verneint wird. Die logische Verbindung zwischen den Teilen der Äußerung kommt deutlich zum Ausdruck, wenn der Satz lautet: Die praktische Ausbildung war unzulänglich, und die Soldaten erhielten keine ausreichende Ausbildung im Schießen. In der anderen Variante Die praktische Ausbildung war unzulänglich, und die Soldaten erhielten eine ungenügende Ausbildung im Schießen ist die logische Verbindung weniger deutlich, da die Aufmerksamkeit des Lesers darauf orientiert wird, daß die Soldaten zwar eine Schießausbildung erhielten, diese aber unzureichend war. Neben den Beispielen für eine antonymische Paraphrasierung, die durch die Sinnstruktur der Äußerung bedingt wird, wollen wir vor allem noch auf die Anwendung der antonymischen Übersetzung in Fällen von bestimmten strukturellen Differenzen zwischen QS und ZS verweisen. Consumers were led to believe that tea-drinking is no more unmanly than felling an oak or killing a moose. Dieses Beispiel bezieht sich auf eine in Amerika weitverbreitete Ansicht, daß Tee ein Getränk für Menschen mit schwächlicher Gesundheit sei — nichts für Männer. Nun gibt es für das engl, unmanly im Deutschen die Entsprechung unmännlich-, eine Steigerungsform wie das hier vorliegende more unmanly ist jedoch in der dt. Sprache ungebräuchlich. Hier kommt uns die antonymische Paraphrasierung zu Hilfe — wir verwandeln die negierte Konstruktion in eine positive und ersetzen das Adjektiv durch sein Antonym: nicht unmännlicher — genauso männlich. Die Negation und der Komparativ werden durch den Verweis auf die Identität (genauso) ersetzt. Den Verbrauchern wurde suggeriert, daß Teetrinken genauso männlich sei wie eine Eiche zu fällen oder einen Elch zu erlegen. In manchen Fällen führen Differenzen in der Kompatibilität dazu, daß ein Wort durch seine Konversive (d. h. ein Wort, das in bezug auf die Beteiligten der Verbhandlung die umgekehrten Relationen zum Ausdruck bringt)

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Semantische Probleme der Übersetzung

ersetzt wird und entsprechende syntaktische Veränderungen vorgenommen werden: An example is the Safeguard system which last year missed defeat in the Senate by only one vote. Ein Beispiel ist das Safeguard-System, das im, vergangenen Jahr mit nur einer Stimme Mehrheit durch den Senat gebracht wurde. Wir wollen versuchen, den Lösungsweg des Übersetzens nachzuvollziehen. Die engl. Wortverbindung miss defeat könnte in einem entsprechenden Kontext übersetzt werden mit der Niederlage (oder dem Mißerfolg) entgehen. I n diesem Satzkontext ist das allerdings kaum möglich: das System, das der Niederlage mit einer Stimme Mehrheit entgangen ist. Der Übersetzer hat daher auf eine Paraphrasierung zurückgegriffen. Das Wort System wurde vom Subjekt der Verbhandlung in das Objekt verwandelt, und anstelle von der Niederlage entgehen t r a t eine konversive Form, das Verb durchbringen. Dazu noch ein weiteres Beispiel: The air raids came at dusk and one by one the towns were blacked out as air raid sirens wailed and anti-aircraft guns went into action. Die Luftangriffe begannen mit Einbruch der Dämmerung, und eine Stadt nach der anderen versank unter dem Geheul der Sirenen und dem Feuer der Flakgeschütze in der Dunkelheit. Hier ist die Substitution des Verbs durch seine Konversive ebenfalls durch Einschränkungen bedingt, die sich auf die semantische Kompatibilität beziehen. Offensichtlich wurde aus diesem Grund auch das nächstliegende Wörterbuchäquivalent für block out — verdunkeln verworfen. I m Deutschen kann man dieses Verb in Verbindung mit Fenster oder Zimmer, nicht aber mit Stadt verwenden. Und eine Wendung wie in den Städten wurde die Verdunklung eingeführt müßte eher dahingehend interpretiert werden, daß in den Städten ganz allgemein Anordnungen für die Lichttarnung in K r a f t traten. In unserem Beispiel war aber nur davon die Rede, daß in den Städten das elektrische Licht abgeschaltet werden mußte. Aus diesem Grund erweist sich in dem vorliegenden Fall die konversive Form des Verbs verdunkeln, nämlich in der Dunkelheit versinken, als die optimale Variante. Dabei wird towns vom (semantischen) Objekt zum Subjekt der Verbhandlung, bleibt jedoch das grammatische Subjekt im Satz, denn die Passivkonstruktion wird in eine Aktivkonstruktion umgewandelt. Ursache für derartige Umformungen sind — wie wir bereits festgestellt haben — häufig die Gesetzmäßigkeiten der lexikalisch-syntaktischen Kompatibilität, die beim Vergleich von Äußerungen der QS und der ZS sichtbar werden. I n einer ganzen Reihe von Fällen kann die lexikalische Bedeutung von Wörtern, die als grammatisches Subjekt oder Prädikat fungieren, diesen innerhalb einer gegebenen Sprache bestimmte Beschränkungen der Kombinierbarkeit auferlegen. Diese Einschränkungen

Lexikalische und syntaktische Paraphrasierung

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stellen einen der Filter dar, die in dem bereits beschriebenen Modell den „Selektor" bilden. Anders formuliert heißt das, daß sie zu einem großen Teil die Wahl einer bestimmten Art der lexikalisch-syntaktischen Paraphrasierung vorherbestimmen. Dafür einige Beispiele: In 1961 an airliner crash in Illinois killed seventy-eight persons. Im Jahre 1961 kamen 78 Menschen bei einem Flugzeugunglück im Staate Illinois ums Leben. Bad weather brought Concorde 002 down on a sudden visit to Londorfs Heathrow airport yesterday. Wegen des schlechten Wetters landete die Concorde 002 gestern überraschend. auf dem Londoner Flugplatz Heathrow. The split in the Democratic Party elected Lincoln. Auf Grund der Spaltung innerhalb der Demokratischen Partei wurde Lincoln zum Präsidenten gewählt. Die syntaktische Struktur der angeführten engl. Sätze kann in der Übersetzung nicht beibehalten werden, weil Wortverbindungen wie das Unglück tötete Menschen, das Wetter landete ein Flugzeug oder die Spaltung wählte Lincoln im Deutschen nicht möglich sind. Subjekte von Handlungen, die mit Verben dieser Bedeutung bezeichnet werden, können Substantive sein, die anderen semantischen Klassen angehören und die nicht die Ursache der Handlung, sondern das Agens, d. h. den Träger der Handlung bezeichnen (vgl. Der Jäger tötete den Bären-, der Pilot landete das Flugzeug-, das Volk wählte den Abgeordneten). Da die Struktur der Äußerung also in der Zielsprache der Übersetzung nicht beibehalten werden konnte, mußte wiederum auf lexikalisch-syntaktische Umformungen zurückgegriffen werden. In allen drei Beispielen wurde ein analoges Verfahren gewählt: 1. syntaktische Derivation (das grammatische Subjekt wurde zu einer Adverbialbestimmung (weather — wegen des Wetters, split — auf Grund der Spaltung, crash — bei einem Unglück, durch ein Unglück); 2. Bilden der konversiven Form (bring down — landen, die Landung durchführen, elect — gewählt werden, an die Macht kommen, kill — umkommen). Solche Umformungen werden jedoch nicht nur dann durchgeführt, wenn grammatisches Subjekt und Prädikat des engl. Originalsatzes in der Relation Ursache — Wirkung zueinander stehen, sondern sie sind auch in den Fällen möglich, wo das grammatische Subjekt die Art und Weise oder den Charakter einer Verbhandlung bezeichnet: No amount of cover-up-rationalizing, alibiing or ducking will avoid the inevitable day of reckoning. Auch mit noch so vielen Ausflüchten, Rechtfertigungen oder Finten wird es nicht gelingen, dem unvermeidlichen Tag der Abrechnung zu entgehen. 8

Übersetzung

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Semantische Probleme der Übersetzung

Hier liegt wiederum ein Unterschied in der lexikalisch-semantischen Kompatibilität zwischen dem Englischen und dem Deutschen vor. Wird der engl. Satz unter Beibehaltung der lexikalisch-syntaktischen Struktur ins Deutsche übertragen — keine Ausflüchte werden dem Tag der Abrechnung entgehen — erweist er sich als unrichtig. In diesem Fall kann nur ein für den Handlungsträger stehendes Substantiv oder Personalpronomen grammatisches Subjekt für das Verb entgehen sein. Anders ausgedrückt, kann nur derjenige einer Abrechnung entgehen, dem sie auch droht. I m Ergebnis der syntaktischen Derivation wurde das grammatische Subjekt des engl. Satzes zu einer Modalbestimmung des dt. Satzes. Da das Subjekt der Verbhandlung im Englischen nicht erwähnt ist, wurde im Deutschen auf die unpersönliche Konstruktion wird es nicht gelingen zu entgehen zurückgegriffen. Eine ähnliche Paraphrasierung läßt sich auch bei dem folgenden Beispiel beobachten: A recent survey of 1,100 soldiers in the 173d Airborne Division in Vietnam revealed that nearly one-third of the men were smoking marijuana, either occasionally or regularly. Bei einer Umfrage, die vor kurzem unter 1100 Soldaten der 173. Luftlandedivision in Vietnam durchgeführt wurde, stellte sich heraus, daß nahezu ein Drittel von ihnen gelegentlich oder regelmäßig Marihuana raucht. Mit der Verwendung der konversiven Form (reveal-